Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion [1 ed.] 9783428506262, 9783428106264

Der Band beinhaltet die Beiträge einer internationalen wissenschaftlichen Tagung, die im September 2000 in Griechenland

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Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion [1 ed.]
 9783428506262, 9783428106264

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Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung

Band 81

Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion

Herausgegeben von

Spiridon Paraskewopoulos

Duncker & Humblot · Berlin

Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion

Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung Band 81

Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion

Herausgegeben von

Spiridon Paraskewopoulos

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion / Hrsg.: Spiridon Paraskewopoulos. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 81) ISBN 3-428-10626-1

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-10626-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Vom 4. bis 6. September 2000 fand in Niforeika, Kato Achaia bei Patras in Griechenland, eine vom Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Professur MakroÖkonomik der Universität Leipzig veranstaltete internationale wissenschaftliche Tagung zum Thema „Erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion" statt. Wissenschaftler aus Deutschland und Griechenland sowie Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank of Greece diskutierten dabei ursprüngliche Erwartungen, erste Erfahrungen und Perspektiven der Europäischen Währungsunion. Einzelne Themen der Tagung waren unter anderem die Geldpolitik der EZB, der Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Frage nach der Notwendigkeit einer Harmonisierung der Fiskalpolitik, der Beitritt Griechenlands zur Eurozone sowie die Perspektiven ost- und mitteleuropäischer Staaten. Ziel der Tagung war es, anderthalb Jahre nach Einführung des EURO eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und mögliche Auswirkungen der Einführung der gemeinsamen Währung sowie Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Diese Themen, denen nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Euro-BargeldeinfÜhrung am 01.01. 2002 unübersehbare Aktualität zukommt, bilden auch den Schwerpunkt des nun vorliegenden Tagungsbandes. Nach einem einführenden Beitrag, in dem noch einmal die Entwicklung und der heutige Stand der Europäischen Währungsunion dargestellt werden, wird in zwei Beiträgen die Geldpolitik der EZB thematisiert. Dabei wird der Perspektive der EZB eine - eher kritische - wissenschaftliche Sicht gegenübergestellt. Anschließend wird die bisherige Entwicklung des EURO auf dem internationalen Parkett analysiert und mit den ursprünglichen Erwartungen verglichen. Zwei Beiträge haben den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die angestrebte Stabilität der neuen Währung wirtschafts- und fiskalpolitisch absichern soll, zum Gegenstand, wobei auch hier unterschiedlichen Auffassungen Raum gegeben wird. Als spezielles Problem wird dann der harmonisierte Preisindex als Instrument zum Nachweis der Konvergenz der EU-Mitgliedsländer näher betrachtet. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit erwarteten Auswirkungen der Europäischen Währungsunion. Diskutiert wird hierbei zunächst die Frage, inwieweit sich aus der Europäischen Währungsunion ein Zwang zur Steuerharmonisierung ableiten lässt. Ein Beitrag ist dann speziell dem Beitritt Griechenlands zur EWU und damit im Zusammenhang stehenden Anpassungserfordernissen seiner Steuer-

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Vorwort

politik gewidmet. Den Abschluss des Tagungsbandes bildet ein Beitrag zu den Perspektiven der Europäischen Währungsunion im Hinblick auf ausgewählte Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas. Für die Förderung der Tagung danke ich Herrn Zafiropoulos, Staatsminister im Wirtschaftsministerium Griechenlands, für die Übernahme des größten Teils der Kosten der Simultanübersetzung. Mein besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Pavlopoulos für seine großzügige finanzielle Unterstützung, die zum Gelingen der Tagung sehr Wesentliches beigetragen hat. Wissenschaftliche Tagungen dieser Art leben auch davon, dass sie von Rahmenprogrammen begleitet werden. In der altgriechischen Tradition der wissenschaftlichen Symposien wären sehr viele fruchtbare Ideen nicht entstanden, wenn es die wissenschaftlich und kulturell interessierten Sponsoren nicht gegeben hätte. Ein Sponsor dieser Art, der an diese Tradition angeknüpft hat, ist der Architekt und Bauunternehmer Herr Dr. Pavlopoulos aus Athen. Seine spendable Großzügigkeit hat dazu beigetragen, dass nicht nur der wissenschaftliche Teil der Tagung sehr gut verlief, sondern auch das Rahmenprogramm, das mit dem von ihm ausgerichteten Empfang zu einem Symposium im echten griechischen Sinne wurde. Der Herausgeber dankt auch im Namen der Referenten und der übrigen Tagungsteilnehmer Herrn Pavlopoulos sehr herzlich. Mein Dank gilt darüber hinaus allen Referenten, die zum Gelingen der Tagung und zur Bereicherung dieses Bandes beigetragen haben. Ebenfalls danken möchte ich der Gesellschaft für Deutschlandforschung für ihre Unterstützung bei der Veröffentlichung dieses Tagungsbandes. Dank gebührt weiterhin meinen Mitarbeitern, den Herren Diplom-Volkswirten T. Köhler-Cronenberg, T. Legutke und A. Mikoleizik, die mich bei der organisatorischen Vorbereitung und der Durchführung der Veranstaltung unterstützt haben. Insbesondere danke ich Herrn Legutke für seine sorgfältige Arbeit bei der Erstellung dieses Bandes.

Leipzig, im Juni 2001

Spiridon Paraskewopoulos

Inhaltsverzeichnis Spiridon Paraskewopoulos Die Entwicklung und der heutige Stand der Europäischen Währungsunion eine Einführung Paul Mercier The Monetary Policy of the Eurosystem Uwe Vollmer Die geldpolitische Strategie des Eurosystems - Mangelnde Transparenz und Verantwortlichkeit ? Hans-Heribert Derix Der Euro - eine Leitwährung ? - Zu den internationalen Geldfunktionen des Euro Kyriakos Révélas Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus der Sicht der Europäischen Kommission Walter Gutzeit Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: Eine kritische Würdigung aus wirtschaftstheoretischer Sicht Klaus Lange Der harmonisierte Preisindex in der Europäischen Union als Instrument zum Nachweis der Konvergenz der EU-Mitgliedsländer Thomas Lenk und Anja Birke Europäische Währungsunion: Zwang zur Steuerharmonisierung? Dimitris A. Sakkas Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und die daraus folgenden Anpassungserfordernisse seiner Steuerpolitik Werner Klein Die Bedeutung des Euro für ausgewählte Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas Verfasser und Herausgeber

Die Entwicklung und der heutige Stand der Europäischen Währungsunion eine Einführung Von Spiridon Paraskewopoulos

I. Die Zielsetzung einer europäischen Integration ist meines Erachtens eng mit dem Wunsch der Mehrheit der Europäer verbunden, sowohl ein friedliches, als auch ein im politischen, ökonomischen und sozialen Sinne stabiles Europa zu schaffen. Eine Bewertung des bisher in Europa Erreichten kann meines Erachtens ohne Übertreibung nur positiv ausfallen. Kein politischer Beobachter kann ernsthaft in Frage stellen, dass die frühere Europäische Gemeinschaft und die heutige Europäische Union wesentliches dazu beigetragen haben, dass der Frieden und die politische wie die sozioökonomische Stabilität in Kerneuropa seit über fünfzig Jahre anhalten. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass diese Gemeinschaft den weiteren Integrationsprozess, den sie sich zum Ziele gesetzt hat, sowohl auf der Basis der Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, als auch im Rahmen von Erweiterungsanstrengungen (bisher hat man vier Erweiterungsrunden relativ erfolgreich bestanden) auch in der nächsten Zukunft und insbesondere im Zusammenhang mit der Osterweiterung mit ähnlichem Erfolg betreiben wird. Die Entwicklung der ursprünglichen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von sechs Staaten zu einer gegenwärtig Europäischen Union von fünfzehn Staaten ist bisher, trotzt aller bekannten Verzögerungen und zähen Verhandlungen, politisch, wirtschaftlich und sozial so stabil verlaufen, dass das Gebiet der Europäischen Union heute von der ganzen Welt als eine der stabilsten und reichsten Regionen der Welt betrachtet wird. 1 Inzwischen haben der Zusammenbruch der Sowjetunion und die aufgrund dessen eingeleiteten und noch anhaltenden politischen und ökonomischen Transformationsprozesse die politischen und ökonomischen Ordnungsdaten nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt vollständig verändert, so dass man von den veränderten Daten und den erforderlichen institutionellen Bedingungen 1

Vgl. Sp. Paraskewopoulos (2000), S. 10.

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her auch und insbesondere in der Europäischen Union gezwungen ist, den neuen Entwicklungen mit neuen Ideen, Innovationen und Institutionen zu begegnen. Der Maastrichter Vertrag stellt unter anderem auch einen Versuch dar, politische, ökonomische und soziale Antworten auf die Herausforderungen der postkommunistischen Zeit in Europa zu finden. Außer der Frage der verfassungsmäßigen und institutionellen Gestaltung des zukünftigen Europas (föderalistisch oder funktionalistisch; die Diskussion ist voll im Gange) war die Gestaltung der Währungsfrage nicht nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Prosperität und Stabilität, sondern auch hinsichtlich der politischen Stabilität und Integration Europas von großer Bedeutung. Insofern ist die Frage berechtigt, ob das bisher realisierte Europäische Währungssystem und insbesondere die realisierte Währungsunion politisch und ökonomisch stabilisierend oder destabilisierend auf die Länder der Europäischen Union gewirkt hat.

II. Vielleicht ist es noch zu früh eine solche Frage zu stellen. Man kann dennoch der Auffassung sein, dass bis heute, entgegen manchen Befürchtungen, die technische Umstellung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und der Finanzmärkte auf den Euro relativ erfolgreich verlief. 2 Vorsichtig optimistisch kann deshalb gesagt werden, dass die Schaffung des gemeinsamen Währungsraumes für die meisten bisher beteiligten Volkswirtschaften zunächst einige wichtige, nicht nur ökonomische, sondern auch stabilitätspolitische Vorteile gebracht hat. Im Hinblick beispielsweise auf das vorrangige Ziel der Geldwertstabilität hat die Europäische Zentralbank gute Startbedingungen vorgefunden. „Im Jahr 1999 verlief die Preisentwicklung zunächst in sehr ruhigen Bahnen. Gegen Ende des Jahres verschlechterten sich dann jedoch die Preisaussichten als Folge des drastischen Anstiegs der Ölpreise und der fortschreitenden Abschwächung des Euro-Wechselkurses. Auf die steigenden Preisrisiken reagierte der EZB-Rat vom November 1999 bis Oktober 2000 mit sieben Zinserhöhungen"3. Damit hat die Europäische Zentralbank mit Erfolg versucht gegen den vorwiegend außenwirtschaftlich bedingten Preisauftrieb vorzubeugen. Außer diesen erwähnten kurzfristigen und erfolgreichen prozesspolitischen Eingriffen, sind die allgemein erwarteten mikroökonomischen und makroökonomischen Vorzüge, wie die Verringerung von Transaktionskosten im europäischen Waren- und Kapitalverkehr sowie die Beseitigung der Wechselkursunsi2 3

Vgl. Κ Remsperger (2001), S. 2. Ebenda.

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cherheit, die für Wachstumseffekte in Europa gesorgt haben, bereits sichtbar. Noch mehr sprechen außerdem ordnungspolitische Argumente für die stabilisierende Wirkung der einheitlichen Europäischen Währung. In den folgenden Ausführungen wird kurz darauf eingegangen. In einem doppelstufigen Bankensystem, wie dies heute in allen Ländern der Europäischen Union vorhanden ist (Zentralbank und Geschäftsbanken), entsteht Geld hauptsächlich im Rahmen der Kreditgewährung durch das Bankensystem insgesamt. Die Erfahrungen vor allem mit dem System, welches das Modell der Deutschen Bundesbank geliefert hat, haben gezeigt, wenn die Notenbank von politischen Instanzen weitgehend unabhängig ist, und wenn sie keine Haushaltsdefizite des Staates finanzieren muss, dann ist die Gefahr für die Entstehung eines Ungleichgewichts (Inflation) auf dem Geldmarkt sehr gering. Dies gilt allerdings unter der Voraussetzung, dass auch die Notenbank primär das Ziel der Kaufkraftstabilität des Geldes verfolgt. Dieses erfolgreich in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Modell, wurde jetzt mit der Schaffung der Europäischen Währungsunion auf die europäische Ebene übertragen. Gerade die Erwartung auf Wiederholung seines Erfolges wurde in Deutschland in den Jahren vor 1999 sehr intensiv und ausgiebig diskutiert. Dabei wurden Befürchtungen geäußert, dass es der Europäischen Zentralbank nicht gelingen würde, ihre durch den Maastrichter Vertrag verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit gegenüber der Politik in der Praxis zu erhalten und dauerhaft zu verteidigen. Bei dieser Argumentation ignorierte man zwar nicht, dass die Regelungen des Maastrichter Vertrages, wie die Priorität der Preisniveaustabilität, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank von politischen Weisungen und das ausdrückliche Verbot der Finanzierung öffentlicher Haushaltsdefizite auch die Kernelemente des Europäischen Zentralbankensystems (EZBS) darstellen; dennoch war und ist man der Meinung, dass diese Elemente, die der deutschen Geldverfassung entnommen sind, nicht als Kontroll- und Anreizsysteme auf die übrigen Länder Europas übertragbar seien, da sie auf die deutsche Mentalität zugeschnitten sind.4 Außerdem genügt es nach dieser Auffassung nicht, dass der Vertrag die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) explizit garantiert (Art. 107 EGV), die Wiederwahl für Mitglieder des Direktoriums ausschließt (Art. 109a Abs. 2 EGV) und das Preisniveaustabilitätsziel ausdrück4 Stellvertretend für diese im Folgenden kurz skizzierte Denkweise sei auf das von 62 EWU-kritischen Professoren unterzeichnete „Memorandum führender deutscher Wirtschaftswissenschaftler zur Währungsunion vom 11. Juni 1992" Verwiesen, dort insbesondere auf die Punkte 5 und 7. Ähnlich argumentieren auch die Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundeswirtschaftsministerium Chr. Watrin u. O. Sievert in ihrem Schreiben an den Bundesminister für Wirtschaft vom 24. 1. 1992, S. 1; hier zitiert nach W. Steuer (1997), S. 88. Auf die Bedeutung eines stabilitätsorientierten Umfeldes verweisen auch H Tietmeyer (1996), S. 2 und R. Vaubel (1996), S. 16.

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lieh nennt und fordert (Art. 105 Abs. 1 EGV), weil zugleich möglicherweise andere Bestimmungen des Vertrages die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aushöhlen könnten. Hinzu käme noch, dass die Regelungen im Zusammenhang mit dem Europäischen Zentralbankrat eine solche Anreizstruktur für seine Mitglieder schaffen könnten, die es ihnen ermöglichte, aus Eigennutzorientierung diese Bestimmungen nicht im Sinne der europäischen Geldverfassung anzuwenden. So seien die Mitglieder des Rates der Europäischen Zentralbank aus Eigennutz geneigt, beispielsweise Vollbeschäftigungsziele ihrer nationalen Regierungen zu Lasten der europäischen Preisniveaustabilität zu unterstützen, da sie durch dieses Wohlverhalten ihre Wiederwahl als nationale Zentralbankpräsidenten sichern könnten. Die Kuriosität bei dieser Argumentation ist, dass man so etwas behauptet, obwohl bei der Wahl der Leitungsorgane der Deutschen Bundesbank ähnliche verfassungsrechtliche Regelungen und Bedingungen galten und damit alle bisherigen Mitglieder in den Organen der Deutschen Bundesbank das empirische Beispiel einer fast vierzigjährigen erfolgreichen und korruptionsfreien Betätigung lieferten, die diese Befürchtungen nicht bestätigt hat. Ganz im Gegenteil führte der international anerkannte Erfolg der Deutschen Bundesbank dazu, dass das Bundesbankgesetz und seine Bestimmungen als Mustervorlage für die Abfassung des Statuts des Europäischen Zentralbankensystems diente. Die Europäisierung der deutschen Geldverfassung stellte damit eine uneingeschränkte ex post Anerkennung des erfolgreichen deutschen Zentralbankmodells durch alle verantwortlichen Europäer dar. Obwohl die langjährigen positiven stabilitätspolitischen Erfahrungen, die man mit der Institution der Deutschen Bundesbank gemacht hat, nicht in Frage gestellt werden, verblüfft aus meiner Sicht die herrschende deutsche wissenschaftliche Argumentation hinsichtlich der Bewertung dieses Modells. Ausgerechnet in Deutschland, wo die Ordnungstheorie und -politik nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften, sondern auch in der Politik einen sehr hohen Stellenwert besitzt, sollten die vorhandenen Ordnungsbedingungen des Bundesbankgesetzes, die den Härtetest in der Praxis vielfach bestanden haben, für den bisherigen Erfolg der Bundesbank keine nennenswerte Rolle gespielt haben. Nicht etwa die Unabhängigkeit der Bundesbank oder die Verpflichtung auf Preisniveaustabilität oder das Verbot der Finanzierung öffentlicher Haushaltsdefizite, die ja mit einfacher Mehrheit im Bundestag aufhebbar wären, haben die starke Stabilitätsausrichtung der Bundesbank verursacht, sondern primär die hohe Aversion der deutschen Bevölkerung gegen die Inflation. Diese Aversion veranlasste also die Akteure der Bundesbank und die der Politik allgemein, ihre hohen Gehälter und vor allem ihr Ansehen dadurch zu sichern, dass sie für die erwünschte Preisniveaustabilität sorgten. Da nun, so die Argumentation, ähnliche Stabilitätspräferenzen wie die der deutschen Bevölkerung in vielen anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union nicht zu beobachten sind, sei das

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deutsche Bundesbankmodell auf die europäische Unionsebene nicht übertragbar.5 Dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang behaupten, dass selbst bei Gültigkeit einer solchen Interpretation des Erfolges des deutschen Bundesbankmodells auch in diesem Zusammenhang der Spruch von Jean Monnet gilt: „Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts aber dauerhaft ohne die Institutionen". Gegen diese Argumentation vieler deutscher Wissenschaftler sprechen meines Erachtens außer einigen Fakten innerhalb der Europäischen Union selbst auch die geschichtlichen Erfahrungen hinsichtlich des Einflusses von Institutionen auf die Verhaltensweise der Menschen. Diese besagen nämlich, dass die Menschen auf institutionelle Veränderungen reagieren, ihre Einstellungen sogar ändern und sich schließlich anpassen.

III. Die Bedeutung der Institutionen wird auch von den inzwischen verifizierten Ergebnissen der Ordnungstheorie bestätigt, nach der das wirtschaftliche und soziale Verhalten der Menschen vor allem ordnungsbedingt ist. Abgesehen davon lassen sich einige Beispiele anführen, die m. E. die obige Vermutung der Kritiker nicht bestätigen: Die für deutsche Verhältnisse hohe Inflationsrate der siebziger Jahre (über 7 %) hat die inflationsbewusste deutsche Bevölkerung nicht veranlasst, die sozialliberale Koalition abzuwählen, obwohl die Wirtschaftspolitik der Regierung für die hohe Inflation damals verantwortlich war. Auch die fast Null-Inflation Anfang der achtziger Jahre hat für die SPD-gefÜhrte Regierung keine signifikanten Vorteile gebracht, da sie damals von der deutschen Bevölkerung abgewählt wurde. Anfang der neunziger Jahre ist die von den angeblich inflationsfreudigen Sozialisten geführte Regierung in Frankreich von ihrem Geldwertstabilitätskurs, der nach deutschem Muster verfolgt wurde, nicht abgerückt, obwohl ein dadurch bedingter Verlust der Regierungsmacht bei den nächsten Wahlen absehbar war. Von 1992 bis zur Einführung des Euro befanden sich alle Länder der Europäischen Union auf einem strikten Stabilitätskurs, und das trotz hoher Arbeitslosigkeitsraten und dem daraus resultierenden gewerkschaftlichen, gesellschaftspolitischen und Öffentlichkeitsdruck auf die politisch Verantwortlichen.

5 Diese in Deutschland vorherrschende wissenschaftliche Meinung bringt Ο. Issing auf den Punkt: „Jede Gesellschaft hat letztlich die Inflationsrate, die sie verdient und im Grunde auch will." (Ο. Issing (1992), S. 8.

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Die angeführten Beispiele deuten darauf hin, dass sich die Verhaltensweisen der politisch Verantwortlichen und der Bevölkerung in den übrigen Ländern der Europäischen Union nicht wesentlich von denen der Deutschen unterscheiden. Man hat den Eindruck, dass die deutschen Kritiker an der Europäischen Währungsunion die Stabilitätsfortschritte, die die meisten Länder der Europäischen Union erzielt haben und noch erzielen, die teilweise sogar noch bessere sind als die deutschen, nicht zur Kenntnis genommen haben oder nicht nehmen wollen. Das bisherige Vorgehen der meisten Partnerländer zeigt, dass sie in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen längst den deutschen Stabilitätsüberlegungen gefolgt sind. Der Anstieg der Verbraucherpreise war von 1990 bis 1994 insgesamt in neun Ländern der Europäischen Union (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Niederlande und Österreich) geringer oder kaum höher als in Deutschland. Und dies gilt- abgesehen von Großbritannien auch dann noch, wenn man das letzte Jahrzehnt betrachtet. Im Jahre 1995 etwa wiesen zehn der fünfzehn Länder der Europäischen Union eine Inflationsrate auf, die um 2 v. H. lag. Die Gefahr einer inflatorischen Beschleunigung in Europa, die die Kritiker vermutet haben, weil das Inflationskriterium relativ statt absolut im Vertrag formuliert sei, ist derzeit nicht sichtbar, und dass trotz der massiven Energiepreiserhöhungen. So fand der Eintritt in die Europäische Währungsunion auf einem sehr niedrigen Inflationsniveau statt. Auch die Wechselkursstabilität, die vom Sommer 1993 bis zu Einführung des Euro (1999) zwischen den Währungen der Länder der Europäischen Union geherrscht hat, war ein Indiz dafür, dass der Stabilitätskonsens innerhalb der Europäischen Union größer war und ist, als manche Kritiker uns glauben machen möchten. Allein dieser Prozess der Vorbereitung auf die Europäische Währungsunion hat gezeigt, dass die Mitgliedsstaaten bewusst und zielstrebig, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik betrieben haben. Wenn das so ist, warum sollten sie sich dann jetzt bei einer einheitlichen Europäischen Währung, auf die sie nicht einmal unmittelbaren Einfluß haben, destabilisierend verhalten? Selbst wenn sie dies wollten, wüsste die unabhängige Europäische Zentralbank dies zu verhindern, wie sie es in ihren Aktivitäten und Entscheidungen in der letzten Zeit gezeigt hat.

IV. Wie die mehr als zweijährige Praxis mit einer unabhängigen EZB jetzt zeigt, wiederholen sich die deutschen Erfolge hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Stabilität der letzten vierzig Jahre auf europäischer Ebene. Deshalb war und ist die Europäische Währungsunion aus politischen und Wirtschaft-

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liehen Gründen nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. Wie die immer noch relativ niedrigen Inflationsraten - bei um mehr als das Doppelte gestiegenen Ölpreisen - andeuten, hat die Währungsunion nicht nur als eine Stabilitätsgemeinschaft begonnen sondern ist bisher auch eine solche geblieben. Diese Entwicklung hat auch das Weltwährungssystem verändert. Mit dem Euro ist eine zweite internationale Leitwährung in Konkurrenz zum US-Dollar getreten. Damit wird die Europäische Währungsunion nicht nur den beteiligten Europäern sondern auch der Weltgemeinschaft als Ganzes unschätzbare Vorteile und Wohlfahrtsgewinne bringen. Dennoch stellt sich die berechtigte Frage, warum der Außenwert des Euro, seit seiner Einführung (1999) als Buchwährung, mehr als 25 v. H. gegenüber dem Dollar eingebüßt hat. Aus der Sicht der Kaufkraftparitätentheorie müßte die Währung eines Landes abgewertet werden, wenn die Inflationsrate anhaltend über der des Auslandes liegt. Die Inflationsrate der Vereinigten Staaten von Amerika liegt seit Jahren 1 - 2 v. H. über der der Europäischen Union. Demnach hätte der Dollar und nicht der Euro an Außenwert verlieren müssen. Ähnliche theoretische Aussagen gelten im Zusammenhang mit der Entwicklung der Leistungsbilanzen der Länder. Nach der Theorie müsste die Währung des Landes, welches anhaltend Leistungsbilanzdefizite aufweist, gegenüber der Währung des Landes mit Leistungsbilanzüberschüssen abgewertet werden. Auch nach diesem Kriterium müsste der Dollar gegenüber dem Euro abgewertet werden, da die amerikanische Leistungsbilanz im Gegensatz zur europäischen permanent defizitär ist. Da für vergleichbare Länder und für längerfristige Entwicklungen derartige theoretische Aussagen in der Vergangenheit empirisch verifiziert worden sind, müsste man annehmen, dass in absehbarer Zeit die Wechselkursentwicklung zwischen Dollar und Euro den theoretischen Aussagen entsprechen wird. Dies alles ist aber immer noch keine stichhaltige Erklärung für die gegenwärtige Außenwertschwäche des Euro. Mindestens drei Gründe könnten meines Erachtens hauptverantwortlich für die momentane Außenwertstärke des Dollar sein. Der erste und wichtigste Grund ist die hegemoniale Stellung des US-Dollars als Leitwährung in der Weltwirtschaft, die dieser in der letzten fünfzig Jahren ohne nennenswerte Konkurrenz errungen hat. Die Erfahrung zeigt in diesem Zusammenhang, dass sich die Menschen von ihren gewonnenen Vorstellungen und Meinungen erst dann trennen, wenn die Gründe, die für eine Veränderung sprechen, sehr überwältigend sind. Dies heißt, dass sich die volkswirtschaftlichen Daten sehr massiv zu Ungunsten der Vereinigten Staaten ändern müssten, damit die Akteure in der Weltwirtschaft von ihren bisherigen und gewohnten Positionen abgehen. Hinzu kommt noch, dass die neue Konkurrenzwährung nicht nur Vertrauen gewinnen, sondern auch, auf Grundlage der neuen und hervorragenden Wirtschaftsdaten, die sie verkörpert, das Vertrauen in die bisher etablierte und anerkannte Währung gewissermaßen abbauen helfen muss. Da dies so nicht

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massiv in Erscheinung tritt, verläuft der Substitutionsprozess zwischen der neuen und alten Weltwährung relativ langsam. Diese Überlegungen führen zu meinem zweiten Grund. Die amerikanische Wirtschaft hatte in den letzten Jahren eine derartige Hochkonjunktur gehabt und erreichte weit größere Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts als die europäischen Volkswirtschaften, dass die aus theoretischer Sicht negativen oben angesprochenen Daten von den Akteuren nicht als solche wahr genommen wurden und werden, obwohl die amerikanische Konjunktur gegenwärtig in einer Abschwungphase zu sein scheint. Es gilt also das was der belgische Makroökonom Paul de Grauwe zutreffend in einem Vortrag im Münchner Seminar der Süddeutschen Zeitung sagte (Mai 2001): „Die Akteure an den Devisenmärkten entwickeln einen Rahmen, in dem sie die Wirtschaftsdaten einer Volkswirtschaft einordnen. Wird ein Land wie gegenwärtig die Vereinigten Staaten in einem positiven Rahmen gesehen, werden nur die positiven Nachrichten berücksichtigt. Negative Entwicklungen werden meist als nicht wichtig abgetan. Die gleiche Information kann damit- abhängig vom Rahmen - unterschiedliche Bedeutungen für die Anleger haben"6. Eine solche Bewertung findet in den Wirtschaftsnachrichten gegenwärtig zu Gunsten des Dollars statt. Ein dritter Grund der die gegenwärtige Schwäche des Euro mit begründet, könnte darin liegen, dass die angeführten theoretischen Überlegungen, die eher eine Dollarschwäche offenbaren, zu der allgemeinen Erwartung führen, dass eine Abwertung des Dollar in absehbarer Zeit eintreten könnte. Diese Erwartungen sowie die anhaltenden Zinssenkungen der amerikanischen Zentralbank bewirken weltweit eine überproportionale Nachfrage nach Dollarkrediten, die den Dollarkurs hoch hält. Sobald jedoch die realen positiven Daten der Europäischen Volkswirtschaften eine deutliche und nachhaltig sichtbare Stabilität aufweisen werden, wie es zur Zeit der Fall zu sein scheint, werden sich die langfristigen Erwartungen der Akteure bestätigen und zu einer allmählichen Abwertung des Dollars gegenüber dem Euro beitragen.

V. Insgesamt läßt sich der Euro, trotz seiner momentanen Schwäche gegenüber dem Dollar, positiv bewerten, da die Wirtschaft im Euroraum kräftig gewachsen ist. Durch den Euro ist der Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften der Währungsunionsländer intensiviert worden. Dies gilt insbesondere für den Wettbewerb der Banken untereinander und zwischen ihnen und anderen Finanzdienstleistern. Der Euro hat die Umstrukturierung und Konsolidierung des Bankensektors innerhalb der Länder der Währungsunion beschleunigt. 6

P. de Grauwe (2001).

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Als problematisch für den Außenwert des Euro müssen die immer noch bestehende wirtschaftliche Divergenz der zwölf Mitgliedsstaaten sowie die immer noch stattfindenden und tiefgreifenden Anpassungsprozesse an die durch die Einführung des Euro veränderten Rahmenbedingungen der Finanzmärkte des Euro-Währungsgebiets angesehen werden.7

Literatur de Grauwe, P. (2001), Im Rahmen der Vorurteile, in: Süddeutsche Zeitung, 18. 05. 2001, Nr. 114, S. 24. Issing, O. (1992), Unabhängigkeit der Notenbank und Geldwertstabilität, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 79, S. 1-8. ο. V. (1992), Memorandum führender deutscher Wirtschaftswissenschaftler zur Währungsunion vom 11. Juni 1992, in: Bofinger, P. et al. (Hrsg.) (1993), Währungsunion oder Währungschaos? Was kommt nach der D-Mark?, Wiesbaden, S. 233 f. Paraskewopoulos, Sp. (2000), Einfuhrung in die Problematik der Osterweiterung der Europäischen Union, in: derselbe (Hrsg.) Die Osterweiterung der Europäischen Union. Chancen und Perspektiven, Berlin, S. 9 - 16. Remsperger, H. (2001), Euro ist seit zwei Jahren Realität, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 3, S. 2. Steuer, W. (1997), Gibt es eine europäische Stabilitätskultur, in: Wirtschaftsdienst, 77. Jg., S. 86-93. Tietmeyer, H. (1996), in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln vom 20. 5. 1996, S. 2. Vaubel, R. (1996), Das Tauziehen um die Europäische Währungsunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 1 - 2 / 96, S. 16.

7

Vgl. H. Remsperger, a. a. Ο.

2 Paraskewopoulos

The Monetary Policy of the Eurosystem By Paul Mercier

I. The Monetary Policy Framework Since 1 January 1999, the European Central Bank has executed all its monetary policy and foreign exchange operations in euro: there is a single monetary policy in the same way as there is a single currency. The Eurosystem, which is a system comprising the national central banks of the countries already participating in EMU and the European Central Bank, behaves like a single central bank. This implies, in particular, that all the instruments of monetary policy are uniform and are used in a uniform way on the basis of decisions taken at the centre. In order to clarify the presentation of monetary policy, one distinguishes its three usual objectives: the ultimate objective, the intermediate objective and the instruments designed to implement the monetary policy in concrete terms.

/. Ultimate Objective As for the ultimate objective, things are quite simple: the ultimate objective of the Eurosystem's monetary policy is enshrined in the Treaty. According to Article 105, the Eurosystem should have the primary objective of maintaining price stability in the monetary union. The logic of the Treaty is clear: it is acknowledged that the best contribution monetary policy can make to high employment and economic growth, hence to economic welfare, is to maintain price stability. It also has to support the general economic policies of the Community but without prejudice to this primary objective of price stability. In order to steer the expectations of future price developments, the ECB Council decided in October 1998 to announce a quantitative definition of price stability: „price stability shall be defined as a year-on-year increase of the Harmonised Index of Consumer Prices (HICP) for the euro area of below 2 %". This objective is to be maintained over the „medium term". Four features of that definition should be highlighted: 2*

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First, it is important to underline that the word „increase" indicates that deflation - persistent fall in price level - is not consistent with price stability.



Second, the HICP is the most appropriate price measure for the Eurosystem's definition of price stability. It is the only price index that is sufficiently harmonised across the euro area at the outset of monetary union. It is also rather familiar to the public usually focussing on consumer price indices.



Third, by defining price stability using the HICP „for the euro areait is clear that the monetary policy decision is based on monetary, economic and financial developments in the euro area as a whole. It should be emphasised that the single monetary policy adopts a euro area-wide perspective; it does not react to specific regional or national developments.



Fourth, this definition is very much in line with the definitions that national central banks used in the past in the euro area.

However, even though this final objective has been defined, this is not to say that everything has been done: in particular, the statement that „price stability is to be maintained over the medium term" reflects the need for monetary policy to have forward-looking, medium-term orientation. It also acknowledges the existence of short-term volatility in prices which cannot be controlled by monetary policy. There are different strategies for reaching the price stability target and the ECB had to define its own. The key problem is that the response of inflation to actions taken by central banks follows a complex transmission process which includes a significant time-lag. This means that the current level of inflation is usually an insufficient guide to the stance of monetary policy. Other indicators are needed to provide information on the future evolution of inflation.

2. Strategy and Intermediate

Target

A first well-known strategy consists in targeting the objective of price stability directly without setting any intermediate target. Such a strategy is followed in the United Kingdom and Sweden, but was also adopted in other countries such as Spain and Finland before they joined the EMU. In short, the central bank has to draw up a forecast of future price developments on the basis of a model of the economy. If the forecast diverges from the desired objective, then it activates the instruments of monetary policy in order to bring inflation back on target.

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One advantage of a direct targeting approach is that monetary policy is very clearly focused on controlling inflation, strengthening the central bank's commitment to price stability. The signal is clear and can affect the public inflation expectations in a favourable way. On the other hand, as the central bank has to work with leading indicators and rather complex models, it cannot be assumed that the financial markets and the general public always understand what the central bank is doing. Furthermore, the effectiveness of such a strategy depends first on the reliability of the inflation forecast, which could be inaccurate, or even wrong. This effectiveness will also depend on the predictable, if not stable, nature of the relationship between the instruments of monetary policy available to the central bank and the price level. Actually, the European Central Bank faces a complex transmission process characterised by several channels, each having long and variable legs. Another monetary policy strategy could consist in setting an intermediate target. In this respect, there are basically two possibilities: exchange rate targeting and monetary aggregate targeting. Exchange rate targeting is the strategy followed for many years by several EU countries as a means of obtaining and maintaining price stability. This approach found particular favour in smaller economies where external influences on inflation were a very important factor. However, for EMU as a whole, which is a relatively large economy with a relatively closed single market compared with those smaller economies, such an approach is less appropriate, since exchange rate targeting may even compromise the autonomy of the ECB in setting interest rates appropriate to domestic conditions. Furthermore, it is not clear which currency could serve as an anchor for the euro. The experience of the 1960s, when lax monetary policies were pursued in the United States, provides a strong warning in this respect. Thus the ECB does not follow any explicit exchange rate strategy; the USA and Japan do not either. However, the absence of such a target does not imply that the ECB ignores or is indifferent to the exchange rate of the euro vis-à-vis the US $ or the Japanese yen. Since exchange rates are influencing import prices, they are relevant for the ultimate objective of the ECB, viz. price stability. Exchange rates are therefore monitored carefully and the approach is not to pursue a „benign neglect" policy. But there is another strategy based on an intermediate objective: the monetary targeting. The fundamental idea underlying the monetary targeting approach is that the principal source of inflation is excessive monetary growth and that by controlling the growth of the money supply, price stability can be achieved. Monetary targeting has the advantage of indicating the responsibility of the Eurosystem for developments that are more directly under its control, and could

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protect the central bank from external pressures. Furthermore, it has been applied with success in several countries, in particular in Germany. However, one condition for making that strategy feasible is that money demand should be fairly stable. Although the observed stability of money demand in the individual countries does not necessarily imply stability of money demand in the euro area. Indeed, the money demand at the euro level is not the addition of the individual money demands in the different countries: it is something new! At this stage, when preparing the ECB monetary policy, there was no robust evidence that the economic relations we observed in the past would continue to be valid in the future. Today, however, after almost 2 years, the observation is reassuring in this respect. The differences between monetary targeting and direct inflation targeting should not be overestimated: no central bank, even one implementing a direct targeting approach, can give up methodically monitoring the growth of the money supply and, on the other hand, the designation of a given monetary aggregate as an intermediate target does not imply the automatic pursuit of this target in the short term, and in no way excludes taking other considerations and indicators into account. In fact, the choice of monetary policy strategy may in some cases represent not so much a choice between economic theories, but rather the choice of the best way to present the rather complex policy followed by the central bank to the public in a clear and consistent way. Actually the ECB pursues a stability-oriented strategy founded on two pillars: •

Thefirst pillar consists in a reference value for monetary growth. In the medium and longer term, inflation is ultimately a monetary phenomenon. Specifically, available evidence for the euro area confirms that broad monetary aggregates exhibit a stable relationship with the price level and that therefore, prolonged deviations of monetary growth from the long term trend normally reveal risks for price stability. Against this background, the ECB derived in December 1998 a reference value for M3 growth of AVi % per annum. It obtained this figure by assuming a real growth of GDP of 2 - 214 %, a decline in the velocity of circulation of M3 in the range of Vi to 1 % per year, and its definition of price stability as an increase in the HICP of below 2 %. Deviations of current monetary growth from the reference value would, under normal circumstances, signal risks to price stability. However, the concept of a reference value does not imply a commitment on the part of the ECB to mechanistically correct deviations of monetary growth from the ref-

The Monetary Policy of the Eurosystem

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erence value over the short-term. Indeed, there is a wide consensus that inflation is a monetary phenomenon in the medium and long-term, not in the short-term. •

The second pillar consists in a broad assessment of the outlook for price developments . The adoption of this pillar followed from the insight that monetary aggregates do not contain all the information which is useful for deriving monetary policy decisions appropriate for the maintenance of price stability. Other useful leading indicators of price developments include, for instance, wages, exchange rates, measure of real activity and fiscal policy indicators.

In view of that strategy, the ECB regularly informs the public about its assessment of the prevailing economic, monetary and financial conditions as well as specific monetary policy decisions. This takes place through a wide range of publications, press conferences and speeches intended for both the general public and a professional audience. Furthermore, the European Parliament receives annual and monthly reports, and discusses with the ECB President in the relevant committee four times a year. Finally, the President is invited to attend the meetings of the Council of European Ministers of Finance (ECOFIN) whenever issues of relevance to the ECB tasks come up for discussion. He also attends the so-called informal euro-11 Council. On the other hand, the President of the Council of Ministers and a member of the European Commission may participate, without having the right to vote, in the meetings of the ECB Governing Council.

II. The Instruments Framework 1. The ECB Balance Sheet Table 1 Central Bank Balance Sheet Assets

Liabilities

Net foreign assets

Banknotes in circulation

Credits

Current accounts

In order to reach the ultimate target of maintaining price stability, while relying on the prominent role played by the monetary aggregates, the ECB will try to steer the supply of central bank money in order to control its price, i.e. the

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short-term interbank interest rates. The starting point of the analysis of the monetary policy instruments is the balance sheet of the central bank. A very simplified balance sheet shows, on the liabilities side, the issued banknotes and the current accounts held by the financial institutions with the central bank. Those two elements constitute central bank money. A part of the central bank money has been provided to commercial banks as a counterpart to the foreign exchange reserves that appear on the assets side of the central bank's balance sheet. A second way for the banks to acquire banknotes or current accounts is to ask for a credit from the central bank. It is precisely in managing the conditions at which those credits are granted, and more particularly, their cost, that the central bank will implement its monetary policy. However, in spite of the fact that the central bank has the monopoly of the issuance of banknotes, it does not control its outstanding amount, since the banknote users determine themselves how much money in the form of banknotes they want to hold. Hence the circulating amount of banknotes evolves throughout time, affected by seasonal factors. The issuance of banknotes is a demand-led process. For that reason, the volume of banknotes should be considered as a „autonomous factor". The same qualification is valid for the outstanding net foreign assets, which can also be considered as an autonomous factor from the point of view of the implementation of monetary policy, since its volume may also be determined by factors like capital flows, external trade balance, and so on. Consequently the needs of the banking system of credit from the central bank is neither stable, nor totally under the central bank's control. However, the central bank has at its disposal some tools enabling it to face that difficulty.

