Erscheinung und Wirklichkeit: Ein metaphysischer Versuch 9783787327706, 9783787325511

Der englische Schriftsteller Somerset Maugham verweist in einer Kurzgeschichte mit dem Titel Appearance and Reality auf

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Erscheinung und Wirklichkeit: Ein metaphysischer Versuch
 9783787327706, 9783787325511

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H. F. BRADLEY Erscheinung und Wirklichkeit

FRANCIS HERBER T BRADLEY

Erscheinung und Wirklichkeit Ein metaphysischer Versuch

Übersetzt von FRIEDRICH BLASCHKE

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VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG

Reprint der Erstauflage von 1928. Das englische Original erschien erstmals 1884 unter dem Titel APPEARENCE AND REALITY

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abruf bar. isbn 978-3-7873-2551-1 ISBN eBook: 978-3-7873-2770-6

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1928. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­f rei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Inhaltsverzeichnis F. H. Bradley's Philosophie und ihre zeitgeschichtliche Bedeutung XI-XXI von Fr. Blaschke Vorrede des Verfassers . XXV-XXVIII . XXVIII Vorwort zur zweiten Auflage Einleitung . 1-6 Antworten auf vorläufige Einwände gegen die Metaphysik. Die Aufgabe ist nicht unmöglich 2 oder unhaltbar 3-6

Erstes Buch: Erscheinung 1. Primäre und sekundäre Qualitäten.

9-15

Der Versuch, den Irrtum dadurch zu erklären, daß man die primären Qualitäten allein für real ansieht 9 Die sekundären erweisen sich als unreal 9-11 Die primären haben aber keine unabhängige Existenz 11-14 es sei denn als nützliche Fiktionen 14-15

2. Substantiv und Adjektiv .

15-19

3. Relation und Qualität .

19-27

4. Raum und Zeit .

27-34

5. Bewegung und Veränderung und ihre Wahrnehmung

34-42

6. Kausalität .

42-48

Das Problem der Inhärenz. Die Relation zwischen dem Ding und seinen Qualitäten ist unbegreiflich 15-19

1 Qualitäten ohne Relationen sind unverständlich. Sie sind nicht auffindbar 20-21 Man kann zu ihnen in reiner Form weder rechtmäßig 21-22 noch überhaupt gelangen 22-23 2 Qualitäten mit Relationen sind unverständlich. Sie können nicht in Relationen aufgelöst werden 24, und die Relationen bergen innere Widersprüche 24-25 3 Relationen mit oder ohne Qualitäten sind unverständlich 25-27 Ihr psychologischer Ursprung ist gleichgültig 27 Der Raum ist widerspruchsvoll, weil er eine Relation ist und nicht ist 28-30 und weil seine Verbindung mit einem anderen Inhalt unbegreiflich ist 30 Die Zeit hat in ihrer allgemein gebräueblichen Bedeutung die gleichen Fehler 30-32 ebenso, wenn sie irgendwie anders angesehen wird; denn das "Jetzt" ist ein Widerspruch in sich 32-34

Bewegung ist inkonsequent; sie ist nicht so grundlegend wie die Veränderung 34. 35 Veränderung ist ein neues Beispiel für unser Dilemma und ist unverständlich 35-38 Wahrnehmung des Nacheinander ist nicht zeitlos 38-40 Ihre wahre Natur 40-42 Bemühen, den Widerspruch der Veränderung zu umgehen. Ursache und ihre Wirkung sind aber nicht vereinbar 42. 43 Ein trügerischer Versuch zur Er-

VI

I nhaltsverseichnis klärung 43. 44 Die Ursache soll alle Bedingungen umfassen und kann dennoch nicht vollständig sein 43-45 Ihre Relation zu ihrer Wirkung ist unbegreiflich 45. 46 Die Kausalreihe muß und kann doch nicht kontinuierlich sein 46-48

7. Aktivität .

48-55

8. Die Dinge._ .

54-58

9. Die Bedeutungen des Ichs .

58-81

Ob sie ein ursprünglich Gegebenes ist oder nicht, ist gleichgültig 48 Sie hat eine Bedeutung, die zeitliche 49 und aus sich selbst verursachte Veränderung in sich schließt 50. 51 Wie und worin die Passivität mit der Aktivität verbunden ist. Begriff der Gelegenhe~t, 51 Begriff der Bedingung und der Summe der Bedingungen. 51-53 Aktivität und Passivität schließen einander ein, sind aber inkonsequent 53-55 Unsere vorangegangenen Ergebnisse haben die Dinge zerstört 55 Die Dinge müßten Identität, die ideell ist, haben und daher sind sie Erscheinung 56. 57 Alltägliche Verwechslung betreff der Identität der Dinge 57. 58

Was bedeutet schließlich das Ich? 58. 59 Das Ich als abgeschlossenes Wesen 60 I Das Ich als sämtliche Inhalte der Erfahrung eines einzigen Moments 60 2 Das Ich als Durchschnittsinhalt der Erfahrung 60. 61 3 Wesentliches Ich 62. 63 Persönliche Identität 63-68 4 Das Ich als Monade 68. 69 5 Das Ich als das, was interessiert 69 6 Das Ich als Gegensatz zum Nicht-Ich 69-76 Jedes Ich ist eine konkrete Gruppe 70. 71 Aber gehört ein Inhalt allein dem Ich 71. 72 oder dem Nicht-Ich zu? 72. 73 Zweifelhafte Fälle 73. 74 Ich und Nicht-Ich sind im Ganzen nicht fixiert 75. 76 Die Wahrnehmung der Aktivität als sein allgemeiner Charakter 76. 80 7 Das Ich als reines Ich 80

10. Die Realität des Ichs

82-96

Das Ich ist zweifellos ein Faktum, aber kann es in seiner Erscheinungsform real sein? 82 (a) Das Ich als Gefühl zeigt sich aus verschiedenen Gründen unhaltbar 82-85 (b) Auch das Ichbewußtsein ist in keiner besseren Lage 85-88 (c) Die persönliche Identität ist unbrauchbar, ebenso wie die funktionale Einheit des Ichs 89-91 (d) Das Ich als Aktivität, Kraft oder Wille 91-93 (e) Das Ich als Monade 93. 94 Schlußfolgerung 95. 96

11. Phänomenalismus .

97-101

Bisheriges Resultat 97 Der Phänomenalismus als ein Heilmittel 97 Begreift er aber nicht die Fakten, und sich selbst als eines? 97 Seine Elemente sind unbegreiflich 98 Schwierigkeit betreff der Vergangenheit, der Zukunft und der Identität 98. 99 Was sind Gesetze? 99. 100 Endgültiges Dilemma 100. 101

101-105

12. Dinge an sich

Die Trennung des Universums in zwei Hemisphären ist nicht zu begründen 101-103 und verdoppelt nur unsere Schwierigkeiten 103 Die Erscheinungen sind Fakten, die irgendwie die Realität qualifizieren müssen 104. 105

Zweites Buch: Wirklichkeit 13. Die allgemeine Natur der Realität .

109-115

Das bisherige Resultat war wesentlich negativ 109 Wir haben aber ein absolutes Kriterium 109 Der auf der Entwicklung des Kriteriums basierte Ein-

I nhaltsvereeichnis

VII

wand 110 Unser Kriterium ist das höchste und nicht nur negativ. Es gibt uns positive Erkenntnis der Realität 110-113 Ferner ist das Reale ein einziges Substantielles. Eine Mehrzahl von Realen ist unmöglich 113-115

14. Die allgemeine Natur der Realität (Forts.) .

116-131

15. Der Gedanke und die Realität

131-149

16. Der Irrtum

150-160

17. Das Böse .

160-166

18. Die Erscheinung in Zeit und Raum

167-181

Das Absolute ist ein einziges System und sein Inhalt ist Erfahrung 116-119 Besitzt es aber mehr als theoretische Vollkommenheit? 119 Von einem praktischen Postulat ist keine Antwort zu erwarten 119-125 Das ontologische Argument 120. 121 Praktische und theoretische Axiome 120. 121 Indirekt scheint aber die theoretische Vollkommenheit Vollkommenheit nach allen Seiten zu bedeuten 122-125 Unsere Erkenntnis des Absoluten ist unvollständig, aber positiv. Ihre Quellen 129-131

Das Wesen der Idealität 131. 132 Dies wird im Urteil durch den Gegensatz des Prädikates zum Subjekt sichtbar 132. 133 Begriff der Wahrheit 133 sie beruht auf der Idealität des Endlichen 133-135 Die Unklarheit über die Relation des Gedankens zur Realität 135 Der Gedanke ist dualistisch, und sein Subjekt und Prädikat sind verschieden 136-138 Wenn dem Gedanken die Überwindung des Dualismus glückte, ginge er als Gedanke zugrunde 138, 139 Warum sollte das aber nicht der Fall sein? 140-142 Können wir aber ein dem Gedanken gegenüber Anderes behaupten? 142. 143 Ja, wenn dies Andere das ist, was der Gedanke selber wünscht und in sich schließt; und das ist der Fall 143-146 Die rationale Form, schließt eine Ergänzung außer sich ein 146-148 Unser Absolutes ist kein Ding an sich 149

Ein gültiger Einwand muß sich auf etwas Widersprechendes, und nicht nur auf etwas Ungeklärtes gründen 150. 151 Das Problem des Irrtums. Es schließt ein Dilemma in sich 151 Der Irrtum ist Erscheinung und zwar eine falsche 152. 153 Er wird von der Realität abgelehnt, weil er sie zwiespältig macht 153-155 Aber er gehört irgendwie zur Realität 155 Der Irrtum kann durch Trennung und Umgruppierung Wahrheit werden 156-158 Sein positiver Zwiespalt kann absorbiert werden 158-160 Diese mögliche Lösung muß real sein 160

Die Hauptschwierigkeiten entstehen durch einen Irrtum 160 Verschiedene Bedeutungen des Bösen. Das Böse als Unlust 161. 162 als Unmöglichkeit der Verwirklichung eines Zieles 162. 163 und als Unmoralität 163-165 In keinem Sinn ist es mit dem Absoluten unvereinbar. Keine Verschiedenheit geht in ihm verloren 165. 166

Zeit und Raum sind unerklärlich, sind aber mit unserem Absoluten nicht unvereinbar 167 Das Problem der Entstehung ist irrelevant und die Berufung auf das "Faktum des Bewußtseins" vergeblich 167 Die Zeit weist auf etwas über sich selbst hinaus und zwar in verschiedener Hinsicht 168-171 Sie wird überschritten 171 Die Einheit der Zeit gibt es nicht 171-174 Was bedeutet meine "reale" Welt? 212 Es gibt keine Richtung der Zeit oder besser, es kann deren eine ganze Anzahl geben 174-178 Die Kausalitätsreihe ist nur Erscheinung 178. 179 Der Raum, ganz gleich, wie er entsteht, überschreitet sich selbst 180. 181

VIII 19. Das Dieses und das Meine.

Inhaltsverzeichnis 181-196

Ihr allgemeines Wesen 181 Sie sind positiv und negativ 182 Das Gefühl als unmittelbare Erfahrung der Realität 182. 183 Das Dieses als Realitätsgefühl und als positive Bruchstückhaftigkeit 184. 185 Das Dieses als Negativum. Es geht über sich selbst hinaus 185 Das Ich als Einzigartiges und als Eigenwille 185. 186 Gibt es mehr als Inhalt in dem Dieses? 187-190 Haftet irgendein Inhalt an dem Dieses? 190 Nein, es scheint nur so infolge unseres Nichtkönnens 191-196 Der Begriff des "reinen. Meines" 201

20. Rückblick .

196-200

21. Solipsismus

201-212

Das bisherige Resultat 196. 197 Sind Individualität und Vollkommenheit nur negativ? 198-200 Vollkommenheit und Quantität 200 Es gibt nur ein einziges vollkommenes Sein? 200

Das Problem 201. 202 Die Erfahrung auf die er sich beruft, ist direkt oder indirekt 202 1 Direkte Erfahrung stellt mein Ich nicht als alleiniges Substantiv dar 202. 203 2 Können wir aber überhaupt die direkte Erfahrung überschreiten? Oder ist das "Dieses-Meine" "einzigartig"? Nein, nicht in dem Sinn von "ausschließend", und wir müssen darüber hinausgehen 204-207 Können wir dann bei unserem vergangeneu und zukünftigen Ich Halt machen oder müssen wir ebenso auf fremde Seelen schließen? 207. 208 Keines von beiden kann bewiesen werden, aber beides hängt von dem gleichen Argument ab 208-210 Auch die Unrealität anderer lebe würde nicht den Solipsismus beweisen. Alles ist meine Erfahrung und ist es ebenso nicht 210. 211 Die im Solipsismus enthaltenen Wahrheiten 212

22. Natur

213-240

23. Körper und Seele .

241-293

Ihre Bedeutung und ihr Ursprung 213 In ihrem Wesen steckt eine Antinomie. Sie ist eine Relation von Unbekanntem zu Unbekanntem 214-216 Sie ist ein bloßes System von Bedingungen einiger Phänomene und eine widerspruchsvolle Abstraktion 217 Ist alle Natur ausgedehnt? 217-219 Ist ein Teil der Natur unorganisch? 220-222 Steht sie durchaus in Relation zu endlichen Seelen? 222-228 Diese Fragen sind nicht wichtig 228. 229 Die Identität der Natur 229-231 Die Stellung der Naturwissenschaft 231-233 Die Einheit der Natur 233-235 Ihre Festigkeit 235-237 Die Unendlichkeit der Natur 237-239 Ihre Gleichförmigkeit 239 Die Natur ist zufällig, in welchem Sinn? 239. 240

Sie sind phänomenal und geben keine Grundlage für einen Einwand ab 241. 242 Der Begriff des Körpers 242. 243 Der Begriff der Seele 243 Sie ist nicht dasselbe wie Erfahrung; vom Individuum 244-248 und vom Absoluten aus gesehen 249. 250 Erörterte Einwände. 1 Wenn die Seele phänomenal ist, ist sie ein bloßes Anhängsel an den Organismus? Das Problem der Kontinuität und der Anlagen. Die Seele ist eine ideelle Konstruktion 250-258 2 Schließt die Reihe ein transzendentes Ego in sich? 258 3 Gibt es psychische Fakten, die keine Verläufe sind? 259-264 Die Relation von Körper und Seele. Sie sind nicht ein einziges Ding 264 Sie werden kausal verbunden. Keines ist das überflüssige Adjektiv des andern 265. 266 Die wahre Ansicht 272-274 Die Verbindung bleibt aber ml.erklärlich 275. 276 Wie weit kann der Körper oder die Seele unabhängig sein? 276-280 Das Wesen des Verkehrs

Inhaltsverzeichnis

IX

der Seelen 280-284 Die Natur und Wirksamkeit der Identität verschiedener Seelen 284-288 Die Identität innerhalb einer Seele und inwieweit sie die mechanistische Ansicht überschreitet 289-292

24. Wahrheits- und Realitätsstufen

294-328

25. Das Gute .

328-374

26. Das Absolute und seine Erscheinungen

374-420

Das Absolute hat keine Stufen, das gilt aber nicht von der Existenz 294. 295 Das Wesen der Wahrheit 295 Sie bleibt konditional 295 Daher gibt es keine totale Wahrheit oder totalen Irrtum, sondern nur größere oder geringere Gültigkeit 296, 297 Begriff der Norm. Er hat zwei wesentlich miteinander verknüpfte Merkmale 297-299 Die Annäherung an diese Maßstäbe bestimmt den Grad relativer Wahrheit 299 Jeder Gedanke, sogar jede bloße Vorstellung, hat eine gewisse Wahrheit 299-303 Die genauer spezifizierte Norm in ihrer Relation zu den bloßen Phänomenen 303 und zu höheren Erscheinungen 303. 304 Es ist keine andere Norm möglich 304-306 Die unserige ist überall anwendbar 307-309 Die Welt der Sinne ist ihr eigentlicher Platz. Weder die reine Empfindung noch der reine Gedanke ist real 310-312 DasWahrere und Realere muß stärker in Erscheinung treten; aber in welchem Sinn? 312. 313 Die Gesamtheit der Bedingungen ist nicht dasselbe wie Realität 314 Die nicht beobachtete Natur und psychische Anlagen 314. 315 Begriff der potentiellen Existenz 315-317 Relative und absolute Möglichkeit, Zufälligkeit und äußere Notwendigkeit 317-323 Grade der 1\löglichkeit 323 Der ontologische Beweis, seine Fehler und seine Berechtigung 323-325 Seine Bastardform 326-327 In welchem Sinn ist Existenz notwendig? 328 Das Gute und das Böse und ihre Stufen sind keine Täuschungen, sind aber immer noch Erscheinungen 328-329 Begriff des Guten 329 Warum das Nur-Angenehme nicht gut ist 330 Lust ist an sich nicht gut· 331-333 Nicht der befriedigte, sondern der im allgemeinen gebilligte Wille ist gut 333. 334 Wie weit ist es "das Wünschenswerte"? 334. 335 Das Gute ist eine einseitige widerspruchsvolle Seite der Vollkommenheit 335. 336 Das Absolute ist gut und ist es nicht 337 Das Gute, als Selbstverwirklichung näher bestimmt 337. 338 Seine doppelte Seite als Selbstopferung und Selbstbejahung 339 Was bedeuten diese? 340-343 Sie vereinigen sich, werden aber im Absoluten überwunden 343 Die populäre Ethik sieht in beiden das Letzte und geht darin notwendig fehl 344-352 Die Relativität des Guten 352. 353 Das Gute als innere Moralität 353. 354 ist inkonsequent und endet im Nichts oder im Bösen 354-358 Die Forderungen der Moralität steigern das Gute über sich selbst hinaus zur Religion 358. 359 Begriff der Religion und inwiefern sie Befriedigung verspricht 361-363 Sie erweist sich als inkonsequent und ist eine Erscheinung, die über sich selbst hinausgeht 363-368 Sie ist aber keine lllusion 368-370 Das praktische Problem und die religiöse Wahrheit 370-372 Religion und Philosophie 372. 373 ·

Thema dieses Kapitels 374-375 Die Hauptarten der Erfahrung; sie sind alle relativ 376 Die Lust, das Gefühl, die theoretische, die praktische und ästhetische Haltung sind alle nur Erscheinung 376-383 und jede begreift das Übrige in sich 383-384 Die Einheit ist aber im Einzelnen nicht bekannt. Endgültig Unerklärbares 384-386 Das Universum kann nicht auf Gedanke und Wille zurückgeführt werden 385 Dies wird des Breiten ausgeführt 386 -396 Inwieweit das Universum begreiflich ist 396. 397 Der Primat des

I nhaltsverseichnis

X

Willens eine Täuschung 397-399 Bedeutung des Begriffs Erscheinung 399 Die Erscheinungen und das Absolute 399. 400 Ist die Natur schön und verehrungswlirdig? 403-407 Ziele in der Natur- ist keine metaphysische Frage 408-409 Begriff der Naturphilosophie 408-410 Gibt es irgendeinen Fortschritt in dem Absoluten 410-412 oder ein Leben nach dem Tode 412-420

27. Letzte Zweifel

420-455

Anhang .

457-531 459-470 470-483 484-499 499-515 517-531 532-536

Ist unsere Schlußfolgerung nur möglich? 421 Vorläufige Feststellung liber die Möglichkeit und den Zweifel. Sie müssen auf positiver Kenntnis beruhen 421-426 Dies auf unser Absolutes angewandt. Es ist nur eines 426-430 Es ist Erfahrung 430-433 Es besteht aber genau genommen nicht aus Seelen 433-436 auch ist es nicht eigentlich persönlich 437-440 Kann man das Absolute glücklich nennen? 439-440 Die Erkenntnis ist konditional oder absolut und ist daher Unmöglichkeit 440-443 Endliche Erkenntnis ist durchaus bedingt 444-446 Sie variiert je nach ihrer Kraft und ihrer Verbesserungsfähigkeit 446. 447 Schließlich ist nicht einmal die absolute Wahrheit ganz wahr, und dennoch bleibt die Unterscheidung bestehen 448. 449 Die Relation der Wahrheit zur Realität 450. 451 Unser Ergebnis versöhnt die Extreme und entspricht unserer ganzen Natur 451. 452 Irrtum und Täuschung 452. 453 Das Vorhandensein von Realität in allen Erscheinungen, aber nach dem Grade verschieden ist das letzte Wort der Philosophie 453-455

Einleitung Zusatz A: Der Widerspruch und der Gegensatz Zusatz B: Relation und Qualität Zusatz 0: Identität Erläuterungen Sachregister .

F. H. Bradley's Philosophie und ihre zeitgeschichtliche Bedeutung Die allgemeine Völkercharakterologie pflegt den einzelnen Nationen auch einen bestimmten Typus des Philosophierens zuzueignen. Dabei wird vielfach der wesentliche Typus der Methode des Denkens mit dem Typus des Gehalts und der historischen Stellung der jeweiligen Philosophie identifiziert. Das Ergebnis ist dann oft eine zu enge Fixierung der typischen Denkart einer Nation. So ist es ein das Allgemeinbewußtsein noch immer befremdlich anmutender Gedanke, die angelsächsische Philosophie des 19. Jahrhunderts auch in den Bahnen des "objektiven Idealismus" wandeln zu sehen, dessen Quellen allerdings in der großen philosophischen Tradition der Deutschen liegen, der wie Dilthey 1) zutreffend gezeigt hat von Kant, Fichte, Schleiermacher, Regel ausging, aber bald eine europäische Angelegenheit wurde und seine jüngsten und nicht geringsten Vertreter in England, dem Land der "Empiristen", fand. In diesem Land konnten freilich Systeme des objektiven Idealismus, die "eine Begründung des geistigen Zusammenhanges der gesamten Wirklichkeit" 2) erstrebten nur schwer Eingang finden; denn sie trafen auf einen durch lange Tradition gefestigten, individualistischen Empirismus und Sensualismus. - Der erste Angriff gegen die Traditionsphilosophie erfolgte durch Rarnilton und Whewell, die nach kantischen Grundsätzen die Erkenntnisproduktion der Ideen und Begriffe gegenüber der Alleinherrschaft der Erfahrung betonen. Doch sie vermögen nicht gegen die erneut aufsteigende Macht der Erfahrungsphilosophie eines J ames und J ohn Stuart Mill und die Entwicklungslehre eines Spencer aufzukommen. Im gleichen Jahr 1865, als J ohn Stuart Mill seine entscheidende Kritik Rarniltons erscheinen ließ ("Examination of Sir William Ramilton's Philosophie"), kündete sich in J. S. Stirling's Werk "The secret of Regel" eine 1) Dilthey: Die drei Grundformen der Systeme in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert (Ges. Schriften, IV. Bd., 1921, p. 539). 2) Ibid.

XII

Friedrich Blaschke

zukunftsreichere Richtung des objektiven Idealismus an. Kant und Regel werden übersetzt, kommentiert und systematisch durchdrungen. Im weiteren Umkreis war allerdings der Boden nicht ganz unvorbereitet. . Denn aus kunstphilosophischen Gründen hatte der Dichter Coleridge auf Kant und die deutschen Idealisten hingewiesen und Carlyle's Prophetenstimme hatte Kraft und Ideen aus der deutschen idealistischen Geisteswelt gewonnen. Doch konnte die idealistische Philosophie erst wirklich Fuß fassen, als sie sich einer empirischen Kritik und wissenschaftlichen Analyse zugänglich erwies. Sie mußte traditionalen Forderungen entsprechend durchgearbeitet werden. Diese Durch- und Umarbeitung der deutschen idealistischen Philosophie in England charakterisiert die sogenannte "Second Ox~ ford movement". Denn von Oxford aus nahm diese Bewegung ihren Lauf 1). Sie setzte ein mit Greens "Introduction to Hume" (1874) und Caird's "Kant" (1876) und dauert bis in die Gegenwart fort. Außer Green und Caird sind Bradley, Bosanquet, Mc Taggart und Ward zu dieser Richtung eines Neuidealismus zu zählen. Sucht man einen weiteren Horizont für diese geistige Bewegung, so darf man wohl auf den politischen und allgemeinen kulturellen Hintergrund der Zeit nach 1874 hinweisen. Englands Staatsinteresse wandelt sich zum Reichsinteresse; dieses bekundet sich in einer alle Wurzeln des gesamten nationalen Daseins durchdringenden imperialistischen Stimmung, die auch die gesamte Literatur ergreift 2); denn "britischer Idealismus ist wie der athenische primär und vorherrschend ethisch und politisch" 3 ). Diese Erweiterung des politischen Blickfeldes verschaffte dem universalen und riesige Ganzheitskomplexe umfassenden Denken Hegels Resonanz. Aber die kritische Besonnenheit der Engländer fand bei Denkern wie Regel vieles als Resultat vorweggenommen, was erst als Ergebnis wissenschaftlicher Analyse und Erfahrungsbegründung Bestand haben durfte"'). So kommt es, daß diese neue philosophisch-idealistische Strömung vornehmlich auf dem Gebiet der Logik und Metaphysik Fruchtbares schuf, indes die eigentlich ethischen und politischen Werke dieser Richtung(Bosanquet's: The Philosophical Theory of the State; 2. Aufl. 1900 ausgenommen) 0) Vgl. hierzu H. Höffd.ing: Moderne Philosophen (Leipzig 1905). Überweg~ Grundriß der Geschichte der Philosophie, 4. Teil 1916; J. H. Muirhead: Past and Present in Contemporary Philosophy, in: Contemporary British Philosophy, Londort 1924; Else Wentscher: Englische Philosophie, Leipzig 1924. 2) Salomon: Englische Geschichte" 1923, p. 259. 3) Muirhead a. a. 0. 319. ~) Überweg a. a. 0. 546. ~) Wie stark freilich die ganze Bewegung auf ethisch-politischem Gebiet um1)

Bradley's Philosophie

XIII

noch ausstehen. Diese idealistische Richtung ist eine Gegenbewegung gegen den traditionalen Empirismus, gegen die Assoziationspsychologie und nicht zum wenigsten auch gegen die religiöse Orthodoxie, die den philosophischen Idealismus wie überall zur Bestätigung ihrer Dogmen auszubeuten suchte. Die Verschiedenheit der Gegner, der logischen und metaphysischen Ausgangspunkte und der Erfahrungsgrundlagen bedingt zwar eine mannigfaltige Individualisierung der in Frage kommenden Denker. Aber trotzdem gibt es einige allgemeine Richtlinien und Ergebnisse, die sie als in einer Bewegung stehend anzusehen gestatten. Ihr Gemeinsames läßt sich etwa in folgenden Sätzen zusammenfassen 1): Die Erörterung metaphysischer Grundprobleme ist eine unumgängliche Notwendigkeit. Das deutsche idealistische Zentralprinzip bedarf einer neuen, dem Fortschritt der Einzelwissenschaften angepaßten Anwendung. Dieser neue Idealismus unterscheidet sich von dem Idealismus älterer Observanz, etwa dem Berkelys oder Humes dadurch, daß er die Welt als eine transsubjektive Wirklichkeit anerkennt. Es gibt reale Objekte in der Welty dauernde mit sich identische W esenheiten, die unserer wandelbaren Erfahrung Kohärenz und Bedeutung geben. Das Reale ist ein kohärentes System, von dem unsere Erfahrung allerdings nur endliche Fragmente mitteilt. Das Universum ist als Ganzes ein im allgemeinen erkennbares System. Natur und Geist sind nicht aufeinander reduzierbar; sondern sind ein Ganzes. Leitmotiv dieses Neuidealismus ist die logische Priorität eines Ganzheitbegriffes, einer Ordnung, die über die Bruchstückhaftigkeit der Erfahrung hinausgeht, man mag sie Gott, Vernunft oder Absolutes nennen. Der führende Denker dieser ganzen Richtung war Fraucis Herbert Bradley 2) (1846-1924), von dem die große Öffentlichkeit eigentlich erst erfuhr, als er 1924 den Order of Merit - jene Auszeichnung, die England seinen jeweilig 24 um die Nation verdienten, hervorragenden Männern ~nd Frauen erteilt~ - erhielt und - im gleichen Jahr verstarb. Er hat sein Leben als Professor des College of Merton in einsiedlerischer Arbeit ve1bracht. Da er keine Vorlesungen hielt und zum Teil infolge Krankheit sich an der Teilnahme am öffentlichen Leben gehindert sah, wußte eigentlich nur die philosophische Welt durch sein bedeutsames Schrifttum von ihm, erkannte ihn aber als einen ihrer Größten an, denn fast emkämpft ist, geht aus der Kritik hervor, die gerade dieses Werk gefunden hat, in Hobhouse "The metaphysical Theory of the State" (1918), deutsch: "Die metaphysische Staatstheorie." (Leipzig, F. Meiner 1924.) 1) Vgl. Muirhead a. a. 0. 314. 1) Literatur zu Bradley's Philosophie und Leben am Schluß dieser Abhandlung.

XIV

Friedrich Blaschke

stimmig sah man sein 18A4 erschienenes Werk: "A p p e a r an c e and Re a li t y" als das wichtigste, selbständige Werk über Metaphysik an, das je in englischer Sprache verfaßt worden ist 1). Seine philosophischen Anfänge fielen in eine Zeit der V orherrschaft von Vorurteilen und blindem Dogmatismus, der, wie er richtig fühlte, nur durch rücksichtslose Kritik prinzipieller Grundlagen zu überwinden war 2 ). Er fühlte sich Green und Caird sehr verbunden. Sein erstes größeres Werk "Ethical Studies" (1876) richtet sich kritisch gegen den Hedonismus und Utilitarismus und gegen die Überwertung lebensfeindlicher Moral. Schon hier zeigt er, daß wahrhafte Sittlichkeit nicht in der Erfüllung eines von der Totalität des Seins abgesonderten Zieles, etwa dem Glücksstreben oder dem kantischen Grundsatz von der "Pflicht um der Pflicht willen" liegt, sondern daß nur ein der Wahrhaftigkeit ganzheitlicher Werte zugewandtes Streben, also das Streben nach einem "konkreten Universale" ethisch wichtig sein kann. Daher erkennt seine Ethik auch soziale Werte als erstrebenswert an; denn Gesellschaft ist für ihn ein ganzheitlicher Organismus und damit wahr. Schon aus diesem Werk war die fundamentale Bedeutung logischer Erwägungen für Bradley zu ersehen. In das Zentrum logisch metaphysischer Fragen stieß sein zweites große Werk: "Principles of Logic" (1883, 2. Aufl. 1922). Hier ist das inzwischen eifrig betriebene Regelstudium schon fruchtbar geworden. Besonders von der Logik Bradley's gilt der schon angeführte Grundsatz der Neuidealisten, daß Regel umgedacht werden müsse, seine Dialektik wird aufgehoben, aber eines bleibt unverlierbar: das Streben nach Denkgebilden ganzheitlichen Charakters, die Ablehnung der alten Subsumtionslogik und die innere Verbindung der Logik mit der Metaphysik. Bradley gibt zu 8), selbst nicht genau zu wissen, inwieweit er metaphysisch denke und inwieweit nicht. Denn schon seine Grundthese, daß das "wahre" Subjekt aller Urteile die Wirklichkeit als ein Ganzes erfasse und dementsprechend alle Urteile nur hypothetisch seien, weil keines die Totalität der Bedingungen erfassen kann, ist Metaphysik. Die Betonung des ganzheitlichen Hintergrundes aller Wahrheit ist besonders durch seine Stellung zur Assoziationspsychologie J. St. Mill's bedingt, die hier ihre schärfste Kritik erfährt. Aber auch der andere Gegner, der religiöse oder moralische Dogmatismus, wird schon hier auf dem Boden der Logik abgewiesen. Denn die von ihm behaupteten "Wahrheiten" 1) 2)

8)

International J onrnal of Ethics. Appearance and Reality. XII. Preface. Principles of Logic. Preface to first Edition.

Bradley's Philosophie

XV

gehören zu denen, die durch ein "geisterhaftes Gewebe unfühlbarer Abstraktionen oder den unirdischen Tanz blutleerer Kategorien zustande kommen" 1). Dies können aber niemals "Wahrheiten" in Bradley's Sinn sein, weil sie Vereinzelungen abstraktiven Denkens entspringen. Kein kategoriales Denken hat bei Bradley absoluten Wahrheitswert, weil keine Kategorie die Gesamtwirklichkeit um faßt; denn "das Urteil ist die Hinzufügung eines ideellen Inhalts zur Wirklichkeit und diese letzte Wirklichkeit ist das eigentliche Subjekt, über dessen Inhalt ausgesagt wird" 2 ). Damit wird die Beziehung auf ein Wirkliches zum Wesensbestandteil des Urteils gemacht. In der Prädikatsformel "ist" liegt immer der Hinweis auf eine Existenz. Eine solche Auffassung des Urteils ist natürlich nur auf Grund einer Trennung des Urteils als Erkenntnismittel und als psychischer Tatsache möglich, eine Trennung, von der Bradley auch tatsächlich ausgeht. Auch hier ist die Verschlingung von Metaphysik und Logik deutlich zu erkennen. Das logische Kriterium nun, daß eine solche Realitätsbeziehung vorhanden ist und daß damit das Urteil als ein wahres angesprochen werden darf, liegt für Bradley in dem Nachweis der Widerspruchslosigkeit der Begriffe und ihrer Beziehung, also nicht in der formalen Anordnung der Begriffe, wie sie die syllogistisch-formalistische Logik mit sich bringt. Bradley hat in seiner Logik eine meisterliche Klassifikation der nichtsyllogistischen Schlußtypen gegeben. Daß jene Wider~pruchslosigkeit, wenn man vor allem als Subjekt die ganze Wirklichkeit setzt, schlechthin unerfüllbar ist und daß damit die Möglichkeit der Wissenschaft ausgeschlossen wäre, versteht sich von selbst. Bradley erkennt nun folgerichtig Grade der Wahrheit und Realität an. Bestimmten Urteilszwecken und Aufgaben entsprechen nach Wirklichkeit und Wahrheit graduell abgestufte Urteile, die zwar relativen Wahrheitswert besitzen, aber ihre Erfüllung und Ergänzung, um auch wahrhaft real zu sein, erst in der Totalität erfahren. Wie schon aus dieser Skizze der Logik Bradley's zu ersehen ist, steht und fällt seine Lehre mit seiner Metaphysik, die sein in England nun schon in 7. Aufl. erschienenes und hier zum erstenmal ins Deutsche übertragene Werk: Appearance and Reality (188-!) enthält. - An dieser Stelle kann nur eine allgemeine Charakteristik dieses sich sehr schwer erschließenden Werkes auf seinen Gehalt 1)

2)

Jbid. p. 591. Principles of Logic, 2. ed., p. 29.

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vorbereiten. Bradley's Grundfrage lautet: "Was ist Realität?" Realität ist für ihn die Gesamtheit der Erscheinungen, die zu einer überbeziehliehen (suprarelationalen) Einheit sich vereinigt haben, also nicht deren bloße Summe oder Aggregat. Überall dort, wo es dem Menschen gelingt, Einheit und Vielheit widerspruchslos in eins zu erfassen, besteht für ihn die Möglichkeit einer zwar nicht detaillierten, aber doch allgemeinen Erkenntnis des Wesens der Realität. "Realität ist konkret, während die wahrste Wahrheit noch immer mehr oder weniger abstrakt ist 1)." Diese metaphysische Grundanschauung bedingt den Gesamtcharakter seines Werkes. Daß Bradley kein geschlossenes System der Wirklichkeit gibt, möchte er gern rein persönlichen Gründen zuschreiben 2), - er will nur kritische Grundlagen für ein solches geben, - aber bei dieser Überzeugung von der Art der Wirklichkeit ist ja auch höchstens ein offenes System möglich: es könnte nur das Mehr oder Weniger des Realitätsgehaltes der Erscheinungen systematisiert und begründet werden, und das wäre eine unendliche Aufgabe. Denn jede durch Erweiterung einer Einzelansicht entstandene und verabsolutierte Gesamtanschauung von der \V elt ist nach Bradley unmöglich. Er bewegt sich daher in einer ständigen Kontroverse mit allen Anschauungen, die irgendein am Ganzen gemessen unwichtiges Faktum theoretisiert und verallgemeinert haben, und widerlegt sie. Es macht diese Art des Philosophierens, die aus Negationen ihr Positives gewinnt, einen unerhört skeptischen Eindruck, ist es aber durchaus nicht. Denn die Realität wird als in allen Erscheinungen und Urteilen partikulär gegenwärtig anerkannt, nur ist sie in keiner einzelnen wahrhaft, dazu bedarf es der Ergänzung in einem Ganzheitlichen. Keine Wahrheit der Wissenschaft, Religion und Ethik kann absolut genommen werden, sie sind alle relativ im echtesten Wortsinn, d. h. sie sind durch eine Relation bedingt, die immer den unauflösbaren Widerspruch des vereinten Vielen und Einen in sich birgt. Aber darum wird diese Realität noch kein unerreichbares Ding an sich, sondern ist "Erfahrung", keine Erfahrung im Sinn des Empirismus, der immer Teilerfahrung meint, sondern ist Totalerfahrung, wie sie etwa in der Unmittelbarkeit des Gefühls gegeben ist. Mitten in dieser strengen und überaus scharfsinnigen Widerlegung alles Partikulären, und einer fundamentalen Skepsis gegen das Einzelne, eröffnet sich in dieser Metaphysik ein fast mystisch zu nennendes Erlebnis der Welt, die als Vieles und Eins, Ganzes 1) 2)

"Erscheinung und Wirklichkeit," p. 325. lbid. Vorrede.

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und Partikuläres in einem Akt der Unmittelbarkeit erfaßt werden soll. Vor allem wirkt sich hier seine schon in der Logik aufgebaute These aus, daß die Grenzen zwischen Erfahrung und Erfahrenem, zwischen Subjekt und Objekt nie streng zu ziehen sind, daß sie einander erfordern. An dieser einzigen Stelle greift dieser kühle Logiker zu dichterischen Beispielen, um diese ewige, innige Verbundenheit der einen in Subjekt und Objekt nur zu Unrecht aufgespaltenen Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Es sind Erkenntnisse, die denen deutscher Mystik sehr nahe kommen. Des Angelus Silesius Wort: "Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben, Werd ich zu nicht, er muß von Noth den Geist aufgeben" könnte jenen Dichterstellen auf S. 368 an die Seite treten. All' unser Teildenken-vorstellen -handeln wird in seiner Totalität als eine letzte, entwicklungslose, hierarchisch nach Stufen aufgebaute Harmonie betrachtet, die für den oder die Menschen denkerisch nur fragmentarisch zu erreichen ist. Ja, der Gedanke ist seinem Ziel selber der größte Feind; denn sein Wesen ist ideal; d. h. es beruht auf der Trennung eines "Was" von seinem "Daß", d. h. seines Inhalts von seiner Existenz. Und konkrete Ganzheit ist nur Vereinigung von Inhalt und Existenz. Sie ist reicher als der Umkreis des Gedachten und Denkmöglichen. Trotzdem kann aber das Denken Teilerfolge erreichen; es kann Grade von Realität und Wahrheit erfassen. Nichts geht im Absoluten Bradley's verloren. Alles Einzelne wird in Hegel's Sinn "aufgehoben", als ein neues Element in ein höheres Ganzes verschmolzen. Bradley legt wie Hegel 1) gegenüber SeheHing darauf Gewicht, daß alle Erscheinungen ihre Profile behalten und nicht verwischt werden; hier zeigt sich auch ein bedeutsames Trennungsmotiv der Metaphysik Bradley's von der Green's, bei dem die einzelnen Erfahrungsgebiete nicht streng zu trennen waren. Nur im allgemeinen geklärt wird die Frage der Hierarchie der Erscheinungen; eine nähere Ausführung hätte auch den Grundriß zu einem System bedeutet, den Bradley nicht geben wollte. Man darf wohl den allgemeinen Grundsatz annehmen, daß diese Stufenordnung der Wirklichkeit etwa der Wertordnung unserer Erscheinungswelt entspricht; denn auch in ihr ordnen sich die den größten Umkreis der Erscheinungen umfassenden Werte den weniger umfang') Phänomenologie des Geistes. Vorrede. (Philos. Bibliothek, Bd. 114.) Leipzig 1921, p. 12.

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Friedrich Blaschke

reichen über. Es sei hier nur angedeutet, daß in Bradley's Lehre von den Grundprinzipien die Möglichkeit einer qualitativen Bedeutung der Quantität ein wichtiges vereinheitlichendes Motiv darstellt Je umfassender ein Begriff, um so wirklicher und wahrer stellt er sich dar, um so näher rückt er an das Absolute. Doch ist damit nicht den Begriffen reiner Abstraktion der höchste Wert zugesprochen; denn zur Wirklichkeit gehört ihre Individualität. Nur Individuelles ist konkret; das Absolute selbst ist individuell und nur in der Teilnahme an ihm ist Wirkliches, weil nur so Ganzheitliches gesichert ist. Zur Beurteilung des Wissenschaftscharakters dieser Metaphysik sei noch auf folgendes hingewiesen. Bradley's Metaphysik gehört durchaus nicht zu denen "erbaulicher" Art. Als Wissenschaft ist sie aber insofern zu betrachten, als sie ein V ersuch ist, Totalität widerspruchslos zu denken. Denn es liegt in ihrem Wesen, über jeden Begriff der Wissenschaft hinauszugehen, weil sie die Summe der Erscheinungen umfassen muß. Das bedeutet, über das Denkbare hinausgehen, also auch jede einzelwissenschaftliche Methode sich unterordnen. Metaphysik kann nur in dem Sinn Wissenschaft sein, als sie Bedeutungslehre überhaupt sein kann. Widerspruchslose Bedeutungen unserer Erscheinungswelt mit graduellem Wirklichkeitsbezug, nach ihrem Ganzheits- und Individualitätsgehalt geordnet und innerhalb einer einzigen die Mannigfaltigkeit der Erfahrung zusammenfassenden Empfindung eingeschlossen - das ist das Absolute Bradley's. Dieses erkennbar zu machen und diese Erkenntnis als Denknotwendigkeit zu erhärten, ist das wissenschaftliche Bemühen Bradley's. Seine Darstellung isttrotzihres glänzenden Stiles schwer befrachtet mit dem Zwang sich andauernd im 'Viderstreit mit der traditionalen Philosophie seines Volkes zu befinden und darum macht sie einen Scholastischeren Eindruck, als ihre einfache und große Grundkonzeption es erforderlich erscheinen läßt 1). DasWerk ist mit ihm fremden Denkmotiven und deren Widerlegungen und mit Einbauten belastet, die uns, die wir mit dem Denktypus des objektiven Idealismus vertrauter sind, unnötig erscheinen, die aber zum Zweck der Polemik dieses bei aller Sachlichkeit stark Der Übersetzer sieht sich hier vor dem Dilemma, den guten englischen Stil möglichst einzudeutschen oder aber den sehr präzisen Ausdruck in deutlich englischer Färbung beizubehalten. Er hat sich für den zweiten Gesichtspunkt entschieden. Bradley legt auf sein Engländerturn Gewicht, prägt seinen Ausdruck mit einer oft monotonen, aber durchaus streng sachlichen, logischen Eindringlichkeit und man nähme ihm ein Stück seiner Philosophie, gäbe man ihr ein spezifisch deutsches und gelockerteres Aussehen. 1)

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kämpferischen Geistes notwendig waren. Das bringt auch uns Vorteile, weil wir auf diese Weise neue Gründe und Begründungsformen des objektiven Idealismus erfahren und seine nationalen Varietäten kennen lernen. Fragen wir nun überhaupt einmal nach den Beziehungen Bradley's zur deutschen Philosophie, so geht schon aus dieser Skizze hervor, wo wir sie hauptsächlich zu suchen haben. Er selbst ist sich über den Grad seiner Originalität niemals im Zweifel gewesen. Auch die Engländer nicht. Sie sagen: "Es hat tiefere Philosophen gegeben, aber keinen, der leichter mit den Formeln der Vergangenheit spielte 1)." Bradley bekennt selbst, daß er den deutschen Philosophen Regel, Lotze, Sigwart viel verdankt, obwohl er die deutsche Philosophie als Ganzes nicht sehr liebte 2). Er möchte sich auch kein Hegelianer genannt wissen, weil er Hegels Hauptprinzip der Suprematie des Begriffes nie zustimmen kann 8). Ihm kam es darauf an, einem größeren englischen Metaphysiker den Weg zu ebnen, er betrachtete sich durchaus als J ohannes für jenen größeren Systembauer, der da seiner Nation aus der vorbereitenden, kritischen Arbeit seines Werkes entstehen sollte '). Von Regel trennt ihn dessen Hypostasierung der logischen Vernunft. Das Absolute kann nicht reiner Logos sein, sondern muß in seiner Einheit und Ganzheit Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Vorstellen - kurzum totale "Erfahrung" sein; als solche kann es auch nicht außerhalb der Erscheinungen liegen als Ding an sich, sondern nur in ihnen. Dieser Gesichtspunkt trennt ihn von Kant - allerdings so, wie er ihn auffaßt. Wichtiger aber als diese rein historische Frage ist für uns der Gedanke: Kann Bradley's Metaphysik, die für die Situation des englischen Denkens fruchtbar sein mag, auch uns heute noch viel bedeuten, da wir uns gerade selber in einer Periode der "Auferstehung der Metaphysik" 11) zu befinden glauben? Auch hier können die Probleme nur angeführt werden. - Wird heute die Möglichkeit und Berechtigung einer Metaphysik auch nicht mehr geradezu abgelehnt, und werden ~llenthalben eben auf der Grundlage des objektiven Idealismus Versuche zu ihrer zeitgemäßen Schöpfung gemacht, so begegnen diese Bemühungen doch den erheblichsten The Enzyclopädia Britannica, 13 ed., Vol. I, 1926. A. E. Taylor: F. H. Bradley, Mind, Vol. XXXIV, p. 7. 3 ) Principles of Logic, 2 ed. 1922, X. ') "Erscheinung und Wirklichkeit," Vorrede. ~) Vgl. Peter Wust: Die Auferstehung der Metaphysik. Leipzig. F. Meiner. (1920.) . 1)

2)

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Schwierigkeiten. Hauptgründe sind die Verbindung der Metaphysik mit den Einzelwissenschaften und das Problem der m. E. noch völlig im Mythos schwebenden logischen Grundlegung ihrer wesentlichen Begriffe. Nach beiden Seiten kann nun Bradley fruchtbare Anregung bieten. Seine Metaphysik läßt die Einzelwissenschaften und ihre Begriffswelt durchaus ihr relatives Recht; sie drängt ihnen gar nicht ihre metaphysische Grundlegung auf. Naiver Realismus, wie naturwissenschaftliches Denken, wie religiöse Dogmatik behalten alle ihren Sinn, so lange sie rein ihrem Zweck, ein bestimmtes Erfahrungsgebiet, denkerisch zu durchdringen, dienen und nicht beanspruchen, absolute, widerspruchslose Wahrheit zu geben. Bradley hat den Pragmatismus bekämpft, aber Schiller 1), der englische Pragmatist und schärfste Gegner Bradley's, dürfte Recht haben, wenn er die Philosophie seines Gegners nur einen Rastplatz auf dem Wege zum Pragmatismus nennt. Bradley's Philosophie ist gerade wegen ihres partikulär skeptischen und pragmatistischen Wahrheitsbegriffes in Verbindung mit einer Totalanschauung von Wahrheit und Wirklichkeit eine ausgezeichnete Grundlage für eine umfassende Metaphysik, die sich nicht mit der V erabsolutierung eines Begriffs oder Faktums begnügen will. Sein Grundsatz, daß es nichts Vereinzeltes gibt, daß immer der Gesamthintergrund des Universums hinter jeder Einzelwahrheit steht und nur aus praktischen Gründen ausgeschaltet werden darf, ist ein für uns äußerst fruchtbarer Gesichtspunkt, zumal er ihn nach allen Seiten und Folgerungen durchgearbeitet hat. Bedeutsam ist ferner für uns die Totalanschauung des Absoluten selber. Unsere kritische und auch romantische Philosophie hat zwar das Supremat von Begriffen wie Totalität, Organismus, Ganzes, Individuum anerkannt und durch die Dialektik der Begriffe zur Anschauung gebracht. Aber ein Problem war doch nicht gelöst; wie denn nämlich mittels dieser Begriffe nicht nur das Allgemeine, sondern vor allem das Einzeln-Wirkliche, das Konkrete verstanden werden soll. Auch Bradley hat dieses Problem noch nicht gelöst, aber er gibt Hinweise. Die heute brennende Frage in der Philosophie ist eben die: "Wie ist Konkretes zu denken?" Ist es nur als unendliche Aufgabe des erkennenden Bewußtseins zu erfassen, kann es sich unmittelbarer Erkenntnis als Wesen offenbaren, ist es einfach als "Gegebenes" zu setzen? Bradley läßt ihm seine Eigenart, betrachtet es als partikuläre Erscheinung mit einem dem Absoluten untergeordneten, aber in seine Ganzheit verwobenen individuellen Wirklichkeitsgrad, - läßt die Aporie der Erkenntnis offen, bereitet 1)

Muirhead a. a. 0.

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aber der unmittelbaren Empfindung, die dem Denken immer antinomisch erscheinen muß, weil sie Einheit und Mannigfaltigkeit in eins zu denken fordert, den Zugang zum Absoluten, das schließlich auch das einzig vollendete Konkrete ist. Seine Analyse der Begriffe des Ganzen, Einheitlichen, der Totalität, des Individuellen und des Organismus ebnet den Weg zu einer Erkenntnis des Konkreten, die weit über die allgemein übliche Lösung durch das Prinzip der Polarität hinausgeht; diese Lösung setzt bei der unmittelbaren, noch nicht im Unterschiede zerlegten Empfindung ein und endet in einer alle Unterscheidungen zusammenfassenden, individuellen Erfahrungstotalität. Dabei verliert sich nirgends der Begriff des Konkreten in der Tiefe der mystischen Nacht, sondern bleibt im Geist echter Mystik durchaus im Hof des Bewußtseins, das sich mit dem Akt dieser Erkenntnis nur über sich selbst hinaus vollendet und jene Transzendenz erreicht, die in der Einheit von Erkennen und Empfinden Wandlung und Erfüllung des Einzelnen in der Ganzheit bedeutet, deren Gegenwart wir wiederum im Erlebnis des Individuellkonkreten erfahren 1). Leipzig, im Februar 1928

Friedrich Blaschke

1) Weitere Literatur: F. H. Bradley: Essays on Truth and Reality, Oxford (1914), enthält die wichtigsten, wesentlich im Mi n d erschienenen Aufsätze Bradley's und spiegelt seine Anschauungen der letzten 30 Jahre wieder. Besonders sind die Angriffe gegen den Pragmatismus hervorzuheben. Aus der umfangreichen Literatur über Br. seien nur genannt: Bernhard Bosanquet: Knowledge and Reality. London 1885. A. Sidgwick: Mr. Bradley and the Sceptics. (Mind, N. S. III.) I. H. Muirhead: Bradley's Place in Philosophy. (Mind, N. S. XXIV.) Blanshard: F. H. Bradley. ('l'he Journal of Philosophy 1925.) H. Ewans: Bradley's Metaphysik. Leipzig 1902. Ewing: Die Philosophie Bradley's. (Kantstudien, Bd. XXX.) In vieler Beziehung, besonders in der Urteilslehre, Bradley nahe steht die Philosophie Heinrich Maiers: Philosophie der Wirklichkeit. 1. Teil. Wahrheit und Wirklichkeit. Tübingen 1926.

FRANCIS HERBERT BRADLEY

ERSCHEINUNG UND WIRKLICHKEIT

Vorrede Ich habe das folgende Werk einen metaphysischen Versuch genannt. Weder seiner Form noch seinem Inhalt nach erfüllt es den Begriff eines Systems. Sein Gegenstand ist freilich zentral genug, um die erschöpfende Behandlung jedes Problems zu rechtfertigen. Mein Werk ist aber unvollständig und, was unerledigt geblieben ist, wurde oft willkürlich weggelassen. Das Buch ist ein mehr oder weniger oberflächliches Handbuch für die vielleicht wichtigsten metaphysischen Probleme. Es gab schon manche Gründe, warum ich nicht einen systematischeren Versuch wagte und warum eben das, was zu leisten ich mir vorgenommen hatte, sich als meinen Kräften gerade entsprechend erwies. Ich begann dies Buch im Herbst 1887 und nachdem ich die ersten 2/ 6 davon in 12 Monaten geschrieben hatte, brauchte ich für den Rest 3 Jahre. Mein Werk ist einigemale durch lange Unterbrechungen erzwungener Muße aufgehalten worden, und ich war froh, daß ich es beendigte, sobald ich konnte und wie es in meinen Kräften stand. Ich sage das nicht, um der Kritik· über ein nunmehr wohl überlegt veröffentlichtes Buch vorzugreifen. Hätte ich aber mehr versucht, so wäre wahrscheinlich nichts fertig geworden. In der Hauptsache habe ich alles so zu Ende gebracht, wie es in meiner Absicht lag. Dieses Werk soll eine kritische Erörterung der ersten Prinzipien sein und seine Aufgabe besteht in der Aneiferung zur Forschung und zum Zweifel. Auf Originalität macht es in keiner anderen Weise Anspruch. Wenn der Leser findet, daß er durch mich bei einigen Punkten zum weiteren Nachdenken angeregt worden ist, so bin ich meinen Verhältnissen entsprechend originell genug gewesen. Ich muß aber doch hinzufügen., daß mein Buch nicht für den Anfänger bestimmt ist. Seine Sprache ist im allgemeinen hoffentlich nicht allzu fachlich, ich habe aber manchmal Begriffe gebraucht, die nur dem Studierenden verständlich sind, Das Sachregister am Schluß ist kein Begriffsverzeichnis, sondern eine bloße Sammlung bestimmter Begriffsbeziehungen.

XXVI .

Vorrede

Mein Buch soll kein Werk für die Ewigkeit sein, sondern es genügt, wenn es negativ ist, d. h., solang dieses Wort eine Haltung eines aktiv fragenden Menschen bedeutet. Das Hauptbedürfnis in der englischen Philosophie ist meiner Meinung nach, eine skeptische Untersuch~ng der ersten Prinzipien, und ich kenne kein Werk, das dieses Bedürfnis genügend erfüllt. Unter Skeptizismus verstehe ich nicht einen Zweifel oder Unglauben an einen gewissen Lehrsatz oder Lehnneinungen. Ich begreife darunter einen V ersuch, sich über alle Vorurteile klar zu werden und sie zu bezweifeln. Ein solcher Skeptizismus ist nur das Ergebnis von Arbeit und Erziehung, ist aber ein Training, das nicht ungestraft vernachlässigt werden darf. Und ich sehe nicht ein, warum nicht das englische Denken, wenn es sich nur dieser Disziplin unterwürfe, heutzutage ein rationales System der ersten Prinzipien schaffen sollte. Wenn ich etwas zu diesem Endziel, ganz gleich welche Form es annehmen mag, fördernd beigetragen habe, ist mein Ehrgeiz befriedigt. Der Grund, warum ich mich so sehr von historischer Kritik und direkter Polemik fern gehalten habe, mag kurz erwähnt sein. Ich habe für englische Leser geschrieben, und es würde ihnen nichts nützen, wenn ich sie über meine Beziehung zu den deutschen Schriftstellern belehren wollte. N ebenbe~ um die Wahrheit zu sagen, kenne ich diese Beziehung selber nicht genau. Obwohl ich eine hohe Meinung von den metaphysischen Fähigkeiten des englischen Denkens habe, habe ich doch im Englischen noch keinen ernsthaften V ersuch gesehen, der sich systematisch mit den ersten Prinzipien beschäftigte. Die Dinge liegen aber heute anders, wie vor ein paar Jahren. Es gibt heute keine gesicherte Geistesmacht, die der Philosophie sehr schadete. Und es braucht sich beim Schreiben keiner der gleichen dicken Masse von stupider Tradition und Vorurteilen der Vorfahren gegenüberzustehen fühlen. Der dogmatische Individualismus hat keineswegs zu blühen aufgehört, aber er beherrscht das Land als die einzig anerkannte Art des "fortschrittlichen Denkens" nicht mehr. Die heutige Generation lernt, daß man aus Bildungsgründen in mehr als einer Schule studieren muß. Und einen Schriftsteller zu kritisieren, von dem man nichts kennt, wird heute, sogar in der Philosophie als das angesehen, was es ist. Wir verdanken diese Besserung ganz besonders der Generation kurz vor meiner eigenen, die vielleicht unvorsichtigerweise sich stark auf die Ansprüche Kant's und Hegel's stützte. Was für andere Einflüsse dabei auch mitgeholfen haben mögen, das Ergebnis scheint gesichert. Es gibt meiner Meinung nach nun für jeden, der etwas zu sagen hat, ein weites Feld. [eh fühle daher keinen Wunsch nach bloßen Polemiken,

XXVII die -einem selbst selten nützen können, und die nach dem Stand unserer Philosophie nicht mehr nötig sind. Ich möchte lieber meinen natürlichen Platz als Lernender unter Lernenden beibehalten. Wenn etwas in diesen Blättern auf einen dogmatischeren Gemütszustand hindeutet, so möchte ich den Leser bitten, sich diesem Einfluß nicht voreilig hinzugeben. Ich biete ihm eine Reihe von Meinungen und Begriffen dar, die sicherlich zum Teil falsch sind, aber wo und wie sie das sind, kann ich ihm nicht sagen. Das herauszufinden ist seine Sache, wenn es ihn beunruhigt und er es kann. Wäre es besser, wenn ich tatsächlich darauf hinwiese, daß er in Gefahr ist, mehr zu erwarten, und daß ich vielleicht, wenn ich wollte mehr geben könnte? Ich habe überall mein Bestes getan den Gang der Begriffe so bloßzulegen, wie er ist und dem Leser zu einem Urteil über jede Frage zu verhelfen. Und da ich die Notwendigkeit eines Verzichtes auf Unfehlbarkeit meinerseits nicht voraussetzen kann, habe ich keine formelhaften Phrasen gebraucht, die, wenn sie überhaupt etwas bedeuten, eine solche in sich schließen. Ich habe meine Ansichten als Wahrheiten dargestellt, welche Autorität auch immer dagegen stehen mag, und wie schwer ich es auch empfunden haben mag, überhaupt zu einer Meinung zu kommen. Wenn das dogmatisch sein soll, so habe ich allerdings nicht dem Dogmatismus zu entgehen versucht. Es ist auch für einen Menschen schwer, nicht allzu stark an sein Ziel zu denken. Der Metaphysiker kann es vielleicht mit der Metaphysik nicht ernst genug meinen und er kann sich gar nicht, wie man sagt, allzu ernst nehmen. Dasselbe gilt aber von jeder anderen positiven Tätigkeit der Menschlichkeit. Und der Metaphysiker ist, wie die anderen Menschen dazu geneigt, diese Wahrheit zu vergessen. Er vergißt die enge Grenze seines besonderen Gebietes und von seiner eigenen armseligen Inspiration erfüllt, schreibt er ihr eine Wichtigkeit zu, die ihr nicht zukommt. Ich weiß nicht, ob ich irgendwo in meinem Werk dagegen gesündigt habe, bin aber sicher, daß eine solche Übertreibung nicht meine Überzeugung oder meine Art ist. Und um das Gleichgewicht wieder herzustellen und als ein Geständnis der Möglichkeit eines ähnlichen Fehlers, will ich aus meinem Merkbuch einige Sentenzen hierüber niederschreiben. Ich lese dort: "Die Metaphysik ist das Finden von schlechten Gründen für das, was wir aus Instinkt glauben, aber das Finden der Gründe ist nicht weniger Instinkt." Über den Optimismus habe ich gesagt: "Die Welt ist die beste von allen möglichen Welten, und alles in ihr ist ein notwendiges Übel" Der Eklekti-

XXVIII

Vorrede

zismus predigt meiner· Meinung nach: "Jede Wahrheit ist so wahr, daß irgendeine Wahrheit falsch sein muß." Und der Pessimismus: "Wo alles schlecht ist, müßte es gut sein, das Schlechteste zu kennen," oder "Wo alles faul ist, ist es eines Menschen Arbeit, stinkende Fische auszurufen". Über die Einheit der Wissenschaft habe ich folgendes behauptet: "Ganz gleich, was du weist, es ist alles eins," und von der Innenschau: "Der einzige Wert der Selbsterkenntnis ist der, eines Menschen Geist zu kennen." Der Leser mag darüber urteilen, inwieweit diese Sentenzen ein 0 red o bilden und es muß ihm auch überlassen bleiben, inwieweit er noch einen Auszug ernst nimmt: "Unbefriedigt die Welt zu lieben ist ein Geheimnis, und zwar ein Geheimnis, das befriedigte Liebe in sieb zu schließen scheint. Die letztere ist nur darum im Unrecht, weil sie nicht zufrieden sein kann, ohne sich im Recht zu denken." Doch möchte ich auf einige allgemeine Bemerkungen über die Berechtigung . der Metaphysik in der Einleitung hinweisen.

Vorwort zur zweiten Auflage Es freut mich, daß eine neue Auflage dieses Buches nötig wird. Ich bin so kühn zu hoffen, daß es trotz seiner Fehler geholfen hat, das Nachdenken über die ersten Prinzipien anzuregen. Es freut mich weiterhin, daß meine Kritiker dies Werk in dem Sinn hingenommen haben, in · dem ich es dargeboten habe, ganz gleich ob sie sich mit seinem Inhalt einverstanden erklärt haben oder nicht. Ja, vielleicht hat sie manchmal das Verständnis für die reine Arbeitsleistung zu einer allzu wohlwollenden Betrachtung seiner Schwächen verführt. Ich habe meinerseits aus jedem Kommentar zu profitieren gesucht, obwohl ich nicht versucht habe, jeden im Einzelnen anzuerkennen oder zu beantworten. Ich fürchte aber, daß einige Kritiken meiner Aufmerksamkeit entgangen sind, da ich die anderen nur durch Zufall gefunden habe. Ich habe es für diese Auflage am besten gehalten, nicht viele Veränderungen vorzunehmen; ich habe aber in einem Anhang außer einigen Antworten auf Einwände eine weitere Erklärung und Erörterung gewisser Schwierigkeiten hinzugefügt.

Einleitung Wer über Metaphysik schreibt, hat eine große Partei gegen -sich. Mit einem Gegenstand beschäftigt, der mehr als andere Ruhe des Geistes erfordert, sieht er sich, noch bevor er sich in die Kontroversen seines eigenen Gebietes begibt, in eine Art Fehde verwickelt. Vorurteile stellen sich seinem Studium feindlich entgegen und er ist versucht, sich gerade auf diese Vorurteile in ihm und um ihn, die doch seinem Bemühen widersprechend zu sein scheinen, zu stützen. Ich will nun einleitenderweise einige Bemerkungen über diese V oreingenommenheiten gegen die Metaphysik machen. Wir können uns wohl darüber einigen, daß wir unter Metaphysik einen V ersuch verstehen wollen, die Realität als Gegensatz zur bloßen Er-scheinung zu erkennen oder in ihr das Studium der ersten Prinzipien oder letzten Wahrheiten zu erblicken, oder auch das Bemühen, das Universum nicht stückweise, oder in Fragmenten sondern irgendwie -als ein Ganzes zu begreifen. Eine solche Absicht wird zahlreichen Einwänden begegnen. Man wird zu hören bekommen, daß eine solche erstrebte Erkenntnis überhaupt unmöglich, oder, wenn schon in gewissem Maße möglich so doch praktisch unnütz sei; oder daß wir es auf alle Fälle nicht nötig haben, über die alten Philosophieen hinauszugehen. Ich will nun einige Worte zu diesen Argumenten -der Reihe nach sagen. a) Wer zu dem Beweis bereit ist, daß metaphysische Erkenntnis unmöglich sei, hat hier noch kein Recht auf Beantwortung. Er muß zu seiner Überzeugung auf das Ganze dieses Versuches verwiesen werden, und er kann es kaum ablehnen, so weit mit zu gehen, da er sich, vielleicht unbewußt, selber schon in die Arena begeben hat. Er ist ein metaphysischer Bruder mit einer rivalisierenden Theorie über die ersten Prinzipien. Dies ist so klar, daß ich mich wegen meines Verweilens bei diesem Punkt entschuldigen muß. Die Behauptung, -daß die Realität für unsere Erkenntnis unerreichbar sei, ist ein Anspruch auf Wirklichkeitserkenntnis; die Aussage, daß unsere Erkenntnis so beschaffen sei, daß sie nie die Erscheinung überschreiten könne, bedeutet schon eine solche Überschreitung. Denn, wenn wir Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit,

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Einleitun[!

keinen Begriff von einem Jenseits hätten, so sollten wir sicherlich auch nicht wissen, ob die Aussagen darüber falsch oder zutreffend sind. Und die Bürgschaft, auf Grund der wir diese unterschieden, muß augenscheinlich eine gewisse Bekanntschaft mit der Natur des Objektes sein. Nein, der angebliche Skeptiker, der die Gegenteile zu unseren Gedanken uns aufdrängen möchte, zeigt sich selber dogmatisch. Denn diese Gegenteile möchten gern letzte und absolute Wahrheit sein, wenn man das Wesen der Realität als andersartig nicht erkennen würde. Diese Einleitung ist aber nicht die Stelle, um eine Klasse von Einwänden zu erörtern, die selbst, wenn auch unfreiwillig, metaphysische Ansichten sind und zu deren Erledigung im allgemeinen nur eine geringe Bekanntschaft mit dem Stoff gehört. So weit es notwendig ist, werden -sie an der ihnen zukommenden Stelle behandelt werden; ich will daher zu dem zweiten Hauptargument gegen die Metaphysik übergehen. b) Es wäre töricht, zu leugnen, daß dies sehr gewichtig ist. Es. behauptet: "Metaphysische· Erkenntnis mag wohl theoretisch möglich, ja sogar, wenn du willst, bis zu einem bestimmten Grade wirklich sein; aber trotzdem ist sie in der Praxis keine nennenswerte Erkenntnis." Dieser Einwand kann aui verschiedenen Gründen beruhen. Ich will einige von ihnen auseinandersetzen und zugleich mir genügend erscheinende Antworten dazu geben. Der erste Grund zu einer Weigerung, sich mit unserem Gebiet zu beschäftigen, ist der Hinweis auf die dort herrschende Verwirrung und Unfruchtbarkeit. "Dieselben Probleme", so hören wir oft, "dieselben Dispute, und immer nur dieselben Fehlschläge. Warum das nicht aufgeben und davon loskommen? Gibt es denn nichts Anderes, das eurer Arbeit mehr wert wäre?" Darauf werde ich bald mehr antworten, ich will aber sogleich völlig abstreiten, daß die Probleme keine anderen geworden seien. Die Behauptung ist fast ebenso wahr und fast ebenso falsch, wie es die Behauptung wäre, daß sich die menschliche Natur nicht verändert habe. Sie erscheint unhaltbar, wenn wir bedenken, daß die Metaphysik in der Geschichte nicht nur durch die allgemeine Entwicklung hervorgerufen worden ist, sondern daß sie auch auf diese zurückgewirkt hat. Aber abgesehen von diesen historischen Fragen, die hier nicht am Platze sind, bin ich geneigt, mich aui die Seite dieser Möglichkeit zu stellen und sie zuzugeben. Wenn nun das Ziel nicht unmöglich ist und das Abenteuer begegnet uns doch, - was dann? Noch andere und weit bessere Leute als wir haben dabei völlig versagt - so sagst du. Aber der erfolgreiche Mensch hat ersichtlich nicht immer die größten Verdienste und sogar in der kühlen Welt der Philosophie ergeben

Einleitung

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sich vielleicht manche Glücksgeschenke aus Zufall. K.einer weiß es, ehe er es nicht versucht. Auf die Frage aber, ob ich ernsthaft vorwärts zu kommen hoffe, muß ich natürlich Nein antworten. Ich nehme nicht an, daß das bedeutet, daß befriedigende Erkenntnis möglich sei. Wie weit wir über die Realität etwas sicher feststellen können, wird in diesem Buch erörtert · werden. Aber ich möchte sogleich sagen, daß ich nur eine sehr partielle Befriedigung erwarte. Ich bin so kühn, zu glauben, daß wir eine Kenntnis von dem Absoluten, bestimmt und wirklich haben, obwohl ich sicher bin, daß unsere Fassungskraft elend unvollständig ist. Aber ganz entschieden lehne ich den Schluß ab, daß sie wegen ihrer Unvollkommenheit wertlos sei. Ich muß dem Gegner raten, seine Augen aufzumachen und die menschliche Natur zu betrachten. Ist es denn überhaupt möglich, sich der Gedanken über das Universum zu enthalten? Ich meine damit nicht nur, daß jedem Einzelnen, die ganze Masse der Dinge im Großen auf eine bestimmte Weise, ganz gleich ob bewußt oder unbewußt, eingehen müßte. Ich meine, daß sogar der Durchschnittsmensch sich aus verschiedenen Gründen veranlaßt sieht, sich zu wundern und zu reflektieren. Ihm ist die Welt und sein Anteil an ihr ein natürliches Objekt seines Nachdenkans und scheint wohl auch eines zu bleiben. Wenn die Dichtung, Kunst und Religion völlig zu interessieren aufgehört haben oder wenn sie nicht mehr die Tendenz, mit den letzten Problemen zu kämpfen und sie zu verstehen, zeigen; wenn der Sinn für das Geheimnis und das Zauberhafte nicht mehr die Seele verleitet, ziellos zu schwärmen und das ihr Unbekannte zu lieben; kurz, wenn die Dämmerung keinen Reiz mehr hat - dann wird die Metaphysik wertlos sein. Denn wie die Dinge jetzt liegen, lautet nicht die Frage, ob wir dazu da sind, über die letzten Wahrheiten zu grübeln und nachzusinnen, - denn die meisten von uns tun es vielleicht und werden kaum davon lassen. Die Frage ist nur, auf welchem Wege sollte man es tun. Der Anspruch der Metaphysik ist sicherlich nicht unvernünftig. Die Metaphysik hat ihren Standort auf Seiten der menschlichen Natur, nämlich in der Sehnsucht, über die Wirklichkeit nachzudenken und sie zu verstehen. Und sie behauptet nur, daß, wenn der V ersuch gemacht werden soll, er durchaus unserer Natur entsprechend geschehen müßte. Das ist ihrerseits kein V erlangen, andere Funktionen des menschlichen Geistes unwirksam zu machen, sondern sie fordert ausdrücklich, daß wenn wir denken wollen, manchmal gründlich zu denken versuchen sollten. Der Gegner der Metaphysik wird meiner Meinung nach vor ein Dilemma gestellt. Er muß entweder jede Besinnung auf das Wesen 1*

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der Dinge verurteilen - und wenn ja, so bricht er mit einem Teil der edelsten Seite der Menschennatur oder versucht es - oder er erlaubt uns sonst zu denken, aber nicht streng zu denken. Er gestattet uns die Gedankenübung so lange, wie sie mit anderen Funktionen unseres Seins verstrickt ist, aber sobald sie eine reine Entwicklung ihres eigenen Wesens, die von den Prinzipien ihrer eigenen Unterscheidungstätigkeit geleitet wird, versucht, so verbietet er sie sofort. Dies scheint paradox zu sein; denn es ist so, als wollte er sagen: Du kannst deine instinktive Sehnsucht, nachzusinnen, solange befriedigen, wie du es auf einem dich unbefriedigenden Wege tust. Wenn dein Wesen so ist, daß in dir das Denken durch etwas befriedigt wird, was es niemals tut und tun kann, so behaupte, daß es ein eigentlicher, d. h. ein ganz schulgerechter Gedanke ist. Wenn du anders organisiert bist und wenn ein strengeres Denken Bedürfnis deiner Natur ist, so muß dies mit allen Mitteln unterdrückt werden. Wollte ich so sprechen, so müßte ich es für dogmatisch und absurd zugleich halten. Der Leser kann mir aber vielleicht mit einem anderen Einwand auf den Leib rücken. Er kann sagen, zugegeben, daß das Denken über die Wirklichkeit berechtigt ist, so verstehe ich noch immer nicht, warum du die Resultate, wie sie nun einmal sind, für erstrebenswert hältst. Ich will darauf ohne weiteres zu antworten suchen. Ich nehme natürlich nicht an, daß es für jedermann gut wäre, Metaphysik zu studieren und ich kann auch keine Meinung über die Zahl der Personen, die es tun sollten, äußern, aber ich halte es für durchaus notwendig, sogar im Hinblick auf die Tatsache, daß ihr Studium keine positiven Resultate hervorbringen kann, es trotzdem zu pflegen. Es gibt, soweit ich sehen kann, keinen anderen sicheren Weg, um uns selbst gegen dogmatischen Aberglauben zu schützen. Unsere orthodoxe Theologie einerseits und unser Gemeinplatzmaterialismus andererseits (es ist natürlich, diese als hervorstechende Beispiele anzuführen) verschwinden wie Gespenster vor dem Tageslicht freier skeptischer Untersuchung. Ich will natürlich nicht beide Überzeugungen ganz verurteilen, aber ich bin sicher, daß beide, wenn sie ernst genommen werden, eine Verstümmelung unserer Natur bedeuten. Keine von beiden kann, wie die Erfahrung genug erwiesen hat, heute noch in einem Geiste leben, der ernsthaft über die ersten Prinzipien nachgedacht hat; und es scheint wünschenswert, daß es eine solche Zuflucht für den Menschen gibt, der darauf brennt, konsequent zu denken und jedoch zu gut ist, um ein Sklave des stupiden Fanatismus oder einer unanständigen Sophisterei zu werden. Das ist ein Grund, warum ich glaube, daß die Metaphysik,

Einleitung

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auch wenn sie in einem völligen Skeptizismus endet, von emer gewissen Zahl Menschen studiert werden sollte. Es gibt noch einen weiteren Grund, der meiner Meinung nach vielleicht noch mehr Gewicht hat. Wir werden alle, wie ich voraussetze, mehr oder weniger über das Gebiet alltäglicher Tatsachen hinausgeführt. Der eine scheint auf dem, der andere auf anderem Wege an das, was jenseits der sichtbaren Welt liegt, zu rühren und damit Verbindung zu haben. Auf verschiedene Weise finden wir etwas Höheres, das uns aufrecht erhält, demütigt, reinigt und auch entzückt. Und für bestimmte Menschen ist dieses intellektuelle Bemühen, das Universum zu verstehen, das wichtigste Mittel, die Gottheit zu erleben. Vielleicht hat sich keiner, der dies erlebt hat (wie verschieden er es auch immer beschreiben mag) jemals viel aus der Metaphysik gemacht. Wo es aber deutlich gefühlt worden ist, hat es sich immer aus sich selbst gerechtfertigt. Der Mensch, dessen ' Natur so ist, daß er die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches nur auf einem einzigen Wege allein erreichen will, wird es eben auf jenem Wege zu finden suchen, wie dieser auch immer aussehen und was auch die Welt davon denken mag; tut er es nicht, so ist er verächtlich. Selbstentsagung ist allzuoft das "große Opfer" bei einem Handel, der Wartloses wohlfeil abgibt. Zu wissen, was einer braucht und darüber keinenfalls zu grübeln, ob er es erreichen wird, das mag ein härterer Selbstverzicht sein. Dies scheint mir ein anderer Grund, warum einige Menschen dem Studium der letzten Wahrheit nachgehen. c) Das ist der Grund, warum letzten Endes die bestehenden Philosophieen diesem Zweck nicht entsprechen können. Denn, ob es einen Fortschritt gibt oder nicht, auf alle Fälle gibt es Veränderung, und der veränderte Geist jeder Generation wird Unterschiede in der Befriedigung seines Intellektes erfordern. Daher scheint es ebenso gut Gründe für eine neue Philosophie wie für eine neue Dichtung zu geben. In jedem Fall ist die neue Schöpfung gewöhnlich einer schon bestehenden gegenüber viel schwächer; und doch entspricht sie ihrem Zweck, wenn sie sich noch persönlicher an den Leser wendet. Was in Wirklichkeit schlechter ist, kann in gewisser Hinsicht und in einer bestimmten Generation, die Übung unserer besten Tätigkeiten besser anregen. Daher werden wir, solange wir uns ändern, immer Bedürfnisse haben und damit auch immer neue Metaphysiken. Ich will diese Einleitung mit einem Wort der Warnung beenden. Ich mußte von der Philosophie als von einer Befriedigung dessen sprechen, was man die mystische Seite unserer Natur nennen

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Einleitung

kann, die bei gewissen Personen nicht gut auf andere Weise ·befriedigt werden kann. Und ich mag den Eindruck erweckt haben, als ob ich den Metaphysiker als einen in etwas Höheres Eingeweihten betrachte als in das, was der gemeine Haufe besitzt. Solche Lehre würde auf einem höchst bedauerlichen Irrtum beruhen, nämlich dem Aberglauben, daß der reine Intellekt die höchste Seite unserer·Natur sei und der falschen Vorstellung, daß ein in der geistigen Welt an höheren Gegenständen getanes Werk auch vor der Vemunft höher sei. Sicherlich kann das Leben eines Menschen, mit dem eines anderen verglichen, von göttlichen Dingen erfüllter sein oder kann sie auch mit stärkerer Bewußtheit verwirklichen, aber hier handelt es sich um keine Berufung oder Trachten nach einem persönlichen Weg zur Gottheit. Sicherlich ist der Weg durch die Spekulation über letzte Wahrheiten, obwohl er ein ausgezeichneter und berechtigter ist, anderen Wegen nicht überlegen. Es gibt keine Sünde, wie sehr ihr auch der Philosoph zuneigen mag, die eine Philosophie so wenig rechtfertigen könnte, wie geistiger Hochmut.

ERSTES BUCH

ERSCHEINUNG

1. Primäre und sekundäre Qualitäten Die Tatsache der Illusion und des Irrtums wird auf verschiedene Weise früh dem Geist aufgezwungen und die Vorstellungen, durch die wir das Universum zu verstehen suchen, können als Versuche unsere Fehler wieder auszugleichen, betrachtet werden. Bei der Einteilung meines Werkes werde ich einige von ihnen kritisieren und mir Mühe geben zu zeigen, daß sie ihre Aufgabe nicht erfüllt haben. Ich werde auseinandersetzen, daß die Welt, so verstanden, sich selbst widerspricht und deshalb Erscheinung und nicht Realität ist. In diesem Kapitel will ich mit dem Versuch beginnen, die Dinge durch die Unterscheidung in primäre und sekundäre Qualitäten begreiflich zu machen. Diese Betrachtungsweise ist alt, aber ich brauche kaum zu sagen, daß sie gar nicht gewöhnlich ist und niemals verschwinden kann. Ohne Zweifel wird sie von Zeit zu Zeit, solange menschliche Wesen leben, als die fortgeschrittenste und wissenschaftliebste Theorie von den ersten Prinzipien wiedererscheinen. Ich beginne damit, weil sie so einfach ist und es sich überhaupt leicht mit ihr schalten läßt. Die primären Qualitäten sind diejenigen Seiten des von uns Wahrgenommenen und Gefühlten, die mit einem Wort räumlich sind; und das Übrige ist sekundär. Die Lösung des Welträtsels liegt nun darin, daß man die vorangehenden als Realität und alles andere als irgendwie abgeleitet und mehr oder weniger als zu rechtfertigende Erscheinung ansieht. Die Grundlegung dieser Ansicht wird dem Leser bekannt sein, aber um der Klarheitwillen muß ich sie im Umriß darstellen. Wir nehmen an, daß ein Ding mit sich selbst übereinstimmend und selbständig sein muß. Es hat entweder eine Qualität oder hat sie nicht. Wenn es sie hat, kann es sie nicht nur manchmal oder nur in dieser oder jener Relation haben. Aber ein solches Prinzip bedeutet die Verurteilung der zweiten Qualitäten. Es macht sehr wenig aus, wie wir im Einzelnen arbeiten. Ein Gegenstand ist farbig, aber nicht auf die gleiche Weise farbig für jedes Auge; und sogar für manches Auge erscheint er überhaupt nicht farbig. Ist er dann farbig oder nicht? Und besitzt das.

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Erstes Buch: Erscheinung

Auge - zu welchem irgendwie die Qualität in Beziehung zu stehen scheint - selber Farbe? Sicherlich nicht, wenn es kein anderes Auge gibt, das es sieht. Nichts ist daher wirklich farbig; die Farbe :scheint sich nur auf etwas zu beziehen, das selbst nicht farbig ist. Dasselbe Resultat ergibt sich auch bei Kalt und Heiß. Ein Gegenstand mag kalt oder heiß sein, entsprechend den verschiedenen Teilen meiner Haut; und ohne eine Beziehung zur Haut erscheint er ohne eine solche Qualität. Durch einen ähnlichen Beweis wird erwiesen, daß die Haut die Qualität nicht besitzt, die also zu nichts gehört. Und Töne, die nicht gehört werden, sind schwerlich real; während, was sie hört, das Ohr, selbst nicht hörbar ist und sogar durchaus nicht zu jeder Zeit den Klang genießt. Mit Riechen und Schmecken scheint der Fall noch schli.Inmer; denn sie sind noch deutlicher mit unserer Lust und Unlust verknüpft. Wenn nur im Mund ein Gegenstand schmeckt, ist dann der Geschmack seine Eigenschaft? Gibt es Geruch, wo keine Nase vorhanden ist? Aber Nase und Zunge werden nur . durch eine andere Nase und Zunge gerochen -oder geschmeckt, auch kann man von keinem von beiden sagen, daß ·sie eine Qualität besäßen, wenn sie sich ihrer nur manchmal erfreuen. Und wie kann das Angenehme und Widrige, was wir kühn im Gegen:stand lokalisieren, dort sein? Ist ein Gegenstand wirklich entzückend oder widerlich und an sich so? Bin ich denn der konstante Be:sitzer dieser wandernden Adjektiva? - Aber ich will nicht den Leser durch das Verweilen bei Einzelheiten ermüden. Der Beweis zeigt, daß Gegenstände überall nur für ein Organ zweite Qualitäten haben; und daß das Organ selbst diese Eigenschaften in keiner :anderen Weise besitzt. Sie werden als Adjektiva erkannt, die noch irgendwie zu den Relationen des Ausgedehnten hinzukommen. Nur das Ausgedehnte ist wirklich. Die Tatsachen, deren Empfindung csubjektiv genannt wird, unter denen wir auch Traum und Dlusion aller Art begreifen, könnten zur Unterstützung noch angeführt werden. :Sie zeigen, daß, da wir die Empfindung ohne den Gegenstand, und den Gegenstand ohne die Empfindung haben können, das eine un.möglich die Eigenschaft des anderen sein kann. Die zweiten Qualitäten sind daher Erscheinungen, die von der Realität herkommen, ·die selbst aber keine Qualität, sondern Ausdehnung hat. Dieser Beweis hat zwei Seiten, eine negative und eine positive. Erstens leugnet er, daß die zweiten Qualitäten die wirkliche Natur -der Dinge sind, zweitens zielt er auf eine positive Aussage über die primären Qualitäten. Ich werde zuerst untersuchen, ob die negative Behauptung begründet ist. Ich will nicht über die Wahrheit des Prinzips disputieren, ob, wenn ein Gegenstand eine Eigenschaft hat,

1. Primäre und sekundäre Qualitäten

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er sie haben müßte; aber ich will fragen, ob nicht auf dieser Basis irgendeine Verteidigung stattfinden kann. Wir können es auf folgende Weise versuchen. Alle Beweise, könnten wir einwerfen, deuten aber .auf Mängel oder Widerstreit in dem Organ der Wahrnehmung hin. Die Tatsache, daß ich die sekundären Qualitäten nur unter gewissen Bedingungen aufnehmen kann, beweist noch nicht, daß es sie nicht gibt und sie nicht in dem Dinge existierten. Und, angenommen, daß es sie gibt, so zeigt der Beweis doch immer noch nur ihr Fehlen an und ist darum untauglich. Bloße Illusion und Träume stoßen diese Verteidigung nicht um. Die Qualitäten sind konstant in den Dingen selbst; und wenn sie sich selbst nicht mitteilen können oder .nur schlecht, so ist daran immer etwas außer ihrer Natur schuld. Wenn wir sie wahrnehmen können, gibt es sie. Aber diese Verteidigungsform scheint schwer haltbar. Denn wenn die Qualitäten sich nur unter Bedingungen mitteilen, wie sollen wir schließlich sagen, was sie sind, wenn sie nicht unter dieser Bedingung stehen? Da wir nun einmal begonnen haben und gezwungen sind, ihre Erscheinung in Rechnung zu ziehen, so können wir das nicht nachher ausstreichen. Zugegeben, daß die Qualitäten immer in einer Relation vor uns auftraten und zwar als Erscheinung, so kennen wir sie sicherlich doch nur als Erscheinung Und die bloße Vermutung, daß sie wirklich an sich sein könnten, was sie sind, scheint, ganz sinnlos oder sich selbst zerstörend. Wir können diesem Schluß auch durch ein handgreifliches Beispiel Geltung verschaffen. Die Meinung, daß die Frau eines Mannes immer und an sich reizend sei, ist ein Glaubensartikel und liegt außer des Bereichs der Frage. Aber wenn wir uns gewöhnlichen Dingen zuwenden, wird das Ergebnis ein anderes sein. Wir beobachteten, daß das Häßliche und das Angenehme am Charakter eines Gefühls oder Geruchs teilhaben mag, wogegen die Annahme, daß diese Seiten eine stete Eigenschaft entweder des Gegenstandes oder des Organs sind, mehr als ungerechtfertigt, ja sogar fast lächerlich erscheint. Und im ganzen müssen wir zugeben, daß die Beweisführung zusammengebrochen ist. Die sekundären Qualitäten dürfen nur als Erscheinung beurteilt werden. Sind sie aber die Erscheinung der Primären und sind diese Realität? Die positive Seite des Streitfalls war, daß wir im Ausgedehnten das Wesen des Dinges haben und d!l.l"aus erhebt sich notwendig die Frage, ist diese Schlußfolgerung wahr? Diese Lehre ist natürlich Materialismus und ist ein sehr einfacher Glaube. Was ausgedehnt ist, ist zusammen mit seinen Raumrelationen eine substantivische Tatsache, und das übrige ist adjektivisch. Wir haben

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Erstes Buch : Erscheinung

hier nicht zu fragen, ob diese Anschauung wissenschaftlich ist, d. h. ob sie für den Arbeitsgebrauch in einigen Wissenschaften notwendig ist. Das hat natürlich jetzt nichts mit der Frage für uns zu tun, da wir allein untersuchen wollen, ob diese Lehre wahr ist. Und so angesehen, würde vielleicht kein Student mehr den Materialismus wissenschaftlich nennen. Ich will kurz die Beweise wider die alleinige Realität der primären Qualitäten anführen. a) Zuerst können wir fragen, wie stehen in der Natur des Ausgedehnten die Grenzpunkte zu den Relationen, die zwischen ihnen anzunehmen sind. Das ist ein später zu behandelndes Problem (Kap. 4) und ich will hier nur bemerken, daß sein Ergebnis für den Materialismus fatal ist. Und b) zweitens scheint die Relation der primären Qualitäten zu den sekundären in welche Klasse Gefühl und Gedanke voraussichtlich eingereiht werden müssen - durchaus unverständlich. Denn in Wirklichkeit wird durch die Anhängung der Marke ,Erscheinung' von der Existenz nichts abgezogen. Was erscheint, ist da und muß behandelt werden; aber der Materialismus hat kein rationales Mittel Erscheinungen zu behandeln. Die Erscheinung muß zum Ausgedehnten gehören und doch kann sie es nicht. Auch kann sie sich nicht irgendwoanders beiseite abspielen, da es dafür keinen anderen realen Platz gibt; auch darum dürfte es nicht sein, weil, wenn es so wäre, die Relation verschwinden würde und die Erscheinung kein Abgeleitetes mehr wäre. Wenn sie aber andererseits in irgendeinem Sinne zur Wirklichkeit gehört, wie kann bewiesen werden, daß sie nicht mit ihrem eigenen unrealen Charakter jene ansteckt? Oder wir können der Ansicht sein, daß die Materie selber zu sein aufhören muß, wenn sie durch alles Sekundäre wesentlich qualifiziert wird. Aber anders gesehen ist sie selber nur eines von den zwei Elementen geworden und ist keine Realität. Und c) drittens, die Beweisrichtung, die zeigte, daß die sekundären Qualitäten nicht real sind, hat , auf die primären angewandt, die gleiche Wirkung. Das Ausgedehnte erfahren wir nur durch Relation zu einem Organ; und ob das Organ Gefühl, Gesicht oder Muskelempfindung ist - oder was es sonst sein mag - das macht für die Beweisführung keinen Unterschied. Denn in jedem Falle wird der Gegenstand von uns durch eine Affektion unseres Körpers und niemals ohne ihn wahrgenommen. Unser Körper selbst ist keine Ausnahme, denn wir sehen ihn als ausgedehnt an nur auf Grund der Wirkung eines Teils auf einen anderen wahrnehmenden Teil. Daß wir keine wunderbare Intuition unseres Körpers als räumliche Realität haben, ist völlig sicher. Wenn dem aber so ist, wird der aus-

1. Primäre und sekundäre Qualitäten

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gedehnte Gegenstand seine Eigenschaft nur haben wenn er durch irgendetwas Anderes wahrgenommen wird ; und das wahrnehmende etwas Anderes ist wiederum in derselben Lage. Kurz, Ausgedehntes tritt nur in Relation zu einem anderen Etwas auf, zu einem anderen Gegenstand, der selber diese Eigenschaft nicht besitzt, wenn du ihn für sich selbst zu sehen versuchst. Ferner hält auch der Einwand aus Traum und lllusion wiederum Stich. Dieser Einwand stellt nämlich die Behauptung auf, daß der Irrtum auf eine notwendige Relation des Gegenstandes zu unserer Erkenntnis hinweist, sogar dort, wo der Irrtum nicht zugegeben wird. Aber eine solche Relation würde jede Qualität auf Erscheinung zurückführen. Wir können in der Tat hier noch einmal versuchen, die frühere Verteidigungsrichtung einzuschlagen. Wir könnten antworten, daß das ausgedehnte Ding reale Tatsache an sich ist und daß nur seine Beziehung zu unserer Wahrnehmung variabel ist. Aber der unvermeidliche Schluß wird dadurch nicht abzuwenden sein. Wenn man von einem Ding weiß, daß es eine Eigenschaft nur unter einer bestimmten Bedingung hat, dann gibt es keinen Denkprozeß, der den Schluß rechtfertigen kann, daß das Ding dasselbe sei, auch wenn es nicht bedingt sei. Dies scheint völlig sicher; und um weiter zu kommen, wenn wir keine andere Quelle zur Erkundigung haben, ob die in Frage stehende Qualität nur für uns in einer einzigen Relation existent ist, ist die Behauptung seiner Realität auch ohne jene Relation mehr als unverantwortlich. Es ist, offen gesprochen, ein schließlich unsinniger V ersuch. Und wenn der Materialismus bleiben soll, müßte man wohl irgendwie zur Existenz der primären Qualitäten auf einem Wege gelangen, der ihre Beziehung zu einem Organ umgeht. Da ja aber (Kap. 4) das wahre Wesen der Realitäten, wie wir später sehen werden relativ ist, ist auch diese Zuflucht verschlossen. d) Aber es gibt ein noch klareres Argument gegen die alleinige Realität der Raumqualitäten; und wenn ich einen Angriff auf den Materialismus für das Volk schreiben sollte, so würde ich großes Gewicht auf diesen Punkt legen. Ohne sekundäre Qualitäten ist Ausdehnung nicht begreiflich und niemand kann sich diese als Existenz vergegenwärtigen, wenn er seinen Geist völlig leer hält. Kurz, sie ist die gewaltsame .Abstraktion einer einzigen Seite von dem Übrigen und die bloße Beschränkung unserer Aufmerksamkeit auf eine einzige Seite der Dinge, ist eine Fiktion, die, sich selbst vergessend, ein Gespenst für echte Wirklichkeit nimmt. Ich will ein paar Worte über diese klare Antwort an den Materialismus sagen. J·ene Lehre enthält natürlich, daß das Ausgedehnte auch völlig getrennt von jeder anderen Qualität wirklich sein kann. Ausdehnung

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ist aber niemals so gegeben. Wenn sie sichtbar ist, muß sie farbig sein; und wenn sie durch Berührung hervorgerufen ist oder die vielfach anderen Arten, die unter die Rubrik "Muskelempfindung" fallen mögen, - dann ist sie niemals von Empfindungen frei, die aus der Haut, den Gelenken, den Muskeln oder einer ähnlichen hinzukommenden zentralen Quelle stammen. Ein Mensch mag sagen, was er will, aber er kann nicht an Ausdehnung denken ohne zu gleicher Zeit an ein "was" zu denken, was ausgedehnt ist. Und nicht nur dies ist der Fall, sondern Teilunterschiede, wie "oben und unten"t "rechts und links" sind als Grenzpunkte der Raumbeziehung notwendig. Gleich dem allgemeinen "Was" werden sie auf alle Fälle aus zweiten Qualitäten bestehen, aus einer Empfindung der Art, wie ich sie oben erwähnt habe. Manche Psychologen könnten in der Tat noch weiter gehen und könnten behaupten, daß die zweiten Qualitäten ursprünglich sind und die ersten abgeleitet; denn Ausdehnung ist (in ihrem Sinn) eine Konstruktion oder ein Erzeugnis des durchaus nicht Ausgedehnten. Ich kann das nicht unterstützen, aber ich kann mich auf das, was unbestreitbar ist, berufen. Ausdehnung kann nur mit einer sekundären Eigenschaft zusammen vorgestellt oder gedacht werden. Sie ist für sich eine bloße Abstraktion, die für einige Zwecke notwendig, aber lächerlich ist, wenn sie für ein existierendes Ding genommen wird. Der Materialist betet jedoch aus Mangel seiner Natur oder Erziehung oder wahrscheinlich aus beiden Gründen ohne Rechtfertigung dies schwache Produkt seiner ununterrichteten Einbildung an. "Nicht ohne Grund", kann er erwidern, "denn nach wissenschaftlicher Methode werden die zweiten Qualitäten als Ergebnisse aus den primären dargestellt. Darum sind diese augenscheinlich unabhängig und früher." Dies ist aber ein sehr einfacher Irrtum. Denn angenommen, daß du gezeigt hast, daß auf ein gegebenes Element, A, ein anderes, b, in der Tat folgt; angenommen, daß du beweisen könntest, daß b ganz dasselbe wird, ganz gleich, ob A von c, oder d, oder e, oder irgendeiner aus der Zahl der anderen Qualitäten begleitet wird, so kannst du doch von da aus nicht zu dem Resultat kommen, daß A existiert und für sich allein wirkt. Das zweite b kann, so behauptest du, als Ausfluß der Primärqualität A dargestellt werden, ohne irgend etwas anderes zu bedenken. Laß es so sein; aber alles, was daraus folgen könnte ist dies, daß die s p e z i e ll e n W esenheiten der Begleiterscheinungen von A an diesem Prozeß nicht beteiligt sind. Das ist nicht nur kein Beweis, sondern hier liegt sogar die äußerst enge Voraussetzung vor, daß A durch sich selbst wirken, oder alleinstehend eine reale Tatsache sein könnte.

2. Substantiv und Adjektiv

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Es ist zweifellos wissenschaftlich, gewisse Hinsichten beiseite zu lassen wenn wir arbeiten, aber zu behaupten, daß darum solche Hinsichten kein Faktum sind und daß das, was wir ohne Rücksicht auf sie benutzen, ein unabhängiges reales Ding sei, - das ist barbarische Metaphysik. Wir haben also gefunden, daß, wenn die zweiten Qualitäten Erscheinung sind, die Primären sicherlich nicht durch sich selbst zu bestehen vermögen. Diese Unterscheidung, aus der man blindlings den Materialismus entwickelt, ist durchschaut und bringt uns. der wahren Natur der Wirklichkeit näher.

2. Substantiv und Adjektiv Wir haben gesehen, daß die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten uns nicht weit gebracht hat. Wenden wir uns ohne Rücksicht darauf und noch unmittelbarer dem zu, was wir vorfinden, und prüfen wir einen anderen Weg, der uns jenen verständlich macht. Wir finden die Inhalte der Welt in Dinge und ihre. Qualitäten gruppiert. Das Substantiv und Adjektiv ist eine altehrwürdige Unterscheidung und eine Gruppierung von Tatsachen, mit der Absicht, sie zu verstehen und damit zur Realität zu kommen, Ich muß den Fehler dieser Methode, wenn sie als ein ernsthafter V ersuch zur Theorie betrachtet wird, kurz klarlegen. Wir wollen das bekannte Beispiel eines Stückes Zucker vornehmen. Dies ist ein Ding und hat Eigenschaften, Adjektive, die es qualifizieren. Es ist z. B. weiß, hart und süß. Wir sagen, der Zucker ist das alles, aber was mit "ist" wirklich gemeint ist, scheint zweifelhaft. Ein Ding ist nicht irgendeine von seinen Eigen~ schaften, wenn du jene Eigenschaft für sich selbst nimmst; wenn "süß" dasselbe wäre wie "nur süß", so würde das Ding ersichtlich nicht süß sein. Und wiederum, insoweit Zucker süß ist, ist er nicht weiß oder hart; denn diese Eigenschaften sind alle unterschiedlich. Zucker ist selbstverständlich nicht bloß Weißsein - bloßes Hartsein, und bloßes Süßsein; denn seine Realität liegt irgendwie in ihrer Einheit. Wenn wir aber andererseits untersuchen, was hier in dem Dinge neben seinen einzelnen Eigenschaften noch sein kann, sehen wir uns noch einmal geäfft. Wir können keine reale Einheit außer oder auch innerhalb dieser Qualitäten entdecken. Aber vielleicht hat unsere ausdrückliche Betonung des Einheitsmerkmals diese Konfusion verursacht. Zucker ist natürlich nicht die bloße Mehrheit seiner verschiedenen Adjektive; warum aber sollte er mehr als seine in Beziehung stehenden Eigenschaften sein?'

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Erstes Buch: Erscheinung

Wenn ,1weiß", "hart", "süß" und das übrige in einer bestimmten Weise koexistieren, dann ist das sicherlich das Geheimnis des Dinges. Die Qualitäten sind und stehen in Beziehung miteinander. Lassen wir aber die Phrasen beiseite, so spazieren wir wie vorher in V erlegenheiten herum. "Süß", "weiß" und "hart" scheinen nun die Subjekte, über die wir etwas aussagen. Wir sagen sicherlich nicht eines vom anderen aus; denn, wenn wir sie zu identifizieren versuchen, wehren sie sich sofort. Darin sind sie ganz unverträglich und soweit sich völlig widersprechend. Augenscheinlich muß man dann von jedem eine Beziehung behaupten. Eine Qualität A steht in Relation zu einer anderen Qualität B. Aber was haben wir unter dem "steht" zu verstehen? Wir meinen nicht, "in Beziehung mit B" ist A und dennoch behaupten wir, daß A "in Beziehung mit B" ist. Auf dieselbe Art wird 0 "vor D" genannt und von E wird gesagt, daß es stehe "zur Rechten von F". Wir sagen das alles, aber von der Auslegung "vor D" ist 0, und "zur Rechten von F" ist E weichen wir mit Entsetzen zurück. Nein, wir würden antworten, die Relation ist nicht identisch mit dem Ding. Sie ist nur eine Art Ton Attribut, die ihm inhäriert oder dazu gehört. Sollte man uns drängen, ein Wort zu gebrauchen, dürfte dies nicht "ist" sondern nur "hat" sein. Aber diese Antwort besagt sehr wenig. Die ganze Frage geht offenbar nach dem Sinn von "hat"; und abgesehen von allen nicht ernst genommenen Metaphern scheint es hier tatsächlich keine Antwort zu geben. Und wir scheinen nicht imstande zu sein, uns das alte Dilemma zu erklären. Wenn du, etwas vom Subjekt Verschiedenes aussagst, so schreibst du dem Subjekt .etwas zu, was es nicht ist; und wenn du etwas von ihm Nicht-Verschiedenes aussagst, so sagst du überhaupt nichts aus. Weiter gedrängt müssen wir versuchen, unseren Standpunkt zu modifizieren. Wir dürfen die Relation nunmehr nicht von einem einzigen Begrenzungspunkt aus, sondern von beiden behaupten. A und B sind in einem gewissen Punkt identisch, und in einem anderen unterscheiden sie sich; oder auch, sie sind so in Raum oder Zeit gelagert; und daher vermeiden wir das "ist" und behalten "sind". Aber ernsthaft gesprochen, das sieht nicht wie eine Erklärung einer Schwierigkeit aus. Das erscheint vielmehr wie eine Phrasenspielerei. Denn, wenn du meinst, daß A und B, jedes für sich genommen, schon diese Relation "haben", so behauptest du etwas Falsches. Aber wenn du meinst, daß A und B in einer solchen Relation bezogen werden, so meinst du scheinbar nichts. Denn hier ist wie vorher das Prädikat unnütz, wenn es keinen Unterschied hervorbringt; wenn es aber das Subjekt anders macht, wie es ist, so ist es falsch.

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.2. Substantiv und Adjektiv

Wir wollen aber einen anderen Ausweg aus diesem verwirrenden .Zirkel suchen. Wir wollen von dem, was die Relation zum Attribut .des Bezogenen macht, absehen und sie mehr oder wenig unabhängig machen. "Es gibt eine Beziehung 0, in der A und B stehen ; und -sie tritt bei beiden in Erscheinung." Aber damit haben wir wiederum .keinen Fortschritt gemacht. Die Relation 0 ist als von A und B -verschieden zugegeben worden und wird nicht mehr von ihnen aus.gesagt. Etwas jedoch scheint irgendwie von dieser Relation 0 und :auch von A und B ausgesagt zu werden. Und dies Etwas besteht nicht darin, daß das eine dem anderen zugeschrieben wird. Wenn ja, so würde es als eine andere Relation D erscheinen, in der 0 auf .der einen Seite und auf der anderen Seite A und B stehen. Aber ~in solcher Lückenbüßer führt zugleich zu einem unendlichen Prozeß. Die neue Relation D kann auf keine Weise von 0 oder A und B .ausgesagt werden; und daher müssen wir Zuflucht zu einer neuen Relation E nehmen, die zwischen D und das, was wir vorher hatten, kommt. Aber das muß zu einer anderen, F, führen; und so ins Unendliche. Also wird das Problem nicht gelöst, wenn man Rela-tionen als unabhängig real ansieht. Denn tut man es, so fallen die Qualitäten und ihre Relation ganz beiseite und dann haben wir nichts .gesagt. Oder wir müssen eine neue Relation zwischen der alten Relation und ihren Grenzpunkten bilden, was, wenn es geschieht, uns nicht hilft. Entweder erfordert es eine neue Relation und so endlos weiter, oder es läßt uns dort in Schwierigkeiten verstrickt, wo wir standen. Der Versuch, das Ding in seine Eigenschaften aufzulösen, jede .als einen realen Gegenstand anzusehen, der irgendwie mit den unabhängigen Relationen zugleich gesetzt wird, hat sich als ein deutlicher Fehlschlag erwiesen. Und wir müssen bei tieferem Nachdenken einsehen, daß eine Relation, die neben ihren Grenzpunkten herläuft, eine 'Täuschung ist. Wenn sie real sein soll, so muß sie es irgendwie auf Kosten -der Begrenzungen sein oder sie muß mindestens etwas sein, was in ihnen erscheint oder wozu sie gehören. Eine Relation zwischen A und B :Schließt in Wirklichkeit eine substantielle Grundlage in deren Bereich ein. Diese Grundlage ist, wenn wir sagen, daß A gleich B ist, die Identität X, die diese Unterschiede zusammenhält. So auch bei Raum und Zeit - überall muß es immer ein Ganzes geben, das -das umfaßt, was bezogen ist, oder es würde keine Unterschiede und keine Relation geben. Es scheint, als ob eine Realität die Unterschiede A und B besäße, die miteinander und also mit sich selbst unverträglich sind. ·Und damit dieses Ganze seine mannigfachen Eigen-schaften ohne Widerspruch behält, ist es damit einverstanden, daß Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Erstes Buch: Erscheinung

sie die Form von Relationen unter sich annehmen. Und aus diesem Grunde zeigen sich manche Eigenschaften miteinander verträglich und manche unverträglich. Sie sind alle verschieden, und weil sie andererseits zu einem Ganzen gehören, sind sie alle sich zu vereinigen gezwungen. Nur dort, wo sie in gewissem Abstand sich mit Hilfe der Relation zusammenfinden, dort hören sie auf, sich zu bekämpfen. Andererseits, wo es einem Ding nicht gelingt, seine Eigenschaften in eine Relation zu bringen, da sind sie sofort gegensätzlich. So leben Farben und Gerüche in der Realität zusammen in Frieden. Denn das Ding teilt sich selbst und läßt sie nur nebeneinander innerhalb seines Bereichs. Aber Farbe kollidiert mit Farbe, weil ihre beWird nun wiederum die sondere Identität sie zusammentreibt. Identität mit Hilfe des Raumes relational, so stehen sie außerhalb voneinander und sind wieder friedfertig. Der "Gegensatz" besteht, kurz gesagt, in den Unterschieden, die das an sich hat, was keine Relation findet, die die Getrennten verbinden soll. Er ist eine Ehe, die ohne modus vivendi versucht wird. Aber wo das Ganze seine Einheit lockert und die Form einer Gruppierung annimmt, da herrscht einträchtige Koexistenz. Ich habe das Obige hauptsächlich deswegen auseinandergesetzt, weil es Licht auf die Natur des "Gegensatzes" wirft. Es bringt keine Lösung unseres Problems der Inhärenz. Es, sagt uns, wie wir Dinge in einer bestimmten Weise zu ordnen haben, aber es rechtfertigt diese Ordnung nicht. Das Ding vermeidet den Widerspruch durch sein Verschwinden in Relationen und dadurch, daß es Adjektive zuläßt, die ihren selbständigen Platz einnehmen dürfen. Aber es vermeidet den Widerspruch auf eine selbstmörderische Art. Es kann keinen rationalen Grund für die Relationen und für die Grenzpunkte, die es annimmt geben und kann nicht die wirkliche Einheit entdecken, ohne die es nichts ist. Der ganze Kunstgriff ist ein deutlicher Lückenbüßer. Er besteht darin, daß es zu der Außenwelt sagt: "Ich bin der Eigentümer dieser meiner Adjektiva" und zu den Eigenschaften, "Ich bin nur eine Relation, die Euch Eure Freiheit läßt". Sich selbst gegenüber und vor sich selbst ist es nurein geringfügiger Scheingrund, wenn es behauptet, daß es beide Merkmale in einem hätte. Eine solche Gruppierung kann wirksam sein, aber das theoretische Problem wird nicht gelöst. Die unmittelbare Einheit, in der die Fakten uns zukommen, ist durch die Erfahrung und später durch die Reflektion zerbrochen worden. Das Ding mit seinen Adjektiven ist ein Kunstgriff, um beides, Mannigfaltigkeit und Eintracht, auf einmal zu haben. Aber sind diese Unterscheidungen einmal gemacht, so fallen sie von dem

3. Relation und Qualität

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Ding und voneinander weit ab. Unser Versuch, ihre Relationen zu verstehen, stellte uns nur wieder eine Einheit her, die ihren Scheincharakter eingesteht, oder sonst in die alte ungeteilte Substanz zurückfällt, die keine Relationen zuläßt. Wir werden die Hoffnungslosigkeit ihres Dilemmas noch deutlicher sehn, wenn wir die Stellung der Relation zur Qualität geprüft haben. Doch das erfordert ein anderes Kapitel. Ich will zum Schluß sehr kurz eine auch mögliche Behauptung auseinandersetzen. Die an dem Ding bemerkten Unterschiede, so kann man sagen, gelten nur als die Weisen, nach denen wir es betrachten. Das Ding selbst behält seine Einheit und die Seiten des Adjektivs und Substantivs sind nur unsere Gesichtspunkte. Sie tun dem Realen kein Unrecht. Aber diese Verteidigung ist wertlos, weil es um die Frage geht, wie können wir ohne Irrtum Realität denken. Wenn also deine Sammlung von Gesichtspunkten ein gangbarer Weg ist, sie zu denken, dann wende ihn jedenfalls auf das Ding an und mache unserer Verwirrung ein Ende. Anderseits scheint das Ding ohne die Gesichtspunkte überhaupt keinen Charakter zu haben, und sie ohne das Ding keine Realität zu besitzen - selbst dann nicht, wenn sie sich untereinander vertragen könnten. Kurz, diese zwischen dem Faktum und unserer Anschauungsform gezogene Unterscheidung dient nur zur Verdoppelung der ursprünglichen Konfusion. Nunmehr ist ein Widerspruch in meinem Geist ebenso wie im Gegenstand gegeben und weit davon einander zu helfen, werden sie einander nur beschweren.

3. Relation und Qualität Es muß evident geworden sein, daß das im letzten Kapitel behandelte Problem sich in Wirklichkeit um die eigentümlichen Wesenheiten von Qualität und Relation dreht. Der Leser mag den Schluß, den wir nunmehr zu erreichen streben, schon vorausgenommen haben. Die Einteilung der gegebenen Fakten in Relationen und Eigenschaften mag praktisch notwendig sein, ist aber theoretisch unverständlich. Die so charakterisierte Wirklichkeit ist ·keine wahre Realität, sondern Erscheinung. Man kann schwerlich behaupten, daß diesen Zustand zu verstehen nicht notwendig sei - daß es nämlich eine einzige Art des Seins gäbe, die die Realität besitzt und die wir nur hinzunehmen haben. Denn, wie ganz deutlich zu sehen, ist sie nicht mehr etwas völlig Unmittelbares. Die Realität enthält nunmehr unterschiedene Seiten und man stellt an ihr Unterschiede fest, die, so weit Wll" 2*

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sehen, zu weiteren Spaltungen streben. Und wenn die Realität in der Tat ein Mittel hat, sie harmonisch zu einigen, so ist dieses Mittel sicherlich nicht auf den ersten Blick sichtbar. Was unsere eigene Natur angeht, so können jene Unterscheidungen, die wir sogar bewußt machen können, möglicherweise auf irgendeine Art die Wahrheit über die Realität geben. Aber, so lange es uns nicht gelingt, sie zu begründen und sie uns selbst einsichtig zu machen, sind wir verpflichtet, sie als bloße Erscheinung zu bestimmen. Die Aufgabe dieses Kapitels ist es nun, zu zeigen, daß die wahre Wesenheit jener Begriffe mit Widersprüchen in sich behaftet ist. Unsere Schlußfolgerung wird kurz folgende sein: Relation setzt Qualität voraus und Qualität Relation. Keine kann weder etwas zugleich mit der anderen noch ohne die andere sein und dieser böse Zirkel, in dem sie sich drehen, ist keine Wahrheit über die Realität. 1. Qualitäten sind nicht ohne Relationen. Beim V ersuch, die Wahrheit dieses Satzes aufzuweisen, will ich kein Gewicht auf eine ansehnliche Masse von bekanntem Beweismaterial legen. Dieses, das von der Psychologie geliefert wird, würde zu zeigen versuchen, wie Eigenschaften durch Veränderung von Relationen veränderlich sind. Die Unterschiede, die wir in vielen Fällen wahrnehmen, scheinen so entstanden zu sein. Aber ich will mich auf keinen Beweis berufen, da ich nicht einsehe, daß er die Nichtexistenz ursprünglicher und unabhängiger Qualitäten völlig beweisen könnte. Und die Richtung des Beweises, den Kontrast für die Wahrnehmung als notwendig zu erklären, geht meiner Meinung nach über die logischen Grenzen hinaus. Trotzdem diese Betrachtungen ohne Zweifel eine wichtige Bedeutung für unser Problem haben, möchte ich hier lieber davon absehen. Und ich denke auch nicht, daß sie notwendig sein werden. Wir können zu unserem Schluß auf folgendem Wege besser kommen. Du kannst niemals, so können wir behaupten, Qualitäten ohne Relation finden. Wenn du sie so ansiehst, dann werden sie so und bleiben weiterhin so auf Grund einer Operation, die selbst eine Relation in sich schließt. Ihre Mehrzahl erhält für uns ihren ganzen Sinn durch Relationen; und sie andersartig in der Wirklichkeit zu vermuten ist ganz unhaltbar. Ich werde das mit noch größerem Detail ausführen. Qualitäten ohne Relationen zu finden ist sicherlich unmöglich. Sie sind in dem Bereich des Bewußtseins, selbst wenn wir von den Relationen der Identität und Differenz abstrahieren, niemals unabhängig. Eine ist mindestens zugleich mit einer anderen und auf sie bezogen - faktisch immer mehr als auf eine. Auch wird

3. Relation und Qualität

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das Geltendmachen eines niedrigeren und undifferenzierten Bewußtseinszustandes, bei dem in einem Gefühl viele Seiten enthalten sind, uns auf keine Weise helfen. Ich gebe die Existenz solcher Bewußtseinszustände ohne jede Relation zu, aber dort gibt es sicherlich überhaupt keine Qualitäten. Denn wenn jene gefühlten Teile, solange sie nur gefühlt werden, wirklich Qualitäten heißen sollen, so sind sie es nur für die Wahrnehmung eines außenstehenden Be~ obachters. Und dann sind sie für ihn als Teilansichten gegeben,· d. h. zusammen mit Relationen. Kurz, wenn du auf das reine, ungebrochene Gefühl zurückgehst, so hast du keine Relationen und keine Qualitäten. Wenn du aber etwas Unterschiedenes antriffst, dann hast du sofort Relationen in den Händen. Ich nehme an, daß man uns auf folgende Weise antworten wird. Man wird sagen: obwohl schon Qualitäten ohne Relationen nicht zu finden sind, so ist das noch keine wirkliche Widerlegung ihrer gesonderten Existenz. Denn wir können sie doch unterscheiden und sie für sich selbst betrachten. Und zu dieser Vorstellung ist doch sicherlich eine Operation unseres Geistes erforderlich. So weit muß daher, wie du sagst, das, was verschieden ist, ein Unterschiedenes und konsequenterweise ein Bezogenes sein. Aber diese Relation gehört nicht wirklich zur Realität. Die Relation hat nur Existenz für uns und zwar als unser Weg zur Erkenntnis. Aber die Unterscheidung ist trotzdem auf Unterschiede im Wirklichen basiert; und diese bleiben bestehen, auch wenn unsere Relationen wegfallen oder beseitigt worden sind. Eine solche Antwort stützt sich aber auf die Trennung von Prozeß und Produkt und diese Sonderung scheint unhaltbar. Die Eigenschaften kommen als unterschiedene immer durch eine Tätigkeit zustande, die zugestandenermaßen die Relation in sich schließt. Sie entstehen so und, was noch mehr bedeutet, sie werden ausdrücklich so beibehalten. Und du kannst dein Produkt niemals ohne seinen Prozeß erhalten. Wirst du nun sagen, der Prozeß sei nicht wesentlich? Aber das ist eine Folgerung, die geprüft werden müßte und es ist monströs, sie vorauszusetzen. Willst du sie durch Analogie zu beweisen suchen? Es ist für viele Zwecke möglich, die Existenz von Prozessen und Relationen, die das Innere der Objekte nicht besonders affizieren, anzunehmen und zu benutzen. Aber hier steht ja schließlich die tatsächliche Möglichkeit einer solchen Unterscheidung zwischen Innen und Außen und der Setzung des Innern als das von aller Relation Unabhängige in Frage. Verstandesoperationen wie etwa ein Vergleich, der voraussetzte, daß die verglichenen Qualitäten bereits existieren, können keinesfalls beweisen, daß diese

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Erstes Buch: Erscheinung

Qualitäten überhaupt nicht von Relationen abhängen. Aber ich kann nicht glauben, daß dies durch Analogie entschieden werden kann; denn die ganze Sache ist kurz folgende. Es gibt eine Operation, die , indem sie einen Teil von dem Gegebenen wegnimmt, den anderen Teil in abstrakter Form darbietet. Dies Ergebnis wird niemals irgendwo ohne andauernde Abstraktion zu erreichen sein. Wenn wir keine weitere Quelle dafür haben, finde ich keine Entschuldigung dafür, daß das Resultat als ein Faktum hingestellt wird, das auch ohne den Prozeß besteht. Die Beweislast liegt ganz bei dem, der es behauptet und es gelingt ihm durchaus nicht, es zu stützen. Das Argument, daß bei der Wahrnehmung ein e Qualität zuerst und vor den anderen gegeben sein müsse und daher nicht relativ sein könne, ist kaum erwähnenswert. Was ist denn für die Qualitäten natürlicher, als daß sie immer in irgendeiner V erbindung und niemals allein vor uns erscheinen? Wir können weitergehen. Das Ignorieren des Prozesses ist nicht nur eine ganz unhaltbare Sache - selbst wenn es aus Unvorsichtigkeit in die Wahrheit geriete - sondern hier liegt evidenterweise eine Unehrlichkeit vor. Denn das Ergebnis trägt innerlich den Charakter des Prozesses. Kurz, das Vielfache der Qualitäten kann mit ihrer Einfachheit nicht in Einklang gebracht werden. Ihre Pluralität hängt von einer Relation ab und ohne diese können sie gar nicht unterschieden werden. Aber, wenn sie nicht unterschieden werden, dann sind sie auch nicht verschieden und daher keine Qualitäten. Ich will nicht behaupten, daß Qualitäten ohne Unterschied in jedem Sinne unmöglich seien. Vor allem weiß ich, daß Wesen bestehen können, deren Leben an sich in einem einzigen ungebrochenen, einfachen Gefühl besteht; und die gegen eine solche Möglichkeit erhobenen Argumente kommen in meiner Beurteilung zu kurz. Wenn du dies Gefühl eine Qualität nennen willst, so erfülle dir nur auf alle Fälle deinen Wunsch. Aber denke auch daran, daß die ganze Sache völlig irrelevant ist. Denn niemand wird darüber streiten, ob das Universum eine Qualität in diesem Sinn ist oder nicht ist; denn in Frage stehen überhaupt nur Qualitäten. Und ein auf ein Gefühl beschränktes Universum würde nicht nur keine Qualitäten sein, sondern es würde sogar die eine Qualität fehlen, die von anderen verschieden und durch die Relationen unterschieden sein müßte. Unsere Frage ist in Wirklichkeit, ob die Relation für Unterschiede wesentlich ist. Wir haben gesehen, daß faktisch die beiden nie gesondert vorgefunden werden. Wir haben gesehen, daß die Trennung durch Abstraktion kein Beweis für die reale Besonderheit ist. Und nun

3. Relation und Qualität

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müssen wir geltend machen, daß, kurz gesagt, jedes Gesondertsein Trennung in sich schließt und damit Relation, und daß es verabsolutiert ein Selbstwiderspruch ist. Denn bedenke: die Qualitäten A und B sollen von jeder anderen verschieden sein; und wenn, so muß dieses Verschiedensein sich irgend wo abspielen. Wenn sie bis zu irgendeinem Grad oder Maß außerhalb von A oder B fällt, dann haben wir sofort eine Relation. Aber andererseits, wie kann Verschiedensein und Anderssein sich innerhalb abspielen? Wenn wir in A ein solches Anderssein haben, dann müssen wir innerhalb von A seine eigenen Qualitäten und sein Anderssein unterscheiden. Und tun wir das, dann bricht das ungelöste Problem innerhalb jeder Qualität wieder aus und trennt jede einzelne in zwei in Relation stehende Qualitäten. Kurz, Verschiedenheit ohne Relation scheint ein Wort ohne Sinn zu sein. Auch das bedeutet keine Antwort, wenn man behauptet, daß die eigentliche Pluralität hier nicht in Frage stehe. Ich bin vom Gegenteil überzeugt, aber, wenn du willst, wollen wir uns auf alle Fälle auf das Unterschiedensein und Verschiedenheit beschränken. Ich stütze mein Argument darauf, daß es ohne Verschiedenheiten keine Qualitäten gibt, weil sie ja sonst alle in eine zusammenfallen müßten. Wenn es aber eine Verschiedenheit gibt, dann schließt das eine Relation in sich. Ohne eine Relation hat sie keinen Sinn, ist ein bloßes Wort und kein Gedanke; und niemand würde sie für einen Gedanken halten, wenn er nicht trotz seiner Proteste eine Relation in sie hineintrüge. Das ist der Punkt, um den sich alles zu drehen scheint. Ist es möglich, an Qualitäten ohne zugleich an unterschiedene Charaktere zu denken? Ist es möglich, sie ohne eine Relation zwischen ihnen zu denken, die entweder ausdrücklich da ist oder sonst unbewußt vom Geist ergänzt wird, der sie nur zu erfassen versucht. Haben Qualitäten ohne Relation denn irgendeinen Sinn für das Denken? Ich für meine Person bin sicher, daß sie keinen haben. Ich finde eine Bestätigung hierfür in dem Ergebnis der entschiedensten V ersuche, auf dieser Grundlage ein System zu bauen. Hierbei ist nicht zu sehr zu betonen, daß jeder Inhalt des Universums einer unmöglichen Illusion sehr ähnlich wird. Die Wirklichkeiten werden abgesondert und einfach, unglaublich einfach, wenn sie niemals den V erdacht aufkommen lassen, daß sie es nicht sind. Aber unser fruchtbares Leben scheint andererseits ihrem V erharren im Imaginären die Genesung von unvorstellbarer Verdrehung zu danken. Und sie haben wirklich keinerlei Anteil an diesen zweifelhaften Verbindungen, die die Welt zu formen scheinen; sie sind ihr überlegen und wie Sterne am Firmament fixiert - wenn es nur ein Firmament gäbe.

Erstes Buch: Erscheinung 2. Wir haben gefunden, daß Qualitäten ohne Relationen keinen vernünftigen Sinn haben. Unglücklicherweise sind sie aber mit diesen zusammengenommen ebenso unverständlich. Sie können erstens in die Relationen nicht völlig aufgelöst werden. Du kannst behaupten1 daß in der Tat ohne Unterschiedenheit keine Verschiedenheit übrig bleibt; aber trotzdem werden die Verschiedenheiten nicht in die Unterscheidung verschwinden. Sie müssen mehr oder weniger zu ihr hinzukommen und können von ihr nicht ganz hervorgebracht. werden. Ich bestehe immer noch darauf, daß das, was nicht ein Bezogenes ist, für das Denken nichts ist. Aber ich behaupte andererseits, daß Nichtse nicht bezogen werden können und daß Qualitäten. im Relationsverhältnis zu bloßen Relationen zu machen gänzlich unmöglich ist. Da das Faktum durch beide konstituiert ist, kannst du bitte behaupten, daß es jede von beiden konstituiert. Aber wenn. du meinst, daß das eine nicht notwendig sei und daß Relationen irgendwie die Endpunkte selber schaffen könnten, auf denen sie beruhen, so ist meiner Meinung nach deine Anschauung völlig unverständlich. So weit ich sehen kann, müssen Relationen von den Endpunkten gerade so abhängen, wie die Endpunkte von den Relationen. Und das partielle, nunmehr offenbare Mißlingen der dialektischen Methode scheint mit einem Mißverständnis in diesem Punkt verbunden zu sein. Daher müssen Qualitäten sein und müssen ebenso bezogene sein. Darum gibt es aber auch eine Verschiedenheit, die sich innerhalb jeder Qualität abspielt. Jede hat einen doppelten Charakter, insofern sie die Relation stützt und durch sie hervorgebracht wird. Sie mag als Bedingung und zugleich als Resultat angesehen werden und die Frage ist nur, wie sie diese Mannigfaltigkeit kombinieren kann. Denn sie muß diese Verschiedenheit vereinigen und dennoch gelingt es ihr nicht. A ist sowohl durch die Relation zu dem geworden, was es ist, und ist es doch auch nicht; und diese verschiedenen Seiten sind nicht jede die andere, und wiederum ist keine von beiden A. Wenn wir diese verschiedenen Seiten a und a nennen1 ist A jedes von ihnen zum Teil. Als a ist es die V erschiedenheit1 auf der die Unterscheidung beruhte, während es als a die Untersc.hiedenheit ist, die sich aus der Verbindung ergibt. A ist in Wirklichkeit irgendwie beides zusammen, also A (a-a). Wie wir aber in Kapitel 2 sahen, ist es ohne die Anwendung einer Relation unmöglich, diese Mannigfaltigkeit von A auszusagen. Andererseits verschwindet m i t einer inneren Relation die Einheit von A und seine Inhalte werden in einen endlosen Prozeß von Unterscheidungen zerstreut. A wird zuerst a in Beziehung zu a, aber diese beiden Punkte

3. Relation und Qualität

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fallen selbst hoffnungslos auseinander. Wir haben gegen unseren Willen keine bloße Hinsicht, sondern eine neue Qualität a, die selbst in einer Beziehung steht, erreicht; und daher muß ihr Inhalt (wie wir vorher bei A gesehen haben) mannigfaltig sein. Da er in eine Relation tritt, ist er selbst a 2 und als Ergebnis der Relation ist er selber a 2• Und die Qualität vereinigt diese Adjektive und kann es doch nicht. Kurz, wir sind zu einem Prinzip der Spaltung gekommen, das uns zu keinem Ende führt. Jede in Relation stehende Qualität hat konsequenterweise eine Verschiedenheit innerhalb ihres eigenen Wesens und diese kann von der Qualität nicht unmittelbar bejaht werden. Daher muß die Qualität ihre Einheit für eine innere Relation eintauschen. Werden aber die verschiedenen Seiten so in Freiheit gesetzt, so muß jede von ihnen ebenso darüber hinausragen wie alles in Relation Stehende. Diese Verschiedenheit ist für die innere Einheit beider fatal und erfordert eine neue Relation, und so weiter ad infinitum. Kurz, Qualitäten in einer Relation haben sich ebenso unbegreiflich erwiesen, wie Qualitäten ohne diese. Das Problem hat uns von beiden Seiten geblufft. 3. Wir können kurz dasselbe Dilemma auch von den Relationen her erreichen. Sie sind durchaus unbegreiflich, sowohl mit wie ohne ihre Qualitäten. Erstens ist eine Relation ohne Endpunkte bloßes Geschwätz, und Endpunkte scheinen daher jenseits ihrer Relation zu liegen. Nach meiner Anschauung mindestens ist eine Relation, die irgendwie Endpunkte, die nicht vorher da waren, beseitigt, oder eine Relation, die auf irgendeine Weise ohne Begrenzungspunkte und ohne Unterschiede über die bloßen Enden einer Verbindungslinie hinausreichte, in Wirklichkeit eine sinnlose Phrase. Es ist, meiner Meinung nach eine falsche Abstraktion und etwas, das sich auf jeden Fall selbst widerspricht und ich fürchte, daß ich die Sache so auf sich beruhen werde lassen müssen. Da man mich nicht anders belehrt und ich mit meinen eigenen Ohren keine Spur von Harmonie entdecken kann, so bin ich gezwungen, auf eine partielle Schwerhörigkeit der anderen zu schließen. Daher mußten wir sagen, eine Relation ohne Qualitäten ist nichts. Aber wie die Relation zu den Qualitäten sich verhalten kann, ist andererseits unbegreiflich. Wenn sie die Qualitäten nichts angeht, dann sind diese überhaupt nicht bezogen; dann haben sie aber, wie wir sahen, aufgehört Qualitäten zu sein und ihre Relation ist ein Unding. Aber wenn die Relation diese etwas angeht, dann ist es klar, daß wir dann eine neue verbindende Relation zu suchen haben. Denn die Relation kann schwerlich das bloße Adjektiv eines oder beider Begrenzungspunkte sein, oder mindestens scheint sie als

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Erstes Buch: Erscheinung

solche unhaltbar. 1 ) Da sie selbst etwas ist, auf welch begreiflichem Wege soll es ihr dann glücken zu den Endpunkten zu gehören, wenn sie nicht selber eine Relation zwischen diesen herstellt? Hier sind wir aber wiederum in den Strudel eines hoffnungslosen Prozesses gestürzt; denn wir sind gezwungen, endlos neue Relationen zu finden. Die Glieder werden durch ein Glied verbunden und das Verbindungsband ist ein Glied, das ebenso zwei Enden hat; und diese erfordern jedes ein neues Glied, um sie mit den alten zu verbinden. Das Problem ist also, ausfindig zu machen, wie die Relation zu ihren Qualitäten stehen kann; und dies Problem ist unlösbar. .Wenn du die Verbindung :für ein solides Ding ansiehst, so mußt du zeigen, wie die anderen :festen Dinge damit verbunden werden, und kannst es doch nicht. Wenn du sie :für eine Art Hilfsmittel oder unsubstantielle Atmosphäre ansiehst, so ist es keine V erknüpfung mehr. Du findest in diesem Fall, daß die ganze Frage der Relation der Qualitäten (denn sie sind sicherlich auf irgendeine Art bezogen) sich von neuem außerhalb ihr, in genau der gleichen Form wie zuvor erhebt. Kurz, die ursprüngliche Relation ist ein Unding geworden; aber selbst wenn sie das wird, ist kein Element des Problems beseitigt. Ich will dies Kapitel zu einem Ende bringen. Den Beweisgang mit seinen Verzweigungen und Feinheiten auszuspinnen wäre leicht, aber nicht besonders vorteilhaft. Für mich würde wahrscheinlich der V ersuch, die Einwände des Lesers vorauszunehmen, unnütz sein. Ich habe den Fall dargelegt und muß es dabei belassen. Der Schluß, zu dem ich gekommen bin, ist der, daß ein relationaler Denkweg, d. h. jeder, der sich durch den Mechanismus von Grenzpunkten und Relationen bewegt - Erscheinung und keine Wahrheit ergeben muß. Er ist ein Lückenbüßer, ein Kunstgriff, ein bloß praktischer Kompromiß, der durchaus notwendig, aber letzten Endes völlig unbeweisbar ist. Wir müssen Realität als vielfach ansehen und doch als eine und den Widerspruch vermeiden. Wir möchten sie teilen oder nach Belieben für unteilbar halten und nach jeder dieser Richtungen so weit gehen, wie wir es wünschen, und anhalten, wenn es uns paßt. Das gelingt uns, aber nur dadurch, daß wir die Die Relation ist kein Adjektiv eines Grenzpunktes, denn sonst wäre es nicht bezogen. Aus demselben Grund ist sie auch nicht das Adjektiv jedes gesondert genommenen Endpunktes, denn dann gäbe es wiederum keine Beziehung zwischen ihnen. Auch ist die Relation nicht ihre gemeinsame Eigenschaft, denn was läßt sie dann gesondert erscheinen? Sie sind dann überhaupt nicht zwei Endpunkte, weil sie nicht getrennt sind. Und innerhalb dieses neuen Ganzen würde auf jeden Fall das Problem der Inhärenz in erschwerter Form ausbrechen. Es ist wohl aber unnötig, dies alles im Detail auszuführen. 1)

4. Raum und Zeit

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Augen schließen, die, falls wir sie offen halten, uns das Urteil sprechen würden; oder durch ein dauerndes Oszillieren und einen Standpunktwechel, so daß wir der Seite, die wir ignorieren wollen, den Rücken zudrehen. Aber wenn alle diese Inkonsequenzen zusammengebracht werden, wie es in der Metaphysik sein müßte, so ist das Ergebnis doch eine offene und grelle Diskrepanz. Wir können diese nicht der Realität zuschreiben, während, wenn wir sie auf uns selbst zu übernehmen versuchen, wir nur ein Übel in zwei verwandelt haben. Unser Intellekt ist dann zur Konfusion und zum Bankrott verurteilt worden und die Realität ist unverstanden draußen geblieben. Oder, was noch schlimmer ist, sie ist aller Unterschiedenheit und Qualität entblößt worden. Sie ist nackt und charakterlos geworden und wir werden mit Konfusion überschüttet. Der Leser, der gefolgt ist und das Prinzip dieses Kapitels erfaßt hat, wird wenig Bedürfnis haben, seine Zeit auf die folgenden zu verschwenden. Er wird gesehen haben, daß unsere Erfahrung, wo sie relational ist, keine Wahrheit ist, und er wird die große Masse der Phänomene fast ohne Untersuchung verurteilt haben. Ich fühle mich trotzdem veranlaßt, zunächst Raum und Zeit sehr kurz zu behandeln.

