Euripides Hekabe: Edition und Kommentar (Texte und Kommentare) [1 ed.] 3110229455, 9783110229455, 9783110229462

In medieval Byzantium Hecabe was Euripides most popular tragedy, so that it is this play for which we have the most manu

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Euripides Hekabe: Edition und Kommentar (Texte und Kommentare) [1 ed.]
 3110229455, 9783110229455, 9783110229462

Table of contents :
Vorwort......Page 6
Inhalt......Page 8
Einführung......Page 10
Autor, Datierung, historische Situation......Page 12
Der Stoff und seine Geschichte......Page 15
Der Aufbau des Stückes......Page 17
Dramaturgie, Aufführungsbedingungen......Page 19
Einheit trotz Zweiteiligkeit......Page 22
Die Polyxene-Handlung......Page 25
Die Polymestor-Handlung......Page 32
Hekabe als Zentralgestalt......Page 36
Nebenthemen......Page 43
Die Chorlieder......Page 51
Die Funktion der Götter......Page 54
Die Sentenzen......Page 57
Hekabe und Troerinnen......Page 60
Zur Rezeptionsgeschichte......Page 61
Textgeschichte und Textkonstitution......Page 80
Kritische Edition und Übersetzung......Page 90
Kommentar......Page 260
Liste der Abweichungen vom Text der Ausgabe von Diggle......Page 450
Literaturverzeichnis......Page 452
Register......Page 464

Citation preview

Kjeld Matthiessen Euripides, Hekabe

TEXTE UND KOMMENTARE Eine altertumswissenschaftliche Reihe

Herausgegeben von

Siegmar Döpp, Adolf Köhnken, Ruth Scodel

Band 34

De Gruyter

Euripides, Hekabe Edition und Kommentar

von

Kjeld Matthiessen

De Gruyter

ISBN 978-3-11-022945-5 e-ISBN 978-3-11-022946-2 ISSN 0563-3087 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Euripides. [Hecuba. German & Greek] Euripides "Hekabe" : Edition und Kommentar / von Kjeld Matthiessen. p. cm. -- (Texte und Kommentare, ISSN 0563-3087 ; Bd. 34) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-022945-5 (hardcover : alk. paper) 1. Hecuba (Legendary character)--Drama. I. Matthiessen, Kjeld. II. Title. III. Title: Hekabe. PA3973.H3 2010 882'.01--dc22 2010028065 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Typesetting: Katharina Fischer Printing: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Im Jahre 2008 erschien meine Ausgabe der Hekabe mit Einführung, Übersetzung und Kommentar in diesem Verlag in der Reihe „Griechische Dramen“. Der Konzeption dieser Reihe erlaubt für Textkritik und Überlieferungsgeschichte nur einen geringen Raum, so dass ich manches nicht in das Buch aufnehmen konnte, was in einer wissenschaftlichen Ausgabe nicht fehlen sollte. Ich freue mich, dass mir der Verlag jetzt Gelegenheit gibt, das Stück noch einmal in einer stark erweiterten Edition zu publizieren: Die hier vorgelegte Ausgabe enthält auch einen vollständigen textkritischen Apparat und ein Verzeichnis der Stellen bei antiken und byzantinischen Autoren, an denen Verse aus der Hekabe zitiert oder nachgeahmt werden (Testimonia, Imitationes), sowie eine metrische Analyse der lyrischen Passagen (421–37). Die Einführung wurde um zwei Kapitel erweitert, nämlich um das über die Sentenzen in der Hekabe (48–50) und das zur Rezeptionsgeschichte des Stückes (52–71). Das Kapitel „Textgeschichte und Textkonstitution“ (71–79) wurde weitgehend neu geschrieben, der Dramentext fast unverändert gelassen und die Übersetzung sprachlich und stilistisch überprüft. Bei meiner Kommentierung stütze ich mich weitgehend auf meine zahlreichen Vorgänger. Unter ihnen sind zunächst die alexandrinischen Philologen zu nennen, von deren Wirken sich die Spuren in den Scholia Vetera finden. Es folgt die lange Reihe der modernen Kommentare von Porson (1798) und Hermann (1800) bis hin zu Collard (1991), Gregory (1999) und dem bisher ausführlichsten Kommentar von Synodinou (2005). Meine Abhängigkeit von den drei letztgenannten ist besonders groß. Darüber hinaus habe ich alle mir erreichbaren Kommentare durchgesehen und auch aus ihnen manches übernommen. Die wissenschaftliche Literatur habe ich herangezogen, soweit sie mir noch rechtzeitig zugänglich geworden ist. Ich habe mich aber bemüht, den Kommentar nicht mehr als nötig mit gelehrten Diskussionen zu belasten. Themen, die das Stück als Ganzes betreffen, behandele ich in der Einführung. Bei der dem Text beigegebenen Übersetzung habe ich mich um eine möglichst genaue Wiedergabe des originalen Wortlauts, aber auch um einen sprechbaren Text bemüht.

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Vorwort

Für Hilfe und mancherlei Anregungen danke ich Klaus Alpers, HorstDieter Blume, Stephen G. Daitz, James Diggle, Jens Holzhausen, Herman van Looy †, Gustav Adolf Seeck, Bernd Seidensticker und besonders Sabine Vogt vom Verlag De Gruyter. Außerdem danke ich den Teilnehmern an meinem Seminar über die Hekabe im Wintersemester 1994/95 Katrin Frommhold, Guido Gunderloch, Melanie Just und Susanne Liell für ihre Beiträge zur Interpretation des Stückes. Meinem Sohn Kai danke ich für Rat und Hilfe bei der Herstellung des Satzmanuskripts und Barbara und Horst-Dieter Blume für großzügig gewährte Gastfreundschaft in Münster. Lübeck, Januar 2010

Kjeld Matthiessen

Nachtrag der Herausgeber Text und Überlieferung der Hekabe des Euripides waren Kjeld Matthiessens bevorzugter Forschungsgegenstand schon in seiner Zeit als ‚Junior Fellow‘ am Center for Hellenic Studies (1968/69) und in seiner Habilitationsschrift (1970). Das Erscheinen seiner neuen kritischen und kommentierten Werkausgabe des Dramas, in der die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschung dokumentiert werden, hatte er sich zu seinem 80. Geburtstag im Juli 2010 gewünscht. Wir bedauern zutiefst, dass er beides nicht mehr erleben konnte. Noch vor der Schlussredaktion der Druckfassung ist Kjeld Matthiessen am 26. Februar 2010 verstorben. Er hatte jedoch die Durchsicht der ersten Fahnen zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen abgeschlossen. Mit seiner Zustimmung hat der Verlag die Verantwortung für die Fertigstellung des Buches übernommen, einschließlich einer abermaligen Kontrolle. Für das gründliche Korrekturlesen danken Verlag und Herausgeber der Reihe „Texte und Kommentare“ vor allem den beiden Berliner Gräzistinnen Katja Flügel und Katharina Fischer. Frau Fischer hat sich darüber hinaus um die Fertigstellung der Druckvorlage und die Zusammenstellung des Registers verdient gemacht. November 2010

Siegmar Döpp, Adolf Köhnken, Ruth Scodel

Inhalt Vorwort .................................................................................................

V

Einführung ............................................................................................. Autor, Datierung, historische Situation ...................................... Der Stoff und seine Geschichte .................................................. Der Aufbau des Stückes .............................................................. Dramaturgie, Aufführungsbedingungen ..................................... Einheit trotz Zweiteiligkeit ......................................................... Die Polyxene-Handlung .............................................................. Die Polymestor-Handlung .......................................................... Hekabe als Zentralgestalt ............................................................ Nebenthemen .............................................................................. Die Macht der Beredsamkeit ............................................... Charis: Gunst und Dank ...................................................... Dynasten und Demokraten? ................................................ Griechen und Barbaren ........................................................ Freie und Sklaven ................................................................ Die Chorlieder ............................................................................ Die Funktion der Götter .............................................................. Das Wehen der Winde und die Götter ................................. Im Zeichen des Dionysos? .................................................. Die Sentenzen ............................................................................. Hekabe und Troerinnen .............................................................. Zur Rezeptionsgeschichte ........................................................... Die frühen römischen Tragiker, Vergil und Ovid ............... Seneca ................................................................................. Quintus Smyrnaeus ............................................................. Die Spätantike und Byzanz ................................................. Das Mittelalter im Westen ................................................... Die frühe Neuzeit ................................................................ Kritische Stimmen im 18. und 19. Jahrhundert ...................

1 3 6 8 10 13 16 23 27 34 34 35 36 37 40 42 45 46 47 48 51 52 52 54 56 58 59 60 65

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Inhalt

Textgeschichte und Textkonstitution .......................................... Scholien ............................................................................... Papyri .................................................................................. Testimonien ......................................................................... Die mittelalterlichen Handschriften .................................... Einteilung der Handschriften der Hekabe ........................... Grundsätze dieser Edition ...................................................

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Kritische Edition und Übersetzung ........................................................ 81 Kommentar ............................................................................................ 251 Anhang .................................................................................................. Liste der Abweichungen vom Text der Ausgabe von Diggle ..... Literaturverzeichnis .................................................................... Register .......................................................................................

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Einführung

Rex sedet in vertice, caveat ruinam. Nam sub axe legimus Hecubam reginam. Carmina Burana What’s Hecuba for him or he to Hecuba, That he should weep for her? Shakespeare, Hamlet

Autor, Datierung, historische Situation Euripides, Sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos, eines athenischen Bürgers, wurde 484 oder 480 geboren und zwar, wie berichtet wird, auf der Insel Salamis. Er begann seine Laufbahn als Dichter und Regisseur von Tragödien 455, also im Todesjahr des Aischylos. Er trat von vornherein als Konkurrent des mehr als zehn Jahre älteren Sophokles an, der damals schon erste Erfolge gefeiert hatte und während seiner ganzen Lebenszeit erfolgreicher bleiben sollte als er selbst. Seinen ersten Sieg mit einer tragischen Tetralogie, also einer Abfolge von drei Tragödien und einem Satyrspiel, errang Euripides erst im Jahre 441. Wir wissen von einem zweiten Sieg im Jahre 428 mit der Tetralogie, von der uns der Hippolytos erhalten ist. Zu seinen Lebzeiten errang er nur noch zwei weitere Siege sowie einen postumen Sieg, den sein gleichnamiger Sohn oder Neffe mit einigen Stücken errang, die er hinterlassen hatte, darunter den Bakchen und der Aulischen Iphigenie. Sophokles dagegen brachte es auf 18, 20 oder gar 24 Siege. Wir wissen auch, dass Euripides sogar mit so hervorragenden Tragödien wie der Medea und den Troerinnen nur den zweiten oder dritten Platz erreichte. Offenbar gab es im athenischen Publikum und entsprechend im Preisrichterkollegium Vorbehalte gegen ihn. Damit mag zusammenhängen, dass er 408 oder 407, also in der Zeit großer innerer Spannungen in Athen kurz vor dem Ende des Peloponnesischen Krieges, eine Einladung des Makedonenkönigs Archelaos an seinen Hof annahm und seine Heimatstadt verließ. In Makedonien ist er auch gestorben, und zwar schon im Jahr 406, ein Jahr vor seinem großen Kollegen und Konkurrenten Sophokles. Die Hekabe ist wie viele andere Dramen dieses Dichters nicht fest datiert. Es gibt jedoch Anhaltspunkte für eine ungefähre Datierung. In den 423 aufgeführten Wolken des Aristophanes finden sich zwei sichere oder

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Einführung

zumindest wahrscheinliche Parodien von Passagen der Hekabe.1 Das spricht für eine Datierung des Stückes auf die Zeit vor 423, also etwa auf die Jahre 425 oder 424. Auch die Stellung des Stückes in der Entwicklung der Sprechverse von größerer Strenge hin zu größerer Flexibilität legt es nahe, dass die Hekabe etwa zu dieser Zeit entstanden ist.2 Dagegen ist ein Zusammenhang der ausführlichen Erwähnung des Apollonfestes auf Delos (V. 458–65) mit der Neuordnung des Kultfestes im Jahre 426 durch die Athener (Thukydides 3,104) zwar möglich, aber nicht als gesichert anzusehen.3 So ist es recht wahrscheinlich, dass die Hekabe in der Abfolge der Tragödien des Euripides nach dem auf 428 fest datierten Hippolytos, kurz nach der Andromache, kurz vor den Hiketiden und jedenfalls weit vor den auf 415 fest datierten Troerinnen einzuordnen ist.4 Der König Ödipus des Sophokles dürfte in die gleiche Zeit gehören. Ich nehme an, dass er etwas älter ist. Dass der große Auftritt des geblendeten Ödipus Euripides zu dem ähnlich eindrucksvollen Auftritt des geblendeten Polymestor angeregt hat, lässt sich vermuten, aber nicht beweisen. Da weitaus die meisten erhaltenen Tragödien des Euripides von den Herakliden (etwa 430) bis hin zur Aulischen Iphigenie (nach 408) während des Peloponnesischen Krieges (431–404) entstanden sind, liegt die Frage nahe, ob die in das Leben der Athener stark eingreifenden Ereignisse des Krieges in diesen Stücken Spuren hinterlassen haben. Solche Spuren finden sich in der Tat. In den Herakliden und auch in den Hiketiden (etwa 423) verherrlicht Euripides ganz im Einklang mit der zeitgenössischen Propaganda Athens die segensreiche Rolle der Athener der mythischen Zeit als Schützer und Helfer der Bedrängten. In der Andromache (etwa 425) macht er Menelaos, den König des feindlichen Sparta, zum Schurken des Stückes und legt der Heldin Andromache etliche Schmähungen Spartas und der Spartaner in den Mund. Doch finden sich solche Anzeichen einer Parteinahme für die Athener oder der Feindseligkeit gegen Sparta oder Theben in den späteren Stücken nicht mehr. Der Krieg, und zwar zumeist der trojanische Krieg, dient dem Dichter als mythisches Exempel dafür, _____________ 1

2 3 4

Hek. 160f. ~ Wolken 718f.; Hek. 172–74a ~ Wolken 1165f. – Freilich bleibt eine gewisse Unsicherheit bestehen, weil Aristophanes die Buchfassung des Stückes zwischen 420 und 417 überarbeitet haben soll. Hierzu K. J. Dover, Aristophanes Clouds, Oxford 1968, lxxx–xcviii. Es ist nicht völlig auszuschließen, allerdings wenig wahrscheinlich, dass Aristophanes die Anspielungen auf die Hek. erst bei Gelegenheit der Bearbeitung eingefügt hat. Matthiessen (1964) 167–72; Cropp – Fick (1985). Hierzu Wilamowitz, Eur. Her. 2, 140f. Collard (1991) 35 meint, die mitleidvolle Äußerung des Chores über das Leid der Spartanerinnen in V. 650–56 sei ein Indiz dafür, dass das Stück erst in der Schlussphase des Archidamischen Krieges entstanden ist, als der Frieden mit Sparta nicht mehr fern zu sein schien.

Autor, Datierung, historische Situation

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dass Kriege ein gottverhängtes und darum unabwendbares Schicksal sind, das für die Sieger nicht weniger furchtbare Folgen hat als für die Besiegten. Als Beispiel für diese Folgen dient ihm mehrmals das unglückliche Los der vornehmen Frauen der Besiegten, die zu Sklavinnen geworden und der Willkür ihrer neuen Besitzer ausgeliefert sind. Der erste Fall dieser Art, der uns bei Euripides begegnet, ist der Andromaches, der Witwe Hektors, die zur Sklavin und Nebenfrau des Neoptolemos geworden ist und von dessen legitimer Frau verfolgt und mit dem Tode bedroht wird. Das Leid der kriegsgefangenen Frauen wird dann zum zentralen Thema sowohl in der Hekabe als auch in den Troerinnen (415). Hekabe, einst Königin eines mächtigen Reiches, die durch die Niederlage ihrer Stadt in die Sklaverei geraten ist, steht im Mittelpunkt beider Stücke, und um sie gruppieren sich ihre ähnlich leidgeprüften Töchter Kassandra und Polyxene und ihre Schwiegertochter Andromache. Die Brutalität der Sieger wird in beiden Stücken breit dargestellt, aber auch den Siegern wird es nicht viel besser ergehen als den Besiegten. Das zeigt der Götterprolog der Troerinnen, wo Athene und Poseidon ankündigen, dass sie die heimkehrende Flotte der Griechen vernichten werden, aber auch die Schlussprophezeiung in der Hekabe, wo Agamemnon seine baldige Ermordung vorausgesagt wird. In zwei Stücken, nämlich der Elektra (etwa 420–18) und der Helena (412), müssen die Zuschauer zur Kenntnis nehmen, dass alle Leiden vergeblich erlitten wurden, die beide Seiten erdulden mussten, weil der Krieg nicht um die wahre Helena geführt wurde, sondern nur um ein von den Göttern erschaffenes Scheinbild. Der eigentliche Zweck des Krieges war nach dem Ratschluss des Zeus die Entlastung der Erde durch eine Verminderung der übergroßen Zahl von Menschen. Auch am Schluss des Orestes (408) verrät Apollon, dass dies der wahre Zweck war.5 Man kann in den Stücken dieser Zeit auch Anzeichen dafür suchen, dass sich der Dichter Gedanken über den nach dem Tode des Perikles (428) beginnenden und nach dem Scheitern der Sizilischen Expedition (415–13) sich beschleunigenden Zerfall der attischen Demokratie gemacht hat. Solche Anzeichen kann man, wenn man will, auch schon in der Hekabe finden, wo der große Feldherr Agamemnon nicht imstande ist, seine Meinung in der Heeresversammlung gegen den demagogisch argumentierenden Odysseus durchzusetzen, und auch nicht so, wie er es eigentlich für richtig hält, den Rechtsbruch Polymestors bestrafen kann, weil er auf die Stimmung des Heeres Rücksicht nehmen muss. In den wenig später aufgeführten Hiketiden muss der athenische König Theseus, der die demokratische Verfassung seiner Vaterstadt preist, es hinnehmen, dass der thebanische Herold unwidersprochen mancherlei Schwächen nennen kann, _____________ 5

Vgl. auch Hel. 36–41.

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Einführung

die dieser Staatsform anhaften. Im Orestes wird über den Verlauf einer Volksversammlung berichtet, in der ein Demagoge von zweifelhafter Herkunft die Masse so beeinflusst, dass sie eine Fehlentscheidung trifft, indem sie Orestes, der auf Befehl Apollons seine Mutter getötet hat, und seine Schwester Elektra zum Tode verurteilt. In der Aulischen Iphigenie schließlich ist weder der Oberfeldherr Agamemnon noch der große Achilleus imstande, sich der durch die Demagogen Odysseus und Kalchas aufgestachelten Menge des Heeres zu widersetzen. Sogar die Myrmidonen, die eigenen Gefolgsleute des Achilleus, lehnen sich gegen ihn auf.

Der Stoff und seine Geschichte Das nachhomerische Epos über den Fall Trojas, die Iliupersis, berichtet unter anderem, dass die Griechen, nachdem sie das eroberte Troja niedergebrannt hatten, Polyxene auf dem Grabe des Achilleus opferten.6 Ob dieses Epos irgendetwas über das Schicksal Hekabes nach der Einnahme Trojas berichtet hat, lässt sich den wenigen Angaben, die wir über seinen Inhalt besitzen, nicht entnehmen. In den Kyprien, dem Epos über den Beginn des trojanischen Krieges, wurde erwähnt, dass Polyxene durch Odysseus und Diomedes verwundet und durch Neoptolemos bestattet wurde.7 In den Nostoi, dem Epos über die Heimkehr der Helden von Troja, wurde darüber berichtet, dass der Geist des Achilleus dem Agamemnon erschien und ihn an der Heimkehr zu hindern versuchte, indem er ihm sein bevorstehendes Schicksal verkündete.8 Doch war offenbar nicht von irgendwelchen Forderungen des Geistes die Rede. Eine sehr eindrucksvolle Erscheinung dieses Geistes scheint auch von Simonides beschrieben worden zu sein.9 Über die chorlyrische Dichtung Iliupersis des Stesichoros ist zu wenig bekannt, als dass sich Aussagen darüber machen ließen, ob und wie die Schicksale Hekabes und Polyxenes in dieser Dichtung erwähnt wurden. Der Chorlyriker Ibykos erwähnte dagegen, dass Polyxene von Neoptolemos geopfert wurde.10 Etwas mehr wissen wir von der Tragödie Polyxene des Sophokles. Sie handelte von der Erscheinung des Geistes des Achilleus, von seiner Forde_____________ 6 7

Iliupersis (Proclus) p. 62, 34 EGF ed. Davies. Kyprien fr. 27 EGF; vgl. F. Jouan, Eur. et les légendes des Chants Cypriens, Paris 1966, 368–71. 8 Nostoi (Proclus) p. 67, 15–17 EGF. 9 Simonides fr. 557 PMG. 10 Ibycus fr. 307 PMG = schol Hec. 41.

Der Stoff und seine Geschichte

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rung, Polyxene an seinem Grab zu opfern, und von der Erfüllung dieser Forderung durch das griechische Heer. Sie ist mit großer Wahrscheinlichkeit vor unserer Hekabe entstanden.11 Uns sind nur wenige Zitate bei antiken Autoren erhalten, aus denen sich nicht viel über Inhalt und Form dieses Stückes entnehmen lässt. Es scheint immerhin gewiss zu sein, dass Sophokles die Erscheinung des Geistes des Achilleus auf der Bühne sichtbar werden ließ und dass er ihn bei seinem Auftritt ähnliche Worte sprechen ließ, wie Euripides sie seinem Polydoros in den Mund legte (F 523 TrGF). Es ist zu vermuten, dass bei Sophokles ähnlich wie später bei Euripides die Rede des Geistes am Anfang des Stückes stand. Einem anderen Fragment ist zu entnehmen, dass in dem Stück die griechischen Feldherren darüber stritten, wann man von Troja aufbrechen solle (F 522 TrGF). Wenn die Annahme richtig ist, dass die Polyxene der Hekabe vorausging, hat Euripides nicht nur die erste Teilhandlung seines Stückes von Sophokles übernommen, sondern auch das Motiv der Erscheinung des Geistes des Achilleus und wohl auch die besondere Form des vom Geist eines Toten gesprochenen Prologes. Mit der zweiten Teilhandlung der Hekabe, nämlich der PolymestorHandlung, scheint Euripides dagegen Neuland betreten zu haben. Die Ilias berichtet über einen Polydoros, welcher der jüngste Sohn des Priamos war, als dessen Mutter aber Laothoe und nicht Hekabe genannt wird (22,46–48). Diesen Polydoros versuchte der Vater vom Kampf fernzuhalten, weil er ihm besonders lieb war. Der Sohn mischte sich aber trotzdem unter die Kämpfenden, wurde von Achilleus am Unterleib verwundet und starb einen qualvollen Tod (20,407–18). Diese kurze Episode der Ilias scheint Euripides zu seiner Polydorosgestalt angeregt zu haben. Bei ihm gelingt es Priamos tatsächlich, seinen jüngsten Sohn vom Kampf fernzuhalten, indem er ihn in die vermeintlich sichere Obhut seines Gastfreundes Polymestor gibt, doch auch dieser Versuch, das Leben seines Sohnes zu retten, schlägt fehl, weil Polymestor seinen Schützling nach dem Fall Trojas und dem Tod des Priamos ermordet. Dies ist bei Euripides die Vorgeschichte der Handlung, und die Tragödie selbst handelt davon, wie die zur Sklavin der Griechen gewordene Königin Hekabe, die bei ihm anders als bei Homer die Mutter des Polydoros ist, vom Tod ihres Sohnes erfährt und ihn an dem Mörder rächt. Es ist möglich, dass der Dichter sich bei der Verbindung Hekabes mit Thrakien und besonders bei der Prophezeiung, die Polymestor am Schluss des Stückes gibt, von einer lokalen Überlieferung auf der in athenischem Besitz befindlichen thrakischen Chersones hat anregen lassen, _____________ 11 Dazu W. M. Calder III, A Reconstruction of Sophocles’ Polyxena, Greek Roman and Byzantine Studies 7 (1966) 31–56, jetzt auch in: Theatrokratia, Spudasmata 104, Hildesheim 2005, 233–66.

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Einführung

die zwischen dem Namen des sehr markanten, weil an der engsten Stelle des Hellesponts gelegenen Kaps Kynossema (kunòß sñma) und der Sagengestalt der Königin Hekabe eine Verbindung herstellte.12 Eine solche lokale Überlieferung dürfte jedoch nicht vielen Athenern bekannt gewesen sein. Darum ist es anzunehmen, dass die meisten von ihnen hier eine Geschichte erfuhren, die ihnen neu war, eben weil sie ganz oder zum Teil eine freie Erfindung des Euripides war.13

Der Aufbau des Stückes Zunächst gebe ich eine Gliederung des Stückes nach den „Teilen der Tragödie“, wie sie im 12. Kapitel der Poetik des Aristoteles definiert werden (mérh tragw¸díaß: 1452b 14–27). Diese Termini haben sich allgemein eingebürgert, denn mit ihnen lässt sich der Aufbau einer jeden attischen Tragödie gut beschreiben, für die ein regelmäßiger Wechsel zwischen Sprechpartien und lyrischen Partien charakteristisch ist. Allerdings weiche ich von der aristotelischen Terminologie bei der Benennung der lyrischen oder halblyrischen Partien ab, welche die Parodos umgeben. 1–58 59–97 98–152 154–215 216–443 444–83 484–628 629–56 658–904 905–51 953–1022 1024–34 1035–1295

Prologrede Monodie vor der Parodos Parodos Monodie, Amoibaion, Monodie 1. Epeisodion 1. Stasimon 2. Epeisodion 2. Stasimon 3. Epeisodion 3. Stasimon 4. Epeisodion Chorikon anstelle eines 4. Stasimons Exodos

_____________ 12 Dies vermuten Stephanopulos (1980) 79–83; Erbse (1984) 55. 13 Meridor (1983) 18–20 nimmt an, dass sich Eur. bei der Weise der Bestrafung Polymestors vom Schicksal des Artayktes bei Herodot (9,116–20) anregen ließ. Das ist zwar möglich, muss aber Vermutung bleiben. Gleiches gilt für die Annahme von Delebecque (1951) 154–58, dass Eur. zur negativen Zeichnung der Gestalt Polymestors durch die Unzuverlässigkeit der Thraker als Verbündete der Athener veranlasst worden sei.

Der Aufbau des Stückes

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Die hier gegebene Gliederung der Tragödie14 stellt freilich nur ein Raster dar, das durch die Handlung in ihren einzelnen Stufen ausgefüllt wird. Die Handlung der Hekabe besteht aus zwei Teilhandlungen, die dadurch zusammengehalten werden, dass im Mittelpunkt einer jeden von ihnen dieselbe Person Hekabe steht und dass es in jeder von ihnen darum geht, dass sie eines ihrer letzten Kinder verliert. Im übrigen aber unterscheiden sich die beiden Teilhandlungen im Inhalt und in der Stimmung erheblich. Die Hekabe ist also wie die Troerinnen ein Episodendrama. Wenn man die Handlungsstruktur zur Epeisodienstruktur in Beziehung setzt, kommt man zu folgender Gliederung: 1–97 Prologrede und Monodie vor der Parodos: Einführung in beide Teilhandlungen 98–215 Parodos und folgende lyrische Partien: Vorbereitung der Polyxene-Handlung 216–443 1. Epeisodion: erster Teil der PolyxeneHandlung (Odysseus-Szene) 444–83 1. Stasimon: gleichzeitig mit dem Vollzug der Opferung 484–628 2. Epeisodion: zweiter Teil der PolyxeneHandlung (Botenszene) 629–56 2. Stasimon: steht zwischen den beiden Teilhandlungen 658–904 3. Epeisodion: Überleitung zur zweiten Teilhandlung, Beginn der PolymestorHandlung (Agamemnon-Szene) 905–51 3. Stasimon: gleichzeitig mit der Herbeiholung Polymestors 953–1022 4. Epeisodion: zweiter Teil der Polymestor-Handlung (Überlistungsszene) 1024–55 Chorikon und Anfang der Exodos: Katastrophe Polymestors 1055a– Der größte Teil der Exodos: Abschluss der 1286 Polymestor-Handlung (Monodie, Gerichtsszene) 1287–95 Die letzten neun Verse: Abschluss beider Teilhandlungen (Gemeinsames Begräbnis der Kinder, Aufbruch nach Griechenland)

_____________ 14 Die meisten Kommentatoren äußern sich nicht zur Gliederung des Stückes. Bond– Walpole rechnen alles, was auf das 3. Stasimon folgt, zur Exodos. Ich meine, dass V. 953–1022 noch der Vorbereitung der Rachehandlung dienen, also den Charakter eines Epeisodions haben, während die Exodos (1035–1295) hier wie auch sonst immer der Ort für die Katastrophe und die Reaktion der Beteiligten auf sie ist. Collard, Gregory und Synodinou gliedern etwa so, wie es hier geschieht.

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Einführung

Dramaturgie, Aufführungsbedingungen Das Stück spielt im Lager der griechischen Flotte auf der thrakischen Chersones vor der Unterkunft der gefangenen troischen Frauen. Es ist mehrfach von einem oder mehreren Zelten die Rede (skhnä 53), auch von Häusern (oi®koi, dåmata, dómoi 174, 1019, 1049, 1053) oder Dächern (stégai 880, 1016). Das ist wohl so zu verstehen, dass das den Bühnenhintergrund bildende Haus nicht besonders dekoriert, sondern als notdürftige Unterkunft gekennzeichnet ist, etwa durch darüber geworfene Zeltbahnen. Manche Interpreten meinen, dass zwei Zelte anzunehmen sind, nämlich das ärmliche der Gefangenen und ein prächtigeres für Agamemnon. Ich finde im Text jedoch keine Anhaltspunkte für ein solches zweites Zelt. Wenn Agamemnon auftritt, kommt er nicht aus seinem Zelt, sondern aus der Richtung der Heeresversammlung, also aus der gleichen Richtung wie Odysseus. Hekabe tritt aus dem Zelt hervor (53f.), ebenso Polyxene (178f.). Später geht Hekabe mehrfach ins Zelt ab (628, wohl auch 904) und tritt wieder aus ihm hervor (665f., 953). Nach dem Auftritt Polymestors betritt sie zusammen mit ihm das Zelt (1019–22) und verlässt es kurz darauf wieder fluchtartig (1044), während er ihr wenige Verse später auf allen Vieren folgt (1053). Die Parodoi, die seitlichen Zugänge zur Orchestra, stellen die Verbindung der Bühnenhandlung mit der Außenwelt her. In der Hekabe sind zwei außerszenische Orte bedeutsam, nämlich das Meeresufer und das übrige Heerlager. Man kann entsprechend den athenischen lokalen Gegebenheiten das Ufer der vom Zuschauer aus gesehen linken Parodos zuordnen, also der Richtung nach Phaleron, dem alten Hafen Athens, das Lager dagegen der rechten, also der Richtung nach der Akropolis. Wenn man für den Geist des Polydoros nicht eine (vielleicht gar mit Hilfe eines Krans bewerkstelligte) Erscheinung auf dem Dach des Bühnenhauses annehmen will, was nicht völlig auszuschließen, aber nicht nötig ist, lässt sich vermuten, dass er aus der Richtung des Ufers erscheint und auch dorthin wieder abgeht. Eben dorthin geht auch die Dienerin (609f.), und von dort kommt sie mit seinem Leichnam zurück (658). Odysseus kommt vom Lager und geht zusammen mit Polyxene dorthin ab (216f., 437), ebenso Talthybios (484, 604–08) und Agamemnon (724f., 904, 1109). Da die Dienerin, die Polymestor herbeirufen soll, durch das Lager geleitet wird (889f.), muss der Thrakerkönig auch aus dieser Richtung die Orchestra betreten (953), und zwar zusammen mit der Dienerin, die ihn herbeigeholt hat (966). Da er am Schluss des Stückes auf einer Insel ausgesetzt werden soll, liegt die Annahme nahe, dass er in Richtung nach dem Ufer abgeführt wird (1284– 86). Die übrigen Personen, also Agamemnon, Hekabe und der Chor, gehen

Dramaturgie, Aufführungsbedingungen

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zusammen in Richtung zum Lager ab, da dort die gemeinsame Bestattung der beiden Geschwister geschehen soll (1287–95). Man darf nicht vergessen, dass in der attischen Tragödie alle Rollen, also auch die der Hekabe, der Polyxene und der Frauen des Chores, von Männern übernommen wurden. Ferner muss man bedenken, dass grundsätzlich nur drei berufsmäßige Schauspieler zur Verfügung standen, auf die alle im Stück vorkommenden Sprechrollen verteilt werden mussten. Der Rollenwechsel wurde durch wechselnde Masken und Kostüme emöglicht. Die Verteilung auf drei Schaupieler lässt sich in unserem Fall in der Weise bewerkstelligen, dass die tragende Rolle des Stückes, nämlich die der fast ständig auf der Bühne anwesenden Hekabe, vom ersten Schauspieler übernommen wird, die des Polydoros, der Polyxene, der Dienerin und des Polymestor vom zweiten und die des Odysseus und des Agamemnon vom dritten Schauspieler. Dass es mehrere Gruppen von Statisten gegeben hat, ist dem Text öfters zu entnehmen. So wird Hekabe bei ihrem ersten Auftritt von mehreren (wohl zwei) jüngeren Frauen, ihren einstigen Dienerinnen, geleitet und gestützt (59–63); so kann sie später einer Dienerin befehlen, Wasser vom Meeresufer zu holen (609f.). Auch Agamemnon wird von Kriegern begleitet, von denen er einige abordnet, welche die Dienerin beim Weg durch das Lager beschützen (889f.), und andere, die Polymestor ergreifen und an seinen Verbannungsort bringen (1282–86). Polymestor tritt zusammen mit der Dienerin auf, die jetzt von einem Statisten gespielt wird (966). Er hat ferner einige bewaffnete Begleiter, die er zuerst auf Hekabes Wunsch wegschickt und die er dann später vergeblich um Hilfe anruft (979–81, 1088– 90). Ausserdem wird er von seinen beiden kleinen Söhnen begleitet, deren furchtbares Schicksal im folgenden mehrfach erwähnt wird (893f., 1005–7, 1037, 1046, 1075–78, 1082, 1118f., 1160–62, 1231). Bei den Kostümen wird ein scharfer Kontrast zwischen den königlichen Gewändern der siegreichen Feldherren Odysseus und Agamemnon und den ärmlichen Kleidern der kriegsgefangenen Sklavinnen bestanden haben. Hekabe wird sich von den Frauen des Chores und ihren anderen Begleiterinnen in der Kleidung nicht unterschieden haben. Sie gehört also zu den ‚Königen in Lumpen‘, wie sie bei Euripides so häufig sind. Polymestor wird thrakische Gewänder getragen haben, wie sie auf attischen Vasenbildern häufig zu sehen sind und zu denen vor allem ein bunt gewebter Mantel gehört. Er ist zunächst auch bewaffnet, doch als er später als Geblendeter wieder auf der Bühne erscheint, ist er unbewaffnet und wohl auch ohne Mantel (1155f.). An Requisiten werden wenige Gegenstände erwähnt: der Stock, auf den sich Hekabe bei ihrem ersten Auftritt stützt (65f.), der Wasserkrug, mit dem die Dienerin Wasser vom Meeresufer holen soll (609), und die Waffe

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Polymestors, die er zunächst trägt, die ihm dann aber abgenommen wird (1155f.). Die wichtigsten Requisiten sind allerdings die auf die Bühne gebrachten Leichname des Polydoros und der beiden Söhne Polymestors. Der Leichnam des Polydoros ist von großer Bedeutung in der zentralen Szene des Stückes (658–720), und er bleibt auch wichtig bei der folgenden Auseinandersetzung zwischen Hekabe und Agamemnon (724–904). Ob er auch während der folgenden Szenen auf der Bühne liegen bleibt, ist umstritten. Ich halte es für gut möglich, dass er weiter dort bleibt, weil dann mehrere Stellen im Dialog zwischen Polymestor und Hekabe an Ironie gewinnen würden. Demgegenüber spielen die Leichname der Söhne Polymestors in der Handlung keine große Rolle. Sie werden offenbar zusammen mit dem Auftritt des geblendeten Polymestor sichtbar, vielleicht mit dem Ekkyklema (e¬kkúklhma), einer niedrigen Plattform, die aus dem Bühnenhaus herausgerollt werden kann.15 Seine Klagen nehmen immer wieder auf die Kinder Bezug, und auch Agamemnon erwähnt sie als sichtbar (1118). Aber im weiteren Verlauf des Stückes werden sie nicht mehr beachtet. Es bleibt auch unklar, was weiter mit ihnen geschieht. Da sie ja irgendwo bleiben müssen, könnten sie am Schluss des Stückes von der abgehenden Gruppe mit hinausgetragen oder mit dem Ekkyklema wieder ins Bühnenhaus zurückgerollt worden sein. Wie es in der Tragödie üblich ist, wird oft durch Formulierungen im Text deutlich gemacht, was auf der Bühne gerade geschieht, oder es wird angekündigt, was dort bald geschehen wird. Damit wird einerseits die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die gewünschte Bahn gelenkt, und andererseits erhalten auch die Schauspieler durch den Text Anweisungen für ihr Verhalten. Man spricht in solchen Fällen von ‚Wortregie‘. Der Auftritt von Personen wird, meist durch den Chor, gelegentlich auch durch andere Personen, im voraus angekündigt oder im Augenblick, in dem sie sichtbar werden, gemeldet (52–54, 172–76, 216f., 665f., 724f., 1049–53). Manchmal werden neu auftretende Personen angeredet und dadurch dem Publikum vorgestellt (487, 968f., 1114). Für die Handlung wichtige Gesten werden in dem Augenblick, in dem sie vollzogen werden, auch benannt und damit für den Zuschauer interpretiert, so die Gesten der Hikesie (286f., 752f., 787f., 836–40), aber auch das Sich-Abwenden dessen, der sich einer Hikesie entziehen will (342–45) oder die Geduld verliert (812f., wohl auch 747f.). Beim Abschied Polyxenes von ihrer Mutter wird von einem Händedruck, von Umarmungen, vom Verhüllen des Hauptes und vom letzten Ausstrecken der Hand gesprochen (409f., 432, 439f.), danach vom ZuBoden-Sinken Hekabes aus Erschöpfung und Verzweiflung (440). Dass _____________ 15 Burnett (1998) 168 meint, dass die Leichen der Kinder von Frauen aus Hekabes Gefolge auf die Bühne getragen werden.

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Hekabe während des folgenden Chorliedes in ihr Gewand gehüllt auf dem Boden verharrt und sich erst nach der Anrede durch Talthybios wieder erhebt, wird aus dem Text deutlich (486f., 501f., 505–07). Das Herbeibringen des Leichnams des Polydoros und seine Enthüllung und Identifizierung werden ebenfalls angesprochen (671f., 679–82), während Hekabes Gesten heftiger Trauer nur aus dem Wechsel des Metrums und aus der lyrischen Sprache erschlossen werden können (684–720). Ihre ersten Worte zu Polymestor lassen erkennen, dass sie ihre Augen vor ihm verbirgt, und sie geben zugleich eine (irreführende) Deutung dieser Geste (968–75). Als sie ihre Rache vollzogen hat und aus dem Zelt hervortritt, kündigt sie an, dass Polymestor ihr folgen wird, und nimmt das Ungeheuerliche, das dem Publikum alsbald vor die Augen kommen wird, schon in Worten vorweg und erklärt es ihm damit zugleich (1049–55). Die wilden Bewegungen, die Polymestor während seines großen Klageliedes vollzieht, lassen sich aus dem Text freilich nur erahnen, ebenso die körperlichen Äußerungen des Zornausbruchs, als er von der Anwesenheit Hekabes erfährt (1055a–1106, 1124–26). Deutlich erkennbar ist dagegen, dass er, nachdem er seine Voraussagen gemacht hat, von den Begleitern Agamemnons ergriffen wird, dass ihm der Mund verschlossen wird und dass er schließlich von der Bühne gezerrt und abgeführt wird (1282–86). Am Schluss wird der Zug angekündigt, in dem Agamemnon, Hekabe, die Träger des Leichnams des Polydoros und der Chor in der Richtung zum Lager des Heeres die Bühne verlassen (1287–95).

Einheit trotz Zweiteiligkeit Wenn man die Hekabe angemessen beurteilen will, darf man den treffenden Satz Gottfried Hermanns nicht vergessen, dass die Kunst früher war als die Regeln der Kunst.16 Das Stück ist viele Jahrzehnte vor der Zeit entstanden, in der Aristoteles die Regeln formulierte, die man beachten soll, wenn man eine gute Tragödie schreiben will. Es ist darum sinnvoll, das Stück zunächst in seiner Beschaffenheit zu beschreiben und sich zu bemühen, es aus dem Gesamtwerk des Dichters und seinen historischen Voraussetzungen zu verstehen. Dies ist denn auch mein Hauptanliegen. Trotzdem sollte man sich auch überlegen, wie das Stück vielleicht von Aristoteles beurteilt worden wäre, wenn er sich zu ihm geäußert hätte. Denn dies sind die Maßstäbe, an denen das Stück seit dem 18. Jahrhundert gemessen worden ist. _____________ 16 Hermann (1831) XIII: „Ars prior fuit regulis artis, seroque, et a philosophis magis quam a poetis, perspecta est ratio tragoediae.“

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Die Hekabe ist, wie eine Reihe anderer Tragödien auch, kein Stück im Sinne der Regeln der Poetik des Aristoteles.17 Es gibt keine Einheit der Handlung, weil die Geschehnisse des Dramas aus zwei nicht unmittelbar zusammenhängenden, sondern jeweils in sich abgeschlossenen Episoden bestehen, von denen eine jede Gegenstand eines eigenen Stückes sein könnte. Die Einheit liegt vielmehr in der Hauptgestalt Hekabe, die im Mittelpunkt beider Episoden steht. Aristoteles meint allerdings, dass mehrere Geschehnisse noch nicht allein dadurch eine einheitliche Handlung bilden, dass sie die gleiche Person betreffen (Poetik 1451a 16–22). Vielmehr sollte zwischen den verschiedenen Geschehnissen ein notwendiger oder zumindest wahrscheinlicher kausaler Zusammenhang bestehen (1451b 33–35). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch die mit der Hekabe in ihrer Struktur eng verwandten Troerinnen sind ein aus mehreren Episoden bestehendes Stück18 Dort ist die Zahl der Episoden größer als hier.19 In der Hekabe sind es zwei, in deren Mittelpunkt jeweils das Schicksal eines der Kinder der zur Sklavin gewordenen Königin steht. Dass es in beiden Fällen neben den zwei Einzelschicksalen ganz wesentlich auch um das Leid der Mutter geht, trägt zur Einheit des Stückes bei und erweckt in beiden Teilen der Handlung in ähnlicher Weise das Mitgefühl des Zuschauers. Dass jedoch die Reaktionen Hekabes auf die beiden Schicksalsschläge, die sie treffen, so unterschiedlich, ja gegensätzlich sind, beeinträchtigt wiederum die Einheitlichkeit der Wirkung. Zwischen den beiden Teilhandlungen besteht nicht nur kein kausaler Zusammenhang, sondern auch ein erheblicher Unterschied der Stimmung. Das bedeutet zugleich, dass nach dem Ende der ersten Teilhandlung zur Überraschung des Zuschauers ein jäher Stimmungsumschwung erfolgt. Man kann dies für eine Schwäche des Stückes halten, wie es oft geschehen ist; man darf aber vermuten, dass es Euripides gerade um die Darstellung dieses Stimmungsumschwungs gegangen ist. Ein wichtiges Einheit stiftendes Element ist jedenfalls die geschickte Verknüpfung der beiden Teilhandlungen, die so gut gelungen ist, dass die _____________ 17 Ich beziehe mich dabei auf die Forderung des Aristoteles, dass der Stoff einer Tragödie die Nachahmung einer einzigen ganzen Handlung sein soll und dass die Teile der Geschehnisse so zusammenhängen sollen, dass dann, wenn ein Teil umgestellt oder weggenommen wird, das Ganze verändert und beeinträchtigt wird (Poetik 1451a 30–35). 18 Patin (1913) 1, 331–33 prägt für diese Art von Stücken den Terminus „Tragédies episodiques“. Damit will er aber, anders als Aristoteles (Poetik 1451b 33–35), nicht eine Abweichung von einer Norm kritisieren, sondern einen bestimmten Tragödientyp beschreiben. 19 Ein Episodendrama ist auch Bertold Brechts Stück Mutter Courage und ihre Kinder, das in mehrfacher Hinsicht der Hek. und den Tro. ähnelt.

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Zweiteiligkeit dem Zuschauer kaum auffällt. Die Verknüpfung erfolgt durch einen meisterhaften Einfall, nämlich durch die Überbringung und Enthüllung der Leiche des Polydoros, die von Hekabe zunächst für die Polyxenes gehalten wird (658–82). Dies ist der emotionale Höhepunkt des Stückes, und es ist wohl mit Recht vermutet worden, dass hier der Ausgangspunkt der Erfindung des Euripides war.20 Die beiden Teilhandlungen der Hekabe sind weder gleichartig noch gleichgewichtig. Hinsichtlich der Gleichartigkeit lässt sich an Überlegungen anknüpfen, die Aristoteles im 13. Kapitel seiner Poetik angestellt hat.21 Die Polyxene-Handlung ist einfach strukturiert (a™plñ), weil sie geradlinig, d. h. ohne eine unerwartete Wendung des Geschehens (Wiedererkennung, Peripetie), auf eine schon in der Prologrede angekündigte Katastrophe zusteuert, nämlich auf den Vollzug der Opferung Polyxenes, da der Versuch Hekabes, die Katastrophe zu verhindern, an der Weigerung des Odysseus und auch an der Todesbereitschaft Polyxenes scheitert. So gerät die unglückliche Hekabe trotz großer eigener Bemühungen nur noch weiter ins Unglück. Ihr Leid wird aber ein wenig gemildert, als sie erfahren muss, wie tapfer und würdig ihre Tochter in den Tod gegangen ist. Die Polymestor-Handlung dagegen ist doppelt strukturiert (diplñ), weil hier nach der Weise der Odyssee die „Guten“ und die „Bösen“ durch eine plötzliche Wendung des Geschehens, nämlich durch das Gelingen der List Hekabes und die Bestrafung Polymestors, gegensätzliche Schicksale erfahren. Denn Hekabe verliert ihren Sohn, es gelingt ihr aber, sich an dem Mörder zu rächen. Dadurch gerät sie zwar nicht aus dem Unglück ins Glück, doch wird durch ihren Erfolg ihr Unglück zumindest zeitweise gemildert. Polymestor dagegen scheint zunächst dafür unbestraft zu bleiben, dass er seinen Gast ermordet und sich seine Schätze angeeignet hat, er muss es dann aber erleben, furchtbar bestraft zu werden, so dass er aus seinem vermeintlichen Glück ins tiefste Unglück gerät. Aristoteles meint, dass ein solcher Ausgang eigentlich mehr einer Komödie angemessen wäre, dass die Tragödiendichter ihn aber gern übernähmen, weil das Publikum es so wünschte.22 Nun mag bei einem so düsteren Stück wie der Hekabe die Gefahr eines Abgleitens ins Komödienhafte nicht sehr groß sein. Sie fehlt aber auch hier nicht gänzlich, wie man bei einer Aufführung _____________ 20 Friedrich (1953) 41. Ähnlich Michelini (1987) 148: „The cruelty of the Hek. scene is generated by the structure of the play, which has been engineered for this moment of supreme coincidence.” 21 Poetik 1452b 28 – 1453a 39. Dort finden sich auch die Begriffe a™plñ und diplñ (oder peplegménh) und die Odyssee als Beispiel für einen gegensätzlichen Ausgang der Handlung für die „gute“ und die „böse“ Seite. 22 Poetik 1453a 30–36.

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bemerken konnte, in der der Chor angesichts des Unglücks Polymestors seine verständliche Schadenfreude allzu deutlich zum Ausdruck brachte. Die beiden Teilhandlungen sind auch nicht gleichgewichtig. Es gibt ein deutliches Übergewicht auf der Seite der Polymestor-Handlung, nicht nur dadurch, dass ihr mit 627 zu 531 Versen mehr Raum gegeben wird,23 sondern auch, weil infolge der Prologrede und der Anapäste Hekabes die erste Teilhandlung schon von der Erwartung des Publikums überschattet wird, dass noch eine weitere Unglücksnachricht folgen wird. Außerdem sind die Ereignisse der zweiten Teilhandlung spektakulärer als die der ersten, und der letzte und zugleich stärkere Eindruck prägt sich dem Zuschauer tiefer ein.24 Manche Kritiker meinten, das Stück wäre wirkungsvoller gewesen, wenn Euripides die Polymestor-Handlung vorangestellt hätte und die Polyxene-Handlung hätte folgen lassen, so dass der rühmende Bericht des Talthybios und Hekabes gefasste Reaktion einen würdigen Abschluss gebildet hätten.25 Nichts ist falscher als das. Denn das Gelingen der Rache Hekabes an Polymestor ist der Zielpunkt der Handlung, und auf ihn strebt alles hin. Stände dagegen die Polyxene-Handlung am Schluss, würde nach der Erreichung des Ziels der gewichtigeren Teilhandlung ein Abfall der dramatischen Spannung erfolgen, und die Aufmerksamkeit des Publikums würde nachlassen. Die subtileren Emotionen, welche die PolyxeneHandlung erregt, bereiten die sehr viel stärkeren, mehr elementaren Emotionen der zweiten Teilhandlung vor. Hinsichtlich der Reihenfolge der beiden Teilhandlungen gilt hier also in gewisser Weise doch der Satz des Aristoteles, dass in einer guten Tragödie jeder Teil seinen festen Platz im Handlungsablauf hat, der sich nicht verändern lässt, ohne dass das Ganze beeinträchtigt würde (Poetik 1451a 30–35).

Die Polyxene-Handlung Der Geist des Achilleus hält, wie der Zuschauer im Prolog erfährt, die griechische Flotte an der thrakischen Küste zurück und fordert, dass man ihm Polyxene als Ehrengabe opfert. Man hört dort auch schon, dass das Heer diese Forderung erfüllen wird und dass es Polyxene schicksalhaft _____________ 23 Diese Zahlen ergeben sich, wenn man jeweils das 1. bzw. 3. Stasimon mitrechnet. Würde man sie nicht mitrechnen, weil sie inhaltlich nicht zur jeweiligen Teilhandlung gehören, wäre das Zahlenverhältnis ähnlich, nämlich 580 zu 491. 24 Zur Beurteilung der beiden Teilhandlungen durch Gustav Freytag, s. S. 69 Anm. 130. 25 So Reiske (1748) 550f.; hierzu s. S. 67f. und Anm. 121.

Die Polyxene-Handlung

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bestimmt ist, noch am gleichen Tage zu sterben (35–46). Damit steht der Ausgang dieser Teilhandlung von vornherein fest. Hekabe erfährt hiervon zunächst nur durch unheilverkündende, aber undeutliche Traumbilder, die noch die Möglichkeit offen zu lassen scheinen, dass Achilleus sich mit dem Tod einer anderen Troerin zufrieden geben könnte (93–97). Der Chor berichtet aber, dass die Heeresversammlung tatsächlich beschlossen hat, Polyxene zu opfern, und dass Odysseus schon unterwegs ist, um sie zu ihrem letzten Gang abzuholen (98–143). Trotzdem rät der Chor Hekabe, durch Bitten und Gebete zu versuchen, das Unheil von ihrer Tochter doch noch abzuwenden (144–52). Als Polyxene von dem Beschluss des Heeres erfährt, reagiert sie gefasst und beklagt vor allem den Verlust, den ihre Mutter durch den Tod ihrer Tochter erleiden wird (188–215). Nachdem Odysseus in dürren Worten den Beschluss des Heeres verkündet und Hekabe aufgefordert hat, sich in das Unvermeidliche zu fügen (218–28), versucht diese doch noch, ihn durch eine mit der Gebärde der Hikesie unterstützte eindrucksvolle Rede dazu zu bewegen, dass er das Heer zur Rücknahme seines Beschlusses veranlasst (251–95). Doch ihr Versuch ist zum Scheitern verurteilt, denn Odysseus verteidigt den Beschluss mit eben der Begründung, mit der er ihn in der Heeresversammlung durchgesetzt hat (299–331). Sie fordert ihre Tochter auf, sie solle auch selber Odysseus um Gnade bitten, doch diese erklärt sich nicht dazu bereit, weil sie den Tod für eine Befreiung aus dem drohenden Leid der Sklaverei hält (334–78). Hekabe versucht sich zwar auch weiterhin zu widersetzen, doch ihre Tochter bringt sie dazu, ihre Würde zu wahren und ihren Widerstand aufzugeben (382–408). Es kommt zu einer rührenden Abschiedsszene zwischen Mutter und Tochter, bevor sich Polyxene von Odysseus wegführen lässt (409–37). Man kann sich fragen, wie das zeitgenössische Publikum die Auseinandersetzung zwischen Hekabe und Odysseus beurteilt hat.26 Durch den Prolog und die anschließenden lyrischen Passagen ist die Anteilnahme der Zuschauer mit dem Schicksal Hekabes und ihrer Kinder geweckt worden, so dass anzunehmen ist, dass sie auf der Seite Hekabes stehen werden, wenn sie das, wie sie aus V. 43f. schon wissen, unvermeidliche Schicksal Polyxenes durch ihre Rede doch noch abzuwenden versucht. Das gilt erst _____________ 26 Man wird der Rede des Odysseus nicht gerecht, wenn man sie als „Meisterstück einer durchsichtig pseudo-idealistischen Rhetorik“ bezeichnet; wie Abrahamson (1952) 124 Anm. 10 meint. Allzu rasch urteilt andererseits Schlesinger (1937) 70, schon aus der Tatsache, dass die Rede des Odysseus an zweiter Stelle stehe, lasse sich entnehmen, „that in the Hec. the second speaker, Odysseus, is recommended to us by the poet“. Odysseus behält zwar das letzte Wort, aber nur, weil er die Macht hat, und nicht, weil das Recht allein auf seiner Seite wäre. Gut zu dieser Rede auch Adkins (1966) 193–209.

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recht dann, wenn sie, wie es der Fall ist, gute Argumente vorbringt, denen sich Odysseus nur schwer entziehen kann. Die Gegenargumente des Odysseus sind zwar so beschaffen, dass Hekabe sie ihrerseits nicht akzeptieren kann, es ist aber die Frage, wie das Publikum sie bewertet. Die Bürger von Athen waren ja auch Krieger, und die Auffassung des Odysseus, dass man alles tun müsse, um den besten Helden zu ehren und so den Zusammenhalt des Heeres zu stärken, wird für sie einiges Gewicht gehabt haben. Ich glaube zwar, dass das Publikum sich emotional weiter mit der Sache Hekabes verbunden gefühlt haben wird, vermute aber, dass es gespürt hat, dass auch die Gegenseite einiges für sich in die Waagschale werfen kann, das man nicht unterschätzen darf. Aristoteles (Poetik 1452b 34–1453a 1) äußert Bedenken darüber, ob das unverdiente Unglück eines edlen Menschen als Thema einer Tragödie geeignet sei, denn es errege weder Furcht noch Mitleid, sondern werde als grässlich (miarón) empfunden. Diese Bedenken sind nicht ganz unberechtigt. Polyxenes Tod würde beim Zuschauer aber nur dann Empörung auslösen, wenn er eine Vergrößerung ihres Unglücks bedeuten würde. Aber da sie sich bereits im Unglück befindet und den Tod als eine Befreiung auffasst, bewirkt ihr Schicksal beim Zuschauer kein Entsetzen, sondern löst Anteilnahme aus, die man wohl am besten als eine mit Mitleid verbundene Bewunderung beschreiben kann. Man kann darüber streiten, ob dies tragödientypische Emotionen sind. Wenn jedoch die Meinung der Philosophen zutrifft, dass es die Aufgabe der Tragödie sei, die menschliche Freiheit im Konflikt mit der Notwendigkeit des Schicksals zu zeigen, dann ist die Polyxene-Handlung tragisch zu nennen. Denn Polyxene nimmt die Notwendigkeit ihres Todes durch eine freie Entscheidung auf sich und gibt dadurch diesem Tod einen Sinn: Nur durch den Tod ist es ihr möglich, der Sklaverei zu entgehen und ihre Freiheit zu bewahren. Für unser von Christentum, Aufklärung und Neuhumanismus geprägtes Bewusstsein ist die Opferung eines Menschen, aus welchen religiösen Motiven auch immer sie erfolgt, eine Ungeheuerlichkeit, die uns tief empört.27 Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Athener des 5. Jahrhunderts offenbar anders empfanden, insbesondere wenn es sich um Ereignisse handelte, die der mythischen Vergangenheit angehören. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sowohl in der minoischen als auch in der mykenischen Epoche Menschenopfer vollzogen wurden, und es sind vereinzelte _____________ 27 Die Interpretation des Stückes durch Synodinou (2005) wird sehr stark von dieser verständlichen Empörung bestimmt. Eine ähnliche Tendenz auch bei Scodel (1996). Sourvinou-Inwood (2003) 291–94 spricht in solchen Fällen von einer „culturally determined perception“, also einer unreflektierten Wahrnehmung antiker kultureller oder religiöser Phänomene aus der Perspektive der christlich geprägten eigenen Kultur. Vgl. auch S. 31-33 zur Beurteilung der Rache Hekabes.

Die Polyxene-Handlung

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Fälle bekannt, in denen es noch in historischer Zeit zu solchen Opferungen gekommen sein soll.28 In manchen Kultlegenden hieß es, dass ursprünglich Menschen geopfert wurden und diese Opfer später durch Tieropfer oder durch symbolische Handlungen ersetzt wurden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Athener keinen Anstoß nahmen, wenn im Epos und der Tragödie, die ja in der mythischen Vergangenheit spielten, von Menschenopfern als einer verbreiteten Praxis die Rede war. Wir müssen also akzeptieren, dass Euripides die Opferung von Menschen als Gegebenheit der Mythen hinnahm und sie nicht grundsätzlich in Frage stellte. Auf jeden Fall hat er sie immer wieder in seinen Tragödien zum Thema gemacht.29 Die Kritik, die in unserem Stück von Hekabe geäußert wird (260f.), ist ganz singulär. Sie wird mit wenig Nachdruck vorgebracht, und der Gedanke wird nicht weiter verfolgt.30 Der freiwillige Opfertod Polyxenes steht in einer Reihe von Fällen bei Euripides, wo die Götter ein Menschenopfer verlangen und wo sich ein junger Mensch bereit erklärt, sein Leben hinzugeben. Solche Fälle finden sich in den Herakliden, den Phönizierinnen und der Aulischen Iphigenie sowie im verlorenen Erechtheus und im zweiten Phrixos. Im weiteren _____________ 28 Hierzu A. Henrichs, Human Sacrifices in Greek Religion, Entretiens Fondation Hardt 27 (1981) 195–235; O’Connor-Visser (1987) 211–32. 29 Dass es gerade der Geist des Achilleus ist, der das Menschenopfer fordert, ist nicht verwunderlich. Schon der Achilleus der Ilias besteht unerbittlich auf einer angemessenen Ehrung seiner Leistungen, die sich auch in Ehrengaben zu manifestieren hat. Dabei unterstützt ihn Zeus bei der Durchsetzung seiner Forderungen. Achilleus ist es auch, der sich durch besondere Grausamkeit hervortut, so bei seiner Behandlung des Leichnams Hektors und bei der Opferung von zwölf jungen Trojanern am Grab des Patroklos (23,175f.). 30 So richtig Steidle (1968) 44 Anm. 2: „Die Berechtigung des Menschenopfers wird nur in einer beiläufigen Bemerkung Hekabes ... angezweifelt, ansonsten ist sie eine dramatische Voraussetzung des Stückes und als solche kaum ein Problem.“ Ähnlich Lesky (1972) 337, der daran erinnert, dass Hekabe „gegen eine Opferung Helenas nichts einzuwenden“ hätte. Die Debatte im Heer in V. 116–40 geht auch nicht darum, ob überhaupt ein Mensch geopfert werden solle, sondern darum, ob ein bestimmter Mensch das Opfer sein solle. – Synodinou (2005) 1, 37–47 nimmt an, dass Eur. schon dadurch, dass er den Demagogen Odysseus für das Zustandekommen der Opferung verantwortlich macht, das Menschenopfer als eine verbrecherische Tat kennzeichnen will. Gregory (1999) xxv–xxxi vermutet, dass die Opferung Polyxenes von den Göttern missbilligt wurde und vielleicht sogar gegen religiöse Normen verstieß. S. auch S. 48f. – In Frage gestellt wird die Opferung von Menschen dagegen in der Iph.T. Dort tadelt Iphigenie die Sitte der Taurer, gestrandete Fremde der Artemis zu opfern, und versucht die Göttin von der Verantwortung hierfür zu entlasten (V. 380-91). Diese Kritik dient aber schon der Vorbereitung für die am Schluss des Stückes angeordnete Ersetzung der taurischen Menschenopfer durch die Stiftung eines weniger blutigen Ritus in Attika (1449– 61).

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Sinne kann man hierher auch den freiwilligen Tod rechnen, den Alkestis auf sich nimmt, um das Leben Admets zu retten.31 In den meisten dieser ‚Opferdramen‘ lässt sich ein typischer Handlungsablauf beobachten, der im einzelnen Stück mehr oder weniger ausführlich zur Darstellung kommt. Zunächst wird bekannt gemacht, dass sich in einer kritischen Situation das Wohlwollen der Götter nur dann gewinnen lässt, wenn ihnen ein junger Mensch geopfert wird. Dass die Götter das Recht haben, Menschenopfer zu fordern, wird meist nicht in Frage gestellt. Das ausersehene Opfer (meist eine Jungfrau) erklärt, gelegentlich erst nach einigem Zögern, seine Bereitschaft zum Tode und beweist dadurch seinen heroischen Charakter. Manchmal muss es noch die Widerstände seiner Angehörigen überwinden. Danach kommt es zu einer mehr oder weniger breit ausgestalteten Abschiedsszene. Die Polyxene-Handlung der Hekabe stellt ein besonders vollständiges Beispiel des Handlungstyps dar. Hier wird auch noch der Vollzug der Opferung gemeldet, gefolgt von einem Bericht über die Einzelheiten und einer Würdigung des edlen Charakters der Geopferten. Eine Besonderheit der Hekabe besteht darin, dass hier kein Gott das Opfer verlangt, sondern der Heros Achilleus. Wichtiger ist jedoch, dass Polyxene sich nicht mit dem Ziel identifizieren kann, für das ihre Opferung erfolgen soll, nämlich mit der Heimkehr der griechischen Flotte, sondern dass sie ihre eigene Motivation findet. Eine weitere Besonderheit ist es, dass es zwischen der Person, welche die Opferung fordert (Odysseus), und dem Angehörigen, der sich der Opferung widersetzt (Hekabe), zu einem Redestreit (a¬gån) kommt, der durch die Erklärung der Todesbereitschaft der für die Opferung vorgesehenen Person (Polyxene) entschieden wird.32 Ein ausführlicher Bericht über den Vollzug der Opferung findet sich in den Opferdramen des Euripides nur hier und in der Aulischen Iphigenie (1540–1612). Allerdings gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass der dort erhaltene Bericht nicht vom Dichter selbst stammt, sondern später hinzugefügt wurde, während der ursprüngliche Dramenschluss verloren ging. Es ist jedoch recht sicher, dass in diesem verlorenen Schluss, nicht anders als im überlieferten, die Opferung letztlich nicht vollzogen wurde, sondern das menschliche Opfer von Artemis durch ein Tier ersetzt wurde.33 Nur in unserem Stück wird also über die tatsächlich vollzogene Opferung eines Menschen ausführlich berichtet (521–82). Dies ist jedoch ein so furchtbares Geschehen, dass es einem menschlich empfindenden Publikum _____________ 31 Hierzu Schmitt (1921); O’Connor-Visser (1987), bes. 50–72; Matthiessen (2002) 32f. 32 Zu diesem Agon und überhaupt zum Typ der von ihm so genannten ‚Hikesieagone‘ Dubischar (2001) 73–78. 33 Hierzu Matthiessen (2002) 234–37.

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nicht einmal in der Form eines Berichts ohne weiteres zugemutet werden kann. Die Beschreibung der Opferung der geknebelten und nur noch mit den Augen um Hilfe flehenden Iphigenie im Agamemnon (228–47) ist denn auch gräßlich, und sie soll es sein, da sie die Tat des Vaters in ihrer ganzen Furchtbarkeit vergegenwärtigen soll. Hier jedoch erreicht es Euripides, dass das Geschehen dem Publikum nicht als grässlich erscheint. Polyxene befand sich bereits vor ihrer Opferung im Unglück, da ihre Stadt zerstört und sie selbst auf dem Weg in die Sklaverei ist, und der Tod erscheint ihr eher als eine Wohltat, da er ihr diesen Weg erspart. Ausserdem lässt der Dichter sie auf eine Weise in den Tod gehen, die ihren edlen Charakter offenbart und sogar dem Opferer und der Heeresversammlung Bewunderung abnötigt. Ihr Verhalten hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem einer christlichen Märtyrerin, und es löst beim Zuschauer auch vergleichbare Gefühle aus. Man hat hier von einer Ästhetisierung des Schrecklichen gesprochen.34 Dem ist zuzustimmen, wenn diese Bezeichnung nicht als Kritik verstanden wird, sondern als angemessene Beschreibung der Verfahrensweise des Dichters. Das Schreckliche wird in der Tat nicht aufgehoben, aber es wird so abgemildert dargestellt, dass es für den Zuschauer noch erträglich ist. Manche Einzelheiten des Berichts des Talthybios sind als anstößig empfunden worden, zu Unrecht, wie ich meine. Dieser Anstoß scheint mir in der Differenz der Zeitalter und der Kulturen begründet zu sein. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass jedes blutige Opfer von Anfang an eine sexuelle Komponente gehabt hat, die in historischer Zeit wohl nur noch im Unterbewusstsein vorhanden war.35 Diese Komponente dürfte bei einem Jungfrauenopfer stärker ausgeprägt gewesen sein als bei einem Tieropfer. Sie fehlt auch hier nicht. Dass das Heer über den edlen Tod Polyxenes begeistert war und dass dieser Begeisterung auch ein erotisches Element beigemischt war, lässt sich aus dem Bericht erahnen, besonders betont wird es aber nicht, weil sonst seine Haupttendenz beeinträchtigt würde. Denn der Bericht dient in erster Linie der Verherrlichung des Mutes und des edlen Verhaltens des Mädchens bei ihrer Opferung, er soll aber auch bewirken, dass Hekabe aus ihm etwas Trost schöpft. So kann sie feststellen, dass sie zwar trauern muss, aber das Übermaß der Trauer von ihr genommen wurde (589–92). In der Stimmungskurve des Stückes folgt auf den Zusammenbruch Hekabes am Ende des ersten Epeisodion (438–40) nunmehr am Ende des zweiten eine Mischung aus Trauer und Gefasstheit. Ihre Trauer wird bald darauf aber wieder gewaltig gesteigert werden. _____________ 34 Michelini (1987) 131–80, besonders 144–48. 35 Dazu Burkert (1997) 70–80, besonders 79f.

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Man hat öfters gefragt, ob die Opferung Polyxenes das vom Heer erstrebte Ziel, nämlich die Ermöglichung der Heimfahrt nach Griechenland, überhaupt erreicht habe. Manche vermuten, die Götter hätten die Annahme des Opfers verweigert, entweder weil sie überhaupt Menschenopfer ablehnten oder weil es infolge von Polyxenes Verhalten oder aus anderen Gründen zu keiner vollgültigen Opferung gekommen sei.36 Als Indiz für eine solche Verweigerung wird angeführt, dass der Fahrtwind nicht sofort nach der Opferung zu wehen beginnt, sondern erst später, wie aus V. 900 und 1289f. zu entnehmen sei. Mir scheint jedoch kein Zweifel daran möglich zu sein, dass dies ein vollgültiges Opfer war. Sowohl die Freiwilligkeit des ‚Opfertiers‘ als auch seine vor allen Augen sichtbare körperliche Vollkommenheit sind Indizien für die Vollgültigkeit.37 Dass der Fahrtwind nicht sofort weht, erfahren die Zuschauer erst später und mehr nebenbei aus dem Munde Agamemnons (V. 900), und zwar zu einem Zeitpunkt, wo ihre Aufmerksamkeit schon ganz auf die Rachehandlung gerichtet ist. Dass der Fahrtwind sich verzögert, hat wohl andere Gründe38, und die Vermutung, dass die Götter Menschenopfer überhaupt ablehnten, setzt ein größeres Maß an Humanität bei ihnen voraus, als man ihnen zubilligen sollte. Polyxene wählt mit ihrem Opfertod den einzigen Weg, auf dem es einer Frau in der damaligen Gesellschaft möglich war, selbstbestimmt heroisch zu handeln, ohne die Grenzen zu überschreiten, die ihr durch Natur und Konvention gesetzt waren.39 Sie wird damit zu einer Heroine, die sich in ihrer Geradlinigkeit und Unbedingtheit mit sophokleischen Helden wie Aias, Antigone oder Elektra messen kann.40 Auch Hekabe, die sich in einer aussichtslosen Situation mit aller Kraft für das Leben ihrer Tochter ein_____________ 36 Mitchell-Boyask (1993) 120–23 meint, dass die Opferung Polyxenes ihren Zweck, den günstigen Fahrtwind herbeizuführen, verfehlte, und nennt vermutungsweise eine Reihe von Gründen für das von ihm angenommene Misslingen des Opfers. Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass sowohl die Heeresversammlung als auch das Publikum die Opferung in keiner Weise als misslungen wahrnehmen und dass die Mitteilung Agamemnons über das Ausbleiben des Windes erst sehr viel später in wenigen Worten in einer Parenthese erfolgt (V. 900). Ein Interpret sollte immer davon ausgehen, dass der Dichter dem, was er für wichtig hält, im Dramentext so viel Gewicht gibt, dass auch der Zuschauer die Wichtigkeit bemerkt. 37 Gregory (1991) 97: „Polyxena’s readiness to die makes her the ideal sacrificial victim.“ Zur Vollkommenheit und Freiwilligkeit des Opfertiers s. Burkert (1997) 10f. 38 Siehe S. 46f. 39 Foley (2001) 264: „There is for the Greeks no model of autonomous and heroic femininity outside of self-sacrifice.“ Dazu ist freilich zu bemerken, dass in der Tragödie auch Frauen ein autonomes Handeln möglich ist, dass dies aber immer eine Grenzüberschreitung darstellt, die entsprechende Folgen hat. Dies zeigen Fälle wie die Klytaimestras, Deianeiras, Antigones, Medeas und auch Hekabes. 40 Eine schöne Würdigung der Polyxene-Handlung bei Pagani (1970).

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setzt, erweist sich schon in diesem Teil des Dramas als eine heroische Gestalt. Ihr Gegenspieler Odysseus dagegen erscheint als rücksichtsloser Verteidiger und Vollstrecker des Beschlusses der Heeresversammlung, den er zuvor selbst durch seine eigene Rede herbeigeführt hat. Er braucht keine Gewalt anzuwenden, da sich Polyxene freiwillig in ihr Schicksal ergibt, er lässt aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sie anwenden würde, wenn es nötig wäre. Mag seine Argumentation auch noch so geschickt sein, die Sympathien des Publikums werden wohl eher auf der Seite der beiden Frauen gewesen sein.

Die Polymestor-Handlung Schon in der Prologrede erfährt der Zuschauer, dass der Thrakerkönig Polymestor ein Verbrecher ist. Er hat auf Wunsch seines Gastfreundes Priamos dessen Sohn Polydoros bei sich aufgenommen, damit dieser im Falle des Unterganges von Troja gerettet werde. Als die Stadt gefallen ist, hat er das ihm anvertraute Kind getötet, die ihm mitgegebenen Schätze an sich genommen und die Leiche nicht bestattet, sondern ins Meer geworfen. Bei seinem Auftritt und seinem Gespräch mit Hekabe erweist er sich als Heuchler und Lügner, aber da er sich darauf verlässt, dass seine Untat verborgen bleibt und dass die Griechen ihm freundschaftlich verbunden sind, und da ihn seine Gier nach weiteren Schätzen für alle Gefahren blind macht, kann Hekabe ihn leicht überlisten, mit Hilfe ihrer Mitgefangenen blenden und seine beiden Söhne töten. Anders als die Polyxene-Handlung verläuft die Polymestor-Handlung nicht so, wie es der in der Prologrede erfolgenden Ankündigung entspräche. Dort hat der Geist des Polydoros nur angekündigt, dass sein Leichnam ein Grab erhalten wird, sobald er in die Hände seiner Mutter gefallen ist (V. 49–52). Erst im Verlauf der Handlung wird sich zeigen, dass ihm sehr viel mehr zuteil werden wird als eine würdige Bestattung, nämlich eine angemessene Bestrafung seines Mörders durch seine Mutter. Diese überraschende Wendung des Geschehens erfolgt ganz plötzlich durch den Entschluss Hekabes, die Rache für den Tod ihres Sohnes auf sich zu nehmen (V. 736–57), sie ist aber gut vorbereitet durch die Weise, wie Hekabe durch ihr Verhalten während der vorausgehenden Handlung charakterisiert worden ist. Polymestor ist in jeder Hinsicht ein „ganz Schlechter“ (sfódra ponhróß) im Sinne des Aristoteles (Poetik 1453a 1–7). Er befindet sich zunächst in einem vermeintlichen Zustand des Glückes, da er, wie es ihm scheinen muss, ungestraft einen großen Schatz an sich gebracht hat, nachdem er dessen rechtmäßigen Besitzer ermordet hat. Er muss jedoch im

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Verlauf der Handlung erleben, dass er für dieses Verbrechen aufs furchtbarste bestraft wird. Es handelt sich bei ihm um einen Fall von der Art, die der Philosoph meint, wenn er sagt, der tragische Dichter solle nicht darstellen, wie ein solcher „ganz Schlechter“ einen Umschlag vom Glück ins Unglück erlebt, weil dies zwar menschlich erfreulich (filánqrwpon) sei, aber weder Mitleid noch Furcht errege. In der Tat löst die Bestrafung des Thrakerkönigs beim Zuschauer wenig Anteilnahme aus, und zwar höchstens in dem Umfang, wie jeder Mensch am Leiden eines anderen Anteil nimmt, ob dieses Leiden nun verdient sei oder nicht. Diese Anteilnahme wird im Falle Polymestors aber nicht stark ausgeprägt sein, und bei vielen Zuschauern wird die Schadenfreude überwiegen. Solche „ganz Schlechten“ wie Polymestor kommen, wohl aus dem von Aristoteles genannten Grund, in den erhaltenen Tragödien des Euripides selten vor. Mir fällt nur noch der Fall des Tyrannen Lykos im Herakles ein. Sonst bemüht sich der Dichter im allgemeinen, auch die negativ gezeichneten Charaktere mit einigen freundlicheren Zügen auszustatten, wie zum Beispiel Eurystheus in den Herakliden oder Klytaimestra in der Elektra, wohl um beim Zuschauer wenigstens eine gewisse Anteilnahme an ihrem Schicksal zu erwecken. Man kann sich fragen, wie das zeitgenössische Publikum die doppelte Bestrafung Polymestors, also seine Blendung und die Ermordung seiner Kinder, beurteilt hat. Einen wichtigen Hinweis dürfte geben, dass innerhalb des Stückes alle Beteiligten (ausser dem Betroffenen selbst) die Bestrafung für angemessen halten und dass auch das Gerichtsverfahren, das unter Agamemnons Leitung erfolgt, zu dem gleichen Ergebnis führt.41 Was die Ermordung der Kinder betrifft, so scheint mir eine gewisse Ähnlichkeit mit der Medea zu bestehen, weil hier wie dort der Vater durch den Verlust seiner Kinder am schwersten getroffen wird (Med. 817). Im übrigen sind die Unterschiede jedoch groß. Denn dort wird erstens die Anteilnahme des Zuschauers am Schicksal der Kinder von Anfang an geweckt und während des ganzen Stückes fortwährend verstärkt.42 Zweitens handelt es sich um die eigenen Kinder der Mörderin, so dass der Zuschauer schon deswegen von starken widerstreitenden Emotionen ergriffen wird. Er wird nicht nur _____________ 41 Richtig urteilt Dubischar (2001) 18: „Wenn sich während eines Dramenabschnitts alle Bühnenfiguren in der Verurteilung einer Figur einig sind und nirgends eine gegenteilige Meinung laut wird, kann man davon ausgehen, dass in dieser Phase auch der Rezipient gegen diese Figur eingenommen sein soll.“ Allerdings zieht er aus dieser Erkenntnis nicht die nötige Folgerung für die Beurteilung der Bestrafung Polymestors (334–41). – Wenn Ihm (2004) 136 die Bestrafung Polymestors durch Hekabe als „einen schweren Bruch des Gastrechtes“ auffasst, verkennt sie, dass er zuvor durch sein xenoktoneîn (1247) das Gastrecht gebrochen hat und jetzt dafür nach allgemeinem Konsens mit Recht bestraft wird. 42 Ähnliches gilt auch für die Kinder des Herakles im Her.

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um die Kinder, sondern auch um die Mutter fürchten, und wenn es dann zur Tat kommt, wird er für Kinder und Mutter Mitleid empfinden. In der Hekabe dagegen wird der Auftritt der Kinder kaum vorbereitet, die Gefahr, in der sie schweben, wird nicht bewusst gemacht, und ihr Tod wird nicht angekündigt, sondern erfolgt völlig überraschend. Der Zuschauer erhält also kaum die Möglichkeit, sich für sie emotional zu engagieren. Man gewinnt den Eindruck, dass die Kinder nur zu dem Zweck eingeführt werden, dass sie getötet werden, um durch den Verlust der Erben seines Vermögens das Leid Polymestors so sehr zu vergrößern, dass das Ausmaß seiner Bestrafung das richtige Verhältnis zur Größe seiner Verbrechen (Mord, Raub, Bruch des Gastrechts, Leichenschändung) erhält. Ich nehme also an, dass die Zeitgenossen mit der Form der Bestrafung Polymestors einverstanden waren. Dass es im Altertum Fälle gab, in denen jemand für ein schweres Verbrechen zusammen mit seiner Nachkommenschaft bestraft wurde, wird von Historikern bezeugt.43 Ob eine Blendung als eine härtere Form der Bestrafung empfunden wurde, ist schwer zu sagen. Ich vermute, dass die Ausstoßung aus der Gesellschaft der Sehenden, die durch eine Blendung bewirkt wird, als eine etwa gleich schwere Strafe wie der Tod angesehen wurde. Für den Dichter bot diese Art der Bestrafung auf jeden Fall den dramentechnischen Vorteil, dass ihm Polymestor weiterhin zur Verfügung stand, als Sänger eines Klageliedes über sein und seiner Söhne Unglück, als Verteidiger seines Verbrechens, als Berichterstatter über seine eigene Bestrafung und schließlich als Verkünder zukünftigen Unglücks. Sehr eindrucksvoll ist die Erscheinung des Geblendeten auf der Bühne (1055a–1106). Er kriecht in der blutigen Maske, die dem Zuschauer wohl schon aus dem Ödipus vertraut war, auf allen Vieren aus dem Zelt heraus, tappt umher, um sich an seinen Feindinnen zu rächen, tastet nach den Leichnamen seiner Kinder und schreit seinen Schmerz und seine Wut laut heraus. Er zeigt sich in seinen wilden Gesängen und wohl nicht minder wilden Bewegungen jetzt ganz als der Barbar, dem man seine schrecklichen Taten auch zutrauen kann. Er hat für die Dauer seines Liedes die Maske des Biedermannes verloren, hinter der er sich vorher beim Gespräch _____________ 43 Bestrafung der Kinder als Teil der Bestrafung des Vaters auch bei Herodot 8,106 (Panionios) und 9,120 (Artayktes) sowie in späterer Zeit bei Diodor 20,70,3–4 (Agathokles). Diodor stellt ausdrücklich fest, dass der Tod der Söhne des Agathokles eine gerechte göttliche Strafe für die Ermordung eines Gastfreundes war. Hierzu Burnett (1998) 163 Anm. 83; ferner Meridor (1983) 17–20, die meint, dass Eur. bei der Gestaltung des Schlusses der Hek. durch die Artayktes-Episode bei Herodot angeregt worden ist. Auch der von Nebukadnezar abgefallene König in Juda Zedekia wird auf die gleiche Weise bestraft wie Polymestor (Jeremia 39,6f.).

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mit Hekabe verborgen hat und die er bald wieder anlegen wird, wenn er seine Sache in wohlgeordneter Rede vor Agamemnon vertritt. Es gibt im ganzen Corpus der erhaltenen Tragödien nur wenig, das sich mit dieser bewegten Szene vergleichen lässt.44 Bei Polymestors Rede (1132–82) sollte man sich nicht allzusehr durch seine Argumentation beeindrucken lassen.45 Euripides pflegt in seinen Redeagonen Fairness walten zu lassen, indem er den Rednern für ihre Sache immer möglichst gute Argumente zur Verfügung stellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass er selbst sich diese Argumente zu eigen macht oder dass sich der Zuschauer von ihnen überzeugen lassen soll. Polymestor ist durch den Geist des Polydoros im Prolog als ein Mörder eingeführt worden, der zu seiner Tat allein von Habgier getrieben wurde. Diese Motivation seines Handelns ist damit für die Zuschauer eine aus berufenem Mund beglaubigte Tatsache.46 Sie wird denn auch von der Dienerin (712), von Agamemnon (775) und von Hekabe (776) vorausgesetzt, und auch in seinem Gespräch mit Hekabe (953–1022) verhält er sich dementsprechend. Wenn Polymestor seine Tat nachträglich anders begründet, hat dies keine Überzeugungskraft, und es fällt Hekabe denn auch leicht, seine Argumentation zurückzuweisen. Man hat mit Recht auf einige Parallelen hingewiesen, die zwischen Polymestor und dem Polyphem der Kyklopenepisode der Odyssee (9,193– 542) bestehen.47 Jeder von beiden ist ein Verächter des Gastrechts und ein Mörder und Kannibale (Polymestor zumindest potentiell: 1071f.). Beide werden zur Strafe geblendet; beide werden zu Verkündern einer unglücklichen Zukunft derer, die sie bestraft haben, und schöpfen dabei aus dem Wissen, das ihnen Seher mitgeteilt haben. Es kann also sein, dass Euripides sich beim Schlussteil der Polymestor-Handlung von der Odyssee anregen ließ. Dass er damit andeuten will, dass Hekabe sich bei ihrer Rache dem schnöden Verhalten des Odysseus, ihres Gegenspielers in der ersten Dramenhälfte, angleicht, wie vermutet wurde, glaube ich freilich nicht.48 Ich meine vielmehr, dass die Überlistung Polymestors als eine Meisterleistung wahrgenommen werden sollte, die vollen Respekt verdient und die sich durchaus mit der berühmtesten Tat des Odysseus, der Blendung des Kyk_____________ 44 Gut hierzu Schadewaldt (1926) 154f.; s. zu V. 1055a–1108. 45 Dies ist z. B. der Fall bei Meridor (1979/80) 10 Anm. 16; Ihm (2004). Richtig hierzu Battezzato (2003) 26. 46 Dubischar (2001) 200–06 spricht von der „auktorial intendierten Rezeptionsperspektive“. 47 Schmid (1940) 466; Segal (1990a) 309f.; Ferla (1996) 289. 48 Segal (1990a) 309–11.

Hekabe als Zentralgestalt

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lopen, vergleichen lässt. Übrigens wirkt der Schluss des Kyklops an einigen Stellen wiederum wie eine Parodie des Schlusses der Hekabe.49

Hekabe als Zentralgestalt In der zentralen Gestalt der Hekabe und in ihrem Schicksal verbinden sich Exemplarisches und Persönliches. Einerseits ist sie, wie es im Stück immer wieder heißt, das große Exempel für den Wechsel von Glück zum Unglück, andererseits ist sie auch ein markanter, unverwechselbarer Charakter. Schon der Prologsprecher Polydoros stellt seine Mutter vor ihrem Auftritt als einen Menschen vor, den das Schicksal aus dem Königspalast vertrieben und in die Sklaverei verbannt hat und der jetzt ebenso tief steht, wie zuvor hoch (54a–58). Dem entspricht dann auch ihre Erscheinung auf der Bühne. Als Talthybios sie später erblickt, wie sie nach dem Verlust ihrer Tochter in ihre Kleider gehüllt zusammengesunken auf dem Boden liegt, nimmt er ihr Los als Beweis dafür, dass das Ergehen der Menschen den Göttern gleichgültig ist, und hebt hervor, wie hoch sie einst stand und wie tief sie jetzt gesunken ist (488–98). Hekabe selbst fasst ihr Schicksal als exemplarisch auf: als eine Warnung an die Menschen vor Übermut und als eine Mahnung dazu, schon das unbeschädigte Überleben des nächsten Tages für das größte Glück zu halten (619–28). Auch die Dienerin, die Hekabe den Leichnam des Polydoros überbringt, erklärt ihre Herrin zu dem Menschen, der alle anderen durch sein Unglück übertrifft, zur ‚Siegerin‘ im Wettstreit um den Platz des Allerunglücklichsten (658–60). Ebenso sieht es Agamemnon (785), und sie selbst bestätigt es, indem sie sich mit Tyche, der Glücksgöttin, die in diesem Fall die Verkörperung des Unglücks ist, auf eine Stufe stellt (786) und dann noch einmal vor seinem distanzierten Blick ihr Leid in all seinen Aspekten ausbreitet (808–11). Selbst Polymestor fasst ihr Unglück als exemplarisch auf und knüpft allgemeine Betrachtungen daran an (955a–60). Aber Hekabe ist vom ersten Auftritt bis zu ihrem letzten Abgang niemals nur Exempel, sondern immer zugleich auch ein fest umrissener Charakter, der im Laufe des Stückes immer mehr an Profil gewinnt. Sie ist eine der eindrucksvollsten Frauengestalten, die Euripides geschaffen hat. Zuerst erscheint sie als ärmlich gekleidete und gebrechliche alte Frau, die sich nur mit Hilfe eines Stockes mühsam fortbewegen kann und bei jedem Schritt gestützt werden muss (59–67), also als jemand, von dem nur noch Klagen zu erwarten sind und der zum energischen Handeln schon zu schwach ist. _____________ 49 Besonders auffällig Hek. 1035-39 ~ Kykl. 663–66.

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Der Zuschauer muss dann jedoch erleben, wie sie, ohne lange zu überlegen, den Rat der Frauen des Chores befolgt und mit einer eindringlichen Rede und auch mit körperlichem Einsatz das Leben Polyxenes zu retten versucht. Sie scheitert, weil sie der Macht der Griechen nur Worte entgegensetzen kann, aber niemand kann ihr vorwerfen, dass sie nicht alles versucht hat. Am Ende, als sie Polyxene für immer verloren hat, sinkt sie erschöpft zusammen, doch selbst in diesem Augenblick gibt sie durch die Verwünschung Helenas zu erkennen, dass sie noch nicht am Ende ihrer Kräfte ist (441–43). Auf den Bericht des Talthybios über den Tod ihrer Tochter reagiert sie gefasst und würdevoll und trifft ruhig und umsichtig die Vorbereitungen für eine angemessene Bestattung, wobei sie, wieder ganz als die Königin, die sie einmal war, auch dem griechischen Heer Anweisungen für sein richtiges Verhalten gibt. Hekabes Bewährungsprobe kommt dann, als ihr der Leichnam überbracht wird, von dem es sich herausstellt, dass er Polydoros gehört. Als sie sieht, dass sie sofort nach dem Tode Polyxenes ein neues Unglück getroffen hat, bricht sie nicht etwa völlig zusammen, wie es die Zuschauer erwartet haben mögen, sondern entschließt sich nach einem kurzen Ausbruch wilden Schmerzes, abermals ohne längere Überlegung, zur Rache am Mörder ihres Sohnes. Sie gewinnt Agamemnon zwar nicht für die Übernahme der Bestrafung, aber wenigstens dafür, dass er ihrem Handeln nicht im Wege steht und ihr sogar Hilfsdienste leistet. Dabei erweist sie sich in ihrer rücksichtslosen Entschlossenheit zum Vollzug der Rache als die Überlegene gegenüber dem König, der auf die Stimmung des Heeres Rücksicht nehmen muss. Sie stellt geradezu die Machtverhältnisse auf den Kopf: Obwohl sie seine Sklavin ist, kann sie ihm Befehle geben (870–74, 888–97). Bei der Begegnung mit Polymestor zeigt sie sich als Meisterin in der Entlarvung des Lügners und der Überlistung des allzu Vertrauensseligen. Auch nach dem Vollzug der Rache ist sie Herrin der Situation. Da sie sich zuvor mit Agamemnon verständigt hat, kann sie zuversichtlich in die Auseinandersetzung mit Polymestor eintreten, die sie souverän besteht. Nicht einmal die Ankündigung ihrer Verwandlung und ihres baldigen Todes kann sie erschüttern, nachdem das letzte Ziel erreicht ist, das sie sich für ihr Leben gesetzt hat (1274, vgl. auch 756f.). Nur als sie erfährt, dass auch das Leben Kassandras bedroht ist, erwacht noch einmal für einen Augenblick ihr mütterlicher Instinkt, der sie eine letzte Verwünschung ausstoßen lässt (1275f.). Dass die weibliche Hauptgestalt in der zweiten Dramenhälfte aus einer Leidenden zu einer erfolgreich Handelnden wird, deren Handeln durch ihr Leid motiviert ist, findet bei Euripides seine Parallele insbesondere bei Medea, aber ebenfalls bei Alkmene am Schluss der Herakliden. Auch die Phaidra des Hippolytos mit ihrem plötzlichen Übergang vom Leiden an

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ihrer Liebe zum hasserfüllten Handeln gegen den eben noch geliebten Mann ist hier zu nennen. Aus den späteren Stücken ist die Kreusa des Ion mit ihrer aus Schmerz und Enttäuschung plötzlich erwachten Mordlust ein weiteres Beispiel. In allen diesen Fällen wird die Sympathie des Publikums mit den bisher Leidenden auf die Probe gestellt. Murray spricht von einem „Umschwung der Sympathie“, einer Lösung der emotionalen Bindung an die Partei, mit der sich das Publikum bisher verbunden gefühlt hat, begleitet von einem neu erwachenden Mitgefühl für die Gegenpartei.50 Ein solcher Wechsel wird nicht jedesmal gleich stark ausgeprägt sein, und er wird auch nicht bei jedem Zuschauer in der gleichen Weise erfolgen, aber die Beobachtung von Murray ist grundsätzlich richtig. Sie lässt darauf schließen, dass Euripides andeuten will, Recht und Unrecht seien nicht immer so sauber verteilt, wie das Publikum es wünscht. Ich meine allerdings, dass in unserem Fall die Distanzierung von der einen und das neue Mitgefühl mit der anderen Partei besonders schwach ausgeprägt gewesen sein dürften. Es ist oft beklagt worden, dass der Zuschauer die rasche Verwandlung Hekabes von einer Leidenden zur Handelnden nicht nachvollziehen könne, so dass es ihm schwer falle, sie in beiden Teilen des Dramas als einen einheitlichen Charakter wahrzunehmen. Dass dieser plötzliche Übergang erstaunlich ist, lässt sich nicht leugnen. Es sind bei ihr weder Überlegung noch Entschluss darüber erforderlich, ob sie sich an Polymestor rächen soll, sondern nur darüber, ob sie versuchen soll, sich der Hilfe Agamemnons zu bedienen (736–51). Man kann allerdings nicht von einem Bruch in der Charakterdarstellung sprechen. Denn Hekabes Verhalten in der zweiten Teilhandlung wird in der ersten vorbereitet. Sie leidet und klagt nicht nur, sondern kämpft auch dort schon sofort unermüdlich für das Leben ihrer Tochter, und zwar, wie der Zuschauer von vornherein weiß, ohne Aussicht auf Erfolg und gegen die Bestimmung des Schicksals (43f.). Sie gibt sich erst dann geschlagen, als Polyxene selbst sie dazu auffordert, ihren Widerstand aufzugeben. Auch im Augenblick der tiefsten Verlassenheit, als ihre Tochter auf immer von ihr gegangen ist, besitzt sie noch soviel Kraft, dass sie Helena verwünschen kann (441–43). Hekabe zeigt also auch im ersten Teil des Stückes bestimmte Charakterzüge, welche die Energie schon ahnen lassen, die sie in der zweiten bei der Durchführung ihrer Rache entwickeln wird.51 _____________ 50 Murray (1957) 104. 51 Gärtner (2005) 46–52 spricht richtig von einem „in seinen inneren Motiven nachvollziehbaren tiefgreifenden Wandel von Hekabes Verhalten“ (51) vom Leidenden zum Handelnden, und sieht die Stelle des Überganges in der Wendung von der Trauer über Polyxenes Tod zur tatkräftigen Vorbereitung ihrer Bestattung (V. 585– 618). Das edle Verhalten der Tochter gibt der Mutter nach seiner Auffassung also Kraft für ihr eigenes Handeln in der zweiten Dramenhälfte.

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Als einzige überlebende Familienangehörige hat sie das Recht, Bestrafung für die Ermordung ihres Sohnes zu fordern. Da ihr Herr Agamemnon sich nicht in der Lage sieht, zu handeln, und da es kein Gericht gibt, das sie anrufen kann, darf sie die Rache in die eigene Hand nehmen. Wäre sie ein Mann, hätte sie sogar die Pflicht zur Rache. Als Frau ist sie zwar nicht verpflichtet, aber sie nimmt die Tat freiwillig auf sich.52 Dass eine Frau die Rache übernimmt, macht ihr Handeln für das männliche Publikum zwar problematisch und beunruhigend, aber gewiss nicht verwerflich. Das Publikum mag ihr Handeln mit einer Mischung aus Bewunderung und Grauen beobachtet haben, ähnlich wie bei anderen euripideischen Frauengestalten von Medea bis hin zur Kreusa des Ion. Es wird viel darüber diskutiert, ob Hekabe mit der doppelten Bestrafung Polymestors durch seine Blendung und die Ermordung seiner Kinder eine angemessene oder eine unverhältnismäßige Rache vollzieht. Manche modernen Interpreten vermuten letzteres.53 Man darf jedoch die Rache Hekabes nicht nach den Maßstäben unserer Gesellschaft beurteilen, sondern nach denen der Zeitgenossen. Selbstjustiz war in Athen zwar durch die staatliche Gerichtsbarkeit zurückgedrängt worden, aber noch nicht völlig außer Gebrauch gekommen. Insbesondere in einer Tragödie, die in der mythischen Zeit vor der Bestellung ordentlicher Gerichte, also gleichsam vor der Einsetzung des Areopags spielt, dürfte das Publikum eine Vergeltung von Mord mit Mord als angemessen empfunden haben.54 Für die zeitgenössischen Zuschauer lag das Problem von Hekabes Handeln wohl eher darin, dass sie als Frau und obendrein noch als Sklavin die Rache übernehmen und erfolgreich zu Ende führen kann. Hier setzt denn auch der Zweifel Agamemnons ein (883, 885). Wenn sie sich ihm gegenüber auf Vorbilder beruft, sind es so berüchtigte Fälle wie die der Danaiden und der Lemnierinnen, die ihre Ehemänner töteten (886f.). Polymestor ist auch nicht so sehr darüber empört, dass er im Rechtsstreit _____________ 52 Zu Frauen als Vollstreckerinnen einer Blutrache Foley (2001) 161–64. Sie verweist auch auf die sophokleische Elektra, die nach dem vermeintlichen Tode des Orestes die Rache für den Tod ihres Vaters übernehmen will. 53 So auch Reckford (1985), Dubischar (2001) 336–38. Dies scheinen mir Fälle eines von Sourvinou-Inwood (2003) 292–94 so bezeichneten „culturally determined judgment“ zu sein, also einer unreflektierten Beurteilung eines antiken Kulturphänomens aus der Perspektive der christlich geprägten modernen Kultur. Vgl. auch S. 18ff. zum Problem der Beurteilung des Menschenopfers. – Die Ermordung der Kinder scheint bei Garnier (1579) zum ersten Mal zum Problem zu werden, da er bei seiner Bearbeitung des Stoffes Polymestor diese Kinder „innocents“ nennen lässt (V. 2467). Hekabe wird allerdings trotzdem bei ihm ebenso wie bei Eur. von Agamemnon freigesprochen. Zu Garniers Troade s. S. 61ff. 54 So auch Meridor (1978); Erbse (1984) 56f.; Nussbaum (1986) 410f.; Burnett (1998) 166–72; Gregory (1999) xxxiif.

Hekabe als Zentralgestalt

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unterlegen ist, sondern darüber, dass es eine Frau und Sklavin war, die ihn besiegt hat (1252f.). Hekabe dürfte mit ihrer Tat die Grenzen überschritten haben, die nach damaligem Empfinden dem weiblichen Geschlecht durch Natur und Gesellschaft gesetzt waren.55 Das war beunruhigend für die männlichen Zuschauer. Da mag es für sie ein gewisser Trost gewesen sein, dass ihr am Schluss des Stückes die baldige Verwandlung in eine Hündin und der Tod angekündigt werden. Manche Interpreten halten die Rachetaten Hekabes für ein Beispiel dafür, wie ein bis dahin edler Charakter durch allzugroßes Leid entarten und sogar extreme Bösartigkeit entwickeln kann.56 Sie stellen ihr Verhalten der vornehmen Resignation Polyxenes gegenüber und nehmen sogar an, dass die Kontrastierung der gegensätzlichen Verhaltensweisen der beiden Frauen das eigentliche Anliegen des Dichters sei.57 Das würde bedeuten, dass Hekabe richtiger gehandelt und Polyxenes Wunsch nach einem würdigen Verhalten ihrer Mutter (V. 408) besser entsprochen hätte, wenn sie ganz auf die Rache verzichtet oder sich damit begnügt hätte, den Rechtsfall Agamemnon vorzulegen und sich mit seiner Entscheidung zufrieden zu geben. Sie hätte demnach ähnlich handeln sollen wie die sophokleische Ismene oder Chrysothemis und nicht wie Antigone oder Elektra. Es gibt aber extreme Situationen, in denen auch ein extremes Handeln erforderlich ist. In eine solche ist Hekabe durch die Untaten Polymestors geraten, ähnlich wie Medea und die anderen Frauen bei Euripides, die durch extremes Leid zu außerordentlichen Handlungen getrieben werden. Dass Hekabe ihren Feind überlistet und dass sie Agamemnon zu ihrem Komplizen macht, sollte ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden oder gar als moralischer Abstieg bewertet werden. Die Griechen haben immer viel _____________ 55 Man sollte freilich nicht von „Hybris“ sprechen, wie Schuster (1954) 31f., 37, genau so wenig wie im Fall der Antigone des Soph. Alle großen Heroinen der Tragödie wie Klytaimestra bei Aisch., Antigone und Elektra bei Soph. und Medea bei Eur. überschreiten im übrigen die dem weiblichen Geschlecht gesetzten Grenzen. Von Hybris kann man allerdings nur im Falle Klytaimestras reden; wie vor allem ihre Rede Ag. 1372–98 zeigt. 56 Schmid (1940) 464: „geradezu satanische Kräfte”; Pohlenz (1954): „Teufelin, der wir doch unsere Sympathie bewahren“; Murray (1957) 48: „durch unerträgliches Leid in eine Art Teufel verwandelt“; Segal (1990a) 304: „This pitiable mater dolorosa becomes a monster of vengefulness.“ Reckford (1985) bezeichnet Hekabes Verhalten in der zweiten Hälfte des Stückes denn auch als „Demoralization“; Hose (2006) 276 und (2008) 90 spricht von „Entmenschlichung“. – Conacher (1998) 60– 66 meint, dass man an der Argumentation der drei großen Reden Hekabes V. 251– 95, 787–845 und 1187–1237 den stufenweise erfolgenden sittlichen Verfall Hekabes erkennen könne. Andere nehmen an, dass ihre Wendung vom guten zum fragwürdigen Gebrauch der Beredsamkeit in der Mitte ihrer zweiten Rede, also etwa in V. 812–823 erfolgt. 57 Reckford (1985); Nussbaum (1986) 406.

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Verständnis aufgebracht, wenn ein Schwächerer einen Stärkeren, der ihm Unrecht getan hat oder der ihn bedroht, durch eine gut ersonnene List überwindet. Die Auffassung ist verbreitet, die Verwandlung Hekabes in eine Hündin sei eine Bestrafung für die Schuld, die sie durch ihre exzessive Rachetat auf sich geladen habe. Da ich ihre Rache nicht für exzessiv halte, kann ich keine Schuld bei ihr erkennen und meine darum auch, dass ihre Verwandlung nicht als Bestrafung aufzufassen ist. Vielmehr sehe ich sie vor allem als eine Befreiung aus der Sklaverei durch die Entrückung aus dieser Welt und allenfalls als Konsequenz daraus, dass sie die Grenzen ihres Geschlechts überschritten und sich damit außerhalb der menschlichen Gesellschaft gestellt hat. Dass Hekabe in eine Hündin verwandelt wird, ist nicht als negative Bewertung ihres Handelns aufzufassen, wie es oft geschieht.58 Wer die Verwandlung als Bestrafung auffasst, versteht das Tier als eine Verkörperung der Schamlosigkeit. Den Hündinnen werden aber auch andere Eigenschaften zugesprochen. In einem Gleichnis der Odyssee (20,14f.) verteidigt eine Hündin ihre Jungen erbittert gegen Angreifer. In anderen Gleichnissen sind Hunde hartnäckige Verfolger, die sich nicht abschütteln lassen; darum werden die ebenso hartnäckigen Rachegöttinnen, die Erinyen, oft metaphorisch Hündinnen genannt. In den homerischen Gleichnissen schrecken Hunde zwar vor den stärkeren Löwen zurück, sind aber mutig bei der Eberjagd.59 Ein Fragment aus dem Alexandros ordnet die in eine Hündin verwandelte Hekabe dem Gefolge der Göttin Hekate zu und nähert sie damit der Sphäre des Göttlichen an (F 62h TrGF). Man kann für Hekabes Verwandlung eine Parallele in der Erscheinung Medeas auf dem Drachenwagen sehen. Auch Medea hat sich mit dem Kindermord außerhalb der Gesellschaft gestellt, wird dafür aber nicht bestraft, sondern von ihrem göttlichen Großvater Helios entrückt. Hekabe wird nach ihrer Tat durch die Verwandlung in eine Hündin ebenfalls aus einer leidvollen Daseinsform entrückt und wird zugleich auch aus dieser neuen Form durch den Tod befreit. Die Sklaverei bleibt ihr erspart, und der Tod hat keine Schrecken für sie. Sie hat ihn sich vielmehr schon oft herbeigewünscht (V. 167f., 231–33, 383–88, 391–93, 396, 505–07). Entsprechend kühl ist ihre Reaktion auf die Voraussage Polymestors (1274). Immer wieder fällt der Kontrast zwischen Hekabes gefühlsbestimmtem leidenschaftlichen Handeln und ihrer rationalen, stark sophistisch gefärbten Argumentation auf. Die zahlreichen allgemeinen Reflexionen, die der _____________ 58 Hierzu ausführlich Burnett (1994). 59 Dazu H. Fränkel, Die homerischen Gleichnisse, Göttingen 1921, 68f., 85, 94 sowie der Artikel kúwn von W. Beck im Lexikon des frühgriechischen Epos.

Hekabe als Zentralgestalt

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Dichter ihr in den Mund legt, färben auch auf ihr Charakterbild ab und lassen sie immer wieder wie eine Lehrerin des richtigen Verhaltens wirken, sowohl im Verhältnis zu Odysseus, Agamemnon und Polymestor als auch zu ihren ständigen Zuhörerinnen, den Frauen des Chores. Nur von Polyxene muss sie sich belehren lassen (372–74, 404–08). Die seelische Verfassung Hekabes im Verlauf der Handlung der Tragödie lässt sich durch eine Kurve nachzeichnen, die sich immer im Bereich des Schmerzes, der Trauer und der Sorge bewegt, aber dabei auch ihre Höhen und Tiefen hat. Sie beginnt im Augenblick ihres ersten Auftritts mit Trauer über den Untergang der Stadt und den Verlust der meisten Angehörigen, verbunden mit der neuen Sorge um Polydoros und Polyxene. Als das Leben ihrer Tochter unmittelbar bedroht ist, wird die Trauer für eine Weile überdeckt: Hekabes Aktivität erwacht beim Versuch, Polyxene doch noch zu retten. Sobald dieser Versuch gescheitert ist, sinkt sie kraftlos zu Boden. Als sie den Bericht des Talthybios über den Tod ihrer Tochter entgegengenommen hat, äußert sie ihre Trauer in ruhiger und würdiger Form, weil in diesem Bericht mit dem Traurigen auch etwas Trost verbunden war (588– 92). Als sie sich in diesem Zustand gefasster Trauer auf die Bestattung ihrer Tochter vorbereitet, trifft die neue Unglücksbotschaft sie tief ins Herz und bringt sie zum großen Ausbruch ihrer Gefühle in der Totenklage um Polydoros. Dies ist der absolute Tiefpunkt, den sie aber rasch überwindet, als sie mit großer Energie und mit Erfolg beginnt, die Voraussetzungen für ihre Rachetat zu schaffen. Hekabes Trauer ist während fast der ganzen zweiten Dramenhälfte wieder überdeckt durch ihre zielgerichtete Aktivität, und als das Ziel erreicht und der Mörder bestraft ist, darf sie für kurze Zeit triumphieren. Am Schluss des Stückes ist die leichte Aufhellung ihrer düsteren Stimmung wieder vorbei, weil nach der Vorhersage Polymestors über Kassandras Schicksal neues Unglück droht. Aber Hekabe selbst betrifft das nicht mehr, und so ist sie am Schluss, um Scaliger zu zitieren, zwar „traurig“, aber „etwas weniger traurig“ als zuvor nach der Trennung von Polyxene und der Auffindung des Leichnams des Polydoros.60 Aristoteles unterscheidet im 18. Kapitel seiner Poetik (1455b 32– 1456a 3) vier Arten (ei¢dh) von Tragödien, die komplizierte (peplegménh), die von Leiden oder Leidenschaften erfüllte (paqhtikä), die, in deren Mittelpunkt ein Charakter steht (h¬qikä), und eine vierte, deren Bezeichnung verlorengegangen ist, in der sich aber nach den dort genannten Bei_____________ 60 Scaliger (1561) 145 (Buch 3, Kap. 97). Obwohl Scaliger weiß, dass es auch Tragödien gibt, die einen eindeutig glücklichen Ausgang haben, scheint er besorgt zu sein, dass der Ausgang der Hek. nicht tragisch genug sein könnte. Er schreibt: „Verum quum Tragoediae sit infelix exitus, et Tragoedia sit Hec., oportuit Hecubam in fine quam in principio maestiorem. Id autem nequaquam fit: ultione enim paulo minus tristis.“

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spielen wunderbare Dinge ereignen und die darum möglicherweise „wunderbar“ (teratådhß) genannt wurde. Diese Arten lassen sich freilich nicht scharf gegeneinander abgrenzen. Die Hekabe lässt sich einerseits als h¬qikä ansehen, weil der Charakter Hekabes im Zentrum steht und die Schicksale ihrer beiden Kinder ganz unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, wie sie sich auf das Gemüt der Mutter auswirken. Andererseits lässt sich diese Tragödie auch als paqhtikä auffassen, weil die Hauptgestalt als Leidende gezeigt wird, die durch ihr doppeltes Leid zu einem leidenschaftlichen Handeln veranlasst wird.

Nebenthemen Die Macht der Beredsamkeit Die Beredsamkeit, ihre Macht und auch ihre Gefahren werden in der Hekabe immer wieder zum Thema. Das ist nicht erstaunlich in diesem Drama, das wenige Jahre nach dem ersten Auftreten des Gorgias in Athen (427) und dem dadurch ausgelösten Erwachen des Interesses der Athener an der systematisch gelehrten Kunst der Beredsamkeit aufgeführt wurde. In diesem Stück wird die Notwendigkeit der Erlernung dieser Kunst begründet (V. 814–19), aber es wird in ihm auch kritisiert, dass sie missbraucht werden kann, um Einfluss auf die Masse des Volkes zu gewinnen (254–57) oder um einer schlechten Sache mit scheinbar guten Argumenten zum Sieg zu verhelfen (1187–94). Auch wird die von den Theoretikern der Rhetorik viel diskutierte Frage des Anteils von Anlage und Erziehung ausführlich erörtert (592–602). Außerdem enthält das Stück Beispiele für Reden aller Art. Alle drei Redegattungen sind mit guten Beispielen vertreten. Zur Gattung der Gerichtsrede (genus iudiciale) lässt sich die Rede V. 1187–1237 rechnen, zur Gattung der Beratungsrede (genus deliberativum) die Rede 787–845 und schließlich zur Gattung der Lob- oder Tadelsrede (genus demonstrativum) die Reden 518–82 und 585–602. Ferner finden sich auch zweimal Paare von Reden, die als Rede und Gegenrede aufeinander bezogen sind (251–95 und 299–331; 1132–82 und 1187–1237). Dabei fällt auf, dass in den Redepaaren auch die Vertreter der Gegenseite mit den besten Argumenten ausgestattet werden, die sich für sie finden lassen (Odysseus 306–31, Polymestor 1136–44) und dass auch die Seite, der die Sympathie des Publikums gehört, recht spitzfindige Argumente vorbringt (Hekabe 1217–23). Man kann Erfolge guter Reden erleben (787–845 und 1187–1237), aber auch ein völliges Scheitern einer mit überzeugenden Argumenten für eine

Nebenthemen

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gute Sache vorgebrachten Rede aus dem einfachen Grund, weil das Wort des Machtlosen dem des Mächtigen immer unterlegen ist (251–95). Es ist also nicht verwunderlich, dass dieses so stark von rednerischer Praxis und Theorie geprägte Stück den Bedürfnissen eines rhetorisch orientierten Unterrichts entsprach, wie er in der Spätantike und im byzantinischen Mittelalter üblich war, und dass es sich in diesen Jahrhunderten besonderer Beliebtheit erfreute.61 Charis: Gunst und Dank Collard hebt die große Bedeutung hervor, die in der Hekabe der Begriff der ‚Charis‘ (cáriß) hat.62 Charis ist die Gunst, die ein Mensch einem anderen erweist, sie ist die Freude, die er ihm damit bereitet, sie ist die Dankbarkeit, die er so bei ihm gewinnt, sie ist der Dank, den man dafür abstattet, und schließlich sind es auch die Geschenke oder Taten, durch die das Abstatten des Dankes geschieht. Es geht hier um die Beziehungen, welche die Menschen durch ihr Handeln untereinander aufbauen, und um die Tragfähigkeit dieser Beziehungen in kritischen Situationen. Auch die durch Gastfreundschaft (xenía) aufgebaute Beziehung gehört in diesen Zusammenhang. Sie steht unter dem besonderen Schutz des Zeus Xenios. Polymestor, ein alter Gastfreund des Hauses des Priamos (793– 95), hat diese Beziehung durch die Beraubung und Ermordung seines jungen Gastes aufs schwerste verletzt, und er empfängt dafür die verdiente Strafe. Eine Beziehung, durch die Charis entsteht, kann auch auf andere Weise zustande kommen, wie der Fall des Odysseus zeigt. Er wurde im belagerten Troja als Spion entdeckt, warf sich in dieser lebensgefährlichen Lage als Schutzflehender (i™kéthß) Hekabe zu Füßen und gab sich dadurch in ihre Gewalt. Sie erbarmte sich seiner, ließ ihn entkommen und erwarb sich so ein Recht auf seine Dankbarkeit. Als nun ihre Tochter in Lebensgefahr gerät, wiederholt Hekabe ihrerseits die Geste, beruft sich auf die Gunst, die sie ihm damals erwiesen hat, und fordert, dass er sich jetzt dankbar erweist und ihre Tochter rettet. Odysseus weist sie ab, indem er seine Verpflichtung eng auslegt und sie nur gegenüber ihr selbst anerkennt, nicht jedoch gegenüber ihrer Tochter. Damit erweist er sich als undankbar (254 a¬cáristoß) gegenüber Hekabe, während er dem Heer zu Gefallen redet (257 pròß cárin). _____________ 61 S. hierzu auch S. 58. 62 Collard (1991) 25–27.

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Zu ihrem neuen Herrn Agamemnon versucht Hekabe eine auf Hikesie gegründete Beziehung aufzubauen. Sie fleht ihn an, sich gegenüber Polymestor für ihr Recht einzusetzen und ihn in ihrem Namen zu bestrafen. Als sie mit ihrem Anliegen zu scheitern droht, geht sie einen anderen Weg und appelliert an die Dankbarkeit (cáriß) Agamemnons für die Liebesgunst, die ihm ihre Tochter, seine Sklavin Kassandra, jede Nacht erweist. Diese gewagte Argumentation hat Erfolg. Agamemnon mag zwar nicht die Bestrafung Polymestors übernehmen, erklärt sich aber wenigstens bereit, sich neutral zu verhalten. Er steht auch zu diesem Versprechen, und als Hekabes Rache gelungen ist, stellt er sich in dem Rechtsstreit zwischen ihr und Polymestor eindeutig auf ihre Seite. Auch unter den Griechen gibt es Beziehungen, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Odysseus fordert das Heer auf, nicht undankbar gegenüber seinem größten Helden zu sein (137 a¬cáristoi). Doch bei der Beziehung der Griechen zu Achilleus ist meist nicht von Charis die Rede, sondern von einer Ehrung (timân) des verdienten Helden durch eine angemessene Ehrengabe (géraß). Dynasten und Demokraten? Kovacs bemerkt richtig, dass in der Hekabe das griechische Heer vor Troja und auch noch auf der ersten Station seiner Heimfahrt eine demokratische Verfassung hat, bei der die Heeresversammlung die letzte Entscheidung trifft.63 Vor dieser Versammlung treten verschiedene Redner auf und machen Vorschläge und Gegenvorschläge, doch die Beschlüsse fasst die Versammlung, analog zu den Verhältnissen, die dem athenischen Publikum aus der eigenen Stadt vertraut sind. Demgegenüber ist bei Troern und Thrakern immer von Königen die Rede und nie von beratenden oder beschlussfassenden Gremien. Kovacs hält diesen Unterschied sogar für so bedeutsam, dass er seine Interpretation des Stückes unter die Überschrift „Dynasts and Democrats“ stellt. Die Griechen, wie Kovacs sie charakterisiert, lassen keine andere Handlungsmaxime gelten als das Wohl ihrer Gemeinschaft, dem sie alles andere unterordnen. Religiöse Rücksichten spielen bei ihnen keine Rolle, und persönliche Beziehungen zwischen einzelnen, wie sie durch Gastfreundschaft, Hikesie und wechselseitige Dankbarkeit geknüpft werden, fallen gegenüber den Interessen der Gesamtheit nicht ins Gewicht. Demgegenüber halten die Troerinnen, verkörpert durch Hekabe und Polyxene, nach seiner Meinung die aristokratischen Ideale der heroischen _____________ 63 Kovacs (1987) 78–114.

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Zeit hoch. Sie fühlen sich über das Volk erhaben und verachten die griechischen Fürsten, die vom Wohlwollen ihrer Völker abhängig sind. Sie sind es gewohnt zu herrschen, verhalten sich auch nach dem Fall Trojas, als wenn sie noch Herrscher wären, und vertrauen auf persönliche Beziehungen von Herrscher zu Herrscher. Sie haben sich den Glauben erhalten, dass die menschlichen Schicksale in Glück und Unglück von den Göttern bestimmt werden, und nehmen dementsprechend auch ihr eigenes Unglück als gottverhängt hin. Ein solcher Gegensatz zwischen den „demokratischen“ Griechen und den „dynastisch“ gesonnenen, adelsstolzen, auf traditionelle und religiös fundierte persönliche Beziehungen vertrauenden Troern lässt sich in der Tat mit einigem guten Willen aus dem Text herauslesen. Aber aufs ganze gesehen ist dieser Gegensatz nicht von großer Bedeutung. Im ersten Teil des Handlung vertritt zwar Odysseus ohne Rücksicht auf frühere persönliche Beziehungen zu Hekabe die Interessen des Heeres, aber im zweiten Teil muss Agamemnon einerseits zwar auf die Meinungen des Heeres Rücksicht nehmen, lässt es aber andererseits zu, dass Hekabe eine Beziehung zu ihm knüpft und so seine stillschweigende Unterstützung gewinnt. Er tritt damit faktisch auf die Seite der Troerinnen und dient, aus welchen Motiven auch immer, dem religiös fundierten Recht, indem er die Bestrafung des Übeltäters Polymestor duldet. Polymestor selbst aber lässt sich in die von Kovacs angenommene Antithetik nicht einordnen, weil er zwar ein unbeschränkter Herrscher ist, wie Priamos es war, jedoch persönliche Beziehungen zu früher Gleichgestellten und Respekt vor der Macht der Götter nur vortäuscht und im übrigen seinen finsteren Gelüsten frönt. Kurzum, die Antithetik von trojanischen ‚Dynasten‘ und griechischen ‚Demokraten‘ scheint mir eine Konstruktion zu sein, die zum besseren Verständnis des Stückes wenig beiträgt. Der wesentliche Unterschied zwischen Hekabe und Polyxene und den anderen Personen ist vielmehr, dass die beiden Frauen Heroinen sind und sich dementsprechend verhalten, während die griechischen Feldherren sich wie Politiker verhalten. Odysseus hat einen Beschluß der Heeresversammlung herbeigeführt und will das Verfahren nicht wieder aufrollen, selbst wenn er die Konsequenzen des Beschlusses nachträglich bedauern mag (394f.). Agamemnon dagegen erkennt für seine Person den Rechtsanspruch Hekabes an, sieht sich aber außerstande, das Heer von seiner Meinung zu überzeugen, und muss sich darum mit der heimlichen Unterstützung ihres Plans begnügen.

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Griechen und Barbaren In der Hekabe stehen sich die griechischen Sieger und die nach der Zerstörung ihrer Stadt in die Sklaverei geratenen troischen Frauen gegenüber, also Griechen und Barbaren nach dem griechischen Sprachgebrauch, bei dem allen nicht griechisch sprechenden Völkern die Sammelbezeichnung bárbaroi gegeben wird. Edith Hall hat nun in ihrem einflussreichen Buch die Meinung vertreten, dass den Griechen erst durch die Perserkriege der Gegensatz zu den als Barbaren bezeichneten anderen Völkern, insbesondere denen des Perserreichs, bewusst geworden sei und dass bei diesem Prozess, der zugleich ein Prozess der Selbstfindung gewesen sei, die Tragödie eine wichtige Funktion gehabt habe. Es sei den Tragikern dabei darum gegangen, die Zusammengehörigkeit der Griechen zu stärken, ihnen ein Gefühl der geistigen und moralischen Überlegenheit über die anderen Völker zu vermitteln und zugleich einen Herrschaftsanspruch über sie anzumelden. Hall meint, dass sich bei Euripides gelegentlich eine „ironische und sophistische Umkehrung“ dieser Tendenz finde, gewissermaßen eine „Ausnahme, die die Regel bestätigt“.64 Es gibt allerdings in der Tat einige Äußerungen bei Euripides, in denen eine Überlegenheit der Griechen gegenüber den Barbaren behauptet wird. Wenn man jedoch den jeweiligen Kontext überprüft, zeigt es sich oft, dass die Überlegenheit in dem betreffenden Fall tatsächlich nicht besteht.65 Manchmal wird der Begriff nicht im ethnographischen Sinn, also in der Bedeutung „Ausländer“, „ausländisch“, verwendet, sondern im ethischen Sinn, also etwa in der Bedeutung „unzivilisiert“, „unmenschlich“ oder „grausam“. So kommt es vor, dass Ausländer, also angebliche Barbaren, den Griechen oder auch Griechen sich untereinander vorwerfen, dass sie sich barbarisch verhielten.66 Es kommt auch vor, dass Griechen gerade dann Ausländer Barbaren nennen, wenn sie selbst sich ihnen gegenüber unmenschlich und grausam verhalten und dies mit starken Worten bemänteln wollen.67 Einen solchen Fall gibt es auch in der Hekabe. Als Odysseus in seiner Rede begründet hat, warum die Griechen es für richtig halten, ihre Helden zu ehren (nämlich dadurch, dass sie dem Grab des Achilleus ein Menschenopfer darbringen), wendet er sich an Hekabe und die Troerinnen, redet sie mit „ihr Barbaren“ an und rät ihnen ironisch, weiterhin ihre _____________ 64 E. Hall, Inventing the Barbarian, Greek Self-Definition through Tragedy, Oxford 1989; Zitate auf S. 211, 222f. 65 Etwa Med. 536–38, 1330–32. 66 Tro. 764; Iph. T. 1174; Hkld. 130f. 67 Andr. 173–76, 243, 261, 649f., 665f.

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Freunde nicht als Freunde zu behandeln und infolgedessen weiter Niederlagen zu erleiden (328–31). Das ist in dieser Situation, wo Odysseus gerade Hekabes Hikesie abgewiesen hat, nichts anderes als grausamer Hohn, und es ist gewiss nicht als Belegstelle dafür zu verwenden, dass die Griechen als den Barbaren überlegen dargestellt werden. Diese Passage gibt Anlass zur Erörterung der Frage, ob die Troer unter den Begriff „Barbaren“ fallen oder nicht. Odysseus rechnet sie hier dazu, und auch in den Troerinnen werden sie so genannt, nennen sich sogar manchmal selber so.68 Aber an einer anderen Stelle des gleichen Stückes unterscheidet Hekabe zwischen Troerinnen, Griechinnen und barbarischen Frauen, wobei die Troerinnen gleichsam eine dritte Gruppe zwischen Griechen und Barbaren bilden.69 Doch ob nun die Troer zu den Barbaren gerechnet werden oder nicht, es kann jedenfalls keinen Zweifel daran geben, dass in Andromache, Hekabe und Troerinnen die troischen Frauen zwar als in Sklaverei gefallene Angehörige eines im Krieg unterlegenen Volkes, aber im übrigen als den Griechen gleichrangig, ja sogar als moralisch überlegen dargestellt werden. Manche meinen, dass die exzessive Rache, die Hekabe an Polymestor vollzieht, dadurch zu erklären sei, dass sie eine Barbarin ist. Dazu meine ich erstens, dass das antike Publikum ihre Rache wohl nicht als exzessiv, sondern als angemessen empfunden hat, und zweitens empfinde ich ihr Verhalten fast während des ganzen Stückes als ausgesprochen zivilisiert, soweit dies in ihrem extremen Unglück überhaupt nur möglich ist. In ihren Reden argumentiert sie zwar engagiert, aber doch ruhig und wohlgesetzt. Nun ist es wahr, dass Euripides seine Bühnengestalten durchweg rhetorisch geschickt argumentieren lässt, aber dies wirkt sich im Fall Hekabes dahingehend aus, dass sie nicht den Eindruck einer Barbarin erweckt. Um so stärker ist dann der Kontrast, der zu ihrem übrigen Verhalten entsteht, wenn sie ihre furchtbaren Rachetaten begeht. In ganz ähnlicher Weise erreicht auch Medea ihre Ziele, weil sie gerade nicht als Barbarin auftritt, sondern durch rationale Argumentation und freundliches Verhalten die Menschen für sich zu gewinnen weiß. Auch dort ist dann der Schock groß, als sie mit ihrem Plan Ernst macht und ihre Kinder tötet. Aber während Medea, die nach ihrer Tat in ihrem Wagen über die Erde erhoben ist, von dieser neuen Ebene aus ihre erbitterte Auseinandersetzung mit Iason weiterführt, kehrt Hekabe im Redestreit mit Polymestor zu einer zwar engagiert, aber weithin sachlich und auf jeden Fall auf gleicher Ebene geführten rationalen Debatte zurück, in der es letztlich um eine Entscheidung über _____________ 68 Tro. 973, 991f., 1277. 69 Tro. 477f.

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Recht und Unrecht geht. Von einem Absinken ins Barbarische ist in dieser letzten Szene jedenfalls nichts zu spüren.70 Ganz anders steht es mit Polymestor. Er wird von Griechen und Troern zu den Barbaren gerechnet (877, 1200), und, was wichtiger ist, Agamemnon nennt sein Verlangen, sich sofort auf Hekabe zu stürzen, „barbarisch“, was man hier mit „unzivilisiert“ oder „mörderisch“ übersetzen kann (1129). Was er meint, ist dem Zuschauer klar, der ja kurz zuvor den wilden Gesang und Tanz des Geblendeten und die Äußerung seiner kannibalischen Gelüste erlebt hat. Hier tritt also tatsächlich bei Euripides einmal ein Mann auf, der in jeder Hinsicht, sowohl ethnographisch als auch ethisch, mit Recht ein Barbar genannt werden kann und dem sich das Publikum in jeder Hinsicht überlegen fühlen kann. Es gibt in den erhaltenen Stückes unseres Dichters einige weitere Fälle dieser Art, nämlich die grausamen, aber leicht zu täuschenden Könige der Taurer und der Ägypter in der Taurischen Iphigenie und der Helena und den phrygischen Eunuchen im Orestes, dessen Lied (V. 1369–1502) man, wenn man will, als eine Parodie der Monodie Polymestors ansehen kann. Nur ironisch ist der Satz zu verstehen, dass es zwischen dem Volk der Barbaren und dem der Griechen keine Freundschaft, keine Verschwägerung und keine Verwandtschaft geben könne (1199–1203). Sprecherin ist Hekabe, die von Odysseus kurz zuvor den Barbaren zugerechnet wurde (328). Sie spricht zu jemandem, der sich gerade in jeder Hinsicht als Barbar erwiesen hat, und erinnert ihn daran, dass es zwischen Griechen und Barbaren keine Gemeinschaft geben kann, obwohl sie kurz zuvor einen Griechen zum Schwager ihres Sohnes erklärt und ihn dadurch für ihre Sache gewonnen hat (834). Freie und Sklaven Das Personal des Stückes besteht vor allem aus zwei Gruppen, die sich in einer Hinsicht radikal unterscheiden, nämlich aus den freien Männern, die zugleich die Sieger des gerade beendeten Krieges sind, und aus den versklavten Frauen, die zugleich zu den Überlebenden der Niederlage gehören. Polymestor, der als König eines neutralen Landes weder zu den Siegern noch zu den Besiegten gehört, kann in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen werden. _____________ 70 Für Synodinou (2005) 1, 62f. gibt es am Ende des Stückes keinen Unterschied mehr zwischen Griechen und Barbaren, da sich nach ihrer Meinung Odysseus, Polymestor, Agamemnon und Hekabe allesamt in gleicher Weise barbarisch verhalten haben.

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Daitz weist richtig darauf hin, dass die Wörter e¬leúqeroß „frei“ und doûloß „Sklave“ in keiner der Tragödien des Euripides so häufig vorkommen wie in diesem Stück.71 Das Thema „Freiheit und Sklaverei“ hat hier also offenbar große Bedeutung. Polyxene tritt, obwohl sie eine Kriegsgefangene ist, gegenüber Odysseus und Neoptolemos wie eine Freie auf. Sie hat diese Freiheit gewonnen, indem sie ihr unvermeidliches Todesschicksal durch eigene Entscheidung auf sich genommen und in eine Befreiung vom Zwang der Sklaverei umgedeutet hat. Sie kann darum in den letzten Augenblickes ihres Lebens souverän auftreten. Daitz nennt sie mit Recht eine „commanding captive“, eine Gefangene, die Befehle gibt.72 Aufällig sind die vielen Imperative in ihren letzten Worten (345, 369, 372f., 402–4, 410, 432, 551, 563f.). Auch Hekabe verhält sich zu Talthybios und Agamemnon wie eine gleichrangige Freie. Auch sie ist eine „commanding captive“, wie die Imperative zeigen, die sie verwendet (604, 610, 870f., 874f., 888f., 891, 895). Diese Freiheit gewinnt sie, weil sie dem einzigen Ziel, das sie sich noch gesetzt hat, alles andere unterordnet. Sie setzt ihr Leben und auch das ihrer Mitsklavinnen aufs Spiel, sie weist sogar das Angebot ihrer Freilassung ab (754–57), sie gibt die Feindschaft gegenüber den Griechen auf (736–51), und sie lässt sich sogar dazu herab, in einer von vielen als unwürdig empfundenen Weise an Agamemnons Liebe zu Kassandra zu appellieren (824– 35). Agamenon dagegen ist zur Rücksichtnahme auf die Stimmung seiner Soldaten gezwungen und darum weniger frei als seine Sklavin. So kann Hekabe feststellen, dass kein Mensch frei ist (864–67). Der eine ist Sklave des Besitzes (wobei man an den habgierigen Polymestor denken könnte), der andere des Glücks (wie die ins Unglück geratene Hekabe selbst), der dritte der Volksmenge (wie der Fall Agamemnons zeigt). Die Sklavin Hekabe ist also in vieler Hinsicht freier als ihr Herr. Diese Tragödie ist offenbar auch ein Lehrstück über wahre und scheinbare Freiheit. Daitz meint allerdings, dass auch Hekabe trotz ihres souveränen Sprechens und Handelns letztlich nicht frei sei, weil sie nämlich zur Sklavin ihrer Rachsucht geworden sei. Durch ihre Taten, insbesondere durch die Tötung der unschuldigen Kinder Polymestors, habe sie ihre Menschlichkeit verloren, was sich dann auch in ihrer Verwandlung in eine tollwütige Hündin zeige.73 Ich teile diese Auffassung nicht. Jedenfalls dürfte das zeitgenössische Publikum, das vom Recht auf Rache noch eine hohe Meinung _____________ 71 Daitz (1971) 217. 72 ebendort 220. 73 ebendort 222: „a rabid bitch”. Bei Eur. hat sie nur feuerrote Augen (wohl wegen der Leuchtfeuer am Kap Kynossema, s. S. 8 und zu V. 1273). Zur Gestalt der wütenden Hekabe in den antiken und mittelalterlichen Literaturen s. S. 54 Anm. 101.

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hatte, anders empfunden haben. Es dürfte Hekabe im Besitz der Freiheit dessen gesehen haben, der um der Erreichung eines einzigen Zieles willen alle anderen Rücksichten beiseite geworfen hat. Es düfte sie also als Heroine erlebt haben, nicht anders als die sophokleische Antigone oder Elektra.

Die Chorlieder Richard Porson, der Herausgeber der epochemachenden Ausgabe der Hekabe von 1797, stellt fest, dass Euripides hier, anders als bei anderen Stücken, die Chorlieder besonders gut auf die Handlung des Dramas abstimmt.74 Das ist richtig, man muss dabei allerdings den Unterschied zwischen den zwei unmittelbar handlungsbezogenen Liedern V. 98–152 und 1024–34 und den drei Stasima beachten. Das anapästische ‚Einzugslied‘ (98–152) hat zum Teil die Funktion eines Botenberichts, der die Polyxene-Handlung eröffnet, und das kurze Chorikon, das an der Stelle eines vierten Stasimon steht (1024–34), stimmt auf die alsbald hinterszenisch erfolgende Rachetat ein. Die drei Stasima dagegen haben keinen unmittelbaren Bezug auf die Handlung, und zwar weder auf die beiden Teilhandlungen noch auf das Schicksal der Hauptgestalt Hekabe. Statt dessen nehmen sie Bezug auf das übergeordnete Thema des Stückes, nämlich auf die Katastrophe Trojas und seiner Bewohner, für das selbst das Schicksal der Königin nur ein Exempel, wenn auch das bedeutendste ist. Das erste Stasimon (444–83) nimmt die bevorstehende Fahrt der Gefangenen übers Meer nach Griechenland gedanklich vorweg. Die Frauen des Chores äußern illusionäre Vermutungen über mögliche Reiseziele und über Tätigkeiten, die sie dort ausüben möchten. Durch dieses Thema erhalten die ersten drei Strophen eine gewisse Heiterkeit, die der Situation nicht ganz angemessen ist. Erst dann kehrt der Chor zum Ernst der Situation zurück und klagt über den Verlust der Angehörigen, der Heimat und der Freiheit. Im Strophenpaar des zweiten Stasimon (629–56) führt der Chor sein eigenes Unglück auf das gemeinsame Unglück der ganzen Stadt zurück und dieses wiederum auf die Kausalkette, die mit der Ausfahrt des Paris und noch früher mit dem Parisurteil begann. In der Epode stellt er sein Unglück in den größeren Zusammenhang der Katastrophe des Krieges, die auch die Frauen der Gegner nicht weniger betroffen hat als die Troerinnen selbst. _____________ 74 Porson (1792) 25: „quicquid canit, ad res et personas accomodatum est; ita nihil alienum et arcessitum canit.“

Die Chorlieder

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In seinem großartigen dritten Stasimon (905–51), das auch Porson als besonders gut gelungen hervorhebt,75 betrauert der Chor den Untergang Trojas und schildert die Einnahme der Stadt aus der Perspektive einer vornehmen Frau. Nach dem Freudenfest, das die Troer wegen des Abzugs der Griechen gefeiert hatten, saß sie im Negligé am Frisiertisch, als das Kriegsgeschrei ertönte und die Griechen plötzlich überall in der Stadt waren. Sie versuchte vergeblich, zum Altar der Artemis zu fliehen, und wurde als Gefangene an die Küste zu den Schiffen getrieben. Das Lied endet mit einer Verfluchung der Helena, der eine unglückliche Heimfahrt gewünscht wird, und des Paris. Es ist aufschlussreich, neben diese Lieder die der Troerinnen zu stellen, eines Stückes, das eine ähnliche Thematik hat, weil auch dort Hekabe die Hauptgestalt ist und ihr Schicksal und das ihrer Angehörigen ebenfalls exemplarisch für das Schicksal der ganzen Stadt und ihrer Bewohner sind. Dabei muss in den Troerinnen auch die lyrische Eingangspartie, soweit an ihr der Chor beteiligt ist, mit in die Betrachtung einbezogen werden (153–229). Denn dort berührt der Chor das Thema, dem in der Hekabe das erste Stasimon gewidmet ist, nämlich der Ungewissheit der Frauen über ihr künftiges Schicksal als Sklavinnen. Auch dort fragen sich die Frauen, wohin ihr künftiges Los sie führen mag, und nennen, ja rühmen sogar einzelne Landschaften Griechenlands, Siziliens und Süditaliens, in die sie gelangen könnten. Hier ist aber, anders als in der Hekabe, auch ein Handlungsbezug gegeben, weil unmittelbar anschließend Talthybios bekannt gibt, welche der vornehmsten Sklavinnen welchem griechischen Helden zugeteilt worden ist (230–77). Das erste Stasimon (511–67) ist, ähnlich wie das dritte der Hekabe, eine poetische Schilderung des Unterganges Trojas aus der Perspektive der Frauen, von der feierlichen Einholung des hölzernen Pferdes über die Tänze der Mädchen bis hin zum Fall der Stadt, als die Männer erschlagen und die Frauen und Kinder versklavt wurden. Das zweite Stasimon (799–858) ordnet, ähnlich wie das zweite der Hekabe, das Geschehen des Dramas in den größeren Zusammenhang der Geschicke Trojas ein. Es handelt zunächst vom früheren Unglück der Stadt, nämlich von ihrer ersten Einnahme durch Herakles und Telamon (wobei die Frauen bei der Erwähnung des Salaminiers Telamon die Gelegenheit nutzen, ein Lob der Insel Salamis einzuflechten). Dann beklagt der Chor, dass die troischen Prinzen Ganymedes und Tithonos, die Lieblinge der Götter, der Stadt nichts genützt haben. Er wagt nicht, Zeus zu tadeln, aber beklagt jedenfalls, dass die Liebe der Götter die Stadt im Stich gelassen hat. _____________ 75 Porson (1792) 26.

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Im dritten Stasimon (1060–1117) beklagen die Frauen des Chores, dass Zeus sein Heiligtum in Troja verraten hat. Sie klagen über das Ende der Götterfeste in der Stadt und bedauern ihr eigenes Schicksal, das ihrer toten Männer und das ihrer Kinder, die von ihnen getrennt wurden. Sie singen von der Klage der Kinder über ihre bevorstehende Seefahrt nach Griechenland und berühren damit noch einmal das Thema der Parodos (197–229). Einen Bezug auf die Handlung der vorausgehenden Helenaepisode weist die letzte Gegenstrophe (1100–17) auf. Der Chor rechnet offenbar nicht damit, dass Menelaos, wie er es zuvor angekündigt hat, das Todesurteil an Helena vollstrecken wird, denn er wünscht, Zeus möge die beiden noch auf dem Schiff mit seinem Blitz erschlagen. Die Verwünschung von Helena und Menelaos steht also am Schluss des letzten Stasimon der Troerinnen wie diejenige von Helena und Paris an der entsprechenden Stelle in der Hekabe (943–51). Wie dieser Überblick zeigt, ist die Thematik der Chorlieder in beiden Dramen sehr ähnlich. Der Handlungsbezug der Lieder der Troerinnen ist an einigen Stellen (Parodos, Schluss des dritten Stasimon) stärker als in der Hekabe, aber aufs ganze gesehen stehen auch hier nicht die Schicksale Hekabes und ihrer Familie im Mittelpunkt, sondern das Los der Stadt und ihrer Bewohner, für das Hekabes Schicksal zwar das vornehmste Beispiel, aber eben doch auch nur ein Beispiel ist. Dabei wird allerdings in den Troerinnen, die mit einem Götterdialog beginnen, auch in den Chorliedern der Anteil der Götter am Untergang der Stadt stärker betont als in der Hekabe, wo das Wirken der Götter weitgehend im Verborgenen bleibt. Die Ähnlichkeit der Chorlieder der beiden Dramen geht sehr weit.76 Das liegt nicht so sehr an der Identität der Hauptgestalt, denn Hekabe selbst wird in diesen Liedern überhaupt nicht erwähnt. Es liegt eher an der Ähnlichkeit der Thematik und daran, dass die Hauptgestalt und ihr Umkreis hier wie dort exemplarisch sind für ein größeres Thema, nämlich für die Katastrophe einer Stadt, die von den bisher freundlich gesonnenen Göttern verlassen ist, und die darum mit allen ihren Menschen, der Königsfamilie ebenso wie den Frauen des Chores, dem Untergang verfällt. Über dieses Thema, aber in seinen verschiedenen Aspekten, singt der Chor hier wie dort.77

_____________ 76 Allerdings sind die Schlüsse des zweiten und des dritten Stasimon der Hek. in ihrer Stimmung gut der jeweiligen dramatischen Situation angepasst. Hose (2008) 87 spricht darum von einer „lyrischen Parallelkomposition“. S. auch zu V. 650–56 und 950f. 77 Auch ein Vergleich der Chorlieder beider Tragödien mit denjenigen in Senecas Troades ist interessant. Hierzu s. S. 54ff.