2. The Three Categories of Instruments a) Reserve Requirements One way for the central bank to widen the volume of credit granted to the banking sector consists of obliging the banks to maintain a minimum amount of central bank money on their current account. By imposing reserves requirements, both the assets side and the liabilities side of its balance sheet will be accrued. In other words, commercial banks are well obliged to borrow from the central banks in order to be able to make a deposit with that central bank. Such a system allows the creation or the enlargement of a structural liquidity deficit. Thus the first function of reserves requirements contributes to enlarging the demand for central bank money, thereby increasing the bank's dependence on central bank credit Second, reserves requirements can contribute to the stabilisation of money market interest rates as they include an averaging mechanism so that shocks to

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The Monetary Policy of the Eurosystem

liquidity can be absorbed without the need for central bank intervention in the money market. Third, to the extent that reserves requirements are not fully remunerated, they may, under certain conditions, increase the interest elasticity of money demand, thereby enhancing the controllability of the money stock by the central bank. In that case, they fulfil a monetary control function. On the other hand, non-remunerating the reserves requirements could be considered as the imposition of a kind of tax on the banking system. As the ECB attaches particularly high importance to the performance of the first two of the three functions which relate to the management of money markets, it has decided to fully remunerate the reserve requirements in order not to impose an additional burden on the private sector and thus affect the financial activity of credit institutions in the euro area. Reserves requirements are calculated as a percentage of short-term liabilities of banks. In the case of the Eurosystem, they sum up to around EUR 110 billion.

Assets

Liabilities

Banknotes in circulation

Net Foreign Reserves

Monetary Policy (net credit provided to the banking sector)

Reserves Requirements

Figure 1 : Simplified Balance Sheet of the Eurosystem

b) Open Market Operations Open market operations play a major role in the conduct of monetary policy. They are a flexible, and market-oriented tool for managing the liquidity situation and performing signalling functions. The Eurosystem has a wide range of

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instruments available for the conduct of open market operations: reverse transactions (on the basis of repurchase agreements or collateralised loans), outright transactions , the issuance of debt certificates , foreign exchange swaps and the collection of fixed-term deposits. With regard to their aim, regularity and procedures, the Eurosystem's open market operations can be divided into four categories: •

First, the main refinancing operations [MRO] are regular liquidity-providing reverse transactions, with a weekly frequency and a maturity of two weeks. These operations are executed through a tender procedure. The main refinancing operations provide the bulk of refinancing to the financial sector, and these operations are used to steer the money market interest rates and signal the stance of monetary policy.



In addition to this main instrument, the Eurosystem conducts longer term refinancing operations [LTRO], which are liquidity-providing reverse transactions, with a monthly frequency and a maturity of three months. These operations aim to provide counterparties with additional longer-term refinancing and are also executed by the Eurosystem on the basis of tenders. It should be mentioned that they only provide a limited part of the global refinancing, and are, as a rule, not conducted with the intention of sending signals to the market or guiding market interest rates. This facility is designed to replicate one feature of the traditional rediscount window, which in itself is not part of the framework, namely the possibility of obtaining central bank funds at a fixed rate for a 3-month maturity.



The Eurosystem is, of course, able to carry outfine-tuning operations that could be executed on an ad hoc basis with the aim of managing the liquidity situation in the market and steering interest rates. These operations could be used, in particular, to smooth interest rate effects due to unexpected liquidity fluctuations. Fine-tuning operations are primarily executed as reverse transactions but may also take the form of outright transactions, foreign exchange swaps and the collection of fixed-term deposits. The instruments and procedures applied for the conduct of finetuning operations can be adapted to the types of transactions and the specific objectives pursued. Fine-tuning operations are normally conducted through quick tenders or bilateral procedures.



Finally, the Eurosystem also has the possibility of conducting so-called structural operations. These operations aim at affecting the longer-term liquidity position of the banking sector vis-à-vis the Eurosystem. A main instrument for these operations is the issuance of debt certificates by the ECB, but reverse and outright transactions are also available for this purpose. The ECB currently operates the framework on the basis of a structur-

The Monetary Policy of the Eurosystem

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al liquidity shortage of the banking system, and these operations are designed to allow the ECB to engineer such a shortage if it no longer exists in the market. As for the procedures that are used by the Eurosystem, the open market operations are normally executed in the form of tenders. Two types of tenders are available: standard tenders and quick tenders. Standard tenders are executed in a time frame of around twenty-four hours from the announcement of the operation to the announcement of the result. However, the time between the submission deadline and the announcement of the allotment is less than two hours. All the eligible counterparties are entitled to participate in the standard tender procedure. Quick tenders can be executed within an hour from the announcement of the tender to the announcement of the result, and the range of counterparties is reduced, for operational reasons. The set of counterparties is selected from among the wide list of potential counterparties, taking into account, among others, the activity in the money market. For both standard and quick tenders, the Eurosystem has the option of conducting either fixed-rate (volume) tenders or variable rate (interest) tenders. In this case, both Dutch and American-type auctions are possible. To conclude on the procedures, the Eurosystem is, in principle, able to execute some fine-tuning operations on the basis of bilateral procedures, where the Eurosystem will enter into a deal with one or more counterparties. This procedure will be used for outright transactions, for example.

c) Standing Facilities Besides the open market instruments, two standing facilities are available. In contrast to open market operations, standing facilities are used at the initiative of the counterparties. The first standing facility is a marginal lending facility, which enables the counterparties of the Eurosystem to cover their end-of-day liquidity needs at a rate of interest above the market rate. There are no credit limits or other restrictions on counterparties' access to the facility (except the requirement of sufficient availability of collateral). The second facility is a deposit facility, which enables the same counterparties to place their surplus endof-day liquidity with the Eurosystem at a rate below the market rate. The interest rates on the two facilities form the ceiling and the floor of a corridor within which the rate for repos lies and within which money market rates move.

· Standard tenders Fixed or variable rate · Monthly · Standard tenders Variable rate

· Weekly

Procedure

Operations effectively

implemented are displayed in Italics.

· Overnight counterpartie s · Overnight counterpartie s

· Access at the discretion of

· Access at the discretion of

· Foreign exchange · Non-standardised · Non· Quick tenders swaps regular · Bilateral procedures · Collection of fixedterm deposits · Reverse transactions · Outright purchases · Outright sales · Non-regular · Bilateral procedures · Reverse transactions · Issuance of debt · Standardised/ · Regularand · Standard tenders certificates non-standardised non-regular · Outright purchases · Outright sales · Non-regular · Bilateral procedures

· Three months

· Reverse transactions -

· Reverse transactions · Foreign exchange swaps

· Two weeks

· Reverse transactions -

Types of transactions Maturity Frequency Provision of Absorption of liquidity liquidity

Standing facilities Marginal lending | · Reverse transactions facility | Deposit facility | · Deposits I

Structural operations

Open market operations Main refinancing operations Longer-term refinancing operations Fine-tuning operations

Monetary policy operations

Table 2

Eurosystem monetary policy operations - available and used

28 Paul Mercier

The Monetary Policy of the Eurosystem

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III. The Liquidity Management of the ECB Once again, the balance sheet of the ECB is the starting point of the analysis. Liabilities

Assets

Autonomous liquidity factors Net foreign assets (A. 1+A.2+A.3-L.6-L.7-L.8)

381,6

Monetary Policy Instruments Main refinancing operation (A.5.1) Longer term ref. operation (A.5.2)

Marginal lending facility

Autonomous liquidity factors

167,0 55,0

(A. 5.5) 0,6

Banknotes in circulation (L.l) Government deposits (L.4.1) Other autonomous factors (net)

Monetary Policy Instruments

353,8 61,9 75,7

Debt certificates issued (L.3)

6,3

Deposit facility

0,0

(L.2.2)

Current accounts - Res. Req. (L.2.1) 106,5

604,2

604,2

Figure 2: Consolidated Balance Sheet of the Eurosystem, 25 August 2000 From the point of view of liquidity management, the central bank balance sheet falls into several categories, namely autonomous factors (mentioned before, such as ban knotes), monetary policy instruments, of which open market operations and standing facilities have to be distinguished, and current account holdings of counterparties. The current accounts held by the commercial banks are determined by the obligation to maintain reserves at the central bank. However, those reserves requirements have to be fulfilled on average on a period of one month. That means that, during the maintenance period, the current accounts could be lower or higher than the reserve requirements. It is only at the end of the maintenance period that the banks will try to fulfil their exact reserve requirements. If they have maintained an average below their requirements, they will be penalised, while any excess reserves are not remunerated at all. Consequently, the recourse to the standing facilities during the reserve maintenance period will be reduced to the extent that the marginal lending capacity is quite expensive, and symmetrically a deposit does not provide a high interest yield. However, at the end of the maintenance period, as the banks have to ensure that the reserve requirements are fulfilled, it could be of interest for them to either borrow, in case of a liquidity need, or make a deposit in case of an excess of liquidity. Of course, the purpose of the ECB when deciding its allotment decisions in open market operations is to provide the exact amount of credit that the banking system needs in order to fulfil the reserve requirements.

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To the extent that the averaging mechanism provides the necessary flexibility, the ECB is not obliged to be permanently or daily in the market in order to adjust the amount of central bank money it provides, and then can limit its interventions to a weekly tender. However, if the evolution of the autonomous factors were to diverge significantly compared with its forecast, then it could decide to conduct some fine tuning operations, especially at the end of the maintenance period. The main refinancing operations are really at the centre of the framework, and the MRO interest rate plays a pivotal role in the pursuit of the aims of steering liquidity conditions and signalling the stance of monetary policy. Until mid-2000, the ECB applied fixed rate tenders with discretionary allotment amounts in its main refinancing operations, but since then it has decided to conduct operations at a variable rate tender. For banks, obtaining funds directly from the central bank can be considered as a substitute for inter-bank borrowing with a shorter maturity. Consequently, the expected average of difference between the overnight rate prevailing in the market and the main refinancing rate plays an important role in the bank's preference for refinancing with the Eurosystem. The demand for reserves comes from the bank's need to fulfil their reserve requirements through the holding of current accounts. The price for those reserves is the short term interbank rate in which the overnight maturity plays a key role in terms of volume and is often the focus of attention since it has the shortest relevant maturity, and is therefore the foot of the entire yield curve. The widely used reference rate for overnight euro deposits is the „euro overnight index average rate" - EONIA - an effective overnight rate computed as a weighted average of all overnight unsecured lending transactions in the interbank market, initiated within the euro area by a panel of more than 50 contributing banks. It is the only effective reference rate for the euro area money market while Euribor, for instance, are only posted rates, which means that transactions have not necessarily taken place at these rates. EONIA is thus a good indicator of the capability of the ECB to allot the right amount of central bank money. However, as shown in the graph, EONIA can diverge from the middle of the corridor, where it should be expected to remain, for several reasons. The main reason is that, at the end of the maintenance period, even if globally the liquidity provided by the ECB is sufficient, some banks are left with a surplus or a deficit leading to some volatility in the market. Second, due to expectations of a rate hike, for example, banks can borrow more than expected in the market, and in such circumstances, EONIA could be significantly higher than the MRO rate. There are indeed several circumstances where we can observe and explain such diversions. However, in the long run, EONIA should, on average, remain around the main refinancing operations rate.

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00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 Figure 3: ECB rates and EONIA IV. Decentralisation A very important characteristic of the system lies in the decentralisation of operations. It is clear and unanimously agreed by the central banks that whatever the instruments and strategies, the singleness of the monetary policy is ensured only if the decisions are centralised. In concrete terms, decisions on interest rates and other aspects of monetary policy implementation are taken at the level of the ECB, in Frankfurt. At the same time, the Treaty allows for the involvement of national central banks in the operation of the single monetary policy. Indeed, it is desirable to rely on the expertise and experience of the NCBs. The operations are conducted by the NCBs, whatever procedure is followed. In exceptional circumstances, the possibility has not been ruled out that finetuning operations can be conducted in a centralised manner by the ECB, in the form of bilateral procedures. In practice, this means that while the rate and the terms of the weekly repo, for example, are determined by the ECB, the counterparties, when participating in regular tenders, transmit their bids to their NCB, even though all the bids are collected at the ECB level in order for the final and single decision to be taken.

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And after allotment, the credit is provided to any successful counterparty by ,its" NCB.

V. Counterparties and Collateral Actually the counterparties of the Eurosystem are the credit institutions as defined in the First Banking Co-ordination Directive. Only institutions subject to the minimum reserve system are eligible to be counterparties for the open market operations and the two standing facilities. For fine-tuning operations, the Eurosystem may deal with a more limited range of counterparties, for obvious efficiency arguments. The Eurosystem's counterparties need to satisfy certain prudential and operational requirements. In particular, counterparties must be financially sound institutions, under prudential supervision, and they must be able to participate in the relevant Eurosystem operations under the technical conditions set by the Eurosystem. Finally, there is the question of collateral. All liquidity-providing operations of the Eurosystem are based on underlying assets provided by the counterparties either in the form of the transfer of ownership of assets (in the case of outright transaction or repurchase agreements) or in the form of a pledge granted over relevant assets (in the case of collateralised loans). It has been recognised that the harmonisation of eligibility criteria throughout the euro area would contribute to ensuring equal treatment and operational efficiency. At the same time, due attention had to be paid to existing differences in financial structure across Member States. Consequently, a distinction is therefore made between two categories of assets eligible for Eurosystem monetary policy operations. These two categories are referred to as „tier one" and „tier two" respectively: •

Tier one consists of marketable debt instruments fulfilling uniform euro area-wide eligibility criteria specified by the ECB;



Tier two consists of additional assets, marketable and non-marketable, which are of particular importance for national financial markets and banking systems and for which eligibility criteria are established by the national central banks, subject to the minimum eligibility criteria established by the ECB. The specific eligibility criteria for tier two applied by the respective national central banks are subject to approval by the ECB.

The proposed distinction between the two tiers is made essentially for reasons internal to the Eurosystem. It is based on the fact that the knowledge of some peculiarities of national financial markets is higher at the level of the national

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central banks than it would be at the level of the ECB. For this reason, it is considered more efficient that the national central banks select the Tier two eligible assets and determine the risk control measures to be applied to them. It should be understood that the distinction does not relate to the quality of the assets included in the two tiers. For this reason, assets of both tiers can be used for all the monetary policy operations (with the exception of outright transactions, for which tier two assets are not used) and they can be used by all counterparties in the euro area. In this respect, counterparties of the Eurosystem are able to use eligible assets on a cross-border basis, borrowing from the central bank of the Member State in which they are established, but making use of assets located in another country, through the so-called Corresponding Central Banking Model. Under this model, central banks act as custodians for each other in respect of the securities accepted in their local depository or settlements system. All eligible assets are subject to specific risk control measures. For tier one instruments, risk control measures consist of initial margins and margin calls and individual tier one debt instruments are subject to specific haircuts differentiated according to the residual maturity of the debt instruments. Two initial margins are considered, one for intra-day and overnight credit (1 % of the liquidity provided) and one higher margin for credit operations of more than one day (2 %). All national central banks perform a regular revaluation of assets. This revaluation takes place at least on a weekly basis. The Central Banks allowing for the "pooling" of assets proceed to a daily revaluation. If, as a consequence of the revaluation, the value of the underlying assets no longer matches the value required for the credit taken, margin calls are executed. This system of revaluation will imply that the Eurosystem will have a credit exposure of, at most, one week. The system should, therefore, help keep the initial margins at relatively low levels. The appropriate risk control measures for tier two are proposed by the national central banks which have included the assets in their lists. The Eurosystem aims at ensuring non-discriminatory conditions for tier two assets across the euro area. Special valuation haircuts applying to tier two assets may reflect the specific risks associated with some of these assets. Furthermore, national central banks are able to apply limits to their acceptance of tier two assets or require additional guarantees.

3 Paraskewopoulos

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems Mangelnde Transparenz und Verantwortlichkeit ? Von Uwe Vollmer*

I. Öffentliche Kritik am Eurosystem Seit Beginn der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion zum 1. Januar 1999 sind inzwischen mehr als zwei Jahre vergangen. Seither unterlag das Eurosystem einer kritischen Beobachtung durch die interessierte Öffentlichkeit und durch spezielle Forschergruppen. 1 Das Eurosystem hat in den Monats- und Jahresberichten der EZB (und in anderen Publikationen) die von ihm verfolgte Strategie und den gewählten Instrumenteneinsatz erläutert und versucht, die an ihm geübte Kritik aufzunehmen und aus ihr zu lernen oder sie zurückzuweisen. Gelernt hat das Eurosystem aus dem ersten Teil dieser Kritik, der den Instrumenteneinsatz und hier vor allem das beim Hauptrefinanzierungsinstrument eingesetzte Verfahren betraf, mit dem das Eurosystem den regelmäßigen Refinanzierungsbedarf des Finanzsektors zu decken versucht. Zunächst wurden diese wöchentlich durchgeführten Geschäfte als Mengentender abgewickelt, d. h. das Eurosystem gab bei einem liquiditätszuführenden Geschäft einen Zinssatz vor, sammelte die mengenmäßigen Gebote der Geschäftspartner und teilte dann anteilsmäßig zu. Die Gefahr dieses Zuteilungsverfahrens lag in einem starken Anreiz für die Geschäftspartner, den eigenen Liquiditätsbedarf zu übertreiben und „Mondgebote" abzugeben, zumal nur die tatsächlichen Zuteilungen und nicht die Gebote selbst durch entsprechende Sicherheiten gedeckt werden mussten (Vollmer, 1999, S. 306; Favero et al., 2000a, S. 10 ff.). Tatsächlich übertrafen die wöchentlich von den Geschäftspartnern abgegebenen Gebote den Zuteilungsbetrag um ein Vielfaches und es stand zu befürchten, dass die Gebote der Geschäftspartner systematisch verzerrt waren und deFür hilfreiche Zuarbeiten danke ich Frau cand. rer. pol. Annika Pfaff. Zu nennen sind hier beispielsweise der (periodische) Bericht „Monitoring the European Central Bank" des Centre for Economic Policy Research (Begget al., 1998; 1999; Favero et al., 2000a; 2000b), der Jahresbericht der CEPS Macroeconomic Policy Group (Centre for Economic Policy Studies, 1999), die Berichte der Organisation for Economic Co-Operation and Development (2000) und die Pressemitteilungen des EMUMonitors. 1

3'

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ren Liquiditätsbedarf nicht mehr reflektierten. Das hat inzwischen auch das Eurosystem eingeräumt und mit Beschluss vom 8. Juni 2000 einen Verfahrenswechsel hin zu einem Zinstender durchgeführt (Europäische Zentralbank, 2000a; 2000b), wobei es jetzt mit der Zinshöhe auf die Gebote der Geschäftspartner reagiert, wodurch der Anreiz zu Mondgeboten sichtbar abgenommen hat. Bislang weitgehend zurückgewiesen hat das Eurosystem den zweiten Teil der in der Öffentlichkeit geübten Kritik, der die von ihm verfolgte Strategie betrifft. 2 Dieser Teil umfasst zwei wesentliche Aspekte, und zwar die mangelnde Transparenz der verfolgten Strategie und die unzureichende demokratische Verantwortlichkeit der geldpolitischen Entscheidungsträger für Zielverletzungen. Nachfolgend sollen beide Aspekte vorgestellt und die Reaktionen des Eurosystems hierauf abgewogen werden. Dazu wird zunächst die Strategie erläutert, die das Eurosystem nach eigener Darstellung verfolgt (II.). Hieran anschließend wird gefragt, inwieweit diese Strategie als wenig transparent anzusehen ist und worin mögliche Gründe für diese Intransparenz liegen (III.). Der folgende Abschnitt untersucht, inwieweit die demokratische Verantwortlichkeit der geldpolitischen Entscheidungsträger unzureichend ist (IV.). Der letzte Teil fasst die Kritikpunkte nochmals zusammen und diskutiert mögliche Reformmaßnahmen (V.).

II. Grundzüge der geldpolitischen Strategie des Eurosystems Artikel 105 (1) des Vertrages von Maastricht schreibt dem Eurosystem als vorrangiges Ziel vor, die Preisniveaustabilität zu gewährleisten.3 Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisniveaustabilität möglich ist, hat das Eurosystem darüber hinaus die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft zu unterstützen, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 des Maastrichter Vertrages genannten Gemeinschaftsziele beizutragen. Nach Auffassung des Eurosystems besteht zwischen diesen Aufgaben eine Harmoniebeziehung, denn Garantie von Preisniveaustabilität fördert Beschäftigung und reales Wirtschaftswachstum und ist der beste Beitrag, den die einheitliche Geldpolitik zur Unterstützung der Wirtschaftspolitik leisten kann. 2

Vgl. hierzu insbesondere die Debatte zwischen Buiter (1999) und Issing (1999) sowie Europäische Zentralbank (2000c), S. 52. 3 Der Maastrichter Vertrag spricht vom Europäischen System der Zentralbanken (ESZB), dem neben der Europäischen Zentralbank noch die Nationalen Zentralbanken (NZBen) aller 15 Mitgliedsländer der Europäischen Union angehören. Da die Geldpolitik im Eurowährungsraum aber von der Europäischen Zentralbank (EZB) und den (ab 1. Januar 2001) 12 NZBen durchgeführt wird, die den Euro eingeführt haben, hat der EZB-Rat dafür den Begriff Eurosystem als benutzerfreundlichen Ausdruck eingeführt, der auch hier verwendet wird. Vgl. auch Europäische Zentralbank (1999a), S. 7.

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

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Jeder Versuch, durch eine Überraschungsinflation Beschäftigung und Wachstum zufördern, wird vom Eurosystem als sinnlos betrachtet, da solch eine Politik auf mittlere Sicht lediglich die Preisniveaustabilität gefährdet, ohne positive Realeffekte auszulösen (Europäische Zentralbank, 1999b, S. 47ff.). Preisniveaustabilität gilt als verwirklicht, wenn der Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex unter 2 % gegenüber dem Vorjahr gehalten wird; die so definierte Preisniveaustabilität muss mittelfristig beibehalten werden. Dadurch soll der Existenz kurzfristiger Preisschwankungen Rechnung getragen werden, die von der Geldpolitik nicht gesteuert werden können (Europäische Zentralbank, 1999b, S. 50 f.; 2000c, S. 42). Um Preisniveaustabilität mittelfristig sicherzustellen, verfolgt das Eurosystem eine geldpolitische Strategie, die aus zwei Hauptelementen („Zwei-Säulen-Konzept") besteht (Europäische Zentralbank, 1999b, S. 50f.; 2000c, S. 43 ff.; Überblick bei Görgens et al., 1999, S. 91 ff): Das erste Element ist die Analyse des Geldmengenwachstums, denn das Eurosystem geht, dem monetaristischen Paradigma folgend, davon aus, dass Inflation mittelfristig ein monetäres Phänomen ist und durch ein gemessen am Wachstum der Produktionsmöglichkeiten überhöhtes Geldmengenwachstum verursacht ist. Dieser Rolle entsprechend veröffentlicht das Eurosystem einen jährlichen Referenzwert für das Geldmengenwachstum, der die Erwartungsbildung für die Wirtschaftssubjekte erleichtern soll.4 Das zweite Element ist die Analyse eines Spektrums finanzieller und realwirtschaftlicher Variablen, die aus Sicht nicht-monetärer Inflationstheorien als inflationsverursachend angesehen werden. Im Rahmen dieser Analyse erstellt das Eurosystem zweimal jährlich eine Inflationsprognose, durch die alle Faktoren erfasst werden, die kurzfristig die Preisniveaustabilität gefährden und sich über die Erwartungsbildung der Marktteilnehmer langfristig verfestigen können. Mit diesem Zwei-Säulen-Konzept verfolgt das Eurosystem, genauso wie zuvor die Deutsche Bundesbank, weder ein striktes Inflationsziel noch ein striktes Geldmengenziel, sondern eine Mischung aus beiden Strategien, die als „Flexibles Inflationsziel" bezeichnet wird (Svensson, 1998, S. 14 ff.): Das Eurosystem verfolgt kein striktes Inflationsziel, denn es strebt Preisniveaustabilität nur mittelfristig an und lässt ausdrücklich die Möglichkeit kurzfristiger Preisvolatilitäten aufgrund nicht-monetärer Schocks zu, denen das Preisniveau ausgesetzt ist 4 Der Referenzwert bezieht sich auf das Wachstum der Geldmenge M3 und wird aus der auf Veränderungsraten abgestellten Quantitätsgleichung abgeleitet. Er errechnet sich durch Addition der vom Eurosystem prognostizierten Werte für das trendmäßige BIPWachstum, für die trendmäßige Veränderungsrate der Einkommensumlaufgeschwindigkeit des Geldes sowie dem mit Preisniveaustabilität als vereinbar angesehenen Wert des HVPI-Wachstums. Für das Jahr 1999 wurde ein Referenzwert von 4,5 % abgeleitet, der auch für die Jahre 2000 und 2001 bestätigt wurde. Vgl. Europäische Zentralbank (2000c), S. 45; Europäische Zentralbank (2000d), S. 10 ff.

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und die nicht durch die Geldpolitik kontrolliert werden können. Hierunter fallen vor allem gesamtwirtschaftliche Angebotsschocks, die auf die Inflationsrate durchschlagen sollen, ohne dass das Eurosystem darauf reagiert, um nicht durch geldpolitisches Gegensteuern die Varianz von Output und Beschäftigung zu erhöhen. Genauso wenig verfolgt das Eurosystem ein striktes Geldmengenziel, weil es sich ebenfalls ausdrücklich Abweichungen vom Referenzwert vorbehält, wenn diese zur Garantie mittelfristiger Geldwertstabilität erforderlich sind (was bei Auftreten gesamtwirtschaftlicher Geldnachfrageschocks und damit verbundener Volatilitäten der Umlaufgeschwindigkeit der Fall wäre). Mit dieser Mischstrategie einer „selbstbeschränkten Diskretion" (oder einer „flexiblen Regelbindung") beabsichtigt das Eurosystem, einen Kompromiss zwischen Regelbindung und Diskretion zu erreichen, der die Vorteile beider Strategien vereinnahmt, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen (Vollmer, 1999, S. 301 ff.): Durch das Versprechen, mittelfristig Preisniveaustabilität zu garantieren, soll ein nominaler Anker für die Bildung von Inflationserwartungen der Marktteilnehmer geschaffen werden, der die zeitkonsistente Inflationsrate niedrig hält, sofern dem Versprechen geglaubt wird. Durch die Ankündigung, temporäre Variationen in der Inflationsrate zuzulassen, soll der Geldpolitik gleichzeitig genügend Flexibilität gegeben werden, um Outputniveau, Beschäftigung und andere Realgrößen bei Auftreten gesamtwirtschaftlicher Angebotsschocks nicht zu destabilisieren. Im Kern besteht die geldpolitische Strategie des Eurosystems also darin, die Wirtschaftssubjekte nicht durch Überraschungsinflation zu täuschen und gleichzeitig flexibel auf wahrgenommene Angebotsschocks zu reagieren. Um diese vom Eurosystem angestrebten Ziele realisieren zu können, ist es jedoch erforderlich, dass die Öffentlichkeit die angekündigte Strategie versteht und vor allem für glaubhaft hält. Gerade hier liegt aber die Achillesferse der geldpolitischen Strategie des Eurosystems, weil deren Umsetzung weder die strikte Einhaltung des jährlichen Referenzwertes für das Geldmengenwachstum noch die strikte Garantie von Preisniveaustabilität im Jahresverlauf erfordert, sondern im Gegenteil temporäre Abweichungen vom Referenzwert und vom Ziel Preisniveaustabilität erlaubt. Deshalb können vom Eurosystem herbeigeführte Strategieverfehlungen nicht an quantitativen Zielverfehlungen sichtbar werden, und es kann auch nicht deutlich werden, wer die Verantwortung für solche Zielverfehlungen trägt. Mangelnde Transparenz der geldpolitischen Strategie und unzureichende Verantwortlichkeit der geldpolitischen Entscheidungsträger sind deshalb die zentralen Kritikpunkte, die am Konzept des Eurosystems geübt werden und die nachfolgend behandelt werden sollen.

39

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems III. Mangelnde Transparenz der geldpolitischen Strategie ?

Hinsichtlich der von einer Notenbank verfolgbaren Kommunikationsstrategie lassen sich zwei Extremfälle unterscheiden, die als Ex-ante Transparenz und als Ex-post Transparenz bezeichnet werden (Favero et al., 2000a, S. XII): Eine Notenbank verhält sich ex ante transparent, wenn sie deutlicht macht, wie sie ihre von außen vorgegebenen Ziele zu erreichen beabsichtigt; eine Notenbank verhält sich ex post transparent, wenn sie erklärt, ob sie von ihr selbst vorgegebene Ziele erreicht hat. Damit ist die Transparenz der Geldpolitik eng mit der Unabhängigkeit der Notenbank verbunden: Eine Notenbank, die Ex-ante Transparenz schafft, verfügt über Unabhängigkeit hinsichtlich des geldpolitischen Instrumentariums, nicht aber hinsichtlich der verfolgten Ziele, d. h. sie ist lediglich „Instrument independent", nicht „goal independent".5 Demgegenüber besitzt eine Notenbank mit Ex-post Transparenz sowohl „instrument independence" als auch „goal independence". Tabelle 1 Transparenz von Notenbanken im internationalen Vergleich Zentralnotenbank Unabhängigkeit bei Zielvorgabe European Cenja tral Bank

Zielgröße

Numerischer Zielwert

Publikationen

keine

nein

monatlich

Federal Reserve System

ja

keine

nein

halbjährlich

Bank of Japan

ja

keine

nein

monatlich

Bank of England

nein

Inflationsziel

ja

quartalsweise

Bank of Canada

gemischt

Inflationsziel

ja

halbjährlich

Schwedische Reichsbank

ja

Inflationsziel

ja

quartalsweise

Bank of Israel

nein

Inflationsziel

ja

halbjährlich

Reserve Bank of Australia

gemischt

Inflationsziel

ja

quartalsweise

Reserve Bank of New Zeeland

gemischt

Inflationsziel

ja

quartalsweise

Quelle: Favero et ai, 2000a, S. 28. 5 Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen „instrument independence" und „goal independence" vgl. Debelle / Fischer ( 1994).

40

Uwe Vollmer

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die von verschiedenen Notenbanken gewählte Form der Transparenz. Als gutes Beispiel für eine Notenbank mit Exante Transparenz gilt seit einigen Jahren die Bank of England, der vom britischen Schatzamt ein jährliches numerisches Inflationsziel vorgegeben wird und die in ihrem vierteljährlichen Inflationsreport der Öffentlichkeit gegenüber erläutert, wie sie dieses Ziel im kommenden Quartal bei Auftreten verschiedener Umweltzustände zu erreichen beabsichtigt (Buiter, 1999, S. 7; Favero et al., 2000a, S. 26f.). Damit wird die Geldpolitik zu einer eher technischen Aufgabe, die darin besteht zu entscheiden, welche Maßnahmen unter welchen Umweltzuständen am geeignetsten erscheinen, um das vorgegebene numerische Ziel zu realisieren. Ähnliche Kommunikationsstrategien wenden auch die übrigen, in Tabelle 1 unterhalb der Bank of England aufgeführten Notenbanken an, die ebenfalls ein numerisches Inflationsziel zu erreichen versuchen und über die Zielrealisation regelmäßig berichten. Im Unterschied hierzu gilt das Eurosystem als Beispielfall für eine Notenbank mit Ex-post Transparenz; ähnlich verhalten sich, wie aus Tabelle 1 deutlich wird, auch das amerikanische Federal Reserve System und die Bank of Japan. Wie schon früher die Deutsche Bundesbank, will auch das Eurosystem sich nicht am Erreichen eines von außen gesetzten numerischen Ziels messen lassen und skizziert in seinen Veröffentlichungen nicht die für die Zukunft beabsichtigten geldpolitischen Schritte, sondern erläutert lediglich die in der jüngeren Vergangenheit getroffenen Maßnahmen. Das Eurosystem weist als Begründung für diese von ihm gewählte Form der Transparenz darauf hin, dass der Maastrichter Vertrag die Vorgabe eines direkten Inflationsziels durch die Regierungen untersagt, um zu verhindern, dass die Geldpolitik wechselnde Zielsetzungen verfolgt, die kurzfristigen politischen Einflüssen und nahenden Wahlterminen unterworfen sind (Issing, 2000, S. 25). Darüber hinaus hat das Eurosystem bis Ende 2000 auch darauf verzichtet, die im Rahmen der zweiten Säule seiner Strategie selbst angefertigten Inflationsprognosen zu veröffentlichen, um die Bildung von Inflationserwartungen nicht zu erschweren. Dieses Vorgehen wurde damit begründet, dass solche Inflationsprognosen als Input in den geldpolitischen Entscheidungsprozeß eingehen und mithin lediglich bedingte Prognosen über die zukünftige Inflationsentwicklung bei geldpolitisch unveränderten Zinssätzen darstellen. Deshalb werden die Prognosen nicht eintreten, sofern der EZB-Rat einen geldpolitischen Entscheidungsbedarf sieht und die Zinssätze für geldpolitische Geschäfte ändert; umgekehrt lösen veränderte Inflationsprognosen im Rahmen des Zwei-Säulen-Konzepts nicht zwangsläufig Leitzinsänderungen aus, wenn die Geldmengenentwicklung hierzu keinen Anlass gibt. Letztlich ist die Reaktion des Eurosystems auf neue Inflationsprognosen nicht mechanisch, sondern hängt ab vom politischen Urteil der Entscheidungsträger: „Policy makers will always need to exercise a policy judgement in deciding how to interpret the staff forecast and the

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

41

uncertainties around it. This exercise of judgement is part of what has been called the ,art of central banking4 - it is what distinguished policy making from a purely mechanical or technical exercise. ... it certainly should be clear that monetary policy decisions do not feed back from deviations of the inflation forecast (based on the assumption of unchanged policy interest rates) from an inflation target at a specific time horizon." (Issing, 2000, S. 27 f.). Im Dezember 2000 hat das Eurosystem diesbezüglich seine Vorgehensweise geändert und erstmals eine bedingte Inflationsprognose für die Jahre 2000, 2001 und 2002 veröffentlicht (Europäische Zentralbank, 2000d, S. 54 ff.). Diese Prognosen gelten nicht nur unter der Annahme konstanter kurzfristiger Zinssätze, sondern unterstellen auch einen konstanten Euro-Wechselkurs. Darüber hinaus sind sie als Band formuliert, dessen Breite dem „Doppelten des Durchschnitts der absoluten Werte der Differenz zwischen den tatsächlichen Entwicklungen und früheren makroökonomischen Prognosen" entspricht, die von den NZBen bereits in den Vorjahren erstellt wurden (Ebenda, S. 55). 6 Trotz dieser zusätzlichen Informationen, ermöglicht das Eurosystem mitdieser Kommunikationsstrategie ein nur geringes Maß an Transparenz, das der Öffentlichkeit ein verlässliches Urteil über die verfolgte Strategie erschwert: Unklar bleibt, welches relative Gewicht der EZB-Rat den beiden Säulen seiner Strategie beimisst und wie er reagiert, wenn Geldmengenwachstum und Inflationsprognose sich unterschiedlich entwickeln; zudem bleibt offen, welche Bedeutung der Wechselkursentwicklung bei geldpolitischen Entscheidungen beigemessen wird. Darüber hinaus kann die Öffentlichkeit auch aus einen Soll-Ist-Vergleich zwischen jährlichem geldpolitischen Zielvorgaben und tatsächlicher Zielerreichung in der Vergangenheit nicht auf die verfolgte Strategie schließen. Das Problem liegt zum einen darin, dass die jährlichen Zielvorgaben nicht bekannt sind, denn das Eurosystem behält sich ja ausdrücklich vor, sowohl vom Referenzwert für das Geldmengenwachstum als auch vom Prognosewert für die Inflationsentwicklung abzuweichen und kurzfristig einen Preisniveauanstieg zuzulassen, der über 2 % hinausgeht, weil Preisniveaustabilität ja lediglich mittelfristig garantiert werden soll. Niemand (auch nicht beispielsweise das Europäische Parlament) verfügt damit über eine „Meßlatte", an der die Leistung des Eurosystems beurteilt werden kann (De Haan, Eijffmger, 2000, S. 398). Zum anderen ist unklar, wie diese mittlere Frist definiert ist und über welchen Zeitraum gemessen die durchschnittliche Inflationsrate in dem mit Preisniveaustabilität als vereinbar angesehenen Rahmen von 0 % bis 2 % liegen soll. Deshalb müssen erst einige Jahre vergehen, bis die Öffentlichkeit zu verifizieren imstande ist, ob das Eurosystem die vorgegebene Strategie einhält oder ob es systematisch von ihr abweicht.

6

Die Prognosen betragen 2,3 bis 2,5 % für 2000, 1,8 bis 2,8 % für 2001 und 1,3 bis 2,5% für 2002.

42

Uwe Vollmer

Über einen kürzeren Zeitraum betrachtet ist solch eine Einschätzung auf Grundlage der vom Eurosystem verfolgten Kommunikationsstrategie nicht möglich. Dies hat in jüngerer Zeit bereits Anlass zur Verwirrung gegeben: Tabelle 2 gibt die Entwicklung der wichtigsten vom Eurosystem festgelegten Zinssätze (des Zinssatzes für Hauptrefinanzierungsgeschäfte, des Zinssatzes für die Einlagefazilität und des Zinssatzes für die Spitzenrefinanzierungsfazilität) wieder und zeigt, dass es im April 1999 zu einer Zinssenkung für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um 50 Basispunkte kam, die im Spätherbst wieder zurückgenommen wurde. Manche Beobachter vermuteten, dass diese Zinssenkung einen Strategiebruch seitens des Eurosystems darstellte und im Hinblick auf die konjunkturelle Situation in Italien und Deutschland erfolgte. Tabelle 2 EZB-Zinssätze (in % p. a.) Zeitpunkt

Einlagefazilität

Hauptrefinanzierungsgeschäfte

Mengentender

Zinstender

Festsatz

Mindestbietungssatz

Spitzenrefinanzierungsfazilität

1999 1. Januar 4. Januar 22. Januar 9. April 5. November

2,00 2,75 2,00 1,50 2,00

3,00 3,00 3,00 2,50 3,00

/ / / / /

4,50 3,25 4,50 3,50 4,00

2,25 2,50 2,75 3,25 3,25 3,50 3,75

3,25 3,50 3,75 4,25 / / /

/ / / / 4,25 4,50 4,75

4,25 4,50 4,75 5,25 5,25 5,50 5,75

2000 4. Februar 17. Mai 28. April 9. Juni 28. Juni 1. September 6. Oktober

Quelle: Europäische Zentralbank, Monatsbericht, 2. Jg., Frankfurt Dezember, S. 8*.