4. Raum und Zeit Der Inhalt dieses Kapitels ist weit davon, einen Versuch zu einer vollständigen Erörterung des Wesens von Raum oder Zeit darzustellen. Es wird sich mit der Feststellung unserer Rauptgründe, wonach wir sie als Erscheinung betrachten, begnügen. Es wird darlegen, warum wir es ablehnen, daß sie beide so, wie sie sich zeigen, Realität haben oder zu ihr gehören. Ich will das zuerst am Raum beweisen. Wir haben es hier nicht mit dem psychologischen Ursprung der Wahrnehmung zu tun. Der Raum mag ein Produkt sein, daß sich aus nichträumlichen Elementen entwickelt hat; und ist dem so, so mag seine Herkunft großen Wert für die Frage seiner wahren Realität haben. Es ist aber unmöglich, dies hier in Erwägung zu ziehen, denn erstens hat sich jeder Versuch seinen Ursprung zu erklären als ein deutlicher Fehlschlag erwiesen 1 ) und zweitens würde seine 1) Ich meine nicht, daß ich behaupte, daß ich den Raum für originär ansehe, im Gegenteil, jemand könnte Grund dazu haben, zu meinen, etwas sei sekundär, obwohl er dafür keine Begründung und keinen Ursprung angeben kann. Was "Ausdehnung" genannt wird, scheint mir (wie schon dargelegt wurde) eine Kon" fusion in sich zu schließen. Wenn du weißt, was du damit meinst, so zeigt sie sich entweder sofort und vollständig als räumlich oder aber als überhaupt nicht

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Erstes Buch: Erscheinung

Realität durch den Nachweis seiner Entwicklung nicht notwendig beei,nflußt werden. Nichts kann für real angesehen werden, weil es für die Psychologie ursprünglich ist, oder auch nicht als unreal, weil es sekundär ist. Wenn er eine rechtmäßige Konstruktion aus wahren Elementen wäre, dann brauchte er nur für unsere Erkenntnis abgeleitet und könnte faktisch doch original sein. Aber solange wie seine versuchte Ableitung zum Teil dunkel und zum Teil illusorisch ist, ist es besser, diese ganze Frage als irrelevant anzusehen. Wir wollen den Raum oder die Ausdehnung einfach nehmen wie sie ist und untersuchen, ob sie sich widerspricht. Der Leser wird mit den Schwierigkeiten vertraut sein, die sich aus der Kontinuität und Diskretion des Raumes ergeben haben. Beide machen die Schlußfolgerung notwendig, daß der Raum unendlich ist, während doch ein Ende wesentlich zu seinem Sein gehört. Der Raum kann nicht weder innerhalb seiner selbst noch nach außen an eine endgültige Grenze stoßen. Und dennoch, solange er innerlich oder außer sich etwas bleibt, das immer weitergeht, ist er überhaupt kein Raum. Dies Dilemma ist oft dadurch beantwortet worden, daß man die eine Seite ignorierte, aber es ist niemals konfrontiert und aufgelöst worden und wird es auch nie werden. Und solange natürlich dies Dilemma besteht, ist das die Verurteilung des Raumes. Ich will hier es in der Form aufzeigen, die meiner Meinung nach am klarsten die Wurzel des Widerspruchs und damit seine Unauflösbarkeit darlegt. Der Raum ist eine Relation - die er nicht sein kann; und er ist eine Qualität oder Substanz -, die er auch nicht sein kann. Es ist eine besondere Form des Problems, das wir in dem letzten Kapitel erörtert haben, und es ist ein besonderer V ersuch, das Unversöhnliche zu vereinen. Ich will diese Verwicklung antithetisch auseinander setzen. 1. Der Raum ist keine reine Relation, denn jeder Raum muß aus ausgedehnten Teilen bestehen und diese Teile sind selbstverständlich Räume. So daß, auch wenn wir unseren Raum für eine Ansammlung ansehen könnten, er eine Sammlung von Festigkeiten sein würde. Die Relation würde Räume verbinden, die nicht mehr bloße Relationen wären. Und daher würde die Sammlung, wenn sie als eine rein e Zwischenrelation betrachtet würde, kein Raum sein. räumlich. Es scheint teilweise nützlich zu sein, dunkel zu bleiben, natürlich nur so lange, wie du erlaubst. Bedeutet jede Wahrnehmung von Mehr oder Weniger (oder alles, was den Gradbegriff im strengen Sinne nicht in sich selber hat) schon Raum oder nicht? Jede Antwort auf diese Frage würde meiner Meinung nach die "Ausdehnung" als gegeben erledigen. Aber siehe Mind, 4, pp. 232-35.

4. Raum und Zeit

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Wir würden uns zu der Behauptung gedrängt sehen, daß der Raum nur eine Relation von Räumen ist. Und dieser Satz widerspricht sich selber. Anderseits, wenn jeder Raum für ein Ganzes gehalten wird, ist er ersichtlich mehr, als eine Relation. Er ist ein Ding oder eine Substanz oder Qualität (nenne es, wie du willst), die ganz klar ebenso fest ist, wie die Teile, die sie vereinigt. Von Außen oder von Innen gesehen, ist er ganz ebenso widerstandsfähig und ebenso einfach wie jeder seiner Inhalte. Das bloße Faktum, daß wir immer gedrängt sind, von seinen Te i 1e n zu sprechen, sollte uns Evidenz genug sein. Was könnten die Te i 1e eine Relation sein? 2. Der Raum ist aber nichts als eine Relation. Denn erstens muß jeder Raum aus Teilen bestehen und wenn die Teile nicht Räume sind, so ist das Ganze nicht Raum. Nimm in einem Raum irgendwelche Teile. Es wird angenommen, daß diese fest aber augenscheinlich ausgedehnt sind. Wenn sie irgendwie ausgedehnt sind, müssen sie selber aus Teilen bestehen und diese wiederum aus weiteren Teilen, und so ohne Ende. Ein Raum oder ein Teil von Raum, der in Wirklichkeit Festigkeit bedeutet, ist ein Widerspruch in sich selbst. Jedes Ausgedehnte ist eine Sammlung, eine Relation von Ausgedehntem, daß wiederum Relation von Ausgedehntem ist, und so ins Unendliche. Die Grenzpunkte sind für die Relation wesentlich und existieren nicht. Wenn wir ohne ein Ziel suchen, so werden wir nie etwas anderes als Relationen finden und werden sehen, daß wir's nicht können. Der Raum ist wesentlich eine Relation von dem, was in Relationen, die vergeblich nach ihren Grenzpunkten streben, verschwindet. Er ist Länge von Längen von - nichts, das wir nicht finden können. Von Außen wird uns wiederum eine ähnliche Schlußfolgerung aufgezwungen. Wir haben gesehen, daß der Raum innerlich in die Relationen zwischen den Einheiten, die niemals existieren können, verschwindet. Wenn wir aber auf der anderen Seite ihn selber als eine Einheit ansehen, so zerfließt er bei dem Forschen nach einem illusorischen Ganzen. Er ist wesentlich die Beziehung seiner selbst zu etwas anderem, ein Prozeß endlosen Überschreitens seiner Aktualität. Kurz gesagt, als ein Ganzes ist er die Relation seiner selbst zu einem nicht existierenden Fremden. Denn nimm den Raum so groß und so vollständig, wie es dir möglich ist. Wenn er keine bestimmten Grenzen hat, ist er immer noch nicht Raum; und läßt du ihn in einer Wolke oder in einem Nichts enden, so ist er bloße Blindheit und unser bloßer W ahrnehmungsfehler. Ein begrenzter Raum, der aber keinen Raum außer sich hat, ist ein Widerspruch in sich. Das Außen aber wird unglücklicherweise in gleicher Weise

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gezwungen über sich selbst hinauszugehen, und das Ende kann nicht erreicht werden. Es gelingt uns nicht nur, dies nicht wahrzunehmen und nicht zu verstehen, wie dies anders sein könnte, sondern wir begreifen und verstehen, daß es nicht anders sein kann, mindestens nicht, wenn der Raum Raum sein soll. Wir wissen keiner, was der Raum bedeutet; und wenn wir es wissen, so können wir sicherlich nicht sagen, daß er mehr als Erscheinung ist. Oder aber, wenn wir wissen, was wir damit meinen, so sehen wir uns bei dieser Bedeutung in der eben beschriebenen Verwirrung. Raum muß, um Raum zu sein, Raum außer sich haben. Er verschwindet auf immer in ein Ganzes, das niemals sich als mehr als eine Seite einer Relation zu etwas Jenseitigem erweist. Und so hat der Raum weder irgendwelche feste Teile, noch ist er, wenn er als ein einziger angesehen wird, mehr als die Relation seiner selbst zu einem neuen Selbst. So wie er steht, ist er kein Raum; und wenn man versucht, Raum jenseits von ihm zu finden, so treffen wir nur etwas an, was in eine Relation verschwindet. Raum ist eine Relation zwischen Grenzpunkten, denen man niemals begegnet. Es würde sich nicht lohnen, den Widerspruch, den wir aufgezeigt haben, weiter zu treiben. Der Leser, der einmal das Prinzip erfaßt hat, kann sich mit den Einzelheiten selber abgeben. Ich will nur vorübergehend auf eine ergänzende Schwierigkeit verweisen. Leerer Raum - Raum ohne Qualität (einer visuellen oder muskularen) die an sich mehr als räumlich ist - ist eine unwirkliche Abstraktion. Man kann von ihm nicht sagen, daß er existierte, aus dem Grunde, weil er keinen Sinn durch sich selber haben kann. Wenn jemand realisiert, was er in ihm angetroffen hat, so findet er immer eine Qualität mehr als bloße Ausdehnung (s. Kap. 1). Aber, wenn dem so ist, ist es ein unlösbares Problem, wie diese Qualität zur Ausdehnung stehen soll. Es ist ein Fall von "Inhärenz", die, wie wir sahen (Kap. 2) im Prinzip unbegreiflich war. Ohne mich weiter aufzuhalten, will ich zur Betrachtung der Zeit weiter gehen. Ich will mich in diesem Kapitel fast ganz auf die Schwierigkeiten beschränken, die durch die Diskretion und die Kontinuität der Zeit verursacht werden. Betreff der Veränderung werde ich im folgenden Kapitel etwas mehr sagen. Es sind Anstrengungen gemacht worden, die Zeit psychologisch zu erklären - also sozusagen ihren Ursprung aus etwas herzuleiten, was für uns als zeitlos gilt. Aber aus demselben Grund, der im Falle des Raumes entscheidend schien, und der hier sogar noch größeres Gewicht hat, werde ich diese Versuche hier nicht be-

4. Raum und Zeit

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trachten. Ich werde einfach den Charakter der Zeit untersuchen, und fragen, ob sie so, wie sie ist, zur Realität gehören kann. Gewöhnlich wird die Zeit unter einer Raumform betrachtet. Sie wird für einen Strom gehalten, und Vergangenheit nnd Zukunft werden als seine Teile angesehen, die der Voraussetzung nach nicht koexistieren, von denen aber oft so gesprochen wird, als ob sie es täten. Die auf diese Art verstandene Zeit steht dem Einwand offen, den wir soeben wider den Raum erhoben haben. Sie ist eine Relation - und ist anderseits keine, und sie ist auch nicht imstande, etwas außer einer Relation zu sein. Der Leser, der dem Dilemma gefolgt ist, das für den Raum verhängnisvoll war, wird keine breite Auseinandersetzung nötig haben. Wenn du die Zeit für eine Relation zwischen Einheiten ohne Dauer hältst, so ist es überhaupt keine Zeit. Wenn du aber der ganzen Zeit Dauer gibst, dann ergibt sich auf einmal, daß auch die Einheiten selbst sie besitzen und sie damit aufhören, Einheiten zu sein. Die Zeit ist in der Tat "vor" und "nach" in einem; und ohne diese Verschiedenheit gibt es keine Zeit. Diese Verschiedenheiten können aber nicht von der Einheit behauptet werden; und geschieht das anderseits nicht, so ist die Zeit hoffnungslos aufgelöst. Daher werden sie von einer Relation ausgesagt. "Vor in Beziehung zu nach" ist der Charakter der Zeit; und hier beginnen die alten Schwierigkeiten über Relation und Qualität von neuem. Die Relation ist keine Einheit, und qennoch sind die Bezugspunkte Undinge, wenn jene beiseite gelassen wird. Um ferner einen unabhängigen Charakter in die Begrenzungspunkte zu bringen, ist jeder irgendwie in sich zu einem "Vor" und "Nach" zugleich zu machen. Das führt aber zu einem Prozeß, der die Bezugspunkte in Relationen auflöst, die schließlich im Nichts enden. Die Relation der Zeit zu einer Einheit machen, heißt sie zuerst vor allem zum Stillstand bringen, indem man in ihr die Trennung in ein Vor und Nach zerstört. Und zweitens muß diese feste Einheit, die nur kraft der äußeren Relationen existiert, sich erweitern. Sie geht in unaufhörlicher Oszillation, zwischen einer leeren Körperlichkeit und einem Übergange in eine illusorische Vollständigkeit über sich selbst hinaus zugrunde. Wie beim Raum stellt der qualitative Inhalt, der nicht rein zeitlich ist und ohne den die Begrenzungspunkte, die zeitlich bezogen sind, keinen Charakter haben würden, ein unlösbares Problem dar. Wie wir das mit der Zeit, die sie erfüllt, verbinden sollen, und wie wir auch jede Seite besonders für sich aufstellen sollen, das geht über unsere Hilfsmittel. So weit hat sich die Zeit ebenso wie der Raum als Erscheinung erwiesen.

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Man wird uns aber mit Recht sagen, daß eine räumliche Form für die Zeit nicht wesentlich ist und daß wir, um das einfach zu prüfen, unsere Irrtümer ihr nicht aufzuzwingen brauchten. Wir wollen also die Zeit betrachten, wie sie dasteht, ohne äußere Hinzufügungen. Wir werden uns nur überzeugen, daß die Wurzel. des alten Dilemmas damit nicht ausgerissen wird. Wenn wir darangehen, die Zeit so zu bewahren, wie sie kommt und zunächst von jeder Folgerung und Konstruktion abstrahieren, so müssen wir uns nach meiner Voraussetzung auf die Zeit, wie sie da ist, beschränken. Aber eine solche Zeit muß gegenwärtige sein und wir müssen wenigstens vorläufig zugeben, daß wir nicht über das "Jetzt" hinausgehen dürfen. Und zugleich wird sich uns die Frage nach den "Jetzt"-zeitlichen Inhalten erheben. Erstens wollen wir fragen, ob sie existieren. Ist das "Jetzt" einfach und unteilbar? Wir können sogleich mit "nein" antworten. Denn Zeit bedeutet "vor" und "nach" und daher Verschiedenheit; daher ist das Einfache keine Zeit. Wir sehen uns also bisher gedrängt, die Gegenwart als eine Zusammenfassung verschiedener Seiten anzusehen. Wie viele Seiten sie enthält, ist die interessierende Frage. Nach der einen Meinung können wir in dem "Jetzt" beides bemerken, Vergangenheit und Zukunft; und ob diese durch die Gegenwart getrennt werden, und in welchem genauen Sinn, das läßt weitere Zweifel zu. Nach einer anderen Anschauung, die ich vorziehe, wird die Zukunft nicht vorgestellt, sondern ist das Ergebnis einer Konstruktion; und das "Jetzt" enthält nur den Vorgang der Gegenwart, die sich zur Vergangenheit wandelt. Aber diese Unterschiede sind, wenn sie in der Tat welche sind, hier glücklicherweise irrelevant. Alles, was wir brauchen, ist das Zugeständnis überhaupt eines Prozesses innerhalb des "Jetzt" 1). Denn jeder zugestandene Prozeß zerstört das "Jetzt" von innen her. Vor und Nach sind verschieden und ihre Unverträglichkeit veranlaßt uns, eine Relation zwischen ihnen anzuwenden. Dann geht auf einmal wiederum das alte ermüdende Spiel los. Die Seiten werden Teile, das "Jetzt" besteht aus "Jetzts" und schließlich stellen sich diese "Jetzts" als unauffindbar heraus. Denn als ein fester Teil der Zeit existiert das "Jetzt" nicht. Stücke der Dauer mögen uns als nicht zusammengesetzt erscheinen; aber eine sehr kleine Überlegung legt den ihnen innewohnenden Betrug bloß. Wenn sie keine Dauer sind, so enthalten sie kein Nach und Vor, und sie haben Über die verschiedenen Ansichten über "das Gegenwärtige" habe ich etwas in meinen "Principles of Logic" pp. 51 f. gesagt. 1)

4. Raum und Zeit

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.aus sich selbst weder Anfang noch Ende und sind an sich selbst außer der Zeit. In diesem Fall wird aber die Zeit nur eine Relation zwischen ihnen, und Dauer ist eine Anzahl von Relationen des Zeitlosen, die selber also, wie ich annehme, irgendwie so bezogen sind, ·daß sie eine Dauer bilden. Wie aber eine Relation eine Einheit sein soll, von der diese Verschiedenheiten ausgesagt werden können, ist, wie wir gesehen haben, unverständlich. Und wenn die Zeit keine Einheit sein kann, wird sie sofort aufgelöst. Aber warum ·sollte ich den Leser mit der detaillierten Entwicklung der unmöglichen Konsequenzen jeder Alternative ermüden? Wenn er das Prinzip verstanden hat, so steht er auf unserer Seite; sonst würde .das unsichere Argurnenturn ad hominem allzu sicher in das Argurnenturn ad nauseam übergehen. Ich will trotzdem ein Ergebnis, das aus einer Leugnung der Kontinuität der Zeit folgt, anführen. Zeit wird in diesem Fall irgendwie sich zwischen Zeitlosem abspielen, z. B. A-0-E. Aber das Maß der Veränderung ist nicht für alle Ereignisse gleichförmig, und ich nehme an, keiner wird behaupten, daß, wenn wir bei unseren bekannten Einheiten angelangt sind, dies der wirklichen und möglichen Schnelligkeit eine Grenze setzt. Wir wollen alsdann eine andere Reihe von Ereignissen annehmen, die als Ganzes genommen, in der Zeit mit A-0-E zusammenfällt, aber die 6 Einheiten enthält a-b-c-d-e-f. Entweder werden dann diese anderen Relationen (jene z. B. zwischen .a und b, c und d) zwischen A und 0, 0 und E fallen und was das bedeuten kann, weiß ich nicht; oder sonst wird der Übergang a zu b mit A zusammenfallen, das zeitlos ist und keine Möglichkeit zum Verlauf in sich enthält. Das widerspricht sich, so weit ich bemerken kann, gerade zu sich selbst. Ich möchte aber hinzufügen, daß diese ganze Frage weniger eine Sache für eine detaillierte Beweisführung als für das prinzipielle Verständnis ist. Ich zweifle, ob es jemanden .gibt, der dies erfaßt und dann nicht dies eine Hauptresultat erreicht hat. Aber es gibt zu viele bedeutende Schriftsteller, die ein einziger hier kaum kritisieren kann. Sie sind einfach nie zu diesem Verständnis gekommen. Wenn es daher in der Zeit, die wir gegenwärtig nennen, ein Ablaufen gibt, dann ist diese Zeit durch ein Dilemma zerrissen und zum Erscheinungsbereich verurteilt. Wenn aber das Gegenwärtige zeitlos ist, dann wartet unser eine andere Auflösung. Die Zeit will -die Relation von Gegenwart zu Vergangenheit und Zukunft sein; und die Relation ist, wie wir gesehen haben, mit Verschiedenheit ..oder Einheit nicht verträglich. Weiter, die nicht vorliegende Existenz von Zukunft und von Vergangenheit erscheint unbestimmt. Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Aber ohne jene geht die Zeit in dem endlosen Prozeß über sich selbst hinaus zugrunde. Die Einheit wird für immer ihre eigene Relation zu etwas Jenseitigem sein, zu etwas schließlich Unauffindbarem. Und dieser Prozeß wird ihr aufgezwungen durch seine zeitliche Form und auch durch die Kontinuität seines Inhaltes, der das Gegebene überschreitet. Die Zeit hat sich, wie der Raum, ganz evident als nicht real, sondern als eine widerspruchsvolle Erscheinung erwiesen. Ich werde im nächsten Kapitel diese Schlußfolgerung durch einige Bemerkungen über Veränderung verstärken und wiederholen.

5. Bewegung und Veränderung und ihre Wahrnehmung Es ist mir peinlich, daß dies Kapitel wird viel von der früheren Erörterung wiederholen müssen. Ich schreibe das nicht zu meinem eigenen Vergnügen, sondern als Versuch, den Leser zu bestärken. Wer überzeugt ist, daß Veränderung eine sich selbst widersprechende· Erscheinung ist, wird vielleicht gern zu etwas Interessanterem übergehen wollen. Bewegung ist seit früher Zeit streng kritisiert worden und si& ist niemals mit großem Erfolg verteidigt worden. Ich will kurz das. Prinzip darstellen, auf dem diese Kritiken beruhen. Bewegung bedeutet, daß das, was bewegt wird, an zwei Orten in einer Zeit ist,. und das scheint unmöglich. Daß Bewegung zwei Orte in sich begreift, ist klar; daß diese Orte sukzessiv sind, ist nicht weniger deutlich. Aber anderseits ist klar, daß der Vorgang Einheit haben muß. Das bewegte Ding muß eins sein; und auch die Zeit muß. eine sein. Wenn die Zeit nur viele Momente ohne eine Relation wäre, und nicht Teile eines einzigen, zeitlichen Ganzen, dann würde keine Bewegung vorgefunden werden. Wenn aber die Zeit eine ist, dann kann sie, wie wir gesehen haben, nicht auch viele Zeitmomente sein. Eine allgemeine "Erklärung" ist es, beide, den Raum und die Zeit in diskrete, korrespondierende Einheiten zu teilen und sie buchstäblich ad libitum zu nehmen. Der Verlauf wird in diesem Fall als irgendwie zwischen ihnen sich abspielend angenommen. Als eine theoretische Lösung ist dieser Ausweg kindisch. Größere Schnelligkeit wäre in diesem Falle ganz unmöglich; und ein Verlauf, der sich zwischen zeitlosen Einheiten abspielt, hat, wie wir gesehen haben, wirklich keinen Sinn. Wo nun die Einheit dieser Verläufe, die eine

5. Bewegung und Veränderung und ihre Wahrnehmung

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Dauer bilden, liegen soll, darüber werden wir natürlich nicht unterrichtet und könnten es auch nicht werden. Wie diese widerspruchsvolle Masse auf die Identität des. bewegten Körpers bezogen ist, ist wiederum unbegreiflich. Was klar wird, ist nur dies, daß Bewegung im Raum keine Lösung des Problems der Veränderung gibt. Es kommt beim Raum nur ein weiteres Detail hinzu, das kein Licht auf das Prinzip wirft. Aber anderseits macht es die Widersprüche der Veränderung noch handgreiflicher und zwingt allen außer den Gedankenlosen das Problem der Identität eines Dinges, das sich verändert hat, auf. Veränderung in der Zeit liegt aber mit allen ihren Widersprüchen der Bewegung im Raum zugrunde, und wenn diese nicht verteidigt werden kann, wird zugleich die Bewegung verurteilt. Das Problem der Veränderung liegt dem der Bewegung zugrunde, aber das :frühere ist selber nicht das :fundamentale. Es weist zurück auf das Dilemma des Einen und des Vielen, der Unterschiede und der Identität, der Adjektive und des Dinges, der Qualitäten und der Relationen. Wie etwas möglicherweise etwas anderes sein kann, war auch sonst eine Frage, die unsere Anstrengung herausforderte. Veränderung ist nur wenig mehr als ein Beispiel für dieses prinzipielle Dilemma. Sie fügt entweder eine irrelevante Verwicklung hinzu, oder verwirrt sich in einem vergeblichen V ersuch zum Kompromiß. Wir wollen nun, auf Kosten uns zu wiederholen, über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen suchen. Veränderung, das ist klar, muß Veränderung von etwas sein, und es ist ferner offenbar, daß sie eine Mannigfaltigkeit enthält. Darum sagt sie zwei von eins aus und so fällt sie zugleich unter die Verurteilung unserer vorausgehenden Kapitel. Aber sie versucht, sich durch folgende Unterscheidung zu halten: "Gewiß, zwei werden behauptet, aber nicht beide in einem; hier liegt eine Relation vor und dadurch werden die Einheit und Vielheit kombiniert." Aber unsere Kritik der Relationen hat diese Ausflucht vorderhand zerstört. Wir haben gesehen, daß, wenn ein Ganzes so in Relationen und Bezugspunkte zerbrochen wird, es sich selbst völlig widersprechend geworden ist. Du kannst mit Grund weder einen Teil von dem anderen Teil, noch irgendeinen, oder alle vom Ganzen aussagen. Und bei dem Versuch, diese Elemente zusammenzuhalten, begeht das Ganze Selbstmord und zerstört diese mit seinem eigenen Tod. Es hätte keinen Zweck, diese unerbittlichen Gesetze zu wiederholen. Wir wollen nur sehen, wie die Veränderung sich dadurch selbst verurteilt, daß sie in ihre Sphäre eingreifen. Irgend etwas, A, verändert sich und kann daher nicht dauernd 3*

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sein. Anderseits, wenn A nicht dauernd ist, was ist es da, das sich verändert? Es wird nicht mehr A sein, sondern etwas Anderes. Mit anderen Worten, befreit A von der zeitlichen Veränderung, so verändert es sich nicht. Aber läßt du Veränderung in ihm enthalten sein, dann wird es auf einmal A 11 A 2 , A 8 • Was wird dann aus A und seiner Veränderung? Denn wir sind doch bei irgend etwas Anderem stehen geblieben. Wir können das Problem auch so stellen: Die verschiedenen Stadien von A müssen innerhalb eines Moment existieren; und dennoch können sie es nicht, weil sie sukzessiv sind. Wir wollen zuerst A als zeitlos ansehen, in dem Sinn von außerhalb der Zeit. Hier muß das Nacheinander der Veränderung zu ihm gehören oder nicht. Was ist im vorigen Fall die Relation zwischen der Sukzession und A? Wenn es keine gibt, verändert sich A nicht. Wenn es eine gibt, zwingt sie unverständlicherweise A eine Teilung auf, die außerhalb seiner Natur liegt und unbegreiflich ist. Dann wird diese Verschiedenheit an sich nur das ungelöste Problem sein. Wenn wir die Veränderung nicht zugleich mit beseitigen wollen, dann haben wir, da wir in einer unbegreiflichen Relation zu dem zeitlosen A stehen, eine zeitliche Veränderung, die uns alle unsere alten ungelösten Schwierigkeiten darbietet. A muß als in die Zeitreihe fallend angesehen werden und dann wird die Frage sein, ob es Dauer erlangt hat oder nicht. Jede Alternative ist verhängnisvoll. Wenn die einheitliche Zeit, die für die Veränderung notwendig ist, eine einzelne Dauer meint, so ist das ein Selbstwiderspruch, denn keine Dauer ist einzelne Zeit. Diese Scheineinheit fällt in endlose Vielheit auseinander, in der sie verschwindet. Die Teile der Dauer, von denen ein jeder ein Vorher und Nachher enthält, zerteilen sich in sich selbst und werden nur Relationen von Dlusorischem. Und der Versuch, den Verlauf innerhalb der Relationen des Gesonderten zu lokalisieren, führt zu hoffnungslosen Absurditäten. Auf keinen Fall könnten wir die Vielheit dieser Relationen so verständlich vereinen, daß sie eine einzige Dauer bildeten. Kurz, wenn daher die zur Veränderung erforderliche Zeiteinheit eine Dauer bedeutet, so ist jene keine Zeiteinheit und dann gibt es keine Veränderung. Anderseits, wenn die Veränderung wirklich nur in einer Zeit stattfände, dann könnte sie überhaupt keine Veränderung sein. A muß eine Vielheit im Nacheinander haben und dennoch simultan sein. Das ist sicherlich ein offener Widerspruch. Wenn es keine Dauer gibt und die Zeit einfach ist, so ist es überhaupt keine Zeit. Von Verschiedenheit und von einem Nacheinander des Vor- und

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Nachher in diesem abstrakten Sinn zu sprechen, ist unmöglich, sobald wir nachdenken. In der Tat wäre die beste Entschuldigung für solch einen Satz die Ausrede, daß er sinnlos ist. Dann ist aber Veränderung auf Grund jeder Hypothese unmöglich. Sie kann nicht mehr als Erscheinung sein. Wir können wohl ihr wesentliches Merkmal wahrnehmen. Sie enthält die Notwendigkeit und die Unmöglichkeit, verschiedene Seiten zugleich zu vereinigen. Diese Verschiedenheiten entstanden plötzlich im Ganzen, das zuerst unmittelbar war. Wenn sie aber in ganzer Fiille aus ihm hervorbrechen, so werden sie zerstreut und zerstört; durch ihr Vorhandensein innerhalb des Ganzen wird dieses jedoch schon zerbrochen und sie ins Nichts auseinandergetrieben. Die Form der Relation im Allgemeinen und hier im Besonderen die Form der Zeit ist ein natürlicher Weg des Kompromisses. Sie ist keine Lösung der Widersprüche, und wir können sie vielleicht eine Methode, um jene zu suspendieren, nennen. Sie ist ein Kunstgriff, durch den wir nach beiden Seiten blind werden, um uns der Lage anzupassen; und das ganze Geheimnis besteht darin, daß wir die Seite, die wir nicht gebrauchen können, ignorieren. So ist erforderlich, daß A sich verändern muß; und deswegen müssen zwei unverträgliche Merkmale zugleich da sein. Es muß eine sukzessive V erschiedenheit geben und dennoch muß die Zeit eine sein. Das Nacheinander ist mit anderen Worten nicht wirklich sukzessiv, wenn es nicht gegenwärtig ist. Unser Kompromiß besteht darin, daß wir den Prozeß hauptsächlich von der Seite betrachten, die unserem Bedürfnis entspricht - und wir dabei die Feindlichkeit der anderen Seite ignorieren - d. h. sie nicht bemerken können oder es ablehnen. Wenn du einen Teil der Dauer für gegenwärtig und für einen einzigen zu halten wünschest, so schließest du deine Augen, oder sie sind gewissermaßen für die Unterscheidung blind und da du nur auf den Inhalt achtest, nimmst du jenen Teil als eine Einheit. Anderseits ist es leicht, jede Seite außer der Gesondertheit zu vergessen. Aber Veränderung als ein Ganzes besteht in der V erbindung dieser beiden Seiten. Sie hält beide zugleich zusammen, während der Nachdruck auf der einen liegt, die für den Moment bedeutsam ist, und während die Schwierigkeiten durch eine rasche Schiebung außer Sicht gehalten werden. Wenn wir daher behaupten, daß A sich verändert, meinen wir, daß das eine Ding verschieden zu verschiedenen Zeiten ist. Wir bringen diese Verschiedenheit in Relation zu der qualitativen Identität von A und alles scheint harmonisch. Wie wir natürlich wissen, wenigstens so weit wir es wissen, liegt hier eine Masse von Widersprüchen vor, aber das ist ja hier

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Erstes Buch: Erscheinung

nicht der Hauptpunkt. Die Hauptsache ist, daß wir bisher keine Veränderung von A erreicht haben. Die Identität eines Inhalts A in irgend ein er Art von Relation zu verschiedenen Momenten und zu varüerenden Zuständen ist - wenn es überhaupt etwas bedeutet - noch nicht das, was wir unter Veränderung verstehen. Daß das bloße Einssein einer Qualität die Einheit einer Dauer sein kann, wird schwerlich behauptet werden. Denn damit Veränderung überhaupt existieren, muß dieses Einssein in zeitlicher Relation zu der Verschiedenheit stehen. Mit anderen Worten, wenn der Pro z e ß s e l b er nicht ein einziger Zustand ist, sind die Momente nicht Teile von ihm; und ist es der Fall, so können sie nicht in der Zeit aufeinander bezogen werden. Auf der einen Seite bleibt A durch eine Periode einer Dauer hindurch A und wird insoweit als A nicht verändert. So betrachtet können wir sagen, daß seine Dauer bloß Gegenwart ist und keinen Verlauf enthält. Wenn aber dieselbe Dauer als das Nacheinander der veränderten Zustände von A betrachtet wird, besteht sie aus vielen Stücken. Anderseits betrachtet man drittens dieses ganze Nacheinander als eine Reihenfolge oder Periode, so wird es eine Einheit und ist auch gegenwärtig. "Durch die Reihung in der Gegenwart", so werden wir kühn sagen, "sind die Prozesse von A regelmäßige geworden. Ihr Größenmaßstab ist normiert und ihre Beschaffenheit ist für die Gegenwart identisch. Aber während des Verlaufes dieser einen Periode sind zahllose, sukzessive Verschiedenheiten in dem Stadium von B gegenwärtig gewesen und das zeitliche Zusammenfallen des sich nicht ändernden Reizes von B mit dem unversehrten Nacheinander der Veränderungen von A zeigt, daß wir in demselben Abschnitt entweder Bewegung oder Ruhe als vorhanden annehmen können." Das ist kaum eine Übertreibung, aber der Standpunkt zeigt ein handgreifliches Schwanken. Wir bewegen uns dabei mit Emphase und ohne Prinzip auf gesonderten Seiten und die ganze Vorstellung beruht wesentlich in diesem Oszillieren. Die Verschiedenheiten durch ein konsequentes Prinzip vereinen zu wollen mißlingt dabei völlig und das einzige dabei entdeckbare System ist das systematische Vermeiden der Konsequenz. Das einzelne Faktum wird abwechselnd von je einer Seite betrachtet, aber die Seiten werden nicht in ein begreifbares Ganze kombiniert. Und ich glaube, daß der Leser mir darin zustimmen wird, daß ihre konsequente V erbindung unmöglich ist. Das Problem der Veränderung bietet der Lösung so lange Trotz, bis sie nicht zu dem Rang einer bloßen Erscheinung degradiert wird.

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Ich will dies Kapitel mit einigen Bemerkungen über die Wahr·nehmung der Sukzession oder besser über eines ihrer Hauptmerkmale beenden. Ich will dies nur im Interesse der Metaphysik berühren und meine psychologischen Anschauungen für eine andere -Gelegenheit reservieren. Die besten Psychologen stimmen, soweit ich sie kenne, darin überein, daß für diese Wahrnehmung' eine Art von Einheit nötig ist. Sie sehen, daß ohne eine Identität, auf die alle ihre Glieder bezogen sind, eine Reihe nicht ein e und daher keine Reihe ist. Faktisch ist derjenige, der die Einheit leugnet, nur dadurch dazu fähig, weil er sie versteckt aus seinem eigenen unreflektierten Geist ergänzt. Ich werde diese allgemeine Lehre als feststehend zu betrachten wagen und werde zu dem Punkt übergehen, an dem meiner Meinung nach die Metaphysik auch fernerhin interessiert ist. Es sei angenommen, daß die Sukzession oder hier besser die wahr genommene Sukzession, auf eine Einheit bezogen sei, so erhebt sich allgemein und in jedem Fall die Frage nach der Natur dieser Einheit. Die Frage ist schwierig und psychologisch interessierend zugleich, aber ich muß mich auf kurze Bemerkungen beschränken, die an dieser Stelle angebracht scheinen. Nicht selten trifft man die Ansicht an, daß die Einheit zeitlos ist oder daß sie auf irgendeine Weise keine Dauer hat. Anderseits hat sie vermutlich einen Zeitpunkt, wenn nicht einen Ort in der allgemeinen Reihe der Phänomene und ist in diesem Sinne ein Geschehnis. Ich verstehe, daß die Sukzession irgendwie in einem unteilbaren Moment - d. h. ohne einen Zeitverlauf-erfaßt und daß sie so weit buchstäblich simultan sein muß. Jede solche Lehre scheint mir verhängnisvollen Einwendungen die Tür zu öffnen, von denen ich einige feststellen will : 1. Der erste Einwand gilt nur einigen bestimmten Autoren. Wenn der zeitlose Akt eine Relation enthält und wenn die letztere relativ zu einer realen Einheit sein muß, so scheint das Problem der Sukzession wiederum endlos inmitten dieser zeitlosen Einheit auszubrechen. 2. Jene aber, die die Prämissen des ersten Einwandes leugnen würden, können aufgefordert werden, sich selbst zu anderen Punkten zu äußern. Der Akt hat keine Dauer, ist aber ein psychisches Geschehen, d. h. er hat einen bestimmbaren Ort in der Geschichte. Wenn er letzteren nicht besitzt, wie ist er dann zu meiner Wahrnehmung bezogen? Wenn er aber ein Geschehnis mit einem Vor und Nach in der Zeit ist, wie kann er keine Dauer haben? Er €reignet sich in der Zeit, nimmt aber keine Zeit in Anspruch, oder

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er findet nicht in der Zeit statt, obwohl er zu einem gegebenen Zeitpunkt sich ereignet. Das sieht nicht nach einem Grund für etwas Reales aus, sondern es ist eine handgreifliche Abstraktion, wie Länge ohne Breite. Wenn es nur ein Weg ist, um das Problem klarzustellen - nämlich, daß von einem gewissen Gesichtspunkt aus die Sukzession keine Dauer hat - so scheint es ein schlechter W egr das festzustellen. Wenn es mehr meint, so ist sein Sinn ganz unbegreiflich. 3. Es ist um so deutlicher so, da ihr Inhalt sicherlich sukzessiv ist, denn sie besitzt ja die Unterscheidung von nach und vor. Diese Unterscheidung ist ein Faktum, dann ist auch der psychische V erlauf ein Faktum; und alsdann gerät dies Faktum in offnen Widerspruch mit der zeitlosen Einheit. Und zu behaupten, daß die Sukzession gewöhnlich ideell ist - sie sei nur Inhalt und kein psychisches Faktum - würde ein kläglicher V ersuch, ein großes Prinzip zu mißbrauchen, sein. Es ist nicht ganz wahr, daß "Vorstellungen nicht sind, was sie meinen", denn wenn ihr Sinn nicht psychisches Faktum ist, so möchte ich gern wissen, wie und wo er existiert. Die Frage ist, ob eine Sukzession in irgendeinem Sinn im Geist ohne eine aktuelle Sukzession, die in die wirkliche Wahrnehmung eingeht, auftreten kann. Wenn du keinen V erlauf meinst, dann hast du deinen Streitpunkt aufgegeben. Meinst du aber einen solchen, wie kann er dann, außer in einer Art von aktuellem psychischen Übergang dir ideell zum Bewußtsein kommen? Ich weiß darauf keine verständliche Antwort und ich schließe daraus, daß das bei dieser Wahrnehmung Beobachtete eine aktuelle Sukzession ist;. und daher muß die Wahrnehmung selber irgendeine Dauer haben. 4. Wenn sie keine Dauer hat, dann sehe ich nicht, wie sie auf das Vor und Nach der wahrgenommenen Zeit bezogen wird, und deren Sukzession scheint mit all ihren ungelösten Problemen sich außerhalb von ihr abzuspielen (vgL Nr. 1). 5. Schließlich, wenn wir eines von diesen Geschehnissen ohne· Dauer haben könnten, so könnten wir sicherlich deren viele in der· Sukzession, sämtlich auch ohne Dauer, antreffen. Ich weiß nicht, wie die absurden Konsequenzen, die daraus folgen, vermieden oder abgestellt werden könnten. Kurz, diese Schöpfung ist ein Monstrum. Sie ist keine brauchbare Fiktion, die um ihrer Leistung willen aufrecht erhalten würde, denn gleich den meisten anderen Monstra ist sie tatsächlich unfruchtbar. Sie ist zwecklos und schädlich zugleich, da sie die Aufmerksamkeit von der Antwort auf ihr Problem abgelenkt hat.

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Dies wird dem Leser, der unserer metaphysischen Diskussion gefolgt ist, denke ich, deutlich sein. Wir fanden, daß Sukzession beides erforderte, Verschiedenheit und Einheit. Diese konnten in verständlicher Form nicht vereinigt werden und ihre Verbindung war eine bloße Vereinigung, die abwechselnd ihren Nachdruck auf die eine oder andere Seite legte. Und so ist die zeitlose Einheit auch psychisch ein Stück der Dauer, das a 1s sukzessiv nicht erfahren wird. Sicherlich ist jedes Psychische ein Geschehen und enthält tatsächlich einen Verlauf; aber so weit, wie du davon keinen Gebrauch machst oder keine Notiz davon nimmst, ist er für dich und den vorliegenden Zweck nicht da. Mit anderen Worten, es gibt eine Permanenz in der Wahrnehmung der Veränderung, die gerade durch die Sukzession hindurch geht und sie zusammenhält: die Permanenz. kann dies tun, weil sie einerseits Dauer in Anspruch nimmt und ihrem Wesen nach unbegrenzt teilbar ist. Anderseits ist sie eine, S(} weit wie sie von diesem Standpunkt aqs betrachtet, gefühlt und angewandt wird und unwandelbar. Und die speziellen konkreten Identitäten, die auf diese weise wechseln und auch nicht wechseln, sind der Schlüssel zu den besonderen Sukzessionen, die wahrgenommen werden. Gegenwart ist nicht absolute Zeitlosigkeit, sie ist irgendein Stück Dauer, soweit wie diese in einer identischen Hintsicht betrachtet oder gefühlt wird. Das bloß relative Fehlen des Verlaufs ist in die absolute zeitlose Monstrosität verkehrt worden, die wir soeben zu verurteilen uns erkühnten. Es ist eine Sache für sich zu untersuchen, wie eine bestimmte Form unserer Zeitwahrnehmung möglich ist; eine ganz andere aber ist es, zugegeben, daß diese Form, wie sie sich darstellt, die Wahrheit über die Realität offenbart. Das ist, wie wir erkannt haben~ unmöglich. Wir sind gezwungen zu behaupten, daß A kontinuierlich und diskret zugleich und auch sukzessiv und gegenwärtig zugleich sei. Und unsere Praxis, es bald als eins in einer gewissen Hinsicht, und bald wiederum als vieles in anderer Hinsicht anzusehen, zeigt nur, was wir für eine Praxis üben. Das Problem fordert von uns eine Antwort darauf, wie denn diese Hin- und Rücksichten widerspruchslos in dem einen Ding vereinigt werden können, entweder außerhalb unseres Bewußtseins oder in ihm - das macht keine Unterschiede. Wenn wir, wie es der Fall sein wird, diese Formen nicht zusammenbringen können, dann haben wir das Problem nicht gelöst. Wenn es nicht gelöst wird, dann bleiben Veränderung und Bewegung innerlich unvereinbar und haben sich als Erscheinung herausgestellt. Wenn wir als eine letzte Zuflucht die Ausdrücke "potentiell" und "aktuell" anwenden und mit ihrer Hilfe Harmonie

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zu erreichen streben, so werden wir damit die Sache lassen, wie sie ist. Wir meinen mit diesen beiden Ausdrücken, daß das Ding ist und daß es dennoch nicht ist und daß wir je nach unserem eigenen Zweck diese Unversöhnlichen als verbunden zu betrachten uns die Freiheit nehmen. Aber das ist nur eine andere, vielleicht höflichere Form des Eingeständnisses, daß das Problem unlösbar ist. In dem nächsten Kapitel müssen wir die gleichen Schwierigkeiten ein wenig weiter in eine andere Anwendung hinein verfolgen.

6. Kausalität Der Inhalt dieses Kapitels soll erstens nur den Hauptwiderspruch in der Kausalität auseinandersetzen und zweitens ein Hindernis klarlegen, das aus der Kontinuität der Zeit stammt. Einige andere Seiten des Hauptproblems werden in späteren Kapiteln betrachtet werden. 1) Wir können die Ursache als einen Versuch zur rationalen Begründung der Veränderung ansehen. A wird B und dieser Wechsel wird als nicht mit A verträglich empfunden. Bloßes A würde immer bloßes A sein und wenn es sich zu etwas davon Verschiedenem wandelt, dann handelt es sich um irgend etwas anderes. Mit anderen Worten, es muß hier ein Grund zur Veränderung vorhanden sein. Aber das Bemühen, einen hinreichenden Grund finden, ist fruchtlos. Wir haben gesehen, daß A nicht B ist und auch keine Relation zu B. "Gefolgt von B", "sich in AB verändernd" sind nicht dieselben Dinge wie B; und wir konnten keinen Weg, diese mit A zu verbinden, der mehr als Erscheinung sein könnte, entdecken. Bei der Kausalität müssen wir nun eine neue Schwierigkeit bei der Kombination beachten und deren Wesen ist sehr einfach. Wenn "A wird B" ein Selbstwiderspruch ist dann füge etwas zu A hinzu, das die Last teilen wird. In "A C wird B" können wir vielleicht Hilfe finden. Aber theoretisch betrachtet ist diese Hilfe eine Masse von Widersprüchen. Es würde eine undankbare Aufgabe sein, diese im Detail auseinanderzusetzen, denn die Wurzel der Sache kann sogleich festgestellt werden. Wenn die Wirkungsreihe von der Ursache sich unterscheidet, wie kann dann die Zurechnung dieser Verschiedenheit rational aufrecht erhalten werden? Wenn sie anderseits nicht verschieden ist, dann gibt es keine Kausalität und ihre Behauptung

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I) Ich habe das Kausalitätsgesetz in Kapitel 23 gestreift.

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ist eine Farce. Vor diesem fundamentalen Dilemma gibt es kein Entrinnen. Wir haben an der Ursache nur ein neues Beispiel des prinzipienlosen Kompromisses, einen anderen Fall für einen reinen Lückenbüßer. Und er zeigt seine Natur bald. Die Ursache war nicht 0; bloßes A; das wäre allzu unerträglich. Die Ursache war A diese Verbindung erscheint aber sinnlos, angesichts unseres Resultates betreff der Natur der Relationen (Kap. 3); durch jenes Ergebnis ist sie schon völlig unterminiert und ruiniert worden. Wir wollen nun aber sehen, wie sie an ihre Aufgabe zu gehen vorschlägt. In "A 0 gefolgt von B" bildet die Hinzufügung von 0 einen Unterschied zu A oder keinen. Wir wollen zuerst annehmen, daß sie einen Unterschied zu A bildet. Dann ist aber A bereits verändert worden; und dann bricht das Problem der Kausalität eben innerhalb der Ursache aus. A und 0 wird A 0, und die alte Verwirrung beginnt auf die Art, daß A und 0 anders wurden wie sie sind. Wir sind hier mit A beschäftigt, aber bei 0 liegt natürlich dieselbe Schwierigkeit vor. Wir müssen uns daher selbst korrigieren D A 0 und sagen, daß nicht A und 0 nur, sondern A und 0 werden und damit B. Wir bemerken aber hier sogleich, daß wir in ein endloses Rückschreiten innerhalb der Ursache geraten sind. Wenn die Ursache Ursache sein soll, dann gibt es irgendeinen Erkenntnisgrund für ihr So-sein und so ins Unendliche. Oder nehmen wir die andere Alternative an. Wir wollen kühn 0, das die Ursache für B ist, ihre Relation behaupten, daß in A keine Verschiedenheit, weder zu A noch zu 0, bildet und dennoch für die Wirkung von Einfluß ist. Obwohl die Verbindung keine Verschiedenheit bildet, so rechtfertigt sie offensichtlich unsere Zuweisung zu der Ursache der Verschiedenheit, die durch die Wirkung ausgedrückt ist. Aber (um zuerst die Ursache zu behandeln) eine 'Solche Verbindung von Elementen ist von uns als ganz unverständlich aufgezeigt worden (Kap. 3). Auf die Begründung, daß dies nur unsere persönliche Methode sei, ist die Antwort zweifach. Wenn es nur unsere Methode ist, dann betrifft sie entweder das Ding überhaupt nicht, oder sonst wird zugegeben, daß sie nur ein praktischer Notbehelf sei. Wenn es anderseits eine Methode unserer Freunde, für den Gegenstand, den wir rechtfertigen möchten, ist, dann zeigt bitte die Rechtfertigung. Diese kann aber nur in der Form des Nachweises erfolgen, daß unser Denken konsequent sei. Anderseits schien früher der einzige Grund für unser Zögern, unsere Ansicht der Wirklichkeit zuzuschreiben, in dem Faktum zu liegen, daß unsere Ansicht nicht konsequent war. Aber dann sollte sie doch

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sicherlich nicht unsere Ansicht sein. Gehen wir zur Wirkung über~ so gilt hier dieselbe Überlegung. Die Aufeinanderfolge einer V erschiedenheit bleibt immer noch völlig irrational. Und, wenn wir hier versuchen, diesen Unterschied auf uns selber zu nehmen und zu behaupten, daß er nicht an den Gegenstand heranreicht, sondern nur zu up.serem Gesichtspunkt gehört, dann ergibt sich dasselbe Resultat. Denn, was ist dies anderes wie eine Art höflichen Eingeständnisses, daß es in der Realität keine Verschiedenheit und keine Kausalität gibt und daß wir, kurz gesagt, alle darin übereinstimmen, in der Kausalität nur einen HiHsbegriH und eine Erscheinung zu sehen ? Soweit sind wir einig, aber in unseren weiteren Folgerungen unterscheiden wir uns. Denn ich kann kein Verdienst in einer Haltung erblicken, die jeden Mangel der Theorie kombiniert. Sie muß zugeben, daß die reale Welt nackt und leer bleibt, so lange sie nicht den Anspruch erheben kann, das Reich der Existenz in sich zu tragen und als ihr zugehörig zu erweisen. Jede Partei wird ausgeplündert und beide Parteien werden an den Bettelstab gebracht. Das einzig positive Resultat, daß sich aus unserer Bemühung um die Rechtfertigung der Kausalität ergeben hat, scheint die Unmöglichkeit zu sein, Ursache oder Wirkung zu isolieren. Bei dem Streben, eine haltbare Aussage zu finden, mußten wir über die Verbindung, wie wir sie zuerst feststellten, hinausgehen. Die Ursache A weicht nicht nur rückwärts in die Zeit zurück, sondern sie versucht auch seitwärts mehr und mehr von Existenz zu gewinnen. Wir möchten der Ansicht zuneigen, daß wir, um eine reale Ursache zu finden, den ganzen Zustand der Welt gerade in einem Moment erfassen müßten, wie dieser in einen anderen ebenso vollständigen übergeht. D. h. die einzelnen Kausalfäden scheinen immer die· Wirksamkeit eines Hintergrundes einzuschließen. Dieser Hintergrund mag, wenn wir urteilen, praktisch irrelevant sein. Er kann praktisch· irrelevant sein, nicht, weil er immer zwecklos ist, sondern weil er öfters identisch ist und daher keine s p e z i e 11 e Verschiedenheit herausbildet. Die gesonderten Ursachen sind daher gesetzmäßige Abstraktionen und sie enthalten genug Wahrheit, um praktisch zulässig zu seiq. Aber es muß hinzugefügt werden, daß wir, wenn wir Wahrheit in einem strengen Sinn brauchen, uns auf einen einzigen vollständigen Zustand der Welt beschränken müssen. Dieser wird die Ursache, und der nächst vollständige Zustand die Wirkung sein. Es ist sehr viel Wahres an diesem Schluß, aber er bleibt unhaltbar. Diese Tendenz der isolierten Ursache, über sich selbst hinauszugehen, kann nicht befriedigt werden, solange wir die rationale Form als für die Kausalität wesentlich festhalten. Wir können uns.

6. Kausalität

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meiner Meinung nach davon leicht überzeugen. Denn erstens ist -ein vollständiger Zustand der Existenz als ein Ganzes in irgendeinem -einzigen Moment völlig unmöglich. Jeder Zustand muß durch seinen Inhalt in einem unendlichen Rückwärtsschreiten über sich selbst hinausgehen. Die Relationen und Qualitäten, aus denen er zusammengesetzt ist, werden sich, gerade wenn du an dem Moment festhälst, unaufhörlich von sich selber abrücken und sich in einer endlosen Verzweigung zurück beziehen. So kann der notwendige Gesamtzustand nicht erreicht werden. Zweitens gibt es einen Einwand, der ebenso fatal ist. Selbst wenn wir eine einzige durch sich selbst verstandene Lage der übrigen vorausgehenden Welt haben könnten, so wäre die Relation der beiden immer noch irrational. Wir sagen etwas von etwas anderem aus; wir müssen B von A aussagen, oder sonst ein Folgeglied von A, oder sonst die einzige Relation von beiden. Können wir aber in diesen Fällen oder in irgendeinem Es ist die alte V eranderen Fall unsere Aussage verteidigen wirrung, wie, wenn wir die Zuweisung zu rechtfertigen hätten, die wir vollziehen, wenn wir einem Subjekt etwas anderes als es selbst ist und was das Subjekt nicht ist, zuschreiben. Wenn "gefolgt von B" nicht das Wesen von A ist, dann rechtfertige deine Aussage. Wenn es wesentlich zu A gehört, dann rechtfertige erstens, daß du A ohne dies nimmst, und zeige zweitens, wie mit einer solchen inkongruenten Natur A sich als etwas anderes als eine unreale Erscheinung ergeben kann. Wir können uns bei diesem Punkt vielleicht einbilden, daß ein Ausgangstor offen steht. Wie wird es sein, wenn wir auf die Identität von Ursache und Wirkung zurück kommen, da ja die Verschiedenheit die Quelle unserer Verwirrung ist. Das gleiche Wesen der Welt, das in unveränderter Selbsterhaltung von Moment zu Moment fortbesteht und das die Verschiedenheit überragt, vielleicht ist das die Lösung? Vielleicht, aber, was ist dann mit der Kausalität geschehen? Soweit ich imstande bin sie zu begreifen, besteht gerade sie in den Verschiedenheiten und in deren Aufeinanderfolge in der Zeit. Reine Identität, wie bedeutsam sie auch sein mag, ist ausdrücklich keine Relation von Ursache und Wirkung. Entweder müßtest du dann noch einmal die Aufgabe aufnehmen, die V erschiedenheit mit der Einheit auf begreifliche Weise zu versöhnen und dies Problem ist, soweit es sich gezeigt hat, eigensinnig. Oder du bist mit uns beim gleichen Schluß angekommen. Du hast zugegeben, daß Ursache und Wirkung eine irrationale Erscheinung sind und nicht Realität sein können.

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Ich will hier eine an sich überflüssige Schwierigkeit hinzufügen, die aus der Kontinuität der kausalen Veränderung stammt. Ihre Sukzession muß einerseits absolut ohne Pause sein, während sie es andererseits nicht sein kann. Dies Dilemma ist auf keinem neuen Prinzip basiert, sondern ist eine bloße Anwendung des unlösbaren Problems der Dauer. Der Leser, den es nicht fesselt, mag es übergehen. Für unsere W abrnehmung ist Veränderung eigentlich nicht kontinuierlich. Sie kann es nicht sein, da es Dauerndes gibt, das uns nicht als solches erscheint; und wie unsere Fähigkeiten auch immer verbessert werden mögen, es muß immer einen Punkt geben, bei dem sie würden überschritten werden. Anderseits von unserer Sukzession als von etwas eigentlich Geteiltem zu sprechen, scheint ganz unhaltbar. Es ist in der Tat weder das eine noch das andere. Ich setze voraus, daß das, was wir bemerken, Geschehnisse mit eingeschalteten Zeiträumen zwischen ihnen sind, was das auch bedeuten mag. Wenn wir aber andererseits Stücke der Dauer wie Ganzheiten behandeln, die Teile und sogar eine variable Ungleichheit von Teilen enthalten, so taucht der andere Gesichtspunkt auf. Schließlich zwingt uns die Reflexion zur Bemerkung, daß jede V eränderung, wie sie auch sonst immer uns erscheinen mag, wirklich kontinuierlich sein muß. Dieser Schluß kann nicht bedeuten, daß jemals kein Stadium einen Moment dauern kann. Denn ohne irgendeine Dauer des Identischen hätten wir ein sinnloses Chaos, oder besser, nicht einmal das. Zustände können, wie wir gesehen haben, so lange dauern, wie wir abstrahieren. Wir nehmen einen Teilzustand oder eine Seite eines Zustandes, die sich in sich nicht verändert. Wir heften ein Auge auf diese, während wir, ohne Furcht vor einem Prinzip, das andere auf die Sukzession werfen, die mit ihm gebt uud so simultan genannt wird. Auf diesem Wege lösen wir praktisch das Problem der Dauer. Wir haben dauernde Hinsichten, A, B, 0, eine hinter der andern. Neben diesen läuft ein Strom von ununterbrochen untergeteilten Veränderungen her. Dieser fährt fort sich zu verändern und verändert in einem gewissen Sinne A, B, 0, während sie in anderem Sinn unveränderte Stücke der Dauer sind. Sie verändern sich in sich nicht, sondern in Relation zu anderen Veränderungen sind sie in einem konstanten inneren V erlauf. Wenn diese anderen Veränderungen einen gewissen Punkt der Umwandlung erreicht haben, dann geht A in B und später B in 0 über. Das ist meiner Ansicht nach der eigentliche Weg, wenn wir die Kausalität als kontinuierlich ansehen. Wir können vielleicht folgende Figur anwenden:

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------------1---------

A

B

0

/1~ /1~ /I~ A-A-A-B-B-B-0-0-0 I

I

I

I

I

I

I

I

I

e-~-~-3-t-x-1-~-v

Hier ist A, B, 0 die Kausalsukzession dauernder Zustände. Die· griechischen Buchstaben stellen einen Strom von anderen Geschehnissen dar, die ein wirklich bestimmendes Element im Nacheinander von A, B, 0 sind. Wir verstehen auf einmal, wie A, B und 0 beides tun, sich verändern und sich nicht verändern. Die griechischen Buchstaben stellen aber vielmehr dar, was nicht geschildert werden kann. Erstens gibt es in einem gegebenen Moment deren eine unbestimmte Zahl; und zweitens sind sie selbst Stücke der Dauer, die sich in der gleichen Schwierigkeit wie A, B, 0 befinden. Jedes fällt mit jedem zusammen und muß doch ein Nacheinander von Geschehnissen sein, das sich der Leser auf irgendeine Weise, wie es. ihm beliebt, vorstellen mag. Nur mag er sich erinnern, daß diese Geschehnisse mit Hilfe von noch kleineren Einheiten unbegrenzt geteilt werden müssen. Er muß so weit gehen, bis er keine mehr teilbaren Teile erreicht. Und wenn wir annehmen wollen, daß er solche erreichen könnte, so würde er finden, daß die Kausalität zugleich mit diesem seinem Erfolg verschwunden ist. Ich denke, daß nunmehr das Dilemma dargelegt werden kann. a) Kausalität muß kontinuierlich sein. Denn, nimm an, es sei nicht so. Du würdest dann einen festen Ausschnitt aus dem Geschehensstrom herausnehmen können, fest in dem Sinn, daß erkeine Veränderung enthielte. Ich meine nicht nur, daß du eine Linie ohne Breite quer über den Strom ziehen könntest und finden könntest, daß diese Abstraktion keine Veränderung durchschneidet. Ich meine, daß du einen Abschnitt wegnehmen könntest und daß dieser Abschnitt keine Veränderung darin haben würde. Aber jeder solcher Abschnitt, der teilbar ist, muß Dauer haben. Wenn dem so ist, so würdest du irgendwie deine Ursache haben, die durch eine gewisse Zahl von Momenten unverändert dauert und dann plötzlich sich verwandelt. Dies ist offensichtlich unmöglich; denn was könnte sie denn verändert haben? Nichts anderes, denn du hast ja den

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ganzen Verlauf der Geschehnisse genommen. Und wiederum die Ur:sache selber nicht, denn du hast sie ja gerade ohne eine V eränderung bekommen. Kurz, wenn die Ursache auch nur für das kleinste Stück der Dauer unverändert fortbestehen kann, dann muß sie es iür immer. Sie kann nicht in Wirkung übergehen und daher ist €S überhaupt keine Ursache. Anderseits b) Kau s a 1i t ä t kann nicht kontinuierlich sein. Denn das würde bedeuten, daß die Ursache ganz ohne Dauer wäre. Sie würde niemals sie selber sein, ausgenommen in der Zeit, die durch eine Linie quer durch die Sukzession festgelegt wird. Da diese Zeit keine Zeit ist, sondern eine bloße Abstraktion, wird auch die Ursache selber nichts Besseres sein. Sie ist unreal, ein Unwesen, und die ganze Sukzession der Welt wird aus solchen Unwesen bestehen. Das ist aber dasselbe .als wollte man annehmen, daß feste Dinge aus Punkten, Linien und Flächen gebildet sind. Das mögen für einige Zwecke praktische Fiktionen sein, aber es bleiben immer Fiktionen. Die Ursache muß -ein reales Geschehen sein, jedoch gibt es kein Bruchstück von Zeit, in dem sie real sein kann. Kausalität ist daher nicht kontinuierlich und damit unglücklicherweise keine Kausalität, sondern nur Erscheinung. Der Leser wird auf einmal verstehen, warum wir hier die alte Schwierigkeit betreff der Zeit wiederholt haben. Zeit muß, wie wir sahen, aus Stücken gebildet werden und kann es doch nicht. Auch wird er vielleicht nicht darüber traurig sein, daß diese Seiten ein Ende erreicht haben, auf denen ich ihn mit Kontinuität und Ge:sondertheit ermüden mußte. Im nächsten Kapitel kommen wir zu €inem etwas andersgearteten Stoff.

7. Aktivität Wenn Rich die Frage erhebt, ob Aktivität real oder nur Erscheinung ist, so kann ich möglicherweise auf die Behauptung stoßen, daß sie ursprünglich Letztes und einfach sei. Es genügt mir, daß diese Behauptung unkorrekt, ja sogar völlig unbegründet ist, aber ich will sie hier lieber als nur irrelevant behandeln. Wenn die Bedeutung der Aktivität keiner Prüfung stand hält, und es ihr nicht gelingt, sich selber verständlich zu machen, dann kann dieser Sinn .als solcher nicht von der Realität gelten. Keine Herleitung aus einem Ursprung oder das Fehlen einer solchen könnte uns schützen, wenn wir Unsinn behaupten. Und wenn man mir sagt, daß die Aktivität, da sie einfach ist, keine Bedeutung hat, dann scheint sie eine Qualität wie eine unserer Empfindungen oder Lustgefühle zu sein und

7. Aktivität

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dann haben wir sie schon behandelt. Oder man mag mir vielleicht antworten : Nein, sie ist nicht einfach in diesem Sinne, ist aber dennoch, genau genommen, auch nicht zusammengesetzt. Sie enthält irgendwie eine Mannigfaltigkeit und wird mit jenem Merkmal gegeben. Daher mag ihr Begriff unhaltbar sein, während sie selber real ist. Aber die Aufgabe der Metaphysik ist doch sicherlich das Begreifen; wenn etwas so ist, daß es, wenn es gedacht und nicht nur gefühlt wird, in unseren Händen in Stücke geht, so können wir nur ein Urteil darüber fällen. Entweder ist sein Wesen sinnlos, oder wir haben falsche Vorstellungen davon. Wer diese letzte Alternative behauptet, sollte uns dann mit den richtigen Vorstellungen aufwarten - was, ich brauche es nicht erst zu sagen, ihm wohl schwer fallen dürfte. Aber wir wollen uns vor diesen armseligen Ausflüchten selber in acht nehmen und uns den Tatsachen zuwenden. Wenn wir die Form prüfen, in der der Begriff Aktivität angewandt wird, so ist das Ergebnis nicht zweifelhaft. Kraft, Energie, Macht, Aktivität, alle diese Ausdrücke werden allzuoft ohne klares Verständnis gebraucht. Ein rational denkender Mensch wendet sie aber nur an, um eine Sinngruppe mitzuteilen, die man klar machen und .der Analyse unterwerfen kann. Wenn sie keine genaue Prüfung vertragen kann, dann stellt sie sicherlich keine Realität dar. In einem Sinn unterscheiden sich aber die Wort Macht, Kraft {)der Energie von Aktivität. Sie können angewandt werden, um etwas zu kennzeichnen, das überhaupt nicht geschieht, sondern irgendwie in einem Scheintodzustand verharrt oder in einer Region zwischen Nicht-Existenz und Existenz. Ich halte das nicht wert, jetzt zu diskutieren, sondern gehe bald zu der Bezeichnung über, in der Kraft "Kraft in Tätigkeit" bedeutet - mit anderen Worten Aktivität. Das Element, das bei dieser Bedeutung auf einmal zutage kommt, heißt Sukzession und Veränderung. In jeder Aktivität wird sichtbar irgendetwas etwas Anderes. Aktivität schließt ein Geschehen und einen Verlauf in der Zeit in sich. Wenn ich von dieser Bedeutung sagte, daß sie ans Licht käme, so möchte ich hinzugefügt haben, -daß sie uns tatsächlich positiv in die Augen springt und nicht verborgen bleiben kann. Um es offen zu sagen, ich weiß nicht, wie ich dieses Problem erörtern soll. Ich habe niemals eine Verwendung des Begriffs gefunden, die für mein Gefühl ihren Sinn behielte, wenn man die Zeitreihe daraus entfernte. Wir können natürlich von einer anhaltenden Kraft sprechen oder von einer, die Wirkungen hervorbringt, die ihr untergeordnet und dennoch nicht zeitlich später sind ; aber so sprechen heißt nicht denken. Wenn man nicht die ~olge unseres Gedankens von der Kraft zu ihren Manifestationen Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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auch auf das Faktum als einer Sukzession überträgt, ist der Sinn weg. Wir sind dann bei reiner Koexistenz und der Abhängigkeit des Adjektivs von einem Substantiv oder von zwei Adjektiven. von einem anderen und von der Substanz, zu der sie gehören, stehengeblieben. Ich glaube nicht, daß jemand, wofern er nicht durch. eine Theorie beeinflußt ist und in ihrem Dienste steht, die Sache anders zu sehen versuchen würde. Und ich fürchte, daß ich es. dabei belassen muß. Aktivität schließt die Veränderung von etwas in ein davon V erschieden es in sich. So viel ist, denke ich, klar; aber Aktivität ist keine reine ursachlose Veränderung. Wie wir faktisch gesehen· haben, ist das in der Realität gar nicht verständlich. Denn damit Ab zu Ac wird, wird irgend etwas Anderes neben Ab als notwendig. empfunden, oder sonst sitzen wir mit einem offenbaren Selbst-Widerspruch da. Daher ist also im Übergang der Aktivität immer eineUrsache enthalten. Aktivität ist verursachte Veränderung, aber sie muß ebenso mehr sein. Denn etwas, das durch etwas Anderes verändert wird, gilt gewöhnlich nicht als aktiv, sondern im Gegenteil als passiv,.. Aktivität scheint vielleicht aus sich selbst verursachte Veränderung zu sein. Ein Übergangsstadium, das bei dem Ding selber beginnt und aus ihm selber stammt, das ist der Vorgang, den wir als aktiv erleben. Das Ergebnis muß natürlich dem Ding als sein Adjektiv zugeschrieben werden, es muß so betrachtet werden, als ob es nicht nur zum Ding gehört, sondern als ob es in ihm begönne und aus ihm stammte. Wenn ein Ding sein eigenes Wesen an den Tag bringt, nennen wir es aktiv. Aber wir merken wohl, oder können es doch wohl wissen, daß, wir hier metaphorisch bleiben. Diese V ergleiehe können nicht ganz meinen, was sie sagen, und was sie mitteilen, ist noch immer zweifelhaft. Es scheint etwa dieser Art zu sein: Das Ende des Prozesses, das Ergebnis oder die Wirkung scheint ein Teil von dem Ding, das wir bei Beginn hatten. Es ist nicht nur nicht von außen hinzugefügt worden, sondern es darf überhaupt kaum für eine Addition angesehen werden. So weit mindestens das Ziel als die Aktivität des Dinges betrachtet wird, wird sie als der Charakter des Dinges vom ersten bis zum letzten Punkt angesehen. So war es irgendwie,. bevor es ablief. Es existierte nicht und dennoch war es trotz alledem auf eine Weise da und so wurde es. Wir sollten vielleicht sagen, daß die Natur des Dinges, die ideell war, sich selber realisierte und daß wir diesen Prozeß mit Aktivität meinen. Die Vorstellung braucht nicht eine Vorstellung im Geist unseres Dinges zu

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7. ..tfktivität

sein. Denn das Ding hat vielleicht keinen Geist und so kann es auch nicht das haben, was auf Willen hinauslaufen würde. Andererseits ist die Vorstellung in dem Ding nicht bloß eine Vorstellung in unserer Seele, die wir bloß über das Ding haben. Wir sind dessen sicher, und unsere Ansicht spielt sich zwischen diesen Extremen ab. Wo sie aber genau hinfällt und worin sie exakt besteht, scheint einstweilen noch fern von jeder Klarheit. Wir wollen aber auf irgendeinem Wege weiter vorwärts zu kommen suchen. Passivität scheint Aktivität in sich zu schließen. Sie ist die Veränderung des Dinges, bei der natürlich das Ding erhalten bleibt und eine neue Eigenschaft erwirbt. Diese Eigenschaft besaß das Ding vor der Veränderung noch nicht. Sie gehört daher nicht zu seiner Natur, sondern ist von außen her eingeführt. Sie entspringt aus einem anderen Ding, das aktiv ist, und ist dessen Attribut auf Kosten des ersten. So ist Passivität nicht ohne Aktivität möglich und ihr Sinn ist augenscheinlich noch immer ungeklärt geblieben. Die nächste Frage ist natürlich zunächst, ob Aktivität durch sich selbst oder auch ohne Passivität existieren kann. Hier beginnen wir, uns in noch tieferes Dunkel einzuhüllen. Wir haben bisher so gesprochen, als ob ein Ding fast ohne jeden Grund aktiv zu sein begönne, so als ob es sozusagen explodierte und seine Inhalte gailz in seiner eigenen Bewegung und völlig spontan produzierte. Aber wir meinten dies in Wirklichkeit nicht so, denn das würde ein Zufallsgeschehen und eine Veränderung ohne jede Ursache bedeuten, und das ist, worüber wir schon längst einig sind, ein Selbstwiderspruch und unmöglich. Das Ding ist daher ohne einen Anlaß nicht aktiv. Dieser, nenne ihn wie du willst, ist etwas außerhalb der bestehenden Natur des Dinges und ist zufällig in dem Sinn, daß er dieser wesentlichen Disposition begegnet. Wenn das Ding aber nicht handeln kann, es sei denn der Akt veranlaßt worden, dann wird das Geschehen insofern durch den Akt von etwas außer ihm hineingetragen. Aber dies war, wie wir sahen, Passivität. Was immer handelt, muß passiv sein, so weit wie seine Veränderung veranlaßt wird. Wenn wir den Vorgang beim Ding so betrachten, als ob er aus seiner Natur stammte, so ist der Vorgang seine Aktivität. Wenn wir anderseits denselben Vorgang als dem Anlaß zu verdanken ansehen und wenn er, wie wir sagen, aus diesem entspringt, dann haben wir immer noch Aktivität. Die Aktivität aber gehört nunmehr zur Gelegenheit und das Ding ist passiv. Wir sehen, wir haben verschiedene Aspekte, deren spezielle Existenz in jedem Fall von unserem eigenen Geist abhängen wird. Wir finden hier eine Doppelseitigkeit in der allgemeinen Schei4*

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Erstes Buch: Erscheinung

dung zwischen Ursache und Bedingung und es ist unsere Mühe wert diese strenger zu prüfen. Beide Elemente werden als für die Hervorbringung der Wirkung nötig herangezogen. Aber in jedem gegebenen Fall scheinen wir die Bezeichnungen fast oder ganz nach Belieben gebrauchen zu können. Es ist nicht ungewöhnlich, das letzte Geschehen, die Ursache des Prozesses zu nennen, der darauf folgt. Das ist aber wirklich ganz willkürlich. Der Körper fiel, weil die Unterstützung weggenommen worden ist, aber wahrscheinlich würden diese "Ursache" die meisten Menschen lieber eine Bedingung einer bestimmten Art nennen wollen. Ersichtlich möchten wir gern auf das zukommen, was wir vorzuziehen geneigt sind. Der gutgemeinte Versuch zur Klarheit durch die Definition der Ursache als "der Summe der Bedingungen" zu gelangen, erleuchtet uns nicht sehr. Was das Wort "Summe" anbetrifft, so nehme ich an, daß damit eine bestimmte Bedeutung gemeint werden soll; diese ist aber nicht feststehend, und ich zweifle, ob sie bekannt ist. Wenn ferner die Ursache so angesehen wird, als ob sie jede einzelne Bedingung in sich schlösse, stehen wir vor einer früheren Schwierigkeit. Entweder ist diese Ursache, die einen Teil der Dauer hindurch nicht existiert, realiter nicht existent, oder es wird sonst eine Bedingung nötig sein, um ihre Veränderung und ihren Übergang zur Aktivität zu erklären. Wenn aber die Ursache bereits alle Bedingungen in sich schließt, dann ist natürlich keine mehr verfügbar (Kap. 6). Aber um über diesen Punkt hinauszukommen, was meinst du mit diesen Bedingungen, die alle in die Ursache fallen, so daß sie keine draußen läßt? Meinst du, daß das, was wir allgemein die "Bedingungen" eines Ereignisses nennen, wirklich vollständig ist? In der Praxis lassen wir sicherlich den ganzen Hintergrund der Existenz außer Berechnung: wir isolieren eine Gruppe von Elementen und wir sagen, daß, wo diese immer auftreten, immer sonst etwas geschieht, und an dieser Gruppe meinen wir, "die Summe der Bedingungen" zu haben. Diese Annahme mag praktisch zu verteidigen sein, da man den Rest der Existenz als zureichender Grund für irrelevant halten mag. Wir können daher diese ganze Masse so behandeln, als ob sie inaktiv wäre. Gewiß, das ist die eine Seite, aber ein ganz ander Ding ist es, zu behaupten, daß wirklich diese Masse nichts tut. Sicherlich gibt es keine Logik, die für einen solchen Mißbrauch der Abstraktion eintreten könnte. Der Hintergrund der ganzen Welt kann durch keinen begründeten Vorgang eliminiert werden, und die weitgehendste, logisch mögliche Folgerung ist die, daß wir ihn in der Praxis nicht in Erwägung zu ziehen brauchen. Da er in einer Anzahl verschiedener Fälle nichts Be-

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sonderes hinzuzufügen scheint, so mögen wir bei jedem Zweck der Meinung sein, daß er überhaupt nichts hinzufügt. Aber diese praktisch wirksame Doktrin als theoretisch wahr auszugeben, ist völlig ungerechtfertigt. Das unmittelbare Resultat dieser Überlegung ist, daß die wahre "Summe der Bedingungen" alle Inhalte der Welt in einem gegebenen Moment völlig enthalten muß. Hier rennen wir gegen ein theoretisches Hindernis. Die Eigenart dieser Inhalte scheint so, als wenn sie wesentlich unvollständig sein müßte, und als ob damit die "Summe" nichts Erreichbares wäre. Bisher scheint alles fatal und nachdem ich das festgestellt habe, gehe ich weiter. Angenommen, daß du eine vollständige Summe der Tatsachen eines Moments erreicht hast, bist du dann dem Ergebnis näher gekommen? Die vollständige Masse wird die Summe von Bedingungen sein und die Ursache für jedes folgende Ereignis. Denn es gibt keinen Vorgang, der dafür bürgt, wenn du die Ursache für weniger ansiehst. Hier zeigt sich zugleich eine andere theoretische Verwirrung, denn dieselbe Ursache produziert eine Anzahl verschiedener Wirkungen; wie willst du mit dieser Konsequenz fertig werden? Aber lassen wir das, wir stehen in der Praxis vor einem gleichen Dilemma. Denn die so weit genommene Ursache ist die Ursache für alles Ähnliche, daher kann sie uns über etwas Spezielles nichts sagen, und weniger weit genommen ist sie nicht die Summe und daher nicht die Ursache. Hierbei wird klar, daß unsere Doktrin aufgegeben werden muß. Wenn wir eine besondere Ursache zu entdecken wünschen (und nur das ist eine Entdeckung), so müssen wir in der "Summe" eine Unterscheidung vornehmen. Dann haben wir wie vorher in jedem Fall Bedingungen neben der Ursache, und wie zuvor wird an uns die Frage nach einem Prinzip der Unterscheidung zwischen ihnen gestellt. Ich kehre meinerseits zu meiner Feststellung zurück, daß ich kein gut begründetes Prinzip kenne. Wir scheinen diese Unterscheidung immer vorzunehmen, um eine bestimmte Absicht zu verfolgen, und sie scheint in unserer bloßen Adoption eines besonderen Gesichtspunktes zu bestehen. Wir wollen aber zur Betrachtung von Passivität und Aktivität zurückkehren. Es ist sicher, daß nichts ohne einen Anlaß aktiv sein kann und daß das Aktive, insoweit es durch einen Anlaß hervorgebracht worden ist, passiv ist. Der Anlaß erfährt wiederum, da er in den Kausalprozeß eintritt - ein Ding würde es niemals tun, wenn es sich selbst überlassen bliebe - durch die Ursache eine Veränderung, und daher ist er selber in seiner Aktivität passiv.

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Erstes Buch: Erscheinung

Wenn die Ursache A ist, und die Veranlassung B, dann ist jedes aktiv oder passiv, je nachdem du das Ergebnis als den Ausdruck ihrer Wesen oder es als eine von außen hineingetragene Eigenschaft ansiehst. Wir sind hier natürlicherweise auf einen Fall gestoßen, bei dem diese beiden Seiten zu verschwinden scheinen. Denn angenommen, wir haben wie zuvor A und B, die in einen Prozeß eingehen, und wir nennen das Ergebnis AOB. Hier wird A eine V eränderung erleiden und ebenso auch B, von jedem kann man sagen, daß es eine Veränderung im anderen hervorbringt. Wenn aber die Natur von A vorher Ach war und die Natur von B Bca, dann stoßen wir auf eine Lücke. Die Begriffe, die wir nunmehr anwenden wollen, sind ersichtlich inadäquat und uns zu verwirren geneigt. Auf A und B selber angewandt, könnten sie geradezu lächerlich erscheinen. Wie soll ich eine Veränderung er I e i den, würde jedes antworten, wenn es nichts Anderes ist als das, was ich will? Wir können deine Gesichtspunkte nicht annehmen, da sie im besten Fall irrelevant sind. Um zu einem anderen Punkt überzugehen: die Folgerung, die wir bisher erreicht haben, scheint die Möglichkeit eines aus sich selbst aktiven Dinges auszuschließen. Hier müssen wir eine Unterscheidung vornehmen. Wenn dies angenommene Ding in seiner eigenen Natur keine Mannigfaltigkeit hätte, oder wenn auch seine Mannigfaltigkeit keine zeitliche Veränderung in sich bewirkte, dann ist es unmöglich, daß es aktiv würde. Diese Vorstellung ist in der Tat ein Widerspruch in sich. Auch könnte man von keinem Ding sagen, daß es als ein Ganzes aktiv sei; denn daß ein Teil seines Wesens, der sich verändert, als Anlaß diente, könnte darin nicht mit eingeschlossen sein. Ich möchte diese Punkte nicht beweisen, denn ich finde auf der anderen Seite nur Konfusion und Vorurteile. Es ist daher sicher, daß Aktivität Begrenztheit in sich schließt und andernfalls keinen Sinn besäße. Anderseits können wir aber natürlich dort, wo es eine Mannigfaltigkeit der Elemente gibt, die sich in der Zeit verändern, Aktivität haben. Denn ein Teil dieser Elemente kann von anderen Veränderung erleiden und sie hervorbringen. In der Tat erscheint die Frage, ob diese im Inneren eines Dinges durch dieses selbst vor sich geht, völlig irrelevant, wenn wir nicht mindestens eine Vorstellung von dem haben, was wir unter einem Ding verstehen. Unsere Untersuchungen haben sich bisher noch nicht um die Feststellung einer solchen Bedeutung bemüht. Es ist, als ob wir den Hermaphroditismus erforschten, bei dem wir nicht wissen, was wir unter einem einzelnen Lebewesen verstehen. Wenn wir bei

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8. Dinge

,diesem Punkt zu unserem A und B, die in einem einzigen Prozeß verbunden sind, zurückkehrten und danach forschten, ob sie beide Teile eines einzigen Dinges wären, oder ob jedes einzelne Ding einen ganzen Veränderungsprozeß in sich enthielte, würden wir in der Tat wahrscheinlich keine Antwort bekommen. Sie würden uns noch ·einmal empfehlen, unsere eigenen Begrüfe zu prüfen, bevor wir an ihre Anwendung gingen. Unser Ergebnis in diesem Punkt scheint folgendes zu sein. Aktivität, als einer von den Ausdrücken, die zur Bezeichnung jener Vorstellung angewandt werden, ist eine Masse von Widersprüchen. -Sie ist erstens rätselhaft auf Grund der Widersprüche der vorhergehenden Kapitel, und wenn sie von diesen nicht befreit werden kann, muß sie zur Erscheinung verurteilt werden. Und ihre eigene spezielle Natur scheint, soweit wir sie aufgedeckt haben, sicherlich 'nicht besser zu sein. Die Aktivität von etwas scheint in der Form zu bestehen, die wir nach Belieben in das, was ist und was wird, hineinsehen. Denn ohne die innere Eigenart des Dinges, die sich im Ergebnis zeigt, hat Aktivität keinen Sinn. Wenn es diese Eigenart nicht gab und sie nicht im Ding real war, ist das Ding ·dann realiter aktiv? Wenn wir aber diese Frage nachdrücklich pressen und darauf bestehen, daß wir etwas mehr als falsche Vergleiche daran haben, dann finden wir entweder nichts oder aber eine Vorstellung, die wir nach unserem Belieben nähren. Wir erkühnen uns nicht, diese als eine Vorstellung dem Ding zuzuschreiben -und wissen doch nicht, wie wir sie als etwas Anderes mit ihm verbinden sollten. Eine Verwirrung dieser Art kann aber nicht zur Wirklichkeit gehören. In diesem ganzen Kapitel habe ich eine bestimmte Ansicht über Aktivität ignoriert. Diese Ansicht würde zugeben, daß Aktivität, wie wir sie diskutiert haben, unhaltbar ist; aber sie würde -hinzufügen, daß wir gerade das reale Faktum nicht berührt haben. Dies Faktum, so würde sie behaupten, ist die Aktivität eines Ichs, während außerhalb des Ichs die Anwendung des Begriffes metaphorisch ist. Mit dieser Frage im V ordergrnnde können wir uns ·einer anderen Reihe von Betrachtungen über die Realität zuwenden.

8. Dinge Bevor wir weitergehen, können wir an dieser ,Stelle passenderweise eine Pause machen. Der Leser soll zum Nachdenken aufgefordert werden, ob von dem Ding, so wie es verstanden wird, uns noch .etwas geblieben ist. Es ist schwer zu sagen, was als Tatsache allge-

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Erstes Buch: Erscheinun[J

mein darunter verstanden wird, wenn wir das Wort "Ding" anwenden. Aber was das auch immer sein mag, es erscheint nunmehr unterminiert und zerstört. Ich nehme an, wir sehen das Ding im allgemeinen für etwas an, das eine Art Unabhängigkeit und eine Art von Anspruch auf Existenz von eigenem Recht besitzt und nicht wie ein bloßes Adjektiv. Aber unsere Begriffe sind gewöhnlich nicht klar. Ein Regenbogen ist wahrscheinlich kein Ding, während ein Wasserfall den Namen erhalten könnte, und es bei einem Blitzstrahl ein zweifelhafter Fall wäre. Während ferner viele von uns hartnäckig behaupten würden, daß ein Ding auf jeden Fall im Raum existieren muß, so würden das andere in Frage stellen und darin nichts Entscheidendes sehen. Wir haben gesehen, wie der V ersuch, unsere Begriffe mit Hilfe der Primärqualitäten wiederherzustellen, zusammengebrochen ist. Denn die von uns erreichten Resultate scheinen wirklich die Dinge von innen und außen zerstört zu haben. Wenn die Verbindungen von Substantiv und Adjektiv, von Qualität und Relation sich unhaltbar gezeigt haben, die Formen des Raumes und der Zeit sich als voller Widersprüche erwiesen haben, wenn schließlich Kausalität und Aktivität nur dadurch bestanden, daß sie Inkonsequenz auf Inkonsequen~ häuften - wenn mit einem Wort nichts von all dem als solches von der Realität ausgesagt werden kann - was ist dann übrig geblieben? Wenn die Dinge existieren sollen, wo dann und wie ? Wenn aber diese zwei Fragen unbeantwortbar sind, so sind wir doch zu dem Schluß gedrängt, daß die Dinge nur Erscheinungen sind. Ich werde noch einige Bemerkungen hinzufügen, nicht so sehr zur Unterstützung dieser Folgerung, als um sie womöglich noch klarer zu machen. Ich komme sogleich, zur Sache. Ein Ding, das existieren sollr muß Identität besitzen, und Identität scheint eine Eigenschaft, die im besten Fall zweifelhaft ist. Wenn sie bloß ideell ist, so kann das Ding selbst schwerlich real sein. Wir wollen also zuerst untersuchen, ob ein Ding ohne Identität existieren kann. Diese Frage stellen heißt sie zugleich beantworten, wenn nämlich ein Ding nicht irgendwie ganz außerhalb der Zeit existieren und seine Vielfalt zu keiner Einheit verbunden sein soll. Und das scheint unhaltbar zu sein. Ein Ding, wenn es so heißen darf, muß eine Dauer über den gegebenen Moment hinaus besitzen und daher ist Sukzession für dieses wesentlich. Das Ding muß, um überhaupt zu sein, nach einer Veränderung dasselbe sein und die Veränderung muß bis zu einem gewissen Grade vom Ding ausgesagt werden. Wenn du einen so einfachen Fall wie die Bewegung eines Atoms annimmst, so genügt

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das für unseren Zweck. Denn wenn dieses "Ding" sich nicht bewegt, so gibt es keine Bewegung. Wenn es sich aber bewegt, dann wird von ihm Sukzession ausgesagt und das Ding ist eine V erpflichtung zur Identität bei Unterschieden. Weiter, diese Identität ist ideal, da sie im Inhalt liegt oder in dem, "was wir vom Ding auszusagen imstande sind". Erhebe am Ende des Prozesses an unserem Atom den Zweifel, ob es noch dasselbe ist. Die Frage kann nicht ohne ein Zurückgreifen auf seinen Charakter beantwortet werden. Es ist in einer Hinsicht verschieden - nämlich im Ortswechsel, aber in anderer Hinsicht - nämlich in seinem eigentlichen Charakter bleibt es das gleiche. Diese Hinsicht ist augenscheinlich der identische Inhalt. Oder, wenn jemand einwirft, daß ein Atom keinen Inhalt hat, so laß ihn das Wort "Körper" dafür setzen und ihn sich damit abfinden, wie er Atom ohne einen qualitativen Unterschied (wie etwa rechts und links) unterscheiden will. Dieser identische Inhalt wird ideal genannt, weil er die gegebene Existenz überschreitet. Existenz ist nur in der Gegenwart gegeben, und anderseits ist das Ding nur ein solches, wenn seine Existenz über das jetzt hinausgeht und sich in die Vergangenheit erstreckt. Ich will hier nicht die Frage nach der Identität eines Dinges, das während eines gegenwärtigen Verlaufes dauert, erörtern, denn ich zweifle, ob jemand auf diesem Boden gegen unseren Schluß Einwendungen erheben möchte. Nun habe ich nicht vor, hier die ganze Frage nach der Identität des Tinunterscheidbaren zu erheben. Ich möchte lieber behaupten, daß die Kontinuität, die für ein Ding notwendig ist, davon abzuhängen scheint, ob es sich eine Identität seines Charakters bewahrt. Kurz, ein Ding ist ein Ding dadurch, daß es ist, was es war. Es leuchtet nicht ein, wie diese Relation der Diesselbigkeit real sein kann. Sie ist eine Relation, die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet, und diese V erknüpfung ist für das Ding ersichtlich vital. Wenn dem aber so ist, ist das Ding in mehr als einem Sinn die Relation der Übergänge in seiner eigenen Geschichte geworden. Wenn wir behaupten, daß das Ding diese einschließende Relation ist, die jeden gegebenen Augenblick überschreitet, so haben wir sicher zugegeben, daß das Ding, obwohl es nicht ganz ein Begriff, so doch wesentlich ein solcher ist. Es ist ein Begriff, der in keinem wirklichen Moment real ist. Dies Problem ist nicht nur eine abstrakte subtile Erfindung, sondern zeigt sich auch in der Praxis. Es ist oft unmöglich darauf zu antworten, wenn man uns fragt, ob ein Gegenstand wirklich derselbe sei. Wenn ein handgearbeiteter Gegenstand bearbeitet und

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teilweise erneuert worden ist, mag eine solche Frage keinen Sinn haben, wenn sie nicht spezifiziert wird. Du mußt den Punkt oder die besondere Hinsicht benennen, an die du denkst. Denn Fragen nach der Identität beziehen sich immer aut Diesselbigkeit im Merkmal und der Grund, warum du nicht allgemein antworten kannst, ist der, daß du diesen allgemeinen Charakter nicht kennst, den man für die Wesenheit des Dinges hält. Es ist nicht immer die materielle Substanz, denn wir könnten einen Organismus identisch nennen, obwohl seine Teile alle verschieden wären. Es ist nicht immer die Gestalt, die Größe oder Farbe, oder auch nicht immer der Zweck, der das Ding vollständig macht. Das allgemeine Wesen einer Identität des Dinges scheint in der Tat zuerst in dem V ermeiden eines absoluten Bruches in seiner Existenz zu liegen und weiter in irgendeiner qualitativen Gleichheit zu bestehen, die bei den verschiedenen Dingen abweicht. Bei einigen Dingen - weil wir buchstäblich nicht wissen, in welchem Wesenszug ihre Diesselbigkeit liegt - sind wir hilflos, wenn man uns fragt, ob die Identität bewahrt worden ist. Wenn einer ein Beispiel für den Wert unserer gewöhnlichen Begriffe finden will, so kann er das vielleicht an Sir J ohn Cutler's Seidenstrümpfen finden. Diese wurden mit Wolle gestopft, bis kein Seidenteil mehr an ihnen blieb und niemand konnte sich darüber einig werden, ob es dieselben alten Strümpfe waren oder neue. Kurz, die Identität eines Dinges beruht auf dem Gesichtspunkt, unter dem du es betrachtest. Dieser Gesichtspunkt scheint oft ein bloßer Zufallsbegriff zu sein, und wo er auch notwendig scheint, bleibt er immer ein Begriff. Oder, wenn du es lieber so willst, er ist ein Merkmal, das außerhalb und jenseits jedes von dir in Betracht gezogenen Faktums liegt. Aber es ist nicht leicht einzusehen, wie dann ein Ding real sein kann. Die Dinge haben sich also bisher als bloße Erscheinung erwiesen.

9. Die Bedeutungen des Ichs Unsere Fakten haben sich bis jetzt als illusorisch erwiesen. Wir haben unsere Dinge in Stücke, in Relationen, die keine Grenzpunkte finden, zerfallen sehen. Wir haben vielleicht einige Zweifel zu hegen begonnen, ob die Pest, da sie so tief eingewurzelt ist, an irgendeinem Punkt zum Stillstand gebracht werden kann. Am Schluß unseres 8. Kapitels wurden wir natürlich ganz über das Unbelebte hinaus bis an das Ich herangeführt. Hier liegt nach der Auffassung vieler das Ende unserer Verwirrungen. Das Ich, so versichern sie uns, ist nicht Erscheinung, sondern völlig real. Es

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ist nicht nur an sich real, sondern seine Realität strahlt, wenn ich so sagen darf, über seine eigenen Grenzen hinaus und rehabilitiert das leblose. Es verschafft einen fixierten Kern, um den sich die Tatsachen sicher gruppieren können. Oder es versorgt uns mindestens -auf eine Weise mit einem Typ , mit dessen Hilfe wir wohl die Erfassung der Welt unternehmen können. Wir müssen nunmehr an eine ernste Prüfung dieses Anspruches herangehen. Ist das Ich real, ist es etwas, das wir von der Realität aussagen können? Oder ist es anderseits wie alles Vorangehende eine bloße Erscheinung, ·etwas, das gegeben ist und in einem gewissen Sinn ganz bestimmt ·existiert, das aber, um ein ursprüngliches Faktum zu sein, allzu voll von Widersprüchen ist? Ich sehe mich gezwungen, den letzteren .Schluß anzunehmen. Auf dem Wege der vorgeschlagenen Untersuchung liegt ein großes Hindernis. Der Mensch glaubt gemeinhin, daß er weiß, was ·er mit seinem Ich meint. Er mag andere Dinge bezweifeln, aber hier scheint er zu Hause zu sein. Er bildet sich sein, daß er mit dem Ich beides auf einmal erfaßt, nämlich daß er ist und was er ist. Natürlich steht das Faktum einer persönlichen Existenz in irgend· ·einem Sinne ganz außer Zweifel. Was aber den Sinn anbetrifft, ·dessen diese Existenz so sicher ist, so ist die Sachlage doch eine ganz andere. Ich möchte denken, daß jemand, der seine Aufmerksamkeit 'auf diese Frage lenkt, ein bestimmtes vorläufiges Resultat nicht verfehlen dürfte. Wir sind alle sicher, daß wir existieren, aber in welchem Sinn und welcher Art - darüber sind die meisten von uns .in hilfloser Unsicherheit und in blinder Konfusion. Auch das Ich ist einstweilen weit davon, klarer als die Dinge außer uns zu sein, von denen wir niemals wissen, was wir meinen, wenn wir davon sprechen. Aber die Bedeutung und der Sinn ist für die Meta.physik sicherlich der vitale Punkt, denn wenn kein haltbarer gefunden werden kann, so müßte solch ein Fehlschlag - darauf muß ich bestehen - das Problem erledigen. Alles, dessen Bedeutung ·widerspruchsvoll und unbegreiflich ist, ist Erscheinung und nicht Realität. Ich benötige fast dieses ganze Kapitel, um einige Bedeu· tungen, die für das Ich gebraucht werden, festzustellen zu versuchen. Ich bin gezwungen, dabei mich gegen die Grenzen der Psychologie zu versündigen, wie ich es in der Tat für einige Teile der Meta.physik für durchaus notwendig halte. Ich bin nicht der Ansicht, --daß Metaphysik auf Psychologie aufgeba~t ist. Ich bin völlig über..zeugt, daß eine solche Begründung unmöglich ist und daß sie, wenn sie versucht wird, einen unheilvollen Bastard zeugt, der die Vorzüge

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von keiner der beiden Wissenschaften besitzt. Die Metaphysik wird mit einer entschiedenen Analyse in Konflikt kommen und die Psychologie wird Entschuldigungen für eine halbherzige Metaphysik liefern. Es kann hier wirklich keine solche Wissenschaft, wie die Erkenntnistheorie, geben. Aber andererseits läuft der Metaphysiker, der kein Psychologe ist, große Gefahren. Denn er muß die Tatsachen der Seele aufnehmen und bearbeiten; und wenn er nicht zu lernen versucht hat, was sie sind, so ist das Risiko sehr ernst. Das. psychologische Ungeheuer, das er annehmen mag, ist sicherlich ohne Zweifel auch in der Metaphysik monströs, und die angenommene Tatsache seiner Existenz mindert nicht seine Ungeheuerlichkeit. Die Erfahrung beweist aber, daß es den menschlichen Wesen, gerade wenn sie metaphysisch gestimmt sind, bei einem gewissen Punkte an Mut fehlt. Wir können uns nicht mit Ungeheuern befassen, dieam Ende uns verlocken könnten und deren es bestimmt zuweilen außerordentlich viele auf unserem Wege gibt. Aber ich fühle nu~ zu deutlich, daß bei all unserer Sorge die nächste Gefahr jede ist, die am wenigsten gesehen wird. Ich will nur jenen Gebrauch des Ichs erwähnen, der es mit dem Körper identifiziert. Was die Wahrnehmung unseres eigenen Körpers anbetrifft, gibt es natürlich manchen psychologischen Irrtum~ Dieser mag eine metaphysische Form annehmen, wenn er durch eine gewisse unmittelbare Offenbarung die Existenz des Organismus als irgendwie realen Ausdruck des Ichs zu verbürgen versucht. Aber ich will dies alles übergehen; denn an dem Punkte, an dem wir angelangt sind, scheint es auf solchem Wege keinen Ausweg aus den bekannten Schwierigkeiten zu geben. 1. Wir wollen den Körper als ein außenseitiges Ding ausschließen und an die Untersuchung der Bedeutungen des Ichs herangehen. Die erste ist ohne weiteres klar. Wenn ich frage, was ist das Ich dieses oder jenes individuellen Menschen, so kann ich die gegenwärtigen Inhalte seiner Erfahrung wissen wollen. Lege einen Schnitt durch den Menschen in einem gegebenen Moment. Du wirst dann einen Haufen von Gefühlen, Gedanken, Empfindungen finden, die ihm als die Welt der Dinge, anderer Personen und auch als er selbst zuströmen; und dieser Haufen enthält natürlich auch seine Ansichten über alles und seine Wünsche nach allem. Alles, Ich und Nicht-Ich, und was als keines von beiden unterschieden wird, kurz die ganze Fülle der Menschenseele in diesem oder jenem Moment - alles das mögen wir darunter begreifen, wenn wir da-nach fragen, was das Individuum in einem gegebenen Moment se~ Hier gibt es im Prinzip keine Schwierigkeit, obwohl das Detail (als.

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Detail) natürlich schwer zu behandeln wäre. Aber für unseren vorliegenden Zweck ist ein solcher Sinn augenscheinlich nicht vielversprechend. 2. Die Anhäufung iu einem Menschen in einem gegebenen Moment genügt nicht als Antwort auf die Frage, was das Ich sei. Um weiter zu gehen: das Ich muß etwas über die gegenwärtige Zeit Hinausliegendes sein und es kann nicht eine Folge von sich widersprechenden Variationen enthalten. Wir wollen also unsere Antwort modifizieren und sagen: Nicht die Masse irgendeines Momentes, sondern die beständige Durchschnittsmasse ist der Sinn des Ichs. Lege wie vorher einen Schnitt ganz durch den Menschen hindurch, stelle seine sämtlichen psychischen Inhalte heraus, nimm nur jetzt diesen Schnitt zu verschiedenen Zeiten vor und entferne das, was Ausnahme scheint. Der Rest wird der normale und gewöhnliche Inhalt sein, der seine Erfahrung ausmacht. Dies ist das Ich des Individuums. Dies Ich wird wie vorher die wahrgenommene Umgebung enthalten - kurz, das Nicht-Ich, soweit es für das Ich in Betracht kommt, - aber es wird nunmehr nur das gewöhnliche oder Durchschnitts-Nicht-Ich enthalten. Es muß die Gewohnheiten des Individuums und die Gesetze seines Charakters enthalten- was wir auch immer damit meinen mögen. Sein Ich wird die gewöhnliche Art seines Verhaltens sein, und der gewöhnliche Inhalt, zu dem es sich verhält, d. h. soweit es sich zu ihm verhält. Wir bemühen uns hier um die Unterscheidung des Wesentlichen vom Zufälligen im Ich, wir haben aber diesen Punkt trotzdem nicht erreicht. Wir sind bei dem Ich als dem ganzen Individuum eines oder einiger aufeinander folgender Momente stehen geblieben und suchen es als den das Normale des Individuums konstituierenden Faktor zu finden. Was ist das, was dem Menschen sein gewöhnliches Ich formt? Wir haben geantwortet, es sind seine gewöhnliche Anlage und seine Inhalte und nicht ist es das, was sich von Tag zu Tag, und von Stunde zu Stunde verändert. Diese Inhalte sind nicht nur die inneren Gefühle des Menschen oder nur das, worüber er als sein Ich reflektiert. Diese bestehen durchaus auch wesentlich in der äußeren Umgebung, soweit wie die Relation zu dieser den Menschen zu dem macht, was er ist. Denn, wenn wir den Menschen losgelöst von gewissen Orten und Personen anzusehen versuchen, haben wir sein Leben so sehr verändert, daß er nicht sein gewohntes Ich ist. Auch geht manches von diesem gewohnten Nicht-Ich, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, in das Leben des Menschen und seine individuelle Form ein. Sein Weib möglicherweise oder sein Kind, oder auch mancher Teil oder charakteristische Zug seiner leblosen Umgebung, könnte falls er zer-

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stört würde, nicht so gut durch etwas anderes ersetzt werden, ohne daß nicht das Ich des Menschen ernsthaft verändert würde. Daher können wir diese Züge in d i v i du e 11 notwendig Konstituenten nennen; und als für den Menschen erforderlich, d. h. nicht in ihrem unbestimmten, allgemeinen Charakter, sondern in ihrer Besonderheit als dieses oder jenes besonderes Ding. Aber andere Züge seines normalen Ichs werden von notwendigen Konstituenten ausgefüllt, die, wie wir wohl sagen können, nicht mehr als allgemein notwendig sind. Sein gewöhnliches Leben bekommt seinen Charakter, eben durch eine große Zahl von Details, die innerhalb ihrer Grenzen variabel sind. Seine Gewohnheiten und seine Umgebung haben Hauptumrisse, die immer dieselben bleiben können, obwohl sich innerhalb dieser die Sondererscheinungen sehr stark verändert haben. Dieser Anteil am Leben des Menschen ist notwendig, um ihn zu seinem Durchschnitts-Ich zu machen, aber die besonderen Details sind, wenn der Allgemeintyp bewahrt wird, zufällig. Dies ist vielleicht eine einfache Darstellung des gewöhnlichen Ichs des Menschen, aber es ist keine Lösung der theoretischen Schwierigkeiten. Das wahre Ich eines Menschen, so müßten wir uns sagen lassen, kann nicht von seinen Relationen zu etwas Finktierendern abhängen. Und Fluktuation ist nicht die Losung; denn in der Lebenszeit eines Menschen gibt es unersetzliche Veränderungen. Ist er buchstäblich nicht derselbe Mensch, wenn Verlust, Tod oder Liebe, oder Verbannung seinen Lebenslauf gewandelt hat? Wenn wir jedoch auf die Tatsachen blicken und das Ich des Menschen von der Wiege bis zum Sarge überschauen, so mag nichts Durchschnittliches anzutreffen sein. Das gewöhnliche Ich einer Periode ist nicht das gewohnte Ich einer anderen und es ist unmöglich, in einer einzigen Masse diese sich bekämpfenden psychischen Inhalte zu vereinen. Entweder erhalten wir dann nur die Geschichte eines Menschen als sein Ich und warum nennen wir es dann eines? Oder wir beschränken uns auf Perioden und dann gibt es kein einzelnes Ich mehr. Oder wir müssen schließlich das Ich von den gewöhnlichen Konstituenten des menschlichen psychischen Seins unterscheiden. Wir müssen das Ich, das individuell ist, dadurch zu erreichen versuchen, daß wir das wes e n t I ich e Ich finden. 3. Nehmen wir also, wie vorher, die Seele eines Menschen vor und untersuchen wir ihren Zubehör und ihre Inhalte. Wir müssen den Teil darunter zu finden suchen, aus dem das Ich wirklich besteht und der es zu einem bestimmten und nicht zu einem anderen macht. Hier können wir, soweit ich unterrichtet bin, keinerlei Hilfe aus populären Vorstellungen gewinnen. Es scheint irgendwie unbe-

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zweifelbar, daß das innere Herz des Gefühls, das hauptsächlich auf der sogenannten Ooenesthesia beruht, die Grundlage für das Ich ist 1). Dieser innere Kern wird aber erstens von dem DurchschnittsIch des Menschen nicht durch eine Linie, die gezogen werden könnte, getrennt; und zweitens stammen seine Elemente aus mannigfaltigen Quellen. In einigen Fällen wird er, untrennbar von den, übrigen Bestandteilen, die Relation zu einem Nicht-Ich bestimmter Art enthalten. Da ein Individuum so beschaffen ist, daß eine V eränderung, in die es durch die Umgebung gerät, es völlig verwandelt, und da diese Veränderung ein Gefühl der Selbstentfremdung so stark hervorbringen kann, daß es sogar Siechtum und Tod zur Folge hat, da müssen wir zugeben, daß das Ich durch keinen Wall eingeschlossen wird. Wo nun das wesentliche Ich zu Ende ist und das zufällige beginnt, das scheint ein unbeantwortetes Rätsel zu sein. Denn ein Versuch, es zu beantworten, wird durch ein fatales Dilemma enttäuscht. Wenn du eine Wesenheit annimmst, die sich verändern kann, so ist es überhaupt keine Wesenheit; wenn du aber auf etwas Geringerem bestehen bleibst, ist das Ich verschwunden. Was ist diese Wesenheit des Ichs, die sich niemals verändert? Kindheit und hohes Alter, Krankheit und Wahnsinn bringen neue Erscheinungsformen, während andere ausgeschlossen werden. Es ist in der Tat schwer, für die Veränderlichkeit des Ichs eine Grenze festzusetzen .. Ein Ich kann zweifellos eine Veränderung ertragen, bei der ein anderes zugrunde gehen würde. Aber anderseits gibt es bei jedem einen Punkt, wo wir zugeben müßten, daß der Mensch nicht mehr weiter er selbst ist. Diese in Täuschungen verlorene Kreatur, die, des Gedächtnisses beraubt, zu einer Laune umgewandelt ist mit kränklichen Gefühlen und die von dem Innersten ihres Seins entthront ist - ist dies noch ein Ich, mit all' dem, woran wir es als solches erkannten?' - Gut, es sei so, behaupte, was du niemals zu beweisen imstande bist, daß es immer noch einen unberührten Punkt, einen Fleck gibt, der noch niemals angegriffen worden ist. Ich will dich nicht diesen uns aufzuzeigen bitten; denn ich bin sicher, daß es unmöglich ist.. Aber ich behaupte dir gegenüber die entgegengesetzte Seite des Dilemmas. Dieses kleine beständige Element des Gefühls oder der Vorstellung, diese :fixierte Wesenheit, die nicht "allen himmlischen Einflüssen dienstbar" ist, dieses unglückliche Bruchstück und arm~ selige Atom, das zu gering ist, um in Gefahr zu sein - willst du Ich möchte mich hier auf einige weitere Bemerkungen in Mind 12 p. 368 ff und fi. beziehen. Ich will nicht behaupten, daß nicht Vorstellungen einen Teil des innersten Ichs bilden könnten. Mancher denkt hier natürlich an die fremden Iche, die im Hypnotismus suggeriert werden. 1)

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mir sagen, daß dieser nackte Überrest wirklich das Ich sei? Die Annahme ist unsinnig und die Frage bedarf keiner Antwort. Wenn das Ich bis zu einem Punkt eingeengt worden ist, daß es sich nicht mehr verändert, so ist dieser Punkt weniger als das reale Ich. Aber alles, was mehr ist, hat eine "Zusammensetzung", die "sich in .sonderbare Wirkungen verwandelt", und daher nicht ein Ich sein kann. Das Rätsel hat sich als zu schwer für uns erwiesen. Wir sind auf das Problem der Personalidentität gestoßen und jeder, der denkt, daß er weiß, was er mit seinem Ich meint, sei zu ·dieser Lösung eingeladen. Mir scheint es unlösbar, aber nicht, weil die aufgeworfenen Probleme wesentlich solche Fragen sind, die nicht beantwortet werden können. Der wahre Grund für das Nichtgelingen liegt darin - daß wir bei der Stellung von Fragen beharren wollen, bei denen wir nicht wissen, was sie meinen, und bei denen ihre Bedeutung vielleicht etwas Falsches voraussetzt. Wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, ist es bei den Nachforschungen über Identität vor allem wichtig, über die Richtung klar zu sein, in der gefragt wird. Etwas mag je nachdem, was du an ihm siehst, identisch oder verschieden sein. Daher ist bei der Personalidentität der Hauptgesichtspunkt die Fixierung des Sinnes der Per-sönlichkeit; und hauptsächlich, weil unsere Begriffe von ihr verwirrt sind, ist es uns unmöglich, zu einem weiteren Resultat zu kommen. Nach der populären Auffassung beruht die Identität eines Menschen vor allem auf seinem Körper 1). Ohne weiteres Besinnen liegt hier der kritische Punkt. Ist der Körper der gleiche? Hat er kontinuierlich existiert? Wenn darüber kein Zweifel besteht, dann ist der Mensch derselbe und vermutlich hat er seine persönliche Identität bewahrt, was auch sonst immer nach unserer Meinung in ihn eingedrungen sein und ihn beeinflußt haben mag. Aber natürlich ist bekanntlich diese Identität des Körpers selber €in zweifelvolles Problem (p. 73). Und ganz davon abgesehen dürfte das bloße Einssein des Organismus als ein sehr roher Weg anzusehen sein, um die personale Gleichheit festzustellen. Wenige von uns dürften zu behaupten wagen, daß das Ich der Körper ist. Wenn wir nun die Nachfrage nach der psychischen Kontinuität hinzufügen, sind wir dann sehr viel weiter gekommen? Denn augenscheinlich ist sie nicht bekannt und es scheint kaum €ine Form zu geben, um zu entscheiden, ob der psychische Verlauf Qhne jeden Bruch ist. Sicherlich sind während des Schlafs oder 1)

(irtert.

In der Fortnightly Review 228 p. 820 habe ich diese Frage weiter er-

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auch sonst solche Intervalle mindestens möglich; und wenn ja, so ist die Kontinuität zweifelhaft und kann keine Identität beweisen. Wenn ferner unsere psychischen Inhalte mehr oder weniger umgeformt werden können, wird man kaum so denken dürfen, daß das bloße Fehlen eines Zwischenraumes als Garantie für die Gleichheit genügt. Soweit ich es beurteilen kann, ist gewöhnlich zur persönlichen Identität sowohl Kontinuität wie qualitative Gleichheit nötig. Aber wieviel von beiden benötigt wird, und wie beide zueinander stehen - über diesen Punkt herrscht meines Wissens nur volle Konfusion. Wir wollen das genauer prüfen. Wir sollten vielleicht sagen, daß wir unter einem Ich eine einzige Erfahrung verstehen. Diese mag entweder eine Erfahrung für einen angenommenen außenstehenden Beobachter oder eine für das Bewußtsein des in Frage stehenden Ichs bedeuten und die letztere Art Einheit kann man der ersten entweder hinzufügen oder für selbständig ansehen. Das Ich ist nicht eines, wenn nicht innerhalb seiner Grenzen die Qualität die gleiche ist. Wir haben aber schon gesehen, daß, wenn das Individuum einfach von außen angesehen wird, es ganz unmöglich ist, eine Grenze zu finden, innerhalb der Veränderung nicht stattfinden darf und die jedoch weit genug ist, um ein wirkliches Ich zu umfassen. Wenn daher der Prüfstein nur Gleichheit für einen außenstabenden Beobachter ist, so scheint es klar, daß manchmal das Leben eines Menschen eine Reihe von Iehen haben muß. Aber bei was für einem Punkt der Verschiedenheit und nach welchem genauen Prinzip dieses Nacheinander stattfindet, scheint unbestimmbar zn sein. Die Frage ist wichtig, aber die Entscheidung, wenn es eine gibt, scheint ganz willkürlich. Vielleicht können wir aber irgendein Prinzip entdecken, wenn wir den Standpunkt des außenstehenden Beobachters aufgeben. Wir wollen den V ersuch machen. Nehmen wir das Ge d ä c h t n i s zum Kriterium. Wir können behaupten: das Ich, das sich seiner selbst erinnert, ist so weit eines, und darin liegt die Persönlichkeitsidentität. Wir möchten vielleicht unsere Lage auch dadurch zu bestärken wünschen, daß wir das Gedächtnis als etwas ganz für sich Bestehendes und als etwas, das sozusagen alles andere aufnehmen kann, betrachten. Aber das ist natürlich völlig irrig. Das Gedächtnis offenbart als eine besondere Anwendung der Reproduktion für eine vernünftige Psychologie keine AusnahmeWund er und bietet in Wirklichkeit auch keine größere Schwierigkeiten als wie wir sie bei anderen Funktionen finden. Und worauf ich hier nachdrücklich hinweisen möchte, sind die Grenzen und Fehler des Gedächtnisses. Wie du es immer ansehen magst, ob qner in seiner Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Breite oder in seiner Länge, überall entdeckst du einen großen Mangel an Einerleiheit. Dieses eine Gedächtnis, von dem wir sprechen, ist sehr schwach für viele Seiten unseres mannigfaltigen Lebens und ist wieder unverhältnismäßig stark für andere. Daher erscheint es eher als ein Bündel von Gedächtnissen, die nebeneinander herlaufen und teilweise unverbunden sind. Es ist sicher, daß das, was wir in irgendeinem Augenblick erinnern können, höchst fragmentarisch ist. Es gibt ganze Seiten unseres Lebens, die uns völlig fehlen und andere, die nur in verschiedenen Graden der Schwäche auftauchen. Das ist der Fall, wenn das Gedächtnis in seinem besten Zustande ist; und in anderen Fällen ist kaum noch eine Grenze für seine Fehler zu finden. Nicht nur einige Fäden unseres Bündels können fehlerhaft oder schwach sein, sondern auch bei denen, die bleiben, können außerdem noch bestimmte Längen fehlen. Die Stücke unseres Lebens, wenn wir schlafen, betäubt . oder anderswie gestört sind, werden nicht vorgestellt. Zweifellos kommt uns trotzdem der Verlauf kontinuierlich vor. Aber das tut er auch, wenn es noch schlimmer kommt und bei einer momentanen Krankheit unser Gedächtnis partiell und verdreht wird. Ja, sogar, wenn bei einem einzelnen Menschen periodische Wechsel von zwei unverbundenen Gedächtnissen stattfinden, behält die Fähigkeit noch immer ihr Wesen bei und bekundet ihre Identität. Die Psychologie erklärt dies folgendermaßen: Das Gedächtnis hängt von der Reproduktion einer vorhandenen Grundlage ab - einer Grundlage, die sozusagen im Ichgefühl besteht. So weit daher diese Basis während des Lebens dieselbe bleibt, so kann sie, allgemein gesprochen, etwas mit ihr zugleich Assozüertes erinnern. Und wenn diese Basis sich ändert, so können wir verstehen, daß ihre Verbindungen mit vergangeneo Ereignissen sich unbegrenzt verschieben werden, und zwar je nach ihrem Umfang und ihrer Stärke. Wenn daher aus demselben Grund das Ichgefühl sich über eine Grenze~ die nicht im allgemeinen zu definieren ist, hinaus verändert hat, so ist auch die für die Reproduktion erforderliche Basis unserer Vergangenheit beseitigt worden. Und wenn diese verschiedenen Grundlagen abwechseln, wird auch unser vergangenes Leben uns verschieden erscheinen, nicht als ein Ich, sondern als verschiedene abwechselnde Iche. Natürlich mögen diese "reproduzierten" Iche bis zu einem sehr beachtenswerten Umfang niemals im V ergangenen existiert haben 1). Nunmehr möchte ich denjenigen, der annimmt, daß seine Diesselbigkeit im bloßen Gedächtnis besteht, auffordern, seine Ansicht 1)

tismus.

