Three approaches to research on the Middle Ages with relevance for the present have long characterized the work of Micha
697 73 9MB
German Pages 368 Year 2014
Table of contents :
Tabula Gratulatoria
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer. Eine Charakteristik Michael Borgoltes anstelle einer Einführung
Die mittelalterliche Destillation Europas aus der Welt
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort. Ein Blick in die Geschichtsatlanten und -schulbücher des 18. bis 21. Jahrhunderts
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“. Marco Polo nach Colonel Henry Yule
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs. Kategorien sozialer Ordnung im islamisch geprägten Vorderen Orient
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme. Wie viel Mikroanalyse braucht die Globalgeschichte?
Assimilation und Untergang. Das muslimische Lucera in Apulien und sein gewaltsames Ende im Jahr 1300 als Problem der Globalgeschichte
Disparate Präsenz. Hybridität und transkulturelle Verflechtung in Wort und Bild: Der ‚Liber ad honorem Augusti‘
Stadt und Geschichte im Überblick. Die spämittelalterliche Karte Roms von Paolino Minorita als Erkenntnisinstrument des Historiographen
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
Verzeichnis der von Michael Borgolte betreuten Habilitationsschriften und Dissertationen
Abbildungen
Quellennachweise der Abbildungen
Register
Europa in der Welt des Mittelalters
Europa in der Welt des Mittelalters Ein Colloquium für und mit Michael Borgolte Herausgegeben von Tillmann Lohse und Benjamin Scheller
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-035096-8 e-ISBN 978-3-11-035112-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Weltkarte mit Klimazonen, gezeichnet in Nordfrankreich, um 1277 (Los Angeles, J. Paul Getty Museum, 83.MR.174, fol. 177v) Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Tabula Gratulatoria
VII
Benjamin Scheller Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer. Eine Charakteristik Michael Borgoltes anstelle einer Einführung 1 Bernd Schneidmüller Die mittelalterliche Destillation Europas aus der Welt
11
Tillmann Lohse Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort. Ein Blick in die Geschichtsatlanten und -schulbücher des 18. bis 21. Jahrhunderts 33 Daniela Rando „A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“. Marco Polo nach Colonel Henry Yule 79 Gudrun Krämer Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs. Kategorien sozialer Ordnung im islamisch geprägten Vorderen Orient 101 Juliane Schiel Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme. Wie viel Mikroanalyse braucht die Globalgeschichte? 119 Benjamin Scheller Assimilation und Untergang. Das muslimische Lucera in Apulien und sein gewaltsames Ende im Jahr 1300 als Problem der Globalgeschichte 141 Barbara Schlieben Disparate Präsenz. Hybridität und transkulturelle Verflechtung in Wort und Bild: Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ 163 Tanja Michalsky Stadt und Geschichte im Überblick. Die spämittelalterliche Karte Roms von Paolino Minorita als Erkenntnisinstrument des Historiographen 189
VI
Inhalt
Johannes Fried Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter Michael Borgolte Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
211
241
267
Verzeichnis der von Michael Borgolte betreuten Habilitationsschriften und Dissertationen 303 Abbildungen
305
Quellennachweise der Abbildungen Register
349
347
Tabula Gratulatoria Colin Arnaud, Berlin Birgit Aschmann, Berlin Oliver Auge, Kiel Andreas Auth, Darmstadt Jörg Baberowski, Berlin Sverre Bagge, Bergen János Bak, Budapest Martin Baumeister, Rom Hartmut Berghoff, Washington Rainer Berndt, Frankfurt am Main Jenny Blekker, Berlin Michael Bojcov, Moskau Marie-Luise Bott, Berlin Michael Brauer, Salzburg Uwe Braumann, Freiburg Horst Bredekamp, Berlin Rüdiger vom Bruch, Berlin Doris Bulach, München Julia Burkhardt, Heidelberg Stefan Burkhardt, Heidelberg Peter Burschel, Berlin Zachary Chitwood, Berlin Miriam Czock, Essen Wiebke Deimann, Mainz Hans-Jürgen Derda, Braunschweig Aline Dias da Silveira, Florianópolis Andrej Doronin, Moskau Horst Dreier, Würzburg Wolfram Drews, Münster Manfred K. H. Eggert, Tübingen Caspar Ehlers, Frankfurt am Main Joachim Ehlers, Berlin Elfie-Marita Eibl, Berlin
VIII
Tabula Gratulatoria
Evamaria Engel, Am Mellensee Arnold Esch, Rom Stefan Esders, Berlin Janosch Faber, Berlin Jörg Feuchter, Berlin Rolf Forstmann, Wedel Corinna Franz, Bonn Johannes Fried, Heidelberg Sławomir Gawlas, Warschau Patrick Geary, Princeton Tim Geelhaar, Frankfurt am Main Hans-Werner Goetz, Hamburg Gisela Grabo, Berlin Wolfdieter Haas, Ramelsloh-Seevetal Matthias Hardt, Leipzig Susanne Härtel, Konstanz Heiko Hartmann, Leipzig Alfred Haverkamp, Trier Anke te Heesen, Berlin Johannes Helmrath, Berlin Karla Hense, Lindenberg Klaus Herbers, Erlangen Ivan Hlaváček, Prag Dirk Hoerder, Bremen Birgitt Hoffmann, Bamberg Rüdiger Hohls, Berlin Ludger Honnefelder, Bad Münstereifel Marion Höppner, Berlin Hubert Houben, Lecce Wolfgang Huschner, Leipzig Hans-Gerhard Husung, Bonn Institut für Frühmittelalterforschung, Universität Münster Carola Jäggi, Zürich Franz-Josef Jakobi, Münster Nikolas Jaspert, Heidelberg
Tabula Gratulatoria
Bezhan Javakhia, Tbilisi Hans Joas, Berlin Klaus-Peter Johne, Berlin Bernhard Jussen, Frankfurt am Main Hartmut Kaelble, Berlin Kai Kappel, Berlin Manfred Karras, Woltersdorf Ruth Karras, Minneapolis Beate Kellner, München Manuel Kohlert, Berlin Emese Kozma, Berlin Gudrun Krämer, Berlin Andreas Kraß, Berlin Klaus Krüger, Berlin Ludolf Kuchenbuch, Berlin Hiram Kümper, Mannheim Karl-Josef Kuschel, Tübingen Peter Landau, München Joseph Lemberg, Berlin Hartmut Leppin, Frankfurt am Main Volker Leppin, Tübingen Tillmann Lohse, Berlin Christian Lübke, Leipzig Bea Lundt, Flensburg / Berlin Ralf Lusiardi, Leipzig Werner Maleczek, Wien Kristin Marek, Karlsruhe Christoph Markschies, Berlin Claudia Märtl, München Matthias Maser, Erlangen Michael Matheus, Mainz Helmut Maurer, Konstanz Rosamond McKitterick, Cambridge Philipp Meller, Berlin Michael Menzel, Berlin Thomas Mergel, Berlin Margit Mersch, Kassel
IX
X
Tabula Gratulatoria
Gabriele Metzler, Berlin Tanja Michalsky, Berlin Claudia Moddelmog, Zürich Stephan Molitor, Ludwigsburg Pierre Monnet, Frankfurt am Main Eduard Mühle, Münster Jan-Dirk Müller, München Eckhard Müller-Mertens, Berlin Herfried Münkler, Berlin Marina Münkler, Dresden Franz Neiske, Münster Wolfgang Neugebauer, Berlin Johannes Niehoff-Panagiotidis, Berlin Alexander Nützenadel, Berlin Marius Oesterheld, Berlin Otto Gerhard Oexle, Berlin Jan-Hendrik Olbertz, Berlin Volker Olles, Berlin Klaus Oschema, Heidelberg Johannes Pahlitzsch, Mainz Günter Peters, Berlin Paul Predatsch, Berlin Günter Prinzing, Mainz Daniela Rando, Trient Folker Reichert, Heidelberg / Stuttgart Wolfgang Reinhard, Freiburg Frank Rexroth, Göttingen Gerhard A. Ritter, Berlin Werner Röcke, Berlin Gregor Rohmann, Frankfurt am Main / Berlin Barbara Rosenwein, Chicago Jan Rüdiger, Basel Jörg Rüpke, Erfurt Ignacio Sánchez, Berlin Thomas Sandkühler, Berlin
Tabula Gratulatoria
Jürgen Sarnowsky, Hamburg Benjamin Scheller, Essen Rudolf Schieffer, Bonn Juliane Schiel, Zürich Heinz Schilling, Berlin Nicole Schlegel, Berlin Stefan Schlelein, Berlin Barbara Schlieben, Berlin Annette Schmiedchen, Berlin Felicitas Schmieder, Hagen Bernd Schneidmüller, Heidelberg Martin Schubert, Berlin Knut Schulz, Berlin Ruth Schwerdtfeger, Berlin Karl-Heinz Spieß, Greifswald Stiftsbibliothek St. Gallen Günter Stock, Berlin Rupert Graf Strachwitz, Berlin Heinz-Elmar Tenorth, Berlin Simon Teuscher, Zürich Christiane Thomsen, Berlin Claudia Tiersch, Berlin Matthias Tischler, Barcelona Michael Toch, Jerusalem Michael Toepfer, Berlin Stefan Trinks, Berlin Tim Urban, Berlin Klaus Vollmer, München Dominik Waßenhoven, Mainz Stefan Weinfurter, Heidelberg Dorothea Weltecke, Konstanz Christina Wessely, Berlin Michael Wildt, Berlin Heinrich-August Winkler, Berlin Philipp Winterhager, Berlin Kordula Wolf, Rom
XI
XII
Tabula Gratulatoria
Benjamin Wolff, Berlin Klaus Zernack, Berlin Claudia Zey, Zürich Elke Zinsmeister, Berlin Thomas Zotz, Freiburg
Benjamin Scheller
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer Eine Charakteristik Michael Borgoltes anstelle einer Einführung Am 24. und 25. Mai 2013 fand an der Humboldt-Universität zu Berlin ein internationales Colloquium anlässlich des 65. Geburtstages von Michael Borgolte statt.1 Der vorliegende Band enthält bis auf einen alle Beiträge zu diesem Colloquium, ergänzt um zwei Beiträge der Herausgeber. Ziel der folgenden Bemerkungen ist es, in die Thematik des Bandes und die einzelnen Beiträge einzuführen und dies mit einer kurzen Charakteristik des Jubilars und seines bisherigen wissenschaftlichen Oeuvres zu verbinden. Dabei werde ich die Reihenfolge allerdings umkehren und erst den Versuch einer Charakteristik Michael Borgoltes und seiner Arbeiten unternehmen, in der Hoffnung, dass sich der thematische Zuschnitt des Geburtstagscolloquiums für Michael Borgolte und des Bandes, der aus ihm hervorgegangen ist, von dort aus mehr oder minder von selbst erschließt. Doch wie kann man einen Historiker wie Michael Borgolte charakterisieren, wie das Spezifische an ihm erfassen? Ein lateinisches Sprichwort, das auf die mittelalterlichen Glossatoren zurückgeführt wird, lautet: Bene docet qui bene distinguit.2 Frei übersetzt also: Derjenige erklärt gut, der gut unterscheidet. Ich habe mir diese mittelalterliche Maxime zu Herzen genommen und werde daher versuchen, mich dem „Phänomen“ Michael Borgolte mithilfe zweier binärer Unterscheidungen anzunähern. Die erste dieser beiden binären Unterscheidungen geht auf Friedrich Schiller zurück. Sie stammt aus seiner akademischen Antrittsrede an der Universität Jena von 1789, die den Titel trug: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“3 Es ist die Unterscheidung von „Brotgelehrtem“ und „philosophischem Kopf“. Um dies bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen: Es ist
1 Überarbeitete und erweiterte Fassung der auf dem Colloquium vorgetragenen Einführung. 2 Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi. Ed. Hans Walther. (Carmina medii aevi posterioris Latina, Bd. 2.4.) Göttingen 1966, 138, Nrn. 23839 und 23839a; vgl. Christoph H. Meyer, Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts. Leuven 2000, 65. 3 Friedrich Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, in: Ders., Schillers Werke. Nationalausgabe. Siebzehnter Band. Historische Schriften. Erster Teil. Hrsg. v. Karl-Heinz Hahn. Weimar 1970, 359–376.
2
Benjamin Scheller
nicht der Typus des „Brotgelehrten“ mithilfe dessen man zu einer Charakteristik Michael Borgoltes gelangen kann. Der Brotgelehrte steht für ängstlich bewachte disziplinäre Grenzen und eine letztlich wissenschaftsfremde Furcht vor dem Neuen, das einmal erworbenes Wissen entwertet: „Seine größte Angelegenheit ist (…), die zusammen gehäuften Gedächtnißschätze zur Schau zu tragen, und ja zu verhüten, daß sie in ihrem Werthe nicht sinken. Jede Erweiterung seiner Brodwissenschaft beunruhigt ihn, weil sie ihm neue Arbeit zusendet, oder die vergangene unnütz macht; jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf, denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so mühsam zu eigen machte, sie setzt ihn in Gefahr, die ganze Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren.“4 Der philosophische Kopf dagegen steht für die Überschreitung der Grenzen zwischen den Wissensgebieten: „Eben so sorgfältig, als der Brodgelehrte seine Wissenschaft von allen übrigen absondert, bestrebt sich jener, ihr Gebiet zu erweitern, und ihren Bund mit den übrigen wieder herzustellen – herzustellen, sage ich, denn nur der abstrahirende Verstand hat jene Grenzen gemacht, hat jene Wissenschaften voneinander geschieden.“5 Michael Borgolte hat Schillers Unterscheidung im Jahr 2001 in einem Aufsatz für die Historische Zeitschrift selbst aufgegriffen. Dieser trug den programmatischen Titel „Vor dem Ende der Nationalgeschichten? Chancen und Hindernisse für eine Geschichte Europas im Mittelalter.“6 In ihm plädierte er erstmals für eine transkulturelle Erweiterung der Mittelalterforschung zu einer übergreifenden Disziplin, „die durch Beziehungsanalysen und Vergleiche die Befunde der Einzelwissenschaften zusammenführt und diese aus eben der Zusammenschau mit neuen Fragen aus verwandten Bereichen wieder zu stimulieren vermag.“7 Die stetige Erweiterung des Gebiets bzw. der Gebiete der mittelalterlichen Geschichte zeichnet alle Forschungen Michael Borgoltes seit dieser Zeit aus. Transkulturalität ist das Bindeglied zwischen der Geschichte Europas, wie sie Michael Borgolte um die Jahrtausendwende entwarf und erforschte, und seinen jüngsten globalgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten, einmal in transkulturell vergleichender Perspektive, das andere Mal beziehungsgeschichtlich in Hinsicht
4 Schiller, Universalgeschichte (wie Anm. 3), 360. 5 Ebd. 6 Zuletzt in Michael Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Beiträge und Abhandlungen zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 31–59. 7 Ebd., 54.
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer
3
auf transkulturelle Verflechtungen. Wie Schillers philosophischer Kopf vereint Michael Borgolte also dort, wo der Brotgelehrte trennt. Dennoch ist er als philosophischer Kopf noch nicht hinreichend charakterisiert. Denn diese Charakteristik scheint mir eine andere wesentliche Eigenschaft Michael Borgoltes nicht zu erfassen: seine geradezu erschreckende Produktivität. Seine in diesem Band abgedruckte Publikationsliste (Stand Mai 2013) zählt auf: 12 selbständige Schriften, darunter acht Monographien, 25 Herausgeberschaften, 172 Aufsätze und Beiträge in Zeitschriften, Sammelbänden und Tageszeitungen, 50 Lexikonartikel und 243 Rezensionen, somit insgesamt 502 Publikationen entstanden zwischen 1975 und 2014, im Schnitt also 17,3 Publikationen im Jahr! Und damit komme ich zur zweiten binären Unterscheidung, mit deren Hilfe ich Michael Borgolte und sein Werk zu charakterisieren versuchen will. Sie stammt nicht von einem Autor allein, sondern lässt sich vornehmen, wenn man Überlegungen zusammenführt, die Vilfredo Pareto und Werner Sombart zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert haben. Es ist die Unterscheidung von Rentier und Unternehmer.8 Obwohl Sombart und Pareto diese Typen vor allem als Exponenten des Wirtschaftslebens und der Politik skizzieren, lassen sie sich mutatis mutandis auch auf die Wissenschaft anwenden. Dabei bildet die Unterscheidung von Rentier und Unternehmer keine grundsätzliche Alternative zu Schillers Unterscheidung von Brotgelehrtem und philosophischem Kopf, sondern verhält sich zu dieser komplementär und überschneidet sich streckenweise sogar mit ihr. Rentiers sind Pareto zufolge „Individuen, deren einzige oder hauptsächliche Einnahmequelle Zinsen aus Staatspapieren, aus Obligationen von Handels- und Industriegesellschaften, feste Löhne, Renten sind“. Sie sind „großenteils konservativ, stehen Neuem, das sie stets ein wenig fürchten, feindlich gegenüber, sind patriotisch ja nationalistisch.“9 Die Ähnlichkeit des Rentiers mit dem Schiller’schen Brotgelehrten ist offensichtlich. Ja, man könnte Schillers Brotgelehrten als den Rentier unter den Wissenschaftlern beschreiben, der das einmal erworbene kulturelle Kapital seines Wissens konservativ in möglichst risikoarme wissenschaftliche Projekte investiert, von denen keine großen, dafür aber regelmäßige und mehr oder minder sichere Erkenntnisse zu erwarten sind. Der Unternehmer dagegen geht Risiken ein. Er bezieht seine „Einnahmen aus Aktien von Handels- oder Industriegesellschaften, direkter Unternehmertä-
8 Vilfredo Pareto, Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Carlo Mongardini. Wiesbaden 2007, 239–246; Werner Sombart, Der Bourgeouis. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen. München / Leipzig 1923, 256–262. 9 Ebd., 239.
4
Benjamin Scheller
tigkeit in Handel und Industrie, Börsengeschäften (…) Spekulationen mit landwirtschaftlichem oder städtischem Grund und Boden“, „letztlich aus allem, was seinem Wesen nach Veränderung unterliegt und von der Geschicklichkeit der Person abhängig ist, die sich damit beschäftigt.“ Deshalb ist er „Neuerungen gegenüber aufgeschlossen, entfaltet überall rege Betriebsamkeit, um gute Geschäfte zu machen, ist internationalistisch, weil (er) überall Gelegenheit findet, (seine) Industrie zu betreiben, und weil das Geld im Grunde genommen kein Vaterland hat.“10 Die Art und Weise, wie der Unternehmer Geschäfte macht, gleicht also der Art und Weise, wie der philosophische Kopf die Wissenschaft betreibt. Sein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, die wissenschaftliche Wahrheit, ist ebenso wenig an Grenzen gebunden, wie das Kommunikationsmedium der Wirtschaft, das Geld.11 Und wie den philosophischen Kopf zeichnet den Unternehmer eine spezifische Intellektualität aus. Werner Sombart zufolge ist der Unternehmer „mit dem sicheren Sinn für das Wesentliche“ ausgestattet sowie durch eine „große Beweglichkeit des Geistes“, darüber hinaus reich an Ideen und Einfällen, voller „kombinatorischer Phantasie“.12 Wie Schillers philosophischer Kopf vereint Sombarts und Paretos Unternehmer also dort wo andere, die Brotgelehrten und Rentiers, trennen bzw. sich an etablierten Unterscheidungen orientieren. Anders als der philosophische Kopf ist der Unternehmer jedoch durch die Intellektualität noch nicht hinreichend bestimmt: „Einer reichen Ausstattung mit den Gaben des ‚Intellekts‘ muß entsprechen eine Fülle von ‚Lebenskraft‘, Lebensenergien, oder wie wir sonst diese Veranlagung nennen wollen, von der wir nur soviel wissen, daß sie die notwendige Voraussetzung allen ‚unternehmerhaften‘ Gebarens ist: daß sie die Lust an der Unternehmung, die Tatenlust schafft und dann für die Durchführung des Unternehmens sorgt, indem sie die nötige Tatenkraft dem Menschen zur Verfügung stellt. Es muß etwas Forderndes in dem Wesen sein, etwas, das hinaustreibt, das die träge Ruhe auf der Ofenbank zur Qual werden läßt.“13 Ich denke diese letzten Worte haben es endgültig deutlich gemacht: Michael Borgolte ist philosophischer Kopf und wissenschaftlicher
10 Pareto, Schriften (wie Anm. 8). 11 Claudio Baraldi, Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, in: Ders. / Giancarlo Corsi / Elena Esposito, GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt am Main 1997, 189–195. 12 Sombart, Bourgeois (wie Anm. 8), 257. 13 Ebd., 257 f.
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer
5
Unternehmer. Das ist die Charakteristik, die ihm in meinen Augen am besten gerecht wird. Doch welches sind die Unternehmungen des wissenschaftlichen Unternehmers Michael Borgolte? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig. Es sind zwei Formen des wissenschaftlichen Großunternehmens, 1. die große wissenschaftliche Monographie; 2. das Drittmittelprojekt und zwar in seiner Großform, dem Verbundprojekt. Kleinere wissenschaftliche Unternehmungen, Detailstudien in Form des Zeitschriftenaufsatzes oder gar der Miszelle, wecken Michael Borgoltes Lust an der Unternehmung dagegen in der Regel nicht. Viele seiner zahlreichen Aufsätze sind daher auch keine derartigen unabhängigen wissenschaftlichen Kleinbetriebe. Sie sind vielmehr in spezifischer Weise auf die Großunternehmungen, die Monographien und Drittmittelprojekte bezogen. Eine geradezu zentrale Rolle in Michael Borgoltes wissenschaftlichem Oeuvre spielen programmatische Aufsätze, in denen Perspektiven und Ansätze, die das wissenschaftliche Feld bis dato beherrscht haben, der Kritik unterzogen und neue Ansätze gefordert und entfaltet werden.14 Sie sind, wenn man so will, die Machbarkeitsstudien, in denen einerseits der Markt für die geplanten großen Unternehmungen sondiert und andererseits deren Zuschnitt skizziert wird. Erstere Funktion haben auch viele seiner Rezensionen. Nicht alle der in dieser Weise skizzierten Unternehmen haben sich realisieren lassen. Doch das gehört nun einmal zum unternehmerischen Risiko. Und zu Michael Borgoltes Geschäftspraxis als wissenschaftlichem Unternehmer gehört es auch, dass Geschäftsbereiche, die keinen intellektuellen Ertrag mehr abzuwerfen versprechen, völlig unsentimental abgestoßen werden. Wie etwa das Unternehmen einer Sozialgeschichte des Mittelalters, von dem er sich nach 1996 abwandte, weil es, wie er 2011 selbst in einem Vortrag an der Humboldt-Universität formulierte, „seine Inspirationskraft eingebüßt hatte“ und „kein Faszinosum für kreative Köpfe mehr“ gewesen sei.15 Die wichtigsten Großunternehmungen der Jahre seit dieser sind ohne Zweifel die beiden großen europäischen Geschichten des Mittelalters auf komparatistischer Grundlage, die Monographie „Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250“, die im Jahr 2002 als dritter Band des Handbuchs der Geschichte Europas erschien,
14 S. hierzu die Auswahl in Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt (wie. Anm. 6). 15 Michael Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt. Mediävistik als globale Geschichte, in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie. Anm. 6), 533–546, hier 533; vgl. Ders., Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N. F., Bd. 22.) München 1996.
6
Benjamin Scheller
und das große Buch „Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes, 300–1400 n. Chr.“, aus dem Jahr 2006.16 In letzterem hat Michael Borgolte die These entfaltet, dass Europa im Mittelalter keine lateinisch-christliche Einheitskultur gewesen sei. Vielmehr hätten auf dem europäischen Kontinent mehrere Kulturen nebeneinander bestanden und aufeinander eingewirkt, deren religiöse Grundlagen die drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam wurden: „Auf dem Boden des mittelalterlichen Europa siedelten Christen und Muslime deutlich voneinander getrennt in größeren Regionen, während sie sonst untereinander und mit den Juden vermischt in multireligiösen Gesellschaften lebten. Jüdische Minderheiten gab es auch, wo sonst nur Christen wohnten. Europa war also keineswegs mit der Verbreitung der lateinischen Sprache, dem Abendland oder der Papstkirche identisch.“17 Diese These spielte dann auch eine tragende Rolle bei der Konzeption des Schwerpunktprogramms „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Heidelberg koordiniert wurde. Zwischen 2005 und Mitte 2011 erforschten in diesem großen Verbundprojekt Arbeitsgruppen an rund zwanzig deutschen Universitäten transdisziplinär die Dialektik von Einheitsbildung und Ausbildung von Diversität im Europa des Mittelalters.18 Die These eines monotheistischen Mittelalters relativiert die Auffassung von einem christlich geprägten Europa des Mittelalters und stellt somit eine Dezentrierung des überkommenen Bildes dieser Epoche dar. Damit bildet sie gleichzeitig eine Grundlage für eine globalgeschichtliche Perspektive auf das Mittelalter.19 Seit 2012 untersucht das Projekt Foundmed, das durch einen ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates ermöglicht wurde, die Stiftungen des Mittelalters in transkulturell vergleichender Perspektive, und zwar in globaler Perspektive, indem es neben den Stiftungen Lateineuropas, der byzantinischen
16 Michael Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 3.) Stuttgart 2002; Ders., Christen, Juden, Muselmanen. Das Erbe der Antike und der Aufstieg des Abendlandes, 300 bis 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas.) München 2006. 17 Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen (wie Anm. 16), 9. 18 Vgl. Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg u. a. (Hrsg.), Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. (Europa im Mittelalter. Beiträge und Abhandlungen zur historischen Komparatistik, Bd. 18.) Berlin 2011. 19 Michael Borgolte, Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt. Ein Versuch in transdisziplinärer Mediävistik, in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie. Anm. 6), 283–335, hier 284.
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer
7
und islamischen Welt sowie des mittelalterlichen Judentums auch die Stiftungen des indischen und chinesischen Mittelalters in den Blick nimmt.20 Die wissenschaftlichen Unternehmungen Michael Borgoltes der letzten knapp 20 Jahre haben also einen gemeinsamen Markenkern: eine Transzendierung der Nationalgeschichte in transkultureller Perspektive nach Europa und in die Welt, die ohne die methodisch-theoretische Reflexion nicht zu haben ist. Die Beiträge in diesem Band beziehen sich auf diese Unternehmungen. Sie fragen nach der Geschichte Europas im Mittelalter im Bewusstsein für globale Zusammenhänge und nach den methodischen und konzeptionellen Grundlagen einer solchen Geschichte. Dabei setzen sie freilich unterschiedliche Akzente. So fragt Bernd Schneidmüller nach dem Verhältnis von Europa und der Welt in Deutungskonzepten des mittelalterlichen Lateineuropa und zeigt, dass für die Erinnerungskulturen des Mittelalters die Vorstellung entscheidend war, der europäische Kontinent und seine Völker und Reiche seien durch Migrationen völlig neu formiert worden und seine Kulturen daher aus vielen verschiedenen Wurzeln entstanden. Ein wissenschaftshistorischer Beitrag zur Geschichte des Mittelalters im Bewusstsein globaler Zusammenhänge ist Daniela Randos Analyse der Marco Polo Übersetzung des schottischen Orientalisten und ehemaligen britischen Kolonialoffiziers Henry Yule. Diese profiliert sie dabei als „Ergebnis eines Blicks mit dem kolonialen Auge“, in dem Marco Polo als Vorläufer der Entdecker des 19. Jahrhunderts erscheint, ein koloniales Auge nicht nur des Übersetzers, sondern von Diplomaten, Armee- und Geheimdienstoffizieren sowie jener Missionare in Südindien, Tibet und Shanghai, die Yule während seiner Zeit in Indien kennengelernt hatte und die zu seinen wichtigsten Informationsquellen gehörten. Methodisch-konzeptionelle Fragen stehen auch im Zentrum der Beiträge von Gudrun Krämer und Juliane Schiel. Krämer erprobt das heuristische Potential des kontrastierenden Vergleichs zwischen den Gesellschaften des vormodernen Nahen Ostens und denen des lateineuropäischen Mittelalters und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Kategorien der sozialen Ordnung. Juliane Schiel analysiert die Belege für Sklavenhandel im Handelsbuch des Giacomo Badoer, eines Venezianischen Kaufmanns des 15. Jahrhunderts und fragt nach dem Ort mikrohistorischer Analyse in einer Globalgeschichte des Mittelalters. Das Handelsbuch des Badoer spiegele einerseits, das ‚globale‘ Fernhandelssystem des zeitgenössischen Mittelmeerraums wider, mache jedoch auch deutlich, dass der Sklavenhandel ein Nebengeschäft Badoers gewesen sei, das
20 Online: https://www.geschichte.hu-berlin.de/forschung-und-projekte/foundmed (letzter Zugriff 27. April 2014).
8
Benjamin Scheller
weniger der Erzielung von ökonomischem Gewinn als der Pflege sozialer Beziehungen gedient habe. Phänomenen transkultureller Verflechtung in Petrus von Ebulis ‚Liber ad honorem Augusti‘ geht Barbara Schlieben nach und kommt zu einem ambivalenten Befund. Petrus’ Darstellung des multi-lingualen und multi-religiösen Siziliens der Zeit um 1200 und der damit verbundenen Uneindeutigkeiten diente der Diffamierung des sizilianischen Thronprätendenten Tankred von Lecce. Gleichzeitig bedient sich Petrus Argumenten, die auf arabischen Wissensbeständen und damit transkultureller Verflechtung basieren. Michael Borgoltes Beitrag untersucht die Rolle Karls des Großen „in der trikontinentalen Ökumene seiner Zeit“, indem er die Wechselbeziehungen zwischen den Franken und anderen Kulturen durch Migration, Fernhandel und militärische Expansion in den Blick nimmt. Dabei wird der Platz Karls des Großen in der Globalgeschichte deutlich. Zwar war der Frankenkaiser Herrscher eines rein lateineuropäisch-christlichen Reichs. Doch kam es in seiner Zeit zu einer neuen Vernetzung des fränkischen mit dem arabischen Fernhandel, außerdem siedelte er Mönche und Nonnen in Jerusalem an, das politisch dem Kalifat unterstand und sich kirchlich nach Byzanz orientierte. Transkulturelle Verflechtung durch Fernhandel, Migration und imperiale Expansion nimmt auch mein Beitrag in den Blick und kommt so zu einer neuen Erklärung für das Ende der jahrhundertelangen Präsenz von Muslimen in Süditalien, die der Untergang des muslimischen Lucera in Apulien im Jahr 1300 markierte. Vor allem die transkulturelle Verflechtung durch den mediterranen Getreidehandel erwies sich für die muslimische Gemeinde geradezu als schicksalhaft. Johannes Fried untersucht den Traktat ‚De modo Sarracenos extirpandi‘, den der katalonische Dominikaner Guillelmus Adae um das Jahr 1317 wohl auf Wunsch des Kardinals Raymond Guillaume de Farges verfasst hat, in globalhistorischer Perspektive. Dabei profiliert er die Analyse von Fernhandel und Geldtransaktionen im Kontext von überregionaler Mobilität und Geostrategie als den globalen Horizont des Autors dieses Kreuzzugsgutachtens. Einen Fall von mittelalterlicher „Glokalisierung“ im Medium der Kartographie analysiert Tanja Michalsky am Beispiel der ältesten erhaltenen nachantiken kartographischen Darstellung Roms, der Rom-Karte, die in den 1320er Jahren im Auftrag von Paolino Minorita entstand und dabei als heuristisches Instrument einer „stark ausdifferenzierten, tabellarisch und damit graphisch aufbereiteten Universalgeschichte“ konzipiert wurde. Tillmann Lohses Beitrag führt den Beweis, dass es sich bei der Völkerwanderungskarte um einen „europäischen Gedächtnisort“ handelt. Seit dem 19. Jahrhundert verbreitete sich dieser Darstellungsmodus großräumiger Wanderungsbewegungen in fast allen Ländern Europas und differenzierte sich dabei in
Philosophischer Kopf und wissenschaftlicher Unternehmer
9
Untertypen aus. Dabei legt Lohse nahe, dass er trotz seiner Inkompatibilität mit den Erkenntnissen der zeitgenössischen mediävistischen Migrationsforschung die Wahrnehmung der Wanderungsbewegungen an der Wende von Antike zum Mittelalter durch die Europäer auch in Zukunft prägen wird. Bei der Drucklegung der Tagungsakten haben die Herausgeber von vielen Seiten bereitwillige Unterstützung erhalten. Ihr besonderer Dank gilt Frau Nicole Schlegel, M.A., für die umsichtige Redaktion sowie Herrn Dr. Jacob Klingner und Frau Maria Zucker vom Verlag Walter De Gruyter für die glänzende Zusammenarbeit.
Bernd Schneidmüller
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt Dieser Beitrag will einige kritische Anstöße zu Diskussionen um die Verflechtungs- und Migrationsgeschichte geben.1 Er knüpft an die gemeinsame Leitungstätigkeit mit Michael Borgolte im DFG-Schwerpunktprogramm 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ (2005–2011) an und führt dort diskutierte Überlegungen zu „Europa als Teil der Welt“ und zu Migrationen weiter. Dabei interessieren hier weniger die historischen Befunde, welche die transkulturelle Forschung in den letzten Jahren und Jahrzehnten gesichert hat,2 sondern vielmehr mittelalterliche Wahrnehmungen, die marginalisiert oder wenig beachtet blieben. Bei einer neuen Lektüre der alten Quellen bieten sich deshalb manche überraschende Einsichten, welche die zeitliche Gebundenheit von Erkenntnisprämissen offenlegen.3 Am Anfang dieses Versuchs steht die Beobachtung, dass im Mittelalter zwei unterschiedliche Erkenntnislinien zur Einfügung und zur Herauslösung Europas in die Welt oder aus der Welt entwickelt wurden. Beide Diskurse sollen hier skizziert werden. Dieser Text will nicht als Kritik am Gang der bisherigen Forschung gelesen werden. Er versteht sich eher als ein selbstironischer Beitrag über eigene
1 Mit Belegen versehener Text des Berliner Vortrags vom 24. Mai 2013. Er führt Gedanken zusammen, die in der Kooperation mit Michael Borgolte diskutiert und von mir bisher ausschnittweise in eigenen Artikeln publiziert wurden. 2 Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg u. a. (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 20.) Berlin 2012. Vgl. Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285; Ders., Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Viator 41, 2010, 23–47; Ders., Über den Tag hinaus. Was nach dem Schwerpunktprogramm kommen könnte, in: Ders. / Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule – Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 16.) Berlin 2010, 309–328. 3 Eigene Skizzen dazu: Bernd Schneidmüller, Europäische Erinnerungsorte im Mittelalter, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 3, 2002, 39–58; Bernd Schneidmüller, Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200–1500. München 2011.
12
Bernd Schneidmüller
ältere Bindungen in überholte Konzepte vom Kontinent Europa,4 selbstironisch deshalb, weil der Wille zur Nachdenklichkeit über das eigene begrenzte Blickfeld ein wichtiges Kontrollinstrumentarium des Geisteswissenschaftlers bleibt. Deshalb erscheint es hilfreich, das Lächeln der Nachgeborenen über diese eigenen Publikationen gleich mitzudenken. Mit einem Augenzwinkern werden hier also Beobachtungen zu mittelalterlichen Konzepten in ihrer historischen Alterität präsentiert. Das bricht ein sklerotisiertes Mittelalterbild auf und setzt ihm ein etwas unerwartetes Mittelalter entgegen. Es könnte manche Liebhaber der Instrumentalisierung aktueller Europa-Ideen verblüffen. Deshalb wird auch gleich zugestanden, dass die hier vorgetragenen Entwürfe durch Widersprüche und Spannungen aus anderen Quellenkontexten relativiert werden könnten. Trotzdem wollen diese Gedanken auch Position beziehen. Denn in aktuellen Debatten um die kulturelle Tiefe und Einheit des Kontinents Europa wird ein scheinbar aus Antike und Mittelalter homogen herauswachsender Referenzrahmen stillschweigend vorausgesetzt, der bei näherer Betrachtung genauso aus späteren Wunschideen erwächst wie das gesamte europäische Epochenkonzept vom Mittelalter.5 Im Folgenden wird eine Komposition von dreierlei Deutungskonzepten präsentiert, die im lateinischen Europa vom 7. bis zum 15. Jahrhundert entstanden. Es geht zunächst um die Vorstellung,6 dass Europa ein dritter Teil der ganzen Welt sei (tertia pars mundi) und ein Viertel der Erdoberfläche einnehme. Dann tritt die mittelalterliche Überzeugung in den Blick, nach der Europa als beständiger Zuwanderungsraum von Völkern, Religion und Kultur existierte. Und schließlich geht es um mittelalterliche Kontroversen, nach denen die Völker Europas entwe-
4 Zur Deutungs- und Forschungsgeschichte jetzt grundlegend Klaus Oschema, Bilder von Europa im Mittelalter. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 43.) Ostfildern 2013. 5 Achim Thomas Hack, Das Mittelalter als Epoche im Schulbuch. Periodisierung und Charakterisierung, in: Martin Clauss / Manfred Seidenfuß (Hrsg.), Das Bild des Mittelalters in europäischen Schulbüchern. Berlin 2007, 85–116; Jürgen Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffes und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 3.) München 1972; Uwe Neddermeyer, Das Mittelalter in der deutschen Historiographie vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit. (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 34.) Köln / Wien 1988; Jean-Daniel Morerod, La base textuelle d’un mythe historiographique. Le ‚Moyen Âge‘ des humanistes italiens, in: Retour aux sources. Textes, études et documents d’histoire médiévale offerts à Michel Parisse. Paris 2004, 943–953. 6 Zur Kraft solcher Konzeptualisierungen Hans-Werner Goetz, Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter. Hrsg. v. Anna Aurast / Simon Elling / Bele Freudenberg u. a. Bochum 2007.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
13
der durch Migrationen oder durch Verweilen auf eigener Erde geworden seien. Man fasste diese Gegensätze in historischen Widersprüchen von Wandern oder Bleiben sowie in konkurrierenden Modellen von Hybridisierung oder Bodenverhaftung des Bluts.
1 Europa als dritter Teil der Welt (tertia pars mundi) Verweise auf allgemeines mediävistisches Grundlagenwissen bilden den Ausgangspunkt für diese Überlegungen. Auf den Schultern antiker Weltentwürfe gliederten mittelalterliche Autoren die Erde in drei Teile, nämlich in die Kontinente Asien, Europa und Afrika. Auf runden Weltkarten (in Form eines O) nahm – in Form eines eingeschriebenen T – Asien die Hälfte des Erdkreises ein, Europa und Afrika jeweils ein Viertel. Jerusalem bildete seit der Zeit der Kreuzzüge den Mittelpunkt der Welt.7 Diese Deutung aus dem Ganzen wurde entscheidend für das mittelalterliche Verständnis von Geographie und Heilsgeschichte8 und verhinderte lange eine nur auf Europa beschränkte, segmentierende Kartographie. Erst seit dem 12. Jahrhundert – ein Beispiel bietet der ‚Liber Floridus‘ des Lambert von St-Omer – gewährte man der eigenen Lebenswelt ein größeres Dar-
7 Folker Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter. Darmstadt 2013, 9–42; Ingrid Baumgärtner / Martina Stercken (Hrsg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen, Bd. 19.) Zürich 2012; Christoph Markschies / Ingeborg Reichle / Jochen Brüning u. a. (Hrsg.), Atlas der Weltbilder. (Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Forschungsberichte, Bd. 25.) Berlin 2011; Anna-Dorothee von den Brincken, Studien zur Universalkartographie des Mittelalters. Hrsg. v. Thomas Szabó. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 229.) Göttingen 2008; Ingrid Baumgärtner / Hartmut Kugler (Hrsg.), Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte. (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 10.) Berlin 2008; Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken, Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt. Aus dem Englischen von Thomas Ganschow. Darmstadt 2005; Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute. Darmstadt 2004. 8 Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter. (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 1.) Berlin 1999; Ders., Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters, 2 Bde. (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 13.1.) Berlin 2011, Teil 1, Bd. 1: Das Gottesbild; Ders., ebd. Berlin 2012, Teil 1, Bd. 2: II. Die materielle Schöpfung. Kosmos und Welt. III. Die Welt als Heilsgeschehen.
14
Bernd Schneidmüller
stellungsinteresse.9 Das Lehrbuch Isidors von Sevilla hatte dem Mittelalter das biblische Wissen von der Aufteilung der Welt unter Sem, Japhet und Cham, den drei Söhnen Noahs, überliefert und präzisiert. Der Verweis auf biblische Traditionen, die noch ohne das Konzept von drei Kontinenten auf Erden ausgekommen waren, fügte die europäischen Völker mit den Brudervölkern der übrigen Welt zusammen, vom gleichen Vorvater Noah abstammend. So entstand die Deckungsgleichheit von drei Kontinenten mit drei Völkergruppen.10 In seiner ‚Imago mundi‘ lud Honorius Augustodunensis im 12. Jahrhundert ein fortentwickeltes geographisches Wissen sozialgeschichtlich auf und spitzte – auf der Basis seiner Genesis-Lektüre und im Gefolge mittelalterlicher Gesellschaftsmodelle – die Zuordnung weiter zu. Danach sei schon in biblischer Zeit das Menschengeschlecht in drei Stände aufgeteilt gewesen, in Freie, Krieger und Sklaven. Die Freien stammten von Sem, die Krieger von Japhet und die Sklaven von Cham ab. Im Gegensatz zu den Kindern Chams (Gen 9) besaßen Japhets Nachkommen Anteil am Heil.11 Die reiche Forschung zur historischen Kartographie hat in den letzten Jahrzehnten eindrucksvoll die nachfolgenden Schübe geographischer Evidenz und Empirie vom 12. bis zum 16. Jahrhundert herausgearbeitet12 und dabei insbesondere auf Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen der lateinisch-westlichen, der griechisch-byzantinischen und der arabischen Welterfassung hingewiesen.13 Der Wandel von der ursprünglichen ‚Orientierung‘, also der Strukturierung des Kartenbilds nach Osten (oriens), zur Bevorzugung des Nordens dürfte der Macht der Kompassnadel gefolgt sein, die in der nautischen Praxis zunehmende Sicherheit bot. Gleichwohl drang dieser fundamentale Richtungswechsel, der unsere Sehgewohnheiten bis heute so sehr prägt, dass uns gesüdete oder geostete Karten nur schwer ‚lesbar‘ erscheinen, nicht bis in die elementare Begrifflichkeit
9 Gent, Universiteisbibliotheek, Ms. 92, fol. 241r. Abbildung bei Oschema, Bilder (wie Anm. 4), Abb. 11; vorsichtige Wertungen ebd., 452–473. 10 Vgl. Oschema, Bilder (wie Anm. 4), 336 ff. 11 Honorius Augustodunensis, Imago mundi. Ed. Valerie I. J. Flint, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 57, 1982, 7–153, bes. 125. 12 Evelyn Edson, The World Map, 1300-1492. The Persistence of Tradition and Transformation. Baltimore 2007; Rudolf Simek, Erde und Kosmos im Mittelater. Das Weltbild vor Kolumbus. München 1992; Patrick Gautier Dalché, La géographie de Ptolémée en occident (IVe-XVIe siècle). Turnhout 2009. Zu den Portulankarten Monique de La Roncière / Michel Mollat Du Jourdin, Portulane. Seekarten vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. München 1984. 13 Michael Borgolte, Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt. Ein Versuch in transdisziplinärer Mediävistik, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen 14, 2008, 89–147.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
15
vor. Hartnäckig hielt sich das Wort ‚Orientierung‘ weiter, obwohl der Orient als heilsgeschichtliche Bezugsgröße für Ausgang und Ziel der Menschen längst sein Strukturierungsmonopol für die Darstellung der Welt eingebüßt hatte. Auf der Ebstorfer Weltkarte (um 1300) lagen das Paradies und damit der Ursprung der Menschheit noch östlich von Indien.14 Die nach Norden gewendeten und ‚praxisorientierten‘ Portulankarten mussten seit dem Spätmittelalter dann nur mit Küstenlinien sowie Häfen und ganz ohne Heilsgeschichte auskommen. In der Empirie geographischer Welterfassung vom 15. zum 16. Jahrhundert büßte Europa seinen Platz in einem ganzen Viertel der Welt mehr und mehr ein. Die portugiesischen Seefahrten in den Südatlantik ließen eine geographische Ausdehnung Afrikas erkennen, die früher unfassbar erschienen wäre. Damit wurde das zuvor als gleich groß gedachte Europa auf ein sehr bescheidenes Ausmaß zurückgestutzt. Mit der Erfahrung der Neuen Welt beschleunigte sich im 16. Jahrhundert die Reduktion der europäischen Fläche im Verhältnis zur Erde noch weiter.15 Just in einer Zeit, in der die Europäer zum Sprung über die Meere ansetzten, schrumpfte ihr eigener Kontinent auf den Kartenbildern immer mehr. Eine selbstbewusste europäische Kartographie löste dieses Dilemma, indem sie Bedeutung nicht mehr aus Größe erwachsen ließ. Am Ende des 16. Jahrhunderts – in der Nachfolge von Sebastian Münster16 – entstand das berühmte Bild von Europa als Königin. Diese Europa regina nahm nicht mehr wie das alte Europa der vormaligen Weltkarten einfach ein Viertel der Welt ein. Königsherrschaft auf Erden bemaß sich nämlich nicht mehr nach Quantität, sondern im ausgehenden 16. Jahrhundert nach Qualität. Diese brach sich in lang wirksamen Bildern von Zivilisation und Kultur Bahn. Europa, auf den alten T-O-Karten nur ein Viertel der Welt und mit Asien wie Afrika untrennbar verbunden, trat jetzt nach vorn. Damit ließ sich der herrschende Kontinent aus der viel größeren Welt eindrucksvoll herausdestillieren.
14 Hartmut Kugler (Hrsg.), Die Ebstorfer Weltkarte. Kommentierte Neuausgabe in zwei Bänden, Bd. 1: Atlas. Bd. 2: Untersuchungen und Kommentar. Berlin 2007. 15 Anna-Dorothee von den Brincken, Fines Terrae. Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten. (MGH. Schriften, Bd. 36.) Hannover 1992; Abraham Ortelius, Theatrum Orbis Terrarum. Gedruckt zu Nuermberg durch Johann Koler Anno MDLXXII. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Ute Schneider. Darmstadt 2006. 16 Caspar Hirschi, Boden der Christenheit und Quelle der Männlichkeit. Humanistische Konstruktionen Europas am Beispiel von Enea Silvio Piccolomini und Sebastian Münster, in: Jürgen Elvert / Jürgen Nielsen-Sikora (Hrsg.), Leitbild Europa? Europabilder und ihre Wirkungen in der Neuzeit. Stuttgart 2009, 46–66.
16
Bernd Schneidmüller
2 Europa als Zuwanderungsraum von Religion, Völkern, Kultur Die Christianisierung Europas, die erst Ende des 14. Jahrhunderts abgeschlossen war und die früheren Vielgötterreligionen beseitigt hatte,17 verwob die Menschen und Völker mit einer weltumspannenden Glaubens- und Heilsgemeinschaft.18 Damit einher ging die Durchsetzung von griechischen und lateinischen Schriftund Gelehrtenkulturen, die zur Aneignung und Fortentwicklung des antiken Weltwissens aus dem Mediterraneum führte. Mit Sprache und Schrift übernahmen die neuen Völker und Reiche auch Ordnungsmuster, Normen und Mythen. Dieses Wissen um fremde Ursprünge des Glaubens, der Herkunft und des Denkens formte die Einpflanzung des Neuen in ältere Traditionen. Gewiss schuf sich das Christentum griechisch-orthodoxer oder lateinischkatholischer Prägung nach dem Verlust des Heiligen Landes auf Grund der arabischen Reichsbildungen eigene kultische Zentren anstelle der altehrwürdigen Patriarchate im östlichen Mittelmeerraum.19 Die Durchsetzung des römischen Papsttums und die Stilisierung des Patriarchats in Konstantinopel lassen sich nicht allein aus den Hauptstadtfunktionen im Imperium Romanum erklären. Vielmehr hatte auch der Untergang des älteren Patriarchats von Jerusalem, im Entstehungsland des Christentums, ein Autoritätsvakuum eröffnet, das die mittelalterlichen Konstrukte vom Wandern der Apostelgebeine nach Westen beherzt ausfüllten. Bei allen Bedeutungszuschreibungen für Rom oder Konstantinopel blieb den Christen im Westen wie im Osten stets der Glaube um Ursprung und Ziel des Heils eingeschrieben. Von Ost nach West hatte sich die Menschheit entwickelt; östlich von Indien wussten mittelalterliche Weltkarten das Paradies, das ein Sehnsuchtsort der verlorenen Einheit mit Gott blieb.20 Im Osten stellten sich Menschen des
17 Christoph Stiegemann / Martin Kroker / Wolfgang Walter (Hrsg.), Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter, 2 Bde. Petersberg 2013; Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700–1200. München 2013. 18 Zur historisch-kulturellen Bedeutung des Monotheismus Garth Fowden, Empire to Commonwealth. Consequences of Monotheism in Late Antiquity. Princeton (NJ) 1993; Michael Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. (Siedler-Geschichte Europas, Bd. 2.) München 2006. 19 Ernst Pitz, Die griechisch-römische Ökumene und die drei Kulturen des Mittelalters. Geschichte des mediterranen Weltteils zwischen Atlantik und Indischem Ozean 270–812. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 3.) Berlin 2001. 20 Bernhard Pabst, Ideallandschaft und Ursprung der Menschheit. Paradieskonzeptionen und -lokalisierungen des Mittelalters im Wandel, in: Frühmittelalterliche Studien 38, 2004, 17–53.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
17
Hoch- und Spätmittelalters das Reich des Priesterkönigs Johannes vor, von dem man Hilfe gegen die Muslime erhoffte.21 Im Osten lagen Jerusalem und die Heiligen Stätten, an denen Gott seinen Bund mit den Menschen begründet hatte, an denen Jesus Christus gewirkt hatte, gestorben und auferstanden war, an denen schließlich das Pfingstwunder stattgefunden hatte und an denen die Urgemeinde entstanden war. Jerusalem, der Nabel der Welt, bedeutete den Christen Ausgang und Ziel des Heils, denn hier sollte nach den apokalyptischen Vorstellungen des Mittelalters dereinst der Endkaiser seine Krone und seine Herrschaft niederlegen.22 Jerusalem, auf den hochmittelalterlichen Weltkarten Mittelpunkt der Welt, in Asien gelegen, war gewiss der wichtigste Erinnerungsort der europäischen Christenheit. Die blutigen Kreuzzüge und die unzähligen Pilgerreisen nach Palästina zielten auf die gleichsam körperliche Aneignung der Heiligen Stadt, die in Gottesdiensten und Predigten beständig erinnert und beschworen wurde. Auch als die muslimische Expansion am Ende des Mittelalters die Einsicht aufkeimen ließ, das Christentum habe seine Heimstatt mittlerweile in Europa gefunden, blieb Jerusalem der entscheidende Sehnsuchtsort der Europäer, noch vor allen anderen großen Pilgerstätten der Apostel in Rom, Konstantinopel oder Santiago di Compostela.23 An eine Destillation Europas aus dieser heilsgeschichtlichen Verbindung mit dem Heiligen Land war nicht zu denken. Nach mittelalterlichen Abstammungslehren, als lebendige Vergangenheit tradiert,24 wanderten neben der Religion auch die Völker und die Kulturen von
21 Ulrich Knefelkamp, Die Suche nach dem Reich des Priesterkönigs Johannes. Dargestellt anhand von Reiseberichten und anderen ethnographischen Quellen des 12. bis 17. Jahrhunderts. Gelsenkirchen 1986; Bettina Wagner, Die ‚Epistola presbiteri Johannis‘ lateinisch und deutsch. Überlieferung, Textgeschichte, Rezeption und Übertragungen im Mittelalter. Mit bisher unedierten Texten. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 115.) Tübingen 2000. 22 Hannes Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 3.) Stuttgart 2000; Beat Wolf, Jerusalem und Rom. Mitte, Nabel – Zentrum, Haupt. Die Metaphern ‚Umbilicus mundi‘ und ‚Caput mundi‘ in den Weltbildern der Antike und des Abendlands bis in die Zeit der Ebstorfer Weltkarte. Bern u. a. 2010; Bruno Reudenbach (Hrsg.), Jerusalem, du Schöne. Vorstellungen und Bilder einer heiligen Stadt. (Vestigia Bibliae, Bd. 28.) Bern / Berlin 2008. 23 Klaus Herbers, Pilger, Päpste, Heilige. Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters. Hrsg. v. Gordon Blennemann / Wiebke Deimann / Matthias Maser u. a. Tübingen 2011. 24 František Graus, Lebendige Vergangenheit. Überlieferungen im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln / Wien 1975. Vgl. auch Beate Kellner, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter. München 2004.
18
Bernd Schneidmüller
Ost nach West, aus Mesopotamien, Ägypten oder Troja nach Europa. Migrationen von Menschen und Völkern – so lehrten es die mittelalterlichen Texte – bildeten geradezu das Grundmuster von Geschichte. Neuzeitliche Modelle von einer „Festung Europa“ hätte es deshalb in der Ethnographie des Früh- und Hochmittelalters gar nicht geben können. Schon die antiken Römer hatten ihre Zivilisation nicht aus italienischer Heimaterde hervorwachsen lassen. Der Auszug vornehmer Männer aus dem zerstörten Troja und ihre Fahrten über das Mittelmeer gehörten zum Kernbestand römischer Imaginationen von Herkunft und Größe. Vergil hatte in seiner ‚Aeneis‘ zur Zeit des Augustus diesem mediterranen Wandermythos höchste literarische Geltung verschafft. Als das Frankenreich im Frühmittelalter zur Vormacht im westlichen Europa drängte, griffen fränkische Autoren dieses Abstammungsmuster auf und konstruierten für ihr eigenes Volk eine vergleichbare Geschichte vom ursprünglichen Auszug aus Troja, von langen Wanderungen und von der erfolgreichen Reichsbildung in Gallien und Germanien.25 Dieser Troja-Mythos der Römer und der Franken wurde für viele mittelalterliche Ursprungsgeschichten zur Kopiervorlage und erwuchs zum erfolgreichsten Modell, der eigenen Lebenswelt eine ideale Vergangenheit zurechtzulegen. Selbst die Völker, für die eine andere Herkunft aus Skandinavien (Goten), Makedonien (Sachsen) oder Armenien (Bayern) erfunden wurde, bedienten sich gerne des Glanzes von geographisch weit entfernten Wurzeln aus alten Zeiten. Pate dürften hier Vorbilder aus der griechisch-römischen und biblischen Antike gestanden haben, vor allem die alttestamentlichen Erzählungen von den Wanderungen und der Landnahme des Volkes Israel. Auserwählung und Verheißung durch Gott gehörten eng mit den weiten Zügen in das gelobte Land zusammen. Grundlegende Studien von Alheydis Plassmann zu den Herkunftsgeschichten des Früh- und Hochmittelalters26 oder von Norbert Kersken zu nationalgeschichtlichen Entwürfen des Hoch- und Spätmittelalters27 machen deutlich, dass
25 Troia. Traum und Wirklichkeit. Katalog zur Ausstellung 2001 / 2002. Stuttgart 2001; Kordula Wolf, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 13.) Berlin 2009. 26 Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäts- und Legitimationsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen. (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 7.) Berlin 2006. 27 Norbert Kersken, Geschichtsschreibung im Europa der ‚nationes‘. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter. (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 8.) Köln / Weimar / Wien 1995.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
19
erfolgreiche Migrationen die Grundlage für die meisten Herkunftserzählungen europäischer Völker bildeten. Auf die Bedeutung und die reichen Ergebnisse dieser beiden zusammenfassenden Bücher ist hier nachdrücklich hinzuweisen. Alheydis Plassmann arbeitet zwar ganz unterschiedliche Formen und Motive für die Verwendung des Wandertopos in Britannien, bei den Franken und in deren Nachfolgereichen in Deutschland und Frankreich, bei den Langobarden und bei den Sachsen heraus. Sie betont aber, dass „eine rein autochthone Herkunft der gens (…) als Motiv wesentlich weniger beliebt“ war und dass keiner der von ihr untersuchten Autoren die Überzeugung vertreten habe, „die Ordnung sei immer schon so dagewesen.“ Als Begründung führt sie eine auf Platons ‚Politeia‘ fußende Lehrmeinung der Soziologie an, am Anfang der Geschichte einer Gesellschaft müsse eine „primordiale Tat“ stehen, nämlich „der Umsturz und die Entstehung einer neuen Ordnung“.28 Die Übertragung dieser Vorstellung, die im antiken und modernen politischen Denken breite Grundlagen besitzt, auf das Mittelalter ist stimulierend und bedarf in der globalgeschichtlichen Weitung der Kulturwissenschaften noch breiterer empirischer wie theoretischer Fundierung. Für die nationalgeschichtlichen Entwürfe des Hoch- und Spätmittelalters arbeitet Norbert Kersken die Bedeutung geglaubter Wirklichkeiten von initialer Migration unter einem exponierten „Landnahmeführer“ in Frankreich, England, Schottland und Ungarn heraus. Dem stellt er „autochthone Geschichtskonzepte“ der skandinavischen und slavischen Völker entgegen.29 Diese wichtige Differenzierung wird nur teilweise durch neuere Forschungen zur Verflechtungsgeschichte zwischen Skandinavien und dem restlichen Europa30 oder zur humanistischen Durchdringung der polnischen Nationalgeschichtsschreibung mit ihrer Einpflanzung in die lateinische Christenheit31 relativiert. Man muss solch unterschiedliche Migrationsvorstellungen als Fundamente mittelalterlichen Selbstbewusstseins deutlich erkennen. Bei ihrer Interpretation sollte man indes vorsichtig sein und frühere Unterscheidungen von einem
28 Plassmann, Origo (wie Anm. 26), 361 f. 29 Kersken, Geschichtsschreibung (wie Anm. 27), 800 f. 30 Thomas Foerster, Vergleich und Identität. Selbst- und Fremddeutung im Norden des hochmittelalterlichen Europa. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 14.) Berlin 2009; Dominik Waßenhoven, Skandinavier unterwegs in Europa (1000–1250). Untersuchungen zu Mobilität und Kulturtransfer auf prosopographischer Grundlage. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 8.) Berlin 2006. 31 Hans-Jürgen Bömelburg, Frühneuzeitliche Nationen im östlichen Europa. Das polnische Geschichtsdenken und die Reichweite einer humanistischen Nationalgeschichte (1500–1700). (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts, Bd. 4.) Wiesbaden 2004.
20
Bernd Schneidmüller
‚älteren‘ und einem ‚jüngeren‘ Europa nicht vorschnell ins Feld führen.32 Für die Geschichte von Migrationen als geglaubte Normalität im mittelalterlichen Europa fehlt derzeit noch eine hinreichend breite Forschungsbasis. Diese Bemerkungen wollen darauf hindeuten, dass dies nicht einer mangelhaften Quellenlage, sondern einem mangelnden Interesse der historischen Forschung geschuldet wird. Diese begnügte sich im Gefolge der Aufklärung bisweilen mit der Entlarvung der origines gentium als naive Märchen oder bestenfalls als historiographische Konstrukte. Wir stehen deshalb an einem Neubeginn der Migrations- und Verflechtungsgeschichte, wenn wir den breiten Strom mittelalterlicher Texte nicht mehr für die historische Faktizität retten oder ‚Wirklichkeitskerne‘ herauspräparieren, sondern vielmehr Alteritäten in vergangenem ‚Wanderwissen‘ entdecken wollen. Exemplarisch sind hier drei Suchrichtungen für das Studium der früh- und hochmittelalterlichen Überlieferung zu nennen. Dabei geht es um die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen, um neue Fragen an alte Texte und um Erstaunliches vom ‚keltischen Gürtel‘ (‚celtic fringe‘). Als erstes sind jene mittelalterlichen Texte neu zu betrachten, die Migration als übliche Form historischer Verbandsbildung explizit benennen. Nach den Geschichten der Goten, Langobarden oder Sachsen des früheren Mittelalters wäre hierfür die ‚Historia Welforum‘ als wichtiges Beispiel heranzuziehen. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bescheinigte der unbekannte Chronist dem Adelshaus der Welfen eine vornehme fränkische und damit trojanische Vergangenheit. Geschichte gerinnt zu einer Folge von gewaltsamen Eroberungen und Herrschaftsbildungen: „Wenn das einem unglaubwürdig erscheint, möge er die Geschichten der Völker (historiae gentilium) lesen, und er wird erfahren, daß fast alle Länder gewaltsam von Fremden erobert und in Besitz genommen worden sind. Dies haben die Trojaner oft getan, nachdem sie aus ihren Gebieten vertrie-
32 Neben dieser Hierarchisierung, die in der Zeit der Spaltung Europas entwickelt wurde, aber auch nachdrücklich angeregt vom Mut dieses Strukturierungsversuchs versuchte das Schwerpunktprogramm 1173 eine nicht zielgerichtete Perspektivierung Europas im Mittelalter zu entwickeln, vgl. Michael Borgolte / Juliane Schiel / Bernd Schneidmüller u. a. (Hrsg.), Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 10.) Berlin 2008. – Zur mittelalterlichen Geschichte Europas (in der Welt) Hans-Werner Goetz, Europa im frühen Mittelalter 500–1050. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 2.) Stuttgart 2003; Michael Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 3.) Stuttgart 2002; Michael North, Europa expandiert. 1250–1500. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 4.) Stuttgart 2007; Thomas Ertl, Seide, Pfeffer und Kanonen. Globalisierung im Mittelalter. Darmstadt 2008.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
21
ben worden waren, ebenso die Goten, die Alanen, die Hunnen, die Wandalen, auch die Langobarden und die übrigen Volksstämme, am meisten aber die aus dem Norden.“33 Zum zweiten wäre das Byzantinische Kaiserreich zu nennen, das aus der Betrachtung ‚europäischer Migrationen‘ häufig herausfiel. Es entstand aus einer bewussten Schwerpunktverlagerung im 4. Jahrhundert und aus Neukonstituierungen seit dem 6. Jahrhundert. Auch wenn die Hauptstadt Konstantinopel bis zur osmanischen Eroberung von 1453 den ruhenden Pol bildete, pflegten die griechischen Quellen die Erinnerung an den Wechsel vom alten zum neuen Rom.34 Die vielfältigen Binnenwanderungen im Byzantinischen Reich sind inzwischen deutlicher in den Blick getreten,35 darunter auch bewusste Verschiebungen von Bevölkerungsgruppen als Mittel der Politik.36 Weitere Aufmerksamkeit verdient das optimistische Entwicklungsmodell vom sklerotisierten Alten Rom im Westen zum aufbruchsfreudigen Neuen Rom im Osten. Diese imperiale Wanderung setzte sich in der Neuzeit fort, als das Desaster von Konstantinopel 1453 in der dynamischen Aufbruchsidee von Moskau als dem Dritten Rom bewältigt wurde. Wie steht es – zum dritten – mit jenen Gebieten am keltischen Rand Europas, für die gemeinhin aus archäologischen Befunden demographische und kulturelle Statik veranschlagt wird? In der Berliner Diskussion meines Vortrags wurde ein-
33 Quellen zur Geschichte der Welfen und die Chronik Burchards von Ursberg. Ed. Matthias Becher. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 18b.) Darmstadt 2007, 34 f. 34 Franz Dölger, Rom in der Gedankenwelt der Byzantiner, in: Ders., Byzanz und die europäische Staatenwelt. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze. Ettal 1953, 70–115; Kilian Lechner, Hellenen und Barbaren im Weltbild der Byzantiner. Die alten Bezeichnungen als Ausdruck eines neuen Kulturbewußtseins. Phil. Diss. München 1954; Ders., Byzanz und die Barbaren, in: Saeculum 6, 1955, 292–306; Herbert Hunger, Reich der neuen Mitte. Der christliche Geist der byzantinischen Kultur. Graz / Wien / Köln 1965; Hélène Ahrweiler, L’idéologie politique de l’Empire byzantin. (L’historien, Bd. 20.) Paris 1975; Ralph-Johannes Lilie, Byzanz. Das zweite Rom. Berlin 2003. – Wichtige Hinweise zu diesem Themenkomplex verdanke ich Wolfgang Huschner (Leipzig) und Peter Schreiner (München). 35 Peter Charanis, Studies on the Demography of the Byzantine Empire. Collected Studies. London 1972; Anna Avraméa, Le péloponnèse du IVe au VIIIe siècle. Changements et persistances. (Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia, Bd. 15.) Paris 1997; Hélène Ahrweiler / Angeliki E. Laiou (Hrsg.), Studies on the Internal Diaspora of the Byzantine Empire. Washington (DC) 1998; Michel Balard / Alain Ducellier (Hrsg.), Migrations et diasporas méditerranéennes (Xe-XVIe siècles). (Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia, Bd. 19.) Paris 2002; Victor Spinei, The Great Migration in the East and South East of Europe from the Ninth to the Thirteenth Century, 2 Bde. Amsterdam 2006. 36 Peter Charanis, The Transfer of Population as a Policy in the Byzantine Empire, in: Ders., Studies on the Demography of the Byzantine Empire. Collected Studies. London 1972, Nr. 3.
22
Bernd Schneidmüller
gewandt, man dürfe bei allen literarischen Migrationsmodellen die Beharrungskräfte im keltischen Europa, vor allem im mittelalterlichen Irland,37 nicht vergessen. Über die Faktizität menschlichen Bleibens ist hier freilich nicht zu handeln, weil es in diesem Entwurf vielmehr um geglaubte Grundlegungen durch Migrationen im Mittelalter geht. Das irische Beispiel zeigt – gegen alle Erwartungen vom ‚Urwüchsigen‘ – vielmehr, wie sehr sich gerade die Insel am westlichen Rand des Kontinents in das europäische ‚Normalmodell‘ des Migrationsbewusstseins einfügte. Im 11. Jahrhundert präsentierte die Herkunftsgeschichte ‚Lebor Gabála‘ Außen- und Innensichten bei der Beschreibung von gälischen Wanderungen ins gelobte Land auf die irische Insel.38 Dagmar Schlüter machte bei einem Vergleich dieses Texts mit dem Parzival Wolframs von Eschenbach (Julia Zimmermann) und der Regensburger Schottenlegende (Thomas Poser) auf die Wirkmächtigkeit der irischen Quelle aufmerksam, die bis ins 17. Jahrhundert in mehreren Versionen verbreitet wurde.39 Hier ist ein Referat von Schlüters Ausführungen hilfreich, weil ihre philologischen Kompetenzen den Zugang bahnen. ‚Lebor Gabála‘ rückte die Iren mit Rückgriff auf das Alte Testament in die Nachkommenschaft des Noah-Sohns Japhet. Von diesem stammte Fénius Farsaid ab, der zwei Völkerlinien begründete, nämlich die Herrscher über die Gälen und über Skythien. Mit der Tochter des Pharao hatte Fénius einen Sohn, der in Ägypten das Irische aus 72 anderen Sprachen entwickelte und es so zum Höhepunkt menschlichen Sprechens werden ließ. Auch die Gälen wurden – wie die Israeliten – aus Ägypten herausgeführt, zuerst nach Skythien, wo nach manchen Wirrungen nur noch drei aneinander gekettete Schiffe des Volkes übrig blieben. Diese gelangten schließlich bis in ihre neue Heimat nach Irland. Dort trafen die Gälen an drei Orten auf drei Frauen, Banba, Fotla und Ériu. Diese baten jeweils,
37 Überblick von Michael Richter, Irland im Mittelalter. Kultur und Geschichte. Stuttgart / Berlin / Köln u. a. 1983. 38 Rezension I, überliefert im ‚Book of Leinster‘, älteste Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts: The Book of Leinster formerly Lebar na Núachongbála. Ed Richard I. Best / Osborn Bergin / Michael A. O’Brien, Bd. 1. Dublin 1954, 1–56. Englische Übersetzung: John T. Koch / John Carey (Hrsg.), The Celtic Heroic Age. Literary Sources for Ancient Celtic Europe and Early Ireland and Wales. Malden (Mass.) 1995, 213–266. Vgl. Dagmar Schlüter, History or Faible? The Book of Leinster as a Document of Cultural Memory in Twelfth-Century Ireland. (Studien und Texte zur Keltologie, Bd. 9.) Münster 2010. 39 Thomas Poser / Dagmar Schlüter / Julia Zimmermann, Migration und ihre literarische Inszenierung. Zwischen interkultureller Abschottung und transkultureller Verflechtung, in: Borgolte (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt (wie Anm. 2), 87–100, hier 93–95 (Schlüter).
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
23
dass ihr Name der ganzen Insel gegeben würde, aber Ériu setzt sich schließlich durch.40 Diese Vermischung von weiten Wanderungen – von Ägypten und Skythien, also von Afrika und Asien, nach dem Westen Europas – und der Begegnung mit bereits vorhandenen Einwohnern bildete im Mittelalter eine Grundlage des irischen Geschichtsbewusstseins. Beherzt setzten die in Irland tradierten Erinnerungstexte also einen markanten Kontrapunkt gegen alle modernen Ideen, dass man im keltischen Gürtel Europas noch Authentisches entdecken könnte. Entscheidend für die europäischen Erinnerungskulturen des Mittelalters – so ließe sich dieser Dreischritt zusammenfassen – wurde die völlige Neuformierung des Kontinents durch Migrationen. Seine Völker und Reiche waren durch Wanderungen entstanden, seine Kulturen aus vielfältigen Wurzeln erwachsen. Erst im Übergang zur Neuzeit, als man sich von den Mythen der alten Herkunftssagen löste, verwurzelte man die Nationen im europäischen Mutterboden und entwickelte den eigenen Kontinent zum Ausgangspunkt und wie zum Maß aller Zivilisation. Zum entscheidenden Wendepunkt für dieses neue Herkunftsmodell – das entdeckte die lebhafte Humanismusforschung immer klarer – wurde die Zeit um 1500.41 Für den Wechsel mögen als Beispiel die berühmten Worte des Aeneas Silvius Piccolomini stehen. In seinen Antworten auf die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 schuf er den Begriff der Europäer (Europaei) und beschwor eine europäische Schicksalsgemeinschaft im katholischen Glauben. In seiner Türkenrede von 1454 stilisierte er Europa zum verbindenden Vaterland, zum eigenen Haus, zum eigenen Sitz: „Konstantinopels Untergang, ehrwürdige Väter, erlauchte Fürsten und ihr anderen nach Stand und Bildung hervorragenden Männer, der für die Türken ein großer Sieg, für die Griechen
40 Ich folge hier dem Kapitel von Schlüter, Migration (wie Anm. 39), 93–95. 41 Grundlegend Caspar Hirschi, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen 2005. Vgl. auch Frank L. Borchardt, German Antiquity in Renaissance Myth. Baltimore / London 1971; Paul Joachimsen, Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, Bd. 1. (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd. 6.) Leipzig 1910; Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus. München 1991; Johannes Helmrath, Die Umprägung von Geschichtsbildern in der Historiographie des europäischen Humanismus, in: Johannes Laudage (Hrsg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. (Europäische Geschichtsdarstellungen, Bd. 1.) Köln / Weimar / Wien 2003, 323– 352; Ders., Probleme und Formen nationaler und regionaler Historiographie des deutschen und europäischen Humanismus um 1500, in: Matthias Werner (Hrsg.), Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland. (Vorträge und Forschungen, Bd. 61.) Ostfildern 2005, 333–392.
24
Bernd Schneidmüller
die größte Katastrophe, für die Lateiner die höchste Schmach war, ängstigt und quält einen jeden von euch, wie ich glaube, umso mehr, je edler und besser ihr seid. Denn was kommt einem guten und edlen Mann eher zu als sich um den Glauben zu sorgen, die Religion zu fördern, den Namen des Erlösers Christus wie er kann zu stärken und zu erhöhen? Aber nachdem nun Konstantinopel verloren, eine so große Stadt in die Gewalt der Feinde geraten, so viel Christenblut vergossen ist, so viele Gläubige in die Knechtschaft geführt sind, ist der katholische Glaube schwer verwundet, unsere Religion schändlich erschüttert, der Name Christi im Übermaß geschädigt und erniedrigt. Auch viele Jahrhunderte zuvor hat die Christengemeinschaft, wenn wir die Wahrheit bekennen wollen, niemals größere Schmach erlitten als jetzt. Denn in früheren Zeiten wurden wir in Asien und Afrika, das heißt auf fremdem Gebiet, verwundet, nun aber sind wir in Europa, das heißt im Vaterland, im eigenen Haus, an unserem Sitz erschüttert und niedergemetzelt worden. Und obwohl jemand sagen mag, die Türken seien doch [schon] vor vielen Jahren von Kleinasien nach Griechenland übergesetzt, die Tataren hätten sich diesseits des Don festgesetzt, die Sarazenen nach Überschreitung der Straße von Gibraltar einen Teil Spaniens okkupiert; so haben wir doch niemals eine Stadt oder einen Ort in Europa verloren, der Konstantinopel vergleichbar wäre. (…) Und dieser so vorteilhafte, so nützliche, so notwendige Ort ging dem Erretter Christus verloren und wurde Beute dem Verführer Mohammed, – während wir schwiegen, um nicht zu sagen: schliefen.“42 Solche Worte wollten aufrütteln. Denn nach dem Verlust Konstantinopels für die Christen standen vier von fünf Patriarchatskirchen unter islamischer Herrschaft – Jerusalem, Antiochia, Alexandria, Konstantinopel. Lediglich Rom war dem Christentum noch verblieben. Aus solchen Erfahrungen von Verlust und Bedrohung verwarf Piccolomini in seinem Türkenbild die alte fränkische Sage von der gemeinsamen Herkunft der Franken und der Türken. Er leitete die Türken nicht mehr von den Trojanern, sondern von den Skythen ab. Diese dezidierte Zurückweisung einer Verwandtschaft der Türken mit den europäischen Völkern ging einher mit deren Ausgrenzung als asiatische Barbaren, „verhurt in allen Sorten der Unzucht“.43 Das war ein neuer Europa-Gedanke. In ihm verband Piccolomini die Angst vor fremden Barbaren mit dem Glauben an das eigene Auserwähltsein. Die Ver-
42 Johannes Helmrath, Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) – Ein Humanist als Vater des Europagedankens?, in: Rüdiger Hohls / Iris Schröder / Hannes Siegrist (Hrsg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte. Stuttgart 2005, 361–369, hier Quellen 366–369, Quelle 6.1c. 43 Hirschi, Boden (wie Anm. 16), 49.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
25
knüpfung Europas mit der Christenheit zielte bei Piccolomini pragmatisch auf die Union der lateinischen und der griechischen Kirche. In der Folge wuchs freilich ein Ideologiepotenzial, in dem sich das europäische Sendungsbewusstsein immer deutlicher ausformte. Europa als Hort des wahren Glaubens wie der Kultur – Diese Idee begleitete seit dem 16. Jahrhundert die erfolgreiche Expansion europäischer Mächte über die Welt sowie die Differenzierung von Völkern in Zivilisierte und Wilde. Man kann solche Entwicklungslinien nicht zielgerichtet aus dem Mittelalter herleiten. Im Gegenteil: Die Instrumentalisierung einer exklusiven Europa-Idee war damals weder selbstverständlich noch weit verbreitet. Die aufrüttelnden Worte des Aeneas Silvius, der die Ermahnungen nach seiner Wahl zum Papst als Pius II. später fortsetzte, konkurrierten mit nationalen Konzepten innerhalb Europas oder mit der nicht emotionalisierten Einbindung Europas in die Weltgeschichte mit ihren drei bekannten Kontinenten. Deshalb fand die bedrängte Christenheit ihre Heimstatt nicht einfach nur in Europa. Vielmehr beförderte die Bedrängung der Christenheit erst die Entstehung einer positiv besetzten neuzeitlichen Europa-Idee.
3 Wandern oder Bleiben – Hybridisierung oder Heimaterde Die Zwischenüberschrift kennzeichnet die Deutungskonzepte, die im Lauf des Mittelalters für Volks- und Reichsbildungen entwickelt wurden. Ohne die gebotenen Differenzierungen zu verschmirgeln, soll hier als Ausgangshypothese eine zeitliche Aufeinanderfolge behauptet werden. Der mittelalterlichen Vorstellungswelt von selbstverständlicher Hybridisierung durch Migration folgte an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit ein neues historisches Deutungssystem, nach dem einzelne Völker seit unvordenklichen Zeiten auf ihrer Heimaterde gelebt und sich nicht mit anderen vermischt hätten. Das Modell ethnischer Reinheit konkurrierte seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der älteren Gewissheit von raumgreifenden Wanderungen der Völker. Wir kennen die erheblichen Wirkungen auf die neuzeitlichen Konzepte von Volk und Nation oder auf moderne Ausgestaltungen der Staatsangehörigkeit durch den Zufall des Geburtsorts oder durch die Tiefe der Abstammung. Eine klare Entwicklungsgeschichte kann nicht ausgemacht werden. Vom Hoch- zum Spätmittelalter formierte sich im lateinischen Europa aber eine deutliche Besinnung auf den eigenen Kommunikationsraum, der sich auch in Kartenentwürfen von Europa niederschlug. Aus dem Modell von Europa als integrativem
26
Bernd Schneidmüller
Teil der Welt entwickelten sich im 12./13. Jahrhundert neue Ideen vom größtmöglichen Fortschritt in der Weltgeschichte. Otto von Freising († 1158) formulierte die berühmten Sätze, dass Herrschaft, Wissenschaft und Frömmigkeit von Ost nach West gewandert seien. Dort kulminierte also die politische, kulturelle und religiöse Entfaltung der Universalgeschichte.44 Dieses Ordnungsmodell ähnelte vielen anderen im Mut der jeweiligen Verfasser, Geschichte oder Weltgeschichte direkt auf sich zulaufen zu lassen, sich selbst also zum Höhe- und Zielpunkt zu stilisieren. Die Ideen permanenter Wanderungen von Herrschaft, Wissenschaft und Frömmigkeit von Ost nach West evozierte im lateinischen Europa das konsequente Entwicklungsmodell einer Verwestlichung als Veredelung von Geschichte. Die Statik einer Verankerung von Papsttum, Kaisertum und Studium bei Italienern, Deutschen und Franzosen durch den Kölner Domherren Alexander von Roes45 entstand im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts zu einer Zeit, als die erste kollektive Expansion der lateinischen Europäer übers Meer zusammenbrach.46 Es war sicherlich kein Zufall, dass diese Konzentration auf Kerneuropa beim Untergang der christlichen Kreuzfahrerheere in Palästina erfolgte. Zunächst hatte die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer 1099 beträchtliche Zuversicht auf die christliche Missionierung der ganzen Welt genährt. Umso mehr provozierte der Niedergang der christlichen Herrschaft im Heiligen Land zwischen 1187, der Eroberung Jerusalems durch Sultan Saladin, und 1291, der Eroberung Akkons als der letzten Kreuzfahrerbastion durch die Mamluken, das christlichen Selbstbewusstsein. Es hatte sich im Hochmittelalter dezidiert nicht auf Europa eingelassen, sondern war dem universalen Missionsauftrag gefolgt. Jetzt verkehrte sich der Expansionswille der lateinischen Christenheit ins ernüchternde Gegenteil. Zwei Berichte des 12. und des 13. Jahrhunderts zeigen diese Veränderung der Migrationsströme an. Der erste ist berühmt und viel zitiert, der zweite sollte als Inversion noch deutlicher beachtet werden.
44 Dazu Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts. (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 19.) Köln / Wien 1984. Eine Neudeutung von Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter. München 2013. 45 Alexander von Roes, Noticia seculi. Ed. Herbert Grundmann / Hermann Heimpel, in: MGH. Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 1.1. Stuttgart 1958, 149–171, hier 159, cap. 12. Zur weiteren Entwicklung im römisch-deutschen Reich des späteren Mittelalters Len Scales, The Shaping of German Identity. Authority and Crisis, 1245–1414. Cambridge 2012. 46 Annette Seitz, Das lange Ende der Kreuzfahrerreiche in der Universalchronistik des lateinischen Europa (1187–1291). (Historische Studien, Bd. 497.) Husum 2010.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
27
Vor 1127, auf dem Höhepunkt der ersten Erfolge, feierte Fulcher von Chartres, Kanoniker der Grabeskirche von Jerusalem, die neue Identität der abendländischen Christen im Orient: „Die wir Abendländer waren, sind jetzt zu Orientalen geworden; wer Römer oder Franzose war, ist in diesem Lande zum Galilaeer oder Palästinenser geworden; wer aus Reims oder Chartres stammte, wurde zum Tyrer oder Antiochener. Schon haben wir die Orte unserer Geburt vergessen; schon sind sie den meisten von uns unbekannte oder nie gehörte Namen. Schon besitzt der eine eigene Häuser und Diener wie aus väterlichem Erbrecht, andere freiten, aber nicht nur eine Landsmännin, sondern auch eine Syrerin oder Armenierin, bisweilen auch eine getaufte Sarazenin (…). Wer ein Fremdling war, ist jetzt gleichsam ein Eingeborener (…). Tagtäglich folgen uns unsere Angehörigen und Verwandten, die, ohne es gewollt zu haben, allen Besitz zurücklassen. Denn wer dort mittellos war, den hat Gott hier reich gemacht, wer wenig Geld hatte, besitzt hier zahllose Byzantiner [Goldmünzen], und wer kein Dorf besaß, dem gehört hier durch die Gabe Gottes eine ganze Stadt. Warum also sollte ins Abendland zurückkehren, wer hier einen solchen Orient fand?“47 1290 / 1291, kurz vor dem Fall Akkons, verdrehte der Franziskaner Fidentius von Padua diese Erfolgsgeschichte ins genaue Gegenteil. Viele Christen aus fast allen Nationen kämen zwar nach Akkon. Aber sie liebten ihr neues Vaterland nicht, blieben vielmehr beständig nur Ankömmlinge und bewahrten sich ihre unterschiedlichen Sprachen und Gebräuche. „Es ist sonderbar, dass viele Christen, die mit großer Leidenschaft ins Heilige Land kamen, mit größerer Leidenschaft in ihre Heimat zurückkehrten.“48 Am Ende des Mittelalters verwandelte der Humanismus das jahrhundertealte Wissen von den fernen Ursprüngen der Völker und Kulturen in ganz erheblichem Maß. Im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert, gerade als das lateinische Europa zum Sprung über die Ozeane ansetzte, wichen die alten Lehren von Europa als dem dritten Teil der Welt oder von der Herkunft der Völker und Kulturen aus Asien neuen Ursprungsideen. Kernpunkte – hier wird zugespitzt – waren (1) neue Konzepte ethnischer Reinheit, (2) die Verknüpfung von Blut und Heimaterde, (3) die Nationalisierung der Weltgeschichte und (4) die hierarchisierende Destillation Europas aus der Ganzheit der Welt.
47 Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana (1095–1127). Ed. Heinrich Hagenmeyer. Heidelberg 1913, 748 f., lib. III, cap. 37. Übersetzung von Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge. Stuttgart 102005, 108 f. 48 Fidentius von Padua, Liber recuperationis Terre Sancte ([1274] 1290–1291), in: Projets de croisade (v. 1290 – v. 1330). Ed. Jacques Paviot. Paris 2008, 54–169, hier 62 f., cap. 9.
28
Bernd Schneidmüller
An die Stelle älterer Traditionen der Völkerentstehung aus Migrationen traten um 1500 neue Vorstellungen.49 Die Völker hätten sich ihr Land im Lauf der Geschichte nicht erst erobert, sondern wären schon immer dort gewesen. Dieser narrative Wechsel resultierte aus einer ethnographischen Wende, die auf die Entdeckung wie humanistische Rezeption der Germania des Tacitus seit 1455 zurückgehen dürfte.50 Tacitus hatte um 100 n. Chr. die Germanen als Ureinwohner beschrieben, nicht als Ankömmlinge: „Die Germanen selbst sind, so glaube ich jedenfalls, Ureinwohner und in keiner Weise durch Einwanderung oder gastliche Aufnahme mit fremden Völkern vermischt.“51 Spätmittelalterlichen Lesern veränderte diese Lehre vom Indigenat alles bisherige Wissen. Das Neue stand im scharfen Gegensatz zu den mittelalterlichen Wandertraditionen und zu den Ursprungsmythen der Völker aus weiten Migrationen und Eroberungen. Die Tacitus-Lektüre polarisierte nun die europäische Gelehrtenwelt. Folgenreiche Unterscheidungen in der geglaubten Vergangenheit germanischer oder romanischer Völker entstanden.52 Wegen seiner Konsequenz nehmen wir den Schwaben-Diskurs in den Blick.53 1456 / 1457, vielleicht im zeitlichen Umfeld der Entdeckung von Tacitus’ Germania, behauptete der Augsburger Benediktiner Sigmund Meisterlin in seiner lateinischen wie deutschen Augsburger Chronik, die Schwaben seien auf ihrer
49 Ich greife in der Folge eigene Ausführungen auf, vgl. Bernd Schneidmüller, Erinnerte gentes. Geschichtsgedächtnis für das spätere Mittelalter, in: Matthias Becher / Stefanie Dick (Hrsg.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter. (MittelalterStudien, Bd. 22.) München 2010, 395–409. 50 Dieter Mertens, Die Instrumentalisierung der ‚Germania‘ des Tacitus durch die deutschen Humanisten, in: Heinrich Beck / Dieter Geuenich / Heiko Steuer u. a. (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung ‚germanisch – deutsch‘. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 34.) Berlin / New York 2004, 37–101. Vgl. auch Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. 4 Bde. in 6 Tln. Stuttgart 1957–1963, hier Bd. 3.1, 1033–1101; Christopher B. Krebs, Negotiatio Germaniae. Tacitus’ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel. (Hypomnemata, Bd. 158.) Göttingen 2005. 51 Tacitus, Germania. Ed. Alfons Städele. Düsseldorf / Zürich 1998, 8, lib. 2, cap. 1. 52 Die Brisanz der Neudeutung bis zu den Ideologisierungen des 20. Jahrhunderts prägnant bei Hirschi, Wettkampf (wie Anm. 41), 489–501. 53 Dazu Klaus Graf, Das ‚Land‘ Schwaben im späten Mittelalter, in: Peter Moraw (Hrsg.), Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter. (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft, Bd. 14.) Berlin 1992, 127–164; Ders., Exemplarische Geschichten. Thomas Lirers ‚Schwäbische Chronik‘ und die ‚Gmündener Kaiserchronik‘. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur, Bd. 7.) München 1987.
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
29
Erde seit unvordenklichen Zeiten verwurzelt. Das ist das Gegenmodell zur trojanischen Wanderlegende, wenn auch durchaus von ihr beeinflusst.54 Meisterlins Augsburg hatte ein höheres Alter als Rom. Seine Schwaben, ein Volk aus der Nachkommenschaft des Noah-Sohns Japhet, waren als erste ins Land gekommen und hatten es besiedelt. Die nach ihrer Stadt Vindelica benannten Vindeliker bildeten ein Volk der Schwaben vor der römischen Expansion. Von Schwaben gingen die Verwüstungszüge ins vorchristliche Italien aus. Hart erfuhren die Römer den furor teutonicus Lucans; länger als alle anderen Völker widerstanden ihnen die Schwaben, an denen selbst Caesar scheiterte. Er musste „das scharpff volck der Swaben aunüberwunden“ lassen. Nur durch Güte und Gaben gewann er ihre Zuneigung. Seither vollbrachten die Römer als Herren der Welt niemals große Dinge ohne Hilfe der Schwaben. Keck und treu – Meisterlin ließ das schwäbische Selbstbewusstsein bereits in der römischen Kaiserzeit entstehen.55 Spätere bauten diese Schwabendiskurse aus. Heinrich Bebel wurzelte sein eigenes Volk in der Heimaterde ein und schrieb einen Traktat über die Germanen als Ureinwohner. Damit entdecken wir aus schwäbischer Perspektive eine interessante Zäsur im spätmittelalterlichen Geschichtsgedächtnis der Völker. Sie kamen nicht mehr in ihrem Land an, sondern sie waren schon da.56 Prägnant formulierte dies Conrad Celtis über die Germanen, immer auf der gleichen Erde lebend, unter gleichem Himmel erzeugt. Über die Lage Deutschlands und die Lebensart der Deutschen schrieb er um das Jahr 1500: „Ein unbesiegtes Volk, wohlbekannt in der ganzen Welt, lebt von jeher dort, wo sich die Erde, in ihrer Kugelgestalt gekrümmt, herabneigt zum Nordpol. Geduldig erträgt es Sonnenhitze, Kälte und harte Arbeit; Müßiggang eines trägen Lebens zu erdulden leidet es nicht. Es ist ein Volk von Ureinwohnern (indigena gens), das seinen Ursprung nicht von einem anderen Geschlecht herleitet, sondern unter seinem eigenen Himmel erzeugt wurde (…).“57
54 Gernot Michael Müller, ‚Quod non sit honor Augustensibus si dicantur a Teucris ducere originem‘. Humanistische Aspekte in der Cronographia Augustensium des Sigismund Meisterlin, in: Ders. (Hrsg.), Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschichte einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg. (Frühe Neuzeit, Bd. 144.) Berlin / New York 2010, 237–273. 55 Belege bei Dieter Mertens, Spätmittelalterliches Landesbewußtsein im Gebiet des alten Schwaben, in: Matthias Werner (Hrsg.), Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland. (Vorträge und Forschungen, Bd. 61.) Ostfildern 2005, 93–156, hier 145 f. 56 Krebs, Negotiatio (wie Anm. 50), 226–250. 57 Gernot Michael Müller, Die ‚Germania generalis‘ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar. (Frühe Neuzeit, Bd. 67.) Tübingen 2001, 94 f.
30
Bernd Schneidmüller
Viele Traditionsstränge flossen in diesem Indigenatsdiskurs zusammen. Entscheidende Anknüpfungspunkte lieferte Tacitus mit dem der Erde entsprossenen Gott Tuisto und seinem Sohn Mannus, dem Ahnherrn und Begründer der Germanen (Germania, cap. 2). Die Harmonisierung des ethnographischen Wissens mit der biblischen Überlieferung verlief im Humanismus zwar nicht einheitlich. Doch die Variationen lassen sich auf Muster reduzieren. Unter dem Namen Annius von Viterbo entwarf der päpstliche Bibliothekar Giovanni Nanni (1432–1502) einen Text über den Ursprung der europäischen Völker, der angeblich vom chaldäischen Priester-Prinzen Berosus aus dem 4. oder 3. vorchristlichen Jahrhundert stammte. Dieser Pseudo-Berosus machte Tuisco / Tuisto, bei Tacitus noch ein Germanengott, zum Adoptivsohn Noahs und zum ersten Gesetzgeber am Rhein. Damit schien erwiesen, dass die Deutschen älter waren als die Trojaner. Im Gegensatz zu den vagen germanischen Ostgrenzen bei Tacitus wurde der Pseudo-Berosus deutlicher. Sein Tuysco war der Herrscher Sarmatiens. So nahm in alten humanistischen Köpfen das europäische Großreich – vom Don bis zum Rhein – Gestalt an: In Europa regem Sarmatiae fecit Tuysconum a Tanai ad Rhenum.58 Indem man die Skythen zu Noahs ersten Schülern erklärte, trat auch die skythische Geschichte in deutsche Dienste. Damit war das Bindeglied gefunden, das die deutsche Zivilisation zur ältesten in der Welt machte, geprägt von scharfer Opposition gegen alles Romanische.59 Für Giovanni Nanni diente das einem klaren Ziel: „der Bekämpfung und abschließenden Zerstörung Roms!“60 Eine rückwärtsgewandte Verlängerung deutscher Sprache und Kultur in die Anfänge der Menschheit nahm ‚Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit XXXX statuten‘ an der Wende zum 16. Jahrhundert vor. Diese Reformschrift unterstrich, dass Deutsch die Sprache Adams war, die als einzige in der Arche Noah gesprochen wurde, bevor sie später Japhet an den Rhein brachte: In der arche Noe was nit mer denn Adams sproch, das was tusch, die brocht Iaphet vff den rhin.61
58 Edition mit englischer Übersetzung bei Ronald E. Asher, National Myths in Renaissance France. Francus, Samothes and the Druids. Edinburgh 1993, App. I: Text and Translation of Annius Fragments Attributed to Berosus and Manetho, 191–233; Zitat ebd., 202; zu Tuisco / Tuisto als Adoptivsohn Noahs ebd., 208. 59 Asher, National Myths (wie Anm. 58), 198. 60 Hirschi, Wettkampf (wie Anm. 41), 331. 61 Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit XXXX statuten. Ed. Klaus H. Lauterbach. (MGH. Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 7.) Hannover 2009, 135, cap. 10; vgl. auch ebd., 127, cap. 8: der sproch, den Adam sproch, das ist almantz sproch, darumb die tuschen hiessen in latin ‚almani‘. Zur Ursprachentheorie Klaus H. Lauterbach, Geschichts-
Die mittelalterlichen Destillationen Europas aus der Welt
31
Der bayerische Geschichtsschreiber Aventin mochte bald darauf zwar noch die Gallier in das deutsche Blut einfügen, notierte aber ihre Degenerierung durch Vermischung von Sprache und Blut. Deutsche Kraft dagegen behaupte sich gegen und über alle Weltreiche. Tuiscons Nachkommen nämlich hätten ihre Herrschaft weit über die Welt hin ausgedehnt, nämlich in Sarmaciam Asiaticam, jetzt Tartarei, (…) und in Scythiam, welches bis an Indiam stosset. Im späteren Kampf gegen die Römer hätten sie dann die fruchtbaren Landschaften des Römischen Reichs, Welschland, Frankreich, Hispanien, Africam und Asiam überzogen, bekriegt und eingenomen.62 An deutscher Mannbarkeit und Sittenreinheit würde alles Fremde abprallen. Grund sei die Enthaltsamkeit deutscher Männer, die nichts mehr verachteten als Verweiblichung und nichts mehr achteten als Reinheit. In der Vorzeit hätten sie deshalb die Nähe zu Frauen, Ausländern und Büchern gemieden.63 So schufen sich gelehrte Humanisten ihre eigene Vorstellungswelt vom Vorrang des deutschen Volkes, das seit unvordenklichen Zeiten auf eigener Scholle wohnte. Dynamik und Hybridisierung durch Wanderungen, Landnahmen oder Ethnogenesen fanden in solchem Selbstbewusstsein keinen Platz. Die Folgen für die Weiterentwicklung nationaler Stereotype in der Neuzeit waren beträchtlich. Es machte nämlich durchaus einen Unterschied, ob ein Volk seine Geschichte aus fremden Ursprüngen oder aus der ewig gleichen Heimaterde, also der Verknüpfung von Blut und Boden, entwickelte. Die Forschung steht hier eher am Anfang als am Ende, denn erst die quellenbezogene Sicherung der Entwicklungslinien in anderen europäischen Ländern könnte eine verlässliche Basis für den Vergleich solcher Herkunftskonzepte schaffen.64 Am Ende stehen wir also vor einem Paradoxon: Je mehr Welt sich die europäischen Völker erschlossen, umso älter und reiner ließen sie ihre eigene Volksgeschichte werden. Im geographischen Wissen schrumpfte Europa relational immer
verständnis, Zeitdidaxe und Reformgedanke an der Wende zum sechzehnten Jahrhundert. Das oberrheinische „buchli der hundert capiteln“ im Kontext des spätmittelalterlichen Reformbiblizismus. (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, Bd. 33.) Freiburg / München 1985, 167–179 (dort Hinweise auf Hildegard von Bingen, die ebenfalls Adam und Eva deutsch sprechen ließ). 62 Johannes Aventin, Chronica von ursprung, herkomen und taten der uralten Teutschen (…), in: Johannes Turmair’s genannt Aventinus kleinere historische und philologische Schriften. München 1881, 299–372, hier 343. 63 Belege bei Hirschi, Wettkampf (wie Anm. 41), 333–337. 64 Vgl. etwa die gallische Vereinnahmung der fränkischen Vergangenheit in Frankreich, dazu Colette Beaune, Naissance de la nation France. Paris 1985; Jean-Louis Bruneaux, Nos ancêtres les Gaulois. Paris 2008; Henri Duranton, ‚Nos ancêtres, les Gaulois‘. Genèse et avatars d’un cliché historique, in: Cahiers d’histoire 14, 1969, 339–370.
32
Bernd Schneidmüller
mehr. Die Südfahrten der Portugiesen erwiesen im 15. Jahrhundert, dass von der seit alters geglaubten gleichen Flächenausdehnung Europas und Afrikas keine Rede sein konnte. Die Weltumseglungen des 16. Jahrhunderts ließen Europa dann zu einem immer kleineren Teil der Welt werden. Das bewältigten die Europäer durch neue Differenzierungen zwischen Zivilisierten und Wilden,65 durch Kolonialismus und Sklaverei66 und durch die Idee von Europa als einer Königin der Welt. Es sollte dauern, bis an solchen Essentialismen ernsthaft gerüttelt wurde. Dafür geraten jetzt die methodischen und theoretischen Neupositionierungen umso dezidierter. Die ‚Transcultural Studies‘ lösen alte Modelle von Akkulturation oder Zivilisationsexport auf und führen Europa wieder auf einen kleinen Teil der Welt zurück, noch kleiner, als er im Wissen der Ebstorfer Weltkarte um 1300 ohnehin nur war.
65 Urs Bitterli, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München 32004. 66 Walter Demel (Hrsg.), WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. 4: Entdeckungen und neue Ordnungen. 1200 bis 1800. Darmstadt 2010; Wolfgang Reinhard, Geschichte der europäischen Expansion, 2 Bde. Stuttgart / Berlin / Köln u. a. 1983–1985.
Tillmann Lohse
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort Ein Blick in die Geschichtsatlanten und -schulbücher des 18. bis 21. Jahrhunderts Vor* einigen Jahren habe ich meine Studentinnen und Studenten zu Beginn eines Seminars über ‚Migration und Mythographie im europäischen Mittelalter‘ einmal aufgefordert, aus der Erinnerung die Völkerwanderungskarte1 zu zeichnen. Die seinerzeit zu Papier gebrachten Elaborate wären sicher eine schöne Materialgrundlage für eine Studie über die langfristigen Wirkungen von Geschichtsunterricht. Hier aber soll es nicht um den Grad der Übereinstimmung von ehedem dargebotenen Wissensbeständen einerseits und ihren später ad hoc abrufbaren Repräsentationen andererseits gehen,2 sondern um den bemerkenswerten Umstand, dass nahezu alle Studierenden auf Anhieb wussten, welches Vorbild sie zu reproduzieren hatten. Die Stichprobe dieser Erhebung erfüllte natürlich mitnichten die strengen Anforderungen der empirischen Unterrichtsforschung, und doch wage ich die Prognose, dass sich das Experiment mit ähnlichen Ergebnissen jederzeit wiederholen ließe, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern beinahe überall in Europa. Die Völkerwanderungskarte hat sich nämlich im Laufe des 19. und 20 Jahrhunderts in einem solchen Maße ins kollektive Gedächtnis der
* Bei der Materialerhebung für die vorliegende Studie habe ich von vielen Seiten großzügige Unterstützung erhalten. Ich danke hierfür insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Georg-Eckert-Institutes (Braunschweig), der Kartenabteilung der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz (Berlin), des Map Department der Library of Congress (Washington, D. C.) sowie Prof. Dr. Vadim Oswalt und Sebastian Bode (beide Historisches Seminar der Universität Gießen). Frühere Fassungen des Textes durfte ich auf Einladung der Herren Professoren Michael Borgolte, Bernhard Jussen, Markus Cerman, Benjamin Scheller und Wolfgang Eric Wagner an den Universitäten Berlin (HU), Frankfurt am Main, Wien, Essen und Münster vortragen. Die intensiven Diskussionen haben mich sehr gefördert, auch wenn ich (noch) nicht jeder Anregung nachgehen konnte. 1 Ich benutze den Terminus ‚Völkerwanderungskarte‘ als Sammelbegriff für all diejenigen Karten, auf die die unten nach Anm. 3 genannten Kriterien im weitesten Sinne zutreffen. Zur Variationsbreite siehe unten Abschnitt 3. Die Selbstbezeichnung der einzelnen Karten ist von Land zu Land, ja von Stück zu Stück, ganz verschieden. Vgl. unten Anm. 105. 2 Vgl. Wolfgang Hasberg, Empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik. Nutzen und Nachteil für den Geschichtsunterricht, 2 Bde. (Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik, Bd. 3.) Neuried 2001, hier bes. Bd. 1, 541–548.
34
Tillmann Lohse
Europäerinnen und Europäer eingebrannt, dass man sie mit Fug und Recht als einen europäischen Erinnerungsort bezeichnen kann.3 In ihrer rudimentärsten Form besteht die Völkerwanderungskarte lediglich aus zwei graphischen Elementen: (1.) einer auf den Küstenverlauf reduzierten, im Osten etwa bis zum Dnjepr reichenden Landkarte des europäischen Kontinents inklusive der nordafrikanischen Mittelmeerküste sowie (2.) mehreren über diesen hinwegführenden Linien, die die von der historischen Forschung rekonstruierten ‚Wanderungen‘ einzelner ‚Völker‘ im Raum verorten.4 Erfunden wurde dieser Kartentypus, wie Walter Goffart gezeigt hat,5 gleich zweimal; und zwar unabhängig voneinander durch Johann Georg Hagelgans zu Beginn des 18. und durch Emmanuel Auguste Dieudonné comte de Las Cases zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
3 Auch wenn sie – wie so viele andere – in einem jüngst erschienenen Inventar nicht enthalten ist. Vgl. Pim den Boer / Heinz Duchhardt / Georg Kreis u. a. (Hrsg.), Europäische Erinnerungsorte, 3 Bde. München 2012 (zur unvermeidlichen Unvollständigkeit dieses Opusʼ vgl. die Einleitung der Herausgeber in: Ebd., 9–14, hier 13). Die Debatte darum, was einen europäischen Erinnerungsort eigentlich ausmacht, wird seit mehr als zwei Jahrzehnten geführt, ohne dass bislang ein Konsens über geeignete Kriterien erreicht wäre. Vgl. aus neuhistorischer Perspektive z. B. Pierre Nora, Les ‚lieux de mémoire‘ dans la culture européenne, in: Europe sans rivage. Symposium international sur l’identité culturelle européenne. Paris 1988, 38–42; Etienne François, Europäische lieux de mémoire, in: Gunilla Budde / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 2006, 290–303; Kornelia Kończal, Europäische Erinnerungsorte – Bericht von einer Baustelle, in: Christoph Kühberger / Clemens Sedmak (Hrsg.), Europäische Geschichtskultur – europäische Geschichtspolitik. Vom Erfinden, Entdecken, Erarbeiten der Bedeutung von Erinnerung und Geschichte für das Verständnis und Selbstverständnis Europas. Innsbruck / Wien / Bozen 2009, 54–64; und aus mediävistischer Sicht vor allem Bernd Schneidmüller, Europäische Erinnerungsorte im Mittelalter, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 3, 2002, 39–58. 4 Die Termini ‚Volk‘ und ‚Wanderung‘ sind aus Sicht der heutigen Forschung natürlich höchst problematisch. Vgl. dazu unten bei Anm. 100–102. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit verzichte ich darauf, diese Begriffe im Folgenden durchgehend in Anführungszeichen zu setzen. 5 Vgl. Walter Goffart, The Map of the Barbarian Invasions. A Preliminary Report, in: Nottingham Medieval Studies 32, 1988, 49–64, ND in: Ders., Barbarians, Maps, and Historiography. Studies on the Early Medieval West. (Variorum Collected Studies Series, Bd. 916.) Farnham 2009, 43–60; Ders., The Map of the Barbarian Invasions. A Longer Look, in: Marc Anthony Meyer (Hrsg.), The Culture of Christendom. Essays in Medieval History in Commemoration of Denis L. T. Bethell. London 1993, 1–27, ND in: ebd., 61–94; Ders., What’s Wrong with the Map of the Barbarian Invasions?, in: Susan J. Ridyard / Robert G. Benson (Hrsg.), Minorities and Barbarians in Medieval Life and Thought. (Sewanee mediaeval studies, Bd. 7.) Sewanee 1996, 159–177, ND in: ebd., 23–42. Im Folgenden zitiere ich nach den Erstdrucken, deren Paginierung in den Nachdrucken reproduziert wurde.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
35
Hagelgans, ein Legationssekretär des schwedischen Gesandten beim Oberrheinischen Kreis,6 publizierte seinen ‚Atlas historicus‘ erstmals 1718 in Frankfurt am Main.7 Das 23 Blätter in Groß-Folio umfassende Werk bot eine tabellarische Übersicht der Weltgeschichte. Mit seinen bis zu 46 Kolumnen für die verschiedenen Völker und Länder der Erde stand es in der auf Eusebios von Caesarea († 339) zurückgehenden synchronistischen Tradition der Weltgeschichtsschreibung. Bei aller formalen Traditionalität zeichnete es sich aber durch eine originelle Darstellungsstrategie aus. Im Laufe der Weltgeschichte beständig wiederkehrende Sachverhalte wie Königserhebungen oder Friedensschlüsse stellte Hagelgans nämlich einfach durch entsprechende Piktogramme dar, die er mit kräftigen Linien, in Schraffur oder als Umriss ausführte, je nachdem, ob es sich (in seinen Augen) um historisch erwiesene, zweifelhafte oder bloß sagenhafte Ereignisse handelte.8 So konnte er Unmengen von Stoff auf engstem Raum unterbringen und zugleich den Authentizitätsgrad des jeweils Berichteten markieren. Als Appendix zu seiner monumentalen Bilderchronik versammelte Hagelgans auf dem letzten Blatt des ‚Atlas historicus‘ noch vier große Karten; darunter eine „Migrationes Gentium“ betitelte, die allein hier von Interesse ist (Abb. 1). Sie kartierte historische Prozesse aus einer Zeitspanne, die sage und schreibe zweieinhalb Jahrtausende umfasst. Die früheste berücksichtigte Migration war die Ansiedlung griechischer Kolonisten an der sizilianischen Küste ab ca. 800 v. Chr., die jüngste der Mongoleneinfall nach Westeuropa im 13. Jahrhundert. Insgesamt verzeichnete Hagelgansʼ Karte zwanzig Völkerwanderungen, davon nicht wenige mit untergeordneten Abzweigungen, so dass der gesamte eurasisch-nordafrikanische Raum von einer Vielzahl filigraner Linien überzogen wurde, die jeweils mit einer Pfeilspitze endeten und mit „Via Grecorum“, „Via Slavorum“, „Via Normannorum“ usw. bezeichnet waren.
6 Vgl. Otto Renkhoff, Johann Georg Hagelgans 1687–1762, in: Karl Wolf (Hrsg.), Nassauische Lebensbilder, Bd. 5. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 10.5.) Wiesbaden 1955, 57–69, hier 57. 7 Johann Georg Hagelgans, Atlas historicus, Oder allgemeine historische Charten, Darinnen die merckwürdigste Begebenheiten, so sich von Anfang der Welt in allen Königreichen und Landen biss auff unsere Zeit geäussert, abgebildet (…). Alles auff acht grossen, mit verschiedenen dazu gehörigen geographischen Charten, durch sich selbst erklärende Figuren, zur Erleichterung des Gedächtnisses und nützlichem Gebrauch aller historischen Bücher (…) entworffen. Franckfurt am Main 1718 [Digitalisat: http://diglib.hab.de/drucke/gb-gr-2f-3/start.htm], NDD: Ders., Atlas historicus Quo Res per Orbem Gestas Universe et Sigillatim delineavit. Frankfurt am Main 1737 und 1751. 8 Vgl. die Erläuterung bei Hagelgans, Atlas historicus (wie Anm. 7), fol. 23r. Siehe dazu auch Daniel Rosenberg / Anthony Grafton, Cartographies of Time. A History of the Timeline. New York 2010, 103; 107.
36
Tillmann Lohse
Las Cases, ein ehemaliger Marine-Leutnant, lebte im englischen Exil, als er 1801 seinen ‚Genealogical, Chronological, Historical, and Geographical Atlas‘ unter dem bald gelüfteten Pseudonym „Mr. LeSage“ veröffentlichte.9 Die einzelnen Doppelseiten seines Opusʼ enthielten jeweils eine große Karte, die von ausgiebigen Erläuterungen und ggf. genealogischen Stemmata eingefasst wurde; so auch die „Map, Exhibiting the Transmigration, Course, Establishment or Distruction [!] of the Barbarians that Invaded the Roman Empire“ (Abb. 2). Unter ihr bot Las Cases dem Betrachter in insgesamt 13 Spalten einen Überblick über „Names, Origin, Chiefs, Inroads, History, and Fate“ der einzelnen Völker. Die Organisation des Stoffes zeigt, dass auch der Graf durchaus noch in der Tradition der synchronistischen Weltgeschichtsschreibung stand. Während sein Vorläufer Hagelgans aber selbst den interessiertesten Betrachter mit seiner Akribie letztlich überfordert hatte, gelang Las Cases durch die Konzentration auf zehn Völkerschaften, die sich zwischen 370 und 711 n. Chr. auf Wanderschaft begeben hatten, durch den Verzicht auf äußerste geographische Präzision bei der Lokalisierung der Marschrouten und vor allem durch die farbige Markierung der vermeintlichen Wanderungswege eine ganz erhebliche Komplexitätsreduktion; oder wie Walter Goffart formulierte: „Hagelgans has lines running every which way; Las Cases’s map is carefully trimmed to produce an intelligible image.“10 Gerade deshalb war das Kartenbild des Franzosen eine geniale Gedächtnisstütze für all diejenigen, die lernen wollten oder mussten, welche Völker wann von wo nach wo gewandert waren. Und weil das in der Folgezeit ziemlich viele Menschen auf dem europäischen Kontinent sein sollten, ist die Geschichte des Erinnerungsorts Völkerwanderungskarte in gewisser Weise auch eine Rezeptionsgeschichte der Karte des comte de Las Cases von 1801. Im Folgenden möchte ich mich dieser Geschichte in fünf Schritten annähern. Ich skizziere (1.) die Geschichte der Völkerwanderungskarte in Deutschland, erkunde (2.) den Einzug der Völkerwanderungskarte in die Geschichtsatlanten anderer europäischer Nationen, skizziere (3.) eine Typologie der Völkerwanderungskarten, bespreche (4.) zwei exemplarische Emanationen des Erinnerungsorts Völkerwanderungskarte außerhalb des Geschichtsunterrichts, und wende mich schließlich (5.) der fachwissenschaftlichen Kritik an der Völkerwanderungskarte zu. Bevor ich mich in medias res begebe, sind allerdings noch einige Bemerkungen zur Quellengrundlage und Analysestrategie unabdingbar.
9 GB–01. Hier und im Folgenden zitiere ich die Geschichtsatlanten meines Quellencorpusʼ nach den unten in Abschnitt 6 vergebenen Siglen. 10 Goffart, Longer Look (wie Anm. 5), 14.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
37
Auch wenn der Erinnerungsort Völkerwanderungskarte genealogisch auf ein ganz bestimmtes Kartenwerk zurückgeführt werden kann, hat er sich doch recht bald von diesem abgelöst und begonnen, ein Eigenleben zu führen. Als ein (im Rahmen bestimmter Grenzen) variables ikonisches Ensemble ist er in erster Linie ein mentales Phänomen und entzieht sich deshalb dem unmittelbaren analytischen Zugriff des Historikers. Greifbar bleiben allein die extra-cerebralen Manifestationen der Völkerwanderungskarte, also Drucke oder Digitalisate. Diese stehen mit den kognitiven Strukturen der historischen Akteure in einer komplexen Wechselwirkung, insofern sie einerseits das von einem bestimmten Kartographen imaginierte Kartenbild aufs Papier oder den Bildschirm bannen und somit intersubjektiv erfahr- und kommunizierbar machen, wodurch andererseits bei den jeweiligen Betrachtern eine mentale Repräsentation der Völkerwanderungskarte überhaupt erst hervorgerufen, aktualisiert oder modifiziert wird. Die wichtigsten Quellengruppen für meine Untersuchung sind dementsprechend Geschichtsatlanten, -bücher und -wandkarten, und bei diesen wiederum – wegen der Breitenwirkung – vor allem solche, die für den Schulgebrauch vorgesehen waren bzw. sind. Im Rahmen meiner Analyse lese ich die Völkerwanderungskarten aus den letzten drei Jahrhunderten dabei vornehmlich als serielle Quellen. Das durch Stoffauswahl und Aufmachung vermittelte Geschichtsbild11 einzelner Werke12 mitsamt seiner bildungspolitischen Rahmenbedingungen13 und verlegerischen Kalkulationen behandle ich deshalb allenfalls am Rande, die (oft genug nur sehr vage zu eruierende) tatsächliche Verbreitung14 und Verwendung15 im Schulun-
11 Klassisch hierzu: Armin Wolf, Das Bild der europäischen Geschichte in Geschichtsatlanten verschiedener Länder, in: Internationales Jahrbuch für Geschichts- und Geographieunterricht 13, 1970 / 1971, 64–101. Siehe auch Martin Clauss / Manfred Seidenfuß (Hrsg.), Das Bild des Mittelalters in europäischen Schulbüchern. (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 5.) Berlin 2007. 12 Für die deutschen Geschichtsatlanten hat Patrick Lehn, Deutschlandbilder. Historische Schulatlanten zwischen 1871 und 1990. Ein Handbuch. Köln / Weimar / Wien 2008, einen ausgesprochen hilfreichen Katalog mit zahlreichen Hintergrundinformationen erarbeitet, auf den hier pauschal verwiesen sei. 13 Vgl. für Deutschland Lehn, Deutschlandbilder (wie Anm. 13), 37–48; 153–162; 228–238; 316– 322; 346–373. 14 In Deutschland liegen meines Wissens lediglich für Preußen statistische Erhebungen aus den Jahren 1880 und 1906 vor: Verzeichnis der gegenwärtig an den preußischen Gymnasien, Progymnasien, Realschulen und höheren Bürgerschulen eingeführten Schulbücher. Berlin 1880, 58–65; Verzeichnis der an den höheren Lehranstalten Preussens eingeführten Schulbücher. Zweite Ausgabe. Berlin / Leipzig 1906, 59–80. 15 Diese rückt zunehmend in den Fokus der historischen Schulbuchforschung. Vgl. etwa Maria
38
Tillmann Lohse
terricht überhaupt nicht. Auch der Verlockung, einzelne Exemplare ikonographischer und ikonologischer Detailanalysen zu unterziehen, möchte ich einstweilen widerstehen. Mir geht es vielmehr um die Konjunkturen und Konkurrenzen, die Divergenzen und Konvergenzen bestimmter ikonischer Muster und der durch diese transportierten historischen Sinnstiftungen – und zwar im innereuropäischen Vergleich.16 Anders als in den mittlerweile im Überfluss vorliegenden Inventaren nationaler, regionaler, epochaler oder wie auch immer definierter lieux de mémoire werde ich also keine essayistische Gesamtdarstellung des Erinnerungsorts Völkerwanderungskarte vorlegen, sondern in erster Linie empirische Grundlagenforschung betreiben.17 Um den Platz der Völkerwanderungskarte im Arsenal der europäischen Erinnerungsorte genauer zu bestimmen, müssten ohnehin neben den amtlich abgesegneten Generatoren des historischen Bildwissens auch andere Quellengenera herangezogen werden, z. B. Filme, Comics, populäre Sachbücher usw., auf die hier nur en passant eingegangen werden kann.
1 Die Völkerwanderungskarte in Deutschland Erstmals nachzuweisen ist die Völkerwanderungskarte in deutschen Unterrichtsmedien bereits unter Kaiser Wilhelm II. Zunächst trat sie allerdings nur ganz sporadisch in Erscheinung. Das hatte vor allem strukturelle Gründe: Schulbücher waren im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Regel noch reine Textbücher. Einer der ersten, der sich um eine Visualisierung des historischen Stoffes zu didaktischen Zwecken bemühte, war der Kreuznacher Rektor Jakob Carl Andrä (1823– 1890), dessen ‚Grundriß der Weltgeschichte‘ bereits 1860 mit sieben kolorierten Karten erschien.18 Die Karten 4 und 5 zeigten „Das römische Reich im zweiten
Repoussi, New Trends in History Textbook Research, in: Eckert Bulletin 07, Sommer 2010, 33–35. 16 Zur international vergleichenden Erforschung von Geschichtsatlanten siehe jetzt Sylvia Schraut, Kartierte Nationalgeschichte. Geschichtsatlanten im internationalen Vergleich. 1860– 1960. Frankfurt am Main 2011. 17 In dezidiert heuristischer Absicht hat Michael Borgolte das Konzept von Pierre Nora bereits 1992 aufgegriffen. Vgl. Michael Borgolte, Papstgräber als „Gedächtnisorte“ der Kirche, in: Historisches Jahrbuch 112, 1992, 305–323, ND in: Ders., Stiftung und Memoria. Hrsg. v. Tillmann Lohse. (Stiftungsgeschichten, Bd. 10.) Berlin 2012, 203–220. Siehe dazu auch die forschungsgeschichtliche Einordnung durch Tilmann Robbe, Historische Forschung und Geschichtsvermittlung. Erinnerungsorte in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. (Formen der Erinnerung, Bd. 39.) Göttingen 2009, 118 f. 18 Jakob Carl Andrä, Grundriß der Weltgeschichte für höhere Bürgerschulen und mittlere Gymnasialklassen. 2., verb. u. verm. Aufl. Kreuznach 1860. Die erste Aufl. von 1858 war mir nicht
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
39
Jahrhundert n. Chr. Geb.“ mit den barbarischen Siedlungsgebieten nordöstlich der römischen Reichsgrenze bzw. „Germanische Reiche um das Jahr 500 n. Chr.“19 Das Thema ‚Völkerwanderung‘ war somit kartographisch – zumindest implizit – prominent vertreten, doch präferierte Andrä offenkundig die Gegenüberstellung von Vorher und Nachher in statischen Momentaufnahmen, wie sie auch in den deutschen Geschichtsatlanten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts eindeutig dominierte (Abb. 3).20 Der seit 1877 jährlich in neuer Auflage erscheinende ‚Historische Schul-Atlas‘ von Friedrich Wilhelm Putzger21 hatte z. B. anfangs nur die Karte „Europa am Ende der Völkerwanderung“ im Angebot, die die Territorien der germanischen Reichsbildungen verzeichnete.22 Erst 1901 wurde eine Ergänzungskarte „Zur Völkerwanderung“ ins Programm genommen, in der die einzelnen Etappen der Bevölkerungsbewegungen dadurch zum Ausdruck gebracht werden sollten, dass „wiederaufgegebene Wohnsitze der Völker“ durch Haarschrift und schmale Farbe, „letzte Sitze und Reichsgründung“ hingegen mit breiter Farbe gekennzeichnet wurden. Die mit Pfeilspitzen versehenen Linien blieben den Zügen Alarichs (395–410) und Attilas (450–453) vorbehalten.23 Eine Verbindung einzelner Etap-
zugänglich. Vgl. auch die Hinweise bei Horst Schallenberger, Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Zeit. Eine vergleichende Schulbuchanalyse deutscher Schulgeschichtsbücher von 1888 bis 1933. Ratingen bei Düsseldorf 1964, 85 f., dessen frühester Beleg für ein mit Abbildungen versehenes Schulgeschichtsbuch von 1878 stammt. 19 Andrä, Grundriß (wie Anm. 18), K. 4 u. 5. Später verfügte der ‚Grundriß‘ zusätzlich über eine Karte „Germanien vor der Völkerwanderung“ (13., verb. Aufl. Kreuznach 1879, K. 6) bzw. „Germanische Reiche vor der Völkerwanderung“ (17., verb. Aufl. Kreuznach / Leipzip 1888, K. 6). 20 Vgl. DE–03, K. 2 u. 4 (zwischengeschaltet K. 3 „Wohnsitze der Deutschen und ihrer Nachbarn in den ersten Jahrhunderten ihres Auftretens“); DE–06, K. 8 u. 9; DE–07.19, K. 5 u. 7 (zwischengeschaltet K. 6: „Deutschland zur Zeit der Römerherrschaft“); DE–08, K. 10 u. 11; DE–09, K. 12 u. 13 (auf einer Doppelseite); DE–16.2, K. 8 u. 9; DE–17.5, K. 4 u. 5; DE–18, T. 1, K. 4 u. 5. Nur die Reichsbildungen der Germanen am Ende der Völkerwanderung zeigten: DE–04, K. 1; DE–05, K. 1; DE–07.2, K. 1; DE–14, K. 1. 21 Zu Putzger, der bereits nach wenigen Jahren aus der redaktionellen Verantwortung für den nach ihm benannten Atlas gedrängt wurde, vgl. neben Irmgard Hantsche, Friedrich Wilhelm Putzger und der Putzger. Zur Anfangsgeschichte eines Historischen Atlas, in: Internationale Schulbuchforschung 19, 1997, 5–34, und Dies., Friedrich Wilhelm Putzger (1849 bis 1913). Atlasautor und sächsischer Schulmann, in: Sächsische Heimatblätter 44, 1998, 1–12, jetzt vor allem Lehn, Deutschlandbilder (wie Anm. 12), 49–58. 22 DE–08, K. 11. Ab der 30. Aufl. von 1906 (DE–08.30) trug die Karte den Titel „Europa z u r Z e i t der Völkerwanderung“, ohne dass sich an der Kartendarstellung irgendetwas geändert hatte (Hervorhebung: T. L.). 23 Vgl. DE–08.25, K. 13a. In seinen ‚Kleinen Geschichtsatlas‘ von 1889 hatte Putzger bereits eine klassische Völkerwanderungskarte aufgenommen. Vgl. DE–11, 8 (oben).