Tatsächlich zeigen Simulationsstudien, dass sich die faktische Geldmarktzinsentwicklung im Eurowährungsraum mit zwei alternativen Hypothesen vereinbaren lässt: Der Hypothese, dass das Eurosystem seiner angekündigten Strategie tatsächlich gefolgt ist, und der Hypothese, dass das Eurosystem einen Strategiebruch begangen und besonderes Gewicht auf die makroökonomische Ent-

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

43

wicklung in den beiden genannten Ländern gelegt hat (Favero et al., 2000a, S. 19 ff.). Bislang ist damit die Geldpolitik des Eurosystems noch undurchschaubar, und es ist schwer zu beurteilen, welche Strategie es tatsächlich verfolgt; „(o)n the basis of its deeds and words to date, it is hard to judge what kind of animal the ECB is." (Favero et al., 2000a, S. 21). Folge solch einer mangelnden geldpolitischen Transparenz kann ein Vertrauensverlust der Marktteilnehmer und ein Anstieg der von ihnen erwarteten Inflationsrate sein. Dies zeigen Eijffinger / Hoeberichts (2000, S. 7 ff.) in einem geldpolitischen Modell vom Barro / Gordon-Typ, in dem seitens der Öffentlichkeit Unklarheit über die von der Notenbank verfolgten Zielsetzungen herrscht; es wird unterstellt, dass das Gewicht des Inflationsziels in der Präferenzfunktion der Notenbank nicht konstant ist, sondern innerhalb eines Wertebereichs schwankt; dieser ist umso größer, je weniger transparent sich die Notenbank verhält. Die Analyse zeigt, dass mit abnehmender geldpolitischer Transparenz die von den Marktteilnehmern erwartete Inflationsrate ansteigt und damit auch die von der Notenbank herbeigeführte zeitkonsistente Inflationsrate zunimmt.7 Konsequenz ist ein Inflationsbias, der sich nur durch eine erhöhte geldpolitische Transparenz beseitigen lässt.8

IV. Verantwortlichkeit der geldpolitischen Entscheidungsträger Die Möglichkeit, dass das Eurosystem geldpolitische Beschlüsse in Hinblick auf die makroökonomische Entwicklung in einzelnen Ländern getroffen hat, leitet über zum zweiten Kritikpunkt an der geldpolitischen Strategie, nämlich zu der Frage, wer die Verantwortung für getroffene geldpolitische Beschlüsse trägt. Auch hier lassen sich konzeptionell wieder zwei extreme Positionen unterscheiden, die als kollegiale Verantwortlichkeit und als individuelle Verantwortlichkeit bezeichnet werden können (Favero et al., 2000a, S. XII): Bei kollegialer Verantwortlichkeit werden lediglich die Abstimmungsergebnisse des Entscheidungsgremiums bekannt gegeben, während das individuelle Abstimmungsverhalten einzelner Gremienmitglieder unveröffentlicht bleibt; darüber hinaus sind die Amtszeiten der Entscheidungsträger relativ lang und eine Wiederwahl ist nicht möglich. Demgegenüber wird bei individueller Verantwortlichkeit das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Entscheidungsträgers publi-

7

Zugleich steigt aber die Fähigkeit der Notenbank, gesamtwirtschaftliche Angebotsschocks zu stabilisieren. 8 Dies wird auch von geldpolitischen Praktikern so gesehen, wie die Ergebnisse einer Umfrage unter 127 Zentralbankpräsidenten aus dem Jahr 1998 zeigen: Die Respondenten gaben an, dass Glaubwürdigkeit wichtig ist, um die Inflationsrate niedrig zu halten, und dass Transparenz ein geeignetes Mittel ist, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Vgl. Blinder (1999), insbesondere Tabellen 1 und 2.

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ziert; die Amtszeiten sind typischerweise kurz, aber eine Wiederwahl ist möglich. Die nachfolgende Tabelle 3 zeigt, dass beide Positionen in Notenbankverfassungen verschiedener Währungsräume Eingang gefunden haben. Ein gutes Beispiel für eine Notenbank mit individueller Verantwortlichkeit ist wiederum die Bank of England, die nach einer relativ kurzen Sperrfrist von 2 Wochen die Sitzungsprotokolle des „Monetary Policy Committee", des obersten geldpolitischen Entscheidungsgremiums, veröffentlicht. Darüberhinaus werden die Abstimmungsergebnisse publiziert, und wenngleich auch nicht veröffentlicht wird, welche Person wie abgestimmt hat, lassen sich individuelle Positionen aus den Sitzungsprotokollen ableiten (Favero et al., 2000a, S. 29). Die Amtszeit der Mitglieder des Entscheidungsgremiums ist mit drei Jahren relativ kurz, aber eine Wiederwahl ist möglich. Tabelle 3 Verantwortlichkeit der geldpolitischen Entscheidungsträger im internationalen Vergleich Zentralnotenbank

Individuelle Position

Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle nein

Sperrfrist in Wochen

Abstimmungsergebnisse publiziert

-

-

/

Federal Reserve System

ja

6

ja

identifizierbar

Bank of Japan

ja

4

ja

identifizierbar

Bank of England

ja

2

ja

indirekt identifizierbar

Bank of Canada

ja

5

ja

nein

Schwedische Reichsbank

ja

2

erwähnt

identifizierbar

Bank of Israel

nein

/

/

/

Reserve Bank of Australia

nein

/

/

/

Reserve Bank of New Zeeland

nein

/

/

/

EZB

Quelle: Favero et al., 2000a, S. 31.

Im Gegensatz hierzu ist das Eurosystem (nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank) ein Beispiel für eine Notenbank mit kollegialer Verantwortlich-

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

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keit. Oberstes Entscheidungsgremium ist der EZB-Rat, der sich aus den sechs Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidentender (ab 1.1.2001) 12 NZBen der Mitgliedsländer zusammensetzt, die den Euro eingeführt haben. Beschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit getroffen, wobei jedes anwesende Mitglied über eine Stimme verfügt und bei Stimmengleichheit die Stimme des Präsidenten entscheidet.9 Das Eurosystem veröffentlicht die Sitzungsprotokolle nicht, wenngleich seiner Auffassung nach die monatlich vom Präsidenten abgehaltene Pressekonferenz einer Veröffentlichung sehr nahe kommt. Die Abstimmungsergebnisse über die im EZB-Rat getroffenen Entscheidungen werden nicht publiziert, so dass auch individuelle Positionen nicht nachvollziehbar sind; möglicherweise bestehende Auffassungsunterschiede sind damit nicht erkennbar. Die Amtszeit der Direktoren ist mit 8 Jahren relativ lang, und eine Wiederwahl ist nicht möglich. Die Amtszeit der übrigen Mitglieder im EZB-Rat beträgt mindestens 5 Jahre und bemisst sich nach den nationalen Rechtsvorschriften. 10 In all diesen Notenbanken werden Entscheidungen in den zuständigen Gremien nach einer Mehrheitsregel getroffen, die bestehende Meinungsunterschiede zwischen den Gremienmitgliedern zu einer Gesamtentscheidung zusammenfassen. Solche Meinungsunterschiede können zwei Ursachen haben und durch unterschiedliche Präferenzen über die anzustrebenden geldpolitischen Ziele oder durch Informationsunterschiede über die Funktionsweise der Volkswirtschaft und den bestmöglichen Einsatz geldpolitischer Instrumente zur Verwirklichung gegebener Ziele begründet sein (Favero et al., 2000, S. 25 ff.): Der Vorteil einer Individualverantwortlichkeit besteht darin, dass durch Publikation der individuellen Entscheidungen und kurze Amtszeiten, verbunden mit der Möglichkeit zur Wiederwahl, eine starke Anreizwirkung auf den einzelnen Entscheidungsträger ausgeübt wird, sich bestmöglich über den Zustand der Volkswirtschaft und den Transmissionsmechanismus monetärer Impulse zu informieren. Damit ist eine Individualverantwortlichkeit für eine Notenbank zu empfehlen, deren Entscheidungsgremium (wie das Monetary Policy Committee der Bank of England) sich nicht über die anzustrebenden geldpolitischen Ziele, sondern über den bestmöglichen Weg zur Verwirklichung extern vorgegebener Ziele zu entscheiden hat. Umgekehrt liegt der Vorteil einer Kollegialverantwortlichkeit darin, dass die fehlende Publikation von Abstimmungsergebnissen, lange Amts9 Eine Ausnahme bilden Beschlüsse über bestimmte finanzielle Angelegenheiten, bei denen eine Stimmengewichtung erfolgt und u. U. eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. 10 Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat beispielsweise eine Amtszeit von ebenfalls 8 Jahren.

46

Uwe Vollmer

zeiten und die fehlende Wiederwahlmöglichkeit den einzelnen Entscheidungsträger vor zu großem Druck schützen, seine Entscheidungen der Öffentlichkeit gegenüber begründen zu müssen. Diese Schutzfunktion erweist sich als zweckmäßig, wenn das Entscheidungsgremium der Notenbank die Aufgabe hat, einen Konsens über die anzustrebenden geldpolitischen Ziele zu finden; solch eine Konsensfindung ist einfacher, wenn sich die individuellen Entscheidungsträger nicht ständig öffentlich rechtfertigen müssen. Deshalb führen Vertreter des Eurosystems die Schutzfunktion einer Kollegialverantwortlichkeit als Begründung für die fehlende Publikation individueller Abstimmungsergebnisse an. Sie soll verhindern, dass die Mitglieder des Zentralbankrates, die von ihren nationalen Regierungen entsandt wurden, einer ständigen Beweispflicht unterliegen, dass sie ihre Entscheidungen aus persönlicher Überzeugung und nicht aus nationalem Interesse getroffen haben; gleichzeitig soll sie dazu beitragen, dass die Angehörigen des EZB-Rats eine das gesamte Euro-Währungsgebiet umfassende Perspektive einnehmen (De Haan / Eijffinger, 2000, S. 400). „Members of a committee with a clearly defined mandate should concentrate on making their individual best judgement and their best contribution to the collective decision-making process. Anything that focuses attention on personalities or nationalities, rather than on issues, is likely to distract from this task, to encourage attempts to ,play for the gallery4 and thus, ultimately, to compromise personal independence....44 (Issing, 1999, S. 13). Diese Argumentationslinie legt die Schlussfolgerung nahe, dass die vom Eurosystem bislang gewählte Kollegialverantwortlichkeit tatsächlich solange von Vorteil ist, wie die wirtschaftliche Integration im Eurowährungsraum noch gering ist und asymmetrische, länderspezifische Störungen auftreten. Diese können zu unterschiedlichen regionalen Inflationsraten und damit zu unterschiedlichen regionalen Präferenzen über die mit der Geldpolitik zu verwirklichenden Ziele führen. In diesem Fall schützt die Kollegialverantwortlichkeit die einzelnen Zentralbankratsmitglieder vor zu starkem öffentlichen Druck, „für die Galerie44 in ihren Heimatländern zu spielen und die Gemeinschaftsentwicklung aus den Augen zu verlieren. Deshalb muss derzeit auf eine mögliche Anreizwirkung eines Wettbewerbs zwischen den Entscheidungsträgern, der durch eine Individualverantwortlichkeit ausgeübt wird, noch verzichtet werden. Umgekehrt sollte aber mit zunehmender wirtschaftlicher Integration des Eurowährungsraumes, durch die nationale Auswirkungen länderspezifischer Störungen abnehmen, über eine Verfahrensänderung hin zu einer Individualverantwortlichkeit nachgedacht werden, um die Anreizwirkungen für die geldpolitischen Entscheidungsträger zu verbessern, kompetente Sachentscheidungen zu treffen. Solange dies noch nicht der Fall ist, müsste an einer Kollegialverantwortlichkeit festgehalten werden, die allerdings derzeit noch nicht sehr weitgeht und in einem wichtigen Punkt beispielsweise von der im Bundesbankgesetz für die Deutsche Bundesbank vorgesehenen Form abweicht: Zwar hat das Europäische

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

47

Parlament die Möglichkeit, die Geldpolitik zu überwachen und Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank zur Berichterstattung vorzuladen; Präsident Duisenberg hat bereits seine Bereitschaft erklärt, mindestens viermal jährlich vor dem Parlament Bericht zu erstatten. Jedoch verfügt das Europäische Parlament über keinerlei Sanktionsmöglichkeiten, da ein Statuswechsel der Europäischen Zentralbank nur durch Beschluss aller Mitgliedsländer vorgenommen werden kann (und nicht per einfacher Mehrheit, wie es das Bundesbankgesetz für die Bundesbank vorsieht). Mithin verfügt das Europäische Parlament über keine Möglichkeit, durch Androhung eines Statuswechsels Einfluss auf die Geldpolitik zu nehmen und einen geldpolitischen Kurswechsel herbeizuführen, der den Präferenzen der gewählten Politiker mehr entspricht (De Haan / Eijffinger, 2000, S. 402).

V. Zusammenfassung Die Europäische Zentralbank verfügt im Vergleich zu anderen wichtigen Notenbanken über ein hohes Maß an formaler Unabhängigkeit und praktiziert zugleich ein geringes Maß an geldpolitischer Transparenz und Verantwortlichkeit. Die geringe Transparenz folgt daraus, dass die EZB der Öffentlichkeit gegenüber keine verbindlichen Zielvorgaben mitteilt, an deren Einhaltung kontrolliert werden kann, inwieweit die angekündigte Strategie auch umgesetzt wird. Die geringe Verantwortlichkeit folgt daraus, dass das Eurosystem gezwungen ist, eine Form der Kollegialverantwortlichkeit zu praktizieren, und dass das Europäische Parlament derzeit über keinerlei Sanktionsmechanismen gegenüber der Notenbank verfügt. Da geldpolitische Transparenz ein wichtiges Argument zur Stabilisierung von Inflationserwartungen zu sein scheint, müsste das Eurosystem sich hier um Fortschritte bemühen. Dies sollte durch Vorgabe von quantitativen Zielgrößen für die Geldpolitik erreicht werden, an deren Einhaltung sich die Europäische Zentralbank messen lassen muss. Weil kurzfristig auch nicht-monetäre Variablen auf die jährlichen Preissteigerungsraten Einfluss nehmen, die durch die Geldpolitik nicht kontrolliert werden können, sollte das Wachstum der Basisgeldmenge als Zielgröße verwendet werden. Deren Entwicklung ist bei geeignetem Instrumenteneinsatz vollständig durch das Eurosystem kontrollierbar, so dass die Europäische Zentralbank eindeutig für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden kann.

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Uwe Vollmer Litera tu rverzeich η is

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4 Paraskewopoulos

Der Euro - eine Leitwährung ? Zu den internationalen Geldfunktionen des Euro Von Hans-Heribert Derix

I. Der Euro im Meinungsstreit zwischen enttäuschten Erwartungen, erwarteten Enttäuschungen und nüchternem Optimismus Bereits vor seiner Einführung war der Euro in Deutschland unter den Ökonomen Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen. Im August 1997 bereits sprachen sich in einer öffentlichen Erklärung 59 Ökonomen für den vorgesehenen Einführungstermin aus, im Februar 1998 166 Ökonomen in einem Manifest „Der EURO kommt zu früh" dagegen. Nach Einführung des Euro steht dessen Dollarparität und damit dessen Wechselkursentwicklung im Mittelpunkt einer auch NichtÖkonomen bewegenden Dauerdiskussion, wie u. a. die nahezu täglichen Schlagzeilen der Printmedien belegen. Die Überschriften in den Wirtschaftsteilen überregionaler deutscher Tageszeitungen beispielsweise zwischen Juni und August 2000 vermelden u. a. „Euro-Aufschwung endet in Apathie"1. „Euro wieder auf Talfahrt" 2, „Kein Appetit auf Euro" 3, „Unter den Marketingexperten, die seit Monaten auf Basis wirtschaftlicher Fundamentaldaten eine Aufwertung des Euro vorhersagen, steigt die Frustration täglich"4. Ende November 2000 sahen die Mitglieder des „EMU Monitor" in der gegenüber dem Wachstum in den USA geringeren Wachstumsrate des Euro-Raums und in den konjunkturbehindernden strukturellen Verkrustungen in Europa die Gründe für die Kursschwäche des Euro, der daher entgegen der Einschätzung der EZB nicht zu niedrig bewertet sei.5 Wenn die vielen internationalen Anleger ihre hohen Euro-Bestände verkaufen würden, könne der Euro-Kurs noch sehr viel weiter fallen. 6 Eher „gelassener" beurteilen andere Ökonomen die Kursentwicklung des Euro. So konstatierte beispielsweise Rüdiger Pohl, Prä1

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Juni 2000. Financial Times Deutschland vom 3. August 2000. 3 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. August 2000. 4 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. August 2000. 5 Bericht „Der Euro ist aus guten Gründen schwach", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 11.2000. 6 Ebenda. 2

*

52

Hans-Heribert Derix

sident des IWH Halle, im „Zeitgespräch des Wirtschaftsdienstes" zum Thema „Der Niedergang des Euro" unter der Überschrift „Der Fall des Euro: Kein Grund zur Panik": „Für die emotionale Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist der Kursfall des Euro ohne Zweifel ein herber Rückschlag. Der Euro ist durch die Kursbewegungen der letzten Monate keineswegs disqualifiziert. Was der Euro wert ist, läßt sich nicht bereits im Jahr eins seiner Existenz feststellen. Warten wir doch erst einmal ab, wie sich der Euro mittelfristig entwickelt...Dass der Euro gegenwärtig eine schlechte Presse hat, liegt schließlich auch daran, dass die Wechselkursabwertung der Erwartung widerspricht, der Euro würde dem US-Dollar Marktanteile in der Welt abnehmen. Aufgrund der Größe des Euro-Wirtschaftsraumes sollte der Euro im Vergleich zu seinen Vorgängerwährungen (auch der D-Mark) ein größeres Gewicht als internationale Transaktionswährung erlangen, der Dollar sollte Anteile verlieren. Als Reservewährung und Denominationswährung für internationale Kapitaltitel sollte der Euro mehr Gewicht haben als die vorherigen Währungen in der Summe.7 Wenn das die Erwartungen waren, sind sie jedenfalls bisher enttäuscht worden. Das heißt aber nicht, dass der Euro zweitklassig ist und es bleibt. Unterstellt, die europäische Wirtschaft zeigt Leistung, wird sich das auf die Dauer auch in der verstärkten Nutzung des Euro in der Welt niederschlagen. Es geht ja nicht um die Verdrängung des Dollar, mehr um die Koexistenz zweier beherrschender Währungen in der Welt... Dieser Prozess braucht Zeit."8

II. Der Euro als Leitwährung - Erwartungen zur Rolle des Euro als internationale Währung Die hier zuletzt angesprochenen internationalen Geldfunktionen des Euro und die auf sie bezogenen Erwartungen sind Gegenstand dieses auf eine Skizze beschränkten, einführenden Beitrags. Die mit der Einführung des Euro verbundenen Erwartungen knüpfen dabei an an ein Ereignis, das eingeschätzt wird u. a. als die weitestreichende Veränderung des internationalen WährungsgefÜges seit dem Zusammenbruch des Festkurssystems von Bretton Woods und dem Übergang zu weitgehend flexiblen Wechselkursen zu Beginn der 70er Jahre9, als vielleicht sogar das wichtigste wirtschaftspolitische Ereignis „der ganzen Nachkriegszeit"10, als tiefster Einschnitt in die internationale Währungsordnung seit dem Zusammenbruch des Gold-Dollar-Standards Anfang der 70er Jahre11. Daher ist es verständlich zu 7

Pohl, 1999, S. 399. Ebenda, S. 401. 9 Schönberg, 1999, S.24. 10 Müller / Straubhaar, 1998, S. 285. M Herz / Cieleback, 1999, S. 195. 8

Der Euro - eine Leitwährung?

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fragen, welche Rolle der Euro als internationale Währung künftig einnehmen wird. Mit der Einführung des Euro verbinden sich häufig hochgespannte Erwartungen bezüglich der künftigen Rolle des Euros im Weltwährungssystem., von der die überwiegende Zahl der Beobachter annimmt, dass der Euro eine bedeutendere internationale Rolle spielen werde, als die vormals 10 europäischen Währungen insgesamt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Antwort auf die Frage nach der künftigen Rolle des Euro in den globalen Finanz- und Währungsbeziehungen und dem Zeitbedarf entsprechender Entwicklungen zu geben, impliziert die Notwendigkeit, von bestimmten Annahmen hinsichtlich des wahrscheinlichen künftigen Verhaltens von Marktteilnehmern und wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern auszugehen. Denn eine Leitwährung wird nicht durch politisch-staatliche Beschlüsse geschaffen oder gar dekretiert, sondern erwächst aus einem Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf eine Währung von privaten Wirtschaftssubjekten und von öffentlichen Institutionen freiwillig und in großem Umfang als Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel sowie als Wertmaßstab bzw. Recheneinheit gegenüber anderen Währungen präferiert wird. Während im nationalen Bereich eine Währung und deren Transaktions- und Recheneinheitsfunktion vom staatlichen Gesetzgeber festgelegt wird, lassen sich eine Währung und insbesondere die Erfüllung internationaler Geldfunktionen international nicht verordnen, sondern werden vornehmlich durch die Nachfragebedingungen auf den internationalen Märkten bestimmt. Sehen „Euro-Optimisten" im Euro künftig eine Konkurrenzwährung zum USDollar, die dessen Vormachtstellung im internationalen Währungssystem sogar gefährden könnte, schätzen „Euro-Pessimisten" bzw. „Euro-Skeptiker" den Euro ein als eine europäische Regionalwährung, die bestenfalls die internationale Funktion der D-Mark übernehmen werde, die Hegemonialstellung des Dollars jedoch weitgehend unangefochten lasse. So verweist etwa Wolf Schäfer auf die gegenüber den Euro-Ländern stärkere Gewichtung der dynamischen Funktion von Markt, Wettbewerb und ökonomischer Ungleichheit in den USA. 12 Während Anpassungsprozesse im amerikanischen Modell vor allem über Preise und Löhne stattfänden, vollzögen sie sich im europäischen Modell primär über Mengen (Produktion, Beschäftigung) bei (nach unten) relativ starren Preisen, Löhnen und Marktregulierungen und implizieren insofern höhere Transaktionskosten. Da Wettbewerbsmärkte im Suchprozess nach zukunftsfähigen Lösungen allgemein tragfähigere Ergebnisse hervorbringen als staatlich-korporatistisch inspirierte Interventionsaktivitäten erscheine das amerikanische Modell grundsätzlich effizienter als das europäische. Solange sich diesbezüglich zwischen Nordamerika und Europa im wesentlichen nichts ändere, werde Europa das 12

Vgl. Schäfer, 1999, S. 64.

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Handicap einer relativen „low growth area" behalten und werden die USA in ihrer Funktion als dominante Ökonomie nicht ernsthaft gefährdet. Dann werde auch der US-Dollar in seiner Stellung als Hegemon im internationalen Finanzund Währungssystem unangefochten bleiben. Da hinzu komme, dass die mit dem Euro verbundene monetäre Egalisierung die Abschaffung des Wechselkurses als Anpassungsvariable impliziere, erscheine es im Hinblick auf die skizzierten Anpassungsmechanismen im „europäischen Modell" als nicht unwahrscheinlich, dass ein über die bisherige Intensität hinausgehendes europäisches Transferzahlungssystem als Wechselkursänderungssurrogat innerhalb des EuroRaumes praktiziert werde. Je mehr ein erhöhter innereuropäischer Finanzausgleich zur Realität würde, desto weniger effizient wäre dann die EURO-Region zu klassifizieren. Das Argument verstärke sich, wenn auch die EU-Erweiterung z. B. um die mittel- und osteuropäischen (MOE-) Staaten mit zusätzlichen Transfers an diese Länder einherginge. Je mehr also die EU-Programmatik der Vertiefung und Erweiterung in ihrem Anpassungsbedarf weniger auf Marktmechanismen denn auf staatlich und EU-zentral initiierte Verteilungsmechanismen setze, als desto weniger wettbewerbsfähig seien die institutionellen Reglements der EU insgesamt zu bewerten.13 Damit würden komparative Nachteile des „europäischen Modells" im Verhältnis zum „amerikanischen Modell" verstärkt: Der US-Dollar wäre erst recht als Hegemonialwährung ungefährdet. 14 Als möglicherweise realistisches Szenario sieht Schäfer eine Entwicklung des Euro, in dessen erster Phase die EZB zunächst die internationale Stellung des Euro stärke, dann aber in der zweiten Phase „vielleicht nach zwei oder vier Jahren" eine stärker beschäftigungs- und wechselkursorientierte Geldpolitik betreibe, die aufgrund der negativen Sanktionierung dieser Politik durch die internationalen Kapitalmärkte die internationale Rolle des Euro schwäche, so dass sich erst auf längere Sicht in einer dritten Phase nach Überwindung der Übergangsprobleme der Euro im Weltwährungssystem neben der Hegemonialwährung US-Dollar etabliere.15

I I I . Internationale Geldfunktionen als Konstitutiva einer Leitwährung So wie die Entwicklung einer Sprache zur Weltsprache davon abhängt, dass immer mehr Menschen diese Sprache auch über ihre Sprachgrenzen hinaus verwenden, hängt auch die Entwicklung einer Währung zur internationalen Währung von der Akzeptanz dieser Währung in anderen Ländern ab. Je mehr eine Währung international verwendet wird, desto vorteilhafter ist es, sie in internationalen Transaktionen zu verwenden. Die internationale Akzeptanz dieser Währung als Voraussetzung für deren Entwicklung zu einer Leitwährung 13 14 15

Schäfer, 1999, S. 64. Ebenda, S. 65. Ebenda, S. 68.

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erfordert internationales Vertrauen der währungnachfragenden Wirtschaftssubjekte nicht nur in die institutionelle Stabilität der geldpolitischen Rahmenbedingungen, sondern auch in die langfristige internationale güterwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaft(en), insbesondere auch in deren dauerhafte Anpassungsfähigkeit an den globalen wirtschaftlichen und technischen Strukturwandel. Sind die Wirtschaftssubjekte davon überzeugt, dass eine Währung die internationalen Geldfunktionen optimal erfüllt, wird sich eine Währung zur internationalen Währung entwickeln. Der Euro wird dementsprechend die Rolle eines „internationalen Geldes" wahrnehmen, wenn er die internationalen Geldfunktionen als internationales Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und als internationale Recheneinheit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor erfüllt. Mit der Häufigkeit der Verwendung einer Währung an den internationalen Finanzmärkten sinken die Kosten des Einsatzes dieser Währung als Recheneinheit und als Tauschmittel, so dass diese Währung für die Marktteilnehmer attraktiver und in ihrer Verbreitung weiter gefördert wird. Zunehmende Skalenerträge und Netzwerkexternalitäten und damit selbstverstärkende Prozesse prägen somit die internationale Wahrnehmung der Tauschmittel- und der Recheneinheitsfunktion einer Währung. Der Zeitbedarf des Prozesses der Ablösung einer Leitwährung durch eine andere wird nicht zuletzt auch mitbestimmt durch die langjährige Verwendung der bisherigen Leitwährung und damit durch vergangenheitsorientierte Beharrungstendenzen, somit durch Hystereseeffekte. Eine Übersicht über die internationalen Geldfunktionen einer Währung gibt Tabelle 1. Tabelle l Funktionen einer internationalen Währung Funktion

privater Sektor

öffentlicher Sektor

Zahlungsmittel

Transaktions- und Vehikelwährung Handelsfakturierung Denomination von Finanzaktiva

Interventionswährung

Wertaufbewahrungsmittel

Anlagewährung

Reservewährung

Recheneinheit

Fakturierung

Ankerwährung

Vgl. Bekx, 1998; Cohen, 1997, S.30; Kenen, 1983, S. 16; Schäfer, 1999, S. 69.

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Hans-Heribert Derix IV. Zur internationalen Zahlungsmittelfunktion des Euro der Euro als Transaktions- und Vehikelwährung

Als internationale Transaktionswährung würde der Euro verwendet werden, wenn er international die Funktion eines Zahlungsmittels im internationalen Güter- und Dienstleistungsverkehr sowie im Devisenhandel übernehmen würde. Ob und inwieweit eine Währung international als Transaktionswährung, insbesondere als Fakturierungswährung verwendet wird, hängt insbesondere ab von den Transaktions- und Informationskosten, die mit der Geldnutzung verbunden sind. Da die Nutzung einer geldwertstabilen Währung mit geringeren Kosten (Informations- und Preisänderungskosten) verbunden ist, bestimmt u. a. die Währungsstabilität die Eignung einer Währung als Transaktionswährung. Ein weiterer Einflussfaktor ist der sich aus der ökonomischen Bedeutung des jeweiligen währungemitierenden Wirtschaftsraums ergebende Welthandelsanteil, der mit zunehmender Größe die Informations- und Transaktionskosten der entsprechend „eingeübten" Ex- und Importeure senkt, so dass auch die Größe des Währungsraumes die internationale Transaktionseignung einer Währung beeinflusst. 16 Als Vehikelwährung im internationalen Devisenhandel wird eine Währung dann verwendet, wenn der Spread des direkten Handels in einem bilateralen Markt die Summe der Spreads für den direkten Handel über eine dritte Währung übersteigt.17 Aus den verfügbaren, weitgehend auf Schätzungen beruhenden Angabenüber die weltweiten Fakturierungsanteile der einzelnen Währungen im Außenhandel ergibt sich, dass während des ersten Jahrfünfts der neunziger Jahre und auch noch in den Jahren danach etwa die Hälfte des weltweiten Handels (48 v. H.) in Dollar denominiert wurde und damit das 3,5-fache des US-Anteils am internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr. Der Anteil der europäischen Währungen (EU-15) lag bei 31 v. H.), darunter der Anteil der D M bei etwa 15 v. H. und damit knapp das Doppelte des nationalen Anteils am internationalen Waren- und Dienstleistungsaustausch. Der Japanische Yen spielt hier mit einem Anteil von 5 v. H. nur eine relativ unbedeutende Rolle.18 Vor dem Hintergrund der Abhängigkeit des Fakturierungsanteils der einzelnen Währungen vom Anteil der jeweiligen Länder am Welthandel nehmen somit auch nach Einführung des Euro der US-Dollar und die D M die Funktion internationaler Fakturierungswährungen wahr. Aufgrund seines Fakturierungs16

Zu den Bedingungen der Verwendung einer Währung als internationale Transaktionswährung vgl. u. a. Herz / Cieleback, 1999, S. 198, Tavlas, 1998, S. 47 f. 17 Vgl. hierzu u. a. Hartmann, 1997, S. 6 ff. 18 Zu den Zahlenangaben vgl. u. a. ECU-Institute (ed.), 1995; International Monetary Fund, 1997, S. 71.

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anteils von knapp 50 v. H. kommt dabei dem US-Dollar als eindeutig dominierender Fakturierungswährung im Welthandel die Funktion der internationalen Vehikelwährung zu. Wird der Euro in naher Zukunft die Dominanz des US-Dollar als internationale Transaktionswährung, insbesondere als internationale Fakturierungswährung gefährden können, dem Dollar Fakturierungsanteile im internationalen Handel abnehmen oder gar den US-Dollar als dominierende internationale Fakturierungswährung ablösen können? Werden beispielsweise Unternehmen in Deutschland ihren Handel mit Unternehmen in Drittländern künftig in Euro anstatt wie bisher in US-Dollar abwickeln? Etwa weil der Euro-Wirtschaftsraum wesentlich größer als der bisherige DM-Wirtschaftsraum ist? Aufgrund des dominierenden Anteils des Intra-EWU-Handels am nichtnationalen Außenhandel der EWU-Teilnehmerländer wird zwar der Anteil des Euro am Welthandel im Vergleich zur Summe der Teilnehmerwährungen sinken. So schätzt McCauley19, dass der Anteil der europäischen Währungen am Welthandel dadurch auf 22 v. H. zurückgehen wird. Langfristig jedoch erwarten Beobachter und Analysten eine zunehmende Bedeutung des Euro als internationale Fakturierungswährung. Sie verweisen dabei zum einen auf den Zusammenhang zwischen der Größe eines Wirtschaftsraumes und der Entwicklung seiner Währung zur internationalen Fakturierungswährung und damit darauf, dass Bruttoinlandsprodukt und Marktanteil am Welthandel die EWU zum größten Wirtschaftsraum der Welt neben den USA gemacht haben.20 Hingewiesen wird auch auf das die internationale Transaktionsmittelfunktion begünstigende Sinken der Transaktionskosten aufgrund von Skaleneffekten des größeren Handelvolumens des EWU-Raums und den Liquiditätseffekt der gemeinsamen Währung.21 Durchgängig wird die Entwicklung des Euro zu einer international dominierenden Vehikelfunktion ländergruppenbezogen aus dem Zusammenhang zwischen der Intensität der Wirtschaftsbeziehungen zum Euro-Raum und der Wahrscheinlichkeit der Fakturierung dieses Handels in Euro begründet. Hervorgehoben wird hier insbesondere die Gruppe der mittelosteuropäischen Länder, auch unter Berufung auf das Wachstum der Handelsströme dieser Länder 22 und zusätzlich mit dem Argument des künftigen Beitritts dieser Länder zur Europäischen Union.23 Aus der Tatsache der Länder der EWU als bei weitem wichtigste Handelspartner und dem mit der Größe des Währungsgebiets der EWU erfolgten „Sprung von der Quantität der Handelsstruktur in die Qualität u. a. der Han19 20 21 22 23

McCauley, 1997. Vgl. u. a. Schönberg, 1999, S. 27.; Will, 1999, S.308; Zippel, 1999, S. 68. Vgl. u. a. Schönberg, 1999, S. 27; ähnlich Zippel, 1999, S. 68. Vgl. u. a. Schönberg, 1999, S. 27; ähnlich Zippel, 1999, S. 68. Vgl. u. a. Schäfer, 1999, S. 69; Schröder, 1999, S. 272.

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delsfakturierung und Zahlungsabwicklung" wird auf die Verwendung des Euro als Fakturierungswährung im Außenhandel der Noch-Nicht-Mitglieder der EWU, der Schweiz und der an die EU angrenzenden bzw. mit ihr assoziierten Regionen wie den Mittelmeerländern Nordafrikas und des Nahen Ostens geschlossen.24 Aus der Eigenschaft der EU als mit einem Importanteil von 33,9 v. H. wichtigster Handelspartner im Import schließlich wird als „sicher vorhersehbar" auf einen „stark und schnell" zunehmenden, möglicherweise über 90 v. H. liegenden Anteil der Euro-Denominierung der Importe der GCC-Staaten25 geschlossen.26 Die nicht selten auf Plausibilitätsargumenten beruhende perspektivische Argumentation zur künftigen Transaktionswährungs-, insbesondere zur Fakturierungsfunktion erwartet nicht wie die Europäische Kommission27 einen „strukturellen Bruch" der Handelsfakturierung zugunsten des Euro. Auch besteht ganz überwiegend Übereinstimmung darüber, dass der Dollar mittelfristig die Nummer 1 bei der Fakturierung des internationalen Handels bleiben wird, insbesondere aufgrund der bereits erwähnten Tatsache, dass der in Dollar fakturierte weltweite Handel fast um das Vierfache höher ist als die amerikanischen Exporte 28 und die ölpreisnotierungen an den internationalen Rohstoffmärkten überwiegend in Dollar ausgedrückt sind. Ob der Euro im internationalen Devisenhandel eine international dominierende Vehikelfunktion einnehmen wird, hängt von entsprechenden eindeutigen Verhaltensänderungen der Akteure an den Devisenmärkten ab, die jedenfalls vorerst nicht seriös prognostizierbar sind 29 und nicht zuletzt von der Entwicklung des Euro als Anlage-, Reserve- und Ankerwährung. Dass die Bedeutung des Euro als internationale Transaktionswährung zunehmen und sich in einem steigenden Fakturierungsanteil niederschlagen wird, ist weitgehend unbestritten, wobei die quantitative Dimension dieser Entwicklung überwiegend offen bleibt. Auch unter Berücksichtigung erfahrungsgemäß zu erwartender Hystereseeffekte schätzen (deutsche) Banker den Weltfakturierungsanteil des Euro etwa im Jahre 2010 auf 35 v. H. 3 0

24

Vgl. u. a. Schäfer, 1999, S. 69; Schröder, 1999. Golf-Kooperations-Staaten (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) 26 So Zeppernick, 1999, S.37. 27 Bekx, 1998. 28 IMF World Economic Outlook. 29 Vgl. im wesentlichen übereinstimmend Kenen, 1998 sowie Schäfer, 1999, S.70. 30 So u. a. Deutsche Bank Research, EWU-Monitor, Nr. 48 vom 17. 3. 1998, S. 9. 25

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V. Der Euro als Ankerwährung zum Euro als internationale Recheneinheit Die Funktion als Ankerwährung wird der Euro über den Kreis der Teilnehmerländer des Wechselkursarrangements des EWS II hinaus wahrnehmen, wenn er zum „Orientierungsanker" für die Wechselkurspolitik von Drittländern würde. Voraussetzung dafür ist, dass der Euro als Ankerwährung wertstabiler ist als die jeweils eigene Währung eines Landes und so über die Ankerwährung Stabilität importiert werden kann. Dabei ist weniger entscheidend, ob die aktuellen Inflationsraten einer potentiellen Ankerwährung niedrig sind, sondern vielmehr die künftige Wertstabilität dieser Währung und darauf gerichtete Erwartungen. Es bedarf dazu des Vertrauens in die strenge Stabilitätsbindung der Geld- und Finanzpolitik des Ankerwährungslandes. Aufgrund des Stabilitätsvorsprungs der Ankerwährung ist die Bindung von Drittländern an einen solchen Anker für deren Desinflationspolitik vorteilhaft. Erwartet wird, dass die Länder Mittel- und Osteuropas mit enger Handelsverflechtung mit dem EWU-Wirtschaftsraum, die einen Währungsrat (currency board) mit fester Anbindung an die DM (Bulgarien, Estland) haben bzw. einen Währungskorb mit einem hohen DM-Anteil (Polen 35 v. H., Slowakei 60 v. H.) oder deren Managed Floating sich an der D M orientiert (Tschechien)31 den Euro als offiziellen Währungsanker wählen bzw. dem Euro ein größeres Gewicht als bisher der D M oder der Summe der Euro-Teilnehmerwährungen einräumen werden. 32 Auch die bisher am französischen Franc orientierten afrikanischen Staaten dürften sich möglicherweise für den Euro als Ankerwährung entscheiden.33 Die dominierende Rolle des US-Dollars auch als Ankerwährung wird sich jedoch nicht ändern, da diejenigen Länder Lateinamerikas, des Nahen Ostens sowie Südost- und Ostasiens, die den Dollar als Ankerwährung benutzen, dies auch weiterhin tun werden und diese Regionen einen größeren Wirtschafts- und Währungsraum umfassen als die Kandidaten für eine Orientierung am Euro als Ankerwährung. Der Euro könnte somit neben dem US-Dollar die Funktion einer (zweiten) internationalen Ankerwährung einnehmen.34

31

Vgl. Deutsche Bank Research, Europas Geld von morgen, Frankfurt am Main 1998, S. 52ff. 32 So u. a Herz / CielebacK 1999, S.202; Schröder, 1999, S. 273 f. 33 So u. a. Herz / Cieleback, 1999; Schäfer, 1999, S. 72. 34 So u. a. auch Herz / Cieleback, 1999; Schäfer, 1999.