Die Funktion der Götter

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Die Funktion der Götter Mit dem Fall Trojas verlassen die Götter die einst von ihnen geliebte Stadt. Im Prolog der Troerinnen zeigt Euripides, wie Poseidon, der einst die Mauern der Stadt miterbaut hat, noch einmal einen Blick auf die rauchenden Trümmer und die überlebenden Frauen wirft und sich dann abwendet (V. 1–47). So ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Hekabe, die auf der ersten Station der Rückfahrt des griechischen Heeres spielt und deren Handlung der Zuschauer aus der Perspektive eben dieser Frauen erlebt, die Götter wenig in Erscheinung treten. Sie haben die Frauen den Siegern überlassen, die mit ihnen nach Gutdünken verfahren können. Man hat gemeint, die Götter kämen in diesem Drama überhaupt nicht vor;78 doch ist das allenfalls für die erste Hälfte des Stückes richtig. Aber auch dort werden einzelne Götter erwähnt, wenn auch nur in negativem Sinn, wie Zeus Hikesios, der Beschützer der Bittflehenden, dessen Hilfe Polyxene nicht in Anspruch nehmen will (345), oder wie Artemis, welche die zu ihr flüchtenden Frauen nicht beschützen konnte (935). Etwas anders wird es freilich in der zweiten Dramenhälfte. Schon am Anfang des Stückes hieß es, dass die Götter der Unterwelt (oi™ kátw sqénonteß), dafür gesorgt haben, dass der Leichnam des Polydoros in die Hände seiner Mutter gelangt (49f.). Damit lösen diese Götter indirekt die Handlung der zweiten Dramenhälfte aus, die zur Bestrafung des Mörders führt. Als Hekabe die Leiche gefunden und den Schuldigen erraten hat, ruft sie Dike, die Göttin des Rechts, in ihrer Eigenschaft als Hüterin des Gastrechts an (715 Díka xénwn). Bei ihrem Appell an Agamemnon beruft sie sich ebenfalls auf die Macht der Götter und des göttlichen Gesetzes (nómoß), das die Menschen dazu bringt, die Götter zu verehren und Recht und Unrecht zu unterscheiden (799–805). Als dieser Appell ohne Wirkung auf Agamemnon zu bleiben scheint, ruft sie auch noch Peitho, die Göttin der Überredung, zu Hilfe (816) und verschmäht selbst den Beistand der Liebesgöttin Kypris nicht (825). Welche der von Hekabe beschworenen Gottheiten letztlich den Ausschlag bei Agamemnons Entscheidung für eine bedingte Unterstützung des Anliegens Hekabes gegeben hat, ist schwer zu sagen. Dass es vor allem Kypris war, wird von vielen vermutet, er selbst beruft sich allerdings auf die Götter und das Recht (852f., 1249–51). Da obendrein „ein Gott“ den Fahrtwind noch nicht wehen lässt (900), bekommt Hekabe die für ihre Rachetat nötige Zeit. Ihre Tat vollbringt sie aus eigener Kraft, aber dass sie so mühelos gelingt, ist nicht ohne göttlichen Beistand möglich, vor allem aber, wie es scheint, nicht ohne ein gehöriges Maß an Verblendung (ºAth) von Seiten Polymestors. Der Name dieser _____________ 78 So spricht Segal (1989) 20f. von „remoteness of the gods“ in der Hek.

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Gottheit bleibt ungenannt, aber dass sie wirksam ist, lässt sich dem Verlauf des Überlistungsdialoges (953–1022) entnehmen.79 Offenbar wurden die Götter durch die schwere Verletzung des Gastrechts, die sich Polymestor zuschulden kommen ließ, veranlasst, Hekabes Rachetat zuzulassen und zu unterstützen, so sehr sie sich auch im übrigen gegenüber dem Schicksal der Troerinnen gleichgültig verhalten. Es scheint hier wie so oft bei Euripides, dass die Götter eifriger bei der Sache sind, wenn es gilt, Schuldige zu bestrafen, als wenn es darum geht, Unschuldige zu beschützen. Ob Hekabe am Schluss infolge göttlichen Wirkens durch Verwandlung und Tod vom Los der Sklaverei befreit wird, muss offen bleiben, da nichts darüber verlautet, es ist aber anzunehmen, dass die Götter daran nicht unbeteiligt sind, da nichts Wunderbares ohne göttliche Einwirkung zu geschehen pflegt. Das Wehen der Winde und die Götter Es wird häufig die Ansicht vertreten, dass das Ausbleiben der Winde nach der Opferung Polyxenes (V. 900) darauf schließen lasse, dass die Götter dieses Menschenopfer für nicht gerechtfertigt hielten und darum missbilligten.80 Denn nach griechischer Vorstellung verfügen die Götter über die Macht, Winde wehen oder auch nicht wehen zu lassen, und so mag es möglich sein, aus dem einen oder anderen, das in bestimmten Situationen geschieht, Schlüsse darauf zu ziehen, ob die Götter das jeweilige Verhalten der Menschen billigen oder nicht. Nun ist es richtig, dass der Dichter in V. 38 und 111f. Polydoros und den Chor nichts darüber sagen lässt, auf welche Weise der Geist des Achilleus die Flotte aufhielt, so dass man auf Vermutungen angewiesen ist. Man kann vermuten, dass die Griechen am Aufbruch dadurch gehindert wurden, dass nach der Erscheinung des Geistes der Fahrtwind plötzlich ausblieb, nachdem sich die Segel der Schiffe schon zuvor im Winde gebläht hatten (V. 112),81 man kann aber auch vermuten, dass seine bloße Erscheinung oder auch die von ihm erhobene Forderung die Griechen dazu bewegte, nicht aufzubrechen, obwohl sich die Segel schon im Winde bläh_____________ 79 So Heath (1987) 68 Anm. 143. 80 So Kovacs (1996) 63f.; Gregory (1999) xxix–xxxi; ähnlich auch Mitchell-Boyask (1993). – Aus der Anrufung der Brise durch den Chor in V. 444 lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass zu dieser Zeit ein guter Fahrtwind wehte, wie dies Kovacs und Gregory (1999) 98f. vermuten. Das gilt schon deswegen, weil in dem Lied nur von einer künftigen Brise die Rede ist. 81 Dies ist auch die Meinung von schol. V zu V. 110: a¬némou o¢ntoß kaì tøn i™stíwn h™plwnénwn u™parcóntwn kaì tøn neøn pleóntwn nhnemía gégone h™níka e¬fánh o™ ¯Acilleúß.

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ten. Gegen die erstgenannte Annahme wurde mit Recht eingewendet, dass es nicht in der Macht eines Heros liege, Winde wehen oder nicht wehen zu lassen, sondern nur in der Macht der Götter. Aber es scheint mir doch eine allzukühne Behauptung zu sein, dass schon die bloße Nichterwähnung des Ausbleibens des Fahrtwindes in V. 112 erkennen lasse, dass die Götter die Forderung des Achilleus missbilligten und dass dann auch die Erfüllung dieser Forderung durch die Opferung Polyxenes nicht mit ihrem Einverständnis geschah. Auch das in V. 900 erwähnte Ausbleiben des Fahrtwindes unmittelbar nach der Opferung ist nach meiner Meinung kein Indiz dafür, dass die Götter diese Tat missbilligten. Alle diese spitzfindigen Überlegungen scheinen mir nur gut gemeinte Versuche zu sein, die Götter von der Verantwortung für die Opferung Polyxenes zu entlasten. Aber die Götter sind hier wie in der Ilias und auch sonst bei den Tragikern souverän und den Maßstäben der menschlichen Moral nicht unterworfen. Der Tod Polyxenes war schicksalhaft bestimmt, wie Polydoros mitteilt (43f.), und zwischen der Bestimmung des Schicksals und dem Ratschluss der Götter pflegt kein Widerspruch zu bestehen. Es scheint mir also, dass die Götter nichts gegen die Opferung einzuwenden haben, weil ihnen Polyxenes Schicksal wie das der anderen Troerinnen gleichgültig ist. Anders scheint es dann allerdings in der zweiten Dramenhälfte zu sein. Hier mag es für die Beurteilung des Geschehens wichtig sein, dass der von Agamemnon in V. 900 nicht näher bezeichnete Gott den Fahrtwind so lange zurückhält, bis Polymestor seine offenbar auch nach dem Ratschluss der Götter verdiente Strafe empfangen hat.82 Im Zeichen des Dionysos? Darüber, ob und wie weit die Handlung der Hekabe in besonderem Maße im Zeichen des Dionysos steht, gehen die Meinungen auseinander. Während die meisten Interpreten in dem Stück kein besonderes dionysisches Gepräge erkennen wollen, vertritt Schlesier die Ansicht, dass sowohl Hekabe selbst als auch Polymestor als Thraker eine besonders enge Beziehung zu dem bei diesem Volk in besonderem Maße verehrten Gott hätten und dass auch in der Handlung und vor allem in den lyrischen Partien Anklänge an den Dionysoskult zu finden seien.83 Sie kann sich immerhin darauf berufen, dass die Handlung in Thrakien spielt, dass Polymestor ein thrakischer König ist und dass er sich bei seiner Schlussprophezeiung auf Dionysos als den Orakelgott der Thraker beruft. Dagegen bleibt es eine _____________ 82 Sehr kritisch zur Bedeutung der Winde Gärtner (2005) 56f. 83 Schlesier (1988). Von einem „pattern of bacchic motifs“ spricht Segal (1989) 18.

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reine Vermutung, dass Hekabe als Tochter des Kisseus selbst eine Verbindung mit Thrakien hat.84 Zwar spricht Hekabe, als sie ihr Klagelied über den Tod des Polydoros anstimmt, von einem nómoß bakceîoß (685f.), und zwar nennt der geblendete Polymestor die Frauen, die ihn überwältigt haben, Bákcai ÷Aidou (1076), aber das sind nicht viel mehr als Metaphern, die nur insofern ein gewisses Gewicht haben, als solche ekstatischen Klagelieder, wie zuerst Hekabe und sodann Polymestor sie anstimmen, immer mehr oder weniger stark an dionysische Kultlieder anklingen. So kann auch Kassandra tò bakceîon kára genannt werden (676), weil ihre ekstatischen Äußerungen denen der Bakchantinnen ähneln, obwohl sie ihr von Apollon eingegeben werden (vgl. V. 827 foibáß). Wenn Hekabe davon spricht, dass Polymestor den Körper ihres Sohnes „zerteilt“ habe (716 diemoirásw), ist dieses Wort nicht so zu verstehen, dass Polymestor eine rituelle Tötung vorgenommen habe, sondern ist wie an der parallelen Stelle Hippolytos 1376 als eine poetische Wendung für „tödlich verletzen“ aufzufassen. Wenn Polymestor später das gleiche Wort verwendet (1076 diamoirâsai), um das zu benennen, was den Leichnamen seiner Söhne von den troischen Frauen drohen könnte, kann er ebenfalls keine rituelle Tötung meinen, da die Knaben schon tot sind, sondern ein Zerreißen der Körper durch die Hunde, denen sie vorgeworfen werden. Dass Polymestor sich schließlich auf Dionysos als o™ Qrh¸xì mántiß beruft (1267), lässt auch nicht auf eine besonders enge Beziehung zu diesem Gott schließen. Vielmehr war, wie wir aus Herodot (7,111) wissen und wie Euripides vielleicht aus der gleichen Quelle wusste, Dionysos der Gott, an dessen Heiligtum sich die Thraker zu wenden pflegten, wenn sie etwas über die Zukunft erfahren wollten. So bleiben insgesamt wenig sichere Anhaltspunkte dafür übrig, dass dieses Stück in besonderem Maße einen dionysischen Charakter hat, vielleicht abgesehen von einer gewissen dionysisch-ekstatischen Färbung der Klagelieder Hekabes und Polymestors.

Die Sentenzen In der Hekabe findet sich, wie überall bei Euripides, eine Fülle von Sentenzen, also von einprägsam formulierten Sätzen, die allgemein bekannte Sachverhalte treffend beschreiben und so etwas wie eine Philosophie des Alltags liefern, oder die gelegentlich auch nur verbreitete Meinungen, die nicht unbedingt mit denen des Dichters übereinstimmen müssen, auf eine

_____________ 84 S. zu V. 3.

Die Sentenzen

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knappe Formel bringen.85 Solche Sentenzen werden von heutigen Lesern oft als banal oder gar störend empfunden, und wohl auch deswegen werden einige von ihnen gelegentlich für spätere Zusätze gehalten.86 Sie sind aber charakteristisch für die Tragödie und ganz besonders für Euripides, der sie reichlich verwendet, und zwar besonders an markanten Stellen wie am Anfang oder am Schluss von Reden oder auch als gliedernde Elemente zwischen Redeabschnitten.87 Die antiken wie auch die byzantinischen Leser hatten an ihnen ihre Freude, und ihre große Zahl trug zur Beliebtheit des Dichters bei. In der Spätantike und im byzantinischen Mittelalter wurden Sentenzensammlungen (gnømai) aus den klassischen Autoren angelegt, so von Orion und Johannes Stobaios (beide 5. Jh.). In allen diesen Sammlungen nehmen Zitate aus Euripides einen breiten Raum ein. Allein bei Stobaios finden sich 740 von ihnen, etwa ebenso viele wie aus allen anderen Dichtern zusammen.88 Die mittelalterlichen Tragödienhandschriften und auch die frühen Drucke heben solche Sentenzen besonders hervor.89 In der Aldina, der von Aldus Manutius gedruckten ersten Ausgabe von 18 Dramen des Euripides (Venedig 1503), sind im Text der Hekabe 37 Passagen als Sentenzen gekennzeichnet, wobei es zum großen Teil eben die sind, die auch schon in die antiken Sentenzensammlungen Eingang gefunden haben.90 Uns sind auch mehrere mittelalterliche Sammlungen von Sentenzen aus den Tragikern erhalten, die sogenannten Gnomologien. Einige von _____________ 85 Hier stütze ich mich vor allem auf R. Kannicht, TrGF V Euripides, in: G. W. Most (Hrsg.), Collecting Fragments, Aporemata 1, Göttingen 1997, 67–77. 86 Diggle streicht denn auch vier derartige Passagen, nämlich V. 599–602, 756f., 831f. und 974f. Page (1934) 67f. streicht V. 606–08. 87 Vgl. hierzu Johansen (1959). 88 Orion zitiert 11 Sentenzen aus der Hek. Siehe die neue Ausgabe: M. Haffner, Das Florilegium des Orion, Stuttgart 2001 (Palingenesia Bd. 75).– Stobaios zitiert 14 Sentenzen aus der Hek. Zu ihm s. auch Heath (1987) 43 Anm. 26, der feststellt: „Hec. is one of the most frequently quoted plays in Stobaeus.“ S. ferner M. Hose, Das Gnomologium des Stobaios, Eine Landkarte des paganen Geistes, Hermes 133 (2005) 93–99. 89 In den Hss. werden Sentenzen meist durch die Randnotiz gnw (= gnwmikón) am Rand gekennzeichnet, in den älteren Ausgaben von der Aldina bis hin zu Beck (1,1778) durch Anführungszeichen am linken Rand jedes Verses, jedenfalls dort, wo der Platz am linken Rand nicht für eine Personenangabe benötigt wird. 90 Es sind V. 228 sofón ti – froneîn, 254–57, 282–85, 291f., 294 lógoߖ295, 306– 08, 311f., 317–20, 328–31, 375–78, 488–91, 497f., 551f., 592 ou¢koun–602, 606 e¬n gàr–08, 626 a¢llwߖ28, 663 e¬n–64, 751, 756 toùߖ57, 800 nómw¸-01, 805, 814– 19, 831f., 844f., 846–49, 864–67, 902–04, 955a feû-960 au¬toúß, 974 a¢llwߖ75, 984f., 1027 tò–31 kakón, 1085–87, 1107f., 1181f., 1187–94, 1226f., 1238f., 1240–42. Mit kleinen Schwankungen werden die gleichen Passagen in den folgenden Ausgaben bis hin zu Beck (1,1778) als Sentenzen gekennzeichnet.

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ihnen sind für die Konstituierung des Textes wertvoll, weil sie einen unabhängigen Zweig der Überlieferung bilden. Für die Hekabe ist das aus dem 12. Jahrhundert stammende Gnomologium Vatopedianum (gV) von gewissem Wert, und es wurde deswegen von mir regelmässig für die Passagen herangezogen, die dort aus diesem Stück zitiert werden.91 Auch in der frühen Neuzeit wurde Euripides gerade wegen seiner Sentenzen hoch geschätzt. Hugo Grotius gab 1623 eine Sentenzensammlung heraus, bei der er ganz aus Stobaios schöpfte, und ergänzte diese durch seine 1626 herausgegebenen Excerpta e tragoediis et comoediis Graecis, in denen er Sentenzen aus den erhaltenen Texten der griechischen Dramatiker und aus anderen Quellen zusammentrug.92 Der Zweck dieser Sammlung war ganz eindeutig nicht philologisch, sondern philosophisch und pädagogisch. Die Leser sollten Zugang zu dem Schatz an Weltweisheit bekommen, der in den Aussprüchen der griechischen Dichter gesammelt ist, und sie sollten diesen Schatz für ihre Lebensführung nutzen. Durch diese Grundsätze fühlte sich Grotius auch dazu berechtigt, solche Sentenzen aus seiner Sammlung auszuschließen, die er als religiös oder moralisch anstößig empfand. Noch über hundert Jahre später begründete Johann Caspar Valckenaer seine Beschäftigung mit den Fragmenten des Euripides damit, dass er den Lesern die Fülle von sittlicher Belehrung, Lebensklugheit und sogar von staatsmännischer Weisheit zugänglich machen wolle, die in den „sententiae“ dieses Dichters zu finden sei.93 Die ersten, die sich kritisch zu den zahlreichen Sentenzen in der Hekabe und anderswo bei Euripides äußerten, waren Pierre Brumoy (1732) und Pierre Prévost (1786).94

_____________ 91 Hierzu G. A. Longman, Gnomologium Vatopedianum: The Eur. Section, Classical Quarterly N. S. 9 (1959) 129–41. 92 H. Grotius, Dicta poetarum quae apud Io. Stobaeum exstant, Paris 1623; derselbe, Excerpta ex tragoediis et comoediis Graecis, Paris 1626. 93 L. C. Valckenaer, Diatribe in Eur. perditorum dramatum reliquias, Leiden 1767 (Nachdruck Leipzig 1824), 1: „Euripidis in scena Philosophi sententiae pleraeque, ad humanitatis virtutisque pulcritudinem commendandam, ad emendandos mores, vitamque bene emendandam, aut rempublicam administrandam comparatae“. 94 P. Brumoy, Théatre des Grecs, 4, Amsterdam 1732, 111, 114; P. Prévost, in: Brumoy, nouv. éd., 4, Paris 1786, 345–47, 500. Während Brumoy die zahlreichen Sentenzen auf eine allgemeine Neigung der Griechen zum Moralisieren zurückführte, hielt Prévost sie für ein besonderes Charakteristikum des Eur. Im Fall der Hek. meinte er außerdem, sie mit dem vorgerückten Lebensalter der Heldin entschuldigen zu müssen. S. auch S. 67.

Hekabe und Troerinnen

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Hekabe und Troerinnen Die Wirkung der Hekabe ist nicht einheitlich. In seinem ersten Teil ist das Stück ein Opferdrama, das einem Märtyrerdrama ähnelt und wie dieses Schrecken erzeugt, der sich mit Bewunderung mischt; in seinem zweiten Teil ist es ein Rachedrama, das eine die Gefühle des Zuschauers befriedigende Bestrafung eines Schurken zeigt, der seine Strafe verdient hat. Beides wird dargestellt als zwei scharf kontrastierende Episoden der Leidensgeschichte Hekabes. Dem Dichter gelingt eine geschickte Verknüpfung der beiden Episoden durch die Enthüllung des Leichnams des Opfers der zweiten Episode, der zunächst für den des Opfers der ersten Episode gehalten wurde, und durch den dadurch ausgelösten jähen Übergang Hekabes vom Leiden zum Handeln. Die Einheit des Stückes ist nicht in der Einheitlichkeit der Handlung begründet, sondern in der Hauptgestalt Hekabe, die im Mittelpunkt der beiden Episoden steht und in starkem Maße das Mitgefühl des Zuschauers erweckt. Allerdings ist die Handlungsführung so geschickt, dass die Zweiteiligkeit kaum auffällt, und die Handlung verfehlt denn auch ihre Wirkung auf den Zuschauer nicht. Der erste Teil verläuft zwar ganz in den im Prolog vorgezeichneten Bahnen, doch erwacht die Spannung im zweiten Teil, wenn völlig unangekündigt die Rachehandlung beginnt, und diese Spannung wird bis zum Schluss wachgehalten. Dabei werden auch Emotionen geweckt, die bühnenwirksam, aber eher untypisch für die Tragödie sind, wie Grauen, Bewunderung, Empörung oder auch Schadenfreude. Das Stück gehört zu den Tragödien, die George Steiner „tragedy, pure and simple“ nennt, also zu denen, wo das menschliche Dasein in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit gezeigt wird und wo auch von den Göttern wenig Trost kommt.95 Dagegen spricht Hartung bei diesem Stück, an dessen Ende jede der drei überlebenden Personen einem baldigen Tod entgegengeht, völlig zu Unrecht von „einem heiteren Ausgang“.96 In diesem Stück gibt es nichts Heiteres. Richtiger ist die Meinung von Scaliger, Hekabe sei infolge des Gelingens ihrer Rache „etwas weniger traurig“ geworden.97 Das gilt allerdings nur für die kurze Zeit ihres Triumphes. Als sie jedoch erfahren muss, dass auch ihrer letzten überlebenden Tochter _____________ 95 G. Steiner, Tragedy, Pure and Simple, in: M. S. Silk (Hrsg.), Tragedy and the Tragic, Oxford 1996, 534–46. Er nennt die Hek. zusammen mit den Tro. unter den Tragödien, welche dieser radikalen Form am nächsten kommen (538). Auch Hose (2008) 90 schreibt: „Die Hek. kann als das schwärzeste Stück des Eur. gelten.“ 96 Hartung (1850) 12. 97 Siehe S. 33 und Anm. 60.

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Kassandra die Ermordung bestimmt ist, sieht sie in der Zukunft neues Leid heraufziehen, das sie abzuwenden wünscht, aber nicht abwenden kann.98 Wenn man versucht, Hekabe und Troerinnen hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Zuschauer zu vergleichen, wird man einerseits anerkennen müssen, dass die Hekabe die eindrucksvollere Handlungsführung hat und dadurch den Zuschauer stärker in ihren Bann zieht als die Troerinnen, aber andererseits wird man feststellen, dass die Stimmung des späteren Stückes einheitlicher ist. Zwar entsprechen auch die Troerinnen nicht den Regeln der Poetik des Aristoteles, sondern bestehen aus mehreren Episoden der Leidensgeschichte der Hauptgestalt Hekabe, die wiederum für das menschliche Schicksal allgemein und für das Schicksal Trojas und seiner Bewohner im besonderen exemplarisch ist, aber die Episoden ähneln sich in ihrem Charakter. Nur der Helena-Akt hebt sich vom übrigen ab, weil hier Hekabe für kurze Zeit von einer Leidenden zu einer Handelnden wird. Sie handelt jedoch nur durch Worte, nicht durch schreckliche Taten. Sie hält eine Anklagerede und erreicht eine Verurteilung, der aber keine Vollstreckung der Strafe folgen wird, wie der Zuschauer vermuten darf. Danach kehrt die ursprüngliche Stimmung zurück. So ist es vielleicht verständlich, dass die Troerinnen zu einer der bekanntesten und wegen der leider immer wieder aktuellen Thematik der Schrecken des Krieges auch zu einer der am häufigsten aufgeführten Tragödien des Euripides geworden sind, während die Hekabe gelegentlich, und zwar durchaus erfolgreich, aufgeführt wird, aber doch sehr viel seltener als die Troerinnen.99

Zur Rezeptionsgeschichte Die frühen römischen Tragiker, Vergil und Ovid Wir wissen, dass die frühen römischen Dichter Ennius und Accius je eine Tragödie mit dem Titel Hecuba geschrieben haben. Die wenigen Fragmente, die aus diesen beiden Stücken bei lateinischen Autoren erhalten sind, lassen vermuten, dass sie mehr oder weniger freie Übersetzungen des euripideischen Dramas waren. Anders liegen die Dinge bei Pacuvius, für den eine Tragödie mit dem Titel Iliona bezeugt ist. Dieses Stück scheint auf eine wohl nacheuripideische griechische Tragödie zurückzugehen, die insofern durch die Hekabe angeregt war, als sie die Gestalten des Polydoros und des Polymestor übernahm, dann aber von ihnen eine ganz andere Geschichte _____________ 98 Collard (1975) 66: „Hecuba’s triumph is turned to ashes.“ 99 Eine gute Gegenüberstellung der beiden Stücke bei Gärtner (2005) 61f.

Zur Rezeptionsgeschichte

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erzählte. Wir kennen den Stoff aus der 109. und der 243. Fabel des Hygin. Danach war Polymestor mit Iliona, einer Tochter des Priamus, verheiratet und hatte von ihr einen Sohn Deiphilus. Bei ihnen wuchs auch Ilionas jüngster Bruder Polydorus auf, den sie wie einen zweiten Sohn zusammen mit Deiphilus aufzog. Als Agamemnon nach dem Fall Trojas den Thrakerkönig dazu überredet hatte, Polydorus zu töten, brachte dieser irrtümlich Deiphilus um und ließ Polydorus leben. Iliona ließ sich daraufhin von diesem dazu anstiften, Polymestor zu töten, doch war sie über den Verlust ihrer Eltern so untröstlich, dass sie sich das Leben nahm. Vergil lässt seinen Aeneas erzählen, wie er auf der Flucht von Troja an der thrakischen Küste landete und dort dem Geist des ermordeten Polydorus begegnete, der ihn aufforderte, das Land so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Aeneas folgte diesem Befehl und fuhr weiter, nicht ohne zuvor dem Polydorus ein prunkvolles Totenopfer dargebracht zu haben (Aeneis 3,13–68). Diese unheimliche, von einer düsteren Stimmung erfüllte Episode soll Thrakien als ein ungastliches Land erscheinen lassen, das nicht für eine Ansiedlung der Aeneaden geeignet ist. Die kurze Beschreibung der Schicksale des Polydorus erfolgt in enger Anlehnung an Formulierungen des Prologs der Hekabe (V. 49–56 ~ Hek. 4–7, 16–27). Ovid schließt sich in den Metamorphosen (13,439–575) enger als Vergil an Euripides an, indem er beide Handlungselemente der Hekabe in sein Epos übernimmt, nämlich sowohl die Opferung Polyxenes als auch die Rache an Polymestor, und auch darin, dass er beide Teilhandlungen mit dem Thema der Leiden Hekabes eng verbindet. Achilleus fordert vom Heer die Opferung Polyxenas. Das Mädchen wird vom Schoß der Mutter weggerissen, hält am Altar eine ergreifende Rede, in der sie darum bittet, in Freiheit sterben zu dürfen, und auch darum, dass ihre Mutter sie bestatten dürfe (457–73). So geschieht es dann auch.100 Ihr Leichnam wird Hecuba überbracht, die das Schicksal ihrer Tochter und ihr eigenes Schicksal beklagt (494–530). Diese begibt sich ans Meeresufer, um Wasser für die Waschung der Toten zu holen; dort findet sie die angespülte Leiche des Polydorus. Sofort entschließt sie sich zur Rache an Polymestor, in dem sie den Mörder ihres Sohnes erkennt. Sie geht selbst zu ihm und bittet ihn zu einer Unterredung an einen geheimen Ort, wo sie ihm verborgenes Gold zeigen wolle. Dort stürzt sie sich auf ihn und blendet ihn. Die über ihre Tat empörten Thraker verfolgen sie und beginnen, mit Steinen nach ihr zu werfen. Sie schnappt nach den Steinen, und die Worte, die dabei aus ihrem _____________ 100 Wenn Prudentius in seinem Hymnus auf die heilige Eulalie die sittsame Haltung der Heiligen während ihres Martyriums mit Worten beschreibt, die an V. 566–70 der Hek. anklingen (Peristephanon 3,150–55), schöpft er nicht unmittelbar aus Euripides, sondern eher aus Ovid (Metamorphosen 13, 477–80). Dazu Pagani (1970) 47 Anm. 48.

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Munde kommen, verwandeln sich in das Bellen einer Hündin. In dieser Gestalt irrt sie noch lange heulend über die Felder Thrakiens (565–71). Ovid konzentriert das Geschehen auf die Person der Hecuba. Er verstärkt ihr Gewicht auch in der Polyxena-Handlung, er lässt sie selbst die Leiche des Polydorus finden, er macht sie zur alleinigen Täterin bei der Überlistung und Blendung Polymestors, und er lässt sie eine große Klagerede halten. Dem Schluss des Geschehens gibt er eine neue Wendung, indem er ihre Verwandlung in eine Hündin als das Ergebnis des übergroßen Zornes deutet, der sie ergreift, als sie den meineidigen und schmeichlerischen Mörder ihres Sohnes erblickt (559 „tumidaque exaestuat ira“). Die Auffassung des Schlusses als eines Absinkens der Heldin auf eine unterhalb des Menschlichen befindliche Daseinsstufe infolge übermächtiger Emotionen sollte folgenreich sein. Sie bestimmte lange die Meinung vieler Interpreten und ist auch heute noch verbreitet.101 Seneca Senecas Tragödie Troades102 gehört nur am Rande in die Tradition der Hekabe. Denn in diesem personenreichen und bewegten, besonders durch die Kraft der Beredsamkeit beeindruckenden Stück kombiniert Seneca, wie es scheint, vor allem Handlungselemente der Polyxene des Sophokles mit solchen der Troerinnen des Euripides.103 Er übernimmt ferner das Motiv des gescheiterten Versuches, ein Kind vor seinen Verfolgern zu retten, wohl aus der Andromache des Euripides. Dagegen lässt es sich nur bei genauem Hinsehen erkennen, was er aus der Hekabe übernommen hat. Seneca übernimmt hier wie auch sonst die traditionelle Form der attischen Tragödie mit ihrem Wechsel zwischen von Schauspielern gesprochenen und vom Chor gesungenen Passagen. Er beginnt mit der PolyxenaHandlung, wobei er nach dem Vorbild des Sophokles auch ihre Vorgeschichte einbezieht, also den Streit unter den Griechen über die Opferung _____________ 101 Ähnlich Seneca Agamemnon 706–8: „Hecuba … induit vultus feros: circa ruinas rabida latravit suas.“ Dass die Verwandlung Hekabes schon vor Ovid so aufgefasst wurde, zeigen Plautus Menaechmi 716f. („Hecuba … omnia mala ingerebat quemquem aspexerat, itaque adeo iure coepta appellari est Canes.“) und Cicero (Tusculanae Disputationes 3,63 „Hecubam autem putant propter animi acerbitatem quandam et rabiem fingi in canem esse conversam“). 102 Eine gute Würdigung des Stückes bei W. Schetter, Zum Aufbau von Senecas Tro., in: E. Lefèvre (Hrsg.). Senecas Tragödien, Wege der Forschung 310, Darmstadt 1972, 230–71. S. auch Steidle (1968) 56–62. 103 W. M. Calder III, Originality in Seneca’s Troades, Classical Philology 65 (1970) 75-82, auch in: Theatrokratia, Spudasmata 104, Hildesheim 2005, 387–401.

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(163–365). Danach geht er fast unvermittelt zur Andromache-AstyanaxHandlung der Troerinnen über (365–70, 409–813). Anschließend nimmt er die Polyxena–Handlung wieder auf und führt sie zu Ende, wobei besonders auffällt, dass er Polyxena selbst keinen einzigen Vers sprechen lässt (861– 1008). Am Schluss stellt er die Ergebnisse beider Teilhandlungen in einer Botenszene nebeneinander, wobei zunächst der tapfere Tod des Astyanax und sodann die Opferung der wegen ihrer Schönheit und ihres mutigen Verhaltens von allen bewunderten Polyxena beschrieben wird (1056– 1179). Eine Übereinstimmung zwischen den Schicksalen der beiden zeigt sich darin, dass beide so würdig sterben, wie es ihrer königlichen Herkunft entspricht (1063f.). Gegenüber ihrer dominanten Rolle in den beiden euripideischen Dramen tritt Hecuba bei Seneca in den Hintergrund. Sie hat in den ersten Szenen bedeutende Auftritte als Sprecherin des Prologs und Stichwortgeberin des Chores, dann verschwindet sie für fast 700 Verse (163–860), während derer zunächst die griechische Seite (Talthybius, Agamemnon, Pyrrhus, Calchas) und dann Andromacha in den Vordergrund treten. Hecuba erscheint erst wieder in den beiden letzten Szenen als Gegenspielerin Helenas und als Adressatin der Botenberichte (861–1177); allerdings tritt sie dort nicht allein in diesen Rollen auf, sondern jeweils zusammen mit Andromacha. Die Polymestor-Handlung der Hekabe übernimmt Seneca nicht, was zur Folge hat, dass die troischen Frauen bei ihm, ähnlich wie in den Troerinnen, nur als Leidende erscheinen und nicht, wie in der zweiten Hälfte der Hekabe, zu Handelnden werden. In der einheitlichen Stimmung des Stückes kann man einen gewissen Vorzug gegenüber der euripideischen Hekabe sehen. Obwohl Seneca offenbar der Polyxena-Handlung seiner Troades nicht die Hekabe zugrundegelegt hat, sondern die Polyxene des Sophokles, lassen zahlreiche mehr oder weniger deutliche Anklänge an Passagen der Hekabe erkennen, dass er auch dieses Stück gut kannte.104 Ähnliches gilt für die Rolle, die er in der Andromacha-Astyanax-Handlung dem Ulixes überträgt. Dieser erscheint dort nämlich genau wie in der Hekabe als Be_____________ 104 Seneca Troades 4f. ~ Eur. Hek. 488–96; Troades 32 ~ Hek. 421; Troades 34 ~ Hek. 827; Troades 44–50 ~ Hek. 23f.; Troades 108f. ~ Hek. 1110f.; Troades 191f. ~ Hek. 113–15; Troades 524–28 ~ Hek. 218–28; Troades 672–77 ~ Hek. 886f.; Troades 691–93 ~ Hek. 275-78, 752f.; Troades 700–02 ~ Hek. 339–41; Troades 703f., 960f. ~ Hek. 277–81; Troades 708–11, 717 ~ Hek. 336–39; Troades 736f. ~ Hek. 321–25; Troades 816f. ~ Hek. 451–53; Troades 843f. ~ Hek. 466–74; Troades 950f. ~ Hek. 499f.; Troades 1067 ~ Hek. 517; Troades 1077f. ~ Hek. 521f.; Troades 1143–58 ~ Hek. 543–70; Troades 1178f. ~ Hek. 1288–90. Wie weit sich Ähnliches auch in der Polyxene des Sophokles fand, entzieht sich freilich unserer Kenntnis.

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auftragter der Griechen und verkündet ihren grausamen Beschluss (524– 33). Obwohl Andromacha ihren Sohn, den sie im Grabmal Hektors verborgen hat, als tot ausgibt, gelingt es Ulixes, sie zu überlisten, indem er droht, das Grabmal einzureißen. Andromacha wird damit vor die Wahl gestellt, entweder das Grab ihres Mannes verwüsten und ihren Sohn unter dessen Trümmern begraben zu lassen oder ihn auf Gnade oder Ungnade an Ulixes auszuliefern. Sie wählt das letztere, muss aber feststellen, dass weder sie noch ihr Sohn mit ihren Bitten bei Ulixes etwas erreichen. Damit ist das Schicksal des Astyanax besiegelt (556–813). Zu diesem Verhalten des Ulixes mag Seneca durch das des Menelaos in der Andromache angeregt worden sein (Andr. 309–544). Ein Blick auf die Chorlieder bei Seneca lässt eine gewisse Ähnlichkeit seiner Verfahrensweise mit derjenigen des Euripides sowohl in der Hekabe als auch in den Troerinnen erkennen. Während die erste lyrische Passage ähnlich wie bei Euripides ein Klagegesang ist, bei dem Hekabe zur Klage auffordert und der Chor respondiert (V. 67–162), nehmen die beiden folgenden Lieder, wiederum wie bei Euripides, keinen Bezug auf die jeweilige Handlungssituation. Das erste behandelt die Frage, ob es ein individuelles Fortleben der Seelen nach dem Tode gibt, und verneint diese Frage entschieden (371–408). Diese Antwort steht in gewissem Gegensatz zur vorausgehenden und folgenden Handlung, die zuvor von der Erscheinung des Geistes des Achilleus bestimmt wurde und danach vom Traumbild Hektors. In seinem zweiten Lied stellt der Chor Vermutungen darüber an, in welche Landschaft Griechenlands ihn sein Schicksal wohl führen werde (814–60). Damit nimmt er ein Thema auf, das sowohl in der Hekabe (444– 74) als auch in den Troerinnen (197–229) Gegenstand von Chorliedern war. Auch das letzte Chorlied der Troades hat keinen unmittelbaren Handlungsbezug, denn der Chor geht nicht auf den bevorstehenden Tod des Astyanax und der Polyxena ein, sondern singt zunächst davon, dass sich ein Unglück leichter gemeinsam als in der Vereinzelung ertragen lässt, und blickt sodann voraus auf die endgültige Trennung von Troja bei der Ausfahrt der Flotte (1009–55). Quintus Smyrnaeus Quintus von Smyrna, ein in griechischer Sprache schreibender Dichter, der wohl im 3. Jahrhundert n. Chr. lebte, verfasste das vierzehn Gesänge umfassende Epos Tà meq’ ÷Omhron oder Posthomerica, in dem er die Einnahme Trojas und die Rückfahrt der griechischen Flotte beschrieb, also den Stoff der verlorenen kyklischen Epen Aithiopis, Kleine Ilias, Iliupersis und eines Teils der Nostoi behandelte. Dabei stützte er sich wohl nicht auf diese

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Epen, sondern vor allem auf mythologische Handbücher. Wie weit er verlorene hellenistische Epen sowie Vergil und Ovid benutzte, ist in der Forschung umstritten. Im 14. Gesang erwähnt Quintus kurz, dass Odysseus Hekabe zu seiner Sklavin machte (14,21–29). Dann behandelt er im Rahmen der Beschreibung des Aufbruchs der Griechen von Troja ausführlich die Opferung Polyxenes auf dem Grab des Achilleus. Dort erscheint der Geist des Achilleus dem Neoptolemos im Traum und fordert, Polyxene zu opfern. Bis dies geschehen sei, werde er die Ausfahrt der Flotte durch Stürme verhindern (179–222). Neoptolemos setzt sich daraufhin in der Heeresversammlung für die Forderung seines Vaters ein. Poseidon unterstützt ihn, indem er einen gewaltigen Sturm sendet (235–52). Daraufhin wird die Opferung Polyxenes beschlossen, die anders als bei Euripides ihr Schicksal nicht gefasst auf sich nimmt, sondern weinend und klagend in den Tod geht (257–71). Auch Hekabe, die schon durch einen schlimmen Traum gewarnt wurde, beklagt den bevorstehenden Tod ihrer Tochter (272–303). Die Erzählung über die Opferung selbst umfasst nur wenige Verse (304– 19). Die Bestattung des Leichnams erfolgt durch Antenor, der von den Griechen verschont wurde und zusammen mit einigen anderen Überlebenden die toten Trojaner bestattet (320–28, vgl. auch 399–402). Nach einem Festmahl der Griechen fordert Nestor das Heer zum Aufbruch auf (329–45). Zum großen Erstaunen der Umstehenden wird Hekabe in eine trauernde Hündin (a¬lginóessa kúwn) verwandelt. Ein Gott macht ihren Körper zu Stein und lässt sie dadurch zu einem Wunder für die künftigen Menschen werden (346–51). Quintus lehnt sich bei seiner Darstellung der Polyxene-Episode in großen Zügen an die erste Hälfte der Hekabe an, vermeidet es aber, ihr allzu eng zu folgen.105 Viele Einzelheiten, die für das Stück des Euripides wesentlich sind, fehlen hier, so der Streit in der Heeresversammlung, die bedeutende Rolle des Odysseus, der Versuch Hekabes, die Opferung ihrer Tochter zu verhindern, die Todesbereitschaft Polyxenes und schließlich auch die Beschreibung ihres ruhmvollen Sterbens. Die Polymestor– Handlung der zweiten Hälfte übernimmt Quintus nicht. Damit entfällt für ihn die Notwendigkeit, den Ort des Geschehens auf die thrakische Seite des Hellesponts zu verlegen, aber zugleich auch die Möglichkeit, wie Euripides eine Verbindung zwischen dem Schicksal Hekabes und dem Kap Kynossema herzustellen.

_____________ 105 Hierzu F. Vian, Quintus de Smyrne, La Suite d’ Homère, T. III, Paris 1969, 162– 64.

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Die Spätantike und Byzanz Die große Beliebtheit der Hekabe in der späteren Antike lässt sich daran erkennen, dass relativ viele Papyrusfragmente von diesem Stück gefunden wurden. Hinsichtlich der Zahl der bisher gefundenen Papyri von Stücken des Euripides liegt die Hekabe mit ihren 12 Papyri zwar weit hinter Orestes und Phönizierinnen, für die 24 bzw. 22 Papyri vorliegen, aber etwa gleichauf mit der Medea mit ihren 13 Papyri. Es mag riskant sein, aus diesem Zahlenverhältnis, das sich durch Neufunde jederzeit ändern kann, Schlüsse auf die Beliebtheit der einzelnen Stücke in den letzten Jahrhunderten des Altertums zu ziehen; aber es scheint zur Zeit jedenfalls so auszusehen, dass die Hekabe in der Spätantike zwar zu den beliebteren, aber nicht zu den allerbeliebtesten Stücken gehörte, und dass sie ihre hervorgehobene Position, die sich allein schon an der großen Zahl der erhaltenen mittelalterlichen Handschriften ablesen lässt, erst im Bildungswesen der byzantinischen Epoche erhalten hat.106 Auch hinsichtlich des Umfangs der erhaltenen antiken Scholien liegt die Hekabe nur auf dem vierten Platz.107 Über die Gründe, warum die Hekabe damals diese hervorgehobene Position erhielt, sind nur Vermutungen möglich. Ich möchte viererlei vermuten. Erstens entspricht das Stück sehr gut den Bedürfnissen eines rhetorisch orientierten Unterrichts, wie er damals üblich war.108 Zweitens ist das Stück religiös und moralisch unanstößig. Die antiken Götter spielen in der Handlung keine große Rolle, Sympathie und Antipathie sind, anders als etwa in der Medea, klar verteilt, der Tod Polyxenes hat Ähnlichkeit mit einem christlichen Martyrium, und Polymestor, der Bösewicht des Stückes, empfängt seine verdiente Strafe. Drittens war wegen der Zugehörigkeit zum trojanischen Sagenkreis der Stoff der Handlung jedem vertraut und der Ort des Geschehens in der Nähe der Hauptstadt Konstantinopel. Viertens fühlten sich die Byzantiner als Römer und infolgedessen, ganz in der Nachfolge Vergils, als enger verbunden mit den besiegten Trojanern, den Vorfahren der Römer, als mit den siegreichen Griechen, während sie die barbarischen Thraker als Vorläufer der immer wieder Unruhe stiftenden Balkanvölker empfinden konnten. So konnten sie sich von vornherein mit _____________ 106 Meine Annahme (Matthiessen 1974, 111f.), aus der unterschiedlichen Zahl der Papyri von Hek. und Med. lasse sich schließen, dass die Hek. erst in der byzantinischen Zeit beliebter wurde als die Med., lässt sich angesichts der inzwischen erfolgten Neufunde von Papyri der Hek. nicht mehr aufrechterhalten. Dass die Hek. jedoch ihre herausgehobene Position, noch vor Or. und Phön., erst zu Anfang des byzantinischen Mittelalters erhalten haben dürfte, meine ich nach wie vor. 107 Siehe S. 72 und Anm. 138. 108 Siehe auch S. 34 über die Bedeutung der Beredsamkeit in der Hek.

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den sympathischen Gestalten des Stückes, also mit Hekabe, Polyxene und Polydoros, eng verbunden fühlen. Das Mittelalter im Westen Hinsichtlich der Rezeption der Hekabe im Mittelalter muss man unterscheiden zwischen dem byzantinischen Osten und dem lateinisch geprägten Westen. Der Osten führte die antike Tradition ungebrochen fort, was zur Folge hatte, dass die Hekabe in ihrer Stellung als einer der zentralen Texte im Unterricht an Schule und Hochschule blieb. Der Westen dagegen hatte das Griechische verlernt, und darum blieb ihm auch der Zugang zu den griechischen Originaltexten versperrt. Er kannte infolgedessen den Stoff der Hekabe nur durch die Vermittlung von Vergil, Ovid und Seneca. In der dank der Vertonung durch Carl Orff wohlbekannten Strophe der Carmina Burana heißt es109: “Rex sedet in vertice, caveat ruinam. Nam sub axe legimus Hecubam reginam.“

Für den Dichter dieser Strophe ist Hecuba das exemplarische Opfer der Fortuna. An der „Rota Fortunae“, dem Rad des Glückes, wird dem regierenden König der Platz „in vertice“, also an der höchsten Stelle, zugewiesen, ihr dagegen der Platz „sub axe“, also die unterste Stelle, und zwar besonders deswegen. weil sie noch kurz zuvor als Königin von Troja und Gattin des unermesslich reichen Priamus die höchste Stelle innegehabt hat. Sie hat also von allen Menschen in der kürzesten Zeit den tiefsten Fall getan.110 Dante erwähnt in seiner Divina Commedia das Schicksal Hekabes in wenigen Versen (Inferno 30, 13–21). Ècuba dient ihm als Exempel für einen Menschen, der durch einen übergroßen seelischen Schmerz wahnsinnig geworden ist. Dante versteht sie, ähnlich wie der Dichter des Liedes der Carmina Burana, als ein Opfer der Fortuna. Nach dem Tod ihrer Kinder Polissene und Polydoro verfiel sie in Raserei und begann wie ein Hund _____________ 109 Carmina Burana, Hrsg. v. A. Schmeller, Stuttgart 1847, Carmen 77, 21–24. 110 Shakespeare, der in seinem Hamlet (2. Akt, 2. Szene) den Schauspieler einen Bericht über den Untergang Trojas in Anlehnung an die vergilische Erzählung des Aeneas bei Dido (Aeneis 2, 506–58) deklamieren lässt, fasst das Schicksal des trojanischen Königshauses noch ganz in mittelalterlicher Weise als Exempel für den jähen Wechsel des Glücks auf. Er lässt seinen Sprecher angesichts des Todes des Priamus und des Leides der Hecuba die Götter auffordern, Fortuna wegen ihrer Grausamkeit zu entmachten und ihr Rad zu zerbrechen.

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zu bellen.111 Die Anregung zu dieser Passage ebenso wie die Deutung ihrer Verwandlung hat Dante offenbar von Ovid übernommen. Die frühe Neuzeit In der frühen Neuzeit gewann die Hekabe auch im lateinischen Westen die Stellung als ‚Flaggschiff‘ der Tragödien des Euripides, die sie zuvor schon im byzantinischen Bildungswesen und in den Handschriften gehabt hatte. Seit der ersten gedruckten Gesamtausgabe des Euripides durch Aldus Manutius (Venedig 1503) stand sie in allen Ausgaben am Anfang. Bald nach dem Erstdruck wurde sie von Erasmus ins Lateinische übersetzt und in dieser Form einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht (Paris 1506).112 Es kam jetzt auch zu den ersten Aufführungen.113 Das Stück wurde wegen seiner Anfangsstellung in den Ausgaben wohl am häufigsten gelesen, und es erhielt einen festen Platz im Unterricht an Schule und Universität. Die Hekabe wurde von einem Publikum hoch geschätzt, das von antiken Tragödien bisher nur diejenigen Senecas kannte und sich darum gerade bei diesem Stück auf vertrautem Boden fühlen konnte. Charakteristisch ist das Urteil von Caspar Stiblinus, der in seiner 1562 erschienenen Ausgabe zur Hekabe bemerkte: „Haec fabula propter argumenti tum varietaten, tum plusquam tragicam atrocitaten, iure principem locum tenet“.114 Offenbar nahm er keinen Anstoß an der manchen modernen Interpreten ärgerlichen Tatsache, dass das Stück zwei Teilhandlungen unterschiedlichen Charakters enthält, sondern empfand die Vielfalt als Bereicherung. Er störte sich ebenfalls nicht an der Grausamkeit der Polymestor–Handlung, wohl weil er von Seneca her Ähnliches gewohnt war. Auch den belehrenden und erbaulichen Charakter der Handlung des Stückes hob er hervor, denn das Schicksal Hekabes erinnere an die Unerbittlichkeit, mit der Fortuna gerade die Hochstehenden ins Unglück zu stürzen pflege, und mahne zur Bescheidenheit, und dasjenige Polymestors zeige, dass es eine höhere Macht gebe, welche aus Habgier begangene Verbrechen schwer bestrafe. Die Beliebtheit des Stoffes der Hekabe und der Troerinnen im 16.–18. Jahrhundert zeigt sich auch darin, dass damals einige mehr oder weniger freie Bearbeitungen erfolgten, die teils an Euripides, teils an Seneca und _____________ 111 Inferno 30,20: forsennata latrò sì come cane. 112 Zusammen mit der Aulischen Iphigenie, zweisprachige Ausgabe Basel 1524. Hier wie im folgenden stütze ich mich vor allem auf Heath (1987). 113 Löwen (1506 oder 1514), Wittenberg (1525/26). 114 Eur. poeta, Tragicorum princeps ...autore C. Stiblino, Basel 1562, 38.

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teils an beide Dichter anknüpften. Ich nenne als Beispiele Robert Garniers Troade, Wolfhart Spangenbergs Hecuba und Johann Elias Schlegels Trojanerinnen. Garnier (1544–90) veröffentlichte seine Tragödie Troade im Jahre 1579; die erste Aufführung erfolgte wohl 1581. Dieses eindrucksvolle Drama ist vor dem Hintergrund der grausam geführten französischen Religionskriege (1563–98) zu sehen. Den Franzosen der damaligen Zeit waren durch eigene Erfahrungen die Schrecken des Krieges wohl vertraut. Zudem fühlten sie sich mit den Trojanern besonders eng verbunden. Denn sie verstanden sich ähnlich wie die Römer der Zeit Vergils als Nachfahren derjenigen Trojaner, welche den Fall ihrer Stadt überlebt hatten. Francus, der Begründer des Stammes der Franken, soll nach einer damals verbreiteten Sage niemand anders gewesen sein als der wunderbar aus dem Untergang Trojas gerettete Astyanax. Garnier selbst nennt denn auch die Trojaner in der vorangestellten Widmung „unsere Vorfahren“. Garnier schloss sich bei seinem dramatischen Schaffen eng an Seneca an. Ebenso wie er stellte er sich formal in die antike Tradition, ließ also dramatische Szenen in Sprechversen (meist Alexandrinern) mit Chorliedern in verschiedenen lyrischen Metren abwechseln. Ebenso wie er liebte er wirkungsvolle Reden, aber auch zugespitzt formulierte Dialoge in stichomythischer Form. Seine humanistische Gelehrsamkeit zeigte er gern durch zahlreiche mythologische Anspielungen. In seiner Troade folgte Garnier stofflich vor allem Senecas Troades, übernahm aber auch aus den Troerinnen des Euripides die KassandraEpisode und aus der Hekabe die Polymestor-Handlung.115 Der erste Akt Garniers beginnt wie bei Seneca mit Klagen Hekabes und des Chores der gefangenen Frauen über den Untergang der Stadt und ihrer männlichen Bewohner (1–256). Dann erfolgt ein Übergang zu der aus den Troerinnen übernommenen Kassandra-Handlung. Kassandra feiert ihre bevorstehende „Hochzeit“ mit Agamemnon und kündigt an, dass sie durch den von ihr mitverursachten Untergang Agamemnons den Tod ihres Vaters rächen werde. Sie prophezeit die künftigen Leiden der Griechen auf ihrer Heimfahrt und danach. Sie erklärt die Troer, die für die Verteidigung ihrer Heimatstadt fielen, für glücklicher als die Griechen, die fern der Heimat sterben mussten (313–444). Sehr eindringlich und ausführlicher als in seiner Vorlage lässt Garnier seine Kassandra die Bedingungen formulieren, unter denen ein Krieg allein gerechtfertigt ist: „Toute guerre est cruelle, et personne ne doit L’entreprendre jamais, sinon avecques droit: Mais si pour sa defense et juste et necessaire

_____________ 115 R. Garnier, La Troade, ed. J.-D. Beaudin, Paris 1999.

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Par les armes il faut repousser l’adversaire, C’est honneur de mourir la pique dans le poing, Pour sa ville, et l’avoir de sa vertu temoing.“ (407–12 nach Tro. 400–02)

Im zweiten Akt folgt die Handlung den Troades Senecas. Andromache versucht Astyanax zu retten, indem sie ihn im Grabmal Hektors verbirgt. Ihr Versuch misslingt, weil Pyrrhus droht, das Grabmal zu zerstören. Astyanax verlässt das Grab, und da seine und seiner Mutter Bitten um Gnade wirkungslos bleiben, muss er in den Tod gehen (557–1234). Der dritte Akt ist dem Schicksal Polyxenes gewidmet. Er beginnt in enger Anlehnung an den Anfang der Hekabe. Dann folgt wie in Senecas Troades ein Streit zwischen Agamemnon und Pyrrhus über die Opferung Polyxenes, der von Kalchas entschieden wird. Sodann kehrt Garnier wieder zur Handlung der Hekabe zurück. Hekabe stellt sich Pyrrhus, der Polyxene zur Opferung abführen will, vergeblich entgegen, doch Polyxene erklärt sich bereit zu sterben und nimmt Abschied von ihrer Mutter (1235–1744). Im vierten Akt werden zunächst sowohl die Astyanax-Handlung als auch die Polyxene-Handlung zuende geführt, und zwar jeweils durch Berichte, die Hekabe über das tapfere Sterben ihrer beiden Kinder gegeben werden (1805–2212). Dann erfolgt eine nicht sehr geschickte Überleitung zur Polymestor-Handlung der Hekabe. Der Chor überbringt die Leiche des Polydorus und meldet, dass sie am Meeresufer von den Frauen gefunden wurde, die dort den Leichnam Polyxenes wuschen. Hekabe beklagt den Tod ihres Sohnes und droht Polymestor furchtbare Rache an. Der Chor teilt mit, dass dieser sich gerade in der Nähe befindet (2213–96). Der fünfte Akt Garniers führt die Polymestor-Handlung in der Weise der letzten Szenen der Hekabe zuende; der Ablauf ist aber sehr viel schneller als dort. Der Thrakerkönig wird von Hekabe überlistet und geblendet. Er schildert Agamemnon, was geschehen ist, und klagt sie vor ihm an. Dieser entscheidet, dass sie ihn zu Recht bestraft hat. Es fällt auf, dass bei Garnier ein Äquivalent zur Anklagerede Hekabes gegen Polymestor (Hek. 1187–1237) fehlt. Ebenso fehlen bei ihm die schlimmen Prophezeiungen des Thrakers über die künftigen Schicksale Hekabes und Agamenons (Hek. 1259–81). Statt dessen gibt er Hekabe die Gelegenheit zu einem ausführlichen Schlusswort, in dem sie noch einmal zusammenfassend über ihr Unglück spricht und den Wunsch äußert, dass auch andere, die ihr und den Ihrigen Leid zugefügt haben, durch die Götter so bestraft werden mögen wie Polymestor (2383–2666). Man sollte auch noch auf eine weitere Änderung hinweisen, die Garnier an seiner Vorlage vornahm. In einem seiner Chorlieder hatte Seneca die Unsterblichkeit der Seele entschieden geleugnet (Troades 371–408). Der treue Katholik Garnier übernahm aber anders als in anderen Fällen die Thematik und die Aussagen Senecas nicht, sondern ersetzte sie durch Ge-

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danken, die sich besser mit der christlichen Lehre vereinbaren ließen. Bei ihm sang der Chor über die Vergänglichkeit des Körpers und die Unsterblichkeit der Seele, die sich frei von allen irdischen Sorgen ganz der Kontemplation der „heiligen Dinge“ hingeben könne (1323–76). Am Straßburger protestantischen Gymnasium war es üblich, antike Dramen in lateinischer oder griechischer Sprache aufzuführen. Im Jahre 1605 geschah dies mit der Hecuba, und zwar in der lateinischen Übersetzung des Erasmus. Wolfhart Spangenberg (1567 bis etwa 1636) schrieb dazu eine deutsche Übersetzung, die im gleichen Jahr gedruckt wurde.116 Sie diente als Verständnishilfe für den Teil des Publikums, welcher der gespielten lateinischen Fassung nicht folgen konnte. Die Übersetzung ist in schwerfälligen Knittelversen in einer Alltagssprache verfasst, wie sie eher einer Komödie angemessen gewesen wäre. Spangenberg schließt sich eng an Erasmus und damit an Euripides an. Es ist jedoch an seinem Text zu erkennen, dass bei der Inszenierung einige Änderungen an der Vorlage erfolgt sind. So gab man in einem ersten Akt der euripideischen Handlung eine Vorgeschichte. Medusa, eine Tochter des Priamus, die als Gefangene der Griechen vor der thrakischen Küste Schiffbruch erlitten hat, überbringt Polydorus die Nachricht vom Fall Trojas. Dieser fordert von Polymestor die Übergabe des für ihn aufbewahrten Schatzes, damit er Hecuba und ihre Töchter aus der Gefangenschaft freikaufen könne; Polymestor jedoch weigert sich und tötet seinen Schützling auf offener Bühne. Der Akt wird belebt durch eine dem Volksgeschmack entsprechende Rüpelszene, in der sich vier schiffbrüchige griechische Soldaten aus den Fluten retten, Medusas an die Küste gespülten Geldkoffer finden und mit ihm zum nächsten Wirtshaus gehen, um sich dort von ihren Strapazen zu erholen. Im weiteren Verlauf des Stückes fällt es auf, dass die zentralen Ereignisse, nämlich die Opferung Polyxenes und die Blendung Polymestors sowie die Ermordung seiner Söhne, in zweifacher Form vergegenwärtigt werden, nämlich zuerst durch eine Darstellung auf der Bühne und dann auch noch durch Berichte des Talthybios und des Polymestor, die so zu Doubletten des bereits auf der Bühne Vorgeführten werden. Das entsprach offenbar den Wünschen des Straßburger Publikums, das nicht damit zufrieden war, wenn über wichtige Ereignisse nur berichtet wurde, sondern sie mit eigenen Augen auf der Bühne sehen wollte. In seinen voran- und nachgestellten Erläuterungen (S. 168f., 267f.) fasst Spangenberg die Polymestor-Handlung ähnlich wie schon Stiblinus in erster Linie als Warnung vor dem schweren Laster der Habsucht („Geiz“, wie er sagt) auf, die einen allgemeinen sittlichen Verfall dessen bewirke, der sich ihr ergibt. Daneben sieht er das Stück ganz in der Weise des mit_____________ 116 W. Spangenberg, Sämtliche Werke, 7, Berlin – New York 1979, 111–256.

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telalterlichen Verständnisses der Gestalt Hekabes, aber wohl auch nicht im Widerspruch mit den Intentionen des Euripides, als Warnung vor der Unbeständigkeit des Glückes, die sich insbesondere an alle Hochgestellten richte. Auch könne man dem Stück den Rat entnehmen, man solle den Zorn der Frauen nicht reizen und sich vor ihrer Rache hüten. Der Dramatiker und Theoretiker des Dramas Johann Elias Schlegel (1719–49) schrieb eine ältere Fassung seiner Trojanerinnen schon 1737 während seiner Schulzeit in Schulpforte. Sie wurde dort im gleichen Jahr aufgeführt, 1742 und 1745 von ihm neu bearbeitet und 1747 zum ersten Mal gedruckt.117 Das Stück ist durchgehend in Alexandrinern verfasst. Dieses Versmaß und auch die gehobene Sprache des rhetorisch geschulten Verfassers sind dem Dramenstoff angemessener als die Knittelverse und die Alltagssprache Spangenbergs. Für den heutigen Leser sind allerdings die pathetischen Deklamationen seiner Bühnengestalten gelegentlich nicht ohne unfreiwillige Komik. Als Stoffgrundlagen dienen Schlegel ähnlich wie vor ihm Garnier die Hekabe und die Troerinnen des Euripides und Senecas Troades. Aus den Troerinnen übernimmt er die Rollen der Kassandra und der Andromache, aber nicht die der Helena. Aus der Hekabe übernimmt er die PolyxeneHandlung, lässt jedoch die Polymestor-Handlung ganz beiseite. So kann er den Schauplatz in den Ruinen Trojas belassen und braucht sie nicht wie Euripides in seiner Hekabe nach Thrakien zu verlegen. Da Polyxena bei Schlegel ebenso wie bei Euripides von vornherein zum Tod bereit ist, entsteht in dem ihr gewidmeten Teil der Handlung kaum ein dramatischer Konflikt. Nur der Widerstand Hekubas gegen die Opferung ihrer Tochter muss hier wie dort noch überwunden werden. Dagegen gestaltet Schlegel Agamemnons Rolle breit aus. Dieser ist bei ihm von Mitgefühl gegenüber Hekuba und ihrer Familie erfüllt und erwägt, Polyxenas Opferung und die Ermordung des Astyanax zu verhindern. Bei der Darstellung seiner schwankenden Haltung scheint Schlegel durch die Rolle Agamemnons in der Aulischen Iphigenie angeregt worden zu sein. Er lässt ihn 4. Auftritt des 4. Aktes im Gespräch mit seinem Vertrauten Talthybius seinen inneren Konflikt wortreich schildern: „Sprich, klaget man mit Recht wohl meinen Zweifel an? Wo ist ein menschlich Herz, das hier nicht wanken kann? Nicht stets muss man den Mut mehr als die Schwachheit lieben. Kein Held muss herzhaft sein, Betrübte zu betrüben. Ein unentschlossner Geist, den nichts zu schnell bewegt, Zeigt, dass er seine Pflicht behutsam überlegt, Und wenn er ja zuletzt den falschen Weg erwählet,

_____________ 117 J. E. Schlegel, Werke, hrsg. v. J. H. Schlegel, 1. Bd., Kopenhagen – Leipzig 1771, 137–208 (Neudruck Frankfurt a. M. 1971).

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So hat er wenigstens nicht ohne Kampf gefehlet. Ja, glaube, tausendmal hab ich mit mir gekämpft, Oft hat ein neuer Schluss den ersten Schluss gedämpft. Ach, werd ich von dem Blut, wonach so viele brennen, Durch allen Widerstand mich rein erhalten können? Hier hör ich Wimmern, Schmerz, Flehn, Fluch und Rache schrein, Dort bricht schon Tadel, Trutz, Gewalt und Aufruhr ein. Jetzt denk ich, dass ein Gott kein Unrecht fordern kann, Bald denk ich, er begehrts, drum ist es recht getan, Bald seh ich wider uns sich Wind und Meer verbinden, Ich seh uns irre gehen und unser Land nicht finden. Schlacht ich das Opfer nicht, wer hat denn Schuld als ich? Schlacht ichs und stürmt es doch, wen tadelt man als mich? Ists stürmisch und sie lebt, so werden alle sagen: ,Die Hölle zürnt um Blut, das man ihr abgeschlagen.‘ Stürmt es und sie ist tot, so sagen eben die. ‚Ihr Blut war unschuldsvoll, der Himmel rächet sie.‘“

Schlegel lässt es allerdings nicht zu der dramatischen Zuspitzung der Auseinandersetzung Agamemnons mit Odysseus oder Pyrrhus kommen, die man nach dieser Rede erwarten würde. Gegen Ende des 4. Aktes scheidet Agamemnon aus der Handlung aus, und für den Rest des Stückes haben seine Gegenspieler freie Hand. Odysseus führt Astyanax zum Tode, und Pyrrhus meldet, dass er Polyxena auf dem Grab des Achilleus geopfert hat. Aus Senecas Troades übernimmt Schlegel in ähnlicher Weise wie Garnier das Motiv, dass Andromache ihren Sohn in Hektors Grabmal verbirgt; ebenso übernimmt er die Überlistung Andromaches durch Pyrrhus. Bei der Handlungsführung dieses trotz allem recht beachtlichen Stückes bleibt Schlegel hinter den antiken Vorgängern und auch hinter Garnier zurück. Seine neue Konzeption eines von Mitleid mit Polyxene und Astyanax erfüllten Agamemnon ist interessant. Er versäumt es allerdings, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die hierin für eine bühnenwirksame offene Austragung des Konflikts zwischen ihm und seinen hartherzigen Gegenspielern Pyrrhus und Odysseus angelegt sind, da er Agamemnon vorzeitig aus dem Spiel ausscheiden lässt. Kritische Stimmen im 18. und 19. Jahrhundert In der Diskussion, die im 17. und 18. Jahrhundert besonders in Frankreich im Anschlus an Aristoteles um Grundfragen der Poetik des Dramas entbrannte, ging es vor allem um dessen Forderung, dass eine gute Tragödie eine einheitliche Handlung besitzen müsse.118 Zwar wurden Nebenhand_____________ 118 Poetik 1451a 30–35.

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lungen nicht ausgeschlossen, doch wurde verlangt, dass sie in kausalem Zusammenhang mit der Haupthandlung stehen müssten. Unter diesem Gesichtspunkt konnte die Handlungsstruktur der Hekabe problematisch werden. Die Polyxene-Handlung konnte zwar als Nebenhandlung akzeptiert werden, weil sie sich auf die Hauptgestalt auswirkt und einen ähnlichen Charakter wie die Haupthandlung hat, sie konnte andererseits aber auch kritisiert werden, weil der nunmehr geforderte enge Zusammenhang mit der Haupthandlung fehlt und weil die Stimmung eine andere ist. In der damaligen Diskussion wurde auch darüber gestritten, ob auf der Bühne grausame Taten dargestellt werden dürften oder nicht. Shakespeare hatte in seinen Stücken unbekümmert auf offener Bühne Grausamkeiten dargestellt; in Frankreich dagegen pflegte man solche Szenen zu vermeiden. Es wurde auch darüber diskutiert, ob in einer Tragödie vollkommen böse Charaktere erscheinen dürften. Hier konnte man sich auf Aristoteles berufen, der schon bemerkt hatte, dass ein verdientermaßen Leidender beim Zuschauer nicht die tragödientypische Reaktion des Mitleids hervorrufe.119 Auch dies waren Diskussionen, welche die Hochschätzung der Hekabe beeinträchtigen konnten, da Polymestor einerseits grausam bestraft wird und andererseits das Leid, das ihm widerfährt, in vollem Maße verdient hat. Derartige Überlegungen hatten hatte ihre Wirkung auch auf die Philologen des 18. und 19. Jahrhunderts. Denn auch bei ihrer Kritik der Hekabe geht es meist um die gleichen Punkte, nämlich vor allem um das Problem der Einheit der Handlung, um die Grausamkeit der Bestrafung Polymestors und auch um die völlig negative Zeichnung seines Charakters, die jedes Mitgefühl mit ihm unmöglich mache. Großen Einfluss weit über Frankreich hinaus hatte das Buch Théatre des Grecs des Jesuitenpaters Pierre Brumoy (1731), der die Stücke der drei Tragiker und des Aristophanes teils übersetzte, teils ihre Handlungen nacherzählte und sie so dem gebildeten Publikum Europas bekannt machte. Die Hekabe gehört zu den Stücken, von denen er nur eine ausführliche Inhaltsangabe bot, in der er allerdings lange Passagen, insbesondere aus den großen Reden des Stückes, im Wortlaut zitierte.120 Interessant ist die abschließende Bewertung des Stückes durch Brumoy. Hier verweist er einerseits auf die fehlende Einheit der Handlung und auf manche Einzelheiten, die gegen die zeitgenössischen Moralvorstellungen verstießen, wobei er wohl vor allem an die Annahme der Notwendigkeit von Menschenopfern gedacht haben dürfte. Andererseits war er jedoch beeindruckt von der einzig_____________ 119 Poetik 1453a 1–7. 120 P. Brumoy, Théatre des Grecs, vol. 4, Amsterdam 1732, 95–123; die Schlussbemerkung auf S. 123.

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artigen Tragik dieses Stückes, die jedenfalls alle diejenigen, welche frei von Vorurteilen gegen das Altertum seien, seine Schwächen vergessen lasse. Mit dieser letzten Wendung spielt Brumoy auf die Querelle des Anciens et des Modernes an, auf den Streit zwischen den Anhängern des Altertums und denen der Neuzeit, die das damalige Frankreich so sehr beschäftigte. Auch Johann Jacob Reiske (1748) hatte manches an der Hekabe auszusetzen.121 Von den zehn Kritikpunkten, die er vorbringt, sind die meisten irrelevant und lassen eine völlige Unkenntnis der Konventionen der attischen Tragödie erkennen. Nur der zehnte Einwand hat Gewicht. Reiske meinte, dass weder vom Schicksal Polyxenes noch von dem Polymestors die tragödientypischen Emotionen erregt würden. Denn Polyxene sei unschuldig, und darum werde ihr Tod als gräßlich empfunden; Polymestor dagegen werde als so ruchlos dargestellt, dass die Zuschauer kein Mitleid mit ihm empfinden könnten. Reiske hätte es auch für besser gehalten, wenn Euripdes die beiden Teilhandlungen umgestellt hätte; denn dann wäre der Abschluss versöhnlicher gewesen. Pierre Prévost (1786) legte bei der dritten Auflage des Werkes von Brumoy eine vollständige Übersetzung der Hekabe sowie unter dem Titel „Examen de Hécube“ eine ausführliche Würdigung des Stückes vor.122 Dort kam er nach einer gründlichen Diskussion der Frage der Einheit der Handlung zu dem Ergebnis, dass die Wirkung des Stückes in der Tat durch die Zweiteiligkeit der Handlung beeinträchtigt werde. Er meinte ferner, dass die beiden Teilhandlungen zu schnell und unkompliziert ihrem jeweiligen Ziel zustrebten. Auch die Einführung in die Handlung durch die Prologrede des Geistes des Polydoros schien Prévost (wie auch schon Reiske) nicht glücklich zu sein. Bei aller Kritik im einzelnen hielt er das Stück jedoch im ganzen für bewundernswert. Die Charaktere der Polyxene, des Odysseus und des Agamemnon schienen ihm sehr gut gezeichnet zu sein, während Polymestors Charakter zu negativ dargestellt werde, als dass der Zuschauer an seinem Schicksal Anteil nehmen könnte. In erster Linie bewunderte Prévost jedoch die in den beiden Teilhandlungen ganz unterschiedlichen, aber hier wie dort sehr eindrucksvollen Äußerungen der Mutterliebe Hekabes.123 Richard Porson (1792) stellte in seiner sehr ausgewogenen Beurteilung der Hekabe fest, dass von den in der zeitgenössischen Dramentheorie geforderten drei Einheiten in diesem Stück nur die Einheit der Zeit konse_____________ 121 Reiske (1748). Seine Kritik der Hek. steht auf S. 544–51. 122 P. Prévost, Examen de la tragédie d’Héc. (s. S. 50 Anm. 94), 481–505. Übersetzung der Hek. auf S. 399–481. 123 Prévost (wie vorige Anm.) 500–05.

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quent beachtet werde.124 Denn die Handlung bestehe aus zwei Teilen, wobei jedoch die Darstellung des Schicksals des Polydoros „summa cum probabilitate“ auf die des ähnlich leidvollen Schicksals seiner Schwester folge, so dass der Zuschauer die beiden Teilhandlugen als eine Einheit wahrnehme. Man könne allerdings einwenden, dass dieser enge Zusammenhang durch den Auftritt des Polymestor und die darauf folgende Rachehandlung beeinträchtigt werde und dass es besser gewesen wäre, wenn das Stück ohne diese Teilhandlung mit der Bestattung der beiden Geschwister geschlossen hätte. Denn die Fortsetzung des Stückes bis zur Bestrafung Polymestors beeinträchtige den einheitlichen Charakter der Handlung Aber auf der anderen Seite habe Hekabe „bei so vielen und großen Leiden irgendeinen kleinen Trost“ verdient, und ein solcher Trost werde ihr durch die Bestrafung Polymestors gewährt.125 Die Fortsetzung bewirke also in dieser Hinsicht einen Gewinn, der freilich erkauft werde durch die Unklarheit über den Ort der Handlung. Letzteres sei allerdings ein Fehler, der nur dem Denkenden und nicht dem Miterlebenden auffalle, also nur dem Leser und nicht dem Zuschauer.126 Kritik übte Porson auch an der Gestaltung des Prologs.127 Er meinte, dass es besser gewesen wäre, wenn der Dichter auf den Auftritt des Geistes des Polydoros verzichtet hätte. An seiner Stelle hätte Hekabe sehr gut die Einführung in die Voraussetzungen der Handlung übernehmen können. Hierbei verkannte er allerdings, dass die beiden Teile des Prologs gerade in ihrer vorliegenden Form mit der unheimlichen Erscheinung des Geistes und dem Bericht Hekabes über ihren Unheil ankündigenden Traum hervorragend auf dieses düstere Stück einstimmen. August Wilhelm Schlegel musste in seinen 1808 gehaltenen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur das Werk des Euripides schon darum negativ beurteilen, weil er ihn in seinem Schema der Entwicklung der attischen Tragödie mit den drei Phasen ‚Aufstieg – Höhepunkt – Verfall‘ der Verfallsphase zuordnete.128 Man darf aber nicht über_____________ 124 Porson (1792) 19–21. 125 Ähnlich urteilt auch Pflugk (1829) 10, jedoch aus der Perspektive des Zuschauers. Er meint, dieser solle den Schluss erleben „confirmato animo ne in extremis quidem miseriis desperandum esse neque impune a scelestis hominibus quamvis imbecillos et miseros violari intelligeret“. 126 Porson (1792) 21: „Hoc tamen vitium magis cogitatione quam sensu percipimus“. 127 ebendort 15. 128 A. W. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, 1, in: Sämtliche Schriften, hrsg. v. E. Böcking, Bd. 5, Hildesheim 1971. Behandlung der einzelnen Stücke S. 153–76, der Hek. 167f. Er knüpfte dabei an Gedanken seines Bruders Friedrich an, der Eur. freilich noch differenzierter beurteilt hatte. – Zu diesem Absatz und den beiden folgenden s. außer Heath (1987) auch Behler (1986) und Sapienza (2003).

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sehen, dass er die einzelnen Stücke unterschiedlich bewertete. Schon bei seinem Vergleich des Hippolytos mit der Phèdre Racines hatte er das euripideische Stück in den höchsten Tönen gelobt.129 An dieser Einschätzung des Hippolytos hielt er auch jetzt noch fest. Daneben rühmte er die Bakchen und nahm von seinem Lob von Alkestis, Medea, Ion und Aulischer Iphigenie nur einzelne Szenen aus, wobei er oft an kritische Äußerungen des Aristoteles und der antiken Philologen anknüpfte. Zur Hekabe schrieb er: „Die beiden Handlungen dieses Stücks ... haben nichts mit einander gemein, außer ihrer Beziehung auf die Hecuba. Die erste Hälfte hat große Schönheiten von der Art, wie sie dem Euripides vorzüglich gelingen: Bilder zarter Jugend, weiblicher Unschuld und edelmütiger Ergebung in einen frühen gewaltsamen Tod. ... Aber die zweite Hälfte zerstört diese sanfteren Rührungen auf eine höchst widerwärtige Art. Sie ist angefüllt mit der rachsüchtigen Hinterlist der Hecuba, dem blödsinnigen Geist des Polymestor und der dürftigen Politik Agamemnons. ... Auch passt es gar nicht, dass Hecuba, bejahrt, kraftlos und in Jammer versunken, nachher so viel Gegenwart des Geistes bei Ausführung ihrer Rache, und eine solche Fertigkeit der Zunge in ihrer Anklage und den Spöttereien gegen den Polymestor zeigt.“

Das Stück erhielt von Schlegel also uneingeschränktes Lob für die Polyxene-Handlung, die Polymestor-Handlung dagegen missfiel ihm vor allem wegen ihrer Grausamkeit. Er vermisste eine einheitliche Handlung und kritisierte, dass der Zusammenhang der beiden Teilhandlungen nur durch die Person der Hauptgestalt hergestellt werde. Außerdem empfand er den plötzlichen Übergang Hekabes von Trauer und Resignation zu Tatkraft und Geistesgegenwart als einen Bruch in ihrem Charakter. Er wiederholte also, außer bei diesem letzten Einwand, weitgehend die Argumente der Kritiker des 18. Jahrhunderts.130 Auch nach Schlegel fanden sich einige Verteidiger des Stückes, so Friedrich von Raumer (1807), August Julius Edmund Pflugk (1829) und Johann Adam Hartung (1850).131 Gottfried Hermann dagegen fühlte sich _____________ 129 Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Eur., Paris 1807; auch in: Sämtliche Schriften (wie vorige Anm.), Bd. 14, 1972, 333–405. Auch dort ordnet er Eur. schon der Verfallsphase der Tragödie zu (10f.). Er macht manche Einschränkungen hinsichtlich der Qualität seiner Stücke, stellt jedoch abschließend fest: „Avec tous ces defaults, c’est un poète d’une admirable facilité et d’un génie éminement aimable et séduisant“ (88). 130 Es ist interessant, dass Gustav Freytag (Die Technik des Dramas, Leipzig 1863, 24) bei der Bewertung der zwei Teilhandlungen anders als Schlegel der zweiten den Vorzug gab. Ihm ging es vor allem um die richtige Handlungsführung. Unter diesem Gesichtspunkt scheint er die Polyxene-Handlung für eine Retardation der Polymestor–Handlung gehalten zu haben, die er als die eigentliche Handlung des Stückes ansah. 131 F. v. Raumer, Vorlesungen über die alte Geschichte, Bd. 2, Leipzig 1861, 399– 403; Pflugk (1829) 7–13; Hartung (1850) 5–12.

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durch Pflugks Verteidigung der Hekabe herausgefordert und kritisierte die Zusammenfassung der zwei Teilhandlungen in einem Stück und die Polymestor-Handlung scharf, wobei er ganz auf Schlegels Linie argumentierte. Er verband seine Kritik, wie auch andere vor ihm, mit Vorschlägen dazu, wie der Dichter es hätte besser machen können.132 Otto Friedrich Gruppe schließlich schrieb, ebenfalls als Reaktion auf Pflugk, sogar einen regelrechten ‚Verriss‘ der Hekabe (1834), aus dem ich beispielhaft einige Sätze zitiere:133 „Wer nur einen schwachen Begriff von dramatischer Komposition hat, … der muss sogleich sagen, dass hier keine sei: alles hängt nur ganz äußerlich und locker zusammen. … Wie das Stück jetzt ist, so fehlt nun aber vollends jene Einheit der Stimmung, denn wenn die gehäuften Leiden uns Mitleid mit der gebeugten Fürstin einflößen könnten, so wird dieser Eindruck dadurch plötzlich gestört, dass sie zum Schluss so wüterisch und doch zugleich so kalt und hinterlistig auf Meuchelmord sinnt. … Von einem steten Fortschreiten der Stimmung und von poetischen Übergängen ist nicht die Rede, nicht einmal von Ausdauer und einer notdürftigen Haltung, sondern nach den pathetischen Klagen fällt das Gespräch zum Gleichgültigen, Alltäglichen und Trivialen herab, und an Abgeschmacktheiten ist neben den pretiösen Sentenzen kein Mangel. Was konnte davon anders die Folge sein, als dass das Stück, trotz der Überladung unzusammengehöriger Vorgänge, doch an vielen und in der Tat meisten Stellen matt, lang und langweilig ist, nirgend Plan, Berechnung, Gliederung, geschweige denn Gemüt und Seele, die durch das Ganze lebte.“

Die gleichen Kritikpunkte kehren also immer wieder, nämlich die fehlende Einheit der Handlung und der Stimmung und der zu rasche Übergang Hekabes von Leid und Klage zu Rachsucht und Grausamkeit. Trotz solch harter Kritik behielt die Hekabe ihren Platz im Kanon der in der Schule gelesenen Tragödien, jedenfalls zumindest außerhalb des deutschen Sprachgebiets, was sich schon an der großen Zahl von Schulkommentaren erkennen lässt, die im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert in anderen europäischen Ländern erschienen sind.134 Das ist einerseits in dem großen Gewicht der Schultradition begründet, aber andererseits wohl _____________ 132 Hermann (1831) XV–XXXVIII. 133 O. F. Gruppe, Ariadne, Die tragische Kunst der Griechen in ihrer Entwickelung und in ihrem Zusammenhang mit der Volkspoesie, Berlin 1834, 367–77, die Zitate 371–73. 134 Die Ausgabe von Hartung (1850) ist die einzige deutsch kommentierte Ausgabe der Hek. geblieben. Der letzte in Deutschland erschienene Kommentar ist der von Pflugk-Wecklein (1877), der lateinisch verfasst, also wohl eher für den studentischen Gebrauch bestimmt ist. Dagegen gab es in England, Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden und Irland seit 1875 bis heute insgesamt mindestens 24 Ausgaben, die sämtlich in der Landessprache kommentiert wurden, also auch in der Schule verwendbar waren. Davon sind einige in mehreren Auflagen erschienen.

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auch darin, dass die dortigen Lehrer bei der Auswahl der in der Schule gelesenen Texte gern zu diesem Stück griffen, weil sie es für einen guten Repräsentanten der Gattung hielten und für geeignet dazu, ihre Schüler an diesem Text in die Tragödie einzuführen. Ein Beispiel für die Rezeption der Hekabe in Frankreich ist ihre gründliche und gerechte Würdigung in dem immer wieder aufgelegten Buch von Henri Patin, die für seine Beurteilung in diesem Land lange maßgebend gewesen sein dürfte.135 Anders als bei den geschlossener komponierten und von einer einheitlichen Handlung erfüllten Tragödien wie Medea, Hippolytos, Alkestis und Bakchen, anders auch als bei den ähnlich gebauten Troerinnen ist es nur recht selten zu Aufführungen der Hekabe gekommen. Neuerdings hat es jedoch einige eindrucksvolle Inszenierungen des Stückes gegeben.136 Es ist gut denkbar, dass ihm gerade wegen der starken Emotionen unterschiedlichen Charakters, die es erweckt, noch eine große Zukunft auf der Bühne beschieden ist.

Textgeschichte und Textkonstitution Der Text der Hekabe ist wie der aller anderen attischen Tragödien als Textbuch des Dichters und Regisseurs für die einmalige Aufführung im Rahmen eines Dionysosfestes in Athen entstanden. Da die Tragödie eine sehr populäre Dichtungsgattung war, kam bei den Athenern bald der Wunsch auf, Abschriften der Texte zu erhalten, um sie nachlesen zu können. Solche Abschriften müssen früh hergestellt worden sein, denn wir besitzen immerhin den Text der Perser des Aischylos, von denen wir wissen, dass sie im Jahre 472 aufgeführt wurden. Wir kennen sogar einzelne Verse aus Stücken von Vorgängern des Aischylos, was vermuten lässt, dass auch von ihnen schon Texte unter den Athenern verbreitet waren. Solche Texte kursierten als Bücher in der damals üblichen Form, also als Payprusrollen, die spaltenweise mit Tinte beschrieben waren. Sie wurden hergestellt durch einzelne Schreiber, möglicherweise in Skriptorien, wo mehrere Schreiber nach Vorlage oder Diktat die Texte reproduzierten. Die Verbreitung der Bücher geschah durch Buchhändler, einen Berufsstand, dessen Vorhandensein in Athen wir wohl schon für das ganze 5. Jahrhun_____________ 135 Patin (1913) 1, 363–92. 136 H. Flashar (Inszenierung der Antike, 2. Auflage, München 2009, 346) nennt vier Inszenierungen im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren, und zwar in München, Schaan/Liechtenstein, Cottbus und Memmingen, wobei er diejenige von Dieter Dorn an den Münchener Kammerspielen (1999) mit Gisela Stein in der Hauptrolle besonders hervorhebt.

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dert voraussetzen müssen, das auch im übrigen eine Zeit reicher literarischer Produktivität war. Die in den Büchern wiedergegebenen und im Buchhandel verbreiteten Tragödientexte dürften letztlich meist auf das Exemplar des Dichters zurückgehen. Allerdings war die damals einzig mögliche Form der Verbreitung durch Schreiber in hohem Maße fehlerträchtig. So war der Text in erheblichem Umfang der Verderbnis ausgesetzt. Ferner ist es nicht ausgeschlossen, dass manche Tragödientexte auch auf Schauspielerexemplare zurückgingen, die bei Wiederaufführungen von Stücken verwendet wurden, wie sie seit dem 4. Jahrhundert gebräuchlich geworden sind. Auf diesem Wege können Veränderungen (Streichungen, Zusätze, Umformulierungen) aus der Bühnenpraxis in die Texte eingedrungen sein. Ausführlich handelt hierüber Page (1934), der allerdings nach meiner Meinung einen übermäßigen Gebrauch von der Annahme von Zusätzen macht, die durch Schauspieler im Dramentext vorgenommen worden sein sollen.137 Im Text der Hekabe kenne ich jedenfalls keine Passage, bei der es sicher oder wahrscheinlich ist, dass sie das Resultat einer Textänderung durch Schauspieler ist. Die Zeit der größten Gefährdung der Tragikertexte war das Jahrhundert vor dem Beginn ihrer systematischen Sammlung und ihrer Normierung durch die Anlage eines athenischen ‚Staatsexemplars‘ auf Anordnung des Lykurgos (etwa 330 v. Chr.). Scholien Nach der Gründung der Bibliothek von Alexandria (etwa 300–280) erfolgte die philologische Betreuung des Euripidestextes durch die dortigen Gelehrten wie Aristophanes von Byzanz und später durch Philologen wie Dionysios und Didymos. Jetzt begann auch eine systematische Kommentierung, deren Ergebnisse wir in den Scholien (schol.) finden. Die in der Ausgabe von Eduard Schwartz zusammengefassten Scholia Vetera enthalten die auf die Antike zurückgehenden Scholien. Die Hekabe gehört zu den Stücken des Euripides, die am reichsten mit antiken Scholien ausgestattet sind. Nur Phönizierinnen, Orestes und Hippolytos besitzen mehr davon.138 Da die Scholien, die dem Text einer Handschrift beigegeben sind, diesen Text kommentieren und diskutieren und auch gelegentlich Varianten _____________ 137 Hierzu kritisch Hamilton (1974). 138 Die Zahl der Seiten in der Ausgabe der Scholien von Schwartz beträgt für die Phön. 171, den Or. 148, den Hipp. 134, die Hek. 82, die Andr. 76 und die Med. 74 Seiten. Auf Alk. und Tro. entfallen je 30 und auf den Rhes. 20 Seiten.

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angeben,139 sind sie eine wichtige Ergänzung der Textüberlieferung. Ich werde mich darum im kritischen Apparat und im Kommentar häufig auf sie beziehen. Papyri Papyri ist die Sammelbezeichnung der meist auf dem Schreibmaterial Papyrus, in späterer Zeit gelegentlich auch auf Pergament oder auf Tonscherben (Ostraka) geschriebene Reste antiker Handschriften, die man für die Konstituierung der Texte heranziehen kann. Für die Hekabe liegen zur Zeit 12 solche Fragmente vor.140 P1 P2 P3 P4 P5 P6 P7 P8 P9 P10 P11 P12

P. Oxy. 876 (5. Jh. n. Chr.): V. 701–04, 737–40 P. Oxy. 877 (3. Jh. n. Chr): V. 1252–69, 1271–80 Ostrakon Berlin 12319 (3. Jh. v. Chr.): V. 254–56 P. Hamburg. 118b col. I (3.-2. Jh. v. Chr.): V. 28–44 P. Oxy. 3215 fr. 2 (2. Jh. n. Chr.): V. 223–28 P. Oxy. 4556 (3. Jh. n. Chr.): V. 604–07 P. Oxy. 4557 (2. Jh. n. Chr.): V. 651–69; 710–73 P. Oxy. 4559 (3. Jh. n. Chr.): V. 739–87 P. Oxy. 4560 (3. Jh. n. Chr.): V. 765–83 P. Oxy. 4561 (2.-3. Jh. n. Chr.): V. 1256–69 P. Tebt. II 683 recto (1.–2. Jh. n. Chr.): V. 216–31 P. Oxy. 4558 (6. Jh. n. Chr.): V. 709–22, 746–61, 782–94, 816–27

Hinsichtlich der Zahl der bisher gefundenen Papyri von Stücken des Euripides liegt die Hekabe damit zwar weit hinter Orestes und Phönizierinnen, für die 24 bzw. 22 Papyri vorliegen, aber etwa gleichauf mit der Medea, für die wir 13 Papyri besitzen. Die Papyri stellen eine wertvolle Nebenüberlieferung dar, die das Zeugnis der Handschriften ergänzt. Sie bieten neben vielen eigenen _____________ 139 Gewöhnlich mit dem Zusatz gr(áfetai kaí) „es wird (auch so) geschrieben“. 140 Diggle (1984) nannte noch zehn Papyri. Von diesen haben einige der Oxyrhynchos-Papyri inzwischen ihre endgültigen Nummern erhalten. Weitere zwei Papyri sind inzwischen für die Hek. hinzugekommen, nämlich P. Tebt. II 683 recto, veröffentlicht durch F. Montanari, Rivista di Filologia e di Istruzione Classica 115 (1987), 24–32, 441–43 (P11), und P. Oxyrhynchos 4558 (P12). – Mit dem von Diggle (1984) noch als P4 zu V. 503f. angeführten Papyrus war P. Cambridge Fitzwilliam Museum 2 gemeint, dessen Zuschreibung zweifelhaft ist; s. Diggles Addenda et Corrigenda (T. III, 1994, 481). – S. jetzt auch P. Carrara, I papiri dell’Ec., Studi e testi di papirologia, n.s. 7 (2005) 145–55.

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Fehlern interessante Textvarianten, die hin und wieder, wenn auch nicht sehr häufig, dem Text der Handschriften überlegen sind. Dies ist in der Hekabe z. B. in V. 1272 der Fall. Ich werde diese Papyri in meinem textkritischen Apparat überall dort zitieren, wo sie zur Konstituierung des Textes etwas beitragen, sie aber nicht ausdrücklich erwähnen, wo sie wegen ihrer Lückenhaftigkeit als Textzeugen ausfallen. Testimonien Gelegentlich ist die indirekte Überlieferung in den Testimonien von Wert für die Konstituierung des Textes. Hierbei handelt es sich um Zitate aus der Hekabe bei antiken oder byzantinischen Autoren. Die lange Reihe dieser Autoren beginnt bei den attischen Rednern des 4. Jahrhunderts und geht über die Rhetoriker, Grammatiker und Lexikographen der Spätantike und die Floriliegien des Stobaios und Orion bis hin zu den großen Ilias- und Odysseekommentaren des Erzbischofs Eustathios von Thessalonike. Es sind auch vereinzelte römische Autoren vertreten. Eine Liste solcher Testimonien zum Text der Hekabe findet sich bei Biehl (1997) 73–83, bei der er allerdings nicht, wie es wünschenswert gewesen wäre, zwischen wörtlichen Zitaten und Parallelen, Parodien und Nachahmungen unterscheidet. Meine eigene Liste enthält etwa 330 Hinweise auf wörtliche oder weitgehend wörtliche Zitate aus der Hekabe bei antiken und byzantinischen Autoren (Testimonia) sowie etwa 40 Hinweise auf Nachahmungen von Passagen bei antiken und byzantinischen Dichtern (Imitationes).141 Zitate, die den euripideischen Text nicht wörtlich wiedergeben, und Paraphrasen habe ich mit dem vorangestellten Zeichen ~ gekennzeichnet. Da die Testimonien auf anderem Wege überliefert wurden als der Tragödientext, nämlich in der Überlieferung des jeweiligen ‚Gastautors‘, haben sie unabhängigen Wert. Der Herausgeber sollte bei der Konstituierung des Tragödientextes überall dort auf sie zurückgreifen, wo sie einen besseren Text bieten als die Handschriften. Das kommt zwar selten vor, in der Hekabe aber immerhin in zwei Fällen, nämlich in V. 293 und 569. An anderen Stellen, wie in V. 225, 332 und 1112, hilft ein Testimonium, eine in den Handschriften nur schwach belegte Variante zu sichern.

_____________ 141 Ähnlich umfangreiche Testimonienlisten gibt es auch für die beiden anderen Triasdramen: Eur. Or. a cura di V. Di Benedetto, Florenz 1965, XX–XXV (etwa 240 Passagen); D. J. Mastronarde – J. M. Bremer, The Textual Tradition of Eur.’ Phoin., Berkeley – Los Angeles usw. 1982, 402–29 (etwa 650 Passagen).

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Die mittelalterlichen Handschriften Für die Tragödien der sogenannten ‚Byzantinischen Trias‘, also für Hekabe, Orestes und Phönizierinnen, die im Schul- und Hochschulunterricht des Mittelalters eine zentrale Bedeutung hatten, sind die Handschriften sehr zahlreich. Dies gilt in besonderem Maße für die Hekabe. Es gibt etwa 200 Handschriften des Stückes mit unabhängigem Wert, die vor 1600 geschrieben wurden. Ähnlich zahlreiche Handschriften gibt es nur für den Orestes (etwa 180) und die Phönizierinnen (etwa 130). Für alle anderen Stücke ist die Überlieferung sehr viel spärlicher. So gibt es für die Medea, die an vierter Stelle folgt, nur etwa ein Dutzend Handschriften mit unabhängigem Wert. Einteilung der Handschriften der Hekabe 1. Vetustiores (10.-12. Jh) H Hierosolymitanus Táfou 36 (Palimpsest), 10.-11. Jh., enthält nur V. 869–920 und 1125–73 M Marcianus Graecus 471, 11. Jh. B Parisinus Graecus 2713, 11. Jh., enthält nur V. 523–1295 O Laurentianus 31.10, ca. 1175 gV Gnomologium Vatopedianum, Athous Vatopedianus 36, 12. Jh. (nur einzelne Sentenzen) 2. Den Vetustiores nahestehende wertvolle Handschriften um 1300 A Parisinus Graecus 2712, Ende 13. Jh. F Marcianus Graecus 468, Ende 13. Jh. G Ambrosianus L 39 sup., etwa 1320 K Laurentianus Conventi Soppressi 66, 1291 L Laurentianus 32.2, Anfang 14. Jh. P Laurentianus Conventi Soppressi 172, Anfang 14. Jh. Pa Parisinus Graecus 2801, etwa 1335 Pr Remensis 1306, Ende 13. Jh. (V. 81–1295) R Vaticanus Graecus 1135, Ende 13. Jh. Rf Laurentianus 32, 33, etwa 1300 (enthält nur V. 572–1295) Rw Viennensis, Nationalbibliothek, Graecus 119, etwa 1300 S Salamanticus 31, 1326 Sa Vaticanus Graecus 1345, Ende 13. Jh. V Vaticanus Graecus 909, 1250–80 (Originaltext nur V. 32–211, 257–711, 1069– 1295)

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Va Vaticanus Palatinus Graecus 98, 14. Jh. (Apographon von V; herangezogen, wo V fehlt: Argumentum 3, V. 212–56, 712–1069)142 3. Weitere Handschriften nach 1300, die nur vereinzelte gute Lesarten bieten. Diese erwähne ich nur an den jeweils genannten Stellen: Ad Athous Dionysii 334, 15. Jh. (V. 175) Ae Escorialensis W.1.9, Anfang 16. Jh. (Apographon von A; herangezogen in V. 90–362, wo A lückenhaft ist) Dr Dresdensis Da.22 (verbrannt), 15. Jh. (V. 605) Es Estensis g.L.11.23, etwa 1490 (V. 1067) Hl Harleianus 6300, 16. Jh. (V. 80) J Cantabrigiensis Nn.3.13, 15. Jh. (V. 535) Le Leidensis Vossianus Q.33, etwa 1500 (V. 1055) Mo Mosquensis Graecus 480, 17. Jh. (V. 209, 1077) Ms Mosquensis Graecus 508, 15. Jh. (V. 209) Pg Parisinus Sanctae Genovefae 3400 (Argumentum 3) Pl Heidelbergensis Palatinus Graecus 18, 14. Jh. (Argumentum 1 und 2) U Harleianus 5725, um 1500 (V. 535, 1055) Vb Vaticanus Graecus 53, 15. Jh. (V. 210) Yn Neapolitanus II.F.37, 14. Jh. (V. 1279) Yv Marcianus Graecus 469, 1413 (Argumentum 1 und 2) Zd Cantabrigiensis Nn.3.14, fol. 122–151, 15. Jh. (V. 1025) Zs Sinaiticus 1196, 14. Jh. (V. 1254) 4. Handschriften mit mittelalterlichen Scholien: a) mit Moschopulosscholien X Oxoniensis Bodleianus Auct, F.3.25, etwa 1330–40 Xa Oxoniensis Bodleianus Barocci 120, etwa 1320–30 Xb Laurentianus Conventi Soppressi 71, Anfang 14. Jh. x Übereinstimmung von XXaXb b) mit Thomasscholien Z Cantabrigiensis Nn.3.14, fol. 1–121, etwa 1330–50 (V. 552–592 fehlen) Zb Vaticanus Graecus 51, Anfang 14. Jh. (V. 1–27 fehlen) Zc Hauniensis, Gamle Kongelig Samling 3549, Anfang 14. Jh. (V. 323–352 fehlen) _____________ 142 Da Va in V. 1–31 vielleicht kein Apographon des Originaltextes von V ist, sondern des an seiner Stelle in V befindlichen jüngeren Ersatzblattes, scheint es mir besser zu sein, Va für diese Verse nicht heranzuziehen. S. hierzu Matthiessen (1974) 126 Anm. 2.

Textgeschichte und Textkonstitution

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Zm Ambrosianus I 47 sup., 14. Jh. Zu Uppsaliensis, Universitetsbibliotek, Graecus 15, 1. Hälfte 14. Jh. (V. 1–27 fehlen) z Übereinstimmung von ZZbZcZmZu c) mit Trikliniostext und -scholien T Angelicus Graecus 14, 1300–25 (Tz Hand des Hauptschreibers, Tt Hand des Triklinios) Grundsätze dieser Edition In dieser Ausgabe gebe ich einen ausführlichen textkritischen Apparat, der sich auf meine Kollationen dieser Handschriften stützt. Bei der Auswahl der ständig herangezogenen Handschriften folge ich den Grundsätzen, die ich in meinen „Studien zur Textüberlieferung der Hekabe“ formuliert habe.143 Ich ziehe dabei den Kreis etwas weiter als Diggle, indem ich noch sechs weitere Handschriften, nämlich RfRwS und ZbZmZu, ständig heranziehe und im textkritischen Apparat zitiere. Dadurch wird mein Apparat etwas unübersichtlicher als der seinige, es wird aber noch deutlicher als bei ihm, dass die Hekabe, ebenso wie der Orestes, die Phönizierinnen und die Triasdramen der anderen Tragiker, eine „offene“ Überlieferung hat. Man muss annehmen, dass offenbar im Prozess der Überlieferung dieser Dramen die Texte oft nicht von einer einzigen Vorlage abgeschrieben wurden, sondern während des Schreibvorganges oder auch nachträglich durch die Heranziehung anderer Vorlagen korrigiert wurden. Bei dieser Gelegenheit dürfte es zwischen den Handschriften häufig zu einem Austausch von Varianten gekommen sein. Deswegen muss man immer damit rechnen, dass selbst in jüngeren Handschriften Varianten auftauchen, die auf die Antike zurückgehen. Dies alles hat zur Folge, dass sich zwar einige Handschriftenklassen erkennen lassen,144 dass diese Gruppen aber nicht fest umrissen sind. Es zeigt sich z. B., wie wenige Übereinstimmungen es im Dramentext zwischen den verschiedenen mit Thomas–Scholien ausgestatteten Handschriften ZZbZcZmZu gibt und wie selten infolgedessen die Sigle z verwendet werden kann, mit der die Übereinstimmung der Handschriften dieser Gruppe dokumentiert wird. Andererseits fällt es um so mehr auf, wie geschlossen die mit Moschopulos–Scholien ausgestattete Handschriftengruppe XXaXb hinsichtlich ihres Dramentextes ist. Dement_____________ 143 Matthiessen (1974) 116–21. Zu Diggles Auswahl von Hss. s. Diggle T. I (1984) xiii und 334–36. 144 Hierzu Matthiessen (1974) 66–77, 89–105.

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Einführung

sprechend erscheint häufig die für die Übereinstimmung dieser drei Handschriften verwendete Sigle x. Angesichts dieser Überlieferungslage kommt dem Herausgeber eine große Verantwortung zu. Die Entscheidung darüber, welche Variante den Vorzug verdient, liegt letztlich bei ihm. Dabei mag es ihm zwar eine Hilfe sein, ob die einzelne Variante in einer der älteren und zugleich auch besseren Handschriften belegt ist (wie vor allem in MBHO und FGKPT), entscheidend aber sollte für ihn die Qualität der Variante sein, ganz gleich, ob sie in einer Handschrift des 10. oder einer des 14. Jahrhunderts überliefert ist.145 Im Apparat führe ich im allgemeinen nur solche Varianten an, welche in mindestens zwei der von mir regelmäßig herangezogenen Handschriften bezeugt sind. Varianten, die sich nur in einer einzigen von ihnen finden, erwähne ich nur, wenn sie für die Textherstellung von Interesse sind. Dabei verwende ich die folgenden Abkürzungen. codd. (codices) rell. (reliqui) A Aac (ante correctionem) A1, A2 Ac (corrector) As (supra lineam) Am (in margine) Agr (gráfetai kaì) Agl (glossema) Ar (rubricator) Auv (ut videtur) Air (in rasura) [A] 

alle ständig zitierten Handschriften alle außer den ausdrücklich genannten Handschrift A von erster Hand im Text A vor der Korrektur (soweit erkennbar) Korrektur in A von erster, zweiter Hand Korrektur in A von unbestimmbarer Hand erste Hand über der Linie, Variante oder Glosse auf dem Rand notiert oder nachgetragen Variante, als solche gekennzeichnet Glosse (Worterklärung), als solche erkennbar Rubrikator (erste Hand, mit roter Tinte schreibend) Text schwer lesbar, aber wahrscheinlich so zu deuten Text an radierter Stelle A lückenhaft korrigierte Stelle, alter Text nicht lesbar

Bei den Scholien unterscheide ich: schol. A schol.in A schol.le A

Variante, die sich aus dem Text des Scholiums zweifelsfrei erschließen lässt Variante, die der im Scholium gegebenen Interpretation zugrunde liegt Variante, die im Lemma des Scholiums erscheint

_____________ 145 Turyn (1952) 323: „It appears that, within the genuine ‚old‘ tradition, no stemmatic preferability can be deduced from the entire picture of the manuscript tradition“; D. Page, Aesch., Oxford 1972, viii: „Quo plures codices contuleris, eo magis confirmatur hoc iudicium. Non stemmate igitur sed virtute in unoquoque codice est unaquaque lectio iudicanda“.

Textgeschichte und Textkonstitution

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Bei meiner Textgestaltung stimme ich oft mit Diggle überein, der bei seiner Ausgabe der Hekabe weitgehend auf meinen eigenen Handschriftenstudien aufbaut. Ich folge ihm auch bei der Behandlung der „quisquiliae orthographicae“.146 Da er sich aber oft von der Überlieferung entfernt, bin ich in vielen Fällen zu dem Ergebnis gekommen, es sei besser, an der Überlieferung festzuhalten. Meine Entscheidungen habe ich im Kommentar begründet. Dabei habe ich das Überlieferte durch Parallelstellen zu sichern versucht. Eine Übersicht über meine Abweichungen von Diggle findet sich auf S. 443. Wertvolle Hinweise habe ich dabei von seinen Rezensenten erhalten,147 ferner von Collard (1991), Kovacs (1988 und 1995), Biehl (1997), Gregory (1999) und Synodinou (2005). Dabei habe ich mich an dem Satz von Wilamowitz orientiert, dass die Textgeschichte der Hekabe mit ihrer reichen handschriftlichen Überlieferung fast jede Konjektur verbietet.148 Auch auf Murray kann ich mich berufen, der schreibt: „Plus interpretationis eget, me iudice, Eur. quam emendationis”.149 Bei der Verszählung folge ich der Ausgabe von Aemilius Portus (Heidelberg 1597), der seinerseits die Kolometrie der Ausgabe von W. Canter (Antwerpen 1571) zugrundelegt. Canter hat in den lyrischen Partien recht kurze Kola abgeteilt, während die heutigen Metriker oft längere Kola abzuteilen pflegen. Das führt dazu, dass ich an vielen Stellen weniger Verse zähle, so dass einige Verszahlen ausfallen. Ich gebe in der Regel bei jedem fünften Vers eine Verszahl an, jedoch dort, wo die Zählung zweifelhaft ist, setze ich noch weitere Zahlen hinzu. In den wenigen Fällen, wo zusätzliche Verse abgeteilt werden oder Interjektionen außerhalb des Metrums stehen, füge ich der Zahl des vorausgehenden Verses einen Buchstaben hinzu (z. B. V. 174a, 1115a).

_____________ 146 147 148 149

Siehe Diggle, Eur. Fabulae,T. I (1984) xiii; T. II (1981) viii-ix. Ferrari (1986), Collard (1986), Kamerbeek (1986), Mastronarde (1988). Wilamowitz (1959) 1, 217. Murray, Eur. Fabulae (1902) T. I, xi.

Kritische Edition und Übersetzung

Die antiken Einführungen (Argumenta) I UPOQESIS EURIPIDOU EKABHS Metà tæn ¯Ilíou poliorkían oi™ mèn ÷Ellhneß ei¬ß tæn a¬ntipéran tñß Trw¸ádoß Cerrónhson kaqwrmísqhsan· ¯Acilleùß dè nuktòß o™raqeìß sfágion h¢¸tei mían tøn Priámou qugatérwn. oi™ mèn ou®n ÷Ellhneß timønteß tòn hçrwa Poluxénhn a¬pospásanteß ¿Ekábhß e¬sfagíasan. Polumästwr dè o™ tøn Qra¸køn basileùß eçna tøn Priamidøn Polúdwron e¢sfaxen. ei¬läfei dè toûton parà toû Priámou o™ Polumästwr ei¬ß parakataqäkhn metà crhmátwn. a™loúshß dè tñß pólewß katasceîn au¬toû boulómenoß tòn ploûton foneúein wçrmhse kaì filíaß dustucoúshß w¬ligårhsen.

5

I: Codices: AFGPaPlRRw S (duobus locis, f. 118r et 119r; notavi et consenum et varias lectiones prioris siglo S, varias lectiones posterioris siglo S´) Sa, x, Yv (1–3 Priámou bis, Yva et Yvb) Zc. P habet argumentum simile, sed multis locis discrepans, non notavi. Nihil in MKLO, argumenta recentiora in ZZmTt. Inscriptio u™póqesiß eu¬ripídou e™kábhß FRwYv : u™p- e™k- eu¬r- PlR : eu¬r- u™p- e™kGXXb :u™p- toû drámatoß eu¬r- e™k- Zc : u™p- poludårou Pr : auçth dé e¬stin h™ u™pSSa : om. PaS´XaYv : [A] 1 i¬líou AGRwx : tñß i¬l- rell. tæn AGx : tò FRwYvZc : tà PaPlSSa : tòn R a¬ntipéran AGxZc : a¬ntípera rell. 2 tñß om. AGPax cerrónnhson AGPlsx : -näsou Pl rell. kaqwrmísqhsan rell. : -årmisan FYvb : -årmhsan YvaZc 3 sfágion h¢¸tei PaRRwSSaYvZc : sf- h¢toi FPl : sfagñnai h¬xíou AGx priámou qugatérwn AGx : qug- toû pri- PaRwSSa : qug- pri- FPlRYvZc oi™ mèn ou®n S´ rell.: kaì oi™ mèn YvZc : kaì oi™ F : oi™ mèn SSaXa 5 o™ om. FPaRRwYvZc 6 katésfaxen AGx 7 e¬n parakataqäkh¸ PaPlRRwSSa 8 pólewß S rell. : troíaß RXa : po- tr- PlS´ au¬toû boulómenoß tòn ploûton S rell. : b- au¬- t- pl- PlRS´ : tòn crusòn b- FYvZc 9 foneúein rell. : toû f- tòn paîda FYvZc dustucoúshß rell. : -oûß AGRx : o™ dústhnoß FYvZc

Die antiken Einführungen (Argumenta) I Der Stoff der Hekabe des Euripides Nach der Einnahme Trojas brachen die Griechen zur ChersonēӘs an der Troja gegenüber liegenden Küste auf. Achilleus erschien in der Nacht und forderte als Schlachtopfer eine der Töchter des Priamos. Die Griechen fürchteten den Zorn des Helden, rissen Polyxene von Hekabes Seite und schlachteten sie. [5] Polymestor aber, der König der Thraker, tötete einen der Priamossöhne namens Polydoros. Er hatte ihn von Priamos empfangen, damit er ihn zusammen mit Schätzen bei sich aufnähme. Aber als die Stadt gefallen war, wollte er dessen Reichtümer bekommen und machte sich daran, ihn zu töten, und kümmerte sich nicht mehr um die in Not geratenen Freunde.

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Argumenta

e¬kriféntoß dè toû såmatoß ei¬ß tæn qálassan klúdwn pròß tàß tøn ai¬cmalwtídwn skhnàß au¬tòn e¬xébalen. ¿Ekábh dè tòn nekròn qeasaménh e¬pégnw, koinwsaménh dè tæn gnåmhn ¯Agamémnoni Polumästora sùn toîß paisìn au¬toû w™ß e™autæn metepémyato, krúptousa tò gegonóß, w™ß içna qhsauroùß e¬n ¯Ilíw¸ mhnúsh¸ au¬tø¸. paragenoménwn dè toùß mèn ui™oùß e¢sfaxen, au¬tòn dè tñß o™rásewß e¬stérhsen. e¬pì dè tøn ¿Ellänwn légousa tòn katägoron e¬níkhsen· e¬kríqh gàr ou¬k a¢rxai w¬móthtoß a¬ll’ a¬múnasqai tòn katárxanta.

10

15

10 såmatoß rell. : ptåmatoß FYvZc klúdwn S rell. : o™ kl- PlRS´ : tò kludånion AGxYv 11 ai¬cmalwtídwn S rell. : -åtwn FPlRRwS´Zc skhnàß au¬tòn rell. : au¬- sk- Pa : sk- RwZc 13 w™ß e™autæn S rell. : w™ß ei¬ß e™- Pa : ei¬ß e™PlS´ : pròß au¬tæn FYvZc metapemyaménh SSa 14 krúptousa S rell. : k- dè Rw : krúyasa FYv : -yanta Zc : om. A tò gegonòß FYvZc : dè tò g- Rw : tò gegonåß PaS´ : om. A w™ß om. SSa içna om. AR 15 paragenoménwn dè FYv : -ou dè au¬toû Xa : -w¸ dè rell. mèn AGSaxYv : om. rell. ui™oùß rell. : ui™oùß polumästoroß FYv : ui™oùß toû pol- Zc e¢sfaxen SSaZc : a¬pésfaxen rell. : katésf- AGx 16 tñß o™rásewß rell. : tøn o¬fqalmøn AGx 17 gàr rell. : dè PlR a¢rxai Schwartz : -xein SSa : -cein S´ rell. a¬ll’ om. PlRSSa 18 tòn om. FPaSaYvZc

I Der Stoff der Hekabe des Euripides

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Er warf [10] den Leichnam in das Meer, und die Brandung warf ihn bei den Zelten der Kriegsgefangenen an Land. Hekabe sah den Leichnam und erkannte ihn. Sie tat sich mit Agamemnon zusammen und ließ Polymestor mit seinen Kindern zu sich kommen, ohne das Geschehene ihm gegenüber zu erwähnen, und zwar unter dem Vorwand, sie wolle ihm Schätze zeigen, die noch in Troja lägen. Als sie zu ihr gekommen waren, tötete sie seine [15] Söhne und beraubte ihn seines Augenlichts. Vor den Griechen hielt sie eine Rede und besiegte ihn, der als ihr Ankläger auftrat. Denn es wurde entschieden, dass nicht sie mit der Gewalt angefangen habe, sondern dass sie sich an dem gerächt habe, der damit begonnen hatte.

86

Argumenta

II

¿H mèn skhnæ toû drámatoß u™pókeitai e¬n tñ¸ a¬ntipéran Troíaß Cerronäsw¸· o™ dè coròß sunésthken e¬k gunaikøn ai¬cmalwtídwn· prologízei dè ei¢dwlon Poludårou. Tà perì tæn Poluxénhn e¢sti kaì parà Sofokleî eu™reîn e¬n Poluxénh¸. Tà toû drámatoß próswpa· Poludårou ei¢dwlon, ¿Ekábh, coròß ai¬cmalwtídwn gunaikøn, Poluxénh, ¯Odusseúß, Talqúbioß, qerápaina, ¯Agamémnwn, Polumästwr.

5

II: Codices: 1–3 FSSaYvZc (1 –cerronäsw¸ etiam in ZTt) 4 e Schol. MSSaYv ad argumentum rettulit Wilamowitz 5–7 AFGPPaPlRRwSSa VaYvxZZcTt Inscriptionem addidi (cf. arg. Or. Phoen.) 1 tñ¸ rell. : gñ¸ FYvZc a¬ntipéran ZTt : -péra rell. troíaß FSaYvZc : tñß trSZZcTt 2 cerronäsw¸ rell. : c- troíaß Z : tñß cerronäsou FYvZc : om. SSa 3 dè rell. : dè tò SSaZc ei¢dwlon poludårou rell. : po- ei¢- Zc 4 tæn poluxénhn Cobet : tæn om. SSa : tñ -xénh Yv : tæn xénhn M e¬n poluxénh¸ Wilamowitz : e¬n dè -xénh¸ Yv : e¬n kaì -xénaiß Sa : e¬n kaì -xénoiß S : kaì perì -xénhn M 5–7 personae hoc ordine AGPPaxZTt : o¬d- polux- qe- ta- FYvZc : a¬g- polum- om. Z : po- ei¬- e™k- polux- ta- co- qe- o¬d- polum- a¬g- PlR : idem, sed polux- post polum- RwSSa : ei¢- po- e™k- qe- c- trw¸ádwn g- ta- o¬d- a¬g- polumpolux- Va 5 poludårou ei¢dwlon rell. : ei¢- po- VaXaZTt.: ei¢ toû po- S 6 coai¬cmalwtídwn gunaikøn AFGx : co- g- ai¬- e¬k troíaß Pa : co- e¬k trw¸ádwn ai¬Tt : co- e¬k tr- ai¬cmalåtwn Z : co- tr- g- Va : co- PPlRRwSSaYvZc 7 qerápaina rell. : q- e™kábhß XaZTt post personarum indicem add. prologízei ei¢dwlon poludårou Xa

II Inhaltsangabe des Grammatikers Aristophanes

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II

Der Ort der Handlung liegt auf der Chersonēs an der Troja gegenüber liegenden Küste. Der Chor besteht aus kriegsgefangenen Frauen. Den Prolog spricht der Geist des Polydoros. Die Geschichte der Polyxene kann man auch bei Sophokles in seiner Polyxene finden. [5] Die Personen der Handlung: der Geist des Polydoros, Hekabe, Chor kriegsgefangener Frauen, Polyxene, Odysseus, Talthybios, Dienerin, Agamemnon, Polymestor.

Argumenta

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III Tò drâma toûto tæn tafæn Poludårou Poluxénhß te tæn sfagæn diagráfei kaì toû Polumästoroß o¬mmátwn díkhn, oiçan dedrakœß eu©ren a¬ntimisqían.

III: Codices: PgSSaZc 2 kaì tñß poluxénhß te tæn sfagæn gráfei Zc

3 toû PgSZc : tøn Sa

III

III Dieses Drama beschreibt die Bestattung des Polydoros und die Schlachtung der Polyxene und die Bestrafung der Augen des Polymestor, die er zur Vergeltung für seine Tat erfuhr.

89

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Prologrede (1–58)

Prologrede (1–58) Poludårou ei¢dwlon ÷Hkw nekrøn keuqmøna kaì skótou púlaß lipån, içn’ ÷Aidhß cwrìß w¢¸kistai qeøn, Polúdwroß, ¿Ekábhß paîß gegœß tñß Kisséwß Priámou te patróß, oçß m’, e¬peì Frugøn pólin kíndunoß e¢sce dorì peseîn ¿Ellhnikø¸, deísaß u™pexépemye Trwïkñß cqonòß Polumästoroß pròß døma Qrh¸kíou xénou, oÇß tänd’ a¬rísthn Cersonhsían pláka speírei, fílippon laòn eu¬qúnwn dorí.

5

Testimonia: 1–3 Polúdwroß ~Priscianus Inst. 17,76 1–2 Lucianus Necyomantia 1 1–2 lipån Strabo 14,5,4, Thomas Magister 170,1, Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 6 (42,16 Lindstam), ~Tzetzes Ep. 66 (p. 95,24 Leone) 1 Excerpta ex Herodiano An.Ox. 3,273,3, Demosthenes 18,267, Libanius Decl. 23,61, Hermogenes Id. 2,4 (p. 338,8 Rabe), ~Agathias 2,23,6 (p. 71,2 Keydell), ~Athenaeus 551 b, ~Epidemia Mazari (Anecdota Boissonade 3,116) 1 – keuqmøna Choeroboscus An.Ox. 2,222, Comm. in Arist. Rhet. 231,14 (CAG 21,2) 1 nekrøn keuqmøna Eustathius Il. 1297,67 3 Kisséwß schol. A Il. 16,718, ~Servius Aen. 7,320 et 10,705 6 Libellus de constructione verborum 387 (Hermann, De em. rat. Gr. gramm., 1801) 8 Stephanus Byzantius 691,16 Meineke (s. v. Cerrónhsoß) 8 Cersonhsían ~Eustathius Il. 649,54 Imitationes: 1–2 Aristoph. Aeolosicon fr. 1 PCG, Chr. Pat. 2026–27 1–2 lipån Aristoph. Gerytades fr. 146 PCG, Sen. Agamemnon 1–2, Chr. Pat. 1513–14 1 nekrøn – púlaß Chr. Pat. 1509, 1519, Tzetzes Chil. 10,161 3 Kisséwß Ennius Test. 11 Klotz (Hec. fr. 11 Ribbeck) Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSa, x = XXaXb, z = ZZcZm, Tt

Inscriptio eu¬ripídou e™kábh L rell. : poludwr[ Lr, cf. etiam inscriptionem argumenti Pr (u™póqesiß poludårou), Choeroboscus in Theod. 140, 31 (cod. V.: e¬n -ou drámati), Eustathius Od. 1519, 38 (o™ toû eu¬r. polúdwroß), Gregorius Corinthius 17 (e¬n poluýdw¸ tø¸ drámati) 1 skótou MXa rell., testimonia : -ouß MgrXagr 3 kissíaß Yvgr et voluit Mgr c ac 5 dorì G rell. : dourì G PRSaz 6 deísaß codd. : láqra¸ m’ Lib. de constr. verb. 8 tänd’ Hermann (cf. v. 33) : tæn codd. cersonhsían Steph. Byz. : cerr- codd. hic et in v. 33, Eust.

Verse 1–9

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Prologrede (1–58) Der Geist des Polydoros

Ich kam, das Tal der Toten und des Dunkels Tor verlassend, wo Hades abseits von den Göttern wohnt, Polydoros, Sohn der Hekabe, der Kisseustochter, und des Vaters Priamos. Der sandte mich, als der Phryger Stadt durch den Hellenenspeer zu fallen drohte, heimlich aus Furcht vom Troerland zum Hause Polymestors, seines thrakischen Gastfreunds, der dieses reiche Land, die Chersonēs, bestellt und das rossefrohe Volk mit seinem Speere lenkt.

5

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Prologrede (1–58)

polùn dè sùn e¬moì crusòn e¬kpémpei láqra¸ patär, içn’, ei¢ pot’ ¯Ilíou teích pésoi, toîß zøsin ei¢h paisì mæ spániß bíou. neåtatoß d’ h® Priamidøn, oÇ kaí me gñß u™pexépemyen· ou¢te gàr férein oçpla ou¢t’ e¢gcoß oi©óß t’ h® néw¸ bracíoni. eçwß mèn ou®n gñß o¢rq’ e¢keiq’ o™rísmata púrgoi t’ a¢qraustoi Trwïkñß h®san cqonòß ÷Ektwr t’ a¬delfòß ou™mòß eu¬túcei dorí, kaløß par’ a¬ndrì Qrh¸kì patrå¸w¸ xénw¸ trofaîsin wçß tiß ptórqoß hu¬xómhn tálaß· e¬peì dè Troía q’ ÷Ektoróß t’ a¬póllutai yucæ patr常a q’ e™stía kateskáfh au¬tóß te bwmø¸ pròß qeodmätw¸ pítnei sfageìß ¯Acilléwß paidòß e¬k miaifónou, kteínei me crusoû tòn talaípwron cárin xénoß patrø¸oß kaì ktanœn e¬ß oi®dm’ a™lòß meqñc’, içn’ au¬tòß crusòn e¬n dómoiß e¢ch¸. keîmai d’ e¬p’ a¬ktaîß, a¢llot’ e¬n póntou sálw¸, polloîß diaúloiß kumátwn foroúmenoß,

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Testimonia: 13 – Priamidøn Lexicon de Spiritu (Ammonius p. 237 Valckenaer) 14– 15 e¢gcoß ~Eustathius Il. 48,8 21–22 yucä Thomas Magister 404, 3 21 ÷Ektoroß

– 22 yucä Eustathius Il. 545,29, 850,52, 958,59, 1271,63, schol. rec. in v. 177 29 diaúloiß – foroúmenoß Eustathius Il. 1107,64 Imitatio: 26 oi®dm’ a™lóß Ennius Hec. fr. 202 Warmington = 88 Jocelyn Papyrus: P4 (28–) t

Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSa, x = XXaXb, z = Z Zb(28–) ZcZm Zu(18–); T

11 pésoi PsZcac rell : -h¸ PRwZcc 13 neåtatoß F rell., Lex. de Spiritu : -teroß h® Didymus, cf. schol. Sa : h®n codd., Lex. de Spiritu oÇ RxZ rell.: w©¸ OFs FRgrSaxsZ2 15 oi©óß M2Rc rell. : oi©ß MR h® Didymus : h®n codd. 16 o™rísmata codd. : e¢keit’ e¬reísmata Scaliger 18 eu¬túcei rell. : hu¬t- FGLPPaRwz 19 xénw¸ rell. : fílw¸ LP (etiam MglFglGglRglRwgl Sgl), cf. v. 794, 1235 21 a¬póllutai PZac rell., Eust., Thom. Mag. (codd. rell.) : -åleto GP2PaxZ2Tt, schol. rec., Thom. Mag. (cod. Lb) 23 te rell. : dè AFPaRwxTt qeodmätw¸ Mgr rell. : liqo- M 26 xeînoß APRSa 28 a¬ktaîß rell. : -ñß MOZm

Verse 10–29

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Viel Gold schickte mit mir heimlich der Vater, damit, wenn Ilions Mauern einmal fielen, die überlebenden Kinder keinen Mangel litten. Ich war der jüngste Sohn des Priamos; darum schickte er mich heimlich aus dem Land, denn noch keine Rüstung tragen konnte ich und keinen Speer in meiner jungen Hand. Solang das Land noch aufrecht stand, die Türme Troias ungebrochen waren und mein Bruder Hektor mit dem Speer erfolgreich, wuchs ich beim Thraker, meines Vaters Gastfreund, wohl gehegt heran, so wie ein junger Schössling, ich Armer; doch als Troja und Hektors Leben zugrunde gingen und des Vaters Herd verwüstet wurde und er selbst auf dem von Göttern erbauten Altar fiel, geschlachtet durch den mordbefleckten Sohn Achills, tötet mich Unseligen des Goldes wegen des Vaters Gastfreund, tötet mich und wirft die Leiche in den Schwall des Meeres, damit er selbst das Gold im Hause hätte. Ich liege bald am Ufer, bald in Meereswogen, durch viele Brandungswellen hin und her getragen,

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Prologrede (1–58)

a¢klautoß a¢tafoß· nûn d’ u™pèr mhtròß fílhß ¿Ekábhß a¬íssw, søm’ e¬rhmåsaß e¬món, tritaîon h¢dh féggoß ai¬wroúmenoß, oçsonper e¬n gñ¸ tñ¸de Cersonhsía¸ mäthr e¬mæ dústhnoß e¬k Troíaß pára. –

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pánteß d’ ¯Acaioì naûß e¢conteß hçsucoi qássous’ e¬p’ a¬ktaîß tñsde Qrh¸kíaß cqonóß. o™ Phléwß gàr paîß u™pèr túmbou faneìß katésc’ ¯Acilleùß pân stráteum’ ¿Ellhnikón, pròß oi®kon eu¬qúnontaß e¬nalían pláthn· ai¬teî d’ a¬delfæn tæn e¬mæn Poluxénhn túmbw¸ fílon prósfagma kaì géraß labeîn. kaì teúxetai toûd’ ou¬d’ a¬dårhtoß fílwn e¢stai pròß a¬ndrøn· h™ peprwménh d’ a¢gei qaneîn a¬delfæn tø¸d’ e¬mæn e¬n h¢mati. duoîn dè paídoin dúo nekrœ katóyetai mäthr, e¬moû te tñß te dustänou kórhß. –

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45

fanäsomai gár, w™ß táfou tlämwn túcw, doúlhß podøn pároiqen e¬n kludwníw¸. toùß gàr kátw sqénontaß e¬xh¸thsámhn

Testimonia: 39 eu¬qúnontaß Photius Lexicon E 2208 ed. Theodoridis 42 ou¬d’ – 43 a¬ndrøn Synagoge (versio cod. B) A 390 (unde Photius Lexicon A 402 ed. Theodoridis) 48 kludwníw¸ ~Hesychius K 3045 Imitatio: 32 tritaîon – féggoß Chr. Pat. 2021 Papyrus: P4(–44) Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSa V(32–), x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 30 a¢klautoß LPa : -stoß rell. a¢kl- a¢t- MAFGKSxTt : a¢t- a¢kl- rell. cersonhsía¸ Brunck : cerro- codd., cf. v. 8 34 e¬mæ PacRwc rell. : e¬mà RRwacSa : e¬moû Z : e¬moì Pa 35 d’ rell. : t’ MFGRwS 36 qrh¸kíaß RgrSagr rell. : trwïkñß RSa 38 e™llhnikón M rell. : a¬caïkón Mgr 39 e¬nalían MV : ei¬n- M3 rell. gr gr gr 44 tø¸d’ e¬mæn e¬n h¢mati M OAR Sa V : tæn e¬mæn tñ¸d’ h™méra¸ M Lc(tñ¸d’ h™méra¸ Lcir) RSaV3uv rell. 45 dúo OacZbZcsZmc rell. : dúw O1AFLRSaVZZb1ZcZmac 46 te alterum om. SSaXa, add. Xas : kaì tñß Sas : dè Ss

Verse 30–49

unbeweint und unbestattet. Doch jetzt verließ ich meinen Körper und über meiner lieben Mutter Hekabe schwirre ich umher, den dritten Tag schon in den Lüften schwebend, so lang in diesem Land, der Chersonēs, meine unglückliche Mutter fern von Troja weilt. –

95

30

Alle Achäer sitzen mit ihren Schiffen untätig 35 am Strand dieses thrakischen Landes; denn der Sohn des Peleus, Achilleus, erschien über dem Grab und hält das ganze Hellenenheer zurück, das schon nach Hause übers Meer die Ruder lenken will. Er fordert, meine Schwester Polyxene 40 als liebes Opfer für sein Grab und Ehrengeschenk zu empfangen. Erhalten wird er dies und wird nicht unbeschenkt von seinen Freunden sein. Das Schicksal fügt es, dass meine Schwester noch an diesem Tage stirbt. Zwei Leichen zweier Kinder wird die Mutter sehen, 45 von mir und von dem unglücklichen Mädchen. – Ich werde nämlich, damit ich Armer ein Grab erlange, in der Brandung vor den Füßen einer Dienerin erscheinen. Von den Machthabern unten habe ich erbeten,

96

Prologrede (1–58)

túmbou kurñsai ka¬ß céraß mhtròß peseîn. tou¬mòn mèn ou®n oçsonper h¢qelon tuceîn e¢stai· gerai⸠d’ e¬kpodœn cwräsomai ¿Ekábh¸· per⸠gàr hçd’u™pò skhnñß póda ¯Agamémnonoß, fántasma deimaínous’ e¬món. – feû· w® mñter, hçtiß e¬k turannikøn dómwn doúleion h®mar ei®deß, w™ß prásseiß kakøß oçsonper eu® pot’· a¬ntishkåsaß dé se fqeírei qeøn tiß tñß pároiq’ eu¬praxíaß.

50

54a 55

Testimonia: 52 gerai⸠– 53 ¿Ekábh¸ Thomas Magister 107,1 53 per⸠– póda schol. rec. ad v. 762 54a feû et 55 hçtiß – 56 ei®deß Iosephus Rhacendytes Rh. 3,510,29 Walz Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 50 táfou MglK céraß OAFGLPSXXacXbTt : ceîraß ParXaac rell. : ceíraß Pa 52 gerai⸠GcLcPac rell., Thom.Mag. : -âß GacLacPaacRw e™kábh¸ GcLcPa rell., 53 skhnñß Pc rell., schol. MV : -æn Thom.Mag. : -hß GacLacPasRw ac FLP ZZcZmZu, schol. rec. 54a feû om. GX, add. GrsXs, habent rell., Ios.Rhacend. 55 w® om. ZbZm, add. Zm2 56 doúleion OAGKLPPaRacxTt, Ios. Racend. : -ion R1 rell. ei®deß h®mar VZb 58 tñß om. FZc, add. F1Zcc

Verse 50–58

97

dass ich ein Grab erhalte und in meiner Mutter Hände falle. Was mich betrifft, das wird so sein, wie ich es erlangen wollte, jedoch der greisen Hekabe will ich aus dem Wege gehen. Denn sie setzt dort aus Agamemnons Zelt ihren Fuß, aus Furcht vor meinem Traumbild. –

50

Weh, meine Mutter, die du nach dem königlichen Palast den Tag der Knechtschaft sahst! So schlimm ergeht es dir wie einst so gut. Zum Ausgleich für dein Glück zuvor verdirbt dich jetzt ein Gott.

54a 55

98

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215) ¿Ekábh ºAget’, w® paîdeß, tæn graûn prò dómwn, a¢get’ o¬rqoûsai tæn o™módoulon, Trw¸ádeß, u™mîn, prósqe d’ a¢nassan, lábete férete pémpet’ a¬eíreté mou geraiâß ceiròß proslazúmenai· ka¬gœ skoliø¸ skípwni ceròß diereidoménh speúsw bradúpoun h¢lusin a¢rqrwn protiqeîsa. w® steropà Dióß, w® skotía Núx, tí pot’ ai¢romai e¢nnucoß ouçtw deímasi fásmasin; w® pótnia Cqån, melanopterúgwn mâter o¬neírwn, a¬popémpomai e¢nnucon o¢yin, hÇn perì paidòß e¬moû toû sw¸zoménou katà Qrä¸khn

60

63 65

70

73

Testimonia: 60 o™módoulon ~Hesychius O 747 63 Eustathius Il. 249,39 63 proslazúmenai Hesychius P 3836 65 skoliø¸ skípwni ~Eustathius Il. 1170,48 et Od. 1815, 11 68–69 schol. Aristoph. Ran. 1331 70 deímasi Hesychius D 481 71 ~Eustathius Il. 173,17 et Od. 1877,54 72 ~Eustathius Macrembolites 5,5,1 Imitatio: 68 Ennius Hec. fr. 203 Warmington = 83 Jocelyn Codices: MO, AFGKLPPaRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 60 o™módoulon Xa1 rell. : o™- nûn LRwXaZZcZmZu : [K] 61 prósqe d’ rell. : prósqen d’ FGLPaRRwSz : prósq’ A 62–63 delevit Bothe 62 mou GPaSVZb rell. : me O : moi Zc : moi démaß Zc1 : mou d- FG2LParV2ZZb1Zc1Zm (cf. schol. MV leípei tò søma, tò søma Ss) : mou tò d- Rws : om. RwZuTt : [K] 63 geraiâß Sas rell., Eust. : ghraiâß LR Sa : gereâß XZ 65 skípwni Lc rell., Eust. : ac 1 t skímpwni L RwZ Zb ZmZuT : skímponi PZb ceiròß AZbZu 66 diereidoménh AsLP RwVcxZbZcZmsZu : -ména ALcVZm rell. 68 steropà rell., schol. Ar. Ran. : -pæ x ai¢rom’ GSVxZZc 69 ou™twsí Tt 70 cqån MV rell., Eust. : núx 71 mâter OGLPSSazTt : mñ- rell. 73– Mgr : núx et cqån schol. MV 76 deleverunt Baier, Wilamowitz 73 tæn Tt qrá¸khn GSZ

Verse 59–73

99

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215) Hekabe

Führt, Kinder, die alte Frau vor das Haus! Führt, richtet mich auf, ihr Troerinnen, eure Mitsklavin, früher eure Herrin. Fasst mich, tragt mich, leitet mich, hebt mich, ergreift meine greise Hand! Und ich, auf krummen Stab die Hand gestützt, will eilen, mit langsamem Fuß die Glieder voran setzend. O Lichtstrahl des Zeus, o finstere Nacht, was werde ich aufgescheucht so tief in der Nacht durch Schreckbilder, Scheinbilder? O Herrin Erde, Mutter der schwarzgeflügelten Träume, ich schicke fort das nächtliche Gesicht, das ich über meinen Sohn, den nach Thrakien geretteten,

60 63 65

70 73

100

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

a¬mfì Poluxeínhß te fílhß qugatròß di’o¬neírwn [ei®don gàr] foberàn [o¢yin e¢maqon] e¬dáhn. –

75

w® cqónioi qeoí, såsate paîd’ e¬món, oÇß mónoß oi¢kwn a¢gkur’ e¢t’ e¬møn tæn cionådh Qrä¸khn katécei xeínou patríou fulakaîsin. –

77 80

e¢stai ti néon· hçxei ti méloß goeròn goeraîß. ou¢pot’ e¬mà fræn w©d’ a¬líaston fríssei tarbeî. –

85

poû pote qeían ¿Elénou yucàn kaì Kassándran e¬sídw, Trw¸ádeß, wçß moi krínwsin o¬neírouß; –

Testimonia: 76 Lexicon Vindobonense 131,9 80 a¢gkur’ ~Suda C 9 83 néon ~Lexicon Vindobonense 127,14 84 goeraîß Hesychius G 773 85 e¬mà frän Hesychius M 422 86 fríssei Hesychius F 897 86–88 schol. Tzetzis in Aristoph. Ran. 1340 Codices: MO, AFGKLPPa Pr(81–) RRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tt 75 poluxeínhß MXXbZcZmZuTt : -xénhß rell. fílhß ei®don Tt 76 ei®don gàr GPa rell., lex.Vind. : ei®don· ei®don gàr G2PParx : ei®don A : tò dè ei®don leípei schol. V ei®don gàr et o¢yin e¢maqon deleverunt Matthiae, Bothe 80 a¢gkur’ e¢t’ Hlc : a¢gkur’ e¢st’ HlSSa : a¢gkurá t’ MV rell. : e¬pì tøn e¬møn oi¢kwn a¢gkura 82 patríou u™poleipómenoß schol. M 81 qrä¸khn Z rell. : qrá¸- PrRSZ2 : s MFKPa : -å¸ou F rell. 85 a¬líaston Nauck (cf. etiam F 1095b TrGF a¬líaston) : -toß codd., sch.in M 87 yucàn R rell., schol. Tzetz. : -æn RsSaV 88 kaì G rell., kass- ORwZb, schol. Tzetz. : kas- rell. -ándran schol. Tzetz. : h£ G2V GsPZ2ZcZmZuTt : -ándraß GZ rell., schol. Tzetz. 89 krínwsin AF1GcKTt : -ousin Fac : -ous’ MRwSc : -ws’ M3Sac rell., schol. Tzetz. : diakrínwsin G : -ws’ Pr

Verse 75–89

101

und über Polyxene, die liebe Tochter, im Traum als furchtbares erfuhr. –

75

Ihr Götter der Erde, rettet meinen Sohn, der als einziger Anker meines Hauses noch das schneereiche Thrakien bewohnt, vom Gastfreund des Vaters behütet! –

77 80

Etwas Neues, Schlimmes wird geschehen: Ein Klagelied wird zu den Klagen hinzukommen. Niemals zuvor erstarrte, nie schauderte mein Herz so unablässig. – Wo kann ich des Helenos göttlichen Geist und Kassandra sehen, Troerinnen, dass sie meine Träume mir deuten? –

85

102

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

ei®don gàr baliàn e¢lafon lúkou aiçmoni cal⸠sfazoménan, a¬p’ e¬møn gonátwn spasqeîsan a¬noíktwß. – kaì tóde deîmá moi· h®lq’ u™pèr a¢kraß túmbou korufâß fántasm’ ¯Aciléwß· h¢¸tei dè géraß tøn polumócqwn tinà Trwïádwn. a¬p’ e¬mâß ou®n a¬p’ e¬mâß tóde paidòß pémyate, daímoneß, i™keteúw. Córoß ¿Ekábh, spoudñ¸ pròß s’ e¬liásqhn tàß desposúnouß skhnàß prolipoûs’, içn’ e¬klhråqhn kaì prosetácqhn doúlh, pólewß a¬pelaunoménh tñß ¯Iliádoß, lógchß ai¬cmñ¸ doriqäratoß pròß ¯Acaiøn, ou¬dèn paqéwn a¬pokoufízous’ a¬ll’ a¬ggelíaß bároß a¬raménh méga soí te, gúnai, kñrux a¬céwn. –

90

95

100

105

Testimonia: 90 baliàn e¢lafon Etymologicum Genuinum B 19 Lasserre–Livadaras (unde EM 186,27), ~Eustathius Il. 1051,18 90 baliàn Hesychius B 43 96– 97 schol. Tzetzis in Aristophanis Ran. 1340: a¬p’ e¬mâß ou®n 96 ~Eustathius Macrembolites 6,10,4 99 Lexicon Vindobonense 52,10 Codices: MO, A(siveAe) FGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 90–97 deleverunt Baier, Wilamowitz, Diggle (qui de 92–97 haeret), 92–97 recepit Collard 90 cal⸠PV rell. : chl⸠PsVcxZ : calñ Sa 91 sfazoménhn Prx a¬noíktwß Porson (cf. MglVgl e¬leeinøß, a¬nhleøß) : a¬nágka¸ oi¬ktrøß SV rell. : -h¸ oi¬92 tóde Fc rell. : tó ge FacPaRw h®lq’ AeFKLPRSsSaV3Zb, schol. M : [A] 3 MOAPrSV : h¢luq’ V rell. 94 a¬ciléwß GPaTt : -lñoß x : -lléwß rell. 96 a¬p’ e¬mâß a¬p’ e¬mâß ou®n Bothe 98 s’ M2LcP1 rell. : om. MLPPaRRwVZm 99 despo105 a¬raménh LPaPrsRSasxZ2 : -ména súnouß Z2 rell., Lex. Vind. : -aß OKZac MOAPrSa : a¬roménh V : a¬rwménh S : ai¬roménh LcPzTt : -ména FacGKRw : ai¬raména Fc

Verse 90–106

Denn ich sah ein geschecktes Hirschkalb von blutiger Klaue des Wolfes zerfleischt, von meinem Schoß gerissen, erbarmungslos. – Und auch dies fürchte ich: Hoch über dem Gipfel des Grabhügels erschien der Geist des Achilleus. Er forderte als Ehrengabe eine der vielduldenden Troerinnen. Von meiner Tochter, von meiner Tochter bitte ich, Götter, wendet dies ab!