40
Tillmann Lohse
penorte durch farbige Linien erfolgte erst 1923 und blieb auf diejenigen „Völker beschränkt, die den größten Einfluß auf die Geschichte Westeuropas in jener Zeit hatten“, nämlich die (West-)Goten, Vandalen, Angeln, Sachsen und Jüten.24 Eine viel präzisere Darstellung der einzelnen Wanderungswege konnte man da bereits seit fast vierzig Jahren in Gustav Droysens ‚Allgemeinem Historischen Handatlas‘ nachschlagen.25 Wesentlich effektvoller wurden die Marschrouten allerdings seit 1896 in den ‚Karten und Skizzen aus der Geschichte des Mittelalters‘ inszeniert.26 Ihr Autor, Eduard Rothert,27 setzte als erster deutscher Lehrmittelproduzent zur Veranschaulichung der Wanderungswege voll und ganz auf farbige Linien, die – wenn auch noch ohne Pfeilspitzen zur Andeutung der Bewegungsrichtung28 – Ausgangs- und Endpunkte sowie erwähnenswerte Zwischenstationen der migrierenden Germanen miteinander verbanden (Abb. 4). Rothers Karte orientierte sich sehr eng an derjenigen von Las Cases, was nicht zuletzt an den rechteckigen Erläuterungsboxen zu ersehen ist, deren Text in vielen Fällen nur sprachlich gegenüber der deutschen Übersetzung verändert wurde, die der badische Ministerialrat Alexander von Dusch in den Jahren 1826 bis 1831 von dem Werk des französischen Kartographen angefertigt hatte.29 Auch das Tableau der verzeichneten Völker deckte sich mit demjenigen von Las Cases, allein die ‚Sarazenen‘ wurden von Rothert etwas präziser in Araber, Ommajaden und Abbasiden untergliedert. Auf sie bezog sich auch die größte darstellungstechnische Neuerung des Düsseldorfer Gymnasialprofessors: Sämtliche Informationen zu den Muslimen wurden in liegenden Halbmonden untergebracht. Im Vergleich zu Rothers Zeichnung ist die älteste mir bislang bekannt gewordene Adaptation der Völkerwanderungskarte in einem deutschen Schulbuch
24 Vgl. DE–08.44, K. 49. Die im selben Jahr erschienene ‚Kleine Ausgabe‘ des ‚Putzger‘ verzichtete hingegen vollständig auf eine Völkerwanderungskarte und kartierte nur die germanischen Reichsbildungen. Vgl. DE–20.2, 14. 25 Vgl. DE–10, 19. 26 Vgl. DE–13, K. 3. Rothert vereinfachte die Zeichnung wenig später noch einmal für die ‚Kleine Ausgabe‘ seines Atlasʼ, indem er Angeln und Sachsen bzw. Alanen, Vandalen und Sueven farblich zusammenfasste und Hunnen, Ostgoten, Langobarden, Burgunder und Araber sowie sämtliche unmittelbar ins Kartenbild platzierten Erläuterungen einfach wegließ. Dafür wurden alle Linien nun auch mit Pfeilspitzen versehen. Vgl. DE–15, 3. 27 Zu Rothert siehe neben der viel zu holzschnittartig urteilenden Irmgard Hantsche, Zeitgeschichte im Schulatlas 1900. Eduard Rothers Karten und Skizzen aus der vaterländischen Geschichte der letzten 100 Jahre, in: Anela Schwarz (Hrsg.), Politische Sozialisation und Geschichte. Festschrift für Rolf Schörken zum 65. Geburtstag. Hagen 1993, 193–208, jetzt auch Lehn, Deutschlandbilder (wie Anm. 12), 63–72 u. passim. 28 Solche finden sich bloß bei den Hunnen und den Muslimen. 29 Vgl. DE–02, K. 8.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
41
geradezu karg gehalten. Sie stammt aus einer Sonderausgabe von ‚Pfeifers Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten‘, die der Straßburger Gymnasialprofessor Emil von Borries 1910 für Südwestdeutschland herausgab (Abb. 5). Auf ihr findet man neben den in sehr zarten Strichen angedeuteten Wanderungen der einzelnen Völker auch deren jeweilige „Wohnsitze um Christi Geburt“ eingetragen. Diese Terminierung verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil die vermeintlichen Ausgangspunkte der Wanderungen sonst kaum einmal historisiert werden, sondern als urtümlicher, quasi immer schon dagewesener Siedlungsraum erscheinen.30 Nach diesen ersten, noch tastenden Versuchen erhielt die Völkerwanderungskarte dann in den 1920er Jahren auf breiter Front Einzug in die deutschen Unterrichtsmedien. Zum einen wurde nämlich die soeben angesprochene Kartenskizze aus dem Schulbuch von v. Borries durch den Rechteinhaber, den Verlag Ferdinand Hirt, in mehreren neu aufgelegten Schulbüchern wiederverwendet;31 zum anderen wollte nun auch die verlegerische Konkurrenz bei neu konzipierten Schulbüchern auf eine solche Karte nicht mehr verzichten.32 Die wachsende
30 Vgl. Emil von Borries (Hrsg.), Römische Kaiserzeit. Deutsche und europäische Geschichte bis 1789. (Pfeifers Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten. Sonderausgabe für Südwestdeutschland, Bd. 2.) Breslau 1910, 29. Ebd., 30, auch eine Karte zu den „[i]n den alten Wohnsitzen gebliebene[n] deutsche[n] Stämme[n]“ (Sachsen, Thüringer, Ostfranken, Bayern und Alamannen). Wilhelm Pfeifer, Die Blütezeit des römischen Reiches unter den großen Kaisern. Deutsche und preußische Geschichte bis 1740. (Lehrbuch für den Geschichtsunterricht an höheren Lehranstalten, Bd. 2: Lehraufgabe der Unter- und Obertertia.) Breslau 1904, war noch ganz ohne Kartenskizzen ausgekommen; Ders., Die Hauptereignisse der römischen Kaiserzeit. Deutsche Geschichte bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. (Lehrbuch für den Geschichtsunterricht an höheren Lehranstalten, Bd. 5: Lehraufgaben der Unterprima.) Breslau 1906, bot vor Seite 43 bereits eine Territorialkarte „Europa und die Völkerwanderung um 450“. 31 Vgl. Walther Gehl, Mittelalter. (Geschichte für höhere Schulen. Mittelstufe. Ein Hilfsbuch zu geschichtlicher Anschauung, Heft 2.) Breslau 1924, 16. Geringfügig modifiziert auch in: Richard Lüpcke / Alfred Groß, Geschichte. (Ferdinand Hirts Ostpreußisches Tatsachen- und Arbeitsbuch, Teil 1.) Breslau 1928, 11, K. 12. 32 Teubner: Hermann Pinnow, Deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Westfälischen Frieden. (Teubners Geschichtliches Unterrichtswerk. Geschichtsbuch für die Mittelstufe, Bd. 3.) Berlin 1926, 26, K. 17. – Diesterweg: Ludwig Schirmeyer, Das Mittelalter. Von der germanischen Frühzeit bis zur Reformation. (Maier-Schirmeyer. Lehrbuch der Geschichte für höhere Schulen. Mittelstufe, Bd. 2.) 2. Aufl. Frankfurt am Main 1926, 19; Karl Wehrhan, Deutsche Geschichte bis zum Ausgange des Mittelalters. (Lehrbuch der Erdkunde und Geschichte für Mittelschulen. Geschichte. Ausgabe A, Bd. 2.) 8. Aufl. Frankfurt am Main 1927, 10. – Oldenbourg: Max Horn, Deutsche Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters. (Geschichtswerk, Abt. 2: Grundbuch für den Geschichtsunterricht an mittleren Schulen, Heft 2.) München / Berlin 1928, 71, wiederverwendet in: Ernst Büttner, Deutsche Geschichte von der Urzeit bis 1648 für die Mittelstufe. (Ge-
42
Tillmann Lohse
Verbreitung führte dabei recht bald zu ersten Kanonisierungen des Kartenbildes. Das Repertoire der behandelten Völker wurde gegenüber Las Cases bzw. Rothert noch einmal reduziert; man verzeichnete nun üblicherweise nur noch die Goten, Vandalen, Burgunder, Langobarden und Angelsachsen; die Hunnen hingegen fehlten mitunter, die Sarazenen ausnahmslos. Farbige Markierungen waren aus Kostengründen nicht möglich, wurden aber durch unterschiedliche Arten der Liniengestaltung imitiert. Pfeilspitzen waren nun gang und gäbe (Abb. 5). Die Auflockerung der Geschichtsschulbücher mit Abbildungen und Karten, die sich während der Weimarer Republik einbürgerte, brachte einen erheblichen didaktischen Innovationsschub, der die allgemeine Verankerung der Völkerwanderungskarte im historischen Bildgedächtnis der Deutschen wohl maßgeblich beförderte. Er war zugleich aber auch eine enorme Herausforderung für die Produzenten teurer Geschichtsatlanten, die um ihren Absatz bangen mussten. Zwar wurden manche historischen Kartenwerke aus der Kaiserzeit mit den alten Druckstöcken einfach wieder aufgelegt;33 die neu entwickelten Geschichtsatlanten der Verlage Westermann und Teubner nahmen die Herausforderung seitens der Schulbuchverlage jedoch offensiv an.34 Ihre Herausgeber, Adolf Liebers und Ernst Böttcher, gingen keineswegs mehr so plakativ zu Werke wie einst Rothert, sondern setzten auf gesteigerte Komplexität als besonderes Qualitätsmerkmal und hinterlegten das Liniengeflecht der ‚Völkerpfeile‘ sowohl mit dem Relief des Kontinents als auch mit einer politischen Raumgliederung, nämlich den Grenzen von 476 bzw. 395 n. Chr. (Abb. 6). Einen radikalen, gleichermaßen darstellungstechnischen wie inhaltlichen Neuansatz brachte allerdings erst der zweite Band des ‚Geopolitischen Geschichtsatlas‘ von Franz Braun und Arnold Hillen Ziegfeld, der 1929 erschien und die frühmittelalterlichen Migrationen mit der Frage nach dem ‚Lebensraum‘ der ‚Deutschen‘ verknüpfte.35 Hier wurden die Wanderungswege zwar wie gehabt verzeichnet, den eigentlichen Kern der Darstellung bildeten aber die Gebiets-
schichtswerk für höhere Schulen, Bd. 3.) München / Berlin 1932, 24, K. 2. – Coppenrath: Ludwig Humborg, Das Mittelalter. (Welters Lehrbuch der Weltgeschichte, Teil 2.) 40., gänzlich neubearb. Aufl. Münster in Westfalen 1926, 21. – Schöningh: Maria Stolze, Mittelalter und Neuzeit bis 1648. (Geschichte für Lyzeen und höhere Mädchenschulen, Bd. 2: Lehrstoff der Untertertia.) Paderborn 1927, Abb. 2. 33 Diese kartierten bezeichnenderweise noch nicht die Wanderwege, sondern allein die Reichsbildungen der Germanen. Vgl. DE–21.6, 13 (= DE–09, 13); DE–17.20, K. 5 (= DE–17.5, K. 5). 34 Vgl. DE–19.9, K. 7; DE–24, 8. Zur eher defensiven Haltung des ‚Putzger‘ siehe oben bei Anm. 23 f. 35 DE–22, K. 5. Zu Ziegfeld siehe Guntram Henrik Herb, Under the Map of Germany. Nationalism and Propaganda, 1918–1945. London 1997, passim.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
43
gewinne bzw. -verluste der kurzerhand als ‚Deutsche‘ vereinnahmten Franken, Friesen, Thüringer und Hessen, die nun die klassischen Hauptdarsteller der Völkerwanderung völlig in den Hintergrund drängten (Abb. 11). Dass diese Sicht auf die Völkerwanderung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten größere Verbreitung fand, kann niemanden überraschen.36 In welchem Ausmaß es nach 1933 zu geopolitischen Umdeutungen der Völkerwanderungskarte in den deutschen Unterrichtsmedien gekommen ist, bedarf freilich noch eingehender Analysen. Dass die historische Urteilsbildung dabei nicht allein auf einer statistischen Auswertung fußen kann, sondern die einzelnen Karten auch in ihrem jeweiligen Umfeld beleuchten muss, verdeutlicht exemplarisch die 1934 in dritter Auflage erschienene ‚Mittlere Ausgabe‘ des ‚Putzger‘. In ihrem Vorwort hoben Herausgeber und Verlag hervor: „Trotz der Ungunst der Verhältnisse war es schon seit Jahren das Bestreben von [uns], (…) an dem Kampfe gegen die Schmach von Versailles und gegen die Kräfte der Zersetzung im Innern Deutschlands beizutragen und die Erneuerung vorzubereiten.“ In diesem Sinne wurden allerlei deutschtümelnde Karten neu in das Atlaswerk aufgenommen, die Völkerwanderungskarte allerdings blieb unverändert.37 Etliche Schulbücher hielten ebenfalls an der während der Weimarer Republik kanonisch gewordenen Darstellung fest, ohne dass beim heutigen Kenntnisstand allerdings Aussagen über die Repräsentativität dieser Befunde möglich wären.38 Voll und ganz traditionsverhaftet blieb die Völkerwanderungskarte später auch in der BRD, wo die vertrauten ‚Völkerpfeile‘ jahrzehntelang ziemlich gleichförmig über den Kontinent gezogen wurden.39 Drei bemerkenswerte darstel-
36 Vgl. unten bei Anm. 68–75. 37 DE–23.3, K. 27 (= DE–23, K. 27). 38 Vgl. Walther Gehl, Mittelalter. (Geschichte für höhere Schulen. Mittelstufe, Heft 2.) 6. Aufl. Breslau 1933, 14, K. 4 (Goten und „Wandaler“); 15, K. 5 (Burgunder und Langobarden); 18, K. 6 („Westgermanen“); Hans Muggenthaler, Mittelalter. (Deutsches Werden. Geschichtsunterricht für die höheren Unterrichtsanstalten [Knaben- und Mädchenschulen], Bd. 2.) 3. Aufl. Bamberg 1935, 28; Ludwig Schirmeyer / Alfred Maurer, Von der germanischen Frühzeit bis zum Westfälischen Frieden. (Lehrbuch der Geschichte für höhere Schulen. Mittelstufe, Bd. 2.) 11. Aufl. Frankfurt am Main 1936, 21; Walther Gehl, Von den Anfängen bis zum Ende der großgermanischen Zeit. (Geschichte. 2. Klasse: Oberschulen und Gymnasien.) Breslau 1939, 71, K. 21; P. Jennrich / R. Krause / U. Viernow, Geschichte für Mittelschulen, Bd. 1, Klasse 2. Halle (Saale) 1940, 71; Walter Hohmann / Wilhelm Schiefer, Von der Vorgeschichte bis zum Ende der Stauferzeit. (Volk und Reich der Deutschen. Geschichtsbuch für Oberschulen und Gymnasien, Klasse 6.) Frankfurt am Main 1941, 133; Wilhelm Brügger, Enkel und Ahnen. (Um Volk und Reich. Geschichtsbuch für Hauptschulen, Bd. 1.) Bielefeld / Leipzig 1944, 119. Zu einem Gegenbeispiel siehe unten Anm. 70. 39 Vgl. DE–08.80, 38, K. 1; DE–08.100, 34, K. 1; DE–08.102, 34, K. 1; DE–08.103, 50, K. 1; DE–34.3, K. 11; DE–35, 31; DE–36, 4; DE–38, 39; DE–40, 48; DE–41, K. 2; DE–42, 114; DE–43, 8; DE–44.2, 11;
44
Tillmann Lohse
lungstechnische Neuerungen wagte allerdings Wolfgang Birkenfeld in seiner Neubearbeitung des Schulbuchs ‚Die Reise in die Vergangenheit‘40 von 1970: Erstens zerlegte er die Völkerwanderungskarte in mehrere Teilkarten, wodurch die verschiedenen Stadien der Migrationsbewegungen deutlicher zum Ausdruck gebracht wurden.41 Zweitens ließ er die Pfeile für die Wanderungswege und die Flächen für die Reichsbildungen in einander übergehen, vielleicht um die Fluidität der barbarischen Territorialherrschaften zum Ausdruck zu bringen. Drittens färbte er die auf diese Weise entstandenen Gebilde mit unterschiedlicher Intensität, worin man möglicherweise einen Hinweis auf die Heterogenität der wandernden Personenverbände erblicken darf.42 Nachahmer fand allerdings nur die erste dieser gestalterischen Innovationen;43 und 1996 kehrte auch die Neuausgabe der ‚Reise in die Vergangenheit‘ zur herkömmlichen Art der Darstellung zurück (Abb. 7).44 Ganz anders verlief die Entwicklung dagegen in der DDR. Die seit 1953 vom Verlag ‚Volk und Wissen‘ herausgegebenen ‚Karten für den Geschichtsunterricht‘ enthielten eine Darstellung der Völkerwanderung, die neben den Zügen der Barbaren auch die Aufstände der römischen Sklaven und Kolonen im 4. und
DE–46.2, 13, K. A u. B; DE–47, 25, K. 1; DE–49, 87, K. 3; DE–50, 65, K. 7; DE–51, 71, K. 1; DE–52, 50. 40 Hans Ebeling / Wolfgang Birkenfeld, Von der Vorgeschichte bis zum Ende des Mittelalters. (Die Reise in die Vergangenheit. Ein geschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1.) Braunschweig 1970, 127. Die ältere, von Ebeling († 1967) konzipierte Ausgabe zeigte noch eine klassische Völkerwanderungskarte mit einem ins Kartenbild montierten Hunnenreiter. Vgl. Hans Ebeling, Bilder aus Altertum und Mittelalter. (Die Reise in die Vergangenheit, Bd. 2.) Braunschweig / Berlin / Hamburg u. a. 1958 [NDD bis mindestens 1968], 57. 41 Hierfür gab es Vorbilder in Atlanten anderer Länder. Das älteste mir bekannte Exemplar ist: GB–06, 16 f., K. 3 f. Besonders wirkmächtig wurde durch Nachdrucke SE–04 (= DK–05; NO–02.2; FI–02), 11, K. C–D; siehe auch DE–44.2, 11. Weitere Beispiele mit anderen Zäsuren in: GB–09; IT–06. 42 Keines dieser Deutungsangebote wurde allerdings in dem begleitenden Lehrerhandbuch ausdrücklich nahegelegt. Die dort gegebenen Anregungen hatten nur einen sehr vagen Bezug zum Kartenbild und tendierten eindeutig zu einer Essentialisierung der wandernden Völker. – Weder die Verbindung von ‚Wanderungspfeilen‘ und ‚Reichsbildungsflächen‘ noch die unterschiedliche Intensität der Färbung übernahm Birkenfeld in seinen Geschichtsatlas von 1971. Vgl. DE–44.2, 11. 43 Vgl. z. B. Friedrich Jahr u. a., Menschen in ihrer Zeit. (Erinnern und urteilen, Bd 1.) Stuttgart 1977, 5.14, wiederverwendet in: Ders. u. a., Geschichte und Geschehen, Bd. 1. Stuttgart 1986, 173; Hans Georg Kirchhoff u. a. (Hrsg.), Von der Urgeschichte bis zum frühen Mittelalter. (Geschichte und Gegenwart. Ausgabe A, Bd. 1.) Paderborn 1985, 178 f.; Jochen Martin u. a. (Hrsg.), Von der Urgeschichte bis zum Beginn des Mittelalters. (Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten, Bd. 1.) Berlin 1986, 177. 44 Hans Ebeling / Wolfgang Birkenfeld, Europa entsteht. (Die Reise in die Vergangenheit. Ein geschichtliches Arbeitsbuch. Ausgabe für Sachsen, Bd. 2.) Braunschweig 1996, 108.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
45
5. Jahrhundert verzeichnete.45 Die rot gepunkteten Flächen in Gallien, Thrakien, Phrygien, Mauretanien und Ägypten visualisierten die marxistische Lehre von dem durch Revolutionen bewirkten Fortschritt der Geschichte Richtung Kommunismus.46 In der Historie der Völkerwanderungskarten waren diese Flächen allerdings ihrerseits eine kleine Revolution, weil durch sie der seit den Tagen von Las Cases klar definierte Gegenstand derartiger Karten ein weiteres Mal um neue Inhalte ergänzt wurde; um Inhalte, die zudem nie zuvor systematisch kartiert worden waren (Abb. 15).
2 Die Völkerwanderungskarte in europäischen Geschichtsatlanten Die im Folgenden beabsichtigte Ausweitung des Blickfelds auf den gesamten Kontinent,47 kann von einem Einzelnen – schon aus arbeitsökonomischen Gründen – nur bei einer weiteren Einschränkung der Quellenbasis geleistet werden. Schweren Herzens lasse ich deshalb die Schulbücher, die so viel spektakuläres Material enthalten (Abb. 8), ganz beiseite und beschränke mich auf die Geschichtsatlanten. Nimmt man außer den Mitgliedsstaaten des Europarats auch noch Weißrussland ins Visier und scheidet neben Deutschland all diejenigen Staaten aus, von denen in deutschen Bibliotheken anscheinend keine Atlanten vorrätig sind,48 dann bleiben immer noch 39 Staaten übrig, aus denen ich etwa 280 Geschichtsatlanten inspizieren konnte.49 Die Gegenwartsdiagnose meiner Erhebung ist ganz eindeutig: Fast alle europäischen Schülerinnen und Schüler, die heutzutage einen Geschichtsatlas in die Hand nehmen, finden darin eine Völkerwanderungskarte vor; ganz egal, ob sie
45 Vgl. DE–39, 15; überarbeitete Fassung: DE–39.2, 15. 46 Zur Geschichte dieser Deutungsfolie vgl. Alexander Demandt, Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt. München 1984, bes. 316–346. 47 Die Karriere der Völkerwanderungskarte in den USA ist ein Thema für sich, das hier nicht behandelt zu werden braucht. Kursorische Hinweise bei Goffart, Preliminary Report (wie Anm. 5), 62, Anm. 29; Ders., Longer Look (wie Anm. 5), 9 mit Anm. 26; 22 mit Anm. 61; Ders., What’s wrong? (wie Anm. 5), 159. 48 Aus folgenden Staaten vermochte ich keine Geschichtsatlanten aufzutreiben: Andorra, Armenien, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, San Marino und Zypern. 49 Die Zuordnung älterer Geschichtsatlanten (etwa aus der SFR Jugoslawien oder der ČSSR) zu heutigen Staaten habe ich ganz pragmatisch anhand des Erscheinungsorts, mitunter auch der Sprache, vorgenommen.
46
Tillmann Lohse
nun in Island oder der Türkei, in Portugal oder der Ukraine aufwachsen.50 Diejenigen Länder, deren Geschichtsatlanten aus den letzten zwanzig Jahren keine derartigen Karten enthalten, lassen sich fast an einer Hand abzählen. Es sind: Irland, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Weißrussland, Georgien und Aserbaidschan – allesamt Länder an der europäischen Peripherie, in denen einerseits anscheinend nur sehr wenige Geschichtsatlanten produziert werden, die dann andererseits aus je verschiedenen Gründen ausnahmslos eine extrem nationalgeschichtliche Perspektive auf die Vergangenheit bedienen.51 Doch seit wie vielen Generationen kann die Völkerwanderungskarte als fester Bestandteil des europäischen Bildungskanons gelten? Wann erhielt sie wo Einzug in die Geschichtsatlanten und wann setzte sie sich dort fest? Bislang ist dieser Vorgang lediglich für Frankreich (und auch hier nur ansatzweise) beleuchtet worden: Zwei Jahre nach der englischen Originalausgabe von 1801 publizierte Las Cases die erste französische Edition seines Atlasʼ, der er in der Folgezeit zahlreiche verbesserte Nachdrucke folgen ließ.52 Darüber hinaus begann die Völkerwanderungskarte aber noch zu Lebzeiten ihres Schöpfers ein von dessen Atlas unabhängiges Eigenleben zu führen, weil andere französische Kartographen sie – in mehr oder weniger modifizierter Form – in ihre eigenen Kartensammlungen integrierten. Bis 1842, dem Todesjahr des Grafen, sind bislang nicht weniger als acht Adaptationen in Frankreich nachgewiesen worden.53 Durch Übersetzungen des ‚Genealogical, Chronological, Historical, and Geographical Atlas‘ wurde die Völkerwanderungskarte nach ‚Le Sage‘ bzw. Las Cases in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland, Russland, Spanien, Italien und Griechenland bekannt;54 eigenständige Imitationen entstanden vor 1900 – in auffälliger Entsprechung – in Deutschland, Russland, Spanien, Portugal und Öster-
50 Vgl. IS–01.3, 26; TR–05, 20; TR–06, 16 f.; TR–07, 12 f.; PT–04, 28; UA–01, 2, K. B (ein nationalgeschichtlich fokussierter Ausschnitt). 51 Vgl. IE–02.2 (ebd., 19, zeigt eine Karte lediglich die Migrationen der Kelten nach Großbritannien); BA–01; AL–03 (ebd., 17, zeigt eine Karte ‚immerhin‘ die germanischen Reichsbildungen); BY–01; BY–02; GE–01; AZ–01. 52 Bibliographisch nachgewiesen sind, wenn ich recht sehe, Pariser Ausgaben von 1804, 1805 / 1806, 1807 / 1808, 1814, 1823, 1829, 1835 und 1842. 53 Gesehen habe ich: FR–02.4, 17; FR–03, K. 13; FR–04.2, K. 14. Weitere Belege mit knapper Charakterisierung bringt: Goffart, Longer Look (wie Anm. 5), 16–21. – Nichtsdestotrotz erschienen in Frankreich auch in der Folgezeit noch Geschichtsatlanten ohne Völkerwanderungskarte. Vgl. FR–05; FR–06; FR–07; FR–09; FR–10; FR–11; FR–13; FR–16; FR–21; FR–25. 54 Vgl. ES–01; DE–02; IT–01; IT–01.3; RU–01. – Nicht gesehenen habe ich die neugriechische Übersetzung durch Iōseph Mauros (Historikos chartēs tēs archaias Hellados. [Athēnai]: ek tēs Vasilikēs typographias [1838]) und eine belgische Lizenz(?)-Ausgabe (Atlas historique, généalogique, chronologique et geographique. Bruxelles: Alexandre de Mat 1837).
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
47
reich.55 Die Geschichtsatlanten der übrigen europäischen Länder thematisierten die frühmittelalterlichen Migrationen hingegen entweder überhaupt nicht,56 oder sie zeigten lediglich die Reichsbildungen der Germanen auf ‚römischem Boden‘.57 Die europaweite Verbreitung der Völkerwanderungskarte ist demzufolge im Wesentlichen ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Grosso modo können dabei drei Phasen unterschieden werden. Zwischen 1900 und 1935 lassen sich Adaptationen der Las Cases-Karte – in aufsteigender Folge – nachweisen: in Großbritannien, Rumänien, Italien, der Schweiz, Ungarn, Polen und Schweden;58 vor 1970 dann auch in der Türkei, in Serbien, Dänemark, Norwegen, Tschechien, der Slowakei, Finnland, Bulgarien, Albanien, den Niederlanden, Kroatien und Belgien.59 Als Nachzügler erscheinen somit neben Griechenland und Island60 vor allem die nach dem Zerfall der UdSSR und der SFR Jugoslawien neu entstandenen Staaten in Osteuropa,61 in deren Geschichtsatlanten die Völkerwanderungskarte erst nach 1970 bzw. nach 1990 zu belegen ist (Abb. 9). Wirklich aussagekräftig werden diese Zahlen aber nur, wenn man in einem zweiten Schritt die nationalen Erstbelege nicht bloß isoliert betrachtet, sondern in zweierlei Hinsicht näher kontextualisiert; indem man sie nämlich einerseits um möglichst viele Folgebelege ergänzt, andererseits aber auch mit allen beizubringenden Negativbelegen kontrastiert. Auf dieser Datengrundlage lässt sich dann in der Tat recht präzise beobachten, ob (und wenn ja: seit wann) die Völkerwanderungskarte in den einzelnen europäischen Staaten als obligatorischer Bestandteil eines Geschichtsatlasʼ gelten kann. Auffällig ist dabei zunächst einmal der Befund, dass für etwa ein Drittel der untersuchten Länder überhaupt keine historischen Kartenwerke namhaft gemacht werden können, die die Völkerwanderungskarte nicht enthalten; z. B. Spanien, Portugal und Rumänien.62 In
55 Vgl. DE–01, K. 4; DE–10, 19; DE–13, K. 3; DE–15, 3; AT–01, 8; ES–02, K. 2; ES–03, K. 15; ES–04; PT–01, K. 47; RU–02.2, K. 11 f. Siehe auch FR–08. 56 Vgl. BE–01; CH–01; NL–01; RU–02; SE–01; SE–02. 57 Vgl. BE–02; DK–01; DK–02; GB–02; IT–02; NL–02.4; RU–03. 58 Vgl. GB–03, T. 2; RO–01, K. 3; IT–03, ungezählt; CH–03, 49; HU–02, K. 1; PL–01, Bl. 1; SE–03, 6. 59 Vgl. TR–01, K. 16; RS–02.3, K. 2; DK–05, 11; NO–01.2, K. 8; CZ–02, 10, K. A; SK–01.7, 10, K. A; FI–02.7, 11; BG–01, 5 f.; AL–01, 2; NL–04.18, 15, K. B; HR–01, 8; BE–05, 31, K. 34. 60 Vgl. GR–01, 9; IS–01.3, 26. Diese Befunde sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da mir aus beiden Ländern kein Geschichtsatlas aus der Zeit vor 1970 vorlag. Zu Griechenland siehe auch oben Anm. 54. 61 Vgl. SI–01, 10; UA–01, 2; MK–01, 43; LV–02, 46; EE–02, 114; LT–02, 4; MD–01.2, 20; ME–01, 44. 62 Vgl. die in Abschnitt 6 unter ES, PT und RO angeführten Atlanten. Mit geringerer historischer Tiefendimension gilt das auch für Griechenland, Island, Moldawien, Montenegro, Mazedonien,
48
Tillmann Lohse
annähernd ebenso vielen Fällen ist hingegen eine deutliche zeitliche Schichtung festzustellen. Am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts dominieren hier noch Atlanten ohne Völkerwanderungskarte, ab einem bestimmten Zeitpunkt verschwinden diese aber endgültig zu Gunsten von Kartenwerken, die eine solche Darstellung enthalten. Der Wendepunkt ist dabei von Land zu Land verschieden; in Ungarn und Schweden liegt er um 1930, in Österreich um 1950, in Großbritannien und den Niederlanden um 1960 und in Belgien erst um 1970.63 Das verbleibende Drittel teilt sich im Wesentlichen in zwei Gruppen, und zwar in solche Länder, in denen die Völkerwanderungskarte bislang noch nie eine Rolle spielte, und in solche, in denen sie in ‚allgemeinen‘ oder ‚weltgeschichtlichen‘ Atlanten zwar seit langem ihren festen Platz hat, bei stark nationalgeschichtlich ausgerichteten Kartenwerken aber bis in die jüngste Zeit hinein als obsolet angesehen wird. Beispiele für letzteres sind etwa Bulgarien, Frankreich und Finnland.64 Auch wenn sich bei intensiverer Materialerhebung vielleicht noch der eine oder andere, frühere oder spätere Beleg finden ließe, dürfte der Gesamteindruck dadurch kaum mehr ins Wanken geraten. Dieser lässt sich mit drei Feststellungen und einer Einschränkung zusammenfassen: (1.) Ausgangspunkt für die Verbreitung der Völkerwanderungskarte über den europäischen Kontinent waren diejenigen Staaten, in denen das Kartenwerk des comte de Las Cases schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Original und / oder in Übersetzung vorlag und in denen auch vergleichsweise früh eine starke Nachfrage nach Geschichtsatlanten bestand. (2.) Spätestens in den 1960er Jahren war die Völkerwanderungskarte fast auf dem ganzen Kontinent heimisch geworden. Nun erschien – anders als in den Jahrzehnten zuvor – kaum mehr ein Geschichtsatlas, der nicht den Versuch unternahm, die Marschrouten der frühmittelalterlichen Migrationen aufs Papier zu bannen. (3.) Die kontinentale Verbreitung der Völkerwanderungskarte erfolgte zwar insgesamt recht kontinuierlich, aber weder in räumlicher noch in zeitlicher Hinsicht linear. Während z. B. in Ungarn oder Schweden längst Geschichtsatlanten mit Völkerwanderungskarten erschienen, druckte man in Belgien immer noch welche ohne;65 und in Albanien verschwand die Karte sogar – ungeachtet
Slowenien und die Ukraine. Vgl. ebd. unter GR, IS, MD, ME, MK, SI, UA. Singuläre Fehlanzeigen ergeben sich für Albanien (AL–03), Bulgarien (BG–06), Tschechien (CZ–01.3), Estland (EE–01), Kroatien (HR–06); Ungarn (HU–01.5), Italien (IT–02), Norwegen (NO–03), die Slowakei (SK– 02.8) und die Türkei (TR–03). 63 Noch ohne Völkerwanderungskarte waren: HU–01.5; SE–01; SE–02; AT–02; AT–03.42; AT– 04; AT–05; GB–04.4; GB–05; GB–07.2; GB–08; NL–01; NL–02.4; NL–03.15; BE–01; BE–02; BE–03; BE–04. 64 Vgl. BG–06; FR–25; FI–04; FI–05.2. 65 Vgl. HU–02, K. 1; HU–03, 5; SE–03, 6; SE–04, 11; BE–01; BE–02; BE–03; BE–04.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
49
ihrer Etablierung in den 1960 / 1970er Jahren – vor etwa zehn Jahren wieder aus dem kartographischen Standardwerk für den Geschichtsunterricht.66 Einschränkend muss allerdings betont werden: Wenn bisher ganz allgemein von d e r Völkerwanderungskarte die Rede gewesen ist, dann handelt es sich dabei um eine ziemlich grobe Verallgemeinerung, die mir insofern statthaft erschien, als es in einem ersten Zugriff nur darum gehen konnte, allgemeine Trends der europaweiten Verbreitung aufzuspüren. Die historische Sinnstiftung einer Völkerwanderungskarte ist aber keineswegs immer die gleiche. Um die kartenspezifischen Akzentuierungen erkennen und einordnen zu können, bedarf es neben der konkreten Fallanalyse unbedingt auch eines allgemeinen Klassifikationsschemas, vor dessen Hintergrund sich Besonderheiten überhaupt erst als solche erkennen lassen, also einer Typologie.
3 Zur Typologie: Die Völkerwanderungskarte und ihre Variationen In ihrer rudimentärsten Form besteht die klassische Völkerwanderungskarte, wie bereits eingangs erwähnt, aus einer auf den Küstenverlauf reduzierten Landkarte des europäischen Kontinents inklusive der nordafrikanischen Mittelmeerküste sowie mehreren darüber hinweg führenden Linien, die die Wanderungswege einzelner Völker symbolisieren sollen. Dieses Grundgerüst kann jedoch in vielfältiger Weise durch weitere Gestaltungselemente ergänzt werden. Allein für die graphische Darstellung des Raumes, auf den die Wanderungswege als Unter- oder Hintergrund projiziert werden, sind im Laufe der Jahrzehnte mindestens sechs verschiedene Möglichkeiten erprobt worden, ohne dass eine von ihnen jemals die Oberhand gewonnen hätte. Die am häufigsten gewählten Varianten sind: das Relief der physischen Erdoberfläche, die Grenzen zwischen Imperium und Barbaricum (oft in Kombination mit den römischen Binnengrenzen, die sich aus den ‚Reichsteilungen‘ von 293 und 395 ergaben) sowie die Grenzen zwischen den germanischen Reichen des 4. und 5. Jahrhunderts. Wesentlich seltener begegnen dagegen: die Grenzen zwischen den spätantiken Diözesen, die Grenzen zwischen christianisierten und heidnischen Gebieten sowie die in der Gegenwart des Kartenzeichners gültigen Staatsgrenzen.
66 Vgl. AL–03. – Auch der ‚Putzger‘ verzichtete übrigens in den 1950er Jahren vorübergehend auf eine Völkerwanderungskarte; diese wurde erst mit der 80. Aufl. von 1961 wieder ins Portfolio aufgenommen. Vgl. DE–08.70; DE–08.80, 38, K. 1.
50
Tillmann Lohse
Beachtung verdienen darüber hinaus aber auch die zur Konkretion bestimmter historischer Sachverhalte ins Kartenbild eingefügten Elemente. Neben der Beschriftung einzelner Orte und Gewässer sowie den (in Geschichtsbüchern anscheinend unverzichtbaren) Jahreszahlen ist in diesem Zusammenhang vor allem hinzuweisen: auf die gekreuzten Schwerter zur Kennzeichnung der Schlachten bei Adrianopel (378) und auf den katalaunischen Feldern (451), auf die Darstellungen der Grenzanlagen, die die Römer zur Abwehr der Eindringlinge errichteten und nicht zuletzt auf die ins Kartenbild montierten, oft recht grobschlächtig daherkommenden Darstellungen germanischer Krieger, hunnischer Reiterhorden oder slawischer Bauern (Abb. 10). Berücksichtigte man zudem Auswahl und Arrangement der ‚Völkerpfeile‘ – etwa, ob die Goten von der Südspitze Skandinaviens oder von der Mündung des Dnjepr aufbrechen –, erhielte man einen ziemlich detaillierten Kriterienkatalog, mit dessen Hilfe man die ‚klassische‘ Völkerwanderungskarte in zahlreiche Subtypen unterteilen und die genealogischen Beziehungen einzelner Exemplare aufdecken könnte. Sieht man aber einmal von diesem hier nicht zu entwirrenden Geflecht gradueller Abweichungen ab, dann lassen sich in typologischer Absicht vier substantielle Variationen der ‚klassischen‘ Völkerwanderungskarte benennen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie entweder aufgrund einer bestimmten Geschichtsideologie den genuinen Darstellungsanspruch der Völkerwanderungskarte modifizieren oder dass sie aufgrund eines bestimmten narratologischen Fluchtpunkts den Vorgang der frühmittelalterlichen Migrationen in engere bzw. weitere Zusammenhänge einzubinden trachten. Ersteres gilt für die Völkerwanderungskarten der Nationalsozialisten (a) und der Marxisten (b), letzteres für Kartenbilder, die eine dezidiert national- bzw. globalgeschichtliche Perspektive einnehmen (c bzw. d). (a) Charakteristisch für den Typus der nationalsozialistischen Völkerwanderungskarte war das Bestreben, die frühmittelalterlichen Migrationen mit Hilfe der Kategorien Gewinn bzw. Verlust von Siedlungsraum zu deuten. Die konkreten Interpretationen des historischen Geschehens und ihre kartographischen Umsetzungen blieben dabei aber so divergent, dass von einer ‚Gleichschaltung‘ der Völkerwanderungskarte nicht die Rede sein kann: Für den Lauenburger Studiendirektor Braun und seinen Kartographen Ziegfeld, der seit 1921 Mitglied der NSDAP war und später im Propagandaministerium unter Goebbels arbeitete, begründete die Expansion der Franken „germanischen Großgrundbesitz in Frankreich“, während es den gemeinsam angreifenden Polen, Wenden, Sorben, Tschechen und Avaren nicht gelang, die „Deutsche Restsiedlung im Osten“ zu beenden, so dass unterm Strich eindeutig ein Gebietsge-
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
51
winn zu verzeichnen war.67 In den ‚24 Karten zur Rassen- und Raumgeschichte des deutschen Volkes‘, die Johann Ulrich Folkers, Professor an der Hochschule für Lehrerbildung in Rostock, 1937 publizierte, stellte sich die Angelegenheit ganz anders dar. Hier standen den eher schmalen Zuwächsen im Westen ganz erhebliche Verluste im Osten gegenüber (Abb. 11).68 Zwei Jahre später führte Karl Richard Ganzer in seinem Kartenwerk ‚Das Werden des Reiches‘ vor, wie die Germanen in der Völkerwanderungszeit ihren Siedlungsraum über fast ganz Europa ausdehnten, wobei sie die zwischen Donau und Dnjepr gelegenen Gebiete zunächst „erwandert“, dann aber wieder geräumt hätten.69 Von derlei Einschränkungen war in einem 1940 von Ernst Nickel für Zweitklässler konzipierten Schulgeschichtsbuch nichts mehr zu sehen. Wohl durch die erfolgreichen Blitzkriege der Gegenwart inspiriert, trug die Kartenfolge zur Völkerwanderung hier den Titel „Die Germanen erobern Europa“ und zeigte eine Art Tintenfleck, der sich von Jütland und Südskandinavien ausgehend sukzessive über den gesamten Kontinent ausbreitete (Abb. 12).70 Ganz neue Akzente setzte schließlich Bernhard Kumsteller in seinem ‚Geschichtsatlas auf völkischer Grundlage‘ von 1938. Bei ihm rückten die „Wanderfahrten der Sachsen“ in den Mittelpunkt der Darstellung. Die Kanal- und Atlantikküste wurde zu einem kilometerlangen „Sachsengestade“ stilisiert, und in einem beigegebenen Schaubild waren auch die neuzeitlichen Migrationen der Sachsen, z. B. nach Afrika, akribisch verzeichnet.71 Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass diese Umschreibung der Völkerwanderungsgeschichte durch den allgemeinen Sachsenkult motiviert war, der in jenen Jahren z. B. von Himmlers ‚Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe‘ eifrig befördert wurde.72
67 Vgl. oben Anm. 35. 68 DE–27, K. 4. Zu Folkerts siehe Hans-Christian Harten / Uwe Neirich / Matthias Schwerend, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. (Edition Bildung und Wissenschaft, Bd. 10.) Berlin 2006, 80 f.; 374 f. 69 DE–31, 9. 70 Ernst Nickel, Arier und Germanen. (Volk und Führer. Deutsche Geschichte für die Schule. Ausgabe für die Mittelschulen, Klasse 2.) Frankfurt am Main 1940, 119. Herausgeber dieser Schulbuchreihe war der Braunschweigische Ministerpräsident Dietrich Klagges, der wohl als der nationalsozialistische Geschichtsdidaktiker par excellence gelten kann. Zu diesem siehe Christopher Schwarz, „Objektiv ist, wer deutsch ist“ – Dietrich Klagges „Geschichte als nationalpolitische Erziehung“, in: Wolfgang Hasberg / Manfred Seidenfuß (Hrsg.), Geschichtsdidaktik(er) im Griff des Nationalsozialismus? (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 2.) Münster 2005, 145–161. 71 DE–30, 12. 72 Siehe neuerdings etwa Roland Linde, Externsteine, Verden und Enger. Der völkische Sachsenkult in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Christoph Stiegemann / Martin Kroker / Wolf-
52
Tillmann Lohse
Das „Sachsengestade“ wurde aber keineswegs durch die SS erfunden, sondern bereits 1923 / 1928 von Mario Baratta und Plinio Fraccaro in die Völkerwanderungskarte implementiert.73 Kam das litus Saxonicum bei den beiden italienischen Kartographen freilich noch als eine allenfalls am Rande interessierende ‚geographische‘ Bezeichnung der frühmittelalterlichen Zeitgenossen74 daher, wurde es bei Kumsteller optisch enorm aufgewertet und in das Gesamtkunstwerk einer „Suggestivkarte“75 integriert (Abb. 13). (b) Kennzeichnend für den marxistischen Typus der Völkerwanderungskarte war der Anspruch, neben den Invasionen der Barbaren auch die Aufstände im Inneren des römischen Imperiums zu kartieren. Die bereits angesprochene, 1953 vom Verlag ‚Volk und Wissen‘ verbreitete Karte stellte zwar ein ziemlich frühes Exemplar dieser Inszenierung dar, war aber nicht das älteste seiner Art. Bereits 1951 publizierten Evgenij Alekseevič Kosminskij und Anatolij Levandovskij von der Moskauer Akademie der Wissenschaften in ihrem ‚Atlas istorii srednich vekov‘ zwei Karten, in denen die frühmittelalterlichen Migrationen gemeinsam mit den zeitgleichen Aufständen der Sklaven und Kolonen verzeichnet wurden.76 Die eine Karte implementierte die Revolten kurzerhand in eine Völkerwanderungskarte klassischen Zuschnitts; die andere führte in einer geradezu universalhistorisch anmutenden Perspektive vor Augen, dass nicht nur das römische Imperium, sondern auch andere Großreiche im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. mit Eindringlingen von außen und Erhebungen im Inneren zu kämpfen hatten (Abb. 14). Obwohl die universalhistorisch angelegte Karte die marxistische Geschichtsphilosophie präziser auf den Punkt brachte, hat nur die eurozentrische Fassung Nachahmer in den sozialistischen Bruderstaaten gefunden; zuerst in der DDR, in den 1960er und 1970er Jahren dann aber auch in Albanien, Bulgarien, Rumänien
gang Walter (Hrsg.), Credo – Christianisierung Europas im Mittelalter, Bd. 1. Petersberg 2013, 475–482. 73 Vgl. IT–03. Unveränderte Nachdrucke bis in die 1970er Jahre. Vgl. IT–03.2. 74 Einziger Beleg ist ein römisches ‚Würdenträgerverzeichnis‘ aus dem frühen 5. Jahrhundert, die sog. ‚Notitia dignitatum‘. Zur Sache siehe Martin Eggers, Art. Litus Saxonicum, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 18. Berlin / New York 2001, 522–525. 75 Programmatisch hierzu z. B. Arnold Hillen Ziegfeld, Kartengestaltung – ein Sport oder eine Waffe?, in: Zeitschrift für Geopolitik 12, 1935, 243–247. Vgl. auch Herb, Map of Germany (wie Anm. 35). – Ungeklärt ist die Frage, inwieweit die nationalsozialistischen Völkerwanderungskarten Darstellungsstrategien zeitgenössischer Militärkarten aufgriffen. Zu letzteren siehe Martin Warnke, Raumgreifende Graphik, in: Cornelia Jöchner (Hrsg.), Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte. Studien, Theorien, Quellen, Bd. 2.) Berlin 2003, 91–107. 76 Vgl. RU–06, K. 1 f. Siehe auch RU–08, 3.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
53
und der ČSSR.77 Den größten Ehrgeiz, die marxistische Völkerwanderungskarte zu perfektionieren, entwickelte man zweifellos in Ost-Berlin, wo kurz vor der Wende von 1989 / 1990 auch die letzte Karte dieser Art gedruckt wurde, und zwar in einer hochkomplexen Version, die rund anderthalb Jahrzehnte zuvor durch die dort ansässige ‚Deutsche Akademie der Wissenschaften‘ erarbeitet worden war.78 Von der genialen didaktischen Reduktion, die den Erfolg der Las CasesKarte einst begründet hatte, blieb hier nichts mehr übrig. Die Decodierung des mit Informationen völlig überfrachteten Kartenbild verlangte selbst von einem studierten Historiker volle Konzentration (Abb. 15). In Polen, Ungarn und Jugoslawien trat die marxistische Völkerwanderungskarte dagegen nie in Erscheinung.79 Das gilt auch für Westeuropa, allerdings mit einer Ausnahme. Die Neubearbeitung des ‚Atlas zur allgemeinen und Österreichischen Geschichte‘ aus dem Jahr 1982 zeigt eine Kartenskizze mit dem Titel „Europa um 370 n. Chr.“.80 Auf ihr sind außer den im direkten Anmarsch auf die Reichsgrenze befindlichen Germanen auch jene Gebiete mit schwarzen Punkten hervorgehoben, in denen es „Unruhen der Land- und Bergbaubevölkerung“ gab (Abb. 16). Schwarze Punkte statt roten, ‚Unruhen‘ statt ‚Revolten‘ – die gegenüber den Ostblock-Karten stark abgemilderte (Bild-)Sprache lässt keinen Zweifel daran, dass Marx hier nur mehr von Ferne winkte, weshalb man vielleicht von einer ‚sozialdemokratischen Völkerwanderungskarte‘ sprechen könnte. (c) Deutlich älter und wesentlich zählebiger als die nationalsozialistischen und marxistischen sind die nationalgeschichtlich fokussierten Variationen der Völkerwanderungskarte. Anstelle eines ‚vollständigen‘ Tableaus frühmittelalterlicher Migrationen präsentieren diese nur einen räumlich begrenzten und nicht ganz zufällig mit dem Territorium eines modernen Staates zusammenfallenden Ausschnitt aus der üblichen Ansammlung von Pfeilen. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dieser Typus seit jeher in Großbritannien.81 Dabei spielen wohl zwei Motive eine Rolle: zum einen, dass die von Beda
77 Vgl. AL–01, 2; BG–01, 5 f.; BG–02, 12; BG–03, K. 29; BG–04, 12; BG–05, 4; CZ–02, 10; RO–02, K. 29; SK–01.7, 10, K. A. 78 Vgl. DE–45, 18; DE–45.4, 18. In anderen Staaten des Warschauer Paktes hielt man hingegen sehr viel kürzer an dem marxistischen Kartenbild fest. In Albanien und der ČSSR erschienen bereits in den 1970er Jahren wieder ‚klassische‘ Völkerwanderungskarten. Vgl. AL–02, K. 1; CZ–03, 25. 79 Vgl. PL–02, K. 3; PL–03, 2, K. 3; HU–03, 5; HU–04, 5; HR–01, 8; HR–02.4, 8, HR–03, 8; RS– 02.3, K. 2. 80 Vgl. AT–07, 22 (oben). 81 Beispiele aus meinem Quellencorpus: GB–10; GB–10.2; GB–10.3; GB–10.4; GB–14; GB–22. –
54
Tillmann Lohse
Venerabilis in der ‚Historia ecclesiastica gentis Anglorum‘ relativ knapp und nüchtern geschilderte Ankunft der Angeln, Sachsen und Jüten von späteren Generationen bekanntlich zu einem veritablen Ursprungsmythos aufgeblasen wurde,82 der auf diese Weise jenseits aller heroischen Eroberungs- und Verteidigungskämpfe als nüchternes Faktum ins Bild gebannt werden kann; zum anderen, dass durch das Ausblenden der vergleichsweise komplizierten Verhältnisse auf dem Kontinent eine didaktische Reduktion ermöglicht wird, mittels derer sich die Völkerwanderungskarte sogar bereits Primarschülern vorlegen lässt (Abb. 8).83 Das zweite Argument kann in gewisser Weise auch für die Iberische Halbinsel geltend gemacht werden, wo nationalgeschichtlich fokussierte Versionen der Völkerwanderungskarte ebenfalls auf eine lange Tradition zurückblicken können (Abb. 17).84 Die Tendenz zur selektiven Wiedergabe der Völkerwanderungskarte begegnet indes nicht nur in denjenigen Landstrichen, in denen die frühmittelalterlichen Migranten ihre mehr oder weniger langlebigen Herrschaften errichten konnten, sondern auch in solchen Gebieten, die sie (jedenfalls in unserer ex post-Perspektive) lediglich auf der ‚Durchreise‘ passierten; nämlich in Rumänien, Moldawien, Bulgarien, Österreich, der Schweiz, der Ukraine oder auch in Russland.85 Gerade die sowjetische Detailkarte von 1949 erweist sich dabei als besonders interessant, weil sie nicht nur einen Ausschnitt aus dem üblichen Panorama bietet, sondern die Perspektive so weit nach Osten verschiebt, dass Konstantinopel zwar links
‚Britische‘ Völkerwanderungskarten begegnen auch außerhalb von Großbritannien. Vgl. etwa IT–12, 81. – Ein bemerkenswerter Sonderfall der ‚britischen‘ Völkerwanderungskarte findet sich bei Roger Hervé / Yann Poupinot, Atlas historique de Bretagne. Rennes 1986, Bl. 5: In einem von Südnorwegen bis Nordspanien reichenden Kartenausschnitt sind hier verzeichnet „invasions Germaniques & migrations Celtiques“. In neueren bretonischen Atlanten ist diese Inszenierung aber nicht aufgegriffen worden. Vgl. Bernard Tanguy / Michel Lagrée / Roland Neveu, Atlas d’histoire de Bretagne. Morlaix 2002; Philippe Jouët / Kilian Delorme, Atlas historique des pays et terroirs de Bretagne. Histoire, ethnographie et linguistique. Morlaix [2007]. 82 Vgl. etwa John Moreland, Ethnicity, Power and the English, in: William O. Frazer / Andrew Tyrell (Hrsg.), Social Identity in Early Medieval Britain. London / New York 2000, 23–51. 83 Vgl. etwa Susan Ault / Bernhard Workman, Invading Britain. (Time remembered, Bd. 2.) Oxford 1971, 34 f. 84 Vgl. ES–02, K. 2; ES–03, K. 15; ES–07.3, 39, K. 19; ES–07.6, K. 22; ES–11.4, 52; ES–13, 73; ES–14.2, 65 (nur Katalanien!); ES–15, 62; ES–17, 129. Für Portugal ist lediglich auf PT–3.2, 15, K. 13, zu verweisen. Peninsulare Völkerwanderungskarten sind auch für Italien entworfen worden, ohne sich dort allerdings durchsetzen zu können. Siehe IT–06, Taf. 2, 3, 5 u. 6. 85 Vgl. AT–08, 17; AT–08.6, 18; BG–03, K. 27; BG–05, 4; BG–08, 6; CH–04, 9; MD–01.2, 22; RO– 01, K. 3; RO–02, K. 27; RO–03, K. 3; RO–04, K. 10; RO–06, 19, K. 22; RO–07, K. 10; RU–05, 4, K. 4; UA–01, 2.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
55
unten in der Ecke noch zu erkennen ist, Rom und ganz Westeuropa aber gänzlich außerhalb des Blickfelds liegen (Abb. 18).86 Der inhaltliche Schwerpunkt der nationalgeschichtlich perspektivierten Völkerwanderungskarten liegt also entweder auf der Immigration oder auf der Permigration bestimmter Ethnien in oder durch das Siedlungsgebiet der modernen Atlasnutzer. Lediglich eine polnische Karte aus dem Jahr 1967 konzentrierte sich voll und ganz auf eine Emigration, und zwar den – im Kartenbild geradezu ziellos wirkenden – Aufbruch der Goten / Gepiden von Weichselmündung Richtung Südosten (Abb. 17).87 (d) Hervorstechendes Merkmal der globalgeschichtlichen Völkerwanderungskarten ist, dass sie nicht bloß den europäischen Kontinent abbilden, sondern den gesamten trikontinentalen Kommunikationsraum des Mittelalters in den Blick nehmen, also auch weite Teile Asiens und Nordafrika einschließen. Wie ein Blick in den ‚Historischen Schulatlas‘ des kartographischen Autodidakten Friedrich Wilhelm Benicken beweist, ist eine solche Karte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt worden.88 Die globalgeschichtliche ist damit von den vier substantiellen Variationen der Völkerwanderungskarte wohl die älteste – und hat bislang doch nie größere Verbreitung gefunden.89 Nach jahrzehntelanger Abstinenz wurde der von Benicken erarbeitete Darstellungsmodus nämlich erst 1978 in einer unter den Auspizien von Geoffrey Barraclough entworfenen Karte für den ‚Times World Atlas‘ wieder aufgegriffen (Abb. 19).90 Durch internationale Lizensierung fand diese Karte in der Folgezeit zwar ihren Weg nach Deutschland, Frankreich, Ungarn, Italien, Spanien, Portugal, Jugoslawien sowie in die Niederlande und die Schweiz, dort aber zunächst keine Nachahmer.91 Erst in den 1990er
86 Die Karte ist zwar knapp zehn Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung beinahe unverändert nachgedruckt worden (mit farblicher Hervorhebung der ‚Kaukasus-Völker‘), wirkte aber trotzdem nicht traditionsbildend. In neueren Geschichtsatlanten aus Russland endet die Völkerwanderungskarte im Osten wieder am Dnjepr und nicht irgendwo in der zentralasiatischen Steppe. Vgl. RU–09, 8 f. (mit starker Betonung der Slaven); RU–10, 20. 87 Vgl. PL–03, 2, K. 3. 88 Vgl. DE–01, K. 4. 89 Symptomatisch hierfür ist auch die geringe Verbreitung der marxistischen Völkerwanderungskarte mit globalhistorischer Perspektivierung, auf die bereits hingewiesen wurde. Siehe oben nach Anm. 76. 90 Vgl. GB–11, 98 f. Siehe auch GB–11.2, 94 f. u. GB–12, 32 f. (jeweils mit Relief der Erdoberfläche). 91 Gesehen habe ich bloß: DE–48, 94 f.; FR–18, 94 f.; HU–06, 94 f. Bibliographisch nachgewiesen finde ich – abgesehen von amerikanischen und chinesischen Ausgaben – zudem: Geoffrey Barraclough, Times grosser historischer Weltatlas. Zürich: Ex libris 1980; Ders., Il grande atlante storico Mondadori-Times. Milano: Mondadori 1980; Ders., Spectrum-Times atlas van de wereld-
56
Tillmann Lohse
Jahren sind durch Geoffrey Parker, Marco Drago und Andrea Boroli wieder globalhistorische Völkerwanderungskarten entworfen worden.92 Bei ihnen rücken die Migrationen nomadischer Steppenvölker dermaßen in den Mittelpunkt der Darstellung, dass die klassischen Protagonisten der Völkerwanderung bloß noch eine Nebenrolle zu spielen scheinen. Eine etwas jüngere Karte von Pierre Vidal-Naquet verstärkt diese Akzentuierung sogar noch dadurch, dass sie auch die Expansionen der Sassaniden, Tibeter und Tang-Chinesen verzeichnet und in Europa nur mehr die Vandalen wandern lässt.93
4 Von der Karte in den Kopf und wieder heraus: Die Völkerwanderungskarte jenseits des Geschichtsunterrichts Die vorausgegangenen statistischen und typologischen Analysen haben im internationalen Vergleich aufgezeigt, wann und wie die Völkerwanderungskarte ihren Weg in die Köpfe der europäischen Schülerinnen und Schüler fand – oder, wie man vielleicht präziser formulieren muss: finden sollte. Allen Unterrichtsmedien haftet schließlich immer etwas Normatives an. Was lässt sich denn schon anhand eines Kartenbilds über dessen tatsächliche Verwendung im Unterricht sagen? Oder gar über die Auswirkungen auf die kognitiven Schemata der jeweiligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer? Noch dazu, wenn das Ganze viele Jahrzehnte zurück liegt? Wer Antworten auf diese Fragen finden will, muss systematisch nach Emanationen der Völkerwanderungskarte außerhalb des Geschichtsunterrichts suchen, und darf sich doch nicht wundern, wenn dort, wo er fündig wird, in der Regel Erinnerungen an die eigene Schulbank heraufbeschworen werden. Zwei humoristische Beispiele mögen diesen Sachverhalt ein wenig konkretisieren. Unter den vielen Streichen, die Heinz Rühmann als „Pfeiffer mit drei F“ in dem Film ‚Die Feuerzangenbowle‘ von 1944 anstellt, ist bekanntlich auch einer, bei dem die schulisch angeleitete Internalisierung der Völkerwanderungskarte in
geschiedenis. Utrecht: Het Spectrum 1981; Ders., El Mundo. Gran atlas de historia. Barcelona: Ebrisa 1985; Ders., Atlas svjetske povijesti. 5. Aufl. Ljubljana / Zagreb: Cankarjeva založba 1989; Ders., Atlas da história mundial. [Lisbon]: Editorial Enciclopédia 1992. 92 Vgl. GB–15.5, 40 f.; IT–09, 18 (ebd., 17, auch eine annähernd klassische Völkerwanderungskarte, bei der der Akzent allerdings eindeutig auf dem Übertreten der Reichsgrenze liegt). 93 Vgl. IT–12, 82.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
57
den Wissensspeicher des historischen Bildwissens auf die Schippe genommen wird.94 Eines Tages, während Pfeiffer sich in seinem neuen Pennäler-Umfeld erst noch einleben muss, fordert der Geschichtslehrer Dr. Brenn nämlich den Schüler Knebel auf, die Wanderung der Goten zu repetieren. Weil sein Bankgenosse offenkundig unvorbereitet ist, leistet Pfeiffer mit seinem Taschenspiegel auf der im Hintergrund drapierten, die ‚zeitgenössische‘ Staatenlandschaft Europas darstellenden Wandkarte zunächst erfolgreich Schützenhilfe, wird aber von Brenn letztlich doch enttarnt, der so seinen Ruf, ein ganz harter Knochen zu sein, einmal mehr unter Beweis stellen kann (Abb. 20). Das Sujet für diese Parodie schulischer Geschichtsvermittlung war, so darf man unterstellen, keineswegs zufällig gewählt, sondern genau kalkuliert, insofern es bei den Zuschauern typische Erinnerungen an ihren eigenen Geschichtsunterricht wecken sollte. Angesichts der historisierenden Inszenierung, die die Handlung in die ‚gute alte‘ Kaiserzeit versetzt, gerät indes leicht in Vergessenheit, dass die Erinnerung an die Qual des einstigen Auswendiglernens bei den ursprünglich avisierten Zuschauern – je nach Geburtsjahrgang – ganz verschiedene Assoziationen hervorrufen musste. So mochte etwa der 1902 in Essen geborene Rühmann bei den Dreharbeiten die schlichte Karte von Eduard Rothert vor Augen gehabt haben (Abb. 4), während von den jugendlichen Komparsen, die im Film Pfeiffers Schulkameraden mimten, der eine oder andere vielleicht mit Schrecken an die nationalsozialistische Propaganda-Wandkarte „Aufbruch der Germanen“ von 1941 (?) denken musste (Abb. 21).95 In meinem zweiten Beispiel geht es ebenfalls um die Goten, deren Invasion in das – unter römischer Herrschaft stehende – Gallien die Rahmenhandlung für
94 Vgl. Heinrich Spoerl (Drehbuch) / Helmut Weiss (Regie), Die Feuerzangenbowle. Deutschland 1944. Nützliche Hintergrundinformationen bietet Oliver Ohmann, Heinz Rühmann und ‚Die Feuerzangenbowle‘. Die Geschichte eines Filmklassikers. Leipzig 2010. – Weniger bekannt ist wohl, dass sich Pfeiffers Taschenspiegel-Streich weder in der Romanvorlage, noch in der recht freien Erstverfilmung des Stoffes findet, sondern in der bis heute so bekannten Spielfilmfassung erstmals vorkommt. Vgl. Heinrich Spoerl, Die Feuerzangenbowle. Düsseldorf 1933; Hans Reimann (Drehbuch) / Robert A. Stemmle (Regie), So ein Flegel. Deutschland 1934. – In der Neuverfilmung von Helmut Käutner (Drehbuch und Regie) aus dem Jahre 1970 wurde die Szene dann nur geringfügig variiert. Die Goten wandern hier nicht mehr von Schweden über die Gegend um Danzig nach Russland, sondern von Schweden über Westpreußen und Polen nach Schlesien. Die Karte, über die Pfeiffers Lichtkegel streift, zeigt durch Schraffur hervorgehoben die Gebietsgewinne des Deutschen Reiches am Ende der Einigungskriege 1871. 95 Aus: Hermann Haack / Heinrich Hertzberg, Großer historischer Wandatlas. Karten zur Staatengeschichte von Deutschland. Gotha [1941]. Vgl. auch die Wandkarte ‚Der Werdegang des Deutschen Volkes‘ von Max Georg Schmidt (Hermann Haack. Physikalischer Wandatlas, Abt. 7: Rassen, Völker, Staaten. Gotha 1936, Faksimile-Reproduktion Bremen 1990).
58
Tillmann Lohse
den 1963 von René Goscinny und Albert Uderzo publizierten Comic „Astérix et les Goths“ abgibt.96 Um den drohenden Einmarsch der Goten für möglichst lange Zeit zu unterbinden, heckt der Druide Miraculix folgenden Plan aus: Nachdem er mittels seines Zaubertranks verschiedenen Goten übermenschliche Kräfte verliehen hat, sollen diese jeweils eigene Armeen von Goten hinter sich scharen, die sich dann unentwegt gegenseitig bekämpfen, so dass die Gallier jahrhundertelang in Frieden leben können. Als ‚Beleg‘ für das Gelingen dieses Plans präsentieren Goscinny und Uderzo ihren Lesern die kleine, etwas holprig zwischen die eigentlichen Comicstrips montierte Karte „Les Guerres Astérixiennes“, die mit ihren wild durcheinanderlaufenden Pfeilen eindeutig eine Persiflage der Völkerwanderungskarte darstellt (Abb. 20). Der humoristische Rekurs auf den Erinnerungsort Völkerwanderungskarte hat dabei offenkundig eine andere Stoßrichtung als bei der ‚Feuerzangenbowle‘. Wurde in dem UFA-Film von 1944 vor allem das stupide Auswendiglernen der Marschrouten ins Lächerliche gezogen, karikierten die beiden Franzosen vor allem die vermeintliche Strukturierungsleistung einer Gemengelage von Pfeilen, indem sie ihre denkbar unübersichtliche Darstellung mit der Erläuterung versahen: „Cette carte vous permettra de bien suivre le déroulement des opérations.“97
5 Die Kritik an der Völkerwanderungskarte Ein lebendiger Erinnerungsort ist nicht allein dadurch gekennzeichnet, dass die auf ihn projizierten Erinnerungen ganz unterschiedliche Formen annehmen und divergierende, ja konkurrierende, Sinngebungen beinhalten können, sondern auch dadurch, dass es bestimmte Gruppen gibt, die sich ihm und seinen Identifikationsangeboten zu entziehen suchen. Das gilt auch für den Erinnerungsort Völkerwanderungskarte, der im Laufe seiner Geschichte nicht nur von Humoristen durch den Kakao gezogen wurde, sondern schon seit langem der Kritik einer (zugegebenermaßen recht kleinen) Gruppe von Fachwissenschaftlern ausgesetzt ist. In der Vorrede zu seinem ‚Historisch-geographische[n] Schul-Atlas des Gesamtstaates Österreich‘ von 1860 rechtfertigte sich etwa Karl von Spruner für die Entscheidung, dem Betrachter keinen Routenplan der barbarischen Wanderungswege anzubieten, mit den Worten: „Dem Verlangen, die Zeit der Völkerwan-
96 Vgl. René Goscinny / Albert Uderzo, Astérix et les Goths. Neuilly-sur-Seine 1963. 97 Ebd., 45.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
59
derung kartographisch darzustellen, ist, ohne Verwirrung hervorzuwerfen [!], wohl nie zu genügen. Man kann aber immer nur einen Moment wählen, denn wer könnte die Bewegung zeichnen?“ Er zeige das denkwürdige Ereignis auf zwei Blättern in seinem Beginn und seinem Ende, „weil die Bewegung an sich nicht darstellbar ist, ohne eine verschwommene und stümperhafte Abbildung zu geben“.98 Derartige Vorbehalte gegen dynamische Geschichtskarten sollten unter Kartographen noch lange Zeit gepflegt werden, wobei sich diese Einstellung weniger an expliziten methodologischen Reflexionen à la Spruner als an den kartographischen Produkten selbst ablesen lässt. In Deutschland blieben statische Karten zu den Reichsbildungen der Germanen jedenfalls bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ernst zu nehmender Konkurrent der Völkerwanderungskarte; andernorts sogar noch länger.99 Umso auffälliger ist es, dass der Schweizer Althistoriker Gerold Walser rund hundert Jahre nach Spruner seine Kritik an der Völkerwanderungskarte mit einer geradezu entgegengesetzten Argumentation formulierte: „Es ist einfach, Völker auf dem Papier wandern zu lassen!“, ächzte er. Dabei sei doch die Zuversicht, mit welcher die frühere Forschung archäologische Funde und sprachliche Zeugnisse zur Rekonstruktion von Wanderungen und Ursitzen der barbarischen Stämme herangezogen habe, mittlerweile längst verschwunden. Allein, die meisten der historischen Atlanten hätten sich zu einer solchen Zurückhaltung noch nicht aufraffen können, sondern zeichneten auch weiterhin mit großzügigen Linien Stammesgeschichte kreuz und quer durch ganz Asien und Europa und verleiteten so zum Rückfall in die romantische Vorstellung, die Stämme wären als unwandelbare Einheiten durch den eurasischen Raum gezogen, wobei die stärkeren unter ihnen die schwächeren gleichsam nach physikalischen Gesetzen vor sich hergeschoben hätten, bis der letzte Geschobene auf die römische Reichsgrenze stieß.100
98 AT–02, 2. Weniger prononciert argumentierte Spruner noch 1837 in der Vorrede zur ersten Lieferung seines Historisch-geographischen Handatlas. Vgl. Goffart, Preliminary report (wie Anm. 5), 61 f. 99 Belege aus dem 20. Jahrhundert: BE–03, 30, K. 12; CH–02, K. 2.1; FR–09, T. 1, K. 30; FR–10, 20; FR–11, 21; GB–05, K. 2; GB–08, 12 f.; HU–01.5, K. 6; NL–03.15, K. 20; RS–01, 8 f.; RU–04, K. 6. Zu Deutschland siehe oben, Anm. 20, sowie einige späte Belege aus den Anfangsjahren der BRD: DE–08.70, 46 f.; DE–33, 44; DE–37, 10. 100 Gerold Walser, Zu den Ursachen der Reichskrise im dritten nachchristlichen Jahrhundert, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 18 / 19, 1960 / 1961, 142–161, hier 151 f. – Im Anschluss an Walser hat zuletzt auch Goffart seine Kritik an den Völkerwanderungskarten formuliert. Er beklagte, die Gleichartigkeit der Pfeile suggeriere auch einen gleichartigen Modus der Bevölkerungsverschiebungen. Davon könne aber mitnichten die Rede sein. Stattdessen müsse unbedingt zwischen kriegerischen Eroberungen (etwa der Langobarden) und friedlichen Ansiedlungen (etwa der Burgunder) unterschieden werden. Im Übrigen könnten auch die einzelnen
60
Tillmann Lohse
Die aktuelle migrationshistorische Forschung zu den frühmittelalterlichen Einwanderungen ins römische Imperium hat die von Walser und anderen bereits vor Jahrzehnten artikulierte Absage an die Essentialisierung der barbarischen Stämme oder Völker sogar noch weiter radikalisiert. So konnte neuerdings etwa der Nachweis geführt werden, dass die berühmte langobardische „Wanderlawine“ des Jahres 568 in eine langwierige Kettenmigration äußerst heterogener Kleingruppen zerfällt.101 Statt nach dem Vorgang der Ethnogenese fragt man dementsprechend verstärkt nach den Modi transkultureller Verflechtung;102 bislang jedoch ohne in diesem Zusammenhang auf die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der traditionellen Völkerwanderungskarte hinzuweisen. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass für eine Karte, die die kulturellen Effekte der frühmittelalterlichen Migrationsprozesse (Hybridisierung, Segregation usw.) ins Zentrum rückte, erst eine ganz neue Bildsprache entwickelt werden müsste. Einem bloßen Batikmuster dürfte jedenfalls niemals ein ähnlicher Erfolg beschieden sein, wie er der Völkerwanderungskarte des comte de Las Cases bis heute vergönnt ist. Doch selbst wenn es gelingen sollte, eine solche Bildsprache zu realisieren,103 dürfte eine dem Stand der Forschung adäquate Karte der migrationsinduzierten Verflechtungsprozesse des 4. und 5. nachchristlichen Jahrhunderts die etablierten ‚Völkerpfeile‘ wohl kaum aus dem kollektiven Gedächtnis der Europäer verdrängen. Ihr fehlte einfach die komplexitätsreduzierende Kraft der Teleologie,
‚Etappen‘ einer vermeintlich homogenen und kontinuierlichen Wanderung ganz unterschiedlichen Charakter gehabt haben, der durch die vereinheitlichende Darstellungsstrategie der Völkerwanderungskarte unzulässigerweise nivelliert werde. So sei etwa der Marsch der Vandalen entlang der nordafrikanischen Mittelmeerküste eine „real migration“ gewesen, da er zu einer langfristigen Ansiedlung der Vandalen in der Gegend um Karthago führte. Bei den maritimen Expeditionen der Folgezeit habe es sich hingegen bloß um kurzfristige Raubzüge gehandelt, ohne jede Intentionen zu einem dauerhaften Wohnsitzwechsel. Die vielköpfige Hydra, in die sich die einmal über den ganzen Kontinent führenden Route der Vandalen in zahlreichen Völkerwanderungskarten am Ende auffächert, verwische diese Unterschiede nicht bloß, sondern verfälsche durch ihren immensen optischen Effekt auch die historische Bedeutung der einzelnen Kampagnen. Vgl. Goffart, What’s wrong? (wie Anm. 5). 101 Vgl. Michael Borgolte, Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiographischer Zeugnisse der Migrationsperiode, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61, 2013, 293–310, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 475–492. 102 Programmatisch: Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 101), 425–444. 103 Etwa unter Einsatz der EDV, die ja ganz neue Dynamisierungen von Kartenbildern zulässt.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
61
der bis in die jüngste Gegenwart hinein auch renommierte fachwissenschaftliche Publikationen erliegen.104
6 Fazit Wenn die Völkerwanderungskarte in den Geschichtsbüchern und -atlanten unseres Kontinents, aber auch in den Köpfen seiner Bewohnerinnen und Bewohner mittlerweile so ausnehmend heimisch geworden ist, dann hat das – neben dem internationalen Engagement einzelner Verlagsanstalten und dem allgemeinen Hang von Unterrichtsmedien zur Kanonisierung der einmal für wichtig und richtig erachteten Wissensbestände – vor allem zwei Gründe: zum einen das gleichermaßen einfache wie ausdrucksstarke Design, das der französische comte de Las Cases seinerzeit entwickelt hat, zum anderen die große Erklärungskraft, die einer derartigen Kartierung der frühmittelalterlichen Migrationsprozesse allenthalben zugeschrieben wurde und – trotz aller Kritik – nach wie vor wird. Der Untergang des römischen Imperiums, der Epochenbruch zwischen Antike und Mittelalter oder Sklavenhaltergesellschaft und Feudalismus, aber auch die mythischen Anfänge der eigenen Nation – all das konnte und kann im Medium der Völkerwanderungskarte nicht nur begreifbar gemacht werden, sondern zugleich auch den Anschein einer geradezu naturgesetzlichen Alternativlosigkeit erhalten. Nichtsdestotrotz wurden Karten dieser Machart vielerorts erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem obligatorischen Bestandteil der Unterrichtsmedien; sei es, weil die traditionellen Vorbehalte der Kartographen gegen dynamische Karten zählebiger als in Deutschland waren, sei es, weil der alte Konkurrent der Völkerwanderungskarte, die mitunter sequentielle, aber im Grunde statische Kartierung der germanischen Reichsbildungen auf römischem Boden dem lange Zeit dominierenden territorialgeschichtlichen Blick auf die Vergangenheit stärker entgegenkam. Dass die Völkerwanderungskarte europaweit ihre größten Zuwachsraten just in jenen Jahren verzeichnen konnte, in denen die historische Forschung sich von dem essentialistischen Volksbegriff, der den über den Kontinent jagenden ‚Völkerpfeilen‘ des comte de Las Cases zugrunde liegt, peu à peu zu lösen begann, erscheint dabei fast wie eine Ironie der Geschichte.
104 Man vgl. nur Anne-Maria Wittke / Eckart Olshausen / Richard Szydlak, Historischer Atlas der antiken Welt. (Der Neue Pauly. Supplemente, Bd. 3.) Stuttgart 2007, 235 (freundlicher Hinweis von Dr. Sven Tost, Wien).
62
Tillmann Lohse
Der von allen Paradigmenwechseln der historischen Forschung unbeeindruckte Erfolg der Völkerwanderungskarten führte indes keineswegs zu einer europaweiten Vereinheitlichung des Kartenbildes. Die zum Teil frappierenden Unterschiede fangen schon bei den von Land zu Land ganz unterschiedlich akzentuierten Kartentiteln an,105 betreffen aber insbesondere die Auswahl und Linienführung der einzelnen ‚Völkerpfeile‘. Bei allen – nach wie vor anhaltenden – Divergenzen darf man freilich auch die Konvergenzen nicht übersehen. Täuscht mich mein Eindruck nicht, dann ist es im Laufe der letzten Jahrzehnte immer stärker Usus geworden, neben den wandernden auch die sesshaften Ethnien des frühen Mittelalters in die Völkerwanderungskarten zu integrieren: die Slawen, die Balten, die Finnen, die Basken, die Bretonen, die Skoten usw. Das auf diesem Wege entworfene Panorama einer europäischen Völkerfamilie, das die Ursprünge der europäischen ‚Einheit in der Vielfalt‘ kurzerhand ins frühe Mittelalter zurückprojiziert, ist aus wissenschaftlicher Sicht sicher nicht unproblematisch, für das Fortleben des Erinnerungsorts Völkerwanderungskarte im 21. Jahrhundert aber wohl nicht die schlechteste Voraussetzung.
105 Einige Beispiele mögen genügen: ES–05, K. 6: „Migraciones barbaras“; GB–17, 35: „Barbarian movements“; HR–02.4, 8: „Seoba naroda“; SE–03, 6: „Den stora folkvandringen“; NL–05.6, 15: „De Volksverhuizingen“; PT–01, K. 47: „Invasão dos barbaros“.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
63
7 Corpus der ausgewerteten Geschichtsatlanten AT AT–01 AT–02 AT–03.42 AT–03.48
AT–04
AT–05
AT–06.3 AT–07 AT–08 AT–08.6 AT–09
Österreich Constantin Desjardins, Geographisch-historischer Atlas von Europa (…) dem Unterrichte der Jugend und dem Selbststudium gewidmet. Wien: Selbstverlag 1838. Karl von Spruner, Historisch-geographischer Schul-Atlas des Gesamtstaates Österreich von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten. Gotha: Justus Perthes 1860. Karl Diwald / Alois Hinner, Putzger – Historischer Schul-Atlas. Mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. 5. [= 42.] Aufl. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1935. Egon Lendl / Wilhelm Wagner / Rudolf Klein, Putzger – Historischer Weltatlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte. 48. Aufl. Wien: Hölder-PichlerTempsky 1972. Emanuel Hannak / Friedrich Umlauft, Historischer Schulatlas in dreissig Karten zur Geschichte des Alterthums, des Mittelalters und der Neuzeit für Gymnasien, Realschulen und diesen verwandte Anstalten, Bd. 2: Mittelalter und Neuzeit. Wien: Alfred Hölder 1887. Friedrich Wilhelm Schubert / Wilhelm Schmidt, Historisch-geographischer Schul-Atlas der alten Welt, des Mittelalters und der Neuzeit. Ausgabe für Gymnasien. Wien: Hölzel [1899]. Wilhelm Schier, Atlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte. 3. Aufl. Wien: Hölder-Pichler-Temsky / Hölzel [1951]. Wilhelm Schier / Herbert Hasenmayer / Hans Krawarik et al., Atlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte. Wien: Hölzel 1982. Manfred Scheuch, Historischer Atlas Österreich. Wien: Brandstätter 1994. Manfred Scheuch, Historischer Atlas Österreich. 6., akt. Aufl. Wien: Brandstätter 2008. Ernst Bruckmüller, Friedrich Wilhelm Putzger. Historischer Weltatlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte. Wien: Öbv & hpt 2000.
AZ AZ–01
Aserbaidschan Yaqub Mahmudov et al., Azärbaycan tarixi atlasi. Bakı: Bakı kartoqrafiya fabriki 2007.
BA BA–01
Bosnien-Herzegowina Zijad Šehić / Ibrahim Tepić, Povijesni Atlas Bosne i Hercegovine. Bosna i Hercegovina na geografskim i historijskim kartama. Sarajevo: Sejtarija 2002.
BE BE–01 BE–02 BE–03
Belgien Émile Campo, Manuel-Atlas d’histoire nationale. Namur: Wesmael-Charlier 1895. Jules Roland, Atlas d’histoire des écoles moyennes. Namur: Wesmael-Charlier 1898. Joseph Halkin, Atlas d’histoire universelle avec tableaux-résumés. (Collection J. Roland e E. Duchesne.) Namur: Wesmael-Charlier 1935. Theo Luykx, Atlas culturel et historique de Belgique. Bruxelles et al.: Elsevier 1954. Franz Hayt, Atlas d’histoire universelle. Cours d’histoire à l’usage de l’Enseignement moyen. (Collection Roland.) Namur: Wesmael-Charlier [1970]. Franz Hayt, Atlas d’histoire. 27. Aufl. Bruxelles: DeBoeck-Wesmael 1994.
BE–04 BE–05 BE–05.27
64 BE–05.31 BE–06
BE–07 BE–07.3 BE–08.2
BE–09.2 BE–10
BG BG–01 BG–02 BG–03 BG–04 BG–05 BG–06 BG–07 BG–08
Tillmann Lohse Christian Patart, Hayt. Atlas d’histoire. 31., überarb. und akt. Aufl. Bruxelles: de boeck 2006. Franz Hayt / H. Haerens, Atlas der algemene geschiedenis (en der belgische geschiedenis). Leergang d. geschiedenis ten dienste van het middelbaar onderwijs. (Verzameling Roland.) Namen: Wesmael-Charlier [1974]. Léopold Genicot / Jean Georges / Alfred Bruneel, Atlas historique. Les grandes étapes de l’histoire du monde et de la Belgique. Bruxelles: Didier Hatier [ca. 1984]. Léopold Genicot / Jean Georges / Alfred Bruneel, Atlas historique. Les grandes étapes de l’histoire du monde et de la Belgique. 3. Aufl. Namur: Didier Hatier 2002. Vincent Maldague / Muriel Moens / Christian Patart et al., Nouvel Atlas d’histoire – Visions panoramiques de l’Europe et du monde. 2. Aufl. Bruxelles: de boeck 2003 [1. Aufl. 2002]. Xavier Adams, Historische Atlas. 2. Aufl. Wommelgem: Van In 2005 [1. Aufl. 2004]. Franz Hayt / Jos Grommen / Roger Janssen et al., Atlas van de algemene en Belgische geschiedenis. Wommelgem: Van In 2005. Bulgarien Dimitŭr Konśtantinov, Atlas po bŭlgarska istorija. Sofija: GUGK 1963. Atlas po stara i srednovekovna obšča istorija. Za peti i šesti klas. Sofija: GUGK 1969. Ştefan Pascu / Vasilica Neagu, Atlas istoric. Bucureşti: Ed. Didactică şi Pedagogică 1971. Ž. Bajkov / Ch. Botušarov et al., Atlas [na] stara i srednovekovna istorija za peti i sesti klas. Sofija: GUGK, Institut po Kartografija 1972. Atlas po istorija na Bǎlgarija. Za srednite učilišča. Sofija: Kartografija 1978. Aleksandăr Fol, Bălgarite atlas. Sofija: Tangra 2001. Andreev Krasimir, Atlas po istorie. 8 klas. Sofija: Kartografia EOOG 2006. Anatoli Prokopiev, Istorischeski Atlas sa 11–12 Klas. Sofija: Kartografia EOOG 2007.
BY BY–01 BY–02
Weißrussland L. P. Kazloŭ, Histaryčny atlas Belarusi. Minsk: Arty-Fėks 1999 [ND 2001]. Larysa Uladzimiraŭna Jazykovič / Henadzʹ Pjatrovič Paškoŭ, Atlas historyi Belarusi. Ad stražytnasci da našych dzën. (Ėncyklapedyja historyi Belarusi, Bd. 6.) Minsk: Belaruskaja Ėncyklapedyja 2004.
CH CH–01
Schweiz J. Gerster, La Suisse. Atlas politique, historique, geologique, hidrographique, commercial, industrial etc. La cartes colorites avec texts en regard. Neuchatel: Jules Sandoz 1871. Louis Poirier-Delay / Fritz Müllhaupt, Historischer Atlas der Schweiz. Mit erklärendem Text zum Gebrauch für Sekundarschulen und andere Lehranstalten. Bern: Boneff [ca. 1900]. Theodor Pestalozzi, F. W. Putzgers Historischer Schulatlas zur Welt- und Schweizer Geschichte. Aarau: Sauerländer 1924. Theodor Müller-Wolfer, F. W. Putzgers Historischer Schulatlas zur Welt- und Schweizer Geschichte. Aarau: Sauerländer 1938. Theodor Müller-Wolfer, Friedrich Wilhelm Putzger – Historischer Atlas zur Welt- und Schweizer Geschichte. 4. Aufl. Aarau / Lausanne: Sauerländer / Payot 1961. Hektor Ammann / Karl Schib, Historischer Atlas der Schweiz. Aarau: Sauerländer 1951.
CH–02
CH–03 CH–03.3 CH–03.4 CH–04
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
65
CH–05
Jörg Rentsch / Dominik Sauerländer, Putzger – Historischer Weltatlas (Schweizer Ausgabe). Berlin: Cornelsen 2004.
CZ CZ–01.3
Tschechien Konštantín Zelenský / Jozef Pilát, Školní atlas česko-slovenských dějin. 3. Aufl. Praha: U̇střední správa geodézie a kartografie 1965 [1. Aufl. 1959]. Jan Musilek, Školní atlas světových dějin. Praha: U̇střední správa geodézie a kartografie 1962. Vladimír Vokálek, Školní atlas světových dějin. 2. Aufl. Praha: U̇střední správa geodézie a kartografie 1965. Petr Cafourek, Školní atlas světových dějin. 4. Aufl. Praha: Kartografické Nakladatelství 1968. Petr Cafourek, Kapesnî atlas světových dějin, Bd. 1. Praha: Kartografie Praha 1977. Helena Mandelová / Dagmar Ježkova, Středověk. Dějepisné atlasy pro základní školy a víceletá gymnázia. Praha: Kartografie Praha 1997.
CZ–02 CZ–02.2 CZ–02.4 CZ–03 CZ–04
DE DE–01
Deutschland Friedrich Wilhelm Benicken, Historischer Schulatlas oder Uebersicht der allgemeinen Weltgeschichte. Weimar: Verlag des Landes-Industrie-Comptoirs 1820. DE–02 Alexander von Dusch, Historisch-genealogisch-geographischer Atlas von Le Sage Graf Las Cases in drei und dreisig Uebersichten. Aus dem Französischen der neuesten Ausgabe in’s Deutsche übertragen und mit zwei politisch geographischen Uebersichten vermehrt. Carlsruhe: Velten 1826–1831. DE–03 Rudolph Groß, Historischer Schul-Atlas in Neun Blättern. Stuttgart: Schweizerbart [1854]. DE–04 Karl von Spruner, Historisch-geographischer Schul-Atlas. Gotha: Perthes 1856. DE–05 Ferdinand Voigt, Historisch-geographischer Schul-Atlas der mittleren und neueren Zeit. Berlin: Nicolai’sche Buchhandlung 1856. DE–06 C. E. Rhode, Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neueren Geschichte. Nebst erläuterndem Text. Glogau: Flemming 1861. DE–06.12 C. E. Rhode, Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neueren Geschichte. 12. Aufl. Glogau: Flemming 1899. DE–07.2 Karl Keppel, Geschichts-Atlas für Mittelschulen. 2. Aufl. Hof: Buching [1878; 1. Aufl. 1868?]. DE–07.19 Karl Keppel, Geschichts-Atlas in 28 Karten. 19. Aufl. München et al.: Oldenburg [1912]. DE–08 Friedrich Wilhelm Putzger, Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neuen Geschichte in siebenundzwanzig Haupt- und achtundzwanzig Nebenkarten. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1877. DE–08.25 Alfred Baldamus / Ernst Schwabe, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neuen Geschichte in 234 Haupt- und Nebenkarten. 25., verm. und verb. Aufl. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1901. DE–08.30 Alfred Baldamus / Ernst Schwabe, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neuen Geschichte in 234 Haupt- und Nebenkarten. 30. Aufl. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1906. DE–08.44 Alfred Baldamus / Ernst Schwabe / Julius Koch, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas. Grosse Ausgabe. 44. verm. u. verb. Aufl. Bielefeld: Velhagen & Klasing 1923.
66
Tillmann Lohse
DE–08.70 Alfred Hansel, F. W. Putzger – Historischer Schulatlas von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart. Bielefeld et al.: Velhagen & Klasing 1957. DE–08.80 Alfred Hansel / Walter Leisering, F. W. Putzger – Historischer Weltatlas. 80. Aufl. Berlin / Bielefeld: Velhagen & Klasing 1961. DE–08.100 Walter Leisering, Putzger – Historischer Weltatlas. 100. Aufl. Bielefeld: Cornelsen / Velhagen & Klasing 1979. DE–08.102 Walter Leisering, Putzger – Historischer Weltatlas. 102. Aufl. Berlin: Cornelsen 1992. DE–08.103 Ernst Bruckmüller / Peter Claus Hartmann, Putzger – Historischer Weltatlas. 103. Aufl. Berlin: Cornelsen 2001. DE–09 Heinrich Kiepert / Carl Wolf, Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren neueren Geschichte. Berlin: Reimer [1879]. DE–10 Gustav Droysen, Allgemeiner historischer Handatlas in sechsundneunzig Karten. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1886. DE–11 Friedrich Wilhelm Putzger, Velhagen & Klasings Kleiner Geschichtsatlas in 17 Hauptund 23 Nebenkarten für den ersten Geschichtsunterricht. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1889. DE–11.5 Friedrich Wilhelm Putzger, Kleiner Geschichtsatlas für gehobene Volksschule. 5. Aufl. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1909. DE–12 Richard Schillmann / Paul Schillmann, Kleiner Historischer Schulatlas in Karten und Skizzen. Berlin: Nicolai 1894. DE–13 Eduard Rothert, Karten und Skizzen aus der Geschichte des Mittelalters. Zur raschen und sichern Einprägung. (Historisches Kartenwerk, Bd. 2.) Düsseldorf: Bagel 1896. DE–14 Alfred Schulz, Justus Perthesʼ Geschichts-Atlas. Taschen-Atlas zur mittleren und neueren Geschichte. Gotha: Perthes [1897]. DE–15 Eduard Rothert, 30 Karten zur deutschen Geschichte (kleine Ausgabe der „Karten und Skizzen“). Düsseldorf: Bagel [ca. 1898]. DE–16.2 Richard Senckpiehl, Schul-Atlas für den Unterricht in der Geschichte. 2., verb. Aufl. Leipzig: Dürr [1903; 1. Aufl. ca. 1900] DE–17.5 Friedrich Neubauer, Geschichts-Atlas zu dem Lehrbuch für höhere Lehranstalten. 5. Aufl. Halle (Saale): Waisenhaus 1907 [1. Aufl. vor 1905]. DE–17.20 Bernhard Seyfert, Kleiner Geschichts-Atlas. 20., durchges. und verm. Aufl. Halle (Saale): Buchhandlung des Waisenhauses 1930. DE–18 Emil Brockmann, Kleiner Geschichtsatlas. Münster (Westfalen): H. Schöningh 1905. DE–19.9 Adolf Liebers, Westermanns Weltatlas. 9. Aufl. Braunschweig / Hamburg: Westermann 1922 [1.–3. Aufl. 1921]. DE–20.2 Ernst Schwabe / Ernst Ambrosius, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas zur alten, mittleren und neuen Geschichte. Kleine Ausgabe in 75 Haupt- und Nebenkarten. 2., verb. Aufl. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1923. DE–20.7 Max Pehle / Hans Silberborth / Martin Iskraut, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas. Kleine Ausgabe. 7. Aufl. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1935. DE–21.6 Heinrich Kiepert / Carl Wolf, Atlas zur Alten und Neuen Geschichte. 6. Aufl. Potsdam: Bonneß & Hachfeld [ca. 1928; 4. Aufl. 1923]. DE–22 Franz Braun / Arnold Hillen Ziegfeld, Geopolitischer Geschichtsatlas, Bd. 2. Dresden: Ehlermann 1929. DE–23 Max Pehle / Hans Silberborth, F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas. Neue Ausgabe mit besonderer Berücksichtigung der Geopolitik, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Bielefeld / Leipzig: Velhagen & Klasing 1930.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort DE–24 DE–25
DE–26 DE–26.X
DE–27 DE–28 DE–29.3 DE–30 DE–31 DE–32.9 DE–33 DE–34.3 DE–35 DE–36 DE–37 DE–38 DE–39 DE–39.2 DE–40
DE–40.X
DE–41 DE–42 DE–43
67
Ernst Böttcher, Teubners Geschichtsatlas. Leipzig / Berlin: Teubner [ca. 1930]. Albert Höft, Geschichtsatlas für die deutsche Jugend. Ein Kartenwerk zur deutschen Geschichte für die nationalpolitische Erziehung in Volks-, Mittel- u. Fachschulen. Langensalza / Berlin / Leipzig: Beltz [1933]. Fritz Eberhardt, Neuer deutscher Geschichts- und Kulturatlas. Ausgabe B. Leipzig: List & von Bressensdorf 1934. Fritz Eberhardt / Johannes S. Horstmann, Neuer deutscher Geschichts- und Kulturatlas. Sonderausgabe für den allgemeinbildenden Unterricht im Heer. Leipzig: List & von Bressensdorf 1943. Johann Ulrich Folkers, 24 Karten zur Rassen- und Raumgeschichte des deutschen Volkes. Langensalza / Berlin / Leipzig: Julius Beltz 1937. Anton Altrichter, Geschichtsatlas für die deutschen Schulen in der Čechoslovakischen Republik. Brünn: Rohrer 1937. Alfred Pudelko / Arnold Hillen Ziegfeld, Kleiner deutscher Geschichtsatlas. 3., erw. Aufl. Berlin-Tempelhof: Runge [1939]. Bernhard Kumsteller, Werden und Wachsen. Ein Geschichtsatlas auf völkischer Grundlage. Braunschweig: Westermann 1938. Karl Richard Ganzer, Das Werden des Reiches. Zwanzig farbige Karten zur Geschichte der Reichsgestalt. München / Berlin: J. F. Lehmann 1939. Georg Tappe / Waldtraut Bohm, Kleiner Geschichtsatlas über Deutschlands Entwicklung. Für Haus und Schule. 9. Aufl. Bückeburg: Fusbahn [ca. 1940]. Geographischer und historischer Welt-Atlas für den Schulgebrauch. Offenburg / Mainz: Lehrmittel-Verlag [1946]. Schöninghs Geschichtsatlas. 3. Aufl. Paderborn: Schöningh 1950 [1. Aufl 1950]. Hans Zeissig, Neuer Geschichts- und Kulturatlas. Von der Urzeit zur Gegenwart. Hamburg / Frankfurt / München: Atlantik-Verlag 1950. Renate Riemeck / Hans Voigt, Kleiner Geschichtsatlas. Oldenburg (Oldb): Stalling [1950]. Karl Leonhardt, Atlas zur Weltgeschichte. Offenburg: Lehrmittel-Verlag 1951. Hermann Bengtson / Vladimir Milojc̆ic̆, Großer historischer Weltatlas, Bd. 1: Vorgeschichte und Altertum. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1953. Gerhard Ziegler / Walter Heidenreuter, Karten für den Geschichtsunterricht. Behelfsausgabe 1953. Berlin: Volk und Wissen 1953. Gerhard Ziegler, Karten für den Geschichtsunterricht. Behelfsausgabe 1954. Berlin: Volk und Wissen 1954 [ND 1957]. Hans Erich Stier / Ekkehard Aner, Westermanns Atlas zur Weltgeschichte: Vorzeit / Altertum, Mittelalter, Neuzeit. Braunschweig / Berlin / Hamburg et al.: Westermann 1956. Joachim Dornbusch, Großer Atlas zur Weltgeschichte. Erweiterte Ausgabe des Standardwerks von 1956. 2. Aufl. Braunschweig: Westermann 2001 [1. Aufl. Darmstadt: WBG 1997]. Arno Koselleck / Renate Riemeck / Heinz Ramm, 2000 Jahre europäischer Geschichte. Geschichtsatlas. Hamburg: Flemming 1957. Hermann Kinder / Werner Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 1. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1964. Werner Schmittdiel, Harms Geschichtsatlas mit Bildern. München: List 1968 [1. Aufl. 1961].
68 DE–44.2 DE–45 DE–45.4 DE–46.2 DE–46.3 DE–47 DE–48 DE–49
DE–50 DE–51 DE–52
DK DK–01 DK–02 DK–03 DK–04.3 DK–05 DK–06 DK–07 DK–08 EE EE–01 EE–02 EE–03 ES ES–01
ES–02
Tillmann Lohse Wolfgang Birkenfeld, Westermann-Geschichtsatlas. Politik, Wirtschaft, Kultur. 2. Aufl. Braunschweig: Westermann 1972 [1. Aufl. 1971]. Lothar Berthold, Atlas zur Geschichte, Bd. 1. Gotha / Leizig: Haack 1973. Lothar Berthold, Atlas zur Geschichte, Bd. 1. 4. Aufl. Gotha / Leizig: Haack 1989. Wilhelmine Böhm et al., bsv-Geschichtsatlas. 2. Aufl., 2. akt. ND München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1985 [1. Aufl. 1974]. Ingrid Adam, bsv-Geschichtsatlas. 3., akt. Aufl. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1992. Jürgen Herrnkind / Helmut Kistler / Herbert Raisch, Atlas zur Universalgeschichte. München: List / Oldenbourg 1979. Geoffrey Barraclough, Knaurs großer historischer Weltatlas. München et al.: Droemer / Knaur 1979. Thomas Michael, Diercke Drei – Universalatlas. Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde, Religionen, Sprachen, Naturwissenschaften. Braunschweig: Westermann 2001 [ND 2004]. Ulrich Knippert, Alexander KombiAtlas. Erdkunde – Geschichte – Sozialkunde – Wirtschaft. Gotha et al. Klett-Perthes 2003 [ND 2008]. Menschen, Zeiten, Räume. Atlas für Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde. Ausgabe für Hessen. Berlin: Cornelsen 2006. Holger Vornholt, Der grosse Ploetz Atlas zur Weltgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Dänemark Historisk Atlas til skolebrug. København: Jacob Erslev 1875. H. V. Lund, Historisk Skoleatlas over Middelalderen og den Nyere Tid i 9 plader. Kjøbenhavn: Chr. Steen & Sons 1877. Gustav Rosendal, Historisk skole-atlas. [Odense: R. Hansen 1900]. Aksel Strehle / Jørgen Hæstrup, Normanns historiske atlas. 3. Aufl. Odense: M. Normanns 1965 [1. Aufl. 1947]. Johan S. Rosing (Dansk red.), Gyldendals historiske atlas. [København]: Gyldendal 1960. Jette Kjaerulff Hellesen, Historisk atlas Danmark. København: Gad 1988. Karsten Henningsen, Historisk atlas. Brenderup: Geografforlaget 1998. John Haywood, Historisk Verdensatlas. Köln: Könemann 2000. Estland Jaan Jensen, Eesti ajaloo atlas. Tartus: Eesti kirjanduse Seltsi Kirjastus 1933. Hermann Kinder / Werner Hilgemann, Maailma ajalugu. Esiajast tänapäevaní. Maailma ajaloo käsiraamat. [Tallinn]: Avita 2001. Aivar Kriiska, Eesti ajaloo atlas. [Tallinn]: Avita 2007. Spanien Atlas histórico, genealógico, cronológico, geográfico etc. de Lesage. Escrito por el Conde de las Casas. Traducido, corregido y aumentado por un Español Americano. Paris: Bossange 1826. Antoine Philippe Houzé, Atlas histórico de España. Barcelona: A. Brusi 1841.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort ES–03 ES–04 ES–05 ES–06 ES–07.3 ES–07.6 ES–07.11 ES–08 ES–09 ES–09.3 ES–10 ES–11.4 ES–12 ES–13 ES–14.2
ES–15 ES–16 ES–17
FI FI–01 FI–02.7 FI–03 FI–04 FI–05.2 FI–06 FR FR–01 FR–02.4
69
Auguste-Henri Dufour / Thunot Duvotenay, El globo, atlas historico universal de geografia antigua, de la edad media y moderna. Madrid: Gaspar y Roig 1852. Juan de la Gloria Artero, Atlas histórico-geográfico de España, desde los tiempos primitivos hasta nuestros dias. Granada: Imp. de P. V. Sabatel 1879. Salvador Salinas y Bellver, Atlas histórico general y de Espana. Madrid: Salinas 1926. Gonzalo Menéndez Pidal, Atlas histórico español. [Barcelona]: Ed. nac. 1941. Jaime Vicens Vives, Atlas y sintesis de historia de España. 3. Aufl. Barcelona: Teide [1949; 1. Aufl. ca. 1943]. Jaime Vicens Vives, Atlas de historia de España. 6. Aufl. Barcelona: Teide [1969]. Jaime Vicens Vives, Atlas de historia de España. 11. Aufl. Barcelona: Teide 1980. Fernand Vercauteren, Atlas histórico y cultural de Europa. Barcelona: Nauta 1965. Juan Roig Obiol, Atlas de historia universal y de España. Edades antigua y media. Barcelona: Vicens-Vives 1973. Juan Roig Obiol, Atlas de historia universal y de España, Bd. 1: Edades antigua y media. 3. Aufl. Barcelona: Vicens-Vives 1985 [ND 1987]. Esther Carrión Fernández / Juan Santacana / Gonzalo Zaragoza, Atlas histórico. Madrid: SM 1995 [ND 1998]. Jesús Mestre i Campi / Víctor Hurtado, Atles d’història de Catalunya. (Història de Catalunya, Bd. 11.) 4. Aufl. Barcelona: Edicions 62 2002 [1. Aufl. 1995]. Isidoro Gonzalez Gallego, La historia de España en mapas. Madrid: Centro Nacional de Información Geográfica 1999. Julio López-Davalillo Larrea, Atlas histórico de España y Portugal. Desde el paleolítico hasta el siglo XX. Madrid: Editorial Síntesis 2000. Víctor Hurtado, Història, política, societat i cultura dels Països Catalans. Cartografia històrica. (Enciclopèdia Catalana.) 2. Aufl. Barcelona: Fundació Enciclopèdia Catalana 2003 [1. Aufl. 2000]. Enrique Martínez Ruiz, Atlas histórico de España, Bd.1. Madrid: Istmo 2003. Jaime Marco Frontello, Atlas histórico. Madrid: Ediciones SM 2005. Fernando García de Cortázar, Atlas de historia de España. (Planeta historia y sociedad.) Barcelona: Planeta 2005. Finnland Eino Jutikkala, Suomen historian kartasto. Porvoo / Helsinki: Söderström 1949. Jarl Gustafson, Historian kartasto. 7. Aufl. Porvoo: Söderström 1976 [2. Aufl. 1963]. Bo Pederby / Robert Sandberg / Mari Rakkolainen et al., Historian kartasto. Helsingissä: Kustannusosakeyhtiö Otava 1997 [ND 2004]. Pertti Haapala, Suomen historian kartasto. [Helsinki]: Karttakeskus 2007. Heikki Rantatupa / Matti Rautiainen / Jukka Jokinen, Atlas. Suomen historia. 2. Aufl. [Iisalmi]: IS-VET 2008 [1. Aufl. 2006]. Willi Stegner, Atlas. Euroopan ja Maailman historia. Gotha: Klett-Perthes 2008. Frankreich A. Le Sage [= Emmanuel comte de Las Cases], Atlas historique, chronologique et ǵeographique ou tableau ǵeńeral de l’histoire universelle. Paris: Auteur 1802–1804. François Alexandre Delamarche, Atlas de la géographie ancienne, du Moyen âge, et moderne. Adopté par le Conseil Royal de l’instruction publique à l’usage des collèges
70
FR–03
FR–04.2
FR–05 FR–06
FR–07
FR–08 FR–09 FR–10 FR–11 FR–12 FR–13 FR–14 FR–14.2 FR–14.3 FR–15 FR–16 FR–17 FR–18 FR–19 FR–20 FR–21 FR–22 FR–23
Tillmann Lohse royaux et des maisons d’éducation pour suivre les cours de géographie et d’histoire. [4. Aufl.] Paris: Auteur 1845 [1. Aufl. 1824]. M. A. Denaix / Richard Wahl, Atlas physique, politique & historique de l’Europe, formé de 30 cartes composant les 3e, 4e, 5e, 6e et 7e livraisons des essais de géographie, méthodique & comparative ou du Nouveau cours de géographie générale. Paris 1829. August-Henri Dufour / Thunot Duvotenay, La terre. Atlas historique et universel de géographie anciennes du Moyen-Âge et moderne. Avec un texte géographique et historique. [ND] Paris: Longerot [ca. 1864, 1. Aufl. 1839/40]. Louis Dussieux, Atlas général de géographie physique, politique et historique. Atlas de géographie ancienne, du Moyen Âge et moderne. Paris: Lecoffre [1854]. Victor Duruy, Atlas historique de la France accompagné d’un volume de texte renfermant des remarques explicatives et une chronologie politique, religieuse, litteraire et scietifique. Paris: Chamerot [ca. 1860]. Jules Migéon, Atlas-Migéon historique, scientifique, industriel et commercial. Géographie universelle. Comprenant la géographie, l’histoire, la statistique, etc. Paris: Migéon 1874. Franz Schrader, Atlas de géographie historique. Paris: Hachette 1896. Joseph Calmette / René Grousset / Jean-Jacques Gruber, Atlas historique, Bd. 2: Le moyen âge. Paris: Presses universitaires de France 1936 [ND 1941]. Paul Vidal de la Blache, Atlas historique & géographique. 400 cartes et cartons, index de 32.000 noms. Paris: Colin [1952]. Jacques Boussard, Atlas historique et culturel de la France. Paris: Elsevier 1957. Fernand Vercauteren, Atlas historique et culturel de l’Europe. Paris: Elsevier Meddens [1962]. Pierre Serryn / René Blaselle, Nouvel atlas Bordas. Historique et géographique. Paris: Bordas 1973. Georges Duby, Atlas historique Larousse. Paris: Larousse 1978 [ND 1992]. Georges Duby, Atlas historique. L’histoire du monde en 334 cartes. Neue, vermehrte und aktualisierte Aufl. Paris: Larousse 1994 [ND 1996]. Georges Duby, Grand atlas historique. L’histoire du monde en 520 cartes. Neue Aufl. Paris: Larousse 2006. Pierre Serryn / René Blaselle, Atlas historique. Paris: Bordas 1983 [ND 1994]. Stéphane Sinclair, Atlas de géographie historique de la France et de la Gaule de la conquête césarienne à nos jours. Paris: SEDES 1985. Pierre Vidal-Naquet, Atlas historique, histoire de l’humanité. Paris: Hachette 1987. Geoffrey Barraclough, Le grand atlas de l’histoire mondiale. [Paris]: [Encyclopaedia Universalis et al.] 1988. Pierre Serryn / René Blasselle, Grand atlas Bordas. Géographie, astronomique, historique, politique, économique, stratégique. Paris: Bordas 1989. Jean-Michel Lambin / J.-L. Villette, Atlas des collèges. Paris: Hachette 1990. Guy Bonnerot / Jean-Marie LeGuevellou, Atlas historique et géographique senior. [Paris]: Hachette Education 1992. Gérard Chaliand / Michel Jan / Jean-Pierre Rageau, Atlas historique des migrations. Paris: du Senil 1994. Gérard Chaliand / Jean-Pierre Rageau / Catherine Petit, Atlas historique du monde méditerranéen. Chrétiens, juifs et musulmans de l’Antiquité à nos jours. Paris: Payot 1995.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort FR–24 FR–25 FR–26 FR–27 FR–28 FR–29
GB GB–01
GB–02 GB–03
GB–04.4 GB–05 GB–06 GB–07.2 GB–08 GB–09 GB–10 GB–10.2 GB–10.3 GB–10.4 GB–11 GB–11.2 GB–12 GB–13 GB–14
71
René Rémond, Atlas de l’histoire de France. Paris: Libr. Académique Perrin 1996. Jean Sellier, Atlas historique des provinces et régions de France. Genèse d’un peuple. Paris: La Découverte 1997. Jean-Michel Lambin / Jean-Luc Carton, Atlas des collèges. Toutes les cartes des programmes d’histoire-géographie. Paris: Hachette 2000. François Lebrun / Maurice Meuleau, Atlas historique. Paris: Hachette 2000. Georges Delobbe, Atlas historique. Trois millénaires en Europe et en France. MouansSartoux: PEMF 2001. Jean-Marc Albert, Petit atlas historique du moyen-âge. Nouvelle édition. (Collection Petit atlas historique.) Paris: A. Colin 2006 [ND 2007]. Großbritannien A. Le Sage [= Emmanuel comte de Las Cases], Genealogical, chronological, historical, and geographical atlas. Exhibiting all the royal families in Europe, their origin, descendancy, mariages, etc. Together with various possessions, foreign wars, civil commotions, famous, battles, religious troubles, minorities, titles and orders,courts, of law, remarkable events, etc. of each kingdom. London: J. Barfield 1801. Edward Quin / Sidney Hall, An historical atlas. In a series of maps of the world as known at different periods. London: Seeley and Burnside 1836. Reginald Lane Poole, Historical Atlas of modern Europe from the decline of the Roman Empire, comprising also maps of parts of Asia, Africe, and the New World, connected with European history. Oxford: Clarendon Press 1902. Ramsay Muir, Philips’ New Historical Atlas for Students. 4. Aufl. London / Liverpool: George Philip & Sons Ldt. 1920 [1. Aufl. 1911]. W. Johnston / A. K. Johnston, Historical Atlas of British and world history. Edinburgh: Johnston 1924. James Francis Horrabin, An Atlas of European history from the 2nd to the 20th century. London: Gollancz 1935. George Goodall / Reginald Francis Treharne, Muir’s Atlas of ancient and classical history. 2. Aufl. London: Philip 1956 [1. Aufl. 1947]. Edward W. Fox / H. S. Deighton, Atlas of European history. New York: Oxford University Press 1957. Colin MacEvedy / John Woodcock, The Penguin Atlas of medieval history. Harmondsworth: Penguin Books [1961]. Martin Gilbert / Arthur Banks, British history atlas. London: Weidenfeld & Nicolson [1968]. Martin Gilbert, The Dent atlas of British history. 2. Aufl. London: Dent 1993. Martin Gilbert, The Routledge atlas of British history. 3. Aufl. London: Routledge 2003. Martin Gilbert, The Routledge atlas of British history. 4. Aufl. London: Routledge 2007. Geoffrey Barraclough, The Times atlas of world history. London: Times Books 1978. Geoffrey Barraclough, The Times atlas of world history. 2., überarb. Aufl. London: Times Books 1984. Geoffrey Barraclough, The Times concise atlas of world history. London: Times Books 1982. Mark Almond, The Times atlas of European history. London: Times Books 1994. Nigel Saul, The National Trust historical atlas of Britain. Prehistoric and medieval. Stroud / Gloucestershire: Sutton 1994.
72 GB–15.5 GB–16 GB–17 GB–18 GB–19.X GB–20.2 GB–21.2 GB–22
Tillmann Lohse Geoffrey Parker, The Times compact history of the world. 5. Aufl. London: Times Books 2008 [1. Aufl. 1995]. Dennis P. Hupchick / Harold E. Cox, A concise historical atlas of Eastern Europe. Basingstoke et al.: Macmillan 1996. Neil DeMarco, The children’s atlas of world history. London: Horus 1997. John Haywood, The Cassell atlas of world history. London: Cassell 1997 [ND 1998]. Patrick Karl O’Brien, Atlas of world history. Gekürzte Aufl. New York, NY: Oxford University Press 2003 [1. Aufl. 1999]. Jeremy Black, World history atlas. 2. Aufl. London / New York / Munich et al.: Dorling Kindersley 2005 [1. Aufl. 2000?]. Mark Almond / Kate Epstein, The Times history of Europe. 2. Aufl. London: Times Books 2006 [1. Aufl. 2001]. Barry Cunliffe et al., The Penguin atlas of British & Irish history. London et al.: Penguin 2002.
GE GE–01
Georgien Manana Ueqilaje, Sakʿartʿvelos istoriuli atlasi, Ganatʿleba da axali tekʿnologiebi. Tʿbilisi: Ganatʿleba da axali tekʿnologiebi 2004.
GR GR–01 GR–02
Griechenland D. Dēmētraku / Paulu Karolidu, Teuchos, Bd. 2. Athena: Lukopulu [ca. 1985]. Angelos G. Siolas, Geo-istorikos scholikos atlas. Apó tēn Proïstoria sto Byzantio. Athena: Ekdosis A. Siola – E. Alexiu 2001. Karen Farrington, Istorikos atlas tōn autokratopiōn. Athena: Ekdosis Savalas 2005. François Lebrun, Istorikos Atlas. Athena: Patakis 2009.
GR–03 GR–04 HR HR–01 HR–02.4
Kroatien Zvonimir Dugački, Povijesni atlas. Zagreb: Učila 1969. Josip Lučić / Blagota Drašković, Povijesni atlas za osnovnu školu. 4. Aufl. Zagreb: Tlos 1977 [1. Aufl. 1974?]. HR–02.14 Josip Lučić / Blagota Drašković, Povijesni atlas za osnovnu školu. 14. Aufl. Zagreb: Tlos 1987. HR–02.18 Josip Lučić / Blagota Drašković, Povijesni atlas za osnovnu školu. 18. Aufl. Zagreb: Učila 1991. HR–03 Zvonimir Dugački (†) / Josip Lućić, Zgodovinski atlas za srednje šole. Zagreb: Tlos 1975. HR–04.4 Vladimir Posavec / Ivica Rendulić, Povijesni zemljovidi 5–6. Hrvatska, Europa, Svijet. 4. Aufl. Zagreb: Profil International 2005 [1. Aufl. 2001]. HR–05.4 Tomislav Kaniški / Hrvoje Križevan / Zoran Velagić, Povijesni atlas. Za 5. razred osnovne škole. 4. Aufl. Zagreb: Školska Knjiga 2006 [1. Aufl. 2001]. HR–06 Krešimir Regan, Hrvatski povijesni atlas. (Niz posebnih izdanja.) Zagreb: Leksikografski Zavod Miroslav Krleža 2003. HR–07 Vera Müller / Snježana Haiman / Agneza Szabo, Povijesni atlas. Za osnovnu školu. Zagreb: Izrađeno u hrvatskoj školskoj kartografiji 2007. HU HU–01.5
Ungarn Manó Kogutowicz, Teljes földrajzi és történelmi atlasza. 5. Aufl. Budapest: Magyar Földrajzi Intézet 1912.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort HU–02 HU–03 HU–04 HU–05 HU–06 HU–07 HU–08 HU–09 HU–10
73
Indár Albisi Barthos / György Kurucz, Történelmi atlasz. Magyarország történelmének tanitásához. Budapest: Kókai Lajos 1929. Mária Czatáry / György Györffy / Ervin Pamlényi, Történelmi atlasz. Budapest: Kartográphiai Vállalat 1961. Gyula Hegyi, Történelmi atlasz. A kiadásért felel. Budapest: Kartográphiai Vállalat 1976. Ágnes Ajtay, Történelmi atlasz. A középiskolák számára. Budapest: Kartográfiai Vállalat 1991. Geoffrey Barraclough, The Times atlasz világtörténelem. Budapest: Akad. Kiadó 1992. Árpád Papp-Váry, Középiskolai történelmi atlasz. Budapest: Cartographia 2005 [1. Aufl. 1999?]. Felelōs Kiadó, Nagy Képes Történelmi Világatlasz. Budapest: Athenaeum 2003. Árpád Papp-Váry, Történelmi atlasz. Budapest: Cartographia 2005. Árpád Papp-Váry, Képes történelmi atlasz. Budapest: Cartographia 2006.
IE IE–01 IE–02.2
Irland Ruth Dudley Edwards / W. H. Bromage, An atlas of Irish history. London: Methuen 1973. Seán Duffy / Gabriel Doherty / Raymond Gillespie et al., Atlas of Irish history. 2. Aufl. Dublin: Gill & Macmillan 2000 [1. Aufl. 1997].
IS IS–01.3
Island Árni Daníel Júlíusson / Jón Ólafur Ísberg / Skúli Kjartansson, Íslenskur söguatlas. Frá öndverðu til 18. aldar. 3. Aufl. Reykjavík: IÐUNN 1991 [1. Aufl. 1989].
IT IT–01
Italien A. Le Sage, Atlante storico, geografico, genealogico, cronologico e letterario. In ogni sua parte corretto, ampoliato e proseguito sino all’anno corrente. Venezia: Tasso 1826. Giambatista Albrizzi, Atlante storico, letterario, biografico, archeologico (…) opera racchiusa entro tavole sincrone-cronologiche, per seguire il metodo usato da A. Le Sage (Las Casas). 3. Aufl. Venezia: Girolamo Tasso 1840. F. C. Marmocchi / Celestino Peroglio, Nuovo Atlante cosmografico, fisico, storico e politicostatistico in 84 Carte. Torino 1878. Mario Baratta / Plinio Fraccaro, Atlante storico, Bd. 1: Evo antico. Novara: Istituto Geografico de Agostini 1923–1928 [mehrere erw. NDD bis 1969]. Mario Baratta / Plinio Fraccaro, Atlante storico. Neue, erw. Aufl. Novara: Istituto Geografico de Agostini 1973 [mehrere erw. NDD bis 1995]. Mario Baratta / Plinio Fraccaro / Luigi Visintin, Grande atlante geografico storicofisico-politico-economico. 4. Aufl. Novara: Istituto Geografico de Agostini 1938. Sebastiano Crinò, Atlante storico, Bd. 2: Evo medio e moderno. 6. Aufl. Milano et al.: Società Editrice Dante Alighieri 1960. Tiberio Menin, Atlante storico ad uso della scuola media, Bd 2. Bergamo et al.: Minerva italica 1961. Achille Boroli / Adolfo Boroli, La Terra, Bd. 1. Grande atlante geografico economico storico. Novara: Istituto Geografico de Agostini 1966. Enrico Cravetto, Grande atlante geografico e storico. [Torino]: UTET 1991. Marco Drago / Andrea Boroli, Nuove atlante storico. Novara: Istituto Geografico de Agostini 1997. Roberto Finzi, Atlante storico. Novara: Istituto Geografico de Agostini 2004.
IT–01.3
IT–02 IT–03 IT–03.2 IT–04.4 IT–05.6 IT–06 IT–07 IT–08 IT–09 IT–10
74 IT–11 IT–12 LT LT–01 LT–02 LT–03 LT–04
LV LV–01 LV–01.2 LV–02 LV–03 LV–04
Tillmann Lohse Vittorio Castelli, Atlante storico del mondo. Novara: Istituto Geografico de Agostini 2005. Pierre Vidal-Naquet, Il nuovo atlante storico Zanichelli. Bologna: Zanichelli 2006. Litauen Albinas Pilipaitis / Petras Gaučas, Lietuvos istorijos atlasas. Vilnius: Vaga 2001. Arūnas Latišenka, Viduriniujų ir naujujų amžių Lietuvos istorijos atlasas. 8 klasei. Vilnius: Briedis 2002. Albinas Pilipaitis / Petras Gaučas, Visuotinės istorijos atlasas mokykloms. Vilnius: Šviesa 2004. Arūnas Latišenka / Antanas Meištas, Senoves istorijos. Atlasas, konspektas, zodynas. Vilnius: Briedis 2008. Lettland Jānis Turlajs, Latvijas vēstures atlants. Rīga: Jān̦a sēta 1998. Jānis Turlajs / Aldis Builis, Latvijas vēstures atlants. 2. Aufl. Rīga: Jān̦a sēta 2005. Zane Baķe, Kontūrkartes – Latvijas vēsturē – eksperimentāls praktikums. Rīga: RaKa 1998. Hermanis Kinders / Verners Hilgemanis, Pasaules vēstures atlants, Bd. 1. [Rīgaa]: Zvaigzne ABC [2004]. Ojārs Bušs / Juris Goldmanis / Eduarda Groševa, Vēstures Atlants skolām. Rīga: Apgāds Zvaigzne ABC 2009.
MD MD–01.2
Moldawien Demir Dragnev / Emil Dragnev, Atlas de istorie universală şi a românilor. 2. Aufl. Chişinău: Civitas 2006.
ME ME–01
Montenegro Đorđe Borozan / Gojko Nikolić, Istorijski atlas. Podgorica: CID 2009.
MK MK–01
Mazedonien Todor Čepreganov, Istoriski atlas. Skopje: Sojuz na Društvata na Istoričarite na Republika Makedonija 1998 [ND 1999].
NL NL–01 NL–02.4
Niederlande W. J. A. Huberts / E. Mehler, Atlas der oude geschiedenis. Zwolle: Tjeenk Willink [1878]. H. Hermans / J. Woltjer, Atlas der Algemeene en Vaderlandsche Geschiedenis. 4. Aufl. Groningen: J. B. Wolters 1897 [1. Aufl. 1881]. NL–03.15 Jan Willem Berkelbach van der Sprenkel / Hette Hettema, Grote historische schoolatlas. Ten gebruike bij het onderwijs in de vaderlandse en algemene geschiedenis. 15. Aufl. Zwolle: Tjeenk Willink 1941 [1. Aufl 1923?]. NL–04.18 Bernard A. Vermaseren, Atlas. Algemene en vaderlandse geschiedenis. 18. Aufl. Groningen: Noordhoff 1966. NL–05.6 Sjoerd de Vries / Theo Luykx, Elseviers historische schoolatlas. 6. Aufl. Amsterdam / Brüssel: Elsevier 1971 [1. Aufl. 1963]. NL–06 Geillustreerde bosatlas van de wereldgeschiedenis. Groningen: Wolters-Noordhoff Atlasprodukties 1984.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort
75
NL–07.2
R. A. Kuipers / Anton J. L. van Hooff, Bosatlas van de wereldgeschiedenis. 2. Aufl. Groningen: Wolters-Noordhoff Atlasprodukties 1997 [ND 2008; 1. Aufl. 1992].
NO NO–01.2 NO–02.2
Norwegen Oddvar Bjørklund, Historisk atlas. 2. Aufl. [Oslo]: Cappelen 1961 [1. Aufl. 1958]. Axel Coldevin / Bengt Y. Gustafson, Historisk atlas. 2. Aufl. Oslo: Aschehoug 1976 [1. Aufl. 1958]. Rolf M. Hagen, Historisk atlas. Oversikter, årstall, tabeller. Hovedregister. (Norges historie, Bd. 15.) Oslo: Cappelen 1980. Andreas Røhr, Cappelens Verdenshistorie. Historisk Atlas. Med historiske oversikter. Oslo / Stockholm: Cappelen 1983.
NO–03 NO–04
PL PL–01 PL–02 PL–03 PL–04.8 PL–05.2
PL–06 PL–07 PL–08.2 PL–09 PL–10 PL–11 PL–12 PL–13
PT PT–01 PT–02.2 PT–02.11
Polen Władysław Semkowicz / Czeslaw Nanke, Szkolny atlas historyczny. Lwów et al.: Ksia̜żnica-Atlas 1932. Czeslaw Nanke / L. Piotrowicz / Władysław Semkowicz, Maly atlas historiczny. Wrocław et al.: Ksiacznica-Atlas 1950. Władysław Czapliński / Tadeusz Ładogórski, Atlas historyczny Polski. Warszawa: Panstwowe przedsiębiorstwo wydawnictw kartograficznych 1967. Teresa Smyl / Szymon Kobyliński, Atlas historyczny. Dla klasy IV. 8. Aufl. Warszawa: Polskie przedsie̜biorstwo wydawnictw kartograficznych 1993 [1. Aufl. 1981]. Teresa Smyl / Szymon Kobyliński, Szkolny atlas historyczny. Nasza ojczyzna. 2. Aufl. Warszawa / Wrocław: Państwowe Przedsiębiorstwo Wydawnictw Kartograficznych 1986 [1. Aufl. 1985]. Leokadia Horubała, Atlas historyczny. Dla klasy V–VI. Warszawa: Polskie przedsiębiorstwo wydawnictw kartograficznych 1994. Józef Wolski, Atlas historyczny świata. Warszawa / Wrocław: Polski Przedsiębiorstwo Wydawnictw Kartograficznych 1998. Stanisław Kryciński / Julia Tazbir, Atlas historyczny. Do 1815 roku. 2. Aufl. Warszawa: Demart 2002 [1. Aufl. 1999]. Jan Konarski, Atlas historyczny dla szkół średnich. Warszawa: Polski Przedsiębiorstwo Wydawnictw Kartograficznych 2000. Julia Tazbir / Elżbieta Olczak, Atlas historyczny. Od starożytności do współczesności. Warszawa: Wydawnictw Demart 2004. Jacek Gawrysiak, Atlas Historyczny. Od starożytności do współczesności – Liceum. Warszawa: Nowa Era 2008. Ewa Wipszycka-Bravo / Julia Tazbir / Janusz Tazbir et al., Wielki Atlas Historyczny. Warszawa: Demart 2008. Jacek Gawrysiak, Atlas Historyczny. Od starożytności do współczesności – Szkoła Podstawowa. Warszawa: Nowa Era 2009. Portugal Alfredo Oscar de Azevedo May, Novo Atlas universal de historia e geographia antiga, medieval e moderna. Paris / Lisboa: Guillard, Aillaud et Cie [1888]. João Soares, Novo atlas escolar português. 2. Aufl. Lisboa: Sâ da Costa [1934]. João Soares, Novo atlas escolar português. Histórico-geográfico. 11. Aufl. Lisboa: Sá da Costa 1971.
76
Tillmann Lohse
PT–03.2 PT–04
A. Carmo do Reis, Atlas de história de Portugal. 2. Aufl. Porto: Asa 1987. Anabela Soares, Atlas histórico ilustrado. Porto: Editora Porto 2002.
RO RO–01
Rumänien Natalia Tulbure, Atlas istoric al Românilor cu cetiri istorice. Pentru uzul scoalelor secundare şi normale. [Bucureşti]: Cartea românească 1920. Ştefan Pascu / Vasilica Neagu, Atlas istoric. Bucureşti: Editura Didactică şi Pedagogică 1971. Lucian Petre, Spaţiul istoric românesc. (Spaţiul istoric şi etnic românesc, Bd. 1.) Bucureşti: Militaria 1992. Cornelia Bodea, România. Atlas istorico-geografic. Bucureşti: Editura Academiei Române 1996. Lidia Stanciu, Atlas istoric școlar. [Bucureşti]: S.C. Cartographia-R.S.R.L. [2000]. Gabriel Stan / Nicolae I. Diţă, Atlas şcolar. Istoria românilor – pentru gimnaziu şi liceu. Bucureşti: Editura Didactică şi Pedagogică 2002. Bogdan Teodorescu, Atlas de istorie a României / Bogdan Teodorescu. București: Editura Corint 2004.
RO–02 RO–03 RO–04 RO–05 RO–06 RO–07
RS RS–01 RS–02.3 RS–03.5 RS–04
RU RU–01 RU–02 RU–02.2
RU–03.7 RU–04.11 RU–05
RU–06 RU–07
Serbien Stanoje Stanojević, Istoriski atlas za opštu i narodnu istoriju. Beograd: Izdavacko i Knjizarsko Preduzeće Geca Kon 1931. Dragutin Prljević, Istoriski atlas za nacionalnu istoriju (od Rimskog perioda do zavrshetka i svetskog rata, 1919 g.). 3. Aufl. Beograd: Nolit 1956 [1. Aufl. 1953]. Miloš Blagojević et al., Istorijski atlas. 5. Aufl. Beograd: Zavod za Udžbenike i Nastavna Sredstva / Geokarta 2005 [1. Aufl. 1999]. Danijela Stefanović / Snežana Ferjančić / Zorica Nedeljković et al., Istorijski atlas. Za peti razred osnovne škole. Beograd: Zavod za Udžbenike 2007. Russland Emmanuel comte de Las Cases, Istoricheskiĭ, genealogicheskiĭ, khronologicheskiĭ, geograficheskiĭ atlas. Sanktpeterburg [1809–1812]. Nikolaĭ Mikhaĭlovich Karamzin / Ivan Akhmatov, Atlas istoricheskij, khronologicheskij i geograficheskij rossijskago gosudarstva. S.-Peterburg 1831. Nikolaĭ Mikhaĭlovich Karamzin / Ivan Akhmatov, Atlas geograficheskiı̌, istoricheskiı̌ i khronologicheskiı̌ rossiı̌skago gosudarstva. Neue Aufl. Sanktpeterburg: I. Ėĭnerling 1845. Ivan Sidonskij, Istoricheskīĭ atlas. 7. Aufl. S.-Peterburg: F. Ėĭlera 1873 [1. Aufl. 1865]. Nikolaj Nikolaevič Baron Tornau, Učebnyj istoričeskij atlas. 11. Aufl. S.-Peterburg: Marks in Komm. 1912. Konstantin V. Bazilevič / I. A. Golubčova / M. A. Zinov‘eva, Atlas istorii SSSR, Bd. 1. Dlja srednej školy. Moskva: Glavnoe Upravlenie Geodezii i Kartografii pri Sovete Ministrov SSSR 1949 [ND 1958]. Evgenij Alekseevič Kosminskij / Anatolij P. Levandovskij, Atlas istorii srednich vekov. Moskva: Glavnoe Upravlenie Geodezii i Kartografii pri Sovete Ministrov SSSR 1951. T. H. Bekova, Atlas istorii SSSR, Bd. 1. Dlja srednej školy. Moskva: Glavnoe Upravlenie Geodezii i Kartogafii ministerstva geologii i ochrany nedr SSSR 1960.