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Hans-Heribert Derix VI. Der Euro als internationales Wertaufbewahrungsmittel /. Zum Euro als internationale Anlagewährung

Ob der Euro die Funktion einer internationalen Anlagewährung erfüllen kann bzw. wird, hängt entscheidend ab von den Erwartungen der privaten Anleger als Kapitaldisponenten darüber, welchen Anteil eurodenominierte Aktiva bei einer optimalen Portfoliostreuung in den internationalen Portfolios haben sollen.35 Die weltweite Nachfrage nach einer Währung als präferiertes Anlagemittel wird wie bei der Verwendung als Zahlungsmittel und als Wertmaßstab aber auch bestimmt von der realwirtschaftlichen Größe des Währungsraums. Mit der zunehmenden Diversifikation der internationalen Portfolios ist der Anteil des US-Dollars an den privaten Portfolios von 67, 3 v. H. Ende 1981 auf rund 40 v. H. Ende 1995 zurückgegangen, der Anteil der EU-Währungen von 13,2 v. H. Ende 1981 auf 36,9 v. H. Ende 1995 gestiegen36, im gleichen Zeitraum sein Anteil am Bestand internationaler Anleihen von 52,6 v. H. am Jahresende 1981 auf 34,2 v. H. Ende 1995 gesunken, der Anteil der EU-Währungen von 20,2 v. H. auf 37,1 v. H. gestiegen.37 Wenngleich bemerkenswert ist, dass im Januar 1999 rund 50 Prozent der neu ausgegebenen Anleihen im Wert von insgesamt 140 Milliarden Dollar in Euro denominiert waren, nachdem noch Mitte der neunziger Jahre der Anteil der EU-Währungen bei 37 v. H. gelegen hatte38, bleibt doch festzuhalten, dass dem US-Dollar auch als Anlagewährung weiterhin die relativ bedeutendste Rolle zukommt, lag doch Mitte 1998 dessen Anteil am Gesamtvolumen internationaler Anleihen und Schuldtitel bei 46 v. H. vor dem Yen (11 v. H.) und der DM (10 v. H.), aber auch vor dem aggregierten Anteil sämtlicher Währungen des Euro-Raums (24 v. H.). 39 Die Entscheidung zugunsten des Euro als Anlagewährung wird maßgeblich vom Vertrauen der privaten und öffentlichen Anleger in die Stabilität der neuen Währung, insbesondere von den entsprechenden Wechselkurserwartungen, von der Entwicklung der Finanzmärkte in Europa und vom ökonomischen und politischen Gewicht der EU bestimmt. Wesentliche Bestimmungsgründe für internationale Portfolioentscheidungen zugunsten von Euro-Vermögenswerten sind Entwicklungsstand und Offenheitsgrad der europäischen Finanzmärkte, d. h. vor allem eine große Produktvielfalt der Anlagemöglichkeiten, ein breites Laufzeitenspektrum und eine hohe Marktliquidität. Bei Intensivierung des Wettbewerbs wird es zu Effizienzsteigerungen und Preissenkungen auf den Finanz35

Vgl. u. a. auch Schäfer, 1999, S. 70. Vgl. die Zahlenangaben u. a. bei Bekx, 1998, S. 16. u.a. wiedergegeben bei Herz / CielebacK 1999, S. 203 (Tabelle 6). 37 Vgl. die Zahlenangaben u. a. bei Bekx, 1998, S. 203 (Tabelle). 38 Vgl. u. a OECD, 1999. 39 Vgl. die Zahlenangaben u. a. bei Schönberg, 1999, S. 26. 36

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märkten kommen. Das Spektrum an Anlagemöglichkeiten wird breiter, die Marktliquidität größer, Netzwerkeffekte kommen verstärkt zur Entfaltung, die Optimierung des Portfolios wird erleichtert. Die größere Attraktivität des Finanzmarktes zieht vermehrt Anlagemittel an. Auch werden mehr Kredite in Euro aufgenommen. Dies wiederum würde zu einer Vertiefung und Erweiterung der europäischen Finanzmärkte („virtuous cycle") führen. Der Euro-Wirtschaftsraum könnte aufgrund der mit der Währungsintegration verbundenen größeren Breite, Tiefe und Liquidität des Euro-Finanzmarktes dazu führen, dass Euro-denominierte Aktiva die Gesamtheit der bisher in EUNationalwährungen denominierten Aktiva sukzessive übersteigen.40 Dementsprechend erwartet die Europäische Kommission, dass die größten strukturellen Veränderungen durch den Euro insbesondere auf den internationalen Kapital- und Finanzmärkten auftreten dürften, da die Segmentierung der einzelnen europäischen Märkte überwunden und ein wirklich integrierter Kapital· und Finanzmarkt geschaffen wird. 41 Der am starken Anstieg des Anteils europäischer Währungen an den privaten Portfolio-Anlagen weltweit in den letzten Jahren ablesbare Trend dürfte sich mit dem Euro noch verstärken und könnte - so die Europäische Kommission - zum größten einzelnen Kapitalmarkt der Welt führen. 42 IMF und OECD erwarten im Zusammenhang mit dem Euro und der Globalisierung u. a. die Schaffung neuer paneuropäischer Märkte, Institutionen und Finanzinstrumente.43 Hinsichtlich wichtiger realwirtschaftlicher Voraussetzungen (aggregiertes Bruttoinlandsprodukt, Leistungsbilanzsaldo, Weltmarktverflechtung beim Waren- und Dienstleistungsaustausch, aktuelle und zu erwartende Preisniveau-Stabilität) insgesamt ist der Euro zwar gegenüber dem Dollar „wettbewerbsfähig" ., nicht jedoch in Bezug auf die Breite und Tiefe der Finanzmärkte.44 Noch unterscheiden sich beispielsweise die amerikanischen und europäischen Finanzierungsformen erheblich voneinander. Werden in den USA mehr verbriefte, also marktfähige Finanzierungsformen gewählt, wird in den EWU-Ländern die Finanzierung über Banken stärker bevorzugt.45 Würde sich die Finanzierungsstruktur im Euro-Raum der amerikanischen Struktur annähern, wären vergleichsweise mehr handelbare Anlagemöglichkeiten in Euro vorhanden. Offenheitsgrad, Volumen und Anlagespektrum der Finanzmärkte in der EWU werden erheblich größer sein als vorher in den einzelnen Volkswirtschaften und 40

Vgl. u. a. Schäfer, 1999, S. 70. Euopäische Zentralbank, Monatsbericht Januar 1999. 42 Vgl. Beckx, 1998. 43 Vgl. Zeppernick, 1999, S. 38 f. unter Bezugnahme auf A. Prati / G. J. Schinasi, Financial Stability in European Economic and Monetary Union, December 1998. 44 Vgl. u. a. Zippel, 1999, S. 72. 45 Vgl. dazu u. a. Zeppernick, 1999, S. 39. 41

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daher Anreiz für die Portfolioentscheidungen international operierender privater Anleger. 46 Positive Skaleneffekte als Folge des gegenüber den bisherigen einzelstaatlichen Anlagemärkten größeren Finanzierungsvolumens und damit die Kostenreduktion für Transaktionen mit auf Euro lautenden Anlageformen dürften allmählich vermehrt Anlagemittel aus anderen Währungen und Regionen attrahieren. 47 Bislang allerdings sind die Finanzmärkte in den USA noch erheblich breiter und tiefer als die zusammengefassten Finanzmärkte der Euro-Länder. So war gegen Ende der neunziger Jahre das Volumen der am amerikanischen Rentenmarkt umlaufenden Titel etwa doppelt, die Börsenkapitalisierung in den USA sogar rund dreimal so groß wie in „Europa". 48 Die Attraktivität des Euro durch größere Diversifizierungsmöglichkeiten für die Anleger aufgrund unterschiedlicher risikostreuender Rendite-Profile von Anlagen, würde durch Intensivierung des Wettbewerbs zur Schaffung neuer Finanzinstrumente führen, und damit zu tendenziell erhöhter Attraktivität und Diversifizierungsmöglichkeiten. 49 Optimistische Schätzungen erwarten aufgrund geschätzter Umschichtungen internationaler privater Portfolios im Umfang von ca. 625 - 840 Mrd. Dollar 50 , dass der Euro ebenso wie der Dollar als Anlagewährung einen Anteil von ca. 30 - 40 v. H. erreichen 51 wird. Nach einer Schätzung des Direktors des Instituts für internationale Wirtschaft in Amerika, Fred Bergsten, käme es weltweit zu Portfolio-Verlagerungen aus dem Dollar in den Euro in einer Größenordnung von 500 bis 1000 Milliarden Dollar mit Aufwertungseffekten für den Euro von bis zu 40 Prozent gegenüber dem Dollar. 52 Die Abschätzung der durch die Währungsunion ausgelösten Portfolioumschichtungen ist allerdings mit methodischen und statistischen Schwierigkeiten verbunden. Zusätzlich wird die Ermittlung der Vermögenswerte durch Unzulänglichkeiten der internationalen Finanzstatistiken beeinträchtigt. Dies gilt sowohl für den von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich von Bergsten und anderen gewählten Ansatz, der die Hauptkategorien der internationalen Vermögenswerte: die internationalen Anleihen, internationale Bankverbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken, Fremdwährungsverbindlichkeiten gegenüber in-

46 47 48 49 50 51 52

Vgl. u. a. Zippel, 1999, S. 69. Vgl. u. a. Zippel, 1999. Deutsche Bundesbank (Hg.), 1998, S. 58. Vgl. u. a. Schönberg., 1999, S. 26. Vgl. OcheU 1998. Vgl. Deutsche Bank Research, 1997. Vgl. Bergsten, 1997.

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ländischen Nichtbanken und Euronotes abschätzt. Es gilt aber auch für den von Henning gewählten Restwertansatz.53 Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass nur etwa für die Hälfte der Fremdwährungsaktiva die Währungszusammensetzung erfasst wird, so dass für den Rest auf Schätzungen zurückgegriffen werden muss. Neben der Ermittlung des für Umschichtungen in Frage kommenden Portfolios sind Annahmen hinsichtlich der zukünftigen Attraktivität des europäischen Finanzmarktes zu treffen. Ausgehend von einem Anstieg des Euro-Anteils am Weltportfolio um fünf Prozentpunkte errechnete die EU-Kommission 1990 Umschichtungen in Höhe von 200 Mrd. US-Dollar. Gros und Thygesen hielten demgegenüber Umschichtungen in Höhe von 875 Mrd. US-Dollar für möglich. Thygesen korrigierte seine Schätzung später allerdings auf 600 Mrd. US-Dollar 54. Den Szenarien von Henning zufolge werden die Umschichtungen zwischen 397 und 795 Mrd.USDollar betragen. Henning geht von einem hohen Weltportfolio von 6113 Mrd. US-Dollar im Jahre 1995 und einem Anteil der EU-Währungen von 26 v. H. aus. Aufgrund dieses hohen Ausgangsanteils läßt er die Anteilswerte jeweils nur um 6,5 Prozentpunkte ansteigen. Die Ansätze von Bergsten und Henning unterscheiden sich dadurch, dass Bergsten einen weitaus niedrigeren Wert für das Weltportfolio und den Anteil der europäischen Währungen zugrundelegt, dann aber den Anteil des Euro um jeweils 10 Prozentpunkte steigen läßt. So ergeben sich Umschichtungen zwischen 350 und 700 Milliarden US-Dollar. Insgesamt, so lassen sich die Ergebnisse der vorliegenden Schätzungen zusammenfassen, stimmen die einschlägigen Studien darin überein, dass das internationale Gewicht des Euros auf den Anlagemärkten voraussichtlich deutlich größer als das aggregierte Volumen der im Euro aufgehenden nationalen Währungen sein wird und das wahrscheinliche mittelfristige weltweite Umschichtungsvolumen im privatwirtschaftlichen Sektor zugunsten des Euros zwischen 400 und 600 Mrd. US-Dollar betragen dürfte. 55 Nach den vorliegenden quantitativen Untersuchungen zu den verschiedenen Komponenten der globalen Währungsnachfrage könnte das Umschichtungsvolumen zugunsten des Euros in den nächsten Jahren zwischen 10 v. H. und 15 v. H. der gegenwärtigen privaten und öffentlichen Portfolios liegen. Daraus würde sich dann über das Umtauschvolumen zur Ersetzung der im Euro verschmelzenden nationalen Währungen hinaus während der Diversifizierungs-

53

Danach ergibt sich: Private und öffentliche Auslandsverbindlichkeiten + auf ausländische Währungen lautende Gesamteinlagen Gebietsansässiger = Internationales Weltportfolio - Interbankaktiva - Direktinvestitionen - amtliche Währungsreserven = privates internationales Weltportfolio. 54 Vgl. Thygesen and ECU Institute (eds.), 1995. 55 Vgl. u. a. die Zahlenangaben bei Ochel, 1998, S. 11.

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phase ein zusätzlicher Euro-Bedarf im Gegenwert von 600 - 800 Mrd. Dollar ergeben.56 Der Zeitbedarf der Diversifizierung wird in den einzelnen Nachfragesektoren allerdings unterschiedlich sein.

2. Zum Euro als Reservewährung Ob eine Währung die Funktion einer internationalen Reservewährung einnimmt bzw. in Zukunft einnehmen wird, hängt ab von den individuellen Entscheidungen ausländischer Notenbanken, diese Währung aufgrund der in der Vergangenheit beobachteten und auch für die Zukunft erwarteten stabilitätsorientierten Geldpolitik des Emissionslandes als Reservewährung zu halten. Damit setzt die Entwicklung des Euros zu einer international verwendeten Reservewährung eine entsprechende Reputation der EZB und ihrer erfolgreichen und nachhaltigen Stabilitätspolitik voraus. Die wohl ganz überwiegende Überzeugung der fachökonomischen wie der sog. allgemeinen Öffentlichkeit ist, dass die EZB bestrebt sein wird, durch einen restriktiven geldpolitischen Kurs Reputation auf den Märkten zu gewinnen und Vertrauen in dië Stabilität des Euros aufzubauen. Der Aufbau einer entsprechendenden Glaubwürdigkeitsund Vertrauensbasis benötigt jedoch Zeit und wird auch beeinflusst von bestehenden Unsicherheiten auf den internationalen Finanzmärkten. Dies gilt- ähnlich der historischen Erfahrung beispielsweise aus der nur sehr langsamen, weil durch Beharrungstendenzen verzögerten Ablösung des Pfund Sterling durch den US-Dollar - auch für den Durchsetzungsprozess des Euros an den internationalen Märkten. Die rechtlichen und damit formalen Voraussetzungen für einen stabilen Euro sind durch den Vertrag von Maastricht gegeben, etwa durch die Gewährleistung der Weisungsungebundenheit der EZB und der nationalen Notenbanken, die Unzulässigkeit der Verschuldung einzelner Länder bei der EZB, die lange Amtszeit und das Wiederwahlverbot der Direktoriumsmitglieder und ein Stabilitätsorientierung ermöglichendes geldpolitisches Instrumentarium. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Euro werden nicht zuletzt gefördert durch ein relativ großes politisches bzw. weltpolitisches Gewicht der EWUTeilnehmerländer. Eine weitere, neben der Glaubwürdigkeit der Notenbank des Emissionslandes und dem Vertrauen in deren stabilitätsorientierte Geldpolitik notwendige Bedingung für die Entwicklung einer Währung zur internationalen Reservewährung ist die vollständige Konvertibilität jener Währung. Weder durch Kapitalverkehrskontrollen noch durch andere Restriktionen darf der Kapitalverkehr 56

Vgl. u. a OcheU 1998, S. 10 f.

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zwischen den einzelnen Ländern eingeschränkt oder behindert werden. Hinsichtlich der internationalen Akzeptanz und der Umtauschbarkeit in sämtliche anderen Währungen ist nicht nur die gegenwärtige Gewährleistung des freien Kapitalverkehrs entscheidend, sondern sind es auch die Zukunftserwartungen der Marktteilnehmer zur Konvertibilität einer Währung. Da weder Kapitalverkehrskontrollen noch andere Formen von Kapitalverkehrsbeschränkungen vorgesehen sind, wird der Euro vollständig konvertibel sein. Im Hinblick auf die Möglichkeit des Europäischen Rates, gemäß Artikel 109 (2) EUV unter außergewöhnlichen Umständen, beispielsweise im Falle eindeutiger Wechselkursverzerrungen, allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik gegenüber Drittlandswährungen aufzustellen, bleibt allerdings derzeit offen, ob dies zu Devisenmarktinterventionen der EZB führen kann, die die Stabilität des Euro beeinflussen. Die Funktion einer Währung als internationale Reservewährung setzt außerdem voraus eine ausreichende Liquidität der Finanzmärkte des Emissionslandes, so dass die Notenbanken jederzeit ihre Devisenreserven in der jeweiligen Währung verkaufen können. Die Attraktivität nationaler Finanzmärkte für ausländische Investoren und damit die internationale Verbreitung einer Währung hängt ab von Größe, Offenheitsgrad und Effizienz der jeweiligen Finanzmärkte bzw. der Euromärkte. Für internationale Anleger und daher auch für Notenbanken attraktiv sind nur solche Finanzmärkte, die eine hinreichend große Produktvielfalt, ein breites Laufzeitenspektrum, für die Notenbanken wegen der Notwendigkeit schneller Verfügbarkeit und Ersetzbarkeit der Devisenreserven insbesondere im kurzfristigen Bereich, und eine hohe Marktliquidität bieten. Als Folge der Einführung des Euros und der Beseitigung währungsbedingter Segmentierung der Märkte wird es auf den europäischen Kapitalmärkten zu einer Erweiterung des Spektrums verfügbarer Anlagemöglichkeiten und größerer Liquidität kommen. Auch wird sich im EWU-Raum die Anzahl der unmittelbaren Wettbewerber erhöhen. Mit zunehmendem Wettbewerbsdruck wird es zu grundlegenden Veränderungen im Bankensektor der einzelnen Teilnehmerländer kommen, so dass auch mit dem Entstehen neuer Finanzinstrumente zu rechnen ist. Insgesamt dürfte die Effizienz der europäischen Finanzmärkte erheblich zunehmen.57 Zu den notwendigen Bedingungen für das Hineinwachsen einer Währung in die Funktion einer internationalen Reservewährung gehören im Hinblick auf Größe und Liquidität der Finanzmärkte auch ein relativ hoher Anteil des Reservewährungslandes am Welthandelsvolumen und am „Welt"-Bruttoinlandsprodukt. So betrugen beispielsweise 1995 das Bruttoinlandsprodukt der USA 57

Vgl. dazu u. a. McCauley/

5 Paraskewopoulos

White, 1997.

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7.253,8 Mrd. US-Dollar, das der EWU-Teilnehmerländer 6.805,3 Mrd. USDollar, 58 der Anteil der USA am Welthandelsvolumen 18,7 v. H., der der EULänder (ohne Intrahandel) ebenfalls 18,7 v. H. (mit Intrahandel 38,6 v. H.) 5 9 . 6 0 Die mit Abstand wichtigste Reservewährung ist nach wie vor der US-Dollar. 58,9 v. H. der Weltdevisenreserven und damit über die Hälfte wurden im Jahre 1996 in Dollar gehalten. Die EU-Währungen hatten 1996 einen Anteil von 18,9 v. H., die D-Mark als zweitwichtigste Reservewährung einen Anteil von rund 14 v. H.. 61 Seit dem Zusammenbruch des Bretton Woods Systems bis 1996 ist der US-Dollar-Anteil an den Devisenreserven der Industrieländer somit von knapp 90 v. H. um ein Drittel zurückgegangen, allerdings in den Entwicklungsländern mit einem Anteil von über 60 v. H. konstant geblieben.62 Insbesondere Größe und Effizienz der Finanzmärkte, aber auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der USA haben die unangefochten starke Stellung des Dollar als internationale Reservewährung begründet. Der US-amerikanische Markt ist der weltweit größte Finanzmarkt geblieben, dank seines umfassenden Spektrums an Anlagemöglichkeiten, besonders im kurzfristigen Bereich. Kein anderer Markt als die amerikanischen Finanzmärkte bietet derzeit eine jederzeitige Verfügbarkeit von Devisenreserven und für Notenbanken Kapitaltransaktionsmöglichkeiten.63 Zu beachten ist allerdings, dass ein Großteil des Anteils von ca. 20 v. H. europäischer Währungen an den Weltdevisenreserven mit Beginn der dritten Stufe der EWU „automatisch" in Euro-Aktiva umgewandelt wird und daher den Charakter als internationale Währungsreserven verliert, so dass die Euro-Währungsreserven zunächst wesentlich geringer sind als die kumulierten Anteile der europäischen Währungen zuvor und der Anteil des US-Dollar an den Weltwährungsreserven ansteigen wird, nach ersten Schätzungen der BIZ auf etwa 75 v. H. 6 4 Für die Entwicklungschancen des Euro als Reservewährung ergibt sich daraus die Frage, inwieweit eine höhere Reservehaltung in Euro durch Zentralbanken außerhalb des Euro-Raums den EWU-internen „Reserveneffekt" kompensieren kann.

58

Vgl. IMF, Annual Report 1997. Vgl. WTO, 1998, S. 15 f. 60 Zu den Voraussetzungen der Entwicklung einer Währung zur internationalen Reservewährung vgl. u.a. die Gesamtdarstellung bei Will, 1999, S. 295 - 299. 61 Vgl. IMF (ed.), Annual Reports 1996, 1997, 1998. 62 Vgl. IMF (ed.), Annual Reports, verschiedene Jahrgänge. 63 Vgl. u. a. auch Will, 1999, S. 300. 64 Vgl. u. a. Schönberg, 1999, S. 25. 59

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Der von Schröder 65 geschätzte Euro-Reserveanteil von 15 v. H. nach Eintritt in die dritte EWU-Stufe setzt jedoch voraus, dass die Notenbanken von Ländern außerhalb des Euro-Gebietes die Konversion ihrer in EWU-Teilnehmerwährungen gehaltenen Reserven in Euro akzeptieren und nicht etwa diese Reserven ganz oder teilweise in andere Devisen, beispielsweise in US-Dollar konvertieren. Jeder Versuch einer Abschätzung des künftigen Bedarfs der Zentralbanken nicht zum ESZB gehörender Länder an Euro-Reserven wie insbesondere auch zur Frage der Umschichtung von Währungsreserven zu Lasten bisheriger Dollarreserven ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. In welchem Ausmaß und mit welchem zeitlichen Horizont Zentralbanken ihre Reservehaltung restrukturieren werden, ist daher derzeit nur eine nur spekulativ unter Rückgriff auf Plausibilitätsargumente beantwortbare und daher weiterhin offene Frage. Aus dem Streben von Zentralbanken nach Diversifikation ihrer Währungsreserven und damit aufgrund von Portfolio-Überlegungen könnte sich ein entsprechender Eurobedarf vor dem Hintergrund tieferer und breiterer Finanzmärkte in der EWU-Region ergeben.66 Auch wird die künftige internationale Rolle des Euros auch dadurch nachhaltig beeinflusst werden, in welchem Ausmaß dieser von dritten Staaten als sogenannte Ankerwährung genutzt werden wird. Die Zahl solcher Länder, die künftig den Außenwert ihrer Währung formell oder informell an den Euro oder an einen Währungskorb binden könnten, in welchem der Euro eine maßgebliche Komponente darstellt, dürfte längerfristig nicht gering, der mit einer solchen Kursanbindung verbundene Bedarf dieser Länder an Euro-Reserven beträchtlich sein.67 Vermutet wird vor allem eine starke Neigung zu einer Erhöhung der Reservenhaltung in Euro-Guthaben in Entwicklungs- und Schwellenländern, die Ende 1997 mehr als 50 v. H. der globalen Devisenreserven gehalten haben, davon mehr als die Hälfte in Ländern Südostasiens, deren Reserven wiederum zu ca. 62 v. H. aus Dollar-Guthaben bestanden und nur zu 18 v. H. aus europäischen Währungen 68.69 In der Schaffung des Euros wird für viele dieser Länder ein willkommener Anlass gesehen, die starke Abhängigkeit ihrer Wirtschaftspolitik vom Dollar schrittweise zu verringern und auf das Diversifizierungspotential dieser Länder verwiesen, das bei einem Rückgang der Dollarreserven auf 50 v. H. zu einem 65 66 67 68 69

5*

Vgl. u. a. Schröder, 1999, S. 274 f. So u. a. auch Herz / CielebacK 1999, S. 204; Schönberg, 1999, S. 25. Vgl. Zippel, 1999, S. 70. Zu den Zahlenangaben vgl. IMF (ed.), Annual Report 1998, S. 110. Zippel, 1999, S.71.

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zusätzlichen Bedarf an Euro-Guthaben im Gegenwert von rund 80 Mrd. Dollar führen würde. Inwieweit es zu solchen Umschichtungen zu Lasten des Dollars kommen werde, hänge letztlich auch von dem quantitativ im voraus nicht abzuschätzenden Umstand ab, wie die außereuropäischen Zentralbanken und Regierungen die sog. safe-haven-Tauglichkeit des Euros im Fall etwaiger künftiger internationaler Krisen im Vergleich zum Dollar beurteilen.70 Obwohl derzeit viele asiatische Zentralbanken gegenüber der EWU noch eine abwartende Haltung einnähmen, sei es wahrscheinlich, dass sie aus Gründen der Ertragsoptimierung und Risikodiversifizierung, aber auch der Wechselkursstabilisierung, künftig Euroreserven in nennenswertem Umfang aufbauen würden. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren dürfte der Anteil des Euro an den Weltdevisenreserven mittelfristig auf 25 - 30 v. H. steigen.71 Als „evident" eingeschätzt wird der Bedarf an Euro-Währungsreserven im Fall der vier EU-Mitgliedsländer4 die den Euro noch nicht eingeführt haben und für Länder wie die Schweiz oder Norwegen, die traditionell wirtschaftlich sehr eng mit den Mitgliedstaaten des Eurolandes verbunden sind.72 Eine erhebliche Erhöhung ihrer Euro-Währungsreserven gilt als sehr wahrscheinlich für die Länder Osteuropas und im Mittelmeerraum, die ihre Währung künftig an den Euro als Ankerwährung oder an einen mit den Handelsanteilen gewichteten Währungskorb binden wollen und daher an einem möglichst stabilen Wechselkurs zum Euro interessiert sind.73 Unter Hinweis auf die Aspekte Risikodiversifizierung und Kapitalanlagenoptimierung wird es als „durchaus wahrscheinlich" angesehen, dass Zentralbanken in Asien und Lateinamerika, aber auch in den arabischen Staaten künftig einen Teil ihrer Währungsreserven in Euro halten werden. Mehrere dieser Länder hätten dies bereits offiziell oder vertraulich angekündigt. Wenn sich diese Länder auch für den Euro als Reservewährung entscheiden würden, könnte dies umfangreiche Auswirkungen auf die Zahlungsbilanzen haben- je nachdem ob die Zentralbanken eine Aufstockung der Währungsreserven in Euro oder eine teilweise Umschichtung von Dollar-Währungsreserven in Euro-Währungsreserven vornehmen würden.74 Insgesamt - so schätzen deutsche Bankexperten - könnte der Euro mittelfristig knapp ein Drittel der Weltwährungsreserven auf sich vereinen gegenüber dem bisherigen Anteil der europäischen Währungen von 25 Prozent.75 70 71 72 73 74 75

So u. a. Zippel, 1999, S. 71 f. Vgl. Schröder, 1999, S. 274. So Zeppernick, 1999, S. 41. Vgl. u. a. Schröder, 1999, S. 41. Vgl. u. a. Zeppernick, 1999, S. 41. Vgl. Schröder, 1999.

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V I I . Entwicklungsperspektiven des Euro als „Leitwährung" ein vorläufiges Fazit Zusammenfassen lassen sich die im Jahre 2000 formulierbaren Perspektiven zur Entwicklung des Euro zu einer internationalen Leitwährung dahingehend, dass zum einen eine Ablösung des US-Dollar als Hegemonialwährung nicht zu erwarten ist, es daher nicht zu einer dahingehenden Substitutionsbeziehung zwischen US-Dollar und Euro kommen wird, der Euro jedoch als internationale Transaktions- und Vehikelwährung, als Anlage-, Anker- und Reservewährung weltweit Rang 2 einnehmen wird. Konkrete quantifizierbare Aussagen über Verhaltensänderungen und Umschichtungsvolumina privater wie öffentlicher Dispositionen und damit die internationale Akzeptanz des Euro sind nicht formulierbar, entsprechende Tendenzaussagen spekulativ. Wie hoch der Zeitbedarf der notwendigen Anpassungs- und Umschichtungsprozesse ist, läßt sich nicht präzise abschätzen. Die häufig zitierte „Deutsche Bank Research-Schätzung" des „Euro als Weltwährung 2010" mit Anteilen des Euro im Bereich der internationalen Handelsfakturierung von 35 v. H., bei den internationalen Devisenreserven von 25- 30 v. H., bei den privaten Kapitalanlagen von 30 - 40 v. H. und im Bereich der internationalen Finanzierung von 30 - 35 v. H. ist daher nicht mehr als eine quantifizierte, auf Plausibilitätsüberlegungen gründende Spekulation an der Grenze zur „Anmaßung von Wissen".

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Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus der Sicht der Europäischen Kommission Von Kyriakos Révélas

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde vom Europäischen Rat im Juni 1997, gleichzeitig mit der Annahme des Vertrages von Amsterdam, beschlossen. Anderthalb Jahre vor dem Übergang zu der dritten Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion (WWU) am 1.1.1999 hat der Europäische Rat in dieser feierlichen Form die Bedeutung gesunder Staatsfinanzen für Preisstabilität und Wachstum unterstrichen und die entsprechende politische Verpflichtung des Vertrages von Maastricht bekräftigt. Im folgenden werde ich, erstens, den Inhalt des Paktes darstellen und mich dabei auf die institutionellen Aspekte konzentrieren; anschließend werde ich einige Anhaltspunkte der Beurteilung zur Diskussion stellen und, zum Schluss, den neuesten Bericht der Kommission über die öffentlichen Finanzen in der WWU kurz vorstellen. *

I. Der Pakt geht auf einen Vorschlag des damaligen deutschen Finanzministers Waigel im November 1995 zurück. Nach intensiven Debatten während des Jahres 1996 hat sich er Europäische Rat auf seiner Sitzung in Dublin im Dezember 1996 auf die Grundlinien eines Stabilitäts- und Wachstumspaktes geeinigt. In Amsterdam hat er dann eine Entschließung über den Stabilitäts- und Wachstumspakt angenommen. Gleichzeitig wurden eine Entschließung über Wachstum und Beschäftigung sowie eine Entschließung über Grundprinzipien und Elemente des neuen Wechselkursmechanismus für die Länder, die nicht an der WWU von Anfang an teilnehmen, angenommen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus dieser Entschließung des Europäischen Rates sowie aus zwei Verordnungen des Rates. Die Entschließung beinhaltet die politischen Leitlinien für die Umsetzung des Paktes; diese Leitli* Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass die folgenden Ausführungen lediglich meine persönliche Meinung widerspiegeln.

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nien richten sich an die „Parteien", d. h. an die Mitgliedstaaten, an die Kommission und an den Rat. Die zwei Verordnungen, auf die ich im folgenden näher eingehen werde, sind kurz danach, am 7. Juli 1997, vom Rat angenommen worden. Weiterhin haben sich in einer Erklärung des Rates vom 1. Mai 1998 die Länder der Euro-Zone zusätzlich dazu verpflichtet, erstens, in Aufschwungperioden den Konsolidierungsprozess zu beschleunigen, und, zweitens, dass hochverschuldete Länder das Verhältnis des Schuldenstandes zum BIP schnell abbauen. Verordnung 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken ruht auf Artikel 103(3) und (4) des EU Vertrages und soll die einschlägigen Bestimmungen verstärken. Mitgliedstaaten sind gehalten, vor dem 1. März jeden Jahres ein Stabilitätsprogramm dem Rat und der Kommission vorzulegen, welches Informationen enthält über: - die mittelfristige Zielsetzung eines ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalts, über den Anpassungspfad sowie über die erwartete Entwicklung der öffentlichen Verschuldung; - die wichtigsten Annahmen, die für das Stabilitätsprogramm relevant sind; - die fiskal- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen und deren erwarteten quantitativen Auswirkungen; - eine Sensitivitätsanalyse der Annahmen in Bezug auf die fiskalischen Kriterien. Es sei noch angemerkt, dass Mitgliedstaaten, die nicht an der dritten Stufe der WWU teilnehmen, gehalten sind, dieselben Informationen in Form von Konvergenzprogrammen vorzulegen. Eine Auswertung dieser Informationen durch die Kommission sowie durch den Wirtschafts- und Finanzausschuss bildet die Grundlage ftlr die Prüfung des Stabilitätsprogramms durch den Rat innerhalb von zwei Monaten; insbesondere wird geprüft, ob die mittelfristige Zielsetzung die Vermeidung von übermäßigen Defiziten sicherstellt, ob die Annahmen realistisch sind und ob die vorgesehenen Maßnahmen ausreichen. Der Rat prüft auch, ob die Wirtschaftspolitik des Mitgliedstaates mit den wirtschaftspolitischen Richtlinien im Einklang ist, und entscheidet, auch unter Berücksichtigung von konjunkturellen und strukturellen Faktoren, ob das Stabilitätsprogramm angenommen werden kann oder ob Anpassungen zu fordern sind. Die Überwachung bezieht sich auch auf die Implementierung des Programms; im Falle von Abweichungen ist der Rat verpflichtet, an den betroffenen Mitgliedstaat eine Empfehlung zu richten, damit er unverzüglich die erforderlichen Korrekturmaßnahmen ergreift.

be

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Während dieser multilaterale Überwachungsmechanismus eine Art Frühwarnsystem darstellt, erfüllt die zweite Verordnung eine Abschreckungsfunktion. Verordnung 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit beruht auf Artikel 104(c,l) des EU-Vertrages. Dieser Artikel besagt, dass Mitgliedstaaten übermäßige Defizite vermeiden sollen. Dieses Erfordernis soll anhand des Haushaltsdefizits in Prozent des BIP geprüft werden, wobei der Referenzwert bei 3 % liegt. Wenn ein übermäßiges Defizit auftritt, wird ein Verfahren eingeleitet, das zu der Reduzierung des Defizits führen soll. Dieses Verfahren umfasst mehrere Schritte, wobei der Druck auf das betreffende Land in Form von Empfehlungen und der Aufforderung zur Einleitung der erforderlichen Korrekturmaßnahmen zunehmend stärker wird. Wenn eine solche Korrektur nicht stattfindet, sieht der Vertrag die Möglichkeit von Sanktionen vor. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, zweimal im Jahr (vor dem 1. März und vor dem 1. September) Informationen über geplante und tatsächliche Defizite sowie über die öffentliche Verschuldung vorzulegen. Auf der Grundlage einer Stellungnahme der Kommission stellt der Rat mit Zwei-Drittel Mehrheit das Vorhandensein eines übermäßigen Defizits fest; er spricht eine Empfehlung an den betroffenen Staat aus, und wenn dieser die erforderlichen Maßnahmen nicht ergreift, kann der Rat seine Empfehlung veröffentlichen; wenn das auch nicht zu dem erwünschten Ergebnis führt, beschließt der Rat eine oder mehrere von vier möglichen Maßnahmen; diese sind: - der Mitgliedstaat soll vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren zusätzliche Angaben veröffentlichen; - die Europäische Investitionsbank (EIB) wird ersucht, ihre Darlehenspolitik gegenüber diesem Mitgliedstaat zu überprüfen; - von dem betroffenen Mitgliedstaat wird verlangt, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen; - Geldbußen in angemessener Höhe werden verhängt. Der Referenzwert von 3 % kann unter gewissen Voraussetzungen überschritten werden, ohne dass das Verfahren eines übermäßigen Defizits eingeleitet wird. Dazu muss - erstens, eine Ausnahmesituation vorliegen; - zweitens, das Defizit darf den Referenzwert nur vorübergehend übersteigen; - drittens, das Defizit darf nicht viel vom Referenzwert abweichen. Der Vertrag definiert diese drei Voraussetzungen nicht näher; dies wird vom Stabilitäts- und Wachstumspakt für die ersten beiden Voraussetzungen nachge-

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holt. Eine Ausnahmesituation liegt dann vor, wenn ein Ereignis außerhalb der Kontrolle des betreffenden Staates eine größere Auswirkung auf das Defizit hat oder bei einem ernsthaften wirtschaftlichen Rückgang, der bei einem Rückgang des BIP von über 0,75 % auf Jahresbasis angesetzt wird; ein Rückgang von über 2 % wird als außerordentlich eingestuft. In Bezug auf die zweite Voraussetzung wird normalerweise davon ausgegangen, dass im Jahr, welches auf das Rezessionsjahr folgt, das Defizit unter das Referenzniveau fallen wird. Der Pakt beinhaltet keine Angaben über die dritte Voraussetzung (Ausmaß der Abweichung). Die Verordnung stellt eine Verbesserung gegenüber dem Vertrag von Maastricht dar, da sie, erstens, Fristen festsetzt und somit das Verfahren beschleunigt und, zweitens, die vorgesehenen Sanktionen spezifiziert. Insgesamt ist die Zeitspanne zwischen der Vorlage des Stabilitätsprogramms durch den Mitgliedstaat und der Verhängung von Sanktionen auf höchstens 10 Monate beschränkt; innerhalb von 3 Monaten muss der Rat über das Vorliegen eines übermäßigen Defizits befinden und in diesem Fall an den betreffenden Staat eine Empfehlung richten; dieser muss innerhalb von 4 Monaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen; wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt oder die ergriffenen Maßnahmen als nicht ausreichend erachtet werden, wird der Rat innerhalb eines weiteren Monats den Mitgliedstaat auffordern, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Verstreichen zwei weitere Monate ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis, so beschließt der Rat die Verhängung von Sanktionen. Die Verordnung sieht vor, dass die Sanktionen normalerweise die zinsfreie Hinterlegung eines Betrages beinhalten, möglicherweise begleitet von einer der anderen Maßnahmen (Veröffentlichung von zusätzlichen Angaben und Überprüfung der Darlehenspolitik der EIB). Die Verordnung definiert auch den zu hinterlegenden Betrag, der aus einer fixen Komponente (0,2 % des BIP) und einer variablen Komponente (0,1 % des BIP für jeden Prozentpunkt des Defizits über dem Referenzwert) besteht, aber bis zu einer Obergrenze von 0,5 % des BIP pro Jahr. Die Situation wird jedes Jahr überprüft und wenn das übermäßige Defizit nicht abgebaut worden ist, werden die Sanktionen verschärft; der Betrag wird angehoben und nach zwei Jahren die unverzinsliche Einlage in eine Geldbuße umgewandelt. Wenn sich die Situation verbessert, werden die Maßnahmen zurückgenommen und die Einlage zurückerstattet; eine Geldbuße wird aber nicht zurückerstattet. Es sei noch angemerkt, dass der Pakt zwar für alle EU Länder verbindlich ist, Sanktionen aber nur gegenüber Mitgliedstaaten verhängt werden, die der Euro-Zone angehören. - Ende 1999 ist der Beschluss über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Griechenland vom Rat aufgehoben worden; z. Zt. besteht in keinem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit.

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II. Nachdem die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Einzelnen dargestellt wurden, sollen nun einige Elemente zur Beurteilung angeführt werden. Oft wird die Frage aufgeworfen, ob in einer Währungsunion Regeln bezüglich der Fiskalpolitik überhaupt erforderlich oder doch nützlich sind. Ein gängiges Argument besagt, dass in einer Währungsunion nationale Regierungen versucht sein könnten, eine laxere Fiskalpolitik zu betreiben, da die Finanzierung von Defiziten auf einem integrierten Finanzmarkt ohne Wechselkursrisiko unddemnach einfacher ist; auch die Erwartung eines „bail out" könnte zu einem solchen Verhalten führen, obwohl dieser Ansicht entgegengehalten werden muss, dass im Vertrag (Artikel 104b) dies ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Ein anderes Argument, nämlich dass die Finanzmärkte einen Disziplinierungseffekt auf die öffentlichen Hände ausüben, kann angesichts von historischen und internationalen Erfahrungen nicht unbedingt überzeugen. Wenn die Disziplinierung nicht wirkt, kann daraus Druck auf die Zentralbank und / oder auf das Zinsniveau entstehen. Viele Variablen sind hier im Spiel und der Ausgang dementsprechend nicht eindeutig. Es könnte insofern eine Absicherungsstrategie sein, Regeln der Fiskalpolitik in der Währungsunion aufzustellen, um damit einerseits die Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank zu unterstützen und andererseits Spielraum für einen ausgewogenen „policy mix" zu schaffen. Eine empirische Analyse der Wirtschafts- und Haushaltssituation in den 15 Mitgliedstaaten über den Zeitraum 1961 - 1997 zeigt, dass keine systematische Tendenz zu einer laxeren Haushaltspolitik während Rezessionen nachzuweisen ist. Die Ausgangslage des Haushalts beeinflusst die Art der Reaktion in dem Sinne, dass Länder mit geringeren Defiziten und einer niedrigeren Verschuldung eher eine antizyklische Politik betreiben konnten. Wären die Mitgliedstaaten in einer Situation mit ausgeglichenem Haushalt oder gar mit einem Haushaltsüberschuss gewesen, hätte in keinem Rezessionsfall das übermäßige Defizit länger als das auf die Rezession folgende Jahr gedauert. Leichte Rezessionen und ein plötzlicher Wirtschaftsrückgang hätten nicht zu einem übermäßigen Defizit geführt, solange die Ausgangslage die eines ausgeglichenen oder gar überschüssigen Haushalts gewesen wäre. Hingegen wäre das Eintreten eines übermäßigen Defizits zu erwarten, wenn der Wirtschaftsrückgang über 2 % betragen oder mehr als ein Jahr gedauert hätte. Soweit man eine solche ex post Analyse als gültigen Anhaltspunkt für die Zukunft betrachten kann, ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: - Ein mittelfristig ausgeglichener Haushalt wird bei Ein-Jahr-Rezessionen dafür sorgen, dass die Erfordernisse des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erfüllt werden, ohne dass übermäßige Defizite entstehen.