Vergleiche hier noch einmal dagegen die suggestivierten Iche des Hypno•

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mit diesen Fakten zu konfrontieren und uns zu zeigen, wie er sie versteht. Denn obwohl er ersichtlich nicht zugeben mag, daß die Personal-Identität Abstufungen hat, so kann er mindestens nicht leugnen, daß wir in einem Leben mehr wie ein Ich haben können. Ferner mag er sich gedrängt sehen, die Ichgleichheit mit einer Vergangenheit, die für ihn nur manchmal und für fremde Menschen überhaupt nicht existiert, zusammen zu erfassen. Ich will trotzdem weitergehen. Bekanntlich kann nach einer von Bewußtlosigkeit begleiteten Schädigung, die durch eine Operation beseitigt wird, unser geistiges Leben wieder von dem Moment der Beschädigung an beginnen. Wenn nun das Ich sich auf Grund seines j e t z i g e n Zustandes und ihm gemäß erinnert, könnte nicht ein anderes Ich von der gleichen Qualität gebildet werden, das daher die gleiche Vergangenheit in der gegenwärtigen Erinnerung besäße? Und wenn eines so entstehen könnte, warum nicht ebenso zwei oder drei? Diese dürften durch ihre sich unterscheidende Qualität und auch durch die äußeren Relationen jetzt unterschiedlich werden, und dennoch einander ähnlich genug sein, um dieselbe Vergangenheit zu erinnern und dadurch natürlich gleich zu sein. Auch sehe ich nicht, wie diese Annahme als theoretisch unmöglich zurückgewiesen werden könnte. Sie mag uns helfen, das, was schon vorher evident war, zu erfassen, daß nämlich ein Ich nicht als dasselbe auf Grund des bloßen Gedächtnisses gedacht wird, sondern nur, wenn dies Gedächtnis als nicht trügerisch angesehen wird. Aber darin liegt das Zugeständnis, daß die Identität schließlich von der vergangeneu Existenz abhängen muß und nicht nur vom bloßen gegenwärtigen Denken. Kontinuität wird in einem gewissen Grad und in einem gewissen unbegreiflichen Sinn von der populären Anschauung für die Persönlichkeitsidentität für notwendig gehalten. Wer vom Tode auferweckt ist, mag in Wirklichkeit derselbe sein, obwohl wir nichts Verständliches über seine unbestimmte V erfinsterung oder seine Phase der Halb-Existenz aussagen können. Aber einen Menschen, der ganz gleich dem ersten, aber nach demselben Zeitverlauf neu geschaffen wäre, den dürften wir als zu viel für ein e n empfinden, wenn auch nicht für völlig hinreichend, um zwei Personen zu bilden. So ist es klar, daß für die Personal-Identität eine gewisse Kontinuität erforderlich ist, aber wieviel scheint niemand zu wissen. In der Tat, wenn wir uns mit vagen Phrasen und sinnlosen Allgemeinheiten nicht begnügen, so entdecken wir bald, daß es der beste Weg ist, keine Fragen zu stellen. Wenn wir aber darauf bestehen, so bleiben wir bei folgendem Ergebnis sitzen. Persönlichkeitsidentität ist hauptsächlich eine Angelegenheit des Grades. Die Frage hat emen 5*

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Sinn, wenn sie auf bestimmte Seiten des Ichs beschränkt wird, obwohl es gerade hier in jedem Fall nur durch die willkürliche Auswahl von Gesichtspunkten definiert werden kann. Und in jedem Fall ist eine Grenze, die schließlich durch ein ungeklärtes Prinzip festgesetzt wird, vorhanden. Worin aber die allgemeine Gleichheit eines Ichs besteht, ist ein unlösbares Problem, weil es sinnlos ist. Diese Frage ist, ich wiederhole es, völlig Unsinn, solange wir nicht einen klaren Begriff davon haben, was denn das Ich bedeuten soll. Wenn du mich fragst, ob ein Mensch in dieser oder jener Hinsicht oder für den einen oder anderen Zweck identisch ist, dann sind wir, falls wir einander nicht verstehen, auf dem Wege zu einer Verständigung. Meiner Ansicht nach werden wir gerade dann unser Ziel nur durch ein Mehr oder Weniger an Konvention und Über& einkommen erreichen. Aber eine allgemeine Antwort auf eine weitläufig gestellte Frage zu suchen, heißt einer Chimäre nachjagen. Wir haben bisher gesehen, daß das Ich keine bestimmte Bedeutung hat Es war schwerlich ein Schnitt durch die Inhalte des. Individuums; es wäre nicht einmal ein solcher Schnitt, wenn es auf das zurückgeführt würde, was Gewohnheit ist und irgendwie als. Durchschnitt angenommen wird. Das Ich schien der wesentliche Anteil oder die wesentliche Funktion zu sein, aber worin dieseWesenheit liegt, schien in Wirklichkeit niemand zu wissen. Wir konnten nichts außer den sich einander widersprechenden Anschauungen finden, nicht eine, die voraussichtlich von irgend jemandem aufrecht erhalten würde, wenn man ihn ihren Sinn zu realisieren zwänge. 4. Weder durch eine Auswahl aus den Inhalten des Individuums: noch durch die Annahme ihrer Gesamtheit ist es uns gelungen, das Ich zu finden. Darum könnten wir dazu bestimmt werden, es in einer Art Monade oder einem angenommenen einfachen Wesen zu lokalisieren. Durch diesen ungeschickten Kunstgriff scheinen Fragen~ wie die nach Verschiedenheit und Gleichheit, elegant beseitigt zu werden. Die Einheitlichkeit existiert als eine Einheit und zwar in einer voraussichtlich vor Zufall und vor Veränderung sicheren Sphäre. Ich will hier zuerst an unser Ergebnis erinnern, das sich gegen die Möglichkeit eines solchen Wesens wandte (Kap. 3 u. 5). Zweitens will ich mit ein paar Worten seine höchst zweifelhafte Natur auseinandersetzen. Ist es überhaupt ein Ich, und wenn ja, in welcher Ausdehnung und in welchem Sinn? Wenn wir diese Einheit sich parallel zum Leben eines Menschen bewegen1 oder vielleicht auch nicht bewegen, sondern in ihrer Be-

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ziehung zu seiner sukzessiven Mannigfaltigkeit buchstäblich stehen lassen, so wird uns das nicht viel helfen. Es wird über dem Menschen-Ich ebenso hoch stehen, wie sein Schicksal (wenn es eines gibt), das aus der Höhe niederblickt und sich nicht darum kümmert, ·ob er untergeht. Und wenn diese Einheit in das persönliche Leben hinunterdringt und in irgendeinem Sinn dessen Schicksale erduldet, in welchem Sinn bleibt sie dann noch länger eine Einheit? Wenn wir auf das vorliegende Problem unsere Blicke richten, so werden wir zu folgendem Schluß gezwungen. Wenn wir bereits wüßten, was wir mit dem Ich meinten und seine Existenz darlegen könnten, ilann könnte unsere Monade wohl als eine zu berücksichtigende 'Theorie zur Begründung jenes Ichs angeboten werden. Es wäre eine unhaltbare, aber mindestens ansehnliche Theorie, nämlich ein V ersuch, wenigstens e t ~ a s zu erklären. Aber solange wir keine klare Anschauung betreff der Grenzen bei der aktuellen Tatsache iler Ichexistenz haben, läßt uns unsere Monade in unserer alten Verwirrung und Unklarheit sitzen. Ja, sie belastet uns noch mit dem Problem ihrer Verbindung mit den Tatsachen, über die wir so gar nichts wissen. Was ich meine, ist einfach folgendes. Gesetzt, du hast die Ansicht angenommen, daß das Ich im Gedächtnis besteht, und dann bietest du mir eine Monade an, oder zwei oder drei, oder wieviele du denkst, daß Fakten zur Begründung des Gedächtnisses nötig sind. Ich halte deine Theorie für wertlos, aber bis zu einem gewissen Grade respektiere ich sie, weil sie mindestens an eine Tatsache angeknüpft hat und sie zu begründen versucht. Wenn du mir aber eine vage Masse anbietest und dann daneben eine Einheit und mir sagst, daß die zweite das Ich der ersten sei, so denke ich nicht, daß du überhaupt etwas sagen willst. Alles, was ich sehe, ist dies, daß du auf folgendes Dilemma zutreibst. Wenn die Monade die ganze Verschiedenheit besitzt oder einen ausgewählten Teil aus ihr, den wir im Individuum antreffen, sogar dann, wenn du darin die Identität des Ichs gefunden hättest, würdest du alles das mit der Einfachheit der Monade in Einklang zu bringen haben. Wenn aber die Monade allein bleibt, entweder ohne jeden oder mit einem besonderen persönlichen Charakter, dann kann sie -ein treffliches Ding an sich sein, aber es ist bloße Spiegelfechterei, :sie das Ich eines Menschen zu nennen. Damit sei es für den Augenblick genug und ich will diesen Punkt verlassen. 5. Man kann behaupten, daß das Ich der Inhalt sei, an dem ich persönliches Interesse nehme. Die als mein empfundenen Elemente können als das Ich angesehen werden, oder überhaupt Geschehnisse, soweit sie alle das existierende Ich betreffen. Interesse

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besteht hauptsächlich, wenn auch nicht ganz, in Lust und Unlust. Das Ich wird daher jene Gruppe von Gefühlen sein, die in größerem oder geringerem Maße beständig vorhanden und immer von Lust oder Unlust begleitet ist. Was von Zeit zu Zeit sich mit dieser Gruppe vereinigt, ist eine persönliche Sache und wird Teil des Ich. Diese allgemeine Anschauung kann uns zu einem neueil Weg der Icherfassung dienen ; aber sie verspricht augenscheinlich ein sehr geringes Ergebnis für die Metaphysik. Denn die Inhalte des Ich sind von einem Moment zum anderen höchst variabel und bekämpfen sich weithin; und sie stammen aus vielen heterogenen Quellen. Wenn. das Ich nur das, was uns persönlich interessiert, bedeutet, dann ist es faktisch in einem einzigen Moment zugleich zu weit und vielleicht ebenso zu eng; und in verschiedenen Momenten scheint es ganz in Widerspruch mit sich zu sein. 6. Wir sind jetzt ganz zwanglos zu einer höchst wichtigen Form; das Ich zu verstehen, vorgedrungen. Wir haben bisher die Unterscheidung von Subjekt und Objekt ignoriert. Wir sind von der ganzen psychischen Individualität ausgegangen und haben darin oder in Verbindung mit ihr das Ich zu finden versucht. Diese Individualität enthielt aber bekanntlich beides, Objekt und Subjekt, Nicht·Ich und Ich. Mindestens muß selbstverständlich dem NichtIch gestattet werden, soweit in ihm zu sein, wie es in Beziehung zum Ich steht und als ein Objekt erscheint. Der Leser mag eine andere Form des Ausdrucks vorziehen, aber er muß meiner Meinung nach die Tatsache zugeben. Wenn du das, was im weitesten Sinn innerhalb eines Menschengeistes sich vorfindet, ansiehst, so wirst du dort Subjekt und Objekt und ihre Relation zugleich antreffen. Dies wird auf alle Fälle bei der Wahrnehmung und dem Denken, und ebenso beim Begehren und Wollen eintreten. Dieses Ich, das dem Nicht-Ich entgegengesetzt ist, wird ganz ausdrücklich nicht mit dem Ich zusammenfallen, wenn jenes für das Individuum oder das wesentliche Individuum angesehen wird. Die beklagenswerte V erwirrung, die allzu stark in unserem Kopf herrscht, veranlaßt mich,. den Leser zu besonderer Aufmerksamkeit aufzufordern. Die psychische Teilung der Seele in Subjekt und Objekt hat,. wie allgemein bekannt, zwei Hauptformen. Die Relation des Ich zum Nicht-Ich ist theoretisch und praktisch. Durch die erste haben wir allgemein unsere Wahrnehmung oder Intelligenz; durch die zweite Begehren und Wille. Die verschiedene Wesenheit ven jedem hier auseinanderzusetzen ist für mich unmöglich; und noch weniger kann ich etwas über ihre Entwicklung aus einer Wurzel

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sagen. Was mir sicher scheint, ist dies, daß beide Formen der Relation sekundäre Produkte sind. Jede Seele existiert, oder hat in einem Stadium existiert, in dem es kein Ich und kein Nicht-Ich, kein Ego oder irgendwelches Objekt gab. A.ber auf was für einem Wege Gedanke und Wille aus dieser Grundlage - aus dem Ganzen des Gefühls, das ohne Relation gegeben ist, - emporgetaucht sind, das kann ich hier nicht diskutieren 1). Auch ist die Erörterung für ein Verständnis des hier entscheidenden Punktes nicht nötig. Dieser Punkt bezieht sich auf die Inhalte des Ich und des Nicht-Ich, und wir können diese auch abgesehen von der Frage nach dem Ursprung betrachten. Daß nun Subjekt und Objekt Inhalte haben und aktuelle psychische Gruppen sind, erscheint mir evident. Ich weiß wohl, daß Schriftsteller zu oft von diesem Ego als von etwas sprechen, das nicht wesentlich durch diesen oder jenen psychischen Inhalt bestimmt wird. Ich leugne nicht, daß in einem gewissen Sinn dieser Sprachgebrauch verteidigt werden könnte. Wenn wir aber das, was wir unter diesem Objekt und Subjekt in Relation verstehen wollen, die wir in einem gegebenen Moment in einer Seele existierend vor• finden, so betrachten, wie wir es hier tun, so wird die Lage völlig anders. Das Ego, das behauptet, etwas vor oder jenseits seines konkreten psychischen Inhalts zu sein, ist eine starke Fiktion und ein bloßes Monstrum und auf keinen Fall zugegeben. Dieser Punkt kann sicherlich durch Beobachtung entschieden werden. Nimm irgendeinen Fall der Wahrnehmung oder was du willst, wo diese Relation von Objekt zu Subjekt als ein Faktum vorgefunden wird. Hier wird wahrscheinlich niemand leugnen, daß das Objekt auf alle Fälle ein konkretes Phänomen ist. Es hat einen Charakter, der als ein geistiges Faktum oder in ihm existiert. Wenn wir uns von diesem zum Subjekt wenden, gibt es dann noch einen Grund zum Zweifel? Sicher enthält jenes in jedem Fall eine Masse von Gefühl, wenn nicht auch noch von anderer psychischer Existenz. Wenn ich sehe, wahrnehme oder verstehe, so bin ich (mein Endpunkt der Relation) handgreiflich, und vielleicht sogar schmerzlich konkret. Und wenn ich will oder wünsche, so ist es sicherlich lächerlich, das Ich als nicht durch ein besonderes psychisches Faktum qualifiziertes anzusehen. Augenscheinlich ist jedes Ich, das wir finden können, irgendeine konkrete Form von Einheitlichkeit psychischer Existenz. Wer es (jetzt oder in irgendeinem Zeitpunkt) ohne diese einzuführen 1) Über diese und andere verwandte Punkte vgl. meine Artikel in Mind, Nr. 47 u. 49 usw. (Kap. 19, 26, 27).

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wünscht, gründet seinen Fall sicherlich nicht auf Beobachtung. Er würde eine metaphysische Chimäre in die Tatsachen einführen, die, in keinem Sinn existiert und nicht wirken kann, und die sogar, wenn sie existierte, noch schlimmer als unnütz wäre. Das Ich und Nicht-Ich sind, wie zu zeigen ist, konkrete Gruppen 1) und Problem ist nur ihr Inhalt. Was ist jener Inhalt, wenn es überhaupt einen gibt, der wesentlich Nicht-Ich oder Ich ist? Am besten beginnt man vielleicht diese Untersuchung mit der Frage, ob es irgend etwas gibt, das nicht ein Objekt und in diesem Sinn ein Nicht-Ich werden kann. Wir sind sicherlich scheinbar fähig, alles uns gegenüber zu stellen. Wir beginnen von der Außenseite, aber der unterscheidende Vorgang wird innerlicher, bis er mit überlegter und bewußter Innenschau endet. Hier versuchen wir, unsere innersten Züge vor das Ich zu bringen und es ihm entgegenzustellen. Wir können dies nicht mit allem·in jedem einzigen Moment tun, aber praktisch und mit Anstrengung wird ein Teil nach dem anderen von dem gefühlten Hintergrund getrennt und vor unseren Blick gebracht. Es ist durchaus nicht sicher, daß in irgendeinem Moment j e der Zug des Ich früher oder später seine Stelle im Nicht-Ich erhält; aber es ist ganz sicher, daß dieses für den weit größeren Teil gilt. Wir sind daher zuzugeben gezwungen, daß sehr wenig von dem Ich wesentlich zu ihm gehören kann. Wenden wir uns nun von der theoretischen zur praktischen Relation. Gibt es etwas, so wollen wir fragen, was unmöglich Objekt meines Willens oder Wunsches werden kann? Was aber solch ein Objekt wird, ist natürlich ein Nicht-Ich und dem Ich entgegengesetzt. Wir wollen sofort zu dem Gebiet übergehen, das höchst innerlich und untrennbar erscheint. Wenn die Innenschau auch diesen oder jenen Zug in uns aufdeckt, können wir denn nicht wünschen, daß es anders wäre? Kann nicht alles, was wir in uns vorfinden, als eine Grenze empfunden werden, gegen die wir entweder reagieren oder es doch begreiflicherweise tun möchten? · Nimm z. B. einen einfachen Schmerz. Wir mögen in unserem tiefsten und dunkelsten Winkel uns unbehaglich und UDdisponiert gefühlt haben, sobald dieser störende Zug so stark ist, daß er bemerkt wird, reagieren wir sofort gegen ihn. Die beunruhigende Empfindung wird deutlich ein Nicht-Ich, das wir zu beseitigen wünschen. Meiner Meinung nach müssen wir das Ergebnis annehmen, daß nämlich, wenn auch nicht alles zeitweise ein praktisches Nicht-Ich werden kann, es mindestens schwer ist, Ausnahmen zu finden. 1) Ich . will nicht sagen, daß die ganze Seele in zwei Gruppen geteilt ist. Das ist wirklich nicht möglich. Siehe später.

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Gehen wir nun zu der anderen Seite dieser beiden Relationen über und fragen wir, ob das Nicht-Ich etwas enthält, was ihm exklusiv zugehört. Es wird nicht leicht sein, viele solche Elemente zu entdecken. In der theoretischen Relation ist es ganz klar, daß nicht alles zusammen und auf einmal ein Objekt sein kann. In jedem Einzelmoment muß das, was in irgendeinem Sinn vor mir steht, begrenzt werden. Was wird aber aus dem Überrest des Nicht-Ichs, der selbstverständlich, nicht einmal für den Augenblick, aus unserem Geist völlig verschwunden ist? Ich meine nicht jene Züge der Umgebung, die ich nicht einzeln wahrnehmen kann, sondern diejenigen, die ich weiterhin trotzdem noch als etwas vor mir Stehendes wahrnehmen werde. Ich beziehe mich auf die Merkmale, die jetzt unter diesen Horizont gesunken sind. Diese sind nicht einmal eine Fassung oder eine Umrandung für das Objekt meines Geistes. Sie sind tiefer in den allgemeinen Hintergrund des Fühlens getreten, von dem jenes unterschiedene Objekt mit seinem unbestimmten Rand sich losgelöst hat. Das heißt aber, daß sie für den Augenblick in das Ich übergegangen sind. Ein andauernder Ton wird uns ein gutes Beispiel geben 1). Dieser mag zu meinem Hauptobjekt geworden sein oder er mag eine Begleitung jenes mehr oder weniger bestimmten Objektes sein. Es gibt aber ein weiteres Stadium, wo du nicht sagen kannst, ob die Empfindung aufgehört hat und in dem dennoch kein Zug von dem vorhanden ist, was als Nicht-Ich auftritt. Der Ton ist nunmehr eines unter vielen Elementen meines Gefühls geworden und ist in jenes Ich übergegangen, für das das Nicht-Ich existiert. Ich will nicht fragen, ob bei einem oder bei welchen Teilen des Nicht-Ichs dieses Zurückfallen unmöglich sein mag; denn es ist genug, daß es bei einem sehr großen Teil möglich sein dürfte. Wir wollen dieselbe Sache von der praktischen Seite betrachten. Hier wird es sicherlich sehr schwer sein, sich auf Elemente festzulegen, die ihrem Wesen nach mir gegenüber stehen und mich begrenzen müßten. Es gibt manche, zu denen ich in der Tat scheinbar niemals praktisch in Beziehung trete und es gibt andere, die das Objekt meines Willens oder Wunsches nur von Fall zu Fall sind. Wenn wir nicht etwas finden können, was wesentlich zum Nicht-Ich gehört, dann kann scheinbar alles, soweit es in meine Seele tritt, Teil an der Gefühlsmasse haben. Dann würde es aber für den Augenblick mit der verknüpft scheinen, der das Objekt des Willens gegenübersteht. Und so ist das Nicht-Ich auf einmal wieder Ich geworden. Ein anderes Beispiel würden die durch meine eigenen Kleider verursachten Empfindungen sein. 1)

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Der Leser mag schon einen Punkt beobachtet haben, vor dem sich meine Zunge gehütet hat. Dieser Punkt ist die äußerste Grenze dieser Vertauschung des Inhalts zwischen dem Nicht-Ich und dem Ich. Ich leugne keinen Augenblick die Existenz dieser Grenze. Meiner Meinung nach ist es nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß es in jedem Menschen in seinem innerst erlebten Herzen Elemente gibt, die niemals Objekt geworden sind und die es in der Praxis nicht sein können. Es kann wohl Züge in unserer Coenästhesia geben, die so tief liegen, daß es uns niemals gelingt, sie davon zu trennen und von diesen kann nicht eigentlich behauptet werden, daß sie jemals unser Nicht-Ich sind. Sogar in der Vergangenheit können wir ihre Besonderheit nicht unterscheiden. Aber ich setze voraus, daß man sogar hier sagen darf, daß das Hindernis praktisch sei und in der Dunkelheit dieser Empfindungen und nicht auf andere Art in ihrem Wesen beruhe 1). Ich will nur die Behauptung anmerken, daß Lust und Unlust ihrem Wesen nach nicht fähig seien, Objekt zu sein. Dieser Satz scheint durch die Verlegenheiten der Theorie entstanden zu sein, hat keinerlei Tatsachengrundlage und kann ignoriert werden. Der Grund aber für unseren Glauben an Elemente, die niemals ein Nicht-Ich sind, ist die Tatsache eines gefühlten Überschusses in unserem ungeschiedenen Innern. Was ich meine ist folgendes: wir sind imstande, in unserem inneren Gefühlshaufen eine Anzahl Elemente zu unterscheiden und wiederzuerkennen, anderseits können wir behaupten, daß unser Gefühl außer diesen eine unerschöpfliche Umgrenzung enthält 2). Es enthält eine Grenze, die in ihrer allgemeinen Vorstellung als Grenze, aber nicht in ihrer Besonderheit zum Objekt werden kann. Manchmal wird aber diese Grenze durchbrochen, und wir haben nicht den geringsten Grund, anzunehmen, daß an irgendeinem Punkt in ihrer Natur eine harte und feste Beschränkung für den Einbruch des Nicht-Ichs vorliegt. Was das Nicht-Ich angeht, so möchte ich wiederum nicht behaupten, daß j e der Zug des Inhalts in das reine Gefühl gleiten Beachte, daß unsere emotionalen Launen, auch dort, wo wir sie kaum analysieren könnten, doch Gegenstände ästhetisch qualifizieren können. 2) Wie die Existenz dieser Umgrenzung beobachtet wird, ist ein Problem, das ich hier nicht diskutieren kann. Der Hauptpunkt liegt in unserer Fähigkeit, einen Gegensatz zwischen unserem erlebten Selbst und einem Objekt vor ihm zu fühlen. Diese gibt uns, wenn sie reflektiert wird und zum Objekt geworden ist - wie es natürlich in seinem unbestimmten Haupttyp bei vergangenem Gefühl immer möglich ist - die Vorstellung von einem unreduzierten Rest. Die gleiche Fähigkeit, Gegensatz zu empfinden, ist der Grund unseres Glaubens an die Differenz oder Identität zwischen vergangenem und gegenwärtigem Gefühl. A.ber die Einzelheiten dieser Erörterung gehören nicht zur Metaphysik. 1)

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und sich mit dem Hintergrund vermischen kann. Es mag Merk• male geben, die es praktisch niemals fertigbringen. Auch kann behauptet werden, daß es Gedankenprodukte gibt, die existenzunfähig sind, wenn sie nicht so kundwerden, daß sie einen Gegensatz zum Ich in sich schließen. Dies will ich nicht erörtern, sondern möchte nur geltend machen, daß die Existenz von Gedankenprodukten im allgemeinen innerhalb des fühlenden Ichs, das uns noch dazu irreführen möchte, ein noch offenes Problem sein dürfte. Ich will zum Schluß kommen und mich mit der Betonung des allgemeinen Resultates begnügen. Auf beiden Seiten, beim Ich und beim Nicht-Ich sind, wenn du willst, Züge, die keiner Ortsveränderung fähig sind, zuzugeben. Aber deren Umfang wird so gering sein, daß sie nie imstande sind, daß Ich oder Nicht-Ich zu charakterisieren und zu konstituieren. Die Hauptmasse der Elemente auf beiden Seiten ist auswechselbar. Wenn wir bei diesem Punkt nachfragen, ob der vorliegende Sinn des Ichs mit den vorigen Ansichten übereinstimmt, so ist die Antwort nicht zweifelhaft. Denn augenscheinlich kann beinahe jeder Inhalt der psychologischen Individualität in einem Moment ein Teil des Ichs und in einem anderen Moment ein Teil des NichtIchs sein. Es dürfte auch unmöglich sein, eine Wesenheit des Menschen zu finden, die dem Ich als ein Objekt für das Denken und für den Willen nicht entgegengestellt werden könnte. Wäre sie zu finden, so würde diese Wesenheit mindestens in einem so geringen Rest bestehen, daß sie sicherlich nicht hinreichte, um eine Individualität zu bilden. Sie könnte Konkretheit nur dadurch erreichen, daß sie in ihren Charakter einen tätlichen Widerspruch aufnähme. Das bloße Beispiel des inneren W ollens sollte an sich genug sein, um die Reflektion zu zwingen. Du magst hier dein Ich für so tief liegend und so innerlich halten, wie du willst und magst es auf das Zentrum verengern; dennoch können diese Inhalte in Gegensatz zu deinem Ich gestellt werden und du kannst ihre V eränderung wünschen. Hier ist sicherlich eine absolute Beschränkung oder exklusive Lokalisierung des Ichs am Ende. Denn das Ich ist in einem Augenblick die ganze Individualität, in der die Gegensätze und ihre Spannung enthalten sind; und es ist auch ein einziger Gegensatz, der durch einen Opponenten beschränkt wird und wider ihn streitet. Tatsächlich scheint sich die Sache folgendermaßen zu verhalten. Die ganze psychische Masse, die die Seele in einem Moment erfüllt, ist das Ich ; soweit diese Masse nur gefühlt wird, d. h. soweit die Masse zusammen in einem einzigen Ganzen gegeben und nicht von

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der Gruppe, die besonders mit Lust und Unlust verbunden ist, zu trennen ist, wird dieses vollständige Ganze als Ich erlebt. Anderseits werden aber Inhaltselemente von der Masse unterschieden, die daher für jene den Hintergrund bildet, dem gegenüber die Wahrnehmung stattfindet. Aber diese Relation des Nicht-Ich zum Ich zerstört nicht das alte ganze Ich. Dieses ist immer noch die ganze Masse, innerhalb der die Unterscheidung und die Relation vor sich geht. Das Ich koexistiert in diesen beiden Bedeutungen mit sich selbst, obwohl es sicherlich nicht mit ihnen zusammenfällt. Ferner wird in der praktischen Relation ein neuer Zug sichtbar. Hier haben wir zum ersten vor allem das Ich als die erlebte Gesamtlage. Wir haben zweitens das Nicht-Ich, das als gegensätzlich zum Ich erlebt wird. Wir haben sodann die Gruppe, die beschränkt wird und sich auszubreiten bemüht ist und so die Spannung verursacht. Diese wird natürlich ganz besonders als das Ich erlebt und in ihr spielt ein neuer bemerkenswerter Zug eine Rolle. Beim Wünschen und Wollen halten wir eine Vorstellung gegenüber dem existierenden Nicht-Ich fest, nämlich die Vorstellung von einer Umwandlung in jenes Nichtleb. Diese Vorstellung wird nicht nur als ein Teil jenes Ichs erlebt, das dem Nicht-Ich entgegengesetzt ist- sondern sie wird hier geradezu als sein Wesenszug und sein hervorragendes Element erlebt. So sagen wir von einem Menschen, daß sein ganzes Ich in einem bestimmten Sonderziel zentriert war. Dies bedeutet, psychologisch gesprochen, daß die Vorstellung ein einziges Ganzes mit der inneren Gruppe ist, die durch das Nicht-Ich verdrängt wird und daß die Spannung ausdrücklich in der Region der Vorstellung erlebt wird. Die Vorstellung wird so das wichtigste Merkmal im IchInhalt. Daher wird ihre Ausdehnung gegenüber der aktuellen Gruppe des Nicht-Ichs oder ihre Zusammenziehung durch sie als Ausdehnung oder Beschränkung meiner selbst erlebt. Wenn sich hier der Leser erinnern will, daß das existierende Nicht-Ich ein inneres Stadium sein kann, dessen Veränderung gewünscht wird und wenn er auch darüber nachdenken wird, daß die Vorstellung, theoretisch gesehen, selbst ein Nicht-Ich ist -, so mag er sich das völlige Fehlen einer Qualifikation, die mit einem besonderen Inhalt verknüpft und untrennbar von ihm ist, klar machen. Wir haben jedoch noch eine andere Bedeutung, die man dem "Ich" gibt, anzumerken. Ich muß aber an diesem Punkt erst versuchen, Licht auf den Inhalt unseres 7. Kapitels zu werfen. Wie das I eh seine eigene Tätigkeit wahrnimmt, das ist ein Winkel der Psychologie, den im Dunkel zu lassen gefährlich ist. Wir werden

9. Die Bedeutungen des Ich. infolge ihrer Unklarheit hierüber ernsthafte Schwierigkeiten hat.

23. Körper und Seele Wahrheit in einer absoluten· Relativität besteht. Jedes Element wäre hier auf Grund von etwas anderem, •das es trägt, in dem es wie im Ganzen seine eigene Identität findet.· • Ich gebe bestimmt zu, daß dieses Ideal nicht völlig realisiert werden kann (Kap. 15); aber es liefert uns das Kennzeichen, wonach wir alles, was sich uns als Wahr~ heit anbietet, beurteilen müssen. An· diesem Merkmal gemessen ist die psychologische Ansicht erledigt. Die ganze phänomenale Welt als eine verknüpfte Reihe und die als Körper und Seele in dieser Welt bekannten zwei Konstruktionen sind alle in gleicher Weise unvollkommene Arten, die Realität zu betrachten. Diese Wege haben •sich auf allen P'unkten als unhaltbar erwiesen. Sie sind willkürliche Festsetzungen, die sich durchaus bestreben, ihre Grenzen zu überschreiten, Grenzen~ die wir aus Gründen der Praxis aufstellen müssen. Das Ergebnis ist überall Inkonsequenz. Wir fanden, daß der Körper bei dem V ersuch, ohne Identität zu wirken unverständlich wird. Wir sahen, daß die Seele, wenn sie die Identität als eine Funktion., in. ihrEl:r;n Leben zugibt, ebenso in reinem Kompromiß endet. Beide Dinge sind Erscheinungen und unwahr; aber dennoch hat die Unwahrheit .Grade. Mit der physischen Welt verglichen ist die Seele viel weniger unreal. Sie zeigt in einem höheren Maße jene Selbständigkeit, in der die ·Realität besteht. Die Erörterung der Grade in der Realität wird uns aber später beschäftigen. Wir können uns nun kurz die Hauptergebnisse dieses Kapitels ins Gedächtnis zurückrufen. ·Wir haben ·gesehen, daß Körper und Seele phänomenale Konstruktionen sind. Sie sind beide inkonsequente Abstraktionen, die aus Griiriden theoretischer Zweckmäßigkeit gesondert gehalten werden. Die überlegene Realität des Körpers erkannten wir als einen Aberglauben. Dann gingen wir zu der Relation über, die diese beiden Löckenbüßer zu verkuppeln scheint und versuchten sie zn definieren 1 ). Wir lehnten den BeIch möchte noch ein paar Worte zur weiteren Erklärung meiner Haltung gegenüber der Ansicht, die die Seele als die Idealität ihres Körpers ansieilt, hinzufügen. Wenn diese Anschauung Seele und Kör!Jer zusammen zu einer letzten Realität macht, so möchte ich sie aus folgendem G'rund zurückweisen. Ich glaube iibrigens bestimmt, daß die Individualität ideal ist und daß die Seele im allgemeinen (lie Individualität in einem über den Körper hinausragenden Stadium verwirklicht. l.ch möchte aber nicht behaupten, daß die partikuläre Seele und der Körper sich 811 entsprechen, daß die erste durchaus die Erfüllung und innere ·Realität des zweite~ ist. Ich zweifle an unserem Recht zu meinen, daß im allgemeinen Seele und Körper zusammen immer nur ein endliches Individuum· bilden oder zu ihm ge• hören. Weiterhin kann ich nicht zugeben, daß die Verbindung von Seele und Leib wirklich weder begreiflich noch erklärbar sei. Meine Stellung zu dieser ganzen Theorie ist daher hauptsächlich sympathische Neutralität. 1)

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griff bloßer Koexistenz und ebenso den der einseitigen Abhängigkeit der Seele ab; und wir behaupteten, daß ein Adjektiv, das keinen Unterschied zu irgend etwas bilde, Unsinn sei. Wir besprachen dann kurz die Möglichkeiten einer bloßen Seele und eines bloßen Körpers und gingen von hier zu den Relationen über, die wirklich zwischen den Seelen bestehen. Wir folgerten, daß die Seelen tatsächlich einander nur durch ihre Körper affizieren, aber wir bestanden darauf, daß trotzdem ideale Identität zwischen den Seelen ein ursprüngliches Faktum sei. Wir fanden zuletzt, daß wir im psychischen Leben des Individuums die aktive Wirksamkeit der Gleichheit anerkennen mußten. Wir beendeten das Kapitel mit der Reflexion, die uns durchaus nahe gelegen hat. Wir haben hier Probleme behandelt, deren vollständige Lösung die Zerstörung von Leib und Seele in sich schließen würde und sahen uns selber ganz natürlich zu der Betrachtung dessen gedrängt, was über sie hinaus liegt.

24. Wahrheits- und Realitätsstufen In unserem letzten Kapitel sind wir zu dem Problem der Stufen der Wahrheit und Realität gelangt und wir müssen uns nun um die Klärung des Inhalts dieses Begriffs bemühen 1 ). Einen solchen Versuch völlig und bis ins Einzelne durchzuführen würde uns zu weit führen. Wollte man zeigen, wie die physische und geistige Welt sich in den verschiedenen Stadien und Stufen des einen absoluten Prinzips verwirklicht, so würde das ein System der Metaphysik bedeuten. Ein solches möchte ich aber nicht zu bauen wagen. Ich will mich nur um eine wohlbegründete, allgemeine Ansicht von der Realität bemühen und sie gegen einige Schwierigkeiten und Einwürfe in Schutz nehmen. Dazu gehört aber wesentlich die Erklärung und Begründung der Prädikate: Höheres und Niedrigeres. Während ich diesen Punkt behandle, werde ich weiterhin die Stellung des Denkens entwickeln, die wir diesem schon zugewiesen haben (Kap. 15 u. 16). Das Absolute als solches hat natürlich keine Grade; denn es ist vollkommen und es kann kein Mehr oder Weniger im Vollkommenen geben (Kap. 20). Solche Prädikate gehören nur der Erscheinungswelt an und haben nur dort ihren Sinn. Man kann uns tatsächlich daran E>rinnern, daß die Existenz in der Zeit dieselbe Absolutheit zu besitzen scheint. Denn entweder hat etwas in ihr seine Stelle oder nicht, es kann sich aber nicht in einem ZwischenIch möchte erwähnen, daß ich in diesem Kapitel mehr als sonstwo Heg·t'l verpflichtet bin. 1)

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raum zwischen Dasein und Nichtdasein aufhalten. Diese Anschauung setzt voraus, daß die zeitliche Existenz Realität ist; und in der Praxis und für bestimmte Zwecke ist das zuzugeben. Aber .abgesehen da von, daß diese Ansicht falsch ist, hat sie die natürliche Tendenz, über sich selber hinauszugehen. Denn wenn etwas nicht mehr oder weniger existieren kann, muß es sicherlich die Existenz mehr oder weniger ausfüllen. Es kann seine Stelle durch sein direktes Vorhandensein behaupten, aber auch durch seinen Einfluß und seine relative Wichtigkeit. So würde es uns schwer fallen, genau zu sagen, was wir unter Existenz "haben" verstehen. Wir müßten sogar in .der Behauptung, daß alles in genau demselben Grade Existenz hat, ~in Paradoxon finden. Aber hier in der Metaphysik haben wir diesen einseitigen Standpunkt längst überschritten. Denn die Reihe zeitlicher Fakten ist als ideale Konstruktion erkannt worden. Sie ist in Wirklichkeit völlig ideal (Kap. 23), aber doch wesentlich. Eine solche Reihe ist nur Erscheinung, sie ist nicht absolut, aber relativ; und wie alle Erscheinungen läßt sie die Unterscheidung von mehr und weniger zu. Ferner haben wir gesehen, daß die Wahrheit, die auch selber Erscheinung ist, unbewußt und bewußt von diesem primitiven V ersuch .abweicht. Ohne diesen aufgeworfenen Anspruch der zeitlichen Fakten weiter zu betrachten, können wir im allgemeinen mit dem Problem .der Realitäts- und Wahrheitsstufen beginnen. 'Vir haben schon die wesentlichen Merkmale des Denkprozesses beobachtet 1). Der Gedanke besteht wesentlich in der Trennung des "Was" vom "Daß". Man kann wohl diese Auflösung als sein wirksames Prinzip annehmen. Daher verzichtet er auf jeden Versuch, ein Faktum hervorzubringen und beschränkt sich selbst auf den Inhalt. Aber, indem das Denken diese Trennung in sich begreift und diese unabhängige Entwicklung bis zum Äußersten behauptet, bemüht es sich das zerbrochene Ganze wiederherzustellen. Es sucht eine Ordnung in sich konsequenter und vollständiger Begriffe zu finden; mit dieser Aussage muß es die Realität qualifizieren und wiederherstt>llen. Wie wir gesehen haben, würde ein solcher V ersuch schließlich Selbstmord bedeuten. Wahrheit müßte das meinen, wofür sie bürgt und dafür bürgen, was sie meint; aber diese beiden Seiten erweisen sich schließlich als unvereinbar. Es gibt immer noch einen unbeseitigten Unterschied zwischen dem Subjekt und Prädikat, der, solange er dauert, einen Mangel des Denkens ') Kap. 15 u. 16.

Vgl. }lind, Nr. 47.

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zeigt, der aber beseitigt, die besondere Wesenheit des Denkens völlig zerstören würde. Wir können das auch anders auseinandersetzen, indem wir feststellen, daß jedes kategorische Urteil falsch sein muß. Subjekt und Prädikat können schließlich beide nicht das andere sein. Wenn wir plötzlich vor diesem Ziel Halt machen, so ist unser Urteil nie an die Wahrheit herangekommen; hätten wir es aber erreicht, so gäbe es keine Grenzpunkte und ihre Relation mehr. Daher müssen alle unsere Urteile, um wahr zu sein, konditional sein. D. h. das Prädikat gilt nur mit Hilfe von etwas anderem. Von diesem "etwas anderen" kann nicht festgestellt werden, ob es nicht wieder einem neuen konditionalen Prädikat angehört 1). Es ist meiner Überzeugung nach sicherlich besser, nicht zu behaupten, daß jedes Urteil hypothetisch ist 2). DiesWort könnte, wie ersichtlich, irrelevante Begriffe einführen. Urteile sind in dem Sinn konditional, insofern das, was sie bejahen, unvollständig ist. Bevor nicht seine notwendige Ergänzung hinzugefügt wird, kann es als solches nicht der Realität zugeschrieben werden. Und diese Ergänzung bleibt obendrein unbekannt. Solange sie aber unbekannt bleibt, können wir augenscheinlich nicht sagen, wie sie, falls sie vorhanden wäre, auf unser Prädikat wirken und es verändern würde. Denn anzunehmen; daß ihr Vorhandensein keinen Unterschied verursachen würde, ist völlig absurd, solange die genaue Wesenheit des Unterschiedes außerhalb unseres Erkenntnisbereiches fällt. Ist es aber so, dann kann diese unbekannte Modifikation unseres Prädikates in verschiedenem Grade seinen speziellen Charakter zerstören. Der Inhalt könnte tatsächlich so verändert, so anders verteilt und verschmolzen werden als ob es völlig verwandelt worden wäre. Kurz, das Prädikat kann dann, als solches genommen, mehr oder weniger unwahr sein. Damit haben wir in Wirklichkeit behauptet, daß es dem Unbekannten unterworfen und seiner Gnade preisgegeben ist 3 ). Daher Ich darf mich hier vielleicht auf meine Principles of Logic beziehen. Sogar die metaphysischen Aussagen über das Absolute sind nicht ~treng· kategorisch. S. unten Kap. 27. 2 ) Dieser Begriff schließt oft die Realität zeitlicher Bxistenz in sich und er ist schon darum nicht einwandfrei. Vgl. Bosanquets bewundernswert!' Logic, I. Kap. 6. · 3) Daher müssen wir schließlich bei der Behauptung des Unbekannten bleiben. E~ ist jedenfalls besser, dieses nicht die Prädikation einer unbekannten Qualität zu nennen (Principles of Logic, p. 87), da "Qualität" entweder nichts hinzufügt oder etwas Falsches. Die Lehre des Textes scheint ernsthaft der Wechselwirkung von Grund und Folge, von Ursache und Wirkung zuzuneigen. Ich bin auch der Meinung, daß, wenn die Urteile klar sind, die Relation beide Weg-e geht (Bosanquet, 1)

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ist unser Urteil immer, allerdings in verschiedenem Grade, schließlich doch konditional zu nennen. Damit sind wir aber an der Grenze von Irrtum und Wahr~ heit angelangt. Es wird keine Wahrheit geben, die ganz wahr ist, ebenso wie es keinen Irrtum gibt, der völlig falsch ist. Also auch hier wird es streng genommen eine Frage des Grades oder des Mehr oder Weniger sein. Unsere Gedanken können sicherlich für be~ stimmte Zwecke als völlig falsch oder auch als durchaus richtig angesehen werden; aber Wahrheit und Irrtum muß am Absoluten gemessen immer der Stufung unterworfen bleiben. Mit einem Wort, unsere Urteile können niemals vollkommen die Wahrheit erreichen, sondern müssen sich irr..mer mit einer größeren oder geringeren G ü 1t i g k e i t begnügen. Ich meine mit diesem Begriff nicht einfach, daß unsere Urteile aus Zweckmäßigkeit zuzulassen und zu passieren sind. Ich meine, daß sie in Wirklichkeit mehr oder weniger den Charakter und Typ absoluter ·Wahrheit und Realität besitzen. Sie können die Stelle des Realen in verschiedenem Ausmaß einnehmen, weil sie in sich mehr oder weniger von seiner Natur enthalten. Sie vertreten es schlechter oder besser je nachdem sie uns eine Wahrheit anbieten, die mehr oder minder gestört worden ist. Unsere Urteile gelten, kurz gesagt, so weit, wie sie mit der realen Norm übereinstimmen oder davon abweichen. Wir können es auch anders sagen: Wahrheiten sind wahr, je nachdem man sie mehr oder weniger in Realität verwandeln könnte. Wir haben bisher beobachtet, daß die Wahrheit relativ und immer unvollkommen ist. Wir haben zunächst gesehen, d~ß, obwohl es jedem Gedanken an Vollkommenheit fehlt, er doch bis zu einem gewissen Grade wahr ist. Einerseits reicht er nicht zu und anderseits verwirklicht er zu gleicher Zeit die Norm. Wir müssen nun aber untersuchen, was diese Norm ist. Die vollkommene Wahrheit und Realität haben schließlich den gleichen Charakter. Dieser besteht in einer positiven, in sich selbst beruhenden Individualität; ich habe mich in Kap. 20 bemüht, die Bedeutung der Individualität aufzudecken. Da ich an~ nehme, das der Leser sich der Hauptpunkte jener Erörterung erinnert, will ich hier die beiden Arten aufzeigen, in denen die Individualität erscheint. Wahrheit muß das Kennzeichen innerer Harmonie oder auch der Ausdehnung und des Alles-umfassenden Logic I. pp. 261--4). Wenn sie aber schliefllich unklar sind unu immer uurch einen nicht spezifizierten Hintergrund qualifiziert wenlen müssen. so muß jener Umstand in Erwägung gezogen werden.

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aufweisen. Diese beiden Merkmale sind verschiedene Seiten eines einzigen Prinzips. Das, was sich selbst widerspricht, steht erstens deswegen im Widerspruch, weil das Ganze, das immanent in ihm ist, seine Teile zur Kollision drängt. Wie wir gesehen haben, besteht die Möglichkeit, die Harmonie zu finden darin, daß diese Gegensätze sich in einer weiteren Ordnung wieder zusammenfinden. Zweitens ist aber Harmonie mit Beschränkung und Endlichkeit unverträglich. Denn das, was nicht alles umfaßt, muß kraft seines Wesens sich innerlich widersprechen; wenn wir darüber nachdenken, wird uns der Grund hierfür deutlich. Das, was in einem Ganzen existiert, hat äußere Relationen. Das, was es nun in seiner eigenen Natur nicht einschließen kann, muß zu ihm durch das Ganze und von außen in Relation stehen. Nun fallen aber diese äußeren Relationen einerseits außerhalb von ihm selbst, anderseits können sie es wieder nicht. Denn eine Relation muß nach beiden Enden hin in das Wesen seiner Endpunkte übergehen und sie beeinflussen. Daher ist das innere Wesen des Endlichen beides, es sind die Relationen, die es begrenzen und sind es nicht. Sein Wesen ist daher unheilbar relativ, d. h. es geht über sich selbst hinaus und trägt auch in sein eigenes Herz eine Menge Außenverbindungen hinein. So von außen bestimmt werden, heißt im Prinzip innerlich auseinandergeteilt werden. Je kleiner das Element, um so weiter ist diese Zerstreuung seines Wesens - eine Zerstreuung, die zu vollständig ist, um tief zu sein oder um den Namen einer inneren Teilung zu verdienen 1). Aber im Gegensatz hierzu sollte doch die Ausweitung des Elementes die Harmonie vermehren, denn sie sollte doch diese äußeren Relationen in die innere Substanz bringen. Durch das \V achsturn wird das Element mehr und mehr ein dichtes Individuum, das seine eigene Natur in sich selbst enthält; es bildet mehr und mehr ein die Gegensätze einschließendes Ganzes und führt sie zum System zurück. Diese beiden Seiten der Ausdehnung und Harmonie sind so im Prinzip eins, obwohl sie (wie wir später sehen werden) für unsere Praxis in mancherlei Hinsicht auseinanderiallen. Wir müssen uns einstweilen begnügen, sie unabhängig zu gebrauchen. Daher heißt mehr oder weniger wahr und mehr oder weniger real sein, durch einen kleineren oder größeren Zwischenraum von Es scheint paradox von der Zertrennung eines materiellen Partikels zu sprechen. Versuche aber zu erklären, was das ist, ohne hineinzubringen, was es nicht ist. Seine Zerteilung wird natürlich nicht gefühlt. Aber die Sache ist hier die, daß die Selbstentfremdung für ein Gefühl odN ein Ich zu extrem ist, um zu existieren. 1)

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der All-Umfassung und der Existenz durch sich selbst getrennt sein. Von zwei gegebenen Erscheinungen ist die weitere oder harmonischere die realere. Sie kommt näher an eine einzelne, alles-umfassende Individualität heran. Mit anderen Worten, um ihre Unvollkommenheiten zu heilen mußten wir eine kleine Veränderung vornehmen. Diejenige Wahrheit und das Faktum, das bei seiner Umwandlung ins Absolute geringere Umgruppierung und Ergänzung braucht, ist das wahrere und realere. Das meinen wir mit Stufen der Realität und der Wahrheit. Einen stärkeren Grad an Realitätscharakter besitzen und in sich selbe~ ein höheres Maß an Realem enthalten, sind zwei Ausdrücke für dieselbe Sache. Das Prinzip, auf Grund dessen falsche Erscheinung in Wahrheit umgewandelt wird, haben wir schon in unserem Kapitel über den Irrtum auseinandergesetzt. Die Methode besteht, wie wir sahen, in einer Ergänzung und Umordnung; ich will aber hier nicht unsere frühere Erörterung wiederholen. Ein totaler Irrtum hieße dann die Zuweisung eines Inhalts zur Realität, der, auch wenn er umgeordnet und aufgelöst wäre, dieser doch nicht assimiliert werden könnte. Ein solcher extremer Fall scheint unmöglich. Ein Irrtum kann nur ein totaler sein in dem Sinn, daß seine eigentümliche Natur verschwunden ist und sein wirkliches Selbst zerstört wird, falls er zur Wahrheit umgewandelt wird. Wir müssen aber zugestehen, daß das mit den niederen Arten der Wahrheit geschieht. Kurz, es kann für Metaphysik keine strenge und absolute Unterscheidung zwischen Wahrheiten und Falschheiten geben. Bei jeder Behauptung ist die Frage die, wieviel bleibt von dieser Behauptung bestehen, wenn wir annehmen, daß sie in letzte Wahrheit umgewandelt worden ist? Wieviel wird von allem, was nach der Aussage dieses Adjektivs seine besondere Natur bildet, bestehen bleiben, oder bleibt überhaupt etwas? Das Maß des Überlebenden gibt dann, wie wir schon gesehen haben, den Grad der Realität und Wahrheit an. Man kann aber vielleicht einwenden, daß es Urteile ohne irgendwelche Realbedeutung gibt und daß es reine Gedanken gibt, die gar nicht vorgeben, etwas zur Realität beizutragen. Bei diesen, so kann man sagen, könnte dann nicht der geringste Grad an Wahrheit zu finden sein. Sie könnten dann wohl Adjektive der Realität sein, aber keine Urteile über sie. Die Erörterung dieses Einwandes liegt vielleicht nicht in der Hauptabsicht meines Werkes, aber ich möchte doch kurz auseinandersetzen, daß er auf einem Mißverständnis beruht. Erstens macht jedes Urteil, ob positiv oder negativ und,

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wie frivol es auch sein mag, eine Aussage über die Realität '1). Der behauptete Inhalt kann nicht, wie wir gesehen haben, völlig sein Irrtum, obwohl seine letzte Wahrheit seinen ursprünglichen Sinn völlig umwandeln kann. Zweitens schließt jede Art Gedanken ein Urteil in dem Sinn in sich, daß es die Realität ideell qualifiziert. Fragt man nur nach einem Begriff, bezweifelt man ihn, deutet auf ihn hin oder trägt man sich mit ihm, so bedeutet das kein explizites Urteil. So viel ist sicher und klar. Wenn wir aber weiter danach fragen, was denn diese Zustände notwendigerweise mitsetzen, so werden wir z'u einer anderen Folgerung kommen. Wenn wir ein Urteil zum Hinweis auf den Gedanken der Realität benützen,- er mag noch so unbestimmt und unbewußt sein, - so muß Denken hier ohne Ausnahme irgendwie urteilen bedeuten. Das Denken modifiziert in seinem frühesten Stadium unmittelbar eine direkte empfindungsmii.ßige Vorstellung; und obwohl einerseits die Qualifikation konditional und anderseits die Realität zum Teil nicht sinnlich wird, wird dennoch der Hauptcharakter des Denleus immer noch bewahrt. Die Beziehung zur Realität kann in verschiedenen Stufen unbestimmt und weitläufig sein. Der ideale Inhalt kann zu . einer größeren oder kleineren Umwandlung herangezogen werden; sein widerstrebender und konditionaler Charakter mag unserer Beobachtung entgehen oder auch mehr oder weniger bewußt realisiert werden. Aber einen Gedanken sozusagen in der Luft ohne irgendeine Art einer Relation zum Realen zu behaupten, das dürfte wohl nach allen Seiten und Richtungen hin für uns unmöglich sein 2). Diese Feststellung kann, wie ich wohl weiß, sehr paradox erscheinen. Man mag sagen, daß rein Imaginäres beziehungslos zur Realität ist_. Im Gegenteil es könne sogar bewußt davon fern gehalten werden. Aber bei weiterer Überlegung müßten wir finden, daß unsere allgemeine Ansicht bestehen bleibt. Das Imaginäre wird immer als ein Adjektiv des Realen angesehen. Aber beziehen wir die beiden aufeinander, so unterscheiden wir a) mit mehr oder weniger Bewußtheit die Regionen, auf die es anwendbar ist und auf welche nicht. Ferner b) sind wir wohl unterrichtet über die verschiedenen Grade der Ergänzung und Umordnung, die unser Begriff nötig hat, 1) Ich kann hier llen Leser auf meine Principles of Logic oder besser auf die Logic von Bosanquet verweisen, die in manchen Punkten einen großen Fortschritt zu meinem eigenen ·werk bedeutet. Ich habe meine Ansichten über das Urteil nur wenig modifiziert. V gl. Mind, N. S., Nr. 60. 2 ) S. Bosanquet's Logie, Einleitung· und 1lesselben Autors "Knowledge and Reality", pp. 148- 1nf>.

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bevor er die Wahrheit erreicht. Dies sind zwei Seiten des gleichen Prinzips, die ich beide kurz behandeln will. a) Was den ersten Punkt angeht, so müssen wir uns des Bedürfnisses nach Einheit in der 'V elt erinnern, wie es in jedem von uns lebt. Wir fühlen sicherlich, daß das Universum eins ist, aber das schützt uns nicht davor, daß es uns in verschiedene Sphären und Regionen geteilt erscheint. Zwischen diesen verschiedenen Provinzen unseres Lebens gibt es wohl keine sichtbare Verbindung. In der Kunst, in der Moral und Religion, Handel oder Politik oder auch bei mancher theoretischen Beschäftigung ist es ein Gemeinplatz, daß das Individuum seine Welt für sich haben kann. Oder besser, es kann verschiedene Welten ohne eine rationale Einheit besitzen, die nur durch die Koexistenz in einer Persönlichkeit verbunden sind. Diese Trennung und Tinverbundenheit (wir mögen sie manchmal nicht sehen) ist in gewissem Grade normal. Es wäre sogar unmöglich, daß jemand eine Welt hätte, deren Provinzen ganz rational verbunden wären oder in einem System erschienen. 1N enn dem so ist, kann niemand, der Begriffe annimmt oder ablehnt, immer den genauen Sinn wissen, in dem er sie bejaht oder verneint. Er meint manchmal mit Realität irgend einen Bezirk des Realen, den er für gewöhnlich nicht unterscheiden und bestimmen kann. Der Versuch zu einer Unterscheidung würde ihn in eine totale Verwirrung bringen. Die reale Welt mag vielleicht mit dem räumlichen System, das wir konstruieren, identifiziert werden. Diese ist "wirkliches Faktum" und alles andere wird beiseite gesetzt als bloßer Gedanke oder als bloße Einbildung oder Gefühl und somit als in gleicher Weise unreal. Wenn dem so ist, dann stellen sich aber gegen unseren Willen diese verbannten Regionen trotzdem als die Welten des Gefühls, der Einbildung und des Gedankens ein. So wenig wir das auch wünschen, bilden diese in der Tat aktuelle, konstituierende Faktoren in unserem realen Universum. Die Begriffe, die zu diesen verschiedenen Gebieten gehören, können sicherlich nicht ohne eine, wenn auch noch so vage Identifikation mit jedem ihrer Bezirke im Realen aufrechterhalten werden. Wir behandeln das Imaginäre, als ob es in irgendeiner Welt oder einer Nebenweit der Einbildung existierte. Trotz unseres Leugnens sind alle diese Welten für uns unvermeidlich die Erscheinungen jenes Ganzen, das wir als die einzige Realität ahnen 1). Selbst wenn wir die extremen Fälle des Befehls und des Der Leser kann hierzu die Erörterung über die Einheit der Natur in Kap. 22 vergleichen. Das Bedürfnis nach der Einheit im Ich, ein von der allgemeinen Psychologie aufgestelltes Problem, ist durch die neueren Experimente im Hypnotismus hervorragend gefördert worden. 1}

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Wunsches betrachten, bleibt unsere Folgerung unerschüttert. Ein Wunsch ist kein Urteil~ aber es schließt in gewissem Sinn ein solches in sich. Es könnte in der Tat so scheinen, als ob das, was befohlen oder gewünscht wird, seinem Wesen nach von seiner aktuellen Realität getrennt sei. Aber dieser erste Eindruck wäre irreführend. Wir müssen daran denken, claß jede Negation relativ ist. Der Begriff, der von der Realität abgelehnt wird, kann trotzdem ausgesagt werden, wenn sein Subjekt verändert wird. Er kann auch dann ausgesagt werden (was auf dasselbe herauskommt), wenn er sich selbst modifiziert. Lassen wir die letzte Zuspitzung beiseite, so können wir wohl beweisen, daß unsere Begründung auch im Fall des Wunsches ihre Geltung behält. Der gewünschte Inhalt befindet sich ohne Zweifel in einem gewissen Sinn fern der Realität; wir müssen schon sagen dürfen, der Begriff existiert nicht. Aber reale Existenz ist hier in einem eingeschränkten Sinn genommen worden. Daher kann er außerhalb jener Region, der Faktizität, die den Begriff ablehnt, doch gleichzeitig positiv auf die Realität bezogen werden. Wir können sagen, daß gerade diese Beziehung die Gegensätzlichkeit im Wunsch unerträglich macht. Die Existenz dessen, was wir wünschen, wird nicht bewußt als existierend angenommen, aber dennoch wird irgendwie vag und in einer fremden Region das Vorhandensein gefühlt; weil es das gibt, deswegen erregt sein Nicht-Erscheinen schmerzvolle Spannung. V erfolgten wir dieses Thema weiter, so fänden wir, daß schließlich in allen Fällen gedacht werden heißt als real behauptet und als solches beurteilt werden. b) Das führt uns zum zweiten Punkt. Wir haben gesehen, daß jede Vorstellung, sie mag noch so imaginär sein, irgendwie auf die Realität bezogen wird. Wir sahen aber auch, daß wir uns hinsichtlich der verschiedenen Bedeutungen des realen Subjekts und der verschiedenen Provinzen und Regionen, in denen es erscheint, mehr oder weniger unbewußt verhalten. Dasselbe Bedürfnis nach Bewußtheit ist in verschiedenem Grad auch an unserer Art, das Prädikat anzuwenden, sichtbar 1). Jede Vorstellung kann zu einem wahren Adjektiv der Realität werden, aber sie muß, wie wir sahen, Wie vorher bemerkt worden ist, sind diese beiden Punkte schließlich dasselbe. Da von verschiedenen Welten, in denen die Realität erscheint, keine für sich allein bestehen kann, sondern sie sich einander bedingen müssen, wird daher tlas, was kategorisch von der einen Welt ausgesagt wird, trotzdem konditional sein, wenn es auf das Ganze angewandt wird. Auf der anderen Seite wird ein konditionales Prädikat des Ganzen kategorisch werden, wenn es das Adjektiv eines Subjekts geworden ist, das begrenzt und daher konditional ist. Diese Betrachtungsweise der Sache ist schließlich nur eine. Und schließlich gibt es keinen Unterschied zwischen bedingend uml bedingt. Dariiber siehe Weiteres Kap. 27. 1)

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verändert werden. Mehr oder weniger erfordern sie alle eine Ergänzung und Umordnung. Aber von dieser Notwendigkeit und ihrem Grad brauchen wir gar nichts zu merken. Wir verwenden gewöhnlich die Begriffe nicht mit klarem Bewußtsein ihres Bedingtheitsgrades und sind zu gründlichen Wasensaussagen über Realität gar nicht imstande. Wir sind gewöhnlich für die in unseren Behauptungen eingeschlossenen Annahmen blind; oder ihr genauer Umfang wird auf keinen Fall unterscheidend ausgeführt. Über diesen Gegenstand könnte man sich noch interessant verbreiten, aber ich habe vielleicht schon genug gesagt, um unser Ergebnis zu sichern. Wie wenig das auch erscheinen mag, Denken heißt immer in Wirklichkeit urteilen. Wir haben gesehen, daß alle Urteile mehr oder weniger wahr sind, in verschiedenen Stufen von ihrer Norm abweichen und sie realisieren. Damit wollen wir von dem Punkte zurückkehren, der vielleicht bis zu einem gewissen Grade eine Abschweifung gewesen ist. Unsere einzige Norm hat, wie wir gesehen haben, verschiedene Seiten an sich und ich will nun weitergehen, sie kurz im Einzelnen zu exemplifizieren. a) Wenn wir eine Erscheinung in der Zeit nach dem Grade ihrer Realität einschätzen wollen, dann müssen wir das Harmonische an ihr betrachten. D. h. wir müssen fragen, wieweit wir ihre Inhalte umzugruppieren hätten, bevor sie ihre Stelle als ein Adjektiv des Realen einnehmen können. Wir müßten mit anderen Worten untersuchen, inwieweit diese Inhalte in sich konsequent und systematisch sind oder nicht sind. Ferner müßten wir auf der anderen Seite auf das Maß von Zeit oder Raum oder von beidem, das unsere Erscheinung innehat, achten 1). Wenn daher Dinge in anderer Beziehung gleichwertig sind, so ist das, was sich weiter in den Raum erstreckt oder länger in der Zeit bleibt, realer. b) Außer den Geschehnissen muß man aber notwendigerweise auch Gesetze in Anschlag bringen. Diese sind mehr oder weniger abstrakt oder konkret und hier wird die Anwendung unserer Norm nochmals abweichen. Die abstrakten Wahrheiten der Mathematik z. B. und die mehr konkreten Verknüpfungen des Lebens und des Geistes auf der anderen Seite werden beide verschiedene Ansprüche haben. Die ersten stehen dem Faktum ferner, sind leerer und einer Existenz aus sich selbst unfähiger und daher weniger wahr. Die zweiten sind Die Intensität der Erscheinung kann m. E. auf zwei Punkte bezogen werden, 1. auf Ausmaß und 2. auf Wirksamkeit. Aber die Beeinflussung eines Dinges außerhalb seiner eigenen Grenzen wird 'mter einen später zu erwähnenden Gesichtspunkt fallen (p. 376). 1)

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aber enger und daher falscher, da sie, wie zu sehen ist, ein kleineres Realitätsgebiet umfassen und dafür gelten. Oder von anderer Seite gesehen, das abstraktere Gesetz widerspricht sich mehr, weil es durch Ausschließung aus einem weiteren Spielraum bestimmt wird. Auch die Generalisation in engerem Sinn, die mehr Irrelevanz enthält, wird von diesem Gesichtspunkt aus innerlich mehr zwiespältig sein. Kurz, ob das System und das wahre Individuum in zeitlicher Existenz oder in dem Reich über den Ereignissen gesucht wird, die Norm bleibt dennoch dieselbe. Sie wird immer in der doppelten Form des Einschließens und des Harmonisierens angewandt. In einer von beiden Hinsichten mangelhaft sein heißt an Vollkommenheit zurückstehen; und endlich schließt jede Fehlerhaftigkeit ein Versagen nach beiden Richtungen in gleicher ·weise in sich. Wir werden finden, daß unsere Begründung auch noch gilt, wenn wir zu den höheren Erscheinungen des Universums übergehen. Es wäre eine arme Welt, die nur aus phänomenalen Geschehnissen und aus Gesetzen, die irgendwie darüber herrschen, bestünde. In unserem alltäglichen Leben überschreiten wir bald diese unnatürliche Trennung von Prinzip und Faktum. c) Wir bemessen die Wichtigkeit eines Geschehnisses nach dem Verhältnis seiner Wirksamkeit, d. h. je nach dem, wie es seinen Einfluß über den Raum seiner besonderen Grenzen hinaus geltend macht. Es ist klar, daß schon hier die beiden Merkmale der Selbständigkeit aus sich selbst und des Schrittes über sich selbst hinaus sich widersprechen. Wir erreichen eine höhere Stufe, auf der jede Existenz ein Gesetz und ein Prinzip zum Ausdruck bringt oder irgendwie in sich darstellt. Auf jeden Fall sind bei dem Beispiel und Stadium einer universalen Wahrheit das Faktum und das Gesetz einander ihrem Wesen nach fremd und der mangelhafte Charakter ihrer Verbindung wird ganz offen sichtbar. Unsere Norm führt uns einem Individuum mit eigenen Gesetzen zu und zu Gesetzen, die die Lebenssubstanz einer einzelnen Existenz bilden. Wir werden in unserem letzten Kapitel dazu gedrängt, in den individuellen Gewohnheiten der Seele eine unvollkommene Erscheinung dieser Art zu erkennen. Ferner finden wir in der Schönheit, die uns einen verwirklichten Typus darstellt, eine andere Form der Verbindung von Faktum und Prinzip. Gehen wir von da zum bewußten Leben iiber, so werden wir noch an weitere gewohnheitsmäßige und neue Anwendungen unserer Norm erinnert. Im Willen des Individuums oder der Gemeinschaft haben wir, soweit dieser adäquat heraustritt und sich in einem äußeren Faktum ausdrückt, einen neuen Anspruch auf harmonische und sich selbst einschließende Realität. Wir müssen

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in beiden Fällen die Konsistenz zugleich mit dem Rang und dem Raum des Prinzips und die Stufe betrachten, auf der der Wille die Existenz beherrschte und in sie überging. Wir würden uns selber von hier aus durch einen partiellen Mangel zu höheren Stufen des Seins geführt sehen. Wir müßten bei der persönlichen Relation des Individuums zu theoretischen und praktischen Zielen anlangen, bei Zielen, die eine Verwirklichung fordern, die aber ihrer Natur nach nicht in einer endlichen Persönlichkeit verwirklicht werden können. Nochmals muß unsere Norm in Anspruch genommen werden, wenn wir, wie es notwendig ist, eine vergleichende Schätzung erstreben. Denn abgesehen von dem Gelingen oder Mißlingen des Willens des Individuums besitzen diese Begriffe des letzten Guten und der Realität an sich natürlich sehr verschiedenen Wert. Wir müssen den Grad des Zwiespalts und der Begrenzung, der die Stellung für diese mannigfaltigen Erscheinungen des Absoluten in jedem Fall bestimmt, messen. Auf einige dieser Lebensgebiete werde ich noch in späteren Kapiteln zurückzukommen haben. Einige Punkte möchte ich aber schon jetzt der Aufmerksamkeit empfehlen. Ich möchte erstens wiederholen, daß ich nicht die verschiedenen Ansichten von der Welt vollständig darstellen will; ich möchte auch nicht versuchen, diese vergleichsweise nach Stufen von Realität und Wahrheit zu gruppieren. Ein solcher vollständiger Versuch müßte auf Grund eines rationalen Systems der ersten Prinzipien entstehen; in diesem Werke will ich aber nur über einige wesentliche Züge der Dinge handeln. Zweitens möchte ich eine Erwägung dem Leser nahe bringen. Bei jeder W altansieht, die die erkannte Realität auf die Existenz in der Zeit beschränkt und die Wahrheit als den V ersuch, irgendwie die Geschehnisreihe zu reproduzieren begrenzt - bei jeder Ansicht, für die ein Ding nur existiert oder gar nicht, und für die ein Begriff falsch oder aber wahr ist -, wie ist es da möglich, den mannigfaltigen Reihen der Erscheinung gerecht zu werden? Denn, wenn wir konsequent sind, werden wir dann die Masse unserer wichtigsten, menschlichen Interessen in irgendeinen unrealen Abgrund ununterschiedener Wertlosigkeit werfen? Sind wir aber nicht konsequent, wie können wir dann dennoch ohne eine intellektuelle Norm rational vorwärtskommen? Meiner Meinung nach sind wir zu dieser Alternative gedrängt. Wir müßten dann außerstande sein, nur ein Wort über die relative Bedeutung der Dinge aussagen zu können; wir können dann nichts vergleichsweise über den Sinn und die Stelle, Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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die Kunst, Wissenschaft, Religion, sozialem Leben oder Moralität in der Welt zukommen, sagen; wir wissen gar nichts über die Stufen der Wahrheit und Realität, die diese besitzen und wir können sogar nicht sagen, ob eines von ihnen irgendwelche Bedeutung für das Universum hat, ob es einen Gradunterschied schafft oder ob es überhaupt einen Wert hat. Es ist so oder wir müssen sonst unsere einseitige Ansicht revolutionieren. Aber soweit ich sehe, kann das nur auf einem der folgenden "\Vege geschehen. Wir können eine Anschauung über Wahrheit und Realität annehmen, wie ich sie zu zeichnen mich bemüht habe oder wir müssen alles kühn dem Gefühlsentscheid überlassen. Ich meine damit nicht, daß wir neben unserem früheren inadäquaten Ideal der Wahrheit auch noch nebenher eine unabhängige Wertnorm aufstellen sollten. Erstens. würde ein solcher Ausweg keinen deutlichen Sinn für "Stufen der Wahrheit" oder der "Realität" bieten; und zweitens würden in der Praxis unsere beiden Normen irgendwo zum Widerspruch tendieren. Sie würden, ohne eine Berufung auf irgendeine Einheit über ihnen, hoffnungslos miteinander kollidieren. Bei manchem religiösen Glauben oder mancher ästhetischen Vorstellung z. B. wären wir gezwungen, auszurufen: "Wie gänzlich falsch, und dennoch wie der Wahrheit überlegen, und wieviel wichtiger für uns als jede mögliche Realität!" Bei mancher erfolgreichen und weitumspannenden 'rheorie müßten wir bemerken, daß sie absolut wahr und völlig geringwertig sei, oder vielleicht von manchen physischen Fakten, daß sie keinerlei Aufmerksamkeit verdienten. Eine solche Trennung des Wertes von Realität und Wahrheit würde unsere Natur verstümmeln und könnte nur in einem irrationalen Kompromiß oder einem Oszillieren enden. Diese halbe Haltung, die zwar im Leben allgemein ist, scheint hier unzulässig; und diese habe ich nicht mit einer Unterordnung unter das Gefühl gemeint. Ich wies auf etwas weniger Mögliches, aber viel Konsequenteres hin. Es hieße ein Gefühl in irgendeiner Form als absolutes Maß nicht nur für den W er4 sondern ebenso für Wahrheit und Realität hinstellen. Wenn wir hier ein Gefühl als unser Ziel annähmen und es mit Lust identifizierten, so könnten wir von manchem Faktum behaupten: wie verständlich es auch sein mag,. dies ist absolut genommen nichts oder weil es Schmerzen verursacht, ist es eben noch schlechter und daher sogar noch weniger als nichts. Oder wenn irgendeine Wahrheit, wie einleuchtend sie auch immer erschiene, unserer Meinung nach nicht zur Vermehrung der Lust beitragen würde, so müßten wir sie zugleich als reine Mit einer solchen Einstellung Lüge und Irrtum behandeln. hätten wir schließlich, wenn auch unpraktischer Weise, v e r -

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s u c h t, eine Art von Einheit und Bedeutung in unsere Welt zu bringen 1). Wenn aber das bloße Gefühl zu unserem einzigen Maß zu machen, schließlich unmöglich ist, wenn wir nicht in der unerträglichen V erwirrung einer doppelten Norm und Kontrolle bleiben und auch nicht in die Enge und Inkonsequenz unserer alten fragmentarischen Anschauung zurückfallen können - dann müssen wir den Mut zur Annahme der Umkehrung aufbringen. Wir müssen die Vorstellung, daß die erkannte Realität in einer Reihe von äußeren oder inneren Geschehnissen besteht und daß Wahrheit nur das Entsprechen zu einer solchen Existenzform sei, völlig ablehnen. Wir müssen jeder Erscheinung in gleicher Weise ihren eigenen Grad an Realität, und womöglich auch an Wahrheit 2) zugestehen, und wir müssen diese Stufe durch die Anwendung unserer einzigen Norm überall bewerten. Ich will hier nicht versuchen (wie ich schon sagte), diese Bewertung im allgemeinen vorzunehmen; im einzelnen gebe ich zu, daß wir Fälle finden können, wo ein rationaler Vergleich hoffnungslos erscheint. Ein Mißlingen in dieser Hinsicht würde aber keinen Zweifel an unserem Prinzip rechtfertigen. Nur auf Grund unserer Unwissenheit und unserer Unvollkommenheit könnte jene Norm nicht anwendbar erscheinen. Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, sei es mir gestattet, noch kurz bei diesem Punkt zu verweilen. Unsere Norm ist die Realität in der Gestalt der Existenz aus sich selbst; diese bedeutet, wenn Pluralität und Relationen gegeben sind, ein individuelles System. Wir haben jetzt gezeigt, daß ein vollkommenes System unmöglich endlich sein kann, weil jede Begrenzung von außen den inneren Inhalt mit einer Abhängigkeit infiziert, die ihm fremd ist. Daher sind die Kennzeichen der Harmonie und der Ausdehnung zwei Seiten eines einzigen Prinzips. Was die Harmonie angeht, so wird (wenn die anderen Dinge die ~.!eichen bleiben) das, was sich über einen größeren Spielraum des Außeren verbreitet und diesen absorbiert hat, innerlich weniger zerteilt sein 8 ). Je konsequenter ein Element ist, einen um so größeren 1) Eine solche Einstellung wäre, abgesehen . von ihrer unpraktischen Art, auch innerlich inkonsequent. Das kommt in der Stellung, die sie der Wahrheit gibt, zum Vorschein. Das Verstehen, soweit es zur Beurteilung der Tendenzen der Dinge benützt wird, ist doch immer teilweise unabhängig. Wir werden dann entweder, wie vorher auf eine doppelte Norm zurückgedrängt oder wir müssen das bloße Gefühl ebenso zum Richter über diese Tendenzen machen. Das heißt ganz offenbar in einem momentanen Einfall und in Anarchie enden. 2) Ob und in welchem Sinn jede Erscheinung der Realität Wahrheit besitzt, das wird in einem späteren Kapitel (26) behandelt. 3) Der Leser darf hier nicht vergessen, daß die Inkonsequenz und Zerstreuung,

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Raum hat es, wenn die anderen Dinge gleichwertig bleiben, zu bedecken. Wenn wir diese Wahrheit vergessen, bei der etwas für das Denken abstrahiert oder für die Empfindung isoliert wird, so können wir uns wieder daran erinnern, wenn wir diese Fragmente als solche vom Universum aussagen. Wir müssen dann die Inkonsequenz unserer Prädikate und das große Ausmaß des äußeren Supplements bemerken, das wir hinzufügen müssen, wenn wir jene wahr machen wollen. Daher gibt uns die Stufe des Umfangs oder der Konsequenz den Grad von Realität und Wahrheit an. Oder betrachten wir das Gleiche von der anderen Seite, so kannst du durch das Fehlende die Bewertung vollziehen. Du kannst die Realität von etwas an dem relativen Grad der Umwandlung messen, die erfolgen würde, wenn seine Mängel ausgeglichen wären. Je mehr eine Erscheinung, wenn sie verbessert wird, verwandelt und vernichtet wird, um so weniger Realität kann eine solche enthalten; oder mit anderen Worten um so weniger rein stellt sie das Reale dar. Auf Grund dieses Prinzips gelangen wir. zu einem klaren Sinn jenes nebulosen Ausdrucks "Gültigkeit". Diese Norm ist im Prinzip zum mindesten auf jede Art Subjektsinhalt anwendbar. Denn alles hat direkt oder indirekt bei einer größeren oder geringeren Bewahrung seiner inneren Einheit einen relativen Raum in der Realität. Z. B. hat die bloße Intensität von Lust und Unlust, abgesehen von ihrer Inanspruchnahme des Bewußtseins, ebenso eine äußere Sphäre oder einen Umkreis von Wirkungen. Bei gewissen niederen Sinnen bilden diese Wirkungen einen Teil ihres Wesens oder gehören doch mindestens zu ihm. Bei den Tatsachen der Wahrnehmung gibt uns ihr Ausmaß in Zeit und Raum augenscheinlich einen Vergleichspunkt für sie. Auch bei einer abstrakten Wahrheit, die als solche nirgends eine Existenz hat, können wir den Spielraum ihres Wirkungseinflusses vergleichend betrachten. Wenn wir dann einen Zweifel an der Realität solcher Prinzipien zu hegen geneigt wären, so könnten wir auf folgende Weise uns selber korrigieren. Stelle dir alles, was sie darbieten, als aus dem Universum beseitigt vor und dann versuche zu behaupten, daß diese Trennung keinen realen Unterschied hervorrufe. Wenn wir weitergehen, so fügt sich auch ein soziales System, das sich in seinen persönlichen Gliedern bewußt ist, einen Willen zum Ausdruck gebracht zu haben, natürlich unserer Norm. ·Wir müssen hier die höhere Entwicklung einer konkreten inneren Einheit beachten. Denn wir finden eine die nicht gefühlt wird, gerade deswegen die größte ist (p. 278). Das Gefühl ist selbst eine Einheit und eine wenn auch noch so unvollständige Lösung.

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Individualität, die sich selbst ein äußeres Faktum subordiniert, obwohl sie als solche eigentlich in ihm nicht sichtbar ist. Diese Überlegenheit zu der bloßen Erscheinung in der Zeit wird auf einen höheren Grad gebracht, wenn wir in die Reiche der Religion, Spekulation und Kunst aufsteigen. Das innere Prinzip mag hier viel weiter werden und eine dichtere Einheit im eigenen Wesen haben, aber in der zeitlichen Existenz kann es sich als solches unmöglicherweise zeigen. Je höher das Prinzip und je lebenskräftiger es sozusagen die Seele der Dinge besitzt, um so weiter muß proportional der Bereich der Ereignisse sein, die jenes schließlich beaufsichtigt. Gerade aus diesem Grunde kann ein solches Prinzip nicht gehandhabt oder gesehen werden, auch ist es auf keine Weise der äußeren oder inneren Wahrnehmung gegeben. Nur die geringeren Realitäten können immer so offenbar werden, und nur sie sind wir imstande, als empfindungsmäßige Fakten zu verifizieren. Nur eine Norm wie die unsrige kann der Sinnesvorstellung ihren eigentümlichen Rang zuweisen. Nur durch die Annahme eines solchen Maßes können wir zwei große und einander entgegengesetzte Mißverständnisse vermeiden. Es gibt eine Anschauung, die die Sinneswahrnehmung als die einzig bekannte Realität annimmt oder sie wenigstens anzunehmen versucht. Auf der Gegenseite besteht eine Auffassung, die sich bemüht die Erscheinung in der Zeit als etwas Indifferentes zu betrachten. Sie sucht die Realität in der Welt des nicht empfindungshaften Denkens zu finden. Beide Irrtümer führen schließlich zu einem gleichen, falschen Resultat und beide wurzeln in dem gleichen irrtümlichen Prinzip und schließen es in sich. Beide würden uns am Ende dazu drängen, ein dünnes und verstümmeltes Bruchstück als vollständige Realität zu erfassen, das daher konsequenterweise ebenso innerlich sich widerspricht. Jedes ist auf ein und demselben Irrtum über die Natur der Dinge basiert. Wir haben gesehen, daß die Trennung des Realen in Vorstellung und Existenz eine nur innerhalb der Erscheinungswelt zulässige Teilung ist. Im Absoluten muß jede solche Unterscheidung untertauchen und verschwinden. Wir behaupteten aber ebenso, daß das Verschwinden jeder Einzelseite die Befriedigung ihrer Ansprüche in ihrer Fülle bedeutet. Obwohl wir daher nicht imstande wären im Einzelnen das Wie auseinanderzusetzen, so müßte doch jede Seite mit ihrem Gegensatz im Ganzen sich vereinen. Hier finden Gedanke und Empfindung in gleicher Weise ihre Erfüllung ineinander. Wir müssen daher das Prinzip, daß Realität nur in einer von diesen beiden Seiten der Erscheinung bestehen kann, als einen fundamentalen Irrtum ablehnen.

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Betrachten wir. daher die beiden Täuschungen, die sich von dem gleichen Stamm ·abgezweigt haben, näher. Die erste, die bemerkt, daß die Reihe der Geschehnisse wesentlich ist, folgert auf dieser Grundlage, daß die reine Empfindung, die äußere und innere, die einzige Realität sei; oder sie. behauptet, wenn wir hierbei bleiben, daß real sein heißt ·als solches wahrnehmbar sein. D. h. weil die Erscheinung in der zeitlichen Reihe als notwendig für die Realität erkannt wird 1) , - eine wahre Prämisse- wirdunbewußt ein Schritt von dieser Wahrheit zu einer fehlerhaften Folgerung gemacht. Erscheinen wird so konstruiert, als bedeute es sozusagen immer Erscheinung in Person. Nur dem körperlich Gegebenen wird Realität zugestanden und nur dem, was innerhalb eines einzigen Teiles der Reihe erkannt werden kann. Diese Folgerung ist aber radikal falsch. Keine Wahrnehmung hat jemals, wie wir deutlich gesehen haben, ein in sich selbst ruhendes Wesen. Um überhaupt Faktum zu sein, muß jede Vorstellung Idealität aufweisen, oder mit anderen Worten über sich selbst hinausreichen; das, was in irgendeinem einzigen Moment erscheint, ist als solches ein Widerspruch in sich. Anders gesehen, je weniger ein Merkmal als solches zur Erscheinung befähigt ist, - je weniger seine notwendige Manifestation in Zeit oder Raum eingeengt werden kann - um so viel mehr ist es zur Ausdehnung und inneren Harmonie geeignet. Diese beiden Merkmale sind aber, wie wir sahen, die Kennzeichen der Realität. Das zweite Mißverständnis ist gleich dem ersten. Erscheinung wird wiederum fälschlich dem bloßen Darbieten für die Sinne identifiziert und wiederum wird eine falsche Folgerung auf dieser Grundlage gezogen. Aber der Irrtum geht nunmehr in entgegengesetzter Richtung weiter. Weil die höchsten Prinzipien klar und offenbar nicht durch die Sinne wahrnehmbar sind, wird von ihnen angenommen, daß sie ihr Wesen in der Welt des reinen Gedankens hätten und dort wohnten. Diese andere Region wird mit mehr oder weniger Konsequenz als die einzige Realität konstituierend angesehen. Bier wird aber die Gedankenwelt, wenn sie aus dem reihenhaften Fluß der Geschehnisse völlig ausgeschaltet wird, äußerlich beschränkt und ist innerlich widerspruchsvoll; wenn wir dann noch das Universum durch unser rein ideales Abstraktum zu qualifizieren und diesen Inhalt mit der in der Wahrnehmung erscheinenden Realität zu verbinden suchen, wird die Verwirrung noch deutlicher. Da die Sinneserscheinung als wahrheitsfern aufgegeben worden ist, ist sie konsequenterweise in Freiheit gesetzt worden und gar nicht untergeordnet. 1)

Vgl. hierzu die Kap. 19 u. 23.

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Ihr konkretes Wesen bestimmt nunmehr offenbar und übt Einfluß von außen her auf das, was wir uns auch immer als reines Denken vom Realen auszusagen bemühen. Die einzige Begründung der Wahrheit ist aber - die in jeder Wahrnehmung vorhandene Verbindung von Denken und Empfindung, das gleichzeitige Vorhandensein von Faktum und Idealität in allen Erscheinungen und überall. Wenn wir aber außerdem die Unterscheidung hinzufügen, das Existenz-haben noch nicht existieren zu bedeuten braucht, daß Realisiertwerden in der Zeit nicht immer durch eine Empfindung sichtbar werden heißt, dann haben wir uns selbst gegen die schlimmsten der Irrtümer sichergestellt. Von da aus werden wir bald auf unser Prinzip der Wahrheits- und Realitätsstufen geführt. Unsere Welt und unser Leben braucht dann nicht mehr auf Willkür zu beruhen. Sie brauchen dann nicht aus den zwei Hemisphären des Faktums und der Phantasie zusammengesetzt sein. Auch braucht sich das Absolute nicht unterschiedlos in einem Chaos zu offenbaren, in dem Vergleich und Wert fehlen. Wir können den Unterscheidungen von höher und niedriger einen rationalen Sinn geben 1). Wir sind zunehmend davon überzeugt, daß, solange Nicht-erscheinen heißt unreal sein und solange die vollere Erscheinung die vollere Realität kennzeichnet, unser Prinzip damit allein nur halb bestimmt ist. Denn die vergleichsmäßige Fähigkeit, individuell und als solches innerhalb der Sinnesregion zu existieren ist überall, soweit sie zutrifft, ein Zeichen der Degradation auf der Seinsskala. Oder, behandeln wir das Problem etwas weniger abstrakt, so können wir auch auf andere Weise die wahre Stellung zeitlicher Existenz zu kennzeichnen suchen. Wie wir gesehen haben, ist diese nicht Realität, ist aber anderseits in unserer Erfahrung ein wesentlicher Faktor. Anzunehmen, daß der reine Gedanke ohne die Fakten entweder real sein oder die Wahrheit erreichen könnte, ist ganz offenbar absurd. ·Die Geschehnisreihe ist zweifellos für unsere Erkenntnis 2 ) notwendig, da diese Reihe die einzige Quelle unseres ganzen ideellen Inhalts bedeutet. Wir können ohne weiteres und mit genügender Genauigkeit sagen, daß im Denken nur das vorhanden ist, was aus einer Wahrnehmung abgeleitet wird, ganz gleich ob Inhalt oder Relationen. Zweitens nur dadurch, daß wir von der Vorstellungsbasis ausgehen, konstruieren wir unser phänomenales System im Raum und in der Zeit. Wir haben schon (Kap. 18) be1 ) Die Rolle, die beim Wertschätzen Lust und Unlust zuzuweisen ist, wird in Kap. 25 erörtert werden. 2 ) Die Reihe ist ihrem eigenen Wesen nach natürlich eine ideale Konstruktion. Wir brauchen das hier aber nicht zu berücksichtigen.

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merkt, daß jede solche konstruierte Einheit nur relativ, unvollkommen und partiell war. Trotzdem ist aber das Gebäude der Sinnenwelt auf der Grundlage aktueller Vorstellung eine Bedingung unserer ganzen Erkenntnis. Es ist nicht wahr, daß alles, selbst wenn es zeitlich ist, seinen Platz in unserer einzigen "realen" Ordnung von Raum und Zeit haben muß. Aber jedes erkannte Element muß direkt oder indirekt mit seiner Geschehnisfolge verbunden werden und muß sich mindestens in gewissem Sinn auch darin zeigen. Das Kennzeichen der Wahrheit liegt demnach, wie wir auch sagen dürfen, in dem vorgestellten Faktum. Wir müssen hier ein ernsthaftes Mißverständnis zu vermeiden suchen. Wir haben bemerkt, daß der Gedanke ohne Existenz unvollständig ist; das bedeutet aber nicht, daß der reine Gedanke an sich ohne Existenz ganz vollständig sei und daß die Existenz hierzu eine fremde, aber notwendige Ergänzung noch hinzufüge. Denn wir haben prinzipiell erkannt, daß, wenn etwas vollkommen wäre, es durch eine Hinzufügung von außen nicht gewinnen würde. Hier liegt besonders die erste Aufgabe des Denkens, wenn es nach dem aktuellen Faktum strebt, nämlich die Erweiterung und das Harmonisieren seines eigenen ideellen Inhalts. Der Grund hierfür ist, wenn wir es näher betrachten, ganz deutlich. Der bloß gedachte oder nur vorgestellte Dollar ist verhältnismäßig abstrakt und ohne besondere Eigentümlichkeiten. Aber der im Raum verifizierte Dollar hat seinen Ort in einer enormen Konstruktion von Dingen und wird durch sie bestimmt. Die Annahme, daß der konkrete Zusammenhang dieser Relationen in keiner Weise seinen inneren Inhalt qualifiziert oder daß diese Qualifikation für den Gedanken indifferent sei, ist ganz unhaltbar. Ein reiner Gedanke würde einen ideellen Inhalt, der von der Existenz getrennt gehalten wird, bedeuten. ·wie wir aber gelernt haben, bedeutet einen Gedanken festhalten immer, selbst gegen unseren Willen, ihn irgendwie auf das Reale beziehen. Wenn daher unsere reine Vorstellung in Relation mit dem Realen steht, dann ist sie ebenso mit dem phänomenalen System der zeitlichen Ereignisse verbunden. Sie wird in Relation zu ihnen gesetzt, aber ohne jede Verbindung mit der inneren Ordnung und den Gruppierungen ihres Systems. Das bedeutet aber, daß unsere bloße Vorstellung durch jenes System völlig von außen her bestimmt wird. Sie wird daher selbst innerlich durchdrungen und so durch die Zufälligkeit, die ihrem Inhalt diese chaotischen Relationen aufzwingt, zerstört. Von dieser Seite gesehen würde ein Gedanke, wenn er wirklich rein wäre, um einen Grad tiefer als die sogenannten zufälligen Sinnesfakten stehen. Denn in diesen haben wir doch mindestens man c h e innere V er-

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bindung mit dem Zusammenhang der Universalien und schon eine feste Relation zu ihnen, sie mag auch noch so unrein sein. Jede Realität muß in der Welt der Geschehnisse zu entdecken sein; und das ist das Realste, was sich innerhalb einer solchen Ordnung oder Ordnungen am wenigsten als Fremdes vorfindet. Falls daher die anderen Merkmale gleichwertig bleiben, so bedeutet eine bestimmte Stelle innerhalb des zeitlichen Systems oder eine Verbindung mit ihm das Anwachsen der Realität. Denn so bestimmen die Relationen zu anderen· Elementen, die auf jeden ~,all Bestimmungen ausüben müssen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade von innen her. So weit muß daher das Vorgestellte ärmer als das wahrnehmbare Faktum sein; oder mit anderen Worten es wird zwangsweise durch ein größeres Bild fremder und destruktiver Relationen qualifiziert. Ich habe ausdrücklich betont, "wenn die anderen Dinge gleichwertig bleiben", denn diese Beschränkung ist wichtig. Es gibt eine Vorstellung, die höher und wahrer und das sei ausdrücklich hervorgehoben, realer als jedes einzelne Faktum der Empfindung ist. Dies bringt uns auf unsere alte Unterscheidung zurück. Jede Wahrheit muß erscheinen und muß die Existenz unterordnen; aber diese Erscheinung ist nicht dasselbe wie eigentliches Vorhandensein als solches innerhalb der Grenzen der Sinneswahrnehmung. Wir können dies bei den allgemeinen Prinzipien der Wissenschaft wohl sogleich sehen. Auch bei den notwendigen Erscheinungen von Kunst und Religion ist dieselbe Folgerung evident. Die Erfahrung des Ewigen gerät auf keinen Fall in die Raum- und Zeitreihe; oder sie gerät unberechtigt in jene Reihe und mit einem Schein, der auf verschiedene Weise ihrem Wesen widerspricht. Dem zentralen Herzen der Dinge näher sein heißt den äußeren Umkreis weiter beherrschen; aber es bedeutet, dort nur unvollständig und partiell erscheinen und zwar mittels eines Zeichens, in einer unsubstantiellen und flüchtigen Ausdrucksform. Nichts, nicht einmal der realisierte und feste moralische Wille, kann irgendwo weder so ganz real sein, wie er in der Zeit existiert noch in seinem eigenen wesentlichen Charakter erscheinen. Aber dennoch ist die letzte Realität, in der jede Erscheinung untergetaucht ist, schließlich doch die aktuelle Identität von Begriff und Existenz. Alles, was in der ganzen Welt individuell ist, ist realer und wahrer; denn es enthält innerhalb seiner Grenr.en eine weitere Region des Absoluten und besitzt den Typus der Selbstgenügsamkeit noch intensiver. Oder, um es noch anders zu sagen, der Zwischenraum zwischen einem derartigen Element und dem Absoluten ist kleiner. Wir hätten bei ihm weniger Veränderung und Zerstörung seines eigenen

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besonderen Charakters nötig, um dieses höhere Element vollständig real zu machen. Wir können nunmehr von diesem allgemeinen Prinzip zu verschiedenen interessanten Punkten übergehen und zuerst einige Schwierigkeiten betrachten, die sich bei diesem Kapitel ergaben. Die Probleme der nicht beobachteten Natur, der Dispositionen in der Seele und überhaupt die Bedeutung der potentiellen Existenz erfordern unsere Aufmerksamkeit. Ich muß zunächst auf einen Irrtum hindeuten. Wir haben gesehen, daß ein Begriff um so wahrer ist, je mehr er sich der Realität nähert. Er kommt der Realität um so näher, je mehr er von innen zur Vollständigkeit heranwächst. Von da aus könnten wir möglicherweise folgern, daß der Gedanke, wenn er als solcher vollständig wird, ·selbst real werden würde, oder daß die idealen vollständigen Bedingungen dasselbe wie aktuelle Vollkommenheit wären. Aber ein solcher Schluß wäre nicht zu halten; denn wir haben gefunden, daß der reine Gedanke als solcher niemals vervollständigt werden könnte ; und daher bleibt er innerlich inkonsequent und mangelhaft. Wir haben anderseits beobachtet, daß der vervollständigte Gedanke gezwungen ist, über sich selbst hinauszugehen. Er muß dann eins mit Empfindung und Gefühl werden. Da diese Bedingungen seiner Vollkommenheit ihm selber teilweis fremd sind, können wir von ihm weder sagen, daß er durch sich selbst zur Vollständigkeit gelangt, noch daß er, wenn er vollendet sein sollte, als solcher noch länger existiert. Damit dürfen wir zu einigen anderen Problemen weitergehen. Wir fanden (Kap. 22), daß Teile der physischen Welt zwar existieren könnten, aber für uns nur in Gedankenform. Wir haben aber ebenso ausgeführt, daß im Absoluten, in dem die Inhalte aller endlichen Iche verschmolzen werden, diese Gedankenexistenzen wieder mit der Empfindung vereinigt werden müssen. Derselbe Schluß gilt von den psychischen Dispositionen (Kap. 23). Diese haben ihrem eigenen Wesen nach nur in der Gedankenwelt ihr Sein. Denn sie sind, wie wir sahen, konditional; und das Konditionale hat als solches keine aktuelle Existenz. Aber wiederum müssen die Begriffe ihre V ervollständigung im Ganzen finden - über das Wie im Einzelnen können wir nichts sagen. Durch die Hinzufügung dieser anderen Seite werden sie einen Teil der konkreten Realität bilden. Unser vorliegendes Kapitel dürfte uns vielleicht zu einer klareren Einsicht dieser Punkte geholfen haben. Denn wir haben gefunden, daß ideelle Bedingungen über sich selbst hinausgehen müssen, um vollständig zu sein und damit real zu werden. Sie müssen die Welt

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des reinen Gedankens überschreiten. Wir haben zweitens gesehen, daß jede Vorstellung einen gewissen Grad von Wahrheit und Realität besitzen muß. Der ideelle Inhalt muß in der Region .der Existenz erscheinen; und wir haben gesehen, daß wir kein Recht haben, ihn immer als unreal anzusehen, weil er nicht imstande ist, als solcher sich zu zeigen und einen Platz in der Existenz einzunehmen. Wir können nunmehr dieses Prinzip auf die Fähigkeiten der Seele und den ungesehenen Teil der Natur anwenden. Die ersteren können eigentlich nicht existieren und der letztere braucht es sicherlich nicht. Wir möchten sie beide als solche für unfähig halten, zu erscheinen. Dieses Zugeständnis schwächt aber an sich (wie wir jetzt gelernt haben), nicht ihren Anspruch auf Realität ab. Der Grad ihrer Realität wird, bei Anwendung unserer Norm, von ihrer Wichtigkeit, von dem Einfluß und dem Wert, den sie im Universum besitzen, abhängen. Beide werden unter den Begriff der "potentiellen Existenz" fallen und wir können nun zur Erwägung des Sinnes dieses Ausdrucks übergehen. Die Worte "potentiell", "latent" und "werdend", wir können noch "virtuell" und "Tendenz" hinzufügen, werden allzuoft gebraucht. Sie werden angewandt, um anzudeuten, daß ein gewisses Etwas existiert und zwar, obwohl wir wissen sollten oder wissen, daß es sicherlich nicht existiert. Es dürfte schwer sein, den Dienst, den diese Begriffe manchen philosophischen Schriftstellern erweisen, zu überschätzen. Das geht uns hier aber nichts an. Potentielle Existenz bedeutet eine Reihe von Bedingungen, einen Teil von dem, was an einem gewissen Punkt von Raum oder Zeit vorhanden ist, während der andere Teil ideell bleibt. Sie wird im allgemeinen ohne irgendeine klare Vorstellung darüber angewandt, wieviel denn nötig ist, um diese Bedingungen zu erfüllen. Dann wird von dem Ganzen gesprochen und es wird so angesehen, als ob es an der Stelle existierte, an der in Wirklichkeit nur ein Teil seiner Faktoren vorhanden ist. Ein solcher Mißbrauch ist offensichtlich nicht zu halten. "Potentielle Existenz" wird richtig in folgendem Sinn angewandt. Wir können damit meinen, daß etwas irgendwie schon in einem gegebenen Zeitmoment erscheint, obwohl es bis jetzt nicht völlig oder seinem eigenen eigentümlichen Wesen nach erscheint. Ich will später die positiven Bedingungen, die für eine solche Anwendung nötig sind, zu zeigen versuchen, es ist aber besser, zunächst auseinanderzusetzen, wo sie durchaus unzulässig ist. Wir sollten dort nicht von potentieller Existenz sprechen, wo das gegebene Faktum, falls die Existenz aktuell geworden wäre, dann ganz verschwunden wäre. Der Teil der Bedingungen, der im Augenblick erscheint, muß

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das übrige auf kausale Weise hervorbringen; und damit das geschieht muß ein fremder Anlaß hinzukommen. Wenn aber so viel hinzugefügt wird, daß die Individualität dieser ersten Erscheinung völlig vernichtet oder sogar begraben oder überschwemmt wird, ist die "potentielle Existenz" unanwendbar. So kann der Tod eines Menschen sich aus der Lage eines Kirschkerns ergeben; deswegen aber von jedem Kirschkern als dem potentiellen Tod eines Menschen zu sprechen, und von jedem solchen Tod zu sagen, er erscheine schon in jedem beliebigen Stern, wäre sicherlich übertrieben. Denn ein so hohes Maß äußerer Bedingungen muß zu dem Resultat beitragen, daß schließlich Bedingung und Folge nur äußerlich durch Zufall miteinander verbunden werden. Wir können dies vielleicht noch deutlicher durch ein stärker mißbräuchliches Beispiel erkennen. Ein von einem Poeten gegessenes Stück Brot kann eine für die Produktion eines lyrischen Gedichtes benötigte Bedingung sein. Würde aber jemand eine solche Gedichtsexistenz in jedem Stück Nahrung virtuell lokalisieren, von dem man in ähnlicher Weise annehmen könnte, daß es zufällig einmal in einen Poeten geriete? Diese Absurditäten können zur Bestimmung der richtigen Anwendung unseres Begriffes dienen. Er ist überall dort anwendbar, wo der gegenwärtige Faktor zur Produktion des Übrigen fähig betrachtet wird; und er muß dies ohne den Totalverlust seines eigenen Existenzcharakters bewirken können. Mit anderen Worten, die Individualität muß in diesem Prozeß kontinuierlich sein; und das Ende muß in sehr hohem Maße dem Anfang verpflichtet sein. Dies sind zwei Seiten an einem einzigen Prinzip. Denn, wenn mehr als ein bestimmtes Maß äußerer Bedingungen hineingebracht wird, so wird die ideelle Identität des Anfangs und Endes vernichtet. Denn dann wäre das Resultat selber offenbar nicht im Anfang da und könnte dort in keinem vernünftigen Sinn schon erschienen sein. Das gewöhnliche Beispiel von dem Ei, das später selbst eine Henne wird, ist eine solche legitime Anwendung. Anderseits jeden Menschen ohne Unterschied ein potentielles Scharlachfieber zu nennen würde mindestens an Ungenauigkeit streifen. Dagegen wäre die Behauptung, er sei jetzt schon ein solches Produkt, wie es nur durch seine eigene Auflösung hervorgebracht werden kann, einfach absurd. Potentielle Existenz kann, kurz gesagt, nur dort angewendet werden, wo "Entwicklung" oder "Evolution" ihren eigentlichen Sinn behält. Unter Sinn der Evolution verstehe ich nicht jenen willkürlichen Mißbrauch des Begriffes, der durch ein sogenanntes "System der Philosophie" verteidigt worden ist. Unter gewissen Bedingungen kann also der Begriff des poten-

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tiellen Seins angewandt werden. Ich muß aber zugleich hinzufügen, daß er nirgends vollständig wahr und genau angewandt werden kann, denn damit sich etwas selbst entwickelt, müssen äußere Bedingungen hinzukommen; und es ist schließlich unmöglich dem Ausmaß dieses fremden Stoffes eine Grenze zu ziehen. Die ursprüngliche Ursache muß immer die ganze Ursache sein, und die ganze Ursache könnte niemals vollständig sein, ehe sie nicht ins Universum aufgenommen worden ist 1). Dies ist keine bloß raffinierte Spekulation, sondern eine bei der Arbeit erfahrene Schwierigkeit; wir stießen zuletzt auf sie bei der Untersuchung von Leib und Seele (Kap. 23). Streng genommen kannst du niemals behaupten, daß etwas sein wird auf Grund dessen, was es ist; wo du aber das nicht sagen kannst, ist die potentielle Existenz zum Teil ungenau. Sie muß mehr oder weniger unbestimmt und mit mehr oder minder Lizenz angewandt werden. Wir stehen, kurz gesagt, zwischen zwei Gefahren. Wenn du es völlig ablehnst, von einem Endlichem Relationen auszusagen - Relationen, die notwendigerweise zum Teil äußerlich und darum teilweis variabel sind - dann wird deine Aussage hierüber bald aufhören und inhaltslos sein. Im anderen Fall aber wirst du darüber nur aussagen, was nur möglicherweise ist. Einmal in diese Richtung vorwärts getrieben wirst du bald über alle Grenzsetzungen hinausgestoßen. Du wirst gezwungen, das Subjekt deiner Prädikate unbegrenzt auszudehnen, bis es schließlich in ein völlig davon Verschiedenes verschwunden ist. Bei der Anwendung der "potentiellen Existenz" befinden wir uns sozusagen auf einer schiefen Ebene. Wir gehen von der Behauptung aus: "A ist so, daß es unter wahrscheinlichen Bedingungen sein Wesen zu B entwickeln wird; daher wage ich es, es schon ·jetzt B zu nennen." Wir enden dann mit dem Anspruch, daß es auf dieser Stufe schon 0 genannt werden kann, weil A möglicherweise in ein anderes Ergebnis 0 übergehen kann. Wir müssen das gelten lassen, obwohl 0 nur zu einem sehr geringen Teil von A hervorgebracht worden ist, und A im Endergebnis selber total verschwunden sein mag. Wir müssen daher zugeben, daß die potentielle Existenz einen gewissen Kompromiß in sich enthält. Ihre tatsächliche Anwendung kann nicht auf Grund eines sehr strengen Prinzip~ bestimmt werden. Behalten wir aber im Gedächtnis, was der Begriff bedeuten will und was er immer mehr oder weniger in sich schließen muß, so können wir in der Praxis, wenn wir ihn zweckmäßig und vorsichtig anwenden, damit weiterkommen. Er wird aber doch am Ende eine 1)

Uml das ist unmöglich.

S. die Kap. 6 u. 18.

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weitverbreitete Quelle der Verwirrung und Gefahr bleiben. Je mehr ein Schriftsteller sich von Natur zu diesem Ausdruck hingezogen fühlt, um so mehr wird er wahrscheinlich Grund haben, ihn bei dem kleinsten V ersuch zu meiden. Vielleicht kann noch manches Licht auf einige Probleme fallen, wenn wir weiterhin das allgemeine Wesen von Möglichkeit und Zufall betrachten 1). Wir berührten diesen Gegenstand schon, als wir untersuchten, ob vollständige Möglichkeit dasselbe wie Realität sei (p. 314). Unsere Antwort auf diese Frage kann kurz folgendermaßen zusammengefaßt werden: Möglichkeit schließt in sich die Trennung des Denkens von der Existenz; da aber auf der anderen Seite diese beiden Extreme wesentlich eins sind, ist jedes, solange sie voneinander getrennt sind, von innen her unvollkommen. Wenn daher das Mögliche als solches erfüllt werden könnte~ so wäre es in das Reale übergegangen. Hätte es aber dies Ziel erreicht, dann wäre es gar kein reiner Gedanke mehr und daher konsequenterweise auch keine Möglichkeit mehr. Das Mögliche hat immer die partielle Trennung des Begriffs von der Realität in sich. Es ist eigentlich die Denkfolge auf Grund eines vorangehenden Ideellen. Es folgt aus einer Bedingungsreihe einem niemals in sich vollständigen System, das als solches nur für einen Teil seines Bereichs als real angesehen wird. Diese letzte Qualifikation ist aber notwendig. Das Mögliche ist selbst nicht real; sein Wesen geht aber teilweis über die Begriffe hinaus und es hat überhaupt keinen Sinn, wenn es nicht möglicherweise real ist. Es muß von einer realen Basis aus und in Relation zu ihr entwickelt werden. Daher kann es so etwas wie unbedingte Möglichkeit gar nicht geben. Mit anderen Worten, das Mögliche ist immer relativ. Wenn es versucht, davon frei zu sein, hört es selber auf. Wir werden dies vielleicht noch besser verstehen, wenn wir uns an das Wesens des relativen Zufalls erinnern (Kap. 19). Zufall ist das gegebene Faktum, das sich außerhalb eines idealen Ganzen oder Systems abspielt. Jedes Element, das nicht in ein solches Allgemeine eingeschlossen ist, ist in Beziehung zu jenem Allgemeinen ein reines Faktum unq damit relativer Zufall. Zufall würde, mit anderen Worten, nicht tatsächlicher Zufall sein, wenn er nicht ebenso mehr wäre. Er wird in einer negativen Relation zu irgendeinem Begriff gesehen, er könnte aber in keiner Relation existieren, wenn er nicht schon an sich selber ideal wäre. Bei der relativen Möglichkeit finden 1)

Über Möglichkeit vgl. Kap. 27 und Principles of Logie, Hook I, Chap. VII

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wir auch eine entsprechende Verwicklung. Das Mögliche selber wäre nicht möglich, wenn es nicht mehr und nicht partiell real wäre. Es muß eine aktuelle Basis geben, auf der ein Teil seiner Bedingungen realisiert wird, obwohl diese aktuelle Basis im Möglichen und durch dieses nicht ausgedrückt, sondern nur in ihm gemeint zu werden braucht. Da diese Bedingungen mannigfaltig sind, und da der Teil, der als real angesehen wird, im hohem Maß variabel ist, variiert dementsprechend die Möglichkeit. Ihre Art sich zu vervollständigen und die Wirklichkeitsbasis im Einzelnen, die mit eingeschlossen ist, können beide ungleich sein. Daher ist die Möglichkeit eines Elementes verschieden, je nachdem es in diesen verschiedenen Relationen begriffen wird. Wir dürfen wohl sagen, Möglichkeit und Zufall stehen folgendermaßen zueinander: Ein aktuelles Faktum ignoriert mehr oder weniger die ideal~ Erfüllung, die es in seinem Wesen in sich schließt. 'Venn du es daher nur in Relation zu irgendeinem System siehst, das sich außerhalb von ihm erfüllt, so ist das aktuelle Faktum so weit Zufall. Das Mögliche isoliert auf der anderen Seite ausdrücklich einen Teil der idealen Erfüllung und schließt zugleich mehr oder weniger unbestimmt seine reale Erfüllung in sich. Es fluktuiert daher mit den verschiedenen Bedingungen, die für seine Erfüllung für notwendig erachtet werden. Von diesen Bedingungen muß aber ein Teil aktuelle Existenz haben oder als solcher real sein. Diese Begründung gilt immer noch, wenn wir auch zu den niedrigsten Graden der Möglichkeit übergehen. Ich setze eine Vorstellung, die ich zunächst nicht sinnlos nennen kann. Diese Vorstellung sehe ich zweitens weder sich selber noch der Realität widersprechen. Ich nehme daher an, daß sie diesen Mangel nicht hat. Und nur auf Grund dieser Tatsache werde ich eine solche Vorstellung möglich nennen. Es könnte scheinen, als ob wir hier von der relativen zur unbedingten Möglichkeit übergegangen wären; diese Auffassung wäre aber irrig. Das Mögliche ist hier immer noch eine Folge von Bedingungen, von denen ein Teil aktuell ist. Denn, obwohl wir von seinen speziellen Bedingungen nichts wissen, so tappen wir doch nicht völlig im Dunkeln. Wir haben an ihm ein Mehr oder Weniger an allgemeinem Charakter angenommen, materiellem und formellen, wie er der Realität zukommt. Dieser Charakter ist seine aktuelle Ba,sis und der reale Grund der Möglichkeit. Ohne diese wäre die Vorstellung überhaupt keine mögliche mehr. Was sollen wir nun von der Möglichkeit oder dem Zufall sagen, der rein und nicht relativ, sondern absolut und unbedingt ist? Wir müssen von beiden erklären, daß jedes eine Seite des gleichen funda-

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mentalen Irrtums darstellt. Jeder drückt auf eine andere Weise denselben Widerspruch in sich selbst aus; es kann vielleicht der Mühe wert sein, das im Einzelnen auseinanderzusetzen. Bei der bloßen Möglichkeit wird der gegebene Wunsch nach allseitiger V erbindung mit dem Realen zu einer Grundlage für eine positive Aussage konstruiert. Reiner Zufall gibt uns ferner als ein Faktum (und daher in einer Relation) ein Element, das, solange es dauert, ohne Relation besteht. Ich will diesen Satz nunmehr erläutern. Ich habe eine Vorstellung, und da ich meiner Meinung nach nichts von ihr weiß, will ich sie möglich nennen. Wenn nun die Vorstellung einen Sinn hat und man von ihr annimmt, daß sie sich nicht selbst widerspricht, so ist das zugleich (wie wir gesehen haben) ein positives Merkmal in der Vorstellung. Dies bietet zugleich einen einsichtigen Grund dafür, daß man sie als aktuell ansehen kann. Da eine solche Möglichkeit in Relation zu einem Attribut des Realen steht, ist sie, wie bekannt, immer noch nur eine relative Möglichkeit. Bei absoluter Möglichkeit nehmen wir an, ohne eine solche Kenntnis zu sein. Nur weil ich hier keine Relation zwischen meiner Vorstellung und Realität finde, behaupte ich, daß meine Vorstellung angemessen sei. Diese Behauptung ist ganz deutlich inkonsequent. Angemessen bedeutet das, was zum Teil als wahr erkannt wird; also das, was innerlich mit dem Realen verbunden ist. Das bedeutet aber zugleich Assimilation und begreift die Durchdringung des Elementes durch irgendeine Qualität oder durch Qualitäten des Realen in sich. Wenn das Element angemessen ist, wird es, wenn auch mit einer größeren oder geringeren Zerstörung seines eigentümlichen Charakters, beibehalten. Bei der reinen Möglichkeit habe ich aber den Sinn von angemessen verkehrt. Weil ich keinerlei Unangemessenheit vorfinde, d. h. weil ich eine bestimmte Wahrnehmung nicht habe, will ich meine Vorstellung angemessen nennen. Mit anderen Worten, auf Grund meines bloßen Nicht-Wissens will ich wissen, daß meine Vorstellung assimiliert und daß sie bis zu einem größeren oder geringeren Grade in der Realität weiterbestehen wird. Eine solche Stellung ist aber unvernünftig. Das, was unbedingt möglich ist, wird ohne Relation zum Realen betrachtet und man nimmt an, daß es von dieser unbestimmt bleibt. Nicht erkannte Relationen gibt es nicht, und daher überhaupt keine und somit auch keine fremden Relationen, die unsere angenommene Vorstellung durchdringen und auflösen könnten. Wir bleiben dabei, sogar wenn die Vorstellung auf das Reale angewandt wird. Eine Relation zum Realen schließt aber wesentlich auch eine Relation zu dem ein, was das Reale an sich hat; daher bedeutet

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keine Relationen zu den Eigenschaften von etwas haben, ihn ganz von außen haben. Reine Möglichkeit ist daher gegen unseren Willen ein Extrem der Relationsbeziehung. Denn sie wird d e f a c t o mit der Realität in Beziehung gebracht, wie wir sie in unserem Geist haben; und da die Verbindung äußerlich ist, ist die Relationsbeziehung durch eine äußere Notwendigkeit gegeben. Aber notwendige Relation eines Elementes zu einem Äußeren bedeutet, wie wir wissen, das Durchbrechen dieses Elementes von innen her. Das rein Mögliche wäre daher, wenn es existieren könnte, nach allem, was wir wissen, ein bloßer Irrtum. Denn es wäre unserer Kenntnis nach eine Vorstellung, die auf keine Weise und in keinem Grade von der Realität aufgenommen wird. Ohne eine aktuelle Basis in der Realität und ohne eine positive Verbindung mit ihr ist das Mögliche, kurz gesagt, überhaupt nicht möglich 1 ). Ein ähnlicher Widerspruch in sich liegt bei dem absoluten Zufall vor. Der absolute Zufall würde ein Faktum bedeuten, das frei von aller inneren Verbindung mit seinem Zusammenhang gegeben ist. Er müßte ohne Relation dastehen oder besser mit allen seinen Relationen nach außen. Da aber jedes Etwas durch die Relationen determiniert werden muß, in denen es steht, würde nun der absolute Zufall völlig von außen her bestimmt werden. Infolgedessen würde der Zufall eine vollständige innere Zerstörung in sich schließen. Er würde daher implicite die gegebene Existenz ausschließen, die er explicite postuliert. Wenn der Zufall nicht mehr als reiner Zufall ist und so seine Relativität zugibt, verfehlt er sein eigenes Wesen. Relativer Zufall bedeutet das Eingeschlossensein in irgendein ideales Ganze und bejaht auf dieser Grundlage eine äußere Relation zu irgendeinem anderen Ganzen. Der absolut gewordene Zufall muß aber eine positive Existenz in der Relation bejahen, während er doch be· hauptet, daß alle Relationen außerhalb dieser Existenz sich abspielen. Eine solche Vorstellung widerspricht sich selber. Wir können den gleichen Widerspruch aber auch folgendermaßen darstellen. Es sei ein Element gegeben und es gelänge uns seine V erEs lohnt sich, hier zu bemerken, daß Möglichkeit, wenn wir sie unbedingt machen wollen, der Bedeutung von Unerfaßbarkeit oder Unmöglichkeit gleichkommt. Das Unmögliche ist in Wirklichkeit das, was einer positiven Erkenntnis widerspricht (Kap. 27). Es ist niemals das, dessen Verbindung mit der Realität nur mißglückt. Sondern, wenn du es fälschlich in diesem Sinn nimmst und du es auf ein bloßes Fehlen basierst, dann hätte es sich unter der Hand in das unbedingt Mögliche gewandelt. Denn dies ist tatsächlich mit der Realität nicht zu vereinen, da wir de facto die Realität in uns haben. Jede dieser Vorstellungen ist, kurz gesagt, auf einem Nichtvorhandensein fehlerhaft aufgebaut und jede eine andere Seite des gleichen sich selbst widersprechenden Komplexes. Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit. 21 1)

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bindung mit irgendeinem System nicht, dann bemerken wir in einem Inhalt keine inneren Relationen zu etwas außer ihm - also Relationen, die, weil sie ideal sind, notwendig und ewig sind. Auf Grund dieses Mißlingens gehen wir dann zu einer Leugnung über und behaupten, daß keine solchen inneren Relationen vorhanden sind. Jede Relation durch~ringt aber, wie wir gelernt haben, wesentlich das Sein ihrer Bezugspunkte und ist in diesem Sinn wirklich; oder mit anderen Worten, jede Relation muß eine Inhaltsrelation sein. Daher ist das Element, das als reiner Zufall von allen idealen Relationen entblößt ist, überhaupt ohne Relation. Ist es aber ohne Relation und unbestimmt, dann ist es überhaupt kein gesondertes Element mehr. Es kann die ihm von dem absoluten Zufall zugeschriebene Existenz nicht besitzen. Zufall und Möglichkeit mögen zwei verschiedene Seiten eines einzigen Komplexes heißen. Relativer Zufall steht für etwas, das da ist, aber nur teilweise verknüpft und verstanden wird. Dies ist daher das, was nur teilweis irgendwie existiert. Das relativ Mögliche ist auf der anderen Seite das, was unvollständig verstanden, aber dennoch für mehr oder minder irgendwie real angesehen wird. Beides ist somit eine unvollkommene Art, Realität darzustellen. Oder wir können auch, wenn es uns beliebt, die Unterscheidung in einer anderen Form wiederholen. Im reinen Zufall muß etwas gegeben sein und daher ist es in einer Verbindung äußerer Relationen gegeben; und dennoch wird es als nicht vollständig in Beziehungen gesetzt angesehen. Das abstrakt Mögliche ist auch das Nicht-Bezogene; aber es wird zugleich als in Relation zur Realität stehend betrachtet und wird daher unvermutet mit äußeren Relationen gegeben. Wir dürfen sagen, der Zufall vergißt die wesentliche Verbindung; und die Möglichkeit vergißt ihre tatsächliche Relation zum Realen, d. h. ihre gegebene äußere Verbindung mit dem Zusammenhang. Der Zufall gehört zur Welt der Existenz und die Möglichkeit zu der des Denkens; beide haben aber im Grunde den gleichen Fehler und werden, falls sie in reiner Form genommen werden, äußere Notwendiikeit 1). Wenn das Mögliche gegeben sein könnte, so wäre es unterschiedslos Zufall oder Die sich ergebende Identität der Möglichkeit mit dem Zufall und die des Zufalls mit der äußerlichen oder rohen Notwendigkeit hat instruktive Folgen. Sie könnte augenscheinlich die eigentliche Grundlage für eine Beurteilung dessen abgeben, was gewöhnlich "reiner Wille" heißt. Diese Lehre mag in der Philosophie als verpönt angesehen werden, obwohl sie in der populären Ethik noch immer blüht. Sobald ihr Sinn verstanden wird, verliert sie ihre ganze Verständlichkeit. Der populäre Moralist wird aber immer dadurch existieren, daß er nicht weiß, was er meint. 1)

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Fatum; denn das Zufällige hat keine vollständige Verbindung mit der Realität. Damit will ich einen Gegenstand verlassen, bei dem ich vielleicht allzulang verweilt habe. Es gibt nichts dergleichen wie absoluter Zufall oder rein äußere Notwendigkeit oder unbedingte Möglichkeit. Das Mögliche muß teilweise in Wirklichkeit sein und das bedeutet innerlich notwendig. Dasselbe gilt vom Zufälligen. Jede Vorstellung ist relativ und jede legt starken Nachdruck auf eine entgegengesetzte Seite desselben Komplexes. Daher verschwindet jede, wenn sie einem einseitigen Extrem zugetrieben wird, völlig. Von hier aus kommen wir zu der Frage, ob es Stufen der Möglichkeit und der Zufälligkeit gibt und unsere Antwort hierauf muß bejahend sein. Mehr oder weniger möglich und mehr oder weniger wahr und wirklich notwendig - und auf der anderen Seite mehr oder weniger zufällig - das ist schließlich alles dasselbe. Wir können hier im Vorübergehen die zweifache Anwendung unserer Norm verifizieren. Das was möglicher ist, ist innerlich harmonischer und umfassender; es steht mit anderen Worten einer vollständigen Totalität des Inhalts näher, so als würde es einen Übergang zur Realität und eine Einheit mit ihr in sich schließen. Oder aber das Möglichere ist teilweise in einer größeren Zahl idealer Gruppen realisiert. Sogar jeder Kontakt mit einem Punkt in der zeitlichen Reihe bedeutet eine ideale Verbindung mit einer konkreten Gruppe von Relationen. Daher ist das weitere Mögliche das, was einen engeren Inhaltskreis, der völlig außerhalb seines eigenen Umfangs läge, vorfindet. Es ist mit anderen Worten das Individuellere, Wahrere und Realere. Da es mehr Verbindungen enthält, hat es in sich die stärker innere Notwendigkeit. Aus dem gleichen Grunde bedeutet auf der anderen Seite das Anwachsen der Zufälligkeit ein Wachsturn an Falschem. Was daher, so weit es existiert, eine mehr äußerliche Notwendigkeit hat - mehr Verbindung mit den intelligiblen Systemen von außen her - hat weniger Verbindung mit allem. Es ist daher leerer und wie wir gesehen haben deswegen weniger in sich abgeschlossen und harmonisch. Diese kurze Begründung, wie unkorrekt sie auch dem allgemeinen Menschenverstand erscheinen mag, dürfte vielleicht als ein Teil unserer Hauptthese durchaus zu verteidigen sein. Es wird noch manches an unserer These klar werden, wenn wir zum Schluß noch kurz den "ontologischen" Beweis betrachten. In Kap. 14 durften wir ihn nur in einer Beziehung behandeln; hier 21*

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aber können wir uns ein Urteil über seine allgemeine Wahrheit zu bilden versuchen. Als ein Beweis ist er eine Folgerung, die aus dem Vorhandensein irgendeines Gedankens über die Realität des Gedankeninhalts geschlossen wird. Nun kann freilich jeder beim ersten Blick sehen, wie trügerisch das sein mag. Wenn du Realität mit räumlicher oder sogar zeitlicher Existenz identifizierst und unter Denken den Begriff eines unterschiedenen endlichen Objekts verstehst, dann scheint nichts evidenter, als daß der Begriff nur "in meinem Kopf" sein kann. Wenn wir aber irgendwie davon absehen und uns das allgemeine Wesen des Irrtums vergegenwärtigen, dann wird das, was so evident erschien, dunkel und stellt sich uns als Verwirrung dar. Denn das, was "in meinem Kopf" ist, muß trotzdem sicherlich irgendwie in dem Universum sein. Wenn nun eine Vorstellung das Universum qualifiziert, wie kann sie dann von der Realität ausgeschlossen sein? Der V ersuch zur Beantwortung einer solchen Frage führt zu einer Unterscheidung zwischen Realität und endlicher Existenz. Auf dieser Grundlage scheint vielleicht der ontologische Beweis eher prüfenswert. . Nun ist aber ein nur "in meinem Kopf" befindlicher Gedanke oder eine reine, von jeder Relation zur realen Welt getrennte Vorstellung eine falsche Abstraktion. Denn wir haben gesehen, daß das Gelten eines Gedankens ihn mehr oder weniger unbestimmt auf die Realität beziehen bedeutet. Daher würde eine völlig unbezogene Vorstellung einen Widerspruch in sich bedeuten. Dieses allgemeine Ergebnis gilt zugleich von dem ontologischen Beweis. Evidenterweise muß der Beweis mit einer auf Realität bezogenen und sie qualifizierenden Vorstellung beginnen und zwar mit einer auch vorhandenen Realität, die durch den Inhalt der Vorstellung bestimmt ist. Das Prinzip dieser Beweisführung ist einfach folgendes: wenn du auf der einen Seite eines solchen Ganzen stehst, bewegst du dich notwendigerweise zu der anderen hin. Weil der reine Gedanke unvollständig ist, drängt er logischerweise das andere schon in ihm eingeschlossene Element auf; und jenes Element ist die in der Existenz erscheinende Realität. Auch vom "kosmologischen" Beweis kann man sagen, daß er auf Grund des genau gleichen Prinzips, aber vom anderen Ende her seine Behauptungen über das Wesen des Realen vorbringe. Da die Realität durch das Denken qualifiziert wird, muß sie daher jedes Merkmal besitzen, das das Wesen des Gedankens in sich schließt. Das diesen Argumenten zugrundeliegende Prinzip - daß, wenn eine Seite eines verbundenen Ganzen gegeben ist, man von ihr aus zu anderen übergehen kann - ist sicherlich unwiderleglich. Der tatsächliche Fehler des ontologischen Beweises liegt anders-

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wo. Denn jener Beweis behauptet nicht nur, daß sein Begriff irgendwie real sein muß, sondern er geht darüber hinaus und qualifiziert ihn als "real als solchen". Hier scheint der Beweis sofort in den Irrtum abzugleiten. Denn ein allgemeines Prinzip, daß jedes Prädikat als solches von der Realität gilt, ist evident falsch. Wir haben im Gegenteil gelernt, daß Wahrheit und Realität nur nach ihren Abstufungen zu behaupten sind. Ein Prädikat ist in keinem Fall als solches wirklich wahr. Jedes wird der Ergänzung, der Qualifikation und der Umgruppierung unterworfen werden. Der Grad, in dem ein Prädikat, wenn es real geworden ist, sein eigenes Wesen bewahrt, wird seine Wahrheit sein. Als wir in Kap. 14 den Begriff der Vollkommenheit behandelten, sahen wir, wie die ontologische Beweisführung zum Teil zusammenbricht. Das allgemeine Resultat des vorliegenden Kapitels müßte die Schwierigkeiten weggeräumt haben. Jede Ordnung, die in meinem Kopf existiert, muß die absolute Realität qualifizieren. Wenn aber die falsche Abstraktion meiner privaten Ansicht ergänzt und wieder gut gemacht wird, dann mag allerdings diese Gruppierung als solche vollständig verschwunden sein. Der ontologische Beweis wäre dann nur ein weiterer Grund, um bei dieser Theorie stehen zu bleiben. Nicht jeder Begriff wird als solcher real sein oder als solcher Existenz haben. Aber je größer die Vollkommenheit eines Gedankens und je stärker seine Möglichkeit und innere Notwendigkeit gewachsen ist, um so mehr Realität besitzt er, und um so viel mehr muß er sich notwendigerweise selbst zeigen u'nd in der Existenz erscheinen. Aber man sagt richtig, der ontologische Beweis mache keinen Anspruch darauf, auf jeden endlichen Stoff anwendbar zu sein. Wenn er auf das Absolute angewandt und darauf beschränkt wird, dann wird er sicherlich gerechtfertigt sein. Wir sind meiner Meinung nach verpflichtet, diesen Anspruch gelten zu lassen. Der Begriff eines Absoluten ist als ein Begriff eine Inkonsequenz in sich, und wir glauben, daß er zu seiner inneren Vervollständigung zur Existenz gedrängt wird. Aber wir sind auch hier gezwungen unseren Protest gegen die Hinzufügung "als solcher" aufrecht zu erhalten. Kein Begriff kann als solcher streng genommen schließlich Realität erreichen; denn als Begriff trägt er niemals die erforderliche Totalität der Bedingungen in sich. Realität ist konkret, während die wahrste Wahrheit noch immer mehr oder weniger abstrakt ist. Oder wir können dasselbe noch anders erklären, indem wir gegen die Form des Beweises Einspruch erheben. Die in der Prämisse postulierte Trennung wird durch die Folgerung aufgehoben, und daher kann die Prämisse selber nicht wahr gewesen sein. Dieser Einwurf hat Geltung und

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zwar gilt er nicht etwa weniger, weil er schließlich bei jedem möglichen Beweis anzuwenden ist. Der Einwurf erledigt sich aber, wenn wir den ursprünglichen Charakter des Prozesses anerkennen. Dieser besteht in der Korrektion eines Versuchs zur Isolierung und zwar an einem Teil der Glieder des Ganzen durch dieses. Ob du nun von der Seite der Existenz oder des Gedankens anfängst, der Prozeß wird wesentlich derselbe bleiben. Es gibt ein Subjekt und ein Prädikat und auf beiden Seiten gilt die innere Notwendigkeit zur Identität miteinander. Da aber in dieser Vollendung die Trennung als solche überschritten wird, ist weder das Prädikat noch das Subjekt imstande, weiter zu bestehen. Sie werden beide bewahrt, aber verwandelt. Es wird sich empfehlen, noch bei einem anderen Punkt am Schluß zu verweilen. Wenn wir unter Realität Existenz als ein vorgestelltes Geschehen verstehen, dann bedeutet real sein in diesem Sinn einen niedrigen Seinstyp. Es bedarf keines großen Fortschritts auf der Leiter der Realität und der Wahrheit, um etwas zu einer Existenz wie diese für zu gut zu halten. Ich will meine Meinung durch eine gewisse Bastardanwendung des ontologischen Beweises illustrieren 1). Jede Vorstellung besitzt sicherlich eine empfindungsmäßige Seite oder Ansicht. Sie muß neben ihrem Sein auch noch sozusagen ein Geschehen sein. Die Beschreibung der verschiedenen Existenzen der Vorstellungen als psychische Ereignisse ist aber eine zum größten Teil nicht in das Gebiet der Metaphysik fallende Aufgabe 2 ). Das Problem besitzt hier aber einen gewissen Wert. Die Existenz ein~r Vorstellung kann in größerem und geringerem Grade zu ihrem Inhalt inkongruent sein; und wenn man das letztere von der ersten aussagt, so würde das auch verschiedene Grade der Inkonsequenz bedeuten. Das Denken einer vergangeneu Vorstellung ist z. B. ein gegenwärtiger Geisteszustand ; die Vorstellung einer Tugend kann ein moralischer Fehler sein; und das als existierend beurteilte Pferd kann nicht in demselben Feld wie die wirkliche Pferdevorstellung leben 3). Anderseits bedeutet wenigstens in den meisten Fällen das Denken an Zorn, wenn auch in einem noch so geringen Grade, zornig sein. Vorstellungen von Lust und Unlust sind als GeschehPrinciples of Logic, pp. 67-9. Das Problem gehört zur Psychologie und ich darf vielleicht bemerken, daß es sich hinsichtlich der abstrakten Vorstellungen immer noch in einem unbefriedigenden Zustand befindet. Greifen wir auf die Sprache zurück, so wird sie uns dennoch nicht genau sagen, wieviel durch den Geist hindurchgeht, wenn er abstrakte Vorstellungen verwendet. 3) Vgl. Mind, Nr. 34, pp. 286-90, und pp. 313-14. 1)

2)

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nisse selbst faktische Lust und Unlust. Wo die Vorstellung nur eine Seite eines einzelnen Vorstellungsaktes sein kann, dort existiert, so können wir sagen, der ideale Inhalt und ist aktuelles Geschehen. In solchen Fällen ist es möglich, die Form des ontologischen Beweises anzuwenden. D. h. weil die Existenz des Faktums als eine Grundlage und Bedingung für die Vorstellung notwendig ist, können wir von dem Vorhandensein der Vorstellung auf das Vorhandensein des Faktums schließen. Das schlagendste Beispiel wäre mit der Vorstellung des "Dieses" und "Meines" gegeben. Eine unmittelbare Berührung mit der Realität kann uns als ein Faktum niemals gelingen; wenn wir nun die Vorstellung dieser Berührung anwenden, so nehmen wir diese immer auf Grund des Faktums an, daß sie irgendwie erscheint. Es ist daher unmöglich, daß, wenn die Vorstellung gegeben ist, es an ihrer Existenz fehlen sollte. Wenn wir aber einen solchen Fall näher betrachten, wird seine Brüchigkeit offenbar. Denn a) erstens wird der ideale Inhalt nicht von innen in Bewegung gebracht. Er sucht nicht aus sich selber durch die Existenz seine Erfüllung, sodaß er sie aus innerer Notwendigkeit in sich bergen würde 1 ). Es handelt sich um keine innere Verbindung zwischen den beiden Seiten der Vorstellung und ihrer Existenz, sondern es ist nur eine rein vorgefundene Verknüpfung zwischen ihnen. Daher muß das Argument, um hier gültig zu sein, auf der Mittlerschaft eines dritten, koexistierenden Elementes beruhen, das aber von sich aus beiden Seiten gegenüber ein äußeres ist. Damit fehlt aber das Wesen des ontologischen Beweises. b) Zweitens zeigt der von uns ins Auge gefaßte Fall einen anderen großen Mangel. Die Vorstellung, die in ihm von der Realität ausgesagt wird, besitzt kaum irgendeine Wahrheit und ragt kaum über die niedrigste Wert- und Realitätsstufe hinaus. Ich meine nicht nur, daß die Vorstellung im Vergleich zu ihrer eigenen Existenz abstrakt und damit falsch ist. Denn dieser Einwurf ist, wenn auch gültig, doch relativ geringfügig. Ich meine, daß das Argument, obwohl es von der Vorstellung ausgehend Existenz aufweisen kann, dennoch weder Wahrheit noch Realität zu zeigen imstande ist. Es zeigt anderseits gegen seinen Willen einen grundlegenden Mangel in beiden auf. Weder das Subjekt noch das Prädikat besitzen in Wirklichkeit das ihm zugeschriebene Wesen. Das Subjekt wird nur für ein empfindungsmäßiges Geschehen angesehen und das Prädikat als ein Merkmal, das in jenem Faktum eingeschlossen ist. Bei beiden Annahmen wird der Beweis stark mißverstanden. Denn das So weit wie er dies täte, würde er sich zu seiner eigenen Vernichtung selbst ausdehnen. 1)

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ursprüngliche Subjekt ist Realität, während das ursprüngliche Prädikat von diesem alle Merkmale behauptet, die in dem angeblichen Prädikat und Subjekt enthalten sind. Die Vorstellung, die als in einem empfindungsmäßigen Geschehen existierend qualifiziert wurde, ist mit anderen Worten das Prädikat, das von dem Absoluten ausgesagt wird. Da ein solches Prädikat eine ärmliche Abstraktion ist, und da daher sein Wesen durch etwas bestimmt wird, was außerhalb seines eigenen Wesens liegt, ist es in sich inkonsequent und widerspricht seinem eigenen Subjekt. Wir sind so durch die Betrachtung des unechten ontologischen Beweises noch einmal zu der Folgerung gelangt, daß Existenz keine Realität ist. Die Existenz ist keine Realität und Realität muß existieren. Beide Wahrheiten sind für das Verständnis eines Ganzen wesentlich und jede von ihnen ist schließlich notwendig in der anderen enthalten. Existenz ist mit anderen Worten eine Erscheinungsform des Realen. Wir haben gesehen, daß das Erscheinen als solches in einem oder mehreren Geschehnissen darum einen beschränkten und niedrigen Typ der Entfaltung zeigen heißt. Auf der anderen Seite bedeutet aber in der zeitlichen Reihe überhaupt nicht erscheinen und im Bereich der Existenz gar kein Wesen zeigen, falsch und unreal sem. Wahrer und falscher sein heißt sich auf die eine oder andere Weise nach außen stärker offenbaren. Denn das Wahrere ist immer das Weitere. Es gibt eine richtige Anschauung, daß nämlich jede Wahrheit, die nicht im Werk gezeigt werden kann, zum größten Teil unwahr ist. Mit dieser Verständigung dürfen wir uns wohl von dem ontologischen Beweis verabschieden. Unsere Einsicht in ihn hat vielleicht dazu gedient, uns in der allgemeinen Lehre, zu der wir in diesem Kapitel gekommen sind, zu bestärken. Nur eine Anschauung, die Stufen der Realität und der Wahrheit behauptet und die einen rationalen Sinn für 'Vorte wie "höher" und "niedriger" hat - nur eine solche kann den beiden Seiten der Vorstellung und der Existenz m gleicher Weise gerecht werden.