Die Völkerwanderungskarte als europäischer Erinnerungsort RU–08 RU–09
RU–10
SE SE–01 SE–02 SE–03 SE–04 SE–05 SE–06 SE–07.2 SE–08 SE–09 SI SI–01 SI–02 SI–03
SK SK–01.7 SK–01.13 SK–02.8 SK–03 SK–04
TR TR–01 TR–01.X TR–02
77
T. N. Bekova, Atlas istorii srednich vekov. Dlja vośmiletnej śkoly. Moskva: Glavnoe Upravlenie Geodezii i Kartografii 1963. Elena P. Gradskova / Aleksandr I. Samsonov, Škol‘nyj atlas po istorii Rossi s drevnejšich vremen do našich dnej. Posobie dlja učaščichsja 10–11 klassov obščeobrazovatelʼnych učreždenij. Moskva: Prosveščenie 1997. T. I. Martynova, Atlas školʼnika. Zarubežnaja istorija s drevniejšich vremen do načala XXI v. Moskva: Drofa / DIK 2008 Schweden Carl Fredrik Wiberg / Thure Alexander von Mentzer, Atlas till Sveriges Historia. Stockholm: Huldberg 1856. Arvid Kempe, Atlas till Sveriges, Norges och Danmarks historia. Stockholm: Carlson 1897. Adolf Schück, Historisk atlas. Stockholm: Norstedt [1934]. Bengt Y. Gustafson, Atlas till historien. Stockholm: Svenska Bokförl. 1958. Pierre Vidal-Naquet / Jacques Bertin, Atlas över Mänsklighetens Historia. Från Urtid Till Nutid. Stockholm: Bonnier 1991. Kåre Valle / Bo Pederby, Historisk atlas. Stockholm: Almqvist & Wiksell 1995 [ND 2001]. Bo Pederby / Robert Sandberg, Historien i kartor. 2. Aufl. Stockholm: Almqvist & Wiksell 2005 [1. Aufl. 1996]. Peter Fowelin, Bonniers historiska atlas. Stockholm: Bonnier 2000. Bo Pederby, Libers historiska atlas. Stockholm: Liber Kartor 2005. Slowenien Tomaž Weber, Šolski Zgodovinski atlas. Ljubljana: DZS 1994 [ND 2002]. Tomaž Weber / Mateja Rihtaršič, Mali zgodovinski atlas. Ljubljana: Modrijan 1999 [ND 2005]. Zlata Kastelic / Zvonka Lavbič-Saje / Ksenja Weis et al., Zgodovinski atlas za osnovno šolo. Ljubljana: DZS 1999. Slowakei Marta Hajčiková, Školský Atlas svetových dějín. 7. Aufl. Bratislava: Slovenska kartografia 1972 [1. Aufl. Praha: Ústredná správa geodézie a kartografie 1962]. Jozef Ščipák, Školský atlas svetových dejín. 13. Aufl. Bratislava: Slovenska kartografia 1979. Kliment Ondrejka, Dejepisny Atlas. 8. Aufl. Bratislava: Slovenska kartografia 1984. Jaroslav Vašek, Atlas Svetových Dejín, Bd. 1: Pravek – Stredovek. Harmanec: VKÚ Harmanec 1996. Helena Mandelová, Středověk. Dějepisné atlasy pro základní školy a víceletá gymnázia. Harmanec: VKÚ Harmanec 1997. Türkei Faik Reşit Unat, Tarīh Atlası. İstanbul: Kanaat Yayınları [ca. 1955]. Faik Reşit Una, Tarīh atlası. Millî Egitim Bakanliginca ortaokullarla liseler için yardimci ders kitabi olarak kabul edilmiştir. Erw. Aufl. İstanbul: Kanaat Yayınları 1977 Özetli tarīh atlasi. Istanbul: Emek Iş 1977.
78
Tillmann Lohse
TR–03 TR–04 TR–05 TR–06 TR–07
Baki Kurtuluş, Kurtuluş tarīh Atlası. Ankara: Kurtuluş 1977. Hüseyin Dağtekin, Genel tarīh atlası. İstanbul: Inkilâp Kitabevi 1989. Tarīh Atlası. İstanbul: D.B.R. Atlas Harita Servisi 2004. Tarīh Atlası. İstanbul: İskele Eğītīm 2006. Veli Şirin, Özyürek açıklamalı tarīh atlası. İstanbul: Özyürek 2009.
UA UA–01
Ukraine Jurij Loza, Ukraïna. Istoryčnyj atlas. Kyïv: Mapa 1997.
Daniela Rando
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“ Marco Polo nach Colonel Henry Yule „An arch-representative of the age of imperialism then, very appropriate for the editor of a book by the servant of an earlier imperialism“,1 so charakterisiert John Larner ironisch den aus Schottland stammenden Henry Yule (1820–1889), Verfasser einer ausführlich kommentierten Übersetzung des ‚Milione‘ von Marco Polo, die unter Zeitgenossen eine so erfolgreiche Rezeption erfuhr, dass sie innerhalb von dreißig Jahren drei Auflagen erreichte und Yule Anerkennung und Fortleben bis heute sicherte.2 Seine Arbeit war das Ergebnis eines Blicks mit dem „kolonialen Auge“, das Marco Polo als reisenden Explorator, als Vorläufer der Entdecker des 19. Jahrhunderts auswies und sich dessen Text mit den typischen Instrumenten der damaligen westlichen Wissenschaftskultur annäherte: Anthropologie, Geographie, Kartographie, Photographie. Das britische Empire sollte in seiner Völkervielfalt vermessen und in Landkarten erfasst werden: ein P i c t u -
1 John Larner, Marco Polo and the Discovery of the World. New Haven / London 1999, 178. Vgl. Ders., Plucking Hairs from the Great Cham’s Beard. Marco Polo, Jan de Langhe, and Sir John Mandeville, in: Suzanne Conklin Akbari / Amilcare Iannucci (Hrsg.), Marco Polo and the Encounter of East and West. Toronto / Buffalo / London 2008, 133–155. 2 Amy F. Yule, Memoir of Sir Henry Yule, in: The Book of Ser Marco Polo, the Venetian, concerning the Kingdoms and Marvels of the East. Translated and Edited, with Extensive Critical and Explanatory Notes, References, Appendices and Full Indexes, Preceded by an Analytical and Historical Introduction. (…) Revised throughout in the Light of Recent Discoveries, Accompanied by a Supplement, Containing Additional Notes and Addenda, with a Memoir of Henri Yule by His Daughter Amy Frances Yule and a Bibliography of His Writings. Ed. Henry Yule / Henri Cordier. London 31903, ND Amsterdam 1975, XXVII–LXXXII; Henri Cordier, Le Colonel Sir Henry Yule (1890), in: Mélanges d’histoire et de géographie orientales, Bd. 1. Paris 1914, 159–185; Richard J. Bingle, Henry Yule. India and the Cathay, in: Compassing the Vaste Globe of the Earth. Studies in the History of the Hakluyt Society, 1846–1996. With a Complete List of the Society’s Publications. London 1996, 143–164; Larner, Marco Polo (wie Anm. 1), 177–180; Felix Driver, Yule, Sir Henry, in: Oxford Dictionary of National Biography 60. Oxford 2004, 976–978. Zu dem Erfolg der Übersetzung Yules vgl. u. a. Jane Irwin (Hrsg.), George Eliot’s Daniel Deronda Notebooks. Cambridge 1996, bes. 468. Ein positives Urteil auch bei Folker Reichert, Columbus und Marco Polo – Asien in Amerika. Zur Literaturgeschichte der Entdeckungen, in: Zeitschrift für historische Forschung 15, 1988, 1–63, hier 3.
80
Daniela Rando
r i n g E m p i r e ,3 d. h. eine Darstellung und Visualisierung, zu der auch Yule mit seinem Marco Polo beitrug.
1 Eine Kolonialkarriere Der Sohn eines Majors und Neffe eines Generals im Dienst der ‚East Indian Company’s Bengal Army‘ schlug ebenfalls eine Militärkarriere ein. Mit siebzehn Jahren trat er den ‚Bengal Engineers‘ bei und diente ab 1840 in Indien in der spezifischen Verbindung von Zivil und Militär, zum einen in den Sikhskriegen, zum anderen im ‚Great Mutiny‘ von 1857, dem Aufstand oder ersten Befreiungskrieg, je nach politischem Standpunkt,4 deren Grausamkeiten Yule nachhaltig traumatisierten.5 1853 war er in das (später so genannte) ‚Department for Public Works of Calcutta‘ berufen worden, u. a. mit der Aufgabe zum Bau der berühmten Bahn,6 und stieg dann unter der Kolonialverwaltung zum Unterstaatssekretär der Krone auf, im engen Kontakt mit dem Vizekönig als Vertreter der Kaiserin Viktoria. 1862
3 James R. Ryan, Picturing Empire. Photography and the Visualization of the British Empire. London 1997. 4 Heinz Nissel, Hafenstädte im Netzwerk britischer Weltherrschaft, in: Dietmar Rothermund / Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Hrsg.), Der Indische Ozean. Das afro-asiatische Mittelmeer als Kultur- und Wirtschaftsraum. Wien 2004, 181–206, hier 188. Vgl. Narayani Gupta, Pictorializing the „Mutiny“ of 1857, in: Maria Antonella Pelizzari (Hrsg.), Traces of India. Photography, Architecture, and the Politics of Representation, 1850–1900. New Haven / London 2003, 216–239, hier 221–223. 5 Vgl. A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), XLVIII, und Henry Yule, A Narrative of the Mission Sent by the Governor-General of India to the Court of Ava in 1855, with Notices of the Country, Government, and People. London 21858, 6: „But for one standing here on the margin of those rivers, which a few weeks ago were red with the blood of our murdered brothers and sisters, and straining the air to catch the echo of our avenging artillery, it is difficult to turn the mind to what seem dreams of past days of peace and security“ (Preface aus dem Fortress of Allahabad, October 3rd, 1857). Fast zwanzig Jahre später verklärte Yule immer noch die „pleasant days“ vor dem indischen „Cataclysm“ von 1857: Ders., The Travels of Jerome Cardan in Scotland, in: The Geographical Magazine 1, 1874, 240–242, hier 240. 6 Über die Bahn als Verkörperung des Fortschritts John Hurd / Ian J. Kerr, India’s Railway History. A Research Handbook. Leiden / Boston 2012, 105–111. Vgl. Yule selbst: „Were Jordanus to come to life again, (…) he would indeed see vigorous efforts in action to introduce a new life into the country; instead of Diabolus roaring in the woods by night he might hear the scream of the locomotive“ (Mirabilia descripta. The Wonders of the East, by Friar Jordanus of the Order of Preachers and Bishop of Columbum in India the Greater, [circa 1330]. Translated from the Latin Original, as Published at Paris in 1839, in the Recueil de voyages et de mémoires, of the Society of Geography, with the Addition of a Commentary. Ed. Henry Yule. London 1863, II–III).
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
81
nahm er nach 22 Jahren Dienst in Indien seinen Abschied und kehrte über Italien nach Europa zurück. In Palermo und London widmete er sich publizistischen und literarischen Aktivitäten und übernahm politische Verantwortung: schon seit 1857 Socius der ‚Royal Geographic Society‘, wurde er zwölf Jahre später Mitglied und dann (1877) Präsident der ‚Hakluyt Society‘, 1885–1887 auch Präsident der ‚Royal Asiatic Society‘; 1875 bekam er einen Sitz im ‚Council of India‘. Nach weiteren zahlreichen wissenschaftlichen Auszeichnungen starb er 1889 mit 69 Jahren an den Spätfolgen einer Krankheit, die er sich in Indien zugezogen hatte.
2 On the Spot Wie viele seiner Kollegen im Kolonialdienst fing Yule schon früh an, einzelne Artikel zu Geographie, Ökonomie und Volkskunde des indischen Subkontinents im ‚Journal of the Royal Asiatic Society of Bengal‘ zu publizieren.7 Er trat aber vor allem hervor mit einem umfangreichen Rapport über eine Mission an den Hof des Königs von Burma 1855, die er als Sekretär des britischen Gesandten beim ‚Governor-General‘ unternahm.8 Schon bei dieser Gelegenheit erwies sich Yule als „Explorator“, sein Rapport als „Reisebericht“: er demonstrierte seine Fähigkeit zur Beobachtung und Empfänglichkeit für die Eigenarten der Landschaft, ihrer Denkmäler und für die Gebräuche der Bewohner, wobei er seine Erzählung anreicherte mit Informationen aus historischen, geographischen und literarischen Quellen – ein Muster, das er auch bei seinen späteren Herausgaben verfolgte. Der Text war im herkömmlichen Berichtstil für Rapports verfasst wie z. B. das Journal seines Vorgängers, John Crawfurd;9 dazu wurde noch eine Menge neuer, „wissenschaftlicher“ Details angeboten,10 in etwa übereinstimmend mit dem Fra-
7 Seine ersten Aufsätze betrafen die Geologie und Ethnographie des Khasi-Gebirges: Henry Yule, Notes on the Iron of the Kasia Hills, in: Journal of the Asiatic Society of Bengal. N. S. 11.2, 1892, 853–857; Ders., Notes on the Kasia Hills and People, in: Journal of the Asiatic Society of Bengal. N. S. 12.2, 1844, 612–631, vgl. Henri Cordier / Amy F. Yule, A Bibliography of Sir Henry Yule’s Writings, in: Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Ders. (wie Anm. 2), LXXV–LXXXII, hier LXXV. 8 H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), vgl. Cordier / A. Yule, Bibliography (wie Anm. 7), LXXV. 9 John Crawfurd, Journal of an Embassy from the Governor-General of India to the Court of Ava, in the Year 1827. With an Appendix Containing a Description of Fossil Remains by Professor Buckland and Mr Clift. London 1829. 10 Für sein ‚Narrative‘ schöpfte Yule oft aus dem ‚Journal of the Asiatic Society of Bengal‘ (vgl. H. Yule, Narrative [wie Anm. 5], 26; 30; 46 usw.). Schon ab 1842 wurde er Mitarbeiter der Zeitschrift und ab 1856 ordentliches Mitglied der Society.
82
Daniela Rando
genkatalog der ‚Queries Respecting the Human Race‘ (1841), die 1844 im ‚Journal of the Asiatic Society of Bengal‘ erschienen waren, zusammen mit einem Artikel von Yule. Die ‚Queries‘ bestanden aus 89 Fragen für „Travellers and others“, die ein Komitee der ‚British Association for the Advancement of Science‘ bearbeitet hatte und von den Editoren des Journals den Briten in Indien für mögliche Forschungen über die „wildesten Rassen Indiens“ weiter empfohlen wurden.11 Auch ikonographisch machte das ‚Narrative‘ Yules bedeutende Fortschritte: Unter den Mitgliedern seiner Mission war nicht nur ein „artist“, sondern auch ein „official Photographer“, Cap. Linnaeus Tripe der ‚Madras Army‘, der sich einige Monate vorher wegen der besten Photos auf der ‚Madras Exhibition‘ ausgezeichnet hatte12 und kurz nach der Burmamission als „State Photographer“ der „presidency“ von Madras zugeteilt wurde. Das Potenzial der neuen Kunst war auch im Empire erkannt worden, als preiswertes und leistungsfähiges Hilfsmittel im Vergleich zu den „Künstler-Malern“,13 zumal bei der Dokumentation von Ausgrabungen und archäologischen Überresten.14 Selbst Yule hatte Anfang der
11 Richard King, Queries Respecting the Human Race, to Be Addressed to Travellers and Others, in: Journal of the Asiatic Society of Bengal. N. S. 13.2 , 1844, 919–932, hier 919. Im selben Jahresgang der Zeitschrift erschien H. Yule, Notes on the Kasia Hills (wie Anm. 7). 12 Über Linnaeus Tripe Malavika Karlekar, Visual Histories. Photography in the Popular Imagination. New Delhi / Oxford 2013, 30–31; Janet Dewan, „This Noble Triumph of Photography“. Linnaeus Tripe’s Thanjavur Inscription Panorama, in: Pelizzari (Hrsg.), Traces of India (wie Anm. 4), 140–153; Nicholas B. Dirks, Colonial Amnesia and the Old Regime in the Photographs of Linnaeus Tripe, in: ebd., 196–215. Nach der Mission stellte Tripe aus seinen ‚Burma views‘ ein erfolgreiches Album her. 13 Zur Unzulänglichkeit der „Künstler“abbildungen im Vergleich zur Photographie: John Falconer, „A Pure Labor of Love“. A Publishing History of ‚The People of India‘, in: Eleanor M. Hight / Gary D. Sampson (Hrsg.), Colonialist Photography. Imag(in)ing Race and Place. London / New York 2004, 51–83, hier 57. Speziell in Bezug auf die Mediziner: Anja Zimmermann, Ästhetik der Objektivität. Genese und Funktion eines wissenschaftlichen und künstlerischen Stils im 19. Jahrhundert. Bielefeld 2009, 212. Vor der Photographie waren die ‚traveling artists‘ doch seit Ende des 18. Jahrhunderts immer wichtiger geworden: Claudio Greppi, „On the Spot“. Traveling Artists and the Iconographic Inventory of the World, 1769-1859, in: Felix Driver / Luciana Martins (Hrsg.), Tropical Visions in an Age of Empire. Chicago 2005, 23–42. 14 So die Weisungen der East India Company an die Regierung von Bombay, Dezember 1854: Falconer, Publishing History (wie Anm. 13), 57; vgl. die Aufgabe Tripes bei seiner Anstellung als ‚State Photograph‘ in Madras, „to record accurately and in detail the historical monuments, geological features, botanical elements, and inhabitants of the country, together with their customs, dress, and occupations“ (Zitat aus Dirks, Colonial Amnesia [wie Anm. 12], 196). Kurz vor Yules Mission und bis 1856 wurden Photographische Gesellschaften in den drei ‚Presidencies‘ von Bombay, Bengal und Madras gegründet.
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
83
fünfziger Jahre in der photographischen Technik geübt,15 daher konnte er in seinem ‚Narrative‘ die genaueren Darstellungsmöglichkeiten der Photographie ausdrücklich preisen;16 des kognitiven Novums dieser Kunst war er sich durchaus bewusst, sodass er überrascht von der Fähigkeit der Burmaner berichtete, Negative, Skizzen und Landschaften zu verstehen, wobei die Inder weniger zur Visualisierung neigten und weder europäische Gemälde noch Photos von Landschaften und Karten erkennen könnten.17 Die Mehrheit der Abbildungen im ‚Narrative‘ waren Skizzen von Yule selbst und Zeichnungen des „artist“ Colesworthy Grant, die zur Illustration des oft sehr deskriptiven Textes dienten: Orte, Monumente – vor allem Klöster –, ab und zu Menschen, darunter die später berühmte ‚Hairy Woman‘, die nach der Zerstörung des Hofes in Burma 1885 mit ihrer Familie nach Westen zur ‚Ausstellung‘ gebracht wurde.18 Ein ganzes Kapitel war den Überresten Pagáns gewidmet: die detaillierte Beschreibung Yules aus direkter Beobachtung und der Vergleich zu Zeichnungen und Abbildungen seiner Reisegenossen ließ eine genaue, kunsthistorisch wert-
15 A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), XXXIX. Zur Photographie als „geeignete[m] Instrument im Dienst einer objektiven Wissensproduktion“ u. a. Bernd Hüppauf / Peter Weingart, Wissenschaftsbilder – Bilder der Wissenschaft, in: Dies. (Hrsg.), Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft. Bielefeld 2009, 11–43, hier 23. 16 H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), 37, in Bezug auf die Tempel von Ananda („The wood-carving was rich and effective beyond description; photography only could do it justice“) und ebd., 162: „To give an idea of any of these (i. e. monastic buildings) is difficult, and to describe many of them would be tiresome. But, aided by illustrations from Captain Tribe’s photographs, I will endeavour to give my impressions of the two most elaborate…“. Ebd., 45, Anm. *, ein zweites Mal beklagte Yule, dass Tripe wegen Krankheit nicht nach Pagun mitfahren konnte, und er sich für die eigenen Skizzen auf seine zwei anderen Kollegen verlassen musste. 17 Yule überließ seine Beobachtung den Ethnographen: H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), 89 f. Anlass dieses Exkurses war die Neugier des Avakönigs auf die „sun-pictures“, von denen der König gehört hatte. Die Heranbildung eines Einheimischen zum Photographieren auf Wunsch des Königs hatte aber keinen Erfolg. 18 Ein kurzer Exkurs ist Maphoon gewidmet, der „hairy woman“, die Yules Vorgänger, John Crawfurd, schon beeindruckt hatte (Crawfurd, Journal of an Embassy [wie Anm. 9], 185–187). Maphoon wurde genau beschrieben (H. Yule, Narrative [wie Anm. 5], 93–95) und von dem „artist“ der Expedition, C. Grant, porträtiert, vgl. A Series of Views in Burmah Taken during Major Phayre’s Mission to the Court of Ava in 1855. Calcutta s. n., 1856, online: http://www.bl.uk/onlinegallery/onlineex/apac/other/019wdz000000540u00095000.html und http://www.bl.uk/ onlinegallery/onlineex/apac/other/019wdz000000540u00096000.html (Zugriff: 21. November 2013). Zu ihrem Schicksal im Westen zusammen mit ihrem Sohn: Jan Bondeson, Two-headed Boy, and Other Medical Marvels. Ithaca (NY) 2000, 13–18.
84
Daniela Rando
volle Visualisierung entstehen,19 die durch einen Appendix von James Fergusson ergänzt wurde.20 Mit seiner Rückkehr nach Europa widmete sich Yule genau jener Art von Reiseberichten aus dem Mittelalter – zuerst den ‚Mirabilia descripta‘, den „wonders of the East“, aus dem Jahr 1863, die Übersetzung und Kommentar des Dominikaners Jordan Catala de Sévérac aus dem 14. Jahrhundert umfassten.21 Drei Jahre später folgten die beiden Bände von ‚Cathay and the Way Thither‘, die unter anderem die Übertragung von Ibn Battuta und Odorico da Pordenone besorgten.22 Einem breiten Publikum machte ihn vor allem eine englische Übersetzung mit ausführlichem Kommentar aus dem Jahr 1871 bekannt, sie erschien unter dem Titel: ‚The Book of Ser Marco Polo‘.23 Das Werk bestand ebenfalls aus zwei Bänden, fand allseits wohlwollende Aufnahme und brachte seinem Autor Medaillen und Mitgliedschaften in verschiedenen geographischen Gesellschaften Europas ein, besonders in Paris und Berlin. Es erreichte ein Echo bis nach China, von wo weitere Anregungen und Ergänzungen ankamen, sodass Yule sich schon vier Jahre später zu einer zweiten, vermehrten Auflage entschloss.24 In der darauffolgenden Zeit erwog er sogar eine dritte Edition, die aber erst nach seinem Tod realisiert wurde; dafür konnte seine Tochter Amy den französischen Sinologen Henri Cordier gewinnen, einen alten Freund ihres Vaters, der ansätzliche Informationen in Yules Kommentar einfügte.25
19 H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), 3–54, cap. 2: „The remains at Pagán“. 20 Fergusson war der damalige Fachmann für orientalische Kunst und Verfasser eines erfolgreichen Handbuches über die Weltarchitekturgeschichte. Die „facts and illustrations“ von Yule würdigte er als neues und wichtiges Kapitel zur Kunstgeschichte Indiens: H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), Appendix L, 377–380, hier 377; 380. Paul Strachan, Imperial Pagan. Art and Architecture of Old Burma. Honolulu 1989, 3, äußert sich anerkennend über Yules Arbeit, besonders über seine Abbildungen und Beschreibungen der Klöster Pagáns. 21 Mirabilia descripta. Ed. H. Yule (wie Anm. 6). 22 Cathay and the Way Thither. Being a Collection of Medieval Notices of China (…). With a Preliminary Essay on the Intercourse between China and the Western Nations Previous to the Discovery of the Cape Route, 2 Bde. Ed. Henry Jule. London 1866, ND 1916. 23 The Book of Ser Marco Polo, the Venetian, Concerning the Kingdoms and Marvels of the East (…), 2 Bde. Ed. Henry Yule. London 1871 24 The Book of Ser Marco Polo, the Venetian, Concerning the Kingdoms and Marvels of the East. (…) With Notes, Maps and Other Illustrations. By Colonel Henry Yule, C.B., Late of the Royal Engineers (Bengal), Hon. Fellow of the Geographical Society of Italy, Corresponding Member of the Geographical Society of Berlin, and of the N.-China Branch of the R. Asiatic Society, etc. (…), 2 Bde. London 21875. 25 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2).
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
85
3 Männergesellschaften Für seinen ‚Marco Polo‘ bediente sich Yule eines Netzwerkes von Kontakten, das er während seiner Zeit in Indien unter der Kolonialverwaltung gepflegt hatte. Eine der Hauptinformationsquellen waren Diplomaten, Armee- und Geheimdienstoffiziere sowie Missionare in Südindien, Tibet und Shanghai. Unter ihnen figurierten Teilnehmer am ‚Great Game‘ (also dem Wettlauf zwischen Engländern und Russen um die Vorherrschaft in Zentralasien) wie Mark S. Bell, Geheimdienstdirektor der britischen Armee, auf der einen und Vertreter des Zaren wie Oberst N. Prževal‘skij auf der anderen Seite. Einer der ‚Bengal Engineers‘, Major Thomas G. Montgomerie, war als Protagonist des ‚Great Trigonometric Survey of India‘ auch Erfinder des sogenannten ‚Moncheesystems‘ (bei dem Einheimische rekrutiert und ausgebildet wurden, um incognito geheime Landkarten Zentralasiens zu vermessen); als solcher avancierte er zum Vorbild für den Colonel Creighton in Kiplings ‚Kim‘.26 Für ihn, seinen „brother Officer“, verfasste Yule 1878 den Nekrolog, nachdem er ein Jahr vorher dem erfolgreichsten von Montgomeries Pundits („spy explorers“), einem einheimischen Inder, für seine Verdienste die Goldmedaille der ‚Royal Geographic Society‘ verschafft hatte. Als Kaufmann und Pilger getarnt hatte der „Pundit der Pundits“ wie ein „zweiter Livingstone“ (so Yule) wertvolles trigonometrisches Material bis nach Lhasa im Himalaya gesammelt.27 Ein enger Freund von Yule war Sir Bartle Frere (1815–1884), dem Yule seine ‚Mirabilia‘ widmete. Frere amtierte in den Jahren 1850–1859 als ‚Chief-Commissioner‘ von Sind (Pakistan), 1862–1866 als Gouverneur von Bombay; er war ein begeisterter Geograph und an der Photographie interessiert.28 1859–1862 war er Patron der ‚Bengal Photographic Society‘, Mitglied des ‚Viceroy’s Council‘ und daher Vertrauter von Lord Canning. Sein Porträt schmückt das Frontispiz eines Photoalbums von 1880, eine Propagandainszenierung der Triumphgeschichte der Kolonisierung und der großen Männer (wie eben Frere) in Südafrika.29 Auch Lord Canning, dem Yule besonders verbunden war, ‚Governor-General‘ von
26 Larner, Marco Polo (wie Anm. 1), 178; Derek J. Waller, The Pundits. British Exploration of Tibet and Central Asia. Lexington 2004, 15–21, bes. 19. – Auf Montgomerie geht u. a. der Name des K2 zurück. 27 Waller, Pundits (wie Anm. 26), 125. Yule holte auch die Medaille im Namen vom Pundit Nain Singh ab, der an der Zeremonie nicht teilnehmen konnte (ebd., 216). 28 Frank V. Emery, Geography and Imperialism. The Role of Sir Bartle Frere (1815–1884), in: The Geographical Journal 150, 1984, 342–350. Vgl. A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), LIII; die Widmung: Mirabilia descripta. Ed. H. Yule (wie Anm. 6), I. 29 Ryan, Picturing Empire (wie Anm. 3), 104–106.
86
Daniela Rando
Indien Mitte der fünfziger Jahre und dann ab 1858 Vizekönig,30 besaß zusammen mit seiner Frau, die selbst Photographin und Zeichnerin war, eine große Zusammenstellung von Photographien als Privatsammlung, die aber nach dem ‚Great Mutiny‘ von 1857 in ein offizielles Projekt des Geheimdienstes beim ‚Indian Office‘ überführt wurde.31 Die Sammlung unter dem Titel ‚The People of India‘ umfasste acht Bände und hatte zum Ziel, die Verschiedenheit der indischen Bevölkerung zu erfassen und bediente sich dazu Photographen, die aber ohne festen Plan ihren Dienst versahen. Gleichwohl spiegelte die Sammlung verschiedene Typen innerhalb der Bevölkerung wieder, je nach Struktur der Verwaltung durch die Kolonialregierung: In ihrer Gesamtheit war sie eine Art ethnographischer „Rekognition“ für das ‚Indian Office‘, ein Instrument der Überwachung, dazu angelegt, Bevölkerung und Umfeld der Beherrschten für die Regierung überschaubar zu machen.32 In Yules Umgebung fanden sich auch „Exoten“ wie der Franzose Francis Garnier, der als junger Marineleutenant schon mit 34 Jahren verstarb, und zwar nach einer „denkwürdigen Expedition den Mekong entlang bis nach Yunnan“,33 einer echten Abenteuerreise über 10. 000 Kilometer, über die er einen Bericht verfasste, der ihm den Ruhm eines der kühnsten Exploratoren seiner Generation einbrachte und ihn zum Symbol der französischen Expansion im Fernen Osten werden ließ. Yule machte seine Bekanntschaft in Paris, wo der junge Mann eine herausragende Figur der imperialistischen Zirkel war.34 Diese Verbindung mit dem „Feuerkopf“
30 Über Yules persönliches Verhältnis zu den Cannings: A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), LII–LIV. Nach dem ‚Great Mutiny‘ hatte er zusammen mit Lady Canning die Details des von ihm beauftragten Denkmals in Cawnpore diskutiert und nach ihrem Tod bemühte er sich um ihr Begräbnis. Über das „memorial well“ bei Cawnpore, ein oktogonales Gitter, das von Yule im neugotischen Stil entworfen und mit Versen verziert worden war, siehe Henry G. Keene, Handbook for Visitors to Lucnow. Calcutta 1875, ND New Delhi 2000, 44; 55; Ders., Handbook for Visitors. Allahabad, Cawnpore and Lucknow (…). Calcutta 21896, 26; Gary D. Sampson, Unmasking the Colonial Picturesque. Samuel Bourne’s Photographs of Barrackpore Park, in: Hight / Sampson (Hrsg.), Colonialist Photography (wie Anm. 13), 84–106, hier 96. Seine Autorschaft musste Yule 1865 betonen: The Athenaeum 1979, September 30, 1865, 437 (Brief von Henry Yule, Palermo, 15. Sepember 1865). Zu Cawnpore als ‚lieu de memoire‘ nach 1857 Alex Tickell, Terrorism, Insurgency and Indian-English Literature. New York 2012, 95–97, Zitat 95. 31 Über das Interesse von Lord und Lady Canning an der Photographie: Karlekar, Visual Histories (wie Anm. 12), 62–64, und Charles Allen, A Glimpse of the Burning Plain. Leaves from the Indian Journals of Charlotte Canning. London 1986, bes. 21; 45. 32 Ryan, Picturing Empire (wie Anm. 3), 155. Details über die Entstehung und die problematische Durchführung bei Falconer, Publishing History (wie Anm. 13), bes. 52. 33 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), XXIII–XXIV (original preface). 34 Massimo Galluppi, Intellettuali e agenti dell’imperialismo in estremo Oriente. Francis Garnier e la conquista francese dell’Indocina (1860–1873). Napoli 1984, bes. 68.
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
87
Garnier erscheint mehrmals in Yules Anmerkungen zu seinem ‚Marco Polo‘, die Garnier als „distingueshed leader“ der Expedition nach Kambodscha feierten. Für Garnier erwirkte Yule ebenfalls eine Auszeichnung mit Goldmedaille bei der ‚Royal Geographic Society‘, konnte schließlich aber nur noch den Nekrolog für den Frühverstorbenen verfassen.35 Die Verbindung mit Garnier zeigt, dass Yule auch in Europa weiter Kontakte zu Repräsentanten des Kolonialsystems pflegte. Wie schon die ‚Asiatic Society of Bengal‘ als Sozialisierungs- und Informationsaustauschsort36 halfen ihm dabei seine Mitgliedschaften in den verschiedenen Londoner Societes, durch die er u. a. Sir Francis Galton (1822–1911) kennenlernte.37 Galton musste aus Gesundheitsgründen frühzeitig den praktischen Bereich des Explorativen aufgeben und beschäftigte sich mit den sogenannten angewandten Wissenschaften, einmal der Metereologie – er verwendete als erster den Begriff ‚Antizyklon‘ –, dann der Psychologie in Verbindung mit Anthropometrie und dem Phänomen des Fingerabdrucks. Galton war mit Charles Darwin verwandt und nach der Veröffentlichung der ‚Origins of Species‘ (1859) wandte er sich dem Evolutionismus zu und begann eigene Studien zur Vererbungslehre in Richtung Eugenik, als deren Begründer er gilt, da er den Terminus 1883 als erster gebrauchte. Seine Arbeit ging allerdings nicht nur auf die physischen Unterschiede ein, sondern auch auf die sozialen. Als eine Art angewandte Anthropologie war seine Forschung stark mit der Vorstellung über eine Hierarchisierung der „Unterlegenheit“ der nichteuropäischen Völker verbunden. Für seine Experimente bediente er sich der Photographie und besonders der sog. komponierten Photos, d. h. Galton ließ Abzüge von mehreren photographischen Platten übereinander anfertigen, damit sich die vermeintlich allgemeinen Züge gegenüber denen der Einzelpersonen besser herausfiltern ließen. Diese Art der Technik wurde besonders bei einer Typologie Londoner Krimineller angewendet, aber auch bei Schädelformen der Andamanen,
35 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), 57, Anm. 5. 36 Auf Wunsch der Mitglieder der Gesellschaft brachte Yule z. B. zum Meeting vom Februar 1858 einige Gravuren aus Backstein mit, die großes Interesse hervorriefen (Proceedings of the Asiatic Society. For February, 1858, in: Journal of the Asiatic Society of Bengal 27, 1858, 110–127, hier 112). Bei anderen Gelegenheiten las er, kommentierte oder übersandte Texte von anderen Kollegen, vgl. u. a. Proceedings of the Asiatic Society. For January, 1862, und ebd. For March, 1862, jeweils in: Journal of the Asiatic Society of Bengal 31, 1862, 53–64, hier 62 f., und 94–110, hier 95–104. 37 Knappes Porträt bei George W. Stocking, Victorian Anthropology. New York / London 1987, 92–96. Vgl. Ruth Schwartz Cowan, Galton, Sir Francis, in: Oxford Dictionary of National Biography 21. Oxford 2004, 346–349, und Carlo Ginzburg, Family Resemblances and Family Trees. Two Cognitive Metaphors, in: Critical Inquiry 30, 2004, 537–556, hier 537–546; 549.
88
Daniela Rando
einem Inselvolk im Golf von Bengalen, die Yule bei seinem Kommentar zu ‚Marco Polo‘ behandelt und über die er 1875 einen Artikel in der ‚Encyclopedia Britannica‘ verfasst hatte.38 Galton brauchte also das neue Mittel der Photographie, um verschiedene Menschen‚typen‘ darzustellen und zu ‚vermessen‘; sein Versuch, geistige Phänomene mit physischen Gesetzmäßigkeiten zu korrelieren, brachte ihn zur Anwendung der Photographie im Dienst einer Psychophysik. Galton stand in direktem Kontakt zu Yule, der ihn „Freund“ nannte39 und sicher Kenntnis von dessen Experimenten über die Visualisierung hatte. Dabei lieferte Galton auf diesem Feld durchaus originelle Beiträge, indem er etwa zeigte, dass Gehirne auf verschiedene Weise funktionierten und Bilder im visuellen Gedächtnis bei manchen Menschen eine wichtige Rolle spielten, bei anderen weniger bedeutend waren. Yule selbst besaß die eigenartige Fähigkeit, Formen und architektonische Eindrücke mit Nennung der einzelnen Wochentage zu assoziieren; nach Erinnerung seiner Tochter hatte er 1878–1879 im Zusammenhang mit den Arbeiten von Francis Galton einige Notizen darüber verfasst.40 Damals arbeitete dieser gerade an der Visualisierung von Zahlen oder Zahlenformen, denen sich möglicherweise Monate, Jahre und Einzeltage der Woche zuordnen ließen; bei diesen Experimenten brachte er einige Versuchspersonen in das ‚Anthropological Institute‘, die diese Erfahrung beschreiben konnten, darunter auch Henry Yule.41 Die Anekdote steht sinnbildhaft für die bisher angeführten Daten über Yules soziales und kulturelles Ambiente aus Kolonialfeldzügen, Explorationen, Geographie, Anthropologie und hohen Erwartungen an eine wissenschaftliche Vermessung des Menschen oder einzelner Gruppen, angelehnt an die Bedeutung für die imperiale Politik und ihre vermeintliche Erkenntnis über die verschiedenen ‚Rassen‘. Die Visualisierungsarbeiten Galtons reflektierten das Zusammenwirken dieser Interessen in der Photographie – so effektiv beim ‚Picturing Empire‘, einer Technik, die als Höhepunkt der westlichen Forschung zu Visibilität und Beobachtung angesehen wurde. Zur „Visualisierung“ besaß Yule eine besondere Bega-
38 Ryan, Picturing Empire (wie Anm. 3), 170–173. 39 Francis Galton, Visualised Numerals, and Other Forms of Mental Imagery, in: The Journal of Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 10, 1880, 85–102, hier 88. 40 A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), XLIX–LX, Anm. 46. Amy Yule brachte aber keine weiteren Auskünfte. 41 Am 9. März 1880 hielt Galton einen Vortrag über „Visualised Numerals“ am Anthropological Institute (Galton, Visualised Numerals [wie Anm. 39]), wo er mittlerweile eine prominente Position erreicht hatte (Stocking, Victorian Anthropology [wie Anm. 37], 261).
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
89
bung: sie ließ ihn Reiserouten aufspüren und Karten nachzeichnen, Skizzen von Gebäuden und Landschaftsaquarelle entwerfen.42 Daher zeichneten das kartographische Element und die Illustrationen Yules Edition aus, ein Vorteil, den auch die ersten Rezensenten würdigten, darunter der Präsident der ‚Royal Geographic Society‘, Sir Murchison.43 Tatsächlich war Marco Polos ‚Itinerar‘ einer der Hauptschwerpunkte;44 Yule versuchte, es minutiös zu rekonstruieren und fügte sich mit seiner Interpretation des Textes als Reisebericht in den seit Giovanni Battista Ramusio bestehenden Interpretationsfluss ein, der nach der Mitte des 16. Jahrhunderts den Titel des Buches in ‚Die Reisen von Marco Polo‘ geändert hatte.45
4 „Marcus Paulus Venetus“ Die Grundbedeutung, die Yule der Erfahrung des Reisenden Marco Polo beimaß, blieb die der Exploration. Auf diese Erkenntnis stützte sich die Parallele zwischen Vergangenheit und Gegenwart,46 zwischen der Person Marco Polo und derjenigen Yules und seiner Zeitgenossen. Zum Pamirplateau konnte Yule z. B. bemerken, dass „dieses Kapitel eines der interessantesten des Buches ist und in vielem die herausragenden Entdeckungen der modernen Explorationen vorwegnahm, während entgegengesetzt die Schilderung des Leutnants John Wood den Bericht Marcos in den Details glänzend bestätigt“.47 Der reisende Explorator Marco Polo
42 Eine Sammlung von Yules Aquarellen und Zeichungen bei der British Library, online: http:// explore.bl.uk (Zugriff: 21. November 2013). 43 Roderick I. Murchison, Address to the Royal Geographical Society, Delivered at the Anniversary Meeting on the 22nd May 1871, in: Proceedings of the Royal Geographical Society 15. Session 1870–1871. London 1871, 252–316, hier 270 f. Und vgl. Yules Vorwort zur 2. Auflage (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, XIII). 44 Vgl. seine umfangreiche Rezension der neuesten Pololiteratur: Henry Yule, Marco Polo and His Recent Editors, in: The Quarterly Review 125, 1868, 133–165. 45 Larner, Plucking Hairs (wie Anm. 1), 134 f. 46 Die für Geographen so attraktiven Länder wurden nach Polo nicht mehr von Europäern beschrieben bis zur Expedition 1838 des Captain John Wood unter der Indian Navy; Woods Bericht gilt als „splendid incidental illustration of that of his medieval predecessor“ (H. Yule, Marco Polo [wie Anm. 44], 155). Das Reisebuch des Schotten John Wood (1812–1871), Kartograph und Explorator u. a. Zentralasiens, wurde dann von Yule mit einem Essay versehen: John Wood, A Journey to the Source of the River Oxus. (…), Edited by His Son. With an Essay on the Geography of the Valley of the Oxus by Colonel Henry Yule. London 1872. 47 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, 174, cap. 32, Anm. 2, Plateau von Pamir: „This chapter (…) contains one of its most splendid anticipations of modern explora-
90
Daniela Rando
wurde so ein Bestandteil in der Kontinuität mit den großen Entdeckungen der Neuzeit und der Gegenwart. Bei Yule selbst, dem Protagonisten und Chronisten der Burmamission 1855, wirkte die Arbeit an dem Buch, der Übersetzung und Aktualisierung im Laufe von 30 Jahren bis in die eigene Persönlichkeit hinein. Tochter Amy erinnerte sich, dass Freunde ihn (vielleicht scherzhaft – als Spitzname) „Marco Polo“ nannten und dass Yule seine Zeitungsbeiträge als Marcus Paulus Venetus signierte – eine Benennung, die Amy bei einer Russlandreise den Titel Mademoiselle Marco Paulovna eintrug.48 Dieser denkwürdige Prozess der Assimilation zeigt sich auch bei dem Epigraph, das Yule für die erste Edition 1871 ausgesucht hatte: „A seder ci ponemmo ivi ambodui / vôlti a Levante“, (‚Hier setzten wir beide uns nieder, nach Osten gewandt, von woher wir aufgestiegen waren‘), einem Dantevers (Purgatorium 4,50–52), in dem der Venetianer und sein schottisches Alter Ego Seite an Seite zu sitzen schienen.49 Diese Gleichstellung verstärkte sich noch bei Yules Porträt von T. B. Wirgmann in der Masse der ‚Royal Engineers‘ von Chatham, das nach dem Titelblatt der dritten Edition reproduziert wurde: Nach der „Tradition des modernen Wissenschaftlerporträts seit dem 19. Jahrhundert“50 ist Yule abgebildet im Profil vor seinem Schreibtisch mit dem Blick ins Weite (Richtung Levante?); an der Wand sind zwei Wappen befestigt, verschränkt übereinander, aber doch deutlich lesbar: das von Sir Henry Yule51 ist zum Teil bedeckt mit dem Wappen der Familie Polo in der Überlieferung des Genealogen Marco Barbaro (Abb. 22).52 Die Parallele Yule–Polo wird im zweiten Deckblatt der beiden Bände wiederaufgenommen: wenn in dem des ersten Yule
tion, whilst conversely Lieutenant John Wood’s narrative presents the most brilliant confirmation in detail of Marco’s narrative.“ Vgl. ebd., 163, Anm. 7, in Bezug auf das Plateau von Shewá: „It contains a large lake called by the frequent name Sar-j-Kol. No European traveler in modern times (unless Mr. Gardner) has been on those glorious table-lands.“ 48 A. Yule, Memoir of Sir Henry Yule (wie Anm. 2), LXVII: „Yule so completely identified himself with his favourite traveller that he frequently signed contributions to the public press as Marcus Paulus Venetus or M.P.V. Vgl. auch ebd., Anm. 70. 49 Vgl. das Vorwort zur 2. Auflage: „In concluding these ‚forewords‘ I am probably taking leave of Marco Polo, the companion of many pleasant and some laborious hours, whilst I have been contemplating with him (‚vôlti a levante‘) that Orient in which I also had spent years not a few“ (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, XV). Für die deutsche Übersetzung: Dante Alighieri, Commedia. Ed. Kurt Flasch. Frankfurt am Main 42012, 158. 50 Sybilla Nikolow / Lars Bluma, Die Zirkulation der Bilder zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ein historiographischer Essay, in: Hüppauf / Weingart (Hrsg.), Frosch und Frankenstein (wie Anm. 15), 45–78, hier 45, mit umfangreicher Literatur. 51 Auch in Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, XXVI. 52 Auch in Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 23), Bd. 1, 4; 40, und Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, 8.
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
91
im gerade beschriebenen Gemälde erscheint (gefolgt von dem ausführlichen, biographischen Porträt durch seine Tochter), figuriert in dem des zweiten Marco Polo, in der Reproduktion eines späteren Gemäldes aus Rom.53 Marco Polo rein nach der Phantasie, ein alter Mann mit Bart (wie Yule); Yule als „Marcus Paulus Venetus“, Explorator des Orients, als Entdecker von unbekannten Ländern und Menschen. In diesem Sinne „montierte“ Yule auch das Buch für die Übersetzung: Er stützte sich im Grunde auf die Edition von Guillaume Pauthier,54 aber er löste sich von ihr, um bei Bedarf die vorhergehende Edition der ‚Société de Geographie‘55 und dann und wann einige Passagen des Ramusio einzufügen, die Yule als handschriftliche Interpolation von Polo selbst betrachtete. Die Unterscheidung zwischen Editor und Übersetzer gestattete ihm, wie er sagte, sich diese Freiheit herauszunehmen,56 eine Freiheit, von der er auch am Ende des Buches in weitem Maße Gebrauch machte, indem er einige Passagen als repetitiv wegließ, die sich vor allem auf die Kriege des Kublai bezogen. Zusammengefasst: Der von Yule übersetzte Text stellte streng genommen keinen Archetyp dar, er interessierte vor allem wegen seiner Informationen, als eine Art äußerer Behälter, in den sich zusätzlich einbringen ließ, was Kopisten ausgelassen hatten und was als angeblich Überflüssiges weggelassen werden konnte. Aller Kraftaufwand (wie bei Cordier und anderen) wurde dem Zweck untergeordnet, die vermeintliche Lücke zwischen Marco Polos Text und der historisch-geographischen Realität seiner Zeit zu überbrücken.57 Dafür nutzte Yule sein umfangreiches Wissen im Fußno-
53 Das Porträt war schon in der 2. Auflage vorhanden: Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 24), Bd. 1, 76. 54 Le livre de Marco Polo citoyen de Venise conseiller privé et commissaire impérial de Khoubilaï-Khaân. Rédigé en français sous sa dictée en 1298 par Rusticien de Pise. Publié pour la première fois d’après trois manuscrits inédits de la Bibliothèque imperiale de Paris, présentant la rédaction primitive du Livre, revue par Marc Pol lui-même et donnée par lui, en 1307, à Thiebault de Cépoy, accompagnée des variantes, de l’éxplication des mots hors d’usage, et de Commentaires géographiques et historiques, tirés des écrivains orientaux, principalement chinois, avec une Carte générale de l’Asie. Ed. G[uillaume] Pauthier. Paris 1865. 55 Recueil de Voyages et de Mémoires, publié par la Société de Géographie, Bd. 1: Voyages de Marco Polo. Paris 1824. Zum Unternehmen nun Ralph Kingston, Bureaucrats and Bourgeois Society. Office Politics and Individual Credit in France 1789–1848. Basingstoke 2012, 87 f. 56 ‚Eclectic Formation of the English Text of This Translation‘ lautet einer der Untertitel seiner Einführung; genauso eklektisch die Wiedergabe der Städtenamen: Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 23), Bd. 1, Introduction, CLIX–CLI (= Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, 141–144). 57 Paul Smethurst, The Journey from Modern to Postmodern in the ‚Travels of Sir John Mandeville‘ and Marco Polo’s ‚Divisament dou Monde‘, in: Richard Utz / Jesse G. Swan (Hrsg.), Postmo-
92
Daniela Rando
tenapparat, der manchmal die ganze Seite ausfüllt: eine Art „Enzyklopädie“58 mit einer Masse von Informationen, ein „bedeutendes Beispiel der Gelehrtheit des 19. Jahrhunderts“.59 Dort überboten sich Zitate alter und mittelalterlicher, europäischer und nichteuropäischer Autoren – Geographen, Schriftsteller, Reisende. Des Weiteren finden sich Exkurse in die Politikgeschichte, Kriegs- und Schiffstechniken, Auskünfte zu Ökonomie, Zoologie und Botanik; darüber hinaus Informationen über Ethnographie, Sagen und religiöse Traditionen, aber vor allem geographische Hinweise zur Identifizierung einzelner Orte, zusammen mit Präzisierungen über Landschaft, Flora und Fauna, Itinerare und zahlreiche Karten, deren Qualität der professionellen Erfahrung Yules als ‚Royal Engineer‘ zu verdanken ist. Sehr reich war auch der ikonographische Apparat,60 mit manchen Abbildungen aus der Hand Yules,61 der gleichzeitig als „Gelehrter“ und „Künstler“ agierte – sogar, wie schon in Burma, „on the spot“.62 Als „integrales Element
dern Medievalisms, with the Assistance of Paul Plisiewicz. Cambridge 2004, 159–179, hier 163. 58 In Bezug auf Marco Polo: „this book came to be seen as a sort of encyclopedia to which later knowledge (or ignorance) and further detail from other sources could be added at will, sometimes in the middle of a sentence“, so Mary B. Campbell zitiert in Smethurst, Journey (wie Anm. 57), 163. 59 Bingle, Henry Yule (wie Anm. 2), 157 f. 60 Vgl. Yules Vorwort zur 2. Auflage: „Having always attached much importance to the matter of illustrations“, bedankte er sich beim Verleger für die Menge neuer Abbildungen, die er zur zweiten Auflage hinzufügen durfte, und fuhr fort: „Though many are original, we have also borrowed a good many; a proceeding which seems to me entirely unobjectionable when the engravings are truly illustrative of the text, and not hackneyed“ (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, XIII). Bei der zweiten Auflage bemühte sich Yule auch um die Herstellung einer Liste der Miniaturen aus den zwei „schönsten“ Hss. des Marco Polo (ebd., Bd. 2, 527–529). 61 Dabei konnte der ehemalige Cadet am Military Seminary der East India Company in Addiscombe seine spezifisch technisch-künstlerische Ausbildung beweisen, die ihm manche Auszeichnungen gerade wegen seiner ‚military‘ und ‚landscape drawings‘ eingebracht hatte, vgl. die anonymen Berichte: Editor’s Portfolio, or: Naval and Military Register. East India Company’s Military Seminary. Addiscombe, in: The United Service Journal, and Naval and Military Magazine, 1838.2. London 1838, 417–420; Editor’s Portfolio, or: Naval and Military Register. East India Company’s Military Seminary. Addiscombe, in: ebd., 1839. London 1839, 272–275. 62 Vgl. oben, Anm. 13. Dem Ideal der „wissenschaftlichen“ Information seiner Zeit folgend, gab Yule eine sehr detaillierte Quellenliste der Abbildungen, von Fall zu Fall mit der Begründung seiner Auswahl und Details über die Bildproduktion, vgl. z. B. Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 23), Bd. 2, XVI, zur Abb. in ebd., 75: „The Palace of Amarapura in 1855. Borrowed from Fergusson’s H. of Architecture (but Mr. Fergusson’s cut is taken from a drawing by the present editor)“; XVIII, zur Abb. in ebd., 292: „The editor with some trouble procured from India a photograph of the Church as it stands; but the buildings having been renovated, apparently on the standard pattern of a barrack guard-room, it became necessary to fall back upon Daniel for a
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
93
im Prozess der Wissensproduktion“63 schöpften seine Abbildungen aus einem Quellenreservoir von Photos über Illustrationen populärer Publikationen bis hin zu ‚konstruierten‘ Bildern nach Beschreibungen und völlig phantastischen Zeichnungen (Abb. 23)64 – ganz besonders seine eigene von „Ruc’s Egg in aktueller Größe“, die er als „the nearest approach we could make to illustration of the Rukh from nature“ anbieten wollte und als Beilage zum zweiten Band vorlegte:65 insgesamt also ein kompliziertes Zusammenspiel von alten und neuen Darstellungstechniken, Zeichnungen und Photos, Fiktion / Imagination und (vermeintlicher) Wirklichkeit beim Versuch, seinen Text „ins Bild zu setzen“. Genauso eklektisch erscheint der schriftliche Kommentar. Die Quellenauswahl war ausgesprochen disparat, und Yule fügte Informationen aus erster Hand mit schriftlichen und mündlichen Berichten von Zeitgenossen ein, ohne besondere Abwägung oder ein Urteil über ihre Glaubwürdigkeit, in einem beständigen Hin- und Herspringen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, jenseits aller diachronischen Dimension.66 Im Kapitel über die Provinz Turcomania berichtet Marco Polo z. B., dass die Bewohner dem Islam angehörten, ein ungebildetes Volk mit einer „uncouth language of their own“ seien, und in der Anmerkung erinnerte Yule zuerst, dass Ricoldus da Montecroce (Ende des 13. Jahrhunderts) die Turkomanen homines bestiales nannte, und dann: „heute beobachtet Ainsworth in bezug auf ein turkomanisches Dorf: ‚Die Hunde sind sehr wild (…) die Bevölkerung ist nur wenig besser‘“, endlich schließt Yule mit einem Zitat von
juster illustration“; XVII–XVIII, zur Abb. in ebd., 233: „adapted from a proof of a woodcut given to the Editor for the purpose by Mr. Edward Blyth, the eminent Zoologist“. 63 Hüppauf / Weingart, Wissenschaftsbilder (wie Anm. 15), 21. Zur Verbindung von Text und Abbildung bei Yules Narrative Anm. 16. 64 Z. B. ‚Mediaeval Tartar Huts and Waggons‘ und ‚Tartar Idols and Kumis churn‘ (Quinto Cennis und Yules Zeichnungen nach verschiedenen Beschreibungen), ‚Marco Polo’s Galley going into action at Curzola‘ (Quinto Cennis Zeichnung, „from a design by the Editor“): Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, 255; 258; 49. Über Quinto Cenni, Illustrator vor allem von Militaria, siehe: Dizionario Enciclopedico dei Pittori e degli Incisori italiani dall’XI al XX secolo. Torino 1972, Bd. 3, 247; Nicola della Volpe, Quinto Cenni. Piemonte 1814–1860. Roma 2002, Album Nr. 2, 13–15. 65 „We gave, in the first edition of this work, a drawing of the great Aepyornis egg in the British Museum of its true size, as the nearest approach we could make to an illustration of the Rukh from nature“ (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 2, 417, Anm. 5). 66 Ein Rezensent sprach deswegen von einem echten „storehouse“: Marco Polo, and Travels in his footsteps, in: The Quarterly Review 132, 1872, 194–227, hier 199 f.: „Colonel Yule’s ‚Marco Polo‘ is literally a storehouse, nay more, it is a perfect mine of wealth of Oriental geography and history, both ancient and modern.“
94
Daniela Rando
Konstantin Porphyrogenitos aus dem 10. Jahrhundert über den schlechten Ruf der Einheimischen.67 Bei solcher Art von Kommentaren verflüchtigte sich jede historische Distanz, und die Anmerkungen des 19. flossen ungefiltert in die des 13. Jahrhunderts ein, mit der Folge einer (Schein-)aktualisierung von Marco Polos Reise. Yule und seine Zeitgenossen wurden Exploratoren ad instar Marci Poli, eingesogen in eine Orientreise, die auch eine Reise ins Mittelalter war, in eine „noch nicht vergangene“ Vergangenheit, von der die Gegenwart Zeugnis ablegte. Die Vergangenheit, die nicht verging,68 gesellte sich zu dem ambivalenten Gefühl des Verfalls und Niedergangs,69 den die Briten – vor allem als Christen70 – aufzuhalten hätten. Damit übernahm Yule einige Kategorien seiner Zeit, z. B. ‚Zivilisation‘ vs. ‚Barbarei‘.71 Von daher das Urteil über Kublai Khan: „as Koeppen observes, the first of his line to raise himself above the natural and systematic barbarism of the Mongols.“72 Oder über die „exzentrische“ Praxis der ‚couvade‘, die
67 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 24), Bd. 1, 46, Anm. 1 (= Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, 44, Anm. 1). 68 Schon in den ‚Mirabilia‘: „Were Jordanus to come to life again, he would see many changes no doubt, but he would still find many landmarks standing after the five and a half centuries. To say nothing of the ‚Coquodriles‘ and the horrible heat, he would find the Parsis still disposing of their dead in their strange old fashion, the Nairs still handing down their succession in oblique descent, the Dóms still feeding on offal and doing the basest drudgeries, the poor Poliars still dwelling in dens and howling by the wayside, the ox still ‚honoured like a father‘, and the idols still ‚dragged through the land like the Virgin at Rogation-tides‘; he might even hear now and then of ‚living women taking their places on the fire and dying with their dead‘. Much therefore of evil he would find very persistent“ (Mirabilia descripta. Ed. H. Yule [wie Anm. 6], II f.). 69 „But in regarding a country like China, in which moral and intellectual decay and disorganisation have been accompanied by an increase of population. (…) The empire which has a history coeval with the oldest of Chaldaea seems to be breaking up. (…) The internal combustions that are now heaving the soil come in contact with new and alien elements of Western origin. Who can guess what shall come of that chemistry?“ (Cathay. Ed. Yule [wie Anm. 22], Bd. 1, VII f. = ND, Bd. 1, X f.). 70 „The future is with God“: Cathay. Ed. Yule (wie Anm. 22), Bd. 1, VII (= ND, Bd. 1, XI); und vgl. Mirabilia descripta. Ed. H. Yule (wie Anm. 6), IV: „Till India becomes Christian there is no hope of real life and renovation.“ 71 Vgl. den Vortrag am 29. April 1879 beim Royal Anthropological Institute gehalten: Henry Yule, Notes on Analogies of Manners between the Indo-Chinese Races and the Races of the Indian Archipelago, in: Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 9, 1880, 290–301 (zu seiner Entstehung zehn Jahre früher, ebd., 289). 72 Der Text bezieht sich auf die Haltung Kublais der Religion gegenüber und geht weiter: „[he] probably saw in the promotion of Tibetan Buddhism, already spread to some extent among them, the readiest means of civilising his countrymen. But he may have been quite sincere in saying that what is here ascribed to him in this sense, viz.: that if the Latin Church, with its superiority
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
95
Yule auf den Pyrenäen, in Südamerika und noch irgendwo anders wiederzuerkennen glaubte, mit Wurzeln in der „Psychologie des unzivilisierten Menschen“,73 dessen Spuren schon Max Müller im „Gefühl bei vielen unzivilisierten Völkern“ gefunden habe.74 Wild und unzivilisiert blieben nach ihm die ‚Kolomans‘, deren Soldaten „rank as the best among all the uncivilized tribes“,75 und die ‚Miautsé‘ – ihre „arblasts or crossbows are still characteristic weapons of many of the wilder tribes of this region“.76
5 Von Menschen und Tieren In der Kultur der viktorianischen Zeit nahmen Rassenvokabular und -vorstellungen breiteren Raum ein, mit zunehmender Bedeutung ab Ende der 50er Jahre nach den Aufständen in Indien und Jamaika (1865), bei denen sich starke Gegensätze in Bezug auf Sklaverei und Kontrolle durch die Kolonialmächte verfestigten. Die Beachtung des Rassischen ging in fast alle wissenschaftlichen Betätigungen ein und konzentrierte sich immer mehr in den Bereichen Ethnologie und Anthropologie. Die Herausbildung von Typen wurde Teil des kulturellen Diskurses, der von den äußeren Merkmalen her die innere Verfassung ablesen und mit Physiognomik und Schädelkunde die individuellen Charakterzüge in der literarischen und visuellen Kultur sichbar machen zu können glaubte.77 In diesem Zusammenhang ist Yules Rassenkonzept anzusiedeln: In einem Aufsatz von 1879, der aber schon zehn Jahre zuvor etwa gleichzeitg mit seinem ‚Marco Polo‘ entstanden war, hatte er sich mit den Rassen auseinandergesetzt – mit Erläuterungen der Analogien zwischen den indochinesischen und indischen Bevölkerungsgruppen des Archipels auf der Basis von Bräuchen, physischer Ähnlichkeit und räumlicher Nähe.78
of character and acquirement, had come to his aid as he had once requested, he would gladly have used its missionaries as his civilising instruments instead of the Lamas and their trumpery“ (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 1, 349, Anm. 1). 73 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 2, 92, Anm. 4. 74 Ebd., 93. 75 Yule übernahm die Beschreibung von Elijah C. Bridgman und setzte sie kursiv an (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 2, 124, Anm. 1). 76 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 2, 82, Anm. 4: „Some of the Miau-tzŭ of Kweichau are described as wearing armour of buffalo-leather overlaid with iron plates“. 77 Hier übernehme ich wortwörtlich Ryan, Picturing Empire (wie Anm. 3), 147. Vgl. auch die Queries von 1844: King, Queries Respecting the Human Race (wie Anm. 11). 78 H. Yule, Notes on Analogies of Manners (wie Anm. 71). Zur positiven Aufnahme von Amateu-
96
Daniela Rando
Die Abbildungen im ‚Marco Polo‘ lassen das Bestreben erkennen, Gesichtszüge und Identität zu typologisieren. ‚Das Porträt eines Hazara‘,79 nach einem echten Photo, erscheint vom Kontext losgelöst und auf einen schraffierten Hintergrund skizziert, quasi als ‚Typus‘ mit allgemeiner Physis, und mit derselben figurativen Zeichentechnik geschaffen, die Tierarten in anderen Abschnitten des Werks eigen ist: etwa dem Pamirwidder (ovis Poli) oder dem äthiopischen Schaf (Abb. 24).80 Genauso aseptisch gerieten die Kakhyen, Mann und Frau vor einem Baum, wieder nach einem Photo, mit nur einer Spur von Kulisse, vor der die beiden angeblich „posiert“ hatten.81 Wie das des Hazara, ist auch dieses Bild das Ergebnis einer Kategorisierung, um die kulturelle „Reinheit“ des anthropologischen Objekts zu erreichen, völlig ohne historischen Zusammenhang. Rasse und Zivilisation erscheinen noch einmal mit ihrem ideologischen Potenzial beim Kommentar zu Marco Polos Beschreibung der Andamanen in der Bengalbucht, und zwar mit einer schrittweisen Erweiterung durch die Ausgaben über Yules Tod hinaus. In Buch III, Cap. XIII, stellte Marco Polo die Andamanen als führerlos und abergläubisch, als Menschenfresser mit Hundeköpfen, -zähnen und -augen dar. „Angaman est une ysle bien grant. Il ne ont roi. Il sunt ydres e sunt come bestes sauvajes. Et si vos dirai d’une meinere de jens que bien fait a conter [en] nostre livre. Or sachiés tout voiremant que tuit les homes de ceste ysle ont chief come chien et dens et iaux come chiens: car je vos di qu’il sunt tuit senblable a chief come chien de grant chienz mastin. Il ont especeries asez. Il sunt mout cruel jens. Il menuient les omes, tuit cil que il puent prandre, puis qu’il ne soient de lor jens. Il ont grant abonda[n]ce de toutes meineres d‘especeries. Lor viandes est [ris] e lait et cars de toutes maineres. Il ont encore fruit devisee a les nostres.“82 Genau in der Zeit, in der Yule schrieb, standen die Andamanen im Blickpunkt der europäischen Öffentlichkeit. Die Inseln wurden dem Empire in den fünfziger Jahren nach dem ‚Great Mutiny‘ einverleibt und zur Strafkolonie umorganisiert.83 Gleichzeitig verdichteten sich Forschungen über die Inselbewohner, die als
ren und Praktikern bei der britischen Anthropologie des 19. Jahrhunderts, siehe Satadru Sen, Savagery and Colonialism in the Indian Ocean. Power, Pleasure and the Andaman Islanders. London / New York 2010, 5, in Bezug auf Henrika Kuklick, The Savage Within. The Social History of British Anthropology, 1885–1945. Cambridge 1991, 27–74 („Scholars and practical men“). 79 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, 102. 80 Ebd., 177; 176; ebd., Bd. 2, 425. 81 Ebd., Bd. 2, 90. 82 Il Milione. Prima edizione integrale a cura di Luigi Foscolo Benedetto, sotto il patronato della città di Venezia. Firenze 1928, 176, cap. 173. 83 Vgl. nun Sen, Savagery and Colonialism (wie Anm. 78).
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
97
wichtiges wissenschaftliches Thema wegen ihrer geographischen Isolation und ihrem angeblich niedrigen Entwicklungsstadium als Vertreter der „Kindheit des Menschen“ betrachtet wurden.84 Damit beschäftigte sich z. B. Edward B. Tylor, den Yule persönlich kannte und oft zitierte,85 eine Schlüsselfigur der britischen Anthropologie, u. a. Mitarbeiter der ‚Notes and Queries on Anthropology, for the Use of Travellers and Residents in Uncivilized Lands‘ (1874)86 für die Förderung genauer anthropologischer Auskünfte und der Photographie zu wissenschaftlichen Zwecken. Bei Yule blieb der Kommentar zu Marco Polos Bericht zunächst knapp und eher deskriptiv. Schon bei den ‚Mirabilia‘ hatte er den Mangel an Nachrichten über die Andamanen bedauert, mit einem kurzem Exkurs über ihre angebliche Hundeschnauze – ein Detail aus Ibn Battuta, das sich auf einen speziellen männlichen Gesichtstypus bezog und das Yule in ‚Cathay‘ zu einer Porträtskizze von Sunda-Bauern aus Java veranlasste.87 Im ‚Marco Polo‘ blieb er weiterhin neutral, operierte mit den üblichen Zitaten und mit Bezug auf Briefe von seinem Freund Colonel Henry Stuart Man, „when Superintendent of our Andaman Settlements“.88 Kommentarlos gab Yule einen Passus von dessen Brief wieder, nach dem „the natives who were captured at Trinkat (…) were a most savage-looking set, with remarkably long arms, and very projecting eye-teeth“89 und fuhr mit der Beobachtung fort, die Bevölkerung der Andamanen bestehe aus „Oriental negroes in the lowest state of barbarism – who had remained in their isolated and degraded condition, so near the shores of great civilised countries“;90 danach stellte
84 Ryan, Picturing Empire (wie Anm. 3), 153. Vgl. Sen, Savagery and Colonialism (wie Anm. 78), 28–34 („Race, science and the renewal of wonder“). 85 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 2, 91, Anm. 4, zum Briefwechsel Yule-Tylor in Bezug auf die couvade; dazu vgl. auch Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule (wie Anm. 23), Bd. 1, Introduction, CXXXIII = Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 1, 108. 86 Stocking, Victorian Anthropology (wie Anm. 37), bes. 156–164; zu den Notes and Queries ebd., 258–260. Wie die früheren Berichte (King, Queries Respecting the Human Race [wie Anm. 11]) wurden auch sie von der ‚British Association for the Advancement of Science‘ (at the Brighton Meeting im August 1872) veröffentlicht. 87 Mirabilia descripta. Ed. H. Yule (wie Anm. 6), 44, Anm. 2; Cathay. Ed. H. Yule (wie Anm. 22), Bd. 1, 466 f. (= ND, Bd. 2, 167–169). Andeutungen schon in H. Yule, Narrative (wie Anm. 5), 28: zu den Bilús, „may not be here some dime tradition of an alien and savage race of aborigines, akin perhaps to the quasi-negroes of the Andamans“; sogar in bezug auf die „hairy woman“, „at first sight seemed an absolute realization in the flesh of the dog-headed Anubis“ (ebd., 93). 88 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 2, 308. 89 Ebd. 90 Ebd., Bd. 2, 309. Ähnliche Beschreibung in Henry Yule, Andaman Islands, in: Encyclopaedia
98
Daniela Rando
er eine Beschreibung aus den ersten arabischen Reiseberichten zusammen, nach denen die Andamanen menschenfressende Schwarze mit Kraushaar seien und ohne Kleider herumliefen, mit dem Hinweis, dass der Vorwurf des Kannibalismus andauerte, aber seit der Ansiedlung der Briten ab 1858 generell zurückgewiesen würde.91 Alle alten und modernen Meinungen wurden von Yule ohne Kommentar wiedergegeben. Gesprächiger wurde er erst in Bezug auf die alte Erzählung vom Hundemenschen – wie schon in seinem ‚Cathay‘ einige Jahre zuvor.92 Neue Informationen bot die dritte Ausgabe nach dem Tod Yules 1903,93 vor allem in den ‚Notes and addenda to sir Henry Yule’s edition‘, die Henri Cordier 1920 veröffentlichte.94 Hier machte der alte Freund des Colonels einen Brief von Sir Richard Temple bekannt,95 dem ehemaligen Verwalter der Andaman- und Nicobarinseln im Namen der britischen Regierung (1894–1903) und Berichterstatter über die Andamanen im ‚Census of India‘ von 1901 sowie in verschiedenen Zeitschriften. In seinem Brief hielt Temple die Andamanen für „Negritos in the lowest known state of barbarism“.96 Nach einem Selbstzitat aus dem ‚Census Report‘ behauptete er weiter: „in childhood the Andamanese are possessed of a bright intelligence, which, however, soon reaches its climax, and the adult may be compared in this respect with the civilised child of ten or twelve. He has never had any sort of agriculture, nor until the English taught him the use of dogs did he ever domesticate any kind of animal or bird.“ Der erwachsene Andamane könne nicht rechnen, „and all his ideas are hazy, inaccurate, and ill-defined. He had
Britannica. Edinburgh 91875, Bd. 2, 11–13, hier 11: „These islands, so near countries that have for ages attained considerable civilisation and have been the seat of great empires, and close to the track of a great commerce which has gone on at least 2000 years, continue to our day the abode of savages as low in civilisation as almost any known on earth.“ „The racializing of the andamanese was central to their transformation from dog-headed beasts to humans of an inferior grade“, so Sen, Savagery and Colonialism (wie Anm. 71), 28. 91 Dazu Sen, Savagery and Colonialism (wie Anm. 78), 13–17. 92 Darunter „a curious passage from the Arab geographer Ibn Said pays an ambiguous compliment to the forefathers of Moltke and Von Roon: ‚The Borús (Prussians) are a miserable people, and still more savage than the Russians (…). One reads in some books that the Borús have dogs’ faces; it is a way of saying that they are very brave‘“ (Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier [wie Anm. 2], Bd. 2, 311 f., Anm. 1). 93 Book of Ser Marco Polo. Ed. H. Yule / Cordier (wie Anm. 2), Bd. 2, 308 f. (Nikobaren); 310–312 (Andamanen). 94 Henri Cordier, Ser Marco Polo. Notes and Addenda to Sir Henry Yule’s Edition (…). London 1920, ND 1975 (als Anhang der 3. Auflage Yules, wie Anm. 2). 95 Ebd., 144–150 (Brief vom 29. November 1919). 96 Ebd., 147–150.
„A seder ci ponemmo ivi ambodui vôlti a Levante“
99
never developed unaided any idea of drawing or making a tally or record for any purpose, but he readily understands a sketch or plan when shown him. He soon becomes mentally tired, and is apt to break down physically under mental training.“ Gemäß dem Stereotyp des Kolonisierten als Kind,97 behielten die Andamanen nach Temple ihr ganzes Leben lang „the main characteristics of the child“, im Alter aber „they are apt to become intractable, masterful, and quarrelsome. A people to like but not to trust (…) not amenable to civilisation.“ In Bezug auf die Frauen urteilte Temple, „the intelligence of the women is good, though not as a rule equal to that of the men“, obwohl er zugab, dass im Alter „they frequently exhibit a considerable mental capacity which is respected“. Bei manchen Frauen, die in einem Missionswaisenhaus erzogen wurden, „the ‚savagery‘ (…), however, only dying down as they grew older. (…) Such women, when the instability of youth is past, make good ‚ayas‘, as their menkind make good waiters at table“.98
6 Marco Polo – Lost in Translation 1920 wurde Temples Brief wortwörtlich unter den ‚Notes‘ zu Yule wiedergegeben und kann als repräsentativ für die Verflechtung von Anthropologie, kolonialer Herrschaft und geohistorischen Wissenschaften der Viktorianischen Zeit betrachtet werden. In den Händen von Militärs und Gouverneuren des Empire wurde Marco Polos Werk ein Depositum von vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnissen, von Edition zu Edition weiter angereichert durch Kartographie, Geographie, Photographie und Ethnographie. So „übersetzten“ Yule und seine kolonialen Zeitgenossen auf diese Weise und auf ihre Weise eine Welt, gleichzeitig m i t und i n einem Text, der „lost in translation“ war. Er verwandelte sich in ein Mittel zur Heranbildung und Aneignung des Orients, weit entfernt von eigener Moderne und trotzdem präsent – ein Stück Vergangenheit in der Gegenwart. Marco Polo galt also als Companion99 bei der Invention und Exploration eines „anachronistischen Raums“;100 mit seinen ‚maps‘, ‚surveys‘, topographischen Zeichnungen
97 Vgl. u. a. William B. Cohen, The Colonized as Child. British and French Colonial Rule, in: African Historical Studies 3.2, 1970, 427–431. 98 Cordier, Ser Marco Polo (wie Anm. 94), 146–148. 99 So H. Yule, Marco Polo (wie Anm. 44). Vgl. Larner, Marco Polo (wie Anm. 1), 178: „in their travels through Asia these men always seem to have had Marco Polo with them, either in their hand or their head.“ Zur „Entdeckungsgeschichte“ als „Bildungs- und nicht selten Literaturgeschichte“: Reichert, Columbus und Marco Polo (wie Anm. 2), 6. 100 Anne McClintock, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest.
100
Daniela Rando
und Photos – dem klassischen Know-How der ‚Royal Engineers‘, konnte er weiter zur Konstruktion „imaginativer Geographie“ beitragen.101
New York / London 1995, 40–44. 101 Für die Übersetzung bedanke ich mich bei Herrn Dr. Wolfgang Decker.
Gudrun Krämer
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs Kategorien sozialer Ordnung im islamisch geprägten Vorderen Orient In einer mediävistischen Runde liegt mein Arbeitsgebiet, die neuere Geschichte des Vorderen Orients, räumlich wie zeitlich gewissermaßen außen vor – und lädt damit zum Nachdenken darüber ein, was „innen“ und „außen“ hier bedeuten und in welches Verhältnis sie Raum, Religion und Kultur setzen: Die Grenzen Europas sind, wie Mediävisten nur allzu gut wissen, nicht klar gezogen und gerade dann fließend, wenn man Europa zwar grundsätzlich als räumliche Größe versteht, es zugleich aber mit Religion und Kultur verbindet und auf dieser Grundlage explizit oder implizit mit dem lateinischen Christentum (bzw. der Vorherrschaft des lateinischen Christentums) gleichsetzt.1 So weit man die geografischen Grenzen Europas im Mittelalter aber auch dehnt – das islamisch geprägte Kleinasien, die Levante, die Südküste des Mittelmeers oder die Arabische Halbinsel schließen sie selbst für die Zeiten nicht ein, in denen lateinische Christen einige dieser Territorien beherrschten.2 Vergleichbares gilt für den Vorderen Orient (alternativ: Naher und Mittlerer Osten), denn auch hier sind die Grenzen nicht klar markiert: Vom 14. Jahrhundert an lässt sich der Vordere Orient nicht ohne das Osmanische Reich beschreiben und das Osmanische Reich nicht ohne Südosteuropa, längere Zeiträume hindurch sogar nicht ohne Teile Ostmitteleuropas und Ungarns. Istanbul, die Hauptstadt des Osmanischen Reichs, lag auf europäischem Boden – und
1 Vgl. neben den Beiträgen in diesem Band Michael Borgolte, Perspektiven europäischer Mittelalterhistorie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Ders. (Hrsg.), Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. (Europa im Mittelalter, Bd. 1.) Berlin 2001, 13–27, bes. 16 f. Michael Borgolte, Bernd Schneidmüller und andere haben viel zu der Erkenntnis beigetragen, dass das mittelalterliche Europa zwar „christlich geprägt“, aber nicht allein von lateinischen Christen bewohnt war. Das von Braudel und anderen entwickelte Konzept des Mittelmeers als eigenem, Teile Europas, Nordafrikas und des Vorderen Orients umfassenden Raum lasse ich im Folgenden unberücksichtigt, verweise aber auf eine Reihe von Studien, die soziale Phänomene und Institutionen wie Armut, Sklaverei oder fromme Stiftungen im Mittelmeerraum untersuchen. 2 Zu Grenzziehungen in der „islamischen Welt“ vgl. Achim von Oppen, The Making and Unmaking of Boundaries in the Islamic World, in: Die Welt des Islams. International Journal for the Study of Modern Islam 41.3, 2001, 277–286. Mit Schwerpunkt auf modernen Debatten vgl. Michael E. Bonine / Abbas Amanat / Michael Ezekiel Gasper (Hrsg.), Is There a Middle East? The Evolution of a Geopolitical Concept. Stanford 2012.
102
Gudrun Krämer
dennoch galt und gilt das Osmanische Reich als einer der „outsider Europas“.3 Nichts könnte die Überlagerung von Raum, Kultur und Religion besser illustrieren. Weniger kompliziert, wenngleich nicht weniger relevant ist in diesem Zusammenhang die zeitliche Dimension: Die Trennlinien zwischen Mittelalter, früher Neuzeit und Neuzeit mögen unter Historikern des lateinischen Europa einigermaßen unumstritten sein (ich übersehe die Kontroversen nicht); für den islamisch geprägten Vorderen Orient hingegen gilt dies nicht oder jedenfalls nicht raumübergreifend. Der amerikanische Islamhistoriker Marshall Hodgson erklärte in seiner 1974 posthum erschienenen Studie ‚The Venture of Islam‘ das aus der europäischen Geschichte entlehnte Zeitraster für unpassend und schlug für den islamisch geprägten Vorderen Orient eine eigene Periodisierung vor. Hingegen lehnen zahlreiche Kolleginnen und Kollegen zwar den Begriff des islamischen Mittelalters ab, übernehmen jedoch die Kategorien der frühen Neuzeit und der Neuzeit bzw. der Moderne als Epoche. Ich schließe mich dieser Position, ohne dies hier im Einzelnen begründen zu können, an.4 Mediävisten als Historiker des europäischen Mittelalters und Islam- bzw. Nahosthistoriker5 bewegen sich in mehr als einer Hinsicht auf unterschiedlichen Feldern. Aber wir teilen Interessen, und zu ihnen gehören die eben angesprochenen Fragen nach Temporalität und Periodisierung, nach der Definition und Bedeutung von Raum, nach Interaktion, Austausch und Verflechtung und nicht zuletzt nach den Kategorien sozialer Ordnung. Letztere locken mich nicht zuletzt auf Grund der engen Verschränkung von Sozial- und Kulturgeschichte, die Aufschluss über die viel diskutierte Pfadabhängigkeit von Entwicklung verspricht, die ja nicht allein mit Blick auf die Herausbildung einer oder mehrerer Moder-
3 Jürgen Osterhammel, Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft, in: Hans-Gerhard Haupt / Jürgen Kocka (Hrsg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main 1996, 271–313, hier 275. 4 Vgl. Marshall G.S. Hodgson, The Venture of Islam, 3 Bde. Chicago 1974; Reinhard Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit (16.–19. Jahrhundert), in: Albrecht Noth / Jürgen Paul (Hrsg.), Der islamische Orient. Grundzüge seiner Geschichte. (Mitteilungen zur Sozial- und Kulturgeschichte der islamischen Welt, Bd. 1.) Würzburg 1998, 333–406; Stefan Reichmuth, Muslimische Gesellschaften, in: Friedrich Jäger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 8. Stuttgart 2008, 956– 977. Für die fachspezifischen Debatten um den Begriff der Moderne als Epoche und Programm vgl. auch Gudrun Krämer, Moderne. Arabische Welt, in: Friedrich Jäger / Wolfgang Knöbl / Ute Schneider (Hrsg.), Handbuch Moderneforschung. Stuttgart (in Vorb.). 5 Ich verwende aus pragmatischen Gründen im Folgenden den Begriff Nahosthistoriker, da „Historiker des (islamisch geprägten) Vorderen Orients (und Nordafrikas)“ in vielen Konstruktionen allzu schwerfällig wäre.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
103
nen interessiert.6 Ich möchte die Kategorien sozialer Ordnung hier in den Mittelpunkt rücken, weil mir scheint, dass zu diesem Punkt das Gespräch zwischen Nahosthistorikern und Historikern des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit besonders viel Gewinn verspricht. Bedauerlicherweise wird man rasch feststellen, dass das Interesse in der Regel ein einseitiges ist: Nahosthistoriker blicken nach Europa bzw. auf die Geschichtsschreibung zu Europa, und sofern sie in Europa wirken, wird das regelrecht von ihnen erwartet. Der zumindest implizite Vergleich ist ihrem Unternehmen gewissermaßen eingebaut, zumal wenn sie außerhalb ihrer engeren ‚scholarly community‘ wahrgenommen werden wollen. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Von einem Europahistoriker, gleichgültig ob mit Schwerpunkt Mittelalter oder frühe Neuzeit, wird nicht erwartet, komparativ vorzugehen und sich intensiv mit relevanten Phänomen in nicht-europäischen Kontexten auseinanderzusetzen. Solches kommt zwar vor. Die Überlegungen zu multiplen Modernen in der frühen Neuzeit bieten hierfür ein eindrucksvolles Beispiel und ebenso das vor allem in der Neuzeit verankerte Interesse an ‚global history‘. Aber die Asymmetrie des Blickes und der akademischen Hierarchien ist weitgehend ungebrochen.
1 Methode: Vergleich und Kontrast Jeder, der die kritische Literatur zu Vergleich, Transfer und Übersetzung, Beziehung und Verflechtung auch nur in Umrissen kennt (und ich werde sie an dieser Stelle nicht umfassend würdigen),7 wird vor dem Versuch eines Gesellschafts-
6 Vgl. Shmuel Eisenstadt (Hrsg.), Multiple Modernities. New Brunswick 2002, und Ders., Comparative Civilizations and Multiple Modernities, 2 Bde. Leiden 2003; Themenheft Multiple Modernities, in: Daedalus 129.1, 2000. Die lebhafte Kontroverse um dieses Konzept kann ich hier nicht vorstellen. Ich selbst spreche nicht von multiplen Modernen, sondern von Ausprägungen der Moderne. Mein Kollege Reinhard Schulze hat hierfür den schönen Begriff der „Vielsprachigkeit der Moderne“ mit ihren unterschiedlichen Dialekten gefunden; Reinhard Schulze, Islamische Geschichte im 20. Jahrhundert. München 1994, 17. 7 Für die deutschsprachige Diskussion vgl. vor allem Doris Bachmann-Medick, Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. (Göttinger Beiträge zur internationalen Übersetzungsforschung, Bd. 12.) Berlin 1996; Hans-Gerhard Haupt / Jürgen Kocka, Historischer Vergleich. Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Geschichte und Vergleich (wie Anm. 3), 9–45; Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hrsg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main / New York 2003; Gunilla Budde / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 2006; Jenny Oesterle / Wolfram Drews (Hrsg.), Transkultu-
104
Gudrun Krämer
vergleichs selbst in Gestalt des Partialvergleichs zurückschrecken, so hoch sind die Erwartungen und so bekannt die Risiken des Scheiterns. Selbst wenn man sich über die Frevelscheu mit der Bemerkung hinwegsetzt, dass Vergleich nicht Gleichsetzung bedeutet und man daher sehr wohl Äpfel mit Birnen vergleichen kann,8 sind die Warnschilder doch nicht zu übersehen: Vorsicht Stufe, „mind the gap“. Die betrachteten Einheiten dürfen, da sind sich alle einig, um des Vergleichs willen weder willkürlich aus ihrem Zusammenhang gerissen noch in einen Zusammenhang gestellt werden, der der ursprünglichen Konstellation nicht entspricht; Beziehung und Verflechtung, seien sie translokal, transregional, transnational, transkulturell oder transimperial, bedürfen einer Klärung der zugrunde gelegten Abgrenzungskriterien usw. Vor allem mit Transfer und Übersetzung einzelner Begriffe von einer Sprache in die andere verbinden sich für viele Autoren regelrechte Verlustängste. Ich sehe allerdings keine Möglichkeit, den Gefahren durch Beibehaltung der Originaltermini auszuweichen und so etwa von ta’ifa statt von Gruppe, von sinf statt von Gilde oder von tariqa statt von Sufi-Bruderschaft zu sprechen. Spätestens in die Beschreibung der genannten Erscheinungen schleichen sich Begriffe und Konzepte ein, die nicht dem originären Kontext, sondern dem modernen, westlich geprägten wissenschaftlichen Sprachgebrauch entstammen. Die Historiographie des Vorderen Orients kommt ohne den impliziten oder expliziten Vergleich schlechterdings nicht aus, sei er in der Zeit oder zeitversetzt. Mein Beitrag ist eher allgemeiner Natur, synthetisch und daher mit zusätzlichen Risiken behaftet. Zum einen ist die Quellen- und Forschungslage zu Kategorien sozialer Ordnung im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorderen Orient nicht gut, auf jeden Fall ungleich dünner als zu weiten Teilen Europas. Zwar liegen in unterschiedlicher Dichte und Güte Detailstudien zu sozialen Ordnungsvorstellungen, Gruppen und Institutionen vor, namentlich zu Handwerkern und Handwerkervereinigungen einschließlich Gilden und Zünften.9 Zu bestimmten
relle Komparatistik. Beiträge zu einer Globalgeschichte der Vormoderne. (Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, Bd. 18.) Leipzig 2008; Margrit Pernau, Transnationale Geschichte. Eine Einführung. Stuttgart 2012. 8 Haupt / Kocka, Historischer Vergleich (wie Anm. 7), 24 f. 9 Vgl. Pascale Ghazaleh, Masters of the Trade. Crafts and Craftspeople in Cairo, 1750–1850. Kairo 1999; Amnon Cohen, The Guilds of Ottoman Jerusalem. (The Ottoman Empire and Its Heritage. Politics, Society and Economy, Bd. 21.) Leiden 2001; Eunjeong Yi, Guild Dynamics in Seventeenth Century Istanbul. Fluidity and Leverage. (The Ottoman Empire and Its Heritage. Politics, Society and Economy, Bd. 27.) Leiden / Boston 2004; Frédéric Hitzel, Artisans et commerçants du Grand Turc. (Collection Realia, Bd. 13.) Paris 2007; Suraiya Faroqhi, Artisans of Empire. Crafts and Craftspeople Under the Ottomans. (The Library of Ottoman Studies, Bd. 17.) London / New York
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
105
Gruppen wie den Prophetennachkommen10 oder den militärischen Sklaveneliten11 und zu Institutionen wie den frommen Stiftungen12 liegen zudem regional und / oder zeitlich übergreifende bzw. komparativ angelegte Untersuchungen vor. Aber der Abstand zwischen Detailstudie und Synthese ist in der Regel doch enorm und die Gefahr einer unzulässigen Verallgemeinerung von der lokalen auf die regionale oder gar die gesamtkulturelle Ebene dementsprechend groß. Das verschärft die methodischen Probleme des Vergleichs und nährt die Ängstlichkeit des quellennah arbeitenden Historikers, der lieber als Halbhüfner bei der eigenen Scholle bleibt – Grundherrschaft in Mecklenburg-Vorpommern im 14. Jahrhundert, Lehnswesen im westlichen Burgund im 15., Handwerker in Istanbul im frühen 17. Jahrhundert – als sich auf riskante Verallgemeinerungen einzulassen. Um mit Schiller zu sprechen, fördert es eher den „Brotgelehrten“ als den „philosophischen Kopf“. So (ab)wertend würde ich das nicht ausdrücken, zumal mein Fach Heerscharen sorgsam pflügender Fasthuber gebrauchen könnte, damit wir endlich größere, gut bestellte Felder vor uns sehen. Angesichts all dieser „Herausforderungen“ mag man den Mut zu unvollkommenen, anfechtbaren, im weitesten Sinn komparativ angelegten Entwürfen verlieren. Je schärfer der Blick, je problembewusster die Sprache, scheint sich die Materie geradezu in Luft aufzulösen. Und doch kommt aus dieser dünnen Luft die Inspiration, der lebendige Impuls, ohne den man Historiker(in) entweder nicht wird oder nicht bleibt.13 Mein Interesse am Vergleich ist ein heuristisches: Ich hoffe, durch ihn besser zu sehen, was ich sonst nicht sähe und zu problemati-
2009; mit anderem Schwerpunkt auch Nelly Hanna, Artisan Entrepreneurs in Cairo and Early Modern Capitalism, 1600–1800. Kairo 2011. 10 Vgl. Biancamaria Scarcia Amoretti / Lora Bottini (Hrsg.), The Role of the sādāt / ašrāf in Muslim History and Civilizations. Proceedings of the International Colloquium (Rome 2–4/3/1998). Sonderheft der Zeitschrift Oriente Moderno. N. S. 18.2, 1999; Morimoto Kazuo, Sayyids and Sharifs in Muslim Societies. The Living Links to the Prophet. (New Horizons in Islamic Studies.) London / New York 2012. 11 Vgl. Miura Toru / John Edward Philips (Hrsg.), Slave Elites in the Middle East and Africa. A Comparative Study. (Islamic Area Studies, Bd. 1.) London / New York 2000. 12 Vgl. Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. (Stiftungsgeschichten, Bd. 4.) Berlin 2005, sowie Ders., Stiftung und Memoria. Hrsg. v. Tillmann Lohse. (Stiftungsgeschichten, Bd. 10.) Berlin 2012; ferner Astrid Meier u. a. (Hrsg.), Islamische Stiftungen zwischen juristischer Norm und sozialer Praxis. (Stiftungsgeschichten, Bd. 5.) Berlin 2009; Pascale Ghazaleh (Hrsg.), Held in Trust. Waqf in the Islamic World. Kairo 2011. 13 Osterhammel, Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft (wie Anm. 3), 295, bezeichnet den Partialvergleich als „intellektuell aufweckende Erfahrung“, Frank Rexroth spricht von „Inspiration“; Frank Rexroth, Der Vergleich in der Erforschung des europäischen Mittelalters, in: Borgolte (Hrsg.), Europäisches Mittelalter (wie Anm. 1), 371–380, hier 374.
106
Gudrun Krämer
sieren, was mir sonst „natürlich“ scheinen könnte. Mein Zugang ist zumindest in diesem Beitrag eher deskriptiv als (kausal-)analytisch.14 Der Schwerpunkt liegt stärker auf dem Kontrast, der die Unterschiede markiert, als auf der Verallgemeinerung, die nach Gemeinsamkeiten sucht.15 Der Kontrast soll mir helfen, den „eigenen“ Gegenstand genauer in den Blick zu fassen, der für mich zugleich ein „fremder“ ist, selbst wenn eigen und fremd, innen und außen bekanntlich problematische Größen darstellen. Das ist ein anderer Zugang als der, den Michael Borgolte seit Jahren als, wie ich doch annehmen möchte: Herzensangelegenheit verfolgt, und bei dem er die transkulturelle Verflechtung, Kulturkontakt und Migration in den Mittelpunkt rückt.16 Auch den besonderen Konturen liegen freilich Beziehung, Transfer und selbst Verflechtung zugrunde, obgleich dies den Beteiligten nicht unbedingt bewusst sein mag.
2 Kategorien sozialer Ordnung Wie fasst man das soziale Gefüge der islamisch geprägten Gesellschaften des Vorderen Orients in Kategorien, die sensibel sind für die Sprache der Quellen und zugleich kompatibel mit den (wie wir wissen: wechselnden) Sprachregelungen der modernen, vorrangig an westlichen Zusammenhängen orientierten Wissenschaft? Der Frage wohnt, wie erwähnt, der transregionale und transkulturelle Vergleich gewissermaßen inne, allerdings zunächst nur implizit. Bei den sozialen Ordnungsvorstellungen treffen wir zunächst auf Vertrautes: das „imaginaire“ des wohlgefügten Kosmos und der wohl geordneten Gesellschaft, der Harmonie in der Ungleichheit, in der jedem „das Seine“ zukommt und jeder an seinem Platz
14 Haupt / Kocka, Historischer Vergleich (wie Anm. 7), 12–14; 25 f. Osterhammel, Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft (wie Anm. 3), 283, unterscheidet zwischen dem kausalanalytischen Gesellschafts- und dem hermeneutischen Kulturvergleich. Ich glaube nicht, dass sich beide so einfach unterscheiden lassen. 15 Vgl. hierzu auch Patrick J. Geary, Vergleichende Geschichte und sozialwissenschaftliche Theorie, in: Borgolte (Hrsg.), Europäisches Mittelalter (wie Anm. 1), 29–38, bes. 33; 38. 16 Vgl. neben den Studien zum frommen Stiftungswesen vor allem Michael Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen. Das Erbe der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n Chr. München 2006, und die Arbeiten zur transkulturellen Verflechtung Europas im Mittelalter: Ders. u. a. (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 20.) Berlin 2012; Ders. / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtung im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien und Afrika. Darmstadt 2012.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
107
bleibt.17 Vertraut ist auch die Aufgliederung von Gemeinschaft und Gesellschaft in Berufs- und Statusgruppen (in erster Linie Krieger, Kleriker und Bauern), die sich im Konkreten freilich von korrespondierenden europäischen, japanischen oder chinesischen Schemata unterscheidet. So genießen Kaufleute in aller Regel mehr Ansehen als in anderen Kulturen. Das dürfte mit der Bedeutung des Handels seit frühislamischer Zeit zu tun haben und wird religiös unterfüttert mit dem Hinweis, der Prophet Muhammad sei zumindest bis zu seinem 40. Lebensjahr Kaufmann gewesen, was diesem Beruf quasi höhere Weihen verleiht. Der Koran ist auf jeden Fall voll einschlägiger Begriffe, das Handels- und Vertragsrecht ein wichtiger Teil des islamischen Juristenrechts (arab. fiqh).18 Die religiös fundierte Vorstellung von der Gleichwertigkeit aller Gläubigen vor Gott verbindet sich in den normativen Quellen des Islam – dem Koran und der Prophetentradition (Sunna, Hadith) – sowie in der auf diese Quellen verweisenden Literatur mit der Akzeptanz sozialer Ungleichheit, solange die Ärmsten genug zum Leben haben und die Reichen im Bewusstsein, ihren Reichtum Gott zu verdanken und diesen nur treuhänderisch zu verwahren, einen angemessenen Teil an die Ärmeren abgeben. Was man anachronistisch die Sozialbindung des Eigentums nennen könnte, kommt in der religiösen Pflicht der Almosengabe (arab. zakāt und ṣadaqa) zum Tragen, der jeder Muslim unterliegt. Armut wird dabei nicht weniger nuanciert bewertet als im Christentum, wenn auch nicht in derselben Weise.19 Bei der Untergliederung der Gesellschaft berücksichtigten Theologie und Recht neben den Kategorien von reich und arm, frei und unfrei
17 Vgl. Louise Marlow, Hierarchy and Egalitarianism in Islamic Thought. (Cambridge Studies in Islamic Civilization.) Cambridge 1997; Gudrun Krämer, Justice in Modern Islamic Thought, in: Abbas Amanat / Frank Griffel (Hrsg.), Shari’a. Islamic Law in the Contemporary Context. Stanford 2007, 20–37. Interessant ist auch Maurus Reinkowski, Die Dinge der Ordnung. Eine vergleichende Untersuchung über die osmanische Reformpolitik im 19. Jahrhundert. (Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 124.) München 2005, wenngleich diese Studie erkennbar über den hier behandelten Zeitraum hinausgeht. Für den europäischen Kontext vgl. konzise Otto Gerhard Oexle, Stände und Gruppen. Über das Europäische in der europäischen Geschichte, in: Borgolte (Hrsg.), Europäisches Mittelalter (wie Anm. 1), 39–48, hier 41–43; 45. 18 Die Rolle Mekkas und Medinas im transregionalen Handel des frühen 7. Jahrhunderts, in dem die Weihrauchstraße längst ihre frühere Bedeutung eingebüßt hatte, wurde lange übertrieben; vgl. Patricia Crone, Meccan Trade and the Rise of Islam. Oxford 1987; vgl. ferner die Hinweise in: Gudrun Krämer, Islam, Kapitalismus und die protestantische Ethik, in: Gunilla Budde (Hrsg.), Kapitalismus. Historische Annäherungen. Göttingen 2011, 116–146. 19 Vgl. Amy Singer, Charity in Islamic Societies. (Themes in Islamic History.) Cambridge 2008; auch Jean-Paul Pascal (Hrsg.), Pauvreté et richesse dans le monde méditerranéen / Poverty and Wealth in the Muslim Mediterranean World. Paris 2003; Yaakov Lev, Charity, Endowments and Charitable Institutions in Medieval Islam. Gainesville (Fla.) 2005.
108
Gudrun Krämer
auch Geschlecht und Religionszugehörigkeit, die auf unterschiedlichsten Feldern im Wortsinn einen Unterschied machten. Das islamische Recht übersetzte diese Kategorien in die gerichtliche Praxis, indem es in bestimmten Fällen (und das heißt, um Missverständnissen vorzubeugen: nicht in allen) Männer und Frauen, Freie und Unfreie, Muslime und Nichtmuslime für ein und dasselbe Delikt unterschiedlich bestrafte. Der muslimische Kadi urteilt im Prinzip also „unter Ansehen der Person“.20 Dass soziale Ungleichheit und die rechtliche Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, Freien und Unfreien, Muslimen und Nichtmuslimen prinzipiell akzeptiert wurden, heißt selbstverständlich nicht, dass einzelne Gruppen und Personen nicht versucht hätten, ihren Platz in der Gesellschaft zu verbessern, und sei es mit Gewalt. Soziales „imaginaire“ und islamisches Recht waren auch im Vorderen Orient nicht deckungsgleich mit der sozialen Realität. Vertraut ist zugleich die Distinktionskultur, in deren Rahmen Differenz äußerlich sichtbar gemacht wurde. Der Fokus lag in Kairo, Istanbul und Damaskus allerdings nicht durchweg auf denselben Kriterien wie in Florenz, Delhi oder Peking. Kleiderordnungen berücksichtigten zu einem gewissen Grad soziale Gruppen- und Statusunterschiede, indem sie beispielsweise den Nachkommen des Propheten eine besondere Turbanfarbe vorbehielten. In erster Linie markierten sie jedoch die Grenzen zwischen den Geschlechtern (so sollten Männer weder Goldschmuck noch Seide tragen, Frauen hingegen schon) und zwischen den Religionsgemeinschaften. Sie unterlagen vielfach detaillierten Regeln, deren Hauptzweck in der Abgrenzung und der Verdeutlichung religiös begründeter Hierarchien lag.21 Ein markantes, nach Erklärung rufendes Charakteristikum bildet die geringe Institutionalisierung sozialer Zugehörigkeit auf h o r i z o n t a l e r Ebene, zumindest im Vergleich mit dem zeitgenössischen Europa oder Japan. Im Anschluss an Max Weber ist diese schwache Institutionalisierung auf horizontaler Ebene lange als Defizit interpretiert worden. Dieses Werturteil wird man in einem auf Kontrast abhebenden Vergleich nicht übernehmen. Doch selbst wenn man die eurozentrische Verengung Max Webers anerkennt (seinen „heuristischen Eurozentrismus“,
20 So der amerikanische Rechtsanthropologe Lawrence Rosen; vgl. namentlich seine Monographien The Anthropology of Justice. Law as Culture in Islamic Society. (Lewis Henry Morgan Lecture Series.) Cambridge 1989, und The Justice of Islam. (Oxford socio-legal studies.) Oxford 2000. 21 Vgl. Yedida Kalfon Stillman, Arab Dress. From the Dawn of Islam to Modern Times. A Short History. Hrsg. v. Norman A. Stillman. (Themes in Islamic Studies, Bd. 2.) Leiden u. a. 2000; mein Beitrag Gudrun Krämer, Moving Out of Place. Minorities in Middle Eastern Urban Societies, 1800– 1914, in: Peter Sluglett (Hrsg.), The Urban Social History of the Middle East, 1750–1950. (Modern Intellectual and Political History of the Middle East.) Syracuse 2008, 182–223, beschränkt sich nicht auf die moderne Periode.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
109
wie Wolfgang Schluchter es nannte22), bleibt bestehen, dass die vorderorientalischen Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit nicht ständisch verfasst waren; dass Städte im Vorderen Orient bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht in der Weise organisiert waren wie in großen Teilen Mittel- und Nordeuropas; und dass sich Zünfte und Gilden erst im Osmanischen Reich nachweisen lassen.23 Daraus folgt nun allerdings nicht, wie Otto Gerhard Oexle in einem anregenden Beitrag zu Ständen und Gruppen im mittelalterlichen Europa gefolgert hat, dass „der Islam“ keine örtlichen Gemeinden kennt und ergo, wie er anzudeuten scheint, auch keine sozialen Gliederungen unterhalb der Umma als der weltumspannenden Gemeinschaft a l l e r Muslime. Im selben Beitrag verweist er auf die spezifisch europäische Verbindung von Deutungsschemata, „Wert-Welten“ und Institutionenbildung und unterstreicht die Bedeutung des Christentums als „gruppenfreundlicher Religion“.24 Sowohl das islamische Juristenrecht als auch die gesellschaftliche Wirklichkeit kannten selbstverständlich räumlich wie sozial gesehen kleinere Einheiten als die weltumspannende Umma. Die Pfarrgemeinde gab und gibt es im Islam in der Tat nicht (am christlichen Muster orientierte Moscheegemeinden konstituieren sich heute zunehmend in der westlichen Diaspora), wohl aber lokal und / oder personal begründete Solidar- und Haftungsgemeinschaften, die im sozialen, rechtlichen und politischen Raum agierten und im Konfliktfall ggf. von den Autoritäten zur Rechenschaft gezogen wurden: städtische Quartiere und Nachbarschaften, Dorfgemeinschaften, nomadische Clans, Jungmännerbünde u. a. m. Auch die Obrigkeit des vormodernen Vorderen Orients war an der „Lesbarkeit der Gesellschaft“ (Scott) interessiert.25
3 Abhängigkeit, Unfreiheit, Sklaverei Zu den aufregendsten Aspekten sozialer Ordnung in Mittelalter und früher Neuzeit zählen die Abstufungen von Abhängigkeit und Unfreiheit im rechtlichsozialen Sinn,26 die in Europa wie im Vorderen Orient weiter greifen als die Insti-
22 Vgl. dazu ausführlicher Krämer, Islam, Kapitalismus und protestantische Ethik (wie Anm. 18), hier 123. 23 Vgl. die Literaturhinweise in Anm. 9. 24 Oexle, Stände und Gruppen (wie Anm. 17), 47 f. 25 James C. Scott, Seeing Like a State. (Yale Agrarian Studies.) New Haven 1998. 26 Hier interessiert also nicht das Argument des Islamhistorikers Bernard Lewis, dem modernen Konzept der politischen Freiheit habe im vormodernen Islam das Ideal der Gerechtigkeit entsprochen; Bernard Lewis, Die politische Sprache des Islam. Berlin 1991, bes. 112.
110
Gudrun Krämer
tution der Sklaverei. Sklaverei in islamisch geprägten Gesellschaften hat in den vergangenen Jahren auffällig viel Interesse gefunden, so dass wir mittlerweile deutlich nuancierter urteilen können als zuvor.27 Die „feinen Unterschiede“, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, treten besonders deutlich hervor, wenn diese Abstufungen von Abhängigkeit und Unfreiheit nicht mit der frühneuzeitlichen Plantagensklaverei in den europäischen Kolonien mit ihrer Überlagerung von Herrschaft, Rasse und Rechtstatus verglichen werden, sondern mit den Verhältnissen im mittelalterlichen Europa mit ihren mannigfaltigen Ausprägungen von Abhängigkeit und Unfreiheit.28 Gerade der zeitversetzte Vergleich erweist sich hier als ergiebig.
3.1 Vasallität und Grundherrschaft Nun ist die mediävistische Forschung auch auf diesem Gebiet in Bewegung geraten und hat eine ganze Reihe früherer Annahmen zu Grundherrschaft, Feudalismus, Vasallität und Lehnswesen bzw. Lehnsherrschaft entweder gründlich revidiert oder überhaupt fallen gelassen. Den aktuellen Forschungs- und Debattenstand kann ich an dieser Stelle nicht angemessen würdigen, und ganz sicher werde ich mich nicht in den Streit einmischen, ob um 1000 eine „feudale Revolution“ stattfand und ob, wie schon vor zwei Jahrzehnten Susan Reynolds argumentiert hat, Feudalismus überhaupt eine Erfindung der Neuzeit ist.29 Nicht
27 Vgl. neben den älteren Überblicksdarstellungen von Murray Gordon, Slavery in the Arab World. New York 1989, und Bernard Lewis, Race and Slavery in the Middle East. An Historical Enquiry. New York / Oxford 1990, vor allem die Monografien von Ehud R. Toledano, Slavery and Abolition in the Ottoman Middle East. (Publications on the Near East.) Seattle 1998, und Ders., As If Silent and Absent. Bonds of Enslavement in the Islamic Middle East. New Haven / London 2007. Die Studien zu Abschaffung und Fortbestand der Sklaverei im 19. und 20. Jahrhundert sind umfassender angelegt und auch für frühere Epochen von Interesse; vgl. William Gervase Clarence-Smith, Islam and the Abolition of Slavery. Oxford 2006; für das Osmanische Reich vgl. zudem Y. Hakan Erdem, Slavery in the Ottoman Empire and its Demise, 1800–1909. London 1996; Madeline C. Zilfi, Women and Slavery in the Late Ottoman Empire. The Design of Difference. Cambridge 2010; Terence Walz / Kenneth M. Cuno, Race and Slavery in the Middle East. Histories of Trans-Saharan Africans in Nineteenth-Century Egypt, Sudan, and the Ottoman Mediterranean. Kairo 2010. 28 Leider sind die Vorträge einer großen Konferenz zu Transcultural Perspectives on Late Medieval and Early Modern Slavery in the Mediterranean noch nicht zugänglich, die im September 2012 an der Universität Zürich stattfand. 29 Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted. Oxford 1994. Zu unterschiedlichen Definitionen von Feudalismus vgl. knapp Steffen Patzold, Das Lehnswesen.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
111
abstreiten lässt sich die Tatsache, und sie ist gerade unter komparativen Vorzeichen wichtig, dass Lehnswesen und Grundherrschaft moderne, nicht den mittelalterlichen Quellen entnommene Ordnungsbegriffe darstellen. Ich verweise hier lediglich auf einige neuere, komparativ und zu einem gewissen Grad synthetisch angelegte Darstellungen von Vasallität und Grundherrschaft im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa,30 die das komplexe Zusammenspiel von Herrschaft, Wirtschaftsform, Rechtsstatus und sozialer Organisation beleuchten. Aus diesem Zusammenspiel resultierte eine nicht minder komplexe, über Zeit und Raum unendlich variable Konfiguration von Freien, Leibeigenen, Hörigen und Sklaven, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedlich benannt wurden. Die konkrete Ausformung von Lehnswesen und Grundherrschaft bzw. Seigneurie war in hohem Maß ortsgebunden. Im Gegensatz zu früheren, an Rechtstexten und obrigkeitlichen Verfügungen orientierten und in diesem Sinne normativen Darstellungen unterstreicht die neuere Forschung mit Verweis auf die urkundlich bezeugte Praxis die Vielfalt und Wandelbarkeit der real existierenden Grundherrschaft und des real existierenden Lehnswesens, eine Vielfalt und Wandelbarkeit, die sich in der Mehrdeutigkeit der Begriffe und der Mehrschichtigkeit der Rechts- und Besitzansprüche spiegeln. Das Bild ist geprägt von fließenden Übergängen, uneindeutigen Beziehungen, verhandelbaren Verpflichtungen. (Die Bewegung weg von normativen Texten hin zur Praxis, soweit sie sich über die verfügbaren Quellen erschließen lässt, kennzeichnet auch die jüngere Forschung zum Vorderen Orient.) Die Vielschichtigkeit der Verhältnisse wird allerdings durch die Sprache des (römischen) Rechts verschleiert, das die Verschränkung unterschiedlicher Rechte, Pflichten und Ansprüche auf ein und dasselbe Gut, ein und dieselbe Person nicht adäquat erfasst.31 Ähnliches ließe sich für das islamische Juristenrecht (arab. fiqh) sagen. Unter komparativen Gesichtspunkten interessieren vor allem die Unterscheidung zwischen p e r s o n a l e n und d i n g l i c h e n Aspekten von Abhängigkeit und Unfreiheit; die Verknüpfung von Herrschaftsrechten und Konventionen der Lebensführung; die Herausbildung und Verfestigung einer ständischen Ordnung; und, damit verbunden, die Tatsache, dass ungeachtet gewisser Mobili-
München 2012, 13. 30 Vgl. neben Patzold, Lehnswesen (wie Anm. 29), die Beiträge von Hans-Werner Goetz, Frühmittelalterliche Grundherrschaften und ihre Erforschung im europäischen Vergleich, in: Borgolte (Hrsg.), Europäisches Mittelalter (wie Anm. 1), 65–87, und Slawomir Gawlas, Die Probleme des Lehnswesens und des Feudalismus aus polnischer Sicht, in: Ebd., 97–123; für die frühe Neuzeit vgl. auch Luise Schorn-Schütte, Konfessionskriege und europäische Expansion. Europa 1500– 1648. München 2010. 31 Patzold, Lehnswesen (wie Anm. 29), 39; ähnlich für spätere Zeiträume ebd., 55.
112
Gudrun Krämer
tätschancen und fürstlicher Vorrechte (wie der Erhebung einzelner in den Ritterund Adelsstand) die Zugehörigkeit zu einer Gruppe in Europa in der Regel durch Geburt gestiftet wurde. Auch lange nach deren Bedeutungsverlust blieben im frühneuzeitlichen ersten und zweiten Stand Elemente der Vasallität erhalten. Zum transkulturellen Vergleich lädt dabei weniger der an die hoch spezifische Institution der Kirche gebundene erste Stand, der Klerus, ein (obwohl sich auch hierzu mit Blick auf muslimische Religions- und Rechtsgelehrte einiges sagen ließe), als vielmehr der durch den Zusammenfall von privilegiertem Rechtsstatus, Grundbesitz und Herrenrechten charakterisierte zweite Stand, der Adel. Ungeachtet aller Neuansätze wurde, soweit ich sehen kann, eine Auffassung bislang nicht revidiert, dass nämlich im Europa des Mittelalters und der frühen Neuzeit rechtliche Unfreiheit Kennzeichen der l ä n d l i c h e n Gesellschaft war, in der städtischen Gesellschaft hingegen nicht Unfreiheit das vorherrschende Muster ungleicher sozialer Beziehungen abgab, sondern Abhängigkeit. In extremer Vereinfachung – und nur sie taugt auf dieser Ebene zur Inspiration – ließe sich sagen, dass in den islamisch geprägten Gesellschaften des Vorderen Orients, namentlich im Osmanischen Reich, Sklaverei als die höchste Stufe der Unfreiheit in erster Linie die s t ä d t i s c h e Gesellschaft kennzeichnete, nicht die ländliche. Zahlenmäßig betraf sie also eine Minderheit, denn wie in anderen agrarisch verfassten Gesellschaften, lebten im Osmanischen Reich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein rund 85 Prozent der Bevölkerung auf dem Land. Für die Ordnung der l ä n d l i c h e n Wirtschaft und Gesellschaft war die Unterscheidung zwischen Eigentum am ländlichen Grund und Boden, Nutzungsrechten und Besitz mit einklagbaren und erblichen Rechtsansprüchen bestimmend, die sich im Wesentlichen auf islamische Normen stützte. Um die Betrachtung nicht über Gebühr auszuweiten, konzentriere ich mich hier auf das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert, da dieser Zeit-Raum sehr viel besser erforscht ist als andere Epochen oder andere Räume des Vorderen Orients.32 Im anatolischen und rumelischen (südosteuropäischen) Kerngebiet des Osmanischen Reiches lebte die sesshafte Bevölkerung mehrheitlich als freie Bauern auf Familienhöfen. Zwar war nach islamischem Recht der gesamte Grund und Boden mit Ausnahme der städtischen und dörflichen Gemarkungen Eigentum der muslimischen Gemeinschaft, der Umma, verwaltet durch den Fürsten (hier: den osma-
32 Vgl. einführend Halil Inalcik (Hrsg.), An Economic and Social History of the Ottoman Empire, Bd. 1: 1300–1600. Cambridge 1994; Suraiya Faroqhi (Hrsg.), An Economic and Social History of the Ottoman Empire, Bd. 2: 1600–1914. Cambridge 1994; Klaus Kreiser / Christoph K. Neumann, Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 22008, beschränkt sich ungeachtet ihres Titels nicht auf die Moderne.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
113
nischen Sultan). Die Bauern hatten jedoch Anspruch auf den erblichen Nießnutz des von ihnen bestellten Landes; entscheidend war dabei, dass sie es unter den Pflug nahmen. Die Bauern waren im Prinzip schollenpflichtig, doch resultierte diese Schollenbindung aus der Steuer- und Abgabenpflicht gegenüber der Obrigkeit, nicht gegenüber einem lokalen Grundherrn. Es ging also um dingliche Pflichten, nicht um personale Unfreiheit. Die schweren Reiter (osman. sipahis), die an vielen Orten in die Lokalverwaltung einschließlich der Steuereintreibung eingebunden waren, waren mit zeitlich befristeten Präbenden ausgestattet, nicht mit erblichem Grundbesitz und an diesen geknüpften Herrenrechten. Elemente der in Teilen Europas praktizierten grundherrlichen Ordnung wie das Jagdrecht oder das ius primae noctis waren weder in der normativen Literatur noch in der sozialen Praxis verankert. Unter der Bedingung, dass die fälligen Steuern und Abgaben abgeführt wurden, konnten Bauern ‚ihre Scholle‘ auch verlassen. Von mindestens ebenso großer praktischer Bedeutung für die ländliche Wirtschaft und Gesellschaft waren im Übrigen die Wasser-, Weide- und Durchzugsrechte sesshafter und nomadischer Gruppen.
3.2 Sklaverei und Unfreiheit Wenn im Folgenden Abhängigkeit und Unfreiheit im s t ä d t i s c h e n Raum im Vordergrund stehen, dann auf Grund ihrer besonderen Bedeutung für den Gesellschaftsvergleich. Unfreiheit umfasste in personaler wie in dinglicher Hinsicht eine enorme Spanne, innerhalb derer Rechtsstatus, Besitz und Herrenrechte in unterschiedlicher Weise miteinander verknüpft waren.33 Am einen Ende des Spektrums standen im Osmanischen Reich die „Sklaven der Pforte“, die umfangreichen Besitz erwerben und auch vererben konnten und sogar Herrenrechte über andere ausübten; am anderen Ende standen Haus-, Bergwerks- und Plantagensklaven, die nichts davon besaßen. Der Sklavenstatus konnte entweder vererbt sein, und zwar in der Regel über die Mutter – einer der wenigen Fälle übrigens, in dem Status über die weibliche Linie weitergegeben wurde, wie sonst nur noch bei den Prophetennachkommen und in bestimmten Ausnahmen auch innerhalb von Herrscherhäusern. Die Gründe waren demographischer und rechtlicher Natur: Sklaven konnten vielfach keine eigene Familie gründen, die Sterblichkeitsrate lag hoch, und wie im römischen Recht wurde die Abstammung des Kindes über die Mutter ermittelt (mater semper certa). Meist aber war der Sklavenstatus eine Folge von Krieg, Raub, Kauf und Gewalt, ein Hinweis darauf, dass das Osmani-
33 Vgl. die in Anm. 27 genannten Titel.
114
Gudrun Krämer
sche Reich nahezu permanent im Krieg lebte und bis weit ins 18. Jahrhundert hinein an allen Fronten expandierte. Das islamische Recht regelt die Möglichkeiten des legitimen Sklavenerwerbs recht detailliert und unterscheidet dabei zum einen zwischen unterschiedlichen Formen von Krieg und Gewalt, zum anderen zwischen unterschiedlichen Personengruppen. Das wichtigste Kriterium lieferte in beiden Fällen nicht die Hautfarbe, sondern die Religionszugehörigkeit. Auf die einfachste Formel gebracht, durften Muslime sowie von der jeweiligen muslimischen Gemeinschaft bzw. Obrigkeit geschützte lokale nichtmuslimische Gemeinschaften von Muslimen nicht versklavt werden. In der Regel handelte es sich bei den nichtmuslimischen „Schutzbefohlenen“, „Dhimmis“, um Christen und Juden, ggf. auch um Zoroastrier, Buddhisten, Hindus und andere. (In der Literatur werden diese Gemeinschaften in der Regel selbst dort als Minderheiten bezeichnet, wo sie zahlenmäßig die Mehrheit stellten, wie dies auch in Teilen des Osmanischen Reiches der Fall war.) Zur Versklavung freigegeben waren Nichtmuslime, die nicht auf islamischem Boden lebten, und Angehörige solcher Kulte und Glaubensgemeinschaften, die nicht zu den monotheistischen Offenbarungsreligionen gerechnet wurden. Von dieser Grundregel gab es immer wieder Ausnahmen, so zum Beispiel, wenn Sunniten Schiiten nicht als Muslime anerkannten und umgekehrt. Für das (sunnitische) Osmanische Reich war dies vor allem im Verhältnis zu dem (zwölferschiitischen) Safawidenreich in Iran relevant. Nach islamischem Recht war der Sklave (und auch die Sklavin) Person u n d Sache, eingeschränkt rechtsfähig und unter anderem berechtigt, Besitz zu erwerben und eigene Rechte ggf. vor Gericht einzuklagen. An vielen Orten hatten Sklaven die Chance, sich nach einer bestimmten Zeit durch festgelegte Leistungen freizukaufen; der Sklavenstatus konnte daher als zeitlich begrenzt gewertet werden. Auf Grund der geschlechterspezifischen Erwerbsmöglichkeiten war es für Männer allerdings leichter, diesen Weg aus der Unfreiheit zu nehmen als für Frauen. Sklaven waren im Prinzip erbberechtigt und wurden, wie zahlreiche Gerichtsakten belegen, häufig in den Testamenten ihrer Herrinnen und Herren bedacht. Die Söhne und Töchter von Herrschern, die eine Sklavin zur Mutter hatten, waren frei und ihren Halbbrüdern und Halbschwestern mit freier Mutter im Prinzip ebenbürtig. Hier gab also nicht der Sklavenstatus der Mutter den Ausschlag, sondern der Status des Vaters – immer vorausgesetzt, dieser erkannte sie als seine Kinder an. Der ‚Schatten der Unfreiheit‘ ruhte daher keinesfalls immer über den Kindern einer solchen Verbindung. Auch waren Sklavinnen und Sklaven keineswegs zwingend von dem „sozialen Tod“ bedroht, von dem Orlando Pat-
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
115
terson in seiner berühmten Studie über die Sklaverei sprach.34 Tendenziell war der Sklavenstatus zugleich religiös eingehegt: Das islamische Recht sah für eine Vielzahl von Vergehen die Freilassung von Sklaven als Sühne an und empfahl sie generell als verdienstvolle Tat. Selbstverständlich wird man hinzufügen, dass die Vorgaben des islamischen Rechts und der islamischen Ethik keine Garantie für eine im weitesten Sinne menschliche Behandlung von Sklavinnen und Sklaven boten. Insgesamt kam an dieser Stelle das relationale Prinzip zur Geltung, das auch andere Felder bestimmte, indem es die Stellung einer Person nicht allein von ihrem Rechtsstatus abhängig machte, sondern von ihrer Bindung an eine einflussreiche Person. Auf die einfachste Formel gebracht, besaßen vertikale Bindungen (nicht nur) hier mehr Gewicht als horizontale. Das Prinzip war bereits in frühislamischer Zeit zum Tragen gekommen, als Konvertiten in der Rechtsform des Klienten (arab. maula, Pl. mawali) in die muslimisch-arabische Gemeinschaft eingebunden wurden. Besonders gut illustriert dieses vertikale Abhängigkeitsverhältnis die Institution des damad, des Schwiegersohns des Sultans: Die osmanische Dynastie band herausragende Angehörige der unfreien Elite (‚Sklaven der Pforte‘, gleichgültig, ob personal unfrei oder freigelassen) an sich, indem es sie mit Töchtern oder Enkelinnen des regierenden Sultans verheiratete.35 Die Einheirat von Hörigen, Sklaven oder Freigelassenen in die europäischen Herrscherhäuser dieser Zeit wäre wohl unvorstellbar gewesen. Die Kinder dieser Ehen waren frei, jedoch, da aus der weiblichen Linie stammend, von der Thronfolge ausgeschlossen. An einem Punkt kam das Statusgefälle zwischen dem unfreien ‚Sklaven der Pforte‘ und der osmanischen Prinzessin zum Ausdruck: Er musste sich vor der Eheschließung von seinen Sklavinnen und Ehefrauen trennen; die Ehen der Prinzessinnen waren prinzipiell monogam angelegt.
3.3 Die ‚Sklaven der Pforte‘ Im Rahmen einer patrimonial-bürokratischen Ordnung setzte sich die osmanische Machtelite des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit aus mehreren Gruppen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Rechtsstatus zusammen, die ungeachtet ihres Aufgabengebiets kollektiv als askeri (von arab.
34 Orlando Patterson, Slavery and Social Death. Cambridge (Mass.) 1982. 35 Vgl. Leslie P. Peirce, The Imperial Harem. Women and Sovereignty in the Ottoman Empire. (Studies in Middle Eastern History.) New York / Oxford 1993, und mit detaillierten Daten Necdet Sakaoglu, Bu Mülkün Kadin Sultanlari. Istanbul 2008.
116
Gudrun Krämer
ʿaskar, „Heer“, „Militär“) bezeichnet wurden:36 Zu ihrem militärisch-administrativen Flügel gehörten zum einen persönlich freie schwere Panzerreiter (osman. sipahi, von pers. sipah, „Armee“), die mit nicht-erblichen Präbenden (osman. timar, „Gabe“, „Schenkung“) ausgestattet, in den Provinzen stationiert und zur Heerfolge verpflichtet waren; von ihrer ethnischen Zugehörigkeit her gesehen waren dies überwiegend „Türken“ oder Turko-Mongolen. Zum anderen gehörten zur militärisch-administrativen Machtelite persönlich unfreie oder freigelassene ‚Sklaven der Pforte‘ (osman. kapı kulları), zu denen neben den „Pfortentruppen“ (Janitscharen [von osman. yeni çeri, „neue Truppe“], „Pfortenreiter“, „Gärtner“ u. a.) auch die Spitzen der Reichs- und Provinzverwaltung gehörten; sie wurden in der Regel über die sog. Knabenlese (osman. devşirme) unter den christlichen Untertanen des Sultans in den südosteuropäischen und bestimmten anatolischen Provinzen ‚eingesammelt‘. Das Osmanische Reich stand damit in einer langen Tradition: Wie das vormoderne Byzanz oder China setzten islamische Reiche seit dem 9. Jahrhundert unfreie Militäreliten ein, deren Angehörige häufig als „Knaben“ oder „Diener“ (pers. ghulam) bezeichnet wurden und damit in mancher Hinsicht an die fränkischen gwas oder vassi erinnern.37 Die Mamluken (abgeleitet von arab. malaka, „besitzen“), freigelassene weiße (aus der eurasischen Steppe oder dem Südkaukasus stammende) Militärsklaven, die zwischen 1250 und 1516 / 1517 Ägypten, Syrien und einige angrenzende Gebiete beherrschten, bilden die vielleicht bekannteste Variante dieser Institution, allerdings eine Sonderform, da diese Mamluken – ungeachtet ihrer unfreien Herkunft – selbst die Herrschaft ausübten. Auch nach dem Untergang des mamlukischen Sultanats im frühen 16. Jahrhundert hielt sich vor allem an der nordafrikanischen Peripherie des Osmanischen Reichs, in Ägypten und im Irak die Institution der Mamluken, die über längere Zeit halb-autonome, wenn nicht faktisch unabhängige Lokaleliten stellten.38 Nach Herkunft, Bildungsweg und Rechtsstatus ganz anders zusammengesetzt waren im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts die Religions- und Rechtsgelehrten, die sich als Richter, Rechtsgutachter oder Prediger in den Dienst des Sultans stellten und einen eigenen Karrierestrang bildeten (osman. ilmiyye, von arab. ʻilm, „Wissen“); sie wurden mehrheitlich unter freien Muslimen türki-
36 In der türkeitürkischen Wiedergabe osmanischer Namen und Titel entfällt in der Regel der Buchstabe ʻayn. Ich benutze hier der Einfachheit halber die moderne türkische Schreibweise. 37 Vgl. Toru / Philips, Slave Elites (wie Anm. 11); Patzold, Lehnswesen (wie Anm. 29). 38 Für den Maghreb vgl. M’hamed Oualdi, Esclaves et maîtres. Les mamelouks des beys de Tunis du XVIIe siècle aux années 1880. (Bibliothèque historique des pays d’islam, Bd. 3.) Paris 2011.