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- Allerdings sind die Möglichkeiten von massiven antizyklischen Maßnahmen begrenzt, solange keine Haushaltsüberschüsse vorhanden sind. - Ein größeres Risiko bestünde in dem Fall einer starken Rezession während der ersten Jahre der WWU, falls einige Länder noch Defizite in Höhe von 2 - 3 % aufweisen und somit Gefahr laufen sollten, ein übermäßiges Defizit zu bekommen, es sei denn sie betreiben eine prozyklische Politik. Eine solche Situation ist aber gegenwärtig nicht zu erwarten. - Lang anhaltende Rezessionen können auch für Länder mit gesunden Staatsfinanzen Schwierigkeiten in Form von übermäßigen Defiziten mit sich bringen. - Es wird auch gezeigt, dass die Befolgung der Vorgaben des Paktes in der Vergangenheit sichergestellt hätte, dass die beobachteten Fehler in der Fiskalpolitik, nämlich das Auftreten von nachhaltigen Defiziten und das prozyklische Verhalten, vermieden worden wären. Die Glaubwürdigkeit von fiskalpolitischen Regeln in einer Währungsunion hängt unweigerlich mit der Frage der Sanktionen zusammen. Da das Defizitkriterium von 3 % eine der Bedingungen für die Zulassung eines Mitgliedstaates zur WWU ist, wäre die dazu symmetrische Sanktion der Ausschluss im Falle von übermäßigen Defiziten, was aber aus verständlichen Gründen nicht vorgesehen ist. Andere Sanktionen müssen stattdessen vorgesehen werden. Die Glaubwürdigkeit von Sanktionen hängt ihrerseits von gewissen Bedingungen ab, nämlich von der Schnelligkeit und dem automatischen Charakter der vorgesehenen Verfahren. Gemessen an diesen Kriterien, sind die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes insgesamt positiv zu beurteilen: der Zeitraum zwischen Feststellung eines übermäßigen Defizits und der Verhängung von Sanktionen beträgt maximal 10 Monate; das Verfahren, obwohl nicht völlig automatisch, lässt nicht viel Spielraum für diskretionäre Entscheidungen zu; die Entscheidung erfolgt auf der Basis von tatsächlichen und nicht nur geplanten Defiziten; die Höhe der Strafen (unverzinsliche Einlagen und Geldbußen) ist nicht zu vernachlässigen; und, last, but not least, die Regeln können nur durch einstimmigen Beschluss geändert werden.

III. Die Europäische Kommission hat Ende Mai diesen Jahres einen Bericht über die öffentlichen Finanzen in der WWU vorgelegt, in welchem unter anderem die Anwendung des Paktes im ersten Jahr der WWU gewürdigt wird. Die ersten Stabilitäts- oder Konvergenzprogramme wurden Ende 1998 / Anfang 1999 und die ersten Aktualisierungen ein Jahr später vorgelegt. Ein Ver-

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haltenskodex, vom Rat im Oktober 1998 angenommen, hatte den Inhalt und die Form der vorzulegenden Programme festgelegt, der vor allem auch auf harmonisierte Daten besonderen Wert legt. Das vorgesehene Verfahren der multilateralen Überwachung, nämlich die Beurteilung durch die Kommission und anschließend durch den Rat, ist sowohl für die ursprünglichen Programme als auch für die Aktualisierungen befolgt worden. Die zentrale Vorgabe des Paktes lautet: Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, das in ihren Stabilitäts- oder Konvergenzprogrammen festgelegte mittelfristige Haushaltsziel eines nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts einzuhalten, was ihnen ermöglichen wird, die normalen Konjunkturschwankungen zu bewältigen und dabei das öffentliche Defizit im Rahmen des Referenzwertes von 3 % des BIP zu halten. Die Beurteilung der ersten Programme durch die Kommission ist von der Berechnung länderspezifischer Sicherheitsmargen ausgegangen. Zunächst wurde eine Sicherheitsmarge für die Konjunkturschwankungen berechnet, indem für jeden Mitgliedstaat die größte beobachtete Abweichung vom potentiellen Output mit einem Faktor multipliziert wurde, der die Empfindlichkeit der Haushaltsentwicklung auf Konjunkturschwankungen wiedergibt. Diese Berechnungen zeigen, dass in einer Reihe von Ländern (B, DK, SP, IRL, L, NL, POR und UK) ein strukturelles Defizit von 0 - 1 % des BIP mit den Verpflichtungen des Paktes vereinbar ist; für andere Länder (D, GR, F, IT und OST) wäre ein Defizit leicht über 1 % des BIP noch vertretbar; SW und FIN sollten aber mittelfristig einen Haushaltsüberschuss anstreben, da ihre Haushalte eine größere Konjunkturempfindlichkeit aufweisen und die in der Vergangenheit beobachteten Konjunkturschwankungen stärker ausgeprägt waren. Berechnungen des IWF und der OECD führen zu ähnlichen Ergebnissen. Eine gewisse Vorsicht ist bei solchen Berechnungen angezeigt; insbesondere wissen wir nicht, wie sich der neue institutionelle Rahmen der WWU auf das Phänomen der Konjunkturschwankungen genau auswirken wird; man kann aber davon ausgehen, dass eine gewisse Synchronisierung der Konjunkturschwankungen innerhalb der EuroZone eintreten wird. Zusätzlich wurde eine Sicherheitsmarge für unerwartete, erratische Schwankungen des Haushaltssaldos berechnet, die nicht zyklisch bedingt sind; für die meisten EU Länder würde eine zusätzliche Marge von 0,5 -1 % des BIP ausreichen. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf die Alterungsproblematik eingegangen worden. Verschiedene Berechnungen deuten darauf hin, dass die demografische Entwicklung zusätzliche Belastungen für die öffentlichen Finanzen in Höhe von 6 - 8 % des BIP in den kommenden Jahrzehnten mit sich bringen könnte (3 - 5 % für Renten und 3 % für erhöhte Gesundheitsausgaben). Die Befolgung der Vorgaben des Paktes dürfte zu einer Reduzierung der öffentlichen Verschuldung und einer entsprechenden Kürzung der Haushaltsbelastung

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Kyriakos Révélas

für Zinszahlungen führen, die je nach Annahme Zinsentlastungen für die höher verschuldeten EU Länder von 2,5 - 3 % des BIP betragen, und somit einen wichtigen Beitrag zur Schaffung des notwendigen Spielraums für die öffentlichen Haushalte leisten könnte. Die regelmäßige Überwachung ist ein wichtiger Bestandteil des Paktes, da sie insbesondere deutliche Abweichungen von der mittelfristigen Zielsetzung oder vom Anpassungspfad frühzeitig erkennen lässt. Mit der Erreichung der zentralen Zielsetzung, die für die meisten Mitgliedstaaten für 2002 / 2003 vorgesehen ist, wird der Überwachungsmechanismus in eine neue Phase eintreten, in welchem die Nachhaltigkeit des Haushaltsgleichgewichtes sichergestellt werden soll und andere, qualitative Gesichtspunkte in den Vordergrund treten werden. Die Wachstumsprognosen sind seit der Vorlage der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme nach oben revidiert worden; allein die automatischen Stabilisatoren dürften für die Euro-Zone das projizierte Defizit von 1,1 % des BIP im Jahre 2000 und 1 % im Jahre 2001 um etwa ein Drittel geringer werden lassen. Auch die Tendenz einiger Mitgliedstaaten, den Programmen sehr vorsichtige Annahmen zugrunde zu legen, kann dazu führen, dass die Beurteilung der tatsächlichen Konsolidierungsbemühungen anhand der strukturellen Defizite erschwert wird. Mit der Erreichung der Zielsetzung eines ausgeglichenen Haushalts wird es möglich werden, Steuerkürzungen vorzunehmen. Es ist unbestreitbar, dass eine Verringerung der Steuerbelastung wünschenswert ist, da daraus positive Impulse für Wachstum und Beschäftigung ausgehen. Im internationalen Vergleich ist die Steuerbelastung der europäischen Wirtschaft ohnehin sehr hoch: in der EU belief sich die Steuerbelastung im Jahre 1999 auf 43 % des BIP, verglichen mit 29 % in den USA und 27 % in Japan. Aber damit Steuerkürzungen positive Effekte erzeugen, müssen sie als dauerhaft angesehen werden; es hätte wenig Sinn und wäre vielleicht sogar kontraproduktiv, wenn die Steuerbelastung überstürzt verringert würde, nach einigen Jahren aber dieser Schritt wieder rückgängig gemacht werden müsste, da die Verringerung nicht langfristig durchgehalten werden kann. In diesem Zusammenhang hat die Kommission vorgeschlagen, bei der Beurteilung von Steuerreformvorhaben, die vor allem auf Steuerkürzungen abzielen, eine Reihe von Kriterien zu beachten: - die mittelfristige Zielsetzung eines ausgeglichenen Haushalts soll unbedingt eingehalten werden; in Mitgliedstaaten, in denen diese noch nicht erreicht ist, sollen Steuersenkungen von entsprechenden Ausgabekürzungen begleitet werden; - Steuerkürzungen dürfen nicht prozyklisch wirken; bei einem Aufschwung sollten deswegen Steuersenkungen von Ausgabekürzungen begleitet werden;

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus Sicht der Kommission

81

- die Höhe der öffentlichen Schuld und das langfristige Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen sollen Berücksichtigung finden; hier ist vor allem für Länder mit einer hohen Verschuldung und einer ausgesprochen ungünstigen Bevölkerungsentwicklung Vorsicht geboten; - Steuersenkungen sollten Teil eines umfassenden Reformpakets sein, in welchem Interdependenzen mit Reformen z. B. des Sozialstaates berücksichtigt werden. Diese vier Kriterien sind vom Rat Ende Februar 2000 besprochen und im Großen und Ganzen akzeptiert worden. Auch qualitative Aspekte, wie z. B. generelle versus gezielte Steuersenkungen oder Steuersenkungen versus selektive Ausgabenerhöhungen, sind von erheblicher Bedeutung. Die Allgemeinen Richtlinien für die Wirtschaftspolitik für 2000 enthalten diesbezüglich einige konkrete Anhaltspunkte. Gesunde Staatsfinanzen sind nicht nur ein Kernstück der Konvergenzkriterien nach dem Vertrag von Maastricht; sie sind auch nach dem Übergang zu der dritten Stufe der WWU erforderlich. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird zur Erreichung der Vertragsziele beitragen, die bereits erreichte Konsolidierung der öffentlichen Finanzen absichern sowie fiskalischen Spielraum schaffen, um künftigen Herausforderungen begegnen zu können. Nachdem ein schwieriger Konsolidierungsprozess, oft unter ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, erfolgreich durchgeführt worden ist, müssen nun die Mitgliedstaaten den Nachweis erbringen, dass der politische Wille zu einem verantwortungsbewussten Fiskalgebaren weiterhin vorhanden ist.

6 Paraskewopoulos

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: Eine kritische Würdigung aus wirtschaftstheoretischer Sicht Von Walter Gutzeit

I. Stabilitäts- und Wachstumspakt - Zielvorstellungen Es stellt sich die Frage, wie die Einschränkung nationaler Finanzpolitik in einer supranationalen Währungsunion für die Rechtfertigung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes politisch-ökonomisch begründet werden kann. Schon Aristoteles hatte erkannt: Eine Sache, welche vielen gehört, wird schlechter verwaltet als eine Sache, die einem einzelnen gehört. Eine Quelle der Verschwendung ist das sog. „Restaurant-Rechnungs-Problem". Dieses Phänomen bezieht sich auf Verhaltensweisen, dass die Rechnung in einem Restaurant weit höher sein wird, wenn eine Gruppe vor dem Essen beschlossen hat, die Rechnung zu gleichen Teilen zu bezahlen. Jeder bestellt dann ein teureres Menu als er bestellt haben würde, wenn er allein zu bezahlen hätte. Die Forderung nach einer supranationalen Stabilitätspolitik ergibt sich aus der Notwendigkeit, auf budgetäre Verschwendungen, Störungen und Herausforderungen in der EWU richtig, rechtzeitig und angemessen zu reagieren. Stabilität bedeutet die Fähigkeit, nach Störungen (z. B. des Gleichgewichts) in den geplanten und erwünschten Zustand zurückzukehren. Aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich, dass Stabilität nicht Starrheit bedeutet, sondern das Element der Flexibilität, d.h. einer elastischen Anpassungsfähigkeit enthält. In den EU-Staaten sind hohe Schuldenquoten und strukturelle Defizite in den öffentlichen Haushalten zu beobachten, die auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums entstanden sind. Der Anteil öffentlicher Investitionen ist gesunken, und damit ist ein volkswirtschaftlicher Entsparprozess zu Lasten nachfolgender Generationen eingeleitet worden. Die Fehlentwicklungen der marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnungen gefährden das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung sowie das Ziel der Preisstabilität. Mit der Europäischen Währungsunion als Sta-

*

84

Walter Gutzeit

bilitätsgemeinschaft soll eine neue „budgetpolitische Kultur" geschaffen werden.1 Die Zielvorstellung des Paktes ist es, einen über den Konjunkturzyklus hinaus ausgeglichenen oder positiven Budgetsaldo aller EWU-Staaten zu erzielen. Die automatischen Stabilisatoren sollen in konjunkturellen Abschwungphasen wirksam eingesetzt werden, ohne die 3%-Grenze des Nettodefizits zu überschreiten. Damit sollen stabile öffentliche Finanzen in der EWU sichergestellt werden, wobei allerdings länderspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden sollen. Im wesentlichen sollen die fiskalischen Konvergenzkriterien und der Stabilitätspakt •

die Unabhängigkeit der EZB und die Preisniveaustabilität innerhalb der EWU sicherstellen,



mögliche negative Auswirkungen (Externalitäten) nationaler Finanzpolitik auf andere EWU-Mitglieder verhindern und



eine aufgrund bestimmter Anreizstrukturen im politischen System vorliegende Verschuldensneigung (deficit bias) eindämmen.2

Der Stabilitätspakt soll als Kontrollinstrument sicherstellen, dass die Mitgliedsländer das finanzpolitische Kriterium anstreben. Durch das finanzpolitische Kriterium und den Stabilitätspakt soll institutionell ein Rahmen geschaffen werden, in dem die Geldversorgung weitgehend entpolitisiert wird.

1



Mittelfristig wird ein nahezu ausgeglichener- oder sogar ein Überschuss aufweisender - Haushalt angestrebt.



Man hat sich auf die Vorlage von Stabilitätsprogrammen mit mittelfristigen Haushaltszielen einschließlich der Anpassungspfade für die öffentlichen Überschuss- und Defizitquoten - eine Art Finanzplanung - verständigt, und



es wird ein Frühwarnsystem eingerichtet. Bei den Überwachungsverfahren soll ferner eine zeitliche Beschleunigung der Entscheidungen herbeigeführt werden. Auch sind die Sanktionen für die zinslose Einlage und die Geldbuße im Fall eines übermäßigen Defizits konkretisiert worden.

Vgl./?. Hasse ( 1997), S. 19. Hierzu : M. Sutter (2000), Der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Europäischen Union, S. 26 ff. 2

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus wirtschaftstheoretischer Sicht

85

II. Vom Maastricht-Vertrag über den Waigel-Vorschlag zum Stabilitäts- und Wachstumspakt Der praktizierte Stabilitätspakt ist das Ergebnis der Erkenntnisse, die aus dem Maastricht-Vertrag, dem Waigel-Vorschlag und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von Amsterdam gezogen wurden. Offenbar wurde die Kontroll- und Ausgleichsfunktion der internationalen Finanzmärkte als nicht hinreichend angesehen, um auf rechtlich begründete Maßnahmen gegen undisziplinierte nationale Budgetverletzungen verzichten zu können.3 Der Vertrag von Maastricht geht von zwei Grundmaximen aus: •

der „no-bail-out-Regel" (Art. 104b EGV). Diese Regel besagt, dass die politische Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten noch nicht das Ausmaß erreicht hat, um eine weitreichende finanzielle Solidarität bis hin zum Finanzausgleich einführen zu wollen bzw. zu können.



dem Grundsatz, daß ein Land, das sich nicht an der Integration beteiligt, nicht berechtigt ist, andere Länder aufzuhalten. In diesen Fällen und bei Verstoß der Budgetkriterien wird dem betreffenden Land das Stimmrecht entzogen.

/. Die im Maastricht-Vertrag

geforderte fiskalische

Disziplin

Die Budgetdisziplin soll durch allgemeine Rahmenbedingungen und durch ein besonderes Haushaltsüberwachungsverfahren sichergestellt werden. Zu den allgemeinen Rahmenbedingungen zählen

3



Die Finanzierung öffentlicher Defizite durch nationale Notenbanken oder durch die EZB (Art. 101) wird ausgeschlossen.



Der bevorrechtete Zugang des öffentlichen Sektors zu den Finanzmärkten (Art. 102) wird untersagt und



die Gemeinschaft oder andere Mitgliedstaaten haften nicht für die Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates (no bail out-Klausel in Art. 103).

Internationalen Anlegern ist ein Haftungsausschluss anderer Mitgliedstaaten oder der EU als supranationaler Institution (no bail out-Klausel) nur schwer zu vermitteln, weil die EU sich selbst als Solidargemeinschaft versteht. Die Auswirkungen eines „no bail-out" können für die anderen Staaten mit höheren Kosten als ein bail-out verbunden sein. Vgl. U. Rolf( 1996).

86

Walter Gutzeit

Das besondere Haushaltsüberwachungsverfahren des Art. 104 ist ein Kontrollinstrument bei übermäßigen Defiziten und kann sich in 5 Stufen vollziehen, und zwar durch •

Überwachung, Feststellung, Veröffentlichung, Maßnahmen und Sanktionen.

Der Rat kann folgende Sanktionen erlassen: •

die Staaten können aufgefordert werden, vor der weiteren Emission von Schuldverschreibungen vom Rat näher zu bezeichnende Angaben zu veröffentlichen;



die Europäische Investitionsbank oder der Kohäsionsfonds können angehalten werden, die Darlehenstätigkeit zu überprüfen;



eine unverzinsliche Einlage bei der EU verlangen;



eine angemessene Geldstrafe aussprechen.

Problematisch ist allerdings, dass die Abwicklung sämtlicher Stufen sich über einen längeren Zeitraum hinziehen kann. Ebenso ist die rechtliche Durchsetzbarkeit der angestrebten Maßnahmen nicht gesichert und erschwert eine effiziente Disziplinierung und Sanktionierung von übermäßig verschuldeten Mitgliedsstaaten. Hinzu kommt, dass das betroffene Land bei der Feststellung eines übermäßigen Defizits abstimmungsberechtigt ist. Selbst wenn ein übermäßiges Defizit eines Staates festgestellt werden sollte und dieser auch keine Anstrengungen zur Haushaltssanierung macht, so sind die im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Sanktionen wenig erfolgversprechend. Die EWU-Staaten sind nicht unbedingt auf die Europäische Investitionsbank als Finanzierungsquelle angewiesen, da sie sich die notwendigen Finanzmittel auf den internationalen Finanzmärkten ohne Schwierigkeiten beschaffen können. Beschränkungen aus dem Kohäsionsfonds könnten ftlr die südlichen EU-Staaten - Spanien, Griechenland und Portugal - Schwierigkeiten bereiten, da diese Finanzmittel wichtige Einnahmequellen darstellen. Die finanziellen Sanktionen sind hinsichtlich ihres Ausmaßes im Maastricht-Vertrag nicht präzisiert und müssten nach Art und Umfang der Sanktionen im Rat per Abstimmung beschlossen werden. Abstimmungsregeln sind im Maastricht-Vertrag nicht enthalten. Diese Mängel hinsichtlich der finanziellen Sanktionen bedeuteten Planungsunsicherheit für die einzelnen Staaten. Die Verfahrensmängel zur Sicherstellung der Haushaltsdisziplin in der EWU im Rahmen des Maastricht-Vertrages führten zu alternativen Vorschlägen, die allerdings keine ernsthaften Chancen auf eine politische Realisierung hatten. Die Vielzahl der Vorschläge für effiziente Sanktionsmechanismen bei einem übermäßigen Haushaltsdefizit konzentrierten sich auf

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus wirtschaftstheoretischer Sicht

87



die Festschreibung der Maastricht-Verschuldungskriterien in den nationalen Verfassungen,



die automatische Beschneidung der EU-Transfers, den Verlust des Stimmrechts in der EZB oder



den Verlust des Stimmrechts im EU-Ministerrat für die Dauer der Defizitüberschreitung.

Letztlich dienten die Vorstellungen des deutschen Finanzministers Theo Waigel für einen Stabilitätspakt zwischen den EWU-Mitgliedern als Diskussionsgrundlage.

2. Der Stabilitätspakt für Europa von Waigel Waigel betont, dass geringe Defizite und Schuldenquoten Voraussetzung für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand sind. Er fordert unter anderem, „die Wachstumsraten der Staatsausgaben mittelfristig möglichst unter dem Zuwachs des nominellen Bruttosozialprodukts zu halten, beim Defizit die 3%-Grenze von Maastricht - auch in wirtschaftlich ungünstigen Perioden - nicht zu überschreiten." 4 Mittelfristig sollen die Staatsquote abgebaut und geringe Defizite erzielt werden, vorausgesetzt, die Einnahmen wachsen stärker als die Ausgaben. In wirtschaftlichen Normalsituationen wird ein Defizit von 1 % des BIP angestrebt, um in Rezessionen die 3%-Grenze nicht aufgrund der Konjunkturreagibilität des Budgets zu überschreiten. Staaten mit einer Schuldenquote von über 50 % ihres BIP werden aufgefordert, ihr Defizit in wirtschaftlichen Normalsituationen auf unter 1 % des BIP zu reduzieren. Die Überschreitung der 3%-Grenze ohne Sanktionen ist nur in extremen Ausnahmefällen und mit Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der EWU-Teilnehmer erlaubt. Alle Staaten werden angehalten, ihre Schuldenquoten zu verringern, um finanzpolitischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Bei einer Überschreitung des Defizitwertes kommt es automatisch zur Verhängung von Sanktionen, von extremen Ausnahmefällen abgesehen:5 •

4

der betroffene Staat hat eine unverzinsliche Einlage (Stabilitätszulage) zu hinterlegen. Die Höhe dieser Einlage beläuft sich auf jeweils 0,25 % des BIP des jeweiligen Mitgliedstaates pro angefangenem Prozentpunkt der Defizitüberschreitung.

Siehe hierzu: Stabilitätspakt für Europa - Finanzpolitik in der dritten Stufe der WWU (1995, 8) 5 Vgl. Institut „Finanzen und Steuern" e.V. (1996), S. 20 ff.

88

Walter Gutzeit •

Sobald der Referenzwert für das öffentliche Defizit vom betroffenen Mitgliedstaat nicht mehr überschritten wird, wird die Stabilitätszulage zurückgezahlt.



Ist nach zwei Jahren die Obergrenze weiterhin verfehlt, wird die Stabilitätszulage in eine Geldbuße umgewandelt.6

Ein neu zu schaffender europäischer Stabilitätsrat sollte die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung der EWU-Staaten überwachen und über fällige Ausnahmen entscheiden. Die Verbindlichkeit der Vereinbarungen beim Waigel-Vorschlag war durch die Selbstbindung vom guten Willen des jeweiligen Staates abhängig. Nicht ausdrücklich festgelegt wurde, wie die Hinterlegung oder Umwandlung in eine Strafe bei einer Weigerung des betroffenen Staates sichergestellt werden sollte. Ungeklärt blieb auch die vollständige Erfassung von Nebenhaushalten undEventualverbindlichkeiten.7 Die Automatik der Sanktionen und der Umstand, dass bei der „Stabilitätseinlage" keine Obergrenzen vorgesehen waren, führten zu heftigen politischen Kontroversen. Der Waigel-Vorschlag für einen Stabilitätspakt für Europa war innerhalb der EU nicht konsensfähig.

3. Der Stabilitäts-

und Wachstumspakt von Amsterdam

Auf dem Gipfel von Amsterdam im Juni 1997 wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen. Er stellt einen Kompromiss zwischen den ursprünglichen Bestimmungen des Maastricht-Vertrages und den strengen Forderungen von Waigel dar. Der Pakt kann als eine „Kombination von Prävention und Abschreckung" angesehen werden.8 Durch den Zusatz „Wachstumspakt" - auf Drängen Frankreichs und gegen den Willen Deutschlands - soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sich nicht ausschließlich auf die fiskalische Stabilitätspolitik konzentrieren kann. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist wirtschaftliches Wachstum eine notwendige Bedingung. Der Stabilitätspakt soll die wirtschafspolitische Asymmetrie des Vertrages von Maastricht mildern bzw. aufheben. 9 Er soll vermeiden, dass die Neuverschuldung innerhalb eines Staates negative Zins- und Inflationseffekte in den 6

Vgl. Stabilitätspakt für Europa - Finanzpolitik in der dritten Stufe der WWU (1995, 9). 7 Vgl. Institut „Finanzen und Steuern" e.V. (1996), S. 22. 8 Hierzu: P. Callies (1997). 9 Derselbe, ebenda S. 16.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus wirtschaftstheoretischer Sicht

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anderen EWU-Staaten verursacht. Schließlich soll ein „bail-out" vermieden werden. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht •

aus der „Verordnung über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken" (1997),



aus der Verordnung über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei übermäßigen Defizit (1997) und aus einer „Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt" (1997).

Finanzpolitik bleibt zwar grundsätzlich in nationaler Autonomie, erhält aber durch die fiskalischen Konvergenzkriterien und durch den Abschluss des Stabilitäts· und Wachstumspaktes bindende supranationale Rahmenbedingungen. Die fiskalischen Konvergenzkriterien verlangen von den EWU-Teilnehmern die Vermeidung übermäßiger Defizite. Letztere liegen vor, wenn die festgelegten Obergrenzen für das gesamtwirtschaftliche Defizit (3 % des BIP) und den Bruttoschuldenstand (60 % des BIP) nicht eingehalten werden. Der Stabilitätspakt wurde abgeschlossen, um das „Verfahren bei einem übermäßigen Defizit" gemäß Art. 104 EGV zu präzisieren und zu beschleunigen und dadurch die Sanktionierung übermäßiger Defizite sicherzustellen. Obwohl in Art. 104 EGV sowohl die Überschreitung der Schuldenstands-Grenze als auch der Defizit-Grenze als übermäßiges Defizit bezeichnet wird, sind Sanktionen aufgrund des Stabilitätspaktes lediglich im Falle gesamtstaatlicher Defizite von über 3 % des BIP vorgesehen.10 Die politischen Entscheidungen über die Feststellung und Sanktionierung übermäßiger Defizite sind diskretionär und unterliegen keinem Automatismus. Deshalb ist die Annahme, übermäßige Defizite würden strikt sanktioniert werden, äußerst problematisch. In der Literatur ist die Annahme strikter Anwendung von Sanktionen bei Nettodefiziten von über 3 % des BIP umstritten. Einige Autoren gehen davon aus, dass mit Sicherheit sanktioniert wird, wenn übermäßige Defiziteeinzelner Staaten negative externe Effekte auf die anderen Mitglieder der EWU haben, sobald in der EWU die Europäische Zentralbank für die Geldpolitik in der EWU zuständig ist. Wenn es einmal zu Sanktionen kommt, ist höchstens zwei Jahre lang eine zinslose Einlage zu hinterlegen. Sie beläuft sich auf 0,2 % des BIP plus ein Zehntel der Marge (Prozentpunkt), um die das Haushaltsdefizit 3 % übersteigt. Der Dubliner Pakt sieht vor, dass die zinslose Einlage nicht höher als 0,5 % des 10

Vgl. M. Sutter (2000), S. 16.

90

Walter Gutzeit

BIP sein darf. Diese Obergrenze wird bei einem Haushaltsdefizit von 6 % erreicht. Darüber hinausgehende Defizite würden also keine zusätzlichen Sanktionen auslösen.11

I I I . Statistische Probleme Statistische Daten werden von der Kommission zur Verfügung gestellt. Grundlage für die Daten sind die halbjährlichen budgetären Notifikationen der einzelnen Staaten an das Eurostat. Die Vergleichbarkeit der nationalen Meldungen soll durch Eurostat bei Prüfbesuchen in den nationalen statistischen Zentralämtern hergestellt werden. Für die Berechnung des Defizits gibt es Interpretationsspielräume und Eurostat trifft für diese Fälle Entscheidungen hinsichtlich der erwünschten Verbuchung, die veröffentlicht werden. Die Verbuchungsvorschläge von Eurostat sind für die nationalen Zentralämter nicht verbindlich.12 Eurostat ist bei der Weitergabe der statistischen Daten an die Kommission nicht an die nationalen Meldungen gebunden. Die nationalen statistischen Ämter übernehmen für ihre Notifikationen in der Regel die Eurostat-Entscheidungen. Dennoch gibt es Probleme bei der raschen und exakten Ermittlung der budgetären Kerngrößen, die etwa in föderativen Staaten durch verzögerte Rechnungsabschlüsse der nachgeordneten Gebietskörperschaften mitverursacht werden. In der Realität konnte eine relativ große Spannweite und die Häufigkeit nachträglicher Korrekturen - nicht selten von über 0,5 % des BIP - festgestellt werden. Aufgrund der statistischen Unsicherheiten ist die Anwendung des Stabilitätspaktes bei Defiziten in der Nähe der 3%-Grenze nicht problemlos. Rückwirkende Korrekturen können aber für die Festlegung der Einlagen und Sanktionen im Rahmen des Stabilitätspaktes von Bedeutung sein. Mit dem Vorliegen veränderter Daten könnte dies bedeuten, dass schon verfügte Sanktionen wieder rückgängig gemacht werden müssten.13 Im umgekehrten Fall müssten bei einer späteren Revision Staaten nachträglich sanktioniert werden. Wahrscheinlich wird man dies in der Realtiät durch statistische Intelligenz verhindern. 14 Für die Geldstrafen vermindert sich das Problem statistischer Korrekturen im Laufe der Zeit, da sie frühestens zwei Jahre nach dem Auftreten des übermäßigen Defizits anfallen. 15

11

Vgl. R. Vaubel (1997), S. 10. Nähere Einzelheiten über den institutionellen Ablauf der stat. Daten zwischen den nationalen statistischen Zentralämtern und Eurostat siehe: H. Lützel ( 1998). 13 Hierzu: //. Kramer (1997), S. 363 - 371. 14 Vgl. derselbe, S. 369. 15 Vgl. M. Sutter (2000), 75 f. 12

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus wirtschaftstheoretischer Sicht

91

IV. Ökonomische Beurteilung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes 1. Staatsverschuldung

und Aufgaben des Staates

Über Art und Ausmaß möglicher bzw. notwendiger Grenzen der Staatsverschuldung wird in der Ökonomie seit langem kontrovers diskutiert. Wie alle ökonomischen Theorien und Ideen sind auch die für oder gegen die Staatsverschuldung vorgebrachten Argumente zeit- und raumabhängig und haben somit einen begrenzten Erkenntnis- und Erklärungshorizont. Bei der Diskussion über die Notwendigkeit oder die Gefahren der Staatsverschuldung stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Staatstätigkeit. Die sich wandelnde Auffassung von den Aufgaben des Staates führt dazu, dass sich auch die Beurteilung der Staatsverschuldung ändert. Neben die reinfiskalischen bzw. haushaltswirtschaftlichen Argumente treten ebenso nicht-fiskalische (wirtschafts-) politische Begründungen der Verschuldungspolitik.16 Die klassischen Liberalen der Nationalökonomie - wie etwa A. Smith und D. Ricardo - beurteilten die Staatsverschuldung grundsätzlich negativ. So ist auch der Ausspruch Ricardos zu verstehen, „die Staatsverschuldung sei eine der schrecklichsten Geißeln, die je zur Plage der Nationen erfunden worden seien." 17 Die kritische Einstellung der Klassiker ist als Reaktion auf die schuldenfreundliche Haltung der Merkantilisten im 17. und 18. Jahrhundert zu sehen. Es war eine Zeit, in der Währungssysteme ausschließlich auf Gold- und Edelmetalldeckung beruhten und somit die Möglichkeit der Geldschöpfung weitgehend entfiel und zu zahlreichen Staatsbankrotten führte. 18 Mit J. M. Keynes erhielt die Diskussion über die Staatsverschuldung einen neuen entscheidenden Impuls. Zur Wiederherstellung des (Vollbeschäftigungs-) Gleichgewichts ist nach Keynes der Einsatz finanzpolitischer Maßnahmen durch den Staat unumgänglich. Durch zusätzliche Verschuldung soll der Staat den nötigen Anstoßeffekt leisten. Mit zunehmenden Erfahrungen im Bereich der aktiven wirtschaftspolitischen Steuerungsmaßnahmen und der situationsbedingten Verschuldungspolitik mehrten sich auch die Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit.19 Ende der fünfziger Jahre erlebte die Fachwelt eine Kontroverse zwischen Monetaristen - insbesondere durch M. Friedman20 - und Fiskalisten bzw. Keynesianern. Friedmans Kritik konzentrierte sich auf die Beurteilung staatlicher Wirt16 17 18 19 20

Vgl. hierzu: B. Kampmann (1995), S. 8 f. D. Ricardo (1996). Vgl. Β Kampmann (1997), S. 11 f. Vgl. derselbe, S. 15 f. Vgl. M Friedman (1956).

Walter Gutzeit

92

schaftspolitik. Aufgrund ihrer ständigen Richtungsänderungen, zeitlichen Wirkungsverzögerungen und sonstigen unberechenbaren Effekten schaffe die Wirtschaftspolitik ein Klima der Unsicherheit und führe zu Fehlentscheidungen im privaten Sektor. Buchanan lieferte gleichzeitig den Beweis dafür, dass Staatsverschuldung zu einer Belastung der künftigen Generationenführe. Nach seiner Überzeugung führt der angewandte Keynesianismus in der Realität zu wachsenden Haushaltsdefiziten, einem Anwachsen des staatlichen Sektors zu Lasten des privaten Sektors und ständig steigenden Inflationsraten. 21 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die auf der Vorstellung von der rationalen Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte basierende Neue Klassische Makroökonomie. Größere konjunkturelle Schwankungen sind nach dieser Auffassung nicht auf ein Marktversagen zurückzuführen, sondern das Ergebnis verfehlter staatlicher Eingriffe in die marktwirtschaftlichen Prozesse.22 Bemerkenswert ist, dass die Sinnhaftigkeit fiskalischer Regeln für die EWU-Teilnehmer sich in den letzten Jahren hin zu einer eher positiven Beurteilung dieser Regeln gewandelt hat.23 Auf der Grundlage der beschriebenen unterschiedlichen Theoriekonzepte werden dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zwei Aufgaben zugeschrieben: 1. der Stabilitätspakt als Instrument zur Verhinderung negativer externer Effekte expansiver Finanzpolitik einzelner EWU-Mitglieder, 2. der Stabilitätspakt als exogenes (supranationales) Instrument zur Begrenzung innerstaatlicher Neigung zur Verschuldung aufgrund bestehender Anreize im politischen System.24

2. Der Stabilitätspakt

als Instrument zur Verhinderung

eines bail-out

Trotz der „no bail-out-Klausel" im EGV bestehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Klausel, die aus der Bestimmung des Art. 100 EGV den finanziellen Beistand für unverschuldet in Schwierigkeiten geratene Mitgliedstaaten erlaubt. Hohe staatliche Defizit- und Schuldenquoten erhöhen das Risiko von Zahlungsschwierigkeiten und können sich im Extremfall zu einer Finanzmarktkrise entwickeln. Die EU mit einem hochintegrierten Finanzmarkt und einer einheitlichen Währung und Geldpolitik kann die Zahlungsunfähigkeit einer großen Insti21

Vgl. J. M Buchanan (1958). Vgl. Β. Kampmann (1997), S. 17 ff. 23 Kritiker des Maastricht-Vertrages sind insbesondere W. H. Buiter / G. Corsetti / N. Roubini( 1993) und P. de Grauwe (1996). 24 Vgl. hierzu: M Sutter (2000), S. 39. 22

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus wirtschaftstheoretischer Sicht

93

tution (ob Staat, Geschäftsbank oder institutioneller Anleger) sehr rasch auf andere Institutionen und andere Staaten überspringen. 25 Die damit verbundenen Kosten könnten andere Mitgliedstaaten veranlassen, dem betreffenden Staat Hilfszahlungen bzw. Transfers zu gewähren. Dies würde zu einer direkten Belastung der öffentlichen Haushalte der anderen EWU-Staaten fuhren. 26

3. Der Stabilitätspakt

zur Durchsetzung von Budgetkonsolidierungen

Die Untersuchungen in den 80er Jahren zeigen den Zusammenhang zwischen en budgetpolitischen Institutionen und der Höhe der Neuverschuldung eines Staates auf. Sie schufen die wissenschaftliche Grundlage, um die fiskalischen Regeln des Maastricht-Vertrages und den Stabilitätspakt als exogenes Instrument zur Durchsetzung von Budgetkonsolidierungen zu interpretieren. 27 Tabelle 1 Zeitpfad der Budgetdefizite zur Reduktion der Schuldenquote auf 60 % des BIP innerhalb von 20 Jahren bei einem prognostizierten Wachstum von 5 % Staat

Zeitpfad des gesamtwirtschaftlichen Defizits in % des BIP 1997 >60

Belgien Dänemark Deutschland Griechenland Spanien Irland Italien Niederlande Österreich Portugal Schweden

1997

1999

2000

2015

2017

122,2 65,1 61,3 108,7 68,8 66,3 121,6 72,1 66,1 62,0 76,6

2,56 2,83 2,85 2,63 2,82 2,83 2,56 2,80 2,83 2,85 2,78

2,41 2,82 2,85 2,51 2,79 2,81 2,42 2,77 2,81 2,84 2,74

0,19 2,64 2,80 0,77 2,48 2,59 0,22 2,34 2,60 2,77 2,15

0,10 2,61 2,80 0,54 2,44 2,56 -0,08 2,28 2,57 2,76 2,07

58,0 6,7 55,8 53,4

2,87 3,11 2,88 2,89

2,87 3,24 2,89 2,90

2,94 5,14 3,04 3,14

2,95 5,40 3,06 3,17

1997 60

Belgien Dänemark Deutschland Griechenland Spanien Irland Italien Niederlande Österreich Portugal Schweden

1997

1999

2000

2015

2017

122,2 65,1 61,3 108,7 68,8 66,3 121,6 72,1 66,1 62,0 76,6

-0,21 1,33 1,43 0,16 1,23 1,29 -0,19 1,15 1,30 1,41 1,02

- 0,28 1,32 1,43 0,10 1,22 1,29 - 0,26 1,14 1,29 1,41 1,00

-1,42 1,23 1,40 -0,79 1,06 1,17 -1,39 0,90 1,18 1,37 0,69

-1,57 1,21 1,40 -0,91 1,03 1,16 -1,47 0,87 1,17 1,37 0,65

58,0 6,7 55,8 53,4

1,52 2,89 1,58 1,64

1,52 2,96 1,58 1,65

1,56 3,93 1,66 1,77

1,56 4,06 1,67 1,79

1997 10,0 0,0

Abbildung 3: Staatsquoten im internationalen Vergleich Quelle: Bundesministerium der Finanzen (1999): Finanzbericht 2000, S. 394.

22

Thomas Lenk / Andreas Mathes (1999), S. 36.

Europäische Währungsunion: Zwang zur Steuerharmonisierung?