103

90

95

Chor Hekabe, eilig schlich ich mich zu dir, die Zelte der Herren verließ ich, wo ich verlost und zugeteilt wurde als Sklavin, aus der Stadt Ilion weggetrieben, erbeutet durch die Lanze von den Achäern. Ich kann dir nicht deine Leiden erleichtern, sondern bringe dir, Frau, die große Last einer Botschaft als Herold von Schmerzen. –

100

105

104

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

e¬n gàr ¯Acaiøn plärei xunódw¸ légetai dóxai sæn paîd’ ¯Acileî sfágion qésqai. túmbou d’ e¬pibàß oi®sq’ oçte cruséoiß e¬fánh sùn oçploiß tàß pontopórouß d’ e¢sce scedíaß laífh protónoiß e¬pereidoménaß, táde qwússwn· Poî dä, Danaoí, tòn e¬mòn túmbon stéllesq’ a¬géraston a¬fénteß; – pollñß d’ e¢ridoß sunépaise klúdwn, dóxa d’ e¬cårei díc’ a¬n’ ¿Ellänwn stratòn ai¬cmhtän, toîß mèn didónai túmbw¸ sfágion, toîß d’ ou¬cì dokoûn. h®n dè tò mèn sòn speúdwn a¬gaqòn tñß mantipólou Bákchß a¬nécwn léktr’ ¯Agamémnwn· tœ Qhseída d’ o¢zw ¯Aqhnøn, dissøn múqwn r™ätoreß h®san, gnåmh¸ dè mía¸ sunecwreíthn tòn ¯Acílleion túmbon stefanoûn aiçmati clwrø¸,

110

115

120

125

Testimonia: 118 – ai¬cmhtän Hesychius S 1971 121–22 ¯Agamémnwn Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 6 (46,11 Lindstam) 121–22 léktr’ ~Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 16 (117,11 Lindstam) 123 –’Aqhnøn ~Eustathius Il. 284,35 124 r™ätoreß Hesychius R 281 124 gnåmh¸ – 125 sunecwreíthn Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 27 (178,19 Lindstam) Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 108 a¬cileî MGKcRwxTt : -lleî Kac rell. 111 d’ om. GRw 114 pñ¸ LPrRSZbZmZu 116 pollñß SasVZZbcZcgr rell. : polloîß Zbac : polùß sunépaise KXb (cf. xgl sunékrouse) : sunépesse Tt : FPrRSSaV2ZrZc sunépese rell. 117 e™llänwn PsRwsSasVcxZb : -ánwn PPrRwSaV rell. 120 dè rell. : d’ o™ LPZbZcZm 119 túmbw¸ om. PrZ, add. Pr1(post dokoûn) Zs ZuTt : dè  F

Verse 107–126

105

Denn in der vollzähligen Versammlung der Achäer soll beschlossen worden sein, dein Kind dem Achilleus als Schlachtopfer darzubringen. Weißt du, dass er auf dem Grab erschien mit goldenen Waffen? 110 Die seebefahrenden Schiffe hielt er zurück, deren Segel schon die Taue spannten, und rief dies: „Wohin fahrt ihr, Danaer, und mein Grab lasst ihr ohne Ehrengeschenk?“ – 115 Zusammen schlugen die Wogen eines großen Streits. Die Meinung war geteilt in der Achäer lanzentragendem Heer; die einen meinten, man solle dem Grab das Schlachtopfer geben, die anderen meinten es nicht. Es war Agamemnon, der sich für dein Wohl einsetzte; 120 er ehrte damit das Bett der seherisch rasenden Bakchantin. Doch des Theseus beide Söhne, die Sprösslinge Athens, hielten zwei Reden, zusammen kamen sie aber zu der einen Meinung, man müsse das Grab des Achilleus mit frischem Blut 125 bekränzen,

106

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

tà dè Kassándraß léktr’ ou¬k e¬fáthn tñß ¯Acileíaß prósqen qäsein potè lógchß. – spoudaì dè lógwn katateinoménwn h®san i¢sai pwß, prìn o™ poikilófrwn kópiß h™dulógoß dhmocaristæß Laertiádhß peíqei stratiàn mæ tòn a¢riston Danaøn pántwn doúlwn sfagíwn ouçnek’ a¬pwqeîn, mhdé tin’ ei¬peîn parà Fersefónh¸ stánta fqiménwn w™ß a¬cáristoi Danaoì Danaoîß toîß oi¬coménoiß u™pèr ¿Ellänwn Troíaß pedíwn a¬pébhsan. – hçxei d’ ¯Oduseùß oçson ou¬k h¢¬dh pølon a¬félxwn søn a¬pò mastøn e¢k te geraiâß ceròß o™rmäswn. a¬ll’ i¢qi naoúß, i¢qi pròß bwmoúß, içz’ Agamémnonoß i™kétiß gonátwn, kärusse qeoùß toúß t’ ou¬ranídaß

130

135

140

145

Testimonia: 127 ou¬k e¬fáthn Hesychius O 1719 131 prín – 132 Etymologicum Genuinum (AB) s. v. kópiß (unde Etymologicum Magnum 529,25) 131 poikilófrwn Eustathius Od. 1381,39 132 kópiß ~schol. in Lycophronem 1464 132 dhmocaristæß schol. AT in Iliadem 2,199, ~Eustathius Il. 201,24 141 Lexicon Vindobonense 133,8 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 127 kassándraß OKRwZb : kas- rell. 128 a¬cileíaß GKTt : a¬cill- rell. s 133 peíqei V rell. : -oi KPaV 135 ouçnek’ ZrZmac rell. : eiçnek’ LPZZmc ac 3 136 fersefónh¸ M : pers- M rell. 141 o¬duseùß GKPaZuTt : -sseùß rell., Lex.Vind. 142 a¬féxwn LSa mastøn GLcZc rell. : mazøn G2LacPaRwxZcsZm ZuTt 143 geraiâß Sas rell. : ghr- RwSaVZZbZu ceròß MFKPPaSaXXbZmTt : ceiròß Sas rell. 145 delevit Heimsoeth içz’ ¯Agamémnonoß codd. : ¯Ag- içz’ proposuit Nauck 146 ou¬ranídaß LcSasV2 rell. : -íouß LacSaVac

Verse 127–146

107

und das Bett der Kassandra, sagten sie, dürfe man nie der Lanze des Achilleus voranstellen. – Die Argumente der gegen einander gerichteten Reden hielten sich etwa die Waage, bis der buntgesinnte Schwätzer, der süß redende, der Schmeichler des Volkes, der Sohn des Laertes, das Heer überzeugte, man dürfe nicht den besten aller Hellenen wegen der Opferung eines Sklaven zurückweisen, und keiner der Toten dürfe zu Persephone treten und sagen, dass die Danaer ohne Dank für die Danaer, die für die Hellenen gefallen seien, die Ebene Trojas verließen. – Odysseus wird alsbald kommen, um das Fohlen von deinem Busen wegzuschleppen und aus deinem greisen Arm zu reißen. Drum geh zu den Tempeln, geh zu den Altären, setz dich schutzflehend an Agamemnons Knie, ruf die Götter an, die himmlischen

130

135

140

145

108

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

toúß q’ u™pò gaíaß. h£ gár se litaì diakwlúsous’ o¬rfanòn ei®nai paidòß meléaß h£ deî s’ e¬pideîn túmbw¸ propetñ foinissoménhn aiçmati parqénon e¬k crusofórou deirñß nasmø¸ melanaugeî. Ek.

oi£ e¬gœ meléa, tí pot’ a¬púsw; poían a¬cå, poîon o¬durmón, deilaía deilaíou gärwß kaì douleíaß tâß ou¬ tlatâß, tâß ou¬ fertâß; w¢moi moi. – tíß a¬múnei moi; poía génna, poía dè póliß; froûdoß présbuß, froûdoi paîdeß. poían h£ taútan h£ keínan

150 152 154 155

160

Testimonia: 147 h£ – 149 paidóß Lexicon Vindobonense 134,13 149 h£ – 150 propetñ Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 7 (56,13 Lindstam) 152 melanaugeî Hesychius M 646 162–63 hçsw ~Dionysius Halicarnassensis De Compositione verborum 17 (sed cf. etiam F adesp. 137 TrGF) 162 ~Alexander De Figuris (Rhet. 3,12,20 Spengel) Imitatio: 160–61 Aristophanes Nubes 718 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 147 gaíaß Porson : gaîan Lcir rell. 148 o¬rfanòn MacLacVacXbZbs rell., schol. V : 150 túmbw¸ -æn M2PaSsV2XbsZs : -àn AFGLcSZ ZbZc, Lex.Vind. : -æ mæ Sa F1GacPrSSaV : túmbou FacG2V2 rell. (cf. etiam schol. MV e¬ggùß toû túmbou keiménhn), Georg. Lacapenus 151 aiçmatoß PrSSa 155 a¬cå MV rell. : a¬cø schol. MV (tinèß dè perispøsin tò a¬cø, içn h®¸· o™poían h¬cäsw boän) 157 kaì supplevit Tt : om. rell. 158 fertâß codd. : feuktâß Bothe w¢moi moi rell. : oi¢moi moi Z : oi¢moi oi¢moi ZcTt : w¢moi w¢moi PZb : oi¢moi MLRwZmZu geneá Porson 160 dè om. FSa 159 a¬múnei Prac rell. : -h MFKPr1RVx Zb 162 primum h£ LcSaac rell. : om. LSac taútan K1Lc rell., Alexander, Dion. Hal. : keínan K1SZcc rell., Alexander, Dion. Hal. : -hn KacLS2sZcs : -hn KacLacRw keínan o™dón FGVZZmgl

Verse 147–162

und die unterirdischen! Denn entweder werden deine Bitten verhindern, dass du deines unglücklichen Kindes beraubt wirst, oder du musst ansehen, wie die Jungfrau auf dem Grab hingestreckt vom Blut gerötet wird, das aus dem goldgeschmückten Hals schwarzglänzend hervorströmt. Hek. O ich Unglückliche, was soll ich denn ertönen lassen, welchen Laut, welche Klage? Ich bin erbärmlich wegen meines erbärmlichen Alters, meiner Knechtschaft, die nicht zu erdulden, nicht zu ertragen ist, wehe, weh mir! – Wer hilft mir, welche Sippe, welche Stadt? Fort ist der Alte, fort sind die Söhne! Welchen Weg soll ich gehen, nach hier

109

150 152 154 155

160

110

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

steícw; poî dæ sw›; poû tiß qeøn h£ daímwn e¬parwgóß; – w® kák’ e¬negkoûsai Trw¸ádeß, w® kák’ e¬negkoûsai pämat’, a¬pwlésat’ w¬lésat’· ou¬kéti moi bíoß a¬gastòß e¬n fáei. –

(str. ?)

w® tlámwn açghsaí moi poúß, açghsai t⸠ghraía¸ pròß tánd’ au¬lán. w® téknon, w® paî dustanotátaß matéroß, e¢xelq’ e¢xelq’ oi¢kwn, , a¢ie matéroß au¬dán. [w® téknon w™ß ei¬dñ¸ß oiçan oiçan a¬íw fáman perì sâß yucâß.]

Imitationes: 167–68 Ennius fr. 204–05 Warmington = 91 Jocelyn – 173 Aristophanes Nubes 1165–66

165

170

174 174a 175

172 w® téknon

Codices: MO, A(sive Ae) FGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 163 pñ MOFKLVXZm dæ sw supplevit Diggle, cf. schol.in MV (ei¬ß poían o¬dòn bohqeíaß paragénwmai) : d’ a¢¸ssw Erfurdt : d’ hçsw codd. : o™rmäsw MglArsXsXbszs, schol. V : o™rmásw Dion. Hal. 164 qeøn et daimónwn codd.. : qeòß et daímwn Tt e¬parwgóß Xaac rell. : e¬p- e¢stai PZZcgrZmZu : e¬p’ a¬rwgóß GLZb : e¢st’ e¬parwgóß Tt : e¢st’ a¬rwgóß PaRwXa2Zc : a¬rwgóß FSa 167 a¬pwlésat(e) w¬lésat(e) AsFsxsZc rell. : a¬pol- o¬l- OAFKcPrRwXbZZcs, Planudes (cf. schol. rec.) : a¬pol- w¬l- XXa : a¬pwl- o¬l- KacSa : a¬pwl- a¬pwl- Lac : a¬pol- a¬pol- Lc ou¬d’ e¢ti MZm 170 tlámwn MOKPaacPrRsRwSacZTt : tlä- Lc : poúß F1 rell. : poú AF : poû tlñmon GLPSaZm : tlâ- PacPrRScZs rell. KPrRRwSSaV : poûß et poû Pa 171 açghsai F1 rell. : açg- moi FacVTt t⸠V2 rell. : tñ¸ RV ghraía¸ Hermann : graía¸ codd. 172 w® téknon w® paî codd., Ar. Nub. : w® paî paî schol. rec. Ar. Nub. 173 dusta- rell. : dusth- GPrSZb -notátaß Ss rell. : -notáthß RSZb matéroß rell. : mhtéroß Sa : matròß OPaSas : mrß PrV 174a supplevi matéroß supplevit Dale 17576 deleverunt Seidler, Hartung, solum w™ß – yucâß deleverunt Diggle, Kovacs 175 w® téknon codd. : i¬œ té- Reisig ei¬dñ¸ß McTt : i¢dh¸ß MacAe rell., schol. V : [A]

Verse 163–176

111

oder dort? Wo gibt es Rettung? Wo kommt mir ein Gott oder Daimon zu Hilfe? – O Troerinnen, die ihr mir Schlimmes bringt, o die ihr mir schlimme Leiden bringt, ihr habt mich vernichtet, vernichtet. Nicht mehr beneidenswert ist mir das Leben im Licht. –

165

O mein armer Fuß, führe mich, führe mich alte Frau zu diesem Zelt! O Tochter, o Kind der tief unglücklichen Mutter, komm heraus, komm heraus aus dem Zelt, , vernimm die Stimme der Mutter, [mein Kind, dass du weißt, welche, welche Kunde ich vernehme über dein Leben!]

170

174 175

112

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

Poluxénh mâter mâter, tí boâ¸ß, tí néon karúxas’ oi¢kwn m’ wçst’ o¢rnin qámbei tø¸d’ e¬xeptáxaß; Ek. oi¢moi téknon. Px. tí me dusfhmeîß; froímiá moi kaká. Ek. ai¬aî sâß yucâß. Px. e¬xaúda· mæ krúyh¸ß darón, deimaínw deimaínw, mâter. tí pot’ a¬nasténeiß; Ek. téknon téknon meléaß matróß … Px. tí tód’ a¬ggélleiß; Ek. sfáxai s’ ¯Argeíwn koinà sunteínei pròß túmbon gnåma Phleía¸ génna¸. Px. oi¢moi, mâter, pøß fqéggh¸; a¬mégarta kakøn mánusón moi, mánuson, mâter.

180

185

190

Testimonium: 192 mánuson Hesychius M 252 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 177 mâter mâter Tt (et Reisig) : i¬œ m- m- rell. : i¬œ m- RZb : i¬œ m- i¬å G 178 karúx- M3OAKLPPaRwVZZcZuTt : khrúx- M rell. -xas(a) Fac rell. : 1 t -xous’ F PrS 180 oi¢moi Sa rell. : w¢moi AeVx : oi¢moi moi T : i¬å moi Sas : [A] 181 me rell. : moi LPZZcZm : om. OFPrV moi As rell. : om. APrZZbZu, schol.le V 182 ai¬aî ai¬aî GKZcTt yucâß ZbacZcac rell. : y- péri FPRwZZb2sZc1ZmTt (cf. 186 téknon téknon Hermann : w® t- t- rell. : w® t- w® paî Tt perí MglKglVgl) 1 1 matróß A K Sa rell. : matéroß Tt : mhtróß AacKacLSSas : mrß Pr 187 tí codd. : tí Hartung a¬ggélleiß M3 rell. : -éleiß M (spatio inter l et e relicto) OFZbZcZu : tí tód’ e¬paggeleîß Hermann 188 koína¸ GPaPrx 189 gnåmh PSaZZb : -a¸ GPaPrx 190 Phleía¸ Paley : -eída vel -eída¸ ZbcZm rell. : -eídou 191 oi¢moi Os rell. : w¢moi OPS : oi¢moi moi SaTt pøß PaRwSZZbacZcZms 2 MSSaV rell. : pñ pøß Vac (cf. schol. SSaV): paî MgrSgrSagr (fortasse voluerunt pâ¸) 192 mánusón moi rell. : m- me Sa : m- Rw 193 mánuson A rell. : m- moi AsLPaSasVxzTt : m- me Sa : [K]

Verse 177–193

113

Polyxene Mutter, Mutter, was rufst du? Welche schlimme Neuigkeit verkündest du, warum hast du mich wie einen Vogel mit diesem Schreck aus dem Haus aufgescheucht? Hek. Weh mir, Kind! 180 Plx. Was sagst du mir Unheil an? Das ist mir ein schlechtes Vorwort. Hek. O weh für dein Leben! Plx. Sprich es aus, verbirg es nicht lange! Ich fürchte mich, ich fürchte mich, Mutter: Was stöhnst du auf? 185 Hek. Kind, Kind einer unglücklichen Mutter! Plx. Was kündest du an? Hek. Dich zu schlachten, darauf zielt der gemeinsame Beschluss der Argiver, am Grab für den Peleussohn. 190 Plx. Weh mir, Mutter, wie sprichst du? Unsägliches Leid zeig mir an, zeig an, Mutter!

114

Ek.

Px.

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

au¬dø, paî, dusfämouß fämaß a¬ggéllous’ ¯Argeíwn dóxai yäfw¸ tâß sâß perì yucâß.

195

w® deinà paqoûs’, w® pantlámwn, w® dustánou, mâter, biotâß, oiçan oiçan au® soi låban e¬cqístan a¬rrätan t’ w®rsén tiß daímwn; –

200

ou¬kéti soi paîß açd’ ou¬kéti dæ gära¸ deilaía deilaíw¸ sundouleúsw. – skúmnon gár m’ wçst’ ou¬riqréptan móscon deilaía deilaían e¬sóyh¸

Testimonia: 205–06 ~Eustathius Od. 1653,28 1855

205 206 206a

205 ou¬riqréptan Hesychius O

Imitatio: 197–98 Christus Patiens 907 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 194 dusfámouß Bothe fämaß MFLSa 195 a¬ggéllous’ M3F1 rell. : -élous’ MFZbZcZuTt 196 yäfw¸ Rs rell. : -oiß MR : -w¸ et -oiß schol. MV perì yucâß 197 pantlámwn FSaV : perí moi yucâß FcSasV2 rell. : perì moíraß Page MOKcPaRTt : -tlâmon McKacPa1Rs rell. 198 w® dustánou codd. : tâß dustánou Hermann : w® dústanoß Wecklein mñter XXb biotñß FSSaZc 200 e¬cqístan t’ om. Tt M rell. : ai¬sc- MsPrSV : om Tt : e¬cqístan Hermann t w®rsén tiß OT : -sé tiß rell. 201 daímwn codd. : daímwn· Diggle 202 ou¬kéti L rell. : ou¬k e¢sti OLcSa : [S] 203 deilaía deilaíw¸ ARw 204 sundouleúsw Fs rell. : -eúw FXb 206-6a inter deilaían et e¬sóyh¸ lacunam indicavit Murray 206 deleverunt Sakorraphos, Wilamowitz 206a ei¬sóyei PSTt

Verse 194–206a

Hek. Ich sage es, Kind. Schlimme Worte melde ich: Die Argiver haben abgestimmt und über dein Leben entschieden. Plx.

O furchtbar Leidende, o schwer Duldende, o Mutter, wegen deines unglücklichen Lebens! Welches höchst feindliche, welches unaussprechliche Unheil hat ein Gott dir wieder bereitet! –

115

195

200

Nicht länger werde ich, dein Kind, nicht länger werde ich Elende dir in deinem elenden Alter Mitsklavin sein. Denn wie ein Jungtier, wie ein bergweidendes Kalb, wirst du Elende mich Elende ansehen,

205 206 206a

116

Anapästisch-lyrische Eingangspartie (59–215)

ceiròß a¬narpastàn sâß a¢po laimótomón q’ ÷Aida¸ gâß u™popempoménan skóton, e¢nqa nekrøn méta tálaina keísomai. – kaì soû mén, mâter, dustánou klaíw pandúrtoiß qränoiß, tòn e¬mòn dè bíon låban lúman t’ ou¬ metaklaíomai, a¬llà qaneîn moi xuntucía kreísswn e¬kúrhsen.

(a¬nt.?)

207

210

215

Testimonium: 215 Eustathius Il. 1363,57 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSa V(–211) Va(212–), x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tt 207 a¬narpastàn M rell. : -æn MsOLxZm 208 q’ aç¸da¸ Hermann : t’ a¬ýda¸ McZ rell. : -dan MR : -dou Z2 : -dh Rw 209 u™popempoménan rell. : uçpo pe- Reiske : u™pò pe- MoMs skóton F1irGP SaZ2sZmsTts rell. : -oß M : -w¸ LPsPa s t Sa ZZcZmZuT : ei¬ß -on GglZb 210 tálaina Vb (sicut coniecit Seidler) : a™ tálrell. : h™ tál- PaXa 211–15 delevit Wilamowitz 211 soû schol. M et Heimsoeth : se M rell. mâter Zbc rell. : w® mâter ZbacTt dustánou Mac : gr dustánou bíou LPaZcZmZu : dustänou bíou Zb : dústane M3irZb rell. : dústhne GKPrVZ 212 pandúrtoiß Blomfield : panodúrtoiß codd. 213 tou¬¬moû dè bíou Reiske 214 metaklaíomai codd. : méga klaíomai Willink Kovacs post hunc versum lacunam posuit et supplevit 215 xuntucía Mc rell. -tucía¸ Mac : pótmoß Weil : daímwn Dale kreísswn ZrsZm rell. : kreîsson PrZZbZms kreísswn xuntucí’ Tt e¬kúrhse(n) A2sGcX1Zrs rell., Eust. : e¬kúrhsse Zc : e¬kärusse(n) GacSSaXaZ : e¬kärusen AXac

Verse 207–215

117

aus deiner Hand gerissen, die Kehle durchschnitten, zum Hades hinabgeschickt ins Dunkel der Erde, wo unter den Toten ich Unselige liegen werde. –

210

Und dich, Mutter, du Unglückliche, beweine ich mit klagenden Gesängen; doch mein Leben, das nichts ist als Gewalt und Zerstörung, beweine ich nicht, sondern der Tod ist für mich die bessere Fügung.

215

118

1. Epeisodion (216–443)

1. Epeisodion (216–443) Co.

Kaì mæn ¯Odusseùß e¢rcetai spoudñ¸ podóß, ¿Ekábh, néon ti pròß sé shmanøn e¢poß.

¯Odusseúß gúnai, dokø mén s’ ei¬dénai gnåmhn stratoû yñfón te tæn kranqeîsan· a¬ll’ oçmwß frásw. e¢dox’ ¯Acaioîß paîda sæn Poluxénhn sfáxai pròß o¬rqòn cøm’ ¯Acilleíou táfou. h™mâß dè pompoùß kaì komistñraß kórhß tássousin ei®nai· qúmatoß d’ e¬pistáthß i™ereúß t’ e¬pésth toûde paîß ¯Acilléwß. –

Ek.

oi®sq’ ou®n oÇ drâson; mät’ a¬pospasqñ¸ß bía¸ mät’ e¬ß cerøn açmillan e¬xélqh¸ß e¬moí, gígnwske d’ a¬lkæn kaì parousían kakøn tøn søn· sofón toi ka¬n kakoîß aÇ deî froneîn. ai¬aî· parésthc’, w™ß e¢oik’, a¬gœn mégaß, plärhß stenagmøn ou¬dè dakrúwn kenóß.

220

225

230

Testimonia: 222 Thomas Magister 283,13 225–drâson Gregorius Corinthius 17–18 Schaefer 227–28 Orio Flor. 1,4 Haffner 228 sofón – froneîn ~Eustathius Macrembolites 4,24,4 230 Theodorus Hyrtacenus Anecdota Boissonade 2,432 Papyri: P5(223–28) P11(216–) Codices: MO gV(227–28), AFGKLPPaPrRRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 217 e¢poß MZZbZm rell. : créoß P11 MglZrgrZbgrZmgr 219 tæn kranqeîsan F1ZbcZcZmZu rell. : tæn kraq- FacPaRRwSaZbac : kurwqeîsan ZcsZmsZus 220 sæn paîda FPaRwSaZu 224 i™reúß OARw e¬pésth codd. : e¬péstai Nauck 225 drâson P5 MO2grPRTt (cf. etiam schol. M: tà kalà tøn a¬™ntigráfwn drâson e¢cei), Greg. Cor. : dráseiß P5s MsO rell. mät’ G2grXcZmc rell. : mäpot’ GPrRwXacZbZmac 226 ceirøn LPrSXaZbZcZu e¬xélqoiß xZm 227 gígnwske d’ a¬lkæn codd. : gígnwsk’ a¬nágkhn Herwerden 228 toi MOFKP : ti gV rell., Orio : gàr Ks : gár toi Eust. Macr. (gár ti pars codd.)

Verse 216–230

119

1. Epeisodion (216–443) Cho. Da kommt Odysseus mit schnellem Schritt, Hekabe, um dir ein neues Wort zu sagen. Odysseus Frau, ich glaube, du kennst die Meinung des Heeres und den gefassten Beschluss. Dennoch werde ich ihn verkünden. Die Achäer haben beschlossen, deine Tochter Polyxene 220 auf dem hohen Grabhügel des Achilleus zu schlachten. Uns beauftragen sie, das Mädchen zu geleiten und herbeizubringen. Als Leiter dieser Opferung und Priester wurde der Sohn des Achilleus eingesetzt. – Weißt du, was du tun sollst? Lass sie dir nicht mit Gewalt 225 entreißen und lass dich nicht auf ein Handgemenge mit mir ein! Denk an deine Kräfte und die Not, in der du bist! Weise ist es, auch im Unglück das zu denken, was man muss. Hek. Weh weh, mir steht, so wie es scheint, ein großer Kampf bevor, voll Seufzer und nicht frei von Tränen. 230

120

Od. Ek.

Od. Ek. Od. Ek. Od. Ek. Od. Ek. Od. Ek.

1. Epeisodion (216–443)

ka¢gwg’ a¢r’ ou¬k e¢qnh¸skon ou© m’ e¬crñn qaneîn ou¬d’ w¢lesén me Zeúß, tréfei d’ oçpwß o™rø kakøn kák’ a¢lla meízon’, h™ tálain’ e¬gå. ei¬ d’ e¢sti toîß doúloisi toùß e¬leuqérouß mæ luprà mhdè kardíaß dhktäria e¬xistorñsai, sè mèn a¬meíbesqai creån, h™mâß d’ a¬koûsai toùß e¬rwntøntaß táde. e¢xest’, e¬råta· toû crónou gàr ou¬ fqonø. oi®sq’ h™ník’ h®lqeß ¯Ilíou katáskopoß dusclainía¸ t’ a¢morfoß o¬mmátwn t’ a¢po fónou stalagmoì sæn katéstazon génun; oi®d’· ou¬ gàr a¢kraß kardíaß e¢yausé mou. e¢gnw dé s’ ¿Elénh kaì mónh¸ kateîp’ e¬moí; memnämeq’ e¬ß kíndunon e¬lqónteß mégan. hçyw dè gonátwn tøn e¬møn tapeinòß w¢n; wçst’ e¬nqaneîn ge soîß péploisi ceîr’ e¬män. e¢swsa dñtá s’ e¬xépemyá te cqonóß; wçst’ ei¬sorân ge féggoß h™líou tóde. tí dñt’ e¢lexaß doûloß w£n e¬mòß tóte; polløn lógwn eu™rämat’ wçste mæ qaneîn. ou¢koun kakúnh¸ toîsde toîß bouleúmasin, oÇß e¬x e¬moû mèn e¢paqeß oi©a fæ¸ß paqeîn, drâ¸ß d’ ou¬dèn h™mâß eu®, kakøß d’ oçson dúnh¸; –

Testimonia: 243 ~Eustathius Od. 1495,7

235

240

245

250

250 Thomas Magister 112,16

Papyrus: P11(–231) Codices: MO gV(253–), AFGKLPPaPrRRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 231 ka¢gwg’ a¢r’ L. Dindorf : ka¬gœ gàr codd. 236 sè mèn a¬meíbesqai Herwerden : soì mèn ei¬rñsqai codd. : sè mèn e¬rwtâsqai Weil 240 t’ alterum Ms rell. : d’ L : om. MA 243 kateîp’ e¬moí Brunck : kateîpé moi codd. 245 dè 246 wçste qaneîn FRwS péploiß FKSaXa 247– Zu1 rell. : te MRZuac 48 desunt in AVa, add. Ar : post v. 250 habent RS (huc posuerunt etiam Diggle, Kovacs) 248 ge rell. : te FSa : om. ArR : [AVa] 249-50 desunt in G, add. Gm 253 kakøß F1 rell. : -òn FacZ dúnh¸ codd. : dúna¸ Porson

Verse 231–253

Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek.

Ich starb nicht, wo ich hätte sterben sollen, und Zeus vernichtete mich nicht, sondern lässt mich leben, damit ich anderes, noch größeres Leid sehen muss, ich Arme. Doch wenn es erlaubt ist, dass Sklaven Freie etwas fragen, das nicht weh tut und nicht das Herz verletzt, dann sollst du antworten, mich aber hören, die dich dieses fragt. Es ist erlaubt, frag nur, die Zeit gönn ich dir gern. Weißt du noch, wie du kamst, um Ilion auszuspähen, hässlich zerlumpt, und von den Augen flossen blutige Tropfen dir hinab zum Kinn? Ich weiß, denn es berührte nicht oberflächlich mir das Herz. Helena erkannte dich und sagte es mir allein? Ich denke dran, ich war in großer Not. Du lagst am Boden und umfasstest meine Knie? So fest, dass meine Hand abstarb in deinem Kleid. Da rettete ich dich und ließ dich aus der Stadt. So dass ich dieses Sonnenlicht noch sehe. Was sagtest du denn damals, als du mein Sklave warst? Um nicht zu sterben, erfand ich viele Worte. Erweist du dich nicht als schlecht durch diesen Beschluss, wo du von mir erfuhrest, was du sagst, doch uns nichts Gutes tust, Schlechtes vielmehr, so sehr du kannst? –

121

235

240

245

250

122

1. Epeisodion (216–443)

a¬cáriston u™møn spérm’, oçsoi dhmhgórouß zhloûte timáß· mhdè gignåskoisqé moi, oiÇ toùß fílouß bláptonteß ou¬ frontízete, h£n toîsi polloîß pròß cárin léghté ti. – a¬tàr tí dæ sófisma toûq’ h™goúmenoi e¬ß tände paîda yñfon wçrisan fónou; pótera tò crä sf’ e¬pägag’ a¬nqrwposfageîn pròß túmbon, e¢nqa bouquteîn mâllon prépei; h£ toùß ktanóntaß a¬ntapokteînai qélwn e¬ß tänd’ ¯Acilleùß e¬ndikøß teínei fónon; a¬ll’ ou¬dèn au¬tòn hçde g’ ei¢rgastai kakón. ¿Elénhn nin ai¬teîn crñn táfw¸ prosfágmata· keính gàr w¢lesén nin e¬ß Troían t’ a¢gei. ei¬ d’ ai¬cmalåtwn crä tin’ e¢kkriton qaneîn kállei q’ u™perférousan, ou¬c h™møn tóde·

255

260

265

Testimonia: 254–55 ~Eustathius Od. 1593,48 255 mhdè–moi ~Eustathius Macrembolites 2,11 256–57 Lexicon Vindobonense 192,12 260 Eustathius Il. 1179,38, Od. 1647,38, Thomas Magister 395,1 267 e¢kkriton Hesychius E 1461 Imitatio: 256 Christus Patiens 1060 Papyrus: P3(254–56) Codices: MO gV(–257) AFGKLPPaPrRRwSSa V(257–) Va(–256), x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 255 zhteîte P3 gignåskoisq’ e¬moí P3 256 frontízete P3 LPagrSSagrZcsZu1ir rell., Chr.Pat., Lex.Vind. : gi(g)nåskete MAFKL2grPaSsSaZc 257 léghté GcZuc rell., Lex Vind. : -oité FGSaZZcZuacZus 258 dæ om. LZ 260 crä Nauck : crñn codd., Eust., Thom.Mag. : creån Scaliger a¬nqrwposfageîn rell., Eust. Od., Thom.Mag. : -ktoneîn PPrx, schol. MV, Eust. Il. 263 tínei MAPrR 264 ou¬dén g’ AR hçde g’ Pa1Sac rell. : hçd’ MFKPaacScSaZc 265-66 del. Kovacs 265 crˆñn prosfágmata OGKPPaSacSaxZ Zmac rell. : cræ AeFPrRwXbZZm1Tt : [A] ac t 1 2 Zb T : prósfagma AeF rell. : -má ti F V : -má te S2 : [A] 266 a¢gei A rell. : -oi A2F 267 ai¬cmalåtwn FrRSa rell. : -álwton MFacGKPRsSasVxTt crñn K : crän V

Verse 254–268

Ihr undankbare Brut, ihr alle, die ihr als Redner beim Volk nach Ehre strebt! Von euch will ich nichts wissen. Es macht euch nichts aus, euren Freunden zu schaden, wenn ihr der Menge nach dem Munde redet. –

123

255

Aber was für Schlaues haben sie sich da ausgedacht, als sie für dieses Kind den Tod beschlossen? Ist es denn nötig, Menschen zu schlachten 260 am Grabe, wo ein Rinderopfer angebrachter wäre? Oder wenn Achilleus seine Mörder zur Vergeltung morden wollte, hat er dann Recht, nach i h r e m Tod zu streben? Sie hat ihm doch nichts Böses angetan. Helena sollte er verlangen als Schlachtopfer für sein Grab; 265 sie hat ihn vor Troja gebracht und ihn dort vernichtet. Und wenn es darum geht, dass eine ausgewählte Gefangene sterben soll, eine besonders schöne, trifft es nicht uns.

124

1. Epeisodion (216–443)

h™ Tundarìß gàr ei®doß e¬kprepestáth, a¬dikoûsa q’ h™møn ou¬dèn h©sson hu™réqh. – tø¸ mèn dikaíw¸ tónd’ a™millømai lógon· aÇ d’ a¬ntidoûnai deî s’ a¬paitoúshß e¬moû a¢kouson. hçyw tñß e¬mñß, w™ß fä¸ß, ceròß kaì tñsde graíaß prospítnwn parhídoß· a¬nqáptomaí sou tønde tøn au¬tøn e¬gå cárin t’ a¬paitø tæn tóq’ i™keteúw té se, mä mou tò téknon e¬k cerøn a¬pospásh¸ß mhdè ktánhte· tøn teqnhkótwn açliß. taúth¸ géghqa ka¬piläqomai kakøn· hçd’ a¬ntì polløn e¬stí moi parayucä, póliß, tiqänh, báktron, h™gemœn o™doû. ou¬ toùß kratoûntaß cræ krateîn aÇ mæ creœn ou¬d’ eu¬tucoûntaß eu® dokeîn práxein a¬eí· ka¬gœ gàr h® pot’ a¬llà nûn ou¬k ei¢m’ e¢ti, tòn pánta d’ o¢lbon h®mar eçn m’ a¬feíleto. –

270

275

280

285

a¬ll’, w® fílon géneion, ai¬désqhtí me, oi¢ktiron· e¬lqœn d’ ei¬ß ¯Acaiikòn stratòn

Testimonia: 279–81 ~Eustathius Macrembolites 6,10,3 282–85 ~Stobaeus 4, 41,20 284 Demetrius Cydones An. Nova 310 Boissonade 285 Libanius Ep. 1424,2 Foerster, Decl. 51,1 (7,729 Foerster) 286 Eustathius Il. 129,16 Codices: MO, A(sive Ae) FGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt,, MO gV(282–83) 269 e¬kprepestáth MV2s : eu¬prepestáth McV rell. 270 h©sson Zms rell. : h©tton 274 om. L : add. L2m graíaß Valckenaer : geraiâß OAPPrRSVxZZbZmTt c AePa rell. : gereâß XZb : ghraiâß L2mPaacPrSaz : [A] parhídoß OAeFcKScxTt : parh¸ádoß Fac : pareiádoß L2mSac rell. (cf. v. 410) : [A] 275 e¬gœ Sc rell. : t’ e¬gœ FSa : ka¬gœ Sac 276 t’ Kc rell. : d’ MKac 277 cerøn AeL2PrsZ rell. : ceirøn 278 teqnhkótwn Ks rell. : GPaZr : ceiròß V : cròß L : ceròß AesPr : [A] -eåtwn KP 279 ~Or. 66, delevit Hartung 283 práxein gV FPaS rell. Stob. : -ssein SsVZcZu : -ttein F2sGPagrxTt 284 h® Didymus : h®n codd. 285 m’ om. FKZu 287 a¬caiikòn OKXXaXbcTt : -aïkòn Xbac rell.

Verse 269–287

Denn des Tyndareos Tochter ist die Schönste und hat ihm nicht weniger Schlimmes angetan als wir. – Für das Recht streite ich mit dieser Rede. Und was du mir wieder tun musst, wenn ich es verlange, das höre! Du fielest vor mir nieder, wie du sagst, ergriffest meine Hand und strecktest sie nach meiner greisen Wange. Ich fasse nun auch dich wieder an der gleichen Stelle und verlange den Dank für damals und flehe dich an: Reiß nicht das Kind mir aus den Händen, tötet es nicht! Gestorben sind genug. An ihr habe ich meine Freude und vergesse meine Not; für vieles ist sie mir ein Trost, Stadt, Amme, Stab, Geleit auf meinem Weg. Nicht dürfen die Herrschenden befehlen, was nicht recht ist, und die im Glück nicht meinen, es ginge immer gut. Auch ich war glücklich, aber bin es nicht mehr, den ganzen Reichtum nahm ein einziger Tag mir weg. – Darum, du liebes Kinn, nimm Rücksicht auf mich, hab Erbarmen! Geh zum Achäerheer,

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270

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280

285

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1. Epeisodion (216–443)

parhgórhson w™ß a¬pokteínein fqónoß gunaîkaß, aÇß tò prøton ou¬k e¬kteínate bwmøn a¬pospásanteß a¬ll’ w¬¸ktírate. nómoß d’ e¬n u™mîn toîß t’ e¬leuqéroiß i¢soß kaì toîsi doúloiß aiçmatoß keîtai péri. tò d’ a¬xíwma, ka£n kakøß légh¸ß, tò sòn peísei· lógoß gàr e¢k t’ a¬doxoúntwn i¬œn ka¬k tøn dokoûtwn au™tòß ou¬ tau¬tòn sqénei. Co.

290

295

ou¬k e¢stin ouçtw sterròß a¬nqråpou fúsiß, hçtiß gówn søn kaì makrøn o¬durmátwn klúousa qränouß ou¬k a£n e¬kbáloi dákru.

Testimonia: 288 fqónoß – 289 gunaîkaß schol. in Aristoph. Plutum 87 288 parhgórhson ~Eustathius Il. 152,45 293–95 Gellius 11,4,2, Stobaeus 4,4,6, ~Tzetzes Exeg. in Il. (5,14 Hermann) 294 lógoß – 295 ~Eustathius Il. 209,11, 723, 57, ~Nicephorus Gregoras Hist. 8,5 (1,311 Schoppen) 296–98 Gregorius Corinthius 64 et 110 (cod. c) 296 sterròß – fúsiß schol. in Aesch. Sept. 625b Smith 296 Anonymus De perf. oratione (Rhet.Gr. 3,585,19 Walz) Imitatio: 293–95 ~Ennius Hec. fr. 206–08 Warmington = 84 Jocelyn Codices: MO gV(294–95), AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 291 u™mîn SaZrsZc rell. : h™mîn LSasZZcsZm t’ Ttc rell. : om. KZbTt 292 toîsi doúloiß rell. : toîß d- MF : toîß ge d- P : toîß doúloisi(n) LPaPrRwz 293 légh¸ß Ennius („dices“) : légh¸ codd., schol. MV, Gellius, Stob. : légon Tzetzes tò sòn légh¸ OA 294 peísei GV3gr rell., schol. MV, Stob. : peíqei O gV AGsV : nik⸠Gellius 295 ka¬k codd., Stob. codd. MA, cetera testimonia : kaì Stob. cod. S au™tòß Ennius („eadem dicta eademque oratio“), cf. etiam Eust., Nic.Greg. (au™tòß coniecit etiam Porson) : au¬tòß rell. : w™u¬tòß P ou¬ tau¬tòn rell., Eust. Il. 723,57, cetera testimonia : ou¬ tau¬tò OPa : ou¢t’ au¬tòn M : ou¬ tau¬tà Eust. Il. 209,11 296 ou¬k codd., Greg.Cor. 110 : tíß Greg. Cor. 64 ouçtwß MAF a¬nqråpwn AZm 298 e¬kbáloi PacSas rell., Greg. Cor. 64 : -llh¸ FGSa : -lh¸ KPaPrZZb, Greg. Cor. 110

Verse 288–298

127

red ihnen zu und sag: Die Götter würden zürnen, wenn ihr die Frauen tötetet, die ihr zuerst nicht umbrachtet, als ihr sie von Altären risset, sondern Mitleid hattet! 290 Bei euch gilt gleiches Recht für Freie und für Sklaven, wenn es um Blutvergießen geht. Sprichst du auch einmal schlecht, ist doch dein Ansehen so groß, dass du selbst dann noch überzeugen wirst. Dieselbe Rede, wenn sie von Unberühmten kommt, hat nicht die gleiche Kraft, wie von Berühmten. 295 Cho. Nicht ist so hart die menschliche Natur, dass ihr nicht Tränen flössen, wenn sie die Trauergesänge deiner Seufzer und langen Klagen hört.

128

Od.

1. Epeisodion (216–443)

¿Ekábh, didáskou, mhdè tø¸ qumouménw¸ tòn eu® légonta dusmenñ poioû frení. –

300

e¬gw tò mèn sòn søm’ u™f’ ou©per eu¬túcoun så¸zein eçtoimóß ei¬mi kou¬k a¢llwß légw· aÇ d’ ei®pon ei¬ß açpantaß ou¬k a¬rnäsomai, Troíaß a™loúshß a¬ndrì tø¸ pråtw¸ stratoû sæn paîda doûnai sfágion e¬xaitouménw¸. –

305

e¬n tø¸de gàr kámnousin ai™ pollaì póleiß oçtan tiß e¬sqlòß kaì próqumoß w£n a¬nær mhdèn férhtai tøn kakiónwn pléon. h™mîn d’ ¯Acilleùß a¢xioß timñß, gúnai, qanœn u™pèr gñß ¿Elládoß kállist’ a¬när. ou¢koun tód’ ai¬scrón, ei¬ bléponti mèn fílw¸ cråmesq’, e¬peì d’ o¢lwle mæ cråmesq’ e¢ti; ei®e™n· tí dñt’ e¬reî tiß, h¢n tiß au® fanñ¸ stratoû t’ a¢qroisiß polemíwn t’ a¬gwnía; pótera macoúmeq’ h£ filoyucäsomen, tòn katqanónq’ o™rønteß ou¬ timåmenon; kaì mæn e¢moige zønti mèn kaq’ h™méran kei¬ smíkr’ e¢coimi pánt’ a£n a¬rkoúntwß e¢coi·

310

315

Testimonia: 299 mhdè – 300 Lexicon Vindobonense 160, 7 306–08 Stobaeus 4,1,19, Eustratius in Eth. Nic. 1 b 10 (3,10 Heylbut), Aristides Or. 54 (2,704 Dindorf), Lexicon Vindobonense 187,15, ~Choricius 20,40 306 Lexicon Vindobonense 72,14 307–08 Georgius Pachymeres Decl. 2 (37 Boissonade) 317–18 ~Eustathius Od. 1902,39 Codices: MO gV(306–08, 311–312, 317–18), AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXa Xb, z = ZZb ZcZmZu, Tt 300 frení codd., Lex.Vind. : frenóß Murray, cf. schol. MV: tø¸ qumouménw¸ (sive qumoeideî) mérei tñß yucñß 301 eu¬túcoun GK : hu¬t- rell. 306 tø¸de codd., Stob., Aristides : toútw¸ Eustr., Lex.Vind. kámnousin codd., Stob., Aristides, Lex.Vind., Chor. : páscousin Eustr. póleiß Kc rell. : pólleiß MKac 312 o¢lwle mæ rell. : o¢lwlen ou¬ G : w¢lwle mæ FPr : a¢pesti mæ A : mæ S 318 smíkr’ Gac rell. : míkr’ Gc : smikròn Ox e¢coi AsLc rell. : e¢ch¸ ALacZm

Verse 299–318

Od.

129

Hekabe, versteh doch und nimm nicht aus Zorn dem, der gut redet, seine Worte übel! –

300

Dich selbst, die mich gerettet hat, bin ich zu retten wohl bereit, und dabei bleibe ich, doch was ich zu allen sagte, verleugne ich nicht: Nach Trojas Fall soll man dem ersten Mann des Heeres dein Kind als Schlachtopfer geben, weil er es verlangt. –

305

Darunter leiden ja die meisten Städte, wenn ein Mann tüchtig und bereit zu Taten ist, dass der nicht mehr belohnt wird als die Schlechteren. Uns ist Achilleus wert, geehrt zu werden, Frau, er starb für das Land Hellas den Heldentod. Wär es nicht schändlich, ständen wir zu einem Freund, so lang er lebt, doch nicht mehr, wenn er tot ist? Nun gut, was wird man sagen, wenn wieder einmal ein Heer sich sammelt und es mit dem Feind zu kämpfen gilt? Werden wir dann kämpfen oder am Leben hängen, wenn wir sehen, dass man Gefallene nicht ehrt? Mir jedenfalls, wenn ich für den Tag zu leben hätte, auch wenn ich wenig hätte, wär es mir ganz und gar genug,

310

315

130

1. Epeisodion (216–443)

túmbon dè bouloímhn a£n a¬xioúmenon tòn e¬mòn o™râsqai· dià makroû gàr h™ cáriß. –

320

ei¬ d’ oi¬ktrà páscein fä¸ß, tád’ a¬ntákoué mou· ei¬sìn par’ h™mîn ou¬dèn h©sson a¢qliai graîai gunaîkeß h¬dè presbûtai séqen, númfai t’ a¬rístwn numfíwn thtåmenai, w©n hçde keúqei såmat’ ¯Idaía kóniß. –

325

tólma tád’. h™meîß d’, ei¬ kakøß nomízomen timân tòn e¬sqlón, a¬maqían o¬fläsomen· oi™ bárbaroi dè mäte toùß fílouß fílouß h™geîsqe mäte toùß kaløß teqnhkótaß qaumázet’, w™ß a£n h™ mèn ¿Ellàß eu¬tucñ¸, u™meîß d’ e¢chq’ oçmoia toîß bouleúmasin. Co.

330

ai¬aî· tò doûlon w™ß kakòn péfuk’ a¬eì tolm⸠q’ aÇ mæ crä, tñ¸ bía¸ nikåmenon.

Testimonia: 319–20 Lexicon Vindobonense 192,9, ~Eustathius Il. 666,46 et 801,53 319–20 o™râsqai Thomas Magister 32,2 320 dià – cáriß Eustathius Il. 666,46, ~690,58 326 – tád’ ~Eustathius Opuscula 47,29 332–33 Stobaeus 4,19,28, Eustathius Macrembolites 8,12,2 Codices: MO gV(332–33), AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZb Zc(–322) ZmZu, Tt 320 tòn e¬mòn codd. : stefánwn Porson : steføn Weil : timøn Sakorraphos 322 h©tton PaRRwZu 323 presbûtai sive presbútai Sas rell. : -bútiß SSaV ac 329 mäte L rell. : mæ dè OGKLc 330 qaumázeq’ Lc rell. : -esq’ ALacRRwSSaV 331 e¢chq’ FV rell. : -oiq’ OAF1GLRSaV2z 332 péfuk’ a¬eì O2grFrGKgrL2grPxgrZrgr Zb(et schol. Zb) ZmZu Tt et schol. T (e¢n tini lían palaiø¸ tøn a¬ntigráfwn euçrhtai, oÇ kaì málista kreîtton ei®naí moi dokeî toû te pefukénai kaì toû péfuken a¬eì kaì e¢ti toû péfuké ti), Stob. : -ken ai¢ Zrgr (ai£ etiam Pgr) : -ken ai K : -ken a£n schol. Zbgr : -k’ e¢ti Zbgr : pefukénai 333 tolm⸠codd. : tolmân Reiske OFGrgrKcLxZ rell., schol. V, Eust. Macr. nikåmenon O2grGsSa rell., Eust. Macr. : kratoúmenon OGKRwSagr, Stob.

Verse 319–333

131

mein Grab jedoch, das wünschte ich geehrt zu sehen. Das ist ein Dank, der lange währt. –

320

Wenn du jämmerlich zu leiden meinst, hör dies von mir! Bei uns gibt es alte Frauen und Männer, nicht minder unglücklich als du, und Bräute, beraubt der besten Gatten, deren Leiber hier der Staub vom Ida deckt. –

325

Ertrage es! Wenn wir es für richtig hielten, den Helden schlecht zu ehren, machten wir uns der Dummheit schuldig. Ihr Barbaren aber haltet ruhig die Freunde nicht für Freunde und bewundert nicht die tapfer Gefallenen, damit es Hellas gut ergeht und euch so schlecht, wie ihr es verdient! Cho. Weh! Weh! Das Sklavenlos ist immer schlimm, erduldet Unerträgliches, von der Gewalt besiegt.

330

132

Ek.

Px.

1. Epeisodion (216–443)

w® qúgater, ou™moì mèn lógoi pròß ai¬qéra froûdoi máthn r™ifénteß a¬mfì soû fónou· sù d’, ei¢ ti meízw dúnamin h£ mäthr e¢ceiß, spoudáze pásaß wçst’ a¬hdónoß stóma fqoggàß i™eîsa, mæ sterhqñnai bíou. próspipte d’ oi¬ktrøß toûd’ ¯Odusséwß gónu kaì peîq’. e¢ceiß dè prófasin, e¢sti gàr tékna kaì tø¸de, tæn sæn wçst’ e¬poiktîrai túchn. o™rø s’, ¯Odusseû, dexían u™f’ eiçmatoß krúptonta ceîra kaì próswpon e¢mpalin stréfonta, mä sou prosqígw geneiádoß. qársei· péfeugaß tòn e¬mòn ¿Ikésion Día. – w™ß eçyomaí ge toû t’ a¬nagkaíou cárin qaneîn te crä¸zous’· ei¬ dè mæ bouläsomai, kakæ fanoûmai kaì filóyucoß gunä. tí gár me deî zñn; h©¸ patær mèn h®n a¢nax Frugøn a™pántwn· toûto moi prøton bíou. e¢peit’ e¬qréfqhn e¬lpídwn kaløn uçpo basileûsi númfh, zñlon ou¬ smikròn gámwn e¢cous’, oçtou døm’ e™stían t’ a¬fíxomai.

335

340

345

350

Testimonia: 337 pásaß – 338 i™eîsa ~Eustathius Od. 1875,46 342–44 ~Eustathius Il. 129,14 342–343 ceîra schol. rec. in v. 762 345 péfeugaß – Día ~Eustathius Il. 950,64 Imitatio: 346–48 Cleanthes Stoicus fr. 527,3–4 SVF Codices: AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZb Zc(353–) ZmZu, Tt 334 qúgater MLacSa rell. : téknon MglFGKLcSagr 335 r™ifénteß rell.: r™ifqénteß GK : r™hqénteß O 340 dè MFLacPPasPrRx : gàr LcPaZm1 rell. : om. Zm tékna S rell. : -on KSs 343 tou¢mpalin RZb 346 ge Vac rell., Cleanthes (w™ß eçyomaí g’ a¢oknoß) : soi FGPrVcxZZbZmZusTt : se SZu 351 e¬qréfqhn Lcir 352 smikròn LcS1 rell. : mikròn rell. : e¬tréfqhn Tt : e¬tráfhn PaPrRRw ac gr gr in gámwn S Sa rell., schol. MV : gámou OFRRwV2grxTt: bíou GLPPrRwS z MSSaV 353 døm’ Ae rell. : dómon q’ KRSa : dømá q’ Pa : dómon Pr : dóma q’ Rw : [A]

Verse 334–353

Hek. Tochter, meine Rede über deinen Tod ging in die Luft, vergeblich, fort, verschossen. Wenn du jedoch mehr Wortgewalt als deine Mutter hast, bemühe dich mit allen Tönen wie der Mund der Nachtigall darum, dass du dein Leben nicht verlierst! Fall jammernd nieder vor Odysseus’ Knie! Versuche ihn zu überreden! Es gibt ja einen schwachen Punkt: Auch er hat Kinder, und dein Schicksal mag ihn rühren. Plx. Ich seh, Odysseus, dass du deine rechte Hand unterm Gewand verbirgst und das Gesicht abwendest, damit ich nicht dein Kinn berühren kann. Nur Mut, du entgehst meinem Zeus, dem Schützer der Bittflehenden. – Denn ich folge ja, aus Zwang sowohl als auch, weil ich den Tod mir wünsche. Wollt ich es nicht, dann wär ich eine schlechte Frau und hing am Leben. Was soll ich denn noch leben? Mein Vater war der Herr über alle Phryger. So fing mein Leben an. Sodann wuchs ich mit schönen Hoffnungen auf, als Braut für Könige, und ich erregte nicht geringen Wettstreit darum, zu wessen Haus und Herd ich wohl gelangen würde.

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335

340

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1. Epeisodion (216–443)

déspoina d’ h™ dústhnoß ¯Idaíaisin h®, gunaixì parqénoiß t’ a¬póbleptoß méta, i¢sh qeoîsi plæn tò katqaneîn mónon. nûn d’ ei¬mì doúlh. prøta mén me tou¢noma qaneîn e¬rân tíqhsin ou¬k ei¬wqòß o¢n· e¢peit’ i¢swß a£n despotøn w¬møn frénaß túcoim’ a¢n, oçstiß a¬rgúrou m’ w¬näsetai, tæn ÷Ektoróß te ca¬térwn polløn kásin· prosqeìß d’ a¬nágkhn sitopoiòn e¬n dómoiß saírein te døma kerkísin d’ e¬festánai lupràn a¢gousan h™méran m’ a¬nagkásei· léch dè ta¬mà doûloß w¬nhtóß poqen craneî, turánnwn prósqen h¬xiwména. – ou¬ dñt’· a¬fíhm’ o¬mmátwn e¬leuqérwn féggoß tód’, ÷Aidh¸ prostiqeîs’ e¬mòn démaß. a¢g’ ou®n m’, ¯Odusseû, kaì diérgasaí m’ a¢gwn· ou¢t’ e¬lpídoß gàr ou¢te tou dóxhß o™rø qársoß par’ h™mîn wçß pot’ eu® prâxaí me crä. –

355

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Testimonia: 355 a¬póbleptoß ~Libanius Decl. 8,1,4 359–60 ~Eustathius Il. 415,11 361 kásin ~Hesychius K 971 363 Thomas Magister 333,15 369 ~Thomas Magister 81,14 369 diérgasai Hesychius D 1630 Imitatio: 369 Cleanthes Stoicus fr. 527,1 SVF Codices: MO gV(370–71), A(sive Ae) FGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZmZu, Tt 354 h® Didymus : h®n codd. 355 parqénoiß t’ M2APPaZZbZmZuTt : -oisí t’ rell. : parqénoiß MLx méta Rw rell. : méga Rwm, sicut coniecit Canter s t 356 qeoîsi MOAeGKP VxT : qeñ¸si GcKsPXbgr rell. : [A] 359 despotøn w¬møn rell., Eust. : w¬- d- SSa : d- g’ w¬- LZbZcZmZu 363 e¬fistánai FLPrZbZmZu, Thom. Mag. (pars codd.) 365 dè rell. : te FGKPr : om. R 367 e¬leuqérwn Blomfield : e¬leúqeron codd., schol. V 368 aç¸dh¸ sive açdh¸ MLcZmc rell. : a¬ýdh¸ LacxZbZcZmacZu : h¢dh Mgr 369 a¬g’ ou®n m’ F1PParRSaZZcZmZuac, Thom. Mag. (cod. Ra) : a¬goû m’ F rell. : a¢g’ ou®n S, Thom. Mag. (codd. rell.) : a¢gou m’ MLPaZbZuc, cf. Cleanthes (a¢gou dé m’) : h™goû m’ Pr 371 h™mîn Zr rell. : u™mîn ZZcZu

Verse 354–371

Herrin war ich Unglückliche bei den Frauen am Ida, bewundert unter Frauen und Mädchen, Göttern gleich bis auf die Sterblichkeit. Jetzt bin ich Sklavin. Zuerst macht schon das ungewohnte Wort, dass der Tod mir lieb wird. Vielleicht bekomme ich dann einen Herrn mit hartem Sinn, der mich für Silber kauft, mich, Hektors Schwester und der vielen anderen. Er zwingt mich, im Hause Mehl zu mahlen, das Haus zu fegen und am Webstuhl zu stehen. Er wird mich zwingen, ein trauriges Leben zu führen. Ein Sklave, von irgendwo gekauft, wird mein Bett beflecken, um das sich früher Könige bewarben. – Nein! Dieses Tageslicht verlasse ich mit freien Augen und bringe meinen Leib dem Hades dar. Führ mich, Odysseus, und führ mich zu meinem Tod! Ich habe weder Zuversicht noch Hoffnung, dass ich je glücklich leben könnte. –

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1. Epeisodion (216–443)

mñter, sù d’ h™mîn mhdèn e¬mpodœn génh¸ légousa mhdè drøsa, sumboúlou dé moi qaneîn prìn ai¬scrøn mæ kat’ a¬xían tuceîn. – oçstiß gàr ou¬k ei¢wqe geúesqai kakøn férei mén, a¬lgeî d’ au¬cén’ e¬ntiqeìß zugø¸· qanœn d’ a£n ei¢h mâllon eu¬tucésteroß h£ zøn· tò gàr zñn mæ kaløß mégaß pónoß. Co.

Ek.

deinòß caraktær ka¬píshmoß e¬n brotoîß e¬sqløn genésqai, ka¬pì meîzon e¢rcetai tñß eu¬geneíaß o¢noma toîsin a¬xíoiß. kaløß mèn ei®paß, qúgater, a¬llà tø¸ kalø¸ lúph prósestin. ei¬ dè deî tø¸ Phléwß cárin genésqai paidì kaì yógon fugeîn u™mâß, ¯Odusseû, tände mèn mæ kteínete, h™mâß d’ a¢gonteß pròß puràn ¯Acilléwß

375

380

385

Testimonia: 374 kat’ a¬xían Hesychius K 1309 375–78 Stobaeus 3,30,3 375– 76 Eustathius Macrembolites 8,14,2 376 Lexicon Vindobonense 187,10 377– 78 Stobaeus 4,53,20, Apostolius 8, 8384 378 ~schol. in Aesch. Sept. 702–04b Smith 379–81 Stobaeus 4,290,5 Codices: MO gV(375–81) AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 374 ai¬scrøn Ks rell. : -òn KZu 375 kakøn codd., Eust. Macr. : pónwn Stob. 377 d’ a£n rell., Stob. : dè FPr mâllon codd., Stob. 3,30,3 (codd. SMAs : pántwn Stob. 3,30,3 (cod. A) 378 mæ kaløß codd., schol. Aesch. : ou¬ kaløß Stob. 4,53,20 : e¬n kakoîß Stob. 3,30,3 mégaß pónoß F rell., Stob. 4,53,20 (cod. S), schol. Aesch. : m- póroß Fgr : pónoß m- Stob. 3,30,3 et 4,53,20 (cod. A) 380 e¬sqløn Zbs rell., Stob. (cod. S) : -òn Zb, Stob. (codd. MA) meîzon Sgr rell., Stob. (cod. S) : pleîon O gV SSaV : pleîston Stob. (codd. MA) 381 o¢noma MO gV LSSaVxZbZmZu : tou¢noma rell., Stob. (cod. S) : ou¢noma Stob. (codd. MA) 382 w® qúgater APSSaV 384 fugeîn yógon OSSaV 385 kteínete rell. : -äte Rw : -ate G

Verse 372–386

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Mutter, stell dich uns nicht in den Weg mit Worten oder Taten! Wünsch mir auch, dass ich sterbe, bevor mich Schändliches trifft, das ich nicht verdiene! – Denn wer nicht gewohnt ist, Unglück zu kosten, erträgt es zwar, doch leidet er am Joch auf seinem Nacken; tot aber wäre er viel glücklicher als lebend, denn schlecht zu leben ist eine große Qual. Cho. Gewaltig ist die Prägung und leicht zu bemerken bei den Menschen, die von Edlen stammen, und ein noch größerer Ruhm des Adels kommt denen zu, die seiner würdig sind. Hek. Schön sprachst du, Tochter, aber mit dem Schönen ist Schmerz verbunden. Wenn ihr es nötig habt, dem Peleussohn zu danken und Tadel zu vermeiden, Odysseus, dann tötet doch nicht sie! Mich führt zum Grabmal des Achilleus,

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380

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138

Od. Ek.

Od. Ek. Od. Ek. Od. Ek. Od. Px.

1. Epeisodion (216–443)

kenteîte, mæ feídesq’· e¬gœ ¯tekon Párin, oÇß paîda Qétidoß w¢lesen tóxoiß balån. ou¬ s’, w® geraiá, katqaneîn ¯Acilléwß fántasm’ ¯Acaioùß a¬llà tänd’ h¬¸täsato. u™meîß dé m’ a¬llà qugatrì sumfoneúsate, kaì dìß tóson pøm’ aiçmatoß genäsetai gaía¸ nekrø¸ te tø¸ tád’ e¬xaitouménw¸. açliß kórhß sñß qánatoß, ou¬ prosoistéoß a¢lloß pròß a¢llw¸· mhdè tónd’ w¬feílomen. pollä g’ a¬nágkh qugatrì sunqaneîn e¬mé pøß; ou¬ gàr oi®da despótaß kekthménoß. o™poîa kissòß druòß oçpwß tñsd’ eçxomai. ou¢k, h¢n ge peíqh¸ toîsi soû sofwtéroiß. w™ß tñsd’ e™koûsa paidòß ou¬ meqäsomai. a¬ll’ ou¬d’ e¬gœ mæn tänd’ a¢peim’ au¬toû lipån. mñter, piqoû moi· kaì sú, paî Laertíou, cála tokeûsin ei¬kótwß qumouménoiß, sú t’ w® tálaina, toîß kratoûsi mæ mácou. boúlh¸ peseîn pròß ou®daß e™lkøsaí te sòn géronta crøta pròß bían w¬qouménh

Testimonia: 398 Thomas Magister 254,13 cála (unde EM 804,49)

390

395

400

405

403 Etymologicum Genuinum s.v.

Imitatio: 398 Christus Patiens 1321 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZb ZcZmZu, Tt 387 kenteîte OGRgrSagrXa rell. : -tai Sgr : kteneîte O2grSSaV : kteínete RXagl 392 pøm’ Porson : póm’ codd. 393 nekrø¸ te tø¸ Prc rell. : te nekrø¸ tø¸ LPrac : nekrø¸ tø¸ PS 394 sñß MacLc rell. : ei©ß M1 : om. OLPZZm 395 w¬feílomen Gc rell. : o¬f- FGacLRZbZu 396 g’ rell. : d’ M2ZcZm : t’ FKSa : gàr Mac sunqaneîn e¬mè qugatrí LZbZmZu 397 oi®daß P kekthménoß Zb rell. : -h PZbs 398 o™poîa codd., Thom. Mag. : oçmoia Reiske (Jackson post oçmoia interpunxit) oçpwß codd. : e¬gœ Sybel 399 ou¢k h¢n ge Rw1 rell. : ou¢k, h£n Rwac : ou¬ män ge R 401 mæn PasRw1Zbac rell. : min OPaRSSaVZbc : om. Rw 404 d’ PaRRwSSaV

Verse 387–406

Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek. Od. Hek. Od. Plx.

durchbohrt mich, schont mich nicht! Denn ich gebar den Paris, der Thetis’ Sohn mit seinem Bogen tötete. Nicht dass du stirbst, du alte Frau, verlangt Achilleus’ Geist von den Achäern, sondern sie. So tötet mich dann wenigstens zusammen mit der Tochter; zweimal so groß wird dann der Bluttrank sein für die Erde und den Toten, der es verlangt. Genug ist deiner Tochter Tod; es soll nicht noch ein anderer hinzukommen. Wenn doch auch dieser nicht nötig wäre! Ich muss zusammen mit der Tochter sterben. Wieso? Ich wüßte nicht, wer mir Befehle geben könnte. Wie der Efeu an die Eiche werde ich mich an ihr festklammern. Tu es nicht, wenn du dem folgst, der weiser ist als du! Freiwillig lasse ich mein Kind nicht los. Auch ich geh nicht und lasse nicht das Mädchen hier. Mutter, hör auf mich! Und auch du, Laertes’ Sohn, hab Nachsicht mit der Mutter, die zu Recht erzürnt ist! Du Arme, wehre dich nicht gegen die Mächtigen! Willst du auf den Boden stürzen, deinen greisen Leib verletzen lassen, mit Gewalt gestoßen

139

390

395

400

405

140

1. Epeisodion (216–443)

a¬schmonñsai t’ e¬k néou bracíonoß spasqeîs’, aÇ peísh¸; mæ sú g’· ou¬ gàr a¢xion. –

Ek. Px. Ek. Px. Ek. Px. Ek. Px. Ek.

a¬ll’, w® fílh moi mñter, h™dísthn céra dòß kaì pareiàn prosbaleîn parhídi· w™ß ou¢pot’ au®qiß a¬llà nûn panústaton a¬ktîna kúklon q’ h™líou prosóyomai. téloß déch¸ dæ tøn e¬møn prosfqegmátwn. w® mñter w® tekoûs’, a¢peimi dæ kátw. w® qúgater, h™meîß d’ e¬n fáei douleúsomen. a¢numfoß a¬numénaioß w©n m’ e¬crñn tuceîn. oi¬ktrà sú, téknon, a¬qlía d’ e¬gœ gunä. e¬keî d’ e¬n ÷Aidou keísomai cwrìß séqen. oi¢moi· tí drásw; poî teleutäsw bíon; doúlh qanoûmai, patròß ou®s’ e¬leuqérou. h™meîß dè pentäkontá g’ a¢mmoroi téknwn. tí soi pròß ÷Ektor’ h£ géront’ ei¢pw pósin; a¢ggelle pasøn a¬qliwtáthn e¬mé.

410

415

420

Testimonia: 407 a¬schmonñsai Antiatticista An. Bekker 1,83,26 413 Eustathius Macrembolites. 6,7,1 421 Eustathius Il. 639,57 421 g’ a¢mmoroi Hesychius G 122 422 Plutarchus Mor. 1104D 1 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 407 e¬k néou bracíonoß Prs rell. : e¬k br- n- OSSaVZm : e¬n néw¸ -íoni Pr 410 parhídi RsZc rell. : -eiádi RRw (cf. v. 274) : -eiñ¸si ZcgrZm 411-12 ~Alc. 206–07 412 om. MO, add. M1O1, delevit Wecklein 413 déch¸ SaVZcZb rell., Eust. Macr. ( codd. rell.) : e¢ch M : d’ e¢ch¸ McAgrZac : d’ e¢cei Agrxgr, Eust. Macr. (codd. RM) : décei Eust. Macr. (cod. C) : décoi Sas : décou AFsGPaRwV2 Zbs : e¢cei Eust. Macr. (cod. G) dæ rell., Eust. Macr. : dè Pr : nûn GK 415–16 post 420 traiecit Diggle 418 e¬keî d’ e¬n Mc rell. : e¬keî  e¬n Mac : keîse d’ e¬n Rw : keîse d’ ei¬n R 421 g’ rell., Eust., Hesychius : om. FSaxTtir, sch.le V a¢mmoroi ac MO KLPSZm, Eust., Hesychius : a¢moiroi rell. : a¢mmoiroi AZc : a¢moroi O1 : a¢mmeiroi Zb : pentäkont(a) a¢moiroi FPrSaZu, sch.le V : -kont’ a¢moiroi dæ xTtir 423 a¢ggelle McXaac rell. : a¢ggele MacFRwSVXacZbZc

Verse 407–423

141

und, wie es sich nicht gehört, von jungem Arm hinweggezerrt? Das wird dir geschehen. Tu es nicht, unwürdig wär es! –

Hek. Plx. Hek. Plx. Hek. Plx. Hek. Plx. Hek.

Drum meine liebe Mutter, gib mir deine süße Hand, lass Wange uns an Wange legen, denn niemals wieder, sondern jetzt zum letzten Mal kann ich den strahlenden Kreis der Sonne sehen. Zum letzten Mal vernimmst du meine Reden. Mutter, die mich gebar, ich gehe jetzt hinab. Tochter, ich werde im Licht als Sklavin leben müssen. Ich ohne Hochzeit, ohne Brautgesang, der mir zustand. Beklagenswert bist du, mein Kind, ich eine unglückliche Frau. Dort im Hades werde ich liegen, getrennt von dir. Weh mir, was soll ich tun, wo wird mein Leben enden? Als Sklavin werde ich sterben, Kind eines freien Vaters. Ich habe meine fünfzig Kinder verloren. Was soll ich für dich dem Hektor sagen, was deinem alten Gatten? Melde ihnen, dass ich die Allerunglücklichste bin.

410

415

420

142

Px. Ek. Px. Ek. Px. Ek. Px. Ek. Px.

Ek.

1. Epeisodion (216–443)

w® stérna mastoí q’, oiç m’ e¬qréyaq’ h™déwß. w® tñß a¬årou, qúgater, a¬qlíou túchß. caîr’, w® tekoûsa, caîre Kassándra té moi ... caírousin a¢lloi, mhtrì d’ ou¬k e¢stin tóde. … oç t’ e¬n filíppoiß Qrh¸xì Polúdwroß kásiß. ei¬ zñ¸ g’· a¬pistø d’· w©de pánta dustucø. zñ¸ kaì qanoúshß o¢mma sugklä¸sei tò són. téqnhk’ e¢gwge prìn qaneîn kakøn uçpo. kómiz’, ¯Odusseû, m’ a¬mfiqeìß kára péploiß, w™ß prìn sfagñnaí g’ e¬ktéthka kardían qränoisi mhtròß tände t’ e¬ktäkw góoiß. – w® føß· proseipeîn gàr sòn o¢nom’ e¢xestí moi, métesti d’ ou¬dèn plæn oçson crónon xífouß baínw metaxù kaì purâß ¯Acilléwß. oi£ ¯gå, proleípw, lúetai dé mou mélh. w® qúgater, açyai mhtróß, e¢kteinon céra, dóß, mæ líph¸ß m’ a¢paid’. a¬pwlómhn, fílai.–

425

430

435

440

Testimonia: 424 Thomas Magister 232,17; schol. rec. in v. 144 Dindorf 434 e¬ktäkw góoiß ~schol. Aesch. Sept. 359c Smith Imitatio: 438 Ennius Hec. fr. = 209 Warmington = 89 Jocelyn Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 424 mastoí R1 rell.,Thom. Mag., schol. rec. ad v. 144 et 424 : -qoí MARac q’ oi™ om. schol. rec. ad v. 144 425 a¬qlíou M : a¬qlíaß rell.: a¬qlía Markland 426 caîre alterum Pac rell. : caîr’ w® P1XaZZbZcZu kass- OKLP1x : kas- Pac rell. t’ e¬moí ZbrZms rell. : té moi Sa : t’ e¬mä PaRZZbZcZm 427 tóde gr M OFZm rell. : cará MOgrAFgrPPaxZZbZcZmsZu 432 m’ MFPRwxZbZcZmZu : om. rell. kára péploiß rell. : kára péplon K : kára¸ péplouß Kirchhoff (cf. schol. rec. periqeìß tñ¸ e¬mñ¸ kára¸ tà … pépla) 434 tände t’ rell. : tände g’ LZu : tänd’ OSa 435 gàr sòn rell. : gàr tò sòn Zb : sòn gàr FPr : sòn A : gàr Rw 438 oi£ ¯gå Pa, cf. v. 676 : oi£ e¬gå rell. dé om. ARRwSa mou Zc rell. : moi OKSSaVZcs 440 fílai RRwZms rell. : -h RwsZZcsZus : -a RsZcZmZu

Verse 424–440

Plx. Hek. Plx. Hek. Plx. Hek. Plx. Hek. Plx.

143

O Brust und Busen, der mich liebreich nährte! Weh, Tochter, über deinen allzufrühen Tod! 425 Leb wohl, Mutter, leb wohl mir auch, Kassandra ... Wohl leben andere, deine Mutter kann es nicht. … und mein Bruder Polydoros bei den rosseliebenden Thrakern! Wenn er denn lebt; ich glaube nicht. So bin ich ganz im Unglück. Er lebt und wird dir einst im Tod die Augen schließen. 430 Tot bin ich jetzt schon vor dem Sterben durch mein Unglück. Führe mich fort, Odysseus, verhülle mein Haupt mit Gewändern! Schon ehe ihr mich schlachtet, ist mein Herz erweicht durch meiner Mutter Klagen und habe ich sie erweicht durch meine Klagen. – O Licht, anrufen darf ich deinen Namen, ich habe nicht mehr Teil an dir bis auf die Zwischenzeit, in der ich gehe zum Schwert und zu Achilleus’ Grabmal.

Hek. Weh mir! Ich schwinde dahin, meine Glieder lösen sich. O Tochter, fass die Mutter an, streck die Hand aus, gib sie, lass mich nicht kinderlos zurück! ich bin verloren, ihr Lieben. –

435

440

144

1. Epeisodion (216–443)

wÇß tæn Lákainan súggonon Dioskóroin ¿Elénhn ¯ídoimi· dià kaløn gàr o¬mmátwn ai¢scista Troían ei©le tæn eu¬daímona.

441

Testimonia: 442 dià – 443 Eustathius Il. 206,5, 397,40, Od. 1401.27 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 441-43 Hecubae tribuunt codd., choro Hermann, delevit Hartung 441 dioskóroin rell. : -koúroin RSaXaZZcZu : -kórwn G : -koúrwn OcFcRw : -koúrn OacFac : [K] 443 tæn McR2gr rell., Eust. : tæn d’ Mac : prìn RRw

Verse 441–443

145

So möchte ich die Lakonierin, die Schwester der Dioskuren, 441 Helena sehen. Mit ihren schönen Augen hat sie aufs schändlichste das glückliche Troja zu Fall gebracht.

146

1. Stasimon (444–83)

1. Stasimon (444–83) Co.

Au¢ra, pontiàß au¢ra, açte pontopórouß komízeiß qoàß a¬kátouß e¬p’ oi®dma límnaß, poî me tàn meléan poreúseiß; tø¸ doulósunoß pròß oi®kon kthqeîs’ a¬fíxomai; h£ Dwrídoß oçrmon ai¢aß, h£ Fqiádoß, e¢nqa tòn kallístwn u™dátwn patéra fasìn ¯Apidanòn pedía lipaínein;

Testimonia: 447–73 ~Eustathius Il. 654,13

str. a 445

448 450

454

451–52 ~Eustathius Od. 1695,40

Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 444 pontiàß codd. : potniàß Willink 445 açtiß Tt (sicut coniecit Barnes) rgr 446 límnhß AFLZbZcZuTt 447 meléan Z rell. : tálainan ZZcZu 452 tøn APSZZm 454 pedía lipaínein rell. : lip- ped- GK : tàß guíaß lip- Tt (gúaß coniecit Hermann)

Verse 444–454

147

1. Stasimon (444–83) Cho. Windhauch, Windhauch des Meeres, der du die meerdurchfahrenden schnellen Schiffe über die Fluten der See bringst, wohin wirst du mich Arme fahren? Wem werde ich, als Sklavin gekauft, ins Haus kommen? Zu einem Hafen der dorischen Erde oder von Phthia, wo der schönsten Gewässer Vater Apidanos, wie man sagt, die Ebenen fruchtbar macht?

445 448 450

454

148

1. Stasimon (444–83)

h£ náswn a™liärei kåpa¸ pempoména, tálainan oi¬ktràn biotàn e¢cous’ a¢oikoß, e¢nqa prwtógonóß te foînix dáfna q’ i™eroùß a¬nésce ptórqouß Latoî fílon w¬dînoß a¢galma Díaß; sùn Dhliásin te koúraisin ¯Artémidoß qeâß cruséan t’ a¢mpuka tóxa t’ eu¬logäsw;

a¬nt.

455

460

463 465

Testimonium: 458 ~Eustathius Od. 1556,29, 1557,54 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 455 náswn ARs rell., schol.in MV : näswn F2Prs : náson RwZbZc : nâson 456 pempoména Willink: -ménan codd. A2sKPaPrRxZZm : nâsón g’ Tt : [F] 457 oi¬ktràn codd. : pónoiß Willink e¢cous’ a¢oikoß Willink : e¢cousan oi¢koiß codd. 459 dáfnh FGPa 460 fílon sive -ouß Wecklein : -a¸ sive -a codd. : -a Housman : -aß Hartung 462 koúraiß ALPPaxZZb 463 qeâß OFLPr : te qeâß rell. 465 cruséan t’ LPaPrZu : crusaían t’ F : cruséan rell.

Verse 455–465

Oder werde ich mit dem Ruder, das die Salzflut durchfährt, geleitet, zu einem Hafen auf den Inseln kommen, die ich ein unglückliches, jämmerliches Leben führen werde, unbehaust, wo die zuerst geborene Palme und der Lorbeer ihre heiligen Zweige erheben, der Leto lieb, ein Denkmal für die Geburt der Kinder des Zeus? Werde ich mit den Mädchen von Delos der Göttin Artemis goldenes Stirnband und Bogen preisen?

149

455

460 463 465

150

1. Stasimon (444–83)

h£ Palládoß e¬n pólei tàß kallidífrouß ¯Aqanaíaß e¬n krokéw¸ péplw¸ zeúxomai a®ra pålouß e¬n daidaléaisi poikíllous’ a¬nqokrókoisi pänaiß, h£ Titánwn geneán, tàn Zeùß a¬mfipúrw¸ koimízei flogmø¸ Kronídaß;

str. b

w¢moi tekéwn e¬møn w¢moi patérwn cqonóß q’, aÇ kapnø¸ katereípetai, tufoména, doríkthtoß ¯Argeýwn· e¬gœ d’ e¬n xeína¸ cqonì dæ kéklhmai doúla, lipoûs’ ¯Asían, Eu¬råpaß qerapnân a¬lláxas’ ÷Aida qalámouß.

a¬nt.b

470

475

480

Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 467 tàß M3RZZcTt, sch.le M : tñß RwVSSa : tâß Mac rell. kallidífrouß MZb, schol.le M : -ou rell., schol. V ad v. 444 a¬qhnaíaß OFPPaSSaZZbZu 468 krokaíw¸ OLPrRwSSaVZcZm 469 a®ra O : a¢ra M : açrmata V : açrmati Vs rell. 470 e¬n Xaac rell. : om. LPaXacZb daidaléaisi Zuac rell. : -éh¸si c 2 t LPZbZmZu : -aíaisi RSSaV : -éaiß T : -éoisi FPr : -aíoiß V 475–83 choro tribuunt Xac rell. : Hecubae x 475 tekéwn rell. : tokéwn KPr, schol.in V ad v. 444 (gonéwn) : téknwn Rw : [A] 477 kapnø¸ katereípetai Vs rell. : kat- kap- SSa : kat- V 478 tufoménh SaXXbZZcsZmsZus 478–79 doríkthtoß McXaac rell. : 479 ¯Argeýwn doräkt- Mac : dorúkt- GRwXacZZcZm : dorílhptoß Tt Hermann : a¬rgeíwn R rell. : a¬p’ a¬rg- GKR2s : u™p’ a¬rg- FPrRs 482 eu¬råphß FPrZ qerapnân Purgold : -ápna Garzya : -ápnan McOArgr : -ápainan M3sOs rell., schol. M, schol. V ad v. 444 483 aç¸da Canter : a¬ýda S1 rell. : a¬ýdh RRwSac

Verse 466–483

Oder werde ich in der Stadt der Pallas auf dem krokusfarbenen Gewand Athenes die Pferde an den schönen Wagen schirren, werde ich sie kunstvoll farbig machen mit eingewebten blumenbunten Fäden? Oder werde ich das Geschlecht der Titanen weben, das Zeus mit beiderseits feuriger Flamme zur Ruhe bringt, der Kronossohn? Weh meine Kinder, weh meine Eltern und mein Land, das im Rauch zerfällt, qualmend, durch den Speer der Argiver erobert. Doch ich im fremden Land werde Sklavin genannt. Ich verlasse Asien; für Europas Wohnungen gebe ich hin im Tausch des Hades Gemächer.

151

470

475

480

152

2. Epeisodion (484–628)

2. Epeisodion (484–628) Talqúbioß Poû tæn a¢nassan dä pot’ ou®san ¯Ilíou ¿Ekábhn a£n e¬xeúroimi, Trw¸ádeß kórai; Co. auçth pélaß soû nøt’ e¢cous’ e¬pì cqoní, Talqúbie, keîtai sugkeklh¸ménh péploiß. Ta.

w® Zeû, tí léxw; póterá s’ a¬nqråpouß o™rân h£ dóxan a¢llwß tände kektñsqai máthn [yeudñ, dokoûntaß daimónwn ei®nai génoß], túchn dè pánta ta¬n brotoîß e¬piskopeîn; ou¬c hçd’ a¢nassa tøn polucrúswn Frugøn, ou¬c hçde Priámou toû még’ o¬lbíou dámar; kaì nûn póliß mèn pâs’ a¬nésthken dorí, au¬tæ dè doúlh graûß a¢paiß e¬pì cqonì keîtai, kónei fúrousa dústhnon kára. feû feû· gérwn mén ei¬m’, oçmwß dé moi qaneîn ei¢h prìn ai¬scr⸠peripeseîn túch¸ tiní. – a¬nístas’, w® dústhne, kaì metársion pleuràn e¢paire kaì tò pálleukon kára.

485

490

495

500

Testimonia: 488–91 Apostolius 18,57 d 492 Josephus Rhacendytes Rhet. 3,510,27 Walz 497 Hermias Alexandrinus in Plat. Phaedrum 24,1 Imitationes: 497–98 Ennius Hec. fr. 210–11 Warmington = 92 Jocelyn 500 Christus Patiens 1305 Codices: MO gV(497–98), AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 487 sugkeklhménh M : -kliménh McOV : -kalumménh KRglZbglZcgl : -kleisménh RVcZbZc rell. 489 a¢llwß codd. : au¬toùß Reiske : h™mâß Porson máthn codd. : brotoùß Apitz 490 delevit Nauck 494 mèn póliß FPrS 495 au¬tæ V : auçth rell. 496 kóni M et Mgl 497 dé moi qaneîn gV rell. : qa- dé moi OSV : dé moi om. Hermias

Verse 484–500

153

2. Epeisodion (484–628) Talthybios Wo kann ich die einstige Herrin Ilions Hekabe finden, ihr Troermädchen? Cho. Sie liegt hier vor dir, den Rücken auf der Erde, Talthybios, fest eingehüllt in ihr Gewand. Ta.

485

O Zeus, was soll ich sagen? Dass du auf die Menschen schaust oder diesen Ruf nichtig, vergeblich hast [erlogen, weil man meint, es gäbe das Geschlecht der Götter,] 490 und Tyche über alles bei den Menschen Aufsicht führt? Ist die hier nicht die Herrin der goldreichen Phryger, ist die hier nicht die Gattin des sehr vermögenden Priamos? Und jetzt ist die ganze Stadt zerstört durch den Speer, sie selbst ist Sklavin, Greisin, kinderlos, liegt auf der Erde, 495 das arme Haupt mit Staub besudelt. Weh weh, ich bin ein alter Mann, doch möcht ich eher sterben als in ein schmähliches Unglück zu geraten. – Steh auf, du Arme, hebe deinen Leib empor und dein ganz weißes Haupt!

500

154

Ek. Ta. Ek.

Ta.

Ek.

Ta.

2. Epeisodion (484–628)

e¢a· tíß ou©toß søma tou¬mòn ou¬k e¬â¸ keîsqai; tí kineîß m’, oçstiß ei®, lupouménhn; Talqúbioß hçkw, Danaïdøn u™phréthß ¯Agamémnonoß pémyantoß, w® gúnai, méta. w® fíltat’, a®ra ka¢m’ e¬pisfáxai táfw¸ dokoûn ¯Acaioîß h®lqeß; w™ß fíl’ a£n légoiß. speúdwmen, e¬gkonømen· h™goû moi, géron. sæn paîda katqanoûsan w™ß qáyh¸ß, gúnai, hçkw metasteícwn se· pémpousin dé me dissoí t’ ¯Atreîdai kaì léwß ¯Acaiikóß. oi¢moi, tí léxeiß; ou¬k a¢r’ w™ß qanouménouß metñlqeß h™mâß a¬llà shmanøn kaká; o¢lwlaß, w® paî, mhtròß a™rpasqeîs’ a¢po, h™meîß d’ a¢teknoi tou¬pì s’· w® tálain’ e¬gå. pøß kaí nin e¬xepráxat’; a®r’ ai¬doúmenoi; h£ pròß tò deinòn h¢lqeq’ w™ß e¬cqrán, géron, kteínonteß; ei¬pé, kaíper ou¬ léxwn fíla. diplâ me crä¸zeiß dákrua kerdânai, gúnai, sñß paidòß oi¢ktw¸· nûn te gàr légwn kakà tégxw tód’ o¢mma pròß táfw¸ q’ oçt’ w¢lluto. –

505

510

515

520

parñn mèn o¢cloß pâß ¯Acaiikoû stratoû plärhß prò túmbou sñß kórhß e¬pì sfagáß,

Imitatio: 518–20 ~Vergilius Aeneis 2,3 Codices: MO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt(–520) 501 e¢a M rell. : w¬ä Mgr søma tou¬mòn Lcir Zm1Zu1 rell. : søm’ e¬mòn ZmacZuac 504 delevit Jenni pémyantóß s’ LPrS (cf. schol.in MV metakaloûntóß se) 506 légh¸ß PXaXbTt 510 a¬caiikóß 505 a®ra Zcc rell. : a¢ra MOKRwSaZcac tc t MOGKxT : a¬caïkóß T rell. 511 w¢moi GKPrSSa qanouménouß rell. : -oménouß MR : -ouménaß G : -ouménh Sa 512 shmaínwn MOKPrRSSa 515 e¬xepráxet’ FZZc 517 kteínonteß G rell. : -anteß GcZc 519 te Zu1 rell. : om. SaZu 521 a¬caiíkou OGKxTt : a¬caýkou Tz rell. 522 sfagáß FcRwc rell. : -âß OFacSaZu : -ñß RRwac

Verse 501–522

155

Hek. Was denn? Wer lässt da meinen Körper nicht in Ruhe liegen? Was störst du mich, wer du auch bist, in meiner Trauer? Ta. Talthybios, der Danaiden Diener, ich komme, Frau, weil Agamemnon nach dir schickt. Hek. O Liebster, kamst du, weil die Achäer beschlossen haben, 505 auch mich noch auf dem Grab zu schlachten? Welch eine liebe Nachricht wäre das! Lasst uns eilen, geschwind! Führe mich, Alter! Ta. Ich komme dich zu holen, Frau, dass du dein totes Kind begraben kannst. Mich schicken die zwei Atriden und das Heer der Achäer. 510 Hek. Weh mir, was willst du sagen? Du kamst also nicht zu mir, damit ich sterbe, sondern um Schlimmes zu melden? Du bist dahin, mein Kind, hinweggerissen von der Mutter, und ich bin kinderlos, was dich betrifft, ich Unglückliche! Wie habt ihr sie denn umgebracht? Mit Achtung? 515 Oder gingt ihr so weit beim furchtbaren Tun, Alter, dass ihr sie wie eine Feindin tötetet? Sag an, auch wenn du sagen wirst, was mir nicht lieb ist! Ta.

Du forderst, dass mir zweimal Tränen fließen, Frau, aus Jammer um dein Kind; denn jetzt, wenn ich das Schlimme sage, benetze ich mein Auge und zuvor am Grabe, als sie starb. – 520 Es stand die ganze Masse des Achäerheeres vollzählig vor dem Grab zu deiner Tochter Schlachtung.

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2. Epeisodion (484–628)

labœn d’ ¯Acilléwß paîß Poluxénhn ceròß e¢sths’ e¬p’ a¢krou cåmatoß, pélaß d’ e¬gå· lektoí t’ ¯Acaiøn e¢kkritoi neaníai, skírthma móscou sñß kaqéxonteß ceroîn, eçsponto. plñreß d’ e¬n ceroîn labœn dépaß págcruson ai¢rei ceirì paîß ¯Acilléwß coàß qanónti patrí· shmaínei dé moi sigæn ¯Acaiøn pantì khrûxai stratø¸. ka¬gœ katastàß ei®pon e¬n mésoiß táde· Sigât’, ¯Acaioí, sîga pâß e¢stw leåß, síga siåpa. nänemon d’ e¢sths’ o¢clon. – o™ d’ ei®pen· ¥W paî Phléwß, patær d’ e¬móß, déxai coáß moi tásde khlhthríouß, nekrøn a¬gwgoúß· e¬lqè d’, w™ß píh¸ß mélan kórhß a¬kraifnèß ai©m’ oç soi dwroúmeqa stratóß te ka¬gå· preumenæß d’ h™mîn genoû lûsaí te prúmnaß kaì calinwtäria neøn dòß h™mîn preumenoûß t’ a¬p’ ¯Ilíou nóstou tucóntaß pántaß e¬ß pátran moleîn.

525

530

535

540

Testimonia: 523 schol. in Lycophronem 323 525 e¢kkritoi neaníai ~Eustathius Od. 1956,34 526 móscou ~Eustathius Od. 1653,28 532–33 Draco De Metris poeticis. p. 83,15 Hermann 533 nänemon – o¢clon Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 22 (144,2 Lindstam) 535 khlhthríouß Hesychius K 2501 537 a¬kraifnèß Hesychius A 2534 Codices: M B(523–) O, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz(521–) 528 ai¢rei 527 eçsponto Rw1SagrZb rell. : eçp- PrRwacSaZZb2 : eiçp- PPa MacBacOSagr : e¢rrei M4B3Sa rell., schol.in V 531 katastàß MBFGsRRwSaZc : parastàß B3G rell. e¬n mésoiß O2gr rell. : ¯Argeíoiß O (cf. schol. V: leípei tò a¬rgeíoiß) 532 síga MAFLPaV : sîga BacO2grAsZm2 rell., Draco : sigâ vel sig⸠535 moi JU : mou rell. 539 dè GK McB3OPrRRwSZc : sigñ RsSaZmac 540 dòß BPaRwZb rell. : dòß d’ B3GKPasPrRw1SVxZbrZm preumenoûß codd. : eu¬maroûß Heimsoeth : h™súcou Kovacs t’ rell. : tád’ Sa : om. PaPrSVxTz 541 pántaß om. PZu pátraß MA

Verse 523–541

157

Da nahm Achilleus’ Sohn Polyxene bei der Hand trat auf des Hügels Spitze; ich daneben. Erlesene, auserwählte Jünglinge der Achäer 525 folgten, ein Zappeln deines Kalbes mit den Händen zu verhindern. Einen vollen Becher ganz aus Gold nahm in die Hände der Sohn Achills und hob ihn mit der Hand zur Spende für den toten Vater. Er gab mir das Zeichen, Schweigen dem ganzen Heere der Achäer zu gebieten. 530 Und ich trat vor und sagte in ihrer Mitte dies: „Schweigt, ihr Achäer, still sei das ganze Heer, still, schweigend!“ Zur Ruhe brachte ich die Menge. – Er aber sprach: „Sohn des Peleus, mein Vater, nimm von mir diese Güsse an, die Toten zu besänftigen 535 und herzulocken! Komm denn, zu trinken das schwarze, unvermischte Blut des Mädchens, das wir dir schenken, das Heer und ich! Werde uns wohlgesinnt und gib, dass wir am Heck der Schiffe die Haltetaue lösen können, glückliche Heimkehr von Ilion erhalten 540 und alle ins Vaterland gelangen.“

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2. Epeisodion (484–628)

tosaût’ e¢lexe, pâß d’ e¬phúxato stratóß. ei®t’ a¬mfícruson fásganon kåphß labœn e¬xeîlke koleoû, logási d’ ¯Argeíwn stratoû neaníaiß e¢neuse parqénon labeîn. – h™ d’, w™ß e¬frásqh, tónd’ e¬sämhnen lógon· ¥W tæn e¬mæn pérsanteß ¯Argeîoi pólin, e™koûsa qnä¸skw· mä tiß açyhtai croòß tou¬moû· paréxw gàr dérhn eu¬kardíwß. e¬leuqéran dé m’, w™ß e¬leuqéra qánw, pròß qeøn, meqénteß kteínat’· e¬n nekroîsi gàr doúlh keklñsqai basilìß ou®s’ ai¬scúnomai. laoì d’ e¬perróqhsan ¯Agamémnwn t’ a¢nax ei®pen meqeînai parqénon neaníaiß. [oi™ d’, w™ß tácist’ h¢kousan u™státhn o¢pa, meqñkan, ou©per kaì mégiston h®n krátoß.] –

545

550

555

ka¬peì tód’ ei¬säkouse despotøn e¢poß, laboûsa péplouß e¬x a¢¬kraß e¬pwmídoß e¢rrhxe lagónaß e¬ß mésaß par’ o¬mfalòn

Testimonia: 546 e¬frásqh Hesychius E 7539 548–551 kteínate Philo Iudaeus 6,33,9 Cohn–Wendland 553 – e¬perróqhsan Eustathius Il. 28,20 555 schol. rec. ad Luc. Pseudol. 10 (vol. IV p. 236 Jacobitz) 555 u™státhn o¬pa ~Eustathius Il. 25,42 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = Z(–551) ZbZcZmZu, Tz 544 e¬xeîlke Zcc rell. : -eîle RwZbZcac koleoû BacL1irPaZc rell. : koul3 1 s 546 e¬sämane(n) PZ : -mainen Gx 547 pólin B OAFGPa RwSSaZbZc Zm SgrSagr rell. : cqóna GKSSa 548 açyhtai rell., Philo (codd. rell.) : açyetai FR : açyaito Philo (codd. QT) 549 gàr M2 rell., Philo (codd. rell.) : dè MacL, Philo (codd. AQT) 550 e¬leuqéra rell., Philo : -an PXa 551 kteínat(e) rell., schol. BV, Philo : kteínet(e) MPaxTz, schol. M 553 t’ MBAFPaPrRRwxZc : d’ rell. 555–56 delevit Jacobs 555 u™státhn B rell., Eustathius, schol. Luc. : -éran MBgr 559 lágonaß GacPr rell. : -oß GcPax : -wn Prs : [S] mésaß Brunck : méson codd.

Verse 542–559

159

So sprach er, und das ganze Heer betete. Dann packte er das goldumhüllte Schwert am Griff und zog es aus der Scheide, und den auserwählten jungen Männern des Argiverheeres gab er einen Wink, die Jungfrau zu ergreifen. – 545 Doch als sie es bemerkte, sprach sie dies: „Ihr Argiver, die ihr meine Stadt zerstört habt, freiwillig sterbe ich. Niemand berühre meinen Leib, ich biete meinen Hals mit mutigem Herzen dar. Lasst mich frei und tötet mich als eine Freie, 550 bei den Göttern, so dass ich als Freie sterbe. Denn bei den Toten Sklavin zu heißen schäme ich mich, weil ich eine Königin bin.“ Die Leute riefen Beifall, und der Herrscher Agamemnon befahl den jungen Männern, die Jungfrau loszulassen. [Die aber ließen los, als sie das letzte Wort 555 des Mannes hörten, der die höchste Macht besaß.] – Und als sie dieses Wort des Herren hörte, ergriff sie ihr Gewand oben an der Schulter, zerriss es mitten bis zu den Flanken am Nabel

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2. Epeisodion (484–628)

mastoúß t’ e¢deixe stérna q’ w™ß a¬gálmatoß kállista, kaì kaqeîsa pròß gaîan gónu e¢lexe pántwn tlhmonéstaton lógon· ¯Idoú, tód’, ei¬ mèn stérnon, w® neanía, paíein proqumñ¸, paîson, ei¬ d’ u™p’ au¬céna crä¸zeiß páresti laimòß eu¬trepæß o¢de. – o™ d’ ou¬ qélwn te kaì qélwn oi¢ktw¸ kórhß témnei sidärw¸ pneúmatoß diarroáß· krounoì d’ e¬cåroun. h™ dè kaì qnä¸skous’ oçmwß pollæn prónoian ei®cen eu¬scämwn peseîn, krúptous’ aÇ krúptein o¢mmat’ a¬rsénwn creån. – e¬peì d’ a¬fñke pneûma qanasímw¸ sfagñ¸ ou¬deìß tòn au¬tòn ei®cen ¯Argeíwn pónon,

560

565

570

Testimonia: 562 Eustathius Il. 800,27 568 h™ – 570 schol. in Clem.Al. Paed. 2,10 (p. 332,26 Stählin), ~Clem. Al. Strom. 2,23 (p. 192,17 Stählin) 568 qnä¸skous’ – 570 Hermogenes Inv. 4,12 (p. 204,11 Rabe) 568 h™ – 569 Galenus 18,2 (p. 8 Kühn), Lucianus Dem. Enc. 47, ~P. Herculanensis 831 col. I (SBWien 80,1876,756) 569 Plinius Ep. 4,11,9, ~Hierocles Stoicus p. 25,17 ed. v. Arnim, ~Galenus 14 (p. 236 Kühn) 570 ~Eustathius Il. 216,7, ~Clem. Al. Paed. 2,10 (p. 221,9 Stählin) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRwSSaV, x = XXaXb, z = ZbZcZmZu, Tz 560 a¬gálmatoß FsXsXbs rell. : -mata F1x : -mátwn P 561 kaqeîsa L2 rell. : 1c 2m gl katq- AF GLPVZcZmZu : ktaq- PaPrZb : kataq- F S Zb 564 paíein 565 eu¬trepæß BcPc rell. : eu¬prO2grPaPrSagr rell. : témnein OPPasPrsSa 568 qnä¸skous’ codd., Lucianus, Galen., Hermog. (cod. BacLPacPrRSSaXaXb Pc), Clem. Al., P. Herc. : píptous’ Hermog. (codd. PaVMr) 569 eu¬scämwn Plinius, Lucianus (codd. GB), P. Herc. (mäpot’ a¬scämwn) : -mwß BOm rell., Lucianus (cod. F), Gal. 18, Hermog. (codd. rell.) : -mónwß BmOGKSV, Gal. 14, Clem. Al., Hermog. (codd. PaBaVc1) : -[mó]nwß Hierocles : eu¬sämwß M 570 krúptous’ aÇ B3grO2gr KgrPPa, Clem. Al., Hermog., Eust. : -ousá q’ aÇ A : -ein q’ aÇ BOFKSa rell. : -ousa B3sF2grSas a¬rsénwn rell. : a¬r(r)énwn PaRRw, Clem. Al. versum delent grammatici quidam, cf. schol. rec. (e¢pesen ei¬ß tò kakózhlon, oçper kakízousin oi™ o¬belízonteß)

Verse 560–572

und zeigte Brust und Busen wie von einer Statue, sehr schöne, ließ das Knie zur Erde nieder und sprach die allerunglücklichsten Worte: „Sieh her, junger Mann, wenn du die Brust zu treffen vorhast, schlag zu, doch wenn den Hals, ist meine Kehle hier bereit.“ – Der aber, entschlossen und auch nicht aus Mitleid mit dem Mädchen, schnitt mit dem Eisen durch des Atems Durchgang, und die Quellen flossen. Und noch im Sterben gab sie acht darauf, mit Anstand zu fallen, und verbarg, was man vor Männeraugen bergen muss. – Als sie den Geist aufgegeben hatte nach dem tödlichen Schlag, da tat keiner der Argiver das gleiche:

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560

565

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2. Epeisodion (484–628)

a¬ll’ oi™ mèn au¬tøn tæn qanoûsan e¬k cerøn fúlloiß e¢ballon, oi™ dè plhroûsin puràn kormoùß féronteß peukínouß, o™ d’ ou¬ férwn pròß toû férontoß toiád’ h¢kouen kaká· ÷Esthkaß, w® kákiste, tñ¸ neanídi ou¬ péplon ou¬dè kósmon e¬n ceroîn e¢cwn; ou¬k ei® ti dåswn tñ¸ períss’ eu¬kardíw¸ yucän t’ a¬rísth¸; – toiád’ a¬mfì sñß légwn paidòß qanoûshß eu¬teknwtáthn té se pasøn gunaikøn dustucestáthn q’ o™rø. Co.

deinón ti pñma Priamídaiß e¬pézesen pólei te th¬mñ¸ qeøn a¬nagkaîsin tóde.

Ek.

w® qúgater, ou¬k oi®d’ ei¬ß oçti bléyw kakøn polløn paróntwn· h£n gàr açywmaí tinoß

575

580

585

Testimonia: 574 oi™ – 575 peukínouß Choeroboscus in Theod. 64,25 574 dè plhroûsin ~Anecdota Oxoniensia 4,182,17 Cramer 581–82 ~Choeroboscus in Theod. 76,35, Anecdota Oxoniensia 4,414,17 Cramer 583 Etymologicum Genuinum s.v. e¬pézesen (unde EM 355,15) Imitatio: 584 qeøn – tóde Accius Hec. fr. 481 Klotz = 375 Warmington Codices: MBO gV(585–), AFGKLPPaPrR Rf(573–) RwSSaV, x = XXaXb, z = Zb ZcZmZu, Tz 573 au¬tæn x 574 dè plhroûsin rell. : d’ e¬plhroûsan O, Choerob. : dè plhroûsan An. Ox. : d’ e¬pepläroun S : d’ e¬pläroun Sa 578 pétalon ou¬dè kormòn Bergk et Schott 580 légwn MBacRfsV2s et schol.le M : légon M2BcV rell. : klúwn Wecklein 581 eu¬teknwtáthn MOGacKPaSaXcXaXbZbTz : c ac -otáthn G X rell., An. Ox. : eu¬gonwtáthn P té se codd. : légw Wecklein té Reiske : dé codd., Choerob., An.Ox. 582 q’ o™rø S1 rell., Choerob. (cod. C) : o™rø FGPaSx, Choerob. (codd. VO), An .Ox. : dé se Wecklein 584 a¬nagkaîsin Herwerden : a¬nagkaîon codd., sch.in M 585 kakøn gV V rell. : kakòn O gVs PV2s

Verse 573–586

163

Die einen warfen auf die Tote Blätter, die andern errichteten den Scheiterhaufen und brachten Fichtenstämme. Doch wer nichts brachte, 575 musste von dem, der etwas brachte, solche schlimme Rede hören: „Was stehst du da, du schlechter Mensch, und hast für das Mädchen gar kein Gewand und keinen Schmuck in Händen? Geh doch und bring etwas für sie, die über die Maßen tapfer und sehr edelmütig war!“ – Dies sage ich über deine 580 tote Tochter und sehe, dass du von allen Frauen die besten Kinder und zugleich das größte Unglück hast. Cho. Furchtbar wallte dieses Leid auf gegen das Haus des Priamos und gegen meine Stadt durch göttliche Notwendigkeit. Hek. Meine Tochter, ich weiß nicht, auf welches Unglück ich blicken soll, weil es so viele gibt. Wenn ich an eins mich halte,

585

164

2. Epeisodion (484–628)

tád’ ou¬k e¬â¸ me, parakaleî d’ e¬keîqen au® lúph tiß a¢llh diádocoß kakøn kakoîß. kaì nûn tò mèn sòn wçste mæ sténein páqoß ou¬k a£n dunaímhn e¬xaleíyasqai frenóß· tò d’ au® lían pareîleß a¬ggelqeîsá moi gennaîoß. – ou¢koun deinón, ei¬ gñ mèn kakæ tucoûsa kairoû qeóqen eu® stácun férei, crhstæ d’ a™martoûs’ w©n creœn au¬tæn tuceîn kakòn dídwsi karpón, a¢nqrwpoi d’ a¬eì o™ mèn ponhròß ou¬dèn a¢llo plæn kakóß, o™ d’ e¬sqlòß e¬sqlòß ou¬dè sumforâß uçpo fúsin diéfqeir’ a¬llà crhstóß e¬st’ a¬eí; a®r’ oi™ tekónteß diaférousin h£ trofaí; e¢cei ge méntoi kaì tò trefqñnai kaløß

590

595

600

Testimonia: 587 parakaleî – 588 a¢llh Lexicon Vindobonense 148, 16 588 diádocoß – kakoîß Eustathius Epist. 4 (311,28 Tafel) 591–92 gennaîoß Gregorius Corinthius 64 591 a¬ggelqeîsa – 592 gennaîoß Eustathius Il. 333,44, 793,2, Od. 1403,57, Anonymus De perf. or. (Rh. Gr. 3,585,19 Walz) 596– 98 Thomas Magister Presb. (An. Gr. 2,206 Boissonade) 596–97 e¬sqlòß e¬sqlòß Libanius Or. 64,47 599 Eustathius Il. 930,41 600–02 Stobaeus 2,31,1 600– 01 e¬sqloû schol. Od. 3,43 600 Georgius Pachymeres Decl. 9 (171 Boissonade) 600 qrefqñnai ~Eustathius Il. 519,41, ~Hesychius Q 726 Codices: MBO gV, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = Z(593 kairoû –) ZbZcZmZu, Tz 587 tád’ Kovacs : tód’ codd. 589 páqoß SSa rell. : pénqoß SgrSagr 1 592 gennaîoß BOAFKR Rf rell., testimonia, cf. etiam schol. B (a¬ttikøß w™ß tò klutòß a¬mfitríth) et schol. V (a¬ntì toû gennaía) : -aía B3sO2sAsF2sKsRacRfs 593 eu® stácun KPS, sch.in MBV (stácun kalón) : eu¢stacun MBV rell. 595 a¢nqrwpoi (vel e¬n brotoîß) Hermann : -oiß codd. 599–602 del. Sakorraphos 600 e¢cei rell., Stob., schol. Od., Pachymeres : -oi RfXb ge méntoi Lac rell., schol. Od. : ge mén ti FsK : ge toí ti MBFLcRRfx : gé toi A : gé ti Stob. : méntoi Z : mén ti Pachymeres qrefqñnai RfZbgrZm2 rell., schol. Od., Eust., Hesych. : t trefqñnai FT : trafñnai GLPa Rf2sRwZbZcZmZuTz, Stob., Pachymeres

Verse 587–600

dann lassen sie mich nicht, sondern es ruft von dorther ein anderes Leid mich herbei, mit seinem Unglück Nachfolger von anderem Unglück. Auch jetzt könnte ich nicht dein Leid aus meinen Gedanken löschen, so dass ich es nicht beklagte, doch den allzustarken Schmerz nahmst du von mir, da man mir meldete, dass du edel warst. – Wär es nicht seltsam, dass ein schlechter Boden, wenn die Götter rechtes Wetter senden, gute Ernte trägt, doch ein guter, wenn er nicht erhält, was er bekommen sollte, nur schlechte Frucht hervorbringt, dass bei Menschen aber der schlechte niemals anders wär als schlecht, der gute gut und nicht einmal ein Unglück sein Wesen verderben könnte, sondern er immer gut bliebe? Machen die Eltern den Unterschied oder die Erziehung? Freilich vermittelt auch gute Aufzucht

165

590

595

600

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2. Epeisodion (484–628)

dídaxin e¬sqloû· toûto d’ h¢n tiß eu® máqh¸, oi®den tó g’ ai¬scròn kanóni toû kaloû maqån. – kaì taûta mèn dæ noûß e¬tóxeusen máthn, sù d’ e¬lqè kaì sämhnon ¯Argeíoiß táde, mæ qiggánein moi mhdén’ a¬ll’ ei¢rgein o¢clon tñß paidóß. e¢n toi muríw¸ strateúmati a¬kólastoß o¢cloß nautikä t’ a¬narcía kreísswn puróß, kakòß d’ o™ mä ti drøn kakón. – sù d’ au® laboûsa teûcoß, a¬rcaía látri, báyas’ e¢negke deûro pontíaß a™lóß, w™ß paîda loutroîß toîß panustátoiß e¬män, númfhn t’ a¢numfon parqénon t’ a¬párqenon, loúsw proqømaí q’ – w™ß mèn a¬xía, póqen;

605

610

Testimonia: 602 schol. T Il. 6,351 603 taûta – máthn Eustathius Il. 930,42 607 Dio Chrysostomus 32,86 607 – o¢cloß Synagoge (cod. B) A 740 (unde Photius Lexicon A 780) 607 nautikä – 608 puróß Eustathius Il. 55,19, ~Eustathius Macrembolites 7,13,1 612 ~Eustathius Macrembolites 11,5,3 613 w™ß – póqen Thomas Magister 274, 7 Imitatio: 603 Poeta anonymus (An.Par. 4,347,17) Papyrus: P6 (604–07) Codices: MBO gV(–602), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 601 máqh¸ rell., schol. MBV, Stob. : -oi GPaRRfRwSV 602 g’ F3 rell., Stob., ac maqån codd. : staqmøn Wakefield : metrøn Porson schol. T Il. : d’ F PrR 603 e¬tóxeuse(n) FSSa rell., schol. V, schol.le Sa, Eust., An. Par. : e¬xet- FcPPaRRw, schol.le S 604 sämanon FSa : sämeinon ZZb 605 moi Dr (coniecit Schaefer) : mou Lc rell., schol. MB : om. L 606 e¢n toi GKVgr rell. : e¬n gàr GrKsLV : e¢n ti Rf : e¢nqen toi Sa 607 a¬narcía codd., Eust. Il., Eust. Macr. : a¬taxía Dio Chrys. 609 teûcoß MacBOGK2grRxTt : ta¢ggoß M3MsB3OsKRfSaTz rell. (a¢ggoß etiam O2glSglSagl, a¬ggeîon MglGglRgl): tw¢ggoß P : téggoß Rgr : tágkoß PaPrRfcS látri Vc rell. : -h RfRw : -iß VacZc 610 e¢negke Paac rell. : -kai KPPa1xZb 613 a¬xía póqen M rell. : tuceîn rell., schol.in MBV : -an BFPPrRwSaz, Thom. Mag. MgrOSagl

Verse 601–613

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die Lehre edlen Handelns. Wenn jemand dies aber gut gelernt hat, kennt er das Schlechte, das er mit des Guten Maßstab erfasst. – Das sind Gedankenpfeile, die ich müßig abschoss. Du aber geh, sag den Argivern an: Es soll mir keiner sie berühren, fernhalten soll man die Menge von dem Mädchen. Im unendlich großen Heer gibt es Gesindel, hemmungsloses, und Matrosenpack, schlimmer als Feuer. Dort gilt der als schlecht, der bei schlimmem Tun nicht mittut. – Doch du nimm ein Gefäß, uralte Dienerin, tauch es ein, bring Meerwasser, dass ich mein Kind, Braut ohne Hochzeit, Jungfrau, nicht mehr Jungfrau, mit letzter Waschung versehen und aufbahren kann. Wie es sich gehört – wie denn?

605

610

168

2. Epeisodion (484–628)

ou¬k a£n dunaímhn· w™ß d’ e¢cw (tí gàr páqw;), kósmon g’ a¬geíras’ ai¬cmalwtídwn pára, aiç moi páredroi tønd’ e¢sw skhnwmátwn naíousin, ei¢ tiß toùß newstì despótaß laqoûs’ e¢cei ti klémma tøn au™tñß dómwn. – w® scämat’ oi¢kwn, w® pot’ eu¬tuceîß dómoi, w® pleîst’ e¢cwn kállistá t’, eu¬teknåtate Príame, geraiá q’ hçd’ e¬gœ mäthr téknwn, w™ß e¬ß tò mhdèn hçkomen, fronämatoß toû prìn sterénteß. – ei®ta dñt’ o¬gkoúmeqa, o™ mén tiß h™møn plousíoiß e¬n dåmasin, o™ d’ e¬n polítaiß tímioß keklhménoß; tà d’ou¬dén, a¢llwß frontídwn bouleúmata glåsshß te kómpoi. keînoß o¬lbiåtatoß oçtw¸ kat’ h®mar tugcánei mhdèn kakón.

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620

625

Testimonia: 619 – oi¢kwn Lexicon Vindobonense 168,10 622–23 Orio Flor. 8,16 Haffner 623 ei®ta – o¬gkoúmeqa Theodorus Metochites p. 183 Kiessling–Müller 627 keînoß – 628 Tzetzes Exeg. in Iliadem (145,5 Hermann) Imitatio: 627 keînoß – 628 Ennius Hec. fr. 212 Warmington = inc. fab. fr. 354 Klotz Codices: MBO gV(622–28), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz(–628) 615 g’ Wakefield : t’ codd., schol. MBV 616 tønd’ V2 rell. : tøn MRwSaV 2gr 617 naíousin O S rell. : qássousin OGKSsV 618 au™tñß Kc : au¬tñß Kac rell. 620 kállistá t’ B3K1V3Tt rell. : kállista k’ MBacOsA1KacVacTz : kállist’ OAacL : kállista Sx : málistá t’ Harry eu¬teknåtate M3BATt rell. : -åtata M 621 ghraiá : -ótate BcAsFPrRRwSSaVZZu : eu¬gonåtate PZcTz (cf. v. 581) FPaPrRRfRwZZbZm 622 e¬ß rell., Orio : om. RSSa 624 plousíoiß e¬n LcZb1 rell. : ploúsioß e¬n LZb : plousíoisi (e¬n om.) Bothe 626 tà d’ BO, schol. B : post ou¬dén interpungunt rell., schol.in B, post a¢llwß KPrRfRw, tád’ Os rell. le schol. B (cf. etiam Mgl mataíwß) 627 glåtthß Ssa

Verse 614–628

Das könnte ich nicht! Doch wie ich es kann (Was bleibt mir denn sonst übrig?), will ich Schmuck sammeln von den Kriegsgefangenen, die mit mir im Zelt darinnen wohnen, wenn eine heimlich vor den neuen Herren etwas aus ihrem eigenen Haus gestohlen hat. – Pracht der Paläste, Haus, das einst glücklich war, du, der sehr viel Schönes besaß, sehr reich an Kindern war, Priamos, und ich hier, der Kinder alte Mutter! Wie sind wir doch ins Nichts geraten! Der alte Stolz ist fort! – Da bilden wir uns etwas ein, der eine von uns in reichem Haus, der andere bei den Bürgern hoch geehrt genannt? Das ist ein Nichts, vergebliche Pläne, hochtönendes Geschwätz! Der ist der Glücklichste, der von Tag zu Tage nicht zu Schaden kommt.

169

615

620

625

170

2. Stasimon (629–56)

2. Stasimon (629–56) Co.

¯Emoì crñn sumforán, e¬moì crñn phmonàn genésqai, ¯Idaían oçte prøton uçlan ¯Aléxandroß ei¬latínan e¬támeq’, açlion e¬p’ oi®dma naustoläswn ¿Elénaß e¬pì léktra, tàn kallístan o™ crusofaæß ÷Alioß au¬gázei.

str.

pónoi gàr kaì pónwn a¬nágkai kreíssoneß kukloûntai· koinòn d’ e¬x i¬díaß a¬noíaß kakòn t⸠Simountídi g⸠o¬léqrion e¢mole sumforá t’ a¬p’ a¢llwn, e¬kríqh d’ e¢riß, aÇn e¬n ºIda¸ krínei trissàß makárwn paîdaß a¬nær boútaß,

a¬nt.

630

633 635

640

643 645

Testimonia: 635 tàn – 637 Eustathius Il. 397,37 638–39 schol. in Aesch. Sept. 121 b Smith 640-41 kakòn ~Eustathius Il. 42,2, ~397,15 646 boútaß Hesychius B 988 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt(629–) 629 sumforán rell. : phmonán SSa 630 phmonàn rell. : sumforàn SSa 635 e™lénhß LRwSa tàn codd. : hÇn Eust. 637 hçlioß FPV, Eust. 638 kaì om. LZb 639 kreíssoneß rell. : meízoneß OSSaV (cf. schol. MBV meízoneß kaì ceíroneß) 641 tñ¸ FXaXb simountídi Zb1Zm1 rell. : -tída¸ BALP Pr ac ac RfRwZb Zm gñ¸ FPXaXb 642 sumforá t’ a¬p’ codd., schol. V : sumfor⸠t’ 645 krínei RfRw rell. : -oi e¢p’ Stinton 643-45 i¢da¸ Sas rell. : i¢dh¸ FSa FGKPPrRf2sRwsS

Verse 629–646

171

2. Stasimon (629–56) Cho. Mir war bestimmt, dass mir Unglück, mir war bestimmt, dass mir Leid geschah, als am Ida zuerst Alexandros das Fichtenholz schlug, auf des Salzmeers Flut mit dem Schiff zu fahren, hin zu Helenas Bett, die als schönste der goldstrahlende Helios bescheint. Leiden und Zwänge, schlimmer als Leiden, umkreisen mich. Ein gemeinsames Übel kam aus dem Unverstand eines Einzelnen verhängnisvoll über das Land am Simoeis und Unheil, das von anderen kam. Entschieden wurde der Streit, den auf dem Ida entschied über die drei Töchter der Seligen der Rinderhirt,

630 633 635

640 643 645

172

2. Stasimon (629–56)

e¬pì dorì kaì fónw¸ kaì e¬møn meláqrwn låba¸. sténei dè kaí tiß a¬mfì tòn eu¢roon Eu¬råtan Lákaina poludákrutoß e¬n dómoiß kóra, polión t’ e¬pì krâta máthr téknwn qanóntwn tíqetai céra drúptetai pareián, díaimon o¢nuca tiqeména sparagmoîß.

e¬pw¸d.

648 650 652 655 656

Testimonium: 655 drúptetai Hesychius D 2436 Papyrus: P7(651–) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 650 eu¢roon Hermann : eu¢rroon Sa : eu¢rron S : eu¢roun SagrZb rell. : eu¢rroun 652 polión vel poliòn V2s rell. : polián vel poliàn FPPaRfRwSsVZb1 LPrRfRwVz, schol. V t’ rell. : d’ LPVZZbZmZu máthr MOASSaZbZcZmZu Tt : mhr Z : mäthr rell. 655 tíqetai céra delevit Biehl drúptetai Zcac rell. : -taí te AFGKPPaxZbZc1Zm et fortasse P7 : -tai dè V : -taí te vel -taí t’ Diggle 656 díaimon BO rell. : dídumon B3grO2gr tiqeménh PPrRfZu sparagmoîß fortasse om. P7

Verse 648–656

173

zu Speer und Mord und meines Hauses Zerstörung. 648 Es seufzt auch am schönfließenden Eurotas 650 tränenreich im Haus manches lakonische Mädchen. An ihr graues Haupt legt manche Mutter wegen der toten Kinder ihre Hand, zerkratzt die Wange, 655 macht die Nägel blutig und zerfleischt sich. 656

174

3. Epeisodion (658–904)

3. Epeisodion (658–904) Qerápaina Gunaîkeß, ¿Ekábh poû poq’ h™ panaqlía, h™ pánta nikøs’ a¢ndra kaì qñlun sporàn kakoîsin; ou¬deìß stéfanon a¬nqairäsetai. Co. tí d’, w® tálaina sñß kakoglåssou boñß; w™ß ou¢poq’ euçdei luprá sou khrúgmata. Qe. ¿Ekábh¸ férw tód’ a¢lgoß· e¬n kakoîsi dè ou¬ r™á¸dion brotoîsin eu¬fhmeîn stóma. Co. kaì mæn perøsa tugcánei dómwn uçpo hçd’, e¬ß dè kairòn soîsi faínetai lógoiß. Qe. w® pantálaina ka¢ti mâllon h£ légw, déspoin’, o¢lwlaß kou¬két’ ei®, blépousa føß, a¢paiß a¢nandroß a¢poliß e¬xefqarménh. Ek. ou¬ kainòn ei®paß, ei¬dósin d’ w¬neídisaß. a¬tàr tí nekròn tónde moi Poluxénhß hçkeiß komízous’, h©ß a¬phggélqh táfoß pántwn ¯Acaiøn dià ceròß spoudæn e¢cein; Qe. hçd’ ou¬dèn oi®den, a¬llá moi Poluxénhn qrhneî, néwn dè phmátwn ou¬c açptetai.

658 660

665

670

675

Testimonium: 663 e¬n – 664 Orio Flor. 8,17 Haffner Papyrus: P7(–669) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt(–670) Tz(671–) 662 sou codd. : moi Herwerden 663 dè codd. : gàr P7 : om. Orio 665 uçpo B3irZbZmac : uçper P7 OARfXmZrgrZcmZmcZu rell. : a¢po B3grO1A2sF PpaPr 666 dè kairòn Zm1 rell. : kairòn dè RfsSaVxZZbrZcZusTt : om. S (cf. v. 53) ac ALPaxZ : kairòn MGRZbZm 667 ka¢ti Kir rell. : ka®ti BGPax : kaì e¢ti 1 668 kou¬két’ LcZmc rell. : ou¬két’ MPrRRfRw V : ka¢pi SSa : e¢ti Rwac ac ac FL RfRwXaZZbZm kou¬kéti blépeiß fáoß O 672 a¬phggélqh XasXbc rell. 1 ac 673 ceiròß AG e¢cein SsV2gr rell.: -wn SsaV -élh APaXXa Xb

Verse 658–675

175

3. Epeisodion (658–904) Dienerin Frauen, wo ist wohl Hekabe, die ganz unglückliche, 658 die jeden Mann und jedes Weibes Kind besiegt im Unglück. Niemand wird ihr diesen Kranz bestreiten. 660 Cho. Was ist, du Unselige wegen deines schlimm tönenden Geschreis? Denn deine schmerzliche Botschaft gibt keine Ruhe. Die. Hekabe bringe ich dieses Leid. Im Unglück fällt es nicht leicht, mit frommem Mund zu sprechen. Cho. Hier tritt gerade aus dem Zelt 665 sie selbst, erscheint im rechten Augenblick für deine Nachricht. Die. O ganz Unselige, und mehr noch, als ich sagen kann! Herrin, du bist verloren, bist nicht mehr, wenn du auch leben magst, ohne Kind, ohne Mann, ohne Stadt, dahingeschwunden. Hek. Nichts Neues sagtest du, zu einer Wissenden sprachst du 670 schlimme Worte. Aber was kommst du und bringst mir hier den Leichnam Polyxenes, von deren Grab gemeldet war, dass aller Achäer Hände sich darum bemühen? Die. Die weiß noch nichts, nein, um Polyxene weint sie noch immer; das neue Leid erfasst sie nicht. 675

176

Ek. Qe.

Ek.

Qe. Ek.

Qe.

3. Epeisodion (658–904)

oi£ ¯gœ tálaina· møn tò bakceîon kára tñß qespiw¸doû deûro Kassándraß féreiß; zøsan lélakaß, tòn qanónta d’ ou¬ sténeiß tónd’· a¬ll’ a¢qrhson søma gumnwqèn nekroû, ei¢ soi faneîtai qaûma kaì par’ e¬lpídaß. oi¢moi, blépw dæ paîd’ e¬mòn teqnhkóta, Polúdwron, oçn moi Qræ¸x e¢sw¸z’ oi¢koiß a¬när. a¬pwlómhn dústhnoß, ou¬két’ ei¬mì dä. –

680

w® téknon téknon, ai¬aî, katárcomai nómon bakceîon, e¬x a¬lástoroß a¬rtimaqæß kakøn. e¢gnwß gàr a¢thn paidóß, w® dústhne sú; a¢pist’ a¢pista, kainà kainà dérkomai. eçtera d’ a¬f’ e™térwn kakà kakøn kureî, ou¬dé pot’ a¬sténakton a¬dákruton a™méra ’piscäsei. deín’, w® tálaina, deinà páscomen kaká.

Testimonia: 676 bakceîon kára schol. rec. in Eur. Phoen. 21 686 bakceîon Eustathius Il. 241,23

685

690

685 katárcomai –

Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz 676 oi£ ¯gœ P : oi£ e¬gœ rell. (cf. v. 438) 677 kassándraß 680 e¬lpídaß BacRw1 rell. : -da MBOKPPacRwacVXXbZ : kas- PaacRwc rell. BcFLP2RfRwacZ 682 e¢swzen F : e¢swz’ e¬n RRf : e¢sws’ e¬n Rw 684 w® téknon téknon Tz rell. : w® té- PaxTt : w® té- w® té- OSSaZ 685 nómon M2BF2SagrV2Ttir, schol. MBVT, Eust. : -wn MB3sFGgrKgrL2ir rell. : góon Bgr OS : -wn 686 bakceîon MBORF2SaVZmTtir, schol. MgrB3grKL2grPRRfRwSaZrgrZmgr gr 2 3gr 687 a¬rtimaqæß kakøn codd. : MBV, Eust. : bakceíwn M M B FZm1 rell. a¬rtimaqñ nómon MgrKgrVgr 688 qe. rell. : co. Xa 690 d’ om. KV a¬f’ B rell. : e¬f’ BOPRfRwSa : a¬mf’ ZZm : e¢m’ a¬mf’ B3 691 a¬sténakton a¬dákruton conieci : -toß -toß Hermann : a¬dákrutoß a¬sténaktoß LcPrsRwxsZb rell., schol.in MV : -ton -ton FLPPaPrRwsxZbr 692 ¯piscäsei Bothe : m’ e¬piscäsei codd. 693 qe. FLSSaVcirXXbZb : co. rell. : qe. co. B

Verse 676–693

177

Hek. O weh, ich Arme, bringst du etwa das bakchantische Haupt der Göttersprüche singenden Kassandra her? Die. Eine, die lebt, hast du genannt, doch diesen Toten hier beklagst du nicht. Darum betrachte den enthüllten Leib des Toten, ob er erstaunlich dir erscheint und unerwartet. 680 Hek. Weh mir, da seh ich meinen toten Sohn, Polydoros, den der Thraker mir in seinem Haus bewahren sollte. Ich bin verloren, ich Unselige, ich bin dahin. O mein Kind, mein Kind! Wehe, ich hebe an eine bakchantische Weise, frisch erlernt ist dies Übel. Es kommt von einem Fluchgeist. Die. Erkennst du deines Sohnes Unheil, du Unselige? Hek. Unglaublich, unglaublich, Neues, Unerhörtes schaue ich. Ein Übel folgt dem anderen Übel. Niemals wird mich ein Tag aufhören lassen zu stöhnen und zu weinen. Die. Furchtbares, du Arme, furchtbar Schlimmes leiden wir.

685

690

178

Ek.

Qe. Ek. Qe. Ek.

Qe.

3. Epeisodion (658–904)

w® téknon téknon talaínaß matróß, tíni mórw¸ qnä¸skeiß, tíni pótmw¸ keîsai, pròß tínoß a¬nqråpwn; ou¬k oi®d’· e¬p’ a¬ktaîß nin kurø qalassíaiß. e¢kblhton h£ péshma foiníou doròß e¬n yamáqw¸ leurâ¸; póntou nin e¬xänegke pelágioß klúdwn. w¢moi ai¬aî, e¢maqon e¬núpnion o¬mmátwn e¬møn o¢yin (ou¬ paréba me fásma melanópteron), aÇn e¬seîdon a¬mfì s, w® téknon ou¬két’ o¢nta Diòß e¬n fáei. tíß gár nin e¢ktein’; oi®sq’ o¬neirófrwn frásai;

Testimonia: 700 leur⸠~Hesychius L 749 Vindobonense 136,14

695

698 700

705

708

708 – o¬neirófrwn Lexicon

Papyrus: P1(701–04), P12(708–) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz 694 w® téknon bis SSa : téknon Rw, w® add. Rws matróß A1 rell. : mhtróß AacPa Vx : mrß ZZm 696 tínwn FRf a¬nqråpou LZ 698 foiníou GK2LPPrVZbZcZmZuTz : fon- Kac rell. 700 e™k. schol. MB (tinèß kaì toûto tñß e™kábhß ei®naí fasin) : qe. MB rell. yamáqw¸ BFZu rell. : yamm701 pelágioß P1ZbZmgrZugr rell. : B3F1KSaVZbZu1 : yámmw¸ FsRRfRw qalassíaiß Zb rell. : -ássioß LSSaZbgrZmZu 702 w¢moi rell. : i¬å moi OP : oi¬å 704 fántasma Matthiae moi moi Z 703 o¬mmátwn BV rell. : o¬mm. t’ FB2 ou¬ paréba me Hermann : ou¢ me paréba codd. 706 aÇn K rell. : hÇn SagrV : oÇ s Murray : s’ vel se codd. : soû R : oçt’ K2grSSa ei¬seîdon PaXXbTz Wecklein : soí Hermann 707 téknon rell. : té- té- RfRw : té-  Zm : té- w™ß Zc (cf. schol. MBV leípei tò w™ß) o¢nta Tt rell. : e¬ónta ORTz : o¢ntoß Wecklein : o¢nti Hermann 708 qe. P12V2 rell. : co. AFGPrRRwSSaVXaZbZu e¢ktein’ rell., Lex.Vind. : e¢ktan’ KSSa o¬neirófrwn MB2SsSas rell., Lex.Vind. : -ófron 2 3 z M B OAPPrSSaVXXaZbZmT : o¬neírwn B frásai AcRRfSZbac rell. : -son ac s s 1 s A LPrRf S SaZb : -swn Sa

Verse 694–708

179

Hek. O Kind, Kind deiner armen Mutter, welchen Tod starbst du, durch welches Schicksal fielst du, 695 von wem unter den Menschen? Die. Ich weiß nicht, an der Meeresküste stieß ich auf ihn. Hek. Ans Land gespült oder gefällt von mörderischem Speer 698 auf flachem Sand? 700 Die. Der Wellenschlag des Meeres warf ihn aus. Hek. O weh mir, weh weh! Jetzt verstehe ich das Traumbild meiner Augen (nicht ging an mir vorbei die schwarzgeflügelte Erscheinung), 705 das ich von dir erblickte, o Kind, das nicht mehr lebt im Licht des Zeus. 707 Die. Wer tötete ihn denn? Kannst du es sagen, klug aus deinem Traum?

180

Ek. Qe. Ek.

Co.

3. Epeisodion (658–904)

e¬mòß e¬mòß xénoß, Qrä¸kioß i™ppótaß, içn’ o™ gérwn patær e¢qetó nin krúyaß. oi¢moi, tí léxeiß; crusòn w™ß e¢coi ktanån; a¢rrht’ a¬nwnómasta, qaumátwn péra, ou¬c oçsi’ ou¬d’ a¬nektá. poû díka xénwn; w® katárat’ a¬ndrøn, w™ß diemoirásw cróa, sidaréw¸ temœn fasgánw¸ mélea toûde paidòß ou¬d’ w¢¸ktisaß. w® tlñmon, wçß se poluponwtáthn brotøn daímwn e¢qhken oçstiß e¬stí soi barúß. – a¬ll’ ei¬sorø gàr toûde despótou démaß ¯Agamémnonoß, tou¬nqénde sigømen, fílai.

710 712 713 715 717 720 722

725

¯Agamémnwn ¿Ekábh, tí mélleiß paîda sæn krúptein táfw¸ e¬lqoûs’ e¬f’ oi©sper Talqúbioß h¢ggeilé moi mæ qiggánein sñß mhdén’ ¯Argeíwn kórhß; h™meîß mèn ou®n e¬ømen ou¬dè yaúomen·

Papyri: P7(710–), P12(–722) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSa V(–711) Va(712–), x = XXaXb, z = Z ZbZcZmZu, Tz 710 e¬mòß semel OPaSSaxZ 712 ancillae tribui, choro codd. w¢moi Px léxeiß e¢coi RfsRwacSaac rell. : -ei AFKLcPaSx rell. : légeiß AsFsKsLacPasSsxs ac 1 r s 1 713-15 e™k. Tz rell. : co. SaTt PPa RfRw : -h GPa PrRw Sa xZbZm 713 a¬nonómasta AG qaumátwn péra delevit Nauck 715 oçsi’ M3Tz rell. : oçsa M : oçsiá t’ GKPaRfRw : oçsiá g’ ZTt 716 w® ATt, schol. T : i¬œ P7 Tz rell. 717 sidaréw¸ P7 LcZm rell. : -hréw¸ MFG1PRRfRwVaZbZms : -ärw¸ G 720 w¬¸ktísaß FSSaTz rell. : oi¬ktísw M : wˆkˆ[ vel oˆiˆkˆ[ P7 : w¬¸ktísw 723 ~ 1087 McFsPaPrRSsxTts : e¬poiktísw KSgrSagr : e¬pw¸ktísw GK2 724 toûde PacZm1 rell. : toû PaacZbZmac : toûto Va : toû ge Vas 726 sæn paîda FPrZu 729 ei¬ømen Nauck ou¬dè yaúomen PrSSa rell. : ou¬dè qáyomen PrgrSgrSagr : ou¬d’ e¬yaúomen Bothe

Verse 710–729

181

Hek. Mein eigener Gastfreund, der thrakische Reiter, bei dem der alte Vater ihn verbarg. Die. Weh mir, was willst du sagen? Um das Gold zu bekommen, brachte er ihn um? Hek. Unsagbar, unnennbar, mehr als erstaunlich, unfromm, unerträglich! Wo bleibt das Gastrecht? O Verwünschter unter den Männern, wie hast du ihm den Leib zerteilt, zerschnitten mit eisernem Schwert; mit den Gliedern dieses Knaben hattest du kein Erbarmen!

710

Cho. Du Arme, wie dich zur leidbeladensten Sterblichen ein Gott gemacht hat, der dir übel will. –

722

Doch seh ich hier des Herrn Gestalt, des Agamemnon. Ihr Lieben, lasst uns von nun an schweigen! Agamemnon Hekabe, was zögerst du zu kommen und dein Kind im Grab zu bergen, wo doch Talthybios mir meldete, keiner der Männer solle das Mädchen berühren? Wir lassen es nun und berühren es nicht,

712 713 715 717 720

725

182

3. Epeisodion (658–904)

sù dè scolázeiß, wçste qaumázein e¬mé. hçkw d’ a¬posteløn se· ta¬keîqen gàr eu® pepragmén’ e¬stín, ei¢ ti tønd’ e¬stìn kaløß. – e¢a· tín’ a¢ndra tónd’ e¬pì skhnaîß o™rø qanónta Tråwn; ou¬ gàr ¯Argeîon péploi démaß periptússonteß a¬ggéllousí moi. – Ek.

Ag. Ek. Ag.

dústhn’, e¬mautæn gàr légw légousa sé, ¿Ekábh, tí drásw; pótera prospésw gónu ¯Agamémnonoß toûd’ h£ férw sigñ¸ kaká; tí moi prosåpw¸ nøton e¬gklínasa sòn dúrh¸, tò kranqèn d’ ou¬ légeiß; tíß e¢sq’ oçde; a¬ll’ ei¢ me doúlhn polemían q’ h™goúmenoß gonátwn a¬påsait’, a¢lgoß a£n prosqeímeq’ a¢n. ou¢toi péfuka mántiß, wçste mæ klúwn e¬xistorñsai søn o™dòn bouleumátwn.

730

735

740

Testimonia: 730 wçste – e¬mé Tzetzes Ep. 27 (p. 43,14 Leone) 733 tína – o™rø ~Lexicon Vindobonense 69,7 734 péploi ~Eustathius Il. 559,45 736– 37 ‘Ekábh Eustathius Il. 1128,6 736 Eustathius Od. 1584,54 Imitatio: 730 wçste – e¬mé Aristophanes Aves 1135 (?) Papyri: P1(737–40), P7(–740), P8(739–) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 731 a¬posteløn Rwc rell. : a¬postelløn ORwac : -stéllwn S 733 skhnaîß G2S rell. : -ñß GKScVa : -aîsin Lex.Vind. 734 a¬rgeîon F1K2LPPrRwVaZZbcZc s z s gr s s ac Zm T : a¬rgeíwn AG PaPrR Rw Va xZb ZmTts : -eîoi MBOFacuvGKRRfSa a¬ggéllousí 735 periptússonteß MBK rell. : -stéllonteß Bgr et MglBglKgl AcZcZmc rell. : -élousí MBOAacFRRwSSaZbZcacZmacZu 737 ¿Ekábh om. Rw SSa : Polúdwre R 740 dúrh¸ MBOF, schol. MB : o¬dúrh¸ B3Oc rell. kranqèn GgrKc : kraqèn P1BK : pracqèn B3G rell. 742 prosqeímeq’ a¢n KPaZmc rell. : -qoímeq’ a¢n Va : -qåmeq’ a¢n G : -qämeq’ a£n S : -qåmeqa Pr : -qeímeqa BOPPasZbZmacZu : p]rosqeim[ P8 : -qeímeq’ a¢lgei L : -qåmeq’ a¢lgei F : -qämesq’ a£n a¢lgei Sa : tø¸ a¢lgei GglKgl 743 ou¢toi Zmac rell. : ou¢ ti RZm1 : pou ti Pr

Verse 730–744

du aber zögerst, so dass ich mich wundere. Ich bin da, um dich zu holen. Was dort zu tun war, ist gut getan, sofern davon etwas gut ist. – Sieh da, welchen Mann erblick ich dort am Zelt, einen toten Troer? Denn nicht einen Argiver zeigen mir die Gewänder an, die den Leib verhüllen. – Hek. Du Unselige (ich meine mich, wenn ich Du sage), Hekabe, was soll ich tun? Soll ich dem Agamemnon hier zu Füßen fallen oder mein Unglück schweigend tragen? Ag. Was drehst du meinem Gesicht den Rücken zu und klagst und sagst nicht, was sich da vollendet hat? Wer ist der Mann hier? Hek. Doch wenn er mich für eine Sklavin, eine Feindin hält und wegstößt von den Knien, wär mein Schmerz noch größer. Ag. Ich bin kein Seher, dass ich ohne Hören deiner Pläne Weg erkunden könnte.

183

730

735

740

184

Ek. Ag. Ek.

3. Epeisodion (658–904)

a®r’ e¬klogízomaí ge pròß tò dusmenèß mâllon frénaß toûd’, o¢ntoß ou¬cì dusmenoûß; ei¢ toí me boúlh¸ tønde mhdèn ei¬dénai, e¬ß tau¬tòn hçkeiß· kaì gàr ou¬d’ e¬gœ klúein. ou¬k a£n dunaímhn toûde timwreîn a¢ter téknoisi toîß e¬moîsi. tí stréfw táde; tolmân a¬nágkh, ka£n túcw ka£n mæ túcw. –

Ag. Ek.

¯Agámemnon, i™keteúw se tønde gounátwn kaì soû geneíou dexíaß t’ eu¬daímonoß. tí crñma masteúousa, møn e¬leúqeron ai¬øna qésqai; r™á¸dion gár e¬stí soi. ou¬ dñta· toùß kakoùß dè timwrouménh ai¬øna tòn súmpanta douleúein qélw. kaì dæ tín’ h™mâß ei¬ß e¬párkesin kaleîß; ou¬dén ti toútwn w©n sù doxázeiß, a¢nax. –

Ag. Ek.

o™râ¸ß nekròn tónd’ ou© katastázw dákru; o™rø· tò méntoi méllon ou¬k e¢cw maqeîn. toûton pot’ e¢tekon ka¢feron zånhß uçpo.

Ag. Ek.

745

750

755

760

Imitatio: 760~ Ennius Hec. fr. 213 Warmington = 85 Jocelyn Papyri: P7, P8, P12(746–61) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 745 ge rell. : te PrVa : se S : om. RRfRw 747 toi MBOPaPrRfsVaxZbZm1Zu1 Tz : ti RfZb1ZmacZuac rell. 750 e¬moîß LRRfRwZb tí codd. : poî Nauck (cf. Aesch. Pers. 787) 752 gounátwn MOKLPaSSaxVa2ZbZcZmTz : gon- Vaac (et Vagr) rell. 756–59 om. P7P12, fortasse etiam P8 756–58 om. MBOFGKPrRTz, add. B2mF2mGmKmPrmTtm : habent F(post v. 779) rell. : delevit Nauck 756–57 om. RfRw, add. Rfr, delevit Diggle : solum v. 756 add. Rwm 757 Hirzel post hunc v. coniecit unius versus lacunam douleúein KPr rell. : -sein AKmPrmSSa : -sai 2m 2m 758 Kirchhoff post hunc v. coniecit unius versus lacunam B F Pax e¬párkesin rell. : -keian B2mAF2mxTtm 759 v. delevit Hartung, Hirzel et Diggle posuerunt ante v. 758; Hermann (1831) post hunc v. coniecit unius versus lacunam ti rell. : toi F : om. RRfRw 761 maqeîn P7uvP12 MOgrAFLPPaRfsxzTz : frásai ORfZgrZbgrZmgr rell. 762 kaì e¢feron MBFPrRRfRw

Verse 745–762

Hek. Rechne ich zu sehr damit, dass er feindselig denkt, obwohl er gar nicht feindselig ist? Ag. Wenn du nun willst, dass ich davon nichts weiß, kommt es aufs Gleiche; ich will auch nichts hören. Hek. Ich kann mich ohne ihn nicht rächen für meine Kinder. Was wende ich es hin und her? Ich muss es wagen, ob ich Glück habe oder nicht! – Agamemnon, ich flehe dich an bei diesen Knien und deinem Kinn und deiner siegreichen Rechten. Ag. Nach welcher Sache strebst du? Dass ich dir die Freiheit gebe? Das kannst du leicht erhalten. Hek. Nein! Wenn ich mich an den Bösen rächen kann, will ich mein ganzes Leben Sklavin sein. Ag. Und nun, zu welcher Hilfe rufst du mich? Hek. Nichts von dem, was du vermuten magst, Gebieter. – Siehst du den Leichnam hier, um den ich weine? Ag. Ich sehe ihn, doch was das soll, das kann ich nicht erraten. Hek. Den gebar ich einst und trug ihn unter dem Herzen.