Der Reiz des Gesellschaftsvergleichs
117
scher Sprache rekrutiert. Der steuerbefreiten Elite gehörten in einigen Reichsteilen zudem nichtmuslimische, vor allem christliche Adlige und Kleriker an, die auf Provinz- und Bezirksebene Hoheitsrechte ausübten. Grundlegend anders konstituiert war eine weitere steuerbefreite Gruppe: Die Nachkommen des Propheten Muhammad (arab. sayyid oder sharif, Pl. sada oder ashraf, abgeleitet von „Herr“, „Edler“) bildeten nicht nur im Osmanischen Reich eine sowohl patri- wie matrilinear erbliche Statusgruppe, eine Art Erbadel ohne Herrenrechte.39 Obgleich an sich per definitionem arabischer Herkunft, gehörten dieser Statusgruppe auch Sprecher persischer, türkischer oder kurdischer Sprachen an. Mit Ausnahme der Prophetennachkommen war die Zugehörigkeit zur Elite somit nicht an Geburt oder Geblüt geknüpft, sondern an Aufgaben und damit im weiteren Sinn an Leistung. Die Zugehörigkeit zur Elite leitete sich, obgleich auch das Osmanische Reich agrarisch geprägt war, nicht aus Land- und Grundbesitz ab. Vereinfacht gesagt, war Grundbesitz nicht Grundlage von Herrschaft, sondern deren Folge. Ein Geblütsadel entstand ungeachtet aller Tendenzen zur Erblichkeit von Ämtern und Funktionen, die sich im Osmanischen Reich vor allem im 18. Jahrhundert bemerkbar machten, nicht. Die Machtelite der askeri war auf dem Land nur schwach verankert. Die Zugehörigkeit zur Machtelite war weitgehend unabhängig von der Hautfarbe (vor allem im Palast hatten ‚schwarze‘ Eunuchen höchste Ämter inne), nicht hingegen von der Religionszugehörigkeit. Zur Reichselite zählten ausschließlich sunnitische Muslime, viele von ihnen christliche Konvertiten. Was man schließlich nicht oft genug wiederholen kann: Die militärischadministrative Machtelite wurde zwar häufig als „türkisch“ bezeichnet, sollte konsequent aber „osmanisch“ genannt werden; nicht wenige der „türkischen“ Militärs und Gouverneure waren ihrer Abstammung nach Serben, Albaner, Kaukasier oder Italiener. Die Sultane selbst, die ab dem 15. Jahrhundert nicht länger in die freien muslimischen türkischen oder turko-mongolischen Häuser Anatoliens und Rumeliens einheirateten, sondern ihre Kinder mit europäischen oder kaukasischen Sklavinnen zeugten, die erst in Gefangenschaft zum Islam konvertierten, waren ethnisch gesehen gleichfalls nicht rein türkisch.40 Die Elitensklaverei bildete innerhalb des Osmanischen Reiches und des Vorderen Orients generell einen Sonderfall, der freilich unter komparativen Vorzeichen besondere Aufmerksamkeit verdient. Gekennzeichnet war sie durch die hohe Chance sozialer Mobilität in der Abhängigkeit von einem Herrn, der gegenüber seinem Sklaven weitreichende Rechte geltend machen konnte: Er konnte ihn züchtigen, im Extremfall sogar töten bzw. hinrichten lassen; an ihn fiel im
39 Vgl. die Titel in Anm. 10. 40 Zu einigen dieser Aspekte vgl. Peirce, Imperial Harem (wie Anm. 35).
118
Gudrun Krämer
Prinzip das Erbe; er konnte den Besitz seines Sklaven auch konfiszieren. Zugleich aber besaßen die ‚Sklaven der Pforte‘ als Angehörige der steuerbefreiten Machtelite Herrenrechte über andere; sie waren rechtsfähig, konnten Besitz und Eigentum erwerben – darunter auch Sklavinnen und Sklaven – und ihren Besitz in der Regel auch an Angehörige ihres Haushalts weitergeben. Gerade für sie galt, dass der Rechtsstatus als Unfreier nicht alle sozialen Beziehungen und Felder determinierte. Für die Konkubinen des Sultans galt mit Ausnahme der militärischen und bürokratischen Hoheitsfunktionen Vergleichbares. Als Person unfrei, verfügten auch sie, sofern sie ihrem Herrn einen oder mehrere Söhne geboren hatten, über soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital. Die „Herrschaftsverhältnisse in der Elite“ lassen sich mit den Bedingungen, unter denen die Mehrzahl der Sklavinnen und Sklaven lebte, kaum vergleichen. Aber sie schärfen den Blick für die Determinanten und Dynamik sozialer Ordnung, um die es in dieser knappen Skizze ging.41
41 Ich hoffe, die hier skizzierten Argumentationslinien in einem Band der Neuen Fischer Weltgeschichte (Vorderer Orient und Nordafrika 1500, erscheint voraussichtlich 2015) vertiefter auszuführen.
Juliane Schiel
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme Wie viel Mikroanalyse braucht die Globalgeschichte?
1 Lehrer-Schüler-Perspektiven „Europa in der Welt des Mittelalters“, so war das Kolloquium überschrieben, das im Mai 2013 anlässlich des 65. Geburtstages von Michael Borgolte an der Humboldt-Universität veranstaltet wurde.1 Treffend ist damit der gegenwärtige Fluchtpunkt des wissenschaftlichen Schaffens des Jubilars benannt: Vom frühmittelalterlichen Urkundenspezialisten des alemannischen Raums2 über den Experten der deutschsprachigen Stiftungs- und Memoriaforschung3 hin zum international beachteten Europa- und Globalhistoriker hat Michael Borgolte während seiner nunmehr gut 35-jährigen Forschungstätigkeit fortwährend Grenzen verschoben, indem er bestehende Ordnungskategorien des Fachs hinterfragt und gegenwartsgeleitete Mittelalterforschung betrieben hat. Als ich mir in Vorbereitung auf diesen Anlass Gedanken für meinen eigenen Beitrag zu „Europa in der Welt des Mittelalters“ machte, fielen mir zunächst vor allem sehr persönliche Gedanken ein. Gedanken, die meine eigene Ausein-
1 Ich danke insbesondere Ludolf Kuchenbuch, Claudia Moddelmog, Stefan Hanß und Jan Kiepe für ihre kritische Lektüre und die vielen anregenden Bemerkungen zum Manuskript. 2 Hier v. a. Michael Borgolte, Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit. (Vorträge und Forschungen, Bd. 31.) Sigmaringen 1984; Ders., Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland, Bd. 2.) Sigmaringen 1986; Ders. / Dieter Geuenich / Karl Schmid (Hrsg.), Subsidia Sangallensia. Materialien und Untersuchungen zu den Verbrüderungsbüchern und zu den älteren Urkunden des Stiftsarchivs St. Gallen, Bd. 1. (St. Galler Kultur und Geschichte, Bd. 16.) St. Gallen 1986. 3 Stellvertretend sei hier verwiesen auf: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Stiftungsgeschichten, Bd. 1.) Berlin 2000; Ders., Stiftung und Memoria. Hrsg. v. Tillmann Lohse. (Stiftungsgeschichten, Bd. 10.) Berlin 2012. Vgl. hierzu außerdem das laufende Forschungsprogramm, finanziert über einen European Advanced Grant des European Research Council, zu „Foundations in Medieval Societies. CrossCultural Comparisons“ (FOUNDMED): http://www.geschichte.hu-berlin.de/forschung-und-projekte/foundmed.
120
Juliane Schiel
andersetzung mit der gegenwärtigen Europa- und Globalgeschichtsschreibung betreffen, von der ich zutiefst geprägt bin und auf die ich gleichzeitig von einem anderen Erfahrungshorizont aus blicke. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen, diesen Beitrag mit einer sehr persönlichen Perspektivkreuzung zu beginnen, indem ich die mediävistische Globalgeschichtsschreibung aus zwei verschiedenen Blickrichtungen betrachte: aus derjenigen des Jubilars, meines akademischen Lehrers, und aus meiner eigenen bzw. allgemeiner gefasst: aus Sicht der Nachkriegsgeneration und aus Sicht der Kinder des ‚cultural turn‘.4 Zunächst zur Lehrerposition: Wer das bisherige Schaffen von Michael Borgolte in der Zusammenschau betrachtet, wird unschwer feststellen, wie sehr seine Themen jeweils den Nerv der Zeit getroffen haben. Seinem Fach meist einen Schritt voraus, reflektierte er als Westdeutscher auf einem Ostberliner Lehrstuhl über die Sozialgeschichte in Ost und West vor und nach der Wende.5 Der traditionellen Nationalgeschichtsschreibung und der überkommenen Vorstellung eines lateinisch-christlichen Abendlandes stellte er im Zeichen des EU-Einigungsprozesses das Bild eines monotheistischen Europas entgegen, das in seiner dialektischen Spannung zwischen Einheit und Vielfalt komparatistisch zu erforschen sei.6 Und die herkömmliche Universalgeschichtsschreibung konfrontiert er nun
4 Vgl. hierzu auch: Ludolf Kuchenbuch, Zwanzig Jahre Historische Anthropologie. Ein Generationengespräch am 26. 10. 2012 in Mainz, in: Historische Anthropologie 21.2, 2013, 295–302; Ders., Reflexive Mediävistik. Textus – Opus – Feudalismus. (Campus Historische Studien, Bd. 64.) Frankfurt am Main / New York 2012, hier besonders 537–566. 5 Hierzu vor allem: Michael Borgolte (Hrsg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N. F., Bd. 20.) München 1995; Ders., Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N. F., Bd. 22.) München 1996; Ders., Der mißlungene Aufbruch. Über Sozialgeschichte des Mittelalters in der Zeit der deutschen Teilung, in: Historische Zeitschrift 260, 1995, 365–394; Ders., Europa im Bann des Mittelalters. Wie Geschichte und Gegenwart unserer Lebenswelt die Perspektiven der Mediävistik verändern, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6, 2005, 117–135; Arno Widmann, Wenn jeder mit jedem vernetzt ist. Interview mit Michael Borgolte, in: Berliner Zeitung, 10. 11. 2012, 11. 6 Vgl. hierzu neben der Leitung und den Publikationen des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 zu „Integration und Desintegration der Kulturen im Mittelalter“ von 2005–2011 in Auswahl: Michael Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 3.) Stuttgart 2002; Ders., Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300–1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas.) München 2006; Ders., Vor dem Ende der Nationalgeschichten? Chancen und Hindernisse für eine Geschichte Europas im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 272, 2001, 561–596; Ders., Mediävistik als vergleichende Geschichte Europas, in: Hans-Werner Goetz / Jörg Jarnut (Hrsg.), Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung. München 2003, 313–323; Ders., Die Anfänge des mittelalterlichen Europa, oder Europas Anfänge
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
121
im Zeitalter der Globalisierung mit einer globalhistorischen Perspektive auf das Mittelalter, indem er transkulturelle Interaktionen und Kommunikationsräume zu Wasser und zu Land untersucht.7 Historiographiegeschichtliche Themen und drängende Fragen der Gegenwart begleiteten und motivierten seine mediävistischen Arbeiten mehr oder weniger von Anfang an. Dabei lässt sich in der Zusammenschau eine fortwährende Erweiterung des Sichtfelds feststellen: Vom „kleinen“ Kloster im alemannischen St. Gallen öffnete er sein Frageinteresse bis hin zu konzeptionellen Reflexionen über den euroasischen oder den mediterranen Raum und die Vernetzung der mittelalterlichen Welt zwischen Japan, Australien und Südamerika. Vom spezialisierten Handwerker zum großen Geschichtenerzähler, von der mikroskopischen Arbeit an einer Prosopographie bis zur makrohistorischen Synthesedarstellung ist hier eine kontinuierliche Vorwärtsbewegung von der Mikro- zur Makroebene erkennbar. Ich wechsele jetzt zur Schülerinnenposition: In dem Jahr geboren, in dem Michael Borgolte seine Dissertation publizierte, waren für mich die großen historischen Zäsuren der Nachkriegszeit bereits Geschichte, als ich begann, sie zu reflektieren. An den Fall der Mauer und den Nachgeschmack des Kalten Krieges erinnere ich mich vor allem indirekt über die feuchten Augen meiner Eltern, deren ungläubiges Staunen in mir einen bleibenden Eindruck hinterließ. Europa stand für mich als Angehörige der FSJ- und Erasmus-Generation immer schon in erster Linie für einen befriedeten und entgrenzten Raum der Möglichkeiten. Fernreisen
im Mittelalter?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55, 2007, 205–219; Ders., Christen und Juden im Disput. Mittelalterliche Religionsgespräche im „spatial turn“, in: Historische Zeitschrift 286, 2008, 359–402; Ders., Weshalb der Islam seit dem Mittelalter zu Europa gehört, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 43 Multilingual, 2012, 363–377. 7 Auch hier sei wiederum nur auf eine Auswahl der publizierten Schriften verwiesen: Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285; Ders., Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 41 Multilingual, 2010, 23–47; Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Eine europäische Kultur in globalhistorischer Perspektive, in: Historische Zeitschrift 295, 2012, 35–61; Ders., Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte, in diesem Band, 241–265. Außerdem als Herausgeber: Ders. / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien, Afrika. Darmstadt 2012; Ders. / Julia Dücker / Marcel Müllerburg u. a. (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 20.) Berlin 2012; Ders. / Immanuel Ness / Peter Bellwood u. a. (Hrsg.), The Encyclopedia of Global Human Migration. Malden (Mass.) 2013; Ders. / Nikolas Jaspert (Hrsg.), Maritimes Mittelalter. Meere als Kommunikationsräume. (Akten der Tagung des Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte im Herbst 2012; im Druck).
122
Juliane Schiel
und Auslandsstudienaufenthalte waren für uns, die wir Ende der 1990er-Jahre unser Studium aufnahmen, beinahe schon gewöhnlich geworden. Multikulturalismus und interreligiöser Dialog gehörten zu den Schlagwörtern unserer Jugend, und die eigene Auseinandersetzung mit dem kulturell Anderen war dementsprechend das, was mich (und viele von uns) besonders reizte. Dabei waren es gleichzeitig genau diese Themen, die mich politisierten: ‚Kulturelle Integration ja, aber nicht so! Globalisierung ja, aber nicht diese!‘ Die immer dichter vernetzte Welt, in die ich hineinsozialisiert worden war, geriet für mich zunehmend auch zum Synonym für globale Gewaltwirtschaft und weltweite soziale Ungleichheiten. Aus dem Wohlstandskind eines befriedeten Europas wurde eine skeptische Glokalistin. Foucaults Machtbegriff und die neuen Stimmen der Postcolonial Studies gerieten in diesem Kontext zum geistigen Rüstzeug, um dieser meiner Weltordnung ideologiekritisch zu begegnen.8 Von der Mittelalterforschung machte ich mir in dieser Zeit mit einer gehörigen Portion jugendlicher Naivität ein sehr ambivalentes Bild: Auf der einen Seite verband ich mit ihr eine ‚verstaubte‘ Kaiser-Papst-Forschung, die das Edieren lateinischer Texte zum Selbstzweck betrieb und auf meine Frage nach der Relevanz nichts aufzubieten hatte, was mich überzeugte. Auf der anderen Seite ging es dort um eine Zeit, die mich – ähnlich wie die indische oder die lateinamerikanische Kultur der Gegenwart – durch ihre Fremdheit herausforderte. Spannend wurde es für mich dort, wo ich durch die Konfrontation mit der Andersartigkeit einer fernen Epoche eigene Denkmuster und Analysekategorien hinterfragen und gleichzeitig Verbindungslinien zu Themen meiner Zeit herstellen konnte. Europaund globalgeschichtliche Fragen lagen mir deutlich näher als landeskundliche oder regional begrenzte Themenstellungen.9
8 Vgl. u. a. Michel Foucault, Surveiller et punir. La naissance de la prison. Paris 1975; Ders., Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin 1976; Ders., Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978. Grundlegend für die „Glokalisierungsdebatte“: Roland Robertson, Glocalization. Space, Time and Social Theory, in: Journal of International Communication 1, 1994, 33–52; Ders., Glocalization. Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity, in: Mike Featherstone u. a. (Hrsg.), Global Modernities. London 1995, 25–44. Für die Postcolonial Studies sei hier stellvertretend für andere verwiesen auf: Janet Abu Lughod, Before European Hegemony. The World System A. D. 1250–1350. Oxford 1989; Eric R. Wolf, Europe and the People Without History. Berkeley / Los Angeles 1982; Dipesh Chakrabarty, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference. Princeton 2000. 9 Zur Reflexion der Fremdheit vergangener Zeiten vgl. : Hans Medick / Angelika Schaser / Claudia Ulbrich (Hrsg.), Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven. (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20.) Köln / Weimar / Wien 2012.
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
123
Das entgrenzte Denken von Geschichte, für welches sich nicht zuletzt Michael Borgolte eingesetzt und stark gemacht hat,10 so ließe sich von dieser LehrerSchüler-Perspektivkreuzung abstrahieren, passt also sehr gut zum Lebensgefühl der Kinder des ‚cultural turn‘, und doch blicken sie aus einer anderen Warte auf dieses erweiterte Feld der Geschichte. Wie nun aber weiter? Wie lässt sich das Erreichte weiterdenken? Für die eine Generation war die Erweiterung des Sichtfelds der Durchbruch. Was jedoch auf diesem neuen, entgrenzten Panoramabild zu sehen ist, so lautet mein Plädoyer, müssen wir nun etwas genauer in den Blick nehmen. Erst wenn wir näher heranzoomen, kann sich zeigen, inwieweit die Details der Nahaufnahme in die großen Konturen passen und an welchen Stellen gegebenenfalls ausgehend vom Detail auch der Gesamteindruck des Panoramabildes revidiert werden muss.
2 Theoretisch-methodische Überlegungen Dafür möchte ich nach dieser biographischen Perspektivkreuzung nun eine methodische Perspektivverknüpfung vorschlagen und die mediävistische Globalgeschichte mit zwei Ansätzen verbinden: erstens mit den derzeit vor allem in den Area Studies geführten und stark von der Kulturanthropologie beeinflussten Diskussionen zu ‚Translocality‘, und zweitens mit den methodischen Forderungen der stärker sozial- und wirtschaftshistorisch ausgerichteten Vertreterinnen und Vertreter der Mikrogeschichte. Unter der Überschrift ‚Translocality: An Approach to Connection and Transfer in Area Studies‘ haben Ulrike Freitag und Achim von Oppen in ihrem einflussreichen Sammelband von 2010 dafür plädiert, bei globalhistorischen Betrachtungen das Lokale nicht länger als stabile, bestenfalls reagierende Einheit einem wirkmächtigen fluiden Globalen dichotomisch gegenüberzustellen. Stattdessen gelte es, die translokalen Beziehungen stärker in den Blick zu nehmen, in ihrer Dialektik zwischen „Ordnung“ und „Bewegung“ zu erforschen und damit
10 Neben den Arbeiten von Michael Borgolte sind für die mediävistische Globalgeschichtsschreibung u. a. Publikationen von Jürgen Osterhammel und Peter Feldbauer prägend gewesen: vgl. Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 147.) Göttingen 2001; Ders. / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München 2003; Peter Feldbauer, Mediterraner Kolonialismus. Expansion und Kulturaustausch im Mittelalter. (Expansion, Interaktion, Akkulturation, Bd. 8.) Essen 2005.
124
Juliane Schiel
zu einer „globalen Sozialgeschichte von unten“ beizutragen.11 In eine ähnliche Richtung argumentierte unlängst auch Angelika Epple in einer Ausgabe der Zeitschrift Historische Anthropologie, die dem Thema ‚Lokalität und die Dimensionen des Globalen‘ gewidmet war. Nicht das Globale bestimme das Lokale, sondern „translokale und andere soziale Beziehungen bestimmen Lokalität“.12 Nur wenn „die kleinste Untersuchungseinheit als Ausgangspunkt relationaler Betrachtung genommen wird“, so Epple, könne die Globalgeschichte der Gefahr der Relationierung von Geschichte mit schwindender historischer Erklärungskraft entgehen.13 Wie aber diese „kleinste Untersuchungseinheit“ praktisch zu erforschen ist, das lässt sich wohl nach wie vor am besten bei den Vertreterinnen und Vertretern mikrogeschichtlicher Ansätze studieren. In den 1980er Jahren zuweilen als „Barfusshistoriker“ verschrien,14 reflektierten die microstoria-Vertreter/innen in Italien, die dritte bzw. vierte Generation Annales in Frankreich und die Alltagsund Mikrohistoriker/innen im deutschsprachigen und angloamerikanischen Raum ebenso wie die neuere Geschlechterforschung intensiv über das Verhältnis von Lokalgeschichte und Allgemeiner Geschichte und die Beziehung zwischen Partikularem und Universalem.15 Auf der Suche nach den „normalen Ausnah-
11 Vgl. die Einleitung der Herausgeber/innen zu: Ulrike Freitag / Achim von Oppen (Hrsg.), Translocality. The Study of Globalising Processes from a Southern Perspective. (Studies in Global Social History, Bd. 4.) Leiden 2010, 1–21, hier v. a. 5; 8; 17. 12 Angelika Epple, Lokalität und die Dimensionen des Globalen. Eine Frage der Relationen, in: Historische Anthropologie 21.1, 2013, 4–25, hier 25. 13 Epple, Lokalität (wie Anm. 13), 24. 14 Der Begriff der „Barfußhistoriker“ wurde in den 1980er Jahren in Westdeutschland von der damals etablierten Sozial- und Wirtschaftsgeschichte geprägt und richtete sich auf mitunter recht polemische Art und Weise in erster Linie gegen die von Alf Lüdtke und Hans Medick vertretene Alltagsgeschichte und die in Deutschland aufkommende Bewegung der Geschichtswerkstätten. Vgl. hierzu neben der seit 1992 erscheinenden Zeitschrift WerkstattGeschichte vor allem: Alf Lüdtke, Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurt am Main / New York 1989; Ders. (Hrsg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien. Göttingen 1991; Ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitserfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus. Hamburg 1993; Hans Medick, Weben und Überleben in Laichingen, 1650–1900. Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 126.) Göttingen 1996; Ders., Mikrohistorie. Neue Pfade in die Sozialgeschichte. Frankfurt am Main 1998. 15 Zu nennen sind hier stellvertretend für andere Carlo Ginzburg, Emmanuel Le Roy Ladurie, Natalie Zemon Davis, David Sabbean, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm, Peter Kriedte, Michael Mitterauer, Claudia Ulbrich, Michaela Hohkamp und Susanna Burghartz, wobei sich selbstverständlich unter diesen Vertreterinnen und Vertretern des mikrohistorischen Ansatzes eine breite Vielfalt theoretischer Entwürfe wiederfindet. Für die Geschlechtergeschichte vgl. u. a.: Karin
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
125
mefällen“ und dem „außergewöhnlich Normalem“ haben sie vorgeführt, inwiefern der „ethnographische Blick“ fürs Detail neue Perspektiven eröffnen kann.16 Dabei zeigt sich die Relevanz des „normalen Ausnahmefalls“ für größere historische Zusammenhänge und grundsätzliche Fragen der Geschichtsforschung gerade im kontinuierlichen Hin- und Herschwenken zwischen der Mikro- und der Makroebene, zwischen der synchronen Momentaufnahme und der longue duréePerspektive.17 Bei diesem Hinein- und Herauszoomen findet das statt, was Natalie Z. Davis als „dezentrierendes Vergleichen“ bezeichnet hat und was Francesca Trivellato jüngst auch für Globalgeschichte programmatisch gefordert hat.18 Auf
Hausen, Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte, in: Hans Medick / Anne-Charlott Trepp (Hrsg.), Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven. (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 5.) Göttingen 1998, 15–55; Gianna Pomata, Storia particolare e storia universale. In margine ad alcuni manuali di storia delle donne, in: Quaderni Storici 25, 1990, 341–387. 16 Der Ausdruck des „normalen Ausnahmefalls“ geht ursprünglich auf Edoardo Grendi zurück, der vorführte, wie ein außergewöhnliches Stück Überlieferung mittels Mikroanalyse breite Trends und Normalität offenlegen kann: „il documento eccezionale può risultare eccezionalmente ‚normale‘, perché rilevante“. Vgl. Edoardo Grendi, Micro-analisi e storia sociale, in: Quaderni storici 35, 1977, 506–520. Wieder aufgenommen und fortentwickelt findet sich dieses Konzept bei Hans Medick, Entlegene Geschichte? Sozialgeschichte und Mikro-Historie im Blickfeld der Kulturanthropologie, in: Joachim Matthes (Hrsg.), Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs. (Soziale Welt. Sonderband, Bd. 8.) Göttingen 1992, 167–178, hier v. a. 168. 17 Vgl. hierzu die innerhalb der Mikrogeschichte zu anerkannten Kategorien gewordenen Bilder von „extreme long shots“ und „close ups“, die Siegfried Kracauer geprägt hat und deren heuristisches Potential Hans Medick ausführlich in der Einleitung zu seiner Habilitationsschrift diskutiert: Siegfried Kracauer, Geschichte. Vor den letzten Dingen. (Gesammelte Schriften, Bd. 4.) Frankfurt am Main 1971, 118–124; Hans Medick, Weben und Überleben in Laichingen (wie Anm. 14), 13–37. Außerdem hierzu relevant: Carlo Ginzburg, Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, in: Historische Anthropologie 1, 1993, 169–192, hier 185; Jacques Revel (Hrsg.), Jeux d‘échelles. La micro-analyse à l‘expérience. Paris 1996; Gianna Pomata, Close-Ups and Long Shots. Combining Particular and General in Writing the Histories of Women and Men, in: Medick / Trepp (Hrsg.), Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte (wie Anm. 15), 99–124. 18 Natalie Z. Davis, Decentering History. Local Stories and Cultural Crossings in a Global World, in: History and Theory 50.2, 2011, 188–202; Dies., Dezentrierende Geschichtsschreibung. Lokale Geschichten und kulturelle Übergänge in einer globalen Welt, in: Historische Anthropologie 19.1, 2011, 144–156, hier 145; Dies., What is Universal about History?, in: Gunilla Budde / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 22010, 15–20. Zur Verbindung der Ansätze der italienischen microstoria mit den gegenwärtigen Diskussionen zur Globalgeschichte mittels des Vergleichs vgl. neuerdings: Francesca Trivellato, Is There a Future for Italian Microhistory in the Age of Global History?, in: California
126
Juliane Schiel
diese Weise wäre, um mit Hans Medick zu sprechen, ein „methodischer Ausweg“ gewiesen, der sich „jenseits der Konzepte einer makrohistorischen Synthesenhistorie“, aber auch jenseits „postmoderner ‚Fragmentierung‘“ zu verorten sucht.19 Wie nun aber diese Perspektivverknüpfung zwischen Panoramablick und Nahaufnahme im Hinblick auf globalhistorische Fragestellungen konkret bewerkstelligt werden kann, soll im Folgenden an einem Beispiel skizziert werden. Dabei greife ich ein Thema auf, das der Jubilar neben den großen „Reichsbildungen“ und den „Massenmigrationen“ als eines der drei wichtigsten Felder mediävistischer Globalgeschichtsschreibung benannt hat: den „Fernhandel“.20
3 Ein Fallbeispiel Im Fokus steht der Handel eines venezianischen Kaufmanns aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Dieser Kaufmann mit Namen Giacomo Badoer, der dem venezianischen Adel entstammte, hatte nach dem Tod der ersten Ehefrau seine beiden noch minderjährigen Söhne bei seinem älteren Bruder Jeronimo zurückgelassen, um sich im Spätsommer 1436 im Alter von 33 Jahren für Konstantinopel einzuschiffen. Vom Bosporus aus führte er über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren die Geschäfte der Familie. Dabei war Giacomo Badoer im Vergleich zu anderen venezianischen Händlern seines Standes offensichtlich genau das, was man mit den Mikrohistorikern als „normalen Ausnahmefall“ bezeichnen könnte: Ein venezianischer Adliger, der wie unzählige Andere seiner Generation und Schicht von einem lateinischen Handelsstützpunkt des östlichen Mittelmeers aus eine Zeit lang einen Teil des Familienkapitals in den Fernhandel investierte und für uns heute nur deshalb einen „Ausnahmefall“ darstellt, weil sein Handelsbuch als eines der wenigen seiner Zeit auf uns gekommen ist. Wie damals üblich, war es auch in diesem Fall der jüngere Bruder, der als socius procertans der brüderlichen compagnia in Übersee die Geschäfte mit den Lieferanten und Abnehmern abwickelte und die eintreffenden Handelsschiffe mit den entsprechenden Handelsgütern be- und entlud, während der ältere als socius stans den Versand und das Eintreffen der gehandelten Waren von Venedig aus koordinierte.21 Dabei handelte Giacomo ähnlich wie die meisten der vorüberge-
Italian Studies 2, 2011, online: http://escholarship.org/uc/item/0z94n9hq. 19 Hans Medick, Mikro-Historie, in: Winfried Schulze (Hrsg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994, 40–53, hier 43. 20 Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 7), hier v. a. 61. 21 Zur Geschichte des venezianischen Seehandels klassisch: Frederic Chapin Lane, Venice. A
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
127
hend im Fernhandel tätigen Adligen seiner Stadt mit allem, womit man damals Geld verdienen konnte: Tücher und Stoffe aus Venedig wurden gegen Gewürze, Seide, Felle und Sklaven gewinnbringend verkauft. Er investierte in Weizen und Weine, in Baumwolle und Leinen, in Kupfer, Blei und Alaun und tat dies je nach Kontext allein mit seinem Bruder oder schloss sich vorübergehend mit ein bis drei anderen Kaufleuten in einer größeren Handelsgesellschaft (compagnia) zusammen. Die Anteilsscheine, die er in diesen Kompanien erwarb, zeigen ihn dabei als mittelmäßig vermögenden Adligen, und auch das von ihm insgesamt investierte Handelsvolumen von 43 000 Golddukaten, das er während seines dreieinhalbjährigen Konstantinopelaufenthalts vervierfachen konnte, stellt für die damals im Seehandel engagierten Adligen Venedigs ein vergleichsweise durchschnittliches Beispiel dar.22 Von all diesen Dingen aber wissen wir, weil Giacomo Badoer über alle seine Einnahmen und Ausgaben akribisch genau Buch führte. Dieses Rechnungsbuch ist mit seinen 418 Folioseiten vollständig erhalten und zählt zu den ältesten Beispielen der in Italien seit dem 14. Jahrhundert praktizierten doppelten Buchführung.23 Das Dokument wurde in den 1950er Jahren ediert und ist
Maritime Republic. Baltimore 1973; Richard Mackenney, Tradesmen and Traders. The World of the Guilds in Venice and Europe, c. 1250 – c. 1650. Totowa (NJ) 1987. Aus der neueren wirtschaftsgeschichtlichen Forschung zu Venedig vgl. v. a. Sergej P. Karpov, La navigazione veneziana nel Mar Nero XIII–XV sec. (Girasole documenti.) Ravenna 2000; Jean-Claude Hocquet, Venise et la mer, XIIe–XVIIIe siècle. Paris 2006; Ders., Venise et le monopole du sel. Production, commerce et finance d’une république marchande. Venedig 2012. Außerdem in diesem Zusammenhang sehr lesenswert: Irmgard Fees, Ein venezianischer Kaufmann des 12. Jahrhunderts. Romano Mairano, in: Peter Schreiner (Hrsg.), Una città tra realtà e rappresentazione. (Venetiana, Bd. 5.) Rom / Venedig 2006, 25–59. 22 Zur Person des Giacomo Badoer und seinem Rechnungsbuch vgl. einführend: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 5. Rom 1963, 109–113. 23 Das Original befindet sich heute im Staatsarchiv Venedig: Archivio di Stato di Venezia (ASVe), Cinque savi alla mercanzia, Ser. 1, Diversorum, b. 958. Zur doppelten Buchführung und der Schriftkultur der Kaufleute einschlägig: Franz-Josef Arlinghaus, Zwischen Notiz und Bilanz. Zur Eigendynamik des Schriftgebrauchs in der kaufmännischen Buchführung am Beispiel der Datini/di Berto-Handelsgesellschaft in Avignon (1367–1373). (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge, Bd. 8.) Frankfurt am Main / Berlin / Bern u. a. 2000. Außerdem Markus A. Denzel / Jean-Claude Hocquet / Harald Witthöft (Hrsg.), Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert / Merchant’s Books and Mercantile Practice from the Late Middle Ages to the Beginning of the 20th Century. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte, Bd. 163.) Wiesbaden 2002. Sowie weiterhin grundlegend: Federigo Melis, Storia della Ragioneria. Contributo alla conoscenza e interpretazione delle fonti più significative della storia economica. Bologna 1950.
128
Juliane Schiel
durch den 2002 erschienen Index auch für ein breiteres Fachpublikum nutzbar geworden.24 Diesem „normalen Ausnahmefall“ des Giacomo Badoer möchte ich mich nun zunächst aus der Vogelperspektive nähern, um dem daraus gewonnenen Panoramabild (Kracauer: „extreme long shot“) dann in einem zweiten Schritt unter Zuhilfenahme eines Zoomobjektivs mit großer Brennweite einige Nahaufnahmen (Kracauer: „close ups“) zur Seite zu stellen.25 Dabei werde ich, um die Masse der auszuwertenden Daten zu begrenzen, den Sklavenhandel des Giacomo Badoer ins Zentrum der Betrachtung stellen und nach der translokalen Vernetzung der am Sklavengeschäft beteiligten Kaufleute und ihren sozialen Beziehungen untereinander fragen. Während für die Panoramaaufnahme größtenteils auf bereits bestehende Forschungsarbeiten zurückgegriffen kann, stütze ich mich für die herangezoomten Nahaufnahmen auf eigene Recherchen und Auswertungen.
3.1 Der Panoramablick Insbesondere Michel Balard, Sergej P. Karpov und Jean-Claude Hocquet haben in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt, wie ‚globalisiert‘ die Handelsströme und Geldtransaktionen in den Jahrzehnten vor der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Mittelmeerraum waren.26 So sprach Jean-Claude Hocquet
24 Il libro dei conti di Giacomo Badoer (Costantinopoli, 1436–1440). Ed. Umberto Dorini / Tommaso Bertelè. (Il nuovo Ramusio, Bd. 3.) Rom 1956. Der bereits in den 1950er Jahren geplante Index der beiden Editoren ist 2002 von Giovanni Bertelè, dem Sohn des Co-Editors publiziert worden: Il libro dei conti di Giacomo Badoer (Costantinopoli 1436–1440). Complemento e indici. Ed. Giovanni Bertelè. Padua 2002. 25 Kracauer, Geschichte (wie Anm. 17). 26 Michel Balard, Gênes et l’outre-mer, 2 Bde. (Documents et recherches sur l’économie des pays byzantins, islamiques et slaves et leurs relations commerciales au moyen âge, Bd. 12–13.) Paris 1973–1980; Ders., La Romanie génoise (XIIe–début du XVe siècle). (Bibliothèque des Ecoles Francaises d’Athènes et de Rome, Bd. 235; Atti della Società Ligure di Storia Patria. Nuova serie, Bd. 92.) Rom 1978; Ders. / Angeliki E. Laiou / Catherine Otten-Froux (Hrsg.), Les Italiens à Byzance. Édition et présentation de documents. (Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia, Bd. 6.) Paris 1987; Ders., La mer Noire et la Romanie génoise (XIIIe–XVe siècles). (Variorum Reprints, Bd. 294.) London 1989; Ders. / Alain Ducellier (Hrsg.), Le partage du monde. Échanges et colonisation dans la Mediterranée médiévale. (Publications de la Sorbonne. Série Byzantina Sorbonensia, Bd. 17.) Paris 1998; Ders., La Méditerranée medieval. Espaces, itinéraires, comptoirs. (Les médiévistes francais, Bd. 6.) Paris 2006; Ders., Les Latins en Orient (Xe–XVe siècle). Paris 2006. Sergej P. Karpov, L’impero di Trepisonda. Venezia, Genova e Roma, 1204–1461. Rapporti politici, diplomatici e commerciali. Traduzione di Eleonora Zambelli. Rom 1986; Hocquet, Venise et la mer (wie Anm. 21); Ders., Venise et le monopole (wie Anm. 21).
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
129
am Beispiel des Giacomo Badoer von einem „commerce sans frontière“ und einer „internationalisation du capital“. Die „solidarités marchandes et capitalistes“ hätten immer wieder bestehende politische, religiöse, ethnische oder kulturelle Grenzen transzendiert.27 Giacomo Badoer bezog und verschiffte, so haben statistische Auswertungen der Rechnungsbucheinträge gezeigt, tagtäglich ganz verschiedene Handelsgüter aus Tana, Beirut, Alexandria, Candia, Sizilien und Mallorca. Die großen Hafenstädte des Mittelmeer- und Schwarzmeerraums sind im ‚Libro dei Conti‘ des jungen Badoer gleichermaßen als Herkunftsort und Zielhafen der verschiedenen Lieferungen verzeichnet. Zu seinen Geschäftspartnern zählten neben Kaufleuten aus Venedig, Genua, Ancona und der Toskana auch Katalanen, Griechen, Juden, Armenier und Osmanen. Die Bankbesitzer, die sein Geld verwalteten und in seinem Auftrag Geldtransfers vornahmen, stammten neben Venedig auch aus Florenz, Sardinien und Byzanz.28 Auch das Sklavengeschäft des Giacomo Badoer, das im Vergleich zum Gesamthandelsvolumen eher einen Nebenposten darstellte, spiegelt dieses ‚globalisierte‘ Fernhandelssystem des Mittelmeerraums vor 1453 wider. Lieferanten und Käufer stammten auch hier aus allen Teilen der über das Meer vernetzten Welt der Kaufleute.29 Insgesamt 62 Sklavinnen und Sklaven, so hat Michel Balard erhoben, verzeichnete der venezianische Kaufmann während seines dreieinhalbjährigen Konstantinopelaufenthalts in den Ein- und Ausgängen seines Handelsbuchs.30 Die zu etwa einem Drittel weiblichen und zu zwei Dritteln männlichen Sklaven waren durchschnittlich 22 Jahre alt.31 Der Durchschnittspreis für Frauen
27 Jean-Claude Hocquet, Le réseau d’affaires de Giacomo Badoer marchand vénitien à Constantinople (1436–1440), in: Studi veneziani. N. S. 61, 2010, 57–79, hier 58; 67. 28 Jean-Claude Hocquet, Réseau d’affaires (wie Anm. 27). Mit großer Selbstverständlichkeit ging Giacomo Badoer mit regionalen Währungen, Maß- und Gewichtseinheiten zwischen Italien, Byzanz und dem Osmanischen Reich um und übersetzte die verschiedenen Werte mühelos in die in Konstantinopel üblichen Größenangaben. Vgl. hierzu Ders., Weights and Measures of Trading in Byzantium in the Later Middle Ages. Comments on Giacomo Badoer’s Account Book, in: Denzel / Hocquet / Witthöft (Hrsg.), Kaufmannsbücher und Handelspraktiken (wie Anm. 23), 89–116. Vgl. auch Guido Astuti, Le forme giuridiche della attività mercantile nel libro dei conti di Giacomo Badoer (1436–1440), in: Annali di storia del diritto. Rassegna internazionale 12, 1968, 65–130. 29 Seine Sklavenlieferanten waren in erster Linie Genuesen und Venezianer, doch auch hier finden sich wiederum Armenier, Griechen und Kaufleute aus Neapel, Mailand und Siena. Vgl. Michel Balard, Giacomo Badoer et le commerce des esclaves, in: Elisabeth Mornet / Franco Morenzoni (Hrsg.), Milieux naturels, espaces sociaux. Etudes offertes à Robert Delort. (Publications de la Sorbonne. Histoire ancienne et médiévale, Bd. 47.) Paris 1997, 555–564, hier 559–561. 30 Ebd. 31 Ebd., 558 f. Nur in Einzelfällen waren die gehandelten Sklavinnen und Sklaven jünger als 15 oder älter als 25 Jahre.
130
Juliane Schiel
lag mit 98,6 yperperi deutlich über dem errechneten Schnitt für Männer von 76,6 yperperi.32 Unter den Sklavinnen und Sklaven, deren Herkunftsbezeichnung vermerkt war, stammte ein vergleichsweise hoher Prozentsatz aus der russischen Steppe und dem südlichen Kaukasus, gefolgt von einer etwas kleineren als tartari bezeichneten Gruppe aus dem Gebiet der Goldenen Horde.33 Die meisten der männlichen Sklaven wurden balaban genannt und waren damit im Jargon der Händler als junge und robuste Männer für den physischen Arbeitseinsatz ausgezeichnet.34 Giacomo Badoer erwarb fast alle Sklaven einzeln oder als Paar bei individuellen Lieferanten, über die er gleichzeitig auch andere Handelsgüter wie Weizen, Gewürze oder Seide bezog. Auch der Verkauf fand in der Regel in niedriger ‚Stückzahl‘ im Direkthandel mit individuellen Abnehmern statt. Nur gelegentlich erwarb bzw. verschiffte er eine größere Zahl zwischen fünf und maximal dreizehn Sklaven auf einmal, und zweimal investierte er mit mehreren Sklaven und einem größeren Betrag Eigenkapital in eine Handelsunternehmung nach Mallorca.35 Zwei dieser insgesamt 62 von Giacomo gehandelten Sklavinnen und Sklaven, eine sechzehnjährige sciava rossa (= Russin) namens Maria36 und einen
32 Balard, Giacomo Badoer (wie Anm. 29), 559 f. Insgesamt war die Preisspanne von 30 bis 135 yperperi relativ weit, allerdings waren diese Mindest- bzw. Höchstpreise, die für Sklaven gezahlt wurden, in der Gesamtschau betrachtet Ausnahmefälle. Die meisten gehandelten Menschen kosteten 70–100 yperperi. Der Durchschnittspreis für Frauen entsprach bei einem Wechselkurs von ca. 3:1 in etwa 33 venezianischen Golddukaten. 33 Bei etwa der Hälfte aller über Giacomo Badoer gehandelten Sklavinnen und Sklaven wurde die Herkunft mit angegeben, vgl. Balard, Giacomo Badoer (wie Anm. 29), 556. 34 Ebd., 556 f. 35 Im Juli 1438 verschiffte Giacomo Badoer insgesamt dreizehn balabani im Rahmen einer chonpagnia nach Mallorca. Neben Zuan Mozenigo, der mit einem Anteil von car. 12 den Hauptgewinn einstrich und neben Baumwolle (gotoni) selbst 150 Sklaven transportieren ließ, waren Aluvixe Falier (car. 6), Alesandro Zen (car. 4) und Jachomo Badoer (car. 2) an der Unternehmung beteiligt, vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 442,10–32. Im Januar des darauffolgenden Jahres war Giacomo an einer ähnlich umfangreichen Sklavenverschiffung nach Mallorca beteiligt, hatte aber selbst nur eine Sklavin mit an Bord. Die chonpagnia setzte sich aus Aldrovandin di Zusti (1/2 des Gewinns), Domenego da Chà da Pexaro (4/20), Marcho Balanzan (3/20) und Jachomo Badoer (3/20) zusammen, vgl. ebd., 524,27–46. Zu Sklavenmärkten auf Mallorca vgl. auch Ricard Soto y Company, La conquista de Mallorca y la creación de un mercado de esclavos, in: Fabienne P. Guillén / Salah Trabelsi (Hrsg.), Les esclavages en Méditerranée. Espaces et dynamiques économiques. Madrid 2012, 63–76. 36 Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 90,2–6; 91,8–10; 346,9–11.
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
131
18-jährigen sciavo avagoxa (= Abchase) mit Namen Zorzi (also: Giorgio),37 behielt er für seine eigenen Bedürfnisse in Konstantinopel.38 Die aus der Vogelperspektive gewonnene Panoramaaufnahme bietet also ein klares Bild: Der Sklavenhandel des Giacomo Badoer stellt sich ähnlich wie sein Kaufmannsgeschäft insgesamt zunächst einmal als ein entgrenzter Raum des Austauschs und ein translokales Netz wirtschaftlicher Beziehungen dar.39 Sein Handelsaußenposten, für den ihm neben Dolmetschern und einem Sekretär auch ein adliger Lehrling (ziovane) aus Venedig, ein Angestellter (fameio) und zwei eigene Sklaven zur Verfügung standen, wurde mit der Zeit zu einer Drehscheibe zwischen alten und neuen Kontakten in nah und fern. Bemerkenswert ist allerdings, dass Giacomos Gewinnspanne im Sklavenhandel – die beiden Mallorca-Unternehmungen einmal ausgenommen – mit 3–12 yperperi, d. h. mit durchschnittlich 12% des investierten Kapitals, deutlich unter den Einnahmen lag, die er in anderen Bereichen vorweisen konnte.40 Weshalb der Kaufmann aber trotz der geringen Gewinnausschüttung und des hohen Risikos
37 Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 90,17–19; 91,8–10; 285,6–7; 346,9–11; 347,22–23; 716,21–22. 38 Darüber hinaus hatte er offensichtlich in Venedig eine Sklavin namens Lena zurückgelassen, die er während der Zeit seiner Abwesenheit an Nicolò Dolfin vermietete. Für das erste Jahr trieb sein Bruder Jeronimo dafür 7 Golddukaten ein, während er für das zweite und dritte Jahr noch insgesamt 11 Dukaten bekam. Vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 319,30 f.; 526,14 f.; 543,4–7; 766,12 f. 39 Diese von Michel Balard am Beispiel des Handelsbuches von Giacomo Badoer vorgenommenen Erhebungen decken sich verblüffend gut mit den Erkenntnissen, die andere Auswertungen italienischer, sizilianischer und iberischer Handelsbücher, Notariatsregister, Kaufurkunden und Testamente zum spätmittelalterlichen Menschenhandel ergeben haben. Nachdem die Tartarinnen bis etwa 1400 / 1410 den Markt dominiert hatten, waren es in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vermehrt Menschen aus der russischen Steppe, die den dann einsetzenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Fürstentum Moskau, Litauen und dem mongolischen Khanat zum Opfer fielen und in die Sklaverei verkauft wurden. Das menschliche Handelsgut stammte je nach gegenwärtiger Situation und Verfügbarkeit aus den an die Meere angrenzenden Kriegs- und Notstandsgebieten zwischen der Mongolei und dem Balkan, und wurde zu relativ stabilen Preisen in Italien als ‚Stück‘gut an vermögende städtische Haushalte verkauft und auf Sizilien, Mallorca und der iberischen Halbinsel zusätzlich auch in größerer ‚Stück‘zahl für den Einsatz in der Landwirtschaft bestimmt. Vgl. im Überblick: Charles Verlinden, Slavery, Slave Trade, in: Dictionary of the Middle Ages, Bd. 11. New York 1988, 334–340; Juliane Schiel, Slave-Trade in the Middle Ages, in: Immanuel Ness (Hrsg.), The Encyclopedia of Global Human Migration. New York 2013, Bd. 5, 2761–2769. Außerdem Balard, Giacomo Badoer (wie Anm. 29), 556. 40 Balard, Giacomo Badoer (wie Anm. 29), 562. Nur bei seinen beiden Mallorca-Unternehmungen konnte er einen Gewinn von 150 % erzielen.
132
Juliane Schiel
während des gesamten Konstantinopel-Aufenthalts immer wieder mit Sklaven handelte, wird diefolgende Nahaufnahme zu klären haben.
3.2 Die Nahaufnahme Wenn ich nun in einem zweiten Schritt den Zoom zur Hand nehme, möchte ich auf die konkrete Abwicklung eines Sklavengeschäfts scharfstellen und das soziale Netz, das diesen Geschäften zugrunde lag, genauer untersuchen. Dafür habe ich zu den 62 gehandelten Sklavinnen und Sklaven die jeweils aufeinander verweisenden, zusammengehörigen Einträge in der Buchführung zu Informationen eines Handelsvorgangs zusammengefügt und insgesamt etwa 35 Transaktionsgeschichten identifiziert. Jede dieser vollständig rekonstruierten Transaktionen enthielt üblicherweise folgende Elemente: Neben der Datumsangabe,41 einer kurzen Beschreibung des gehandelten Menschen,42 der Preisangabe43 und der Zahlungsart44 finden sich die Namen sechs verschiedener, an der Transaktion beteiligter Personengruppen. Namentlich aufgeführt wurden neben dem Lieferanten und dem Käufer auch der Makler, der die Sklaven an Giacomo vermittelte,45 der Bankier, der in Giacomos Auftrag den Geldtransfer für die
41 In den meisten Fällen lagen diese drei Daten nicht mehr als vier Wochen auseinander und Lieferant und Käufer wurden bereits beim ersten Eintrag ins Handelsbuch namentlich erwähnt. Dies lässt vermuten, dass der künftige Käufer bereits im Vorfeld eine Bestellung aufgegeben hatte. Sobald Giacomo Badoer den „passenden“ Sklaven oder die „passende“ Sklavin gefunden hatte, wurde dieser bzw. diese erworben und mit dem nächsten freien Schiff dem Käufer zugeschickt. Manchmal wurde offensichtlich aber auch ein Sklave gekauft, ohne dass der Abnehmer bereits feststand. Dann verblieb dieser Sklave entweder für einige Wochen oder Monate in Konstantinopel, oder er wurde zusammen mit anderen Handelsgütern mit der nächsten regulären Lieferung zum älteren Bruder Jeronimo nach Venedig verschickt und von diesem dann offensichtlich weiterverkauft, ohne dass wir darüber in Giacomos Buchhaltung Kenntnis erhalten. 42 Hier finden sich insgesamt drei Bezeichnungsarten: die meist unspezifisch gebrauchte ‚Stückzahlbezeichnung‘ testa/teste und die meist mit weiteren Attributen versehene ‚Personenbezeichnung‘ sciavo/schiava oder balaban. Grundsätzlich angegeben ist das Geschlecht, in ca. 50 % der Fälle findet sich die Herkunftsbezeichnung und das Alter, zuweilen ein Name und manchmal außerdem besondere äußere Merkmale und Vorkommnisse zur gehandelten Person. 43 Je nach Handelspartner wird der Preis entweder erst in venezianischen Golddukaten festgesetzt und dann für das Rechnungsbuch in yperperi umgerechnet oder gleich in byzantinischer Währung angegeben. 44 Sklaven werden nur in den wenigsten Fällen direkt bar bezahlt (per cassa chontadi). Meistens läuft die finanzielle Abwicklung des Geschäfts über einen Bankier (dal bancho). Manchmal wird die Summe in Raten gezahlt oder über zwei verschiedene Geldhändler finanziert. 45 Der Makler (sanser) kassierte in der Regel wenige Tage oder Wochen nach der erfolgreichen
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
133
Bezahlung des gehandelten Sklaven vornahm, der Schiffspatron, der den Sklaven an den Bestimmungsort des Käufers transportierte, und der Destinatär, der die Schiffsfracht am Bestimmungsort persönlich in Empfang nahm.46 Wenn man nun diese sechs Personengruppen für eine Analyse der sozialen Netzstruktur des Sklavengeschäfts genauer in den Blick nimmt und in ihrem Beziehungsverhältnis zum Händler Giacomo Badoer untersucht, wird eines schnell deutlich: Die Gruppen der Lieferanten, Käufer, Makler, Bankiers, Schiffspatrone und Destinatäre wiesen unter sich verschiedene Sozialstrukturen auf und waren unterschiedlich stark in das Beziehungsnetz des jungen Badoer verwoben. So war die politische, kulturelle und religiöse Zusammensetzung der Gruppe, die Giacomo mit Sklaven belieferte, ausgesprochen heterogen. Dabei scheint der Kontakt zu den Lieferanten jedoch eher punktuell, in den meisten Fällen sogar nur mittelbar gewesen zu sein. Unter den Personen, die Giacomo Sklaven verkauften, finden sich nur fünf mehr als einmal. Von einer Ausnahme abgesehen, zählte keiner von ihnen zu den Geschäftspartnern, mit denen Giacomo Badoer regelmäßig verkehrte. Ganz anders hingegen verhielt es sich mit den Maklern. War die Zahl der Sklavenlieferanten fast so groß wie diejenige der Sklaventransaktionen, so war der Kreis der Makler, die Giacomo für die Vermittlung von Sklaven und anderen Gütern bezahlte, verblüffend klein: Unter den sechs identifizierbaren Maklern, die ausnahmslos italienisch klingende Namen trugen, wurden vor allem die Dienste eines gewissen Piero dal Pozo in Anspruch genommen, über den außerdem jede Menge andere Güter gehandelt wurden.47 Daneben findet sich in der Frühphase auch ein Zuan dal Pozo (vielleicht ein Verwandter des Piero dal Pozo?) regelmäßig erwähnt, während in den letzten beiden Jahren vermehrt auch ein gewisser Francesco Zevolin (teils zusammen mit Piero dal Pozo) Provisionszahlungen für Sklaven einstrich.48 Nur in einem einzigen Fall, als der venezianische Adlige Francesco Corner Giacomo zwei russische Sklavinnen (do teste femene rose) verkaufte, findet sich der explizite Vermerk, dass das Geschäft ohne Makler abgewickelt wurde (non ne fo sanser).49 Allerdings war Francesco Corner unter
Vermittlung (sansaria) eines Sklaven zwischen zwei und fünf yperperi. 46 Mit dem Destinatär ist hier derjenige gemeint, der die Lieferung des Giacomo Badoer am Hafen des Bestimmungsorts persönlich in Empfang nahm. 47 Zu Piero dal Pozo vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 258,2–9; 259,2–22; 650,27–30; 651,25–36; 722,18–22; 723,14–18. Neben Sklaven vermittelte Piero auch Leinen, Fleisch und Baumwollflanell gegen Pfeffer, Wachs, Kupfer und Kaviar. 48 Zu Zuan dal Pozo vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 124,2–10; 125,2–20. Zu Francesco Zevolin vgl. ebd., 409,19–31. 49 Vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 450,16–18. Außerdem ebd., 451,13 f.;
134
Juliane Schiel
Giacomos Sklavenlieferanten der einzige, zu dem die Familie Badoer nachweislich lang anhaltende wirtschaftliche und enge persönliche Beziehungen pflegte. Francesco Corner, der zwischenzeitlich selbst in der venezianischen Schwarzmeerkolonie Tana lebte, war nicht nur Lieferant, sondern auch Destinatär für Frachtgut der Brüder Badoer sowohl in Tana als auch in Venedig.50 Ein Makler war in diesem Fall zweifellos überflüssig, weil der persönliche Kontakt zum Lieferanten die Qualität des Handelsguts garantierte. In der Regel jedoch scheint der Kontakt zu den Sklavenlieferanten ein über die Makler vermittelter gewesen zu sein. Giacomo, der sich während der dreieinhalb Jahre kein einziges Mal aus Konstantinopel wegbewegte, kommunizierte stattdessen hauptsächlich mit seinen zwei bis drei ‚Maklern des Vertrauens‘ vor Ort. Sie sprachen seine Sprache, kannten die Situation an den Häfen und Märkten des Bosporus und des östlichen Mittelmeerraums und bürgten durch ihren direkten Kontakt zu den Lieferanten für die Qualität des Frachtguts. Jede Sklaventransaktion aktualisierte und festigte das bestehende Beziehungsnetz zwischen Giacomo und seinen Maklern.51 Wieder anders verhielt es sich demgegenüber mit den Namen derer, die sein Geld verwalteten: Unter den sieben Namen, welche die Verbuchung der Geldbeträge beim Erwerb und Verkauf von Sklaven vornahmen, finden sich Personen ganz unterschiedlicher Herkunft: ein Florentiner (Toma Spinola), ein Genuese (Zuan da Mar), ein Sarde (Nichola Sardino), ein Grieche (Chostantin Critopulo) und einige weitere italienische Namen. Gleichzeitig wurden zwei dieser sieben Geldhändler, Carlo Capello und Francesco di Drapieri, mit Abstand am häufigsten beigezogen.52 Insbesondere ersterer zählte auch jenseits des Sklavengeschäfts
664,9; 665,8 f.; 701,9. 50 So nahm er zum einen regelmäßig Lieferungen in Empfang, die Giacomo von Konstantinopel nach Tana verschickte, und war außerdem der einzige, der neben Giacomos Bruder und Giacomo selbst Frachten der Familie Badoer in Venedig abnahm. Vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 440,19–28; 616,6–17. Während sich zu allen anderen Sklavenlieferanten maximal ein bis zwei eigene Kontoeinträge im Handelsbuch finden lassen, war Francesco Corner mit vier umfangreichen Konten vertreten. 51 Neben den sechs Maklern, die Giacomo Sklaven vermittelten, finden sich im gesamten Rechnungsbuch nur noch sechs weitere Namen von sanseri, über die der junge Badoer Waren kaufen bzw. verkaufen ließ und für die er in seinem Handelsbuch einen eigenen Kontoeintrag anlegte (Zorzi Costapino, Zorzi Cumano de Candia, Zuan Gropo zenoexe, Nicolò Pixano, Samaria zudio und Stamati). Es macht demnach den Anschein, als ließe sich diese Beobachtung zum Sklavengeschäft zu einem gewissen Grad verallgemeinern. 52 Toma Spinola war dabei vor allem außerhalb des Sklavenhandels mit zehn eigenen Posteneinträgen im Handelsbuch stark in die Geschäfte des jungen Badoer involviert. Jenseits des Sklavengeschäfts finanzierte Giacomo seine Geschäfte neben diesen sieben Geldhändlern noch über vier weitere Banken, darunter zwei venezianische. Allerdings spielten diese Geldhändler neben
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
135
zu den engsten Vertrauten des Kaufmanns Badoer.53 Der Italiener Carlo Capello führte seine Bankgeschäfte nachweislich von Konstantinopel aus und blieb nach Giacomos Abreise als Destinatär für Warenlieferungen an den Bosporus die wichtigste Kontaktperson der Gebrüder Badoer vor Ort.54 Darüber hinaus wickelte Giacomo in der Spätphase seines Aufenthalts, als er aus dem lateinischsprachigen Pera in den griechischen Teil der Stadt übergesiedelt war, mehrere Geschäfte mit dem griechischen Bankier Chostantin Critopulo ab, der in Konstantinopel Münzen prägte. Konstantinopel war also ganz offensichtlich ein überregionaler, ‚globalisierter‘ Finanzplatz, das bestätigt nicht zuletzt die Zusammensetzung der Geldhändler, die für Giacomo arbeiteten. Doch ähnlich wie im Falle der Makler scheint auch hier die räumliche Nähe und der persönliche Kontakt zwischen beiden Partnern entscheidend für die Intensität und den Erfolg der Zusammenarbeit gewesen zu sein. Auch hier beschränkte sich der Kreis derer, mit denen die weitaus größte Zahl an Geldtransaktionen vorgenommen wurde auf zwei bis drei Personen vor Ort. Herkunft, Stand und kulturelle Zugehörigkeit fielen offensichtlich kaum ins Gewicht, sobald man sich verbal zu verständigen wusste. Im Gegensatz dazu war die Gruppe der Schiffspatrone in ihrer sozialen Zusammensetzung die mit Abstand homogenste. Alle, die in Giacomos Auftrag Sklaven transportierten, trugen venezianische Adelsnamen. Allerdings transportierte keiner von ihnen mehr als einmal in Giacomos Auftrag Sklaven. Offenbar belud also Giacomo Badoer je nach Bedarf eine der regelmäßig zwischen den wichtigsten venezianischen Handelsstützpunkten im Konvoi verkehrenden Handelsgaleeren (mude) der Serenissima mit seinen Gütern, ohne dass bei der
Carlo Capello und Francesco di Drapieri insgesamt betrachtet eher eine Nebenrolle. 53 Beide Geldhändler waren auch in anderen Geschäften seine wichtigsten Partner bei finanziellen Transaktionen. Außerdem wickelte er mit beiden neben dem Geldtransfer auch andere Handelsgeschäfte ab. Carlo Capello zählte mit insgesamt fünfzehn großen eigenen Posten im Handelsbuch eindeutig zu den engsten Vertrauten Giacomos während seines KonstantinopelAufenthalts – nicht nur in Sachen Geld. Zu Carlo Capello als Geldhändler und Geschäftspartner vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 56,31–35; 57,8 f.; 110,39–50; 111,24–37; 152,2–21; 153,2–28; 176,22–25; 177,26 f.; 204,9–40; 205,11–44; 268,20–33; 269,9–22; 284,2–18; 285,2– 27; 368,2–39; 369,2–41; 464,2–29; 465,2–50; 588,2–22; 589,2–23; 714,2–20; 715,2–24; 758,19–38; 759,8–26; 798,16–27; 799,14–26. Über Carlo Capello scheinen außerdem kleinere Geschäfte mit dessen Bruder Marin und dessen Cousin Bernardo zustande gekommen zu sein. Zu Francesco di Drapieri vgl. ebd., 90,24–29; 91,12–22; 94,2–23; 95,2–15; 288,8–26; 289,6–16; 298,2–12; 299,2–23; 340,17–30; 341,17–37; 534,16–30; 535,14–35; 648,2–9; 649,2–7; 666,16; 667,14 f. 54 Als Giacomo am 26. Februar 1440 von Konstantinopel wieder Richtung Venedig aufbrach, ordnete er an, dass die nächste Lieferung, die im Namen der Brüder Badoer von Venedig aus Konstantinopel erreichen würde, von Carlo Capello entgegen genommen werden sollte, vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 778,18–34.
136
Juliane Schiel
Wahl des Schiffes der persönliche Kontakt zum Kapitän eine Rolle gespielt hätte. Die Nennung des Kapitänsnamens, die übrigens gerade im Fall eines Sklaventransports auch mit dem Abschluss einer Schiffs- oder Frachtversicherung einhergehen konnte, scheint eher der formal-rechtlichen Dokumentation gedient zu haben, um den Transportweg rückverfolgen zu können, falls das verschiffte Handelsgut seinen Bestimmungsort nicht wie vereinbart erreichte.55 Auch die Destinatäre, denen Giacomo Badoer sein Frachtgut am Zielhafen anvertraute, trugen, ähnlich wie die Schiffspatrone, in der Regel venezianische Adelsnamen. Hier wiederum scheint jedoch die persönliche Bekanntschaft aus Venedig und die personelle Konstanz an den jeweiligen Zielhäfen entscheidend gewesen zu sein. Die meisten der Destinatäre waren in derselben Situation wie Giacomo selbst und trieben im Rahmen einer brüderlichen compagnia für eine begrenzte Zeit Handel in der Ferne. Hatte Giacomo einmal keinen vertrauten Partner am Zielhafen, schickte er seinen Diener (fameio) oder seinen Lehrling (zovene) mit,56 doch ausgerechnet beim Sklavengeschäft war der Kreis seiner Destinatäre besonders klein und verlässlich.57 Bleibt zuletzt noch die Gruppe der Käufer zu analysieren. Hier ist zunächst eine wichtige Differenzierung vorzunehmen: Nur zweimal beteiligte sich Giacomo Badoer an einem größeren Sklaventransport (balabani) für den Landwirtschaftseinsatz auf Mallorca. In allen anderen Fällen verschiffte er Sklaven in geringer Stückzahl und meist auf persönliche Anfrage für Männer seines Standes nach Venedig oder für andere persönliche Bekannte oder gute Geschäftspartner an andere Orte der mediterranen Welt. Die Venezianer, die über Giacomo Badoer ein oder zwei Sklaven bestellten, entstammten dabei, soweit ich dies ermitteln konnte, fast ausschließlich dem unmittelbaren Umfeld der Familie Badoer. Piero Michiel, der eine 20-jährige sciava tartara erhielt, und Marin Barbo, dem Giacomo eine zwölfjährige russische sciaveta zukommen ließ, zählten neben seinem Bruder zu den wichtigsten Korrespondenten des Kaufmanns überhaupt. Mit Piero di Belveder, der mit Giacomo gemeinsam insgesamt acht Sklaven nach
55 Im Spätmittelalter kamen in Italien erstmals Seeversicherungen auf. Insbesondere Sklavinnen und Sklaven versicherten die Händler bereits früh, wenn sie über die See zu einem Abnehmer transportiert werden sollten. Giacomo Badoer verlor im Herbst 1437 einmal vier Sklaven bei einem Piratenüberfall auf der Überfahrt von Konstantinopel nach Sizilien und machte anschließend Versicherungsansprüche geltend vgl. Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 171,13–14; 272,17–19; 273,7–10; 341,8; 371,16–19; 498,2–5. 56 Vgl. Lieferungen nach Garipoli und Rhodos, Il libro dei conti. Ed. Dorini / Bertelè (wie Anm. 24), 110,2–17; 396,2–14. 57 In Caffa war es Andrea da Chale, der dort lebte. In Tana war es Francesco Corner, auf Candia Marco Filomati, in Messina Nofrio da Calzi und auf Mallorca Marcho Balanzan.
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
137
Venedig brachte, hatte er zwischenzeitlich eine compagnia. Auch sein Schwiegervater Moixè Grimani, der Vater seiner verstorbenen Frau, erhielt eine Sklavin. Einmal verschickte er für einen Kaufmann aus Pisa (Nofrio da Calzi), der verwandtschaftliche und geschäftliche Beziehungen zum venezianischen Adel hatte und in Messina lebte, vier Sklaven nach Sizilien.58 Und ein anderes Mal veräußerte er gegen Ende seines Aufenthalts eine 22-jährige Russin an den Griechen Marco Filomati, der während der gesamten Zeit Giacomos Lieferungen in Candia entgegengenommen hatte. Wichtig ist nun Folgendes: Nur die beiden Großexpeditionen nach Mallorca brachten Giacomo Badoer einen ernstzunehmenden finanziellen Gewinn ein. In Kooperation mit auf den Menschenhandel spezialisierten Handelspartnern wurde Giacomos Investition hier mit einer Gewinnausschüttung von 150% zu einem lukrativen Geschäft.59 In allen anderen Fällen rechnete sich die Transaktion eigentlich nicht. Der Preis eines Sklaven blieb zwischen Tana, Konstantinopel und Venedig relativ konstant, und der im Einzelhandel erzielte durchschnittliche Gewinn von 12% wog die besonderen Risiken, die mit dem Menschenhandel verbunden waren, eigentlich nicht auf. Neben der Gefahr der Piraterie gehörten plötzliche Krankheit oder Tod der gehandelten Person zum Alltag des Sklavengeschäfts. Warum also handelte Giacomo überhaupt mit Sklaven? Welchen Nutzen versprach er sich davon und welches Ziel verfolgte er damit? Mir scheint, dass Panoramablick und Nahaufnahme hier zwei verschiedene Antworten bereithalten, die es nun in Beziehung zueinander zu setzen gilt.
3.3 Die Perspektivverknüpfung Die Panoramaaufnahme hat Giacomo Badoer als einen adligen Kaufmann gezeigt, der mehr oder weniger mit allem Handel trieb, was sich irgendwo zwischen Tana, Alexandria und Mallorca erwerben und verkaufen ließ. Dazu gehörten auch Sklaven. Die Fracht des Lieferanten aus Tana, die in Konstantinopel eintraf, enthielt neben einigen chanter Pfeffer auch eine 18-jährige Russin oder einen 25-jährigen tartarischen balaban. Giacomo kaufte mit dem einen auch das andere.
58 Nofrio da Calzi war der Cousin von Piero Barbo (de Zezilia) und der ehemalige Verwalter und Makler von Marin Justingnan. 59 Zu den Mallorca-Unternehmungen vgl. Anm. 35.
138
Juliane Schiel
Die Nahaufnahme legt jedoch noch eine andere Vermutung nahe: Gelegenheiten, im spezialisierten Geschäft des Menschenhandels mitzumischen, waren selten und wurden genutzt, sofern sie sich ausnahmsweise einmal boten. Ansonsten aber wurden die ‚eigenen Leute‘ beliefert. Eine Handvoll Sklaven gehörte in dieser Zeit in jeden einigermaßen vermögenden Haushalt Venedigs und des Mittelmeerraums; selbst Giacomo hielt sich während seines Konstantinopelaufenthalts zwei. Jedoch: Einen guten ‚Fang‘ zu tun und an physisch gesunde, psychisch belastbare und ‚moralisch integre‘ Sklaven zu kommen, war alles andere als trivial. Was lag also näher, als einen Verwandten, Nachbarn oder Geschäftspartner, dem man vertraute und vom dem man wusste, dass er sich für einige Zeit an einem der großen Sklavenumschlagplätze aufhielt, zu fragen, ob dieser für ihn die Augen offen hielt und ihm bei Gelegenheit ein junges Mädchen oder einen kräftigen jungen Mann zukommen ließ?60 Meine These lautet deshalb, dass der Sklavenhandel Giacomo nicht primär ökonomisches, sondern vor allem soziales Kapital einbrachte.61 Denjenigen eine brauchbare Sklavin zu vermitteln, mit denen er enge familiäre, nachbarschaftliche oder wirtschaftliche Beziehungen pflegte oder zu denen er den Kontakt ausbauen wollte, mochte ihm Gewinn einbringen, der auf der Haben-Seite seiner Kontoeinträge kaum zu Buche schlug, aber deshalb sicherlich nicht weniger nützlich war. Zusammenfassend lassen sich in diesem „commerce sans frontières“, wie ihn Jean-Claude Hocquet bezeichnet hat, wohl drei Ebenen von Translokalität fassen: die Güterströme und Kapitalflüsse, die Handelskontakte und die sozialen Beziehungen. Am weitesten reichte der Radius der Handelsgüter und des Kapitals. Sie – und unter ihnen auch die Sklaven – überbrückten und transzendierten die größten räumlichen, kulturellen und politischen Grenzen. Auch die Handelskontakte des Giacomo Badoer waren weit gefasst, hatte er doch Lieferanten und Korrespondenten in Alexandria, Andrenopoli, Baruto, Caffa, Candia, Garipoli, Mallorca, Messina, Saragossa, Modon, Rhodos, Trepizunt und Tana. Der Schlüssel zum Erfolg seines ‚entgrenzten‘ Handels lag jedoch in den sozialen Beziehungen, die er in nah und fern pflegte. Zum einen waren dies bereits bestehende Beziehungen zu anderen Kaufleuten vor allem aus dem venezianischen Adel, die es ihm beispielsweise ermöglichten, am Tag nach seiner Ankunft
60 Dies lässt sich auch daran belegen, dass in den meisten Fällen der Name des Käufers schon bekannt war, wenn Giacomo den Sklaven oder die Sklavin über seinen Makler vom Lieferanten erwarb. 61 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten. (Soziale Welt, Sonderband 2.) Göttingen 1983, 183–198.
Zwischen Panoramablick und Nahaufnahme
139
in Konstantinopel bei einem venezianischen Geldhändler vor Ort venezianische Geldscheine in byzantinische yperperi einzutauschen und schon kurz darauf erste gewinnbringende Geschäfte zu tätigen. Vielleicht hatte er, der sicherlich selbst als Jugendlicher, als ziovane, bei einem erfahrenen Kaufmann in die Lehre gegangen war, um die Kunst der Buchhaltung zu lernen, Konstantinopel sogar schon zu einem früheren Zeitpunkt bereist und konnte an alte Kontakte anknüpfen. Zum anderen aber baute er sein Netz der sozialen Beziehungen von seinem neuen Aufenthaltsort aus kontinuierlich aus. Die Makler und Geldhändler, mit denen er gute Geschäfte gemacht hatte, wurden über die dreieinhalb Jahre zu seinen wichtigsten Informanten und Vertrauensmännern. Die Sklaven figurierten dabei in diesem translokalen Handelsnetz irgendwo zwischen ‚Beute‘ und ‚Praline‘. Jenseits des Sichtfelds des Giacomo Badoer in der russischen Steppe, dem südlichen Kaukasus oder im Herrschaftsgebiet der Goldenen Horde erbeutet, wurden sie im Überseehandel zu einem gleichermaßen kostbaren wie kostspieligen Gut, das der adlige Kaufmann Venedigs ‚seinen Leuten‘ zum Geschenk machte und mit dem er gleichzeitig sein soziales Kapital stabilisierte und vermehrte.62
4 Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde mittels Panoramablick und Nahaufnahme auf die wirtschaftlichen Beziehungen und das soziale Netz eines „normalen Ausnahmefalls“ des venezianischen Adels scharfgestellt. Ausgehend von einem einzigen Händler und einer idealtypischen Sklaventransaktion als kleinster Untersuchungseinheit richtete sich das Augenmerk auf die translokalen und sozialen Relationen und menschlichen Handlungen zwischen Lokalität und Globalität. Dabei hoffe ich, an diesem kleinen Beispiel deutlich gemacht zu haben, worin ich das Potential künftiger Globalgeschichte sehe: in der mikrohistorischen Analyse translokaler
62 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von Marcel Mauss zum Gabentausch und deren Rezeption in der Spätmittelalterforschung: Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie, Bd. 2: Gabentausch, Soziologie und Psychologie, Todesvorstellung, Körpertechniken, Begriff der Person. München 1975; Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Frühen Neuzeit. Konstanz 2000; Gert Dressel / Gudrun Hopf (Hrsg.), Von Geschenken und anderen Gaben. Annäherungen an eine historische Anthropologie des Gebens. (Historisch-anthropologische Studien, Bd. 9.) Frankfurt am Main 1999; Michael Grünbart (Hrsg.), Geschenke erhalten die Freundschaft. Gabentausch und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter. Akten des Internationalen Kolloquiums Münster, 19.–20. November 2009. (Byzantinische Studien und Texte, Bd. 1.) Berlin 2011.
140
Juliane Schiel
Beziehungen und einer quellengestützten globalen Sozialgeschichte von unten. Wahrscheinlich – so will ich selbstironisch schließen – ist dieses Plädoyer nicht zuletzt auch Ausdruck eines kulturgesättigten Globalisierungskindes, das sich angesichts wachsender Gegensätze im Lokalen wie im Globalen endlich mal wieder nach etwas mehr Wirtschaft und Sozialem sehnt. Vielleicht aber schreibt es sich auch ein in einen Paradigmenwechsel, der nach den vielen Diskussionen zu Kultur, Eigen und Fremd längst begonnen hat.
Benjamin Scheller
Assimilation und Untergang Das muslimische Lucera in Apulien und sein gewaltsames Ende im Jahr 1300 als Problem der Globalgeschichte Am 15. August 1300, dem Tag Marie Himmelfahrt, besetzten Truppen König Karls II. Anjou unter Johannes Pippin von Barletta die apulische Stadt Lucera, nahmen ihre Bewohner gefangen und verschleppten sie. Sie waren allesamt Muslime. Im Jahr darauf wurden sie in die Sklaverei verkauft. Kaiser Friedrich II. hatte sie Mitte des 13. Jahrhunderts hier angesiedelt. Mit dem Untergang von Lucera endete die über 400-jährige christlich-muslimische Koexistenz in Unteritalien, die zuvor auch unter christlicher Herrschaft niemals nachhaltig in Frage gestellt worden war.1 Die historische Forschung hat seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder versucht, die Gründe dafür zu ermitteln, dass König Karl II. von Anjou und seine Berater im Jahr 1300 den Entschluss fassten, das muslimische Lucera
1 Zum muslimischen Lucera und seiner Geschichte vgl. Alex Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy. Edinburgh 2009; Ders., Muslims and Christians in Norman Sicily. Arabic Speakers and the End of Islam. London / New York 2003; Ders., The Muslims of Sicily under Christian Rule, in: Ders. / Graham A. Loud (Hrsg.), The Society of Norman Italy. Leiden 2002, 289–317; Julie Taylor, Muslims in Medieval Italy. The Colony at Lucera. Lanham / Boulder / New York 2003; Dies., Lucera Sarracenorum. A Muslim Colony in Medieval Christian Europe, in: Nottingham medieval studies 43, 1999, 110–125; James M. Powell, Frederick II. and the Rebellion of the Muslims of Sicily 1200–1224, in: Ders. (Hrsg.), The Crusades, the Kingdom of Sicily, and the Mediterranean. (Variorum Collected Studies.) Aldershot 2007, 13–22; David Abulafia, Monarchs and Minorities in the Christian Western Mediterranean around 1300. Lucera and its Analogues, in: Scott L. Waugh / Peter D. Diehl (Hrsg.), Christendom and its Discontents. Exclusion, Persecution and Rebellion 1000–1500. Cambridge 1996, 234–260; Ders., La caduta di Lucera Saracenorum, in: Per la storia del Mezzogiorno medievale e moderno. Studi in memoria di Jole Mazzoleni. (Pubblicazioni degli archivi di stato. Saggi, Bd. 48.) Roma 1998, 171–186; Ders., The End of Muslim Sicily, in: James M. Powell (Hrsg.), Muslims under Latin Rule. Princeton 1990, 103–133; Jean-Marie Martin, La colonie Sarrasine de Lucera et son environnement. Quelques réflexions, in: Centro di studi tardoantichi e medievali di Altomonte (Hrsg.), Mediterraneo medievale. Scritti in onore di Francesco Giunta. Soveria Mannelli (Catanzaro) 1989, 795–812; Francesco Gabrieli, La colonia saracena di Lucera e la sua fine, in: Archivio storico pugliese 30, 1977, 169–176; Riccardo Bevere, Ancora sulla causa della distruzione della colonia saracena di Lucera, in: Archivio storico per le province napoletane 60, 1935, 222–228; Pietro Egidi, La Colonia Saracena di Lucera e la sua Distruzione. Neapel 1912; Pietro Rivoire, Lucera sotto la Dominazione Angioina, in: Rassegna Pugliese 18, 1901, 179–188; 201–215.
142
Benjamin Scheller
zu erobern, seine Bewohner zu verschleppen und schließlich in die Sklaverei verkaufen zu lassen. Dabei hat sie sich freilich in eine unfruchtbare Diskussion der immer selben Alternativen festgefahren, nämlich ob die Motive für die Vernichtung der muslimischen Stadt genuin religiös oder letztlich doch finanzieller Natur gewesen seien.2 Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, dass nur eine globalgeschichtliche Perspektive es ermöglicht, die Ursachen für die gewaltsame Auslöschung der religiösen Differenz zwischen Christen und Muslimen im mittelalterlichen Unteritalien zu Beginn des 14. Jahrhunderts richtig zu gewichten. Gleichzeitig lässt der Untergang von Lucera wichtige Dimensionen von Globalgeschichte, und zwar nicht nur der mittelalterlichen, erkennen, die in der Programmatik einer Historiographie in globaler Perspektive zwar oftmals angemahnt werden, in der globalgeschichtlichen Praxis jedoch oft unterbelichtet bleiben. Das Wortfeld um das Substantiv ‚Globalisierung‘ und das Adjektiv ‚global‘ gehört zweifellos zu den Leitsemantiken der Gegenwart. Man könnte die Frage aufwerfen, ob ‚Globalisierung‘ während der letzten zwanzig Jahre nicht geradezu zu einem ‚absoluten Begriff‘ geworden ist. Absolute Begriffe beanspruchen ein Erklärungsmonopol. Dabei sind sie gleichzeitig ubiquitär und unverfügbar. „Sie sind wie Magnetfelder, die alles auf ihren Bedeutungsbereich einrichten. (…) Absolute Begriffe fordern absoluten Gehorsam. Dieser Gehorsamsanspruch geht so weit, dass sie, hat man sich auf sie eingelassen, nicht mehr verfügbar sind.“3 Unübersehbar ist zudem, dass die Rede von der Globalisierung vielfach interessengeleitet ist. Der Afrikahistoriker Frederick Cooper hat in diesem Zusammenhang bereits 2007 auf den ‚Banker’s Boast‘, das Prahlen der Banker, hingewiesen. Damit meinte er die Forderung der Finanzwirtschaft an die Politik, die letzten nationalen Schranken, die der Bewegung des Kapitals im Wege stehen, einzureißen, wobei die Rede von der Globalisierung suggerierte, dass dies notwendig und unumgänglich wäre.4 Dennoch bzw. gerade deshalb tun die Historikerinnen und Historiker gut daran, wenn sie seit einiger Zeit nach Zugängen zu einer Geschichte oder zu
2 Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 184–186; Abulafia, Monarchs and Minorities (wie Anm. 1), 243; Bevere, Ancora sulla causa della distruzione (wie Anm. 1); Egidi, Colonia Sarceni di Lucera (wie Anm. 1), 207. 3 Wilhelm Schmidt-Biggemann, Geschichte als absoluter Begriff. Der Lauf der neueren deutschen Philosophie. Frankfurt am Main 1991, 9. 4 Frederick Cooper, Was nützt der Begriff der Globalisierung? Aus der Perspektive eines AfrikaHistorikers, in: Sebastian Conrad / Andreas Eckert / Ulrike Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen. Frankfurt am Main / New York 2007, 131–161, hier 134.
Assimilation und Untergang
143
Geschichten in globaler Perspektive suchen und solche in einigen Fällen auch bereits erprobt haben. Gegenwartserfahrung und historische Forschung unterhalten eine besondere Beziehung. Das ist oft betont worden. Und dennoch müssen wir Historiker und Historikerinnen uns es immer wieder neu bewusst machen. Zum einen lenkt die Gegenwartserfahrung unseren Blick auf die Vergangenheit. Alle Geschichte ist deshalb gewissermaßen Zeitgeschichte (Storia Contemporanea), so hat es Benedetto Croce einmal formuliert. Denn unabhängig davon, wie weit die Gegenstände zeitlich zurücklägen, die die Geschichte zum Inhalt ihrer Forschungen macht, sei sie stets Geschichte, die sich auf die Bedürfnisse der gegenwärtigen Situation bezöge.5 Zum anderen verändert historische Forschung unseren Blick auf die Gegenwart und führt so zu einem vollständigeren Verständnis der Welt in der wir leben: „Das Ergebnis historischer Forschung ist nicht die Vergangenheit, sondern ein Etwas, dessen Elemente, wie latent und eingehüllt immer, in unserer Gegenwart liegen. (…) Und indem wir diese gewissen Dinge in Gegenwart so forschend erschließen und aufklären, entwickeln wir latente Reichtümer unserer Gegenwart und zeigen, wie viel mehr sie enthält als nur das auf der Oberfläche Liegende.“6 Geschichte in globaler Perspektive muss also das Ziel haben, die globale Dimension vergangener Wirklichkeit ins Bewusstsein zu rücken und gleichzeitig zu einem vollständigeren Verständnis unserer globalen Gegenwart beizutragen. Versucht man, die gegenwärtigen Bestrebungen, Geschichte in globaler Perspektive zu erforschen und zu schreiben, zu systematisieren, dann lassen sich zwei Hauptströmungen unterscheiden: 1. Geschichte der Globalisierung und 2. Globalgeschichte.7
5 Benedetto Croce, La storia come pensiero e come azione. A cura di Maria Conforti. (Edizione nazionale delle opere di Benedetto Croce. Saggi filosofici, Bd. 9.) Neapel 2002, 13. 6 Johann Gustav Droysen, Historik, Bd. 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857 / 1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882). Hrsg. v. Peter Leyh. Stuttgart 1977, 219. 7 Sebastian Conrad / Andreas Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen. Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Dies. / Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte (wie Anm. 4), 7–49, v. a. 19–27; Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München 42007, 7 f.; 10; 12; vgl. Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, zuletzt in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 425–444, hier 427; exemplarisch für globalgeschichtliche Ansätze in der Mittelalterforschung sind: Angela Schottenhammer / Peter Feldbauer (Hrsg.), Globalgeschichte. Die Welt 1000–2000,
144
Benjamin Scheller
Der Begriff der Globalisierung ist „theoretisch vage und relativ unbestimmt“.8 Er impliziert jedoch vor allem eines: „zunehmende Integration, und zwar Integration im globalen Maßstab“. Wie Modernisierung bezeichnet Globalisierung einen Prozess durch seinen angenommenen Endpunkt.9 Und das bedeutet, eine Geschichte der Globalisierung läuft sehr leicht Gefahr, teleologisch zu sein. Sie erzählt die Geschichte von verdichtetem und beschleunigtem Austausch über die Grenzen von Nationen, Gesellschaften und Kulturen hinweg, bis dieser in der Gegenwart ein bisher nie gekanntes Ausmaß erreicht hat. Und in dieser teleologischen Erzählung ist die Geschichte des Mittelalters allenfalls Vorgeschichte. Dies zeigt sich gleichsam idealtypisch in der Periodisierung, die Hopkins für die „History of Globalization“ vorgenommen hat: hier firmiert die Zeit vor 1600 als „archaische“, die Zeit zwischen 1600 und 1800 als „Protoglobalisierung“.10 Im Gegensatz zu einer Geschichte der Globalisierung nimmt „Globalgeschichte“ nicht notwendigerweise den gesamten Erdkreis in den Blick. Sie ist ein Kürzel für Ansätze, „die sich für Verflechtung und eine relationale Geschichte (…) interessieren, nicht-eurozentrisch argumentieren und nationalgeschichtliche Perspektiven überwinden wollen“.11 Es geht ihr um „Geschichtsschreibung mit einem Bewusstsein für globale Zusammenhänge“12 bzw. darum, Geschichte durch die Analyse von Prozessen, die die Grenzlinien von Gesellschaften und kulturellen Regionen überschreiten, in eine globale Perspektive zu rücken.13 Solche grenzüberschreitende Prozesse bezeichnet der auf Hawaii lehrende US-amerikanische Historiker Jerry Bentley als „cross-cultural interactions“, was man als transkulturelle Interaktion oder transkulturelle Verflechtung übersetzt hat, sich aber angesichts der Bedeutung der Netz-Semantik für den zeitgenössischen Globalisierungsdiskurs auch als transkulturelle Vernetzung übersetzen
Bd. 1: Die Welt 1000–1250. Wien 2011; Thomas Ertl / Michael Limberger (Hrsg.), Globalgeschichte. Die Welt 1000–2000, Bd. 2: Die Welt 1250–1500. Wien 2009; Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hrsg.), Weltdeutungen und Weltreligionen, 600 bis 1500. (WBG Weltgeschichte. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. 3.) Darmstadt 2010. 8 Conrad / Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen (wie Anm. 7), 20. 9 Cooper, Begriff der Globalisierung (wie Anm. 4), 139 f. 10 Anhony G. Hopkins (Hrsg.), Globalization in World History. New York 2002; vgl. Conrad / Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen (wie Anm. 7), 20 f. 11 Conrad / Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen (wie Anm. 7), 7. 12 Natalie Z. Davis, Global History, Many Stories, in: Max Kerner (Hrsg.), Eine Welt – Eine Geschichte? 43. Deutscher Historikertag in Aachen 26. bis 29. September 2000. Berichtsband. München 2001, 373–380, hier 374. 13 Conrad / Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen (wie Anm. 7), 20.
Assimilation und Untergang
145
ließe. Als Gegenstände einer Globalgeschichte hat Bentley dabei drei Dimensionen transkultureller Vernetzung profiliert: Migrationen, imperiale Expansion und Fernhandel.14 Michael Borgolte hat das heuristische Potential einer solchen Globalgeschichte des Mittelalters bereits in mehreren Studien erprobt.15 Es ist offenkundig größer als das einer Geschichte der Globalisierung. Denn Globalgeschichte als Geschichte transkultureller Vernetzung ist in der Lage, die gesamte Weltgeschichte zu betrachten, ohne dass dieser Betrachtung eine Teleologie eingeschrieben wäre. Aus der Perspektive der Geschichte des Mittelalters bedeutet dies: Sie ist in der Lage, das ganze Mittelalter als Gegenstand einer Globalgeschichte aus eigenem Recht und nicht nur als Vorgeschichte zu betrachten. Auch das europäische Mittelalter kann so in globaler Perspektive erforscht und die dabei erzielten Ergebnisse in die diachron vergleichende Betrachtung transkultureller Vernetzungsprozesse und ihrer Folgen eingebracht werden. Globalgeschichte als Analyse transkultureller Vernetzung ermöglicht es also, wesentlich mehr Beobachtungsmaterial zu erheben als eine Geschichte der Globalisierung im Mittelalter und verspricht daher auch ein vollständigeres Verständnis unserer globalen Gegenwart. Globalgeschichte als Geschichte transkultureller Vernetzung kann zudem die Folgen dieser Vernetzung in einem bestimmten geographischen oder lokalen Rahmen in den Blick nehmen: Sie ist daher auch anschlussfähig für „Area Studies“ und mikrohistorische Analysen, die sie mit einer globalen Perspektive verbindet. Dabei wird sie „eher fragmentarisch sein als holistisch und umfassend, eher von konkreten Problemen und Verbindungen ausgehen als welthistorische Totalitäten postulieren“.16 Ein solches konkretes Problem ist die Geschichte des muslimischen Lucera und seines Untergangs im Jahr 1300. Denn sie ist nicht zuletzt die Geschichte der
14 Jerry H. Bentley, Cross-Cultural Interaction and Periodization in World History, in: American Historical Review 101, 1996, 749–770, hier 749 f.; vgl. Ders., Globalizing History and Historicizing Globalization, in: Barry K. Gills / William R. Thompson (Hrsg.), Globalization and Global History. (Rethinking globalizations, Bd. 2.) London / New York 2006, 18–32. 15 Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen (wie Anm. 7); Ders., Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Am. 7), 445–473; Ders., Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiographischer Zeugnisse der Migrationsperiode, in: Ebd., 475–492; Ders., Kommunikation. Handel, Kunst und Wissenstausch, zuletzt in: Ebd., 493–532; Ders. / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien, Afrika. Darmstadt 2012. 16 Sebastian Conrad / Shalini Randeria, Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt, in: Dies. (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main / New York 2002, 9–49, hier 18.
146
Benjamin Scheller
transkulturellen Vernetzung der Muslime Süditaliens im 13. Jahrhundert durch Migration und Fernhandel oder genauer: der Transformationen dieser transkulturellen Vernetzung im Zeichen imperialer Konkurrenz im Mittelmeerraum um politische und wirtschaftliche Dominanz. Dies wird im Folgenden zu zeigen sein. Am Anfang war die Zwangsmigration, so könnte man eine Geschichte des muslimischen Lucera beginnen. In einer Deportationskampagne, die über zwanzig Jahre dauerte, ließ Kaiser Friedrich II. zwischen 1223 / 1224 und 1246 / 1247 die muslimische Bevölkerung der Insel Sizilien auf das süditalienische Festland um- und in Lucera ansiedeln. Die zeitgenössischen Chronisten beziffern die deportierten Muslime auf bis zu 60 000 Menschen. Realistischer sind jedoch Schätzungen, die von 15 000 bis 20 000 Muslimen ausgehen, die nach Lucera deportiert wurden.17 Schon seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts war es immer wieder zu Konflikten zwischen der muslimischen Bevölkerung Siziliens und Einwanderern aus Norditalien gekommen, die Muslime hatten sich unter diesem Druck in den Westen der Insel zurückgezogen und nach Friedrichs II. Rückkehr in das regno gegen den König rebelliert.18 David Abulafia hat angenommen, dass Friedrich die besiegten Muslime von Sizilien auf das Festland deportierte, um sie vom Rest der muslimischen Welt, v. a. Nordafrika, zu isolieren. So habe er sicherstellen wollen, „dass die schädlichen Beziehungen zwischen den sarazenischen Rebellen und ihren Glaubensbrüdern in Nord-Afrika nicht wiederaufleben würden“.19 Unter Karl I. Anjou sind allerdings Muslime aus Lucera belegt, die als Capitanei der Insel Pantelleria amtierten, die auf halbem Weg zwischen Sizilien und der tunesischen Küste liegt. Sie war um 1300 fast ausschließlich von Muslimen bewohnt und stand seit 1231 unter der Herrschaft des Königs von Sizilien.20
17 Powell, Frederick II. (wie Anm. 1); Abulafia, End of Muslim Sicily (wie Anm. 1); Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 41; Wolfgang Stürner, Friedrich II., Bd. 2: Der Kaiser 1220 –1250. Darmstadt 2003, 72. 18 Henri Bresc, La formazione del popolo Siciliano, in: Ders., Politique et societé en Sicile, XIIIe–XVe siècles. (Variorum Series.) Aldershot 1990, 243–265; Benjamin Scheller, Migrationen und kulturelle Hybridisierungen im normannischen und staufischen Königreich Sizilien, in: Borgolte / Tischler, Transkulturelle Verflechtungen (wie Anm. 15), 167–186, hier 179. 19 Abulafia, End of Muslim Sicily (wie Anm. 1), 128: „that the damaging links between the Saracen rebels in Sicily and their coreligionists in North Africa could not be duplicated.“ 20 Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 78; Henri Bresc, Pantelleria entre l’islam et la chrétienté, in: Ders., Politique et societé en Sicile (wie Anm. 18), 105–127, hier 106 f.; Hubert Houben, Neue Quellen zur Geschichte der Juden und Sarazenen im Königreich Sizilien (1275–1280), in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 74, 1994, 335–359; James Powell, Medieval Monarchy and Trade. The Economic Policy of Frederick II in the Kingdom of Sicily. A survey, in: Studi Medievali 3, 1962, 420–524, hier 496 f.
Assimilation und Untergang
147
Zumindest die Eliten des muslimischen Lucera unterhielten also weiterhin Beziehungen in den muslimischen Maghreb. Die Einwanderung von Muslimen aus Nordafrika in das Königreich Sizilien, die bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts belegt ist, kam mit der Umsiedlung der Muslime auf das Festland jedoch zum Erliegen.21 Das Netz der Beziehungen zwischen den Muslimen Nordafrikas und denen Unteritaliens, das die Migration immer wieder neu geknüpft hatte, wurde durch die Deportation nach Lucera also zerschnitten. Vor allem aber löste die Umsiedlung der Muslime Siziliens sie aus den lokalen und regionalen Herrschaftsbeziehungen. Die Muslime Siziliens unterstanden in ihrer überwiegenden Mehrheit als abhängige Bauern, sogenannte villani, den Bischofskirchen von Agrigent und Monreale.22 Im Jahr 1255 beklagt der päpstliche Vikar in Sizilien tenuitatem et inopiam des Bistums von Agrigento propter bellum Sarracenorum et propter amissionem villanorum quibus quondam Fridericus imperator eamdem Ecclesiam spoliavit eos in Apuliam transferentes.23 Die Kirche von Monreale hatte bereits 1238 ähnliche Beschwerden vorgebracht.24 Diese Beschwerden erinnern an Klagen, die die Kirchen Siziliens in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts gegen Friedrich II. de Iudecis ablatibus erhoben.25 Die Kirchen warfen dem König vor, sie der Judengemeinden beraubt zu haben. Wie die Muslime auf Sizilien waren auch die Juden in Unteritalien vielerorts den Kirchen unterstellt, die die Gerichtsbarkeit über sie ausübten und die Judensteuern einnahmen. Friedrich II. bestand jedoch darauf, dass die Juden seines Reichs direkt der königlichen Herrschaft unterstünden. Seit den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts bezeichnete er sie als seine „Kammerknechte“: servi camere regis, woran auch seine Nachfolger aus dem Haus Anjou festhielten.26 Indem sie sie als „Kammerknechte“ ihrer direkten Herrschaft unterstellten,
21 Bresc, Formazione del popolo Siciliano (wie Anm. 18), 244; Metcalfe, Muslims of medieval Italy (wie Anm. 1), 281. 22 Francesco Panero, Schiavi servi e villani nell’Italia medievale. (Le testimonianze del passato, Bd. 11.) Torino 1999, 298; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 13. 23 Le più antiche carte dell’Archivio Capitolare di Agrigento (1092–1282). Ed. Paolo Collura. (Documenti per servire alla storia di Sicilia. Seria Ia, Bd. 25.) Palermo 1961, 77; 154 f.; Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 20; Panero, Schiavi servi e villani (wie Anm. 22), 304. 24 Codice Diplomatico del Regno di Carlo I. e II. d’Angiò, Bd. 3 (= Bd. 2.1). Ed. Giuseppe del Giudice. Neapel 1902, 75 f.; 127–130. 25 Shlomo Simonsohn (Hrsg.), The Jews of Sicily, Bd. 1: 383–1300. (Studia Post-Biblica, Bd. 48.3.) Leiden / New York / Köln 1997, 212. 26 Simonsohn, Jews of Sicily (wie Anm. 25), 214; Codice Diplomatico del Regno di Carlo I. e II.
148
Benjamin Scheller
wiesen die König die konkurrierenden Herrschaftsansprüche der Kirchen über die Juden ihres Reiches zurück.27 Nach deren Umsiedlung nach Lucera benutzte die königliche Kanzlei den Begriff des servus camere bzw. der servi camere auch für die Muslime des Reichs. Erstmals ist dies 1269 unter Karl I. Anjou belegt.28 Doch darf man wohl davon ausgehen, dass die Kanzlei hier an die staufische Praxis anknüpfte. Die Parallelen zur königlichen Politik gegenüber den Juden legen nahe, dass die Deportation der Muslime Siziliens nach Lucera auch Teil einer Politik des Königs war, mit der dieser versuchte, beide religiösen Minderheiten seines Reiches, Juden und Muslime, aus den lokalen und regionalen Bindungen an die Kirchen des Reichs herauszulösen und sie an den König zu binden. Die direkte Bindung an den König verbesserte die Situation der Muslime erheblich. Und das erklärt wahrscheinlich auch, warum aus Muslimen, die gegen den König rebelliert hatten und die dieser militärisch niedergeworfen und deportiert hatte, nach dieser Umsiedlung die treuesten Anhänger der staufischen Dynastie in Unteritalien wurden. Vor allem die Hand- und Spanndienste, die sie auf Sizilien als villani neben Abgaben in Geld und Naturalien leisten mussten, entfielen nun.29 Für die Ländereien, die sie bestellten, zahlten sie nur noch zehn Prozent ihrer Erträge als Pachtzins, das sogenannte terragium, und zwar sowohl auf Demanialgut als auch auf den Ländereien anderer großer Grundbesitzer. So hatte es Friedrich II. mit den Klöstern Santa Sofia in Benevent, Santissima Trinità in Venosa, Santa Maria in Montevergine, Santissima Trinità in Cava de’ Tirreni bei Salerno und anderen ausgehandelt.30 Die direkte Unterstellung der religiö-
d’Angiò, Bd. 1. Ed. Giuseppe del Giudice. Neapel 1863, 116; Houben, Neue Quellen (wie Anm. 20), 2; 7; I Registri della Cancelleria Angioina. Ricostruiti da Ricardo Filangeri, Bd. 32: 1289–1290. Ed. Adelaide Maresca Compagna. Neapel 1982, 66 f.; vgl. David Abulafia, The Servitude of Jews and Muslims in the Medieval Mediterranean. Origins and Diffusion, in: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen Âge 112, 2000, 687–713, hier 703 f. 27 Benjamin Scheller, Die politische Stellung der Juden im mittelalterlichen Süditalien und die Massenkonversion der Juden im Königreich Neapel im Jahr 1292, in: Ludger Grenzmann / Thomas Haye / Nikolaus Henkel u. a. (Hrsg.), Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden). (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F., Bd. 4.) Berlin / New York 2009, 143–171, hier 163–168; vgl. Ders., Die Bettelorden und die Juden. Mission, Inquisition und Konversion im Südwesteuropa des 13. Jahrhunderts. Ein Vergleich, in: Wolfgang Huschner / Frank Rexroth (Hrsg.), Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa. FS Michael Borgolte. Berlin 2008, 89–122, hier 114–120. 28 Codice Diplomatico dei Saraceni di Lucera. Ed. Pietro Egidi. Neapel 1917, 29; 195; 214; 216. 29 Panero, Schiavi servi e villani (wie Anm. 22), 300. 30 Codice Diplomatico. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 54; 79; 306; Ders., Colonia Saracena di Lucera
Assimilation und Untergang
149
sen Minderheiten Juden und Muslime unter den König zielte nämlich vor allem darauf ab, dass diese ihre spezifischen Fertigkeiten künftig „zum Nutzen des Hofes“ (ad commodum bzw. opus curie) gebrauchen würden.31 Im Falle der Juden war dies die Seidenfärberei.32 Im Falle der Muslime war es weniger ihr militärisches Potential. Die Bedeutung der muslimischen Bogenschützen für die Armeen Friedrichs II., Manfreds und Karls I. Anjou war wohl geringer als lange Zeit angenommen.33 Wichtiger war ihre Kompetenz im Getreideanbau.34 Die Capitanata in Apulien, vor allem die Ebene des Tavoliere, in der Lucera liegt, war im spätmittelalterlichen Süditalien nach der Insel Sizilien das zweitwichtigste Anbaugebiet für Getreide, und zwar vor allem für den besonders lager- und damit auch transportfähigen Hartweizen.35 In der Zeit, in der er die sizilischen Muslime deportierte und in Lucera ansiedelte, ließ Friedrich II. den Weizenanbau in Apulien noch einmal spürbar intensivieren. Die Ländereien der Krone wurden nun in sogenannten Masserien, also Gutshöfen, zusammengefasst. Das dichteste Netz solcher Masserien entstand dabei in der Capitinata. Und auch in Lucera gab es eine solche königliche Masseria.36 Am 25. Dezember 1239 ordnet Friedrich II. an, dass die Muslime von Lucera 1000 Ochsen erhalten
(wie Anm. 1), 24–26; vgl. Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 41. 31 Il Registro della cancelleria di Federico II del 1239–1240. Ed. Cristina Carbonetti Vendittelli. Rom 2003, 354 = Historia diplomatica Friderici secundi, Bd. 5.1. Ed. Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles. Paris 1859, 628; vgl. Erich Maschke, Die Wirtschaftspolitik Kaiser Friedrichs II. im Königreich Sizilien, zuletzt in: Gunther G. Wolf (Hrsg.), Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen. (Wege der Forschung, Bd. 101.) Darmstadt 21982, 349–394, hier 358 f. 32 Scheller, Politische Stellung der Juden (wie Anm. 27), 164 f.; vgl. Ders., Bettelorden und Juden (wie Anm. 27), 116–118. 33 Giovanni Amatuccio, Saracen Archers in Southern Italy, in: De Re Militari. June 2001, online: http://deremilitari.org/2013/07/saracen-archers-in-southern-italy (Zugriff: 17. Februar 2014); vgl. aber Joachim Göbbels, Das Militärwesen im Königreich Sizilien zur Zeit Karls I. von Anjou (1265– 1285). (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 29.) Stuttgart 1984, 118–127. 34 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 354 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.1. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 31), 628; zum Getreideanbau der Muslime auf Sizilien vgl. Henri Bercher / Annie Courteaux / Jean Mouton, Une abbaye latine dans la société musulmane. Monreale au XIIe siècle, in: Annales 34, 1979, 525–547, hier 528 f. 35 Antonio Muscio / Constatina Altobella, Natura Vergine e Spazio Coltivato, in: Maria Stella Calò Mariani (Hrsg.), Capitanata Medievale. Foggia 1998, 58–75, hier 60; 66; Raffaele Licinio, Le masserie regie in Puglia nel secolo XIII, in: Quaderni medievali 2, 1976, 73–112, hier 81 f.; Codice Diplomatico. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 347. 36 Mario Del Treppo, Prospettive mediterranee della politica economica di Frederico II, in: Arnold Esch / Norbert Kamp (Hrsg.), Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 85.) Tübingen 1996, 316–338, hier 319 f.; 325–329; Licinio, Masserie regie (wie Anm. 35), 79.
150
Benjamin Scheller
sollten ad laborem pro parte Curie nostre.37 Diese enorme Zahl von Zugtieren, die die Muslime von Lucera erhalten sollten, macht deutlich, wie enorm die Ackerflächen gewesen sein müssen, die sie unter den Pflug nehmen sollten. Das einzige zeitgenössische Inventar einer Masseria aus Apulien, das überliefert ist, das der Masseria von Orta (heute Orta Nova) aus dem Jahr 1279, verzeichnet gerade einmal elf Ochsen.38 Doch sollten die Muslime von Lucera nicht nur Getreide anbauen. Sie sollten mit dem Getreide auch Handel treiben. Im Jahr 1234 ordnete Friedrich II. das Messewesen im Königreich Sizilien neu. Eine der sieben generales nundinae des Reichs sollte von nun an alljährlich vom 24. Juni bis zum 1. Juli in Lucera stattfinden.39 Die Termine der Messen waren zeitlich und räumlich koordiniert. Sie begannen im Frühjahr in Sulmona im Norden und endeten im Spätherbst in Reggio Calabria im Südosten des süditalienischen Festlandes. Während eine Messe stattfand, durfte in der jeweiligen Provinz an keinem anderen Ort Handel getrieben werden. Augenscheinlich sollten die Messen überregionale Bedeutung haben, wahrscheinlich sollten sie auswärtige Kaufleute anziehen.40 Das muslimische Lucera hatte in diesem System wohl vor allem die Funktion als überregionaler Handelsplatz für das apulische Getreide, das am Messetermin bereits geerntet war. Denn in weiten Teilen des Tavoliere herrscht im Frühsommer häufig ein Süd-West-Wind, der Favonio, dessen warme Luft den Reifeprozess des Getreides beschleunigt.41 Kaufleute aus Lucera wurden von allen Binnenzöllen auf dem süditalienischen Festland befreit.42 Ausfuhrzölle mussten sie jedoch zahlen wie die christlichen Kaufleute. Diese Anweisung gab Friedrich II. im Jahr 1231 den Hafenmeistern von Trani und Barletta, also der beiden wichtigsten Häfen Apuliens.43 Dass der König die Muslime von Lucera von Binnenzöllen befreite und sie gleichzeitig verpflichtete, Ausfuhrzölle zu zahlen, war keinesfalls ein Widerspruch. Es zeigt
37 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 354 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.1. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 31), 628; vgl. Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 99. 38 Le pergamene di Conversano. Ed. Domenico Morea. (Codice diplomatico Barese, Bd. 17.) Bari 1942, 25; 38–41; vgl. Licinio, Masserie regie (wie Anm. 35), 83 f. 39 Historia diplomatica Friderici secundi, Bd. 4.1. Ed. Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles. Paris 1854, 462 f. 40 Maschke, Wirtschaftspolitik Kaiser Friedrichs II. (wie Anm. 31), 375. 41 Licinio, Masserie regie (wie Anm. 35), 83. 42 Acta imperii inedita seculi XIII. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sicilien in den Jahren 1198 bis 1273. Ed. Eduard Winkelmann. Innsbruck 1880, 763. 43 Ebd., 792.
Assimilation und Untergang
151
vielmehr, dass es Friedrich II. darum ging, dass die muslimischen Kaufleute das Getreide Apuliens möglichst ohne Verluste exportieren konnten. Der Getreideexport war eine der wichtigsten Lebensadern der süditalienischen Wirtschaft, die Ausfuhrzölle auf Getreide eine Haupteinnahmequelle der königlichen Kammer.44 Die wichtigsten Absatzmärkte des unteritalienischen Weizens lagen in Oberitalien. Händler aus der Toskana und aus Genua kauften wiederholt Getreide im Königreich Sizilien ein.45 Auch Venedig deckte seinen Bedarf an Getreide in erheblichem Maße im Königreich Sizilien. In den politischen Konflikten mit den oberitalienischen Städten musste Friedrich II. Rücksicht auf die Abhängigkeit seines Königreichs vom Getreideexport nehmen. Die Einfuhrsperre für Getreide nach Venedig, die Friedrich II. 1239 erließ, als sich die Lagune mit den Feinden des Kaisers verbündete, enthielt daher eine Reihe von Ausnahmen.46 Eine wichtige Rolle spielte außerdem der Getreideexport in das muslimische Nordafrika.47 Im April 1231 schloss Friedrich II. ein Abkommen mit dem hafsidischen Emir von Tunis, Abū Zakariyā Yaḥyā I., das Kaufleute aus dem Königreich Sizilien von allen Einfuhrzöllen im Herrschaftsgebiet des Emirs befreite.48 Im November 1239 wies Friedrich II. seine Amtsträger an, dass Getreideüberschüsse nach Möglichkeit in die Berberei verkauft werden sollten.49 Aus dem Jahr 1240 schließlich ist ein spektakuläres Exportgeschäft nach Tunesien überliefert, das die kaiserliche Verwaltung im Auftrag des Herrschers in Eigenregie durchführte: 50 000 salmae (= ca. 11 2000 t) Getreide, die für 40 000 Goldunzen verkauft wurden.50 Bereits die Gründung der muslimischen Enklave Lucera stand also in Wechselbeziehungen zu Prozessen transkultureller Vernetzung und bewirkte eine
44 Maschke, Wirtschaftspolitik Kaiser Friedrichs II. (wie Anm. 31), 365; 377 f.; Stürner, Friedrich II. (wie Anm. 17), 213; 220 f. 45 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 219; 232; 376; 385 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.1. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 31), 530 f.; 548; 640 f.; Historia diplomatica Friderici secundi 5.2. Ed. Huillard-Bréholles. Paris 1859, 647 f. 46 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 30; 1012 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.1. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 31), 418; Historia diplomatica Friderici secundi 5.2. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 45), 953 f. 47 Maschke, Wirtschaftspolitik Kaiser Friedrichs II. (wie Anm. 31), 367–369. 48 Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Ed. Ludwig Weiland. (MGH Const 2.) Hannover 1896, 153; 187–189 (20. April 1231). 49 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 208 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.1. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 31), 524 f. 50 Registro della cancelleria di Federico II. Ed. Carbonetti Vendittelli (wie Anm. 31), 623 f.; 626; 639 = Historia diplomatica Friderici secundi 5.2. Ed. Huillard-Bréholles (wie Anm. 45), 782; 793.
152
Benjamin Scheller
Transformation derselben. Sie war Resultat einer Zwangsmigration, die Konflikte zwischen Muslimen und Christen auf der Insel Sizilien gewaltsam beendete, zu denen es in Folge der Einwanderung von Norditalienern auf die Insel gekommen war. Gleichzeitig beendete sie die Einwanderung von Muslimen aus Nordafrika nach Unteritalien. Eine große Rolle spielten zudem Handelsnetzwerke. Das Königreich Sizilien war ein wichtiger Getreideproduzent und sah sich seit den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts mit einer stark wachsenden Nachfrage nach Getreide auf den Märkten Oberitaliens und Nordafrikas konfrontiert. Die Ansiedlung der Muslime Siziliens in Lucera erfolgte im Zusammenhang mit dem Ausbau der Getreideproduktion in der Capitanata. Und diese Produktion war von Anfang an für den Export bestimmt. Gleichzeitig wurden die Abhängigkeiten der Muslime Siziliens in ihrer christlichen Umwelt mit der Umsiedlung nach Lucera umdefiniert. Aus den villani sizilianischer Kirchen wurden servi camere regis. Und dies hatte nicht zuletzt die Folge, dass ihre Abhängigkeiten vor Ort weniger drückend waren. Mit der Umsiedlung der sizilischen Muslime nach Lucera verfolgte Friedrich II. also nicht nur die Absicht, die muslimische Bevölkerung seines Reichs zu erhalten, wie man unlängst bemerkt hat.51 Die Umsiedlung verbesserte die Situation der Muslime in Unteritalien zunächst sogar noch einmal erheblich. Und dies gilt nicht nur für die Zeit Friedrichs II., sondern auch für die seiner Nachfolger aus dem Haus Anjou. Denn unter Karl I. und zunächst auch unter Karl II. erlebte das muslimische Lucera seine eigentliche Blüte, eine Blüte, die dann allerdings direkt in den Untergang führte. Zwar erklärten Urban IV. und Clemens IV. den Feldzug, den Karl I. 1265 nach Unteritalien unternahm, um das Königreich Sizilien zu erobern, zum Kreuzzug. Und diesen legitimierten sie nicht zuletzt mit der Existenz einer Enklave von Ungläubigen im Königreich Sizilien. Als Konradin 1268 gen Apulien zog, um sein staufisches Erbe zu erobern, rebellierten die Muslime von Lucera gegen Karl I. Anjou, und abermals wurde der Kreuzzug gegen sie gepredigt.52 Kurz nachdem die Muslime Luceras im August 1269 nach langer Belagerung kapituliert hatten, bestätigte ihnen Karl I. Anjou dann aber alle ihre Rechte und sicherte ihnen zu, ihre Religion ungestört ausüben zu dürfen.53
51 Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 131 f. 52 Christoph T. Maier, Crusade and Rhetoric against the Muslim Colony of Lucera. Eudes of Châteaurouxʼs Sermones de rebellione Sarracenorum Lucherie in Apulia, in: Journal of Medieval History 21, 1995, 343–385, hier 350–352; vgl. Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 131 f. 53 Codice Diplomatico del Regno, Bd. 3. Ed. Del Giudice (wie Anm. 24), 75; 127–129; vgl. Taylor,
Assimilation und Untergang
153
In der Folgezeit gewannen die Muslime von Lucera ein Ausmaß an Autonomie, wie sie es unter den Staufern nie besessen hatten. Karl I. verlieh Lucera die gleichen Privilegien, die auch die anderen Stadtgemeinden, universitates, seines Reichs hatten. Die Muslime von Lucera erhielten das Recht, jährlich Versammlungen abzuhalten, auf denen sie ihre Richter und Steuereinnehmer bestimmten.54 Auch den magister iuratus, einen Magistrat mit polizeilichen Funktionen, zu dessen Kompetenzen auch die Aufsicht über die Messe gehörte, konnten sie nun selbst bestimmen.55 Unter Karl II. entsandten sie außerdem Repräsentanten der Stadt zu den Parlamenten, auf denen die Angelegenheiten des Reichs beraten wurden.56 Nach außen vertreten wurde die muslimische universitas durch die Angehörigen einer kleinen Elite, die aus wenigen miteinander verwandten Familien bestand, und die sich der Lebensführung der christlichen Eliten anderer Städte in vielerlei Hinsicht angeglichen hatte.57 Viele von ihnen hatten die Ritterswürde erlangt und hielten Lehen vom König.58 Sie bedienten sich oftmals christlicher Namen.59 Zumindest einige von ihnen hatten ihren Wohnsitz nicht mehr in Lucera, sondern in Foggia und anderen Orten.60 Ein besonders exponierter
Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 148. 54 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 121; 153; 182; 190; 209; 240; 258; 315; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 74–78; Francesco Calasso, La legislazione statuaria dell’Italia meridionale. Le basi storiche. Le Libertà cittadina dall fondazione del regno all’epoca degli statuti. Rom 1929, 181. 55 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 76 f. 56 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 235; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 79. 57 Martin, La colonie Sarrasine de Lucera (wie Anm. 1), 798–802; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 79–86. 58 Der erste Beleg stammt von 1269: Codice Diplomatico, Bd. 3. Ed. Del Giudice (wie Anm. 24), 76, 130 f.; weitere Belege bei Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 7; 29 f.; 40; 58; 69; 83; 88; 142; 152; 178; 185; 214; 258; 298; 322; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 3. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1951, 51; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 5. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1953, 35; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 5. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1957, 29; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 12. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1959, 111; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 25. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1978, 75; I Registri della Cancelleria Angioina, Bd. 27. Ed. Ricardo Filangeri. Neapel 1979–1981, 107; vgl. Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 79 f. 59 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 81 f.; 90; 136; 298; 322; 398; 497; vgl. Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 80; Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 73. 60 Codice Diplomatico. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 34; 162; Ders., Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 52.
154
Benjamin Scheller
Vertreter dieser adligen Elite war ein miles mit Namen Ricardus.61 Er ist 1270 als magister iuratus von Lucera belegt, 1286 gehörte er zu den Steuereinnehmern. Gleichzeitig hatte er sogar das Amt des capitaneus von Lucera inne.62 Der capitaneus war der Vertreter der Königsgewalt in den Städten und hatte vor allem die Hochgerichtsbarkeit inne. Damit lagen in den Jahren unmittelbar nach der Sizilianischen Vesper alle wichtigen Ämter in der Stadt in der Hand der Muslime selbst bzw. ihrer adligen Elite. Wie der Adel der christlichen Stadtgemeinden des Reichs mussten die städtischen Eliten von Lucera keine Steuern zahlen, bezogen aber selbst erhebliche Einkünfte aus der Pacht der indirekten Steuern, der sogenannten gabelle.63 Im Jahr 1282 pachtete ein Konsortium aus sechs Muslimen die gabelle von Lucera für 300 Unzen in Gold sowie große Mengen von Vieh und Getreide im Wert von abermals 250 bis 300 Unzen.64 Hieran wird abermals deutlich, dass die Grundlage ihrer herausgehobenen Position in der Stadt ihre wichtige Rolle in Getreideproduktion und -handel war.65 Dass Friedrich II. die Muslime seines Reichs mit der Umsiedlung nach Lucera in neuer Weise in die mediterrane Handelsvernetzung Unteritaliens einbezogen hatte, als Getreideproduzenten und -händler für den Export, bewirkte also eine erhebliche Stratifikation der muslimischen Gesellschaft. Aus ihr differenzierte sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts immer deutlicher eine adlige Elite heraus. Dies führte auch zu Spannungen mit den übrigen, nicht-adligen Muslimen. Im Jahr 1278 erklärten sich die Muslime von Pantelleria bereit, den Tribut an König Karl I. zu verdoppeln, wenn er nur den bisherigen capitaneus abzöge, der die Insel im Auftrag des Königs verwaltete, einen muslimischen Ritter aus Lucera, namens Leone.66 In Lucera selbst führten Klagen über die Amtsführung des miles Ricardus als capitaneus 1289 sogar dazu, dass dieser verhaftet und sein Besitz konfisziert wurde.67 Allerdings spricht einiges dafür, dass der einflussreichste Vertreter der adligen muslimischen Elite Luceras nicht nur entmachtet wurde, weil seine Amtsführung Anlass zu Klagen der nicht-adligen Bevölkerung gegeben hatte, sondern
61 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 80–82. 62 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 76 f.; Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 7; 15; 225. 63 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 142; 211; 214; 220d; 258. 64 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 118 f. 65 Vgl. Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 8. 66 Houben, Neue Quellen (wie Anm. 20), 340 f. 67 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 15; 18 f.; 22–26.
Assimilation und Untergang
155
dass sich hier bereits Konfliktlinien abzeichneten, die knapp zehn Jahre später in den Untergang der Stadt führen sollten. Denn ein weiterer Vorwurf gegen den mächtigen muslimischen Ritter Ricardus war, dass er den königlichen Fiskus hintergangen hätte.68 Dennoch kam der Schlag, den der königliche Beauftragte, Johannes Pippin von Barletta, im August 1300 gegen die muslimische Stadt führte, für die überwältigende Mehrheit ihrer Bewohner völlig unerwartet. Fast die gesamte Bevölkerung Luceras wurde gefangen gesetzt und deportiert. Nur einigen wenigen gelang es, der Gefangennahme durch die königlichen Truppen zu entgehen. So fand ein Ritter namens Salem mit einigen Gefährten Zuflucht im Kloster S. Sofia in Benevent.69 Zunächst war offensichtlich nicht geplant, die Bevölkerung Luceras in die Sklaverei zu verkaufen. Noch am 17. Juni 1300 war König Karl II. sogar bereit, Muslimen, die zum Christentum konvertierten, die Freiheit und die Befreiung von sämtlichen Steuern zu gewähren.70 Unmittelbar nach der Besetzung der Stadt durch die Truppen des Königs wurden die Muslime von Lucera in mehreren Trecks in verschiedene Teile des Königreichs geführt, wo sie in kleinen Gruppen auf die königlichen Masserien verteilt werden sollten. Dabei kam es zu Übergriffen auf die Gefangenentrecks, denen zahlreiche Muslime zum Opfer fielen.71 Erst Anfang Dezember 1300 entschied der Königshof dann, dass die Muslime als Sklaven verkauft werden sollten und setzte in allen Provinzen des Reichs Beauftragte ein, die die ehemaligen Bewohner von Lucera auffinden und zusammentreiben lassen sollten.72 Gleichzeitig setzte er die Preise fest, zu denen sie verkauft werden sollten: Der Mindestpreis für einen erwachsenen männlichen Muslim betrug zwei Unzen Gold. Männliche Muslime mit handwerklichen Qualifikationen – Schmiede, Goldschmiede, Schneider, Maurer etc. – sollten für drei Unzen verkauft werden. Der Preis für Frauen und Kinder unter zwölf Jahren wurde auf eine Unze festgelegt.73
68 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 18; Taylor, Muslims in Medieval Italy (wie Anm. 1), 116. 69 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 141; Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 438 f. 70 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 294; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 137. 71 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 186; Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 335; 351. 72 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 194 f.; Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 417. 73 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 456.
156
Benjamin Scheller
Die wichtigsten Verkaufsorte waren die Hafenstädte Neapel und Barletta, in denen nach Ausweis der Quellen ca. 2 500 bzw. 2 000 Muslime als Sklaven verkauft wurden.74 Insgesamt wurden Ende 1300 / Anfang 1301 wohl über 10 000 Muslime in die Sklaverei verkauft.75 Gleichzeitig ließ der Königshof auch die letzten Habseligkeiten, die die Muslime von Lucera noch mit sich führten, inventarisieren und verkaufen. Ein Königsmandat aus dem Februar 1301 listet den Besitz auf, den die 405 Muslime mit sich führten, die der Justitiar der Terra d’Otranto ausfindig gemacht hatte: Bettzeug und Geschirr, vieles davon alt und zerschlissen. Gerade einmal drei Unzen hatte der königliche Amtsträger dafür eingenommen.76 Noch im Juni 1300 hatte der König vorgehabt, konvertierten Muslimen die Freiheit zu gewähren. Doch nun wollte Karl II. hiervon nichts mehr wissen. Der Empfang der Taufe verleihe dem servus nicht die Freiheit, so beschied er im April 1302 einem Amtsträger, der nachgefragt hatte, wie er mit Muslimen verfahren sollte, die vor ihrer Gefangennahme zum Christentum übergetreten waren.77 Damit stellte sich der König auf den Standpunkt, den der Kanonist Raymund von Peñafort um 1238 in seiner summa de casibus poenetentiae erstmals formuliert hatte und der von späteren Rechtsgelehrten immer wieder aufgegriffen wurde.78 Die „Kammerknechtschaft“ der Muslime von Lucera war also ein ambiguer Rechtsstatus. Er wertete sie gegenüber anderen Unfreien auf und ermöglichte ihnen, ihre inneren Angelegenheiten weitgehend autonom zu regeln und sogar die Ritterwürde zu erwerben und Lehen vom König zu halten. Und doch blieben ihr Besitz und sie selbst Eigentum des Königs.79 Der Königshof war offenkundig bestrebt, aus dem Verkauf der Muslime von Lucera den größtmöglichen finanziellen Vorteil zu ziehen. Der Gedanke liegt daher nahe, dass finanzielle Motive Karl II. und seine Berater bewogen, das muslimische Gemeinwesen in seinem Reich zu zerstören. Pietro Egidi hat bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die These formuliert, es sei akute Finanznot gewesen, die den König veranlasst hätte, die Muslime von
74 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 196 f. 75 Ebd., 203. 76 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 456; vgl. Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 195. 77 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 498: cum baptismatis susceptio servo non tribuat libertatem; vgl. ebd., 460. 78 Benjamin Zeev Kedar, Muslim Conversion in Canon Law, in: Stephan Kuttner / Kenneth Pennington (Hrsg.), Proceedings of the Sixth International Congress of Medieval Canon Law. Berkeley (Calif.), 28 July – 2 August 1980. Città del Vaticano 1985, 321–332, hier 327 f. 79 Abulafia, The Servitude of Jews (wie Anm. 26), 712.