135

Eine Harmonisierung der Steuern hätte somit zur Folge, dass sich das Niveau der Staatstätigkeit weiterhin angleichen müsste. Während einige Länder staatliche Aktivitäten einschränken müssten, hätten andere Länder wegen zusätzlicher Einnahmen einen größeren Spielraum. Doch nicht nur das Angebotsniveau, sondern auch die Angebotsvielfalt könnte auf diese Weise beeinträchtigt werden und eine Abstimmung des Angebotes öffentlicher Güter mit den Präferenzen der jeweiligen Bürger verhindern und so zu Wohlfahrtsverlusten führen. Zumal hier Pfadabhängigkeiten und Gewohnheit der Bürger zu stärkeren Nutzeneinbußen führen könnten als dies bei einer vollständigen Neukonstitution der Fall wäre. Überdies sind auch die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung interregional sehr verschieden, wodurch eine Harmonisierung nicht gleichbedeutend einer gleichen Angebotsstruktur ist23, so dass Anreize zur Wanderung damit dennoch bestehen bleiben.24 Je nach Ausmaß der Bestrebungen würde die Harmonisierung bzw. Zentralisierung zu einer Trennung von Finanzierungs- und Ausgabenkompetenz - mit allen negativen Folgen - führen. Da Artikel 3b EWG-Vertrag die Subsidiarität als eines der obersten Ziele der Europäischen Gemeinschaft festschreibt, beinhaltet die Umsetzung dieses Prinzips die Sicherung einer weitgehenden Ausgaben· und Einnahmenautonomie der Mitgliedstaaten. Nur dann kommen die Vorteile eines föderalen Staatswesens wirksam zur Geltung. Gerade die Möglichkeit, Steuern oder wenigstens Zuschläge oder Abschläge eigenverantwortlich regeln zu können, sind in erster Linie Voraussetzung für Präferenzgerechtigkeit und fiskalische Äquivalenz sowie für den Wettbewerb der regionalen Einheiten. Andernfalls sind Steuerbelastung und Nettonutzen der öffentlichen Ausgaben durch den Wähler nicht mehr direkt zuordenbar, womit gleichzeitig auch die restringierende Wirkung dieses Kontrollmechanismus außer Kraft gesetzt wird. Sind die Mitgliedsländer nicht mehr in der Lage, ihre Steuerpolitik an den regionalen Präferenzen auszurichten und werden statt dessen die Einnahmen von Faktoren abhängig gemacht, die das einzelne Land selbst nur in begrenztem Maße beeinflussen kann, bedeutet dies, dass die politischen Entscheidungsträger eines Landes nicht mehr für die durch sie mitverursachten Steuererhöhungen verantwortlich gemacht werden. Statt dessen erfolgt eine Überwälzung der - an den Präferenzen der übrigen Mitgliedsstaaten gemessen - übermäßigen 23

Besonders die Finanzierung der Sozialen Sicherung, die sich EU-weit etwa auf gleichem Niveau von rund einem Drittel des BIP bewegt, unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Finanzierung (Versicherungs-, Versorgungs- oder Fürsorgeprinzip) recht deutlich. So schwankt der Anteil der Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen (1996) zwischen 3,1 v. H. in Dänemark, 13,5 v. H. in Irland und 40,6 v. H. in Deutschland bzw. 43,1 v. H. in Frankreich, (vgl. Bundesministerium der Finanzen (1999), S. 398). 24 Kronberger Kreis (1992), S. 56.

136

Thomas Lenk und Anja Birke

Steuerlast auf Dritte. Es entfällt der effizienzfördernde Prozess des Abwägens bezüglich Höhe und Struktur der regionalen Staatsquote, indem Steuerbelastung einerseits und positive Ausgabeneffekte andererseits einander gegenüber gestellt werden.25 Durch die Harmonisierung von Steuern wird also- und hier trifft die gleiche Argumentation wie in der Diskussion um die Verteilung der Steuerkompetenzen in Deutschland zu - nur einer der beiden Wettbewerbsparameter ausgeschaltet. Der zweite frei zu gestaltende Parameter der Regionen wäre und ist die Versorgung mit öffentlicher Infrastruktur. Bei einem exogen festgelegten Steuersatz ist es den Regionen möglich, durch ein verbessertes Angebot öffentlich finanzierter Güter Kapital anzulocken. Folglich können sich die Länder kurzfristig besser stellen, wenn sie ihre Infrastruktur über das optimale Maß hinaus ausbauen und somit eine Überversorgung mit Infrastruktur hervorrufen. Diese Situation wird jedoch bereits imföderalen System der Bundesrepublik als äußerst unbefriedigend angesehen, da auch hier die Länder keinerlei eigene Steuergestaltungskompetenz haben und damit lediglich ein Wettbewerb auf der Ausgabenseite stattfindet, der eine effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter gefährdet. Überhaupt ist die Frage zu stellen, ob nicht durch eine Harmonisierung der Steuersätze und hier insbesondere von Mindestsätzen bei der Mehrwertsteuer das meist hohe bis zu hohe Niveau der heutigen Staatstätigkeit manifestiert wird 26 und damit gleichzeitig die Chance zu einer Disziplinierung des öffentlichen Sektors unter Effizienzgesichtspunkten vertan wird, die selbst mit einem nicht perfekten Steuerwettbewerb einher gehen würde.27 Es scheint realistischer, in dem steuerlichen Wettbewerb eine „Zügelung der Leviathane" zu sehen, der die Steuerpflichtigen vor übermäßiger Inanspruchnahme schützt, als von einem Steuerwettlauf gegen Null zu sprechen, für den weder eindeutige Anzeichen vorliegen28 noch die theoretisch notwendigen Voraussetzungen vollständigen Wettbewerbs im neoklassischen Sinne erfüllt sind.29 Eine Angleichung der Steuern durch zentrale Festlegung würde dem einzelnen Bürger über das bekannte Maß hinaus die Möglichkeit zur Kontrolle der Staatstätigkeit nehmen. Denn je mehr politische und administrative Gremien zwischen ihm und der politischen Führung liegen, je mehr also die Unmittelbarkeit der politischen Willensbildung in der Masse an Wählern untergeht, umso 25

Thomas Lenk / Friedrich Schneider ( 1999), S. 414 f. Bei einem gegebenen Aufgaben- und Ausgabenbestand wird kein Land bereit sein, zulasten des staatlichen Defizits Aufkommenseinbußen in Kauf zu nehmen, so dass mit einer Festsetzung von Mindestsätzen auf einem höheren Niveau eher zu rechnen ist als auf niedrigerem Niveau. (Vgl. Hans Dietrich von Loeffelholz ( 1996), S. 94). 27 Friedrich Schneider ( 1995), S. 15. 28 Stefan Homburg (1997), S. 309; vgl. auch Bernd Huber (1997), S. 247 - 250; Geoffrey Brennan / James Buchanan ( 1980). 29 Thomas Apolte (1999), S. 166 f. 26

Europäische Währungsunion: Zwang zur Steuerharmonisierung?

137

geringer ist das Stimmgewicht des einzelnen. Umso mehr wird der einzelne die Kosten seiner Information und Entscheidungsvorbereitung scheuen und dem Einfluss von Interessengruppen und „Meinungsmachern" unterliegen.30 Auf der anderen Seite ist aber das Kontrollbedürfnis insbesondere bei jenen Steuern hoch, deren Bemessungsgrundlage wie z. B. bei der Einkommensteuer quasi automatisch wächst. Denn im Gegensatz zu jenen Steuern, deren Bemessungsgrundlage nur durch ein ausdrückliches Gesetzgebungsverfahren mit der entsprechend vorangehenden politischen Diskussion erhöht werden kann, benötigen die Bürger vor allem Kontrollmöglichkeiten, um die progressiven Steuern möglichst niedrig zu halten.31

III. Schlussfolgerungen Die Ambivalenz der vorgetragenen Argumente erlaubt kaum ein abschließendes Urteil für oder gegen die Steuerharmonisierung in der Europäischen Union. Die wissenschaftliche Grundlage für eine überzeugende Harmonisierungspolitik erscheint unzureichend, denn weder die Entscheidung für Steuerwettbewerb, noch für eine weitgehende Koordinierung und Harmonisierung hält der Kritik in dem notwendigen Umfang stand. Allerdings scheinen auf Grund eingeschränkter Faktormobilität die aus der Qualität staatlich finanzierter Güter resultierenden Wettbewerbsbeschränkungen keine Veranlassung zu geben, die Steuererhebung zentral zu koordinieren, um ein „race to the bottom" zu verhindern. Umso wichtiger erscheint daher das Argument besserer Präferenzberücksichtigung in den homogeneren nationalen Einheiten, wenngleich auch hier keine vollständige Anbindung wegen der Mobilitätshemmnisse zu erwarten ist.32 Je nach Standpunkt, historischem Background und aktuellen nationalen Zielen der Steuerpolitik fällt die Bewertung in den einzelnen Mitgliedsländern unterschiedlich aus. Soll also weiterhin der Subsidiaritätsgrundsatz- sowie der Dezentralisierungsgrundsatz in Europa fortbestehen, so kann man nicht die Einnahmenseite in einem hohen Maße zentral determinieren, und hoffen, dass die Ausgabenseite autonom in einer effizienten Manier gesteuert wird. Beide Budgetseiten müssen parallele Einflussmöglichkeiten gestatten. Dennoch sollte die Frage der Steuerharmonisierung weiterhin in ernsthaftem Bestreben eine Lösung zu finden, diskutiert und nicht kurzfristigen Schwierigkeiten und protektionistischem Verhalten geopfert werden. Die bisherige Kon30

Anja Birke (2000), S. 49 - 52; Arthur Benz (1998), S. 21 \ Adrian Bothe (1989), S.

27 f. 31 32

Gebhard Kirchgässner / Werner W. Pommerehne (1994), S. 18. Thomas Apolte (1999), S. 172 f.

138

Thomas Lenk und Anja Birke

vergenz der Steuer- und Abgabensysteme der letzten Jahre bewirkte nicht zuletzt auch einen Rückgang steuerlich bedingter Wettbewerbsverzerrungen. Die Steuerharmonisierungsfrage ist also nach Krause-Junk weniger eine Frage des „Ob" als vielmehr des „Wie". D. h. soll „die europäische Steuerharmonisierung zukünftig einzelnen Interventionen der Kommission und ggfs. dem Case Law des EuGH überlassen werden, oder sollen die politischen Gremien der EU, also in erster Linie der Europäische Rat und das Europäische Parlament, neue Versuche unternehmen, zu einer systematischen, ... aufklaren Prinzipen aufgebauten Lösung gelangen?" Nur das auf letztere Art umsetzbare Mehrheitsprinzip vermeidet den Einfluss partikularer Interessen.33 Eine solche auf Systematisierung und Rationalisierung gerichtete Steuerharmonisierung, sollte zudem ihre bisher noch im Dunkeln liegenden Ziele definieren. Insbesondere erscheint konkretisierungsbedürftig, welche wesentlichen Anforderung an das Steuersystem hinsichtlich seiner Effizienz- und Wachstums-, Verteilungs- oder Aufkommenswirkungen sowie hinsichtlich seiner konjunkturpolitischen Reagibilität und in Bezug auf eine Vereinfachung der Steuerverwaltung erreicht werden sollen und welche Rangordnung der einzelnen Ziele erwartet wird. 34 Unter Umständen wäre in diesem Systematisierungsprozess auch zu prüfen, ob der zentralen Ebene nicht eine eigene Steuer zugewiesen werden soll, für die sie je nach Erfordernis Entscheidungskompetenz besitzt, wobei dann wiederum die Gefahr einer zunehmenden Aufgabenverlagerung auf die europäische Ebene besteht. Eine kompromissfähige Lösung scheint insbesondere die Vorgabe von Rahmengrößen und -verfahren für die nationale Festlegung von Steuerparametern zu sein, die einerseits die negativen Folgen eines unkoordinierten Wettbewerbes verhindern, andererseits aber genügend Freiraum für eine auf die regionalen Präferenzen abgestimmte Steuerpolitik belassen. Eine reine Steuersatzangleichung wird nur wenig zur Problemlösung beitragen. Eine andere mögliche Lösung, die eigenständig oder in Verbindung mit der erstgenannten Variante Harmonisierungsmöglichkeiten bietet, besteht darin, proportionale Steuern wie die Mehrwertsteuer zu harmonisieren, progressive Steuern jedoch der dezentralen Entscheidungskompetenz zu überlassen. Die Vereinheitlichung der proportionalen Steuern vermeidet so negative Anreize wie das „cross-border-shopping", während durch die Dezentralisierung der progressiven Steuern redistributive und allokative Zielsetzungen entsprechend den Vorstellungen der dezentralen Einheiten verwirklicht werden können.35

33 34 35

Gerold Krause-Junk ( 1996), S. 106. Hans Dietrich von Loeffelholz (1996), S. 97. Gebhard Kirchgässner; Werner W Pommerehne (1994), S. 20.

Europäische Währungsunion: Zwang zur Steuerharmonisierung?

139

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Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und die daraus folgenden Anpassungserfordernisse seiner Steuerpolitik Von Dimitris A. Sakkas

I. Grundzüge des griechischen Steuersystems L Gilt das Wagnersche Gesetz noch? Bevor wir uns mit dem möglichen Einfluss der EWU-Mitgliedschaft Griechenlands auf die Höhe und Struktur seines Steuersystems auseinandersetzen, gehen wir kurz auf die Entwicklung und Besonderheiten dieses Systems ein. Zunächst aber stellen wir hier einen einfachen Entwicklungsaspekt des griechischen öffentlichen Sektors vor. Es ist nämlich offensichtlich, dass das gegenwärtige Steuersystem - wie das System jedes Landes - im großen und ganzen von der Entwicklung und den sozialökonomischen Funktionen des entsprechenden öffentlichen Sektors beeinflusst wird. Wir halten es daher an dieser Stelle für angebracht, die Hauptmerkmale der Nachkriegsentwicklung des griechischen öffentlichen Sektors darzustellen. Der Anteil des einheimischen Bruttoinlandprodukts (BIP), welcher in der Form von öffentlichen Ausgaben vom Staat und den übrigen öffentlichen Gebietskörperschaften in der Nachkriegszeit - mindestens bis Anfang der 90er Jahre - in Anspruch genommen wurde, war ständig gewachsen. Von 28,8% im Jahre 1970 stieg er auf 51,5 % im Jahr 1985. In den 90er Jahren schlug diese Entwicklung allerdings um und setzte ein Kontraktionsprozess ein (vgl. Tabelle 1). Wie aus dieser Tabelle leicht zu ersehen ist, stellt der Beschluss zur Verminderung der öffentlichen Ausgaben in der letzten Dekade keine Ausnahmeerscheinung des griechischen Entwicklungsprozesses dar. Sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigen, ähnlich wie Griechenland, eindeutig die Tendenz, innerhalb von kurzer Zeit eine spürbare Reduzierung ihrer öffentlichen Ausgaben vorzunehmen. Tabelle 1 manifestiert diesen allgemeinen Kontraktionsprozess zumindest für die Periode der 90er Jahre und wirft gleichzeitig die theoretische Frage auf, ob bereits das bisher historisch bestätigte Wagnersche Gesetz über wachsende Staatsausgaben seine Gültigkeit eingebüßt hat oder die allgemein beobachtete

142

Dimitris A. Sakkas

Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivität des Staates eine mehr oder weniger konjunkturelle Erscheinung, d. h. vorübergehender Natur ist. Tabelle 1 Die öffentlichen Ausgaben der EU-Staaten in % ihres BIP 1993

1996

1999

Schweden Dänemark Frankreich Österreich Finnland Belgien Italien Niederlande Deutschland Portugal Spanien Ver. Königreich Griechenland

72,3 62,8 55,0 55,1 62,8 56,9 58,1 56,4 49,4 44,0 48,3 46,8 49,6

65,7 60,3 55,2 54,7 59,4 53,2 53,3 50,6 49,4 43,2 44,0 44,2 46,3

62,7 57,1 53,8 51,1 51,0 50,3 49,3 48,9 47,3 43,1 41,8 41,0 40,8

EU (15)

52.9

50.8

47.8

Quelle: Finanzministerium, Bericht des Finanzministers zum Haushaltplan des Jahres 2000, Athen Nov. 1999, σελ. 28.

Ohne näher auf diese Frage einzugehen, kann man nun entsprechend der Entwicklung des öffentlichen Sektors auch das griechische Steuersystem, so wie es sich in der Nachkriegszeit entwickelt hat, durch folgende drei Punkte beschreiben1:

2. Der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt Wie sich aus der folgenden Tabelle 2 ergibt, hat sich der Anteil der Steuereinnahmen Griechenlands am BIP (Beiträge zur Sozialversicherung mitgerechnet2), im Gegensatz zu den öffentlichen Ausgaben erhöht. Die Tendenz zur allmählichen Verminderung des in der Nachkriegszeit bestehenden Defizits zwischen öffentlichen Ausgaben und Steuereinnahmen ist damit unübersehbar. Dies deutet offensichtlich wiederum auf die Absicht der Regierungen hin, die altbekannte neoklassische Vorkriegsdoktrin des ausgeglichenen Staatshaushalts all1

Siehe näheres dazu: C. Break, and R. Turvey, 1964 und I M M (Idrima Mesogiakon Meieton), 1993 (griechisch). 2 Ohne die Beiträge zur Sozialversicherung würde der Anteil der Steuern am BIP entsprechend für 1980: 15,2 %, für 1990: 19,5 % und für 1999: 23,0 % betragen.

143

Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und seine Steuerpolitik

mählich wiederherzustellen und von dem allzu oft praktizierten Keynesianischen „deficit spending" Abschied zu nehmen. Die Angaben der Tabelle 2 in Zusammenhang mit den entsprechenden Daten der Tabelle 1 zeigen die fortschreitende Reduzierung der bisherigen Höhe des potentiellen Haushaltdefizits und somit die Vermeidbarkeit des „deficit spending" seitens der griechischen Regierung. Das gleiche gilt mehr oder weniger für alle EU-Staaten. Diese Tendenz der Konvergenz zwischen der absoluten Höhe der öffentlichen Ausgaben und Steuereinnahmen deutet daraufhin, dass das „neue" Motto der Finanzpolitik - bereits vor der Anwendung des „Stabilitäts- und Wachstumspaktes3" - eher an einem ausgeglichenen als unausgeglichenen Haushalt orientiert war. Tabelle 2 Die Steuereinnahmen der EU-Staaten als % ihres BIP 1980

1990

1999

Irland Schweden Dänemark Frankreich Österreich Finnland Belgien Italien Niederlande Deutschland Portugal Spanien Ver. Königreich Griechenland

34,0 50,1 46,2 41,5 43,3 38,2 45,7 31,9 45,8 42,8 30,7 26,8 35,4 23,0

33,7 56,2 47,6 44,2 43,3 45,5 45,6 39,9 44,8 40,6 32,0 36,0 35,8 31,2

32,8 52,8 51,2 46,1 46,3 46,3 47,5 43,7 40,7 42,9 38,9 35,0 37,7 36,1

EU (14)

39 Λ

41.0

42.5

USA Japan

26,6 25,4

26,8 30,8

(1998) 28,6 26,2

Quelle: European Commission , European Economy No 69, 1999.

3 Die Kompliziertheit

und Undurchsichtigkeit

des Steuersystems

Eines der Hauptcharakteristika des griechischen Steuersystems ist ohne Zweifel seine Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit. Diese negativen Eigenschaften äußern sich und werden weitgehend bestätigt durch folgende Tatsachen: 3

Siehe dazu, EZB, Monatsbericht Mai 1999 und R. Weiland, 2000.

144

Dimitris A. Sakkas

a) die große Anzahl der geltenden Steuern allgemein und besonders der indirekten Steuern. Ein großer Teil dieser Steuern wird außerdem im Namen Dritter erhoben und zu ihren Gunsten verwendet. Nach Schätzungen von KEPE (Center of Planning and Economic Research ) dürfte im Jahr 1967 die Anzahl dieser Steuern 1800 betragen haben. b) die vielen unterschiedlichen Steuervergünstigungen, Nachlässe und Befreiungen, welche in Form von Investitionsanreizen, Exportsubventionen, steuerlicher Unterstützung von Fusionen bzw. Unternehmenszusammenschlüssen und ausländischen Direktinvestitionen, seit Anfang der 50er Jahre durch verschiedene Gesetze zum Schutz der - in erster Linie - einheimischen Industrieproduktion und zur Förderung der Kapitalbildung verabschiedet wurden. c) die große Anzahl von „außerordentlichen" Steuern und Beiträgen die ursprünglich zur Finanzierung von besonderen und / oder einmaligen ökonomischen oder sozialpolitischen Ereignissen eingeführt wurden, seitdem aber fester Bestandteil des geltenden Steuersystems des Landes geworden sind. d) die Anwendung mehrerer unterschiedlicher Steuern zur Besteuerung eines einzigen, in der Regel importierten, Gutes. Das gleiche gilt für die Anwendung mehrerer Steuersätze für eine einzige Steuer. Die Einführung der Mehrwertsteuer im Jahre 1987 hat allerdings entscheidend zur Vereinfachung des Steuersystems beigetragen. e) die Unbestimmtheit bzw. Ungewissheit über die geltende Steuerbasis und die entsprechenden Bemessungsgrundlagen mancher wichtiger Steuern. Zu diesem hier skizzierten Zustand des griechischen Steuersystems führte zunächst, besonders im Falle der Steuer zu Gunsten Dritter die Existenz von übermäßig vielen Trägern der Sozialversicherung, sowie anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Allein das Ministerium für Gesundheit und Sozialversicherung hat ca. 380 unterschiedliche Sozialversicherungsträger unter seiner Aufsicht. Jeder dieser Träger hat seine eigenen Einnahmen, die er oft aus mehreren unterschiedlichen Quellen bezieht. Der Versicherungsträger der Juristen z. B. (dazu zählen außer den berufsmäßigen Juristen auch das Verwaltungspersonal des Justizministeriums) bezieht seine Beiträge aus 21 unterschiedlichen Quellen. Einige davon sind einfach Steuern, deren Zahlungsträger sich außerhalb des beruflichen Aktivitätsbereichs der Juristen befinden, und die übrigen stellen Beiträge der Mitglieder dar. Die bereits beschriebene Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit des griechischen Steuersystems stellt einen der Hauptgründe für seine hohen Verwaltungskosten und das große Ausmaß der Steuerhinterziehung in Griechenland dar4. 4

Vgl. auch KEPE (Center of Planning and Economic Research), 1995.

Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und seine Steuerpolitik 4. Das Verhältnis zwischen direkten und indirekten

145

Steuern

Der verglichen mit den direkten Steuern relativ große Anteil der indirekten Steuern am Gesamtsteueraufkommen stellt eine weitere Besonderheit des griechischen Steuersystems dar. Im Jahre 1990 betrug dieser Anteil 69,5%, 1995: 64,3% und 1999: 60,8%. Die Mehrwertsteuer, die Sonderverbrauchsteuern und die Tabaksteuer machen inzwischen mehr als 80% der Einnahmen aus indirekten Steuern aus. Die prozentuale Struktur der öffentlichen Einnahmen aller EUStaaten sowie der USA und Japan werden in Tabelle 3 gezeigt. Griechenland ist dabei das einzige Land mit einstelligem Anteil der direkten Steuern am BIP. Tabelle 3 Öffentliche Einnahmen (in % des BIP) -1999 Staaten

Indir. Steuern (1)

Belgien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Schweden Spanien England EU-15 U.S.A Japan

12,9 19,1 12,7 14,5 15,5 14,7 13,5 16,0 16,2 13,8 15,6 14,6 17,6 11,8 14,2 14,4 6,9 8,3

Eink.- u. Vermögst. (2)

Sozialvers. Beiträge (3)

Übrige laufd. Einnahm. (4)

Insgesamt (1-4) (5)

18,3 31,3 10,3 18,1 12,8 8,1 12,9 14,4 13,2 12,4 13,9 10,8 23,4 10,9 16,2 13,6 14,4 7,1

16,8 3,4 19,4 13,2 19,4 12,9 3,8 13,2 10,9 18,4 16,6 11,7 13,9 13,6 7,8 15,1 9,1 11,4

1,4 6,0 2,4 6,4 3,6 4,2 1,3 3,1 4,3 2,4 2,6 4,1 7,9 3,9 2,1 3,1 5,6 4,4

49,4 59,7 45,0 52,2 51,4 39,9 31,5 46,7 44,6 47,1 48,7 41,1 62,8 40,2 40,3 46,1 36,0 31,2

Quelle: Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen: Europäische Wirtschaft, Grundzüge der Wirtschaftspolitik 1999, Nr. 68, 1999.

Zwei andere Aspekte, die das griechische Steuersystem der Nachkriegszeit charakterisieren, sind a) die niedrige Höhe des offiziell durch die Steuererklärungen angegebenen Einkommens und b) die Verteilung der entsprechenden Steuerlasten unter den verschiedenen Sozialgruppen bzw. Berufen. Die folgende Tabelle 4 vermittelt ein Bild dieser tatsächlich ungewöhnlichen Verteilung der Steuerlasten unter den Sozial- und Berufsgruppen. 10 Paraskcwopoulos

Dimitris A. Sakkas

146

Das offiziell angegebene Einkommen im Jahre 1990 stellte nur 28,0% des tatsächlichen Bruttoinlandproduktes Griechenlands dar. Im Jahr 1995 erhöhte sich dieser Anteil auf 36,3%5. Viele, meist kleine und mittlere Unternehmen verwenden oft das unübersichtliche Steuersystem, um sich entweder an den aufrichtigen Steuerzahlern zu bereichern oder ihrem unmittelbar bevorstehenden Bankrott zu entgehen. Tabelle 4 Prozentuale Verteilung der Lasten aus der Einkommenssteuer 1990,1995

1. Allgemeine Einkommensbezieher 2. Händler, Industrielle, Handwerker 3. Landwirte 4. Lohn- und Gehaltsempfänger 5. Freie Berufe 6. Rentner

1990 4,8 25,3 0,3 42,4 10,4 16,8

1995 5,4 26,2 0,1 39,1 13,9 14,3

insgesamt

100,0

100,0

Quelle: Berechnet aus NSSG, Public Finance Statistics 1992, 1995.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass das gegenwärtige griechische Steuersystem das Produkt von historischen und sozialpolitischen Umständen ist6. Indem der große Anteil des Steueraufkommens aus indirekten Steuern besteht und die direkten ungerecht unter den verschiedenen Einkommenskategorien verteilt sind, ist es dazu sozial schwer zu verantworten. Seine sozialökonomischen Hauptfunktionen in der Nachkriegszeit waren de facto der Schutz (vor ausländischer Konkurrenz) und die Förderung der einheimischen und auch ausländischen Unternehmenstätigkeit und die reibungslose Kapitalbildung besonders im Bereich der Infrastruktur. In der letzten Zeit (90er Jahre), hauptsächlich nach dem intensiven und konsequenten Versuch der griechischen Regierungen, die Maastrichter Konvergenzkriterien zu erfüllen, sind allerdings einige der bereits dargelegten negativen Aspekte des einheimischen Steuersystems durch den erzwungenen Angleichungsprozess der griechischen Wirtschaft in positive Bewegung geraten oder sogar vollständig beseitigt worden7. 5

NSSG: Public Finance Statistics 1991 und 1995. Dazu zählen in erster Linie, außer der 4jährigen Besatzungszeit, der 3-jährige Bürgerkrieg mit seinen schwerwiegenden und langanhaltenden politischen Folgen sowie die 7-jährige Militärdiktatur (1967-1974) mit der Verschärfung der Zypernfrage und den gespannten Beziehungen zur Türkei. 7 Wie z. B. das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern, die Verteilung der Einkommenssteuer unter den verschiedenen Sozial- und Berufsgruppen, die Ab6

Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und seine Steuerpolitik

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II. Die Entwicklungsperspektiven der griechischen Wirtschaft und die entsprechende Rolle der Steuerpolitik In Zusammenhang mit dem erwarteten Einfluss der EWU-Mitgliedschaft auf die Reformbedürfnisse des griechischen Steuersystems sind grundsätzlich drei Fragenkomplexe in Betracht zu ziehen, nämlich a) die bisherige Entwicklungsproblematik Griechenlands und die daraus abgeleiteten Funktionen der Steuerpolitik b) das Verhältnis zwischen den geänderten Bedingungen, die durch die Teilnahme an der EWU entstehen werden und der Fortsetzung des Wachstumsprozesses und c) die Möglichkeiten der einheimischen Steuerpolitik, diesen Prozess zu fördern, ohne dabei i) den Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu sprengen und ii) den seit 1.12.1997 geltenden Verhaltenskodex der EU-Mitgliedstaaten über den sogenannten „unfairen" bzw. „schädlichen" Steuerwettbewerb zu umgehen8.

/. Die bisherigen Entwicklungsprobleme

Griechenlands

Es ist zunächst zu bemerken, dass die griechische Wirtschaft in der Zeit vor 1981, d. h. dem Jahr der Annahme des griechischen Antrags auf volle Mitgliedschaft in der damaligen EWG, trotz ihrer technologischen Abhängigkeit und daher beschränkten Konkurrenzfähigkeit eindrucksvolle Entwicklungs- und Wachstumserfolge aufweisen konnte. Die Steuerpolitik hatte dabei in dieser Zeit, wie bereits erwähnt, als Hauptfunktion den Schutz (vor der ausländischen Konkurrenz) und die Förderung der einheimischen Produktion und Kapitalbildung. Seit Beginn der Vollmitgliedschaft Griechenlands aber im Jahre 1981 bis mindestens Mitte der 90er Jahre ( bis 1996) hat die damals mit hohen Erwartungen verbundene Mitgliedschaft kaum positive Impulse für den einheimischen Entwicklungsprozess ausgelöst. Ganz im Gegenteil. Die erste Zeit der Mitgliedschaft (1981-1990) ist durch die langandauernde Stagnation der Produktion und der Investitionen, charakterisiert. Die Wachstumsrate des BIP, welche bis zu dieser Zeit positiv und eindeutig über der entsprechenden Rate des EU-Durchschnitts lag, fiel in den 80er Jahren abrupt unter diesen Durchschnitt, obwohl Griechenland in der gleichen Zeit bedeutende Transferzahlungen aus der EU erhalten hat9. Tabelle 5 zeigt die entsprechende Entwicklung.

Schaffung vieler Steuervergünstigungen und Befreiungen, die im Rahmen des politischen Klientismus vergeben wurden u.s.w. 8 Siehe dazu: W. Mueller , 1998. 9 Es wäre sicherlich übertrieben und ungerecht, die ganze Verantwortung für diese negative Entwicklung allein auf den Einfluss der EU-Mitgliedschaft zu schieben. Die in dieser Zeit verfolgte Wirtschaftspolitik trägt ohne Zweifel den größeren Teil dieser Verantwortung. Vgl. dazu E. Tsakalotos, 1998 undA. M. Pereira, 1999. 10*

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Dimitris A. Sakkas Tabelle 5 Durchschnittliche Wachstumsrate des BIP (in Preisen von 1995) (1961-70) (1971-80) (1981-90) 1990 1992 1994

Griechenl. E.U (15)

8,5 4.9

4,6 3.0

0,7 2.4

0,0 3.0

0,7 1.2

2,0 2.8

1996 2,4 1.6

1998 2000* 3,7 2.6

3,8 3.0

* Schätzungen der Kommission Quelle: European Commission: European Economy No 69 1999

Bezeichnend für die weiterhin bestehende Konkurrenzschwäche Griechenlands besonders nach 1981, als der Konkurrenzdruck spürbar zugenommen hat, ist auch die allgemeine Entwicklung und Richtungsänderung des griechischen Außenhandels. Der Anteil der griechischen Importe, der von den entsprechenden Exporten finanziert wurde, ist von 48,8% im Jahre 1980 auf 40,3% (1990) und 28,5% im Jahr 1998 zurückgegangen10. Das gleiche gilt auch für die Außenhandelsbeziehungen zur EU. Die Importe Griechenlands aus den EU-Staaten, welche durch die entsprechenden Exporte gedeckt werden konnten, betrugen 1980 58,5%, 1990 22,1% und 1997 21,0%n. Dieses an sich für das Entwicklungsniveau Griechenlands ungewöhnlich hohe Außenhandelsdefizit wird einerseits durch die Deviseneinnahmen aus dem Tourismus und der Schifffahrt und andererseits durch die unentgeltlichen Devisenübertragungen aus dem Ausland, namentlich die Überweisungen der griechischen Gastarbeiter und die Transferzahlungen der Europäischen Union finanziert. Die Nettotransferzahlungen der EU stellten in der letzten Zeit (nach 1990) insgesamt 3,5- 4,5 % jährlich des griechischen BIP und 23-33% des Außenhandeldefizits dar 12. Wie bereits erwähnt, setzte erst in den letzten 5 Jahren (nach 1995) ein befriedigender Entwicklungsprozess in Griechenland ein. In dieser Periode wurde konsequenter die eigentlich seit Anfang der 90er Jahre praktizierte restriktive Finanz-, Einkommens- und Geldpolitik mit hohen Zinssätzen und überbewerteter Drachme verfolgt. Diese Politik konnte- mit Ausnahme der Schuldenhöhe der Regierung - die sogenannten Konvergenzkriterien von Maastricht erfüllen und damit in dem Gipfeltreffen von Feira in Portugal (Juni 2000) die Teilnahme Griechenlands an der EWU ab 1. Januar 2001 ermöglichen. Die Steuerpolitik, parallel zu ihren bisherigen Entwicklungsfunktionen und trotz der bereits festgestellten Reformbedürftigkeit des einheimischen Steuersystems, leistete dabei durch die erhöhten Steuereinnahmen einen entscheidenden Bei-

10

NSSG: Statistical Yearbooks of Greece for various Years and Bank of Greece, Monthly Statistical Bulletin Oktober 1999. 11 Ebenda. 12 Siehe dazu: Α. Ν. Manassaki , 1998 (in griechisch).

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trag zur Erfüllung der Kriterien des jährlichen Haushaltdefizits und der Inflationsrate.

2. Die Entwicklungsperspektiven

der EWU-Mitgliedschaft

Aus den bisherigen Ausführungen wird ohne weiteres ersichtlich, dass das zentrale Problem der griechischen Wirtschaft ihre beschränkte Konkurrenzfähigkeit ist. Diese hauptsächlich produktionsstrukturbedingte Schwäche13 konnte bis jetzt, trotz der bedeutenden EU-Transferzahlungen, kaum in nennenswertem Ausmaß beseitigt werden. Das eigentliche Problem der Konkurrenzfähigkeit, ausgedrückt durch die übermäßig große Anzahl der kleinen und technischorganisatorisch oft rückständigen Produktionseinheiten in fast allen Bereichen der einheimischen Produktion, bleibt im Grunde, trotz gewisser Fortschritte, nach wie vor bestehen14. Die entscheidenden Änderungen, die der fortschreitende EU-Integrationsprozess mit sich brachte, sind die Intensivierung des ausländischen Konkurrenzdrucks und die wachsenden EU-Transfers. Die bevorstehende Teilnahme an der Währungsunion macht einfach das Problem der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft insgesamt transparenter und für die politisch Verantwortlichen noch dringlicher als bisher. Es scheint nun fast selbstverständlich zu sein, dass eine geeignete Entwicklung im geographischen Raum Griechenlands, welche die adäquate Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung sichern und allmählich einen dem EUDurchschnitt nahe kommenden Lebensstandard bieten kann, von der Realisierung folgender Möglichkeiten abhängt : a) der zunehmenden Durchführung von ausländischen Direktinvestitionen, die bisher nur im beschränkten Ausmaß getätigt wurden. Dadurch kann die direkte technische Verbindung der einheimischen Produktion mit den technologie» und innovationsproduzierenden Zentren des Auslandes hergestellt werden. b) der Ausarbeitung eines langfristig angelegten „Modernisierungsprogramms" seitens der griechischen Regierung mit dem Hauptziel, nicht nur den jeweils im Ausland erreichten Stand der Technik selektiv anzuwenden, sondern darüber hinaus einen geeigneten Mechanismus aufzubauen, der Innovationen erzeugen und sich im ganzen griechischen Raum ausbreiten kann.

13

Vgl. D. A. Sakkos, 1995 und 1997. Zum ökonomischen Überleben vieler dieser Einheiten haben ohne Zweifel auch das bestehende Steuersystem und die breite Steuerhinterziehung, die es de facto verursacht, beigetragen. 14

150

Dimitris A. Sakkas

c) der Fortsetzung der EU-Transferzahlungen auch nach 2006- wenn auch im kleinerem Umfange - um einerseits die noch modernisierungsbedürftige Infrastruktur weiter zu verbessern und andererseits der einheimischen Bevölkerung Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten, um dadurch ihre möglichen Auswanderungspläne überflüssig zu machen.

3. Die Anpassungserfordernisse

des griechischen Steuersystems

Esfragt sich nun, welche neuen Steuerregelungen erforderlich sind, damit der seit Mitte der 90er Jahre eingeleitete Wachstumsprozess der griechischen Wirtschaft aufrechterhalten bleibt und gleichzeitig gewisse Fortschritte in Richtung realer Konvergenz erreicht werden können. Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die Realisierung der bereits beschriebenen Entwicklungsperspektiven in der Zeit nach dem Beitritt zur EWU von vielen Faktoren abhängt, die von Griechenland nur beschränkt beeinflusst werden können. Man kann zunächst von den gegenwärtigen Gegebenheiten, die gewissermaßen als „Daten" für die griechische Wirtschaftspolitik gelten, ausgehen, um den Rahmen und die Möglichkeiten der nationalen Steuerpolitik zu bestimmen. Hier sind zu erwähnen a) die Transferzahlungen der EU, die eigentlich bis 2006 reichen b) die restriktiven Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts c) der Steuerharmonisierungsstand in der EU d) das steuerpolitische Verhalten vieler EU-Staaten, das weder mit ihren vertraglich verankerten Verpflichtungen noch mit den Vereinbarungen im Verhaltenskodex kompatibel ist e) der verglichen mit den EU-Standards große Rückstand Griechenlands im Bereich der Sozialleistungen (Rentenniveau, Gesundheit, Arbeitslosigkeit u.s.w.) und f) die überdurchschnittliche Höhe der griechischen Staatsschulden (gegenwärtig über 100% des BIP). Angesichts dieser Gegebenheiten dürften die griechischen Steuerpolitiker vor einem fast unüberwindlichen Dilemma stehen. Einerseits sollten sie wesentliche Steuersenkungen sowohl für die Lohn- und Gehaltsempfänger als auch für die Unternehmen vornehmen, um dadurch die bisher im Namen der Konvergenzkriterien von Maastricht verschobene Konsumnachfrage zu beleben und die immer noch bescheidene Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft anzuheben, und andererseits zusätzliche Gelder auffinden, um den großen Rückstand Griechenlands im Bereich der Sozialleistungen zu reduzieren und die Senkung der belastenden Staatsschulden zu beschleunigen. Es scheint im Moment, dass die einzige mögliche Finanzierungsquelle, ohne dabei neue Steuern aufzuerlegen, nur in der Rationalisierung bzw. Einschränkung der Staatsausgaben zu finden ist. Diese Möglichkeit auszunutzen ist aus sozialpolitischer Sicht, wie man sich vorstellen kann, nicht unproblematisch.

Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und seine Steuerpolitik

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Die griechische Regierung hat neuerdings einige steuersenkende Maßnahmen angekündigt und beabsichtigt, sie zusammen mit anderen weiteren Steuerregelungen in das längst fällige Steuergesetz einzubeziehen. Es handelt sich um die allmähliche Senkung der Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer von 45% auf 40% in zwei Etappen (jeweils 2,5%) und die Besteuerung der nicht an der Börse eingeschriebenen AGs von 40% auf 35% ebenfalls in 2 Etappen). Gleichzeitig ließ sie die steuerfreien Beträge für die Lohn- und Gehaltsempfänger von bisher 1,6 Mio. Drachmen ( etwa 9,5 Tsd. DM) auf 1,9 Mio. Drach. (11,1 Tsd. DM) im Jahre 2000 und 2,3 Mio. Drach. (13,5 Tsd. DM) im Jahre 2001 steigen. Parallel dazu kündigte sie die Anpassung der Steuerskala im Rhythmus von 2 Jahren gemäß den laufenden Inflationsraten, und die Gewährung mancher anderer Erleichterungen, wie die Erhöhung des Kindergeldes, die Abschaffung einer speziellen Steuer für Bankgeschäfte u. s .w., an. Außer diesen an sich bescheidenen Maßnahmen, die offensichtlich mit der EWU-Mitgliedschaft Griechenlands zusammenhängen, muss die Regierung dazu a) viele Steuern, Steuerbefreiungen und Nachlässe, die inzwischen entweder ökonomisch unbedeutend oder sozialpolitisch unakzeptabel sind, abschaffen b) das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern verbessern und c) die gerechtere Verteilung der Steuerlasten aus der Einkommensteuer herbeiführen. Letztere Änderungen standen schon vor der EWU-Teilnahme Griechenlands auf der Tagesordnung der steuerpolitischen Diskussionen. Aus der kurzen Darstellung der von der Regierung beabsichtigten und teilweise realisierten Steueränderungen im Zusammenhang mit den Konkurrenzproblemen der griechischen Produktionseinheiten in der EU werden die Grenzen seiner Finanz- bzw. Steuerpolitik aufgezeigt. Die so hart erkämpfte Mitgliedschaft in der EWU bringt sicherlich einige potentielle Vorteile, die mehr politischer als ökonomischer Natur sind. Unter der gegebenen Organisation und Funktionsweise der EU hängt es in erster Linie von der Entwicklung der Konkurrenzfähigkeit und der Standortattraktivität Griechenlands ab, ob die potentiellen in tatsächliche Vorteile umgesetzt werden. Wenn man von den zeitlich begrenzten EU-Übertragungen absieht, besitzt aber Griechenland, außer der Finanzpolitik, kaum einen anderen EU-konformen Mechanismus, um durch seinen Einsatz die wirtschaftliche Aktivität und die Beschäftigung auf einem für die EU-Standards adäquatem Niveau sicherzustellen. In diesem Zusammenhang fällt außerdem das national diktierte steuerliche Verhalten der meisten EU-Partner besonders negativ auf. Es ist daher von besonderem Interesse und für unsere Diskussion ergiebiger, uns über das EU-Steuersystem, das für die Entwicklung Griechenlands bestimmend sein wird, Gedanken zu machen statt uns ausschließlich auf den Einzelfall der griechischen Besteuerungsproblematik zu beschränken.