25. Das Gute In einem früheren Kapitel habe ich kurz zu zeigen versucht, daß die Existenz des Bösen .keinen genügenden Grund für einen Einwand gegen unser Absolutes gewährt. Gutes und Böses sind keine Illusionen, sind aber ganz bestimmt Erscheinungen. Sie sind einseitige Ansichten, von denen eine jede im Ganzen überwunden und verwandelt wird. Nach den Erörterungen des letzten Kapitels sind wir nun besser imstande, ihre Stellung und ihren Wert abzuschätzen.

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Ebenso wie im Verhältnis von Wahrheit und IITtum ist auch bei Gut und Böse der Gegensatz kein absoluter. Denn in einem gewissen Grade und auf gewisse Weise ist Vollkommenheit überall verwirklicht. Dennoch ist aber anderseits der Unterschied zwischen den einzelnen Graden nicht weniger wesentlich. Der Abstand zwischen ihnen, der sie trennt, das "höher" und·"tiefer" wird an dem Begriff einer vollkommenen Realität gemessen. Das Niedrigere ist das, das zu seiner Vervollständigung eine umfangreichere Umformung seines Wesens erleiden müßte. Vom Standpunkt des Höheren aus gesehen werden die niedere Wahrheit und das weniger Gute, die das Höhere nicht eiTeichen können und zu dem sie sich sogar in Gegensatz befinden, zum reinen Irrtum und reinen Bösen. Das Absolute ist in allen seinen Einzelheiten vollkommen, ist in jeder Hinsicht gleichmäßig wahr und gut. Anderseits ist aber jede Unterscheidung von besser und wahrer, jede Stufe und jedes vergleichbare Stadium der Realität wesentlich. Sie werden durch die alles durchdringende Wirkung einer immanenten Vollkommenheit hervorgerufen und durch sie gerechtfertigt. Von diesem doppelten Prinzip geleitet können wir die verschiedenen Erscheinungswelten ohne Befürchtung einander nähern. In diesem Werk will ich mich aber nur um die Verteidigung einer allgemeinen Ansicht bemühen. So kann ich denn in Hinblick auf das Ganze und hier im Besonderen auf das Gute mich mit keiner Seite des Absoluten vollständig befassen. Hauptsächlich hat mich das allgemeine Vorurteil zugunsten der letzten moralischen oder religiösen Wahrheiten veranlaßt, ihnen hier einen Raum einzuräumen, der vielleicht unangebracht ist. Aber trotzdem kann ich nur einige Seiten des Gegenstandes berühren und muß dabei hauptsächlich die Punkte behandeln, die höchstwahrscheinlich als Einwurf gegen unsere Theorie vorgebracht werden 1). Wir können im allgemeinen vom Guten wie von etwas, das einen Wunsch befriedigt, sprechen. Es ist etwas, das wir billigen und bei dem wir mit einem Gefühl der Befriedigung verweilen können. Meine Ethical Studies, 1876, sind in der Hauptsache noch immer der Ausdruck meiner Anschauungen und enthalten in vielen Punkten eine weitere Erörterung. Für meine Ansichten über das Wesen der Lust, des Wünschens und Wollens muß ich auf Mind, Nr. 49 verweisen. Mein früheres Buch wäre neugedruckt worden, hätte ich nicht die Absicht es umzuarbeiten gehabt. Ich fühle aber, daß das Erscheinen anderer Bücher ebenso wie der Zerfall der Vorurteile, gegen die es in weitem Ausmaß gerichtet war, meinen Entschluß meinem Belieben anheimgestellt haben. 1)

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Oder wir können es auch, wenn wir wollen, etwa als "Wert" beschreiben. Es enthält aber auch jene Elemente, die wir in der Wahrheit finden. Die Wahrheit und das Gute sind beide die Übereinstimmung oder besser die Identität von Vorstellung und Existenz. Bei der Wahrheit gehen wir vom Sein als der Erscheinung der Vollkommenheit aus und gehen dazu über, das idealiter zu vervollständigen, was realiter da sein müßte. Beim Guten beginnen wir aber mit der Idee des Vollkommenen und tragen dann dieselbe Idee in das, was existiert oder finden sie sonst in ihm. Auch diese Idee sehe ich als erstrebt an. Das Gute ist die Verifikation eines idealen Inhalts in der Existenz und schließt damit die Messung eines Faktums an einer vorgefaßten Idee in sich. Daher enthalten beide, die Wahrheit wie das Gute die Trennung einer Idee und Existenz und bergen einen zeitlichen Ablauf in sich. Daher sind beide Erscheinung und nur einseitige Ansicht von dem Realen 1). Das Gute braucht aber, so kann man einwerfen, keine Idee in sich zu schließen. Ist nicht das Angenehme als solches gut? Ist nicht in einem gewissen Grade ein Gefühl, bei dem wir mit Befriedigung verweilen, zugleich an sich gut? Darauf antworte ich: nein. Gut im eigentlichen Sinn schließt die Erfüllung eines Wunsches in sich ; wenn du etwas ohne die Verwirklichung einer bestimmten Idee betrachtest, ist es zum mindesten das Gute auf einer niederen Stufe. Eine solche Erfahrung würde s e in , sie würde aber eigentlich weder gut noch wahr geworden sein. Bei der Reflexion hierüber wäre uns vielleicht die Anwendung dieser Begriffe nicht erwünscht. Denn bei der Anlage unseres seelischen Lebens dürfte wohl kaum bei dem, was gut tut und befriedigt, eine Verbindung mit einem Wunsch fehlen. Wenn wir das Gute dort erfassen, wo es uns noch zu nichts überredet, wo wir noch keine Vorstellung von unserem Gefühl besitzen, und wir auch nicht, wenn auch noch so undeutlich die Vorstellung haben: "Dies ist das Gute" - dort bedeutet es kein Paradoxon, wenn wir für ein solches Stadium die Bezeichnung gut ablehnen. Ein solches Gefühl würde gut werden, wenn ich es für einen Augenblick so betrachten wollte; denn dann würde ich die Idee dessen, was befriedigt, besitzen und würde jene Idee ebenso im Faktum vorfinden. Wo aber Ideen fehlen, würden wir von einer Sache als tatsächlich gut oder böse nicht sprechen. Das Gute und das Wahre können In der Hauptsache ist gut, was wahr ist, weil das Gute einen Wunsch befriedigen muß und wir im Ganzen notwendigerweise das Vollkommenere zu finden wünschen. Was gut ist, ist in der Hauptsache wahr, weil diejenige erwünschte Idee, die im allgemeinen vollkommener ist, realer ist. Aber über die Relation dieser Seiten siehe weiter das nächste Kapitel. 1)

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dort potentiell möglich sein, aber so wie die Dinge liegen, sind sie sächlich an dieser Stelle keines von beiden. Daß das Gute eine Idee nötig hat, scheint völlig klar zu sein, doch läßt das Wünschen noch vielen Zweifeln Raum. Ich kann eine angenehme, verwirklichte Idee, wenn ich sie vorfinde, gut nennen, und dennoch scheint in manchen Fällen der Wunsch zu fehlen. Denn manchmal steht die Existenz nicht im Gegensatz zu meiner Idee und daher ist hier für die Spannung des Wunsches kein freier Raum. Man mag diese Behauptung bestreiten, aber ich für meine Person bin bereit, sie zu Recht bestehen zu lassen. Ferner mag man das Einbeziehen des Wunsches in den Begriff des Guten bis zu einem gewissen Grade meinetwegen willkürlich nennen. Es scheint sich aber rechtfertigen zu lassen, da ja der Wunsch, wie die Dinge liegen, entwickelt werden muß. Billigung ohne Wunsch ist nur ein extremer und vorübergehender Zustand. Es kann dann ein Schwanken und ein Widerspruch in meiner Zuständlichkeit nicht ausbleiben und damit haben wir zugleich die für den Wunsch nötige Spannung. Ich gebe zu, daß für den Augenblick bei der Billigung der Wunsch fehlen kann; doch da er notwendig darauf folgen muß, halte ich ihn für wesentlich. Doch hat meiner Meinung nach dieser Punkt wenig zu sagen. Wichtig ist hier die Betonung der W esentlichkeit des Vorhandenseins einer Idee im Guten. Aus diesem Grunde brauchen wir nicht zuzugeben, daß das Angenehme als solches gut ist. Das Gute ist angenehm und das Bessere ist ebenso im Verhältnis dazu das Angenehmere. Wir können auch hinzufügen, daß das Angenehme im allgemeinen gut ist, wenn wir den Zusatz "als solches" beiseite lassen wollen. Denn das Angenehme wird natürlich gewünscht werden und wird daher im Ganzen gut sein. Wir dürfen aber nicht behaupten, daß alles Angenehme die Befriedigung eines Wunsches ist, oder sogar immer Wunsch oder Billigung in sich schlösse. Weil eine Idee fehlen kann, wird das Angenehme manchmal nicht im eigentlichen Sinne gut sein. Wir können uns ohne Zögern gegen die Identifizierung der bloßen Lust als solcher mit dem Guten aussprechen. Eine solche Anschauung isoliert die Seite des Angenehmen und leugnet dann, daß es in der Welt überhaupt noch etwas anderes Wertvolles gibt. Wenn sie nur behauptete, daß das Angenehmere und das Bessere eins wären, so wäre die Lage freilich anders. Denn da das Angenehme mit allem, was frei von Widerspruch ist oder ihn in eine vollere Harmonie versenkt hat, übereinstimmt, wird natürlich die höhere Stufe der Individualität darum angenehmer sein 1). Wir 1)

Ich muß mich hier auf Mind, Nr. 49 beziehen.

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haben die Lust als ein wesentliches Element in unseren Begriff von Vollkommenheit (Kap. 20) eingeschlossen. Es wird sich aber daraus schwerlich folgern lassen, daß im Universum nur die Lust gut sei und daß wir, falls wir diese einzige Seite als das Endziel ansehen, alles Übrige als bloßes Mittel dazu betrachten dürfen. Wo alles zu einem Ganzen verbunden ist, magst du irgendein e n Faktor abstrahieren und isolieren. Dann kannst du nach Belieben beweisen, daß ohne diesen alles Übrige unvollkommen und wertlos sei; und dann kannst du zeigen, wie durch die Hinzufügung dieses einen auf einmal alles Realität und Wert erhält. So kannst du in ähnlicher Weise von jedem Einzelnen sagen, daß es das Endziel sei, um dessentwillen alles andere existiert. Aber daraus blindlings und absolut beweisen zu wollen, daß irgendeine vereinzelte Seite der Welt das einzig Gute ist, ist auf jeden Fall sicherlich höchst unlogisch. Das hieße einen Gesichtspunkt, der nur so lange, wie er allgemeiu ist, zulässig ist, zu einem einseitigen Mißverständnis zu verengern. So muß der Hedonismus, der da behauptet, daß außer der Lust nichts gut sei, ganz entschieden abgelehnt werden. Wird etwas immer gewünscht, weil es zunächst angenehm ist oder ist es vielleicht immer angenehm, weil wir es wünschen? 1 ) Wir können dieselbe Frage nach der Relation des Gewünschten zum Guten stellen. Ist denn aber auch etwas wahr, weil ich veranlaßt bin es zu denken oder bin ich vielleicht veranlaßt es zu denken, weil es wahr ist? Noch einmal, ist es richtig, weil ich sollte oder gilt dieses "weil" nur in entgegengesetzter Richtung? Ist ein Gegenstand schön, weil er mich affiziert oder ist anderseits meine Erregung das Ergebnis seiner Schönheit? In jedem dieser Fälle haben wir zunächst eine zu strenge Trennung vorgenommen, und es haben sich auf dieser Grundlage Probleme ergeben, die uns mit einem Dilemma bedrohen. Wir setzen auf jeder Seite als Faktum und V orausnahme, was ganz ohne die andere Seite, wenigstens oft, keine Existenz hätte. Wenn ,gut' die Befriedigung des Wunsches 1 ) Der Inhalt jeder Vorstellung hat eine Tendenz gewünscht zu werden, wenn diese dem Faktum gegenübergestellt wird, obwohl sie im vornherein und in anderer Beziehung nicht angenehm gewesen ist und auch jetzt nicht ist. Jede Vorstellung ist als die Erweiterung des Ich, abstrakt und in dieser Hinsicht, angenehm. Das Angenehm-sein einer Vorstellung als mein psychischer Zustand kann auf ihren Inhalt übertragen werden. Wir haben immer zu fragen, was ist es, das eine Vorstellung gegenüber dem Faktum fixiert. Etwa, weil ihr Inhalt angenehm gewesen ist oder weil sie, oder ihr Inhalt nunmehr angenehm ist? Können wir nicht manchmal sagen, daß dieser nur angenehm ist, weil er da ist? Die Erörterung dieser Dinge würde uns zu psychologischen Feinheiten führen, die wir hier vernachlässigen können.

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ist, dann kannst du den Wunsch auch für dessen Bedingung ansehen; aber anderseits würdest du schwerlich überhaupt etwas wünschen, wenn es dir nicht schon in irgendeinem Sinn Befriedigung gegeben hätte. Sicherlich mag das Angenehme, wie wir gesehen haben, zeitweise und zu einem geringen Grade nicht gebilligt oder gewünscht werden. Es ist aber ein anderes, ob man behauptet, daß das Gute in der Lust besteht oder nur ein Resultat aus ihr ist. Der konsequente Hedonismus würde mindestens implizite leugnen, daß sich ein Wunsch auf etwas anderes als Lust richtet. Etwas ist als ein Faktum angenehm und einzig aus diesem Grunde wird es gewünscht; damit scheint die ganze Frage sofort erledigt. Die Lust selber kann aber nicht wie jede andere Tatsache etwas sein, was zufällig so geschieht. Sie ist ihrerseits sicherlich nicht ohne einen Grund. Auf unsere Frage hin finden wir, daß Lust immer mit etwas, was wir Vollkommenheit oder Individualität nennen, koexistiert. Wenn dem aber so ist, dann hält dieses "weil" die eine Möglichkeit so wie die andere offen. Wenn wir nun das Recht zu leugnen haben, daß dem Angenehmen ein bestimmtes Gepräge notwendig zukommt, dann würden wir, soweit ich sehe, auch dasselbe Recht haben, die Verbindung zwischen Lust und Wunsch abzulehnen. Wenn die eine Koexistenz reiner Zufall und eine Verbindung von ungefähr ist, warum dann nicht ebenso auch die andere? Wenn wir aber zugeben, daß diese Verbindung doppelseitig und daß ein Grad relativer Vollkommenheit für den Begriff der Lust wesentlich ist, gerade wie Lust ihrerseits ein Element der Vollkommenheit ist, so ist damit der Hedonismus zugleich im Prinzip widerlegt. Das Ziel des Wunsches als solchem wird· immer mehr als Lust enthalten ; und der Gedanke, daß entweder die Lust oder irgendeine andere Seite das einzige Ziel im Universum ist, muß als unhaltbar zugestanden werden (Kap. 26). Vielleicht kann ich dies noch anders ausdrücken, wenn ich sage, daß selbst wenn der Hedonismus wahr wäre, es keinen gangbaren Weg gäbe, der diese Wahrheit beweisen könnte 1). Gehen wir von diesem Mißverständnis aus weiter, so will ich noch eine andere Theorie hier anmerken, von der wir abweichen müssen. Die Versuchung liegt nahe, das Gute mit der Verwirklichung des Willens zu identifizieren und auf Grund einer gewissen An1) Ich habe schon früher (p. 306) bemerkt, daß es dem Hedonismus in seiner Haltung zum Intellekt an Gründlichkeit fehlt. S. später p. 356. Zur weiteren Kritik darf ich auf meine Ethical Studies und auf eine Kampfschrift mit dem Titel "Mr. Sidgwick's Hedonism" verweisen. V gl. Mind, Nr. 49, p. 36.

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nahme wäre diese Folgerung, ganz allgemein genommen, richtig. Wir werden aber sehen, daß diese Annahme nicht zu halten ist (Kap. 26) und daß ohne sie der Schluß nicht bestehen kann. Wir haben bemerkt, daß die Befriedigung eines Wunsches ebensogut von einem Individuum vorgefunden wie hervorgebracht werden kann. Wo eine erfahrene Existenz beides ist, angenehm und den Wunsch befriedigend, bin ich außerstande, einen Grund dafür zu finden, warum das nicht gut zu nennen ist. Auch kann die Lust nicht darauf eingeschränkt werden, daß sie das Gefühl eines befriedigten Willens sei, da sie ja auch deutlich ohne diesen Willen existieren kann 1). Vielleicht kann ich unsere allgemeine Ansicht dahin ausdrücken, daß ich sage: das Gute dehnt sich soweit wie die gleichzeitige Billigung aus. Ich muß aber hinzufügen, daß Billigung hier in weitestem Sinn zu nehmen ist. Billigen heißt eine Vorstellung haben, worin wir Befriedigung fühlen, und die Gegenwart dieser Vorstellung in der Existenz haben oder sich diese in ihr vorstellen. Falls nun die Realisation der Existenz der Vorstellung wirklich oder in dem Vorstellen mißlingt, wird die Vorstellung ein "muß sein", ein "würde sein" oder ein "sollte". Auch ist die Billigung letzten Endes nicht auf den Bereich der eigentlichen Moralität beschränkt, sondern ebensooft in den Bereichen der Spekulation oder Kunst anzutreffen. Wo immer ein Ergebnis äußerlicher oder innerlicher Art an einer Vorstellung gemessen wird, die angenehm ist, und als ihr entsprechend anerkannt wird, können wir in gewissem Sinn von "billigen" sprechen. Wo wir aber billigen, dort dürfen wir auch sagen, daß wir das Ergebnis für gut ansehen 2 ). 1) Ich darf hinzufügen, daß sie zeitlich der Entwicklung des Willens vorangeht. Der Wille und der Gedanke begreifen eigentlich die Unterscheidung von Subjekt und Objekt in sich und Lust und Unlust scheinen vor dieser Unterscheidung zu liegen und sie in der Tat in weitem Ausmaß hervorzubringen. Ich möchte aber ausdrücklich meine Abweichung von gewissen Ansichten betreff der Abhängigkeit der Lust von dem Willen oder dem Selbst oder Ich betonen, indem ich erkläre, daß ich sie als Produkte der Lust und als ihr nachfolgend ansehe. Zu sagen, daß sie nur aus Lust und Unlust hervorgingen, wäre ungenau. Es wäre aber doch viel korrekter, als die letzteren immer als eine Reaktion von jenen anzusehen. 2) Aus Zweckdienlichkeit nehme ich an, daß die Billigung einen Wunsch in sich schließt, aber diese Annahme dürfte in manchen Fällen kaum korrekt sein (p. 331). Billigung muß aber immer auch eine angenehme Vorstellung enthalten. Ohne jenes Merkmal oder in Abstraktion von ihm hätten wir nur bloßes Anerkennen vor uns. Obwohl die Anerkennung immer danach strebt, zur Billigung zu werden, ist sie dennoch begrifflich nicht dasselbe; und auch faktisch ist meiner Meinung nach Anerkennung dort möglich, wo die Billigung fehlt.

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Das Gute im allgemeinen wird oft mit dem Wünschbaren identifiziert. Das ist meiner Meinung nach irreführend. Denn das Wünschbare bedeutet das, was gewünscht werden müßte oder sollte. Es könnte daher darin enthalten sein, daß das Gute gut sein könnte und doch nicht gewünscht würde oder auch, daß etwas gewünscht werden könnte, was nicht gut ist. Wenn das Gute allgemein genommen wird, sind diese Behauptungen mindestens bestreitbar. Der Ausdruck "wünschenswert" gehört zu dem Bereich des relativ Guten und hat nur dann einen klaren Sinn, wenn wir von besser und schlechter reden können. Aber auf das Gute im allgemeinen scheint er nicht streng anwendbar. Etwas ist wünschenswert, wenn es zu wünschen besser ist. Es ist nicht eigentlich wünschenswert, wenn du nur sagen kannst, daß es zu wünschen gut sei 1). Das Gute kann wünschenswert in dem Sinne heißen, daß es ihm wesentlich ist, gewünscht zu werden. Denn das Wünschen ist kein äußeres Mittel, sondern es ist im Gutsein enthalten und in ihm eingeschlossen, oder mindestens folgt es notwendigerweise aus ihm. Wir könnten sagen, das Gutsein ohne Wünsche wäre nicht es selbst, und daher ist es wünschenswert (p. 331). Diese Anwendung von wünschenswert könnte unsere Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Punkt lenken, aber aus dem oben angegebenen Grunde wäre es irreführend. Auf jeden Fall trennt es für den Augenblick den Wunsch vom Guten. Wir billigen natürlich nicht immer absolut, sondern von irgendeinem bestimmten Gesichtspunkt aus. Sogar dort, wo uns das Ergebnis höchst unwillkommen ist, können wir dennoch theoretisch billigen; das herauszufinden, was wir für ganz schlecht halten mögen, ist ein intellektueller Erfolg und kann soweit gebilligt werden. Es wird dann insoweit gut sein, als es nur von dieser einen Seite aus gesehen wird. Der wirkliche Einwand dagegen, daß man der Billigung und dem Guten die gleiche Ausdehnung zuschreibt, ist der, daß die Billigung gewöhnlich einen bestimmten Grad der Reflexion mitsetzt und so den Urteilenden von einem abstrakten und unpersönlichen Gesichtspunkt aus verleitet. Auf die Weise kann man z. B. die Billigung als mit der Liebe unvereinbar finden, wie auch sonst mit manchem Guten. Wenn aber die Billigung auf einer niederen Entwicklungsstufe erlaßt wird und sie nichts mehr bedeuten soll, als daß man etwas findet, was Befriedigung gewährt, so verschwindet der Einwurf. Die Relation der praktischen zur theoretischen Billigung wird weiterhin in Kap. 27 berührt werden. Die Billigung ist natürlich dort praktisch, wo die Vorstellung etwas betrifft, was getan werden soll. 1) Wenn die Lust das einzige wäre, das gewünscht werden könnte, so würde daraus streng genommen nicht folgen, daß Lust überhaupt wünschenswert oder ferner daß sie das einzige Wünschenswerte sei. Diese Folgerungen könnten sich in keinem Fall direkt ergeben; und die vermittelnden Schritte müßten dann erklärt und erörtert werden. Das Wort "wünschenswert" verleitet natürlich selber zum Mißbrauch und hat auch einigen hedonistischen Schriftstellern zu solchem Zweck gedient. Es verhüllt einen verborgenen Übergang von es "ist" zu "es mu.ll sein".

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Zweites Buch: Wirklichkeit

Wir haben nunmehr versucht, im allgemeinen die Bedeutung von gut festzustellen und wir gehen nun weiter, den Ton auf seinen sich widersprechenden .Charakter zu legen. Das Gute ist nicht das Vollkommene, sondern es ist nur eine einseitige Hinsicht des Vollkommenen. Es strebt darnach, über sich selbst hinaus zu gehen und, wenn es vervollständigt wäre, wäre es sogleich nicht mehr im eigentlichen Sinne gut. Ich will seine Unvollständigkeit zuerst durch die Frage zeigen, was denn gut sei, und ich will dann kurz den Widerspruch, der in dem Wesen des Guten an sich liegt, erörtern. Wenn wir wissen wollen, was Gut-sein ist, so finden wir es immer als die Beschaffenheit von etwas, das es nicht selbst ist. Schönheit, Wahrheit, Lust und Empfindsamkeit sind alles gute Dinge. Wir wünschen sie alle und alle können als Typen oder "Normen" dienen, durch die wir zur Billigung geführt werden. Daher werden sie alle in einem gewissen Sinne unter das Gute fallen und in ihm enthalten sein. Wenn wir aber fragen, ob das Gute alles, was in diesen Regionen liegt,. erschöpft, so muß die Antwort eine ganz andere sein. Denn wir sehen zugleich, daß jede von ihnen ihren eigenen Charakter besitzt; damit sie gut sind, müssen die anderen Seiten des Universums ebenso sie selber sein. Das Gute als solches ist dann augenscheinlich nicht so umfassend, wie die Totalität der Dinge. Die gleiche Folgerung wird uns zugleich aufgedrängt, wenn wir an eine Prüfung des Wesens des Guten herangehen. Denn dieses ist sich selbst widersprechend und ist daher Erscheinung und keine Realität. Das Gute schließt eine Unterscheidung von Vorstellung und Existenz in sich und eine Trennung, die im Laufe der Zeit andauernd wieder hergestellt und erneuert wird. Ein solcher Prozeß ist in dem ionersten Wesen des Guten eingeschlossen. Ein befriedigter Wunsch ist kurz gesagt, zu sich selber inkonsequent, denn so weit er völlig befriedigt wird, ist er kein Wunsch mehr; und so weit, wie er ein Wunsch ist, muß er mindestens teilweise unbefriedigt bleiben. Wo wir angeblich nichts weiter nötig haben, als das, was wir haben, und wo unsere Billigung, den Wunsch ausschließt, dort haben wir zunächst eine ideale Kontinuität des Charakters, die im Konflikt mit der Veränderung liegt. Aber abgesehen davon, liegt hier in jedem Falle die Bestimmung einer Vorstellung vor, die von dem Faktum unterschieden ist, während sie doch mit ihm identifiziert wird. Jedes dieser Merkmale ist notwendig und jedes steht im Widerspruch zum anderen. Die Auflösung dieses Unterschiedes zwischen Vorstellung und Existenz wird von dem Guten gefordert und bleibt dennoch unerreichbar. Die Erfüllung würde in der Tat das eigentliche Wesen des Guten zer-

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stören und das Gute ist daher in sich unvollständig und geht über sich selbst hinaus. Es bewegt sich auf eine andere und höhere Art zu, in der es, wenn es vollkommen würde, untertauchen müßte. Daher ist augenscheinlich das Gute nicht das Ganze und das Ganze als solches ist nicht gut. So in Beziehung zum Absoluten gesehen, gibt es weder Gutes noch Schlechtes, und es gibt auch kein besser oder schlechter. Denn das Absolute ist nicht seine Erscheinungen. Aber wie wir bestimmt gesehen haben, ist eine solche Wahrheit selber partiell und falsch, da doch das Absolute in seinen Phänomenen erscheint und nirgends außer ihnen real ist. Wir können in der Tat nur leugnen, das es irgendein einziges Phänomen ist, weil es sie alle in ihrer Einheit ist. Und so von dieser anderen Seite gesehen, ist das Absolute gut und offenbart sich durchaus in den verschiedenen Graden des Guten und Bösen. Die Bestimmung des Guten, das, wenn es sich selbst erreicht, nicht mehr es selbst ist, wird durch das Ganze erfüllt. Da in jener Vollendung Vorstellung und Existenz nicht verloren gehen, sondern in Harmonie gebracht werden, ist das Ganze daher trotzdem gut. Da auch die Beziehung zu dem V ollkommeneo endliche Befriedigungen zu höheren und niederen macht, wird in ihnen allen das Absolute in verschiedenen Stufen realisiert. Ich will diesen letzten Punkt kurz behandeln. Wir erkannten in unserem vorangehenden Kapitel den ursprünglichen Sinn der Realitäts- und W ahrheitsstufen. Dasjenige ist vollkommener, was von seiner Vollendung durch einen kleineren Abstand getrennt ist. Der Abstand wird an dem Grad der Umgruppierung und der Hinzufügung dessen gemessen, was zur Umwandlung einer Erscheinung in Realität nötig ist. Wir fanden auch, daß unser einziges Prinzip zwei Seiten hat, je nachdem es die beiden entgegengesetzten Mängel in den Phänomenen trifft. Denn ein Element ist niedriger, je beschränkter oder weniger harmonisch es ist. Und wir bemerken weiter, wie und warum diese beiden Fehler wesentlich miteinander verbunden sind. Gehen wir nun zum Guten über, so müssen wir uns mit der allgemeinen Beobachtung begnügen, daß hier dasselbe Prinzip gilt. Die Befriedigung, die wahrer und realer ist, ist besser. Wir messen auch hier an dem doppelten Gesichtspunkt der Ausdehnung und der Harmonie 1). Nur das Vollkommene und Vollständige würde schließlich unsere Wünsche befriedigen. Eine in sich konsequentere Befriedigung oder auch eine weitere und vollere nähert sich mehr jener Vollendung, bei der wir rasten können. Bei der Abschätzung von Lust und Unlust beachten wir nicht nur ihren Grad und ihre Ausdehnung, sondern ebenso ihre Wirkungen und überhaupt alle Eigenschaften, die damit untrennbar verbunden sind. 1)

Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Ferner ist die Unterscheidung dieser beiden Gesichtspunkte nur Erscheinung und besteht nur in einer einseitigen Beschränkung unserer Ansicht. Denn eine Befriedigung, die von außen bestimmt wurde, könnte innerlich nicht harmonisch sein, während sie auf der anderen Seite, falls sie alles umfaßte, ebenso harmonisch geworden wäre. In seiner Anwendung strebt natürlich dieses einheitliche Prinzip damach, in seine zwei verschiedenen Seiten auseinander zu fallen. Trotz alledem bleibt es im Grunde und in seinem Wesen das Gleiche und ist überall eine Schätzung am Absoluten. In einem gewissen Sinn ist daher das Absolute tatsächlich gut und es ist in dem Bereich des Guten in verschiedenen Stufen der Befriedigung wahrhaft verwirklicht. Da in der letzten Realität jede Existenz, jeder Gedanke und jedes Gefühl eins werden, können wir sogar sagen, daß jedes Merkmal im Universum auf diese Weise absolut gut ist. Ich habe nun die allgemeine Bedeutung und den Sinn des Guten kurz dargelegt und darf nun wohl zur Betrachtung seines spezielleren und eingeschränktereD Sinnes übergehen. Wie wir gesehen haben, enthält das Gute die Seiten der Existenz und der Vorstellung. Die Existenz ist bisher in der Übereinstimmung mit der Vorstellung vor gefunden worden, aber bis jetzt hat sich die Vorstellung selber nicht notwendig in dem Faktum hervorgebracht und realisiert. Wenn wir aber das Gute irgendwie in engerem Sinn nehmen, dann ist dieses erfüllte Merkmal wesentlich. Kurz, das Gute wird das realisierte Ziel oder der erfüllte Wille werden. Es ist eine Vorstellung, die nicht nur einen entsprechenden Inhalt in der Faktizität besitzt, sondern die auch noch dazu jene Übereinstimmung g es c h a f f e n und an den Tag gebracht hat. Wir können sagen, daß die Vorstellung sich selbst in die Realität übertragen oder befördert hat; denn der Inhalt ist auf beiden Seiten derselbe und die Existenz ist das geworden, was sie durch die Wirkung der Vorstellung ist. So wird das Gute auf das Reich der Endzwecke oder der Selbstrealisationen beschränkt. Es wird mit anderen auf das eingeschränkt, was im allgemeinen die Sphäre der Moralität heißt. Denn wir müssen hier von der Selbstrealisation wissen, daß sie nur bei endlichen Seelen Sinn hat; begrenzt ist nun selbstverständlich jede Seele, obwohl sicherlich nicht alle menschlich sind. Der Wille, der einen zeitlichen Vorgang enthält, kann als solcher sicher nicht zum Absoluten gehören; und anderseits können wir nicht die Existenz von Endzielen in der physischen Welt annehmen. Ich werde im nächsten Kapitel auf diese Frage nach der Teleologie in

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der Natur zurückkommen, aber zweckmäßigerweise müssen wir sie hier von unserer Betrachtung ausschließen. Kurz, es soll Selbstrealisation nur im Seelenleben geben. Dann ist das Gute im vorliegenden Fall die Realisation seiner Idee durch eine endliche Seele. Es ist nicht Vollkommenheit schlechthin, sondern Vollkommenheit, wie sie durch einen Willen hervorgebracht wurde. Wir müssen auf der einen Seite vergessen, daß die Billigung über die Moralität hinausgeht und wir müssen so lange blind gegen die engere Bedeutung sein, die in Moralität enthalten ist. Gut soll hier das heißen, was das Individuum an Vollkommenem von seiner Idee aus hervorbringt. Wir müssen nunmehr kurz zeigen, wie auch in diesem Sinn das Gute inkonsequent ist. Es ist ein Standpunkt, der andauernd über sich selbst hinauszugehen gezwungen ist. Wenn wir noch einmal fragen: "Was ist gut?" in dem Sinn der Frage nach einem speziellen Inhaltsmoment, so müssen wir wie vorher antworten: "Einen solchen gibt es nicht". Lust ist, wie wir gesehen haben, an sich nicht das Wesen des Guten; und anderseits fällt kein Merkmal der Welt außerhalb dessen, was gut ist. Schönheit, Wahrheit, Gefühl und Empfindsamkeit, jeder erdenkbare Inhalt muß zur Konstituierung der Vollkommenheit beitragen. Denn Vollkommenheit oder Individualität ist ein harmonisches und somit alles umfassendes System. Unter dem Begriff "gut" haben wir jetzt verstanden, daß es die von einer Seele gewollte Realität ihrer Vollkommenheit sei. Daher ist weder die Form des Systems an sich noch auch irgend etwas anderes, das dem Ganzen fernsteht, vollkommen oder gut 1 ). Aber ebenso wie im Fall der Wahrheit und der Realität, spaltet sich auch beim Guten unser einheitlicher Maßstab in zwei und die Individualität fällt in die beiden Hinsichten der Harmonie und der Ausdehnung auseinander. Im Prinzip und in Wirklichkeit müssen diese beiden Merkmale koinzidieren (Kap. 24); beurteilen wir aber die Phänomene, so müssen wir sie ständig getrennt anwenden. Ich möchte nichts über die mannigfaltigen konkreten Arten sagen, in denen diese zweifache Vollendung im Faktum realisiert worden ist. Aber nur um den radikalen Fehler bei jedem Begriff des Guten herauszubringen, will ich dennoch auf diese Spaltung in der Anwendung Nachdruck legen. Die Seiten der Ausdehnung und Harmonie treffen im Endziel zusammen, aber nicht weniger sicher wird an jenem Ziel der Begriff des Guten als solchem untergegangen sein. Dieses bezieht sieh ausdrücklich 'auf irgendein spezifisches Gefühl des Guten oder der Moralität. 1)

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Mit anderen Worten, ich möchte nun die Aufmerksamkeit auf die sogenannte Selbstaufopferung lenken. Das Gute ist die durch ein Individuum vollzogene Realisation seiner eigenen Vollkommenheit und diese besteht, wie wir gesehen haben, in Harmonie und Ausdehnung. Ohne weiteres werden diese beiden Wesenszüge nicht völlig zusammenfallen. Das Rohmaterial der Natur eines Menschen auf die höchste Stufe des Systems zurückzuführen und jedes Element jeglichen Ursprungs als ein untergeordnetes Mittel für dieses Ziel zu betrachten, - ist sicherlich eine ursprüngliche Absicht des Guten. Anderseits ist aber das Bestreben nach möglichster Erweiterung des Endzieles und das Bemühen, dieses durch Auseinandertreiben und Zerteilung der eigenen Individualität zu realisieren, sicherlich ebenso gut. Ein individuelles System, das irgendein Einzelner erstrebt, und ferner die Unterordnung seiner eigenen Entwicklung unter ein weit umfassenderes Ziel, sind beide eine Hinsicht des moralischen Prinzips. Soweit sich diese beiden Ziele widersprechen, kann man das eine Selbstbehauptung und das andere Selbstaufopferung nennen. So sehr nun auch beide differieren müssen, ist doch jedes moralisch gut; und abstrakt genommen kannst du nicht sagen, ob das eine besser als das andere ist. Ich bin nun weit davon entfernt zu behaupten, daß wir in der Moralität durchaus gezwungen sind, eine Wahl zwischen solchen unverträglichen Idealen zu treffen. Denn dies ist nicht der Fall und wenn es so wäre, könnte das Leben schwerlich gelebt werden. Dadurch, daß der Mensch in hohem Grade an seine individuelle Vollkommenheit nicht denkt und auch nach etwas strebt, was ihm keinen persönlichen Vorteil zu versprechen scheint, sichert er sein persönliches Glück. Wir können vielleicht sogar sagen, daß es in der Hauptsache keinen Konflikt zwischen Selbstaufopferung und Selbstbehauptung gibt und daß am Ganzen gemessen keines von beiden im eigentlichen Sinn für die Moralität besteht. Während ich aber für die Erfüllung die allgemeine Identität dieser Seiten zugebe oder behaupte, muß ich doch hier bei dem Faktum ihrer partiellen Divergenz beharren. Daß mindestens in mancher Hinsicht und bei manchen Personen diese beiden Ideale einander feindlich erscheinen, kann kein normaler Beobachter leugnen. Mit anderen Worten, wir müssen zugeben, daß zwei große verschiedene Formen des moralisch Guten existieren. Um sich den Begriff eines vollkommenen Ichs klar zu machen, mag ein Mensch zwischen zwei sich teilweise bekämpfenden Methoden zu wählen haben. Kurz, die Moralität mag ihm entweder Selbstaufopferung oder Selbstbehauptung diktieren und es ist nun für uns wichtig,

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unsere Begriffe über ihren beiderseitigen Sinn zu klären. Ein allgemeines Mißverständnis identifiziert den ersten mit dem Leben für die anderen und den anderen mit dem Leben für sich selbst. Bei dieser Anschauung ist die Tugend sozial, entweder direkt oder indirekt, entweder sichtbar oder nicht. Die Entfaltung des Individuums, d. h. wofern sie nicht zur Vermehrung des Glücks der Gesellschaft beiträgt, kann dann sicher nicht moralisch sein. Ich muß diese Theorie als eine Lehre betrachten, die übertrieben und in einen Irrtum verkehrt worden ist 1). Es gibt intellektuelle und andere Erfüllungen, denen ich mindestens die Bezeichnung Tugend nicht verweigern kann. Ich kann aber nicht annehmen, daß sie ohne Ausnahme alle irgendwie etwas zu dem sogenannten sozialen Glück beitragen müßten; auch sehe ich nicht, wie man einen sozialen Organismus zum Subjekt machen sollte, der sie direkt hätte. Wenn es sich so verhält, ist es mir aber unmöglich zuzugeben, daß jede Tugend wesentlich oder primär sozial ist. Im Gegenteil, die Vernachlässigung des sozialen Guten um anderer Ziele willen braucht nicht nur moralische Selbstbehauptung zu sein, sondern sie kann in gleicher Weise unter anderen Bedingungen sogar moralische Selbstaufopferung sein. Wir können sogar sagen, daß das Leben "für andere" mehr als das Leben "für sich" unmoralisch und selbstisch sein kann. Schwerlich kannst du den Unterschied zwischen Selbstaufopferung und Selbstbehauptung darin bestehen lassen, daß in dem einen Fall die erstrebte Idee außerhalb des Individuums liegt und im anderen Fall nicht. Oder besser, von einem solchen Ausdruck, der unbestimmt bleibt, kann man kaum sagen, daß er einen Sinn hat. Ein jedes dauernde Endziel jeglicher Art will über das Individuum hinausgehen, wenn das Individuum in seinem niedrigsten Sinn genommen wird. Doch davon abgesehen muß doch augenscheinlich der in einer Vollendung des Individuums realisierte Inhalt ebenso über ihm und jenseits von ihm liegen. Seine Vollendung ist nicht etwas von dem übrigen Universum Getrenntes und das Individuum erreicht die allgemeine Substanz des Alls nur durch Annäherung und Rückführung auf eine spezielle Harmonie. Es ist klar, daß sein privates Glück, so weit, wie es sozial ist, bis zu einem gewissen Grade das Glück der anderen in sich schließen muß. Seine intellektuelle, ästhetische und moralische Entwicklung, kurz die ganze ideale Seite seines Wesens, beruht ganz offenbar auf Austauschelementen mit anderen Seelen. Daher muß das Ziel des Individuums bei jedem Ichfortschritt immer das persönliche Wesen überschreiten. Faktisch liegt der Unterschied 1)

S. Ethical Stndies, pp. 200-203.

Vgl. hierzu später p. 354 n. 436.

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zwischen Selbstbehauptung und Selbstaufopferung nicht in den Inhalten, um die es sich handelt, sondern in dem verschiedenen Gebrauch, der von ihnen gemacht wird; ich will dies zu erklären versuchen. Bei der moralischen Selbstbehauptung können die Inhalte aus jeder Quelle gewonnen werden und können jeder Welt angehören. Sie können und müssen weithin Ziele realisieren, die ersichtlich mein Leben überschreiten. Selbstbehauptung liegt aber dann v9r, wenn ich mich bei der Anwendung dieser Elemente durch die Idee des möglichst auf mich bezüglichen Systems leiten lasse. Mit anderen Worten, wenn bei der Abschätzung und Auswahl des Materials die Entwicklung meiner individuellen Vollkommenheit der Maßstab ist, dann ist mein V erhalten selbstverständlich kein e Selbstaufopferung, sondern ich kann mich sogar im Gegensatz zu ihr befinden. Selbstaufopferung liegt dann vor, wenn ich ein Ziel verfolge, durch das meine Individualität Verlust erleidet. Erreiche ich dieses Ziel, so wird mein Ich auseinandergezogen oder vermindert oder gar zerstört. Ich kann aus sozialen Absichten mein Glück um das a~erer Menschen willen preisgeben; oder ich kann mich selbst irgendeinem unpersönlichen Ziel widmen, durch das das Wohl und die Harmonie meiner Persönlichkeit verletzt wird. ·wo das erstrebte moralische Endziel mit dem Verlust individuellen Wohlseins verbunden ist, liegt Selbstaufopferung vor, ganz gleich, ob ich dann für andere lebe oder nicht 1 ). Aber Selbstaufopferung ist auf der anderen Seite ebenso eine Art der Selbstverwirklichung. Das umfassendere Ziel, das erstrebt wird, wird sichtbar oder unsichtbar erreicht; in jener Absicht und jenem Erreichen finde ich dann mein persönliches Glück. Es liegt im Wesen der Natur meiner Persönlichkeit, als einer endlichen, sich selbst zu behaupten und doch zugleich auch über sich selbst hinauszugehen; daher sind mir die Aufgaben der Selbstaufopferung und des Selbstfortschrittes in gleicher Weise gestellt. Wenn wir einen Vergleich weit über seine wahren und natürlichen Grenzen hinaus treiben wollen, dann können wir den Gegensatz vielleicht folgendermaßen darstellen. Rei der Selbstbehauptung achtet das Organ zunächst auf seine eigene Entwicklung und deshalb bezieht es Material aus dem gemeinsamen Leben aller Organe. Bei der Selbstaufopferung aber strebt das Organ nach der Verwirklichung irgendeines Merkmals des Lebens, das größer als sein eigenes ist und ist bereit, das auf Kosten der Verletzung seiner eigenen Existenz zu tun. Ich will einstweilen nicht die Immoralität oder die Selbstaufopferung, die· ein Fehler zu sein scheint, berücksichtigen. 1)

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Die Idee einer individuellen, abgerundeten und konkreten Vollendung ist vorangegangen. Das Organ ist willens sich selbst abstrahiert und verstümmelt, entindividualisiert, verkümmert, oder gar zerstört zu sehen. Diesen augenblicklichen Mangel kann es aber auf ideale Weise durch eine Ausdehnung über seine besonderen Grenzen und durch eine Identifikation seines Willens mit einer umfassenderen Realität ausgleichen. Sicherlich müssen diese beiden so beschriebenen Ziele in der Hauptsache zusammenfallen und eins sein. Das Ganze wird ani meisten dadurch gefördert, daß seine Teile sich selber suchen; denn in ihnen allein kann das Ganze erscheinen und real sein. Der Teil wird auch in seinem individuellen Wesen durch seine Tätigkeit für das Ganze vervollkommnet, da er so die Ergänzung für jene allgemeine Substanz gewinnt, die er notwendig ausfüllen muß. Anderseits ist aber diese allgemeine Koinzidenz nur allgemein, und sicherlich gibt es Punkte, wo sie aufhört. Hier beginnen sich Selbstbehauptung und Selbstaufopferung zu trennen und jede ihren distinktiven Charakter zu erhalten. Jede dieser Wirkungsarten realisiert die Persönlichkeit und realisiert zugleich das Höhere; und beide sind (ich muß das wiederholen) in gleicher Weise Tugend und Recht. Wozu sollte denn das Individuum irgendeine Pflicht haben, wenn es keine gegen sich selbst hat? Oder nimmt man etwa wirklich an, daß in dieser Vollendung das Ganze nicht vollendet wäre und das Individuum irgendwie nur seinen eigenen Vorteil genösse und sich fern von dem Universum hielte? Wir haben aber gesehen, daß eine solche Trennung von absolutem und endlichem Wesen sinnlos wäre. Oder will man uns dagegen versichern, daß sich-für-etwas-opfern gegen die Vernunft sei? Wir haben aber erkannt, daß das wahre Wesen der endlichen Wesen ein Widerspruch in sich ist, und daß ihre eigene Natur die Beziehungen zu anderen in sich schließt und daß bereits ein jedes von ihnen außerhalb ihrer eigenen Existenz liegt. Dann wäre es sicherlich unmöglich und ganz gegen jede Vernunft, daß das Endliche, das sich selbst realisiert, nicht ebenso seine eigenen Grenzen überschritte. Wenn freilich ein endliches Individuum in Wirklichkeit nicht sich selbst widersprechend ist, dann brauchen wir jene Behauptung und jenen Beweis gar nicht erst aufzustellen. Im anderen Fall ist es dann aber natürlich und notwendig, daß sich das Individuum zwei voneinander abweichenden Vollkommenheitsidealen zu folgen gedrängt sähe. Jedes dieser Ziele ist im allgemeinen und im Abstrakten in gleicher Weise gut. Nur die partikulären Bedingungen können in jedem Fall zwischen ihnen entscheiden. Ganz sicher ist aber, daß am Endziel diese Abweichung aufhört

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und beide Ideale zusammenströmen. Denn nichts liegt außerhalb des Absoluten und im Absoluten ist nichts unvollendet. Eine nicht erfüllte Aufgabe, die einen Widerspruch von Idee und Existenz in sich schließt, ist ganz sicherlich eine Unvollkommenheit. Im Absoluten erreicht alles Endliche die Vollkommenheit, die es sucht; aber anderseits kann es die Vollkommenheit nicht genau so erlangen, wie es sie sucht. Denn, wie wir vollständig eingesehen haben, wird das Endliche mehr oder weniger verwandelt und verschwindet als solches in einem erfüllten Sein. Dieses allgemeine Bestimmungsziel ist sicherlich das Ende des Guten. Die in der Selbstbehauptung und Selbstaufopferung erstrebten Ziele sind in beiden Fällen gleich unerreichbar. Das Individuum kann niemals an sich ein harmonisches System werden. In dem umfassenderen rdeal, dem es sich, ganz gleich bis zu welchem Grade, hingibt, kann es niemals eine vollständige Selbstrealisation finden. Denn, selbst wenn wir sogar annehmen, daß ein Ideal vollkommen und irgendwie vollständig erfüllt wäre, so würde doch das Individuum selbst darin trotzdem nicht völlig absorbiert werden. Ja, wenn auch das Element des Zwiespalts seiner Meinung nach unter gegangen wäre, so deutet dennoch jene Überzeugung immer noch darauf hin, daß eine gegensätzliche Erscheinung zurückbleibt. Bei der vollständigen Preisgabe und Zerstörung der Persönlichkeit des Individuums muß es, als solches, verschwinden; und damit ist das Gute als solches überschritten und ganz untergetaucht. Dieses Ergebnis ist nur die Folgerung, mit der wir unser Kapitel begannen. Das Gute ist eine Erscheinung, ist phänomenal und damit ein Widerspruch in sich. Es zeigt daher, wie es bei den Stufen der Wahrheit und Realität der Fall war, zwei Gestaltungen der einen Norm, die nicht völlig koinzidieren. An dem Punkte, wo jeder Zwiespalt zur Harmonie gebracht worden ist, wird ebenso jede Vorstellung realisiert. Dort aber, wo nichts verloren gehen kann, verändert alles durch Ergänzung und Umgruppierung mehr oder weniger seinen Charakter. Es sei ausdrücklich betont, daß keine Selbstbehauptung und keine Selbstaufopferung, weder Gut~s noch Moralität als solche irgendeine Realität im Absoluten haben. Das Gute ist eine untergeordnete und somit eine sich selbst widersprechende Seite des Universums. Nun wird es aber hohe Zeit, daß wir weitergehen; aber mancher Leser wegen will ich doch noch bei dem Relativitätscharakter des Guten länger verweilen. Zu viele englische Moralisten nehmen blindlings an, daß das Gute das Letzte und absolut sei. Denn hinsichtlich der Metaphysik sind sie inkompetent und daß in der Religion,

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zu der sie sich wahrscheinlich bekennen oder die sie mindestens achten, die Moralität als solche subordiniert ist - ein solches Faktum kümmert sie nicht. Sie wissen nichts von der Anschauung, für die alle endlichen Dinge auf verschiedenen Stufen der Realität und Wahrheit stehen und für die gleichzeitig keines von ihnen das letzte darstellt. Sie können nicht begreifen, daß das Ganze in sich konsequent sein kann, auch wenn die Erscheinungen, die es qualifizieren, einander bekämpfen. Denn, indem sie jede gesonderte Erscheinung als absolutes und nicht als relatives Ding gelten lassen, fixieren sie jedes in seinem partiellen Wesen, das unreal und unwahr ist. Solche einseitige Abstraktionen, die bei ihrer Vereinigung wesentlich umgeformt werden, betrachten sie als letzte und fundamentale Fakten. So sind bei dem Begriff des Guten die Ziele der Selbstbehauptung und Selbstaufopferung in sich inkonsequent, und zwar jedes für sich und jedes im Verhältnis zum anderen. Sie sind fragmentarische Wahrheiten, von denen keine als solche letzte Wahrheit ist. Aber gerade diese relativen Seiten lassen die populären Moralisten als real an sich gelten; daraus resultieren nun blinde Verwirrung, V erwicklung und Irrtum. Es ist nicht meine Aufgabe und noch viel weniger mein Wunsch, das im Einzelnen zu verfolgen; aber es kann vielleicht instruktiv sein, es noch weiterhin kurz zu betrachten. Zunächst gibt es einen Punkt, der bekannt sein sollte, der aber scheinbar oft vergessen wird. Bei der Frage, ob das Gute schließlich in sich konsequent und real sein könne, interessiert uns nicht nur die Relation zwischen Tugend und Selbstsucht. Denn angenommen, daß der Unterschied dieser beiden nur durch unsere Unkenntnis besteht, so haben wir dennoch mit dieser ersten Krönung unserer Wünsche das Hauptproblem immer noch nicht gelöst. Es wird sicherlich nunmehr der Mühe wert sein, das Gute meines Nachbarn zu erstreben, da ich natürlich auf keine andere Weise besser für mich sorgen kann und da die sogenannte Selbstaufopferung oder die wohlwollende Tat, faktisch der einzig mögliche Weg ist, um mir meinen Vorteil zu sichern. Aber anderseits ist ein bloßer Ausgleich des Vorteils, wie befriedigend auch die Mittel sein mögen, durch die ich in seinen Besitz komme, sicherlich nicht die Erfüllung meines Wunsches. Denn die Wünsche der Menschen (das ist schon ein Gemeinplatz) haben keine Grenzen. Mit anderen Worten, das Gute muß einen V ersuch zur Erreichung von Vollkommenheit in sich schließen, und es liegt in der Natur des Endlichen nach dem zu streben, was nichts Endliches erfüllen kann. Bei einem bloßen Gleichgewicht der Vorteile habe ich aber mein Gutes n i c h t realisiert. In welchem Maße auch die Tugend nur eine verfeinerte Form der Selbstsucht

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sein mag, so bedeutet darum dennoch die Tugend nicht im geringsten weniger das Streben nach etwas Inkonsequentem und daher Unmöglichem. Das Gute oder das Streben nach einem solch unmöglichen Ziele bleibt trotzdem ein Widerspruch in sich. Weiterhin scheint es mir notwendig, mich nicht einer Platitüde zu schämen und darum bitte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf einige evidente Wahrheiten lenken zu dürfen. Kein existierender sozialer Organismus sichert seinen Individuen mehr als ein unvollkommnes Gut zu und in allen bezeichnet die Selbstaufopferung das Faktum eines prinzipiellen Mißlingens. Ja, sogar in einer imaginären Gesellschaft, wie sie uns im N euen J erusalem des Herrn Spencer vorerzählt wird, ist das Böse nur infolge gedankenloser Leichtgläubigkeit verschwunden. Denn man kann nicht ohne weiteres vergessen, daß die endlichen Wesen physisch dem Zufall unterworfen sind, auch kann man nicht leicht glauben, daß dies durch ihr natürliches Wesen beseitigt werden soll. Gerade dort müßten auf jeden Fall die Mitglieder eines Organismus notwendigerweise mehr oder weniger dem Ganzen geopfert werden. Denn sie müssen mehr oder weniger in ihrer Funktion spezifiziert und das bedeutet bis zu einem gewissen Grade einseitig und beschränkt werden. Ist dem so, so muß aber die Harmonie ihres individuellen Seins unvermeidlich bis zu einem gewissen Grade leiden. Sie muß auch dann leiden, wenn sich das Individuum irgendwelchem ästhetischen oder intellektuellen Ziel widmet. Wenn auf der anderen Seite, sogar innerhalb des N euen J erusalems ein Mensch nur nach seinem persönlichen Guten strebt, dann ist er trotzdem zur Unvollkommenheit und zum Mißlingen von vornherein verurteilt. Denn er versucht auf einer mangelhaften und lückenhaften natürlichen Basis ein harmonisches System zu erbauen ; und seine schon ·aus diesem Grunde hoffnungslose Aufgabe ist aus einem anderen Grunde noch hoffnungsloser. Er ist bemüht, innerhalb der endlichen Grenzen ein einheitliches Ganzes zu schaffen, während doch die von ihm notwendig augewandten Materialien kein natürliches Ende haben, sondern sich selbst darüber hinaus in eine endlose Welt von Relationen ausdehnen. Ist dem so, dann kommen wir noch einmal auf die bekannte Wahrheit zurück, daß es keine solche Möglichkeit wie menschliche Vollkommenheit gibt. Da aber das Gute das Vollkommne zu erstreben hat, so ist es unter diesen Umständen seinem Wesen nach sich widersprechend und schließlich unreal. Es ist eine einseitige und relative Erscheinung und keine letzte Realität. Gegen diesen Begriff der Relativität des Guten und jeder anderen Gruppierung der Phänomene bleibt aber die Popularphilosophie

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blind. Entweder ist für sie alles eine Täuschung und damit überhaupt nichts oder es ist ein Faktum und damit, weil es existiert, als solches real. Daß diese Realität aber nur in einem System relativer Tinrealitäten erscheinen kann; daß ·die einzelnen Erscheinungen, ohne dieses System betrachtet im Gegensatz zueinander und jede in sich selber im Widerspruch stehen; daß es trotzdem außerhalb dieses Bereichs sieb widersprechender Elemente nichts gibt und nichts geben kann; und daß, wenn die Erscheinungen nicht in einem unheilbaren Selbstwiderspruch stünden, sie auch der Möglichkeit nach niemals Erscheinungen des Realen s ein könnten - alles das bleibt dem populären Denken bedeutungslos. Der allgemeine Menschenverstand revoltiert ganz offensichtlich gegen den Begriff eines Faktums, das keine Realität ist; oder er schmückt sich auch als mäßiger Kritizismus bei der Bestimmung schwieriger Probleme mit Zweifeln, die in dogmatischer Weise seine gröbsten Vorurteile als Wahrheit annehmen. Diese Unsicherheiten werden nirgends besser als durch die populäre Ethik in ihrer Stellung zu den notwendigen Widersprüchen des Guten illustriert. Daß diese Widersprüche deswegen existieren, weil das Gute nicht absolut ist und daß ihre Lösung erst dann möglich wird, wenn das Gute zu einer Erscheinung degradiert wird - eine solche Anschauung wird ohne weiteres ignoriert. Auch wird gar nicht danach gefragt, ob nicht die Gegensätze Selbstbehauptung und Selbstaufopferung beide innerlich inkonsequent und damit unlogisch sind. Das V erfahren dabei ist aber dies, daß man zunächst stillschweigend annimmt, daß jeder Gegensatz feststeht und nicht über sich selber hinausgehen will und dann wird von dieser Grundlage aus eines von den Extremen als Illusion abgelehnt, oder wenn beide absolut und fest bleiben, wird dann der V ersuch gemacht, sie äußerlich zu kombinieren oder zu zeigen, daß sie irgendwie koinzidieren. Ich will noch einige Worte über diese Gedankenentwicklung hinzufügen. 1. Das Gute mag mit der Selbstaufopferung identifiziert und daher die Selbstbehauptung völlig ausgeschlossen werden. Das Gute steht als Selbstaufopferung aber ersichtlich in Kollision mit sich selbst. Denn ein Akt der Selbstverleugnung ist trotzdem in irgendeinem Sinn eine Selbstrealisation und schließt unweigerlich eine Seite der Selbstbehauptung in sich. Daher ist das Gute als das bloße Vollziehen einer Selbstopferung in Wirklichkeit sinnlos. Denn das Gute muß trotzdem in endlichen Ichen realisiert werden. Weiterbin erscheint es völlig inkonsequent, zu behaupten, daß Vollendung immer die Vollendung von etwas Anderem sein muß. Denn das wird entweder heißen, daß im Ganzen das Gute überhaupt Nichts ist

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oder daß es in dem besteht, was jeder genießen kann oder genießt zwar nicht als ein Gutes, sondern als etwas, das ihm von außen her beigebracht worden ist. Mit anderen Worten, das Gute wird in diesem Fall nicht gut sein ; und im vorhergehenden Fall wird es nichts Positives und daher nichts sein. Daß jeder die allgemeine Vervollkommnung im Auge haben, jeder zum Vorteil eines Ganzen, in dem sein Ich einbegriffen ist, handeln und zu einer Sammlung beitragen müßte, an der er seinen Anteil hat, - das ist sicherlich nicht reine Selbstopferung. Eine Maxime aber, bei der jeder nur das Glück seines Nachbarn, ganz getrennt von seinem eigenen erstreben sollte, haben wir als in sich inkonsequent erkannt. Sie kann kaum die letzte oder vernünftige sein, wenn ihr Sinn im Unsinn zu enden scheint 1). 2. Oder, wenn die populäre Ethik jede Ichüberschreitung als ein leeres Wort ablehnt, mag sie die reine Selbstbehauptung für das Gute schlechthin erklären. Sie mag vielleicht noch hinzufügen, daß dadurch, daß jeder seinen Vorteil sucht, das Glück aller am besten gesichert ist; aber diese Hinzufügung ist in der Selbstbebau ptung nicht enthalten und kann eigentlich nicht mit zugleich gesetzt werden. Denn wenn eine solche Hinzufügung notwendig wäre, so wäre das Ziel zugleich wesentlich modifiziert worden. Nur die reine Selbstbehauptung, die nicht qualifiziert wird, wurde als Gutes angenommen, und sie allein müssen wir dafür ansehen. Wir bemerken zunächst (wie wir schon sahen), daß ein solches Gutes unerreichbar ist, da die Vollkommenheit nicht in einem endlichen Wesen realisiert werden kann. Nicht nur die physische Grundlage ist allzu lückenhaft, sondern die Inhalte gehören ihrem Wesen nach allzusehr der ichfremden Welt an; daher ist es unmöglich, daß sie in ihr zur Vollendung und Harmonie gebracht werden könnten. Mancher mag sich indes bemühen, näher an das Unerreichbare heranzukommen. Mancher mag nach einem System in sich selber streben, und von den notwendigen Verbindungen des augewandten Materials gewaltsam abstrahieren. Wir können so denken und danach streben, das System einseitig anzuwenden, und zwar nur in bezug auf eine einzige Seite seiner wesentlichen Merkmale. Aber die andere, davon untrennbare Seite, wird gegen unseren Willen ans Tageslicht treten und unser Bemühen zur Inkonsequenz stempeln. So ist sogar das unzureichende V erfolgen des eigenen Vorteils an sich unvernünftig, denn für sich selber Es ist hier vielleicht angebracht, noch zu sagen, daß das Gute weder in diesem noch einem anderen Sinne negativ definiert werden kann. Bei jenem Punkt einer Definition, bei dem ein negativer Begriff eingeführt wird, sollte der Leser ganz besonders auf Fehler achten. 1)

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und in reiner Form bat es überhaupt keine Existenz. Es war ein charakteristischer Zug der kritischen Common Sense-Philosophie, daß sie auf der Suche nach dem moralischen Ziel des Individuums dieses zunächst als isoliert annahm. Denn es ist doch nur eine dogmatische Annahme, daß das Individuum das bliebe, was es ist, wenn du es von seinen Relationen abgeschnitten hast und das wird es doch sehr oft, was dann der vulgäre Verstand für Kritizismus ansieht. Wenn aber ein solches Problem erörtert wird, muß es ganz anders behandelt werden. Die Inhalte, die in dem Individuum, das sich selbst sucht, behauptet werden, dehnen sich notwendigerweise über ihre persönlichen Grenzen aus. Daher ist die Maxime, nur auf den eigenen Vorteil auszugehen, streng genommen inkonsequent. Und ein Prinzip, das sich selbst widerspricht, ist wiederum nicht vernünftig 1). 3. Gibt schließlich das populäre Denken zu, daß Selbstbehauptung und Selbstverleugnung in gleicherWeise gut sind, so versucht es doch, sie von außen her zusammen zu bringen. Der Begriff des Guten wird nun in der Koinzidenz dieser unabhängigen Güter bestehen. Diese beiden sollen nicht von einem Dritten absorbiert und in ihm aufgelöst werden. Jedes von ihnen soll seinen ursprünglichen Charakter unverändert behalten, und beide, die zwei bleiben, sollen irgendwie verbunden werden. Dies ist aber, wie wir in unserem Buch gelernt haben, ganz unmöglich. Wenn zwei sich bekämpfende endliche Elemente irgendwo harmonisiert werden sollen, so ist der dritte Zustand der, daß jedes auf seinen privaten Charakter verzichten und ihn überschreiten müßte. Mit anderen Worten, der Zwiespalt zwischen beiden wirkt sich schon in jedem von ihnen selbst aus, jedes geht über sich selbst hinaus und verbindet sich mit seinem Gegensatz in einem Produkt, das höher als beide liegt. Eine solche Transzendenz kann aber für populäre Ethiken keinen Sinn haben. Diese hat ohne Nachprüfung angenommen, daß jedes endliche Ding, für sich selbst genommen, vernünftig ist; daher fordert sie, daß jedem von ihnen als solchem zugleich Genüge getan werde. Blind gegen die Theorie ist sie ebenso blind gegen die praktische Widerlegung ihres Dogmas 1) Dieselbe Folgerung gilt, wenn jemand für "Vorteil" "Lust" schreibt. Denn Lust ist notwendig mit einem fremden Inhalt verbunden und ist nicht isoliert oder nur zufällig und unwesentlich damit verknüpft. Natürlich mag jemand die Lust "nur seines eigenen Wesens" im Sinn haben, in der Auffassung, daß jemand danach strebt und dieses partielle Ziel an sich zu betrachten sucht. Wolltest du aber behaupten, daß dieses Ziel keine andere Seite hat, die dem Begriff "nur eigenes Wesen" widerspräche, so wäre deine Behauptung falsch. Es ist m. E. eine moralische Platitüde, daß auch eine selbstische Handlung immer noch andere als den Handelnden betreffen muß.

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im täglichen Leben. In diesem kann jemand das allgemeine Glück in seinem eigenen erstreben und kann sein eigenes in einem allgemeinen Glück erfüllt finden; denn das Gute ist hier schon die Überschreitung und Auflösung einseitiger Elemente. Das Gute ist bereits hier nicht die äußere Verbindung, sondern die substantielle Identität dieser Gegensätze. Sie koinzidieren nicht miteinander, sondern jedes ist im anderen und bildet eine Seite von ihm. Kurz, schon innerhalb des Guten ist jenes Werk unvollkommen begonnen, das, wenn es vervollständigt wird, uns zugleich über das Gute hinausführen muß. Für die populäre Ethik ist aber, wie wir sahen, nicht nur das Gute selber, sondern jedes seiner einseitigen Merkmale absolut fixiert. Da diese nun in einer irrationalen Unabhängigkeit so fixiert worden sind, bemüht man sich, das Gute in ihrer äußeren V erbindung zu finden. Das Gute muß nunmehr offenbar die Koinzidenz von zwei letzten Gütern sein, es ist aber schwer einzusehen, wie ein solches Ziel letztes Ziel oder vernünftig sein kann. Daß zwei Elemente notwendig sich vereinigen müßten, daß keines von beiden durch diese Relation qualifiziert werden dürfte, oder daß endlich eine Relation nicht ein Ganzes in sich schließen soll, das ihre beiden Bezugspunkte subordiniert und qualifiziert - all das scheint zuletzt unbegreiflich. Aber wenn auch die Relation und das Ganze die Endpunkte qualifizieren sollen, so versteht niemand, wie denn jeder von beiden an sich das Letzte immer gewesen sein könnte 1). Kurz, die bloße Verbindung unabhängiger Realen ist ein sich widersprechender Begriff. Aber davon hat natürlich die Common SensePhilosophie überhaupt keine Ahnung und daher rückt sie blindlings mit ihrer unmöglichen Aufgabe an. Ihre Aufgabe ist die Verteidigung des absoluten Charakters des Guten, indem sie zeigt, daß die Gegensätze, die es darbietet, schließlich verschwinden und daß von diesen gegensätzlichen Merkmalen trotzdem jedes in seinem eigentümlichen Charakter bestehen bleibt. Die populäre Ethik begreift aber gewöhnlich diese Aufgabe nicht. Sie schlägt daher die Richtung auf den Beweis der Koinzidenz von Selbstsucht und Nächstenliebe ein oder zeigt mit anderen Worten, daß Selbstaufopferung, wenn schon moralisch, so doch unmöglich Dieselbe Schwierigkeit wird bei dem Versuch der Aufstellung einer allgemeinen Maxime auftreten. Beide Endpunkte müssen bleiben und letzte sein und daher darf keines durch das andere oder das Ganze qualifiziert werden, weil das So-qualifiziert-werden überschritten werden muß. Ich möchte hinzufügen, daß eine negative Form des Standpunkts nicht zur Erklärung, sondern nur zur Verdunklung des Problems dient. Aus diesem Grund möge sie instinktiv vermieden werden. 1)

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ist. Mit dieser Folgerung möchte sie ihrer Meinung nach das Hauptproblem gelöst haben. Nun, ich will nicht danach fragen, inwieweit bei einer solchen Vollendung die letzten Ziele, eines oder gar beide, untergeordnete wären; denn mit dieser Folgerung wird auf keinen Fall das Hauptproblem berührt. Wir haben schon gesehen, daß unsere Wünsche, ganz gleich ob für uns oder für andere, nicht bei der Vollendung plötzlich aufhören. Wo aber jedes Individuum nicht mehr sagen kann, als daß es sich gelohnt hat, die Interessen der anderen zu beachten, dort ist sicherlich von Vollendung nicht die Rede. Und wo das erstrebte Gute fehlt, dort zu behaupten, daß wir von der Verwirrung, die mit dem Guten gegeben ist, befreit sind, das ist doch gedankenlos. Es ist auf jeden Fall eine, wie wir schon bemerkt haben, charakteristische Gedankenlosigkeit; nun wollen wir zu den äußerlichen Mitteln übergehen, die angewandt werden, um moralische Harmonie hervorzubringen.. Hier ist nur wenig zu sagen. Wir finden hier einen stark abgenutzten, offen zur Schau getragenen oder schwach angedeuteten Kunstgriff vor. Es handelt sich um einen Deus ex machina, einen Begriff, um den sich keiner, der sich um die ersten Prinzipien bemüht, zu kümmern braucht. Ein Gott, der Dinge zu etwas machen soll, was sie auf andere Weise und ihrer eigenen Natur nach n i c h t sind, kann summarisch als eine erledigte Absurdität beiseite gelassen werden. Daß Vollendung im Endlichen als solchem existieren könnte haben wir sogar als der Natur der Dinge direkt widersprechend erkannt. Ein Glaube, daß es sich unter Umständen lohnen könnte, den Nächsten zu lieben - besonders wenn eine unbestimmte Verlängerung des Lebens mit vorgestellt wird -, kann an sich und unserer Erkenntnis nach nicht unmöglich genannt werden. Aber anderseits haben wir schon festgelegt, daß eine solche phantasierte Nutzanwendung keine Lösung des wirklichen Hauptproblems ist. Möglicherweise kann dieser Glaube sehr zur Erhöhung unseres Genusses dienen, wenn er uns versichert, daß Tugend die beste und einzig wahre Selbstsucht sei. Eine solche Wahrheit aber, falls sie wahr wäre, würde nicht besagen, daß eines unserer beiden ursprünglichen Endziele oder beide realisiert werden. Da dies fehlschlägt, ist der weitere Zwiespalt aus dem Begriff des Guten nicht beseitigt worden. Wir können mit einem Wort sagen, daß der Deus ex machina seine Mitwirkung ablehnt. Außer einer neuen Quelle von weiteren Kollisionen und Verwirrungen wird mit diesem ehrenwerten Kunstgriff wenig zutage gefördert. Wenn die populäre Ethik diese verwirrende Betriebsamkeit aufgibt, mag sie auch einmal einen Appell an die "Vernunft" richten. Denn wenn ihre beiden moralischen Ziele beide

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vernünftig sind, muß die Natur der Dinge, falls sie nicht koinzidieren, irgendwie vernunftwidrig sein. Wir haben aber gezeigt, daß keines von diesen Zielen an sich vernunftgemäß ist; wenn aber das Wesen der Dinge darin bestünde, sich widersprechende und einander bekämpfende Elemente in sich zur Einheit zu bringen und sie, ohne Umformung ihres Charakters, koinzidieren zu lassen - dann würde sich das Wesen der Dinge selber als eine Apotheose der Unvernunft oder populärer Ethik enthüllen. Da dieser Denkweg dadurch, daß er seine Dogmen nicht im Universum realisiert findet, sich ge-· äfft sieht, kann er uns schließlich mit totalem Skeptizismus bedrohen. Hier spricht er aber nochmals von etwas, wovon er in Wirklichkeit gar nichts weiß; denn ein anständiger Skeptizismus liegt ganz außerhalb seiner Fassungskraft. Ein anständiger und wahrheitssuchender Skeptizismus verfolgt die Probleme bis zum Ende und weiß, daß das Ende in dem verborgen liegt, was im Anfang angenommen worden ist. Der (sogenannte) Skeptizimus der Common Sense- Lehre ist aber ·von vom bis hinten dogmatisch. Er nimmt zunächst ohne weitere Prüfung einige Lehrsätze für wahr an; dann verlangt er, daß diese Sammlung von Dogmen zur Übereinstimmung kommen müßte; und wenn seine Forderung vom Universum abgelehnt wird, so wiederholt er trotzdem andauernd seine alten Voraussetzungen. Und dieser Dogmatismus erhält nun den Namen Skeptizismus, einfach weil er geäfft und in Verlegenheit gebracht worden ist. Ein aufrichtiger Skeptizismus aber, der furchtlos jedes partikuläre Vorurteil angreift, weiß, daß jede endliche Anschauung, wenn sie für sich selbst genommen wird, widerspruchsvoll wird. Ein solcher Skeptizismus, der auf dieser Inkonsequenz, die immer ein Über-sich-selbsthinausschreiten bedeutet, beruht, wird auf den Gedanken an ein Ganzes gelenkt, in dem alle Endlichkeiten verschmelzen und aufgelöst werden. Wenn aber jedes Faktum und jedes Ziel seinen Anspruch, als solches das Letzte oder Vernünftige zu sein, aufgegeben hat, dann haben Vernunft und Harmonie in höchstem Sinn zu erscheinen begonnen. Der Skeptizismus bleibt schließlich als eine bloße Ansicht konstruktiver Metaphysik übrig. Damit verlassen wir die irrationalen Dogmen der populären Ethik. Diese Erörterung war beschwerlich, aber vielleicht doch instruktiv. Sie dürfte uns in unserer allgemeinen Ansicht über das Wesens des Guten bestärkt haben. Das Gute ist nicht absolut und nicht das Letzte; es ist nur eine Seite, eine partielle Hinsicht des Wesens der Dinge. Es zeigt seine Relativität durch die Inkonsequenz, durch einen prinzipiellen Widerspruch in sich selbst und

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durch eine Tendenz zur Spaltung in der Auswirkung jenes Prinzips, und durch einen" Versuch zur Trennung, die auch inkonsequent ist und bei der es nicht bleiben kann. Das Gute als solches ist nur Erscheinung, die im Absoluten überwunden wird. Da aber auf der anderen Seite in jenem Absoluten keine Erscheinung verloren geht, ist das Gute ein Haupt- und Wesensfaktor im Universum. Nimmt man seine Umwandlung. an, dann realisiert es seine eigene Bestimmung und bleibt im Ergebnis doch noch bestehen. Wir könnten zu der gleichen Folgerung auch vielleicht einfacher kommen, wenn wir die Kollision der Ziele betrachten. Im Ganzen muß jede Vorstellung realisiert werden; aber anderseits ist der Konflikt der Ziele so, daß es ganz unmöglich ist, sie mechanisch zu kombinieren. Daraus folgt nun, daß an ihrem Zielpunkt ihr Wesen verändert werden muß. Wir können zugleich sagen, daß keines von ihnen und dennoch jedes gut ist. In diesen Zielen muß auch das einbegriffen sein, was wir mit Recht als Böses verurteilen (Kap. 17). Jener positive Inhalt, der im Gegensatz zum Guten sich ergibt, wird sich mit dem letzten Ziel vereinen und dahin führen. Das Verhalten, das nur böse zu sein, keinen positiven Inhalt zu erstreben und kein System aufzuweisen scheint, wird auf dieselbe Art gut werden. Durch seine Bejahung wie durch seine V erneinung wird es dem beherrschenden Endziel förderlich sein. Gutes und Böses wiederholen jenes Hauptresultat, das wir bei der Nachprüfung von Wahrheit und Irrtum fanden. Der Gegensatz ist schließlich unreal, ist aber trotzdem, ganz ausdrücklich sei es betont, aktuell und gültig. Irrtum und Böses sind Fakten und ganz sicherlich gibt es für beide Stufen; und ob etwas besser oder schlechter ist, das bildet zweifellos keinen Unterschied im Absoluten. Sicherlich, je besser etwas ist, um so fragmentarischer wird sein Wesen am Endziel überwunden. Aber nichts auch noch so Gutes kann an diesem Ziel genau so real sein, wie es erscheint. Kurz, Böses und Gutes sind nicht Letztes; sie sind relative Faktoren, die ihre speziellen Charaktere im Ganzen nicht behalten können. Wir dürfen nunmehr vielleicht eine Erörterung dieser unserer selbständigen Stellungnahme wagen. Da wir aber den unbefriedigenden Bestand der allgemein üblichen Gedanken über dieses Thema im Kopf haben, wird es meiner Meinung nach gut sein, wenn wir die Untersuchung weiter ins Einzelne verfolgen. Eine besonders zugespitzte Bedeutung des Begriffes "gut" haben wir freilich nicht behandelt 1). Man kann uns da1) Diese Ansicht von der Moralität ist natürlich eine späte Entwicklung, ich will aber nichts über ihren Ursprung zu sagen. Was den Ursprung der

Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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hin belehren, das Gute sei Moralität und Moralität sei ein Innerliches. Es besteht nicht in der Erreichung eines bloßen Ergebnisses außerhalb des Ichs oder sogar in ihm. Denn ein Ergebnis muß von dem natürlich Gegebenen abhängen und dadurch bedingt sein und für die natürlichen Mängel oder Vorzüge ist der Mensch nicht verantwortlich. Daher ist jedes realisierte Produkt, soweit es die wahreMoralität betrifft, Zufall; denn es muß mehr oder weniger durch nicht-moralische Bedingungen beeinflußt und modifiziert werden. Kurz, nur das, was vom Menschen selbst kommt, nur das kann ihn rechtfertigen oder verurteilen und seine Anlage und seine Lebensumstände stammen nicht von ihm selber. Moralität ist die Identifikation des Willens des Individuums mit seiner eigenen Vorstellung· der Vollkommenheit. Der moralische Mensch ist der Mensch, der das nach seinem Wissen Beste zu tun versucht. Wenn das seiner Meinung nach Beste nicht das Beste ist, so steht es moralisch gesprochen außer Diskussion. Wenn es ihm nicht gelingt, es zu vollenden und er im V ersuch stecken bleibt, so ist das wiederum moralisch irrelevant. Daher wird (so können wir hinzufügen) kaum ein besonderer Geist aufzufinden sein, in dem man verschiedene Epochen moralisch vergleichen kann, oder in dem die Moralität einer Zeit oder Person über der anderer steht. Denn die Intensität einer Willensidentifikation mit irgendetwas, was das Beste zu sein scheintr enthält scheinbar genau das Wesen des Guten und erschöpft es. Moralität im allgemeinen betrifft, will ich nur soviel sagen, daß manche allzu großen Nachdruck auf ihre direkt soziale Seite legen. Sicherlich ist eine Isolierung des Individuums durchaus unhaltbar. Aber auf der anderen Seite ist es falsch, als einzige Wurzel der Moralität die direkte Identifikation des individuellen und sozialen Willens gelten zu lassen. Wie wir bemerkt haben, ist die Moralität in ihrem Ziel nicht auf diesen beschränkt; ebenso, das müssen wir hinzufügen, ist sie es nicht an ihrem Anfang. Ich möchte mich hier auf die Fakten der Selbstachtung und der Selbstverachtung oder die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit einer Kreatur mit sich selbst beziehen. Dieses Gefühl muß beginnen, wenn jene Kreatur imstande ist, eine Vorstellung von sich als einem einen Wunsch vollziehenden oder genießenden Wesen hat und wenn es jene Vorstellung in Relation zu seinem eigenen wirklichen Erfolg oder Mißerfolg bringen kann. Die unbefriedigte Ernährung eines Tieres, das z. B. seine Beute verpaßt hat, ist sicherlich dennoch nicht moralisch. Sie wird aber trotzdem rudimentär jene Ichbeurteilung enthalten, die ein höchst wichtiger Faktor der Moralität ist. Dieses Gefühl v!)r· bindet sich unterschiedslos mit jeder Art Vorstellung von Wirksamkeit, Ausführung oder Erfolg, in der gewünscht wird. Wenn ich mich selber in Übereinstimmung mit einer solchen Vorstellung fühle oder betrachte, so bin ich zugleich mit mir zufrieden ; und wenn es nur sogar im Glück beim Kartenspiel ist, so billige und achte ich mich selbst. Denn Billigung ist, wie wir sahen, nicht durchaus moralisch; auch ist sie in ihren Ursprüngen durchaus nicht direkt sozial. Doch ver-· langt dieses Thema eine längere Behandlung, die hier unmöglich ist.

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Darauf allein sind moralische Verantwortlichkeit und Pflichtvergessenheit basiert, und auf dieser Grundlage sind wir vielleicht berechtigt, unsere einzige Hoffnung auf Unsterblichkeit aufzubauen. Auf eine solche Anschauung scheint die Moralität unwiderstehlich hingetrieben zu sein. Daß ein Mensch nur nach seinem Innern beurteilt werden darf, ist schließlich unleugbar. Wenn sich aber eine solche Theorie selbst widerspricht und inkonsequent zum wahren Begriff des Guten steht, so wird das noch ein Zeichen dafür sein, daß das Gute nur Erscheinung ist. Wir können sogar sagen, daß die vorliegende Auffassung stolz auf ihre eigenen Widersprüche ist. Wir müssen zugeben, sie sollte sich noch offener widersprechen. Denn sie möchte die Moralität aus der direkten Leugnung jenes wahren Existenzelementes bestehen lassen, ohne das sie in Wirklichkeit nichts ist 1). Die gleiche Inkonsequenz haftet auch unserer Theorie, wenn auch verhüllter, imm.er noch an. Denn ein Wille muß trotzdem etwas tun und muß durch das, was er tut, charakterisiert werden, während anderseits der wirkliche Charakter dessen, was er tut, von dem abhängen muß, was ihm "gegeben" ist. Wir haben zwischen zwei fatalen Ergebnissen zu wählen; denn entweder ist es gleichgültig, was einer tut oder es muß sonst etwas, das neben und über dem reinen "Willen" steht, als Gutes zugestanden werden. Ich will noch ein paar Worte über das sogenannte "moralische Verdienst" sagen. Wenn dieser Ausdruck besagt, daß es für jedes Gute oder Böse noch eine Belohnung außer ihm selber gibt, so ist das zugleich sich widersprechend. Denn, wenn es zwischen Tugend und Glück eine wes e n t l i c h e Verbindung gibt, dann muß Tugend so umdefiniert werden, als umfasse dieses ihr ganzes Wesen. Wenn aber diese Verbindung nur äußerlich ist, in welchem besonderen Sinn sollen wir sie dann moralisch nennen? Wir müssen dann entweder die Vorstellung von demVerdienst aufgeben oder verändern oder sonst überhaupt unseren extremen Begriff vom moralisch Guten ernsthaft modifizieren. Nun will ich dazu übergehen zu zeigen, wie dieser Begriff in seiner Auswirkung zusammenbricht. Er steht erstens im offenen Gegensatz zur gewöhnlichen Moralität. Ich will mich nicht auf das Faktum beziehen, daß wir im gewöhnlichen Leben alle menschlichen Eigenschaften billigen , die uns wünschenswert erscheinen. Schönheit, Reichtümer, Macht, Gesundheit, Glück - alles das und vielleicht mehr als alles das, was man menschliche Vortrefflichkeit nennen könnte - finden wir bewunderns1)

Ethical Studies, Essay IV.

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wert und billigen es. Aber alle diese Billigungen, samt ihrem Gegenteil, den Mißbilligungen, möchten wir wahrscheinlich nicht moralisch rechtfertigen. Lassen wir diesen Punkt einstweilen beiseite und achten wir nur auf jene Vortrefflichkeiten, die wir alle moralisch nennen würden. Diese allgemeinen Lebenstugenden, auf Grund deren die Menschen geachtet werden, hängen augenscheinlich zum großen Teil von der Anlage ab, die sie an den Tag bringt. Sie nun gänzlich abzulehnen, weil sie nicht oder insoweit sie nicht dem individuellen Willen zugeschrieben werden können, ist ein gewaltsames Paradoxon. Wenn es sogar richtig ist, so steht es doch mindestens im Gegensatz zur Alltagsmoral. Wenn wir diese Lehre weiter prüfen, so erweist sie sich schließlich als im Nichts endend. Ihre Idee ist die, einen Menschen nur danach einzuschätzen, was aus seinem Willen stammt und das ist schließlich nichts. Denn im Willensresultat gibt es keinen Inhalt, der nicht aus einer "natürlichen" Quelle stammte und das ganze Resultat, ob an seinem Ursprung, seinem aktuellen Verlauf oder seinem Ziel ist durchaus durch "natürliche" Faktoren bedingt und qualifiziert. Man kann dem moralischen Menschen keine Allmacht und Allwissenheit zumuten. Er ist moralisch vollkommen, wenn er nur das tun will, was er weiß. Wie kann er es aber tun, wenn Schwäche und Krankheit sich körperlich oder geistig seiner Anstrengung widersetzen? Und kann er denn überhaupt sich darum bemühen, außer kraft einer "natürlichen" Anlage? Eine solche Vorstellung ist psychologisch absurd. Wenn wir zwei verschiedene Individuen vornehmen, das eine mit äußeren und inneren Vorzügen begabt und das andere mit den entsprechenden Schattenseiten ausgestattet und wir nun bei unserer Beurteilung ablehnen, darauf die geringste Rücksicht zu nehmen - wohin kommen wir dann schließlich? Aber Rücksicht nehmen würde das Aufgeben des Kerns unserer Lehre bedeuten und der moralische Mensch wäre nicht mehr bloß der Mensch, der will, was er weiß. Das Ergebnis wäre dann, daß wir überhaupt nicht imstande wären, moralisch zu urteilen, denn sonst belasten wir die Moralität mit einem äußeren Einfluß oder einer Rücksicht. Auch fänden wir dabei keine geringere Schwierigkeit, wenn wir unser Augenmerk auf die moralische Erkenntnis richten. Denn der eine wird auf Grund seiner Erziehung oder Natur besser als der andere erkennen und sicherlich kann keiner immer das Beste erkennen 1). Aber nochmals, wir können 1) Nach der allgemeinen hedonistischen Anschauung können wir behaupten, daß er niemals hoffen kann, dies zu tun oder zu wissen, wenn er es getan hat. Was jene "objektive Richtigkeit" nennen würde, das scheint schließlich nach mensch-

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keine Rücksicht darauf nehmen und müssen darauf bestehen, daß es moralisch gleichgültig ist. Kurz, es kommt nicht darauf an, was einer weiß, und wir haben gesehen, daß es wenig ausmacht, was einer tut. Die Unterscheidung zwischen gut und böse ist faktisch verschwunden. Auch wenn wir die Intensität der moralischen Anstrengung in Betracht ziehen, so wird uns das nicht helfen 1). Denn jene Intensität wird in erster Linie durch natürliche Bedingungen bestimmt; ferner müßte man annehmen, daß das Gute in einem Kampf mit sich selbst bestehe. Um jemanden zu bessern, müßtest du in manchen Fällen sein Böses vermehren, um die Spaltung in ihm und damit die Moralität zu erhöhen. Also, das Gute bedeutete im Anfang, daß einer tut, was einer kann und nunmehr bedeutet es nur, daß einer tut, was er tut. Oder besser, was einer tut und was er will wird in gleicher Weise durch die Natur und moralisch Indifferentes beeinflußt. Mit klaren Worten, es gibt zwischen gut und böse keinen Unterschied mehr. Man kann aber dennoch möglicherweise zu uns sagen, eine solche Folgerung sei ein völliges Mißverständnis. Denn obwohl jeder Inhalt des Guten nach außen bezogen werden muß, so hat dennoch das Ich oder der Wille eine Kraft zur Aneignung. Durch sein formales Tätigsein wirkt er auf den gegebenen Inhalt ein, formt ihn um und macht so den rohen natürlichen Stoff sich zu eigen und damit moralisch. Anderseits müssen wir doch weiterhin behaupten, daß jeder Akt eine Resultante aus psychischen Bedingungen ist 2). Ein formaler Akt, der nicht durch den Inhalt bestimmt wird, ist Unsinn, ganz gleich, ob du ihn an seinem Anfang oder seinem Ende betrachtest. Wenn nun der Akt nicht moralisch charakterisiert und nach seinem Inhalt beurteilt wird, wird es dann wenigstens auch lieber Berechnung nicht ermittelbar oder ist nur die Anschauung des Subjekts, wie falsch sie auch sein mag. Eine verständliche Ansicht von der Verbindung zwischen Gut und Wahr dürfen wir aber von dem allgemeinen Hedonismus nicht erwarten (p. 333). 1) V gl. Ethical Studies, pp. 213-217. 2) Das würde freilich durch den allgemein sogenannten Freien Willen geleugnet werden. Dieser versucht das Ich oder den Willen unter Absehen von den konkreten Bedingungen zur verantwortlichen Quelle des Verhaltens zu machen. Da der Wille oder das Ich in dieser Abstraktion genommen nichts ist, kann "freier Wille" nur Zufall bedeuten. Wenn er das nicht ist, so werden seine Verteidiger mindestens nicht zu sagen vermögen, was er denn sonst ist; wie nun aber der Zufall uns zu einem verantwortlichen Sein helfen kann, vor dieser Erörterung schrecken sie natürlich zurück (s. Ethical Studies, Essay I, und Mr. Stephen's Science of Ethics, pp. 282-283). Theoretisch oder auch praktisch angesehen ist "freier Wille" eine bloß langweilige Chimäre. Sicherlich kann man keinen Schriftsteller nennen, der sich selbst achtet, und ihn längere Zeit ernsthaft behandelt.

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einen Unterschied zwischen gut und böse geben? Ganz gleich, ob du den Akt auf seinen psychischen Ursprung oder seinen wesentlichen Charakter hin ansiehst, - wenn er möglich sein sol~ kann er nicht bloß formal sein; er wird daher wesentlich von dem abhängen, was nicht-moralisch genannt worden ist. Eine vom Inhalt unabhängige Form ist bestimmt nichts und kann daher ebenso bestimmt nicht Moralität sein. Sie kann höchstens als solche dargestellt werden und man kann es von ihr behaupten auf Grund eines zufälligen Inhalts, der sie ausfüllt und vorgibt moralisch zu sein. Die Moral hat sich zu einer Selbstbejahung erniedrigt, die n u r formal und d a h e r falsch ist. Sie ist das ganze Gewissen geworden, dem Handlungen gut erscheinen, weil sie zufällig die eigenen sind oder weil sie nur diesen irgendwie gleichen. Zwischen Behauptung und Faktum gibt es keine ursprüngliche Verbindung. Sie ist eitler Ichwille und Ichbejahung, die mit privaten Gefühlen oder zufälligen Wünschen aufgeschwemmt, die Maske des Guten trägt. Daher wäre das, was sich selbst moralisch nennt, dasselbe wie das Nur-Schlechte, wenn es sich nicht, zu seinem Schaden noch durch die Hinzufügung von Heuchelei davon unterschiede 1). Denn das Schlechte, das zugibt, daß nicht nur Anderes, sondern es selber nicht gut sei, hat im Prinzip mindestens eitle Selbstgenügsamkeit und Ichwillen verurteilt. Das allgemeine Bekenntnis, daß das Ich an sich wertlos sei, hat jenem Ich den Weg dafür freigemacht, daß es seinen Wert von einem Guten erhält, das über das Ich hinausgeht. Die Moralität ist zu dem Zugeständnis gedrängt worden, daß Gutes und Böses nicht völlig von uns selber abhängen und mit diesem Zugeständnis ist sie nunmehr endgültig über sich selber hinausgegangen. Wir mußten schließlich zu diesem Ende kommen, da man als moralische Pflicht verkündet hat, nicht moralisch zu sein. Daß eine moralische Pflicht nicht moralisch sei, trägt die Form eines Paradoxons, ist aber der Ausdruck eines Prinzips, das wirksam geworden ist und sich völlig bewiesen hat. Jede abgesonderte Ansicht des Universums drängt, wenn man auf ihr beharrt, zur Forderung eines Höheren als sie selber ist. Wie jede andere Erscheinung schließt das Gute das in sich, was es, wenn es zum Abschluß gebracht ist, absorbieren muß. Dennoch kann das Gute nicht zurücktreten; denn um sich nochmals mit dem früheren Stadium seiner EntwickWir können hier anmerken, daß unser Land, das auserwählte Land der Moralphilosophie, draußen im Rufe steht, das Zentrum der Heuchelei und des Cant zu sein. 1)

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lung zu identifizieren, würde es wieder zu dem von uns erreichten Punkt vorwärts getrieben werden. Das Problem kann nur gelöst werden, wenn die verschiedenen Stadien und Erscheinungen der Moralität alle in einer höheren Form des Seins eingeschlossen und ihr untergeordnet werden. Mit anderen Worten, das von der Moralität erstrebte Ziel liegt über ihr und ist über-moralisch. Nun wollen wir einen allgemeinen Überblick über die moralischen Forderungen gewinnen, die nach Befriedigung rufen. Die erste ist die Aufhebung der Trennung zwischen Moralität und Gutem. Wir haben gesehen, daß jede Art menschlicher Auszeichnung, Schönheit, Macht und sogar das Glück unleugbar gut sind. Es ist ein eitler Vorwand, wenn wir behaupten, daß solche Gaben nicht gewünscht und ebenso nicht anerkannt werden. Es ist trotz allem ein moralischer Instinkt, der die Schönheit zur Tugend zählt. Denn, wenn wir dies zu leugnen versuchen und die Tugend darauf beschränken, was allgemein moralisches V erhalten genannt wird, so ist unsere Stellung unhaltbar. Wir werden zugleich durch unser zugestandenes Prinzip in weitere V erneinungen hineingestoßen und die Tugend weicht aus der Welt zurück, bis sie keine Tugend mehr ist. Sie sucht ein inneres, nicht durch die Verbindung mit .außen verdorbenes Zentrum oder mit anderen Worten sie verfolgt, wie schon bekannt, ein sinnloses Ziel. Denn der Vorzug, der nur innerlich ist, besteht überhaupt nicht. Wir müssen entweder zugeben, daß die physischen Vorzüge gut sind, oder wir müssen uns damit begnügen, daß wir die Tugend nirgends in der Welt verwirklicht finden 1). Daher werden Tugenden mehr oder weniger äußerlich und mehr oder weniger innerlich und geistig sein. Wir müssen Arten und Stufen und verschiedene Grade der Tugend zugestehen. Die Moralität muß als eine besondere Form des allgemeinen Begriffs gut unterschieden werden. Sie wird damit nur ein Vorzug unter anderen, weder schließt sie alle in sich, noch ist sie einer gesonderten und unabhängigen Existenz fähig. Die Moralität hat sich als unreal erwiesen, insofern sie nicht wesentlich auf den natürlich guten Vorzügen beruht und aus ihnen besteht. So werden wir zu der Anerkennung gedrängt, daß Moralität eine Gnade sei; denn, wenn das Gute der physischen Vorzüge geleugnet wird, gibt ils schließlich überhaupt nichts Gutes. Kurz, die Moralität findet Wenn wir eine Tugend, wie den "Mut" nehmen und seine moralische Güte dort leugnen, wo er nur physisch ist, dann werden wir schließlich gezwungen sein, sein Gutsein überall zu leugnen. Wir könnten auch sehen, daß es Tugenden gibt, die sich in einem gewissen Sinn über das blo.ll Gute erheben. Dies ist vom Standpunkt der eigentlichen Moralität aus natürlich unmöglich. 1)

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ihr Wesentliches darin, daß jeder Vorzug gut sein müßte und sie wird durch eine Trennung ihrer eigenen Welt von der des Guten zerstört. Es ist eine moralische Forderung, daß jeder menschliche Vorzug ursprünglich gut sein müßte, während gleichzeitig dem inneren Leben ein hoher Rang gesichert werden müßte. Es ist ebenso eine moralische Forderung, daß das Gute durchaus siegreich sein müßte. Die Mängel und der Widerspruch in jedem Ich müßten beseitigt und von einer vollkommenen Harmonie abgelöst werden. Natürlich müßte jedes Übel überwunden und so in Gutes umgewandelt werden. Aber die Forderung der Moralität hat ebenso eine andere, davon verschiedene Seite. Denn, wenn das Gute als solches bleiben soll~ so kann der Gegensatz nicht völlig aufhören, da, wie wir sahen, ein Zwiespalt für das Gute wesentlich ist. Wenn es daher Moralität geben soll, so kann sie nicht gänzlich ein Ziel des Bösen sein. So werden auch dte beiden Seiten der Selbstbehauptung und der Selbstaufopferung bestehen bleiben. Sie müßten untergeordnet werden, dürfen jedoch nicht ganz ihren unterscheidenden Charakter verloren haben. Kurz, die Moralität verlangt nach einer unerreichbaren Einheit ihrer Hinsichten und bei ihrem Suchen danach wird sie natürlich in eine höhere Form des Guten übergeleitet. Sie endet in dem~ was wir Religion nennen können 1 ). 1} Der Ursprung der Religion ist ein Problem, das uns hier nichts angeht. Die Religion scheint zwei Wurzeln zu haben, Furcht und Bewunderung oder Billigung. Die letztere braucht nicht in einem hohen oder moralischen Sinn genommen zu werden. Das Staunen oder die Neugier scheint nicht religiös zu sein, wofern es nicht im Dienst dieser anderen Gefühle steht. Von diesen beiden Wurzeln der Religion wird die eine an einem Ort und zu einer Zeit wirksamer sein als die andere an anderer Stelle. Die Gefühle werden sich ebenso natürlich mit einer Mannigfaltigkeit von Objekten verbinden. Untersuchungen über den Ursprung der Religion so anzustellen, als ob immer einer dasein müßte, scheint ein fundamentaler Irrtum zu sein. Uns interessiert mehr, zu wissen, was denn Religion heute unter uns bedeutet. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß eine Antwort auf diese Frage unmöglich ist, wenn wir nicht ausführen, ob nicht Religion schließlich mehr als eine Bedeutung hat. Ein Teil dieser Vielfältigkeit beruht ohne Zweifel auf einem bloßen Mißverständnis. Das, was hauptsächlich intellektuell oder ästhetisch ist, wird man schließlich als außerhalb der Religion liegend zugeben müssen. Wir stoßen aber zuletzt auf einen, ich möchte sagen, hartnäckigen Widerspruch; und zwar bei allen denen, die jede A.rt praktischer Relation zur "anderen Welt" oder zum 'Übersinnlichen überhaupt religiös nennen möchten. Z. B. scheint für manche die Frage nach dem Leben nach dem Tode oder nach der Möglichkeit des Verkehrs mit den sogenannten "Geistern" wesentlich religiös zu sein. Sie möchten gern leugnen, daß religiöses Gefühl überhaupt einem Objekt "unserer Welt" gegenüber existieren kann. Eine andere Gruppe möchte behaupten, daß du, um Religion zu

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Ich möchte nicht behaupten, daß in dieser höheren Bewußtseinsform eine vollständige Lösung zu finden ist. Denn die Religion ist haben, eine Beziehung besonderer und eigentümlicher Art haben mußt. Sie würden dem hinzufügen, daß du dort, wo du diese Beziehung hast, ganz gleich ob gegenüber einem Objekt von "der anderen Welt" oder nicht, die Religion erreicht hast. Die Frage nach dem Leben nach dem Tode oder nach der Möglichkeit von Geisterklopfen und von Zauberei ist an sich in Wirklichkeit nicht im mindesten religiös. Sie würden behaupten, nur, weil per accidens unsere Gefühle für das Ungesehene im allgemeinen (nicht immer) religiös sind, ist jene Religion ohne richtigen Grund teils verengert teils ausgedehnt worden. Ich sehe diesen letzten Satz für völlig richtig an, und von diesem Gesichtspunkt aus werde ich weiterhin auf die entgegengesetzte Ansicht keine Rücksicht nehmen. Was ist denn im allgemeinen Religion? Ich sehe sie für ein Gefühl der Furcht, Resignation, Bewunderung oder Billigung an, ganz gleich welchem Objekt gegenüber, setze nur voraus, daß dies Gefühl eine gewisse Kraft erreicht und durch einen bestimmten Grad von Reflexion qualifiziert ist. Ich möchte aber zugleich hinzufügen, daß in der Religion Furcht und Zustimmung sich bis zu einem gewissen Grade immer verbinden müssen. Wir müssen in der Religion dem gefürchteten Gegenstand zu gefallen oder mindestens unseren Willen ihm zu unterwerfen suchen. Jenes Verhalten zu dem Gegenstand wird gebilligt und jene Billigung strebt auch danach, das Objekt zu qualifizieren. Auf der anderen Seite schließt die Billigung Hingabe in sich und Hingabe scheint kaum möglich, wofern nicht eine gewisse Furcht vorhanden ist, wenn auch nur die Furcht der Distanz. In was für einem Grade muß aber ein solches Gefühl vorhanden sein, damit wir es Religion nennen dürfen? Kann der Punkt genau fixiert werden? Ich denke, wir müssen zugeben: Nein. Er liegt im allgemeinen dort, wo wir fühlen, daß unsere eigenen !ehe im Vergleich hierzu völlig ohnmächtig und wertlos sind. Das Objekt, demgegenüber wir uns belanglos finden, strebt danach, uns Religion zu inspirieren. Sind viele solche Objekte vorhanden, so sind wir Polythei:sten. Haben aber im Vergleich zu einem einzigen alle übrigen keinen Wert, so sind wir beim Monotheismus angelangt. Daher wird jedes Objekt, demgegenüber wir eine höchste Furcht oder Zustimmung empfinden, unsere Hingabe in Anspruch nehmen und eine Gottheit für uns sein. Ausdrückliehst sei es gesagt, in keinem anderen Sinn besitzt dies Objekt Göttlichkeit. Es ist eine allgemeine Phrase im Leben, daß sich jeder aus dieser oder jener Person, einem Gegenstand oder Ziel einen Gott marhen kann; in solchen Fällen muß man unsere Haltung meiner Meinung nach religiös nennen. Das ist oft der Fall z. B. bei geschlechtlicher oder elterlicher Liebe. Aber den genauen Punkt festzustellen, wo die Religion beginnt und wo sie aufhört, würde kaum möglich sein. In diesem Kapitel will ich die Religion nur in ihrem höchsten Sinn nehmen. Ich sehe in ihr die Hingabe an den einzig vollkommenen Gegenstand, der ganz und gar gut ist. Unvollständige Formen der Religion, wie die Hingabe an eine Frau oder ein Ziel können nebenbei auch existieren. Aber in diesem höchsten Sinn der Religion kann es nur ein einziges Objekt geben. Wenn auch die Religion völlig sich entwickelt hat, muß dies Objekt gut sein. Denn irgendeinem anderen Gegenstand gegenüber würden wir, auch wenn wir ihn fürchteten, Gefühle der Rebellion, des Mißfallens, ja sogar der Verachtung hegen. Es wäre nicht mehr jene moralische Unterwerfung, die in jeder Religion vorhanden ist.

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praktisch und wird daher immer von dem Gottesbegriff beherrscht; und im Wesen dieses Begriffes ist ein ungelöster Widerspruch enthalten. Die Religion ist immer gezwungen, fragmentarische Ansichten, die als solche nicht vereinigt werden können, aufrecht zu erhalten; und sie existiert, kurz gesagt, auf Grund dauernden Schwankans und Kompromisses. Wir wollen nun sehen, wie sich denn die Religion über bloße Moralität erhebt. Für die Religion ist alles der vollkommene Ausdruck eines höchsten Willens 1) und alle Dinge sind daher gut. Alles Unvollkommene und Böse, selbst der bewußte schlechte Wille wird in dieses Absolute aufgenommen und fördert es. Gutes und Schlechtes sind daher gut, gerade so, wie Falschheit und Wahrheit von uns an ihrem Endziel als wahr erkannt wurden. Sie sind in ähnlicher Weise gut, aber anderseits sind sie es nicht in gleicher Weise. Das, was böse ist, wird verwandelt und als solches zerstört, während das Gute in den verschiedenen Stufen immer noch seinen eigenen Charakter bewahren kann. Das Gute wurde bekanntlich wie die Wahrheit, ergänzt, was besser ist als völlig überwunden zu werden. Beim Abschätzen der Grade des Guten mußten wir die zwei Seiten der Erscheinung berücksichtigen und damit die letzte Identität von Intensität und Ausdehnung. In der Religion erreicht das endliche Ich ferner seine Vollendung und die Trennung dieser beiden Seiten wird unwirksam gemacht und überwunden. Das endliche Ich ist vollkommen, nicht nur, wenn es als ein wesentliches Organ des vollkommen Ganzen angesehen wird, sondern es stellt sich die Vollkommenheit auch vor und kennt sie. Der Glaube, daß das Böse überwunden und das Gute- erfüllt wird, die Identität des Erkennens und Wünschens mit der einen überwältigenden Vollkommenheit, dies bedeutet für das endliche Wesen das Wissen um sich selbst als einen Vollkommenen. In den anderen findet es zugleich die gleiche Vollkommenheit realisiert. Denn wo ein Ganzes in endlichen Wesen, die sich selbst als Elemente und Glieder ihres Systems wissen, vollständig ist, dort ist auch in solchen Individuen das Bewußtsein ihrer eigenen Vollständigkeit. Ihre Vollkommenheit ist zweifellos eine Gnade, es gibt aber keine Realität außerhalb des Gebers und der von ihm getrennte Empfänger der Gnade ist nur eine falsche Erscheinung. Anderseits darf aber die Religion nicht völlig über das Gute hinausgehen und sie behält daher immer noch den für die Praxis notwendigen Gegensatz. Nur dadurch, daß jeder sein Bestes tut, 1)

Über die letzte Wahrheit dieses Glaubens siehe das folgende Kapitel.

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nur durch die Vereinigung des Menschen mit Gott, kann er Vollkommenheit erreichen. So weit, wie es an dieser Verbindung fehlt, bleibt das Böse; dieses Fortbestehen des Bösen muß überwunden werden und als solches völlig verschwinden. So dient die ideelle Vollkommenheit des Ich zur Vergrößerung seiner Gegnerschaft gegen die eigene Unvollkommenheit und das Böse. Das Ich kämpft um seine Vollendung, und weiß zugleich, daß seine Erfüllung schon vollzogen ist. Die moralische Relation bleibt als eine untergeordnete, aber doch wirksame Hinsicht bestehen. Kurz, die moralische Pflicht, nicht moralisch zu sein ist die Pflicht religiös zu sein. Jeder menschliche Vorzug ist vor der Religion gut, da er eine Offenbarung der Realität des höchsten Willens ist. Nur das Böse als solches ist nicht gut~ da es in seinem bösen Charakter absorbiert wird; und in jenem Charakter ist es in Wirklichkeit gewissermaßen etwas anderes. Das Böse steuert sicherlich zum Guten des Ganzen bei, aber es trägt etwas dazu bei, das aus seiner eigenen Natur heraus im Ganzen völlig umgewandelt wird. Während es im Bösen selber in gewissem Sinn keine Stufen gibt, so gibt es doch im anderen Sinn sicherlich Grade in dem, was schlecht ist. Ebenso bewahrt die Religion die Grade und Unterschiede im Guten intakt. Jedes Individuum ist, soweit wie es gut ist, vollkommen. Besser ist es aber zunächst je nach seinem Beitrag zu einem existierenden Vorzug und ferner je intensiver es seinen Willen mit dem alles vervollkommnenden Guten identifiziert. Ich habe, knapp und ·in mangelhaftem Umriß den Anspruch der Religion, den Widerspruch aus dem Guten beseitigt zu haben, auseinander gesetzt. Wir müssen nunmehr untersuchen, bis zu welchem Grade ein solcher Anspruch gerechtfertigt sein kann. Die Religion scheint jede Seite des Lebens einbezogen und zur Harmonie zurückgeführt zu haben. Sie scheint ein Ganzes zu sein, das jeden Teil umfaßt und durchdrungen hat. Schließlich müssen wir aber doch zugestehen, daß der Widerspruch bestehen bleibt. Denn, wenn auch das Ganze immer noch gut ist, so ist es doch nicht harmonisch; und wenn es über das Gute hinausgeschritten ist, hat es auch uns schon über die Religion hinaus gesteigert. Das Ganze muß in Wirklichkeit gut sein und muß sich doch zu gleicher Zeit selber gut machen. Weder seine vollkommene Güte noch auch sein Kampf darum kann zur Erscheinung herabgewürdigt werden. Aber anderseits ist es unmöglich, diese beiden Eigenschaften widerspruchslos zu vereinen. Wenn sogar die Aufgabe der Religion für unvollkommen und endlich angesehen wird, wird der Widerspruch bestehen bleiben. Denn wenn

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das ersehnte Endziel durch Hingabe völlig erreicht wäre, dann hätte das Bedürfnis nach Hingabe und damit ihre Realität aufgehört. Kurz, ein Ich, das anders als das Ziel ist, muß bestehen bleiben und darf es doch wieder nicht, ein wesentlicher Widerspruch, der auch noch in intensiver sexueller Liebe zu finden ist. Jede Form des Guten wird von innen her zur Überschreitung ihres eigenen Wesens gedrängt. Es ist eine Erscheinung, deren Festigkeit durch Schwanken aufrecht erhalten wird und deren Annahme stark von einem Kompromiß abhängt. Der Zentralpunkt der Religion liegt im sogenannten Glauben. Das Ganze und das Individuum sind nur für den Glauben vollkommen und gut. Nun ist aber Glaube nicht nur das Geltenlassen einer allgemeinen Wahrheit, die im Einzelnen nicht verifiziert wird; denn diese Einstellung gehört natürlich ebenso zur Theorie. Der Glaube ist praktisch, er bedeutet,· kurz gesagt, eine Überzeugung hervorrufen; w e i I er aber praktisch ist, ist er zugleich ein Tun, als ob trotzdem jemand nicht glaubte. Sein Grundsatz ist, sei sicher daß das Gegenteil zum Guten überwunden wird und handle trotzdem so, als ob es da wäre; oder, weil es in Wirklichkeit nicht da ist, habe um so mehr Mut, es in Angriff zu nehmen. Ein solcher Grundsatz ist sicherlich nicht in sich selbst konsequent; denn wenn er von einer Seite zu ernst genommen wird, wird er für die andere verhängnisvoll und das gilt für beide Seiten. Dieser innere Widerspruch durchdringt irgendwie das ganze Gebiet der Religion. Wir sind versucht, es noch einmal an der sexuellen Leidenschaft zu exemplifizieren. Ein Mann kann an seine Frau glauben, er mag fühlen, daß er ohne diesen Glauben nicht leben könnte und kann es gleichzeitig natürlich finden, wenn er sie unaufhörlich belauert. Oder wenn er auch nicht an sie glaubt oder vielleicht sogar an sich selbst nicht, dann kann er um so mehr wiederholte Geständnisse zu äußern und zu erlauschen wünschen. Dieselbe Form der Selbsttäuschung spielt bei den Zeremonien der Religion ihre Rolle. Diese Kritik könnte natürlich bis in unbegrenzte Einzelheiten verfolgt werden, aber für uns genügt hier die Feststellung des Hauptprinzips. Das religiöse Bewußtsein beruht auf der erlebten Einheit nicht zurückgeführter Gegensätze; sie widerspruchslos zu verknüpfen oder sie sonst umzuformen, dazu ist die Religion nicht imstande. Daher ist der Selbstwiderspruch in der Theorie und das Schwanken im Gefühl von ihrem Wesen unzertrennlich. Ihre Dogmen müssen im einseitigen Irrtum oder sonst in einem sinnlosen Kompromiß enden. Ja sogar in der Praxis wird sie von den beiden drohenden Gefahren bedrängt und sie muß zwischen zwei rivalisierenden Ab-

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gründen ohne klaren Ausblick balancieren. Die Religion kann sich allzu eifrig mit dem Zwiespalt in der Welt oder dem Ich abgeben. Im ersteren Fall gibt sie ihre Vollkommenheit und ihren Frieden auf, während sie trotzdem gleichzeitig den Unterschied zwischen ihrem persönlichen Willen und Gott vergessen kann. Betont sie aber letzteren Unterschied ausdrücklich, so droht ihr ein Hinabgleiten in reine Moralität. Wenn die Religion, die vom Zwiespalt lebt, auch ihren auf Harmonie gestellten Sinn bewahrt, so strebt sie doch danach, wieder zu leiden. Denn, wenn sie findet, daß im Ich und der Welt alles bereits gut ist, so besteht die Möglichkeit, daß sie überhaupt nicht mehr moralisch ist und damit zugleich irreligiös wird. Die Wahrheit, daß sogar die Hingabe an ein menschliches Ziel uns über die moralischen Gesetze erheben kann, verführt die Religion zu falschen und unmoralischen Verkehrtheiten. Weil für sie jede Realität in einem Sinn gleich gut ist, kann jede Handlung vollständig indifferent werden. Sie träumt ihr Leben vergeblich in einer ruhigen Welt göttlicher Leere und durch einen Zufallswunsch zur Handlung gezwungen, möchte sie alles Tun, wie korrupt es auch sein mag, durch seinen bloßen Geist der Hingabe heiligen. Wir finden hier in einer noch gräßlicheren Form die monströsen Ausgeburten der moralischen Heuchelei wieder. Wir brauchen uns gar nicht mit der Pathologie des religiösen Bewußtseins beschäftigen. Jeder, der nur ein wenig hinter die Szenerie des religiösen Lebens geschaut hat, muß oft zur Rebellion gereizt worden sein. Man muß sich zum Zweifel gedrängt fühlen, ob die blutige Quelle so vieler offenbarer Verbrechen, der Ursprung derartiger innerer Entwürdigungen, noch die Möglichkeit hat, gut zu sein. Wenn aber die Religion, wie wir gesehen haben, eine Notwendigkeit ist, so muß ein solcher Zweifel aufgegeben werden. Es hätte wahrscheinlich keinen Sinn, zu untersuchen, ob die Religion im Ganzen mehr Schaden oder Gutes gestiftet hat. Meine Aufgabe hat, wie im Fall der Moralität in der Darlegung bestanden, daß die Religion nichts Letztes sei. Sie ist eine bloße Erscheinung und daher in sich selber inkonsequent. Denn sie ist gezwungen, nach allen Seiten hin über ihre eigenen Grenzen hinauszuwechseln. Wenn aber die Religion, die selbst zwischen Extremen schwebt, ihr Gleichgewicht nach einer von beiden Seiten verloren hat, so wird sie irreligiös. Wenn es eine moralische Pflicht war, mehr als Moral in der Religion zu finden, so ist es eine sogar noch stärker zu betonende religiöse Pflicht, moralisch zu sein. Aber beide sind Art und Ausdruck einer verschiedenen Stufe des Guten; und wie wir gesehen haben, ist das Gute eine sich selbst widersprechende Erscheinung des Absoluten.

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Es könnte instruktiv sein, die gleichen Inkonsequenzen noch von einem anderen Gesichtspunkt aus herauszustellen. Die Religion schließt natürlich eine Relation zwischen Mensch und Gott in sich. Nun ist aber eine Relation, wie uns schon genügend bekannt, immer ein Widerspruch in sich. Sie setzt immer zwei Grenzpunkte, die endlich sind und Unabhängigkeit fordern. Einmal ist eine Relation sinnlos, wenn sie und die relativierten Punkte nicht selber Adjektive eines Ganzen sind. Eine Lösung dieses Widerspruches finden, hieße aber völlig über den relationalen Gesichtspunkt hinausgehen. Diese allgemeine Folgerung soll sogleich in der Sphäre der Religion verifiziert werden. Der Mensch ist einerseits ein endliches Subjekt, das Gott gegenüber nichts ist und nur "in Beziehung zu ihm steht". Dennoch ist anderseits der Mensch ohne Gott nur eine bloße Abstraktion. Die Religion kennt diese Wahrheit und behauptet daher, daß der Mensch gut und real nur durch die Gnade ist oder daß er auch bei dem V ersuch sich zu verselbständigen durch Gottes Zorn zugrunde geht. Der Mensch steht nicht nur "in Relation" zu ihm, sondern wird innerlich durch seinen Gegensatz bewegt, und könnte in der Tat ohne jenes innerliche Wirken überhaupt nicht bestehen. Gott ist auch ein endliches Wesen, das über und abseits vom Menschen besteht und ist etwas von jeder Relation zu seinem Willen und Geist Unabhängiges. Wenn man daher Gott als ein denkendes und fühlendes Wesen ansieht, hat er eine eigene Persönlichkeit. Aber, von diesen ihn qualifizierenden Relationen getrennt, ist er eine widerspruchsvolle IJeerheit; und da er durch eine Relation zu einem Anderen qualifiziert wird, wird seine Endlichkeit auseinandergerissen. Gott wird daher auch als diese äußere Relation überschreitend angesehen. Er will und weiß sich selbst und findet seine Realität und sein Selbstbewußtsein in Verbindung mit dem Menschen. Die Religion ist daher ein Vorgang mit untrennbaren Faktoren, von denen ein jeder sich auf beiden Seiten zeigt. Sie ist die Einheit von Mensch und Gott, die in zahlreichen Stufen und Gestalten sich ganz will und kennt. Sie teilt sich selber in entgegengesetzte Bezugspunkte, die unter sich in Relation stehen; aber mit demselben Atemzug leugnet sie diese vorläufige Absonderung und behauptet und erlebt in jedem Bezugspunkt die innerliche Gegenwart des anderen. So besteht die Religion in einer praktischen Unsicherheit und kommt selber nur miitels eines theoretischen Kompromisses zum Ausdruck. Sie würde vielleicht vor dem Satz, daß Gott sich in der menschlichen Erregung selber liebt und genießt, zurückschrecken und würde ferner auch von der Behauptung zurückbeben, daß Liebe auch dort sein kann, wo Gott

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nicht ist, und wenn sie beide Ufer zugleich liebend zu umfassen strebt, schwankt sie unschlüssig und verwirrt hin und her. Die Sünde ist die Feindseligkeit eines Rebellen gegen einen zornerfüllten Herrscher. Dennoch muß diese ganze Relation allzusehr sich selber fühlen und sich selbst im Herzen des Sünders hassen, während der Herrscher ebenso durch die sich bekämpfenden Erregungen zerrissen und gestört wird. .A her die Behauptung, daß die Sünde ein notwendiges Element im göttlichen Selbstbewußtsein sei - ein Element, das zwar auftaucht, um sofort absorbiert zu werden und niemals als solches frei dasteht - würde wahrscheinlich entweder sinnlos oder blasphemisch erscheinen. Die Religion stellt lieber Dogmen heraus, deren Unhaltbarkeit sie fühlt und korrigiert diese zugleich durch Gegendogmen, von denen sie weiß, daß sie nicht besser sind. Sie wird dann zwischen ihnen vorwärts und zurückgetrieben, wie eine Dogge, die zwei Herren zu folgen sucht. Ein bemerkenswerter Widerspruch ist die Stellung Gottes im Universum. Wir können sagen, daß in der Religion Gott immer danach strebt, über sich selbst hinauszuschreiten. Er sieht sich notwendigerweise veranlaßt, im Absoluten zu enden, das ja für die Religion nicht Gott ist. Gott ist, ob eine "Person" oder nicht, für den Menschen ein endliches Wesen und ein Ziel. Anderseits ist die Vollendung, die von dem religiösen Bewußtsein erstrebt wird, die vollkommene Einheit dieser Begrenzungspunkte. Ist dem so, dann würde schließlich nichts außerhalb Gott fallen. Aber Gott als das unaufhörliche Schwanken und Verändern des Bewegungsvorganges anzusehen, kommt nicht in Frage. Auf der anderen Seite erfordert, wie schon bekannt, die Harmonie all dieser Gegensätze die Verwandlung ihres endlichen Charakters. Die Einheit schließt eine vollständige Beseitigung der Relation als solcher in sich; mit dieser Unterdrückung sind aber die Religion und das Gute als solche vollständig mit verschwunden. Wenn du das Absolute mit Gott identifizierst, so ist das nicht der Gott der Religion. Wenn du sie dagegen trennst, so wird Gott ein endlicher Faktor im Ganzen. Die Bemühung der Religion geht dahin, dieser Relation ein Ende zu setzen und sie zu durchbrechen - eine Relation, die sie trotzdem wesentlich voraussetzt. Daher kann Gott noch weniger als das Absolute rasten und hat er das Ziel erreicht, so ist er und damit die Religion verloren gegangen. Diese Schwierigkeit tritt im Problem des religiösen Selbstbewußtseins zutage. Gott muß sich seiner in der Religion sicherlich bewußt werden, aber ein solches Selbstbewußtsein ist höchst unvollkommen 1). Denn, wenn die äußere Relation 1)

Die beiden Extreme im menschlich-göttlichen Selbstbewußtsein können

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zwischen Gott und Mensch völlig absorbiert würde, so wäre damit auch die Trennung von Subjekt und Objekt als solche erledigt. Wenn aber auch das bewußte Ich in seinem Wesen immer noch eine Relation zwischen zwei nicht reduzierten Grenzpunkten enthält, wo bleibt dann die Einheit seiner Ichheit? Kurz, Gott, als der höchste Ausdruck des realisierten Guten zeigt den Widerspruch, den wir in jenem Prinzip enthalten fanden. Das Auseinanderfallen von Vorstellung und Existenz ist zugleich für das Gute wesentlich und wird durch die Realität negiert. Der Vorgang, der sich innersich nicht völlig in einem einträchtigen Ich vereinen. Ein Vergleich von etwa folgenden Ausdrücken ist belehrend: "I am the eye with which the Universe Beholds itself and knows itself divine,"

und

und

["Ich bin das Auge, mit dem das Universum selbst sich anblickt, selbst sich göttlich weiß.] "They reckon ill who leave me out; When me they :ßy, I am the wings; I am the doubter and the doubt, And I the hymn the Brahmin sings." ["Sie rechnen schlecht, die mich verlassen; wenn sie mich :ßiehn, bin ich die Schwingen, ich bin der Zweifler und der Zweifel, und bin der Hymnus, den der Brahmane singt."] "Die Sehnsucht du, und was sie stillt,"

und damit wäre das Folgende zu vergleichen: Ne suis-je pas un faux accord Dans la divine symphonie, Gräce a la vorace Ironie Qui me secoue et qui me mord? Elle est dans ma voix, la criarde! C'est tout mon sang, ce poison noir! Je suis le sinistre miroir Ou la megere se regarde ! Je Je Je Et

suis la plaie et le couteau ! suis le soufflet et la joue ! suis les membres et la roue, la victime et le bourreau."

["Bin ich nicht ein falscher Akkord in der göttlichen Symphonie, dank der wilden Ironie, die mich schüttelt und mich quält. In meiner Stimme wohnt der grelle Schrei, es ist mein Blut, das schwarze Gift; ich bin des Unheils Spiegel, in dem die Megäre sich erblickt. Ich bin die Wunde und das Messer! ich bin der Backenstreich und bin die Wange; ich bin die Glieder und das Rad, bin das Opfer und der Henker."]

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halb der Realität bewegt, ist nicht die Realität selber. Wir können sagen, daß Gott nicht Gott ist, wofern er nicht alles im All geworden ist, und daß ein Gott, der alles im All ist, nicht der Gott der Religion ist. Gott ist nur eine Seite des Absoluten, und das kann nur Erscheinung bedeuten. In dem Rest des Kapitels will ich noch einige Mißverständnisse zu beseitigen suchen. Zunächst muß ich hier die alte Verwechslung hinsichtlich des Tatbestandes anmerken; ich werde hier teilweise die Folgerungen der vorherigen Kapitel wiederholen. Wenn die Religion Erscheinung ist, so wird man sagen, sind das Ich und Gott lliusionen, da sie dann keine Fakten sind. Das ist das Vorurteil, das der gemeine Menschenverstand der Philosophie überall entgegenstellt. Der gemeine Menschenverstand ist davon überzeugt, daß die erste grobe Methode, nach der er die Phänomene interpretiert, die letzte Wahrheit ist; weder die Vernunft noch der unaufhörliche Widerspruch seiner eigenen täglichen Erfahrung kann seine Zuversicht erschüttern. Wir haben aber gesehen, daß diese Überzeugung auf einem barbarischen Irrtum beruht. Sicherlich weiß und erfährt der Mensch überall die letzte Realität, und in der Tat kann er nichts anderes wissen und erfahren. Aber sie als solche in ihrer ganzen Fülle zu erkennen und zri erfahren ist ein völlig unmögliches Ding. Denn das Ganze des endlichen Seins und der Erkenntnis besteht wesentlich in Erscheinung, in der Trennung der beiden Seiten, von Existenz und Inhalt. Es gibt ein einziges einzelnes Faktum und das ist das Absolute. Wenn aber anderseits Fakten als aktuelle, endliche Geschehnisse gelten sollen, oder als Dinge, deren Wesen auf ein llier oder Jetzt eingeschränkt werden muß - so sind Fakten die niedrigste und unwahrste Gestalt der Erscheinung. Und im gewöhnlichsten Geschäft unseres Lebens erheben wir uns über diese niedrige Stufe. Daher sind in diesem Sinn gerade die Fakten illusorisch zu nennen. Besonders im religiösen Bewußtsein gehen uns derartige Fakten nichts an. Seine Fakten sind, wenn sie reine innere Erfahrungen sind, mit einem Inhalt belastet, der augenscheinlich keinerlei Beschränkung in einem Hier oder Jetzt verträgt. In der scheinbaren Konzentration der ganzen Hölle oder des ganzen Himmels in einem einzigen Augenblick wird die Unvereinbarkeit unseres "Faktums" mit seiner eigenen Existenz uns geradezu aufgedrängt. Dasselbe gilt von allen äußeren religiösen Geschehnissen. Diese sind nicht religiös, sofern sie keine Bedeutung haben, die ihre empfindungsmäßige Endlichkeit überschreitet. Die allgemeine Frage ist nicht, ob die Relation von Gott zu Mensch Erscheinung ist, da es keine Relation Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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und auch kein Faktum gibt, das der Möglichkeit nach mehr sein könnte. Die Frage lautet, ob ein solches Faktum in die Welt der Erscheinung eingereiht werden kann. Mit anderen Worten, welches ist der Grad seiner Realität und Wahrheit? Die Untersuchung in vollem Umfang· hier zu führen, ist unmöglich. Wenn wir uns auf das im vorhergehenden Kapitel gewonnene Kriterium berufen, so können wir sogleich sehen, daß es nichts Realeres gibt, als das, was in der Religion erscheint. Solche Fakten mit dem, was uns in der äußeren Existenz gegeben ist, zu vergleichen, das hieße mit dem Thema Scherz treiben. Der Mensch, der eine festere Realität als die des religiösen Bewußtseins verlangt, erstrebt etwas Törichtes. Da er mit der Realität von Mensch und Gott, wie er sie in der Erfahrung vorfindet, unzufrieden ist, möge man ihn zu einer verständlichen Erklärung auffordern, was ihn denn schließlich zufriedenstellen würde. Denn Gott und Mensch würden nach ihrer Anerkennung als zwei empfindungsmäßige Existenzen degradiert werden. Wir können sagen, daß ein Gott, der existieren könnte, ganz gewiß kein Gott wäre. Mensch und Gott als zwei individuelle und letzte Realitäten, von denen niemand sagen kann, wo sie und die Relation "zwischen" ihnen "stehen", - diese Verknüpfung ist ein Widerspruch in sich und daher Erscheinung. Es ist ein irriger V ersuch, in der Religion zu behaupten und daran festzuhalten, daß das Absolute, wenn es in Wirklichkeit erreicht wäre, die Religion zerstören würde 1). Dieser V ersuch enthüllt uns durch seine eigene Inkonsequenz, sein Mißlingen und seine Unrast noch einmal, daß die Religion nichts Endgültiges und Letztes ist. Ist dem aber so, so kann man mich fragen, was ist das praktische Ergebnis? Das, so lautet meine Antwort, ist nicht meine Sache; das Beharren auf einer solchen Frage würde auf einem schädlichen Vorurteil beruhen. Die Aufgabe des Metaphysikers ist die Erforschung der letzten Wahrheit und man kann von ihm nicht die Erörterung von etwas anderem verlangen, wie wichtig es auch immer sein mag. Wir haben in England kaum eine Ahnung von der Freiheit in Kunst oder Wissenschaft. Irrelevante Ansprüche auf praktische Ergebnisse dürfen sich Gehör verschaffen. In manchen Gebieten der Kunst und Wissenschaft straft sich diese Sünde selber; denn aus Zaghaftigkeit und einem Mangel an Individualität und Es führt zu dem Dilemma: wenn Gott ist, bin ich nicht; wenn ich bin, ist Gott nicht. Wir haben keine wahre Anschauung davon, wenn nicht das Gegenteil selbst evident wird. Darauf antworten wir ohne weiteres, daß Gott nicht er selbst ist, wenn nicht auch ich bin und daß, wenn Gott nicht wäre, ich sicherlich nichts wäre. 1)

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Aufrichtigkeit haben wir keinen Erfolg. Daß em Mensch von Gott und der Religion nur um des V erstehens willen und ohne jeden Einfluß irgendeiner anderen Erwägung und eines Anlasses handelt, das ist vielen von uns teils unbegreiflich und teils anstößig. Daher sind die englischen Gedanken über diese Gegenstände, wenn sie nicht in einer auswärtigen Schule studiert worden sind, theoretisch wertlos. Für mich selbst ist die Wirkung dieses Vorurteils persönlich entmutigend. Wenn das theoretische Interesse in Moralität und Religion als ein Zeichen für die Niederlassung als Prediger oder Priester angesehen wird, so möchte ich diese Gegenstände besser denen überlassen, die sich zu einem solchen Beruf hingezogen fühlen. Wenn ich hier diese Dinge berührt habe, so geschah es, weil ich nicht anders konnte. Da ich soviel gesagt habe, wäre es vielleicht besser, wenn ich weiter nichts mehr sagte. Aber was die praktische Frage angeht, kann ich vielleicht, da ich es zugleich ablehne darauf zu antworten, trotzdem auseinanderzusetzen versuchen, was diese Frage darstellt. Es ist klar, daß eine Religion irgendeine Lehre, sie sei auch noch so gering, haben muß und es ist ferner klar, daß eine solche Lehre nicht die letzte Wahrheit sein wird. Viele leugnen offenbar, daß etwas Geringeres genügen könne. Wenn wir die Wissenschaften ansehen, so finden wir sie nur allzusehr in einer ähnlichen Lage. Denn ihre ersten Prinzipien sind, wie wir gesehen haben, schließlich sich selbst widersprechend. Ihre Prinzipien sind nur zum Teil wahr und sie gelten dennoch, weil sie wirken werden. Warum, so können wir fragen, genügen denn solche wirksamen Begriffe nicht für die Religion? Es gibt einige ernsthafte Schwierigkeiten, aber das Haupthemmnis ist scheinbar folgendes. In den Wissenschaften kennen wir größtenteils das Ziel, wonach wir streben; und mit diesem Wissen sind wir imstande, die Mittel abzuschätzen und abzumessen. In der Religion ist aber gerade das Hauptziel uns unklar. Auf der Basis dieser verwirrenden Mißhelligkeit ist eine rationale Erörterung nicht möglich. Wir haben keine Vorstellung davon, welche Lehren wirklich für die Religion nötig sind; und wir beginnen damit, ohne das Ziel geprüft zu haben, für das die Lehren benötigt werden und wonach sie augenscheinlich beurteilt werden müssen. Von Zeit zu Zeit findet dieser oder jener, daß ein bestimmter Glaube oder eine Reihe von Glaubenssätzen, seinem Herzen am nächsten zu liegen scheint. Dabei schreit er zugleich laut, daß jede Religion zu Ende sei, wenn diese partikulären Lehren nicht wahr sind. Das bewundern die Menschen und nennen es Verteidigung der Religion. Wenn aber das Problem, ich sage nicht gelöst, sondern über24*

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haupt rational diskutiert werden soll, so müssen wir mit einer Untersuchung über das Wesen und das Ziel der Religion beginnen. Für diese Untersuchung sind aber meiner Voraussetzung nach zwei Dinge unentbehrlich. Wir müssen zu einer konsequenten Ansicht über die allgemeine Natur der Realität, des Guten und der Wahrheit gelangen und dürfen unsere Augen nicht vor den historischen Fakten der Religion schließen. Wir müssen zunächst zu irgendeinem Abschluß über die Absicht der religiösen Wahrheiten kommen. Existieren sie um des V erstehens willen oder dienen sie und sind sie irgendeinem anderen Ziel hörig? Wenn das Letztere der Fall ist, welches ist denn genau dieses Ziel und die Aufgabe, die wir als ihr Kriterium benutzen können? Wenn wir diesen Punkt feststellen können, so können wir dann entscheiden, daß religiöse Wahrheiten, die über ihr Ziel hinausgehen und ihm nicht entsprechen, keinen Anspruch auf Existenz haben. Wenn wir ferner keine Klarheit über das Wesen der wissenschaftlichen Wahrheit haben , können wir dann irgendeine behauptete Kollision zwischen Glauben und Wissen rationell behandeln? Wir sind in der Tat außerstande zu sagen, ob eine Kollision vorliegt oder nicht; oder, wenn wir auch annehmen, daß ein solcher Konflikt existiert, so sind wir in großer Verlegenheit, wie seine Bedeutung einzuschätzen ist. Unser Ergebnis ist soweit folgendes. Wenn die englischen Theologen im Ernst eine Beschäftigung mit der Metaphysik ablehnen, so müssen sie augenscheinlich von manchen Themen, ich will nicht gerade sagen ohne Kenntnis sprechen, aber doch mindestens, ohne einen ernsthaften V ersuch, die Kenntnis zu erlangen. Aber um sich ernsthaft mit Metaphysik zu beschäftigen, genügen nicht vielleicht ein oder zwei Jahre; auch erreichte bei diesem Gegenstand niemand etwas, der sich ihm nicht ganz hingab. Zum Schluß will ich noch erklären, was ich mit der Aufmerksamkeit auf die Geschichte meine. Wenn die Religion eine praktische Angelegenheit ist, so wäre es völlig absurd, die Macht der kontinuierlichen Inbesitzhaltung nicht zu berücksichtigen. Aber anderseits gibt die Geschichte Lehren einer ganz anderen Art. Wenn wir in der Vergangenheit und Gegenwart eine Religion scheinbar blühen sehen, obwohl ihr bestimmte, einzelne Lehren fehlen, so ist es keine geistreiche Folgerung, wenn man verkündet, daß diese Lehren für die Religion wesentlich sind. Dies ohne Erörterung und dogmatisch tun und ein Werk mit irgendeiner bloßen Annahme, etwa hinsichtlich der Notwendigkeit eines "persönlichen" Gottes, beginnen, heißt in schamloser Weise mit einem Gegenstand seinen Scherz treiben, der doch einigen Respekt verdient. Bei diesem Problem ist also notwendig, daß man im Anfang

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ohne Absichten hinsieht und vor allem sich alles rundum betrachtet. Auf diese Art können wir bestimmt erwarten, zu einer rationalen Diskussion zu kommen, aber ich sehe kein Recht zu der Annahme, daß wir auf jeden Fall zu etwas mehr kommen würden. Vielleicht kann die Trennung des Zufälligen vom Wesentlichen in der Religion nur durch einen längeren und rauheren Vorgang vollzogen werden. Es muß vielleicht dem blinden Wettbewerb rivalisierender Irrtümer und dem gemeinen Kampf um die Existenz zwischen sich feindlichen Sekten überlassen werden. Eine solche Folgerung dürfte aber wiederum nicht ohne eine ernsthafte Prüfung angenommen werden. Das ist alles, was ich über das praktische Problem der Religion sagen möchte. Ich will dieses Kapitel mit einem Wort der Warnung vor einem gefährlichen Mißverständnis beenden. Wir haben gesehen, daß die Religion nur Erscheinung ist, und daß sie nicht das Letzte sein kann. Von da aus möchte man vielleicht schließen, daß die Ergänzung der Religion die Philosophie sei, und daß wir in der Metaphysik das Ziel erreichen, in dem sie ihre Vollendung findet. Wenn allerdings die Religion ihrem Wesen nach Erkenntnis wäre, so würde dieser Schluß gelten. Soweit wie die Religion Erkenntnis in sich schließt, sind wir auch gezwungen, ihn anzunehmen. Augenscheinlich ist es die Aufgabe der Metaphysik, letzte Wahrheit mitzuteilen und in dieser Hinsicht muß zugestanden werden, daß sie höher als die Religion steht. Aber anderseits haben wir gefunden, daß das Wesen der Religion nicht Erkenntnis ist. Das bedeutet sicherlich nicht, daß ihr Wesen nur im Gefühl besteht. Religion ist, besser gesagt, der V ersuch, die vollständige Realität des Guten durch jede Seite unseres Seins auszudrücken. Soweit wie dies zutrifft ist sie zugleich etwas mehr und daher höher als die Philosophie. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist die Philosophie selber nur Erscheinung. Sie ist nur eine Erscheinung unter anderen und, wenn sie sich in einer Hinsicht darüber erhebt, so steht sie sicherlich in anderen niedriger. Ihre Schwäche liegt natürlich darin, daß sie bloß theoretisch ist. Die Philosophie mag sich unbezweifelbarer dar s t e 11 e n und gelegentlich ist sie es auch, ihr Wesen muß aber klar auf die intellektuelle Tätigkeit beschränkt werden. Sie ist daher nur eine einseitige und inkonsequente Erscheinung des Absoluten. Soweit wie die Philosophie religiös ist, soweit müssen wir zugestehen, daß sie in Religion übergegangen ist und als solche keine Philosophie mehr ist. Ich möchte nicht behaupten, daß diejenigen, die sich aus Unzufriedenheit mit den religiösen Glaubensbekenntnissen ernsthaft der Metaphysik zugewandt haben, ihr ersehntes Ziel

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nicht finden werden. Aber sie werden in ihr oder irgendwo anders nur das finden, was sie mit hineingetragen haben. Die Metaphysik hat keine besondere Verbindung mit der ursprünglichen Religion und keine dieser beiden Erscheinungen kann als die Vollendung der anderen angesehen werden. Beider Erfüllung wird nur im Absoluten zu erreichen sein.

26. Das Absolute und seine Erscheinungen Wir haben nunmehr gesehen, daß das Gute, wie die Wahrheit eine einseitige Erscheinung ist. Jeder dieser Standpunkte, auch wenn wir auf ihm bestehen bleiben, geht über sich selbst hinaus. Durch seine eigene innere Bewegung entwickelt sich jeder über seine eigenen Grenzen und taucht in einer höheren und alles umfassenden Realität unter. Es ist nun an der Zeit, daß wir uns zum Beschluß unseres Werkes bemühen, in einer vollständigeren Weise das Wesen dieser realen Einheit auseinanderzusetzen. Wir haben noch nicht versucht, den verschiedenen Sphären der Phänomene gerecht zu werden. Die Grundlage, die wir der Wahrheit und dem Guten gegeben haben, ist nur ein dürftiger Umriß und zwar nur in Bezug auf die physische Natur und das Seelenproblem. Aber solche Mängel mußten wir auf sich beruhen lassen. Denn die Aufgabe dieses Buches ist nur die Darstellung einer allgemeinen Ansicht von der Realität und die Verteidigung dieser gegen bekanntere und bedeutendere Einwürfe. Die vollständige und eigentliche Verteidigung wäre eine systematische Darstellung aller Regionen der Erscheinung; denn in der Metaphysik ist nur das vollständige System der eigentliche Beweis des Prinzips. Obwohl ich aber zu einem solchen Unternehmen außerstande bin, muß ich mich trotzdem bemühen, auch weiterhin unsere Folgerungen für das Absolute zu rechtfertigen. Es gibt nur eine Realität und ihr Wesen besteht in Erfahrung. In diesem einen Ganzen treffen alle Erscheinungen zusammen und indem sie sich vereinen, verlieren sie in verschiedenen Graden ihre unterschiedliche W esenheiten. Das Wesen der Realität liegt in der Verbindung und Übereinstimmung von Existenz und Inhalt und die Erscheinung besteht anderseits in dem Zwiespalt dieser beiden Seiten. Realität kommt schließlich nur dem einzigen Realen zu. Denn nimm, was du willst, das weniger als das Absolute ist und der innere Widerspruch zeigt sogleich an, daß das, was du ergriffen hast, eine Erscheinung ist. Die grundlos behauptete Realität spaltet sich und zerfällt in zwei gegensätzliche Faktoren. Das "Was" und das "Daß" sind ganz deutlich zwei Seiten, die sich nicht als identisch beweisen

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lassen, und dieser in jedem endlichen Faktum innewohnende Unterschied hat ihre Auseinanderzerrung zur Folge. So lang wie der Inhalt auf etwas anderes als auf seine eigene Intention und seinen Sinn hinweist, so lang wie die Existenz tatsächlich weniger oder mehr ist als das, was sie ihrem Wesen nach enthalten muß, so lange haben wir es mit einer bloßen Erscheinung und nicht mit ursprünglicher Realität zu tun. Wir haben auf jedem Gebiet gefunden, daß dieser Gegensatz der Merkmale überwiegt. Das innere Wesen von allem Endlichen hängt von dem ab, was jenseits von ihm liegt. Dahet" haben wir überall, wo wir auf einem sogenannten Faktum beharrten, gesehen, daß wir durch sein inneres Wesen zu etwas ganz außer ihm Liegenden geführt wurden. Dieser Widerspruch in sich, diese Unrast und Idealität aller existierenden Dinge ist ein klarer Beweis dafür, daß, obwohl es solche Dinge gibt, ihr Wesen nur Erscheinung ist. Aber anderseits kann im Absoluten keine Erscheinung verloren gehen. Jede einzelne trägt zur Einheit des Ganzen bei und ist dafür wesentlich. Aus diesem Grunde bemerkten wir (Kap. 25), daß jede einzelne Seite oder jedes Element, wenn es als solches angesehen wird, als ein Endziel betrachtet werden kann, für das die anderen existieren. Entblößt man das Absolute von jeder Einzelansicht oder jedem Element, so müßte man es wertlos nennen. Solange du deinen Standpunkt an einem einzelnen wertvollen Faktor einnimmst, scheinen dir die anderen die Mittel zu sein, die zu seiner Existenz dienen. Sicherlich ist deine Stellung in solcher Haltung einseitig und schwankend. Die anderen Faktoren sind keine äußeren Mittel, sondern sind in den ersten Faktor einbezogen, und daher ist deine Haltung nur vorläufig und schließlich unwahr. Sie mag uns irgendwie dazu gedient haben, jene Wahrheit, auf der wir hier bestehen müssen, zu verdeutlichen. Es gibt nichts im Absoluten, das nur zufällig oder nur Beiwerk wäre. Jedes auch noch so untergeordnete Element wird in jenem relativen Ganzen, in dem sein Wesen aufgenommen und untergetaucht wird, bewahrt. Es gibt Hauptmerkmale des Universums, von denen keines in die übrigen aufgelöst werden kann. Aus diesem Grunde können wir von diesen Hauptmerkmalen nicht sagen, daß das eine dem Rang nach höher oder besser als das andere sei. Sie sind keine unabhängigen Faktoren, da jeder von sich aus etwas Anderes zur Ergänzung seiner Mängel in sich schließt und danach ruft, und da sie alle in jenem letzten Ganzen, das sie vollendet, überwunden werden. Sind diese Faktoren auch nicht gleichwertig und nicht einander untergeordnet, so sind sie doch in Relation zum Absoluten alle gleich wesentlich und notwendig. In dem vorliegenden Kapitel will ich, zu dem Begriff vom

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Absoluten als einem Ganzen . der Erfahrung zurückkehrend einen kurzen Überblick über seine Hauptmerkmale geben. Ich will zu zeigen versuchen, daß keine von den in der Erfahrung möglichen Haltungen das Supremat hat. Es gibt keine einzige Form, zu der die anderen wie Adjektive gehörten oder in die sie aufgelöst werden könnten. Wie freilich diese mannigfaltigen Arten in einer einzigen Einheit sich vereinigen, muß unbegriffen bleiben. Eine endgültige Erörterung über den positiven Charakter dieser Einheit hebe ich für das nächste Kapitel auf; hier will ich den Nachdruck auf eine andere Seite legen. Das Absolute ist in seinen besonderen Erscheinungen gegenwärtig und in einem gewissen Sinn ist es gleich jeder von diesen; es ist überall, wenn auch in verschiedenen W erlen und Abstufungen, vorhanden. Ich werde nun versuchen, einige Fragen über den Begriff der Natur zu klären und will das Kapitel mit einer kurzen Untersuchung der Bedeutung des Fortschritts und der Möglichkeit des Fortbesteheus des persönlichen Lebens nach dem Tode beschließen. Alles ist Erfahrung und ebenso ist die Erfahrung nur eine. Im nächsten Kapitel werde ich noch einmal erörtern, ob mandaranzweifeln kann, aber für den vorliegenden Zweck will ich es als eine gültige Wahrheit hinnehmen. Nun wollen wir fragen, mit welchen Hauptmerkmalen die Erfahrung vorgefunden wird? Wir können, einfach gesprochen, sagen, daß es zwei große Formen gibt: die Wahrnehmung und das Denken auf der einen und der Wille und das Wünschen auf der anderen Seite. Ferner gibt es außerdem die ästhetische Haltung, die unter keine dieser Haupteinteilungen völlig unterzubringen ist; auch Lust und Unlust gibt es, die von beiden etwas unterschieden zu sein scheinen. Ferner haben wir das Gefühl, ein Begriff, den wir nach zwei Bedeutungen verstehen müssen. Es ist erstens der allgemeine Zustand der gesamten Seele, ehe sie noch in einige der vorhergehenden Merkmale differenziert wurde. Ferner ist es auch irgendein partikulärer Zustand, so weit wie er eine nicht unterschiedene Einheit darstellt. Nun ist aber keine einzige dieser psychischen Arten in die anderen auflösbar, auch kann die Einheit des Ganzen nicht in einem oder dem anderen Teil von ihnen bestehen. Jede von ihnen ist unvollständig und einseitig und erfordert Beihilfe von außen. Wir haben dies schon größtenteils durch die früheren Erörterungen erfahren; ich will aber jene Wahrheit hier kurz zusammenfassen und in einigen Punkten ergänzen. Ich will von den Erscheinungen des Absoluten hauptsächlich in psychologischer Hinsicht handeln; eine >ollständige psychologische Erörte-

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rung ist unmöglich und kaum erforderlich. Ich möchte den Leser, dessen Ansichten in manchen Punkten von den meinen abweichen mögen, bitten, bei den Abweichungen nur so lange zu verweilen, wie diese das Hauptresultat beeinflussen. 1. Betrachten wir zuerst das Merkmal Lust und Unlust, so ist selbstverständlich, daß dieses nicht die Substanz oder die Grundlage der Realität sein kann. Denn wir können nicht die anderen Elemente als die Adjektive oder Anhängsel dieses einen betrachten. Auch können wir sie auf keine Weise oder in irgendeinem Sinn in dieses auflösen. Lust und Unlust sind, wie es der Augenschein lehrt, nicht das einzige reale Ding. Aber sind sie denn überhaupt als solche real und von dem Übrigen unabhängig? Sogar dies müssen wir leugnen. Denn Lust und Unlust sind Antagonisten; und wenn sie im Ganzen sich mit einem Übergewicht an Lust vereinigt haben, können wir dann schon sicher sein, daß dieses Ergebnis Lust als solche sein wird 1 )? Es gibt aber einen noch ernsteren Einwurf gegen die Realität von Lust und Unlust. Denn sie sind bloße Abstraktionen, die wir aus dem Angenehmen und Unangenehmen heraussondern; und die Annahme, daß diese nicht mit jenen Zuständen und Vorgängen verbunden sind, mit denen sie immer verknüpft erscheinen, wäre gänzlich unlogisch. Tatsächlich würden Lust und Unlust als Dinge an sich ihrem eigenen Wesen widersprechen. Dann können sie aber an sich nicht real sein, und ihre Realität und ihr Wesen wird teilweise außerhalb ihrer eigenen Grenzen zu finden sein. Sie sind nur Erscheinungen und einseitige Adjektiva des Universums und sind nur real, wenn sie in jene Totalität aufgenommen werden und dort untertauchen. 2. Von bloßer Lust und Unlust wollen wir zum Gefühl übergehen; ich nehme das Gefühl in dem Sinn der unmittelbaren Einheit eines endlichen psychischen Zentrums. Es bedeutet für mich zunächst die allgemeine Lage vor der Entwicklung von Unterscheidungen und Relationen und den Zustand, in dem einstweilen weder Subjekt noch Objekt existieren. Zweitens bedeutet es etwas, das in jedem Stadium des geistigen Lebens, insoweit dieses nur gegenwärtig und einfach ist, da ist 2). In diesem letzten Sinn können wir sagen, daß alles Aktuelle, ganz gleich was, gefühlt werden muß ; wir nennen es aber nur insoweit Gefüh~ als es uns nicht gelingt, mehr darin zu Siehe Kap. 17 und Kap. 27. Vgl. Kap. 9, 19, 20 u. 27 und Mind, N. S. 6. Ich hatte gehofft, irgendwo anders etwas über die Stellung des dem Gefühl Gegeben-seins in der Psychologie zu schreiben. Aber für den Zweck dieses Werkes habe ich meiner Überzeugung nach. im Ganzen genug gesagt. 1)

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sehen. Können wir nun in einer von diesen beiden Bedeutungen das Gefühl als real oder als ein widerspruchsfreies Merkmal der Realität betrachten? Wir müssen "Nein" antworten. Das Gefühl hat einen Inhalt und dieser Inhalt ist nicht in sich konsequent; ein solcher Widerspruch strebt danach, das Stadium des Gefühls zu zerstören und zu durchbrechen. Dies kann kurz folgendermaßen erklärt werden - der endliche Inhalt ist mit der Unmittelbarkeit seiner Existenz unvereinbar. Denn der endliche Inhalt wird notwendigerweise von außen her bestimmt; seine äußeren Relationen durchdringen sein Wesen (wie negativ zu bleiben sie auch wünschen mögen), und treiben es so über sein eigenes Sein hinaus. Weil also das "Was" jedes Gefühls mit seinem "Daß" im Zwiespalt liegt, ist es Erscheinung und als solche kann es nicht real sein. Dieser fließende und unwahre Charakter wird unserer Aufmerksamkeit andauernd durch die harte Tatsache der Veränderung nahe gebracht. Von innen und außen wird das Gefühl in das rationale Bewußtsein überzugehen gedrängt. Es ist die Grundlage und Begründung weiterer Entfaltungen, aber eine Grundlage, die diese nur durch ein unaufhörliches Hinausgleiten über sich selbst zu bilden vermag. Daher können wir diese Produkte in einem eigentlichen Sinn nicht Adjektive des Gefühls nennen. Denn ihr Leben besteht in der Loslösung von der Gefühlseinheit, und diese Einheit wird nur im Absoluten wieder hergestellt und vollendet. 3. Wir wollen nun zu der Wahrnehmungs-, theoretischen und auch der praktischen Seite übergehen. Jede von diesen unterscheidet sich von den zwei vorhergehenden dadurch, daß sie Unterscheidung mitsetzt und zwar zunächst eine Unterscheidung von Subjekt und Objekt 1). Die Wahrnehmungsseite hat im Anfang natürlich keine besondere Existenz; denn sie ist zunächst in Verbindung mit der praktischen Seite gegeben und wird nur allmählich differenziert. Uns geht hier aber der Versuch, ihre spezifische Seite zu verstehen, an. Eines oder mehrere Elemente werden von der konfusen Gefühlsmasse abgesondert und stehen augenscheinlich für sich und dieser gegenüber. Das unterscheidende Merkmal eines solchen Inhalts ist das, daß er einfach zu s ein scheint. Wenn er die Masse, der er gegenübersteht, zu beeinflussen schien, so als wenn er sie veranlaßte, auf ihn zu wirken oder ihn zu verändern und wenn eine solche Relation sein Wesen qualifizierte, dann wäre die Haltung praktisch. Die Wahrnehmungsrelation wird aber als Ich zweifle auf keinen Fall, daß diese Unterscheidung in der Zeit entwickelt wird (Mind, Nr. 47); aber wenn wir sogar annehmen, daß sie ursprünglich ist, wird der weitere Schluß davon gar nicht berührt. 1)

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gänzlich außerhalb des Wesens des Objekts fallend angenommen. Sie wird einfach nicht berücksichtigt oder sonst als etwas Zufälliges und Irrelevantes beiseite gelassen. Denn die Realität ist als Gedanke oder Wahrgenommenes in sich einfach. Sie kann gegeben oder auch erstrebt, entdeckt oder reflektiert werden, aber das ist alles - soviel es auch von ihr handeln mag - nicht zu ihr gehörig. Denn das Objekt steht nur in Relation und ist, ausdrücklich sei es gesagt, in keinem Sinn die Relation, in der es steht. Dies ist die wesentliche Inkonsequenz des Realen als Wahrnehmung oder als Gedanke. Sein Wesen hängt von einer Qualifikation durch eine Relation ab, die es zu ignorieren versucht. Diese eine Inkonsequenz zeigt sich bald von zwei Gesichtspunkten her. Von dem gefühlten Hintergrund, aus dem das theoretische Objekt herausragt, wird angenommen, daß es auf keine Weise zu seinem Wesen beiträgt. Aber gerade in dem Stadium der Wahrnehmung oder der Empfindung bricht diese Hypothese zusammen. Wenn wir zum reflektierenden Denken weitergehen, dann wird eine solche Haltung deutlich unhaltbar. Die Welt kann sicherlich nicht dastehen, um aufgefunden zu werden, da ihr Wesen von dem Prozeß des Findens unzertrennlich scheint und da sie sicherlich nicht die ganze Welt wäre, wenn nicht in ihr selber das Finden und der Finder enthalten wäre. Wäre aber diese letzte Vollkommenheit erreicht, so könnte das Objekt überhaupt in keiner Relation mehr stehen; damit wäre sein eigenes Wesen zugleich vervollständigt und vernichtet. Die Wahrnehmungshaltung wäre völlig über sich selbst hinausgegangen. Wir können auch den gleichen Widerspruch herausstellen, wenn wir von der anderen Seite beginnen. Was, von der Realität wahrgenommen und gedacht wurde, ist und ist sie auch selber. Ihr Ich schließt aber offenbar Relationen zu anderen in sich und wird innerlich von jenen anderen bestimmt, von denen es unterschieden wird. Sein Inhalt gleitet daher über seine Existenz hinaus, sein "Was" breitet sich über sein "Daß" aus. Er ist auf diese Weise nicht mehr, ist aber etwas Ideelles geworden, in dem die Realität erscheint. Da diese Erscheinung nicht mit der Realität identisch ist, kann sie nicht ganz wahr sein. Daher muß sie korrigiert werden, bis sie schließlich in ihrem Inhalt nicht mehr falsch ist. Zunächst ist aber diese Korrektion nur ideal. Sie besteht in einem Vorgang, durch den der Inhalt von seiner Existenz getrennt wird. Wenn daher die Wahrheit vollständig wäre, wäre sie keine Wahrheit, da jene nur Erscheinung ist; und solange die Wahrheit Erscheinung bleibt, kann sie unmöglicherweise voll-

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ständig sein. Das theoretische Objekt bewegt sich auf eine Vollendung zu, in der jede Unterscheidung und jede Idealität unterdrückt werden muß. Ist diese aber erreicht, dann ist jede theoretische Haltung als solche verschlungen worden. Sie setzt auf der einen Seite unumgänglich eine Relation voraus und behauptet anderseits eine Unabhängigkeit; und wenn diese sich widersprechenden Seiten beseitigt oder harmonisiert werden, so ist ihr eigener Charakter verschwunden. Daher muß die Wahrnehmung und das Denken entweder in die Unmittelbarkeit des Gefühls zurückzufallen suchen oder ihre Einseitigkeit und Falschheit eingestehen und nach einer V ervollständigung in einer Ergänzung und einem Gegenspieler über sich streben. 4. Damit sind wir ganz naturgemäß zur praktischen Seite der Dinge gekommen. Wie vorher müssen wir ein Objekt haben, d. h. ein von der zentralen Masse des Gefühls unterschiedenes und ihr gegenüberstehendes Etwas. In diesem Fall zeigt sich aber die Relation selber als wesentlich und wird als ein Gegensatz erlebt. Eine ideelle Veränderung des Objekts wird hervorgerufen und diese Beeinflussung wird durch das Gefühlszentrum nicht abgelehnt; und der Vorgang wird durch diese ideelle Qualifikation in mir vervollständigt; dabei ändere ich mich, werde selber auch zum Objekt. Das ist, grob genommen, das Hauptwesen der praktischen Haltung und ihre Einseitigkeit und ihr Ungenügen wird zugleich evident. Denn sie besteht in einer Aufhebung einer Trennung, die keine Schöpferkraft hat und die, einmal aufgehoben, die völlige Beseitigung der praktischen Haltung bedeutet. Der Wille produziert sicherlich nicht bloße Vorstellungen, sondern aktuelle Existenz. Er hängt aber nach seinem Ausgangspunkt und Wesen von der Idealität und der bloßen Erscheinung ab; und die Harmonie, die er hervorruft, ist immer endlich und daher unvollständig und unbeständig. Wenn das nicht so wäre, wenn das Ideal und das Existierende eins geworden wären, dann wäre die Realition zwischen ihnen verschwunden und der Wille müßte als solcher auch erledigt sein. Daher ist die Haltung der Praxis wie alles Übrige keine Realität, sondern Erscheinung 1). In dem vorangegangenen Kapitel haben wir schon von den Widersprüchen des Guten gehandelt. Über das Wesen des Wünschens und Wollens siehe Mind, Nr. 49. Vgl. ebenso Nr. 43, wo ich etwas über die Bedeutung des Entschlusses gesagt habe. Es gibt tatsächlich Fälle, wo die Vorstellung nicht eigentlich in die Existenz übergeht und wo wir trotzdem mit Recht von Willen und nicht nur von Entschluß sprechen. Solche Fälle sind etwa, wenn wir sagen: wo ich meinen Platz nach meinem Tode haben will, oder auch: ich will jetzt etwas tun, was ich nicht durchführen kann. Der Vorgang ist hier sicherlich unvollständig, kann aber dennoch Wille heißen, weil die Bewegung von der Vorstellung zur 1)

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Mit diesem Resultat können wir weiter gehen und einer späteren Stelle die Erörterung gewisser Mißverständnisse hinsichtlich des Willens überlassen. Denn da der Wille die Unterscheidung von Wahrnehmung und Vorstellung in sich schließt und voraussetzt, brauchen wir nicht zu fragen, ob er mehr Realität als diese besitzt. 5. Es mag so scheinen, als ob wir in der ästhetischen Haltung den Gegensatz zwischen Idee und Existenz überwunden und als ob wir schließlich das relationale Bewußtsein überwunden und uns darüber hinaus erhoben hätten. Denn die ästhetische Haltung scheint die Unmittelbarkeit des Gefühls zu behalten, ebenso hat sie einen Gegenstand mit einem bestimmten Charakter, aber doch einen Gegenstand, der in sich selbst existiert und nicht nur ideal ist. Diese Seite der Welt befriedigt uns in einer der Theorie oder Praxis unerreichbaren Weise und kann verständlicherweise in keine von beiden zurückgeführt und aufgelöst werden. Betrachten wir sie genauer, so werden auch ihre Mängel offenbar. Sie ist keine Lösung unserer Probleme, da sie weder die Ansprüche der Realität noch ihre eigenen befriedigt. Als ästhetisch mag im allgemeinen das in sich selbst existierende Emotionale definiert werden. Schwerlich kann alles unter die beiden Begriffe des Schönen und Häßlichen fallen, aber für meinen vorliegenden Zweck wird es zweckmäßig sein, es so anzusehen, als ob es das täte. Da im Absoluten Häßlichkeit ebenso wie Irrtum und Böses überwältigt werden müssen, können wir hier unsere Aufmerksamkeit völlig auf die Schönheit beschränken. Schönheit ist das für sich selbst existierende Angenehme. Sie ist sicherlich nicht das In-sich-selbst-existierende, das seine eigene Lust genießt, denn diese braucht, wie jeder sieht, überhaupt nicht schön zu sein, sondern das Schöne muß in sich selbst existierend und sein Sein als solches unabhängig sein. Daher muß es als ein Existenz tatsächlich begonnen hat. Er hat in seinem äußeren und inneren Ablauf so angefangen, daß er sich bereits an ein Vergangenes erinnern müßte. Ebenso können wir sagen, daß wir losgeschossen haben, wenn der Abzug abgedrückt, der Hammer auch niedergefallen ist, aber ein Versager den Akt unvollständig gelassen hat. Im bloßen Entschluß wird aber die Unvereinbarkeit der Vorstellung mit irgendeiner vorliegenden Realisation des Inhalts anerkannt. Da der Entschluß nicht geradewegs auf ein vorhandenes Faktum zustrebt, sondern sich mit einer idealen Erfüllung seiner Vorstellung begnügt, könnte er nicht Wille heißen. Der Vorgang ist nicht nur unvollständig, sondern er hält sich absichtlich zurück und weicht von dem direkten Weg zur Existenz ab. Der Entschluß kann als eine Art innerer Wille angesehen werden, wenn du in Erwägung ziehst, daß er e'inen bestimmten Geisteszustand an den Tag bringt. In diesem Fall ist aber die Produktion des Entschlusses Wille und nicht dieser selber.

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Individuum existieren und nicht nur in der Idee. Gedanken oder sogar Denkvorgänge mögen schön sein, aber nur dann, wenn sie wie in sich beruhend und in einer empfindungsmäßigen Art erscheinen. Das Schöne muß ferner ein Objekt sein. Es muß in Relation zu mir stehen und muß auch einen unterschiedenen idealen Inhalt besitzen. Wir können nicht sagen, daß das bloße Gefühl schön sei, obwohl wir in einem ganzen Komplex die vermischten Merkmale des Gefühls und der Schönheit zugleich finden mögen. Das Schöne muß schließlich auch tatsächlich angenehm sein. Wenn dem aber so ist, dann muß es wieder für irgend jemanden angenehm sein 1). Eine solche Verbindung von Merkmalen ist inkonsequent und wir brauchen nicht viel Raum, um ihre Gegensätzlichkeit auseinanderzusetzen. Wir wollen zuerst von dem Angenehmsein und von der Relation zu mir absehen und annehmen, daß das Schöne unabhängig existiert. Wir werden es sogar hier im Widerspruch mit sich selber finden. Denn die Merkmale der Existenz und des Inhalts müssen übereinstimmend und eins sein; aber, weil anderseits das Objekt endlich ist, ist eine solche Übereinstimmung unmöglich. Ebenso, wie es bei der Wahrheit und dem Guten der Fall war, liegt ein partielles Auseinandergehen der beiden Seiten der Ausdehnung und der Harmonie vor. Der Ausdruck ist unvollkommen und ferner ist auch das, was ausgedrückt wird, zu eng. Nach beiden Seiten zeigt sich schließlich in gleicher Weise ein Mangel an Harmonie, ein innerer Widerspruch und ein Mißlingen in der Realität, mag sogar der Inhalt, der auf jeden Fall immer endlich und damit in sich widersprechend ist, - sichtbar über seinen tatsächlichen Ausdruck hinausgehen und nur ideal sein. Der existierende Ausdruck muß aber in verschiedenen Graden und Formen hinter der Realität zurückbleiben. Denn ganz streng genommen muß er trotzdem ein endliches Faktum sein. Er wird von außen bestimmt und muß daher im Inneren in Zwiespalt mit sich selbst sein. So ist das als unabhängig angesehene Objekt nicht mehr als Erscheinung 2). Schönheit aber als eine unabhängige Existenz anzusehen, ist unmöglich. Denn Lust gehört zu ihrem 'V esen und die Annahme, Lust oder überhaupt eine Gefühlserregung könnte außerhalb des Die Möglichkeit, daß es eine Begrenzung der Lust gibt, die außerhalb aller endlichen Zentren fällt, scheint sehr gering (Kap. 27). So weit, wie jene Lust ein Objekt ist, ist die Relation sicherlich wesentlich. 2) Die Frage nach den Stufen der Schönheit würde wie die nach den Graden in der Wahrheit und beim Guten interessant sein. Es ist aber kaum nötig, sie hier zu behandeln. 1)

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Ichs bestehen, kann nicht in Frage kommen. Das Schöne wird daher durch eine Qualität in mir bestimmt. Weil es bekanntlich auf alle Fälle ein Objekt der Wahrnehmung ist, muß die in der Wahrnehmung eingeschlossene Relation für ihr Sein wesentlich sein. Ferner wird die Schönheit als ein Wahrgenommenes und als Emotionales innerlich durch das charakterisiert, was außerhalb ihr selber fällt; und damit hat sie augenscheinlich ihren Erscheinungscharakter bewiesen. Oder aber sie muß diese äußere Lebensbedingung in ihre eigenen Grenzen einbeziehen. Mit dieser völligen Absorption des wahrnehmenden und empfindenden Ichs wird aber die ganze Relation und damit Schön~eit als solche verschwunden sein. Die verschiedenen Merkmale, die sich im ästhetischen Objekt zusammen gefunden haben, scheinen auseinandergefallen zu sein. Schönheit ist in Wirklichkeit nicht unmittelbar oder unabhängig oder an sich harmonisch. Versucht sie diesen Erfordernissen nachzukommen, so muß sie ihr eigenes Wesen überschreiten. Wie alle anderen Merkmale hat auch sie sich als Erscheinung erwiesen. Wir haben nun die verschiedenen Regionen der Erfahrung überblickt und jede als unvollkommen entdeckt. Wir können sicherlich nicht behaupten, daß das Absolute eine von ihnen ist. Man kann jede auch deswegen für ungenügend und inkonsequent ansehen, weil sie nicht ebenso und ebenso gut das Übrige ist. Jedes Merkmal setzt schon faktisch in gewisser Weise die anderen in seiner Existenz mit und um Realität zu werden, müßte es weiter gehen und sie alle völlig in sich schließen. Daher scheint die Realität in der Totalität dieser ihrer verschiedenen Provinzen enthalten und jede von diesen eine partielle Erscheinung des Universums zu sein. Wir wollen sie noch einmal kurz an uns im Rückblick 'vorübergehen lassen. Bei Lust und Unlust können wir sofort ihren adjektivischen Charakter bemerken. Wenn wir von dem ausgehen, was wir von Lust und Unlust wissen, können wir sicherlich nicht beweisen, daß diese direkt die übrig bleibenden Seiten der Welt enthalten. Wir müssen mit der Erkenntnis zufrieden sein, daß Lust und Unlust Adjektive sind, und zwar, soweit wir sehen können, Adjektive, die mit jeder anderen Seite der Erfahrung verknüpft sind. Eine vollständige Einsicht in die Bedingungen dieser Adjektive ist unerreichbar; wenn wir sie aber erlangen könnten, so würde sie zweifellos jede Seite des Universums umfassen. Gehen wir aber weiter von Lust und Unlust zum Gefühl, so können wir hier sogleich das Prinzip

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des Zwiespalts und seine Entwicklung in seinem Wesen verifizieren. Die Seiten des Inhalts und der Existenz streben bereits auseinander. Daher verändert sich das Gefühl nicht nur durch äußere Kraft, sondern durch einen inneren Fehler. Die theoretische, praktische und ästhetische Seite sind V ersuche, diesen Widerstreit von Existenz und Idee zu vollenden und wieder gut zu machen. Jede muß daher als ein einseitiges und besonderes Gewächs aus dem Gefühl betrachtet werden. Das Gefühl bleibt immer noch im Hintergrund als die Einheit dieser Unterschiede, eine Einheit, die ihren vollständigen Ausdruck in keinem oder in allen diesen finden kann. Der Mangel wird sofort in der ästhetischen Haltung offenbar. Die Schönheit versucht zur unmittelbaren Realität zu gelangen, und es mißlingt ihr. Denn, wenn du sie ohne Relation zu einem Wahrnehmenden als real ansiehst, so tritt niemals eine völlige Übereinstimmung zwischen den beiden Erfordernissen der Vollständigkeit und der Harmonie em. Das was in der Tat ausgedrückt wird, bleibt zu eng und das, was umfassender ist, wird unvollkommen zum Ausdruck gebracht. Um daher völlig schön zu sein, müßte das Objekt ebenso umfassend wie durch und durch gut sein. Seine Idee würde ein In-sich-beschlossensein und ein Alles-umfassen nötig machen und müßte in einer nicht minder sich selbst genügenden Existenz zutage treten. Tritt das aber ein, dann wären die Merkmale der Wahrheit und des Guten und der Schönheit verschwunden. Wir kommen auch zu dem gleichen Resultat, wenn wir uns der theoretischen Seite der Welt zuwenden. Die Wahrnehmung oder die Theorie müßte , wenn sie wahr wäre, ebenso gut sein. Denn das Faktum müßte so angesehen werden, als ob es keinen Unterschied zum Gedachten aufwiese. Eine solche Übereinstimmung von Vorstellung und Existenz wäre sicherlich ebenso das Gute. Und da sie individuell ist, so dürfte es bestimmt auch schön sein. Da aber anderseits alle Trennungen absorbiert wären, so existierten Wahrheit, Schönheit und das Gute als solche nicht mehr. Wir kommen zum gleichen Schluß, wenn wir von der praktischen Seite her anfangen. Endgültig würde uns nur die vollständige. Verbindung von Harmonie und Ausdehnung befriedigen. Eine Realität, die auf eine innerhalb ihrer Grenzen nicht tatsächlich existierende Idee hindrängte, wäre nicht vollkommen gut. Das vollkommene Gute würde daher die ganze und absolute Gegenwärtigkeit der idealen Seite in sich schließen. Wäre diese aber vorhanden, so wäre es vollkommene und absolute Wahrheit. Ebenso wäre es schön, da es die individuelle Harmonie der Existenz mit dem Inhalt zur Folge hätte. Aber da wiederum die unterscheidenden Merkmale jetzt verschwunden wären, wären wir zugleich

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über die Schönheit oder die Wahrheit oder das Gute hinausgekommen 1). Wir haben gesehen, daß die verschiedenen Seiten der Erfahrung einander einschließen und daß alles auf eine Einheit hindeutet, die sie umfaßt und vollendet. Ich möchte zunächst behaupten, daß die Einheit dieser Seiten unbekannt ist. Damit will ich aber bestimmt nicht leugnen, daß sie wesentlich Erfahrung ist, aber sie ist eine Erfahrung, von der wir als solcher keine direkte Kunde haben. Wir haben und sind niemals ein Stadium, das die vollkommene Einheit aller Seiten ist; und wir müssen zugeben, daß diese in ihren besonderen W esenheiten unerklärlich bleiben. Eine Erklärung würde die Rückführung ihrer Vielheit auf die Einheit bedeuten und zwar so, daß die Relation zwischen der Einheit und der Mannigfaltigkeit verstanden würde. Eine derartige Aufklärung geht aber schließlich über uns hinaus. Wenn wir eines oder mehrere dieser Erfahrungselemente abstrahieren und dieses bekannte Element als eine Grundlage benutzen, auf das die anderen bezogen werden, so wird der falsche Weg offenbar. Denn, wenn die übrigen von dieser Grundlage aus so entwickelt werden könnten, wie sie es in Wirklichkeit nicht können, so dürften sie doch mit ihren Unterschieden nicht von ihr ausgesagt werden. Ist dem aber so, dann muß schließlich die ganze Mannigfaltigkeit einer unbekannten Einheit als ·Adjektiv zugerechnet werden. Daher kann keine abgesonderte Seite der Möglichkeit nach als eine Erklärung für die anderen dienen. Wie wir auch gefunden haben, ist keine Sonderseite für sich selbst verständlich. Denn jede ist inkonsequent gegen sich selbst und muß daher zu anderen ihre Zuflucht nehmen. Daher wäre ein Erklären nur möglich, wenn das Ganze als solches begriffen würde. Ein solches aktuelles Begreifen im Einzelnen ist aber, wie wir gesehen haben, unmöglich. Indem wir es bei dieser allgemeinen Folgerung belassen, möchten wir zugleich weitergehen. Wir könnten annehmen, daß jede Zurückführung des Absoluten auf ein oder zwei der besonderen Modi der Erfahrung nicht in Frage kommt und zugleich eine endgültige ErIch habe es nicht für nötig gehalten, hier auseinanderzusetzen, wie diese 8eiten in ihrer aktuellen Existenz miteinander verwickelt sind. Alle anderen Merkmale sind mehr oder weniger die Objekte des Willens und sind von ihm hervorgebracht; und der Wille selber ist mit den übrigen zusammen ein Objekt für das Denken. Der Gedanke hängt wiederum durch sein Material von allen Merkmalen und der Wille durch seine Vorstellungen ebenso von allen ab. Derselbe psychische Zustand kann unterschiedslos Wille oder Denken sein, je nach der von dir gesehenen Seite (p. 389). Jeder Zustand kann auch bis zu einem gewissen Grade als Gefühl angesehen und dafür genommen werden. 1)

ßr&d!ey, Erscheinung und Wirklichkeit.

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örterung seines Wesens und seiner Einheit versuchen. Es könnte immerhin belehrend sein, eine derartige vorgeschlagene Reduktion näher zu betrachten. Wir wollen dann fragen, ob die Realität als die Identität von Gedanke und Wille richtig erklärt werden kann. Zuerst wollen wir uns aber einiger jener Punkte erinnern, die eine vollständige Erklärung enthalten müssen. Um das Universum zu verstehen, müßten wir zu erfahren suchen, wie der besondere Empfindungsinhalt überall zu seinen Relationen und Formen steht und wie auch Lust und Unlust mit diesen Formen und Qualitäten verbunden sind. Wir müßten weiterhin das ganze Wesen des relationalen Bewußtseins und die Verbindung zwischen seiner Einheit und der Vielfältigkeit der unterschiedenen Bezugspunkte begreifen. Wir müßten wissen, warum alles (oder fast alles) in die endlichen Zentren des unmittelbaren Gefühles gelangt, und wie diese Zentren sich gegenseitig keinen direkten Einblick gestatten. Ferner gibt es einen zeitlichen Vorgang mit seiner andauernden V erschiebung des Inhalts aus dem Bereich der Existenz, ein Geschehen, das sicherlich nicht allseitig in dem Willen und Denken einbeschlossen ist. Die physische Welt gibt auch manche Probleme auf. Gibt es wirklich Ideen und Ziele, die in der Natur wirken? Warum gibt es in und außer uns eine erkennbare Zuordnung, derart daß die Existenz dem Gedanken Antwort gibt und daß persönliche Identität und eine Verbindung zwischen den Seelen möglich ist? Kurz, wir haben auf der einen Seite eine Verschiedenheit und Endlichkeit und auf der anderen eine Einheit. Wenn wir nicht durch das ganze Universum hindurch die Beziehungen dieser Merkmale zueinander erkennen, wird das Universum nicht erklärt. Eine partielle Erklärung ist aber, so möchte man hier vielleicht vorbringen, besser als gar keine. Das wäre aber meinf:'r Überzeugung nach im vorliegenden Fall ein schwerer Irrtum. Du hebst damit aus dem Ganzen der Erfahrung irgendein Element oder Elemente als ein Prinzip heraus und gibst, meiner Voraussetzung nach, zu, daß einige Seiten unerklärt draußen bleiben. Nun gehört aber eine solche Seite zum Universum und muß daher von einer in deinen Elementen nicht enthaltenen Einheit ausgesagt werden. Ist dem aber so, so werden deine Elemente sogleich degradiert, denn sie werden Adjektive dieser unbekannten Einheit. Daher lautet mein Einwurf nicht: deine Erklärung ist unvollständig, sondern, ihr tatsächliches Prinzip ist unsicher. Du hast als Letztes hingestellt, was sich in seinem Wirken selber als Erscheinung bekundet. Die partielle Erklärung hat faktisch einen falschen Anspruch auf Erkenntnis erhoben. Wir könnten dieses Ergebnis zugleich an der beabsichtigten

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Reduktion aller Seiten der Welt auf Intelligenz und Wille verifizieren. Bevor wir etwas davon im Einzelnen erkennen, möchten wir ihren notwendigen und wesentlichen Fehler erklären. Nimm an, daß jedes Merkmal des Universums unter diese beiden Merkmale untergebracht und in sie einbezogen worden ist, so bleibt dennoch das Universum unerklärt. Denn die zwei Seiten, wieviel auch jede umfassen und jede tatsächlich die andere sein mag, in einem gewissen Sinn müssen sie doch zwei sein. Und wenn wir nicht begreifen, wie ihre Vielfältigkeit, in der sie verschieden sind, zu ihrer Einheit steht, in der sie eins sind, enden wir mit einem Mißerfolg. Unsere Prinzipien werden trotz allem nicht die letzten sein, sondern werden selber zweifache Erscheinung einer unerklärt gebliebenen Einheit sein. Es mag sich immerhin lohnen, die vorgeschlagene Reduktion noch weiterhin zu prüfen. Das Plausible in ihr besteht ganz besonders in der Unbestimmtheit, und ihre Stärke liegt in dem unbestimmten Sinn von Wille und Intelligenz. Wir scheinen diese Begriffe so gut zu kennen, daß wir bei ihrer Anwendung keine Gefahr laufen und dann gehen wir unmerklich zu einer Anwendung über, in der ihr Sinn verändert wird. Wir müssen die Welt erklären und wir kommen zu einem Vorgang mit zwei Richtungen. Ständig wird die Vorstellung von dem Faktum getrennt und immer wieder dieser auftretende Zwiespalt in einer neuen Existenz wieder ausgeglichen. Wir finden nirgends fixierte und starre Substanzen. Sie sind relative Ganze des ideellen Inhalts, die auf einer unaufhörlicn erneuerten Basis doppelt gerichteter Veränderung stehen. Identität, Permanenz und Kontinuität sind überall ideell; sie sind für ewig geschaffene Einheiten und werden durch den beständigen Fluß der Existenz zerstört, einen Fluß, den sie hervorrufen und der sie trägt und für ihr Leben wesentlich ist. Blicken wir nun auf das Universum, so mögen wir immerhin dort von Gedanken reden, wo die Vorstellung von ihrer Existenz im Faktum getrennt wird ; und wir mögen von Willen reden, wo diese Einheit wiedergestellt wird. Mit der Einführung dieses scheinbar Selbstevidenten scheinen die beiden Hauptseiten der Welt eine Erklärung gefunden zu haben. Oder wir könnten uns zu diesem Resultat möglicherweise noch durch eine weitere Unbestimmtheit verhelfen. Es ist nämlich auf jeden Fall alles zeitlich oder verläuft in der Zeit. Wir könnten dann sagen, soweit es durch den Willen produziert wird, und soweit, wie es ist, ist es ein Objekt für die Wahrnehmung oder den Gedanken. Das wollen wir aber nicht weiter erörtern, sondern uns den Vorgang der Welt, wie ihn uns die beiden Seiten darbieten, ansehen. Der Gedanke muß dann als die ideali25*

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sierende Seite dieses Vorganges und der Wille als die Seite angesehen werden, die die Vorstellungen real macht. Wir wollen also einstweilen annehmen, daß der Wille und das Denken an sich mehr oder weniger selbstevident sind. Nun ist zunächst klar, daß eine solche Ansicht uns zwingt, sehr viel mehr zu postulieren, als wir beobachten. Denn die Idealität scheint durchaus nicht ganz von dem Gedanken produziert zu sein und die aktuelle Existenz erscheint durchaus nicht immer als Wirkung des Willens. Letzteres ist aus allem zu ersehen, aus den eigenen Ichen, oder dem Lauf der Natur oder auch aus anderen uns bekannten Ichen. Was die Idealität oder die Trennung des Inhalts vom Faktum anbetrifft, so ist dies überall das allgemeine Kennzeichen der Erscheinung. Sie scheint also nicht exklusiv auf das unterscheidende Denken beschränkt zu sein. Das Denken deckt sich dem Umfang nach auch nicht mit der relationalen Form, sondern man muß von ihm sagen, daß es ebenso ideale Unterscheidungen annimmt, wie es sie schafft. Kurz, die Idealität erscheint häufig als das Resultat von psychischen Veränderungen und von Vorgängen, die im eigentlichen Sinn kein Denken in sich schließen. Das sind Schwierigkeiten, aber sie können vielleicht immer noch bekämpft werden. Denn geradeso wie wir für die möglichen Existenzen der Seelen keine Grenzen setzen konnten, so können wir auch für die mögliche Wirkung des Gedankens oder Willens kein Ziel setzen. Daß es uns nicht gelingen will, sie hier oder da, in oder außer uns zu entdecken, ist noch kein Gegenbeweis gegen ihre Existenz. Wie die Seelen in einem unbekannten Umfang ihr Leben und ihre Welt im allgemeinen haben, so können auch die Wirkungen des Willens und Denkens sich dort zeigen, wo der aktuelle Vorgang nicht erfahren wird. Das, was mir als ein mechanisches, zufälliges Ereignis begegnet oder auch als eine nicht von mir hervorgebrachte ideale Unterscheidung, kann trotzdem seinem Wesen nach auch \Ville und Gedanke sein. Ja, es besteht die Möglichkeit, daß es als solches vollständig oder teilweise erfahren wird, nur nicht von mir. Meine Bedenken und meine Absichten anderen endlichen W esfln gegenüber mag nur Zufall sein, und ihre begreifbaren Funktionen mögen auf mich wie eine dunkle Notwendigkeit wirken. Pür eine höhere Einheit ist aber unsere blinde Verstrickung helleuchtende Ordnung. Die zwiespältige, halbvollendete und für jeden anderen zufällige Welt ist im Ganzen ein kompensiertes System von zusammenwirkenden Partikularitäten. Alles ist hier das geeinte Resultat von zwei Funktionen, die in ihrem Wirken eins sind, und jeder geringste Teil ist immer noch der Ausläufer von Intelligenz und Wille. Sicherlich ist

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eine solche Theorie ein Postulat, solange nicht ihre Partikularitäten verifiziert werden können. Im allgemeinen mag sie aber als eine berechtigte Folgerung und als ein notwendiger Schluß aufgestellt werden. Trotzdem finden wir in dieser Schlußweise, die wir darzustellen versucht haben, noch andere bisher nicht beseitigte Schwierigkeiten. Es gibt Lust und Unlust und ferner die Fakten des Gefühls und des ästhetischen Bewußtseins. Wenn es nun dem Denken und dem Willen nicht gelingt, diese zu erklären und sie neben dem Gedanken und Willen unerklärt bleiben und von der Einheit ausgesagt werden müssen, so ist die Einheit trotzdem unbekannt. Zunächst kann das Gefühl nicht als die indifferente Grundlage der Wahrnehmung und des Willens angesehen werden; denn wenn das der Fall wäre, so stellte diese Grundlage selber ein neues, erklärungsbedürftiges Faktum dar. Daher muß das Gefühl als eine Art Konfusion und als ein Nebelfleck angesehen werden, der bei näherer Untersuchung noch Unterschiede zeigen würde. Die ästhetische Haltung mag vielleicht als das wahrgenommene Gleichgewicht beider Funktionen angesehen werden. Man muß sicherlich zugeben, daß eine solche Haltung, wenn die Einheit dem Denken und dem Willen ähnlich ist, eine Quelle von Schwierigkeiten bleibt. Denn sie erscheint kaum von beiden als Verschiedenes ableitbar; und als ihre Einheit gesehen, kann sie bestimmt nicht beide enthalten oder für sie verantwortlich sein. Gehen wir von hier aus zu Lust und Unlust über, dann stoßen wir nur auf eine andere Schwierigkeit. Denn die Verbindung dieser Adjektive mit unseren beiden Funktionen scheint durchaus unerklärlich, solange ich nicht begreife, daß diese Verbindung selbstevident ist. Wir scheinen faktisch auf das Zugeständnis zugetrieben zu werden, daß es noch andere Seiten der Welt gibt, die als Adjektive auf unsere Identität von Wille und Gedanke bezogen werden müssen, während ihr Eingeschlossensein in den Willen oder den Gedanken unbestimmt bleibt. Das heißt aber virtuell eingestehen, daß der Gedanke und der Wille nicht das Wesen des Universums sind. Wir wollen nun zur Erörterung der inneren Schwierigkeiten übergehen. Wille und Verstand müssen jeder für sich selbstevident sein; anderseits hat aber jeder ohne den anderen natürlich sein besonderes Sein verloren. Denn der Wille setzt die Unterscheidung der Vorstellung vom Faktum voraus - eine Unterscheidung, die durch einen Vorgang aktuell wird, also voraussetzungsgemäß dem Willen zu danken ist. Und der Gedanke muß von der Existenz ausgehen, die nur der Wille hervorbringen kann. Daher setzt er den Willen voraus und scheint auch als existierender Vorgang von

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ihm geschaffen zu sein, obwohl der Wille seinerseits von dem Gedanken abhängig ist. Wir müßten nun meiner Meinung nach dem Einwand dadurch zu begegnen suchen, daß wir den Ton auf die Seite der Einheit legen. Unsere beiden Funktionen sind in Wirklichkeit unzertrennbar und es ist daher natürlich, daß die eine die andere einschließen und voraussetzen müßte. So haben wir denn bisher überall gefunden, daß eine derartige rastlose Zirkelbewegung das Kennzeichen der Erscheinung ist, aber wir wollen uns hier damit begnügen und es beiseite lassen. Wille und Gedanke sind überall miteinander verwoben. Der Wille ohne eine Vorstellung und der Gedanke, der nicht vom Willen abhängt, wäre niemals er selber. Bis zu einem gewissen Grade ist ferner der Wille wesentlich Gedanke und ebenso wesentlich jeder Gedanke Wille. Auch die Existenz des Gedankens ist ein Ziel, das der Wille ins Leben ruft, und der Wille ist ein Objekt für die Reflexionen und Konstruktionen der Theorie. Sie sind daher nicht zwei klare Funktionen in einer Einheit, sondern jede Funktion ist, an sich genommen, immer noch die Identität beider. Jede kann kaum sie selber und nicht die andere sein, da sie nur ein bloßes Übergewicht seiner selbst ist; denn kein Teil von beiden scheint selbständig und allein zu existieren beanspruchen zu können. Wille und Gedanke unterscheiden sich nur dann, wenn wir die Merkmale abstrahieren und einseitig betrachten; oder, um es offen zu sagen, ihre Verschiedenheit ist nur Erscheinung. Wenn nun Gedanke und Wille nicht verschieden sind, dann sind sie keine zwei Elemente oder Prinzipien mehr. Sie sind keine zwei bekannten Verschiedenheiten, die zur Erklärung der Mannigfaltigkeit der Welt dienen. Denn, wenn ihre Unterscheidung Erscheinung ist, so müssen wir immer noch jene Erscheinung erklären. Wir sollen nicht aus dem Willen und Gedanken heraustreten, um unsere Erklärung zu suchen; bleiben wir aber in ihrem Bereich, so können wir scheinbar keine finden. Die Identität beider ist keine Lösung, wenn ihre Identität nicht ihren Unterschied erklärt; denn dieser Unterschied ist doch das eigentlich zu lösende Problem. Uns ist ein zufälliger und endlicher Vorgang gegeben, und an diesem können wir zwei Hauptrichtungen feststellen. Einen solchen Vorgang erklären, heißt bestimmen, warum und wie er diese bekannte Spaltung besitzt und fördert. Mit der vorgeschlagenen Reduktion auf den Willen und den Gedanken haben wir aber nichts weiter getan als den zwei ungeklärten Richtungen Namen gegeben. Denn ignoriere jede andere Schwierigkeit und du hast immer noch die Hauptfrage vor dir: "Warum weichen denn Wille und Gedanke

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voneinander ab oder scheinen es doch zu tun? In dieser realen oder scheinbaren Spaltung besteht die aktuelle Welt endlicher Dinge. Oder prüfe das Problem von einer anderen Seite. Man könnte sich auf den Willen und das Denken zur Erklärung des gegebenen zeitlichen Prozesses berufen; sicherlich enthalten beide in ihrem Wesen eine zeitliche Sukzession. Nun ist aber ein zeitlicher Vorgang Erscheinung und gilt als solcher nicht vom Absoluten. Wenn wir behaupten, daß der Gedanke und Wille reziproke Zwillingsprozesse sind, die sich kompensieren, so stehen wir dort, wo wir waren. Denn als solcher kann keiner von beiden von der realen Einheit ausgesagt werden und das Wesen dieser Einheit bleibt samt der Verschiedenheit der Erscheinung ungeklärt. Stellen wir die ganze zeitliche Sukzession auf die Seite der bloßen Wahrnehmung und treten wir dafür ein, daß der Wille als solcher in Wirklichkeit kein Prozeß ist, so würde uns das wenig helfen. Denn, wenn der ·wille einen Inhalt hat, dann ist jener Inhalt wahrnehmbar und muß einen zeitlichen V erlauf in sich schließen, und der Wille kann demnach sicherlich nicht höher stehen, als das, was er will. Ohne einen idealen Inhalt wird er nur ein leerer Appell an das Unbekannte sein. Er ist selber unbekannt und von diesem unbekannten Etwas müssen wir nunmehr die ungeklärte Wahrnehmungswelt wie ein Adjektiv aussagen. So sind schließlich der Wille und Gedanke zwei Namen für zwei Erscheinungsarten. Keine von ihnen kann als solche zu der endgültigen Realität gehören und schließlich bleibt ihre Einheit und Vielfalt unerklärlich. Sie mögen partielle und relative, aber niemals letzte Erklärungen darstellen. Wenn aber ihre Einheit so unbekannt ist, dürfen wir diese dann ihre Einheit nennen? Haben sie denn ein Recht, das ganze Erscheinungsgebiet für sich in Anspruch zu nehmen? Wenn wir Gedanke und Wille dort postulieren sollen, wo wir sie nicht beobachten, so müßten wir mindestens einen Beweggrund dazu haben. Wenn es ihnen trotzdem nicht gelingt, unsere Welt zu erklären, so scheint der Grund hierfür weggefallen zu sein. Warum sollten wir uns anstrengen, alle Phänomene unter diese beiden Begriffe zu bringen, wenn diese Begriffe samt den Phänomenen, - falls es gelingt sie dort unterzubringen, - unerklärt bleiben? Es wäre sicherlich besser, man gäbe zu, daß es mehr Arten von Erscheinungen und Richtungen gibt als nur zwei und man gestände ein, daß ihre Einheit eine Art nicht direkt zugänglicher Erfahrung ist. Dies Ergebnis wird bestätigt, wenn wir uns an die vorangehenden Schwierigkeiten erinnern. Lust und Unlust, Gefühl und ästhetisches Bewußtsein dürften schwerlich unter die bloße Einheit von Intelligenz und Willen fallen; und ferner

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blieben die Relation der sensiblen Qualitäten mit ihren Gruppierungen,. und die Verknüpfung von Inhalt und Form, völlig unerklärlich. Kurz,. selbst wenn die Einheit von Gedanke und Wille an sich selbstevident wäre, können dennoch die verschiedenen Seiten der Welt kaum darauf zurückgeführt werden. Auch wenn diese Reduktion erfüllt wäre, sind die Identität von Wille und Gedanke und ihre Verschiedenheit immer noch nicht zu begreifen. Wenn die Endlichkeit und der zeitliche Vorgang auf ihren Unterschied zurückgeführt wird, wie kommen. sie dann zu dieser Spaltung? Die Reduktion kann nicht endgültig sein, so lang wie die Antwort auf eine solche Frage ganz außerhalb· von ihr liegt. Die Welt kann nicht als die Erscheinung von zwei sich das Gewicht haltenden Funktionen erklärt werden und mit diesem Resultat könnten wir uns zufrieden geben und weiter gehen. Aber auf keinen Fall könnten solche Funktionen mit dem identifiziert werden, was wir Intelligenz und Wille nennen; es wäre vielleicht gut, wenn wir bei diesem Punkt ein wenig verweilten. Wir nahmen vorhin an, daß der Wille und Gedanke an sich selbstevident wären. Wir sahen, daß ein Zweifel über den Raum bestand, den diese beiden Funktionen beherrschten. Immerhin sahen wir die Existenz einer idealisierenden und einer realisierenden Funktion, jede unabhängig und primär, für garantiert an. Wenn wir aber nun die uns im Denken und Wollen gegebenen Fakten betrachten, so werden wir zugeben müssen, daß die hierzu nötigen Kräfte nicht zu finden sind. Denn abgesehen von der Rangfrage sind der Wille und der Gedanke nirgends selbstevident oder primär. Jeder hängt in seinem Wirken von vorangehenden Verbindungen ab, von Verbindungen, die immer in einem gewissen Sinn äußerlich und entliehen sind. Ich will mich bemühen, das kurz auseinanderzusetzen. Gedanke und Wille enthalten sicherlich Übergangsstadien und diese wurden vorher als selbstevident angesehen. Sie wurden als etwas in dem wirklichen Wesen dieser Funktionen natürlich Eingeschlossenes betrachtet, und wir ließen daher eine weitere Frage nach ihrer Begründung nicht zu. Wenn wir uns aber dem Gedanken und Willen in unserer Erfahrung zuwenden, dann wird eine solche Annahme widerlegt. Denn im tatsächlichen Denken hängen wir von partikulären Verbindungen ab und ohne diesen gegebenen Stoff wären wir sicherlich nicht imstande zu denken. Diese Verknüpfungen können nicht alle als dem reinen Sein des Gedankens innewohnend angesehen werden; denn die meisten von ihnen scheinen mindestens empirisch und von außen herangekommen zu sein. Und ich kann wirk-

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lieh nicht sehen, wie sie selbstevident sein sollten. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn wir auf die Funktion des Unterscheidens achten. Denn zunächst scheinen Unterscheidungen in weitem Ausmaß ganz ohne unser Denken im strengen Sinn zu entstehen und ferner scheint eine unterscheidende Kraft unseres Denkens, wo sie vorhanden ist auf einem früheren Unterschied zu beruhen und von ihm auszugehen. Sie ist als ein Ergebnis den erworbenen und empirischen Relationen zu danken 1). Die tatsächlichen Übergangsstadien des Denkens sind, also kurz gesagt, nicht selbstevident oder, um einen anderen Ausdruck zu brauchen, sie können nicht als im Denken immanent angenommen werden. Wenn wir zum Willen übergehen, finden wir seine Prozesse in keiner besseren Lage; denn unsere Handlungen sind weder selbstevident noch im Willen immanent. Wir wollen von den Geschehnissen in der Natur und in unseren Ichen, die unseren Willen scheinbar nichts angehen, abstrahieren. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit ganz auf die Fälle beschränken, in denen unsere Vorstellung tatsächlich die Existenz hervorzubringen scheint. Ist aber hier das Übergangsstadium so verständlich, daß es keiner Erklärung bedarf? Eine ersehnte Idee bleibt in einem Fall nur ersehnt, und im anderen wird sie zu aktueller Existenz. Warum denn, so fragen wir, nur die eine und nicht auch die andere? "Weil, so magst du erwidern, beim zweiten Fall eine Willenshandlung vorhanden ist und gerade dieser Akt erklärt das Übergangsstadium und begründet es." Ich will hier nicht antworten, daß ja gerade der Übergang der Akt ist. Ich will einstweilen die Existenz deiner widersinnigen Fähigkeit annehmen. Aber ich wiederhole meine Frage, warum wird das eine gewollt und nicht auch das andere? Ist dieser Unterschied selbstevident und von selbst einleuchtend; ist er ein in dem klaren Wesen des Willens unmittelbar zutage liegendes Merkmal? Denn, wenn er das nicht ist, dann wird er sicherlich auch nicht durch den Willen erklärt. Er wird etwas zur Funktion Äußerliches und von außen gegeben sein. So müssen wir beim Willen und Gedanken in ähnlicher Weise denselben Schluß ziehen. Es gibt kein Wollen oder Denken ohne die partikulären Akte, und diese partikulären Akte sind, wie der Gedanke und Wille offenbar nicht selbstevident. Sie enthalten in ihrem Wesen eine von außen ergänzte Verbindung. Der Wille und Gedanke sind darum, gerade dort, wo sie zweifellos existieren, abhängig und sekundär. Im Grunde kann nichts durch ei.ne Reduktion auf diese beiden Funktionen erklärt werden. Diese Folgerung, die nicht von der Psychologie abhängig ist, findet aber in ihr eine Stütze und Bestätigung. Denn Wille und Ge1)

Hierüber s. Mind, Nr. 47.

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danke sind in dem uns bekannten Sinn bestimmt nicht primär. Sie entwickeln sich auf einer Basis, die keines von beiden ist und die niemals ganz so wie sie werden kann. Ihre Existenz ist psychischen Ereignissen und Geschehnisweisen zu danken, die nicht für den Gedanken oder dem Willen bezeichnend sind. Diese Basis wird sozusagen niemals von einem von beiden ganz absorbiert. Sie wirken unterscheidend, aber ihre eigentümliche Merkmale können niemals völlig alle ihre Inhalte spezialisieren. Mit anderen Worten Wille und Gedanke hängen durchaus von dem ab, was keines von beiden seinem Wesen nach ist und ohne diese psychischen Elemente, die äußerlich bleiben, würden ihre Vorgänge aufhören. Kurz, es gibt eine allgemeine Substanz mit allgemeinen Gesetzen; und Wille und Gedanke sind ein- · seitige Anwendungen dieses Materials. Denn weit davon, dieses Leben zu erschöpfen, sind sie in ihm als untergeordnete Funktionen enthalten. Sie sind in ihm als abhängige und partielle Entwicklungen eingeschlossen. Diese Wahrheit in ihrem ganzen Umfang zu entwickeln, wäre Aufgabe der Psychologie und ich muß mich hier mit dem Hinweis auf einige Hauptpunkte beschränken. Der Gedanke ist eine Entfaltung auf der Grundlage einer vorangegangenen Idealität. Die Trennung des Inhalts von der Existenz wird nicht geschaffen~ sondern wächst. Die Gesetze der Assoziation und Verschmelzung haben das Wirken ideeller Elemente schon in sich; und auf diesen Gesetzen beruht der Gedanke und leitet von ihnen seine aktuellen Vorgänge her. Der nicht erkennbare Druck und der Widerstreit der veränderten Empfindungen beginnt zuerst im Zusammenwirken mit diesen Gesetzen, den ideellen Inhalt vom psychischen Faktum zu trennen. Daher können wir wohl sagen, daß der Gedanke eigentlich der Ausläufer und nicht der Schöpfer der idealisierender Funktionen ist. Ich meine damit nicht, daß die Entwicklung des Gedankens vollständig erklärt werden kann, da ja das eine klare Einsicht in den allgemeinen Ursprung der relationalen Form bedeuten würde. Ich bezweifle, ob wir den Übergang zu ihr von dem Zustand des reinen Gefühls aus im einzelnen verfolgen und nachzeichnen können. Ich möchte aber trotzdem behaupten, daß manches Unterscheiden vor dem eigentlichen Denken liegt. Synthesis und Analysis beginnen beide in gleicher Weise als psychis~rößen; jede geht voran und wird dann in das Denken hinein spe~ialisiert und organisiert. Wenn dem aber so ist, ist der Gedanke nicht das Letzte. Er kann für keinen Zustand die alleinige Vaterschaft und einzige Quelle der Idealität für sich beanspruchen 1). 1)

Vergleiche damit auch Mind, Nr. 47.

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Wenn der Gedanke für eine primäre Funktion angesehen und von Anfang an in die Unterscheidung und Synthesis eingeschlossen wird, dann ist sogar bei dieser mißverstandenen Grundlage sein Abhängigkeitscharakter offenbar. Denn woher kommen denn die Verbindungen und Unterscheidungen, die ideellen Relationen, in denen der Gedanke sein Sein hat? Als partikulär bestehen sie mindestens teilweise in dem, was jeder besonders eigen ist und diese besonderen W esenheiten können mindestens zum Teil aus keiner möglichen Fähigkeit des Denkens abgeleitet werden. Die Relationen des Denkens müssen daher immer noch von etwas Empirischen abhängen. Sie sind zum Teil das Ergebnis der Wahrnehmung und nur psychische Prozesse. Wie wir schon sahen, muß der Gedanke daher auf diesen äußeren Materialien beruhen; und mögen wir ihn auch für noch so primär und ursprünglich ansehen, er ist trotzdem nicht unabhängig. Denn niemals kann er seine Inhalte in seine wesentlichen Funktionen aufnehmen. Mögen auch seine Verknüpfungen gewohnt und unbeobachtet sein und seine Folgerungen ohne einen Bruch dahingleiten; ja, mögen wir uns sogar in der Reflexion davon überzeugt fühlen, daß unsere besondere Denkordnung ein wahres System ist und mögen wir auch sicher sein, daß seine Verbindungen nicht auf einer bloßen Verknüpfung beruhen. Wenn wir aber danach fragen, ob dieses ideale System aus dem reinen Gedanken stammt oder ob man es aus ihm bestehen lassen kann, so muß die Antwort eine andere sein. Warum Verknüpfungen im einzelnen gerade so und nicht mehr oder weniger anders sind - das kann schließlich nicht durch eine Fähigkeit des Denkens erklärt werden. Wenn also auch das Denken an seinem Ursprung nicht sekundär ist, so bleibt doch sein Wesen so. In seinem ideellen Inhalt ist es ein Ergebnis aus rein psychischem Wachsturn, seine ideellen Verknüpfungen werden zum Teil vollständig vorher angenommen und nicht von ihm selbst hervorgebracht. Eine V erknüpfung, von der man annähme, sie wäre von ihm hergestellt, würde als eine Fiktion sogar nicht zugelassen werden. Daher sind auf Grund jeder psychologischen Ansicht diese Verbindungen ihm nicht innewohnend und wesentlich. Nach einer wahreren Ansicht wird aber, wie wir gesehen haben, der Gedanke sofort mit entwickelt. Er wächst aus den Vorgängen und besteht trotzdem in ihnen, die doch nicht von sich selber abhängen. Das Ergebnis kann folgendermaßen zusammengeiaßt werden: sicherlich sind alle Relationen ideal und ebenso sicher sind nicht alle Relationen Produkte des Denkens 1). 1) Wie eine sogenannte Fähigkeit zur Analysis entwickelt werden kann, habe ich mich in dem vorher angezogenen Artikel zu zeigen bemüht.

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Was nun den Willen angeht, so macht uns die Psychologie klar, daß dieser entwickelt wird und sekundär ist. Eine Vorstellung besitzt rein an sich keine Kraft, in ein Faktum überzugehen, auch gibt es keine Fähigkeit, deren Aufgabe es wäre, diesen Übergang zu vollziehen. Oder nimm einmal, um des Beweises willen an, daß eine solche Fähigkeit existiert, so fordern dennoch (wie schon bekannt) manche Vorstellungen eine äußere Beihilfe. Kurz, die Fähigkeit ist keine Funktion, wenn sie nicht ganz besonders hervorgerufen wird. Das aber, was den Willen macht oder mindestens sein V erhalten als solchen bestimmt, ist sicherlich eine Bedingung, von der das Wesen des Willens abhängig ist. Kurz, der Wille ist auf Assoziationen basiert, auf psychischen und physischen zugleich oder auch auf rein physiologischen Verknüpfungen. Er setzt sie voraus und durch sein Wirken umfaßt er sie zugleich, und daher sehen wir uns dazu gedrängt, sie als ein Teil seines Wesens anzusehen. Ich weiß wohl, daß die Theorien über das Wesen des Willens sehr mannigfaltig sind, es gibt aber doch einige, die ich nicht ernst zu nehmen mich für berechtigt halte. Denn jeder gesunde psychologische Wille muß physische und psychische Verbindungen voraussetzen, die sicherlich nicht Wille sind und muß auf ihnen beruhen. Es gibt auch keinerlei Stadium seines Werdens, bei dem der Wille diese vorausgesetzten Tätigkeiten in ein besonderes Wesen absorbiert hat. Damit kann aber der Wille sicherlich nicht als primär angesehen werden 1). Man kann wohl das Universum als ein Ganzes begreifbar nennen. Man mag darunter verstehen, daß es sich so vereinen kann, daß es die Ganzheitsforderungen eines vollkommenen Intellekts durch und durch realisieren kann. Jedes einzelne Element in der Welt ist dann auch verstehbar, weil es in ein Ganzes dieser Art aufgenommen und absorbiert wird 2 ). Das Universum ist aber nicht in dem Sinn verstehbar, daß es völlig verstanden werden könnte; wenn man auch von dem reinen Intellekt ausginge, könnte man seine Merkmale im einzelnen nicht vorwegnehmen. Denn, wenn das Ganze auf die Fragen des Intellekts Antwort gibt, ergänzt es und verbessert es seine charakteristischen Fehler so, daß der vollkommene Intellekt damit seine eigene besondere Natur verloren hat. Dieser Schluß gilt auch von jeder anderen Seite der Dinge. Keines von ihnen ist ') Ich habe die Fälle, wo das, was wirkt, hauptsächlich Verschmelzung ist, außer Betracht gelassen. Es ist klar, daß hier die gleiche Schlußfolgerung zu ziehen ist. 2 ) Ebenso ist es, wie ich schon in Kapitel 19 bemerkt habe. als ein unter· scheidbarer Inhalt verstehbar.

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als solches begreifbar, weil, wenn es das würde, es auch als solches zu sein aufhörte. Daher kam1 schließlich keine einzelne Seite der Welt erklärt werden, auch ist die Welt nicht als das Resultat einer oder aller Seiten zu begreifen. Wir haben diese Wahrheit schon anläßtich des Gedankens und Willens verifiziert. Der Gedanke ist nicht begreiflich, weil seine besonderen Funktionen nicht selbstevident sind und weil sie auch nicht als ihm immanente Teile abgeleitet oder aufgezeigt werden können. Derselbe Mangel gilt auch wieder vom Willen. Ich meine damit nicht nur, daß die besonderen Willensübergänge nicht intellektuell sind. Ich meine, daß sie nicht begreifbar sind, daß sie weder durch sich selbst einleuchtend noch in irgendeinem Sinn selbstevident sind. Sie sind mehr oder weniger bekannte Geschehnisse, enthalten aber niemals jedes für sich sein eigenes Wesen und die eigene Rechtfertigung. Jenes Wesen bleibt, wie wir gesehen haben, ein Faktum, das von außen bedingt ist und daher bleibt es auch zum Teil fremd. Es ist eine Täuschung, das Ganze als die Einheit von zwei oder mehr Faktoren zu erklären, wenn keines von ihnen als evident gilt und wenn der Weg, auf dem ihre Mannigfaltigkeit vereinigt wird, im einzelnen unbegreifbar bleibt. Bei diesem Resultat angelangt, ist es Zeit, daß wir weitergingen, aber ich fühle mich gedrängt noch etwas zu der behaupteten Suprematie des Willens zu bemerken. Wenn der Wille Realität ist, ist es erstens unsere Aufgabe, zu zeigen, in welcher Relation die Erscheinung zu dieser Grundlage steht. Nach unserem Mißerfolg wissen wir, daß eine unbekannte Einheit hinter dieser Relation steht und der Wille selber mußte die Stelle einer partiellen Erscheinung annehmen. Wenn wir aber die Eigenschaft des Willens ansehen, so ergibt sich auf jeden Fall offenbar derselbe Schluß. Das, was wir als Willen kennen, setzt eine Relation und einen Prozeß mit und damit einen ungelösten Widerspruch der Elemente. Die gleiche Bemerkung gilt von der Energie oder Aktivität oder von allem anderen dieser Art. Ich habe über diesen Begriff nun wirklich schon so oft gesprochen, daß ich ihn für geklärt halten muß. Man kann mir vielleicht sagen, daß diese Komplexität nur irgendwie Erscheinung des Willens ist, und daß der ·wille selber als real und Höchstes etwas anderes und davon Verschiedenes sei. Ist dem aber so, dann haben wir nochmals die Relation dieser Erscheinung zu dieser Realität vor uns. Davon ganz abgesehen ist ein solches Berufen auf einen Willen·an·sich eine Täuschung. Denn der uns bekannte Wille enthält den Prozeß und der uns unbekannte Wille hat kein Recht auf diesen Namen. Mag er ein nur physisches, zufälliges Geschehen

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sein oder eine metaphysische Realität bedeuten, in beiden Fällen haben wir ihn schon behandelt, soweit es erforderlich ist. Kurz, ein Appell an den Willen, ob in der Metaphysik oder der Psychologie, ist ein unkritischer V ersuch, um mit dem Unbekannten sein Spiel zu treiben. Es ist die Vortäuschung einer Begründung oder einer Erklärung, wo die Begründung nicht verstanden oder die Erklärung nicht enthüllt wird. Soweit es die Metaphysik angeht, kann vielleicht jemand mit einer solchen leeren Selbsttäuschung rechnen. Der reine Intellekt hat sich zur Erklärung aller Phänomene inkompetent erwiesen und so wird natürlich die Zuflucht zu der anderen Seite der Dinge genommen. Diese unbekannte Realität, die berufen ist, die Fehler des reinen Intellekts auszugleichen, wird blindlings mit der Seite identifiziert, die ihm am gegensätzlichsten zu sein scheint. Aber eine unbekannte Realität, die mehr als der Intellekt ist, ein Etwas, das im Willen und in jeder Erscheinung auftritt, ja sogar im Intellekt selber - eine solche Realität ist nicht Wille oder irgendeine andere partielle Seite der Dinge. Wir haben uns in Wirklichkeit auf die vollständige und alles umfassende Totalität, die frei von Einseitigkeit und jedem Mangel ist, berufen. Wir haben diese Wille genannt, weil wir im Willen keinen Mangel partikulärer Art finden. Eine solche Prozedur ist aber unlogisch. Man kann vielleicht einen V ersuch zur Verteidigung des Primats des Willens von einer anderen Seite aus machen. Man kann behaupten, daß alle Prinzipien und Axiome schließlich praktisch sein, und demgemäß Ausdrucksformen des Willens heißen müssen. Eine solche Behauptung wäre aber ein Mißverständnis. Axiome und Prinzipien sind der Ausdruck verschiedener Seiten unserer Natur und meistens können sie bestimmt nicht als praktisch angesehen werden. In unseren mannigfaltigen Haltungen, der intellektuellen, ästhetischen und praktischen stecken bestimmte Erfahrungsformen, die uns Befriedigung gewähren. In diesen Formen können wir ruhen, wogegen ihr Fehlen uns Unlust, Unrast und Sehnsucht bringt. Wir können diese Haltungen natürlich unterscheiden und sie als Ideale aufstellen und wir können sie ebenso zu Zielen und Aufgaben unseres Willens machen. Eine solche Relation zu unserem Willen ist aber ihrer Natur nicht inhärent, es sei denn bei der moralischen Zielstrebigkeit. Faktisch würde die Antwort, daß die Prinzipien gewollt werden, weil sie sind, wahrer sein als die Behauptung, daß sie gerade darum sind, weil sie gewollt werden. Der mögliche Einwurf, daß sie trotz alledem Objekte für den Willen sind, ist schon früher vorausgenommen worden (p. 390 ). Ein Beweis in gleicher Richtung würde augenscheinlich zeigen, daß die Intelligenz das oberste ist~ da sie auf den

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Willen und auf jede andere Seite der Welt reflektiert. Mit diesen flüchtigen Bemerkungen muß ich die behauptete Vorherrschaft des Willens endgültig erledigen. Diese muß immer ein trübes Refugium für die unklaren Philosophen bleiben. Aber deren Ansprüche erscheinen nur solange plausibel, wie sie Dunkelheit umhüllt. Sie sind offenbar absurd, wenn sie es nicht vorziehen, nur unverständlich zu sein. Wir haben gefunden, daß keine einzige Seite der Erfahrung als solche real ist. Keine ist primär oder keine kann als Erklärung der anderen oder des Ganzen dienen. Sie sind alle gleicherweise Erscheinungen, alle einseitig und gehen über sich selbst hinaus. Man kann mich aber fragen, warum, wenn ich das eingestehe, wir sie Erscheinungen nennen sollen. Denn ein solcher Begriff kommt von Rechts wegen nur der Wahrnehmungsseite der Dinge zu und diese ist, worin wir einig sind, nur eine unter anderen. Erscheinen ist, so kann man mir sagen, nur für einen Wahrnehmenden möglich und eine Erscheinung hat doch auch eine Beurteilung und Ablehnung in sich. Jeh könnte sicherlich dagegen fragen, ob nicht alle mitgesetzten Vergleiche so gepreßt werden müßten und wieviel Ausdrücke und Begriffe uns dann noch blieben. Aber im Fall der Erscheinung gebe ich zugleich zu, daß der Einwurf seine Wirkung hat. Ich bin der Ansicht, daß dieser Begriff zweifellos eine Seite des Bemerkens und Beurteilens enthält und gebe vollkommen zu, daß eine solche Seite nicht überall existiert. Denn wenn wir schließen, daß alle Phänomene durch psychische Zentren hindurchgehen, so ist dennoch in diesen Zentren ganz sicher nicht jedes Wahrnehmung. Und die Annahme, daß irgendwie im Ganzen alle Phänomene beurteilt werden, wäre auch nicht zu halten. Kurz, wir müssen zugeben, daß manche Erscheinungen in Wirklichkeit nicht erscheinen und daß daher in der Anwendung unseres Begriffes eine Lizenz enthalten ist. Unsere Haltung in der Metaphysik muß auf jeden Fall theoretisch sein. Es ist hier unsere Aufgabe, die verschiedenen Seiten der Welt zu messen und zu beurteilen. Daher erhält für uns etwas, das beim Vergleich mit der Realität zurücksteht, den Namen Erscheinung. Wir behaupten aber nicht, daß das Ding immer selbst eine Erscheinung ist. Wir meinen, sein Charakter ist so, daß es eine wird, sobald wir es beurteilen. Und dieser Charakter ist, wie wir durch das ganze Werk gesehen haben, Idealität. Erscheinung besteht in der Trennung des Inhalts von der Existenz; und auf Grund dieser Selbstentfremdung wird jede endliche Seite eine Erscheinung genannt. Wir haben gefunden, daß überall in der ganzen Welt eine solche Idealität überwiegt. Alles, was geringer als das

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Ganze ist, hat sich als nicht in sich geschlossen erwiesen. Ein solches Sein schließt in seiner wahren Wesenheit eine Relation nach außen in sich und ist dadurch innerlich durch ein Äußeres beeinflußt. Überall ist das Endliche sich selbst transzendent~ ist sich selbst entfremdet und geht von sich aus zu einer anderen Existenz über. Daher ist das Endliche Erscheinung, weil es auf der einen Seite ein Adjektiv der Realität und auf der anderen Seite ein Adjektiv ist, das selber nicht real ist. Wenn der Begriff so definiert wird, ist seine Anwendung bestimmt unschädlich. Wir haben uns in diesem Kapitel bisher hauptsächlich mit einer Ablehnung beschäftigt. Alles ist Erscheinung und keine Erscheinung und keine Verbindung von solchen ist soviel wie Realität. Dies ist zur Hälfte eine Wahrheit und für sich genommen ist es ein gefähricher Irrtum. Wir müssen dies sofort korrigieren, indem wir das Gegenstück und die Ergänzung hinzufügen. Das Absolute ist seine Erscheinungen, es ist in Wirklichkeit alle und jede einzelne von ihnen. Dies ist die andere Hälfte der Wahrheit, die wir schon behauptet haben, und die wir hier noch einmal betonen müssen. Wir wollen uns hierbei an ein verhängnisvolles Mißverständnis erinnern. Wenn du nämlich die Erscheinungen, jede für sich oder zusammen nimmst und ohne weiteres behauptest, daß das Absolute entweder eine einzige von ihnen oder sie alle sei - dann ist die Lage hoffnungslos. Während du sie zuerst als Erscheinung erklärt hast, verkündest du sie nun als das gerade Gegenteil; denn das, was mit dem Absoluten identifiziert wird, ist keine Erscheinung, sondern ist ganz und gar Realität. Wir haben aber die Lösung dieser V erwicklung erkannt und wir kennen den Sinn und die Bedeutung, in dem diese Halbwahrheiten sich zu einer ganzen Wahrheit vereinigen. Das Absolute ist jede Erscheinung und ist sie alle, ist aber keine einzige als solche. Es ist auch nicht jede in gleichem Maß, sondern eine Erscheinung ist realer als die andere. Kurz, die Theorie der Stufen in der Realität und Wahrheit ist die fundamentale Antwort auf unser Problem. Alles ist wesentlich und dennoch ist das eine Ding wertlos im V ergleich zu einem anderen. Nichts ist als solches vollkommen und dennoch enthält alles in einem gewissen Grade eine vitale Funktion der Vollkommenheit. Jede Erfahrungshaltung, jede Sphäre oder Stufe der Welt ist ein notwendiger Faktor im Absoluten. Jede genügt auf ihre eigene Weise, solange sie nicht mit einer höheren als sie selber verglichen wird. Daher ist die Erscheinung, wenn du willst, ein Irrtum, aber nicht jeder Irrtum ist eine Illusion 1 ). 1)

Über den Unterschied zwischen beiden s. Kap. 27.

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In jedem Stadium wird das Prinzip des Höheren mitgesetzt und jedes Stadium (darum ist es ein wahres) ist schon widerspruchsvoll. Anderseits aber, für sich genommen und an seinen eigenen Begriffen gemessen, besitzt jede Stufe Wahrheit. Wir können sagen, sie befriedigt ihre eigenen Ansprüche und erweist sie nur dann als irrtümlich, wenn sie es mit dem versucht, was über sie hinaus liegt. So ist das Absolute immanent das gleiche durch jedes Gebiet der Erscheinungen hindurch. Es gibt Stufen und Rangordnungen, aber die einzelne ist so unentbehrlich wie alle. Wir können kein Gebiet der Welt finden, das so gering wäre, daß nicht das Absolute in ihm wohnte. Es gibt sogar nirgends ein so fragmentarisches und dürftiges Faktum, daß es dem Universum gleichgültig wäre. In jeder noch so falschen Vorstellung steckt Wahrheit, in jeder noch so geringen Existenz Realität; und wo wir auf die Realität oder Wahrheit hinweisen können, dort ist das eine ungeteilte Leben des Absoluten zu finden. Erscheinung ohne Realität wäre unmöglich; denn was könnte dann erscheinen? Und Erscheinung ohne Realität wäre nichts, denn es gibt bestimmt nichts außer den Erscheinungen. Aber anderseits (wir müssen das wiederholen) ist die Realität nicht die Summe der Dinge. Sie ist die Einheit, in der alle Dinge sich sammeln, und in der sie verwandelt werden, in der sie sich alle in gleicher Weise, wenn auch nicht in gleichem Grade verändern. Wie wir erkannt haben, werden in dieser Einheit die Relationen der Isolierung und Feindlichkeit bestätigt und absorbiert. Diese sind ebenso im Ganzen harmonisch, wenn auch natürlich nicht als solche harmonisch und nicht so lange sie einzeln auf ihre gegeneinander abgesonderte Naturen beschränkt sind. Daher wäre es ein Zeichen von Blindheit, wollte man als Einwand gegen unsere Ansicht behaupten, daß der Widerspruch hierzu in der Häßlichkeit und im bewußten Bösen zu finden sei. Das Extrem "Feindseligkeit" bedeutet eine intensivere Relation und diese Relation spielt sich innerhalb des Ganzen ab und bereichert seine Einheit. Der offenbare Zwiespalt und die Auseinandertrennung wird ins Harmonische überwunden und ist nur die Bedingung einer volleren und individuellereD Entfaltung. ·wir können aber kaum vom Absoluten als häßlich oder böse sprechen. Das Absolute ist in der Tat in gewissem Sinn böse und häßlich und falsch, aber der Sinn, in dem diese Prädikate angewandt werden können, ist zu gezwungen und unnatürlich. Jedes Prädikat auf das Ganze angewandt wäre das Ergebnis einer unhaltbaren Trennung, ein isoliertes Fragment und an sich ohne bündigen Sinn. Häßlichkeit, Böses und Irrtum sind in ihren einzelnen Sphären subordinierte Merkmale. B r a dIe y, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Sie bedeuten Unterscheidungen, die sich in jedem Fall innerhalb einer einzigen unterworfenen Provinz im Königreich des Absoluten ab!lpielen; und sie haben auf jeden Fall eine Relation zu einem Element in sich, das nach einem höheren, wenn auch begrenzten Ganzen strebt. Innerhalb dieser kleineren Ganzen bezieht das Gegensätzliche sein Leben von einem System, das trägt und wird von ihm auch überwältigt. Die Prädikate, böse, häßlich und falsch müssen daher allem, was sie qualifizieren, das Gepräge eines bloß subordinierten Merkmals verleihen, eines Merkmals, das zum Bereich der Schönheit, des Guten oder der Wahrheit gehört. Eine solche Eigenschaft dem souveränen Absoluten zuzuschreiben, wäre offenbar absurd. Du magst behaupten, daß das Absolute Häßlichkeit, Irrtum und Böses besitzt, da ihm Provinzen zugehören, in denen diese Merkmale Teilelemente sind; aber zu behaupten, daß es eines seiner eigenen fragmentarischen und abhängigen Einzelheiten sei, wäre unzulässig. . Nur mit einer gewissen Lizenz können die Subjektsysteme, sogar wenn wir sie als Ganzes betrachten, zu Qualitäten der Realität werden. Nur unter der Voraussetzung einer Korrektur und Toleranz bestimmen wir das Universum als schön, moralisch oder wahr. Weiteres zu riskieren wäre unnütz und gefährlich zugleich. Wenn du das Absolute für durchaus moralisch hältst, dann ist das Absolute gut. Es kann dann nicht ein einzelner im Guten enthaltener und von ihm übertroffener Faktor sein. Auf die gleiche Weise kann das Absolute, in Beziehung auf die Logik oder Ästhetik gesehen, nur wahr oder schön sein. Nur wenn du es so bestimmt hast und solange du auf diesen überwiegenden Merkmalen ständig beharrst, kannst du überhaupt die Begriffe der Falschheit und Häßlichkeit anwenden. Werden sie so gebraucht, dann ist ihre direkte Anwendung auf das Absolute unmöglich. Das höchste Universum mit einem solchen partiellen System zu identifizieren mag für manche Zwecke zulässig sein. Es aber als den einzigen Charakter innerhalb dieses Systems und als ein Merkmal, das immer überwunden und dort als solches unterdrückt wird, anzusehen wäre, wie wir gesehen haben, völlig ungerechtfertigt. Häßlichkeit, Irrtum und Böses gehören alle zum Absoluten und tragen alle wesentlich zu seinem Gedeihen bei. Wir können allgemein sagen, das Absolute hat kein Guthaben jenseits der Erscheinungen; aber hätte das Absolute auch allein bei den Erscheinungen Kredit, so wäre es bankrott. Denn sie sind alle in gleicher Weise ohne Verwandlung wertlos. Aber anderseits unterscheiden sich in hohem Maße die Erscheinungen in ihren Stufen der Wahrheit und Realität, da der Grad ihrer

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Veränderung in jedem Fall verschieden ist. Es gibt Aussagen, die im V ergleich zu anderen falsch und unreal sind. Es wäre nun die Aufgabe der Metaphysik, den Bereich der Erscheinungen zu überschauen, jede an der Idee der vollkommenen Individualität zu messen, sie in einer Ordnung und einem System nach Realität und V er dienst zu gruppieren. Diese Aufgabe wird (das möchte ich wiederholen), nicht auf diesen Seiten versucht. Ich habe mich hier, wie schon früher bemüht, das fundamentale Prinzip zu erklären und hervorzuheben. Nun möchte ich weitergehen und einige Punkte von Interesse erläutern. Es gibt bestimmte Probleme, die wir auf diesem Stadium zu erklären hoffen dürfen. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit noch einmal auf die Natur oder die physische Welt lenken. Sollen wir bestätigen, daß Ideen Kräfte sind und daß Absichten in ihr wirken und Bewegung hervorbringen. Ist ferner die Natur schön und ein Ziel möglicher Gottesverehrung? Über diesen letzten Punkt, den ich zuerst betrachten will, herrscht eine ernstliche Verwirrung. Wie wir sahen, kann Natur in verschiedenem Sinn gemeint sein (Kap. 22). Wir können darunter das ganze Universum, oder auch nur die Welt im Raum verstehen oder wir können uns auch auf einen noch viel engeren Sinn beschränken. Wir wollen zuerst alles nach unserer Meinung nur Psychische beseitigen und den abstrakten Rest - die primären Qualitäten - mit der Natur identifizieren. Diese werden dann insofern das Wesen sein, als alles Übrige zufälliges Adjektiv und in vollstem Sinn immateriell ist. Wir haben nun gefunden, daß die so verstandene Natur nur geringe Realität hat. Sie ist eine ideale, für die Wissenschaft notwendige Konstruktion und eine benötigte Arbeitsfiktion. Wir können hinzufügen, daß die Reduktion auf ein Ergebnis und ein partikuläres Stadium dieser Fiktion das ist, was streng genommen mit einer physischen Erklärung gemeint wird. Aber auf diese Weise kommt eine große Verwechslung zustande. Denn das Objekt der Naturwissenschaften ist die vollständige Welt in all ihrem empfindungsmäßigen Glanz, während das Wesen der Natur in dieser armseligen Fiktion primärer Qualitäten liegt, eine Fiktion, von der man glaubt, daß sie kein Begriff, sondern ein festes Faktum sei. Solange die Natur unerklärt bleibt, steht sie in ihrem sinnlichen Glanz, während sie, erklärt, auf diese ärmliche Abstraktion zurückgeführt worden wäre. Auf der einen Seite wird das Wesen - die endgültige Realität - in der Gestalt eines bloßen Skeletts primärer Qualitäten hingestellt; auf der anderen bleibt der grenzenlose Überfluß des Lebens bestehen, der sich überall endlos vor unseren Augen darbietet. 26*

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Diese beiden Extreme werden dann miteinander verwechselt oder durch eine bloße Dunkelheit oder zielloses geistiges Schwanken verbunden. Wenn die Erklärung Fakten auf Adjektive von etwas zurückführt, das sie überhaupt nicht qualifizieren, so scheint die ganze Verbindung unlogisch zu sein, und der Vorgang beraubt uns der Fakten. Wenn aber das primäre Wesen trotzdem qualifiziert wird, dann wird sein Charakter verändert. Die Erklärung wird bei ihrer Rückführung des Konkreten nunmehr auch das Abstrakte bereichert und individualisiert haben, und wir werden auf unserem Wege in der Richtung auf die Philosophie und Wahrheit vorwärts gekommen sein. Von diesem letzteren Ergebnis kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Daher müssen wir in einem Schwanken ohne einen V ersuch zu einer geistigen Einheit der Anschauung enden. Die Natur ist auf der einen Seite jener Schein, dessen Realität nur in den primären Qualitäten liegt. Anderseits ist sie jene endlose Welt empfindungsmäßigen Lebens, das sich an unser Mitempfinden wendet und uns Bewunderung abzwingt. Sie ist das von dem Dichter und dem beobachtenden Naturkundigen geliebte und gelebte Objekt. Wenn wir von Natur sprechen, haben wir oft keine Vorstellung, welches von diesen beiden Extremen oder ob überhaupt etwas Tatsächliches darunter zu verstehen sei. Wir gehen faktisch je nach der Lage unbewußt von einem Extrem zum anderen. Ich will dies Resultat kurz auf die uns vorliegende Frage anwenden. Ob die Natur schön und verehrungswert ist, wird völlig von dem Sinn abhängen, in dem sie genommen wird. Wenn die ursprüngliche Realität der Natur bloße primäre Qualitäten sind, dann kann ich mir nicht denken, daß eine solche Frage ernstlicher Erörterung bedarf. Mit einem Wort, die Natur wird tot sein. Sie könnte höchstens eine Art Symmetrie besitzen; auch könnte sie durch ihre Größe oder ihre praktische Beziehung zu unseren Schwächen und Nöten Gefühle bestimmter Art in uns erregen. Diese Gefühle würden aber erstens sich absolut in uns selber abspielen. Sie könnten vernünftigerweise nicht auf die Natur angewandt werden und sie auch nicht im Mindesten qualifizieren. Zweitens würden diese Gefühle in unseren Herzen kaum die Gestalt von Verehrung annehmen. Wenn daher von der Natur als dem Objekt der Naturwissenschaften behauptet wird, sie sei schön oder wenn sie als göttlich vor uns hingestellt würde, so könnten wir wohl bald unsere Antwort geben. Wenn die Realität des Gegenstandes auf die primären Qualitäten beschränkt werden muß, würde sicherlich niemand die erwähnten Ansprüche verteidigen. Wenn auch die ganze wahrnehmbare Welt und ihr Nimbus ursprünglich real sein soll und wenn dieser Glanz

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und das Leben zum wahren Wesen der Natur gehören, dann ergibt sich aber auch eine Schwierigkeit in zwei Richtungen. Erstens muß dieser Anspruch von der Naturwissenschaft selber gestattet werden. Das Psychische muß mindestens als der Materie gleichwertig in der Realität angenommen werden. Die Relation zum Organismus und zur Seele muß in dem vitalen Sein eines physischen Objekts mit gegeben sein. Die erste Schwierigkeit wird darin bestehen, bis zu diesem Punkt vorzustoßen. Die zweite Schwierigkeit wird sofort auftreten, wenn dieser Punkt erreicht ist. Denn wenn wir soweit gekommen sind, müssen wir es rechtfertigen, warum wir es ablehnen, weiter zu gehen. Denn warum muß die Natur auf die wahrnehmbare Welt beschränkt werden? Wenn das Psychische und das "Subjektive" in einem gewissen Grade an ihrer Realität teilhaben soll, auf Grund welchen Prinzips kannst du dann die höchste und geistigste Erfahrung ausschalten? Warum ist dann die von dem Maler, Dichter und Seher geschaute Welt nicht ihrem Wesen nach real? So wird aber die Natur schließlich das gesamte Universum von Geist und Materie werden. Unsere Hauptfolgerung muß bis hierher also etwa diese sein: Es ist ersichtlich unnütz, solche Fragen an das Objekt der Naturwissenschaft zu stellen, wenn du nicht einmal bei dir festgestellt hast, was das Objekt ist und wenn du kein Prinzip vertrittst, auf Grund dessen du entscheiden kannst, worin die Realität des Objekts besteht. Wenden wir uns aber von dieser Verwirrung ab und treten wir noch einmal an das Problem von einer meiner Meinung nach rationaleren Grundlage aus heran. Ich will eine kurze Antwort zu geben versuchen. Von den besonderen Merkmalen und Grenzen des Schönen in der Natur kann ich nicht reden. Ich kann auch nicht erörtern, wieweit und in was für einem Sinn die physische Welt in dem wahren Objekt der Religion mitgesetzt ist. Das sind besondere Untersuchungen, die nicht der Absicht dieses Werkes entsprechen. Ob aber die Natur überhaupt schön oder verehrungswürdig ist und ob sie solche Attribute tatsächlich und in Wahrheit besitzt, - auf die so allgemein gestellte Frage können wir antworten: Ja. Wir haben gesehen, daß die Natur, als bloße Materie angesehen, eine rein zweckdienliche Abstraktion ist (Kap. 22). Die Hinzufügung von sekundären Qualitäten, die mitgesetzte Relation zu einem Körper und einer Seele, macht die Natur konkreter und damit realer 1 ). Ich halte es nicht für notwendig, hier jede nötige Qualifikation, die von Teilen der Natur benötigt und als nicht wahrgenommen betrachtet wird, zu wiederholen. Ich habe darüber in den Kapiteln 22 und 24 genügend gesagt. 1)

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Ohne das Empfindungsleben, die Wärme und Farbe, den Geruch und die Töne, ohne alles das, ist Natur nur eine rein intellektuelle Fiktion. Die primären Qualitäten sind eine von der Wissenschaft geforderte Abstraktion, aber solange sie von den sekundären getrennt sind, haben sie kein Leben als Fakten. Die Wissenschaft hat einen Hades, von dem sie zur Erklärung der Welt zurückkehrt, aber die Einwohner ihres Hades sind nur Schatten. Und wenn auch die sekundären Qualitäten hinzugefügt werden, bleibt die Natur, obwohl sie realer ist, dennoch unvollständig. Wo bleiben die Freuden und Sorgen ihrer Kinder, ihre Affekte und Gedanken - wie kommen wir dazu, zu behaupten, daß diese keinen Anteil an der Realität der Natur haben? Die Begrenzung durch ein Prinzip wäre widersinnig (außer für einen beschränkten Kopf), zu mal unser Hauptprinzip behauptete, daß die Natur, je vollständiger, je realer würde. Dasselbe Prinzip wird uns noch zu einem weiteren Schluß bringen. Die Erregungen, die in der betrachtenden Seele durch die Natur hervorgerufen werden, müssen mindestens teilweise als Attribute der Natur auf sie bezogen und dafür gehalten werden. Wenn es keine Schönheit gäbe und wenn es ihr Sinn wäre, irgendwo außerhalb sich abzuspielen, warum sollte es dann schließlich überhaupt irgendwelche Qualitäten in der Natur geben? Wenn kein emotionaler Ton die Natur qualifizieren soll, wie und auf Grund welchen Prinzips können wir dann überhaupt irgendetwas anderes ihr zuschreiben. Alles ohne Ausnahme ist, wenn wir die Sache so nehmen, hier "subjektiv"; und ein emotionaler Ton kann allein aus diesem Grunde von der Natur nicht ausgeschlossen werden. Anders gesehen, warum sollte er nicht Realität wie eine ursprüngliche Qualität haben? Ich für meine Person muß demselben Prinzip folgen und kann die neue Konsequenz annehmen. Die Natur, in der wir wohnen und die wir lieben, ist in Wirklichkeit Natur. Ihre Schönheit, ihr Schrecken und ihre Majestät sind keine Illusion, sondern qualifizieren sie wesentlich. Daher ist das, woran wir alle in unseren besten Momenten glauben müssen, buchstäblich Wahrheit. Dies Ergebnis braucht noch eine Qualifikation von einer anderen Seite. Es ist sicher, daß alles durch die Relationen, in denen es steht, bestimmt wird. Es ist gewiß, daß mit der Zunahme der Bestimmungen etw,as mehr und mehr realer wird. Anderseits wäre etwas vollständig Bestimmtes das Absolute selber. Es gibt nun einen Punkt, bei dem das Anwachsen der Realität einen Schritt über das Ich hinaus bedeutet. Ein Ding wird durch die Vergrößerung ein bloßer Faktor in dem nächsten über ihm stehenden Ganzen; und schließlich hören alle Provinzen und alle relativen Ganzen auf, ihre

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Sondercharaktere zu bewahren. Wir dürfen dies nicht vergessen, solange wir die Realität der Natur betrachten. Durch das graduelle Anwachsen dieser Realität kommst du zu einem Stadium, bei dem die Natur als solche absorbiert wird. Oder, wenn du über die Natur reflektierst, so identifiziert dein Objekt sich selbst graduell mit dem Universum oder Absoluten. Die Frage erhebt sich nun: bei welchem Punkt haben wir aufgehört, mit der Natur in einem eigentlichen Sinn jenes Begriffs zu operieren, wenn wir psychisches Leben oder geistige Attribute der Natur hinzuzufügen beginnen. Wo gehen wir von der Natur als einer außenliegenden Provinz im Reich der Dinge zu einer Natur über, die ein einer höheren Einheit unterworfenes Element ist? Diese Untersuchungen werden von der Philosophie gefordert und ihr Ergebnis würde zu klareren Schlüssen über die Qualitäten der Natur führen. Ich kann sie hier nur streifen, und die Folgerung, die ich behaupte, kann in der Hauptsache unabhängig davon gezogen werden. Nichts geht dem Absluten verloren und alle Erscheinungen haben Realität. Die von dem Beobachter, dem Dichter und Maler studierte Natur ist in allihrer empfindungsmäßigen und emotionalen Fülle eine wahre reale Natur. Sie ist nach den meisten Richtungen hin realer als das strenge Objekt der Naturwissenschaft. Denn Natur, als die Welt, deren reales Wesen in primären Qualitäten liegt, hat keinen hohen Grad an Realität und Wahrheit. Sie ist eine bloße, für einen bestimmten Zweck gemachte und nötige Abstraktion. Das Objekt der Naturwissenschaft mag dieses Skelett sein oder auch ein Skelett, wie es durch das Fleisch und Blut der sekundären Qualitäten real geworden ist. Bevor wir daher von den Gefühlen handeln, die die Natur in uns hervorruft, wäre es besser, wir wüßten, in welchem Sinn wir diesen Begriff gebrauchen. Die Grenze der Natur kann aber kaum schon bei den sekundären Qualitäten gezogen werden. Oder wenn wir sie dort ziehen, dann muß es willkürlich geschehen und nur aus Zweckmäßigkeit sich ergeben. Nur auf dieser Grundlage kann psychisches Leben von der Natur ausgeschlossen werden, während sonst die Ausschließung nicht haltbar wäre. Die Leugnung ästhetischer Qualitäten in der Natur oder die Ablehnung derjenigen, die uns mit Furcht oder Verehrung erfüllen, wäre sicherlich wiederum willkürlich. Es wäre dies eine Trennung, die für einen reinen theoretischen Arbeitszweck eingeführt worden wäre. Unser Prinzip, daß das Abstrakte das Unreale ist, bewegt sich ständig aufwärts. Es zwingt uns zur Ablehnung rein primärer Qualitäten und drängt uns schließlich dazu, der Natur mit samt unseren höheren Gefühlen Glauben zu schenken. Dieser Vorgang kann nur dort aufhören, wo die Natur

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vom Geist völlig absorbiert wird; denn in jedem Stadium des Vorganges sehen wir sie an Realität zunehmen. Diese höhere Ausdeutung und unter Umständen eintretende Transzendenz der Natur .führt uns zur Erörterung eines anderen schon erwähnten Punktes. Können wir nur bei endlichen Seelen und nur beim Willen annehmen, daß Ziele in der Natur wirken und ist die Idealität dort in irgendeinem anderen Sinn wirkende Kraft? ·wieweit ein solcher Gesichtspunkt in der Ästhetik oder der Religionsphilosophie erlaubt sein mag, werde ich nicht untersuchen. Wenn wir aber die physische Welt als ein reines System von Erscheinungen im Raum betrachten, müssen wir dann aus metaphysischen Gründen das Ungenügende der mechanistischen Anschauung behaupten? In welcher Form (wenn überhaupt) dürfen wir eine Naturphilosophie verteidigen? Über diesen schwierigen Gegenstand will ich kurz im Vorübergehen einiges bemerken. Die mechanistische Anschauung ist als eine vollgültige Ansicht der Wahrheit durchaus absurd. Eine so angesehene Natur hat nicht überhaupt (sozusagen) aufgehört ideal zu sein, aber ihre Idealität spielt sich vollkommen irgendwo ganz außer ihr selbst ab (Kap. 22 u. 23). Ja, ich kann nicht einmal behaupten, daß diese Anschauung für Arbeitszwecke überall streng aufrechterhalten werden kann. Nur eines ist mir nicht zweifelhaft. Jeder Einzelwissenschaft muß die Freiheit, ihren eigenen Methoden zu folgen, gelassen werden, und wenn die Naturwissenschaft jede Erklärungsart nichtmechanistischer Natur ablehnt, so ist das keine Angelegenheit der Metaphysik. Ich für meine Person kenne mich in anderen Methoden nicht aus und wage anzunehmen, daß diese Wissenschaften ihre Sache selber verstehen. Wo aber, ganz abseits von dem Ziel einer Einzelwissenschaft Behauptungen aufgestellt werden, dort mag der Metaphysiker protestieren. Hier kann er behaupten, daß Abstraktionen nicht Realitäten sind und daß Arbeitsfiktionen niemals mehr als nützliche Wahrheitsfragmente sind. Ebenso kann ein anderer Punkt Beachtung beanspruchen. Nur ein einziges Prinzip gültiger Erklärung anzunehmen und zu behaupten, daß, wenn Phänomene erklärbar sind, sie nach einer einzigen Methode erklärt werden müßten, - das bedeutet natürlich, für jede Wissenschaft kompetent sein. Es ist aber ein ander Ding, Phänomene als schon erklärt hinzustellen oder als nur erklärbar zu behaupten, wobei sie nach gewissen Seiten oder in bestimmten Gebieten selbstverständlich noch nicht erklärt werden, und wobei vielleicht nicht einmal der erste Anfang zu einer Erklärung gemacht worden ist. Bei solchen Schritten oder Ausflügen über ihre eigenen

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Grenzen hinaus hat die Naturwissenschaft keine Rechte. Aber innerhalb ihrer Grenzen wird meiner Meinung nach jeder kluge Mann ihr Recht als geheiligt ansehen. Die Frage nach der Wirksamkeit von Zwecken in der Natur ist eine, die meiner Meinung nach die Metaphysik unberührt lassen sollte. Danach bleibt also für die Metaphysik keine positive Aufgabe, deren Erfüllung eine Philosophie der Natur heißen könnte? Ich will das Gebiet, das für eine solche Beschäftigung in Frage käme, kurz umreißen. Alle Erscheinungen stellen für die Metaphysik Stufen der Realität dar. Wir haben eine Idee der Vollkommenheit oder der Individualität; und da wir finden, daß jede Form der Existenz diese Idee vollständiger realisiert, schreiben wir ihr dementsprechend ihre Stellung auf der Skala des Seins zu. Auf dieser Skala überschreitet die niedere sich selbst und geht in eine höhere ein, sobald ihre Mängel ausgeglichen werden. Das Endziel oder die absolute Individualität ist ebenso der Ursprung. Von Anfang an vorhanden, legt es zuerst Zeugnis von seinen inferioren Stadien ab und da diese in vollständigere Ganze eingeschlossen werden, wächst diese Grundlage an Realität. Kurz, die Metaphysik kann der Vollendung und dem Fortschritt einen Sinn geben. Wenn daher die Metaphysik aus den Wissenschaften die mannigfaltigen Arten natürlicher Erscheinungen aufnehmen und diese Arten in eine Ordnung nach Verdienst und Rang einreihen wollte, wenn sie darstellen könnte, wie in jeder höheren Stufe die Mängel der niederen wieder gutgemacht werden und wie das Prinzip der niederen Stufe in der höheren aufgehoben wird dann hätte sie sicherlich zur Deutung der Natur beigetragen. Wenn ich für meine Person völlig außerstande bin, bei einem solchen Werk auch nur zu helfen, so sehe ich doch nicht ein, wie und aus welchem Grunde das unwissenschaftlich sein sollte. Es ist zweifellos absurd, sich den Schein systematischer Allwissenheit zu geben. Es ist noch schlimmer als absurd, seinen Spott an der Einzelforschung und der Enge eines eifrigen Spezialistentums auszulassen. Wenn man aber von Zeit zu Zeit den Ergebnissen der Wissenschaften ein System zu geben und sie nach einem scheinbar wahren Wertprinzip zu ordnen versucht, so kann das kaum unvernünftig sein. Eine solche Philosophie der Natur könnte sich, wenn sie wenigstens gegen sich selber ehrlich wäre, nicht in das Gebiet der Naturwissenschaft eindrängen. Denn sie würde sich ohne weiteres völlig und in jeder Form von der Spekulation über den Ursprung fernhalten. Wie sich die verschiedenen Stadien des Fortschritts in der Zeit allmählich vollziehen, in welcher Reihe oder welchen Reihen sie folgen und aus was für Gründen in jedem besonderen Fall, solche Untersuchungen

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würden als solche die Philosophie nichts angehen. Mit einem Wort ihr Begriff von Evolution und Fortschritt wäre nicht zeitlich. Daher könnte ein Konflikt mit den Wissenschaften über irgendeine Frage der Entwicklung oder Ordnung eigentlich gar nicht entstehen. "Höher" und "niedriger" sind Begriffe, die immer eine Norm und ein Ziel in sich schließen; sie würden, in der Philosophie angewandt, nur einen Rang bezeichnen. Der Naturwissenschaft stände es wie jetzt immer noch frei, solche Begriffe nach Belieben zu gebrauchen oder zu mißbrauchen und ihnen den Bedeutungsgrad zuzulegen, den sie für zweckmäßig hält. Fortschritt hätte für die Philosophie niemals einen zeitlichen Sinn und es würde gar nichts ausmachen, wenn das Wort irgendwo anders wenig oder dasselbe bedeuten würde. Mit diesen kurzen Bemerkungen muß ich einen Gegenstand verlassen, der ernste Aufmerksamkeit verdient. In einer vollständigen Philosophie würde die ganze Erscheinungswelt sich als ein Fortschritt erweisen. Sie würde sich als die Entfaltung eines Prinzips darstellen, wenngleich nicht als ein zeitliches Nacheinander. Jede Sphäre der Erfahrung würde an der absoluten Norm geme~Jsen werden und man gäbe ihr einen Rang, der ihren eigenen relativen Verdiensten und Mängeln entspräche. Auf dieser Skala würde reiner Geist das von der leblosen Natur am weitesten entfernte Extrem bezeichnen. Bei jeder neuen aufsteigenden Stufe dieser Skala würden wir mehr von dem ersten Charakter und weniger von dem zweiten finden. Das Geistesideal ist sozusagen dem Mechanismus direkt entgegengesetzt. Geist ist eine Einheit des Mannigfaltigen, in der die Äußerlichkeit des Mannigfaltigen völlig aufgehört hat. Das Universale ist hier in den Teilen immanent und sein System liegt nicht irgendwo außerhalb und nicht in den Relationen zwischen ihnen. Es liegt über der relationalen Form und hat sie in einer höheren Einheit, einem Ganzen, in dem es keine Trennung zwischen den Elementen und Gesetzen gibt, absorbiert. Da dieses Prinzip sich von Anfang an in den Inkonsequenzen des reinen Mechanismus zeigt 1), können wir wohl sagen, daß die Natur durch den Geist zugleich realisiert und verwandelt wird. Aber wir müssen hinzufügen: keines der beiden Extreme hat eine Existenz als Faktum. Die Sphäre des toten Mechanismus wird durch einen Akt der Abstraktion für sich gestellt und besteht wesentlich allein in ihr. Anderseits wird reiner Geist nur im Absoluten realisiert. Er kann als solcher und mit seinem ganzen Charakter niemals in der Existenz1) Der Mangel und die partielle Aufhebung des rein mechanistischen Gesetzes sind schon in den Kap. 22 und 23 berührt worden. Es wäre möglich, noch ein gut Teil mehr zu diesem Punkt zu sagen.

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skala erscheinen. Vollkommenheit und Individualität gehören nur jenem Ganzen an, in dem alle Stufen in gleicher Weise zugleich vorhanden sind und doch absorbiert werden. Diese eine Realität der Existenz kann als solche nirgends unter den Phänomenen existieren. Sie geht in die Evolution und den Fortschritt ein, zu dem sie aber selber nicht imstande wäre. Es könnte sich lohnen, die Wahrheit dieses letzten Satzes zu erörtern. Gibt es am Ziel und im Ganzen irgendeinen Fortschritt im Universum? Ist das Absolute zu der einen Zeit besser oder schlechter als zu der anderen? Es ist klar, daß wir mit Nein antworten müssen, da ja Fortschritt und Mangelbartigkeit beide mit der Vollkommenheit unverträglich sind. Es gibt natürlich Fortschritt in der Welt und damit ebenso Rückschritt, wir können uns aber nicht denken, daß das Ganze entweder vor- oder zurückgeht. Das Absolute hat keine Geschichte seines eigenen Wesens, obwohl es zahllose Geschichten enthält. Diese sind mit ihrer Erzählung von Fortschritt oder Abstieg Konstruktionen, die von einem gegebenen Stück Endlichkeit ausgehen und darauf beruhen. Sie sind nur partielle Seiten in der Region zeitlicher Erscheinung. Ihre Wahrheit· und Realität mögen im Ausmaß und an Bedeutung sehr stark variieren, aber schließlich können sie nicht mehr als relativ sein. Die Frage, ob die Geschichte eines Menschen oder einer Welt vorwärts- oder zurückgeht, gehört nicht zur Metaphysik. Denn nichts Vollkommenes, nichts ursprünglich Reales kann sich bewegen. Das Absolute hat keine Jahreszeiten, aber es trägt alles zugleich, Blätter, Frucht und Blüten 1 ). Wie unsere Erde hat es immer und niemals Sommer und Winter. Wenn uns eine solche Anschauung verzagt macht, so ist sie mißverstanden worden. Nur infolge eines Mißverständnisses kollidiert sie mit dem praktischen Leben. Wenn du in die Welt des Guten, die ihre eigene relative Wahrheit besitzt, Ideen direkt hineindrängen willst, die nur für das Ganze gelten, so liegt der Fehler sicher auf deiner Seite. Der Charakter des Absoluten kann als solcher nicht vom Relativen gelten, aber das Relative hat trotzdem unerschütterlich seine Stelle im Absoluten. Oder, willst du, wenn du dich auf die Region der Praxis beschränkst, dann ihre Normen ständig auf das Universum anwenden? Wir brauchen für unser praktisches Leben natürlich ein zeitliches Geschehen und eine persönliche Endlichkeit. Wir brauchen eine Fähigkeit, um besser und wie ich 1)

Dies Bild ist, glaube ich, von Strauß entlehnt.

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leider vermute, auch um schlechter zu werden. Wenn diese Merkmale als solche das Ganze der Dinge qualifizieren und auf die letzte Realität Anwendung finden sollen, dann sind die Hauptergebnisse dieses Werkes natürlich irrig. Ich kann aber andere nicht annehmen, bevor ich nicht einen V ersuch zu ihrer Darstellung in rationaler Form gesehen habe. Ich kann keinen Respekt vor Ansichten bekunden, die mir in vielen Fällen unaufrichtig zu sein scheinen. Wenn Fortschritt mehr als relativ sein soll, und wenn er etwas mehr als ein bloßes partielles Phänomen ist, dann ist die von uns weitaus am allgemeinsten anerkannte Religion aufgegeben worden. Du kannst kein Christ sein, wenn du behauptest, daß der Fortschritt die endgültige, tiefste und letzte Wahrheit aller Dinge sei. Ich betone diese Gedanken natürlich nicht als ein Argument aus meinem Munde; sondern als ein Mittel, um vielleicht einige Leute auf ihre Widersprüche zu lenken. Mache den moralischen Standpunkt absolut und dann realisiere deine Stellung. Damit bist du nicht nur unlogisch geworden, sondern hast meiner Voraussetzung nach mit jeder erwähnenswerten Religion gebrochen. Und du bist hierzu durch folgendes reinstes Vorurteil gekommen. Ich gebe zu, daß die Philosophie die mannigfaltigen Seiten unseres Lebens zu begründen hat; das ist aber, meiner Behauptung nach, unmöglich, wenn irgendeine Seite absolut gemacht wird. Unsere Einstellungen im Leben überlassen einander unaufhörlich den Platz und man ist befriedigt, wenn jeder in ihrem eigenen Gebiet das Supremat überlassen wird. Leugnet man nun den Fortschritt des Universums, so bleibt sicherlich die Moralität dort, wo sie war. Ein Mensch hat sein Ich oder seine Welt, um darin (er mag es hoffen) durch seine persönliche Anstrengung einen Schritt vorwärts zu tun oder in irgendeiner Sache (die er gut versteht) der Beste zu werden. Das Universum ist daher schlechter, wenn es mißlingt und ist besser, soweit er Erfolg hat. Wenn er nun, nicht zufrieden damit, das Universum in weitem Maß zu verändern verlangt, so sollte er mindestens weder Vernunft noch Religion, noch Moralität zu Hilfe rufen. Denn die Verbesserung oder Verschlechterung des Universums ist unsinnig, sinnlos oder blasphemisch. Während anderseits der Glaube an den Fortschritt oder das Fortbestehen der Bewohner unseres Planeten nichts mit der Metaphysik zu tun hat. Ich darf vielleicht hinzufügen, daß es auch nur wenig mehr mit Moralität zu tun hat. Ein solcher Glaube kann unsere Pflichten nicht verändern; und der Unterschied, den jener Glaube mitbrächte, dürfte der Stimmung, in der wir jene erfüllen, durchaus keinen Vorteil bringen. Wenn wir durch Mutlosigkeit geschwächt werden können, so können

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wir nicht minder durch einen stupiden Enthusiasmus und eine gefährliche Heuchelei aus der Bahn gestoßen werden. Aber hier ist nicht die Stelle für dergleichen Erörterungen und wir können uns hier mit dem Wissen begnügen, daß wir dem Absoluten keinen Fortschritt zuschreiben dürfen. Ich will nun dieses Kapitel mit einigen Bemerkungen über einen naheliegenden Gegenstand beschließen. Ich deute damit auf die allgemein sogenannte Unsterblichkeit der Seele hin. Das ist nun ein Thema, über das ich aus verschiedenen Gründen besser schwiege, aber vielleicht könnte hier das Schweigen leicht mißverstanden werden. Es ist erstens nicht leicht, genau zu sagen, was ein zukünftiges Leben bedeutet. Die Periode der persönlichen Kontinuität braucht offenbar nicht als endlos angesehen werden. Es ist aber auch nicht leicht festzustellen, in was für einem Sinn und inwieweit das Überlebende persönlich sein muß. Ich will annehmen, daß damit eine Existenz nach dem Tode gemeint ist, die sich der Identität mit unserem gegenwärtigen und diesseitigen Leben bewußt ist. Und deren Dauer muß als genügend angesehen werden, um jede Vorstellung von einem widerwilligen Ausgelöschtwerden oder einem vorzeitigen Hinscheiden auszuschalten. Nun scheinen wir eine Fortsetzung (wenn wir sie wünschen) aus mannigfaltigen Gründen zu wünschen und es könnte interessant sein, diese anderswo auseinanderzusetzen und damit die Verwirrungen fortzuerklären 1). Ich muß jedenfalls sogleich zu der Frage der Möglichkeit übergehen. Es gibt einen einzigen Sinn, in dem die Unsterblichkeit der Seele unmöglich zu sein scheint. Wir müssen uns daran erinnern, daß das Universum einer Vermehrung unfähig ist. Die Annahme von einer beständigen Zufuhr von neuen Seelen, von denen keine jemals unterginge, würde uns schließlich offenbar in eine unlösbare Schwierigkeit geraten lassen. Es ist aber meiner Voraussetzung nach gar nicht nötig, die Theorie in diesem Sinn zu behaupten. Wenn wir das Problem allgemein stellen, wäre es völlig lächerlich, die Die sogenannte Furcht vor dem Ausgelöschtwerden scheint auf einer Verwechslung zu beruhen, und ich glaube nicht, daß sie in ihrer eigentlichen Form überhaupt besteht. Sie ist in Wirklichkeit nur ein Sich-Entsetzen vor der Vernichtung, vor der körperlichen Verletzung und dem Schmerz. Denn wir können zwar an unser persönliches totales Aufhören denken, aber wir können es nicht vorstellen. Gegen unseren Willen und vielleicht unbewußt überläuft uns bei der Vorstellung eines sich sträubenden und kämpfenden oder eines enttäuschten, ermüdeten oder irgendwie unzufriedenen Ichs eine Gänsehaut. Das ist aber bestimmt kein vollständig ausgelöschtes Ich. Es gibt keine Furcht vor dem Tode überhaupt, es sei denn zufällig oder auf Grund einer Täuschung. 1)

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Möglichkei~ eines Lebens nach dem Tode zu leugnen. Es gibt keinen Beweisgang, wonach ein Körper für eine Seele nötig ist (Kap. 23). Und obwohl eine körperlose Seele nach allem, was wir wissen, sogar noch stärker der Sterblichkeit unterworfen sein könnte, so sind wir dennoch damit augenscheinlich in ein Gebiet des Nichtwissens geraten. Zu behaupten, daß in dieser Region eine persönliche Kontinuität nicht vorhanden sein könnte, scheint einfach unlogisch. Dasselbe Resultat gilt, auch wenn wir einen Körper als für jede Seele wesentlich ansehen und wenn wir sogar behaupten (was wir nicht können), daß dieser Körper aus unserer Alltagssubstanz bestehen muß. Ein zukünftiges Leben ist sogar auf Grundlage eines allgemeinen, groben Materialismus möglich 1). Nach einer ganz gleich wie langen Zeit könnte sich ein anderes, etwa dem unseren ähnliches Nervensystem entwickelt haben; und in diesem Fall müßte ein Gedächtnis und eine persönliche Identität entstehen. Dies Ereignis magst du nach Belieben für unbeweisbar halten, aber ich kann mindestens keinen Grund dafür finden, es unmöglich zu nennen. Wir können sogar einen Schritt weiter gehen. Es ist begreiflich, daß eine unbestimmte Zahl solcher Körper nicht nur im Nacheinander, sondern daß sie alle zusammen und zugleich existieren würden. Wäre dem so, so kämen wir zu einer nicht einzelnen, sondern vielgestaltigen, persönlichen Kontinuität und könnten uns damit ein Schicksal sichern, über das sich weiter auszulassen überflüssig wäre. Nach diesen Gedankengängen ist es klar, daß ein zukünftiges Leben möglich ist, aber solche Möglichkeiten haben doch nicht viel Wert. Es ist etwas absolut unmöglich, wenn es der erkannten Wesenheit der Realität widerspricht 2). Es ist· relativ unmöglich, wenn es mit einem Begriff kollidiert, für den wir einen guten Grund haben, ihn für real anzusehen. Etwas ist zunächst so lange möglich, wie es nicht völlig sinnlos ist. Es muß irgendeine positive Qualität enthalten, die zum Universum gehört; und es darf nicht zu gleicher Zeit dieses und sich selbst durch irgendeine hinzukommende, zerstörende Eigenschaft beseitigen. Ferner ist etwas möglich, je nachdem seine Bedeutung mehr und mehr etwas von dem für real Gehaltenen ohne Widerspruch enthält. Mit anderen Worten, wir halten 1 ) Ich habe dies in einem Artikel über die Evidenz des Spiritualismus zu zeigen versucht, Fortnightly Review, Dez. 1885. Es könnte sich vielleicht lohnen, hier noch hinzuzufügen, daß offenbar sogar ein hoher Organismus möglich ist, der ohne Zufälle niemals sterben würde. Augenscheinlich könnte das zum mindesten innerhalb unserer gegenwärtigen Erkenntnis im Prinzip nicht als unmöglich hingestellt werden. 2) Hierüber siehe Kap. 24 und später Kap. 27.

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etwas für möglicher, wenn es an Wahrscheinlichkeit zunimmt. Und "Wahrscheinlichkeit" ist, wie man richtig sagt, "der Leitstern des Lebens". Kurz, wir brauchen nicht wissen, ob etwas einzig und nur möglich ist, sondern inwieweit wir guten Grund haben, dieses und nichts anderes zu erwarten. In einem Fall wie dem vorliegenden können wir natürlich nicht die Möglichkeiten aufzuzählen hoffen, denn wir haben es mit Elementen zu tun, deren Wert wir nicht kennen. Der Wahrscheinlichkeit nach ist das Unbekannte von verschiedener Art. Erstens gibt es das völlig Unbekannte, das überhaupt nicht möglich ist; dieses wird überhaupt nicht in Anschlag gebracht und als nichts behandelt. Dann gibt es zunächst ein Mögliches, dessen vollständiges Wesen verborgen ist, dessen Ausdehnung und Wert gegenüber manchen anderen "Geschehnissen" aber bekannt ist. Soweit ist alles ganz klar. Wir haben aber vom Unbekannten noch in zwei stärker störenden Bedeutungen zu handeln. Es kann auch eine bloße Möglichkeit bedeuten, von der wir weiter nichts wissen, und für deren Behauptung wir weiter keinen Grund finden können. Oder das Unbekannte kann sich auch auf ein Gebiet erstrecken, in dem wir keine Einzelheiten unterscheiden können, von dem wir aber trotzdem aussagen können, daß es eine große Mannigfaltigkeit möglicher Geschehnisse enthält. Wir werden die Wichtigkeit dieser drei Unterscheidungen bald einsehen. Eine körperlose Seele ist möglich, weil sie nicht sinnlos oder weil von ihr nicht bekannt ist, daß sie unmöglich wäre. Aber einen weiteren Grund, der nun noch zu ihren Gunsten dazu käme, gelingt mir nicht zu finden. Weiter; wäre eine körperlose Seele unsterblich? Warum sollten gerade wir im Besonderen irgend eine körperlose Kontinuität nach dem Tod haben? Die ursprünglich geringe Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Lebens scheint durch diese Betrachtungen nicht besonders erhöht zu sein. Wenn wir nun annehmen, daß der Körper wesentlich ist - d. h. ein Körper, der aus einem uns bekannten oder fremden Stoff besteht -- wie steht es dann auf dieser Grundlage mit unserer Aussicht auf persönliche Kontinuität nach dem Tode? Du kannst dich hier auf das Unbekannte berufen, und da unsere Erkenntnis dort nichts bedeutet, kannst du vielleicht geltend machen: "Warum soll es nicht dies Geschehen, geradesogut, wie sein Gegenteil und Widerspiel geben?" Aber die Frage würde dann auf einer Täuschung beruhen, und ich muß schon auf der Unterscheidung, die wir früher festgestellt haben, bestehen bleiben. Auf diesem unbekannten Gebiet können wir sicherlich nicht Möglichkeiten absondern und aufzählen.

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Doch ist dies Gebiet in einem anderen Sinn nicht völlig unbekannt 1 ). Wir können nicht sagen, daß nach allem, was wir wissen, die eine Hälfte der möglichen Kombinationen für ein Leben nach dem Tode spricht. Denn nach der tatsächlichen Erfahrung zu urteilen erscheinen die Kombinationen höchst ungünstig dafür. Obwohl die Eigenschaft dessen, was außer unserer Erfahrung fällt, sehr verschieden sein mag, so muß dennoch unser Urteil darüber nach dem beurteilt werden, was wir wissen. Ist dem aber so, so muß zwar die ganze Mannigfaltigkeit der Kombinationen als sehr groß angesehen werden, aber der für ein fortgesetztes Leben günstige Tei~ ganz gleich ob dies vielgestaltig oder einfach ist, als gering festgestellt werden. So wird unsere Folgerung lauten müssen, wenn wir dies unbekannte Gebiet behandeln. Wenn wir aber nicht damit operieren wollen, ist die Möglichkeit eines zukünftigen Lebens auf dieser Grundlage völlig unbekannt; und damit haben wir überhaupt kein Recht, sie zu erörtern. Das allgemeine Resultat ist meiner Meinung nach kurz folgendes: Wenn du die Möglichkeiten eines Lebens nach dem Tode zusammen addierst - als körperloses und auch als mannigfaltig verkörpertes Leben - so ist die Gewißheit nicht groß. Das Gegengewicht der gegnerischen Wahrscheinlichkeit scheint so stark, daß der Bruchteil nach der anderen Seite mir nicht erwähnenswert scheint. Wir können unseren Schluß wiederholen und folgendermaßen zusammenfassen. Wenn wir uns auf das reine Nichtwissen berufen, dann mag ein zukünftiges Leben gar keinen Sinn haben und mag außer jeder Möglichkeit liegen. Oder, wenn wir dieses schlimmste Extrem vermeiden, mag ein zukünftiges Leben wohl nur reine Möglichkeit sein. Eine solche Möglichkeit steht aber ungestützt einem ganzen, unbestimmten Universum gegenüber. Ihr Wert ist aber damit kaum bemerkenswert. Wenn wir anderseits uns gestatten, unseren Wissensbesitz anzuwenden und wir über das zukünftige Leben mit allen uns zur Verfügung stehenden Begründungen urteilen, so wird das Ergebnis nicht viel verändert. Unter diesen Begründungen finden wir sicherlich einen Teil zugunsten der KonDie Wahrscheinlichkeit eines unbekannten Geschehens wird ganz richtig nur als eine Hälfte angesehen. Wenn wir aber diese abstrakte Wahrheit anwenden, müssen wir uns vor einem Irrtum in acht nehmen. Im Fall eines zeitlichen Geschehens kann unser Nichtwissen kaum vollständig sein. Wir wissen z. B., daß in jedem Moment die Natur eine Mannigfaltigkeit veränderter Geschehnisse hervorbringt. Die abstrakte Möglichkeit, sagen wir, der Wiederholung eines bestimmten Geschehnisses an einem bestimmten Ort, muß daher viel weniger als eine Hälfte sein. Anderseits werden auch Erwägungen anderer Art zu treffen sein und vielleicht den Wert unbestimmt erhöhen. 1)

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tinuität; aber am Höchsten gemessen, scheint er doch gering zu sein. Daher muß entschieden ein zukünftiges Leben als unbeweisbar betrachtet werden. Aber, so wird mir eingeworfen werden, damit ist die Frage eigentlich nicht erledigt. Man wird mir sagen: "Nach deinen aufgestellten Gründen mag zukünftiges Leben unbeweisbar sein; aber dann liegen jene Gründe in Wirklichkeit außerhalb des Hauptpunktes. Die positive Evidenz eines zukünftigen Lebens ist das, was bei uns den Ausschlag gibt; und diese ist von den Erörterungen über das, was im Abstrakten beweisbar ist, unabhängig." Der Einwurf ist klar und meine Antwort darauf ist offen und einfach. Ich habe die positive Evidenz ignoriert, weil sie für mich keinen Wert hat. Direkte Beweise, um zu zeigen, daß ein zukünftiges Leben nicht nur möglich, sondern real ist, scheinen mir nutzlos. Was da noch zu ihrer allgemeinen Wahrscheinlichkeit hinzukommt, ist meiner Meinung nach albern; und ohne diese Beweise im Einzelnen zu prüfen will ich noch einige Bemerkungen hinzufügen 1). Ich wiederhole, die Philosophie hat alle Seiten unserer Natur zu rechtfertigen; und das bedeutet, das gebe ich zu, daß unsere wesentlichen Begierden ihre Befriedigung finden müssen. Daß aber jeder Wunsch jeder Art als solcher erfüllt werden muß - ist eine ganz andere Frage und sicherlich nicht logisch. Auf alle Fälle ist 1) Den Beweis, der auf Erscheinungen und Nekromantie beruht, habe ich in dem vorher p. 414 zitierten Artikel erörtert. Gegenüber der Hypothese, daß außermenschliche Wesen bewiesen worden sind, versuchte ich zu zeigen, daß die Folgerungen des Spiritismus immer grundlos waren. Ich hatte keinen Raum, um zu sagen, daß die Hypothese selber lächerlich unwahr sei. Der Spiritist s~!heint zu denken, daß alles, was nicht in den gewöhnlichen Lauf der Dinge paßt, seine besondere Folgerung beweist. Er scheint keinen Unterschied zwischen dem Möglichen und Wirklichen zu kennen. Als ob die Eröffnung von unbegrenzten Möglichkeiten dasselbe wäre wie der Ausschluß von allen anderen außer einer. Den offenen oder heimlichen Spiritisten gegenüber ist es sehr wichtig, zu betonen, daß alle Fakten, ganz gleich, ob im Menschen allein oder bei den niederen Lebewesen vielleicht ebenso behandelt werden sollen. Die ununterbrochene Kontinuität der Phänomene ist für den Spiritisten verhängnisvoll. Je mehr jene abnorme menschliche Wahrnehmung und Wirkung verifiziert wird, um so hoffnungsloser wird es, wenn man zu den nicht-menschlichen Wesen gelangt. In je größerem Umfange die monströsen Resultate moderner Seancen angenommen werden, um so unmöglicher wird es in einer solchen weitsichtigen und harmlosen Dämonenwelt eine Art von Beweis für Geist-Identität zu finden. Was die Fakten angeht, so stehe ich ihnen ganz offen gegenüber und habe es auch immer getan. Nur die unlogischen Folgerungen der Spiritisten lehne ich mit Abscheu ab. Sie widerstreben mir als der Ausdruck und die Entschuldigung eines üblen Aberglaubens. 27 B ra dIe y, Erscheinung und Wirklichkeit.

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es den Ergebnissen unserer vorangehenden Erörterungen widersprechend. Wir sahen überall, daß es die Bestimmung des Endlichen ist, eine Vollendung zu erreichen, aber niemals völlig als solches, und niemals ganz auf seinem eigentümlichen Wege. Was nun den Wunsch nach einem zukünftigen Leben angeht, was ist daran so heilig? Wie kann seine Erreichung in den wahren Prinzipien unserer Natur eingeschlossen sein? Ja, liegt denn in ihr, an sich genommenr wenigstens überhaupt etwas Moralisches oder Religiöses vor? Ich wünsche keine Unlust, sondern immer Lust und möchte das unbegrenzt fortsetzen. Die buchstäbliche Erfüllung meines Wunsches ist mit meiner Stellung im Universum unverträglich. Sie ist mit meinem eigenen Wesen nicht vereinbar und ich muß daher mit dem Maß an Befriedigung zufrieden sein, das meine Natur zuläßt. Und muß ich darum die Philosophie als nicht leistungsfähig beschuldigen, weil sie Forderungen kein Gehör schenkt, die auf nichts beruhen? Aber, so wird man mir sagen, die Frage nach dem zukünftigen Leben ist ein ursprüngliches Postulat und ihre Befriedigung ist in das wahre Wesen unserer Natur mit eingeschlossen. Wenn das nun bedeutet, daß unsere Religion und Moral ohne sie nicht wirken können, - dann ist meine Antwort: Um so schlimmer für unsere Moralität und Religion. Das Heilmittel liegt in der Verbesserung unseres Mißverständnisses und der unmoralischen Begriffe vom Guten. "Aber, so wird man ausrufen, das ist doch zu schrecklich. Es wird in Wirklichkeit trotz allem Selbstaufopferung geben; und Tugend und Selbstsucht werden trotzdem nicht identisch sein." Aber ich habe schon in Kapitel 26 auseinandergesetzt, warum ich diesem rührenden Appell gegenüber taub bin. "Dann ist aber strenge Gerechtigkeit nicht das Höchste." Nein, ich bin sicher, daß sie es nicht ist. Sehr vieles im Universum ist, davon bin ich überzeugt, mehr als reine Moralität; und ich muß dennoch hören~ daß eben in der moralischen Welt das höchste Gesetz Gerechtigkeit ist. "Wenn wir aber sterben, denke doch an den Verlust aller unserer mühsam errungenen Gewinne." Erstens, geht etwas verloren, weil ich es nicht erlangen oder behalten kann? Und zweitens, was uns als eine leere Wüste erscheint, ist in einem sehr starken Ausmaß der Weg des Universums. Wir brauchen uns darüber nicht ängstlich zu gebärden. "Aber wie sollen wir ohne einen endlosen Fortschritt Vollkommenheit erreichen?" Und wie erreichen wir ihn mit diesem (wenn das etwas bedeutet)? Sicherlich sind Vollkommenheit und Endlichkeit prinzipiell nicht miteinander zu vereinen. Wenn du vollkommen sein willst, dann mußt du dich als dieser auflösen und aufhören; und endloser Fortschritt klingt nur wie ein unbestimmter

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Versuch, Vollkommenheit aufzuschieben 1). Anderseits bist du als eine Funktion des vollkommenen Universums schon vollkommen. "Aber trotzdem müssen wir wünschen, daß Schmerz und Sorge irgend wo wieder gut gemacht werden." Am Ganzen und im Ganzen geschieht das in vollem Maße, wenn unsere Anschauung richtig ist. Bei dem Individuum ist das oft nicht der Fall, wie ich zugebe. Ich wünsche das auf eine andere Weise und meine damit, daß meine Neigung und Pflicht als ein Mitgeschöpf mich auf jenen Weg drängten und daß Wünsche und Handlungen dieser Art unter endlichen Wesen den Plan des Alls erfüllen. Ich kann aber daher nicht behaupten, daß alles Unrecht ist, was die Individuen erleiden. Es liegt im Leben immer, das gebe ich zu, ein Zug von Traurigkeit; er sollte aber nicht überwiegen, wir können nicht wirklich behaupten, daß er es tut. Das Universum darf in seiner Haltung gegenüber den endlichen Wesen nicht nach jedem Einzelnen, sondern muß als ein System beurteilt werden. "Wenn aber Hoffnungen und Furcht verschwinden, so werden wir weniger glücklich und weniger moralisch sein." Vielleicht aber auch moralischer und glücklicher. Das Problem ist ein großes, und ich habe nicht die Absicht, es zu erörtern, aber ich will doch einiges dazu sagen. Wer behauptet, daß der Glaube an ein zukünftiges Leben innerhalb des Ganzen das Böse zur Humanität wandelte, hat mindestens einen schweren Stand. Aber die Frage scheint hier irrelevant. Wenn man wirklich behaupten könnte, daß die Natur eines endlichen Wesens so beschaffen ist, daß es seinen Lebensweg nur dann leiten kann, wenn es den Blick auf eine andere Welt und ein anderes Leben richtet - dann wäre es - das gebe ich zu - eine andere Sache. Wenn es aber nur darauf hinausliefe, daß die menschlichen Wesen jetzt in einer solchen Lage sind, daß sie verkommen müßten, wenn sie nicht an etwas wahrscheinlich Unwahres glauben - so würde das für das Universum, wenn es der Fall wäre, nur eine bloße Einzelheit bedeuten. Es ist die Regel, daß eine Rasse von Wesen, die nicht eins mit ihrer Umgebung sind, verderben muß, und es ist gut für sie, wenn sie sich zugunsten einer anderen rationaler und glücklicher konstituierten Rasse davon macht. Ich muß es dabei bewenden lassen 2). Der Leser, der diesen Punkt weiter verfolgen will, sei auf Hegel's Phänomenologie, 449-460, hingewiesen. [Hegels Phänomenologie des Geistes, herausg. v. G. Lasson, 3. Auß.., Leipzig 1923, S. 424-434.] 2) Ich habe noch nichts über das Argument gesagt, das auf unserem Wunsch, die einst von uns Geliebten wiederzusehen, beruht. Niemand kann so glücklich gewesen sein, daß er nicht den Kummer des Abschieds verspürt hätte, oder so 27* 1)

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Alle genannten Beweise - es gibt noch andere - beruhen auf Annahmen, die durch die allgemeinen Ergebnisse dieses Werkes negiert werden. Ich möchte noch sagen, daß eine Erörterung über die Wahrheit dieser Annahmen wünschenswert ist. V ergehlieh wiederholst du "Ich wünsche etwas", wenn du nicht zeigen kannst, daß die Natur der Dinge es ebenso verlangt. Diese besondere Frage zu debattieren, ohne Zusammenhang mit einer Untersuchung des letzten Wesens der Welt ist sicherlich nicht lohnenswert. Das zukünftige Leben ist ein Gegenstand, über den ich nicht sprechen wollte. Ich habe das Schweigen bewahrt, bis der Gegenstand mich zu zwingen schien und bis ich auf eine Weise das in ihm enthaltene Hauptproblem behandelt hatte. Der erreichte Schluß scheint das Ergebnis zu sein, zu dem die gebildete Welt im großen Ganzen auch kommt. Eine persönliche Kontinuität ist möglich, und nur wenig mehr. Wenn jemand an sie immer noch glauben kann und sich durch diesen Glauben gehalten fühlt, - so ist sie trotzdem noch immer möglich. Anderseits ist ~s aber besser, sich der Furcht und Hoffnung zu entledigen, als in eine Form entwürdigenden Aberglaubens zurückzufallen. Sicherlich gibt es wenige größere Verantwortlichkeiten, die jemand auf sich nehmen kann, als die V erkündigung des Satzes, oder auch nur den Hinweis auf ihn, daß ohne Unsterblichkeit jede Religion ein Betrug und jede Moralität eine Selbsttäuschung sei.

2 7. Letzte Zweifel Es ist Zeit, wenn auch noch zu früh, das Werk zu einem Ende zu bringen. Wir wollen mit der Frage schließen, wieweit und in welchem Sinn es uns frei steht, seine Hauptresultate als gesichert zu unmenschlich, daß er nicht ein Wiedertreffen nach dem Tode mit jemandem ersehnt hätte. Aber jeder hat meiner Meinung nach eine bestimmte Zeit seines Lebens gehabt, in der er mehr oder weniger solche Wünsche als im Widerspruch zu sich selber erkannte. Es gibt Abschiede infolge des Todes, und vielleicht noch schlimmere Abschiede im Leben; und es gibt solche, die Leben und Tod verbinden und vor unseren Augen verhüllen. Würden Freunde, die am Grab einer Frau ihren Streit beigelegt haben, bei der Auferstehung "Freunde" sein? Aber auf jeden Fall kann der Wunsch kaum als ein ernsthafter Beweis gelten. Der Aufstand des modernen Christentums gegen die starre Anschauung von Gospel (Matth. XXII, 30) ist interessant genug. Jeder fühlt, daß eine persönliche Unsterblichkeit nicht sehr persönlich wäre, wenn sie eine Verstümmlung unserer Neigungen in sich schlösse. Es gibt Leute, die sich nicht eher unter die Engel setzen würden, bis sie ihre Dogge dort entdeckt hätten. Trotzdem kann diese allgemeine Berufung auf Zuneigungen - die einzige Begründung für ein zukünftiges Leben, die mir persönlich nicht hohl erscheint - schwerlich als ein Beweis angesehen werden.

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betrachten. Wir haben gefunden, daß es nur eine Realität gibt, daß sie ihrem Wesen nach Erfahrung ist, und daß zu ihr ein gewisses Übergewicht an Lust gehört. Es gibt im All nichts außer der Erscheinung, und jedes Erscheinungsfragment qualifiziert das Ganze, während anderseits die Erscheinungen, zu ihm vereinigt, als solche aufhören. Es kann nichts im Universum verloren gehen, alles trägt zu der einzigen Realität bei, aber jede endliche Verschiedenheit wird ebenso ergänzt und umgeformt. Jedes Ding ist im Absoluten trotzdem immer noch, was es für sich ist. Sein persönlicher Charakter bleibt und wird nur durch Ergänzung und Addition neutralisiert. Weil daher schließlich nichts rein es selber sein kann, kann keine Erscheinung als solche real sein. Den Erscheinungen fehlt es aber an Realität in verschiedenem Grade; und die Behauptung, daß im Ganzen eine so viel wert sei wie die andere, ist ein fundamentaler Fehler. Wir fanden das Faktum der Erscheinung und der Ungleichheit ihrer partikulären Sphären unerklärlich. Warum Erscheinungen da sind und warum sie von so verschiedener Art sind, das sind unbeantwortbare Probleme. Aber in all dieser Verschiedenheit der Existenz sahen wir nichts, was einer vollständigen Harmonie und einem System im Ganzen widersprach. Das Wesen jenes Systems liegt im Einzelnen jenseits unserer Erkenntnis, wir konnten aber nirgends die Spur eines widerspenstigen Elements entdecken. Wir konnten nichts bemerken, womit irgendein Einwurf gegen unsere Ansicht von der Realität rationell begründet werden könnte. Und so wagten wir denn, zu schließen, daß die Realität jene allgemeine Natur besitzt, - wie, das wissen wir nicht - die wir ihr zugeschrieben haben. Man kann aber sagen: "Trotz allem ist deine Schlußfolgerung nicht bewiesen. Nimm an, daß wir keinen genügenden Einwurf finden, um sie zu übertrumpfen, so macht sie doch das Fehlen eines Gegenbeweises nicht sicher. Dein Resultat mag möglich sein, aber damit ist es noch nicht real geworden. Denn warum sollte die Realität nicht gerade ebensogut etwas Anderes sein? Wie können wir in der unbekannten Welt der Möglichkeiten gerade auf diese eine beschränkt werden?" Der Einwurf erscheint ernsthaft und um ihn gründlich zu betrachten, muß mir gestattet werden, zunächst einige abstrakte Erörterungen zu erledigen. Ich will versuchen, sie auf das hier Wesentliche zu beschränken. 1. In der Theorie kannst du konsequenterweise keinen letzten Zweifel dulden. Du bist, ob du willst oder nicht, bis zu einem

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gewissen Punkt gezwungen, Unfehlbarkeit anzunehmen. Denn wie könntest du sonst überhaupt zu einem Urteil kommen? Der Intellekt ist aber, wenn du so willst, nur ein elendes Fragment unserer Natur; aber trotzdem muß er in der intellektuellen Welt das Höchste bleiben. Wenn du versuchst, ihn abzudanken, dann ist die Welt sofort zerbrochen. Daher müssen wir antworten, außerhalb der Theorie magst du eine Haltung annehmen, welche du willst; nur setze dich nicht zu einem Spiel, wenn du nicht zu spielen geneigt bist. Jeder Zweck muß aber doch offenbar eine Art herrschendes Prinzip in sich schließen. Sogar das Extrem des theoretischen Skeptizismus ist auf der Annahme einer bestimmten Vorstellung von der Wahrheit und dem Faktum basiert. Weil du irgendeines Merkmals der Wahrheit oder Realität sicher bist, nur darum fühlst du dich gedrängt, besondere Wahrheiten, die man dir anbietet, zu bezweifeln oder abzulehnen. Damit stehst du aber auf einem absoluten Prinzip und beanspruchst in Hinsicht darauf stillschweigend oder offen, unfehlbar zu sein. Von unserer allgemeinen Irrtumsmöglichkeit auszugehen und von ihr aus auf die Ungewißheit jedes möglichen Resultates zu schließen, das ist schließlich doch unlogisch. Denn die Behauptung, "Ich bin sich er, daß ich mich überall täuschen kann", widerspricht sich selbst und würde ein altbekanntes griechisches Dilemma wieder wachrufen. Wenn wir die Behauptung modifizieren und anstatt von "überall", "im allgemeinen" schreiben, dann wird die erwünschte Schlußfolgerung sich auch nicht ergeben. Denn, nur wenn wir, wiederum fälschlich, annehmen, daß alle Wahrheiten in hohem Maße gleich sind, und daß Irrtum an jedem Punkt in gleicher Weise wahrscheinlich ist, wird die Irrtumsmöglichkeit ein partikuläres Resultat zu berühren brauchen 1). Kurz innerhalb der Theorie dürfen wir nicht die Möglichkeit eines fundamentalen Irrtums in Erwägung ziehen. Unsere Bejahung der Fehlbarkeit mag ein Ausdruck der Bescheidenheit oder auch unserer geringen Einschätzung des Wertes des Intellekts sein. Eine solche Bewertung oder ein solches Gefühl muß aber bei dem wirklichen theoretischen Vorgang draußen bleiben. Denn in ihm zugelassen, wären sie beide inkonsequent und unlogisch zugleich. 2. Zweitens muß eine bejahte Möglichkeit irgendeinen Sinn haben. Ein bloßes Wort ist keine Möglichk~it; auch bietet niemand es bewußt als solche an. Eine Möglichkeit muß sich uns immer mit irgendeiner wirklichen Vorstellung darstellen. 3. Diese Vorstellung darf sich nicht selbst widersprechen oder 1)

Darüber vgl. meine Principles of Logic, p. 519-20.

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selber zerstören. Soweit man sie als solche erkennt, soweit darf sie nicht als möglich angesehen werden. Denn eine Möglichkeit qualifiziert das "Reale" 1) und darf daher nicht mit dem bekannten Wesen seines Subjekts in Konflikt stehen. Der Einwurf, daß alle Erscheinungen ein Widerspruch in sich seien, ist hier überflüssig. Er ist schon wahr, aber eine sich selbst widersprechende Erscheinung, oder soweit, wie sie es ist, ist kein mögliches oder reales Prädikat der Realität. Ein Prädikat, das sich selbst widerspricht, ist als solches unmöglich real. Um real zu sein, muß seine besondere Natur modifiziert und korrigiert werden. Dieser Vorgang der Verbesserung und Widerherstellung kann obendrein seine Natur völlig umformen und gänzlich zerstören (Kap. 24). 4. Es ist logisch unmöglich, dort zu zweifeln, wo du nur einen einzigen Begriff hast. Du magst psychologisch dort zweifeln, wenn dir zwei Begriffe gegeben sind, die zwei scheinen, aber nur einer sind. Ja sogar ohne diese tatsächliche Täuschung magst du dich geistig unbehaglich fühlen und du magst zögern. Aber Zweifel setzt zwei Begriffe voraus, die in ihrer Bedeutung und in Wahrheit zwei sind; und ohne diese Begriffe hat der Zweifel keine logische Existenz 2 ). 5. Wenn du einen Begriff hast und ihn nicht bezweifeln kannst, so mußt du ihn logischerweise bejahen. Denn alles muß, wie wir gesehen haben, das Reale qualifizieren. Und wenn ein Begriff sich nicht widerspricht, entweder so, wie er ist oder mit anderen Dingen zusammen genommen (Kap. 16), dann ist er zugleich wahr und real. Nun kann sich selbstverständlich eine einzige Möglichkeit nicht so widersprechen 8 ); und sie muß daher bejaht werden. Psychisches Mißlingen und Verwirrung kann natürlich hier im Wege stehen. Diese können aber in der Theorie nicht gelten. 6. "Aber", so kann man mir entgegenhalten, "auf die Weise muß die Vernunft ihre Kenntnis auf Nichtwissen stützen. Es heißt das sicherlich eine Behauptung auf eine offenbare Impotenz gründen." Kein Einwurf könnte ein größeres Mißverständnis sein, da das wahre Wesen unseres Prinzips in dem diametralen Gegenteil besteht. Sein Wesen liegt in der Ablehnung, reines Nichtwissen in den Raum der Erkenntnis zu setzen. Wer da zu zweifeln wünscht, wenn er nicht zwei ursprüngliche Begriffe vor sich hat, wer da von einem MögIbid. p. 187. Der Leser sollte hierzu die Abhandlung über die Möglichkeit in diesem Werke (Kap. 24) und auch die in Bosanquet's Logic vergleichen. 2) Ibid. p. 517. 8) Denn wenn sie das täte, würde sie sich innerlich ebenso zersplittern, wie sie äußerlich über sich selbst hinausginge. 1)

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liehen spricht, das nicht auf einer wirklichen Erkenntnis der Realität aufgebaut ist - der ist es, der seinen Standpunkt auf völlige Unfähigkeit basiert. Er ist ein Mensch, der seine Hohlheit zugibt und dann vorgibt, damit die Wahrheit vorwärts zu bringen. Gegen diesen monströsen Vorwand und gerade gegen diese unter der Maske der Bescheidenheit gemachte Voraussetzung protestiert unser Prinzip. Wenn wir aber die Sache ernsthaft ansehen, wird unsere Schlußfolgerung klar. Sicherlich muß ein Begriff einen Sinn haben; sicherlich sind zu einem rationalen Zweifel zwei Begriffe nötig; sicherlich muß die Bezeichnung "möglich" bis zu einem bestimmten Grade von dem Realen gelten. Und sicherlich, ist es nicht richtig oder logisch, die Haltung eines Menschen einzunehmen, der zwischen zwei verschiedenen Richtungen schwankt, wenn keine Alternative vorliegt. 7. Ich will sodann einen Beweis für den allgemeinen Zweifel betrachten, der aus einer Reflexion über das privative Urteil gezogen werden könnte 1). In einem solchen Urteil schließt die Realität irgendeine Behauptung aus, aber die Basis der Ablehnung ist keine positive Qualität in dem erkannten Subjekt. Die Basis ist im Gegenteil ein Nichtvorhandensein; und ein bloßes Fehlen schließt schon die Qualifikation des Subjekts ein, dadurch, daß es in uns Psychisches setzt. Oder wir können auch sagen, während das bekannte Subjekt für vollständig angesehen wird, fallen seine Beschränkungen außerhalb von ihm und liegen in unserer Unfähigkeit. Es mag hier nun behauptet werden, daß das mit der Realität immer der Fall ist. Mit anderen Worten, das Universum, wie wir es kennen, ist nur durch unser Nichtwissen vollständig; und daher kann man von unserer realen Erkenntnis behaupten, daß sie immer unvollständig sei. Man mag hinzufügen, daß wir auf dieser Grundlage, die Aussage irgendeiner bestimmten Möglichkeit im Universum ablehnen können, auch wenn wir tatsächlich keine andere zu finden imstande sind. Ich habe mir diesen Einwand selbst erhoben, weil er eine wichtige Wahrheit enthält. Sein Prinzip ist nämlich, auf seine eigenen Grenzen beschränkt, durchaus gesund. Ja, sogar in diesem Werk habe ich freimütig von dem Recht Gebrauch gemacht, überall eine unbekannte Ergänzung der Erkenntnis zu postulieren. Wie kommt es dann, so mag man fragen, daß wir dies Prinzip hier über Bord werfen? Warum sollte nicht die Realität immer als durch unsere Unfähigkeit begrenzt und darum in jeder Hinsicht als über den Spielraum unserer Möglichkeiten hinaus sich erstreckend angesehen werden? 1)

Jbid. pp. 112-115, 511-517.

Und siehe vorher Kap. 24.

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Es ist aber klar, daß sich an dieser Stelle der Einwurf selber widerspricht. Der Spielraum dessen, was möglich ist, wird hier in einem Atemzuge ausgedehnt und beschränkt, und als Antwort auf die Frage könnte hier ein verderbliches Dilemma aufgestellt und behauptet werden. Es ist aber besser, sogleich den wesentlichen zugrundeliegenden Irrtum auseinanderzusetzen. Die Erkenntnis der V erneinung ist wie jede andere Erkenntnis schließlich positiv. Du kannst nicht von Fehlendem und Mangelndem sprechen, wenn du nicht irgendwo anders ein Gebiet und ein gewisses Vorhandensein annimmst. Du kannst dein Nichtwissen als Begründung zur Beurteilung unvollständiger Erkenntnis nicht anführen, wenn du nicht schon irgendeine Kenntnis von einem Raum hast, den jenes Nichtwissen verbirgt. Innerhalb der bekannten Ausdehnung des Realen gibt es verschiedene Provinzen, und daher kann das, was in der einen fehlt, in der anderen gesucht werden. Und wo die bekannte Welt sich selber in einigen Merkmalen als unvollständig bestimmt, hat jene Welt sich selber schon über diese Merkmale hinaus ausgedehnt. Hier haben wir natürlich das Recht, ihrer ausgedehnten Realität mit ihren Folgerungen und Vermutungen zu folgen; und in diesen Erörterungen haben wir uns dieses Privileg in weitem Ausmaß zunutze gemacht. Anderseits gilt das aber nur von untergeordneten Dingen und, unser Recht hierzu besteht nur solange, wie wir innerhalb des uns bekannten Raums des Universums bleiben. Es ist sinnlos, darüber hinauszugehen zu wagen und Gebiete anzunehmen, die außerhalb des letzten Wesens der Realität liegen. Wenn es eine Realität ganz außerhalb unseres Wissens gäbe, dann könnten wir auf keine Art davon Kunde haben; und wenn wir gar nichts davon wüßten, könnten wir kaum behaupten, daß unser Nichtwissen sie uns verbirgt. So muß schließlich das, was wir wissen und das, was real ist, von gleichem Ausmaß sein und sicherlich ist außerhalb dieses Spielraums nichts möglich. Eine einzelne Möglichkeit muß daher als einzeln und real angesehen werden. Innerhalb dieser bekannten Region und nicht außer ihr liegt das durch unser Nichtwissen uns verborgene Reich; hier ist der Gegenstand jedes sinnvollen Zweifels und jede Möglichkeit, die nicht unlogisch ist, zu suchen. 8. Um mit einem Blick über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen, kann es sich wohl lohnen, einmal einen idealen Zustand der Dinge zu betrachten. Wenn das erkannte Universum ein vollkommenes System wäre, dann könnte es nirgends seine eigene Unvollständigkeit beeinflussen. Jede mögliche Beeinflussung würde dann sofort ihren Ort im Ganzen finden und zwar eine vorherbestimmte Stelle und diese würde ihr durch die bestehenden Glieder des Systems zuge-

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wiesen werden. Wenn wir von irgendeinem einzigen Element in einem solchen Ganzen ausgingen, könnten wir auch von da aus zu einem vollständigen Durchdringen des totalen Universums vorwärtsdringen. Ein aus einer Negation gewonnener oder auf Nichtwissen beruhender Zweifel würde hier völlig verschwinden. Nicht nur würde das System selber weiter keine andere Möglichkeit außer sich haben, sondern sogar innerhalb seiner endlichen Einzelheiten wäre die gleiche Vollständigkeit zu erreichen. Die Worte "Fehlen" und "Fehlschlag" hätten hier faktisch ihren eigentlichen Sinn verloren. Da bei jeder Vorstellung ihre sämtlichen Relationen zu allen anderen sichtbar würden, gäbe es keinen Raum für Zweifel, Möglichkeit oder Nichtwissen. 9. Dieses intellektuelle Ideal ist, wie wir wissen, kein wirkliches Faktum. Es existiert in unserer 'V elt nicht und, wenn diese Welt nicht von Grund aus verändert würde, ist seine Existenz überhaupt unmöglich. Es würde eine Veränderung der Gesamtstellung des Intellekts und eine Umwandlung seiner ganzen Verbindung mit den übrigen Seiten der Erfahrung nötig machen. Wir brauchen gar nicht nach Beweisen suchen, um unsere Allwissenheit zu widerlegen, denn bei jedem Umwenden der Seiten dieses ganzen Werkes ist das Eingeständnis unserer Schwachheit zu finden. Das Universum ist in seiner Unterschiedlichkeit als unerklärlich erkannt worden und, ich will hier nicht den im vorangehenden Kapitel (p. 385) festgestellten Grundsatz wiederholen. Unser System ist in seinen Detail durchaus unvollständig. Nun muß es in einem unvollständigen System überall ein Gebiet des Nichtwissens geben. Da schließlich Subjekt und Prädikat nicht koinzidieren werden, gibt es für das Unbekannte, außer für das nur mehr oder weniger oder in seinem Umriß Unbekannte, eine Grenze. Und hier liegt der Bereich für Zweifel, Möglichkeit und theoretische Ergänzung. Ein unvollständiges System ist in jedem Teil widerspruchsvoll und weist so auf etwas Jenseitiges. Es kann aber nirgends die genaue Vervollständigung, die jede Vereinzelung wieder ausgleichen würde, beeinflussen. Daher muß das System in seiner Ausdehnung und seiner Einheit für manchen Teil ein bloßer Haufen bleiben. Wir können sagen, daß es schließlich nur durch uns e r e Unvollständigkeit verstanden und erschöpft wird. 10. Hier müssen wir aber auf die Unterscheidung zurückkommen, die wir früher festgestellt haben. Sogar in einer so unvollständigen Welt, wie der Erscheinungswelt unserer Erkenntnis, sind Unvollständigkeit und Nichtwissen trotzdem partiell. Sie gelten nicht von jedem Merkmal, sondern es gibt Punkte, bei denen ein legitimer

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Begriff von einem "Ganz-Anderen" nicht existiert. Bei diesen Punkten wäre ein Zweifel und eine Nachforschung nach anderen Möglichkeiten sinnlos; denn es gibt keinen verfügbaren Raum, auf den sich möglicherweise unser Nichtwissen erstrecken könnte. Sicherlich wird innerhalb dieser Grenzen (wir können sie nicht vorher feststellen) rationaler Zweifel eine unlogische Annahme. Außerhalb dieser Grenzen mag es wohl auch Hinweise auf Möglichkeiten geben, die wir nicht sinnlos oder dem Wesen der Dinge widersprechend nennen können; und dennoch brauchte die bloße Möglichkeit solcher Hindeutungen nicht beachtenswert zu sein. Aber in anderen Gebieten der Welt wird der Fall wiederum anders liegen. Wir werden einen größeren oder geringeren Grad an wirklicher Vollständigkeit finden und damit eine Reihe von an Wert verschiedenen Möglichkeiten. Ich glaube nicht, daß wir diese vorläufigen Erörterungen zu unserem Vorteil weiter verfolgen könnten; wir müssen uns nunmehr direkt den Zweifeln zuwenden, die gegen unser Absolutes erhoben werden können. Was den wesentlichen Charakter jenes Absoluten angeht, so ist unsere Stellung kurz folgende. Wir halten daran fest, daß unsere Schlußfolgerung sicher und ein Zweifel logisch unmöglich ist. Es gibt keine andere Ansicht, es gibt keinen anderen außer dem hier auch weiterhin dargestellten Begriff. Es ist sogar logisch unmöglich, sich über die Frage einer anderen Möglichkeit zu unterhalten. Außer unserem Hauptresultat gibt es nur völligen Unsinn oder irgendetwas Anderes, das bei näherer Untersuchung sich in Wirklichkeit nicht als außerhalb fallend erweist. Daher wird sich das angenommene Andere bald in Wirklichkeit als dasselbe herausstellen, oder es wird Elemente enthalten, die in unserer Ansicht von dem Absoluten mitgesetzt sind, aber Elemente, die in eine irrtümliche Erscheinung verschoben und verzerrt worden sind. Selbst diese V erschiebung wird ihren Platz innerhalb der Grenzen unseres Systems finden. Unser Ergebnis kann einfach nicht bezweifelt werden, weil es alle Möglichkeiten enthält. Zeige U:ns einen Begriff, von dem wir aussagen könnten, daß er unserem Schema feindlich sei und wir werden ihn dir als ein Element aufweisen, das tatsächlich in ihm enthalten ist. Wir werden beweisen, daß dein Begriff ein sich selbst widersprechendes Stück unseres Systems, ein inneres Fragment ist, das nur in seiner vollkommenen Blindheit draußen zu stehen sich einbilden kann. Wir werden beweisen, daß seine Unabhängigkeit und Isolation in der Welt nur eine Folge der Tatsache ist, daß der Begriff nicht mehr als eine Seite seiner eigenen Natur erkennen kann.

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Der peinliche Appell an unsere Bescheidenheit und Schwäche wird uns nicht stören. Gerade auf dieser wirklichen Schwäche haben wir in gewissem Sinn unseren Standpunkt aufgebaut. Wir sind nicht dazu imstande, das Universum in das Universum und etwas außer ihm zu teilen. Wir können keinen anderen Bereich finden, in dem wir die Unfähigen und Bescheidenen spielen könnten. Dieser andere Raum ist für uns nur anmaßender Unsinn; und auf Grund unserer Schwäche fühlen wir uns nicht zu der Annahme stark genug, daß Unsinn ein Faktum sei. Mit anderen Worten, wir protestieren gegen den sinnlosen V ersuch, die Erfahrung zu überschreiten. Wir behaupten, daß ein bloßer, in Erwägung gezogener Zweifel, jenen V ersuch in sich enthalten mag, und daß bei unserer wesentlichen Schlußfolgerung das sicherlich geschieht. Daher ist jener Schluß im Grundriß für uns sicher; und wir wollen uns nun zu sehen bemühen, wie weit die Gewißheit geht. Realität ist eine einzige. Sie muß eine einzige sein; denn eine Pluralität widerspricht sich selbst, wenn sie als real angesehen wird. Pluralität trägt Relationen in sich und durch ihre Relationen bejaht sie immer unfreiwillig eine höhere Einheit. Die Annahme eines pluralen Universums heißt daher sich selber widersprechen und trotzdem annehmen, daß es eines ist. Füge eine Welt zur andern und sogleich werden beide relativ geworden sein, jede die endliche Erscheinung einer höheren und einzigen Realität. Wie wir gesehen haben, muß Pluralität als Erscheinung innerhalb diese Einheit fallen, zu ihr gehören und sie qualifizieren. Wir haben von dieser Einheit eine bis zu einem gewissen Grade positive Vorstellung (Kap. 15, 20, 26). Es ist wahr, daß wir darüber, wie im Einzelnen sich diese Pluralität vereinigt, nichts wissen. Es ist ferner wahr, daß Einheit im strengeren Sinn nur als gegensätzlicher Unterschied zur Mehrheit bekannt ist. Einheit ist einer anderen Hinsicht gegenüber und durch sie definiert selber nur Erscheinung. In diesem Sinn kann das Reale, das ist klar, nicht eigentlich eines genannt werden. Es ist aber möglich, den Begriff Einheit in verschiedenem Sinn anzuwenden. Erstens wird das Reale durch die ganze Pluralität qualifiziert. Es besitzt diese Verschiedenheit, während es selber nicht plural ist. Eine Realität, die Pluralität zwar besitzt, doch ihr überlegen ist, die nicht nur als ihr Gegenüber bestimmt wird, sondern sie zugleich mit der einseitigen Einheit, die ihr Gegenteil bildet, absorbiert - eine solche Realität ist sicherlich ein positiver Begriff. Dieser Grundriß wird bis zu einem gewissen Grade durch direkte Erfahrung ausgefüllt. Ich will hier kein.en Nachdruck auf jenes

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prärelationale Stadium der Existenz (p. 378) legen, das wir als erstes in der Entwicklung der Seele annehmen. Ich will mich auf das beziehen, was klarer und weniger bezweifelbar erscheint. Denn nimm irgend einen komplexen psychischen Zustand, bei dem wir Unterschiede machen. Dabei haben wir ein Bewußtsein von Pluralität, und doch können wir dieser gegenüber einen klaren Begriff von Einheit zu gewinnen suchen. Nun wird dieser Begriff, der selbst ein Ergebnis der Analysis ist, durch den Gegensatz zu der inneren Pluralität von Unterscheidungen bestimmt. Daher wird diese, als eine Hinsicht im Gegensatz zu einer anderen, nicht den gesuchten positiven Begriff von Einheit hergeben. Aber abgesehen von einem solch expliziten Begriff und ohne Rücksicht auf ihn, ist es durchaus richtig, wenn man sagt, daß wir unseren gesamten psychischen Zustand als einen einheitlichen erleben. Über oder besser unter den Relationen, die wir wohl später vorfinden, scheint es eine Totalität zu geben, in der Unterschiede schon kombiniert werden 1 ). Unser Zustand scheint ein gefühlter Hintergrund, in den wir Unterscheidungen einführen, und er erscheint zugleich als ein Ganzes, dem die Unterschiede innewohnen und in dem sie vorher existieren. Wenn wir unseren Zustand so beschreiben, widersprechen wir uns jetzt sicherlich. Denn wenn wir das Faktum einer Differenz erklären und ihren tatsächlichen Charakter streng zum Ausdruck bringen, so schließt dies in seinem Wesen Relation und Unterscheidung in sich. Mit anderen Worten, ein Gefühl kann nicht beschrieben werden, denn es kann nicht ohne Umwandlung in den Gedanken übertragen werden. Diese ununterscheidbare Totalität ist an sich inkonsequent und ruht nicht in sich. Ihre eigene Tendenz und Natur bedeutet ein Über-sich-selbst-Hinausgehen in das relative Bewußtsein hinein, in ein höheres Stadium, in dem sie zerbrochen wird. Dennoch wird in jedem Moment dieser unbestimmte Zustand tatsächlich erfahren. Daher können wir nicht leugnen, daß komplexe Ganze als einzelne Erfahrungen erlebt werden. Denn weder sind diese Zustände einfach, noch sind sie nur plural; auch ist ihre Einheit nicht explizit und sie wird auch nicht in Relation zu ihrer Pluralität und ihr gegenüber aufrecht erhalten. Wir können das am leichtesten an einem gewöhnlichen emotionalen Ganzen exemplifiziert finden. Dieses erscheint uns als eines, aber dennoch nicht als Einfaches, während seine Mannigfaltigkeit mindestens teilweis noch nicht unterschieden und nicht in Relationen zerbrochen wird. Ein solcher Seelenzustand ist als solcher, das möchte ich wiederholen, nicht fest, sondern fließend. Er ist nicht 1)

Vgl. hierzu Kap. 19.

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nur nach einer anderen Richtung veränderlich, sondern zum Objekt geworden verschwindet er als solcher. Die Emotion, die wir erwarten, ist streng genommen niemals genau dasselbe wie die Emotion, die wir fühlen. Denn sie ist nicht nur bis zu einem gewissen Grade durch die innere Unterscheidung umgeformt worden, sondern sie ist ebenso nunmehr selbst ein Faktor iu einer neuen erlebten Totalität geworden. Die Emotion als ein Objekt und auf der anderen Seite der Hintergrund, auf dem sie sich im Bewußtsein gegensätzlich abhebt, sind beide in einem neuen, psychischen Erlebnisganzen untergeordnete Elemente geworden (Kap. 19). Unsere Erfahrung ist immer von Moment zu Moment eine Einheit, die als solche zerstört wird, wenn sie zum Objekt wird. Aber ein solches emotionales Ganzes schafft in seiner Zerstörung dem anderen Ganzen unvermeidlich Platz. Daher wird das, was wir fühlen, so lange es besteht, immer als eines erlebt, und dennoch nicht als einfaches und auch noch nicht als in Bezugspunkte und Relationen zerbrochen. Von einer solchen Erfahrung der Einheit unterhalb der Relationen können wir uns zu dem Begriff einer höheren Einheit über ihnen erheben. So können wir einen vollen und positiven Sinn mit der Behauptung, daß die Realität eine einzige ist, verbinden. Der hartnäckige Gegner scheint auf jeden Fall zur Bestätigung folgender Aufstellungen verurteilt. Erstens ist die Realität positiv, und die Negation fällt in ihren Bereich. Zweitens wird sie durch jede Pluralität, die sie einschließt und die sie sich unterordnet, positiv qualifiziert. Dennoch ist sie drittens sicherlich nicht plural. Da wir nun soweit gegangen sind, möchte ich für meine Person als die am wenigsten irreführende Deutungsrichtung, ihre Einheit behaupten. So ist es also über allen Zweifel klar, daß es nur eine Realität gibt. Sie hat Einheit, aber so werden wir weiter fragen, Einheit wovon ? Wir haben schon festgestellt, daß alles, was wir wissen, nur aus Erfahrung besteht. Realität muß daher eine einzige Erfahrung sein, und an dieser Schlußfolgerung zu zweifeln ist unmöglich. Wir können nichts entdecken, das nicht entweder Gefühl, Gedanke, Wille, Erregung oder sonst etwas dieser Art wäre (Kap. 15). Wir können nur diese antreffen und einen Begriff von irgendetwas anderem zu haben ist völlig unmöglich. Denn ein solcher angenommener Begriff ist entweder sinnlos und damit ist er kein Begriff oder es wird sonst schweigend angenommen, daß seine Bedeutung auf Erfahrung beruht. Das Andere, das der Begriff behauptet, wird

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bei näherer Untersuchung dahin erkannt, daß es in Wirklichkeit kein Anderes ist. Der Begriff bezieht gegen seinen Willen und unbewußt irgendeine Art von Erfahrung in sich ein; er behauptet, irgendetwas Anderes, wenn du so willst, aber immer etwas Anderes derselben Art. Die Form des Andersseins und des Gegensatzes hat nur Sinn als ein inneres Bild dessen, was sich wirklich entgegenzusetzen bemüht. Kurz, wir haben schließlich nur einen Begriff und dieser ist positiv. Daher heißt, diesen Begriff leugnen in Wirklichkeit ihn bestätigen; und ihn wirklich und ohne Täuschung zu bezweifeln, ist unmöglich. Wenn ich diesen Punkt zu erläutern wagte, würde ich ihn vielleicht nur verdunkeln. Zeige mir deinen Begriff von einem Anderen, das kein Teil der Erfahrung ist und ich will dir zugleich beweisen, daß es überhaupt kein Anderes ist. Aber das Bemühen, jede Art Selbsttäuschung zu antizipieren und sie im Voraus zu behandeln, würde uns meiner Meinung nach kaum aufklären. Ich werde daher dieses Hauptprinzip als genug verdeutlicht ansehen und mich nur bemühen, es zu entwickeln und von gewissen Dunkelheiten zu befreien. Ich will zuerst auf das schwierige Thema des Solipsismus zurückkommen. Dieses ist vielleicht in Kap. 21 genügend erörtert worden, aber ein gewisses Maß von Wiederholung könnte hier wohl nützlich sein. Es kann eingeworfen werden: wenn erwiesen ist, daß· die Realität eine einzige Erfahrung ist, so folgt daraus der Solipsismus. Wenn wir auch, so mag behauptet werden, das Ich überhaupt überschreiten können, dann haben wir schon die Richtung auf etwas eingeschlagen, was vielleicht nicht mehr Erfahrung ist. Kurz, unsere Hauptschlußfolgerung könnte direkt nur durch ein Dilemma aufgestellt werden. Man mag uns mit der Vernichtung durch eine sich selbstwidersprechende Entfaltung ihres eigenen \V esens drohen. Meine Antwort auf dieses Dilemma ist nun eine Leugnung der in ihm enthaltenen Annahme. Es nimmt erstens an, daß mein Ich ebenso weit wie meine Erfahrung ist, und zweitens, daß mein Ich etwas Festes und Exklusives ist. Wenn du daher nach innen gerichtet bist, bist du es überhaupt nicht nach außen und wenn du nach außen gerichtet bist, dann bist du sofort in einer davon verschiedenen Welt. Wir haben aber gezeigt, daß diese Annahmen Mißverständnisse sind (Kap. 21 und 23) und mit ihrer Zurücknahme fällt das Dilemma von selbst. Endliche Zentren des Gefühls, sind solange sie bestehen, (soweit wir sie erkennen) nicht gegeneinander durchlässig. Aber auf der einen Seite ist das Ich nicht gleich einem solchen Zentrum der

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Erfahrung; und auf der anderen ist in jedem Zentrum die ganze Realität vorhanden. Endliche Erfahrung wird in keiner ihrer Formen durch einen Wall abgeschlossen. Sie hat als eine untrennbare Seite ihres eigenen Wesens die alles durchdringende Realität in sich. Es gibt und gab niemals eine Zeit, in der Erfahrung, Welt und Ich völlig identisch waren. Denn, wenn wir ein Stadium erreichen, wo gefühlsmäßig das Ich und die Welt noch nicht verschieden sind, so existiert eben in diesem Stadium einstweilen noch keines von beiden. Aber in unserer ersten unmittelbaren Erfahrung ist die ganze Realität vorhanden. Dies bedeutet nicht, daß jedes andere Zentrum der Erfahrung als solches darin enthalten ist. Es bedeutet, daß jedes Zentrum das Ganze qualifiziert, und daß das Ganze als ein Substantiv in jedem dieser Adjektive vorhanden ist. Dann taucht aus der unmittelbaren Erfahrung das Selbst empor und tritt durch eine Unterscheidung gesondert heraus. Das Selbst und die Welt sind Elemente, von denen ein jedes in der Erfahrung für sich enthalten ist. Vielleicht bedeutet das Ich in allen Fällen - die Seele 1) jedenfalls immer - eine intellektuelle Konstruktion und existiert nur durch eine solche. Das Ich ist auf diese Weise eine Konstruktion, die auf unmittelbarer Erfahrung basiert und sie selbst überschreitet. Jede Erfahrung als das bloße Abjektiv eines Ichs in irgend einem Sinn zu beschreiben, ist daher unmöglich. Was die Transzendenz betrifft, so wird das Ich von Anfang an durch die Erfahrung überschritten. Wir können das auch auf eine andere Weise darstellen. Das Ich ist eines der Resultate, die dadurch gewonnen werden, daß man die erste unvollkommene Form der Erfahrung überschreitet. Aber Erfahrung und Realität sind beide das Gleiche, wenn man sie in ihrer Fülle nimmt, und sie können nicht überschritten werden. Es sei mir verstattet, dies zu wiederholen. Erfahrung ist in ihrer frühen Form als ein Zentrum unmittelbaren Gefühls zunächst weder Ich noch Nicht-Ich. Sie qualifiziert die Realität, die natürlich in ihr vorhauden ist; und ihr eigener endlicher Inhalt verknüpft sie unlöslich mit dem ganzen Universum. Für sich aber - wenn es Diese Begriffe dürfen nicht überall als äquivalent angesehen werden. Es gibt sicherlich kein Ich oder Seele ohne ein Gefühlszentrum. Es kann aber Gefühlszentren geben, die keine Iche und auch keine Seelen sind (s. später). Möglicherweise sind manche Iche zu flüssig, um Seelen zu heißen, während es ganz sicherlich Seelen gibt, die nicht eigentlich Iche sind. Der letztere Ausdruck sollte überhaupt dort nicht angewandt werden, wo es in keinem Sinn eine Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich gibt. Er kann schwerlich immer genau in dem gleichen Sinn angewandt werden (Kap. 9). 1)

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für sich sein könnte - wäre dieses endliche Zentrum die Welt. Dann wird durch seine eigene Unvollkommenheit eine solche erste Erfahrung unterbrochen. Ihre Einheit lockert sich infolge innerer Unrast und eines äußeren Stoßes zugleich. Dann entstehen durch diese Entwicklung das Selbst und das Ego und auf der anderen Seite erscheinen andere Iche, die Welt und Gott. Diese erscheinen alle als die Inhalte einer einzigen endlichen Erfahrung und sie sind wirklich, ursprünglich und tatsächlich in ihr enthalten. Sie sind in ihr nur teilweise enthalten und nur mit einem mehr oder weniger unbedeutenden Teil ihres Umfangs. Immerhin ist dieser Anteil, soweit wie er besteht, ihr wahres Sein und Realität; und eine endliche Erfahrung ist schon teilweise das Universum. Daher liegt hier ohne Frage ein Überschreiten der Grenze von einer Welt zur anderen vor. Erfahrung gibt es bereits in beiden Welten und sie ist eins mit deren Wesen; und die Frage ist nur, bis zu welchen;t Grade dieses gemeinsame W escn in der Praxis oder Theorie ans Tageslicht gebracht werden kann. Mit anderen Worten das totale Universum, das unvollkommen in einer endlichen Erfahrung vorhanden ist, würde, wenn es vollständig wäre, nur die Vervollständigung dieser Erfahrung sein. Von einer Transzendenz in eine andere Welt zu sprechen ist daher ein Mißverständnis. Für bestimmte Zwecke kann das, was ich erfahre, als der Zustand meines Ichs oder auch meiner Seele betrachtet werden. Es kann so angesehen werden, weil es in einer Hinsicht tatsächlich so ist. Aber diese eine Hinsicht mag ein infinitesimales Fragment seines Wesens sein. In keinem Fall kann das, was ich erfahre, reines Objekt meines Ichs sein. Mein Ich ist nicht die unmittelbare und auch nicht die letzte Realität. Unmittelbare Realität ist eine Erfahrung, die entweder Ich und Nicht-Ich oder noch keins von beiden enthält. Letzte Realität wäre anderseits das totale Universum. In einem früheren Kapitel haben wir die im Solipsismus enthaltenen Wahrheiten angedeutet. Alles, mein Ich eingeschlossen, ist für das Absolute wesentlich und ist nicht von ihm zu trennen. Ferner kann ich nur im Gefühl direkt auf Realität stoßen. Wir brauchen aber hier gar nicht bei diesen Seiten der Wahrheit verweilen. Meine Erfahrung ist für die Welt wesentlich, aber die Welt ist nur in einer Hinsicht meine Erfahrung. Die Welt und Erfahrung sind, im Großen genommen, dasselbe. Meine Erfahrung und ihre Zustände sind in einem gewissen Sinn tatsächlich die ganze Welt; denn nur bis zu diesem geringen Grade ist die eine Realität tatsächlich mein Ich. Es ist aber weniger irreführend, wenn man umgekehrt behauptet, daß die totale Welt meine Erfahrung ist. Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Denn sie erscheint dort und in jeder Erscheinung ist schon ihr einziges Wesen unvollkommen eingeschlossen. Wir wollen den Einwurf, der auf einem unlogischen Vorurteil beruht, beiseite lassen und wollen zur Betrachtung eines in mancher Hinsicht interessanten Punktes übergehen. Kann man von dem Absoluten sagen, daß es aus Seelen besteht und von ihnen hervorgebracht wird? Die Frage ist doppelsinnig und muß nach ihren verschiedenen Bedeutungen erörtert werden. Gibt es - so wollen wir zuerst fragen -im Universum eine Art Stoff, die nicht in endlichen Zentren der Erfahrung vorhanden ist'? Es scheint auf den ersten Blick natürlich, sogleich auf die Relationen zwischen diesen hinzuweisen. Aber bei näherem Nachdenken finden wir, daß solche Relationen in der Wahrnehmung und dem Denken dieser Zentren selber mit enthalten sind. Die Frage, die daraus erwächst, lautet besser: "Kann es in irgendeiner Form Erfahrungsinhalt geben, der nicht als ein Element in irgendein endliches Zentrum eingeht?" Fassen wir unser Nichtwissen ins Auge, so mag diese Frage unbeantwortbar erscheinen. Wir wissen nicht, warum oder wie das Absolute sich selber in Zentren teilt, kennen auch nicht das Mittel, durch das es trotz dieser Teilung eines bleibt. Die Relation der vielen Erfahrungen zu der einzigen Erfahrung und damit ihr Zueinander, geht schließlich über uns hinaus. Wenn dem so ist, warum sollte es nicht erfahrene Elemente geben, die zwar in der Totalität, aber nicht innerhalb irgendeines untergeordneten Sammelpunktes erfahren werden? Wir können in der Tat von der anderen Seite aus dieses Nichtwissen und diese Frage in Zweifel ziehen. Hat ein solches unverknüpftes Element oder ein solcher Umkreis von Elementen denn überhaupt einen Sinn? V erbietet nicht unser Nichtwissen uns faktisch die Annahme der Möglichkeit eines außerhalb eines endlichen Gefühlsganzen erfahrenen Inhalts? Aber ich finde nach einiger Überlegung nicht, daß dieser Zweifel vorherrschen müßte. Sicherlich kann ich den Begriff eines solchen unverbundenen Elementes nur durch eine Abstraktion finden, und diese Abstraktion ist, wie mir scheint, nicht gerechtfertigt. Und wenn auch die Elemente als ganz frei angesehen würden, wenn sie nicht immer untrennbare Faktoren in einem Ganzen der Erfahrung wären, dann würde die Abstraktion ganz offenbar zu einem inkonsequenten Begriff führen. Ein solcher Begriff muß, wie wir auch zugaben: als unmöglich betrachtet werden. In dem vorliegenden Fall aber sind die mit keinem endlichen Zentrum verknüpften Elemente immer doch noch dem Ganzen untergeordnet und dessen ergänzende Merkmale. Da nun dieses Ganze eine einzige Erfahrung ist, ist die Lage eine andere.

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Die Abstraktion von einem endlichen Zentrum aus führt, wie zu sehen ist, nicht sichtbar zu einem Selbstwiderspruch. Daher kann ich ihr Ergebnis als möglich anzusehen nicht ablehnen. Diese Möglichkeit scheint aber anderseits keine Bedeutung zu haben. Wenn wir sie als Faktum betrachten, werden wir keinen großen Unterschied zu dem Ganzen finden; aber es scheint durchaus kein Grund zu bestehen, sie so zu nehmen. Wir wollen diese beiden Punkte kurz erörtern. Daß Elemente der Erfahrung unverknüpft wären, wäre eine ernsthafte Angelegenheit, wenn sie gänzlich und absolut unverknüpft wären. Da aber auf alle Fälle alle in dem Ganzen sich vereinen und in dieses einmünden, und da das Ganze in jedem Fall eine einzige Erfahrung ist, scheint mir das Hauptergebnis davon gänzlich unbeeinflußt zu sein. Die Tatsache, daß irgendein Erfahrungsinhalt nicht direkt irgendein endliches Zentrum qualifiziert, ist ein Faktum, aus dem ich keinen weiteren Schluß ziehen kann. Aber zweitens liegt sicherlich zur Behauptung dieses Faktums kein genügender Grund vor. Die Zahl der endlichen Zentren und ihre Verschiedenheit ist, wie wir wissen, sehr groß, und wir können wohl annehmen, daß sie sich über unsere Kenntnis hinaus erstrecken. Auch die Relationen, die "zwischen" diesen Zentren sind, bereiten keine Schwierigkeiten. Relationen können sich natürlich nicht irgendwie außerhalb der Realität abspielen, und wenn sie wirklich "zwischen" den Zentren wären, so müßten wir noch irgendeinen Erfahrungsinhalt annehmen, der von außen und noch zu jenen dazu kommt. Dann würde sich jene Schlußfolgerung ergeben; und wir haben gesehen, daß das, richtig verstanden, möglich ist. Aber, wie die Dinge liegen, erscheint sie nicht minder grundlos. Man kann, soweit ich sehe, nicht behaupten, daß irgendeine Seite einer Relation außerhalb des Erfahrungsinhalts, der in endlichen Zentren enthalten ist, liegt. Die Relationen existieren als solche nicht im Absoluten und können es auch nicht. Die Frage ist, ob jene höhere Erfahrung, die die Relationen enthält und umwandelt, irgendein Element verlangt, das nicht irgendwie innerhalb der Zentren erfahren wird. Ich für meine Person kann zur Annahme eines solchen Elementes keinen Grund sehen. Da nun aber, auch wenn wir dies annehmen, das Hauptresultat unverändert zu bleiben scheint, ist es vielleicht das Beste, es als unreal beiseite zu lassen. Es ist im Ganzen besser, zu schließen, daß kein Element der Realität außerhalb der Erfahrung endlicher Zentren fällt. Dürfen wir dann behaupten, daß das Absolute aus Seelen besteht? Das wäre meiner Meinung nach aus zwei Gründen unkorrekt. Erstens ist ein Zentrum der Erfahrung nicht dasselbe wie eine Seele 28*

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oder auch ein Ich. Es braucht nicht die Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich enthalten; und ganz gleich, ob es sie enthält oder nicht, in keinem Fall ist es eigentlich ein Ich. Es wird entweder unterhalb der Unterscheidung oder über ihr liegen und weiter als sie sein. Eine Seele ist, wie wir gesehen haben, immer die Schöpfung einer intellektuellen Konstruktion. Sie kann nicht dasselbe wie ein bloßes Zentrum unmittelbarer Erfahrung sein. Auch können wir nicht behaupten, daß jedes Zentrum eine entsprechende Seele umfaßt und in irgendeinem Sinn ihr anhaftet. Denn die Dauer solcher Zentren kann vielleicht so momentan sein, daß sie niemand, es sei denn um einer Theorie willen, Seelen nennen könnte. Wir können daher nicht behaupten, daß Seelen allen Erfahrungsstoff, der die Welt erfüllt, enthalten. Auf jeden Fall würde zweitens das Absolute nicht aus Seelen bestehen. Ein solcher Ausdruck enthält eine Art Verbindung in sich, die wir nicht als Letztes ansehen können. Er behauptet, daß im Absoluten endliche Zentren festgehalten und respektiert werden; dann müßten wir sie dauernd als solche betrachten und sie im Ganzen als nur geordnet und gruppiert ansehen. Dergleichen ist aber (wie wir gesehen haben) nicht die endgültige Bestimmung und letzte Wahrheit der Dinge. Wir finden im Ganzen eine Umgruppierung nicht nur der Dinge, sondern ihrer inneren Elemente. Es findet in ihm ein alles durchdringendes Umgießen mit einem Umschmelzen des gesamten Stoffs statt. Wir können kaum sagen, daß das Absolute aus endlichen Dingen besteht, wenn die Dinge als solche umgewandelt werden und sie ihre individuellen W esenheiten verloren haben 1). Die Realität ist ferner eine einzige und sie ist Erfahrung. Sie ist nicht nur meine Erfahrung; auch können wir nicht sagen, daß sie aus Seelen oder Ichen besteht. Sie kann auch nicht eine Einheit von Erfahrung und ebenso Einheit von noch etwas Anderem sein; ') Aus diesem Grunde ist die Menschheit oder ein Organismus, ein Reich oder eine Gesellschaft von Ichen keine letzte Idee. Sie bedeutet eine zu unvollständige Verbindung und sie schreibt in einem zu hohen Sinn endlichen Teilen der Erscheinung Realität zu. Diese beiden Fehler sind natürlich im Prinzip einer. Ein Organismus oder eine Gesellschaft, die jedes vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ich enthält - und wir können es kaum unter dem annehmen - ist eine mir dunkle, wenn nicht ganz widerspruchsvolle Vorstellung. Aber auf jeden Fall kann ihre Realität und Wahrheit nichts Letztes sein. Ich für meine Person sehe sogar nicht ein, wie man auf einer solchen Idee in der Ethik beharren kann. Die Vollkommenheit des Ganzen muß sich selber und durch mich realisieren; und ohne Frage ist dieses Ganze in hohem Maße sozial. Ich sehe aber für mich keinen Grund zur Behauptung, daß es auch für die Ethik nur dieses sein soll (p. 340, 353/4).

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denn das Andere daneben erweist sich immer bei näherer Prüfung als Erfahrung. Wir bewiesen dies früher anläßlich des Problems der Natur (Kap. 22 u. 26). Die Natur bleibt wie alles andere in einem gewissen Sinn unerklärlich. Sie ist schließlich eine Gruppierung, eine Form koexistierenden und sukzessiven Geschehens, dessen Warum wir am Ende nicht klar beantworten können. Aber diese Unmöglichkeit berührt die Wahrheit unseres Ergebnisses so wenig wie anderes. Natur ist eine Abstraktion aus der Erfahrung und in ihr ist sie dem Geist oder Gemüt nicht koordiniert. Denn, wie wir gesehen haben, hat das Gemüt eine höhere Realität als die Natur, und das Wesen der physischen Welt umfaßt schon das, worin sie absorbiert und überschritten wird. Die Natur an sich ist nur eine unhaltbare Teilung in dem Ganzen der Natur. Die totale Einheit der Erfahrung kann, wie ich auseinandergesetzt habe, als solche nicht verifiziert werden. Wir kennen ihre Natur nur im Umriß, aber nicht im Detail. Das Gefühl gibt uns, wie schon bekannt, einen positiven Begriff einer nicht-relationalen Einheit. Der Begriff ist unvollkommen, er genügt aber als eine positive Basis. Wir sind ferner durch unser Prinzip zu dem Glauben an ein qualifiziertes Ganze gedrängt und zwar eines, das nicht-relational durch jeden Bruchteil der Erfahrung qualifiziert ist. Wenn aber diese Einheit aller Erfahrungen nicht selbst Erfahrung wäre, so wäre das sinnlos. Das Ganze ist eine einzige Erfahrung, und eine solche Einheit, die höher ist als alle Relationen, eine Einheit, die sie enthält und umformt, hat positiven Sinn. Über die Art ihres Seins im Einzelnen wissen wir gar nichts, aber von ihrer allgemeinen Natur haben wir eine positive, wenn auch abstrakte Kenntnis. Bei dem Versuch, das erreichte Ergebnis zu leugnen oder zu bezweifeln, fanden wir nur immer wieder, daß wir es unbewußt bestätigten. Obwohl das Absolute bekannt ist, ist es in einem gewissen Sinn höher als unsere Erfahrung und Erkenntnis; in dieser Verbindung will ich die Frage nach seinem Persönlichkeitssein stellen. An dieser erreichten Stelle können wir eine solche Frage rasch erledigen. Wir können sie sogleich negativ oder positiv je nach ihrem Sinn beantworten. Da das Absolute alles besitzt, muß es natürlich auch Persönlichkeit haben. Und wenn wir unter Persönlichkeit die höchste Form der endlichen Geistesentwicklung verstehen wollen, dann ist das Absolute sicherlich in einem eminent hohen Grade persönlich. Denn das Höhere (so können wir wiederholen) ist immer das Realere. Da nun im Absoluten auch die niedrigsten Formen der Erfahrung nicht verloren gehen, so scheint es sogar absurd, eine solche Frage nach der Persönlichkeit zu stellen.

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Doch das ist nicht der Sinn, in dem sie gewöhnlich gestellt wird. "Persönlich" wird wesentlich in einem einschränkenden Sinn angewandt; denn es wird gebraucht, um das, was sowohl über wie unter der Persönlichkeit liegt, auszuschließen. Mit anderen Worten, das Überpersönliche wird offen oder im Stillen als unmöglich angesehen. Persönlichkeit wird als die höchstmögliche Form der Erfahrung betrachtet; dann kann freilich das Absolute nicht überpersönlich sein. Diese Folgerung kann mit samt der Annahme, auf der sie beruht, summarisch abgelehnt werden. Sie ist in der Tat durch die vorangegangenen Erörterungen schon widerlegt worden. Wenn der Begriff "persönlich" so etwas wie sein gewöhnlicher Sinn bedeuten soll, dann ist das Absolute sicherlich nicht nur persönlich. Es ist nicht persönlich, weil es persönlich und mehr ist. Es ist mit einem Wort überpersönlich. Ich habe nicht vor,· hier die möglichen Bedeutungen von Persönlichkeit zu untersuchen. Über das Wesen des Ichs und des Ichbewußtseins habe ich schon gesprochen 1) und ich will hier nur hinzufügen, daß für mich eine Person endlich oder sinnlos ist. Aber die Frage hinsichtlich des Absoluten kann meiner Meinung nach kürzer erläutert werden. Wenn du es persönlich nennst, und meinst damit, daß es nur Erfahrung ist, daß es alles Höchste, was wir möglicherweise denken und fühlen, und daß es eine Einheit ist, in der die Einzelheiten alle durchdrungen und umfaßt werden - dann stimme ich deiner Folgerung zu. Aber deine Anwendung des Begriffs "persönlich" bedaure ich gar sehr. Und zwar hauptsächlich nicht deshalb, weil ich ihn für ungenau ansehe, - das würde unter uns wenig bedeuten - sondern weil er irreführend ist und direkt zur Ursache einer Unredlichkeit wird. Denn die meisten von denen, die darauf bestehen bleiben, was sie "die Persönlichkeit Gottes" nennen, sind intellektuell unredlich. Sie wünschen eine gewisse Schlußfolgerung und, um sie zu erreichen, argumentieren sie für eine andere. Aber wenn auch die zweite bewiesen ist, so ist sie doch davon ganz verschieden und dient ihrer Absicht nur insofern, als sie die letztere verdunkeln und mit der ersten vermischen. Daher kann das Ergebnis nur nach ihrer praktischen Absicht beurteilt werden. Die Gottheit, die sie brauchen, ist natürlich endlich und eine Person, wie sie selber, mit begrenzten Gefühlen und Gedanken und im zeitlichen Verlauf veränderlich. Sie wünschen eine Person in dem Sinn eines Ichs, das sich unter und gegenüber anderen Ichen in persönlichen Rela1)

S. Kap. 9 u. 10. Vgl. auch Kap. 21 n. 23.

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tionen und Gefühlen bewegt - in Gefühlen und Relationen, die sich durch das Betragen der anderen ändern. Und, was nicht diese ist, besteht für ihren Zweck in Wirklichkeit überhaupt nicht. Dieser Wunsch geht mich hier aber an sich gar nichts an. Natürlich wäre für uns die ernsthafte Frage, ob das Absolute auf eine solche Weise persönlich sein kann, völlig absurd. Meine Aufgabe für den Augenblick ist nicht Wahrheit, sondern intellektuelle Redlichkeit. Es wäre redlich, vor allem zunächst einmal den erstrebten Schlußsatz offen festzustellen und dann zu untersuchen, ob er aufrechterhalten werden kann. Aber unredlich ist es, den tatsächlich strittigen Punkt zu unterdrücken, die Persönlichkeit Gottes in einem bestimmten Sinn zu wünschen, dann dafür in einem anderen Sinn zu kämpfen und schließlich sein Bestes daranzusetzen, um die Kluft, die beide trennt, zu ignorieren. Gib einmal deine endliche und veränderliche Person auf und du hast dich von allem, was die Persönlichkeit für dich wichtig macht, getrennt. Du wirst auch die Kluft nicht durch die unklare Ausdehnung eines Wortes überbrücken. Du wirst dir nur einen Nebel schaffen, in dem du schreien kannst, daß du dich auf beiden Seiten zugleich befindest. Zur Vermehrung dieses Nebels etwas beizutragen, lehne ich ab. Es wäre unnütz, in solcher Gesellschaft und Atmosphäre die Bedeutung der Persönlichkeit zu erörtern - wenn das Wort in der Tat wirklich einen Sinn hätte. Für mich genügt es, auf der einen Seite zu wissen, daß das Absolute keine endliche Person ist. Ob anderseits Persönlichkeit in irgendeinem bedeutungslosen Rest von Sinn dafür angewandt werden kann, ist eine intellektuell unwichtige und praktisch lächerliche Frage. Was nun die Persönlichkeit des Absoluten angeht, so müssen wir uns vor zwei einseitigen Irrtümern in acht nehmen. Das Absolute ist nicht persönlich, ist nicht moralisch, und auch nicht schön oder wahr. Dennoch können wir mit diesen Lengnungen in noch schlimmere Mißverständnisse fallen. Denn es wäre noch viel unrichtiger, wollte man behaupten, daß das Absolute falsch oder häßlich, oder schlecht oder sogar noch etwas unter derartigen Prädikaten sei. Es ist besser, Persönlichkeit zu behaupten, als das Absolute unpersönlich zu nennen. Aber keines von beiden Mißverständnissen brauchte notwendig zu sein. Das Absolute steht über und nicht unter seinen inneren Unterscheidungen. Es verbannt sie nicht von sich, sondern es schließt sie in seiner Fülle als Elemente ein. In einer anderen Sprache zu reden, es ist nicht die Indifferenz, sondern die konkrete Identität aller Extreme. Es ist aber besser, es in diesem Zusammenhang überpersönlich zu nennen.

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Wir haben gesehen, daß die Realität eine ist und daß es eine einzige Erfahrung ist; und wir können nun von hier aus zu einer schwierigen Frage übergehen. Ist das Absolute glücklich? Kann das bedeuten, daß man Lust als solche von dem Absoluten aussagen darf? Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, ist das nicht zulässig. Wir fanden, daß ein Übergewicht von Lust und außerdem Unlust da ist, und wir wissen aus Erfahrung, daß in einem gemischten Zustand ein solches Übergewicht lustvoll sein kann. Und wir sind sicher, daß das Absolute irgendwie dieses Übergewicht an Lust besitzt und sich seiner freut. Aber weiter zu gehen scheint unmöglich. Lust kann begreiflicherweise durch Hinzufügungen so ergänzt und modifiziert werden, daß es nicht genau das bleibt, was wir Lust nennen. Sein Lustsein könnte sicherlich nicht verloren gehen, aber es könnte nach seiner Anerkennung mit anderen Seiten des Ganzen verschmolzen werden. Das Absolute fühlt dann streng genommen nicht Lust. Wenn dem so ist, dann geschieht es aber nur, weil es etwas besitzt, in dem die Lust mit eingeschlossen ist. Bei diesem Punkt stoßen wir aber auf den Zweifel, mit dem wir uns schon teilweise beschäftigt haben (Kap. 14). Ist unsere Schlußfolgerung trotzdem die einzig richtige? Ist es nicht trotzdem möglich, daß es im Absoluten ein Übergewicht von Unlust gibt, oder wenn nicht von Unlust, so doch von etwas, das auf alle Fälle. nichts Besseres ist? An diesem schwierigen Punkt will ich sogleich das mir wahr erscheinende Ergebnis feststellen. Ein solches Übergewicht ist im niedrigsten Sinn des Nur-Möglichen möglich. Es scheint mir nicht sinnlos, auch kann ich es nicht sich selbst widersprechend finden. Wenn wir versuchen, zu leugnen, daß das Absolute und Erfahrung eines ist, so wird unsere Leugnung sinnlos oder sie wird aus sich selbst zu einer Bejahung. Ich sehe aber nicht, daß dies bei einer Leugnung des Glücks der Fall ist. Es ist wahr, daß wir Lust und Unlust nur aus unserer Erfahrung kennen. Es ist wahr, daß in dieser Erfahrung beinah alles auf eine einzige Richtung hinweist. Es gibt, soweit ich sehe, kein einziges besonderes Faktum, das darauf hindeutet, daß Unlust mit Einheit und Eintracht verträglich sei. Warum sollten wir dann nicht behaupten: "So ist das Wesen von Unlust und heißt dann dieses Wesen leugnen in einen Selbstwiderspruch verfallen" ? Was ist nun kurz die andere Möglichkeit, die nicht mitgesetzt worden ist? Ich will mich bemühen sie darzulegen. Die Welt, die wir beobachten können, ist sicherlich nicht das ganze Universum; und wir wissen nicht, wieviel wir nicht beobachten können. Daher ist überall eine unbegrenzte Ergänzung vom

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Unbekannten her möglich. Könnte es nicht uns unsichtbare Bedingungen geben, die durch unsere Erfahrung hindurch die Wirkung von Lust und Unlust modifizieren? Auf diese Weise kann das, was für die Unlust wesentlich zu sein scheint, es in Wirklichkeit nicht sein. Sie mag tatsächlich von den unbekannten Bedingungen herkommen, die nur zufällig sind. So mag trotzdem Unlust mit Harmonie und einem System vereinbar sein. Dagegen kann man wohl behaupten, daß auf Grund einer solchen Hypothese die Unlust selber neutralisiert werden würde, und daß ihr Unlustsein damit verschwinden würde. Auch kann man wohl geltend machen, daß das, was auf einer gewissen Skala zufällig ist, wesentlich geworden ist und zwar nicht weniger wirksam wesentlich, weil es indirekt ist. Aber obwohl diese Behauptungen Bedeutung haben, finde ich sie nicht bündig. Die Vorstellung von einem unlusterfüllten Universum scheint schließlich weder ganz sinnlos noch auch ein sichtbarer Selbstwiderspruch zu sein. Und ich bin gezwungen sie streng genommen doch als möglich zuzugeben. Eine solche Möglichkeit besitzt aber auf der anderen Seite fast keinen Wert. Sie beruht natürlich, soweit wie es geht, auf positiver Erkenntnis. Wir wissen, daß der Charakter der Welt innerhalb bestimmter Grenzen eine unbestimmte Ergänzung zuläßt. Die hier vorgeschlagene Ergänzung scheint in Übereinstimmung mit dieser allgemeinen Natur der erkannten Realität zu stehen. Alles, was sie für sich hat, ist eine abstrakte Übereinstimmung mit einem allgemeinen Charakter der Dinge, und darüber hinaus scheint es keinen Schimmer partikulärer Evidenz zu geben. Ihr entgegen steht aber alles, was wir im Besonderen über den Gegenstand wissen. Damit ist der Möglichkeit ein zu geringer Wert geblieben, um beachtet zu werden. Wir können nur sagen, daß sie existiert und das ist kaum einer weiteren Erwägung wert. Wir haben aber damit die Linie, die absolute Erkenntnis von konditionaler trennt, gekreuzt. Daß die Realität ein einziges System ist, das jede Erfahrung in sich enthält, und daß dieses System selber Erfahrung ist, - so weit können wir behaupten, daß wir absolut und unbedingt wissen 1). Bis zu diesem Punkt ist unser Urteil untrüglich, und sein Gegenteil ist völlig unmöglich. Mit anderen Worten, die Möglichkeit des Irrtums ist bis hierher überhaupt nicht vorhanden. Aber außerhalb dieser Grenze ist jedes Urteil beschränkt und daher bedingt. Hier ist jede Wahrheit, weil sie unvollständig ist, mehr 1)

Diese Feststellung wird später modifiziert werden.

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oder weniger irrtümlich. Weil nun der Grad der Unvollständigkeit unbekannt bleibt, kann sie begreiflicherweise, soweit gehen, daß sie in einem Sonderfall das Urteil zunichte machen kann. Das Gegenteil ist nicht mehr absolut unmöglich; aber von diesem Punkt aus nach unten zu bleibt es nur relativ unmöglich und einer Bedingung unterworfen. Etwas ist absolut, wenn sein ganzes Wesen in ihm selber enthalten ist. Es ist unbedingt, wenn jede Bedingung seines Seins in ihm selber ruht. Es ist frei von der Möglichkeit des Irrtums, wenn jedes Gegenteil völlig unbegreiflich ist. Solche Eigenschaften gehören zu der Anschauung, daß die Realität Erfahrung und eine einzige ist. Denn diese Wahrheiten sind nicht subordiniert, sondern sind allgemeine Wahrheiten von der Realität als einem Ganzen. Sie erschöpfen sie nicht, aber sie geben den Grundriß ihres Wesens. Mit anderen Worten, das Reale ist mehr als sie, ist aber immer mehr von dieser Art. Es gibt nichts, das du in der Vorstellung hinzufügen kannst, das, wenn es verstanden ist, nicht unter diese allgemeinen Wahrheiten zu bringen wäre. Daher wurde jeder Zweifel und jede Möglichkeit des Irrtums sinnlos. Irrtum und Zweifel haben ihre Stelle nur in der untergeordneten und endlichen Region und innerhalb der durch das Wesen des Ganzen vorgeschriebenen Grenzen. Und das "Andere" hat dort keinen Sinn, wo sich irgendein "Anderes" nicht als solches erweist. Es ist auch nutzlos zu behaupten, daß ein Anderes, obwohl es nicht begriffen wird, sich trotzdem als verständlich zeigen könnte. Es ist überflüssig, wollte man einwerfen, daß das Unmögliche nicht mehr bedeutet als das, was du noch nicht gefunden hast. Denn wir haben gesehen, daß Mangel und Mißlingen immer ein Liegen außerhalb des Bereichs der Realität bedeutet; ein solches außerhalb liegendes Gebiet ist hier sinnlos. Die Behauptung "du könntest es finden" klingt bescheiden, setzt aber positiv eine Sphäre voraus, in der das Ding gefunden werden könnte. Hier widerspricht sich die Annahme selber und mit diesem Widerspruch verschwindet faktisch der Zweifel. Das Kriterium der Wahrheit kann Unbegreiflichkeit des Gegenteils heißen ; es ist aber wesentlich zu wissen, was wir unter einer solchen Unmöglichkeit verstehen. Ist sie absolut oder relativ und bis zu welchem Grade ist sie dem Mangel oder bloßem Mißlingen zu verdanken? Wir müssen tatsächlich hier noch einmal unsere Begriffe über den Sinn der Unmöglichkeit klären (Kap. 24 u. 26). Mag nun das Unmögliche absolut oder relativ sein, es kann niemals direkt auf unserem Nichtkönnen beruhen. Denn unmöglich ist etwas immer, weil es positiver Erkenntnis widerspricht. Wo die Erkenntnis

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relativ ist, ist sie sicherlich mehr oder weniger von unserem Nichtkönnen bedingt. Daher kann die Unmöglichkeit durch jene Unfähigkeit mehr oder weniger geschwächt und bedingt werden. Aber sie ist niemals durch einfaches Mißlingen hervorgerufen oder auf diesem beruhend. Schließlich muß man doch sagen "Ich darf nicht", nicht, weil ich nicht kann, sondern, weil ich gehindert werde. Das absolut Unmögliche widerspricht der uns schon bekannten Natur der Realität. Und das Unmögliche ist in diesem Sinn das Sich -selbst-Widersprechende. Es ist in der Tat ein V ersuch, das zu leugnen, was tatsächlich unwissentlich bejaht wird. Da hier unsere positive Erkenntnis allesumfassend ist, kann sie nicht auf einem äußerlichen Nichts beruhen. Außerhalb dieses Wissens gibt es nicht soviel leeren Raum, in dem unsere Unfähigkeit sich auswirken könnte. Jedes Nichtkönnen und Mißlingen setzt schon unsere bekannte Welt voraus und gehört zu ihr. Das relativ Unmögliche ist das, was irgendeinem untergeordneten Erkenntnisteil widerspricht. Es kann nur sein, wenn etwas, was wir für wahr hielten, als solches aufgegeben wird. Die Unmöglichkeit wird hier, je nach der Kraft des Wissens, das sie bekämpft, graduell variieren. Und hier sei es noch einmal gesagt, sie besteht nicht in unserem Mißlingen und unserem Nichtkönnen. Mit anderen Worten, das Unmögliche wird nicht abgelehnt, weil wir es nicht finden können, sondern weil wir es finden und zwar in Kollision mit positiver Erkenntnis. Was aber anderseits wahr ist, ist die Tatsache, daß hier unsere Erkenntnis begrenzt und trügerisch ist. Sie muß bedingt sein durch unsere Unfähigkeit und unser Nichtkönnen. Bevor ich zu dem letzten Punkt zurückkehre, will ich dieselbe Wahrheit noch von einer anderen Seite wiederholen. Etwas ist real, wenn und soweit sein Gegenteil unmöglich ist. Aber schließlich ist sein Gegenteil unmöglich, weil und insoweit das Etwas real ist. Und je nach dem Grade der Realität, den etwas besitzt, ist sein Gegenteil unbegreiflich. Mit anderen Worten, je mehr etwas den Bereich der Möglichkeit erschöpft, um so weniger möglich wird das, was es wesentlich verändern würde. Nun wird in dem Fall einer solchen Wahrheit, die wir absolut genannt haben der Bereich der Möglichkeit erschöpft. Realität ist dort da, und das Gegenteil von Realität ist nicht Mangel, sondern absolute Nichtheit. Es kann hier kein Außerhalb geben, weil schon das, was drinnen ist, alles ist. Aber der Fall wird anders, wenn wir zu den untergeordneten Wahrheiten kommen. Da diese nicht aus sich selbst existieren, sind sie teilweis durch das Unbekannte bedingt und sicherlich bis zu diesem Grade von unserer Unfähigkeit abhängig. Anderseits ist aber das Kriterium

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ihrer Wahrheit und ihrer Kraft positiv. Je zusammenhängender und umfassender sie sind - um so vollständiger realisieren sie den Begriff eines Systems - und um so viel mehr sind sie auch zugleich real und wahr 1). Und um so viel mehr wird das, was sie umstürzen könnte, unmöglich. Das Gegenteil wird proportional unbegreiflich je nach dem Grade, wie es die positive Realität bekämpft. Wir haben gesehen, daß manche Wahrheit außer allem Zweifel liegt und daß das Übrige - jede untergeordnete Wahrheit - dem Irrtum in verschiedenem Maße unterworfen ist. Jede endliche Wahrheit muß, um völlig wahr zu werden, mehr oder weniger modifiziert werden, und sie kann die Modifikation in einem solchen Grade nötig haben, daß wir sie als gänzlich umgewandelt ansehen müssen. Nun haben wir schon in Kap. 24 gezeigt, daß diese Wahrheit gilt, aber ich will noch einmal auf unsere Fehlbarkeit in endlichen Dingen hinweisen. Ich möchte meine Behauptung mit folgender allgemeiner Überlegung beginnen. Bei jeder endlichen Wahrheit gibt es eine äußere Welt unbekannter Größe. Wo nun ein solches unbestimmtes Außerhalb vorhanden ist, dort muß es eine unbestimmte Welt möglicher Bedingungen geben. Aber das bedeutet, daß eine endliche Wahrheit so bedingt werden kann, daß sie in Wirklichkeit völlig anders zustande gekommen ist. Ich will davon kurz eine Anwendung machen. Wo eine Wahrheit sozusagen von der Beobachtung abhängt, dort kannst du niemals sagen, wie viel draußen geblieben ist und das, was du möglicherweise nicht beobachtet hast, mag an dem gemessen, was du weißt, der größere Teil der Sache sein. Ist dem aber so, dann kann deine Wahrheit - ganz gleich, ob sie "partikulär" oder "allgemein" heißt - ein unbegrenztes Mißverständnis sein. Das Zufällige kann so hingestellt worden sein, als ob es das Wesen wäre; und dieser Irrtum mag bis zu einer unbegrenzten Höhe vorhanden sein. Du kannst nicht beweisen, ob nicht Subjekt und Prädikat bereits durch die unsichtbare Zwischenschaltung unbekannter Faktoren verbunden worden sind. Es gibt keinen Weg, auf dem diese Möglichkeit ausgeschlossen werden kann. Diese Möglichkeit des Irrtums verschwindet aber, so mag man sagen, wenn eine echte Abstraktion möglich ist. Sie ist zum Mindesten z. B. nicht in der Welt der mathematischen Wahrheit vorhanden. Ein solcher Einwurf kann unserer allgemeinen Ansicht nicht standhalten. Sicherlich gibt es Bereiche, in denen Abstraktion Bei dieser ganzen Erörterung wird vorausgesetzt, daß sich der Leser mit der Lehre des Kap. 24 vertraut gemacht hat. 1)

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in einem besonderen Sinn möglich ist und bei denen wir imstande sind, sozusagen zu einem A p r i o r i vorzudringen. Für andere Zwecke mag, das gebe ich zu, dieser Unterschied sehr wichtig sein; aber hier interessiert mich seine -Wichtigkeit oder allgemein sein Wesen und seine Grenzen überhaupt nicht. Denn bei dem in Frage stehenden Punkt ist diese Unterscheidung völlig irrelevant. Keine Abstraktion (ganz gleich, welchen Ursprungs) ist schließlich zu halten. Denn keine von ihnen ist völlig wahr und auf jeder Stufe möglichen Irrtums muß Unbekanntes zurückbleiben. Die behauptete Wahrheit wird nicht und kann nicht als durch sich selbst real angesehen werden. Der Hintergrund wird ignoriert, weil man von ihm annimmt, daß er keine Unterschiede herausbilde und die Masse der Bedingungen, die davon abstrahiert und außer Betracht gelassen werden, wird als unwesentlich behandelt. Mit anderen Worten, das Prädikat gilt als wesentlich zum Subjekt gehörig und nicht auf Grund von irgendetwas, das zurückgezogen oder modifiziert werden könnte. Aber eine Annahme solcher Art geht über unsere Kenntnis hinaus. Da die Realität hier nicht erschöpft wird, sondern allein unsere Schwäche tieferer Einsicht eine Grenze setzt, ist überall eine Möglichkeit unbekannter Bedingungen, von denen unser Urteil abhängt, vorhanden. Daher dürfen wir wohl überall nur Zufälliges behaupten. Wir können das noch auf andere Weise. klarlegen, wenn wir feststellen, daß die endliche Wahrheit konditional sein muß. Kein solches Faktum oder keine solche Wahrheit ist in Wirklichkeit immer durch sich selbst gestützt und unabhängig. Sie sind alle bedingt und zwar durch das Unbekannte bedingt. Und der Grad ihrer Bedingtheit ist unbestimmt. Das bedeutet aber, daß jede endliche Wahrheit oder jedes Faktum in einem unbestimmten Ausmaß zufällige Erscheinung sein kann. Mit anderen Worten, wenn ihre Bedingungen erfüllt wären, könnte die Wahrheit oder das Faktum in ihrer eigentlichen Form verschwunden sein. Sie könnte über jenen Punkt hinaus, bis zu dem man noch von ihr sagen könnte, daß sie gewissermaßen ihre eigene Natur behält, modifiziert und umgewandelt werden. Wie unbeweisbar dies Ergebnis in gewissen Fällen auch immer sein mag, in keinem Fall kann es absolut unmöglich genannt werden. Alles Endliche besteht auf Grund von irgendetwas ganz Anderem. Und dort, wo der Grad und das Wesen dieses "irgendetwas Anderes" nicht genau gesichert werden kann, dort zeigt sich das "Weil" als ein bloßes "Wenn". Es gibt nichts Endliches, das nicht in der Gewalt unbekannter Bedingungen stände.

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Endliche Wahrheit und endliches Faktum sind sozusagen durchaus "hypothetisch". Aber bei diesem Begriff oder bei "konditional" müssen wir uns vor mißverständlichen Verwicklungen hüten. Es kann (von unserem gegenwärtigen Standpunkt aus) keine einzige endliche Sphäre geben, die real und aktuell ist, oder die sogar für einen bestimmten Zweck so betrachtet werden dürfte. Es kann hier kein Reich der Existenz oder des Faktums geben, außerhalb dessen das bloß Angenommene in Unrealität fallen könnte. Die Realität ist einerseits keine endliche Existenz; und anderseits muß jedes Prädikat - ganz gleich welches - innerhalb der Realität sich befinden und muß sie qualifizieren 1). Die Prädikate sind anwendbar, sind alle verschiedenen Graden der Veränderung unterworfen und, was diese Grade angeht, so können sie in jedem Fall mißverstanden werden. In jedem Fall kann daher die Veränderung zu unbegrenzter Umwandlung aufsteigen. Deswegen dürfte das Endliche besser konditional als konditioniert genannt .werden. Denn es könnte wohl etwas konditioniert sein und dennoch könnte es auf Grund seiner Bedingungen scheinbar unerschütterlich und sicher stehen. Aber die Bedingungen des Endlichen verhalten sich, wie wir gesehen haben, anders. Sie können in jedem Fall so sein, daß sie in unbegrenztem Maße seine partikulare Natur zerstören. Alle endlichen Wahrheiten oder Fakten müssen bis zu einem gewissen Grade unreal und falsch sein, und es ist schließlich unmöglich, Sicheres darüber zu wissen, wie falsch etwas sein kann. Wir können das nicht wissen, weil das Unbekannte sich ins Grenzenlose erstreckt und jede Abstraktion fragwürdig ist und sich in der Gewalt des Unbeobachteten befindet. Wenn unser Wissen ein System wäre, so wäre der Fall zweifellos ein ganz anderer. Wir würden dann für Jedes den ihm durch das Ganze zugewiesenen Platz kennen und könnten den genauen Grad an Wahrheit und Falschheit, den etwas besitzt, messen. Bei einem solchen System gäbe es kein außerhalb liegendes Gebiet von Nichtwissen; und darum könnten wir von allen seinen Inhalten eine vollständige und erschöpfende Kenntnis haben. Aber jedes System dieser Art scheint ganz bestimmt seinem Wesen nach unmöglich zu sein. Es gibt gewisse Wahrheiten von dem Absoluten, die wir wenigstens für den Augenblick 2) als nicht konditional betrachten können. Man kann von ihnen annehmen, daß sie sich in diesem Punkt in einer gewissen Weise von allen untergeordneten Wahrheiten unterscheiden, 1) 2)

Vgl. hierzu Kap. 24. Eine weitere Erklärung hierfür siehe später.

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denn bei den Letzteren ist es nur eine Frage der größeren oder geringeren Täuschungsmöglichkeit. Sie sind alle einer möglichen intellektuellen Verbesserung unterworfen, und der Grad dieser Möglichkeit kann sicherlich nicht gewußt werden. Unsere Kraft zur Abstraktion variiert bei den verschiedenen Erkenntnisgebieten in weitem Ausmaß, aber keine endliche Wahrheit (wieweit sie auch gekommen sein mag) kann als gesichert angesehen werden. Bei ihnen allen ist der Irrtum eine Sache der Wahrscheinlichkeit und des Grades. Jene sind relativ wahr und streng, die sich stärker der Vollkommenheit nähern. Diese Vollkommenheit ist unser Maßstab. Unser Kriterium ist die Individualität oder der Begriff eines vollständigen Systems; sein Wesen haben wir schon in Kapitel 24 auseinandergesetzt. Ich wage nun zu denken, daß für das Hauptprinzip keine große Schwierigkeit mehr besteht. Die Schwierigkeit wird stärker zu verspüren sein, wenn wir zu seiner Anwendung im Einzelnen übergehen. Wir haben gesehen, daß die Prinzipien innerer Harmonie und der weitesten Ausdehnung schließlich dasselbe sind, denn sie sind divergierende Seiten des einen Begriffs konkreter Einheit. Um aber derartige Punkte zu erörtern, muß der Leser zu unserem früheren Kapitel zurückkehren. Eine Sache ist um so realer, je unbegreiflicher ihr Gegenteil ist. Dies ist der eine Teil der Wahrheit. Anderseits ist aber das Gegenteil unbegreiflicher oder unmöglicher, w e i 1 die Sache selber realer, wahrscheinlicher und wahrer ist. Der Beweis hierfür ist seinem Wesen nach positiv (ich möchte ihn hier nicht noch einmal wiederholen). Je überzeugender, je systematischer und vollständiger organisiert ein Teil des Wissens wird, nm so unmöglicher wird das, was ihn in irgend einem Punkt bekämpft. Oder wir können unsere Lehre von einer anderen Seite folgendermaßen zusammenfassen. Je höher der Grad der Erkenntnis, die eine Vorstellung oder ein Faktum direkt oder indirekt vernichten würde, um so wahrscheinlicher ist sie falsch, unmöglich und unverständlich. Es kann endliche Wahrheiten geben, bei denen der Irrtum - ich meine hier unter Irrtum das Unterworfensein unter intellektuelle Korrektur - höchst unwahrscheinlich ist. Diese Chance kann hier als zu klein betrachtet werden, als daß sie erwähnenswert wäre. Dennoch existiert sie trotzdem. EndlicheWahrheiten sind alle konditional, weil sie alle von dem Unbekannten abhängen. Dieses Unbekannte ist aber - der Leser muß sich dessen erinnern - nur relativ. Es ist selber unserer absoluten Erkenntnis untergeordnet und in sie eingeschlossen; sein Wesen ist sicherlich im allgemeinen nicht unbekannt. Denn, wenn

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es überhaupt etwas ist, so ist es Erfahrung und ein Element in der einzigen Erfahrung. Unser Nichtwissen, in dessen Gewalt alles Endliche sich befindet, ist kein absolutes Nichtwissen. Es umfaßt und enthält mehr als wir wissen können, aber von diesem "Mehr" ist einstweilen bekannt, daß es immer noch von der gleichen Art ist. Wir müssen nunmehr von der Sonderbetrachtung der endlichen Wahrheit ablassen 1). Es ist nun an der Zeit, eine Unterscheidung, die wir früher aufgestellt haben, nochmals zu prüfen. Wir fanden, daß manche Erkenntnis absolut und im Gegensatz hierzu jede endliche Wahrheit nur konditional war. Wenn wir aber diese Unterscheidung näher prüfen, so erscheint sie schwer zu halten. Denn wie kann Wahrheit absolut wahr sein, wenn zwischen ihr selber und der Realität ein Abgrund klafft? Nun ist in jeder ·wahrheit "über" die Realität das Wort "über" allzu bezeichnend. Es bleibt immer etwas außer dem Prädikat zurück und zwar etwas anderes als dieses. Und auf Grund dessen, was außer dem Prädikat da ist, kann man es schließlich konditional nennen. Kurz der Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat~ ein für die Wahrheit wesentlicher Unterschied, wird Es ist unmöglich, hier die Frage nach der Möglichkeit einer Verbesserung unserer Erkenntnis im Fall eines Zwiespaltes vollständig zu behandeln. Wir müssen die Erfahrung ins Unbegrenzte erweitern, da das endliche Sein so, wie es ist, nicht harmonisch sein kann. Wir finden sodann eine Kollision zwischen irgendeinem Faktum oder einem Begriff auf der einen Seite und einem Teil anerkannter Wahrheit auf der anderen vor. Nun kann aber der Selbstwiderspruch nicht wahr sein; und die Aufgabe ist für uns, sie so umzugruppieren, daß sie wieder eine Harmonie bildet. Wir müssen nun fragen, was muß in einem solchen Fall geopfert werden? Der Konflikt selber mag vielleicht nur scheinbar sein. Ein nur Zufälliges mag für etwas Wesentliches angesehen worden sein, und mit der Beseitigung dieses Mißverständnisses mag die ganze Kollision aufhören. Oder der neue Begriff kann als unhaltbar gefunden werden. Er enthält einen Irrtum und wird daher zerbrochen und aufgelöst; oder, wenn das nicht möglich ist, so mag er provisorisch beiseite gestellt und nicht berücksichtigt werden. Dieser letzte Weg ist nur dann tunlich, wenn wir annehmen, daß unsere ursprüngliche Erkenntnis so sicher ist, daß sie fest und unerschütterlich steht. Aber das Gegenteil davon mag wohl der Fall sein. Vielleicht muß gerade unsere frühere Erkenntnis das Feld räumen und durch die neue Erfahrung modifiziert und überwunden werden. Aber zuletzt bleibt noch eine weitere Möglichkeit. Keiner von unseren sich bekämpfenden Erkenntnisteilen mag als wahr gelten können. Jeder kann wahr genug sein, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen und ihm zu dienen und zwar in einem gewissen Grade; und dennoch können beide, von oben gesehen als sich widerstreitende Irrtümer betrachtet werden. Beide müßten daher bis zu dem erforderlichen Punkt aufgelöst und als Elemente in einem weiteren Ganzen aufgelöst werden. Die Scheidung des Zufälligen vom Wesen muß daher hier durchgeführt werden, bis das Wesen selber mehr oder weniger aufgelöst wird. Ich habe keinen Raum, um diesen allgemeinen Satz zu erklären oder ihn zu illustrieren. 1)

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nicht berücksichtigt 1). Er hängt von etwas nicht in dem Urteil mit Eingeschlossenen, einem außerhalbliegenden Element und daher in einem gewissen Sinn von einem Unbekannten ab. Der Typus und das Wesen können, mit anderen Worten, niemals die Realität erreichen. Das realisierte Wesen ist sozusagen zu viel, um Wahrheit zu sein und das unrealisierte und abstrakte ist sicherlich zu wenig, um real zu sein. Sogar die absolute Wahrheit scheint sich so als irrig zu erweisen. Es muß letzten Endes zugegeben werden, daß keine mögliche "\V ahrheit ganz wahr sein kann. Sie ist eine partielle und inadäquate Deutung dessen, was sie als völlig zu geben verkündet. Dieser innere Zwiespalt gehört unvermeidlich zu dem der Wahrheit eigentümlichen Charakter. Trotzdem muß immer noch der zwischen absoluter und endlicher Wahrheit gemachte Unterschied aufrecht erhalten werden. Denn die erste ist nicht in tellektue ll korrigierbar. Es gibt keine intellektuelle Veränderung, die sie möglicherweise, der letzten Realität als allgemeine Wahrheit näher bringen könnte. Wir haben gesehen, daß jede derartige Behauptung sich selbst zerstörend ist, daß jeder Zweifel über diesen Punkt buchstäblich sinnlos ist. Absolute Wahrheit wird nur dadurch korrigiert, daß man außerhalb des Intellekts weiter geht. Sie wird nur dadurch modifiziert, daß man sie in die übrigen Seiten der Erfahrung aufnimmt.. Bei diesem Überschreiten der eigenen Natur der Wahrheit wird sie selber natürlich umgewandelt und geht zugrunde. Jede endliche Wahrheit anderseits bleibt der intellektuellen Korrektur unterworfen. Sie ist nicht nur unvollständig, weil sie durch ihre allgemeine Natur beschränkt ist, nämlich als Wahrheit innerhalb einer partiellen Seite des Ganzen, sondern, weil sie innerhalb ihrer eigenen intellektuellen Welt ein Gebiet hat, das außerhalb ihr fällt. Es gibt wirkliche und mögliche Wahrheit, die ihr gegenüber steht und die außerhalb von ihr als ein Anderes da sein kann. Bei der absoluten Wahrheit gibt es aber kein intellektuelles Außerhalb. Es gibt kein entsprechendes Prädikat, das sein Subjekt begrifflich qualifizieren und das seine Behauptung bedingen und begrenzen könnte. Absolute Erkenntnis mag, wenn du so willst, konditional sein ; aber ihre Bedingung ist nicht irgendeine andere, ganz gleich ob wirkliche oder mögliche Wahrheit. 1) Die wesentliche Inkonsequenz der Wahrheit mag vielleicht am besten folgendermaßen erklärt werden. Wenn es irgend einen Unterschied zwischen dem gibt, was sie meint und dem wofür sie steht, dann wird die Wahrheit ersichtlich nicht realisiert. Gibt es aber keinen solchen Unterschied, dann hat die Wahrheit zu existieren aufgehört.

Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Die Lehre, die ich mich hier auseinanderzusetzen bemühe ist in Wirklichkeit einfach. Wahrheit ist eine Seite der Erfahrung und daher durch das, was sie nicht in sich einschließen kann, unvollkommen und beschränkt. Soweit sie absolut ist, zeigt sie irgendwie den allgemeinen Typus und Charakter von allem, was möglicherweise wahr oder real sein kann. Das Universum ist in diesem allgemeinen Sinn vollständig bekannt. Es wird und kann niemals in all seinen Einzelheiten erkannt werden. Es wird und kann niemals als ein Ganzes in solchem Sinn erkannt werden, daß die Erkenntnis dasselbe wie Erfahrung oder Realität wäre. Denn Erkenntnis und Wahrheit - wenn wir ihre Identität annehmen - würden dabei absorbiert und umgewandelt werden. Aber anderseits existiert das Universum als Wahrheit oder Erkenntnis nicht so, daß es nicht in der sogenannten absoluten Wahrheit enthalten und inbegriffen wäre, und kann auch der Möglichkeit nach nicht so existieren. Denn um es nochmals zu wiederholen, eine solche Möglichkeit ist selbstzerstörerisch. Wir können vielleicht sagen, daß, wenn dies per impossibile möglich wäre, so könnten wir mindestens unmöglicherweise davon eine Vorstellung haben. Denn eine solche Vorstellung verschwindetr wenn sie aufrechterhalten wird, in ihr Gegenteil oder in Unsinn. Absolute Wahrheit ist nur Irrtum, wenn wir von ihr mehr als allgemeine Erkenntnis erwarten. Sie ist abstrakt 1) und sie kann ihre eigenen untergeordneten Einzelheiten nicht liefern. Sie ist einseitig und kann nicht wirklich alle Seiten des Ganzen geben. Aber anderseits kann nichts, so weit es auch geht, außerhalb ihr fallen. Sie ist völlig allumfassend und enthält im voraus alles, was ihr auch entgegengestellt werden könnte. Denn es könnte nichts ihr gegenübertreten, was nicht begrifflich würde und nicht selber als ein Vasall in das Königreich der Wahrheit einginge. Wenn du daher sogar darüber hinausgingest, kannst du doch außerhalb ihr keinen Schritt vorwärts tun. Wenn du mehr hineinnimmst, bist du dazu verurteilt, noch mehr Gleichartiges hineinzunehmen. Mit anderen Worten, das Universum bewahrt seinen einen Charakter und von diesem besitzen wir untrügerische Kenntnis. Sie ist nicht auf die Art abstrakt, wie wir es an jeder endlichen Wahrheit gesehen haben. Jene war intellektuell fragwürdig, da sie mehr oder weniger eine andere Wahrheit außerhalb oder ihr gegenüber übrig ließ. Sie war daher immer nur ein Teil unter anderen Teilen der Wahrheitswelt. Man könnte noch hinzufügen, so begrifflich, daß sie verwandelt werden muß. Absolute Wahrheit anderseits kann nicht durch die Hinzufügung von irgendeiner Wahrheit verändert werden. Es gibt keine mögliche Wahrheit, die nicht unter sie als eine ihrerEinzelheiten fiele. Kurz, wenn du sie voraussetzt, bleibt überhaupt keine andere Wahrheit eine solche. 1)

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Wenn wir die Sache von einer anderen Seite aus sehen, gibt es keinen Gegensatz zwischen Realität und Wahrheit. Die Realität muß, um vollständig zu sein, diese partielle Seite seiner selbst in sich aufnehmen und absorbieren. Die Wahrheit selber wäre nicht vollständig, wenn sie nicht alle Seiten des Universums aufnähme und in sich einschlösse. Wenn sie über sich selbst hinausgeht und den Unterschied zwischen ihrem Subjekt und Prädikat beseitigt, führt sie nur die Forderungen ihres eigenen Wesens aus. Aber ich darf vielleicht hoffen, daß diese Schlußfolgerung genügend gesichert worden ist (Kap. 15, 24, 26). Um zu wiederholen - die Realität ist ihrem allgemeinen Charakter nach in Erkenntnis und Wahrheit vorhanden, in jener absoluten Wahrheit, die von der Metaphysik herausgesondert und herausgestellt wird. Dieser allgemeine Charakter der Realität ist aber nicht die Realität selber und ist auch nicht mehr als der allgemeine Charakter eben der Wahrheit und Erkenntnis. So weit, wie es irgendeine Wahrheit und Erkenntnis überhaupt gibt, ist dieser Charakter absolut. Wahrheit ist konditional, aber sie kann intellektuell nicht überschritten werden. Ihre Bedingungen erfüllen würde in ein Ganzes jenseits des reinen Intellekts übergehen bedeuten. Der Schlußsatz, den wir erreicht haben, der, wie ich versichere, nicht die Folge eines bloßen Kompromisses ist, macht den Anspruch, Extreme zu versöhnen. Ob man das Realismus oder Idealismus nennt, weiß ich nicht; ich habe mich um diese Untersuchung nicht bekümmert. Weder stellt er Begriffe und Gedanken an erste. Stelle, noch gestattet er die Behauptung, daß irgendetwas Anderes an sich realer sei. Wahrheit ist die ganze Welt in einer einzigen Hinsicht, einer Hinsicht, die die höchste in der Philosophie ist und die dennoch gerade in der Philosophie sich ihrer Unvollständigkeit bewußt ist. So sehr auch unsere Schlußfolgerung Unfehlbarkeit beansprucht hat, sie ist dennoch meiner Meinung nach nicht in Kollision mit einer besseren Art allgemeinen Menschenverstandes gekommen. Daß die Metaphysik sich selber mit dem allgemeinen Menschenverstande befreunden sollte, steht in der Tat außer Frage. Denn sie kann weder erwarten oder gar hoffen, daß -sie in ihren Gedankengängen oder in ihren Ergebnissen allgemein verständlich ist. Es ist aber nur für den Gedankenlosen ein leichtes Ding, metaphysische Resultate zu verteidigen, die, wenn sie von dem allgemeinen Menschenverstande verstanden würden, doch zugleich abgelehnt würden. Ich meine damit nicht, daß in untergeordneten Punkten, etwa wie der Persönlichkeit Gottes oder dem Fortleben des Individuellen nach dem Tode - Punkte, über die es keine allgemeine Meinung in der Welt gibt 29*

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- die Philosophie eine partikuläre Ansicht annehmen müßte. Ich meine, die Elemente unserer Natur so ordnen, daß das geschaffene System, richtig verstanden, auch noch den Geist als einseitig bekämpft, heißt von sich selber aus genug Vorsicht und Zweifel einflößen. An diesem Punkt tut unser Hauptresultat hoffentlich mindestens genug. Die absolute Erkenntnis, die wir beansprucht haben, ist nicht mehr als ein Grundriß. Sie ist Erkenntnis, die einerseits genügend erscheint, um die Hauptinteressen unserer Natur zu sichern und hält sich anderseits von den Anmaßungen fern, die wir als nicht menschlich empfinden müssen. Wir bestehen darauf, daß jede Realität einen gewissen Charakter bewahren muß. Das Ganze ihrer Inhalte muß Erfahrung sein, sie müssen sich in einem einzigen System vereinen und diese Einheit muß selber Erfahrung sein. Es muß jedes mögliche Fragment der Erscheinung umfassen und harmonisieren. Alles, was in irgendeinem Sinn mehr als unser tatsächlicher Besitz sein und jenseits von ihm liegen kann, muß immer noch unausbleiblich von der gleichen Art wie dieser sein. Wir bleiben bei diesem Satz und wir behaupten, daß er, soweit er geht, absolute Erkenntnis betrifft. Dieser Satz aber geht, wie ich erklärt habe, nicht sehr weit. Er stellt uns frei zuzugeben, daß unser Wissen trotzdem nichts ist im Verhältnis zu unserem Nichtwissen. Wir wissen nicht, was für andere Arten der Erfahrung existieren oder wie viele es im V ergleich zu unseren sein mögen. Wir wissen nur im vagen Umriß, was die Einheit ist oder warum sie überhaupt in unseren partikulären Formen der Pluralität erscheint. Wir können auch verstehen, daß solche Erkenntnis unmöglich ist und wir haben sogar den Grund hierfür gefunden. Denn Wahrheit kann sozusagen nur soweit wissen, als sie selber besteht. Und die Verbindung aller Seiten unserer Natur würde diese in keinem .Fall so lassen, wie sie sind. Wenn die Wahrheit der Realität adäquat würde, würde sie so ergänzt werden, daß etwas ganz Anderes daraus würde - etwas Anderes wie Wahrheit und etwas für uns Unerreichbares. Wir haben auf diese Weise genügenden Raum zur B«;ltätigung des Zweifels und Wunders gelassen. Wir lassen den gesunden Skeptizismus zu, für den jede Erkenntnis in einem gewissen Sinn Schein ist, der in seinem Herzen fühlt, daß die Wissenschaft ein armseliges Ding, ist gemessen an dem Reichtum des realen Universums. Wir rechtfertigen die natürliche Verwunderung, die sich daran entzückt, sich über unsere taghelle Welt hinaus zu verirren und Pfaden zu folgen, die in halb bekannte und halb unbekannte Regionen führen. Unsere Schlußfolgerung hat mit einem Wort den unwiderstehlichen Eindruck, den alles uns Jenseitige macht, erklärt und bestätigt.

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Alles ist Irrtum, aber nicht alles ist Illusion. Wo und insoweit, wie unsere Begriffe nicht das Gleiche wie Realität sind, dort ist Irrtum. Wo und insoweit dieser Unterschied sich als ein Konflikt in unserer Natur erweist, dort ist Illusion. Wo die innere und äußere Erfahrung mit unseren Ansichten auseinanderklafft, dort, wo auf diese Weise Unordnung, Verwirrung und Schmerz entstehen, dort mögen wir von Illusion sprechen. Sie ist · der Gang der Geschehnisse, die sich in Kollision mit der Reihe unserer Begriffe befinden. Nun ist 'der Irrtum im Sinn einseitiger und partieller Wahrheit für unser Sein notwendig. In der Tat könnte sozusagen nichts anderes unseren Bedürfnissen entsprechen und nichts Anderes könnte dem Zweck der Wahrheit so dienen. Um die divergenten Seiten unseres sich widerspreehenden endlichen Lebens zu verfolgen, ist eine Mannigfaltigkeit von Irrtum in Gestalt verschiedener partieller W ahrbeiten nötig. Wenn die Dinge anders sein könnten, dann wäre, soweit wir sehen können, endliebes Leben unmöglich. Daher müssen wir immer Irrtum haben, und sein Vorbandensein bürdet uns ein gewisses Maß von Illusion auf. Endliebe Wesen, die selbst nicht in sich konsequent sind, müssen ihre mannigfaltigen Seiten in der Zufallswelt zeitlicher Geschehnisse verwirklichen. Daher können Begriffe und Existenz nicht genau einander entsprechen, während der Mangel dieser Übereinstimmung gewissermaßen Illusion bedeuten muß. Wir müssen leider zugeben, daß es endliebe Seelen gibt, denen im Ganzen das Leben sieb als Enttäuschung und Betrug erwiesen bat. Es gibt vielleicht keine, die nicht in gewissen Momenten und in mancher Hinsicht auch zu diesem Schluß gekommen ist. Aber daß im Allgemeinen und im Wesentlichen das Leben eine Illusion wäre, kann logischerweise nicht behauptet werden. Und wenn im Allgemeinen und Groben die Ereignisse unseren Vorstellungen entsprechen, so ist das sicherlich alles, was wir als endliebe Wesen zu erwarten berechtigt sind. Wir müßten dann erwidern, daß, obgleich Illusionen hier und da existieren, das Ganze keine Illusion ist. Wir haben kein Interesse daran, eine absolute Erfahrung zu gewinnen, die, das sei betont, für uns Nichts sein könnte. Wir brauchen tatsächlich gar nicht zu wissen, ob das Universum hinter den Erscheinungen sich versteckt hält und es ein Spiel mit uns treibt. Was wir hier als wahrer und schöner und besser und höher finden - sind diese Dinge wirklich so oder mögen sie in der Realität alle ganz anders sein? Mit anderen Worten, ist unsere Norm eine falsche Erscheinung, die das Universum gar nicht besitzt? Darauf können wir im Allgemeinen sofort eine Antwort geben. Es gibt überhaupt nirgends eine Realität außer in der Er-

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scheinung, und in unserer Erscheinung können wir die wesentliche Eigenart der Realität finden. Dieses Wesen kann nicht erschöpft, wohl aber abstrakt erkannt werden. Wirklich und in der Tat gibt uns dieser allgemeine Charakter des wahrhaften Universums die Unterscheidung für den relativen Wert der Erscheinungen. Wir begehen Irrtümer, aber immer verwenden wir die wesentliche Eigenschaft der Welt als unser eigenes Kriterium für Wert und Realität. Höher, wahrer, schöner, besser und realer: diese Begriffe zählen am Ganzen gemessen im Universum, wie sie auch für uns zählen. Und die Existenz muß im großen Ganzen mit unseren Begriffen übereinstimmen. Denn im Ganzen bedeutet höher für uns einen stärkeren Grad jener einen Realität, außerhalb der jede Erscheinung absolut nichts ist. Es kostet keine Mühe, zu sehen, daß die Realität letzten Endes unedorschlieh ist. Es ist leicht, zu beobachten, daß eine Erscheinung, die nicht Realität ist, in gewissem Sinn trügerisch ist. Diese Wahrheiten kann so, wie sie sind, jeder einzelne Mensch fassen. Es ist eine einfache Sache, weiterhin zu schließen, daß vielleicht das Reale für sich sitzt, daß es sich einen Zustand an sich bewahrt und nicht zu Phänomenen herniedersteigt. Es ist auch billig, eine andere Seite desselben Irrtums als wahr anzusehen. Vielleicht betrachtet man auch die Realität als in allen Erscheinungen immanent auf die Weise, daß sie in allen in ähnlicher und gradgleicher Weise vorhanden ist. Alles ist auf der einen Seite so wertlos, wie es auf der anderen Seite göttlich ist, so daß nichts niedriger oder höher als irgend etwas anderes sein kann. Man mag dieses Werk als eine ständige Polemik gegen beide Seiten dieses Mißverständnisses auffassen, gegen die leere Transzendenz und gegen diesen seichten Pantheismus. Die positive Relation jeder Erscheinung als ein Adjektiv zur Realität und die Gegenwart der Realität inmitten der Erscheinungen in verschiedenen Stufen und mit verschiedenen Werten diese zweifache Wahrheit haben wir als das Zentrum der Philosophie gefunden. Eben weil das Absolute keine gesonderte Abstraktion ist, sondern einen positiven Charakter hat, eben weil dieses Absolute selber positiv in jeder Erscheinung vorhanden ist, deswegen können die Erscheinungen selber wahre Wertunterschiede besitzen. Ohne diese Grundlage blieben wir schließlich ohne ein zuverlässiges Kriterium für den Wert, die Wahrheit oder Realität. Diese Schlußfolgerung - einerseits die Notwendigkeit einer Norm und anderseits die Unmöglichkeit, sie ohne eine positive Kenntnis des Absoluten zu erreichen - möchte ich jedem intelligenten Verehrer des Unbekannten nahezulegen wagen.

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Die Realität ist überhaupt nichts ohne die Erscheinungen 1 ). Es ist letzten Endes Unsinn, von Realitäten zu reden - oder von irgend etwas anderem - an denen Erscheinungen erscheinen sollten oder zwischen denen sie irgendwie als Relationen hängen könnten. Solche Realitäten wären, wie wir gesehen haben, selber Erscheinungen oder nichts. Denn das Reale läßt sich nur durch Erscheinungen qualifizieren, und außerhalb des Realen bleibt kein Raum, in dem Erscheinungen leben könnten. Realität erscheint in seinen Erscheinungen und sie sind ihre Offenbarung; und auf andere Weise könnten sie nie etwas sein. Die Realität gelangt uns zur Kenntnis und je mehr wir von etwas erkennen, um so mehr ist in gewisser Weise Realität in uns vorhanden. Die Realität ist unser Kriterium des Schlechter und Besser, des Häßlichen und der Schönheit, des Wahren und Falschen, des Realen und Unrealen. Kurz, sie entscheidet zwischen "höher" und "niedriger" und gibt diesem einen allgemeinen Sinn. Auf Grund dieses Kriteriums unterscheiden sich die Erscheinungen an Wert; und ohne dieses würde das Höchste und Niedrigste nach allem, was wir wissen, im Universum als gleich zählen müssen. Realität ist eine einzige Erfahrung, die sich selbst durchdringt und bloßen Relationen überlegen ist. Ihr Wesen ist das Gegenteil von jenem der Fabel angehörigen Extrem, das rein mechanisch ist, und sie ist schließlich die alleinige vollkommene Realisation des Geistes. Wir können nun wohl dieses Werk mit der Behauptung schließen, daß die Realität geistig ist. Es besteht ein großes Wort von Regel, ein Wort, das allzu gut bekannt ist, aber eines, das ich ohne eine nähere Erklärung lieber nicht annehmen möchte. Ich will aber mit etwas von der wesentlichen Botschaft Hegels nicht sehr Verschiedenem enden, mit etwas, das vielleicht gesicherter als jenes ist. Außerhalb des Geistes gibt es keine Realität und kann es keine geben, und je geistiger etwas ist, um so viel mehr ist es wahrhaftig real. 1)

Über die Bedeutung der Erscheinung im Besonderen vgl. Kap. 26.

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Einleitung Anstatt auf zahlreiche Kritiken eine formale Erwiderung im Einzelnen zu versuchen, habe ich es für richtiger gehalten, dem Leser dadurch zu helfen, daß ich ihm zunächst einige kurze Erklärungen über die Hauptlehre meines Buches gebe und darauf eine genauere Erklärung für gewisse Schwierigkeiten folgen lasse. Meine Auswahl der erörterten Punkte ist, wie ich fürchte, bis zu einem gewissen Grade willkürlich, aber ich möchte meine Kritiker bitten, nicht anzunehmen, daß ich, falls sie ihre Einwände nicht wiederfinden, sie mit Mißachtung behandelt hätte. .I. Was nun die Gruppierung meines Werkes angeht, so komme ich mit keinerlei Verteidigung. Eine systematische Abhandlung zu schreiben lag nicht in meiner Kraft, und da dem so ist, denke ich, ist der von mir eingeschlagene Weg ebenso gut wie jeder andere. Die Anordnung des Buches schien mir selber nicht von großer Bedeutung zu sein. So weit, wie ich sehen kann, wäre auch bei jeder anderen Form das Ergebnis dasselbe gewesen und ich muß bezweifeln, ob eine andere für die meisten Leser besser gewesen wäre. Von welchem Punkt aus wir auch begonnen hätten, wir hätten uns bald in dieselben Schwierigkeiten verstrickt gefunden und wären zu dem gleichen Versuch, ihnen zu entrinnen, gekommen. Die Anordnung des Buches entspricht nicht der Reihe meiner Gedanken, und dasselbe hätte von jeder anderen Ordnung gegolten, die anzunehmen in meiner Macht läge. Ich könnte z. B. mit dem Ich als einer gegebenen Einheit begonnen haben und könnte gefragt haben, inwiefern irgendwelche andere Dinge auf andere Weise real sind und inwieweit auch das Ich seine eigenen Ansprüche auf Realität befriedigt. Oder ich hätte auch mit dem Faktum Erkenntnis beginnen und dann untersuchen können, was sie schließlich in sich enthält oder ich konnte auch richtiger meinen Ausgang von der Grundlage des Willens oder Wünschens nehmen. Keiner von diesen Wegen wäre für mich selber wirklich ungeeignet gewesen, und sie hätten alle zu dem gleichen Ziel geführt. Aber jede individuelle Vorliebe jedes Lesers zugleich zu befriedigen war nicht möglich;

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auch bin ich nicht sicher, ob überhaupt dem Leser in Wirklichkeit geholfen wird, wenn man von dem ihm angenehmen Wege ausgeht. Der Mangel an System in meinem Buch ist natürlich eine andere Sache und den gebe ich zu und bedaure ich. II. Der tatsächliche Ausgangspunkt und die Basis dieses Werkes ist eine Annahme hinsichtlich der '\Vahrheit und Realität. Ich habe als die Aufgabe der Metaphysik die Auffindung einer allgemeinen Ansicht hingestellt, die die Vernunft zufriedenstellt und habe vorausgesetzt, daß jeder Erfolg dieses Tuns real und wahr ist und daß der Mißerfolg keins von beiden sei. Dies ist eine Theorie, die, soweit ich sehe, weder bewiesen noch in Frage gestellt werden kann. Der Beweis oder die Frage scheint mir die Wahrheit der Theorie in sich zu schließen, und wenn das nicht vorausgesetzt wird, verschwinden beide. Ich sehe keinen Fortschritt darin, bei diesem Punkt noch länger zu verweilen 1). Ill. Aber damit treten wir dem großen Problem der Relation von Gedanke und Realität gegenüber. Denn wenn wir die Behauptung, daß alle Wahrheit Gedanke ist, ablehnen (was ich für falsch hielte), so können wir dies sicherlich für einen großen Teil der Wahrheit nicht ableugnen und wir können auch kaum leugnen, daß die Wahrheit die Vernunft befriedigt. Ist dem aber so, dann ist die Wahrheit, wie wir gesehen haben, real. Und die Annahme, daß die Wahrheit real ist, nicht, weil sie wahr, sondern weil sie ebenso etwas Anderes ist, scheint nicht zu halten; denn, wenn dem so ist, würde das etwas Anderes außerhalb bleiben und die Wahrheit unvollständig machen und daher verfälschen. Auf der anderen Seite, kann dann aber auch der Gedanke, auch wenn er vollständig ist, dasselbe wie die Realität sein? - ich meine völlig dasselbe und ohne einen Unterschied zwischen ihnen? Auf diese Frage könnte ich niemals eine bejahende Antwort geben. Es ist unnütz, hier zu beweisen zu suchen, daß das Reale Gedanken als seine conditio sine qua non enthält, denn das beförderte im Fall des Nachweises die Schlußfolgerung nicht. Es ist auch nutzlos zu behaupten, daß der Gedanke so unzertrennlich von jeder Art Erfahrung sei, daß man schließlich von ihm sagen kann, er erstrecke sich auf den ganzen Bereich. Das ist, meiner Meinung nach, der nicht bündige Beweis von der conditio sine qua non nur noch einmal oder sonst wird die Schlußfolgerung von einer anderen Seite her durch die ungebührliche Ausdehnung der Bedeutung des Gedankens ungültig. D. h. Was die Anordnung der Gedanken in meinem Buch angeht, so muß ich den Leser weiterhin auf den Zusatz A in diesem Anhang verweisen. 1)

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man nimmt dann von dem Gedanken an, daß er viel mehr als Wahrheit in engerem Sinn in sich schließe, so daß die alte Frage, wie denn die Wahrheit in diesem Sinn zur Realität stehe, mehr oder weniger innerhalb des Gedankens selber hervorbrechen muß. Ferner scheint es auch nicht klar, warum wir dieses Ganze als "Gedanke" und nicht als "Gefühl" oder "Wille" bestimmen dürfen, wofern wir nicht zeigen können, daß diese tatsächlich Arten des Gedankens sind, während der Gedanke nicht unter sie fallen kann. Denn sonst scheint unserer Schluß nur pedantisch und willkürlich; auch ein Argument, das aus der reinen Hegemonie des Gedankens bezogen würde, könnte den erforderlichen Schluß nicht erweisen. Damit sind wir aber, wie es scheint, in einem Dilemma geblieben. Es besteht ein Unterschied zwischen der Wahrheit oder dem Gedanken (es wird zweckmäßig sein, diese nunmehr zu identifizieren) auf der einen und der Realität auf der anderen Seite. Aber zu behaupten, diese Unterscheidung scheint unmöglich, ohne irgendwie den Gedanken zu überschreiten oder den Unterschied in den Gedanken selber zu tragen, diese Phrasen sind sinnlos. So erscheint denn Realität als ein Anderes, von der "\V ahrheit Verschiedenes und scheint dennoch nicht davon wahrhaft unterschieden werden zu können; und dies Dilemma war für mich selber lange eine Hauptursache für Verwirrung und Zweifel. Wir tragen tatsächlich etwas zur Lösung durch die Identifikation des Seins oder der Realität mit der Erfahrung oder mit der Empfindung in ihrem weitesten Sinn bei. Ich habe diesen Schritt ohne Zögern getan und ich will hier weiter nichts zu seiner Verteidigung hinzufügen. Der ernsthafteste Einwurf, der sich dagegen erhob, kam meiner Meinung nach vom Solipsismus, und ich habe ihn breit genug behandelt. Dieser Schritt läßt uns aber noch weit entfernt von der ersehnten Lösung unseres Dilemmas stehen; denn zwischen den Fakten der Erfahrung, den Gedanken über sie und der sie betreffenden Wahrheit bleibt immer noch ein Unterschied und damit die Schwierigkeit, die sich an diesen Unterschied knüpft. Die in Kap. 15 dargebotene Lösung dieses Dilemmas ist meiner Überzeugung nach die einzig mögliche. Sie enthält die Hauptthese dieses Werkes, und die jener These entgegengesetzten Anschauungen, die meiner Ansicht nach durch dieses Dilemma gebunden und zunichte gemacht werden. Wir müssen zwei wesentliche Merkmale in dieser Theorie beachten. Sie behauptet auf der einen Seite, daß die Wahrheit oder der Gedanke ihrem Wesen nach ihre eignen Ansprüche nicht befriedigt, daß sie etwas zu sein verlangt, und soweit auch schon ist, was sie nicht vollständig sein kann. Wenn daher

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der Gedanke seine eigne Natur durchsetzte, so wäre er und wäre doch nicht über sich selbst hinausgegangen und ebenso ein Anderes geworden. Und zweitens wäre die Selbstvervollständigung des Gedankens durch die Einbeziehung der dem reinen Denken entgegengesetzten Seiten das, was wir unter Realität verstehen und unter Realität können. wir nicht mehr als dies verstehen. Die mir über diese Lehre zu Gesicht gekommenen Kritiken scheinen mir auf keiner ernsthaften Untersuchung dessen zu beruhen, was denn in -Wirklichkeit die Erfordernisse des Gedankens sind oder was ihre Erfüllung enthält. Wenn aber die Befriedigung des IntellektsWahrheit und Realität sein soll, so muß eine solche Frage fundamental sein. IV. Mit der Lösung dieses Problems der Wahrheit ist zugleich die ganze Anschauung von der Realität gegeben. Die Realität steht über dem Gedanken und über jeder partiellen Seite des Seins, aber sie schließt sie alle ein. Jede von diesen ergänzt sich durch V erbindung mit dem Übrigen und bildet so die Vollendung des Ganzen heraus. Dieses Ganze ist Erfahrung, denn etwas anderes als Erfahrung ist sinnlos. Was also in irgendeinem Sinn "ist", qualifiziert die absolute Realität und ist daher real. Weil aber auf der anderen Seite alles, um sich selber zu ergänzen und seine eigenen Ansprüche zu befriedigen über sich selber binausgehen muß, ist schließlich nur das Absolute real. Alles andere ist Erscheinung; denn der Charakter dessen, was über die eigene Existenz hinausgeht, liegt mit ihr im Widerspruch und überschreitet sie. Und intellektuell betrachtet ist die Erscheinung Irrtum. Der Ausgleich liegt aber in der Ergänzung dessen, was außerhalb steht und dennoch wesentlich ist, und im Absoluten wirkt dieses Heilmittel vollkommen. Es gibt keine bloße Erscheinung oder reinen Zufall oder absoluten Irrtum, sondern alles ist relativ. Der Grad der Realität wird an dem Maß von Ergänzung gemessen, das in jedem Fall benötigt wird, und an dem Ausdehnungsgrad, den die Ergänzung von etwas, bis es selber als solches vernichtet ist, besitzt 1 ). V. Dieses Absolute ist aber, so ist mir eingewendet worden, ein völlig Leeres oder sonst Unbegreifliches. Sicherlich ist es unbegreiflich, wenn das bedeutet, daß du es nicht im Einzelnen verstehen kannst und daß du innerhalb seiner Struktur durchgängig und ständig außerstande bist, auf die Frage nach dem Warum oder Wie zu antworten. Und das heißt nicht begreiflich in dem von mir klar auseinandergesetzten Sinn. Was aber den wesentlichen Charakter angeht, so müssen wir auf eine sich davon unterscheidende Antwort 1)

Über das Problem der Stufen der Erscheinung siehe mehr in § 7.

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zurückkommen. Wir gehen von der Verschiedenheit in der Einheit, die uns im Gefühl gegeben ist, aus und wir entwickeln diese innerlich nach dem Prinzip der Selbstergänzung über das Ich hinaus, bis wir den Begriff einer allesumfassenden und suprarelationalen Erfahrung erreichen. Dieser Begriff scheint mir im Abstrakten verständlich und positiv zu sein und so ist auch das Prinzip, durch das er erreicht wird; und die Kritik, die dies als bloße N egationen ansieht, beruht meiner Meinung nach auf einem Mißverständnis. Die Kritik, die tatsächlich wirksam sein wollte, müßte meiner Ansicht nach zeigen, daß meine Anschauung vom Ausgangspunkt unhaltbar ist und daß das Entwicklungsprinzip samt seinem Resultat unsicher sei, und eine solche Kritik habe ich bisher nicht gesehen. Was aber unverständlich und was unerklärlich ist, das müssen wir doch unterscheiden. Eine Theorie mag Unbegreifliches enthalten, so lang, wie sie es wirklich enthält; und nicht zu wissen, wie etwas sein kann, ist noch keine Widerlegung unseres Wissens, daß es sein muß und ist. Die ganze Frage ist, ob wir ein allgemeines Prinzip haben, unter das die Details fallen können oder müssen oder ob die Details außerhalb fallen oder negative Beispiele sind, die das Prinzip aufheben. Nun habe ich im Einzelnen nachgewiesen, daß es keine Fakten gibt, die außerhalb des Prinzips fallen oder tatsächlich negative Beispiele sind; und weil daher das Prinzip nicht zu bestreiten ist, müssen daher die Fakten sich ihm fügen, können es und tun es auch. Ist ein Erkenntnis des "Wie" im allgemeinen gegeben, so ist ein bloßes Nichtwissen des "Wie" im Einzelnen zulässig und harmlos 1 ). Dieses Argument ist seinem allgemeinen Charakter nach, so nehme ich an, ganz bekannt, auch jenen Kritikern, die scheinbar davon überrascht worden sind; und seine Anwendung ist hier, so weit ich sehe, berechtigt und notwendig. Was nun die Anwendung angeht, so muß ich auf das Ganze des Werkes verweisen. VI. Was die Einheit des Absoluten betrifft, so wissen wir, daß das Absolute eines sein muß, weil jedes Erfahrene in einem Ganzen oder als ein solches erfahren wird und weil keinerlei unabhängige Pluralität oder äußere Relationen den Intellekt befriejigen können. Und das kann den Intellekt nicht zufriedenstellen, weil es ein WiderIn dieser Verbindung möchte ich eine Stelle aus Stricker: "Bewegungsvorstellungen" p. 35 anführen: "Ein Lehrsatz wird nicht dadurch erschüttert, daß Jemand einherkommt und uns von einer Beobachtung berichtet, die er mit Hilfe dieses Lehrsatzes nicht zu deuten vermag. Erschüttert wird ein Lehrsatz durch eine neue Beobachtung nur dann, wenn sich zeigen läßt, daß sie ihm geradezu widerspricht." 1)

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spruch in sich ist. Aus dem gleichen Grunde ist auch das Absolute ein System in dem höchsten Sinn des Begriffs; denn jede geringwertigere Bedeutung ist unreal, da sie ein Widerspruch in sich ist. Die Themen des Widerspruchs und der äußeren Relationen werden noch in einem späteren Teil dieses Anhangs, Zusatz A und B behandelt. VII. Ich will einen Einwurf anmerken, der mir von mehreren Kritikern gemacht worden ist. Er ist in folgendem Auszug aus der Philosophical Review, Vol. IV p. 235 zum Ausdruck gekommen : "Alle Phänomene werden als mit dem gleichen Widerspruch behaftet angesehen, indem sie alle eine Verbindung des Einen und Vielen in sich schließen. Es ist daher unmöglich, den Begriff der Grade der Wahrheit und Realität anzuwenden. Wenn alle Erscheinungen sich in gleicher Weise widersprechen, sind sie alle in gleicher Weise unfähig, uns dazu zu helfen, damit wir in größere Nähe der Realität gelangen." Und es wird noch hinzugefügt, daß scheinbar über diesen Punkt Übereinstimmung in den Ansichten meiner Kritiker besteht. Meiner Meinung nach muß ich den genauen Sinn dieses Punktes nicht verstanden haben, da er, wie ich ihn verstehe, keinerlei ernste Schwierigkeit bietet. Tatsächlich ist dieser Punkt, gut oder übel, so alt und bekannt, daß mir dabei überhaupt keine Schwierigkeit aufstieß, und daher wurde er nicht angemerkt. Nimm aber an, daß ich in der Theologie behaupte, daß alle Menschen vor Gott und an ihm gemessen, Sünder sind; schließt das aus, daß ich einen für besser {)der schlechter als den anderen halte? Und wenn ich das Faktum graduell verschiedener Tugend annehme, darf ich dann auch nicht glauben, daß die Tugend eine Vollkommenheit ist und daß du sie erreichen mußt oder nicht? Und ist das in Wirklichkeit eine so hoffnungslose Verwirrung? Nimm an, daß ich für einen bestimmten Zweck einen Stab brauche, der gerrau ein Yard lang ist, bin ich dann auf falschem Wege, wenn ich einen Zoll, 35 Zoll und jede mögliche Summe unter 36 Zoll zugleich ablehne, da sie in gleicher Weise und auf dieselbe Art zu kurz sind? Wenn für dich freilich Vollkommenheit und Vollständigkeit auf einer Linie stehen, so heißt es da~j~ Ja oder Nein; du hast sie dann entweder erreicht oder nicht und es liegt dann entweder ein Mangel oder keiner vor. Anders gesehen gibt es aber im Unvollkommenen bereits ein Mehr oder Weniger an Qualität und Charakter, jenes selben Charakters, der, wenn jeder Mangel beseitigt wäre, Vollkommenheit erreichen und diese selber sein würde. Wo es eine Skala von Graden gibt, kannst du deren Stufen als mehr oder weniger vollkommen behandeln oder du kannst auch sagen: "Nein, keine von ihnen ist voll-

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kommen"; so angesehen, sind sie gleich, und es besteht kein Unterschied zwischen ihnen. Dies muß in der Tat eintreten, wenn du fragst, ob etwas vollkommen ist oder nicht. Diese Frage nach Ja oder Nein stellte ich bei Erscheinungen iin Verbindung mit der Realität und ich habe in meinem Buch eine Sprache angewandt, die sich sicherlich selber widerspricht, wenn nicht der Leser beachtet, daß es mehr als einen Gesichtspunkt gibt. Ich nahm an, daß der Leser dies beachten würde und ich kann nicht bezweifeln, daß er es oft getan hat und ich meine, daß er es immer getan haben könnte, wenn er nur in die Metaphysik alle draußen erworbenen Begriffe mitbrächte und nicht nur eine willkürliche Auswahl aus ihnen. Von Begriffen, die nicht als wahr, sondern mindestens als existierend behandelt werden sollten, möchte ich beispielsweise besonders einige Leitbegriffe der christlichen Religion über die Freiheit anführen: den Begriff von der reinen Moralität und der unabhängigen Selbstgenügsamkeit endlicher Personen und Dinge. Obwohl ich für meine Person mit der Auseinandersetzung der Falschheit und Unmoralität mancher christlicher Lehren nicht hinterm Berg gehalten habe (wo es mir notwendig erschien), so kann ich doch die weitverbreitete Praxis nicht billigen, daß man sie behandelt als existierten sie überhaupt nicht. Wenn aber trotzdem meine Kritiker nicht das vorhin Dargelegte, sondern irgend etwas Anderes im Sinn hatten, und wenn der Einwurf bedeutet, daß ich nicht erkläre, warum und wie es überhaupt Verschiedenheit und so etwas wie Stufen gibt, so bin ich um keine Antwort verlegen. Ich antworte, daß ich gar nicht vortäusche, dergleichen zu erklären. Anderseits habe ich aber immer und immer behauptet, daß ein allgemeiner Schluß nicht dadurch aufgehoben wird, daß man ihn nicht im Detail erklären kann, falls nicht jenes Detail als ein den Schluß negierendes Beispiel angeführt werden kann. Wenn schließlich der Gebrauch des Ausdrucks "bloße Erscheinung" eine Schwierigkeit verursacht hat, so ist er meiner Meinung nach schon früher erklärt worden. Dieser Ausdruck erhält seinen Sinn durch den Kontrast zu dem Absoluten. Wenn du bei irgendeiner Erscheinung unbedingt danach frägst, ob sie Realität ist oder nicht ist, Ja oder Nein, so mußt du Nein antworten und du kannst dieses unbedingte Nein dadurch ausdrücken, daß du das Wort "bloß" anwendest. Mindestens hätte ein Kritiker meiner Meinung nach, gut daran getan, wenn er, bevor er mich über die Unmöglichkeit irgendeiner bloßen Erscheinung belehrte, meinen Index über den Begriff unter dem Stichwort Irrtum befragt hätte. Ich muß schließlich sagen, daß ich über die Frage nach den B r a dIe y, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Stufen der Erscheinung und der Realität nur wenig gefunden habe, was meine Kritiker wirklich dagegenstellen können, es sei denn, siewären in der Lage, daß ich einen von zwei eigentümlichen und unerläßlichen Gesichtspunkten ungebührlich betont hätte. Ob ich dies getan habe oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden, wenn dies aber meine Kritiker gemeint haben, so kann ich ihnen zu ihrer Methode, es auszudrücken kein Glück wünschen. Ich möchte aber nochmals mein Bedauern darüber aussprechen, daß ich nicht imstande war, die verschiedenen Formen der Erscheinung systematisch zu behandeln. Wenn ich dies getan hätte , so· wäre klarer geworden, daß jede Form ebenso wahr wie unwahr ist~ und daß es eine Entwicklung der Wahrheit gibt. Wir hätten gesehen, daß jede tatsächlich auf dem gleichen Prinzip basiert ist und einen V ersuch zu seiner Realisierung darstellt, und zwar eines Prinzips, das durch keine Erscheinung erfüllt wird, und das jede als sich inadäquat verurteilt. VIII. Ich muß nunmehr einen schwierigeren Punkt kurz berühren. Warum, so hat man mich gefragt, habe ich nicht das. Absolute mit dem Ich identifiziert? Nun, wie ich schon bemerkt habe, kann meine ganze Anschauung als auf dem Ich basiert angesehen werden; auch ich könnte nicht bezweifeln, daß ein Ich oder ein System von leben das Höchste ist, was wir haben. Wenn aber als Bezeichnung für das Absolute "Ich" vorgeschlagen wird, so· bin ich gezwungen, es abzulehnen. Um den Begriff des Absoluten zu erreichen, müßte unseren endlichen leben so viel hinzugefügt und davon abgezogen werden, daß es sehr fraglich wird, ob das Ergebnis. mit der Bezeichnung ,,Ich" gedeckt werden kann. Wenn du den Begriff eines Ichs oder eines Systems von leben über einen gewissen Punkt steigerst, d. h. wenn du jede Endlichkeit als solche~ jeden Wechsel, jeden Zufall und jede Veränderlichkeit ausgeschlossen hast, - hast du dann nicht in Wirklichkeit deinen Begriff über seinen eigentümlichen Anwendungsbereich gesteigert? Ich bin gezwungen, so zu denken und weiß auch keinen Grund, warum es nicht so sein sollte. Den Anspruch des Individuums als solchem auf Vollkommenheit lehne ich völlig ab. Und das Argument, daß. du, falls du die Bezeichnung "Ich" in Zweifel ziehst, dazu verurteilt bist, etwas Niedrigeres anzunehmen, scheint mir durchaus unzureichend. Ich habe behauptet, daß jemand, der vom Ich ausgeht, zu einem positiven Resultat darüber hinaus vorwärts kommen kann~ und meine Behauptung wird durch eine solche rein irrationale Annahme sicherlich nicht falsch. Und wenn ich endlich sagen höre: "Gut, du gibst selbst zu, daß das Absolute unbegreiflich ist, warum

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sich dann gegen den Satz sträuben, daß das Absolute irgendwie in unbegreiflicher Weise Ich ist, und daß das Ich irgendwie in unbegreiflicherWeise absolut ist," - so stört mich das gar nicht. Denn, obwohl das Absolute im Einzelnen unbegreiflich ist, so ist es dies doch nicht im Allgemeinen, und sein allgemeiner Charakter entstammt einer Folgerung aus einem allgemeinen notwendigen Prinzip. Gegen diese Konsequenz haben wir aber nur Unvermögen und Nichtwissen zu setzen. Das Ich als solches aber absolut machen, heißt soweit ich sehe, Fakten zum Trotz zu postulieren; Fakten, die beweisen, daß der Charakter des Ichs dahin ist, wenn er nicht mehr relativ ist. Und dieses Prinzip selbst, ich muß darauf bestehen, ist überhaupt kein Prinzip, sondern ein bloßes Vorurteil und Mißverständnis. Der Anspruch dieses Postulats, wenn es aufgestellt wird, sollte meiner Meinung nach offen und klar gemacht werden. Was aber die Anwendung des Wortes "Ich" angeht, so bin ich weit von jeder Unversöhnlichkeit, so lange wir nur wissen, was wir damit meinen und was nicht. Ich widersetze mich natürlich jedem Versuch, das endliche Ich in irgendwelchem Sinn als letzte Realität oder überhaupt außer der zeitlichen Reihe zu setzen. Und ich opponiere nochmals gegen jederlei Versuch, zwischen "Erfahrung" und "Erfahrenem" einen mehr als relativen Unterschied zu machen. Sich aber über diese Punkte und andere noch weiter zu verbreiten, halte ich nicht für zweckmäßig. IX. Ich will noch kurz meine Stellung zum Skeptizismus berühren. Die meisten, die mein Buch verständig gelesen haben, werden mir Glauben schenken, daß ich den Wunsch habe, dem Skeptizismus gerecht zu werden, und in der Tat, könnte ich vielleicht selbst in Anspruch nehmen, so etwas wie ein Skeptiker zu sein. Aber trotz meines Wunsches kann ich natürlich in die Irre gegangen sein; und es wäre für mich höchst instruktiv, wenn ich einer Nachprüfung meines letzten Kapitels durch einen geschulten, klugen Skeptiker begegnete. Bisher ist nichts Derartiges zu meiner Kenntnis gelangt; vielleicht widmet sich das skeptische Gemüt unter uns nicht oft der Metaphysik. Und ich glaube, das ist ein Unglück. Intellektueller Skeptizismus ist sicherlich nicht dasselbe wie skeptisches Temperament und er ist (wenn ich es wiederholen darf) "nur das Ergebnis von Arbeit und Bildung". Das ist scheinbar nicht die Ansicht des Autors im Mind (N. S. Nr. 11 ), der sich als der wahre Repräsentant der Skeptiker vorstellte. Er wird vielleicht nicht überrascht sein, wenn ich ihn nach der Berechtigung seiner Haltung frage und wenn ich meiner Überzeugung Ausdruck gebe, daß er nicht weiß, was wahrer Skeptizismus 30*

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ist. Seine Ansicht vom Skeptizismus besteht kurz gesagt darin, daß er fragt: "Was meinst du aber?" Die Idee ist ihm scheinbar noch nicht begegnet, daß man klug zu fragen und zu zweifeln erst lernen muß. Wenn ich z. B., der keine Mathematik versteht, bei irgendeinem Rechnungsversuch immer wiederholen würde, "Aber, was bedeutet dies?", so wäre ich auf diese Weise kaum ein mathematischer Skeptiker geworden. Skeptizismus dieser Art ist nur eine Kinderkrankheit und wird als ein Symptom von Minderwertigkeit angesehen und hat sicherlich keinen Anspruch darauf als eine philosophische Stellungnahme zu gelten. Wenn du bei einer Theorie kluger Weise zu fragen wünschest, "Was ist damit gemeint?", so mußt du darauf gefaßt sein, daß ich mir denke, daß du dich mit der Theorie beschäftigst. Und versuchst du, dich damit zu beschäftigen, so bist du sehr wohl verbunden, wenn du deine Zweifel geltend machst, dich stillschweigend auf irgendein Dogma zu stützen, das dir den Grund gegeben hat, die in Frage stehende Theorie abzulehnen. Einen solch rohen Dogmatismus zu vermeiden, ist nicht jedem, der sich ein Skeptiker zu nennen beliebt, gegeben. Und es wird niemandem, so möchte ich wiederholen, ohne Mühe und Erziehung gegeben. Aber in dem von mir zitierten Artikel steht abgesehen von diesem absurden Skeptizismusbegriff nichts Bemerkenswertes. Es zeigen sich hier manche Mißverständnisse und mißlungene Begriffe gewöhnlicher Art, die sich mit manchem uninteressanten, reinen Dogmatismus verbinden. Ich selber bedaure es, daß in diesem Punkt meine Kritiker mir so wenig geholfen haben und ich bin gezwungen, das Meiste (wenn der Ausdruck erlaubt ist) für meinen Skeptizismus selber zu tun 1 ). X. Die Lehre dieses Werkes ist darum verurteilt worden, weil sie nicht die Ansprüche unserer Natur befriedige und man hat ihr vorgeworfen, daß sie trotz allem nicht besser als ein Agnostizismus sei. Ohne nunmehr den Sinn dieses Begriffes zu erörtern - ein Thema, mit dem ich nicht vertraut bin - möchte ich doch lieber das betonen, was mir das Wichtigste zu sein scheint. Gemäß der Lehre dieses Werkes ist das, was uns das Höchste ist, auch im Universum und für dieses höchst real, und es kann gar keine Frage sein, ob etwas von der Realität aufgehoben werde. Im gemein1) Ich möchte hier erwähnen, daß ich auf eine Kritik dieses Werkes von Mr. Ward im Mind, Nr. 9 in der nächsten Nummer vielleicht zu schnell geantwortet habe. Ich zweifle, ob in der Kritik oder der Antwort darauf etwas die Aufmerksamkeit des Lesers hervorruft, ich habe aber darauf hingewiesen, falls er sie zu sehen wünscht.

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plätzigen Materialismus ist aber das, was schließlich real ist, sicherlich nicht das, was wir als das Höchste denken, da dieses Letztere ein Sekundäres ist und nach allem, was wir wissen ein fragwürdiges Resultat des ersteren. Und wenn wir auch bloßes Nichtwissen annehmen, sind wir in der Lage, daß nach allem, was wir wissen, unsere höchsten Überzeugungen Illusionen sind oder es einmal werden und einmal durch etwas Unbekanntes zunichte werden können. Ich behaupte nun, daß der Unterschied zwischen solchen Lehren und denen dieses Werkes in Wirklichkeit sehr bedeutend ist. Wenn man mir sagt, daß im allgemeinen die Theorien dieses Buches die Forderungen unserer Natur nicht befriedigen können, so möchte ich zuerst um die Beantwortung einer Frage bitten, die, wie ich glaube, offen zutage liegt. Soll ich es so verstehen, daß wir alle unsere Wünsche gerade so erfüllt sehen miissen, wie wir es wünschen? Dann müßte ich für meine Person antworten, daß mir eine solche Befriedigung unmöglich erscheint. Ich fühle mich aber nicht berufen, diese Forderung zu kritisieren, bevor ich sie nicht klar formuliert vor mir sehe; und einstweilen dränge ich nur auf eine klare Antwort auf meine Frage. Wenn die wirkliche Frage nicht diese ist und wenn sie nur irgendwie die Befriedigung der wesentlichen Ansprüche unserer Natur betrifft, dann sehe ich nicht ein, daß die Anschauung dieses Werkes anderen W altansichten nachsteht. Ich nehme an, daß sie natürlich mit Ansichten verglichen wird, die nach theoretischer Konsequenz streben und nicht nur mit Ansichten praktischen Glaubens. Solche Anschauungen der Praxis werden, wie wir wissen, durch ihre tatsächliche Wirksamkeit reguliert. Sie betonen hier einen einzigen Punkt und unterdrücken dort einen anderen, ohne sich viel um einen theoretischen Widerspruch in sich zu kümmern. Und praktische Meinungen jeder Art können meiner Ansicht nach mehr oder weniger mit oder unter jeder Gattung theoretischer Lehre bestehen. Der V ergleich, den ich hier im Auge habe, ist ein anderer und würde zwischen Theorien stattfinden, von denen eine jede beanspruchte, eine wahre und konsequente Begründung des Ganzen der Dinge zu sein. Ich will keinen solchen Vergleich ziehen, weil er viel Raum beanspruchen würde, und ohne vielleicht viel Zweck zu haben, könnte er doch großen Anstoß erregen. Es gibt aber zwei Bedingungen für jeden anständigen Vergleich, auf denen ich bestehen würde. Bei einer Frage nach der Befriedigung unserer Natur müßten zuerst alle Seiten der Natur und nicht ein einseitiger Ausschnitt aus diesen und eine willkürliche Auswahl aus ihr herausgestellt werden. Und zweitens müßte jede Seite der ver-

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glicheneo Theorien ohne Unterdrückung von etwaigen Zügen, die sich als zweckwidrig erwiesen, dargestellt werden. Denn jede Ansicht der Welt, so müssen wir alle zugeben, hat ihre eigenen besonderen Schwierigkeiten. Wenn ein Schriftsteller z. B. von einem theistischen oder christlichen Gesichtspunkt aus, sagen wir, eine "naturalistische" Begründung des Guten und Bösen verurteilt, würde jener Schriftsteller, wenn er auch den Wunsch nach Vornehmheit und Wahrheit hätte, die Tatsache außer acht lassen können, daß auch damit seine eigene Ansicht moralisch verurteilt worden ist? Würde er vergessen, daß die Beziehung eines allwissenden, moralischen Schöpfers zu den Dingen aus seiner Hand eine intellektuelle Verwirrung angerichtet hat und daß sie moralisch vielleicht nicht, von allen Seiten aus gesehen, "passend" ist? Seine Haltung wäre, wie ich meine, eine andere , und diese Beurteilung ist, wie ich überzeugt bin, die jedes vornehm Gesinnten, an welchen Lehren er auch immer sonst festhalten mag. Nichts ist leichter als einen allgemeinen Angriff auf irgendeine Lehre zu machen, während die gegenteilige ignoriert wird, und wenige Dinge sind, wie ich hinzufügen möchte, mindestens in der Philosophie weniger nutzbringend. Damit will ich zu einer speziellen Behandlung einiger schwieriger Probleme übergehen.

Zusatz A. Der Widerspruch und der Gegensatz 1) Wenn man uns fragt: Was ist gegensätzlich oder sich widersprechend (Ich halte es für notwendig, hier zwischen diesen zu unterscheiden), so würden wir um so schwerer eine Antwort finden, je mehr wir· es überlegen. "Etwas kann nicht zwei Gegenteile zugleich und in derselben Hinsicht sein oder tun." - Diese Antwort scheint auf den ersten Blick klar zu sein, aber bei näherem Zusehen bedroht sie uns wohl mit einem sinnlosen Zirkel. Denn, was sind "Gegensätze", anders als Adjektive, die das Ding so nicht verbinden kann? Daher haben wir nicht mehr gesagt, als daß wir im Faktum Prädikate finden, die in ihm nicht einig gehen, und daß unsere weitere Erläuterung ihrer "gegenteiligen" Natur nichts hinzuzufügen scheint. "Gegensätze werden sich nicht vereinen und ihre offenbare Verbindung ist bloße Erscheinung." Aber die bloße Erscheinung · liegt in Wirklichkeit vielleicht nur in ihrer tatsächlichen Gegensätzlichkeit. Und wenn eine Gruppierung sie gegensätzlich gemacht hat, kann vielleicht eine weitere Gruppierung ihren Gegensatz auf') Mit Auslassungen aus dem Mind, N. S. Nr. 20 wiederholt.

Zusats A. Der Widerspruch und der Gegensatz

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heben und sie alle zugleich und harmonisch in sich schließen. Kurz, sind Gegensätze in Wirklichkeit überhaupt gegensätzlich oder sind ßie trotz allem nur verschieden? Wir wollen versuchen, sie nach dieser letzteren Eigenschaft zu betrachten. "Etwas kann nicht ohne eine innere Unterscheidung zwei verschiedene Dinge sein (oder tun 1)) und Verschiedenheiten können nicht zu demselben Punkt gehören, wenn nicht an jenem Punkt eine Trennung vorgenommen wird. Die Erscheinung einer solchen Verbindung mag Tatsache sein, ist aber für den Gedanken ein Widerspruch." Dies ist die These, die mir die Wahrheit über den Gegensatz zu enthalten scheint, und ich will nunmehr diese These dem Leser nahezubringen versuchen. Diese These bedeutet erstens nicht, daß wir schließlich eine Tautologie suchen. Der Gedanke fordert ganz gewiß nicht reine Diesselbigkeit, die für ihn nichts bedeutete. Eine bloße Tautologie ist (Hegel hat uns das gelehrt und ich wünsche, wir könnten es alle lernen) nicht einmal so viel wie eine armselige oder dünne Wahrheit. Sie ist überhaupt, auf keine Weise und in keinem Sinn eine Wahrheit. Der Gedanke bedeutet Analysis und Synthesis, und wenn das Gesetz des Widerspruchs Verschiedenheit verbieten würde, so würde es das Denken zugleich verbieten. Davor zu warnen ist allzu notwendig, und ich will mich der anderen Seite der Schwierigkeit zuwenden. Der Gedanke kann nicht ohne Unterschiede sein, aber anderseits kann er sie nicht erzeugen. Und wie er sie nicht bilden kann, so kann er sie auch nicht von außen in fertiger Form empfangen. Der Gedanke muß seinen eigenen Weg (proprio motu) gehen oder, wa!! dasselbe ist, durch einen sachlichen und Erkenntnisgrund hindurch. Nun bedeutet aber von A zu B übergehen, für den Gedanken, wenn der Anlaß ein äußerer bleibt, überhaupt ohne Grund übergehen. Wenn aber auch das äußerliche Faktum der A und B-Verbindung als ein Erkenntnisgrund hingestellt wird, dann schafft jene Verbindung selber dieselbe Schwierigkeit. Denn die Analysis des Gedankens kann nichts respektieren; auch gibt es kein Prinzip, auf Grund dessen es bei einem bestimmten Punkt selbst anhalten oder angehalten werden könnte. Jede unterscheidbare Seite wird daher für den Gedanken ein verschiedenes Element, das zur Einheit gebracht werden muß. Daher kann der Gedanke ebensowenig ohne Begründung von A oder B aus zu seiner Verbindung übergehen, als er vorher nicht grundlos von A zu B übergehen konnte. Der Übergang, der als ein bloßes Faktum hingestellt oder als ein bloßes Fak1)

Diese Hinzufügung ist überflüssig.

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turn bewirkt wird, ist keine eigene Selbstbewegung des Gedankens. Oder mit anderen Worten, weil für den Gedanken kein Grund nur äußerlich sein kann, ist der Übergangsschritt grundlos. So werden A und B und ihre Verbindung wie Atome von außen durch Zufall oder Schicksal ineinander getrieben; was soll das Denken anderes damit anfangen als eine Gruppierung herstellen oder annehmen, die jedoch willkürlich und ohne Sinn ist, - oder, in Ermanglung eines anderen Grundes, sie wider die Vernunft einfach zu identifizieren? "Das ist nicht so, so kann man mir sagen, und die ganze Sache liegt anders. Es gibt gewisse letzte, uns als Fakten gegebene Komplexe und diese Letztheiten nimmt der Gedanke, wie sie gegeben sind, einfach als Prinzipien und wendet sie an, um das Detail der Welt zu erklären. Und mit diesem Prozeß ist der Gedanke befriedigt." Für mich ist eine solche Lehre völlig irrig. Denn diese Letztheiten können a) die Welt nicht begreiflich machen, und b) sind sie nicht gegeben und c) sind sie sich selbst widersprechend und keine Wahrheit, sondern Erscheinung. Sicherlich haben wir in der Praxis mit der Erscheinung und mit relativen Unwahrheiten zu rechnen, und ohne diese würden natürlich die Wissenschaften nicht existieren. Doch, glaube ich, daß das alles hier nicht in Frage steht und alles irrelevant ist. Hier ist die Frage, ob damit schon der Intellekt zufriedengestellt werden kann oder ob er anderseits nicht schließlich Mängel und Selbstwiderspruch darin findet. Sieh zuerst (a) auf das Mißlingen der sogenannten "Erklärung". Die aufgenommenen Prinzipien sind nicht nur an sich nicht rational, sondern, da sie beschränkt sind, bleiben sie außerhalb der Fakten, die zu erklären sind. Die Verschiedenheiten werden daher nur unter das Prinzip fall e n oder besser, werden darunter gebracht werden müssen. Sie kommen nicht aus ihm, auch bringen sie sich nicht aus sich selbst unter dieses. Die Erklärung vereinigt daher schließlich nur Fremdes auf unerklärliche Weise. Wenn hier auch die Prinzipien völlig rational wären, was sie sicherlich nicht sind, so drücken sie nur einen Teil des komplexen Ganzen aus. Das deutliche Beispiel hierfür ist die mechanistische Interpretation der Welt. Der Rest wird daher, auch wenn und wo er unter die Prinzipien gebracht worden ist, mit ihnen äußerlich und aus keinem bewußten Grunde verbunden. Daher besitzt die Erklärung schließlich weder Selbstexistenz noch irgendein "Weil" außer der brutalen Tatsache, daß eben die Dinge so gekommen sind. "Auf jeden Fall aber, so höre ich sagen, sind diese Komplexe gegeben und widersprechen sich nicht selber". Wir wollen diese

Zusatz A.

Der Widerspruch und der Gegensatz

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Punkte der Reihe nach ansehen. (b) Der Übergang von A zu B, das Verbleiben von b und c als Adjektive in A, die Verbindung von Trennung und Kontinuität in Zeit und Raum - "solche Dinge sind Fakten" wird gesagt. "Sie werden einem Intellekt gegeben, der mit ihrer Entgegennahme und Anwendung sich zufrieden gibt". Darauf antworte ich : sie mögen Fakten sein, in gewissem Sinn des Wortes, aber zu behaupten, daß sie als solche, an und für sich gegeben sind, ist irrig. Gegeben ist ein vorgestelltes Ganze, eine totale Empfindung, in der diese Merkmale vorgefunden werden; und außer und neben diesen Merkmalen ist niemals sonst etwas Anderes gegeben. Und die Behauptung "aber in gewissem Grade liegen doch diese Merkmale vor", ist sicherlich eine Täuschung. Denn sicherlich sind sie dann dort nicht so, wie sie sind, wenn du sie durch eine Abstraktion gewonnen hast. Deine Behauptung geht dahin, daß gewisse letzte Verbindungen der Elemente gegeben sind. Und ich erwidere, daß keine solche b 1o ß e Verbindung gegeben ist oder möglicherweise gegeben werden könnte. Denn der Hintergrund ist vorhanden, und der Hintergrund und die Verbindung sind, wie ich behaupte, in gleicher Weise unverletzliche Seiten des Faktums. Der Hintergrund muß daher als eine Bedingung der Existenz der V erbindung gelten, und der Intellekt muß bejahen, daß die Verbindung auf diese Weise einer Bedingung unterworfen ist. Die Verbindung ist daher nicht rein, sondern abhängig und sie ist in Wirklichkeit eine V erknüpfung, die durch etwas außerhalb ihr Liegendes vermittelt wird. Ein Ding z. B. kann mit seinen Adjektiven niemals einfach gegeben sein. Es ist im Ganzen mit einer Masse anderer Merkmale gegeben und, wenn von ihm Realität ausgesagt wird, so wird eine Realität bestätigt, die durch diesen vorgestellten Hintergrund qualifiziert ist. Und diese Realität wird (um fortzufahren) durch das, was jede einzelne Vorstellung überschreitet, qualifiziert und muß es auch. Daher ist der bloße Komplex, von dem behauptet wird, er sei dem Intellekt gegeben, in Wirklichkeit eine Auswahl, die durch jenen Intellekt hervorgebracht oder aufgenommen wird. Eine Abstraktion schneidet eine Masse von Partikularitäten in der Umwelt ab und bietet den bloßen Rest als etwas Gegebenes an, das als frei von stützenden Bedingungen angenommen werden soll Um bestimmter Zwecke willen ist ein solcher Kunstgriff natürlich und notwendig, ihn aber als letztes Faktum hinzustellen scheint mir monströs. Wir haben ein intellektuelles Produkt vor uns, das logisch gerechtfertigt werden soll, als ob es tatsächlich möglich sein könnte, und an dem wir ganz sicher kein ursprünglich Gegebenes haben. An diesem Punkt können wir ein wichtiges Resultat aufstellen.

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Der Intellekt kann nicht veranlaßt werden, zwischen der Annahme einer irrationalen Verbindung oder der Ablehnung von etwas Gegebenem wählen zu müssen. Denn der Intellekt kann niemals die Verbindung als rein hinnehmen, sondern nur als eine Verknüpfung, deren Grenze einstweilen unbekannt ist. Sie wird daher an sich als Erscheinung gelten, die je nach dem Verhältnis zu den unbekannten Bedingungen mehr oder weniger falsch ist, die, falls sie erfüllt würden, sie mehr oder weniger verschlucken und umformen würden. Während daher der Intellekt das, was ihm selbst fremd ist, ablehnt, wenn es ihm als absolut hingestellt wird, kann er doch das Inkonsequente annehmen, wenn es· als Bedingungen unterworfen angesehen wird. Neben der absoluten Wahrheit gibt es eine relative Wahrheit, eine nützliche Ansicht und Gültigkeit und diesem letzteren Bereich gehören sogenannte nichtrationale Fakten an 1). (c) Jede reine Verbindung ist, so möchte ich behaupten, für den Gedanken ein Widerspruch in sich. Der Gedanke, so kann ich vielleicht annehmen, bedeutet Analysis und Synthesis und Unterscheidung in einer Einheit. Ferner kann die dem Gedanken angebotene Verbindung nicht abseits von ihm als etwas Heiliges dastehen, sondern könnte wohl selber und muß sogar in der Tat Objekt des Gedankens werden. Es wird daher ein Übergang von einem Element in dieser Verbindung zu seinem anderen Element oder Elementen vorhanden sein. Und anderseits muß der Gedanke nach seiner eigenen Natur diese in Einheit zusammenhalten. Hebt aber in einer bloßen Verbindung der Gedanke mit A an und wird er von außen nach B getrieben und sucht er diese zu vereinen, so werde ich keinen Grund zur Vereinigung finden. Der Gedanke kann aus sich kein inneres Band liefern, durch das er sie zusammenhält, auch hat er keine innere Trennung, durch die er sie voneinander hält. Er muß daher suchen, sie nur zu identifizieren, obwohl sie unterschieden sind oder irgend wie beide Verschiedenheiten zu verbinden, wo es keinen Anlaß zur Unterscheidung und Vereinigung gibt. Und das bedeutet nicht, daß die Verbindung nur unbekannt ist und als unbekannt bestätigt werden mag, und damit als rational, wenn wir sie als bekannt annähmen. Denn dann wäre die Verbindung sofort keine reine und sie wird doch als eine reine und nicht als konditional Ich wende "Gültigkeit" vielfach in dem Sinn an, in dem es, wie ich glaube, durch Lotze geläufig geworden ist und in dem man es mit einem gewissen Recht teilweis mit .Jo~a zusammenfallen läßt. [Die weiteren Ausführungen Bradleys beschäftigen sich mit einer Polemik gegen Mr. Hobhouse: The Theory of Knowledge, die nur bei genauer Kenntnis des englischen Werkes verständlich wären, nnd daher hier beiseite gelassen wurden. Der Übersetzer.] 1)

Zusatz A. Der Widerspruch und der Gegensatz

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hingestellt. Wenn sie aber rein bleibt, dann muß der Gedanke, um sie zu bestätigen, Verschiedenheiten ohne eine innere Unterscheidung vereinen, und der Versuch, dies zu tun, ist genau das, was Widerspruch bedeutet. "Aber, so wird man mir sagen, du stellst die Lage falsch dar. Was angeboten wird, sind nicht die Elemente für sich, auch nicht die Elemente plus einer äußeren Grenze, sondern die Elemente vereinigt und in Verbindung." Ja, so antworte ich, die Frage lautet aber, wie kann der Gedanke denken, was da angeboten wird. Wenn das Denken seiner eigenen Natur nach ein "zusammen", ein "zwischen" und ein "alleszugleich" besäße, dann könnte er in seinem eigenen, wirklichen Fortschreiten oder mindestens irgendwie auf seine eigene Art und Weise die äußerliche Verbindung auch bestätigen. Wenn aber diese empfindungsmäßigen Verbindungsglieder sich außerhalb der inneren Natur des Gedankens vorfinden und gerade nur soweit, wie es die empfindungsmäßigen Bezugspunkte tun, welche die Verbindung nach außen darstellen - ist die Lage sicherlich eine andere. Dann wird der Gedanke gezwungen, zu unterscheiden und kann doch durch seine eigene Natur oder mittels eines Grundes keine Verbindung herstellen, und sieht sich Elementen gegenübergestellt, die danach streben, sich ohne eine V erbindungsform zu vereinen. Die empfindungsmäßigen Veränderungen bleiben für den Gedanken nur andere Elemente in dem Haufen, die selbst in keiner Verbindung stehen und den anderen gegenüber äußerlich sind. Anderseits sieht sich der Gedanke gedrängt, ohne innere Unterscheidung zu vereinen und findet in diesem V ersuch einen Widerspruch in sich. Du magst nun diesen Fehlschlag des Gedankens beklagen, und bis zu einem · gewissen Grade stimme ich darin mit dir überein; aber das Faktum bleibt so. Der Gedanke kann keine Tautologie hinnehmen und dennoch fordert er Einheit in der Verschiedenheit. Aber deine angebotenen Verknüpfungen sind anderseits für ihn keine Verknüpfungen oder V erbindungswege. Sie sind selber nur andere äußere Dinge, die verknüpft werden sollen. Und da der Gedanke, weiß, was ihm fehlt, lehnt er es ab, etwas von ihm Verschiedenes anzunehmen, etwas, das für ihn Erscheinung ist, einen in sich widersprechenden Versuch in der Realität und Wahrheit. Es ist vergeblich, zum Gedanken zu sagen: "Gut, vereinige, aber identifiziere nicht". Wie kann denn der Gedanke anders vereinen, als daß er in sich eine V erbindungsform hat? Vereinen ohne einen inneren Grund der Verknüpfung und Unterscheidung heißt danach streben, nur am gleichen Punkt zusammenzubringen und das ist ein Widerspruch in sich.

476

Anhang

Dinge sind nicht sich widersprechend, weil sie entgegengesetzt sind, denn Dinge sind an sich nicht entgegengesetzt. Und die Dinge widersprechen sich auch nicht, weil sie verschieden sind, denn die Welt als Gegebenheit besitzt Verschiedenheit in Einheit. Dinge sind ein Widerspruch in sich, wenn sie als bloße Verbindungen erscheinen und genau soweit, wie sie es tun, wenn du, um sie zu denken, Unterschiede ohne einen inneren Grund der Verbindung und der Unterscheidung von ihnen aussagen müßtest, mit anderen Worten, wenn du einfach Verschiedenheiten zu vereinen hättest; das käme auf dasselbe heraus. Dies bedeutet Widerspruch oder ich kann wenigstens keinen anderen Sinn finden. Denn ein bloßes "Zusammen", eine rein räumliche oder zeitliche Verbindung ist für das Denken unbefriedigend und schließlich unmöglich. Ihre Existenz beruht auf unserem nachlässigen Weiterdenken, oder unserer absichtlichen Enthaltung von Analyse und Denken, soweit wir ein Interesse daran haben. Eine solche Arbeitsordnung ist aber, so berechtigt sie auch sein mag, nur vorläufig. Anderseits haben wir gefunden, daß keine wirklichen Gegensätze existieren, sondern daß Gegensätze in einem gewissen Sinn gemacht werden. Daher ist schließlich nichts widersprechend, und es gibt keinen unlösbaren Widerspruch. Widersprüche existieren nur, soweit wie eine innere Unterscheidung unmöglich erscheint, nur insoweit als Verschiedenheiten an einen einzigen unnachgiebigen, angenommenen Punkt angeknüpft werden, ganz gleich ob stillschweigend oder ausdrücklich, so daß sie keine innere Scheidung oder äußere Ergänzung aufnehmen können. Eine solche Fixierung ist aber eine vielleicht nützliche Abstraktion, aber schließlich doch Erscheinung. Und wo wir daher Widerspruch finden, liegt etwas Beschränktes und Unwahres vor, das uns auffordert, darüber hinauszugehen. Ständige Widersprüche erscheinen dort, wo das Subjekt künstlich verengt wird und wo die Verschiedenheit in der Identität als ausgeschlossen angesehen wird. Ein Gegenstand kann nicht an zwei Orten zugleich sein, wenn in dem "zugleich" kein Verlauf vorhanden ist, auch kann kein Ort zwei Körper zugleich bergen, wenn beide ihrem Wesen nach Ausdehnung beanspruchen. Die Seele kann nicht im einzigen Moment zugleich bejahen und verneinen, wenn nicht (wie mancher vielleicht richtig glaubt) das Ich selber gespalten werden kann. Allgemein gesprochen, je enger wir das Subjekt nehmen und je weniger es einen innerlichen Grund zur Scheidung enthält, um so mehr bedroht es uns mit ständigen oder unlösbaren Widersprüchen. Wir können aber Hinzufügungen machen, und zwar um so mehr, je mehr Abstraktheit und um so weniger Wahrheit ein solches Subjekt

Zusatz A.

Der Widerspruch und der Gegensatz

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besitzt. Nehmen wir das Vorhandensein "disparater" Qualitäten, wie weiß, hart und heiß in einem einzigen Ding. Das "Ding" wird als einziges Merkmal eines unbestimmten Komplexes vorgestellt und wird als Prädikat von einer Realität, die das Gegebene überschreitet, ausgesagt. Es ist daher nach jeder Hinsicht für eine unbegrenzte Hinzufügung zu seinem erscheinenden Charakter aufnahmefähig. Und zu leugnen, daß im "realen Ding" eine innere Verschiedenheit und ein Grund zur Unterscheidung vorhanden sein kann, ist völlig irrational. Soweit aber aus Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit geleugnet wird, und das reale Ding mit unserer verstümmelten und abstrakten Ansicht vom Ding identifiziert wird - soweit klaffen die disparaten Qualitäten auseinander und werden widerspruchsvoll 1). Das Gesetz vom Widerspruch sagt uns, daß wir nicht einfach das Verschiedene identifizieren dürfen, da dessen Verbindung einen Grund zur Unterscheidung in sich schließt. Soweit wie dieser Grund mit Recht oder Unrecht ausgeschlossen wird, verbietet uns das Gesetz, Verschiedenheiten auszusagen. Wo der Grund nur undeutlich ist oder unbekannt bleibt, ist unsere Behauptung irgend eines Komplexes vorläufig und zufällig. Sie mag gültig und richtig sein, ist aber eine unvollständige Erscheinung des Realen, und seine Wahrheit ist relativ. So lange sie sich aber selber als nur zufällige Wahrheit und als mehr oder weniger unvollständige Erscheinung darstellt, hat das Gesetz vom Widerspruch nichts dagegen. Abstrakte und irrationale Verbindungen aber, die für sich als Realität und Wahrheit angesehen werden, kurz "Fakten", wie sie von allzu vielen Philosophen angenommen werden, muß das Gesetz verurteilen. Über die Wahrheit dieses Gesetzes besteht meiner Meinung nach, soweit es sich anwenden läßt, keine Frage. Das Problem wird eher das Wie der Anwendung und damit der Grad seiner Wahrheit sein. Bevor wir aber enden, gibt es einen Punkt, den wir wohl noch betrachten können. Was würde schließlich bei dem V ersuch, Verschiedenheit auszusagen und Widerspruch zu vermeiden, den Intellekt, der annähme, daß es zu erreichen wäre, zufriedenstellen? Diese Frage ist, so wage ich anzunehmen, zu häufig ignoriert worden. Allzu oft wird ein Schriftsteller irgendeine Ansicht kritisieren und verurteilen, als das, was der V erstand nicht annehmen könne, ohne daß er jemals selber gefragt hat: Was ist es, das den Intellekt befriedigen würde? oder: Würde denn der Intellekt seine eigene, in Natürlich kann sich das reale Ding oder die Realität des Dinges als etwas sehr verschiedenes von dem Ding, wie wir es zuerst genommen haben, herausstellen. 1)

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Anhang

ihm eingeschlossene Alternative ertragen? Was, so wollen wir fragen, würde schließlich den Intellekt befriedigen? Solange die Verschiedenheiten zu jeder anderen und ihrer Verbindung äußerlich stehen, ist eine letzte Befriedigung unmöglich. Es muß, wie wir gesehen haben, eine Identität und in ihr ein Anlaß zur Unterscheidung und Verknüpfung vorhanden sein. Wenn aber dieser Anlaß zu den Elementen, in welche die Verbindung analysiert werden muß, äußerlich ist, so wird er ein neues Element für den Intellekt und ruft selber nach einer Synthese in einem neuen Einheitspunkt. Weil aber im Intellekt keine wirklichen Verbindungen zu finden sind, so folgt daraus der unendliche Prozeß. Gibt es nun ein Heilmittel für das Übel? Das Heilmittel könnte in Folgendem liegen. Wenn die Verschiedenheiten komplementäre Seiten eines Verbindungs- und Unterscheidungsprozesses wären, der·Prozeß zu den Elementen nicht äußerlich stände und auch keinen fremden Zwang für den Intellekt bedeutete, sondern selber der proprius motus des Intellekts wäre, so würde die Sache anders. Jede Seite wäre aus sich selbst ein Übergang zu der anderen Seite, ein wirklicher und natürlicher Übergang sich selbst und auch dem Intellekt gegenüber. Und das Ganze wäre eine aus sich selbst evidente Analysis und Synthesis des Intellekts durch sich selber. Die Synthesis ist nicht mehr bloße Synthesis, sondern ist eine Selbstergänzung geworden, die Analysis keine bloße Analysis, sondern Selbstentwicklung. Und die Frage, wie oder warum das Viele eines und das Eine das Viele ist, verliert ihren Sinn. Es gibt dann kein Warum oder Wie neben dem selbstevidenten Prozeß, und dieses Ganze ist seinen eigenen Differenzen gegenüber zugleich deren Wie und Warum, ihr Wesen, Substanz und System, ihr Erkenntnisgrund und Anlaß und ihr Prinzip der Verschiedenheit und Einheit. Hat hier das Gesetz vom Widerspruch etwas zu verurteilen? Mir scheint nichts. Die Identität, von der Verschiedenheiten ausgesagt werden, ist auf keinen Fall einfach. Es gibt keinen Punkt, der nicht selber innerlich der Übergang zu seiner Ergänzung ist, und es gibt keine Einheit, der es an innerer Verschiedenheit und Ursache zur Unterscheidung mangelt. Kurz "die Identität der Gegensätze" ist weit davon mit dem Satz vom Widerspruch in Konflikt zu geraten, sondern kann beanspruchen, die einzige Ansicht zu sein, die seine Forderungen erfüllt und die einzige Theorie, die es durchweg ablehnt, einen steten Widerspruch hinzunehmen 1). Und Für diesen Punkt und andere möchte ich auf Mr. Mc Taggarts ausgezeichnetes Werk "Hegelian Dialectic" hinweisen.. 1)

Zusatz A.

Der Widerspruch und der Gegensatz

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wenn alles, was wir finden, am Ende ein solches selbst evidentes und sich ergänzendes Gan,ze wäre, das in sich selbst das Detail des Universums als konstituierende Prozesse enthielte, so würde meiner Meinung nach dem Intellekt Befriedigung in Fülle zuteil. Ich für meine Person bin aber nicht imstande, eine solche Lösung zu verifizieren; Verbindungen müssen doch schließlich teilweise bloße Synthesen bleiben, die sich aus Unterschieden zusammensetzen, die zueinander und zu dem, was sie verbindet, äußerlich stehen. Und gegenüber meiner intellektuellen Welt hat daher der Satz vom Widerspruch Ansprüche, die nirgends völlig befriedigt werden. Da anderseits der Intellekt darauf besteht, daß diese Forderungen erfüllt werden und erfüllt werden müssen, bin ich zu glauben geneigt, daß sie in dem Ganzen und durch dieses jenseits des Intellektes befriedigt werden. Im Intellekt selber glaube ich ein inneres Bedürfnis, einen Mangel und eine Forderung, über sich selber hinauszugehen anzutreffen. Gegenüber diesem Schluß habe ich freilich noch keinen haltbaren Einwurf angetroffen. Die mir wahr erscheinende Ansicht ist kurz folgende. Daß abstrakte Identität den Intellekt befriedigen sollte, ist sogar teilweise unmöglich. Anderseits kann ich nicht sagen, daß mir irgendein Prinzip oder Prinzipien für die Verschiedenheit in der Einheit selbstevident sind. Die Existenz eines einzelnen Inhalts (ich will ihn nicht eine Qualität nennen), der einfache Erfahrung und Sein zugleich sein sollte, ist für mich an sich durchaus nicht unmöglich. Wenn ich mythologisch sprechen darf; ich bin nicht sicher, ob nicht der Intellekt, wenn keine Verschiedenheit gegeben wäre, sie erfinden oder sogar fordern würde. Da aber Verschiedenheit als ein Faktum da ist, scheint jede solche Hypothese unberechtigt. Im Gefühl haben wir Verschiedenheit und Einheit als ein Faktum und zwar in einem einzigen Ganzen, als Gegebenem, einem eingeschlossenen und noch nicht in Bezugspunkte und Relationen zerbrochenen Ganzen. Die unmittelbare Vereinigung des Einen und Vielen ist ein "letztes Faktum", von dem wir ausgehen; und zu glauben, daß das Gefühl, da es unmittelbar ist, einfach und ohne Verschiedenheit sein muß, ist meiner Ansicht nach eine ganz unhaltbare Theorie 1 ). Daß ich selber mich dieser Theorie verschrieben haben sollte, ist mir, wie ich wohl hinzufügen darf, tatsächlich überraschend. Wenn aber das Gefühl auch ein letztes Faktum ist, so ist es doch nicht letzte Wahrheit Das Gefühl ist sicherlich nicht "undifferenziert", falls das bedeutet, daß· es keine verschiedenen Seiten enthält. Ich möchte hier die Gelegenheit nehmen und feststellen, daß diese Ansicht über das Gefühl keine Neuheit ist, sondern ich sie, wenigstens der Hauptsache nach, Hegels Psychologie danke. 1)

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Anhang

oder Realität. Es überschreitet sogar sich selbst und ist transitorisch. Und, wenn wir seine Einheit zu denken versuchen, dann enden wir, wie wir gesehen haben, mit einem Mißerfolg. Denn das Denken hat seiner eigenen Natur nach kein "zusammen" und ist gezwungen, sich mittels Bezugspunkten und Relationen in Bewegung zu setzen, und die Einheit dieser bleibt schließlich äußerlich und darum inkonsequent. Aber trotzdem möchte ich als Folgerung keinen schließlich doch vergeblichen Versuch zur Annahme einer reinen Identität oder ein Zurückgleiten in ein Stadium vor den Anfängen des Denkens empfehlen. Selbständiges Dasein und Ichidentität müssen, so würde ich behaupten, in einem Ganzen jenseits des Denkens gefunden werden, in einem Ganzen, auf das das Denken hinweist und in das es eingeschlossen wird, das aber nur seinem abstrakten Charakter nach bekannt ist und nicht im Einzelnen verifiziert werden könnte. Da ich auf Annahmen aufzubauen unternommen habe, die ich nicht nachprüfen kann, so will ich hier meine Annahmen wiederholen. Ich habe erstens vorausgesetzt, daß die Wahrheit den Intellekt befriedigen muß und daß das, was es nicht tut, weder wahr noch real ist. Diese Annahme, kann ich nur damit verteidigen, daß ich zeige, daß jeder angebliche Gegner sie ebenso voraussetzt. Ich gehe von dem Grundbegriff des Seins oder der Erfahrung aus, die zugleich positiv und Letztes ist. Komme ich aber dann nicht weiter zu der Annahme, daß das Sein in sich selbst beschlossen, einfach oder sonst etwas sein muß? - nein; ich gehe auf eine andere Weise weiter. Ich nehme gewisse Fakten oder Wahrheiten (nenne sie, wie du willst), die sich mir darbieten, und ich kümmere mich sehr wenig darum, was ich damit aufnehme. Ich finde, daß mein Intellekt diese Fakten oder Wahrheiten ablehnt so, wie sie dargeboten werden und ich gehe nun daran, dahinter zu kommen, warum er sie nicht anerkennt. Weil sie sich selber widersprechen. D. h. sie stellen einen Komplex von Verschiedenheiten dar, die so verbunden sind, daß sie meinen Intellekt nicht zufriedenstellen, sie sind so verknüpft, daß er ihre V erbindungsform nicht als die seine erkennt und er sie nicht als die eigene wiederholen kann; sie ist für ihu eine Form, die nur Kollisionen ergibt. Denn mein Intellekt muß, um befriedigt zu sein, verstehen können, und er kann nicht verstehen, wenn er einen Haufen sozusagen in Bausch und Bogen erfaßt. Mein Intellekt mag, um bestimmter Zwecke willen, um ein altes Bild zu brauchen, ungekaute Mysterien verschlucken, aber ungekaut heißt nicht unfähig, sie doch schließlich zu vertragen und zu verdauen. Er besitzt keine solche sonderbare Fähigkeit zu sinnlicher Intuition, wie manche

Zusats .A.

Der Widerspruch und der Gegensatz

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Gegner Hegels scheinbar annehmen möchten. Im Gegenteil, der Intellekt ist diskursiv, und um zu begreifen, muß er von einem Punkt zum anderen gehen und er muß schließlich durch eine Bewegung weitergehen, die, wie er fühlt, seine Natur befriedigt. Um also einen Komplex A B zu begreifen, muß er mit A oder B beginnen. Beginne ich, sagen wir mit A, und finde ich dann nur B, so habe ich -entweder A verloren oder bin zu etwas anderem neben A gelangt und ich habe auf keinen Fall verstanden. Denn der Intellekt kann nicht einfach eine Verschiedenheit verbinden, auch besitzt er an sich keinerlei Form und Mittel für "gleichzeitig", und du gewinnst nichts damit, wenn du mir neben A und B ihre faktische Verbindung anbietest. Denn für den Intellekt ist diese nur ein anderes äußeres Element. "Fakten" sind ein für allemal für den Intellekt nicht wahr, wenn sie ihn nicht befriedigen. Und, soweit sie nicht wahr sind, sind sie in der dargebotenen Form keine Realität. Daraus schließe ich, daß das Reale in sich abgeschlossen, aus sich selbst existent sein muß und nicht durch ein Äußeres qualifiziert werden darf. Denn eine äußere Qualifikation ist eine bloße Verbindung und das bedeutet für den Intellekt einen V ersuch, V erschiedenheiten einfach zu identifizieren, und ein solcher V ersuch ist für uns das Zeichen eines Widerspruchs in sich. Daher muß das Reale aus sich selbst qualifiziert werden, und das heißt, daß es, soweit es real ist, in sich abgeschlossen und aus sich selbst existent sein muß. Da nun Verschiedenheiten existieren, müssen sie irgendwie wahr und real sein und, da sie vereint werden müssen, um verstanden zu werden und um wahr und real zu sein, müssen sie so wahr und real sein, daß der Intellekt von A oder B zu seiner weiteren Qualifikation ohne eine äußere Bestimmung beider übergehen kann. Das bedeutet aber, daß A und B, jedes nach seiner Art, in einem Ganzen verbunden werden, das das Wesen beider zugleich ist. Daraus folgt, daß es schließlich außer einem solchen Ganzen nichts Reales gibt 1 ). Daraus folgt ebenso, daß jeder "Teil" dieses Ganzen von innen her fehlerhaft und, falls er gedacht wird, widerspruchsvoll sein muß. Denn wie könnte anders ein innerer Übergang von einem zu den anderen und zu dem Übrigen stattfinden? Könnte es ohne einen solchen Übergang und nur mit einer äußeren Verknüpfung oder Bindung überhaupt ein System oder ein Ganzes geben, das den Intellekt befriedigen und das als real oder möglich angesehen werden könnte? Ich habe wenigstens meine Gründe dafür angegeben, warum man diese Frage negativ beantworten muß. Wir könnten sogar von der Welt sagen und dabei andere Gesichtspunkte außer acht lassen: "Thus every part is full of vice Yet the whole mass a paradise." [So ist ein jeder Teil voll von Fehlern, und dennoch ist das Ganze ein Paradies.] Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit. 31 1)

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Anhang

Von anderer Seite gesehen: - Warum bin ich der Ansicht, daß die Realität ein in sich abgeschlossenes und in sich selbst konsequentes Individuum ist? Deswegen, weil ich, falls ich eine Bestimmung von außen her und eine Qualifikation durch ein Fremdes zugebe, eine Verbindung übrigbehalte und diese für den Intellekt einen Widerspruch in sich darstellt. Anderseits kann das Reale nicht einfach sein, weil, um verstanden zu werden, es als mit und durch die Verschiedenheit qualifiziert angesehen werden muß; denn diese ist doch ein Faktum. Diese Begriffe könnten mißverstanden werden, aber mir scheinen sie nicht dunkel und auch keinerlei Neuheit zu sein. Wenn ich sie freilich so ansehe, wie manche meiner Kritiker, so müssen sie manche große Dunkelheit oder Schwierigkeit mit sich bringen. Da ich das aber nicht begreife, bin ich leider nicht in der Lage, es zu erörtern 1). Wir haben gefunden, daß nichts an sich gegensätzlich ist und sich gegen eine Verbindung sträubt. Alles ist aber gPgensätzlich, wenn es auf einen Punkt vereinigt wird, der keine innere Sonderung besitzt. Jede bloße Verbindung ist daher sich widersprechend, wenn sie von dem Denken aufgenommen wird, weil der Gedanke aus seiner Natur heraus zu keiner Verbindung imstande ist und keine Form für ein reines "Zusammen" hat. Anderseits ist keine solche Verbindung gegeben und könnte auch der Möglichkeit nach nicht gegeben sein. Sie ist selbst eine bloße Abstraktion, die vielleicht nützlich und damit berechtigt und so weit gültig ist, aber anders angesehen als die Hauptwurzel des Irrtums verurteilt werden muß. Der Widerspruch ist Erscheinung und kann überall durch Unterscheidung und weitere Ergänzung beseitigt werden und wird auch tatsächlich beseitigt, wenn auch nicht in dem und durch den bloßen Intellekt, sondern durch das Ganze, das ihn überschreitet. Anderseits Es sei mir erlaubt, in dieser Verbindung zu bemerken, daß der Satz vom Widerspruch behauptet, daß die Wahrheit, wenn sie wahr ist, nicht von außen her verändert werden kann. Denn sonst würde sie sich ja mit ihrem eigenen Nichtdasein verknüpfen oder selber mit einem positiv Anderen verbunden werden und beide Seiten der Alternative (sie sind hier als Alternativen zu nehmen) sind, wie wir gesehen haben, sich selbst widersprechend. Daher kann keine bloße Verknüpfung eine Wahrheit modifizieren, so weit sie wahr ist. Sie fügt nur, so müssen wir sagen, etwas mehr hinzu, das die Wahrheit selber unberührt läßt. Mit anderen Worten, die Wahrheit kann nur von innen modifiziert werden. Dies eröffnet natürlich ein Problem, denn die Wahrheit scheint einerseits abstrakt zu sein als Wahrheit und auch unvollständig und auf der anderen, falls sie wahr ist, in sich beschlossen und aus sich selbst existent. Weiterhin sei der Leser für den Satz vom Widerspruch auf den Index verwiesen. 1)

Zusats A. Der Widerspruch und der Gegensats

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ist der Widerspruch, oder besser das, was zu einem solchen, sobald man es denkt, wird, überall notwendig. Partielle und einseitige, unvollständige und damit unzusammenhängende Fakten und Ansichten - Dinge, die sich selber als Merkmale einer Realität darbieten, die sie doch nicht ausdrücken können und die, da diese doch in ihnen enthalten ist, die Dinge in Widerspruch mit sich selber versetzt und dazu treibt, über sich selbst hinauszugehen - mit einem Wort Erschein u n g e n, sind der Stoff, aus dem das Universum besteht. Wenn wir sie nach ihrem wahren Charakter betrachten, werden wir sie weder zu über- noch zu unterschätzen geneigt sein. Wir haben nun das Wesen des Unvereinbaren und Gegensätzlichen kennen gelernt. Es gibt keine Widersprüche von Natur und, wir haben keinen Grund dafür gefunden, einen solchen Begriff aufrecht zu erhalten. Die Dinge widersprechen sich, wenn sie trotz ihrer Verschiedenheit nach einer Vereinigung in einem einzigen Punkt streben, der an sich keine innere Teilung zuläßt. Für den Intellekt ist jede bloße Verbindung ein Versuch dieser Art. Der Intellekt hat seiner Natur nach kein Prinzip eines bloßen Zusammen und er kann auch nichts ihm selber Fremdes annehmen. Ein fremdes .Beieinander der Elemente ist daher für den Intellekt, nur ein von außen dargebotenes Element mehr. Da der Intellekt eine Einheit fordert, muß jede unterscheidbare Seite eines "Zusammen" zu einer einzigen vereinigt werden. Wenn in dieser Einheit keine innere Verbindung einer für den Intellekt natürlichen Verschiedenheit zu finden ist, so bleibt uns eine Verschiedenheit übrig, die zu einem ungesonderten Punkt gehört und mit ihm verbunden wird. Und das ist ein Widerspruch, und Widerspruch, den wir fanden, war dies und nur dies. Anderseits haben wir behauptet, daß rein irrationale Verbindungen nicht als Fakten gegeben werden. Jeder wahrgenommene Komplex ist eine Auswahl aus einem unbestimmten Hintergrund und, wenn jener als real beurteilt wird, wird zugleich von diesem Hintergrund und der Realität ausgesagt, die ihn überschreitet. Daher liegt wohl in diesem Hintergrund und über ihn hinaus der Grund und die innere V erknüpfung von all dem, was wir als ein bloßes "Zusammen" ansehen. Kurz, Verbindung und Widerspruch ist nur unser Fehler, unsere Einseitigkeit und unsere Abstraktion, ist Erscheinung und nicht Realität. Aber der Erkenntnisgrund hierfür, den wir annehmen müssen, mag für das Einzelne unserem Intellekt nicht zugänglich sein.

31*

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.Anhang

Zusatz B. Relation und Qualität Es gibt einige Seiten des allgemeinen Problems von Relation und Qualität, denen ich einige Worte zur Erklärung widmen will. Das Thema ist weitläufig und schwierig und verdient eine weit gründlichere Behandlung als ich sie im Augenblick liefern kann. Problematisch ist, ob 1. die Qualitäten unabhängig von irgendeinem Ganzen existieren können, 2. ob sie unabhängig von Relationen existieren können, 3. ob dort, wo neue Relationen da sind, auch neue Qualitäten entstehen und alte sich ändern und ob auch eine Qualität eine nur äußere Relation haben kann und schließlich 4., ob und in welchem Sinn wir dort, wo eine Identität vorliegt, von einer Relation sprechen dürfen. 1. u. 2. In einem gefühlten Ganzen - dieser Begriff schließt hier etwas ein, was eine ungeschiedene Teilbarkeit, eine Totalität von Einsichten, die noch nicht zerbrochen ist, enthält - qualifizieren die Verschiedenheiten das Ganze und sie werden als das erlebt, was das Ganze zu dem macht, was es ist. Dürfen diese Verschiedenheiten Qualitäten genannt werden (p. 21)? Es ist wirklich vielleicht eine Frage der Terminologie. Alles, was überhaupt etwas ist, ist, so kann man wohl sagen, eine Qualität oder besitzt eine solche. Anderseits können wir aber Qualität speziell für jene Verschiedenheiten anwenden, die sich entfalten, wenn Ganzheiten in Bezugspunkte und Relationen analysiert werden. Wenn wir nun fragen, ob es Qualitäten ohne Relationen geben kann, so wird diese Unterscheidung wichtig. Die Frage muß bejahend beantwortet werden, wenn wir unter der Bezeichnung Qualität die verschiedenen Seiten des Gefühls verstehen. Solche verschiedene Seiten können aber nicht unabhängig existieren. Sie sind nur als in einem Ganzen enthalten und dieses qualifizierend gegeben, und ihre Unabhängigkeit besteht nur in unserer fehlerhaften Abstraktion. Auch wenn wir zur relationalen Stufe übergehen, hört die Verschiedenheit doch nicht auf, ein untrennbares Adjektiv der Einheit zu sein. Denn die Relationen können selber nur in der zugrundeliegenden Einheit und als deren Adjektive existieren. Das Ganze, das in Relationen und Bezugspunkte analysiert wird, kann in den Hintergrund treten und verdunkelt, aber niemals zerstört werden. Wenn es vernichtet wäre, dann würden auch Bezugspunkte und Relationen zugleich zugrunde gehen. Denn es gibt kein absolutes "Zwischen" oder "Zusammen", auch können kein "Zwischen" und "Zusammen" die bloßen Adjektive aus sich existierender Einheiten sein. Qualitäten können am Ende nur als Inhalte eines

Zusatz B.

Relation und Qualität

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Ganzen und von ihm abhängig Sinn haben und ob das Ganze relational oder anderswie ist, macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied. Es ist vielleicht nicht schwer, an dieser Stelle einen scheinbar ziemlich allgemeinen Trugschluß aufzuklären. Es wird gesagt, du kannst einige Bezugspunkte A, B und C nehmen und sie in verschiedenen Relationen X, Y, Z ordnen und durch alle hindurch bleiben sie immer noch A, B und C. Und dies beweist, daß A, B und C frei von allen Relationen oder mindestens unabhängig existieren oder existieren könnten. Mein Charakter mag z. B. mit dem eines anderen Menschen verglichen werden oder, wenn ich zuerst nördlich von ihm gelebt habe, kann ich es auch dann südlich von ihm tun ; und keinem von uns braucht dies einen Unterschied beizubringen, und daher sind wir unberührt und unabhängig zugleich. Eine Antwort auf diesen Trugschluß scheint aber auf der Hand zu liegen. Was bewiesen wird, ist, daß ein bestimmter Charakter als solcher und in Hinsicht auf jenen anderen Charakter, in verschiedenen Relationen unterschiedslos existieren kann. Was überhaupt nicht bewiesen wird, ist, daß dieser Charakter unabhängig und für sich existieren könnte. Wenn nun das Argument davon ausgeht, daß ohne weitere Untersuchung die unabhängige Existenz des Wesens angenommen wird und das Argument in der Tat durchaus auf jener angenommenen Existenz beruht, könnte es, wie mir scheint, niemals zu der gewünschten Schlußfolgerung kommen. Das Höchste, was es beweisen könnte, wäre, daß manch e Relationen äußerlich sind und ihre Bezugspunkte nicht differenzieren. Daraus aber zu beweisen, daß alle Relationen äußerlich sind oder gar sein könnten und daß manche Qualitäten unabhängig handeln oder so existieren könnten, scheint mir durchaus unlogisch. Ein solches Argument könnte offenbar sogleich durch eine Unterscheidung der verschiedenen Arten von Relationen betroffen werden. 3. Ich für meine Person kann eine solche Unterscheidung nur als eine relative und untergeordnete annehmen und vollziehen. Ich gebe nicht zu, daß irgendeine Relation nur äußerlich sein und ihre Bezugspunkte nicht differenzieren könne; ich will nunmehr zur Erörterung dieses wichtigen Punktes übergehen, will aber eine schwierige Frage zunächst erledigen. Qualitäten existieren, wie wir gesehen haben, eigentlich nur als verschiedene Seiten von erlebten Ganzen und damit tatsächlich als Bezugspunkte, die unterschieden und bezogen werden. Inwiefern dürfen wir dann aber sagen, daß solche Eigenschaften z. B. verschiedene Farben durch Unterscheidung als jene entstehen und daß sie überhaupt nicht dieselbe Qualität besitzen, solange sie nur Seiten des Unanalysierten sind?

486

Anhang

Diese Frage will ich nicht zu beantworten versuchen, da ich sicher bin, daß ich ihr nicht gerecht werden könnte. Die Ansicht, daß solche Eigenschaften sich so entwickeln, daß sie sich doch in einem gewissen Sinn durch Unterscheidung konstituieren, ist mir sehr sympathisch; ich kann sie aber nicht beweisen und mich mit ihr identifizieren. Ich, für meine Person, werde mindestens um des Beweises willen zugeben, daß eine Qualität im Gefühl bereits die Eigenschaft A oder B haben mag, die wir dann vorfinden, wenn die eigentliche Qualität hinterher durch Unterscheidung entstanden ist. Auf keinen Fall wird es (um es zu wiederholen) eine Qualität geben, die unabhängig existiert, aber solange du jene Merkmale eines gefühlten Ganzen festhältst, wird es unwahr sein, daß jede Qualität von einer Relation abhängt. Anderseits mag zwischen solchen Merkmalen und eigentlichen Qualitäten eine Identität etwa A oder B entsprechend vorhanden sein. Von hier aus werden wir zu der Frage geführt: Werden Qualitäten und Bezugspunkte im allgemeinen durch die Relationen, in die sie eingehen, notwendigerweise verändert? Mit anderen Worten, gibt es Relationen, die nur äußerlich sind? Damit will ich nicht fragen, ob es außerhalb irgendeines Ganzen und unabhängig von ihm Relationen geben kann. Ich will fragen, ob innerhalb des Ganzen und ihm unterworfen Bezugspunkte in weitere Relationen eingehen und nicht durch sie affiziert werden können. Diese Frage lautet auch nicht: Können A, B und C die Bezugspunkte neuer Relationen werden und bleiben sie dennoch A, B und C? Denn selbstverständlich kann ein Ding teilweise verändert werden und dennoch einen bestimmten Charakter behalten und ein und dieselbe Eigenschaft kann unverändert andauern, obwohl die sie besitzenden Bezugspunkte sich in mancher anderen Eigenschaft verändert haben. Dies ist ein Punkt, bei dem ich in diesem Zusammenhang noch später zu verweilen haben werde. Ferner lautet auch nicht unsere Frag~, ob Bezugspunkte in irgendeinem Sinn durch ihre Relationen qualifiziert werden. Denn, wie ich annehme, gibt dies jeder in irgendeinem Sinn zu, wie schwer auch ein solcher zu fixieren sein mag. Die Frage, die ich stelle, lautet, ob Relationen die Bezugspunkte A, B und C nur von außen qualifizieren können, ohne sie irgendwie innerlich zu affizieren und zu verändern. Und diese Frage sehe ich mich gedrängt, negativ zu beantworten. Auf den ersten Blick scheinen solche äußeren Relationen möglich und sogar zu existieren. Sie scheinen uns beim Wechseln der räumlichen Lage und ebenso beim Vergleich gegeben. Daß du, wenn du vergleichst oder räumlich umgruppierst, nicht abänderst,

Zusats B. Relation und Qualität

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scheint dem allgemeinen Menschenverstande durchaus deutlich und daß auf der anderen Seite hier offenbare Schwierigkeiten vorliegen, kommt jenem "gesunden" Denken überhaupt nicht bei. Ich will mit der Auseinandersetzung dieser Schwierigkeiten, die entstehen, wenn wir irgendwelche Relationen als völlig äußerlich ansehen, beginnen. In einem geistigen Akt, wie z. B. dem des Vergleiches liegt im Resultat eine Relation vor und diese Relation soll, wie wir hören, die Bezugspunkte nicht differenzieren. Woran vollzieht sich aber dann der Unterschied und was ist dann der Sinn und die Bedeutung dessen, das die Bezugspunkte qualifiziert? Kurz, wenn der Unterschied äußerlich zu den Bezugspunkten steht, wie kann er möglicherweise von ihnen gelten? Wenn du dasselbe Ding in anderem Zusammenhang stellst, und nur die Folgerung z i eh s t, ist dann diese wahrhaft dieselbe? Wenn aber die Bezugspunkte infolge ihrer inneren Natur nicht in die Relation eingehen, dann scheinen sie überhaupt nicht aus einem V ernunitgrund bezogen und die Relation, soweit diese sie betrifft, scheint willkürlich hervorgebracht. Sonst scheinen aber die Bezugspunkte selber durch eine nur äußere Relation affiziert. Die Wahrheit über Dinge durch Herstellung von Relationen zu ihnen zu finden, ist in der Tat ein sonderbarer Prozeß und träte der "gesunde Menschenverstand" diesem Problem gegenüber, so würde er, wie ich glaube, seine Zuflucht zu konfusen V ergleieben nehmen. Veränderungen räumlicher Art lassen nochmals Schwierigkeiten entstehen. Die Dinge sind räumlich bezogen, zuerst in einer bestimmten Weise und dann werden sie auf eine andere Weise bezogen und dennoch werden sie auf keine Weise selber abgeändert; denn die Relationen sind, so wird gesagt, nur äußerlich. Ich antworte darauf aber, daß, wenn dem so ist, ich nicht verstehen kann, daß die Bezugspunkte eine Reihe von Relationen aufgeben und eine andere neue Reihe annehmen. Der Prozeß und sein Ergebnis für die Bezugspunkte scheint tatsächlich durchaus ganz ohne Vernunft, wenn sie ihm nichts hinzubringen. Durch die Einführung eines äußeren, drängenden Wirkungsmittels wird die Schwierigkeit nicht gemindert. Die Verbindung der Bezugspunkte mit diesem Wirkungsmittel und ihr Unterschied ihm gegenüber bringt dort, wo nach der Hypothese kein Unterschied gebildet werden kann, eine hoffnungslos Verwirrung. Kurz, alles, was wir dadurch erreichen, ist das Zugeständnis, daß die Bezugspunkte und ihre Relation an sich nicht alle Fakten in sich schließen und nur für jenes Zugeständnis hat die Hypothese Nutzen. Das führt zu einem weiteren Zweifel an der Genügsamkeit äußerer Relationen. Jede Art des Ganzen und sicherlich auch jede räumliche Gruppierung hat eine qualitative Seite.

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.Anhang

In verschiedener Hinsicht zeigt das Ganze einen Charakter - auch seine Gestalt mag hier mit einbegriffen sein - von dem nicht erwiesen werden kann, daß er nur aus den Bezugspunkten und den Relationen zwischen ihnen bestehe. Du magst sagen, daß diese Art zu ihnen gehört, aber es bleibt immer noch mehr als das, was sie an sich sind. Wenn nun die Dinge im Raum durch eine Neugruppierung eine neue Seite der Qualität hervorbringen, wovon, so möchte ich fragen, willst du diese Qualität aussagen? Wenn die Bezugspunkte irgendetwas beitragen, so werden sie doch durch ihre Gruppierung affiziert. Das neue Resultat nur von den äußeren Relationen auszusagen, scheint mir mindestens unmöglich. Diese Frage - inwieweit durch äußere Relationen eine neue Qualität hervorgebracht werden kann - würde uns zu weit führen. Ich merke sie hier als eine weitere Schwierigkeit an, die die These von der rein äußerlichen Relation umgibt. Und wenn mir zum Schluß gesagt wird, daß natürlich bei jeder Auffassung Schwierigkeiten sind, so bin ich bereit, dem zuzustimmen. Es ist aber die Frage, ob nicht diese Lehre, die als selbstverständlich dargeboten wird, bloße Schwierigkeiten zu reinen Widersprüchen macht und ob sie nicht nur ein relativer Gesichtspunkt und gar nicht erforderlich ist, weil sie im Prinzip :falsch ist. Aber, so wird man mir sagen, die Fakten räumlicher Ordnung und der V ergleichung, um nur diese zu erwähnen, zwingen uns, auch gegen unseren Willen zu der Annahme der Meinung, daß mindestens einige Relationen nur äußerlich sind. Daß wir nun zu Arbeitszwecken einige Relationen nur als äußerlich behandeln und gut daran tun, leugne ich nicht; das ist aber hier gar nicht der strittige Punkt. Das Problem ist kurz dieses: ist diese Unterscheidung von innerlich und äußerlich absolut oder nur relativ und ist schließlich und prinzipiell eine nur äußerliche Relation möglich und wird sie uns durch die Fakten aufgezwungen? Ich behaupte nun, daß die letztere These nur als eine untergeordnete Betrachtungsweise Geltung hat. Die Erörterung dieses Themas schließt aber unglücklicherweise eine weite und schwierige Reihe von Fragen in sich und meine Behandlung muß kurz und, wie ich fürchte, unvollkommen sein. Wenn wir mit der Betrachtung der Form räumlicher Ordnung beginnen, so finden wir scheinbar zuerst vollständige, reale .Äußerlichkeit. Alle Punkte sind dort Bezugspunkte, die unterschiedslos in jede Art Ordnung aufgenommen werden können, und die Relationen scheinen unterschiedslos und nur nach außen gerichtet. Dieser Satz muß aber bei näherem Nachdenken teilweis modifiziert werden. Die Bezugspunkte können in Wahrheit nicht so betrachtet werden, wie

Zusatz B.

Relation und Qualität

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sie sind, da sie es in Wirklichkeit nicht sind. Daraus folgt der Schluß, daß die Bezugspunkte tatsächlich und faktisch unter sich auf jede mögliche Art bezogen sind. Jeder Raum wäre dann ein Ganzes, in dem die Teile durchaus bereits untereinander in jeder möglichen Stellung bezogen sind und in dem sie sich daher gegenseitig bestimmen. Dies scheint, wenn auch als ein Moment der Verwirrung, mindestens unvermeidlich aus den Prämissen zu folgen. Aus diesem Schluß kann aber nicht gefolgert werden, daß die Bezugspunkte nach innen ihren Relationen gegenüber indifferent sind; denn im Gegenteil stirbt damit doch scheinbar der ganze innere Charakter der Bezugspunkte und er besteht doch in ihnen. Wie kann ein Wesen, wenn es absolut relativ ist, nur äußerlich bezogen sein? Wenn du einwirfst, daß die Frage nicht den reinen Raum, sondern besser die Dinge im Raum angeht, so ist das ein Punkt. auf den ich direkt deine Aufmerksamkeit lenken möchte. Der Raum an sich und seine nur räumlichen Relationen und Bezugspunkte sind alle in gleicher Weise nur Abstraktionen, und zwar sind sie ohne Zweifel nützlich, aber inkonsequent und falsch, wenn sie für unabhängig real angesehen werden. In einem geringeren Grade gilt dasselbe, so möchte ich nunmehr behaupten, auch von den Körpern im Raum und ihren Relationen darin. Wir haben gesehen, daß ein reiner Raum mit rein äußerlichen Relationen eine inkonsequente Abstraktion ist und daß es, damit Raum überhaupt existiert, eine Ordnung geben muß, die mehr als räumlich ist. Ohne qualitative Unterschiede (p. 14, 30) gibt es im Raum überhaupt keine Unterscheidungen, gibt es weder eine Lage noch die Veränderung einer solchen, weder Gestalt noch Körper noch Bewegung. Gerade wie es in diesem Sinne keine rein räumlichen Relationen ohne konkrete Bezugspunkte gibt, so gibt es in einem anderen Sinn ebenso nichts nur Räumliches. Die Bezugspunkte und die Relationen zwischen ihnen sind selber nur Abstraktionen von einer konkreteren qualitativen Einheit. Es können weder die Dinge im Raum, noch ihr Raum, noch beide zugleich für substantiell angesehen werden. Sie sind Abstraktionen, die von einem konkreteren Ganzen abhängen, das sie nicht auszudrücken vermögen. Und ihre offenbare Äußerlichkeit ist auch ein Zeichen, daß wir an ihnen eine Erscheinung und keine letzte Realität besitzen. Was nun die offenbare Äußerlichkeit angeht, so kann darüber kein Zweifel bestehen. Warum dieses Ding hier und nicht dort ist, welches die V erknüpfung zwischen der räumlichen Lage und der Qualität, die sie zusammenhält und die von ihr bestimmt wird, am Ende ist, bleibt unbekannt. In der mechanistischen Erklärung bleibt

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Anhang

im allgemeinen die Verknüpfung der Elemente mit den Gesetzen selbst wenn die Gesetze selber rational waren - verborgen und äußerlich, und der Grund, warum die Resultate aus den Prämissen folgen, wird eingestandenermaßen bis zu einem gewissen Punkt draußen gelassen. Wo dieser Punkt liegt, ob am Beginn oder ob er nur dann auftritt, wenn wir zu den sekundären Qualitäten kommen, ist hier nicht nötig auseinanderzusetzen. Eine solche Irrationalität und Äußerlichkeit kann nicht die letzte Wahrheit über die Dinge sein. Irgendwo muß es einen Grund geben, warum dieses und jenes zusammen erscheint. Dieser Grund und die Realität müssen in dem Ganzen zu finden sein, dessen Abstraktionen Bezugspunkte und Relationen sind, ein Ganzes, in dem ihre innere Verbindung liegen muß, und aus dessen Hintergrund diese neuen Ergebnisse, die niemals aus den Prämissen sich hätten ergeben können, zutage treten. Kurz, das Nur-Äußerliche ist unser Nichtwissen, das als Realität hingestellt wurde, und es irgendwo anders als in einer inkonsequenten Betrachtung des Faktums zu suchen, ist, wie wir gesehen haben, unmöglich. Es wird uns aber von der Partei des gesunden Menschenverstandes eingewandt, daß wir an den Fakten festhalten müßten. Die Billardbälle mögen auf einem Tisch in einer beliebigen Stellung sich befinden und du und ich und ein anderer mögen in der Beziehung zu ihnen ihren Platz geändert haben, und dennoch wird keines von diesen Dingen durch diese Umstellungen an sich geändert. Das offenbare Faktum, daß durch äußere Veränderung in Raum und Zeit etwas beeinflußt werden kann, wird, wie ich glaube, aus dem Grunde abgelehnt, weil jenes nicht geschehe, wenn man es auf die letzten Elemente der Dinge abzieht. Eine wichtige, wenn auch zutage liegende Unterscheidung scheint hier übersehen. Denn ein Ding mag unverändert bleiben, wenn du es mit einer bestimmten Eigenschaft identifizierst, während es auf andere Art angesehen eine V eränderung erleidet. D. h. wenn du einen Billardball und einen Menschen von seiner Lage abstrahiert betrachtest - werden sie natürlich soweit das aufrecht erhalten wird - gegen Ortsveränderungen gleichgültig sein. Anderseits ist aber so angesehen keines von beiden ein tatsächlich existierendes Ding; jedes ist eine mehr oder weniger berechtigte Abstraktion. Nimm sie aber als existierende Dinge und ohne Verkürzung ihres 'V esens, so mußt du sie als durch ihre Ortslage bestimmt, und als durch das materielle System, in das sie eingehen, qualifiziert ansehen. Wenn du Einwendungen dagegen machst, so frage ich dich noch einmal, wovon du die Veränderungen und ihre Ergebnisse aussagen willst. Um es zu wiederholen, der Billard-

Zusats B.

Relation und Qualität

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ball ist, ohne seine Stellung und seinen Ort im Ganzen betrachtet, keine Existenz, sondern eine Eigenschaft und jene Eigenschaft kann unverändert bleiben, obwohl das existierende Ding mit seiner veränderten Existenz verändert wird. Alles andere außer diesem identischen Charakter mag relativ äußerlich genannt werden. Es mag im Vergleich unwichtig sein oder nicht, absolut äußerlich kann es aber nicht sein. Und wenn du behauptest, daß auf jeden Fall die Relation der Eigenschaft des Dinges zu seiner räumlichen Existenz unbegreiflich ist und daß schließlich unerkannt bleibt, wie die Natur des Dinges, die außerhalb unserer Abstraktion fällt, zum ganzen System beiträgt, und wie die Natur je nach ihrem Wirkungsanteil verschieden ist - so werde ich nicht widersprechen. Ich ziehe es aber vor, lieber bei der Unwissenheit und bei Inkonsequenzen und unlösbaren Schwierigkeiten zu verharren, bei Schwierigkeiten, die für einen niederen und fragmentarischen Gesichtspunkt wesentlich und nur durch das Überschreiten jener Erscheinung in ein volleres Ganze lösbar sind, ein Überschreiten, das im Einzelnen für uns unmöglich ist - ich ziehe, wie gesagt, es vor, dabei zu bleiben als mich einer schlimmeren Alternative hinzugeben. Ich kann unter keiner Bedingung eine absolute Abstraktion und eine fixierte, ständige Inkonsequenz als absolutes Faktum hinnehmen. Die Lage ist sicherlich schlimmer geworden, wenn jemand, der von diesem Prinzip ausgeht, zugeben muß, daß er früher oder später nicht im mindesten jene Ergebnisse, die faktisch erfolgen, erklären kann. Ich will zunächst das Argument für nur äußerliche Relationen, die auf Vergleichung beruhen, betrachten. Die Dinge mögen dieselben sein, so wird gesagt, aber sie werden nicht bezogen, bis du sie nicht vergleichst, und ihre Relationen fallen dann ganz außerhalb und qualifizieren sie nicht. Es kann z. B. behauptet werden, zwei rothaarige Menschen werden durch ihre Ähnlichkeit entweder überhaupt nicht aufeinander bezogen oder, wenn es geschieht, werden sie nicht verändert, und die Relation ist daher ganz äußerlich. Wenn ich nun behaupte, daß alle rothaarigen Menschen möglicherweise an einen Ort beordert werden könnten, um gesammelt und vernichtet zu werden, so wird man mir voraussichtlich antworten, daß ihr rotes Haar sie direkt nicht affiziert; obwohl ich diese Antwort nicht für genügend halte, will ich weitergehen. Was aber den Vergleich angeht, so will ich mit einer Frage beginnen. Es wird im allgemeinen angenommen, daß wir durch den Vergleich die Wahrheit über die Dinge erfahren; wenn nun aber die durch den Vergleich hergestellte Relation außerhalb der Bezugspunkte abläuft, in welchem Sinn kann

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dann behauptet werden, daß diese Relation sie überhaupt qualifiziert? Und wovon anders, als von den Bezugspunkten gelten dann die durch den V ergleich gefundenen Wahrheiten r Und schließlich, so frage ich, gibt es einen Sinn und wenn, was für einen, daß die Wahrheit nur außerhalb der Dinge und in bezug auf sie gelte? Oder von der anderen Seite, wenn Wahrheit Wahrheit ist, kann sie durch uns entstehen und kann überhaupt das, was nur durch uns entsteht, möglicherweise wahr sein? Das sind die Fragen, die, wie ich zu wiederholen wage, von denen gestellt werden müßten, die nur äußere Relationen behaupten. Ich für meine Person bin überzeugt, daß keine solche Relationen existieren. Es gibt Identität oder Ähnlichkeit nur in einem Ganzen, und jedes solches Ganze muß qualifizieren und durch seine Bezugspunkte qualifiziert werden. Und wo das Ganze verschieden ist, müssen die Bezugspunkte, die es qualifizieren und die zu seiner Bildung beitragen insoweit auch verschieden sein, und die Bezugspunkte müssen daher, soweit sie Elemente in einer neuen Einheit werden, abgeändert werden. Sie werden nur insoweit abgeändert, aber sie werden doch anders. Du magst mittels der Abstraktion eine Qualität A, B oder 0 gewinnen, und jene abstrakte Qualität mag durchaus unverändert bleiben. Die bezogenen Grenzpunkte sind aber mehr als diese Qualität und diese werden sich ändern. Und wenn du erwiderst, daß der Bezugspunkt und seine Qualität in gewissem Grade äußerlich zueinander stehen, so antworte ich: Ja, aber nicht nur und absolut äußerlich, wie du sagst. Denn in der Welt ist etwas nur an unserer Unwissenheit gemessen äußerlich. Wir haben von zwei Dingen gefühlt, daß sie dieselben seien, haben sie aber nicht identifiziert. Wir vergleichen sie und dann werden sie durch einen Identitätspunkt bezogen. Man sagt uns: es wird nichts außer rein äußerlichen Relationen verändert. Gegenüber dieser sinnlosen These muß ich aber darauf bestehen, daß in jedem Fall die Bezugspunkte durch ihr Ganzes qualifiziert werden und, daß im zweiten Fall ein Ganzes vorhanden ist, das sich logisch und psychologisch zugleich vom ersten Ganzen unterscheidet; und ich behaupte, daß die Bezugspunkte, insoweit sie zu dieser Veränderung beitragen, sich selber in demselben Maße verändern. Sie werden verändert, obwohl sie angesichts einer abstrakten Qualität dieselben bleiben. Wir wollen bei unserem Beispiel der rothaarigen Menschen bleiben; wir sahen sie zuerst mit roten Haaren, haben sie aber in diesem Punkt nicht identifiziert und haben dann diese beiden Menschen in dem Urteil: "Sie sind dieselben, da sie rothaarig sind" aufein-

Zusats B. Relation und Qualität

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ander bezogen. In jedem Fall ist ein Ganzes da, das durch die Bezugspunkte qualifiziert wird und sie qualifiziert, aber in jedem Fall ist das Ganze ein anderes. Die Menschen werden zuerst als in einem wahrgenommenen Ganzen enthalten und dieses qualifizierend angesehen und ihr Rotsein wird in einer unmittelbaren, unbedingten Einheit mit ihren anderen Qualitäten und mit dem Übrigen der ungeteilten empfindungsmäßigen Totalität gegeben. Im zweiten Fall ist aber dieses Empfindungsganze zerbrochen und die Menschen selber sind analysiert worden. Beide sind in eine V erknüpfung von Rothaarigkeit mit anderen Qualitäten aufgespalten worden, während die Rothaarigkeit selber ein Subjekt und Einigungspunkt geworden ist, der die Verschiedenheiten jedes Beispiels verbindet, Verschiedenheiten, die von ihm ausgesagt und miteinander an ihm verknüpft werden. DieVerbindung der Verschiedenheiten dieser beiden Menschen mit dieser allgemeinen Qualität und miteinander durch sie ist, das muß ich betonen, Wahrheit und Realität, wie unvollkommen und unrein sie auch immer sein mag. Diese logische Synthese ist eine Einheit, die von dem empfindungsmäßigen Ganzen verschieden ist, und wenn diese Bezugspunkte in diese Einheit übergehen, kann ich nicht verstehen, wie man leugnen kann, daß sie verändert worden sind. Die Antwort darauf, daß bei Abstraktion und Fixierung des abstrahierten Punktes der Rothaarigkeit keine Veränderung stattfinde, ist sicherlich eine vollständige ignoratio elenchi 1). Da die beiden Menschen rothaarig sind, werden sie wirklich aufeinander bezogen, und ihre Relation ist nicht nur äußerlich. Wenn sie völlig so wäre, wäre sie überhaupt nicht wahr oder rea~ und soweit sie so zu sein scheint, ist sie nur Erscheinung eines Höheren. Die Korrelation der anderen Umstände und anderen Eigenschaften der beiden Menschen mit der Qualität der Rothaarigkeit kann, mit anderen Worten, unmöglich bloßer Zufall sein. Und wenn du eine vollkommen relationale Kenntnis von der Welt hättest, so könntest du von der Natur der Rothaarigkeit aus zu diesen anderen Eigenschaften, die sie qualifizieren, übergehen und könntest von dem Wesen der Rothaarigkeit aus alle rothaarigen Kein Vergleich, so möchte ich hier bemerken, kann möglicherweise im Nichts enden. Wenn du zwei B~griffe nimmst, die deutlich nichts weiter gemeinsam hätten als die Tatsache ihrer Existenz und des Gedachtwerdens, so hätte der Vergleich dennoch immer noch ein Ergebnis. Du hast die Wahrheit festgestellt, daß Existenz oder der Gedanke eine Identität sei, die irgendwie in sich diese Trennungen hat und daß sie irgendwie in dieser Einheit verbunden sind und sie qualifizieren. Und ich muß dabei bleiben, daß das, wie armselig es auch sein mag, doch keineswegs nichts ist und, daß es auch nicht dasselbe, wie das bloße empfindungsmäßige Zusammen der Bezugspunkte ist. 1)

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Menschen rekonstruieren. Bei einer solchen vollkommenen Kenntnis könntest du von innen her von irgendeiner einzigen Eigenschaft im Universum ausgehen und von da zu den übrigen weiterschreiten. Du würdest auf jeden Fall mehr oder weniger direkt oder indirekt vorgehen, und bei unwichtigen Eigenschaften wäre der Grad der Indirektheit enorm, aber kein Übergang wäre äußerlich. Eine solche Kenntnis liegt aber außer unseres Bereichs und vielleicht außer dem Bereich jeden Geistes, der relational denken muß. Wenn die Erkenntnis im Absoluten aber vollendet ist, so ist, wie wir folgern, das Ziel einer solchen Erkenntnis dann in einer höheren Form tatsächlich realisiert, und mit dem Nichtwissen und dem Zufall ist auch der letzte Schein der Äußerlichkeit verschwunden. Und wenn dir dies monströs erscheint, so bitte ich dich, dich mindestens selber zu prüfen und zu sehen, ob nicht eine nur äußerliche Wahrheit noch monströser sei. "Ich bin aber ein rothaariger Mann, so höre ich sagen, und ich weiß, was ich bin, und ich werde faktisch nicht verändert, wenn ich mit einem anderen Mann verglichen werde; daher bleibt die Relation im Äußeren". Kein endliches Individuum kann aber, so antworte ich, möglicherweise wissen, was es ist, und die Vorstellung, daß seine ganze Realität sich innerhalb seiner Kenntnis erschöpft, ist auch lächerlich. !in Gegenteil kann seine Unwissenheit von seinem eigenen Sein und dem, was es in sich schließt, enorm genannt werden. Wenn es unter dem "was es ist" gewisse Qualitäten in Abstraktion von dem Übrigen meint, dann laß es nur reden und eingestehen, daß dieser Einwand irrelevant geworden ist. Wenn die Natur und das Sein eines endlichen Individuums an sich vollständig wäre, dann könnte es sich selber natürlich vollkommen kennen, dürfte aber seine V erknüpfung mit irgend etwas anderem nicht kennen. Aber vollkommen zu wissen, wie es in Wirklichkeit ist, hieße bei seiner Natur in der Erkenntnis endlos über sich hinausgehen. Ein rothaariger Mensch z. B., der sich selber vollständig kennen würde, würde und müßte, wenn er von innen ausginge, weiterhin zu Erkenntnis jedes anderen rothaarigen . Menschen übergehen, und er würde sich nicht selber kennen, bis er nicht sie alle erkannte. Wie aber die Dinge liegen, weiß er nicht, wie oder warum er selber rote Haare hat und weiß auch nicht, wie und warum ein anderer Mensch ihm in diesem Punkte gleicht und weil er nicht den Grund seiner Relation zu dem anderen Menschen, eben das Wie und Warum kennt, bleibt sie für ihn relativ äußerlich, zufällig und unbestimmt. Nur im Verhältnis zu unserer Unwissenheit gibt es in Wirklichkeit eine reine Äußerlichkeit.

Zusata B.

Relation und Qualität

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Wir haben gesehen, daß alle Relationen logisch und wirklich ein Ganzes in sich schließen, zu dem die Bezugspunkte beitragen und wodurch sie qualifiziert werden. Ich will nun kurz auseinandersetzen, daß dasselbe auch psychologisch gilt. E,rstens, wenn ich nur Dinge erfahre, die in einem einzigen Punkt gleich sind oder mit anderen Worten nur die Ähnlichkeit von Dingen in Erfahrung bringe und wenn ich zweitens soeben den Ähnlichkeitspunkt und die Relation von zwei Dingen bemerkt habe - so liegt in jedem Fall ein psychisches Ganze vor. Das Ganze ist aber in jedem Fall ein anderes und der Charakter des Ganzen muß von den Elementen abhängen, die es enthält und die es ebenso affizieren muß. Ein Element, das in ein neues Ganze übergeht, wird sich ändern, obwohl es natürlich von einer abstrahierten Seite gesehen, dasselbe bleibt. Ich will aber nicht bei einem Punkt verweilen, der genügend klar erscheint und der vielleicht nur als Erläuterung wichtig ist. Immerhin ist es aber doch gut, die Tatsache festzustellen, daß eine nur äußerliche Relation psychologisch sinnlos erscheint. Nichts kann in dem Ganzen und letzten Endes äußerlich sein, und alles, was geringer ist als das Universum, ist eine Abstraktion vom Ganzen und zwar eine mehr oder weniger leere und je leerer, um so unselbständiger. Relationen und Qualitäten sind Abstraktionen und hängen ihrem Wesen nach von einem Ganzen ab, das sie in unadäquaterweise ausdrücken und das immer mehr oder weniger im Hintergrund bleibt. Von diesem Gesichtspunkt aus müßten wir an die Frage herantreten: Wie können neue Qualitäten sich entwickeln und ans Tageslicht treten? Es ist das eine Frage, die, wie ich wiederholen möchte, uns bei den sekundären Qualitäten vertraut geworden ist. Das Problem hinsichtlich der "Grenzen der Erklärung" muß sich aber für die Metaphysik lange vor dem erreichten Punkt erheben. Dieses Thema will ich aber nicht erörtern, sondern ich möchte mit Nachdruck das allgemeine Prinzip betonen. Wo Resultate faktisch zutage treten, die nicht aus unseren Prämissen sich ergeben, da kann uns nichts überraschen. Denn hinter den Abstraktionen, die wir angewandt haben, liegt das konkrete qualitative Ganze, von dem sie abhängen und daher stammt das, was im Resultat zur Erscheinung gekommen ist, nur von den Bedingungen her, die wir uns bemi1ht haben (vorsätzlich oder sonstwie) zu ignorieren oder auszuschließen. Und dies sollte uns beweisen, daß die Prämissen, mit denen wir arbeiteten, nicht wahr oder real, sondern ein verstümmeltes Fragment der Realität waren.

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.Anhang

4. Ich will nunmehr ein mit dem Vorangegangenen zusammenhängendes Problem behandeln. Ich habe in diesem Buch, wo es angebracht war, von der Identität, als einer Relation gesprochen. Und man mag mich nunmehr fragen, ob und wie ich dies rechtfertigen kann. Denn Bezugspunkte werden bezogen, so wird gesagt, wenn ich sie z. B. vergleiche und scheinbar nicht vorher. Meine vergangenen Stadien werden auf meine Gegenwart bezogen, wenn sie durch Identität erinnert werden, aber sonst scheinbar auf keine andere Weise. Mein Zustand und der eines anderen Menschen mag mehr oder weniger identisch sein, aber diese verbinden uns scheinbar nicht immer. Anderseits stoßen wir natürlich auf die alte Schwierigkeit, die in der Tatsache liegt, daß ich nur die Relationen bilde, die ich vorfinde, und kein solcher Standpunkt scheint mir haltbar. Daher müssen wir wohl einerseits behaupten, daß jede Identität eine Relation ist und können es doch anderseits nicht. Die Lösung des Problems ist mit wenigen Worten etwa diese. Man muß von der Identität annehmen, daß ihre Entwicklung durch verschiedene Stadien hindurch geht. Auf einem gewissen Stadium ist keine Identität relational, während es auf einem höheren jede ist. Da im Absoluten das höchste Stadium tatsächlich realisiert wird, können wir dort, wo es angängig ist, Identität bereits als Relation behandeln, wenn sie tatsächlich noch keine für uns ist. Diesen Satz will ich nunmehr kurz erklären. Wir haben gesehen, daß Gleichheit als ein Faktum in einem Stadium vor den Relationen besteht. Sie existiert als eine Seite einer Ungleichheit, die in mir gefühlt wird und zugleich auch einer Ungleichheit, von der angenommen wird, daß sie jenseits meines Gefühles existiere. Nun ist diese Seite kein bloßes Adjektiv unabhängiger Dinge; eine solche Ansicht müßte ich zurückweisen. Die Ungleichheit selber hängt von einem Ganzen ab und existiert nur als das Adjektiv eines Ganzen; und innerhalb dieses Ganzen ist der Punkt der Gleichheit eine Einheit und ein Allgemeines, das in den Unterschieden realisiert wird, die durch dieses hindurch die gleichen sind. So weit ist aber diese Einheit, wie wir sagen können, unmittelbar und nicht relational. Die Frage ist nun, warum und wie wir sie eine Relation nennen können, wenn sie nicht tatsächlich für uns eine Relation ist. Es würde uns nichts helfen, wenn wir ohne Weiteres und ohne Erklärung auf das "Potentielle" zurückkämen; denn das ist, wenn es unerklärt bleibt, ein bloßer V ersuch zum Kompromiß zwischen "ist" und "ist nicht". Wenn aber das "Potentielle" auf etwas angewandt wird, was wirklich ist und was unter gewissen Bedingungen nur nicht offen daliegt, so ist das "Poten-

Zusatz B. Relation und Qualität

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tielle" keine Phrase mehr und wird möglicherweise die Lösung des Problems. Alle Relationen sind, wie wir gesehen haben, der inadäquate Ausdruck einer zugrundeliegenden Einheit. Das relationale Stadium ist eine unvollkommene und unvollständige Entfaltung der unmittelbaren Totalität. Aber anderseits ist es tatsächlich eine Entfaltung. Es ist ein Fortschritt und ein notwendiger Schritt auf jene Vollendung zu, die über den Relationen steht, sie überflüssig macht und sie doch immer noch in sich schließt. Daher sind wir zu glauben gezwungen, daß im Absoluten, wo alles vollständig ist, jede Entwicklung ihr Ende erreicht - was das auch immer für ein Ende sein mag und in welchem Sinn wir auch immer sagen dürfen: das Ding erreicht es. Das Ziel des Fortschritts mag daher als in der Realität bereits erreicht und als nunmehr gegenwärtig und wirklich angesehen werden. Ich meine damit nicht, daß jede unmittelbare Gleichheit ohne Ausnahme durch das relationale Bewußtsein passieren müsse. Aber Gleichheit erreicht ihre Wahrheit und endgültige Realität, nur in dem Ganzen, das jenseits der Relationen liegt und das das vollendet, was jene versuchen. Der Weg der Relationen ist die wesentlich notwendige Form des Fortschritts von dem Unvollständigen zu seiner Vollendung. Alle Gleichheit kann dann nicht nur, sondern muß relational werden, oder muß mindestens in der gleichen Richtung und nach dem gleichen Prinzip realisiert werden, wie sie vollendet worden wäre, wenn sie durch die relationale Identität hindurchgegangen wäre. Und da das, was sein muß, im Absoluten ist, so denke ich, daß wir dort, wo von Identität die Rede ist, wir auch von einer Relation sprechen dürfen, - so lang natürlich, als wir uns über den Sinn klar sind, in dem wir davon sprechen. Und hierin liegt das Wie und Warum ich beim Denken die Relationen finden kann, die ich bilde. Denn, was ich entwickle, ist im Absoluten bereits vollständig. Das bedeutet aber nicht, daß meine Rolle bei der Angelegenheit irrelevant ist, und daß sie keinen Unterschied in die Wahrheit bringe und äußerlich sei. Gebildet - und vorgefunden werden ist im Gegenteil für die Entwicklung und das Sein des Dinges wesentlich, und · die Wahrheit in ihren Prozessen und Resultaten gehört zum Wesen der Realität. Nur müssen wir hier wie überall zwischen dem innerlich Notwendigen und Zufälligen unterscheiden. Es gehört zum Wesen der Gleichheit, daß sie fortwährend gedacht werden muß und zwar auf eine bestimmte Weise. Daß sie durch dich und nicht durch mich, durch einen Mann mit braunen oder roten Haaren, gedacht werden müßte, gehört nicht zu B ra. dIe y, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Anhang

ihrem Wesen. Diese Züge qualifizieren sie in einem gewissen Sinn, denn sie sind mit ihr verbunden und keine Verbindung kann schließ· lich eine bloße Verbindung und rein äußerlich sein. Die V erknüp· fung ist hier aber so indirekt und so wenig individuell; sie enthält nur wenig von anderen Bedingungen, die in dem allgemeinen Hintergrund liegen, sie umfaßt nur wenig von dem, dessen Einführung die Tendenz hätte, diese partikuläre Wahrheit und das Faktum als solches umzuformen und aufzusaugen, - so daß jene Züge doch mit Recht äußerlich und zufällig genannt werden. Zufälligkeit ist natürlich immer eine Sache des Grades. Das führt zu der Frage, ob und wie Ähnlichkeit das Reale qualifiziert. Ähnlichkeit ist die Wahrnehmung oder das Gefühl einer mehr oder weniger unspezifizierten partiellen Identität; was die Identität betrifft, so haben wir diese schon abgehandelt. Nehmen wir aber Ähnlichkeit nicht als partielle Identität, sondern als eine Art in der die Identität auftreten kann, wie dürfen wir dann sagen, daß sie zur Realität gehört? Sicherlich gehört sie dazu und muß es tun, darüber besteht keine Frage. Das Problem ist nur, mit einem Wort, der Grad und die Stufe ihrer Notwendigkeit und Zufälligkeit. Habe ich ein Recht dort, wo ich partielle Gleichheit vorfinde, von Ähnlichkeit in dem eigentümlichen Sinn zu sprechen, wie ich ein Recht hatte unter denselben Bedingungen von einer Relation zu reden? Als Tatsache erscheint überhaupt keine Identität unter der Form der Ähnlichkeit; kann ich schließen: Irgendwie muß im Absoluten alles diese Form besitzen und daher ist es auch der Fall; darf ich daher so sprechen, als ob es sie besäße? Die Antwort auf diese Frage wird, wie ich annehme, in einer Untersuchung der Bedingungen der Ähnlichkeit zu finden sein. Was wird der Erfahrung der partiellen Gleichheit hinzugefügt, um sie zur Erfahrung der Ähnlichkeit zu machen? Kann diese Hinzufügung als eine Entwicklung der Gleichheit von innen her und als ein notwendiger Schritt zu ihrer Ergänzung angesehen werden oder hängt sie ~nderseits von Bedingungen ab, die relativ äußerlich sind? Mit anderen Worten, inwiefern ist die V erknüpfung zwischen Ähnlichkeit und Identität direkt und, um die erstere aus der zweiten zu gewinnen, in welchem Umfang müßtest du andere Bedingungen hineinbringen und inwiefern schließlich könntest du sagen, daß die Ähnlichkeit eher aus der Identität stammt als aus diesen anderen Bedingungen? Wenn du nun den Schluß ziehen kannst, was ich sicherlich nicht kann, daß die Ähnlichkeit (im eigentlichen Sinn) eine wesentliche Entwicklung der Gleichheit ist, wenn du dann auch das Prinzip bejahen willst, daß das, was in der Realität sein muß, bereits

Zusatz 0. Identität

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wirklich darin ist, - dann wirst du ein Recht haben, das Gleiche zu bestimmten Zwecken "ähnlich" nennen zu dürfen, sogar dort, wo keine Ähnlichkeit zutage tritt. Aber das unter anderen Bedingungen, als denen einer bloßen Arbeitshypothese zu tun, wird sicherlich unhaltbar sein 1 ). Damit muß ich diese allzu unvollkommenen Bemerkungen über Relation und Qualität beenden. Ich will noch einige andere Punkte hinsichtlich des Problems der Identität und Ähnlichkeit in der folgenden Anmerkung aufnehmen.

Zusatz C. Identität In dem vorangehenden Zusatz wurden wir zur Erwägung der Frage der Identität angeregt; ich will sie hier nun mit einigen anderen zusammen behandeln. Es wäre natürlich weit besser, wenn solche Fragen nur an ihrem eigentümlichen Ort gestellt und beantwortet würden; das ist aber nur in einer systematischen Abhandlung möglich. Es mag sein, daß Identität nur in einem beschränkten Sinn angewandt werden sollte, aber auf jeden Fall würde eine solche Beschränkung eine umfassende Untersuchung erfordern und müßte auf ihr beruhen. Und, wenn man sich nicht beschränkte, würde die Frage nach der Identität das Gesamtgebiet der Metaphysik umfassen. Wo es eine Einheit des Mannigfaltigen gibt, dort liegt Identität in Eine keinenfalls überflüssige, sondern sehr naheliegende Frage betrifft eine Gedankenrichtung, die etwa eine Generation vor uns herrschte und sogar heut noch ihre Verteidiger hat. Es wurde einerseits geleugnet, daß es eine andere Gleichheit im Wesen als .Ähnlichkeit gäbe und es wurde anderseits behauptet, daß es nur in der und für die partikuläre Erfahrung .Ähnlichkeit gäbe. Dennoch wurde die .Ähnlichkeit z. B. meiner vergangeneu und gegenwärtigen Seelenzustände als ein Faktum behandelt, das keiner Erklärung bedurfte. Auf diesen Punkt habe ich die Aufmerksamkeit in meinem Werk Logic (Buch II, Teil 2, Kap. 1) gelenkt. Ich habe ihn als einen Beweis unter vielen anderen für die Oberflächlichkeit und den Bankrott der Kenntnis der ersten Prinzipien angeführt. Ich verstehe nicht, warum keiner, der diesem Verdammungsurteil nicht zustimmen möchte, nicht mindestens den Versuch macht, der Schwierigkeit entgegenzutreten und sie zu behandeln. Der gewöhnliche Ausweg von J. St. Mill und seiner Schule ist eine rohe Identifikation von Möglichkeit und Faktum, von potentieller und aktueller Existenz, indem natürlich nach dem Sinn von potentieller Existenz so gut wie niemals gefragt wird. Diese rohe, ungedachte Identifikation, ist, wie wir wohl sagen können, ein Charakteristikum der Schule. Alles, was die ersten Prinzipien angeht, steht zwischen ihr und dem Bankrott und keiner, der wirklich über diesen Bankrott disputieren will, kann meiner Meinung nach diese besondere Frage nach der .Ähnlichkeit, ebenso wie im allgemeinen die nach der Beziehung des Möglichen zum Realen unbeachtet vorüber lassen. 1)

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einer "Ungleichheit vor, und em Studium der Hauptformen der Einheit in den Unterschieden würde wohl alles in sich enthalten. Weil ich daher die verschiedenen Formen der Identität eigentlich nicht behandeln konnte, versuchte ich auch erst nicht sie auseinanderzusetzen. Ich erblickte wirklich in der Katalogisierung alltäglicher Unterscheidungen keinen Vorteil, etwa solcher wie der Unterscheidung zwischen zwei Menschen der gleichen Art und zwei Menschen an demselben Ort oder derselben Zeit und auch der zwischen zwei Perioden des einen Lebens eines Menschen. Es kam mir nicht bei, daß solche Unterscheidungen unbekannt sein könnten, oder daß jemand sich über sie zu informieren wünschte. Ich setzte natürlich ihre Kenntnis als Tatsache voraus und, wenn ich diese Unterscheidungen selber verwechselt habe, so habe ich doch keine Stelle gefunden 1). Ich kann keine strenge Untersuchung ihres Wesens oder vieler anderer Probleme, die sich bei einer ernsten Behandlung der Identität erheben, versuchen. Ich will hier einige Bemerkungen hinzufügen, die dem Leser, ganz gleich inwieweit, wertvoll sein können. I. Die erste Frage, die ich stellen will, lautet, ob jede Identität qualitativ ist. Diese ist eng mit der Erörterung des vorangebenden Zusatzes verbunden, der, wie ich annehme, schon gelesen worden ist. Nun muß die Antwort auf unsere Frage von dem Sinn abhängen, in dem wir "Qualität" anwenden. Jeder kann natürlich bemerken, daß die Gleichheit eines Dinges mit sich selbst zu verschiedenen Zeiten von dem Besitzstand abweicht, den es mit einem anderen Ding eines und desselben Charakters teilt. Wenn die Qualität auf einen Bezugspunkt einer Relation beschränkt wird, dann wirst du offenbar in keinem Stadium vor der Unterscheidung eine Qualität antreffen, was wir ja schon gesehen haben. Die Einheit z. B. eines gefühlten Ganzen, das sicherlich eine Identität ist, wird sicherlich keine qualitative sein, auch wird niemals qualitative Gleichheit zwischen dem da sein, was gefühlt und später wahrgenommen wird. Wie wir aber sahen, ist die ganze Frage zum Teil eine Wortfrage, da "Qualität" ein unbestimmter Ausdruck ist. In ihrer niedrigsten Bedeutung bezeichnet sie etwas, das in irgendeinem Sinn qualifiziert und etwas zu irgendetwas macht. Sie wird daher außer dem Universum als solchem alles umfassen. Natürlich in diesem Sinn zu fragen, ob Relationen im allgemeinen, oder auch der Raum, die Zeit oder die Quantität Qualitäten sind, oder nicht sind, wäre absurd. Die Frage beginnt selbstverständlich erst dann zu interessieren, wenn wir einen Versuch erwägen, irgendeine Form der end1)

Vgl. p. 527. (Die Erläuterung zu p. 256.)

Zusats 0.

Identität

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liehen Existenz, oder die Existenz selber als real im Unterschied zum Sosein im weitesten Sinn hinzustellen oder mit anderen Worten einen Versuch, ein endliches Etwas zu entdecken, daß nach keiner Seite seines Wesens ein "irgendetwas" ist. Und da in jedem Etwas die Unterscheidung des "Daß" vom "Was" keine absolute, sondern nur relative ist, ist eine solche Absicht schließlich illusorisch. Jede Erscheinung ist am Ende nur Inhalt und Eigenschaft, die das Absolute qualifiziert, und schließlich kann nur auf das Absolute der Begriff der Qualität nicht angewandt werden. Hier finden wir zuerst eine Realität, die über ein bloßes "Was" hinausgeht; aber weder hier noch irgendwo anders finden wir eine Realität, die ein bloßes "Daß" ist. ·um Realität zu schaffen, müssen diese beiden Seiten untrennbar verbunden werden, und in der Tat ist ja ihre Trennung die Erscheinung selber. So müssen wir denn Nein antworten, wenn die Frage "Ist jede Identität qualitativ"?, bedeutet "Ist jede Gleichheit Gleichheit von eigentümlichen Qualitäten"?. Aber in jedem anderen Sinn muß unsere Antwort auf die Frage Ja sein. Denn wir müssen die Behauptung einer Gleichheit zurückweisen, die nicht die eines Inhalts ist und die in einer Identität bloßer Existenz besteht. Von hier gehe ich zu einer damit verwandten Frage über: Ist jede Identität ideal? Sie ist es immer, so müssen wir antworten, in dem Sinn, daß sie Überschreiten des Identischen in sich birgt. Wo es keine Verschiedenheit gibt, ist überhaupt keine Identität vorhanden, da die von der Verschiedenheit gelöste Identität ihren Charakter verloren hat. Wo aber anderseits die Verschiedenheit nicht aus sich selber die gleiche ist, sondern nur so angesehen, oder von außen dazu gemacht wird, da ist wiederum die Identität verschwunden. Kurz Gleichheit kann nicht nur äußerlich sein, sondern sie bedeutet, daß der Charakter und das Wesen des Verschiedenen darüber hinaus gesteigert wird und jenseits von sich selber liegt, und Gleichheit ist der Charakter dessen, was jenseits davon liegt - und das ist Idealität 1 ). Daher ist die Einheit eines gefühlten Ganzen in diesem Sinn ideal und dasselbe gilt ausdrücklich auch von der Identität in jedem räumlichen und zeitlichen Kontinuum. Die Teile existieren nur dort, insoweit sie relativ sind und von außen bestimmt werden, sie gehen anderseits alle über sich selber hinaus und bestimmen den Charakter des Ganzen. Und innerhalb jedes Teiles sind auch die Teile wiederum auf die gleiche Weise ideal. Nichts kann in 1) Ich gebe zu, daß die Verbindung der Seiten in jeder Seite für sich von uns schließlich nicht begriffen werden kann. Wir müssen aber daran festhalten, da.ll diese beiden Seiten tatsächlich unzertrennlich sein, und wir müssen leugnen, daß ihre Verbindung äußerlich ist; denn das ist ein ständiger Widerspruch.

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der Tat absurder sein als der allgemeine V ersuch, die Einheit und Kontinuität des Diskreten in etwas außerhalb der Reihe Befindlichen zu finden. Denn wenn das Diskrete an sich nicht kontinuierlich wäre, dann könnte sicherlich nichts Anderes es dazu machen. Wenn es aber aus sich selber kontinuierlich ist, dann ist seine Kontinuität ideal, und dasselbe gilt mutatis mutandis von jeder Art Identität. II. Jede Identität ist ferner in dem Sinn qualitativ, daß jede aus Inhalt und Eigenschaft bestehen muß. Es gibt keine Gleichheit einer reinen Existenz; denn bloße Existenz ist eine fehlerhafte Abstraktion. Überall ist Identität ideal und besteht in dem Überschreiten ihres eigenen Seins, durch das, was identisch ist. Und ihrem Hauptprinzip und ihrem Wesen nach ist Identität überall ein und dieselbe, obwohl sie sich nach ihrer Erscheinungsform und nach den verschiedenen Arten der Ungleichheiten unterscheidet. Auf Grund dieser Verschiedenheiten die Existenz eines fundamentalen, zugrundeliegenden Prinzips zu leugnen scheint mir unlogisch zu sein. Ich möchte aber wiederholen, daß meiner Meinung nach die Mannigfaltigkeit nicht als innere Entwicklung aus dem Prinzip aufgewiesen werden kann, und sogar der V ersuch, sie auf andere Weise systematisch herauszustellen, ist mehr als ich unternehmen könnte. Es kann vielleicht dem Leser helfen, wenn ich einige Bemerkungen über die zeitliche, räumliche und numerische Identität hinzufüge, Themen, über die, wie ich mir zu glauben erkühne, ziemlich viele Vorurteile herrschen. Es besteht die Neigung, auf Grund solcher Fakten wie Raum und Zeit die Existenz jedes fundamentalen Identitätsprinzips zu leugnen. Und diese Neigung ist schwer zu bekämpfen, da es ihr gewöhnlich nicht gelingt, sich selber auf ein deutliches Prinzip zu begründen. Es mag im Stillen zwischen "Existenz" und "Qualität" eine Alternative angenommen werden, und auf dieser mag die Behauptung beruhen, daß eine gewisse Gleichheit zur reinen Existenz gehört und daher unter ein ganz anderes Prinzip fällt. Weil aber nicht jede Identität unter Qualitäten in einem bestimmten Wortsinn besteht, so folgt daraus nicht, daß keine Identität qualitativ in einem weiteren Sinn zu sein braucht, und so verschwindet die ganze Alternative. Kurz die Frage, ob jemand tatsächlich Unterscheidung ohne Differenzen oder Differenzen ohne Verschiedenheit in der Eigenschaft vertreten kann, scheint mir nicht erwogen worden zu sein. Nun haben wir soeben gesehen, daß Raum und Zeit in ihrem Wesen das eine Prinzip der Identität exemplifizieren, da alle ihre Teile sich selbst überschreiten und nur dadurch sie selber sind, daß sie ein Ganzes bilden. Ich will nochmals auseinandersetzen, daß

Zusats 0. Identität

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ohne Unterscheidungen, die wir, wie ich annehme, qualitativ nennen müssen, Raum und Zeit nicht existieren. Im bloßen Raum oder der bloßen Zeit gibt es keine Unterscheidungen und keine Möglichkeit, sie zu finden. Ohne oben und unten, rechts und links, Ankunft und Abschied verschwinden Raum und Zeit; und diese Unterscheidungen scheinen mir qualitativ heißen zu müssen. Sicherlich sind auch Raum und Zeit real nur in begrenzten Räumen und begrenzten Dauerzeiten. Was begrenzt aber und bildet einen Raum oder eine Zeit, wenn nicht das, was sie hier und nicht irgendwo anders enden läßt und was bedeutet das anders, als daß Qualität bis zu einem bestimmten Punkt geht und dann aufhört und eine andere Qualität wird? Es liegt absolut kein Sinn in dem Ausdruck "ein Augenblick", wenn es nicht die Zeit von irgend etwas ist und jede Zeit, die die Zeit von irgendeinem Etwas ist, ist gegenwärtig und ein Augenblick 1). Dann sind aber Raum und Zeit nicht fremd gegenüber der Qualität; und wir haben gesehen, das ihre Einheit und Identität überall ideal ist. Man mag mir sagen, daß das zweifellos irrelevant sei und ich kann nichts dagegenstellen; daher will ich schnell zu einem anderen Punkt übergehen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß die behauptete Kluft zwischen Qualität, Raum und Zeit auf der angenommenen absoluten Exklusivität der beiden letzteren beruht. Wenn zwei Dinge dieselben oder verschieden sind, dadurch daß sie zu denselben oder verschiedenen Räumen gehören, so sind diese Gleichheiten und V erschiedenheiten, sagt man, etwas ganz Seltenes und Einzigartiges. Sie können nicht einem "Was" zugesprochen werden, sondern nur der "Existenz". Um diesem Einwurf zu begegnen werde ich mir erlauben manches aus dem Inhalt des Kapitels 19 zu wiederholen. Sicherlich hat die Verschiedenheit des Raumes und auch der Zeit einen eigenartigen Charakter. Obwohl offenbar, wie wir gesehen haben, diese Eigenschaft nichts ist, wenn sie allein da ist, so verbindet sie anderseits nicht Gleichheit mit anderen Eigenschaften und sie kann nicht in sie aufgelöst werden. All das ist wahr, aber es beweist kaum, daß das Wesen von Raum und Zeit nicht eine Eigenschaft sei oder daß diese Eigenschaft kein Beispiel des einen Prinzips der Identität bei Unterschiedlichkeit sei. Daher ist, wie ich voraussetze, auf die Ausschließlichkeit von Raum und Zeit besonders der Ton zu legen. Nun wird zugegeben, daß die Teile von Raum und Zeit nicht völlig ausschließend sind, denn sie lassen ja ex hypothesi andere Ich möchte mich bei diesem Punkt nicht nur auf das vorliegende Werk, sondern ebenso auf meine Principles of Logic, p. 50-55 beziehen. 1)

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Anhang

Eigenschaften zu und dienen dazu, sie zu differenzieren, und ferner wird ein Raum- oder Zeitstück als die reale Identität anderer Eigenschaften, die es einschließt, angesehen. Auch können in Wahrheit Raum und Zeit nicht als nur äußerlich stehend zu den anderen Qualitäten, die sie weiterhin qualifizieren, angesehen werden. Sie mögen gerade so relativ bleiben, wie für unsere Erkenntnis die Verbindung von Qualitäten relativ äußerlich bleiben mag. Eine bloß äußerliche Qualifikation ist aber, wie wir gesehen haben, nur Erscheinung und schließlich nicht rational oder real (vgl. Zusatz A und B). Die Ausschließlichkeit eines Raumes oder einer Zeit gilt, wie ich annehme, nur gegenüber anderen Zeiten und Räumen und wird nur auf diese Weise als absolut angesehen. Jeder Teil des Raumes und der Zeit ist anderen Teilen gegenüber eine ablehnende Einheit, und diese seine Einheit und innere Identität sol~ wie man annimmt, nur in seiner "Existenz" liegen. Offenbar wird hier aber vergessen, daß die Exklusivität von dem Ganzen abhängt. Sie besteht nur, weil in "dieser" Reihe das "Dieses" einzig ist, und wenn dem so ist, so ist das "Dieses" nicht nur exklusiv, sondern hat einen sich selbstüberschreitenden Charakter. Wenn es in Wirklichkeit nur eine einzige Raum- oder Zeitreihe gäbe, und wenn dadurch die Einzigkeit absolut wäre, so kann ich nicht sehen, wie man darin einen Einwand gegen Identität erblicken könnte. Denn innerhalb der Reihe liegt doch eine Einheit, eine Identität, die ideal ist, und außerhalb der Reihe gäbe es, auch wenn sie die einzige wäre, keine Exklusivität in Raum und Zeit, sondern nur in der Qualität. All das ist aber nur hypothetisch, da es nicht wahr ist, daß es in Wirklichkeit nur eine Reihe gibt, und jeder solcher Begriff ist ein Aberglaube, der, wie ich zu glauben hoffen darf, in diesem Werk widerlegt wird 1). Es gibt viele Reihen in Zeit und Raum und die Einheit aller dieser ist nicht zeitlich und räumlich. Daraus folgt, daß, soweit wir wissen, es eines oder mehrere Gegenstücke von jedem im Raum oder der Zeit Existierenden geben könnte und daß, räumlich oder zeitlich betrachtet, es zwischen diesen verschiedenen Dingen absolut keinen Unterschied und auch keine Möglichkeit zur Unterscheidung zu geben brauchte. Sie würden sich natürlich unterscheiden, und ihre jeweilige Reihe wäre Terschieden, aber jener Unterschied würde nicht in Raum und Zeit, sondern nur in der Qualität bestehen 2). Das Siehe Kap. 18 und vgl. Mi n d, N. S., Nr. 14. Für das Problem der Einzigkeit möchte ich auch auf meine P ri n ci p 1es o f Log i c, Book. I, Kap. 2 verweisen. 2) Dies gilt natürlich auch von meiner "realen" Reihe in Raum und Zeit. Die Begründung und der differentielle Charakter jener Reihe liegt, soweit ich sehen kann, in meinem besonderen persönlichen Gefühl, das meiner Ansicht nach 1)

Zusatz 0. Identität

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wäre das Letzte, was ich hier über die Chimäre .eines Unterschiedes in der "reinen Existenz" zu sagen hätte. Meiner Ansicht nach kommt der Gegner der Identität auch nicht weiter, wenn er weiterhin die Kontinuität eines Dinges in Raum und Zeit vorbringt. Die Vorstellung dabei ist, wie vorher, daß wir in Raum oder Zeit eine Form der Identität innerhalb des Unterschiedes haben, die in keinem Sinn eine Identität des Charakters ist, sondern die nur in der "Existenz" besteht, und daß ein Ding dadurch qualifiziert wird, daß es äußerlich in dieser Form seinen Platz findet. Die bloß äußerliche Qualifikation durch die Form aber und die "Existenz" einer Form oder von irgend etwas anderem, das keine Eigenschaft ist, sind, wie wir gesehen haben, gleich unhaltbar; und wenn das Prinzip zurückgewiesen wird, wäre es unnütz, noch weiter bei Einzelheiten zu verharren. Daher lassen wir das; ich will zur Betrachtung eines zur Aushilfe dienenden Mißverständnisses übergehen. Für die Identität in der Zeit eines existierenden Dinges brauchst du (wie ich in diesem Werk erwähnt habe) zeitliche Kontinuität und Gleichheit in dem eigenen Charakter des Dinges. Und was hier von der zeitlichen Kontinuität gilt, gilt ebenso mutatis mutandis von der räumlichen; das nicht sehen, wäre ein Fehler. Ob nun eine völlig ungebrochene Kontinuität in Zeit oder Raum für die Einmaligkeit eines Dinges nötig ist, dies Problem, möchte ich hier übergehen 1 ); aber irgendeine ungebrochene Dauer wird sicherlich benötigt, wenn es überhaupt Dauer gibt, und daß das Ding seinen Charakter beibehält, scheint mir ebenso wesentlich zu sein. Der Charakter mag sich natürlich ändern, aber diese Veränderung muß außerhalb dessen fallen, was wir für die wesentliche Qualität des Dinges ansehen. Denn sonst haben wir ipso facto einen Bruch in der Kontinuität. Obwohl dieser Punkt selbst evident erscheinen mag, so habe ich ihn doch mit Rücksicht auf den mich beunruhigenden Mangel an Klarheit mindestens angemerkt. Wir wollen fragen, was ist ein Bruch in der kontinuierlichen Existenz eines Dinges? Er liegt nicht in bloßer "Existenz", denn die ist überhaupt nichts; und er kann auch nicht räumlich oder zeitlich sein, denn dort ist ein Bruch unmöglich. Z. B. wäre eine Zeit, die tatsächlich zerbrochen wäre, keine zerbrochene Zeit, sondern wäre zwei Reihen ohne zeitliche Relation geworden und qualitativ ist. Und ich wiederhole hier, daß es unseres Wissens eines oder mehrere Duplikate von mir geben könnte, die sich natürlich unterscheiden würden, aber deren Unterschiede in irgendeiner Eigenschaft liegen würden, die außerhalb dessen fallen würde, was von uns beobachtet wird. 1) Siehe p. 256 und die Anmerkung dazu.

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daher ohne Bruch. Ein Bruch ist daher nur relativ und schließt ein ungebrochenes Ganze in sich, in dem er stattfindet, d. h. für einen Bruch in der Zeit mußt du zuerst eine kontinuierliche Dauer haben. Nun kann aber diese Dauer, wie wir gesehen haben, nicht aus bloßer Zeit bestehen, sondern sie ist nur eine Dauer, weil sie nur durch einen Inhalt charakterisiert wird, - nennen wir ihn A. Innerhalb dieses mußt du dann ebenso einen anderen Inhalt, nennen wir ihn b, haben; nun soll b nicht das ganze A, sondern nur einen Teil oder besser Teile von ihm qualifizieren. Der Rest von A, der nicht durch b, sondern durch irgendwelche andere Eigenschaft, die negativ zu b steht, qualifiziert wird, ist jener Teil der Dauer, der in bezug auf b einen Bruch konstituieren kann. Ich möchte hierbei folgenden Punkt ganz ausdrücklich betonen: ohne die Qualifikation durch ein und dasselbe b und auch ohne die partielle Qualifikation durch eine andere, dem b feindliche Eigenschaft, hat es einfach keinen Sinn oder Zweck, lieber von der Dauer von b als von der von irgend etwas anderem zu sprechen oder von einer zeitlichen Beendigung der Existenz von b oder einem Bruch in ihr zu reden. Die Dauer eines Dinges ist in Wirklichkeit Unsinn, wenn nicht die Qualität des Dinges durchaus identisch ist. Ich weiß nicht, inwieweit das eben Erörterte dem Leser irrelevant und überflüssig erscheinen mag. Ich tue mein Bestes, um ihm zu helfen, den Einwänden gegen die fundamentale Gleichheit jeder Identität zu begegnen. Diese Einwürfe scheinen mir, um es zu wiederholen, auf dem Aberglauben zu beruhen, daß es keinen grundlegenden Charakter geben kann, weil es verschiedene Identitäten gibt, und der weiteren Wahnvorstellung, daß eine äußere Existenz ohne Charakter und eine Kluft zwischen beiden vorhanden sei. Solche gewöhnlichen, rohen Trennungen des allgemeinen Menschenverstandes sind in der Philosophie sicherlich nur Wahnvorstellungen. Und ich würde gern gegen etwas Besseres argumentieren, wenn ich wüßte, wo es zu finden wäre. Aber trotz meiner Furcht vor Unwichtigkeiten, will ich doch einige Worte über "numerische" Identität und Differenz hinzufügen. Ich glaube aber, daß das in gewisser Weise eine sehr schwierige Sache ist. Ich meine damit nicht, daß es im Prinzip schwer sei und daß die Schwierigkeit auf die Gleichheit und die Differenz bloßer "Existenz" hinzudrängen strebt oder auf Unterscheidung ohne Differenz oder irgendeine andere Chimäre. Wenn wir in der Tat blindlings annehmen, wie es oft geschieht, daß der Charakter numerischer Gleichheit auf zeitlicher oder räumlicher Begründung beruht, so wäre außer dem bereits Gesagten wenig zu sagen.

Zusatz 0. Identität

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Zahlenmäßige Unterscheidung ist keine solche ohne Differenz, denn das ist wiederum sinnlos, aber sie kann wohl eine Unterscheidung heißen, die von jedem speziellen Unterschied abstrahiert und ihn außer acht läßt. Sie kann die Seite des Unterschiedenseins genannt werden, die keine Rücksicht auf ihr "Was" und "Wie" nimmt. Ob der zugrundeliegende Unterschied zeitlich, räumlich oder sonst etwas ist, wird völlig ignoriert, solange wie er unterscheidet. Und wo ich so unterscheiden kann, kann ich wie mit einer Tatsache rechnen und bin im Besitz von Einheiten. Eigentliche Einheiten existieren zweifellos nicht ohne die Erfahrung der Quantität, und ich will nicht behaupten, daß ohne Quantität Unterscheidung unmöglich sei oder daß auch Quantität rational aus etwas Einfacherem als sie selber entwickelt wird. Ich habe die Worte "als eine Tatsache" ausdrücklich betont, um diese Fragen beiseite zu lassen, da sie vorläufig vernachlässigt werden können. Zahlenmäßige Gleichheit ist auf diese Weise der Fortbestand irgendeiner solchen bloßen Unterscheidung durch verschiedene Verknüpfungen hindurch, ganz gleich welcher Art sie sind. Natürlich folgt daraus, daß sie, so lang wie Gleichheit und Unterschied nur zahlenmäßig sind, nicht räumlich und zeitlich und auch in keinem begrenzten Sinn qualitativ sind. Daraus ergibt sich mir aber ein Problem, das mir, ob mit Recht oder Unrecht als ein extrem schweres erscheint. Tatsächlich hat mich diese Schwierigkeit dazu geführt, eine Erörterung der zahlenmäßigen Gleichheit zu vermeiden. Ich wollte lieber als einer von denen erscheinen (ich denke nicht, daß es deren viele gibt), die nicht darüber Bescheid wissen oder die mindestens praktisch diese bekannte Unterscheidung nicht anwenden können. Meine Schwierigkeit ist kurz gesagt folgende. Ohue Unterschied im Charakter kann es keine Unterscheidung geben; das Gegenteil wäre Unsinn. Was ist aber schließlich dann jener Unterschied im Charakter, der genügt, um eine zahlenmäßige Unterscheidung zu konstituieren? Ich meine damit nicht: Was bedeutet am Ende die Beziehung eines Unterschiedes zur Unterscheidung? sondern ich stelle hier im allgemeinen die Frage, welche Art oder welche Arten von Ungleichheit müssen vorausgesetzt werden, damit eine Unterscheidung existiert? Oder wir können auch so fragen, was mehr oder weniger dasselbe Problem ist: Was und von welcher Art ist das Minimum von Ungleichheit, .das zu einem zahlenmäßigen Unterschied und zur Gleichheit, diese im weitesten Sinn genommen, erforderlich ist? Auf diese Frage .kann ich keine genügende Antwort geben. Es ist natürlich leicht, zu antworten, daß jede Unterscheidung

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im Grunde zeitlich oder auch jede räumlich ist oder auch vielleicht beides. Und ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, daß solche Ansichten unlogisch und nicht zu begründen sind. Solange sie nicht eine fehlerhafte Abstraktion des Raumes und der Zeit von der Qualität vollziehen oder versuchen, Raum und Zeit als Formen der "Existenz" und nicht der Eigenschaft hinzustellen, liegt in solchen Ansichten nichts Unvernünftiges vor. Aber ganz gleich, ob sie richtig oder falsch sind, in jedem Fall sind sie für mich überflüssig, solange sie Behauptungen bleiben, die keine Rücksicht auf meine Schwierigkeit nehmen. Die Hauptschwierigkeit für mich ist folgende. Im Gefühl finde ich als ein Faktum Ganzheiten mit Verschiedenheit und Einheit vor und an einigen dieser Ganzheiten kann ich nichts Zeitliches oder Räumliches entdecken. Darin mag ich zweifellos Unrecht haben, aber für mich handelt es sich darum, wie diese Fakten zustande kommen. Ich frage, warum ist es unmöglich, daß eine Form oder Formen nicht-zeitlicher und nicht-räumlicher Identität mit Unterschieden als Basis einer Unterscheidung dienen und ihr zugrundeliegen dürfen? Man kann mir erwidern, daß ohne die geringste zeitliche Sukzession überhaupt keiner jemals zur Unterscheidung kommen könnte. Wenn das tatsächlich so ist - und ich beschwöre es nicht - so bezweifle ich dennoch immer noch den Schluß. Ich bin nicht sicher, daß daraus folgt, daß jede Unterscheidung, wenn du sie erreicht hast, ihrer Art nach sukzessiv sein muß, weil ohne Sukzession keine Unterscheidung zustande kommt. Das Faktum nicht-zeitlicher und nicht-räumlicher Verschiedenheit in der Einheit scheint mindestens zu existieren. Die Unterscheidungen, die ich auf dieser Verschiedenheit basieren kann, haben für mich wenigstens in manchen Fällen keinen aufzeigbaren zeitlichen oder räumlichen Charakter. Das Problem ist nun, ob die zeitliche (oder, wenn du willst die räumliche) Form, die wir als für die Entstehung der Unterscheidung notwendig ansehen wollen, sie wesentlich qualifizieren muß. Ist es nicht möglich, daß die Form der Unterscheidung, ganz gleich wie sie zuerst entstanden sein mag, mindestens in manchen Fällen dazu fähig werden kann, durch ein einfacheres und nichtzeitliches Schema von Verschiedenheit in Einheit zu existieren und auf ihm zu beruhen? Dies stößt mir als eine strittige Schwierigkeit auf und ich maße mir nicht an, sie hier zu entscheiden; meiner Meinung nach erfordert sie eine sorgfältigere Untersuchung als ihr scheinbar manche Leute widmen wollen 1 ). Das ist alles, was ich über die zahlenmäßige Identität hier zu sagen für gut befinde. Die Frage, hat jede Unterscheidung einen zeitlichen oder räumlichen Charakter? bedeutet nicht, haben allein die Unterscheidungen, die wir vollziehen 1)

Zusatz C. Identität

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Um aber auf die Hauptfrage zurückzukommen, so schließe ich dabei nicht mit einem Zweifel. Es gibt mannigfache Formen der Identität in der Verschiedenheit, die logisch nicht voneinander ableitbar sind, und dennoch sind sie alle Beispiele und Entwicklungen eines einzigen zugrundeliegenden Prinzips. Die Vorstellung, daß bloße "Existenz" etwas sein, oder etwas gleich oder verschieden machen könnte, erscheint als reiner Aberglaube. Nicht alles ist Qualität in dem besonderen Sinn von Qualität, aber alles ist Qualität in dem Sinn von Inhalt und Eigenart. Die Suche nach einem "Daß", das anders als ein "Was" ist, ist die Verfolgung eines Phantasmas, das um so mehr zurückweicht, je mehr du dich ihm näherst. Aber sogar dieses Phantasma ist der illusorische Schein einer Wahrheit. Denn im Absoluten gibt es kein "Was", das von seinem "Daß", das es wieder sucht, getrennt wird, sondern beide Seiten sind unzertrennlich. III. Ich halte es für nötig hier einige Bemerkungen über die Ähnlichkeit hinzuzufügen, obwohl ich über diesen Punkt wenig oder nichts Neues zu sagen habe. Ebenbildlichkeit oder Ähnlichkeit oder Gleichartigkeit im strengen Sinn des Wortes halte ich für die Wahrnehmung mehr oder weniger unspezifizierter Identität (Gleichheit) von zwei unterschiedenen Dingen. Sie unterscheidet sich von der Identität niedrigster Form - d. h. von einer Identität, bei der die Dinge als gleich ohne eine spezifische ·Kenntnis des Gleichheitspunktes und des Punktes, worin sich dieser von der Verschiedenheit abhebt, angesehen werden - weil sie das deutliche Bewußtsein in sich schließt, daß die beiden Dinge zwei und verschiedene sind. Sie unterscheidet sich auch von der Identität in einer expliziteren Form, weil es im Wesen der Ähnlichkeit liegt,' daß der Punkt oder die Punkte der Gleichheit mindestens teilweise ununterschieden und unspezifiziert bleiben sollten. Ferner gehört ein spezielles Gefühl zur Erfahrung der Ähnlichkeit und hilft sie konstituieren, ein Gefüh~ das nicht der Erfahrung der eigentlichen Gleichheit zukommt. Anderseits ist aber Ähnlichkeit immer auf einer partiellen Gleichheit basiert; und ohne diese partielle Gleichheit, die die Erfahrung auf ihr oder die frühesten Unterscheidungen, die wir gemacht haben, für uns und als unters c h i e d e n e einen solchen Charakter an sich? Ich würde diese Frage ohne weiteres mit Nein beantworten. Die Frage, über die ich im Zweifel bin, betrifft nicht direkt das Objekt, auf das wir aufmerken, sondern die psychische Mechanik der Unterscheidung, die wir nicht bemerken, die aber wohl mindestens da sein muß und auch in einem gewissen Sinn das Objekt beeinflussen muß. Einige Bemerkungen über den Raum als die Grundlage der Unterscheidung stehen im Mind, N. S., Nr. 14, pp. 232-3. Die Lage ist für den Raum, soweit ich es verstehen kann, etwas Beliebiges, aber wichtig.

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eigene, nicht unterscheidende Weise wahrnimmt, besteht keine Erfahrung der Ähnlichkeit und ohne sie von Ähnlichkeit zu reden ist sinnlos. Und auf Grund dieser partiellen Identität, die die Bedingung unserer Erfahrung der Ähnlichkeit ist und sie bestätigt, können wir in gewissen Grenzen "gleich" für "ähnlich" und "ähnlich" für "gleich" gebrauchen. Das spezifische Gefühl der Ähnlichkeit ist aber nicht selber die partielle Identität, die es in sich schließt, und partielle Identität braucht überhaupt nicht eigentliche Ähnlichkeit bedeuten 1). Aber ohne partielle Identität ist Ähnlichkeit, ebenso wie ihre Bedingung und ihre Behauptung nichts. Von einem logischen Gesichtspunkt aus ist daher Ähnlichkeit sekundär, aber das bedeutet nicht, daß ihre spezifische Erfahrung in Iilentität aufgelöst oder durch sie erklärt werden kann. Und es bedeutet nicht, daß, wenn du durch Analysis den Gleichheitspunkt in einer Ähnlichkeit heraussonderst, die Ähnlichkeit verschwinden muß. Soweit wie du analysiert hast, ist es mit der Ähnlichkeit (eigentlich) vorbei, und sie wird durch eine Wahrnehmung der Identität abgelöst - aber nur soweit. Neben dieser neuen Wahrnehmung und soweit sich diese nicht ausbreitet, kann dieselbe Erfahrung der Ähnlichkeit immer noch bestehen bleiben. Daraus schließen zu wollen, daß Ähnlichkeit nicht auf Gleichheit basiert sei, zeigt meiner Meinung nach einen höchst sonderbaren Mangel an Verständnis. Auch ist es gleichgültig, ob die Erfahrung der Identität oder die der Ähnlichkeit psychologisch und zeitlich früher liegt. Ich für meine Person bin mir darüber klar, daß die Identität auf niedrigster Stufe zuerst auftritt; die ganze Frage ist aber für unseren vorliegenden Zweck unwichtig. Hier ist die Frage, ob Ähnlichkeit von einem logischen Gesichtspunkt aus sekundär ist oder nicht, ob sie immer auf Identität beruht, während die Identität ihrer gar nicht bedarf. Ich will nun zur Erörterung einiger Einwürfe übergehen, die sich scheinbar gegen diese Anschauung erhoben haben und will dann unter der Annahme, daß wir unseren Standpunkt leugnen, diesen behandeln. Den ersten Teil dieser Aufgabe werde ich aus zwei Gründen sehr kurz erörtern. Einige dieser Einwürfe muß ich als erledigt betrachten und andere bleiben mir dunkel. Der metaphysische Einwand gegen die Möglichkeit einer Identität der Qualität kann meiner Meinung nach sich selb it überlassen werden; ich will zu zwei anderen übergehen, die mir auf einem Mißverständnis zu beruhen scheinen. Man sagt uns: "Du kannst nicht sagen, daß zwei 1)

S. Zusatz B.

Zusatz 0. Identität

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Dinge, die ähnlich sind, die gleichen sind, wenn du nicht bereit bist, in jedem den Gleichheitspunkt herauszustellen und aufzuweisen. Ich habe auf diesen Einwand schon geantwortet 1) und will hier nur den Hauptpunkt wiederholen. Es entzieht sich meinem Wissen, ob geleugnet wird, daß es vor stattgefundener Analyse schon verschiedene Seiten der Dinge gibt und ob behauptet wird, daß die Analyse immer das selber macht, was sie an den Tag bringt oder ob man (aus irgendeinem nicht gegebenen Grunde) so an die Macht der Analyse glauben soll, als wäre das, was sie nicht hervorbringen kann, einfach überhaupt Nichts, oder ob dies aus einem unerklärten Grund kein allgemeines Prinzip sein soll, sondern nur dort gelten soll, wo es sich um Gleichheit handelt. Wenn ich weiß, was ich treffen soll, so will ich mir Mühe geben, es zu treffen, aber sonst bin ich hilflos 2). Ein anderer Einwurf, den ich jetzt anmerken will, bleibt ebenso ungeklärt. Die 'Vahrnehmung einer Reihe von Stufen, so behauptet man, ist ein Faktum, das beweist, daß es .Ähnlichkeit ohne eine Grundlage der Identität geben kann. Ich habe dies Argument in verschiedenen Formen zu widerlegen gesucht 8 ), d. h. soweit ich es zu verstehen imstande war, und ich will hier hinzufügen, daß ich vergeblich auf eine Erklärung des Kardinalpunktes gedrungen habe. Kann es, so möchte ich wiederholen, eine Reihe von Stufen geben, die Stufen des Nichts sind, und hast du nicht im anderen Fall eine zugrundeliegende Einheit zu.~estanden? Und wenn man mich fragt: Kann es nicht Grade der Ahnlichkeit geben, so antworte ich natürlich Ja. Dann ist aber in diesem Fall die .Ähnlichkeit selber der Identitätspunkt, von dem und in dem es Stufen gibt, und wie das beweisen soll, daß es entweder überhaupt keine Identität gibt oder daß auch keine Identität der .Ähnlichkeit zugrundeliege, kann ich nicht ahnen. Ich gebe zu oder besser ich behaupte und bestehe darauf, daß die Wahrnehmung einer Reihe ein Punkt ist, der ebenso schwierig wie wichtig in der Psychologie ist und allzu oft vernachlässigt wird. Anderseits behaupte ich aber, daß du mit der Leugnung der Identität jede Möglichkeit, dieses Faktum zu erklären ausschließest unJ damit das Faktum in einen unerklärlichen Unsinn zu verwickeln beginnst. Niemand kann, so Siehe p. 285 und die Anmerkung dazu. Ich sehe, daß Mr. Hobhouse diesen Einwurf zu stützen scheint (Theory of Knowledge, p. 109), aber soweit ich sehe, keinen Versuch macht, ihn zu erklären oder zu begründen. Da er aber nicht gewillt zu sein scheint zu leugnen, daß Gleichheit immer der Ähnlichkeit zugrunde liegt, so ist seine Stellung mir hier und in manchen anderen Punkten völlig dunkel. 1) p. 285 und Anmerkung. 1)

2)

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möchte ich hinzufügen, auf einen Einwurf antworten, dessen Sinn nicht feststeht 1). Gehen wir von diesem Punkt aus weiter, und fragen wir, was der Gegensatz zur Identität ist. Wenn wir Gleichheit im Charakter leugnen und bloße Ähnlichkeit behaupten, was bleibt uns da? Wir sind dann, so scheint mir, in Konfusion geraten und enden im reinen Unsinn. Wie reine Ähnlichkeit ohne Identität die Bezugspunkte, die sie vergleicht, qualifizieren sol~ ist ein Problem, dem nicht gegenübergetreten wird und das ungelöst mit Ruin droht. Die Anwendung dieser reinen Ähnlichkeit führt uns in der Psychologie dazu, grobe und nutzlose Fiktionen aufrecht zu erhalten und verwickelt uns in der Logik in einen unmittelbaren und nicht wieder gutzumachenden Bankrott. Wenn das Gleiche im Charakter nicht das Gleiche bedeutet, so werden unsere Schlüsse zerstört und auseinandergeschnitten und mit einem Wort, die Welt unserer Erkenntnis wird aufgelöst 2). Und wie wird dieser Bankrott bemäntelt? Wie ist es möglich, daß Leute, die Gleichheit in der Eigenschaft abstreiten, in der Logik und dort, wo sie es für passend halten, von Begriffen reden, wie "das Gleiche" und "ihre Identität" erwähnen und reden von "einem Ton" und "einer Farbe"? Der Ausweg ist der Begriff oder die Phrase von "exakter Gleichheit" oder "präziser Ähnlichkeit". Wenn Ähnlichkeit bis zu einem solchen Punkt gesteigert wird, daß ein wahrnehmbarer Unterschied aufhört, dann liegt meiner Ansicht nach Diesselbigkeit oder Identität in Wirklichkeit gar nicht vor, sondern du kannst nur so reden als ob du sie erreicht hättest. Auf diese Weise wird die Kollision mit der Sprache und der Logik vermieden oder besser verborgen. Was ist im Prinzip der Einwand gegen diese Anwendung des Begriffs "exakte Ähnlichkeit"? Der Einwand sagt, daß ÄhnlichOb man von Mr. Hobhouse annehmen soll, daß er auch diesen Einwurf bekräftigt, bin ich ganz außerstande zu sagen. Dem Beweisgang auf p. 112 seines Buches konnte ich leider nicht folgen und es wäre nutzlos, ihn in einem Sinn zu kritisieren, den er wahrscheinlich nicht meinen kann. Ich habe aber nichts :finden können, das wie ein Versuch aussieht, den tatsächlich hier enthaltenen Streitpunkt zu behandeln. Kann es Grade von Nichts geben und kann es eine Ähnlichkeit geben, wenn kein Ähnlichkeitspunkt da ist? Die offene Behauptung, daß Relationen der Quantität und des Grades in bloßer Ähnlichkeit ohne Identität bestehen müssen, weil sie nicht aus reiner Identität bestehen, das kann ich nicht verstehen. Was zwingt uns, eines von beiden anzunehmen. Ich brauche aber nicht zu versuchen, dort zu kritisieren, wo ich nicht begreifen kann. ") Die Haltung von Mr. Hobhouse, der auf der einen Seite jede Identität von Qualität oder Charakter zu leugnen scheint und doch auf der anderen scheinbar behaupten will, daß Ähnlichkeit 1.lhne eine Basis von Identität möglich sei, ist mir, um es nochmals zu sagen, unverständlich. 1)

Zusats C. ldentität

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keit, wenn du sie durch Beseitigung aller inneren Unterschiede "exakt" machst, keine reine Ähnlichkeit mehr, sondern Identität geworden ist. .Ähnlichkeit erfordert, wie wir sahen, zwei Dinge, die sich ähneln und sie erfordert ebenso, daß der genaue .Ähnlichkeitspunkt nicht unterschieden wird. Das ist für die .Ähnlichkeit als gegensätzlicher Unterschied zur Identität wesentlich, und das ist der Grund, warum du in der Logik bloße .Ähnlichkeit nicht als Gleichheit verwenden darfst - denn du kennst nicht den .Ähnlichkeitspunkt und weißt nicht, ob er nicht komplex sein kann. Wie wir auch sahen, kannst du in der Tat während der Analyse noch immer deinen Begriff der .Ähnlichkeit behalten, aber soweit du analysierst, hast du etwas ganz Anderes erreicht und, wenn du argumentierst, wendest du nicht die .Ähnlichkeit an, sondern den .Ähnlichkeitspunkt, mindestens, wenn dein Argument logisch ist. Ein Ähnlichkeitspunkt ist aber offenbar eine Identität. Und wie wir sahen, hat das Wort ,.Ebenbildlichkeit" einen doppelten Sinn, der diese Anwendung von .Ähnlichkeit für Gleichheit zu beglaubigen scheint. Ebenbildlichkeit kann meine spezifische Erfahrung von Ähnlichkeit bedeuten - und das ist natürlich selber keine Identität - oder sie kann die reale partielle Gleichheit im Charakter von zwei Dingen bedeuten, ganz ~)eich, ob sie für mich ähnlich sind oder nicht. Daher kann "exakte Ahnlichkeit" für den identischen Charakter, der den Gleichheitspunkt bildet, angewandt werden und sie braucht nicht bloße .Ähnlichkeit bedeuten, die der Identität entgeg~mgesetzt sein kann. Und wo exakte .Ähnlichkeit n i c h t den identischen Charakter bedeutet, dort ist der Bankrott sofort offenbar 1). Es sei mir vielleicht gestattet, diesen Punkt durch einen fiktiven Dialog zu illustrieren. "Ist dieses Exemplar des Werkes dasselbe?" "Ja, es ist genau das Gleiche." "Du bist dessen sicher?" "0, ja, es ist identisch, es ist ein Fa ksimile". "Hm, es siehtgenauso aus, aber da ich das andere geprüft habe, nehme ich lieber jenes, obwohl ich wohl behaupten darf, es besteht tatsächlich gar kein Unterschied." Das "Genau-so-aussehen", das denselben Eindruck hervorruft, schließt natürlich eine reale Identität in den beiden Dingen in sich, aber ich weiß nicht, was sie ist und ich we-iß nicht, ob sie das ist, was ich brauche. Dieser Doppelsinn von "Ebenbildlichkeit" gab jener Lehre Mill's ihre Selbstverständlichkeit, in der er sich vom Einzelnen zum Einzelnen erkennend bewegt und er hat auch Mr. Hobhouse (p. 280-5) befähigt, darzustellen, daß Mill's Lehre, die einst für original und revolutionär galt, in Wirklichkeit in der Ansicht besteht, daß man niemals direkt vom Einzelnen zum Einzelnen fortschreiten kann, sondern immer durch ein Allgemeines hindurch muß. Die Aufgabe, die immer. noch auf Mr. Hobhouse wartet, ist der Nachweis, daß Mill, wenn er von Assoziation durch .Ähnlichkeit redete, nichts anders als Erneuerung durch Identität meinte. Ich bin aber trotz allem nicht überzeugt, daß Mill ein Prophet hätte sein müssen, weil er schließlich einen Schüler gefunden hat, der ihm seinen Grabstein errichtet. · 1)

Bradley, Erscheinung und Wirklichkeit.

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Man warnt uns: "Du darfst nicht sagen, daß zwei Töne derselbe Ton sind, oder daß zwei Erbsen dieselbe Farbe haben, denn das heißt sich als inkompetent erweisen, um einen elementaren Schluß zu ziehen; oder vielleicht kannst du das mit uns behaupten, wenn du, wie wir, dir darüber klar bist, daß du das nicht meinst, sondern nur reine Ähnlichkeit wie wir im Sinn hast." Und wenn wir fragen: Sind denn die Töne und die Farben in Wirklichkeit verschieden, so hören wir, "die Ähnlichkeit ist exakt". Damit kann ich aber für meine Person nicht zufrieden sein. Ich möchte wissen, ob innerhalb des Charakters der Töne und dem der Farben irgendein Unterschied behauptet wird oder nicht. Und hier trennen sich, soweit ich sehe, die Wege. Wenn du die Identität leugnen willst, so ist sicherlich die einzig konsequente Antwort: "Natürlich gibt es einen Unterschied. Ich weiß, was meine Worte meinen und, wenn ich sagte, daß er nicht derselbe, sondern nur ein ähnlicher se~ so wollte ich eine innere Verschiedenheit behaupten, obwohl ich nicht genau weiß, welche das ist. Es ist ganz klar, hätte ich in einem Atem gesagt: Der Charakter besitzt keinen Unterschied und ist dennoch nicht derselbe Charakter, so wäre ich selbstmörderisch gewesen." Ich gebe zu, eine solche Haltung ist soweit in sich konsequent, aber sie endet nach allen Seiten in einem intellektuellen Ruin. Doch muß man auf andere Weise, soweit ich es verstehe, zugeben und behaupten, daß es in der exakten Ähnlichkeit wirklich keinen Unterschied gibt, und daß ein Ähnlichkeitspunkt darin ist, in dem innerlich keine Verschiedenheit als existierend angenommen wird, und den wir logisch in dem Sinn anwenden, daß ein Abweichen des Charakters ausgeschlossen wird - und auf der anderen Seite muß man dann behaupten, daß wir hier immer noch keine Gleichheit, sondern nur Ähnlichkeit haben. Damit ist, soweit ich sehen kann, ein Ende des Arguments erreicht. Ich für meine Person verstehe eine solche Haltung nur als das Ergebnis eines unbewußten Entschlusses, eine Theorie aus Furcht vor ihren Konsequenzen zu leugnen. Wenn wir aber auf die Konsequenzen zu sehen haben, und ich bin bereit, es zu tun, warum sollten wir dann nach der einen Seite blind sein? Eine Verwechslung zwischen dem, was wir individuelle Gleichheit und bloße Identität des Charakters nennen dürfen, zu vermeiden, halte ich natürlich auch für höchst wünschenswert. Aber die Vorstellung, daß du einen Irrtum vermeiden willst, indem du einen Fehler begehst, daß du einer Verwechslung zwischen verschiedenen Arten von Identität vorbeugst, indem du zugleich die eine Art leugnest, erscheint mir unlogisch. Die Identität, die du leugnen willst, tritt praktisch immer wieder auf. Sie kann in einer ursprüng-

Zusatz 0. Identität

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liehen, aber durch den trügerischen Begriff der exakten .Ähnlichkeit versteckten, verdunkelten und verzerrten Form wieder erscheinen. Anderseits kann sie sich als ein trügerischer und gefährlicher Irrtum einschleichen. Wir brauchen nach einem illustrierenden Beispiel nicht lange zu suchen. J. S. Mill kann meiner Meinung nach als der Führer aller, die bei uns die Identität der Qualität leugnen, angesehen werden, und J. S. Mill hatte anderseits die Assoziation durch Ähnlichkeit gelehrt. Mindestens müssen wir dies behaupten, so lange es sich nicht erwiesen hat, daß wir, die Kritiker Mills, nicht mehr von seiner wirklichen Absicht wissen als er selber, - wie es an einer anderen Stelle hinsichtlich des Argumentes des Ausganges vom Einzelnen aus geschehen sein mag. Assoziation durch .Ähnlichkeit, wie sie J. S. Mill und seine Schule gelehrt haben, führt zur rohesten Mythologie individueller Auferstehung (wie ich in meinen Principles of Logic nachgewiesen habe) und bekräftigt sie. Ich glaube nicht, daß die Geschichte der Philosophie einen stärkeren Fall dieser schlimmen Verwechslung aufweisen kann, vor dem wir, die wir an Identität glauben, so ganz besonders gewarnt werden. Nun, du magst die Natur auszutreiben versuchen, und die Natur wird immer (wie das Sprichwort sagt) wieder zurückkehren, aber sie wird nicht immer als Natur zurückkommen. Du magst die Identität des Charakters zu verbannen dich bemühen, und die Identität wird immer wieder erscheinen, nur nicht immer in einer erträglichen Form. Die grundlegende Wichtigkeit dieses Zusatzes muß ihre große Länge entschuldigen und auch mich, dem es kein großes Vergnügen macht, diese Kontroverse nochmals aufzunehmen, die ich aber meinem Gefühl nach nicht ablehnen durfte.

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Erläuterungen Pag. 12. Die Wirkung des einen Körperteils auf einen andern wahrnehmenden Teil kann natürlich indirekt sein. In diesem Fall ist das Wahrgenommene nicht das Organ selber, sondern die Wirkung des Organs auf ein anderes Ding. Die Augen, die sich in einem Spiegel selber sehen, sind hierfür ein erläuterndes Beispiel. Pag. 14-15. Vergleiche hierzu die Erläuterung zu Kap. 21. Pag. 17-18. Für den "Gegensatz" s. Anhang, Zusatz A. und für "äußere Relationen" s. Anhang, Zusatz B.

Kap . .'J. In diesem Kapitel habe ich mir erlaubt von "Relationen" zu sprechen, wo Relationen in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Diese und andere Punkte werden im Anhang, Zusatz B. auseinandergesetzt. Der Leser kann p. 114, 115 hierzu vergleichen. Pag. 23-24. Die Realen, auf die ich hier anspiele, sind die Herbarts. Pag. 28. Unter "Festigkeit" meine ich hier natürlich nur eine Einheit als ein Gegensatz zu einer Anhäufung oder einem Aggregat. Pag. 37-38. Über die Verbindung zwischen Qualität und Dauer vergleiche Anhang Zusatz C. Pag. 40. "Begriffe sind nicht das, was sie meinen." Zur weiteren Erörterung vergleiche Mind, N. S., IV, p. 21 und pp. 225f. Pag. 41. Eine mögliche Schwierigkeit in diesem Kapitel ist das Problem, das man die Relativität der Bewegung nennen könnte. Hat die Bewegung überhaupt nur einen Sinn als die Veränderung der räumlichen Relation von Körpern? Hat sie auch nur einen geringsten Sinn ohne eine Mehrzahl von Körpern? Kann sie streng genommen der Zustand entweder (a) eines einzelnen Körpers oder (b) einer Anzahl von Körpern heißen? Kann man anderseits Bewegung von irgendetwas ohne die Körper und von etwas anderem als den Körpern aussagen und, wenn nicht, können wir es umgehen, wenn wir von den Körpern aussagen und, wenn ja, ist es nicht ihr Zustand und daher in gewissem Sinn ein Zustand jedes einzelnen? Es wäre natürlich leicht, das in die antithetische Form zu bringen: Bewegung (a) ist und (b) ist kein Zustand des Körpers. Der Leser, der sich die Mühe nimmt, das durchzuarbeiten, wird vielleicht daraus profitieren. Der Schluß, der sich ergeben würde, ist, daß weder die Körper noch ihre Relationen in Zeit und Raum als solche Realität haben. Sie sind nach jeder Seite hin eine Erscheinung und eine vom Ganzen getrennte Abstraktion. In jenem Ganzen können sie aber anderseits als solche begrifflich nicht verbunden werden, und jenes Ganze weist daher über sich selbst auf eine höhere Seinsform hinaus, im Vergleich zu der es nur Erscheinung ist. Der Begriff der Bewegung eines einzelnen Körpers mag vielleicht (ich weiß es nicht) in der Physik notwendig sein und, wenn dem so ist, dann muß in der Physik jener Begriff natürlich, vernünftig und richtig sein. Aber außerhalb einer

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Erläuterungen

derartigen Arbeitsfiktion macht er auf mich den Eindruck eines typischen Beispiels eines unnötigen Unsinns. Er ist für mich Unsinn, weil ich hier "Körper" anwende, um etwas zu umfassen, was eine Lage im Raum innehat und besitzt und weil ein bloßer oder reiner Raum (oder Zeit), der an sich schon eine Verschiedenheit von unterschiedenen Lagen hat, mir völlig sinnlos erscheint. Und ich nenne diesen Unsinn unnötig, weil ich außerstande gewesen bin, einzusehen, was damit erreicht ist oder wie oder warum wir in der Philosophie gedrängt sind, ihn anzuwenden. Die Tatsache - falls es eine solche ist -, daß dieser Begriff für physikalische Erklärungen notwendig ist, hat, was ich wiederholen möchte, hier gar keinen Wert. Denn eine solche Notwendigkeit könnte nicht zeigen, daß der Begriff in Wirklichkeit verständlich ist. Wenn ohne ihn die Gesetze der Bewegung ihrem Wesen nach irrational sind, so beweist, daß meiner Meinung nach nicht, daß sie mit ihm rational werden oder daß sie überhaupt wirklich rational werden können: Das möcht ich prinzipiell meiner Antwort auf solche Argumente hinzufügen, wie sie von Lotze: Metaphysik §§ 164, 165, und von Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit, pp. 113 ff. angewandt werden. Die ganze Vorstellung z. B. von einer einsamen Kugel im Raum, geschweige denn von ihrer Rotation und Zentrifugalkraft ist, metaphysisch betrachtet, sozusagen eine bloß fehlerhafte Abstraktion und von vornherein unzulässig. Und wenn ohne sie die Tatsachen sich selbst widersprechen, so geraten sie mit ihr in einen noch tieferen Widerspruch hinein. Wie dem auch sein mag, man muß mir die Bemerkung gestatten, daß es bei solchen Themen vielleicht nicht überraschend ist, daß jemand schließlich zu irgendeinem Resultat zu kommen sucht, ganz gleich zu welchem, daß aber in der der Philosophie jemand den Begriff von einem einzelnen sich bewegenden Körper, als wenn er aus sich evident und ohne Schwierigkeiten wäre, anwenden müßte - das überrascht mich wirklich.

Erläuterung zu Kap. 6. Ich habe dieses Kapitel gelassen, wie es stand, obwohl eine Erweiterung leicht gewesen wäre. Aber ich glaube nicht, daß durch das Stehenbleiben bei Einzelheiten etwas erreicht worden wäre. Ich will in dieser Erläuterung die Aufmerksamkeit auf ein oder zwei Punkte lenken. 1. Wird die Ursache als komplex angesehen, so entsteht zunächst ein Problem über die Konstitution der Ursache selber. Wie sind ihre Elemente innerlich verbunden und sind sie in verständlicher Weise verbunden? Wie ist sie in begreiflicher Weise begrenzt, so daß sie vom Universum im Großen unterschieden werden kann? Und ferner, wie wird sie zu etwas Anderem, wenn sie Wirkung wird; wie ist das zu verstehen? Wenn sie aber nun nichts Anderes wird, kann man dann in irgendeinem Sinn von Ursache sprechen, da es doch dann keine Veränderung gibt? Ich will auf diesen Punkt noch später zurückkommen. 2. Betreff der Kontinuität (p. 48) ist die Sache einfach und es handelt sich dabei natürlich um die alte schon oft wiederholte Schwierigkeit. Wenn die Ursache eine zeitliche Existenz und ein Sein in der Zeit hat, wie kann sie das haben, wenn sie nicht in sich selbst eine Dauer hat? Wenn sie aber Dauer hat, dann muß sie nach einer Periode entweder ohne jede Begründung zur Wirkung werden, oder dauert sie eine Periode, so war sie noch keine Ursache oder sonst wird die zeitliche Existenz der Ursache in eine Reihe von Elementen zerrissen, die, da sie keine Dauer haben, nicht zeitlich existieren oder du mußt sonst von der einen Ursache eine Reihe innerer Veränderungen aussagen und sie ihren Zustand nennen - natürlich konnte das alles, was wir schon längst immer gesehen, nicht in dem Sinn rational begründet werden, daß es begreiflich wurde. Das heißt natürlich, daß diese Schwierigkeiten nur in der Spekulation vorhanden sind und notwendigerweise die Frage nach dem Wie der Ursache in der Praxis nicht berühren. 3. Ich habe tatsächlich prinzipiell der Bemerkung über die Identität (p. 45) nichts hinzuzufügen, aber ich will einen einzelnen Punkt anhängen. Man scheint

Erläuterungen

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z. B. der Ansicht zu sein, daß die bloße Existenz eines zeitlichen Etwas in einem Moment als die Ursache seiner auch im nächsten Moment fortdauernden Existenz angesehen werden kann, und daß eine sich so selbstbestimmende Identität an sich wohl begreiflich sei. Für mich ist im Gegenteil ein solcher Begriff inkonsequent und schließlich ganz sinnlos, und ich will das kurz zu begründen versuchen.. Identität ist erstens (es wäre ermüdend, das nach Regel noch wiederholen zu wollen) überhaupt keine Identität, wenn sie nicht durch Verschiedenheit qualifiziert wird, so daß dieses angenommene Etwas ohne Unterschiede und ohne Qualifikation durch Unterschiede gar nicht einmal dasselbe wäre, oder sich fortsetzen und überhaupt dauern würde. Die Vorstellung, daß in Raum oder Zeit Unterscheidungen ohne Unterschiede möglich wären ist für mich gänzlich sinnlos, und die Behauptung, daß etwas an sich sukzessiv und dennoch dasselbe sein könnte, ist für mich eine Absurdität. Auch der Versuch, entweder die Identität oder den Unterschied in der reinen "Existenz" zu lokalisieren, ist, soweit ich sehe, durchaus trügerisch; - da wiederum bloße Existenz ein sich widersprechender Begriff ist, endet er im Unsinn. Das ist alles, was ich zu der kontinuierlichen Identität von etwas, das sich nicht verändert, zu sagen habe. Wenn es sich aber ändert, dann wird dieses Etwas ein Anderes als es war, und du mußt schließlich seine Veränderung begreiflich machen und kannst es doch nicht. Denn solange du dich weigerst, das Etwas durch Sukzessionsunterschiede zu qualifizieren, widersprichst du dir wiederum, weil du dann das Etwas aus seiner zeitlichen Existenz herausdrängst. Auf dieselbe Weise könnten wir kurz die Vorstellung erklären, daß ein Vorgang bis zu einem bestimmten Punkt begreiflich sein könnte und darum als die Ursache seiner eigenen Kontinuität innerhalb desselben Merkmals angesehen werden könnte. Wenn du per impossibile einen in sich abgeschlossenen, begreiflichen Vorgang möglicherweise haben könntest, so würde dieser die Ursache seiner eigenen Kontinuität sein, obwohl der Grund seines Soseins etwas ganz Anderes wäre. Ein solcher Vorgang ist aber, soweit ich sehen kann, seinem Prinzip nach ganz unmöglich, und auf alle Fälle würde ich fragen, wo er gefunden wird und wie er existieren könnte. Die Bewegung eines einzelnen Körpers in gerader Richtung als Beispiel anzuführen, heißt dasjenige als in sich Beschlossenes und aus sich Begreifliches anzubieten, was ich mich vielleicht als das Nonplus ultra von Bestimmtheit durch außen und innerer Irrationalität vorzuführen erkühnen würde. Ich muß für diesen Punkt auf die Bemerkungen verweisen, die ich in der Erläuterung zu p. 41 gemacht habe. Je mehr die zeitlichen Vorgänge von diesem Extrem der reinen räumlichen Bewegung abrücken und konkreter werden, um so mehr werden sie in wachsendem Grade in sich beschlossen und rationaler. Aber von jedem zeitlichen Vorgang, ganz gleich welchem, zu behaupten, daß er schließlich aus sich selbst begreiflich sei, ist, soweit ich sehen kann, ein offenbares Mißverständnis. Und wenn die Sukzession, die er in einem gewissen 1tlaß enthält, n i c h t begreiflich ist, wie könnte dann jene, wenn sie sich wunderbarerweise selber fortpflanzte, als ein Mittel angewandt werden, um ihre eigene Kontinuität verständlich zu machen? Es kann sich vielleicht instruktiv erweisen, wenn wir diese Erörterung noch etwas weiter treiben. Es gibt, wie wir gesehen haben, nichts Derartiges, wie eine Kontinuität ohne Veränderung oder einen in sich geschlossenen und aus sich begreiflichen Prozeß. Man mag aber vielleicht sagen, daß irgendwie die Existenz von etwas in oder während eines Moments ein rationaler Grund für den Schluß auf die kontinuierte Existenz im nächsten Moment sei. Ich sehe das aber für total irrig an. Ich behaupte im Gegenteil, daß kein Grund an sich irrationaler sein könnte oder es keinem mehr an Unterstützung in unserer alltäglichen Praxis fehlen dürfte. Einleitungsweise möchte ich noch einen Zweifel erledigen, der auf dem Begriff der Möglichkeit beruht. Die Natur unserer Welt ist so, daß wir täglich die Existenz von endlichen bestimmten Dingen sehen. Die mögliche Begrenzung jeder endlichen zeitlichen Existenz ist daher durch den erkannten Charakter der Dinge beeinflußt. Sie ist eine abstrakte, allgemeine Möglichkeit, die

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Erläuterungen

durch den erkannten positiven Charakter der Welt motiviert ist und auf ihm beruht und sie kann daher nicht als eine sinnlose Möglichkeit abgelehnt werden. Im Gegenteil, so weit sie geht, liefert sie die Grundlage zu dem Schluß: "Diese Existenz wird bis zu diesem Punkt bestimmt." Ich will nunmehr die allgemeine Frage hinsichtlich der reinen Möglichkeit beiseite lassen. Für die tatsächliche Kontinuität eines Dinges kann aber, soweit ich sehe, aus seinem bloßen Vorhandensein oder seiner kontinuierlichen Dauer in der Existenz kein logischer Grund gewonnen werden. Die Behauptung, weil ein Ding jetzt in einem bestimmten Augenblick ist, daher müßte es auch in einem anderen Augenblick sein oder weil es eine bestimmte Dauer hindurch bestanden hat, müßte es auch in einer anderen Dauer fortbestehen, dies Argument nicht nur als eine unter anderen zulässige Begründung, sondern als Ausdruck eines Prinzips anbieten - das trifft mich überraschend. Es ist mir, als wenn jemand geradezu behauptet: weil das Ding jetzt hier ist, darum wird es auch dann dort sein, und als wenn jemand erklärte: eine weitere Begründung wäre dafür nicht nötig und sollte es auch gar nicht sein. Daß reine "Existenz" eine Begründung für irgendetwas sein sollte, scheint schwer zu verstehen, wenn wir sogar voraussetzen (was wir nicht können), daß reine Existenz selbst nur eine falsche , sich selbst widersprechende und schließlich sinnlose Abstraktion sei. Aber der wahre Grund, warum wir etwas als kontinuierlich beurteilen (wann und wo wir auch immer so urteilen) ist davon radikal verschieden. Es ist ein Schluß, der nicht auf der "Existenz", sondern auf einer ideellen Synthesis des Inhalts beruht, und der nicht auf eine Identität der Existenz, sondern der Eigenschaft schließt und auch von einer solchen ausgeht. Er beruht mit einem Wort auf dem Prinzip der ideellen Identität. Wenn etwas mit meiner Welt jetzt verbunden ist und, wenn ich annehme, daß meine Welt auf andere Weise weiter geht, so muß ich, abgesehen von anderen Gründen, schließen, daß das Etwas dort vorhanden sein wird. Denn sonst wäre die Synthesis des Inhalts wahr und falsch zugleich. Wenn in meiner Welt gewisse Wahrheiten des Nacheinanders da sind, so kann ein anderer bloßer Zusammenhang sie nicht falsch machen und daher muß die Sukzession A-B-C sich, abgesehen von einem Grund für das Gegenteil, selbst wiederholen, wenn in einem Moment A oder A-B gegeben ist. Das heißt, mittels einer ideellen Identität beurteilen wir die Kontinuität und schließen auf sie und anders dies Urteil zu gewinnen, ist für mich ganz unvernünftig. Ich habe es riskiert, mich bei diesem Punkt .so zu verweilen, weil mir von da aus Licht auf die möglichen Konsequenzen zu fallen scheint, wenn wir nämlich das wahre Prinzip der Identität ablehnen und bewußt oder unbewußt an seine Stelle die Chimäre der Identität der reinen Existenz setzen. Ich will hinzufügen, daß wir, soweit wir den ganzen Zustand der Welt in einem einzigen Moment als den kausalen Produzenten des Gesamtzustandes der Welt im nächsten Augenblick ansehen, es rational nur insofern tun können als wir die Sukzession auf eine Verknüpfung des Inhalts stützen, weil sonst diese Verbindung nicht in Wahrheit eine wäre, als die wir sie doch betrachten mußten. Wir können von jenem Begriff schließlich nur irgendwie mit Lizenz Gebrauch machen. Denn der Zustand der Welt wäre in Wirklichkeit nicht in sich be~ schlossen, und die Verknüpfmig wäre in Wirklichkeit schließlich unverständlich. Auch irgendeinen zeitlichen Prozeß im Absoluten als des Absoluten eigenen Prozeß anzusehen, wäre ein fundamentaler Irrtum. Ich will an diese Erläuterung eine Warnung hinsirhtlich des Prinzips der ideellen Identität anknüpfen. Dies Prinzip garantiert natürlich die ursprüngliche Wahrheit oder Begreiflicbkeit einer Synthese nicht und es ist ein sehr ernstes Mißverständnis, es in diesem Sinn anzuwenden. Es behauptet nur, daß irgendeine Wahrheit, weil sie keine Existenz ist; überall in der Existenz und durch alle Veränderungen der Verknüpfung hindurch wahr ist. Zur Identität vgl. die Zusätze im Anhang B und C

Erläuterungen

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Erläuterung zu Kap. 7 u. 8. Ich habe dieses Kapitel unverändert gelassen [gegenüber der 1. Aufl. - der Übers.], aber ich möchte den Leser bitten, sich zu erinnern, daß die kritisierten Begriffe nicht vollkommen gültig und nicht einmal objektiv notwendig sind. Ich verurteile sie soweit, als sie für letzte Antworten auf die Frage, "Was ist Realität," angesehen werden. Pag. 51. Ich will nicht sagen, daß wir kein Gefühl und keine rudimen~ täre Wahrnehmung der Passivität ohne eine Wahrnehmung der Aktivität im eigentlichen Sinn hätten. Die auf p. 77 erhobene Frage nach dem möglichen Fehlen eines außenstehenden Nichtichs in der Aktivität läßt sich mit ihrer Antwort mutatis mutandis ebenso auf die Passivität anwenden. · Pag. 56-58. Siehe Erläuterung zu p. 37-38. Pag. 62. Über das, was individuell notwendig ist und was es nicht ist, befinden wir uns glücklicherweise unter dem Einfluß einer wohltuenden Täuschung. Das eine notwendig Individuelle bedeutet gewöhn Ii c h auch die Notwendigkeit für ein mehr oder minder gleichartiges Individuum. Sich über diesen Punkt zu verbreiten besteht nur ein Bedürfnis, wenn man auf eine Anschauung antworten wollte, die einen falschen theoretischen Schluß auf einer in der Praxis natürlichen und notwendigen Haltung aufbauen würde, die aber eine Täuschung in sich schließt. Pag. 65-66. Über das Gedächtnis vergleiche die im Begriffsregister angezogenen Stellen. Daß das Gedächtnis im gewöhnlichen Sinn eine besondere Entwicklung der Reproduktion ist, halte ich für unbezweifelbar, und daß Reproduktion im eigentlichen Sinn Erneuerung mit Hilfe der ideellen Identität ist, steht für mich fest. Das Wesen des psychologischen Unterschiedes zw~schen dem Gedächtnis für Vergangenes auf der einen Seite und der Vorstellung des Gleichen auf der anderen oder eigentlich dem Schluß darauf, ist, wie ich zu glauben wage, nur eine durchschnittliche Schwierigkeit. Sie scheint mir im Vergleich zu dem Problem der Reproduktion im allgemeinen, das die Wahrnehmung einer Reihe in sich schließt, weder sehr schwer noch sehr wichtig zu sein. Jedenfalls kann ich dies Thema hier nicht behandeln. Ich habe die Frage des Gedächtnisses in Mi n d, N. S. Nr. 30 und 66 behandelt. Ich möchte noch hinzufügen, daß mir die Annahme der Unfehlbarkeit des Gedächtnisses als eines letzten Postulates ganz überflüssig erscheint, gar nicht zu reden davon, daß es uns tatsächlich in Kollision mit unbezweifelbaren Tatsachen bringt. Es besteht natürlich die allgemeine Voraussetzung, daß man dem Gedächtnis Vertrauen schenkt. Unsere Garantie für diese Voraussetzung ist aber schließlich unser Kriterium eines harmonischen Systems. Unsere Welt ist auf das Höchste harmonisch geordnet, wenn wir unsere Erinnerung als im allgemeinen richtig erinnert betrachten, was das auch immer bedeuten mag. Dieser sekundäre Charakter der Gültigkeit des Gedächtnisses ist, wie ich versichere, die einzige Ansicht, die mit unserer wirklichen logischen Praxis zu vereinen ist. Erläuterung zu Pag. 76-80. Die auf diesen Seiten vorgetragene Ansicht über die Wahrnehmung der Aktivität ist von 1\lr. Stout in seinem ausgezeichneten Werk über Psychologie, Vol. 1, pp. 173-7 kritisiert worden. lf' [Hier folgt eine längere Auseinandersetzung mit Stout, die dem deutschen Leser nur unter Vorlage des Stout'schen Werkes ganz verständlich wäre und, da sie den Gedankengang Bradley's nicht tiefer beeinflußt, unberücksichtigt geblieben ist. - Der Übers.] Pag. 115-116. Ich habe in dieser Ausgabe pp.114-115, umgeschrieben da ihre Behauptungen mir in einigen Punkten es an Klarheit fehlen ließen. Der im Text. angedeutete Einwand, der die Pluralität von Realen durch ein Argument, das aus dem Faktum der Erkenntnis gewonnen werden kann, widerlegen würde, kann hier kurz und im Umriß dargestellt werden. Die Menge ist nicht nur unabhängig, sondern wird ex hypothesi als solche

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Erläuterungen

erkannt; und diese beiden Merkmale der Menge scheinen unvereinbar. Erkenntnis muß irgendwie ein Zustand einer oder mehrerer Mengen sein, ein Zustand, in dem sie als plurale erkannt werden; denn wo können wir annehmen, daß irgendwelche Erkenntnis verläuft, wenn nicht in diesen Mengen? Wenn sogar von den Relationen angenommen wird, daß sie irgendwie außerhalb der Mengen existieren, führt der Versuch, die Erkenntnis nur innerhalb dieser Relationen verlaufen zu lassen, zu unlösbaren Schwierigkeiten. Da die Menge für die einzige Realität angesehen wird, ist ein solcher Versuch zur Umgehung verschlossen. Die Erkenntnis muß daher irgendwie innerhalb dieser Realen sich abspielen. Wenn nun die Erkenntnis von jedem einzelnen in jedes Reale für sich fiele, so würde jedes für sich die Welt sein, und es wäre nirgends eine Kenntnis von den vielen Realen anzutreffen. Wenn sie aber auch die anderen kennen, dann müssen diese sie notwendigerweise qualifizieren, und zwar wechselseitig sowohl durch das Wesen des Erkannten wie des Erkennenden. Die Erkenntnis in jedem Wissenden - sogar, wenn wir von dem abstrahieren, was gewußt wird - scheint eine innere Veränderung zu sein, die überraschend dazwischen kommt, wenn sie nicht gar neu hinzukommt und sie ist eine Veränderung, die nicht gut erklärt werden kann, wenn eine vollständige In-sich-Abgeschlossenheit gegeben ist. Sie schließt eine Veränderung des Wissenden sicherlich in sich und zwar eine solche Veränderung, die wir keiner inneren Ursache zurechnen können und die daher ein Argument gegen die reine Ichexistenz ist, obwohl sie diese nicht widerlegen kann. Wenn wir ferner die Erkenntnis von der Seite des Gewußten betrachten, scheint diese Widerlegung vollständig. Erkenntnis ohne das Erkannte ist eine einseitige und inkonsequente Abstraktion, und die Behauptung einer Erkenntnis, in der nirgends und nicht bis zu einem gewissen Grade das Erkannte vorhanden sei und in Bezug zu ihr stehe, ist überhaupt keine Erkenntnis. Ein solches Vorhandensein schließt aber Veränderung und Relativität sowohl für den Erkennenden wie das Erkannte in sich. Es ist schließlich überflüssig, nach einer Teilung des Wesens des Erkannten zu streben und es als ein Ding an sich aufzustellen, das außerhalb der Erkenntnis und unabhängig von ihr bleibt. Denn das Ding an sich der Erkenntnis wäre, wenn es nicht selbst erfahren und gewußt würde, für den Erkennenden nichts und könnte nicht gut behauptet werden. Eine Erkenntnis, die (fälschlicherweise) außerhalb des Erkannten zu fallen und keinen Unterschied zu ihm bildete, könnte auf keinen Fall die letzte sein. Sie müßte auf einem Gewußten beruhen, und dieses voraussetzen, also etwas, dessen Wesen im erfahrenem Sein besteht und das außerhalb der Erkenntnis nichts ist. Ist dem so, dann muß aber das Wesen des Erkannten von dem Erkennenden abhängen, gerade so wie der Wissende durch die Art des Gewußten qualifiziert wird. Beide sind aufeinander bezogen und keines in sich selbst abgeschlossen; sonst ist Erkenntnis, als ein Faktum vorausgesetzt, unmöglich geworden. Mit anderen Worten, nimm an, daß jedes von den vielen Realen nur eine Existenz für sich selbst besitzen könnte, so könnte diese Erkenntnis nicht gewußt werden und wäre für die anderen nichts. Wenn aber ein einziges Real für ein anderes etwas bedeutet, so bringt es eine Veränderung in das Wesen eines jeden einzelnen. Denn ich nehme an, daß die Relation eine Veränderung von etwas ist, und nach der Hypothese ist nichts außer der Menge da, deren Veränderung sie sein könnte. Der Wissende wird offenbar und deutlich verändert und was das Gewußte angeht, so würde es außerhalb des Vorganges bleiben, wenn es unverändert bliebe, und der Wissende würde sich nicht dafür interessieren. Seine von dem Wissenden behauptete Existenz wäre ein Widerspruch in sich. So lautet ungefähr der Einwand gegen eine Mehrzahl von Realen, der auf das Faktum der Erkenntnis basiert werden kann. Es wäre überflüssig, Versuche zu einer Erwiderung zu antizipieren oder Bemühungen zu kritisieren, die gemacht worden sind, um Relationen außerhalb der Realen Existenz und letzte Realität zu verleihen. Ich wage aber meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, daß ein solcher Versuch im Sinnlosen enden müßte. Wenn jemand sucht,

Erläuterungen

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gegen meine eigene Theorie das von mir oben aufgestellte Argument geltend zu machen. so möchte ich ihn an einen großen Unterschied erinnern. Für mich ist jede Art Prozeß zwischen den Mengeteilen ein Zustand des Ganzen, durch den die Einzelnen bestehen. Der Vorgang der Menge und das Wesen der Menge selber sind nur Seiten der einen Realität, die sich bewegt und sich in ihnen weiß, und ohne die alle Dinge und ihre Veränderungen und jeder Wissende und alles Gewußte absolut nichts sind.

Erläuterung zu Pag. 125-129. Ich will noch ein paar Worte znr Erklärung der auf diesen Seiten eingenommenen Stellung hinzufügen, obwohl ich denke, daß der Hauptpunkt klar genug ist, auch wenn das Ergebnis nicht befriedigt. Wenn es mehr Unlust als Lust im Universum gibt, dann könnte man mindestens das Universum nicht vollkommen nennen. Wenn aber ein Übergewicht von Lust vorhanden ist, wie gering es auch sein mag, so glaube ich doch, daß man von einer Vollkommenheit sprechen kann. Ich nehme an, und zwar mit gutem Grund, daß Lust und Unlust sich in einem totalen vermischten Zustand einander das Gleichgewicht halten können, so daß der ganze Zustand als ein ganzer lust- oder unlustvoll sein kann. Und ich behaupte, daß die b 1o ß e Quantität gar nichts mit der Vollkommenheit zu tun hat. Die Frage nach Lust und Unlust und dem Grad ihrer Qualifikation des Ganzen kann daher als eine Frage nach dem Überschuß der Unlust oder der Lust angesehen werden. Diesen sehe ich für das Prinzip und die Grenze und das Kriterium an, nach dem wir uns zum Optimismus oder Pessimismus zu entscheiden haben. Darum können wir nicht die reizende Überzeugung von Dr. Pangloß teilen: "Les malheurs particuliers font le bien general, de sorte que plus il y a de malheurs particuliers et plus tout est bien." ["Die einzelnen Leiden bilden das allgemeine Gute, so daß das Ganze um so besser ist, je größer die Zahl der einzelnen Leiden ist."] Es ist daher höchst wichtig, die letzte Natur von Lust und Unlust ihre Bedingungen und ebenso ihre Wirkungen (womöglich) zu verstehen. Dem möchte ich nebenbei hinzufügen, daß die Annahme, daß etwas ohne Ursache geschehen, oder keine Wirkungen haben könnte, mir mindestens höchst absurd erscheint. Unglücklicherweise ist aber eine vollkommene Einsicht in die Lust und Unlust bisher nicht erreicht, wenn sie überhaupt erreichbar ist. Ich bin zwar mit der Literatur über dieses Thema sehr unvollständig bekannt, aber ich fürchte, folgendes Resultat wird man als wahr zugeben müssen. Marshall's interessantes Buch "Pleasure and Pain" und das bewundernswerte Kapitel in Stoute "Psychology" schienen mir, besonders das erstere, mehr oder weniger ihre Folgerungen zu erzwingen. Wenn wir die Psychologie beiseite lassen und unsere Zuflucht zur abstrakten Metaphysik nehmen, sehe ich nicht, wie wir überhaupt imstande sein wollen, irgendeinen Schluß auf Lust und Unlust zu machen. Jedoch besitzen wir, obwohl wir hierfür keinen Beweis haben, meiner Meinung nach eine sehr starke Wahrscheinlichkeit. Die Vereinbarkeit eines Übergewichtes an Unlust mit einem allgemeinen Frieden und Ruhe der Seele scheint mir so unwahrscheinlich, daß ich geneigt bin, ihm nnr sehr geringes Gewicht beizumessen. Wird aber dieses zugestanden, so bleibt noch die Frage, ob es uns weiter vorwärts hilft. Denn man wird sagen, "Zugegeben, daß das Universum so beschaffen ist, daß es sich nicht vor sich selber und für die Erkenntnis widerspricht, warum sollte es trotzdem nicht mit einem Übergewicht an Elend und praktischer Unruhe beladen sein? Ja, sogar die Hölle ist, wenn du einmal die Hölle definiert hast, für den Intellekt vollkommen und ist selber der Himmel des Intellekts." Verschieben wir aber für den Augenblick die Frage nach der Definition, so habe ich Folgendes zu antworten. Meiner Überzeugung nach können wir direkt den reinen Intellekt anwenden, aber indirekt angewandt ist der Intellekt nicht rein, dessen bin ich sicher; auch existiert kein bloßer Intellekt. Eine rein intellektuelle Harmonie ist eine Abstraktion und zwar eine berechtigte, wenn aber die Harmonie rein in· tellektuell wäre, wäre sie überhaupt nichts. Durch eine Veränderung in den

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Erläuterungen

Bedingungen, die nicht direkt intellektuell sind, könntest du so indirekt die intellektuelle Welt zerstören. Dies ist, wie ich annehme, der Fall, wenn wir einen Überschuß an Unlust für möglich halten. Jener Überschuß müßte indirekt einen Selbstwiderspruch produzieren und im Intellekt erscheinen. Wir können kaum vermuten, daß dies Übergewicht an Unlust und Unruhe in dem Ganzen völlig unbemerkt vorübergehen könnte, und ganz von dem Intellekt in irgendeiner Nebenwelt des reinen Gefühls oder der Empfindung ab. gesperrt wäre. Und wenn es so wäre, so wäre der Intellektuelle selber dadurch unvollkommen geworden. Denn dann wäre er nicht allumfassend und von außen beschränkt, dadurch mangelhaft und konsequenterweise auch innerlich zwiespältig. Man muß daher von der Unlust annehmen, daß sie in die Welt der Wahrnehmung und des Denkens eingeht; und dann müssen wir annehmen, daß sie sich selber in irgendeiner Form des Widerwillens, der Abneigung, Sehnsucht oder des Bedauerns oder kurz als eine Art unbefriedigten Wunsches zeigt. Ein unbefriedigter Wunsch schließt aber, und er muß es tun, einen Begriff in sich, der zugleich eine Empfindung qualifiziert und im Zwiespalt mit ihm ist. Der Leser findet dies in der Erläuterung zu den p. 76-80 in Mi n d Nr. 49 erklärt. Der Apfel z. B., den du zu essen wünschest und den du nicht erreichen kannst, ist eine Vorstellung in Verbindung mit einem ideeUen Ajektiv, das dazu logisch im Gegensatz steht; und wenn du durch eine Unterscheidung der inkonsequenten .Adjektiven diesen logischen Widerspruch beseitigen könntest, 1) so wäre der Wunsch soweit auch erledigt. Nun sehe ich nicht ein, daß in einem totalen Universum, das ein Übergewicht an Unlust und unbefriedigtem Wunsch besitzt, der in dieser unbefriedigten Sehnsucht liegende Widerspruch mÖglicherweise aufgelöst wird. Die Möglichkeit zur Auflösung beruht, wie wir wissen, auf der Umgruppierung im Ganzen und sie setzt voraus, daß schließlich kein der Vorstellung widersprechendes Begriffselement draußen stehen bleibt. Wenn nun die Realität nicht die vollständige Identität von Begriff und Existenz wäre, sondern mit einem überwiegenden Element von Unlust einen notwendigen Überschuß an unbefriedigtem Wunsch und damit am Ganzen ein Element eines überwiegenden Begriffs hätte, der nicht mit der Empfindung eins wäre - so würde die Möglichkeit zur Auflösung dieses Widerspruchs im Prinzip ansgeschlossen sein. Weil daher ein Übergewicht an Unlust zu unbefriedigtem Wunsch zu führen scheint und damit zu logischem Widerspruch, so können wir indirekt auf einen Zustand schließen, der mindestens frei von Unlust ist, wenn nicht gar die Lust im Übergewicht steht; und ich glaube, daß dieser Schluß richtig ist. Ich weiß wohl, daß Einwände von verschiedenen Seiten erhoben werden können, und ich kann diese zweckmäßigerweise nicht antizipieren, aber einem oder zwei Punkten will ich ein Wort zur Erläuterung widmen. Es wird oder kann doch entgegengehalten werden, daß ein Wunsch seinem Wesen nach keinen Begriff enthält. Obwohl ich nun überzeugt bin, daß dieser Einwurf falsch ist und obwohl ich bereit bin, ihn zu erörtern, kann ich nicht gut hier bei ihm verweilen. Ich will auseinandersetzen , daß , auch wenn ein Begehren ohne Begriff in einem gewissen Sinn existiert, wir dennoch kaum annehmen können, daß es sich im Ganzen nicht wahrgenommen fortsetzt; sobald es aber wahrgenommen wird, dann behaupte ich, daß es einen Begriff und Widerspruch zugleich mitsetzt. Ohne mich weiter bei diesem Punkt aufzuhalten, möchte ich zu einem anderen übergehen. Es ist eingewandt worden, daß alles, was erklärt werden kann, intellektuell harmonisch ist und daß ein unseliges Universum auch wissenschaftlich erläutert werden kann und damit intellektuell vollkommen wäre. Darauf habe ich aber sofort zu antworten, daß der Intellekt weit davon ist, durch eine "wissenschaftliche Erklärung" bt)friedigt zu werden, da diese am Ende doch nur konsequent ist. Denn schließlich verknüpft sie in unbegreiflicher Weise Partiknlaritäten mit einem unbegreiflichen Gesetz und eine solche äußere Verbindung ist keine reale 1)

Siehe Anhang: Zusatz A.

Erläuterungen

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Harmonie. Eine wirkliche geistige Harmonie bedeutet, dabei muß ich bleiben, eine vollkommene und vollständige Identität des Begriffes mit der Existenz. Und wenn Begriffe von etwas, das sein sollte und nicht ist, in der Majorität da wären (wie es in einem unseligen Universum sein müßte) so könnten sie keine intellektuelle Harmonie bilden, das ist meine Behauptung. Meino Folgerung ist, wie ich genan weiß, nicht bewiesen worden (p. 440). Die Unseligkeit der Welt bleibt eine Möglichkeit, die von allzu Zweiflerischen und Trübsinnigen stark betont werden kann. Diese Möglichkeit kann nur, soweit ich sehe, durch ein vollkommenes oder auch das geringste Verstehen von Lust und Unlust beseitigt werden. Wenn wir sonst eine vollständige Erkenntnis der Welt in einem System hätten, so daß nichts Mögliches draußen bliebe und wenn jenes vollständige System ein Übergewicht an Lust besäße, so würde der Fall anders liegen. Aber da auch dann sogar, soweit ich es begreifen kann, dieses Übergewicht an Lust ein rein äußeres Faktum bleibt und es als Qualifikation des Systems verstanden wird und es auch von innen her nicht so verstanden werden kann, würde das System in dem vollständigsten Sinn allumfassend und erschöpfend sein müssen. Irgendwelche unbekannte Bedingungen, so wie ich sie auf p. 441 zugegeben habe, dürften unmöglich sein. Ich für meine Person kann aber nicht glauben, daß eine solche Erkenntnis innerhalb unserer Fassungskraft liegt. Pag. 167-168. Was ich hier über den Sinn der Zeit gesagt habe, soll nicht bedeuten, daß sie meiner Ansicht nach von Anfang an da ist. Im Gegenteil, ich halte das Entgegengesetzte für wahrscheinlicher; ich sah aber keinen Nutzen darin, einer bloßen Meinung Ansdruck zu geben.

Kap. 18. Die Hanptlehren, die in diesem Kapitel und in Kap. 4 auseinandergesetzt sind, sind zufällig von Prof. Watson in der Philosophical Review für Juli und September 1895 kritisiert worden. [Die kritische Auseinandersetzung mit Watson fördert die Darlegung der Grundprinzipien Bradley's wenig und ist daher nicht mit übersetzt worden. Der Übersetzer.] Für das Thema der Zeit mag sich der Leser vorteilhaft Rat holen bei Mr. Bosanquet in den Proceedings of the Aristotelian Society, Vol. 111, No. 2. Pag. 206-207. Betreffs des Fensterrahmens hatte ich noch den möglichen Einwurf im Sinn, der erwidern könnte: "Aber ein Rahmen ist mindestens ebenso so real wie eine Fensterscheibe." Soweit ich weiß, ist dieser Einwand noch nicht gemacht worden. Ich habe mir gedacht, daß man behaupten wird, daß, falls die begrenzte Transparenz weg ist, uns der leere Raum übrig bleibt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, warum durch mein Fenster nur weißes Licht kommen sollte, und ich nur reinen Raum sehe. Warum m n ß ein transparentes Fenster, wenn ich hindurch sehe, eine nur formlose Durchsichtigkeit sein? Pag. 209. Hinsichtlich der Redintegration - ohne mich einer entschiedenen Ansicht völlig anvertrauen zu wollen - habe ich angenommen, daß sie ein Faktum ist und etwa folgendermaßen angesehen wird: unter den Gliedern einer Reihe besteht nur eine Reproduktion nach vorwärts, z. B. von a zu b und nicht von b zu a. Das erste Glied in der Reihe kann daher nicht durch irgendein späteres Glied direkt. erinnert werden. Das muß indirekt geschehen und zwar durch den allgemeinen Charakter und die Einheit der Reihe. Weil dieser Charakter mit der ganzen Reihe inklusiv ihres Endes assoziiert wird, kann er, wenn das Ende gegeben ist, den Anfang in Erinnerung bringen. Worin aber dieser Charakter und die Einheit besteht, das ist ein höchst schwieriges Problem. Es ist ein Problem, das die Behandlung durch einen erfordert, der die Prinzipien der Psychologie systematisch zu untersuchen unternimmt. Man versteht doch, daß ich in dieser Anmerkung von der bloßen Reihenreproduktion spreche, aber daß ich anderseits nicht annehme, daß man auch die Reproduktion nach vorwärts, von a zu b schließlich nur als eine direkte ansehen kann 1). 1)

Vgl. Mind, N. S., Nr. 30, p. 7.

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Erläuterungen

Kap. 21. In Part III, Kap. 3 in Mr. Hobhonse's Werk Theory of Knowledge finde ich ein Argument gegen den "subjektiven Idealismus", das kurz zu erörtern ich für praktisch halte 1). Dasselbe Argument würde auch dazu passen, um die Realität der primären Qualitäten, die für rein angesehen werden, zu beweisen, wenn es nicht gar darauf gerichtet ist. Obwohl dies wahrscheinlich nicht beabsichtigt ist, und obwohl ich in jedem Fall dem Beweis nur schwer folgen kann , will ich ihn von beiden Gesichtspunkten ans, soweit ich ihn verstehe, kritisieren. Der Vorgang scheint, wie es natürlich war, in dem Versuch zu bestehen, alle Bedingungen einer Relation A-B durch Elimination zu beseitigen, bis A-B als wahr und real an sich übrig bleibt. A-B soll in dem vorliegenden Fall eine Relation rein primärer Qualitäten sein oder auch eine Relation von etwas, das mir ganz fern steht und unabhängig von mir selber ist. Nach einigen Behauptungen über die Möglichkeit, alle anderen psychischen Fakten außer dem wahrnehmenden Bewußtsein der Reihe nach eliminieren zu können - Behauptungen, die mir, wie ich sie verstehe, gänzlich unhaltbar und dem Faktum völlig widersprechend zu sein scheinen - wird die reine Unabhängigkeit von A-B etwa folgendermaßen bewiesen. Nimm einen Zustand von Dingen an, wobei der eine Bezugspunkt der Verbindung beobachtet und der andere nicht beobachtet wird. Wir müssen hier immer noch auf die Existenz des unbeobachteten Bezugspunktes schließen, aber auf eine Existenz, die, weil sie nicht bemerkt wird, von allen sekundären Qualitäten frei ist (wir wollen zunächst einmal so sagen). Aber ich möchte doch der Meinung sein, daß der sich ergebende Schluß völlig anders sei. Ich hätte gesagt, daß das, was sich ans den Prämissen ergab, nicht die Tatsache war, daß A-B rein für sich existiert, sondern, daß A-B, wenn es unbedingt ist, falsch und unreal ist und daß man es hätte niemals behaupten dürfen, es sei denn als eine nützliche Arbeitsfiktion. Mit anderen Worten, das beobachtete Fehlen eines der Bezugspunkte an seinem Platz, z. B. im Beobachtnngsfeld, ist kein Beweis, daß dieser Bezugspunkt irgendwo anders existiert, sondern -es ist ein negatives Beispiel dafür, um das angenommene allgemeine A-B, wenn es für unbedingt angesehen wird, zu widerlegen. Wenn du natürlich davon ausgingest, daß du annimmst, A-B sei unbedingt wahr, so hättest du schon von vornherein die zu beweisende Folgerung vorausgenommen. A.ls direkter Angriff gegen den Solipsismus ist das Argument auch nicht zu brauchen, wie meiner Meinung nach es jedem Beweis gegen den Solipsismus ergeht, wenn er nicht sofort zeigt, daß die Prämissen des Solipsismus teilweise irrig sind. Jeder Versuch zur Widerlegung mittels Elimination scheint mir sogar absurd zu sein. Denn bei irgendeiner Beobachtung faktisch auf das Nichtvorhandensein jeder Koenästhesie und inneren Ichgefühls zu treffen, ist sicherlich ganz unmöglich. Auch der Solipsist würde sogar nicht rasch zugeben, daß sein Ich nur mit dem koextensiv wäre, was ihm in irgendeinem Augenblick gegenwärtig ist. Und wenn weiterhin der Solipsist zugibt, daß er den Lauf der äußeren Erfahrung nicht erklären kann, je mehr er die Reihe seiner innersten Gefühle wohl deuten kann und wenn er zugibt, daß er alle solchen abstrakten Allgemeinheiten wie dein A-B einfach als nützliche Fiktionen verwendet, wie kannst du durch solch ein Argument wie das obige zeigen, daß er sich selbst widerspricht? Wenn man etwas nicht erklären kann, so ist das nicht immer eine Inkonsequenz und zu beweisen; daß eine Anschauung nicht befriedigend ist, heißt immer noch nicht zeigen, daß sie falsch ist. Mr. Hobhonse's kritisches Beispiel, um die von dem 1) [Hobhonse zählt zu den schärfsten Gegnern des Neu-Idealismus, besonders gegen dessen Folgerungen für die allgemeine Staatstheorie. Die auch prinzipiell wichtige Auseinandersetzung mit ihm wurde hier mit aufgenommen, weil die Grundauffassungen von Hobhonse auch dem deutschen Leser zngän~lich sind, in: L. T. Hobhonse: Die metaphysische Staatstheorie. Eine Kritik. Ubersetzt von Grete Bentin-Dnbislav. Verlag F. Meiner, Leipzig 1924. - Der Übers.]

Erläuterungen

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Ich getrennte Realität von A-B nachzuweisen, könnte dem Solipsisten höchstens zeigen, daß er eine Reihe nicht erklären konnte 1). Kurz, ich sehe nicht ein, wie du ihn auf diesem Wege ans seinem Zirkel heransdrängen willst, - natürlich wenn er nicht so gefällig ist, sich selbst zu widersprechen, dadurch, daß er im Vorans die Möglichkeit der gesonderten Existenz von A-B zugesteht, oder zugibt, daß sie real oder unabhängig und unbedingt wahr sei. Solange der Solipsist nnr die wesentliche Notwendigkeit des Ichs für das Universum und für jeden Teil von ihm behauptet, solange kann er meiner Meinung nach nicht widerlegt werden und soweit hat er sicherlich recht. Denn nur als ein relativer Gesichtspunkt gibt es im Universum Getrenntheit und Unabhängigkeit. Nicht mit rohen Eliminationsversuchen kannst du den Solipsisten behandeln, sondern es ist besser (wie ich in diesem Kapitel erklärt habe) du zeigst, daß die Verbindung, die er behauptet, obwohl sie tatsächlich wesentlich ist, nicht den Charakter hat, den er ihr beilegt. Du kannst ihn zu überzeugen hoffen, daß er selber den gleichen Fehler begeht, wie er von dem begangen wird, der reine primäre Qualitäten, oder Dinge, die ganz getrennt von mir selber existieren, behauptet - d. h. den Fehler, daß man eine bloße Abstraktion ans der Erfahrung als unabhängige Realität setzt. Du widerlegst, knrz gesagt, den Solipsisten dadurch, daß du zeigst, wie die Erfahrung, d. h. was er darunter verstanden hat, fälschlich getrennt und einseitig verengt worden ist. Pag. 218. Über die Frage, ob und inwieweit psychische Zustände ansgedehnt sind, siehe ein Artikel in Mind, N. S., Nr. 14. Pag. 22/J. Ich möchte hier die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Tatsache lenken, daß, obwohl für mich "Seele" und "endliches Zentrum" nicht dasselbe sind (p. 435), ich sie nur unterscheide, wo es mir notwendig erscheint. Pag. 256. [Bradley verbessert einen Druckfehler der ersten englischen Ansgabe und präzisiert seine Ansicht über die Seele. - Der Übersetzer]. Ich will erstens nicht behaupten, daß überhaupt keine Kontinuität für die individuelle Identität einer Seele oder von irgendetwas anderem nötig sei, sondern ich habe an mehreren Stellen das Gegenteil bejaht. Ich will hier nur von einem Zwischenraum und einem Bruch in der kontinuierlichen Existenz sprechen. Und sicherlich will ich nicht sagen, daß wir jede individuelle Identität trotz dieses Bruches oder Zwischenraums als ein Faktum bejahen würden. Ich will anseinandersetzen, daß wir, ganz gleich, ob wir sie bejahen oder verneinen, auf keinen Fall, soweit ich sehen kann, damit auf einem beweisbaren Prinzip stehen. Ich bin weit entfernt, zu behaupten, daß meine Antwort auf die Frage: "Was ist die Seele, besonders während jener Unterbrechungen, bei denen sie kein Bewußtsein zu sein scheint", völlig befriedigend ist. Aber obwohl ich gewillt und ängstlich darum bemüht bin, Belehrung über das Thema von meinen Kritikern zu erhalten, kann ich nicht sagen, daß ich bisher auch nur die geringste neue Beleuchtung dieser Frage erfahren habe. Pag. 272-27.'/. Ohne hier das Einzelne zu erörtern, will ich doch eine Bemerkung zu machen wagen, die, wie ich denke, nicht ganz unangebracht ist. Wie ich die Stellung des Solipsisten verstehe, ist sie folgende: Für ihn hat keine Realität oder kein Faktum irgendeine Existenz oder einen Sinn, außer der Realität seines Ichs. Wenn er zu einer Ordnung der Phänomene, die er nicht erklären kann, gedrängt wird, so sehe ich nicht ein, warum er sich nicht an f G r n n d und von seinen eigenen Prämissen ans auf unbekannte Bedingungen seines Ichs berufen dürfen soll. Er könnte erwidern: "Sicherlich kann niemand bei irgendeiner Anschauung alles erklären, und nur um Dinge etwas mehr oder weniger besser zu erklären, lehne ich es ab, das zu behaupten, was beweisbarer Unsinn ist." Der einzige eigentliche Beweisgang ist, wie ich auseinandergesetzt habe, zu zeigen, daß seine Prämissen teilweise Mißverständnisse. sind. 1)

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Erläuterungen

Du kannst nicht dadurch, daß du eine Formel, wie "psychophysischer Parallelismus" anwendest - oder sogar eine noch längere - dich davon befreien, dem Problem der kausalen Sukzession der Geschehnisse im Körper und der Seele gegenüberzutreten. Wenn wir z. B. sagen, daß der physische Stich einer Stecknadel Schmerz verursacht, ist dann diese Behauptung in irgendeinem Sinn wahr oder ganz falsch? Ist der Schmerz nicht in Wirklichkeit gewissermaßen direkt oder indirekt die Wirkung des Stiches? Und wenn er es nicht ist, ist er die Wirkung von etwas ganz anderem oder kann er auch ganz nnverursacht und selber wirkungslos geschehen? Klare Antworten auf diese Fragen werden vielleicht eher gesucht, als gefunden. Pag. 285 Über die Frage, ob und in welchem Sinn der Unterschied vori einer Relation abhängt, s. Anhang: Zusatz B und zur Erörterung der Ähnlichkeit s. Anhang: Zusatz C. Die in der Fußnote zu p. 285 erwähnte Kontroverse wurde in Mind, N. S., Nr. 7 und 8 fortgesetzt und ich möchte jeden an diesem Thema interessierten Leser darauf verweisen. Pag. 292. Über das Thema der Assoziation, die nur zwischen Universalien gilt, sollte der Leser sich bei Regel, Enzyklopädie §§ 452-6 Rat holen. Pag. 297-298. Der Beweisgang auf diesen Seiten beruht, wie der Leser bemerken wird, auf der Wahrheit bestimmter Theorien. (a) Eine nur äußerliche Relation hat keinen Sinn oder Existenz, denn eine Relation muß (mindestens bis zu einem gewissen Grade) ihre Bezugspunkte qualifizieren. (b) Relationen schließen eine Einheit in sich, in der sie bestehen und ohne die sie keinen Sinn oder Existenz haben. (c) Jede Art Verschiedenheit, Bezugspunkte und Relationen sind in gleicher Weise Adjektive der einen Realität, die in ihnen existiert und ohne die sie nichts sind. Diese Theorien werden als in dem Hauptteil dieses Werkes und dem Appendix schon bewiesen angenommen. Auf dieser Basis können wir zu dem folgenden Argument übergehen. Da alles Endliche in einem Ganzen mit allem Anderen zusammen sein muß, da dieses Ganze eines ist und zwar über der Stufe des bloßen Gefühls, muß alles Endliche mit dem Übrigen z n m aller mindesten relational koexistieren. Daher muß alles irgendwie, mindestens bis zu einem gewissen Grade, von außen qualifiziert werden. Da diese Qualifikation n n r relational ist (um sie auf diese Art zu erklären) kann sie sich nicht völlig innerhalb des Dinges abspielen. Daher ist das Endliche innerlich inkonsequent zu sich selbst und widerspricht sich. Ob die äußere Qualifikation nur in einer unbegreiflichen Verknüpfnng mit ihrer inneren Natur verbunden ist oder ob sie mit ihr wesentlich vereint ist- kann für unseren vorliegenden Zweck ignoriert werden. Denn wie es auch zustande kommen mag, irgendwie wird sich das Endliche als Faktum widersprechen. Vom Ganzen ans gesehen wird das gleiche Resultat offenbar. Denn jenes ist zugleich beides, sowohl irgendein Endliches wie auch das, was darüber hinausgeht. Und, weil kein "Zusammen" schließlich nur äußerlich sein kann, treibt daher das Ganze innerhalb des Endlichen dieses über sich selbst hinaus. Durch einen Versuch, auf das reine Gefühl unterhalb der Relationen zurückzukommen, wäre nichts gewonnen. Denn mit dem Verlust der Relationen und mit der Dauerhaftigkeit der Einheit, ist sogar die scheinbare Unabhängigkeit bei Verschiedenheit abhanden gekommen. Auch das Gefühl geht über sich selbst hinans und wird nur mittels Relationen vollendet und immer in einem Ganzen, das ihnen zugleich überlegen und in sie eingeschlossen ist (p. 497). Um dies zu widerlegen müßte man meiner Ansicht nach zeigen, (a) daß schließlich nur äußere Relationen als letzte Fakten einen Sinn und Realität haben und (b) daß es möglich ist, das Zusammensein von Bezugspunkten und Relationen - denn ich setze voraus, daß sie irgendwie sich vereinigen - ohne einen Selbstwiderspruch zu denken; dieser wird direkt oder durch einen unendlichen Prozeß des Snchens von Relationen zwischen Relationen und Bezugspunkten offenbar.

Erläuterungen

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Pag. 300. Anmerkung. Ich kann hier anmerken, daß ich immer noch überzeugt bin, daß es schließlich so etwas wie die reine Erhaltung eines Begriffes nicht gibt und daß ich z. B. in die Irre ging, wenn ich in meinem Buch über Logik diese als existierend annahm. Dies scheint im Gegenteil die Abstraktion einer Seite zu sein, die an sich nicht existiert. S. Mind, N. S., Nr. 60. Pag. 326. Anmerkung. Zu den gegebenen Verweisungen füge ich hier noch hinzu Mind, N. S., IV, pp. 20, 21 und pp. 225, 226. Kap. 24. Die von mir angenommene Lehre des Kriteriums ist nach verschiedenen Richtungen kritisiert worden, doch so weit ich sagen darf, ohne im Wesentlichen ihre Natur zu verstehen. Die z. B. von Mr. Hobhouse, Theory of knowledge pp. 495-496 erhobenen Einwürfe kann ich in keinem Sinn verstehen, der sie brauchbar machen würde. Ich will in diesem Zusammenhang einige Erklärungen geben, die kurz, ja vielleicht irrelevant sein werden. 1. Ich bin niemals der Ansicht gewesen, daß das Kriterium ohne die von der Erfahrung gelieferten Data oder anstatt ihrer angewandt werden sollen. 2. Ich lehre nicht, daß dort, wo unverträgliche Behauptungen möglich sind, wir irgendeine von ihnen, deren innere Inkonsequenz wir nicht bemerken können, bejahen müssen oder können. Ich meinte im Gegenteil, daß wir alles verfügbare Material (und das schließt natürlich jede brauchbare Behauptung in sich) anwenden und ordnen müssen, so daß die durch dieses qualifizierte Realität durchaus unserem Kriterium eines harmonischen Systems entsprechen wird, soweit es möglich ist. Für diesen Punkt verweise ich besonders auf die Kapitel 24, 26, 27, deren Lehren, so darf ich wohl hinzufügen, nicht als nichtexistent betrachtet werden sollten, wo meine Ansichten in Frage stehen. 3. Ich glaube nicht, daß dort, wo eine weitere Alternative möglich ist, eine Unterscheidung vollständig ist. Aber ich habe immer J. S. Mill's Begriff vom Sinnlosen als einer dritten Möglichkeit für den reinsten Unsinn gehalten und halte ihn noch dafür. 4. Ich gebe die Annahme nicht zu, sondern leugne sie, daß nämlich unsere Erkenntnis, wenn sie konsequent sein könnte, dann von außen veranlaßt werden könnte, sich selber zu widersprechen. 4. Ich lehne die Vorstellung ab, daß wir, so weit unsere Erkenntnis absolut ist, rational den Begriff ihres Falschseins oder -werdens aufrecht erhalten können. Eine solche Vorstellung ist, wie ich zu zeigen versucht habe, völlig sinnlos. Anderseits ist unsere Erkenntnis, so weit sie dem Irrtum ausgesetzt ist, genau so weit, wie es geschieht, keine Antwort auf das Kriterium. 6. Endlich möchte ich behaupten, daß der Sinn, in dem dieser oder jener Schriftsteller solche Prinzipien wie die der Identität und des Widerspruchs anwendet und der Weg, auf dem er sie entwickelt, nicht von jedem Kritiker immer ohne weiteres als a priori angenommen werden kann. Das ist alles, was ich für mich in diesem Zusammenhang zu sagen für nützlich halte, außerdem möchte ich aber diese Anmerkung mit einem Ausdruck des Bedauerns beenden. Die von Mr. Hobhouse vertretene Ansicht über die Natur des Kriteriums hat, so scheint mir (ich darf wohl sagen ganz fälschlicherweise), so viel mit mir und auch mit anderen Gemeinsames,!) daß es mir um so mehr leid tut, daß ich keinen Vorteil aus seiner Kritik von etwas ziehen kann, was ich in gewissem Grade als meine eigene Anschauung anerkennen könnte. Pag. 333-3.'14. Anmerkung. Hinsichtlich des Hedonismus möchte ich noch Mr. Hobhouse scheint mir (ich nehme an mißverständlich) schließlich irgendwie als Kriterium der Wahrheit und Realität den Begriff eines konsequenten allumfassenden Systems anzunehmen. Wenn und so weit er das tut, halte ich es natürlich für richtig, aber ich meine, er ist im Unrecht, wenn er und so weit er dieses Prinzip einfach als letztes annähme. Aber über das, was seine Ansicht schließlich tatsächlich ist, könnte ich keine Meinung äußern, zum Teil, weil ich seinem Werk nur eine beschränkte Zeit habe widmen können. 34 B r a dIe y, Erscheinung und Wirklichkeit. 1)

Erläuterungen

530

verweisen auf International Journal of Ethics, Vol. IV, p. 384-386 und Vol. V, pp. 383-384. Pag. 377. Wenn wir die Erscheinungsformen der Lust und Unlust abstrahieren, und uns selber auf diese Abstraktionen beschränken, können wir in ihnen keinen inneren Widerspruch entdecken, um so mehr als wir das bei jeder abstrahierten empfindungsmäßigen Qualität tun könnten. Da aber diese Erscheinungsformen als Faktum mit ihren empfindungsmäßigen Qualitäten und mit der übrigen Welt vereint sind, und da keine Relation oder irgendwelche Verknüpfung schließlich nur äußerlich sein kann, so folgt daraus, daß das Wesen von Lust und Unlust am Ende doch irgendwie über sich selbst hinausgehen muß 1). Wenn wir Lust und Unlust, oder eine von ihnen nicht als Erscheinungsformen der Empfindungen, sondern selber als spezielle Empfindungen betrachten, so wird das keinen realen Unterschied für den Beweis bilden. Denn auf jeden Fall wären solche Empfindungen Seiten und Adjektive ihrer gesamten psychischen Zustände. Ich möchte hinzufügen, daß diese eben genannte Unterscheidung sogar in der Psychologie, für mich wenigstens, sehr geringe Bedeutung zu haben scheint. Auch der Versuch, eine scharfe Unterscheidung zwischen Unbehagen und Schmerz zu ziehen, würde hier (selbst wenn es erfolgreich sein könnte) keinerlei Unterschied bedeuten. Png. 380. Anmerkung. Die Begründung des Willens, die im Mind, Nr. 49 gegeben wurde, ist von Mr. Shand in einem interessanten Artikel über Aufmerksamkeit und Willen, Mind, N. S., Nr. 16 kritisiert worden. Ich habe sofort anerkannt, daß meine Ansicht in der obigen Begründung mangelhaft war, aber im Prinzip habe ich nichts zu verbessern gefunden. Ich bleibe immer noch dabei, daß der Wille immer eine Selbstverwirklichung einer Vorstellung sein muß; es ist aber notwendig vorzusorgen, daß diese Vorstellung nicht in einem bestimmten Sinn mit dem in Konflikt gerät, was in einem höheren Sinn mit dem Ich identifiziert wird. Unter "höher" verstehe ich nicht "moralischer" und ich bin bereit, das damit Gemeinte zu erklären. Ich möchte auch bei diesem Punkt auf einen Artikel von Mr. Stout (im Mind, N. S., Nr. 19) beziehen, dem ich in vielem, wenn auch nicht im Ganzen zustimme. Ich darf hoffen in späterer Zeit das Thema noch zu behandeln und will hier mein Hauptresultat auseinandersetzen. "Wille ist dort vorhanden, wo eine Vorstellung sich selbst realisiert, vorausgesetzt, daß die Vorstellung nicht formal einem vorhandenen Entschluß des Subjekts widerspricht" - so viel erscheint sicher. Unsicherheit herrscht aber über die weitere Klausel: "Ebenso vorausgesetzt, daß die Vorstellung nicht materiell allzusehr der Substanz des Ichs widerspricht." Da die Bedeutung von "Wille" in Wirklichkeit • nicht feststeht, gibt es wahrscheinlich kein Mittel, ihn in einem bestimmten Sinn zu fixieren, es sei denn auf willkürliche Weise. Da das Gesagte als eine Untersuchung über die Natur des Wollens geschrieben war, erschien es mit einer Erörterung vieler Probleme, die Versuch, Aktivität, Wirksamkeit und Aufmerksamkeit betreffen, im Mind, Nr. 40, 41, 43, 44, 46, 49 und Teile von 51. Pag. 422. Hinsichtlich des "bekannten griechischen Dilemmas" wird dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein, daß ich, wenn ich später (p. 448) behaupte, daß keine mögliche Wahrheit ganze Wahrheit ist, erklärt habe, daß dieser Mangel an Wahrheit nicht dasselbe wie intellektuelle Falschheit oder Fehlbarkeit ist. Der "skeptische" Kritiker, der immer noch zu zeigen wünscht, daß ich selber in dieses Dilemma gefallen sei, wird daher gut tun, die pp. 449-451 immer zu ignorieren. Ich möchte hier noch bemerken: eine Wahrscheinlichkeit von vielen Millionen zu eins bei einer Wahrheit irgendeines Satzes mag für uns ein guter und ge1)

hangs.

Vgl. die Erläuterung auf p. 297 und die Zusätze A. u. B. dieses An-

Erläuterungen

531

nügender Grund sein, um sie für manchen Zweck oder Zwecke, beiseite zu stellen und so als nichts zu behandeln. Aber keine solche Wahrscheinlichkeit berechtigt uns oder kann es tun, den Satz doch als wahr zu beurteilen. Das ist überhaupt kein Skeptizismus, sondern das Gegenteil, reinster Dogmatismus. Ferner möchte ich hier wiederholen, daß jede Wahrscheinlichkeit zugunsten eines allgemeinen Skeptizismus, die auf psychologischen Grundlagen beruht, selber auf der Annahme des Wissens um diese Grundlagen basiert ist. Wenn du hier deine skeptische Folgerung allgemein machst, so zerstörst du deine eigenen Prämissen. Und wenn du anderseits von einer allgemeinen Folgerung abläßt, dann ist vielleicht die partikuläre Lehre, die du zu bezweifeln wünschest, um vieles sicherer als sogar deine allgemeinen psychologischen Prämissen. Ich habe (p. 111) diese Mannigfaltigkeit des Pseudoskeptizismus glossiert und :finde, daß in einer Kritik in der Psychological Review, Vol. I, Nr. 3, M. St. Rodder diese Bemerkungen tatsächlich als einen Versuch meinerseits, den Skeptizismus im allgemeinen zu widerlegen behandelt hat. Es fiel ihm wahrscheinlich nicht ein, daß er, als er so triumphierend meine Inkompetenz bewies, in Wirklichkeit seine eigene Einsicht in den Gegenstand zum Maßstab machte. In bezug auf eine Kritik eines anderen Schriftstellers tue ich vielleicht gut, wenn ich ausdrücklich die Tatsache betone. daß für mich das Sinnlose ganz sicherlich nicht möglich ist. Ich hatte mir gedacht, daß das mir klarzustellen gelungen ist. Siehe z. B. p. 414. Pag. 428. Der Leser wird sich hier erinnern, daß soweit wie Verschiedenheit nicht tatsächliche Relationen in sich schließt, sie Vorhandensein einer bloßen Hinsicht in einer gefühlten Totalität bedeutet. Siehe pp.114-115 und Anhang: Zusatz B. Pag. 434-435. Zu dem Problem, daß manches Element der Realität außerhalb endlicher Zentren bestehen kann, habe ich nur wenig hinzuzufügen. Die eine totale Erfahrung, die das Absolute ist, hat als solches ein Merkmal, das, nach seiner spezifischen Seite qualitativer Totalität, nicht so angesehen werden darf, als ob es in irgendein endliches Zentrum falle. Die Elemente aber, die in ihrer Einheit diese spezifische "Qualität" bilden und sind, brauchen, soweit ich sehe, nicht im Mindesten außerhalb endlicher Zentren zu fallen. Solche Vorgänge von Zentren und Relationen zwischen ihnen können, wie sie ja auch mehr oder weniger von jenen partikulären Zentren nicht erfahren werden, nach allem, was wir wissen, auch ganz gut von anderen erfahren werden. Es scheint wahrscheinlicher, daß sie in irgendeiner oder anderen Form so erfahren werden. Das scheint darum wahrscheinlicher, weil es ein geringeres Abweichen vom gegebenen Faktum in sich schließt, und weil wir keinen genügenden Grund für das hinzukommende Abweichen in Gestalt eines theoretischen Vorteils, der sich daraus ergäbe, finden können. Wir können also schließen, daß es kein Element in dem Prozeß, der alles innerhalb des Absoluten harmonisch macht, gibt, das nicht in den Bereich endlicher Zentren fiele. Was außerhalb fällt und noch darüber liegt, ist nicht das Ergebnis, sondern das letzte spezifische Merkmal, das das Resultat zu dem macht, was es ist. Wenn aber sogar einiges von dem Inhalt des Absoluten (sozusagen) außerhalb der endlichen Zentren fiele, so kann ich nicht einsehen, wie dies unser Hauptresultat berühren sollte oder was für ein Schluß tatsächlich aus einer solchen Hypothese folgen sollte. Der Leser muß sich erinnern, daß wir im Absoluten auf jeden Fall Vollendungen zugestehen, die über alles, was wir wissen können, hinausgehen, und zwar so lang wie jene innerhalb des allgemeinen Charakters des Absoluten bleiben. Über die obige Hypothese könnten wir, soweit ich sehe, nicht einen einzigen Schritt hinausgehen.. Sie könnte uns nicht rechtfertigen, wenn wir von dem Absoluten irgendeinen niederen Vorzug, z. B. Selbstbewußtsein, Wille oder Persönlichkeit als solchen und irgendeinen noch geringeren, der allgemeinen Natur des Absoluten fremden Zug aussagten. Vom Absoluten aber anderseits die höchste mögliche Vollendung auszusagen, dazu sehen wir uns auf jeden Fall und immer gezwungen. 34*

Sachregister Der Leser, der diese Stellennachweise für überflüssig hält, weil sie ebenso unvollständig wie mangelhaft seien, wird ersucht, sie als nichtexistent zu behandeln. [Da die Probleme dieses Werkes nicht systematisch behandelt werden, ist aber dieser von Bradley angefertigte Index sehr nützlich. Er wurde daher in nur wenig abgeänderter Form in die deutsche Übersetzung übernommen. Der Übersetzer.] Absolutes, Einheit des A. 114ff., 385ff., 428 ff., 463. - enthält und harmonisiert alle Merkmale der Welt 139, 148, 159, 166, 337, Kap. 26. - Gebundenheit des A. an das Ich 212. - inwieweit ist das A. gut? 401, 402. - im Verhältnis zu Lust und Unlust, vgl. Lust. - Inhalte des A. 116 ff. - nicht gleich der Summe der Dinge 399 ff. - nicht mit Gott identisch 368. ~ unableitbare Wesensseiten des A. 375. V gl. Unerklärlich. - Vollkommenheit des A., vgl. Vollkommenheit. - Wissen 441 f. - Erkenntnis des A. 129. Abstrakt, Abstraktion 13, 14, 52, 117, 202, 203, 211, 217, 231, 248, 273, 275--277, 303, 344, 365, 377, 405, 407' 408, 434, 444 ff. Adjektive, müssen unterscheidend wirken 267, 269. Aktivität, vgl. Energie, Kraft, Widerstand, Wille. Kap. 7. 397. :___ Wahrnehmung der A. 76, 93. Andere, das; das dem Denken gegenüber Andere 142 ff. Angenehm und gut 330ft. Arbeitsfiktionen 14, 48, 101, 217, 232, 233, 271, 403ff. 408. Vgl. auch Abstraktion. Arbeitsprinzip 246, 249. Assoziation 170, 195, 284, 291, 292, 393 ff.

Atome 56, 298, 307. Ausdehnung, vgl. Raum. - der Natur 217. Aussage 15. Vgl. Urteil. Ausschließung 155, 196, 319, 320, 424 ff., 443. Vgl. Negation. Axiome 122, 123, 398. Bedingend und bedingt 445, 446. Bedingung 51, 256, 266, 275. - die Vollständigkeit der B. ist noch keine Realität 314, 318, 325. Bedingungen, die Summe der B. 51, 256, 275. Begreiflich, alles ist b. 138, 141, 143, 188, 396. Begrenzungspunkt , Beziehungspunkt, Bezugspunkt (term), vgl. Relation. Begriff, der B. (idea) und seine Eigenexistenz 137, 245, 326. - nicht expliziter B. 78. Bewegung, B. ist widerspruchsvoll, Kap. 5. 286, 290, 517. Bewußtsein, vgl. Gefühl, Selbstbewußtsein. Beziehung, vgl. Relation. Billigung 330, 331, 333, 334, 353. Böses, vgl. Gutes. Denken, dualistisches D. 136 ff. - D. ist mehr als sein Gegenstand 137, 141. - das Denken ist nicht primär oder aus sich evident 392 ff;, 479 ff. - und Existenz 306, 310 ff., 460. - und Idealität 388.

Sachregister Denken und Realität, Kap.15. 225. 257, 448ff. - und Urteil 300 ff. - Wesen des D. 123-125, 292ff., 378ff. - und Wille 70, 385 ff. Dieses, 142, Kap. 19. 202-203, 326. Dies-sein, 142, Kap. 19. Dinge, Kap. 8. - und ihre Eigenschaften 15 ff. Diskretion, vgl. Kontinuität. Dispositionen, psychische 255, 292. 314. Durchdringbarkeit der Materie, Gegensatz zur solidity 235, 237. Eigenwille 187. Einheit, Erkenntnis der E. 129, 130. - letzte E. 384 ff., 427 ff. - substantielle E. 113. Einzigartiges 186, 204, 205, 50K Endliche Erfahrungszentren 184, 280, 281, 283, 381, 385, 442. Vgl. Seele. Endliches, Idealität des E. 84, 134, 185, 192 ff., 200, 204, 238, 239, 287, 298, 342, 368, 374, 378, 399, 432. Energie, Erhaltung der E. 271. - potentielle E. 49, 271. Endziele 338. - Kollision der E. 353. Endziel; in der Natur 162, 408, 409. - jedes Merkmal kann als E. betrachtet werden 332, 374. - Verfehlen des E. 162, 163. Entwicklung und Geltung 110. - Vgl. Potentiell. Erfahrung, alles ist gewissermaßen meine E. 212, 244ff., 431 ff., 526. - äußere und innere E. 283. - Berufung auf die E. 90, 167. - direkte und indirekte, Kap. 21. - nur meine Zuständlichkeit ist E., Kap. 21. - und Realität 116. - die Wesensseiten der E. 376. Erkenntnis, absolute und konditionale 440ff. - doppelsinnige E. 129. - vollkommene E. 425. Erklärung 150, 167, 184, 241, 275, 385ff., 390, 396, 403, 408, 472, 524. Erscheinung, alle E. müssen .in der Zeit erscheinen 191, 211, 261, 313, 328. - Grade der Realität in der E., Kap. 24. 375, 400. - das Höchste kann nicht in E. eingehen 308, 312, 410.

533 Erscheinung, inwieweit ist E. Täuschung 345, 368, 400, 452, 464. - die E. kann nicht wegerklärt werden 166. - die E. muß die Realität qualifizieren 104, 105, 166, 374ff., 454. - die Wesensart der E. 132, 152, 374ff., 399, 461, 482, 483, 500-501. Evolution, vgl. Potentiell, Fortschritt, Entwicklung. Existenz 57, 77, 131 ff., 211, 243, 244, 245, 252, 257, 259, 328, 410, 503, 508. - Grade der Wahrheit in der E. 303, 309ff. Fakten 292, 368ff., 473. Faktum, Begriff des F. 259. Vgl. Existenz, Geschehen. Fiktionen, vgl. Arbeitsfiktionen. Form, vgl. Relational. Formaler Akt 357, 358. Fortschritt 409, 410ff., 418. Gedächtnis 65, 90, 173, 208, 209, 292, 524. Gefühl 62, 73, 82-85, 130, 181 ff., 188, 189,199,202-205,243-246,283,377, 381, 388, 393, 428ff., 479, 495, 496. - als Norm 305, 306. Gegensatz (Contrary) 17, 470 ff. Gegenwart, vgl. Zeit, Sukzession. Geist, Begriff des G. 410. Gelegenheit 51, 267. Geschehen, alles G. ist psychisch 40, 41, 211, 243, 245, 259 ff., 326. - Bewertung des G. 303, 308. Geschehnis 259. Gesetze 99, 169, 277, 287, 290, 291, 303, 410.

Gewohnheit, Begriff der G. 323. Glauben 364. Grade der Faktizität, Begriff der G. 308. - des Guten, Kap. 25. - der Wahrheit und Realität, Kap. 24. 337, 400, 464. Gültigkeit 296 ff., 308, 462, 463. Gut und Böse, Kap. 17 u. 25. Gute, Grade des G. 328, 337, 362, 363. - das; das G. ist inkonsequent 335. - das; das moralisch G. 338. - das; die Wahrheit und das G. 329, 384.

.,-- das, der Wunsch und das G. 328ff., 335. Hedonismus 306, 332, 335, 348, 356.

Sachregister

534 Ich, alles ist Zustand des Ichs, vgl. Erfahrung. - Bedeutungen des I., Kap. 9. Ichbewußtsein 71, 85-89, 140, 141, 165, 189, 202 ff., 362, 367, 430. Ich, Einheit des I. 301. - es könnte ein neues Ich entstehen 67, 414. - mein vergangenes und zukünftiges I. 208 ff., 431. - Realität des I., Kap. 10. 258, 465. - reines I. oder Zufall 80, 190 ff. - und andere Iche 207 ff. - und Lust 333. - und die Reihe 258. - und Seele 431. Ideal 50, 56, 78, 84, 132, 134, 191, 192 -196,244-247, 261-272, 287ff., 298, 388, 393, 403, 500, 501. Idealität, vgl. Endliches und Relativität. Identität 37-41, 56-58, 99, 229, 253, 256, 261-264, 282, 285ff., 289, 495 ---496. - und Ähnlichkeit 285, 497, 508. - persönliche 63-68, 89-90, 208, 256, 261, 527. - Prinzip der I. 57, 169, 208, 268, 284ff., 481, 520. - I. von Seele und Körper 264, 293. Imaginär und real 172 ff., 233 ff., 300 ff. Individualistischer Standpunkt 252. Individualität 120, 144, 183, 198ff., 304, 409, 410, 446. Individuum, nur ein I. 201. Inhalt 131 ff., 183, 187 ff., 190 ff., 249 ff., 374, 378. V gl. Geschehnis, Existenz, Ideal, Endlich. Inhärenz 15 ff. Introspektion 74, 88, 189. Irrtum, Kap.16. 24. 26. 27. Vgl. Wahr· heit, Erscheinung. - reiner I. 299, 320. Jetzt, vgl. Zeit, Sukzession oder Erscheinung, Geschehen, Dieses. Kausalität, Gesetz der K. 42, 239, - kann nicht bewiesen werden 266, Konditional, vgl. Potentiell. Kontinuität, Kap. 6. 261. - und Existenz 252 ff., 504. - und Geschwindigkeit 33. Körper, die Kontinuität meines K. - der K. als ideale Konstruktion - der K. als bloßer K. 276, 277. - ist keine potentielle Seele 256.

268. 267.

254. 249.

Körper im Verhältnis zur Seele, Kap. 23. - der K. im Verhältnis zu den sekundären Qualitäten 218, 278. - die Wahruellmung meines K. 214,215. - was ist der K. ? 242. Kraft 230, 232, 233, 397. Vgl. Aktivität, Energie, Widerstand. Kriterium 1, 109, 153-155, 297 ff., 306, 336, 442ff., 454, 528. Vgl. Norm. Lust, vgl. Unlust. - und Unlust, L. und Unlust und das Absolute 127, 161, 162, 196, 376ff., 439, 440, 522, 523. Materie 233, 235ff., 276,405. Vgl. Natur. Meines, vgl. Dieses. Menschheit 436. Metaphysik, Einleitung in die 372-374, 402, 408, 409. Möglich; Grade des Möglichen 323, 414, 444ff. Mögliches und Möglichkeit 114, 117, 127, 160, 255, 266, 279, 317 ff., 414 ff., 421 ff. Monaden 23, 69, 93, 114, 258, 521, 528. Moralität 121-125, 162, 163, 338 ff., 353ff. - Ursprung der M. 353. Natur, Kap. 22, 403ff., 436. - dieN. ist eine Abstraktion 217, 276, 403-405, 436. - Ausdehnung der N. 217. - die N. und Gesetze 290. - Einheit der N. 233 ff., 300 ff. - Endziele in der N. 162, 408, 409. - Gleichförmigkeit der N. 239, 282, 386. - die Identität der N. 217. - die N. als Kraft 230. - die N. und der Mechanismus 289, 408 ff., 489. - nicht beobachtete N. 222 ff., 254, 315. - die Ordnung der N. 239, 282, 386. - Philosophie der N. 408ff. - ist die Natur schön u. dgl.? 403ff. - unendliche N. 237 ff. - die bloßeN. ist nicht ursprünglich 213. Negation, die N. in einer Definition 348, 350. - die N. hat Einheit in sich 185. - reine N. 111, 198. - und Ausschließung 77-80, 196. Vgl. Ausschließung. Nichtwissen, vgl. Negation. Norm, Maßstab, vgl. Kriterium. - theoretische und praktische N. 119.

Sachregister Norm, die N. ist zweifach 307, 339ff., 362. Notwendigkeit, vgl. Zufall, Möglichkeit, Unmöglichkeit. Ontologischer Beweis 120, 121, 323-328. Organismus 220. V gl. Körper. Passivität, vgl. Aktivität. Persönlichkeit 140, 437-439. V gl. Ich. Postulat 121, 398. Potentiell 41, 49, 226, 254 ff., 271, 313 ff., 495-497. Prinzipien, P. können als solche nicht existieren 309. Psychologie 194, 211, 259 ff., 277, 290, 291. Psychologie und Metaphysik 59, 90. Qualität und Ausdehnung 236, Kap. 3. 489, 502. - und Relation 13, 114, 282. Vgl. Relation. Qualitäten, primäre und sekundäre Qu., Kap. 1. 213, 267, 271, 403-405, 494, 525. - sind die Empfindungs-Q. für alle die gleichen? 282. Raum, Kap. 6. 488, 503. - Einheit des R. 181, 233 ff. - ist sich selbst widersprechend, Kap. 4 u. 18. - leerer R. 13, 29, 235 ff. - und Natur 217-219. - Ursprung des R. 180. Real, vgl. Imaginär. Realität ist in sich konsequent 9, 374. V gl. Kriterium. - muß erscheinen 104, 105, 191, 313, 328. - und Denken, vgl. Denken. -=Erfahrung 116-119, 374ff. - und Erscheinung 399 ff. V gl. Erscheinung. - und Sein 183, 198, 374. - und Ursprung, vgl. Ursprung. Reihe 186, 191, 258. Relation und Denken 392-395. - gilt nur unter Phänomena 263, 365 ff. - schließt ein Ganzes in sich 16, 17, 98, 114, 146, 185, 365ff., 401, 435, 484. Relationale Form 26, 36, 138 ff., 146 ff., 157, 410, 429-430, 497, 528. Relationen sind alle innerlich 114, 185, 298, 321, 485.

535 Relationen und Qualitäten, Kap. 3. 114, 144ff., 385, 391, 429, 482, 483. Relativität 85, 287, 289, 298, 344, 346. V gl. Endliches. Religion 121, 359-373. - Ursprung der R. 359, 360. Schönheit 359, 380ff., 388, 403. Seele, Aufhebung der S. 276. - bloße S. 278. - und endliche Zentren 184, 435, 531. - und Erfahrung 244, 248. - und Ich 431. - Identität der Inhalte der S. 282 ff. - Identität einzelner S. 285ff. - S. ist eine ideale Konstruktion 249, 257, 431. - Kontinuität der S. 256, 257, 527. - und Seelen, Begriff 243 ff. - Trennung· von der S. 281 ff. - Unsterblichkeit der S. 412 ff. - Ursprung der S. 276. - in Verbindung mit dem Körper, Kap. 23. - Wechselwirkung der S. 281. Sein, reines S. 103, 183, 198. Selbstopferung und Selbstbejahung 339 ff. Sinn als Kriterium 154, 183, Kap. 24. Solipsismus, Kap. 21. 117, 431 ff., 527. V gl. Erfahrung. Spiritualismus 414, 416. Subjekt und Objekt 378. Sukzession, Dauerndes in der S. 41. -Wahrnehmung der S. 38-40, 78, 79. Täuschung, vgl. Erscheinung. Täuschungsmöglichkeit, allgemeine T. 7, 421, 530. Unbegreiflich, vgl. Unmöglich. Unbekanntes, inwieweit ist U. möglich 415 ff., 421 ff., 462. Unendlichkeit der Natur 143, 237 ff. Unerkennbares 102. Unerklärliches 275, 384-386, 396, 420, 434, 462, 466. Unlust und Ich 333. - und Wünschen 332, 523. Unmöglich 320, 414 ff., 442 ff. Unorganisch 220 ff. Unterscheidung und Denken 392, 479. Unterschied, vgl. Identität, Qualität, Relation. Ursache, bedeutet eine Abstraktion von einem Hintergrund 44, 51, 178, 267, 268, 316.

Sachregister

536 Ursache; ist inkonsequent, Kap. 6. 178 -179, 517. - und Wirkung, Identität von U. und Wirkung 45, 518. - und Wirkung, Reziprozität von U. und Wirkung 269, 296. Ursprung, der U. ist gleichgültig 27, 48, 167, 168, 180, 207. Urteil 132 ff., 188-189, 295 ff. Vacuum, vgl. Raum. Veränderung, Dauerndes in der V. 35, 168. - ist ideal 134. - ist inkonsequent, Kap. 5. 168, 178. - Wahrnehmung der V, vgl. Sukzession. Verdienst, moralisches 355. Vereinbare, das 319, -320. Vergleich 90, 490. Vollkommenheit 119, 198, 297, 329, 345, 384, 400, 418, 446. - nur Eines besitzt V. 200. - und Quantität 162, 200. - theoretische und praktische 119 ff., 305ff. - zwei Merkmale der V. 297ff., 337, 339 ff. Vorstellung (idea), die V. ist das, was sie meint 326. Wahrheit, Kap. 15. 379, 448 ff. - ist bedingt 295ff., 302, Kap. 27. - und Existenz 134. - die W. darf nicht ihre eigene Existenz ausschließen 97, 103.

Wahrheit, Stirlen der W., Kap. 24. - und das Gute 329, 330, 384. Wahrscheinlichkeit 415 ff., 530. Welt, unser Bedürfnis nach Einheit in der W. 173 ff., 301. - unsere W. ist nicht gleich dem Universum 162, 174-176. Wert 305, 329, 409. Vgl. Norm, Vollkommenheit, Gutes. Widerspruch (contradiction), Befreiung vom W. 156, 470ff. Widerstand 93, 183, 185, 214, 219. Wille 83, 379 ff., 529. - und Gedanke 70, 385 ff. - und Entschluß 380. - ist nicht primär 392 ff. - Suprematie des W. 397 ff. Wunsch 329-336, 393, 523. Wünschenswertes 334, 335. Zeit, Kap. 4 u. 18. - Einheit der Z., Kap. 18. - gegenwärtige Z. 31-33, 169, 502. - Richtung der Z. 174 ff. - die Z. wird von der Wissenschaft nicht berücksichtigt 169. Zufall 191, 193-196, 240, 317 ff. Zufalls-Ich 80. Zufällig 192, 193. Zweifel, letzter 1, 109, 423, 466, 530. Vgl. Kriterium. Zwiespalt, theoretischer und praktischer z. 125ff. - nicht gefühlter Z. 299, 307. - und Unlust 127 ff., 523.

Lippert & Co. G. m. b. H. Naumburg a. S.