Assimilation und Untergang
157
Lucera zu verschleppen, um so ihren Besitz und sie selbst verkaufen zu können.80 Und in der Tat befand sich der König im Sommer 1300 in einer äußerst prekären Situation. Ein letztes Mal versuchte Karl II., die Insel Sizilien, die die Dynastie der Anjou nach der Sizilianischen Vesper 1282 an die katalanischen Aragonesen verloren hatte, zurückzugewinnen. Als der Entschluss fiel, Lucera zu vernichten, stand der Herzog von Kalabrien vor Catania, doch hatten seine Truppen schon lange keinen Sold mehr erhalten und drohten sich aufzulösen. Außerdem waren Kredite an die Florentiner Bankhäuser Bardi und Peruzzi fällig, mit denen Karl II. die militärische Expedition nach Sizilien finanziert hatte.81 Egidi hat jedoch selbst gezeigt, dass die Eroberung Luceras zunächst einmal darauf abzielte, seine Bewohner zu vertreiben und dass der Königshof erst gut vier Monate später den Entschluss fasste, die vertriebenen Menschen als Sklaven zu verkaufen. Wenn es akute Liquiditätsprobleme gewesen wären, die den Königshof zum Schlag gegen Lucera motivierten, hätte man dann nicht von Anfang an ins Auge gefasst, die Bewohner der Stadt als Sklaven zu verkaufen? Vor und nach Egidi ist daher immer wieder versucht worden, religiösen Eifer als Motiv König Karls II. zu belegen, erstmals 1901 von Pietro Rivoire und zuletzt von David Abulafia.82 Auf den ersten Blick scheint diese Sicht auch durch die Verlautbarungen der königlichen Kanzlei belegt zu werden. Allerdings erscheint der Wortlaut des Mandats vom 21. August 1300, mit dem König Karl II. seinen Entschluss, die Muslime von Lucera ihrer Stadt zu berauben, erstmals begründete, eigentümlich gewunden: „Wenn man die Ehrerbietung unserer Vorgänger gegenüber Gott beachtet, und außerdem, wie katholisch sie waren und wie sehr sie den rechten Glauben pflegten, dann wird keinerlei Zweifel bestanden haben, dass wir, die wir eine dermaßen würdige Herkunft haben und aus dem treuen Stamm solcher Vorfahren hervorgegangen sind, vor allem andern, was uns im Geist begehrenswert erscheint, besorgt nach dem Anwachsen des katholischen Glaubens streben. Weil wir nun aber seit lang vergangenen Zeiten wissen, dass es sehr unziemlich ist, ja sogar dem Glauben in gewisser Weise Abbruch zu tun scheint, in unserem Reich die Sarazenen zu begünstigen, die bis zum heutigen Tag in Lucera wohnen, haben wir ständig im Sinn gehabt, die genannte terra von den Sarazenen zu entvölkern (…).“83
80 Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 279–283. 81 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 329; 355; 357; 388. 82 Rivoire, Lucera (wie Anm. 1), 181; Abulafia, Monarchs and Minorities (wie Anm. 1), 243; vgl. zuletzt Ders., Caduta di Lucera Saracenorum (wie Anm. 1), 180 f. 83 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 318: Si nostrorum erga Deum de-
158
Benjamin Scheller
Es hat den Anschein, als hätten bereits die unmittelbaren Zeitgenossen der Zerstörung des muslimischen Lucera die Frage gestellt, warum Karl II. denn mit der Beseitigung der Muslime seines Reiches so lange gewartet habe, wenn sie ihm doch schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge gewesen seien und damit Zweifel an der religiösen Motivation des Königs geäußert. Im selben Mandat findet sich zudem ein Passus, der darauf schließen lässt, dass die gewaltsame Auslöschung Luceras offensichtlich Kritik hervorgerufen hatte: si vi temptatum fuisset, multe imo inopinabiles laborassent vires.84 Wenn Karl II. mit der Zerstörung Luceras einen Triumph über den Islam angestrebt hatte, dann stieß dieser offensichtlich im Umfeld des Hofs nicht auf ungeteilten Beifall. Es ist jedoch anachronistisch zu fragen, ob es religiöser Eifer oder akute Finanznot war, die den Königshof zum Schlag gegen Lucera motivierten. Außerdem verstellt diese Polarisierung den Blick auf längerfristige Entwicklungen, die für Lucera und seine Rolle für das Königreich Neapel von entscheidender Bedeutung waren. Die Eroberung Siziliens durch Peter III. von Aragon 1282 zog einen „europäischen Krieg um die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerraum“ nach sich, der die Ressourcen des unteritalienischen Königreichs der Anjou die nächsten zwanzig Jahre lang bis über ihre Grenzen hinaus beanspruchte.85 Diese waren jedoch infolge der katalanischen Expansion drastisch geschrumpft. Denn der Verlust Siziliens bedeutete auch den Verlust von über achtzig Prozent der Getreideproduktion des Königreichs und damit auch der damit verbundenen Einkünfte der Krone.86 Als Folge erlangte der Getreideanbau Apuliens für die Wirtschaft
votio predecessorum actenditur, si quam catholici fuerint, at quam vehementes fidei ortodosse cultores in consideracionem adducitur, non erit unquam ambiguum quin nos, ex tam sollempni origine ac tam fideli tantorum procerum stipite derivati, pre cunctis mentis nostre desiderabilibus incrementum catholice fidei anxie cupiamus. Porro, a longo iam preterito tempore, cognoscentes quod fovere in Regno nostro Sicilie Sarracenos, inhabitants hucusque Luceriam, dedecebat non modicum, immo predicte quodammodo derogare fidei videbatur, iugiter in animo gessimus depopulare et exhabitare terram ipsam Sarracenis eisdem, deinde christicolis habitandam. 84 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 318. 85 Andreas Kiesewetter, Die Anfänge der Regierung König Karls II. von Anjou (1278–1295). Das Königreich Neapel, die Grafschaft Provence und der Mittelmeerraum zu Ausgang des 13. Jahrhunderts. (Historische Studien, Bd. 451.) Husum 1999, 76–92, Zitat: 91. 86 Michel de Boüard, Problèmes de subsistances dans un état médiéval. Le marché et les prix des céréales au royaume angevin de Sicile (1266–1282), in: Annales d’histoire économique et sociale 10, 1938, 483–501, hier 495, demzufolge von den 129 000 t. Weizen, die das Königreich zwischen 1266 und 1282 nach Ausweis der Register der königlichen Kanzlei exportierte, 111 000 t. aus Sizilien stammten; vgl. Kiesewetter, Anfänge der Regierung (wie Anm. 85), 480.
Assimilation und Untergang
159
und die Finanzen des Königreichs eine geradezu existentielle Bedeutung und das heißt vor allem der Getreideanbau in der Ebene des Tavoliere, in der Lucera liegt. Die Krone ließ den Getreideanbau hier noch einmal erheblich extensivieren und forcierte dadurch den Übergang zum Weizenanbau in Monokultur. Denn mit Weizen ließen sich die größten Exportgewinne erzielen.87 Mario del Treppo zufolge verschob sich in der Capitanata zwischen der Mitte des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts das Verhältnis von Getreideanbau zum Anbau von Wein und Oliven von 9:1 zu 16:1.88 Ab 1290 ging die Krone außerdem dazu über, Kredite, die sie bei den Banken aus Florenz aufgenommen hatte, um die Kriege um Sizilien zu finanzieren, zu tilgen, indem sie diesen die zollfreie Ausfuhr von Getreide gestattete. Dies hatte die Folge, dass die toskanischen Gesellschaften den Getreidehandel sukzessive monopolisierten und die Exporte aus dem Königreich Neapel nun fast ausschließlich nach Mittel- und Norditalien gingen.89 Die strategische Bedeutung der Ressource Getreide war in Folge des Verlustes der Insel Sizilien also geradezu exponentiell gestiegen. Und allem Anschein nach wollte die Krone die Produktion eines erheblichen Teils dieser wichtigen Ressource nicht mehr in den Händen der Muslime von Lucera lassen, und das heißt vor allem: nicht in den Händen der adligen Muslime, die den Anbau und den Handel mit dem Getreide Luceras weitgehend kontrollierten. Dies zeigen einige Mandate vom Juli 1300. So heißt es, die Schätzer (extimatores), die die Muslime von Lucera aus ihrem Kreis gewählt hatten, hätten die Getreideerträge des von ihnen bebauten Landes vorsätzlich zu niedrig angesetzt und so die königliche Kammer um den Anteil an den Erträgen betrogen, der ihr zustünde.90 Schwere Vorwürfe wurden außerdem gegen zwei der muslimischen Ritter, Salam und Abd-al-Aziz, erhoben. Sie hätten sich das Land verschiedener königlicher Masserien in der Umgebung von Lucera widerrechtlich angeeignet. Da sie die Augen der königlichen Amtsträger durch Geschenke verschlössen, verhinder-
87 Licinio, Masserie regie (wie Anm. 35), 193 f.; 109 f.; Del Treppo, Prospettive mediterranee (wie Anm. 36), 323–336. 88 Del Treppo, Prospettive mediterranee (wie Anm. 36), 337. 89 Kiesewetter, Anfänge der Regierung (wie Anm. 85), 498–500; 547–551. 90 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 306: Nunc vero Sarraceni predicte terre Lucerie in fraudem iurium dicte nostre Curie eligunt extimatores ex eis, qui ipsorum voluntatis arbitrio, ommisso iudicio rationis, magnam summam frumenti vel ordei seminati extimant minimam (…).
160
Benjamin Scheller
ten sie, dass sie zur Rechenschaft gezogen würden und ganz allgemein geschehe im Gebiet von Lucera nichts, was nicht nach ihrem Willen sei.91 Unmittelbar nach der Besetzung Luceras setzte der König eine Kommission ein, die die Getreidevorräte auf dem Gebiet der Stadt konfiszieren lassen sollte.92 Dies gelang den königlichen Beauftragten jedoch erst, als einige der Ritter Luceras mit ihnen kollaborierten und sie an die Stätten führten, an denen das Getreide gelagert wurde.93 Sie erhielten dafür die Freiheit geschenkt. Die meisten von ihnen konvertierten nun zum Christentum und assimilierten sich ihren christlichen Standesgenossen nun also auch religiös.94 Anstelle der verschleppten und versklavten Muslime sollten in Lucera künftig christliche Neusiedler unter der Aufsicht des königlichen Beauftragten Johannes Pippin von Barletta die Getreidefelder bestellen. Unmittelbar nach der Eroberung Luceras, am 21. August 1300 erteilte der König seinem Beauftragten weitreichende Vollmachten „Völkerscharen aus allen Teilen des Reichs herbeizurufen“ (evocandi gentes undique de regni partibus) und verlieh ihm über diese Neusiedler das merum et mixtum imperium.95 Die Menschen, die den Platz der Muslime einnehmen sollten, waren Flüchtlinge aus Kalabrien, so planten es zumindest der König und seine Berater. Seit der Krieg um Sizilien auch das Festland erfasst hatte, waren von dort tausende von Menschen vor den Kriegshandlungen und ihren Folgen ins Inland geflohen, v. a. in die Basilicata und nach Apulien.96 Im Sommer 1301 erhielten die Justitiare sämtlicher Provinzen des Reichs den Befehl, alle diese Flüchtlinge aus Kalabrien nach Lucera zu schicken, wo sie sich bis zum 1. August einzufinden hätten.97 Daraufhin durchkämmten deren Amtsträger die Orte und befahlen den Gemeinden unter Strafe die Umsetzung des Umsiedlungsbefehls.98 Viele der Flüchtlinge aus Kalabrien waren in den Orten, in denen sie sich niedergelassen hatten, allerdings
91 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 301: Item dum in quadam masseria nostra dicte terre pauperes laborarent, aliarum terrarum defectu, Adelagisius et Salem, de eadem terra milites, eos abinde turpiter expulerunt, detinentes terras easdem in Curie nostre et eorumdem pauperum detrimentum. (…) Obcecant quoque Capitaneorum et aliorum officialium nostrorum oculos exenniis et aliis muneribus eorumdem, propter quod non fit iusticia de eisdem. Nihilque in dicta terra fit aliud quam quod ipsorum militum residet voluntati (…). 92 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 327 f.; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 209. 93 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 347. 94 Ebd., 398; 443; 680; vgl. Martin, Colonie Sarrasine de Lucera (wie Anm. 1), 801. 95 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 316. 96 Ebd., 287. 97 Ebd., 480; Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 287. 98 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 646.
Assimilation und Untergang
161
mittlerweile heimisch geworden, hatten teils auch das Bürgerrecht erworben und ersuchten den Königshof darum, nicht in das entvölkerte Lucera umsiedeln zu müssen.99 Dem gab der Hof in einigen Fällen auch statt.100 In anderen Fällen gewährte er den Flüchtlingen aus Kalabrien nur einen Aufschub, bis sie ihren Wohnsitz nach Lucera verlagern mussten.101 Auch am Ende des muslimischen Lucera steht also die Zwangsmigration der Muslime, diesmal allerdings auf die Sklavenmärkte von Neapel, Barletta und anderer wichtiger Handelszentren. Und auch diese ordnete der König an, um die Folgen anderer Wanderungsbewegungen in seinem Sinne zu steuern, nämlich um Platz zu schaffen, für Kriegsflüchtlinge aus Kalabrien. Geradezu zum Schicksal der Muslime von Lucera wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts jedoch die Rolle der Stadt als wichtiger Knoten der Vernetzung Süditaliens in den mediterranen Getreidehandel. Sie war zunächst Grundlage eines bemerkenswerten Aufstiegs der Stadt bzw. ihrer adligen Elite und ließ diese schließlich zur Zielscheibe der Krone werden und ihrer Bestrebungen, diese Ressource unter ihre Kontrolle zu bringen, deren strategische Bedeutung in der imperialen Konkurrenz mit der Krone von Aragon um die Insel Sizilien noch einmal stark gestiegen war. Die globalhistorische Perspektive auf die Prozesse transkultureller Vernetzung wirft also neues Licht auf die Geschichte des muslimischen Lucera und seines Untergangs im Jahr 1300. Doch lenkt die Geschichte Luceras auch den Blick auf wichtige Dimensionen einer globalen Perspektive auf die Geschichte, die weit über den Einzelfall hinausweisen. Sie zeigt die Bedeutung von Fernhandel, Migration und imperialer Expansion als Dimensionen transkultureller Vernetzung im Mittelalter, profiliert dabei aber auch die Bedeutung der politischen Gewalt, die mit unterschiedlichem Erfolg und Effekt versuchte, die Ströme der Menschen und Güter in ihrem Herrschaftsbereich zu kontrollieren bzw. sogar zu lenken. Und so zeigt sie, dass Territorialität bei der Erforschung transkultureller Vernetzung im Mittelalter keine vernachlässigbare, sondern im Gegenteil eine zentrale Größe ist. Ebenfalls deutlich werden Prozesse der ‚Glokalisierung‘, des Wandels von Rechtsverhältnissen, Produktionsregimes, sozialen Strukturen und kulturellen Identitäten im lokalen Rahmen im Zusammenhang mit der Transformation transkultureller Vernetzung.
99 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 521 f.; 525 f.; vgl. Egidi, Colonia Saracena di Lucera (wie Anm. 1), 288. 100 Codice Diplomatico dei Saraceni. Ed. Egidi (wie Anm. 28), 522; 525 f.; 530; 541–546; 550; 557; 563; 565 f.; 573; 575; 582; 585; 588; 590; 592 f.; 597–600; 604–609; 613; 634; 641. 101 Ebd., 601 f.
162
Benjamin Scheller
Schließlich und endlich schärft Lucera den Blick dafür, dass transkulturelle Vernetzung und ihr Wandel höchst desintegrative Folgen haben konnten. Denn die Geschichte der muslimischen Gemeinde Lucera im Unteritalien des 13. Jahrhunderts zeigt wie Krieg und Konflikte um politische und wirtschaftliche Dominanz jahrhundertelang praktizierte Toleranz innerhalb kurzer Zeit zusammenbrechen lassen konnten.
Barbara Schlieben
Disparate Präsenz Hybridität und transkulturelle Verflechtung in Wort und Bild: Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht mit dem ‚Liber ad honorem Augusti‘ des Petrus von Ebuli1 ein Werk, das sich wegen seiner bildlichen Darstellungen, die Begegnungen zwischen lateinischen Christen, Griechen und Muslimen zeigen, in der Forschung einiger Bekanntheit erfreut: Entstanden in Süditalien2 in den Jahren zwischen 1195 und 1197,3 zu Lebzeiten Kaiser Heinrichs VI. (†1197), schildert der ,Liber‘ die Eroberung Siziliens durch den Staufer in Wort und Bild. Doch stellt das Werk als Ganzes den Historiker vor Herausforderungen, die durch die isolierte Betrachtung einzelner Bilddetails leicht übersehen werden: Einerseits nämlich treten Bild und Text in ein komplexes Wechselverhältnis,4
1 Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti sivi de rebus Siculis. Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern. Eine Bilderchronik der Stauferzeit. Ed. Theo Kölzer / Marlis Stähli. Textrevision und Übersetzung v. Gereon Becht-Jördens. Sigmaringen 1994. – Horst Bredekamp, der eine frühere Version des Textes gelesen hat, sei herzlich für seine Hinweise gedankt. 2 Sybille Kraft, Ein Bilderbuch aus dem Königreich Sizilien. Kunsthistorische Studien zum Liber ad honorem Augusti des Petrus von Ebuli (Codex 120 II der Burgerbibliothek Bern). (Zürcher Schriften zur Kunst-, Architektur- und Kulturgeschichte, Bd. 5.) Weimar / Jena 2006, 77– 82; 91–93 macht die Entstehung im Umfeld von Montecassino wahrscheinlich; vgl. auch Franz Nagel, Die Weltchronik des Otto von Freising und die Bildkultur des Hochmittelalters. Marburg 2012, 186–188. 3 Zur Datierung s. Theo Kölzer, Autor und Abfassung des Werkes, in: Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 11–13, hier 12 f.; Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), 83; Nagel, Weltchronik (wie Anm. 2), 185. – Wegen Unterschieden in der bildlichen Gestaltung (Kolorierung, Einteilung der Seiten) wird häufig von zwei unterschiedlichen Entstehungsphasen des Codex ausgegangen, s. Robert Fuchs / Ralf Mrusek / Doris Oltrogge, Die Entstehung der Handschrift. Materialien und Maltechnik, in: Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 275–285. Die folgenden Beobachtungen betonen demgegenüber vielfältige Bezüge zwischen diesen beiden Abschnitten, die eine Gesamtkonzeption des Werks wahrscheinlich machen. 4 Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), und Nagel, Weltchronik (wie Anm. 2), widmen sich eben diesem Bild-Text-Verhältnis innerhalb des ‚Liber ad honorem Augusti‘. Kategoriale Deutungen lehnen sie beide ab, vgl. Nagel, Weltchronik (wie Anm. 2), 199: „Für die Gestaltung der Bildseiten“ sei „kein Illustrationsschema erarbeitet“ worden. Ähnlich Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), 334: „Es gibt keine für die ganze Handschrift gültigen Kriterien, nach denen sich die Auswahl der zu illustrierenden Verse richtete.“ – Einordnen lassen sich die Studien in eine Bild-Text-Forschung,
164
Barbara Schlieben
anderseits überlagern sich beständig vielfältige Sinnebenen.5 Die Ausführungen beleuchten dies zunächst, um nicht einer verkürzt ,historischen Lesart‘ von Bild und Text aufzusitzen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann kulturelle Hybridisierungen,6 wie sie der ‚Liber ad honorem Augusti‘ bietet, analysieren. Zwei Fragen, die derzeit in globalgeschichtlichen Studien diskutiert werden, sind dabei erkenntnisleitend: Zum einen geht es um das Verhältnis von transkultureller Begegnung und kultu-
die in den 1970er Jahren durch Fragen zur Medialität und Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Erinnerung angeregt worden war. Eine wichtige, die Diskussion interdisziplinär öffnende Etappe stellte das Symposion: Wolfgang Harms (Hrsg.), Text und Bild. Bild und Text. DFG-Symposion 1988. (Germanistische Symposien. Berichtsbände, Bd. 11.) Stuttgart 1990, dar. Nach wie vor grundlegend sind die Überlegungen von Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995. Derzeit wird die Problematik intensiv diskutiert innerhalb des Graduiertenkollegs „Schriftbildlichkeit“ an der FU Berlin und des Basler Forschungsschwerpunkts „Bildkritik“, vgl. zuletzt generell: Barbara Schellewald, Einführung. Bild und Text im Mittelalter, in: Karin Krause / Dies. (Hrsg.), Bild und Text im Mittelalter. Köln 2011, 11–21; Andrea von Hülsen-Esch, Written and Image Texts in the Middle Ages. Coalescence, Divergence, and Interpretational Space, in: Richard Begam / Dieter Stein (Hrsg.), Text and Meaning. Literary Discourse and Beyond. Düsseldorf 2010, 241–265; Christel Meier, Typen der Text-BildLektüre. Paratextuelle Introduktion – Textgliederung – diskursive und repräsentative Illustration – bildliche Kommentierung – diagrammatische Synthesen, in: Eckart Conrad Lutz / Martina Backes / Stefan Matter (Hrsg.), Lesevorgänge. Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern und Handschriften. (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen, Bd. 11.) Zürich 2010, 157–181. 5 S. bes. Jürgen Strothmann, Christus, Augustus und der mittelalterliche römische Kaiser in der staufischen Herrschaftstheologie. Von der Parallele Christus-Augustus bei Otto von Freising zu dem Kaiser als augustus und alter christus bei Petrus von Ebuli, in: Archiv für Kulturgeschichte 84, 2002, 41–65. 6 Der Begriff des Hybriden fand, angeregt durch die „Postcolonial Studies“, seit den 2000er Jahren Eingang in die Mittelalterforschung. Gemäß des Wortsinns meint Hybridität etwas Gemischtes, Zusammengesetztes, das die Unterscheidung von Innen und Außen, von Fremd und Eigen durchlässig macht oder verschiebt, s. Andreas Ackermann, Das Eigene und das Fremde. Hybridität, Vielfalt und Kulturtransfers, in: Friedrich Jaeger / Jörn Rüsen (Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Themen und Tendenzen. Stuttgart / Weimar 2004, 139–154. Für die Mittelalterforschung s. bes. die Publikationen des Schwerpunktprogramms „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ und hier bes. Bernd Schneidmüller / Annette Seitz, Transkulturelle Mediävistik. Ein Schlußwort, in: Dies. / Michael Borgolte u. a. (Hrsg.), Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Mittelalterforschung. (Europa im Mittelalter, Bd. 10.) Berlin 2008, 557–556; Michael Borgolte / Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule. Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 16.) Berlin 2010.
Disparate Präsenz
165
reller Hybridisierung.7 Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ konzipiert dieses Verhältnis auf eigene Art und Weise, die es herauszuarbeiten gilt. Zum anderen fordert die Forschung die Ausdifferenzierung solcher kulturellen Hybridisierungen in räumlicher und zeitlicher8 oder in qualitativer Hinsicht. Michael Borgolte hat vorgeschlagen, zwischen hybriden Mischformen und Synthesen, „denen die Ingredienzien nicht mehr entzogen werden können“, zu unterscheiden; diese Synthesen, welche die ,ursprünglich‘ unterschiedlichen kulturellen Elemente nicht mehr zu erkennen geben, bezeichnet er als „transkulturelle Verflechtung“.9 Im Werk des
7 Wie eng oder weit ,Begegnung‘ zu fassen ist, wird innerhalb der Mediävistik kontrovers diskutiert: In Anlehnung an die Neuzeitforschung erkennt Michael Borgolte in der Migration, und damit in der tatsächlichen und längerfristigen Begegnung einen wesentlichen Faktor für transkulturelle Verflechtungen, s. Michael Borgolte, Migration als transkulturelle Verflechtung im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285. Auch Überlegungen zu „Cultural Brokers“ gehen von tatsächlichen, jedoch auch kurzfristigeren, Begegnungen aus, s. hierzu zuletzt die Beiträge des Sammelbandes: Marc von der Höh / Nikolas Jaspert / Jenny Rahel Oesterle (Hrsg.), Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages. (Mittelmeerstudien, Bd. 1.) Paderborn 2013. Von längerfristigen Prozessen handeln die Beiträge des Sammelbandes: Klaus Herbers / Nikolas Jaspert (Hrsg.), Integration – Segregation – Vertreibung. Religiöse Minderheiten und Randgruppen auf der Iberischen Halbinsel (7. - 17. Jahrhundert) (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt, Bd. 8.) Berlin 2011. – Demgegenüber tendiert insbesondere die kunsthistorische Forschung zu einem weiteren Begriff von Begegnung, der auch der Begegnung mit ,Fremdem‘ durch Texte oder Dinge Rechnung trägt, s. Gottfried Boehm, Das Alogon. Marginalien zur Ästhetik des Fremden, in: Meinhard Schuster (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Fremden. Stuttgart / Leipzig 1996, 277–287; Barbara Zeitler, Cross-Cultural Interpretations of Imagery in the Middle Ages, in: The Art Bulletin 76.4, 1994, 680–694; Eva R. Hoffman, Pathways of Portability. Islamic and Christian Interchange from the Tenth to the Twelfth Century, in: Art History 24.1, 2001, 17–50; Ulrike Ritzerfeld, Zu Problematik und Erkenntnispotential der Untersuchung materieller bzw. visueller Kulturen im Mittelmeerraum, in: Margit Mersch / Dies. (Hrsg.), Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittelmeerraum des Spätmittelalters. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 15.) Berlin 2009, 19–38. – Einen mittelalterlichen Entwurf dieses Verhältnisses diskutiert am Beispiel des Werks des Toledaner Erzbischofs Rodrigo Jiménez de Rada Wolfram Drews, Transkulturelle Perspektiven in der mittelalterlichen Historiographie. Zur Diskussion welt- und globalgeschichtlicher Entwürfe in der aktuellen Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 292, 2011, 31–59. 8 Benjamin Scheller, Migration und kulturelle Hybridisierung im Königreich Sizilien, in: Michael Borgolte / Matthias Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa. Asien. Afrika. Darmstadt 2011, 167–186, hier 169. 9 Borgolte, Migration (wie Anm. 7), 269 (hier das Zitat); s. auch: Ders., Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 41 Multilingual, 2010, 23–47, hier 46; Ders., Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive. Eine Pilotstudie, in: Ders. / Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen (wie Anm. 8), 81 f.; Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Eine europäische
166
Barbara Schlieben
Petrus von Ebuli lassen sich beiderlei Phänomene ausmachen; die Untersuchung gilt daher auch dem Nebeneinander und der Gleichzeitigkeit, der disparaten Präsenz von „hybriden Mischformen“ und „transkultureller Verflechtung“.10
1 Stabilität vs. Wandel Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ mündet in eine Apotheose Heinrichs VI., der über seinen Widersacher Tankred – einen Enkel Rogers II., der 1189 zum König Siziliens erhoben wurde – triumphiert (Abb. 25).11 Umgeben ist er von Begleitfiguren, die nicht nur Typen repräsentieren, sondern durch die Tituli und die Attribute als konkret zeithistorische Personen (Kanzler Konrad, Seneschall Markward von Annweiler, Heerführer Heinrich von Kalden) kenntlich gemacht werden. Ins Bild gesetzt ist jedoch nicht nur ein historischer Sieg: Unverkennbar nämlich trägt der Triumphator, der hier als Typus Salomon auf dem sechsstufigen Thron der Weisheit sitzend dargestellt wird, messianische Züge.12 Der Sieg Heinrichs ist damit heilsgeschichtlich verortet.
Kultur in globaler Perspektive, in: Historische Zeitschrift 295, 2012, 35–61, hier 42. – Ich behalte die so eingeführte Bezeichnung bei, gebe aber zu bedenken, dass ,Verflechtung‘ eigentlich suggeriert, dass einzelne Bestandteile durchaus entzogen werden können – etwa wie bei einem Zopf, der aus erkennbar unterschiedlichen Haarpartien geflochten wird, die sich wieder lösen lassen. 10 Dass globalgeschichtliche Forschungsansätze synchrone Betrachtungsweisen fordern, ist häufig betont worden, s. für die Mittelalterforschung: Michael Borgolte, Über den Tag hinaus, in: Ders. / Schneidmüller (Hrsg.), Hybride Kulturen (wie Anm. 6), 309–328, hier 324; Juliane Schiel / Bernd Schneidmüller / Annette Seitz, Hybride Kulturen im Mittelalter – eine Einführung, in: ebd., 9–19, hier 11 f.; Schneidmüller / Seitz, Transkulturelle Mediävistik (wie Anm. 6), 564 f. – Als solches ist das Interesse an Synchronitäten natürlich nicht neu, s. Frank Rexroth, Das Mittelalter und die Moderne in den Meisterzählungen der historischen Wissenschaften, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 151, 2008, 12–31, hier bes. 22 f. – Dass die Erfassung von Gleichzeitigkeiten gleichwohl und nach wie vor nicht zuletzt sprachlich eine Herausforderung darstellt, hat zuletzt Achim Landwehr, Von der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘, in: Historische Zeitschrift 295, 2012, 1–34, betont. 11 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 242, fol. 147r, und hierzu: Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), 299–231; Helga Georgen, Das Carmen de Rebus Siculis (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120). Studien zu den Bildquellen und zum Erzählstil eines illustrierten Lobgedichts des Peter von Ebuli. Diss. phil. (masch.). Wien 1975, 108–113, sowie bes. hier und im Folgenden: Sybille Wüstemann, Der Ritter mit dem Rad. Die ‚stœte‘ des ‚Wigalois‘ zwischen Literatur und Zeitgeschichte. (Literatur, Imagination, Realität, Bd. 36.) Trier 2006, bes. 118–123. 12 Bildliche Darstellungen des Thrones der Weisheit im Verbund mit der Darstellung der Sapientia als Typus Mariae sind selten, vgl. Francis Wormland, The Throne of Solomon and St. Edward’s
Disparate Präsenz
167
Mit Hilfe der göttlichen Sapientia siegt der Kaiser zugleich auch über die wankelmütige Fortuna,13 für die sich im Mittelalter in Anlehnung an Boethius die Vorstellung des sich beständig drehenden Rades durchgesetzt hat.14 Eben dieser unberechenbaren Fortuna hatte sich – so die Botschaft der Darstellung – Heinrichs Gegenspieler Tankred anvertraut: Das Rad hatte den Gegenspieler zunächst nach oben getragen, um ihn im selben Schwung wieder niederzuwerfen.15 Doch anders als in früheren rota-Darstellungen16 ist der Gefallene hier so in die Speichen verkeilt, dass ein erneutes Drehen des Rades, ein erneuter Aufstieg der Gegner Heinrichs, ausgeschlossen werden kann. Heinrich siegt über die Fortuna und damit zugleich über die nicht steuerbare Bewegung, über den kontinuierlichen Wandel: Das Rad ist stillgestellt, der Zufall ist ikonograpisch gebannt.17
Chair, in: Millard Meiss (Hrsg.), De artibus opuscula. XL Essays in Honor of Erwin Panofsky. New York 1961, Bd. 1, 532–539; zum Mittelportal des Straßburger Münster s. Marc Bloch, König Salomons Fortleben im Jenseits, in: Ders., Aus der Werkstatt des Historikers. Zur Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Hrsg. u. mit einem Nachwort versehen von Peter Schöttler. Frankfurt am Main / New York 2000, 212–240 [zuerst 1925] (und dazu Ulrich Raulff, Ein Historiker im 20. Jahrhundert. Marc Bloch. Frankfurt am Main 1995, 359–370), der die eschatologischen Sinnbezüge hervorhebt, die hier gleichfalls zentral sind. 13 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 242, fol. 147r: sapientia convicians fortune – so kommentiert der Titulator die Szene. Fortuna und Sapientia sind durch Gestik und Blickrichtung aufeinander bezogen. Auch ohne Bildbeischrift wird durch die Komposition deutlich, dass Sapientia hier als Siegerin hervorgeht: durch ihre hervorgehobene Stellung im Bild, durch die Farbgebung sowie durch die Krone (gegenüber einer ungekrönten Fortuna). Der Bezug zwischen der Sapientia und Heinrich VI. wird nicht nur durch die Bildanordnung hergestellt, sondern auch über die Farbgebung. 14 Es war Boethius, auf den sich die Tradition der Raddarstellungen stützen konnte: Boethius, Consolatio Philosophiae. Trost der Philosophie. Lateinisch-Deutsch. Ed. Ernst Gegenschatz / Olof Gigon. (Tusculum Studienausgabe.) Düsseldorf / Zürich 2004, 46, II.1p; 46, 48, II.2p. – Zu mittelalterlichen Fortuna-Vorstellungen s. Wüstemann, Ritter (wie Anm. 11), 53–61, dort auch die ältere Literatur, bes. Anm. 297, sowie die in Anm. 16 genannte Literatur. 15 Zum stillgestellten Rad hier und im Folgenden Wüstemann, Ritter (wie Anm. 11), bes. 118–123. 16 Für Belege in der Historiographie s. Hans-Werner Goetz, Fortuna in der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Das Mittelalter 1, 1996, 75–89. Als Bildformel findet sich die rota fortunae seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, erstmals in einem Codex des Klosters Montecassino um 1100, rasch in ganz Europa, von Italien über Nordfrankreich bis nach Dänemark und dort jeweils in verschiedenen Bildgattungen, s. Petra Weigel, Die Rota Fortunae. Von der Beständigkeit des Wandels und der Unsicherheit des Glücks, in: Christoph Markschies / Ingeborg Reichle / Jochen Brüning u. a. (Hrsg.), Atlas der Weltbilder. (Interdisziplinäre Arbeitsgruppen. Forschungsberichte, Bd. 25.) Berlin 2011, 103–116, hier 108, mit Abb. 3; vgl. auch: Bee Yun, A Visual Mirror of Princes. The Wheel on the Mural of Longthorpe Tower, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 70, 2007, 1–32. 17 Wüstemann, Ritter (wie Anm. 11), 122. – Wüstemann hat die Vorstellung des „stillgestell-
168
Barbara Schlieben
Den zu der Darstellung gehörenden Text, der das Werk beschließt, legt Petrus von Ebuli der Sapientia in den Mund: Ihr gehören die letzen Worte, die sie an die unterlegene Fortuna richtet, während diese zum Schweigen verdammt ist.18 Gegenüber der bildlichen Darstellung werden im Text weitere Zeitschichten modelliert: die fernere Zeitgeschichte (mit Verweis auf Andronikos)19 ebenso wie die mythische Vergangenheit (mit Verweis auf Ikarus).20 Für die Künstler wäre es ein Leichtes gewesen, die mythologischen Anspielungen des Textes aufzugreifen, hierfür hätten ikonographische Vorbilder zur Verfügung gestanden. Die besondere Leistung, ja das Überraschende der Federzeichnungen besteht jedoch darin, dass sie eine Engführung auf Gegenwärtiges und Typologisches vornehmen, auf diese Weise eine spezifische Lesart des Textes forcieren und mit dieser Präzisierung über den Text hinausgehen. Auf diese Differenzierung, die das Verhältnis von Bild und Text im gesamten ‚Liber ad honorem Augusti‘ prägt, wird zurückzukommen sein.21 Hier gilt es jedoch zunächst festzuhalten, dass Heinrich und Tankred in Bild und Text als historisch konkrete Gegenspieler dargestellt werden, die zugleich je unterschiedliche Konzepte von Wandel bzw. dessen Bewertung personifizieren.
ten Rades“ als einen Seitenarm der mittelalterlichen Fortuna-Tradition identifiziert und in der ,spätstaufischen‘ Literatur verortet. Unter Friedrich I. Barbarossa wie in der sizilianischen Historiographie dreht sich das Rad in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch: Der sogenannte Hugo Falcandus, der sich der Geschichte Siziliens in den Jahren von 1154–1169 widmet, macht in der Permanenz des sich stetig, gleichwohl unvorhersehbar drehenden Rades ein Signum sizilianischer Geschichte aus, s. La Historia o Liber de Regno Sicilie e la Epistola ad Petrum Panormitane ecclesie thesaurarium di Ugo Falcando. Ed. G. B. Siragusa. (Fonti per la Storia d’Italia, Bd. 22.) Rom 1897, 3, prol., und dazu: Hartmut Hoffmann, Hugo Falcandus und Romuald von Salerno, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 23, 1967, 116–170, hier 124. Erst unter Friedrich II. lässt sich eine domestizierte Vorstellung der Fortuna erkennen: Hier wird die Fortuna gleichsam zum Attribut des Herrschers – in Wendungen wie fortuna caesarea oder fortuna imperatoris, s. Franz Kampers, Die Fortuna Caesarea Kaiser Friedrichs II., in: Historisches Jahrbuch 48, 1928, 208–229; Hans Martin Schaller, Die Kaiseridee Friedrichs II., in: Josef Fleckenstein (Hrsg.), Probleme um Friedrich II. (Vorträge und Forschungen, Bd. 16.) Sigmaringen 1974, 109–133, hier 122 f.; Wüstemann, Ritter (wie Anm. 11), 123. Nun ist es der Herrscher, der über die Fortuna gebietet, ihr damit ihre Unberechenbarkeit nimmt, so dass sie – boethianisch gefasst – „aufhört, Zufall zu sein“, s. Boethius, Consolatio. Ed. Gegenschatz / Gigon (wie Anm. 14), 46, II.1p: si manere incipit, fors esse desistit. 18 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 241, Particula LIII. 19 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 241, Particula LIII, V. 165 f. Innerhalb des Textes spielt Andronikos bereits zuvor eine Rolle: Matthäus von Salerno dient ihn Tankred als Vorbild an, s. ebd., 57, Particula VI, V. 158–161. 20 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 241, Particula LII, V. 1649–1652; 1669–1674. 21 Vgl. unten bei Anm. 45.
Disparate Präsenz
169
Heinrich wird, so will es Petrus von Ebuli, mit dem Einzug in Palermo und der Geburt des Nachfolgers zum Friedensfürsten, der dem permanenten Wandel Einhalt zu gebieten vermag. Entsprechend ent-zeitlicht, ja endzeitlich gerinnt die Darstellung der abschließenden Particulae: „Unbegrenzter Frieden kehrte unter unserem Salomon zurück“,22 heißt es im Text. Nachdem die Waffen ruhten, wurde dem Kaiser ein Knabe geboren23 und in der „Epoche der Erneuerung“ willkommen geheißen,24 in der beide, Vater und Sohn gemeinsam, die Ahnen übertreffen:25 „Von jetzt an werden Zeiten des ewigen Friedens sein.“26 Die pax tempore Augusti ist angebrochen.27 Die Zeit hält inne: Selbst Blumen verblühen nicht,28 heißt es. Auch die Illuminatoren setzen diese Ent-Zeitlichung markant
22 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 197, Particula XLI, V. 1312: Integra sub nostro pax Salmone redit. 23 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 205, Particula XLIII, V. 1370. 24 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 205, Particula XLIII, V. 1377: renovandi temporis etas. 25 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 205, Particula XLIII, V. 1380. – Auf diese bemerkenswerte Passage, in der Friedrich und Heinrich zu einer Person zusammengezogen werden, hat bereits Strothmann, Christus (wie Anm. 5), 55 f., aufmerksam gemacht, doch lässt sich die Interpretation, gerade auch mit Blick auf dessen weitere Beobachtungen ergänzen: Bekanntermaßen hat Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. München 21990 [zuerst Princeton 1957], 116–122; 152–155, für Friedrich II. auf das Paradoxon der persona mixta aufmerksam gemacht. Die Vorstellung der Einheit von Vater und Sohn setzt stets ein juristisch fundiertes, korporatives Amtsverständnis voraus, sie wird jedoch in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich hergeleitet. Hier ist es die eschatologische Funktion beider Herrscher, die das Analogon bildet: Beide sind Erneuerer der Ära, s. Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 205, Particula XLIII, V. 1377; 209, Particula XLIV, V. 1407 (für Friedrich II.); 217, Particula XLVI, V. 1454 (für Heinrich VI.), die den ersehnten Frieden bringen; 205, Particula XLIII, V. 1381 (für Friedrich II.); 217, Particula XLVI, V. 1468 (für Heinrich VI.). Verdichtet findet sich die Vorstellung der Einheit von Vater und Sohn im Bild der „doppelten Sonne“ (gemino sole, ebd., 205, Particula XLIII, V. 1395); zu den eschatologisch-christologischen Bezügen des Sonnen-Bildes s. Ernst H. Kantorowicz, Dantes Zwei Sonnen, in: Eckhard Grünewald / Ulrich Raulff (Hrsg.), Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums. Mit einer Einleitung von Johannes Fried u. einem Nachwort von Eckhart Grünewald. Stuttgart 1998, 235–254, hier 253 f. 26 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 225, Particula XLVIII, V. 1532: Amodo perpetue tempora pacis erunt. 27 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 205, Particula XLVIII. 28 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 225, Particula XLVIII, V. 1521: Nec rosa nec viole nec lilia, gloria vallis, marcescunt. – Petrus zitiert in ebd., Particula XLVIII, die dem Beginn des goldenen Zeitalters gilt, durchaus konventionell Vergil und Ovid. Die nicht verblühenden Blumen sind jedoch den antiken Vorbildern fremd, s. Thomas Gärtner, Zu den klassischen und zeitge-
170
Barbara Schlieben
ins Bild, indem sie in diesem Abschnitt des Werks auf die Darstellung von Handlungsfolgen, wie sie die früheren Partien des ‚Liber‘ auszeichnen, verzichten. Stattdessen bieten sie großflächig entweder menschen- und damit handlungsleere Szenarien oder aber der Herrscher wird als Grundtypus des thronenden, also ruhenden Königs gezeigt, der für den weltlichen Herrscher ebenso Anwendung findet wie für die maiestas Domini. Während Heinrich VI. im Werk allegorisch für endzeitliche Konstanz und Stabilität steht, ist Tankred demgegenüber der ständig Getriebene, der unaufhörlich bewegte Gegenspieler: Es sind Matthäus von Salerno, sein Kanzler,29 bzw. seine Gemahlin,30 die ihn antreiben. Doch Tankreds Streben nach oben ist der Fall bereits eingeschrieben:31 Sein Stern werde untergehen,32 Fortuna habe ihn verlassen.33 Wie der Dichter zeigen auch die Zeichner einen überhasteten Tankred. So lassen sie ihn etwa kopfüber vom Pferd stürzen,34 was die Titulatoren hämisch als fortuna Tankredi kommentieren. Der Eindruck ständiger Bewegung wird auch dadurch weiter gesteigert, dass die Illuminatoren Tankred stets im „narrativen Profil“ darstellen.35 Insgesamt also wird im ‚Liber ad honorem Augusti‘ das unterschiedliche Urteil über die Gegenspieler mit je divergierenden Wertungen von Stabilität und Wandel verbunden.
2 Stabilität und Einheit vs. Wandel und Vielfalt Wichtig für den hier interessierenden Zusammenhang ist diese divergierende Wertung deshalb, weil sich auch auf Dauer angelegte Kulturkontakte keineswegs gleichmäßig über das Werk verteilt dargestellt finden. Diese sind alleine Tankred zugeordnet, also auf der Seite des permanenten Wandels anzutreffen, während
nössischen Vorbildern im ‚Liber ad honorem Augusti‘ des Petrus von Ebuli, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 55, 1999, 477–498, hier 494, der Alanus ab Insulis als Vorbild ausweist. 29 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 57, Particula VI; 61, Particula VII. 30 Ebd., 153, Particula XXX. Sie sieht gleichwohl kurz darauf den unausweichlichen Sturz Tankreds voraus: ebd., 157, Particula XXXI. 31 Ebd., 65, Particula VIII, V. 209. 32 Ebd., 133, Particula XXV, V. 730 f. 33 Ebd., 137, Particula XXVI, V. 753. 34 Ebd., 67, Particula VIII, fol. 103. 35 Ebd., 51, fol. 99r; 59, fol. 101r; 63, fol. 102r ist dies nachträglich verändert worden, s. Fuch / Mrusek / Oltrogge, Entstehung (wie Anm. 3), 278.
Disparate Präsenz
171
,Fremde‘ in der ent-zeitlichten Darstellung Heinrichs nur ein einziges Mal gezeigt werden.36 Bezeichnenderweise kommen sie nicht, um zu bleiben. Es sind, um eine Differenzierung der globalgeschichtlichen Forschung aufzugreifen, keine Migranten, sondern Reisende,37 die in Gestalt „arabischer“ und „indischer“ Gesandter auftreten – ikonographisch angelehnt an die Heiligen Könige. Sie bringen ihre Gaben dar und erkennen damit zugleich die besondere Macht an, die vom Kaiser ausgeht.38 Das dauerhafte Neben- und Miteinander benennbar unterschiedlicher Kulturen an einem Ort, zu einer Zeit hat hier hingegen keinen Platz mehr; an diesem Hort der Stabilität und Glückseligkeit ist es überwunden. Darstellungen permanenten Kulturkontakts finden sich demgegenüber ausschließlich auf Seiten Tankreds. Dabei hatte doch, folgt man der internen Logik des Werks, alles so gut angefangen: Der Auftakt gilt der Zeit König Rogers II. (1059–1154) bis zur Vermählung seiner Tochter Konstanze mit Heinrich VI. im Jahr 1184: An der durch und durch christlichen Prägung dieser gleichsam vorhistorischen Zeit wird kein Zweifel gelassen. Die Darstellung einer stillenden Königin, die hier, in Anlehnung an Maria lactans, die gekrönte Konstanze im Arm hält, ist vermutlich einzigartig (Abb. 26).39
36 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 231, fol. 142r. 37 Vgl. Borgolte, Langobardenreich (wie Anm. 9), 81 mit Anm. 14; Ders., Mythos Völkerwanderung (wie Anm. 9), 26, der der sozialwissenschaftlichen Definitionen folgend unter Migration die auf Dauer angelegte Verlagerung des Wohnortes versteht. In der konkreten Fallanalyse mögen sich die Übergänge zwischen Reisenden und Migranten als fließend erweisen, vgl. Stefan Burkhardt / Thomas Insley / Margit Mersch u. a., Migration – Begriffsbefragungen im Kontext transkultureller Mittelalterforschung, in: Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg u. a., Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalgeschichtlicher Perspektive. (Europa im Mittelalter, Bd. 20.) Berlin 2012, 31–43; Tillmann Lohse, Pious Men in Foreign Lands. Global-historical Perspectives on the Migration of Medieval Ascetics, Missionaries and Pilgrims, in: Viator 44.3, 2013, 123–136. – Hier geht es jedoch darum, dass diese Unterscheidung nicht der Bezeichnung, wohl aber der Sache nach, der divergierenden Darstellung und Deutung von Tankred und Heinrich VI. im ‚Liber ad honorem Augusti‘ unterliegt. Dass diese, wie jede Setzung, eine Vereinfachung bedeutet, war den Illustratoren durchaus bewusst. Denn in eben dieser Vereinfachung, die hier ja polarisieren soll, liegt ihr Sinn. 38 Entsprechend heißt es bei Petrus: Illuc conveniunt ex omni cardine mundi, Dantes Augusto plena tributa, duces. (Liber ad honorem Augusti [wie Anm. 1], 229, Particula XLIX, V. 1563 f., der zusätzlich von persischem Gold und Edelsteinen und ägyptischen Kunstwerken zu berichten weiß, s. auch ebd., V. 1569). 39 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 37, fol. 96r. – Als Bildtypus ist ‚Maria lactans‘ ab dem Jahr 1000 häufig anzutreffen, vornehmlich jedoch in Byzanz, erst ab dem 13. Jahrhundert auch im ,Westen‘, s. Gian Paolo Bonani / Serena Baldassarre Bonani, Maria lactans. (Scripta Pontificiae facultatis theologicae „Marianum“, Bd. 49; N. F. [21].) Rom 1995, bes. 23 f. – In der exegetischen
172
Barbara Schlieben
Dann aber brechen, so legen es Petrus von Ebuli und die Illuminatoren nahe, mit dem Tod König Wilhelms II. im Jahr 1189 unruhige Zeiten an, und unmittelbar zeitgleich treten in den bildlichen Darstellungen nun Vertreter unterschiedlicher Kulturen auf. Die Zeichner legen einen zeitlichen, wenn nicht sogar kausalen Zusammenhang zwischen Wandel und Kulturkontakt nahe: König Wilhelm II. stirbt einen schrecklichen, nämlich plötzlichen Tod.40 Dargestellt findet sich nicht etwa die letzte Beichte oder die Absolution. Begleitet wird der sterbende König in seinen letzten Stunden vielmehr von einem hakim und einem astrologus, die durch Turbane und Bärte als muslimische Repräsentanten des Hofes ausgewiesen sind (Abb. 27).41 Ein guter Tod sieht anders aus, die Zeichner wissen das42 und zeigen es auch: Komplementär nämlich setzen sie einmal die Himmelfahrt des im Kampf gegen die ,Ungläubigen‘ ertrunkenen Friedrich I. Barbarossa ins Bild,43 einmal präsentieren sie den erkrankten Heinrich VI., umgeben von einem archidiaconus und einem magister.44 Grundsätzlich teilt der Text diese Deutung,
Literatur ist das Motiv aber seit jeher und auch im Westen präsent und wird moralisch-tropologisch häufig als Quelle göttlicher Weisheit und göttlichen Wissens gedeutet, s. Klaus Schreiner, Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin. Wien 1994, 178–191. Damit lässt sich von hier der Bogen zum Abschlussbild schlagen. – Auch die Verse des Petrus nehmen hier bereits die friedvolle Endzeit unter Heinrich VI. vorweg: Die Barbaren, ja omnis Circulus oceani, fürchteten Roger (Liber ad honorem Augusti [wie Anm. 1], 41, Particula II, V. 5 f.); die Dreizahl der Ehen Rogers wird christologisch gedeutet (ebd., 41, Particula II, V. 32–35); Konstanze wird mit der nämlichen Lichtmetaphorik wie später Heinrich bedacht (ebd., 41, Particula II, V. 16). 40 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 43, fol. 97r. – Dass, wer ein unchristliches Leben geführt hat, auch einen schlechten Tod stirbt, diesen Zusammenhang rezipiert das Mittelalter fortwährend. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Darstellung von Todesszenen in der mittelalterlichen Historiographie ergeben, hat Kerstin Schulmeyer-Ahl, Der Anfang vom Ende der Ottonen. Konstitutionsbedingungen historiographischer Nachrichten in der Chronik Thietmars von Merseburg. (Millennium-Studien, Bd. 26.) Berlin / New York 2009, 218–245, aufgezeigt; vgl. auch Eva Schlotheuber, Persönlichkeitsdarstellung und mittelalterliche Morallehre. Das Leben Erzbischof Adalberts in der Beschreibung Adams von Bremen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 59, 2003, 495–548, hier 537–547. 41 Diese Attribute werden bis ins 16. Jahrhundert kaum je variiert, vgl. Lieselotte E. SaurmaJeltsch, Saracens. Opponents to the Body of Christianity, in: The Medieval History Journal 13.1, 2010, 55–95, hier bes. 58–60. Hier beginnen sie sich jedoch gerade erst auszuformen. 42 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 43, fol. 97r. 43 Ebd., 83, fol. 107. 44 Ebd., 103, fol. 112r. – Dass der Protagonist als Kranker dargestellt wird, hat man einerseits als exakte ereignisgeschichtliche Dokumentation gewertet, so Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), 196 f. Andererseits hat man hierin eine beginnende Säkularisierung des Herrschers erkannt, so Georgen, Carmen (wie Anm. 11), 55–57. Demgegenüber scheint sich mir die Darstellung des kranken Heinrichs VI. durch die antithetische Formung zu Wilhelm II. zu ergeben. Während Wilhelm die Vorzeichen des nahenden Todes missachtet, erkennt Heinrich diese, gerade deshalb entgeht er
Disparate Präsenz
173
auch in Petrus’ Augen etwa stirbt Wilhelm II. einen plötzlichen Tod.45 Diesen jedoch mit der Anwesenheit kulturell unterschiedlicher Gruppen zu verknüpfen – diese Pointierung leisten allein die Illuminatoren. Nach König Wilhelms II. Tod zeigen diese die Trauer unterschiedlicher Gruppen, deren Repräsentanten ebenfalls durch Bärte und Turban ikonographisch von den dargestellten Christen geschieden sind.46 Die berühmte Darstellung der mehrsprachigen Kanzlei ist Tankred, bzw. dem Königsmacher Matthäus von Salerno,47 nicht Heinrich, zugeordnet.48 Auf Tankreds Triumphzug sind die Musikanten ebenso wie die Lanzenträger wiederum durch Turbane eindeutig als Muslime ausgewiesen, und diese sind es, die Unruhe stiften, weil sie nicht nach einer Pfeife tanzen, sondern die einen solchen Zug eigentlich versinnbildlichende Ordnung aufheben.49 Generell bestätigen die entsprechenden Textpassagen die negative Deutung Tankreds. Doch stammen Petrus’ Belege, ähnlich wie für die abschließende Particula beobachtet,50 weniger aus der unmittelbaren Zeitgeschichte, denn aus mythologischen Analogieschlüssen und generellen Anschuldigungen.51 Dem-
dem Tod. 45 Der plötzliche Tod lässt keine Zeit zur Vorbereitung. Ein geradezu topisches Tableau zeichnet der Dichter, der nach König Wilhelms Tod Sizilien in prelia, preda, fames, furta, lues, pestes, lites, periuria, cedes (Liber ad honorem Augusti [wie Anm. 1], 41, Particula II, V. 50 f.) versinken sieht. 46 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 47, fol. 98r. 47 Innerhalb des ‚Liber ad honorem Augusti‘ wird er stets als de Aiello geführt, doch findet sich dieser Beiname in zeitgenössischen Dokumenten erst für seinen Sohn Richard und erst ab dem Jahr 1193, vgl. Christoph Reisinger, Tankred von Lecce. Normannischer König von Sizilien 1190– 1194. (Kölner historische Abhandlungen, Bd. 38.) Köln / Weimar / Wien 1992, 69 mit Anm. 296. 48 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 59, fol. 101r. 49 Ebd., 63, fol. 102r. – Zur ordnungsstiftenden Funktion eines Herrscher-Advents vgl. nach wie vor grundlegend Ernst H. Kantorowicz, Des ‚Königs Ankunft‘ und die rätselhafte Bildtafel der Türen von Santa Sabina, in: Grünewald / Raulff (Hrsg.), Götter (wie Anm. 25), 91–147. – Auch diese Darstellung hat mit der Darstellung der Kaiserkrönung Heinrichs VI. in Rom ihre direkte Entsprechung (Liber ad honorem Augusti [wie Anm. 1], 75, fol. 105r), in der sich Heinrichs Zug geordnet, vor allem aber durch und durch christlich vollzieht. 50 Vgl. oben bei Anm. 19 u. 20. 51 Anders als Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2) u. Nagel, Weltchronik (wie Anm. 2) und dazu oben Anm. 4, scheint es mir möglich zu zeigen, dass Bild und Text ihre je eigene Geschichte insofern erzählen, als dass sie aus je distinkten Zeitschichten Anleihen nehmen; erklärt ist die je unterschiedliche Zugangsweise mit dieser Beobachtung jedoch noch nicht, und im engeren Sinne mediale Ansätze scheiden meines Erachtens nach aus. Denn für die Zeichner wäre es einfacher gewesen, antike Anspielungen zu visualisieren, für die es Vorlagen gab, als deren moralische Im-
174
Barbara Schlieben
gegenüber sind es die Illuminatoren, die den Kulturkontakt mit ihrer Fokussierung auf Gegenwärtiges ausmalen, sich vom Schlechten, das hier als das Fremde gedeutet wird, auf besondere Weise angezogen fühlen. Die Reihe der Beispiele ließe sich problemlos fortsetzen: Auf Seiten Tankreds, des moralisch diskreditierten Gegenspielers Heinrichs VI., und nur dort, wird wiederholt auf Dauer angelegter Kulturkontakt ins Bild gesetzt, während die Zeichner dies für die Darstellung Heinrichs vermeiden. Vor dem generellen Panorama Siziliens im 12. Jahrhundert mag es überraschen, dass die Darstellung von Kulturvielfalt hier zur moralischen Disqualifizierung taugt: Denn bekanntermaßen war seit Roger II. der normannische Königshof von Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Herkunft geprägt und etwa der parallele Gebrauch von zwei oder mehr Sprachen zumeist königlich motiviert, ja geradezu Signum der Macht:52 Man denke an die zwei- oder dreisprachigen Dokumente des dīwān, der zur Finanzverwaltung in den 1240er Jahren nach fatimidischem Vorbild eingerichtet worden war,53 an den berühmten viersprachigen Grabstein (Latein, Griechisch, Judeo-Arabisch, Arabisch), den ein clericus regis, ein gewisser Grisandus, 1149 für seine Mutter Anna setzen ließ54 oder an die arabischen, in kufischer Schrift gestalteten Inschriften am Eingang der Cappella
plikationen in ,Zeitgeschichtliches‘ zu übersetzen. Und umgekehrt lässt sich selbstverständlich auch, und auch zeitgenössisch, textuell der Kulturkontakt thematisieren und problematisieren. – Zwei Ausnahmen gibt es zur oben formulierten generellen Beobachtung: Einmal spricht der Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 45, Particula III, V. 56 von der urbs felix [Palermo], populo dotata trilingui. Bezeichnenderweise zitiert er hier Apuleius, Metamorphosen, XI.5, nimmt also auch hier antike Anleihen, um die Gegenwart zu beschreiben. Einmal handelt Petrus von Eunuchen, die Heinrich nach seinem Sieg die Abgabenverzeichnisse zugänglich machen. Sie stehen gleichsam für die besiegte Welt. Interessant ist, dass diese Eunuchen als Putifares eingeführt werden (Ebd., 197, Particula XLI, V. 1317): Potiphar ist der Eunuch des Pharaos, in dessen Gefangenschaft Joseph geriet (Genesis 39,1). Petrus stellt damit über den biblischen Bezug den ehemaligen Herrn der Eunuchen, also Tankred als den prototypischen Tyrannen dar. Zudem fällt auf, dass Petrus hier nicht die zeitgenössisch verbreitete Bezeichnung für die „Palast-Sarazenen“ verwendet, also saracenus palatii oder servus effeminatus, sondern neuter (V. 1321). 52 Alex Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy. (The New Edinburgh Islamic Surveys.) Edinburgh 32012, 249; Jeremy Johns / Nadia Jamil, Signs of the Times. Arabic Signatures as a Measure of Acculturation in Norman Sicily, in: Muqarnas 21, 2004, 181–192, hier 186; Ders., Die arabischen Inschriften der Normannenkönige Siziliens. Eine Neuinterpretation, in: Wilfried Seipel (Hrsg.), Nobiles Officinae. Die königlichen Hofwerkstätten zu Palermo zur Zeit der Normannen und Staufer im 12. und 13. Jahrhundert. Wien / Mailand 2004, 37–59, hier 56 f.; Ders., Arabic Administration in Norman Sicily. The Royal Diwan. Cambridge 2002, 298–300. 53 Jeremy Johns, Arabic Administration (wie Anm. 52). 54 Jeremy Johns, Das Grab der Anna, Mutter des königlichen Priesters Grisandus, in: Seipel (Hrsg.), Nobiles Officinae (wie Anm. 52), 294–297.
Disparate Präsenz
175
Palatina.55 Man mag in dieser Form der Mehrsprachigkeit ein Mittel der Herrschaftsrepräsentation oder -legitimation der normannischen Könige erkennen,56 die jedoch – je nach Gattung – bereits seit den 1160er Jahren allmählich abzuflauen begann.57 Trotz aller notwendigen Differenzierung ist diesen normannischen Zeugnissen gemein, dass sie sich qua Gattung an einen nur begrenzten Kreis richteten: an die Einwohner Siziliens im Umfeld des Königshofs, für die der Kulturkontakt alltäglich war.58 Demgegenüber unterscheidet sich der ‚Liber ad honorem Augusti‘ durch seine ‚Transportfähigkeit‘. Nicht zuletzt die hier durchweg negative Konnotation von Kulturkontakt ist daher ein Indiz dafür, dass die Illuminatoren weniger ein sizilianisches, als ein nordalpines Publikum, für die der tatsächliche Kulturkontakt fremd war, vor Augen hatten.
3 Hybridität Dass Wandel und Kulturkontakt i m V e r b u n d dazu dienen, Tankred zu delegitimieren, ist im Lichte der aktuellen globalgeschichtlichen Forschung bemerkenswert. Denn bekanntermaßen konstatiert die Forschung den nämlichen
55 Jeremy Johns, The Norman Kings of Sicily and the Fatimid Caliphate, in: Anglo-Norman Studies 15, 1993, 148–153. 56 Was dabei allerdings genau ,repräsentiert‘ werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander: Jeremy Johns sieht hier die Einheit des populus trilinguis, die vom König ausgeht und gleichsam in diesem gipfelt, visualisiert, s. Johns / Jamil, Signs of the Times (wie Anm. 52), 186; Johns, Arabische Inschriften (wie Anm. 52), 56 f.; Ders., Arabic Administration (wie Anm. 52), 284–289. Dagegen weist Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 247–249, auf die durchaus hierarchisierenden Verwendungen der Schriften hin. 57 So hat etwa Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 238, mit Blick auf Dekor und Inschriften der Capella Palatina auf Prozesse des „Islamicising“ und „de-Islamicising“ hingewiesen. 58 Eine solche Differenzierung je nach Rezipientenkreis lässt sich auch für andere Herrscher beobachten, die über religiös-kulturell heterogene Reiche herrschten, so etwa für Alfons VI. (1065–1109), einen der Schwiegerväter Rogers II. Möglicherweise war Elvira, die Tochter Alfons’ VI. und erste Gemahlin Rogers II. sogar eine Tochter der berühmten Zaida, der muslimischen Geliebten Alfons’, aus zeitgenössischen Quellen lassen sich deren Kinder nicht rekonstruieren. Fest steht nur, dass Zaida nicht die Gemahlin Alfons’ VI. war. Zu einer solchen, einer zum Christentum konvertierten uxor machte sie erst der Toledaner Erzbischof Rodrigo Jiménez de Rada zu Beginn der 1240er, vgl. Barbara Schlieben, Die Jüdin von Toledo, in: Olaf Rader / Johannes Fried (Hrsg.), Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends. München 2011, 409–418; 526–228.
176
Barbara Schlieben
Zusammenhang, indem sie in der transkulturellen Begegnung eine wesentliche Triebkraft für gesellschaftliche oder kulturelle Dynamik erkennt.59 Dieser Zusammenhang lässt sich für den ‚Liber ad honorem Augusti‘ genauer fassen: Zunächst gilt es noch einmal festzuhalten, dass der Zusammenhang dort nicht generell, sondern nur für längerfristige Kulturkontakte postuliert wird.60 Die Beziehung zwischen Wandel und Kulturkontakt wird zunächst z e i t l i c h , also über Gleichzeitigkeit, hergestellt. Erschließen lässt sich dieser zeitliche Konnex über die Gesamtanlage des Werks, in der zwischen der Welt Tankreds und jener Heinrichs unterschieden wird. Der Zusammenhang lässt sich zudem k o n s e k u t i v fassen: Kulturkontakt bringt Wandel mit sich. Die Illuminatoren zeigen dies, indem sie andeuten, wie Kulturkontakte zu Vermischungen führen. Es ist eben die Furcht vor Uneindeutigkeit und Vermischung, analytisch gesprochen vor Hybridität, die erklärt, weshalb die Kulturvielfalt im ‚Liber ad honorem Augusti‘ negativ besetzt ist. Zwar werden in der berühmten Darstellung der mehrsprachigen Kanzlei notari greci, saraceni und latini durch die Tituli und ihre Attribute – die Turbane oder Bärte – als Vertreter erkennbar distinkter Gruppen ausgewiesen (Abb. 28).61 Auch die angedeutete Bogenarchitektur trennt die Notare voneinander. Ins Bild gesetzt sehen sich also unterscheidbare Gruppen. Gleichwohl, die Trennung ist nicht mehr voll ausgeprägt: In Größe und Kleidung etwa unterscheiden sich die Notare nicht. Und nicht nur das: Die Darstellung verweist die „lateinischen Notare“ auf den letzten Platz.62 Ähnliches gilt für die Frauen, die sich in der Entourage König Wilhelms oder Tankreds dargestellt finden:63 Sie tragen Kopfbedeckungen, die von derjenigen der im ‚Liber‘ dargestellten Musliminnen nicht zu unterscheiden sind. Das mag an die häufig zitierte Beschreibung des aus Valencia stammenden Muslims Ibn Dschubair erinnern, der etwa zehn Jahre vor der Niederschrift des ‚Liber ad honorem Augusti‘, im Jahr 1184 Sizilien bereiste hatte. Dieser konstatierte, dass Christinnen in Palermo der Mode der Musliminnen folgten. Sie trügen Gewänder aus goldbestickter Seide und farbige Seidentücher, den Schmuck, das Henna,
59 Sebastian Conrad / Andreas Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen. Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Dies. / Ulrike Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Methoden. (Globalgeschichte, Bd. 1.) Frankfurt am Main 2007, 7–49, hier 21; 23; Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung. München 2013, 16; 22; für das Mittelalter s. Borgolte, Migration (wie Anm. 7), bes. 81 f., sowie die in Anm. 9 genannte Literatur. 60 Vgl. oben bei Anm. 36. 61 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 59, fol. 101r. 62 Vgl. zu dieser Darstellung auch unten bei Anm. 74. 63 Vgl. etwa Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 43, fol. 97r; 67, fol. 103r; 163, fol. 127r.
Disparate Präsenz
177
ja sogar das Parfüm nach Art der Musliminnen.64 Ibn Dschubairs Bewertung stand jedoch der des ‚Liber ad honorem Augusti‘ entgegen: Bewundernd hielt der Andalusier die Anmut der à la musulman gekleideten christlichen Damen fest, die ihn an Antilopen und Gazellen gemahnten, während die Illustratoren des ‚Liber ad honorem Augusti‘ an eben jener ,Muslimisierung‘ der Christinnen Anstoß nahmen.65 Auch der Kritik an Tankreds Kanzler Matthäus von Salerno unterliegen die nämlichen Sorgen vor Vermischung, die sich hier mit Blick auf ‚fremde‘ Sitten und Gebräuche – in Bild u n d Text – formuliert finden: Matthäus wird von Petrus ebenso wie von den Titulatoren kontinuierlich als Bigamist apostrophiert,66 einmal auch als solcher mit zwei Gemahlinnen ins Bild gesetzt.67 Selbst die bei den „Sarazenen“ zu beobachtende Polygynie68 also schien die christlichen Reihen zu erfassen. Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ beschreibt den Zusammenhang von Kulturkontakt und Wandel nicht nur zeitlich oder konsekutiv; er wird zudem auch als u n a u s -
64 Ibn Dshubair, Tagebuch eines Mekkapilgers. Ed. Regina Günther. (Bibliothek arabischer Klassiker.) Lenningen 2004, 248 f. 65 In der zeitgenössischen christlich-lateinischen Historiographie ist das Thema der Verwechselbarkeit, gerade auch in Bezug auf Kleidung und Äußeres, wiederholt thematisiert worden, vgl. etwa: Hugo Falcandus, La Historia. Ed. Siragusa. (wie Anm. 17), 49, cap. 17: Isque, sicut et omnes eunuchi palatii, nomine tantum habituque christianus erat, anmo saracenus, und dazu Scheller, Migration und kulturelle Hybridisierung (wie Anm. 8), 175, weitere Belege bei Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 226. – Gegenüber solchen Textzeugnissen ist der Spielraum für Ambivalenzen, die hier freilich negativ bewertet werden, in bildlichen Darstellungen größer, auch deshalb, weil die Zeichner sich nicht auf eine Unterscheidung zwischen ,innen‘ und ,außen‘ festzulegen brauchen. 66 Für die Titulatoren vgl. zuerst Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 55, fol. 100r, für den Text zuerst ebd., 57, Particula VI, V. 140. 67 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 163, fol. 127r. – In der Abbildung tragen die als prima und secunda uxor bezeichneten Damen eine Kopfbedeckung, die sich von denen der dargestellten Musliminnen nicht unterscheidet. Der zugehörige Text (ebd., 161, Particula XXXII, fol. 126v) listet die Verbrechen des Bigamisten auf, die im todbringenden Chaos (V. 972: exciciale chaos) münden. Wie bereits zuvor beobachtet, stammen die Analogien im Text jedoch vornehmlich aus der mythischen und biblischen Vergangenheit, vgl. etwa ebd., V. 997 f. 68 Michael Borgolte, Kulturelle Einheit und religiöse Differenz. Zur Verbreitung der Polygynie im mittelalterlichen Europa, in: Zeitschrift für historische Forschung 31, 2004, 1–36, sowie künftig Jan Rüdiger, Aristokratische Polygynie im Hochmittelalter im europäischen Vergleich (im Druck). – Dagegen hilft nur Wasser, die fortwährende Reinigung durch Bäder, der sich Petrus von Ebuli in seinem zweiten Hauptwerk, ‚de Balneis Puteolorum et Baiarum‘, widmet, welches von der nämlichen disparaten Präsenz wie der ,Liber ad honorem Augusti‘ geprägt ist.
178
Barbara Schlieben
w e i c h l i c h und u n u m k e h r b a r konzipiert. Deutlich wird dies, beachtet man die Brüche zwischen der Darstellung und dem historischen Kontext. Vor dem generellen Panorama des 12. Jahrhunderts in Sizilien überrascht, dass die Zeichner Sprachkenntnisse und Ethnizität bzw. Religion aneinander koppeln, wie dies die Illuminatoren in der Darstellung der mehrsprachigen Kanzlei tun.69 Tatsächlich nämlich lässt sich jahrzehntelang eine Varietät von Mischformen nachweisen, von denen griechisch-sprachige Christen und arabischsprachige Muslime nur die je äußeren Pole einer Skala markieren, wie Jeremy Johns und Alex Metcalfe in den vergangenen Jahren gezeigt haben.70 Zweisprachigkeit scheint eher die Norm als die Ausnahme gewesen zu sein, zumindest im Milieu des Hofes.71 Eindeutige Zuordnungen waren also schwierig, zumindest kontextabhängig.72 Prominent personifiziert sah sich diese Uneindeutigkeit – mit Blick auf die Sprache, die Religionszugehörigkeit und sogar das Gender – in den sogenannten „Palast-Sarazenen“ oder „Palast-Eunuchen“, die maßgeblich an Aufbau und Organisation des königlichen dīwān beteiligt waren und als familiares regis die Höfe Rogers II., Wilhelms I. und Wilhelms II. prägten.73 Um Differenzerfahrungen zu ordnen, vereinfacht die Darstellung mit drei differenzierbaren Gruppen gegenüber der tatsächlich komplexen Vielfalt des 12. Jahrhunderts. Mit Benjamin Scheller könnte man deshalb von einer „de-hybridisierenden“ Darstellung sprechen,74 die an die Stelle nicht eindeutiger Zuordnungen klare Differenzierungen setzt. Da die Zeichner jedoch diese scheinbar
69 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 59, fol. 101r. 70 Jeremy Johns, The Greek Church and the Conversion of Muslims in Norman Sicily?, in: Byzantinische Forschungen 21, 1995, 133–157, hier 152; Alex Metcalfe, The Muslims of Sicily under Christian Rule, in: Graham A. Loud / Ders. (Hrsg.), The Society of Norman Italy. (The Medieval Mediterranean, Bd. 38.) Leiden / Boston 2002, 289–317, bes. 309–316; Ders., Muslims and Christians in Norman Sicily. Arabic Speakers and the End of Islam. (Culture and Civilization in the Middle East.) New York / London 22010, bes. 58–60. 71 Alex Metcalfe, Muslims of Sicily (wie Anm. 70); Vera von Falkenhausen, The Greek Presence in Norman Sicily, in: Loud / Metcalfe (Hrsg.), Society of Norman Italy (wie Anm. 70), 253–287, hier 257. 72 Scheller, Migration und kulturelle Hybridisierung (wie Anm. 8), 177. 73 Johns, Arabic Administration (wie Anm. 52), 212–256, cap. 9; Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 193–208, cap. 10; Ders., Muslims and Christians (wie Anm. 70), 46–54 – Auf den ersten Blick mag zudem überraschen, dass hier eine mehrsprachige Kanzlei ins Bild gesetzt wird, obwohl doch, wie das untere Bildregister in Übereinstimmung mit dem Text zeigt, ein Brief an den ‚lateinisch-sprachigen‘ Tankred verfasst wird. Doch ist dies – faktizistisch gesehen – unproblematisch. Arabisch-sprachige oder arabisch-lateinisch-sprachige Urkunden und Briefe wurden nur in den seltenen Fällen an arabisch-kundige Empfänger gerichtet, s. Johns, ebd., 207. 74 Vgl. Scheller, Migration und kulturelle Hybridisierung (wie Anm. 8), 179 f.
Disparate Präsenz
179
eindeutige Setzung zugleich auch unterlaufen – etwa indem sie auf Unterscheidungen in der Kleidung oder eine christliche Hierarchisierung verzichten75 –, fasst man hier gegensätzliche Darstellungsstrategien der Hybridisierung- u n d De-Hybridisierung in einem Bild. Doch lohnt sich zeitliche Differenzierung, gleichsam der Blick aus der Nähe: Denn die Zeichnung der dreisprachigen Kanzlei ist weder unter Roger I., Wilhelm I. oder Wilhelm II. entstanden, noch soll sie deren Herrschaft zeigen. Dargestellt wird hier vielmehr, rückblickend aus den Jahren 1196 / 1197,76 wie Matthäus von Salerno im Jahr 1189 den im gleichen Jahr zum König erhobenen Tankred nach Palermo rief. Zwar sind beide, Tankred wie Matthäus, bereits zuvor an den Normannenhöfen fassbar: Matthäus zunächst als Notar, seit 1169 als Vizekanzler,77 Tankred als einer der bedeutenden Adligen des regnum Siciliae. Sein Aufstieg am Hof setzte mit der Investitur von Lecce und der Übernahme zentraler Ämter ab 1176 ein.78 Beide verkörpern sie daher Kontinuität, doch betrifft diese n i c h t die ,Politik der Mehrsprachigkeit‘ oder der ,Religionsvielfalt‘: Gerade Tankred steht nicht im Verdacht, eine Stütze der Muslime am Hof oder des dīwān gewesen zu sein. In den Unruhen des Jahres 1160, die sich zunächst gegen die „Palast-Sarazenen“, alsbald auch gegen die gesamte muslimische Bevölkerung in Palermo richteten, tat er sich vielmehr als einer der Drahtzieher hervor.79 Auch Matthäus, der vermutlich seine Ausbildung am Hof erhalten hatte, wurde 1160 zunächst der Mittäterschaft beschuldigt und sogar inhaftiert. Zwar wurde er bald darauf wieder freigelassen und damit betraut, die bei den Anschlägen zerstörte Dokumentation zu rekonstruieren; dafür muss er des Arabischen mächtig gewesen sein. Doch fällt auf, dass unter seiner Vizekanzlerschaft, seit den 1170er Jahren keine „Palast-Sarazenen“ mehr unter den königlichen familiares firmieren. Die administrative Macht am Hof sah sich stattdessen in den Händen weniger ,lateinischer‘ Bischöfe konzentriert und die arabische und griechische Dokumentation ging zu Gunsten lateinisch-sprachiger Urkunden zurück.
75 Vgl. oben bei Anm. 62 76 Zur Datierung vgl. oben Anm. 3. 77 Herbert Zielinski, Die Kanzlei Tankreds und Wilhelms III. von Sizilien (1190–1194). Mit Ausblicken auf die Kanzlei der Kaiserin Konstanze (1195–1198), in: Errico Cuozzo / Jean-Marie Martin (Hrsg.), Cavalieri alla Conquista del Sud. Studi sull’Italia Normanna. In Memoria di Léon-Robert Ménager. Rom / Bari 1998, 328–343, hier 329. 78 Reisinger, Tankred (wie Anm. 47), 31–40. 79 Johns, Arabic Administration (wie Anm. 52), 219 f.; Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 184.
180
Barbara Schlieben
Das letzte arabisch-sprachige Dokument des königlichen dīwān datiert auf das Jahr 1183.80 Diese Entwicklung, für die Tankred und Matthäus bereits zuvor standen, sah sich unter Tankred weiter zugespitzt: Nahezu vollständig verzichtete man nun auf mehrsprachige Dokumentation. Von Tankred und seinem Sohn Wilhelm ist überhaupt nur eine einzige lateinisch-griechische Urkunde auf uns gekommen,81 keine einzige wurde auf Arabisch verfasst.82 Und weil die auf diese Weise verschriftlichte Mehrsprachigkeit ihren Sitz am Hof hatte, ist damit zugleich gesagt, dass multilinguale Dokumente, egal auf welcher Seite man nun stehen mochte, seit den späten 1180er Jahren, die im ‚Liber‘ ins Bild gesetzt sind, der Vergangenheit angehörten.83 Es geht hier nicht um den Nachweis ,faktizistischer‘ Fehler, denn ebenso wenig, wie die Illuminatoren den Text des Petrus ,illustrieren‘, ,illustrieren‘ sie die Zeitgeschichte. Interessant ist vielmehr die Frage, weshalb die Zeichner mit der mehrsprachigen Kanzlei Überholtes zeigen. Die Darstellung der multi-lingualen, multi-religiösen Umgebung, die Uneindeutigkeiten zum Thema macht,
80 Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 194 f.; 199; 201; 206; 224; Ders., Muslims and Christians (wie Anm. 70), 108 f.; s. auch: Annkristin Schlichte, Der ,gute‘ König. Wilhelm II. von Sizilien (1166–1189). (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 110.) Tübingen 2005, 212–219 (zu Latinisierungsprozessen bereits unter Wilhelm II.). 81 Codex diplomaticus Regni Siciliae. Ser. 1: Diplomata regum et principum e gente Normannorum, Bd. 5: Tancredi et Willelmi III. regum diplomata. Ed. Herbert Zielinski. Köln / Wien / Weimar 1982, Nr. 30, 72–75, und hierzu Falkenhausen, Greek Presence (wie Anm. 71), 264, vgl. allgemein auch: Dies., Sprachengewirr. Wer behält das letzte Wort? Sprachliche Vielfalt im sakralen und profanen Kontext, in: Alfried Wieczorek / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hrsg.), Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa, Bd. 1: Essays. Stuttgart 2010, 341–347, hier 344 f. 82 Johns, Arabic Administration (wie Anm. 52), 208 f. (Tabelle 8.1.) Johns unterscheidet zwischen Dokumenten des dīwān und ‚Privatdokumenten‘. Zwei private Dokumente, die Hausverkäufe zum Gegenstand haben, weist Johns für die fragliche Zeit noch nach, s. ebd., 323, Appendix I, Nr. 26 (zu 1190), Nr. 27 (zu 1193), dort der Verweis auf Editionen und Literatur. Es ist vielleicht kein Zufall, sondern Indiz für die sich für die Muslime zuspitzende Lage, dass sich hier jeweils der Verkauf von Häusern von Muslimen an Christen dokumentiert findet. – Generell ist in diesem Zusammenhang der nahezu vollständige personelle Bruch der Kanzlei Tankreds zu jener Wilhelms II. auffällig. Bis auf einen gewissen Gosfridus de Fogia, der bereits unter Wilhelm II. Urkunden ausgefertigt hatte, wurde die Kanzlei Tankreds ausschließlich mit Notaren besetzt, die noch nicht unter seinem Vorgänger in Erscheinung getreten waren, s. Zielinski, Kanzlei Tankreds (wie Anm. 77), 332. 83 Falkenhausen, Greek Presence (wie Anm. 71); Johns, Arabic Administration (wie Anm. 52), 323.
Disparate Präsenz
181
dient zunächst allgemein der Diffamierung Tankreds.84 Da so jedoch zugleich Vergangenes dargestellt wird, erhält die moralische Kritik zusätzlich eine zeitliche Dimension, werden Wandel und Kulturkontakt auch auf diese Weise miteinander verwoben. Mit Tankred, der sich der Fortuna anvertraut hat – so die immanente Logik –, würde Vergangenes wieder und wieder nach oben getragen. Daher konnte es unter seiner Herrschaft nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das Nebeneinander der Kulturen wieder einstellte. Einmal zugelassen, würde es beständig wiederkehren, ließ sich der Wandel nicht aufhalten.85 Gleichsam als Schreckgespenst schwebte die Angst vor Wandel und Verflechtung über allem. Dann nämlich hat die Uneindeutigkeit ihren Höhepunkt erreicht. Sie ist dann nicht mehr erkennbar und folglich auch nicht mehr umkehrbar. Heinrich war – so will es der ‚Liber‘ – gerade noch rechtzeitig gekommen, um die Auflösung des ‚Eigenen‘ zu verhindern, indem er der wankelmütigen Fortuna Einhalt gebot. Mit Christus und durch Christus verwirklicht er stattdessen die christliche Universalität.
4 Transkulturelle Verflechtung Mit all dem soll nicht gesagt sein, dass Phänomene transkultureller Verflechtung nicht doch in unterschiedlichen Varianten im ‚Liber ad honorem Augusti‘ aufzufinden wären. Wenn man so will, unterliefen sie Petrus von Ebuli und seinen Zeichnern permanent; abseits des übergeordneten Deutungszusammenhangs von Kulturkontakt und Wandel, ja gerade konträr zu diesem. Eben das macht die disparate Präsenz des Werks aus. Beobachten lässt sich dies etwa an der Verunglimpfung des Tankred als Missgeburt, die im Zentrum der Particula VIII steht: Petrus von Ebuli lässt den Salertiner Arzt Urso, einen Zeitgenossen, die Ursachen für die zuvor ausgemalte Missgestalt Tankreds erklären. Bei Tankreds Zeugung hätten sich der väterliche und mütterliche Samen nicht vereinen können, weil die Mutter im Gegensatz zum Vater nur mittleren Ranges sei, de media stirpe. Tankred entspringe daher allein der Mutter.86
84 Vgl. oben bei Anm. 59. 85 Dass „Sarazenen“ wiederholt und auch nach ihrer vormaligen Besiegung auftreten werden, ist zugleich ein endzeitliches Bild, das sich so etwa bei Pseudo-Methodius angelegt findet, s. Hannes Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 3.) Stuttgart 2000, 151. 86 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 65, Particula VIII, V. 215–229.
182
Barbara Schlieben
Die Beschreibung Tankreds als Missgeburt passt sich gut dem heilsgeschichtlichen Deutungsrahmen des Werks an. Denn körperliche Versehrtheit spiegelt moralische Defizienz. Auch die Funktion der gebotenen Erklärung liegt auf der Hand. Mit der Autorität des angesehenen Arztes, dem egregius doctor et vir pietatis,87 ließ sich Tankreds Illegitimität, der wie die Kaiserin Konstanze von König Roger II. abstammte, gleichsam wissenschaftlich belegen.88 Die Passage erscheint unverdächtig. Keineswegs macht sie, anders als die zuvor betrachteten Beispiele, darauf aufmerksam, dass hier unterschiedliche Elemente, die sich aus kulturell verschiedenen Traditionszusammenhängen speisen und zugleich auf divergierende Sinnebenen rekurrieren, zu einem homogenen Ganzen verflochten sein könnten. Doch ist genau dies hier der Fall. Tatsächlich hatte Urso, auf den Petrus sich beruft, mehrfach von Zeugung gehandelt:89 Von ihm, vermittelt über den großen tunesisch-muslimischen Mediziner Konstantinus Africanus, stammt die Einsicht, dass bei mangelhaftem Samen der Fötus aus dem Blut der Mutter entstehe, was zu Missbildungen führen könne.90 Die Überlegung steht im größeren Zusammenhang der paritätischen „Zwei-Samen-Lehre“, wonach Mann und Frau jeweils einen Samen pro-
87 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 65, Particula VIII, V. 214. 88 Die Mutter war eine Tochter des Grafen Accadius II. von Lecce, die in Rang und Namen mit der Mutter Konstanzes durchaus zu vergleichen ist, s. Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 66, Kommentar Kölzer; Reisinger, Tankred (wie Anm. 47), 16 f. Folgt man der Forschung, so war Tankred illegitim, weil sein Vater Roger (III.) und seine Mutter nicht verheiratet waren, jede moderne Stammtafel macht in diesem Sinne die Illegitimität Tankreds sichtbar. Belegt wird dies mit weiteren Eheplanungen Rogers (III.) seit den 1140er Jahren, zu diesen s. Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance.) Darmstadt 22010, 92 f. Doch sind die tatsächlichen Eheschließungen selbst ebenso wenig belegt wie eine mögliche Ehe mit der Mutter Tankreds. Und selbst wenn Roger (III.) und die Mutter Tankreds nicht verheiratet waren, so ist damit noch nicht gesagt, dass deren Kinder deshalb auch zeitgenössisch als illegitim zu gelten hatten: Die ‚dynastischen‘ Namen, die Roger (III.) seinen Kindern gab, sprechen eher dagegen und in der zeitgenössischen Polemik gegen Tankred spielt dieser Vorwurf, soweit ich sehe, keine Rolle. 89 Zu Urso s. Wolfgang Stürner, Urso von Salerno, in: Urso von Salerno, De commixtionibus elementorum libellus. Ed. Ders. Stuttgart 1976, 7–12; auf die Übereinstimmungen zwischen der Zeugungstheorie des Urso und den Ausführungen des Petrus de Ebuli haben Marta Gianni / Raniero Orioli, La cultura medica di Pietro da Ebuli, in: Istituto Storico Italiano per il Medio Evo (Hrsg.), Studi su Pietro da Ebuli. (Studi storici, Bde. 103–105.) Rom 1978, 89–117, hier bes. 103– 110, aufmerksam gemacht. 90 Rudolf Creutz, Die medizinisch-naturphilosophischen Aphorismen und Kommentare des Magister Urso Salernitanus. (Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin, Bd. 5.1.) Berlin 1936, hier 31; 63.
Disparate Präsenz
183
duzieren, der Anteil an der Zeugung hat.91 Wie Ursula Weisser und Julia Bummel gezeigt haben, war diese Theorie konstitutives Element aller islamischen Zeugungslehren,92 was daran liegen mag, dass sie sich gut mit der Koran-Auslegung (etwa Sure 86,5–7) und dem islamischen Recht in Einklang bringen ließ.93 Die im ‚Liber ad honorem Augusti‘ gebotene Erklärung basiert auf dieser Zwei-Samen-Lehre – explizit spricht Petrus vom „mütterlichen Samen“94 –, freilich in ihrer Inversion. Denn die Missgestalt Tankreds wird hier ja gerade damit begründet, dass sich der väterliche und mütterliche Samen nicht vereinigt haben. Als Ursache für die fehlgeschlagene Verschmelzung wird der Rangunterschied der Eltern angeführt.95 Diese sozial-biologische Begründung findet sich bei Urso nicht. Zwar hatte der Salatiner Arzt generell betont, dass eine Vereinigung hochrangiger und niedrigstehender Elemente biologisch unmöglich sei,96 ins Soziale gewendet wird diese Vorstellung bei ihm jedoch nicht.
91 In der Antike hatte diese Vorstellung mit Aristoteles’ Theorie konkurriert, dass nur der Mann einen Samen zur Zeugung beitrage, s. nach wie vor Erna Lesky, Die Zeugungs- und Vererbungslehre in der Antike und ihr Nachwirken. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Bd. 19.) Mainz 1950. – Sie wurde im ,lateinischen‘ Mittelalter erst mit der Übersetzung von ‚de amalibus‘ des Michael Scotus, also im 13. Jahrhundert, rezipiert. 92 Ursula Weisser, Zeugung, Vererbung und pränatale Entwicklung in der Medizin des arabisch-islamischen Mittelalters. Erlangen 1983, 117–144; Julia Bummel, Zeugung und pränatale Entwicklung des Menschen nach Schriften mittelalterlicher muslimischer Religionsgelehrter über die Medizin des Propheten. Hamburg 1999, bes. 64–66; Dies., Human Biological Reproduction in the Medicine of the Prophet. The Question for the Provenance and Formation of the Semen, in: Peter E. Portmann (Hrsg.), Islamic Medical and Scientific Tradition. (Critical Concepts in Islamic Studies, Bd. 2.) New York 2011, 332–341, hier bes. 323 f.; 338. 93 Bummel, Zeugung (wie Anm. 92), 76–82; Weisser, Zeugung (wie Anm. 92), 68. – Im Gegensatz zu den Zeugungslehren aus dem islamisch-arabischen Raum (s. Anm. 92) sowie zu der antiken Embryologie (s. Anm. 91) haben die lateinisch-mittelalterlichen Werke zum Pränatalen noch bislang wenig Beachtung gefunden. Ihre Analyse könnte durchaus einen Beitrag zu aktuellen Forschungsfeldern wie ,Erbe‘ und ,Familie‘ leisten, s. bislang vor allem: Dies., Die Harmonisierung antiker Zeugungstheorien im islamischen Kulturkreis und ihr Nachwirken im europäischen Mittelalter, in: Albert Zimmermann / Ingrid Craemer-Ruegenberg (Hrsg.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter. (Miscellanea mediaevalia, Bd. 17.) Berlin 1985, 301–326, die sich jedoch auf Albertus Magnus konzentriert, und damit auf eine Zeit, in der durch Michael Scotus die Übersetzung von ‚de Animalibus‘ bereits vorlag. Für frühere Jahrhunderte s. bes. Maike van der Lugt, Le ver, le démon et la vierge. Les théories médiévales de la génération extraordinaire. Paris 2004, 43–59; Joan Cadden, Meanings of Sex Difference in the Middle Ages. Medicine, Science and Culture. Cambridge 1993, 54–104. 94 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 65, Particula VIII, V. 225: semine matris. 95 Ebd., V. 220 f. 96 Urso, De commixtionibus elementorum libellus. Ed. Stürner (wie Anm. 89), V, 2, 133, und
184
Barbara Schlieben
Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese sozial-biologische Vorstellung in einer der arabisch-muslimischen Zeugungslehren findet. Im islamischen Recht nämlich spielt die Ebenbürtigkeit der Frau, die bei Petrus zum Argument wird, keine Rolle: Allein der Mann muss der Frau ebenbürtig sein, für die Frau wird dies nicht diskutiert.97 Die Auffassung, dass beide Ehepartner die Herkunft teilen sollen, wird jedoch seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Zentraleuropa gleichermaßen häufig von Dekretisten, Theologen und Dichtern verhandelt. Zugrunde liegt dem eine reziproke Konzeption von Ehe, poetisch: der Wunsch einer coniunctio animorum. Doch spielen hierbei mögliche biologischen Folgen für Kinder keine Rolle.98 Von Petrus von Ebuli gegen Tankred ins Feld geführt wird hier also eine scheinbar homogene Erklärung, in der bei genauerer Betrachtung gleichwohl ,christlich-rechtliche‘ mit ,arabisch‘ überlieferten, durch den Islam geprägte medizinische Vorstellungen verflochten sind. Der Prozess der Verflechtung lässt sich für uns kaum mehr nachvollziehen. Auf einer bewussten Kombination des Petrus scheint die hier gebotene Erklärung jedoch nicht zu beruhen. Dagegen spricht, dass im Gesamtzusammenhang des Werks nicht zu erwarten steht, dass der Dichter sich ausgerechnet auf durch ,muslimische‘ Vorstellungen Geprägtes berufen hätte sollen, um die Illegitimität Tankreds zu belegen. Zudem kursierten ähnliche Vorstellungen seit Mitte des 12. Jahrhunderts in Sizilien. Sie finden sich bereits, wenn auch nicht gleichermaßen elaboriert hergeleitet, bei dem sogenannten Hugo Falcandus, der sich der Geschichte Siziliens der Jahre 1154-1169 widmet: Ähnlich wie später Petrus dient Hugo die Überlegung dazu, die niedere Herkunft des Maio, des familiarissimus Wilhelms I., bzw. seiner Tochter, zu unterstreichen: Der Geschichtsschreiber macht die fehlende Ebenbürtigkeit zum Argument, um den als edel charakterisierten Matthäus Bonello vor einer Verbindung mit der Tochter des Maio zu warnen. Wie Petrus von Ebuli führt auch er dabei die Konsequenzen einer solchen Verbindung für die Kinder an: Selbst mit Matthäus Bonnello als Gatten – so warnt Hugo Fal-
hierzu Thomas Ricklin, Conceptions of Time in Twelfth Century Salernitan Medicine, in: Pasquale Porro (Hrsg.), The Medieval Concept of Time. Studies on the Scholastic Debate and its Reception in Early Modern Philosophy. (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, Bd. 75.) Leiden 2001, 437–458, hier 453 f. – Dieses niedrigste Element ist bei Urso die terra, Petrus von Ebuli spricht, um die Niedrigkeit von Tankreds Mutter zu beschreiben, von humus (Petrus de Ebulo, Liber ad honorem Augusti. Ed. Kölzer / Stähli [wie Anm. 1], 65, Particula VIII, V. 223). 97 Konrad Dilger, Art. Ehe. Arabisch-islamischer Bereich, in: LMA 3. Stuttgart / Weimar 1986, 1646–1648, hier 1647. 98 James A. Brudage, Law, Sex, and Christian Society in Medieval Europe. Chicago / London 21990, 274.
Disparate Präsenz
185
candus – sei die Tochter eines Olivenhändlers allenfalls in der Lage dazu, liberos degeneres zu gebären, die dem Vater unähnlich wären.99 Neben arabisch überlieferten medizinischen Lehren zur Zeugung und neben rechtlich-christlich zentraleuropäischen Vorstellungen über die Ehe, die hier in der Kombination zu einer Erklärung gerinnen, unterliegen den Ausführungen des Petrus zudem endzeitliche bzw. vor-endzeitliche Konnotationen. Die Jungfrauengeburt nämlich, oder präziser, die Empfängnis ohne männlichen natürlichen Samen ist im Christentum einer einzigen Frau vorbehalten: Maria. Petrus von Ebuli lässt die Mutter Tankreds jedoch nicht das Lamm Gottes gebären, sondern ein Monstrum, ein „monströses Lamm“, wie es im Text heißt.100 Tankred ist also nicht, was er vorgibt zu sein. In der Deutung des Petrus nimmt er Züge eines Antichristen an.101 Die Erklärung für Tankreds Missgestalt, wie sie Petrus hier bietet, passt sich also gut dem heilsgeschichtlichen Deutungsrahmen des ‚Liber‘ an, ja, sie passt sich sogar so gut an, dass ihre ,ursprünglich‘ ,arabisch-islamischen‘ Elemente für Zeitgenossen kaum noch zu erkennen gewesen sein dürften. Transkulturelle Verflechtung lässt sich paradoxerweise auch in den späten Passagen des ‚Liber‘ erahnen, in denen die ,Gefahr der Vermischung‘ durch die Parusie des Friedensfürsten bereits gebannt ist. „Solcher Friede herrschte unter dem Kaiser, dass alle Tiere aus einer Quelle trinken“ – so überschrieb der Titulator eine jener Darstellungen, die den kaiserlich-endzeitlichen Frieden ins Bild setzt, die der Text mit pagan-antiken wie biblischen Motiven weiter ausführt.102
99 Hugo Falcandus, La Historia. Ed. Siragusa (wie Anm. 17), 34, cap. 23: Aspernare socerum, cuius affinitatis contagio tua sit nobilitas polluenda. Respue, si sapis, uxorem liberos tibi parituram degeneres prolemque generis biformitate patri dissimilem. – Als Olivenhändler hatte Hugo Falcandus Maio diffamierend bezeichnet (ebd., 33, cap. 23). 100 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 65, Particula VIII, V. 233. 101 Die dazugehörende Zeichnung (Liber ad honorem Augusti [wie Anm. 1], 67, fol. 103r) ist insofern bemerkenswert, als hier nicht nur, wie sonst zu beobachten, die Gespräch- oder Botensituation dargestellt ist (wie etwa in der oben, bei Anm. 61 f. und 89 f., behandelten Darstellung der mehrsprachigen Kanzlei), sondern auch die Inhalte des Gesprächs. Es scheint, als ob die Zeichner jene Facetten aus dem Text aufgriffen und transformierten, die sich besonders gut zur Diffamierung Tankreds eigneten. Zentral dargestellt ist eine klassische Lehrer-Schüler-Szene, darüber hinaus aber auch die Inhalte des Gesprächs, nämlich wie ein Schaf ein Schwein gebiert und analog dazu die Mutter Tankreds kurz nach der Geburt ihres Sohnes, vor dessen Ansicht die Amme erschrickt. Das obere Bildregister leitet die Seite mit der Doppelgesichtigkeit und der Kleinwüchsigkeit des bereits erwachsenen Tankred ein. 102 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 227, fol. 141r.: Tanta pax est tempore Augusti, quod in uno fonte bibunt omnia animalia. – Vgl. zum dazugehörenden Text bereits oben bei Anm. 23 f.
186
Barbara Schlieben
Ganz generell evoziert auch die bildliche Darstellung das Paradies (Gen 2,8; Jes 11,6 f.), keineswegs jedoch, und gegen die eigentliche Darstellungsintention, nur das christliche (Abb. 29).103 Die dargestellte fons mag an Darstellungen des Lebensbrunnes aus der Karolinger-Zeit erinnern, die dort allerdings mit tempelartigem Überbau gefasst wird.104 Doch liegt hier die Inspiration durch die Gärten vor Ort näher. Die enge Beziehung zwischen der sizilianischen Gartenarchitektur und der Beschreibung des Paradieses als Garten im Koran ist häufig betont worden. So etwa hat man die Quelle von Zisa (Palermo) mit Salsabīl in Verbindung gebracht, also jener Quelle, die jeder gläubige Muslim im Paradies zu erwarten sah, zumal eine arabische Inschrift das Areal als Jannat al-Ard (Paradies auf Erden) ausweist.105 Eine solche Quelle findet sich etwa auch in einer Zeichnung auf der Decke der Capella Palatina dargestellt.106 Paradiesvorstellungen mögen in Islam und Christentum durchaus Parallelen aufweisen, aber diese hier aufzuzeigen, stünde den übergeordneten Darstellungsabsichten der Illuminatoren entgegen. Willentlich kann diese Art der Verflechtung daher nicht ins Bild gesetzt worden sein. Ähnliches lässt sich für die Darstellung des Tierfriedens sagen: Die Forschung hat sich daran gestört, dass in dieser Darstellung der Mensch fehle, der in zeitgenössischen Handschriftenilluminationen sowohl der Werke von Vergil oder Ovid wie auch der Genesis stets prominent zu sehen sei.107 Doch greift eine Suche nach ‚Vorlagen‘, zumal innerhalb der Gattung Buchmalerei, zu kurz. Man brauchte nur sehenden Auges durch Palermo zu spazieren, um dieses Motiv wieder und wieder in unterschiedlichen Varianten anzutreffen: Auf den Textilien der sizilianischen Werkstätten, in denen Byzantiner, die als Facharbeiter angeworben und in Sizilien angesiedelt worden waren, und heimische Muslime zusammenarbeiteten, und auf denen sich persische, koptische und byzantinische Elemente unterschiedlicher Zeitschichten miteinander verwoben sahen,108 finden sich solche Tierdarstellungen ebenso wie in den hybriden Mosaiken der Capella Palatina.109
103 Liber ad honorem Augusti (wie Anm. 1), 227, fol. 141r. 104 Godescalc Evangeliar, Bibliothèque Nationale (Paris), Nouv. acq. lat. 1203, fol. 3v.; Evangeliar, Saint-Médard, Soissons, Bibliothèque Nationale (Paris), Lat. 8850, fol. 6v und dazu Georgen, Carmen (wie Anm. 11), 100, die hier eine Vorlage erkennt. 105 Metcalfe, Muslims of Medieval Italy (wie Anm. 52), 245 mit Abb. 11; 233. 106 Ebd., 245. 107 Kraft, Bilderbuch (wie Anm. 2), 280. 108 David Jacoby, Seide und seidene Textilien im normannischen Sizilien. Der wirtschaftliche Kontext, in: Seipel (Hrsg.), Nobiles Officinae (wie Anm. 52), 61–73. 109 William Tronzo, Der Normannenpalast in Palermo als mittelalterliche Herrscherresidenz, in: Seipel (Hrsg.), Nobiles Officinae (wie Anm. 52), 75–83, hier 76–79.
Disparate Präsenz
187
5 Fazit Der ‚Liber ad honorem Augusti‘ bietet beides: hybride Mischformen, die ihre Uneindeutigkeit selbstreferentiell zum Thema machen und damit vor der Auflösung des ,Eigenen‘ warnen, und transkulturelle Verflechtungen, die ihre unterschiedlichen ,Ursprünge‘ nicht zu erkennen geben. Synthetisieren lässt sich dieses widersprüchliche Nebeneinander nicht. Vielmehr ist es die Aufgabe der Forschung, diese disparate Gleichzeitigkeit zu erkennen, zu beschreiben und zu verorten. Im ,Liber ad honorem Augusti‘ fällt die Unterscheidung zwischen hybriden Mischformen und transkulturellen Verflechtungen deshalb vergleichsweise leicht, weil die Darstellungsabsicht des Werks so klar auf der Hand liegt: Der ‚Liber‘ zeichnet Kaiser Heinrich VI. als Friedensfürsten, der dem kontinuierlichen Wandel und dem anhaltenden Kulturkontakt Einhalt geboten und damit die Auflösung des ‚Eigenen‘ verhindert hatte. Willentlich ließen sich Phänomene der transkulturellen Verflechtung daher nicht darstellen. Sie lassen sich daher nur jenseits der causa scribendi ausmachen. Der Historiker mag solche Phänomene freilegen. Einfach zu erkennen sind sie jedoch auch aus der Rückschau nicht; sie scheinen sich vielmehr fortwährend zu entziehen. Denn entweder die Quellen machen ihre unterschiedlichen Elemente – auf welche Weise auch immer – kenntlich: Dann sind sie nicht verflochten im Sinne der transkulturellen Definition. Oder aber die transkulturelle Verflechtung tritt in solch synthetisierter Form auf, dass sie leicht zu übersehen ist. Es ist schwierig, diese und angrenzende Phänomene adäquat zu beschreiben. Eben weil sie zeitgleich und nebeneinander auftreten, scheiden zeitliche oder hierarchische Beschreibungsmuster aus. Reihungen etwa, die von ,bloßer‘ Adaption auf transkulturelle Verflechtung zuliefen, verfehlten ihren Anspruch. Eine der Herausforderungen der künftigen Forschung liegt daher auch darin, eine Sprache zu finden, die der vielfältigen, auch widersprüchlichen Gleichzeitigkeit der Phänomene, ihrer disparaten Präsenz, Rechnung trägt. Im ‚Liber ad honorem Augusti‘ stehen Hybridisierungen und transkulturelle Verflechtungen nebeneinander, doch lassen sie sich nicht allein aus gleichzeitig oder zeitnah stattgefundenen Begegnungen erklären. Vielmehr treten die Wirkung von Texten, Objekten und Begegnungen in ein Wechselverhältnis, sodass sie sich anhand des hybriden oder verflochtenen Produkts kaum präzise auseinander halten lassen. Sich dinglich-textuellen Wirkungen zu entziehen, hieße den Phänomenen unnötig eine Analyseebene zu nehmen. Damit beschnitte sich die Transkulturalität in ihrem größten Potential: dem Überraschenden, Unvorhersehbaren, Dynamischen. Denn auch die Gegenwart, die gegenwärtige
188
Barbara Schlieben
Begegnung, die gegenwärtige Auseinandersetzung lebt in und durch Texte und Bilder, in denen vormalige Begegnungen verflochten sind.
Tanja Michalsky
Stadt und Geschichte im Überblick Die spätmittelalterliche Karte Roms von Paolino Minorita als Erkenntnisinstrument des Historiographen In den 1320er Jahren entstand die älteste bekannte nachantike kartographische Darstellung Roms im Auftrag von Paolino Minorita (Abb. 32 u. 35), die aufgrund ihrer gesicherten Datierung und der für ihre Zeit ungewöhnlich genauen Repräsentation des Stadtbildes große Bekanntheit erlangt hat.1 Prominent figuriert sie in Kompendien zur Topographie Roms,2 in kunsthistorischer Literatur zur
1 Zu Paolino Veneto s. Alberto Ghinato, Fra Paolino da Venezia, O. F. M. Vescovo di Pozzuoli (1344). (Studi e testi francescani, Bd. 1.) Roma 1951; F. Cecchini, Paolino Veneto, in: Enciclopedia dell’Arte Medievale 1998 (http://www.treccani.it/enciclopedia/paolino-veneto_%28Enciclopediadell%27-Arte-Medievale%29/ (Zugriff: 28. Dezember 2013). Die Karten sind enthalten in den Apostolica der Biblioteca Marciana (Venedig), Zan. lat. 399, fol. 98r; in der Biblioteca Vaticana (Rom), lat. 1960, fol. 270v; sowie unvollendet in der Bibliothèque Nationale (Paris), lat. 4939, fol. 27r. In älteren Publikationen wurde meist die römische Version abgedruckt, inzwischen gilt die venezianische Version als Autorenexemplar und Vorlage. Das Exemplar der Marciana enthält außerdem Karten von: Venedig, fol. 73r; Antiochia, fol. 74v; Ferrara und Po-Delta, fol. 98v. Das Pariser Manuskript enthält außerdem Karten von: der Welt, fol. 9r; dem Heiligen Land und dem Nildelta, fol. 10r; einer Regionalkarte des Hl. Landes, fol. 10v-11r; Antiochien, fol. 98v; Jerusalem, fol. 99r; und Akkon, fol. 113v. Das Exemplar des Vatikan enthält Karten von: Podelta, Welt, fol. 264v; Italien (ganz, fol. 266v; in zwei Teilen 267v–268r). 2 Vgl. Heinrich Jordan, Topographie der Stadt Rom im Alterthum, Bd. 2. Berlin 1871, 34 f.; Giovanni Battista De Rossi, Piante iconografiche e prospettiche di Roma anteriori al secolo XVI. Rom 1879; mit einer Umzeichnung des römischen Exemplars im Kartenteil und Anmerkungen im Textband ebd., 81–86; 139–141; Assunto Mori, Le carte geografiche della Cronaca di Fra Paolino Minorita. Carte corografiche dʼItalia coeve di Dante e del Petrarca, in: Atti dello VIII Congresso geografico, Bd. 2: Comunicazioni, Florenz 1922, der sich hauptsächlich mit dem römischen Manuskript und den darin enthaltenen Karten Italiens beschäftigt, die er auf das Wissen der römischen Antike zurückführt; Walther Holtzmann, Der älteste mittelalterliche Stadtplan von Rom. Eine quellenkritische Untersuchung, in: Jahrbuch des deutschen Archäologischen Instituts 41, 1926, 56–65; Amato Pietro Frutaz, Le piante di Roma, 3 Bde. Rom 1962, Bd. 1, Kat. Nr. LXXII, 115–119; Holtzmann und Frutaz ist insbesondere die Transkription der teils schwer leserlichen Textinserate zu verdanken. Vgl. auch Roberto Almagià (Hrsg.), Monumenta cartographica vaticana iussu Pii XII P. M. consilio et opera procuratorum Bibliothecae Apostolicae Vaticanae. Vatikanstadt 1944–1955, Bd. 1, 4. Philip Jacks, The Antiquarian and the Myth of Antiquity. The Origins of Rome in Renaissance Thought. Cambridge 1993, 44–51, bemerkt einige Besonderheiten, ringt sich jedoch nicht zu einer Interpretation des Planes durch.
190
Tanja Michalsky
Illumination der Manuskripte,3 und erst recht in jedem der jüngeren Bücher, die die Kartographie der ‚ewigen Stadt‘ aufarbeiten.4 Allgemein bekannt ist darüber hinaus, dass die Karte Teil einer aufwändig gestalteten Universalgeschichte ist, die von der Erschaffung der Welt bis in die Gegenwart des Autors führt und sich dazu unter anderem einer tabellarischen Synopse bedient.5 Und last but not least hat sich auch die Forschung zur mittelalterlichen Kartographie mit dem ebenfalls
3 Alle drei Fassungen der reich bebilderten Handschriften wurden in einem monumentalen Aufsatz von Bernd Degenhart und Annegret Schmitt behandelt. Als Experten der Handschriftenillustration haben sich die Autoren insbesondere für die stilistischen und logistischen Zusammenhänge der venezianischen, neapolitanischen und avignonesischen Illuminatoren-Werkstätten interessiert und im Rahmen der höchsten Wertschätzung der bildenden Künstler und des Autors auch auf die Bedeutung der Karten für die Geographie hingewiesen. Ihnen sind vor allem die genaue Datierung und detaillierte Überlegungen zu den Abhängigkeiten unter den Manuskripten zu verdanken. Vgl. Bernhard Degenhart / Annegrit Schmitt, Marino Sanudo und Paolino Veneto. Zwei Literaten des 14. Jahrhunderts in ihrer Wirkung auf Buchillustrierung und Kartographie in Venedig, Avignon und Neapel, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 14, 1973, 1–137. 4 Vgl. die jüngeren Arbeiten zur Topographie Roms: Cesare de Seta, Roma. Cinque secoli di vedute. Neapel 2006; Steffen Bogen / Felix Thürlemann, Rom. Eine Stadt in Karten von der Antike bis heute. Darmstadt 2009, Kat. Nr. 4, 27–32; Lucia Nuti, Mappe mentali e mappe reali dal Medioevo al Rinascimento, in: Mario Bevilacqua / Marcello Fagiolo (Hrsg.), Piante di Roma dal Rinascimento ai catasti. Rom 2012, 97–107, bes. 101 ff.; Dies., Ritratti di città. Visione e memoria tra Medioevo e Settecento. Venedig 1996, 105–110, Cap. 4: La città in due dimensioni. 5 Anna-Dorothee von den Brincken, Beobachtungen zum geographischen Berichtshorizont der lateinischen Weltchronistik, in: Martin Wallraff (Hrsg.), Julius Africanus und die christliche Weltchronik. Berlin 2006, 161–178; Dies., Studien zur Universalkartographie des Mittelalters. Hrsg. v. Thomas Szabó. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 229.) Göttingen 2008; Bert Roest, Reading the Book of History. Intellectual Contexts and Educational Functions of Franciscan Historiography 1226 – ca. 1350. Groningen 1996, Cap. 7; Ders., Medieval Historiography. About Generic Constraints and Scholarly Constructions, in: Ders. / H. L. J. Vanstiphout (Hrsg.), Aspects of Genre and Type in Pre-Modern Literary Cultures. (Centre for Classical, Oriental, Medieval and Renaissance Studies, Bd. 1.) Groningen 1999, 47–57. Hervorzuheben ist Gert Melvilles grundlegender Aufsatz zur graphischen Veranschaulichung von Geschichte in spätmittelalterlichen Handschriften: Gert Melville, Geschichte in graphischer Gestalt. Beobachtungen zu einer spätmittelalterlichen Darstellungsweise, in: Hans Patze (Hrsg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im späten Mittelalter. Sigmaringen 1987, 57–154, hier 57. Ihm ist der Hinweis auf die „hohe Leistungsfähigkeit des spätmittelalterlichen Geschichtsschreibers“ (ebd., 110) zu verdanken, die er in der Kohärenz der grafischen Zeichenhaftigkeit sieht, wobei er sich hauptsächlich mit den Kreisen und Linien der Genealogien sowie Verweistechniken am Seitenrand auseinandersetzt. Zur späteren Geschichte der synopsistischen Geschichtsdarstellung s. den luziden Aufsatz von Benjamin Steiner, Historia und Figura. Historische Tabellen und der figurale Sinn in der Geschichte, in: Joel B. Lande / Rudolf Schlögl / Robert Suter (Hrsg.), Dynamische Figuren. Gestalten der Zeit im Barock. Freiburg im Breisgau 2013, 241–271.
Stadt und Geschichte im Überblick
191
in einigen der Handschriften enthaltenen Traktat ‚De mapa mundi‘ (sic) und den zugehörigen Welt- bzw. Italienkarten beschäftigt und in diesem Zusammenhang Paolinos methodische Überlegungen zum Kartengebrauch untersucht.6 Angesichts dieser Vielfalt an Forschungssträngen ist es erstaunlich, dass bislang keine Überlegungen dazu angestellt wurden, wie die geradezu experimentellen Formen einer stark ausdifferenzierten, tabellarisch und damit graphisch aufbereiteten Universalgeschichte mit dem Inserat von Karten zusammenhängen, bzw. inwieweit insbesondere die Karte von Rom, die eines der ältesten erhaltenen Beispiele mittelalterlicher Stadtpläne überhaupt ist, gerade in diesem Kontext als ein heuristisches Instrument der Geschichte konzipiert wurde.7
6 Ausgangspunkt sind der Traktat ‚De mapa mundi‘ sowie ungewöhnlich detaillierte Weltkarten, die schon vor der Wiederentdeckung von Ptolemäusʼ ‚Geographia‘ im Westen arabisches Wissen verarbeiteten. Im Vordergrund der Forschung stehen neben Paolinos theoretischen Bemerkungen zum Gebrauch von Karten seine Zusammenarbeit mit Marino Sanudo und die Kenntnis der Karten von Pietro Vesconte. Vgl. Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 64 ff.; P. D. A. Harvey, Local and Regional Cartography in Medieval Europe, in: John Brian Harley (Hrsg), The History of Cartography. Cartography in Prehistoric, Ancient, and Medieval Europe and the Mediterranean. Chicago 1988, 464–501, bes. 481 f.; Michelina Di Cesare, Problemi di autografia nei testimoni del compendium e della satirica ystoria di Paolino Veneto, in: Res publica litterarum 30, 2007, 39–49; Dies., Il sapere geografico di Boccaccio tra tradizione e innovazione. LʼImago mundi di Paolino Veneto e Pietro Vesconte, in: Roberta Morosini / Andrea Cantile (Hrsg.), Boccaccio geografo. Un viaggio nel Mediterraneo tra le città, i giardini e (…) il „mondo“ di Giovanni Boccaccio. Florenz 2010, 67–87; Anna-Dorothee von den Brincken, Europa um 1320 auf zwei Werken süditalienischer Provenienz. Die Karte zur ‚Chronologia magna‘ des Paulinus Minorita (BnF Lat. 4939), in: Ingrid Baumgärtner / Hartmut Kugler (Hrsg.), Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte. Berlin 2008, 157–170; Patrick Gautier Dalché, De la glose a la contemplation. Place et fonction de la carte dans les manuscrits du haut Moyen Age, in: Testo e immagine nellʼalto Medioevo, Bd. 2. Spoleto 1994, 693–771; Ders., Géographie et culture. La représentation de lʼespace du VIe au XIIe siècle. Aldershot 1997; Nathalie Bouloux, Culture et savoirs géographiques en Italie au XIVe siècle. (Terrarum orbis, Bd. 2.) Turnhout 2002, 47–63; Margriet Hoogvliet, Pictura et scriptura. Textes, images et herméneutique des „mappae mundi“ (XIIIe – XVIe siècle). (Terrarvm orbis, Bd. 7.) Turnhout 2007, 102 ff.; 161. 7 Brincken, Geographischer Berichtshorizont (wie Anm. 5), 171, hebt die ausschweifenden synchronistischen Systeme hervor, die zahlreiche Herrschaften nebeneinander verzeichnen, sie interessiert sich jedoch nicht für die Rom-Karte. Auch Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 35, weisen auf die Vorbildhaftigkeit der „bahnbrechenden Chronographie“ für die Bilderchroniken hin und erwähnen den Einbau der Karten in den Textteil (ebd., 60), leiten daraus aber keine weiteren Schlüsse ab, konstatieren hingegen: „Vielmehr machen beide – Texte und Karten – voneinander unabhängige Aussagen, in einer Weise, daß man für sie eine Parallelentwicklung aus getrennten Traditionen annehmen muß, zwischen denen natürlich gegenseitige Verflechtungen erfolgen“ (ebd., 76 f.).
192
Tanja Michalsky
Die These dieses Beitrages lautet, dass die Arbeit mit Tabellen und Karten sich einem vergleichbaren Impetus der anschaulichen und überblickshaften Darstellung von historischen Daten verdankt, der nicht nur das Werk von Paolino Minorita auszeichnet, sondern der auch eine Neulektüre der Karte bedingt. Als ein Gelehrter, der die Menschheitsgeschichte im Rahmen der Heilsgeschichte für Prediger didaktisch aufbereiten will,8 beschäftigt Paolino sich nämlich ausdrücklich mit dem Erkenntnisgewinn durch die Karte für Theologen und Historiker, der darin begründet liegt, dass eine Karte, im Sinne der zweidimensionalen Bezeichnung von Orten und Gebieten, Informationen zueinander in Beziehung setzt, die externen Bezugssystemen angehören. Auch für Paolinos Karten gilt das, was aktuell in der Geographie diskutiert wird:9 Eine Karte zeigt nicht etwa das Gebiet, auf das sie scheinbar nur verweist, eine Karte konstruiert vielmehr ein Gebiet dadurch, dass sie ihm durch Einzeichnung von Orten bestimmte Eigenheiten zuschreibt und andere vernachlässigt. Die Auswahl von Orten und ihren Relationen generiert eine Aussage, die über tradierte Wissensbestände und topographische Gegebenheiten hinausweist. Paolinos Karte bildet demgemäß nicht einen Zustand, also etwa das Rom des frühen 14. Jahrhunderts, ab,10 sondern
8 Vgl. dazu Roest, Reading the Book of History (wie Anm. 5); Ders., Medieval Historiography (wie Anm. 5), sowie Ders., Franciscan Literature of Religious Instruction before the Council of Trent. (Studies in the history of Christian traditions, Bd. 117.) Leiden / Boston 2004. 9 Die geschichts- und kulturwissenschaftliche Literatur zu historischen Karten ist im Rahmen des spatial turn exponentiell gewachsen, daher hier nur einige jüngere Sammelbände, die die wichtigsten Positionen vereinen: Stephan Günzel / Lars Nowak (Hrsg.), KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm. (Trierer Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften, Bd. 5.) Wiesbaden 2012, bes.: Gyula Pápay, Kartenwissen – Bildwissen – Diagrammwissen – Raumwissen. Theoretische und historische Reflexionen über die Beziehungen der Karte zu Bild und Diagramm, ebd., 45–61; Ingrid Baumgärtner / Martina Stercken (Hrsg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. (Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen, Bd. 19.) Zürich 2012. Vgl. auch die grundsätzlichen Überlegungen in Tanja Michalsky, Karten unter sich. Überlegungen zur Intentionalität geographischer Karten, in: Ingrid Baumgärtner (Hrsg.), Kurfürstliche Koordinaten. Landvermessung und Herrschaftsvisualisierung um 1600. Leipzig 2014, 323–343, sowie Dies., Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei. München 2011, Cap. 3. 10 Gemäß dem meist rein topographischen Interesse an der historischen Entwicklung der Stadt selbst werden die Karten selten als eigenständige Aussagen behandelt, sondern in Relation zu älteren Texten oder der historischen Realität gesetzt. Dies moniert grundsätzlich Sigrid Weigel, Text und Topographie der Stadt. Symbole, religiöse Rituale und Kulturtechniken in der europäischen Stadtgeschichte, in: Dies., Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. München 2004, 248–284, indem sie sowohl die symbolische Lesart historischer Stadtpläne als auch deren Reduktion auf pure Repräsentation kritisiert (sie reprodu-
Stadt und Geschichte im Überblick
193
ganz gemäß ihrer Funktion in einer Universalgeschichte jene über Jahrhunderte gewachsene Stadt, deren ausgewählte Orte und Daten ein distinktes Bild der Geschichte vermitteln. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, die konkrete historische Funktion der Karte als heuristisches Instrument der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung zu rekonstruieren.
1 Der Chronotopos Rom Hauptreferenz ist die Rom-Karte im venezianischen Exemplar (Abb. 32), die als die älteste, vom Autor jedoch mehrfach überarbeitete Fassung gilt:11 Mauern, Tiber, Hügel und die von rechts oben, jenseits der Mauern schräg hereinkommenden Bögen der Aqua Claudia strukturieren einen städtischen Raum, der von stark überdimensionierten Monumenten bevölkert ist. Seine auffälligste Eigenschaft ist die gestauchte Form, denn der Umriss der Stadt, der von der aurelianischen Stadtmauer annähernd kreisförmig definiert wurde, ist hier als Ellipse gegeben. Entgegen der mittelalterlichen Konvention, zumindest Weltkarten zu osten, liegt hier ganz im Gegenteil der Westen oben. Definiert wird das Gelände in auffälliger Weise durch die kräftig in rot eingezeichneten Hügel. Sie stellen ein Unikum der frühen Kartographie dar, denn orographische Angaben hielten anders als hydrographische aufgrund verständlicher Darstellungsprobleme erst sehr spät Einzug in Karten.12 Sämtliche Tore des Mauerrings sind konsequent nach außen geklappt, wobei fast alle wichtigen inschriftlich bezeichnet sind und in Kürzeln die Richtung der dort ausgehenden Straßen angeben. An den hier verwendeten Angaben wie auch an einigen Monumentenlisten an den Rändern der Karte lässt sich die Abhängigkeit der Darstellung von den Mirabiliensammlungen erkennen,13 das
ziert allerdings ihrerseits Paolinos Rom-Plan der Vatikanischen Museen (ebd., 270, Abb. 32, ohne genauere Angaben) als Beispiel für die Isometrie ohne ihn einer genaueren Betrachtung zu unterziehen). Selbst Richard Krautheimer, dessen Studien zu Rom einen Meilenstein der Forschung darstellen, gestand dem Plan in „Rome, Profile of a City“ aufgrund der Erfassung des Neben- und Durcheinander von antiken und zeitgenössischen Bauten eine besondere Wirklichkeitsnähe zu, problematisierte eben diese Kategorie aber nicht eigens. 11 Das Blatt misst 46,8 x 33,6 cm, s. die weiteren technischen Angaben bei Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 116. 12 Vgl. dazu Daniel Speich, Berge von Papier. Die kartographische Vermessung der Schweiz in der Zeit der Bundesstaatsgründung, in: Cornelia Jöchner (Hrsg.), Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit. Berlin 2003, 167–183; David Gugerli / Daniel Speich, Topografien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert. Zürich 2002. 13 Unten links werden die Hügel Roms mitsamt den wichtigsten ihnen zugehörigen Ereignissen
194
Tanja Michalsky
heißt den weit verbreiteten Beschreibungen der wichtigsten antiken und christlichen Denkmäler Roms, die spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts greifbar sind, aber wohl früher kompiliert wurden.14 Noch bevor wir die Karte der besseren Nachvollziehbarkeit in die modernen Kartenlesern vertraute genordete Ausrichtung drehen, sei darauf hingewiesen, dass die Architekturabbreviationen einiger berühmter Bauwerke scheinbar auf die Leserichtung des Manuskriptes Rücksicht nehmen; dies gilt für die Engels-
wie in einer Legende benannt, „De montibus Romae / Tarpeius in quo est Capitolium Virgo / Romolo regnante Tarpeia clipeis Sabinorum est obruta // Celius hunc Tullus Hostilius urbi adiecit / Aventinus et Janiculus quos Anchus Maius urbi adiecit (…) / (…) Janiculum opidum quod Janus (…) / Palatinus qui et Quirinalis // Esquilinus qui et Salustius // Biminalis / Quo Servius rex 6us urbi adiecit“. Im vatikanischen Plan befindet sich eine fast identische Angabe unten rechts. 14 Auf die Abhängigkeit von den Mirabilia hat zunächst hingewiesen Holtzmann, Stadtplan (wie Anm. 2). Zu den Mirabilia vgl. das Standardwerk von Christian Hülsen, Mirabilia Romae. Rom, Stephan Planck 20. November 1489. Ein römisches Pilgerbuch des 15. Jahrhunderts in deutscher Sprache. Berlin 1925; Cesare DʼOnofrio, Visitiamo Roma mille anni fa. La città dei Mirabilia. (Studi e testi per la storia della città di Roma, Bd. 8.) Rom 1988; Dale Kinney, Mirabiliae urbis Romae, in: Aldo S. Bernardo / Saul Levin (Hrsg.), The classics in the Middle Ages. Papers of the Twentieth Annual Conference of the Center for Medieval and Early Renaissance Studies. Binghamton (N. Y.) 1990, 207–221; die umfassende Studie von Nine Robijntje Miedema, Die „Mirabilia Romae“. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 108.) Tübingen 1996; Maria Accame Lanzillotta, Contributi sui Mirabilia urbis Romae. (Pubblicazioni del Darficlet. N. S., Bd. 163.) Genua 1996; Norberto Gramaccini, Mirabilia. Das Nachleben antiker Statuen vor der Renaissance. Mainz 1996, sowie die harsche Kritik daran von Ingo Herklotz, in: Journal für Kunstgeschichte 2, 1998, 105–116; Gloria Fossi, Il dotto e il pellegrino di fronte allʼAntico. „Mirabilia“, magie e „miracole“ della città di Roma, in: Gloria Fossi / Claudio M. Strinati (Hrsg.), La storia dei giubilei. Rom 1997, 104–117; Johannes Grave, Kunsthistorisch motivierte Antikenverehrung im Hohen Mittelalter? Die Narracio de mirabilibus urbis Rome des Magister Gregorius, in: Filologia Mediolatina 6–7, 1999 / 2000, 279–293; Steffen Diefenbach, Beobachtungen zum antiken Rom im hohen Mittelalter. Städtische Topographie als Herrschafts- und Erinnerungsraum, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 97, 2002, 40–88; Maria Accame, I „mirabilia urbis Romae“. (Ricerche di filologia letteratura e storia, Bd. 4.) Roma 2004¸ Veronika Wiegartz, Antike Bildwerke im Urteil mittelalterlicher Zeitgenossen. Weimar 2004; Cristina Nardella, Il fascino di Roma nel Medioevo. Le „Meraviglie di Roma“ di maestro Gregorio. (La corte dei papi, Bd. 1.) Rom 2007; Lisa Römer, Antike Bildwerke in der Romliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Manfred Luchterhandt / Lisa Roemer / Johannes Bergemann (Hrsg.), Abgekupfert. Roms Antiken in den Reproduktionsmedien der frühen Neuzeit. Katalog zur Ausstellung Kunstsammlung und Sammlung der Gipsabgüsse. Universität Göttingen, 27. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014. Petersberg 2013, 43–60; Martin Disselkamp, „Nichts ist, Rom, dir gleich“. Topographien und Gegenbilder aus dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. (Stendaler Winckelmann-Forschungen, Bd. 10.) Ruhpolding 2013, 15–41.