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Dimitris A. Sakkas

III. Das geltende Besteuerungssystem in der EU 1. Die Koordinierungsversuche

der direkten Steuern

Der Verhaltenskodex von 1998 sowie die problematischen Vereinbarungen in Santa Maria da Feira Portugals (Juni 2000 ) für die Zinsbesteuerung15 stellen nur einen kleinen Fortschritt dar, um einen „fairen" Steuerwettbewerb in der EU durchzusetzen. Man muss wissen, dass die Einhaltung des fairen Wettbewerbs grundsätzlich der politischen Selbstverpflichtung der Mitgliedsländer überlassen wurde. Insoweit kann man im Falle der direkten Besteuerung kaum über einen Harmonisierungs- bzw. Koordinierungsversuch der EG-Kommission sprechen. Hier herrscht offensichtlich ein Mosaik national diktierter Steuersysteme16. Das gegenwärtig angewandte System der direkten Steuern wird hauptsächlich als Instrument des Steuerwettbewerbs benutzt, um via Steuerreduzierungen und -Vergünstigungen die Unternehmen und die technisch hochqualifizierten Fachkräfte in ihren Entscheidungen entsprechend zu beeinflussen. Im Rahmen dieser Zielsetzungen sind in der letzten Zeit in allen EU-Ländern sowohl die Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer als auch die Steuersätze der Körperschaftssteuer für die einbehaltenen Unternehmensgewinne fast ausnahmslos reduziert worden (siehe Tabelle 6). Formen des Steuerwettbewerbs, die mittlerweile praktiziert werden, betreffen in erster Linie a) die Gewährung von günstigen Konditionen für Holding- und Kapitalanlagegesellschaften in manchen EU-Mitgliedsländern17 b) die Gewinntransferierung der international operierenden Unternehmen per internem Verrechnungspreismechanismus in Länder mit relativ niedrigerem Besteuerungsniveau c) die Verlagerung von Finanzkapital und seiner Hauptfunktionen auf Briefkastenfirmen, die in „Steuer-Oasen" gegründet werden und d) die Gewährung von steuergünstigen Konditionen zur Attrahierung von spezialisierten und entsprechend verdienenden Fachkräften 18. Diese an sich wettbewerbsverzerrenden Praktiken verdanken ihr gegenwärtiges Gedeihen in erster Linie der vielseitigen Akzeptanz des Steuerwettbewerbs als Mittel zur Rationalisierung der öffentlichen Haushaltsgrößen und somit zur Steigerung der sozialen Wohlfahrt. Es ist aber offensichtlich, dass der wohl-

15

Siehe dazu H.-H. Hertel, 2000. Siehe z. B. H. O. Jacobs und Ch. Spengel, 1995. 17 Man kann hier z. B. die „ Custom House Docks Area" in Irland, die „Koordinationszentren" in Belgien, die „international headquarters" in Frankreich, die Sonderzone „Kanarische Inseln" sowie die Regelungen in Luxemburg und in den Niederlanden nennen. 18 Siehe näheres dazu R. Ch. Plath, 1999 und R. Windisch, 1999. 16

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fahrtstheoretisch begründete Steuerwettbewerb ohne den unübersehbaren Expansionsdrang des Kapitals „des scheuen Rehs"19, kaum überzeugen würde. Tabelle 6 Entwicklung der Einkommensteuer (Spitzensätze) und Belastung der einbehaltenen Gewinne (in % ) in der Zeit 1984 - 1998 EU - Staaten

(1) Belgien Dänemark Deutschland Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Schweden Spanien Ver. Königr. U.S.A (New York) Japan

Einkommensteuer Spitzensatz 1984 1998 (2)

Änderung zwischen 1984-1998 (3)

Belastung einbehalt. Gewinne in % 1984 1998 (4)

Änderung zwischen 1984-1998 (5)

76,3 64,6 56,0 65,0 63,0 66,0 70,7 57,0 72,0 62,0 80,0 80,0 66,0 60,0 58,8

60,8 60,0 53,0 54,0 45,0 48,0 46,0 47,2 60,0 50,0 40,0 56,0 56,0 40,0 45,4

-20,3 - 4,0 - 5,4 - 16,9 -28,6 -27,3 -34,9 - 17,2 - 16,7 - 19,4 -50,0 -30,0 -15,1 -33,3 -22,8

45.0 40,0 56,0 50,0 43,4 50,0 46,4 40,0 48,0 55,0 47,2 52,4 35,0 50,0 51,4

40,2 34,0 45,0 41,7 35,0 38,0 37,0 31,2 35,0 34,0 39,6 28,0 35,0 31,0 46,5

-10,7 - 15,0 - 19,6 - 16,6 -19,4 -24,0 -20,2 -22,0 -27,1 -38,2 - 16,1 -46,0 0,0 -38,0

88,0

65,0

-26,1

52,3

44,6

- 14,7

- 9,5

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln ( zitiert aus W. Fuest / B. Huber: Steuer als Standortfaktor im internationalen Wettbewerb, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, 252, Köln 1999 S. 19,20.

2. Der Harmonisierungsstand

der indirekten Steuern

Im Gegensatz zum chaotischen Zustand der direkten Steuern stützt sich das System der indirekten Besteuerung auf einheitliche Bemessungsgrundlagen und das Bestimmungslandprinzip. Man konnte allerdings bisher keine einheitlichen Steuersätze vereinbaren, wie folgende Tabelle zeigt. Dem derzeit geltenden „Übergangsregelungssystem" für die Mehrwertsteuer wird oft angelastet, es sei

19

L. P. Feld IG. Kirchgässner,

1995.

154

Dimitris A. Sakkas

besonders für die kleinen Unternehmen kostspielig, verwaltungsmäßig kompliziert und für Steuerhinterziehung anfällig. Auch wenn diese Behauptungen teilweise den Tatsachen entsprechen sollten, hat sich trotzdem das derzeit akzeptierte System der Mehrwertsteuern als der bisher bestmögliche Kompromiss erwiesen. Das gleiche gilt auch - was die Steuersatzunterschiede anbetrifft - für die Sonderverbrauchsteuern, d. h. die Tabak-, Mineralöl-, und alkoholischen Getränke auferlegten Steuern. Hier ist allerdings, im Gegensatz zur Mehrwertsteuer, das Bestimmungslandprinzip endgültig beschlossen. Schließlich sei angemerkt, dass die noch geltende Einstimmigkeitsregel und die existierenden Interessenunterschiede der einzelnen EUStaaten keine große Hoffnung auf eine baldige Vereinheitlichung der Steuersätze und somit eine endgültige Regelung für das EU-Mehrwertsteuersystem aufkommen lassen. Tabelle 7 Umsatzsteuersätze in EU und anderen Staaten (April 1999) Staaten

Umsatzsteuersysteme Normalsatz

EU-Staaten Belgien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Schweden Spanien Vereinigtes Königreich

Steuersätze ermäßigte

Nullsatz

Mehrwertsteuer " " " " " "

" " " " " " "

21 25 16 22 20,6 18 21 20 15 17,5 20 17 25 16 17,5

1; 6; 12 7 8; 17 2,1; 5,5 4; 8 3,3; 12,5 4; 10 3; 6 ; 12 5 10; 12 5; 12 6; 12 4; 7 5

ja ja —

ja — —

ja ja —

ja ja

Andere Staaten Japan USA-Einzelstaaten USA-Gemeinden Schweiz

Mehrwertsteuer Verkaufsteuer Verkaufsteuer Mehrwertsteuer

5 0 bis 6,5 0 bis 7 6,5

2; 3

Quelle: Bundesfinanzministerium (zitiert aus Stefan Back. Eurokolleg 41 (1999) S. 3.

-

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IV. Das Problem der gleichzeitigen Wirkung zweier Integrationsprozesse 1. Die weltweite Integration und die Integration in der EU Unsere Ausführungen zeigen unmissverständlich, dass die bisherigen Steuerregelungen in der EU, besonders jene für die direkten Steuern, keinesfalls dem bereits erreichten hohen Stand und den Erfordernissen des ökonomischen Integrationsprozesses der 15 Mitgliedsländer entsprechen. Angesichts dieser Tatsache hätte man von den einzelnen Mitgliedstaaten erwartet, dass sie ihre laufenden Steuerpläne hauptsächlich mit dem Ziel, die bestehende Kluft zwischen Integrations- und Steuerkoordinierungsstand zu schließen, konzipieren würden. Stattdessen konzentrieren sich die nationalen Steuerreformbemühungen auf den Aufbau von möglichst effizienteren Besteuerungssystemen als bisher, um dadurch sowohl dem europäischen als auch dem internationalen Konkurrenzdruck standzuhalten bzw. zu ihrem Vorteil auszunutzen. Die allgemeine Losung lautet: drastische Reduzierung der direkten Steuern, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen oder entsprechende Nachteile abzuwenden. Es fragt sich nun, angesichts der baldigen Vollendung der Währungsunion und der diskutierten Unionserweiterung, wie sich die derzeit angewandten, aber an sich höchst problematischen Regelungen im Bereich der EU-Besteuerung (hauptsächlich der direkten Steuern) weiterentwickeln können, so dass sie einerseits dem Druck der Globalisierung Rechnung tragen und andererseits den fortgeschrittenen Integrationsprozess der Union fördern bzw. nicht unterminieren. In Zusammenhang mit diesen Fragen sollte man sich zuerst Klarheit über die Frage verschaffen, ob die Globalisierungserfordernisse des Kapitals in all seinen Formen und die gegenwärtigen Forderungen des Integrationsprozesses der Union20 zwei an sich konkurrierende oder komplementäre Ziele darstellen. Zweitens wäre es erforderlich zu prüfen, inwieweit die offizielle Anerkennung des Steuerwettbewerbs unter den Mitgliedsstaaten ihren Willen zur Integrationsförderung oder letzten Endes zur verdeckten institutionellen Ausnutzung der EUMitgliedschaft zum Ausdruck bringt. Es ist zunächst offensichtlich, dass einerseits die Globalisierung der Produktion und der Märkte und andererseits die weltweite Kapitalexpansion zwei Seiten des an sich gleichen Prozesses sind. Beide bedienen sich des Wettbewerbs und tragen dadurch zwangsläufig zur fortschreitenden Integration der Wettbewerbsteilnehmer und somit auch der Länder der EU bei. Gemäß dieser Logik kann entsprechend die EU-Integration als ein Teil der Gesamtintegration angesehen werden. Hier scheinen also auf den ersten Blick der Globalisierungspro20 Mit dem Art. 130a des EG-Vertrages wird die EU praktisch beauftragt, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der benachteiligten Gebiete zu verringern.

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Dimitris A. Sakkas

zess und die Wirtschaftsintegration in der EU zwei eher komplementäre als sich ausschließende Ziele zu sein. Diese Schlussfolgerung erweist sich aber bei näherer Betrachtung als irreführend. Die aus dem Globalisierungsprozess hervorgehende Wirtschaftsintegration und die Integration, die aus den EU-Verträgen erwächst, stellen zwei diametral verschiedene Vorbilder von Wirtschaftsintegration dar. Die EU-Integration erfolgt - mindestens bis jetzt - gemäß den kollektiven Entscheidungen der EUMitglieder im Rahmen eigener wirtschafts- und sozialpolitischer Grundsätze und Prinzipien, die zum großen Teil die einzigartige Kultur- und Sozialgeschichte ihrer Mitglieder widerspiegeln. Dieses Integrationsvorbild widerspricht eindeutig den propagierten Erfordernissen des Globalisierungsprozesses, der ohne jegliche Vereinbarung auf internationaler Ebene (ζ. B. UNO) den bedingungslosen Konkurrenzkampf und die Minimierung der staatlichen Aktivität für sämtliche Integrationsteilnehmer - gleichgültig ob wirtschaftlich entwickelt oder unterentwickelt - konsequent fordert. Es versteht sich nun von selbst, dass die Hauptmerkmale der sich daraus ergebenden Integrationsstruktur durch die Maßstäbe der jeweiligen Wettbewerbsgewinner bestimmt werden. Das dominierende Konzept der gegenwärtigen Protagonisten des Globalisierungsprozesses ist, im Gegensatz zu EU-Grundsätzen, die ungehinderte Erweiterung der Markt- und Konkurrenzverhältnisse und die entsprechende Einschränkung der staatlichen Aktivität. Die völlig unkontrollierten Bewegungen des Finanzkapitals mit ihren oft krisenhaften Konsequenzen sowie die sozialpolitischen Folgen der fortschreitenden Abschaffung des Wohlfahrtstaates sind zwei besorgniserregende Globalisierungsaspekte, die langfristig eine Bedrohung für die soziale Kohäsion und den Frieden darstellen21. Die EU-Staaten mit relativ niedrigem technisch-organisatorischen Entwicklungstand, die sich in späteren Stadien an die Union anschlossen, haben sehr wahrscheinlich die EG-Mitgliedschaft angestrebt, um in erster Linie ihren technologischen und ökonomischen Rückstand durch den erwarteten Kapitalstrom und den technisch-organisatorischen Beistand der entwickelteren Partner zu überwinden. Es wäre nämlich töricht, die Mitgliedschaft in einer Wirtschaftsunion zu beantragen, nur um an einem schonungslosen Konkurrenzkampf mit weitgehend überlegenen Partnern teilzunehmen. Die genau entgegengesetzten Motive, nämlich die Sicherstellung eines erweiterten Aktivitätsraumes für ihre eigenen Unternehmen, dürfte der Hauptgrund für die Mitgliedschaft der technisch-ökonomisch entwickelteren EU-Länder sein. Die freizügige Bewegung von Gütern und Produktionsfaktoren sowie die Sorge um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Mitgliedstaaten stellen deshalb zwei der wich21 Bezeichnend dafür ist die Warnung des Generalsekretärs des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften Bill Jordan, 1997 auf der einer von „The Philip Morris Institut for Public Policy Research" veranstalteten Diskussion.

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tigsten konstitutiven Elemente der Europäischen Union dar. Fraglich ist allerdings nur, inwieweit sich die einzelnen Mitgliedstaaten beider Interessengruppen des Kompromisscharakters dieses Interessenausgleichs bewusst und von ihm überzeugt sind. Denn davon hängt zum großen Teil ab, ob man zum Schluss der Integration der EU oder der entsprechenden Globalisierungsintegration den Vorzug gibt.

2. Wird die EU-Integration

durch den Steuerwettbewerb

gefördert

?

Wie im Falle der Globalisierung ist primäres Ziel des Steuerwettbewerbs unter den EU-Mitgliedern nicht sosehr die Rationalisierung der öffentlichen Finanzen - obwohl dies auch zum Teil erfolgen kann - sondern Wettbewerbsvorteile herauszuarbeiten oder entsprechende Nachteile abzuwehren. Diese primär verfolgten Ziele des EU-Steuerwettbewerbs unterscheiden sich kaum von den entsprechenden Zielen und Instrumenten des international praktizierten Steuerwettbewerbs. Mehr noch kann der Steuerwettbewerb unter den EU-Staaten wegen der institutionell geschaffenen günstigeren Bedingungen für Waren- und Kapitalbewegungen auch leichter von den Wettbewerbsteilnehmern missbraucht werden. Außer den bestehenden Missbrauchsmöglichkeiten sind es auch die offiziell anerkannten Beweggründe dieses Wettbewerbs, die direkt der wirtschaftlichen und politischen EU-Integration widersprechen. Denn es ist äußerst fragwürdig, ob der Versuch der einzelnen Mitglieder, sowohl ihre eigenen als auch die Ressourcen der übrigen EU-Partner in ihren geographischen Einflussbereich zu locken bzw. einzubinden, zur Förderung der EU-Integration beiträgt. Die reduzierte Steuerbelastung seitens der einzelnen EU-Länder verursacht zwangsläufig wesentliche Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der Produktion und der Märkte. Der Steuerwettbewerb verfälscht also zunächst durch die verwaltungsmäßigen, nicht über Technologie und Produktivität verursachten Veränderungen der Kostenstruktur der betroffenen Produzenten, die Wettbewerbsbedingungen und damit die optimale Allokation der Ressourcen.

3. Die Verstärkung des europäischen

Finanzföderalismus

Bei der Auseinandersetzung über die Effizienz der Steuerharmonisierung bzw. Steuerkonkurrenz im EU-Raum unterschätzt man oft zwei grundlegende Tatsachen: erstens, dass die Hauptkonkurrenten der Union (USA und Japan) sowohl wirtschaftlich als auch politisch einheitliche Staatsgebilde darstellen zweitens, dass einige der Mitgliedsländer (z. B. die kohäsionsfondberechtigten Staaten) weit unter dem Entwicklungsniveau der technisch-organisatorisch fortgeschrittenen EU-Partner liegen. Grundvoraussetzung aber für ökonomisch sinnvolle und politisch akzeptable Ergebnisse eines freien Marktwettbewerbs

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(sowohl international als auch unter den EU-Staaten) dürfte wohl das Vorhandensein vergleichbarer Startbedingungen für alle Teilnehmer sein. Diese alte Weisheit22 geriet allzu oft und nicht nur bei Politikern in Vergessenheit. Wenn nun als Hauptanliegen der EU die reibungslose Integration ihrer Mitglieder empfunden wird, dann sollte man eigentlich erkennen, dass die Steuerkonkurrenz nicht aus den Bedürfnissen des EU-Integrationsprozesses, sondern aus den Globalisierungszwängen entstanden ist. Um das Steuersystem auf ihren bereits erreichten Integrationsstand anzuheben, benötigt die Union eine langfristig konzipierte Finanzföderalistische Verfassung 23. Sie soll einerseits dem sozioökonomischen Zusammenhalt der Mitgliedsländer Rechnung tragen und andererseits die Konkurrenzfähigkeit der EU-Produktionseinheiten verbessern. Mit der Einführung eines dazu geeigneten Finanzausgleichs wird der Angleichungsprozess in der EU forciert und das bisher kaum vorhandene Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Mit der unvermeidlichen Etablierung eines adäquaten föderalistischen Systems wird die EU allmählich bei den Konsultationen, die im Rahmen der Globalisierung stattfinden, als eine wirtschaftliche und politische Einheit auftreten, was sicherlich positive Rückwirkungen auf die EU-Wirtschaft haben wird. Angesichts der herrschenden Lage in den Besteuerungssystemen der EU-Mitglieder sollte man zunächst den bereits informell und in großen Zügen bereits funktionierenden Europäischen Finanzausgleich24 institutionell anerkennen und ihn durch den längst fälligen Steuerharmonisierungsprozess entsprechend untermauern. Die Notwendigkeit eines EU-Finanzausgleichs ergibt sich dazu aus dem ständig wachsenden Druck des internationalen Wettbewerbs, und der unmittelbaren Gefahr, ihm wegen unkoordinierter EU-Steuerpolitik zu erliegen.

Literatur Alogoskoufis , George (1995): The two faces of Janus: institutions policy regimes and macroeconomic performance in Greece, in: Economic Policy, April 1995, S. 149-191. Bach, Stefan (1999a): Steuerpolitik in Europa zwischen Wettbewerb und Harmonisierung, Perspektiven nationaler und europäischer Steuerpolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, in : (FES) Eurokolleg, Nr. 41. Beihefte der Konjukturpolitik: Fiskalischer Föderalismus in Europa, Heft 49. 22

Vgl. F. List, 1910, S. 66 ff. und S. 233 - 234. Gewisse Aspekte einer solchen Verfassung finden sich z. B. in dem Band Fiskalischer Föderalismus in Europa, Beihefte der Konjunkturpolitik Heft 49, 1999 und bei A. Oberhauser (Hrsg.), 1997. 24 Siehe z. B. dazu F. Walthes, 1996 und M. Kraff, 1997. 23

Die EWU-Mitgliedschaft Griechenlands und seine Steuerpolitik

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Die Bedeutung des Euro für ausgewählte Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas Von Werner Klein

I. Einführung Der Thematik dieses Beitrags entsprechend, sind im wesentlichen nachfolgend drei wirtschaftshistorisch und wirtschaftspolitisch komplexe Aspekte zu behandeln. Der erste betrifft - grob skizziert - den Euro, genauer gesagt jenen geld- und währungspolitischen Integrationsraum, der mit der Europäischen Währungsunion (EWU) zu identifizieren ist. Wirtschaftshistorisch gesehen handelt es sich hierbei um das vorläufige Ergebnis eines Prozesses, der ökonomisch und politisch betrachtet in Westeuropa mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) im Jahre 1951 seinen Anfang nahm und an Tiefe und Breite durch die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft gewann. Das Programm zur Vollendung des Binnenmarktes in der Mitte der achtziger Jahre beschreibt den weiteren Versuch, den sogenannten vier ökonomischen Freiheiten der Römischen Verträge: freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie freie Bewegung für den Faktor Arbeit endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Dieses Programm wurde inzwischen in den Mitgliedsstaaten der nunmehrigen Europäischen Union (EU) weitgehend, wenn auch noch nicht vollständig, durchgesetzt. Mit anderen Worten: Die EU stellt insofern und institutionell gesehen einen regionalen Wirtschaftsraum mit einer vergleichsweise hohen Integrationsdichte dar, messbar ζ. Β. an der inzwischen erreichten Bedeutung der gemeinschaftlichen Rechtsakte sowie der Intensität der gegenseitigen Außenwirtschaftsbeziehungen: Außenhandel, Dienstleistungen, Kapitalverkehr; weniger bei der Partizipation von Arbeitskräften aus anderen Mitgliedsländern an der jeweiligen nationalen Wertschöpfung. Die Ergänzung der Römischen Verträge durch den Vertrag von Maastricht (1992) mit dem Ziel der Schaffung der Europäischen Währungsunion (EWU) stellt den Versuch dar, auf der institutionellen Basis des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und mit dem Euro als gemeinsamer Währung den europäischen Integrationsprozess speziell auf dem Gebiet der Geld- und Währungspolitik weiter voranzutreiben und damit auch die wirtschaftliche Integration der Mitgliedsländer der EU bzw. EWU zusätzlich zu fördern. Der mit dem

11 Paraskcwopoulos

162

Werner Klein

Terminus Euro gemeinte Wirtschaftsraum ist zunächst auf die ursprünglichen 11 Gründungsmitglieder der Europäischen Währungsunion bezogen und nunmehr nach dem Beschluss des Europäischen Rates von Feira 2000 auch einschließlich Griechenland als zwölftem Mitgliedsstaat. Mit dem Euro verbindet sich im Kontext der zu behandelnden Thematik die Tatsache einer für die Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas neuen Dimension ihrer Außenwirtschaftsbeziehungen mit dem Euro als der für diese Länder dominanten Fremdwährung. Die Spezifik im Hinblick auf die erwähnten Staaten bildet einen weiteren zu behandelnden Aspekt, begründet dadurch, dass die bisherigen Erweiterungen in der Mitgliedschaft der EG, Länder mit prinzipiell marktwirtschaftlichen Ordnungsstrukturen ihrer Wirtschaftssysteme betraf. Gemeinsam ist allen gemeinten Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas, dass sie seit etwas mehr als zehn Jahren einen Prozess der Transformation ihrer Wirtschaftssysteme von einer Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs (Ausnahme Ungarn) in eine privatwirtschaftliche Marktwirtschaft durchlaufen. Hierbei unterscheiden sich, bei prinzipiell gleicher ordnungspolitischer Orientierung, die Konzeptionen der Transformationsstrategien der einzelnen Länder im Hinblick auf die ordnungspolitisch-institutionellen Maßnahmen teilweise ganz erheblich voneinander. Dies mag, wie noch zu zeigen sein wird, die Ursache dafür sein, dass sich hinsichtlich der Festigung marktwirtschaftlicher Strukturen und im Gefolge und als Ergebnis dessen erhebliche Unterschiede mit Bezug auf wichtige makroökonomische Leistungskennziffern, wie z. B. Wachstum, Beschäftigung, Geldwertstabilität, Verschuldung sowie außenwirtschaftliche Performance einschließlich Attrahierung von Direktinvestitionen zeigen. Mit der Transformation ihrer Wirtschaftssysteme ging für die gemeinten Länder nicht nur ein radikaler ordnungspolitisch-institutioneller Wandel einher, sondern auch als Folge dessen eine vollkommene Neuorientierung ihrer außenwirtschaftlichen Ausrichtung. War diese, was den Güterhandel anbelangt, bis zum Zusammenbruch des RGW auf diesen Wirtschaftsraum konzentriert die baltischen Staaten selbst waren, wie bekannt, bis zu ihrer Unabhängigkeit Teilgebiete des Wirtschaftsgebiets der UdSSR - ergab sich im Gefolge der Transformationsprozesse in dieser Beziehung eine radikale Neuorientierung in Richtung auf die Integration in die bestehenden Strukturen der Weltwirtschaft mit Dominanz der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Gleichzeitig wuchs der Wunsch dieser Staaten, über kurz oder lang in den europäischen Integrationsprozess durch Mitgliedschaft in der EU eingebunden zu werden, zumal die Geschichte der EG bzw. EU auch durch mehrere Erweiterungen in deren Mitgliedschaft geprägt ist. Letztendlich wird mit der Mitgliedschaft in der EU angestrebt, auch Mitglied der Europäischen Währungsunion (EWU) zu werden. Die Gemeinsamkeit der im Folgenden ausführlicher dargestellten ausgewählten Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas leitet sich her aus den Prüfungser-

Die Bedeutung des Euro für Mittel-, Ost- und Südosteuropa

163

gebnissen bezüglich jener Kriterien, die in der „Agenda 2000" der EU im Hinblick auf die Erweiterungsmöglichkeiten der EU genannt werden. Von dem Ergebnis der Prüfung dieser Kriterien hängt der Beginn von Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und beitrittswilligen Ländern ab. Unterschiede in den Prüfungsergebnissen haben zur Unterscheidung zwischen den Ländern einer ersten Beitrittswelle und jenen der sogenannten „übrigen Länder" geführt. Die hier näher betrachteten Länder zeichnen sich durch ihre Zugehörigkeit zur Kategorie der „übrigen Länder" aus. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich nicht nur mittel-, ost- und südosteuropäische Staaten ehemals sozialistisch-planwirtschaftlicher Prägung um die Mitgliedschaft in der EU bewerben, sondern auch Länder wie Zypern, Malta und die Türkei, Länder also mit prinzipiell mehr oder minder stark marktwirtschaftlich-institutioneller Ausprägung der Ordnungsstrukturen ihrer Wirtschaftssysteme. Wie bereits erwähnt, ist die Bewerbung um die Mitgliedschaft in der EU nur als erster Schritt zu verstehen, der letztlich auch Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion (EWU) ist. Es gilt daher nicht nur, den Stand der Entwicklung jener Kriterien der „Agenda 2000" im Hinblick auf die genannten Kandidatenländer der möglicherweise zweiten Beitrittswelle zu prüfen, sondern auch, ob jene Kriterien erfüllt werden oder erfüllt werden können, die zum Beitritt zur EWU berechtigen. Die nachfolgende Darstellung bezieht sich auf drei Länder Mittel- bzw. Südosteuropas: die Slowakische Republik, Rumänien und Bulgarien. Die getroffene Auswahl erfolgte vornehmlich aus zwei Gründen: erstens die Entwicklung und der Stand des Transformationsprozesses im Vergleich zu den Beitrittsländern der ersten Welle und zweitens die wirtschaftliche und geographische Nachbarschaft bzw. Nähe zu einem Mitgliedsland der EU. Die Slowakei ist zum einen hervorgegangen aus dem Sezessionsprozess mit Tschechien, einem Kandidaten der ersten Beitrittswelle, hatte bis vor kurzem erhebliche Defizite in den Transformationsbemühungen zu verzeichnen und ist geographischer Nachbar des wirtschaftlich starken Nachbarlandes und EU-Mitglieds Österreich. Die wirtschaftliche Entwicklung Rumäniens ist geprägt durch eine ambivalente und teilweise sehr zögernd betriebene Transformationspolitik, in deren Konsequenz der Stand makroökonomischer Leistungskennziffern markant hinter jenen anderer Transformationsländer zurückgeblieben ist. Geographisch und wirtschaftlich gesehen kann Rumänien eine gewisse Brückenfunktion zwischen dem zentraleuropäischen und dem südosteuropäischen Raum der EU ausüben. Diese letztere und ein gewisses Zurückbleiben im Transformationsprozeß gelten auch für Bulgarien. Bulgarien ist aber insofern im Kontext der zu behandelnden Thematik von Interesse, weil sich dieses Land zwecks monetärer Stabilisierung eines Currency-Boards bedient. Nicht zuletzt sollte auch die geographische Nähe zu Griechenland, einem Mitgliedsland der EU und demnächst auch der EWU, von Bedeutung sein.

1

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Werner Klein

Zunächst sei das Integrationsproblem der Transformationsländer kurz in allgemeintheoretischer Sicht dargestellt. Hieran anschließend werden im Lichte dieser theoretischen Überlegungen die Prüfungsergebnisse der Europäischen Kommission anhand der Kriterien der „Agenda 2000" mit Bezug auf die genannten Länder dargestellt. Abschließend wird zusammenfassend die Bedeutung des Euro für die betroffenen Länder referiert.

II. Integration und Integrationsmethoden aus theoretischer Sicht Der Begriff Integration im Kontext der Transformation ehemals sozialistischplanwirtschaftlicher Wirtschaftssysteme und der zu behandelnden Thematik weist zwei Aspekte auf. Erstens gilt es, im Wege der ordnungspolitischen Umgestaltung die zentralplanwirtschaftlichen Lenkungs- und Allokationssysteme durch solche abzulösen, die dem Typus einer privatwirtschaftlichen Marktwirtschaft entsprechen. Damit ist gemeint, dass nunmehr der gesamtwirtschaftliche Rechnungszusammenhang auf der Basis marktdeterminierter Preise und so eine prinzipiell andere Form der Binnenintegration als unter den überkommenen Ordnungsbedingungen herzustellen ist. Unter den bis zum Beginn der Transformation geltenden Umständen institutioneller Art genügte lediglich die Freigabe der Preise nicht, um einen effizienten gesamtwirtschaftlichen Rechnungszusammenhang herbeizuführen und die damit einhergehende Binnenintegration auf der Basis marktwirtschaftlicher Ordnungsstrukturen zu bewirken. Die gemeinte Binnenintegration setzt nämlich unter anderem voraus, dass mindestens drei Ebenen zentralplanwirtschaftlicher Beherrschungstechniken durch marktwirtschaftliche Lenkungsformen zu ersetzen sind1: •

Aufhebung der dominant mengenmäßigen zentralen Planung und Lenkung des Wirtschaftsgeschehens,



Aufhebung der betrieblichen Branchenmonopole,



Abschaffung der systemspezifischen staatlichen Preisfestsetzungen und -regulierungen.

Damit wird bewirkt, dass die Planungskompetenzen, als Grundvoraussetzung für die Integrationsfähigkeit nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, individualisiert werden. Die gleichzeitige Beseitigung quantitativer Bewirtschaftungsmethoden, das Aufbrechen binnenwirtschaftlicher Monopole und die Aufhebung des staatlichen Außenwirtschaftsmonopols sowie die Privatisierung im Sinne der Etablierung exklusiver und transferierbarer Eigentumsrechte führt dazu, dass die damit einhergehende Tauschfreiheit an Breite und Effizienz gewinnen 1

Schüller / Wenzel( 1991), S. 284.

Die Bedeutung des Euro f r Mittel-, Ost- und Südosteuropa

165

kann.2 Freilich bedarf es zur Etablierung eines wettbewerblich-marktwirtschaftlichen Preissystems eines institutionellen Rahmens, der die im Übergangsprozess anfallenden möglicherweise extrem hohen Transaktionskosten der Nutzung von nunmehr anonymen Tauschbeziehungen möglichst rasch zu reduzieren vermag. Die grenzüberschreitende Ausdehnung der durch marktwirtschaftliche Binnenintegration herzustellenden Wirtschaftsrechnung läßt sich als Außenintegration bezeichnen3. Mit der Außenintegration werden die marktlichen Preisinterdependenzen internationalisiert, so dass sich hierdurch auch eine internationale Preis-, Tausch- und Zahlungsgemeinschaft bilden kann. Wie aus der Abbildung auf der folgenden Seite ablesbar, lassen sich, je nach Art und Grad des Abbaus nationaler handels- und währungspolitischer Schranken, verschiedene Stufen und Methoden der marktwirtschaftlichen Außenintegration im Hinblick auf den Zahlungs- und Warenverkehr unterscheiden. Mit unilateraler oder auch „integraler" Integration wird jene Methode bezeichnet, bei der ein Land absolute oder relative handels- und währungspolitische Hemmnisse einseitig aufhebt. Alle interessierten Länder sind frei, sich dieser offenen Form der Integration zu bedienen; eine Übertragung von handels- und / oder währungspolitischen Kompetenzen auf supranationale Organe erübrigt sich. Mit reziproker Integration ist jener Vorgang gemeint, bei dem der Abbau von handels- und währungspolitischen Hemmnissen im Wege von vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Ländern erfolgt. Die reziproke Integration kann regional begrenzt sein oder globale Dimensionen aufweisen. Freihandelszonen, Zollunionen, ein Gemeinsamer Markt oder eine Wirtschafts· und Währungsunion stellen Formen einer reziproken Außenhandelsintegration dar. Globale reziproke Außenintegration ist das Ergebnis beispielsweise der verschiedenen GATT-Runden oder auch des vom IWF intendierten Abbaus währungspolitischer Schranken, insbesondere auch im Hinblick auf die Konvertibilität der Währungen. Für die mittel-, ost- und südosteuropäischen Transformationsländer stellt der Erwerb außenwirtschaftlicher Integrationsfähigkeit ein besonderes Problem dar, weil vorher hierfür zumindest ein gewisser Grad an Binnenintegration erreicht sein muss. Erst wenn die diesbezüglich freilich schwer zu bestimmenden Mindeststandards eines institutionellen Rahmens geschaffen sind, können Transformationsländer in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen eingebunden werden. Spezifisch gilt es in diesem Kontext, die handels- und währungspolitischen Hemmnisse durch Anwendung der einen oder anderen Integrationsmethode abzubauen.

2 3

Schüller (1993), S. 468 ff. Gröner / Schüller ( 1984), S.

119 f.

Globale

anbindungen

Zahlungsintegration

\

Unilaterale Integration

Quelle: Weber (1995), S. 19.

/

\

\

/\

Bilaterale Verträge, Assazi ienmgsabkammen, Ι,ΜΓΤΑΤ ^^ Wirtschaftsunion

integration

Regionale

/

/

Reziproke Integration

Abbildung 1 : Stufen der marktwirtschaftlichen Außen integration

Freihandelszone, Gemeinsamer Markt,

Handelsintegration

Goldstandard, Einseitige flexible Wechsel- Handelsliberakurse, einseitige lisienmgohne Wechselkurszwischenstaatliehe Verträge /

^^^^^^

Unilaterale Integration

jAußeninteg^tioj

Festkuissysteme. die auf cnalen Ver Festkurssysten< die auf globale 3L" Verträgen benihen EWJT (Brettan-Woods - IWF) '

Zahlungsintegration

Regionale

Reziproke Integration

^

GATT

Werner Klein

Die Bedeutung des Euro f r Mittel-, Ost- und Südosteuropa

167

Bei der Wahl alternativer Integrationswege in Verknüpfung von verschiedenen Methoden zur Herstellung einer Preis-, Tausch- und Zahlungsgemeinschaft 4 haben sich die betrachteten Transformationsländer prinzipiell für den Abschluss von Freihandelsabkommen mit der EG bzw. EU, den sogenannten Europa-Abkommen, zwischen den entsprechenden Transformationsländern und der EU entschieden. Einige dieser Länder (Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakische Republik) haben aber auch untereinander eine Freihandelszone vereinbart (CEFTA). Gleichzeitig bewerben sich alle Transformationsländer Mittel-, Ost- und Südosteuropas um den Beitritt zum Gemeinsamen Markt der EU. In Verbindung mit den derzeitigen Vertragsbedingungen impliziert die Mitgliedschaft in der EU auch den Beitritt zum Europäischen Währungssystem II bzw. nachfolgend zur Europäischen Währungsunion. Von besonderer Wichtigkeit und hiermit zusammenhängend gilt es das Problem zu lösen, ein Wechselkursregime zu institutionalisieren, das in der Lage ist, die Knappheitsrelationen von Gütern und Leistungen im internationalen Austausch korrekt zu signalisieren. Hierfür stehen grundsätzlich die folgenden Optionen offen: verschiedene Ausprägungen eines Systems fester Wechselkurse oder flexible Wechselkurse.5 In der Übergangsphase zur Marktwirtschaft werden von fixierten Wechselkursen für die binnen- und außenwirtschaftliche Stabilisierung der Transformationsländer die folgenden positiven Effekte erwartet: •

Feste Wechselkurse beseitigen zumindest kurzfristig das Wechselkursrisiko für exportierende und importierende Unternehmen und senken die hiermit verbundenen Transaktionskosten. Im Transformationsprozeß ist mit erratischen Schwankungen der Binnenpreise zu rechnen, fixierte Wechselkurse sollen diesen Preisunsicherheiten entgegenwirken.



Von festen Wechselkursen wird erwartet, dass die nationale Geldpolitik an einen stabilisierenden Wechselkursanker gebunden werden kann. Mit der hiermit verbundenen geldpolitischen Disziplinierung soll auch eine handelspolitische Disziplinierung einhergehen, weil die geldpolitische Disziplinierung den Verzicht auf den Einsatz neuer handelspolitischer Instrumente oder den der verschärften Anwendung bereits bestehender Instrumente dieser Art voraussetzt.



Flexible Wechselkurse setzen funktionsfähige Devisen- und entwickelte Kapitalmärkte voraus. Da es in den Transformationsländern anfangs an beiden noch fehle, wären chaotische Wechselkursschwankungen und Misalignements die Folge, mit dem Ergebnis erheblicher Verzerrungen in der Informationsfunktion von Preisen, und in dessen Gefolge die Gefahr drasti-

4 5

Vgl. hierzu Schüller / Weber (1993), S. 451. Vgl. Weber ( 1995), S. 236 ff.