185

745

750

755

760

186

Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek.

3. Epeisodion (658–904)

e¢stin dè tíß søn ou©toß, w® tlñmon, téknwn; ou¬ tøn qanóntwn Priamídwn u™p’ ¯Ilíw¸. h® gár tin’ a¢llon e¢tekeß h£ keínouß, gúnai; a¬nónhtá g’, w™ß e¢oike, tónd’ oÇn ei¬sorâ¸ß. poû d’ w£n e¬túgcan’, h™ník’ w¢lluto ptóliß; patär nin e¬xépemyen o¬rrwdøn qaneîn. poî tøn tót’ o¢ntwn cwrísaß téknwn mónon; e¬ß tände cåran, ou©per hu™réqh qanån. pròß a¢ndr’ oÇß a¢rcei tñsde Polumästwr cqonóß; e¬ntaûq’ e¬pémfqh pikrotátou crusoû fúlax. qnä¸skei dè pròß toû kaì tínoß pótmon tucån; tínoß g’ u™p’ a¢llou; Qrä¸x nin w¢lese xénoß. w® tlñmon· h® pou crusòn h¬rásqh labeîn; toiaût’, e¬peidæ sumforàn e¢gnw Frugøn. hu©reß dè poû nin; h£ tíß h¢negken nekrón; hçd’, e¬ntucoûsa pontíaß a¬ktñß e¢pi. toûton mateúous’ h£ ponoûs’ a¢llon pónon; loútr’ w¢¸cet’ oi¢sous’ e¬x a™lòß Poluxénh¸. ktanån nin, w™ß e¢oiken, e¬kbállei xénoß. qalassóplagktón g’, w©de diatemœn cróa. w® scetlía sù tøn a¬meträtwn pónwn. o¢lwla kou¬dèn loipón, ¯Agámemnon, kakøn.

765

770

775

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Testimonium: 766 – e¢oike ~Synagoge A 740 (unde Photius Lexicon A 2033 ed. Theodoridis) Papyri: P7(–773), P8, P9(765–783) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 764 u™p’ FPrx rell. : e¬n OFsPrsSSaXasXbs 767 ptóliß P9 2 1 t z MBG PPaxZZbZcZm ZuT : póliß GZmT rell. (cf. v. 1209) 769 paídwn GKR 771 polumästwr P9 MBacOGKPXXbZacTz : -tora B3Z2 rell. 774 g’ ArsL1 rell. : d’ GKPrRRfRw : om. AL 778 a¬ktñß Oc rell. : a¬ktìß OacZrgr : a™lòß LPZZb c : masteúous’ B3Kac rell. 779 mateúous’ BAK LPSVaxTz 1ir s 782 qalassóplagktón BOA GK PaVaXXbZmZu : -plhktón K : -plaktón rell. g’ om. PaRRfRwx 784 kakøn A1K1xZ1ZbacZmTz rell. : -ón ac ac s ac s 2 s ts A K Lx Z Z Zb Zm ZuT

Verse 763–784

Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek.

187

Welcher von deinen Söhnen ist dieser hier, du Arme? Keiner der Priamiden, die vor Ilion starben. Gebarst du einen andern noch als jene? 765 Vergeblich, wie es scheint, hier diesen, den du siehst. Wo war er, als die Stadt zerstört wurde? Sein Vater hat ihn fortgeschickt, aus Furcht, er würde sterben. Wohin als einzigen, getrennt von seinen Brüdern, die damals noch lebten? In dieses Land, wo man ihn tot gefunden hat. 770 Zum Mann, der dieses Land beherrscht, zu Polymestor? Hierhin ward er geschickt mit Gold, das ihm sehr bitter wurde. Wodurch starb er, und welches Los ward ihm zuteil? Durch wen denn sonst? Der Thraker hat ihn umgebracht, der Gastfreund. Du Arme, doch wohl, weil ihn Liebe nach dem Gold ergriff. 775 So ist es, als er der Phryger Untergang erfuhr. Wo fandest du ihn, oder wer brachte dir den Leichnam? Die da. Sie fand ihn an des Meeres Ufer. Suchte sie ihn, oder tat sie etwas anderes? Sie holte Wasser aus dem Meer, Polyxene zu waschen. 780 Der Gastfreund warf ihn nach dem Morde wohl ins Meer. Er trieb im Wasser, und so war sein Körper zugerichtet. Du Unglückliche mit deinen unmessbaren Leiden! Ich bin verloren, Agamemnon, und nichts an Leid blieb mir erspart.

188

Ag. Ek.

3. Epeisodion (658–904)

feû feû· tíß ouçtw dustucæß e¢fu gunä; ou¬k e¢stin, ei¬ mæ tæn Túchn au¬tæn légoiß. – a¬ll’ w©nper ouçnek’ a¬mfì sòn píptw gónu a¢kouson. ei¬ mèn oçsiá soi paqeîn dokø, stérgoim’ a¢n· ei¬ dè tou¢mpalin, sú moi genoû timwròß a¬ndróß, a¬nosiwtátou xénou, oÇß ou¢te toùß gñß nérqen ou¢te toùß a¢nw deísaß dédraken e¢rgon a¬nosiåtaton· koinñß trapézhß pollákiß tucœn e¬moì xeníaß t’ a¬riqmø¸ prøta tøn e¬møn xénwn· tucœn d’ oçswn deî kaì labœn promhqían e¢kteine· túmbou d’, ei¬ ktaneîn e¬boúleto, ou¬k h¬xíwsen a¬ll’ a¬fñke póntion. – h™meîß mèn ou®n doûloí te ka¬sqeneîß i¢swß, a¬ll’ oi™ qeoì sqénousi cw¬ keínwn kratøn Nómoß· nómw¸ gàr toùß qeoùß h™goúmeqa kaì zømen a¢dika kaì díkai’ w™risménoi·

785

790

795

800

Testimonium: 786 Eustathius Il. 651,29 Papyrus: P8(–787) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz 785 ouçtw RwcXac rell. : ouçtwß MAPaRRfRwacXXaacXb e¢fu M1KirLcRf1ir rell. : 786 legoiß P8uv MBAGKcLacR : -eiß KacL1Va rell., e¢fh MacALacS : e¢fhß Rf s 788 kei¬ RfRw dokø paqeîn OGKSSa 791 prius toùß Eust. : -hß Va nérqen Mc rell. : AirK1PacR2sRfsVa1 rell. : tñß KacPaacRfRwSaVa : om. RS e¢nerqen MFSa et Pr (om. gñß) 793-97 delevit Nauck, 794-97 Dindorf, 794-95 Matthiae 794 xéniá t’ Markland prøta BZ rell. : tà prøta AB2suvSSa et Zgl xénwn MgrBPaPrZmgrTz rell. : fílwn MB3grLPParPrsRRfRwZbZmZuTt, schol. MB (cf. v.19, 1235) 795 d’ M2 rell. : q’ O : om. M oçswn B3sOF1RRwcSa1Zm1 rell. : -on MBO2FacPaRsRwacSSaZmac 796 h¬boúleto BFPrVa 798 ou®n om. SSaZb te om. SZ 799 sténousi RRfRw 800 h™goúmeqa M rell. : nomízomen Mgl

Verse 785–801

189

Ag. Weh weh! Welche Frau war je so unglücklich? 785 Hek. Wohl keine, wenn du nicht die Unglücksgöttin selber meinst. – Doch warum ich hier dein Knie umfange, das höre! Wenn ich dir gerecht zu leiden schiene, dann gäb ich mich zufrieden, doch wenn das Gegenteil der Fall ist, werde du mir zum Rächer an dem Mann, dem gottverhasstesten Gastfreund, 790 der ohne Scheu vor Unterirdischen und Überirdischen die gottverhassteste Untat beging! Gemeinsam saß er oft mit mir am Tisch, empfing Gastfreundschaft an erster Stelle in meiner Gäste Zahl, bekam, was ihm gebührt, erhielt Fürsorglichkeit 795 – und tötete. Ein Grab, wenn er ihn denn nun töten wollte, gab er ihm nicht. Er warf ihn in das Meer. – Ich bin ein Sklave und ebenso schwach, stark aber sind die Götter und ihr Herrscher, das Gesetz. Denn durch das Gesetz verehren wir die Götter und leben, indem wir Recht und Unrecht unterscheiden.

800

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3. Epeisodion (658–904)

oÇß e¬ß s’ a¬nelqœn ei¬ diafqaräsetai kaì mæ díkhn dåsousin oiçtineß xénouß kteínousin h£ qeøn i™erà tolmøsin férein, ou¬k e¢stin ou¬dèn tøn e¬n a¬nqråpoiß i¢son. taût’ ou®n en¬ ai¬scrø¸ qémenoß ai¬désqhtí me, oi¢ktiron h™mâß, w™ß grafeúß t’ a¬postaqeìß i¬doû me ka¬náqrhson oi©’ e¢cw kaká. túrannoß h® pot’, a¬llà nûn doúlh séqen, eu¢paiß pot’ ou®sa, nûn dè graûß a¢paiß q’ açma, a¢poliß e¢rhmoß a¬qliwtáth brotøn. –

805

810

oi¢moi tálaina, poî m’ u™pexágeiß póda; e¢oika práxein ou¬dén· w® tálain’ e¬gå. – tí dñta qnhtoì ta¢lla mèn maqämata mocqoûmen w™ß cræ pánta kaì mateúomen, Peiqœ dè tæn túrannon a¬nqråpoiß mónhn ou¬dén ti mâllon e¬ß téloß spoudázomen misqoùß didónteß manqánein, içn’ h®¸ pote peíqein aç tiß boúloito tugcánein q’ açma; –

815

Testimonia: 805 Stobaeus 4,41,34 807 w™ß – a¬postaqeìß Thomas Magister 74,12 808 Choeroboscus in Theod. 140,31 (cod. V), schol. Eur. Andr. 250, Thomas Magister 188,10 808 – ka¬náqrhson Eustathius Il. 752,3 814 Orio Flor. 8,18 Haffner Codices: MBO gV(814–19), AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 802 s’ Pa2Xa1Tt rell. : om. PaacXaacTz 805 (= F 1048,1 TrGF) a¬nqråpoiß i¢son codd., Stob. : -oisi søn Kayser 807 oi¢¬kteiron codd. grafeúß M3 rell., schol. 808 ka¬náqroison ZZb MB, Thom. Mag. : raeúß (sc. brabeúß) Mac 809 túrannoß h®n Lcgr : déspoina gàr L (déspoina Ggl) h® Didymus : h®n codd. 810 tót’ O (sicut coniecit Hoffmann) 812 poî RZms rell. : poû LRsZmZu : pñ Va 813 prássein GKSSa 815 mateúomen MuvL : mast- M3 rell. 816 mónhn RfsRwc rell. : -oi RfRwac 817 ou¬dén ti SSa rell. : ou¬ dñta RRwSsSagr 818 h®¸ vel h® M3B3ZucTt rell. : ei¢ gV PaVaZuTz :  MB : [A] : h®n Elmsley 819 tugcánh O gV : [A]

Verse 802–819

Wenn das in deine Hand gelegt wird und es missachtet wird und die nicht büßen, die Gastfreunde töten oder es wagen, Göttertempel zu plündern, dann gibt es keine Gleichheit bei den Menschen. Das halte nun für schimpflich, hab Scheu vor mir und hab Erbarmen! Nimm Abstand wie ein Maler, sieh her und schau mich an in meinem Unglück! Herrscherin war ich einst, nun deine Sklavin, einst reich an Kindern, Greisin nun und kinderlos, heimatlos, allein, die erbärmlichste der Sterblichen. –

191

805

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Weh mir, ich Elende, wohin setzt du den Fuß hinweg von mir? Ich scheine gar zu scheitern, o Elende ich! – Was mühen wir Sterblichen uns um alle andern Wissensgüter, so viel es nötig ist, und strengen uns sehr an, 815 jedoch die Überredung, die einzige Herrscherin der Menschen, warum studieren wir sie nicht viel gründlicher und zahlen Geld dafür und lernen sie, damit es möglich wäre, zu überreden, wozu man will, und zu erreichen, was man will? –

192

3. Epeisodion (658–904)

pøß ou®n e¢t’ a¢n tiß e¬lpísai práxein kaløß; oi™ mèn gàr o¢nteß paîdeß ou¬két’ ei¬sí moi, au¬tæ d’ e¬p’ ai¬scroîß ai¬cmálwtoß oi¢comai, kapnòn dè pólewß tónd’ u™perqrå¸skonq’ o™rø. – kaì mæn i¢swß mèn toû lógou kenòn tóde, Kúprin probállein, a¬ll’ oçmwß ei¬räsetai. pròß soîsi pleuroîß paîß e¬mæ koimízetai h™ foibáß, hÇn kaloûsi Kassándran Frúgeß. poû tàß fílaß dñt’ eu¬frónaß léxeiß, a¢nax; h® tøn e¬n eu¬nñ¸ filtátwn a¬spasmátwn cárin tin’ eçxei paîß e¬mä, keínhß d’ e¬gå; e¬k toû skótou gàr tøn te †nuktérwn brotoî߆

820

825

830

Testimonia: 828–29 schol. Soph. Ai. 520 828 eu¬frónaß Etymologicum Genuinum s.v. eu¬frónh (137 Miller Mélanges) 829 tøn – a¬spasmátwn ~Eustathius Il. 984,36 831–32 Orio Flor. 8,19 Haffner, ~schol. Od. 10,481, Tzetzes Exeg. in Il. (86,10 Hermann) Imitatio: 826f. Ennius Hec. fr. 214 Warmington = 90 Jocelyn Codices: MBO AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 820–23 delevit Herwerden, 821-23 Kovacs 820 pøß B3s rell., Mgl : tíß Va : tí MBO, schol. MB e¬lpísai Gr rell., schol. MB : -sh GKLS prâxai RfRw m z 821 gàr o¢nteß GVa T rell. : tosoûtoi AF2G2GgrPPaVa2grxTt : tosoíde BFPrVa 822 au¬tæ Mc rell. : auçth MacA ai¬scroîß OSa rell. : e¬cqroîß OgrRSagr oi¢comai 823 tónd’ Kc rell. : tón q’ FKac : tñsd’ RfRwSa O2gr rell. : o¢llumai O 824 kenòn codd. : xénon Nauck u™perqrå¸skonq’ B rell. : -téllonta B3gr 826 soîsi MOAKxZZcsTz : toîsi S : sñ¸si SaZc rell. : saîsi BFPrSaacVa pleuroîß MOAKSxZcsTz : -aîß RfsZc rell. : -ñ¸ß RRfRw : -ñ¸si G e¬mæ 827 kassándran BOKPPaRwSVax K1L1PacVa2 rell. : e¬moì AKacLacPaacVaac ZTt : kas- Tz rell. versum delevit R. Haupt 828 léxeiß Diggle : deíxeiß codd., schol. Soph., Et.Genuinum 829 h® Diggle : h£ codd. 830 tin’ Porson : tín’ codd. 831-32 nondum sanati, delevit Matthiae 831 skótou MOAGacK : -ouß G1 rell., Orio, Tzetzes gàr tøn te B3grA F2sG1irLPaxzTz : te tøn te MBFGacKPPrSsVa, Orio, Tzetzes : toi tøn te O : te RRfRwSSa nuktérwn brotoîß BacGacSsVa rell., Orio : n- pánu B2AG1PaVasxTz : n- t’ a¬spasmátwn SSa : n- a¬spasmátwn RRfRw : n- Tzetzes : n- dè schol. Od. : nukterhsíwn Nauck

Verse 820–831

Wie könnte man denn noch auf Wohlergehen hoffen? Die Kinder, die ich hatte, habe ich nicht mehr, ich selbst erniedrigt, kriegsgefangen, bin verloren, sehe den Rauch der Stadt, der dort emporsteigt. – Und doch – vielleicht ist dieser Teil der Rede wirkungslos, Kypris ins Feld zu führen, dennoch soll es gesagt werden. An deiner Seite ruht mein Kind, die Seherin des Phoibos, Kassandra nennen sie die Phryger. Was sind dir deine Liebesnächte wert, mein Herr? Wird für den sehr freundlichen Empfang im Bett mein Kind wohl etwas Dank bekommen und ich von ihr? Denn aus dem Dunkel und der nächtlichen Liebe

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3. Epeisodion (658–904)

fíltrwn megísth gígnetai brotoîß cáriß. a¢koue dä nun. tòn qanónta tónd’ o™râ¸ß; toûton kaløß drøn o¢nta khdestæn séqen dráseiß. – e™nóß moi mûqoß e¬ndeæß e¢ti. ei¢ moi génoito fqóggoß e¬n bracíosin kaì cersì kaì kómaisi kaì podøn básei h£ Daidálou técnaisin h£ qeøn tinoß, w™ß pánq’ a™™martñ¸ søn e¢coito gounátwn klaíont’, e¬piskäptonta pantoíouß lógouß. –

840

w® déspot’, w® mégiston ÷Ellhsin fáoß, piqoû, parásceß ceîra tñ¸ presbútidi timwrón, ei¬ kaì mhdén e¬stin a¬ll’ oçmwß. e¬sqloû gàr a¬ndròß tñ¸ díkh¸ q’ u™phreteîn kaì toùß kakoùß drân pantacoû kakøß a¬eí.

845

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Testimonia: 834–35 dráseiß Thomas Magister 196,13 et 362,11 836–38 Tzetzes Chil. 1,514-16 836–37 Etymologicum Genuinum (B brevius, plenius EM 26,56 et Etym. Sym. p. 112 Lasserre-Livadaras), ~Eustathius Il. 261,36 836 Orio Flor. 8,20 Haffner 837 Paroemiaci Graeci ed. Gaisford p. 145 n. 282) 844–45 Orio Flor. 6,2 et 8,21 Haffner, Stobaeus 3,9,3 844 e¬sqloû – a¬ndròß Choricius 8,35 (sed vide etiam Soph. Ion F 319 TGrF) Imitatio: 837 kaì cersì kaì kómaisi Ennius Hec. fr. 215 Warmington = Trag. Rom. fr. adesp. 213a Klotz Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 832 megísth gígnetai brotoîß cáriß MBAGKPaVasxZTt, schol. Od. : c- m- g- bTzetzes : m- g- qnhtoîß c- M3OG1K2LPSSaVaZcZmZuTz, Orio : m- g- toîß qnhtoîß c- Pr : m- g- c- F : o™moû te toîß brotoîß pollæ c- RRfRw 833 dæ nun Matthiae : dæ nûn rell. : nûn SSa 835 eu® dráseiß SSa, Thom. Mag. 837 podøn básei BO2gr rell., testimonia : badísmasin BgrO 839 a™martñ¸ Wackernagel : o™martñ¸ codd. e¢coito BFGRf rell. : -nto B3sAF2sGrsPrRfsSSaXXaZu (cf. v. 1159) 842 parásceß MacOPac : gounátwn K1 rell. : gon- AKacPPaPrSSaZZbZmZu 3 1 c t z 845 pantacoû rell., párasce M A P T rell. : párece A : pár T testimonia : -cñ GK

Verse 832–845

erwächst den Menschen größte Freude und Dankbarkeit. Nun höre! Wenn du diesem Toten, den du siehst, Gutes tust, wirst du es deinem Schwager tun. – Ein Wort muss ich noch sagen: Wenn ich doch Stimme in den Armen hätte und in den Händen und in Haar und Füßen, durch Kunst des Daidalos oder eines der Götter! Dann hielte alles sich zugleich an deine Knie, weinend und beschwörend mit mannigfachen Worten. – Mein Gebieter, größtes Licht der Griechen, lass dich überreden, reiche der alten Frau die Hand als Rächer, auch wenn sie ein Nichts ist, tu es trotzdem! Denn Zeichen eines edlen Mannes ist es, dem Recht zu dienen und immer Schlechtes allen Schlechten anzutun.

195

835

840

845

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3. Epeisodion (658–904)

Co.

deinón ge, qnhtoîß w™ß açpanta sumpítnei kaì †tàß a¬nágkaß oi™ nómoi† diårisan, fílouß tiqénteß toúß te polemiwtátouß e¬cqroúß te toùß prìn eu¬meneîß poioúmenoi.

Ag.

e¬gå se kaì sòn paîda kaì túcaß séqen, ¿Ekábh, di’ oi¢ktou ceîrá q’ i™kesían e¢cw, kaì boúlomai qeøn q’ ouçnek’ a¬nósion xénon kaì toû dikaíou tände soi doûnai díkhn, ei¢ pwß faneíh g’ wçste soí t’ e¢cein kaløß stratø¸ te mæ dóxaimi Kassándraß cárin Qrä¸khß a¢nakti tónde bouleûsai fónon. e¢stin gàr h©¸ taragmòß e¬mpéptwké moi· tòn a¢ndra toûton fílion h™geîtai stratóß, tòn katqanónta d’ e¬cqrón· ei¬ dè soì fíloß oçd’ e¬stí, cwrìß toûto kou¬ koinòn stratø¸. pròß taûta fróntiz’· w™ß qélonta mén m’ e¢ceiß soì xumponñsai kaì tacùn prosarkésai, bradùn d’, ¯Acaioîß ei¬ diablhqäsomai.

Testimonia: 846–47 Orio Flor. 8,22 Haffner 847 oi™ – diårisan ~Choricius 42,96

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860

847 Lexicon Vindobonense 44,15

Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 847 tàß a¬nágkaß codd., schol. MB, testimonia : tñß a¬nágkhß Busche oi™ nómoi codd. : oi™ crónoi Musgrave 850 e¬gœ sè ZuacTt rell., schol. MB : e¢gwge 1 z LPZZbZcZmZu T túcan RRfRw 851 i™kesían vel i™késian B3Zb rell., schol. s B : -on BFZb Zm, schol. M 852 q’ ouçnek’ rell. : t’ ou¢nek’ RSaZc : ouçnek’ GK 853 tände L rell. : tónde LsP díkhn OA2F2G2KsLPPaSaVaxzTt, schol. M : cárin AFGacKLgrPasSagrTz rell. 854 faneíh MBOAGx, schol. MB : -hn B3 rell. g’ om. GKPrRRfRwSSa t’ om. et kaløß e¢cein RRfRw 855 kassándraß BOKPVasXXbZZb : kas- Va rell. 857 h©¸ P2s rell. : oi© Pac : h® M2ZZc : h£ M : h© B : oçpou Mgl 858 tòn a¢ndra Tz rell. : t- a¢- mèn Tt fílion MBacB3OKS : fílon 859 dè soì codd. : d’ e¬moì Elmsley BcZm2 rell. : fîlon XXbZmac 861 e¬qélonta PaSSa e¢ceiß Rf rell. : -oiß RfsRw 862 xumponñsai Tz rell. : sump- xZZbTt

Verse 846–863

197

Cho. Gewaltig ist es, wie bei den Menschen alles zusammentrifft und wie die Umstände die Beziehungen bestimmen, die zu Freunden die größten Feinde machen und zu Feinden die einst Wohlgesonnenen. Ag.

Ich habe mit dir und deinem Sohn und deinem Unglück Mitleid, Hekabe, und halte deine bittflehende Hand und will der Götter und des Rechtes wegen, dass der ruchlose Gastfreund dir diese Buße leistet, wenn es so scheinen könnte, dass du dein Ziel erreichst, und das Heer nicht meinte, dass ich Kassandra zuliebe dem Herrn der Thraker diesen Tod bereite. Denn etwas lässt mich schwanken: Das Heer hält diesen Mann für seinen Freund, den Toten jedoch für seinen Feind. Wenn der dort dir ein Freund ist, so ist das ganz privat und gilt nicht für das Heer. Drum denk daran: Du findest mich bereit zur Hilfe und schnell, dir beizustehen, doch langsam, wenn ich bei den Achäern ins Gerede komme.

850

855

860

198

Ek.

Ag.

Ek.

3. Epeisodion (658–904)

feû. ou¬k e¢sti qnhtøn oçstiß e¢st’ e¬leúqeroß· h£ crhmátwn gàr doûlóß e¬stin h£ túchß h£ plñqoß au¬tòn póleoß h£ nómwn grafaì ei¢rgousi crñsqai mæ katà gnåmhn trópoiß. e¬peì dè tarbeîß tø¸ t’ o¢clw¸ pléon némeiß, e¬gå se qäsw toûd’ e¬leúqeron fóbou. súnisqi mèn gár, h¢n ti bouleúsw kakòn tø¸ tónd’ a¬pokteínanti, sundrásh¸ß dè mä. h£n d’ e¬x ¯Acaiøn qóruboß h£ ¯pikouría páscontoß a¬ndròß Qrh¸kòß oi©a peísetai fanñ¸ tiß, ei®rge mæ dokøn e¬mæn cárin. tà d’ a¢lla qársei· pánt’ e¬gœ qäsw kaløß. pøß ou®n; tí dráseiß; pótera fásganon cerì laboûsa graía¸ føta bárbaron kteneîß h£ farmákoisi h£ ¯pikouría¸ tíni; tíß soi xunéstai ceír; póqen ktäsh¸ fílouß; stégai kekeúqas’ aiçde Trw¸ádwn o¢clon.

863a 864 865

870

875

880

Testimonia: 863a–67 Libanius Or. 25,3 864–65 Orio Flor. 8,23 Haffner, Aristoteles Rhet. 1394 b 4–6 864 Doxopater in Aphth. Rh. 2,291,25 et 2,298,8 Walz, ~Anecdota ed. Boissonade 3,465 874 ei®rge Hesychius E 1004 Codices: MB H(869–) O gV(864–67), AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 864 qnhtøn rell., cetera testimonia : -òß gV S : a¬ndrøn Aristoteles 865 gàr e¬sti doûloß GK 866 póleoß G1PrsZc1 rell. et testimonia : om. GPrSaZcac K2XXaXbcTz : -ewß KacXbac rell. : tñß –ewß RfRw : -ewn Libanius nómwn rell., Libanius : dämou gV 868 pléon Tz rell. : pleîon OGKLSSaxZZbTt : tò pleîon ZcZmZu 870 h¢n Lc rell. : ei¢ HLacSSa 871 sundrásh¸ß Bac rell. : -seiß B3RRf 876 pótera Rf rell. : -on MAPaRfsSa Rw : -son B3s : -s Sa : -mh¸ß P 2 3 1 1 t 877 graía¸ føta M B FPRf Va ZZmT : graîa f- MBFsRfVaTz rell. : f- graîa GKS : føta H kteneîß Pac rell. : ktaneîß HPaacRfRwZb 878 tíni Barnes : tiní codd. 879 tí soi HSa xunéstai M3Tt rell. : sun- x : xúnesti MuvZcTz : xunésqai RfRw 880 kekeúqas’ LcPrVa1Tz rell. : kekeúqous’ PPaPrsRf ac t Va SZZbZmT : keúqous’ L : keúqousin GrRfs : gàr keúqousin G : kaì keúqousai Sa : kaì keúqous’ Zu

Verse 863a–880

199

Hek. O weh! 863a Unter den Menschen gibt es keinen, der frei ist. 864 Er ist der Knecht des Reichtums oder auch des Glücks, oder das Volk der Stadt, auch der Gesetze Text hindern ihn zu tun, was er für richtig hält. Da du ja zögerst und zu viel Gewicht der Masse gibst, will ich dich von dieser Furcht befreien. Sei nur Mitwisser, wenn ich Böses beschließe 870 gegen den Mann, der den da ermordet hat, aber kein Mittäter! Doch wenn bei den Achäern Unruhe aufkommt oder der Wunsch, ihm beizustehen, wenn der Thraker leidet, was er leiden soll, halt sie zurück! Es braucht nicht auszusehen, als tätest du es mir zuliebe. Im übrigen sei guten Mutes! Ich werde alles gut erledigen. 875 Ag.

Wie denn? Was wirst du tun? Nimmst du das Schwert in deine greise Hand und tötest den Barbaren? Machst du es mit Gift? Mit welcher Hilfe? Welche Hand wird dir zur Seite stehen? Woher bekommst du Freunde? Hek. Dies Zelt verbirgt hier eine Menge Troerinnen.

880

200

Ag. Ek. Ag. Ek. Ag. Ek.

3. Epeisodion (658–904)

tàß ai¬cmalåtouß ei®paß, ¿Ellänwn a¢gran; sùn taîsde tòn e¬møn fónea timwräsomai. kaì pøß gunaixìn a¬rsénwn e¢stai krátoß; deinòn tò plñqoß sùn dólw¸ te dúsmacon. deinón· tò méntoi qñlu mémfomai génoß. tí d’; ou¬ gunaîkeß ei©lon Ai¬gúptou tékna kaì Lämnon a¢rdhn a¬rsénwn e¬xå¸kisan; – a¬ll’ wÇß genésqw· tónde mèn méqeß lógon, pémyon dé moi tänd’ a¬sfaløß dià stratoû gunaîka. – kaì sù Qrh¸kì plaqeîsa xénw¸ léxon· Kaleî s’ a¢nassa dä pot’ ¯Ilíou ¿Ekábh, sòn ou¬k e¢lasson h£ keínhß créoß, kaì paîdaß, w™ß deî kaì tékn’ ei¬dénai lógouß toùß e¬x e¬keínhß. – tòn dè tñß neosfagoûß Poluxénhß e¬písceß, ¯Agámemnon, táfon, w™ß tåd’ a¬délfœ plhsíon mi⸠flogí, dissæ mérimna mhtrí, krufqñton cqoní.

885

890

895

Testimonia: 884 ~Theodorus Metochites p. 610 Kiessling–Müller 885 tò – génoß Lexicon Vindobonense 123,15 886 Eustathius Macrembolites 5,3,8 887 a¢rdhn ~Eustathius Il. 692,35 Codices: MBHO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz(–896) Tt(897–) 882 e¬møn Scaliger (cf. v. 750) : e¬mòn codd. 883 a¬rsénwn L2ir rell. : a¬rr- RRfRw 885 génoß codd., Lex. Vind. : sqénoß Jenni 888 wÇß McHcuvOA : w™ß MacHac rell. genésqw MBacHOARsRfs : -sqai B2RRf rell. tónde mèn méqeß B1Pr rell. : t- moi 890 plaqeîsa m- BacRfRw : tónd’ e¬moì m- PrsR : tónde méqeß tòn Va MBacHOFKacP : plasq- B3K1 rell. : plagcq- M2PrSSa 892 ou¬k Lc rell. :  ou¬k L : d’ ou¬k RfRw e¢latton RRfRw 894 e¬keínhß B rell., schol. M : -ou MB3HORf, schol. HB 897 dissæ PrgrxTt : -ñ¸ BF1G1irKsPrRf rell. : -œ McirB3sHK : mérimna -à GsPaZcZu : -â ZZbZm : -aì B3sPrsRfs : diss MFG MGsKPPaPrgrXaXbZbacZuTt : mérimna¸ X : merímnh¸ BF1G1ir Ks rell., schol. MB : -a¸ M3H : merímna FLVaZZbcZc : merimna Zm : -ai B3sPrs, schol. aliud MBH mhtrì BRRfx rell. : -òß B3sGsRfsxs : om. G cqoní F rell. : táfw¸ F2gr

Verse 881–897

Ag. Hek. Ag. Hek. Ag. Hek.

201

Du meinst die Kriegsgefangenen, der Hellenen Beute? Mit ihnen werde ich mich an meiner Kinder Mörder rächen. Wie sollen Frauen über Männer die Oberhand gewinnen? Furchtbar ist die Menge, mit List unwiderstehlich. Ja, furchtbar, doch halte ich nichts vom weiblichen Geschlecht. 885 Was denn? Waren es nicht Frauen, die Aigyptos’ Söhne töteten, die Lemnos von Männern ganz entvölkert haben? – So soll’s geschehen! Lass von dieser Rede ab und schicke mir die Frau da mit sicherem Geleit durchs Heer! – Und du, tritt hin zum Thraker, zum Gastfreund, sag ihm: „Hekabe, die einst von Ilion die Herrin war, ruft dich in einer Sache, die dich nicht weniger als sie betrifft, und deine Söhne; denn auch die Kinder müssen wissen, was sie zu sagen hat.“ – Mit der Bestattung der frisch geschlachteten Polyxene warte noch, Agamemnon, damit die beiden Geschwister beieinander in einer Flamme, doppelt umsorgt von ihrer Mutter, in der Erde geborgen werden können!

890

895

202

Ag.

3. Epeisodion (658–904)

e¢stai tád’ ouçtw· kaì gàr ei¬ mèn h®n stratø¸ ploûß, ou¬k a£n ei®con tände soi doûnai cárin· nûn d’, ou¬ gàr içhs’ ou¬ríouß pnoàß qeóß, ménein a¬nágkh ploûn o™røntaß h™súcouß. –

900

génoito d’ eu® pwß· pâsi gàr koinòn tóde, i¬día¸ q’ e™kástw¸ kaì pólei, tòn mèn kakòn kakón ti páscein, tòn dè crhstòn eu¬tuceîn.

Testimonium: 902 pâsi – 904 Thomas Magister Presb. (Treu, Jahrb. Suppl. 27,1902,24) Codices: MBHO gV(898–ouçtw, 902 pâsi – 904), AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 898 ouçtwß x ei¬ Hc rell. : h£n AGKS1Z :  H : h®n Sac h®n om. S 899 doûnái soi SaZu (cf. v. 853) 900 ou¬ríouß HBOAGKPrRfSSasVa1XsZm2Tt : -íaß SaVaacX h™súcouß rell. 901 o™røntaß Rs rell. : -eß LR : o™rønt’ e¬ß coniecit Murray Markland : hçsucon codd. 902 gàr om. Thom. Mag. koinòn ZZcZmTt rell. : kalòn Thom. Mag. et ZglZcgl ZmglTtgl

Verse 898–904

Ag.

So soll’s geschehen! Denn wenn das Heer jetzt segeln könnte, könnte ich diesen Gefallen dir nicht tun. Nun aber, da ein Gott uns keinen Fahrtwind schickt, muss man auf die Abfahrt warten und in Ruhe Ausschau halten. – Es möge gut ausgehen! Denn für alle gilt gemeinsam, für jeden einzelnen und jede Stadt, dass es dem Schlechten schlecht gehen soll und der Gute glücklich sein.

203

900

204

3. Stasimon (905–51)

3. Stasimon (905–51) Co.

Sù mén, w® patrìß ¯Iliáß, tøn a¬porqätwn póliß ou¬kéti léxh¸· toîon ¿Ellánwn néfoß a¬mfí se krúptei dorì dæ dorì pérsan. a¬pò dè stefánan kékarsai púrgwn, katà d’ ai¬qálou [kapnoû] khlîd’ oi¬ktrotátan kécrwsai. tálain’, ou¬kéti s’ e¬mbateúsw.

str. a

mesonúktioß w¬llúman, h®moß e¬k deípnwn uçpnoß h™dùß e¬p’ o¢ssoiß skídnatai, molpân d’ a¢po kaì coropoiòn qusían katapaúsaß

a¬nt. a

905

908 910

915

Testimonia: 910–911 púrgwn Eustathius Il. 189,13 910 stefánan – 911 púrgwn Eustathius Il. 661,59, schol. Triclinii in Hes. Th. 578 (ed. Flach 1876), ~Hesychius S 1787 914 Thomas Magister 236,5 915 deípnwn ~Eustathius Il. 242,22 Codices: MBHO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 907 toîon H (sicut coniecit King) : toîon d’ vel toiónd’ rell. kalúptei x 908 dorì dæ dorì Ls rell. : do- do- dæ SSa : do- do- ALPPaZbZu 910 dè rell., Eust. : ge L : om. FVa stefánan FsPr rell., Eust., schol. Hes. : -wn FacP : -hn PrsSVa 911 kapnoû delevit Canter : ai¬qálou kapnoû RfsRwsSa rell. : -hn kRfRwSas : -a k- Va : -w¸ (kapnoû om.) Tt, cf. schol. T 912 oi¬ktrotátan HKcPr rell. : -táthn PrsSSa : oi¬ktrótata B2PRwVaZbZu : -táta¸ xZTt : -táta FPaPr : -táta B 913 e¬mbateúw H 914 w¬llúman A2 rell. : w¬lú- Thom. Mag. : o¬llú915 e¬k McBcZcZcac rell. : d’ e¬k OA : w¬lló- Va : o¬ló- Lac : o¬loí- Lc ac ac ac c 2 s M B HALPrSSaVaZ Zc ZmZu uçpnoß H L rell. : om. HL 916 skídnatai molpân BSa rell. : molpøn LPaPrSZu et Pa1Rws rell. : kíd- PaacRwacxZmTt GglKgl Vaglxgl : -àn MB3HOKPrs : -æn SgrSagr coro- MBOAKPrsRsVa2grx : caroMcB3PrRVaXagr rell., schol.le MB : cro- H -poiøn MBHAKcPrR rell., schol.le M : -poiân ZZcZmZuTt : -poiòn McB3HcOAsKacPaPrsRs rell., schol.le B 917 qusiân BA2GKLcZZcZmTt : -iàn Kc : -ían B2ALRacRfRwac rell., schol.le MB : -iøn GrFPPrR1RfsVaxZbZu katapaúsaß codd. : katalúsaß Murray

Verse 905–917

205

3. Stasimon (905–51) Cho. Du meine Vaterstadt Ilion, zu den unzerstörten Städten wirst du nie mehr zählen. Eine solche Wolke von Hellenen umhüllt dich, die dich mit dem Speer, dem Speer zerstört hat. Abgeschoren ward dir der Kranz der Mauertürme, durch rauchige Flamme wurdest du jämmerlich befleckt. Du Arme, nie mehr werde ich dich betreten. Um Mitternacht ging ich zugrunde, als nach dem Mahl der süße Schlaf sich auf die Augen breitete. Nach den Gesängen, als Tanz und Opfer vorbei waren,

905 908 910

915

206

3. Stasimon (905–51)

pósiß e¬n qalámoiß e¢keito, xustòn d’ e¬pì passálw¸ naútan ou¬kéq’ o™røn oçmilon Troían ¯Iliád’ e¬mbebøta. e¬gœ dè plókamon a¬nadétoiß mítraisin e¬rruqmizóman cruséwn e¬nóptrwn leússous’ a¬térmonaß ei¬ß au¬gáß, e¬pidémnioß w™ß pésoim’ e¬ß eu¬nán. a¬nà dè kéladoß e¢mole pólin· kéleusma d’ h®n kat’ a¢stu Troíaß tód’· ¥W paîdeß ¿Ellánwn, póte dæ póte tàn ¯Iliáda skopiàn pérsanteß hçxet’ oi¢kouß;

Testimonia: 920 Eustathius Il. 540,21 923–24 ~Eustathius Il. 454,16 925 leússous’ ~Hesychius L 757 931 Eustathius Il. 206,13, ~5,21

918 920

str. b 925 925a 926

930

922 Troían ’Iliád’ ~Eustathius Il. 904,59 925 ~Eustathius Il. 690,42, 975,31 927 a¬nà dè kéladoß Hesychius A 3407

Codices: MB H(–920) O, AFGKLPPaPrRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 918 pósiß d’ OR 921 naútan MB rell. : -tân schol. M : -tøn schol. B 922 Troían rell., Eust. : pátran Burges : pétran Willink : om. RRfRwSSa e¬mbebøta FGcKTtpc (cf. schol. T) : e¬mbebaøta FsTtac rell. 923 dè rell. : dé toi x : [K] 924 e¬rruqm- BAGLPPaVaxZbTt : e¬ruqm- rell. : e¬neruqm- R -óman rell. : ómhn OGKLPSSaZc 925 leússous’ BOAGK1LacPVaXXbZmTt : leúsous’ ac c K L rell. 927 a™malekéladoß Hesychius 930 tæn x 931 i¬liáda OcKacRfsRws rell., Eust. : -oß K1PrRfRw : -aß O 932 hçxet’ rell. : içxet’ OPrS : içxat’ Sa oi¢kouß Tt (sicut coniecit King) : e¬ß oi¢kouß rell.

Verse 918–932

ruhte der Gatte im Schlafgemach, der Speer hing am Pflock, er sah nicht mehr die Schar von der Flotte, die Troja betrat. Ich ordnete die Locken, band sie mit dem Haarband auf, blickte in den grenzenlosen Glanz goldener Spiegel, um dann aufs Bett niederzusinken. Da kam Lärm in die Stadt, und ein Befehl erklang in der Stadt Troja: „Söhne der Hellenen, wann endlich, wann werdet ihr die Burg von Ilion zerstören und nach Hause gelangen?“

207

918 920

925 925a 926

930

208

3. Stasimon (905–51)

léch dè fília monópeploß lipoûsa, Dwrìß w™ß kóra, semnàn prosízous’ ou¬k h¢nus’ ºArtemin a™ tlámwn· a¢gomai dè qanónt’ i¬doûs’ a¬koítan tòn e¬mòn açlion e¬pì pélagoß· pólin t’ a¬poskopoûs’, e¬peì nóstimon naûß e¬kínhsen póda kaí m’ a¬pò gâß wçrisen ¯Iliádoß, tálain’ a¬peîpon a¢lgei,

a¬nt. b

tàn toîn Dioskoúroin ¿Elénan kásin ¯Idaîón te boútan Ai¬nóparin katára¸ didoûs’, e¬peí me gâß e¬k patrå¸aß a¬pålesen e¬xå¸kisén t’ oi¢kwn gámoß, ou¬ gámoß, a¬ll’ a¬lástoróß tiß oi¬zúß. aÇn mäte pélagoß açlion a¬pagágoi pálin mäte patrø¸on içkoit’ e¬ß oi®kon.

e¬pw¸d.

Testimonia: 940 gâß – 941 Eustathius Il. 5,21 1804,19 945 Ai¬nóparin ~Eustathius Il. 379,34

935 935a 936

940

945

950 951

942 Eustathius Il. 430,10, Od.

Codices: MBO, AFGKLPPrPaRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt(–936) Tz(937–) 933 fíla RRfRw 935 prosízous’ RwcZc rell. : -ízousá s’ RfRwac : ac -izánous’ Z Zm a™ om. ZirZm tlámwn Va1 rell. : tlä- FRfRwVaacx 936 dè 943 dioskoúroin om. PrS a¬koíthn GLVa 940 e¬kínhsen KTz : -se rell. s s s KPrSa rell. : -koúrwn K Pr S : -kóroin MBOAPaSaVa e™lénan Tt rell. : e™lánan OSaZbTz 946–47 e¬peí me gâß e¬k patrå¸aß a¬pålesen codd. : e¬peí m’ a¬pålesen gâß e¬k patrå¸aß Wilamowitz 946 gâß e¬k codd. : gaíaß e¬k Diggle 947 patrå¸aß codd. : patríaß Dindorf a¬pålesen MRsSSa rell. : -san RRf : gr s s a¬poúrisen M : a¬pårousen S Sa 948 e¬xåkisen Porson (metri causa) : -se codd. 950 aÇn BK1 rell. : hÇn B3sFKacLSaZu a¬pagágoi GsXa1Ttir rell. : a¬gágoi GKXaac : a¬págoi Rf : e¬pagágoi RwZ 951 içkoit’ Rws rell. : içket’ RwSa : içkht’ Pa e¬ß Tz rell. : ei¬ß LPZuTt : om. O

Verse 933–951

Ich verließ mein vertrautes Bett, leicht bekleidet wie ein dorisches Mädchen, kauerte mich hin bei der heiligen Artemis, vergeblich, ich Arme. Tot erblickte ich meinen Gatten. Ich wurde weggeführt hin zum Salzmeer, schaute zurück auf die Stadt, als die Flotte zur Heimfahrt aufbrach und mich vom Land von Ilion trennte. Ich Elende sank hin vor Schmerz. Die Schwester der Dioskuren Helena und den Rinderhirten vom Ida, den Schlimm-Paris, verfluchte ich, weil mich vernichtete und aus Vaterland und Haus vertrieb ihre Hochzeit, die keine Hochzeit war, sondern eines Fluchgeistes Unheil. Möge das Salzmeer sie nicht zurückbringen; möge sie nicht ins Vaterhaus gelangen!

209

935 935a 936 940

945

950 951

210

4. Epeisodion (953–1022)

4. Epeisodion (953–1022) Polumästwr ¥W fíltat’ a¬ndrøn Príame, filtáth dè sú, ¿Ekábh, dakrúw s’ ei¬sorøn pólin te sæn tän t’ a¬rtíwß qanoûsan e¢kgonon séqen. – feû· ou¬k e¢stin ou¬dèn pistón, ou¢t’ eu¬doxía ou¬t’ au® kaløß prássonta mæ práxein kakøß. fúrousi d’ au¬tà qeoì pálin te kaì prósw taragmòn e¬ntiqénteß, w™ß a¬gnwsía¸ sébwmen au¬toúß. a¬llà taûta mèn tí deî qrhneîn, prokóptont’ ou¬dèn e¬ß prósqen kakøn; – sù d’, ei¢ ti mémfh¸ tñß e¬mñß a¬pousíaß, scéß· tugcánw gàr e¬n mésoiß Qrä¸khß oçroiß a¬pån, oçt’ h®lqeß deûr’· e¬peì d’ a¬fikómhn, h¢dh pód’ e¢xw dwmátwn ai¢rontí moi e¬ß tau¬tòn hçde sumpítnei dmwìß séqen, légousa múqouß w©n klúwn a¬fikómhn.

Testimonia: 955a–57 Stobaeus 4,41,36 958 Apostolius 18,4g

953 955 955a

960

965

956–57 Orio Flor. 8,24 Haffner

Codices: MBO gV(956–57), AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 953 delevit Nauck 954 te sæn LcZbcZu rell. : te sàn ZZbacZcZu : tàn sàn Lac Zm : te tæn sæn SSa 955 e¢kgonon ZcTz rell. : e¢gg- RXbZcacTts 956 ou¬dèn ac pistón K rell., Testimonia p- ou¬dén MK1LZu 957 prássonta Rws rell. : práx- Rw : práxanta Stob. : prássontoß Orio práxein LcRws rell., ac 2s Testimonia : práss- gV L RfRwSSa 958 au¬tà F (sicut coniecit Hermann) : au®q’ oi™ B3grFLcirPa1 rell. : au¢q’ oi™ AKVaxZZbTz, Apostolius : au® toi B : au® Paac SSa : au¬toì B3gr 959 w™ß a£n Rwx 963 tugcánw BacGsRRfSSaTzpc rell. : 2 gr túgcanon vel ¯túgcanon B GPPaPrR Rwz : e¬túgcanon B3FRsRfsRwsSsSasVaTzac qrä¸khß F1K1Rf1 rell. : -oiß FacKacRfacRfs : -øn ZZm 965 ai¢ronti Rgr rell. : eçlkonti R e¢xw codd. : ei¢sw Faust 966 séqen dmwíß SSa 967 delevit Kovacs

Verse 953–967

211

4. Epeisodion (953–1022) Polymestor O Priamos, du liebster aller Männer, liebste du auch, Hekabe! Ich weine, wenn ich dich sehe und deine Stadt und deine jüngst verstorbene Tochter. – Ach! Es gibt nichts, was verlässlich ist, weder der Ruhm, noch dass es einem, dem es gut geht, in Zukunft nicht schlecht ergehen könnte. Die Götter bringen es durcheinander, hin und her, und stiften Verwirrung, damit wir sie aus Unverstand verehren. Doch was soll man darum weinen? Man kommt damit nicht weiter voran in der Not. –

955 955a

960

Doch wenn du mich etwa tadeln solltest, weil ich abwesend war, halt ein! Denn ich war gerade fort, mitten in Thrakien, als du hierher kamst. Als ich aber wieder heimgekommen war und den Fuß schon aus dem Hause setzen wollte, 965 traf diese deine Dienerin mit mir zusammen und brachte die Botschaft, die ich vernahm und kam.

212

Ek.

Pm. Ek.

Pm.

Ek.

Pm. Ek. Pm.

4. Epeisodion (953–1022)

ai¬scúnomaí se prosblépein e¬nantíon, Polumñstor, e¬n toioîsde keiménh kakoîß. oçtw¸ gàr w¢fqhn eu¬tucoûs’, ai¬dåß m’ e¢cei e¬n tø¸de pótmw¸ tugcánous’ içn’ ei¬mì nûn, kou¬k a£n dunaímhn prosblépein s’ o¬rqaîß kóraiß· a¬ll’ au¬tò mæ dúsnoian h™gäsh¸ séqen Polumñstor· a¢¬llwß d’ ai¢tión ti kaì nómoß gunaîkaß a¬ndrøn mæ blépein e¬nantíon. kaì qaûmá g’ ou¬dén. a¬llà tíß creiá s’ e¬¬moû; tí crñm’ e¬pémyw tòn e¬mòn e¬k dómwn póda; i¢dion e¬mautñß dä ti pròß sé boúlomai kaì paîdaß ei¬peîn soúß· o¬páonaß dé moi cwrìß kéleuson tønd’ a¬postñnai dómwn. cwreît’· e¬n a¬sfaleî gàr hçd’ e¬rhmía. fílh mèn ei® sú, prosfilèß dé moi tóde stráteum’ ¯Acaiøn. a¬llà shmaínein se crä· tí cræ tòn eu® prássonta mæ prássousin eu® fíloiß e¬parkeîn; w™ß eçtoimóß ei¬m’ e¬gå. prøton mèn ei¬pè paîd’ oÇn e¬x e¬mñß ceròß Polúdwron e¢k te patròß e¬n dómoiß e¢ceiß, ei¬ zñ¸· tà d’ a¢lla deúterón s’ e¬räsomai. málista· tou¬keínou mèn eu¬tuceîß méroß. w® fíltaq’, w™ß eu® ka¬xíwß légeiß séqen. tí dñta boúlh¸ deúteron maqeîn e¬moû;

Testimonia: 968 Eustathius Il. 216,2 Abel)

970

975

980

985

990

986–88 ~schol. rec. Pind. Ol. 14,28 (428

Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz 969 e¬n toioîsde LcirTzpc rell. : e¬n toîsde GPrZuTzac : toioîsde R 970–75 delevit Dindorf 972 prosblépein s’ OFsGKPaRfRwVa1xZZcZm1Tz : prosblépein ac FVaZm rell. : blépein SSa 973–75 deleverunt Hartung, Kovacs 974– 982 mèn ei® 75 delevit Diggle 980 dómwn K1R rell. : -on K : lógwn Rgr LPPaRwVazTz : mèn h™mîn ei® rell. : mèn h™møn ei® R tóde om. OSSa 983 se crä 984 cræ Ks rell. : deî GK (sicut BcKac rell. : sè crñn MBacK1RsS : me crä R coniecit Nauck) 989 mérouß PrRRf 990 légeiß séqen L : séqen légeiß rell.

Verse 968–991

213

Hek. Ich schäme mich, dir ins Gesicht zu schauen, Polymestor, da ich in solchem Unglück bin. Ich habe Scheu vor dem, der mich im Glück sah, 970 in diesem Zustand, in dem jetzt ich bin, und könnte dich nicht anschauen mit geradem Blick. Doch glaube nicht, es sei Übelwollen gegen dich, Polymestor! Im übrigen ist auch ein Grund dafür der Brauch, dass Frauen Männern nicht ins Antlitz schauen. 975 Plm. Das ist kein Wunder. Aber wozu brauchst du mich? Zu welchem Zweck hast du mich aus dem Haus geholt? Hek. Eine private Angelegenheit von mir will ich mit dir bereden und mit deinen Kindern. Doch den Begleitern befiehl mir wegzutreten, fort von diesem Zelt! 980 Plm. Geht weg! Hier ist man sicher und allein. Du bist mein Freund, und freundlich ist auch das Achäerheer hier mir gesonnen. So sollst du mir denn sagen: Womit soll der, dem es gut geht, den Freunden, denen es nicht gut geht, helfen? Denn ich bin dazu bereit. 985 Hek. Sage zuerst, ob mein Sohn Polydoros, den du aus meiner Hand und der des Vaters im Hause hast, noch lebt! Nach allem anderen will ich an zweiter Stelle dich fragen. Plm. Ganz gewiss! Was ihn betrifft, da hast du Glück. Hek. Mein Liebster! Wie du gut und deiner würdig redest! 990 Plm. Was willst du denn als zweites von mir hören?

214

Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm.

4. Epeisodion (953–1022)

ei¬ tñß tekoúshß tñsde – mémnhtaí tí mou. kaì deûró g’ w™ß sè krúfioß e¬zätei moleîn. crusòß dè søß oÇn h®lqen e¬k Troíaß e¢cwn; søß, e¬n dómoiß ge toîß e¬moîß frouroúmenoß. søsón nun au¬tòn mhd’ e¢ra tøn plhsíon. hçkist’· o¬naímhn toû paróntoß, w® gúnai. oi®sq’ ou®n aÇ léxai soí te kaì paisìn qélw; ou¬k oi®da· tø¸ sø¸ toûto shmaneîß lógw¸. e¢st’, w® filhqeìß w™ß sù nûn e¬moì filñ¸ … tí crñm’ oÇ ka¬mè kaì tékn’ ei¬dénai creån; … crusoû palaiaì Priamidøn katåruceß. taût’ e¢sq’ aÇ boúlh¸ paidì shmñnai séqen; málista, dià soû g’· ei® gàr eu¬sebæß a¬när. tí dñta téknwn tønde deî parousíaß; a¢meinon, h£n sù katqánh¸ß, toúsd’ ei¬dénai. kaløß e¢lexaß· tñ¸de kaì sofåteron. oi®sq’ ou®n ¯Aqánaß ¯Iliádoß içna stégai; e¬ntaûq’ o™ crusóß e¬sti; shmeîon dè tí; mélaina pétra gñß u™pertéllous’ a¢nw. e¢t’ ou®n ti boúlh¸ tøn e¬keî frázein e¬moí;

995

1000

1005

1010

Testimonia: 996 Eustathius Il. 52,23, 792,19, 1312,20, schol. Il. 10,105 (Anecdota Parisina 3,81 Cramer) 996 – au¬tòn Thomas Magister 249,15 997 o¬naímhn Hesychius O 852 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz(–1009) Tt(1010–) 992 mou codd. : pou Herwerden : moi Bothe 993 deûró g’ RsRfs rell. : deûr’ oç g’ MGRRfXa : deûr’ Pr krúfioß BKLPParRsRfZZmTz : -íwß B3sRRfs rell. : krúfa PaacRw 995 dómoiß ge Os rell. : d- te OZZcZmZu : dómoisi PPrRf 996 nun tøn FacGRs rell. : toû ALcVaXXbZZcZuTz : nin GR : nûn LacRgrZcc rell. 1 r z OF G PPaPrRRfRwSSaZZbZmZuT , testimonia : [K] 999 toûto RwXcXb1 rell. : toútw¸ PPaRwsXacXbac 1000 e¢st’ w® Hermann : e¢stw codd. 1006 h£n rell. : ei¬ FVa 1007 post e¢lexaß interpungit Boissonade, continuant codd. 1008 ¯Iliádoß Scaliger : ¯Ilíaß codd. 1010 u™pertéllous’ Zm1 rell. : -télous’ PrZmTt : -teroûs’ R

Verse 992–1011

Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm.

Ob er an seine Mutter, an mich auch noch denkt. Er wollte sogar heimlich hierher zu dir kommen. Ist gut verwahrt das Gold, mit dem er aus Troja kam? Ja, gut verwahrt! In meinem Haus wird es bewacht. Verwahr es gut! Es soll dich nicht verlangen nach des Nächsten Habe! O nein! Ich möchte das genießen, was da ist, liebe Frau. Weißt du nun, was ich dir und deinen Kindern sagen will? Ich weiß es nicht. Du wirst es mir mit deinen Worten sagen. Es gibt, o du Geliebter, wie ich jetzt dich liebe … Was denn, was ich und meine Kinder wissen sollen? … einen alten Priamidenschatz, vergrabenes Gold. Das ist es, was ich deinem Kinde sagen soll? Gewiss, durch dich, denn du bist ein frommer Mann. Und warum sollen diese Kinder mit dabei sein? Es ist besser, wenn du stirbst, dass sie es wissen. Das hast du gut gesagt; so ist es auch klüger. Weißt du nun, wo das Haus der Athena Ilias ist? Ist dort das Gold? Was gibt es für ein Zeichen? Ein schwarzer Fels, der aus der Erde ragt. Willst du mir noch etwas sagen von den Dingen dort?

215

995

1000

1005

1010

216

Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek.

4. Epeisodion (953–1022)

søsaí se crämaq’ oi©ß sunexñlqon qélw. poû dñta; péplwn e¬ntòß h£ krúyas’ e¢ceiß; skúlwn e¬n o¢clw¸ taîsde så¸zetai stégaiß. poû d’; aiçd’ ¯Acaiøn naúlocoi periptucaí. i¢diai gunaikøn ai¬cmalwtídwn stégai. ta¢ndon dè pistà ka¬rsénwn e¬rhmía; ou¬deìß ¯Acaiøn e¢ndon a¬ll’ h™meîß mónai. – a¬ll’ eçrp’ e¬ß oi¢kouß· kaì gàr ¯Argeîoi neøn lûsai poqoûsin oi¢kad’ e¬k Troíaß póda w™ß pánta práxaß w©n se deî steích¸ß pálin xùn paisìn ou©per tòn e¬mòn w¢¸kisaß gónon.

1015

1020 1022

Testimonium: 1015 naúlocoi periptucaí Eustathius Il. 679,48 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 1012 se om. GZ 1016 i¢diai A, schol. M : i¬díai BSa, schol. B : i¬día vel i¬día¸ M rell. stégai SsSas rell. : stáseiß SSa 1021 pánta PrgrZrgrZbZmgr rell. : taûta PrZZbgrZm 1022 xùn paisìn rell. : xumpaisìn MPr : xùm paisìn BOZ

Verse 1012–1022

Hek. Ich will, dass du die Schätze rettest, die ich mit herausnahm. Plm. Wo denn? Hast du sie im Gewand oder hältst du sie versteckt? Hek. Sie sind in diesem Zelt verwahrt unter einem Haufen Beute. Plm. Wo denn? Dies ist das Lager der Achäerflotte. Hek. Eigene Zelte gibt es für die kriegsgefangenen Frauen. Plm. Ist es darinnen sicher? Keine Männer da? Hek. Kein Achäer ist darinnen, wir sind ganz allein. – So geh ins Zelt; denn die Argiver sehnen sich danach, die Schiffe abzulegen und von Troja fort nach Haus zu fahren; und dir soll all das werden, was dir werden soll, und du sollst wieder dorthin gehen mit den Kindern, wo meinen Sohn du unterbrachtest.

217

1015

1020

218

Chorikon für 4. Stasimon (1024–34)

Chorikon für 4. Stasimon (1024–34) Co.

Ou¢pw dédwkaß a¬ll’ i¢swß dåseiß díkhn· a¬límenón tiß w™ß e¬ß a¢ntlon pesœn lécrioß e¬kpesñ¸ fílaß kardíaß, a¬mérsaß bíon. tò gàr u™pégguon Díka¸ kaì qeoîsin ou¬ xumpítnei, o¬léqrion o¬léqrion kakón. yeúsei s’ o™doû tñsd’ e¬lpìß hç s’ e¬pägagen qanásimon pròß ¯Aídan, w® tálaß, a¬polémw¸ dè ceirì leíyeiß bíon.

1024 1025 1027 1030

Testimonium: 1024 Lexicon Vindobonense 136,10 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 1024 choro tribuunt M2 rell. : Hecubae M, schol. M et e¢nioi apud schol. B 1025 e¬ß GKRSSaVaZZbZm : ei¬ß rell. : om. Rf pesœn ZdZu : e¬mpesœn rell. fílhß L : tñß fílhß Tt 1026 e¬kpesñ¸¸ OGKLcPZuac : -pésh¸ LacZuc rell. 1027 bíon Hermann : bíoton codd. u™pégguon Zc rell. : u™pégkuon RfZcac : qeoîsi(n) rell. : qeoîß u™péggion SSa 1030 díka¸ Pr rell. : -h FLPrs xumpítnei MAGKRRfRwxZbZcTt ou¬ codd., schol. MB : ou© Hemsterhuys OSSaZ : sum- rell. 1032 e¬pägagen MOARfVaXbTt : -gage Sir rell. : a¬pägagen R : u™pägage SaZc 1033 ÷Aidan Dindorf w® Tt : i¬œ rell. i¬œ tálaß Polymestori tribuunt ZZbZcZm 1034 cerì ZcTt bíon Zbac rell. : bíoton MLZZb2ZcZm

Verse 1024–1034

219

Chorikon für 4. Stasimon (1024–34) Cho. Du hast noch nicht gebüßt, doch wirst du vielleicht büßen. 1024 Wie einer, der in auswegloses Wasser fällt, 1025 wirst du schräg abgetrieben werden von deinem Herzenswunsch, weil du ein Leben raubtest. Wie du mit deiner 1027 Verpflichtung verfahren bist, das stimmt mit Recht und Göttern nicht überein; 1030 es ist verderbliches, verderbliches Unheil. Die Hoffnung wird dich täuschen, die dich hierher führte, todgeweiht zur Unterwelt, Unseliger. Durch unkriegerische Hand wirst du dein Leben lassen.

220

Exodos (1035–1295)

Exodos (1035–1295) Pm. Co. Pm. Co. Pm.

ºWmoi, tufloûmai féggoß o¬mmátwn tálaß. h¬koúsat’ a¬ndròß Qrh¸kòß oi¬mwgän, fílai; w¢moi mál’ au®qiß, tékna, dustänou sfagñß. fílai, pépraktai kaín’ e¢sw dómwn kaká. a¬ll’ ou¢ti mæ fúghte laiyhrø¸ podí· bállwn gàr oi¢kwn tønd’ a¬narräxw mucoúß. i¬doú, bareíaß ceiròß o™rmâtai béloß.

Co.

boúlesq’ e¬pespéswmen; w™ß a¬kmæ kaleî ¿Ekábh¸ pareînai Trw¸¸ásin te summácouß.

Ek.

a¬rásse, feídou mhdén, e¬kbállwn púlaß· ou¬ gár pot’ o¢mma lampròn e¬nqäseiß kóraiß, ou¬ paîdaß o¢yh¸ zøntaß ouÇß e¢ktein’ e¬gå. h® gàr kaqeîleß Qrñ¸ka kaì krateîß xénou, déspoina, kaì dédrakaß oi©áper légeiß; o¢yh¸ nin au¬tík’ o¢nta dwmátwn pároß tuflòn tuflø¸ steíconta parafórw¸ podí,

Co. Ek.

1035

1040

1045

1050

Testimonia: 1042 a¬kmæ kaleî Hesychius A 2447 1050 ~schol. Aesch. Sept. 623 Smith (sed cf. etiam Phoen. 1549: póda ... tuflópoun) Imitatio: 1046 Christus Patiens 354 et 359 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 1036 co. MBOAFPracSac: h™mico. B2Pr1S1 rell. : om. Sa 1037 w¢moi S rell. : oi¢moi GKSs tékna MBOAFGKcRxTt : -wn MsB3KacRgrVasVa2 rell. : -on Va 1038 co. 1039 mæ BcAScVas rell. : me MBOAFSac : h™mico. B2S1 rell. : om. Sa ac 2s ac s B FPaPrRwVaZZmZu : moi A RS Sa : mou Pr Sas : mæn O 1040 balœn GK 1041 Polymestori tribuunt schol. M et schol. B (tineß) : co. MOF : h™mico. M2B e¬peispéswmwn rell. 1042 sine nota M rell. : h™mico. M2, schol. B (tineß) 1 MO SSaZb1Zugr rell. : e¬pispés- M2 : e¬pispás- Sagruv : e¬peispeús- OacPaacPrRw : e¬pispeús- FPa1RfRwsVaZZbacZcZmZu : e¬p’ oi© speús- R 1044 e¬kbállwn rell. : 1047 co. rell. : h™mic. GLPrRRfSaVaxz xénou -bálwn KRf : -balœn SSair codd. : xénon Hermann

Verse 1035–1050

221

Exodos (1035–1295) Plm. Weh mir, geblendet werde ich, verliere das Augenlicht, ich Armer! Cho. Habt ihr des Thrakers Wehgeschrei gehört, ihr Lieben? Plm. Weh mir schon wieder! Kinder! Arger Mord! Cho. Ihr Lieben, neue schlimme Taten sind im Haus vollbracht. Plm. Doch kommt ihr nicht davon mit raschem Fuß. Ich werfe, breche des Hauses Schlupfwinkel auf. Seht ihr! Von starker Hand kommt ein Geschoss!

1035

1040

Cho. Wollt ihr, dass wir eindringen? Es ist höchste Zeit, Hekabe und den Troerinnen beizustehen und mitzukämpfen. Hek. Schlag zu, lass nichts heil, brich die Türen auf! Denn niemals wirst du das helle Licht in deine Augen bringen, nie mehr die Kinder lebend sehen, die ich tötete. Cho. Hast du denn wirklich den Thraker besiegt, den Gastfreund bezwungen, Herrin? Hast du’s vollbracht, so wie du sagst? Hek. Du wirst sofort ihn vor dem Hause sehen, mit blindem Fuß blind tappend gehen,

1045

1050

222

Exodos (1035–1295)

paídwn te dísswn såmaq’, ouÇß e¢ktein’ e¬gœ sùn taîß a¬rístaiß Tr¸w¸ásin· díkhn dé moi dédwke. – cwreî d’, w™ß o™râ¸ß, oçd’ e¬k dómwn. a¬ll’ e¬kpodœn a¢peimi ka¬postäsomai qumø¸ zéonti Qrh¸kì dusmacwtátw¸. Pm.

w¢moi e¬gå, p⸠bø, p⸠stø, p⸠kélsw, tetrápodoß básin qhròß o¬restérou tiqémenoß e¬pì ceîra kat’ i¢cnoß; poían h£ taútan h£ tánd’ e¬xalláxw, tàß a¬ndrofónouß máryai crä¸zwn ¯Iliádaß, aiç me diålesan; –

1055 1055a 1056

1060

tálainai kórai tálainai Frugøn, w® katáratoi, poî kaí me fug⸠ptåssousi mucøn; –

1065

ei¢qe moi o¬mmátwn ai™matóen bléfaron a¬késai’ a¬késaio, tuflón, ÷Alie, féggoß a¬palláxaß. –

1068

Testimonia: 1055 – zéonti ~Eustathius Il. 1092,38 1056 Georgius Lacapenus Epim. in Epist. 8 (71,8 Lindstam) 1056 p⸠bø Thomas Magister 266,19 1061 máryai Hesychius M 327 1063–64 ~Lexicon Vindobonense 112,3 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaVa, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tt 1052 taîß codd. : taîsd’ Hermann 1055 zéonti PrgrUZbZmgr : r™éonti PrZm rell., Eust. dusmacwtátw¸ BOPr rell. : -menestátw¸ O2grPrgr : -genestátw¸ Bgr 1058 kat’ codd. : kaì Porson 1060 taúthn FSxZbZu tänd’ PaRRfRw 1063 tálainai kórai tálainai Seidler, Hermann : tál- tál- k- codd. 1064 w® FZuac rell. : i¬œ MFmRSSaZc : i¬œ w® ZZbZu1 : i¬œ i¬œ Rf 1065 poî Zus rell. : pñ VaZcZu ka¬mè SSa : kéme O fug⸠Rf rell. : -ñ¸ PPaRfsVa 1066 ai™matóen RfsZb1 rell : o¬mmatóen RfSSaZbac 1067 a¬késaio alterum om. EsTt, cf. schol. T 1068 açlie GS rell. : hçl- GsSsSa

Verse 1051–1068

223

und auch die Leichen seiner beiden Kinder, die ich getötet habe mit den sehr tapferen Troerinnen. Die Strafe hat er mir gezahlt. – Da kommt er aus dem Hause, wie du siehst. Ich geh beiseite und trete zurück vor dem Thraker, der vor Wut kocht, dem man schwer 1055 standhalten kann. Plm. Weh mir, wo soll ich gehen, wo stehen, wohin steuern, den Tritt eines vierfüßigen wilden Bergtiers setzen, auf der Hand nach der Spur? Welchen Weg, den oder den, schlage ich ein, die männermordenden Ilierinnen zu packen, die mich vernichteten? – Ihr schlimmen, ihr schlimmen Mädchen der Phryger, o ihr Verfluchten! Wohin denn ducken sie sich vor mir auf der Flucht in die Winkel? – Wenn du doch, Helios, mir meine blutigen Augen heilen, ja heilen könntest und mir das blinde Licht wegnähmest! –

1055a 1056 1060

1065

1068

224

Exodos (1035–1295)

a® a®, síga. – kruptàn básin ai¬sqánomai tánde gunaikøn. p⸠pód’ e¬pá¸xaß sarkøn o¬stéwn t’ e¬mplhsqø, qoínan a¬gríwn qhrøn tiqémenoß, a¬rnúmenoß låban lúmaß a¬ntípoin’ e¬mâß; – w® tálaß. –

1068a 1069 1070

poî p⸠féromai tékn’ e¢rhma lipœn Bákcaiß ÷Aidou diamoirâsai, sfaktá, kusín te foinían daît’ a¬nämerón t’ o¬¬reían e¬kbolán; –

1075

p⸠stø, p⸠kámyw, p⸠bø; naûß oçpwß pontíoiß peísmasin linókrokon fâroß stéllwn, e¬pì tánde suqeìß téknwn e¬møn fúlax o¬léqrion koítan.

1080 1082

Testimonium: 1081 fâroß stéllwn Hesychius F 190a Imitatio: 1068a–69 Christus Patiens 358–59 et 2054 et 2497 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSa V(1068a–), x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tt 1069 síga síga OLRRfSSaZZcZmZu, Chr. Pat. 1070 tánde OGZc (sicut coni. etiam Seidler) : tânde F rell. : tønde FsLPaPrRfRwSSaZmZu : ]^nde K p⸠GS rell. : poû GsPrSs : poî PTt 1071 e¬gœ plhsqø PaRw 1072 a¬grían MRw : a¬groíwn Pa qhrøn tiqémenoß Lac rell. : qh- ti- t(e) OFGLcPrSSa : qhríwn tiPZu : ti- qhrøn Seidler 1073 a¬rnúmenoß KacPr1Sagr rell. : a¬núm- PracSa : gr a¬rnoúm- S : o¬núm- S : ai¬núm- MOK1 låban lúmaß codd. : låbaß lúmaß t’ Bothe et Hadley 1074 w® Seidler et Hermann : i¬œ codd. 1075 poî p⸠rell. : p⸠p⸠ZbZmZu : poî poî FTt 1076 ÷Aidou codd. : ÷Aida Diggle 1077f. sfaktá proposuit Hermann (1831) : sfaktàn codd. kusín MBOTt : -sí rell. foinían GMo : fon- rell. a¬nämerón t’ o¬¬reían Wilamowitz : -ron ou¬reían t’ V rell., Hermann (1831) : -ron o¬reían t’ FVsTt : o¬¬reían -rón t’ Hermann (1800) : -rón t’ o¢reion Diggle 1079 p⸠stø p⸠bø p⸠kámyw R p⸠bø sive ante p⸠stø sive post p⸠kámyw ponere voluit Porson, p⸠bø delevit Nauck 1080 peísmasin AKLRfRwTt : -si rell. 1081 tánde suqeìß MBOKRwx : tánd’ e¬ssuqeìß B3 rell. 1082 e¬møn codd. : mou Hartung

Verse 1068a–1082

225

Ho ho! Still! – Einen leisen Schritt höre ich den da von den Frauen. Wohin muss ich mich stürzen, mich mit Fleisch und Knochen anzufüllen, ein Festmahl wilder Tiere mir zu bereiten, Verderben zu stiften, zur Strafe für meine Misshandlung? – O ich Armer! –

1068a 1069 1070

Wohin denn, auf welchem Weg soll ich mich wenden? Soll ich die Kinder allein lassen, die geschlachteten, dass des Hades Bakchantinnen sie zerfleischen lassen und den Hunden als blutiges Mahl erbarmungslos in die Berge hinauswerfen? –

1075

Wohin soll ich treten, wo mich setzen, wohin gehen? Wie ein Schiff mit den Haltetauen anlegt und das Leinensegel einzieht, hierhin geeilt als Wächter meiner Kinder zum Totenlager.

1080 1082

226

Exodos (1035–1295)

Co.

w® tlñmon, wçß soi dúsfor’ ei¢rgastai kaká· drásanti d’ ai¬scrà deinà ta¬pitímia daímwn e¢dwken oçstiß e¬stí soi barúß.

1085

Pm.

ai¬aî i¬œ Qrä¸khß logcofóron e¢noplon eu¢ippon ºArei kátocon génoß. i¬å. ¯Acaioí. i¬å. ¯Atreîdai. boàn boán, a¬utø boán· w£ i¢te mólete pròß qeøn. –

1088 1090

klúei tiß h£ ou¬deìß a¬rkései; tí méllete; gunaîkeß w¢lesán me, gunaîkeß ai¬cmalwtídeß· deinà deinà pepónqamen. w¢moi e¬mâß låbaß. – poî trápwmai, poî poreuqø; [ai¬qér’] a¬mptámenoß ou¬ránion u™yipetèß e¬ß mélaqron, ¯Waríwn h£ Seírioß e¢nqa puròß flogéaß a¬fíh-

Testimonia: 1086 ta¬pitímia Hesychius P 2384 Il. 358,32

1095

1100 1102

1088 e¢noplon – 1090 Eustathius

Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 1086 t’ BALPPrxZu ’pitímia Hesychius 1087 (~723) delevit Hermann dédwken RRfSSa : e¢qhken L 1088 ai¬aî bis MOLPRfSazTt 1088–90 eu¢oplon Eust. 1090 a¢reï codd. 1091 primum i¬œ bis P 1092 boàn boàn Aac rell. : boân 1093 w£ i¢te vel w® i¢te MOGKLZcZmZu : i¬œ i¢te P : i¢te boân M : boàn Ac BAFacPaRwSx : i¢te i¢te PrRRfSa : w®  i¢te Fc : w£ i¢te w£ i¢te ZZbTt 1097 alterum deinà delevit Bothe 1099 poî – poî R rell. : poî – poû SSa : p⸠– p⸠LRsZbZmZu 1100 ai¬qér’ codd. : delevit Hermann (cf. schol. BV e¢n tisi tò ai¬qéra ou¬ féretai) a¬mptámenoß Zu1 rell. : a¬napt- x : a¬pt- RfZcZuac ac ac gr 1102 w¬aríwn M B R , schol. MB : o™ a¬ríwn Sagr : w¬ríwn B3KcRV rell. : w™ríwn ALSa : w® w¬ríwn M2 OKacVsZb : w©¸ w¬ríwn ZZcZmZu

Verse 1085–1102

Cho. Du Armer, welch schwer erträgliches Leid tat man dir an? Für dich, der schändlich handelte, furchtbare Vergeltung gab ein Gott, der dir übel will.

227

1085

Plm. Wehe wehe! Zu Hilfe Thrakiens lanzentragender, 1088 bewaffneter, wohlberittener, dem Ares ergebener Stamm! 1090 Zu Hilfe! Achäer! Zu Hilfe! Atriden! Einen Notschrei, einen Notschrei lasse ich ertönen, einen Notschrei! O eilt herbei, kommt, bei den Göttern! – Hört keiner oder will keiner helfen? Was zögert ihr? Frauen haben mich vernichtet, kriegsgefangene Frauen. Furchtbares, Furchtbares habe ich erlitten. Weh mir wegen meiner Verstümmelung! – Wohin soll ich mich wenden, wohin wandern? Soll ich hochfliegen zum Himmel, zur hohen Halle, wo Orion oder Sirius die brennenden Strahlen aus den Augen sendet,

1095

1100 1102

228

Exodos (1035–1295)

sin o¢sswn au¬gáß, h£ tòn e¬ß ÷Aida melágcrwta porqmòn a¢¸xw tálaß; Co.

suggnåsq’, oçtan tiß kreísson’ h£ férein kakà páqh¸, talaínhß e¬xapalláxai zóhß.

Ag.

kraugñß a¬koúsaß h®lqon· ou¬ gàr hçsucoß pétraß o¬reíaß paîß lélak’ a¬nà stratòn ¯Hcœ didoûsa qórubon· ei¬ dè mæ Frugøn púrgouß pesóntaß h®¸smen ¿Ellänwn dorí, fóbon parésc’ a£n ou¬ méswß oçde ktúpoß. w® fíltat’, h¬¸sqómhn gár, ¯Agámemnon, séqen fwnñß a¬koúsaß, ei¬sorâ¸ß aÇ páscomen; e¢a· Polumñstor w® dústhne, tíß s’ a¬pålesen, tíß o¢mm’ e¢qhke tuflòn ai™máxaß kóraß paîdáß te toúsd’ e¢kteinen; h® mégan cólon soì kaì téknoisin ei®cen oçstiß h®n a¢ra. ¿Ekábh me sùn gunaixìn ai¬cmalwtísin a¬påles’ – ou¬k a¬påles’ a¬llà meizónwß.

Pm. Ag.

Pm.

1105

1110

1115 1115a

1120

Testimonia: 1108 Hephaestio Ench. 1,5 (codd. CP) 1111 ei¬ – 1112 h®¸smen Etymologicum Genuinum (unde EM 439,1), Herodianus (Gr.Gr. 3,2 p. 519,6) Imitatio: 1109 Christus Patiens 843 Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tt 1105 ÷Aida Dindorf : a¬ýda B3sRf rell. : a¬ýdan MBORgrV3 : a¬ýdao LVZmZu : a¬ýdou RsRfsV3s 1106 melágcrwta O : -crøta MGKLPZmZuac : melanocrøta LcVZuc rell. : -nócrwta V1 a¬ýxw codd. 1107 kreísson’ M2Vc rell. : kreîsson MacVacZu : kreíssw G férein FacRwc Vac rell. : -ei FcLRwacVc 1108 zóhß Vam (sicut coniecit Markland) : zoñß GKLcxs : zo L : zwñß VVax rell., Hephaestio 1109 hçsucoß BARwSax rell. : -wß BsAsFGPrRfRwsSSasVxsZcZu 1112 h®¸smen Et.Genuinum, Herodianus; cf. etiam schol. MBV (h¢¸deimen) : i¢smen codd. e™llánwn PrRRf 1113 parésc’ a£n Heath, Markland : paréscen a£n MOGrPrSasVZcZu : paréscen GSa rell. 1115 fwnæn Blaydes 1116 tíß s’ Fc rell. : tí s’ Fac : tíß R : ti S 1118 te om. PrSSaZb 1119 soí te kaì PPaPrRSSaxZb 1120 ai¬cmalwtísin Z rell. : -åtoisi(n) PrRfVZrgrZcZu

229

Verse 1105–1121

oder in den Hades zur schwarzfarbenen Überfahrt eilen, ich Elender?

1105

Cho. Wenn einer schwerer leidet, als er tragen kann, ist es verzeihlich, dass er sich von seinem elenden Leben befreit. Ag.

Lärm hörte ich und kam, denn nicht leise klang das Kind des Felsens im Gebirge, 1110 Echo, mit viel Geschrei durchs Heer. Wenn wir nicht wüssten, dass der Phryger Mauertürme durch der Griechen Speer gefallen sind, hätte uns dieser Lärm nicht wenig Furcht bereitet. Plm. O liebster Agamemnon, ich habe dich bemerkt, da ich deine Stimme hörte. Siehst du, wie es uns erging? 1115 Ag. Sieh da! Polymestor, du Unglücklicher, wer hat dich vernichtet, wer blind gemacht den Blick und deine Augen blutig und wer die Kinder hier getötet? Wahrlich großen Groll hatte er also gegen dich und deine Kinder hier, wer es auch immer war. Plm. Hekabe mit den kriegsgefangenen Frauen 1120 hat mich vernichtet – nicht vernichtet, noch viel Schlimmeres!

230

Ag. Pm.

Ag. Pm. Ag.

Pm.

Exodos (1035–1295)

tí fä¸ß; sù tou¢rgon ei¢rgasai tód’, w™ß légei; sù tólman, ¿Ekábh, tänd’ e¢tlhß a¬mäcanon; w¢moi, tí léxeiß; h® gàr e¬ggúß e¬stí pou; sämhnon, ei¬pè poû ¯sq’, içn’ a™rpásaß ceroîn diaspáswmai kaì kaqaimáxw cróa. ou©toß, tí pásceiß; pròß qeøn se líssomai, méqeß m’ e¬feînai tñ¸de margøsan céra. i¢sc’· e¬kbalœn dè kardíaß tò bárbaron lég’, w™ß a¬koúsaß soû te tñsdé t’ e¬n mérei krínw dikaíwß a¢nq’ oçtou pásceiß táde. légoim’ a¢n. – h®n tiß Priamidøn neåtatoß, Polúdwroß, ¿Ekábhß paîß, oÇn e¬k Troíaß e¬moì patær dídwsi Príamoß e¬n dómoiß tréfein, uçpoptoß w£n dæ Trwïkñß a™låsewß. toûton katéktein’· a¢nq’ oçtou d’ e¢kteiná nin a¢kouson, w™ß eu® kaì sofñ¸ promhqía¸. – e¢deisa mä soi polémioß leifqeìß o™ paîß Troían a¬qroísh¸ kaì xunoikísh¸ pálin, gnónteß d’ ¯Acaioì zønta Priamidøn tina

1125

1130

1135

1140

Testimonia: 1128 margøsan céra Hesychius M 275, Synagoge (versio antiqua) M 36 (unde Photius Lexicon M 109, Suda M 186) 1135 Thomas Magister 374,10 Imitatio: 1123 Christus Patiens 5 Codices: MB H(1126–) O, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tt(–1124) Tz(1125–) 1122 sù MacRwSas rell. : soì M3RwsSSa ei¢rgasai PacRwSas rell. : -stai ac s ac 1124 léxeiß O rell. : légeiß O1R 1125 pou¢stin içn’ FL MPa Rw SSa 1128 ceîra testimonia 1130 te om. OF 1135 dæ om. Thom. Mag. 1137 promhqía¸ Rgr rell. : -qeía¸ ORSSaV 1139 a¬qroísh¸ P2Rsrell. : -sei PrRRf : a¬qräsh PacSSa : a¬qräsoi F xun- rell. : sun- HSSa -oikísh¸ M2B3HcA1K1SaTt rell. : -käsh¸ MacBacHacOFKacZZuTz : -kísei AacPrSas : -käsei Rf : -kísoi R

Verse 1122–1140

Was sagst du? Du hast dies Werk vollbracht, so wie er sagt? Du, Hekabe, hast dies ungeheure Wagestück gewagt? Plm. Weh mir, was willst du sagen? Ist sie in der Nähe irgendwo? Zeig an, sag, wo sie ist, damit ich sie mit meinen Händen packe, zerreiße und den Leib mit Blut besudele! Ag. Du da, was fällt dir ein? Plm. Bei den Göttern flehe ich dich an, lass mich ausstrecken nach ihr meine gierige Hand! Ag. Halt ein! Vertreib aus dem Herzen das Barbarentum und sprich, damit ich dich und sie der Reihe nach höre und dann gerecht entscheide, wofür du dies erlitten hast.

231

Ag.

1125

1130

Plm. So spreche ich. – Es war einmal ein Sohn des Priamos, sein Jüngster, Polydoros, Kind der Hekabe, den aus Troja fort zu mir sein Vater Priamos sandte, ihn im Hause aufzuziehen, weil er den Fall der Stadt befürchtete. 1135 Den habe ich umgebracht, doch warum umgebracht, das höre! Ich tat es aus gutem Grund und weisem Vorbedacht. – Ich hatte Furcht, dass dieses Kind, wenn es am Leben bliebe, ein Feind dir würde und die Troer sammelte und Troja wieder gründete, und die Achäer, wenn sie erführen, dass einer der Priamiden am Leben sei,

1140

232

Exodos (1035–1295)

Frugøn e¬ß ai®an au®qiß a¢reian stólon, ka¢peita Qrä¸khß pedía tríboien táde lehlatoûnteß, geítosin d’ ei¢h kakòn Tråwn, e¬n w©¸per nûn, a¢nax, e¬kámnomen. – ¿Ekábh dè paidòß gnoûsa qanásimon móron lógw¸ me toiø¸d’ h¢gag’, w™ß kekrumménaß qäkaß frásousa Priamidøn e¬n ¯Ilíw¸ crusoû· mónon dè sùn téknoisí m’ ei¬ságei dómouß, içn’ a¢lloß mä tiß ei¬deíh táde. içzw dè klínhß e¬n mésw¸ kámyaß gónu· pollaì dé, ceiròß ai™ mèn e¬x a¬risterâß, ai™ d’ e¢nqen, w™ß dæ parà fílw¸ Tråwn kórai qákouß e¢cousai kerkíd’ ¯Hdwnñß ceròß h¢¸noun, u™p’ au¬gàß toúsde leússousai péplouß· a¢llai dè kámake Qrh¸kíw qeåmenai gumnón m’ e¢qhkan diptúcou stolísmatoß. oçsai dè tokádeß h®san, e¬kpagloúmenai

Testimonia: 1154 péplouß ~Eustathius Il. 599,45 Hesychius E 1625

1145

1150

1155

1157 e¬kpagloúmenai

Codices: MBHO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 1141 au®tiß MBAFPr a¢reian L1P1RwZmZu1Tz (cf. etiam MglHglVgl e¬páreian, kinäseian) : ai¢reian OKacVZuac : ai¢roian Zbac rell. : a¢roian PacPrZZc : a¢an Lac : ai¢roien B3sAGK1PaxZb1Tt stólon MHgrPrRgrSSaZc rell. : dóru gr gr gr gr gr 1145 dè paidòß gnoûsa M1V1 rell. : dè gn- p- Pa : M HOGKPr RS Sa Zc ac ac 1146 lógw¸ BRacSa rell. : dólw¸ BgrPrR2Sagr h¢gag’ dè gn- (paidòß om.) M V 1 1 P Zc rell. : h¢gage(n) FGVac : a¢gage Pac : h®gen HOKSSa : h®g’ Zcac 1147 frásousa McL1c rell. : frass- MHLSSaZu e¬n SSa rell. : u™p’ RRfSsSas s s 1149 ei¬deíh PrR rell. : -oíh Pr R Zu 1151 ceiròß Milton : ceîreß codd., schol. MBHV 1152 fílw¸ McB2 B3K1Ttir rell. : -wn MacBacB3sHKacRfSSa : -on O, schol. V 1153 qákouß Hermann : qákoun codd., schol. V 1154 h¢¸noun Hermann : leússousai h¢¸noun q’ codd., schol. MV toúsde Hcuv rell. : toîsde Hac 1s s BOAGK LRw xZmZu : leús- HKacRw rell. péploiß H 1155 kámake Qrh¸kíw Hartung, Weil : kámaka Qrh¸kían codd., schol. MBHV (tò Qra¸kikòn a¬kóntion) 1156 stolísmatoß MV rell. : stocísmatoß MgrVgr (potius stocásmatoß) 1157 e¬kpagloúmenai Tt rell. : e¬kplag- PrZuTz, Hesychius

233

Verse 1141–1157

noch einmal in das Phrygerland ihr Heer schickten und dann hier Thrakiens Ebenen verwüsteten und plünderten und den Nachbarn der Troer gerade das Unglück geschähe, an dem wir jetzt, mein Fürst, gelitten haben. – Als Hekabe des Kindes Todeslos erfuhr, rief sie mich mit dem Vorwand herbei, dass sie verborgene Schätze der Priamiden in Ilion mir zeigen wolle von Gold. Nur mich allein mit meinen Kindern führte sie ins Haus, damit kein anderer dies erführe. Ich sitze mitten auf dem Bett, mache es mir bequem, da sitzen viele Troerinnen, teils zur linken, teils zur anderen Hand, so wie bei einem Freund. Sie bewundern das Gewebe von Edonerhand, betrachten dies Gewand und halten es ins Licht. Andere besehen sich die beiden Thrakerspeere und trennen mich von meiner doppelten Waffe. Die schon Kinder hatten, wiegten bewundernd

1145

1150

1155

234

Exodos (1035–1295)

tékn’ e¬n ceroîn e¢pallon, w™ß prósw patròß génointo, diadocaîß a¬meíbousai cerøn. ka®¸t’ e¬k galhnøn –pøß dokeîߖ prosfqegmátwn eu¬qùß laboûsai fásgan’ e¬k péplwn poqèn kentoûsi paîdaß, ai™ dè polemíwn díkhn xunarpásasai tàß e¬màß ei®con céraß kaì køla· paisì d’ a¬rkésai crä¸zwn e¬moîß, ei¬ mèn próswpon e¬xanistaíhn e¬mòn kómhß kateîcon, ei¬ dè kinoíhn céraß pläqei gunaikøn ou¬dèn h¢nuton tálaß. tò loísqion dé, pñma pämatoß pléon, e¬xeirgásanto deín’· e¬møn gàr o¬mmátwn pórpaß laboûsai tàß talaipårouß kóraß kentoûsin ai™mássousin· ei®t’ a¬nà stégaß fugádeß e¢bhsan. e¬k dè phdäsaß e¬gœ qær wÇß diåkw tàß miaifónouß kúnaß, açpant’ e¬reunøn toîcon, w™ß kunhgéthß bállwn a¬rásswn. – toiáde speúdwn cárin péponqa tæn sæn polémión te sòn ktanån, ¯Agámemnon. – w™ß dè mæ makroùß teínw lógouß,

1160

1165

1170

1175

Testimonium: 1160 ~Lexicon Vindobonense 146,8 Codices: MB H(–1173) O, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 1158 prósw F rell. : pórrw FgrRRw 1159 génointo V2Tt : génnointo H : z génoito VT rell. diadocaîß MBOAFKLRRwZZbZcZm : -caîsin LcZcs rell. : diadocaîs’ Elmsley cerøn OF2irKsPPaxZZbTz : dià ceroîn Pr : ceroîn gr c B H GKRRfSSa : dià ceróß BZrgrZmac rell. : ceróß Zmc : cer Hac 1162 polemíwn codd. : -ou Gronewald : polupódwn Verrall 1163 sunarpásasai HKRRf táß g’ HOAGKSSa 1164 crä¸zwn GPr rell. : qélwn SSa et GglPrgl 1165 e¬xanastaíhn HLPrRZ 1167 h¢nuton H (h¢ntˆon), sicut coniecit Porson : h¢nuon rell. 1173 diåkw V rell. : -kwn VsSSa kúnaß SgrSagrZb rell. : kóraß SSaZbgr v. delevit Barrett 1174 e¬reunø Barrett v. delevit Prinz 1175 a¬rásswn xgr rell. : tarásswn x 1176 te rell. : tòn L : ge Diggle

Verse 1158–1177

235

meine Söhne in den Armen und gaben sie von Arm zu Arm, um sie vom Vater zu entfernen. Und dann nach friedlichen Gesprächen – was meinst 1160 du wohl? – ziehen sie plötzlich von irgendwo aus ihren Kleidern Schwerter und stechen auf die Söhne ein, und andere, nach der Art von Feinden, ergreifen meine Arme und Beine und halten sie fest. Wenn ich meinen Kindern helfen wollte und mein Gesicht hob, 1165 hielten sie mich an den Haaren, bewegte ich die Hände, vermochte ich Armer bei der Frauen Menge nichts. Schließlich, Schmerz über Schmerz, vollbrachten sie Furchtbares. Sie nehmen Spangen, stechen mir meine unglückseligen Augen aus 1170 und lassen sie bluten. Dann flüchteten sie eilig durch das Zelt. Ich springe auf, und wie ein wildes Tier verfolge ich die blutbefleckten Hündinnen, ich spüre jeden Winkel auf, so wie ein Jäger, werfe und schlage um mich. – Das habe ich erlitten, weil 1175 ich zu deinen Gunsten eifrig tätig war und deinen Feind getötet habe, Agamemnon. – Doch um die Rede nicht zu lang zu ziehen:

236

Exodos (1035–1295)

ei¢ tiß gunaîkaß tøn prìn ei¢rhken kakøß h£ nûn légwn e¢stin tiß h£ méllei légein, açpanta taûta suntemœn e¬gœ frásw· génoß gàr ou¢te póntoß ou¢te gñ tréfei toiónd’· o™ d’ ai¬eì xuntucœn e¬pístatai. Co.

Ek.

mhdèn qrasúnou mhdè toîß sautoû kakoîß tò qñlu sunqeìß w©de pân mémyh¸ génoß. pollaì gàr h™møn· ai™ mén †ei¬s’ e¬pífqonoi†, ai™ d’ ei¬ß a¬riqmòn †tøn kakøn† pefúkamen. ¯Agámemnon, a¬nqråpoisin ou¬k e¬crñn pote tøn pragmátwn tæn gløssan i¬scúein pléon· a¬ll’ ei¢te cräst’ e¢drase cräst’ e¢dei légein, ei¢t’ au® ponhrà toùß lógouß ei®nai saqroùß kaì mæ dúnasqai ta¢dik’ eu® légein poté. sofoì mèn ou®n ei¬s’ oi™ tád’ h¬kribwkóteß,

Testimonia: 1178–82 Stobaeus 4,22,144

1180

1185

1190

1183–86 Stobaeus 4,22,83

Codices: MBO gV(1187–), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZb ZcZmZu, Tz 1179 v. delevit Kovacs e¢sti(n) tiß rell. : tíß e¬stin A : e¬stìn SSa mélloi BF légei tiß h£ pálin méllei légein Stob. 1180 suntiqeìß O, Stob. 1182 toiónd’ M3B3 rell., Stob. : tosónd’ MB ai¬eì rell. : a¬eì MBFPRRwV, Stob. : au¬taîß Mgr 1183 co. Z2 rell. : e™k. L : co. e™k. S : nihil in Z mhdè OALcPPrxZb, Stob. : mäte Lac rell. sautoû V1Zcc rell., Stob. (codd. SA) : au¬toû MLRVacZcacZu, Stob. (cod. M) 1184 suntiqeìß ORZ mémyh¸ BacLcir VXb rell. : -fh¸ B3GPrRfRwV2sXb2sz Tz : -fou P : -yai Stob. 1185–86 nondum sanati, delevit Dindorf 1185 gàr h™møn codd. : gàr h™meîß Diggle : gár·h™møn Jackson : polløn gàr ou¬søn Nauck ai¬ mèn om. M ei¬s’ e¬pífqonoi codd. : ei¬s’ e¬píyogoi Lenting : ei¬sin eu¬geneîß Blaydes 1186 ei¬ß a¬riqmòn codd. : a¬ntáriqmoi Hermann tøn kakøn codd. : tøn kaløn Reiske : ou¬ kakøn Hadley, fortasse eu¬genøn 1188 gløttan GLPZ 1189 ei¢ tiß Sa : ei¢ ti S : ei¢te tiß Pr e¬crñn gV SSa légein O rell. : paqeîn O2gr 1190 saqroúß OmRSa rell. : safeîß RgrSagr : qraseîß O 1191 tà díkai’ O gV eu® peristélein gV

Verse 1178–1192

Wenn jemand über Frauen früher etwas Schlechtes sagte oder jetzt sagt oder sagen wird, das alles fasse ich zusammen und ich sage nun: So ein Geschlecht bringt weder Meer noch Land hervor wie dies. Wer je mit ihm zusammentraf, der weiß Bescheid. Cho. Sei nicht so frech und tadele wegen deiner eigenen Leiden nicht das ganze weibliche Geschlecht! Denn es gibt viele von uns; die einen sind tadelnswert (?), wir anderen aber gehören zur Zahl der Edlen (?). Hek. Agamemnon, es sollte nicht so sein, dass bei den Menschen die Zunge mehr Kraft als die Sache hätte; sondern entweder sollte man, wenn man gut handelte, auch gut sprechen oder aber es sollten, wenn man schlecht handelte, dann auch die Reden brüchig sein und nicht imstande, das Unrecht schön zu reden. Die sind zwar weise, die das ausgeklügelt haben,

237

1180

1185

1190

238

Exodos (1035–1295)

a¬ll’ ou¬ dúnantai dià télouß ei®nai sofoí, kakøß d’ a¬pålont’· ou¢tiß e¬xäluxé pw. – kaí moi tò mèn sòn w©de froimíoiß e¢cei· pròß tónde d’ ei®mi kaì lógoiß a¬meíyomai· oÇß fæ¸ß ¯Acaiøn pónon a¬pallásswn diploûn ¯Agamémnonóß q’ eçkati paîd’ e¬mòn ktaneîn. a¬ll’, w® kákiste, prøton ou¢pot’ a£n fílon tò bárbaron génoit’ a£n ÷Ellhsin génoß ou¢t’ a£n dúnaito. tína dè kaì speúdwn cárin próqumoß h®sqa; pótera khdeúswn tinà h£ suggenæß w£n h£ tín’ ai¬tían e¢cwn; h£ sñß e¢mellon gñß temeîn blastämata pleúsanteß au®qiß; tína dokeîß peísein táde; o™ crusóß, ei¬ boúloio ta¬lhqñ légein, e¢kteine tòn e¬mòn paîda kaì kérdh tà sá. e¬peì dídaxon toûto· pøß, oçt’ eu¬túcei Troía, périx dè púrgoß ei®c’ e¢ti ptólin, e¢zh te Príamoß ÷Ektoróß t’ h¢nqei dóru, tí d’ ou¬ tót’, ei¢per tø¸d’ e¬bouläqhß cárin qésqai, tréfwn tòn paîda ka¬n dómoiß e¢cwn e¢kteinaß h£ zønt’ h®lqeß ¯Argeíoiß a¢gwn;

1195

1200

1205

1210

Testimonium: 1194 e¬xäluxe(n) Hesychius E 3850 Codices: MBO gV(1194), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZb ZcZmZu, Tz 1194 a¬pålont’ ou¢tiß O gV GPTt : a¬pålonto kou¢tiß Tz rell. 1195 w©de SSaTzc : 1196 tónde d’ rell. : tónd’ SaZcZm 1197 oÇß w©d’ e¬n Tzac rell., schol. MB McBacB3sOAFsGacKLSsVZrgr, schol. BV : wÇß MB3 : pøß B2sFGcSV2 rell. fæ¸ß vel pónon fæß McF1Par rell. : fäs’ GKV2 : fñ¸ß vel fñß MOFPaR : fhsì PrS 1201 ou¢t’ codd. : ou¬d’ Dindorf 1202 póteron a¬caiøn SSa fónon Mgr tinà codd. : tinì Kovacs 1206 boúloio L1 rell. : boúlei LacRf SuvSaZ z ta¬lhqèß xZbT 1209 ei®c’ e¢ti rell. : ei¢ceto Mac : ei®ce tæn M3L ptólin r t 1211 tí d’ ou¬ codd. : tí ou¬ Wecklein OAGKPa xZuT : pólin PaTz rell. 1212 tòn Lc rell. : om. GLSSa paîda om. G

Verse 1193–1213

239

doch bis zum Ende können sie nicht weise sein. Sie gehen schlimm zugrunde, noch keiner kam davon. – Soviel zu dir vorweg! 1195 Jetzt komme ich zu ihm und gebe Antwort mit meiner Rede. Du sagst, um den Achäern doppelte Mühe zu ersparen und um Agamemnons willen habest du mein Kind getötet. Doch du Verruchter, erstens gibt es keine Freundschaft zwischen Griechen und Barbarenvolk, 1200 es kann auch keine geben. Um welche Gunst denn wolltest du dich auch bemühen? Etwa dich mit jemandem verschwägern? Mit wem bist du verwandt, oder welchen Grund gab es denn sonst? Oder wollten sie wieder hierher segeln und die Gewächse deines Landes verwüsten? Wem willst du das denn weismachen? 1205 Das Gold, wenn du die Wahrheit sagen wolltest, hat meinen Sohn getötet, und deine Habsucht. Denn dies erkläre mir: Als es Troja gut erging, die Mauer noch die Stadt umgab, als Priamos noch lebte, Hektors Speer in Blüte stand, 1210 warum hast du nicht damals, wenn du ihm hier gefällig sein wolltest, das Kind, das du im Haus aufzogst, ermordet oder lebend den Argivern gebracht?

240

Exodos (1035–1295)

a¬ll’ h™níc’ h™meîß ou¬két’ h®men e¬n fáei, kapnø¸ d’ e¬sämhn’ a¢stu polemíoiß uçpo, xénon katéktaß sæn molónt’ e¬f’ e™stían. – pròß toîsde nûn a¢kouson w™ß faính¸ kakóß· crñn s’, ei¢per h®sqa toîß ¯Acaioîsin fíloß tòn crusòn oÇn fæ¸ß ou¬ sòn a¬llà toûd’ e¢cein doûnai féronta penoménoiß te kaì crónon polùn patrå¸aß gñß a¬pexenwménoiß· sù d’ ou¬dè nûn pw sñß a¬palláxai ceròß tolmâ¸ß, e¢cwn dè kartereîß e¢t’ e¬n dómoiß. kaì mæn tréfwn mèn wçß se paîd’ e¬crñn tréfein såsaß te tòn e¬món, ei®ceß a£n kalòn kléoß· e¬n toîß kakoîß gàr a™gaqoì saféstatoi fíloi· tà crhstà d’ au¢q’ eçkast’ e¢cei fílouß. ei¬ d’ e¬spánizeß crhmátwn, o™ d’ eu¬túcei, qhsauròß a¢n soi paîß u™pñrc’ ou™mòß mégaß· nûn d’ ou¢t’ e¬keînon a¢ndr’ e¢ceiß sautø¸ fílon crusoû t’ o¢nhsiß oi¢cetai paîdéß te soì

1215

1220

1225

1230

Testimonia: 1226–27 ~Eustathius Macrembolites 6,13, ~Nicephorus Basiliaces Monodia 1 (p. 236,21 Pignani) Imitatio: 1226–27 fíloi Ennius Hec. fr. 216 Warmington = fr. inc. 185 Jocelyn Codices: MBO gV(1226–27), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 1214 h®men K1Rw rell. : e¬smèn MPrRfRwsV : ei®men KacLP 1215 kapnø¸ K rell. : kapnòß Kgr (sicut coniecit Canter) e¬sämhn’ KZc rell. : e¬säman’ SaZuv : e¬sämain’ ORf : e¬pämhn’ Kgr polemíoiß Schenkl : polemíwn codd., schol. MB 1216 molønt’ RSa 1217 faính¸ Gloël : fanñ¸ APaxTzpc : -ñ¸ß Tzac rell. : -eìß S 1218 a¬caioîß FXaZZu 1221 a¬pexenwménoiß Zc rell. : -oménoiß SaZac : a¬poxenwménoiß FR 1222 ou¬dè R2 rell. : ou¬dèn RS pw McR2 rell. : pwß MacR Sa : ou¢pw S 1224 mèn wçß se paîd’ Kgr rell. : mèn paîd’ wç s’ Z : tòn paîdá g’ w™ß O : ge p- w™ß Rf : ge p- s’ w™ß K : ge p- sù w™ß G 1225 te om. GR 1226 a™gaqoì Porson : oi™ ’gaqoì GLPZTz : oi™ a¬gaqoì rell. saféstatoi RgrZZus rell., testimonia : -teroi O gV GKLRRfZsZmZu 1227 au¢q’ eçkast’ SxTt : 1 z ac au¬qék- OFK LVZcZmT : au®q’ eçk- K rell. 1232 te om. RSSa

Verse 1214–1231

Doch als auf uns nicht mehr die Sonne schien und als die Stadt durch Rauch anzeigte, dass sie in Feindeshand war, schlugst du den Gastfreund tot, der in dein Haus gekommen war. –

241

1215

Dazu noch höre jetzt, wie schlecht du dastehst: Wärest du den Achäern freundlich gesonnen, dann hättest du das Gold, das, wie du sagst, dem hier und nicht dir gehört, bringen und denen geben müssen, die arm daran waren 1220 und lange Zeit vom Vaterland entfernt. Du aber bringst es noch nicht einmal jetzt fertig, es aus der Hand zu geben, und hältst es weiterhin im Haus zurück. Und in der Tat, wenn du mein Kind behandelt hättest, so wie es recht gewesen wäre, und es gerettet hättest, wär dir schöner Ruhm gewiss; 1225 denn wenn man im Unglück ist, bewähren sich die guten Freunde am deutlichsten; der, dem es gut geht, hat von selbst Freunde genug. Wenn es dir an Mitteln fehlte, doch ihm es gut erginge, dann wäre dir mein Kind ein großer Schatz gewesen, nun aber hast du jenen Mann nicht mehr für dich als Freund, 1230 vom Golde hast du keinen Nutzen und keine Kinder mehr,

242

Exodos (1035–1295)

au¬tóß te prásseiß w©de. – soì d’ e¬gœ légw, ¯Agámemnon· ei¬ tø¸d’ a¬rkéseiß, kakòß fanñ¸· ou¢t’ eu¬sebñ gàr ou¢te pistòn oi©ß e¬crñn, ou¬c oçsion, ou¬ díkaion eu® dráseiß xénon· au¬tòn dè caírein toîß kakoîß se fäsomen toioûton o¢nta· despótaß d’ ou¬ loidorø. Co.

feû feû· brotoîsin w™ß tà crhstà prágmata crhstøn a¬formàß e¬ndídws’ a¬eì lógwn.

Ag.

a¬cqeinà mén moi ta¬llótria krínein kaká, oçmwß d’ a¬nágkh· kaì gàr ai¬scúnhn férei prâgm’ e¬ß céraß labónt’ a¬påsasqai tóde. – e¬moì d’, içn’ ei¬dñ¸ß, ou¢t’ e¬mæn dokeîß cárin ou¢t’ ou®n ¯Acaiøn a¢ndr’ a¬pokteînai xénon, a¬ll’ w™ß e¢ch¸ß tòn crusòn e¬n dómoisi soîß. légeiß dè sautø¸ prósfor’ e¬n kakoîsin w¢n. tác’ ou®n par’ u™mîn r™á¸dion xenoktoneîn· h™mîn dé g’ ai¬scròn toîsin ÷Ellhsin tóde. pøß ou®n se krínaß mæ a¬dikeîn fúgw yógon; ou¬k a£n dunaímhn. a¬ll’ e¬peì tà mæ kalà prássein e¬tólmaß, tlñqi kaì tà mæ fíla.

Testimonia: 1238–39 Stobaeus 3,13,4

1235

1240

1245

1250

1250–51 Orio Flor. 6,3 Haffner

Imitatio: 1247-48 Ennius Hec. fr. 217–18 Warmington = 87 Jocelyn Codices: MBO gV(1238–39), AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZc ZmZu, Tz 1232 te om. RSSa 1233 fanñ¸ V2 rell. : -eî PV : -ñß RSa 1234 eu¬sebñ M3RSa 1235 eu® dráseiß Fc rell. : t’ eu® dr- R : rell. : eu¬sebøß MacuvRsSas : -èß Rgr ac z xénon T rell. : fílon FRfSSa et GglKglPaglXglXbglZglTtgl e¢drasaß BF 1236 kakoîß se fäsomen RsZc1 rell. : k- se -mai FRRfZbZcsZm : k- fäsomen GZcac : k- e¬fäsomen K : k- e¬fäsomai S : kakoîsí se fäsomen OV 1239 crhstøn rell., Stob. : cr- d’ FS : cr- t’ G 1242 ceîraß MKPPaRwVXXbZm 1244 ou®n om. LPr 1245 e¢ch¸ß M3P2Pa1Pr1V3Xb1Zcc rell. : -eiß MPPaacPracVXbacZcac : -oiß LcZu 1246 kakoîß PrZ

Verse 1232–1251

243

und um dich steht es so. – Dir aber sage ich, Agamemnon: Wenn du ihm hilfst, wirst du schlecht dastehen; denn einem Fremden wirst du dann Gutes tun, der nicht fromm ist und nicht treu, denen er treu sein sollte, nicht gottesfürchtig und nicht gerecht. 1235 Dann werde ich sagen, dass du dich an schlechten Menschen freust und selbst ein solcher bist. Doch meine Herren will ich nicht schmähen. Cho. Erstaunlich, wie den Menschen eine gute Sache immer den Stoff zu guten Reden gibt. Ag.

Es ist mir lästig, über fremdes Leid ein Urteil zu fällen, doch es muss sein. Denn Schande bringt es, fallen zu lassen, was man in die Hand genommen hat. –

1240

Dass du es weißt, mir scheinst du nicht um meinetwillen und der Achäer willen den Gastfreund getötet zu haben, sondern um das Gold in deinem Haus zu haben. 1245 Du sagst nur, was dir nützlich ist, weil du im Unglück bist. Vielleicht wiegt es leicht bei euch, Gastfreunde umzubringen, bei uns jedoch, den Griechen, ist es eine schlimme Tat. Wie soll ich dem Tadel entgehen, wenn ich urteilte, du seiest nicht im Unrecht? Das kann ich nicht. Nein, da du zu tun gewagt hast, 1250 was nicht schön ist, ertrage auch, was dir nicht lieb ist!

244

Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm.

Exodos (1035–1295)

oi¢moi, gunaikóß, w™ß e¢oic’, h™ssåmenoß doúlhß u™féxw toîß kakíosin díkhn. ou¢koun dikaíwß, ei¢per ei¬rgásw kaká; oi¢moi téknwn tønd’ o¬mmátwn t’ e¬møn tálaß. a¬lgeîß; tí daí me paidòß ou¬k a¬lgeîn dokeîß; caíreiß u™brízous’ ei¬ß e¢m’, w® panoûrge sú. ou¬ gár me caírein crä se timwrouménhn; a¬ll’ ou¬ tác’, h™ník’ a¢n se pontía notíß … … møn naustoläsh¸ gñß oçrouß ¿Ellhnídoß; … krúyh¸ mèn ou®n pesoûsan e¬k karchsíwn. pròß toû biaíwn tugcánousan a™lmátwn; au¬tæ pròß i™stòn naòß a¬mbäsh¸ podí. u™poptéroiß nåtoisin h£ poíw¸ trópw¸; kúwn genäsh¸ púrs’ e¢cousa dérgmata. pøß d’ oi®sqa morfñß tñß e¬mñß metástasin; o™ Qrh¸xì mántiß ei®pe Diónusoß táde. soì d’ ou¬k e¢crhsen ou¬dèn w©n e¢ceiß kakøn; ou¬ gár pot’ a£n sú m’ ei©leß w©de sùn dólw¸.

1255

1260

1265

Testimonia: 1254 ei¢per – kaká schol. T Il. 13,153 1261 karchsíwn ~Hesychius K 950 1265 Tzetzes in Lycophronem 315 1265 dérgmata Hesychius D 666 Imitatio: 1258 Ennius Hec. fr 219 Warmington = 86 Jocelyn Papyri: P2(1252–69), P10(1256–69) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 1254 e™k. PZs : nulla nota in S : a¬g. rell. ei¢rgasai schol. Il. kaká Ogr rell. : táde LO, schol. Il. 1255 tøn d’ K1c rell. : tøn t’ OKPaVx t’ K1cLc rell. : om. OKLRV 1256 e™k. B3 rell. : a¬g. Bac tí daí me BGKPaSaV2sxZTt : tí dé me B2V rell. : tí d’ e¬mè F : tí dä me R : tí d’; h® ¯mè Bothe 1257 caíreiß rell., schol. V : oiß ARwSSaxZbZu : ]cˆ P10 : -e[ P2 : -ein SsSas 1258 crä A1RacZc rell. : crñn MBOAacPrRsVZbZcs 1260 naustoläsh¸ Pa rell. : -sei ParPrRSSaV 1261 krúyh¸ 1263 naòß P10 MRSaVTt rell. : nhòß Pa rell. : -ei GPParRwSaZu z s s s a¬mbäsh¸ BacP1 rell. : e¬mbGKLPZcZmZuT et R Sa V : neœß M2 3 MB OAPPrRfRwSSaV, schol. V : e¬kb- F 1265 gennäsh¸ ZbZcTz púrs’ vel pûrs’ Rw1 rell., Tzetzes : pûr MRwac 1266 d’ om. LPax 1267 diónusoß ei®pe P10 RfSSa 1268 ou¬dèn om. GRf, add. Gs post soì

Verse 1252–1269

Plm. Weh mir, von einer Frau, so wie es scheint, besiegt, von einer Sklavin, werde ich durch Schlechtere bestraft. Hek. Doch wohl mit Recht, wo du doch Böses tatest? Plm. Weh mir, ich Armer, meine Kinder hier und meine Augen! Hek. Du leidest? Was glaubst du bloß, ich litte nicht an meines Kindes Tod? Plm. Du freust dich noch an deiner Untat gegen mich? O du Verbrecherin! Hek. Soll ich mich denn nicht freuen, weil ich Rache nahm an dir? Plm. Doch bald nicht mehr, wenn dich die Meeresflut … Hek. … nicht etwa mit dem Schiff zu Hellas’ Grenzen bringt? Plm. … in sich verbirgt, wenn du vom hohen Mastbaum fällst. Hek. Was bringt mich zu dem gewaltsamen Sprung? Plm. Du selbst steigst mit dem Fuß hinauf zum Mast des Schiffes. Hek. Mit Flügeln auf dem Rücken oder wie denn sonst? Plm. Zur Hündin wirst du werden mit feuerrotem Blick. Hek. Wie weißt du die Verwandlung meiner Form? Plm. Der Thraker Seher Dionysos hat mir dies gesagt. Hek. Dir hat er nichts geweissagt von dem Unglück, das du hast? Plm. Dann hättest du mich nie so überlisten können.

245

1255

1260

1265

246

Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ek. Pm. Ag. Pm. Ag. Pm. Ag. Pm.

Exodos (1035–1295)

qanoûsa d’ h£ zøs’ e¬nqád’ e¬kpläsw fátin; qanoûsa· túmbw¸ d’ o¢noma sø¸ kekläsetai … morfñß e¬pw¸dòn mä ti tñß e¬mñß e¬reîß; … kunòß talaínhß sñma, nautíloiß tékmar. ou¬dèn mélei moi soû gé moi dóntoß díkhn. kaì sän g’ a¬nágkh paîda Kassándran qaneîn. a¬péptus’· au¬tø¸ taûta soì dídwm’ e¢cein. kteneî nin h™ toûd’ a¢locoß, oi¬kouròß pikrá. mäpw maneíh Tundarìß tosónde paîß. kau¬tón ge toûton, pélekun e¬xáras’ a¢nw. ou©toß sú, maính¸ kaì kakøn e¬râ¸ß tuceîn; kteîn’, w™ß e¬n ºArgei fónia loutrá s’ a¬mménei. ou¬c eçlxet’ au¬tón, dmøeß, e¬kpodœn bía¸; a¬lgeîß a¬koúwn; ou¬k e¬féxete stóma; e¬gklä¸et’· ei¢rhtai gár.

Testimonia: 1277 oi¬kouròß ~Eustathius Il. 222,29 367

1270

1275

1280

1281 schol. MBCV Eur. Or.

Papyrus: P2(1271–80) Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZmZu, Tz 1270 fátin Weil : bíon codd. : pótmon Musgrave : móron Brunck 1271 sø¸ P2BAGK1LRsSsV2sZacZbZcZu1Tz : sòn GsKacRSVZ2ZuacTt rell. 1272 mä ti P2 : h¢ ti codd., schol. V 1274 mélei P2Tzpc rell. : méllei FRRfZbTzac gé moi rell. : g’ e¬moì SSaZb : P2 dubium 1275 kassándran MBOKPPaPrRw1Z : kas- P2 Rw rell. : kassándra F 1276 au¬tø¸ P2 Rfc rell. : -twn PPrRfacSa taûta soì vel taûtá soi codd. : soi P2 1277 kteneî P2 rell. : ktaneî S : ktaneîn Sa 1279 ge LYn et fortasse P2 : se Sac rell., schol. M : dè GKPaRwS1VxTz : te RSa : om. schol. aliud MBV 1280 a¬g. B1A1S1 rell. : e™k. BacAacSacX : e™k. a¬g. Rf c z 1281 a¬mménei L T : a¬nam- LacTt rell., schol. Or. : a¬nameneî M 1283 e¬féxete R rell. : e¬félxete SZb : a¬féxete FPrRf : a¬félxete Sa : e¬frágxete Rgr 1284 e¬gklä¸et’ Dindorf : e¬gkleíet’ MBRRfsSa rell. : e¬gkleíetai GRf : piézete MgrBgrR2gr : -tai Sagr

Verse 1270–1284

Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Hek. Plm. Ag. Plm.

247

Tot oder lebend werde ich dort den Spruch erfüllen? 1270 Tot, und dein Grab wird den Namen tragen ... Nach meiner Gestalt benannt meinst du doch nicht? ... der armen Hündin Denkmal, Seefahrern ein Zeichen. Mich kümmert es nicht, weil du mir ja gebüßt hast. Auch deine Tochter Kassandra muss sterben. 1275 Da speie ich aus und wünsche es dir selber. Es wird sie töten dieses Mannes Frau, die zu Hause hockt, die böse. Tyndareos’ Tochter möge nie so wüten. Und ihn selbst dazu, das Beil hoch erhoben. Du da, du rast, bist darauf aus, dass es dir schlecht geht. 1280 Schlag mich nur tot, denn in Argos erwartet dich ein mörderisches Bad. Ag. Wird’s bald, ihr Diener? Schleppt mit Gewalt ihn weg! Plm. Tut es dir weh, wenn du es hörst? Ag. Los, haltet ihm den Mund zu! Plm. Schließt ihn nur zu! Es ist gesagt!

248

Ag.

Exodos (1035–1295)

ou¬c oçson tácoß näswn e¬rämwn au¬tòn e¬kbaleîté pou, e¬peíper ouçtw kaì lían qrasustomeî; – ¿Ekábh, sù d’, w® tálaina, diptúcouß nekroùß steícousa qápte. – despotøn d’ u™mâß creœn skhnaîß pelázein, Trw¸ádeß· kaì gàr pnoàß pròß oi®kon h¢dh tásde pompímouß o™rø. –

1285

1290

eu® d’ e¬ß pátran pleúsaimen, eu® dè ta¬n dómoiß e¢cont’ i¢doimen tønd’ a¬feiménoi pónwn. Co.

i¢te pròß liménaß skhnáß te, fílai, tøn desposúnwn peirasómenai mócqwn· sterrà gàr a¬nágkh.

Testimonia: 1291 – pleúsaimen Eustathius Il. 188,23 Eustathius Il. 918,49

1295

1294 desposúnwn

Codices: MBO, AFGKLPPaPrRRfRwSSaV, x = XXaXb, z = ZZbZcZm Zu, Tz 1285 pou RsV2Tt rell. : poi OGKRVZcTz : [Rw] 1293 liménaß te RfSSa 1295 stereà ZbZc Subscriptio téloß eu¬ripídou e™kábhß BOAFKLPaRRwSSa : t- e™k- MVZcZm : eu¬r- e™kábh Ttir : eu¬r- drámatoß e™k- téloß Z : t- dr- eu¬r- e¬kZb : t- eu¬r- toû perì tñß e™k- dr- Rf2 : nulla subscriptio in GPPrRfxZu

Verse 1284–1295

Ag.

Schnell weg mit ihm, setzt irgendwo ihn aus auf einer unbewohnten Insel, weil er so übermäßig freche Reden hält! –

249

1285

Hekabe, du Unglückliche, geh und begrabe die beiden Toten! – Ihr müsst zu den Zelten eurer Herren gehen, Troerinnen, denn ich spüre jetzt diese Winde, die uns nach Haus geleiten sollen. – 1290 Gut mögen wir zur Heimat segeln, gut auch alles in der Heimat finden, von diesen Mühen hier befreit. Cho. Geht zum Hafen, ihr Lieben, geht zu den Zelten, zu erproben die Mühen der Knechtschaft, denn hart ist die Notwendigkeit.

1295

Kommentar

Bemerkungen zu den Argumenta Solche einführenden Texte, die man u™poqéseiß oder „argumenta“, also „zugrunde liegende Stoffe“ oder „Inhaltsangaben“ nennt, wurden den Tragödientexten in den mittelalterlichen Handschriften beigegeben. Einige von ihnen gehen auf die Antike zurück, so auch die beiden hier abgedruckten Texte, die zugleich Beispiele für zwei verschiedene Typen solcher Einführungen sind. Mehr hierzu bei Zuntz (1955) 129–46. I Der erste, längere Text gibt einen kurzen Bericht, und zwar nicht über die Handlung des Stückes, sondern über den ihm zugrundeliegenden Sagenstoff, allerdings recht ungenau und nur in großen Zügen. Manches, was für die Handlung weniger wichtig ist, bleibt unerwähnt, so die Rolle des Odysseus und der Opferentschluss der Polyxene in der ersten Dramenhälfte ebenso wie die Rolle Agamemnons als Schiedsrichter zwischen den streitenden Parteien in der zweiten. Texte dieser Art und Ausführlichkeit gibt es zu vielen der in den mittelalterlichen Handschriften überlieferten Stücke, aber auch, wie Papyrusfunde gezeigt haben, zu Stücken, die uns verloren gegangen sind. Solche Texte sind in gewähltem Stil und rhythmischer Prosa verfasst und gehen, wie es scheint, auf ein in der späteren Antike verbreitetes Buch zurück, das eine ähnliche Funktion wie ein moderner Opernführer hatte, also die Möglichkeit einer raschen Information über den Stoff eines Stückes bot. Zum Stil dieser Einführungen J. Diggle, Rhythmical Prose in the Eur. Hypotheses, Studi e Testi di Papirologia, N. S. 7, Florenz 2005, 27–67. Da die einführenden Texte in mehreren der besseren Handschriften fehlen und in anderen mit den ersten Blättern verloren gegangen sind, muss man sich hier auch auf weniger wertvolle Handschriften stützen. Das hat zur Folge, dass in diesen Texten, deren Wortlaut nicht der Kontrolle durch die alexandrinischen Philologen unterlag, die Varianten besonders zahlreich sind. II Der zweite, kürzere Text dürfte der Rest einer knappen Einführung in die Handlung sein, wie es sie auch zu mehreren anderen Stücken gibt. Solche

254

Kommentar

Einführungen pflegen eine kurze Inhaltsangabe zu bieten, die meist nur einen Satz umfasst, nennen das Aufführungsdatum und den Erfolg des Stückes beim tragischen Wettkampf und informieren auch über die Behandlung des gleichen Stoffes bei anderen Tragikern. Ferner wird der Ort der Handlung angegeben, ebenso wie die Zusammensetzung des Chores und der Name des Prologsprechers. Diese Texte dürften auf den bedeutenden Grammatiker Aristophanes von Byzanz zurückgehen, der zu Anfang des 2. Jh. v. Chr. Leiter der Bibliothek von Alexandria war. 4 Ein solcher Hinweis auf Gestaltungen des Stoffes bei anderen Tragikern findet sich häufig in den einführenden Texten, die auf Aristophanes von Byzanz zurückgehen. Darum wurde dieser Satz mit Recht von Wilamowitz aus den Scholien zu V. 1 an diese Stelle versetzt. 5–7 Das Verzeichnis der auftretenden Personen gehört noch heute zu den üblichen Beigaben am Anfang eines Dramentextes. Ich folge denjenigen Handschriften, welche die Personen, wie sonst meist üblich, in der Reihenfolge ihres Auftretens nennen (AGPPaxTt). In anderen Handschriften finden sich andere Reihenfolgen, deren Sinn sich nicht erkennen lässt. III Der dritte Text, der sich nur in wenigen Handschriften findet, ist eine kurze Inhaltsangabe in zwölfsilbigen Versen, die aus einer späteren Zeit stammen, in der man nur noch auf die Zahl der Silben, aber nicht mehr auf ihre Quantitäten achtete. Ein ähnlicher, aber längerer Text findet sich unter den Argumenta zu Sophokles’ Philoktet.

1–58 Prologrede

255

1–58 Prologrede Das Stück beginnt wie alle erhaltenen Dramen des Eur. mit Ausnahme der Iph.A. mit einer Prologrede. Während Geistererscheinungen in der Tragödie auch sonst vorkommen (Aisch. Pers., Eum.), ist der Auftritt eines Geistes als Sprecher der Prologrede in den erhaltenen Dramen ohne Parallele. Unmittelbares Vorbild dürfte die verlorene Polyxene des Soph. gewesen sein, wo der Geist des toten Achilleus auftrat, vielleicht ebenfalls als Prologsprecher; vgl. V. 37, 109–15. Unser Prolog ähnelt den bei Eur. nicht seltenen Götterprologen vor allem darin, dass der Geist wie ein Gott Zukunftswissen besitzt. Dies zeigt sich besonders in V. 42–52, wo er voraussagt, dass seine Schwester Polyxene am gleichen Tag sterben wird und dass er selbst ein Grab erhalten wird. Es geht Polydoros nur um sein Begräbnis, nicht darum, dass sein Mord gerächt wird. Die wichtigste Funktion der Prologszene ist es, die beiden Teilhandlungen, Polydoros– und Polyxene–Handlung, fest zu verknüpfen und den emotionalen Höhepunkt des Stückes vorzubereiten, nämlich die Auffindung der Leiche des Sohnes genau in dem Augenblick, als Hekabe die Bestattung der Tochter vorbereiten will. Die bei Eur. üblichen langen Prologreden, in denen die Vorgeschichte der Handlung erzählt wird, wurden oft als undramatisch empfunden. Man stellte ihnen gern die Prologe des Soph. gegenüber, die meist Dialogform haben und in denen der Zuhörer die für das Verständnis der Handlung erforderlichen Informationen gleichsam unvermerkt erhält. Auch die in den Götter- und Geisterprologen bei Eur. erfolgenden Vorausblicke auf den Handlungsverlauf wurden kritisiert, weil sie dem Publikum schon zu viel verrieten und ihm dadurch die Spannung nähmen. Hierzu grundsätzlich Erbse (1984) 1–20, zum Prolog der Hek. ebendort 48–59. Er verweist auf die treffenden Ausführungen Lessings im 48. und 49. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, der auch den Prolog der Hek. würdigt. Zur Erscheinung des Polydoros ferner Wilamowitz (1931) 1, 371 Anm. 1, der auf Grund von V. 71 melanopterúgwn und 705 melanópteron annimmt, dass Eur. sie sich als „ein Traumgebilde mit schwarzen Flügeln“ vorstellte. S. auch zu V. 71. 1–4 Der Sprecher stellt sich vor, indem er Namen, Abstammung und Herkunftsort nennt. Man kann einen solchen Beginn mit einer direkten Hinwendung zum Publikum kunstlos finden, er hat aber den Vorteil, dass der Zuschauer die nötigen Informationen rasch erhält. 1–2 hçkw … lipån: „Ich kam, … verlassend“. Formelhafte Wendung in Eingangsversen auftretender Personen, besonders von Göttern oder

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Kommentar

Geistern; vgl. Tro. 1; Ba. 1, 13; ähnlich Andr. 1232; hçkw auch Ion 5; Aisch. Pr. 284. Wichtig als Vorbild für unsere Stelle ist Soph. Polyxene F 523 TrGF, wo offenbar der dem griechischen Heer erscheinende Geist des Achilleus den Prolog spricht. 1 keuqmøna: „das Tal“, wörtlich „Versteck“, Höhle“; vom Erdinneren Hesiod Theogonie 158; vom Tartaros Aisch. Pr. 220; ähnlich Soph. Ant. 818 (keûqoß nekúwn). skótou: skótoß kann Maskulinum oder Neutrum sein, doch scheint in der Tragödie nur das Maskulinum gebräuchlich zu sein. Darum ist skótouß als Genetiv des Neutrums hier nicht möglich. Vgl. auch V. 831. 2 cwrìß … qeøn: „abseits von den Göttern“. Gemeint sind die himmlischen Götter (ou¬ranídai) im Unterschied zu den unter der Erde wohnenden Unterweltgöttern (oi™ u™pò gaíaß). Vgl. V. 49, 146f., 791. 3 ‘Ekábh (Hekabe) ist hier Tochter des Kisseus, während sonst meist Dýmas als ihr Vater gilt (Ilias 16,718, vgl. auch die Scholien zur Stelle). Zwar lässt sich der Name Kisseus als „Efeumann“ deuten, und zwar ist der Efeu (kissóß) dem Dionysos heilig, aber allein dadurch wird Hekabe wohl kaum mit dem Bereich des Dionysischen in engere Verbindung gebracht, wie Schlesier (1988) 111f. zu meinen scheint. Dass dieser Kisseus ein Thraker war, wie sie vermutet, ist nicht sicher, aber nicht auszuschließen. Zwar ist Ilias 11,223 ein Thraker Kissés erwähnt, doch ob der hier genannte Kisseus mit diesem Kisses identisch sein soll, wie Servius (zu Aeneis 10,705) annimmt, wissen wir nicht. (Auch bei dem König Kisseus, dem Gegenspieler des Helden des Archelaos, ist es zwar möglich, aber nicht sicher, dass es sich um einen Thraker handelt.) Deswegen gibt es keine verlässlichen Anhaltspunkte für die Richtigkeit von Schlesiers Vermutung, dass wegen der Abstammung vom gleichen Volk eine Affinität zwischen dem grausamen Handeln Polymestors und dem Hekabes bestehe. Rätselhaft ist der Vers Aisch. F 341 TrGF, wo Kisseus möglicherweise als Beiname des Apollon erscheint; vgl. Radt im Apparat hierzu. 4 Frugøn pólin: „der Phryger Stadt“. Troer/Trojaner und Troerinnen/Trojanerinnen (Trø¸eß, Trw¸ádeß) werden in der Tragödie oft auch mit dem Namen der späteren Bewohner der Troas Frúgeß genannt, die Stadt Troía auch ºIlion, wie in V. 11. Nunmehr geht Polydoros unmerklich zur Erzählung seines Schicksals über und informiert den Zuschauer zugleich über die Vorgeschichte der ersten Teilhandlung (4–30). 5 dorì … ¿Ellhnikø¸: „durch den Hellenenspeer“. Die Griechen werden in der Tragödie entsprechend der homerischen Tradition ¯Acaioí, ¯Argeîoi, Danaoí oder auch Danaýdeß genannt. Hinzu kommt jetzt ÷Ellhneß, das in der Ilias fast nie als Gesamtname der Griechen verwendet wurde, sondern meist nur als Bezeichnung der Bewohner des südlichen

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Thessalien. In der Odyssee wird das ganze griechische Festland nördlich der Peloponnes ‘Elláß genannt. Hesiod (Erga 653) spricht zuerst von ‘Elláß als dem Land der Völker, die gegen Troja ins Feld zogen. In den Katalogen wird ÷Ellhn als Ahnherr aller griechischen Stämme genannt (Hes. fr. 2–4 und 9 M.-W.). Zu Einzelheiten s. die Artikel ‘Elláß und ÷Ellhneß (B. Mader) sowie Panéllhneß (V. Langholf) im Lexikon des frühgriechischen Epos. 6 Gregory verweist auf den ähnlichen Fall des Iphidamas, der Eur. vielleicht zu seiner Erfindung angeregt hat. Dieser war ein Sohn des Antenor und der Theano, der bei seinem Großvater Kisses in Thrakien aufwuchs, dann aber doch am Krieg teilnahm und von Agamemnon getötet wurde (Ilias 11,221–47). 7 Qrh¸kíou: Überall in der Tragödie werden nicht die attischen Formen Qr⸸x, QrḸkioß verwendet, sondern die ionischen Formen Qrñ¸x, Qrä¸kioß; vgl. Björk (1950) 244. xénou „des Gastfreunds“. Ein ‚Leitmotiv‘ in der Polymestor-Handlung, in der es um eine schwere Verletzung des Gastrechts und um ihre Bestrafung geht. Hierauf wird im folgenden immer wieder Bezug genommen (V. 19, 26, 82, 710, 715, 774, 781, 790, 794, 852, 1047, 1216, 1244). 8 tänd’: „dies“ wurde von Hermann vorgeschlagen. Es wird meist in den Text aufgenommen, weil es sinnvoll ist, am Anfang eines Stückes den Ort der Handlung früh zu bestimmen. Würde das überlieferte tæn beibehalten, erfolgte die Ortsbestimmung erst in V. 33. Allerdings ist anzumerken, dass auch anderswo die Festlegung des Ortes recht spät erfolgt (z. B. Hkld. 32f., Iph.T. 30, Or. 46, Kykl. 20). a¬rísthn: „reiche“, wörtlich „sehr gute“. Hierdurch wird in traditioneller Weise die besondere Fruchtbarkeit dieses Landes hervorgehoben; vgl. Ilias 20,485 Qrä¸khß e¬ribålakoß. Cersonhsían: „die Chersonēs“: Das Stück spielt auf der thrakischen Chersones, also der Halbinsel Gallipoli nördlich des Hellesponts, während der traditionelle Ort des in V. 37 erstmals erwähnten Grabmals des Achilleus in der Ebene von Troja auf der Südseite der Meerenge ist. Die Handlung setzt aber voraus, dass das Grabmal ohne Mühe und jedenfalls ohne die Benutzung von Schiffen vom ganzen Heer erreicht werden kann. Delebecque (1951) 161f. meint, diese Diskrepanz lasse sich durch die Entstehungsgeschichte des Stückes erklären. Eur. habe zunächst die PolyxeneHandlung konzipiert und diese auf der asiatischen Seite lokalisiert. Dann habe er die Polydoros-Handlung hinzugefügt, die eine Lokalisierung auf der europäischen Seite verlange. Das ist möglich, aber nicht beweisbar. Die Zuschauer jedenfalls dürften dem Eur. seine Unbekümmertheit in geographischen Dingen ebensowenig übel genommen haben wie das Publikum von Shakespeares Wintermärchen seinem Dichter die Ortsangabe „Bohe-

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mia, a desert country near the sea“. Die Odyssee lokalisiert übrigens das Grab des Achilleus ganz allgemein auf einer Landspitze am Hellespont, macht aber keine Aussage darüber, auf welcher Seite es liegt (24,82). Vergil Aeneis 3,322 lokalisiert den Grabhügel „Troiae sub moenibus altis“. Ovid Metamorphosen 13,439–44 verlegt die Erscheinung des Achilleus nach Thrakien, macht allerdings wie Eur. keine genaue Angabe darüber, wo sich sein Grab befindet. pláka (zu pláx); „Land“, wörtlich „Ebene“. Schol.: cåran „Land” mit Hinweis auf Stheneboia F 661, 3 TrGF plousían a¢roi pláka. 9 fílippon: „Rosse liebend“. Die Thraker galten schon bei Homer als ein Volk von Pferdezüchtern: Ilias 13,4 e¬f’ i™ppopólwn Qrh¸¸køn. Vgl. auch V. 428, 710; ferner Soph. Tereus F 582 TrGF çHlie filíppoiß Qrh¸xì présbiston sélaß (sébaß Bothe). dorí „mit seinem Speere“. Wohl nicht „an early indication of Polym.’s violent nature“ (Collard). Der Speer ist als Symbol der Königsherrschaft zu verstehen wie Hipp. 975 ei¬ß oçrouß gñß h©ß e¬mòn krateî dóru. 10 polùn … crusòn: „viel Gold“. Damit ist ein Wort gefallen, das im folgenden noch elfmal wiederkehrt und so ebenfalls zu einem ‚Leitmotiv‘ wird (V. 25, 27, 712, 772, 775, 994, 1002, 1148, 1219, 1231, 1245). Das mitgegebene Gold wurde Polydoros zum Verhängnis, die Gier nach Gold wird auch Polymestor vernichten. Zum Goldreichtum der Troer vgl. V. 492; Iph.A. 74. e¬kpémpei: wörtlich „schickt hinaus“, historisches Präsens, wie öfters im folgenden (21 a¬póllutai, 23 pítnei, 25 kteínei), davon abhängig Finalsatz im Optativ, wie nach Vergangenheitstempora (içn’ … ei¢h). 12 spániß bíou: „Mangel an Lebensunterhalt“. bíoß „Leben“ bezeichnet hier wie oft die Mittel, die der Mensch für sein Leben braucht; vgl. Hik. 450f., 861. 13 neåtatoß: „der jüngste“. Eur. dürfte angeregt sein durch Ilias 20,407–18, wo es heißt, dass Priamos seinen jüngsten und liebsten Sohn Polydoros (der dort übrigens nicht von Hekabe, sondern von Laothoe stammte: 22,46–48) vom Kampf fernhalten wollte, dieser aber trotzdem gegen Achilleus antrat und von ihm getötet wurde. h®: „ich war“. In den Hss. ist einheitlich h®n überliefert. Die ältere attische Form war jedoch h®, wie Didymos in schol. Sa bemerkt. Darüber, ob man die ältere Form herstellen oder sich an die Überlieferung halten sollte, wird viel diskutiert; vgl. Barrett zu Hipp. 700; Kannicht zu Hel. 992; Stevens zu Andr. 59. h®n ist jedenfalls um der Hiatvermeidung willen überall dort zu halten, wo ein vokalisch anlautendes Wort folgt. Das ist aber an keiner Stelle des Vorkommens der Form in der Hek. (hier und V. 15, 284, 354, 809) der Fall, darum setze ich h® wie die anderen Herausgeber. oÇ kaì für di’ oÇ kaì: „weswegen auch“; wie Phön. 155, 263.

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14f. Der gleiche Gedanke auch Ilias 11, 710 (von den jungen Molionen), 719 (von Nestor). ou¢te … oçpla ou¢t’ e¢gcoß: weder Verteidigungswaffen (wie die Rüstung) noch Angriffswaffen (wie den Speer). So schol. rec. (fulaktäria – a¬muntäria), anders allerdings das lückenhafte schol. V, wo es anscheinend heißt, dass mit oçpla zunächst ein allgemeiner Begriff gegeben wird, der dann durch e¢gcoß präzisiert wird. 15 Eines der Beispiele für die seltene Hauptzäsur in der Mitte des Verses (Mitteldihärese), deren Zulässigkeit von manchen bestritten wird. Sie wird jedoch in der Tragödie gelegentlich verwendet. Die Gliederung des Verses in zwei bald antithetische (wie in V. 321), bald parallele Hälften (wie in V. 879) ermöglicht oftmals besonders eindrucksvolle Formulierungen mit gnomischem Charakter (wie in V. 958). Weitere Beispiele V. 37, 221, 232, 265, 272, 301, 387, 414, 497, 523, 603, 823, 979, 1110, 1125, 1133, 1159, 1169, 1204, 1242. In solchen Fällen kam es oft zu unnötigen Änderungen des Textes, nicht jedoch an dieser Stelle. Zum Problem ausführlich Goodell (1906); Stephan (1981); anders Basta Donzelli (1987). Nach Stephan besteht ebenso wie bei anderen Zäsuren kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Fällen, wo eine Elision den Einschnitt ‚mildert‘, und solchen, wo dies nicht der Fall ist. h®: s. zu V. 13. 16–18 Vgl. V. 1208–10; Ilias 12,10–12. 16 o™rísmata: „Grenzen, Gebiet”, wie lat. „fines“, sicher nicht „Grenzsteine“. Ähnliche Formulierungen: V. 963 Qrä¸khß oçroiß; Hipp. 1159 (térmonaß), 1459. Scaligers Änderung e¬reísmara „Bollwerke“ ist unnötig. 17 Trwïkñß … cqonòß: eigentlich „des Troischen Landes“, neben púrgoi ist aber zweifellos die Stadt Troja gemeint; vgl. Phön. 72; Soph. Ant. 368; Öd.K. 1348. 19 Qrh¸kì: „dem Thraker“, s. zu V. 7. xénw¸: Das besser belegte xénw¸ betont, dass Polymestor mit dem Haus des Priamos durch das Band der Gastfreundschaft verbunden ist. Die Verletzung des Gastrechts ist das Verbrechen, für das Polymestor denn auch bestraft werden wird; s. zu V. 7. Bei fílw¸ „beim Freund“ würde der Hinweis auf diesen wichtigen Sachverhalt unterbleiben. fílw¸ ist wohl nur eine scheinbare Variante, in Wahrheit jedoch eine Glosse zu xénw¸. 20 wçß tiß ptórqoß: „wie ein Schössling“. Bei Homer wird ein junger Mensch öfters mit einem jungen Baum verglichen: Ilias 17,53–59 (Euphorbos), 18,56 (Achilleus); Odyssee 14,175 (Telemachos), implizit auch 6,160–63 (Nausikaa). Der Vergleich hebt auch hervor, dass Polydoros gut versorgt wurde und gedieh, solange Troja noch unversehrt war, im Gegensatz zu seinem späteren Schicksal.

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tálaß: „ich Armer“, Äußerung des Selbstmitleids wie V. 25, 233, 812f., 1074, 1106, 1167. 21f. ÷Ektoroß yucæ: „Hektors Leben“, wörtlich „Hektors Seele“: Umschreibung des Namens; ähnlich auch in V. 87 bei Helenos. 22 e™stía: „der Herd“, gemeint ist das Haus. Synekdoche, der wichtigste Teil steht für das Ganze. 23f. In der überlieferten Inhaltsangabe des im übrigen verlorenen nachhomerischen Epos Iliupersis heisst es: Neoptólemoß mèn a¬pokteínei Príamon e¬pì tòn toû Diòß toû e™rkeíou bwmòn katafugónta (Proclus Chrestomathia p. 62, 19f. EGF ed. Davies). So auch Tro. 16f., 481–83; Vergil Aeneis 2,547–58; etwas anders Kleine Ilias fr. 17, p. 58 EGF. Die Tötung des Priamos am Altar wird oft auf Vasenbildern dargestellt. 23 au¬tòß: „er selbst“, nämlich mein Vater. Das Bezugswort patär ist in V. 22 patrå¸a e™stía „der väterliche Herd“ enthalten. qeodmätw¸: „von Göttern erbauten“, nämlich von Poseidon und Apollon, den Erbauern der Mauern Trojas (schol. V; vgl. auch Ilias 7,448– 53, 8,519; Tro. 4–6); so wohl auch Hipp. 974, Andr. 1263, Iph.T. 1449; vielleicht aber auch „für den Gott erbaut“, in diesem Fall für Zeus Herkeios, darum unter dem besonderen Schutz des Gottes. liqodmätw „aus Stein erbauten“ wäre jedenfalls eine Banalisierung; vgl. Page (1934) 100. 24 sfageìß: „geschlachtet“, ein starker Ausdruck, weil das Wort sfáttein sonst für die rituelle Opferung von Tieren verwendet wird. Acilléwß paidòß e¬k: „durch den … Sohn des Achilleus“: gemeint ist Neoptolemos. -léwß ist einsilbig (in Synizese) zu lesen. miaifónou: „mordbefleckten“. Die Tötung eines Altarflüchtlings war ein schweres religiöses Vergehen; schol. MV: e¬så¸zonto gàr oi™ katafugónteß e¬n i™erø¸ h£ bwmø¸ i™kétai. 25f. kteínei … kaì ktanœn: Durch die Wiederaufnahme des Verbs (im Partizip) wird das Verbrecherische der Tat betont; vgl. Her. 33; ähnlich Phön. 22. 26 e¬ß oi®dm’ a™lòß: „in den Schwall des Meeres“, wörtlich „ des Salzes“. Ennius Hecuba fr. 202 Warmington = 88 Jocelyn übersetzt mit „undantem salum“. 27 içn … e¢ch¸: „damit er … hätte“. Konjunktiv (statt eines zu erwartenden Optativs) im Finalsatz, der einem Hauptsatz in einem Vergangenheitstempus untergeordnet ist. Die Absicht wird als noch fortdauernd aufgefasst; KG 2, 380f. Der Optativ w™ß e¢coi findet sich dagegen in V. 713. 28–32 Das „ich“ in keîmai bezieht sich auf den Leichnam des Polydoros, während sich das „ich“ in 31 a¬íssw søm’ e¬rhmåsaß e¬món auf seinen Geist bezieht. Dieser etwas verwirrende Wechsel der Perspektive wird sich in V. 47–54 wiederholen.

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28 a¢llot’: „bald – bald“. Dem a¢llot’ im zweiten Glied müsste ein anderes a¢llote im ersten Glied entsprechen, das aber, wie oft, fehlt. Vgl. Soph. El. 752; ähnlich auch V. 1162 ai™ dè. 29 diaúloiß: „Brandungswellen“. Das Wort bedeutet eigentlich „Doppelflöten“, doch wird auch der Hin- und Rückweg bei Läufen oder Pferderennen so genannt (El. 824f.), hier das Hin- und Zurückströmen der Brandung; schol. MV: e¬ntaûqa ka¬keîse u™pò tøn kumátwn foroúmenoß. Vgl. auch Tro. 435, wo das Wort die Strömungen des Wassers in der Höhle der Charybdis bezeichnet. Der Ausdruck dient wohl kaum zur Bezeichnung des Gezeitenwechsels; dazu R. Böker, Kl. P. 2,794: „Das Gezeiten-Phänomen ist im Mittelmeer im allgemeinen schwach ausgeprägt“. 30 a¢klautoß a¢tafoß: “unbeweint, unbestattet”: asyndetisches Dikolon mit Alliteration; häufig verwendete Formel: Soph. Ant. 29; ähnlich Ilias 22,386; Odyssee 11,72; Vergil Aeneis 11,372. Laut geäußerte Trauerbekundungen waren ein fester Bestandteil der Bestattungsriten. Ihr Ausbleiben stellte für den Toten eine schwere Kränkung dar. Das Ausbleiben der Bestattung hinderte seine Seele daran, in den Hades einzugehen; vgl. Ilias 23,71–74. 30 nûn–34 Erst jetzt werden Zeit und nähere Umstände der Handlung bestimmt: Der Geist des Polydoros ist Hekabe als Traumbild erschienen, die sich seit drei Tagen mit dem heimkehrenden Griechenheer auf der thrakischen Chersones befindet. u™pèr mit Gen.: „über“ oder „am Kopfende von“, von derartigen Erscheinungen von Traumbildern und Geistern auch V. 37, 93; ferner Ilias 2, 20 u™pèr kefalñß; Or. 676. 31 a¬íssw: „schwirre umher“, wörtlich „bewege mich rasch”, von Geistern der Toten auch Odyssee 10,495. 32 tritaîon h¢dh féggoß: „den dritten Tag“, wörtlich „das dritte Licht“; vgl. Hipp. 275 tritaían … h™méran. ai¬wroúmenoß: „schwebend“. Die Verwendung des Wortes sollte nicht zur Annahme verführen, dass für den ‚Auftritt‘ des Geistes unbedingt ein Kran (ai¬århma) benutzt worden sein müsse. Hierzu Hourmouziades (1965) 160; Bremer (1971) 234 Anm. 2; Gregory (1999) 46; Lane (2007). Da es die von Pollux 4,132 erwähnte Öffnung im Bühnenfussboden, die sogenannten Carånioi klímakeß, im 5. Jh. sicher noch nicht gegeben hat, kommen wohl nur zwei Möglichkeiten in Frage, nämlich der Auftritt auf dem Dach der Skene und der durch eine der Parodoi. Hourmouziades und Lane entscheiden sich wohl mit Recht für die zweite Möglichkeit. Der Geist des Polydoros erscheint vom Meer her, also von dort, wo sein Körper am Ufer treibt, und geht auch dorthin ab. 34 pára = párestin: „ist da“.

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35–46 Polydoros begründet das Verweilen des Heeres auf der Chersones und gibt damit zugleich die zur Einführung in die zweite Teilhandlung nötigen Informationen. 36 qássous’ e¬p’ a¬ktaîß: „sitzen … am Strand“, wie Iph.T. 272. 37f. Auf welche Weise Achilleus die Flotte zurückhält, bleibt ungesagt. Es muss also offen bleiben. Dass kein günstiger Fahrtwind weht, erfahren wir erst in V. 900. Der Fahrtwind weht schließlich in V. 1289f. Vgl. auch zu V. 111f. und Einführung S. 46f. 37 u™pèr túmbou: „über dem Grab“, s. zu V. 30. Zur Mitteldihärese vgl. zu V. 15. 38f. stráteum’ ¿Ellhnikón … eu¬qúnontaß: „das … Griechenheer, das … lenken will“, wörtlich „das … Griechenheer … die lenkenden“. Wechsel von Genus und Numerus, wie gelegentlich in Dichtung und Prosa; vgl. Bellerophontes fr. 286,5–9 TrGF; Soph. Ant. 1021f.; Aisch. Ag. 577–79; KG 1,53f. e¬nalían pláthn: „übers Meer die Ruder“, wörtlich „das im Salzmeer befindliche Ruderblatt“, poetische Synekdoche (pars pro toto) für „die Schiffe“. 41 fílon: „liebes“: ursprünglich „eigenes“, später, und so wohl auch hier, „liebes“, „erwünschtes“, auf prósfagma und auf géraß zu beziehen. Die Opfergabe ist Achilleus deswegen lieb, weil er damit ein seinem Rang entsprechendes wertvolles Stück aus der Beute (géraß) erhält; vgl. V. 115 a¬géraston „ohne Ehrengeschenk“. Es gibt aber auch eine Sagenversion, nach der Achilleus sich so sehr in Polyxene verliebt hatte, dass er mit Priamos über eine Vermählung mit ihr verhandelte und eben dabei im heiligen Hain des Apollon Thymbraios getötet wurde (schol. MV zur Stelle). Diese Version wurde bisher meist für jünger gehalten, doch ist schon auf einigen Vasenbildern vom Anfang des 5. Jh. Polyxene zusammen mit Achilleus dargestellt; s. M. Robertson, Ibycus: Polykrates, Troilus, Polyxena, Bulletin of the Institute of Classical Studies 17 (1970) 11–15; Harder (1993) 179. Von irgendeiner früheren Beziehung zwischen den beiden ist bei Eur. jedenfalls nichts spürbar. 42–52 Dass der Sprecher der Prologrede hier und in mehreren anderen Fällen (Alk., Hipp., Tro., Ion, Ba, ähnlich auch Tro.) den Ausgang der Handlung schon zu großen Teilen ‚verrät‘ und damit dem Stück seine Spannung nimmt, wird häufig kritisiert. Lessing verteidigt diese Verfahrensweise des Eur. im 48. Stück der Hamburgischen Dramaturgie: „Der tragischste von allen tragischen Dichtern ... ließ seine Zuhörer ... ohne Bedenken von der bevorstehenden Handlung eben so viel wissen, als nur immer ein Gott davon wissen konnte, und versprach sich die Rührung, die er hervorbringen wollte, nicht sowohl von dem, was geschehen sollte, als von der Art, wie es geschehen sollte.“

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43–46 Polydoros präzisiert den Tag der Handlung noch weiter: Es ist der Tag, an dem Polyxene sterben wird. Er fasst damit zugleich das Ergebnis beider Teilhandlungen zusammen und setzt es in Beziehung zu Hekabe. 43 h™ peprwménh: „das Schicksal“, wörtlich „das (ihr) Bestimmte“. Accius Hecuba fr. 481 Klotz (= 375 Warmington) veter fatorum terminus sic iusserat ist vielleicht eine freie Übersetzung dieses Verses. Doch s. auch zu V. 584. 44 tø¸d’ … e¬n h¢mati: „noch an diesem Tag“. Beide überlieferten Wendungen haben die gleiche Bedeutung „an diesem Tage“, doch h®mar ist das poetische Wort, auch ist die verschränkte Wortstellung kunstvoller; die andere Variante ist also als Banalisierung anzusehen; vgl. Page (1934) 101. tñ¸d’ h™méra¸ ist nicht allein schon deshalb abzulehnen, weil hier gegen das sogenannte ‚Porsonsche Gesetz‘ verstoßen würde, nach dem im letzten iambischen Metrum auf ein Longum in der ersten Silbe kein Wortende folgen darf, denn die beiden Wörter bilden eine sprachliche Einheit, ein sogenanntes ‚Wortbild‘. Das gleiche Problem in V. 624, 729. 45f. Eine solche Verwendung mehrerer Zahlwörter oder Mengenangaben nebeneinander ist bei griechischen Autoren beliebt; vgl. V. 123– 25, 896f.; Andr. 516f.; Or. 551; Aisch. Ag. 1456; Soph. Ant. 13f. Hier ist sie mit der Stilfigur des Polyptoton verbunden (duoîn – dúo). Die Hervorhebung der Zweizahl hat hier aber eine größere Bedeutung, denn dass sich die Schicksale von zwei Kindern Hekabes an einem Tag vollenden und ihr Schmerz dadurch verdoppelt wird, ist das Thema des Stückes. 45 dúo nekrœ katóyetai: auch Or. 1536. 47–52 Damit leitet Polydoros wieder zu seinem eigenen Schicksal über. Auf Grund seines Zukunftswissens, das er in ähnlicher Weise wie ein Gott besitzt, kann er ankündigen, dass sein Leichnam am gleichen Tage zu Füßen einer Dienerin an den Strand gespült werden wird. (Während des Chorliedes V. 629–56 wird dies geschehen.) So wird er in die Hände seiner Mutter gelangen, und ihm wird das gewünschte Begräbnis zuteil werden. Dies erfolgt wohlgemerkt nicht zufällig, sondern auf Grund eines Beschlusses der Unterweltsgötter. Von einer gemeinsamen Bestattung der zwei Geschwister, zu der es am Ende kommen wird, ist hier noch nicht die Rede, sondern erst in V. 896f. Hier redet Polydoros in der ersten Person, meint aber nicht sich als Geist, sondern seinen Leichnam, während er in V. 52 wieder von sich als Geist spricht. Vgl. zu V. 28–32. 48 doúlhß: Damit bereitet er den Auftritt der Dienerin in V. 658 vor. 49 toúß … kátw sqénontaß: „die Herrscher unten“, nämlich die Unterweltsgötter; vgl. V. 2, 146f., 791. 50 Ein ‚hysteron proteron‘. Das Wichtigere, aber zeitlich Spätere wird zuerst genannt.

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Kommentar

51f. Wörtlich: „Meine Angelegenheit wird so sein, wie ich sie zu erlangen wünschte.“ Zu tou¬mòn vgl. Diggle (1981) 106f. 52–54 Der durch die Erscheinung des Polydoros ausgelöste Traum hat Hekabe aus dem Schlaf geschreckt; nun ist sie im Begriff, das Zelt zu verlassen. Der Prologsprecher verlässt die Bühne, um einer neu auftretenden Person Platz zu machen, die er benennt und damit zugleich dem Zuschauer vorstellt; ähnlich Hipp. 51–53; Ion 76–80. 53 per⸠… póda: „sie setzt … ihren Fuߓ, genauer „sie geht hindurch mit dem Fuߓ; KG 1,299; vgl. auch V. 1070 pód’ e¬pá¸xaß. u™pò skhnñß …¯Agamémnonoß: „aus Agamemnons Zelt“. u™pò skhnñß bedeutet „unter, aus dem Zelt heraus“, ähnlich V. 665; Her. 296; Iph.T. 1256. Dagegen bedeutet u™pò skhnæn „unter, in das Zelt“. Ersteres ist sinnvoller, da Hekabe im folgenden zweifellos ein Zelt verlässt. Es ist umstritten, ob das den Bühnenhintergrund bildende Zelt das Feldherrenzelt Agamemnons ist, wie der Text nahezulegen scheint, oder nicht vielmehr nur eines seiner Zelte, nämlich das der gefangenen Frauen. Ich neige zu letzterem; ebenso wie Mossman (1995) 49f. Denn das Zelt, in dem später Polymestor geblendet wird, kann kaum das Feldherrenzelt sein; hierfür sprechen auch V. 1016 und 1018. Schol. MV verstehen u¬pò skhnñß so, dass Hekabe durch die Erscheinung verwirrt aus dem später in V. 1016 erwähnten Zelt der Gefangenen gekommen ist, dann in das Zelt Agamemnons auf der Suche nach Kassandra hineingegangen ist, die sie dort nicht findet, worauf sie das Zelt wieder verlässt. Das sind aber müßige Spekulationen, die den Zweck haben, den scheinbaren Widerspruch zwischen diesen Versen und V. 1016 aufzulösen. 54 Zu diesem Vers J. Gregory, Phoenix 46 (1992) 266–69 und (1999) zur Stelle. Sie nimmt an, dass Polydoros der Hekabe nicht im Traum erschienen ist, sondern dass die Nähe des Geistes und die Furcht um ihre Tochter in ihr die Träume erregt haben, die sie in V. 72–76 erwähnt. Der Wortlaut des Verses legt es allerdings nahe, dass er ihr tatsächlich erschienen sein soll. 54a–58 Im Abgehen begrüßt Polydoros mit klagendem Ausruf (feû) und mitleidsvoller Anrede seine Mutter, wobei er besonders bedauert, aus welcher hohen Stellung sie infolge göttlicher Einwirkung so tief gestürzt ist. Er stellt ihr Schicksal damit unter den Gedanken des Glückswechsels, der im folgenden noch mehrmals anklingen wird, wobei es immer wieder darum gehen wird, ob und wie weit die Götter hierfür Verantwortung tragen (V. 349–66, 421, 488–98, 620–28, 783–86, 808–11, 956–60). Hier stellt Polydoros nur kurz fest, dass es ein Gott war, der ihren Sturz verursacht hat.

59–215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie

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55 e¬k turannikøn dómwn: wörtlich „aus königlichen Häusern“. turannikóß hat, ebenso wie túrannoß, in der Tragödie oft keinen peiorativen Sinn; vgl. V. 809. e¬k: Die Grundbedeutung der Präposition ist „von – her“, doch kann sie auch den Wechsel von einem Zustand in einen anderen ausdrücken; vgl. Soph. Öd. 454 tuflòß … e¬k dedorkótoß. 56 doúleion h®mar: „den Tag der Knechtschaft“, homerische Reminiszenz, vgl. Ilias 6, 463 doúlion h®mar. 57 a¬ntishkåsaß: „zum Ausgleich für“, wörtlich „ein Gegengewicht in die Waagschale legend“, vgl. Aisch. Pers. 436f., hier mit Genetiv „für“.

59–215 Anapästisch-lyrische Eingangspartie Auch wenn Aristoteles (Poetik 1452b 14–27) alles zum Prolog rechnet, was vor dem Einzug des Chores stattfindet, ist es hier doch sinnvoll, die gesamte lyrisch-anapästische Partie vom Auftritt Hekabes (V. 59) über den des Chores (98) bis hin zum Schluss der Monodie Polyxenes (215) als Einheit zu behandeln. So auch Schadewaldt (1926) 16: „Als einheitliche Form haben wir die lyrischen Eingangspartien zu verstehen.“ Eine solche Eingangspartie, an der die (meist weibliche) Hauptperson und der Chor sowie gelegentlich weitere Personen beteiligt sind, findet sich häufig bei Eur. von der Med. bis zum Or., wohl auch weil diese Form sich besonders gut zur Darstellung der meist leidvollen Situation der Hauptgestalt und zur Erregung des Mitgefühls des Zuschauers eignet. Vor das eigentliche „Einzugslied“ (98–152) in Form von Marschanapästen tritt hier eine Monodie Hekabes, die zum Teil aus lyrischen Anapästen besteht (59–97). Auf den Bericht des Chores reagiert Hekabe mit einer abermaligen Monodie, zumeist in lyrischen Anapästen (154–76). Dann erscheint Polyxene, die mit ihr in einen Wechselgesang aus lyrischen Anapästen eintritt (177–96). Die Eingangspartie endet mit einer Monodie Polyxenes, die wiederum meist aus lyrischen Anapästen besteht (197–215). 59–97 Anapäste Hekabes Von der Traumerscheinung aufgeschreckt, verlässt Hekabe das Zelt, die Unterkunft der kriegsgefangenen Frauen (s. zu V. 53), und betritt, auf einen Stock gestützt (65) sich mühsam fortbewegend, die Bühne. Sie ist deutlich als alt und schwach dargestellt. Auf ihrem Weg wird sie von mehreren (wohl zwei) Dienerinnen begleitet und unterstützt (59–63). Gelegent-

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licher dorischer Vokalismus (a statt h) und die eingestreuten andersartigen Metren lassen darauf schließen, dass es sich zum Teil, bestimmt ab V. 68, um lyrische Anapäste handelt. Zu den Versen s. Schadewaldt (1926) 152f.; zu der für Eur. charakteristischen Bauform der Monodie W. Barner, Die Monodie, in: Jens (1971) 277–320, bes. 295. 59–63 Hekabe verhält sich gegenüber ihren jetzigen Mitsklavinnen wie eine Herrin, indem sie ihnen fortwährend Befehle erteilt. 62 Asyndetische viergliedrige Reihe von Imperativen, metrisch ungewöhnlich, von den meisten Herausgebern getilgt. Es findet sich aber Ähnliches Hik. 275 (ebenfalls meist getilgt, und zwar pikanterweise als aus unserer Passage stammende Interpolation), Tro. 774; vgl. Barlow (1986) 12. Der Vers dürfte zu halten und als eine emotionale Äußerung einer Leidenden zu erklären sein, die bei Eur. auch sonst sprachlich und metrisch bewegt zu sein pflegt; vgl. V. 684–720, 1056–1106 und Biehl (1997) 89f. 63 geraiâß: Die zweite Silbe ist kurz zu messen, was zur Verschreibung gereâß in einigen Hss. geführt hat; vgl. Hipp. 170 und Barrett zur Stelle. ceiròß proslazúmenai: „(mich) an der Hand ergreifend“. 64 Zum Fehlen dieser Verszahl und anderer Verszahlen in den lyrischen Passagen s. meinen Hinweis zur Verszählung Einführung S. 79. 65f. skoliø¸ skípwni ceròß diereidoménh: „mich auf den krummen Stab in meiner Hand stützend“. So schol. MV, Italie, Garzya, Synodinou, während die meisten Kommentatoren skoliø¸ skípwni metaphorisch auffassen und annehmen, dass die Hände der Dienerinnen gemeint sind, so dass zu übersetzen wäre: „mich auf den krummen Stab deiner Hand stützend“. Hier stört allerdings der Singular, wo doch vorher immer von mehreren Dienerinnen die Rede gewesen ist. Darum bleibe ich bei der wörtlichen Auffassung und übersetze entsprechend. 66f. Wörtlich: „ich werde eilen, den langsamfüßigen Gang der Glieder voransetzend“. Paradoxe Formulierung (Oxymoron). 68–72 Anrufung des Zeus als des höchsten Gottes, des Sonnenlichts, der Göttin Nacht (als Herrin des Schlafes) und der Erdgöttin (offenbar als Senderin der Träume) mit dem Wunsch, das durch den Traum angekündigte Unheil abzuwenden; darum a¬popémpomai „schicke fort, wende ab“. Ähnlich V. 97 pémyate. Zur Mitteilung bedrückender Träume an die Sonne vgl. Soph. El. 424f. h™líw¸ deíknusi tou¢nar mit schol.; Iph.T. 42f. Der Anfang der Monodie Aristophanes Frösche 1331–39 ähnelt diesen Versen recht stark; vgl. Heath (1987) 41 Anm. 3. 68 steropà Dióß: wörtlich „Blitzstrahl des Zeus“, doch ist hier sicher das strahlende Licht des Tages im Gegensatz zur Dunkelheit der Nacht gemeint; vgl. Soph. Trach. 99 (Anrede an Helios) w® lampr⸠steropâ¸

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flegéqwn. Ennius fr. 203 Warmington = 83 Jocelyn (o magna templa caelitum conmixta stellis splendidis) ist eine sehr freie Übersetzung. 70 deímasi fásmasin: asyndetisches Dikolon, Homoioteleuton; vgl. V. 62, 86. 71 melanopterúgwn: „schwarzgeflügelten“: seltenes Wort, metaphorisch im Sinn von „unheilverkündend“; dagegen an der anderen Belegstelle Aristophanes Telemesses fr. 550 CGF in wörtlichem Sinn. Vgl. 705 melanópteron; s. auch Barlow (1968) 50. Mutter der Träume ist die Erdgöttin (Cqån) auch Iph.T. 1263. Bei Hesiod dagegen ist es die Nacht (Theogonie 211f.). Man sollte nicht mit Wilamowitz (1931) 1,371 Anm. 1 wegen melanopterúgwn an dieser Stelle oder melanópteron in V. 705 annehmen, dass der Geist des Polydoros mit schwarzen Flügeln aufgetreten ist. Die Träume werden allgemein als geflügelt vorgestellt; vgl. Iph.T. 571; Phön. 1545. 72 a¬popémpomai: „ich schicke fort“oder vielleicht eher „ich versuche (durch meine Gebete) fortzuschicken“. Ein solches Gebet erfolgt dann in V. 96f. 73–76 Diese metrisch vom Übrigen abweichenden Verse, in denen Hekabe zu erkennen gibt, dass die Worte des Geistes, wenn auch nur in der Form undeutlicher Bilder, in ihr Bewusstsein gelangt sind, werden meist für einen späteren Zusatz gehalten. Ich möchte nicht auf sie verzichten, weil sie das ‚Programm‘ für V. 77–97 formulieren. Auch die Bezugnahme auf den Traum in V. 703–07 scheint mir vorauszusetzen, dass die durch den Traum erlangte Ahnung von der Gefährdung des Polydoros an unserer Stelle deutlich erwähnt wurde. S. auch zu V. 708–11. Die ungewöhnliche metrische Form (daktylische Hexameter) von 73f. scheint mir eher für die Echtheit zu sprechen; vgl. Erbse (1984) 50; O’Connor-Visser(1987) 67f.; Burnett (1998) 160 Anm. 73. Ein ähnliches Problem gibt es in V. 90f. Gründliche Diskussion zu beiden Passagen bei Brillante (1988) 429–47, der beide halten möchte, und bei Synodinou, die dazu neigt, beide zu streichen. Gregory streicht V. 72–76 und hält 90–97. 76 [ei®don gàr] dürfte aus V. 90 in den Text geraten sein. [o¢yin] „(Traum)gesicht“ dürfte auf eine Anmerkung zurückgehen, die auf das Beziehungswort in V. 72 zurückweist. [e¢maqon]: „ich lernte“. wohl Glosse zum seltenen e¬dáhn „ich erfuhr“. 77 cqónioi qeoí: „Götter der Erde“. Entweder die einheimischen Götter (vgl. Soph. Öd.K. 947f. ºAreoß … págon … cqónion o¢nq’) oder die ‚chthonischen‘, also Unterweltsgötter wie Hades und Persephone. Für letzteres spricht auch die Erwähnung der unterirdischen Götter in V. 147. så¸zein wäre dann als „Verschonen“ zu verstehen. qeoí ist einsilbig (in Synizese) zu lesen.

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80 a¢gkur’: „Anker”, metaphorisch, vgl. Hel. 277; F 866,2; Soph. F 685 TrGF; ferner die ähnlichen Metaphern in V. 281 für Polyxene. Die Variante a¢gkur’ e¢t’ ist zwar schlecht überliefert, gibt aber allein das richtige Metrum. 81 cionådh: „schneereich“. Schnee wird öfters als Charakteristikum Thrakiens genannt; vgl. Andr. 215; Kykl. 329. katécei: „innehat“, hier „bewohnt“; wie El. 204. 82 Nach V. 21–27 wirken diese Worte als tragische Ironie. 83–97 Nachdem Hekabe in V. 77–82 die Götter um die Erhaltung des Lebens des Polydoros gebeten hat, wendet sie sich jetzt (entsprechend dem in V. 73–76 formulierten ‚Programm‘) dem Teil ihres Traums zu, der sich auf Polyxene bezog. 83 ti néon: wörtlich „etwas Neues“. Da das Neue für die Griechen oft zugleich als unheimlich und gefährlich galt, muss die Übersetzung dies berücksichtigen. Die Futura zeigen an, dass dieses Neue und Schreckliche drohend bevorsteht. Der Wunsch nach Sehern, welche die Zeichen des Kommenden deuten könnten, in V. 87–89 liegt nahe. 84 goeròn goeraîß: Wiederholung des gleichen Wortes in verschiedenen Kasus (Polyptoton): bei Eur. beliebte rhetorische Figur; hier als Ausdruck der Erregung. 85 a¬líaston: „unablässig”, Adverb, wohl richtige Änderung; vgl. Ilias 24,549 mhd’ a¬líaston o¬dúreo. a¬líastoß wäre auf fræn zu beziehen, was keinen so guten Sinn ergäbe. Anders Kamerbeek (1986) 101; Biehl (1997) 92. 86 fríssei tarbeî: „erstarrte … schauderte“, griechisch Präsens. Asyndeton und Synonymenhäufung sind typische Stilmittel der eur. Lyrik. Erstarren und Schauder sind Auswirkungen der Traumerscheinung des Polydoros; vgl. V. 54. 87 qeían ¿Elénou yucàn: „des Helenos göttlichen Geist“; wohl keine Anrufung des Geistes eines Toten, sondern feierliche Umschreibung des Namens in der Weise des Epos wie Odyssee 8,2 i™eròn ménoß ¯Alkinóoio. qeían ist vielleicht auch eine Anspielung auf die seherischen Fähigkeiten des Helenos wie Hel. 13, 919. Zu diesen Fähigkeiten Ilias 6,76; Soph. Phil. 604–13; Vergil Aeneis 3,359–61. Hekabes Sohn Helenos wird hier offenbar als lebend angenommen; ähnlich wie Andr. 1243–45; Vergil Aeneis 3,294–97. Ein jüngeres schol. und manche Interpreten sehen hier eine Schwierigkeit, weil dann, wenn Helenos noch lebte, Polydoros nicht der einzige überlebende Sohn wäre, wie es in V. 80f. vorausgesetzt zu sein schien, und erschließen aus der Erwähnung der yucä des Helenos, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte. In schol. MV heißt es jedoch: e¢zh gàr ÷Elenoß. Das ist richtig, denn wer nicht mehr lebt, kann auch keine Träume mehr deuten.

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88 Beide überlieferten Varianten sind sprachlich möglich. Bei der erstgenannten steht der Name Kassandras parallel mit yucàn, bei der letztgenannten mit ¿Elénou. Die Sehergabe Kassandras war spätestens seit Aisch. Ag. allen Athenern bekannt. Ein jüngeres schol. zur Stelle berichtet: ¿Elénou kaì Kasándraß e¬n naø¸ ¯Apóllwnoß o¢ntwn, e¬lqónteß o¢feiß, kaì tà au¬tøn perileíxanteß w®ta, ouçtwß o¬xuhkóouß ei¬rgásanto w™ß mónouß tàß tøn qeøn a¬koúein boulàß kaì mánteiß a¢krouß ei®nai. Kassandra, neben Polyxene die einzige überlebende Tochter Hekabes, wird immer wieder erwähnt: V. 127, 426, 677, 826–30 und schließlich 1275, wo die Ankündigung ihres Todes der letzte Schmerz ist, der Hekabe in diesem Stück zugefügt wird. 89 krínwsin: „entscheiden, beurteilen“, hier „deuten“, von Träumen auch Herodot 1,120; 7,19. 90–97 Anlass zur Streichung der Passage mag die ungewöhnliche metrische Form von V. 90f. (daktylische Hexameter) und 97 gewesen sein. Doch ist eine freiere Gestaltung des Metrums im Rahmen von lyrischen Anapästen nicht selten; vgl. auch 73f.; Iph.T. 203–35. Das ungewöhnliche Metrum ist eher ein Indiz für Echtheit; ein Interpolator würde sich dem Kontext angepasst haben. Inhaltlich scheinen mir jedenfalls V. 90–97 unentbehrlich zu sein. In V. 83–89 spricht Hekabe von einer neuen Furcht infolge ihres Traums, und in V. 90–97 berichtet sie kurz in hochpoetischer Diktion den Inhalt dieses Traums, soweit er sich auf die neue Gefahr bezieht, die Polyxene bedroht, und sagt, warum sie ihn so sehr fürchtet. Sie weiß nämlich von der Forderung des Geistes des Achilleus nach einer der troischen Gefangenen und fürchtet jetzt um Polyxene, die zu diesen Gefangenen gehört. Vom Chor wird sie bald erfahren, dass die Heeresversammlung beschlossen hat, eine bestimmte Troerin, nämlich Polyxene zu opfern. Würden V. 90–97 gestrichen, bliebe unklar, dass Hekabe schon von einer allgemeinen Bedrohung der Troerinnen weiß, doch nicht von der speziellen Gefahr für ihre Tochter. Ausführlich hierzu Erbse (1984) 50–54; O’Connor-Visser (1987) 67f.; Brillante (1988) 429–47. S. auch zu V. 73– 76. 91 Das überlieferte a¬nágka¸ oi¬ktrøß „mit Gewalt, bejammernswert“ ist metrisch unmöglich. Darum Porsons auf schol. MV gestützte Konjektur a¬noíktwß „ohne Erbarmen“ (vgl. Tro. 787) oder „ohne beklagt zu werden“ (vgl. Tro. 756, Soph. Öd. 181). a¬nágka¸ könnte freilich eine alte Variante sein. 94 ¯Aciléwß ist anapästisch zu lesen, -éwß also einsilbig in Synizese. 95 Dass Hekabe offenbar noch annimmt, Achilleus fordere eine Troerin, aber keine bestimmte, wird im folgenden wichtig werden; vgl. V. 267–70, 383–88.

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96 Die Konjektur von Bothe a¬p’ e¬mâß a¬p’ e¬mâß ou®n tóde paidòß bewirkt eine metrische Glättung des Verses, scheint mir aber unnötig zu sein. 97 pémyate: „sendet fort“, „wendet ab“; vgl. V. 72 a¬popémpomai. daímoneß: hier mit „Götter“ übersetzt; s. zu V. 164. Unnötige Kritik am Metrum ( qkkqkk | kkqq ) bei Biehl (1957) 57f.; dagegen Erbse (1984) 52; Brillante (1988) 443 Anm. 4. Diggle verweist auf Iph.T. 215; Iph.A. 123 (meiner Meinung nach echt). Man kann auch noch hinweisen auf Tro. 123, 177; Ion 226; Iph.A. 1322 sowie auf V. 145. Zu dem in den Gebetsanruf eingeschobenen Vokativ vgl. Hel. 1447 und Erbse a. O. 98–153 Einzugsanapäste des Chores (Marschanapäste) Der Chor besteht aus troischen Frauen, die bei der Einnahme der Stadt ihre Männer verloren haben und zu Sklavinnen geworden sind. Sie sind also Schicksalsgenossinnen Hekabes und stehen, wie nicht anders zu erwarten, während des ganzen Stückes auf ihrer Seite. Der Chor kommt, wie er in V. 105f. sagt, als Bote oder Herold und übermittelt den Beschluss der Heeresversammlung, den Wunsch des Achilleus zu erfüllen und Polyxene auf seinem Grab zu opfern. Die Einzugsanapäste werden in V. 107–40 zu einem Botenbericht. Danach dienen sie der Vorbereitung der nächsten Szene: Ankündigung des baldigen Auftritts des Odysseus und Ratschläge für das Verhalten Hekabes (141–52). 98 e¬liásqhn: „schlich ich mich“, „entkam“, „entwischte“; vgl. Odyssee 4,838, wo ein von Athene gesandtes ei¢dwlon durchs Schlüsselloch entschwindet. Der Chor gibt damit zu erkennen, dass er heimlich zu Hekabe kommt. Er spricht hier und auch in den Chorliedern, wie es auch sonst in der Tragödie üblich ist, von sich in der ersten Person des Singulars. Er ist also gleichsam eine kollektive Person. 99 desposúnouß: „dem Herren gehörend“; zum Wort V. 1294 und 448 doulósunoß; zur Sache 1288f. 102f. ¯Iliádoß: feminines Adjektiv, zu pólewß gehörig, also „der ilischen Stadt“. Zum Namen ºIlion s. zu V. 4. lógchß ai¬cmñ: genauer „mit der Spitze der Lanze“, pleonastisch neben 103 doriqäratoß „speergefangen“. Die Gewaltsamkeit der Gefangennahme wird durch die Fülle des Ausdrucks noch stärker betont. 105 a¬raménh: die schlimme Nachricht „auf mich nehmend“ wie eine schwere Last, im Gegensatz zu 104 a¬pokoufízous’ „erleichternd“.

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107 e¬n … plärei xunódw¸: „in der vollzähligen Versammlung“: Analogie zu den athenischen Verhältnissen, wo in der Volksversammlung für die Beschlussfähigkeit ein bestimmtes Quorum von Anwesenden erforderlich war; vgl. Or. 884 plärhß … o¢cloß. Dagegen geht es in V. 521f., wo ebenfalls dieVollzähligkeit hervorgehoben wird (o¢cloß pâß … plärhß), nicht um die Beschlussfähigkeit, sondern um eine Ehrung des Achilleus durch vollständige Anwesenheit des Heeres. 108 dóxai: „man habe beschlossen“: Infinitiv zu e¢doxen (sc. tø¸ strateúmati) „(das Heer) hat beschlossen“. e¢doxen tø¸ dämw¸ ist die gebräuchliche Formulierung bei der Protokollierung von Beschlüssen der athenischen Volksversammlung; vgl. Aristophanes Thesmophoriazusen 372; Thukydides 4,118,11. Auch in V. 195 und 220 wird die Formulierung wiederholt und damit bekräftigt, dass ein rechtsgültiger Beschluss gefasst wurde; ähnlich Or. 46. 110 oi®sq’ oçte … e¬fánh: elliptische Wendung: “Weißt du (wie es geschah), dass“; vgl. V. 239; Iph.A. 337; KG 2, 368f. cruséoiß … sùn oçploiß: „mit den goldenen Waffen“. Hier ist wohl an die wunderbaren mit Gold geschmückten Waffen zu denken, die Achilleus durch die Vermittlung seiner Mutter Thetis von Hephaistos erhalten hat (Ilias 18,478–613). 111f. scedíaß: wörtlich „Flöße“, poetisch für „Schiffe“, wie Theokrit 16,41. 112 laífh protónoiß e¬pereidoménaß: wörtlich: „die die Segel an die Taue drängten“. Zu laífh vgl. Med. 524; Or. 341; zu protónoiß Odyssee 12,409. Gemeint sind die Taue, die den Mastbaum halten (Gregory). Die Segel wurden schon vom Wind gebläht, und ihre Taue spannten sich; vgl. Iph.T. 1135–37. Es wird an dieser Stelle nicht ausdrücklich gesagt, aber es ist naheliegend anzunehmen, dass nach der Erscheinung des Achilleus die Segel wieder erschlafften, weil nunmehr der Wind ausblieb. So versteht die Stelle auch schol. V (a¬némou o¢ntoß kaì tøn i™stíwn h™plwménwn u™parcóntwn kaì tøn neøn pleóntwn nhnemía gégone h™níka e¬fánh o™ ¯Acilleúß). Später heißt es in V. 900, dass auch nach dem Opfer der Fahrtwind zunächst nicht weht, und in V. 1289f., dass er jetzt weht. S. auch Einführung S. 46f. und zu V. 900. 113–15 Bers (1997) 24f. nimmt an, dass die berichtete direkte Rede des Geistes bei der Inszenierung von einer Einzelstimme gesprochen wurde. Falls, wie wahrscheinlich, nur die Chorführerin die Marschanapäste spricht, könnte ein anderes Mitglied des Chores diese Verse übernehmen. 113 qwússwn: „laut rufend“, „schreiend“; vgl. Soph. Ai. 308, 335. 115 a¬géraston: „ohne Ehrengeschenk“; vgl. V. 94 géraß. Das seltene Wort erscheint auch Ilias 1,119 in einer ähnlichen Situation:

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Agamemnon verlangt dort einen Ersatz für das Ehrengeschenk, das er wieder abgeben muss, nämlich für die kriegsgefangene Chryseïs. 116–40 Beschreibung des Verlaufs der Heeresversammlung, der dem einer athenischen Volksversammlung des 5. Jh. ähnelt: Auf Rede und Gegenrede erfolgt die abschließende Rede des Odysseus, die den Ausschlag gibt. 116 sunépaise klúdwn: „die Welle (oder Brandung) schlug zusammen“, Metapher aus der Welt des Meeres, wie häufig bei Eur. Dazu E. Pot, De maritieme beeldsprak bij Eur., Harderwijk 1943. Metaphorische Verwendung von klúdwn auch Hik. 474f.; Aisch. Pers. 599f.; Soph. Öd. 1527. Eine ähnliche Metapher Aisch. Pr. 886 kúmasin a¢thß. 117 dóxa d’ e¬cårei díc’: „die Meinung ging in zwei Richtungen auseinander”; vgl. Ilias 18,510, 20,32; Herodot 6,109. 119 toîß d’ ou¬cì dokoûn: „während es den anderen nicht richtig schien“: Absoluter Akkusativ des Partizips; vgl. V. 506; KG 2,88f. Wechsel der Konstruktion statt eines zu erwartenden toîß dè mæ didónai. 120–29 Es fällt auf, dass es in dieser Debatte nicht um die grundsätzliche Frage der Berechtigung eines Menschenopfers geht, sondern nur darum, ob die Beziehung Agamemnons zu Kassandra die Entscheidung des Heeres beeinflussen dürfe oder nicht. 120 h®n dè … speúdwn: Umschreibung wirkt verstärkend; vgl. V. 1179; KG 1, 38f. 121f. a¬nécwn léktr’: „das Bett“ für „die Geliebte“; ähnlich Soph. Ai. 211f. 121 tñß mantipólou Bákchß: „der seherisch rasenden Bakchantin“. Kassandra wurde als von Apollon inspirierte Seherin (vgl. V. 88, 827) von dem ergriffen, was Platon mantikæ manía nennt (Phaidros 244a 8–d 5). Dieser Zustand ähnelt dem der Mänaden im Gefolge des Dionysos, so dass auch Kassandra hier und in den Tro. metaphorisch Bakchantin oder Mänade genannt werden kann; obwohl Apollon es ist, der sie inspiriert. Darum heißt sie auch in V. 827 Foibáß. Auftritte Kassandras in seherischem Wahnsinn Tro. 308–41 und vor allem Aisch. Ag. 1072–1172. 122–29 Dass die zwei Athener die Opferung Polyxenes befürworten, ist nicht als implizite Kritik des Eur. an der athenischen Politik aufzufassen, wie Murray (1957) 49 und King (1985) 63f. Anm. 25 meinen. Dagegen richtig Schlesinger (1937) 68f. 122f. Akamas und Demophon, die beiden Söhne des athenischen Königs Theseus, werden in der Ilias nicht erwähnt, aber in der Iliupersis (fr. 4 EGF ed. Davies); ferner Tro. 31; Soph. Phil. 562. Sie erscheinen in Athen auch auf Vasenbildern und Gemälden als Trojakämpfer, vor allem im Zusammenhang mit dem Ende des Krieges und der Befreiung ihrer Großmutter Aithra.

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123 o¢zw ¯Aqhnøn: „die Sprösslinge Athens“ ( qkkqq ): Hiatkürzung; Schwyzer 1, 400. o¢zw: vgl. Ilias 2,540 o¢zoß ºArhoß. 123f. dissøn múqwn r™ätoreß h®san: „waren zweifacher Reden Redner“, und zwar hatten die Reden, wie das Folgende zeigt, nicht eine gegensätzliche, sondern die gleiche Tendenz; ähnlich wie die Reden Hel. 895–43 und 947–95. Dass hiermit auf die These des Protagoras Bezug genommen wird, nach der zu jedem Fall dissoì lógoi „zweifache Reden“ mit entgegengesetzter Tendenz möglich seien (Protagoras B 6a Diels-Kranz), wie Michelini (1987) 143f. vermutet, ist darum unwahrscheinlich. dissøn – mía¸: Zu „zwei – einer“ s. zu V. 45. 124 r¬ätoreß: Dies ist der einzige sichere Beleg für das Wort r™ätwr bei Eur. Es ist sonst nur noch für den umstrittenen Peirithoos bezeugt (Kritias fr. 11,3 TrGF = Eur. fr. 597, 4 N.2), war jedoch den Athenern geläufig als Bezeichnung der Sprecher in ihrer Volksversammlung; s. Aristophanes Acharner 38. 126 stefanoûn: „bekränzen“; vgl. Tro. 1247 nertérwn stéfh „Totenkränze“. Hier metaphorisch verwendet, wie Soph. Ant. 431 (coaîsi … stéfei). Gräber werden gewöhnlich mit Blumen bekränzt. Wenn flüssige Totenopfer dargebracht werden, bestehen sie in der Regel aus Wein oder einem Gemisch von Wein, Milch und Honig. Aber auch Opferungen von Tieren sind üblich. Menschenopfer sind die extremste Form der Totenehrung, in der mythischen Tradition sind sie aber gerade mit der Person des Achilleus verbunden. Er selbst opfert auf dem Scheiterhaufen des Patroklos zwölf kriegsgefangene junge Troer (Ilias 23,175f.). aiçmati clwrø¸: „mit frischem Blut“; vgl. Soph. Trach. 1055. Die Grundbedeutung von clwróß ist „grün“. 127–29 léktr’ … lógchß: „das Bett … der Lanze“. Wenn die Alternative so formuliert wird, kann sich eine Versammlung von Kriegern nur für die Lanze und gegen das Bett entscheiden. 130 spoudaì dè lógwn katateinoménwn: wörtlich „die Eifer der gegen einander gespannten Reden“. 131 prín: „bis“ mit einer historischen Zeitform, hier dem historischen Präsens, leitet einen Nebensatz ein, in dem ein in der Vergangenheit wirklich eingetretenes Ereignis berichtet wird; vgl. KG 2,453f. poikilófrwn: „buntgesinnt“; ähnlich dem bei Homer häufigen poikilomäthß. 131–33 Einführung des Odysseus, des Sohnes des Laertes. Beredsamkeit ist schon bei Homer die wichtigste Fähigkeit des Odysseus; vgl. etwa Ilias 3,221–24. Während sie dem Epos als Zeichen der Klugheit galt, wurde sie in der Tragödie, besonders von Eur., oft negativ bewertet; be-

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sonders deutlich Tro. 282–88; Iph.A. 1362–64. Dort gilt Odysseus bisweilen auch als Sohn des Sisyphos, des größten Lügners und Betrügers der Sage (Kykl. 104; Iph.A. 524, 1362; auch Soph. Phil. 417, 625, 1311). Es mag sein, dass Eur. im Verlauf des Peloponnesischen Krieges die Beeinflussung des Volkes durch demagogische Politiker als Gefahr empfand und Odysseus als mythischen Vorläufer solcher Demagogen auffasste. Dem entsprechen die Epitheta. 132 kópiß: seltenes Wort, darum schwer übersetzbar; etwa „Schwätzer“, „Prahlhans“, „Lügner“, „spitzfindiger Redner“. Die Etymologica und schol. MV glossieren: láloß, dhmokópoß, kóbaloß und verweisen auf Heraklit B 81 Diels–Kranz (Puqagórhß) kopídwn e¬stìn a¬rchgóß; Lykophron 763 (von Odysseus); schol. ad Lycophronem 1464 kópiß· o™ r™ätwr, parà tò kóptein toùß lógouß. Vgl. auch Synodinou zur Stelle. h™dulógoß: „angenehm redend“; nur hier bei Eur. dhmocaristæß: „dem Volk gefällig redend“, nur hier belegt, offenbar von Eur. neu gebildet. 134 tòn a¢riston: „den besten”. So auch Ilias 1,244. 135 doúlwn sfagíwn ouçnek’: „wegen eines Sklavenopfers“. doúlwn ist hier adjektivisch gebraucht. Es ist ein rhetorischer Kunstgriff, Personen oder Sachen je nach Bedarf groß oder klein erscheinen zu lassen. Odysseus hebt die Bedeutung des Achilleus hervor und lässt andererseits Polyxene als unbedeutend erscheinen. ouçnek(a): präpositional verwendet „wegen“, also gleichbedeutend mit eçneka, eiçneka. 136 parà Fersefónh¸: „zu Persephone“, also in die Unterwelt, vgl. Ion 1441f. katà gâß e¬nérwn cqoníwn méta Persefónaß t’ … naíein. Fersefónh ist eine poetische Nebenform zu Persefónh. 137 a¬cáristoi: „undankbar“. Der Begriff der cáriß, des Dankes oder der Gunst, die in ihren verschiedenen Aspekten in diesem Stück immer wieder berührt werden wird, erscheint hier zum ersten Mal. S. Einführung S. 35f. 138 Danaoì Danaoîß: „die Griechen … den Griechen“, Polyptoton, um hervorzuheben, dass man gegenüber den Angehörigen des eigenen Volkes besondere Verpflichtungen hat. Zur Bezeichnung der Griechen als Danaoí s. zu V. 5. 139 toîß oi¬coménoiß u™pèr ¿Ellänwn: „denen, die für die Griechen fortgegangen (d. h. gefallen) seien“, euphemistische Formulierung. Collard irrt, wenn er meint, dass das Lob der Loyalität der Griechen untereinander „implicitly a condemnation of non-Greek or ‚barbarian‘ faithlessness“ sein solle. Es geht hier nur um die Loyalität der Angehörigen des Heeres auch über den Tod hinaus. Der Gedanke, den Collard hier vermutet, wird in V. 328–31 deutlich ausgesprochen.

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140 Troíaß pedíwn: „von Trojas Ebene“; poetischer Plural. Eine epische Wendung, vgl. Ilias 10,11; 21,558; 23,464. Die Ebene vor Troja, in der Ilias immer wieder erwähnt, war die Stätte der Heldentaten der Griechen und vor allem des Achilleus. 141–43 Mit dieser Ankündigung bereitet der Chor den Auftritt des Odysseus in der übernächsten Szene vor (V. 216). 141 oçson ou¬k h¢dh: wörtlich „nur soviel (oder sowenig) dass noch nicht“, etwa „gleich sofort“; vgl. Ba. 1076 oçson … ou¢pw; s. auch KG 2,412 Anm. 7. 142 pølon: „Fohlen“, metaphorisch für ein junges, noch ‚unbezwungenes‘ Mädchen; so auch Hipp. 546; Andr. 621; ähnliche Vergleiche und Metaphern auch V. 205f., 526. 144 Der übliche Ratschlag in einer derartigen Situation, hier wenig hilfreich, da es Tempel und Altäre weder im zerstörten Troja noch im Lager des Heeres gibt. Als realistische Ratschläge bleiben nur die Hikesie zu Füßen Agamemnons und die Gebete zu den Göttern. 145 Allein wegen des Metrums ( qkkqkk | kkqkkq ) ist keine Streichung erforderlich, denn es ist nicht ohne Parallelen; vgl. V. 97 und Snell (1982) 31 Anm. 24; im übrigen ließe es sich durch die von Nauck erwogene Umstellung leicht glätten. Es werden aber auch inhaltliche Bedenken vorgebracht. Barrett (1964) 404 hält 145 für „intrusive between the temples and their gods”; Collard und Biehl (1997) 95f. stören sich daran, dass der Chor hier schon die Hikesie vor Agamemnon empfiehlt, zu der sich Hekabe erst nach langen Überlegungen in der zweiten Dramenhälfte entschließen wird (V. 736–51). Agamemnon ist allerdings eine Persönlichkeit, die anzurufen sinnvoll ist, zumal da schon zuvor von seinem Wohlwollen die Rede war (120–22). Es stimmt, dass V. 146 besser an 144 anschließt als 145, doch ist zu fragen, ob das Argument für eine Tilgung des Verses ausreicht. 146 kärusse: genauer „ruf mit lauter Stimme (wie ein Herold) die Götter an“, vgl. Ion 911; Aisch. Cho. 124f. 147 u™™¬pò gaíaß und u™pò gaîan bedeuten gleichermaßen „unter der Erde“, doch gibt hier die Metrik den Ausschlag für u™pò gaíaß ( qkkqq ). Zu den zwei Gruppen von Göttern s. auch V. 49, 791 und zu V. 1 und 77. litaí: „Bitten“, und zwar besonders eindringliche, an Götter und Menschen gerichtet. In der Ilias werden sie Diòß koûrai genannt (9,502). 148f. o¬rfanòn … paidòß: „des Kindes beraubt“, wörtlich „verwaist“, doch wird das Wort ebenso für den Verlust von Eltern wie für den von Kindern gebraucht; vgl. Andr. 308 tékewn o¬rfanoì géronteß; Hesychius O 1355: o¬rfanóß· o™ gonéwn e¬sterhménoß kaì téknwn.

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150 túmbw¸ propetñ: wörtlich „niedergefallen vor dem Grab (des Achilleus)“; so Paley, nicht richtig Hadley: „zu ihrem Grabe eilend“. 151f. e¬k crusofóron deirñß nasmø¸ melanaugeî: „das aus dem goldgeschmückten Hals dunkel glänzend hervorströmt“; hochpoetische Wortwahl und Wortstellung; wörtlich „aus dem goldtragenden Hals mit dunkel glänzenden Strom“. Zu malerischen, ja geradezu impressionistischen Effekten in der Sprache des Eur., besonders zum Zusammenspiel von Farbe und Licht Barlow (1986) 10 und Anm. 37. Unsere Stelle ist eines ihrer Beispiele. 152 nasmø¸: „Strom, Quelle“, poetisches Wort; vgl. Hipp. 225, 653. melanaugeî: „schwarz glänzend“, hier wohl eher als „dunkel glänzend“ zu verstehen; seltenes Wort, nur hier und Orpheus Argonautica 513. 154–76 Monodie Hekabes Hekabe reagiert mit diesem Lied auf die vom Chor überbrachte Nachricht. Lyrische Anapäste (erkennbar an dorischem Vokalismus) mit eingestreuten anderen Metren (165–68); ähnlich wie in V. 68–97. Zur Bauform der Monodie s. W. Barner, Die Monodie, in: Jens (1971) 277–320. Diggle nimmt mit anderen Herausgebern seit Hermann metrische Responsion zwischen den beiden Monodien Hekabes und Polyxenes an, also zwischen V. 154–74a und 197–210, doch spricht gegen diese Annahme, dass für die Herstellung einer genauen Responsion viele Eingriffe in den überlieferten Text nötig sind (Paley). Allenfalls ließen sich die kurzen nicht anapästischen Passagen V. 165–68 und 207–10 als respondierend auffassen. Hierfür wären auch keine Textänderungen erforderlich. 154 oi£ e¬gå: „weh mir“, in anapästischem Kontext dreisilbig mit Hiatkürzung zu sprechen; anders in iambischem Kontext V. 438, 676. a¬púsw: Futur zu dorisch a¬púw, attisch h¬púw „rufe an“, „töne“, „spreche“, bei den Tragikern meist in lyrischem Kontext. 155–58 An dem getragenen Rhythmus der Spondeen, den Wortwiederholungen, den Reihungen von Synonymen und verschiedenen anderen Stilfiguren lässt sich hier und im folgenden die starke Emotionalität Hekabes erkennen. 155 poían a¬cå: „welchen Klang“. a¬cå dorisch für h¬cå „Widerhall“, „Echo“, vgl. V. 1111; allgemeiner „Klang“, „Schall“, wie Hipp. 1201; Tro. 1267. 156–58 Polyptoton, Reihung kausaler Genetive. 157 Auch ohne das von Triklinios eingefügte kaì wäre der Vers metrisch akzeptabel, weil in lyrischem Kontext mehrere katalektische anapästische Dimeter nacheinander möglich sind; vgl. Iph.T. 210–12.

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158 ou¬ fertâß: Das Wort fertóß ist in der griechischen Literatur nur hier sicher belegt. Bothe schlägt vor, für das überlieferte ou¬ fertâß „nicht zu ertragen“ zu lesen ou¬ feuktâß „der man nicht entfliehen kann“, und verweist auf Soph. Ai. 224 a¢tlaton ou¬dè feuktán mit der Variante ou¬dè fertán. Durch die Änderung würde eine Synonymenhäufung vermieden; welche freilich bei Eur. häufig vorkommt. 159–61 Sie ist heimatlos und der Angehörigen (Ehemann, Söhne) beraubt, auf deren Beistand sie als Frau sonst rechnen könnte. In der zweiten Hälfte des Stückes wird sie beweisen, dass sie auch ohne ihre Angehörigen erfolgreich handeln kann. Vgl. Med. 253–58 in einer ähnlichen Situation. 159–64 Hierzu Diggle (1994) 16f. und 94 Anm. 9. 159 poía génna: „welche Sippe”. Der überlieferte Text lässt sich halten, wenn die letzte Silbe lang gemessen wird (LSJ). Anders Diggle (1981) 97. 160f. froûdoß: „fortgegangen“; kontrahiert aus prò o™doû, wie in V. 181 froímion aus prooímion. 160f. Aristophanes Wolken 718 froûda tà crämata, froúdh croiá könnte eine Parodie dieser Passage sein; vgl. Dover zur Stelle. 160 présbuß: „der Alte“. Gemeint ist Priamos. Vgl. Tro. 921 (wo allerdings umstritten ist, ob sich das Wort présbuß dort auf Priamos bezieht oder auf den alten Hirten, der dem ausgesetzten Kind das Leben gerettet hat und von dem vielleicht auch in Alexandros F 62d,12 TrGF die Rede war). 162–63 Diese Verse werden vielleicht zitiert von Dionysios von Halikarnassos De Compositione verborum 17: poían dñq’ o™rmásw; taútan h£ keínan; keínan h£ taútan; Doch s. auch Adespota F 137 TrGF. Ein ähnlich zweifelhaftes Zitat ist Alexander De figuris 3, 12 20 Spengel: poían e¢lqw, taútan h£ keínan; 162 poían h£ taútan h£ keínan: zu ergänzen o™dón: „welchen, entweder diesen oder jenen Weg?“ In einigen Hss. ist die Glosse o™dón in den Text eingedrungen. 163 poî dæ sw: „wohin soll ich gerettet werden?“ Die Ergänzung durch Diggle scheint mir sinnvoll zu sein; trotz der Einwände von Biehl (1997) 96 und Synodinou zur Stelle. Das überlieferte poî d’ hçsw „wohin lenke ich“ lässt sich allenfalls dann verstehen, wenn man sich póda „den Fuߓ ergänzt; vgl. Rhes. 798. (Der Text von Aisch. Pers. 470 içhs’ a¬kósmw¸ xùn fugñ¸ ist umstritten.) Aber auch das von Erfurdt vorgeschlagene poî d’ a¢¸ssw „wohin soll ich eilen“ ist bedenkenswert. 164 qeøn: einsilbig in Synizese zu sprechen. daímwn: R. Schlesier, Daimon und Daimones bei Eur., Saeculum 34 (1983) 267–79 stellt fest, dass Eur. meist keinen Unterschied zwischen qeoí und daímoneß macht, sondern beide Wörter synonym verwendet. Die

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wichtigste Ausnahme ist Alk. 1003, wo daímwn etwa „Totengeist eines Heros“ bedeuten muss. Eine Differenzierung zwischen qeoí und daímoneß, wie sie später die platonische Diotima (Symposion 201d–202e) vornimmt, gibt es bei Eur. noch nicht. Die Übersetzung „Dämon“ für daímwn wäre irreführend, weil sie nahelegen würde, dass es sich hier um Wesen handelte, die einen niedrigeren Rang als die Götter hätten und womöglich sogar gegen die Götter wirkten. Darum lasse ich das Wort hier unübersetzt, während ich es sonst mit „Gott“ wiedergebe. Vgl. auch Wilamowitz (1931) 1,362–69, der darauf hinweist, dass besonders dann von daímwn gesprochen wird, wenn es um die Zuteilung menschlicher Schicksale geht. In dieser Weise wird das Wort denn auch in V. 723 und 1087 verwendet. 165–74a Die Wortwiederholungen lassen abermals die große Erregung der Sprecherin erkennen. 165–68 Die Verse respondieren metrisch mit V. 207–10. 165f. e¬negkoûsai: entweder „die ihr bringt“ oder „die ihr ertragt“. Ersteres verdient in diesem Kontext den Vorzug. 166–69 Ennius Hec. fr. = 204f. Warmington = 91 Jocelyn („miserete anuis | date ferrum qui me anima privem“) ist offenbar eine kräftig verstärkte Version dieser Verse. 167 a¬pwlésat’ w¬lésat’: Wiederaufnahme des Kompositums durch das Simplex; dazu Diggle (1994) 84. Die Worte sind implizit ein Vorwurf an den Überbringer einer schlechten Botschaft; vgl. Soph. Ant. 277 stérgei gàr ou¬deìß a¢ggelon kakøn e¬pøn. 167f. bíoß … e¬n fáei: „das Leben im Licht“, poetische Wendung für „das Leben“, im Gegensatz zum Dasein in der Unterwelt; vgl. 415 e¬n fáei, 418 e¬n ÷Aidou. a¬gastóß: „bewundert“, „bewundernswert“, hier „beneidenswert“. 170–76 Wer zwischen den Monodien Hekabes und Polyxenes metrische Responsion annimmt und zugleich V. 211–15 für einen späteren Zusatz hält, muss diese Verse, soweit er sie nicht streicht, zum folgenden Amoibaion rechnen. So verfährt denn auch Biehl (1997) 179. 170f. açghsaí moi: „leite mich!“ Attisch hçghsai, Imperativ des Aorists von h™géomai. 172–74a Diese Verse sind offenbar von Aristophanes parodiert worden (Wolken 1165f. w® téknon w® paî, e¢xelq’ oi¢kwn, a¢ïe soû patróß und schol.). 172 au¬lán: „Hof“, „Halle“, „Behausung“. Hier ist das Zelt gemeint. 173–74a Diggle hält die Verse für korrupt; sie sind metrisch auch nicht in Ordnung. Er macht verschiedene Lösungsvorschläge (e¢xelq’ e¢xelq’ oi¢kwn, matròß | dustanotátaß a¢i’ au¬dán oder dustanotátaß matéroß e¢xelq’ | e¢xelq’ oi¢kwn, a¢i’ au¬dán), doch scheint es mir am ein-

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fachsten zu sein, das Metrum durch die Hinzufügung einer langen Silbe, etwa von e¢lq’, zu heilen. 174a a¢ie: „vernimm“. a¬íw ist episches und lyrisches Synonym für a¬koúw „höre“; vgl. V. 176. Das a ist hier lang zu messen wie Aisch. Hik. 59, in V. 176 dagegen kurz wie Aisch. Pers. 633, Ag. 55. Zur unterschiedlichen Quantität s. auch LSJ. 175f. Der erste Vers hat so, wie er in den meisten Hss. überliefert ist, die an dieser Stelle ungewöhnliche metrische Form des Dochmius, dem zwei Spondeen oder spondeische Anapäste folgen ( qkkqkq | qq | qq | ). Zum Versmaß des Dochmius s. zu V. 182. Außerdem nimmt das Verspaar die Nachricht des bevorstehenden Todes Polyxenes vorweg, die Hekabe ihrer Tochter erst in V. 188–90 übermitteln wird. Darum möchte ich mich denen anschließen, welche die Verse tilgen. Das letzte Wort dazu ist aber wohl noch nicht gesprochen. Diggle und Kovacs möchten die Worte i¬œ téknon halten, was möglich ist, wenn man sie als Ausruf auffasst, der außerhalb des Metrums steht. 177–96 Amoibaion (Wechselgesang) Hekabe–Polyxene Auf die Aufforderung ihrer Mutter hin tritt Polyxene aus dem Zelt hervor und fragt, warum sie gerufen wurde. Hekabe antwortet zunächst nicht auf ihre Fragen, sondern stößt in V. 180, 182 und 186 Weherufe aus. Erst auf mehrfaches Drängen übermittelt sie die furchtbare Nachricht (188–90) und bestätigt sie auf die abermalige Frage Polyxenes (194–96). Dazu Mastronarde (1979) 38 Anm. 8 und 64 Anm. 36. Zur Bauform des Amoibaion s. H. Popp, Das Amoibaion, in: Jens (1971) 221–75, sowie zu V. 684–720. 177 tí néon: „welche schlimme Neuigkeit”. Auch hier gilt das zu V. 83 Gesagte. 178f. wçst’ = wçsper bei Homer und den Tragikern; vgl. V. 205, 337. qámbei: “Schreck”, vgl. Rhes. 291 qámbei d’ e¬kplagénteß; Hesychius Q 76 qámboß· qaûma, e¢kplhxiß. e¬xeptáxaß: „hast du mich … aufgescheucht”; nur hier belegtes Kompositum zu ptässw, das entweder transitiv gebraucht wird: „lasse jemanden sich ducken“, „erschrecke jemanden“, wie Ilias 14,40, oder auch intransitiv: „ducke mich“; so Her. 974; Kykl. 408; Soph. Ai. 171 (auch in Vergleichen mit Vögeln). 181 tí me dusfhmeîß: „Was sagst du mit schlimmer Vorbedeutung über mich?“ Ungewöhnliche Konstruktion. dusfhmeîn mit Akkusativ bedeutet sonst meist „schlimm über jemanden reden“; vgl. Hkld. 600; Soph. El. 1182.

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froímion: kontrahierte Form von prooímion „Vorwort“, „Einleitung“; vgl. auch V. 1195. Ähnliche Wendungen in vergleichbarer Situation: Hipp. 568; Tro. 712; Phoen. 1336. 182 Kausaler Genetiv nach einer Interjektion; ähnlich V. 661, 783; Hel. 211f. ai¬aî daímonoß polustónou moíraß te sâß; KG 1, 388f. Mit diesem Vers beginnen die immer wieder in die Anapäste eingestreuten Dochmien (185, 190, 193, s. ferner zu V. 187). Der Dochmius ist das Versmaß, in dem starke Erregung ihren Ausdruck findet; vgl. V. 684– 720, 1024–34, 1056–1106. Die Grundform ist kqqkq, doch gibt es viele Variationsmöglichkeiten. Hierzu Conomis (1964). 183 e¬xaúda, mæ krúyh¸ß: „sprich es aus, verbirg es nicht (vor mir)“. Ähnlich Ilias 1,363 e¬xaúda, mæ keúqe nów¸. darón: „lange“; dorische Form für attisches dhrón, hier im Kontext lyrischer Anapäste. Dies ist eine der dorischen Formen, die in der Tragödie auch in iambischem Kontext verwendet werden, wie eçkati (1198), o¬páwn (979); vgl. Björk (1950) 126. 187 Wenn mit Hartung ein dè eingefügt und mit ihm und Hermann a¬ggeleîß gelesen würde, entstände noch ein weiterer Dochmius: k kkqkq (d2). 188–90 sfáxai s’: „dich zu schlachten“: sfáttein bezeichnet die rituelle Opferung, der Dativ (Phleía¸ génna¸) nennt den Empfänger des Opfers; vgl. Hkld. 408, 490. sunteínei: „strebt danach“, „zielt darauf“. pròß túmbon: „am Grabe“, gibt den Ort der Opferung an, nicht das Ziel einer Opferprozession, wie Gregory meint. gnåma, attisch gnåmh „Gedanke“, „Meinung“, „Meinungsäußerung“, hier „Beschluss (einer Versammlung)“. 190 Phleía¸ génna¸: „für den Peleussohn“ Achilleus, wörtlich „für die Nachkommenschaft des Peleus“. Päleioß ist Adjektiv zu Phleúß. Das Phleída¸ génna¸ der Hss. würde „für die Nachkommenschaft des Peliden“ bedeuten, würde sich also auf Neoptolemos beziehen. Eine ähnliche Wortbildung findet sich Iph.T. 1290 ¯Agamemnoneíaß paidóß. 192 a¬mégarta kakøn: wörtlich „nicht Beneidenswertes unter den Übeln“ (vgl. V. 716 w® katárat’ a¬ndrøn) oder „wegen der Übel“. Murray zieht die Worte zum Vorhergehenden, was auch möglich wäre, ich ziehe sie dagegen mit Diggle zum Folgenden. mánuson: Hierzu schreibt ein jüngeres Scholium: tò mhnúein parà toîß poihtaîß a¬ntì toû a™pløß légein e¬stí. 194 dusfämouß fämaß: „Worte von schlimmer Vorbedeutung“. Hekabe knüpft an Polyxenes Worte in V. 181 an. Paradoxe Formulierung (Oxymoron); ähnlich V. 612 númfhn a¢numfon parqénon t’ a¬párqenon. Hierzu Fehling (1968) 150.

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195f. ¯Argeíwn dóxai yäfw¸: „durch die Abstimmung der Argiver sei beschlossen worden“. Durch seine Wortwahl betont der Chor, dass der Beschluss der Griechen formal korrekt gefaßt wurde; s. zu V. 108. 196 tâß sâß perì yucâß: „wegen deines Lebens“. Dieser von wenigen Hss. überlieferte Text verdient den Vorzug vor dem von dem besser überlieferten tâß sâß perí moi yucâß, in dem der Dativus ethicus moi „mir“ allenfalls „die zärtliche Anteilnahme der Mutter am Leben ihres Kindes“ zum Ausdruck bringen könnte (Weil). Zumeist wird moi jedoch als störend empfunden. Page ändert perì yucâß in perì moíraß „wegen deines Schicksals“, und Diggle übernimmt diese Änderung, die das überlieferte moi verwertet. Diggle verweist für perì moíraß auf Hel. 213 und Soph. Öd. 1302 als Parallelen, aber dort geht es jeweils um die Schicksale der betreffenden Person im allgemeinen und nicht um Leben oder Tod. Darum sollte man besser an perì yucâß festhalten. 197–215 Monodie Polyxenes Hekabes Tochter reagiert in einem bewegten Lied auf die furchtbare Nachricht, die sie erhalten hat. Dabei beklagt sie nicht so sehr ihr eigenes Schicksal, sondern versetzt sich vor allem in die Lage ihrer Mutter, die zu ihren vielen anderen Leiden noch ein neues Unglück trifft. Ihr späterer Entschluss, ihren Tod als freien Willensakt auf sich zu nehmen, wird also nicht überraschend kommen. Zur vermuteten Responsion von V. 197–210 mit 154–74a s. zu V. 154–76. 198 Der überlieferte Text bringt einen ungewöhnlichen, aber nicht unmöglichen Wechsel zwischen der meist bei einem Vokativ stehenden Exklamation w®, dem Adjektiv im Genetiv dustánou „des unglücklichen“, dem Vokativ mâter „Mutter“ und dem Substantiv im Genetiv biotâß „des Lebens“. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen auf eine Glättung. Hermann gleicht das w® an das folgende Adjektiv an, Wecklein das Adjektiv an das vorausgehende w®. Beides scheint mir unnötig zu sein. Diggle verweist auf Hel. 211f. (ai¬aî daímonoß polustónou moíraß te sâß gúnai), wo auf den Weheruf ai¬aî Genetive folgen, die den Grund des Weherufes angeben, und sodann ein Vokativ. Vgl. auch V. 661; Med. 1028; KG 1,389. 199 låban: „Unheil“, „Misshandlung“, „Schande“, „Schmach“; ein in diesem Stück häufig wiederkehrendes Wort: V. 213, 647, 1073, 1098. 200f. Der überlieferte Text ist sprachlich nicht zu beanstanden (Collard). Die von Hermann und Diggle vorgeschlagenen Zusätze ändern nichts am Sinn, sondern dienen der Angleichung des Metrums an die Umgebung und der Herstellung der Responsion mit V. 157f. Da ich jedoch

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keine Responsion annehme und da das Metrum dieser Monodie auch sonst recht bewegt ist, übernehme ich die Zusätze nicht. 205f. skúmnon: „junges Tier“, besonders von Löwen, aber auch von anderen Tieren gebräuchlich, metaphorisch auch von jungen Menschen. wçst’ = wçsper; vgl. V. 178, 337. ou¬riqréptan: „im Gebirge ernährt, aufgewachsen“. móscon: „Kalb“, oft als Opfertier erwähnt; metaphorisch ebenfalls von jungen Menschen, hier Femininum; vgl. V. 526; Iph.T. 359; Iph.A. 1083. Die Verbindung von ou¬riqréptan mit móscon wurde zu Unrecht als ungewöhnlich empfunden,. Denn im Altertum wurde dort, wo Wiesen fehlten, das Vieh im Sommer zum Weiden ins waldige Gebirge getrieben; vgl. Iph.T. 162; Iph.A. 574f., 1082–84; Soph. Öd. 1133–39; ferner „silvae“, „myricae“ und „nemus“ als Ort der Hirtendichtung Vergil Eklogen 6,2, 10,9–15. S. auch Mossman 148 Anm. 20; Synodinou zur Stelle. 206 Zwischen deilaían und e¬sóyh¸ nehmen Murray, Diggle und Kovacs um der Responsion mit V. 164 willen eine Lücke an, obwohl im überlieferten Text syntaktisch nichts fehlt. 207–10 Die Verse respondieren metrisch mit V. 165–68. 207f. ceiròß a¬narpastàn sâß a¢po: „aus deiner Hand gerissen“, mit nachgestellter Präposition und Akzentverschiebung; vgl. V. 209 nekrøn méta. Polyxenes Worte klingen an Hekabes Traumerzählung in V. 90f. an. 208–09 ÷Aida¸ gâß u™popempoménan skóton: wörtlich „dem Hades hinabgeschickt ins Dunkel der Erde“. Der von der großen Mehrheit der Hss. bezeugte Text scheint mir gut verständlich zu sein, so dass ein Rückgriff auf das vereinzelt überlieferte und von Reiske konjizierte gâß uçpo „unter die Erde“ nicht nötig ist. 210 keísomai: im Blick auf den künftigen eigenen Tod gesagt auch Phön. 1283; Soph. Ant. 76. 211–15 Die Verse werden von Wilamowitz (Lesefrüchte, 124, Hermes 44, 1909, 449) gestrichen mit der Begründung: „Das ist ein abscheulicher Zusatz. So dumm soll Eur. gewesen sein, Polyxena hier schon lebenssatt zu zeigen, damit das großartige parà prosdokían V. 342ff. um seine Wirkung käme?“ Diggle schließt sich an. Wenn man zwischen den beiden Monodien Responsion annimmt, machen die Verse in der Tat Schwierigkeiten, da der überlieferte Text nicht mit V. 170–76 respondiert. Ich nehme aber keine Responsion an und halte auch die Vorwegnahme nicht für einen Fehler. Denn schon in V. 197–204 sieht Polyxene ihr Schicksal in erster Linie als ein Leid, das ihre Mutter betrifft, und nicht so sehr als ihr eigenes Unglück. Dass V. 215 nicht mit der üblichen Klausel schließt (wie übrigens auch schon der umstrittene V. 176), kann man entweder für tolerierbar halten (wobei sich auf Aisch. Pers. 930 verweisen lässt) oder aber

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durch die Textänderungen von Weil (pótmoß) oder Dale (daímwn) korrigieren. Die von Kovacs vorgenommene Ergänzung toû féggoß o™rân „als das Licht zu sehen“ ändert wenig am Sinn des Satzes, sondern dient der Herstellung der Responsion mit V. 171–74. Zu diesen Versen auch O’Connor-Visser (1987) 68; Kovacs (1996) 56–58; Synodinou zur Stelle. 211 Obwohl alle Hss. sè überliefern, kommentiert schol. M, als ob soû stände. Jedoch ist die Konstruktion von klaíw mit dem kausalen Genetiv soû zwar ungewöhnlich, findet aber eine Parallele in Soph. El. 1117 (ei¢per ti klaíeiß tøn ¯Oresteíwn kakøn); hierzu KG 1,388. Die Stelle hat schon in der Antike zu Diskussionen geführt, wie schol. M zeigt (a¬ntì toû perì soû, h£ e¬pì soì … tinèß dé fasi leípein tò cárin). Weil meint, dass klaíein hier wie a¬lgeîn konstruiert wird, das den Genetiv regiert, und verweist auf V. 1256 h® ’me paidòß ou¬k a¬lgeîn dokeiß; Collard erwägt, soû von qränoiß abhängig sein zu lassen „mit meinen Klagen für dich“, doch scheint mir die Wortstellung diese Konstruktion nicht gerade nahezulegen. Ähnliches gilt für den Vorschlag von schol. M und Weil, tòn bíon aus V. 213 als Objekt zu klaíw zu ergänzen. 212 Anstatt der in der Tragödie gebräuchlichen und deswegen hier vorzuziehenden synkopierten Wortform pandúrtoiß „alles beklagenden“ erscheint in den Hss. hier und auch an den anderen Stellen (Aisch. Pers. 941, 944; Soph. El. 1077) die nicht synkopierte Form panodúrtoiß. Dort jedoch ist die synkopierte Form aus metrischen Gründen hergestellt worden, während hier beides möglich wäre. 213 tòn e¬mòn dè bíon låban lúman t’: „mein Leben (das aus) Gewalt und Zerstörung (besteht)“. Polyxene fasst hier kurz zusammen, was sie in V. 359–66 ausführlich beschreiben wird. Reiskes tou¬moû dè bíou „meines Lebens“ gibt keinen besseren Sinn. Anders Kovacs (1996) 56f. Ähnliche Wortverbindung in V. 1073f., låbh auch 647. 214 metaklaíomai: „beweine“, wie klaíomai. Andere übersetzen „beklage nachträglich, bereue“ (LSJ). Polyxene würde dann also auf ihr Leben zurückblicken. Kovacs übernimmt das von Willink vorgeschlagene méga klaíomai „beweine sehr“. 215 xuntucía: „Fügung“, je nach Zusammenhang „glückliche“ oder auch „unglückliche“, genau wie auch túch und lat. „fortuna“ je nach den Umständen „Glück“ oder „Unglück“ bedeuten können.

216–443 Erstes Epeisodion Das erste der zwei Epeisodien, die der Polyxene-Handlung gewidmet sind, beginnt mit der Auseinandersetzung Hekabes mit Odysseus, wobei Hekabe nach zwei Wechselreden (218–37) und einer vorbereitenden kurzen Sticho-

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mythie (238–50) zunächst in einer eindringlichen Rede ihre Bitte vorbringt, er möge zu Gunsten ihrer Tochter an das Heer appellieren (251– 95), was Odysseus mit gewichtigen Argumenten ablehnt (299–331). Dann fordert Hekabe ihre Tochter auf, selbst das Wort zu ergreifen (334–41). Diese verzichtet aber darauf, um ihr Leben zu bitten, sondern erklärt sich bereit zu sterben, wobei sie diesen Entschluss eindrucksvoll begründet (342–78). Auch jetzt gibt Hekabe nicht auf und versucht mit allen Mitteln, ihre Tochter vor dem Tod zu bewahren oder mit ihr sterben zu dürfen (382–401), bis Polyxene sie bittet, sich ins Unvermeidliche zu fügen (402– 08). Nun beginnt ein rührendes Abschiedsgespräch zwischen Mutter und Tochter, zum großen Teil stichomythisch (409–31). Schließlich fordert Polyxene Odysseus auf, sie hinwegzuführen, und nimmt Abschied vom Leben (432–37). Hekabe versucht sie vergebens zurückzuhalten und bricht dann zusammen (438–40). Sie hat aber so viel Kraft bewahrt, dass sie sich wieder aufrichten und Helena als die Urheberin alles Unglücks verwünschen kann (441–43). Die Chorführerin greift nur in die Handlung ein, indem sie am Anfang die neu auftretende Person ankündigt (216f.) und das Ende der drei großen Reden jeweils durch kurze Kommentare markiert (296–98, 332f., 379–81). Zum Aufbau der Szene, eines frühen Beispiels eines zwischen drei Personen geführten Gesprächs in der Tragödie, s. Listmann 51–53. Sein Urteil (52f.): „Obwohl ein gleichmäßigs Ineinandergreifen der Reden aller drei Beteiligten auch hier nicht erzielt ist, so ist doch die engere Verbindung der Schauspieler in Handlung und Dialog und die häufigere Teilnahme der dritten Stimme ein entschiedener Fortschritt in der Dreigesprächstechnik gegenüber den früheren Tragödien“. 216 kaì mæn: „und fürwahr”. Häufige Wendung bei der Ankündigung neu auftretender Personen: V. 665; Alk. 611, 1006; Hkld. 118; Hipp. 899, 1152; Andr. 494, 820; Tro. 230; Phön. 443. Zu solchen Ankündigungen s. R. Hamilton, Announced Entrances in Greek Tragedy, Harvard Studies in Classical Philology 82 (1978) 63–82. 218–28 Die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Odysseus wurde schon in V. 141 angekündigt. Jetzt tritt er „mit schnellem Schritt“ (spoudñ¸ podóß) auf. Ein so rascher Auftritt verheißt gewöhnlich nichts Gutes; vgl. Hipp. 1151f; Tro. 230–32. Die knappe Rede des Odysseus zeigt seine Rücksichtslosigkeit. Er meldet mit dürren Worten den Beschluss des Heeres und fügt hinzu, dass jeder Widerstand zwecklos sei. 219 kranqeîsan: „beschlossenen“, „vollendeten“. Oft von göttlichen Ratschlüssen: Andr. 1271f.; Hik. 139; El. 1248; Tro. 785; Ion 77; Aisch. Ag. 369; aber auch wie hier von Beschlüssen menschlicher Gremien: Hik. 375; Aisch. Hik. 942f.; ferner von (vielleicht von Göttern bewirkten) Ereignissen, so Hipp. 1255. S. auch zu V. 740.

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221 cøm(a): „Aufschüttung“; hier „Grabhügel“; auch V. 524; ferner Aisch. Cho. 723; Soph. Ant. 1216. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 222 pompoùß kaì komistñraß: „Geleiter und Herbeibringer“, zeremonielle Breite des Ausdrucks. pompóß auch Ba. 965, 1047, 1381. komistär nur hier in der Tragödie, wohl Neubildung anstelle des häufigeren komistäß (Andr. 1268; Hik. 25). 224 e¬pésth: „trat auf“. Hierfür setzte Nauck e¬péstai „wird auftreten“. Diggle und Collard schließen sich an, weil man ein Futur erwarten würde. Doch lässt sich e¬pésth im Sinne von „wurde eingesetzt“ halten. So auch schol. Mgl (e¬ceirotonäqh), Biehl (1997) 99, Gregory, Synodinou, KG 1,98f. toûde ist mit qúmatoß zu verbinden. 225 oi®sq’ ou®n oÇ drâson: „weißt du, was du tun sollst?“: Imperativ im Relativsatz: Ungewöhnliche Konstruktion, oft bei Eur., von manchen Schreibern nicht mehr verstanden und darum beseitigt; vgl. schol. M sowie Soph. Öd. 543; Ion 1029; Hel. 315 und Kannicht zur Stelle; KG 1,239. mät’ a¬pospasqñ¸ß bía¸:„lass sie dir nicht mit Gewalt entreißen“ oder, wie andere meinen: „lass dich nicht … von ihr losreißen!“ 227 a¬lkæn: „Kampfkraft“, insbesondere bei der Verteidigung. Hier sind die geringen Kräfte Hekabes gemeint, die es ihr unmöglich machen würden, sich zur Wehr zu setzen. Kovacs (1996) 58, übernimmt unnötigerweise den Vorschlag Herwerdens gígnwsk’ a¬nágkhn „erkenne deine Notlage“. S. auch zu V. 885. 228 Ein schlagendes Argument dessen, der das Recht des Stärkeren auf seiner Seite hat; ähnlich Tro. 726–29; ferner die Athener gegenüber den Meliern Thukydides 5,111,4. Vgl. auch Andr. 126. 229 a¬gœn mégaß: „ein großer Kampf”; eine bei Eur. beliebte Wendung, vgl. Hipp. 496; Hel. 843, 1090; Phön. 860; Ba. 975; [Rhes. 195]; im Superlativ Med. 235: Iph.A. 1003f; von Aristophanes parodiert Wolken 956; Frieden 276; Frösche 883. Damit gibt Hekabe das Stichwort für den Rest der Szene. Es wird eine förmliche Debatte mit Rede und Gegenrede geben, einen a¬gån lógwn. Allerdings fehlt infolge des Eingreifens der Polyxene der sonst übliche heftige Wortwechsel nach den beiden Reden. Vgl. hierzu Lloyd (1992) 8f. 230 plärhß … ou¬dè … kenóß: Die Aussage erhält besonderen Nachdruck durch Hinzufügung der Verneinung des Gegenteils; vgl. Andr. 96 und Stevens zur Stelle mit weiteren Beispielen. 231 ou¬k e¢qnhskon: „ich starb nicht“ oder „ich konnte nicht sterben“. Negiertes Imperfekt der Nichtvollendung; vgl. Schwyzer 2,279: „bei Handlungen, deren Ausführung nicht allein vom Subjekt abhängt, ‚nicht können‘“.

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232 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Hier wird durch den antithetischen Versbau die Antithese w¢lesen – tréfei, also der Gegensatz von Vernichtung (als Gnade) und Erhaltung (zum Unglück) besonders betont. 233 kakøn kák’ a¢lla meízon’: wörtlich: „anderes Schlimmes, größer als das (bisherige) Schlimme“. Zur Stilfigur des Polyptoton vgl. V. 45, 84, am ähnlichsten 588, 690. 234–37 Hekabe beachtet sorgfältig den Rangunterschied, der zwischen ihr und Odysseus jetzt besteht, und bittet bescheiden darum, dass ihr Rederecht gewährt wird. 234 e¢sti: hier im Sinne von e¢xesti „es ist erlaubt“; vgl. V. 238. 235 mhdè kardíaß dhktäria: „etwas, das nicht das Herz beißt“. kardíaß ist Genetivus obiectivus. 236 Der erforderliche Sinn „dann ist es für dich nötig, zu antworten“ lässt sich dem überlieferten soì mèn ei¬rñsqai („dir“ oder „von dir gesagt worden zu sein“) nur schwer abgewinnen. Paley, Prinz, Collard, Hadley und Biehl (1997) 100f. versuchen auf verschiedene Weisen den überlieferten Text zu verstehen, doch befriedigt keiner dieser Versuche restlos. Eine ausführliche Diskussion der Versuche bei Synodinou zur Stelle. Porson verweist auf die häufig eine Rede abschließende Wendung ei¢rhtai lógoß „die Rede ist gesagt, d. h. beendet“. Dann wäre lógon „die Rede“ zu ergänzen und etwa zu übersetzen „dass deine Rede beendet sei“. Doch sollte man eher den Vorschlag von Herwerden sè mèn a¬meíbesqai „zu antworten“ übernehmen. Daneben ist auch der Vorschlag von Weil sè mèn e¬rwtâsqai „dich fragen zu lassen“ erwähnenswert; vgl. Iph.A. 1130 e¬rwtâsqai qélw. 237 h™mâß ... toùß e¬rwtøntaß: Generalisierendes Maskulinum im Plural, bezogen auf weibliche Personen, vgl. V. 512, 670, 798; KG 1,83. 238 Odysseus gewährt Hekabe zwar großzügig Zeit für eine Anhörung, in der Sache aber wird er hart bleiben. 239–50 Hekabe bereitet die Argumentation der folgenden Rede vor, indem sie sich bestätigen lässt, dass sie Odysseus einst das Leben rettete und darum Anspruch auf seine Dankbarkeit hat. Dabei bezieht sie sich auf die in der Odyssee (4,242–58) erwähnte Episode, in der Odysseus sich in der Verkleidung eines Sklaven als Spion nach Troja einschlich. S. auch Kleine Ilias p. 52,19–22 EGF ed. Davies; Rhes. 710–19. In der Odyssee ist allerdings nicht die Rede von Hekabe, sondern nur davon, dass Helena ihn erkannte und nicht verriet. Vgl. ferner Schwinge (1968) 197f. 239 Zur Syntax s. zu V. 110. 241f. Vgl. Odyssee 4,244–48, wo Helena erzählt, dass Odysseus sich damals durch schlechte Kleidung und von ihm selbst zugefügte Verletzungen unkenntlich machte. Schol. M merkt an, dass die Erfindung des Eur., nach der Hekabe und nicht Helena Odysseus gerettet habe, unglaub-

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haft sei. Die Absicht des Dichters ist jedoch klar. Er braucht für die Argumentation Hekabes in der folgenden Rede ein ähnliches Band der Gemeinsamkeit zwischen ihr und Odysseus, wie es im zweiten Teil des Dramas zwischen ihr und Agamemnon besteht (824–35). Dort ist ein solches Band vom Mythos vorgegeben, hier muss der Dichter es selber knüpfen. 241 fónou: „Mord“, hier wohl „Blut“, wie Iph.T. 72, Soph. Öd. 1278. Schol. M fasst fónou stalagmoì metaphorisch auf wie in der Wendung „blutige Tränen weinen“. Ähnliche Formulierung Aisch. Cho. 1058 über die Erinyen: ka¬x o¬mmátwn stázousin ai©ma dusfiléß. 242 a¢kraß kardíaß: „an des Spitze des Herzens“, „nur oberflächlich“. Zur Wendung vgl. Aisch. Ag. 805 ou¬k a¬p’ a¢kraß frenóß. Ganz anderen Sinn hat a¢kroß dagegen Hipp. 255 pròß a¢kron múelon yucñß „ins innerste Mark des Gemüts”. 245 tapeinòß w¢n: „wobei du niedrig warst” oder „wobei du dich unterwarfst”; vgl. Andr. 165. Gemeint ist die Gebärde des Bittflehenden; s. zu V. 251–95, 286. 246–50 Die Überlieferung ist zum Teil durch den Ausfall zweier Verse und ihre Wiedereinführung an falscher Stelle gestört. Obwohl die von Diggle vorgeschlagene und von Kovacs und Synodinou übernommene Versfolge der zeitlichen Abfolge der Ereignisse besser entspricht, halten viele Herausgeber, darunter Gregory, an der von den meisten Hss. überlieferten Reihenfolge fest, mit Recht, wie mir scheint. Collard übernimmt zwar Diggles Text, kann aber auch der besser überlieferten Reihenfolge einen guten Sinn abgewinnen und findet, dass V. 250 vor 251 „kraftvoll ironisch“ ist. Im übrigen ist nach V. 250, wo Odysseus seine damaligen Worte als situationsbedingt abwertet, Hekabes Argumentation von vornherein wenig aussichtsreich. 246 e¬nqaneîn: „absterben“, so auch schol. M (nekrwqñnai u™pò toû déouß tæn ceîrá mou). Die ungewöhnliche Wendung hebt hervor, wie lange und wie fest sich Oysseus in seiner Todesangst an Hekabes Gewand klammerte. 248 cqonóß: „aus der Stadt“, wörtlich: „aus dem Land“. Hierzu Wilamowitz, Eur. Her. 3,127: „Die Tragödie hat … cqån und póliß ganz synonym gebraucht und das edlere Wort bevorzugt“. 249 Eine paradoxe Situation. Die Königin, die jetzt eine Sklavin ist, kann einen König daran erinnern, dass er einst ihr Sklave war. Er war es, weil er sich durch seine Hikesie in ihre Gewalt begeben hatte. 250 wörtlich: „Vieler Worte Erfindungen, so dass ich nicht starb“. Es geht hier wohl nicht darum, dass Odysseus zugeben muss, Hekabe in seiner Not vieles versprochen zu haben, wie Biehl (1997) 101 meint. Vielmehr scheint er mir seine damaligen Worte abzuwerten, weil er sie nur gesagt habe, um der Lebensgefahr zu entkommen.

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251–333 Den Mittelteil des Epeisodion bildet ein streng gebauter Agon, bestehend aus zwei Reden, denen sich jeweils eine Chorreplik anschließt. Danach greift die dritte Person ein und entscheidet den Streit (342–78). Eine formal ähnliche, freilich inhaltlich ganz andersartige Abfolge wird es in der Exodos geben (1132–1251). 251–95 Rede Hekabes Hekabe kämpft um das Leben ihrer Tochter. Sie versucht Odysseus dazu zu bewegen, noch einmal vor der Heeresversammlung aufzutreten und sich für die Aufhebung oder zumindest Änderung des Opferbeschlusses einzusetzen. Nach einer Einleitung (251–57) stellt sie die Angemessenheit des Beschlusses in Frage (258–70). Dann wendet sie sich an ihn persönlich, fordert seinen Dank für ihren früheren Beistand ein, sucht sein Mitleid mit ihr selbst und ihrer Tochter zu erregen und warnt vor der Unbeständigkeit des Glückes (271–85). Schließlich appelliert sie abermals an sein Mitleid und Rechtsgefühl und fordert ihn auf, noch einmal vor dem Heer aufzutreten und sich für Polyxenes Leben einzusetzen (286–295). Hekabes Rede wird, wie V. 275f. und 286f. zeigen, am Ende zu einer Hikesierede, das heißt zu einer Rede, mit der eine schwache und hilflose Person einen Stärkeren um Hilfe anfleht, wobei sie die Rede mit den rituellen Gebärden eines Bittflehenden begleitet, dem Niedersinken vor dem Angeflehten, dem Umklammern der Knie und dem Emporstrecken des Armes zu Kinn und Bart. Hierzu J. Kopperschmidt, Hikesie als dramatische Form, in: Jens (1971) 321–46; Gould (1973) 84f.; Gödde (2000) 86f. Hekabes Rede wird keinen Erfolg haben. Das ist aber nicht auf irgendwelche Schwächen ihrer Argumentation zurückzuführen, wie Riedweg (2000) 27f. meint, sondern darauf, dass Odysseus den Beschluss des Heeres, den er ja selbst herbeigeführt hat, für richtig hält und darum nicht in Frage stellen kann und will. 251–53 Hekabe wirft Odysseus Undankbarkeit vor, weil er sich für den Nutzen, den er von ihr hatte, nicht dankbar erweist, sondern ihr sogar Schaden zufügt. 251 ou¢koun kakúnh¸: „erweist du dich nicht als schlecht?“ oder „erscheinst du (dir) nicht als schlecht?“ Vgl. Hipp. 685f. und Barrett zur Stelle; ähnlich Schol. M: „kakòß w£n a™lískh¸ … kakòß faính¸“. Nicht richtig LSJ: „to be reproached“. 252 e¢paqeß oi©a fæ¸ß paqeîn: ähnliche Umschreibungen auch V. 873, 1000. 253f. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 253 Durch die antithetische Formulierung und die Form des Verses wird der Gegensatz „gut – schlecht“ besonders betont. Die Gliederung des

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Verses in zwei Hälften unterstützt die markante Aussage mit gnomischem Charakter. dúnh¸: „du kannst“ ist hier, Andr. 239 und Soph. Phil. 798 einheitlich überliefert, doch hat Porson überall dúna¸ als vermeintlich korrektere Form in den Text gesetzt. Anders Schwyzer 1,668; Björk (1950) 244. Nur für Soph. Phil. 849 ist dúna¸ in einigen Hss. bezeugt, freilich in lyrischem Kontext. 254–57 Hekabe erweitert den Tadel an Odysseus zu einer allgemeinen Invektive gegen die Volksredner, die sich nur um die Gunst (cáriß) der Menge bemühen, aber die Dankbarkeit (cáriß) vergessen, die sie ihren Freunden schulden. Schol. M bemerkt nicht zu Unrecht: taûta ei¬ß tæn kat’ au¬tòn politeían légei. kaí e¬sti toioûtoß o™ Eu¬r., periáptwn tà kaq’ e™autòn toîß hçrwsi kaì toùß crónouß sugcéwn. 254 Hier ist zu sehen, dass die Elision nicht immer den Einschnitt „mildert“, wie manche Metriker meinen. Der Einschnitt ist deutlich spürbar, wie sich auch an der Interpunktion erkennen lässt. 255 mhdè gignåskoisqé moi: wörtlich: „Wäret ihr mir doch nicht bekannt!“ 258–70 Hekabe tadelt die Entscheidung des Heeres. Ein Tieropfer wäre angebrachter; wenn jedoch ein Mensch geopfert werden müsste, wäre Helena sowohl wegen ihrer Schönheit als auch wegen ihrer Mitschuld am Ausbruch des Krieges geeigneter als Polyxene. Zur Mitschuld Helenas auch V. 441–43, 943–51; Tro. 969–1032; Or. 1302–10, 1361–65; Iph.A. 1334f., 1417f. Entlastet wird sie dagegen El. 1282f.; Or. 1639–42 und vor allem in der Hel. 258 tí dæ sófisma: „was für einen schlauen Plan“. Zu den positiven und negativen Bedeutungsnuancen von sófisma Egli (2003) 180–82. Negativer Sinn auch Iph.T. 380; Iph.A. 444. 260f. Ein mit wenig Nachdruck vorgetragener Zweifel an der Berechtigung der Opferung eines Menschen in dieser speziellen Situation. Zur Rolle der Menschenopfer in diesem Stück und allgemein bei Eur. s. Einführung S. 18–23. 260 tò crä: substantiviertes Verbum. Auch das von Scaliger vorgeschlagene tò creån (einsilbig gemessen) ist eine mögliche Form, während das einhellig überlieferte tò crñn nicht korrekt gebildet ist. Hierzu Wilamowitz zu Her. 311; Diggle (1981) 93. a¬nqrwposfageîn: „Menschen (rituell) schlachten“. Das nur hier vorkommende Wort ist besser überliefert und auch präziser als a¬nqrwpoktoneîn „Menschen töten“ und darum vorzuziehen. 263 e¬ß tänd’ … e¬ndikøß teínei fónon: wörtlich „richtet er mit Recht den Mord (wie einen Pfeil) auf sie?“. Ähnlich Hik. 672.

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265f. Die beiden Verse scheinen mir trotz der Einwände von Kovacs (1988) 129f. und (1996) 58f. an ihrem Platz sinnvoll zu sein. Zwar wirken sie auf den ersten Blick als Doublette zu V. 267–70, stehen auch asyndetisch nach V. 264, aber sie schließen inhaltlich gut an das Vorausgehende an und leiten zum Folgenden über (Collard, Synodinou). Polyxene hat dem Achilleus kein Leid zugefügt, Helena dagegen ist die Urheberin des Unglücks, das mit dem Krieg verbunden ist, und damit letztlich auch schuldig am des Tod des Achilleus. In V. 267–70 kommt das weitere Argument hinzu, dass Helena als die schönste aller Frauen auch das vollkommenste ‚Opfertier‘ wäre. 265 nin ai¬teîn crñn: „er sollte verlangen“, griechisch „es wäre nötig (gewesen), dass er verlangte“. Die dorische Form nin ist hier Akkusativ der 3. Person des Personalpronomens. crñn = cræ h®n „es war nötig“ oder „es wäre nötig“. prosfágmata: „Schlachtopfer“, vgl. V. 41. 266 w¢lesen … a¢gei: Hysteron proteron. Die Vernichtung Trojas ist die Folge der Entführung Helenas; das Wichtigste wird jedoch zuerst genannt. 267 e¢kkriton: „ausgewählte“. Bei Tieropfern pflegte man die vollkommensten Tiere den Göttern darzubringen; s. Burkert (1997) 10f. Hekabe meint, dass Analoges auch im Fall eines Menschenopfers gelten müsste. 268 kállei q’ u™perférousan: „an Schönheit (alle) überragend“. Dass Helena die schönste aller sterblichen Frauen war, ist für die Griechen der Antike eine feststehende Tatsache; s. Ilias 3,156–58. ou¬c h¬møn tóde: wörtlich: „ist dies nicht unsere Sache“. h™møn ist Genetiv der Zugehörigkeit und wird hier an Stelle des Possessivums h™méteron verwendet. 269 e¬kprepestáth: „die hervorragendste”; vgl. Alk. 333. Die Variante eu¬prepestáth würde „die geziemendste“ bedeuten, was neben ei®doß „Gestalt“ und auf Helena bezogen unpassend wäre. 271–81 Während Hekabe bisher rational gegen den Beschluss des Heeres argumentiert hat, wendet sie sich nun persönlich an Odysseus, wobei sie an die Stichomythie und die Eingangsworte ihrer Rede anknüpft und an seine Dankbarkeit und sein Mitgefühl appelliert. Sie bittet ihn, ihr den Dank für seine damalige Rettung abzustatten und seinerseits Polyxene zu retten, die letzte Stütze ihres Lebens. 271f. Überleitung von der Argumentation (mén) zur persönlichen Bitte (dé). 271 tónd’ a™millømai lógon: „streite ich mit dieser Rede“. Der Begriff açmilla lógwn „Redestreit“ wurde offenbar etwa gleichzeitig von

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Gorgias (B 11,13 Diels–Kranz) und Eur. geprägt und wird von Eur. oft verwendet: Med. 546; Hipp. 971; Hik. 195, 428. 272 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. In den zwei parallel gebauten Vershälften stehen einander gegenüber „geben“ und „du“ auf der einen und „bitten“ und „ich“ auf der anderen Seite. 274 Valckenaers Konjektur graíaß „greisen“ verdient aus metrischen Gründen den Vorzug vor den gleichbedeutenden überlieferten Varianten. parhídoß: „der Wange“ ist in der Tragödie mehrfach belegt, während die gleichbedeutende Variante pareiádoß zwar besser überliefert ist, aber erst bei späteren Autoren vorkommt. 275 a¬nqáptomai: „ergreife wiederum“ oder „meinerseits“; vgl. Herodot 3,137,2. sou tønde tøn au¬tøn: „scñma kat’ oçlon kaì méroß, nach dem zu einem Verb zwei Objekte in gleichem Kasus gesetzt werden, von denen das erstere den ganzen Gegenstand, das andere einen Teil desselben, auf den die Tätigkeit des Verbs gerichtet ist, ausdrückt“ (KG 1,289). Mit diesem Vers nimmt Hekabe vielleicht schon die Haltung einer Bittflehenden ein, spätestens jedoch mit V. 286. Gould (1973) 84 nimmt allerdings an, dass Hekabe hier nur eine „figurative“ Hikesie vornimmt, also nur von ihr spricht, ohne sie zu vollziehen, doch meine ich, dass V. 286 nahelegt, dass sie die Gebärde tatsächlich vollzieht. So auch Mercier (1993) 155f. 279–81 Ein Appell an das Mitleid, der zwar auf den Chor und die Zuschauer seine Wirkung nicht verfehlt, aber gegenüber dem eigentlichen Adressaten Odysseus wirkungslos bleibt; vgl. Riedweg (2000) 26. Zum Gedanken vgl. Or. 732f. Ähnlich auch schon Andromache über Hektor Ilias 6,429f.; Tekmessa über Aias Soph. Ai. 514–9; ferner Xenophon Anabasis 1,3,6. 279–80 Zum Wechsel taúth¸ – hçde „dieser – sie hier“ s. KG 1,644f. 279 ist fast gleich Or. 66. Eine solche zufällige Versgleichheit, wie sie in der Tragödie auch sonst gelegentlich vorkommt, sollte nicht dazu veranlassen, den Vers mit Hartung zu streichen; vgl. auch zu V. 504. Die Rede Hekabes würde jedenfalls ohne den Vers an Eindringlichkeit verlieren. Der Verlust wäre noch größer, wenn der ganze Passus V. 279–81 gestrichen würde, wie Kovacs (1996) 59f. es vorschlägt. Gregory und Synodinou übernehmen seinen Vorschlag denn auch nicht. Die Verse sind durchaus nicht irrelevant, sondern entfalten im einzelnen, was Polyxene für Hekabe bedeutet. 280 parayucä: „Erfrischung“, „Trost“; auch Or. 62. 281 Eine ähnliche Metapher für Polydoros in V. 80. Zur sprachlichen Gestalt vgl. F 866 TrGF a¬ll’ hçde m’ e¬xéswsen, hçde moi trofóß, | mäthr, a¬delfä, dmwýß, a¢gkura stéghß.

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Synodinou hält die Nennung der póliß zu Unrecht für einen Anachronismus, denn Troja gewährte Hekabe Schutz, solange ihre Mauern noch standen, und Polyxene muß ihr jetzt auch die Stadt ersetzen. 282–85 Hekabe warnt Odysseus vor dem Missbrauch der Macht und einem möglichen Wechsel des Schicksals, für den sie selbst das beste Beispiel ist. Ein solcher Hinweis auf die Wankelmütigkeit des Glückes als Warnung an die Herrschenden findet sich auch schon in der Kroisosgeschichte Herodot 1,86,4–6. 282 kratoûntaß cræ … krateîn … creœn: Die Stilfigur eines doppelten Polyptoton, die den Vers besonders eindringlich macht, lässt sich im Deutschen nicht nachbilden. 284 Zu h® s. zu V. 13. 285 Daran, dass ein Mensch an einem einzigen Tag vom Glück ins Unglück geraten kann, wird in der Tragödie immer wieder erinnert; vgl. Her. 508–10; Phoin. 1689. 286–95 Hekabe fleht noch einmal um Erbarmen und beruft sich auf das Recht (nómoß), das Kriegsgefangene schützt und das für Freie und Sklaven in gleicher Weise gilt. Sie fordert Odysseus dann auf, sein großes Ansehen für ihre Sache einzusetzen. Sie hat wohl spätestens jetzt (wenn nicht schon mit V. 275) die Haltung einer Bittflehenden eingenommen und behält sie wohl bis zum Ende ihrer Rede bei. Odysseus wird sich irgendwann, spätestens zum Ende ihrer Rede, aus ihrer Umschlingung befreit haben. So Mossman (1995) 55f.; anders Gould (1973) 84f. Anm. 54f.; Collard. 286 fílon: Die schmeichelnde Anrede richtet sich an Odysseus selbst, also Stilfigur der Synekdoche (pars pro toto). géneion: „Kinn“, auch „Bart“. Knie, Kinn oder Wange (274) sind die Körperteile, die der Bittflehende bei der Person zu berühren versucht, in deren Schutz er sich stellt, die Knie, um ein Wegstoßen, Kinn und Wange, um abweisende Worte zu verhindern (Collard). ai¬désqhtí me „schäme, scheue dich vor mir“, „erweise mir Respekt!“ Der gleiche Versschluss V. 806. 287 oi¢ktiron: „hab Erbarmen“, ebenso V. 807 am Versanfang; ähnlich auch Iph.A. 1246f. (katoíktiron). 288 fqónoß (zu ergänzen e¬stín): „die Götter würden zürnen“, frei übersetzt nach der Deutung durch schol. MV nemesäseian a£n u™mîn oi™ qeoì. Wörtlich „(es verursachte) Neid“, oder „Missbilligung”, „Eifersucht“, „Ärger“, jedenfalls Gefühle, die ungerechtes Handeln bei Menschen und Göttern erregt (Collard). Hier ist, besonders nach V. 282–85, wohl an den Unwillen der Götter (fqónoß qeøn) gedacht, der ähnliche Schicksalsschläge zur Folge haben kann.

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290 bwmøn a¬pospásanteß: „als ihr sie von Altären risset“. Die Partizipialkonstruktion ist, wie oft, mehrdeutig. Sie kann temporal sein (nachdem), oder auch konzessiv (obwohl). Jedenfalls ist schon das Wegreißen ein Religionsfrevel, die Ermordung einer Weggerissenen wäre aber ein noch größerer Frevel. Die Rechtmäßigkeit der Tötung eines Kriegsgefangenen wird zum Thema in Hkld. 961–74; vgl. auch 1009–12. Die Gesetze (nómoi) der Griechen verbieten sie, die Athener wollen sich dort daran halten, aber Alkmene verlangt unerbittlich, dass der gefangene Eurystheus getötet wird. 291f. Eur. setzt hier anachronistisch die Gültigkeit des attischen Rechts auch schon in der mythischen Zeit voraus. Denn im Athen des 5. und 4. Jh. genossen auch Sklaven einen gewissen Rechtschutz. Hierzu s. Antiphon 5,48; Demosthenes 21,46f.; Aischines 1,17; ferner G. R. Morrow, The Murder of Slaves in Attic Law, Classical Philology 32 (1937) 210–27; D. M. MacDowell, The Law of Classical Athens, London 1985, 80f. 293–95 Hekabe beendet ihre Rede mit einem schmeichelnden Lob der Beredsamkeit und des Ansehens des Odysseus. 293 ka£n (= kaì e¬àn) kakøß légh¸ß: „auch wenn du schlecht sprichst“. Der richtige Text wird bezeugt durch Ennius Hec. fr. 206–08 Warmington = 84 Jocelyn: „Haec tu etsi perverse dices facile Achivos flexeris, namque opulenti quom loquuntur pariter atque ignobiles eadem dicta eademque oratio aequa non aeque valet.“ Ennius hat sich hier recht eng an Eur. angeschlossen. Hekabe meint, dass Odysseus dank seines Ansehens selbst dann Erfolg haben würde, wenn er einmal nicht gut spräche. Dass umgekehrt auch die beste Rede wirkungslos bleibt, wenn ihr Sprecher wenig angesehen ist, wird in der Tragödie öfters festgestellt: Andr. 189f.; Danae F 327,1–4 TrGF; adesp. fr. 119, 4–6 N. (= Comparatio Menandri et Philistionis 2, 29–34 Jäkel). Patin (1913) 1, 374 Anm. 2 bringt folgende Parallelen aus der französischen Literatur: Tous les discours sont des sottises, Partant d’un homme sans éclat: Ce seraient paroles exquises, Si c’était un grand qui parlât. (Molière, Amphitryon Akt 2, Szene 1) Ce chien parlait très à propos; Son raisonnement pouvait être Fort bon dans la bouche d’un maître,

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Mais n’étant que d’un simple chien On trouva qu’il ne valait rien. (La Fontaine, Le Fermier, le Chien et le Renard, 11, 8) 294 peísei: „es wird überzeugen“. Die Variante peísei verdient den Vorzug vor peíqei, weil es hier nicht um eine allgemeine Aussage, sondern nur um den einen konkreten Fall des Eintretens für Polyxene geht. 295 tøn dokoûntwn: „der Berühmten“, „der Angesehenen“; vgl. Tro. 613. 296–98 Chorreplik Der Chor unterstützt Hekabes Bitte, indem er feststellt, dass sich auch der Härteste durch ihre Klagen rühren lassen müsste. Das ist ein Irrtum, wie sich zeigt, denn Odysseus bleibt ungerührt. Die Äußerung des Chores lässt aber erkennen, auf welche Reaktion des Publikums Eur. zielt. Dazu richtig Riedweg (2000) 30f. 296 sterròß: „hart“, Nebenform von stereóß. Grundbedeutung „fest“, meist dreiendiges, hier zweiendiges Adjektiv, wie Andr. 711. S. auch zu V. 1295. 297f. Diese Worte geben nur dann einen Sinn, wenn man sie nicht nur auf Hekabes Rede, sondern auch auf ihre lyrischen Äußerungen in V. 154– 96 bezieht, die der Chor ja mitgehört hat. 299–331 Gegenrede des Odysseus Odysseus antwortet Hekabe ruhig im Ton, aber hart in der Sache. Er geht auf die meisten Argumente ein, weist sie zurück und beharrt unerbittlich auf seinem Standpunkt. Er preist wie Hekabe die Dankbarkeit, aber gerade sie gebiete es, die Forderung des Achilleus zu erfüllen. Auch er beruft sich auf das Recht, aber gerade das Recht verlange es, den besten Helden am höchsten zu ehren. Bei Aufbau und Inhalt richtet er sich weitgehend nach der Rede Hekabes, ohne freilich auf ihr wichtigstes Argument, die Ablehung des Menschenopfers allgemein und der Opferung Polyxenes im besonderen (258–70), einzugehen. Nach einer kurzen Einleitung (299f.) gesteht er eine Dankesschuld nur ihr gegenüber und nicht gegenüber ihrer Tochter zu (301f. mit Bezug auf 252f., 271–78). Hekabes Kritik am Beschluss des Heeres (258–70) stellt er die Argumente entgegen, mit denen er das Heer überzeugt hat (306–320). Dann pariert er ihren Versuch, an sein Mitleid zu

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appellieren (279–86f.), indem er griechisches gegen troisches Leid aufrechnet (321–25). Er endet mit einer schnöden Gegenüberstellung der griechischen und der barbarischen Sitten hinsichtlich der Ehrung von Freunden (326–31). Seine Argumente erreichen die Adressaten nicht, weil er so argumentiert, als ob er zum Heer spräche. Er spricht jedoch zu den Frauen, die ganz andere Sorgen haben. Die Zuschauer mögen aber durch die Rede des Odysseus darauf aufmerksam werden, dass auch für seine Position manches spricht. Das Nebeneinander der beiden Reden macht auf jeden Fall deutlich, wie tief die Kluft zwischen Siegern und Besiegten und Freien und Sklaven ist, ähnlich tief wie die zwischen den übermächtigen Athenern und den machtlosen Meliern im Melierdialog (Thukydides 5,85–113). Hekabe wird es in ihrer Rede vor Agamemnon gelingen, diese Kluft zu überbrücken und ihn wenigstens zur Duldung ihres eigenen Handelns zu bewegen. 299f. Odysseus weist ruhig Hekabes Attacke auf die Redner (254–57) zurück. frení: ist einhellig überliefert und gibt auch einen guten Sinn. tø¸ qumouménw¸ ist substantiviertes Partizip; vgl. Hipp. 248; Or. 210; KG 1,267. Es ist kausal zu verstehen: „aus Zorn“, und frení lokal „in deinem Verstand“ (so Tierney und ein schol. V: mhdè … u™polámbane e¬cqròn e¬mè e¬n sñ¸¸ dianoía¸). Murray meinte aus einem anderen schol. V schließen zu dürfen, dass ursprünglich frenóß gestanden habe. Es heißt dort nämlich tø¸ qumoeideî mérei tñß yucñß sou. Der verwendete Terminus qumoeidéß „mutartig“ zeigt aber an, dass hier zur Erklärung von tø¸ qumouménw¸ zu Unrecht die platonische Seelenlehre herangezogen wird. Darum meine ich nicht, dass man aus dem Scholium den Schluss ableiten darf, ursprünglich habe frenóß gestanden. 301f. Odysseus bietet Hekabe nicht an, sie aus ihrer Sklaverei zu befreien, wie Burnett (1998) 161 irrtümlich annimmt. Agamemnon, ihr tatsächlicher Herr, wäre in V. 754f. dazu bereit, falls sie es wünschen würde. 301–05 Er erkennt seine Verpflichtung ihr gegenüber an, erklärt sich aber nur bereit, ihr eigenes Leben zu retten, nicht dasjenige Polyxenes. 306–20 Er wiederholt nun die aus V. 134–40 bekannten Kerngedanken seiner Rede vor dem Heer. Aber da der Adressat diesmal ein anderer ist, nämlich die Mutter des zu opfernden Mädchens, wirkt die Rede durch ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Polyxenes und dem Schmerz ihrer Mutter gefühllos und provozierend. 302 ou¬k a¢llwß légw: „ich meine es nicht anders (als zuvor)“, ich stehe zu meinen früheren Versprechungen. Manche verstehen a¢llwß so wie in V. 489, wo es „vergeblich“, „nichtig“ heißt: „Ich sage es nicht als etwas Nichtiges.“ Vgl. auch zu V. 626.

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308 férhtai: wörtlich „für sich davonträgt“, nämlich als Belohnung für seine Leistungen. 310 qanœn … kállist(a): wörtlich „sehr schön gestorben“. Der schönste Tod aber ist der Heldentod des Kriegers in der Schlacht; s. Tyrtaios fr. 10,1–2 West; Platon Menexenos 246d; Demosthenes 60,26. 311–20 Odysseus begründet gut, warum ein so tapferer Krieger wie Achilleus höher geehrt werden muss als andere. Er geht aber nicht auf Hekabes Einwand ein, dass dies nicht durch ein Menschenopfer zu geschehen brauche, und erklärt auch nicht, warum gerade dieser Mensch geopfert werden muss. Zur Verankerung seiner Argumentation in der archaischen Ethik gut Adkins (1966) 196–200. 311–16 Mit einer Reihe von rhetorischen Fragen bekräftigt Odysseus seine These. 311 ai¬scrón: „schändlich“ oder „hässlich“. Der Gegenbegriff zu kalón „gut“ oder „schön“ in der Werteskala der archaischen Adelsgesellschaft. blépein: wörtlich „sehen“, in der Tragödie häufig „leben“: Aisch. Ag. 677; Soph. Ai. 962, vgl. auch V. 167f. bíoß … e¬n fáei, 668 blépousa føß. 313 ei®e™n: Überleitungspartikel, zu übersetzen etwa „so weit, so gut“. Zur ungewöhnlichen Schreibweise (Interaspiration) s. Schwyzer 1,219, 303. 313–16 Die Erhaltung der Kampfbereitschaft des Heeres dient ähnlich wie hier auch Or. 926–29 als Argument für die Berechtigung einer Entscheidung oder einer Handlung. 315 filoyucäsomen: „werden wir an unseren Leben hängen“: Eigenschaft eines schlechten Kriegers; vgl. Tyrtaios fr. 10,18 West mhdè filoyuceît’ a¬ndrási marnámenoi. S. auch zu V. 348. 317–20 Odysseus, der sich hütet, auf die von Hekabe gestellte Frage nach der Berechtigung der Opferung Polyxenes einzugehen, gestaltet das von ihm statt dessen eingeführte Thema der angemessenen Ehrung eines tapferen Gefallenen breit aus und führt schließlich sich selbst als Beispiel eines Menschen an, der es wünscht, dass sein Grab geehrt wird. Dabei verbindet sich der in der Tragödie immer wieder formulierte Topos von der Genügsamkeit des einfachen Lebens von Tag zu Tag (vgl. zu V. 627f.) in eigentümlicher Weise mit dem Ruhmesgedanken. In der Odyssee wird Odysseus freilich nicht als genügsam, sondern als reich und auf die weitere Vermehrung seiner Reichtümer bedacht dargestellt. 318 Ähnliche Formulierungen in anderen Zusammenhängen Auge F 275,4 TrGF ka£n míkr’ e¢ch¸ tiß, megál’ e¢cein nomizétw; Telephos F 714 TrGF smíkr’ a£n qéloimi kaì kaq’ h™méran e¢cwn | a¢lupoß oi¬keîn mâllon h£ ploutøn noseîn.

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320 tòn e¬mòn: „den meinen“ ist einhellig überliefert und gibt einen guten Sinn. Allerdings spricht Eustathios zweimal in Bezug auf diese Stelle von stefanoûsqai „bekränzt werden“ (Il. 666,46, 801,53). Darum die Änderungsvorschläge von Porson (stefánwn) und Weil (steføn), die beide bewirken würden, dass zu übersetzen wäre: „mit Kränzen gewürdigt zu sehen“, und der von Sakorraphos (timøn), bei dem es heißen würde „der Ehrungen für würdig gesehen zu werden“. Vielleicht liegt bei Eustathius aber nur eine Verwechslung mit V. 126 túmbon stefanoûn vor. dià makroû (crónou): „über lange Zeit hin“; ähnlich Aisch. Cho. 862 dià pantóß. cáriß: „Dank“. Damit okkupiert Odysseus für sich den Begriff, den Hekabe zuvor in V. 254 und 276 für ihre Sache verwendet hat. 321–25 Odysseus weist Hekabes Bitte um Mitleid (287 oi¢ktiron) zurück. Er versucht, ihre und ihrer Familie wahrhaft unerträglichen Leiden dadurch zu relativieren, dass er ihnen die (ebenfalls vorhandenen) Leiden auf der griechischen Seite gegenüberstellt und diese möglichst eindrucksvoll beschreibt. Es ist der rhetorische Kunstgriff, das Kleine groß und das Große klein erscheinen zu lassen. Hierzu gut Riedweg (2000) 15f. Ähnliche Aufzählungen der Folgen des Krieges in anderer Funktion V. 650–56; Andr. 611–13, 1037–46. 321 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Hier in den beiden Vershälften Gegenüberstellung „sagen“ – „hören“ und „du – ich“. 323 séqen: „als du“, mit ou¬dèn hçsson zu verbinden. 325 hçde … ¯Idaía kóniß: „hier der Staub vom Ida“, wohl kein Versehen des Eur., der vergisst, dass die Handlung auf der thrakischen Seite des Hellesponts spielt, sondern eher eine unpräzise, aber nicht falsche Ortsangabe. Die Gräber liegen in der Troas, aber der ebenfalls dort gelegene Berg Ida ist auch auf der anderen Seite sichtbar, und man kann mit dem Finger auf ihn hinweisen. 326f. Odysseus kehrt am Schluss noch einmal zu seinem Hauptthema der angemessenen Ehrung der Toten zurück. tólma tád’: „ertrage dies“; gleiche Bedeutung des Wortes V. 333; vgl. auch 562 tlhmonéstaton; Soph. Phil. 82; Odyssee 20,20; Theognis 591. ei¬ kakøß nomízomen timân tòn e¬sqlón: Entweder ist kakøß auf timân zu beziehen oder auf nomízomen. In ersterem Fall wäre zu übersetzen „wenn wir den Brauch hätten, den Edlen schlecht zu ehren“, in letzterem „wenn wir auf schlechte Weise (d. h. zu Unrecht) den Brauch hätten, den Edlen zu ehren“; vgl. Andr. 693. Die meisten Kommentatoren entscheiden sich für die zweite Möglichkeit, doch halte ich mit Garzya die erste für wahrscheinlicher. a¬maqían o¬fläsomen: „würden wir uns der Torheit schuldig machen”; vgl. Phön. 763; Alk. 1093. Wenn die zweite Übersetzungsmöglichkeit ge-

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wählt würde, dann müsste man die Worte so verstehen: „würden wir gern den Vorwurf der Torheit auf uns nehmen“; vgl. Soph. Ant. 470. Das ist allerdings wenig wahrscheinlich, da die Argumentation des Odysseus ganz darauf angelegt war, zu beweisen, dass die Verhaltensweise der Griechen gegenüber ihren Helden vernünftig ist. o¬fläsomen ist der Form nach ein Indikativ des Futurs, der Sinn aber ist irreal, denn die Griechen verhalten sich gerade nicht so, wie es der ei¬Satz beschreibt. Dementsprechend verfahre ich auch in der Übersetzung. 328–31 Der unerbittlichen Rede entspricht der brutale Schluss. Dies ist einer der in der Tragödie nicht seltenen Fälle, wo ein Grieche einen Barbaren an sein (ethnisches) Barbarentum erinnert, wenn er sein eigenes (in ethischem Sinn) barbarisches Handeln bemänteln will; vgl. Med. 536– 38; Andr. 173–76, 243, 261, 665 und die Worte Andromaches Tro. 764: w® bárbar’ e¬xeurónteß ÷Ellhneß kaká. S. auch Einführung S. 37–40. 328 oi™ bárbaroi: „ihr Barbaren“; Nominativ eines Substantivs mit Artikel neben Imperativ; vgl. Aristophanes Vögel 665f.; KG 1,46f. Ähnlich auch V. 426 und 428. 328f. fílouß: „Freunde“. Odysseus greift den Begriff der filía auf, mit dem Hekabe in V. 256 argumentiert hatte, und verwendet ihn gegen sie. Das Band der filía verbindet nicht ihn mit Hekabe, sondern das griechische Heer mit dem toten Achilleus. 330f. wörtlich: „damit Griechenland glücklich ist und es euch so ähnlich geht, wie eure Gesinnungen sind“. Während Hekabe ihre Rede in schroffem Ton begann und schmeichelnd beendete, begann Odysseus freundlich und endet schroff. 332f. Chorreplik Die Reaktion des Chores zeigt, dass ihn die Rede nicht überzeugt hat. Er knüpft daran an, dass Odysseus von Hekabe verlangt hatte, das Unvermeidliche zu ertragen (326). Er bedauert, dass, wer seine Freiheit verloren hat, der Gewalt gehorchen und auch das Unbillige ertragen muss. Damit deutet er auf das Problem hin, um das es im zweiten Teil des Epeisodions (334–443) gehen wird. Die Griechen besitzen die Macht, um die Opferung Polyxenes erzwingen zu können. Werden sich Hekabe und ihre Tochter in das Unvermeidliche schicken oder sich erst der Gewalt fügen? 332 Vgl. Antiope F 217 TrGF; tò doûlon ou¬c o™râ¸ß oçson kakón; adesp. F 376 TrGF; ähnliche Formulierung Hipp. 431f. Zum Gedanken Aristoteles Politik 1253b 20–23. Das mehrfach im Text oder als Variante überlieferte péfuk’ a¬eì „war immer, ist immer“ gibt einen guten Sinn, während es großen interpretato-

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rischen Aufwandes (und der Konjektur tolmân in V. 333) bedarf, um dem Infinitiv pefukénai einen Sinn abzugewinnen; s. Biehl (1997) 102–04. 333 Ähnlich Hipp. 458 xumfor⸠nikømenon. 334–78 Redenpaar Hekabe-Polyxene Hekabe, die einsieht, dass sie gegen Odysseus keine Argumente mehr vorbringen kann, fordert Polyxene auf, ihn selbst durch Worte und Gebärden um ihr Leben zu bitten (334–41). Diese reagiert aber nicht so, wie ihre Mutter es von ihr erwartet. Sie verzichtet darauf, um ihr Leben zu flehen, weil für sie der Tod wünschenswerter ist als das Leben (342–78). 334f. pròß ai¬qéra froûdoi máthn r™ifénteß: „vergeblich fort in die Luft geworfen”: wie ein Pfeil oder Speer, der sein Ziel verfehlt (schol. V: ei¬ß máthn e¬ktoxeuqénteß); ähnliche Metaphern Med. 440; Her. 510. 335 r¬ifénteß: „verschossen“. Die seltene Wortform ist hier und Andr. 10 gut bezeugt und sollte darum gehalten werden. Zur Wendung vgl. Alk. 679f. lógouß r™íptwn; Med. 1404 máthn e¢poß e¢rriptai. 337 wçst’ a¬hdónoß stóma: „wie der Mund der Nachtigall“. Das modulationsfähige Lied der Nachtigall wurde im Altertum als besonders traurig und herzzerreißend empfunden. Es galt als das Lied der in diesen Vogel verwandelten Philomela oder Prokne, die um ihren toten Sohn Itys weint (Odyssee 19,518–23; Aisch. Ag. 1142–45; Soph. El. 147–49; Hel. 1107– 10). wçst’ = wçsper; vgl. V. 178, 205. 339 próspipte … gónu: „falle nieder vor seinem Knie“. Zum Gestus des Niederfallens des i™kéthß vor den Knien des Angeflehten s. zu V. 245, 286. 340f. Die Liebe zu seinem einzigen Kind Telemachos gehört zu den feststehenden Zügen der Gestalt des Odysseus; so schon Ilias 2,259f.; 4,354; s. auch die bekannte Episode von der Überlistung des Odysseus, der sich wahnsinnig stellte, durch Palamedes vor der Ausfahrt der Griechen in dem verlorenen Epos Kyprien (Proclus p. 31, 41–43 EGF). 340 prófasin: wörtlich „Anlass“, „Grund“; hier ist wohl am ehesten etwas wie „Ansatzpunkt“ gemeint. tékna: Generalisierender Plural, obwohl im konkreten Fall eine einzelne Person gemeint ist; vgl. V. 403, 557, 1237, 1253; KG 1,18. Erfolgreiches Appellieren an elterliche Gefühle in anderen Dramen Med. 344f.; Hik. 54–59. 342–77 Diese Rede, in der Polyxene sich zum Tode bereit erklärt, ja ihn sogar als Befreiung von einer unwürdigen Zukunft herbeiwünscht, hat durch ihre Schicksalsergebenheit und -bejahung besonders die Stoiker

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beeindruckt. Kleanthes übernimmt in seinen Zeushymnus (SVF 1, fr. 527) mehrere Wendungen aus dieser Rede (V. 346, 369). Es kommt bei Eur. immer wieder vor, dass sich ein junger Mensch bereit erklärt, sein Leben freiwillig zu opfern; dazu Strohm (1957) 50–63; ferner Einführung S. 18ff. Diese Bereitschaft erwächst in den anderen Tragödien (Hkld., Phön., Iph.A.) jedoch aus einer Situation, wo der Tod ein Opfer ist, das für eine gemeinsame Sache dargebracht wird. Etwas anders sind die Fälle, in denen ein Mensch in einer aussichtslosen Situation sich in sein Schicksal fügt und zum Sterben bereit erklärt. So Andr. 384–420, wobei hier die Ähnlichkeit mit einem Opferdrama recht groß ist, da Andromache hofft, durch ihren Tod das Leben ihres Sohnes zu retten. Eine Bereitschaft zum Tode, freilich ohne jede Sinngebung, findet sich Her. 280–311. Auch im Falle Polyxenes fehlt eine Sache, die dem griechischen Heer und den gefangenen Troerinnen gemeinsam wäre und für die sich zu opfern darum sinnvoll wäre. Die Sinngebung des Todes liegt hier darin, dass das Leben, dass Polyxene noch zu erwarten hätte, für sie als Kind eines großen Königs zu demütigend wäre, als dass sie es ertragen könnte. Nach einer kurzen an Odysseus gerichteten Einleitung (342–45) erklärt sie, dass sie ihm folgen wird, weil sie zu sterben wünscht, und begründet ihren Todeswunsch mit dem Gegensatz zwischen ihrem bisherigen fast gottgleichen Leben und dem, das sie als Sklavin zu erwarten hätte (346–66). Sie betont noch einmal, dass sie freiwillig und in Freiheit stirbt, weil ihr das Leben nichts Gutes mehr zu bieten hat, und fordert Odysseus auf, sie wegzuführen (367–71). Zum Schluss wendet sie sich an ihre Mutter und bittet sie, sich ihrem Tode nicht zu widersetzen (372–74). Sie begründet dies mit einer allgemeinen Reflexion (375–77). 342–45 Indem Odysseus Hand und Gesicht Polyxenes Zugriff entzieht, versucht er sich davor zu schützen, dass auch sie die rituellen Gebärden eines Bittflehenden ausführt und ihn dadurch gleichsam ‚bindet‘. Sie beruhigt ihn. Sie wird nicht versuchen, diese Gebärden zu vollziehen und nicht Zeùß ‘Ikésioß (den höchsten Gott in seiner Eigenschaft als Schutzgott der Bittflehenden) anrufen. 345 qársei: „sei mutig“. Schon dies eine Wort zeigt die Souveränität, mit der Polyxene Odysseus entgegentritt. Ähnlich später Hekabe V. 875. tòn e¬mòn ¿Ikésion Día: „meinen Zeus Hikesios“: schol. V: péfeugaß … tæn e¬mæn i™kesían· e¬k toû Diòß gàr pâsa i™kesía. Sie nennt ihn „mein“, weil sie das Recht hätte, ihn anzurufen. Ein Possessivum bei Götternamen auch Andr. 603. Erwähnungen von Zeus Hikesios auch Stheneboia F 661,15 TrGF Zñna … i™késion; Aisch. Hik. 385 Zhnòß i™ktaíou, 616 i™kesíou Zhnóß; Soph. Phil. 484 Zhnòß i™kesíou.

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346–48 Ähnliche Situationen führen zu ähnlichen Formulierungen: Hkld. 533f. mæ filoyucoûs’; Iph.A. 1385 ou¬dé toi … . filoyuceîn creån; Phön. 1003–05. 348 filóyucoß: „am Leben hängend“. Indem Polyxene durch ihre Wortwahl den Tadel des Odysseus an der filoyucía aus V. 315 aufnimmt, erhebt sie Anspruch darauf, auch selbst mit dem Maß eines tapferen Kriegers gemessen zu werden. 349 Vgl. Andr. 404 tí dñtá moi zñn h™dú; Hel. 56 tí ou®n e¢ti zˆø; 293 tí dät’ e¢ti zø; parodiert von Aristophanes Thesmophoriazusen 868. 349–66 Polyxene begründet ihren Todesentschluss mit einer Gegenüberstellung ihres früheren gesellschaftlichen Ranges als trojanischer Prinzessin und Schwester Hektors mit dem Schicksal, das sie in Zukunft als Sklavin zu erwarten hat. 350 prøton bíou: wörtlich „das erste des Lebens“, wohl hinsichtlich der Zeit, vielleicht auch hinsichtlich der Bedeutung (schol. MV: tò kefálaion). 351 e¬lpídwn kaløn uçpo: wörtlich „unter schönen Hoffnungen“. Gemeint sind wohl nicht die eigenen Hoffnungen, sondern eher die ihrer Eltern. uçpo: nachgestellte Präposition; vgl. V. 355; KG 1,554. 352f. zñlon … gámwn e¢cous’, wie parécousa: wörtlich „(Anlass zu) Eifer, Streit um meine Vermählungen bietend“. Der Plural gámwn „der Vermählungen“ verdient den Vorzug vor dem Singular, weil er die große Zahl an Möglichkeiten hervorhebt, die für Polyxene bestanden. Dagegen wird bíou „des Lebens“ schon durch den folgenden Nebensatz ausgeschlossen. Einen ähnlichen Gedanken äußert Hekabe Tro. 484–86. 353 a¬fíxomai: „ich werde gelangen“. Eigentlich wäre Optativ zu erwarten. Polyxene versetzt sich jedoch in die Zeit zurück, als die Fülle der Möglichkeiten noch bestand. 354 h™ dústhnoß: „ich Unglückliche“ bezieht sich auf Polyxenes jetzigen Zustand, während der übrige Vers von ihren früheren glücklichen Lebensumständen handelt. ¯Idaíaisin: „den Frauen vom Ida“, also den Troerinnen. h®: siehe zu V. 13. 355 Die meisten Kommentatoren und Übersetzer beziehen gunaixì „den Frauen“ auf den vorhergehenden Vers: „Ich Unglückliche war Herrin über die Frauen vom Ida und unter den Jungfrauen bewundert“ und setzen ein Komma nach gunaixí. Das ist möglich, doch meine ich, dass man eher mit Diggle einen jeden der beiden Verse 354 und 355 als eine gedankliche Einheit auffassen und nach V. 354 interpungieren sollte. a¬póbleptoß: „angestarrt“, „bewundert“ (LSJ).

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méta mit Dativ „unter“, vgl. Erechtheus fr. 360,26 TrGF met’ a¬ndrásin prépoi; KG 1,507. Nachgestellte Präposition wie V. 351. Canters Konjektur méga scheint mir unnötig zu sein. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 356 qeoîsi: „den Göttern“. Das besser belegte Maskulinum verdient auch wegen seines generalisierenden Charakters gegenüber qeñ¸si „den Göttinnen“ den Vorzug. 357 Der erste Halbvers auch Soph. Ai. 489. tou¢noma: „der Name”; d. h. die Bezeichnung Sklavin; vgl. Ion 854f. eÇn gár ti toîß doúloisin ai¬scúnhn férei, tou¢noma. 359–66 Zum Los kriegsgefangener Sklavinnen vgl. Ilias 6,456–65; Tro. 194f., 202–06; 490–97. 359f. despotøn … oçstiß: „von Herren …wer auch immer“: Relativum im Singular, abhängig von einem Substantiv im Plural; vgl. Med. 219f.; Odyssee 21,293f.; KG 1,56. 361 Vgl. Alk. 676 a¬rgurånhton. 362 prosqeìß … a¬nágkhn sitopoión: „Brot machende Notwendigkeit auferlegend“. Man könnte an Backen denken, doch merkt schol. V mit Recht an: tæn mulikæn ei®pe. Mahlen als schwere Arbeit von Sklavinnen Odyssee 7,104, 20,105–19. 363 saírein: „fegen“ als Aufgabe von Sklaven Andr. 166; Kykl. 29; Ion 112–15; Hypsipyle F 752f, 16f. (etwa V. 203f.); Phaethon F 773, 54– 56 TrGF. kerkísin: „Webstuhl“, eigentlich „Weberschiffchen“, Synekdoche (pars pro toto). Es ist zu unterscheiden zwischen der kunstvollen Weberei als Tätigkeit von Göttinnen und Königinnen (Odyssee 5,62; 10,222f.; 24,148) und der Herstellung von Stoffen für Kleidung und Wäsche für den täglichen Bedarf. Letzteres ist die Aufgabe von Mägden unter Aufsicht der Hausherrin. Diese Art von Arbeit ist hier gemeint; vgl. Ilias 6,456; Odyssee 7,105f. 366 craneî: „wird beflecken“; vgl. Hipp. 1266; Soph. Öd. 821f. 367f. Der von Blomfield hergestellte Text lautet a¬fíhm’ o¬mmátwn e¬leuqérwn féggoß tód’ „Ich gebe dieses Licht meiner freien Augen auf“. Es ist zu verstehen: „Ich gebe es auf, dieses Licht (nämlich das Sonnenlicht) zu schauen, solange meine Augen noch frei sind“. Aber auch der überlieferte Text e¬leúqeron féggoß, bei dem das Adjektiv „frei“ mit dem Substantiv „Licht“ verbunden würde, ist nicht unmöglich und ergibt etwa den gleichen Sinn. Vgl. die Diskussion bei Biehl (1997) 105f. Allerdings schließe ich aus, dass nach dem Willen des Autors die Zuschauer eine Beziehung zwischen dieser Stelle und dem Ausdruck féggoß o¬mmátwn in V. 1035 herstellen sollten, wie Biehl meint. Eine solche Beziehung, welche die Zuschauer ja erst rückblickend bemerken könnten, wenn sie später in

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V. 1035 die Blendung Polymestors miterleben, ist für sie bei der rasch ablaufenden und spannenden Bühnenhandlung nicht wahrnehmbar. Außerdem ist der Sinn der Wendung in V. 1035, wo es ja um eine Blendung geht, ein ganz anderer. Dass der Todesentschluss in Freiheit erfolgt, wird auch anderswo betont: Hkld. 559 e¬leuqérwß qánw; Or. 1170f. e¬leuqérwß yucæn a¬fäsw. 368 ÷Aidh¸: „dem Hades“, dem Unterweltsgott. Sie wird damit gleichsam zu einer „Braut des Hades“, wie Antigone (Soph. Ant. 810–16, 891), Kassandra (Tro. 445); Iphigenie (Iph.T. 369, Iph.A. 461) und sogar Helena (jedenfalls nach dem Plan des Pylades Or. 1109). 370f. Ähnliche Formulierung in ähnlicher Situation Hkld. 520f. 372 h™mîn mhdèn e¬mpodœn génh¸: „stelle dich uns nicht in den Weg“; vgl. Iph.A. 1395f. sumboúlou: sumboúlesqai mit Dativ: „zusammen mit jemandem wünschen“. Anscheinend ein von Eur. spontan gebildetes Kompositum. Es begegnet erst wieder bei Platon und Xenophon. 373 légousa mhdè drøsa: statt mæ l. mhdè dr. KG 1,291 führt diese Stelle als Beispiel für die häufige Weglassung der Negation beim ersten Glied an. Allerdings steht hier ein mä an einer früheren Stelle des Satzes. 374 mæ kat’ a¬xían: „nicht in würdiger Weise“. Polyxene geht es um die eigene Würde und um die ihrer Mutter. Sie wird auch von ihr ein würdiges Verhalten fordern (405–08) und wird selbst noch im Angesicht des Todes ihre Würde als Königstochter zu bewahren suchen (546–70). 375–78 Allgemeine Reflexionen stehen bei Eur. oft am Schluss einer Rede. Die hier formulierte Maxime der heroischen Sinnesart „lieber nicht leben als schlecht leben“ findet sich häufig; vgl. Tro. 637; Archelaos F 245, 8f.; Erechtheus F 370, 21f. TrGF; Soph. Ai. 479f.; Trach. 721f.; El. 989. Die Gegenthese Iph.A. 1252 (kakøß zñn kreîsson h£ kaløß qaneîn) ist nicht Iphigenies letztes Wort, denn es folgen dort V. 1375f. 376 au¬cén’ e¬ntiqeìß zugø¸: „wenn er seinen Nacken ins Joch gelegt hat“, häufige Metapher für das Ertragen von Zwangslagen; vgl. Tro. 678; Or. 1330; ähnlich Aisch. Ag. 218 a¬nágkaß e¢du lépadnon. 377 mâllon eu¬tucésteroß: „viel glücklicher“, durch Zusatz von mâllon verstärkter Komparativ; vgl. Hipp. 485; KG 1,26. 379–81 Schlussreplik des Chores Der Chor äußert indirekt seine Bewunderung darüber, dass Polyxene sich ihrer edlen Abkunft gemäß würdig verhält. Umgekehrt heißt es El. 369–72 und 550f., dass es Menschen edlen Stammes gibt, die nichts wert sind, ebenso wie gute Menschen, die von armen Eltern stammen. Die hier an-

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klingende Diskussion über Herkunft und Charakter nimmt Hekabe in V. 592–602 wieder auf. 379 Ähnlich Danae F 329 TrGF feû, toîsi gennaíoisin w™ß a™pantacoû | prépei caraktær crhstòß ei¬ß eu¬yucían. Die entgegengesetzte Aussage findet sich allerdings Med. 516–19. deinóß: „furchtbar“ oder „gewaltig“, ein Wort mit breitem Bedeutungsspektrum, das ebenso Entsetzen wie (in diesem Fall) Bewunderung zum Ausdruck bringen kann. ka¬píshmoß (= kaì e¬píshmoß): „leicht zu bemerken“, wörtlich „ein Zeichen auf sich tragend“; die Metapher der Prägung (caraktär) wird weitergeführt. 380 ka¬pì meîzon e¢rcetai: „und zu größerem kommt“; ebenso Soph. Phil. 259. 381 o¢noma: „Name“, hier „guter Name“, „Ruhm“. 382–443 Schlussgespräch Nachdem sich Polyxene entschieden hat, könnte die Opferhandlung rasch zuende gehen. Eur. führt jedoch als retardierendes Element den Widerstand Hekabes ein, die sich auch jetzt noch nicht geschlagen gibt. Er bereitet damit zugleich ihr energisches Handeln in der zweiten Dramenhälfte vor. 382f. Mit einer ähnlichen Verbindung von Bewunderung und Betroffenheit reagiert der Chor auf Iphigenies Opferentschluss Iph.A. 1402f. 383–88 Da nach den Worten des Odysseus dem Achilleus offenbar ein Opfer gebracht werden muss, bietet Hekabe sich selbst als Ersatzopfer für Polyxene an. Sie begründet dies damit, dass sie die Mutter des Paris ist, der den Achilleus getötet hat. Tro. 919f. wird Helena sogar den ganzen Krieg auf Hekabe zurückführen. 386 pròß puràn: „zum Grab“. purá ist zunächst die Feuerstätte, auf der der Leichnam verbrannt wird, und dann auch der Grabhügel, der danach dort errichtet wird; vgl. V. 437, 574. 387 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Der Versbau steht im Dienst einer prägnanten Formulierung. Erste Vershälfte: Befehl „Ihr sollt dies tun (erst positiv, dann negativ formuliert)“, zweite Vershälfte: Begründung „Denn ich tat jenes“. Die gleiche Abfolge wie in der ersten Vershälfte auch V. 1044; Tro. 1285; Soph. Ai. 844. e¬gœ ¯tekon: „ich gebar“. Aphärese des Anlauts wie Iph.A. 307, 639; Schwyzer 1,403. Párin: Paris wird in der Ilias häufiger, bei Eur. seltener ¯Aléxandroß genannt; vgl. V. 632–46; Andr. 274–308. Er ist ein Sohn des Priamos und der Hekabe, wird wegen unheilvoller Prophezeiungen nach seiner Geburt

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ausgesetzt, wächst bei den Hirten am Berg Ida auf, kehrt dann als Jüngling an den Hof des Priamos zurück und wird als Königssohn anerkannt. Die Geschichte seiner Jugend wurde zum Thema des fragmentarisch erhaltenen Alexandros des Eur. Paris entscheidet den Schönheitswettstreit der drei Göttinnen zugunsten Aphrodites und erhält dafür Helena zugesprochen, die er daraufhin ihrem Gatten Menelaos raubt, was zum Anlass des trojanischen Krieges wird. Im Krieg bleibt er zwar an Tapferkeit hinter Hektor zurück, doch gelingt es ihm mit Hilfe Apollons, Achilleus, den Sohn der Thetis, zu töten. Er selbst fällt gegen Ende des Krieges durch einen Pfeil Philoktets. Hier ist die einzige Stelle in diesem Drama, wo von einer Mitverantwortung Hekabes an den Ereignissen die Rede ist, die vom Parisurteil über den Raub Helenas zum Tod des Achilleus und zum Untergang Trojas führten. Sie hat Paris geboren und die Sehersprüche mißachtet, die davor warnten, ihn aufzuziehen. Deutlicher sind in dieser Hinsicht Andr. 293– 308 und vor allem der Alexandros. 389 geraiá: Damit gibt Odysseus zugleich den Grund für die Ablehnung des Wunsches Hekabes, sich anstelle ihrer Tochter opfern zu lassen. Achilleus will keine Greisin, sondern eine Jungfrau. 391 dé … a¬llà: „dann aber wenigstens“; ähnlich Med. 942; Hkld. 565; Ion 978; Phön. 1667. Hekabe widersetzt sich zunächst dem Rat, den Polyxene ihr in V. 372– 74 gegeben hat. 392f. Die Erdgöttin und die Toten trinken nach verbreiteter Vorstellung das Blut der ihnen dargebrachten Opfertiere; vgl. Odyssee 11,44–50, 95–99. Zum Gedanken vgl. auch Alk. 900–02. 392 Für sprachlich richtiges pøm’ erscheint in allen Hss. póm’. Der gleiche Fehler auch Hipp. 209, 227; Kykl. 123, 139; Ba. 279. 393 tád’: Neutrum pluralis: „dies“, ohne bestimmtes Bezugswort, aber dem Sinn nach auf die Opferung des Blutes zu beziehen. 395 mhdè tónd’ w¬feílomen: „Wenn wir doch auch diesen (sc. Tod) nicht (herbeiführen) müssten!“ Verneinter unerfüllbarer Wunsch wie Alk. 880f.; Med. 1413; Andr. 1189–91. Odysseus zeigt sich also nicht unbeeindruckt von den Bitten der Mutter und der Tapferkeit der Tochter. Da man dramatischen Charakteren nicht ins Herz blicken kann, ist es müßig, darüber zu streiten, ob diese Anteilnahme geheuchelt ist oder nicht. 396 pollä g’ a¬nágkh: vgl. Soph. El. 309; Trach. 295 pollä ¯st’ a¬nágkh mit folgendem Infinitiv. 397 Heftige Reaktion des Feldherrn Odysseus darauf, dass eine Sklavin es wagt, ihn zu etwas zwingen zu wollen.

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despótaß kekthménoß: wörtlich „dass ich (irgendwelche) Herren erworben hätte“. Vielleicht ironisch. Man pflegt Sklaven zu erwerben, keine Herren. 398–408 Nachdem Odysseus Hekabes Wunsch, entweder anstelle Polyxenes oder wenigstens zusammen mit ihr zu sterben, abgelehnt hat, will sie sich an ihrer Tochter festklammern, um so zu verhindern, dass sie von ihr getrennt wird. Odysseus steht kurz davor, Gewalt anzuwenden, als Polyxene beide zur Besonnenheit mahnt (402f.) und dafür sorgt, dass Mutter und Tochter in würdiger Weise Abschied voneinander nehmen können. 398 o™poîa kissòß druòß oçpwß tñsd’ eçxomai: wörtlich „Wie ein Efeu wie um eine Eiche werde ich mich an sie halten“. So fassen den Vers jedenfalls Weil, Tierney und Italie auf; vgl. auch Biehl (1997) 106f. Das zweifache „wie“. macht Schwierigkeiten. Darum der Vorschlag von Reiske, das erste „wie“ in oçmoia zu ändern, der von Jackson, nach diesem Wort zu interpungieren, und der von Sybel, das zweite „wie“ durch e¬gœ „ich“ zu ersetzen. oçmoia mit folgender Interpunktion würde bedeuten „Das ist mir gleich“, ähnlich wie in Hik. 1069. Collard und Gregory schließen sich an, doch Biehl verweist auf Tro. 146–48, wo sich ebenfalls ein zweifaches „wie“ findet. Stephan (1981) 87 nimmt eigenartigerweise an, Hekabe nehme „angeregt durch den Namen ihres Vaters Kisseus“ diesen Vergleich aus der Pflanzenwelt. Es fällt auf, dass bei dem Vergleich die junge Polyxene für die Eiche steht und die alte Hekabe für den Efeu. Das ist aber ähnlich wie in Med. 1211–14, wo die junge Prinzessin mit einem Lorbeerbaum verglichen wird und ihr alter Vater, der an ihrem Gewand festhängt, mit einem Efeu. Ähnliche Formulierung in ähnlicher Situation Iph.A. 1460 péplwn e¬coménh søn. 399 sofwtéroiß: „weiseren“: Verallgemeinernder Plural: „mir und allen anderen wie ich“. Ich nehme nicht an, dass Polyxene mitgemeint ist, wie Collard vermutet. Zum Inhalt vgl. V. 228 sofón toi ka¬n kakoîß aÇ deî froneîn.. 400 (i¢sq’) w™ß: „wisse, dass”. In der Umgangssprache wird i¢sq’ oft weggelassen; vgl. Med. 609; Andr. 255, 587; KG 2,372: „beim Ausdrucke eines festen Entschlusses“. 402 Der erste Halbvers ähnlich Iph.A. 1460 in ähnlicher Situation. Laertíou: Neben Laérthß sind bei Eur. auch die Formen Laértioß und Lártioß gebräuchlich. 403 cála tokeûsin: wörtlich „gib den Eltern nach“; die gleiche Konstruktion Aisch. Eum. 219. Verallgemeinernder Plural wie in V. 340, 399; vgl. KG 1,18.

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Schol. MV: a¬pò metaforâß tøn u™pocalåntwn tòn póda polloû o¢ntoß a¬némou. 404 toîß kratoûsi: Dies könnte ein echter Plural sein, der sich dann auf die Griechen und ihre Heeresversammlung bezöge. 406 crøta: wörtlich „Haut“, aber, wie oft, Synekdoche (pars pro toto) in der Bedeutung „Leib“. 407f. a¬schmonñsai: wörtlich „in schlechte, unangemessene Haltung geraten“. Es geht Polyxene darum, dass sich ihre Mutter auch in dieser extremen Situation nicht demütigen lässt, sondern sich die Würde (a¢xion) bewahrt, die ihrem Alter und ihrem königlichen Rang angemessen ist. Ebenso wird auch sie selbst auf würdige Weise in den Tod gehen (568– 70). 408 mæ sú g’ (etwa zu ergänzen e¬rgásh¸ táde): „tu das nicht“; vgl. Soph. Öd.K. 1441. 409–31 Durch a¬ll’ eingeleiteter jäher Themenwechsel: Beginn des Abschieds von Mutter und Tochter. Viele Anklänge an diese Szene finden sich in ähnlicher Situation Iph.A. 1433–66. Dazu Schwinge (1968) 337. Vgl. auch Alk. 371–91. 410 dòß ... pareiàn prosbaleîn parhídi: wörtlich: „gib Wange an Wange zu legen“. Die gleiche Geste der engen Verbundenheit Med. 1074f.; Tro. 757f.; Ion 1437f.; Phön. 307–9. 411f. fast gleichlautend mit Alk. 207f.; deswegen dort von Valckenaer gestrichen. An unserer Stelle jedenfalls sind die Verse im Kontext fest verankert. Zum Abschied Todgeweihter vom Sonnenlicht s. zu V. 435. 412 Der Vers fehlt in zwei eng verwandten Hss. und ist in beiden von erster Hand nachgetragen. Wecklein streicht ihn, doch sehe ich keinen Grund, an seiner Echtheit zu zweifeln. a¬ktîna kúklon q’ h™líou: wörtlich „Strahl und Kreis der Sonne“. 414 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Prägnante Formulierung als Auftakt zur Stichomythie. Die erste Vershälfte auch Tro. 634, zur zweiten vgl. Alk. 379 a¬pércomai kátw. kátw: „hinab“, nämlich in die Unterwelt; vgl. Alk. 692; Andr. 102; Her. 563. 415–31 Schol. V zu V. 414 bemerkt richtig, dass von V. 415 an Hekabe und Polyxene nebeneinander her reden, ohne auf einander Bezug zu nehmen. Erst mit V. 422 beginnt wieder ein wirkliches Gespräch. Vgl. hierzu Mastronarde (1979) 62, (1988) 157. 415f. Diggle (1994) 229–32 erreicht durch seine Umstellung, dass die Gesprächspartner stärker aufeinander eingehen. Doch hat auch die überlieferte Versfolge mit ihrem schon vom Scholiasten bemerkten ‚Nebeneinanderherreden‘ ihren guten Sinn, und man sollte darum an ihr

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festhalten. Vgl. auch O’Connor-Visser (1987) 69f.; ferner Collard, Gregory, Synodinou. 415 e¬n fáei: „im Licht“, im Diesseits im Gegensatz zur Unterwelt (415 kátw). Zum Licht (der Sonne) als Ort des Lebens s. V. 411f. und zu V. 435. 416 a¢numfoß a¬numénaioß: „ohne Hochzeit, ohne Brautgesang“. So klagt auch die todgeweihte Antigone: Soph. Ant. 813–16, 876f. Vgl. ferner Hkld. 579f. Ähnliche Formulierungen Alk. 887f.; Hel. 689; Iph.T. 220; Or. 206. 418 e¬keî d’ e¬n ÷Aidou: „dort im Hades“. e¬keî kann auch schon ohne einen präzisierenden Zusatz „in der Unterwelt“ oder „im Jenseits“ bedeuten; vgl. Med. 1073; Hkld. 594. 421 Der Vers schließt gut an Hekabes vorausgehende Worte in V. 419 an, weil es einen großen Unterschied macht, ob man umgeben von seinen Kindern oder einsam stirbt. Niemand schließt dem Toten seine Augen, niemand trauert um ihn, niemand begräbt ihn auf würdige Weise, niemand opfert an seinem Grab. Ein einsamer Tod eines Menschen, der einmal fünfzig Kinder hatte, ist ein furchtbares Unglück. Schon ein einziger noch lebender Sohn kann ein großer Trost sein, wie es Polyxene in V. 430 bemerkt. Fünfzig ist die traditionelle Zahl für großen Kinderreichtum im Mythos, so bei den Danaiden und den Aigyptossöhnen (Aisch. Hik. 321), den Nereiden (Andr. 1267) und auch bei den Söhnen oder den Kindern des Priamos (Ilias 6,244, 24,495; Tro. 135). Wer will, kann einwenden, dass Priamos in Polygamie lebte und auch noch einige weitere Frauen außer Hekabe als Mütter seiner Kinder in Frage kamen, und auf Ilias 24,496f. verweisen, wo Priamos neunzehn seiner Kinder einer Mutter, nämlich Hekabe, zuspricht. Aber sie nennt die höhere Zahl, wie schol. M bemerkt, au¢xousa tò páqoß. a¢mmoroi téknwn: vgl. Med. 1395 a¢moroß téknwn. 422 Mit diesem Vers beginnt das Wechselgespräch zwischen Polyxene und Hekabe. 423 pasøn a¬qliwtáthn: „die allerunglücklichste“, zu ergänzen ou®san „seiende“; zur Konstruktion vgl. V. 1215 und KG 2,66. 424 Die gleiche Wortverbindung in V. 560. Meist sind es die Mütter, die darüber klagen, dass sie ihre Kinder vergeblich geboren und genährt haben: Med. 1029–31; Hik. 1134–37; Tro. 758–60; Phoin. 1433–35. 425 a¬årou: „unzeitigen“, „zu frühen“, in der Tragödie stets vom Tode: Alk. 168; Or. 1030; Iph.A. 1218; F 964,4 TGrF. a¬qlíou túchß: „wegen des unglücklichen Schicksals“. Das Adjektiv ist meist dreiendig, kann aber auch zweiendig sein. Die Form a¬qlíou ist als ‚lectio difficilior‘ vorzuziehen. Markland empfand offenbar die Häu-

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fung der adjektivischen Attribute als störend und zog das zweite Adjektiv zur Anrede. Doch nimmt Biehl (1997) 107 wohl mit Recht an, dass a¬qlíou túchß als feste Prägung gleichbedeutend mit qanátou „des Todes“ ist. Ein ähnliches Textproblem auch Alk. 1038. 426 Zu Kassandra s. zu V. 88. 427 tóde:„dies“: ist weniger ausdrucksvoll als recht häufig belegte cará „Freude“, doch ist tóde noch breiter überliefert und deswegen wohl vorzuziehen. cará wäre dann als Glosse aufzufassen. Zum Wortspiel mit der Doppelbedeutung von caîre, das sowohl „freue dich“ als auch „sei gegrüßt“, „lebe wohl“ bedeutet, vgl. Phoin. 618; Or. 1083f.; Aristophanes Acharner 832; Menander Dyskolos 512f.; Theokrit 22,54f. 428–30 Eur. hält mit dieser Erwähnung des Polydoros die zweite Teilhandlung in der Erinnerung des Zuschauers. Hekabe zweifelt auf Grund ihres Traumes (V. 73–81) mit Recht daran, dass er noch lebt, während Polyxene sie dadurch zu trösten versucht, dass sie ihre Hoffnung wach hält. 428 Polyxene setzt nach dem bitteren Einwurf Hekabes ihre mit V. 426 begonnenen Abschiedsgrüße fort. 430 qanoúshß (zu ergänzen soû): „wenn du stirbst“. sugklä¸sei: „wird schließen“, von Türen, Räumen, Lippen, Augen. Für den Zuschauer, der den Ausgang des Stückes schon weiß (V. 49f.), hat diese Voraussage ironischen Charakter. Nicht Polydoros wird ihr nach ihrem Tode die Augen schließen, sondern sie wird ihn zu bestatten haben. 432 kára péploiß: Das fast einhellig überlieferte kára péploiß „umgib mir mein Haupt mit Gewändern“ ist von sich aus nicht zu beanstanden; vgl. auch schol. M (kalúyaß toîß i™matíoiß); Hkld. 561; Hipp. 1458; Tro. 627. Nur eine Hs. und ein jüngeres Scholium vertauschen Dativ und Akkusativ; darum die Konjektur von Kirchhoff kára¸ péplouß „lege dem Haupt die Gewänder um“. Dies ist der häufigere Sprachgebrauch; doch lässt LSJ auch kára péploiß gelten; dazu Biehl (1997) 107f. Der Vers ist zugleich eine Regieanweisung. Die hier angekündigte Verhüllung Polyxenes erfolgt nach V. 437. Die Verhüllung kann Trauer und überhaupt großen seelischen Schmerz anzeigen (s. V. 487), aber auch die unmittelbare Nähe des Todes; vgl. Hipp. 1458. 433 e¬ktéthka kardían: wörtlich: „ich bin geschmolzen in Bezug auf mein Herz“; vgl. Odyssee 19,136 fílon katatäkomai h®tor. 435 Abschied vom Sonnenlicht als Topos bei denen, die bewusst in den Tod gehen: V. 411f.; Alk. 244; Iph.A. 1506–09; Aisch. Ag. 1323f.; Soph. Ai. 856–58; Ant. 808–10, 879f.; Schmitt (1921) 48. 436f. oçson crónon xífouß baínw metaxù kaì purâß: „soviel Zeit, wie ich gehe zwischen (dem jetzigen Zeitpunkt und) dem Schwert und

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Grabmal“. DieWörter xífoß und purá beschreiben den Ort und zugleich den Zeitpunkt der Opferung. Zu purá s. zu V. 386. 437 Schlesier (1988) 115: „Das letzte Wort an ihre Mutter ist der Name des Achill.“ Nach diesem Vers tritt Odysseus, der seit V. 402 abseits gestanden hat, zu Polyxene, verhüllt sie, wie in V. 432 von ihr erbeten, und geht mit ihr in Richtung zum Lager ab. 438 oi£ ¯gå: „weh mir“, zweisilbig mit Aphärēse (oi£ ¯gå) oder in Synizese (oi£ e¬gå) zu sprechen. Vgl. V. 676; anders V. 154 in anapästischem Kontext; zur Formulierung Alk. 391; Hkld. 602. Ennius Hecuba fr. 209 Warmington = 89 Jocelyn „heu me miseram interii; pergunt lavere sanguen sanguine“ könnte eine sehr freie Übertragung dieses Verses sein. 440 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Eindrucksvolle Formulierung zum Schluss des Abschiedsgesprächs. Es ist deutlich, dass die Elision hier nicht etwa den Einschnitt zwischen den beiden Vershälften ‚mildert‘, wie manche Metriker meinen, sondern dass der auch durch eine Interpunktion markierte Einschnitt seine volle Kraft behält. 441–43 Viele Herausgeber halten es für unmöglich, dass Hekabe, die gerade gesagt hat, dass ihre Kräfte sie verlassen (V. 438, 440), wenig später zu einer solchen Verwünschung fähig sein soll. Hermann gab die Verse dem Chor; und Hartung strich sie, worin ihm manche folgen. Der Chor kann jedoch die Verse kaum gesprochen haben, denn es gibt sonst nirgends in der Tragödie Chorrepliken unmittelbar vor einem Chorlied. Die Verse sind zu halten, und zwar im Munde Hekabes. Es gibt Vergleichbares in V. 683–87, wo Hekabe, als sie vom Tod des Polydoros erfährt, mit dem Ausruf a¬pwlómhn erschüttert zusammenbricht, aber sofort anschließend mit der Totenklage beginnt, ferner in Andr. 1077f., wo Peleus die Nachricht vom Tode des Neoptolemos erhält, daraufhin a¬pwlómhn ruft, doch schon wenige Verse später imstande ist, den Botenbericht über die Umstände des Todes entgegenzunehmen. Ähnliches findet sich auch in Hkld. 602–07, wo Iolaos in einer unserer Szene entsprechenden Situation mit den Worten lúetai mélh zusammensinkt, aber danach dem Chor noch Anweisungen geben und die neu entstandene Lage ruhig beurteilen kann. Die Worte Hekabes in V. 441–43 zeigen, dass sie auch jetzt im Augenblick tiefster Niedergeschlagenheit noch so viel Kraft besitzt, dass sie sich bald wieder wird erheben können. Sie können also als Vorbereitung der Rachehandlung der zweiten Dramenhälfte angesehen werden. Auch der Chor äußert sich in V. 943–51 ähnlich hasserfüllt über Helena. In der Helenaszene Tro. 860– 1059 wird Eur. auf das Thema der Feindschaft Hekabes gegen Helena zurückkommen.

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Die Regieanweisungen sind hier im Text enthalten. Hekabe, die im Begriff ist, zu Boden zu sinken und sich in ihr Gewand zu hüllen, hält für einen Augenblick inne oder richtet sich für die letzten drei Verse noch einmal auf. 441 wÇß: „so“, d. h. so zum Tode geführt wie jetzt Polyxene. wÇß: für ouçtwß: ein Epizismus, selten in attischer Prosa, aber nicht ohne Parallelen in der Tragödie; vgl. V. 888; Aisch. Ag. 930. tæn Lákainan: „die Lakonierin“, d. h. Spartanerin. Lakonien ist die Landschaft, in der Sparta liegt, das auch Lakedaímwn genannt wird. Collard vermutet wohl zu Unrecht, dass die mit dem Artikel versehene vorangestellte Nennung des Herkunftslandes hier herabsetzend gemeint ist. súggonon Dioskóroin: wörtlich „die Verwandte der zwei Jünglinge des Zeus“. Gemeint sind ihre Brüder Kastor und Polydeukes, die Söhne des Zeus (oder des Tyndareos) und der Leda. Helena selbst gilt als Tochter des Zeus und der Leda und ihre Schwester Klytaimestra als Tochter des Tyndareos und der Leda. 442f. dià kaløn … o¬mmátwn ai¢scista: paradoxe antithetische Formulierung; ähnlich Tro. 772f. Die Augen als der Ort, wo die Liebe wohnt: Hipp. 525f.; Tro. 891f.; Soph. Ant. 795–97. 443 ei©le: „nahm ein“; ein Wortspiel mit dem Namen Helenas nach dem Vorbild von Aisch. Ag. 681–90 (eçlandroß e™léptoliß); Tro. 891f., das sich nicht nachahmen lässt. Hekabe bleibt, wie V. 486f. zeigen, zusamengesunken auf der Bühne zurück.

444–83 Erstes Stasimon Dieses Chorlied, das aus zwei Strophenpaaren besteht, bezieht sich, wie auch die beiden anderen Stasima (629–56 und 905–51), nicht direkt auf die Handlung, sondern auf den Hintergrund, vor dem die Handlung stattfindet und für den sie exemplarisch ist, nämlich auf den Fall Trojas und das Schicksal der Bewohner, insbesondere der Frauen und Kinder. Da dieser Hintergrund in den Tro. der gleiche ist, ebenso wie die Hauptgestalt und die Zusammensetzung des Chores, ist es nicht verwunderlich, dass zwischen den Stasima der beiden Dramen eine große Ähnlichkeit besteht. Dies gilt insbesondere für unser Lied und Tro. 1060–1117. Der Chor, der, wie meistens, aus einfachen Frauen besteht, bewundert zwar die Gesinnung der heroischen Gestalten, die Entschlossenheit Polyxenes zu einem Tod in Freiheit und später auch den festen Willen Hekabes, ihren Sohn zu rächen, er betrauert auch, was er verloren hat, aber ergibt sich in sein schlimmes Schicksal, weiter leben zu müssen. Er gibt

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sich sogar für eine Weile Wunschträumen hin und malt sich aus, dass es auch im Unglück ein wenig Freude geben könnte; bis er am Schluss zur bitteren Wirklichkeit zurückfindet. Zu diesem Lied Barlow (1971) 25; V. J. Rosivach, American Journal of Philology 96 (1975) 349–62, Nordheider (1980) 15–19; Michelini (1987) 330f.; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (1989– 90) 86; Mossman (1995) 77–83; C. W. Willink, Eur. Hec. 444/6–455/7, Hel. 1465–77, Ba. 565–75, Mnemosyne 58 (2005) 499–509. 444–74 Im ersten Strophenpaar (444–65) und der zweiten Strophe (466–74) singen die Choreutinnen von ihrer bevorstehenden Fahrt übers Meer nach Griechenland und den möglichen Zielen. Dabei erwähnen sie Delos und Athen mit so viel Sympathie, dass man fast meinen könnte, sie freuten sich darauf, dorthin zu gelangen. 444 au¢ra, pontiàß au¢ra: „Windhauch, Windhauch des Meeres“. Anrede mit Erweiterung des zweiten Gliedes; vgl. Aisch. Ag. 973; Tro. 314. Das überlieferte pontiàß ist in der Tragödie sonst nicht belegt, jedoch bei Pindar Nemeen 4,36; Isthmien 4,20. Zu dem von Willink vorgeschlagenen sehr erwägenswerten potniàß vgl. Or. 318; Ba. 664; Phaethon F 773,82 TrGF pótni’ au¢r[a]. 445 açte: „die“: Femininum des Relativpronomens mit dorischem Vokalismus, durch te erweitert ohne Bedeutungsveränderung (LSJ s.v. oçste). Anrufungen, auf die Relativsätze folgen, sind charakteristisch für den hymnischen Stil. Besonders Götter werden so angerufen, auch Schiffe: Hipp. 752f.; El. 432; sogar Ions Besen Ion 112–14; parodiert durch Aristophanes Frösche 1309. 446 a¬kátouß: eigentlich eine Bezeichnung von kleinen Booten, aber von Eur. allgemein für Schiffe verwendet; so Tro. 1100; Or. 341, Phaethon F 773,79 TrGF. límnaß: dorisch für límnhß;: eigentlich „des Sees“, poetisch auch „des Meeres“; Ilias 24,79; Soph. Oinomaos F 476 TrGF e¬p’ oi®dma límnaß. 448 tø¸ (= tíni): „wem“; entweder „zu wem“ oder „von wem“. doulósunoß: zweiendiges Adjektiv: „sklavisch“, hier feminin „als Sklavin“; nur hier belegt; ähnlich despósunoß V. 99, 1294. 451 Dwrídoß o™rmòn ai¢aß: „zu einem Hafen der dorischen Erde“, also der Peloponnes, der Heimat von Agamemnon, Menelaos und Nestor, das (zu einem freilich mythologisch ‚späteren‘ Zeitpunkt) von den Dorern besiedelt wurde. Ähnlich Soph. Öd.K. 696f. e¬n t⸠megála¸ Dwrídi násw¸ Pélopoß. 452 h£ Fqiádoß: „oder (zu einem Hafen) des Landes von Phthia“, der Phthiotis im südlichen Thessalien, der Heimat des Achilleus und Neoptolemos.

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454 ¯Apidanòn: ein Fluss, der die Phthiotis bewässert, also ernährt; darum patéra. lipaínein: wörtlich „fett machen“, hier „fruchtbar machen“; vgl. Ba. 571–75. 455–74 Nachdem die Peloponnes und Thessalien die zur Zeit des Eur. von Dorern und Äolern bewohnten Landschaften vertraten, dürften jetzt Delos und Athen den ionischen Stamm vertreten, womit das ganze Griechenland als mögliches Fahrtziel umrissen wäre; so Rosivach (1975) 351f. 455f. náswn: noch abhängig von 451 oçrmon: „(zu Häfen) der Inseln“. a™liärei kåpa¸: wörtlich „mit dem das Salz (des Meeres) durchrudernden Rudergriff“, Synekdoche (pars pro toto); schol. M: tñ¸ e¬n a™lì e¬ressoménh¸ kåph¸. 456f. Die von Willink vorgeschlagenen Änderungen pempoména und e¢cous’ bewirken, dass die beiden Partizipien nicht vom weit entfernt stehenden me abhängen, sondern vom näher stehenden a¬fíxomai. So auch schol. M: e¬n oi©ß a¬fíxomai oi¢koiß oi¬ktràn zwæn e¢cousa. Auch scheint mir Willinks a¢oikoß „unbehaust“ einen besseren Sinn zu geben als oi¢koiß „im Haus“; vgl. auch Hipp. 1029 a¢poliß a¢oikoß. Darüber hinaus schlägt Willink vor, pónoiß statt oi¬ktràn zu lesen, um eine genauere Responsion zu erreichen. 458–65 Delos wird auch Iph.T. 1097–1105 vom Chor gepriesen. 458f. prwtógonoß: „zuerst geborene“. Schol. MV berichten, dass in dem Augenblick, als die schwangere Leto die gerade aus dem Meer emporgestiegene Insel Delos betrat, dort eine Palme (foînix) und ein Lorbeerbaum (dáfnh) aus der Erde wuchsen. Zu Füßen dieser beiden Bäume gebar Leto dann ihre beiden Kinder Artemis und Apollon. Die Palme auf Delos galt als der erste und wohl zunächst auch einzige Baum dieser Art in Griechenland. Der Lorbeer ist der dem Apollon heilige Baum. 460 Latoî fílon: Akkusativ „das der Leto liebe“, auf a¢galma zu beziehen. fílon verdient aus metrischen und inhaltlichen Gründen den Vorzug gegenüber dem überlieferten Dativ Latoî fíla¸ „der lieben Leto“. Die große Distanz, die zwischen Göttern und Menschen besteht, macht es den Menschen schwer, Götter „lieb“ zu nennen. Immerhin sagt Theognis 373: Zeû fíle, doch vgl. Aristoteles Magna Moralia 1208b 30f.: a¢topon gàr a£n ei¢h ei¢ tiß faíh fileîn tòn Día (ähnlich Nikomachische Ethik 1158b 35–59a 8). Auch schol. V zu V. 444 (tñ¸ Lhtoî fíla a¬gálmata kaì døra) legt nahe, dass das Adjektiv im Akkusativ stand. Vgl. auch Iph.T. 1102 Latoûß w¬dîni fílon. 460f. w¬dînoß a¢galma Díaß: „Denkmal für die Geburt der Kinder des Zeus“: wörtlich „Denkmal der göttlichen“ oder „der von Zeus verursachten Geburtswehen“.

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dîoß oder Dîoß: Adjektiv „göttlich“ oder „dem Zeus zugehörig“. Gemeint sind jedenfalls Artemis und Apollon, die durch Zeus gezeugten Kinder der Göttin Leto. a¢galma: „ein Chamäleon-Wort” nach Collard: „Freude, Schmuck, Stolz“ und alles, was dazu beiträgt, auch „Weihgeschenk, Götterbild“. Hier dürfte „Denkmal“ gemeint sein, denn an dieser Palme war es, wo Leto den Apollon gebar; vgl. Apollonhymnos 115–19; Iph.T. 1098–1102; Ion 919– 22; Odyssee 6,162f. 462–65 Dass die Frauen sich an Tänzen zu Ehren der Artemis zu beteiligen wünschen, ist verständlich, denn im Dienste der jungfräulichen Göttin wären sie sicher vor den sexuellen Wünschen ihrer Herren (Rosivach). Aber Sklavinnen wurden wohl nicht zu solchen Chören zugelassen. Darum dürfte der Wunsch Illusion bleiben. Manche möchten einen Zusammenhang mit der Neuordnung des Kultfestes auf Delos im Jahre 426/25 durch die Athener (Thukydides 3,104) und dieser Strophe in dem wohl nicht lange nach diesem Datum aufgeführten Stück sehen. Diese Beziehung ist zwar möglich, aber sie muss Vermutung bleiben. Skeptisch Wilamowitz, Eur. Her. 2,140–42. Erwähnung eines Liedes der delischen Mädchen auch Her. 687–90. 465 cruséan t’ a¢mpuka: „goldenes Stirnband“, ein Schmuck vornehmer Frauen (Ilias 22,469; Aisch. Hik. 431) und Göttinnen. cruséan t’ ist zweisilbig in Synizese zu lesen ( qq ). Zur Stellung von t’ in den Hss. s. Diggle (1994) 267 u. Anm. 59. 466–74 Der Chor idealisiert sein mögliches Leben in Athen ebenso wie das auf Delos. Das Weben des Peplos, der Athene zu den Panathenäen überreicht zu werden pflegte, war ausgewählten Bürgertöchtern vorbehalten. (Auch der Chor der griechischen Sklavinnen bei den Taurern würde gerne an diesem Peplos mitweben: Iph.T. 222–24). Dass durch die bewundernden Worte der in die Sklaverei aufbrechenden Gefangenen über das große Fest auf die Göttin selbst und auf ihre Stadt Athen „ein Schatten fiele“, wie Synodinou vermutet, meine ich nicht. Im Gegenteil: Die Strophe scheint mir (ähnlich wie Med. 824–45) ein Loblied auf Athen zu sein; eine Verbeugung vor dem athenischen Publikum, so wie die vorausgehende Strophe ein Preislied auf das von Athen verwaltete und durch die Festgesandtschaften vielen Athenern wohlbekannte Delos war. 467 tàß kallidífrouß: Akkusative des Plurals, auf pålouß bezogen: „die schönwagigen Pferde“. Dagegen wären tâß (dorisch für tñß) und kallidífrou Genetive des Singulars und auf Athene zu beziehen: „Pferde der schönwagigen Athene“. Weder das eine noch das andere lässt sich im Deutschen nachahmen. ’Aqanaíaß ist entweder auf pålouß oder (eher) auf péplw¸ zu beziehen.

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krókeoß: „krokusfarben“; vgl. Ion 889 krókea pétala. 471 a¬nqokrókoisi: „eingewebten blumenbunten”: eine nur hier belegte Neubildung; wohl zu krókh „Einschlagfaden“ gehörig und nicht zu krókoß „Krokus“. 472 Titánwn geneán: „das Geschlecht der Titanen“. Hier wie auch Iph.T. 224 werden Titanen und Giganten verwechselt. (schol. M: a¬ntì toû Gigántwn. u™posugcéousi dè tæn e¬n e™katéroiß diaforán.) Die ersteren waren die ‚legitimen‘ Kinder des Himmelsgottes Uranos und der Erdgöttin Gaia (Hesiod Theogonie 132–38), die von den olympischen Göttern in der Titanomachie besiegt wurden (617–720); die letzteren dagegen aus den Blutstropfen entstanden, die der entmannte Uranos verloren hatte und die Erde aufgefangen hatte (185f.). Sie wurden von den olympischen Göttern zu einer mythologisch ‚späteren‘ Zeit unter Beteiligung des Herakles besiegt (Her. 177–80; Ion 206–18; Pindar Pythien 8,17). Dieser Kampf gegen die Giganten, an dem auch Athene teilgenommen haben soll, war auf dem Peplos dargestellt, der ihr bei den Panathenäen überreicht wurde. 473f. a¬mfipúrw¸ … flogmø: „mit beiderseits feuriger Flamme“, vom Donnerkeil des Zeus; vgl. Hipp. 559; Ion 212; zum Ausdruck Barlow (1986) 11. koimízein: „zum Schlafen legen“, „zur Ruhe bringen“, euphemistisch für „töten“; vgl. Soph. Ai. 832; ähnlich Hipp. 1387 koimáseie. 475–83 In der zweiten Gegenstrophe, in der sich der Ring zur ersten Strophe schließt, finden die Frauen des Chores aus der Wunschwelt der beiden vorausgehenden Strophen zur Wirklichkeit zurück und beklagen den Verlust ihrer Kinder, ihrer Eltern, ihrer Freiheit und ihrer Heimatstadt. 475 w¢moi tekéwn e¬møn: „weh meine Kinder“; Genetiv des Schmerzes und Mitleids bei Interjektionen der Klage; KG 1,388f. tekéwn: tò tékoß: „das Kind“ poetisches, auch wohl stärker gefühlsbetontes Wort anstelle des gleichbedeutenden prosaischen tò téknon. 478f. doríkthtoß ¯Argeýwn: „durch den Speer der Argiver erobert“. Der possessive Genetiv ist von dorí abhängig. 480f. kéklhmai doúla: „werde Sklavin genannt“. Die frei geborenen Frauen des Chores fühlen sich anscheinend nicht als wirkliche Sklavinnen, sondern tragen den Namen nur gezwungenermaßen. 482 Dieser Vers ist auf die unterschiedlichsten Weisen verstanden und verändert worden. Dass er missverständlich ist, hat vor allem zwei Gründe. Erstens gibt es bei a¬lláttein zwei mögliche Bedeutungen mit unterschiedlichen Konstruktionen: a) „etwas für etwas eintauschen“, wobei das Hingegebene im Akkusativ steht und das Empfangene im Genetiv (vgl. Aisch. Pr. 967) oder auch das Empfangene im Akkusativ (vgl. Theognis 21; Ba. 53, 1332); b) „einen Ort verlassen“ wobei der verlassene Ort im Akkusativ steht (vgl. Iph.T. 132–36). Zweitens kann das Wort qerápna

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zwei verschiedenartige Bedeutungen haben: a) „Dienerin“, wie das gebräuchlichere qerápaina, z. B. Apollonhymnus 157; b) „Wohnung“, wie Tro. 211, 1070; Her. 370; Ba. 1043. Infolgedessen sind verschiedene Kombinationen möglich. So liest etwa Garzya einen Nominativ qerápna d’ und übersetzt „Asien verlassend, als Dienerin Europas, Asien, das ein Haus des Hades geworden ist“. Italie dagegen liest qerápnan und übersetzt: „Asien verlassend, den Wohnsitz in Europa dafür annehmend, der (für mich) ein Haus des Hades ist“. Am meisten Anklang fand die Version von Purgold und Wilamowitz, die qerapnân (dorischer Genetiv Pluralis für attisches qerapnøn) lesen und übersetzen: „Asien verlassend, für die Wohnstätten Europas eintauschend die (bisherige) Wohnung, die (jetzt) dem Hades gehört“. Ihnen habe ich mich bei meiner Übersetzung angeschlossen. Eine ähnliche Formulierung Iph.T. 396f. ¯Asiätida gaîan Eu¬råpaß diameíyaß. 483 ÷Aida: Für das überlieferte ¯Aýda (dorischer Genetiv) „des Hades“ verdient aus metrischen Gründen die von Canter vorgeschlagene Form ÷Aida (ebenfalls dorischer Genetiv) den Vorzug.

484–628 Zweites Epeisodion Dieses Epeisodion enthält den Abschluss der Polyxene–Handlung Sein Kernstück bildet der ausführliche Botenbericht des Talthybios über die Opferung Polyxenes (521–82). Es folgt die Würdigung ihres edlen Todes durch die Mutter (585–602) und schließlich die Aussendung der Dienerin zum Wasserholen ans Meer, die schon der Vorbereitung des Überganges zur Polymestor-Handlung dient (604–18). Doch zunächst beklagt Talthybios teilnahmsvoll das Schicksal Hekabes, die an einem Tag vom höchsten Glück ins tiefste Unglück gestürzt wurde (488–98). 484 Talthybios (s. zu V. 503) tritt durch eine der Parodoi auf, und zwar aus der gleichen Richtung, aus der Odysseus aufgetreten und in die er zusammen mit Polyxene wieder abgegangen ist. Er wendet sich auf der Suche nach der verhüllt am Boden liegenden Hekabe zuerst fragend an den Chor, wobei er respektvoll die frühere Stellung Hekabes erwähnt. dä pot’: „einst“; vgl. V. 891. ou®san: „seienden“, hier „gewesenen“, wie V. 620, 821. Ähnliche Situation Hkld. 630–37, wo aber eine Freudenbotschaft überbracht wird. 487 sugkeklh¸ménh: wörtlich „zusammengeschlossen“, also ohne jeden Kontakt mit der Aussenwelt, ganz in ihre Trauer versunken, fast wie eine Tote.

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488–98 Pathetische Reflexion des Talthybios über die Ausgeliefertheit des Menschen an den Zufall und über die Vergänglichkeit menschlichen Glücks, verbunden mit theologischer Spekulation, anlässlich des Schicksals der Hekabe, deren zusammengesunkene Gestalt er vor sich sieht; vgl. Johansen 85–87. 488 tí léxw: „Was soll ich sagen“, deliberativer Konjunktiv als Äußerung des Erstaunens; vgl. Alk. 1123; Hel. 483; Kykl. 375; Soph. Öd.K. 310; KG 1,221. a¬nqråpouß o™rân: „dass du auf die Menschen schaust“. Es ist kein bloßes Sehen gemeint, sondern ein Beaufsichtigen. 489 a¢llwß „nichtig“ und máthn „vergeblich“ können als Synonyme verstanden werden. Die Änderungsvorschläge haben das Ziel, eines der synonymen Wörter zu ersetzen und zugleich V. 490 glatter in den Kontext einzufügen. a¢llwß kann jedoch auch mit dóxan tände verbunden werden, was dann bedeuten würde „nur diesen Ruf, nichts als diesen Ruf“; vgl. Tro. 476; s. auch zu V. 302, 626. 490 Der Vers wird von Nauck wohl mit Recht getilgt; vgl. auch Page (1934) 67. Im Kontext geht es um die bei Eur. oft diskutierte Frage, ob Zeus, an dessen Existenz nicht gezweifelt wird, das Weltgeschehen lenkt, oder die Göttin des Zufalls (Túch); vgl. z. B. Ion 1512–15; Kykl. 606f.; dazu Matthiessen (2004) 85–88. In V. 490 dagegen, der sich auch syntaktisch nicht gut einfügt, wird die Existenz der Götter gänzlich in Frage gestellt. Eine so radikale Position vertritt zwar Bellerophontes im gleichnamigen Stück auf Grund seiner bitteren Lebenserfahrungen (F 286 TrGF), doch dürfte dort der Fortgang der Handlung gezeigt haben, dass die Götter existieren und ihn für seine frevelhaften Worte bestrafen. Trotz der von Talthybios geäußerten Zweifel sollte jedem Zuschauer und Leser klar sein, dass das Unglück Hekabes nicht das Werk der Tyche ist, sondern dass der Untergang Trojas, seines Herrscherhauses und damit auch Hekabes dem Ratschluss des Zeus entspricht. 492f. ou¬c hçd’ – ou¬c hçde: „ist sie hier nicht – ist sie hier nicht“. Anapher, asyndetisch, pathetische rhetorische Fragen. 492 Zum sprichwörtlichen Goldreichtum der Troer vgl. auch Tro. 994f. tæn Frugøn pólin crusø¸ r™éousan; Hel. 928 Frugøn … polucrúsouß dómouß. 493 Vgl. Ilias 24,543 (Achilleus zu Priamos) kaì sé, géron, tò prìn mèn a¬koúomen o¢lbion ei®nai. 494 a¬nésthken: „ist … zerstört“. Perfekt Passivi von a¬nísthmi „zerstöre, verwüste“ (ein Land oder eine Stadt), „vertreibe“ (die Bewohner). Vgl. Thukydides 2,27,1, 8,24,3; Soph. Trach. 240f.; Ant. 673f. 495 Gleicher Versanfang Andr. 401.

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doúlh graûß a¢paiß: „Sklavin, Greisin, kinderlos“. Reihung von Asyndeta, um Hekabes Leid rasch zu umreißen; ähnlich V. 156–58, 811, in anderer Funktion V. 281. 496 Es war eine Trauergeste, sich das Haupt mit Staub oder Asche zu bestreuen; vgl. Ilias 22,414; Odyssee 24,316f. Aber Hekabe liegt auch in der Tat im Staub. 497f. Ennius Hecuba fr. 210–11 Warmington = 92 Jocelyn („senex sum; utinam mortem obpetam prius quam evenat quod in pauperie mea senex graviter gemam“). Ähnlich auch Tro. 415f. Was Talthybios meint, wenn er sich auf sein Alter beruft, ist schwer zu sagen. Die meisten Interpreten vermuten (in Übereinstimmung mit schol. MV), dass er sagen wolle, als alter Mann hänge er am Leben. Andere nehmen an, er meine, dass ihm als einem alten Mann der Tod ohnehin nahe sei (Weil, Pflugk-Wecklein, Tierney). Mir scheint jedoch eher, dass er meint, in seinem langen Leben habe er vieles Schlimme erlebt, aber so Schlimmes wie sie wünsche er nicht noch zu erleben. 497 feû feû: Interjektion (als Teil des Verses, wie in V. 1238, anders als inV. 54a feû, das extra metrum steht), die in diesem Fall Anteilnahme und Bedauern bekunden soll, anders als in V. 1238, wo sie Bewunderung ausdrücken soll. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 498 Ähnlich Kreterinnen F 460 TrGF lúph mèn a¢th¸ peripeseîn ai¬scr⸠tini. 499f. Ähnliche Formulierung in ähnlicher Situation Hkld. 635. 499 metársion: „hoch“; zweiendiges Adjektiv, prädikativ neben pleuràn; ionisches und poetisches Wort für attisches metéwron. 500 pleuràn: wörtlich „die Seite“, Synekdochē (pars pro toto). 501 e¢a: schwer übersetzbare Interjektion, die Verwunderung oder wie hier Unwillen über eine Störung ausdrückt; bald metrisch integriert wie hier und in V. 733, bald außerhalb des Metrums, wie in V. 1115a. 503 Danaïdøn u™phréthß: „der Danaer Diener“: Danaoí oder Danaýdai (Danaossöhne) werden die Griechen genannt, weil die Argiver, die Untertanen Agamemnons, den Kern des Heeres bilden. Danaos ist (neben Pelasgos) einer der mythischen Könige von Argos; s. Aisch. Hik. Herold Agamemnons ist Talthybios (neben Eurybates) schon Ilias 1,320f., so auch in den Tro. und Or. 887–97. Die Herolde (kärukeß) werden auch Tro. 425f. als u™phrétai „Diener“ bezeichnet und Hik. 381f. ihre Tätigkeit als u™phreteîn „dienen“. Der Götterbote Hermes wird Aisch. Pr. 954 qeøn u™phréthß genannt. 504 Der Vers wird von Jenni und anderen gestrichen, und zwar wegen der Ähnlichkeit mit Alk. 66, allerdings wohl zu Unrecht. Er mag inhaltlich entbehrlich sein, weil die gleiche Aussage in V. 509f. erfolgt.

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Auch die nachgestellte Präposition mag befremden, doch vgl. auch Alk. 46, Soph. Phil. 343; KG 1,534f. (Anastrophische Tmesis). Schol. M stellt fest, dass zu ergänzen ist metapémyantóß se „da er (sc. Agamemnon) dich holen lässt“. Zum Fehlen eines zu erwartenden Objekts nach metapémpesqai vgl. Thukydides 1,112,3 und 6,88,9. In Alk. 46 und 66 fehlt das Objekt nicht. Biehl (1997) 114f. weist richtig darauf hin, dass V. 503f. durchaus eine Funktion haben: Talthybios stellt sich und sein Amt vor, nennt seinen Auftraggeber und redet Hekabe als Empfängerin seiner Botschaft an. 505–07 Hekabe äußert zuerst eine falsche Vermutung, bevor sie den wahren Inhalt der Botschaft des Talthybios erfährt. Sie vermutet nämlich, dass sie ebenfalls sterben soll, und reagiert darauf mit Freude und Eifer. Eur. lässt auch sonst öfter seine Personen vor der Entgegennahme von Unglücksbotschaften irrige Vermutungen äußern. Die Botschaft selbst bringt dann oft eine Steigerung des Unglücks. S. auch zu V. 671–77. 505 ka¢m’ (= kaì e¬mè): „auch mich“, zusätzlich zu Polyxene. 506 dokoûn ¯Acaioîß „da die Achäer beschlossen haben“; absoluter Akkusativ des Partizips; vgl. V. 119; KG 2,88f. 507 e¬gkonømen: wörtlich „lasst uns eilen“; vgl. Her. 521 i¢t’ e¬gkoneîte. Vielleicht erhebt sich Hekabe bei diesen Worten schnell vom Boden. 508–10 Jetzt erfolgt die kurze Mitteilung der Botschaft und die abermalige, aber genauere Nennung der Auftraggeber. Die Meldung des Ereignisses geht wie üblich dem ausführlichen Bericht voraus. Der Empfänger der Meldung fragt dann gewöhnlich, wie das Gemeldete geschah, und gibt damit das Stichwort für den Bericht: V. 515 pøß „wie?“. 509 metasteícwn se: „auf die Suche nach dir gehend“; vgl. Hik. 90 hÇn metasteícw. 510 ’Atreîdai: Agamemnon und Menelaos, die Söhne (oder Enkel) des Atreus. 511 oi¢moi, tí léxeiß: „weh mir, was wirst du sagen?“ Bei Eur. häufiger Ausruf des Erstaunens und heftigen Erschreckens; vgl. V. 712, 1124; Hipp. 353 (und Barrett zur Stelle); Ion 1113; Med. 1310. w™ß qanouménouß „zu uns, die sterben werden“: Generalisierender Plural des Maskulinums bezogen auf weibliche Personen; vgl. V. 237, 670, 798; KG 1,83. 513 o¢lwlaß w® paî: „du bist dahin; Kind?“ Durch die Anrede stellt Hekabe gleichsam über den Tod hinweg den Kontakt mit ihrer Tochter wieder her. a¢po: Nachstellung der Präposition (mit Apostrophe des Tons); vgl. V. 504; KG 1,554

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514 tou¬pì s’(= tò e¬pì sé): Akkusativ der Beziehung, „soweit es sich auf dich bezieht”, „was dich angeht“, wie Alk. 666; Rhes. 397. Gregory vermutet, dass der Dichter durch diesen Zusatz auf das Schicksal des Polydoros anspielt und damit schon auf die zweite Teilhandlung vorausweist. Mir scheint allerdings ein solcher Hinweis zu diskret zu sein, als dass ihn das Publikum bemerken könnte. Die noch lebenden Kinder Helenos und Kassandra bleiben hier, ebenso wie in V. 810 und 821, außer Betracht. 515 pøß kaí: „wie denn?“ Neben Fragepronomina oder -adverbien hat kaí verstärkende Funktion; vgl. V. 1065; Alc. 834; Hipp. 1171; KG 2,255. e¬xepráxat’: „brachtet ihr sie um“. Italie meint, dass Hekabe hier absichtlich einen groben Ausdruck verwendet, doch findet sich die gleiche Wendung, sicher ohne einen solchen Nebenton, auch Aisch. Ag. 1275; Soph. Öd.K. 1658–60. 516f. Genauer „Oder gingt ihr an das Furchtbare (nämlich die Opferung) heran, als ob sie eine Feindin wäre, als ihr sie tötetet?“ Zu den Befürchtungen, die Hekabe andeuten mag, s. auch V. 604–8. 518–82 Bericht des Talthybios 518–20 Zur Formulierung vgl. Hel. 143, 769–71; Soph. Öd.K. 361– 64; Vergil Aeneis 2,3; Seneca Hercules Furens 650f. Die gegenteilige Meinung, nämlich dass es erfreulich sei, über vergangenes Leid zu berichten: Hel. 665, Odyssee 15,400f. Talthybios betont mit diesen Worten, dass seine Anteilnahme am Geschehenen im Augenblick des Berichts noch immer ebenso groß ist wie zuvor, als er unmittelbar an ihm teilnahm. Dazu de Jong (1991) 30f. 518 dákrua kerdânai: wörtlich „Tränen gewinnen“ oder „ernten“, ironisch, also nicht als Vorteil, sondern als Nachteil. Ähnlich Aristophanes Wolken 1064 kérdoß e¢laben. Anders schol. V: w™ß fíloß gàr kérdoß oi¢etai tò klaûsai e¬k deutérou tæn Poluxénhn. Zur Stelle auch P. Pucci, Eur., The Monument and the Sacrifice, Arethusa 10 (1977) 168–70. 521–82 Talthybios schildert in seinem Botenbericht teilnahmsvoll die Opferung Polyxenes. Er preist ihr würdevolles Verhalten und spendet damit zugleich Hekabe einen gewissen Trost, der ihren Schmerz über den Verlust ihrer Tochter etwas lindert. Auffällig sind die in solchen Berichten bei Eur. auch sonst häufigen direkten Reden (532f., 534–41, 547–52, 563– 65, 577–80), die dem Bericht einen epischen Charakter geben und ihn zugleich lebendiger gestalten. Hierzu Bers (1997) 77–79.

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Dass der Bericht den Zweck der Tröstung Hekabes erfüllt, wird ihre Entgegnung in V. 585–92 zeigen. 519 sñß paidòß oi¢ktw¸: „aus Jammer um dein Kind“, objektiver Genetiv. 521 Zu den Bedeutungsnuancen des Wortes o¢cloß „Masse“ s. zu V. 880. 522 plärhß: „vollzählig“; vgl. V. 107. Doch während dort die Beschlussfähigkeit betont wurde, geht es hier um die Ehrung des Achilleus (und, wie es sich zeigen wird, auch der Polyxene) durch vollzählige Anwesenheit. 523–28 Viermaliges Vorkommen von Formen des Wortes ceír in sechs Versen. Ein gutes Beispiel dafür, dass Wortwiederholungen von den Tragikern nicht gemieden werden (Italie). Vgl. auch V. 1151–63. 523 labœn … ceròß: „nahm … bei der Hand“, im Griechischen Partizip. Diese Geste gehört auch zum Hochzeitsritus. Polyxene erscheint also als eine Braut des Hades. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Häufig steht sie dann, wenn in der ersten Vershälfte eine Namensangabe durch ein Patronymikon in der Form ‚Name des Vaters im Genetiv + paîߒ erfolgt. Hierfür viele Beispiele aus den drei Tragikern bei Stephan (1981) 110–14. 524 e¬p’ a¬kroû cåmatoß: „auf der Spitze des Grabhügels”; so auch Or. 116. Polyxene erhält eine weit sichtbare Bühne für ihren heroischen Tod; so de Jong (1991) 153. 525 lektoí … e¢kkritoi: „erlesene, ausgewählte“, Synonyme, die hervorheben, dass nicht nur das zu opfernde Lebewesen besonders ausgezeichnet ist, sondern dass auch die Helfer beim Opfer es sind. 526 skírthma móscou sñß: „ein Zappeln deines Kalbes“. Tiermetapher wie in V. 142, Andr. 711; móscoß im Tiervergleich bei Menschenopfern V. 205f., Iph.T. 359. Die abermalige Mitteldihärese mag die Eindringlichkeit der Metapher noch steigern. 527–42 Das Trankopfer geht bei jeder Opferhandlung dem eigentlichen Opfer voraus. Unerläßlich für den Beginn der Kulthandlung ist die eu¬fhmía, wörtlich „das gut Reden“ oder eher „das nicht schlecht Reden“, also das kultische Schweigen. Denn schlechtes, also unfrommes, frevelhaftes Reden vermeidet man am sichersten, wenn die ganze Gemeinde schweigt. Vgl. auch Iph.A. 1563f. Talqúbioß … eu¬fhmían a¬neîpe kaì sigæn stratø¸. 528f. Die historischen Praesentia hier und im folgenden heben den Augenblick des Beginns der Zeremonie besonders hervor; de Jong (1991) 43.

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528 ai¢rei: Die meisten Hss. überliefern e¢rrei „floss“, das dann die sonst nicht belegte Bedeutung „ließ fließen“ haben müsste. Die Grabspende wird von Neoptolemos vielmehr erst später ausgegossen, nachdem Talthybios das Heer zum Schweigen gebracht hat. Er spricht dazu V. 534– 41. Darum verdient das in wenigen guten Hss. bezeugte ai¢rei „hebt“ den Vorzug. 530 Vgl. Phön. 1224 keleúsaß sîga khrûxai stratø.¸ 531–33 Der Herold hebt seinen eigenen Anteil am Geschehen hervor und betont mit professionellem Stolz die Leistung, dass er als einzelner eine so große Menschenmenge zur Ruhe gebracht hat. Vgl. de Jong (1991) 5; Bers (1997) 69; Hik. 669f. 531 Das besser überlieferte parástaß „zur Seite tretend“ entspräche der im Epos häufigen Wendung ei®pe parástaß „trat an ihn heran und sprach“, wäre hier aber eine bloße Wiederholung des bereits in V. 524 Gesagten. Dagegen betont katástaß „auftretend“, dass Talthybios in seiner Funktion als Herold tätig wird, und verdient darum den Vorzug. 532 sîga: „still“; Adverb wie Hipp. 660; Hik. 669; Her. 868, 1060, 1067; Phön. 1224; Or. 140; Phaethon F 773,118 TrGF a¬llà sîg’ e¢stw léwß. 533 síga siåpa: „man sei still, man schweige”: Imperative der Verben sigân und siwpân, zu ergänzen etwa pâß tiß. Vgl. V. 1069; Kykl. 488. nänemon d’ e¢sths’ o¢clon: wörtlich: „ich machte die Menge zu einer windstillen“. Durch die Metapher wird die zuvor lärmende und durcheinander wogende Menge mit einer windbewegten Meeresfläche gleichgesetzt. Zu o¢cloß s. zu V. 880. 534–41 Eine Opferhandlung wird in der Regel durch ein Gebet eröffnet. Es ist interessant, dieses Gebet mit dem des Achilleus bei der Opferung Iphigenies Iph.A. 1570–76 zu vergleichen, das allgemein für eine spätere ‚Nachdichtung‘ unserer Passage gehalten wird. Hier wie dort wird die Gottheit oder der Heros angeredet, es wird die Opfergabe angekündigt und es wird gesagt, welche Gegengabe erwartet wird, nämlich in dem einen Fall die glückliche Ausfahrt und in dem anderen die glückliche Rückkehr der Flotte. 535 moi: hier entweder Dativ des Interesses „mir“ (so KG 1,419) oder auctoris „von mir“. Der Genetiv mou wäre possessiv zu verstehen: „diese meine Güsse“. khlhthríouß „besänftigende“. Dazu Hesychius K 2501: tàß yucàß qerapeuoúsaß.

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536 a¬gwgoúß: „herbeiführend“, „herbeibeschwörend“. a¬rwgoúß bei Diggle ist Druckfehler für a¬gwgoúß vgl. seine Addenda et Corrigenda (T. III, 1994, 481). nekrøn: bezieht sich syntaktisch nur auf a¬gwgoúß, inhaltlich aber auch auf khlhthríouß. e¬lqé: „komm“. Die Anwesenheit des Heros zum Entgegennehmen der Opfergabe wird ausdrücklich erbeten. w™ß píh¸ß: „zu trinken“. Zu der Vorstellung, dass die Seelen der Toten das ihnen dargebrachte Blut trinken, s. Odyssee 11,98, 153, 232. Zum Ritus der Totenbeschwörung allgemein s. ebendort 11,23–37. 537 kórhß a¬kraifnèß ai©m’: „des Mädchens reines, frisches Blut“; ähnliche Formulierung in analoger Situation Iph.A. 1574 a¢cranton ai©ma kalliparqénou dérhß. 539 lûsaí te prúmnaß kaì calinwtäria: wörtlich „Hecks und Taue zu lösen“, nautische Fachausdrücke. Gemeint ist, dass die Haltetaue am Heck gelöst werden, so dass die Schiffe ins Wasser geschoben werden können. Die Schiffe lagen mit dem Heck zuoberst auf dem Strand (Ilias 1,436). Die Haltetaue werden Iph.T. 1043 calinoì linódetoi genannt. 540f. Wechsel der Konstruktion vom Dativ h™mîn zum Akkusativ tucóntaß pántaß, als wenn h™mâß vorausgegangen wäre; ähnlich Hkld. 476f.; Aisch. Cho. 140f., 410f. Zur Formulierung vgl. Iph. A. 1575 dòß genésqai ploûn neøn a¬pämona. 540 preumenoûß: wörtlich „einer wohlgesinnten“, wurde von vielen als störende Wortwiederholung empfunden. Außerdem meinte man, dass eine Heimfahrt nicht wohlgesinnt sein könne. Aber Collard sagt richtig, dass hier das Adjektiv vom Angerufenen auf die erbetene Sache übertragen ist; ähnlich wie Aisch. Hik. 140 teleutàß … preumeneîß. Gegenüber Wortwiederholungen ist Eur. recht unempfindlich; s. zu V. 523–28. Er erstrebt sie sogar gelegentlich, um einen wichtigen Begriff hervorzuheben. Eine Änderung, etwa in eu¬maroûß „leichten“ oder h™súcou „ruhigen“, scheint mir darum ebenso wenig nötig zu sein wie die Annahme einer Korruptel. 542 e¬phúxato „betete“, wie das Simplex hu¢xato, vgl. Hik. 8; Ion 670. 543 a¬mfícruson wörtlich „beiderseits golden“, mit vergoldetem Griff (so schol. V: a¢mfícruson dè nohtéon tò xífoß ou¬ katà tà koptikà mérh, a¬llà katà tæn kåphn mónhn) oder mit Einlegearbeiten auf der Klinge. In dem (wohl unechten) Botenbericht am Schluss von Iph.A. ist bei den Vorbereitungen zur Opferung Iphigenies ebenfalls von einem „goldgetriebenen Schwert“ (1565f. crusälaton … fásganon) die Rede. Man

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könnte an ein bei besonderen Anlässen benutztes Zeremonialschwert denken. 544f. logási … neaníaiß: „ausgewählten Jünglingen“; vgl. V. 525 e¢kkritoi neaníai, die Wendung auch Herodot 1,36,2 und 43,1. Nicken ist ein unhörbares Signal; es wird trotzdem von dem bemerkt, der es nicht bemerken sollte; vgl. Ilias 9,223 (neûs’ – nóhse). 546–54 Eine unerwartete Retardation der Opferzeremonie, die zum Höhepunkt des Berichts wird. Polyxene erbittet und erhält die Möglichkeit, den Todesstoß in Freiheit zu empfangen. 546 e¬frásqh „bemerkte”; wie Odyssee 17,161, 23,75. 547–52 Polyxene nimmt die Gedanken ihrer Rede von V. 342–78 wieder auf, aber während sie dort meinte, dass durch den Verlust ihrer Freiheit und ihres Ranges das Leben seinen Wert für sie verloren habe, geht es ihr hier darum, sich durch einen freiwilligen Tod Freiheit und Rang auch im Tod und darüber hinaus zu bewahren. Dazu de Jong (1991) 128 Anm. 31. Die Begriffe „Freiheit“ und „Tod“ werden in Polyxenes Rede in verschiedenen Formulierungen jeweils viermal verwendet: 548 e™koûsa, 549 eu¬kardíwß, 550 e¬leuqéran und e¬leuqéra sowie 548 qnä¸skw, 549 paréxw … dérhn; 550 qánw, 551 kteínat’. Es fällt auf, dass Polyxene nicht bittet, sondern befiehlt und verbietet, ganz wie es einer Königstochter angemessen ist. 548 cróoß „meinen Leib“, wörtlich „die Haut“, Synekdoche (pars pro toto). 549 fast gleicher Wortlaut in einer gleichartigen Situation Iph.A. 1560. 551f. Zur Bedeutung des Namens ‚Sklavin‘ vgl. V. 357f. Hier liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, dass ein Toter auch in der Unterwelt den Rang behält, den er in seinem Leben zuletzt innehatte. Wenn Polyxene unter Zwang wie eine Sklavin sterben würde, dann würde sie als Sklavin in die Unterwelt eingehen; stirbt sie dagegen freiwillig, bleibt ihr der Rang als Königstochter erhalten. ai¬scúnomai „ich schäme mich“: ein zentraler Begriff der archaischen Adelsethik in der Epoche der „Schamkultur“. Ein edler Mensch hat alles zu vermeiden, was ai¬scrón ist, für das er sich also vor den Standesgenossen schämen müsste, und hat alles zu tun, was kalón und infolgedessen bei ihnen mit Ruhm verbunden ist. 553 e¬perróqhsan: zu e¬pirroqéw „lärme zustimmend“, „spende Beifall“; wie Phön. 1238, Or. 901; schol. MBV: e¬bóhsan· e¬k metaforâß tøn kumátwn. Das Rauschen des Wassers wird r™óqoß genannt. 555f. Die beiden von Jacobs und den meisten Herausgebern gestrichenen Verse bringen nichts Neues gegenüber V. 554, da die Befolgung des Befehls des Feldherren selbstverständlich ist und nicht der Erwähnung

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bedarf; auch ist der gedankliche Anschluss des mit ou©per „eben dessen“ eingeleiteten Relativsatzes schwierig. Dagegen schließt 557 tód’ … e¢poß sehr gut an 554 ei®pen an. Vgl. Page (1934) 67. Biehl (1997) 117f. verteidigt wenig überzeugend die Echtheit der Verse. 556 Zur Formulierung vgl. Ilias 2,118, 9,25 und öfter toû gàr krátoß e¬stì mégiston. 557 Verallgemeinernder Plural, auf nur eine Person bezogen, wie in V. 397, 403f., 1237; KG 1,18. 558 e¬pwmídoß: „Schulter“ oder „Schlüsselbein“, wie Iph.T. 1404 gumnàß … e¬pwmídaß. 559 lagónaß e¬ß mésaß par’ o¢mfalon: „bis mitten zur Taille beim Nabel“. Durch die von Brunck vorgeschlagene Änderung mésaß wird die Satzkonstruktion einfacher. Würde méson beibehalten, wäre das Wort zu o¢mfalon zu ziehen: „bis zur Taille, und zwar mitten beim Nabel“. 560f. Zur Geste der Entblößung gut Gödde (2000) 91–93. Sie verweist auf die andere Funktion der Geste in Ilias 22, 80–83 und Aisch. Cho. 896–98. Auch auf Ag. 239–42 ist hinzuweisen. Während die Geste an den genannten Stellen die Adressaten rühren und dadurch ihr Handeln beeinflussen soll, richtet sie sich hier nicht so sehr an Neoptolemos wie an die Heeresversammlung. Gödde (92) spricht davon, dass hier „die Grenze zwischen einer … Poetik des ‚eleos‘, die unmittelbar zu Tränen rühren und das Schreckliche als Schreckliches ausstellen will, und einer rhetorischen oder ästhetischen Distanzierung des Grauens, die das Schreckliche auch als Schönes zeigt, fließend“ wird. Diese Passage mit ihrer erotischen Färbung hat bei modernen Lesern mancherlei Kritik gefunden. Michelini (1987) 163f: „The passage is ‚sentimental‘, in that its moral and aesthetic beauty is at odds with reality“. S. L. Radt, Mnemosyne 26 (1973) 122: „Der einzige Zweck, den die Gebärde … hat, ist das Kitzeln der Sinnlichkeit, wie zum Überfluss die Aufzählung der enfblößten Körperteile und die unglaublich geschmacklose Hervorhebung des anständigen Fallens zeigt.“ Rabinowitz (1993) 106 nennt die Entblößung gar „the pornographic gesture with which Polyxena tries to take charge of her death“. Souverän dagegen de Romilly (1961) 39: „la exquise décence que le recit de Talthybios prête à la mort de Polyxène“. Ähnlich auch dieselbe 49 Anm. 2: „l’ìnstant de beauté par où la liberté humaine rayonne en plein désastre“. 560 w™ß a¬gálmatoß: „wie von einer Statue“; vgl. Ovid Metamorphosen 12,398 (vom Kentauren Hyllarus) „pectoraque artificum laudatis proxima signis“; Plato Charmides 154c 8 pánteß wçsper a¢galma e¬qeønto au¬tón. Vgl. auch Aisch. Ag. 242 prépousa q’ w™ß e¬n grafaîß; Andromeda F 125,2–4 TrGF parqénou t’ ei¬kå tina … sofñß a¢galma ceiróß

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Durch den Vergleich mit einem Kunstwerk wird deutlich, dass die Wirkung des Anblicks mehr ästhetischen als erotischen Charakter hat. Zur Bedeutung von a¢galma „Statue“ s. Kannicht zu Hel. 262f. 562 pántwn tlhmonéstaton: „die allerunglücklichsten“ oder auch „die allertapfersten Worte“, da das Adjektiv tlämwn beide Bedeutungen haben kann. Vgl. auch Hkld. 570. 563–65 Die Opferung Polyxenes wird auf zeitgenössischen Vasenbildern oder Reliefs so dargestellt, dass der Körper von Helfern getragen und waagerecht über den Altar gehalten wird, so dass nach einem Schnitt des Opferers in den Hals das Blut herabfließen kann. Hier dagegen lässt sich Polyxene von niemandem berühren. Sie kniet nieder und macht sich bereit, entweder wie ein Held durch einen Stich in die Brust zu sterben oder sich wie ein Opfertier am Hals treffen zu lassen. 565 eu¬trepæß „bereit“. Die Variante eu¬prepæß, die Scodel (1996) 121f. bevorzugt, würde „schön“ bedeuten und ein unpassendes Selbstlob darstellen. 566–68 Der Opferer schneidet von vorne in den zurückgebogenen Hals, wobei zugleich die Luftröhre und die Halsschlagadern durchtrennt werden. Das dabei heftig ausströmende Blut wird in einer Schale aufgefangen und dem zu ehrenden Gott oder Heros dargebracht. Zur Formulierung vgl. auch El. 485f.; Or. 1471–73. Anders dagegen F 983 TrGF oi®noß perásaß pleumónwn diarroáß. Dieses Fragment lässt erkennen, dass über die Funktionen der Schlagadern und der Luft- und der Speiseröhre zur Zeit des Eur. noch Unklarheit bestand. 566 ou¬ qélwn te kaì qélwn: „unwillig und willig (zugleich)“. Das Oxymoron in der Nachfolge von homerischem e™kœn a¬ékontí ge qumø¸ (Ilias 4,43) zeigt widersprüchliche Emotionen an. Vgl. auch El. 1230 fíla¸ te kou¬ fíla¸; Phön. 357. oi¢ktw¸ kórhß „aus Jammer um das Mädchen“: Auch der grausame Neoptolemos, der Priamos ohne jede Rücksicht am Altar erschlagen hat (V. 23f.), bleibt für einen Augenblick nicht unberührt vom würdevollen Auftreten Polyxenes. So jedenfalls interpretiert Talthybios sein kurzes Zögern vor dem Zuschlagen. 567 témnei „schnitt“. Historisches Präsens beim Höhepunkt der Handlung. 568–70 Diese Verse wurden mehrfach rezipiert und variiert: so Ovid Metamorphosen 13,479f. (Polyxene); Fasti 2,833f. (Lucretia); Sueton Divus Iulius 82,2 (Caesar); Plinius Ep. 4,11,9 (Cornelia). An allen diesen Stellen hat die Erwähnung des beherrschten Verhaltens des oder der Sterbenden rühmende Funktion. Ähnlich ist es bei vielen Autoren, die diese Verse zitieren. Man darf nicht vergessen, dass der Bericht des Talthybios Polyxenes Verhalten rühmen und auf diese Weise Hekabe trösten soll und

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dass er offenbar auch so wirkt. Denn sie empfindet, wie ihre Reaktion (591f.) zeigt, das Verhalten ihrer Tochter nicht als anstößig, sondern als edel. Man darf vermuten, dass auch die athenischen Zuschauer keinen Anstoß an dieser Stelle genommen, sondern im Gegenteil das sittsame Verhalten bewundert haben, das Polyxene sogar im Augenblick des Todes zeigt. Es ist bemerkenswert, dass Talthybios hier ebenso wie vorher bei Neoptolemos nicht einfach berichtet, was er gesehen hat, sondern aus dem Verhalten Polyxenes die Motivation ihres Verhaltens erschließt. Vgl. auch de Jong (1991) 28. 569 eu¬scämwn „in guter Haltung“: Adjektiv; die einzig mögliche Form, während die anderen überlieferten Formen entweder metrisch nicht möglich (eu¬schmónwß) oder nicht korrekt gebildet sind (eu¬scämwß). W. Görler (Arktouros, Festschrift B. Knox, Berlin – New York 1979, 433 Anm. 16) weist auf das Zitat des Verses bei Plinius (Ep. 4,11,9) hin und meint, dass dieser die Beschreibung des Todes der von Domitian verurteilten Vestalin Cornelia auch im übrigen nach dem Bericht des Eur. stilisiert hat. 570 krúptous’ aÇ und krúptein q’ aÇ unterscheiden sich nur in der Satzkonstruktion (Hypotaxe oder Parataxe), aber nicht im Sinn. o¢mmat(a) wohl doppelter Akkusativ: „etwas vor den Augen verbergen“. Nach einem jüngeren Scholium wollten einige Philologen den Vers tilgen, wohl aus Gründen der Dezenz. Antike rhetorische Handbücher zitieren ihn als Beispiel für schlechten Geschmack (kakózhlon). Aber über den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Mir scheint der Vers eine angemessene Konkretisierung des in V. 569 Gesagten zu sein. 571–80 Staunen und Ergriffenheit des Heeres während der Opferhandlung werden unmittelbar danach abgelöst durch einen plötzlichen Ausbruch seiner Aktivität. 571 a¬fñke pneûma: „den Geist aufgegeben hatte“, fast wie im Deutschen; ähnlich Tro. 785 pneûma meqeînai. 573–76 oi™ mèn – oi™ dè „die einen – die anderen“. Zunächst werden zwei Gruppen von tätigen Kriegern genannt, später werden zwei andere Gruppen, jeweils im kollektiven Singular (o™ ou¬ férwn – toû férontoß), einander gegenübergestellt, wobei sich die eine, nämlich die der Tätigen angemessen, die andere, die der Untätigen, unangemessen verhält und deswegen getadelt wird. 574 Schol. MBV berichtet nach Eratosthenes (FGrHist 241 fr. 14), dass den Siegern bei athletischen Wettkämpfen früher die verschiedensten Gegenstände zugeworfen wurden: Kränze, Blumen, Blätter, auch Gürtel, Hüte, Gewänder und Schuhe, welche die Athleten dann einsammelten.

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Doch je mehr Sieger es gab, je spärlicher wurden die Gaben, so dass schließlich nur noch die Sitte des Zuwerfens von Blättern, Zweigen und Kränzen übrig blieb, die fullobolía genannt wurde. Vgl. auch Pindar Pythien 4,240, 9,124; Burkert (1997) 12 Anm. 16; Mossman (1995) 160f. und Anm. 51. Bei Hochzeiten war es Brauch, das Brautpaar mit Blumen und Früchten zu bewerfen. puràn „Scheiterhaufen“; s. zu V. 386. Die hier vorbereitete Bestattung Polyxenes ähnelt derjenigen der Heroen im Epos, z. B. der des Achilleus Odyssee 24,43–79. 576–80 Indem Talthybios die direkte Rede der Krieger wiedergibt, reicht er die Rühmung Polyxenes durch das Heer gleichsam als Tröstung an Hekabe weiter. 578 Gewänder und Schmuck sind für weibliche Tote angemessene Gaben, und sie entsprechen auch der Aussage des zu V. 574 erwähnten Scholiums. pétaloß bedeutet „Blatt“ und kormóß „Baumstamm“ (vgl. V. 575). Aber auch die Verbesserungsvorschläge von Bergk sind im Hinblick auf die in V. 573–75 beschriebenen Tätigkeiten verständlich. 579 ou¬k ei® ti dåswn: wörtlich „wirst du nicht gehen, um etwas zu geben?“ Negierter Fragesatz mit futurischem Verb mit der Funktion eines knappen Befehls; vgl. V. 1282–85; Hipp. 1084; KG 1,176f. tñ¸ períss’ eu¬kardíw¸: wörtlich „der im Übermaß Beherzten“. Der Sprecher bestätigt damit, dass Polyxene in vollem Maß der Ankündigung in V. 549 entsprochen hat, sie werde eu¬kardíwß sterben. 580 yucän t’ a¬rísth¸: wörtlich „für die in ihrer Seele Edelste“. Mit dem rühmenden Prädikat a¢ristoß „der Edelste“ oder „Beste“ wurde zuvor nur Achilleus versehen (V. 134). Polyxene erscheint hier also als gleichrangig, obwohl sie nur eine Frau, eine Sklavin und eine Barbarin ist. 580–82 Abschließende und zusammenfassende persönliche Beurteilung des berichteten Geschehens (toiáde … légwn, vgl. V. 519 légwn kaká) durch den Boten. Ähnlich Hipp. 1249–54; Her. 1014f.; Ba. 1150– 52. 580 Der von den meisten Zeugen überlieferten Variante légon ist kein Sinn abzugewinnen, sinnvoll dagegen ist das weniger gut überlieferte légwn „indem ich sage“. Weckleins klúwn „indem ich höre“ ist an sich möglich, würde aber weitere Textänderungen nach sich ziehen. 581f. eu¬teknwtáthn – dustucestáthn „die mit den besten Kindern – die Unglücklichste“. Treffendes Oxymoron, denn einerseits kann Hekabe darauf stolz sein, dass sich ihre Tochter edel verhalten hat, aber andererseits hat sie soeben diese Tochter verloren. Ähnliche Formulierung in ähnlicher Situation Hkld. 570f. tlhmonestáthn dé se | pasøn gunaikøn ei®don o¬fqalmoîß e¬gå.

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583f. Chorreplik Der Chor bezieht keine Stellung zum vorausgehenden Bericht, sondern nimmt, ähnlich wie in den Stasima, das Berichtete als Exempel für das von den Göttern verhängte Leid der Herrscher und ihrer Stadt. Hekabe wird am Schluss ihrer Rede (619–23) diesen Gedanken wiederaufnehmen. Der Chor geht nur auf den leidvollen Aspekt des Geschehens ein, nicht dagegen auf die rühmenden Worte über Polyxenes Verhalten und den Versuch des Talthybios, auf diese Weise Hekabe zu trösten. Dies bleibt ihr selbst vorbehalten (589–602). 583 Priamídaiß: wörtlich „gegen die Nachkommen des Priamos“, doch ist hier die ganze Familie des Priamos mit allen ihren Mitgliedern gemeint. S. zu V. 1002 e¬pézesen: wörtlich „kochte hoch gegen“. Schol. MBV: a¬pò metaforâß toû zéontoß uçdatoß kaì e¬n toîß lébhsin e¬pairoménou e¬n tø¸ zéein. Ähnliche Formulierung Iph.T. 987 deinä tiß o¬rgæ daimónwn e¬pézesen; vgl. auch V. 1055. 584 Herwerdens Änderung qeøn a¬nagkaîsin, wörtlich „durch die Notwendigkeiten der Götter“ (d. h. „die von den Göttern kommen“) ist wohl erforderlich, da sich qeøn a¬nagkaîon nur schwer in die Konstruktion des Satzes einfügen lässt. Biehl (1997) 118–20 versucht a¬nagkaîon zu halten, wobei er nach th¬mñ¸ interpungiert. Er verweist dabei auf schol. M (parà qeøn metà a¬nágkhß dedómenon). Synodinou erwägt, a¬nagkaîon beizubehalten und als Subjekt des Satzes aufzufassen, deinón ti pñma dagegen als prädikativ. Der Hörer würde allerdings immer die am Anfang stehende Wortgruppe als Subjekt verstehen. Deswegen scheint mir viel für Herwerdens Änderung zu sprechen. qeøn ist einsilbig (in Synizese) zu lesen. qeøn – tóde wird von Accius Hec. fr. 481 Klotz (= 375 Warmington) sehr gewichtig wiedergegeben durch „veter fatorum terminus sic iusserat“. Doch s. auch zu V. 43. 585–628 Rede Hekabes Auf den erschütternden, aber auch rühmenden Bericht des Talthybios folgt Hekabes gefasste und würdige Rede, die mehrere Themen in lockerer Abfolge berührt. Sie beginnt als Leichenrede für Polyxene (585–92), geht über in eine durch den Anlass ausgelöste allgemeine Reflexion (592–602) und wendet sich dann der nächsten praktischen Aufgabe zu, nämlich der angemessenen Bestattung (604–18). Die Rede schließt mit einer Klage über das Schicksal des Hauses des Priamos (619–23) und einer weiteren

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daran anknüpfenden Reflexion (623–28). Eine gute Würdigung der Rede bei Schadewaldt (1926) 184–86. 585–88 Zur Stelle Kovacs (1988) 131–33 und (1996) 65f. Er möchte in V. 587 statt des überlieferten tód’ „dies“ lieber tád’ „diese“ lesen und als Wiederaufnahme von kakøn polløn paróntwn auffassen. Der Satz würde dann bedeuten: „Wenn ich eines meiner Übel (in Gedanken) berühre, dann lassen sie (sc. die anderen Übel) es nicht zu, sondern es ruft mich von dort wiederum ein anderes Unglück herbei, das mit seinen Übeln ein Nachfolger für (andere) Übel ist.“ Dem schließe ich mich an. Ähnliche Aussagen in anderer Formulierung Hik. 71f.; Ion 927–30. 589–92 Gärtner (2005) 46–48 kontrastiert die gefasste Haltung Hekabes in diesen Versen mit ihrer Resignation Tro. 688–96. 591 tò … lían aus dem Zusammenhang zu ergänzen steneîn „klagen“; also: „das allzugroße Klagen“. Vgl. auch Andr. 866; Or. 705. 592 gennaîoß „edel“ hier zweiendiges Adjektiv; danach ist ou®sa zu ergänzen. Dadurch, dass Eur. Polyxenes Verhalten als gennaîoß bezeichnen lässt, stellt er sie in eine Reihe mit den anderen Frauen, die ebenfalls „edel“ genannt werden, weil sie freiwillig ihr Leben hingeben, vgl. Alk. 742 (gennaía); Hkld. 626f. (a¢xia d’ eu¬geníaß); Iph.A. 1411 (gennaía … ei®), 1422 (gennaîa … froneîß). 592–602 Eine durch den edlen Tod Polyxenes hervorgerufene allgemeine Reflexion Hekabes über die Anteile von Anlage, Umwelt und Erziehung bei der Entstehung sittlicher Tugend. Sie gehört in den Kontext der zeitgenössischen Diskussion über dieses Thema, das Eur. auch sonst öfters berührt; vgl. etwa Iph.A. 561f.; F 1027 TrGF. Das Ergebnis der Reflexion in V. 592–98 ist, dass die Qualität der Pflanzen von den jeweiligen klimatischen Bedingungen abhängt, während bei den Menschen offenbar die Umwelteinflüsse keine Veränderung der Qualität bewirken, sondern die Anlage entscheidend ist. In V. 599–602 kommt dann jedoch zu dieser zuvor formulierten traditionellen Auffassung über die große Bedeutung der Anlagen ein neuer Gedanke hinzu, nämlich der, dass auch von der richtigen Erziehung entscheidende Einflüsse ausgehen können. Alle diese Überlegungen haben einen Bezug auf den Fall Polyxenes, die trotz größten Unglücks ihren angeborenen (oder vielleicht zum Teil auch anerzogenen) edlen Charakter bewahrt hat. Zur Stelle Schadewaldt (1926) 138f.; Johansen (1959) 158; zum Inhalt Lesky (1939) 375–77; Egli (2003) 182f. Derartige Gedanken über die Ursachen des edlen Verhaltens ruhmvoll Verstorbener haben ihren traditionellen Platz in Grabreden; s. Hik. 911–17. 592 deinón hier in ganz anderem Sinne als in V. 583; dort „furchtbar“, hier eher „wunderbar, erstaunlich, seltsam“.

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593 tucoûsa kairoû „die rechten Umstände, das rechte Wetter erlangend“. Zum Bedeutungsspektrum von kairóß s. V. 666 und Barrett zu Hipp. 386f., der auch auf diese Stelle eingeht. qéoqen „von den Göttern“, insbesondere von Zeus als dem Wettergott. 599–602 Die Verse werden von Sakorraphos getilgt, von Biehl (1997) 120–22 jedoch als sinnvolle Weiterführung der vorausgehenden Reflexion gehalten, mit Hinweis auf Hik. 911–17; Iph.A. 558–62. Verteidigung auch bei Johansen (1959) 158f.; Kamerbeek (1986) 101; Michelini (1987) 137– 41; Collard; Mossman (1995) 245; Stanton (1995) 15 und Anm. 17; Synodinou. Mir scheinen die Verse unentbehrlich zu sein, weil hier der Schritt vom Glauben an die absolute Dominanz der Anlagen hin zu der Auffassung vollzogen wird, dass die Tugend, jedenfalls in gewissem Umfang, lehrbar ist. Das ist zugleich ein Schritt vom aristokratischen Menschenbild Pindars (Olympien 2,86–88, 9,100–08) zu dem des Sokrates und der Sophisten, also genau das, was man bei Eur. erwarten sollte. Allerdings gibt es bei ihm auch Äußerungen im Sinne der Tradition, so Hipp. 79f. sowie Phoinix F 810 TrGF, wobei zu der letztgenannten Stelle freilich über dramatische Situation und Sprecher nichts bekannt ist. 599 diaférousin „machen den Unterschied aus“; vgl. Melanippe F 494,29 TrGF diaférousi d’ ai™ fúseiß. 600 ge méntoi „freilich“. Die Partikelkombination hat bekräftigenden Sinn, vgl. Hipp. 103; Aisch. Hik. 347. 601 dídaxin „die Lehre“. Das Wort begegnet hier zum ersten Mal in der griechischen Literatur und erscheint erst wieder bei Aristoteles (Physik 202a 32). 602 kanóni „mit dem Maßstab“; genauer „mit dem Lineal“; vgl. El. 52; Eurystheus F 376 TrGF. maqån: wörtlich „gelernt habend“. Schol. MBV bemerkt treffend: tò kalòn e¬án tiß máqh eu®, oi®de kaì tò kakòn maqœn toû kaloû tòn kanóna. Eine Änderung in staqmøn oder metrøn, was beides „messend“ bedeutet, würde zwar das Gemeinte etwas deutlicher ausdrücken, ist aber wohl nicht nötig. Zur Wortwiederholung máqh¸¸ – maqån s. zu V. 523–28. 603 Überleitung von der allgemeinen Reflexion zu den Erfordernissen der konkreten Situation. noûß e¬tóxeusen: wörtlich „schoss (mit dem Bogen) ab“. Ähnliche Metapher Aisch. Hik. 446 gløssa toxeúsasa mæ tà kaíria. Vgl. auch V. 334f. lógoi … máthn r™ifénteß; Eur. Hik. 456 e¬xhkóntisa. 604–08 Hekabe gibt Talthybios eine erste vorläufige Anweisung für die bevorstehende Bestattung ihrer Tochter. Vgl. V. 508–10. Dabei benutzt sie souverän den Herold als Überbringer ihrer Botschaft an seinen Herren.

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Talthybios wird sich nach diesen Versen in Richtung des Lagers entfernt haben. Michelini (1987) 166–70 meint, dass die „sentimentalisierte heroische“ Darstellung des Todes der Polyxene im Botenbericht dadurch, dass Hekabe das Ereignis hier in die Realität des Heerlagers zurückversetze, „korrigiert und annulliert“ werde. Man sollte allenfalls von einer gewissen Relativierung sprechen. Die Begeisterung des Heeres über das edle Verhalten Polyxenes erscheint als kurzfristiger Aufschwung der Gefühle. Dann bekommt der bittere Realismus Hekabes sein Recht, der sie fordern lässt, den Leichnam vor Übergriffen zu schützen. Sie kann wohlgemerkt fordern, wie sie es als Königin gewohnt war und auch jetzt noch nicht verlernt hat. Kovacs (1987) 98 meint, in diesen Worten verrate sich Hekabes aristokratische Voreingenommenheit gegenüber der Masse. Ähnlich auch Gregory (1999) 119 mit Verweis auf Pseudo-Xenophon Athenaion Politeia 1,5 (e¬n dè tø¸ dämw¸ a¬maqía te pleísth kaì a¬taxía kaì ponhría). Allerdings meine ich nicht, dass hier Hekabe als hochmütige Aristokratin charakterisiert werden soll. Es lässt sich nicht ausschließen, dass auch Eur. selbst derartige politisch nicht ganz korrekte Meinungen hegte. 605 Die Infinitive in der indirekten Rede entsprechen Imperativen in der direkten. Subjekt zu qiggánein ist mhdén(a), zu ei¢rgein ist etwa toùß strathgoúß als Subjekt zu ergänzen. 606–08 Page (1934) 67 erklärt die drei Verse ohne überzeugende Argumente zu einer Schauspielerinterpolation. Nur Mossman (1995) 246 schließt sich ihm an. 606 tñß paidóß „das Mädchen“, „von dem Mädchen”; sowohl auf qiggánein als auch auf ei¢rgein zu beziehen. 607 Zu den Formulierungen vgl. Iph.A. 914 nautikòn stráteum’ a¢narcon ka¬pì toîß kakoîß qrasú; Soph. Öd. 176 kreîsson a¬maimakétou puróß. o¢cloß „Menge“, Gesindel“. Zu diesem Wort hier und in V. 605 s. zu V. 880. 608 Wörtlich: „Der aber ist (ihnen) schlecht, der nichts Schlechtes tut.“ Gemeint ist offenbar, dass üble Menschen einander zu üblen Taten anspornen und denjenigen als einen Feigling verhöhnen, der sich an solchen Taten nicht beteiligt. So auch schol. MBV parà tø¸ pläqei kakòß o™ mä ti drøn kakòn nomízetai. 609–18 Hekabe erteilt einer der Frauen ihres kleinen Gefolges (vgl. V. 59–63) einen Befehl, den diese alsbald ausführt. Die Frau wird spätestens nach V. 618 die Bühne in Richtung zum Meeresufer verlassen, von wo sie mit V. 658 zurückkehrt.

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609 teûcoß: ein bei den Tragikern beliebtes Wort; vgl. Iph.T. 168; Aisch. Eum. 742; Soph. El. 1114. Es ist in wenigen, aber guten Hss. belegt. Das gleichbedeutende a¢ggoß ist als Vulgatatext anzusehen. 610 wörtlich „es (sc. das Gefäß) eingetaucht habend bringe es hierher vom Meersalz (d. h. Meerwasser)“; pontíaß a™lóß ist partitiver Genetiv. 612 Ein doppeltes Oxymoron. Polyxene war unvermählt, wurde aber auf grausame Weise mit Achilleus ‚vermählt‘; sie ist als Jungfrau gestorben, doch das Schwert des Neoptolemos nahm ihr mit dem Leben auch die Jungfräulichkeit. Doch s. auch zu V. 41. Zur Stilfigur des Oxymoron s. V. 194 sowie Fehling (1968) 153, der übersetzt: „Braut eines toten Gatten, Jungfrau und doch verheiratet“. 613f. Stevens (1976) 58: „a cluster of colloquialisms”; derselbe 67 „the simple colloquial phrases … give an added touch of pathos.” 613 loúsw proqømaí q’: „wasche und aufbahre“; von Leichen Phön. 1319 loúsh¸ proqñtaí t’; vgl. auch Alk. 664 proqäsontai nekrón. póqen: wörtlich „woher?“ Entschiedene Verneinung: „Wie könnte es denn sein?“; s. Stevens (1976) 38. 614 w™ß d’ e¢cw: „so (gut) wie ich es kann“; s. Stevens (1976) 58. tí gàr paqø: wörtlich: „denn in welchem Zustand mag ich geraten?“ Äußerung der Hilflosigkeit; in diesem Sinn Ilias 11,404; Odyssee 5,465; Andr. 513. Hier ist wohl gemeint: „Was bleibt mir in meiner Lage anderes zu tun übrig?“ Ähnlich Hik. 257; Phön. 895; dazu Stevens (1976) 57f. 615 Die Hss. bieten t’ „und (indem ich Schmuck sammele)“. Logisch steht das Sammeln des Schmuckes inhaltlich nicht parallel mit der Wortgruppe w™ß d’ e¢cw „wie ich es kann“, wie t’ es nahelegt; sondern ist ihr untergeordnet. Deswegen die von Wakefield vorgeschlagene Änderung von t’ in g’ „jedenfalls (indem ich … sammele)“. Sie stellt die Unterordnung auch syntaktisch her. So auch Diggle (1994) 203. Es ist allerdings zu fragen, ob hierfür eine zwingende Notwendigkeit besteht. Für einen ähnlichen Fall s. zu V. 1176. Zur Schmückung eines Leichnams unter den Bedingungen der Kriegsgefangenschaft s. auch Tro. 1200–02. 616 tønd’ e¢sw skhnwmátwn: Hinweis auf den Bühnenhintergrund, zugleich Vorbereitung des nach V. 628 in dieser Richtung erfolgenden Abgangs Hekabes. 618 klémma: Treffende ironische Formulierung: ‚Diebesgut‘ aus dem eigenen Eigentum, das jetzt zur Beute der Sieger geworden ist. Spätestens jetzt dürfte die Dienerin in Richtung zur Küste abgegangen sein. Dort wird sie, wie schon in V. 47f. angekündigt, den Leichnam des Polydoros finden und damit die zweite Teilhandlung des Dramas auslösen. 619 w® scämat’ oi¢kwn: wörtlich: „o Gestalten der Häuser“. Das Wort scñma wird oft in emotional gefärbten Anrufungen für Güter verwendet,

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die verloren oder fragwürdig geworden sind; vgl. Andr. 1; Med. 1071f.; Alk. 912 und Dale zur Stelle. 620 e¢cwn: wörtlich „habend“, hier eher „besessen habend“; zum Tempus vgl. V. 484, 821. Das gut bezeugte kállistá t’ „und schönste“ braucht nicht mit Harry in málistá t’ „und besonders“ verändert zu werden, das dann auf eu¬teknåtate zu beziehen wäre. Die Wendung bezieht sich nicht nur auf die Kinder, wie Biehl (1997) 124 meint, sondern auf alle Glücksgüter. Vom Gold war schon in V. 492 die Rede, und kurz zuvor (615–18) von Schmuck. Ähnlich auch Synodinou; anders Diggle (1994) 232f., der málistá t’ vorzieht. 624 Es ist nicht nötig, die von Bothe wohl aus metrischen Gründen vorgeschlagene Textänderung vorzunehmen. Durch die Wortfolge e¬n dåmasin wird die ‚Lex Porson‘ nicht verletzt, nach der am Trimeterende auf langes Anceps kein Wortende folgen darf, denn Präposition und Substantiv bilden ein einheitliches ‚Wortbild‘. Vgl. Snell (1982) 68; Biehl (1997) 125. Auch der Sinn würde durch die Änderung nicht verbessert. 626 tà d’: „das aber“. Der Artikel hat hier wie im Deutschen die Funktion eines Demonstrativums; vgl. V. 566, 568; KG 1,583. Murray interpungiert nach a¢llwß, so dass der Satz recht banal hieße: „Das aber ist nicht anders“. Schol. B setzt jedoch voraus, dass vor a¢llwß interpungiert wird, und so verfahren denn auch mehrere Hss. und die meisten Herausgeber. Der Satz heißt dann: „Das (d. h. alles vorher Genannte) ist nichtig“. a¢llwß bedeutet dann entweder „vergeblich“ (schol. Mgl mataíwß), wie in Med. 1029f., oder „nur, nichts als“, wie in Tro. 476. Vgl. auch zu V. 302, 489, sowie Stevens (1977) 52. 627f. Die Folgerung, dass jeder Ruhm vergänglich und alles Planen vergeblich sei und der Mensch sich mit dem glücklichen Gelingen des jeweiligen Tages zufrieden geben müsse, wird in der Tragödie immer wieder aus den dargestellten Ereignissen gezogen: z. B. V. 317f.; Alk. 788f.; Her. 503–05 und Bond zur Stelle; Hel. 713–15; Ba. 424–26, 911f.; Kykl. 336–38; Telephos F 714,2f. TrGF; ähnlich auch Aisch. Pers. 840–42. Ennius Hecuba fr. 212 Warmington = inc. fab. fr. 354 Klotz (nicht von Jocelyn aufgenommen) formuliert den Gedanken, vielleicht in Anlehnung an diese Stelle: „nimium boni est cui nihil est mali “. 627 glåsshß te kómpoi: wörtlich „und Prahlen der Zunge“; vgl. Soph. Ant. 127 Zeùß gàr megálhß glåsshß kómpouß u™perecqaírei. 628 Nach diesem Vers begibt sich Hekabe ins Zelt, aus dem sie mit V. 665f. wieder hervortritt; dazu Mossman (1995) 60f. Abgang und Wiederauftritt Hekabes signalisieren zugleich, dass die eine Teilhandlung abgeschlossen ist und die andere beginnt. Im Handlungsablauf ist ihr Abgang damit motiviert, dass sie Vorbereitungen für die

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Aufbahrung und Schmückung der Leiche Polyxenes zu treffen hat (615– 18). Der Protagonist, der seit V. 59 ununterbrochen auf der Bühne war, hat auch eine kurze Pause verdient.

629–56 Zweites Stasimon In diesem Lied beziehen sich die Frauen des Chores, ebenso wie im ersten Stasimon, nicht unmittelbar auf die Handlung des vorausgehenden Epeisodions. Sie knüpfen allerdings an Hekabes letzte Worte über die Vergänglichkeit des Hauses des Priamos und alles menschlichen Glücks (V. 619–28) an. Während die Frauen im ersten Stasimon ihr eigenes Unglück und ihr künftiges Schicksal als kriegsgefangene Sklavinnen lyrisch reflektierten, stellen sie hier die Handlung des Stückes, und zwar nicht nur des ersten Teils, sondern auch dessen, was noch kommt, in den mythologischen Kontext, der mit dem Streit der drei Göttinnen und dem Urteil des Paris beginnt und bis hin zur gegenwärtigen Katastrophe Trojas reicht. Nordheider (1980) 21 schreibt, in diesem Lied werde „der ganze leidvolle Schicksalszusammenhang des Krieges ‚von Anfang an‘ aufgerollt. Polyxenas Tod wird so nur zu einem Glied in der Kette von Leiden, die über Troja und Hekabe hereingebrochen sind. Auf diesen Gesamtzusammenhang lenkt das Lied zurück und bildet so, als allgemeinere Reflexion, das ‚Scharnier‘ zwischen den zwei Schlägen, die Hekabe treffen. … Mit dem Blick auf das Leid der Griechen schien eine gewisse Beruhigung im eigenen Schmerz eingetreten, in die unmittelbar darauf die neue Schreckensnachricht hineinbricht.“ Zu diesem Chorlied Stinton (1965) 23–25, 74f.; Nordheider (1980) 19– 21; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (1989–90) 86f.; Hose (1990–91) 2, 130– 32; Mossman (1995) 83–86. 629–37 In der ersten Strophe führen die Frauen ihr Unglück auf seinen Ursprung zurück, nämlich auf den Aufbruch des Paris nach Sparta zum Raub der Helena und noch weiter auf das Parisurteil. Die a¬rcæ sumforâß, wie es in schol. MBV heißt, vor allem des trojanischen Krieges, aber auch die des Argonautenzuges, wird in der Tragödie öfters thematisiert. Dieser Anfang der verhängnisvollen Kausalkette wird entweder beim Parisurteil gefunden oder wie hier ganz konkret dort, wo das Holz für das Schiff geschlagen wird, das dann auf die verhängnisvolle Fahrt geht: Med. 1–6; Andr. 274–308; Tro. 919–44; Hel. 229–51; Iph.A. 1283–1308. Ähnlich führt in Phön. 1–6 Iokaste den Krieg der Sieben gegen Theben auf die Gründung der Stadt durch Kadmos zurück. 629f. Eindrucksvoller Beginn des Liedes mit Anapher und Parallelismus; vgl. V. 154–74; Hik. 632; Phön. 320f.

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e¬moì crñn: Imperfekt: „mir sollte“, „es war mir schicksalhaft bestimmt“ (schol. M: ei™marménon moi). Hose (1990–91) 2, 130f. scheint aus den Worten des Chores einen Todeswunsch herauszulesen („Mir hätte schon ein Unglück zustoßen sollen, als …“), aber das ist nicht gemeint. 632 ¯Aléxandroß: zweiter Name des Paris; über diesen s. zu V. 387. 635 ¿Elénaß e¬pì léktra: „hin zu Helenas Bett“. Gregory weist richtig auf die Zweideutigkeit dieser Worte hin. e¬pí kann auch in feindlichem Sinne gebraucht werden, und léktra kann sich sowohl auf das ursprüngliche Ehebett des Menelaos und der Helena als auch auf das künftige des Paris und der Helena beziehen. 636 crusofaæß: „goldstrahlend“; vgl. Phaethon F 771,2f. TrGF cqóna ÷Hlioß a¬níscwn cruséa¸ bállei flogí. 638–47 In der Gegenstrophe und im ersten Vers der Epode geht der Blick des Chores noch weiter zurück zum Parisurteil und damit zugleich zu dem letztlich von den Göttern ausgelösten Geschehen, das am Ende zu Mord und Zerstörung führte. 638f. pónwn a¬nágkai kreíssoneß „Zwänge, die schlimmer sind als Leiden“. Gemeint ist das Sklavendasein. kreíssoneß bedeutet hier nicht „besser“, wie so oft, sondern „schlimmer“ wegen der Verbindung mit a¬nágkai; vgl. V. 608. Darum die Variante meízoneß „größere“, die auf eine Glosse zurückgehen dürfte, und schol. MBV: meízoneß kaì ceíroneß. 639 kukloûntai „umkreisen“ oder „umzingeln“; wohl „mich“ zu ergänzen; vgl. Soph. Ai. 353. 640–42 e¬x i¬díaß a¬noíaß „aus eigenem Unverstand” oder „aus dem Unverstand eines Einzelnen“ steht gegenüber sumforá t’ a¬p’ a¢llwn „und Unheil, das von anderen kam“. Dabei sind mit diesen „Anderen“ entweder die Griechen oder, was mir wahrscheinlicher ist, die drei Göttinnen gemeint. Der Chor unterscheidet demnach zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Anteil an der Katastrophe Trojas, also dem Unverstand des Paris, den er beim Raub Helenas bewies (schol. MBV e¬k dè tñ¸ß toû Páridoß i¬díaß a¬noíaß), und dem Wunsch der Göttinnen, er möge ihre Schönheit beurteilen. Der göttliche Anteil wird euphemistisch angedeutet, indem von „anderen“ gesprochen wird. Schol. V verdeutlicht: h¢goun ÷Hraß, ¯Aqhnâß kaì ¯Afrodíthß. Die von Stinton (1965) 74 vorgeschlagene und von Diggle und Synodinou übernommene Textänderung sumfor⸠t’ e¢¬p’ a¢llwn „zum Unglück anderer“ würde bewirken, dass auch hier schon; wie später in der Epode, angedeutet wird, dass das Leid des Krieges auch andere trifft, also Troer und Griechen in gleicher Weise ins Unglück bringt. Mir scheint jedoch der Kontext nahezulegen, dass mit den „Anderen“ die drei Göttinnen gemeint sind, die zusammen mit Paris gleich darauf erwähnt werden, so

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dass folglich a¬p’ a¢llwn beibehalten werden sollte. Ausführlich zur Stelle Biehl (1997) 125–29. Das Parisurteil wird als Anfang der Geschehnisse, die zum trojanischen Krieg führten, in der Ilias nicht ausdrücklich erwähnt, aber vorausgesetzt. Dass die Sage alt ist, beweisen frühe bildliche Darstellungen und das nachhomerische Epos Kyprien. Eur. erwähnt sie oft, neben unserer Stelle auch Andr. 274–92, Tro. 924–31, Hel. 23–30, 676–81, Iph.A. 573– 81, 1283–1309. Dazu K. Reinhardt, Das Parisurteil, in: Tradition und Geist, Göttingen 1960, 16–36; Stinton (1965). 641 Simountídi: Simountíß feminines Adjektiv zu dem Flussnamen Simóeiß. Das Adjektiv in der kontrahierten Form auch El. 441, in der unkontrahierten (Simoentíß) auch Andr. 1019, 1183, Rhes. 827. Simoeis und Skamander werden in der Ilias häufig erwähnt. Sie sind die beiden Flüsse der Troas. 643–46 Doppelter Akkusativ des inneren und äußeren Objekts; vgl. Hipp. 252; Hel. 1126; Ba. 345f.; KG 1,320f. 646 a¬nær boútaß: In der verbreiteten Fassung der Sage vom Parisurteil lebte der als Säugling ausgesetzte Priamossohn Paris unerkannt als Hirt unter den Hirten am Idagebirge und wurde dort von Hermes und den drei Göttinnen aufgesucht. 648 Der erste Vers der Epode gehört in ungewöhnlicher Weise (aber ebenso wie in V. 943–49) syntaktisch und inhaltlich noch mit der Antistrophe zusammen; vgl. Kranz (1933) 177f. Der Vers stimmt aber, wie auch die übrige Epode, zugleich schon ein auf die Totenklage in V. 684– 707. S. auch zu V. 950f. 650–56 In den übrigen Versen der Epode beklagen die Frauen nicht nur ihr eigenes Unglück, sondern auch das der Frauen der Feinde, wobei sie, wohl nicht zufällig in dieser Phase des Peloponnesischen Krieges, beispielhaft die Bräute und Mütter der gefallenen Spartaner nennen. Dem troischen Simoeis in V. 641 entspricht hier der lakonische Eurotas. Andere Fälle, in denen weibliche Chöre das Unglück der Frauen der jeweils anderen Seite oder auch beider Seiten beklagen, sind Andr. 301–08, 1044–46, Hel. 1111–21, Iph.A. 785–93. In V. 322–25 dagegen führt Odysseus das Leid der griechischen Frauen an, um das Leid, das Hekabe erdulden muss, zu relativieren. Der milde und versöhnliche Charakter der Epode bildet einen guten Abschluss der ersten Teilhandlung, in der es zuletzt um das ruhmvolle Sterben Polyxenes ging. 650 tiß: „irgendeine“ hat hier die Bedeutung „manche“. Ebenso ist in V. 652 máthr als „manche Mutter“ zu verstehen.

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eu¢roon: „schön fließenden“, schmückendes Beiwort für Flüsse; vgl. Ilias 7,329, 21,130; Soph. Phil. 491. Die Assonanz zwischen eu¢roon und Eu¬råtan mag beabsichtigt sein. Eu¬råtan: Der Eurotas ist der Fluss, der die Landschaft Lakonien durchfließt und an dem Sparta liegt. 651 Zum hier adjektivisch verwendeten Wort Lákaina s. zu V. 441. poludákrutoß: hier nicht „vielbeweint“, wie Ilias 24,620, sondern „reich an Tränen“, wie Odyssee 19,213 poludakrútoio góoio; Aisch. Cho. 333. Von Personen nur hier. In der Erwähnung der Trauer der Spartanerinnen muss man nicht unbedingt eine Anspielung auf die Niederlage der Spartaner auf Sphakteria im Jahre 425 sehen, wie es Delebecque (1951) 151–54 meinte. 653–56 Diskussion der metrischen Probleme der Verse und Lösungsvorschläge bei Diggle (1994) 234–36. 655f. Schläge auf Haupt und Brust und Zerkratzen der Wangen und der Brust sind Gesten, die traditionell der heftigen Äußerung von Trauer dienen. Vgl. El. 146–49; Tro. 279f.; Hel. 371–74; Or. 961–63; s. auch zu V. 496. 655 Wenn man sich an diejenigen Hss. hält, die drúptetai „zerkratzt“ ohne eine darauf folgende Partikel bieten, braucht man keine der vorgeschlagenen Änderungen, Tilgungen oder Ergänzungen zu übernehmen; so auch Stinton (1965) 75; Synodinou; anders Biehl (1997) 129f. drúptetai pareían: die gleiche Wortverbindung in anderem Kontext Odyssee 2,153. 656 o¢nuca tiqeména: wörtlich „den Nagel sich anlegend“; vgl. Or. 961. sparagmoîß „beim Zerfleischen“; so auch schol. V: e¬n toîß sparagmoîß. Das Wort fehlt anscheinend in P7; vgl. W. Luppe, Gnomon 76 (2004) 101. Es wäre jedoch voreilig, daraus zu schließen, dass das in den Hss. einhellig belegte Wort später hinzugesetzt wurde. Denn es fügt sich sowohl in den Sinn als auch in die Metrik der Epode gut ein.

658–904 Drittes Epeisodion In diesem Teil des Dramas erfolgt zunächst der Übergang von der Polyxene- zur Polydoros-Handlung (659–82), sodann eine kurze, aber heftige Äußerung der Trauer über das neue Unglück, das Hekabe getroffen hat (683–723), gefolgt vom schnellen Übergang zur Vorbereitung der Rache in der großen zweiten Hikesieszene (724–904). 658–723 Zu dieser Szene und zur ähnlich verlaufenden Szene Tro. 1123–1250 vgl. Hose (1990–91) 2, 320–25.

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658–60 Die alte Dienerin, die am Ende des vorigen Epeisodions in Richtung zum Meeresufer abgegangen ist, tritt jetzt von dort wieder auf, wohl begleitet von einigen weiteren Frauen, die einen verhüllten Leichnam (wahrscheinlich dargestellt durch eine Puppe) tragen und vor dem Zelt niederlegen. Bisher kam alles Unheil von der anderen Seite, nämlich vom griechischen Heer; jetzt kommt es zum ersten Mal vom Meer; s. Mossman (1995) 59f., 84. 659 qñlun sporàn: wörtlich: „weibliche Saat“, gemeint ist „weibliche Nachkommenschaft“; vgl. Tro. 503 qäleia sporá. Anders als dort ist hier qñluß zweiendig. 660 stéfanon: „Kranz“, „Siegeskranz“; bitter ironisch wie in Phön. 1369 ai¢sciston ai¬tøn stéfanon; anders dagegen El. 614 tónde stéfanon. Alle anderen im Unglück zu übertreffen ist ein Sieg, den man niemandem wünscht. 661 sñß kakoglåssou boñß: kausaler Genetiv; vgl. V. 198, 1098; Med. 1028; KG 1,389. Das Gegenteil von kakóglwssoß boä ist eu¬fhmía. S. auch zu V. 664. 662 ou¢poq’ euçdei: „schlafen niemals“, metaphorisch wie Hik. 1146; El. 39–41; Ino F 398 TrGF. Sie sind wach, d. h. wirksam und werden Schmerz (lúph) verursachen. luprá sou khrúgmata: wörtlich „deine leidvollen Botschaften“. Man hat Anstoß daran genommen, dass von anderen Botschaften dieser Dienerin nichts bekannt ist, und hat darum anstatt des Possessivums sou den Dativus ethicus moi „mir“ gesetzt. Doch ist diese Änderung wohl nicht nötig. Der Chor hat schon an der Weise des Auftretens der Dienerin (zusammen mit dem getragenen Leichnam) und an ihren ersten Worten erkannt, dass sie als Unglücksbotin kommt, und reagiert entsprechend. So auch Biehl (1997) 130. 663 tód’ a¢lgoß: vielleicht mit einer Handbewegung hin zum Leichnam des Polydoros. 664 eu¬fhmeîn: „fromm zu sprechen“, nämlich Worte von guter Vorbedeutung, Gutes verkündende Worte. Das Gegenteil wäre dusfhmeîn „Schlimmes verkündende Worte sprechen“; s. V. 181. 665f. Hekabe tritt nach V. 59 zum zweiten Mal aus dem Zelt hervor, diesmal ohne Begleiterinnen, die sie stützen. Damals befürchtete sie Unheil für Polydoros und Polyxene; jetzt trauert sie um ihre Tochter und muss alsbald erfahren, dass auch ihr Sohn tot ist. 665 kaì mæn: wörtlich: „und fürwahr“; s. zu V. 216. Von den drei von der Überlieferung angebotenen nachgestellten Präpositionen verdient uçpo im Sinne von u™pék „heraus aus“ den Vorzug (Garzya). Vgl. auch V. 53.

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666 e¬ß dè kairòn: „im rechten Augenblick“. Andere Bedeutung von kairóß V. 593. 667 w® pantálaina auch Andr. 140. Der zweite Halbvers auch Alk. 1082. 668 blépousa føß: konzessiver Sinn „obwohl du (noch) das Sonnenlicht erblickst“; vgl. V. 311 bléponti; Or. 386 ou¬ gàr zø … fáoß d’ o™rø. 669 a¢paiß a¢nandroß a¢poliß „ohne Kind, ohne Mann, ohne Stadt”: dreimalige Anapher und asyndetisches Trikolon, pathetischer Auftakt für die Trauerbotschaft. Ähnlich Hel. 1148; Or. 310; parodiert Aristophanes Frösche 204, 837–39. 670 w¬neídisaß: „sprachst du schlimme Worte“, bezogen auf die letzten Worte der Dienerin, die neues Unheil heraufbeschwören könnten. Hekabe meint ihr Unglück bereits zu kennen, ihr neues Leid ahnt sie noch nicht. 671–77 Hekabe stellt zunächst zwei unzutreffende Vermutungen über den Inhalt der Unglücksbotschaft an, bevor sie endlich die Wahrheit erfährt, und zwar nicht durch eine Mitteilung, sondern durch unmittelbaren Augenschein. Dazu Dubischar (2007) 8–10. Vgl. auch V. 505–07; ferner Alk. 513–18, 820f.; Med. 1308f.; Tro. 713–19. Eine ähnlich schockierende Entdeckung erfolgt am Schluß der Elektra des Soph., wo Aigisthos in dem verhüllten Leichnam Klytaimestras, der vor ihm liegt, zunächst den des Orestes vermutet (V. 1466–80). 674f. Die Dienerin spricht die beiden Verse nicht zu Hekabe, sondern entweder zum Chor oder ohne bestimmten Adressaten, als Ausdruck der Verwunderung oder einer spontanen emotionalen Reaktion; dazu Schadewaldt (1926) 30 Anm. 2; Bain (1977) 21. Die Verse sind aber nicht ‚beiseite‘ gesprochen, denn Hekabe versteht sie, was sich daran erkennen lässt, dass sie in V. 676f. ihre Gedanken darüber äußert, was mit den „neuen Leiden“ wohl gemeint sein könne. moi: Dativ der inneren Anteilnahme, der sich im Deutschen nicht wiedergeben lässt; KG 1,423. 676 oi£ ¯gœ: zweisilbig mit Aphärese (oi£ ¯gœ) oder in Synizese (oi£ e™gœ) zu sprechen. tò bakceîon kára: „das bakchische Haupt“. kára mit Eigennamen im Genetiv poetische Umschreibung des Namens; vgl. Soph. Ant. 1; Tro. 661. Kassandra, die durch Apollon in den Zustand versetzt wird, den Platon (Phaidros 244a–d) mantikæ manía nennt, ist keine Bakchantin, denn Quelle ihrer Inspiration ist nicht Dionysos, sondern Apollon. Sie wird jedoch metaphorisch so genannt. In den Tro. ist es ähnlich. Dort, wo sie in mantischem Wahnsinn auftritt, heißt sie immer wieder Bakchantin oder Mänade (Tro. 169, 307, 341, 349, 367, 408, 415, 451), obwohl auch dort

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mehrmals betont wird, dass sie im Dienst Apollons steht (253, 329, 428, 450, 453). Zu Kassandra s. auch zu V. 88. 678–80 lélakaß: von láskw „töne“, „schreie“, „singe“, poetisch auch „sage“, „nenne“; vgl. V. 1110, Ion 776; Iph.T. 461; ferner Björk (1950) 129. tòn qanónta … tónd’: Mit dem Wechsel vom Femininum zøsan zum Maskulinum macht die Dienerin schon deutlich, dass alle bisherigen Vermutungen falsch waren, weil der Leichnam männlich ist. In dem Wort tónd’ ist eine szenische Anweisung enthalten. Der Körper, der bis dahin unter einem Tuch verborgen war, wird enthüllt. qaûma kaì par’ e¬lpídaß: ähnliche Wendung, aber bei einer glücklichen Überraschung Alk. 1123 qaûm’ a¬nélpiston tóde. 682 e¢sw¸z’: „rettete”. Hermann schreibt richtig: „e¢sw¸ze de consilio, non eventu intelligendum est“. Polymestor sollte also das Leben des Polydoros bewahren, tat es aber nicht, wie Hekabe jetzt erkennt. Es liegt also so etwas Ähnliches wie ein Imperfectum de conatu vor. 683 Fast wörtlich übereinstimmend Soph. El. 677 (Reaktion Elektras auf die falsche Nachricht vom Tod des Orestes). a¬pwlómhn: „ich bin verloren“, vgl. V. 440 nach der Trennung von Polyxene. ou¬két’ e¬imì dä: wörtlich „ich bin jetzt nicht mehr“; entsprechend der Ankündigung der Dienerin V. 668. Mossman (1995) 61f. vermutet, dass Hekabe an dieser Stelle des Textes zu Boden sinkt, dass sie sich aber bald, etwa mit V. 710 oder 724, wieder erhebt. 684–723 Amoibaion Hekabe – Dienerin(– Chorführerin?) Der Begriff „Amoibaion“ (a¬moibaîon) bezeichnet nach der Definition von H. Popp (Das Amoibaion, in: Jens 1971, 221) „Dialogpartien …, die nicht ausschließlich in Sprechversen vorgetragen werden, sondern ganz oder teilweise aus lyrischen Partien bestehen“. Hier ist die Form epirrhematisch: Hekabe äußert sich lyrisch, während die Dienerin (und falls sie beteiligt sein sollte, die Chorführerin) sich auf Sprechverse beschränkt. Welche Verse die Dienerin und die Chorführerin genau sprechen, lässt sich nicht leicht bestimmen, zumal da auch die Angaben der Hss. nicht einheitlich sind. Auf jeden Fall kommen der Dienerin V. 697 und 701 zu, weil sie zuvor gefragt worden ist, wohl auch V. 688 und 693, weil das Amoibaion aus einem Gespräch zwischen ihr und Hekabe erwächst, aus dem gleichen Grunde wohl ebenfalls V. 708 (wie es die meisten Hss. bezeugen) und 712

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(wo es die Hss. nicht bezeugen). Die Chorführerin spricht jedenfalls V. 722–25. 685f. katárcomai nómon: „ich hebe (oder stimme) eine Weise an”. Die Variante nómon wird, was den Akkusativ betrifft, gestützt durch die Parallele Or. 960 katárcomai stenagmón. Das Wort katárcomai stammt aus dem kultischen Bereich; vgl. Odyssee 3,445; Iph.T. 40. nómon bakceîon: „eine bakchantische Weise“. nómoß „Brauch“, „Regel“, „Gesetz“; seit den Lyrikern häufig von Melodien und Gesängen; vgl. Pindar Olympien 1,101; Aisch. Sieb. 953f.; metaphorisch von Klagen Soph. F 861 TrGF. Bakchantisch nennt Hekabe ihre Klage nicht, weil sie von Dionysos inspiriert wäre, sondern weil sie aus einer vergleichbaren Ekstase des Schmerzes kommt. Wörtlich nimmt die Metapher Schlesier (1988) 116f. 686 e¬x a¬lástoroß: „von einem Fluchgeist“ oder „Rachegeist“; vgl. Hipp. 820. Zum Alastor als Fluchgeist vgl. V. 949; El. 979; Or. 337, 1669; Aisch. Ag. 1500–04; Soph. Öd.K. 787f. Die Worte sind abhängig von kakøn: „der Übel, die von einem Fluchgeist stammen“. Anders bezieht schol. V: ou¬k e¬x Dionúsou tòn bakceîon nómon maqoûsa, a¬ll’ a¬pó tinoß a¬lástoroß. Hadley und Collard vermuten, dass hiermit und mit paidóß in V. 688 Paris gemeint sei, der in V. 638–46 als a¬rcæ kakøn genannt wurde, doch wäre dieser Bezug kaum erkennbar. 687 a¬rtimaqæß kakøn: wörtlich: „die Übel gerade gelernt habend“. Das Adjektiv scheint eine Neubildung des Eur. zu sein, nach a¢rti manqánw Alk. 940; Ba. 1296. 688 a¢thn paidóß: „das Unheil, das dein Kind (Polydoros) betroffen hat“; so auch schol. V. a¢thn: nicht „Fluch“ (Hadley), sondern „Unheil“, wie Tro. 137, 163; Phön. 343. 689 kainà kainà:„Neues, Unerhörtes“; s. zu V. 83. 690 kureî „ereignet sich“ mit a¬pó „nach“. Ähnlich Iph.T. 865 e¬x a¢llwn kureî. 691 Hermann stellt aus metrischen Gründen um, nämlich zur Anpassung des Verses an die vorausgehenden Dochmien. Ich schließe mich an, doch scheint mir die Variante den Vorzug zu verdienen, bei der die beiden verneinten Verbaladjektive im Akkusativ stehen und auf m’ zu beziehen sind, also a¬sténakton a¬dákruton. Wörtlich „Nie mehr wird mich ein Tag aufhören lassen (oder: zurückhalten) als eine, die nicht stöhnt und nicht weint.“ 692 m’ e¬piscäsei: „wird mich aufhören lassen“ oder „wird mich zurückhalten“; so auch schol. M (paúsei h£ scäsei). Das Verb transitiv wie Thukydides 1,129,3.

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Die Metrik ist problematisch; dazu Diggle (1994) 314. Den Vers ( kqkq qq ia sp) kann man in seiner überlieferten Form vielleicht als Variante des Hypodochmius auffassen. Bothes von Diggle übernommene Änderung ¬piscäsei würde einen Dochmius herstellen ( kqqqq d25). 694–96 Wie auch zuvor in V. 689–92 findet sich hier eine Häufung stilistischer Mittel im Dienst der Darstellung der Emotion (Anadiplosis, dreifach variierte Frage). 695f. Hier stellt Hekabe zum ersten Mal die Frage nach dem Urheber der Mordtat, die sie im Augenblick noch nicht beantwortet. Die Frage hat auch eher rhetorisch-pathetischen Charakter. Die Antwort wird sie selbst geben, allerdings erst in V. 710f. tíni mórw¸ qnä¸skeiß: wörtlich „durch welches (Todes)schicksal starbest du?“ Die gleiche Frage Ba. 1041. Zum Tempusgebrauch KG 1,137. 697–701 Die Dienerin nimmt Hekabes Frage nach dem Täter als eine echte Frage. Sie kann sie zwar nicht beantworten, aber kann über die Fundumstände berichten. 698 e¢kblhton: wörtlich „hinausgeworfen“, gemeint ist „vom Meer ans Ufer gespült“. péshma foiníou doròß: Sowohl foínioß (und das gebräuchlichere fónioß) als auch péshma sind poetische Wörter. péshma bedeutet entweder „das Gefallene“ oder „der Fall“; von Toten auch Andr. 652f. (pesämata … péptwke … nekrøn); Her. 1131; Phön. 1701. Durch die Wortwahl erhält auch dieser iambische Trimeter lyrische Färbung. 700 Der Vers kommt, schon wegen seines lyrischen Metrums, Hekabe zu, auch wenn fast alle Hss. ihn dem Chor geben. Doch schon schol. MB merkt an, dass diese Zuteilung falsch sein könnte (tinèß kaì toûto tñß ¿Ekábhß ei®naí fasin). 701 Die Dienerin bestätigt das, was der Zuschauer schon aus V. 28– 30 und 47f. weiß und dessen Mitteilung er seit V. 609f. erwartet: Der Leichnam lag am Strand und wurde von ihr gefunden. 703–07 Diese Verse sind offenbar korrupt überliefert und lassen sich nur schwer wiederherstellen. Entsprechend zahlreich sind die Lösungsversuche, die allerdings meist wenig überzeugend sind. Ich schließe mich bei meinem Versuch an Hermann und Biehl (1997) 130f. an. 704f. e¬núpnion o¬mmátwn e¬møn o¢yin nimmt e¢nnucon o¢yin in V. 72 wieder auf; vgl. auch Aisch. Sieb. 710f. a¢gan d’ a¬lhqeîß e¬nupníwn fantasmátwn o¢yeiß. Was am Anfang des Stückes nur ein Traum und eine dunkle Ahnung war, wird jetzt zur furchtbaren Wirklichkeit. 705 melanópteron: vgl. zu V. 71 melanopterúgwn. Aristophanes Vögel 695 nennt die Nacht melanópteroß.

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706 Die Präposition a¬mfí steht in der Dichtung häufig, wo in Prosa perí steht. Mit dem Akkusativ bezeichnet sie hier das geistige Verweilen bei jemandem oder bei etwas; KG 1,491. 707 Das Tageslicht wird auch in V. 68 als „Lichtstrahl des Zeus“ bezeichnet. Das Licht als Element des Lebens auch V. 168, 415, 435 ; Ion 726; Soph. Phil. 415. 708–11 Nachdem Hekabe sich in V. 702–07 ihren Traum (70–76) vergegenwärtigt hat, kann sie die Frage nach dem Täter beantworten. Dieser Zusammenhang würde zerstört, wenn V. 73–76 gestrichen würden. 708 Der Vers wird von den meisten Hss. der Dienerin, von den Herausgebern durchweg der Chorführerin zugeteilt. Collard meint, dass eine solche freie Anrede, fast von gleich zu gleich, nur zur Chorführerin passe, doch würde dies genauso für V. 688 und 693 gelten. Ich möchte zwar die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, das alle ‚strittigen‘ Verse, also auch V. 708 und 712, der Chorführerin zugedacht waren, doch scheint mir die Szene geschlossener zu sein, wenn an ihr von V. 667 bis 720 nur zwei Personen beteiligt sind. Dass die alte Dienerin an Hekabes Schicksal Anteil nimmt, zeigen schon ihre Worte V. 667–69. o¬neirófrwn: „Träume verstehend“: nur hier belegtes Wort; eine ähnliche Neubildung Aisch. Cho. 33 o¬neirómantiß „Träume deutend”. 710 e¬mòß e¬mòß xénoß: „mein eigener Gastfreund”. Schon durch diese drei Worte klagt Hekabe ihren bisherigen Gastfreund aufs schwerste an: Er hat seine Verpflichtung gebrochen, die er mit dieser Funktion übernommen hat, und seinen Schützling getötet. Qrä¸kioß i™ppótaß: s. zu V. 9. Manche Regisseure ließen sich durch diese Verse dazu anregen, Polymestor in V. 953 beritten auf die Bühne zu bringen. 711 iççn’: „wo”, als wenn nicht eine Personen-, sondern eine Ortsangabe vorausgegangen wäre. 712 oi¢moi, tí léxeiß: s. zu V. 511. Zum Sprecher des Verses s. zu V. 708. 713–20 Sie äußert sich so heftig, dass man spüren kann, wie ihr Rachedurst erwacht. Zum Rachedurst Hekabes gegen Achilleus, den Mörder Hektors, s. Ilias 24, 212–14. 713f. Die rasch gesprochene Reihe der Asyndeta lässt ihre Erregung erkennen. a¢rrht’: „unsagbar“, auch V. 200. a¬nwnómasta: „unnennbar“, nur hier bei Eur., ähnliche Wendung Odyssee 19,260, 597 (Kakoýlion ou¬k o¬nomastän). qaumátwn péra: wörtlich „über Wunder hinausgehend“; von Nauck und Biehl (1997) 131 gestrichen. Die Wörter wirken zwar etwas matt, sind aber doch sinnvoll und auch metrisch einwandfrei, da

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Hekabe auch sonst einige Trimeter spricht (689, 698). Zur Formulierung vgl. Iph.T. 838–40 (in einem Amoibaion der Freude); Ba. 667. 715 In der zweiten Hälfte dieses metrisch ungewöhnlichen Verses kann man die iambische Tripodie ( kqkqkq ) als Variante des Hypodochmius auffassen, vgl. V. 692. Man könnte auch Díka xénwn schreiben und dann übersetzen: „Dike, die Beschützerin der Gastfreunde“. 716 w® katárat’ a¬ndrøn: gebildet wie das homerische dîa qeáwn (Ilias 6,305); vgl. Alk. 460; Hipp. 848f. diemoirásw: wörtlich „du zerschnittest (in Portionen)“, „zerstückeltest“, hier wohl nur ein drastischer Ausdruck für „du zerstörtest“. Schlesier (1988) 118 und Anm. 21 schließt aus der Verwendung dieses Wortes, dass Polymestor sein Opfer nicht einfach getötet, sondern einen Ritualmord an ihm vollzogen hat, etwa durch Herausschneiden von Organen oder durch Maschalismos, also durch die Abtrennung der Extremitäten. Ich meine, dass die Verwendung des Wortes eine solche Interpretation nicht zwingend nahelegt. Hipp. 1376 wünscht sich der heftige Schmerzen leidende Hippolytos einen raschen gewaltsamen Tod durch eine Lanze (diamoirâsai katá t’ eu¬nâsai tòn e¬mòn bíoton). Dort ist sicher nicht an ein Zerlegen oder gar an einen Ritualmord gedacht. Vgl. auch zu V. 1076. 722f. poluponwtáthn brotøn: vgl. V. 197, 423, 582. Der mit V.1087 fast gleichlautende Vers kann jedenfalls an dieser Stelle schon aus syntaktischen Gründen nicht entbehrt werden. Zu daímwn „Gott“ s. zu V. 164. 724–904 Hikesieszene Hekabe-Agamemnon Agamemnon kommt vom Lager, um Hekabe an die Bestattung Polyxenes zu erinnern, und beruft sich auf die Botschaft, die Talthybios ihm von ihr überbracht hat (604–06). Er trifft auf die am Boden neben der Leiche des Polydoros kauernde Hekabe, die sich zunächst nicht aufrichtet. Die Szene beginnt mit einem lockeren Gespräch (726–57), das dann in eine streng gebaute Stichomythie übergeht (758–86). Kernstück der Szene ist die große mit der rituellen Geste der Hikesie verbundene Rede Hekabes, in der sie Agamemnon bittet, ihren Sohn an Polymestor zu rächen (787–845). Ihr Ende wird durch eine Chorreplik markiert (846–49). Es folgen eine kurze Rede Agamemnons (850–63) und eine ebenfalls kurze Gegenrede Hekabes (863a–75). Die Szene schließt wieder mit einem lockeren Gespräch (876– 904). Zur Szene s. Mossman (1995) 62f. Dubischar (2001) 74 rechnet die Szene zum Typ der ‚Hikesieagone‘, zu Unrecht, weil Agamemnon keine Gegenposition entwickelt, sondern letztlich die Bitte Hekabes erfüllt, wenn

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auch mit gewissen Einschränkungen. Es ist wohl kein Zufall, dass auf seine kurze Rede V. 850–63 keine Chorreplik erfolgt, wie bei Redeagonen üblich. 724 a¬ll’ ei¬sorø gàr: „doch sehe ich“; formelhafter Hinweis der Chorführerin (vielleicht mit einer hindeutenden Handbewegung verbunden) auf eine neu auftretende Person; vgl. El. 107; Her. 138, 442; Hel. 1385; Phön. 1307; Or. 725; Ba. 1165. 724 tou¬nqénde (= tò e¬nqénde): „von nun an“, wörtlich „von da an“; vgl. Med. 1167; Iph.T. 91. Die Chorführerin spricht erst wieder V. 846–49. 726–32 Ebenso wie der König Kreon Medea persönlich befiehlt, das Land zu verlassen (Med. 271–76), kommt auch hier Agamemnon persönlich, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für Polyxenes Bestattung zu erkundigen. Dadurch wird die Bedeutung der aufgesuchten Person betont, andererseits kann diese Person sich so mit ihren Bitten unmittelbar an den Zuständigen wenden. Die andere Möglichkeit wäre es, einen Herold zu senden, mit dem dann allerdings nicht verhandelt werden könnte. 727 e¬f’ oi©sper (= e¬pì toútoiß aÇ): „unter den Bedingungen, die Talthybios mir meldete“, d. h. denen, die Hekabe ihm in V. 604–06 durch den Herold hat mitteilen lassen. 728 ist weitgehend eine Wiederholung von V. 605f. 729 Die von Bothe vorgeschlagenen und von Diggle übernommenen Änderungen in der zweiten Vershälfte erfolgten, weil hier ein Verstoß gegen das ‚Porsonsche Gesetz‘ vorzuliegen schien. Die Änderungen sind jedoch unnötig, weil ou¬dè zusammen mit dem folgenden Wort als ein ‚Wortbild‘ angesehen werden kann. Vgl. auch oben zu V. 624; ferner Snell (1982) 68; Biehl (1997) 131f., Synodinou. 730 wçste qaumázein e¬mé: „so dass ich mich wundere“; auch Aristophanes Vögel 1135, was freilich keine Parodie des Eur. sein muss, sondern auch eine zufällige Übereinstimmung sein kann. 731f. Agamemnon, der sich schon in der Heeresversammlung gegen die Opferung Polyxenes ausgesprochen hat (120–22), distanziert sich auch jetzt noch einmal von dem, was dort geschehen ist. Ähnlich formulierte Distanzierungen von gerade Gesagtem Tro. 1170; Hel. 27, 952; Or. 17. ta¬keîqen: gleichbedeutend mit tà e¬keî. Gemeint sind die Opferung Polyxenes und die in V. 573–80 beschriebenen Vorbereitungen des Heeres für ihre Bestattung 733 e¢a: Erst jetzt bemerkt Agamemnon den Leichnam des Polydoros und reagiert mit einem Ausruf des Erstaunens und Erschreckens; vgl. V. 501, 1115a. 734 ¯Argeîon: „einen Argiver“ oder „ihn als einen Argiver“. Von den drei Varianten der Textüberlieferung ist ¯Argeîon die einzig akzeptable,

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weil nur sie das erforderliche Akkusativobjekt zu a¬ggéllousi „sie melden“ liefert. 736–51 Hekabe spricht V. 736–38, 741f., 745f. und 749–51 weiterhin abgewandt von Agamemnon (vgl. 739f.). Es ist ein ‚Beiseitesprechen‘, wie schon schol. MB feststellt (pròß e™autæn a¬postrafeîsa légei), das sich nicht an den Dialogpartner richtet und auch nicht von ihm verstanden werden soll, wohl aber vom Publikum. Dies ist offenbar das erste ‚Beiseite‘ im antiken Drama. Es ist zugleich ein Selbstgespräch, was Eur. durch die Selbstanrede (736f.) deutlich macht. Dazu Schadewaldt (1926) 30, 210f.; Bain (1977) 13–15. Beide weisen darauf hin, dass Agamemnon Hekabes Sprechen mindestens zum Teil bemerkt, da er in V. 739f. auf V. 736–38 reagiert. 736 dústhn’: „Unglückliche“. Der Vokativ könnte sich auch an eine männliche Person richten. Didymos (in schol. MB) und manche modernen Interpreten verstehen denn auch den Vokativ als Anrede an den Leichnam des Polydoros, doch ist er wohl eher als eine Selbstanrede aufzufassen, die in V. 737 mit ¿Ekábh fortgesetzt wird. 737 tí drásw – pótera prospésw: deliberative Konjunktive: „Was soll ich tun? Soll ich … fallen?“ Hekabe überlegt, ob sie sich in der Haltung eines Schutzflehenden (i™kéthß) an Agamemnon wenden soll. Zum Ritual der Hikesie s. zu V. 251–95 und 286. gónu von próß in prospésw abhängig: „zu Füßen“. 740 dúrh¸: „du klagst“. dúromai poetisch für o¬dúromai, insbesondere dort gesetzt, wo es metrisch erforderlich ist. tò kranqèn: wörtlich „das, was beschlossen wurde“, zu kraínw „beschließe“ (bisweilen verschrieben zu tò kraqèn) erscheint in einigen Hss. und auch auf einem Papyrus anstelle des von den meisten Hss. bezeugten tò pracqèn „das Geschehene“. Da es unwahrscheinlich ist, dass ein Schreiber das verständliche tò pracqèn durch den gewählten Ausdruck tò kranqèn ersetzt hat, andererseits der umgekehrte Vorgang, also eine Banalisierung, gut vorstellbar ist, hat Daitz tò kranqèn übernommen. Dagegen meinen Bain (1977) 14 Anm. 1 und Biehl (1997) 132f., dass bei diesem Todesfall, der durch keinen Beschluss einer göttlichen oder menschlichen Instanz legitimiert ist, tò kranqèn nicht angemessen sei. Man sollte aber bedenken, dass die Leiche eines Menschen auf der Bühne liegt, dessen Schicksal sich vollendet hat. Das Passiv kraínesqai kann auch bedeuten „sich vollenden“; so Hipp. 868, an einer schwierigen Stelle, wo sich kranqén aber wohl auf das kurz zuvor geschehene schicksalhafte Ereignis bezieht, nämlich auf den Selbstmord Phaidras. Das gleiche Ereignis wurde kurz zuvor in V. 842 tò pracqén genannt. pracqèn in V. 740 dürfte eine Glosse sein, ein neutraler Ausdruck zur Erläuterung eines gewählteren. Von der kommentierenden Glosse bis zur Aufnahme in den Text ist bei

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metrischer Gleichwertigkeit der Weg nicht weit. Darum verdient der neutrale Ausdruck aber noch nicht den Vorzug. An unserer Stelle klingt tò kranqèn schicksalhafter, dunkler, kurzum bedeutungsvoller als tò pracqèn, und verdient darum auch nach meiner Meinung den Vorzug. Andererseits ist anzumerken, dass gelegentlich das Passiv von kraínw seinen schicksalhaften Beiklang verloren hat und nur noch „geschehen“ oder „werden“ bedeutet; vgl. Ilias 9,626; Aisch. Cho. 871; Med. 138 und Page zur Stelle; Ion 1010. An anderen Stellen dagegen ist der Beiklang des Schicksalhaften durchaus spürbar; so Hipp. 1255; Ion 77. Auf jeden Fall scheint mir Daitz mit Recht tò kranqèn in den Text aufgenommen zu haben. 741f. Nach der Enttäuschung bei Odysseus ist Hekabes Zögern verständlich. 742 a£n prosqeímeq’ a¢n: wörtlich „wir würden hinzufügen“, d. h. unserem Schmerz noch weiteren Schmerz. Darum die Glosse in den Hss. GK tø¸ a¢lgei „dem Schmerz“, die dann in Sa in den Text geraten ist. Zur mehrfachen Verwendung der Modalpartikel a¢n vgl. KG 1,246–48. Das zweite a¢n ist syntaktisch und metrisch sicher entbehrlich, aber da es gut bezeugt ist, sollte man es halten. 743f. Vgl. Hipp. 346 ou¬ mántiß ei¬mì ta¬fanñ gnønai saføß, ferner Hkld. 65. søn o™dòn bouleumátwn: „den Weg deiner Ratschläge, Überlegungen, Pläne“; vgl. Hipp. 290, 391 gnåmhß o™dón; Phön. 911 qesfátwn e¬møn o™dón. 745f. a®r’ e¬klogízomaí ge … mâllon: „rechne ich … zu sehr?“ a®ra … ge: seltene Partikelverbindung. Stevens (1976) 44: „adding liveliness or emphasis to a question”. 747f. Hekabe gerät durch ihr Zögern in Gefahr, mit ihrem Anliegen zu scheitern. Da Agamemnon aus ihren Worten nicht klug wird, ist er im Begriff, sich abzuwenden oder gar fortzugehen. 748 e¬ß tau¬tòn hçkeiß: „dann kommst du auf das gleiche heraus (wie ich)“. Der erste Halbvers ist wortgleich mit Or. 1280. Zur Wendung vgl. auch Hipp. 273 (und Barrett zur Stelle); Iph.A. 665; andere Bedeutung dagegen El. 787. 749f. Hier ist zum ersten Mal davon die Rede, dass Hekabe sich an Polymestor rächen will. Interessant ist der Plural téknoisi toîß e¬moîsi, der wohl kein kollektiver Plural anstelle eines eigentlich gemeinten Singulars ist. Indem sich Hekabe für den Tod des Polydoros an Polymestor rächt, rächt sie sich gewissermaßen auch für den Tod der Polyxene und darüber hinaus für alles, was sie beim Untergang Trojas erdulden musste. Vgl. Gregory (1999) 134. Gegenargumente bei Schwinge (1968) 82 Anm. 38.

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750 tí stréfw táde: „was wende ich dies (noch hin und her)?“ Schol. MB: tí sképtomai; 751 Hekabe erkennt die drohende Gefahr und gibt sich einen Ruck, um wenigstens zu versuchen, ob sie etwas bei Agamemnon erreicht. 752f. Sie verbindet ihre Anrede mit den rituellen Gebärden eines Bittflehenden; s. zu V. 251–95. Gould (1973) 85 Anm. 55 meint allerdings, es handele sich nur um eine „figurative“, also um eine nur verbal, nicht tatsächlich vollzogene Gebärde. Das ist an dieser Stelle nicht auszuschließen, doch meine ich, dass Hekabe mindestens im Schlussteil ihrer Rede, also in V. 836–45, die Gebärde tatsächlich vollzieht. Das wird auch durch Agamemnons Antwort in V. 851 nahegelegt. Mercier (1993) 152–58 meint, dass die Gebärde tatsächlich vollzogen wurde und längere Zeit beibehalten wurde, vielleicht bis hin zu V. 888. Die Frage, ob die Gebärde der Hikesie tatsächlich vollzogen wird oder nicht, stellte sich auch schon bei Hekabes Rede an Odysseus; s. zu V. 275. 752 tønde gounátwn: „bei diesen Knien“. Wessen Knie sind gemeint? Man nimmt meist an, es seien diejenigen Agamemnons, doch Mossman (1995) 62 Anm. 50 vermutet, es seien der niederknienden Hekabe eigene Knie gemeint, im Unterschied zu Wange und Kinn, von denen ausdrücklich gesagt wird, dass sie Agamemnon gehören. Ich halte dies nicht für richtig, schon weil in V. 742 und 787 zweifellos Agamemnons Knie gemeint sind. 754f. Eine unzutreffende Vermutung Agamemnons; vgl. Dubischar (s. zu V. 671–77). Das daraufhin erfolgende großzügige Angebot kommt völlig unerwartet. 754 masteúousa: überwiegend poetisches Wort. Bei Homer kommt nur mateúein vor. An unserer Stelle muss aus metrischen Gründen masteúousa stehen, in V. 779 dagegen mateúous’, während in V. 815 beide Formen metrisch möglich sind. 756–59 fehlen in zwei Papyri und wohl auch in einem dritten. W. Luppe, Gnomon 76 (2004) 101 zieht daraus zu Unrecht die Folgerung: „Die Verse … sind also endgültig zu tilgen.“ Die Verse bieten weder sprachlich noch inhaltlich Anstöße und stehen im Einklang mit der Charakterisierung Hekabes. Hierzu s. zu V. 756f. und 758f. Der Ausfall in einigen Papyri zeigt nur, dass eine alte Korruptel vorliegt, die in der Antike offenbar verbreitet war. Ob zwischen dem Fehlen der vier Verse in den Papyri und dem von V. 756–58 in vielen Hss. ein Zusammenhang besteht, ist unsicher. 756–58 fehlen in vielen Hss., meist werden sie aber am Rand nachgetragen. Manche Herausgeber haben sich durch die komplizierte Überlieferungslage dazu veranlasst gefühlt, die Verse (oder wenigstens 756f.) zu streichen. Hartung will sogar auch V. 759 tilgen. Doch gibt es hierfür keine

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überzeugenden Gründe. Zu den Textproblemen der Passage vgl. Collard; Schwinge (1968) 194 und Anm. 2; Kamerbeek (1986) 100f.; Mastronarde (1988) 156f.; Mossman (1995) 246; Biehl (1997) 132–34; Synodinou. 756f. Hekabe geht auf Agamemnons unerwartetes Angebot nicht ein. Sie hat in ihrem Leben nur noch ein Ziel, nämlich die Rache an Polymestor. Alles andere, sogar die Freiheit, ist ihr gleichgültig geworden. Vorher, als sie noch nichts vom Tod des Polydoros wusste, äußerte sie sich freilich anders (157f.). Zur Bedeutung dieser Passage für die Charakterisierung Hekabes s. auch zu V. 1274–76. 756 ou¬ dñta: “nein“. Eine entschiedene Verneinung; vgl. V. 367. Allerdings überschätzt Biehl (1997) 133 das Erinnerungsvermögen der Zuschauer, wenn er annimmt, dass sie hier die Wiederholung von ou¬ dñta aus V. 367 bemerken sollen, und wenn er meint: „Hekabes Antwort … steht in dramatischer Antithetik zu Polyxenes Erklärung, aus freier Entscheidung zum Sterben bereit zu sein“. toùß kakoùß dè timwrouménh: „wenn ich mich an den Bösen rächen kann“. Hekabe formuliert ihr Vorhaben zunächst allgemein in einer Weise, dass Agamemnon es nicht ablehnen kann. 758f. Wenn man V. 756f. beibehält, braucht man 758f. nicht umzustellen, wie Diggle es vorschlägt. Denn der Ablauf des Gesprächs in der zumeist überlieferten Form ist durchaus sinnvoll. Die in V. 758 gestellte Frage Agamemnons nach dem Anlass der Hikesie verlangte eigentlich eine sofortige Antwort Hekabes, sie hält diese aber zunächst zurück (759) und holt weiter aus, wobei sie ihn, vom Anblick der Leiche ausgehend (760), in der folgenden Stichomythie Schritt für Schritt über das Schicksal des Polydoros informiert. Die Annahme einer Lücke vor V. 758 (Hirzel) oder nach diesem Vers (Kirchhoff) oder auch nach V. 759 (Hermann) scheint mir nicht nötig zu sein. Vgl. Biehl (1997) 133f. 758 kaì dæ: leitet eine verwunderte Frage ein. e¬párkesin „Hilfe“:, seltenes Wort, vgl. Soph. Öd.K. 447. 760–86 Zu dieser Stichomythie ausführlich Schwinge (1968) 194–97. Er ordnet sie unter die Rubrik „Zielgerichtete Erzählung“ ein. Hekabes Ziel ist es, Agamemnons Anteilnahme zu erregen und ihn so zur Unterstützung ihres Racheplans zu bewegen. 760 ou© katastázw dákru: wörtlich „auf den herab ich eine Träne tropfen lasse“. Andere Konstruktionen von katastázw: V. 241 (herab an); Her. 934 (herab von). Ennius Hecuba fr. 213 Warmington = 85 Jocelyn: „Vide hunc meae in quem lacrimae guttatim cadunt“. 762 Schol. MB bemerkt richtig: prwqústeron, also Umkehr der zeitlichen Reihenfolge (hysteron proteron). Ähnlich El. 969 hç m’ e¢qreye ka¢teken.

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zånhß uçpo: wörtlich „unter dem Gürtel“; vgl. Aisch. Cho. 992 u™pò zånhn. 763 w® tlñmon: Agamemnon gibt zum ersten Mal sein Mitgefühl zu erkennen. An dieses Mitgefühl wird Hekabe dann in ihrer Hikesierede mit Erfolg appellieren. 765 h® gàr: leitet eine erstaunte Frage ein; vgl. V. 1047, 1124; Andr. 249 und Stevens zur Stelle; Soph. El. 1221; Ant. 44; Phil. 248; KG 2,336. 766 a¬nónhta (e¢tekon): “nutzlos”, adverbial gebraucht; Alk. 412; Hipp. 1145; El. 507f.; Her. 716. Dass Kinder, deren Tod beklagt wird, vergeblich geboren wurden, wird in der Tragödie häufig bedauert; vgl. Hik. 918–22, 1134–37; ähnlich auch Med. 1024f.; Theseus F 386 TrGF. 767 ptólin: „die Stadt“, epische Form für späteres pólin, hier wie auch in V. 1209 metrisch erforderlich. 768 o¬rrwdøn qaneîn: „weil er fürchtete, er würde sterben“. o¬rrwdø ist ein bei den Tragikern selten verwendetes Wort; es findet sich sonst nur El. 831; Andromeda F 130,2 TrGF. Die Meinungen der Kommentatoren und Übersetzer gehen darüber auseinander, ob Priamos seinen eigenen Tod oder den seines Sohnes fürchtete. Es ist wohl eher letzteres gemeint. Da aber der Wortlaut nicht eindeutig ist, wähle ich eine Übersetzung, die beide Möglichkeiten offen lässt. Zum Sachverhalt vgl. V. 4–7, 1133–35. 769 tøn tót’ o¢ntwn: Fast alle anderen Söhne des Priamos sind im Krieg gefallen. Nur Helenos überlebte; s. zu V. 87. 771 Der als Apposition hinzugesetzte Name, der inhaltlich zum Hauptsatz gehört, wird in den Relativsatz gezogen und dort syntaktisch eingegliedert; vgl. V. 986f.; Hipp. 101; KG 2,419. Eine solche Konstruktion lässt sich im Deutschen nicht nachbilden. 772 pikrotátou crusoû: Das Gold ist insofern bitter, als es den Tod des Polydoros bewirkt hat; schol. MV: pikrótaton tòn crusòn ei®pe dià tò ai¢tion au¬tòn genésqai qanátou kaì sfagñß. Der Ausdruck ist proleptisch; es wird also die spätere Wirkung des Goldes vorweggenommen, die zunächst noch nicht bestand. 773 qnä¸skei: „starb er“. Zum Tempusgebrauch vgl. V. 695; KG 1,137. 774 Qrä¸x … xénoß: „der thrakische Gastfreund“, xénoß mit bitterem Beiklang, wie in V. 710, durch die Wortstellung hervorgehoben. Ob Eur. das negative Charakterbild des Polymestor auf Grund der Erfahrungen gezeichnet hat, welche die Athener kurz zuvor mit ihren unzuverlässigen thrakischen Bundesgenossen gemacht hatten, lässt sich schwer sagen. Auf jeden Fall hatten die Athener keine gute Meinung von den Thrakern; s. Thukydides 7,29,4 tò gàr génoß tò tøn Qra¸køn o™moîa toîß málista toû barbarikoû, e¬n w¸© a£n qarsäsh¸, fonikåtatón e¬stin. Die

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Verbindung von Qrä¸x und xénoß mag deswegen hier und auch schon zuvor in V. 19, 81f. und 710 als ein Oxymoron empfunden worden sein. 775 w® tlñmon: „du Arme!“ Agamemnon gibt auch sonst mehrmals durch derartige Äußerungen sein Mitgefühl zu erkennen (V. 763, 783, 785). Der Boden für Hekabes Hikesie ist also gut bereitet. Collard und Kovacs beziehen dagegen die Anrede auf Polymestor und übersetzen dann mit „O du Grausamer!“ Das ist sprachlich möglich, da tlämwn ein so breites Bedeutungsspektrum hat (vgl. etwa Aisch. Cho. 384, 596; Soph. El. 439), doch scheint es mir näherliegend zu sein, dass wie schon in V. 763 die anwesende und nicht eine abwesende Person mit w® tlñmon angeredet wird. Auch die Sprecherin von V. 712 vermutete, dass die Gier nach Gold das Motiv Polymestors gewesen sei. h¬rásqh labeîn: Versschluss wie Med. 700. 776 toiaût’: „so (ist es)“; vgl. El. 645. Zum Zeitpunkt der Tat s. V. 21–27, 1214–16. 778 hçd’: „die da“, mit einer Handbewegung hin zu der daneben stehenden Dienerin. Der zweite Halbvers wie Aisch. Pers. 449. 779 mateúous’: s. zu V. 754. 780 w¢¸cet’ oi¢sous’: genauer „sie ging, um zu holen“. 781 Wenn sich ein Gastfreund (xénoß) so verhält, macht er sich eines schweren Verbrechens schuldig. Dies ist also schon die erste implizite Verurteilung Polymestors aus dem Munde Agamemnons. 782 qalassóplagkton: „den übers Meer verschlagenen“; vgl. Aisch. Prom. 467, wo das sonst nicht belegte Wort von Schiffen gebraucht wird. Der Vers schließt im Griechischen syntaktisch an den vorausgehenden Vers an. w©de diatemœn cróa: genauer „nachdem er seinen Leib (wörtlich: seine Haut) so zerschnitten hatte“. 783 w® scetlía sù: „du Unglückliche“ mit kausalem Genetiv wie V. 182, 661; Alk. 741; KG 1,389. Der zweite Halbvers ähnlich Phaethon F 786,280 TrGF tøn a¬meträtwn kakøn. 784 Hekabe meint, dass eine weitere Steigerung ihres Leides nicht mehr möglich ist, da sie schon alles erlitten hat, was ein Mensch erleiden kann. 786 tæn Túchn: die Göttin des Glücks (und auch des Unglücks); schol. M: tæn dustucían dhlonóti. Ähnlich Iph.T. 500, wo Orestes sich als Dustucäß bezeichnet, gewissermaßen als Verkörperung des Unglücks, oder umgekehrt Soph. Öd. 1080, wo Ödipus sich in seiner Unwissenheit zum „Kind des Glücks“ (paîda tñß Túchß) erklärt. An unserer Stelle ist

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Tyche wohl zugleich als Verkörperung und als Geberin des Unglücks und als Ursache des Umschlags vom Glück zum Unglück gemeint. Tyche besaß zwar eine göttliche Genealogie als Tochter des Okeanos (Hesiod Theogonie 360) oder des Zeus (Pindar Olympien 12,1), genoss aber, jedenfalls im 5. Jh., keine kultische Verehrung. Bei Eur. wird von einzelnen Dramenpersonen immer wieder vermutet, dass Tyche das irdische Geschehen lenkt. Auch Talthybios hat sich in V. 491 so geäußert. Meist zeigt jedoch der Fortgang der Handlung, dass die Götter für alles verantwortlich sind, was geschieht. Vgl. hierzu Matthiessen (2004) 86–88. Allerdings weist die Hek. die Besonderheit auf, dass die Götter weitgehend verborgen bleiben, so dass man hier am ehesten meinen könnte, dass Tyche regiert. Aber auch hier lässt sich, jedenfalls in der PolymestorHandlung, bei genauerem Hinsehen das Wirken der Götter bemerken. Der Frevler gegen den Zeus Xenios wird so bestraft, wie er es verdient, und die Götter sorgen dafür, dass der Fahrtwind erst dann weht, wenn Hekabe die Bestrafung vollbracht hat (898–901, 1289f.). 787–845 Hikesierede Hekabes Dies ist die zweite derartige Rede, die Hekabe hält. Die erste, an Odysseus gerichtete (251–95) blieb erfolglos, mit der an Agamemnon gerichteten erreicht sie immerhin, dass er sie bei ihrem eigenen Handeln nicht behindert. Ihre Argumentation zielt zunächst darauf ab, dass das Verbrechen Polymestors so schwer ist, dass die Rechtsordnung zusammenbräche, wenn es ungesühnt bliebe (787–805). Sie appelliert dann an Agamemnons Mitleid (806–11), bemerkt jedoch, dass sie hiermit keinen Erfolg hat und er sich abwendet (812f.). Nun ändert sie ihre Taktik. Nach einer allgemeinen Reflexion über die Macht der Beredsamkeit (814–19) und einer kurzen Äußerung des Selbstmitleids (820–23) setzt sie neu an und baut ihre Argumentation darauf auf, dass er ihre Tochter Kassandra zu seiner Geliebten gemacht hat. Sie fordert ihn auf, seine Dankbarkeit für die Freuden zu erweisen, die Kassandra ihm bereitet. Die illegitime Beziehung deutet sie sogar zu einem Ehebündnis um, was ihr ermöglicht, ihn zu bitten, die Rache für den Tod seines neuen Schwagers Polydoros in die Hand zu nehmen (824–35). Sie endet mit einer leidenschaftlichen Hinwendung zu Agamemnon, wobei sie ihn in den höchsten Tönen rühmt und noch einmal an sein Mitleid und sein Rechtsgefühl appelliert (835–45). Zu dieser Rede Kovacs (1987) 100–03; Michelini (1987) 149–53; Lloyd (1992) 95f.; Gödde (2000) 86–94.

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787 a¬mfì sòn píptw gónu: „dein Knie umfange“. Hekabe spricht offenbar in der Haltung eines Bittflehenden. Hierüber s. zu V. 251–95 und 752f. 788–90 oçsia: „Heiliges“, „Gottwohlgefälliges“. Hier ist „Gerechtes“ gemeint, das im Einklang mit der von den Göttern sanktionierten Rechtsordnung steht. Der Gegenbegriff tou¢mpalin (= tò e¢mpalin), das a¬nósion also, das „Unheilige“, das den Göttern missfällt, wird in V. 790 und 792 Polymestor zugeordnet. Die erste Alternative ist nur als rhetorisches Mittel zu verstehen, da das Verbrechen Polymestors so schwer ist, dass nur die zweite Alternative in Frage kommt. 791 oÇß – 796 e¢kteine: ein langer Relativsatz, der alle Anklagepunkte enthält. 791f. Polymestor war als Gastfreund dem Zeus Xenios verpflichtet, verstieß aber sowohl gegen die nómoi der oberirdischen als auch gegen die der unterirdischen Götter; schol. MB: cqoníouß mèn dià tò a¢tafon e¬âsai foneúsanta, ou¬raníouß dè dià tòn xénion kaì fílion Día. Collard nimmt an, mit den „Oberirdischen“ seien die Menschen gemeint. Ich denke aber, dass der Scholiast recht hat und dass auf beiden Seiten Götter gemeint sind, zumal davor und danach von Vergehen gesprochen wird, die gegen göttliches Recht begangen wurden. 793–97 In V. 791f. ist das Wesentliche über Polymestors Verbrechen gesagt. Darum wurden die folgenden Verse oft gestrichen, so von Nauck, ebenso von Page (1934) 68, Diggle, Collard, Kovacs und Gregory. Andere streichen wenigstens einen Teil. Dagegen werden sie von Hadley, Méridier, Daitz, Michelini (1987) 149, Biehl (1997) 134f. und Synodinou gehalten, mit Recht, wie ich finde, weil hier die vorher nur allgemein erhobenen Vorwürfe präzisiert werden, sowohl hinsichtlich des Bruches des Gastrechts als auch des Frevels gegen den Leichnam. 793 wörtlich: „gemeinsamen Tisch oftmals mir mir erlangt habend“. Die erste Vershälfte auch in Or. 9. 794 xeníaß t’: wörtlich „und Gastfreundschaft“ (sc. tucån). Der Vers schließt syntaktisch an V. 793 an. a¬ríqmw¸ prøta gibt den Rang an, den Polymestor unter ihren Gastfreunden einnahm. Er war gleichsam die „Nummer eins“ unter ihnen. Die gut bezeugte und mit fílwn praktisch gleichbedeutende Variante xénwn scheint mir wegen der großen Bedeutung der Verletzung des Gastrechts in diesem Stück den Vorzug zu verdienen. Wortwiederholungen scheut Eur. auch sonst nicht. 795 labœn promhqían: „Vorsorge (oder Fürsorge) empfangen habend“. Schol. MB versteht dies konkret: tæn u¬pèr toû paidòß prónoian, oç e¬sti crämata. Ich meine jedoch, dass ganz allgemein eine fürsorgliche

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und respektvolle Behandlung ihres Gastfreundes durch Priamos und Hekabe gemeint ist, vgl. Alk. 1054; Herodot 1,88,1. 796 ei¬ ktaneîn e¬boúleto: „wenn er ihn (denn schon) töten wollte“. Was hier knapp ausgedrückt wird, läst sich etwa so formulieren: „Angenommen, das es irgendein Motiv gegeben hätte, den Jungen zu töten (es gab aber keines), dann hätte er ihm doch auf jeden Fall ein Begräbnis gewähren sollen; aber er tat es nicht“ (Hadley). Ganz abgesehen von der Tötung ist also auch schon die Weise der Behandlung des Leichnams ein Verbrechen gegen die in V. 791 erwähnten Götter der Unterwelt. 797 a¬fñke póntion: „er warf (ihn) ins Meer”. Adjektiv póntioß „zum Meer gehörig“, „übers Meer gekommen“, hier: „ins Meer hinein gelangend“; vgl. Kreter F 472e,35 TrGF. Adjektiv, wo deutsch Adverb gesetzt wird; vgl. KG 1,274. 798–801 Diese Verse wurden viel diskutiert, weil man dachte, es werde hier die Meinung vertreten, dass die Menschen nicht von sich aus an die Götter glaubten, etwa weil sie ihre Macht spürten und sie deswegen verehrten, sondern dass ihnen der Glauben an die Götter erst vom Gesetz (nómoß) befohlen werden müsse. 798 i¢swß: „in gleicher Weise schwach“ oder „ebenso schwach“, nicht etwa „vielleicht“. Ich sehe keinen Anlass für eine (etwa ironische) Einschränkung der Aussage Hekabes. 799f. h™meîß mèn ou®n … doûloi: generalisierender Plural und Maskulinum; s. zu V. 237. Man könnte meinen, dass Hekabe nicht nur von sich selbst spricht, sondern von den Menschen allgemein. Der Zusammenhang legt jedoch nahe, dass sie nur von sich spricht, die in der Tat eine Sklavin und schwach ist. o™ keínwn kratøn nómoß: „ihr Herrscher, das Gesetz“. Gemeint ist entweder „das Gesetz, das über sie (sc. die Götter) herrscht“ oder „ihr (sc. über die Menschen) herrschendes Gesetz“. Für die erstgenannte Auffassung könnte man sich auf das Pindarfragment berufen, nach dem nómoß o™ pántwn basileùß qnatøn te kaì a¬qanátwn ist (Pindar fr. 169a Maehler). Demnach wäre der nómoß sogar den Göttern übergeordnet. Ähnlich sagt denn auch Athene Iph.T. 1486 zu Thoas: tò gàr creœn soû te kaì qeøn krateî. Dass dort ein Zweifel an der Macht der Götter geäußert würde, wird man bei dieser Sprecherin kaum sagen können, zumal da sie kurz zuvor mitgeteilt hat, dass das Schicksal des Orestes durch die Orakelsprüche Apollons festgelegt wurde (1438f.). Unverfänglicher ist die zweite Auffassung, nach welcher der nómoß der Götter über die Menschen herrscht. Aber selbst dann bleibt ein Anstoß in den nächsten Worten, nach denen wir nómw¸ an die Götter glauben und leben, indem wir das Ungerechte und Gerechte unterscheiden. Es ist vermutet worden, dass hier die sophistische Antithese von fúsiß und nómoß zugrundeliegt. Hekabe geht

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es aber nicht darum, Natur und Konvention gegeneinander auszuspielen und so die Autorität der Götter zu schwächen, sondern darum, Agamemnon dafür zu gewinnen, dass er einen Rechtsbrecher bestraft. Sie meint also offenbar, dass wir durch unser Eintreten für das Recht unseren Glauben an die Macht der Götter beweisen sollen. Sie beruft sich jedenfalls auf die Götter (qeoí) und das Recht (nómoß), wie ihr Verhältnis zueinander auch immer sein mag, und es liegt ihr daran, beides als zusammengehörig und stark erscheinen zu lassen, damit der König sich für das Recht engagiert und so die göttlich sanktionierte Rechtsordnung aufrecht erhält und nicht durch seime Untätigkeit zerstört. Anderenfalls drohen schlimme Folgen, denn dann wird es keine Gerechtigkeit mehr auf Erden geben. Gut hierzu Heath (1987) 67; Kovacs (1987) 101 und Anm. 53; Gregory zur Stelle. 800 toùß qeoùß h™goúmeqa: „halten die Götter für Götter“, „glauben an die Götter“; vgl. El. 583 h™geîsqai qeoúß; Ba. 1326 h™geísqw qeoúß. Dass damit mehr als nur der Glaube an ihre Existenz gemeint ist, nämlich auch an ihre Macht, zeigen diese beiden Stellen; und dass neben dem Glauben die Gerechtigkeit mitgemeint ist, zeigen das Schol. B zur Stelle (qeòn gàr i¢smen tø¸ sébein qeoû nómouß) sowie Mgl, wo das Wort durch nomízomen erläutert wird, was sowohl „glauben“ als auch „verehren“ bedeutet. 801 wörtlich „und leben Gerechtes und Ungerechtes unterschieden habend“. Zum Gedanken vgl. V. 601f. 802 e¬ß s’ a¬nelqœn: wörtlich „nachdem es (sc. das Gesetz) an dich herangetragen wurde“, d. h. nachdem dir die Rechtsprechung übertragen wurde. Ähnlich Ion 253 poî díkhn a¬noísomen; a¬nércesqai ei¬ß dient hier als Passiv von a¬naférein ei¬ß. ei¬ diafqaräsetai: d. h. dadurch, dass sich deine Rechtsprechung nicht an das Gesetz hält. Zum Vers vgl. auch Hik. 562f. 804 férein: „(weg)tragen“, hier im Sinne von a¢gein kaì férein „plündern“; vgl. Ba. 759. Die Verletzung des Gastrechts ist, wie Hekabe meint, gleich schlimm wie die Beraubung eines Heiligtums. Eine Vermutung darüber, warum dieses Verbrechen hier genannt wird, äußert Meridor (1983) 19f. Sie meint, dass Eur. hierzu durch den ihm aus Herodot 9,120 bekannten Fall des Artayktes angeregt wurde, der tatsächlich ein Heiligtum beraubt hatte und ähnlich grausam wie Polymestor bestraft wurde, übrigens in Sestos, ganz in der Nähe des Ortes der Handlung der Hek. Gregory vermutet, dass Hekabe auf die Freveltaten der Griechen bei der Einnahme Trojas anspielt (wie sie in V. 289f. erwähnt wurden) und dass sie damit Agamemnon indirekt vor der Wandelbarkeit des Schicksals warnt, so wie sie zuvor auch gegenüber Odysseus eine solche Warnung angedeutet hat

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(282f.). Ich kann allerdings eine solche Warnung nicht aus ihren Worten heraushören. Sie würde damit auch kaum ihrem Anliegen dienen. 805 i¢¢son: „gleich“, auch „fair“, in Prosa oft mit díkaion „gerecht“ oder oçmoion „gleichartig, gleichrangig“ verbunden. Mit i¢son dürfte rechtliche Gleichheit gemeint sein. Das ist ein Anachronismus, denn es ist erst eine Errungenschaft der attischen Demokratie, dass das Gerechte als ein Gleiches verstanden wird. Vgl. Hik. 432 tód’ ou¬két’ e¢st’ i¢son (Tyrwhitt, e¬stí soi L); Phön. 538 tò gàr i¢son nómimon a¬nqråpoiß e¢fu. Die Überlieferung verteidigen mit Recht Tierney, Italie, Kovacs (1987) 144 Anm. 52; Collard; Biehl (1997) 136; Synodinou. Die von Kayser vorgeschlagene Änderung søn „sicher“, „wohlbehalten“, „unversehrt“ ist möglich, aber nicht erforderlich. Der gleiche Wortlaut in einem anderen Kontext in F 1048,1 TrGF. 806–11 Appell an das Mitleid, ein traditionelles Mittel der Affekterregung; vgl. Riedweg (2000) 20–23. In diesem Fall scheint der Appell zunächst wirkungslos zu bleiben, so wie er auch in V. 286f. gegenüber Odysseus versagt hat. 806f. ai¬désqhtí me, oi¢ktiron: „hab Scheu vor mir, hab Erbarmen! Gleiche Formulierung wie in V. 286f. Die Gleichheit im Wortlaut könnte (sofern sie überhaupt vom Zuschauer bemerkt wird) auf die Ähnlichkeit der Situation hinweisen. 807 w™ß grafeúß: „wie ein Maler“. Der Vergleich mag zunächst verwundern, und die (nur schwach bezeugte) Variante brabeúß „Schiedsrichter“ (was auch von Hoffmann konjiziert wurde), mag unserer Vorstellung von den sportbegeisterten Griechen besser entsprechen. Aber das 5. Jh. war, besonders in Athen, eine Blütezeit der Malerei, wie die Vasenbilder zeigen. Nach Auskunft seiner Biographen soll Eur. selbst gemalt haben. Erwähnungen der Malerei auch Aisch. Ag. 242; Ion 271; Phön. 129f. a¬postaqeìß: „Abstand nehmend“; ähnlich auch Hipp. 1078f.; Ion 585f. 809–11 Wirkungsvolle pathetische Aufzählung der Elemente des Unglücks Hekabes. 809 Zu h® s. zu V. 13. doulæ séqen: „deine Sklavin“. Meridor (1983) 15 Anm. 20 und Collard vermuten, dass Hekabe damit andeutet, dass Agamemnon als ihr Herr zum Beistand verpflichtet ist. Ich meine aber, dass ein solcher Hinweis erst in V. 841 mit der Anrede w® déspot’ vor ihrer abschließenden Bitte um Hilfe erfolgt. 810 graûß a¢paiß: „Greisin … und kinderlos“. Für alte Menschen war in den antiken Gesellschaften die Kinderlosigkeit besonders schlimm, weil

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sie keine Kinder mehr bekommen konnten und sie niemanden hatten, der sie pflegen konnte. a¢paiß „kinderlos“ ist in ähnlichem Sinn zu verstehen wie a¢teknoi tou¬pì s’ in V. 514 und die Aussage Hekabes über ihre Kinderlosigkeit in V. 821. Sie ist nicht überhaupt kinderlos, sondern im Hinblick auf die Kinder, von denen das Stück handelt. 811 Asyndetisches Trikolon, bei dem das dritte Glied erweitert ist. 812 poî m’ u™pexágeiß póda: Die Wendung ist hier gleichbedeutend mit feúgeiß und wird wie dieses mit dem Akkusativ konstruiert, also etwa „wohin fliehst du vor mir?“ póda ist demnach innerer Akkusativ. Vgl. Soph. Öd.K. 113f. sú m’ e¬x o™doû póda krúyon (Hss.); Trach. 339. Zu m’ u™pexágeiß póda ausführlich Mercier (1993) 149–51. u™pex-: Das Präfix bedeutet “heimlich hinweg”; vgl. V. 6 u™pexepémye; Soph. Öd. 227. 814–19 Da Agamemnon durch die bisherige Rede nicht beeindruckt zu sein scheint und sich abwendet oder gar zum Weggehen ansetzt, unterbricht Hekabe ihre Argumentation mit einer allgemeinen Reflexion über die ungeheure Macht der Überredung (Peiqå). Vgl. Schadewaldt (1926) 129f.; Bain (1977) 32f. Eine ausdrückliche Anwendung auf die eigene Situation ist nicht nötig, da sie sich aus dem Zusammenhang ergibt. Dieser Teil der Rede richtet sich nicht so sehr an Agamemnon, der freilich Zuhörer bleibt, sondern hat mehr den Charakter eines Selbstgesprächs, in dem Hekabe ihre Ratlosigkeit zum Ausdruck bringt und einen Ausweg aus ihrer Notlage sucht. Man hat wohl mit Recht eine Verbindung gesehen zwischen diesen Worten und dem Erwachen des Interesses der Athener an der Kunst der Beredsamkeit nach dem Auftritt des Gorgias in ihrer Stadt im Jahre 427, bei dem er seine glänzenden Fähigkeiten in dieser Kunst präsentierte. Hiermit begann in Athen das Wirken der Redelehrer, die für ihre Lehrtätigkeit viel Geld verlangten und denen die Jugend in Scharen zuströmte. Riedweg (2000) 12 formuliert drastisch: „Hekabes Worte hören sich beinahe wie ein eingeschobener Werbeblock solcher zeitgenössischen Redelehrer an.“ Eine ähnlich emotionale Äußerung darüber, dass die Menschen alles mögliche lehren, aber nicht das wahrhaft Wichtige: Hipp. 916–20. 815 mateúomen: s. zu V. 754. 816 Vgl. Med. 527f.; Hipp. 538; Gorgias Helena 8 lógoß dunastæß mégaß e¬stín, oÇß smikrotátw¸ såmati kaì a¬fanestátw¸ qeíotata e¢rga a¬poteleî. Pacuvius Hermiona fr. 177 Ribbeck2 (= 187 Warmington) wurde offenbar durch diesen Vers angeregt: „O flexanima atque omnium regina rerum oratio“.

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túrannoß: Das Wort ist hier, wie oft in der Tragödie, nicht negativ, sondern wertneutral zu verstehen. 817 ou¬dén ti mâllon e¬ß téloß: wörtlich: „keineswegs etwas mehr bis zum Ende“. Ähnlich Alk. 522; Hipp. 344. 818 h®¸: Die von Elmsley vorgeschlagene Änderung des überlieferten Konjunktivs in das Imperfekt h®n ist nicht erforderlich. Es gibt ähnliche Fälle, wo auf einen Finalsatz im Konjunktiv ein zweiter Satz im Optativ folgt, der die mögliche Wirkung des im Finalsatz Ausgesagten nennt; vgl. KG 2,387 und Synodinou zur Stelle. 820–23 Hekabe beklagt noch einmal ihr Schicksal, wobei sie vor allem zu sich selbst spricht, aber auch Agamemnon nicht aus dem Auge verliert, dessen Mitleid es wachzuhalten gilt. Es gibt keinen Grund, mit Herwerden V. 820–23 oder mit Kovavs 821–23 zu streichen. V. 820 gehört mit den folgenden Versen zusammen und kann nicht anders behandelt werden als sie. Alle vier Verse aber stellen Hekabe, wie so oft, als Exempel für die Wechselfälle im Menschenleben dar. In der Stimmungskurve der Rede sind diese Verse ein Tiefpunkt. Sie sind ebenso wie V. 812–19 Ausdruck der Krise, die Hekabe später überwindet, als sie noch einmal dazu ansetzt, Agamemnon zu überzeugen. 820 pøß ou®n e¢¬t’ a¢n: „wie denn noch“; auch Tro. 961, Hik. 447; vgl. ferner F 1067,3 TrGF pøß ou®n a¢n. Zur Stelle Biehl (1997) 137, der mit Recht auch das von Diggle bevorzugte, in wenigen, aber guten Hss. bezeugte tí „was?“ nicht für ausgeschlossen hält. tiß „jemand, man“. Hekabe formuliert allgemein, meint aber sich selbst. 821 oi™ mèn gàr o¢nteß paîdeß: „die Kinder nämlich, die ich hatte“. Das Partizip des Präsens ist hier wie in V. 484, 620 und 810 imperfektisch zu verstehen. Es ist fraglich, ob Hekabe alle in V. 421 erwähnten fünfzig Kinder meint, was durch die Varianten tosoûtoi und tosoíde „die so vielen“ noch stärker unterstrichen würde, oder nur diejenigen, die sie gerade verloren hat, nämlich Polyxene und Polydoros. Hierüber gibt der Text keine eindeutige Auskunft. Vgl. auch zu V. 514, 810. 822 au¬tæ: „ich selbst“. Murray bevorzugte die Variante auçth „diese“ und nahm an, dass Kassandra gemeint sei. Dann musste er allerdings vor oi¢comai „ich bin fort“ einen Punkt setzen und das Wort in dem Sinne „ich bin dahingeschwunden“ auffassen. Der Vers würde dann eine Vorbereitung auf die Erwähnung Kassandras in den nächsten Versen darstellen. Das alles ist jedoch unwahrscheinlich. e¬p’ ai¬scroîß: „unter schändlichen Bedingungen“, nämlich denen der Sklaverei.

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oi¢comai: entweder lokal zu verstehen „bin fern von der Heimat“ (wie Aisch. Pers. 1) oder eher als Beschreibung eines Zustandes „bin verloren“ (wie Soph. Trach. 85). 823 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 824–32 Hekabe entschließt sich zögernd zu einem Neuansatz ihrer Bittrede, wobei sie zu einem Argument greift, das schon von manchen antiken, aber auch manchen modernen Lesern als fragwürdig empfunden wurde. Sie meinen, dass es würdelos sei, wenn sie es sich zunutze mache, dass Agamemnon ihre Tochter Kassandra gegen deren Willen zu seiner Geliebten gemacht hat. Er ist damit gleichsam zu ihrem Schwiegersohn und zum Schwager (834 khdestäß) des Polydoros geworden. Ein schol. schreibt (zu Soph. Ai. 520): mastropikåtata ei¬ságei tæn ¿Ekábhn légousan (sc. Eu¬r.). Dem widerspricht ein anderes (schol. MV Hek. 825): ou¬¬ mastropådeiß oi™ lógoi, a¬ll’ a¬faireîsqai tòn tñß túchß o¢gkon ei¬ß pân o™tioûn katabaínei kaqomiloûsa toîß kairoîß kaì légousa taûta di’ w©n e¢melle qhrâsqai boäqeian. In der Tat ordnet sie ihrem Racheverlangen alles andere unter, auch ihre bisher noch immer bewahrte königliche Würde. Es ist die Frage, ob man ihr dies zum Vorwurf machen oder ob man nicht eher ihr konsequentes Handeln bewundern oder wenigstens respektieren sollte. 824 kenòn: Das überlieferte kenòn „leer, nichtig“ ist passend; vgl. Hik. 849; Phön. 551. Das von Nauck vorgeschlagene und von Diggle übernommene xénon „fremd“, „nicht zur Sache gehörig“ würde den Sinn nicht verbessern, sondern eher Hekabes Argumentation schwächen. So auch Kovacs; Biehl (1997) 137f.; Gregory; Synodinou; anders Riedweg (2000) 24. 825 Kúprin: zweiter Name der Liebesgöttin Aphrodite, die in Paphos auf Zypern (Kúproß) besonders verehrt wurde, weil sie nach ihrer Geburt im Meer dort zuerst das Land betrat. Hier ist nicht so sehr ihre göttliche Person, als vielmehr ihr Herrschaftsbereich gemeint, sofern sich dies überhaupt trennen lässt. probállein: „als Argument vorbringen“ (LSJ), vgl. Soph. Trach. 810; Demosthenes 9,8. a¬ll’ oçmwß ei¬räsetai: vgl. Hkld. 928; Ba. 776. 826 Ennius Hecuba fr. 214 Warmington = 90 Jocelyn übersetzt diesen Vers sehr frei: „quae tibi in concubio verecunde et modice morem gerit“. 827 foibáß: „Priesterin des Phoibos Apollon“, seltenes Wort, hier zuerst belegt, gebildet wohl in Analogie zu und anklingend an maináß „rasende Frau im Gefolge des Dionysos“. In V. 676 wurde Kassandra sogar als bakceîon kára bezeichnet (s. zur Stelle).

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Gregory (1999) hält den Vers mit R. Haupt für einen späteren Zusatz. Zwar sollte die Beziehung Agamemnons zu Kassandra den Zuschauern aus V. 120–28 bekannt sein, aber angesichts der Vergesslichkeit der Menschen kann man wichtige Dinge nicht oft genug wiederholen. Für Hekabes Argumentation ist es aber wichtig, dass es um diese Beziehung geht. Darum halte ich den Vers für sinnvoll an seinem Platz. Zur Formulierung vgl. Ion 13; Phaethon F 771,4 f.; Telephos F 696,11f. TrGF. 828–30 Das Wort cáriß (Gunst, Dank, Dankbarkeit, Dankesbezeigung) ist eines der ‚Leitmotive‘ dieses Stückes; s. Einführung S. 35f. Hier geht es Hekabe darum, von Agamemnon eine Bezeigung der Dankbarkeit für eine ihm erwiesene Gunst, nämlich für Kassandras Fügsamkeit gegenüber seinem Liebesverlangen, zu erwirken. Eine ähnliche Bezeigung der Dankbarkeit für erwiesene Liebesgunst versucht auch Tekmessa von Aias zu erreichen; vgl. Soph. Ai. 520–22 (a¬ndrí toi creœn | mnämhn proseînai, térpnon ei¢ tí pou páqoi. | cáriß cárin gár e¬stin h™ tíktous’ a¬eí). Zu den emotionalen Beziehungen, die sich zwischen kriegsgefangenen Sklavinnen und ihren Herren entwickeln können, s. Scodel (1998). Sie verweist auf Achilleus und Briseis (Ilias 1,348; 9,341–43) und auf Neoptolemos und Andromache (Tro. 699f.). Ganz anders als die übrigen weiblichen Gefangenen wird allerdings die Kassandra der Tro. ihre Beziehung zu Agamemnon sehen, nämlich als eine Hochzeit, die sowohl für sie selbst als auch für ihren Bräutigam tödliche Folgen haben wird, so dass sie auf diese Weise den Tod ihres Vaters und ihrer Brüder rächen kann (Tro. 311–14, 356–60). 828 léxeiß: „du wirst einschätzen, zählen, rechnen“, guter Vorschlag von Diggle (1994) 236f., für den man als Parallelen V. 906 sowie Her. 41; Soph. Ant. 183 anführen kann. deíxeiß „du wirst zeigen“ würde als Ergänzung in Gedanken ein Partizip ou¢saß verlangen: „Wie wirst du zeigen, dass die Nächte dir lieb sind?“ So Kamerbeek (1986) 101; Biehl (1997) 138; Synodinou. eu¬frónaß: „Nächte“. Das meist poetische Wort eu¬frónh bedeutet ursprünglich „die freundliche (Zeit)“. Diese Grundbedeutung wird hier vielleicht noch mitgehört. 829f. h®: Das von Diggle (1994) 237f. mit Recht bevorzugte h® ist Fragepartikel. Dagegen würde das h£ „oder“ der Hss. das zweite Glied einer Alternativfrage einführen. Hier liegt jedoch keine Alternativfrage vor. Wenn der Satz mit der Fragepartikel h® beginnt, kann aber in V. 830 nicht das direkte Fragepronomen tín’ „welchen?“ stehen, sondern nur das von Porson hergestellte indefinite Pronomen tin’ „irgendeinen“. 831f. Diese gnomischen Verse wurden oft als banal empfunden und nach dem Vorbild von Matthiae gestrichen. Aber das entscheidende Wort

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ist cáriß, was nicht nur „Freude“ bedeutet, sondern auch „Dankbarkeit“, die man gegenüber dem empfinden sollte, der einem Freude bereitet; vgl. auch Soph. Ai. 522–24. Die Verse haben also an dieser Stelle durchaus eine Funktion. Die viel zitierten und sprichwörtlich gewordenen Verse sind geradezu ‚zersungen‘ worden. Sie wurden aus dem Gedächtnis ungenau zitiert, und dies hat auch auf die Hss. zurückgewirkt. Wären alle Verse des Stückes so schlecht überliefert, könnten die Herausgeber verzweifeln. Zu den Textproblemen Biehl (1997) 138f.; zur Interpretation Segal (1990b) 124; zur Bedeutung der cáriß in der Rhetorik Riedweg (2000) 24f. 831 e¬k toû skótou: „aus dem Dunkel“. Zu skótoß siehe zu V. 1. Die verbreitetste Variante ist e¬k toû skótou te tøn te nuktérwn brotoîß „Aus dem Dunkel und den nächtlichen (Liebesbezeugungen)“. Dabei stört freilich das Wort brotoîß, das gleich danach wieder auftaucht. Auch wenn man mit Daitz in V. 832 die Variante qnhtoîß in den Text aufnähme, gäbe es eine unbefriedigende Synonymenhäufung. Deswegen schlug Nauck nukterhsíwn vor, das mit nuktérwn gleichbedeutend ist und brotoîß überflüssig machen würde. Dies übernehmen Diggle und Kovacs, allerdings ist das Wort in der klassichen Literatur nicht sicher belegt. Es wird nur in Aristophanes Thesmophoriazusen 204 von Dobree durch Konjektur aus dem obszönen nuktereísia „nächtlich stoßend“ hergestellt. Deswegen setze ich die Worte nuktérwn brotoîß in Kreuze. Die Übersetzung gibt den etwa zu erwartenden Sinn wieder. 832 fíltrwn: fíltron bedeutet zunächst „Liebeszauber“, aber auch allgemein „Zauber“ oder „Liebe“ „Zuneigung“, in der letztgenannten Bedeutung auch Andr. 540 (s. Stevens zur Stelle); im Plural El. 1309; Tro. 857f. cáriß: sowohl „Freude“ als auch „Dankbarkeit“. Da beide Aspekte für Hekabes Argumentation wichtig sind, setze ich beides in der Übersetzung nebeneinander. 834 khdestæn: „durch Verschwägerung verbunden“, entweder „Schwiegervater“ (Demosthenes 19,118) oder „Schwiegersohn“ (Antiphon 6,12) oder, wie hier, „Schwager“ (Lysias 13,1f.). Damit sind jedoch sonst immer legitime Verbindungen gemeint, während Hekabe hier eine illegitime in den Rang einer legitimen zu erheben versucht, um bei Agamemnon einen Anknüpfungspunkt für ihre Bitte um Unterstützung zu finden. 835 Markierung des Schlussabschnitts der Bittrede Hekabes; vgl. Riedweg (2000) 25. 836–40 Zu dieser Passage Gödde (2000) 89–91.

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836f. Eine ähnliche Aufzählung bei einer Hikesie El. 332–35. Ähnlich unerfüllbare Wünsche in verzweifelter Lage Alk. 357–62; Hipp. 1074f.; Iph.A. 1211–14. 836 ei¬ leitet wie ei¢qe einen Wunschsatz ein: „wenn doch“; vgl. Soph. Öd. 863. Ein ähnlicher Wunsch Aisch. Cho. 195–200. 837 kaì cersì kaì komaîsi: Ennius Hecuba fr. 215 Warmington = fr. 11 Vahlen2 (nicht bei Jocelyn) übersetzt palm et crinibus. podøn básei: poetische Umschreibung für posín. 838 Daidálou tecnaîsin: „durch die Kunst des Daidalos“. Der mythische Künstler Daidalos soll nach schol. MB Automaten hergestellt haben, die sich aus eigener Kraft bewegen und sprechen konnten; vgl. Eurystheus F 372 TrGF; Platon Menon 97d 6–10. Wenn er auch Hekabes Gliedern die Fähigkeit zum Sprechen verliehen hätte; dann könnten alle ihre Glieder, die an der Hikesie beteiligt sind, mit einstimmen. 839 w™ß = wçste. a™martñ¸: „zugleich“, die homerische Wortform; z. B. Ilias 5,656. Alle Hss. haben o™martñ¸. Ebenso Hkld. 138, Hipp. 1195 (s. Barrett zu V. 1194– 97). e¢coito: Optativ statt zu erwartendem Infinitiv, assimiliert an den Wunschsatz. Manche Herausgeber bevorzugen die Variante e¢cointo, weil in dem Subjekt panq’ die vorher einzeln genannten Körperteile zusammengefaßt sind. søn e¢coito gounátwn: vollzöge die Gebärde eines i™kéthß. S. zu V. 251–95, 752f. 840 e¬piskäptonta: „beschwörend”; häufig von letzten Bitten Sterbender, ihren Tod zu rächen; vgl. Lysias 13,41f., 92; Herodot 3,65,6. Dazu Meridor (1983) 16. 841–45 Hekabe schließt mit einer schmeichelnden Anrede Agamemnons und einer Bitte, sich ihres unbedeutenden Anliegens anzunehmen. Mit ihren letzten Worten knüpft sie an die rechtliche Argumentation des ersten Teils ihrer Rede an. 841 w® déspot’: Hekabe erinnert hiermit daran, dass Agamemnon für die Vertretung der Rechte seiner Sklavin zuständig ist. S. auch zu V. 809. w® mégiston … fáoß „größtes Licht”: höchstes Lob, vgl. Ba. 608; ähnlich Iph.A. 1063. 843 ei¬ kaì mhdén e¬stin: wohl zu verstehen als „auch wenn sie (d. h. die presbútiß) ein Nichts ist“; so jedenfalls schol. M (h™ i™keteúousá se) und die meisten Kommentare. Nach a¬ll’ oçmwß „aber dennoch“ ist ein abermaliges parásceß „reiche sie dar“ zu ergänzen; vgl. El. 753; Or. 1023 (und Willink zur Stelle); Iph.A.

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904; Ba. 1027. Aristophanes Acharner 402 parodiert dieses a¬ll’ oçmwß am Versende. 845 Ähnlich V. 903f.; Ödipus fr. 554a,4 TrGF kakòn gàr a¢ndra cræ kakøß páscein a¬eí. Dass man Freunden Gutes und Feinden Schlechtes zufügen solle, ist ein Kernsatz der griechischen Volksethik; vgl. Dihle (1962) 33 Anm. 1. Hier jedoch wird nicht nach Freund und Feind geschieden, sondern es werden die „Guten“ und die „Schlechten“ jeweils nach ethischen oder rechtlichen Kriterien beurteilt. 846–49 Chorreplik Es folgt eine zustimmende Replik des Chores in vier Versen. Auch er meint, dass die Umstände es verlangen können, sich mit dem bisherigen Feind zu verbünden. Zum Wechsel zwischen Feindschaft und Freundschaft nach den Umständen vgl. Soph. Ai. 678–83 und 1354–59; ferner Aristoteles Rhetorik 1389b 24f. 846 sumpítnei: poetisch für sumpíptei „trifft zusammen“; vgl. V. 966, 1030; Aisch. Cho. 299. Worin alles zusammentrifft, wird im folgenden Vers ausgedrückt. Der mit kaì beigeordnete Satz hat inhaltlich also die Funktion eines Konsekutivsatzes. 847f. Diese Verse haben schon im Altertum Kopfzerbrechen bereitet. So stellt Didymos (in schol. M) fest: mâllon w¢feilen ei¬peîn oçti toùß nómouß ai™ a¬nágkai diorízousin· ai™ gàr a¬nágkai kaì tøn nómwn e¬pikratésteroi, ou¬c oi™ nómoi tøn a¬nagkøn. kaì nûn ou®n tou¬nantíon ei®pen. Darum hat man versucht, den Text zu verbessern, so Busche mit seinem Vorschlag tñß a¬nágkhß oi™ nómoi „die Gesetze der Notwendigkeit“. Doch dann ginge dem Satz das Objekt verloren. Allenfalls könnte açpanta aus V. 846 als Objekt ergänzt werden. Man hat auch versucht tàß a¬nágkaß als „die Beziehungen“ zu verstehen, wobei diese Wortbedeutung nur als Variante für a¬nagkaióthtaß bei Lysias (32,5) vorkommt Das würde dann besagen, dass die Gesetze (hier das Gesetz der Blutrache) die Beziehungen bestimmen und auch über Freundschaft und Feindschaft entscheiden. Man sollte anstelle von oi™ nómoi eher ein Wort erwarten, das „die jeweiligen Umstände“ bedeutet. In dieser Richtung geht Musgraves Vorschlag oi™ crónoi „die Zeitumstände“, der aber wenig befriedigt, weil es für diese Bedeutung des Plurals keine Parallelen gibt. Mir scheint eine überzeugende Lösung noch nicht gefunden zu sein.

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850–904 Dialog Agamemnon – Hekabe 850–63 Die Antwort Agamemnons zeigt, dass er in seinem Amt auf Stimmungen und Empfindungen anderer Rücksicht nehmen und abwägen muss, was er sich an selbständigem Handeln leisten kann. (Gleiches scheint auch für den Agamemnon der Polyxene des Soph. gegolten zu haben, vgl. F 524 TrGF.) Durch diese Abhängigkeit von anderen ist er schwächer als Hekabe, die nichts mehr zu verlieren hat und auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen braucht. Dazu Daitz (1971) 221. Die Beziehung Agamemnons zu Kassandra, auf die sich Hekabe gerade berufen hat, um ihn für ihre Sache zu gewinnen, erschwert es ihm, sich für sie einzusetzen, weil ihm Befangenheit vorgeworfen werden könnte, wie es schon einmal geschehen ist (V. 120–29). Battezzato (2003) 31 Anm. 49 sieht eine Parallele zu dieser Rede in der Antwort des Menelaos auf das Hilfegesuch des Orestes Or. 682–716. In der Tat ist die Antwort dort ähnlich reserviert; der entscheidende Unterschied liegt jedoch im Verhalten der beiden Brüder danach. Während hier Agamemnon Hekabe im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt, tut dort Menelaos nichts für Orestes. Gregory (1999) verweist gut auf das ähnlich zögernde Verhalten des Aigeus Med. 719–30 und des Demophon Hkld. 410–24. 851 di’ oi¢ktou … e¢cw: „habe Mitleid”; vgl. Hik. 194; Iph.T. 683; KG 1,483. ceîrá q’ i™kesían e¢cw: Er stößt ihre Hand also nicht zurück oder entzieht sich ihr dadurch, dass er sich von ihr abwendet. Es ist denkbar, dass er mit diesen Worten die bisher kniende Hekabe zu sich emporzieht, so dass die beiden von nun an in Augenhöhe miteinander sprechen. Ganz anders verhielt sich Odysseus V. 342–44. 853 díkhn: Die Aufnahme der Variante cárin hätte zur Folge, dass es hieße „ich will dir diesen Gefallen tun“, aber dann wäre a¬nósion xénon ohne Beziehungswort. cárin dürfte also ein Schreiberversehen sein, vielleicht verursacht durch den Versschluss von V. 855 oder 899. 854 wçste soí t’ e¢cein kaløß: wörtlich „so dass es sich für dich gut verhält“, gemeint „so dass du dich rächen kannst“. Sehr ähnlich Hipp. 50. 856 Agamemnon rechnet wie das Publikum damit, dass Polymestor mit dem Tod bestraft werden wird. 857 e¢stin gàr h©¸: wörtlich „denn es gibt etwas, wobei”; vgl. KG 2,405. taragmòß e¬mpéptwké moi: wörtlich: „mich hat Verwirrung befallen“. 858f. fílion – e¬cqrón: Für das Heer ist Polymestor kein Feind. Er hat sich vielmehr durch den Mord an Polydoros als Feind eines Feindes der

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Griechen und damit als Freund erwiesen; denn für das Heer ist der Knabe als Sohn des Priamos zweifellos ein Feind. 859f. ei¬ dè soì fíloß oçd’ e¬stí: „wenn der dort dir ein Freund ist“. Collard, Gregory und andere bevorzugen den Vorschlag von Elmsley d’ e¬moì fíloß „aber mir ein Freund“. Die Änderung ist kaum richtig; vgl. Stanton (1995) 25 Anm. 45; Biehl (1997) 140f. Zwar versucht Hekabe, Agamemnon für ihre Familie zu ‚vereinnahmen‘, aber er achtet auf Distanz und würde kaum Polydoros als seinen fíloß bezeichnen. oçde ist nicht etwa Agamemnon, wie Tierney und Synodinou meinen, sondern Polydoros, dessen Leichnam sich wohl auf der Bühne befindet und auf den mit oçde verwiesen werden kann. Als Familienangehöriger Hekabes kann er mit Recht soì fíloß genannt werden. Auf der Bühne würde der Sachverhalt deutlich werden, wenn Agamemnon zu V. 859 bei soì auf Hekabe und zu V. 860 bei oçd’ auf den Leichnam des Polydoros hinweist. 863 diablhqäsomai: wörtlich „ich werde verleumdet werden“; gemeint ist: „man wird schlecht von mit reden“; vgl. Hkld. 422; Iph.A. 1372. 863a–67 Allgemeine Reflexion Hekabes, mit der sie auf die unbefriedigende Antwort Agamemnons reagiert, die zeigt, dass sogar er als Oberfeldherr auf vieles Rücksicht nehmen muß. Eine ausdrückliche Anwendung auf die konkrete Situation ist nicht erforderlich, weil sie auf der Hand liegt. Immerhin knüpft Hekabe in V. 868 an ihre Reflexion an. Vgl. Johansen (1959) 158; zum Gedanken Daitz (1971). 866 póleoß: Eur. verwendet. diese Form des Genetivs, wo es metrisch erforderlich ist, wie hier. Daneben steht das etwa ebenso häufige pólewß. nómwn grafaì: wörtlich „Schriften der Gesetze“. Gemeint sind die Gesetzestexte, die dem, der zu entscheiden hat, einerseits keinen Ermessensspielraum lassen, aber andererseits von Stadt zu Stadt verschieden sind und auch geändert werden können. Sie sind zu unterscheiden vom universal herrschenden nómoß, auf den sich Hekabe in V. 799–801 beruft. Die Erwähnung geschriebener Gesetze ist freilich, ebenso wie die des plñqoß póleoß, ein Anachronismus. Die Schrift wird von Eur. auch sonst vorausgesetzt, so für die Briefe in Hipp., Iph.T. und Iph.A.; geschriebene Gesetze werden auch Hik. 433 erwähnt. 867 ei¢rgousi crñsqai mæ: „halten davon ab zu gebrauchen“. Die bei der Übersetzung ins Deutsche wegfallende Negation mä (hier aus metrischen Gründen nachgestellt) steht nach ei¢rgousi als einem Verbum des Hinderns; KG 2,208. katà gnåmhn trópoiß: wörtlich „Handlungsweisen gemäß der (eigenen) Meinung“. 868–75 Da Hekabe die Begründung für Agamemnons Zurückhaltung akzeptieren muss, begnügt sie sich damit, ihn zu bitten, er möge wenigs-

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tens dafür sorgen, dass sie bei ihrem Handeln nicht behindert wird. Dem stimmt er zu. So bekommt sie zwar weniger Hilfe als erhofft, aber genug für ihre Zwecke. Eine ähnlich bedingte, aber doch ausreichende Zusage auf eine Bitte um Hilfe bekommen auch Medea von Aigeus und Helena und Menelaos von Theonoe (Med. 725–30; Hel. 1022f.). 868 tø¸ … o¢clw¸: „der Masse“, s. zu V. 880. Ähnliche Beurteilung des Verhaltens Agamemnons Iph.A. 1012 lían tarbeî stratón. pléon: „zu viel“; vgl. Hik. 241. 869 Hier spricht die Sklavin Hekabe ihren Herrn Agamemnon frei. Dies ist besonders paradox nach V. 754f., wo Agamemnon ihr die Freiheit schenken wollte. 870f. Wichtig ist hier die Unterscheidung von Mitwisserschaft (súnisqi) und Mittäterschaft (sundrásh¸ß). sundrásh¸ß dè mä: verneinter Imperativ: „aber wirke nicht mit!“ 872 ¯pikouría mit Aphärese für e¬pikouría „Hilfe“. Méridier versteht richtig: „ein Versuch zur Hilfeleistung“. Vgl. auch V. 878. 873 Euphemistische Umschreibung der Bestrafung, die Polymestor zu erleiden haben wird, tautologisch ausgedrückt; vgl. El. 1141 (und Denniston zur Stelle); KG 2,436. Ähnliche Tautologien in anderer Funktion Med. 1011; El. 289, 1122; Or. 660. 874 e¬mæn cárin: „mir zugunsten“, „meinetwegen“; Akkusativ der Beziehung; vgl. V. 1243; Soph. Trach. 485 keínou te kaì sæn e¬x i¢sou koinæn cárin; KG 1,285, 462. 875 tà d’ a¢lla qársei: „im übrigen sei guten Mutes“. Die Sklavin spricht ihrem Herrn Mut zu, ähnlich wie Polyxene in V. 345. Viele Herausgeber fassen qársei als Parenthese auf, was möglich, aber nicht nötig ist. Dann wäre tà d’ a¢lla „alles übrige“ zum folgenden zu ziehen: „Ich werde – sei guten Mutes! – alles übrige gut erledigen“. qäsw kaløß: Hinter dieser neutralen Wendung verbirgt Hekabe, was sie im einzelnen vorhat, genau wie die skrupellose Amme Hipp. 521. Vgl. ferner Or. 1664; Iph.A. 401. 876–79 Der ungläubige Agamemnon überschüttet Hekabe mit sieben Fragen auf einmal. 876 Der erste Halbvers auch Hipp. 598 (s. Barrett zur Stelle); ähnlich Med. 1376. fásganon: Das Schwert ist die Waffe der Männer. Dass auch Frauen es führen könnten, ist für Agamemnon schwer vorstellbar. Tatsächlich werden bald fásgana in den Händen der Frauen sein; s. V. 1161. 878 Das Töten mit Gift ist dagegen für Frauen charakteristisch; vgl. Med. 384f.; Ion 616f. 879 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Die beiden parallel gebauten Vershälften variieren die gleiche Frage.

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880 o¢clon: „eine Menge“. Das Wort, das Hekabe auch schon in V. 868 verwendete, kann, stärker als dñmoß „Volk“ oder plñqoß „Menge“, auch einen herabsetzenden Nebensinn haben, wie im Deutschen „Masse“ oder „Pöbel“; so etwa in V. 605, 607 und wohl auch 868, nicht jedoch in V. 521. Hekabe mag durch die Wortwahl andeuten, dass ihre Helferinnen im Zelt sich, wenn es sein muß, durchaus wie ein wütender Mob verhalten können; so Kovacs (1987) 104: „she has her own mob“. 881 Eine recht geringschätzige Bewertung von Hekabes Helferinnen. 882 tòn e¬møn fónea: Alle Hss. überliefern tòn e¬mòn fónea „meinen Mörder“. Dies könnte metaphorisch verstanden werden, ähnlich wie Soph. Öd. 534, wo Ödipus Kreon beschuldigt, gegen ihn zu intrigieren und auf seinen Tod hinzuarbeiten, und ihn darum „meinen Mörder“ nennt (foneùß w£n toûde ta¬ndróß). Doch spricht viel für das von Scaliger vorgeschlagene tòn e¬møn fónea „den Mörder der Meinigen“, wobei Hekabe ähnlich wie in V. 750 sowohl an Polydoros als auch an Polyxene denken könnte. 883 a¬rsénwn … krátoß: „Gewalt über Männer“, vgl. Tro. 949; KG 1,335. Man sollte auch daran denken, dass Agamemnon durch seine eigene Frau gewaltsam zu Tode kommen wird. Synodinou merkt mit Recht an: „Agamemnon unterschätzt die Frauen ganz allgemein.“ 884 sùn dólw¸: „mit List“. Eine besondere Fähigkeit der Frauen, durch die sie den Mangel an Körperkraft ausgleichen. Vgl. Andr. 85 pollàß a£n euçroiß mhcanáß, gunæ gàr ei® und Stevens zur Stelle. 885 mémfomai: wörtlich „ich tadele, missbillige“. génoß: „Geschlecht” ist einhellig überliefert. Jenni versucht durch seine Änderung deutlicher zu machen, was Agamemnon meint. Den Frauen als dem schwachen Geschlecht fehlt die für eine solche Tat nötige Körperkraft. Deswegen setzt er sqénoß „Kraft“, womit in diesem Fall die fehlende Kraft gemeint wäre. Ich denke, dass die Meinung Agamemnons auch ohne diese Änderung deutlich genug wird. Vgl. auch V. 225–28, 1184; Biehl (1997) 141f.; Synodinou; ferner Antiope F 199,1f. TrGF tò a¬sqenéß mou kaì tò qñlu såmatoß | kakøß e¬mémfqhß (wo allerdings von keiner Frau, sondern von dem der Musik zugewandten Amphion die Rede ist). 886f. Hekabe nennt zwei mythische Beispiele für die Richtigkeit ihrer von Agamemnon angezweifelten Behauptung in V. 884; vgl. Johansen (1959) 51. Frauen haben gelegentlich Scharen von Männern vernichtet. Denn die fünfzig Töchter des Danaos töteten (mit einer Ausnahme) die fünfzig Söhne des Aigyptos. Dies war der Stoff der Danaidentrilogie des Aischylos, von der die Hiketiden erhalten sind. Ferner töteten die Frauen von Lemnos ihre sämtlichen Ehemänner. Auch dies scheint zum Stoff mehrerer verlorener Tragödien geworden zu sein, so der Lemnier des Aischylos und der Lemnierinnen des Sophokles.

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887 a¢rdhn a¬rsénwn e¬xå¸kisan: „sie entvölkerten es ganz und gar von Männlichen (oder Männlichem)“. a¢rdhn a¬rsénwn ist wohl eine bewusst eingesetzte Allitteration. e¬xå¸kisan: e¬xoikízein in V. 948 in wörtlicher Bedeutung „aus dem Haus treiben“, hier dagegen in übertragenem Sinn „entvölkern“. 888–97 Hekabe hält ihre Beispiele für so überzeugend, dass sie mit königlichem Selbstbewusstsein die Diskussion für beendet erklären und ihrem Herrn Agamemnon und ihrer früheren Dienerin, die seit V. 724 stumm abseits steht, die nötigen Anweisungen erteilen kann. 888 wÇß für ouçtwß: „so“; s. zu V. 441. a¬ll’ wçß genésqw: formelhafte Bekräftigung; s. Tro. 726; Iph.T. 603. 890 Qrh¸kì … xénw¸: s. zu V. 774. plaqeîsa wörtlich „nahe tretend“; passives Partizip des Aorists von pelázw in aktiver Bedeutung, mit Dativ der Person. 891–94 Auftrag an einen Boten in direkter Rede mit dem Zweck, die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Botschaft hervorzuheben; vgl. Bers (1997) 69 Anm. 1. 891 dä pot’: „einst, einstig“; vgl. V. 484. Hekabe betont ihre bisherige Gleichrangigkeit mit Polymestor. 892 sòn … créoß: „in einer dich betreffenden Angelegenheit“: Akkusativ der Beziehung; s. zu V. 874, wo eine ähnliche Konstruktion vorliegt. 894 toùß e¬x e¬keínhß: an lógouß anzuschließen „die Worte, die von ihr kommen“. Einige Hss. und schol. HB, die toùß e¬x e¬keínou lesen, scheinen die Worte an paîdaß anzuschließen und w™ß – lógouß als Einschub aufzufassen, was kaum richtig ist. neosfagoûß: „der frisch geschlachteten“, ein drastischer Ausdruck, aber bei den Tragikern beliebt; Soph. Ai. 546, 898; Trach. 1130. 896f. Der Wunsch Hekabes, dass ihre beiden Kinder zusammen bestattet werden, wird sich am Ende des Stückes erfüllen; vgl. V. 1287f. In V. 45–50 war noch nicht davon die Rede, aber von jetzt an wird das Motiv der gemeinsamen Bestattung der Geschwister zu einem wichtigen einheitstiftenden Element. Häufung der Duale zur Hervorhebung der ‚Zweisamkeit‘; vgl. Aisch. Sieb. 849. Durch die Variante dissœ merímna würden noch weitere Duale hergestellt. 898–904 Während in V. 38 und 111 nicht deutlich gesagt wurde, wie der Geist des Achilleus die Griechen am Aufbruch hinderte, stellt Agamemnon jetzt fest, dass kein Fahrtwind weht. Dabei kann es offen bleiben, ob Flaute herrscht oder Gegenwind; die Wirkung ist die gleiche. Es wird aber nicht gesagt, dass der fehlende oder falsche Wind durch den Geist des Achilleus verursacht wurde; Schlesier (1988) 114 Anm. 12 und

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Kovacs (1987) 145 Anm. 58 bestreiten dies sogar entschieden. Man muss zugeben, dass wir weder das eine noch das andere wissen, doch liegt es nahe, zu vermuten, dass der Geist des Achilleus dafür verantwortlich war, dass nicht der richtige Wind wehte, und katésc’ in V. 38 und e¢sce scedíaß in V. 111 so zu verstehen sind. (So auch schol. V zu V. 111: nhnemía gégone h™níka e¬fánh o™ ¯Acilleúß). Es scheint mir bedeutsam zu sein, dass Agamemnon einen Gott dafür verantwortlich macht, dass der Fahrwind nicht weht. So auch Kovacs (1987) 105. Am Schluss, als Polymestor seine Strafe erhalten hat, weht jedenfalls der Fahrtwind, und die Flotte kann aufbrechen (1289f.). Man sollte darauf hinweisen, dass Agamemnon Hekabe Gelegenheit zur Rache gibt, weil er erstens dem Recht zur Geltung verhelfen will, wie er ausdrücklich sagt (852f. und 902–04), weil er ihr zweitens aber auch einen persönlichen Gefallen tun will (899) und weil es sich drittens zeitlich einrichten lässt (898–901). Seine Beziehung zu Kassandra scheint bei seiner Entscheidung keine Rolle zu spielen. Er lässt sie jedenfalls unerwähnt. S, auch zu V. 850–63. ou¬ríouß pnoàß „Fahrtwind“; wie Tro. 882f.; Hel. 1612. 898 e¢stai tád’ ouçtw: „so soll es sein“, wörtlich „so wird es sein“. Futur zur Bezeichnung eines erwarteten und erwünschten Geschehens; vgl. Alk. 328; KG 1,173–76. Die Zustimmung Agamemnons bezieht sich wohl nicht nur auf die zuletzt gegebenen Befehle Hekabes, sondern auf ihren ganzen Plan, wie seine abschließenden Worte zeigen. Sie erhält damit von ihm die Erlaubnis, ihre Rachetat so zu vollbringen, wie sie es für richtig hält. Hierzu Meridor (1983) 17 Anm. 34. 900 Dass auch nach Polyxenes Opferung noch kein Fahrtwind weht, bedeutet nicht, dass die Götter Menschenopfer verurteilen, wie manche meinen, sondern eher, dass sie Hekabe Zeit für den Vollzug ihrer Rache gewähren. Wäre die Feststellung, dass in diesem Augenblick noch kein Fahrtwind weht, tatsächlich so wichtig für das Verständnis des Stückes, hätte der Dichter sie stärker hervorgehoben und nicht nur fast nebenbei in einer Parenthese erwähnt. 901 h™súcouß: Alle Hss. überliefern ménein a¬nágkh ploûn o™røntaß hçsucon „muss man auf die Abfahrt warten und in Ruhe Ausschau halten (nämlich nach Fahrtwind)“. hçsucon wäre dann adverbiell aufzufassen, doch ist die Form erst bei Theokrit als Adverb belegt. Darum ist es wohl besser, das Wort mit Markland an o™røntaß anzupassen und in h™súcouß zu verändern. 902–04 Agamemnon wünscht Hekabe Erfolg. Dass sie ihn verdient hat, begründet er ähnlich wie sie in V. 844f. 904 Nach diesem Vers geht Agamemnon in Richtung zum griechischen Lager ab, während sich Hekabe wohl ins Zelt zurückzieht, um dort

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Vorbereitungen für die Rachetat zu treffen. Die Dienerin dürfte schon vorher, als sie ihren Auftrag erhalten hat, zusammen mit einigen Soldaten aus Agamemnons Gefolge, die sie auf seinen Wink hin begleiten, in Richtung zum griechischen Lager abgegangen sein (894). Doch was geschieht mit dem Leichnam des Polydoros? Er könnte ins Zelt getragen werden, er könnte aber auch wieder verhüllt werden und vor dem Zelt liegen bleiben. Letzteres scheint mir für die Inszenierung sinnvoller zu sein, weil der folgende Dialog, wenn er vor dem Hintergrund der Leiche stattfände, sehr an dramatischer Ironie gewinnen würde. Ähnlich auch Gregory zu V. 955 und Synodinou zu 953–55.

905–51 Drittes Stasimon Dieses aus zwei Strophenpaaren und einer Epode bestehende Lied ist das längste Chorlied des Stückes. Es ist ein „dithyrambisches Stasimon“, also eine lyrische Erzählung; s. Kranz (1933) 18. Es handelt ähnlich wie das zweite von dem großen Geschehen, das den Hintergrund für die Bühnenhandlung bildet, nämlich dem Untergang Trojas. Die erste Strophe ist eine allgemeine Klage über das Ende der Stadt, während die übrigen drei Strophen die Katastrophe aus der Perspektive der vornehmen Troerin schildern, die nach dem Freudenfest wegen des vermeintlichen Abzuges der Feinde im Negligé am Frisiertisch saß, als das Kriegsgeschrei ertönte und die Griechen plötzlich überall in der Stadt auftauchten. Das Lied mündet in eine Verwünschung der beiden Menschen, die, jedenfalls vordergründig, die Schuld am Kriege tragen, also der Helena und des Paris, die schon im 2. Stasimon (V. 629–46) genannt wurden. Zu diesem Lied ausführlich Panagl (1971) 7–41, (1972) 8–11; Nordheider (1980) 21–25; C. Collard, Sacris Erudiri 31 (1989–90) 87–97; Hose (1990–91) 2, 66f. und (2008) 87–89; Mossman (1995) 87–92; Burnett (1998) 158 Anm. 69; C. W. Willink, Eur. Hec. 905–22, Ion 763–803, Ba. 402–33, Mnemosyne 57 (2004) 45–79. 905f. Eine ähnliche Äußerung der Trauer über die Niederlage Aisch. Pers. 249–52. 905 w® patrìß ¯Iliáß: „o ilisches Vaterland“. Zum Adjektiv ¯Iliáß s. zu V. 102. Die letzte Silbe ist kurz, vgl. Andr. 128. Das thematisch eng verwandte Lied Tro. 511–67 handelt ebenfalls vom Untergang Trojas aus der Sicht der Frauen. Es beginnt mit der Nennung des Namens der Stadt (511 ºIlion) und schließt mit der Klage über den Verlust der Vaterstadt (567). 906 tøn a¬porqätwn póliß ou¬kéti léxh¸: wörtlich „als eine Stadt der Uneroberten wirst du nie mehr zählen“, im Gegensatz zu den Athenern, die

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sich rühmten, dass ihre Stadt noch nie erobert worden sei; vgl. Med. 826; Aisch. Pers. 348f.. Troja wurde bekanntlich zweimal erobert, zuerst zur Zeit des Königs Laomedon durch Herakles und dann wieder durch Agamemnon. ou¬kéti „nicht mehr“, wiederholt in V. 913. Der Gedanke, dass Troja endgültig der Vergangenheit angehört, bestimmt Anfang und Ende. léxh¸ „du wirst zählen“, „du wirst gerechnet werden“; s. zu V. 828. 907–13 Hierzu vgl. Barlow (1971) 111f. Die Stadt wird personalisiert angeredet, und ihr Zustand wird durch mehrere Metaphern veranschaulicht. Die Tmesis (a¬mfí – krúptei, a¬pó – kékarsai, katá – kécrwsai) wird als Stilmittel eingesetzt. 907 ¿Ellánwn néfoß: „die Wolke der Griechen”, Metapher für das unübersehbar große Heer; ähnlich Ilias 17,243 (polémoio néfoß perì pánta kalúyei); Phön. 250f. 910f. Der Ring der Stadtmauern und -türme wird mit einer großartigen Metapher als ein Kranz verstanden, der einem Opfernden, einem Sieger oder einer Frau entrissen wird; die Kranzmetapher auch Tro. 783f.; Pindar Olympien 8,32f. 911f. katà … kécrwsai: in Tmesis, „du bist gefärbt worden“, von dem seltenen Verb katacrånnumi „färbe“. khlîd’: Akkusativ der Beziehung, „mit einer Befleckung“. 911 [kapnoû]: “des Rauches”, wohl eine Glosse zu dem selteneren Synonym ai¬qálou, von Triklinios und später wieder von Canter gestrichen. Die beiden großen Metriker taten es aus dem gleichen Grund: Das Wort stört die Responsion mit V. 920 (so auch Triklinios in schol. T: perissòn ou®n h®n tò kapnø¸. diò kaì e¬xebläqh par’ e¬moû, içn oi¬keîon h®¸ tò kølon pròß tò tñß a¬ntistrofñß). 913 tálain’: wohl auf Troja bezogen (vielleicht auch Selbstanrede der Sprecherin). s’ e¬mbateúsw: pólin e¬mbateúein: auch El. 595, 1250f. 914–42 Ein jäher Wechsel von der Festfreude zum Einbruch der Katastrophe erfolgt auch im ersten Stasimon der Tro., besonders in V. 551– 59. 914 mesonúktioß: „um Mitternacht“; Adjektiv der Zeit, wo deutsch ein präpositionaler Ausdruck verwendet wird; s. zu V. 797. Die Autoren stimmen darin überein, dass der Überfall tief in der Nacht erfolgte: Tro. 543; núcion … knéfaß parñn; Vergil Aeneis 2,268f. „tempus erat quo prima quies mortalibus aegris | incipit et dono divum gratissima serpit“. Schol. MB zitiert Ilias Parva fr. 11 EGF nùx mèn e¢hn méssh, lamprà d’ e¬pételle selänh. 915 h®moß: „als“, im Epos und bei Soph. gebräuchlich, bei Eur. nur hier.

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916f. molpân d’ a¢po kaì coropoiòn: Der Genetiv des Plurals molpân (mit dorischen Vokalismus) ist zwar nicht in der Mehrheit der Hss., aber doch recht gut überliefert. Die nachgestellte Präposition a¢po ist wohl zeitlich zu verstehen: „nach“. Das Adjektiv caropoióß „Freude bereitend“ ist erst in nachchristlicher Zeit belegt, darum scheiden die Varianten caropoiòn usw. aus, dagegen ist coropoióß „Tänze aufführend“ bei Tragikern und Komikern bezeugt: Phön. 788 (mit unsicherer Überlieferung); Soph. Ai. 698; Aristophanes Frösche 353 (wo der Zusammenhang eindeutig coropoión verlangt). katapaúein: „beendigen“ ist sonst durchweg ein transitives Verb. Das spricht für den Akkusativ coropoiòn qusían katapaúsaß „das Opfer, das zu Tänzen veranlasste, beendigt habend“. LSJ und Willink fassen das Verb an dieser Stelle intransitiv auf, so wie es auch com. adesp. fr. 110, 8 CGF verwendet wird (eu¬hmerøn katápauson). Dann kann man coropoiøn qusiøn (oder mit dorischem Vokalismus qusiân) lesen und es mit molpân parallel stellen: molpân d’ a¢po kaì coropoiøn qusiøn katapaúsaß „nach Gesängen und Opfern, die zu Tänzen veranlassten, aufgehört habend“. Die Scholien zur Stelle legen ihrer Paraphrase teils den Genetiv und teils den Akkusativ zugrunde. Murray liest katalúsaß „zur Ruhe gegangen“ und kann dann den Genetiv beibehalten, denn dieses Verb kann auch intransitiv verwendet werden, wenn es wie hier mit einer Ortsangabe (e¬n qalámoiß) verbunden ist. 920 xustòn „der Speer“: wörtlich „das Geglättete (Synekdoche). Es ist ein Zeichen des Friedens, dass der Speer nicht in Griffweite steht, sondern zur Aufbewahrung am Pflock hängt. 921 naútan … oçmilon: „die Schar von der Flotte“. naútan adjektivisch gebraucht. 922 Die Handschriften überliefern Troían ¯Iliád’ „das ilische Troja“: Die Verbindung von synonymem Substantiv und Adjektiv wird von den meisten Herausgebern hingenommen, hat aber andere gestört und zu Änderungsvorschlägen geführt, wie pátran „das ilische Vaterland“ (Burges) oder pétran „den ilischen Felsen“ (Willink), die beide einen guten Sinn ergeben. Wenn man ändern will, käme am ehesten pátran in Frage, schon wegen des Anklanges an V. 905. Troían wäre dann als Glosse anzusehen. e¬mbebøta entweder Perfekt mit präsentischer Bedeutung (KG 1,148) oder Vergangenheitstempus. Im ersten Fall ist das nach dem scheinbaren Abzug gerade heimlich wieder zurückkehrende griechische Heer gemeint, im zweiten Fall das Heer, das zu Beginn des Krieges vor Troja gelandet und jetzt abgezogen ist. Jede der beiden Auffassungen hat bei Kommentatoren und Übersetzern Anhänger gefunden. e¬mbebøta ist nur in wenigen Hss. bezeugt, aber um der Responsion mit V. 913 willen erforder-

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lich, wie schon Triklinius erkannt hat (schol. T: e¬mbebøta cræ gráfein, ou¬k e¬mbebaøta. ou¬c ouçtw gàr e¢cei pròß tò métron o¬rqøß, a¬ll’ e¬keínwß). Die Schlüsse von V. 913 und 922 respondieren klanglich und inhaltlich (Wortresponsion); ähnlich V. 931 und 941. 923f. e¬gœ dè: „ich aber“, ebenso an entsprechender Stelle Tro. 551: parodiert durch Aristophanes Frösche 1346. Das Scholion MB zu V. 923 vermutet hier, sicher zu Unrecht, einen Seitenhieb auf die Frauen, die sich sogar noch zu so später Stunde ihrer Putzsucht hingeben: diasurtikøß gunaikøn tò kaì méshß nuktòß kallwpízesqai. plókamon „das Haar“, Singular wie Phön. 309; Aisch. Sieb. 564. a¬nadétoiß mítraisin: „mit einem aufgebundenen Haarband“ ähnlich Herodot 1,195,1 (über die Babylonier) komønteß dè tàß kefalàß mítrh¸si a¬nadéontai. 925a cruséwn e¬nóptrwn: „goldener Spiegel“; griechisch Plural. Dies soll offenbar ein Beispiel für den orientalischen Prunk der Trojaner sein; vgl. Tro. 1107; Or. 1112f. Spiegel werden auch Med. 1161 erwähnt. Sie sind in Griechenland erst seit etwa 500 gebräuchlich, bestehen aber aus Bronze oder Silber, nie aus Gold. Eur. setzt ihr Vorhandensein auch für die heroische Zeit voraus. cruséwn ist zweisilbig zu lesen ( qq ). a¬térmonaß ei¬ß au¬gáß: „in den grenzenlosen Glanz“. Eine harte Nuss für die Interpreten seit der Antike. Die meisten Scholien und auch manche modernen Philologen verstehen a¬térmonaß als „rund“, da das Runde keine Grenzen habe. Tatsächlich waren die antiken Spiegel in der Regel rund. Andere denken, dass die starke Helligkeit gemeint ist, die der Spiegel reflektiert, wenn ein Lichtschein in ihn fällt (O. Skutsch, Eur. Hec. 925–26, Classical Philology 52, 1957, 173 mit weiterer Literatur). Die damals vorhandenen Lichtquellen waren aber nicht sehr stark. Wieder andere vermuten, dass die unendliche Reihe von Bildern gemeint ist, die entsteht, wenn zwei Spiegel einander gegenübergestellt werden, wodurch der Plural e¬nóptrwn einen guten Sinn bekäme. Dagegen ist einzuwenden, dass sich dieser Effekt mit den damals gebräuchlichen kleinen Metallspiegeln kaum erzielen ließ. Ich ziehe es vor, die Wendung in ihrer Rätselhaftigkeit stehenzulassen. 926 e¬pidémnioß: „auf dem Bett liegend“; nur hier belegt. Adjektiv, wo im Deutschen Adverb verwendet wird; s. zu V. 797. Nach e¬pidémnioß ist e¬ß eu¬nán „auf das Bett“ pleonastisch. 927 Dem jähen Wechsel in der Handlung entspricht der Wechsel des Metrums. Dies gilt allerdings nur für die Strophe.

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928f. Synodinou unterscheidet zwischen póliß (Akropolis) und a¢stu (untere Stadt) entsprechend den Verhältnissen in Athen und vielen anderen griechischen Städten. Das ist möglich, doch möchte ich eher annehmen, dass die beiden Wörter hier synonym verwendet werden. 929–32 Direkte Rede im Chorlied (ähnlich V. 114f.), dazu Panagl (1972) 8–11; Bers (1997) 104f. 929f. w® paîdeß ¿Ellánwn: „o Söhne der Griechen“; der gleiche Kampfruf Aisch. Pers. 402 vor der Schlacht von Salamis. 930–32 Einnahme Trojas und anschließende Heimkehr werden auch Ilias 1,19, 2,113 als Ziele des Krieges nebeneinander gestellt. 931 ¯Iliáda skopiàn: wörtlich „den ilischen Wachtturm“. Gemeint ist die Stadtmauer mit ihren Türmen; also Synekdoche (pars pro toto). Die Wächter sind im entscheidenden Augenblick freilich nicht wachsam, sondern schlafen. 932 oi¢kouß: „nach Hause“. Die von Triklinius vorgenommene Streichung der Präposition e¬ß ist um der Responsion mit V. 942 willen erforderlich. 933 monópeploß „nur mit einem einzigen Gewand bekleidet“. Während athenische Frauen zwei Gewänder, Chiton als Unterkleid und langen Peplos als Oberkleid, trugen und gegürtet waren, trugen die spartanischen Frauen nur einen Peplos und gingen ungegürtet. 934 Dwrìß w™ß kóra: „wie ein dorisches Mädchen“. Gemeint ist „wie eine Spartanerin“. Die leichte Kleidung der Spartanerinnen (ebenso wie die Tatsache, dass sie so gekleidet oder gar nackt Sport trieben) wurde in Athen als skandalös empfunden; vgl. Andr. 595–601; Aristophanes Lysistrata 82. Schol. MB erwähnen, dass es ein Verbum dwriázein gab, das die Bedeutung hatte: „in der Weise der Dorierinnen leicht bekleidet sein“. Nichts anderes ist hier gemeint. Collard vermutet, dass der Chor noch einmal den Gedanken von V. 650f. anklingen lassen wolle, dass auch die Spartanerinnen um ihre verlorenen Männer trauern müssten. Méridier und andere meinen dagegen, dass sich Eur. hier einen kleinen Seitenhieb gegen die Spartaner erlaube. Keines von beidem scheint mir zuzutreffen. Es geht wohl nur darum, dass das vorher beschriebene ‚Schlafzimmeridyll‘, zu dem auch die leichte Kleidung gehört, durch den jähen Einbruch der Feinde zerstört wird. 935 prosízous’ … ºArtemin: „niedersitzend bei Artemis“. d. h. Asyl suchend am Altar oder Kultbild der Göttin als Schützerin der Frauen. Akkusativ mit Verben des Sitzens bei Asylsuchenden auch Hkld. 55; Andr. 117. ou¬k h¢nus’: „ich vollendete es nicht“; vgl. Ilias 4,56, zur Sache auch V. 289f.

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936f. Die ursprüngliche Satzkonstruktion („Ich werde weggeführt, den Gatten als einen Verstorbenen gesehen habend, den meinigen, hin zum salzigen Meer“) lässt sich im Deutschen nicht nachbilden. Ich richte mich bei meiner Übersetzung nach dem vermutlich gemeinten zeitlichen Ablauf der Ereignisse. 938 a¬poskopoûs’: „von fern erblickend“, wohl nicht vom Meer her, sondern auf dem Weg dahin. Das Partizip ist ebenso wie didoûs’ in V. 946 von a¬peîpon abhängig. 940 naûß e¬kínhsen póda: wörtlich „das Schiff bewegte seinen Fuߓ, gemeint ist wohl „das Schiff setzte sich in Bewegung“ (zur Heimfahrt). Der gleiche Ausdruck V. 1020. poûß als nautischer Terminus bedeutet „Schote“, d.h. „Segelleine“. Auch das kann hier wie dort gemeint sein. In Ba. 765 jedenfalls wird kineîn póda von Menschen gesagt und bedeutet einfach „gehen“. 941 wçrisen: „trennte“. „Jemanden von etwas trennen“ wird hier ungewöhnlicherweise mit Akkusativ und a¬pó konstruiert. 942 tálain’ a¬peîpon a¢lgei: „ich Elende sank hin vor Schmerz“. Dies muss nicht unbedingt bedeuten „ich fiel in Ohnmacht“, wie Collard übersetzt, sondern eher „ich wurde vom Schmerz überwältigt“. 943 Syntaktischer Anschluss der Epode an die vorausgehende Antistrophe, ähnlich wie in V. 648; dazu Kranz (1933) 177. tàn toîn Dioskoúroin … kásin: „die Schwester der beiden Dioskuren” Helena, vgl. V. 441. ¯Idaîón te boútan: „den Rinderhirten vom Ida“. Gemeint ist Paris; vgl. V. 387 und 643–46. 945 Ai¬nóparin: „den Schlimm-Paris”; schmähende Ad-hoc-Bildung, wie Dúspariß „Übel-Paris“ Ilias 3,39; 13,769. Beides nebeneinander Alkman fr. 27 LGS. Vgl. ferner Or. 1387 Duselénan „Übel-Helena“; sowie weitere schmähende Namen für Helena Aisch. Ag. 688–90. 945f. katára¸ didoûs’: wörtlich: „der Verfluchung übergebend“, Umschreibung wie Odyssee 19,167 h® mén m’ a¬céessí ge dåseiß. Das Partizip didoûs’ hängt wie 938 a¬poskopoûs’ von 936 a¢gomai ab. 946–48 e¬peí me gâß e¬k patrå¸aß a¬pålesen e¬xå¸kisén t’ oi¢kwn gámoß: „weil mich (durch die Vertreibung) aus dem Vaterland vernichtete und aus dem Haus vertrieb ihre Hochzeit“. Eine gewisse Schwierigkeit liegt darin, dass gâß e¬k patrå¸aß zwar syntaktisch zu a¬pålesen, aber sachlich zu e¬xå¸kisen gehört. Die aus metrischen Gründen von Wilamowitz (1921) 548 und Anm. 1 vorgenommene Umstellung sowie die Änderungsvorschläge von Diggle und Dindorf scheinen mir nicht nötig zu sein; s. meine metrische Analyse. e¬xoikízein: „aus dem Haus vertreiben“; das Wort auch V. 887, dort jedoch in der Bedeutung „entvölkern“.

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gámoß: wörtlich „Hochzeit“, doch ist hier wie Andr. 103f. die Braut gemeint, nämlich Helena, wie aÇn in V. 950 zeigt, das sich zweifellos auf Helena bezieht. gámoß ou¬ gámoß a¬ll’ … oi¬zúß: vgl. Andr. 103 ou¬ gámon a¬llá tin’ a¢tan, zur Formulierung Hel. 1134 géraß ou¬ géraß a¬ll’ e¢rin. 949 a¬lástoroß: „eines Fluchgeistes“; s. zu V. 686. oi¬zúß: „Unheil“. Auch hiermit ist Helena gemeint; vgl. auch Aisch. Ag. 1461, wo die von Helena bewirkte Zwietracht als oi¬zúß bezeichnet wird. 950f. aÇn: „welche“, „die“. Mit einem Relativpronomen angeschlossener Wunsch. V. 951 ist syntaktisch locker angefügt, denn die nicht namentlich genannte Helena wird jetzt zum Subjekt. Man könnte aç te „und die“ ergänzen. pélagoß açlion: „das Salzmeer“ wie V. 937. Chorlieder enden öfters mit Wünschen: Alk. 474–76; Hik. 86, s. auch Kranz (1933) 122. In diesem Fall jedoch sind die letzten Worte des Chores eine Verwünschung der verhassten Helena; ähnlich wie Hekabes letzte Worte in V. 441–43. Die zornige Verwünschung von Paris und Helena am Schluss dieses Liedes kann man als Einstimmung auf die im nächsten Epeisodion beginnende Rachehandlung ansehen, während die Äußerung des Mitleids mit den Frauen der Feinde am Schluss des 2. Stasimon (650–56) dem versöhnlichen Ausklang der Polyxene-Handlung entsprach. S. auch zu V. 650–56.

953–1022 Viertes Epeisodion Das kurze vierte Epeisodion hat zunächst die Form eines lockeren Gesprächs, das dann in V. 989–1018 in eine streng gebaute Stichomythie übergeht. Es ist eine typische Überlistungsszene. Zu diesem Szenentyp s. Matthiessen (1964) 48–52. Charakteristisch ist dabei die Komplizität des Publikums mit dem Überlistenden, verbunden mit Schadenfreude auf Kosten des Überlisteten. Der Zuschauer weiß, dass Hekabe über Polymestors Untat informiert ist und kennt ihren Racheplan, wenn auch nicht die Einzelheiten. Polymestor dagegen weiß weder, was sie weiß, noch kennt er ihre Pläne. Er weiß auch nicht, dass sie seine Schwäche kennt, nämlich seine Gier nach Gold. So hat sie leichtes Spiel. Es gibt viele Gelegenheiten zu dramatischer Ironie, zu Doppeldeutigkeiten, deren wahrer Sinn dem Überlisteten verborgen bleibt, aber dem wissenden Publikum deutlich wird. Der Chor verfolgt schweigend das Geschehen bis hin zu V. 1022. Polymestor tritt mit seinen zwei kleinen Söhnen aus der Richtung des Lagers auf. Er wird begleitet von seiner Leibwache, auch von der nach ihm

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ausgesandten Dienerin, die in V. 966f. erwähnt wird, und trifft auf Hekabe, die gerade aus dem Zelt hervortritt. 953 Die Anrede an den toten Priamos wurde von Nauck zu Unrecht gestrichen. Sie hat den Charakter einer (geheuchelten) Beileidsbekundung, während Hekabe unmittelbar angeredet wird. Dies wird durch das hinzugefügte „du“ betont. 955 Wie schon zu V. 904 angemerkt, nehme ich gegen Collard, aber mit Mossman (1995) 63f., 67, Gregory und Synodinou an, dass der nach V. 904 wieder verhüllte Leichnam des Polydoros bis V. 1287f. auf der Bühne bleibt und ‚mitspielt‘, so hier und in V. 989 und 993. Hier scheint Polymestor den Leichnam für den Polyxenes zu halten. Dafür spricht ei¬sorøn in V. 954, das auch auf Polyxene bezogen werden kann. Eine Handbewegung in Richtung auf den Leichnam würde dies verdeutlichen. 956–60 Allgemeine Reflexion über den Wechsel des Schicksals und die Willkür der Götter. Zur Form Johansen (1959) 158; zum Inhalt Segal (1989) 12; Wildberg (2002) 143f.; Egli (2003) 148. Solche Gedanken werden auch sonst geäußert, so Iph.T. 570–75 von dem an seiner Rettung verzweifelnden Orestes oder auch Hel. 711–15 von dem alten Diener, der das Handeln der Götter noch nicht durchschaut. Vgl. auch Herodot 1,32,1 tò qeîon pân e¬òn fqonerón te kaì taracødeß. Polymestor ist allerdings nicht die geeignete Person, um derartige Reflexionen anzustellen. Sein eigenes Schicksal wird zeigen, dass die Götter sich sehr wohl als Wächter der Gerechtigkeit auf Erden erweisen können, jedenfalls dann, wenn der Frevel eines Menschen so offenkundig ist wie der seinige. Die Trojanerinnen mögen unverdient ins Unglück geraten sein, er selbst jedoch wird wegen seines Verstoßes gegen Zeus Xenios seine verdiente Strafe erleiden. 956 ou¬k e¢stin ou¬dèn: Häufige Einleitungsfloskel für eine Reflexion; so Or. 1; El. 367; vgl. auch V. 805. 958 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Die eigentliche Aussage erfolgt in der ersten Vershälfte, die zweite verdeutlicht nochmals, was schon am Anfang des Verses mit fúrousi und danach wieder mit taragmòn e¬ntiqénteß ausgedrückt wird. qeoí ist wie in V. 79 einsilbig (in Synizese) zu lesen. 960f. Er bricht seine Reflexion mit einer Bekundung der Resignation ab. Ein ähnliches Abbrechen in V. 603. tí deî: vgl. Or. 28; Iph.A. 1035; Hypsipyle F 757,95f. TrGF (V. 926f.): tí taûta deî sténein, açper deî katà fúsin diekperân; 961 prokóptont’ ou¬dèn e¬ß prósqen: zum Gedanken und seiner Formulierung vgl. Alkaios fr. 155 LGS (= 91 D.) ou¬ crñ kákoisi qûmon e¬pitréphn· prokóyomen gàr ou®den a¬sámenoi. e¬ß prósqen ist neben prokóptont’ pleonastisch, kakøn Genetiv der Beziehung.

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962–67 Polymestor bringt umständlich eine Ausrede dafür vor, dass er Hekabe erst jetzt aufsucht. 963–66 tugcánw – sumpítnei historisches Präsens. 964 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. a¬fikómhn wörtlich „ich kam an“. Hier muss aber gemeint sein „ich war (zurück)gekommen (von meiner Reise)“. Dagegen bedeutet in V. 967 das gleiche Wort „ich kam“. 965 e¢xw dwmátwn: wohl „(wieder) aus dem Hause“, etwa um zu Hekabe zu gehen; so jedenfalls schol. MB: e¬paírontí moi kaì prosiónti pròß sé. pód’ … ai¢rontí moi „mir, der ich (gerade) den Fuß aufhob“, d. h. aufbrach. Fausts Vorschlag, ei¢sw statt e¢xw zu lesen, bringt keine Verbesserung. 966 séqen: poetische Nebenform von soû; vgl. V. 955, 973, 990, 1114. 967 Kovacs (1996) 68 möchte den Vers als überflüssig streichen, doch ist gegen ihn nichts einzuwenden. 968–75 Die Verse enthalten implizit eine Regieanweisung. Hekabe blickt bei diesen Worten Polymestor nicht an, sondern spricht zu ihm mit abgewendetem oder verhülltem Gesicht. Zur Verhüllung dessen, der sich seines Unglücks schämt, vgl. Her. 1198–1201. 970–75 Die Verse wurden von Dindorf gestrichen, doch merkt schon Page (1934) 68 an „The objections are not very strong“. 970 oçtw¸ … w¢fqh: „von dem ich gesehen wurde“. oçtw¸ ist Dativ auctoris. Als Überleitung lässt sich ergänzen toútw¸ o¬fqñnai „von dem gesehen zu werden“. 971 tugcánous’: Bruch der Satzkonstruktion. Der Satz wird fortgesetzt, als wenn ai¬doûmai vorausgegangen wäre. 972 prosblépein s’: Das Akkusativobjekt s’, das meist bei diesem transitiven Verb steht, ist gut bezeugt und sollte beibehalten werden. o¬rqaîß kóraiß: „mit geraden Augen“; ähnlich Iph.A. 851 o¬rqaîß o¢mmasin. Die Grundbedeutung von kórh ist „Mädchen“, und das Wort wird bei Eur. überwiegend in dieser Bedeutung verwendet, doch kommt es auch in der Bedeutung „Auge“ insgesamt 30mal bei ihm vor. Es ist wenig wahrcheinlich, dass die Metapher noch empfunden wurde, wie Nussbaum (1986) 410–13 annimmt. Darum glaube ich nicht, dass sich ihre auf Platon Alkibiades 1 132e7–133a3 gestützte Interpretation halten lässt, dass Hekabe zuerst durch die Verweigerung des Anblickens und sodann durch Polymestors Blendung die mitmenschliche Gemeinschaft mit ihm und darüber hinaus mit allen Menschen verlässt. Ich meine vielmehr, dass Hekabe als so sehr von Hass gegenüber Polymestor erfüllt erscheinen soll,

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dass sie ihren Blick verbergen muss, weil er sonst alles verraten würde. Ähnlich Méridier (1960) 178; Kovacs (1987) 106. 973–75 Dadurch, dass Hekabe zwei verschiedene Begründungen für die Abwendung des Blicks gibt, wird schon angedeutet, dass in Wahrheit keine zutrifft. Hartung (1850) 177 schreibt die Verse „einem sinnlosen Versemacher“ zu. Biehl (1997) 145f. verteidigt sie, wenn auch mit wenig überzeugenden Argumenten (Häufung von Stilmitteln als Darstellung übertreibenden Redens einer Barbarin). Die Verse scheinen mir echt zu sein; vgl. Mossman (1995) 132 und Anm. 95, ebenso Synodinou. Es bringt auch keinen Gewinn, V. 973 zu halten und 974–75 zu verwerfen, wie es Diggle und Gregory vorschlagen. 974 a¢llwß d’ … kaì: „aber im übrigen auch“; vgl. Alk. 533; Aristophanes Vögel 1476. 976 kaì qaûmá g’ ou¬dén: Es ist richtig, dass sich Polymestor mit diesen Worten auf V. 968–72 bezieht und nicht auf 974f. Es ist jedoch die Frage, ob dies als Begründung für die Tilgung von V. 973–75 oder 974f. ausreicht. Der Versanfang wie Soph. Öd. 1319; ähnlich ebendort 1132. 976f. Die gleiche Frage zweifach gewendet und umgangssprachlich formuliert. 977 tí crñm’: wörtlich: „welche Sache“, hier adverbialer Ausdruck: „warum“. crˆñm’ steht also pleonastisch; vgl. Hkld. 633; Her. 1179. e¬pémyw: „du ließest holen“. pémpesqai = metapémpesqai, wie Soph. Öd.K. 602. tòn e¬mòn … póda: Umschreibung von „mich“; vgl. Hipp. 661; Or. 1217; KG 1,280. 978–83 Für das Gelingen des Anschlages ist es wichtig, dass Polymestor und seine Söhne von den Leibwächtern getrennt werden (wie Aigisthos in Aisch. Cho. 766–82). Hekabe erreicht dies Ziel ohne Mühe, weil er sich von Freunden umgeben und darum sicher fühlt. In Wahrheit ist sie seine ärgste Feindin, und das Heer wird sich neutral verhalten. Dass Polymestor so mühelos überlistet werden kann, lässt sich nur als Folge seiner Verblendung (a¢th) erklären; s. Heath (1987) 68 Anm. 143. 979 o¬páonaß: „Begleiter“, „Leibwächter“; vgl. Aisch. Cho. 769 dorufórouß o¬páonaß. Zum dorischen Vokalismus Björk (1950) 109. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 981 cwreît’: Auf diesen Befehl hin entfernen sich die vor V. 953 zusammen mit Polymestor aufgetretenen Leibwächter. e¬n a¬sfaleî gàr: auch Iph.T. 762, dort am Versanfang. 982f. fílh mèn ... prosfilèß dé, vgl. Soph. Ant. 898. In beidem irrt sich Polymestor mit furchtbaren Folgen für sich und seine Söhne.

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984 tí crä: „warum ist es notwendig“. Einige Hss. überliefern das weitgehend gleichbedeutende deî. Dabei bezeichnet das ältere Wort crä ursprünglich mehr die Notwendigkeit, die auf göttlichen Ratschlüssen oder göttlichen Geboten beruht, dagegen das jüngere deî mehr die Unvermeidlichkeit, die sich aus der jeweiligen Situation ergibt; vgl. Hipp. 41 und Barrett zur Stelle sowie Andr. 1247 und Stevens zur Stelle. Hier wie auch im Vers zuvor sollte man also eher deî erwarten. Allerdings gleichen sich die beiden Wörter in ihrer Bedeutung mehr und mehr an, so dass auch crä akzeptabel sein dürfte. Wortwiederholungen pflegt Eur. bekanntlich nicht zu vermeiden. tòn eu® prássonta: „der, dem es gut geht“, ironisch, weil Polymestor nicht weiß, wie schlecht es ihm bald gehen wird. 986–1018 Überlistungsstichomythie Hekabe-Polymestor Zu dieser Stichomythie ausführlich Schwinge (1968) 144–48, der von einer „Intrigenüberredung“ spricht und darauf hinweist, dass es hier wie in mehreren anderen Fällen (El. 1123–38; Her. 712–25; Or. 1326–43) darum geht, den Überlisteten zum Eintritt in das Haus zu bewegen, wo ihn sein Schicksal erwartet. Die Stichomythie lässt sich in drei Phasen gliedern. In der ersten erkundigt sich Hekabe nach ihrem Sohn und nach dem Verbleib seiner Schätze (986–97), in der zweiten verrät sie ihm das Versteck des angeblichen Priamidenschatzes (998–1010), und in der dritten lockt sie ihn und seine Söhne mit falschen Versprechungen ins Zelt (1011–18). 986–93 Der Zuschauer mag sich an den Prolog erinnern, wo der Geist des Polydoros berichtete, dass er hin zu Hekabe strebte, um die Bestattung seines Leichnams durch sie zu erreichen (V. 30–34, 47–50). Die Ironie dürfte besonders stark spürbar sein, wenn der verhüllte Leichnam des Polydoros auf der Bühne liegt. 986–88 paîd’ … ei¬ zñ: Das Subjekt des indirekten Fragesatzes (ei¬ paîß zñ¸) wird als Objekt in den Hauptsatz vorgezogen (Prolepsis). Durch die lange Verzögerung im Satz wird die entscheidende Frage, ob Polydoros noch lebt, besonders hervorgehoben. 989 málista: „ganz gewiss“; starke Bekräftigung, von Hekabe in anderem Zusammenhang wiederholt in V. 1004. Schon das erste Wort der Antwort Polymestors erweist ihn als Lügner. tou¬keínou … méroß: Akkusativ der Beziehung; wörtlich: „hinsichtlich seines Teils“. 990 w® fíltat’: „mein Liebster“, herzliche Anrede, wie in V. 953, hier wie dort geheuchelt.

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eu® ka¬xíwß (= kaì a¬xíwß)… séqen: „gut und deiner würdig“. Hekabe kennzeichnet in verhüllter Form die Antwort Polymestors als eine Lüge, die eines Lügners und Verräters würdig ist. légeiß séqen in dieser Reihenfolge ist zwar nur in einer Hs. bezeugt, verdient aber den Vorzug, weil séqen in der Regel am Versschluss steht; vgl. V. 955, 966, 973, 1114. 992 mou: Der überlieferte tonlose Genetiv des Personalpronomens der ersten Person kann schlecht am Ende eines Verses stehen, an dessen Anfang die Person, die dieses Pronomen bezeichnen soll, bereits ausdrücklich genannt worden ist. Deswegen der gute Vorschlag von Herwerden: pou wörtlich „irgendwo“, hier „wohl“, „vielleicht“. Bothe schlug vor: moi „mir“ (Dat. ethicus), was sich auch gut in den Satz einfügen würde. Murray dagegen hält die Überlieferung und nimmt ein Abbrechen nach der ersten Vershälfte und einen syntaktischen Neuansatz in der zweiten an. Ähnlich Synodinou. Ihnen schließe ich mich an. Ein Nachklang des Verses ist vielleicht Vergil Aeneis 3,341: „ecqua tamen puero est amissae cura parentis?“ 993 w™ß sè krúfioß: „heimlich zu dir“. Polymestor sagt die Wahrheit, ohne es zu wissen. Polydoros ist wirklich zu Hekabe gekommen, ohne dass er selbst es bemerkte, und zwar sowohl als Geist wie auch als Leichnam. Dies dürfte besonders augenfällig sein, wenn die verhüllte Leiche auf der Bühne liegt. 994 Endlich kommt das Gespräch auf das einzige Thema, das Polymestor interessiert, nämlich auf das Gold. 995 Auch hier sagt er die Wahrheit. Er hat sich in der Tat den Schatz angeeignet und bewacht ihn gut. 996 tøn plhsíon: verkürzt für tøn toû plhsíon (crhmátwn) „den Besitz des Nächsten“. Die Ähnlichkeit der Formulierung mit der des Zehnten Gebots (2. Buch Mose 20, 17) ist zwar auffällig, aber ein Zufall. Die Variante toû plhsíon mag durch die Bibelstelle hervorgerufen worden sein. 997 Wieder sagt er die Wahrheit, da er sich schon angeeignet hat, was er haben wollte. Es zeigt sich aber bald, dass er mit seinem jetzigen Besitz doch nicht zufrieden ist, sondern noch mehr haben will, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet. 998–1022 Nachdem Hekabe den Thrakerkönig als Lügner, Räuber und Mörder entlarvt hat, beginnt sie mit der Überlistung, bei der sie sich seine hemmungslose Gier nach Gold zunutze macht. 998f. oi®sq’ ou®n – ou¬k oi®da: auch Hipp. 91f.; Hik. 932f. und Collard zur Stelle. 1000 w™ß sù nûn e¬moì filñ¸: e¬moì Dativus auctoris.

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Die Anrede ist euphemistisch, denn er ist ihr der Verhassteste von allen. Die sprachliche Form ähnlich El. 1122, 1141 (s. auch Denniston zur Stelle). Hekabe spannt Polymestor zunächst ein wenig auf die Folter und macht ihn ungeduldig, wie seine Nachfrage V. 1001 zeigt. 1002 Das Subjekt zu e¢st’ im Plural, vgl. Ion 1146; Hel. 1358f.; Ba. 1350; sogenanntes ‚schema Pindaricum‘. palaiaí: Dass es sich um alte Schätze handeln soll, macht sie nur noch um so begehrenswerter. Priamidøn: „der Priamiden“, hier nicht „der Kinder des Priamos“, wie in V. 13, 764, 1132 und 1140, sondern „der Familie des Priamos“, wie in V. 583 und 1147. katåruceß: wörtlich „Höhlen“, wie Soph. Ant. 774. 1003f. Doppelte Ironie. Polymestor meint, dass Hekabe nicht weiß, dass ihr Sohn tot ist. Sie aber weiß es und weiß auch, was mit Polymestor geschehen wird. Wenn man sich an die Bitte Polyxenes erinnert, Hekabe möge ihr Botschaften ins Jenseits mitgeben (422), könnte man mit Collard meinen, dass Polymestor in V. 1003 unwissentlich seine düstere Zukunft ankündigt und dass Hekabe sie mit dià soû g’ bestätigt. Allerdings ist zu fragen, ob der Zuschauer eine solche Fernbeziehung auf V. 422 bemerken konnte. 1004 eu¬sebæß a¬när: „ein frommer Mann“; bittere Ironie. Denn dass Polymestor a¬nósioß oder gar a¬nosiåtatoß ist, wurde zuvor oft gesagt (V. 715, 790, 792, 852, vgl. auch 1234f.). 1006 Das Umgekehrte wird eintreten: Die Söhne werden sterben, und Polymestor wird zwar überleben, aber geblendet werden. Diese Ironie bemerkt freilich nur der Leser, da der Zuschauer nicht weiß, was Hekabe im einzelnen plant. Er wird zu diesem Zeitpunkt eher mit dem Tod Polymestors rechnen. 1007 Bewunderung der Klugheit des Überlistenden durch den Überlisteten; ähnlich Iph.T. 1180. Zu der von Boissonade eingeführten Interpunktion nach e¢lexaß vgl. Stellen wie Tro. 1054; Or. 100, 110, 173. 1008 stégai: Hier ist wohl nicht an ein Gewölbe oder an einen unterirdischen Ort zu denken (Tierney, Collard), sondern an den Tempel der Athene. Ein Tempel der Athene als Schutzgöttin der Stadt Troja wird in der Ilias mehrfach erwähnt (6,88, 269, 297); vgl. auch Tro. 69, 537–41. Der Plural stégai bedeutet „Haus“, wie Aisch. Ag. 3, 518; Soph. Öd. 637. ¬Iliádoß: Ein Adjektiv ºIlioß „zu Ilion gehörig“ ist sonst nur als unsichere Variante an der korrupten Stelle Hel. 1164 belegt. Deswegen ist es besser, statt ’Ilíaß Scaligers Vorschlag ¬Iliádoß ( qk kk ) zu überneh-

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men, da Eur. das nur in der weiblichen Form vorkommende Adjektiv ’Iliáß, -ádoß auch in V. 922 und 931 verwendet. 1009 Polymestor zeigt sich hier erneut als polucrusótatoß, wie ein jüngeres schol. zur Stelle sagt. Er fällt Hekabe ins Wort und drängt sie zu weiteren Angaben. 1010 mélaina pétra: Man sollte diese Angabe so hinnehmen, wie sie dasteht, und keine müßigen Überlegungen darüber anstellen, warum der Fels wohl schwarz sein mag, etwa infolge des Brandes der Stadt oder aus welchem Grund auch immer. 1011 e¢t’ ou®n ti: „noch irgendetwas“. Es wäre auch möglich, mit dem direkten Fragepronomen zu lesen e¢t’ ou®n tí „was denn noch?“ Polymestor scheint ungeduldig zu werden, nachdem er alles erfahren hat, was ihm wichtig ist. Er strebt nach Hause und bereitet seinen Aufbruch vor. Vgl. Hik. 1180 tí dñt’ e¢q’. 1012 oi®ß sunexñlqon: wörtlich „mit denen zusammen ich herauskam“, nämlich aus Troja. Mit diesen Worten lockt sie Polymestor in die Falle. 1013 h£: Viele Kommentatoren und Übersetzer verstehen den zweiten Versteil nicht als Alternativfrage und akzentuieren h® oder fassen h£ als Fragepartikel auf. Doch legt der nächste Vers nahe, dass eine Alternativfrage vorausging (Collard, Synodinou). 1015 naúlocoi periptucaí: wörtlich „Umfassungsmauern, die zum Schiffslager gehören“. Polymestor bezweifelt, ob es den Troerinnen wirklich möglich ist, sich im griechischen Lager einen eigenen Besitz zu erhalten. 1016 i¢diai … stégai: Es ist umstritten, ob Hekabe mit dieser Angabe lügt oder nicht. Es heißt in V. 53f., dass sie das Zelt (oder ein Zelt) Agamemnons verlässt. Aber das Zelt, in das sie Polymestor führen wird, das voller Troerinnen ist und in dem sie ihre Rachetat begehen wird, wird kaum das Feldherrenzelt sein. Darum wird es mit der Aussage dieses Verses wohl seine Richtigkeit haben. 1017f. Er fragt misstrauisch, ob wirklich keine Männer im Zelt sind, vor denen er sich fürchten müsste. Hekabe bestätigt wahrheitsgemäß, dass nur Frauen dort sind, aber der Zuschauer weiß aus V. 880–87, dass gerade darin die eigentliche Gefahr liegt. Mastronarde (2002) 132 meint, dass Polymestor keine Zeugen bei der Übergabe des Schatzes wünscht. Seine geheimen Gedanken sind uns jedoch nicht bekannt. 1019–21 Der am Anfang von V. 1019 begonnene Satz wird durch eine Parenthese unterbrochen und in V. 1021f. wieder aufgenommen. Beispiele für derartige Parenthesen bei Diggle (1981) 115f. In meiner Über-

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setzung gebe ich den Satzinhalt in der überlieferten Reihenfolge parataktisch wieder. 1019 a¬ll’ eçrp’ e¬ß oi¢kouß: formelhaft: Andr. 433; Alkmaion F 86,1; Phaethon F 773,54 TrGF; vgl. auch Hel. 477. 1019f. neøn lûsai … póda: wörtlich „den Fuß der Schiffe lösen”, gemeint ist: „die Schiffe losfahren lassen“. Doch s. auch zu V. 940, wo sich eine ähnliche Metapher findet. e¬k Troíaß: Hier zeigt sich wieder einmal, wie wenig sich Eur. bei geographischen Angaben um Präzision bemüht. Denn die Flotte befindet sich, wie wir aus V. 8 wissen, an der Troja gegenüber liegenden Küste der thrakischen Chersones. 1021f. Der Überlistende ruft seinem ahnungslosen Opfer Worte nach, die das bevorstehende Unheil ankündigen; ähnlich El. 1139–41; Her. 726f.; Ba. 971f.; Bain (1977) 34f. Ich versuche die Zweideutigkeit des Originals zu bewahren. Denn das, was Polymestor „werden soll“, ist seine Bestrafung, und der Ort, wo er Hekabes Sohn „unterbrachte“, ist das Totenreich. Ähnlich allgemein Soph. Ai. 690–92, freilich in einer andersartigen Situation. Aias verschleiert dort seinen Selbstmordplan vor dem Chor. 1022 Polymestor verschwindet jetzt mit seinen Söhnen im Zelt, gefolgt von Hekabe, die von der Dienerin begleitet wird und das Zelt hinter sich schließt.

1024–34 Chorikon für das vierte Stasimon Astrophisches Chorlied, dessen jambisch-dochmisches Metrum der Erregung vor der Rachetat entspricht. Ähnlich kurze astrophische Partien anstelle eines Stasimon finden sich auch Med. 1081–1115, Hipp. 1268–82 und Her. 1016–38. Das Lied überbrückt, wie alle Chorlieder, einen unbestimmten Zeitraum, in diesem Fall die Zeit, welche die Frauen benötigen, um Polymestor zu überwältigen. Er ist spätestens mit V. 1022 abgegangen, so dass der Chor jetzt offen sprechen kann. Bei Herstellung und Deutung des Textes stütze ich mich auf Wildberg (2002) 183–94. 1024 Die Hs. M und schol. MB geben den Vers noch Hekabe oder sagen, dass „einige“ ihn ihr geben, und nehmen an, dass sie beiseite spricht, damit Polymestor keinen Verdacht schöpft. Die meisten Hss. geben den Vers aber mit Recht dem Chor. i¢swß „vielleicht“: wohl keine Einschränkung, sondern eine ironische Bekräftigung. 1025–27 Ein nicht ganz leicht verständlicher Vergleich aus dem Bereich der Seefahrt.

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1025 a¬límenon: wörtlich „hafenlos“, allgemeiner „ohne Zuflucht“, „ungastlich“; vgl. Kykl. 349; Aristophanes Vögel 1400. a¢ntlon: a¢ntloß (oder -on): in engerem Sinne „Wasser, das sich im Schiff sammelt“; vgl. Tro. 691; allgemein „Wasser“, „Meer“ (schol. B: a¢ntlon dè légei tò pélagoß); vgl. Pindar Olympien 9,53. Offenbar wird Polymestor mit einem Mann verglichen, der (innerhalb oder außerhalb eines Schiffes) ins Wasser fällt, aus dem es kein Entrinnen gibt. pesœn: In den meisten Hss. steht e¬mpesœn „hineinfallend”. Das Wort fügt sich jedoch nicht ins dochmische Metrum ein. Darum empfiehlt es sich, das nur in zwei Hss. belegte fast gleichbedeutende pesœn in den Text aufzunehmen. 1026 lécrioß: „schräg“. Er gerät also aus seinem geraden Kurs entweder weil er schräg fährt oder weil sein Schiff schräg liegt, also Schlagseite hat. kardíaß: wörtlich „Herz“, hier wohl eher „Neigung des Herzens“, wie Soph. Ant. 1105. Polymestor wird also daran gehindert, seiner Neigung zu folgen, die auf den Erwerb weiterer Schätze aus ist. 1027 a¬mérsaß bíon: „weil du ein Leben raubtest“, nämlich das des Polydoros. LSJ gibt hier zu Unrecht die Bedeutung „verlieren“ an. bíon: Die Hss. überliefern bíoton. Das gleichbedeutende bíon (Hermann) verdient hier aus metrischen Gründen den Vorzug. 1027–30 tò u™pégguon: ein juristischer Terminus. e¬ggúh ist eine Verpflichtungserklärung, z. B. eine Verlobung oder Vermählung, also die Verpflichtung zur Herausgabe einer Person oder Sache zu vorher festgelegten Bedingungen. Die Übergabe des Polydoros und der Schätze lässt sich als e¬ggúh auffassen, doch die abgesprochenen Bedingungen hat Polymestor nicht erfüllt. Man könnte tò u¬pégguon etwa übersetzen mit „die (mit der Aufnahme des Polydoros) übernommene Verpflichtung“ oder freier „die Weise, wie du mit dieser Verpflichtung verfahren bist“. ou¬: Wenn man die Passage so auffasst, ist auch die von Hemsterhuys vorgeschlagene Änderung des überlieferten ou¬ in ou© nicht erforderlich, und xumpítnei kann die Bedeutung „zusammenfallen“, „zusammentreffen“, „übereinstimmen“ haben; wie in V. 846 und 966. 1032 o™doû tñsd’ e¬lpìß: wörtlich „die Hoffnung dieses Weges“. 1033 qanásimon: „todgeweiht“ oder „tödlich“, entweder auf s’ zu beziehen oder aber auf ¯Aídan. 1034 leíyeiß bíon: „wirst du das Leben verlassen“, wie Hel. 226f.: Or. 948; Soph. El. 1443f. Der Chor rechnet also (wie auch der Zuschauer) damit, dass Hekabe Polymestor töten wird. Hier wäre auch bíoton metrisch möglich. Ich schließe mich der Mehrheit der Hss. an und lese bíon.

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1035–1295 Exodos Im Schlussteil des Dramas erfolgt eine Demonstration der hinterszenisch vollzogenen Rachetat durch fast alle Mittel, die der Tragödie zur Verfügung stehen: hinterszenische Rufe (V. 1035, 1037, 1039–41), Auftritt des Bestraften und lyrische Klage über das Geschehene (1055a–1108), Bericht des Bestraften, der gleichsam als Bote seines eigenen Unglücks auftritt (1145–75), und Prozess mit Rede und Gegenrede (1129–1239) sowie einem Richterspruch (1240–51). Es folgt ein Schlussgespräch in Form einer Stichomythie, das die Reaktion der Betroffenen zeigt und einen Ausblick auf das düstere Schicksal aller Beteiligten gibt (1252–92). Die Exodos im engeren Sinne, das Auszugslied des Chores, umfasst nur wenige Verse (1293–95). Zum Ganzen Dubischar (2001) 334–41. 1035 Schol. MB schreibt richtig: e¢ndoqen o™ Polumästwr tufloúmenoß taûta boâ¸. Gleiches gilt auch für V. 1037 und 1039–40 sowie wohl auch für V. 1041, den freilich die Hss. (außer schol. M und den tineß in schol. B) irrtümlich dem Chor zuteilen. Die Anfänge von V. 1035 und 1037 sind gleichlautend mit Aisch. Ag. 1343 und 1345; ähnlich auch mit Kykl. 663 und 665. Wohl im Anschluss an Ag. 1343–71 und Cho. 855–91 hat sich eine Tradition der Gestaltung hinterszenischer Handlungen herausgebildet, in die Med. 1270a–92 ebenso gehört wie Soph. El. 1397–1421; Eur. El. 1147–76; Her. 734–62 und unsere Szene. Zu weiteren Beispielen Matthiessen (1964) 144–66. Auch die Szene Kykl. 663–68 gehört hierhin. Manche vermuten, dass Eur. dort die Szene der Hek. parodiert. Das Aufführungsjahr des Kykl. steht nicht fest, doch spricht viel für eine späte Datierung; vgl. Seaford (1984) 48–51. So lässt sich eine Selbstparodie der Hek. im Kykl. zwar nicht ganz ausschließen; es sind aber wohl eher durch den Szenentyp bedingte formelhafte Wendungen. Zur Blendung als Strafe ausführlich Collard zu V. 1035–55. 1036 Die meisten Hss. geben V. 1036, 1038 und 1041–43 sowie einige auch 1047f. jeweils Halbchören, doch sind dergleichen Angaben wenig verlässlich. In der parallelen Szene Aisch. Ag. 1348–71 allerdings löst sich der Chor sogar in zwölf Einzelsprecher auf. 1039 a¬ll’ ou¢ti mæ fúghte: gleichlautend mit der ersten Vershälfte von Kykl. 666 1040f. Collard meint, dass mit bállwn und béloß hier und in V. 1175 Schläge und Stöße mit der Faust gemeint sind. Ich vermute jedoch, dass Eur. sich vorgestellt hat, dass Polymestor einen Gegenstand wirft. 1041 Dieser Vers, den einige Hss. dem Chor und die meisten einem Halbchor zuteilen, dürfte Polymestor gehören; so auch schol. M und schol. B (tineß).

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bareíaß ceiròß: „von starker Hand“, vgl. Ilias 1,89 bareíaß ceîraß. 1042 boúlesq’ e¬pespéswmen: „wollt ihr, dass wir eindringen“, umgangssprachlich; vgl. Stevens (1976) 60f. a¬kmæ kaleî: wörtlich „der (richtige) Zeitpunkt ruft“; vgl. Soph. Phil. 466 kairòß gàr kaleî. 1044–46 Hekabe tritt aus dem Zelt, spricht zurückgewandt zu Polymestor, in Wahrheit aber wohl eher zum Chor und den Zuschauern, und teilt ihnen mit, was sie sehen werden (Futur o¢yh¸): den geblendeten Polymestor und die Leichen seiner beiden Söhne. Hier wird wohl das ‚Ekkyklema‘ eingesetzt. Diese herausrollbare Rampe scheint mir nötig zu sein, weil sich zwar Polymestor auf Händen und Füßen herausbewegen kann, aber die Leichen der Söhne, die ebenfalls sichtbar werden müssen, auf ein Transportmittel angewiesen sind. So auch Mossman 65f.; anders Collard (1991) 37 Anm. 66 und zu V. 1109–1295. 1044 feídou mhdén: vgl. Soph. Ai. 115; Med. 401; Her. 1400. 1046 Paradox formuliert, da Polymestor nicht mehr sehen kann. Gemeint ist: „Als Blinder wirst sie nicht sehen, und du wirst sie nicht lebend sehen, denn ich habe sie getötet.“ 1047 Die erste Reaktion des Chores ist Ungläubigkeit, wohl verbunden mit Entsetzen über die Ungeheuerlichkeit der Tat. h® gàr: „also wirklich?“ Partikelkombination bei erstaunten Fragen; s. zu V. 765. krateîß xénou: „bist du Sieger über deinen Gastfreund?“ Im allgemeinen wird das Verbum krateîn in der Bedeutung „siegen“ intransitiv verwendet und in der Bedeutung „besiegen“ transitiv, doch wird es auch El. 194f. in der Bedeutung „besiegen“ mit dem Genetiv konstruiert. So mag auch hier der Genetiv xénou akzeptabel sein. Hermann stellt mit xénon die häufigere Konstruktion her. Manche Herausgeber, wie Murray, lesen xénon, interpungieren vor und nach kaì krateîß und machen die beiden Wörter zu einem Einschub. Das ist unnötig kompliziert. Der Chor bezeichnet Polymestor noch einmal als Gastfreund und erinnert so daran, dass er für den Bruch der Gastfreundschaft bestraft wurde. 1050 tuflø¸ steíconta papafórw¸ podí: „gehend mit blindem, unsicherem Fuߓ; ähnlich Soph. Öd.K. 182 a¬maurø¸ kålw¸. Die Wiederholung des entscheidenden Wortes tuflóß lässt den Stolz erkennen, der Hekabe wegen ihrer Tat erfüllt, und macht den Zuschauer noch einmal auf die Unerhörtheit dieser Form der Bestrafung aufmerksam. parafórw¸ podí: So kann man den Gang eines Betrunkenen beschreiben; vgl. Lukian Vitarum Auctio 12 sfaleròn badízei kaì paráforon. 1052 sùn taîß a¬rístaiß: „mit den sehr tapferen“. Als solche haben sie sich soeben durch ihre Tat erwiesen.

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taîß: Hermann schlug vor, den Artikel in das Demonstrativpronomen taîsd’ zu verändern, so dass die Wortgruppe bedeuten würde „mit diesen besten“. Das wäre dann sinnvoll, wenn im Hintergrund des sich öffnenden Zeltes Hekabes Mitstreiterinnen sichtbar würden, so dass auf sie hingewiesen werden könnte. Damit ist aber nicht zu rechnen, denn sonst würde die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu sehr von dem Schrecklichen abgelenkt, das jetzt sichtbar wird, nämlich dem geblendeten Polymestor und den Leichen der beiden Kinder. Man sollte also das einheitlich überlieferte taîß beibehalten. In V. 8, den Daitz als Parallele anführt, liegt der Fall anders; dort ging es darum, dass der Ort der Handlung möglichst früh präzisiert werden sollte. 1053–55 Während Hekabe noch spricht und dabei beschreibt, was Chor und Zuschauer jetzt sehen (Präsens o™râ¸ß), erscheint auf allen Vieren kriechend Polymestor, der jetzt eine andere Maske trägt, nämlich die eines Geblendeten (wie sie der Zuschauer wohl schon aus der Exodos des Ödipus kannte). Die Weise seines Auftritts ähnelt derjenigen der Pythia in Aisch. Eum. 34–37. Es mag sein, dass er sich dabei zunächst noch auf dem Ekkyklema befindet. Zugleich werden (wohl auch auf dem Ekkyklema) die Leichname der beiden Kinder sichtbar; vgl. V. 1050f., 1118. 1054f. Hekabe tritt beiseite und beobachtet still die folgenden Szenen. Erst mit V. 1187 wird sie wieder zu sprechen beginnen. 1054 e¬kpodœn a¢peimi: mit Dativ, wie V. 52f.; Hik. 1113. 1055 qumø¸ zéonti: „dem, der vor Wut kocht“; eine beliebte Metapher; vgl. V. 583; Iph.T. 987 o¬rgæ daimónwn e¬pézesen; Soph. Öd.K. 434 e¢zei qumóß. Die nur in wenigen Hss. bezeugte Variante zéonti verdient den Vorzug vor dem besser bezeugten r™éonti „dem vor Wut fließenden“. Hierzu Biehl (1997) 151f., der sicher zu Unrecht eine ‚Fernbeziehung‘ zwischen 583 e¬pézesen und 1055 zéonti vermutet. 1055a–1108 Astrophische Monodie des Polymestor Die Monodie wird gegliedert und beschlossen durch zwei kurze Äußerungen des Chores (1085–87, 1107f.). Eine gute Charakteristik des Liedes findet sich bei Schadewaldt (1926) 154f.: „Interjektionen und hilflose Fragen bezeichnen zwar das in immer neuen Stößen sich entladende Pathos, auch gibt es hier kein Anheben, Schwellen und Überströmen des Affekts in klarer Entwicklung: Schmerzensschreie, Flüche, Drohungen und klägliches Winseln, der leere Wunsch um Heilung der Wunden, um ein neues Gesicht, das Sichfassen und Lauschen geben ein bewegtes inneres Geschehen wieder, das in seiner Abfolge die ganze Skala der Empfindungen durchläuft und, je nachdem der physische Schmerz oder die Rachsucht die

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Oberhand gewinnt, bald in Ausbrüchen des Leides und haltlosem Wüten, bald in gefasstem Handeln sich darstellt. Das alles aber ist in eine wuchernde Sprache gekleidet, die durch eigenartig strotzende Gebilde die Intensität des Schmerzes zu verkörpern sucht. Dabei wird durch eine aufdringliche Mimik die wechselvolle innere Bewegtheit sinnfällig gemacht. Die Mimik ist hier jedoch nicht nur die Dienerin des Wortes, sein notwendiges äußeres Kleid, sondern Wort, Ton und Gebärde bilden vereint den Leib dieses Canticum, ja das Wort mutet bisweilen als eine Illustration des äußeren Gebarens an.“ Die Monodie wird mit starken Gesten und heftigen Bewegungen verbunden und auch durch Pausen unterbrochen gewesen sein. Ähnlich bewegte lyrische Passagen Aisch. Ag. 1072–1177 (Amoibaion Kassandras); Tro. 308–40 (Monodie Kassandras); Or. 1369–1502 (Monodie des Phrygers). Zur Monodie allgemein und zu diesem Lied W. Barner, Die Monodie, in: Jens (1971) 277–320, bes. 295f. 1056–60 Hilflose, schmerzerfüllte Fragen, ähnlich wie die Hekabes in V. 162–64. Zu dieser Parallele Biehl (1997) 152f., der meint, dass der Zuschauer auf den Parallelismus in den Schicksalen Hekabes und Polymestors aufmerksam gemacht werden solle. Freilich mag sich der Thraker jetzt in einer ähnlichen Lage befinden wie Hekabe zuvor, doch besteht ein großer Unterschied zwischen unverdientem und selbstverschuldetem Leid. Entsprechend unterschiedlich ist die Anteilnahme des Zuschauers. Der spektakuläre Auftritt des geblendeten Polymestor übertrumpft auch den relativ ruhigen Auftritt Hekabes in der lyrischen Eingangspartie so sehr, dass der Zuschauer von dem in gewisser Hinsicht tatsächlich bestehenden Parallelismus eher abgelenkt wird. 1056 p⸠kélsw: „wohin soll ich steuern, wo landen“; nautische Metapher; vgl. Odyssee 9,546 nña … e¬kélsamen; Hipp. 140 kélsai potì térma dústanon. 1057 Ähnliche Formulierung Rhes. 211 tetrápoun mimäsomai. 1058 e¬pì ceîra kat’ i¢cnoß: „mit der Hand auf der Spur“. Porson schlug vor, in e¬pì ceîra kaì i¢cnoß „auf Händen und Füßen“ zu ändern, und verweist auf Ba. 1134, wo i¢cnoß zweifellos „Fuߓ bedeutet. Doch würde dann nichts Neues gesagt, nachdem schon vorher vom Gang eines vierfüßigen Tiers die Rede war. Dagegen würde kat’ i¢cnoß das Folgende vorbereiten, wo Polymestor von der Verfolgung seiner Feindinnen spricht; vgl. Biehl (1997) 152f. Darum sollte man am überlieferten Text festhalten. 1060 e¬xalláxw (o™dón): „soll ich den Weg ändern“, vgl. Xenophon Kynegetikos 10,7. 1061 a¬ndrofónouß: a¬ndrofónoß: „männermordend“ ist in der Ilias ein ständiges Beiwort vor allem für Hektor, z. B. 1,242, 6,498, 24,724, und für Achilleus, so 18,316f. Pindar nennt Pythien 4,252 auch die Frauen von Lemnos so. Zu ihnen s. zu V. 886f.

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máryai „packen“; vgl. Odyssee 9,289, 10,116. 1064 w® katáratoi: „o ihr Verfluchten“; vgl. V. 716 w® katárat’ a¬ndrøn (Hekabe über Polymestor). 1065 poî … mucøn: „wohin in die Winkel”; vgl. V. 1285; Ion 932; KG 1,340. ptåssousi: „sie ducken sich weg“; mit Akkusativ me „vor mir“ vgl. Ilias 20,427; ähnlich Kykl. 407f. oçpwß o¢rniqeß e¬n mucoîß pétraß ptäxanteß. 1066–68 Die Anrufung des Sonnengottes und der Wunsch nach Heilung sind Anzeichen für eine zeitweilige Resignation Polymestors. 1066 moi ist kurz zu messen. bléfaron: wörtlich „Augenlid“, oft auch „Auge“, meist im Plural. Poetisch auch Singular für Plural: Or. 302 und Willink zur Stelle. 1067 Das zweite a¬késaio wird von Triklinios weggelassen, wobei er sich auf eine sehr alte Hs. beruft (euçrhtai dè kaì e¢¬n tini tøn pánu palaiøn ouçtwß). In der Tat findet sich die Auslassung auch in der zwar jungen, aber sicher von Triklinios unabhängigen Hs. Es. Die Kombination eines anapästischen Monometers mit einem Dochmius ist zwar metrisch ungewöhnlich, aber wohl in einem Kontext möglich, in dem sich auch sonst Anapäste und Dochmien abwechseln. Vgl. auch V. 1072. 1067f. tuflón … féggoß: „das blinde (Augen)licht“; paradoxe Formulierung (Oxymoron), ähnlich Aisch. Pers. 428 kelainòn nuktòß o¢mm’; Soph. Ai. 394 skótoß e¬mòn fáoß. ÷Alioß (ionisch–attisch ÷Hlioß): der Sonnengott Helios. Vgl. Soph. Tereus F 582 TrGF, wo Helios filíppoiß Qrh¸xì présbiston sébaß (oder sélaß) genannt wird. Als Heilgott ist Helios sonst nicht bekannt; im allgemeinen kommt Apollon diese Funktion zu. Immerhin kann man an den geblendeten Orion erinnern, der von Helios geheilt wurde (Hes. fr. 148a M.-W.). Offenbar kann der Gott des Sonnenlichtes auch als zuständig für die Wiederherstellung des Augenlichtes empfunden werden. a¬palláttw: „nehme weg”, „gebe weg“; vgl. V. 1222. 1070 tánde: Das Demonstrativpronomen bezieht sich auf básin „diesen Schritt da“. Dagegen würden sich die in den meisten Hss. überlieferten Formen des Genetivs des Plurals tânde oder tønde auf gunaikøn beziehen, „dieser Frauen“. Da Polymestor nicht sehen und infolgedessen nicht auf die gesehenen Frauen hinweisen kann, scheint mir tánde den Vorzug zu verdienen. Denn da er hören kann, kann er in die Richtung zeigen, wo er einen Schritt vernommen zu haben meint. 1071 o¬stéwn: zweisilbig zu lesen (in Synizese). 1072 qoínan … tiqémenoß: „mir einen Schmaus bereitend“. Die kannibalischen Gelüste nach einem Festschmaus in der Weise wilder Tiere

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sind jemandem, der sich auf allen Vieren bewegt, besonders angemessen. Man denke aber auch an das blutdürstige Verlangen des Achilleus (Ilias 22,346f.) und der Hekabe (Ilias 24,212–14) und an den Kannibalismus Polyphems und der Laistrygonen (Odyssee 9,291–93, 10,116). qoína (att. qoính): „Festmahl“; vgl. Ion 1140. Die von Seidler aus metrischen Gründen vorgenommene Umstellung scheint mir nicht erforderlich zu sein. Auch die überlieferte Wortfolge ist in diesem Kontext als Kombination eines Dochmius mit einem anapästischen Monometer akzeptabel; s. auch zu V. 1067. 1073 låban lúmaß: Die von Bothe und Hadley vorgenommene Parallelstellung låbaß lúmaß t’ vereinfacht die Satzkonstruktion: „Vergeltung mir verschaffend für meine Misshandlung und Verstümmelung“. Aber auch der überlieferte Text gibt einen guten Sinn: „Misshandlung (sc. der Troerinnen) mir verschaffend zur Vergeltung für meine Verstümmelung“. Schlesier (1988) 126 scheint diesen Text so zu verstehen: „Misshandlung erhaltend zur Vergeltung für meine Untat“, doch setzt sie damit bei Polymestor eine tragische Erkenntnis voraus, von der sonst bei ihm nirgends etwas zu spüren ist. tà a¬ntípoina: „Vergeltung”, „Bestrafung”, mit der Angabe des Grundes im Genetiv; vgl. Aisch. Pers. 476; Soph. El. 592. 1076f. Bákcaiß ÷Aidou „den Bakchantinnen des Hades“: ähnlich Her. 1119 ÷Aidou bákcoß; Phön. 1489 bákca nekúwn. Die dorische Form des Genetivs ist ÷Aida. Man sollte allerdings solche häufig, aber nicht regelmäßig in lyrischem Kontext verwendeten Formen nur aufnehmen, wenn sie wenigstens in einer der besseren Hss. bezeugt werden. S. auch zu V. 1105. Die Troerinnen werden metaphorisch „Bakchantinnen des Hades“ genannt, weil sie ähnlich grausam waren wie etwa die Mänaden der Ba. Sie stehen aber in einem anderen Dienst, wie sich schon aus dem Zusatz ÷Aidou ersehen lässt. Zur Bedeutung dionysischer Elemente in der Hek. s. Einführung S. 47f. sfaktá „die geschlachteten“: von Hermann (1831) erwogen, an tékn’ „die Kinder“ anzuschließen. Das Wort fügt sich so besser in den Zusammenhang ein als das überlieferte sfaktàn „als geschlachtetes“, das dann mit daît’ zu verbinden wäre. diamoirâsai „zerfleischen lassen“: s. zu V. 716. Schlesier (1988) 125f. schliesst aus diesem Wort, dass Polymestor befüchtet, Hekabe werde zur Vergeltung des Ritualmordes, den er (jedenfalls nach Schlesiers Meinung) begangen hat, auch an seinen Kindern einen Ritualmord vollziehen. Nun sind die Kinder aber schon tot. Beim Handgemenge im Zelt wäre es kaum möglich gesesen, eine rituelle Tötung zu zelebrieren. Polymestor befürchtet vielmehr, dass die Körper zerfleischt werden, entweder durch die

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Frauen oder (eher) dann, wenn sie ein Fraß der Hunde werden, und sieht sich außerstande, es zu verhindern. Ob sich diese Befürchtung bewahrheitet, erfährt der Zuschauer nicht. Am Schluss wird für alle Übrigen gesorgt, von den Kindern ist jedoch nicht mehr die Rede. daît(a)’ „Mahl“, „Schmaus“: auch von Tieren; vgl. Ion 505f.; Soph. Phil. 957. 1077f. a¬nämerón t’ o¬¬reían e¬¬kbolán: wörtlich „und einen nicht zahmen, gebirgigen Auswurf“. Gemeint ist, dass die Körper ins Gebirge geworfen werden könnten. e¬kbállein „hinauswerfen“: hier als Gegenbegriff zu „bestatten“, dazu vgl. V. 698, 781. Ion 964 vom Aussetzen eines Kindes gesagt. 1079 Fragen als Ausdruck der Ratlosigkeit, ähnlich wie V. 1056–60, aber auch schon V. 162–64 (Hekabe). p⸠kámyw (sc. gónu): „wo soll ich mein Knie beugen“, d. h. „wo soll ich mich niederlassen?“ Vgl. Soph. Öd.K. 85. p⸠bø: „wohin soll ich gehen?“ steht in einer Hs. hinter p⸠stø. Nauck strich die Worte, wohl auch aus metrischen Gründen. Mir scheint allerdings ein katalektischer anapästischer Dimeter in einem Kontext mit weiteren Anapästen nicht zu stören. Die gleiche metrische Form findet sich in V. 1056. Inhaltlich würde das Folgende zwar besser an p⸠kámyw anschließen, es ist aber zu fragen, wie weit man von dem verwirrten Polymestor geordnete Gedanken erwarten darf. Wer will, kann die Abfolge verbessern, indem er mit der Hs. R und Porson umstellt. 1080 peísmata: Hier ist nicht die Takelage des Segels gemeint, sondern die Haltetaue, die das Schiff am Anker oder am Land festhalten; vgl. Odyssee 9,136; 13,77. linókrokon fároß: „das Leinensegel“; das Adjektiv nur hier belegt, nicht mit krókoß „Krokus“ zu verbinden, sondern mit krókh „Einschlagfaden beim Weben“. 1081 fâroß stéllwn: „das Segel einziehend“. fâroß ist ein Stoff für einen Mantel oder ein Segel (vgl. Odyssee 5,258f.), hier in metonymischer Verwendung für „Segel“. 1081f. e¬pì tánde suqeìß … o¬léqrion koítan: Schol. M kommentiert o™rmhqeìß e¢nqa keîtaí moi tà paidía teqnhkóta ei¬ß tæn qanásimon qäkhn. 1082 Hartungs Änderung mou würde zwei Dochmien herstellen. Doch scheint mir auch die überlieferte Gestalt (iambische Tripodie + Dochmius) unproblematisch zu sein. 1085–87 Kurze Chorreplik, durch welche die Monodie Polymestors in einen bewegten, mehr agressiven und in einen ruhigeren, eher resignativen Teil gegliedert wird. Auch der Inhalt ist bedeutsam. Der Chor, der bisher kein Wort zu Polymestor gesprochen hat (mit Ausnahme des ihm

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‚hinterher gesungenen‘ Chorliedes V. 1024–34), bezieht jetzt Stellung. Er äußert konventionelles Bedauern über Polymestors Schicksal, stellt aber auch kühl fest, dass er seine Strafe verdient hat. 1086 Der Vers erinnert an die alte Weisheit, dass derjenige, der handelt, für sein Handeln zu leiden hat, vgl. Aisch. Ag. 1564 paqeîn tòn e¢rxanta; Cho. 313f. drásanta paqeîn, trigérwn mûqoß. deinà ta¬pitímia (= tà e¬pitímia): „furchtbare Vergeltung“. Schol. MB: deinaì kaì calepaì ai™ timwríai; Hesychius P 2384 ¯pitímia· tàß a¬xíaß timwríaß ¯pitímiá fasin. 1087 Der Vers, der fast wörtlich mit V. 723 übereinstimmt, wird von den meisten Herausgebern gestrichen. Ich meine, dass er zwar nicht unentbehrlich ist, sich aber halten lässt, weil er den in V. 1086 begonnenen Satz gut zuende führt. Biehl (1997) 155–57 meint, dass Eur. mit der Verswiederholung auch auf eine „dramatische Antithetik“ der Schicksale Hekabes und Polymestors aufmerksam machen will. Beide haben unerträglich Schweres zu erleiden, die eine auf Grund eines düsteren Schicksals, dessen Sinn nicht erkennbar ist, der andere dagegen mit Recht, weil er für seine furchtbare Untat eine entsprechende Strafe verdient hat, wie der Chor in V. 1086 richtig festgestellt hat. Allerdings meine ich, dass der Zuschauer zwischen V. 723 und 1087, also über mehr als 250 Verse hinweg, kaum eine Beziehung wahrnehmen kann. Adressat eines solchen Hinweises wäre allenfalls der Leser. Zu V. 723 und 1087 auch C. Mueller-Goldingen, Untersuchungen zu den Phön. des Eur., Palingenesia 22, Stuttgart 1985, 296 Anm. 50. Zu daímwn „Gott“ s. oben zu V. 164. 1088–93 Collard verweist auf Soph. Phil. 732–54 als Parallele. Der heroische Philoktet versucht dort allerdings die Äußerungen seines Schmerzes vergeblich zu unterdrücken, während Polymestor sich ungehemmt äußert, sich also auch in dieser Hinsicht ‚barbarisch‘ verhält. Eine Parallele sehe ich eher in der Arie des Phrygers Or. 1369–92. 1090 ºArei kátocon: „dem Ares ergeben“ oder „von Ares begeistert“; schol. M: o™rmhtikòn ei¬ß pólemon kaì e¬nqousiastikòn e¬n polémw¸. Ares galt als ein mit den Thrakern besonders eng verbundener Gott; vgl. Ilias 13,298–303; Odyssee 8,361; Herodot 5,7; Alk. 498; Rhes. 385–87. Polymestor ruft zuerst die Leibwächter um Hilfe an und meint darüber hinaus wohl auch das ganze thrakische Volk. Er ruft dann mit V. 1091f. das griechische Heer herbei. Ähnliche an ganze Völker gerichtete Hilferufe: Hkld. 69f.; Her. 754; Or. 1296, 1621f. 1091 i¬œ: Hilferuf; wie Soph. Phil. 736; oder Klageruf; wie Ant. 850. Da bestimmte Personen angerufen werden, überwiegt hier wohl der Aspekt des Hilferufes. ’Atreîdai: Agamemnon und Menelaos, s. zu V. 509f.

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1092 boàn: Grundbedeutung „Ruf“, doch ist hier sicher „Hilferuf“ gemeint, wie Aisch. Ag. 1349. Das Wort boá kann auch „Hilfe“ bedeuten; vgl. Aisch. Hik. 730; Soph. Öd.K. 1057; ferner boäqeia „Hilfe“ zu bohqéw „helfe“, das ursprünglich „laufe zu Hilfe“ bedeutet; vgl. Frisk 1,248. 1093 Man sollte an dieser Stelle w£ akzentuieren; s. LSJ s. v. w® and w£. 1094 Hierzu schol. M: a¬koúei tiß, h£ a¬koúei mén, ou¬ dúnatai dè bohqñsai; h£ ou¬deìß: zweisilbig (in Synizese) zu lesen. 1095f. Dass er ausgerechnet von weiblichen Kriegsgefangenen besiegt wurde, muss ihm als Mann und als König unerträglich sein. Dass er in seiner Not gezwungen ist, dies auch noch öffentlich bekannt zu machen, zeigt, wie tief er gesunken ist. gunaîkeß … gunaîkeß: Die Wiederholung betont die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen. Identifikation des Täters durch das Opfer ähnlich Kykl. 672f., 676f. 1097 Bothe streicht eines der beiden deinà und stellt dadurch einen Dochmius (d 10) her, doch scheint mir auch der Glykoneus des überlieferten Textes möglich zu sein, obwohl man sich über ihn in der metrisch andersartigen Umgebung wundern kann. 1098 w¢moi e¬mâß låbaß: „weh mir wegen meiner Verstümmelung“; Kausaler Genetiv, vgl. V 198, 661; Med. 1028, KG 1,389. låbaß: s. zu V. 199f. 1099–1106 Wunsch nach einer Entrückung aus dem leidvollen gegenwärtigen Dasein, wie ihn dramatische Gestalten und Chöre bei Eur. immer wieder äußern (escape prayer); vgl. Hipp. 732–34; Hik. 828–31; Her. 1157f.; Iph.T. 1089–1105; Ion 796–98, 1238f.; Hel. 1478–86; Ba. 402–16; Phaethon fr. 786, 270–73. Schol. B kann darum auch schreiben: e¢qoß toîß dusforoûsi taûta légein. 1100 [ai¬qér’]: “in den Äther”. Zu diesemWort heißt es in schol. BV: e¢n tisi tò ai¬qéra ou¬ féretai (oder perissón). Es ist wohl eine Glosse zu ou¬ránion u™yipetèß e¬ß mélaqron und wurde, vor allem aus metrischen Gründen, mit Recht von Hermann gestrichen. a¬mptámenoß (= a¬naptámenoß): „hochfliegend“ mit Apokope. 1101 u™yipetäß, -éß: „hoch“, nur hier in dieser Bedeutung. Die Grundbedeutung ist „aus der Höhe gefallen“. Das Wort ist also von píptw „falle“ abzuleiten, während das fast gleich klingende, aber anders betonte u™yipéthß „hochfliegend“, von pétomai „fliege“ abzuleiten ist. 1102 ¯Waríwn h£ Seírioß: Das besonders gut erkennbare Sternbild Orion und Sirius, der hellste Fixstern, stehen hier für das Reich des Himmels und der Helligkeit, dem Polymestor dann das Reich der Unterwelt und des Dunkels als anderes Ziel seiner gewünschten Entrückung gegen-

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überstellt. Ähnliche Gegenüberstellungen in mehreren der zu V. 1099– 1106 genannten Passagen. Orion ist der Repräsentant des Sternenhimmels auch Kykl. 213; Hel. 1490. Dass der Zuschauer daran denken soll, dass nach einer Sagenversion Helios dem geblendeten Orion das Augenlicht wiedergab, wie Collard meint, glaube ich nicht. Siehe zu V. 1067f. 1102–05 a¬fíhsin o¢sswn au¬gáß: „Strahlen aus den Augen sendet“. Hier scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass die von den Menschen mit ihren Augen gesehenen feurigen Strahlen der Gestirne auch ihrerseits von deren Augen ausgehen, so dass die Strahlen des Lichts gleichsam eine Brücke von Auge zu Auge schlagen. Ähnliche Gedanken bei Platon Timaios 45b–d. 1105 e¬ß ÷Aida: dorisch für e¬ß ÷Aidou (zu ergänzen dómouß) „ins (Haus des) Hades“. Der dorische Genetiv ist hier, anders als in V. 1076, so gut belegt, dass man ihn in den Text aufnehmen sollte. 1106 melágcrwta porqmòn: „zur schwarzfarbenen Überfahrt“; vgl. Or. 321 melágcrwteß Eu¬menídeß; Pindar fr. 143,2f. Maehler barubóan porqmòn … ¯Acérontoß. Schwarz ist die Farbe des Todes und alles dessen, was mit ihm zusammenhängt. a¢¸xw: Futur zu a¬íssw „werde eilen“. 1107f. Schlussreplik des Chores Polymestor hat in seiner Verzweiflung den Wunsch zu sterben geäußert (1099–1106). Der Chor lässt keine Schadenfreude, aber auch kein Mitgefühl erkennen und erhebt nicht nur keine Einwände, sondern geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er feststellt: Wer Unerträgliches erlitten hat, darf Selbstmord begehen. 1107 kreísson’ h£ férein kakà: „Übel, die schwerer sind, als dass man sie ertragen kann“; vgl. Soph. Öd. 1293 tò gàr nóshma meîzon h£ férein. 1108 e¬xapalláxai: zu ergänzen e™autón „dass er sich befreit“. zóhß ist die poetische und auch die metrisch richtige Form für das prosaische zwñß. 1109–1292 Gerichtsszene Am Anfang der bewegten letzten Szene sorgt Agamemnon dafür, dass die beiden Todfeinde ruhig ihre Standpunkte darlegen, damit er ein Urteil fällen kann (V. 1109–31). So kommt es zu einer förmlichen Gerichtsszene.

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Polymestors Rede ist zugleich Verteidigungsrede in eigener Sache und Anklagerede gegen Hekabe, letztere zum Teil ein Bericht über das zwar im Ergebnis, aber noch nicht im einzelnen bekannte hinterszenische Geschehen (1132–82). Es folgt Hekabes (zufällig gleich lange) Gegenrede, ihrerseits eine Widerlegung der Verteidigungsrede Polymestors, wobei sie aber auch ihre eigene Tat rechtfertigt (1187–1237). An den Urteilsspruch (1240–51) schließt sich eine Auseinandersetzung in Form einer Stichomythie (1252–86), bei der Polymestor auf Grund seines Zukunftswissens einen Ausblick auf die künftigen Schicksale Hekabes und Agamemnons gibt. Damit nähert er sich der Funktion eines „deus ex machina“ an. Allerdings war ihm sein eigenes Schicksal nicht bekannt (1268f.). Diese Szene ist nach V. 218–443 ein weiteres Beispiel für eine Dialogszene, an der drei Personen beteiligt sind, eines sogenannten „Dreigesprächs“. Hierzu Listmann 53f. Er spricht von „einem gelungenen Versuch des Dichters, die alte, starre Form der sukzessiven Zwiegespräche zu durchbrechen und direkte dramatische Dreigespräche zu gestalten“. 1109 Zur Motivation des Auftritts vgl. Hipp. 902 kraugñß a¬koúsaß; Hik. 87–99. Agamemnon tritt, wie V. 1282–86 zeigen und wie es bei Königen auch sonst üblich ist, mit einigen Begleitern auf. Seine ersten Worte V. 1109–13 sind gewählt und betont majestätisch. Ab V. 1116, als er den Ernst der Lage erkennt, spricht er einfacher. 1110 lélak’: s. zu V. 678. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 1111 ¯Hcœ: Die Nymphe Echo, um die sich in späterer Zeit manche Sagen rankten (Ovid Metamorphosen 3,356–401; Longus 3,23), erhält hier eine ‚Ad-hoc-Genealogie‘ als Kind eines Felsens im Gebirge. Ähnliche Genealogien auch Hkld. 900 Ai¬ån … Crónou paîß; inc. fab. F 989 TrGF o™ tñß Túchß paîß Klñroß. Eur. wird der Echo in der Andromeda sogar eine hinterszenische Rolle geben, was dann Aristophanes Thesmophoriazusen 1056–97 parodiert. 1112 h®¸smen: nur indirekt bezeugte poetische Nebenform zu attischem h¢¸demen oder h¸¢deimen; „wir wussten“, hier irreal: „wir wüssten“. Auch die Paraphrase in schol. MBV (ei¬ dè mæ h¢¸deimen) setzt voraus, dass im Text ein Vergangenheitstempus stand. 1113 parésc’ a£n: KG 1,216 hält die in einigen Hss. bezeugte und von Heath und Markland aufgenommene Modalpartikel a¢n an dieser Stelle nicht für erforderlich, denn es sei „der Nachsatz nicht eigentlich irreal (die Furcht ist wirklich).“ Ähnlich Biehl (1997) 157. Mir scheint die Aussage des Nachsatzes eindeutig irreal zu sein; deswegen setze ich a£n, das gut genug bezeugt ist, in den Text. S. auch Diggle (1981) 100.

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1114f. séqen fwnñß a¬koúsaß: „da ich deine Stimme hörte“. In der Regel steht die wahrgenommene Person oder Sache im Genetiv, der Inhalt der Wahrnehmung im Akkusativ; deswegen der von Blaydes vorgeschlagene Akkusativ fwnæn. Doch kann bei Tönen und Stimmen, die von Personen ausgehen, sowohl der eine als auch der andere Kasus stehen; s. KG 1,358. páscomen: nämlich Polymestor und seine Söhne. 1115a e¢a: Ausruf des Erstaunens; Dodds zu Ba. 644: „perhaps representing the sound of a sharp intake of breath“. e¢a steht hier „extra metrum“ wie vor Med. 1005, Iph.A. 317; dagegen ist es Teil des Verses in V. 501, 733. 1117 ai™máxaß kóraß: vgl. Phön. 62. 1118 paîdáß te toúsd’: Nach V. 1051 wird das Publikum jetzt abermals auf die Leichname der Kinder aufmerksam gemacht. 1119 oçstiß h®n: „wer es auch immer war“; ironisch, denn er weiß oder ahnt zumindest, wer es war. a¢ra: „also”, „demnach”, wohl mit ei®cen zu verbinden. 1121 Hyperbolischer Ausdruck; ähnlich V. 667 ka¢ti mâllon h£ légw; Alk. 1082. 1122f. Agamemnon wendet sich, nach einer kurzen Reaktion auf Polymestors Antwort, Hekabe zu mit Worten, bei denen sich (wie wohl auch beim Publikum) Bewunderung und Entsetzen mischen. sù – sù: Die Anapher verstärkt den Ausdruck dieser Affekte. 1124–26 Polymestor, der überrascht ist, dass sich Hekabe in seiner Nähe befindet, möchte seine kannibalischen Wünsche verwirklichen, die er schon in V. 1070–74 geäußert hat. 1124 Zum Versanfang s. zu V. 511. h® gàr: s. zu V. 765. 1125 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 1127 ou©toß: „Du da“. So pflegt ein Höherstehender eine Person niedrigen Ranges anzureden; ähnlich auch V. 1280. tí pásceiß: Umgangssprachliche Wendung; vgl. Stevens (1976) 37, 41; ferner Hipp. 340; Her. 965; Ion 437. Der erste Halbvers auch Aristophanes Wespen 1. Neben V. 1283f. ist dies der einzige Fall in diesem Stück, wo Eur. ‚Antilabai‘ verwendet, also einen Vers auf zwei Sprecher verteilt. Ähnlich Hik. 513. 1128 margøsan céra: vgl. Her. 1005 margøntoß, 1082 márgon. 1129–31 Agamemnon fordert Polymestor, der vor Zorn und Rachsucht außer sich ist, zur Mäßigung auf und befiehlt ihm und Hekabe, nacheinander in ruhiger Rede ihre Standpunkte darzulegen, damit er eine gerechte Entscheidung treffen kann. So kommt es zu einer Gerichtsszene wie

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Tro. 903–1041. Allerdings hat hier, wie der Zuschauer weiß, Agamemnon schon vorher zu erkennen gegeben, wo er steht (850–904). Ähnliche Einleitungen von Redeagonen Tro. 906–10; Phön. 465–68. 1129 Kritik der (zumindest in der eigenen Vorstellung) vernünftigen Griechen an der Irrationalität der Nichtgriechen findet sich bei Eur. immer wieder; so V. 328–31; Med. 536–38. Dem stehen allerdings die Worte der Troerin Andromache gegenüber, die angesichts der griechischen Grausamkeiten ausruft: w® bárbar’ e¬xeurónteß çEllhneß kaká (Tro. 764). Siehe auch Iph.T. 1174 (Thoas über den Muttermord des Orestes) ºApollon, ou¬d’ e¬n barbároiß e¢tlh tiß a¢n. Zum Thema Griechen–Barbaren auch V. 1199–1201, 1247f. und Einführung S. 37-40. 1130 e¬n mérei: „der Reihe nach“; vgl. Aisch. Eum. 436; Hkld. 182; Kykl. 253. 1131 a¢nq’ oçtou: „wofür”; „warum“; vgl. V. 1136; Soph. Öd. 1021; El. 585; KG 1,454. 1132–1251 Gerichtsszene Diese Szene hat die Form eines a¬gån, eines Redestreits zwischen Polymestor und Hekabe. Dies ist nach dem zwischen Hekabe und Odysseus (V. 251–333) der zweite große Agon des Stückes. Hierzu gut Lloyd (1992) 95– 99. Der Agon wird eröffnet durch die Rede Polymestors (1132–82). Es folgt die Gegenrede Hekabes (1187–1237). Die Szene wird beendet durch den Urteilsspruch Agamemnons (1240–51). 1132–82 Rede Polymestors Diese Rede ist einerseits eine Verteidigungsrede für die Ermordung des Polydoros, andererseits aber auch eine Anklagerede gegen Hekabe. Er wünscht, wie zuvor in V. 1125f. und 1127f. ausgesprochen, von Agamemnon freie Hand und Unterstützung für den Vollzug einer furchtbaren Rache an Hekabe. Darum versucht er zunächst, die Tötung des Polydoros als kluge Vorsichtsmaßnahme gegen die Gefahr eines abermaligen Einfalls der Griechen in die Troas und nach Thrakien darzustellen (1132–44). Dann berichtet er aus der Perspektive des Betroffenen ausführlich über die Rachetaten Hekabes und der Frauen (1145–75). Er deutet seine eigene Mordtat sogar zu einem Akt der Freundschaft gegenüber Agamemnon um (1175–77) und schließt mit einer allgemeinen Reflexion über die Schlechtigkeit der Frauen (1177–82). Die Rede hat in ihrem Mittelteil zugleich die Funktion eines Botenberichts über das hinterszenische Geschehen.

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Polymestor wird damit gleichsam zum Boten der an ihm selbst vollzogenen grässlichen Tat. Man könnte fast meinen, dass Eur. ihn nur hat blenden und nicht auch töten lassen, damit er ihm noch für diesen Bericht und auch für das Schlussgespräch und die dort erfolgenden furchtbaren Prophezeiungen zur Verfügung steht. Der eindrucksvolle Auftritt des Geblendeten am Schluss des Ödipus des Soph. könnte ihn zu dieser Gestaltung des Schlusses angeregt haben. 1132 légoim’ a¢n: wörtlich Potentialis: „Ich möchte sprechen”. Einleitungsformel von Reden, besonders in Redeagonen: Hik. 465; El. 300, 1060; Iph.T. 939; Or. 640. 1133 Der erste Halbvers wie in V. 3. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15 und 523, sowie Stephan (1981) 111. 1135 uçpoptoß: hier in aktivischer Bedeutung „voller Furcht vor“; vgl. Phön. 1210. 1136–44 Polymestor beginnt seine Verteidigungsrede mit einem offenen Eingeständnis seines Verbrechens und erklärt es geschickt zu einer Wohltat, die er Agamemnon erwiesen habe, und zu einem Akt politischer Klugheit. Eine solche Argumentation könnte auf fruchtbaren Boden fallen, wenn Agamemnon nicht über seine wahren Motive informiert worden wäre und nicht von vornherein auf Hekabes Seite stände. Ihm (2004) lässt sich durch seine Argumente zu sehr beeindrucken. 1137 sofñ¸ promhqía¸: „aus weisem Vorbedacht“; vgl. Phön. 1466. Das Wort promhqía erschien auch schon in V. 795 im Munde Hekabes. Diese Wiederholung wird vom Zuschauer wohl kaum bemerkt worden sein. Anders Biehl (1997) 135. 1138–44 Wechsel von Konjunktiv und Optativ im Befürchtungssatz: „Die erste Handlung wird als eine zunächst erwartete, die zweite als eine aus der vorangehenden erst gefolgerte bezeichnet“ (KG 2,393). 1139 Troían a¬qroísh: wörtlich „Troja sammelte”. Gemeint ist die Wiederzusammenführung der zerprengten Überlebenden am Ort der untergegangenen Stadt. xunoikísh¸ pálin: wörtlich „wieder zusammensiedelte“. Tro. 701–05 äußert Hekabe die Hoffnung auf eine Neugründung Trojas durch Astyanax, und die Griechen fürchten sie (1159–66). Seneca Troades 524–55 nimmt das Motiv auf. 1141 a¢reian stólon: „einen Heereszug anheben liessen, in Bewegung setzten“; vgl. Aisch. Pers. 795. Mit der Variante dóru würde die Passage bedeuten „die Waffen erhöben“. 1142 tríbein: ursprünglich „reiben“, „aufreiben“, hier in der ungewöhnlichen Bedeutung „verwüsten“; schol. MBV: diafqeíroien. 1143 lehlatoûnteß: „Beute wegtreibend“, „plündernd“; vgl. Soph. Ai. 343. Wegtreiben des Viehs und Verwüsten der Felder waren auch im

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Peloponnesischen Krieg übliche Verfahren bei der Kriegsführung der Griechen; vgl. zu V. 1204. geítosin: Hier sind in erster Linie die Thraker gemeint. 1144 nûn: Gemeint ist „in dem gerade zuende gegangenen Krieg“. 1145–75 Der häufige Tempuswechsel ist charakteristisch für eine lebhafte Erzählung. 1146f. Der Bericht Polymestors ist nicht ganz genau, denn von verborgenen Schätzen war in der Botschaft Hekabes (V. 891–94) zunächst noch nicht die Rede, sondern erst im späteren Gespräch (1002–10). Aber er hebt eben gleich das hervor, was ihm das wichtigste ist, nämlich das Gold. 1146 lógw¸ … toiø¸d’: wörtlich „mit einem solchen Wort“ oder „aus diesem Grund“. Es ist aber nicht der wahre Grund, sondern nur ein Vorwand. Dementsprechend habe ich übersetzt. 1147 qäkaß: nicht „Kästen“ (LSJ), sondern allgemein „Schätze“. Priamidøn: hier nicht „der Kinder des Priamos“, wie in V. 13, 764, 1132 und 1140, sondern „der Familie des Priamos“, wie in V. 583 und 1002. 1148 crusoû: „von Gold“. Dieses ‚leitmotivische‘ Wort (s. zu V. 10) wird durch die Stellung am Satzende und im Enjambement stark hervorgehoben. mónon …sùn téknoisi: vgl. V. 978–80, 1005–07. 1149 Darauf, dass man seine Schätze vor anderen geheim halten muss, versteht sich Polymestor gut. Hekabe hat nichts dergleichen gesagt, aber er hat sofort begriffen, dass es darum geht. 1150 kámyaß gónu: wörtlich „das Knie gebeugt habend“, um zu sitzen; vgl. Soph. Öd.K. 19 køla kámyon. In dieser Haltung kann er sich später schwer zur Wehr setzen. 1151–63 Fünfmal ceír in 13 Versen; s. zu V. 523–28. 1151–53 ceiróß: „zur … Hand“: eine Korrektur, die auf den Dichter John Milton zurückgeht. ceîreß „Hände“ wäre als Subjekt des Satzes schlechter geeignet als Tråwn kórai „die Mädchen der Troer“ (das dann neben ceîreß zur Apposition würde). Biehl (1997) 157f. verteidigt wenig überzeugend das überlieferte ceîreß. qákouß e¢cousai: „Sitze habend“ kann nur einem Subjekt Tråwn kórai untergeordnet sein und nicht einem Subjekt ceîreß. 1153f. qákouß: „Sitze“: guter Vorschlag von Hermann für das überlieferte qákoun „saßen“; vgl. Her. 1097 qákouß e¢cwn. qákoun würde parallel mit h¸¢noun „lobten“ im nächsten Vers stehen, welches durch die Konjunktion q’ angeschlossen werden müsste. e¢cousai „habend“ bedeutete dann „in Händen haltend“ und wäre zu kerkíd’ zu ziehen. kerkíd’ ¯Hdwnñß ceròß: wörtlich „das Weberschiffchen einer edonischen Hand“, metonymisch, gemeint ist das von thrakischen Webern ver-

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fertigte Gewand. (schol. MBV: a¬pò dè toû poioûntoß tò poioûmenon w¬nómasen.) Die gemusterten thrakischen Mäntel sind oft auf attischen Vasenbildern zu sehen. Die Edonen an der Mündung des Strymon waren der Stamm, der den Athenern am besten bekannt war; vgl. Thukydides 1,100. Sie stehen ‚pars pro toto‘ für alle Thraker. péplouß: „Gewänder“, meist Bezeichnung eines weiblichen Kleidungsstückes, gelegentlich auch eines männlichen, vgl. V. 734; Aisch. Pers. 468 r™äxaß dè péplouß. 1155f. kámake Qrh¸kíw: Einheitlich ist kámaka Qrh¸kían „den thrakischen Stab“ oder „Speer“ überliefert. Doch hat diptúcou Hartung und Weil dazu veranlasst, den Dual zu setzen, was die Herausgeber meist übernehmen. Dann wären die zwei Speere des homerischen Kriegers, gemeint; vgl. Ilias 3,18f. und Fraenkel zu Aisch. Ag. 643 dílogcon a¢thn. Vielleicht könnte kámaka auch gehalten und als kollektiver Singular verstanden werden, mit dem beide Speere gemeint wären; so Méridier, Tierney und Biehl (1997) 157. Dagegen vermutet schol. V, dass mit kámaka ein einzelner Speer gemeint sein könnte, der aber an beiden Enden mit Spitzen versehen ist und darum doppelt genannt werden könnte (e¬pì … toû dóratoß distómou). diptúcou stolísmatoß: „der doppelten Ausrüstung“ oder „des doppelten Gewandes“. Was damit gemeint ist, bleibt unklar. Die Übersetzung mit „der doppelten Waffe“ ist möglich; vgl. Hik. 659 e¬stolisménon dorí. Gemeint wäre dann der doppelte Speer. Es könnten aber auch Mantel und Speer gemeint sein; so schol. B (tñß te clanídoß kaì toû a¬kontíou), doch legen die Worte toúsde … péplouß in V. 1154 nahe, dass dem König der Mantel nicht abgenommen wurde (Tierney). stolísmatoß: Das Wort ist nur hier in der Tragödie belegt, stócisma ist dagegen nirgends belegt, doch könnte stocásmatoß „des Wurfgeschosses“ gemeint sein; vgl. Ba. 1205. 1159 génointo: Neben einem Subjekt im Neutrum des Plurals steht das Prädikat in der Regel im Singular, es sei denn, dass es sich wie hier um mehrere lebende Personen handelt; vgl. KG 1,65. Zur Mitteldihärese, die hier Nebenzäsur ist, s. zu V. 15. Elmsley versucht den Einschnitt dadurch zu ‚mildern‘, dass er diadocaîs’ schreibt. S. jedoch Dodds zu Ba. 1125. diadocaîß a¬meíbousai cerøn: wörtlich „wechselnd mit den Nachfolgerinnen der Hände“; gemeint „von Hand zu Hand weitergebend“. Der Dual ceroîn ist hier nicht sinnvoll, da es nicht um Händepaare, sondern um Hände verschiedener Personen geht. 1160 ka®¸t’ = kaì ei®t(a).

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pøß dokeîß: „was meinst du wohl?“ Umgangssprachliche Parenthese; vgl. Hipp. 446; Iph.A. 1590 (unecht); Aristophanes Acharner 24. Stevens (1977) 39: „gebraucht, um des Hörers Aufmerksamkeit anzuregen und die Erzählung lebhafter zu gestalten”. 1161 fásgan’ e¬k péplwn: Das Wort fásgana wird hier oft mit „Dolche“ übersetzt, doch verwendet Eur. vielleicht bewusst den Ausdruck für die typisch männliche Waffe. Agamemnon hatte in V. 876f. daran gezweifelt, dass Frauen Schwerter führen könnten. 1162 ai™ dè: „die anderen aber“. Hiermit müsste ein ai™ mèn am Anfang von V. 1161 korrespondieren, das aber, wie oft, fehlt; vgl. V. 28 a¢llote; Iph.T. 1350f. oi™ dé. polemíwn díkhn: Das einhellig überlieferte polemíwn díkhn „nach der Weise von Feinden“ ist auf das benachbarte ai™ dè „die aber“ zu beziehen, Es steht dann im Kontrast zu V. 1152 w¬ß dæ parà fílw¸ „wie bei einem Freund“. Eine Parallele findet sich Ba. 752 wçste polémioi, wo es auch Frauen sind, die sich überraschend wie Männer im Krieg verhalten; vgl. de Jong (1991) 92f. und Anm. 81. Siehe ferner Longus 2,31 e¢rga poiäsh¸ polemíwn. Das von Gronewald vorgeschlagene polemíou díkhn „nach der Weise eines Feindes“ würde den adverbialen Ausdruck mit Polymestor verbinden; es wäre dann e¬mé zu ergänzen. Die Wendung würde aber dadurch ihre Pointe verlieren, denn Polymestor ist tatsächlich ein Feind der Frauen und wird von ihnen dementsprechend behandelt. Verrall fand den Ausdruck zu schwach und las polupódwn díkhn „nach der Weise von Polypen“. Dieses Tier wird zwar bei den Tragikern zweimal erwähnt (Soph. Iphigenie F 307 TrGF; Ion Tragicus Phönix F 36 TrGF), beide Male wegen der Fähigkeit, die Farbe zu wechseln, Collard vermisst jedoch mit Recht eine deutlichere Hervorhebung des Vergleichspunkts, wie sie sich sowohl an den anderen Stellen in der Tragödie als auch in den Polypengleichnissen im Epos wie Odyssee 5,432f. oder Ovid Metamorphosen 4,366f. findet. An diesen beiden Stellen geht es um die Fähigkeit des Tieres, sich mit Hilfe seiner Saugnäpfe anzuklammern. 1165f. Iterative Optative: „Jedesmal wenn“; KG 2,476. 1166 kómhß kateîcon: „Sie hielten mich am Haar nieder.“ Das ist eine große Demütigung, denn sonst pflegen Männer Frauen am Haar zu packen und nicht Frauen Männer; vgl. Andr. 710; Tro. 882; Or. 1469f. 1167 h¢nuton: „vollendete“, „brachte zustande“. Dies ist die attische Form, die hier in einer Hs. unsicher bezeugt, aber auch Ba. 1100 und 1105 belegt ist, während sich in Tro. 232 (e¬xanúwn); Phön. 453 (a¬núousin) und Aristophanes Frösche 606 (a¬núeton) die homerische Form a¬núw in den Hss. findet. Der Aorist h¢nusa erscheint in V. 935a. 1168 Zwei dem in V. 1169 folgenden eigentlichen Satz vorangestellte Appositionen.

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Der erste Halbvers wie Tro. 489. pñma pämatoß pléon: „Schmerz mehr als Schmerz“; ähnlich Med. 234 kakoû gàr toût’ e¢t’ a¢lgion kakón; Aisch. Ag. 864f. kakoû kákion a¢llo pñma; Soph. Ant. 595 pämata … e¬pì pämasi píptont’. 1169 Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 1170 pórpaß: „Spangen“, Gewandbroschen, von Frauen, aber auch von Männern getragen. Auch Ödipus benutzte bei seiner Selbstblendung solche Spangen: Phön. 62. Soph. Öd. 1269 nennt sie perónai. Als Waffen von Frauen erwähnt die perónai auch Herodot 5,87. 1172 Tmesis, also Trennung des Präverbs vom Verbum durch dazwischen gesetzte Wörter, besonders durch einsilbige Partikeln, war im Epos häufig, ist jedoch im Attischen eher selten. Sie findet sich in der Hek. mehrmals im Chorlied (V. 907, 910, 911) und an dieser Stelle. Vgl. Barrett zu Hipp. 256f. 1173f. Polymestor vergleicht sich kurz nacheinander zuerst mit einem verwundeten Tier, das Jagdhunde angreift, und dann mit einem Jäger, der dem gejagten Wild nachspürt. Dieser rasche Wechsel der Vergleiche hat manche Philologen so sehr gestört, dass sie entweder V. 1173 oder 1174 gestrichen haben. Doch passt der Wechsel gut zur Erregung und Verwirrung Polymestors. So auch Collard, Biehl (1997) 159f., Synodinou. Dazu schol. V: wçsper, fhsín, o™¬ qhratikòß a¬nær pánta periskopøn e¬xakriboûtai mæ láqoi au¬tòn tò qärama, ouçtwß a¬nhreúnwn ka¬gœ toùß toícouß. qær wÇß: nachgestelltes Relativadverb, mit Akzent; vgl. Odyssee 22,299 bóeß wÇß a¬gelaîai. 1175 bállwn a¬rásswn: „werfend, zerschlagend“; vgl. V. 1040, 1044; Andr. 1154; Iph.T. 310. 1175f. Zusammenfassung der wesentlichen Aussage des Berichts (1145–75), verbunden mit einer Zuspitzung der Argumentation des ersten Teils der Rede (1132–44) auf die Person Agamemnons: „Ich tötete Polydoros in deinem Interesse“. 1176 Man sollte das fast einhellig überlieferte te „und“ nicht ändern, obwohl genau genommen ktanån „getötet habend“ inhaltlich nicht parallel mit speúdwn „eifrig tätig“ steht, sondern untergeordnet ist; vgl. auch Biehl (1997) 160. Diggle (1994) 203 schlägt vor, te in ge „jedenfalls (dadurch, dass ich tötete)“ zu ändern und dadurch eine Unterordnung vorzunehmen. Für einen parallelen Fall s. zu V. 615. 1177–82 Polymestor setzt zu einer umfassenden Verwünschung des weiblichen Geschlechts an, doch scheinen ihm die Kräfte zu versagen. Denn es folgt nur etwas, das hinter der großartigen Eröffnung weit zurückbleibt. Kräftigere Invektiven F 1059,4 TrGF ou¬dèn ouçtw deinòn w™ß gunæ

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kakón; Menander Hypobolimaios fr. 378 PCG polløn katà gñn kaì katà qálattan qhríwn | o¢ntwn mégistón e¬sti qärion gunä). 1177 Die Anrede Agamemnons habe ich zum Vorhergehenden gezogen, weil er dort schon mit sæn und sòn angesprochen worden ist. Sie könnte aber auch zum Folgenden gezogen werden. 1179 Dieser Vers mit der Erweiterung der Aussage auf Gegenwart und Zukunft ist ein wichtiger Teil des großspurigen Ansatzes und scheint mir darum, anders als Kovacs (1996) 69 meint, unentbehrlich zu sein. 1180 suntemœn: „zusammenfassend“; vgl. Tro. 441; Iph.A. 1249 eÇn suntemoûsa pánta; ähnlich Protesilaos F 657, 1 TrGF (suntiqeíß); dazu s. zu V. 1185f. 1182f. Burnett (1998) 172 und Anm. 109 vermutet eine Anspielung auf Aisch. Cho. 585–601. Dort war allerdings von beiden Geschlechtern die Rede, wenn auch die Frauen besonders hervorgehoben wurden. ai¬eì: sonst „immer“, hier „jemals“. 1183–86 Chorreplik Der Chor antwortet sachlich auf die Invektive Polymestors, indem er zwischen guten und schlechten Frauen differenziert. 1185f. Eine Heilung der korrupten Verse ist noch nicht gelungen. Man vermisst eine klare Gegenüberstellung von guten und schlechten oder hassens- und lobenswerten Frauen. e¬pífqonoß heißt „neidisch“ (Andr. 181) oder „verhaßt“ (Med. 303), aber auch „beneidenswert“ (Hipp. 497), ist also nicht eindeutig negativ. Dagegen wird die in V. 1186 genannte Gruppe anscheinend negativ bewertet, was verwundert, weil sich die Choreutinnen selber zu ihr rechnen. Außerdem ständen dann beiderseits Frauen, die kritisiert werden. Darum hat man versucht, zu einer klaren Gegenüberstellung zu gelangen, indem man etwa mit Lenting e¬pífqonoi ersetzte durch e¬píyogoi „tadelnswert“, das freilich nur in Prosa diese Bedeutung hat, in der Tragödie dagegen sonst nur in der Bedeutung „tadelnd“ belegt ist (Aisch. Ag. 611). Umgekehrt hat man die in V. 1185 genannte Gruppe mit Blaydes eu¬geneîß „edel“ genannt. Man hat auch die zweite Gruppe auf die gute Seite zu bringen versucht, indem man wie Hermann a¬ntáriqmoi „gleich viele wie“ las oder wie Reiske tøn kakøn „der Schlechten“ durch tøn kaløn „der Schönen“ oder „Guten“ ersetzte. Gegen letzteres spricht allerdings, dass es hier um sittliche Qualität und nicht um Schönheit geht und das Wort kalóß in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist. Es müsste also eine metrisch passende Wendung mit eindeutig positiver Bedeutung gefunden werden. ou¬ kakøn „der nicht Schlechten“ (Hadley) oder eu¬genøn „der Edlen“ scheinen mir am ehesten in Frage zu kommen. Man hat auch

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versucht, die zweite Gruppe dadurch zu Guten zu machen, dass man annahm, es handele sich um Frauen, die nicht schlecht seien, sondern zu Unrecht zu den Schlechten gerechnet würden; so auch schol. M (katatattómeqa mæ ou®sai faûlai ei¬ß a¢riqmon tøn faúlwn) und Biehl (1997) 160f. Dann käme aber der wichtigste Gedanke, nämlich dass diese Frauen gut sind, nicht klar genug zum Ausdruck. So ist es zu verstehen, dass viele Herausgeber resignieren und die Verse ganz streichen. V. 1183f. verlangen jedoch eigentlich nach einer Erläuterung wie in Protesilaos fr. 657 TrGF: oçstiß dè pásaß suntiqeìß yégei lógw¸ | gunaîkaß e™xñß, skaióß e¬sti kou¬ sofóß· | polløn gàr ou¬søn tæn mèn eu™räseiß kakän, | tæn d’ wçsper auçth lñm’ e¢cousan eu¬genéß. Zur Konstruktion von pefukénai mit ei¬ß, freilich in etwas anderer Bedeutung, vgl. Aischines 3,132 ei¬ß paradoxologían toîß meq’ h™mâß e¢fumen. Eine ähnliche Formulierung auch in Melanippe Desmotis F 492,4f. TrGF kei¬ß a¬ndrøn mèn ou¬ teloûsin a¢riqmon. 1187–1237 Gegenrede Hekabes Hekabe wendet sich in ihrer klar gegliederten Entgegnung zunächst an Agamemnon mit einer allgemeinen Reflexion über die missbräuchliche Verwendung der Beredsamkeit (V. 1187–94). Dann geht sie zu Polymestor über (1195f.). Sie fasst kurz den Kerngedanken seiner Verteidigung zusammen (1197f.), widerlegt seine Behauptungen ausführlich und weist nach, dass es ihm nicht um das Wohl der Griechen oder Agamemnons ging, sondern allein um das Gold (1199–1232). Abschließend wendet sie sich noch einmal Agamemnon zu und fordert ihn auf, durch seine Entscheidung nicht die Schlechten zu begünstigen und dadurch selbst in schlechtes Licht zu geraten (1232–1237). Zu dieser Rede Collard; Lloyd (1992) 97–99; Mossman (1995) 133–37. 1187–94 Hier geht es nicht um eine grundsätzliche Verurteilung der Beredsamkeit, die auch im Widerspruch zu dem von Hekabe in V. 814–19 Gesagten stehen würde, sondern um eine Kritik an ihrem Missbrauch für eine schlechte Sache. Diese Kritik hat allgemeinen Charakter und könnte durchaus mit einer Beziehung auf die athenische politische Wirklichkeit formuliert sein, in der ein Missbrauch der Beredsamkeit für fragwürdige Zwecke nicht selten vorkam. Sie erfolgt aber auch im konkreten Fall zu Recht, denn Polymestor hat zur Rechtfertigung seiner Untat einige Argumente vorgebracht, die auf Agamemnon Eindruck machen könnten, wenn er sich nicht schon vorher eine Meinung gebildet hätte. Hierzu Mossman (1995) 133f.; Riedweg (2000) 13f. Ähnliche Gedanken auch Med. 580–83; Hipp. 486–89; Phön. 526f.; Or. 907f.; Palamedes F 583 TrGF.

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Die Anwendbarkeit der allgemeinen Reflexion auf den Fall Polymestors ist so deutlich, dass Hekabe nicht eigens darauf hinzuweisen braucht; vgl. Johansen (1959) 158. 1188 Zum Gegensatz prágmata – gløssa vgl. Antiope F 206,4–6 TrGF oÇß d’ eu¬glwssía¸ nikâ¸, | sofòß mén, a¬ll’ e¬gœ tà prágmata | kreíssw nomízw tøn lógwn a¬eí pote. 1189 Das Subjekt zu e¢drase ist aus a¬nqråpoisi zu entnehmen: etwa a¢nqrwpóß tiß. 1190 saqroúß: „morsch“, „brüchig“, „ungesund“, „misstönend“; von Worten auch Hik. 1064; Rhes. 639. Ein ähnlicher Gedanke Hipp. 925–31. 1193 dià télouß: „bis zum Ende“; im Zusammenhang mit der Vergänglichkeit von Glück und Erfolg auch Hik. 270; Her. 103; Auge F 273 TrGF kou¬deìß dià télouß eu¬daimoneî; in anderem Zusammenhang Ba. 1260; Bellerophontes F 285,15 TrGF. 1194f. Kleine Fehler der Hss.-Vulgata, von denen einige jüngere Hss. frei sind. 1194 Gnomische Aoriste mit präsentischer Bedeutung. 1195f. Überleitungsverse zu dem an Polymestor gerichteten Hauptteil der Rede. 1195 wörtlich „Was ich dir zu sagen habe durch meine Einleitung, verhält sich so.“ froímion: poetisch für prooímion „Vorwort“, „Einleitung“; s. zu V. 181. prooímion (lat. prooemium) ist die in der rhetorischen Theorie übliche Bezeichnung für den ersten Teil einer Rede. Durch die Verwendung dieses Wortes wird die Überleitung deutlich markiert. 1196 lógoiß a¬meíyomai: „ich werde (ihm) mit meiner Rede entgegnen“: deutliche Kennzeichnung der Eröffnung einer Gegenrede; vgl. Hik. 517; ferner Tro. 916f. 1197 oÇß fä¸ß: „der du sagst“ ist besser als pøß fæ¸ß „wie sagst du?“. Denn die Widerlegung durch entlarvende Fragen beginnt erst mit V. 1201 tína. Sie sollte hier nicht schon vorweggenommen werden. pónon … diploûn: nämlich die Mühe, Troja nochmals erobern zu müssen; vgl. V. 1141. 1198–1232 Hauptteil der Rede: Auseinandersetzung mit der Behauptung Polymestors, er habe im Interesse der Griechen gehandelt. Hier hat Hekabe leichtes Spiel, weil seit dem Prolog sein wahres Motiv, nämlich seine Gier nach Gold, allgemein bekannt ist (V. 25, 712, 775f.). 1198 eçkati: „um … willen“, uneigentliche Präposition mit dem Genetiv ähnlich wie eçneka und ebenfalls meist nachgestellt, nur von Dichtern verwendet; KG 1,462. Zur Verwendung im Vers und zum dorischen Vokalismus s. Björk (1950) 122f.

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1199–1201 Das (wohl in gewissem Umfang immer vorhandene) Bewusstsein eines Gegensatzes zwischen Griechen und Barbaren (also Angehörigen anderssprachiger Völker) mag sich durch die Perserkriege verstärkt haben. Auch in der Tragödie wird dieser Gegensatz gelegentlich betont, allerdings ist immer darauf zu achten, in welchem Kontext solche Aussagen erfolgen. Hier ist Hekabe selber eine Nichtgriechin, die ausdrücklich als Barbarin bezeichnet wurde (328–31), freilich von einem Odysseus, der ihr gegenüber den wahrhaft barbarischen Opferbeschluss des griechischen Heeres zu vertreten hatte. Man sollte darum zwischen Barbarentum in ethnographischem und in ethischem Sinn unterscheiden. Polymestor ist Barbar in jeder Hinsicht. Darüber, ob Hekabe selbst durch ihre grausame Rache zur Barbarin in doppeltem Sinn geworden ist, kann man streiten. Siehe auch V. 328–31 und 1129 sowie Einführung S. 37–40. Manche meinen, dass sich Eur. in diesen Versen und überhaupt mit der Ausgestaltung des Rolle Polymestors zum Sprecher des Unwillens der Athener über den Thrakerkönig Seuthes machte, der anders als sein Vorgänger Sitalkes der spartanischen Seite zuneigte; so Delebecque (1951) 154–64. Ich halte dies für eher unwahrscheinlich; vgl. Matthiessen (2004) 22–26. 1201–05 Eine Reihe von rhetorischen Fragen, mit denen Hekabe ihren Gegner in die Enge treibt. 1201 ou¢t’: „und nicht“. Die von Dindorf vorgeschlagene Änderung der Abfolge ou¬ – ou¢t’ in ou¬ – ou¬d’ ist unnötig. Dazu Biehl (1997) 161f.; Synodinou; KG 2,289: „Bei den Attikern von den Herausgebern auch gegen die handschriftliche Überlieferung beseitigt.“ tína … speúdwn cárin: Hiermit widerspricht Hekabe der Behauptung Polymestors in V. 1175f., er habe Agamemnon zuliebe (speúdwn cárin ... tæn sän) Polydoros getötet. 1202 khdeúswn tinà: „weil du vorhast, dich mit jemandem zu verschwägern“. Nach Hekabes Behauptung, es gebe zwischen Griechen und Barbaren einen unüberbrückbaren Gegensatz (1199–1201), ist diese Argumentation besonders boshaft, weil sie doch selbst, obwohl sie eine Barbarin in ethnographischem Sinn ist, kurz zuvor ihren Sohn Polydoros zum Schwager (khdestäß) des Griechen Agamemnon erklärt und sich dadurch dessen stillschweigende Unterstützung zu verschaffen versucht hat (833– 35). Bei Annahme des Vorschlags von Kovacs tinì würde die sonst nicht belegte Konstruktion mit dem Akkusativ durch die gebräuchliche mit dem Dativ ersetzt. Doch ist zu fragen, ob derartige Normalisierungen wirklich erforderlich sind. 1203 tín’ ai¬tían e¢cwn: wörtlich „welchen Grund habend“, gemeint ist: welchen anderen Grund außer den genannten.

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1204 sñß … gñß temeîn blastämata: „die Gewächse deines Landes abschneiden“; hier im Sinne von gñn témnein „das Land verwüsten“; vgl. V. 1142; Herodot 9,86; Thukydides 2,19, 31, 6,7. Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. 1205 tína dokeîß peísein táde: wörtlich „wen glaubst du in dieser Sache zu überzeugen?“ peíqein mit doppeltem Akkusativ wie Soph. Öd.K. 797 oi®da gár se taûta mæ peíqwn. 1206f. Lloyd (1992) 98 hält Hekabes Argumentation an dieser Stelle für schwach, weil sie Polymestors Behauptung nur eine Gegenbehauptung entgegenstellt, für die sie keinen Beweis liefern kann. Jedoch weiß das Publikum schon seit dem Prolog (21–27) und auch Agamemnon seit V. 775f., dass Hekabes Behauptung richtig ist und dass der Thraker den Polydoros tatsächlich nur wegen seines Goldes getötet hat. 1206 o™ crusóß: „das Gold“, mit Artikel „das bekannte Gold, das, von dem die ganze Zeit die Rede ist“. 1207 kérdh: „Gewinn“, hier „Streben nach Gewinn“, Plural wie Aisch. Eum. 704. kérdoß als Antriebskraft für ungerechtes Handeln auch Hkld. 3; Hik. 236; Soph. Ant. 221f.; Öd. 380–89. 1208–10 Formulierungen ähnlich wie in V. 16–18. 1208 e¬peí: mit folgendem Imperativ: Soph. El. 352; Öd.K. 969 e¬peì dídaxon; Öd. 390 e¬peì fér’ ei¬pé. 1209 périx: „ringsum“, Nebenform von perí, hier adverbial. púrgoß: eigentlich „Mauerturm“, hier ist die ganze Stadtmauer gemeint, vielleicht Anklang an Odyssee 6,262. ptólin: s. zu V. 767. 1210 h¢nqei dóru: „in Blüte stand“; a¬nqeîn häufige Metapher für „gedeihen“; vgl. Ilias 13,484; Hesiod Erga 227; El. 944; Her. 876. Die Verbindung mit dóru ist allerdings ungewöhnlich; am ähnlichsten noch Pindar Pythien 1,67 w©n kléoß a¢nqhsen ai¬cmâß. 1211f. tí d’: Das überlieferte d’ kann gehalten werden, obwohl es im Nachsatz einer Periode steht Es gibt genug Beispiele dafür, dass die Partikel gelegentlich dann gesetzt wird, wenn eine Argumentation mit Nachdruck wiederaufgenommen wird; vgl. KG 2, 275f.; ferner Biehl (1997) 162. tø¸d’ „ihm hier“, nämlich Agamemnon. cárin qésqai „einen Gefallen tun“; vgl. El. 61. 1214 h®men e¬n fáei: „wir waren im Licht“, hier gemeint „im Glück“. Anders V. 707; Ion 726; Soph. Phil. 415: „am Leben sein“. 1215 kapnø¸ d’ e¬sämhn’ a¢stu: „Durch den Rauch zeigte es die Stadt an“. Zur Formulierung vgl. Aisch. Ag. 818 kápnø¸ d’ a™loûsa nûn e¢t’ eu¢shmoß póliß, auch 292f., 496f. Der Nominativ kapnòß würde bewirken,

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Kommentar

dass der Halbvers zu übersetzen ist „Der Rauch zeigte die Stadt an als eine, die …“. polemíoiß uçpo: Das überlieferte polemíwn uçpo „durch die Feinde“ schlösse besser an V. 1214 an als an den ersten Halbvers. Die Konjektur von Schenkl polemíoiß uçpo „unter der Herrschaft der Feinde“ (vgl. Hkld. 231; Or. 889) schafft dagegen einen besseren Anschluss innerhalb des Verses. Zur Konstruktion (e¬sämhne sc. o¢n) vgl. V. 423 und KG 2,66f. 1217 w¬ß faính¸ kakóß: „wie du als ein Schlechter erscheinst“. In den meisten Hss. und vielen Ausgaben steht w™ß fanñ¸ß kakóß „damit du als ein Schlechter erscheinst“. Biehl (1997) 163f. möchte die futurische Form fanñ¸ halten und vermutet auf Grund der dreifachen Wiederholung V. 348 kakæ fanoûmai – 1217 fanñ¸ kakóß – 1233 kakòß fanñ¸, dass hier Eur. eine ‚Fernbeziehung‘ zwischen diesen drei Stellen herstelle, die der Zuschauer bemerken solle. Dass der Zuschauer die Ähnlichkeit zwischen den Formulierungen in V. 1217 und 1233 bemerken kann, halte ich noch für möglich, wenn auch für nicht wahrscheinlich, ich meine aber, dass er durch die Handlung zu sehr gefesselt ist, als dass er in den beiden eben genannten Passagen über hunderte von Versen hinweg Anklänge an kakæ fanoûmai in V. 348 bemerken könnte. Außerdem ist an den drei Stellen der Kontext unterschiedlich. Polyxene und Agamemnon wollen oder sollen nicht durch ihr künftiges Verhalten als schlecht erscheinen, Polymestor dagegen hat sich durch sein Verhalten als schlecht erwiesen. 1219 toûd’: „als Eigentum dieses Mannes hier“, nämlich des Polydoros. Seine Erwähnung könnte mit einer Handbewegung in Richtung auf den Leichnam des Polydoros begleitet werden. Schol. MAV weist zu Recht darauf hin, dass Polymestor in seiner Rede vor Agamemnon das Gold nicht erwähnt hat, dass Eur. hier also eine Ungeschicklichkeit (a¬kataskeúasta) begangen hat. Das ist richtig, doch dürfte der Fehler den Zuschauern nicht aufgefallen sein, da von diesem Gold seit V. 10 immer wieder die Rede gewesen ist, auch Agamemnon von diesem Gold Kenntnis hat (775f.) und Polymestor gegenüber Hekabe in V. 994–97 bestätigt hat, dass es Polydoros gehörte. Zur Stelle auch Meridor (1979–80) 9f., die allerdings irrtümlich annimmt, dass mit toûd’ Agamemnon gemeint ist. 1220 penoménoiß: „armen“. Zwar sind die Griechen jetzt nach der Einnahme und Plünderung Trojas reich an Beute geworden, aber Hekabe bezieht sich auf die lange Zeit der Belagerung der Stadt, während derer die Griechen in der Tat arm daran waren; s. etwa die drastische Schilderung Aisch. Ag. 555–66. 1221 a¬pexenwménoiß: „entfremdeten“; vgl. Soph. El. 777.

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Zur Mitteldihärese s. zu V. 15. Hier wird die zweite Vershälfte durch ein einziges Wort gefüllt. Eine Liste mit 22 weiteren Beispielen für dieses Phänomen bei Eur. findet sich bei Stephan (1981) 85f. 1224–32 Hekabe erinnert Polymestor abschließend daran, welche Vorteile er verscherzt und welchen Schaden er sich selbst zugefügt hat, als er ihren Sohn tötete. 1225 kalòn kléoß: „schönen Ruhm“. kléoß wird meist in positivem Sinn verwendet, doch kann es wie hier auch neutralen Sinn haben und erst durch den Zusatz kalón positiven Sinn erhalten. Das Gegenstück ist Hel. 135 ai¬scròn … kléoß. 1226f. Sprichwörtliche Wendung; ähnlich Her. 55–59, 1337–39; Or. 454f., 665–68; Eine Nachbildung ist vielleicht Ennius Hecuba fr. 216 Warmington = fr. incertum 185 Jocelyn „Amicus certus in re incerta cernitur“. 1227 tà crhstà: zu ergänzen etwa prágmata „die guten Lebensumstände”. au¢q’ eçkast’: wörtlich „jeder einzelne (gute Lebensumstand) selbst“. Schol. B: tà gàr kalà prágmata e¬x e™autøn e¢cei toùß fíloß. 1229 qhsauròß … mégaß: „ein großer Schatz“, sowohl wörtlich als auch metaphorisch zu verstehen, wie El. 565; Meleagros F 518,4 TrGF (qhsaúrisma). 1230–32 ou¢te … t’ … te … te: „nicht – und – und – und“, wörtlich „weder – und – und – und“: Verbindung von Konjunktionen wie Alk. 70f.; Med. 441–43; Soph. Öd.K. 1397f.; KG 2,291f. 1230 e¬keînon a¢ndr’: „jenen Mann“; nämlich Polydoros, wenn er zum Mann hätte heranwachsen dürfen. 1232–1237 Schlussteil der Rede Hekabes, an Agamemnon gerichtet. Sie spricht hier ganz als Königin. Sie wendet sich selbstbewusst und im Vertrauen auf die Kraft ihrer Argumente auf gleicher Ebene an Agamemnon und fordert ihn auf, sich entweder für die Seite der Frömmigkeit und des Rechts zu entscheiden oder aber sich schwerem Tadel auszusetzen. 1232 soì d’ e¬gœ légw: „dir aber sage ich“: Diese Einleitungsformel bekundet festes Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Position; vgl. Hkld. 372f.; Or. 622. 1233 kakòß fanñ¸: „du wirst als ein Schlechter erscheinen“: Agamemnon würde genau so werden, wie Polymestor schon ist; vgl. V. 1217. 1234f. Hekabe nimmt die Worte Agamemnons aus V. 852f. auf und erinnert ihn damit an seine damals abgegebene Beurteilung des Falles. 1235 xénon: „einen Fremden“. xénon könnte auch in der Bedeutung „Gastfreund“ verstanden werden, doch besteht zwischen Agamemnon und Polymestor keine Gastfreundschaft.

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An anderen Stellen, nämlich dort, wo das Wort „Gastfreund“ bedeutet, mag anstatt xénon auch die Variante fílon möglich sein, wie z. B. in V. 19. In diesem Fall jedoch, wo es Hekabe gerade daran liegen muss, die Fremdheit zwischen den beiden Königen zu betonen, darf fílon auf keinen Fall stehen. 1237 toioûton o¢nta: „der du ein solcher bist“: euphemistisch für „der du ein Schlechter bist“. despótaß: „Herren“: Verallgemeinernder Plural, wie in V. 557; vgl. auch Med. 61. Hekabe versucht durch ihre Schlussbemerkung die Schroffheit ihrer Worte etwas abzumildern. 1238f. Chorreplik Die Schlussworte des Chores nehmen Bezug auf die Eingangsworte Hekabes (V. 1187–91), die gefordert hatte, dass die Qualität der Rede mit derjenigen der Sache übereinstimmen solle, für die gesprochen wird. Der Chor bewundert Hekabes Rede, die ganz im Einklang mit ihrer guten Sache steht. Bei ihr ist diese Übereinstimmung vorhanden, bei Polymestor nicht. 1238 feû feû: ‚intra metrum‘, genau wie in V. 497, 785 (aber anders als in V. 54a, 863a, 955a), hier jedoch, anders als in den übrigen Fällen, keine Äußerung der Klage oder der Anteilnahme, sondern der Bewunderung. 1239 a¬formàß … lógwn: „Stoffe“, „Gegenstände von Reden“; vgl. Her. 236; Phön. 199; Ba. 267 und Dodds zur Stelle. Später wird das Wort a¬formä zu einem Terminus der rhetorischen Theorie, vgl. Lukian Rhetorum Praeceptor 18; Menander Rh. p. 334; Apsines Rh. p. 264. 1240–51 Urteilsspruch Agamemnons Aus der Weise, wie der große Feldherr sich äußert, könnte man schließen, dass er sich etwas ungehalten dazu herablässt, in einer Sache zu entscheiden, die ihn eigentlich nichts angeht, auf die er sich aber nun einmal eingelassen hat. So erscheint sein Urteilsspruch als unparteiisch und darum unanfechtbar. Die Zuschauer wissen allerdings, dass er schon zuvor Stellung bezogen hat und dass darum eine Entscheidung in Hekabes Sinne zu erwarten ist. Agamemnon verwirft denn auch die Argumente Polymestors, nicht ohne ihn von der hohen Warte der griechischen Zivilisation wegen

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seines Barbarentums zu tadeln, und schließt sich voll und ganz der Argumentation Hekabes an. 1240 ta¬llótria: dreisilbig (-tria in Synizese) zu sprechen. 1243–51 Agamemnon richtet seinen Urteilsspruch allein an Polymestor, der ihn in V. 1114f., 1120f. und 1127f. angerufen hat. An Hekabe wendet er sich erst wieder ganz am Schluss mit V. 1287f. 1243 e¬mæn … cárin: „meinetwegen”, „mir zuliebe”; s. zu V. 874. 1245 Ähnliche Formulierung in V. 27. 1246 sautø¸ prósfor’: „was dir nützlich ist“; vgl. Soph. Öd.K. 1774. 1247f. Ennius Hec. fr. 217f. Warmington = 87 Jocelyn gibt diesen Gedanken folgendermaßen frei wieder: „sed numquam scripstis qui parentem et hospitem | necasset quo quis cruciatu perbiteret”. 1247 xenoktoneîn: „Fremde (oder Gastfreunde) zu töten”. Dies gilt als Brauch barbarischer Völker wie der Taurer oder auch der Ägypter, vgl. Iph.T. 34–41, 53 xenoktónon, 776 xenofónouß; Hel. 155 kteínei … oçntin’ a£n lábh¸ xénon. 1248 ai¬scrón: „schlimm“. Das Begriffspaar kalón – ai¬scrón bezeichnet zunächst den Gegensatz „schön – hässlich“, wertet also ästhetisch. Es kann aber auch wie hier ethisch im Sinne der Adelsethik oder rechtlich bewerten, also den Gegensatz „gut – schlecht“ oder „gerecht – ungerecht“ bezeichnen. 1249f. pøß ou®n … fúgw yógon: „wie soll ich dem Tadel entgehen?“ Man kann fragen, welchen Tadel Agamemnon wohl zu fürchten hat. Kaum den Tadel des Heeres, denn es betrachtet Polydoros als seinen Feind; s. V. 858–63. Eher ist an Hekabe zu denken, denn Agamemnon urteilt nach den Kriterien, die sie ihm in V. 1233–37 vorgegeben hat. Polymestor hat unrecht gehandelt (ai¬scrón, tà mæ kalá), und deswegen ist es unmöglich, ihn nicht zu verurteilen. Manche Interpreten merken kritisch an, dass hier der Feldherr nicht objektiv urteilt, sondern, vielleicht wegen seiner Beziehung zu Kassandra, ‚nach der Pfeife seiner Sklavin tanzt‘. Es ist aber festzuhalten, dass er sich Hekabes Rechtsauffassung anschließt, die sie zuvor überzeugend dargelegt hat. Sein Verhalten ist also nach meiner Meinung nicht zu kritisieren. mæ a¬dikeîn: dreisilbig (mæ a¬- in Synizese) zu sprechen. 1250f. e¬tólmaß – tlñqi: Eur. spielt hier mit der zweifachen Bedeutung der stammverwandten Wörter tolmáw und tláw, die einerseits „wagen“ und andererseits „ertragen“ bedeuten können. Auch tlämwn hat diese zweifache Bedeutung. Hierüber s. auch zu V. 775. Ein ähnlich lapidarer Urteilsspruch auch Cho. 930 (Orestes zu Klytaimestra): e¢kaneß oÇn ou¬ crñn, kaì tò mæ creœn páqe.

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1252–92 Schlussgespräch Zu dieser Stichomythie Schwinge (1968) 40–42. 1252f. Polymestor beklagt nicht so sehr seine Verurteilung als vielmehr, dass er von einer Frau und sogar von einer Sklavin besiegt wurde, also von jemandem, der sozial niedriger steht; darum kakíosin „schlechteren“. Ähnliche Empörung über eine mögliche Niederlage gegen eine Frau Soph. Ant. 484, 679f.; Ba. 785f. 1253 u™féxw … díkhn: wörtlich „ich werde Strafe erleiden“, wie Soph. Öd. 552; mit Dativ (durch jemanden) wie Plato Phaidon 99a 4 u™pécein th¸ pólei díkhn. 1254 Obwohl nur wenige Hss. diesen Vers Hekabe zuteilen, muss sie nach meiner Meinung die Sprecherin sein. Denn Agamemnon hat durch sein Urteil den Fall endgültig entschieden. Deswegen kann er sich nicht dazu herablassen, sich am jetzt beginnenden Streit zu beteiligen. Erst als er merkt, dass er selbst betroffen ist, greift er wieder ein (V. 1280). Schwinge (1968) 41 und Anm. 14 teilt dagegen den Vers Agamemnon zu. 1256 tí daí me ... dokeîß: Der von den meisten Hss. überlieferte Text tí dé me … dokeîß; „Was glaubst du, dass ich“ ist metrisch nicht korrekt. Das Metrum kann geheilt werden durch die Änderung von Bothe tí d’; h® ¯mè … dokeîß; „Was denn? Glaubst du, dass ich“. Dies ergibt eine ebenfalls sinnvolle Abfolge eines allgemein gehaltenen verwundert fragenden Ausrufs und einer inhaltlich gefüllten Nachfrage. Metrisch korrekt und gut zum erregten und umgangssprachlichen Ton dieser Stichomythie passend ist aber auch das von einigen Hss. bezeugte tí daí me … dokeîß; „Was glaubst du bloß, dass ich“. Allerdings wird die Zulässigkeit der umgangssprachlichen Partikel daí an dieser Stelle bestritten, und manche Kritiker zweifeln daran, ob sie in der Tragödie überhaupt etwas zu suchen hat. Ausführlich hierzu Kannicht zu Hel. 1246, der dort sowie in anderen umgangssprachlich gefärbten Passagen wie Med. 1012 und Ion 275 daí für zulässig hält. Vgl. ferner KG 2,134; Stevens (1976) 45f. 1258 Auf diese Stelle mag Ennius Hec. fr. 217–18 Warmington = 86 Jocelyn zurückgehen: „Iuppiter tibi summe tandem male re gesta gratulor“. 1259–81 Weissagungen eines Todgeweihten wie Hkld. 1026–44; so auch schon Ilias 22,358–60 (Hektor); Weissagung eines Geblendeten, der sich wie hier auf einen Seherspruch beruft: Kykl. 698–700 (nach Odyssee 9,507–21). 1259–74 Collard (1975) 66 meint, dass durch diese Prophezeiung Polymestors Hekabes Triumph „zu Asche werde“. Dieser Meinung stehen allerdings ihre Aussagen in V. 1258 und 1274 entgegen, aus denen hervorgeht, dass sie ihren Triumph jedenfalls zunächst voll auskostet, bis sie vom bevorstehenden Tod Kassandras erfährt (1275).

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1259–61 Unterbrechung des von dem einen Sprecher begonnenen Satzes durch den Einwurf oder die Frage des anderen Sprechers, der seine eigenen Vermutungen äußert, woraufhin der erste Sprecher seinerseits den richtigen Satzschluss liefert. Ähnliches findet sich in Stichomythien oft; vgl. V. 1271–73; Hik. 142–44; Tro. 721–25. Dazu Mastronarde (1979) 55. 1259 a¬ll’ ou¬ tác’: „aber bald nicht“ oder „aber vielleicht nicht“. pontía notíß: poetische Wendung, passend zur Weissagung; wörtlich „die Meeresfeuchtigkeit“; vgl. Phön. 646. 1260 møn: „nicht etwa?“ Fragepartikel, die dann gesetzt wird, wenn das Eintreten oder Nichteintreten eines Ereignisses mit Besorgnis erwartet, befürchtet oder erhofft wird; Hipp. 794 und Barrett zur Stelle; KG 2,525. 1261 e¬k karchsíwn: wörtlich „von der Mastspitze“, tò karcäsion ist eine Vorrichtung an der Mastspitze, an der die den Mast haltenden Taue befestigt sind; vgl. Schol. M: karcäsia tà a¢kra toû i™stoû; Pindar Nemeen 5,52. 1262 Wörtlich „wovon (oder von wem) die gewaltsamen Sprünge erlangend?“ Hekabe spricht in Fortsetzung der Satzkonstruktion, die mit V. 1259 begonnen wurde. toû = tínoß: Maskulinum oder Neutrum. 1265 kúwn genäsh:¸ Eine Verwandlung Hekabes in eine Hündin wird auch in Alexandros F 62h TrGF erwähnt. Dort wird die Hündin ¿Ekáthß a¢galma fwsfórou „der Fackelträgerin Hekate heiliges Tier“ genannt, es wird also eine Verbindung zwischen der Königin und der ähnlich benannten Göttin hergestellt. Zur unterschiedlichen Bewertung der Verwandlung Hekabes in eine Hündin s. Einführung S. 32. púrs’ e¢cousa dérgmata: Hierzu Burnett (1998) 174f., welche die Verwandlung für eine Erfindung des Eur. hält, dem es daran gelegen gewesen sei, eine Verbindung zwischen dem Ende Hekabes und dem den Seefahrern wohlbekannten Seezeichen am Hellespont mit seinem Signalfeuer (pursóß) herzustellen. Der Widerspruch Gregorys (zur Stelle) gegen Burnett hat mich nicht überzeugt. Die phonetische Identität des Adjektivs pursóß (-á, -ón) „feuerrot“ mit dem Substantiv pursóß „Signalfeuer“ lässt sich nicht wegdiskutieren. 1267f. Von diesen beiden Versen ausgehend ‚rekonstruiert‘ Wildberg (2002) 145–49 die Vorgeschichte der Ermordung des Polydoros. Polymestor hat nach seiner Meinung vor der Mordtat das heimische Orakel befragt und dort Auskunft über das Schicksal Hekabes, Agamemnons und Kassandras erhalten. Dadurch fühlte er sich dazu ermutigt, Polydoros zu töten, weil ihm von Hekabe keine Gefahr mehr zu drohen schien. Er unterließ es aber, nach seinem eigenen Schicksal zu fragen, und tappte darum in die Falle, die Hekabe ihm stellte. Wildberg vergißt dabei, dass Polymestor

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keine historische Person ist, über deren Gedanken und Handlungsmotive Vermutungen angestellt werden können, sondern eine Bühnenfigur, über die wir nur das wissen, was ihr Erfinder ihr mit auf den Weg gegeben hat. Darum ist es müßig, zu überlegen, was Polymestor das Orakel gefragt, welche Antworten er erhalten und welche richtigen oder falschen Folgerungen er daraus gezogen haben mag. Siehe auch zu V. 1275–81. 1267 Ein Orakel des Dionysos im Hochgebirge bei den thrakischen Satrai erwähnt Herodot 7,111. Rhes. 970–73 ist offenbar vom gleichen Orakel die Rede. Eine Verbindung des Dionysos mit der Mantik wird auch Ba. 298f. angedeutet; s. Dodds zur Stelle. Eine engere Beziehung Polymestors zu Dionysos, wie ihn Schlesier (1988) vermutet, lässt sich aus der Erwähnung dieses Orakels des Gottes nicht ableiten. Es war nun einmal die Stelle, an die sich nach den Informationen, die Eur. besaß, ein Thraker zu wenden pflegte, wenn er einen Orakelspruch zu erhalten wünschte. S. hierzu auch Einführung S. 47f. 1270 e¬kpläsw fátin: Für das überlieferte e¬kpläsw bíon gibt es eine Parallele in Alk. 169. Doch kann die Wendung nicht gut neben qanoûsa … h£ zøs’ stehen. Mir scheint der überlieferte Text korrupt zu sein. Schol. MBV und einige Kommentatoren versuchen ihn zu verteidigen, ohne ihn überzeugend erklären zu können; so zuletzt Biehl (1997) 165. Brunck ersetzt bíon durch móron, was sowohl „Schicksal“ als auch „Tod“ bedeuten kann; vgl. Herodot 3,142 e¬xéplhse moîran. Musgrave bevorzugt pótmon, was ebenfalls „Schicksal” bedeutet. Hierfür spräche, dass auch Soph. Ant. 83 bíon und pótmon als Varianten nebeneinander erscheinen. Am überzeugendsten scheint mir jedoch Weils fátin „Orakelspruch“ zu sein; vgl. Herodot 1,43 e¬xéplhse fämhn. 1271–73 Der erste Sprecher beginnt, wird unterbrochen und vollendet dann den begonnenen Satz; s. zu V. 1259–61. 1271 kekläsetai: feste Wendung in Schlussprophezeiungen: El. 1275; Her. 1330; Hel. 1674; Or. 1646; Erechtheus F 370,92 TrGF; ähnlich Hik. 1225; Ion 1593f. Bei Eur. steht am Schluss einer Tragödie oft ein ai¢tion, also die Erklärung der Herkunft eines Ortsnamens oder eines Brauches, der an die dargestellten Ereignisse erinnert. 1272 morfñß e¬pw¸dòn … tñß e¬mñß: „nach meiner (künftigen) Gestalt benannt“. Das Wort e¬pw¸dóß hat sonst aktiven Sinn und bedeutet „besingend“, „bezaubernd“. Hier bedeutet es jedoch „benannt nach“. Eher wäre e¬pånumon zu erwarten, das in dieser Bedeutung mit dem Genetiv konstruiert wird und das auch in schol. V als Äquivalent angegeben wird, oder auch sunw¸dón, das allerdings in der Bedeutung „übereinstimmend mit“ den Dativ erfordert. Tierney spricht von einer „eigenartigen Konfusion“ zwischen diesen beiden Wörtern und ihren Konstruktionen.

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mä ti ... e¬reîß: „du wirst doch nicht etwa sagen” ist nur in einem Papyrus belegt, während alle Hss. h¢ ti „oder etwas (sonst)“ lesen (so auch schol. V), was jedoch im Satzzusammenhang keinen so guten Sinn ergibt. Diggle (1981) 120 verweist für ein mä, das eine Frage einleitet, auf El. 568. mä ti findet sich in einer Frage, auf die eine verneinende Antwort erwartet wird, auch Aisch. Pr. 959f.; vgl. KG 2,524. 1273 kunòß ... sñma: Das gefährliche Kap Kynossema („Zeichen“ oder „Grabmal des Hundes“) an der engsten Stelle des Hellesponts wird heute wie wohl auch schon damals durch Leuchtfeuer markiert. Hierzu Burnett (1994) 159–62. 1274–76 Die Verse tragen, ähnlich wie V. 756f., einen wichtigen Zug zur Charakterisierung Hekabes bei. Die Rache war das einzige Ziel, das sie sich für ihr Leben noch gesetzt hatte. Alles andere ist ihr gleichgültig, freilich mit einer Ausnahme. Denn als sie von dem Kassandra drohenden Schicksal erfährt, ist sie als Mutter tief betroffen (1276). 1274 Mit ähnlicher Gleichgültigkeit reagiert auch Medea, als sie ihr Ziel, nämlich die Bestrafung Iasons, erreicht hat: Med. 1358f., 1362, 1397f. 1275–81 Wir erfahren nicht, ob Polymestor auch die im Folgenden gegebenen Prophezeiungen von Dionysos erfahren hat. Es muss also offen bleiben. 1276 a¬péptus(a): „ich speie aus“. Verwendung des Aorists bei einem momentanen Gefühlsausbruch, der durch die unmittelbar vorhergehende Äußerung des anderen angeregt ist; vgl. KG 1,164. Dem Ausspeien wird eine Schaden abwendende Wirkung zugeschrieben; vgl. Hipp. 614; Iph.T. 1161; Hel. 664; Iph.A. 509, 874; Theokrit 6,39 und Gow zur Stelle. Zugleich versucht Hekabe den von Polymestor angekündigten Schaden auf ihn selbst zurückzulenken. soì dídwm’ e¢cein: vgl. Kykl. 270 au¬tòß e¢c’, El. 232 dídwmi … e¢cein, dort allerdings bei einem Segenswunsch. 1277 oi¬kouròß: Substantiv oder zweiendiges Adjektiv: „Hüter des Hauses“ oder „das Haus hütend“; vgl. die Charakterisierung Klytaimestras Aisch. Ag. 154f. foberà … oi¬konómoß dolía, 606–08 e¬n dómoiß euçroi … dwmátwn kúna. 1278 mäpw: Grundbedeutung „noch nicht“, in der Tragödie neben dem Optativ öfters in der Bedeutng „niemals“; vgl. Hkld. 357; Ion 768; Soph. El. 403. Ob die Grundbedeutung an dieser Stelle noch mitgehört wird, ist umstritten. Wenn ja, wäre etwa zu übersetzen: „Möge es noch lange dauern, bis sie so wütet“. 1279 ge: „jedenfalls“ ist nur schwach bezeugt, aber die anderen Varianten sind sprachlich oder kompositionell weniger befriedigend. Denn te

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„und“ ist nach vorausgehendem kaí fehl am Platz. se „dich“ würde dagegen bedeuten, dass Polymestor, der seit V. 1254 mit Hekabe spricht, von sich aus Agamemnon ins Gespräch zieht. Es scheint mir jedoch wirkungsvoller zu sein, wenn Agamemnon erst auf V. 1279 reagiert. toûton: „diesen“ nimmt toûd’ „dieses Mannes“ von V. 1277 wieder auf. Polymestor vermeidet es in beiden Fällen, den Namen Agamemnons zu nennen. pélekun: Dies ist die Tatwaffe Klytaimestras auch Aisch. Cho. 889; El. 160, 279, 1160; Tro. 361; Soph. El. 99. 1280 Der Vers ist mit Sicherheit Agamemnon zuzuteilen. Er hat dem Streit bisher desinteressiert zugehört. Sogar als es um das Schicksal seiner Geliebten Kassandra ging, schien er noch teilnahmslos zu bleiben. Doch jetzt, wo er merkt, dass er selbst unmittelbar betroffen ist, fährt er auf und bedroht Polymestor. ou©toß sú: „du da“; umgangssprachliche Anrede; s. zu V. 1127. 1281 fónia loutrá: Nach Aisch. Ag. 1108f. wurde der gerade nach Argos heimgekehrte Agamemnon von Klytaimestra im Bad erschlagen. Vgl. auch El. 157; Or. 366f. s’ a¬mménei = s’ a¬naménei. Polymestor freut sich spürbar darüber, dass er mit seiner Prophezeiung über seinen, wie er meint, ungerechten Richter triumphieren kann. 1282–86 Der König, der mit V. 1280 dem Unglückspropheten Schlimmes angedroht hat, lässt, als dieser noch immer nicht schweigen will, den Drohungen Taten folgen und gibt dafür knappe, dringende Befehle. Sie sind zugleich Regieanweisungen. Seine Begleiter ergreifen Polymestor mit V. 1282, verschließen ihm nach V. 1284 den Mund und schleppen ihn nach V. 1286 in der Richtung zur Küste von der Bühne. Zur Syntax s. zu V. 579. 1283f. Zum Sprecherwechsel innerhalb des Verses (Antilabai) s. zu V. 1127. 1283 Scharfe Reaktion auf die von Schadenfreude erfüllte Frage Polymestors. ou¬k e¬féxete stóma: „Haltet ihm den Mund zu!“ Anders dagegen e¢cein stóma „den Mund halten“ wie im Deutschen; vgl. Hipp. 660; Hik. 513. 1284f. Aussetzung auf eine einsame Insel zur Beseitigung eines Störenfriedes auch Odyssee 3,269–72 und Soph. Phil. 1–11. Im Fall des geblendeten Polymestor bedeutet die Aussetzung den sicheren baldigen Tod. 1284 ei¢rhtai gár: Ein letztes Wort des Triumphs vor dem endgültigen Abgang; vgl. ei¢rhtai lógoß Aisch. Eum. 710; Or. 1203. 1285 pou „irgendwo” oder poi „irgendwohin“: Beides ist in diesem Kontext, wo jemand irgendwohin gebracht und irgendwo ausgesetzt wer-

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den soll, in gleicher Weise möglich. Ich halte mich an die Mehrheit der Hss. Biehl (1997) 167 verweist auf Soph. Trach. 40f. und Öd.K. 52, wo jeweils eine Ortsangabe erscheint, wenn wir eine Richtungsangabe erwarten würden. 1287f. Dieser Befehl ermöglicht, dass sowohl das geschieht, was Polydoros sich gewünscht hat, nämlich in die Hand seiner Mutter zu gelangen und von ihr bestattet zu werden (V. 49f.), als auch der Wunsch Hekabes erfüllt wird, dass sie den Leichnam ihrer Tochter schmücken und bestatten darf (604–18). Die beiden Teilhandlungen finden damit den von Polydoros und von ihr (894–97) zuvor gewünschten Abschluss. Man kann insofern mit Segal (1996) 162f. von einem die Emotionen des Publikums befriedigenden „kathartischen Ende“ sprechen. Doch die Voraussagen Polymestors bleiben unwidersprochen. Jenseits des Abschlusses der den beiden Kindern gewidmeten Episoden ist die Zukunft düster. Es ist schwer zu verstehen, wie Schlesier (1988) 135 angesichts dieses Schlusses sagen kann: „Um ihre eigene Mordlust zu befriedigen und die ausgleichende Rechtsgewalt selbst durchzusetzen, vergeht sich Hekabe gegen das Recht ihrer noch ruhelosen toten Kinder auf ein unverzügliches Begräbnis.“ 1288f. Die Frauen des Chores erhalten den Befehl, dorthin zurückzugehen, von wo sie gekommen sind (V. 99), nämlich zu den Zelten ihrer griechischen Herren. 1289f. Der Wind, von dem es hieß, dass ein Gott (qeóß) ihn nicht wehen lasse (V. 900), beginnt jetzt zu wehen, nachdem Hekabe ihre Rache vollendet hat und sie für ihre Tat in einem geordneten Verfahren freigesprochen worden ist. Der damals ungenannt gebliebene Gott, der den Wind zurückhielt, machte beides möglich. pnoàß … o™rø: Vertauschung des wahrnehmenden Organs, wie Aisch. Sieb. 103 ktúpon dédorka; Pr. 21f. ou¢te fwnæn ou¢te tou morfæn brotøn o¢yh¸. pròß oi®kon … pompímouß „nach Hause geleitend“; präpositionaler Ausdruck als Richtungsangabe abhängig von einem Adjektiv (pompímouß) anstelle eines zu erwartenden Partizips pempoúsaß. Ähnlich Hel. 1073f. pómpimoi … pnoaì génointo. 1291f. Der Wunsch Agamemnons wird unerfüllt bleiben. Ein großer Teil der Flotte wird auf der Heimfahrt dem Fahrtwind zum Opfer fallen, der bald zu einem Sturm anschwellen wird. Agamemnon selbst wird wohlbehalten heimkehren, aber, wie Polymestor es angekündigt hat (V. 1279), sofort danach im eigenen Haus von seiner Gattin ermordet werden. Die Mühen (pónoi) des Krieges sind für ihn vorbei, aber andere und größere Mühen erwarten ihn zuhause.

420

Kommentar

1293–95 Auszugsanapäste des Chores Die Frauen fügen sich in ihr Schicksal und folgen Agamemnon und Hekabe dorthin, von wo sie gekommen sind, also in der Richtung zum Lager. Sofern sich der Leichnam des Polydoros noch auf der Bühne befindet (s. zu V. 955), wird er von einigen Frauen des Chores oder von Begleiterinnen Hekabes oder auch von Männern aus dem Gefolge Agamemnons fortgetragen. Es bildet sich dann also ein kleiner Trauerzug, bei dem Hekabe, Agamemnon und die Frauen des Chores dem Leichnam des Polydoros folgen. Was mit den Körpern der Söhne Polymestors geschieht, ist ungewiss. Vielleicht werden sie ebenfalls fortgetragen, vielleicht mit Hilfe des Ekkyklema wieder in das Zelt zurückgerollt. S. auch zu V. 1044– 53. 1293 pròß liménaß skhnáß te: ein klassisches Hysteron proteron. Der spätere größere Aufbruch in die Fremde drängt sich im Bewusstsein vor den früheren kleineren Aufbruch zu den Zelten. 1294f. tøn desposúnwn … mócqwn: wörtlich „die Mühen der Herrschaft“. Gemeint sind aber die Mühen der Sklaverei, die ein Sklave durch die Herrschaft seines Herren zu ertragen hat. Ähnlich Aisch. Pers. 587 desposúnoisin a¬nágkaiß, das Wort despósunoß auch V. 99. 1295 sterrà gàr a¬nágkh: vgl. Aisch. Pr. 1052 a¬nágkhß sterraîß dínaiß. Zu stérroß „fest“, „hart“ s. zu V. 296. Anders als dort ist das Adjektiv hier zweiendig.

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen Allgemeines Die hier gegebenen metrischen Analysen dienen der Begründung der Kolometrie in dieser Ausgabe und helfen auch die Textgestalt zu sichern. Symbole und Termini stimmen weitgehend mit denen von Snell (1982) überein. Allerdings verwende ich die folgenden zusätzlichen Symbole. || |¦ chodi maec ed trip mol hypod

nachweisbares Periodenende (Hiat oder brevis in longo) vermutetes Periodenende Choriambischer Dimeter ( uuuu qkkq ) Kurzvers „Maecenas atavis“ ( qqqkkq ) Kurzvers „edite regibus“ ( qkkqkq ) Iambische Tripodie ( kqkqkq ) Molossus ( qqq ) Hypodochmius ( qkqkq )

Die verschiedenen Typen von Dochmien (d) habe ich mit den Ziffern gekennzeichnet, die N. C. Conomis verwendet (The Dochmiacs of Greek Drama, Hermes 92, 1964, 23). Analysen der anapästischen und lyrischen Passagen finden sich in den Ausgaben von Daitz (1990) und Synodinou (2005), mit denen ich weitgehend übereinstimme. Zu den Chorliedern habe ich auch herangezogen: A. Mette, Die aiolischen Maße in den Dramen des Euripides, Diss. Hamburg (masch.) 1955.

1. Anapäste Hekabes (59–97) Anapästische Dimeter, vereinzelte Monometer. Fast durchweg Wortende nach jedem Metrum. An Periodenenden, die zugleich Sinnabschnitte markieren, stehen katalektische Dimeter, in V. 73, 75, 90, 91 daktylische Hexameter. Der gelegentliche dorische Vokalismus und die eingestreuten Hexameter lassen darauf schließen, dass es sich zumindest zum Teil, bestimmt ab V. 68, um lyrische Anapäste handelt.

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Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

2. Einzugsanapäste des Chores (98–152) Sprechanapäste: meist Dimeter, vereinzelte Monometer. Fast durchweg Wortende nach jedem Metrum. An Periodenenden, die zugleich Sinnabschnitte markieren, stehen katalektische Dimeter. Zum metrischen Problem in V. 145 s. Kommentar zur Stelle.

3. Monodie Hekabes (154–76) Lyrische Anapäste, meist Dimeter, vereinzelt Monometer, an Periodenenden wenige katalektische Dimeter. Meist Wortende nach jedem Metrum. Auffällig sind die vielen nur aus Längen bestehenden Anapäste. Gelegentlich sind andere Metren, meist Daktylen, eingestreut. Zur Frage der Responsion von V. 154–74 mit 197–210 s. Kommentar zu V. 154–76. Auffällig ist auf jeden Fall die zwischen V. 165–68 und 207–10 bestehende Responsion. 154 kkqkkq | kkqqq | Oi£ e¬gœ meléa, tí pot’ a¬púsw; 155 qqqq | qkkqq | poían a¬cå, poîon o¬durmón, 156 qqqq qqqq | deilaía deilaíou gärwß, 157 qqq | qqqq | douleíaß tâß ou¬ tlatâß, 158 qqqq | qqq || tâß ou¬ fertâß; w¢moi moi. 159 kkqqq | qqqq | tíß a¬múnei moi, poía génna, 160 qqkkq | qqqq | poía dè póliß; froûdoß présbuß, 161 qqqq | froûdoi paîdeß. 162 qqqqqqqq | poían h£ taútan h£ keínan 163 qqqq | qqq | steícw; poî dæ sw; poû tiß 164 qqqq | kkqq | qeøn h£ daímwn e¬parwgóß; 165 qkkqqq | w® kák’ e¬negkoûsai

an | an | an | an | an an | an | an | an | an^ || an | an | an | an | an | an an | an | an | an | an^ | 3 da^ |(= 207)

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

166 qkkqkkqqq | Trw¸ádeß, w® kák’ e¬negkoûsai 167 qkkqkkqkkqkkqkk | pämat’, a¬pwlésat’ w¬lésat’· ou¬kéti moi bíoß 168 kqkqkq |¦ a¬gastòß e¬n fáei. 170 qqqqqqqq | w® tlámwn açghsaí moi poúß, 171 qqqqqqq | açghsai t⸠ghraía¸ 172 qqqq | qkkqq | proòß tánd’ au¬lán. w® téknon, w® paî 173 qqkkq | qkkqq | dustanotátaß matéroß, e¢xelq’ 174 qqqq | e¢xelq’ oi¢kwn, 174a qkkqkkqq ||| , a¢ie matéroß au¬dán. [175 qqkkqqqqq | qq | [w® téknon w™ß ei¬dñ¸ß oiçan oiçan 176 kkqqq | kkqqq |||] a¬íw fáman perì sâß yucâß.]

423

4 da^ |(= 208) 5 da | (= 209) trip |¦ (= 210) an an | an an^ | an | an | an | an | an | an an^ ||| [an an | sp | an | an^ |||]

4. Amoibaion Polyxene – Hekabe (177–96) Lyrische Anapäste: Dimeter und Monometer, katalektische Dimeter auch außerhalb von Periodenenden. Mehrere Dochmien. 177 qqqq | kkqkkq | Px. mâter mâter, tí boâ¸ß, tí néon 178 qqqq | qqqq | karúxas’ oi¢kwn m’ wçst’ o¢rnin 179 qqqqqqq || qámbei tø¸¸d’ e¬xeptáxaß; 180 qqqq || Ek. oi¢moi téknon. 181 kkqqq | qkkqkk || Px. tí me dusfhmeîß; froímiá moi kaká. 182 qqqqq || Ek. ai¬aî sâß yucâß.

an | an | an | an | an an^ || an || an | an || d17 ||

424

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

183 qqqq | qqqq | Px. e¬xaúda· mæ krúyh¸ß darón, 184 qqqqqqqq | deimainw deimaínw, mâter. 185 kkkqkq || tí pot’ a¬nasténeiß: 186 qqqq | kkqqq || Ek. téknon téknon meléaß matróß ... 187 kkqqq || Px. tí tód’ a¬ggélleiß 188 qqqq qqq | Ek. sfáxai s’ ¬Argeíwn koinà 189 qqqq | qqqq | sunteínei pròß túmbon gnåma 190 qqqqq || Phleía¸ génna¸. 191 qqqq | qqq || Px. oi¢moi, mâter, pøß fqéggh¸; 192 kkqkkq | qqqq | a¬mégarta kakøn mánuson moi, 193 qqqqq || mánuson, mâter. 194 qqqqqqqq | Ek. au¬dø, paî, dusfämouß fämaß 195 qqqqqqqq | a¬ggéllous’ ¬Argeíwn dóxai 196 qqqq | kkqq ||| yäfw¸ tâß sâß perì yucâß.

an | an | an an | d2 || an | an || an ||1 an an^ | an | an | d17 || an | an^ || an | an | d17 || an an | an an | an | an^ |||

5. Monodie Polyxenes (197–215) Metrische Gestalt ähnlich wie V. 154–76, doch ließe sich genaue Responsion nur durch zahlreiche Eingriffe in den überlieferten Text herstellen. 197 qqkkq | qqqq | w® deinà paqoûs’, w® pantlámwn, 198 qqqq | qqkkq | w® dustánou, mâter, biotâß,

an | an | an | an |

_____________ 1

Wenn in V. 187 mit Hartung tí dè und mit ihm und Hermann a¬ggeleîß gelesen würde, entstände noch ein weiterer Dochmius: k kk q k q (d2).

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

199 qqqq | qqqq | oiçan oiçan au® soi låban 200 qqq | qqq | e¬cqístan a¬rrätan t’ 201 qqq | qq |¦ w®rsén tiß daímwn; 202 qkkqq | qqkkq | ou¬kéti soi paîß açd’ ou¬kéti dæ 203 qqqqqqqq | gära¸ deilaía deilaíw¸ 204 qqqq |¦ sundouleúsw. 205 qqqq | qqqq | skúmnon gár m’ wçst’ ou¬riqréptan 206 qqqqqqqq | móscon deilaía deilaían 206a kqq | e¬sóyh¸ 207 qkkqqq | ceiròß a¬narpastàn 208 qkkqkkqqq | sâß a¢po laimótomón q’ çAida 209 qkkqkkqkkqkkqkk | gâß u™popempoménan skóton, e¢nqa nekrøn méta 210 kqkqkq |¦ tálaina keísomai. 211 qqqqqqqq | kaì soû mén, mâter, dustánou 212 qqqqqqq | klaíw pandúrtoiß qränoiß, 213 kkqkkq | qqqq | tòn e¬mòn dè bíon låban lúman t’ 214 qkkqkk | qkkqq | ou¬ metaklaíomai, a¬llà qaneîn moi 215 qkkqqqkkqx ||| xuntucía kreísswn e¬kúrhsen.

425

an | an | mol | mol | mol | sp |¦ an | an | an an | an |¦ an | an | an an | ba | 3 da^ |(= 165) 4 da^ |(= 166) 5 da | (= 167) trip |¦ (= 168) an an | an an^ || an | an | an | an | an an |||

426

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

6. Erstes Stasimon (444–83) Zwei Strophenpaare, äolische Metren. 1. Str. 444 qqqkkqq |¦ Au¢ra, pontiàß au¢ra, 1. Antistr. 455 qqqkkqq |¦ h£ náswn a™liärei

pher |¦

445 qkqkkqkq açte pontopórouß komí456 qqqkkqkq kåpa¸ pempoména tálai-

gl

446 qkqkkqkq kqq |¦ zeiß qoàß a¬kátouß e¬p’ oi®dma límnaß, 457 kqqkkqkq kqq |¦ nan, oi¬ktràn biotàn e¢cous’ a¢oikoß,

gl ba |¦

447 qkqkkqkq poî me tàn meléan poreú458 qkqkkqkq e¢nqa prwtógonóß te foî-

gl

448 qqqkkqkq seiß; tø¸ doulósunoß pròß oi459 qqqkkqkq nix dáfna q’ i™eroùß a¬né-

gl

450 qqqkqkkq kon kthqeîs’ a¬fíxomai; h£ 460 qqqqqkkq sce ptórqouß Latoî fílon w¢-

chodi

451 qkkq kqq|¦ Dåridoß oçrmon ai¢aß, 461 qkkqmkqq |¦ dînoß a¢galma Díaß;

cho ba |¦

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

452 qqkkqkq h£ Fqiádoß e™nqa tòn 462 qqkkqkqq sùn Dhliásin te koú-

^gl

453 qqqkkqk kk | kallístwn u™dátwn patéra 463 qkqkkqkq | raisin ’Artémidoß qeâß

gl|

454 qkqkkqkkk kqq ||| fasìn ’Apidanòn pedía lipaínein. 465 qqqkkqkq kqq ||| cruséan t’ a¢mpuka tóxa t’ eu¬logäsw;

gl ba |||

2. Str. 466 qqkkqkq |¦ h£ Palládoß e¬n pólei 2. Antistr. 475 qqkkqkq |¦ w¢moi tekéwn e¬møn,

^gl |¦

467 qqkkqkq tàß kallidífrouß ’Aqa476 qqkkqkq w¢moi patérwn cqonóß q’,

^gl

468 qqqkkqkq |¦ naíaß e¬n krokéw¸ péplw¸ 477 qkqkkqkq |¦ aÇ kapnø¸ katereípetai

gl |¦

469 qkkqkq zeúxomai a®ra på478 qkkqkq tufoména dorí-

ed

470 qqqkkqkq louß e¬n daidaléaisi poi479 qkqkkqkq kthtoß ’Argeýwn· e¬gœ d’

gl

427

428

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

471 qqqkkqkqq | kíllous’ a¬nqokrókoisi pänaiß 480 qqqkkqkqq | e¬n xeína¸ cqonì dæ kéklhmai

hipp |¦

472 qqqqkkq | h£ Titánwn geneán, 481 qqkqkkq | doúla, lipoûs’ ’Asían,

^chodi |¦

473 qqqkkq | tàn Zeùß a¬mfipúrw¸ 482 qqqkkq | Eu¬råpaß qerapnân

maec |

474 qqqqqkkq ||| koimízei flogmø¸ Kronídaß. 483 qqqqqkkq ||| a¬lláxas’ ÷Aida qalámouß.

chodi |||

7. Zweites Stasimon (629–56) Strophenpaar mit Epode, äolische Metren, mit Iamben untermischt. Str. 629 kqq | qkq | e¬moì crñn sumforán, Antistr. 638 kqq | qkq | pónoi gàr kaì pónwn

ba | cr |

630 kqq | qkq | kqq || e¬moì crñn phmonàn genésqai, 639 kqq | qkq | kqq || a¬nágkai kreíssoneß kukloûntai·

ba | cr | ba ||

631 qqqkkqkqq | ’Idaían oçte prøton uçlan 640 qqqkkqkqq | koinòn d’ e¬x i¬díaß a¬noíaß

hipp |

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

632 kqqkqkkq || ’Aléxandroß ei¬latínan 641 kqqkqkkq || kakòn t⸠Simountídi gâ¸

chodi ||

633 k kk k kk kqkq kqq |¦ e¬támeq’, açlion e¬p’ oi®dma naustoläswn 642 k kk k kk kqkq kqq |¦ o¬léqrion e¢mole sumfor⸠t’ a¬p’ a¢llwn,

2 ia ba |¦

635 kkqkkqkq ‘Elénaß e¬pì léktra, tàn 643 kkqkkqkq e¬kríqh d’ e¢riß, aÇn e¬n ¢I-

gl

636 qqqqqkkq | kallístan o™ crusofaæß 645 qqqqqkkq | da¸ krínei trissàß makárwn

chodi

637 qkkqqq ||| ÷Alioß au¬gázei. 646 qkkqqq ||| paîdaß a¬nær boútaß.

ed |||

Epode 647 k kk kq kqkkqkkqqq |¦ e¬pì dorì kaì fónw¸ kaì e¬møn meláqrwn låba¸· 650 kqkq kqkkqkkqqq | sténei dè kaí tiß a¬mfì tòn eu¢roon Eu¬råtan 651 kqk kk kqkqkq kqkq |¦ Lákaina poludákrutoß e¬n dómoiß kóra, 652 kkqkkqkqq qq kqq | polión t’ e¬pì krâta máthr téknwn qanóntwn 655 kkqkkqkq kqq | tíqetai céra drúptetai pareián, 656 kqk kk k kk kq kqq ||| díaimon o¢nuca tiqeména sparagmoîß.

429

ia ^gld |¦ ia ^gld | 3 ia |¦ hipp sp ba | gl ba | 2 ia ba |||

430

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

8. Amoibaion (684–720) Dochmien, lyrische Iamben und iambische Trimeter Hekabes im Wechsel mit iambischen Trimetern der Dienerin und der Chorführerin. 684 qqqqx || Ek. w® téknon téknon, 685 qqkq kqkq | ai¬aî, katárcomai nómon 686 qqkq kqkx || bakceîon, e¬x a¬lástoroß 687 qkkqkq || a¬rtimaqæß kakøn. 688 Qe. e¢gnwß gàr a¢thn paidóß, w® dústhne sú; 689 Ek. a¢pist’ a¢pista, kainà kainà dérkomai. 690 k kk kk kq | k kkqkq | eçtera d’ a¬f’ e™térwn kakà kakøn kureî, 691 qkkqkq k kkqkq ou¬dé pot’ a¬sténakton a¬dákruton a¬692 kqkqqq || méra m’ e¬piscäsei. 693 Qe. deín’ w® tálaina, deinà páscomen kaká. 694 qqqqq | kqqqq | Ek. w® téknon téknon talaínaß matróß. 695 k kkqqq | k kkqqq | tíni mórw¸ qnä¸skeiß, tíni pótmw¸ keîsai, 696 k kkqqq || pròß tínoß a¬nqråpwn; 697 Qe. ou¬k oi®d’· e¬p’ a¬ktaîß nin kurø qalassíaiß. 698 Ek. e¢kblhton h£ péshma foiníou doròß 700 qkkqqq || e¬n yamáqw¸ leurâ¸; 701 Qe. póntou nin e¬xänegke pelágioß klúdwn. 702 qq | qq | Ek. w¢moi ai¬aî, 703 k kk k kk kqkq | e¢maqon e¬núpnion o¬mmátwn 704 kqqkq k kkqkq e¬møn o¢yin (ou¬ paréba me fás705 k kkqkq || ma melanópteron),

d17 || 2 ia | 2 ia || d10 || 3 ia || 3 ia || d5 | d2 | d10 d2 ia sp || 3 ia || d17 | d25 | d26 | d26 | d26 || 3 ia || 3 ia || d18 || 3 ia || sp | sp | 2 ia | d1 d2 d2 ||

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

706 qkqkqkx || aÇn e¬seîdon a¬mfì s, 707 qkkqkq k kkqkq || w® téknon ou¬két’ o¢nta Diòß e¬n fáei. 708 Qe. tíß gár nin e¢ktein’; oi®sq’ o¬neirófrwn frásai; 710 k kkqkq | qkkqkq | Ek. e¬mòß e¬mòß xénoß, Qrä¸kioß i™ppótaß, 711 k kkqkq | k kkqqq || içn’ o™ gérwn patær e¢qetó nin krúyaß. 712 Qe. oi¢moi, tí léxeiß; crusòn w™ß e¢coi ktanån; 713 Ek. a¢rrht’ a¬nwnómasia, qaumátwn péra, 715 qkkqkq kqkqkq | ou¬c oçsi’ ou¬d’ a¬nektá, poû díka xénwn; 716 qkkqqq | qkkqqq | w® katárat’ a¬ndrøn, w™ß diemoirásw 717 k kkqkq | kqqkq | cróa, sidaréw¸ temœn fasgánw¸ 720 k kkqkq kqqkx ||| mélea toûde paidòß ou¬d’ w¢¸ktisaß.

431

lec || d10 d2 || 3 ia || d2 | d10 | d2 | d26 || 3 ia || 3 ia || d10 trip | d18 | d18 | d 2 | d1 | d2 d1 |||

9. Drittes Stasimon (905–51) Zwei Strophenpaare und Epode. Erstes Strophenpaar äolisch-daktyloepitritisch, zweites iambisch-äolisch-daktyloepitritisch, Epode daktyloepitritisch-iambisch. Wortresponsion am Schluss des ersten Strophenpaares. Manche Elemente lassen sich sowohl äolisch als auch daktyloepitritisch auffassen.2 1. Str. 905 kkqkkqkx || Sù mén, w® patrìß ¬Iliáß, 1. Antistr. 914 kkqkkqkq || mesonúktioß w¬llúman,

gl ||

_____________ 2

Zur Metrik des ersten Strophenpaares C. W. Willink, Eur. Hec. 905–22 ..., Mnemosyne 57 (2004) 45–52.

432

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

906 qkqqqkkqkkqq | tøn a¬porqätwn póliß ou¬kéti léxh¸ 915 qkqqqkkqkkqq | h®moß e¬k deípnwn uçpnoß h™dùß e¬p’ o¢ssoiß

e–D–| (= cr pherd | )

907 qkqqqkkqkkqq | toîon ™Ellánwn néfoß a¬mfí se krúptei 916 qkqqqkkqkkqq | skídnatai, molpân d’ a¢po kaì coropoiòn

e–D–| (= cr pherd | )

908 kkqkkqx || dorì dæ dorì pérsan. 917 kkqkkqq || qusían katapaúsaß

pher ||

910 kkqkkqkqq || a¬pò dè stefánan kékarsai 918 kkqkkqkqx || pósiß e¬n qalámoiß e¢keito,

hipp ||

911 qqkkqkq | púrgwn, katà d’ ai¬qálou 920 qqkkqkq | xustòn d’ e¬pì passálw¸ 912 qqqkkqkk | khlîd’ oi¬ktrotátan kécrwsai. 921 qqqkkqkqq | naútan ou¬kéq’ o¬røn oçmilon

^gl |

913 kqqkkqkqx ||| tálain’, ou¬kéti s’ e¬mbateúsw. 922 kqqkkqkqx ||| pátran ¬Iliád’ e¬mbebøta.

hipp |||

2. Str. 923 kqk kk k kk kq | e¬gœ dè plókamon a¬nadétoiß 2. Antistr. 933 kqk kk k kk kq | léch dè fília monópeploß

hipp |

2 ia |

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

924 kqkq kqkq |¦ mítraisin e¬rruqmizóman 934 kqkq kqkq |¦ lipoûsa, Dwrìß w™ß kóra,

2 ia |¦

925 qqkqqq cruséwn e¬nóptrwn leús935 qqkqqq semnàn prosízous’ ou¬k

ia sp

925a qkqkkqqq | sous’ a¬térmonaß ei¬ß au¬gáß, 935a qkqkkqqq | h¢nus’ ºArtemin a™ tlámwn·

gl |

926 kkqkkqkq | kqq |¦ e¬pidémnioß w™ß pésoim’ e¬ß eu¬nán. 936 kkqkkqkq | kqq |¦ a¢gomai dè qanónt’ i¬doûs’ a¬koítan

gl | ba |¦

927 k kk k kk | k kk kq |¦ a¬nà dè kéladoß e¢mole pólin· 937 k kk k kk | k kk kq |¦ tòn e¬mòn açlion e¬pì pélagoß

2 ia |¦

928 kqkq kqkq kéleusma d’ h®n kat’ a¢stu Troí938 kqkq kqkq pólin t’ a¬poskopoûs’, e¬peì

2 ia

929 qkqqkqq aß tód’· ¥W paîdeß ‘Ellá939 qkqqkqq nóstimon naûß e¬kính-

ee–

930 qkkqkkq | nwn, póte dæ póte tàn 940 qkkqkkq | sen póda kaí m’ a¬po’ gâß

D|

433

434

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

931 qkkqkkq | ’Iliáda skopiàn 941 qkkqkkq | wçrisen ’Iliádoß,

D|

932 qqkq kqq ||| pérsanteß hçxet’ oi¢kouß; 942 kqkq kqq ||| tálain’ a¬peîpon a¢lgei.

ia ba |||

Epode 943 qqkqqqkkqkkq tàn toîn Dioskoúroin ‘Elénan kásin’I945 qqkqqqkkqkkq | daîón te boútan Ai¬nóparin katára¸ 946 kqkq kqq didoûs’, e¬peí me gâß e¬k 947 kqq kqkx || patrå¸aß a¬pålesen 948 qqkqqqkkqkkq e¬xå¸kisén t’ oi¢kwn gámoß, ou¬ gámoß, a¬ll’ 949 kqkq kqq |¦ a¬lástoróß tiß oi¬zúß. 950 qqk kk k kk k kk kqkq |¦ aÇn mäte pélagoß açlion a¬pagágoi pálin 951 qkkqkkq kqq ||| mäte patrø¸on içkoit’ e¬ß oi®kon.

–e–D –e–D| ia ba ba ia || –e–D ia ba |¦ 3 ia |¦ D ba |||

10. Chorikon für viertes Stasimon (1024–34) Iamben und Dochmien der beiden häufigsten Typen. 1024 Ou¢pw dédwkaß a¬ll’ i¢swß dåseiß díkhn· 1025 k kkqkq | kqqkq | a¬límenón tiß w™ß e¬ß a¢ntlon pesœn 1026 k kkqkq | kqqkq | lécrioß e¬kpesñ¸ fílaß kardíaß, 1027 kqqkq | k kkqkq | a¬mérsaß bíon. tò gàr u™pégguon 1030 kqqkq kqqkq | Díka¸ kaì qeoîsin ou¬ xumpítnei,

3 ia | d2 | d 1 | d2 | d 1 | d1 | d 2 | d 1 d1 |

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

1031 k kk k kk kqkq |¦ o¬léqrion o¬léqrion kakón. 1032 yeúsei s’ o™doû tñsd’ e¬lpìß hç s’ e¬pägagen 1034 k kkqkq kqqkq | qanásimon pròß ’Aídan, w® tálaß, 1034 k kkqkq kqqkx ||| a¬polémw¸ dè ceirì leíyeiß bíon.

435

2 ia |¦ 3 ia | d2 d 1 | d2 d1 |||

11. Monodie Polymestors (1055a–1106) Der Bewegtheit des Liedes entspricht die Mannigfaltigkeit der verwendeten Metren: Dochmien, Anapäste, Iamben, Trochäen und auch ein vereinzelter Glykoneus (V. 1097). 1055a qkkq ¦| w¢moi eg¬å, 1056 qqqq | qqq ¦| p⸠bø, p⸠stø, p⸠kélsw, 1057 k kkqkq | qkkqkq | tetrápodoß básin qhròß o¬restérou 1058 k kk kk kq k kkqqq | tiqémenoß e¬pì ceîra kat’ i¢cnoß; poían 1060 qqqqq | qqqqq | h£ taûtan h£ tánd’ e¬xalláxw, tàß 1061 qkkqqq | qqqk kk | a¬ndrofónouß máryai crä¸zwn ’Iliádaß 1062 qkkqkq |¦ aiç me diålesan; 1063 kqqkq | kqqkq | tálainai kórai tálainai Frugøn, 1064 qkkqq | w® katáratoi, 1065 qqkkq | qqkkq |¦ poî kaí me fug⸠ptåssousi mucøn; 1066 qkkqkq | qkkqk kk | ei¢qe moi o¬mmátwn ai™matóen bléfaron 1067 kkqkkq | k kkqkx || a¬késai’ a¬késaio, tuflón, ÷Alie, 1068 qkkqqq |¦ féggoß a¬palláxaß.

ch ¦| an | an^ ¦| d2 | d10 | d5 d26 | d9 | d9 | d18 | d12 | d10 |¦ d1 | d1 | an | an | an |¦ d10 | d16 | an d2 || d18 |

436

Metrik der anapästischen und lyrischen Passagen

1068° qq | a® a®, 1069 qqqq | kkqkkq | síga. kruptàn básin ai¬sqánomai 1070 qkkqq | qkkqq | tánde gunaikøn. p⸠pód’ e¬pá¸xaß 1071 qqqq | qqq | sarkøn o¬stéwn t e¬mplhsqø, 1072 qqqkq | k kkqqq | qoínan a¬gríwn qhrøn tiqémenoß, 1073 qkkqqq | qqqkq | a¬rnúmenoß låban lúmaß a¬ntípoin’ 1074 kqqkx || e¬mâß. w® tálaß; 1075 qqkkq | kkqkkq | poî p⸠féromai tékn’ e¢rhma lipœn 1076 qqqq | kkqqq | Bákcaiß ÷Aidou diamoirâsai, 1077 qkkqkq kqqkq sfaktá, kusín te foinían daît’ a¬nä1078 kqkqqqkq |¦ merón t’ o¬reían e¬kbolán; 1079 qqqqq qqq |¦ p⸠stø, p⸠kámyw, p⸠bø; 1080 qkq qkq qkq kk kq | naûß oçpwß pontíoiß peísmasin linókrokon 1081 qqqq | kkqkkq | fâroß stéllwn, e¬pì tánde suqeìß 1082 kqkqkq | k kkqqq ||| téknwn e¬møn fúlax o¬léqrion koítan; 1085-87 1088 qkkqqq | qk kk kq ai¬aî i¬œ Qrä¸khß logcóforon e¢no1090 kqqkq qkkqkx || plon eu¢ippon ºArei kátocon génoß. 1091 qq | kqq | qq | kqq |¦ i¬å. ’Acaioí. i¬å. ’Atreîdai. 1092 kq | kq | kqqkq | boàn boán, a¬utø boán· 1093 qkk k kk | qkq |¦ w£ i¢te mólete pròß qeøn. 1094 klúei tiß h£ ou¬deìß a¬rkései; tí méllete

sp | an | an | an | an | an | an^ | d9 | d26 | d18 | d9| d1 || an | an | an | an | d10 d1 2 ia |¦ an an^ |¦ 3 cr | an | an | trip | d26 ||| 3 ia ||| d18 hypod d1 d10 || sp | ba | sp | ba|¦ ia | d1 | ia | cr |¦ 3 ia ||

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen ab 1797

1095 kqkq kqx || gunaîkeß w¢lesán me, 1096 kqkqkqkq | gunaîkeß ai¬cmalwtídeß: 1097 qkqk kqkx || deinà deinà pepónqamen. 1098 qkkqqq | w¢moi e¬mâß låbaß. 1099 qkqq | qkqq | poî trápwmai, poî poreuqø; 1100 qk kk | qk kk | a¬mptámenoß ou¬ránion 1101 qk kk | qk kk | u™yipetèß e¬ß mélaqron, 1102 qkkqqq kkqkkq kkq kkq ’Waríwn h£ Seírioß e¬nqa puròß flogéaß a¬fíh1105 kqqqq | qkkqq | sin o¢sswn au¬gáß, h£ tòn e¬ß ÷Aida 1106 kqqkq kqqkx ||| melágcrwta porqmòn a¢¸xw tálaß;

ia ba || 2 ia | gl || d18 | 2 tro | cr | cr | cr | cr | d18 2 an d25 | an | d1 d1 |||

12. Auszugsanapäste des Chores (1293–95) Drei anapästische Dimeter, der letzte katalektisch.

437

Anhang

Liste der Abweichungen vom Text der Ausgabe von Diggle 62 nicht in Klammern 73–75 nicht in Klammern 76 keine Kreuze gesetzt, nur ei®don gàr und o¢yin e¢maqon in Klammern 90–97 nicht in Klammern 145 nicht in Klammern 159 génna gehalten 173–74 keine Kreuze gesetzt 174a e¢lq’ hinzugefügt 175–76 ganz in Klammern 196 perì yucâß 200–01 keine Kreuze gesetzt 206a keine Lücke angenommen 211–15 nicht in Klammern 224 e¬pésth 236 sè mèn a¬meíbesqai 247–48 nicht nach V. 250 umgestellt 253 dúnh¸ 300 frení 335 r™ifénteß 398 o™poîa 415–16 nicht nach V. 420 umgestellt 425 a¬qlíou 432 kára péploiß 441–43 nicht in Klammern 456 pempoména tálaina 457 e¢cous’ a¢oikoß 504 nicht in Klammern 536 a¬gwgoúß 540 keine Kreuze gesetzt

599–602 nicht in Klammern 620 kállistá t’ 624 plousíoiß e¬n dåmasin 642 a¬p’ 655 drúptetai pareián 688 Personenangabe Qe. 691 a¬sténakton a¬dákruton 692 m’ e¬piscäsei 693 Personenangabe Qe. 704–05 ou¬ paréba me fásma 706 a¬mfì s 707 o¢¬nta 708 Personenangabe Qe. 712 Personenangabe Qe. 729 e¬ømen ou¬dè yaúomen 740 kranqèn 756–57 nicht in Klammern 758 nicht nach V. 759 umgestellt 793–97 nicht in Klammern 794 xénwn 805 a¬nqråpoiß i¢son 818 h®¸ 820 pøß 824 kenòn 831–32 nicht in Klammern 831 gàr tøn te †nuktérwn brotoî߆ 847 †tàß a¬nágkaß oi™ nómoi† 885 génoß 911 ai¬qálou [kapnoû] 946–47 gâß e¬k patrå¸aß 974–75 nicht in Klammern 992 mou

442

Liste der Abweichungen vom Text der Ausgabe von Diggle

1030 ou¬ 1047 xénou 1052 taîß 1058 kat’ i¢cnoß 1072 qhrøn tiqémenoß 1073 låban lúmaß 1076 ÷Aidou 1078 t’ o¬reían 1079 p⸠bø nicht in Klammern 1087 nicht in Klammern 1093 w¢ 1100 [ai¬qér’]

1159 diadocaîß 1162 polemíwn 1176 te sòn 1185–86 nicht in Klammern 1185 †ei¬s’ e¬pífqonoi† 1186 †tøn kakøn† 1201 ou¢t’ 1211 tí d’ ou¬ 1215 kapnø¸ 1256 tí daí me 1270 fátin 1285 pou

Literaturverzeichnis Gesamtausgaben und Ausgaben der Hekabe 1503–17921 Eu¬r. tragw¸díai e™ptakaídeka w©n e¢niai met’ e¬xhgäsewn ... Eur. tragoediae septendecim, ex quibus quaedam habent commentaria ... Venetiis apud Aldum mense Februario 1503. Eu¬r. tragw¸díai dúo ‘Ek. kaì ’If. e¬n Au¬l. Eur. tragoediae duae, Hec. et Iph. in Aul., Latinae factae, Des. Erasmo interprete. Apud Inclytam Basileam, an. 1524. Eu¬r. tragw¸díai o¬ktwkaídeka ... Eur. tragoediae octodecim ... Basileae apud Io. Hervagium anno 1537 mense Martio. Eu¬r. tragw¸díai o¬ktwkaídeka, w©n tà o¬nómata e¬n tñ¸ e™xñß eu™räseiß selídi. Eur. tragoediae octodecim, quarum nomina in sequenti invenies pagina. Francoforti ad M. apud Brubachium (etwa 1560). Eur. poeta, Tragicorum princeps, in Latinum sermonem conversus, adiecto e regione textu Graeco, cum annotationibus et praefationibus ... autore C. Stiblino. Accesserunt Iac. Micylli de Eur, vita ... collecta, item ... prolegomena quaedam. Item Io. Brodaei ... annotationes ... Ad haec index. Basileae per Io. Oporinum 1562 mense Martio. Tragoediae selectae, Aesch., Soph., Eur. cum duplici interpretatione Latina ... Ennianae interpretationes locorum aliquot Eur., anno 1567, excudebat H. Stephanus, illustris viri Hu. Fuggeri typographus. Eu¬r. tragw¸díai iq´. Eur. Tragoediae XIX, in quibus praeter infinita menda sublata, carminum omnium ratio hactenus ignorata nunc primum proditur, opera Gu. Canteri Ultraiectini. Antwerpiae ex offinia Chr. Plantini, Regii prototypographi, 1571. Eu¬r., Eur. tragoediae XIX. Accedit nunc recens vigesimae, cui Danae nomen, initium ...Graece iunctim et Latine. Latinam interpretationem M. Aemilius Portus ... correxit ... Carminum ratio ex Gvl. Cantero diligenter observata, additis eiusdem in totum Eur. notis. Heidelbergae typis Hier. Commelini. Anno 1597. Eu¬r. sw¸zómena açpanta. Eur. quae extant omnia ... Opera et studio Ios. Barnes ... Cantabrigiae ex officina Io. Hayes ... A. D. 1694. _____________ 1

Weitgehend übernommen aus Matthiessen (1974) 132.

444

Literaturverzeichnis

Eur. Hec., Or., et Phoen. Collatis decem manuscriptis textum et scholia emendavit, scholiis ineditis, versione elegantiore, notis perpetuis, et dissertatiunculis de metro tragico auxit, et illustravit I. King ... Cantabrigiae typis academicis 1726. Eu¬r. tà sw¸zómena. Eur. quae extant omnia. Tragoedias superstites ad fidem veterum editionum codicumque mss. cum aliorum tum praecipue Bibliothecae Regiae Parisiensis recensuit, fragmenta tragoediarum deperditarum collegit, varias lectiones insigniores notasque perpetuas adiecit, interpretationem Latinam ... reformavit Sam. Musgrave. Accedunt scholia ... Oxonii e typographeo Clarendoniano 1778. 4 Bände. Eur. Tragoediae fragmenta Epistulae ex editione Ios. Barnesii nunc recusa et aucta appendice observationum e variis doctorum virorum libris collecta, Lipsiae sumtu E. S. Suikerti 1778–88. 3 Bände. – Band 3 (1788) hrsg. v. C. D. Beck.2 Eur. tragoediae quatuor Hec. Phoen. Hipp. et Ba. ex optimis exemplaribuas emendatae (ed. Ph. Brunck), Argentorati ex offic. Is. H. Heitz 1780. Eur. Hec. selecta varietate lectionis et continua adnotatione illustravit C. F. Ammon, Erlangae sumt. W. Waltheri 1789. Eur. Tragoediae, Drama satyricum et fragmenta graece ad optimos libros recensuit C. D. Beck ... Regiomontani 1792, tom. I, cont. Hec., Or., Phoen., Med. (mehr nicht erschienen).

Benutzte Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen der Hekabe ab 1797 Eu¬r. ¿Ek., Eur. Hec. ad fidem manuscriptorum emendata et brevibus notis emendationum potissimum rationes reddentibus instructa. In usum studiosae iuventutis (ed. R. Porson), Londinii 1797. Eur. Hec., G. Hermanni ad eam et ad R. Porsoni notas animadversiones, Lipsiae 1800. Eur. Hec. (ed. R. Porson), Cambridge 1802 (Porsons 2. Auflage). Eur. Hec., denuo recensuit G. Hermannus, Lipsiae 1811. Poetae scenici Graecorum, rec. et annotationibus siglisque metricis in margine scriptis instruxit F. H. Bothe, vol. I quod continet Eur. fabulas novem priores, Lipsiae 1825. _____________ 2

Die Hek. findet sich in Band 1, 1-60 (zitiert als Beck 1, 1778). Wertvoll ist auch Bd. 3: „continens Sam. Musgravii notas integras in Eur., accedunt praeter lectionis varietatem scholia auctiora, commentationes et animadversiones virorum doctorum excerptae et index verborum copiosus, curavit Chr. D. Beckius“ (zitiert als Beck 3, 1788).

Literaturverzeichnis

445

The Hec. of Eur., from the Text, and with a translation of the Notes, Preface, and Supplement of Porson … by J. R. Major, London 1826. Eur. Tragoediae, rec. et commentariis instruxit A. I. E. Pflugk, vol. 1, sect. 2 continens Hec., Gotha 1829 (2. Aufl. 1840). Eur. Hec., denuo recensuit G. Hermannus, Leipzig 1831. Eu¬r., Eur. tragoediae superstites et deperditarum fragmenta e rec. G. Dindorfii, Oxford 1832-39, 3 Bände. Eu¬r., Eur. Fabulae, rec., in duodecim fabulas annotationem criticam scripsit, omnium ordinem chronologicam indicavit Th. Fix, Parisiis 1843. Eur. Werke, griechisch mit metrischer Übersetzung und prüfenden und erklärenden Anmerkungen von J. A. Hartung, 11. Bändchen, Hek., Leipzig 1850. Eur., with an English Commentary by F. A. Paley, Vol. 2, London 1858. Eur. Tragoediae, rec. et commentariis instruxit A. I. E. Pflugk, vol. 1, sect. 2 continens Hec., ed.. tertia, quam curavit N. Wecklein, Leipzig 1877. Eu¬r. Tragw¸díai e™ptá, Sept Tragédies d’ Eur., Texte grec, recension nouvelle avec un commentaire critique et explicatif, une introduction et des notices par H. Weil, 2. édition remaniée, Paris 1879. Eur. Hec., ed. R. Prinz, Lipsiae 1883. Eur. Fabulae, rec. brevique adnotatione critica instruxit G. Murray, T. I, Oxonii 1902. The Hec. of Eur., A Revised Text with Notes, Introduction and Vocabulary by J. Bond and A. S. Walpole, 4. Aufl., London 1902. Eur., Hec., Ed. with Introduction, Notes, and Vocabulary by M. Tierney, Dublin 1946. Eur., Ec., a cura di A. Garzya, Roma – Napoli usw. 1955. The Hec. of Eur., ed. by W. S. Hadley, 5. ed., Cambridge 1955. Eur., Sämtliche Tragödien in zwei Bänden, nach den Übersetzung von J. J. Donner bearbeitet von Richard Kannicht, Anmerkungen von Bolko Hagen, Einleitung von Walter Jens, 1. Bd., Stuttgart 1958 [DonnerKannicht]. Eur., T. II, Texte établi et traduit par L. Méridier, 3. édition, Paris 1960. Eur., Hec., met inleiding en aantekeningen door G. Italie, 3. Aufl., Zwolle 1961. Eur., Tragedias, Vol. II, Las Bacantes, Hec., ed. A. Tovar – R. P. Binda, 2. Aufl., Madrid 1982. Eur., Ec., Elettra, Intr. di U. Albini, Trad. di U. Albini e V. Faggi, Note di C. Bevegni, Mailand 1983 [Albini]. Eur. Fabulae, ed. J. Diggle, T. I, Oxford 1984. Eur., Hec., ed. S. G. Daitz, 2. Aufl., Leipzig 1990. Eur., Hec., with Intr., Transl. and Comm. by C. Collard, Warminster 1991.

446

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Eur., ed. and transl. by D. Kovacs, Vol. II, Cambridge Mass. – London 1995 (Loeb Classical Library, Vol. 484). Eur., Hec., ed. with Intr., Text and Comm. by J. Gregory (American Philological Association Textbook Series 14), Atlanta 1999. Eu¬r. ¿Ek., 1. Ei¬sagwgä – keímeno – metafrásh, 2. Scólia, ed. K. Synodinou, 2 Bde., Athen 2005.

Gelegentlich zitierte Kommentare zu anderen Texten Barrett: Eur. Hippolytos, Ed. with Intr. and Comm. by W. S. Barrett, Oxford 1964. Collard: Eur. Supplices, Ed. with Intr. and Comm. by C. Collard, 2 Bde., Groningen 1975. Dale: Eur. Alcestis, Ed. with Intr. and Comm. by A. M. Dale, Oxford 1954. Denniston: Eur. Electra, Ed. with Intr. and Comm. by J. D. Denniston, Oxford 1939. Dodds: Eur. Bacchae, Ed. with Intr. and Comm. by E. R. Dodds. 2. Ed., Oxford 1960. Dover: Aristophanes Clouds, Ed. with Intr. and Comm. by K. J. Dover, Oxford 1968. Fraenkel: Aesch. Agamemnon, Ed. with a Comm. by E. Fraenkel, 3 Bde., Oxford 1950. Gow: Theocritus, Ed. with a Translation and Comm. by A. S. F. Gow, 2 Bde., Cambridge 1950. Kannicht: Eur. Helena, Herausgegeben und erklärt von R. Kannicht, 2 Bde., Heidelberg 1969. Seaford: Eur. Cyclops, With. Intr. and Comm. by R. Seaford, Oxford 1984. Stevens: Eur. Andromache, Ed. with Intr. and Comm. by P. T. Stevens, Oxford 1971. Wilamowitz: U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Eur. Herakles, 3 Bde., Neudruck, Darmstadt 1959. Willink: Eur. Orestes., With Intr. and Comm. by C. W. Willink, Oxford 1986.

Hilfsmittel Allen, J. T., Italie, G., A Concordance to Eur., Berkeley 1954. Barber, E. A., Greek-English Lexicon, A Supplement, Oxford 1968 [LSJ Suppl.].

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Calder III, W. M., Index locorum zu Kühner-Gerth, Darmstadt 1965. Collard, C., Supplement to the Allen & Italie Concordance to Eur., Groningen 1971. Dindorf, W., Scholia Graeca in Eur. Tragoedias, T. 1, Oxford 1863. Frisk, H., Griechisches Etymologisches Wörterbuch, 1-3, Heidelberg 196072. Kühner, R., Gerth, B., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, 2. Teil, Satzlehre, 3. Aufl, 2 Bde., Hannover – Leipzig 1898-1904 [KG]. Liddell, H. G., Scott, R., Jones, H. S., A Greek-English Lexicon, A New Edition, Oxford 1940 [LSJ]. Pauly, A., Wissowa, G. (Hrsg.), Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Stuttgart und München 1893-1978 [RE]. Schwartz, E., Scholia in Eur., 2 Bde., Berlin 1887-91. Schwyzer, E., Griechische Grammatik, 2 Bde., 5.-6. Aufl., München 198890 [Schwyzer]. Ziegler, K., Sontheimer, W. (Hrsg.), Der Kleine Pauly, Lexikon der Antike, München 1975 [Kl. P.]

Weitere Literatur3 Adkins, A., Basic Greek Values in Eur.’ Hec. and Hercules Furens, Classical Quarterly 16 (1966) 193–219. Bain, D., Actors and Audience, A Study of Asides and Related Conventions in Greek Drama, Oxford 1977. Barlow, S. A., The Imagery of Eur., London 1971. Barlow, S. A., The Language of Eur.s’ Monodies, in: Betts – Hooker – Green (1986), 10–22. Basta Donzelli, G., Cesura mediana e trimetro Eur., Hermes 115 (1987) 137–46. Battezato, L., Ospitalità rituale, amicizia e charis nell’ Ec., in: O. Vex (Hrsg.), Ricerche eur., Satura, Testi e studi di letteratura antica, 1, Lecce 2003, 13–45. Behler, E., A. W. Schlegel and the Nineteenth-Century Damnatio of Eur., Greek Roman and Byzantine Studies 27 (1986) 335–67. Bers, V., Speech in Speech, Studies in Incorporated Oratio Recta in Attic Drama and Oratory, Lanham – Boulder usw. 1997. _____________ 3

Das bisher umfangreichste Verzeichnis der Literatur zur Hek. findet sich bei Synodinou (2005), 2, 86-111.

448

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Betts, J. H., Hooker, J. T., Green, J. R. (Hrsg.), Studies in Honour of T. B. L. Webster, vol.1, Bristol 1986. Biehl, W., Die Interpolationen in Eur.’ Hek., V. 59–215, Philologus 101 (1957) 55–69. Biehl, W., Interpretationsprobleme in Eur.’ Hek., Hermes 113 (1985) 257– 66. Biehl, W., Textkritik und Formanalyse zur eur. Hek., Ein Beitrag zum Verständnis der Komposition, Heidelberg 1997. Björk, G., Das Alpha Impurum und die tragische Kunstsprache, Acta Societatis Litterarum Humaniorum Regiae Uppsaliensis, 39, 1, Uppsala – Wiesbaden ... 1950. Bremer, J. M., Eur. Hec. 59-215, A Reconsideration, Mnemosyne 24 (1971) 232–50. Brillante, C., Sul prologo dell’Ec. di Eur., Rivista di filologia e di istruzione classica 116 (1988) 429–47. Burkert, W., Homo Necans, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, Bd. 32, Berlin – New York 1997 (1. Aufl. 1972). Burnett, A. P., Hekabe the Dog, Arethusa 27 (1994) 151–64. Burnett, A. P., Revenge in Attic and Later Tragedy, Sather Classical Lectures, vol. 62, Berkeley – Los Angeles usw. 1998. Collard, C., Formal Debates in Eur.’ Drama, Greece & Rome 22 (1975) 56–71. Collard, C., Rezension von Diggle, Tomus I, Classical Review 36 (1986) 17–24. Collard, C., Colloquial Language in Tragedy: A Supplement to the Work of P. T. Stevens, Classical Quarterly 55 (2005) 350–86. Conacher, D. J., Eur.: Drama, Myth, Theme and Structure, Toronto 1967. Conacher, D. J., Eur. and the Sophists, London 1998, 58–69. Cropp, M., Fick, G., Resolution and Chronology in Eur., The Fragmentary Plays, Bulletin of the Institute of Classical Studies, Suppl. 43, 1985. Daitz, S. G., Concepts of Freedom and Slavery in Eur’. Hec., Hermes 99 (1971) 217–26. Decharme, P., Eur. et l’esprit de son Théâtre, Paris 1893, 324–26. Delebecque, É., Eur. et la guerre du Péloponnèse, Études et commentaires, 10, Paris 1951. Diggle, J., Studies on the Text of Eur., Oxford 1981. Diggle, J., Euripidea, Collected Essays, Oxford 1994, 229–38. Dihle, A., Die goldene Regel, Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik, Göttingen 1962 (Studienhefte zur Altertumswissenschaft, Heft 7). Dubischar, M., Die Agonszenen bei Eur., Stuttgart – Weimar 2001 (Drama, Beiheft 13)

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Register Abschiedsszene 17 Accius 52 Achilleus 6f., 17, 20, 36, 47, 53, 262, 270, 290 –, Geist des 6f., 16, 46, 56f. –, Grab des 38, 57, 65, 257f. Admet 20 Aeneas 53 Agamemnon 5f., 10–13, 21f., 22, 24–32, 35–37, 39, 41, 45, 47, 53, 55, 62, 64f., 67, 253, 364f. Ägypter 40 Aias 22 Aischylos 3, 71 Akropolis 10 Aldina 49 Alkestis 19 Alkmene 28 Anapäste 16 Andromache 4f., 62, 64–65 Antenor 57 Antigone 22, 31, 41 Apollon 5, 48 Archelaos, Makedonenkönig 3 Aristophanes 3, 66 Aristoteles 13–16, 18, 23f., 33, 52, 65f., 69, 265, 313 Artemis 43, 45, 375 Astyanax 55f., 61f., 64f. Athen 3f., 30, 34, 313f. Athene 5, 270, 314 Athener 18f., 71 Barbaren 38–40, 298 Beredsamkeit 34, 54 Bestattung 23, 28, 33, 57, 68, 255, 328, 345, 368

Bestrafung 23–25, 28–30, 32, 37, 45, 51, 68 Blendung 25, 30 Botenbericht 42, 55, 270, 310, 316 Bühne 13, 66, 71, 265, 366 –ngestalten 39 –nhintergrund 10, 264 Charakter 21, 27, 29, 31, 33, 48, 66f., 69 –, heroischer 20 Charis 35f., 361 Chor 10, 12f., 16f., 43f., 55f., 62f., 254, 265, 269, 275f. –, Frauen 11, 27, 33, 42f. –lied 56, 61, 44, 62, 263, 270 Chorikon 42 Christentum 18 Chrysothemis 31 Danaiden 30, 318 Dankbarkeit 35f., 286, 290 Dante 59f. Datierung 3 Delos 4, 313 Demokratie –, Verfassung der 5, 36 –, Zerfall der attischen 5 Dichtung, chorlyrische 6

Dienerin 10f., 26 Diomedes 6 Dionysos 47f., 256 –kult 47 Einzugslied 42 Ekkyklema 12, 389 Elektra 6, 22, 31, 41 Emotionen 16, 24, 51, 54, 67, 71

456 Ennius 52 Entscheidung, freie 18 Epeisodienstruktur 9 Episodendrama 9 Epos 6, 19, 53, 56f. Erasmus 60, 63 Erziehung 34, 330 Euripides 3, 7f., 14f., 19, 21, 24, 26–29, 38f., 40, 42, 45f., 48– 50, 52f., 56f., 61, 63f., 67f., 72 –, Alkestis 69, 71 –, Alexandros 32 –, Andromache 4, 39, 54 –, Aulische Iphigenie 3f., 6, 19f., 64, 69 –, Bakchen 3, 69, 71 –, Elektra 5, 24 –, Helena 5, 40 –, Herakles 24 –, Herakliden 4, 19, 24, 28 –, Hiketiden 4f. –, Hippolytos 3f., 28, 69, 71f. –, Ion 28, 30, 69 –, Kyklops 26 –, Medea 3, 24, 58, 69, 71, 73, 75 –, Orestes 5f., 58, 72f., 75, 77 –, Phönizerinnen 19, 58, 72f., 75, 77 –, Phrixos 19 –, Taurische Iphigenie 40 –, Troerinnen 3–5, 14, 39, 43–45, 52, 54–56, 60f., 64, 71 Fahrtwind 46f., 262, 369 Feindschaft 41 Flotte 10, 20, 56f., 262, 322 Frauengestalten 27, 30 Freie 40f. Freiheit 41f., 53, 300 Freilassung 41 Frühe Neuzeit 60 Furcht 18, 24 Ganymedes 43 Gastfreundschaft 35f., 259, 354 Gastrecht 45f.

Register

Gebet 17, 267 Gericht 30, 397 Gesellschaft 31f. Gier 23, 26 Gleichnisse, homerische 32 Glück/Unglück 23–25, 27f., 37, 39, 41–43, 62, 64, 264, 283, 316, 353 Gnomologium 49f. Gorgias 34, 358 Götter 27, 37, 43–47, 51, 58, 62, 268, 313, 329, 355 Grotius, Hugo 50 Handlung 42, 45, 254 –, Einheit der 14, 65–67, 69f. –, Teile der 14–16, 60, 68 –, Verlauf der 23, 33 –sablauf 20 –sstruktur 9, 66 Handschrift 72–79, 253 Heer 6f., 16, 21, 28, 36f., 45, 53, 295 –, Beschluss vom 17 –lager 10f. –, Zusammenhalt 18 –esversammlung 5, 10, 17, 21, 23, 36f., 57269, 272, 288, 325, 346 Heimat 42 Heimfahrt 6, 43, 61 Hekate 32 Hektor 5, 56, 62, 65 Helena 5, 28, 29, 43f., 55, 64, 286 Helios 32, 391 Hellespont 8, 57, 258 Herakles 43 Herodot 48, 269 Hikesie 17, 36, 38, 45, 288, 300, 345, 349, 363 Hündin 31f., 41, 54, 57 Iason 39 Ibykos 6 Ilias 7, 47 Iliupersis 6, 260 Iphigenie 21

Register

Ironie 12, 268, 381, 383 Ismene 31 Kalchas 6, 62 Kassandra 5, 28, 33, 36, 41, 48, 52, 61, 64, 264, 269 Kinder 25, 34, 39, 43, 59, 308, 311, 359 –, Leichname der 25 Kisseus 48 Klage 12, 25, 56, 61, 70, 386 Komödie 15 Konvention 22, 67 Kostüme 11 Kreusa 28, 30 Krieg 5, 42, 52, 61 –, Peloponnesischer 3f., 337 –, trojanischer 4, 6 Kynossema 8, 57 Kyprien 6 Kypris 45 Laothoe 7 Leid 24, 27f., 31, 34, 51f., 61, 66, 70, 329 Lykos 24 Märtyrerdrama 51 Medea 28, 30–32, 39 Meeresufer 10f., 53, 62, 339 Menelaos 4, 44, 56 Menschenopfer 20, 38, 46, 66, 272f., 289f., 296 Metrum 13, 61, 79, 270 Mitgefühl 29, 51, 66, 265 Mitleid 18, 24, 66f., 288, 357 Mittelalter 59 Mnesarchides 3 Mnesarchos 3 Mörder 26, 28, 33, 45, 53f. Mutter, Leid der 14 Myrmidonen 6 Natur 22, 31 Neoptolemos 5f., 40, 57, 260 Nostoi 6 Ödipus 4 Odyssee 15, 26, 32

457 Odysseus 5f., 10f., 15, 17f., 20, 22, 26, 32, 34–38, 40, 55–57, 65, 67, 253, 270 Opfer 20ff, 51, 59, 321 –drama 20, 51 –ung eines Menschen 18, 46 Orchestra 10 Orestes 6 Orff, Carl 59 Ovid 52ff., 57, 59f. Papyri 58, 73f. Paris 43f. –urteil 42, 335 Parodie 40, 277 Parodoi 10, 261 Parodos 8 Partien –, halblyrische 8 –, lyrische 8 –, Sprech- 8 Peitho 45 Perikles 5 Perserkriege 38 Pferd, hölzernes 43 Phaidra 28 Phaleron 10 Polydoros 7, 11, 23, 27f., 33, 46, 52–54, 59, 63, 68 –, Geist des 10, 23, 26, 67f., 267 –, Leichnam des 12f., 15, 27, 45, 62 –, Tod des 48 Polymestor 4f., 7, 10–13, 15f., 23f., 27–35, 37, 39, 41, 45–48, 52f., 58, 62f., 66–68 –, Leichnam des 12 –, Leid des 25 –, Rede des 26 –Handlung 7, 15f., 23, 26, 55, 57, 60f., 62, 69f., 257 Polyphem 26 Polyxene 5–7, 10–12, 15–17, 21– 23, 27–29, 31, 33, 36f., 40, 45– 47, 53, 58f., 62f., 67, 253, 255

458 –Handlung 15f., 18, 23, 42, 54f., 62, 64, 66, 69, 257 –, Opfer der 19 –, Opferung der 15, 57 –, Tod der 18 Poseidon 5, 45 Priamos 7, 23, 35, 37, 53, 59, 63, 259, 329 Prolog 26, 51, 53, 55, 68, 255 –rede 16, 23, 67 Protagoras 273 Publikum 12, 16–18, 20f., 23f., 25–29, 30f., 34, 36, 39f., 45, 51f., 60, 63, 66, 255, 291, 294f., 309, 327, 377, 388 Pyrrhus 55, 62, 65 Rache 16, 23f., 28–31, 33, 36, 39, 41, 45, 53, 64, 68, 350, 386 Recht/Unrecht 29, 31, 37, 39, 45, 293, 356 Rede 34, 49, 53, 66 –streit 20, 39 Requisiten 11f. Salamis 3, 43 Schicksal 5f., 14f., 17f., 27, 29, 34, 37, 42–44, 46f., 52f., 55, 60, 62, 67f., 282, 292, 416 Schlegel, August Wilhelm 68 Schlegel, Johann Elias 64f. Schmerz 28, 33, 59, 320, 342 Scholien 58, 72, 76–78 Seneca 54f., 56, 59–61 –, Troades 54f., 61f., 64f. Sentenzen 49f. Shakespeare 66 Simonides 6 Sizilische Expedition 5 Sklaverei 17f., 21, 27, 32, 37, 40, 46, 259 Sklavin 5, 14, 28, 30, 36, 41, 57, 300 Smyrnaeus, Quintus 56 Sophokles 3, 7, 54 –, König Ödipus 4, 25

Register

–, Polyxene 6, 54f. Sparta 4 Stesichoros 6 Stimmung 14, 28, 41, 52, 55 Stobaios, Johannes 49, 50, 74 Talthybios 10, 13, 16, 21, 27f., 33, 41, 43, 63f., 316 Taurer 40 Telamon 43 Tetralogie, tragische 3 Theben 4 Theseus 5 Thraker 36, 47f., 53, 58, 62 Thrakien, Chersones 7, 10, 47 Tieropfer 19, 21 Tithonos 43 Tod 21, 25, 28, 31f., 46f., 56f., 59, 62, 67 –esbereitschaft 20, 57, 300 Tragödie 19, 38, 49, 52, 54, 60, 67f., 70f. –, Teile der 8, 9 Trauer 13, 21, 33, 69, 309 Traumbild 17, 56, 261 Troerinnen 36–38, 42, 46f. Troja 6f., 35f., 42, 52, 56f., 59, 61, 64 –, Fall von 36, 45, 53, 63, 311 –, Untergang von 23, 42f. Trost 21, 33, 68, 320 Tyche 27 Überlegenheit 38 Ulixes s. u. Odysseus Unsterblichkeit der Seele 62f. Unterkunft 10 Unterwelt 45, 355 Verblendung 45 Vergil 52f., 57–59 Verlassenheit 29 Waffe 11, 367 Zeus 5, 35, 43f., 266, 331 Zitat 74 Zorn 13, 54 Zuschauer s. Publikum