Stadt und Geschichte im Überblick
195
burg links unten direkt an der Stadtmauer, das Pantheon, das an den vier schwarz gefüllten Bögen der Fassade zu erkennen ist, das wiederum schräg rechts darüber liegende Kolosseum, das gemäß der Mirabilia-Tradition als überkuppelt angegeben ist, für Teile des Lateranspalastes rechts am Ende der Bögen der Aqua Claudia, die sehr auffällig am imaginären Scheitel des Kolosseums ansetzen, sowie für San Lorenzo außerhalb der Mauern am obersten rechten Rand. An weiteren Textinseraten und Fassadenkürzeln ist unschwer abzulesen, dass ein Betrachter intendiert ist, der die Karte dreht, um Informationen zu Gebäuden gemäß ihrer Lage zu erfassen (so etwa in der Richtung der Straßen, in die die Stadttore führen) und der auch die Fassaden wenigstens teilweise in jener Ausrichtung sehen soll, wie sie im städtischen Raum vorzufinden sind. Besonders deutlich wird dies bei den Gebäuden, die um das zentral platzierte Forum stehen, dazu gleich mehr. Dreht man die Karte nun im Uhrzeigersinn um neunzig Grad in den heute üblichen Modus, ist die Stadt anhand der wichtigsten Achsen und Monumente leichter wiederzuerkennen: Aus den eingezeichneten Monumenten und der räumlichen Relation ist zu schließen, dass es sich neben den unschwer zu lokalisierenden Hügeln Gianicolo und Aventin links, dem senkrecht gegebenen Kapitolshügel und dem Celio am unteren Rand bei den übrigen Hügeln von oben nach unten um den Pincio, nebeneinander angeordnet Viminal und Quirinal, sowie den Esquilin handelt.15 Erstaunlicherweise ist das Gebiet rechts dieser Hügel bis hin zur Porta Lavicana que maior dicitur dicht besiedelt, obgleich dort im 14. Jahrhundert kaum jemand wohnte. Die beiden Stadttore im Norden, Porta Pinciana qui est Felicis in Pincis und Porta Metronia, sind ebenso wie die Porta Taurina vel Tiburtina vel Sancti Laurencij aufgrund irriger Lektüre fehlplatziert. 16 Offensichtlich sind die Straßenzüge auf wenige reduziert, die schematisiert Monumente, Brücken, Hügel und Tore miteinander verbinden und idealtypisch rechtwinklig angelegt sind. Eine Ausnahme machen hier lediglich die beiden Straßen, die sich unterhalb der Engelsbrücke gabeln und zum Tiber bzw. direkt zum Aventin führen, sowie die monumentale Wasserleitung, an der entlang die Pilger sich auf dem Weg vom Kolosseum zum Lateran orientierten. Links schlängelt sich der Tiber von unten an der auf dem Kopf stehenden Porta Capena vel Sancti Pauli iuxta sepulcrum Remi vorbei. Hier bündeln sich die Wegangabe zum Apostelgrab in S. Paolo fuori le mura und die zeitgenössische Vorstellung, die Cestius-Pyramide sei das Grab von Remus. Er passiert den rechts
15 In der Nähe des Viminal ist ein Fass eingezeichnet, das nach Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 116, jenes 1472 zerstörte Wasserbecken repräsentieren soll, welches seit der Antike die Diokletiansthermen mit Wasser versorgt hat. 16 Vgl. Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 117, mit sämtlichen toponomastischen Angaben.
196
Tanja Michalsky
liegenden Aventin, umfasst die Tiberinsel, lässt den Gianicolo links liegen und kommt zum Vatikan. Die Kirche ist eigens bezeichnet, einen graphischen Eintrag bekommt aber auch der vatikanische Obelisk gleich oberhalb des Hügels. Dann dreht der Fluss jäh bei der wehrhaft eingezeichneten Engelsburg ab, um in einer der elliptischen und gestauchten Gesamtanlage geschuldeten Kurve nach rechts bei der irrtümlich dort, nämlich zu weit links eingezeichneten Porta Pinciana das Stadtgebiet zu verlassen. Das vom Fluss und Engelsburg begrenzte Areal, das an der Stelle der Vatikanischen Naumachia liegt, die erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, ist als Jagdrevier angegeben, das allerdings in Form eines antiken Zirkus erscheint, der durch eine waagerecht verlaufenden Mittelachse (der Spina) eine Bahneinteilung vorzugeben scheint. Zwei Plätzen wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Im Zentrum liegt das Forum (Abb. 33). Ähnlich wie bei der Stadtmauer sind die Gebäude hier zu verschiedenen Seiten ausgerichtet. Nach links gekippt thront inschriftlich gekennzeichnet der Senatorenpalast, der als solcher erst im 12. Jahrhundert in den antiken Resten des Tabulariums eingerichtet wurde und als Signum der kurz währenden Kommune im 12. Jahrhundert oft als Zeichen einer politischen Aussage gelesen wird,17 auf dem Kapitol, das wie erwähnt ebenfalls in die Vertikale gekippt ist, um seine Schauseite zum Forum zu wenden. Topographisch korrekt im Nordwesten davon und gleichsam nach Süden blickend ist die Torre della Milicia eingezeichnet, die man als moderner Betrachter aufgrund der auffälligen Form und ihres Standortes bei den trajanischen Märkten leicht mit der Trajanssäule verwechseln kann, die erstaunlicherweise ebenso wie ihr Pendant nicht verzeichnet ist. Auch der Turris Comitis ist eigens benannt, so dass gleich zwei Gebäude das Augenmerk auf mittelalterliche Eingriffe in das Stadtensemble lenken. Abgeschlossen wird das Areal auf der rechten Seite von dem seinerseits nach rechts gekippten Bau des Kolosseums, und der Palatin schrankt das Gelände in Form einer ebenmäßigen Architektur nach Süden ab. Rechts neben dem untersten Hügel, dem Celio, ist der Campus Lateranensis mit den im Mittelalter dort aufgestellten antiken Monumenten verzeichnet (Abb. 33).18 Es handelt sich mit der Reiterstatue von Marc Aurel, der im Mittelalter als Kaiser Konstantin verstanden wurde, Hand, Kopf und Sphaira einer
17 Vgl. Gramaccini, Mirabilia (wie Anm. 14), 159 ff. 18 Vgl. Lucilla de Lachenal, Il gruppo equestre di Marco Aurelio e il Laterano. Ricerche per una storia della fortuna del monumento dallʼetà medievale sino al 1538 (parte 1), in: Bollettino dʼarte 6.61, 1990, 1–51; Wiegartz, Antike Bildwerke (wie Anm. 14), 109–121, mit Diskussion der älteren Lit. Sie bezieht sich insbesondere auf Ingo Herklotz, Der Campus Lateranensis im Mittelalter, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 22, 1985, 2–43.
Stadt und Geschichte im Überblick
197
Kolossalstatue um die einzigen in diesem Plan eingezeichneten antiken Statuen bzw. ihre Fragmente.19 Der Lateran wird als ehemaliger Palast von Kaiser Nero bezeichnet und um Verwechslungen vorzubeugen wird eigens auf einen anderen Palast Neros in der Nähe von St. Peter verwiesen, von dem in Kapitel 40, Teil 3 der Chronik gehandelt wird.20 Zwei Eigenschaften der Karte fallen hier ins Auge: der Verweis auf die antike Vorgeschichte einer Palastanlage, die explizit in der Benennung präsent gehalten wird, und die ‚Verlinkung‘ von kartographisch erfasstem Ort und zugehörigem Text. Aufs Ganze gesehen erweist sich der Plan als eine stark schematisierte, topographisch nicht durchweg korrekte Wiedergabe des mittelalterlichen Roms, auf dem – aus dem Wissen um die Geschichte und ihre Monumente schöpfend – disproportional berühmte Bauten eingetragen wurden. Darüber hinaus wurde eine Struktur geschaffen, die zwar in Teilen auf der zeitgenössischen Topographie beruhte, die aber durch die Adaption der historiographischen Tradition und zugleich durch Abstraktion und Verdichtung so stark verzerrt ist, dass sie kaum mit einem neuzeitlichen oder gar modernen Plan verglichen werden kann, weshalb hier bewusst darauf verzichtet wird, zum Vergleich einen modernen ‚korrekten‘ Plan abzudrucken. Die Verdichtung und Verzerrung basiert auf Entscheidungen des Zeichners, die man nur aus dem Kontext erschließen kann. Dieser Kontext ist, um es noch einmal zu betonen, eine Universalgeschichte, aus deren innovativer Konzeption sich das zu seiner Zeit noch völlig singuläre Bemühen um die Darstellung eines über Jahrhunderte gewachsenen, von Bauten unterschiedlicher Zeiten bestimmten Stadtraumes meines Erachtens überhaupt erst erklärt. Bevor weitere Fragen an den Befund gestellt werden können, muss daher ein Umweg über die Formen und Intentionen dieser Geschichtsschreibung genommen werden, um das spezifische kartographische Verfahren, Geschichte verständlich und übersichtlich zu machen, aus der Logik des mittelalterlichen Historiographen und seiner Manuskripte selbst zu erklären.
19 Vgl. Gramaccini, Mirabilia (wie Anm. 14), 150 ff. 20 Palacium Neronis Lateranense. de alio palacio Neronis xl. C. par. III quod fuit supra hospitale sancti Spiritus usque ad sanctum Petrum, vgl. Holtzmann, Stadtplan (wie Anm. 2), 61.
198
Tanja Michalsky
2 ‚Ephitoma‘, ‚Compendium‘ und ‚Satirica ystoria‘ Weltgeschichtsschreibung in Text, Tabelle und Bild Paolino hat den Stoff der Weltgeschichte in drei verschiedenen Formen aufbereitet, wobei es in unserem Zusammenhang auf die Formen ankommt.21 Zunächst hat er in den ‚Epithoma‘, also einer Art Breviarium, die Geschichte der Welt von ihrer Entstehung bis 1313 in einer durchlaufenden Erzählung dargeboten, die durch aufwendige Kapiteleinteilungen und weitere Unterkapitel segmentiert wird.22 Im Anschluss daran – wohl in den 1320er Jahren – hat er eine weitere Version des synoptischen ‚Compendiums‘ entwickelt.23 Danach hat er mit der ‚Satirica ystoria‘, also einer Mischung verschiedenartiger Texte, noch einmal eine chronologische Darstellung entworfen, sie jedoch als Ergänzung zur Synopse angelegt.24 Bezeichnend ist, dass alle drei Handschriften, die die Rom-Karte enthalten, auch mit der tabellarischen Synopse arbeiten, so dass man in der Abfolge
21 Vgl. Isabelle Heullant-Donat, Entrer dans lʼHistoire. Paolino da Venezia et les prologues de ses chroniques universelles, in: Mélanges de lʼEcole française de Rome. Moyen-Age 105.1, 1993, 381–442; Nathalie Bouloux, Culture et savoirs géographiques (wie Anm. 6), 47; Di Cesare, Problemi (wie Anm. 6). 22 Die Epithoma enden mit der Heiligsprechung von Papst Coelestin 1313 und werden daher auf ca. 1315 datiert. Die Manuskripte befinden sich in Florenz, Biblioteca Ricciardina 3033 und 3034 (die ursprünglich einem einzigen Codex angehörten), und in der Biblioteca Medicea Laurenziana XXI sin 4 und XXI sin 9. Eine Version in Provenzalisch befindet sich in London, British Museum Egerton 1500, vgl. dazu André Vernet, Une version provençale de la Chronologia magna, in: Bibliothèque de lʼÉcole de Chartres 104, 1943, 115–136. 23 Je nach seinem Aufenthaltsort zwischen Venedig, seinem Bischofssitz Pozzuoli (bei Neapel) und Avignon (dem päpstlichen Hof von Johannes XXII) hat er mehrere Werkstätten von Schreibern und Zeichnern mit der Umsetzung betraut und eine Masterversion (die hier schon oft gezeigte venezianische Fassung) in eigenen Händen behalten, vgl. Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 35 ff. 24 Das Adjektiv satirica leitet sich von satyra ab und meint ‚gemischt‘. Dieser umfangreiche Text ist in der römischen Handschrift enthalten, Vat. lat. 1960, fol. 49–263. enthalten. Eine weitere illustrierte Version befindet sich in der Biblioteca Malatestiana in Cesena, S. XI.5, vgl. Isabelle Heullant-Donat, Aproposito dellʼiconografia del manoscritto S. XI.5 della Biblioteca Malatestiana. Osservazioni sulle scelte e le funzioni iconografiche, in: Fabrizio Lollini / Piero Lucchi / Albinia Catherine De la Mare (Hrsg.), Libraria Domini. I manoscritti della Biblioteca malatestiana testi e decorazioni. Bologna 1995, 277–292; David Anderson, La cronaca di fra Paolino di Venezia dalla corte di Roberto dʼAngiò alla Libreria di S. Francesco di Cesena. Copisti e lettori nel S. XI.5, in: ebd., 265–275; Roest, Reading the Book of History (wie Anm. 5), Cap. 7.
Stadt und Geschichte im Überblick
199
dieser drei Handschriften und ihren unterschiedlichen Konzeptionen regelrecht ein Laborieren an der visuellen Aufbereitung von Geschichte vermuten kann. Das Verfahren ist aus der älteren Historiographie bekannt. In der Rezeption des Geschichtswerks von Eusebius von Caesarea aus dem 4. Jahrhundert und spätestens seit Vincenzʼ von Beauvais ‚Speculum historiale‘ (1254) etwa bei Martin von Troppau gab es vergleichbare Ansätze der Synopsistik.25 Dennoch hat kein anderer mittelalterlicher Autor derartige Mühe auf das kleinteilige, flächige Ausbreiten das Neben- und Nacheinander von Bezügen zwischen Herrscher- und Amtsgenealogien, politischen Ereignissen und historischen Autoritäten verwendet, um nur einige seiner in Spalten aufgeführten Kategorien zu nennen, die sogar den contingentia oft breiten Raum geben.26 Ein kurzer Blick auf wenige Doppelseiten soll daher einen Eindruck von der Komplexität und Anpassungsfähigkeit dieses historiographischen Unternehmens vermitteln: Die wohl älteste Version des ‚Compendiums‘ ist als eine tabellarische Synopse der Weltgeschichte bis in die Gegenwart des Autors gestaltet, welche in einer wechselnden Anzahl von bis zu 28 Spalten Personen und Ereignisse im chronologischen Nacheinander, von oben nach unten, und im synchronen Nebeneinander darbietet. Sie beginnt, wie nicht anders zu erwarten, mit Adam und Eva und ihren Nachkommen, deren Relation teils in genealogischen Stammbäumen differenziert wird. Schon die nächste Doppel-Seite (Abb. 30) wird in Gänze genutzt, um Noah samt seiner Nachfahren vorzustellen.27 Durchgängig werden die wichtigsten Akteure, die neben den Ereignissen selbst die Hauptbezugspunkte mittelalterlicher Historiographie sind, in fiktiven Porträts samt Herrschaftszeichen aufgeführt. Strukturiert werden die Manuskript-Seiten durch weitere visuelle Kürzel und Szenen, z. B. durch eine Weltkarte mit den drei bekannten Erdteilen im T-OSchema, um dadurch Prägnanz zu erzeugen und Ereignisse wie Personen aus dem komplexen Gefüge der Doppelseiten hervorzuheben. Je weiter man auf der Zeitachse kommt, umso mehr Ereignisse sind bekannt und zu verzeichnen, und umso wichtiger wird die Führung des Lesers durch die Menge an Daten. Exemplifiziert sei dies an einer Doppelseite, die Ereignisse aus der Mitte des 13. Jahr-
25 Auf Martin von Troppau hat insbesondere hingewiesen Holtzmann, Stadtplan (wie Anm. 2), 62; vgl. von den Brincken, Weltchronistik (wie Anm. 5), 170; vgl. auch Benjamin Steiner, Die Ordnung der Geschichte. (Norm und Struktur, Bd. 34.) Köln / München 2008. 26 In dieser graphischen Komplexität ist wohl auch der Grund dafür zu vermuten, dass keiner der Texte bislang ediert ist, weshalb in der Forschung nur eine überschaubare Anzahl an Textausschnitten kursiert, die je nach Interesse eingesetzt werden. 27 Marciana, Zan. Lat 399, fol. 1v–2r. Die geblockten Textinserate behandeln u. a. Noah und die Arche, sowie rechts das Babylonische Königreich.
200
Tanja Michalsky
hunderts versammelt. (Abb. 31).28 Gerahmt wird sie von den Kaiser- und Papstspalten. Links handelt es sich um Kaiser Balduin (1228–1261), rechts figurieren untereinander mit Angabe der Pontifikatsdauer die Päpste Alexander IV. (1254– 1261) bis hin zu Gregor X. (1271–1276). Der Erwähnung für Wert befunden werden in der ersten Zeile Wilhelm, König von Holland, und der Doge Lorenzo Tiepolo (1268–1275). Für das Verständnis historischen Geschehens in der Perspektive Paolinos unerlässlich sind genealogisch relevante Hochzeiten, die hier leicht an den paarweise einander zugewandten Köpfen erkennbar sind, die in zarten Linien über den Rand der Seite hinweg über weitere Generationen miteinander verbunden sind. Szenen aus den Kreuzzügen, die in der gesamten Handschrift prominent vertreten sind,29 werden so illustriert, dass die Protagonisten anhand von Fahnen oder Inschriften schnell erkennbar sind, während die Ereignisse mittels eigens eingefügter Jahreszahlen chronologisch eingeordnet werden. Mit langen Beschreibungen und fünf Szenen bekommen die Taten König Ludwigs IX. von Frankreich großen Raum, der – an seiner goldenen Krone identifizierbar – 1270 zum siebten Kreuzzug nach Tunis übersetzt. Dem beigesellt ist eine Szene, die 1269 König Jakob I. von Aragon auf seiner Fahrt nach Akkon in Seenot zeigt. Auf der rechten Seite bietet die fast zwei Drittel einnehmende in zwei Spalten geteilte Rubrik contingentia Raum, um weitere, weniger herausragende Ereignisse zu schildern. Das variable Layout wird genutzt, um Ereignisse zu gewichten und zugleich schnell wiederauffindbar zu machen, um Leerstellen in ungenutzten, aber weitergeführten Rubriken zu füllen, und nicht zuletzt um Protagonisten der Weltgeschichte und Amtsinhaber zu den universalhistorischen Geschehnissen in Relation zu setzen. Wie flexibel diese Tabellen verwendet werden können, zeigt das etwas jüngere Pariser Manuskript, das mit einer Kurzfassung des ‚Compendiums‘ beginnt, in dem die gesamte Geschichte auf drei Doppelseiten zusammen gezogen wird. Die Vorteile dieses Verfahrens sind offensichtlich (Abb. 34), denn in einer Art Zoom wird hier ein erheblich kleinerer chronologischer Maßstab auf die Geschichte anwendet, der mit sehr viel enger zusammengerückten waagerechten Linien einen Überblick über größere Zeiträume ermöglicht. Insbesondere an der Form des ‚Compendiums‘, die wie erwähnt in jenen Manuskripten verwendet wird, die auch die Rom-Karten enthalten, lässt sich der reflektierte Gestaltungsprozess des Geschichtsschreibers nachvollziehen, der das große Format der Doppelseite geradezu offensiv dazu nutzt, die Daten zu Personen und Ereignissen, sowie dynastischen und politischen Beziehungen
28 Marciana, Zan. Lat 399, fol 83v–84r. 29 Vgl. dazu Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 6; sie betonen v. a. das Interesse Sanudos an der Kreuzzugspolitik.
Stadt und Geschichte im Überblick
201
zweidimensional zu ordnen, um das Geschehene aufzubereiten und damit verständlich zu machen. Dass dieser konkrete, visuell dargebotene Zusammenhang von Texten, Szenen und Icons keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen die methodologischen Einlassungen des Autors.
3 Grata pictura und mapa duplex. Paolinos Reflexionen zu den Medien von Geschichtsschreibung In den für dieses Textgenre eher ungewöhnlichen Prologen, die die Höhe des methodischen Reflexionsniveaus vergegenwärtigen, beschreibt Paolino eigens das Ziel seiner bis in das Layout reichenden Auseinandersetzung mit verbalen und visuellen Formen der Geschichtsschreibung.30 Ausdrücklich erläutert er, dass es bei dem Verständnis des Laufes der Welt darauf ankomme, die partikularen Ereignisse in ihrem Verhältnis untereinander zu begreifen. Um die ihm so wichtige Relationalität von historischen Vorgängen erfahrbar zu machen, entwickele er eine grata pictura, also eine angenehme oder dem Kontext gemäß besser ‚angemessene‘ Darstellung bzw. ein Bild, samt Erläuterungen und Zusätzen, damit das, was bereits in den ‚Epithoma‘ oder anderswo geschrieben worden sei, prompte ac clare, also schnell und deutlich, sozusagen ‚auf einen Blick‘ gesehen werden könne. 31 Im Prolog des späteren römischen Exemplars, das Synopse und Erzählung kombiniert, pointiert Paolino, dass sowohl Historiographen (die Erzähler) als auch Chronographen (die Autoren der Annales) zum Scheitern verurteilt seien, weil sie systembedingt entweder die Synchronizität der Ereignisse oder die einzelnen Geschichten vernachlässigten.32 Paolino definiert daher seine eigene
30 Auf diesen Umstand hingewiesen hat zunächst Isabelle Heullant-Donat, Entrer dans lʼHistoire (wie Anm. 21). 31 Quemadmodum organici corporis, puta hominis, pulcritudinem, ite et tocius universi decursus, una parte conspecta, nullus capit obtutus, percipit autem si parcium singularem in se conexionem in toto ac proporcionem adinvicem comprehendat. Hunc universi decorem monstrare agrediar brevi compendio (…) grata pictura deducens cum glosarum seu explicacionum brevi adiectione ut que ipse in Epithomate ystoriarum seu ceteri difuse scriptitare conati sunt prompte ac clare intuieri quisque valeat, quasi in semine segetem et arborem radicalem, vgl. Heullant-Donat, Entrer dans lʼHistoire (wie Anm. 21), 393, Anm. 44; Di Cesare, Problemi (wie Anm. 6), 40. 32 Zusätzlich zum Text des älteren Ms. heisst es: Prestat autem impedimentum scribendi modus: omnium enim ystorias scribentium bipertitus est ordo. Aut enim ystoriographi sunt, rerum ystorias
202
Tanja Michalsky
Aufgabe damit, Narration und Synchronizität miteinander zu verbinden, um die Personen, die Ereignisse und deren zeitliche Erstreckung in größere Zusammenhänge zu bringen, womit hier im überwölbenden, finalen Sinne die Heilsgeschichte gemeint ist. Dies bewältigt er mit dem Linienraster der einzelnen Seiten sowie einem ausgeklügelten Verweissystem aus Jahreszahlen und Kapitelangaben im gesamten Codex. Nur so kann er das Ganze in den Verhältnissen des Partikularen und noch dazu im chronologischen Ablauf erfassen. Zum umfassenden Verständnis von Geschichte bedarf es aber auch noch der Lokalisierung der Orte und Regionen des Geschehens – und hier schließt sich der Bogen zur Karte. In der Einleitung zu ‚De mapa mundi‘ erklärt der Historiker, dass sich Karte und Text ergänzen müssen, da nämlich ein Geschichtswerk nur zu verstehen wäre, wenn ihm eine Weltkarte beigegeben wäre. Ohne sie sei es nicht nur schwierig, sondern unmöglich (non tamen difficile quam impossibile), sich das Überlieferte (ea, que dicuntur de filiis ac filiis filiorum Noe) vorzustellen und zu verstehen. Wörtlich heißt es im Folgenden: Es werde also eine mapa duplex benötigt – d.h. eine Karte mit einem zweifachen Aspekt, aus Bild und aus Schrift. Weder das eine noch das andere könne genügen, weil das Bild / die Zeichnung (pictura) ohne die Schrift die Königreiche und Provinzen nur konfus zeige, während die Schrift ohne die Unterstützung des Bildes ebenfalls nicht hinreichend die Grenzen der Provinzen in ihren verschiedenen Himmelsrichtungen bestimme, so dass sie gleichsam vom Auge erfasst werden könnten (ut quasi ad oculum conspici valeant).33 Die der Handschrift beigefügte (Welt-)Karte (pictura
seorsum vel separatim continuantes, sed negligentes earum contemporeneitatem, aut cronographi econtra gestarum rerum contemporaneitatem notantes, sed ystoriarum continuacionem omictentes, ita ut frequentur difficile sit lectori, una parte ystorie conspecta, consequentem invenire. Sic utrique deficiunt in modo scribendi. Cupientes autem hujusmodi amovere defectus, ut tocius universi decorem clarius monstrare possimus, distinctam per lineas in longum et transversum summam libri premictimus in qua sequencia pene universa conspicimus, sed sicut segetem in radice et arborem in radice. Vgl. die wörtliche dt. Übersetzung bei Melville, Geschichte in graphischer Gestalt (wie Anm. 5), 57; das gesamte Zitat nach Vernet, Version provençale (wie Anm. 22) 119 f., Anm. 3. 33 Incipit prologus in mapa mundi cum trifaria orbis divisione. Sine mapa mundi ea, que dicuntur de filiis ac filiis filiorum Noe et que de IIIor monarchiis ceterisque regnis atque provinciis tam in divinis quam humanis scripturis, non tamen difficile quam impossibile dixerim ymaginari at mente posse concipere. Requiritur autem mapa duplex, picture ac scripture. Nec unum sine altero putes sufficere, quia picture sine scriptura provincias seu regna confuse demonstrat, scriptura vero non tamen sufficienter sine adminiculo picture provinciarum confinia per varias partes celi sic determinat, ut quasi ad oculum conspici valeant. Pictura autem hic posita ex mapis variis est composita sumptis de exemplaribus, que scripturis actorum concordant illustrium, quos imitamur, videlicet (Ysi(dori) in libro Eth(ymologiarum), I(er)o(nimi) de distantia locorum et hebraicarum questionum, Hug(onis) de S. Vic(tore) et Hug(onis) Floriacensis in sua ecclesiastica ystoria, Orosii
Stadt und Geschichte im Überblick
203
hic posita) sei aus mehreren anderen Karten komponiert, die mit den Schriften der Autoritäten übereinstimmten.34 Und er schließt mit der bekannten Warnung, dass man größte Vorsicht walten lassen müsse, damit das Bild nicht von den Zeichnern verfälscht werde.35 Daraus folgt unmissverständlich: Geschichte ist nur mit Karten zu verstehen. Karten bringen durch Bilder – im weitesten Sinne verstanden als visuelle Repräsentationen – Umrisse und Lage von Gebieten zur Anschauung, sie bedürfen jedoch ihrerseits immer der schriftlichen Identifizierung des Gezeigten. Topisch ist dabei die Warnung vor der Fehleranfälligkeit der Bilder, die ihn jedoch nicht vor einer neuen Karte zurückschrecken lässt, weil er das Verfahren der Kompilation autorisierter Daten als Garant für deren Richtigkeit anführt. Selbstverständlich steht Paolino auch mit diesen Bemerkungen in einer langen historiographischen Tradition. Anna Dorothee von den Brincken hat darauf hingewiesen, dass Paolino sich in der Kartenkritik auf den im Autorenkatalog erwähnten Gervasius
de ormesta mundi, Solini de mirabilibus mundi, G(er)vasii de mirabilibus terrarum, Pomponii Mela de situ orbis, Ho[no]rii de ymagine mundi, Eusebii, Bede, Iustini, Balderici Dolensis episcopi in itenerario transmarino et aliorum plurium scribentium maxime de Terre Sancte et circumstantium regnorum Syrie et Egypti, que ad multos passus intelligendos Sacre Scripture necessaria sunt. In quibus studiosissimum doctorem I(er)o(nimum) plurimum laborasse qui legit, intellegit. Quod vero per pictores non vicietur pictura, magna est cautio adhibenda (Vat. lat. 1960, fol. 13r), zitiert nach Heullant-Donat, Entrer dans lʼHistoire (wie Anm. 21), 402 f.; 403, Anm. 77, vgl. Anna-Dorothee von den Brincken, Quod non vicietur pictura. Die Sorge um das rechte Bild in der Kartographie, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongress der Monumenta Germaniae historica. München, 16.–19. September 1986. (MGH Schriften, Bd. 33.) Hannover 1988–1990, Bd. 1, 587–599; vgl. auch Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 118, der den Text ohne Kontextangabe auf die Rom-Karte bezieht, und Lucia Nuti, Cartografie senza carte. Lo spazio urbano descritto dal Medioevo al Rinascimento. (Storia, Bd. 853.) Milano 2008, 11: Beide Transkriptionen sind nicht vollständig und weisen leichte Unterschiede auf. Vgl. auch Jürgen Wilke, Die Ebstorfer Weltkarte. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 39.) Bielefeld 2001, 53. Vgl. zu dem Traktat ‚De mapa mundi‘ zuletzt Di Cesare, Problemi (wie Anm. 6); Dies., LʼImago mundi di Paolino Veneto (wie Anm. 6). Bouloux, Cultures et savoirs géographiques (wie Anm. 6), 63, zitiert die leicht variierte venezianische Version: Universi orbis hec descriptio ponitur tam in scriptura quam pictura. Non enim unum sine alio suficit quia confinia provonciarum per scripturam ad oculum videri absque figura non potest et figura sine scriptura confuse omnia representat. (ebd., 9r). 34 Das ungewöhnliche Bewusstsein für die Kompilation unterstreichen auch Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 61 f., die den Text zitieren und mit Angaben zu den erwähnten Autoren versehen. Zusätzlich bemerken sie, dass Buchardus de Monte Sion, Jakob von Vitry und Wilhelm von Tyrus erstaunlicherweise in Paolinos Aufzählung fehlen. 35 Auch Thürlemann / Bogen, Rom (wie Anm. 4), 30, haben auf den Passus aufmerksam gemacht, ihn jedoch nicht auf die Systematik des gesamten Buches angewendet, sondern v. a. den kompilatorischen Charakter der Karte betont.
204
Tanja Michalsky
von Tillbury (1140–1220) beziehen kann.36 Er verwendet Topoi der Bildkritik wie der Rhetorik, aus der er etwa die Kategorie der Evidenz, also des ‚Vor-AugenStellens‘, entlehnt. Dennoch wäre es ein Fehler, ihn darauf zu reduzieren.37 Wichtiger sind die Nuancen im Umgang mit der mappa und ganz generell der pictura, also dem Instrument visueller Repräsentation als Medium des Zeigens und Erkennens. Die grata pictura, mit der Paolino die Synopse mit Bildinseraten meint, dient dazu, prompte ac clare zu sehen; und die mapa duplex stellt ebenfalls vor Augen und dient damit der Erkenntnis. – Das Besondere bei Paolino besteht in der Energie, die er nicht nur auf die Kompilation von Texten und Karten sondern auf deren Neuordnung und Kombination verwendet, und nicht zuletzt auf das grundsätzliche Projekt der graphisch-visuellen Aufbereitung von historischem Wissen, die über die Tabellenform und das rein rhetorische, sprachlich evozierte Vor-Augen-Stellen hinausgeht. Auffällig prononciert ist das Vertrauen in die epistemologische Potenz von Tafel und Karte im Dienst der Geschichtsschreibung, welche beide einen Erkenntnisgewinn mit sich bringen, der über das im Text Gesagte hinausgeht. Man kann Paolino mit Fug und Recht als einen Vorläufer von Abraham Ortelius bezeichnen, der im 16. Jahrhundert das Diktum von der Geographie als dem „Auge der Geschichte“ nicht nur als Werbung für seinen Atlas verwendete, sondern die Weichen für ein breiteres Verständnis der Kartographie als Erkenntnisinstrument der Geschichte gestellt hat.38
36 Brincken, Sorge um das rechte Bild (wie Anm. 33), 592–594. Gervasius hatte im 2. Buch der ‚Otia Imperalia‘ (1214) aus der besagten Fehleranfälligkeit von picturae jedoch gefolgert, dass die Zeichner den Vorlagen nichts hinzufügen dürften. Ut autem, oculata fide avidis mentibus et sitientibus auribus satisfaciamus, in summa naturalem provinciarum ordinem et situm per tres orbis partes distinctarum in emendatiore pictura subiunximus; considerantes, quod ipsa pictorum varietas mendaces efficit de locorum veritate picturas, quas mappas mundi vulgus nominat. Plerumque enim pictor, ut alias testis, cum de suo addit, partis mendacio totam testimonii seriem decolorat, ut in decretis c.3 q.9 ‚Pura et simplex‘. Nec adscribat lector ignorantiae vel mendacio, quod interdum nomina secus, quam hoc tempore se habent, scribimus, cum nunc antiquitati servierimus, nunc consuetudini loquentium satisfacere nos oportuerit. G. W. Leibniz, Scriptores rerum Brunsvicensium, Bd. 1. Hannover 1707, zitiert nach von den Brincken, Sorge um das rechte Bild (wie Anm. 33), 593. 37 Vgl. das Plädoyer für die mittelalterliche Historiographie von Bernard Guenée, Histoire et culture historique dans lʼOccident médiéval. Collection historique. Paris 1980; Ulrich Fischer, InnenWELTEN – zur Konstruktion von Raum in ausgewählten mittelalterlichen Weltkarten, in: Claudia Olk / Anne-Julia Zwierlein (Hrsg.), Innenwelten vom Mittelalter zur Moderne. Interiorität in Literatur, Bild und Psychologiegeschichte. Trier 2002, 21–38. 38 Vgl. dazu Tanja Michalsky, Geographie – das Auge der Geschichte. Reflexionen über die Macht der Karten im 16. Jahrhundert, in: Die Macht der Karten oder, was man mit Karten machen kann. Hrsg. v. Freundeskreis der Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung und Georg-Eckert-Institut. (Eckert Dossiers, Bd. 2.) Zwickau 2009. http://www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220-2009-0002-091
Stadt und Geschichte im Überblick
205
4 Die Karten im Text Im venezianischen und im römischen Exemplar der Universalgeschichte ist die Karte ganz hinten eingebunden. Verführerisch ist es, das Labyrinth, das im römischen Manuskript auf der gegenüberliegenden Seite steht, als Metapher für Rom zu verstehen, so wie Felix Thürlemann und Steffen Bogen es getan haben.39 Dafür gibt es jedoch keine konkreten Hinweise. Unmissverständlich mit der Karte verbunden sind auf der linken Seite vielmehr die Angaben zur Gründung Roms und zu Palästen, Tempeln und Triumphbögen, die ganz im Sinne der theoretischen Ausführungen als notwendig begleitende scriptura und Hilfsinstrument zum Umgang mit der Karte fungieren. Ganz oben links oberhalb der Karte (Abb. 32 rechts) wird zudem der innovative Ansatz dieses Rom-Bildes herausgestrichen: In Ymagine mundi [Rom]a habet forma leonis heißt es dort, um auf die tradierte, symbolische Darstellung der Stadt in der Form eines Löwen zu verweisen, wie sie sich auf den Weltkarten befindet.40 Bei Paolino figuriert darunter ein stabähnliches Instrument, das durch die Beschriftung, id est milliare, als Maßstab gedeutet werden kann.41 Auf diese Weise wird der tradierte Modus der Darstellung als Gegenmodell ausgewiesen, dem hier etwas Neues zur Seite gestellt wird. Bei Paolino regiert ein Maßstab, der wohl – wie in den späteren Jahrhunderten – als ein Hinweis auf die besondere Exaktheit und auf das Vermessen im Gegensatz zum Symbolisieren verstanden werden soll. Rom ist hier eben nicht als forma sondern als mapa duplex repräsentiert, die explizit mit Daten des Textes verknüpft ist. Unten links sind wie erwähnt die Hügel (montes) nochmals in einer Liste angegeben. Darunter ‚verlinken‘ zwei Verweise die kartierten Orte mit der Narration. Der römische König Numa (ca. 750–672 v. Chr.), hat demnach das Kapitol gegründet, und Lucius Tarquinius Priscus (ca. 616–578 v. Chr.) wird bezeichnenderweise ob seiner Verdienste um das Bauwesen erwähnt.42 Hier
(geprüft 22 März 2014). 39 S. Thürlemann / Bogen, Rom (wie Anm. 4), Kat. Nr. 4. 40 Vgl. etwa das Beispiel in Thürlemann / Bogen, Rom (wie Anm. 4), Kat. Nr. 3. Auch die Autoren weisen auf das Textinserat hin, deuten es jedoch nicht als explizite Abkehr von der älteren Darstellungsweise. 41 milliarus bedeutet ‚Tausendereinheit‘, milliarium die ‚Meile‘, die auf den römischen Straßen durch Meilensteine gekennzeichnet waren. Vgl. zur Inschrift und Westung Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 116. 42 Holtzmann, Stadtplan (wie Anm. 2), 61, hat den Verweis überprüft, merkt jedoch an, dass in Cap. 42, 2 „wohl etwas von Numa [steht] aber nicht, daß er das Kapitol gegründet hat“. Damit missversteht er den Sinn des kartographischen Eintrages, in dem es um die Verbindung von Ort und Name geht.
206
Tanja Michalsky
zeigt sich das Verweissystem erneut in seiner ganzen Komplexität: Historische Personen werden aufgrund ihrer Taten verzeichnet, deren Überreste bis in die Gegenwart reichen. Erinnerungsorte bleiben im visuell fasslichen Raum erhalten. Da die Karte deren historischen Kontext nicht visualisieren kann, wird eigens auf den Text verwiesen. Erst die Verschränkung beider ergibt die Einsicht in das Gebilde der Stadt Rom als figura der Geschichte. Ganz der mittelalterlichen Vorstellung Roms verhaftet ist die Rom-Klage, die die Verwüstungen benennt und die Stadt als mühsam aufrecht stehenden Greis beschreibt, der von seiner Würde nichts mehr habe als alte Steinhaufen und Ruinen.43 Sie transponiert die leidvolle Erfahrung des mittelalterlichen Historikers, der sich zu seiner Zeit einem gänzlich unübersichtlichen Stadtbild gegenüber sieht, das er nur mit seinem Wissen um die Geschichte begreifen kann, in eine Metapher. Noch weit entfernt vom berühmten Diktum Roma quanta fuit ipsa ruina docet,44 demzufolge die Größe Roms sogar noch an ihren Ruinen zu ermessen sei, steht die Figur des Greises bei Paolino vielmehr für die Gebrechen des hohen Alters und die Ruinen allein können das ehrenvolle Rom ausdrücklich nicht wiedererstehen lassen – das kann wiederum nur die Geschichtsschreibung. Noch deutlicher wird die dezidiert intendierte Verknüpfung des Romplanes mit dem Lauf der Geschichte in der Pariser Handschrift (Abb. 35). Hier ist der Plan, der im Grunde nur den befestigten Umriss angibt, nicht an das Ende verlegt, sondern regelrecht mitten in die synoptische Geschichtsdarstellung eingefügt und auf diese Weise mit Angaben zur Gründung Roms im achten vorchristlichen Jahrhundert verknüpft. Nur so erklären sich auch die Text- und Bildinserate. Romulus selbst figuriert samt explicatio außergewöhnlich groß mit Ritterrüstung und Krone als erster römischer König, und in der Spalte der Autoritäten (doctores) wird die Cumaeische Sibylle geführt, weshalb eine entsprechende Erläuterung inseriert wird. In der Tabelle gebührt die linea regularis den Königen von Juda. Unterhalb dieser angesichts weniger Daten kurz geratenen Tabelle steht die Erklärung der Gründung Roms und nach einem Hinweis auf die Ruinen folgen die bekannten Monumentlisten, deren Layout mit roten Kürzeln wie T für templum oder A für arcus den Überblick und das schnelle Auffinden erleichtern. Im Layout
43 Roma suos cineris vidit sub duce / Breno. Incendium suum moruit sub Alari-/co. Successivos atque cotidianos ruinarum / defectus deplorat. Et more senis decrepiti / vix potest alieni baculo sustenari nil habens honorabilis / vetustatis preter antiquitatam lapidum con-/geriem est vestigia ruinosa. / Ex gestis beati Benedicti antistiti / Canusie dicti quia per Totilam Roma destruere ait / Roma a gentibus non extermina-/bitur sed tempestatibus coruscis et turbinibus / ac terremotu fatigata marcescet / in semetipsa, nach Frutaz, Piante (wie Anm. 2), 118. 44 Erstmals belegt bei Francesco Albertini 1510 in: ‚Opusculum de mirabilibus novae & veteris urbis Romae‘.
Stadt und Geschichte im Überblick
207
konkret mit der Synopse kombiniert, erweist sich die Karte hier umso deutlicher als ein Erkenntnisinstrument zum Verständnis einer Jahrhunderte alten Stadt. Auch wenn es wohl zu weit gehen würde, in dieser (höchstwahrscheinlich nicht gänzlich ausgeführten) Fassung des Stadtplanes das noch unbebaute Rom erkennen zu wollen, so wird doch deutlich, dass die Stadt in diesem Exemplar ihren besonderen Ort auch auf der Zeitachse des Werkes gefunden hat, und damit zugleich, dass sie als historisches Gebilde verstanden wird, die ihre Form den Geschicken ihrer Einwohner und Beherrscher zu verdanken hat. Die kartographische Darstellung Roms dient Paolino offenbar als ein ihm gut bekanntes Beispiel, mit dem er Orte und Geschichte konkret verbinden und so präsentieren kann, dass sie ‚gleichsam vom Auge erfasst werden‘, wie er in dem Prolog zur mapa duplex formuliert hat. Ihre Einbindung in den Text macht unmissverständlich deutlich, dass sie nicht dazu gemacht ist, für sich zu stehen, sondern erst gemeinsam mit Chronologie und Tabelle ihre Aussage entfaltet.
5 Die Karte als Instrument des Historikers Entstanden im Kontext der innovativen visuellen Didaxe eines Universalhistoriographen, bewahrt die Karte die materiellen Spuren von dessen methodischen Reflexionen: Pictura und scriptura sind auch über die Grenzen des Plans hinaus miteinander verbunden und als komplementär wirksame Medien des Erkennens- und Repräsentationsprozesses produktiv gemacht. Das sorgfältige Layout der Doppelseiten im ‚Compendium‘, mit dem historische Ereignisse visuell in Beziehung gesetzt werden, findet sein Pendant in einem Stadtplan, der Rom auf ausgewählte Monumente der Antike und der jüngeren Vergangenheit samt ihrer wichtigsten Verbindungslinien reduziert, dergestalt dass das unüberschaubare Gelände einen historisch ableitbaren Sinn bekommt. Die Auswahl der Monumente ist dabei nicht, wie sonst allgemein angenommen, allein der Lektüre der Mirabilia verdankt, sondern dem konkreten Interesse des Autors, der nur die für seine Belange wichtigsten hervorhebt, wobei es nicht verwundert, dass hier neben Pantheon und Kolosseum auch weitere Bauten der römischen Könige, der Kaiser, der Päpste und der Kommune prominent figurieren. Das Interesse an der ästhetischen Aufbereitung der Stadt, verstanden im vormodernen Sinn eines Vertrauens auf die Erkenntnis stiftende Wahrnehmung ‚auf einen Blick‘ lenkt das Vorgehen des Autors, der anhand dieser Karte, ganz ähnlich wie in seinen Tabellen, Beziehungen des Partikularen zum Ganzen zeigen möchte. Weil die zweidimensionale Karte ihm als Medium der Visualisierung von Strukturen dienen soll, ringt Paolino mit den topographischen Begebenheiten,
208
Tanja Michalsky
die er – anders als die Spalten seiner Tabellen – nicht variieren kann. Erst wenn man die auffällige rote Einzeichnung der Hügel nicht als Unvermögen eines mittelalterlichen Zeichners abstempelt, sondern sie als einen veritablen Versuch ernst nimmt, die Auswirkungen des konkreten Geländes für die Gestaltung der Stadt aufzuzeigen, werden sie verständlich. Sie zeugen von der Reflexion über die kartographische Visualisierung eines dreidimensionalen Raumes, deren Grenzen sie ebenso offenbaren wie sie sie durch die variierende Ausrichtung der Monumente zu überschreiten suchen. Trotz ihrer dienenden Funktion für den Historiker ist die Karte nämlich ein Werk eigenen Rechts insofern sie medial definierten Regeln folgt, denen gemäß die eingezeichneten Orte nicht zuletzt über den Maßstab und ihre Relationalität untereinander Bedeutung zugewiesen bekommen. Sie darf, wie Bilder generell, nicht als ein Medium missverstanden werden, mit dem man auf einen historischen Zustand der Stadt selbst schließen kann, sondern vielmehr als ein Medium, das – in dieser spätmittelalterlichen Version – die Stadt als chronotopische Entität definiert, als eine räumliche Konfiguration von Sedimenten der Geschichte. Ganz im Gegensatz zum fortlaufenden Text des Geschichtsbuches regiert auf der Karte das (angeblich maßstabsgetreu wiedergegebene) Gelände, auf dem Ereignisse verschiedener Zeiten sich an einzelnen topographischen Orten überlagern. Dementsprechend sollte auch nicht die Metapher des Labyrinths angeführt werden, sondern vielmehr jene des Palimpsestes, denn eine herausstechende Eigenschaft der Karte von Paolino ist, dass ihre Rasuren und Überschreibungen allenthalben ältere Eintragungen sichtbar lassen. Grundsätzlich gilt es dabei zu bedenken, dass die Karte nicht das Rom des 14. Jahrhunderts zeigt – sondern die ‚mental map‘ eines Historikers des 14. Jahrhunderts. Sie konzipiert Rom, vor dem Hintergrund von Paolinos eigener Erfahrung, die sich auch in der zitierten, topischen Romklage niederschlägt, folgendermaßen: in seinen antiken Ausmaßen, mit späteren Veränderungen, mit Erinnerungsorten avant la lettre, durchtränkt von der Geschichte, verkompliziert durch die Hügel, und bei all dem als eine Einheit, die nur der Gelehrte in dem zeitgenössischen Durcheinander von antiken Ruinen und modernen Bauten stiften kann. So gut jeder heutige Rom-Besucher das Problem der chaotischen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nachvollziehen kann, handelt es sich dabei doch nicht um ein ahistorisches Phänomen. Um den Plan in seiner spezifischen Aussagekraft zu verstehen, muss man sich die historisch bedingte Alterität eines Entwurfs vergegenwärtigen, dessen Ordnung einem mittelalterlichen Geschichtsbild unterliegt, in dem Rom scheinbar eine Schlüsselstellung für das Verständnis der Weltgeschichte zusteht. Warum das so ist, ist Gegenstand zukünftiger Forschung.
Stadt und Geschichte im Überblick
209
Ziel dieses Beitrages war es, den Rom-Plan von Paolino Minorita aus dem universalhistoriographischen Unternehmen seines Autors und damit aus seiner konkreten kodikologischen und medialen Funktion als Erkenntnisinstrument eines Historikers abzuleiten, ihn also an jene Erklärungsmuster zurückzubinden, die sich in Paolinos Interesse an der Relationalität von Daten und an der offensichtlichen Überschreibung und Resemantisierung historischer Orte im Laufe der Chronologie fassen lassen. Das Augenmerk lag auf der Parallele und der Verknüpfung der visuell-graphischen Aufbereitung historischer Daten in den Tabellen und der Karte, um das vom Autor reflektierte Erkenntnispotential der mittelalterlichen Karte in den Vordergrund zu rücken und darüber hinaus gehend, um die Karte aus ihrer Rolle einer mehr oder weniger gelungenen Repräsentation eines vorgefundenen Raumes zu befreien und als eine dezidierte Aussage zur Geschichte (nicht nur) Roms zu etablieren. Erst wenn man diesen mediengeschichtlichen Befund ernst nimmt, wenn man der Karte also im Kontext der spezifischen Weltgeschichte die Formulierung von Erkenntnissen zugesteht, und sie nicht auf die Kompilation von Bekanntem reduziert, die ohne die Kenntnis möglicher Vorbilder gar nicht zu überprüfen wäre, ergeben sich weitere Fragen zur Interpretation des außergewöhnlichen Plans vor dem konkreten historischen Hintergrund seiner Entstehung: Warum bekommt Rom zu einem Zeitpunkt, in dem es längst nicht mehr als Nabel der Welt verstanden wird und die Päpste in Avignon residieren überhaupt einen solchen Stellenwert innerhalb der Handschrift? Kann man die Westung des Plans als ein Statement deuten? Warum wird Jerusalem zumindest im Medium des Plans weniger Aufmerksamkeit geschenkt? Ist das Kapitol mit dem Senatorenpalast als politischer Ort zu lesen? Vergegenwärtigen die eingezeichneten Straßen Itinerare bestimmter Gruppen (wie der Pilger) oder Routen von Prozessionen (z. B. zwischen Vatikan und Lateran)? Spielt die Verbindung Paolinos zum Hof König Roberts von Anjou in Neapel eine entscheidende Rolle?45 Um nur einige zu nennen.
45 Es ist bekannt, dass Paolino in enger Verbindung zum Hof stand, dennoch kann nicht nachgewiesen werden, dass es sich um ein Auftragswerk Roberts von Anjou handelt, vgl. HeullantDonat, Entrer dans lʼHistoire (wie Anm. 21), 390 f.; Degenhart / Schmitt, Marino und Paolino (wie Anm. 3), 84, weisen insbesondere im Zusammenhang der Italienkarten der Vatikan-Handschrift auf den angevinischen Hof hin, an dem Petrarca und König Robert ein Kartenprojekt entworfen haben sollen. Diese Annahme beruht auf einer Erwähnung in Flavio Biondos Italia Illustrata: Nam pictura Italiae quam in primis sequimur, Roberti regis Siciliae et Francisci Petrarchae eius amicus opus, Vicuentiam Vicueriamque et Conam vicos profluenti Pado appositos habet, zitiert nach Flavio Biondo, Italy illuminated. Hrsg. u. übers. v. Jeffrey A. White. Cambridge (Mass.) 2005, 342. Eine provençalische Version, die heute in Cesena aufbewahrt wird, scheint im Besitz Ro-
210
Tanja Michalsky
Antworten auf diese Fragen erfordern jedoch eine Untersuchung weit größeren Umfangs, die auf die nicht edierten Texte der gesamten Geschichte Paolinos rekurriert, sie mit anderen Versionen zeitgenössischer Geschichtsschreibung abgleicht und die darüber hinaus auch die übrigen Stadtpläne der Handschriften einem strukturellen Vergleich unterzieht, so dass ganz im Sinne Paolinos das Verhältnis des Partikularen zum Ganzen und des Speziellen zum Besonderen eruiert werden kann. Zu all dem kann an dieser Stelle nur der Grundstein gelegt werden.
berts von Anjou gewesen zu sein, Anderson, Cronaca (wie Anm. 24), vgl. auch Vernet, Version provençale (wie Anm. 22) zu einer Übersetzung der Epithoma.
Johannes Fried
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter 1291 fiel Akkon, die letzte Bastion der Kreuzritter im Heiligen Land. Die „Franken“, wie die Lateiner dort hießen, mussten sich zurückziehen; es sollte für immer sein. Doch die Erinnerung blieb. Gerade zweihundert Jahre hatte die Episode gewährt, die, romantisch verbrämt oder von Wut gezeichnet, bis heute in den Geschichtsbildern des Westens und der Muslime spukt. Die Ritterorden der Johanniter und der Deutschherren, der dramatische, nie ganz vergessene Untergang der Templer, Legenden und Erzählungen und nicht zuletzt immer neue Kreuzzugsaufrufe hielten hierzulande die Erinnerung am Leben. Frühzeitig schürte die Rhetorik der Rückeroberung und Restauration das Feuer. Zahlreiche Gutachten wurden dazu von Päpsten und Königen in Auftrag gegeben. Noch der unselige Präsident George W. Bush Jr. verstieg sich zur Kreuzzugsrhetorik. Er ahnte nicht, welches Unheil er damit los trat. Eine jener alten Empfehlungen hat seit jeher das Interesse der Historiker gefunden: sie sei in das Zentrum unserer Überlegungen gestellt. Guillelmus Adae, ein Dominikaner aus Katalonien, der in Persien missioniert und nacheinander verschiedene orientalische Bischofssitze, zuletzt aber den Stuhl von Antivari in Montenegro bestiegen, der neben Persien auch Indien betreten hatte, der den Golf von Aden resp. den Bab-el-Mandeb hatte queren und Äthiopien hatte erreichen wollen, der sich zumeist aber am Papsthof in Avignon aufhielt, dieser weitgereiste und machtnahe Guillelmus also hat dieses Gutachten wohl auf Wunsch des Kardinals Raymond Guillaume de Farges (eines Neffens Clemens’ V.) und zur Weiterleitung an den Papst Johannes XXII. wohl um das Jahr 1317 verfasst und betitelt: ‚De modo Sarracenos extirpandi‘, über die Ausrottung der Sarazenen.1 „Die Klagen der mit Rachel weinenden Kirche, die Klagen des bedrückten Christenvolkes, die Klagen der von der sarazenischen Knechtheit Betrogenen, die Klagen des vom Blute Christi geheiligten Landes erfüllen die Welt. (…) Es klagt das unterdrückte Christenvolk, und niemand ist da, der es befreit. (…) Es klagt
1 Recueil des historiens des croisades, Bd. 2: Documents arméniens. Paris 1906, 521–555; jetzt: William of Adam, How to Defeat the Saracens. Guillelmus Ade. Tractatus quomodo Sarraceni sunt expugnandi. Ed. Giles Constable. (Dumbarton Oaks Medieval Humanities.) Washington (DC) 2012 (den ersten Hinweis auf diese Ausgabe verdanke ich Patrick Geary). Ich verweise zur leichteren Orientierung in älteren Arbeiten auf die Seiten beider Ausgaben, die ältere Edition stets zuerst. Zur Sache: Antony Leopold, How to Recover the Holy Land. The Crusade Proposals of the Late Thirteenth and Early Forteenth Centuries. Aldershot 2000, passim.
212
Johannes Fried
das Heilige Land.“ „Dort hauset das unreine Volk (populus immundus), das im Umkreis Jerusalems das Blut der Christenkinder wie Wasser vergießt.“ „Es klagen alle, die (…) gezwungen werden, einen fremden Glauben (legem) anzunehmen, den ihre Väter nicht pflegten, gezwungen, ihn zu pflegen und ihren Herrgott, ihren Schöpfer, zu vergessen.“ Emotionale Agitation also, altvertraut. Doch dann lassen Klagen über falsche Christen aufhorchen, die den Glauben der römischen Kirche bloß mit Worten bekennten, in ihren W e r k e n aber verleugneten. Der Dominikanermönch erbarmte sich auch solcher Klagen, eiferte gegen „die Verbrechenssöhne“ und bot ein ganzes Bündel befreiender Ratschläge. „Wollte er schweigen, so machte er sich des Verbrechens mitschuldig.“2 Wilhelm bettete, was er zu sagen hatte, und das hebt sein Gutachten aus den gleichzeitigen analogen Empfehlungen heraus, in eine umfassende politische und kulturelle Lageanalyse des Vorderen und Mittleren Orients; er blickte dazu von Osteuropa bis nach Indien und Äthiopien. Diese Analyse diente der Vorbereitung neuer Kreuzzüge, die freilich nie stattfanden, wenn auch mit fortgesetzter Kriegsrhetorik ständig zu drohen schienen. „Eine Präambel zum neuerlichen Kreuzzug zu verfassen“, das sei seine Intention. Kein Land im erwähnten Umkreis, keine Macht, kein Mittel blieb in Wilhelms Analyse ausgespart. Nicht ohne Stolz und zur Legitimation seines Unterfanges betonte er: „den Glauben verkündend sah ich viele Länder, durchreiste Provinzen, lernte ich vieler Völker Sitten kennen“.3 Welterfahrung zur Kriegplanung. Bei den Tartaren der Goldenen Horde hatte er verweilt, das christliche Reich der Georgier berührt; berücksichtigt wurden der Ilkhan von Persien, das Ägypten der Mamluken, die strategische Lage der gerade in Genueser Hand befindlichen Insel Chios, die in sich gespaltene Christenheit, die Feindseligkeiten der katholischen und der muslimischen Reiche untereinander und die Parteikämpfe in Städten wie Genua, die Interdependenz von geographischer Lage, politischen und wirtschaftlichen Zielen, die aggressiven Handels- und Profitinteressen gerade auch unter den Christen,4 der von Christen betriebene Sklavenhandel, die Piraterie von allen Seiten,5 Lebens- und Moralnormen hier und da – nichts, absolut nichts blieb aus-
2 So begann Guillelm sein Gutachten: Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 522 bzw. 22. 3 Ebd., 322 bzw. 24. 4 Im Ganzen noch unersetzt: Adolf Schaube, Handelsgeschichte der romanischen Völker des Mittelmeergebietes bis zum Ende der Kreuzzüge. (Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte Abt. 3.) München / Berlin 1906; Eine nützliche Quellensammlung: Robert S. Lopez / Irving W. Raymond (Hrsg.), Medieval Trade in the Mediterranean World. Illustrative Documents Translated with Introduction and Notes. (Records of Western Civilization.) New York 1955 u. ö. 5 Marie-Luise Favreau, Die italienische Levante-Piraterie und die Sicherheit der Seewege nach Syrien im 12. und 13. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 65,
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
213
gespart. Selbst die vorbereitende Wiedereroberung Konstantinopels durch Lateiner wurde zur Sicherung des militärischen Aufmarsches für einen neuerlichen Kreuzzug und der Versorgung der Truppen mit Lebensmitteln ins Spiel gebracht. Nicht alles, was Guillelm zu sagen hatte, war neu. In seinem Gutachten manifestierten sich die Erfahrungen der letzten Jahrhunderte und konvergierten in einem komplexen Weltsystem. Die besten Informanten des Mönchs dürften nicht zuletzt eben jene gewesen sein, die er des Verrats bezichtigte: die Kaufleute der großen italienischen Seekommunen. Er dürfte ihnen auf seinen weiten Reisen und in verschiedenen Handelskolonien begegnet sein und ihre Erfahrungen mit den seinen abgeglichen haben.6 Was also sei zu tun? Wilhelms Vorgehen verrät den Scholastiker. Zuerst werde er die aktuelle Lage schildern, sodann Kontraindikationen entwickeln, wie nämlich die militärische Stärke der Gegner vernichtet werden könne. Auf vielfältige Weise und durch viele Völker fänden die Sarazenen Unterstützung: 1) durch Kaufleute, die der römischen Kirche unterstünden, 2) durch „unsere“ Pilger, die trotz Gefahr der Exkommunikation ständig Geld ins Land der Sarazenen trügen, 3) durch den Kaiser von Konstantinopel, der gegen die römische Kirche die Mamluken in Ägypten unterstütze, 4) durch den Khan der Goldenen Horde (die „nördlichen Tartaren“), 5) durch die Kauffahrer des Indischen Ozeans.7 Gefahr für Gefahr wurde mit jeweils mindestens vier Gegenmitteln bedacht. Nicht alles können wir im Folgenden ansprechen; allein die Momente der Globalisierung seien hervorgehoben. Sie konzentrieren sich bei Guillelm auf Fernhandel, Geldtransaktionen im Kontext von ‚Tourismus‘, auf militärische und politische Momente. Der Dominikaner giftete gegen die Geschäfte von Christen mit Muslimen oder deren Helfershelfern. Katholische Kaufleute würden mit Ägypten Handel treiben, nämlich Katalanen, Pisaner, Venezianer und die Kaufleute anderer Küstenstädte, allen voran aber die Genuesen. Ägypten verfüge über kein Eisen, kein Holz, kein Schiffspech, kein Tuch für Kleidung, kein Öl, keinen Wein, kein Korn zum Essen, nicht einmal genügend Menschen, um das Land zu bevölkern: Eine Exportanalyse als Mängelliste. Jene Kaufleute, „Höllendiener“, die sie seien, würden tatsächlich die Feinde Christi mit allem versorgen. Man könne es dann in Alexandria, „dem Hafen und Tor des Verderbens“, billig erstehen,8 einer verruchten Handelsoase, jeder rechtlichen Kontrolle durch westliche Mächte entzogen.
1978, 461–510. 6 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 532 f. bzw. 50–54. 7 Ebd., 523 bzw. 26. 8 Ebd., 523 bzw. 26–28.
214
Johannes Fried
Mehr noch: Nicht nur Eisen würde nach Ägypten exportiert, sondern fertige Waffen: Lanzen, Schwerter, Speere, Pfeile, Harnische, Helme, kurzum alles, das gegen die Christen Verwendung fände, wenn diese zum Kreuzzug ausrückten. Das Holz diene nicht bloß zum Hausbau, vielmehr zur Herstellung von Waffen: von Lanzen, Pfeilen und Wurfspeeren, von Bögen und Wurfschleudern, vor allem auch für den Bau von Galeeren, von Handels- und Piratenschiffen. Sie, diese falschen Christen, würden dort lehren, wie man solche Geräte oder Schiffe baue; denn die Ägypter wüssten es nicht. Zum Waffenexport trat somit Wissensexport. Eine multifunktionale Analyse durch den Gutachter. Nur eines scheint der Mönch nicht recht bedacht oder durchschaut zu haben, dass diese Kommunen und ihre Fernhändler nämlich in schärfster wechselseitiger Konkurrenz agierten, die durchaus zu militärischen Auseinandersetzungen führen konnte, und dass diese Konkurrenz die inkriminierten Aktivitäten steigern musste. Immerhin wusste er, dass das Vorbild schon einer einzigen Handelsgesellschaft andere zur Nachahmung drängte,9 was in gewissem Sinne als Konkurrenzmodell gelten darf. Beihilfe würden diese Leute leisten, um Christen als Sklaven ins babylonische Imperium zu schaffen. Überall würden sie getaufte Knaben und Mädchen kaufen: Griechen, Bulgaren, Rutenen, Alanen, Ungarn, Tartaren und Kumanen. Sie glichen in Ägypten zum Nachteil der Christen den Bevölkerungsschwund aus, den giftige Vipern verursachten.10 Die Knaben würden, so registrierte der Katalane weiterhin, trainiert, um als Mamluken gegen Christen zu kämpfen. Reich würden sie werden, diese Kaufleute, die die Kinder „in den Rachen des Drachen“ stießen.11 Solcher Handel müsste unterbunden werden. Ein transnationaler Waffen-, Sklaven-, Waren- und Wissensexport also, ohne Rücksicht auf Glauben, Moral und Sitten, skrupellose transnationale Kooperation – zu verruchtem Gewinn mit tiefreichenden Rückwirkungen auf die Gesellschaft der beteiligten Städte und Verbände. So zeichnete sich eine Art „überstaatlicher“ und von Konkurrenz geprägter Gemeinschaft ab, die ihren eigenen Gesetzen folgte und nicht den offiziellen Normen der jeweiligen Heimat. Der beobachtende Mönch sah die Einzelheiten und ahnte das Ganze, den globalen Effekt. Ihn musste er mit seinen Empfehlungen treffen. Ethische Normen würden völlig missachtet. Besonders schlimm sei die sexuelle Devianz, die in Ägypten herrsche und gefördert würde. Der Missionar registrierte sie mit Abscheu: Unzählige Dirnen gäbe des dort, verweiblichte Männer (homines effeminati), die sich rasierten, das Gesicht schminkten, Frauenkleider
9 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 525 bzw. 34, s. u. 10 Ebd., 524 bzw. 30. 11 Ebd., 523 f. bzw. 30.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
215
trügen, wie Frauen sich Ringe an Arme und Beine und güldene Reifen um den Hals hingen.12 Sie täten es nicht eingedenk „der menschlichen Würde“ (humane dignitatis obliqui). Am widerlichsten sei es, dass dort sich Männer mit Männern paarten wie Mann und Frau. „Unsere Katholiken“ würden das billigen und Beihilfe leisten. Entdeckten sie einen hübschen Knaben, würden sie ihn kaufen, in seidene Gewänder stecken, mit Gold schmücken, in wohlriechenden Essenzen baden, schminken und verkaufen. Alle Handelsherren der genannten christlichen Städte und zumal Genuas würden es gleichermaßen halten, aber besonders der Seguranus Salvatici aus Genua, das „Haupt der Sünde“ (caput peccati), „der Bruder des Sultans“, wie man ihn nenne, „Begünstiger und Förderer des mohammedanischen Glaubens“; er solle ihm selbst anhängen, ebenso seine Brüder, Neffen und sonstigen Verwandten. Er würde viele Genuesen zur Nachahmung verlocken (exemplo suo attraxit ad similia peragendum).13 Fremde Bedürfnisse wurden erkundet und bedient, ein international geförderter Erotik-Markt. Zehntausend Knaben habe allein Seguranus nach Alexandria verkauft,14 die Frachten der übrigen Handelsherren nicht mitgerechnet – eine erzwungene, multinationale Migration der Jugend. Er selbst, Guillelmus, habe mit eigenen Augen gesehen, wie dieser Mann die „Flagge Mohammeds und des Sultans“ auf seinen Schiffen und Galeeren hisse. Schiffahrt unter fremder Flagge, geeignet, um sich den heimischen Normen zu entziehen; skrupellose Wahrung wirtschaftlicher Chancen unter Einsatz aller möglichen Mittel. Ein ‚transnationales‘ Netzwerk aus politischen, kirchlichen, religiösen, herrschaftlichen, ökonomischen, kulturellen Faktoren zeichnete sich für Guillelm ab. Er verabscheute es, doch verstand er es auch, dasselbe in seine diversen Stränge zu zergliedern und zu gewichten. Sein gesamtes Gutachten zeugte von dieser globalisierenden Perspektive. Gelenkt aber wurde sein Blick von den sachkundig beschriebenen Praktiken der Fernhändler und Großkaufleute, was zugleich hieß: der transnational agierenden Hochfinanz, gelenkt aber auch durch die ihm selbst, dem gelehrten Dominikaner, bestens vertrauten Normen abendländischchristlicher Morallehre. Als Gegenmittel gegen das Übel, die wir hier – wie gesagt – nicht alle betrachten können, empfahl Guillelmus zunächst und immer wieder den Kirchenbann, den bereits Clemens V. gegen jene Kaufleute verhängt habe. Er sollte erneuert und strikt eingehalten, das Vermögen der Exkommunizierten sollte mit Hilfe der Herr-
12 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 524 bzw. 30–32. 13 Ebd., 525 bzw. 32–34. 14 Ebd., 526 bzw. 34.
216
Johannes Fried
schaftsträger eingezogen und zur Finanzierung des Kreuzzugs genutzt werden. Maßnahmen gegen die kirchenschädliche Freibeuterei und den Betrug bei der (zum Teil kirchlichen) Finanzierung des Galeerenbaus seien nötig. Endlich: In Genua gebe es ein Amt, das gegen Piraterie vorgehe (Officium robarie) und auch anonyme Beschwerden mit höchster Effizienz verfolge, und zwar gleichermaßen Beschwerden von Christen, Juden und Sarazenen eines jeden Landes, gegen das Genua nicht Krieg führe. Dieses Amt sei so zu reformieren, dass es nur noch zugunsten der Christen und Juden agiere.15 Skandalträchtig also war die religionsneutrale Internationalisierung des Marktes, die für die großen Seekommunen längst lebenswichtig war. Wir dürfen sie in der Tat Globalisierung heißen, da sie die gesamte damals bekannte Welt betraf und diese Welt mit ihren neuartigen, auf die Religionen nicht achtenden und ihren eigenen Gesetzen gehorchenden ökonomischen Praktiken überlagerte. Gewiss, arabische und jüdische Fernhändler – man denke an die Rhadhaniten des 9. Jahrhunderts oder an die Dokumente der Geniza16 von Fustat (Alt-Kairo) – hatten sich längst vor den lateinischen Europäern dem Handel mit Indien und China zugewandt. Guillelmus’ Ausführungen aber verschmolzen handelsfremdes Wissen mit den Wirkungen von Fernhandel und Hochfinanz; sie reflektierten damit – wie in einem Brennspiegel gebündelt – Voraussetzungen, erste Wirkungen und Praktiken der einsetzenden oder schon fortschreitenden Globalisierung. Sie basierten auf fremden und eigenen Erfahrungen, auf aktuellen Erkundungen über fremde Länder, deren Bewohner und Herrschaftsträger, verwiesen aber zugleich auf reale oder vermutete Lebensbedürfnisse der Menschen dort. Es war ein Wissen, das der Autor fern seiner eigenen Heimat, wenn auch mit den von dort mitgebrachten Maßstäben und Werten gesammelt, geordnet und gewichtet hatte. Er sah mit dem Blick eines Fremden, der eigene Interessen verfolgte, lieferte also keine „teilnehmende Beobachtung“ und „dichte Beschreibung“ (Clifford Geertz).17 Er protokollierte nicht als Ethnologe, sondern als Stratege; er kritisierte transnationale Handelsusancen, wobei uns jetzt weniger die Kritik als vielmehr die kritisierte Praxis interessiert; Guillelm wusste aber dieselbe für eigene Interessen nutzbar zu machen.
15 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 526–528 bzw. 36–38; zu Genua grundlegend: Michel Balard, La Romanie génoise (XIIe – début du XVe siècle). (Atti della Società ligure di Storia Patria Nuova, Bd. 18.1–2. Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, Bd. 235.) Genua / Rom 1978. 16 S[hlomo] D[ov] Goitein, A Mediterranean Society. The Jewish Communities of the Arab World, 6 Bde. Berkeley / Los Angeles 196–1988; vgl. auch Ders., Letters of Medieval Jewish Traders. Translated from the Arabic with Introduction and Notes. Princeton 1973. 17 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Frankfurt am Main 1983.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
217
Die Maßnahmen, die Guillelm empfahl, mussten so komplex sein wie das Übel, das sie bekämpfen sollten; sie mussten ineinandergreifen. Der verhinderte Knabenhandel zugunsten der Kriegssklaven der Mamluken folgte denn auch keineswegs bloß christlicher Ethik, sondern sollte und könnte, wenn radikal realisiert, die Militärkraft Ägyptens entscheidend schwächen. Denn „die sarazenischen Ägypter hätten den Gebrauch der Waffen total verlernt“.18 Der verhinderte Sklavenhandel sollte mithin – ähnlich dem empfohlenen Waffenembargo – einen Beitrag leisten zur Wiedergewinnung des Heiligen Landes. Die lateinische Christenheit lechze nach dem Kreuzzug; eher würde es an Schiffen mangeln als an Kämpfern. Auch sei der mongolische Sultan von Bagdad (also der Ilkhan) zur Unterstützung der Christen gegen die Mamluken bereit.19 Noch einmal: Ökonomische, soziale, politische, militärische und mentale Faktoren in – wie sich gleich noch zeigen wird – weltweitem Rahmen sahen sich hier zu einem Ziel gebündelt. Die Unrealisierbarkeit dieser Empfehlungen zur Rückgewinnung Jerusalems aber, ihre faktische Wirkungslosigkeit – stets wurde als erstes Gegenmittel die Exkommunikation durch den Papst empfohlen – verraten einmal mehr, dass die handelspolitische, gewinnorientierte, konkurrenzinduzierte Internationalisierung des Fernhandels und der mit ihm verbundenen Hochfinanz bereits effizienter operierte, als die schärfsten Mittel kirchlicher oder (tatsächlich halbherziger) weltlicher Sanktionen. Papst und Könige profitierten nicht zuletzt von dem Verbotenen. Die Handelsverflechtungen nahmen tatsächlich zu, die Nachfrage nach den Luxusgütern stieg, jedenfalls unter den wohlhabenden Europäern, und konnte schon nicht mehr gebremst werden. Auch das Genueser Piraterieamt blieb unverändert bestehen und schützte ungehindert die muslimischen Handelspartner der Kommune so gut wie jüdische und christliche. Ich übergehe die weiteren Ausführungen des Gutachters und die von ihm empfohlenen Maßnahmen. Sie enthalten eine Reihe bemerkenswerter Hinweise zur Lageanalyse, etwa im Blick auf die vier Reiche der Tartaren oder das Bündnis der Mamluken mit dem Khan der Goldenen Horde gegen den mongolischen Herrscher in Bagdad. Die Folgerungen für unser Thema zeichnen sich auch ohne neue Beispiele klar ab. Die ungeheure Ausweitung des geographischen Weltbildes seit dem 12. und 13. Jahrhundert spiegelt sich in Guillelms klaren kontinentalen Vorstellungen. Die Kenntnis fremder Sitten, Gebräuche und Bedürfnisse prägte in großem Stil den Handel und die Hochfinanz, die diesen Handel finanzierte oder zwischenfinanzierte und sich aus ihm speiste. Die nicht mehr aufzuhaltende Nachfrage hier oder da vereitelte jeden Eingriff in dieses System. Einschneidende
18 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 533 bzw. 56. 19 Ebd., 534 bzw. 56–58.
218
Johannes Fried
Rückwirkungen nicht bloß auf die heimischen, europäischen Exportgewerbe, vielmehr auf die römisch-christliche Gesellschaft und ihre Ordnung machten sich bemerkbar, auf Sozialverhalten, Werteordnung, Politik; doch auch die muslimische und mongolische Welt sah sich betroffen. Einige wenige Einzelmomente greifen wir heraus. Wilhelm hetzte gegen den orthodoxen Kaiser von Konstantinopel, „den Begünstiger und Ernährer der Irrlehren, dem stets die Wahrheit des Glaubens und die Einheit der Kirche verhasst“ sei.20 Nicht wirtschaftliche, sondern politische Argumente wurden dafür in Anschlag gebracht. Der Gutachter sah zwar die tödliche Bedrohung Ostroms durch die Türken Kleinasiens; aber er glaubte, sie mit einer erneuten Eroberung Konstantinopels durch die Lateiner abzuwenden. Weil die „Sarazenen Ägyptens“ nicht gegen die „Unseren“ anzutreten wagten, würden sie Türken anheuern21 – eine Art internationalen Söldnertums also ins Leben rufen. Eindrucksvoll ist die Analyse der Lage des genuesischen Chios als Insel zwischen Konstantinopel, den Tartaren der Goldenen Horde, den Türken Kleinasiens und den Mamluken Ägyptens, eine ideale Aufmarschbasis für den künftigen Kreuzzug. Zwischen der Insel und dem Festland sei nur ein schmaler Durchlass, wichtig für den Verkehr zwischen Smyrna und Ephesus, den man leicht sperren könne, sobald man das gegenüberliegende Kap in seinen Besitz gebracht habe. Überhaupt, der geopolitische Blick, den der weitgereiste Dominikaner besaß. Da konzentrierte er sich etwa auf den Handel zwischen Indien und Ägypten.22 Wiederum bezichtigte Guillelm christliche Kaufleute des schnöden Mammons wegen und unter Missachtung der römischen Kirche sträflichen Verhaltens. An den Küsten des indischen Ozeans – größer als „unser (Mittel)meer“ – lägen viele Städte, in diesem aber zahlreiche Inseln. Genau wird die Lage des Golfs von Aden und des Roten Meeres zwischen Arabien und Afrika beschrieben, wo die Stadt Eden (Aden) liege. Aus Indien aber kämen Pfeffer, Zimt, und andere Spezereien, Edelsteine, Seide, kostbare Tücher, mithin gewinnträchtigste Handelsgüter sowohl für Ägypten wie für die christlichen Kaufleute, die Alexandria anliefen, und derentwegen sie aller Exkommunikation trotzten und die päpstliche Autorität missachteten.23 In Indien liege die Ursache (materia) aller Übel,
20 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 545 bzw. 86. 21 Ebd., 540 bzw. 72. 22 Ebd., 549 ff. bzw. 96–116; Vgl. zur Sache Claude Cahen, Le commerce musulman dans l’Océan Indien au moyen âge, in: Michel Mollat (Hrsg.), Sociétés et compagnies de commerce en Orient et dans l’Océan Indien. (Bibliothèque générale de l’École Pratique des Hautes Études VIe section.) Paris 1970, 179–193. 23 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 549 f. bzw. 100.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
219
die er beschrieben habe.24 Wie die Speisen vom Kopf über den Schlund in den Magen und zu den übrigen Körperteilen gelangten, so jene kostbaren Waren vom Kopf des Indischen Ozeans durch den Schlund des Golfs von Aden in den Magen des Rotes Meers und Ägyptens zu den übrigen Provinzen der Welt gleichsam zu Körperteilen.25 Dieser Schlund, der Ägypten das nötige Kapital (emolumentum) verschaffe, um seinen so schädlichen Außenhandel zu finanzieren, den Europäern aber die Luxuswaren des Orients, müsse verstopft werden. Der Vorschlag erfolgte, ohne das Nachfrageverhalten der christlichen Endabnehmer der Gewürze und sonstigen Kostbarkeiten des Orients zu würdigen. Jedenfalls verdammte der Mönch keine Seidenkleider oder Gewürzkuchen, keinen Zimt und keinen Pfeffer auf den Tafeln der Herren, wie er sie täglich in Avignon erleben konnte. Guillem geißelte nur allgemein den Luxus und seine Herkunft. Er ging einen Schritt weiter. Ein innovatives, unerhörtes, doch einfaches Mittel ermögliche ein erfolgreiches Vorgehen gegen jenen Handelsverkehr. Der Mönch war sich der Neuheit seiner Empfehlung voll bewusst: Unglaublich erscheine der Vorschlag, geradezu unmöglich auszuführen. Niemand habe der Kirche je so etwas geraten, weil niemand eine einschlägige Kenntnis besaß. Genie und Fleiß hätten bislang nicht gereicht, um in Erfahrung (experiencia) zu bringen, was dafür unerlässlich sei, um es zu organisieren, ja, überhaupt es auszudenken. Er aber, Guillelm, habe die nötigen Erkundungen selbst eingeholt und reflektiert;26 und jetzt unterbreitete er sie. Man müsse lediglich in den Bab-el-Mandeb, die enge Meeresstraße zwischen Arabien und Afrika, einige wenige Galeeren legen, die den Schiffsverkehr überwachten und den Zugang zum Roten Meer verschließen könnten. Zwischen Rotem Meer und Nil sei nur ein schmaler Landstreifen, über den der Handel laufe.27 Drei oder vier Galeeren würden genügen, um alles zu blockieren. Die Kosten für die Schiffe könnte die Kirche direkt aufbringen oder durch Ablassgelder von 1 200 ausgewählten Aktivisten des verbotenen Sarazenenhandels in Alexandria einziehen.28 Eine Art Kontinentalsperre wurde hier empfohlen und ein Finanzierungsmodell obendrein mit Fernwirkung nach Europa und Jerusalem. Die Sperrung sei „leicht, erfreulich, ohne große Schwierigkeit oder Gefahr“ zu realisieren.29 Öko-
24 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 549 bzw. 96. 25 Ebd., 549 f. bzw. 100. 26 Ebd., 550 f. bzw. 102–104. 27 Ebd., 549 bzw. 98. 28 Ebd., 550 bzw. 102. 29 Ebd., 551 bzw. 106.
220
Johannes Fried
nomisches und geographisches Wissen vereinten sich zu neuartigen geostrategischen Konzepten. Die Realisierbarkeit habe er „mit Hand, Fuß und Augen“ selbst erkundet. Monatelang habe er sich in der betreffenden Region aufgehalten. Schon zur Zeit des Tartarenkaisers (des Ilkhan) Argon hätten Genuesen in Bagdad zwei Galeeren bauen, den Euphrat hinabfahren und so den fraglichen Zugang nach Ägypten sperren können, wäre nicht plötzlich die unter Italiern übliche Zwietracht ausgebrochen, weil die einen Ghibellinen, die anderen Guelfen gewesen seien. So hätten sie sich wechselseitig totgeschlagen, und das Unternehmen sei im Sand verlaufen. Man könne es jetzt aber erneut in Angriff nehmen. Man müsse nur bedenken, wer die Galeeren stelle und finanziere, wo ihre Heimathäfen liegen sollten, auch die Konditionen und das Verhalten der Völker, gegen die man kämpfen müsse, und wie jene Meerenge zu kontrollieren sei. Welt- und Völkerkenntnis, eigene Erfahrung, angepasste Strategien erleichterten und beförderten die Kriegsplanung.30 Bauen müsse man die Galeeren in weiter Entfernung von Aden, damit die dortigen Kaufleute keinen Verdacht schöpften, nämlich in Hormuz oder auf den Malediven (Dive) oder in Bombay, in Colombo auf Ceylon oder in Coulan (Quilon) an der Küste von Malabar. In den genannten Ländern und Städten sei man jederzeit bereit, gegen die Sarazenen zu helfen. Den Schiffsbau sollten Genuesen leiten.31 Sie seien die besten Seefahrer und bereit zur Erkundung unbekannter Weltgegenden. Heimatliebe halte sie nicht auf, „denn sie sind besonders gierig auf Gewinn“. Ihre Basen könnten diese Galeeren an verschiedenen Orten Indiens finden; die Besatzungen könne man unter den wegen des Handels mit den Sarazenen Exkommunizierten in Alexandria finden. Die Kosten für die Instandhaltung der Galeeren ließen sich durch Freibeuterei gegen sarazenische Kauffahrer aufbringen32 – ein zweites Finanzierungsmodell. Doch müsse man sich der Unterstützung des persischen Kaisers (mithin des Ilkhans) versichern. Er hege dasselbe Interesse an der Sperre der Straße von Aden wie die römischen Christen.33 Die Leute (von Aden oder jene um den Indischen Ozean) aber, gegen die man kämpfen werde, seien, so wisse er aus eigener Erfahrung, primitiv, viehisch (homines bestiales), im Krieg völlig unerfahren; sie kennten keine Speere, allenfalls Lanzen, weder Bögen noch Schleudern.34 Ihre Brustpanzer oder Stahlwaffen
30 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 550 f. bzw. 102–104. 31 Ebd., 552 f. bzw. 106–110. 32 Ebd., 553 bzw. 110. 33 Ebd., 553 bzw. 112. 34 Ebd., 554 bzw. 112.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
221
taugten nichts. Um es kurz zu machen, sie hätten weder brauchbare Angriffsnoch wirksame Verteidigungswaffen. Würden sie angegriffen, kämpften sie wie Tiere, nicht vernunftgesteuert, sondern mit Steinen, irgendwelchen Eisengeräten und einer Art von Schild aus Gras oder Palmwedeln:35 Welch bemerkenswerte Wehrkraftanalyse. Für das Unternehmen gegen Aden könne man auf den Inseln des Indischen Ozeans leicht fünfzig bis sechzig Schiffe, die 600 bis 800 Mann aufnehmen könnten, mobilisieren und gegen Aden dirigieren. Die indigenen „Piraten“ kennten zudem den Gebrauch der Ruder, also das Prinzip der Galeeren, nicht und wüssten nicht, wie „wir“ zur See zu kämpfen. Andernfalls könnten sie alle Sarazenen am Indischen Ozean und seinen Küstenstädten „ausrotten“ (extirpare).36 Das Wissen des Missionars, der mit dem Wissen eigener und fremder Kaufleute, auch der Techniker und Militärs, mit fremden und eigenen Bevölkerungen und Herrschaftsträgern kalkulierte, kreiste um die halbe Welt, um sich auf das enge Ziel, den Gewinn Jerusalems, zu kaprizieren. Der Dominikanermönch verdeutlichte damit den umwälzenden Prozess, der die Europäer nun seit geraumer Zeit erfasst hatte und mit wachsender Begehrlichkeit die Blicke über Europa hinaus auf Asien und Afrika, auf die gesamte Erde, richten ließ. Diese wurde selbstverständlich als Kugel betrachtet, wobei das Weltbild des Ptolemäus und die Klimazonen des Macrobius überdauerten. Gleichwohl, eine grundstürzend neue Wahrnehmung der Welt hatte sich verbreitet, anders als – sagen wir – zu Beginn der Kreuzzugszeit, als eben Venedig oder Genua sich scheuten Flottenhilfe für die Krieger des Ersten Kreuzzuges zu leisten, als das Wissen über den Nordatlantik das Mittelmeer noch nicht erreicht hatte und umgekehrt und als nicht der gelehrteste Herr der lateinischen Welt die schier endlose Weite Asiens und seinen überwältigenden Menschenreichtum auch nur zu ahnen vermochte, als Indien eine eher sagenumwobene Chimäre war als reale Erfahrung. Mittlerweile hatten sich die Kenntnisse unermesslich erweitert. Sogar Erzählmotive Indiens hatten den Weg bis nach Europa gefunden; und die „arabischen“, nämlich „indischen“ Zahlen einschließlich der „Ziffer“ Null, fingen an, sich den Westen zu erobern. Jetzt, im frühen 14. Jahrhundert, kalkulierte der Europäer, ausgebrochen aus seiner engen Heimat, geradezu spielerisch, doch in geopolitischem Sinn und kriegslüstern, die Hand gleichsam an Goldwaage und Schwert, mit den Kontinentemassen. Noch fehlte die Abstraktion der Kartenbilder, noch war man angewiesen auf Autopsie und Beschreibung, auf das testimonium de visu, wie es Wilhelm
35 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 554 bzw. 112. 36 Ebd., 555 bzw. 116.
222
Johannes Fried
Rubruk nannte,37 einer der ersten Europäer, die zu den Mongolen reisten. Es verzögerte die Reaktionen. Aber der prüfende Blick, die abwägende Risikobereitschaft, die kühle Kalkulation von Kosten und Chancen, die Vernetzung des heterogenen Wissens und die abendländische Rechenhaftigkeit: Sie fehlten nicht. Ein Prozess kollektiven Wissens schlug sich hier nieder – ein Prozess, an dem der Missionar so beteiligt war wie der Kaufmann, der gelehrte Theologe und Kanonist wie der Ritter, der verschwenderische Konsument wie sein Gegenspieler, der asketische Moralprediger. Bald wurden auch unter den Lateinern Karten – mappae mundi – gezeichnet und ganze Atlanten geschaffen, die genauer als alles, was zuvor unter ihnen kursierte, nicht bloß Europa, sondern auch die asiatischen Weiten zu erfassen trachteten.38 Antikes, arabisches und eigenes Wissen vereinten sich in ihnen zu tatsächlich neuen Weltbildern. Soweit die arabischen Gelehrten auch den Blick nach dem fernen Osten gerichtet hatten, die christlichen Länder, die Britischen Inseln, Skandinavien, der Norden blieb ihnen weithin oder völlig fremd. Den abendländischen Lernprozess verdeutlichte unlängst Michael Borgolte.39 Am Ende des Mittelalters, zur Zeit Jakob Fuggers des Reichen, ließ sich auf dieser mittlerweile erweiterten, weit über das Wissen der einstigen arabischen Lehrmeister hinausgreifenden Basis der erste Globus entwerfen (Martin Behaim); viele sollten folgen. Damit war die symbolreiche Weltkugel, die seit Jahrhunderten in der Hand der Kaiser und Könige lag, zum realen Abbild und handlungslei-
37 Vgl. Johannes Fried, Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Die Mongolen und die europäische Erfahrungswissenschaft im 13. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 243, 1986, 287–332, hier 317 mit Anm. 121. 38 Die Literatur ist kaum mehr zu überschauen. Ich verweise hier auf: Peter Moraw (Hrsg.), Das geographische Weltbild um 1300. Politik im Spannungsfeld von Wissen, Mythos und Fiktion. (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft, Bd. 6.) Berlin 1989; P. D. A. Harvey, Medieval Maps. London 1991; Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken, Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt. Darmstadt 2005; Ingrid Baumgärtner, Die Welt im kartographischen Blick. Zur Veränderbarkeit mittelalterlicher Weltkarten am Beispiel der Beatustradition, in: Wilfried Ehbrecht u. a. (Hrsg.), Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburtstag. Köln / Weimar / Wien 2002, 527–549; Dies., Graphische Gestalt und Signifikanz. Europa in den Weltkarten des Beatus von Liébana und des Ranulf Higden, in: Dies. / Hartmut Kugler (Hrsg.), Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte. Berlin 2008, 81–132. 39 Michael Borgolte, Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt. Ein Versuch in transdisziplinärer Mediävistik, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen 14, 2008, 89–147, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 283–335.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
223
tenden Muster der Erde in der Hand gewinnstrebender Kauf- und Bankleute und heilsplanender Missionare geworden: Der Globus als Sinnbild des Welthandels und der Hochfinanz, Globalisierung im wörtlichen Sinne. Die geistige Basis von Guillelms welthaltigem Gutachten war ein Produkt weiträumiger und vielfältiger kommunikativer Dynamik, fundiert in einem gottvertretenden, weltherrscherlichen Papsttum, dem Kaiser und Könige, Völker und Fürsten, dem jedwede Kreatur unterstanden, orientiert an Fernhandel, Güterproduktion und Absatzmärkten, an Konkurrenz, an Kapital und Profit und begründet in einem gemeinsamen Denkstil, den zwar die kategorial beherrschten Fragemuster der Schulrhetorik prägten, nun aber vornehmlich das Geld, seine wunderbare Mehrung und deren Verschleierung, auch Warenströme und Migrationswellen lenkten. Religiöse und moralische Normen wurden über Bord geworfen; die ganze Skrupellosigkeit ökonomischer Interessen und einer Kriegsführung durch Wirtschaftssperre, Waffenembargo, Lebensmittelblockade und ein weltweit konzipiertes Bündnissystem enthüllte sich hier, Exstirpation diskriminierter Fremder als Ziel. Jede Grenze wurde im Verfolgen des eigenen Zieles gesprengt, sei es in Gedanken und Planungen, sei es durch empfohlene Geheimdiplomatie. Das alles wurde keineswegs bloß statisch gesehen, als nur für den Augenblick bedeutsam erachtet, obgleich die gegenwärtige Lage als für das Unternehmen besonders günstig beschrieben wurde. Alles, jede Einzelmaßnahme, war dynamisch und transnational konzipiert, als ein Zug in einem ständig in Bewegung befindlichen Spiel, als ein durch vielfältige Rückkopplungen immer weiträumiger um sich greifender Prozess. Jede Blockade sollte Folgen zeitigen, Not, Hunger, militärischen Zusammenbruch, Vernichtung dort, Siege hier. Die Wirkung des einen vorgeschlagenen Mittels sollte, so die Kalkulation, die der je anderen stärken. Entscheidend war das Zusammen- oder Wechselspiel aller namhaft gemachten Faktoren: Geld und Nahrungsmittel, Luxuswaren und Waffen, Religion und Wissen, Bündnispolitik, Flottenbau und Strategie und nicht zuletzt der Sklavenhandel. Was also heißt Globalisierung?40 Steckt mehr dahinter als ein modernes Modewort? In der Tat, betroffen ist ein jahrtausendealter Sachverhalt, ein weltweit fortschreitender Komplex korrespondierender Prozesse, der schon immer –
40 Zum Folgenden: Wikipedia-Enzyklopädie. Globalisierung, online: http://de.wikipedia.org/ wiki/Globalisierung (Zugriff: 22. März 2013). – Ich selbst habe mich der Thematik schon einmal, freilich unter einem gänzlich anderen Gesichtspunkt, genähert: Johannes Fried, Kunst und Kommerz. Über das Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft im Mittelalter vornehmlich am Beispiel der Kaufleute und Handelsmessen, in: Historische Zeitschrift 255, 1992, 281–316 (auch separat: Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge, Bd. 32. München 1993).
224
Johannes Fried
wenn auch in unterschiedlichen Graden und in divergierender Weise und Intensität – die Gesamtheit menschlicher Gesellschaften des blauen Planeten erfasste und mit sich riss; er wurde in der Gegenwart nur auf seinen Namen gebracht. Lehrten es nicht die heutigen Marktstrategen und Wirtschaftstheoretiker, wir könnten ihre Bedingungen und Wirkungen ohne großen Aufwand ablesen am Gutachten des Guillelmus Adae. Wie kein zweiter Analyst seiner Zeit verknüpfte der Dominikaner die komplexe Wechselwirkung ökonomischer und informativer Faktoren mit allen irgendwie tangierten kirchlichen und politischen Mächten der Zeit: mit „Christen, Juden, Muselmanen“,41 dazu mit den Mongolen jenseits der Wolga, in Bagdad und in Cathay. Zwar war er nicht der erste, der gegen die „Sarazenen“ Wirtschaftsblockaden forderte, Religion also mit Ökonomie verknüpfte. Derartiges hatte kurz vor ihm beispielsweise schon Fidenzio da Padua in seinem Kreuzzugsgutachten geltend gemacht.42 Längst auch waren von päpstlicher Seite Handelsembargos für kriegswichtige Güter unter Bannandrohung geboten; immer mehr Autoren empfahlen entsprechende Maßnahmen. Guillem aber ist der erste und bislang einzige, der nicht nur den seit langem beachteten Mittelmeerhandel mit Waffen, Stahl, Schiffsbauholz, Sklaven oder Lebensmitteln berücksichtigte, der vielmehr in den Finanzhaushalt des Sultanats einzugreifen empfahl. Geplant war eine Art Finanzblockade gegen die Mamluken oder auch gegen den orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel, der unter bestimmten Umständen die Weiterreise der Pilger nach Jerusalem verwehrte und sich an ihnen bereicherte.43 Die Pilger, die Konstantinopel nicht mieden, sollten nun kirchlich gebannt und nur durch den Papst vom Bann gelöst werden können. Vor allem aber plante der Mönch die Blockade des Indienhandels mit Luxusgütern zum Zweck der Störung der feindlichen Handelsbilanz. Durchdachte geostrategische Argumente wurden dazu vorgebracht und damit eine neue Dimension wirtschaftspolitischer Kriegführung zum Nutzen Jerusalems konzipiert.44 Es kommt uns nicht darauf an, wieweit Guillelms Vorschläge realisiert wurden oder gar Erfolge zeitigten, vielmehr auf das in ihnen fassbare Wissen, auf
41 Michael Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas.) Berlin 2006. 42 Fidentius de Padua, Liber recuperationis Terrae Sanctae. Ed. Girolamo Golubovich. Bibliotheca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano, 5 Bde. Quaracchi 1906–1927, Bd. 2, 1–60. 43 Recueil (wie Anm. 1), Bd. 2, 528. 44 Zu den damals verbreiteten wirtschaftlichen Maßnahmen vgl. Leopold, Recover the Holy Land (wie Anm. 1), 119–126. Die Einzigartigkeit von Guillelms Gutachten ist dabei zu wenig berücksichtigt.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
225
die weltweiten und multifaktoriellen Planspiele der westlichen Europäer, auf ihre in ihnen sich manifestierende Rechenhaftigkeit, auf die selbst tödliche Effizienz in Kauf nehmende „globale“ Praxis, die derartige Vorschläge voraussetzte, auch auf deren Verschränkung und Vernetzung mit gesellschaftlichen, ökonomischen, kirchlichen, politischen und militärischen Zielen. Globalisierung wäre Guillelm folgend ein gesellschaftliches Phänomen, das ein eigentümliches, sich selbst organisierendes, keineswegs allgemein gebilligtes Zusammenspiel zahlreicher Kommunitäten wie Handelsgesellschaften, städtischer Kommunen, diverser Herrschaftsträger und Individuen bald in Konkurrenz zueinander, bald in Kooperation miteinander bewirkte, das aber keine einzelne Staatsmacht, auch nicht die universale Kirche irgendwie zu lenken vermochte. Betroffen waren keineswegs bloß der Fernverkehr von – sagen wir – Venedig nach Kambaluk, betroffen nicht bloß eine anschwellende Informationsdichte, nicht bloß wirtschaftliches Nachfrageverhalten, Rohstoffmarkt, Preise, Technik, Produktion, Kommerz oder Gewinnmaximierung, betroffen waren vielmehr gleichermaßen politische Ziele, Machterweiterung, Kriegsplanungen, Feindabwehr, Wissensverbreitung, eine spezifische Ethik (die keineswegs mit den je heimischen Ethiken übereinstimmte), soziale Praktiken und nicht zuletzt die Konkurrenz der Religionen. Eine neue Weltkenntnis und eine weltweite Kommunikation, die sich nicht bloß mit nachbarschaftlichem Handelsverkehr oder dem Mittelmeerhandel zufriedengab, resultierten daraus. Möglich geworden war diese Expansion durch eine weltweite Information über fremde Defizite, fremde Bedürfnisse, mögliche Bedürfnisbefriedigung, gesteigerte Warenproduktion gerade auch für den Export und einen expandierenden Markt. Die globalen Interessen erwiesen sich als durchsetzungskräftiger als die traditionellen Kräfte des Christentums und der Kirche oder irgendeiner Herrschermacht mit ihren begrenzten Zielen. Das Wort selbst, „Globalisierung“, fehlte; es ist jung und begegnet (unabhängig vom Idiom) in keiner alten Enzyklopädie; es fehlt im Grimmschen Wörterbuch ebenso wie in Dudens „Großem Fremdwörterbuch“ von 1994.45 Erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert drang es nach vereinzeltem Auftreten seit der Mitte dieses Jahrhunderts weltweit und längst unüberschaubar in den Sprachgebrauch und in Enzyklopädien ein; im Internet finden sich mittlerweile nach 20 Sekunden über 6,1 Mio. deutschsprachige Verweise (das nur zwanzig Jahre ältere angloamerikanische „globalization“ weist in 24 Sekunden 47,2 Mio. Nennungen aus).46
45 Karl-Heinz Best, Zur Ausbreitung von „Globalisierung“ im Deutschen, in: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 16, 2008 [ersch. 2010], 17–20. 46 Abfrage vom 23. März 2013.
226
Johannes Fried
Verbreitung fand der Begriff durch ein Buch des US-amerikanischen Futurologen und Politikberater John Naisbitt mit dem Titel ‚Megatrends‘; es erschien erstmals 1982 und wurde ein Weltbestseller;47 wissenschaftlich definiert wurde der Begriff alsbald durch den Harvard-Professor Theodore Levitt in seinem Artikel ‚The Globalization of the Markets‘ von 1983.48 Heutige Definitionen betrachten Globalisierung als einen Prozess der Entstaatlichung, des faktischen Abbaus von Souveränität, der Entgrenzung, dazu der globalen Vernetzung nationaler Märkte aufgrund technischen Fortschritts in den Bereichen Informatik, Kommunikation, Transport und Verkehr, auch von Liberalisierung des Welthandels. Unterschieden werden weiterhin die Ebenen von Dienstleistungs-, Waren-, Kapital- und Personenverkehr. Ein solches Faktorenbündel verrät eine bemerkenswerte Affinität zu den Kriterien, die das Gutachten des Guillelmus Adae zu erkennen geben, und geht kaum über die mittelalterlichen Prinzipien hinaus, auch wenn technische Innovationen mittlerweile vieles erleichterten und änderten oder eine höhere Komplexität zuließen. Weltweit operierende soziale Verbände wie Rotes Kreuz oder Roter Halbmond oder die transnationalen Strategien gegen Armut, Ressourcenmangel oder zugunsten des Denkmälerschutzes, des „Weltkulturerbes“, kommen zwar hinzu, bestimmen aber kaum das Wesen der Globalisierung. Überregionale und internationale Migrationsprozesse – von welchen Ursachen auch immer bewirkt – darf man jedoch hinzurechnen. So genügt denn auch die heute übliche Sicht von Globalisierung keinesfalls. Sie ist zu eng. Alle genannten Faktoren und das Gesamtphänomen besitzen ihre Vergangenheit, ihre Geschichte, ihre gesellschaftlichen Vorbedingungen; sie traten nicht plötzlich und ungeformt auf den Plan; sie schleppen ihr Gewordensein fortgesetzt mit sich und spülen Momente und Kräfte desselben an die Oberfläche, die längst für versunken galten. Das Phänomen der Globalisierung spiegelt materielle, soziale, psychische, geistige (mithin auch pragmatische, wirtschaftliche und politische) Attitüden der beteiligten und betroffenen Individuen, Kollektive und Gesellschaften, spiegelt implizite soziale, religiöse, politische und intellektuelle Trends, die jahrhundertelang durch die globalen Momente geformt wurden und weiterhin geformt werden, spiegeln technische und organisatorische Fähigkeiten und eine ausgreifende Praxis, auch weltanschauliche oder religiöse
47 John Naisbitt, Megatrends. Ten New Directions Transforming Our Lives. New York 1982 (zahlreiche Auflagen und Übersetzungen auch ins Deutsche). 48 Theodore Levitt, The Globalization of the Markets, in: Harvard Business Review 63, 1983, 92–102.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
227
und mentale Prämissen der maßgeblichen Eliten und Volksmassen sowie deren Aushöhlung und spiegeln endlich eine unerschöpfliche Dynamik. Solche Komplexität trieb und treibt alle Beteiligten in ständige Anpassungsprozesse. Wer fliegen will, bedarf zuvor der Mathematiker, Ingenieure, Techniker, der Rollbahnen, des Betons, des Funks, der schöpferischen Phantasie und anderes mehr; wer dauerhaft Aden erobern wollte, hätte zu Guillelms Zeit einer Armada von Galeeren, der Seekriegsstrategie und geschulter Seeleute bedurft, eben das, was Guillelm bedachte, dazu des entscheidenden Einfalls. So stellt die globale Perspektive gerade auch die Kulturwissenschaften – Kultur im weitesten Wortsinne verstanden – vor neue Aufgaben, nämlich die Erforschung der langfristigen globalisierenden Megatrends und ihrer historisch bedingten, immanenten Eigendynamik, die seit jeher wirksam bleibt. Dieses Gewordensein, das unser Beispiel des Guillelmus Adae verdeutlichen kann, und seine anhaltende Eigendynamik bilden durchaus das Metier des Historikers. Ohne die zweihundertjährige „Vorgeschichte“ der Kreuzzüge hätte Guillelms weltumspannendes Gutachten keinerlei Sinn; niemand hätte das teure Pergament geopfert, um es festzuhalten. Ohne den Einfall der Mongolen nach Mitteleuropa und die Reaktion der Lateiner wäre es undenkbar, ohne die „gierigen“ Handelsziele der europäischen Seekommunen unmöglich, ohne das Missionsbegehren der lateinischen Kirche und die katholischen Glaubensboten hätte es sich nicht artikulieren können, ohne die Gelehrsamkeit des Dominikaners wäre schwerlich das eine zum andern addiert worden. Diesen Spuren wollen wir nunmehr in gebotener Kürze nachgehen. Die genannten Faktoren besitzen ihre jeweilige Vorgeschichte und Eigendynamik. Einige verschwanden mit der Zeit, andere traten hinzu, manche blieben, manche veränderten bloß ihre Bedeutung. Ihr aller Zusammenspiel indessen unterlag Kräften, die sich aus dem je Eigenen der beteiligten Faktoren und den Rückkopplungen aller und mit dem Ganzen speisten. Jede Ahnung dieses Zusammenspiels ließ im Wissen der betroffenen Eliten den Blick auf die Welt und das Denken über sie sich ändern, zeitigte neue Dimensionen des Planens und Handelns. So ließ sich eine Kontinentalsperre zwischen Arabien und Afrika ins Auge fassen, um das Heilige Land wieder zu gewinnen; so konnte Guillelm auf die potentielle Hilfe des Ilkhans verweisen, da dessen Vorgänger schon vor Jahrzehnten den mongolischen Weltherrschaftsanspruch aufgegeben und politische oder militärische Partner für das Kräftespiel im Vorderen Orient und gegen den verwandten Khan der „Goldenen Horde“ gesucht hatten; so konnten die Spezereien Indiens zur Waffe gegen die ägyptischen Herren Jerusalems werden. Was heute als Kriterium oder Kriterienbündel für Globalisierung gilt, setzt den frühneuzeitlichen Territorialstaat und dessen seit dem 2. Weltkrieg in großem Stil eingeleitete Entgrenzung voraus. Das Mittelalter kannte derartige Staaten und
228
Johannes Fried
derartige Grenzen nicht. Die Handelskommunen Italiens und des europäischen Westens schreckten keine landesherrlichen Schlagbäume und Zollstationen. Königliche oder fürstliche Schutzmaßnahmen lockten fremde Kaufleute auf die Handelsmessen. Die wichtigsten Hafenstädte rund ums Mittelmeer, auch an den Küsten Englands, Skandinaviens oder der Ostsee unterhielten Kontore landfremder Kaufleute und Gesellschaften.49 Schlichtung als Mittel der Konfliktlösung, wie sie heute von transnational agierenden Firmen oftmals praktiziert wird, war im Mittelalter weit verbreitet. Im christlichen Genua gab es das Officium robarie, das zum Ärger des christlichen Analysten eben auch Muslime schützte.50 Einzelne Etappen fortschreitender Grenzübertretung zeichneten sich schon des längeren ab. Pisa etwa schloß seit 1133 Verträge mit muslimischen Partnern in Afrika.51 Der berühmte Mathematiker Leonardi Fibonacci – Gesprächspartner des Kaisers Friedrich II. und Namengeber der Fibonacci-Reihe – diente Venezianer Kaufleuten; er war im algerischen Bougie (Bejaia) aufgewachsen, wo sein Vater als Notar der Pisaner Handelsniederlassung tätig war. Eben dort dürfte er den Kontakt zu muslimischen Gelehrten gefunden und seine mathematischen Kenntnisse erworben haben. Begrenzungen lagen eher im Bereich der Technik als im Territorium. Doch auch sie passten sich bald an die veränderte Weltlage an. Schiffsbau und Navigation erfuhren ungeheure Verbesserungen, der gewachsene Bedarf an Luxus- und Massenwaren, die intensivierten Maßnahmen zu deren Verfügbarkeit, die Leistungssteigerung von Produktionsformen und Absatzstrategien oder Währungsfragen reagierten flexibel auf die durch die weltweit verbreiteten Absatzmärkte vermehrte Nachfrage.52 Das spezielle Wissen, um sie erfolgreich bedienen zu können, war Betriebskapital; es unterlag strikter Geheimhaltung53 – durchaus vergleichbar dem Geschäftsgebaren heutiger inter- oder transnationaler Unternehmungen. Als dieser Aufbruch in die Welt sich erstmals abzeichnete, besaß man bereits ein Mehr an kulturellem Kapital, das dieser Ausweitung gerecht werden konnte. Die doppelte Buchführung kam wohl schon im späteren 12. Jahrhundert in
49 Vgl. Schaube, Handelsgeschichte der romanischen Völker (wie Anm. 4); Lopez / Raymond, Medieval Trade (wie Anm. 4). 50 Vgl. oben Anm. 15. 51 Marco Tangheroni, Fibonacci, Pisa e il Mediterraneo, in: Marcello Morelli / Ders. (Hrsg.), Leonardo Fibonacci. Il tempo, le opera, l’eredità. Pisa 1994, 20 f. 52 Allgemein zum Aufstieg und den Geschäftspraktiken des (Fern-)Kaufmanns: Jean Favier, Gold und Gewürze. Der Aufstieg des Kaufmanns im Mittelalter. Übers. v. Roswitha Schmid. Hamburg 1992. 53 Fried, Kunst und Kommerz (wie Anm. 40), 27.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
229
Übung; der älteste Beleg führt nach Florenz und ins Jahr 1211; die großen florentinischen Bankhäuser wie die berühmte Bardi- oder die Peruzzi-Bank praktizierten sie kontinuierlich. Venedig folgt mit seinem ältesten Zeugen, dem Hauptbuch des Handelshauses Donato Soranzo und Brüder, zu Beginn des 14. Jahrhunderts (1306). Seine große Konkurrentin Genua überlieferte als ältesten Beleg zum Jahr 1340 die Bücher (cartularia) der kommunalen Kassenbeamten.54 Die großen transnational agierenden Handelsgesellschaften bilanzierten also längst Gewinn und Verlust, als sie sich in den „Welthandel“ einschalteten. Sie hatten für diesen Wissen beizusteuern, das ihnen unabsehbare Erfolgschancen einräumte. Technische Neuerung, ein neues Management für Arbeit und Finanzierung kamen hinzu, der bargeldlose Zahlungsverkehr, das Wechselwesen standen zur Verfügung; die Anfänge der Seeversicherung fallen noch ins 13. Jahrhundert, wenn sie nicht schon längst unter den interkontinental agierenden jüdischen Fernhändlern verbreitet waren;55 arbeitsteilige Produktionsformen wie etwa das Verlagswesen bis hin zu Verlagerungen der Produktion veränderten nun auch die Verhältnisse in der eigenen Heimat. Auch solches zählte zu dem jetzt einsetzbaren und Vorteile verschaffenden kulturellen Kapital. Die Hohen Schulen verschlossen sich den neuen Fragestellungen nicht; ihre Theologen waren durch Zins und Wucher längst in die Neuerungsprozesse involviert; der Kapital-Begriff war ihre Erfindung.56 Globalisierung erweist sich somit noch einmal als ein hochkomplexes Phänomen, das eine Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungen und Rückkopplungen vereinte, die ihre Entstehungsbedingungen mit sich schleppten. Ihre Folgen zeitigten ein vielfältig vernetztes und sich ständig transformierendes System, wie es sich eben der Einsicht eines Guillelmus Adae erschloss. Diese Vorgeschichten aber bleiben in das globale Netzwerk eingeknüpft, auch wenn dasselbe eine eigene Größe darstellt und seine eigene Dynamik entwickelt. Als das Mongolenreich 1368 zusammenbrach, taumelte die (west)europäische expansive Wirtschaftswelt keineswegs in ihren Untergang. Im Gegenteil, sie emanzipierte
54 Vgl. Balduin Penndorf, Einleitung, in: Luca Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung 1494. Ed. v. Dems. (Quellen und Studien zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2.) Stuttgart 1933, 7 (Venedig); 1 (Genua); 15 (Florenz). 55 Auch diese Anfänge hat vor über einem Jahrhundert herausgearbeitet: Adolf Schaube, Der Versicherungsgedanke in den Verträgen des Seeverkehrs vor der Entstehung des Versicherungswesens, in: Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2, 1894, 149–223. Zur „mediterranen“ jüdischen Gesellschaft vgl. Goitein, Mediterranean Society (wie Anm. 16). 56 Odd Langholm, Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition, 1200–1350. (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, Bd. 29.) Leiden / New York / Köln 1992.
230
Johannes Fried
sich vollends von den Machtkonstellationen des nahen und fernen Ostens. Man war bestens gerüstet, als das Weltreich der Mongolen erstmals globalen Handel ermöglicht hatte; man überstand jetzt nicht nur ohne Verluste dessen Zusammenbruch, sondern erkannte in ihm den Startschuss für neue Chancen. Die Eroberung der Welt trat in eine neue Phase. Gewiss ist solcherart Globalisierung nicht erst seit 1317, dem mutmaßlichen Entstehungsjahr von Guillelms Gutachten, zu verfolgen. Ältere Daten und Epochen liegen auf der Hand: Zweifellos riss der Mongoleneinfall von 1238 / 1242 die Europäer aus ihrer Abgeschiedenheit und aus den Zeiten der Mythen und Fabeln, die ihnen bislang die fremden Völker vom Rand der Welt vorgaukelten, zu einem Aufbruch in eine anfangs irritierende Wirklichkeit. Die ersten Gesandtschaftsreisen nach Ostasien waren tatsächlich ein Vorstoß in eine unbekannte Welt. Fortan setzte eine rege Kommunikation sowohl mit dem Großkhan als auch mit dem Ilkhan in Persien und ihren Herrschaftsgebieten ein.57 Aufklärung, Militärhilfe für das Heilige Land, Mission waren die Hauptthemen offizieller Gesandtschaften, Wirtschaftsgewinn zweifellos der stärkste Antrieb. Sie alle, Gesandte, Kaufleute, Missionare, tauschten ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus. Guillelm zehrte von den mittlerweile angesammelten Schätzen. Das Beispiel des Mongoleneinfalls verdeutlicht exemplarisch das dynamisch sich verdichtende Zusammenspiel aller „globalisierenden“ Faktoren. Als im 5. Jahrhundert die Hunnen oder im 9. / 10. Jahrhundert die Ungarn in Europa erschienen, reiste kein Europäer nach Asien oder auch nur nach Südrussland, um nach Herkunft, Lebenswelt und Zielen dieser Völker und ihrer Fürsten zu forschen. Es erübrigte sich aus mancherlei Gründen und nicht zuletzt, weil hier im Westen keinerlei Valenzen für derartige ‚Expeditionen‘ zur Verfügung standen und niemand sie hätte bereitstellen können. Doch als dann die Mongolen ins Land fielen, zogen, vom Papst oder dem französischen König beauftragt, in kurzer Zeit gleich zwei Gesandtschaften an den Hof des Großkhans nach Karakorum in die Innere Mongolei: die Minderbrüder Johannes de Plano Carpini (1245–1247) und Wilhelm Rubruk (1252 / 1253–1255). Nach ihrer Rückkehr berichteten sie ausführlich über das Wahrgenommene.58
57 Zur Übersicht vgl. Karl-Ernst Lupprian, Die Beziehungen der Päpste zu islamischen und mongolischen Herrschern im 13. Jahrhundert anhand ihres Briefwechsels. (Studi e Testi, Bd. 291.) Città del Vaticano 1981. 58 Felicitas Schmieder, Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert. (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 16.) Sigmaringen 1994; Martina Münkler, Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin 2000.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
231
Es war der Auftakt zu einer endlosen Folge von Gesandtschaften an Mongolenkhane. 1259 / 1260 ging im Namen des Papstes Alexander IV. der Dominikaner David mit seinen Gefährten als Gesandter zum Ilkhan Hülägü, in dessen Gefolge er lange verweilte. 1266 / 1267 zog eine Gegengesandtschaft an die Kurie, 1268 folgte ihr die nächste.59 1269 trafen tatarische Gesandte, die Ludwig den Heiligen für ein Bündnis gegen die Mamluken gewinnen wollten, in Paris auf Gesandte des Sultans. Es kam zu Kämpfen: Ein Anschauungsunterricht auf den Straßen von Paris – so jedenfalls legt es der Bericht des anonymen Erfurter Minoriten nahe.60 Der genannte David kehrte im Jahr 1274 in Begleitung mongolischer Gesandter aus dem Ilkhanat zurück.61 1271 und 1277 erreichten Gesandte des Ilkhan Abaqa den englischen König Edward.62 Die Polos betätigten sich damals nicht bloß als Kaufleute im Reich der Yuan-Dynastie, sondern auch als Diplomaten. 1300 / 1301 erschien eine Gesandtschaft des Ilkhan vor Bonifaz VIII. wiederum mit einer Hilfsbitte gegen Mamluken. Einen Kaufmann als Gesandten dürften auch die folgenden beiden Aktenstücke verraten. Im Jahr 1338 erbat danach der Genuese Andallo de Savignonis in Venedig als Gesandter (ambaxador) des Großkhans (Imperatoris Tartarorum de Catayo) für sich und seine (mongolischen?) Mitgesandten fünf bis zehn Pferde und Pretiosen (iocalia) im Wert von 1 000 bis 2 000 Goldflorinen nach Cathay ausführen zu dürfen; die Erlaubnis wurde erteilt, der Transport sollte auf venezianischen Schiffen erfolgen.63 Den Gesandten aus dem Mönchsstand folgten der Seide und der Gewürze, des Goldes und der Edelsteine wegen umgehend Fernkaufleute aus Venedig, Genua, Pisa, Florenz, auch aus dem Konstantinopel der Lateiner.64 Immer wieder machten sich Missionare auf den Weg. Sie alle erstatteten Bericht. Die Kommunikationsnetze verdichteten sich. Die Mongolei, China, Persien, Arabien, Indien, Hinterindien, das indonesische Inselarchipel waren bereits dem Guillelmus Adae durch eigene Reisen oder anderweitige Informationen bekannt. Die Welt wuchs – erleichtert durch das riesige Friedensreich der Mongolen – unternehmerisch
59 Zu David: Burkhard Roberg, Die Tartaren auf dem 2. Konzil von Lyon 1274, in: Annuarium Historiae Conciliorum 5, 1973, 241–302, die erwähnten mongolischen Gesandtschaften zur Kurie ebd., 279. 60 Chronica Minor Minoritae Erphordensis. Ed. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS rer. Germ. [42]. Hannover / Leipzig 1899, 678 f. (zu 1269). 61 Roberg, Tartaren (wie Anm. 59). 62 Leopold, Recover the Holy Land (wie Anm. 1), 113. 63 Robert Sabatino Lopez, Nuove luci sugli italiani in Estremo Oriente prima di Colombo, in: Studi Colombiani 3, 1952, 337–398, hier 390 f., Nrn. 9 und 10. 64 Zur Übersicht vgl. Luciano Petech, Les marchands italiens dans l’Empire mongol, in: Journal Asiatique 250, 1962, 549–574.
232
Johannes Fried
und – trotz der weiten Reise von Genua, Florenz oder Venedig nach Cathay – im Wissen und durch Handelsverträge zusammen, auch wenn der eine oder andere Kaufmann vertragswidrig verhindert war und eine Vertragsstrafe riskierte.65 Im Jahr 1308 konnte – wie klein auch immer seine Anfänge waren – in Kambaluk (Khanbaliq, heute Beijing) ein römisch-katholisches Erzbistum entstehen; auch in Sultaniye, der Residenzstadt des Ilkhan in Persien, residierte bald ein Erzbischof. Zuletzt rüstete man systematisch zu Entdeckungsfahrten nach Osten, Süden und Westen, um den ganzen Globus. Diese Geschichte ist schon oft erzählt worden.66 Neugier, Entdeckerfreude, Abenteurertum, wirtschaftliche und herrschaftliche Interessen, Machtstreben und Mission, eschatologische Erwartungen eines Jüngsten Gerichts in absehbarer, historischer Zeit (die ganze Welt musste bis dahin die Botschaft von Jesus Christus empfangen haben), materielle und geistige Faktoren, griffen dabei ineinander. So entstand ein Weltwissen, das die Vorstellung von der Erde, von ihrer Größe und Gestalt, von ihrer Nutzbarmachung und Unterwerfbarkeit in Europa revolutionierte, das die Eroberungswünsche mehrte und wirtschaftliche Interessen ausweitete. Die sich mündlich und schriftlich verbreitenden Informationen galten den fremden Ländern, ihren Herrschern, den Menschen, die sie bewohnten, deren Verhalten. Wege und Strapazen, Flüsse, Seen und Inseln, die Schätze, welche die Fremde versprach, wurden angesprochen. Die Nachfolger prüften, was die Vorgänger entdeckt hatten, mehrten und verbesserten das Wissen kontinuierlich, gezielt und tendenziell umfassend. Sie operierten dabei mit den auf den Schulen erlernten Fragemustern der Rhetorik, die grundsätzlich eine vollständige Phänomenerfassung intendierten und ihre Aufmerksamkeit dazu auf Raum und Zeit, auf Ursache und Wirkung, auf Individuen und menschliche Gesellschaften, auf Verhalten, Handeln, Intentionen lenkten; sie brachten alles zueinander in Beziehung und unterwarfen es ihrem seit Jahrhunderten (genauer: seit Karl dem Großen) eingeübten kategorialen Denken, ordneten es systematisch nach ihren logischen Divisionsschemata, prüften endlich Kosten, Nutzen, Verwertbarkeit und wirtschaftliche Expansionschancen. Hier war ein Beobachten, Folgern, Planen und Handeln am Werk, das Weltwissen und Wissenswelten in eigentümlicher Weise mit dem Kommerz und dem nie versiegenden Konkurrenzdenken verschmolz. Es konzentrierte sich auf die ganze sowohl bekannte als auch unbekannte Erde.
65 Lopez, Nuove luci (wie Anm. 63), 392 f., Nr. 13 (1344) (der Betroffene wurde hier nach behördlicher Untersuchung der Strafe für ledig erklärt). 66 Wolfgang Reinhard, Geschichte der europäischen Expansion, 4 Bde. Stuttgart 1983–1990.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
233
Die Reaktionen der „Lateiner“ auf die mongolische Bedrohung ließen somit die Blicke sich nach dem fernen und mittleren Osten erstrecken, nach seinen unermesslichen Weiten und zu den ungeheuren Menschenmassen, deren Kulturen-, Sprachen- und Kultvielfalt. Schnell erkannten die Kaufleute Venedigs, Genuas oder Florenz’ die sich eröffnenden Chancen. Neugier paarte sich mit Gewinnstreben. Risikokalkulation und Chancenabwägungen folgten. Die Botschaft ungeheuren Reichtums im Osten trieb sie über die Seidenstraße ins Reich der Mitte oder nach Persien, wo Kontore errichtet wurden. Die Fahrten der Kaufleute freilich sind nur dürftig und sporadisch bezeugt, setzten aber frühzeitig ein. Schon im Jahr 1264 etwa, um nur dieses zufällige Beispiel herauszugreifen, machte der Kaufmann Pietro Vioni aus Venedig in Täbris sein im Staatsarchiv Venedig überliefertes Testament.67 Jordan Català von Sévérac, auch er ein Dominikaner, der um 1321–1323 und um 1330 erneut die Südwestküste Indiens erreichte und in Quilon (an der Malabarküste) Thomaschristen traf, schließlich Erzbischof von Sultaniye wurde, lockte geradezu die westlichen Unternehmer in den Orient: „Persien bietet eine Menge Seide und Lapislazuli, doch verstehen die Leute nicht, ihn zu verarbeiten, sie verfügen über Flußgold im Übermaß, verstehen aber nicht, es auszuschwemmen; die Leute sind nicht reich.“68 Welch eine Chance für westliche Unternehmer! Der Ruf des Goldes für die Ohren der großen Handelshäuser. Ahnungslose ließen sich leicht ausplündern. Francesco Pegolotti, der Faktor der Florentiner Bardi-Bank im früheren 14. Jahrhundert, verwies detailreich und umfassend in seiner ‚Pratica della mercatura‘69 in der Tat auf Handelsniederlassungen in Persien und China, nämlich auf „die Handelsmaße in allen Teilen der Welt, auf Wechselkurse zwischen den Ländern, auf die geeignetsten Waren für dieses oder jenes Land, wo man sie bekomme und wie man sie konserviere“; hinzu fügte er einige Hinweise auf die Sprachen, Gewichte und fremde Lebensformen, ferner eine Ostertafel von 1340 bis 1465, eine Tafel der Sonntagsbuchstaben, eine Mondtafel und wichtige Hinweise auf Edelmetallegierungen u. a. m. Und Indien erst! Die kostbarsten Edelsteine gäbe es dort, so noch einmal der genannte Jordan von Sévérac: „Es ist wahrhaftig eine andere Welt.“70 Der Mönch
67 Bartolomeo Cecchetti, Testamento di Pietro Vioni Veneziano fatto a Tauris (Persia), MCCLXIV, 10 Dicembre, in: Archivio Veneto 26, 1883, 161–165. 68 Les merveilles de l’Asie par le Père Jourdain Catalani de Sévérac (…). Texte latin, facsimile et traduction française avec introduction et notes par Henri Cordier. Paris 1925, 111. 69 Francesco Balducci Pegolotti, Pratica della mercatura. Ed. Allan Evans. (Medieval Academy of America. Publications, Bd. 24.) Cambridge (Mass.) 1936. 70 Merveilles de l’Asie. Ed. Cordier (wie Anm. 68), 118.
234
Johannes Fried
machte Mut: Unter den Einheimischen kursiere eine Prophezeiung, „daß wir Lateiner die ganze Welt unterwerfen müssen“ (quod nos Latini debemus subjugare totum mundum71). Als Jordan seiner Mitbrüder und der mit ihm gereisten Franziskanermönche gedachte, die von Muslimen eben erschlagen worden waren, da erfüllte ihn trotzige Glaubenszuversicht: „Ich glaube, credo, der König Frankreichs könnte die ganze Welt sich und dem christlichen Glauben unterwerfen, ohne daß ihm ein anderer zur Seite stünde.“72 Der Blick für die Bodenschätze der eben entdeckten Länder, für deren Reichtum, für die unendlichen Gewinnchancen dort für den, der die brachliegenden Schätze nur zu heben wüsste, das abschätzige Urteil über mangelndes Können und mangelnde Kriegführung der Einheimischen, dazu das Hintergrundwissen um die eigene unersättliche Gier: Dieser interessensgeleitete Blick begleitete die lateinischen Missionare, ihre Absichten und Zukunftsvisionen, ermunterte Marktstrategen und künftige Eroberer aus Europa. Gewiss, Marktforschung war das nicht, aber doch ein von den Zeitgenossen aufmerksam beobachtetes, weltweit agierendes Marktgeschehen. Dazu ein unendliches Selbstvertrauen. So war es von Anfang an. Schon die Informationen, die der Minoritenbruder Giovanni da Pian del Carpine (bei Perugia) aus dem Fernen Osten mitbrachte, dünkte wagemutige Kaufleute aus Venedig bares Geld; sie zögerten nicht und brachen dorthin, in die Tartarei, auf. Der lateinische Westen war bereit für die Exploration der Erde und ihre Ausbeutung. Waren und kulturelles Kapital brachten sie zu sich nach Hause zurück. Die Polos bieten nur das bekannteste Beispiel. Nicht minder kühn erwies sich das Genueser Brüderpaar Ugolino und Guido Vivaldi. Sie stachen, von zwei Franziskanermönchen begleitet, im Jahr 1291 in See, um Afrika zu umrunden und den Weg nach Indien zu finden. Intention und Wissen waren entscheidend, nicht der Misserfolg des Anfangs, der sie in den Untergang führte. Vier Jahrzehnte später wurden (die schon einmal in der Antike bekannten) Kanarischen Inseln wieder entdeckt. Sklavenjagd hatte die Europäer in den Süden getrieben, Franzosen, Portugiesen, Kastilier, Aragonesen und andere wetteiferten um die Beute, bevor Clemens VI. Luis de la Cerda, einen Urenkel Alfons X. von Kastilien, mit dem Archipel belehnte (1344).73
71 Merveilles de l’Asie. Ed. Cordier (wie Anm. 68), 114. 72 Ebd., 123. 73 Klaus Herbers, Die Eroberung der Kanarischen Inseln – Ein Modell für die spätere Expansion Portugals und Spaniens nach Afrika und Amerika, in: Heinz Duchhardt / Jörg A. Schlumberger / Peter Segl (Hrsg.), Afrika. Entdeckung und Erforschung des Kontinents. Köln / Wien 1989, 51–95.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
235
Jordan von Sévérac versuchte sich erstmals an Entfernungsangaben; er maß sie in (selbsterprobten) Tagesreisen: Armenien sei 23 Tage breit und 40 Tage lang. Vom Schwarzen Meer zum Indischen Ozean: 90 und mehr Tage, durch Kleinindien (die nordwestlichen Gebiete Indiens bis Malabar) 60 Tage, Großindien (der Rest des Subkontinents) messe mehr als 170 Tage, Cathay (China) brauche mehr als 100 Tage und unterstehe nur einem einzigen Herrn, während in Indien viele herrschten. Wie zutreffend oder spekulativ: Die Welt wurde vermessbar, dem eigenen Zugriff erschlossen. Spätere – ein Christoph Kolumbus, ein Alexander von Humboldt – konnten daraus ihren Nutzen ziehen. Das Kartenwesen erfuhr einen Neuanfang, der durch verdichtete Informationen zu immer größerer Präzision führte. Immer dichter wurde das Netz kirchlicher, kultureller und materieller Interessen, das sich von Westeuropa und Italien aus um die ganze bekannte und um die noch zu erforschende Erde spannte. Doch „Warum Europa?“ Die Frage stellte vor nicht allzu langer Zeit Michael Mitterauer.74 Die Antworten, auf die er durch den Vergleich Europas mit dem christlich-orthodoxen Byzanz, der muslimischen Welt – die beiden anderen Erben der Antike neben der lateinischen Kultur in Europa – und China stieß, verwiesen auf die unterschiedliche Entwicklung so fundamentaler Faktoren wie Nahrung, Heiratsverhalten oder den Bildungssektor. In der Tat, den Hunger besiegen, Nahrungsmittelressourcen erweitern und sichern, die Organisation der Versorgung standen zu allen Zeiten im Vordergrund und spielen ohne Zweifel für den Erfolg der Europäer eine maßgebliche Rolle. Doch nicht nur. Neben der Nahrung stand in vielen Regionen der Erde die Energieversorgung im Vordergrund. Die Energiereserven der Frühzeit konzentrierten sich auf Mensch und Tier sowie auf Holz und waren beschränkt. Frühe Umweltkatastrophen sind in Europa denn auch zu verzeichnen, als beispielsweise mit der sog. Bronzezeit die Metallverarbeitung einsetzte und auf extremen Energiebedarf angewiesen blieb. Einforstungen stellten erste ökologische Schutzmaßnahmen dar, bei denen das Mittelalter seine Zuflucht suchte. Wasser- und Windmühlen kamen seit der Römerzeit auf, verbreiteten sich aber erst im Mittelalter allgemein.75 Weitere technische Innovationen – wie etwa Pumpwerke und Untertagebau – ließen nicht lange auf sich warten. Ein Ingenieurwesen entstand. Die Naturwissenschaften
74 Michael Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. München 2003. 75 Dietrich Lohrmann, L’histoire du moulin à eau, avant et après Marc Bloch, in: Hartmut Atsma / André Burguière (Hrsg.), Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et sciences sociales. (Recherches d’histoire et de sciences socials.) Paris 1990, 339–348. Allgemein zur Technik: Uta Lindgren (Hrsg.), Europäische Technik im Mittelalter 800–1400. Tradition und Innovation. Berlin 1996.
236
Johannes Fried
verselbständigten sich und blühten auf. Zumal die Waffentechnik machte gerade in Europa rasante Fortschritte. Die fehlende Eisenverarbeitung bei den amerikanischen Ureinwohnern, bei Mayas und Inkas, ermöglichte, was bereits Jared Diamond hervorgehoben hat, den Spaniern die rasche Eroberung des neu entdeckten Kontinents;76 erst europäische Gegenkräfte dämmten sie wieder ein. Doch entscheidend war weniger die Entwicklung in einem einzigen Sektor als vielmehr das Zusammenspiel mehrerer, ja, aller Faktoren: Wissen und Wissenschaft, Praxis, Technik, Religion, Herrschaft und Gesellschaft, Bedarf und Konkurrenz (keineswegs bloß auf ökonomischem, sondern gerade auch auf dem Feld von „Ehre“ und Ruhm, von Anspruch und Geltung, von Status und Rang, bald auch der Konfessionen und Universitäten) und anderes mehr. Noch einmal: „Warum Europa?“ Die Antwort, die wir zu Mitterauers Ergebnissen hinzufügen können, heißt Konkurrenz und Globalisierung. Hier von Europa aus artikulierte sich umgehend und immer wieder, sobald nur neue Kunde von der Welt die Kaufmannschaften erreicht hatte, eine materielle Interessiertheit, wie sie schon zuvor im engeren heimischen oder mittelmeerischen Rahmen erprobt war und sich dafür ihre speziellen Instrumente geschaffen hatte. Jene mittelalterlichen Exkursionen in die Mongolei, nach Indien und um Afrika herum waren ein Auftakt, der exemplarisch ‚typische‘, nämlich eben sich in der Praxis bewährende und in der Bewährung forcierende Attitüden der Europäer hervortreten ließ. Diese und gleichartige, alsbald systematisch betriebene Unternehmungen, die im Übrigen nur vereinzelt bereits in der Antike einsetzten, schufen ohne Zweifel entscheidende Voraussetzungen heutiger Globalisierung; ja, sie sind ein wesentliches Element derselben: die Kenntnis nämlich der ganzen Erde, aller ihrer Länder und Völker und ihrer Sprachen, ein immer umfassenderes Wissen um die Welt: Getrieben von Gewinnstreben und Herrschaftsmehrung, von Neugier, Wissenwollen, Wissensverarbeitung und Abenteurertum, von Missionsgebot und vor allem von Konkurrenz. In gleicher Weise systematische, kontinuierliche und umfassende Unternehmungen fehlten in den anderen Hochzivilisationen der Erde, obgleich zu gewissen Zeiten auch in China oder in der arabischen Welt Expeditionen nach dem Westen und Osten ausgesandt wurden oder sich Reisende wie Ibn Battuta aus Tanger auf den Weg machten. Doch ihnen fehlten Konstanz und globale Systematik. Ihnen fehlte der fortwährend reizende Stimulus interkommunaler oder inter-
76 Jared Diamond, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt am Main 1999, 69–87. Der amerik. Originaltitel gibt die hier hervorgehobene Bedeutung des Metalls besser wieder: Guns, Germs, and Steel. The Fates of Human Societes. New York 1997.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
237
nationaler Konkurrenz. „Geben Sie die sterilen fremden Länder auf und schenken Sie dem Volk eine Periode der Ruhe, damit es sich dem Ackerbau und den Studien widmen kann“, soll dem Kaiser von China 1426 empfohlen worden sein, nachdem einige Jahrhunderte lang chinesische Kriegsflotten immer weiter nach Westen geschickt worden waren, wahrscheinlich Arabien und Somalia erreicht hatten und vielleicht noch weiter nach Süden gelangt waren. Der Sohn des Himmels, dessen Willen alles beherrschte, befolgte die Mahnung; China zog sich für Jahrhunderte auf sich selbst zurück.77 Konkurrenz also die vornehmste psychische, praktische und interkulturelle Antriebskraft. Sie ist alles andere als eine Erfindung der modernen europäischen oder globalen Wirtschaftswelt. Sie verdankt sich auch keineswegs erst irgendwelchen Imperialismus-Theorien. Sie reicht in ihrer Genese weit zurück und führt über die Konfessionalisierungskonflikte der frühen europäischen Neuzeit, über das „Hauswesen“ und die Hausväterliteratur derselben Epoche und des späten Mittelalters zu den mittelalterlichen und antiken Adelsgesellschaften und lässt sich dort in einer Weise aufspüren, die dem modernen Konkurrenzdenken durchaus entspricht. Konkurrenz gründet da in einem agonalen Verhalten einer Rangund Statusgesellschaft, das sich als solches tief in das kulturelle und kollektive Gedächtnis, in Sprache, Werte, Denkweisen, Verhalten und Politik eingenistet hat. Auch die sich entfaltenden Wissenschaften blieben nicht frei davon. Schon in der Entstehungsphase der Universitäten im 12. Jahrhundert kennzeichnete sie ein bis zur Gewalttätigkeit bereites Konkurrenzdenken; es hat sie bis in die heutigen Wissenschaftsfälschungen nicht verlassen.78 Die Geschichte der europäischen Entdeckungsfahrten und Welterkundung, an der sich tatsächlich alle europäischen Nationen beteiligten, stellt nur ein weiteres Kapitel dieser Agonalität dar. Dasselbe verweist auf eine gemeinsame kulturelle Prägung dieser Völker. Sie konkurrierten in der Tat fortgesetzt untereinander. Konkurrenz verlangte nun nach einem mehr an Wissen, als es der andere besaß, einem Vorteil-bringenden Wissen von der Welt, das zugleich mehr als bloßes Wissen war, das einen gedanklichen und physischen Zugriff auf die gesamte Erde erlaubte, das – ohne Rücksicht auf andere – Intentionen und Ziele begründete, wie sie den eigenen kulturellen Vorgaben und Interessen entsprachen, und das vor allem den Nachbarn zuvorzukommen erlaubte. Handel, Welteroberung, Gewinnmaximierung – dass sie unter den Lateinern andere Wege führten als sonst in der Welt, verdeutlichen so bekannte Beispiele
77 Nach Reinhard, Geschichte der europäischen Expansion (wie Anm. 66), Bd. 1, 25 f. 78 Johannes Fried, Konkurrenz schafft Wissen, in: Nelson Killius / Jürgen Kluge / Linda Reisch (Hrsg.), Die Zukunft der Bildung. Frankfurt am Main 2003, 69–75.
238
Johannes Fried
wie die Geschichte der Feuerwaffen und überhaupt der Kriegstechnik, wie der Buchdruck oder auch wie der Kapitalmarkt. Mochten Schwarzpulver und Druckverfahren in China auch entdeckt worden sein, bevor Europäer sich ihrer annahmen, so unterschied sich deren Umgang mit solcherart ‚Erfindungen‘ grundlegend von jenem der Chinesen. Nur in Europa baute man Kanonen und entstand ein ausgedehnter Buchmarkt. Papiergeld mochte im Reich der Mongolen schon im 13. Jahrhundert kursieren; Wilhelm Rubruk und Marco Polo erwähnten es. Doch das Wechselwesen und der bargeldlose Geldverkehr sind italienische Erfindungen. Der Kapitalbegriff wurde erst im hohen und ausgehenden europäischen Mittelalter geprägt, war von Anfang an auf das engste mit Ethik, mit religiösen Kategorien und moralischer Pragmatik besetzt, da der nackte Gelderwerb, der bloß durch Geldgeschäfte erzielte Gewinn, als anstößig erschien und religiös diskriminiert war. Franziskanische Seelsorger waren denn auch die ersten Finanztheoretiker der Weltgeschichte, da die kulturelle, von christlicher Ethik geprägte Umwelt die ‚Banker‘ des Mittelalters in die schlimmsten Seelennöte stürzte. In seiner modernen Ausprägung setzt der Kapital-Begriff ein im Laufe einer Jahrhunderte währenden Geschichte entwickeltes ökonomisches Denken, eine geduldige Einübung in dasselbe und eine entsprechende Praxis voraus; sie sind hierzulande seit dem 13. Jahrhundert genauer zu beobachten.79 Doch auch solches ‚Wissen‘ lässt sich nicht einfach in fremde Gesellschaften übertragen. Wohl aber wirkt die Konfrontation desselben mit dem Fremden. Doch wie? Die agonalen Gesellschaften der Frühzeit haben auf ihrem langen Marsch durch die Zivilisationsgeschichte keineswegs ihre Agonalität verloren, sie haben dieselbe lediglich an neue Umwelten, Zielsetzungen und Mittel, darunter auch an ihr Wirtschaftsverhalten angepasst und nach ihnen ausgerichtet. Sie haben diese Agonalität auf ihre globalen Aktivitäten übertragen. Gleichgültig indessen, wie sich derartige Konkurrenz ausgeformt hat, welche Dynamik ihr innewohnt, wie sie sich weiterhin entfalten wird, dies alles ist eben durch diese europäische Traditionslinie begründet. ‚Konkurrenzphilosophie‘ aber, die ja grundsätzlich die Pluralität von Konkurrenten anerkennt und nicht einfach in ‚Monopolphantasien‘ mündet, ist den meisten Kulturen fremd. Wie aber setzen sich die außereuropäischen Kulturen mit den ankommenden Fremden auseinander? Wie partizipierten sie an den durch den Globalisierungsprozeß vermittelten „Errungenschaften“ der Europäer? Die mittelalterlichen Reisenden und Missionare, so zahlreich ihre Berichte auch sind, schwiegen zumeist
79 Jacques Le Goff, Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter. Übers. v. Matthias Rüb. Mit einer Einführung von Johannes Fried. Stuttgart 2008.
Gedanken und Perspektiven zur Globalisierung im Mittelalter
239
darüber.80 Kein Autor verwies auf Wirkungen, die von dem Erscheinen der Lateiner im Fernen Osten ausgingen. Registrierten die indigenen Kulturen nicht, was auf sie zukam? Wenn ein Mann des Westens doch einmal die Feder spitzte, um Reaktionen der Fremden festzuhalten, so war, was er zu berichten hatte, diesen Fremden selten oder nie adäquat. Immerhin registrierten die ersten westlichen Gesandten zu den Mongolen, dass ihre Botschaften am Khanshof als Unterwerfungsangebote verstanden wurden. Über den Hof des mongolischen Großkhans in der Mitte des 13. Jahrhunderts aber erfahren wir durch Plano Carpini und Rubruk mehr als aus den einheimischen Zeugnissen. Marco Polos jahrzehntelangen Aufenthalt in China registrierte kein einziger chinesischer Bericht; man hat den Bericht des Venezianers deshalb sogar in seiner Zuverlässigkeit bezweifelt. Erst wir Heutigen sind Zeugen dieser Auseinandersetzung, die nicht zuletzt die europäischen Nationen – man denke etwa an die weltweiten Migrationsprozesse – verändert. Damit aber erreicht die Globalisierung eine neue Etappe. Was also folgern wir? Schärft der Blick auf die Globalisierungstrends im Mittelalter die Wahrnehmung in unserer Gegenwart? Gewiß, jene weisen nicht die Gestalt auf, die die erwähnten Megatrends heute angenommen haben. Die ihnen innewohnende Dynamik weist über dieselben hinaus. Was mittelalterliche Autoren wie Guillelmus Adae zu erkennen geben, spiegelt nicht bloß vergangenes Geschehen, vielmehr entscheidende Schritte zu heutigem Verhalten. Die Rolle der Religion und ihren Organisationsformen, von religiösen Prophezeiungen, Erwartungen und Ermutigungen ist längst nicht von der Bühne abgetreten. Das Konkurrenzmodell des Westens, das die europäischen Staaten bis zur Gegenwart prägt, könnte einer seit alters im Fernen Osten beheimateten Weltherrschaftskonzeption weichen, die einer völlig anderen Ethik unterliegt als jener des autonomen Individuums. Auf derartige historische Trends zu achten, könnte nützlich für diese Gegenwart sein. Wir gehen ja rückwärts in die Zukunft, sehen nur Vergangenheiten, keine Zukunft. Was auch immer uns Futurologen einreden mögen, es sind lineare Extrapolationen jener Wege, die nach heute führten, keine Offenbarungen der stets unvorhersehbar gewundenen Bahnen der Zukunft. Nur die Vergangenheit liegt offen vor uns und nur aufgrund vergangener Erfahrungen planen wir Zukunft. Doch das wäre ein Thema für eine neue Untersuchung.
80 Folker Reichert, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter. Stuttgart 2001.
Michael Borgolte
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte Persönlichkeit und Wirken Karls des Großen repräsentieren wie nichts anderes die Verlagerung eines alten Schwerpunktes historischen Geschehens von der Mittelmeerwelt nach Kontinentaleuropa.1 Bei aller Kritik an einer okzidentalistischen Betrachtungsweise wird es deshalb dabei bleiben, dass ihm ein welthistorischer Rang zukommt. Kann der Frankenkönig und römische Kaiser aber auch einen Platz in der Globalgeschichte finden?2 Manche Mediävisten werden die Frage für überflüssig halten, weil sie sich nicht aus dem Gang ihrer Forschungen ergab, sondern aus der Deutung anderer historischer Zeiten abgeleitet ist.3 Wer aber Geschichte problemorientiert betreibt, muss sich mit dem Erklärungsmodell Globalisierung auseinandersetzen, das universale Bedeutung beansprucht und der Globalgeschichte selbst ihren Rahmen und ihre Themen vorgibt. Wenn Globalisierung die potentielle oder tatsächliche Vernetzung aller mit allen Bewohnern des ganzen Erdkreises meint, wie dies für die Gegenwart angenommen oder diskutiert wird, kann natürlich für das Mittelalter von ihr nie die Rede sein. Das gilt insbesondere für dessen Frühzeit und also die Epoche Karls und hat sich erst allmählich seit dem vierzehnten Jahrhundert mit der einsetzenden Erschließung des Atlantiks und des Indiks geändert. In der Antike und im Mittelalter wurde die Welt als Siedlungsraum dreier Kontinente erfasst, auf denen man auch den Austausch von Menschen, Gütern und Ideen pflegen konnte, aber nur Europa wurde ganz durchdrungen, während das mittlere und südliche Afrika und Nordasien mit Sibirien terrae incognitae blieben.4
1 Vgl. zuletzt den Beitrag von Michael Borgolte, Zwischen zwei Katastrophen. Europas Westen von 600 bis 1350, in: Cemal Kafadar (Hrsg.), Agrarische und nomadische Hrausforderungen 600–1350. (Geschichte der Welt, Bd. 2.) (im Druck). 2 Zur Unterscheidung von Universal- und Globalgeschichte s. Michael Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt. Eine europäische Kultur in globaler Perspektive, in: Historische Zeitschrift 295, 2012, 35–61; Wolfgang Reinhard, Globalgeschichte oder Weltgeschichte?, in: Historische Zeitschrift 294, 2012, 427–438. – Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung. München 2013. 3 Vgl. aber: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hrsg.), Weltdeutungen und Weltreligionen 600 bis 1500. (WBG-Weltgeschichte, Bd. 3.) Darmstadt 2010. 4 Michael Borgolte, Kommunikation – Handel, Kunst und Wissenstausch, in: Fried / Hehl (Hrsg.), Weltdeutungen und Weltreligionen (wie Anm. 3), 17–56; 469 f., ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur
242
Michael Borgolte
Globalhistorisch betrachtet, geht es also nur darum, welche Rolle Karl in der trikontinentalen Ökumene seiner Zeit gespielt hat. Zu fragen ist nach den Wechselbeziehungen der Franken mit weiteren Kulturen. Dabei muss man unterscheiden zwischen den Anderen, mit denen man in gewissem Umfang vertraut war und deren Abweichungen vom Eigenen eingeschätzt werden konnten, und den Fremden, die gänzlich unbekannt waren.5 Zu beachten ist auch die Instabilität der Relationen. Das Andere oder Fremde konnte mindestens partiell angeeignet werden, während das Eigene zu Fremdem mutieren und sich zu Anderem weiterentwickeln mochte. Überhaupt dürfen Kulturen nicht als abgrenzbare Einheiten mit unveränderlichen Merkmalen und Grenzen bestimmt werden, sondern sie waren aspekthafte und variable Wahrnehmungen und Wertungen.6 Als globalhistorische Forschungsfelder haben sich in der Vormoderne imperiale Expansionen, Migrationen und Fernhandel bewährt,7 denn gewaltsame Eroberungen oder politische Erwerbungen, Verlagerungen eines Wohnortes durch Gruppen und Einzelne sowie Beziehungen des Warenaustauschs über große Entfernungen führen unweigerlich zu kulturellen Begegnungen, Angeboten, Zurückweisungen und Anverwandlungen. Deshalb stehen auch die Weisen und Grade der transkulturellen Verflechtung oder Hybridisierungen im Mittelpunkt globalhistorischer Studien.8
1 Imperiale Expansion Karl der Große war ein Eroberer.9 Sein Reich war von Feinden umzingelt, aber der König und Kaiser bezwang sie unermüdlich militärisch oder hielt sie wenigstens
historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 493–532. 5 Marina Münkler, Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts. Berlin 2000, 148 f. 6 Vgl. Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg u. a. (Hrsg.), Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. Berlin 2011. 7 Jerry H. Bentley, Cross-Cultural Interaction and Periodization in World History, in: American Historical Review 101, 1996, 749–770. 8 Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 4), 425–444 . 9 Zu seiner Geschichte s. die jüngeren Biographien: Wilfried Hartmann, Karl der Große. Stuttgart 2010; Rosamond McKitterick, Karl der Große. Darmstadt 2008; zuletzt: Johannes Fried, Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie. München 2013; Stefan Weinfurter, Karl der Große. Der heilige Barbar. München / Zürich 2013.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
243
auf Distanz. In einer Tradition, die auf den Reichsgründer Chlodwig und dessen Söhne zurückverweist, expandierte seine Herrschaft nach Süden und Osten; im Westen unterhielt er hingegen mit den Angelsachsen bei manchen Spannungen gute Beziehungen,10 während ihn die Vorstöße der Dänen von Norden her zu keinem entscheidenden Schlag animieren konnten.11 Idealtypisch lassen sich Karls Aggressionen zunächst dadurch kennzeichnen, dass unmittelbare Nachbarn seine Gegner waren, neben denen die Franken schon lange lebten und die jene mindestens oberflächlich kannten.12 Das zweite Merkmal bestand darin, dass die Franken mit ihren Kriegsgegnern eine Geschichte der Symbiose verband, die schon früh von Konflikten gekennzeichnet war. Das gilt von den Awaren, Slawen und Langobarden seit dem sechsten oder frühen siebten Jahrhundert. Was Spanien betrifft, so hatten die Karolinger teilweise in Kooperation, teilweise in Konkurrenz mit dem Herzog von Aquitanien die Sarazenen in Gallien bekämpft, bis es Karls Vater Pippin 759 gelungen war, diese aus Septimanien endgültig zu vertreiben.13 Der dritte Aspekt einer typologischen Bestimmung zielt auf den Befund, dass die von Karl unterworfenen Völker, Stämme oder Großgruppen keine Fremden, sondern Andere waren. Abgesehen von den Muslimen in Spanien handelte es sich um Christen oder um solche Heiden, von denen man, wie sich zeigen sollte: zu Recht, annahm, dass man sie
10 Joanna Story, Carolingian Connections. Anglo-Saxon England and Carolingian Francia, c. 750–870. Aldershot / Burlington 2003. 11 Herbert Jankuhn, Karl der Große und der Norden, in: Helmut Beumann (Hrsg.), Persönlichkeit und Geschichte. (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 1.) Düsseldorf 31967, 699–707, hier 700–703. 12 Die Sachsen etwa hatten schon den Merowingern Tribut geleistet, so dass in der Forschung für das sechste bis achte Jahrhundert von einem „Nebenland“ des Frankenreiches die Rede ist: Matthias Becher, Sachsen vom 6. bis 8. Jahrhundert, in: Über allen Fronten. Nordwestdeutschland zwischen Augustus und Karl dem Großen. (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beihefte, Bd. 26.) Oldenburg 1999, 145–161. – Eingeschlossen seien hier unter den fränkischen Nachbarn auch die slawischen Wilzen im Rücken der mit Karl verbündeten Abodriten, die Karl 789 bei einem Zug in ihrem eigenen Gebiet unterwarf. – Eine Ausnahme bildeten die Byzantiner, die durch Karls Italienpolitik neue Nachbarn der Franken geworden sind. In Venetien wich der Kaiser aber zurück und gab auf. 13 Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700–1200. München 2013, 29–31. Michael Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. München 2006, 260; Michel Rouche, L’Aquitaine des Wisigoths aux Arabes (418–781). Essai sur le phénomène régional, Bd. 1. Lille 1977, 111–116; Archibald R. Lewis, The Development of Southern French and Catalan Society, 718–1050. Austin 1965, 24–26; Ludwig Oelsner, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter König Pippin. Leipzig 1871, ND Berlin 1975, 338–343.
244
Michael Borgolte
bekehren konnte. Das Christentum war, schließlich viertens, hier die Voraussetzung zu einer erfolgreichen Integration. Durch seine Eroberungen hat Karl der Große seinem Reich mit neuen Ländern neue Untertanen in großer Zahl zugeführt. Die Maßnahmen zur Eingliederung waren meistens die gleichen, weil sie sich offenkundig bewährten. Man zerstörte gewaltsam Siedlungen, ja die Landwirtschaft der Unterworfenen und verlegte militärische Besatzungen in die neuen Länder.14 Immer wurden die politischen Führer entmächtigt und gegebenenfalls verbannt; die Neuordnung übernahmen dann nicht nur Franken, sondern auch Angehörige anderer Stämme, die das Vertrauen des Herrschers genossen. Mit großem Geschick gewannen Karl und seine Leute sogar Männer der gegnerischen Eliten für den Dienst am Reich. Fürsten wurden durch Grafen ersetzt, das Lehnswesen schuf Bande der Abhängigkeit von Mensch zu Mensch, die eine Balance zwischen Reichsorientierung und regionaler Sonderung erlaubte. Zur Herrschaftssicherung bediente sich Karl der Vergabe der Bischofssitze, und als Zeugen für die Internationalität der Kirche, die ihrem Auftrag gemäß war, bewährten sich die Klöster.15 Anders als im Reich der Lan-
14 Zu Aquitanien vgl. Lewis, Development (wie Anm. 13), 3–87; Philippe Wolff, L’Aquitaine et ses marges, in: Beumann, Persönlichkeit und Geschichte (wie Anm. 11), 269–306; zu Klostergründungen: Josef Semmler, Karl der Große und das fränkische Mönchtum, in: Bernhard Bischoff (Hrsg.), Das geistige Leben. (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 2.) Düsseldorf 31967, 255–289, hier bes. 261 f.; 278–280. – Zu Italien: Elke Goez, Geschichte Italiens im Mittelalter. Darmstadt 2010, 52–56; Paolo Delogu, Lombard and Carolingian Italy, in: Rosamond McKitterick (Hrsg.), The New Cambridge Medieval History, Bd. 2. Cambridge 1995, 290–319; 938–944, hier bes. 303–310; Eduard Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774–962). Freiburg 1960. – Sachsen: Rudolf Schieffer, Die Zeit des karolingischen Großreiches (714–887). Stuttgart 2005, 55–63; Martin Last, Niedersachsen in der Merowinger- und Karolingerzeit, in: Hans Patze (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Bd. 1. Hildesheim 1977, 543–652, hier 574 ff.; Hans Patze, Mission und Kirchenorganisation in karolingischer Zeit, in: ebd., 653–712; Eckhard Freise, Das Frühmittelalter bis zum Vertrag von Verdun (843), in: Wilhelm Kohl (Hrsg.), Westfälische Geschichte, Bd. 1. Düsseldorf 1983, 276–335; Ders., Die Sachsenmission Karls des Großen und die Anfänge des Bistums Minden, in: An Weser und Wiehen. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Landschaft. Minden 1983, 57–100. – Bayern: Schieffer, Die Zeit des karolingischen Großreiches, 45–55; Kurt Reindel, Das Zeitalter der Agilolfinger, in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. 1. München 21981, 101–245, bes. 162 ff.; Ders., Bayern vom Zeitalter der Karolinger bis zum Ende der Welfenherrschaft (788–1180), in: ebd., 249–349, hier 249–259. – Awaren: Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr. München 22002, 312–328. 15 Arnold Angenendt, Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahre 800, in: Heinz Löwe (Hrsg.), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, Bd. 1. Stuttgart 1982, 52–79, hier bes. 78 f.; Eckhard Freise, Studien zum Einzugsbereich der Klostergemeinschaft von Fulda, in: Karl Schmid (Hrsg.), Die Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittel-
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
245
gobarden garantierte den Unterworfenen der Grundsatz des personalen Rechts einen wichtigen Bezirk der Selbstbehauptung.16 Auch das muslimische Spanien erfüllte einige der Kriterien für die Mächte, mit denen Karl der Große im Zuge seiner Expansion in Konflikte geriet. Das Emirat war seit Karl Martell ein Konkurrent der Franken, wenngleich König Pippin und Karl selbst mit Sicherung der Pyrenäengrenze die Verhältnisse weitgehend klargestellt hatten.17 Kein Schritt darüber hinaus ließ sich aus den Traditionen oder auch Enttäuschungen der älteren fränkischen Politik ableiten, und wohin etwa eine Unterwerfung des Reiches im Süden führen sollte, zur Vertreibung der Muslime oder zu deren Integration in das christliche Karlsreich, war eine offene, vielleicht nie klar gestellte Frage. Karl der Große ist gleichwohl 778 über die Pyrenäen gezogen und hat trotz seiner militärischen Niederlage in den folgenden Jahrzehnten beachtliche Erfolge erzielt, vor allem durch die Einnahme von Barcelona, auch wenn sich die „Spanische Mark“ schon unter seinem Sohn als unsicheres Gebiet erweisen sollte.18 Zudem bargen diese Vorstöße die Gefahr, in Spannungen der muslimischen Umma verwickelt zu werden, die von Spanien bis Irak reichte und im Nahen Osten die Land- und Seewege nach Indien und Ostasien kontrollierte.19 Schon Alkuin hat festgestellt, dass Afrika und Asien den
alter, Bd. 2.3: Untersuchungen. München 1978, 1003–1269, hier bes. 1007–1011; 1061–1077; Ders., Sachsenmission (wie Anm. 14), bes. 64 f.; Semmler, Karl der Große (wie Anm. 14), passim. 16 Vgl. Nick Everett, How Territorial Was Lombard Law?, in: Walter Pohl / Peter Erhart (Hrsg.), Die Langobarden. Herrschaft und Identität. Wien 2005, 345–360; Michael Borgolte, Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive. Eine Pilotstudie, in: Ders. / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien, Afrika. Darmstadt 2012, 80–119, hier 87; 94. – Zu Aquitanien: Lewis, Development (wie Anm. 13), 55; 67. – Zu Italien: Pippini Italiae Regis Capitulare. Ed. Alfred Boretius, in: Capitularia Regum Francorum 1. (MGH Capit. 1.) Hannover 1883, 191–193; Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder (wie Anm. 14), passim. Zu Sachsen: Jörg W. Busch, Die Herrschaften der Karolinger, 714–911. München 2011, 23 f. – Zu Bayern: Reindel, Bayern (wie Anm. 14), 251. 17 Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen (wie Anm. 13), 258–263; Sigurd Abel / Bernhard Simson, Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, Bd. 1: 768–788. Berlin 1888, ND 1969, 42–49. 18 778: Regesta Imperii, Bd. 1: Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918. Ed. Johann Friedrich Böhmer. Innsbruck 1908, ND Hildesheim 1966 (im Folgenden: Reg. Imp. I), Nrn. 214b–i. – Barcelona 795: Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen. Ed. Engelbert Mühlbacher. Berlin 21956 (im Folgenden: MGH DD Kar. 1), 241 f., Nr. 179; vgl. zu 797: Annales Regni Francorum. (MGH SS rer. Germ. 6.) Ed. Friedrich Kurze. Hannover 1895, 100; zu 801: Reg. Imp. I, Nr. 374e. – Vgl. Lewis, Development (wie Anm. 13), 25 f.; 29 f.; 37–49. 19 Vgl. Borgolte, Kommunikation (wie Anm. 4), 18–20, ND 494–496.
246
Michael Borgolte
Sarazenen gehörten,20 es gab aber kein muslimisches Imperium, sondern nur im Glauben vereinte, das Kalifat teilweise respektierende Partikularherrschaften.21 Für Spanien war entscheidend, dass die aus Damaskus vertriebene Dynastie der Omaijaden eine Ersatzherrschaft errichtet hatte. Diese war aber nicht unangefochten. Immer wieder kam es zu Aufständen und Abspaltungen, bei denen die Omaijaden selbst, vor allem aber ihre Gegner am Hof Karls des Großen Unterstützung suchten. Schon Pippin hatte sich in diese Händel hineinziehen lassen, denn es wird kein Zufall gewesen sein, dass er 765, kurz nach der Bagdader Intervention in al-Andalus, eine Gesandtschaft ins ferne Kalifat schickte.22 Karl selbst nahm diesen Gesandtschaftsverkehr ausgerechnet wieder auf, als ein enttäuschter Prätendent des Emirats, Onkel des Herrschers al-Hakam, in Aachen Unterstützung suchte.23 Zu neuen militärischen Vorstößen in Spanien hat er sich aber nicht verleiten lassen. Leider wissen wir nur wenig über die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in den von den Franken besetzten Gebieten an den Pyrenäen. Rechtsdokumente zeigen aber, wie Karl die Grenzregion zu fördern suchte. Wohl im Jahr 795 langte ein Mann namens Johannes in Aachen an, der „über die Häretiker und unsere ungläubigen Sarazenen“ im Gau von Barcelona siegreich gewesen sei und einige von ihnen getötet habe.24 Von der Beute habe Johannes König Ludwig von Aquitanien ein vorzügliches Pferd, eine Rüstung und ein indisches Schwert geschenkt. Zum Lohn erhielt der Ritter ein von ihm erbetenes Gut in der Gegend von Narbonne zur landwirtschaftlichen Erschließung und Nutzung.
20 Alcuini sive Albini Epistolae. Ed. Ernst Dümmler, in: MGH Epistolae Karolini Aevi, Bd. 2. o. O. 21974, 1–481, hier 32, Nr. 7. 21 Vgl. Gudrun Krämer, Geschichte des Islam. München 2005, bes. 82–85; 104 f.; Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Stuttgart 2006, bes. 83–86; Hugh Kennedy, Muslims in Europe, in: McKitterick, New Cambridge Medieval History (wie Anm. 14), Bd. 2, 249–271; 936 f., hier bes. 261–263. 22 Vgl. Michael McCormick, Pippin III, the Embassy of Caliph al Mansur, and the Mediterranean World, in: Matthias Becher / Jörg Jarnut (Hrsg.), Der Dynastiewechsel von 751. Münster 2004, 221–241, hier bes. 237–240; Michael Borgolte, Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem. München 1976, 34–46. 23 Abd Allah in Aachen: Annales Regni Francorum. Ed. Kurze (wie Anm. 18), 100, ad a. 797; Reg. Imp. I, Nr. 338 f.; Michael McCormick, Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A. D. 300–900. Cambridge 2001, 886 f., Nr. 237. – Karls Gesandtschaft nach Bagdad: Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 45–58; McCormick, ebd., 887, Nr. 238. Neue Gesichtspunke jetzt bei Lutz Ilisch, Arabische Kupfermünzen an der Ostsee und die Gesandtschaft Karls des Großen an den Kalifen, in: Numismatisches Nachrichtenblatt 61, 2012, 256–302. 24 MGH DD Kar. 1, 241 f., Nr. 179.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
247
Obwohl nichts über direkte Einwirkungen der spanischen Muslime auf das Geistesleben des Karlsreiches überliefert ist, öffneten die fränkischen Eroberungen um 800 Ideen den Zugang nach Norden, die nicht als Bereicherung, sondern als fundamentale Bedrohung empfunden wurden. Der Aufwand, den Karl selbst und seine Gelehrten trieben, um diesen Einfluss abzuwenden, lässt den Rückschluss zu, dass es sich um die größte Provokation durch anderes Denken überhaupt handelte.25 Der Bischof Elipand von Toledo, der an vornehmster Stelle die Belange der Christen unter muslimischer Herrschaft vertrat, verkündete die Lehre, dass Christus zwar seiner göttlichen Natur nach eingeborener Sohn Gottvaters sei, in seiner menschlichen Natur jedoch nur als Adoptivsohn gelten könne. In dieser Idee wirkten offenkundig Traditionen des arianischen Christentums nach, dem die Westgoten einst angehangen hatten; auch die sogenannten Arianer hatten eine von der Orthodoxie abweichende Christologie vertreten und Jesus nur Wesensähnlichkeit, nicht -gleichheit mit dem Vater zugeschrieben. Nicht abweisen lässt sich auch die Annahme, dass die Kritik der Muslime an der Gottessohnschaft Christi Elipand und andere gelehrte Christen im Emirat zu neuen theologischen Anstrengungen herausgefordert hatte. Durch die fränkischen Eroberungen blieb der Streit um den Adoptianismus nicht auf al-Andalus oder Spanien beschränkt; christliche Flüchtlinge aus dem Süden scheinen ihn weiterverbreitet zu haben. In Urgel am Fuße der Pyrenäen, das nun zum Frankenreich gehörte, residierte Bischof Felix, der Elipands Lehre aufgriff und intelligent ausbaute. Karl war nicht bereit, die von ihm als Gefährdung des Glaubens verstandene Abweichung zu dulden. Bischof Felix musste sich mehrfach vor fränkischen Synoden verantworten, darunter auf dem Frankfurter Konzil von 794.26 Karl berief Bischöfe aus seinem ganzen Reich und dazu sogar aus Britannien, konsultierte Papst Hadrian I. und ließ sich von seinem herausragenden Gelehrten Alkuin beraten. Zahlreiche Gutachten sollten Elipand und die Seinen vom allgemeinen Glauben der Kirche überzeugen, aber erst einige Jahre später beugte sich Felix, ohne jedoch in sein Bistum zurückkehren zu dürfen.27
25 Zum Adoptianismus und zur fränkischen Auseinandersetzung mit ihm: Matthias Theodor Kloft, Der spanische Adoptianismus, in: 794 – Karl der Große in Frankfurt am Main. Ein König bei der Arbeit. Sigmaringen 1994, 56 f. (mit Lit.); Johannes Fried, Karl der Große in Frankfurt am Main. Ein König bei der Arbeit, in: ebd., 23–34, hier 28 f.; Rainer Berndt (Hrsg.), Das Frankfurter Konzil von 794, 2 Bde. Mainz 1997, passim. Wilhelm Heil, Der Adoptianismus, Alkuin und Spanien, in: Bischoff, Geistiges Leben (wie Anm. 14), 95–155. – Concilium Francofurtense a. 794. Ed. Albert Werminghoff, in: MGH Conc. 2,1. Hannover / Leipzig 1906, 110–171. 26 Abgesehen von der Anm. 25 zit. Lit. bes. Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien. Paderborn / München / Wien u. a. 1989, 104–115. 27 Hartmann, Synoden der Karolingerzeit (wie Anm. 26), 121 f.
248
Michael Borgolte
Der Streit um den Adoptianismus ist die größte interkulturelle Herausforderung gewesen, die die imperiale Expansion unter Karl dem Großen herbeigeführt hat. Allerdings war auch er keine Auseinandersetzung mit dem Fremden, sondern eben nur mit Anderen, mit Christen nämlich, deren abweichender Glaube wenigstens von den Theologen genau markiert werden konnte. Die Muslime blieben für die Franken die eigentlich Fremden, die man nur mit ihrem alten Volksnamen als Sarazenen oder ungenau als Ungläubige bezeichnen konnte, ohne von ihnen Genaueres zu wissen.28 Immerhin aber waren sie es, die Karl den Zugang zu einer globalen Vernetzung öffneten, die über die Grenzen seines Reiches hinauswies.
2 Migrationen Masseneinwanderungen haben die Franken unter Karl dem Großen nicht erlebt; umfangreicheren Immigrationen über die Grenzen zu feindlichen Ländern stand schon entgegen, dass die meisten Nachbarn Karls keine Christen waren. Die wiederholten Gesandtschaften aus Andalusien29 brachten allerdings mit manchen exotischen Geschenken auch muslimische Gefangene ins Frankenreich; der christliche König von Galicien und Asturien schickte nach einer Eroberung von Lissabon sieben Mauren zusammen mit ihren Maultieren und Rüstungen bis nach Aachen. Dies waren die ersten Muslime, die im späteren Deutschland bezeugt sind.30 Wo sind sie aber geblieben? Die Internierung in einem Kloster, dem gewöhnlichen Gefängnis politischer Gefangener in jener Zeit,31 mag man
28 Zur Genese des Sarazenen-Namens vgl. Stefan Esders, Herakleios, Dagobert und die „beschnittenen Völker“, in: Andreas Goltz / Hartmut Leppin / Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.), Jenseits der Grenzen. Berlin / New York 2009, 239–311, hier 272–275; zum hochmittelalterlichen Austausch zwischen Christen und Muslimen, darunter zu der von Petrus Venerabilis 1142 angeregten lateinischen Koran-Übersetzung, s. etwa Michael Borgolte, Juden, Christen und Muslime im Mittelalter, in: Ludger Honnefelder (Hrsg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Berlin 2011, 27–48, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 4), 401–424, hier 42–48 bzw. 415–424. 29 Michael Borgolte, Experten der Fremde. Gesandte in interkulturellen Beziehungen des frühen und hohen Mittelalters, in: Le Relazioni Internazionali nell’Alto Medioevo. Spoleto 2011, 945– 992, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 4), 361–399, hier 964 bzw. 376–377, mit Nachweisen im Einzelnen. 30 Annales Regni Francorum. Ed. Kurze (wie Anm. 18), 104, ad a. 798, s. a. ebd., 105, den überarbeiteten Bericht der Annales qui dicuntur Einhardi. Vgl. Michael Borgolte, Weshalb der Islam seit dem Mittelalter zu Europa gehört, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 43 Multilingual, 2012, 363–377, hier 365. 31 Vgl. Klaus Sprigade, Die Einweisung ins Kloster und in den geistigen Stand als politische
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
249
sich eigentlich nicht vorstellen, doch gab es wohl auch keine Alternative dazu. Abgesehen von ihrer geringen Anzahl und ihrer mutmaßlichen Isolation ist für die exilierten Muslime eine nachhaltige Vermittlung ihrer kulturellen Eigenheiten, ganz zu schweigen von ihrer Religion, im Frankenreich auszuschließen. Sie blieben Fremde, die man als Heiden betrachtete.32 Nur wenige Quellen belegen die Flucht von Getauften aus nichtchristlichen Völkern und Herrschaften zu den Franken. Karl, dem sein Biograph Einhard die Liebe zu Fremden zuschreibt,33 hat sie in der Tat unter seinen Schutz gestellt. Zu Karl beziehungsweise seinem Sohn waren etwa einige „Spanier“ ausgewichen, die sich der „Macht der Sarazenen“, eines „der Christenheit überaus feindlich gesonnenen Volkes“, entziehen wollten und ihre Behausungen mit ihrem ganzen Vermögen aufgegeben hatten. In Septimanien und wüsten Teilen Spaniens hatten sie sich neu angesiedelt.34 Wiederum in Aachen wandte sich Karl Anfang April 812 an acht namentlich genannte Grafen, weil sich 42 spanische Neusiedler aus ihren Sprengeln über sie und ihre Dienstleute beschwert hatten.35 Die Namen der Kläger lassen auf eine ethnisch gemischte Herkunft schließen; offenbar befanden sich unter ihnen auch muslimische Konvertiten zum Christentum.36
Maßnahme im frühen Mittelalter. Diss. phil. Heidelberg 1964 (masch.); Gerd Althoff, Der Sachsenherzog Widukind als Mönch auf der Reichenau. Ein Beitrag zur Kritik des Widukind-Mythos, in: Frühmittelalterliche Studien 17, 1983, 251–279. 32 MGH DD Kar. 1, 241 f., Nr. 179: Et invenimus in ipsa epistola insertum, quod Iohannes ipse super ereticos sive Sarracenos infideles nostros magnum certamen certavit in pago Barchinonense, ubi superavit eos in locum, ubi dicitur Ad Ponte, et occidit de iam dictos infideles et cepit de ipsa spolia; aliquid exinde dilecto filio nostro obtulit, equum obtimum et brunia obtima et spata India cum techa de argento parata. 33 Einhardi Vita Karoli Magni. Ed. Oswald Holder-Egger. (MGH SS rer. Germ. 25.) Hannover 61911, 26, cap. 21. 34 Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugis prima [vom 1. Januar 815]. Ed. Boretius, in: Capitularia Regum Francorum (wie Anm. 16), 261–263, Nr. 132; Constitutio Hludowici de Hispanis secunda [vom 10. Februar 816], in: ebd., 263 f., Nr. 133. – Zu den hispani, die als aprisiones (Aprisionäre) angesiedelt wurden, s. Lewis, Development (wie Anm. 13), 64–68; ferner: André Dupont, L’aprision et le régime aprisionnaire dans le Midi de la France (fin du VIIIe–début du Xe siècle), in: Le Moyen Age 71, 1965, 179–213; 375–399; Urban Kressin, Hereditas. Aspekte eines Wortgebrauchs in Spätantike und frühem Mittelalter. Frankfurt am Main u. a. 2011, 149–170. 35 MGH DD Kar. 1, 289 f., Nr. 217. Zu den vermuteten Grafensitzen in Narbonne, Carcassonne, Béziers, Agde, Roussillon, Ampurias, Barcelona und Gerona vgl. Capitularia Regum Francorum. Ed. Boretius (wie Anm. 16), 264, Nr. 133; Wolff, Aquitaine et ses marges (wie Anm. 14), 302. 36 Neben Neusiedlern mit lateinischen, gotischen und anderen germanischen Namen begegnen in der Liste auch Zoleiman und Zate, offensichtlich Träger arabischer Namen. Ein Wasco dürfte Baske gewesen sein, ein Longobardus war wohl nach Einnahme Italiens 774 / 776 durch Karl zuerst nach al-Andalus geflohen und dann in den christlichen Norden weitergezogen.
250
Michael Borgolte
Gemessen an den acht Grafen müssen die Spanier im westlichen Pyrenäenraum weitverstreut gesiedelt haben. Ihr Vorwurf an die Grafen lief darauf hinaus, dass diese ihre Befreiung von fiskalischen Abgaben auf dreißig oder mehr Jahre nicht respektierten und die Neusiedler zu vertreiben suchten. Karl beauftragte einen Erzbischof mit der Untersuchung des Falles und bekräftigte die Abgabenfreiheit. Noch nach dem Tod des Kaisers war die Angelegenheit aber nicht bereinigt. Sein Sohn Ludwig musste ausdrücklich bekräftigen, dass die spanischen Flüchtlinge den Grafen zwar zur Heeresfolge und zu Wachdiensten an der Grenze, aber eben nicht zu Steuern anderer Art verpflichtet waren. Was die Gerichtsbarkeit betrifft, sollten die Grafen für Kapitalverbrechen, nicht aber für kleinere Delikte zuständig sein, die die Siedler nach ihrem eigenen, angestammten Recht bewältigen sollten. Auch getaufte sächsische Flüchtlinge musste Karl gegen Übergriffe seiner eigenen Grafen schützen.37 Andererseits war er darauf bedacht, wegen Flüchtlingen Konflikte mit anderen Mächten zu vermeiden; so schickte sein Sohn Pippin als König von Italien Beneventaner in ihre Heimat zurück, als Karl mit ihrem Herzog Frieden geschlossen hatte.38 Christen, die im Karlsreich von außen Zuflucht suchten, kamen kaum einmal aus einem Land, mit dem der Herrscher keine gewaltsamen Konflikte austrug. Eine Ausnahme bildeten die Angelsachsen, bei den Franken gut bekannt als Pilger, die durch ihr Reich nach Rom zum Apostel Petrus zogen, als fromme Mönche und gelehrte Kleriker, aber auch als Menschen, mit denen sich ein vorteilhafter Handel treiben ließ. Allerdings war England politisch zersplittert, und der Aufstieg Merciens besonders unter Karls Zeitgenossen König Offa (757–796) rief Feindseligkeiten hervor, die anscheinend nicht wenige Menschen über den Kanal trieben.39 Aus England kam während der Zeit Karls des Großen noch eine eigenartige Species von Migranten ins Frankenreich, die weder vertrieben war noch ein
37 MGH DD Kar. 1, 284 f., Nr. 213, und 290–292, Nr. 218. 38 Capitularia Regum Francorum. Ed. Boretius (wie Anm. 16), Bd. 1, 201, Nr. 95, cap. 16; vgl. Sigurd Abel / Bernhard Simson, Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, Bd. 2. ND Berlin 1969, 463; Reg. Imp. I, Nr. 512. 39 Vgl. Simon Keynes, England, 700–900, in: McKitterick, New Cambridge Medieval History (wie Anm. 14), Bd. 2, 18–42. Zu angelsächsischen Flüchtlingen im Karlsreich s.: MGH DD Kar. 1, 127 f., Nr. 85; 144–146, Nr. 100. – Annales Regni Francorum. Ed. Kurze (wie Anm. 18), 125–128, ad aa. 808 / 809; Leonis III. Papae Epistolae X. Ed. Karl Hampe, in: MGH Epistolae Karolini Aevi, Bd. 3. o. O. 21974, 85–104, hier 90, Nr. 2; vgl. Story, Carolingian Connections (wie Anm. 10), 145– 156.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
251
besseres Leben suchte.40 Das waren Männer und Frauen, meist Mönche oder Nonnen, die ihrer irdischen Heimat freiwillig den Rücken gekehrt hatten, um sich durch diesen asketischen Verzicht in der Fremde die ewige Heimat zu verdienen.41 Exponenten der peregrinatio propter Christum waren früher vor allem die Iren gewesen, die dann auch die von ihnen missionierten Angelsachsen zur Wanderschaft ohne Wiederkehr inspirierten.42 Unter Karl hatten sich englische Pilgermönche als Lehrer und Verkünder des Evangeliums sowie als Reformer der fränkischen Kirche so hohes Ansehen erworben, dass sie meist ungehindert ins Land ziehen und ihre Wirksamkeit entfalten konnten. Karl hat sie nicht gerufen, aber unterstützt und in seine Dienste genommen. Bei der Einwanderung der asketischen Exulanten handelte es sich um einen autokatalytischen Prozess; dem Vorbild frommer Vorgänger folgten Angehörige jüngerer Generationen, sei es, dass sie Nachrichten aus dem Frankenreich angespornt hatten, sei es, dass sie sich von ihren emigrierten Landsleuten gewinnen ließen. Auch wenn der Verzicht auf die heimatliche Lebenswelt mit Verwandten und Freunden nicht bagatellisiert werden darf, kennzeichnete die Exulanten ein Grad von Distanz zu den Franken, der sich an der Grenze eher zu vertrauten Anderen als zu unbekannten Fremden einordnen lässt. Ihre Affinität zu den Einheimischen beruhte vor allem auf dem gemeinsamen katholischen Glauben und der Ausrichtung an der römischen Kirche mit den Päpsten an der Spitze. Die Kettenmigration43 von Mönchen und gottgeweihten Frauen aus England oder – nur noch selten – aus Irland verlor allerdings gegen Ende der 780er Jahre deutlich an Dynamik. Eine erfolgreiche transkulturelle Verflechtung hatte es möglich gemacht, dass jetzt fränkische Schüler der Angelsachsen deren Werk fortsetzten.44
40 Zusammenfassend: Theodor Schieffer, Art. Angelsächsische Mission, in: LMA 1.4. Zürich / München 1979, 622–624. 41 Hans von Campenhausen, Die asketische Heimatlosigkeit im altkirchlichen und frühmittelalterlichen Mönchtum. Tübingen 1930; Arnold Angenendt, Monachi Peregrini. München 1972. 42 Angenendt, Irische Peregrinatio (wie Anm. 15); Friedrich Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. München 1965, 121–445. 43 „Chain migrations“: Guy Halsall, Barbarian Migrations and the Roman West, 376-568. Cambridge 2007, 418; „multiple Migrationen“: Dirk Hoerder / Jan Lucassen / Leo Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung, in: Klaus J. Bade u. a. (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Paderborn / München / Wien u. a. 22007, 28–53, hier 37; vgl. Michael Borgolte, A Migration Avalanche of Lombards in 568?, in: Leidulf Melve / Sigbjørn Sønnesyn (Hrsg.), The Creation of Medieval Northern Europe. Oslo 2012, 119–138; dt.: Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiographischer Zeugnisse der Migrationsperiode, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61.4, 2013, 293–310, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 4), 475–492. 44 Zu Chrodegang von Metz vgl. etwa Rudolf Schieffer, Die Entstehung von Domkapiteln in
252
Michael Borgolte
Neben den ungerufenen, aber willkommenen oder geduldeten Einwanderern machte Karl der Große viele Menschen selbst zu Migranten. Die umfangreichste Gruppe bildeten die Geiseln und Gefangenen der zahlreichen Kriegszüge,45 von denen einige später offenbar heimkehren durften, soweit sie sich in fränkischen Klöstern hatten umerziehen lassen.46 Widerspenstige Sachsen ließ er sogar in großem Stil umsiedeln.47 Andere, wie der Sachsenfürst Widukind, flohen vor Karl in andere Länder.48 Bedeutend war die interne Migration der karolingischen Vertrauensleute, die nicht einmal fränkischer Herkunft sein mussten, um als Grafen, Militärsiedler oder im Dienst der Kirche die eroberten Gebiete zu durchdringen.49 Berühmt vor allen anderen sind bis heute schließlich die Gelehrten geblieben, die Karl aus England, Irland, Italien und Spanien an seinen Hof holte und die,
Deutschland. Bonn 1976, 142–144 u. ö. 45 Nur einige Hinweise: Die Sachsen werden von den Franken lange Zeit und immer wieder als Geiseln fortgeführt, z. B. 795 angeblich 7070 Menschen. – Muslimische Geiseln und mindestens ein prominenter Gefangener aus Spanien 778. – Auch Karl der Große stellte Geiseln (Bayern 781; Sachsen 785). – Bretonische Geiseln 786; der Fürst von Benevent gibt beide Söhne 787. – Gefangene sind u. a. abgesetzte Fürsten (Hunold von Aquitanien und Frau 769; Königin Gerberga und ihre Söhne 773; König Desiderius mit Gemahlin und Tochter sowie Markgraf Otgar 774; andere Langobarden, darunter Arichis 774, und 787; Verschwörer des Hadrad-Aufstandes in Thüringen 786; Herzog Tassilo mit beiden Söhnen, Ehefrau und Töchtern 788; tausend Griechen in Italien 790; 150 Awaren 790 / 791; Pippin der Bucklige 792; sieben Mauren aus Lissabon 798; Sisinnius aus Konstantinopel vor 798; vor 799 der Langobarde Aio). 46 Das Verzeichnis sächsischer Geiseln wohl von 805 / 806, die sich in der Obhut alemannischer Bischöfe und Äbte befanden, wird meist so gedeutet, dass sie nach einer geistlich-politischen Umerziehung von Mainz aus in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten; zum Indiculus obsidum Saxonum Moguntiam deducendorum, in: Capitularia Regum Francorum. Ed. Boretius (wie Anm. 16), Bd. 1, 233 f. vgl. Reg. Imp. I, Nr. 192i; Nr. 410; Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte. Berlin 1994, 254; Michael Borgolte, Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Sigmaringen 1986, 205, Art. RIFOIN (hier auch zur Datierung); 207, Art. RIHWIN u. ö. 47 Reg. Imp. I, Nr. 327g; Nr. 338d; vgl. Angelika Lampen, Sachsenkriege, sächsischer Widerstand und Kooperation, in: Christoph Stiegmann / Matthias Wemhoff (Hrsg.), 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Bd. 1. Paderborn 1999, 264–272, hier 264; Freise, Frühmittelalter (wie Anm. 14), 302; vgl. 299. 48 Reg. Imp. I, Nr. 211a; Nr. 260b; Lampen, Sachsenkriege (wie Anm. 47), 267 f.; Freise, Frühmittelalter (wie Anm. 14), 298 f. – Flucht Gerbergas, der Witwe König Karlmanns, mit Kindern und wenigen Vertrauten nach Italien an den Hof des Königs Desiderius: Reg. Imp. I, Nr. 142a; Flucht des langobardischen Königssohnes Adalgis nach Konstantinopel: ebd., Nr. 167a, vgl. Codex Carolinus. Ed. Wilhelm Gundlach, in: MGH Epp. 3. Berlin 21957, 469–657, hier 612, Nr. 80; 617–619, Nrn. 83 f. 49 Vgl. oben Anm. 12.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
253
mit dem Angelsachsen Alkuin an der Spitze, den Bildungsaufbruch seiner Zeit gestaltet haben.50 Wenn es darum gehen soll, den Einfluss fremder oder anderer Kulturen im Zuge von Migrationen auf Karl den Großen und seine Zeitgenossen abzuschätzen, kann man die Herrscherfamilie nicht ausnehmen. Dabei fällt auf, dass Karl selbst, sein 771 verstorbener Bruder Karlmann sowie sein zum Haupterben bestimmter Sohn Karl der Jüngere (gest. 811) die einzigen männlichen Karolinger waren, die selbst nicht migriert sind, also ihren Lebensmittelpunkt dauernd oder vorübergehend an Orten außerhalb des fränkischen Kernraumes fanden.51 Karl und Karlmann kannten aus ihrer Jugend die Fremde nur durch Kriegszüge mit ihrem Vater Pippin nach Aquitanien, von wo aus sie ad propria zurückgekehrt waren.52 Später hat sich Karl zwar auf Heereszügen und bei Reisen zum Papst wiederholt in Gebieten jenseits seiner Reichsgrenzen aufgehalten, ohne sich dort aber niederzulassen.53 Was es bedeutet, sich in einer fremden Welt zurechtzufinden, hat er selbst nicht erfahren. Entsprechendes gilt von seinem gleichnamigen Sohn. Demgegenüber entfernte er seine beiden anderen Söhne aus der Ehe mit Hildegard, Pippin und Ludwig, schon als Kinder von seinem Hof und der Francia, um sie als Könige in den „Nebenländern“ Italien und Aquitanien zu installieren, und so war es mit Ludwig dem Frommen ein aquitanischer Remigrant, der in Aachen seine Nachfolge antreten sollte. Die übrigen Söhne und die männlichen Enkel Karls wurden, soweit bekannt ist, unter diesem selbst und spätestens unter seinem Nachfolger ebenfalls vom fränkischen Hof getrennt.54
50 Vgl. jüngst etwa: Ernst Tremp / Karl Schmuki (Hrsg.), Alkuin von York und die geistige Grundlegung Europas. St. Gallen 2010; Paul Leo Butzer / Maximilian Kerner / Walter Oberschelp (Hrsg.), Karl der Große und sein Nachwirken, Bd. 1: Wissen und Weltbild. Turnhout 1997; Fried, Weg in die Geschichte (wie Anm. 46), 262–332; Franz Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 1: Von Cassiodor bis zum Ausklang der karolingischen Erneuerung. München 1975, 241–315. 51 Zu Karl d. J. s. Rudolf Schieffer, Die Karolinger. Stuttgart 52014, bes. 81; 106–109; Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft. Hannover 1997, 138–160. 52 Reg. Imp. I, Nrn. 92i; 93c; Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV cum Continuationibus. Ed. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov. 2. Hannover 1888, 1–193, hier 187, Cont. cap. 42 bzw. cap. 43; ebd., 188: ad sedem propriam. 53 Heereszüge nach Aquitanien 769, nach Sachsen 772 u. ö., Italien 774, Spanien 778, Thüringen 786, Benevent 787, Slawenland 789, Awarenland 791. 54 Karls ältester Sohn von Himiltrud wurde nach einer Verschwörung 792 ins Kloster Prüm verbannt, kann also als Zwangsmigrant angesehen werden: Reg. Imp. I, Nr. 320a; Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft (wie Anm. 51), 139; 143–151. Ähnliches gilt von den mit Konkubinen gezeugten Söhnen Karls, für Drogo, Hugo und Theuderich. Sie waren nach dem Tod des Kaisers zunächst am Hof geblieben, wurden aber dann durch Ludwig den Frommen tonsuriert, also zu
254
Michael Borgolte
Ein naheliegender Weg, kulturelle Verflechtung über die Herrscherfamilie herzustellen, war die auswärtige Heirat. Überhaupt könnten Heiratsmigrationen als die am meisten verbreitete Form von Wohnortverlagerungen angesehen werden, wenn damit immer auch ein wirklicher Wechsel des kulturellen Milieus verbunden wäre.55 Das ist aber bei Nachbarn in einem Dorf, einer Grundherrschaft oder einer Stadt innerhalb eines Reiches oder einer Region kaum einmal anzunehmen. Anders ist es freilich bei der Einheirat in die Herrscherfamilie gewesen. Dem Hof beizutreten und anzugehören, und dies womöglich sogar an der Seite eines königlichen Gemahls, bedeutete zweifellos einen Einschnitt, der mit der Überschreitung einer kulturellen Grenze verbunden war. Frauen, die ins Haus Karls des Großen einheirateten, müssen also als Migrantinnen gelten, und ähnliches gilt auch für die Konkubinen des Frankenherrschers. Lässt man die fünf Ehefrauen und die bekannten Geliebten Karls Revue passieren,56 dann waren nur zwei aus Völkern hervorgegangen, die dem Reich nicht schon länger angehörten. Von ihnen ist über eine Sächsin nichts Näheres bekannt,57 während Karl die von seiner Mutter eingefädelte Ehe mit einer langobardischen Königstochter schon nach einem Jahr wieder löste. Nimmt man noch hinzu, dass Karls Bruder Karlmann mit Gerberga eine Fränkin zur Frau gehabt hatte,58 dann wird deutlich, dass die Könige in Karls Generation auswärtige Eheschlüsse vermieden haben; das entsprach dem Stil der älteren Pippiniden / Arnulfinger (Karolinger) und unterscheidet diese Frankenherrscher ins-
Geistlichen gemacht, und in freier Klosterhaft gehalten. – Die beiden Söhne seines Bruders Karlmann flohen nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter nach Italien und fielen 774 in Verona Karl dem Großen in die Hände; ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. – Von den männlichen Enkeln Karls ist Bernhard, der uneheliche Sohn Pippins von Italien, der offenbar im Kloster Fulda zum Geistlichen hatte erzogen werden sollen, noch zu Lebzeiten des Kaisers zum Nachfolger seines Vaters im Süden der Alpen erhoben worden. Über den Aufenthalt Nithards und Hartnids, der Söhne von Karls Tochter Bertha, zu Lebzeiten des alten Kaisers wissen wir nichts. 55 Vgl. Michael Borgolte, Medieval Period – A Survey, in: Immanuel Ness / Peter Bellwood u. a. (Hrsg.), Encyclopedia of Global Human Migration, Bd. 4. Malden (Mass.) / Oxford / Chichester 2013, 2117–2124; Karl-Heinz Spieß, Spouses and Migration, in: ebd., Bd. 5, 2864 f. Künftig beides auch in dt. Übers. in: Michael Borgolte (Hrsg.), Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch. (Im Druck). – Vgl. Hoerder / Lucassen / Lucassen, Terminologien und Konzepte (wie Anm. 43), 36. 56 Vgl. Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter. Stuttgart 2009, 95–104. 57 Zur Sächsin Gerswind s. Hartmann, Königin im frühen Mittelalter (wie Anm. 56), 183; Freise, Frühmittelalter (wie Anm. 14), 311. 58 Nach Hartmann, Königin im frühen Mittelalter (wie Anm. 56), 98, wissen wir nichts über die Herkunft der Gerberga. Aber Papst Stephan III. zählte sie, wie auch ihre Schwägerin Himiltrud, zu den Franken: Codex Carolinus. Ed. Gundlach (wie Anm. 48), 561, Nr. 45.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
255
gesamt signifikant von den Langobarden oder auch Goten.59 Ebenso wie bei der Verteilung der Königtümer unter seine Söhne hat Karl also zwischen dem engeren Reichsgebiet und den Randländern einen deutlichen Unterschied gemacht: Eine Frau aus Aquitanien hat er nicht genommen und die Langobardin an den Hof ihres Vaters in Italien zurückgeschickt. Anders gesagt, hat Karl der Große keine Frau gleichen Ranges, also keine fremde Herrscherin oder wenigstens die Königstochter eines anderen Reiches, als seine Gemahlin geduldet. Der Einfluss einer fremden Kultur konnte ihn und seinen Hof auf diesem Weg weiblicher Vermittlung kaum erreichen.60 Das unterscheidet Karl von anderen bedeutenden Herrschern des frühen Mittelalters.61 Soll man also annehmen, dass Karl und seine Angehörigen, und sei es aus politischem Kalkül, fremdenfeindlich waren, wenn es um die Heirat ging? Einfach beantworten lässt sich die Frage nicht. Immerhin werden, wenn auch erst spät, Hoffnungen des andalusischen Emirs für eine Heiratsallianz mit Karl überliefert,62 und zeitgenössisch unterstellt ein griechischer Chronist Karl selbst
59 Vgl. Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft (wie Anm. 51), 143; 175, nach der erst Ludwig dem Frommen (817) ein karolingisches „Hausgesetz“ zugeschrieben werden könne, das auswärtige Heiraten für Könige verbot. – Zu der gegenteiligen Politik bei Ostgoten (Theoderich d. Gr.), Westgoten (Galswinth) und Langobarden (Wacho, Alboin, Authari, Desiderius) s. Hartmann, Königin im frühen Mittelalter (wie Anm. 56), 27 f.; 40–45; 55–57; 189; zu auswärtigen Vermählungen von Merowingern ebd., 28; 41 f.; 72; 80; 82; 188 f., aber ebd., 141. – Der Kaiser Konstantin V. von Byzanz hatte selbst umsonst 766 / 767 für seinen Sohn Leon um die Hand von Karls Schwester Gisela geworben: ebd., 190; auch der Langobardenkönig Desiderius hat sich bei Gisela vergeblich zugunsten seines Sohnes Adelchis bemüht (ebd.). 60 Demgegenüber ist bezeugt, wie sehr Karl und seine Gemahlin Hildegard (aber auch schon sein Vater Pippin und sein Bruder Karlmann) die angelsächsische Äbtissin von Tauberbischofsheim, Lioba, geschätzt hatben: Vita Leobae abbatissae Biscofesheimensis auctore Rudolfo Fuldensi. Ed. Georg Waitz, in: MGH SS 15.1. Hannover 1887, 118–131, hier 129 f., cap. 18; 20. 61 Man denke nur an Chlodwig und seine burgundische Gemahlin Chrodechilde, an Theoderich d. Gr. und seine fränkische Ehefrau, Chlodwigs Schwester, Audofleda, an König Aethelbert von Kent und seine fränkische (merowingische) Gemahlin Berta oder an die Langobarden Authari und Agilulf, die nacheinander mit der Bayerin Theudelinde (selbst Enkelin eines langobardischen Königs) vermählt waren. 62 Erwin Rosenthal, Der Plan eines Bündnisses zwischen Karl dem Großen und ͑Abdurrahmān in der arabischen Überlieferung, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 48, 1930, 441–445. Nach der hier angebotenen Übersetzung der einschlägigen arabischen Quelle (al-Makkarī, 1591-1632) habe der Muslim Karl um Frieden und Verschwägerung gebeten. Ohne Kenntnis dieses Forschungsstandes wird hingegen Karl die Initiative zugeschrieben von Walther Björkman, Karl und der Islam, in: Helmut Beumann (Hrsg.), Persönlichkeit und Geschichte (wie Anm. 11), 672–682, hier 675 f.
256
Michael Borgolte
das Projekt einer Ehe mit der byzantinischen Kaiserin Eirene.63 Wenngleich die kritische Forschung beides verwirft, sind doch nachweislich andere auswärtige Heiraten ernsthaft geplant worden und kurz vor ihrer Realisierung eher aus politischen als aus ideologischen Gründen gescheitert.64 Gut bezeugt ist die Absicht Karls des Jüngeren, sich mit der Tochter König Offas von Mercien zu vermählen; das Vorhaben sei nur deshalb aufgegeben worden, weil Offa im Gegenzug die fränkische Königstochter Bertha für seinen eigenen Sohn forderte.65 Intensiv betrieb der Hof die Ehe der anderen Tochter Rotrud mit dem griechischen Prinzen Konstantin (VI.), die Kaiserin Eirene Karl nahegebracht hatte. Ein ausgesandter Eunuch blieb bei den Franken zurück, „um Rotrud griechische Sprache und Literatur zu lehren und sie im byzantinischen Hofzeremoniell zu unterweisen“.66 Wie ernst man den Plan im Westen nahm, bezeugt der Gelehrte und Dichter Petrus von Pisa: Danach glaubte man am Hof, dass Rotrud ad tenenda sceptra regni übers Meer fahren werde; der Langobarde Paulus Diaconus bilde deshalb schon Kleriker in griechischer Sprache aus, die der Königstochter zur Seite stehen sollten.67 Paulus replizierte gar, durch Rotrud (als künftiger Kaiserin) werde sich die Macht des Frankenreiches bis nach Asien ausdehnen.68 Als die Prinzessin 787
63 Zum Bericht des Theophanes (Bilderstreit und Arabersturm in Byzanz. Das 8. Jahrhundert [717–813] aus der Weltchronik des Theophanes. Übersetzt, eingeleitet und erklärt von Leopold Breyer. Graz / Wien / Köln 21964, 136 f.) das Urteil von Peter Classen, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums. ND hrsg. v. Horst Fuhrmann / Claudia Märtl. Sigmaringen 21988, 85 f. 64 Ein spätes Geschichtswerk aus Kloster Lindisfarne überliefert, dass König Eardulf von Northumbrien eine Tochter Karls zur Frau genommen habe, was sonst nicht belegt ist: Wilhelm Levison, Die „Annales Lindisfarnenses et Dunelmenses“ kritisch untersucht und neu herausgegeben, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 17, 1961, 447–506, hier 483, ad. a. 797; vgl. John Michael Wallace-Hadrill, Charlemagne and England, in: Helmut Beumann (Hrsg.), Persönlichkeit und Geschichte (wie Anm. 11), 683–698, hier 696, und jetzt Story, Carolingian Connections (wie Anm. 10), 156 f. 65 Gesta Sanctorum Patrum Fontanellensis Coenobii (Gesta Abbatum Fontanellensium). Ed. Fernand Lohier / B R. P. J. Laporte. Rouen / Paris 1936, 87, cap. 12.2; vgl. Alcuini sive Albini Epistolae. Ed. Dümmler (wie Anm. 20), 32, Nr. 7; vgl. Story, Carolingian Connections (wie Anm. 10), 184–188; Wallace-Hadrill, Charlemagne and England (wie Anm. 64), 688 f.; Hartmann, Königin im frühen Mittelalter (wie Anm. 56), 190. Skeptisch gegenüber dieser Überlieferung: McKitterick, Karl der Große (wie Anm. 9), 246 f. 66 Bilderstreit und Arabersturm in Byzanz. Ed. Breyer (wie Anm. 63), 110, ad a. 782; Einhardi Vita Karoli Magni. Ed. Holder-Egger (wie Anm. 33), 24, cap. 19; weitere Quellen: Abel / Simson, Jahrbücher (wie Anm. 17), Bd. 1, 385. 67 Karl Neff, Die Gedichte des Paulus Diaconus. München 1908, 62, Nr. 12, vgl. ebd., 58. 68 Neff, Gedichte des Paulus Diaconus (wie Anm. 67), 67, Nr. 13: Nec me latet, sed exulto, quod pergat trans maria / vestra, rector, et capessat sceptrum pulchra filia, / ut per natam regni vires
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
257
in Capua tatsächlich abgeholt werden sollte, weigerte sich Karl aber plötzlich; nach griechischer Überlieferung habe allerdings Eirene die Verlobung gelöst.69 Vermutlich muss man das Scheitern auf ungeklärte Fragen der Herrschaft in Italien zwischen beiden Mächten zurückführen, vielleicht ließ sich Karl zuletzt auch nur von seiner egoistischen Vaterliebe leiten, die ihn veranlasst haben soll, keine seiner Töchter zur Vermählung selbst mit Einheimischen aus dem Haus zu geben.70 Blieb Karl der Große also ein Herrscher, der über das Reich und seine Nachbarn in Europa nicht hinauswirkte? Gegen diese Folgerung spricht schon, dass Einhard unter den Königen und Völkerschaften, mit denen der Kaiser Beziehungen pflegte, „den Perserkönig Aaron“ hervorhob, „der mit Ausnahme Indiens fast den ganzen Orient beherrschte“. Harūn ar-Rašīd, also der Kalif von Bagdad, habe sogar Karl mehr als jeden anderen Herrscher zum Freund haben wollen; einer Gesandtschaft, die der Franke nach Jerusalem entsandt hatte, habe er das Geschenk des Grabes Christi selbst gemacht.71 An anderer Stelle der Karlsvita betont Einhard, Karl habe seinerseits „die Freundschaft mit Herrschern jenseits des Meeres“ gesucht, damit den dort lebenden Christen Erleichterung und Hilfe erwachse. Karl habe also die Herrschertugend der caritas vorbildlich erfüllt: „In der Armenfürsorge und im Spenden freiwilliger Gaben (…) bewies er viel frommen Eifer, wie er denn dafür nicht bloß in seinem Vaterland und in seinem Reich sorgte, sondern auch weit übers Meer Geld zu schicken pflegte nach Syrien, Ägypten und Afrika, nach Jerusalem, Alexandria und Karthago, wenn er hörte, dass dort Christen in Dürftigkeit lebten, aus Mitleid mit ihrer Not.“72 Tatsäch-
tendantur in Asiam. Vgl. Wolfram von den Steinen, Karl und die Dichter, in: Bischoff (Hrsg.), Geistiges Leben (wie Anm. 14), 63–94, hier 69; Rudolf Schieffer, Karolingische Töchter, in: Georg Jenal (Hrsg.), Herrschaft, Kirche, Kultur. Stuttgart 1993, 125–139, hier 125; Hartmann, Königin im frühen Mittelalter (wie Anm. 56), 190. 69 Abel / Simson, Jahrbücher (wie Anm. 17), Bd. 1, 567–569; vgl. Annales qui dicuntur Einhardi. Ed. Kurze (wie Anm. 30), 83, ad a. 788. 70 Schieffer, Karolingische Töchter (wie Anm. 68), 125; Gunther Wolf, Die byzantinisch-abendländischen Heirats- und Verlobungspläne zwischen 750 und 1250, in: Archiv für Diplomatik 37, 1991, 15–32, hier 16 f. 71 Einhardi Vita Karoli Magni. Ed. Holder-Egger (wie Anm. 33), 19, cap. 16. Vgl. Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), bes. 81–83; zuletzt und ergänzend Michael McCormick, Charlemagne’s Survey of the Holy Land. Wealth, Personnel, and Buildings of a Mediterranean Church between Antiquity and the Middle Ages. Washington (DC) 2011, bes. 95–116; Ilisch, Arabische Kupfermünzen an der Ostsee (wie Anm. 23). 72 Einhardi Vita Karoli Magni. Ed. Holder-Egger (wie Anm. 33), 31, cap. 27; Übers. in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, Bd. 1: Die Reichsannalen; Einhard Leben Karls des Großen; Zwei „Leben“ Ludwigs; Nithard Geschichten. Neubearb. von Reinhold Rau. Darmstadt 1968, 199.
258
Michael Borgolte
lich wissen wir durch eine neue Untersuchung, dass in den letzten Jahren Karls und Harūns mindestens 406 Mönche und Nonnen in Jerusalem lebten, darunter knapp 60 aus dem Westen Europas.73 Vor dem Jahr 800 bestand auf dem Ölberg schon ein Kloster lateinischer Mönche, die entweder durch Karl selbst angesiedelt oder aber so durch ihn gefördert worden waren, dass ihr Haus von Griechen für ein fränkisches Kloster gehalten wurde.74 Um 808 / 810 ist am Grab Christi ferner eine Gemeinschaft von gottgeweihten Frauen de imperio domni Karoli bezeugt.75 Es gab also am Beginn des neunten Jahrhunderts an den Heiligen Stätten von Jerusalem eine nicht unbeträchtliche Anzahl geistlicher Emigranten aus dem Frankenreich, die bereit waren, unter muslimischer Herrschaft zu leben und sich mit dem griechischen Patriarchat auseinanderzusetzen. Karls Interventionen im Heiligen Land könnten durch Überfälle von Muslimen auf griechische Mönche 788 und 797 veranlasst worden sein; fremder Gewalt waren die Christen auch ausgesetzt, als unter den Machthabern des Raumes selbst nach Harūns Tod 809 Unruhen mit bürgerkriegsähnlichen Konflikten ausbrachen.76 Offenbar griff Karl auch deshalb ein, weil der Kaiser von Konstantinopel als alter Feind des Kalifats dazu nicht in der Lage war. Gute Voraussetzungen, den Blick über die eigenen Grenzen hinaus nach Osten zu richten, hatten im Übrigen die Konsolidierung seines Reiches77 und die Erfahrungen mit Muslimen in Spanien geschaffen. Wie es für Migranten typisch ist, suchten die lateinischen Mönche in Jerusalem durch Briefe und Boten Kontakt mit der Heimat;78 dazu gab nicht bloß die Herrschaft der Ungläubigen Anlass, sondern auch das Misstrauen, das ihnen die Griechen entgegen brachten. Obwohl sich auch der Patriarch um die Gunst Karls
73 McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), 59. 74 Karl Schmid, Aachen und Jerusalem. Ein Beitrag zur historischen Personenforschung der Karolingerzeit, in: Ders., Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Sigmaringen 1983, 106–126; Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), bes. 97–107; McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), bes. 77–81. 75 McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), 206 f., zur Datierung des Baseler Rotulus auf 808 / 810 ebd., 177, zur Kommunität vgl. ebd., 76 f.; Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22) und Schmid, Aachen und Jerusalem (wie Anm. 74). – Bemerkenswert ist der Hinweis von McCormick, ebd., 187–191 (nach Victor Elbern), dass die in der Kaiserzeit Karls ausgebrachten Denare mit der Inschrift XPICTIANA RELIGIO auf dem Bild der Rückseite die Architektur des Heiligen Grabes in Jerusalem nachzuahmen scheinen. 76 Bilderstreit und Arabersturm in Byzanz. Ed. Breyer (wie Anm. 63), 148 f.; 170 f. Vgl. Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 24–28; 122. 77 Auch die Sachsenkriege waren seit 785 im Wesentlichen entschieden, vgl. Lampen, Sachsenkriege (wie Anm. 47), 268–271. 78 Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), bes. 86; 90–92; vgl. ebd., 114–119.
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
259
bemühte, attackierten griechische Mönche die Theologie und liturgische Praxis der Lateiner.79 In den Konflikt um die rechte Christologie wurde selbst der Papst einbezogen, der mit den Franken einen heiklen Kompromiss aushandelte. Die Aufgabe der Franken in Jerusalem war zweifellos vor allem das Gebet für Karls Heil und sein Reich. Die fromme Motivation reichte sogar über den christlichen Kontext im engeren Sinne hinaus, weil Karls Vorbild König David war.80 Seine Gelehrten redeten ihn selbst mit dem Namen des alttestamentlichen Königs an, und Alkuin, der spiritus rector der Hofgesellschaft, stand mit dem Patriarchen von Jerusalem im freundlichen Kontakt.81 Undenkbar ist hingegen, dass die Mönche aus dem Westen hätten Mission treiben wollen; das wäre ihr sicheres Todesurteil gewesen. In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass zwischen Christen und Muslimen ein stillschweigender Konsens über die Aufteilung ihrer Welt herrschte, so dass keine Seite ihre Grenzen zur Verbreitung des eigenen Glaubens überschritt.82 Die fränkischen Mönche und Nonnen belegen aber, dass Karl der Große entschlossen war, heikle kulturelle Existenzen, nämlich Christen unter muslimischer Herrschaft, zu fördern. Besonders eindrucksvoll ist dabei, dass siebzehn gottgeweihte Frauen aus seinem Reich bereit waren, an dem Karl geschenkten Grab Christi zu dienen.83 Sie konnten ja keine bedeutenden liturgischen Funktionen wahrnehmen und sich nicht einmal an dogmatischen Auseinandersetzungen beteiligen wie ihren männlichen Kollegen; zu ihrem Schutz
79 Bes.: Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae. Ed. Karl Hampe, in: MGH Epp. 5. Berlin 1899, 1–84, hier 64–66, Nr. 7; Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 98–107; Ders., Papst Leo III., Karl der Große und der FilioqueStreit von Jerusalem, in: Byzantina 10, 1980, 401–427; McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), 168–177 (mit weiterer Lit.). 80 Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 121 f., Ders., Filioque-Streit von Jerusalem (wie Anm. 79), 403–406. 81 Alcuini sive Albini Epistolae. Ed. Dümmler (wie Anm. 20), 350 f., Nr. 210; vgl. Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 63. 82 Arnold Angenendt, Liudger. Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter. Münster 22005, 64. 83 Die „krumme“ Zahl spricht dafür, dass die Gruppe nicht geschlossen, etwa anlässlich einer Klostergründung, aus dem Karlsreich ins Heilige Land gekommen war; vielmehr dürften sich die Sanktimonialen, möglicherweise ergänzend zu einer organisierten Migrantinnengruppe, am Grab Christi versammelt haben, als Karl dieses vom Kalifen zum Geschenk gemacht worden war. Im Basler Rotulus wird nach den 17 Sanktimonialen eine Inkluse aus Spanien aufgeführt. Den Passus Monasteria puellarum xxvi, de imperio domni Karoli quae ad sepulchrum Domini seruiunt Deo sacratas xvii, inclusa de Spania i übersetzt McCormick: „A monastery of 26 women [, of whom] 17 nuns who serve at the Holy Sepulcher are from the empire of Lord Charles; 1 recluse from Spain“ (McCormick, Charlemagne’s Survey [wie Anm. 71], 206 f., vgl. ebd., 220, ferner 26 f.; 76 f.).
260
Michael Borgolte
waren sie wohl nur auf die Mönche aus dem Westen verwiesen, die sich selbst der Willkür von Muslimen und sogar Griechen ausgesetzt sahen. In Jerusalem unterstützte, mit anderen Worten, Karl der Große eine Symbiose lateinischer Christen mit Fremden, die er in seinem europäischen Reich nicht geduldet hat. In seiner Charakterisierung des Franken hat Einhard die Spenden Karls für die transmarinen Christen besonders hervorgehoben. Schon im Jahr seiner Kaiserkrönung entsandte der Herrscher einen Priester seiner Pfalz mit Geschenken nach Jerusalem und wiederholte die Almosengabe zwei Jahre später.84 810 rief er sein Reich sogar zu Spenden für die Wiederherstellung von Kirchen im Heiligen Land auf;85 dabei dachte er vielleicht gar nicht nur an römisch-katholische Gotteshäuser oder Klöster mit lateinischer Besatzung.86 Leider keine Bestätigung findet in der übrigen Überlieferung Einhards weitere Angabe, dass Karl nicht nur in Syrien (Jerusalem), sondern auch in Ägypten (Alexandria) und Afrika (Karthago) in Not geratenen Christen seine Hilfe zukommen ließ. Immerhin wird zum Jahr 807 berichtet, dass er 60 (griechische) Mönche von der kleinen Insel Pantelleria südlich von Sizilien freikaufte, die muslimische Piraten nach Spanien weggeschleppt hatten.87
3 Fernhandel Die erste Gesandtschaft Karls des Großen zu Harūn ar-Rašīd erreichte nach vierjähriger Reise im Sommer 801 wieder den Boden Italiens; nur ein Jude namens Isaak hatte die strapaziöse Expedition überlebt.88 In seiner Begleitung befand
84 Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 62; 78; 94; McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), passim. 85 Capitulare missorum Aquisgranense primum, in: Capitularia Regum Francorum (wie Anm. 16), 152–154, Nr. 64, hier 154, cap. 18; Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 94 f.; McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), 163. 86 McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), der den Basler Rotulus als Erfassung von Klerus und Kirchenwesen in Jerusalem bzw. im Heiligen Land gedeutet hat, die den Almosengaben von 810 eine verlässliche Grundlage schaffen sollte, lässt im Unklaren, ob auch griechische Christen als Empfänger der Gaben in Betracht gezogen wurden. Er spricht nur (wie Einhard) von der Unterstützung der „local Christians under Muslim rule“ und Hilfen für „the personnel, expenditures, and building needs of the orthodox Christian churches under the patriarch of Jerusalem“ (ebd., 177 f.) als Absichten Karls. 87 Annales Regni Francorum. Ed. Kurze (wie Anm. 18), 124, ad a. 807; vgl. McCormick, Charlemagne’s Survey (wie Anm. 71), 115; Ders., Origins (wie Anm. 23), 893, Nr. 272. 88 Vgl. Borgolte, Gesandtenaustausch (wie Anm. 22), 46–58; Ilisch, Arabische Kupfermünzen an
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
261
sich neben einem Beauftragten des Kalifen ein Bote des nordafrikanischen muslimischen Fürsten Ibrahim.89 Isaak hatte von Bagdad aus den Landweg genommen und als Geschenk Harūns einen Elefanten mit sich geführt, den erst ein von Karl ausgerüstetes Schiff über das Meer bringen konnte.90 Offenbar war der Jude ein weitgereister Mann, der seine Kenntnisse über die „sarazenischen“ Länder als Händler erworben hatte und vielleicht am Frankenhof verkehrte. Ein viel diskutiertes Zeugnis noch aus dem neunten Jahrhundert belegt vier Routen jüdischer Kaufleute, die „zu Wasser und zu Lande“ zwischen Westeuropa und Sind, Indien oder gar China verkehrten.91 Viel spricht dafür, dass die europäischen und orientalischen Juden sich aber in der Regel in eigenen, wenn auch untereinander verzahnten Handelskreisen bewegten;92 später ist jedenfalls gut dokumentiert, dass die arabisch sprechenden Juden ebenso wie die Muslime den Übertritt in christliche Länder scheuten.93 Umgekehrt dehnte sich der Horizont des westlichen Handels in Karls Zeit weit über den Umkreis seiner Eroberungen nach Osten hin aus.94 In Europa war es besonders der Sieg über die Awaren, der neue Wege öffnete; 805 musste der Kaiser schon den Händlern, „die in die Länder der Slawen und Awaren gelangten“, verbieten, dort Waffen und Rüstungen zu verkaufen.95 Andererseits profi-
der Ostsee (wie Anm. 23). – Dass die fränkischen Sendboten Harūn in seiner syrischen Residenz Raqqa statt in Bagdad getroffen haben könnten, zeigt Fried, Karl der Große (wie Anm. 9), 464 f. 89 Zur Herrschaft der Aghlabiden im östlichen Maghreb (Tunesien): Krämer, Geschichte des Islam (wie Anm. 21), 104; Hans-Rudolf Singer, Der Maghreb und die Pyrenäenhalbinsel bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Ulrich Haarmann (Hrsg.), Geschichte der arabischen Welt. München 21991, 264–322, hier 271. 90 Vgl. jüngst: Achim Thomas Hack, Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten. Badenweiler 2011; Wolfgang Dreßen / Georg Minkenberg / Adam C. Oellers (Hrsg.), Ex Oriente. Isaak und der weiße Elefant, 3 Bde. Mainz am Rhein 2003. 91 Jürgen Jacobi, Die Rādānīya, in: Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des Islamischen Orients 27, 1971, 252–264; zuletzt: Michael Toch, The Economic History of European Jews. Late Antiquity and Early Middle Ages. Leiden / Boston 2013, 193–200, mit neuer engl. Übersetzung nach Moshe Gil, Jews in Islamic Countries in the Middle Ages. Übers. von David Strassler. Leiden 2004, 196 f.; McCormick, Origins (wie Anm. 23), 688–693, vgl. Karte (Map. 23.1) ebd., 676. 92 Toch, Economic History (wie Anm. 91), Bd. 1, 190–193. 93 Shlomo D. Goitein, A Mediterranean Society. The Jewish Communities of the World as Portrayed in the Documents of the Cairo Geniza, Bd. 1: Economic Foundations. Berkeley / Los Angeles / London 1967, ND 1999, 211. 94 Zum Folgenden künftig Borgolte, Zwischen zwei Katastrophen (wie Anm. 1), bei Anm. 126. 95 Capitulare missorum in Theodonis villa datum secundum generale, in: Capitularia Regum Francorum. Ed. Boretius (wie Anm. 16), 122–126, cap. 7, hier 123, Nr. 44. Zum hier einschlägigen Kapitel des Diedenhofener Kapitulars von 805: Peter Johanek, Der fränkische Handel der Karolingerzeit im Spiegel der Schriftquellen, in: Klaus Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel
262
Michael Borgolte
tierten die Franken davon, dass die Slawen jetzt mehr denn je zu ihren Nachbarn geworden waren; als Heiden konnten diese wohl in organisierten Razzien mit geringen Bedenken versklavt und quer durchs Frankenreich zum Verkauf nach Andalusien gebracht werden. Karl hat aber darauf geachtet, dass diese Ungläubigen seinen Herrschaftsraum auch wirklich wieder verließen.96 Mit dem Zusammenbruch der Awaren stand vor allem der alte nordsüdliche Handelsweg wieder zur Verfügung, der das Kalifat, das Schwarze oder das Kaspische Meer über die großen osteuropäischen Flüsse mit dem Baltikum verband. Ungefähr seit 780 strömte nun arabisches Silber in ungeheuren Mengen nach Skandinavien; ob das Edelmetall, eingeschmolzen und weiterverarbeitet, auch die Grundlage für den Aufschwung der fränkischen Silberwährung gebildet hat, ist in der Forschung gefragt worden.97 Auch hat man in der Gestaltung der karolingischen Denare die Nachahmung kufischer Inschriften auf den arabischen Dirhems sehen wollen.98 Als Karl um 793 / 794 das Gewicht seiner Silbermünzen auf etwa 1,7 Gramm anhob, scheint er sich jedenfalls am Gewicht der arabischen Geldstücke orientiert zu haben. Der karolingische Pfennig lehnte sich so, wie formuliert worden ist, bei der damaligen Leitwährung der Mittelmeerwelt an.99 Die Eroberung Italiens hat auch den Handel – oder mindestens den Güteraustausch – der Franken über die Alpenpässe intensiviert; ein um 795 datierter Münzfund aus Graubünden vermengt arabische mit angelsächischen, fränkischen und langobardischen Währungen.100 Vor wenigen Jahren hat zudem der amerikanische Historiker Michael McCormick gezeigt, wie stark die Kommunikation und damit auch der Handel im Mittelmeer unter Karl dem Großen wieder aufgeblüht sind.101 Immer gab es zwar nach McCormick eine Seeverbindung zwischen dem Westen, also Italien, und Byzanz; im achten Jahrhundert zog sie sich von Rom über das Tyrrhenische Meer, die Straße von Messina und das gefährli-
und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Bd. 4: Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit. Göttingen 1987, 7–68, hier 15; 17. 96 Johanek, Fränkischer Handel (wie Anm. 95), 38 f. 97 Sture Bolin, Mohammed, Charlemagne and Ruric, ND in: Paul Egon Hübinger (Hrsg.), Bedeutung und Rolle des Islam beim Übergang vom Altertum zum Mittelalter. Darmstadt 1968, 223–265; zu arabischen Kupfermünzen, die unlängst bei Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) gefunden wurden und die nordafrikanischer Provenienz gewesen sein sollen, s. jetzt Ilisch, Arabische Kupfermünzen an der Ostsee (wie Anm. 23). 98 Bolin, Mohammed, Charlemagne and Ruric (wie Anm. 97), 232 f. 99 Fried, Karl der Große in Frankfurt (wie Anm. 25), 32; vgl. Bernd Kluge, Numismatik des Mittelalters. Berlin / Wien 2007, 87. 100 McCormick, Origins (wie Anm. 23), 825 f., Nr. A 23. 101 McCormick, Origins (wie Anm. 23), bes. 548; 568 f.; 797 f. (hier die Zitate, Übers. M. B.).
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
263
che Ionische Meer bis in die Ägäis. An beiden Enden dieser Hauptroute führten Verbindungen weiter, etwa von Rom nach Marseille oder von Griechenland nach Konstantinopel beziehungsweise Zypern und Kleinasien. Nach den arabischen Eroberungen wurde ein zweiter Weg entlang den Küsten des Maghreb und von Ifrīqiya bis zu den muslimischen Zentralgebieten im Mittleren Osten erschlossen, der den Christen zunächst unzugänglich war. Im Laufe des achten Jahrhunderts wurden jedoch die alten Nordsüdverbindungen wiederbelebt und Italien mit der Kommunikationsachse der islamischen Welt verbunden. Gleichzeitig entfaltete sich aufs Neue die Landverbindung durch Spanien. Der dramatischste Wandel der Zeit vollzog sich in der Adria mit dem Aufstieg Venedigs. Um 730 noch auf regionalen Schiffsverkehr beschränkt, entwickelten sich die Salzhändler an der Lagune auch zu Sklavenexporteuren in die Länder des Islams. Ende des achten Jahrhunderts bestand schon ein regelmäßiger Pendelverkehr zwischen Venedig und Palästina. Entscheidend für die Intensivierung der Mittelmeerkreuzung war offenkundig die Orientierung der Karolinger nach Italien. Der entscheidende Partner der westlichen Christenheit sei aber die Welt des Islam gewesen: „Immer wieder können wir feststellen, dass die engsten Schifffahrtsverbindungen im achten und neunten Jahrhundert mit den gleichen Regionen bestanden, die die Motoren der Wirtschaft im spätrömischen Reich gewesen waren: Afrika, Ägypten und die Levante. Mit anderen Worten: Es waren nicht in erster Linie die Beziehungen zur Wirtschaft von Byzanz, sondern mit der Ökonomie oder den Ökonomien der muslimischen Welt. Denn dort lag im achten und neunten Jahrhundert das Geld, und dorthin wandten sich die europäischen Schiffsverlader (…). Das frühmittelalterliche Europa, das wir neu in den Blick bekommen, unterscheidet sich vom herkömmlichen Bild der Historiker. Es ist kein verarmtes, selbstbezogenes und ökonomisch stagnierendes Gebiet, das viele von uns als Studenten kennengelernt haben. Im Gegenteil, am Anfang wurden die kleinen Welten Europas mit der größeren Welt der muslimischen Wirtschaften verknüpft (…). Ein neues Europa und die ihm beigeordneten Gesellschaften exportierten ihre Errungenschaften im Austausch mit den Gütern und dem Geld aus dem Haus des Islams.“ Wenn auch mit anderer Begründung, bestätige sich also die These von Pirenne: Ohne Mohammed hätte es Karl den Großen nicht gegeben.
4 Resumee Michael McCormick deutet zwar seinen Befund als die „Ursprünge der europäischen Wirtschaft“, aber tatsächlich ist sein historischer Blick rückwärts gewandt: Unter den Karolingern seit Pippin dem König und besonders durch Karl den
264
Michael Borgolte
Großen ist nach seiner Auffassung die antike Einheit der Mittelmeerwelt wiederhergestellt worden. Wir wollen hingegen nach vorn schauen und fragen nach dem Ort Karls des Großen in der Globalgeschichte. Dazu haben sich, wie ich glaube, neue Einsichten gewinnen lassen. Sowohl als Eroberer als auch in seiner Migrationspolitik beschränkte sich Karl der Große auf die Integration von Anderen, entweder auf Christen oder aber auf Heiden, die den Franken längst bekannt waren. Bei der Expansion seines Reiches klammerte er die wichtigsten anrainenden Fremden, die Muslime, aus, und den seltenen Einwanderern dieser Gruppe räumte er keine Entfaltungsmöglichkeiten ein. Karl blieb Herrscher eines rein europäischen Reiches, während die muslimische Glaubensgemeinschaft einen Staatengürtel über alle Teile der vormodernen trikontinentalen Ökumene errichtete. Allem Anschein nach sorgte er allerdings für eine Vernetzung des fränkischen mit dem arabischen Fernhandel. Seine erstaunlichste globale Leistung war, dass er Mönche und Nonnen seines Reiches in Jerusalem unterstützte oder gar selbst ansiedelte, obwohl die heiligen Stätten kirchlich nach Konstantinopel orientiert waren und politisch unter der Gewalt des Kalifats standen. Dabei ließ er sich vom Vorbild des antiken Imperiums ebenso leiten wie von biblischer und näherhin christlicher Überlieferung. Die frommen Frauen und Männer aus seinem Reich folgten mit ihrer peregrinatio der Aussendung Jesu Christi, sie konnten und wollten aber keine Mission treiben. Vielmehr beschränkten sie sich, wie besonders beeindruckend die 17 Sanktimonialen am Grab des Erlösers dokumentieren, auf Gebet und Liturgie. Ihr Zweck war, von außen betrachtet, nur das Dasein von Fremden unter Fremden, also eine Lebenslage, die Karl der Große in seinem Reich gerade zu verhindern wusste. Umso deutlicher tritt hervor, wie nahe die Existenz der Jerusalemer Mönche und Nonnen den Erfahrungen unserer Gegenwart, also der globalisierten Welt, kommt. Man könnte versucht sein zu konstatieren, dass Karl der Große durch seine frommen Emigranten die räumliche Weite der muslimischen Umma ausgeschritten hat, zumal er auch nach Afrika Almosen geschickt haben soll. Trotzdem wäre es falsch zu sagen, dass er gewissermaßen ein „global player“ auf dem Rücken der Araber geworden ist. Denn in einem, doch wohl entscheidenden, Punkt übertraf er noch die Muslime. Diese haben nämlich traditionell die Fremde gemieden. Aus der Frühgeschichte der Gemeinde hatten ihre Rechtsgelehrten die Vorschrift abgeleitet, dass sie im Land der Ungläubigen nicht leben dürften.102 Die Christen haben sich bekanntlich, ebenso aus religiösen Gründen,
102 Vgl. Michael Borgolte, Augenlust im Land der Ungläubigen. Wie Religion bei Christen und Muslimen des Mittelalters die Erfahrung der Fremde steuerte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58.7-8, 2010, 591–613, ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 4), 337–
Karl der Große – Sein Platz in der Globalgeschichte
265
genau umgekehrt verhalten. Wenn es als Kennzeichen der Globalisierung gelten kann, immer wieder Grenzen zu überschreiten,103 gehörten die Christen, und zwar schon im Mittelalter mit einem Herrscher wie Karl dem Großen unter ihnen, geradezu zu ihren wichtigsten Protagonisten.
360, hier bes. 597 f. bzw. 343–344. 103 Vgl. Bentley, Cross-Cultural Interaction (wie Anm. 7); Michael Borgolte, Über europäische und globale Geschichte des Mittelalters. Historiographie im Zeichen globaler Entgrenzung, in: Klaus Ridder / Steffen Patzold (Hrsg.), Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 23.) Berlin 2013, 47–65. Der Beitrag erscheint gleichzeitig in Saeculum 63.2, 2013 (im Druck); eine gekürzte italienische Übersetzung wurde publiziert in den Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 93, 2013, 1–26.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte 1 Selbständige Schriften 1.
Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem. (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung, Bd. 25.) München 1976. 2. Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit. (Vorträge und Forschungen. Sonderbände, Bd. 31.) Sigmaringen 1984. 3. Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland, Bd. 2.) Sigmaringen 1986. 4. Petrusnachfolge und Kaiserimitation. Die Grablegen der Päpste, ihre Genese und Traditionsbildung. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 95.) Göttingen 1989, 21995. 5. Die mittelalterliche Kirche. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 17.) München 1992, ²2004. 6. „Totale Geschichte“ des Mittelalters? – Das Beispiel der Stiftungen. (Humboldt-Universität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen, Heft 4.) Berlin 1993, ND in: I.11, 41–59. 7. Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N.F., Bd. 22.) München 1996. 8. Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250. (Handbuch der Geschichte Europas, Bd. 3.) Stuttgart 2002. 9. Königsberg – Deutschland – Europa. Heinrich August Winkler und die Einheit der Geschichte. (Humboldt-Universität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen, Heft 131.) Berlin 2004. 10. Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes, 300 – 1400 n. Chr. (Siedler Geschichte Europas.) München 2006. Danach akustisch als Deutsches Blinden-Hörbuch (Deutsche Blinden-Bibliothek der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. Marburg), Verleih-Nr. 15035, v. 16. Juli 2008 (36,5 Stunden). 11. Stiftung und Memoria. Hrsg. v. Tillmann Lohse. (StiftungsGeschichten, Bd. 10.) Berlin 2012. 12. Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. v. Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014.
268
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
2 Herausgebertätigkeit 1.
2. 3. 4. 5.
6. 7.
8.
9.
10.
11. 12.
13.
14. 15.
(mit Dieter Geuenich / Karl Schmid) Subsidia Sangallensia, Bd. 1: Materialien und Untersuchungen zu den Verbrüderungsbüchern und zu den älteren Urkunden des Stiftsarchivs St. Gallen. (St. Galler Kultur und Geschichte, Bd. 16.) St. Gallen 1986. (mit Herrad Spilling) Litterae Medii Aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geburtstag. Sigmaringen 1988. Mittelalterforschung nach der Wende 1989. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N. F., Bd. 20.) München 1995. Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (StiftungsGeschichten, Bd. 1.) Berlin 2000. Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Problemen und Perspektiven der historischen Komparatistik. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 1.) Berlin 2001. Unaufhebbare Pluralität der Kulturen? Zur Dekonstruktion und Konstruktion des mittelalterlichen Europa. (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N. F., Bd. 32.) München 2001. Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 5.) Berlin 2002. (mit Cosimo Damiano Fonseca / Hubert Houben), Memoria. Ricordare e dimenticare nella cultura del medioevo. – Memoria. Erinnern und Vergessen in der Kultur des Mittelalters. (Annali dell’Istituto storico italo-germanico / Jahrbuch des italienisch-deutschen Instituts in Trient, Contributi / Beiträge, Bd. 15.) Bologna / Berlin 2005. Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen. (StiftungsGeschichten, Bd. 4.) Berlin 2005. (mit Juliane Schiel / Bernd Schneidmüller / Annette Seitz), Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 10.) Berlin 2008. (mit Alvydas Nikžentaitis / Rimydas Petrauskas), Lietuvos valstybės susikūrimas europiniame kontekste. Vilnius 2008. (mit Bernd Schneidmüller), Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer Frühlingsschule. Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 16.) Berlin 2010. (mit Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller), Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 18.) Berlin 2011. (mit Matthias M. Tischler), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien, Afrika. Darmstadt 2012. (mit Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Paul Predatsch / Bernd Schneidmüller), Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 20.) Berlin 2012.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
269
16. (als Associate Editor mit Immanuel Ness u. a.), The Encyclopedia of Global Human Migration. 5 Bde. Malden (Mass.) / Oxford / Chichester 2013. 17. Beiträge zum Ehrenkolloquium für Eckhard Müller-Mertens zu seinem 90. Geburtstag (online bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: http://edoc. bbaw.de/frontdoor.php?source_opus=2533.) Berlin 2014. 18. Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch (erscheint Berlin 2014; im Druck). 19. Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Bd. 1: Grundlagen (erscheint Berlin 2014, im Druck). 20. (mit Nikolas Jaspert), Maritimes Mittelalter. Meere als Kommunikationsräume. (Vorträge und Forschungen.) (in Druckvorbereitung). 21. Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bde. 1 ff. Berlin 1999 ff. (bisher 25 Bände; seit Bd. 17, 2011, mit hrsg. v. Wolfgang Huschner). 22. StiftungsGeschichten, Bde. 1 ff., Berlin 2000 ff. (bisher 10 Bände). 23. (im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften), Das mittelalterliche Jahrtausend, Bde. 1 ff. Berlin 2013 ff. 24. (mit Wolfgang Benz u. a.), Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, seit 55, 2007. 25. (mit Henry Ansgar Kelly u. a.), Viator. Medieval and Renaissance Studies, seit 41, 2010.
3 Aufsätze und Beiträge 1.
Eine Weißenburger Übereinkunft von 776 / 777 zum Gedenken der verstorbenen Brüder, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 123, 1975, 1–15. 2. Der Konvent der Abtei Klingenmünster in karolingischer Zeit, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 29, 1977, 25–37. 3. Karl III. und Neudingen. Zum Problem der Nachfolgeregelung Ludwigs des Deutschen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 125, 1977, 21–55. 4. Chronologische Studien an den alemannischen Urkunden des Stiftsarchivs St. Gallen, in: Archiv für Diplomatik 24, 1978, 54–202. 5. Über die persönlichen und familiengeschichtlichen Aufzeichnungen Hermanns des Lahmen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127, 1979, 1–15. 6. Zu den Anfängen von Dorf und Pfarrei [Bermatingen], in: Bermatingen. Heimatbuch zur 1200–Jahr-Feier 1979. Hrsg. v. Erika Dillmann. Bermatingen 1979, 14–28. 7. Papst Leo III., Karl der Große und der Filioquestreit von Jerusalem, in: Byzantina 10, 1980, 403–427. 8. Felix est homo ille, qui amicos bonos relinquit. Zur sozialen Gestaltungskraft letztwilliger Verfügungen am Beispiel Bischof Bertrams von Le Mans (616), in: Festschrift für Berent Schwineköper. Hrsg. v. Helmut Maurer / Hans Patze. Sigmaringen 1982, 5–18. 9. Besitz- und Herrschaftsverbindungen über den Schwarzwald in der Karolingerzeit, in: Kelten und Alemannen im Dreisamtal. Beiträge zur Geschichte des Zartener Beckens. Hrsg. v. Karl Schmid. (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg, Bd. 49.) Bühl 1983, 77–99. 10. Urkunden zu den Besitzstreitigkeiten zwischen den Klöstern St. Gallen, St. Peter und St. Märgen, in: Kelten und Alemannen im Dreisamtal. Beiträge zur Geschichte des Zartener
270
11. 12.
13.
14.
15.
16.
17. 18. 19. 20.
21.
22. 23.
24.
25.
26.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
Beckens. Hrsg. v. Karl Schmid. (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg, Bd. 49.) Bühl 1983, 169–188. Die Geschichte der Grafengewalt im Elsaß von Dagobert I. bis Otto dem Großen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131, 1983, 3–54. Freigelassene im Dienst der Memoria. Kulttradition und Kultwandel zwischen Antike und Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 17, 1983, 234–250. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 131–150. Das Königtum am oberen Neckar (8.–11. Jahrhundert), in: Zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb. Das Land am oberen Neckar. Hrsg. v. Franz Quarthal. (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg, Bd. 52.) Sigmaringen 1984, 67–110. Salomo III. und St. Mangen. Zur Frage nach den Grabkirchen der Bischöfe von Konstanz, in: Churrätisches und St. gallisches Mittelalter. Festschrift für Otto P. Clavadetscher. Hrsg. v. Helmut Maurer. Sigmaringen 1984, 195–224. Gedenkstiftungen in St. Galler Urkunden, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Hrsg. v. Karl Schmid / Joachim Wollasch. (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 48.) München 1984, 578–602. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 101–129. Die Rolle des Stifters bei der Gründung mittelalterlicher Universitäten, erörtert am Beispiel Freiburgs und Basels, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 85, 1985, 85–119. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 171–201. Die Alaholfingerurkunden. Zeugnisse vom Selbstverständnis einer adligen Verwandtengemeinschaft des frühen Mittelalters, in: Subsidia Sangallensia I (wie Nr. II.1), 287–322. Kommentar zu Ausstellungsdaten, Actum- und Güterorten der älteren St. Galler Urkunden, in: Subsidia Sangallensia I (wie Nr. II.1), 323–475. (mit Dieter Geuenich) Register der Personennamen [zu den älteren St. Galler Urkunden], in: Subsidia Sangallensia I (wie Nr. II.1), 477–734. Der churrätische Bischofsstaat und die Lehre von der Eigenkirche. Ein Beitrag zum archäologisch-historischen Gespräch, in: Geschichte und Kultur Churrätiens. Festschrift P. Iso Müller. Hrsg. v. Ursus Brunold / Lothar Deplazes. Disentis 1986, 83–103. Stiftergrab und Eigenkirche. Ein Begriffspaar der Mittelalterarchäologie in historischer Kritik, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 13, 1985 [erschienen 1987], 27–38. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 151–169. Buchhorn und die Welfen, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 47, 1988, 39–69. Bischofssitz und ‚Sitz der Ruhe‘. Zur Kirchenorganisation gallischer Städte nach Gregor von Tours und der Bistumsgeschichte von Auxerre, in: Litterae Medii Aevi (wie Nr. II.2), 27–53. Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 105, Kan. Abt. 74, 1988, 71–94. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 3–22. Nepotismus und Papstmemoria, in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Festschrift für Karl Schmid zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Gerd Althoff / Dieter Geuenich / Otto Gerhard Oexle / Joachim Wollasch. Sigmaringen 1988, 541–556. Freiburg als habsburgische Universitätsgründung, in: Les Universités du Rhin Supérieur de la fin du Moyen-Age à nos jours. Actes du Colloque organisé à l’occasion du 450e Anniversaire des Enseignements Superieurs à Strasbourg. Strasbourg 1988, 25–47.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
27.
28. 29.
30.
31.
32. 33.
34.
35.
36.
37.
38.
271
Unwesentlich veränderter ND in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-insLand“ 107, 1988, 33–50. Fiktive Gräber in der Historiographie. Hugo von Flavigny und die Sepultur der Bischöfe von Verdun, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica, München, 15.–18. September 1986, Bd. 1. (Schriften der MGH, Bd. 33.1.) Hannover 1988, 205–240. Stiftergedenken in Kloster Dießen. Ein Beitrag zur Kritik bayerischer Traditionsbücher, in: Frühmittelalterliche Studien 24, 1990, 235–289. Conversatio Cottidiana. Zeugnisse vom Alltag in frühmittelalterlicher Überlieferung, in: Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland. Hrsg. v. Hans Ulrich Nuber / Karl Schmid / Heiko Steuer / Thomas Zotz. (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland, Bd. 1.) Sigmaringen 1990, 295–385. Über Typologie und Chronologie des Königskanonikats im europäischen Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 47, 1991, 19–44. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 221–243. Vom Sacrum Imperium zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Mittelalterliche Reichsgeschichte und deutsche Wiedervereinigung, in: Deutschland in Europa – Ein historischer Rückblick. Hrsg. v. Bernd Martin. München 1992, 67–87. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 13–30. Hundert Autoren und die Salierzeit. Ein Beitrag zum Problem „Teil und Ganzes“ in der geschichtswissenschaftlichen Praxis, in: Archiv für Kulturgeschichte 74, 1992, 461–487. Papstgräber als „Gedächtnisorte“ der Kirche, in: Historisches Jahrbuch 112, 1992, 305–323. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 203–220. Personengeschichte und Ereignis. Methodologisches zu Heribert Müllers Werk über Franzosen und französische Politik auf dem Basler Konzil, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 140, 1992, 413–424. Eine Generation marxistische Mittelalterforschung in Deutschland. Erbe und Tradition aus der Sicht eines Neu-Humboldtianers, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44, 1993, 483–492. ND mit Anm. in: Mittelalterforschung nach der Wende (wie Nr. II.3.), 3–26. Zwischen „englischem Essay“ und „historischer Studie“. Gregorovius’ „Grabmäler der Päpste“ von 1854 / 81, in: Ferdinand Gregorovius und Italien. Eine kritische Würdigung. Hrsg. v. Arnold Esch / Jens Petersen. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 78.) Tübingen 1993, 97–116. Die Stiftungsurkunden Heinrichs II. Eine Studie zum Handlungsspielraum des letzten Liudolfingers, in: Festschrift für Eduard Hlawitschka. Hrsg. v. Karl Rudolf Schnith / Roland Pauler. (Münchener Historische Studien. Abteilung Mittelalterliche Geschichte, Bd. 5.) Kallmünz 1993, 231–250. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 245–264. Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft, in: Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters. Hrsg. v. Dieter Geuenich / Otto Gerhard Oexle. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 111.) Göttingen 1994, 267–285. ND in: Stiftung und Memoria (wie Anm. I.11), 23–40.
272
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
39. Geschichte als Wirklichkeitswissenschaft im Dunkel der Überlieferung, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 246, 1994, 96–110. 40. Echecs d’un renouveau. Considérations sur l’histoire sociale du Moyen Age au temps de la partition de l’Allemagne, in: Bulletin d’Information de la Mission Historique Française en Allemagne 28, 1994, 37–57 (= frz. Übers. von Nr. 42, s. u.). 41. Als die Moderne zu Ende ging, wurde das Mittelalter neu entdeckt. Gesellschaft, Individuum und Freiheit – im Mittelalter und nach der Moderne, in: Geschichtsbuch Oberstufe, Bd. 1: Von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Berlin 1995, 104–107. 42. Der mißlungene Aufbruch. Über Sozialgeschichte des Mittelalters in der Zeit der deutschen Teilung, in: Historische Zeitschrift 260, 1995, 365–394 (frz. Übers. s. Nr. 40). 43. Eine Anthropologie der Anfänge Deutschlands, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 247, 1995, 88–102. 44. Mittelalterforschung und Postmoderne. Aspekte einer Herausforderung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43, 1995, 615–627. 45. Das soziale Ganze als Thema deutscher Mittelalterforschung vor und nach der Wende, in: Francia 22.1, 1995, 155–171. 46. [Eröffnungsrede bei der Gedenkfeier zur 200. Wiederkehr des Geburtstages von Leopold von Ranke am 14. Dezember 1995 in der Humboldt-Universität], in: Alexander Demandt, Ranke unter den Weltweisen. / Wolfgang Hardtwig, Die Geschichtserfahrung der Moderne und die Ästhetisierung der Geschichtsschreibung. Leopold von Ranke. (HumboldtUniversität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen, Heft 63.) Berlin 1996, 3–6. 47. Anfänge deutscher Geschichte? Die Mittelalterforschung der zweiten Nachkriegszeit, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 25, 1996, 35–53. 48. Einheit, Reform, Revolution. Das Hochmittelalter im Urteil der Modernen, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 248, 1996, 225–258. 49. „Selbstverständnis“ und „Mentalitäten“. Bewußtsein, Verhalten und Handeln mittelalterlicher Menschen im Verständnis moderner Historiker, in: Archiv für Kulturgeschichte 79, 1997, 189–210. 50. Biographie ohne Subjekt, oder wie man durch quellenfixierte Arbeit Opfer des Zeitgeistes werden kann, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 249, 1997, 128–141. 51. Otto Brunner, Land und Herrschaft, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung. Hrsg. v. Volker Reinhardt. Stuttgart 1997, 68–71. 52. Gerd Tellenbach, Libertas, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung. Hrsg. v. Volker Reinhardt. Stuttgart 1997, 626–629. 53. Vom Staunen über die Geschichte, in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur 8, 1997, 486–487. 54. Feudalismus. Die marxistische Lehre vom Mittelalter und die westliche Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für Historische Forschung 25, 1998, 245–260. ND in: Marxismus. Versuch einer Bilanz. Hrsg. v. Volker Gerhardt. Magdeburg 2001, 143–163. 55. Memoria. Zwischenbilanz eines Mittelalterprojekts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46.3, 1998, 197–210 (frz. Übers. Nr. 81, s. u.). ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I. 11), 61–78. 56. Scheidung kommt nicht in Frage. Der Eremitenprior und Kardinalbischof Petrus Damiani und die Geschichte von den beiden Glücksversprechen, in: Frankfurter Allgemeine v. 27. Februar 1999, Bilder und Zeiten, 2.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
57.
58.
59. 60.
61.
62. 63. 64.
65. 66.
67.
68.
69. 70.
273
ND in: Das 11. Jahrhundert. Kaiser und Papst. Hrsg. v. Michael Jeismann. München 2000, 37–43. War Karl der Große wirklich groß? Europa ist heute nicht mehr die Christenheit: Was die Einigung des Kontinents für die Mediävistik bedeutet, in: Frankfurter Allgemeine v. 4. März 1999, 56. ND in: Ein Büchertagebuch. Besprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1999. Frankfurt am Main 1999, 490–494. Die Erfindung der europäischen Gesellschaft. Marc Bloch und die deutsche Verfassungsgeschichte seiner Zeit, in: Marc Bloch – Historiker und Widerstandskämpfer. Hrsg. v. Peter Schöttler. Frankfurt / New York 1999, 171–194. Die toten Könige im Berliner Dom. Die Öffnung der Hohenzollerngruft ist ein Traditionsbruch, in: Frankfurter Allgemeine v. 20. November 1999, Berliner Seiten, 1. Vorwort des Herausgebers, in: Wolfgang Eric Wagner, Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg. Eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 2.) Berlin 1999, 5–6. Die Dauer von Grab und Grabmal als Problem der Geschichte, in: Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. v. Wilhelm Maier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz. Berlin 2000, 129–146. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 265–283. Historie und Mythos, in: Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos. Katalog der Ausstellung. Hrsg. v. Mario Kramp, Bd. 2. Mainz 2000, 839–846. Einleitung, zu Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten (wie Nr. II.4), 7–10. Der König als Stifter. Streiflichter auf die Geschichte des Willens, in: Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten (wie Nr. II.4), 39–58. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 309–333. Die Memoria Ottos II. in Rom, in: Europas Mitte um 1000. Handbuch zur Ausstellung, Bd. 2. Hrsg. v. Alfried Wieczorek / Hans-Martin Hinz. Stuttgart 2000, 754–755. Als es noch Ritter gab, saß der Beamte schon am Schreibtisch. Persönliche Treue muß nicht zum Rechtsbruch verführen, der Feudalismus verträgt sich mit der Staatsgewalt: Steht uns ein neues Mittelalter bevor?, in: Frankfurter Allgemeine v. 23. November 2000, 62. „Europa ein christliches Land.“ Religion als Weltstifterin im Mittelalter?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48, 2000, 1061–1077 (russ. Übers. Nr. 86, s. u.). ND in: Was hat uns das Christentum gebracht? Versuch einer Bilanz nach zwei Jahrtausenden. Hrsg. v. Richard Schröder / Johannes Zachhuber. Münster / Hamburg / London 2003, 73–95. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 135–155. Das Grab in der Topographie der Erinnerung. Vom sozialen Gefüge des Totengedenkens im Christentum vor der Moderne, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 111, 2000, 291–312. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 285–308. Drei Karolingerdiplome in der Humboldt-Universität, in: humboldt spektrum 8.1, 2001, 42–44. Europas Geschichten und Troia. Der Mythos im Mittelalter. Über die Zeit, als die Türken Verwandte der Lateiner und Griechen waren, in: Troia. Traum und Wirklichkeit. Hrsg. v. Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg u. a. Stuttgart 2001, 190–203. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 211–225.
274
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
71. Vor dem Ende der Nationalgeschichten? Chancen und Hindernisse für eine Geschichte Europas im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 272, 2001, 561–596. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 31–59. Um einen bibliographischen Anhang erweiterter Nachdruck in: Geschichte des Mittelalters für unsere Zeit. Erträge des Kongresses des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands „Geschichte des Mittelalters im Geschichtsunterricht“, Quedlinburg 20.–23. Oktober 1999. Hrsg. v. Rolf Ballof. Stuttgart 2003, 29–62. 72. Perspektiven europäischer Mittelalterhistorie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs (wie II.5), 13–27 (ungar. Übers. unten Nr. 114). 73. Mittelalterwissenschaft im Zeichen der Pluralitätserfahrung, in: Unaufhebbare Pluralität der Kulturen? (wie Nr. II.6), 1–6. 74. Stiftung, Staat und sozialer Wandel. Von der Gegenwart zum Mittelalter, in: Stiftungen sichern Qualität. Dokumentation der 3. Tagung des Arbeitskreises Kunst- und Kulturstiftungen vom 25. bis 26. Oktober 2001 [recte: 2000] in Nürnberg. (Forum Deutscher Stiftungen, Heft 11.) Berlin 2001, 18–39. Veränderte Fassung in: Strukturwandel der Armenfürsorge und der Stiftungswirklichkeiten in Münster im Laufe der Jahrhunderte. Hrsg. v. Franz-Josef Jakobi / Ralf Klötzer / Hannes Lambacher. Münster 2002, 9–24. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 79–97. 75. Faction. Eine Erzählung vom salischen Königtum und das Problem von Fakten und Fiktionen, in: Von Sacerdotium und Regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof. Hrsg. v. Franz-Reiner Erkens / Hartmut Wolff. Köln / Weimar / Wien 2002, 381–404. 76. Einleitung, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren (wie Nr. II.7), 11–17. 77. Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen, in: Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts. Unveränderter Nachdruck der ersten Auflage 1963. Hrsg. v. Axel Frhr. von Campenhausen / Christoph Mecking. Tübingen 2002, 13*–69*. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 337–383. 78. Marc Bloch und sein Studium in Berlin, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 5, 2002, 227–232. 79. Auf ständiger Reise zum Wohle des Petristuhls. Mit seinem Pontifikat beginnt nicht nur in der katholischen Kirche eine Entwicklung, die Europa zu dem gemacht hat, was es heute ist: Zum tausendsten Geburtstag des deutschen Papstes Leo IX., in: Frankfurter Allgemeine vom 22. Juni 2002, 48. 80. Otto Hintzes Lehre vom Feudalismus in kritischen Perspektiven des 20. Jahrhunderts, in: Die Gegenwart des Feudalismus. Hrsg. v. Natalie Fryde / Pierre Monnet / Otto Gerhard Oexle. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 173.) Göttingen 2002, 247–269. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 113–133. 81. Memoria. Bilan intermédiaire d’un projet de recherche sur le Moyen Age, in: Les tendances actuelles de l’histoire du moyen âge en France et Allemagne. Actes du colloque de Sèvres, 1997, et Göttingen, 1998, sous la direction de Jean-Claude Schmitt / Otto Gerhard Oexle. Paris 2002, 53–69 (frz. Übers. v. Nr. 55). 82. Monumente, beständiger als Erz und Stein? Von Dauer und Wandel unserer ältesten Stiftungen, in: Deutsche Stiftungen. Mitteilungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen 1, 2003, 119–121.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
275
83. Kulturelle Einheit und religiöse Differenz. Zur Verbreitung der Polygynie im mittelalterlichen Europa, in: Lectiones Eruditorum Extraneorum in Facultate Philosophica Universitatis Carolinae Pragensis Factae, fasc. 6. Praha 2003, 75–102. Erw. Fassung in: Zeitschrift für Historische Forschung 31, 2004, 1–36. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 157–191. 84. Mediävistik als vergleichende Geschichte Europas, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung. Hrsg. v. Hans-Werner Goetz / Jörg Jarnut. München 2003, 313–323. 85. Ostmitteleuropa aus der Sicht des Westens, in: Ostmitteleuropa im 14.–17. Jahrhundert – eine Region oder Region der Regionen? Hrsg. v. Marian Dygo / Sławomir Gawlas / Hieronim Grala. Warszawa 2003, 5–19. 86. Сравнительная история: методы задачи, перспективы. Сборник статей Отв. Ред. М. Ю. Парамонова. Москва 2003, 7–32 (russ. Übers. v. Nr. 67). 87. Türkei ante portas. Osman, Osman, gib uns deine Legionen zurück. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union wäre die im frühen Mittelalter begonnene Westwanderung abgeschlossen, in: Frankfurter Allgemeine vom 21. Februar 2004, 39. Auszugsweise nachgedruckt u. d. T.: Grenzen der EU, in: Informationen zur politischen Bildung 281, 2004.1, 16. 88. Europäische Geschichten. Modelle und Aufgaben vergleichender Historiographie, in: Die „Blüte“ der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert. Hrsg. v. Marc Löwener. Wiesbaden 2004, 303–328. 89. Zwischen Erfindung und Kanon. Zur Konstruktion der Fakten im europäischen Hochmittelalter, in: Nova de veteribus. Mittel- und neulateinische Studien für Paul Gerhard Schmidt. Hrsg. v. Andreas Bihrer / Elisabeth Stein. Leipzig 2004, 292–325. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 79–112. 90. Keine Geschichte ohne Not und Sehnsucht. Auf der Suche nach den Idealen, die unsere Welt verändert haben: Zum Tod des Mittelalterhistorikers Josef Fleckenstein, in: Frankfurter Allgemeine v. 11. November 2004, 35. 91. Europos lyginamosios medievistikos būklė ir perspektyvos [Stand und Perspektiven der vergleichenden europäischen Mediävistik], in: Lietuvos Istorijos Metraštis [Jahrbuch für litauische Geschichte] 2003.1, 135–148. 92. Wie Europa seine Vielfalt fand. Über die mittelalterlichen Wurzeln für die Pluralität der Werte, in: Die kulturellen Werte Europas. Hrsg. v. Hans Joas / Klaus Wiegandt. Frankfurt am Main 2005, 117–163 (engl. Übers. Nr. 113, s. u.). 93. Rom ist dort, wo der Papst ist. Die Grablege der Stellvertreter: Johannes Paul II. hätte sich nicht für Sankt Peter entscheiden müssen, in: Frankfurter Allgemeine v. 7. April 2005, 42. 94. In der Stola der Geschichte. Alle reden von Benedikt XV. als Namenspatron des neuen Papstes, doch es gibt weitere Inspiratoren, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. April 2005, 42. 95. Das christliche und das nichtchristliche Europa um die erste Jahrtausendwende, in: Wege in die Himmelsstadt. Bischof – Glaube – Herrschaft 800–1550. Hrsg. v. Clemens Bergstedt / Heinz-Dieter Heimann. Berlin 2005, 68–76. 96. Die Annahme des Christentums. Brandenburgs Weg in die Gemeinschaft der Völker, in: http://www.kulturland-brandenburg.de. Themenjahr 2005: Presse-Extras. 97. Zur Lage der Memoria-Forschung in Deutschland, in: Memoria. Ricordare e dimenticare nella cultura del medioevo (wie oben II.8), 21–28.
276
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
98. Europa im Bann des Mittelalters. Wie Geschichte und Gegenwart unserer Lebenswelt die Perspektiven der Mediävistik verändern, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6, 2005, 117–135. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 61–78. 99. Erinnerungen an Johanne Autenrieth, in: Gedenkschrift Johanne Autenrieth, 15. Mai 1923–17. April 1996). Hrsg. v. Paul Gerhard Schmidt. Freiburg 2005, 7–10. 100. Einleitung, in: Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne (wie Nr. II.9), 9–21. 101. Die vielen Kulturen in den mittelalterlichen Kaiserreichen, in: Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa. Hrsg. v. Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter. Dresden 2006, 84–100. 102. Das Ende der Gleichgültigkeit. Wie das Abendland aus dem Streit um den einen Gott geboren wurde – und aus der neuen Freiheit, ihn zu suchen, in: Frankfurter Allgemeine v. 12. August 2006, 40. 103. Das Reich im mittelalterlichen Europa, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. Essays. Hrsg. v. Matthias Puhle / Claus-Peter Hasse. Dresden 2006, 465–475. 104. Die Anfänge des mittelalterlichen Europa, oder Europas Anfänge im Mittelalter?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55, 2007, 205–219. ND in: Mittelalter – eines oder viele? Średniowiecze – jedno czy wiele? Hrsg. v. Sławomir Moździoch / Wojciech Mrozowicz / Stanisław Rosik. Wrocław 2010, 29–44. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 227–241. 105. Die Geburt Europas aus dem Geist der Achsenzeit, in: Europa – geeint durch Werte? Die europäische Wertedebatte auf dem Prüfstand der Geschichte. Hrsg. v. Moritz Csáky / Johannes Feichtinger. Bielefeld 2007, 45–60. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 243–257. 106. Zum Geleit, in: Die Bibliothek der Historischen Gesellschaft von Johann Gustav Droysen 1860–1884. Eine Büchersammlung in der Zweigbibliothek Geschichte der HumboldtUniversität zu Berlin. Verzeichnet und kommentiert von Wolfgang Eric Wagner. Berlin 2008, 5–6. 107. (mit Juliane Schiel) Mediävistik der Zwischenräume – eine Einführung, in: Mittelalter im Labor (wie oben Nr. II.10), 15–23. 108. Universität und Intellektueller – Erfindungen des Mittelalters unter dem Einfluß des Islam?, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 11, 2008, 91–109. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 261–282. 109. Christen und Juden im Disput. Mittelalterliche Religionsgespräche im „spatial turn“, in: Historische Zeitschrift 286, 2008, 359–402. 110. (mit Daniel Burckhardt / Jens Eremie / Juliane Schiel) Mediävistik trifft Technik. Ungewöhnliche Grenzerfahrungen zwischen den Disziplinen, in: humboldt spektrum 15.1, 2008, 34–40. 111. Die Anfänge des Stiftungswesens in Deutschland, in: 60 Jahre Bundesverband Deutscher Stiftungen. Hrsg. v. Bundesverband Deutscher Stiftungen. Berlin 2008, 4–5. 112. Geschehenskomplexe und Regionen [eigentlich: Die Komposition Europas], in: Enzyklopädie des Mittelalters, Bd. 2. Hrsg. v. Gert Melville / Martial Staub. Darmstadt 2008, 299–309; 482–484; 22013, 299–309; 499–501.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
277
113. How Europe Became Diverse. On the Medieval Roots of the Plurality of Values, in: Hans Joas / Klaus Wiegandt (Hrsg.), The Cultural Values of Europe. Translated by Alex Skinner. Liverpool 2008, 77–114 (engl. Übers. v. Nr. 92). 114. Az európai középkortörténet perspektívai a 21. század küszöbén, in: Aetas. Történenettudományi Folyóirat 23, 2008.1, 142–155 (ungar. Übers. v. Nr. 72). 115. Theorie und Praxis des Vergleichs in der europäischen Geschichte des Mittelalters. Der Fall Litauen in makrohistorischer Perspektive, in: Lietuvos valstybės susikūrimas europiniame kontekste (wie oben II.11), 16–45; litauische Übersetzung ebd., 46–73. 116. Die Goldene Bulle als europäisches Grundgesetz, in: Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption. Hrsg. v. Ulrike Hohensee / Mathias Lawo / Michael Lindner u. a. (Berichte und Abhandlungen. Hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Sonderband 12.) Bd. 2. Berlin 2009, 599–618. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 193–210. 117. Christliche und muslimische Repräsentationen der Welt. Ein Versuch in transdisziplinärer Mediävistik, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen, Bd. 14.) Berlin 2008, 89–147. ND in: Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa. Hrsg. v. Angelika Neuwirth / Günter Stock. Berlin 2010, 131–188. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 283–335. 118. Kontinuität und Neuaufbau. Ostberliner Mediävisten nach der „Wende“, in: Klaus G. Saur – Die Berliner Jahre. Hrsg. v. Sven Fund. Berlin / New York 2009, 55–67. 119. Ein einziger Gott für Europa. Was die Ankunft von Judentum, Christentum und Islam für Europas Geschichte bedeutete, in: Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume. Beiträge einer internationalen Konferenz 6. bis 9. Juni 2007. Hrsg. v. Winfried Eberhard / Christian Lübke. Leipzig 2009, 581–590 (engl. Übers. Nr. 124, s. u.). 120. Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Europa. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 261–285. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 425–444. 121. Caritas und Gedenken. Die Stiftung Heilikas als Problem in Geschichte und Gegenwart, in: Für Seelenheil und Bürgerwohl. 750 Jahre Stiftskirche und Spital Lahr (1259–2009). Im Auftrag der ev. Stiftsgemeinde und der Stadt Lahr. Hrsg. v. Niklot Krohn. Lahr 2009, 22–31. 122. Stiftungen – eine Geschichte von Zeit und Raum, in: Jahreshefte zum Stiftungswesen 3, 2009, 9–30. ND in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 29, 2010 [erschienen 2012], 39–56. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 385–406. 123. Über den Tag hinaus. Was nach dem Schwerpunktprogramm kommen könnte, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa (wie oben Nr. II.12), 309–328. 124. A single God for Europe. What the Advent of Judaism, Christianity and Islam Meant for the History of Europe, in: The Plurality of Europe. Identities and Spaces. Contributions made at an international conference, Leipzig, 6–9 Juni 2007. Hrsg. v. Winfried Eberhard / Christian Lübke, in cooperation with Madlen Benthin. Leipzig 2010, 541–550 (engl. Übers. v. Nr. 119). 125. Kommentar, in: Verwandlungen des Stauferreichs – Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa. Hrsg. v. Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter / Alfried Wieczorek. Darmstadt 2010, 474–477. 126. Kommunikation – Handel, Kunst und Wissenstausch, in: Weltdeutungen und Weltreligionen, 600 bis 1500. Hrsg. v. Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl. (WBG-Weltgeschichte.
278
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. 3.) Darmstadt 2010, 17–56; 469–470. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 493–532. 127. (mit Christoph Markschies, Christian Meier und Heinz Schilling), Die Identität Europas und der Islam, in: Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa. Hrsg. v. Angelika Neuwirth / Günter Stock. Berlin 2010, 341–357. 128. Augenlust im Land der Ungläubigen. Wie Religion bei Christen und Muslimen des Mittelalters die Erfahrung der Fremde steuerte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58.7–8, 2010, 591–613. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 337–360. 129. Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 41 Multilingual, 2010, 23–47. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 445–473. 130. Revolutionsgedenken. Zur Sakralisierung profaner Ereignisse zwischen Mittelalter und Moderne, in: Tage der Revolution – Feste der Nation. Hrsg. v. Rolf Gröschner / Wolfgang Reinhard. (Politika, Bd. 3.) Tübingen 2010, 43–54. 131. Staatsideologie und Forschergeist. Die Produktivität der Mittelalterhistorie unter marxistischer Dominanz. Mit einem Ausblick auf die Zeit nach der „Wende“, in: Geschichte der Universität Unter den Linden, 1810 bis 2010, Bd. 6: Selbstbehauptung einer Vision. Hrsg. v. Heinz-Elmar Tenorth. Berlin 2010, 375–387. 132. Der Islam als Geburtshelfer Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschehen. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 13–14 v. 28. März 2011, 41–46. 133. (mit Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller), Einleitung, in: Integration und Desintegration der Kulturen (wie oben Nr. II.13), 9–13. 134. Christliche Welt und muslimische Gemeinde in Kartenbildern des Mittelalters, in: Atlas der Weltbilder. Hrsg. v. Christoph Markschies / Ingeborg Reichle / Jürgen Brüning / Peter Deuflhard. Berlin 2011, 118–131. 135. Experten der Fremde. Gesandte in interkulturellen Beziehungen des frühen und hohen Mittelalters, in: Le relazioni internazionali nell’alto medioevo. Spoleto, 8–12 aprile 2010. (Settimane di studio della Fondazione Centro Italiano di Studi sull’alto Medioevo, Bd. 58.) Spoleto 2011, 945–992. ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 361–399. 136. Juden, Christen und Muslime im Mittelalter, in: Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft. Hrsg. v. Ludger Honnefelder. Berlin 2011, 27–48; 423–437 (engl. Übers. Nr. 152, s. u.). ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 401–424. 137. Stiftung und Wissenschaft. Historische Argumente für eine Wahlverwandtschaft, in: Stiften, Schenken, Prägen. Zivilgesellschaftliche Wissenschaftsförderung im Wandel. Hrsg. v. Jürgen Kocka / Günter Stock für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Frankfurt / New York 2011, 33–41. ND mit Anmerkungen in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 42 Multilingual 2011, 309–319. ND in: Stiftung und Memoria (wie Nr. I.11), 407–420. 138. Evropeiskiy monoteism i problema kul‘turnogo edinstva v Srednevekov’e [Der europäische Monotheismus und das Problem kultureller Einheit im Mittelalter], in: Obrazi proshlogo.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
279
Sbornik pamiati A. Ja. Gurevicha. [Bilder der Vergangenheit. Gedenkschrift für Aaron Gurjewitsch.] Sankt Petersburg 2011, 605–626 (in japanischer Übersetzung 2007). 139. Planen für die Ewigkeit. Stiftungen im Mittelalter, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63–1.2, 2012, 37–49. 140. Was sich über mediävistische Migrationsforschung sagen lässt, in: Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend (wie oben Nr. II.14), 9–12; 15–18. 141. Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive. Eine Pilotstudie, in: Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend (wie oben Nr. II.14), 80–119. 142. Europas viele Gesichter. Das „christliche Abendland“ ist eine Fiktion. Im Mittelalter herrschte ein spannungsreiches Nebeneinander der Kulturen, in: Der Tagesspiegel v. 19. März 2012, 26. 143. Sisyphos der Mediävist. Das Zentrum Mittelalter sucht den richtigen Takt zwischen langfristigen Forschungen und aktuellen Desideraten, in: Die Akademie am Gendarmenmarkt 2012 / 2013. Berlin 2012, 22–27. 144. (mit Bernd Schneidmüller), Schlusswort, in: Europa im Geflecht der Welt (wie oben II.15), 259–266. 145. Mittelalter in der größeren Welt. Eine europäische Kultur in globalhistorischer Perspektive, in: Historische Zeitschrift 295, 2012, 35–61. 146. Weshalb der Islam seit dem Mittelalter zu Europa gehört, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 43 Multilingual, 2012, 363–377. 147. A Migration Avalanche of Lombards in 568? A Critique of Historiographic Evidence of the Migration Period, in: The Creation of Medieval Northern Europe. Christianisation, Social Transformations, and Historiography. Essays in honour of Sverre Bagge. Hrsg. v. Leidulf Melve und Sigbjørn Sønnesyn. Oslo 2012, 119–138 (deutsche Übers. Nr. 150, s. u.). 148. Medieval Era Migration. An Overview, in: Encyclopedia of Global Human Migration, Bd. 4 (wie oben II.16), 2117–2125 (deutsche Übers. Nr. 160, s. u.). 149. Krisen des Mittelalters? Zerstörung und Aufbau historischer Identitäten in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung, in: Deutschland und Europa. Wächst zusammen, was zusammen gehört? Vorträge. Hrsg. v. Heimo Reinitzer. (Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Bd. 3.) Berlin / Boston 2013, 27–44. 150. Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiographischer Zeugnisse der Migrationsperiode, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61.4, 2013, 293–310 (deutsche Übers. von Nr. 147). ND in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 475–492. 151. Über europäische und globale Geschichte des Mittelalters. Historiographie im Zeichen globaler Entgrenzung, in: Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe und europäische Identitäten. Hrsg. v. Klaus Ridder / Steffen Patzold. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 23.) Berlin 2013, 47–65. 152. Jews, Christians and Muslims in the Middle Ages, in: Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages. Hrsg. v. Marc von der Höh / Nikolas Jaspert / Jenny Rahel Oesterle. (Mittelmeerstudien, Bd. 1.) Paderborn 2013, 245–266 (engl. Übers. von Nr. 136). 153. Mittelalterliche Erinnerungsorte als Bausteine Europas?, in: Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen 30, 2013, 75–77. 154. Mauritius Blumentrosts Vorlesung vom Mittelalter, in: Historischer Verein Hainchen, Jahrbuch, Bd. 1, 2014, 95–105 [Festschrift für Bernd Schneidmüller].
280
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
155. Karl der Große – ein Global Player?, in: Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800. Hrsg. v. der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Berlin 2014, 16–23. 156. Globales Mittelalter? Antworten für eine neue Geschichtsschreibung, in: Kunstgeschichte der vier Erdteile. Art History of the Four Continents. Hrsg. v. Matteo Burioni / Ulrich Pfisterer (erscheint Darmstadt 2014, im Druck). 157. Karl der Große – sein Platz in der Globalgeschichte, in diesem Band, 241–266, ND in: Saeculum (im Druck; italien. Übers. Nr. 158, s. u.). 158. Carlo Magno e sua collazione nella storia globale, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 93, 2013, 1–26 (erschienen 2014; italien. Übers. von Nr. 157). 159. Mittelalter in der größeren Welt. Mediävistik als globale Geschichte, in: Mittelalter in der größeren Welt (wie Nr. I.12), 533–546. ND in: Sammelband des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität (im Druck). 160. Migrationen im Mittelalter. Ein Überblick, in: Migrationen im Mittelalter (deutsche Übers. von Nr. 148; wie II.18, im Druck). 161. Zur Einführung, in: Enzyklopädie des Stiftungswesens, Bd. 1 (wie II.19), 9–19 (mit engl. Übers.). 162. Interkulturelle Perspektiven: Stiftung – Mittelalterlicher Sprachgebrauch und moderner Begriff; Forschungsgeschichten; Typologisierungen; Periodisierungen; Schriftzeugnisse; Sachzeugnisse, in: Enzyklopädie des Stiftungswesens, Bd. 1 (wie II.19), 21–25; 85–88; 169–171; 257–259; 341–343; 443 f. (engl. Übers.: 569–585). 163. Periodisierungen. Lateinische Christen, in: Enzyklopädie des Stiftungswesens, Bd. 1 (wie II.19), 260–284. 164. Auf dem Weg zu einer interkulturellen Mittelalterforschung? (in japanischer Sprache, im Druck). 165. „Geburt“ und „Tod“ der Nationen? Europa in älteren Zeiten, in: Sammelband des Deutschen Historischen Instituts in Moskau (im Druck). 166. Zum Stand der mediävistischen Migrationsforschung, in: Sammelband des Deutschen Historischen Instituts in Moskau (im Druck). 167. Crisis of the Middle Ages? Deconstructing and Constructing European Identities in a Globalizing World, in: The Making of Medieval History. Hrsg. v. Graham Loud (im Druck). 168. (mit Nikolas Jaspert) Zur Einführung, in: Maritimes Mittelalter (wie oben II.21, im Druck). 169. Europäische und globale Geschichte des Mittelalters. Wie Historiographie Forschung und Lehre bestimmt (Sammelband der Moskauer Doktorandenschule, September 2012, im Druck). 170. Zwischen zwei Katastrophen. Europas Westen von 600 bis 1350, in: Agrarische und nomadische Herausforderungen. Hrsg. v. Cemal Kafadar. (Geschichte der Welt, Bd. 2, im Druck). 171. Nachruf auf Peter Moraw, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Jahrbuch 2013 (im Druck). 172. Der Beitrag von Christen, Juden und Muslimen zur globalen Vernetzung im Mittelalter, in: Sammelband des Braunschweigischen Landesmuseums (im Druck).
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
281
4 Lexikonartikel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.
Babenberger, ältere, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I. 7. München / Zürich 1980, 1321. Byzanz und das Abendland bis zum Ausgang der Karolingerzeit, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. II. 6. Zürich / München 1982, 1304–1306. Comes (Merowingisches Elsaß, Alemannen, Bayern), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. III. 1. Zürich / München 1984, 74–76. Comitatus, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. III. 1. Zürich / München 1984, 78–79. Dux, Dukat (Westgotisches Königreich, Merowingisches Frankenreich), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. III. 7. Zürich / München 1985, 1487–1490. Gau, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV. 6. Zürich / München 1988, 1141. Sankt Gallen, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. IV. 30. Berlin 1988, 1293–1298. Grablege, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV. 8. Zürich / München 1989, 1628–1630. Graf, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV. 8. Zürich / München 1989, 1633–1634. Grafschaft, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV. 8. Zürich / München 1989, 1635–1636. Adalbert [elsäss. Herzog], in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I. Freiburg / Basel / Rom / Wien 31993, 128. Arbogast, Bischof v. Straßburg, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I. Freiburg / Basel / Rom / Wien 31993, 939–940. Arnold v. Hiltensweiler, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I. Freiburg / Basel / Rom / Wien 31993, 1022. Attala, hl., in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I. Freiburg / Basel / Rom / Wien 31993, 1164–1165. Attich, [elsäss. Herzog], in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I. Freiburg / Basel / Rom / Wien 31993, 1165. Richardis (Richgarda), Ksn., Gattin Karls III., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VII. 4. München 1994, 827. Stiftergrab / Grabkirche, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII. 1. München 1996, 177–178. Stiftung (abendländ. Westen), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII.1. München 1996, 178–180. Stiftungen, Kirchliche I, Alte Kirche und Mittelalter, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 32.2–3. Berlin / New York 2000, 167–170. Adalgoz, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1. Basel 2002, 91. Adalhelm, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1. Basel 2002, 91. Albgar, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1. Basel 2002, 167. Albrich, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1. Basel 2002, 170–171. Ato, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 1. Basel 2002, 552. Beata-Sippe, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 2. Basel 2003, 130.
282
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
26. Berchtolde, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 2. Basel 2003, 211. 27. Burchard I., in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3. Basel 2004, 57. 28. Burchard II., in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3. Basel 2004, 57. 29. Burchard III., in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3. Basel 2004, 57. 30. Chancor, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3. Basel 2004, 283. 31. Eberhard, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 4. Basel 2005, 48. 32. Erchanbald, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 4. Basel 2005, 245. 33. Etichonen, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 4. Basel 2005, 322. 34. Gerolde (Udalriche), in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5. Basel 2006, 316. 35. Gottfried in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5. Basel 2006, 557–558. 36. Gozpert [„vir potens“], in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5. Basel 2006, 576. 37. Gozpert [Graf und Laienabt], in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5. Basel 2006, 576. 38. Gundoin, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5. Basel 2006, 818. 39. Hunfride, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 6. Basel 2007, 541. 40. Lantfrid, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 7. Basel 2008, 650. 41. Pebo-Sippe, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 9. Basel 2010, 591. 42. Rihwin, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 326. 43. Roderich, in: Historisches Lexikon der Schweiz, hrsg. von der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 378–379. 44. Ruadker, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 506. 45. Rudolf, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 518. 46. Ruthard und Warin, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 574–575. 47. Salomone, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 10. Basel 2011, 668. 48. (mit Ernst Tremp) Talto, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 12. Basel 2013, 187.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
283
49. Udalrich, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 12. Basel 2013, 578. 50. Welfen der Ostschweiz, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. v. der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (im Druck).
5 Besprechungen 1.
Heinz-Dieter Stoffler, Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau. Sigmaringen 1978, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126, 1978, 435–436. 2. Die Reichsabtei Lorsch. Festschrift zum Gedenken an ihre Stiftung 764, 2. Teil. Hrsg. v. Friedrich Knöpp. Darmstadt 1977, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126, 1978, 461. 3. Mönchtum und Gesellschaft im Frühmittelalter. Hrsg. v. Friedrich Prinz. (Wege der Forschung, Bd. 312.) Darmstadt 1976, in: Historische Zeitschrift 228, 1979, 152–156. 4. Arno Borst, Mönche am Bodensee 610–1525. Sigmaringen 1978, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 127, 1979, 466–468. 5. Hans K. Schulze, Die Grafschaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebieten östlich des Rheins. Berlin 1973, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 38, 1980, 301–302. 6. Johannes Duft, Der Bodensee in Sankt-Galler Handschriften. Texte und Miniaturen aus der Stiftsbibliothek St. Gallen. (Bibliotheca Sangallensis, Bd. 3.) St. Gallen 31979, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 128, 1980, 502. 7. Jean Leclercq, Monks and Love in Twelfth-Century France. Psycho-Historical Essays. Oxford 1979, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, 157. 8. Ekkehard IV., St. Galler Klostergeschichten. Hrsg. und übers. v. Hans F. Haefele. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom SteinGedächtnisausgabe, Bd. 10.) Darmstadt 1980, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, 660–661. 9. Die Pfalzgrafen von Tübingen. Städtepolitik, Pfalzgrafenamt, Adelsherrschaft im Breisgau. Hrsg. v. Hansmartin Decker-Hauff / Franz Quarthal / Wilfried Setzler. Sigmaringen 1981, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, 670–671. 10. Angelika Spicker-Wendt, Die Querimonia Egilmari Episcopi und die Responsio Stephani Papae. Studien zu den Osnabrücker Quellen der Karolingerzeit. (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia, Bd. 8.) Köln / Wien 1980, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 90, 1982, 157–159. 11. Untersuchungen zu Kloster und Stift. Hrsg. v. Max-Planck-Institut für Geschichte. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 68 = Studien zur Germania Sacra, Bd. 14.) Göttingen 1980, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 130, 1982, 455–457. 12. Karl Jordan, Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters. (Kieler Historische Studien, Bd. 29.) Stuttgart 1980, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131, 1983, 456–457.
284
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
13. Karl Heinemeyer, Das Erzbistum Mainz in römischer und fränkischer Zeit, Bd. 1: Die Anfänge der Diözese Mainz. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 39.) Marburg 1979, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131, 1983, 467–468. 14. Peter Classen, Ausgewählte Aufsätze. Unter Mitwirkung von Carl Joachim Classen und Johannes Fried. Hrsg. v. Josef Fleckenstein. (Vorträge und Forschungen, Bd. 28.) Sigmaringen 1983, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 132, 1984, 449–452. 15. Konrad Hecht, Der St. Galler Klosterplan. Sigmaringen 1983, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 133, 1985, 450–451. 16. Vitae Sanctae Wiboradae. Die ältesten Lebensbeschreibungen der heiligen Wiborada. Einleitung, kritische Edition und Übersetzung besorgt von Walter Berschin. St. Gallen 1983, in: Historische Zeitschrift 241, 1985, 159–160. 17. Chartularium Sangallense, Bd. 3 (1000–1265), bearb. von Otto P. Clavadetscher. St. Gallen 1983, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 133, 1985, 409–411. 18. P. Iso Müller / Carl Pfaff, Thesaurus Fabariensis. Die Reliquien-, Schatz- und Bücherverzeichnisse im Liber Viventium von Pfäfers. Mit einer Einführung von Werner Vogler. St. Gallen 1985, in: Historische Zeitschrift 243, 1986, 414–415. 19. Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomastische und chronologische Untersuchungen. (Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Bd. 15.) Saarbrücken 1985, in: Historische Zeitschrift 244, 1987, 160–161. 20. Katrin Tremp-Utz, Das Kollegiatstift St. Vinzenz in Bern. Von der Gründung 1484 / 1485 bis zur Aufhebung 1528. (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 69.) Bern 1985, in: Historische Zeitschrift 244, 1987, 173–175. 21. Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger, 1965–1979. Hrsg. v. Hans Patze / Fred Schwind. (Vorträge und Forschungen, Bd. 34.) Sigmaringen 1987, in: Das HistorischPolitische Buch 35.11, 1987, 344. 22. Guy P. Marchal, Sempach 1386. Von den Anfängen des Territorialstaates Luzern. Beiträge zur Frühgeschichte des Kantons Luzern. Mit einer Studie von Waltraud Hörsch. Adel im Bannkreis Österreichs. Frankfurt am Main 1986, in: Historische Zeitschrift 246, 1988, 678–679. 23. Eduard Hlawitschka, Untersuchungen zu den Thronwechseln der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und zur Adelsgeschichte Süddeutschlands. Zugleich klärende Forschungen um „Kuno von Öhningen“. (Vorträge und Forschungen, Sonderband 35.) Sigmaringen 1987, in: Das Historisch-Politische Buch 36.6, 1988, 162–163. 24. Helvetia Sacra 3.1: Frühe Klöster, die Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz, 3 Teilbände. Bern 1986, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 136, 1988, 542–543. 25. Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme. (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 32.) Köln / Wien 1987, in: Historische Zeitschrift 249, 1989, 414–415. 26. Jörn Sieglerschmidt, Territorialstaat und Kirchenregiment. Studien zur Rechtsdogmatik des Kirchenpatronatsrecht im 15. und 16. Jahrhundert. (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 15.) Köln / Wien 1987, in: Historische Zeitschrift 249, 1989, 417–419.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
285
27. Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. Hrsg. von František Graus. (Vorträge und Forschungen, Bd. 35.) Sigmaringen 1987, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 137, 1989, 508–510. 28. Die transalpinen Verbindungen der Bayern, Alemannen und Franken bis zum 10. Jahrhundert. Hrsg. v. Helmut Beumann / Werner Schröder. (Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter, Bd. 6.) Sigmaringen 1987, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 137, 1989, 510–511. 29. Jan Gerchow, Die Gedenküberlieferung der Angelsachsen. Mit einem Katalog der libri vitae und Necrologien. (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Bd. 20.) Berlin / New York 1988, in: Das Historisch-Politische Buch 37.6, 1989, 166. 30. Jean-Charles Picard, Le souvenir des évèques. Sépultures, listes épiscopales et culte des évèques en Italie du Nord des origines au Xe siècle. (Bibliothéque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, Bd. 268.) Rom 1988, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45, 1989, 243–244. 31. Wolfgang Müller / Matthias Knaut, Heiden und Christen. Archäologische Funde zum frühen Christentum in Südwestdeutschland. Hrsg. v. der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg und Hohenzollern e. V. Stuttgart 1987, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49, 1990, 467. 32. David Rollason, Saints and Relics in Anglo-Saxon England. Oxford 1989. in: Das HistorischPolitische Buch 38, 1990, 132–133. 33. Media in Francia … Recueil de mélanges offert à Karl Ferdinand Werner à l’occasion de son 65e anniversaire par ses amis et collègues français. Avec une préface de Georges Duby de l’Académie Française. Maulévrier 1989, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 138, 1990, 508–509. 34. Ernst Tremp, Studien zu den Gesta Hludowici imperatoris des Trierer Chorbischofs Thegan. (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 32.) Hannover 1988, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 138, 1990, 523–524. 35. Albrecht Graf Finck von Finckenstein, Bischof und Reich. Untersuchungen zum Integrationsprozeß des ottonisch-frühsalischen Reiches (919–1056). (Studien zur Mediävistik. Hrsg. v. Immo Eberl / Wolfgang Hartung, Bd. 1.) Sigmaringen 1989, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 138, 1990, 524–526. 36. Die Kultur der Abtei Sankt Gallen. Hrsg. v. Werner Vogler. Zürich / Stuttgart 1990, in: Freiburger Diözesan-Archiv 110, 1990, 465. 37. Johannes Duft, Die Abtei St. Gallen, Bd. 1: Beiträge zur Erforschung ihrer Manuskripte. Ausgewählte Aufsätze in überarbeiteter Fassung. Hrsg. zum 75. Geburtstag des Verfassers von Peter Ochsenbein / Ernst Ziegler. Sigmaringen 1990, in: Freiburger Diözesan-Archiv 110, 1990, 465–466. 38. Anton van Euw, Liber Viventium Fabariensis. Das karolingische Memorialbuch von Pfäfers in seiner liturgie- und kunstgeschichtlichen Bedeutung. (Studia Fabariensia, Bd. 1.) Bern / Stuttgart 1989, in: Freiburger Diözesan-Archiv 110, 1990, 466–467. 39. Maurice Zufferey, Die Abtei Saint-Maurice d’Agaune im Hochmittelalter (830-1258). (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 88.) Göttingen 1988, in: Historische Zeitschrift 251, 1990, 131–133. 40. Wilhelm Baum, Sigmund der Münzreiche. Zur Geschichte Tirols und der habsburgischen Länder im Spätmittelalter. (Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes, Bd. 14.) Bozen 1987, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ 109, 1990, 192.
286
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
41. Beiträge zur Geschichte des Regnum Francorum. Referate beim Wissenschaftlichen Colloquium zum 75. Geburtstag von Eugen Ewig. Hrsg. v. Rudolf Schieffer. (Beihefte der Francia, Bd. 22.) Sigmaringen 1990, in: Das Historisch-Politische Buch 39.2, 1991, 37. 42. Materielle Kultur und religiöse Stiftung im Spätmittelalter. Internationales Round-TableGespräch Krems an der Donau 26. September 1988. (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs Nr. 12 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte, Bd. 554.) Wien 1990, in: Historische Zeitschrift 254, 1991, 719–720. 43. Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra. Hrsg. v. Irene Crusius. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 93 = Studien zur Germania Sacra, Bd. 17.) Göttingen 1989. in: Historische Zeitschrift 253, 1991, 723–725. 44. Andrea Teuscher, Das Prämonstratenserkloster Saint-Yved in Braine als Grablege der Grafen von Dreux. Zu Stifterverhalten und Grabmalgestaltung im Frankreich des 13. Jahrhunderts. (Bamberger Studien zur Kunstgeschichte und Denkmalpflege, Bd. 7.) Bamberg 1990, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 47, 1991, 796–797. 45. Karl Mittermaier, Die deutschen Päpste. Graz / Wien / Köln 1991, in: Das HistorischPolitische Buch 40, 1992, 190–191. 46. Heinrich Büttner, Geschichte des Elsaß, Bd. 1: Politische Geschichte des Landes von der Landnahmezeit bis zum Tode Ottos III., und: Ausgewählte Beiträge zur Geschichte des Elsaß im Früh- und Hochmittelalter. Hrsg. v. Traute Endemann. Sigmaringen 1991, in: Das Historisch-Politische Buch 40, 1992, 191. 47. Theo Kölzer, Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier (10.–12. Jahrhundert). (Vorträge und Forschungen, Sonderband 36.) Sigmaringen 1989, in: Historisches Jahrbuch 112, 1992, 198–199. 48. Skulptur und Grabmal des Spätmittelalters in Rom und Italien. Hrsg. v. Jörg Garms / Angiola Maria Romanini. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, I. Abt., Bd. 10.) Wien 1990, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 48, 1992, 408–410. 49. Karl Kosel, Der Augsburger Domkreuzgang und seine Denkmäler. Sigmaringen 1991, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 48, 1992, 816. 50. Chartularium Sangallense, Bd. 6 (1327–1347), bearb. von Otto P. Clavadetscher. St. Gallen 1990, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 140, 1992, 477–478. 51. Donald C. Jackman, The Konradiner. A Study in Genealogical Methodology (Ius Commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main. Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 47.) Frankfurt am Main 1990, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 140, 1992, 484. 52. Johannes Fried, Die Formierung Europas 840–1046. (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 6.) München 1992, in: Das Historisch-Politische Buch 40, 1992, 372. 53. Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840). Hrsg. v. Peter Godman / Roger Collins. Oxford 1990, in: Francia 19.1, 1992, 289–291. 54. Ernst Gierlich, Die Grabstätten der rheinischen Bischöfe vor 1200. (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 65.) Mainz 1990, in: Historische Zeitschrift 256, 1993, 168–169. 55. Österreich im Hochmittelalter (907 bis 1246). Hrsg. v. der Kommission für die Geschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Redaktion Anna M. Drabek. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
56.
57.
58.
59. 60. 61.
62.
63.
64.
65.
66. 67. 68.
69.
70.
287
Kommission für die Geschichte Österreichs, Bd. 17.) Wien 1991, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 41, 1993, 358–359. Thomas Frank, Studien zu italienischen Memorialzeugnissen des 11. und 12. Jahrhunderts. (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Bd. 21.) Berlin / New York 1991, in: Historische Zeitschrift 257, 1993, 469–470. Geschichte in Heidelberg. 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde. Hrsg. v. Jürgen Miethke. Berlin / Heidelberg / New York u. a. 1992, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141, 1993, 485–487. Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen. (Vorträge und Forschungen, Sonderband 39.) Sigmaringen 1993, in: Das Historisch-Politische Buch 41, 1993, 278. Reinhold Kaiser, Das römische Erbe und das Merowingerreich. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 26.) München 1993, in: Das Historisch-Politische Buch 42, 1994, 190–191. Lotte Kéry, Die Errichtung des Bistums Arras 1093 / 1094. (Beihefte der Francia, Bd. 33.) Sigmaringen 1994, in: Das Historisch-Politische Buch 42, 1994, 369. Sabine Komm, Heiligengrabmäler des 11. und 12. Jahrhunderts in Frankreich. Untersuchung zu Typologie und Grabverehrung. (Manuskripte zur Kunstwissenschaft, Bd. 27.) Worms 1990, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50, 1994, 802. Werner Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 32.) München 1994, in: Frankfurter Allgemeine 19. Januar 1995, 35, u. d. T.: Letzte Ritter. Werner Paravicini auf dem Roß des Positivismus. Christine Sauer, Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild 1100 bis 1350. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 109.) Göttingen 1993, in: Historische Zeitschrift 260, 1995, 551. Tod im Mittelalter. Hrsg. v. Arno Borst / Gerhart von Graevenitz / Alexander Patschovsky / Karlheinz Stierle. (Konstanzer Bibliothek, Bd. 20.) Konstanz 1993 in: Historische Zeitschrift 260, 1995, 197–199. Hermann Kamp, Memoria und Selbstdarstellung. Die Stiftungen des burgundischen Kanzlers Rolin. (Beihefte der Francia, Bd. 30.) Sigmaringen 1993, in: Historische Zeitschrift 260, 1995, 869–870. Nadia Pollini, La Mort du Prince. Rituels funéraires de la Maison de Savoie (1343–1451). Lausanne 1994, in: Historische Zeitschrift 262, 1996, 225–226. Megan McLaughlin, Consorting with Saints. Prayer for the Dead in Early Medieval France. Ithaca / London 1994, in: Historische Zeitschrift 262, 1996, 208–209. Christoph Fuchs, Dives, pauper, nobilis, frater, clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450). (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, Bd. 5.) Leiden / New York / Köln 1995, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 144, 1996, 550–551. Hans-Henning Kortüm, Menschen und Mentalitäten. Einführung in die Vorstellungswelten des Mittelalters. Berlin 1996, in: Frankfurter Allgemeine v. 19. September 1996, u. d. T.: Rauchfässer über dem Brautbett. Hans-Henning Kortüm führt in die Mentalitätsgeschichte des Mittelalters ein. Klaus Herbers, Leo IV. und das Papsttum in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Möglichkeiten und Grenzen päpstlicher Herrschaft in der späten Karolingerzeit. (Päpste und Papsttum, Bd. 27.) Stuttgart 1996, in: Frankfurter Allgemeine v. 8. Oktober 1996, 12, u. d. T.: Die
288
71.
72.
73.
74.
75.
76.
77.
78.
79.
80.
81.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
Mauer war sein großes Werk. Klaus Herbers weiß alles über den wenig bekannten Papst Leo IV. Gerhard Dilcher, Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter. Köln / Weimar / Wien 1996, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. November 1996, 12, u. d. T.: Der Triumph der Kommune. Gerhard Dilcher über das Moderne an der mittelalterlichen Stadt. Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997, in: Frankfurter Allgemeine v. 20. Juni 1997, 41, u. d. T.: Der König weint fürs Publikum. War Konrad III. lediglich ein großer Tragöde? Gerd Althoffs positivistischer Zweifel an den Berichten über mittelalterliche Emotionen. Roland Pauler, Die deutschen Könige und Italien im 14. Jahrhundert von Heinrich VII. bis Karl IV. Darmstadt 1997, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11. August 1997, 6, u. d. T.: Dienstreisen mit Kaiserwetter. Roland Pauler zieht mit den deutschen Herrschern nach Italien. Die mittelalterlichen Grabmäler in Rom und in Latium vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Bd. 2: Die Monumentalgräber. Hrsg. v. Jörg Garms / Andrea Sommerlechner / Werner Telesko. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, 2. Abt., Quellen, 5. Reihe.) Wien 1994, in: Historische Zeitschrift, 265, 1997, 194–195. Die Kapitulariensammlung des Ansegis. Hrsg. v. Gerhard Schmitz. (Monumenta Germaniae Historica. Capitularia Regum Francorum. N. S., Bd. 1.) Hannover 1996, in: Das HistorischPolitische Buch 45, 1998, 278. Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa. Hrsg. v. Otto Gerhard Oexle / Werner Paravicini. Göttingen 1997, in: Frankfurter Allgemeine v. 19. September 1997, 41, u. d. T.: Adel verpflichtete zum Raubrittertum. Von der Erfindung einer soziologischen Kategorie und ihren sozialen Folgen. Georges Duby, Eva und die Prediger. Frauen im 12. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 24. März 1998, L 28, u. d. T.: Eva, wo ist deine Rache? Adam, wo ist dein Sieg? ND in: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1998. Frankfurt am Main 1998, 677–679. Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im zwölften und dreizehnten Jahrhundert. Hrsg. v. Hans Eberhard Mayer. München 1997, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. April 1998, 46, u. d. T.: Das Land der Propheten suchen. Spuren westlicher Reisender im Heiligen Land. ND in: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1998. Frankfurt am Main 1998, 718–719. Detlev Kraack, Monumentale Zeugnisse der spätmittelalterlichen Adelsreise. Inschriften und Graffiti des vierzehnten bis sechzehnten Jahrhunderts. Göttingen 1997, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 6. April 1998, 46, u. d. T.: Das Land der Propheten suchen. Spuren westlicher Reisender im Heiligen Land. ND in: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1998. Frankfurt am Main 1998, 718–719. Peter Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers. Darmstadt 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 23.6.1998, 12, u. d. T.: Der Adler als Ungeheuer. Die Franken. Wegbereiter Europas. Hrsg. v.Reiss-Museum Mannheim. Mainz 1996, in: Das Historisch-Politische Buch 46, 1999, 466.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
289
82. Lieselotte E. Saurma-Jeltsch, Die Miniaturen im ‚Liber Scivias‘ der Hildegard von Bingen. Die Wucht der Vision und die Ordnung der Bilder. Wiesbaden 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 1. Dezember 1998, L 20. u. d. T.: Was sprichst du mich an, o Ungeheuer? Entflammt von der Feuerstimme. Die wilden Kerle wohnen in Hildegards Visionen. ND in: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1999. Frankfurt am Main 1999, 772–774. 83. Herbert Rosendorfer, Deutsche Geschichte. Ein Versuch. Von den Anfängen bis zum Wormser Konkordat. München 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4. Januar 1999, 52, u. d. T.: Trompetentöne ohne Tremolo. Laut, deutlich, schief. Rosendorfers Mittelalter. 84. Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz. Hrsg. v. Wolfgang Ernst / Cornelia Vismann. München 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 9. Februar 1999, 53, u. d. T.: Zu Sternen sah er führerlos hinan. Wie Ernst Kantorowicz Orientierung suchte und gab. 85. Adriaan H. Bredero, Christenheit und Christentum im Mittelalter. Über das Verhältnis von Religion, Kirche und Gesellschaft. Stuttgart 1998, in: Historische Zeitschrift 268, 1999, 453–455. 86. Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. v. Heinz Duchhardt / Gert Melville. (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 7.) Köln / Weimar / Wien 1997, in: Historische Zeitschrift 268, 1999, 416–418. 87. Kathleen Biddick, The Shock of Medievalism. London 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 29. März 1999, 59, u. d. T.: Schwermuttropfen. Laut Kathleen Biddick kommt die Mediävistik aus der Melancholie. 88. Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 6. Reinbek bei Hamburg 1999, in: Frankfurter Allgemeine v. 27. September 1999, 55, u. d. T.: Böser Mann, böser Mann! Schimpf über Papst und Kaiser. 89. Alexander Murray, Suicide in the Middle Ages, Bd. 1. Oxford 1998, in: Frankfurter Allgemeine v. 4. Oktober 1999, 55, u. d. T.: Der Strick wurde auf zwei Pence geschätzt. Bilanzen des Unglücks. Alexander Murrays Fallsammlung mittelalterlicher Selbstmorde. 90. Jörg Wettlaufer, Das Herrenrecht der ersten Nacht. Hochzeit, Herrschaft und Heiratszins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1999, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. November 1999, L 21, u. d. T.: Der Holterdiepolterabend der Historie. Die Suche nach der ersten Nacht kann nur in die Irre führen. 91. Hanno Helbling, Katharina von Siena. Mystik und Politik. München 2000, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. März 2000, 57, u. d. T.: Peng, du bist mystifiziert. Katharina trieb Gottes Außenstände ein. Hanno Helbling verfällt einer medial veranlagten Heiligen. 92. Klaus Richter, Friedrich Barbarossa hält Gericht. Zur Konfliktbewältigung im zwölften Jahrhundert. (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Fallstudien, Bd. 2.) Köln 1999, in: Frankfurter Allgemeine v. 17. Mai 2000, 56, u. d. T.: Der Henker und sein Hund. Schlechte Zeiten, Vasall. Friedrich Barbarossa als Strafrichter. 93. Karl der Grosse und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, Bd. 1. Hrsg. von P. Butzer / M. Kerner / W. Oberschelp. Wissen und Weltbild. Turnhout 1997, in: Das Historisch-Politische Buch 47, 2000, 354–355. 94. Reinhold Kaiser, Churrätien im frühen Mittelalter. Ende 5. bis Mitte 10. Jahrhundert. Basel 1998, in: Historische Zeitschrift 270, 2000, 739. 95. Andreas Rehberg, Kirche und Macht im römischen Trecento. Die Colonna und ihre Klientel auf dem kurialen Pfründenmarkt (1278–1378). (Bibliothek des Deutschen Historischen
290
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
Instituts in Rom, Bd. 88.) Tübingen 1999, in: Frankfurter Allgemeine v. 24. Juli 2000, 50, u. d. T.: Eine Hand salbt die andere. Der Weg zum Kardinalshut war für die Colonna mit Gold gepflastert. 96. Der Welfenschatz und sein Umkreis. Hsg. v. Joachim Ehlers / Dietrich Kötzsche. Mainz 1998, in: Historische Zeitschrift 271, 2000, 174–177. 97. Wolfgang Stürner, Friedrich II., Teil 2: Der Kaiser 1220–1250. Darmstadt 2000, in: Frankfurter Allgemeine v. 17. Oktober 2000, L 47, u. d. T.: Das Falkenvaterl vom Castel Monte. Alleskönner: Friedrich II. als Prüfstein historischer Biographik. ND in: Ein Büchertagebuch 2001. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Frankfurt am Main 2001, 745–747. 98. Jacques Le Goff, Ludwig der Heilige. Stuttgart 2000, in: Der Tagesspiegel v. 18. Oktober 2000, B 8, u. d. T.: Die Sonne über dem Abendland. Jacques Le Goff erkennt im Mittelalter unsere aktuelle Vorgeschichte. 99. Rudolf J. Meyer, Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 19.) Köln / Weimar / Wien 2000, in: Frankfurter Allgemeine v. 9. Januar 2001, 57, u. d. T.: Der Leichenschändung frischer Trümmer. Nur von unten sehen die Radieschen alle gleich aus. Rudolf Meyer gräbt die spätmittelalterlichen Kaiser aus. 100. Rudolf J. Meyer, Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 19.) Köln / Weimar / Wien 2000, in: Historische Zeitschrift 272, 2001, 175. 101. Leah Otis-Cour, Lust und Liebe. Geschichte der Paarbeziehungen im Mittelalter. (Europäische Geschichte. Hrsg. v. Wolfgang Benz.) Frankfurt am Main 2000, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49, 2001, 172–173. 102. Marc Bloch, Briefe an Henri Berr 1924–1943. Mein Buch „Die Feudalgesellschaft“. Hrsg. v. Jacqueline Pluet-Despatin. Mit einem Vorwort von Bronislaw Geremek. Aus dem Französischen von Jochen Grube. Stuttgart 2001, in: Frankfurter Allgemeine v. 14. April 2001, 49, u. d. T.: Vasallenspiel ohne Grenzen. Von Mensch zu Mensch. Die Briefe Marc Blochs an seinen Verleger. 103. Europa und die Türken in der Renaissance. Hrsg. v. Bodo Guthmüller / Wilhelm Kühlmann. Tübingen 2000, in: Frankfurter Allgemeine v. 22. Mai 2001, 57, u. d. T.: Bleib doch ein Muselmann. Vor Europas Toren. Studien über die Türken in der Renaissance. 104. Gabriela Signori, Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters. (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, Bd. 160.) Göttingen 2001, in: Frankfurter Allgemeine vom 16. Juni 2001, 49, u. d. T.: Wohin mit all dem Geld? Oh schwere Seelennot. Erbenlose Erblasser im späten Mittelalter. 105. Christoph Strupp, Johan Huizinga. Geschichtswissenschaft als Kulturgeschichte. Göttingen 2000, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 253, 2001, 131–134. 106. Tanja Michalsky, Memoria und Repräsentation. Die Grabmäler des Königshauses Anjou in Italien. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 157.) Göttingen 2000, in: Historische Zeitschrift 273, 2001, 174–175. 107. Memory and the Medieval Tomb. Hrsg. v. Elizabeth Valdez del Alamo / Carol Stamatis Pendergast. Cambridge 2000, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 57, 2001, 387–388.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
291
108. Robert Pring-Mill, Der Mikrokosmos Ramon Llulls. Eine Einführung in das mittelalterliche Weltbild. (Clavis Philosophiae, Bd. 9.) Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, in: Das HistorischPolitische Buch 49, 2001, 350–351. 109. Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit. Berlin 2001, in: Frankfurter Allgemeine vom 7. Januar 2002, 42, u. d. T.: Die zwei Könige des Kaisers. Was aber bleibet, stiften die Mönche. Revolutioniert Ludger Körntgen unser Verständnis des mittelalterlichen Gottesgnadentums und seiner bildlichen Darstellungen? 110. Roland Gerber, Gott ist Burger zu Bern. Eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft zwischen Herrschaftsbildung und sozialem Ausgleich. Weimar 2001, in: Frankfurter Allgemeine vom 11. Februar 2002, 54, u. d. T.: Ein heiratsfreudiges Völkchen. Roland Gerbers exzellente Studie über Bern gibt der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft Profil. 111. Johannes Fried, Die Aktualität des Mittelalters. Gegen die Überheblichkeit unserer Wissensgesellschaft. Stuttgart 2002, in: Frankfurter Allgemeine vom 19. März 2002, L 33, u. d. T.: Historiker in den Ethikrat! Mittelalterliche Wissensgesellschaft. Johannes Fried verbindet die Geschichte mit der Gehirnforschung. 112. Ernst Schubert, Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander. Darmstadt 2002, in: Frankfurter Allgemeine vom 18. Mai 2002, 52, u. d. T.: Ihr Teufel, drängelt doch nicht so! Ökologisch gut. Ernst Schuberts Alltagsgeschichte des Mittelalters. 113. Andrea Esmyol, Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter. Köln / Weimar / Wien 2002, in: Frankfurter Allgemeine v. 10. Juni 2002, 49, u. d. T.: Mehr als eine muß es sein. Andrea Esmyol fragt nach den Konkubine im Mittelalter. 114. Karl der Große und das Erbe der Kulturen. Akten des 8. Symposiums des Mediävistenverbandes, Leipzig 15.–18. März 1999. Hrsg v. Franz-Reiner Erkens. Berlin 2001, in: Das Historisch-Politische Buch 50, 2002, 145. 115. Birgit Sawyer / Peter Sawyer, Die Welt der Wikinger. (Die Deutschen und das europäische Mittelalter.) Berlin 2002, in: Frankfurter Allgemeine vom 5. November 2002, L 18, u. d. T.: Dieses Wikingerdasein war einfach übertrieben. Deutschland blieb verschont, doch Birgit und Peter Sawyer schreiben Kontakte mit den Nordmännern herbei. 116. Josef Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt. Berlin 2002, in: Süddeutsche Zeitung vom 28. / 29. Dezember 2002, 14, u. d. T.: Zeitalter der Abrüstung. Eine der großen Erscheinungen der Weltgeschichte. Josef Fleckenstein zeigt die Ritter, wie sie waren. 117. Martin Lenz, Konsens und Dissens. Deutsche Königswahl (1273–1349) und zeitgenössische Geschichtsschreibung. (Formen der Erinnerung, Bd. 5.) Göttingen 2002, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. Januar 2003, 35, u. d. T.: Was dem Reiche ziemt, weiß der stille Konsens. Deutsche Königswahl. Martin Lenz’ großflächige Studie über die spätmittelalterliche Historiographie. 118. Alain Demurger, Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden. München 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 17. März 2003, Literaturbeilage, 29, u. d. T.: Die anderen haben angefangen. Geistliche Ritterorden und die Anfänge des heiligen Krieges in Alteuropa. Zwei neue Versuche. 119. Uwe Ziegler, Kreuz und Schwert. Die Geschichte des Deutschen Ordens. Köln / Weimar / Wien 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 17. März 2003, Literaturbeilage, 29, u. d. T.: Die anderen haben angefangen. Geistliche Ritterorden und die Anfänge des heiligen Krieges in Alteuropa. Zwei neue Versuche.
292
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
120. Friedrich Prinz, Das wahre Leben der Heiligen. Zwölf historische Portraits von Kaiserin Helena bis Franz von Assisi. München 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 18. März 2003, L 18, u. d. T.: Vorsicht, sadistischer Seelenführer! Friedrich Prinz schabt die Patina von den Heiligen. 121. Günther Schiwy, Birgitta von Schweden. Mystikerin und Visionärin des späten Mittelalters. München 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 12. Mai 2003, 38, u. d. T.: Lebensgestaltung unter der Macht des Irrationalen. Mehr Neugier als Sachkunde. Günther Schiwy erweist der heiligen Birgitta manch zweifelhaften Dienst. 122. Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert. (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst.) Darmstadt 2001, in: Historische Zeitschrift 276, 2003, 744–745. 123. Frank Theisen, Mittelalterliches Stiftungsrecht. Eine Untersuchung zur Urkundenüberlieferung des Klosters Fulda im 12. Jahrhundert. (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte, Bd. 26.) Köln / Weimar / Wien 2002, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 120, Germ. Abt., 2003, 573–577. 124. Reinhold Kaiser, Trunkenheit und Gewalt im Mittelalter. Köln / Weimar / Wien 2002, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. Juli 2003, 37, u. d. T.: Alkohol macht Geschichte. Ob Männer, ob Frauen. Reinhold Kaiser ist beim Trinken nüchtern. 125. Volker Leppin, Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch. Darmstadt 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 16. September 2003, 16, u. d. T.: Vater der Nassrasur. Und in Wahrheit ein Bruder Oblomows. Volker Leppin beschreibt das Leben des Wilhelm von Ockham. 126. Chiara Frugoni, Das Mittelalter auf der Nase. Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters. München 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 7. Oktober 2003, L 35, u. d. T.: Wie der Elefant zum Bischof wurde. Chiara Frugoni folgt den Wendungen mittelalterlichen Erfindungsgeistes. 127. Stadt und Recht im Mittelalter. La ville et le droit au Moyen Âge. Hrsg. v. Pierre Monnet / Otto Gerhard Oexle. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 174.) Göttingen 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 13. Oktober 2003, 14, u. d. T.: Unsichtbare Obrigkeit. Ein Sammelband erforscht Stadt und Recht im Mittelalter. 128. Dirk Meier, Bauer, Bürger, Edelmann. Stadt und Land im Mittelalter. Ostfildern 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 27. Oktober 2003, 39, u. d. T.: Aufbruch unterm Schwellstein. Dirk Meier sucht die Moderne im Hochmittelalter. 129. Michael Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs. München 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 27. Oktober 2003, 16, u. d. T.: Europas Gretchenfrage. Michael Mitterauer über den Aufstieg des Okzidents. 130. Benedykt Zientara, Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien. (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 17.) München 2002, in: Das Historisch-Politische Buch 51, 2003, 354–355. 131. Martin Kintzinger, Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter. Ostfildern 2003, in: Süddeutsche Zeitung v. 1. Dezember 2003, 18, u. d. T.: Wissen ist Macht. Vor der Pisa-Studie: Martin Kintzinger erklärt, wie man im Mittelalter lernte. 132. Arnold Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 68.) München 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 8. Dezember 2003, 35,
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
293
u. d. T.: Häresie der Formlosigkeit. Liturgisch sollt ihr atmen. Arnold Angenendts profunde Studie über die Frömmigkeit im Mittelalter. 133. Alain de Libera, Denken im Mittelalter. München 2003, in: Frankfurter Allgemeine v. 22. Dezember 2003, 37, u. d. T.: Avicennas Stern zeigt den Weg. Pflichtbuch. Alain de Libera über die Geburt des Intellektuellen. 134. Jacques Le Goff, Die Geburt Europas im Mittelalter. München 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 24. März 2004, L 17, u. d. T.: Kein Platz für Karl. Jacques Le Goff beschreibt die Geburt Europas aus dem Mittelalter. 135. Klaus-Peter Matschke, Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege. Düsseldorf / Zürich 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 10. Mai 2004, 41, u. d. T.: Trommeln und kämpfen für das Seelenheil. Klaus-Peter Matschke schreibt eine Geschichte der Kriege zwischen Christen und Türken. 136. Jacob Burckhardt, Kleine Schriften, Bd. 2: Historische Schriften. Hrsg. v. Mikkel Mangold / Marc Sieber. (Jacob Burckhardt, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 8.) München / Basel 2004, in: Süddeutsche Zeitung v. 2. Juni 2004, 16, u. d. T.: Ein Gelübde hat er sich getan. Jacob Burckhardts Kleine Schriften über das Mittelalter. 137. Kay Peter Jankrift, Das Mittelalter. Ein Jahrtausend in 12 Kapiteln. Ostfildern 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 14. Juni 2004, u. d. T.: Die Optik haut’s raus. Kay Peter Jankrift führt zum Stöbern durch das Mittelalter. 138. Christian Lübke, Das östliche Europa. (Die Deutschen und das europäische Mittelalter.) München 2004, in: Süddeutsche Zeitung v. 29. Juni 2004, Literaturbeilage, 19, u. d. T.: Kein Volk, kein Reich, kein Führer. Christian Lübke entwirrt die verwirrende Geschichte Osteuropas. 139. Hanna Vollrath, Thomas Becket. Höfling und Heiliger. (Persönlichkeit und Geschichte, Bd. 164.) Göttingen / Zürich 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. September 2004, 37, u. d. T.: In den Bahnen des Starrsinns. Hanna Vollraths Biographie über die Symbolfigur Thomas Becket. 140. Valentin Groebner, Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Mittelalter. München 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. Oktober 2004, L 32, u. d. T.: Die Register der Erfassung ziehen. Valentin Groebners glänzende Studie über die Fahrerflucht im Mittelalter. 141. Volker Reinhardt, Francesco Guicciardini (1483-1540). Die Entdeckung des Widerspruchs. Göttingen / Bern 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 11.10.2004, 33, u. d. T.: Wenn Wandel und Wesen wandern gehen. Volker Reinhardt schreibt eine Biographie des Florentiner Historikers Frecesco Guicciardini. 142. Das Bistum Konstanz, Bd. 2: Die Konstanzer Bischöfe vom Ende des 6. Jahrhunderts bis 1206. Hrsg. v. Helmut Maurer. (Germania Sacra. N. F., Bd. 42.1.) Berlin / New York 2003, in: Historische Zeitschrift 279, 2004, 443–445. 143. Joachim Ehlers, Das westliche Europa. (Die Deutschen und das europäische Mittelalter.) München 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 5. November 2004, 45, u. d. T.: Deutschland als Vorbild der Völker. Ein großes Alterswerk. Joachim Ehlers schreibt die Geschichte des westlichen Europa im Mittelalter. 144. Jacques Le Goff, Auf der Suche nach dem Mittelalter. Ein Gespräch. Aus dem Französischen von Matthias Wolf. München 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 3. Dezember 2004, 37, u. d. T.: Burckhardt? Eine Katastrophe! Neue Provokationen für Historiker. Jacques Le Goff im Gespräch.
294
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
145. Bernard Hamilton, Die christliche Welt des Mittelalters. Der Osten und der Westen. Düsseldorf / Zürich 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. Dezember 2004, 35, u. d. T.: Lachende Mönche reden auch mit Tieren. Bernard Hamiltons Geschichte der reichen christlichen Welt im Osten und im Westen. 146. Martin Kaufhold, Wendepunkte des Mittelalters. Von der Kaiserkrönung Karls des Großen bis zur Entdeckung Amerikas. Stuttgart 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 14. Februar 2005, 38, u. d. T.: Lauter Wenden. Martin Kaufhold verniedlicht professionell das Mittelalter. 147. Arno Borst, Der Streit um den karolingischen Kalender. (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, Bd. 36.) Hannover 2004, in: Frankfurter Allgemeine v. 7. März 2005, 41, u. d. T.: Die gezählten Tage des Reiches. Arno Borst und der Streit um den karolingischen Kalender. 148. Manuel Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige 1479–1555. Königin und Gefangene. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. München 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 15. April 2005, 38, u. d. T.: Die Königin in der Kummerkammer der Triebe. Mit magischen Mentalitäten. Manuel Fernández Álvarez’ Biographie über Johanna die Wahnsinnige. 149. Martin Kintzinger, Die Erben Karls des Großen. Frankreich und Deutschland im Mittelalter. Ostfildern 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. Mai 2005, 25, u. d. T.: So unzweifelhaft, wie Geschichte tut, ist sie nicht. Martin Kintzinger möchte mit der Historie Karls des Großen die Europa-Debatte aufmischen. 150. Bernd Roeck, Geschichte Augsburgs. München 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. Juni 2005, 33, u. d. T.: Die Meister kurven vor dem strahlend blauen Heimathimmel um den Perlachturm. Anschaulich und elegant. Bernd Roeck meidet in seiner berückenden Geschichte der Stadt Augsburg das Unglück und tröstet uns mit ihrem ungeliebten Sohn Brecht. 151. Volker Reinhardt, Der unheimliche Papst. Alexander VI. Borgia 1431–1503. München 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 15. August 2005, 35, u. d. T.: Sollte Benedikt XVI. dieses Buch studieren? Ein Rebell in Rom. Volker Reinhardt nähert sich Papst Alexander VI. ohne moralische Vorurteile. 152. Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken, Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt. Darmstadt 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. September 2005, 51, u. d. T.: Als man sich noch zutraute, das Weltganze zu würdigen. Kosmisch. Bildzeugnisse für alle Aspekte von Himmel und Erde in der christlichen und muslimischen Kultur des Mittelalters. 153. Jacques Le Goff, Ritter, Einhorn, Troubadoure. Helden und Wunder des Mittelalters. München 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 10. Oktober 2005, 37, u. d. T.: Die Dämonin Melusine ist unsere Frauenbeauftragte. Jacques Le Goff verlängert die Traumwelten des Mittelalters in die Gegenwart. 154. Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Hrsg. v. Mischa Meier. Stuttgart 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 19. Oktober 2005, L 38, u. d. T.: Erreger auf asiatischen Murmeltieren. Menschheitsprobleme vor Historikern. Studien zur Pest in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. 155. Caspar Hirschi, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 12. Dezember 2005, 35, u. d. T.: Brillante Nationenforschung. Eine Ehre für den Marmorstaub.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
295
156. Dirk Jäckel, Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter. (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 60.) Köln / Weimar / Wien 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 10. Februar 2006, 47, u. d. T.: Löwenbelege zusammengeklebt. Wo versteckt Dirk Jäckel die spezielle Urteilskraft des Historikers? 157. Rolf Große, Vom Frankenreich zu den Ursprüngen der Nationalstaaten, 800–1214. (Deutsch-Französische Geschichte. Im Namen des Deutschen Historischen Instituts Paris. Hrsg. v. Werner Paravicini / Michael Werner, Bd. 1.) Darmstadt 2005; Rainer Babel, Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie, 1500–1648. (Deutsch-Französische Geschichte, Bd. 3.) Darmstadt 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 31. März 2006, 47, u. d. T.: Geschaukelt von Vater Karl. Ein Handbuch zur deutsch-französischen Geschichte in elf Bänden. 158. Christian Jostmann, Sibilla Erithea Babilonica. Papsttum und Prophetie im 13. Jahrhundert. (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 54.) Hannover 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. Juni 2006, 39, u. d. T.: Reden wir doch einmal über unsere Zukunft. Christian Jostmann untersucht Papsttum und Prophetie im dreizehnten Jahrhundert. 159. Riga und der Ostseeraum. Von der Gründung 1201 bis in die Frühe Neuzeit. Hrsg. v. Ilgvars Misāns / Horst Wernicke. Marburg 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 30. Juni 2006, 57, u. d. T.: Brüllversuche eines Löwen. So viel Tapferkeit. Die Wurzeln Rigas und des Ostseeraums. 160. Mediterraner Kolonialismus. Expansion und Kulturaustausch im Mittelalter. Hrsg. v. Peter Feldbauer / Gottfried Liedl / John Morrissey. (Expansion – Interaktion – Akkulturation. Historische Skizzen zur Europäisierung Europas und der Welt, Bd. 8.) Essen 2006, in: Historische Zeitschrift 283, 2006, 170–172. 161. Anne Chr. Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970. (Formen der Erinnerung, Bd. 24.) Göttingen 2005, in: Historische Zeitschrift 283, 2006, 261–264. 162. Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter. Hrsg. v. Ansgar Köb / Peter Riedel. (MittelalterStudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn, Bd. 7.) München 2005, in: Frankfurter Allgemeine v. 8. September 2006, 37, u. d. T.: Ohne Hosen, ohne Fell. Wissenschaftler vor den Kleidern der Antike und des Mittelalters. 163. Gottfried Seebaß, Geschichte des Christentums, Bd. 3. Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung. Stuttgart 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. September 2006, 37, u. d. T.: Christus kam nur bis Wittenberg. Jenseits der protestantischen Welt gibt es nur noch Chronologie. Der Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß schreibt die Geschichte des Christentums um 1500. 164. Patrick J. Geary, Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria. München 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 4. Oktober 2006, L 32, u. d. T.: Wie die Evas aus den Dokumenten geschubst wurden. Die Angst in den Armen von Amazonen. Patrick Geary untersucht Geschlechtererfahrungen der Männer. 165. Claudia Märtl, Die 101 wichtigsten Fragen. Mittelalter, München 2006, in: Historische Zeitschrift 283, 2006, 454–455. 166. Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter. Darmstadt 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. November 2006, 37, u. d. T.: Der rollende Siegeszug der Erbse. Am Tisch die ganze Gesellschaft. Ernst Schubert widmet sich dem Essen und Trinken im Mittelalter.
296
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
167. Hellmut Zschoch, Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter. Von der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts zu den Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts. (Zugänge zur Kirchengeschichte, Bd. 5.) Göttingen 2004, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33, 2006, 442–443. 168. Jacques Le Goff / Nicolas Truong, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter. Stuttgart 2007, in: Frankfurter Allgemeine v. 30. März 2007, 45, u. d. T.: Nur in der Missionarsstellung kommt man in den Himmel. Die Schwierigkeit der Religion, ein Verhältnis zum Leib zu gewinnen. Jacques Le Goffs Geschichte des Körpers im Mittelalter. 169. Peter Dinzelbacher, Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess. Essen 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. Mai 2007, 37, u. d. T.: Klären Sie den Hund über seine Rechte auf! Peter Dinzelbacher besichtigt den Tierprozess, ein bisher wenig beachtetes Tribunal des Mittelalters. 170. Robert-Tarek Fischer, Richard I. Löwenherz 1157–1199. Mythos und Realität. Wien / Köln / Weimar 2006, in: Frankfurter Allgemeine v. 1. Juni 2007, 37, u. d. T.: Der König, der kein Englisch konnte. Um Richard I. Löwenherz ranken sich viele Mythen. Robert-Tarek Fischers einwandfreie Biographie sorgt für Aufklärung. 171. Jacques Le Goff, Der Gott des Mittelalters. Eine europäische Geschichte. Gespräche mit Jean-Luc Pouthier. Freiburg / Basel / Wien 2005, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34.1, 2007, 85–86. 172. Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. Hrsg. v. Bernhard Jussen. München 2006, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34.1, 2007, 66–67. 173. Johannes Fried, Zu Gast im Mittelalter. München 2007, in: Frankfurter Allgemeine v. 26. Oktober 2007, 43, u. d. T.: Finster ist die Gegenwart. Hell strahlt bei Johannes Fried das Mittelalter. 174. Peter Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit in der mittelalterlichen Mentalitätsgeschichte. Paderborn / München / Wien / Zürich 2007, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. November 2007, 43, u. d. T.: Der Leib als Instrument des Heils. Wie folgt man einem Vorbild? Das Ideal der Nachfolge Christi war im Mittelalter eine Nachfolge bis aufs Blut. Man verwundete seinen Körper mit Nägeln und Geißeln. 175. Arnold Esch, Landschaften der Frührenaisssance. Auf Ausflug mit Pius II. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 14. Januar 2008, 33, u. d. T.: Der Liebhaber der Wälder. Auf dem Tragsessel über Berg und Tal. Arnold Esch unterwegs mit Pius II. 176. Valentin Groebner, Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 12. März 2008, L 20, u. d. T.: So eine Ritterromanze ist schön. Valentin Groebners Lust. 177. Uwe A. Oster, Die Frauen Kaiser Friedrichs II. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. April 2008, 34, u. d. T.: Die Frauen an seiner Seite. Kaiser Friedrich II. liebte die Frauenwelt und wechselte gern und oft seine Partnerin. Aber wer waren die Damen? Uwe A. Oster hat sich auf ihre Spuren begeben. 178. Robert Fossier, Das Leben im Mittelalter. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 7. April 2008, 43, u. d. T.: Das Leben hinter den Urkunden. Ein Meisterwerk. Robert Fossier weiß, wie die Menschen im Mittelalter lebten. 179. Rekonstruktion und Erschließung mittelalterlicher Bibliotheken. Neue Formen der Handschriftenpräsentation. Hrsg. v. Andrea Rapp / Michael Embach. (Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften, Bd. 1.) Berlin 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. Juni 2008, 37, u. d. T.: Kennen Sie die Erotik der verlorenen Bücher? Digitalisierte
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
297
Bibliothek. Ein gründlicher Sammelband stellt neue Formen der Analyse und Aufbereitung von Handschriften vor. 180. Peter Blickle, Das Alte Europa. Vom Hochmittelalter bis zur Moderne. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. August 2008, 38, u. d. T.: Was stört, bleibt unbeachtet. Peter Blickle möchte zeigen, dass es vor der Moderne eine in sich geschlossene, kompakte Form Europas gegeben hat – und entwirft damit doch nur eine Fata Morgana. 181. Thomas Martin Buck, Mittelalter und Moderne. Plädoyer für eine qualitative Erneuerung des Mittelalter-Unterrichts an der Schule. Schwalbach am Taunus 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. August 2008, 37, u. d. T.: Mittelalter für die Schule. 182. Ludwig Schmugge, Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst. Berlin 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 5. September 2008, 41, u. d. T.: Meine Ehe ist ungültig. Ludwig Schmugge über eine Alternative zur Scheidung. 183. Die Ursprünge der modernen Welt. Geschichte im wissenschaftlichen Vergleich. Hrsg. v. James A. Robinson / Klaus Wiegandt. Frankfurt am Main 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 13. Oktober 2008, 37, u. d. T.: Kommen Sie mir nicht mit Wissen, das keine Voraussagen ermöglicht! Für was Geschichte gut ist. Ein Band versammelt brillante Studien zu der Frage, warum Kulturen aufblühen und wieder zerfallen. 184. Jörg Schwarz, Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt. Darmstadt 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 14. November 2008, 37, u. d. T.: Kein Blumenkübel in der Fußgängerzone. Nichts gibt es hier zu beschönigen. Jörg Schwarz erzählt vom Leben in der mittelalterlichen Stadt. 185. Arnulf Krause, Europa im Mittelalter. Wie die Zeit der Kreuzzüge unsere moderne Gesellschaft prägt. Frankfurt / New York 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. November 2008, 39, u. d. T.: Kein Friede unter Rittern. Arnulf Krause beschwört das Erbe der Kreuzzüge. 186. Johannes Fried, Das Mittelalter. Geschichte und Kultur. München 2008, in: Frankfurter Allgemeine v. 8. Januar 2009, 35, u. d. T.: Weiter denken auf den Schultern fremder Riesen. Johannes Fried taucht das Mittelalter in helles Licht. 187. Karl-Heinz Spieß, Fürsten und Höfe im Mittelalter. Darmstadt 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. März 2009, 34, u. d. T.: Immer auf herrscherlicher Achse. Mobilität war auch für frühere Machthaber etwas Selbstverständliches. Fürstliches Leben an mittelalterlichen Höfen dokumentiert ein Buch des Historikers Karl-Heinz Spieß. 188. Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter. Stuttgart 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 11. Mai 2009, 11, u. d. T.: Männliche Mediävistik. Wie geht es der Königin? 189. Egon Boshof, Europa im 12. Jahrhundert. Auf dem Weg in die Moderne. Stuttgart 2007, in: Historische Zeitschrift 288, 2009, 736–737. 190. Matthew Innes, Introduction to Early Medieval Western Europe, 300–900. The Sword, the Plough and the Book. London / New York 2007, in: Historische Zeitschrift 288, 2009, 725–726. 191. Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Hrsg. v. Sabine Obermaier. Berlin / New York 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 6. August 2009, 32, u. d. T.: Es kreucht so fürchterlich, dass einem das Blut gerinnt. Gott spielt mit einem Fisch. Sabine Obermaier versammelt Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. 192. Rolf Schneider, Das Mittelalter. Berlin 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 30. September 2009, 32, u. d. T.: Im Sommer lockt das Burgmuseum. Ein Mittelalter für die nächste Generation? Da wäre doch noch einiges zu ergänzen. Rolf Schneider kann zwar einnehmend erzählen, weiß aber mit neueren Einsichten nichts anzufangen.
298
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
193. Homo debilis. Behinderte, Kranke, Versehrte in der Gesellschaft des Mittelalters. Hrsg. v. Cordula Nolte. Korb 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 1. Oktober 2009, 36, u. d. T.: Die Sitzenbleiber der Entwicklung. Lehren für die Moderne. Ein Sammelband widmet sich Behinderten und Versehrten im Mittelalter. 194. Jenny Rahel Oesterle, Kalifat und Königtum. Herrschaftsrepräsentation der Fatimiden, Ottonen und frühen Salier an religiösen Hochfesten. Darmstadt 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. Oktober 2009, 32, u. d. T.: Hohe Feste. 195. Manfred Overesch und Alfhart Günther, Himmlisches Jerusalem. St. Michael und das Geheimnis der sakralen Mathematik vor 1000 Jahren. Göttingen 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 23. Oktober 2009, 32, u. d. T.: Kühn gerechnet. 196. Die Welt der europäischen Straßen. Von der Antike bis in die Frühe Neuzeit. Hrsg. v. Thomas Szabó. Köln / Weimar / Wien 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. November 2009, 28, u. d. T.: Wegelagerer. 197. Folker Reichert, Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen. Göttingen 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 23. November 2009, 28, u. d. T.: Gelehrter Held. 198. Uwe Jochum, Geschichte der abendländischen Bibliotheken. Darmstadt 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. Dezember 2009, 26, u. d. T.: Bücherhäuser. 199. Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich. Hrsg. v. Klaus Schreiner unter Mitarbeit v. Elisabeth Müller-Luckner. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 78.) München 2008, in: Historische Zeitschrift 289, 2009, 705–707. 200. Stifter, Spender und Mäzene. USA und Deutschland im historischen Vergleich. Hrsg. v. Thomas Adam / Simone Lässig / Gabriele Lingelbach. (Transatlantische Historische Studien, Bd. 38.) Stuttgart 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 4. Januar 2010, 24, u. d. T.: Kulturinvestition. 201. Verena Postel, Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 207.) Stuttgart 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 5. Januar 2010, 28, u. d. T.: Warm und hell spürt er die Freiheit seines Willens. Verena Postel krempelt das Mittelalter nach Argumenten gegen die Hirnforschung um. 202. Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. v. Cornelia Herberichs / Susanne Reichlin. Göttingen 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 15. Januar 2010, 34, u. d. T.: Von wegen Zufall. 203. Die Welt 1250–1500. Hrsg. v. Thomas Ertl / Michael Limberger. (Globalgeschichte. Die Welt 1000–2000.) Wien 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. Januar 2010, 26, u. d. T.: Überlappungen. 204. Sébastien Mamerot, Eine Chronik der Kreuzzüge. Die Fahrten nach Outremer. Vollständig übersetzte und kommentierte Ausgabe von Thierry Delcourt / Danielle Quéruel / Fabrice Masanès. Deutsche Übersetzung von Eva Dewes / Hubertus von Gemmingen / Regine Schmidt. 2 Bde. Hong Kong u. a. 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 12. Februar 2010, 38, u. d. T.: Im Heidenkampf. 205. Peter Dinzelbacher, Warum weint der König? Eine Kritik des mediävistischen Panritualismus. Badenweiler 2009, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. Februar 2010, 38, u. d. T.: Der König lässt bitten und vergießt seine Tränen. Auch die Heulforschung möchte bedacht sein. Peter Dinzelbacher zieht der Ritualforschung Grenzen. 206. Stefan Weinfurter, Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500. München 2008, in: Historische Zeitschrift 290, 2010, 176–177.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
299
207. Tiere als Freunde im Mittelalter. Eine Anthologie. Eingeleitet, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Gabriele Kompatscher / Albrecht Classen / Peter Dinzelbacher. Badenweiler 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 26. März 2010, 32, u. d. T.: Fischpredigt. 208. Peter Dinzelbacher, Lebenswelten des Mittelalters, 1000–1500. Badenweiler 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 9. 4. 2010, 30, u. d. T.: Loses Patchwork. 209. Rudolf Schieffer, Papst Gregor VII. Kirchenreform und Investiturstreit. München 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. April 2010, 34, u. d. T.: Schrille Töne. 210. Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte. Hrsg. v. Ingrid Baumgärtner / Hartmut Kugler. (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 10.) Berlin 2008, in: Historische Zeitschrift 290, 2010, 453–455. 211. The Medieval Frontiers of Latin Christendom. Expansion, Contraction, Continuity. Hrsg. v. James Muldoon / Felipe Fernández-Armesto. (The Expansion of Latin Europe, 1000–1500, Bd. 1.) Farnham / Burlington 2008, in: Historische Zeitschrift 290, 2010, 460–461. 212. Internal Colonization in Medieval Europe. Hrsg. v. Felipe Fernández-Armesto / James Muldoon. (The Expansion of Latin Europe, 1000–1500, Bd. 2.), Farnham / Burlington 2008, in: Historische Zeitschrift 290, 2010, 461–462. 213. Marcus Popplow, Technik im Mittelalter. München 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 28. April 2010, 30, u. d. T.: Auf Mühlenrädern in die Moderne. In Europa erfand man gerne noch einmal, was man im Fernen Osten schon kannte: Marcus Popplow bilanziert die Einsichten der Forschung über Technik im Mittelalter. 214. Johannes Laudage, Friedrich Barbarossa (1152–1190). Eine Biografie. Hrsg. v. Lars Hageneier / Matthias Schrör. Regensburg 2009, in: Das Historisch-Politische Buch 57, 2009 [erschienen 2010], 449–451. 215. Netzwerke im europäischen Handel des Mittelalters. Hrsg. v. Gerhard Fouquet / Hans-Georg Gilomen. (Vorträge und Forschungen, Bd. 72.) Ostfildern 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 16. Juli 2010, 32, u. d. T.: Netzwerkgewinne. 216. Mittelalterforschung in Leipzig. Der Mediävist Ernst Werner (1920–1993) und sein Platz in der internationalen Geschichtswissenschaft. Hrsg. v. Klaus-Peter Matschke / Sabine Tanz. (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Reihe B, Bd. 15.) Leipzig 2009, in: Das Historisch-Politische Buch 57, 2009 [erschienen 2010], 575–576. 217. Helmut Birkhan, Magie im Mittelalter. München 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 30. September 2010, 36, u. d. T.: Der Abwehrzauber hat nichts von seinem Reiz verloren. Helmut Birkhans Darstellung der Magie im Mittelalter zeigt auch, wie lebendig deren Denkmuster blieben. 218. Thomas Ertl, Alle Wege führten nach Rom. Italien als Zentrum der mittelalterlichen Welt. Ostfildern 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 25. Oktober 2010, 26, u. d. T.: Restwelten. 219. Thomas Asbridge, Die Kreuzzüge. Stuttgart 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 27. Oktober 2010, 30, u. d. T.: Quecksilberwickel für die Christenritter. Von klaren Fronten und Motiven in einem Kampf des Westens gegen den Orient konnte schon damals keine Rede sein. Thomas Asbridge dröselt Politik und militärische Strategien der Kreuzzüge auf. 220. Aviad Kleinberg, Die sieben Todsünden. Eine vorläufige Liste. Berlin 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 24. Dezember 2010, 34, u. d. T.: Pardon, wenn ich die Bescherung störe, aber haben Sie heute schon an die Hölle gedacht? Es gab eine Zeit, da sprach man von den sieben Todsünden – Sünden, die zur ewigen Verdammnis führten, wenn sie nicht bereut wurden. Hier knüpft Aviad Kleinberg an. 221. Bernd Schneidmüller, Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200–1500. München 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 17. März 2011, 38, u. d. T.: Die anderen Götter
300
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
warten noch. Glänzend erzählt, kühn entworfen und historiographisch vom Feinsten. Bernd Schneidmüller zeigt, dass Europa nie eine Einheitskultur hatte. 222. Matthias Becher, Chlodwig I. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt. München 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. April 2011, 34, u. d. T.: Wie hätte man über diesen Drahtzieher einer Mordserie in Zweifel sein können? Von vielen Franzosen wird er als Vater ihrer Nation gefeiert. Der Frankenkönig Chlodwig erfährt in der Darstellung Matthias Bechers ein paar waghalsige Umdeutungen. 223. Der frühmittelalterliche Staat – Europäische Perspektiven. Hrsg. v. Walter Pohl / Veronika Wieser. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften, Bd. 386 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 16.) Wien 2009, in: Historische Zeitschrift 292, 2011, 475–476. 224. Dieter Breuers, Colonia im Mittelalter. Über das Leben in der Stadt. Köln 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 20. Juni 2011, 28, u. d. T.: Das Mittelalter – packend gefälscht. 225. Stefan Schröder, Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri. (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 11.) Berlin 2009, in: Historische Zeitschrift 292, 2011, 773–775. 226. Heinhard Steiger, Die Ordnung der Welt. Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741 bis 840). Köln / Weimar / Wien 2010, in: Frankfurter Allgemeine v. 7. Juli 2011, 34, u. d. T.: Der Elefant des Kalifen reiste nach Aachen. Doch die Christenheit blieb trotzdem unter sich. Heinhard Steiger will die völkerrechtliche Ordnung Europas bis in die Karolingerzeit zurückverfolgen. 227. Jacques Le Goff, Geld im Mittelalter. Stuttgart 2001, in: Frankfurter Allgemeine v. 10. August 2011, 30, u. d. T.: Als zwischen Gott und Geld noch zu entscheiden war. Schulden hatte die öffentliche Hand schon vor einigen hundert Jahren. Nur war der Kapitalismus nicht schuld daran. Jacques Le Goff bringt seine Erforschung der Rolle des Geldes im Mittelalter mit einer Revision zum Abschluss. 228. Gerd Althoff / Christel Meier, Ironie im Mittelalter. Hermeneutik – Dichtung – Politik. Darmstadt 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. Oktober 2011, 34, u. d. T.: Redefreiheit. 229. Jonathan Philipps, Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge. München 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 26. November 2011, L 22, u. d. T.: Was den Dschihad auslöste. Wie kommt es, dass gerade in Jerusalem Frauen die höchste Macht so lange in Händen behielten? Der englische Historiker Jonathan Philipps hat ein Meisterwerk über die Geschichte der Kreuzzüge und die Nachwirkungen verfasst. Nach Lektüre versteht man die Welt von heute besser. 230. Achim Thomas Hack, Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten. Badenweiler 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 3. Februar 2012, 32, u. d. T.: Kaisers Elefant. 231. Eckhard Müller-Mertens, Existenz zwischen den Fronten. Analytische Memoiren oder Report zur Weltanschauung und geistig-politischen Einstellung. Leipzig 2011, in: Frankfurter Allgemeine v. 8. Februar 2012, 28, u. d. T.: Wie ich ein Mann zwischen den Fronten wurde. Das eingekleidete Gewissen. Der ostdeutsche Mediävist Eckhard MüllerMertens legt Rechenschaft über seinen Abfall vom SED-Glauben und seine Dissidenz ab. 232. Martin Clauss, Kriegsniederlagen im Mittelalter. Darstellung – Deutung – Bewältigung. (Krieg in der Geschichte, Bd. 54.) Paderborn / München / Wien 2010, in: Historische Zeitschrift 294, 2012, 762–763. 233. Johannes Fried, Canossa. Entlarvung einer Legende. Eine Streitschrift. Berlin 2012, in: Frankfurter Allgemeine v. 21. Juni 2012, 34, u. d. T.: Ein Bußgang? Aber nein, ein Friedensfest! Chronisten und Boten muss man zu lesen wissen. Johannes Fried vertieft
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
301
sich in Quellen, um seine Deutung der Geschehnisse auf der Burg Canossa im Jahr 1077 zu verteidigen. 234. Andreas Bihrer, Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850–1100). Kontakte – Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen. (MittelalterForschungen, Bd. 39.) Ostfildern 2012, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 60, 2012, 762–763. 235. Christliches und jüdisches Europa im Mittelalter. Kolloquium zu Ehren von Alfred Haverkamp. Hrsg. v. Lukas Clemens / Sigrid Hirbodian. Trier 2011, in: Historische Zeitschrift 296, 2013, 755–756. 236. Rodney Stark, Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in neuem Licht. Berlin 2013, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. August 2013, 32, u. d. T.: Rächer vor Jerusalem. 237. Anne A. Latowsky, Emperor of the World. Charlemagne and the Construction of Imperial Authority, 800–1229. Ithaca / London 2013, in: Frankfurter Allgemeine v. 2. September 2013, S. 28, u. d. T.: Weltbeherrscher. 238. Volker Leppin, Geschichte des mittelalterlichen Christentums. (Neue Theologische Grundrisse.) Tübingen 2012, in: Theologische Literaturzeitung 138.11, 2013, 1243–1246. 239. Hansmartin Schwarzmaier, Klöster, Stifter, Dynastien. Studien zur Sozialgeschichte des Adels im Hochmittelalter. Hrsg. zum 80. Geburtstag von Hansmartin Schwarzmaier im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg von Konrad Krimm / Peter Rückert. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B, Bd. 190.), Stuttgart 2012, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161 N. F. 122, 2013, 594–596. 240. Olaf Asbach, Europa – Vom Mythos zur Imagined Community? Zur historischen Semantik ‚Europas‘ von der Antike bis ins 17. Jahrhundert. (Europa und Moderne, Bd. 1.) München 2011, in: Historische Zeitschrift 297, 2013, 738–740. 241. Karl Brunner, Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters. München 2012, in: Das HistorischPolitische Buch 61.6, 2013, 610. 242. Johannes Fried, Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie. München 2013, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 62, 2014, 264–266. 243. Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700–1200. (C. H. Beck Geschichte Europas.) München 2013, in: Historische Zeitschrift (im Druck).
6 Interviews (gedruckte) 1. 2. 3. 4. 5.
Eine pseudoreligiöse Gemeinde. Michael Borgolte sieht Illigs Anhänger in der Nähe einer Sekte, in: Der Tagesspiegel vom 29.6.1999. Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen. Der Historiker Michael Borgolte zieht eine Bilanz der Kreuzzüge, in: Der Tagesspiegel vom 7.3.2000, 32. Historischen Ballast abwerfen. Mea Culpa des Papstes – der Historiker Michael Borgolte im RUNDSCHAU-Gespräch, in: Lausitzer Rundschau v. 22.4.2000, 3. Ingo Bach, Der Mann, der Europa erfunden hat. Vor 1200 Jahren: Der Papst krönt Karl den Großen zum Kaiser, in: Der Tagesspiegel vom 22.12.2000, 28. Kulturelle Vielfalt um des Reichtums unserer Welterfahrung willen. Der Orient und Europa im Mittelalter, in: die waage. Zeitschrift der Grünenthal GmbH, Aachen, Bd. 40/2, 2001, 60-63.
302 6. 7.
Schriftenverzeichnis von Michael Borgolte
[Über Stiftungen im Mittelalter], in: Stiftungsagentur news 31.10.02, internet. Historiker rät Europäern zur Gelassenheit gegenüber der Türkei, in: Katholische Nachrichtenagentur 111 v. 13.6.2006, 4. 8. Europa war niemals einheitlich christlich geprägt, in: Katholische Nachrichtenagentur v. 7.3.2007. 9. Der Islam gehörte immer zu Europa. Die gegenwärtige Einwanderung von Muslimen stellt den historischen Normalfall wieder her: Seit der Spätantike gab es in Europa religiöse Pluralität, in: taz v. 14.4.2008, 15. 10. Die Gesetze der Trägheit. Gehört der Islam zu Europa? Wie begegnen Kulturen einander? Fragen an Michael Borgolte, in: Frankfurter Rundschau v. 29.3.2011, 36-37, ebenso: Berliner Zeitung v. 31.3.2011, 29 (Arno Widmann). 11. Heute steht das altruistische Motiv im Vordergrund. Michael Borgolte erforscht die Stiftungskultur in der Vormoderne und erhält dafür den ERC Advanced Grant 2011, in: Berliner Zeitung v. 29.12.2011, 22 (Jan Steeger). 12. Wenn jeder mit jedem vernetzt ist. Michael Borgolte, einer der bekanntesten Mediävisten Deutschlands, ist begeisterter Globalhistoriker. Dennoch prognostiziert er dieser Forschungsrichtung kein langes Leben. Sie scheint ihm das Produkt eines angenehm nüchternen Augenblicks zu sein, in: Berliner Zeitung v. 10./11.11.2012, 11 (Arno Widmann).
Verzeichnis der von Michael Borgolte betreuten Habilitationsschriften und Dissertationen 1 Habilitationsschriften 1.1 Humboldt-Universität zu Berlin Frank Rexroth, Das Milieu der Nacht. Obrigkeit und Randgruppen im spätmittelalterlichen London. 1997; im Druck: Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 153. Göttingen 1999; engl: Deviance and Power in Late Medieval London. Cambridge 2007. Wolfgang Huschner, Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomatische, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen Reich (9.–11. Jahrhundert). 2000; im Druck: Monumenta Germaniae Historica, Bd. 52.1–3. Hannover 2003. Jan Rüdiger, Aristokratische Polygynie im Hochmittelalter im europäischen Vergleich. 2006. Benjamin Scheller, Die Stadt der Neuchristen. Konvertierte Juden und ihre Nachkommen in der apulischen Hafenstadt Trani im Spätmittelalter zwischen Inklusion und Exklusion. 2009; im Druck: Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur europäischen Komparatistik, Bd. 22. Berlin 2013.
2 Dissertationen 2.1 Universität Freiburg Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat. 1988; im Druck: Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 34. Köln / Weimar / Wien 1992. Susanne Schäfer, Die Tradition der mittelalterlichen Bischofssepulturen in Canterbury und York. 1993; im Druck: Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Bd. 716. Frankfurt am Main u. a. 1996. Stefan Schipperges, Bonifatius ac socii eius. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung des Winfrid-Bonifatius und seines Umfeldes. 1993; im Druck: Quellen und Abhandlungen ur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 79. Mainz 1996.
304
Von Michael Borgolte betreute Habilitationsschriften und Dissertationen
Doris Hellmuth, Frau und Besitz. Zum Handlungsspielraum von Frauen in Alemannien (700–940). 1995; im Druck: Vorträge und Forschungen. Sonderbände, Bd. 42. Sigmaringen 1998.
2.2 Humboldt-Universität zu Berlin Dirk Alvermann, Königsherrschaft und Reichsintegration. Eine Untersuchung zur politischen Struktur von regna und imperium zur Zeit Kaiser Ottos II. (967) 973–983. 1995; im Druck: Berliner Historische Studien, Bd. 28. Berlin 1998. Ralf Lusiardi, Stiftung und städtische Gesellschaft. Religiöse und soziale Aspekte des Stiftungsverhaltens im spätmittelalterlichen Stralsund. 1998; im Druck: StiftungsGeschichten, Bd. 2. Berlin 2000. Wolfgang Eric Wagner, Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg. Eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. 1998; im Druck: Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 2. Berlin 1999. Benjamin Scheller, Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505–1555). 2002; im Druck: StiftungsGeschichten, Bd. 3. Berlin 2004. Uwe Braumann, Die Jahrzeitbücher (tabulae) des Konstanzer Domkapitels (1253 / 55 – um 1523 [?]), Teil 1: Kommentar, Teil 2: Editionen, Teil 3: Personenkommentare, Teil 4: Anhang – Quellen – Literatur. 2004; im Druck: U. B. (Hrsg.), Die Jahrzeitbücher des Konstanzer Domkapitels. 2 Teile. (MGH. Libri Memoriales et Necrologia. Nova Series, Bd. 7.1–2.) Hannover 2009. Kordula Wolf, Troja – Metamorphosen eines Mythos. Französische, englische und italienische Überlieferungen des 12. Jahrhunderts im Vergleich. 2006; im Druck: Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur europäischen Komparatistik, Bd. 13. Berlin 2009. Aline Dias da Silveira, Die Maurenbilder im Werk Alfons’ X. von Kastilien. Pragmatische Haltung, Toleranz und Kulturaustausch im mittelalterlichen Spanien. 2008 (online: http://edoc. hu-berlin.de/dissertationen/dias-da-silveira-aline-2008-11-20/PDF/dias-da-silveira.pdf). Michael Brauer, Die Entdeckung des ‚Heidentums‘ in Preußen. Die Prußen in den Reformdiskursen des Spätmittelalters und der Reformation. 2008; im Druck: Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur europäischen Komparatistik, Bd. 17. Berlin 2011. Claudia Moddelmog, Königliche Stiftungen des Mittelalters im historischen Wandel. Quedlinburg und Speyer, Königsfelden, Wiener Neustadt und Andernach. 2009; im Druck: StiftungsGeschichten, Bd. 8. Berlin 2012. Tillmann Lohse, Die Dauer der Stiftung. Eine diachronisch vergleichende Geschichte des weltlichen Kollegiatstifts St. Simon und Judas in Goslar. 2009; im Druck: StiftungsGeschichten, Bd. 7. Berlin 2011. Juliane Schiel, Mongolensturm und Fall Konstantinopels. Dominikanische Erzählungen im diachronen Vergleich. 2010; im Druck: Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur europäischen Komparatistik, Bd. 19. Berlin 2011. Joseph Pedro Lemberg, Der Mediävist ohne Eigenschaften. Friedrich Baethgens Werk und Karriere im 20. Jahrhundert. 2013.
Abbildungen
Abb. 1 Zwanzig Völkerwanderungen in zwei Jahrtausenden: Die Kartierung der ‚Migrationes Gentium‘ durch Johann Georg Hagelgans (1718).
Abb. 2 Eine geniale Gedächtnisstütze wird erfunden: Die Völkerwanderungskarte des Emmanuel Comte de Las Cases (1801).
Abb. 3 Statische Momentaufnahmen: Die kartographische Bewältigung der Völkerwanderung bei Jakob Carl Andrä (1860).
Abb. 4 Die Völkerwanderungskarte macht Schule: Eduard Rothert popularisiert Las Cases (1896).
Abb. 5 Reduktion und Kanonisierung: Die Völkerwanderungskarte in deutschen Schulbüchern der 1910/20er Jahre.
Abb. 6 Komplexitätssteigerung als Qualitätsmerkmal: Die Völkerwanderungskarten in den Atlanten der Verlage Westermann (1922) und Teubner (ca. 1930).
Abb. 7 Innovation und Regression: Die Völkerwanderungskarte der ‚Reise in die Vergangenheit‘ (1970 und 1996).
Abb. 8 Didaktische Reduktion: Die Völkerwanderungskarte in einem britischen Schulbuch (1971).
Abb. 9 Erstbelege der Völkerwanderungskarte in historischen Atlanten: Ein europäischer Vergleich.
Abb. 10 Die historischen Akteure als Miniaturen im Kartenbild.
Abb. 11 Raumgewinn oder Raumverlust? Geopolitische Umdeutungen der Völkerwanderungskarte durch Braun / Hillen Ziegfeld (oben) und Folkers (unten).
Abb. 12 Erwandern oder erobern? Geopolitische Umdeutungen der Völkerwanderungskarte durch Ganzer (oben) und Nickel (unten).
Abb. 13 Vom Quellenbegriff zum Kriegsziel? Das „Sachsengestade“ bei Baratta / Fraccaro (oben) und Kumsteller (unten).
Abb. 14 Revolution statt Invasion? Die marxistische Umdeutung der Völkerwanderungskarte durch Kosminskij / Levandovskij (1951).
Abb. 15 So und nicht anders: Die „Musterschüler“ aus Ost-Berlin perfektionieren die marxistische Völkerwanderungskarte binnen zwanzig Jahren (1953 und 1973).
Abb. 16 Marxismus light: Eine österreichische Völkerwanderungskarte von 1982.
Abb. 17 Immigration, Permigration und Emigration in nationalgeschichtlich perspektivierten Völkerwanderungskarten.
Abb. 18 Eine Völkerwanderung ohne Rom? Die sowjetische Völkerwanderungskarte von 1949.
Abb. 19 Jenseits des Eurozentrismus: Globalhistorisch perspektivierte Völkerwanderungskarten (1822 und 1978).
Abb. 20 Die Völkerwanderungskarte als humoristisches Sujet: ‚Die Feuerzangenbowle‘ (1944) und ‚Asterix bei den Goten‘ (1963).
Abb. 21 Nationalsozialistische Geopolitik zwischen Geschichte und Gegenwart: Die Völkerwanderung in einer Wandkarte für den Schulunterricht von 1941 (?).
Abb. 22 Verschmelzung im Wappen: Sir Henry Yule und Marco Polo.
Abb. 23 Phantastische Wissensproduktion: Marco Polos Galeere in der Seeschlacht bei Curzola.
Abb. 24 Den Typus zeichnen: ein Hazara und ein Pamirwidder.
Abb. 25 Imperator triumphans (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120 II, fol. 147r).
Abb. 26 Regina lactans (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120 II, fol. 96r, Detail).
Abb. 27 Schlechter Tod (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120 II, fol. 97r).
Abb. 28 Babylonische Vielfalt (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120 II, fol. 101r).
Abb. 29 Endzeitlicher Friede (Bern, Burgerbibliothek, Ms. 120 II, fol. 141r).
Abb. 30 Biblische Genealogie in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Venedig, Marciana, Lat. Z 399 [= 1610], fol. 2v–3r).
Abb. 31 Geschichte auf einen Blick in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Venedig, Marciana, Lat. Z 399 [= 1610], fol. 83v–84r).
Abb. 32 Rom in Schrift und Bild in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Venedig, Marciana, Lat. Z 399 [= 1610], fol. 97v–98r).
Abb. 33 Forum und Campus lateranensis in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Venedig, Marciana, Lat. Z 399 [= 1610], fol. 98r, Ausschnitte).
Abb. 34 Geschichte im Überblick in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Paris, BN, lat. 4939, fol. 3v–4r).
Abb. 35 Rom im 8. Jahrhundert v. Chr. in der Universalgeschichte des Paolino Minorita (Paris, BN, lat. 4939, fol. 26v–27r).
Quellennachweise der Abbildungen Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7
Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11
Abb. 12
Abb. 13
Abb. 14 Abb. 15
Johann Georg Hagelgans, Atlas historicus (…). Franckfurt am Main 1718, fol. 23r. A. Le Sage [= Emmanuel comte de Las Cases], Genealogical, chronological, historical, and geographical atlas (…). London 1801, Nr. 16. Jakob Carl Andrä, Grundriß der Weltgeschichte für höhere Bürgerschulen und mittlere Gymnasialklassen. Kreuznach 21860, K. 4 u. 5. Eduard Rothert, Karten und Skizzen aus der Geschichte des Mittelalters. Zur raschen und sichern Einprägung. (Historisches Kartenwerk, Bd. 2.) Düsseldorf 1896, K. 3. Oben: Emil von Borries (Hrsg.), Römische Kaiserzeit. Deutsche und europäische Geschichte bis 1789. (Pfeifers Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten. Sonderausgabe für Südwestdeutschland, T. 2.) Breslau 1910, 29. Unten: Ludwig Schirmeyer, Das Mittelalter. Von der germanischen Frühzeit bis zur Reformation. (Maier-Schirmeyer. Lehrbuch der Geschichte für höhere Schulen. Mittelstufe, Bd. 2.) Frankfurt am Main 21926, 19. Oben: Adolf Liebers, Westermanns Weltatlas. 9. Aufl. Braunschweig / Hamburg 1922, K. 7. Unten: Ernst Böttcher, Teubners Geschichtsatlas. Leipzig / Berlin [ca. 1930], 8. Links: Hans Ebeling / Wolfgang Birkenfeld, Von der Vorgeschichte bis zum Ende des Mittelalters. (Die Reise in die Vergangenheit. Ein geschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1.) Braunschweig 1970, 127. Rechts: Hans Ebeling / Wolfgang Birkenfeld, Europa entsteht. (Die Reise in die Vergangenheit. Ein geschichtliches Arbeitsbuch. Ausgabe für Sachsen, Bd. 2.) Braunschweig 1996, 108. Susan M. Ault / Bernhard A. Workman, Invading Britain. (Time Remembered, Bd. 2.) London / Beccles / Colchester 41971, 35. Karte: T. Lohse Margaret M. Elliot / James MacIntyre, Europe in World History. The Building of Nations. London 1965. Oben: Franz Braun / Arnold Hillen Ziegfeld, Geopolitischer Geschichtsatlas, Bd. 2. Dresden 1929, K. 5. Unten: Johann Ulrich Folkers, 24 Karten zur Rassen- und Raumgeschichte des deutschen Volkes. Langensalza / Berlin / Leipzig 1937, K. 4. Oben: Karl Richard Ganzer, Das Werden des Reiches. Zwanzig farbige Karten zur Geschichte der Reichsgestalt. München / Berlin 1939, 9. Unten: Ernst Nickel, Arier und Germanen. (Volk und Führer. Deutsche Geschichte für die Schule. Ausgabe für die Mittelschulen, Klasse 2.) Frankfurt am Main 1940, 119. Oben: Mario Baratta / Plinio Fraccaro, Atlante storico, Bd. 1: Evo antico. Novara 1923–1928. Unten: Bernhard Kumsteller, Werden und Wachsen. Ein Geschichtsatlas auf völkischer Grundlage. Braunschweig 1938, 12. Evgenij Alekseevič Kosminskij / Anatolij P. Levandovskij, Atlas istorii srednich vekov. Moskva 1951, K. 2. Oben: Gerhard Ziegler / Walter Heidenreuter, Karten für den Geschichtsunterricht. Behelfsausgabe 1953. Berlin 1953, 15. Unten: Lothar Berthold, Atlas zur Geschichte, Bd. 1. Gotha / Leipzig 1973, 18.
348
Quellennachweise der Abbildungen
Abb. 16
Wilhelm Schier / Herbert Hasenmayer / Hans Krawarik et al., Atlas zur allgemeinen und österreichischen Geschichte. Wien 1982, 22 (oben). Oben: Jesús Mestre i Campi / Víctor Hurtado, Atles d’història de Catalunya. (Història de Catalunya, Bd. 11.) Barcelona 42002, 52. Unten: Władysław Czapliński / Tadeusz Ładogórski, Atlas historyczny Polski. Warszawa 1967, 2, K. 3. Konstantin V. Bazilevič / I. A. Golubčova / M. A. Zinov‘eva, Atlas istorii SSSR, Bd. 1. Dlja srednej školy. Moskva 1949, 4, K. 4. Oben: Friedrich Wilhelm Benicken, Historischer Schulatlas oder Uebersicht der allgemeinen Weltgeschichte. Weimar 1820, K. 4. Unten: Geoffrey Barraclough, The Times atlas of world history. London 1978, 98 f. Oben: Heinrich Spoerl (Drehbuch) / Helmut Weiss (Regie), Die Feuerzangenbowle. Deutschland 1944. Unten: René Goscinny / Albert Uderzo, Astérix et les Goths. Neuilly-sur-Seine 1963, 45. Wandkarte „Aufbruch der Germanen“, aus: Hermann Haack / Heinrich Hertzberg, Großer historischer Wandatlas. Karten zur Staatengeschichte von Deutschland. Gotha [1941]. The book of Ser Marco Polo, the Venetian, concerning the kingdoms and marvels of the East, Bd. 1. Ed. und übers. v. Henry Yule. London 31903, Frontispiez. The book of Ser Marco Polo, the Venetian, concerning the kingdoms and marvels of the East, Bd. 1. Ed. und übers. v. Henry Yule. London 21875, 47. Oben: The book of Ser Marco Polo, the Venetian, concerning the kingdoms and marvels of the East, Bd. 1. Ed. und übers. v. Henry Yule. London 21875, 186. Unten: Ebd., 104. Burgerbibliothek (Bern), Codex 120 II, fol. 147r. Burgerbibliothek (Bern), Codex 120 II, fol. 96r (Detail). Burgerbibliothek (Bern), Codex 120 II, fol. 97r. Burgerbibliothek (Bern), Codex 120 II, fol. 101r. Burgerbibliothek (Bern), Codex 120 II, fol. 141r. Biblioteca Marciana (Venedig), Zan. lat. 399, fol. 1v u. 2r. Biblioteca Marciana (Venedig), Zan. lat. 399, fol. 83v u. 84r. Biblioteca Marciana (Venedig), Zan. lat. 399, fol. 97v u. 98r. Biblioteca Marciana (Venedig), Zan. lat. 399, fol. 98r (Ausschnitte). Bibliothèque Nationale (Paris), lat. 4939, fol. 3v u. 4r. Bibliothèque Nationale (Paris), lat. 4939, fol. 26v u. 27r.
Abb. 17
Abb. 18 Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24
Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35
Register Aachen 246, 248 f., 253 Aaron, Perserkönig 257 Abaqa (Ilkhan) 231 Abd-al-Aziz 159 Abd Allah 246 ʿAbdurrahmān 255 Abū Zakariyā Yaḥyā I. 151 Accadius II. von Lecce 182 Adae, Guillelmus 8, 211–219, 223–227, 229–231, 239 Adalgis / Adelchis 252, 255 Adam 30 f., 199 Aden 218, 220 f., 227 Adria 263 Adrianopel 50 Aethelbert von Kent 255 Afrika 13, 15, 23 f., 31 f., 51, 55, 85, 101 f., 105, 118, 142, 146 f., 151 f., 218 f., 221, 227 f., 234, 236, 241, 245, 257, 260, 263 f. Ägäis 263 Agde 249 Agilulf 255 Agrigent 147 Ägypten 18, 22 f., 45, 116, 203, 212–214, 217–220, 257, 260, 263 Aio (Langobarde) 252 Akkon 26 f., 189, 200, 211 Alanus ab Insulis 170 Alarich 39 Albanien 46–48, 52 f. Albertini, Francesco 206 Albertus Magnus 183 Alboin 255 Alexander IV. 200, 231 Alexander von Roes 26 Alexandria 24, 129, 137 f., 213, 215, 218–220, 257, 260 Alfons VI. von León und Kastilien 175 Alfons X. von Kastilien 234 Alkuin 245, 247, 253, 259 Amarapura (Myanmar) 92 Amerika 95, 121 Ampurias (Empúries) 249
Anatolien 117 Ancona 129 al-Andalus 246–249, 262 Andamanen 96–98 Andorra 45 Andrä, Jakob Carl 38 f. Andronikos 168 Anna, Mutter des Grisandus 174 Annius von Viterbo 30 Antiochia 24, 189 Antivari 211 Apuleius 174 Apulien 8, 141, 147, 149–152, 158, 160 Aquitanien 243 f., 246, 249, 253, 255 Arabien 101, 218 f., 227, 231, 237 Aragon 158, 161, 200 Argon 220 Arichis (Langobarde) 252 Aristoteles 183 Armenien 18, 45, 235 Aserbaidschan 46 Asien 13, 15, 17, 23 f., 27, 31, 55, 59, 85, 89, 221, 230, 241, 245, 256 Asturien 248 Äthiopien 211 f. Atlantik 221, 241 Attila 39 Audofleda, Ehefrau Theoderichs des Großen 255 Augsburg 29 Augustus 18, 164, 243 Australien 121 Authari 255 Ava (Königreich) 83 Avignon 127, 198, 209, 211, 219 Bab-el-Mandeb 211, 219 Badoer, Giacomo 7, 126–139 Badoer, Jeronimo 126, 131 f., 134 Bagdad 217, 220, 224, 246, 257, 261 Balanzan, Marcho 130, 136 Balduin II. 200 Balkan 131 Baltikum 262
350
Register
Banba 22 Baratta, Mario 52 Barbaro, Marco 90 Barbo, Marin 136 Barbo, Piero de Zezilia 137 Barcelona 245 f., 249 Barletta 141, 150, 155 f., 160 f. Basel 258–260 Basilicata 160 Ibn Baṭṭūṭa 84, 97, 236 Bayern 244 Beatus von Liébana 222 Bebel, Heinrich 29 Beda Venerabilis 53 f. Behaim, Martin 222 Beirut 129 Bejaja 228 Belgien 47 f. Bell, Mark S. 85 Di Belveder, Piero 136 Benevent 148, 155, 252 f. Bengalen 80–82, 85, 87 f. Benicken, Friedrich Wilhelm 55 Berlin 1, 6, 11, 21, 53, 84 Bernard, Sohn Pippins von Italien 254 Bernardo (Cousin von Capello, Carlo) 135 Berosus, Pseudo- 30 Berta, Ehefrau König Aethelberts von Kent 255 Bertha, Tochter Karls des Großen 254, 256 Béziers 249 Biondo, Flavio 209 Birkenfeld, Wolfgang 44 Blyth, Edward 93 Boethius 167 Bombay (Mumbai) 82, 85, 220 Bonello, Matthäus 184 Bonifaz VIII. 231 Borries, Emil von 41 Bosnien-Herzegowina 46 Böttcher, Ernst 42 Bourdieu, Pierre 110 Braudel, Fernand 101 Braun, Franz 42, 50 Bridgman, Elijah C. 95 Britannien 19, 247 Britische Inseln 222
Buchardus de Monte Sion 203 Bulgarien 47 f., 52, 54 Burchard von Ursberg 21 Burgund 105 Burma (Myanmar) 82 Bush Jr., George W. 211 Caffa 136, 138 Calzi, Nofrio da 136 f. Campano Giannantonio 28 Candia 136–138 Canning, Charles Lord 85 f. Canning, Charlotte Lady 86 Capello, Carlo 134 f. Capello, Marin 135 Capitanata 149, 152, 159 Capua 257 Carcassonne 249 Catania 157 Cava de’ Tirreni 148 Cenni, Quinto 93 Cerda, Luis de la 234 Cesena 198, 209 Ceylon (Sri Lanka) 220 Chà da Pexaro, Domenego da 130 Chaldäa 94 Chale, Andrea da 136 Cham 14 Chartres 27 China 79, 84, 94, 97 f., 116, 216, 224, 231–233, 235–239, 261 Chios 212, 218 Chlodwig I. 243, 255 Chrodechilde 255 Chrodegang von Metz 251 Celtis, Conrad 28 f. Clemens IV. 152 Clemens V. 211, 215 Clemens VI. 234 Coelestin V. 198 Colombo 220, 231 Cordier, Henry 84, 91, 98 Corner, Francesco 133 f., 136 Crawfurd, John 81, 83 Critopulo, Chostantin 134 f. ČSSR 45, 53 Curzola (Korčula, Kroatien) 93
Register
Dagobert I. 248 Damaskus 108, 246 Dänemark 47, 167 Dante Alighieri 90 Danzig 57 Darwin, Charles 87 David (Dominikaner) 231 David (König) 259 Davis, Natalie Zemon 124 f. DDR 44, 52 Delhi 108 Desiderius 252, 255 Deutschland 19, 29, 33, 36–38, 41, 43, 45 f., 55, 59, 61, 124, 248 Diamond, Jared 236 Dolfin, Nicolò 131 Drapieri, Francesco di 134 f. Drogo, Sohn Karls des Großen 253 Droysen, Gustav 143 Dusch, Alexander von 40 Eardulf von Northumbrien 256 Ebstorf 15, 32 Edward I. von England 231 Egidi, Pietro 156 f. Einhard 249, 257, 260 Eirene von Athen 256 f. Elipand von Toledo 247 Elvira, Gemahlin Rogers II. 175 England 19, 228, 250–252 Ephesus 218 Erfurt 231 Ériu 22 f. Essen 57 Estland 47 Eusebius von Caesarea 35, 199 Eva 31, 199 Falcandus, Hugo 168, 184 Falier, Aluvixe 130 Farges, Raymond Guillaume de 8, 211 Felix von Urgell 247 Fénius Farsaid 22 Fergusson, James 84, 92 Ferrara 189 Fibonacci, Leonardo 228
351
Fidentius von Padua 27, 224 Filomati, Marco 136 f. Finnland 47 f. Florenz 108, 129, 159, 198, 229, 231–233 Foggia 153 Folkers, Johann Ulrich 51 Fotla 22 Foucault, Michel 122 Fraccaro, Plinio 52 Francia / Frankenreich 18 f., 243 f., 248–251, 253 f., 256, 258 f., 262 Frankfurt am Main 35 Frankreich 19, 31, 46, 48, 50, 55, 124, 167, 200 Frere, Sir Bartle 85 Friedrich I. Barbarossa 168, 172 Friedrich II. (Staufer) 141, 146–152, 154, 168 f., 228 Fugger „der Reiche“, Jakob 222 Fulcher von Chartres 27 Fulda 254 Fustat (Alt-Kairo) 216 Gaius Iulius Caesar 29 Galicien 248 Gallien 18, 44, 57, 243 Galswinth 255 Galton, Sir Francis 87 f. Ganzer, Karl Richard 51 Garipoli 136, 138 Garnier, Francis 87 Geertz, Clifford 216 Gent 14 Genua 129, 151, 212, 215 f., 221, 228 f., 231–233 Georgien 46 Gerberga, Ehefrau Karlmanns I. 252, 254 Germanien 18, 28, 39 Gerona 249 Gerswind 254 Gervasius von Tillbury 203 f. Gibraltar 24 Ginzburg, Carlo 124 Gisela, Schwester Karls des Großen 255 Godescalc 186 Goebbels, Joseph 50 Golf von Aden 211, 219
352
Register
Goscinny, René 58 Gosfridus de Fogia 180 Grand Turk (Insel) 104 Grant, Colesworthy 83 Graubünden 262 Gregor X. 200 Griechenland 24, 46 f., 263 Grimani, Moixè 137 Grisandus 174 Großbritannien 46–48, 53 f. Guizhou 95 Hadrian I. 247 Hagelgans, Johann Georg 34–36 Hakam, al- 246 Hartnid, Enkel Karls des Großen 254 Harūn ar-Rašid 257 f., 260 f. Hawaii 144 Heidelberg 6 Heiliges Land 16 f., 26 f., 189, 203, 211 f., 217, 227, 230, 258–260 Heinrich VI. (Staufer) 163, 166–174, 176, 181, 187 Heinrich von Kalden 166 Hildegard, Ehefrau Karls des Großen 253, 255 Hildegard von Bingen 31 Himiltrud, Ehefrau Karls des Großen 253 f. Himmler, Heinrich 51 Hodgson, Marshall 102 Honorius Augustodunensis 14 Hormuz 220 Hugo, Sohn Karls des Großen 253 Hülägü 231 Humboldt, Alexander von 235 Hunold von Aquitanien 252 Iberische Halbinsel 54, 131 Ibn Dschubair 176 f. Ibn Said 98 Ibrahim (muslimischer Fürst) 261 Ifrīqiya 263 Ikarus 168 Indien 7, 15 f., 31, 80–82, 85 f., 92, 94 f., 98, 211 f., 216, 218, 220 f., 224, 227, 231, 233–236, 245, 257, 261 Indischer Ozean 213, 218–221, 235, 241
Indonesien 231 Ionisches Meer 263 Irak 116, 245 Iran 114 Irland 22 f., 46, 251 f. Isaak (Jude) 260 f. Isidor von Sevilla 14 Island 46 f. Israel 18 Istanbul 101, 105, 108 Italien 8, 29, 46 f., 54 f., 81, 124, 127, 129, 131, 136, 141 f., 146–152, 154, 159, 161–163, 167, 189, 191, 209, 228, 235, 243 f., 249 f., 252–255, 257, 260, 262 f. Jakob I. von Aragon 200 Jakob von Vitry 203 Jamaika 95 Japan 108, 121 Japhet 14, 22, 29 f. Java 97 Jena 1 Jerusalem 8, 13, 16 f., 24, 26 f., 189, 209, 212, 217, 219, 221, 224, 227, 257–260, 264 Jesus Christus 17, 24, 41, 181, 211, 232, 247, 257–259, 264 Jiménez de Rada, Rodrigo 165, 175 Johannes 246 Johannes, Priesterkönig 17 Johannes XXII. 198, 211 Johannes de Plano Carpini 230, 234, 239 Jordanus Catalanus de Sévérac 80, 84, 94, 233 f. Johannes Pippin von Barletta 141, 155, 160 Joseph, Sohn Jakobs 174 Jugoslawien 45, 47, 53, 55 Julius Africanus 190 Justingnan, Marin 137 Jütland 51 Kairo 104 f., 108, 261 Kalabrien 160 f. Kambodscha 87 Kanarische Inseln 234 Kanpur (Indien) 86 Karakorum 230
Register Karl der Große 8, 232, 241–265 Karl der Jüngere 253, 256 Karl I. Anjou 146, 148 f., 152–154 Karl II. Anjou 141, 152 f., 155–158 Karlmann I. 252–255 Karl Martell 245 Karthago 60, 257, 260 Kaspisches Meer 262 Kastilien 234 Katalonien 211 Kaukasus 55, 116, 130, 139 Kent 255 Kipling, Rudyard 85 Klagges, Dietrich 51 Kleinasien 24, 101, 218, 263 Koler, Johann 15 Kolumbus, Christoph 235 Konrad von Querfurt (Kanzler) 166 Konradin (Konrad II., Staufer) 152 Konstantin I. (der Große) 196 Konstantin V. 255 Konstantin VI. 256 Konstantin Porphyrogennetos (Konstantin VII.) 94 Konstantinopel 8, 16 f., 21, 23 f., 54, 116, 126–129, 131 f., 134–139, 171, 213, 218, 224, 231, 235, 252, 255, 261–264 Konstantinus Africanus 182 Konstanze von Sizilien 171 f., 179, 182 Kosminskij, Evgenij Alekseevič 52 Kracauer, Siegfried 125, 128 Krautheimer, Richard 193 Kroatien 47 Kublai Khan 91, 94 Kumsteller, Bernhard 51 f. Lambert von St-Omer 13 Longobardus 249 Las Cases, Emmanuel Auguste Dieudonné comte de 34, 36, 40, 42, 45 f., 48, 60 f. Le Roy Ladurie, Emmanuel 124 Lecce 179 Leinster 22 Lena (Sklavin) 131 Leo III. 250, 259 Leo IV. von Byzanz 255 Leone (muslimischer Ritter) 154
353
Levandovskij, Anatolij 52 Levitt, Theodore 226 Lewis, Bernard 109 Lhasa 85 Liebers, Adolf 42 Liechtenstein 45 Lindisfarne 256 Lioba, Äbtissin von Tauberbischofsheim 255 Lissabon 248, 252 Litauen 131 London 81, 198 Lucan 29 Lucera 8, 141 f., 145–162 Lucius Tarquinius Priscus 205 Ludwig I. („der Fromme“) 246, 250, 253, 255 Ludwig IX. von Frankreich („der Heilige“) 200, 231 Luxemburg 45 Macrobius 221 Madras (Chennai) 82 Maghreb 116, 147, 261, 263 Mailand 129 Mainz 252 Maio 184 f. Makedonien 18 Makkarī, al- 255 Malabar 220, 235 Malediven 220 Mallorca 129–131, 136–138 Malta 45 Man, Henry Stuart, Colonel 97 Manfred von Sizilien 149 Mannus, Sohn Tuistos 30 Maphoon 83 Mar, Zuan da 134 Marc Aurel 196 Maria (Jungfrau) 185 Maria (Sklavin) 130 Markward von Annweiler 166 Marseille 263 Martin von Troppau 199 Matthäus von Salerno 168, 170, 173, 177, 179 f. Mauretanien 45 Mauss, Marcel 139 Mazedonien 47
354
Register
Mecklenburg-Vorpommern 105 Medina 107 Meisterlin , Sigmund 28 f. Mekka 107, 177 Mercien 250, 256 Mesopotamien 18 Messina 136–138 Methodius, Pseudo- 181 Michael Scotus 183 Michiel, Piero 136 Modon (Messenien) 138 Mohammed 24, 107, 117, 215, 263 Moldawien 47, 54 Moltke, Helmuth von 98 Monaco 45 Mongolei 131, 229–231, 236 Monreale 147 Montenegro 47, 211 Montevergine 148 Montgomerie, Thomas G., Major 85 Moskau 21, 52, 131 Mozenigo, Zuan 130 Müller, Max 95 Münster, Sebastian 15 Murchison, Sir Roderick 89 Myanmar 82–84, 92 Naisbitt, John 226 Narbonne 246, 249 Neapel 129, 156, 158 f., 161, 198, 209 Nero 197 Nickel, Ernst 51 Nicobaren (Inseln) 98 Nicolò Pixano 134 Niederlande 47, 48, 55 Nithard, Enkel Karls des Große 254 Noah 14, 22, 29, 30, 199 Nora, Pierre 38 Norwegen 47, 54 Numa Pompilius 205 Odorico da Pordenone 84 Offa von Mercien 250, 256 Orient 15, 27, 90 f., 99, 219, 233, 257 Orta (Orta Nova) 150 Ortelius, Abraham 204
Osmanisches Reich 101 f., 109, 110, 112–117, 129 Ost-Berlin 120 Osterhammel, Jürgen 123 Österreich 46–48, 54, 58 Ostsee 228 Otgar, Markgraf 252 Otto von Freising 26 Ovid 186 Pakistan (Sind) 85, 261 Palästina 17, 26, 263 Palermo 81, 86, 169, 174, 176, 179, 186 Pamir 89 Pantelleria 146, 154, 260 Paolino Minorita 8, 189, 191–193, 198, 200–210 Pareto, Vilfredo 3 f. Paris 84, 86, 231 Paulus Diaconus 256 Pauthier, Guillaume 91 Pegolotti, Francesco 233 Peking (Kambaluk) 108, 232 Pera 135 Persien 211 f., 230–233 Perugia 234 Peter III. (Aragon) 158 Petrarca, Francesco 209 Petrus (Apostel) 250 Petrus Venerabilis 248 Petrus von Ebuli 8, 163, 166, 168–174, 177, 180–185 Petrus von Pisa 256 Phayre, Arthur, Major 83 Phrygien 45 Piccolomini, Enea Silvio 23–25 Pippin der Bucklige 250, 252 Pippin III. (der Jüngere) 243, 245 f., 253, 255, 263 Pippin von Italien 253 Pisa 137, 228, 231 Platon 19 Polen 47, 53, 57 Polo, Marco 7, 79 f., 89–91, 93 f., 96, 99, 231, 234, 238 f. Portugal 46 f., 54 f. Potiphar 174
Register Pozo, Piero dal 133 Pozo, Zuan dal 133 Pozzuoli 198 Preußen 37, 57 Prüm 253 Prževal’skij, Nikolai, Oberst 85 Ptolemäus, Claudius 191, 221 Putzger, Friedrich Wilhelm 39 Pyrenäen 246 f., 250 Quilon 220, 233 Ramusio, Giovanni Battista 89, 91 Raqqa 261 Raymund von Peñafort 156 Reggio Calabria 150 Reims 27 Remus 195 Rhodos 136, 138 Ricardus (Ritter) 154 f. Richard, Sohn des Matthäus von Salerno 173 Ricoldus de Montecrucis 93 Rivoire, Pietro 157 Robert von Anjou 209 f. Roger I. von Sizilien 179 Roger II. von Sizilien 166, 171 f., 174 f., 178, 182 Roger III. von Sizilien 182 Rom 8, 16, 17, 21, 24, 29 f., 55, 91, 173, 189–194, 197 f., 200, 203, 205–209, 250, 262 f. Romulus 206 Roon, Albrecht von 98 Rostock 51 Rotes Meer 218 f. Rothert, Eduard 40, 42, 57 Rotrud, Tochter Karls des Großen 256 Roussillon 249 Rühmann, Heinz 56 f. Rumänien 47, 52, 54 Rumelien 117 Russland 46, 54 f., 57, 230 Sachsen 243–245, 253 Saladin 26 Salam (Ritter) 159 Salem (Ritter) 155
355
Salerno 148 Salomon 166, 169 Samaria zudio 134 Samothes 30 San Marino 45 Santiago di Compostela 17 Sanudo der Ältere, Marino 191, 200 Saragossa 138 Sardinien 129 Sardino, Nichola 134 Sarmatien 30 Savignonis, Andallo de 231 Schiller, Friedrich 1–4, 105 Schlesien 57 Schottland 19 Schwarzes Meer 235, 262 Schweden 47 f., 57 Schweiz 47, 54 f., 193 Seguranus Salvatici 215 Sem 14 Serbien 47 Shanghai 7, 85 Shewá 90 Sibirien 241 Siena 129 Sisinnius 252 Sizilien 8, 129, 131, 136 f., 146–152, 157–161, 163, 166, 168, 173–176, 178 f., 184, 186, 260 Slowakei 47 f. Slowenien 48 Skandinavien 18 f., 50 f., 222, 228, 262 Skythien 22 f., 31 Smyrna 218 Somalia 237 Sombart, Werner 3 f. Soranzo, Donato 229 Spanien 24, 31, 46 f., 54 f., 243, 245–247, 249, 252 f., 258–260, 263 Spinola, Toma 134 Spruner, Karl von 58 f. Stamati 134 Stephan III. 254 St. Gallen 121 Straße von Messina 262 Sulmona 150 Sultaniye 232 f.
356
Register
Syrien 116, 203, 257, 260 Täbris 233 Tacitus 28, 30 Tana 129, 134, 136–138 Tanger 236 Tankred von Lecce 8, 166–185 Tartarei 31, 234 Tassilo III. 252 Tauberbischofsheim 255 Temple, Sir Richard 98 f. Theoderich der Große 255 Theophanes der Bekenner 256 Theudelinde, Ehefrau von Authari und Agilulf 255 Theuderich 253 Thrakien 45 Thüringen 252 f. Tibet 7, 85 Tiepolo, Lorenzo (Doge) 200 Toledo 247 Toskana 129, 151 Trani 150 Trepizunt 138 Trinket (Insel) 97 Tripe, Linnaeus, Captain 82 f. Troja 18 Tschechien 47 f. Tuisco/ Tuisto 30 f. Tunesien 151, 261 Tunis 151, 200 Turcomania (Irak) 93 Türkei 46–48 Tylor, Edward B. 97 Tyrrhenisches Meer 262 Uderzo, Albert 58 UdSSR 47 Ungarn 19, 47 f., 53, 55, 101 Ukraine 46, 48, 54 Urban IV. 152 Urso von Salerno 181–184 USA 45 Venedig 126–129, 131, 132, 134–139, 151, 189 f., 198, 221, 225, 229, 231–234, 263 Venetien 243
Venosa 148 Vergil 18, 186 Verona 254 Vesconte, Paolo 191 Victoria I. von England 80 Vincenz von Beauvais 199 Vindelica (Raetia secunda) 29 Vioni, Pietro 233 Vivaldi, Guido 234 Vivaldi, Ugolino 234 Vorderer Orient (Naher und Mittlerer Osten) 7, 15, 27, 101 f., 104–112, 117 f., 212, 219, 227, 233, 245, 257, 263 Wacho 255 Wasco 249 Weber, Max 108 Weißrussland 45 f. Widukind 252 Wilhelm I. von Sizilien 178 f., 184 Wilhelm II. von Holland 200 Wilhelm II. von Preußen 38 Wilhelm II. von Sizilien 172 f., 176, 178–180 Wilhelm III. von Sizilien 180 Wilhelm von Rubruk 221 f., 230, 238 f. Wilhelm von Tyrus 203 Wismar 262 Wolfram von Eschenbach 22 Wood, John, Leutnant 89 f. Xuande (Kaiser von China) 237 Yule, Amy Frances 79–81, 83 f., 86, 88, 90 Yule, Henry, Colonel 7, 79–99 Yunnan 86 Zaida, muslimische Geliebte Alfons’ VI. 175 Zen, Alesandro 130 Zevolin, Francesco 133 Ziegfeld, Arnold Hillen 42, 50 Zorzi Castapino 131 Zorzi Cumano de Candia 131 Zuan Grepo zenoexe 131 Zürich 110 Zusti, Aldrovandin di 130 Zypern 45, 263