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168

scher Fehlallokationen sehr groß. Feste Wechselkurse sollen dem entgegenwirken. Ob fixierte Wechselkurse diese Funktionen erfüllen und die erhofften Effekte erreichen können, ist äußerst zweifelhaft. Problematisch ist, gegenüber welcher Währung oder welchem Korb von Währungen und in diesem Falle mit welcher Gewichtung der Wechselkurs fixiert werden soll. Die Wechselkursfixierung kann sich auf einen nominellen oder realen Anker beziehen. In beiden Fällen ist für die Fixierung des Wechselkurses dessen jeweiliger Außenwert zu bestimmen und festzulegen. Letztendlich hängen die erhofften stabilisierenden Wirkungen im System fixierter Wechselkurse insbesondere ab von der Position, der Akzeptanz und der Fähigkeit der Zentralnotenbank, für binnenwirtschaftliche Geldwertstabilität zu sorgen. Von besonderem Interesse im Kontext binnen- und außenwirtschaftlicher Stabilisierungspolitik und den damit verbundenen Integrationseffekten dürfte die Institutionalisierung eines Currency-Boards sein, wie die Beispiele in Estland seit 1992, in Litauen seit 1994 und in Bulgarien seit 1997 sowie auch in anderen Ländern zeigen.6 Hierdurch wird eine strenge Verknüpfung von wirksamer Geldmenge einerseits und dem Wechselkurs der betroffenen Währung andererseits versucht. Bei der Currency-Board-Lösung ist die Geldmenge infolge einer festen Deckungsquote an die Währungsreserven eines Landes gebunden. Der Wechselkurs wird einer Währung oder einem Währungskorb gegenüber fixiert. Mit der Festlegung von Deckungsquote und Wechselkurs garantiert die Zentralnotenbank den Währungstransfer zur fixierten Parität und wird damit zur reinen Dienerin der Zahlungsbilanz7; die Zentralnotenbank muss somit auf eine eigenständige Geld- und Währungspolitik verzichten. Die mit der Currency-Board-Lösung für Transformationsländer verbundenen Probleme beziehen sich im wesentlichen auf vier Bereiche. Bei einem aus dem vergangenen Wirtschaftssystem ererbten Geldüberhang ist erstens, um die Deckungsquote zu erreichen, entweder ein entsprechender Währungsschnitt vorzunehmen oder die inländische Währung im erforderlichen Ausmaß abzuwerten. Die Currency-Board-Lösung führt zweitens dazu, dass lediglich das sogenannte high-powered-money vollständig durch die Währungsreserven gedeckt ist; endogene Giralgeldschöpfung durch das Geschäftsbankensystem wird dadurch aber nicht unterbunden. Über die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes, beispielsweise durch den Staat infolge einer Verschuldungspolitik, kann es weiterhin zu destabilisierenden Wirkungen durch die Fiskalpolitik mit Bezug auf die Preisniveauentwicklung kommen. Drittens wird der Fremdwährungshandel dadurch erheblich beschränkt, dass die Zentralbank aufgrund der Deckungsvorschrift, außer dem high-powered-money, keine weitere Geldform (Giralgeldguthaben) zum Umtausch in Fremdwährungen zulassen kann. Der vierte Prob6 7

Vgl. (1998), S. 40 ff.. Vgl. Weber {1995), S. 261 ff..

Die Bedeutung des Euro f r Mittel-, Ost- und Südosteuropa

169

lembereich bezieht sich auf ein mögliches Defizit an Glaubwürdigkeit, weil Currency-Boards das Ergebnis einer einseitigen politischen Entscheidung einer Regierung sind und somit jederzeit wieder aufgehoben werden können, was sich destabilisierend auf die Erwartungsbildung auswirken kann. Die Alternative zu den verschiedenen Varianten von Festkurssystemen sind flexible Wechselkurse. Die Etablierung eines Systems flexibler Wechselkurse erfordert auch in den Transformationsländern die Ausrichtung der nationalen Geldpolitik auf interne Geldwertstabilität durch eine regierungsunabhängige Zentralnotenbank. Unter dieser Bedingung kann sich dann der Wechselkurs in dem Maße dem erreichten Grad an Stabilität anpassen, in dem die Geldpolitik einen stabilitätsorientierten Kurs durchzusetzen vermag.8 Gegen flexible Wechselkurse im Transformationsprozeß wird eingewendet, dass diese wegen der noch unterentwickelten außenwirtschaftlichen Performance und der institutionell noch nicht gefestigten Kredit- und Kapitalmärkte erhebliche Schwankungen aufweisen können, also äußerst volatil sind und deswegen auch binnenwirtschaftlich eher destabilisierend wirken würden. Bei noch bestehendem Mangel an Devisenreserven könne auch eine Zentralnotenbank nicht im gewünschten Maße sterilisierend eingreifen. Dagegen ist einzuwenden, dass Wechselkursentwicklungen, die erheblich von den sogenannten volkswirtschaftlichen Fundamentaltaten eines Landes abweichen, auch in den Währungsbeziehungen entwickelter Marktwirtschaften festzustellen sind und durch das Phänomen des overshooting von Wechselkursen erklärt werden können.9 Für die Einführung von flexiblen Wechselkursen auch in Transformationsländern, und zwar von Anfang an, sprechen vielfache Gründe. Flexible Wechselkurse in Verbindung mit freiem Kapitalverkehr stellen eine höchst wirksame ordnungspolitische Disziplinierungsmaßnahme dar. Die wirtschaftspolitischen Bemühungen können voll auf die ordnungspolitisch-binnenwirtschaftlichen Aktivitäten konzentriert werden, der Ausgleich der Zahlungsbilanz stellt sich automatisch ein. Dies hat zur Konsequenz, dass die Transformationspolitik strikt sowohl auf die Etablierung einer wettbewerblich geordneten Marktwirtschaft in allen ihren institutionellen Dimensionen als auch auf eine rasche und frühzeitige Liberalisierung der Finanz- und Devisenmärkte ausgerichtet werden kann. Nach diesen allgemeintheoretischen Überlegungen zur Binnen- und Außenintegration der Transformationsländer wird im Folgenden die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der genannten drei Länder im Lichte dieser Überlegungen und der Berichte der Europäischen Kommission dargestellt.

8 9

Vgl. Schweikert / Nunnenkamp / Hiemenz (1992). Vgl. Dornbusch (1976), S. 1161 ff..

170

Werner Klein

III. Zu den Prüfkriterien der Agenda 2000 Im Jahre 1993 hatte der Rat von Kopenhagen im Gefolge der Auflösung des östlichen Handelsblocks, des RGW und der sich beschleunigenden Bemühungen der Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas um die Transformation ihrer Wirtschaftssysteme eine grundsätzliche Bereitschaft zur Erweiterung der Gemeinschaft erklärt und die hierzu notwendig zu erfüllenden Voraussetzungen bestimmt. Auf der Basis der Beschlüsse von Kopenhagen wurden durch die EU Heranführungsstrategien für diese Länder entwickelt, die sich in Form eines institutionalisierten und strukturierten Dialogs zwischen der EU und potentiellen Beitrittsländern auf vier Maßnahmenbereiche beziehen: erstens die sogenannten Europa-Abkommen, zweitens Maßnahmen zur Angleichung an den Rechtsbestand der EU mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt, drittens die PHARE-, SAPARD-, und ISPA-Programme sowie viertens die sogenannten Beitrittspartnerschaften 10. Die Europa-Abkommen sind bilaterale Freihandelsabkommen zwischen der EU und den einzelnen Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas. Hierdurch soll generell der Transformationsprozeß in diesen Ländern unterstützt werden. Speziell wird eine Beschleunigung der Integrationsprozesse von der in diesen Abkommen vereinbarten asymmetrischen Marktöffhung durch die EU erwartet. Im Rahmen der Beitrittspartnerschaften sollen die Beitrittsländer bei der Übernahme des gemeinsamen Besitzstandes der Rechtsregeln der EU (aquis communautaire), unterteilt in 31 spezielle Bereiche, unterstützt werden. Im Rahmen der PHARE-, SAPARD- und ISPA-Programme werden finanzielle Hilfen der EU für diese Länder gewährt für die Bereiche öffentliche Verwaltung und Infrastruktur (PHARE), Förderung der Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums (SAPARD), Verkehr und Umweltschutz (ISPA). Auf der Grundlage der „Agenda 2000" erstattet die Europäische Kommission Berichte, in denen die Fortschritte der potentiellen Beitrittsländer mit Blick auf ihre Beitrittsfähigkeit geprüft werden. Die Beitrittskriterien des Rates von Kopenhagen beziehen sich auf drei Gebiete. Erstens hat ein Beitrittsland die politischen Bedingungen zu erfüllen, die eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sowie den Schutz der Menschenrechte und diejenigen von Minderheiten garantieren. Zweitens muss ein umfangreicher Katalog wirtschaftlicher Voraussetzungen erfüllt sein, der sich in zwei Hauptgruppen aufteilt, zum einen die Etablierung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft und zum anderen die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standhalten zu können.11

10 11

Vgl. hierzu und im folgenden F.A.Z.-Institut (2000 / 2001), S. 18 ff. Vgl. Europäische Kommission (1997), S. 47 f.

Die Bedeutung des Euro ftlr Mittel-, Ost- und Südosteuropa

171

Die Charakteristika einer funktionsfähigen Marktwirtschaft werden hiernach wie folgt bestimmt: •

wettbewerblich geordnete Märkte, Liberalisierung der Preise und des Außenhandels,



prinzipiell freier Marktzutritt und Marktaustritt,



funktionsfähiges Rechtssystem,



makroökonomische Stabilität, das heißt ein angemessenes Niveau an Preisstabilität, tragfähige öffentliche Finanzen (Staatsverschuldung und Budgetdefizite) und Zahlungsbilanz,



hinreichende Entwicklung des Finanzsektors, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit der Finanzinstitutionen, die heimische Ersparnisbildung zu beleben und dadurch produktive Investitionen zu finanzieren.

Mit der Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten ist gemeint, dass wesentliche Branchen der Volkswirtschaft ein Minimum an Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben müssen. Dies setzt ein gewisses Maß an Anpassungsflexibilität der Unternehmen, das heißt auch ein hierzu vorteilhaftes wirtschaftspolitisches Umfeld voraus. Als wichtige Einflussfaktoren gelten: •

eine funktionsfähige Marktwirtschaft und makroökonomische Stabilität,



eine hinreichende Ausstattung mit Human- und Sachkapital, mit Infrastruktur und mit Forschungs- und Bildungseinrichtungen,



eine aktive Wettbewerbspolitik,



ein gewisser Stand an Handelsverflechtungen mit der EU vor dem Beitritt



sowie auch ein Mindestanteil kleiner und mittlerer Unternehmen an der Wertschöpfung.

Drittens setzt eine Mitgliedschaft in der EU voraus, dass die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen in Form des sogenannten gemeinsamen Besitzstandes (aquis communautaire) zu übernehmen und umzusetzen in der Lage sind, das heißt, die betroffenen Länder sich auch die Ziele der mit den römischen Verträgen und dem Vertrag von Maastricht angestrebten sowohl politischen als auch diejenigen der Wirtschaftsund Währungsunion zu eigen machen können. Nach dieser Schilderung der Beitrittsbedingungen gemäß den Kopenhagener Kriterien sollen nun im folgenden die Prüfungsergebnisse der Europäischen Kommission mit Bezug auf die Slowakei, Rumänien und Bulgarien berichtet werden.

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1. Slowakische Republik Die Aufnahme der Slowakischen Republik in den Kreis der ersten Welle der Beitrittsländer scheiterte an den Ergebnissen der Untersuchung des Beitrittsantrags durch die Kommission im Hinblick auf die politischen, nicht jedoch ökonomischen Prüfkriterien. In ihrer Stellungnahme aus dem Jahre 1998 zum Antrag der Slowakei auf Beitritt zur EU aus dem Jahre 1997 war die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass in der Slowakei noch nicht von gefestigten demokratischen Strukturen gesprochen werden könne.12 Erst mit den Wahlen im September 1998 ist ein Prozess zur Durchsetzung echter demokratischer Strukturen in Gang gekommen, wie auch aus den letzten beiden Prüfberichten der Kommission aus den Jahren 1998 und 2000 hervorgeht. 13 Mit Bezug auf die wirtschaftlichen Kriterien des Europäischen Rates von Kopenhagen kommt die Kommission in ihrem jüngsten Bericht 14 zu folgenden Ergebnissen. In der Slowakei wurde nunmehr eine funktionierende Marktwirtschaft etabliert, die mittelfristig in der Lage sein dürfte, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Gemeinschaft unter der Voraussetzung standzuhalten, dass die geplanten Strukturreformen lückenlos vollzogen und um noch notwendige Reformen ergänzt werden. Der Rechtsrahmen für unternehmerisches Handeln ist nunmehr weitestgehend vorhanden. Die Privatisierung auch von staatlichen Versorgungsbetrieben und Banken kommt gut voran. Eine Gefahr für die makroökonomische Stabilität ergibt sich aus dem noch stark defizitären öffentlichen Haushalt. Im Bereich der öffentlichen Finanzen besteht weiterhin Konsolidierungsbedarf. Dies betrifft insbesondere auch die Bereiche Gesundheit, Renten und Sozialversicherung. Bis zum 1. Oktober 1998 war die Slowakische Krone an einen Festkurs gegenüber einem Korb mit 60 Prozent DM und 40 Prozent US-Dollar bei einer zugelassenen Schwankungsbreite von plus / minus 7 Prozent gebunden. Infolge zunehmenden Abwertungsdrucks und schwindender Währungsreserven konnte die slowakische Nationalbank diesen Kurs nicht mehr verteidigen, so dass die Slowakische Krone ab diesem Zeitpunkt frei floatet. Die Entwicklung einiger wichtiger makroökonomischer Daten15 zeigt ein ambivalentes Bild. Nach einigen Jahren relativ konstanten Wachstums des realen Bruttoinlandsprodukts zwischen 1997 und 1999 (6,5 Prozent und 4,4 Prozent), ist für 1999 ein Wachstumseinbruch auf lediglich 1,9 Prozent zu verzeichnen. Auch für das Jahr 2000 deutet sich eine nur moderate Erholung an. 12

EU-Slowakei (1997), S. 20. Kommissionsbericht - Slowakei (1998), S. 24 und Kommissionsbericht - Slowakei (2000), S. 24. 14 Kommissionsbericht - Slowakei (2000), S. 95 f.. 15 Vgl. hierzu und im folgenden F.A.Z.-Institut u. a. (2000 / 2001), S. 183. 13

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Die Arbeitslosenquote ist permanent von etwas über 12 Prozent 1997 auf nunmehr 19 Prozent 2000 gestiegen. Auch die Inflationsrate hat sich in dem betrachteten Zeitraum von 6 Prozent auf 10 Prozent im Jahre 2000 beschleunigt. Der negative Leistungsbilanzsaldo hat sich in den letzten Jahren erheblich zurückgebildet. Die Auslandsverschuldung ist allerdings weiter gestiegen und dürfte im Jahre 2000 den Betrag von absolut 11,5 Milliarden US-Dollar oder 2.130 US-Dollar pro Kopf erreichen. Auf der Basis der berichteten Befunde kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die Slowakei nur dann in der Lage ist, mittelfristig dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Union standzuhalten, wenn die Marktwirtschaft in der Lage ist, sich weiter zu entfalten. Die Voraussetzungen hierfür werden in einer prioritären Bewältigung der folgenden Probleme gesehen: Bekämpfung der Unausgewogenheiten im Staatshaushalt und der Leistungsbilanz, Lösung der Probleme im Bankensektor und Schaffung eines Umfeldes für marktinspirierte Unternehmensformen 16.

2. Rumänien Der Antrag Rumäniens auf Beitritt zur EU stammt ebenfalls aus dem Jahre 1995. In ihrem ersten Prüfbericht kam die Kommission mit Bezug auf die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten zu einer grundsätzlich positiven Bewertung dieser Aspekte der Kopenhagener Kriterien. 17 Auch der Prüfbericht von 1999 bestätigt dies grundsätzlich. Die Kommission droht allerdings eine Überprüfung ihres Standpunktes an, falls Rumänien zur Überwindung der Krise in den Einrichtungen zur Kinderbetreuung diesen nicht die dringend gebotene Priorität einräumt. 8 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Kriterien „Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen" und „makroökonomische Stabilisierung" kommt der Bericht von 1998 zu teilweise erheblichen negativen Bewertungen. Bei der Privatisierung und Umstrukturierung der großen Staatsbanken und Staatsunternehmen wurden bis zu diesem Zeitpunkt keine ausreichenden Fortschritte erzielt. Verbesserungen waren dagegen zu verzeichnen im Hinblick auf eine Senkung der Außenzölle, eine weitere Freigabe der Preise, die Liberalisierung der Devisenmärkte und den Versuch, die Privatisierung weiter voranzutreiben. Die meisten dieser Transformationsschritte litten aber darunter, dass deren Durchsetzung politisch behindert wurde. So wird die Privatisierung großer Staatsunternehmen dadurch erschwert, dass deren Umstrukturierung in wettbewerbsfähige Unternehmensgrößen kaum gelungen ist. Hohe Verluste, Überkapazitäten und Perso16 17 18

Vgl. Kommissionsbericht - Slowakei (1998), S. 24. Vgl. Kommissionsbericht - Rumänien (1998), S. 15. Kommissionsbericht - Rumänien (1999), S. 21.

12 Paraskcwopoulos

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nalüberhang bei den großen staatlichen Unternehmen und im gesamten staatlichen Stahlsektor legen hiervon Zeugnis ab. Auch der Bericht des Jahres 1999 kommt zu dem Schluss, dass die ausbleibende Umstrukturierung oder unterlassene Schließungen der Staatsunternehmen und staatlichen Banken die mühsam erkämpften Erfolge der makroökonomischen Stabilisierung gefährden. Per Ende 1998 kontrollierten die vier größten Staatsbanken immer noch 60 Prozent der gesamten Aktiva des Bankensektors. Massive Rekapitalisierungsoperationen in diesem Bereich waren wenig erfolgreich. Damit nahmen die Probleme im Finanzsektor weiter zu. Die notleidenden Kredite bei der größten staatlichen Bank, Bancorex, stiegen auf ca. 80 Prozent des Eigenkapitals, so dass dieser Bank letztlich die Lizenz entzogen wurde und die Nationalbank die Kontrolle über die Bancorex übernahm. Die Instabilität des Finanzsektors zeigte sich nicht zuletzt kürzlich in einem partiellen Bankenrun, der zum Zusammenbruch des bedeutendsten Anlagefonds Rumäniens, dem Nationalen Investitionsfonds (IFN), führte. 19 Im Bereich der Außenwirtschaft wurden weitere Schritte in Richtung Liberalisierung unternommen. Das Wechselkurssystem wurde weitgehend liberalisiert. Das Devisengesetz von 1994, das noch Beschränkungen für Devisengeschäfte und Devisentransfers vorsah, wurde geändert. Seit 1998 gilt in dieser Hinsicht in Rumänien eine vollständige Konvertibilität des Lei für alle Zahlungsbilanztransaktionen. Die makroökonomische Entwicklung Rumäniens weist durchweg negative Ergebnisse auf. 20 Seit 1997 werden zum Teil erhebliche negative Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts verzeichnet. Für das Jahr 2000 wird ein lediglich bescheidenes Wachstum erwartet. Eng damit verbundenen ist ein drastischer Anstieg der Arbeitslosenquote von 8,8 Prozent im Jahre 1997 auf erwartete 13 Prozent im Jahre 2000. Die Inflationsrate, die 1997 noch bei 154,8 Prozent gelegen hatte, wird auf ca. 43 Prozent im Jahre 2000 zurückgeführt werden können. Diese Entwicklung ist das Ergebnis der nunmehr auf Geldwertsstabilisierung gerichteten Geldpolitik der rumänischen Nationalbank bei Inkaufnahme extrem hoher nomineller und realer Zinsen. Hierfür sind insbesondere die Kreditaufnahme notleidender Staatsbanken am Interbankenmarkt und die massive Kreditnachfrage des Staates verantwortlich. Die schwache Exportperformance der rumänischen Unternehmen hatte bis zum Jahre 1998 eine drastische Verschlechterung der Handels- und der Leistungsbilanz zur Folge. Die sich verschlechternde gesamtwirtschaftliche Lage und die erhebliche Liquiditätszufuhr für den Bankensektor führte zu wachsendem Spekulationsdruck gegenüber dem Lei mit dem Ergebnis eines drastischen 19

Vgl. o.V. (2000), S. 7. Vgl. hierzu den Kommissionsbericht - Rumänien (1998), S. 23 f. sowie F.A.Z.-Institutu. a. (2000/2001), S. 197. 20

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Kurssturzes (minus 16,5 Prozent gegenüber dem US-Dollar im März 1999). Bei stark sinkenden Importen und einem vergleichsweise geringeren Rückgang der Exporte haben sich sowohl der negative Handelsbilanz- als auch der negative Leistungsbilanzsaldo leicht reduziert. Nachdem die rumänische Nationalbank gegen Ende des Sommers 1998 angesichts des drastisch gestiegenen Leistungsbilanzdefizits ihre antiinflationäre Politik der Aufwertung des Lei aufgegeben hatte, kam es zu einem erneuten Kurssturz, in dessen Gefolge der Lei fast zwei Drittel seines ursprünglichen Werts vom Oktober 1998 verlor. Die damit einhergehende reale Abwertung des Lei und die massive Erhöhung administrierter Preise trieb daraufhin erneut die Inflation an. Der Finanzpolitik des Staates mangelte es weiterhin an der notwendigen Kohärenz. Rückläufige Steuereinnahmen und zunehmende Steuerrückstände führten zu erheblichen Einnahmeverlusten. Das weiterhin bestehende Haushaltsdefizit konnte nur deswegen relativ niedrig ausfallen, weil auch die Privatisierungserlöse zur Deckung der Staatsausgaben eingesetzt wurden. Die Auslandsverschuldung Rumäniens verharrt im Jahre 2000 mit geschätzten 10 Mrd. USDollar (brutto) oder von 445 US-Dollar pro-Kopf auf einem für dieses Land erträglichen Niveau. Als Fazit ihres Berichts aus dem Jahre 1999 stellt die Europäische Kommission fest, dass Rumänien noch nicht über eine ordnungsgemäß funktionierende Marktwirtschaft verfügt. Trotz liberalisierter Preise und freiem Handel existieren im Großen und Ganzen noch keine funktionierenden Grundstücks- und Kapitalmärkte. Grundsätzlich fehlt es bis dato an einem soliden rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Wirtschaft. Damit haben sich bis zu diesem Zeitpunkt die Aussichten Rumäniens, auch dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standhalten zu können, nicht verbessert. Die rumänische Regierung ist aufgefordert, sich um die Herstellung eines stabilen makroökonomischen Rahmens und um die Bewältigung der strukturpolitischen Probleme seiner Wirtschaft zu bemühen. Nicht zuletzt muss die Schaffung transparenter und wirtschaftsfreundlicher Rahmenbedingungen angestrebt werden, damit die Wirtschaftstätigkeit gefördert und das beträchtliche Wirtschaftspotential der rumänischen Wirtschaft genützt werden kann.21 3. Bulgarien Bulgarien stellte einen Antrag auf Beitritt zur EU im Dezember 1995. In ihrer Stellungnahme hierzu forderte die Kommission, dass die entstandenen demokratischen Institutionen noch gestärkt werden müssten, damit Rechtsstaatsprinzipien auf allen Ebenen des Staatsapparates besser beachtet würden.22 21 22

Kommissionsbericht - Rumänien (1999), S. 28 ff. Vgl. EU - Bulgarien (1997), S. 20.

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In ihrem jüngsten Bericht bestätigt die Kommission, dass Bulgarien mittlerweile die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt. 23 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Kriterien zeigt sich ein ambivalentes Bild. Die im Bericht mit Strukturreformen bezeichnete ordnungspolitisch-institutionelle Transformationspolitik bezieht sich im wesentlichen, wie bei den bereits behandelten Ländern, auf die Bereiche Privatisierung, Preis- und Handelsliberalisierung, Banken und öffentliche Finanzen. Trotz einer gestiegenen Zahl an verkauften Unternehmen, verlangsamte sich der Privatisierungsprozess, gemessen am veräußerten Vermögen und den Privatisierungserlösen. Bis Ende 1999 sollten alle gewerblichen Unternehmen und der Großteil der Versorgungsunternehmen privatisiert sein, was einem Anteil von 70 Prozent des zu privatisierenden Unternehmensvermögens entsprechen würde. Schwindendes Interesse ausländischer Investoren und Rechts- und Verwaltungshindernisse behinderten 1998 weitere notwendige Privatisierungsfortschritte. Bis jetzt wurden ca. 3000 meist kleinere und mittlere Unternehmen im Wege von Management-buy-outs oder Management-employee-buy-outs verkauft; 200 der größten Unternehmen stehen weiterhin noch zum Verkauf , 2 4 Von den sechs großen Staatsbanken wurden bis 1998 nur zwei privatisiert (United Bulgarian Bank; Postbank). Drei der vier verbliebenen Banken sollten im Jahre 1999 noch privatisiert werden. Zwischenzeitlich wurden Maßnahmen zur Stärkung der Bankenaufsicht und zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bankensektors ergriffen, so z. B. ein selbstfinanziertes Einlagensicherungssystem. Alle Banken erreichten inzwischen die Mindesteigenkapitalquote von 10 Prozent, der diesbezügliche Durchschnittswert liegt sogar bei ca. 37 Prozent. Weiterhin zu hohe Betriebskosten und geringe Rentabilität belasten aber immer noch den Bankensektor. Die Umstrukturierung von verlustbringenden Staatsunternehmen im Wege von Verlustbegrenzungen, Ausgliederung aus dem Bankensystem, Privatisierung oder Liquidation schreitet voran. Auch im Bereich der öffentlichen Finanzen werden in Bulgarien Fortschritte erzielt. Die Straffung der Steuerverwaltung und Änderungen in der Besteuerung erbrachten 1998 ein höheres Steueraufkommen als erwartet. Eine gewisse Verbesserung auf der budgetären Ausgabenseite betraf die Verringerung der Zahl von mehr als einhundert außerbudgetären Fonds auf nunmehr nur noch 28. In den Jahren 1997 und 1998 wurden sogar Budgetüberschüsse erreicht, eine Politik, die in 1999 und 2000 kaum mehr durchzuhalten war. Während in den Jahren 1996 und 1997 noch erhebliche negative Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts zu verzeichnen waren, befindet sich Bulgarien mittlerweile auf einem moderaten Wachstumspfad mit erwarteten 4 Prozent Wachstum im Jahre 2000.25 23 24 25

Vgl. Kommissionsbericht - Bulgarien (1999), S. 99. Vgl. F.A.Z.-Institut u. a. (1999 / 2000), S.61 f. Vgl. hierzu und im folgenden F.A.Z.-Institut (2000 / 2001), S. 73.

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Diese inzwischen eingetretene Entwicklung hat sich auf dem Arbeitsmarkt noch nicht durchgesetzt. Nach einer Arbeitslosenquote von 12,2 Prozent im Jahre 1998 stagnierte diese Ziffer in den letzten beiden Jahren bei ca. 15 Prozent. Nach der Hyperinflation von 1.061 Prozent Ende 1997 entschloss sich die Regierung Bulgariens auf Vorschlag des IWF zur Einführung einer CurrencyBoard-Lösung zur Beseitigung seiner sowohl binnen- als auch außenwirtschaftlich äußerst instabilen Situation.26 Das Currency-Board wird durch einen Währungsrat geführt. Die Deckungsquote für die heimische Lewa beträgt 100 Prozent der Devisenreserven. Der Wechselkurs war im Verhältnis 1000 Lewa zu 1 DM und ist nach der Denominierung der Lewa um drei Stellen im Jahre 1999 auf 1 neue Lewa gleich 1 DM fixiert. Seit dem ersten Januar 1999 gilt der Euro als Leitwährung. Formal bleibt es allerdings bei der Paritätsregelung von 1 : 1 Lewa / DM. Durch die Einführung der Currency-Board-Lösung und bei dem noch 1998 zu verzeichnenden Preisrückgang bei Rohstoffen und Energie fiel die Inflationsrate Ende 1998 auf einen Wert von nur noch 1 Prozent. Ein vorübergehender Inflationsschub im September 1998 und im Januar 1999 war auf die deutliche Erhöhung einiger administrierter Preise zurückzuführen. Für das Jahr 2000 wird mit einer Inflationsrate von lediglich 2 Prozent gerechnet. Die Currency-Board-Politik wurde durch die Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten und die Russlandkrise nicht wesentlich beeinträchtigt. Durch Auszahlungen staatlicher Kreditoren kam es sogar zu einem Anstieg der Zentralbankreserven. Diese sind in Höhe von drei Milliarden US-Dollar insgesamt ausreichend, um die Verbindlichkeiten der Zentralbank im Rahmen der Currency-Board-Regelung zu erfüllen. Bulgarien erlebte 1998 einen Einbruch bei seinen Exporten, vornehmlich infolge der Umstrukturierungen in der Industrie und im Gefolge der Russlandsowie der Kosovo-Krise. Der ebenfalls eingetretene Importrückgang fiel weniger gravierend aus, so dass die Handelsbilanz seit 1998 Defizite aufweist. Insgesamt wird für das Jahr 2000 ein moderates Leistungsbilanzdefizit im Wert von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Nach einem geringen Rückgang im Jahre 1997 auf unter 10 Milliarden US-Dollar (brutto) soll die Auslandsverschuldung auf geschätzte ca. 11 Milliarden US-Dollar (brutto) oder 1.325 US-Dollar pro-Kopf im Jahre 2000 steigen. In ihren letzten Berichten27 zum Kopenhagen-Kriterium „funktionsfähige Marktwirtschaft" kommt die Europäische Kommission zu dem Ergebnis, dass Bulgarien weiterhin Fortschritte beim Aufbau derselben macht. Allerdings sei26

Vgl. hierzu und im folgenden Kommissionsbericht - Bulgarien (1999), S. 18 f. Vgl. Kommissionsbericht - Bulgarien (1999), S. 27 und Kommissionsbericht Bulgarien (2000), S. 99 f. 27

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en aber weitere Anstrengungen in den Bereichen Privatisierung, Durchsetzung der Finanzdisziplin in den Unternehmen und Stärkung marktwirtschaftlicher Aufsichtsbehörden (Standards der Buchhaltung, Steuerleistungen usw.) notwendig. Mit Bezug auf die Konkurrenz- und Leistungsfähigkeit Bulgariens im EUBinnenmarkt wird die schleppende Investitionstätigkeit dafür verantwortlich gemacht, dass keine wesentliche Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden konnte. Die Modernisierung der Produktionskapazitäten und der Ausbau der Infrastruktur machen noch erhebliche Investitionen erforderlich. Trotz der ergriffenen Maßnahmen zur Durchsetzung harter Budgetrestriktionen im Unternehmenssektor, der wachsenden Handelsintegration mit der EU sowie der gestiegenen Zahl mittlerer und kleinerer Unternehmen ist Bulgarien nach Meinung der Kommission mittelfristig noch nicht in der Lage, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Union standzuhalten. Zunächst sollten der Abschluss der Privatisierung und die Beschleunigung der Umstrukturierung von Unternehmen und Banken Vorrang erhalten. Auch müsse die Wirksamkeit der Liquidations- und Konkursverfahren verbessert und die Finanzdisziplin, insbesondere in den staatlichen Unternehmen, erhöht werden. Insgesamt bedürfe es weiterer Reformschritte in der Durchsetzung eines stabilen und transparenten Rechtsrahmens für die Unternehmen. Tabelle 1 Länderrating 1998"

1999"

2000"

2001" 45

Bulgarien

31

35

40

Rumänien

32

32

36

38

Slowakei

49

53

57

62

Estland

57

58

60

63

Polen

63

61

63

64

Tschechien

60

61

63

67

Ungarn

61

66

71

77

Slowenien

67

66

66

67

Punktzahl

Gesamtwirtschaftliche Situation

Kreditrisiko

0-35

schlecht

hohes Risiko

36-50

unterdurchschnittlich

gehobenes Risiko

51-65

überdurchschnittlich

moderates Risiko

66-100

gut

geringes Risiko

Quelle: l ) F.A.Z.-Institut u. a. (1999 / 2000)

2)

F.A.Z.-Institut u. a. (1999 / 2000)

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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kommission mit Abstufungen bezüglich der behandelten Länder noch keine Empfehlung aussprechen konnte, diese Staaten als Bewerber der ersten Beitrittswelle zu betrachten. Einen Beleg für diese Einschätzung liefert auch das Länderrating der vorstehenden Tabelle 1. Hierin sind die behandelten Länder jenen gegenübergestellt, die als die der ersten Beitrittswelle gelten.

IV. Die Europäische Währungsunion und die betrachteten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion ist, dass von einem Bewerberstaat die Konvergenzkriterien des Vertrags von Maastricht erfüllt worden sind. Die folgende Tabelle 2 zeigt, welchen Stand diese Kriterien in den betrachteten Ländern erreicht haben. Tabelle 2 Maastricht-Kriterien

Inflationsrate Budgetdefizit Schuldenstand langfristige in vH in vH des BIP in vH des BIP Zinssätze EWU-Referenzwert 2001 Bulgarien Rumänien Slowakei Estland Polen Tschechien Ungarn Slowenien

max. 3,2

max. -3,0

max. 60

max. 7,5

4,9 22,9 6,4 4,8 6,7 3,1 5,8 6,8

-1,5 -3,0 -5,8 -0,9 -2,2 -3,4 -3,0 -1,0

97,5 30,4 29,0 11,8 43,7 28,5 63,8 25,5

5,0 45,0 7,7 6,9 12,2 7,1 8,4 n.a.

Quelle: Außenwirtschaftsbrief Nr. 6/2000, S. 4.

Die Mitgliedschaft in der EU ist unter anderem Voraussetzung dafür, dass ein Mitgliedsland der EU auch an der Europäischen Währungsunion teilnehmen kann. Dieser Aspekt soll nun im folgenden behandelt werden. Die Überprüfung der Beitrittsfähigkeit anhand der Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht kommt zu den folgenden Ergebnissen: •

Die Inflationsrate hat in den betrachteten Ländern bei weitem noch nicht jenes Niveau der 1,5 Prozent-Regel des Durchschnittswerts der mit Bezug hierauf drei besten Länder der EU erreicht. 12*

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Das Kriterium Budgetdefizit (maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) wird im Jahre 1999 sowohl von der Slowakei als auch deutlich von Bulgarien, nicht jedoch von Rumänien erfüllt.



Mit Blick auf das Kriterium Schuldenstand (60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) erfüllen die Slowakei und Rumänien diese Anforderung deutlich, Bulgarien dagegen mit 97,5 Prozent im Jahre 1998 nicht.



Beim Kriterium langfristige Zinssätze (maximal plus 2 Prozentpunkte über dem Niveau der drei inflationsgünstigsten Länder der EU) ist Bulgarien qualifiziert, nicht jedoch sind es Rumänien und die Slowakei.



Vor dem Beitritt zur Währungsunion ist nicht zuletzt eine mindestens zweijährige Teilnahme nunmehr am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems II (EWS II) erforderlich. Die Teilnahme am EWS II-Mechanismus muss in dem Sinne spannungsfrei verlaufen, dass von dem jeweiligen gegenüber dem Euro definierten Leitkurs nicht wesentlich abgewichen wird, das heißt, dass sich Schwankungen des tatsächlichen Wechselkurses nur innerhalb der definierten Bandbreiten von derzeit plus / minus 15 Prozent bewegen dürfen. Isoliert und formal betrachtet würde dieses Kriterium wegen der Fixierung des Wechselkurses der Lewa gegenüber der DM bzw. dem Euro lediglich durch Bulgarien mit Sicherheit erfülltwerden können.

Es sollte deutlich geworden sein, dass die hier betrachteten Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas noch erhebliche wirtschaftspolitische Anstrengungen unternehmen müssen, um mit Blick auf die wirtschaftlichen Kriterien der Beschlüsse des Europäischen Rates von Kopenhagen in absehbarer Zeit Mitglieder der EU werden zu können. Die Anreize, in dieser Hinsicht wirtschaftspolitische Anstrengungen zu unternehmen, dürften jedoch um so stärker sein, je deutlicher die Integrationseffekte innerhalb der EU im allgemeinen und die der Europäischen Währungsunion im besonderen zum Tragen kommen. Für die potentiellen Beitrittsländer besteht ansonsten die Gefahr, dass sie den noch weiterhin gegebenen Entwicklungsrückstand gegenüber den Ländern der EU bzw. EWU nicht nur nicht reduzieren können, sondern dieser sich sogar vergrößern könnte. Damit würden sich nicht zuletzt die Chancen der Länder im Hinblick auf ihren Beitritt zur EU eher verschlechtern. Sollte es, in welcher Weise und in welchem zeitlichen Rahmen auch immer, zu dem bereits initiierten Beitritt der erwähnten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas zur EU generell kommen, werden diese nicht nur Mitglied der EU, sondern nehmen zugleich auch automatisch an dem neugestalteten Europäischen Währungssystem, dem EWS II, teil. Die institutionelle Ausgestaltung des Nachfolgesystems des ursprünglichen EWS wurde notwendig, um ein Wechselkursregime zwischen den Ländern der EWU („ins"), das heißt zwischen dem Euro und den Währungen derjenigen EU-Länder zu errichten, die noch nicht

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der EWU beitreten wollten („outs": Dänemark, Großbritannien, Schweden) oder konnten („pre-ins": Beitrittsländer). Das EWS II beruht zum einen auf einer Entschließung des Europäischen Rates von Amsterdam 1997 über die Einführungeines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen den EWULändern und den übrigen EU-Staaten und einem Abkommen hierüber, das am 1. September 1998 in Kraft trat. 28 Mit dem EWS II werden die folgenden Ziele zu erreichen versucht: •

Einbindung der Währungen der „pre-ins" in ein System fester und relativ stabiler Wechselkurse mit begrenzter Flexibilität gegenüber dem Euro. Durch Stabilisierung der Erwartungen würden auch positive Wirkungen auf Außenhandel und Direktinvestitionen zwischen den „ins" und den „pre-ins" begründet.



Des weiteren sollen mit den neuen institutionellen Regeln Schwächen des alten Systems, insbesondere die mangelnde Flexibilität hinsichtlich notwendiger Leitkursanpassungen, abgemildert oder sogar beseitigt werden.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die sich mit dem Euro ergebende Asymmetrie im Außenhandel zwischen den „ins" einerseits und den „pre-ins" andererseits sowie die damit verbundenen Wirkungen auf die Wechselkurse der Währungen der „pre-ins" gegenüber dem Euro. Mit der EWU gehen für die „ins" sich verstärkende Integrations-, das heißt spezifische handelsschaffende und handelsablenkende Effekte einher, an denen die „pre-ins" nicht teilhaben können bzw. von diesen negativ betroffen werden. Die Währungsunion kann für die „pre-ins" eine relative Schwächung ihrer Exportpositionen mit der Folge latenten Abwertungsdrucks mit sich bringen. Für die „ins" sind die Außenwirtschaftsbeziehungen mit den Partnerländern, das heißt den „ins", dominant, die mit den „pre-ins" von weniger Gewicht. Bei den „pre-ins" stellt sich diese Situation gerade umgekehrt dar. Somit sind die „pre-ins" bezüglich der möglichen Wechselkursentwicklung gegenüber dem Euro stärker betroffen als umgekehrt. Nicht zuletzt soll durch das EWS II die Konvergenz beitrittswilliger Länder gefördert werden. Dies wird erhofft von einer glaubwürdigen Fixierung der Währungen der betroffenen Länder gegenüber dem Euro. Die Teilnahme am EWS II ist, wie bereits erwähnt, unter anderem Voraussetzung für den Beitritt zur EWU. Glaubwürdige Wechselkursfixierung setzt aber voraus, dass die beitrittswilligen Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas konsequent eine stabilitätsorientierte Transformationspolitik, insbesondere auch in den Bereichen Geld- und Finanzpolitik, betreiben. Sollten die beschriebenen Effekte und ökonomischen Konsequenzen eintreten, würde das EWS II für die Vgl. hierzu und im folgenden Frenkel / Nickel (1999), S. 141 ff.

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beitrittswilligen Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas einen weiteren Anreiz darstellen, in ihren Anstrengungen zur institutionellen Festigung einer wettbewerblich geordneten Marktwirtschaft erfolgversprechend fortzufahren. Dazu bedarf es, wie gezeigt, aber noch eines relativ langen Atems auf beiden Seiten.

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Die Bedeutung des Euro f r Mittel-, Ost- und Südosteuropa

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Verfasser und Herausgeber Dr. Anja Birke, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Finanzen, Finanzwissenschaft, Jahnallee 59, 04109 Leipzig Prof. Dr. Hans-Heribert Derix, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Postfach 66, 04251 Leipzig Dr. Walter Gutzeit, Mauenheimer Str. 45, 50733 Köln Dr. Werner Klein, Universität zu Köln, Staatswiss. (Volksw.) Seminar, AlbertusMagnus-Platz, 50923 Köln Prof. Dr. Klaus Lange, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, Statistik, Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig Prof. Dr. Thomas Lenk, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Finanzen, Finanzwissenschaft, Jahnallee 59, 04109 Leipzig Dr. Paul Mercier, Deputy Director General of Operations, European Central Bank, Postfach 160319, 60066 Frankfurt / Main Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre, MakroÖkonomik, Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig Dr. Kyriakos Révélas, Boulevard Louis Schmidt 99, B-1040 Bruxelles Prof. Dr. Dimitris A. Sakkas, University of Patras, Department of Business Economics, University Campus, GR-26500 Patras Prof. Dr. Uwe Vollmer, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Geld und Währung, Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig