Erlebtes aus den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 und mit Feldmarschall Hellmuth Graf Moltke

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Erlebtes aus den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 und mit Feldmarschall Hellmuth Graf Moltke

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krlebte; aus 864. i8öö> 1870/71 «na mit

7eiamsr;cbsn fiellMM 6rsl Ulslllie

Alfred Freiherr von Eberstein, zuletzt Kommandeur des 8. ostpreußijchen Grenadier-Regiments Nr. 4.

Alle Rechte vorbehalte«.

Werlng von Aukius Werner. Leipzig.

masNcWsis. ___ .

.....

'

vem r. Sartle Regiment in neuer kameraUschaMicker Mkänglickkeil.

Die beigegebenen Zeichnungen sind theils nach Photographien der damaligen Zeit, theils nach Skizzen des Premier-Leutnant (jetzt General) Baron de la MotteFon q u s durch Maler Bouffier in Wiesbaden gefertigt, durch Oskar ConsSe in München und Clemens Kisselin Mainz hergestellt.

Vorwort. Willst Du Dich selber erkennen, so sieh, wie die Andern es treiben. Willst Du die Andern versteh'n, blick' in Dein eigenes Herz.

Es mußte erst eine lange Zeit verstreichen, ehe ich daran gehen konnte, meine persönlichen Kriegserlebnisse auf Grund von täglich aus der Campagne geschriebenen Briefen zusammen zu stellen. Die mitgemachten drei Kriege habe ich, späteren Jugendalter erlebt. ich 1864,

1866, 1870/71

geboren 1835,

in dem

Durch St. Privat wurde ich Mann. schrieb,

Was

das ist auch mein Bekennen, mein

Glanbensstandpunkt bis auf den heutigen Tag und wird es bleiben, bis ich durch GOtt abgerufen werde. Die Paladine des Reiches, Moltke, Roon, Bismarck gegangen.

sind heim­

Kaiser Wilhelm I., der in der Demuth große König, ist nach

einem reich gesegneten Leben zur ewigen Ruhe gebettet. Ihm folgte sein einziger Sohn, Kaiser Friedrich, der Sieger von Königgrätz, von Wörth, und nach 99 Tagen dessen ältester Sohn, Kaiser Wilhelm II. Heil Kaiser und Reich!

Wiesbaden, Ende September 1899.

A. von Ebersteir»

Inhalts-Verzeichmß Weine Kviegsevkeö nisse. Seite.

I. 1864..............................................'.........................^............................... General Frhr. v. Gablentz. 2. General von der Mülbe. 8. Muth, Tapferkeit. Der Philosoph Clausewitz. 4—5. Kompagnie-Chef. Allgemeine Wehrpflicht. 5—6. Wonsild. 7. Kolbing. Fridricia. 8—tO. Veile. Assendrup. 11—12. Sturm auf Düppel. Londoner Konferenz. 12—13. Graf Wartensleben. 19. Viborg. Aalborg. 14. General Vogel von Falckenstein, General v. d. Mülbe. 15—16. Kameradschaft. 17. II. 1866........................................................................................................... Landwehr. 18—19. General Herwarth von Bittenfeld. 19. Panik. Friktion. 20. Rechanitz. 21. Biela. Nach Prag. 22. Kralup. 23. Reserve-Offiziere und Unteroffiziere. 24. Brünn. 25. Nikolsburg. Cholera. 26-30. Bismarck. 30-8i. Hinter der Armee. 32. Saatz. 33. Königsberg. 33—34.

HI. 1876-71.........................................................

1-18

18-34

............................... 34 Der Offizier raisonnirt, aber gehorcht. 35. 1. Bis St. Privat...................................................................................36-48 Oberst von Linsingen. 36. General von Pape. 37. Fritz von Twardowski. 38. Dieulouard. 39. Mars la Tour. 40.



VII



Doncourt. Feldwebel Meissner. 41. St. Privat la Montagne. 42—46. Divisionspfarrer Vorberg. 46. Fahrt nach Potsdam. Brandenburg. 46. Ankunft in Potsdam. 4?. Betrachtungen über den Sieg bei St. Privat.

Seite.

48.

2. Paris bis zum Waffenstillstände.................................... Reife nach Paris. Brix. Studt. 49—51. Roisfh. Entdeckung des Räuber's des Feldwebel Meissner. 52. Der Hammel. 53. Sarcelles. Pierrefitte Henning Quast. Wegnern. 53—59. Pommersches Elternpaar. Schutz der bestatteten Leichen. 60. Le Bourget. 61. Bombardement von Paris. Bismarck. Roon. 62—63. Montfermeil. Gagny. Mont Avron. 64. Nervosität von Vorgesetzten. 64—65. Kälte vor Paris. Mangel an Kohlen. 65. Kartoffelnbuddeln vor St. Denis. 67. Der 21. Dezember im Norden von Paris. 70. Weihnachtstage. Bombardement von Paris. 72. Vorposten in Stains, 75. Beschießung von Paris. Bourget. 76—80. Feldgeistliche. 81. Dammartin. Dr. Struve. Oberst v. Blücher. 83. 5. Januar 1871 Beginn des Bombardements der Südfront. 84. Weihnachtsbescheerung in Garges. 85. Kirche zu Stains. 87. Schloß zu Stains. 88. Kaiferproklamation im Spiegelsaale zu Versailles. 89. Pfarrer Rogge. Gustav Freytag. 89—90. Prinz August von Württemberg. 91. Persönliche Urtheile über die Erfolglosigkeit des Bombarde­ ments. 92—94. Ende des Feuers in der Nacht L6./27. Januar 1871. 94. St. Denis. 95. 3. Aufenthalt in Frankreich, 29. Januar bis 1. Juni 1871....................................................................................... Deutsche Sprache. Deutsche Gesinnung. 96. Kapitulations-Bedingungen mit Paris. 97. Asnieres- 98. Abdankung Gambetta's. 99. Versailles. St. Cloud. Meudon. 100. St. Germain. 101. 1a t'smras 1s soirssrvatsur äs 1a raos.

102.

Parade auf dem Bois de Bologne. Beaumont. Compiegne. Kampf der Kommune. 104. 22. März 1871 in Beaumont. Nach Sannois. 105.

103.

49—95

95—i16

VIII Seite.

Zustände in Paris. Feldgeistliche. 106—107. Restaurant und Mittagskonzerte in Enghien. 108. Berg von Sannois. 109. Rückkehr der Truppen. 110. General von Pape, General von Kessel, Oberst von Linsingen. Ill. Oberst Graf Kanitz. 112. Disziplin. Etappen- und Lazarethwesen. 113. Epinay. Familie Dimpre. 113—114. 19. Mai große Eisstücke in Epinay. 114. Publikation aus Paris. 115. Caprivi in Enghien. 116. 3. Mai Abmarsch von Enghien. 116. 4. Einzug in Berlin und Hannover.......................... Einzug in Hannover. 117. Feldzugs-Betrachtungen. 118.

.

Selbsterlevtes mit GeneralfeldmarfchM Graf Moltke Vorwort. 12!—122. Moltke und Roon. 128. 1863 topographisches Büreau, kriegsgeschichtliche Abtheilung. 124. 1885 Ragaz. 125. Sadowa. 126. Gravelotte. 127. Tamina-Schlucht. Spaziergang 123. Edwin Manteuffel. 129. Unterhaltung mit Moltke, 7. Oktober 1886. 180. Die drei Paladine Kaiser Wilhelm's I. 131—183.

116-118

119—133

Aleine Ariegserlebnisse.

I. 1884. Als der preußische Name unter des Königs Wilhelm Regierung sich wieder einmal nach langem Capua zu kriegerischen Thaten zusammenraffen durste, zu kriegerischen Thaten, welche die ganze Welt in Erstaunen setzten, da der noch immer mißachtete Märkische Sand die denkwürdigen Tage von Fehrbellin, von Turin, Malplaquet, von Hohenfriedberg, von Roßbach, Leuthen, Zorndorf, Torgau, von Gr.-Görschen, von der Katzbach, Dennewitz, Möckern, Leipzig, von Paris, von Belle-Alliance wiederbelebte zu neuen Ehrentagen der Armee, welche mehr als alles Andere die längst ver­ klungene Sage eines Barbarossa zu der Neugestaltung eines evangelischen deutschen Reiches in die That umsetzte, das sollen diese Blätter aus persönlicher Erfahrung berichten. In Gemeinschaft mit Oesterreich wurde 1864 gegen Dänemark der Krieg nöthig.

Als wir — ich stand als Premierleutnant bei der 11-

Kompagnie 3. Garde-Regiments zu Fuß — Kompagnie-Chef war Haupt­ mann von Holleben, gestorben in Folge seiner Verwundung bei St. Privat 1870 in Coblenz,

außerdem

stand bei derselben Leutnant

Ferdinand von Stülp nagel, jetzt Kommandeur des V. Armee­ korps und Reserve-Leutnant von Willamowitz-Möllendorff, jetzt Oberpräsident von Posen, — Berlin passirten, sagte uns König Wilhelm am 31. Januar 1864 auf dem Hamburger Bahnhof, ob es zum Kriege kommen würde, wisse er nicht, morgen früh würden Preußische Truppen in Schleswig einrücken. Wir blieben einen Tag in Hamburg und erfuhren dort, daß die Dänen Widerstand leisteten, der Krieg dem­ nach ausgebrochen sei. Wir fuhren am 2. Februar nach Rendsburg. Unser Wagen fing an zu brennen, Leutnant von Stülpnagel kletterte von Eberstein: Kriegserlebnisse.

1

2 während der Fahrt auf das Dach des Wagens und brachte dadurch den Zug zum Halten. Wir marschirten durch Rendsburg nach Hohn in Schleswig und kamen am 4. April mit 6. Kürassiren ans Vorposten bei Reida. Schnee und Frost war inzwischen eingetreten, so daß es ohne Feuer eine nngemüthliche Nacht gab, ab und zu wurde eine Bombe von den Danewerkeu (südlich Schleswig) abgeschossen, die uns Nichts that, immerhin aber die nngemüthliche Situation in Frost und Mangel an Nahrung nicht freundlicher gestaltete. Es schneite fast unausgesetzt, bis wir am 6. Februar früh in Miel­ berg allarmirt wurden, um über die verlassenen Danewerke nach Norden zu ziehen. Wir hörten von dem Treffen bei Oeversee südlich Flensburg,

Lesterreichischer General Freiherr von Gablentz. Geb. 19. Juli 1814, gest. 28. Januar 1874.

3 wo Oesterreicher unter Gablenz die abziehenden Dänen erreicht und mit rücksichtslosester Energie angegriffen hatten. Die Dünen zogen sich theils in die Düppeler-Schanzen, theils nach Jütland zurück. Die preußische Gardedivision ging ans Düppel, die Oesterreichec in der Richtung auf Kolding vor. Unser Regiment hatte ein Gefecht bei Satrup östlich Gravenstein, das unter Andrem dadurch ausgezeichnet wurde, daß alle prinzlichen Zuschauer mit Orden bedacht wurden, unser DivisionsKommandeur, der Generalleutnant von der Mülbe von keinen

General Tito non der Mülbe. Geb. 18. April 1800, gest. 28. November I89l.

außergewöhnlichen Thaten berichten konnte, daher Niemand sonst einen Orden erhielt. 1*

4 Als Kind hatte ich eine gewisse Ehrfurcht vor den Inhabern des eisernen Kreuzes, das durch poetische Ergüsse patriotischer Seelen als ein Sinnbild von Tapferkeit und Treue im Kampfe für König und Vater­ land dem kindlichen Gemüthe hingestellt war.

Schon im

Jahre 1856

hatte ich dem Prinzen Friedrich Wilhelm (späterem Kaiser Friedrich) meine Ansichten

über

Kriegsorden

die Orden rückhaltslos mitgetheilt.

sind

licher Gnade.

für

Was

einen

deutschen

Mann

nutzen die Orden,

was

Und

nur ein nutzen

gerade

die

Zeichen König­

die

Kriegsorden?

Könnte man an jede feindliche Kanone, an jede feindliche Standarte oder Fahne den preußischen xour ls rosrits heften, den der erwürbe, der ihn im Kampfe, in der Schlacht Getöse an sich brächte, dann hätte ein so erworbener

xour 1s

rosrits einen

Werth.

Es

würde

vielleicht ein

Wettstreit entbrennen, der Erste am feindlichen Geschütz, an der feindlichen Fahne zu sein, um dieses Ruhmeszeichen zu erringen. streben ist Stückwerk.

Alles Menschen­

Gewiß bestrebt sich der König, feine Ordenszeichen

denen zu verleihen, die ihm als die Würdigsten im Kampfe bezeichnet wurden.

Neid, Mißgunst,

Haß

wird gesät,

selten bringt ein Orden

Freude, wenn ein Anderer eine höhere Auszeichnung erhalten, wenn ein Würdiger nicht ausgezeichnet wurde. Und nirgends vertheilt.

mehr

als im Kriege werden die Orden ungerecht

Ausgezeichnet brave Soldaten haben es fertig gebracht, Kriege

mitgemacht zu haben, ohne dekorirt zu sein.

Es soll dies allen denen

zum Trost gesagt sein, welche ohne Ordenszeichen ihre Wege gehen. Auf den Orden kommt es nicht an, sondern darauf, daß man ein reines Ge­ wissen hat, daß man seine Pflicht und Schuldigkeit gethan hat.

Ich weiß,

daß Niemand im Kriege deßhalb seine Pflicht mehr thut, weil er einen Orden zu erringen hofft.

Den feindlichen Kugeln gegenüber schweigen

derartige ehrgeizige Gelüste.

Und wenn ich Dies

furchtlos

in

voller

Devotion für meinen hehren Kriegsherrn, den hochgefürsteten Kaiser und König Wilhelm ausspreche, so entehre ich dadurch nicht sein Gedächtniß; ich weiß, daß die Würdigsten von denen, die niedergestreckt wurden auf dem Nachfelde, meine Ansicht theilen.

Wie es möglich wurde und sich

bis auf die neueste Zeit in Progression erhalten hat, etwaige Verdienste von Soldaten und Beamten durch Adelsverleihung zu belohnen, erscheint gegen den Z 4 der Preußischen Verfassung zu verstoßen:

„Alle Preußen

sind vor dem Gesetze gleich, Standesvorrechte finden nicht statt." Anschließend hieran möchte ich ein Wort über Muth und Tapfer­ keit sagen. er sein,

Wenn Scheerenberg in seinem Waterloo sagt: „Tot kann satt muß er sein",

so hat der Mann ein wahres Wort

gesprochen, das von sehr Vielen als Wahrheit anerkannt wird.

Der Muth

5 liegt vielfach im Magen. Ich habe an mir selbst wahrgenommen, an Vielen erkannt, daß die psychische Eigenschaft des Muthes von der Be­ schaffenheit des ganzen Menschen abhängt. Es ist den feindlichen Kugeln gegenüber nicht anders als im gewöhnlichen Leben. Es giebt Lumpen unter allen Ständen, die Sünde ist der Leute Verderben. Es giebt Tage, Stunden, in denen man muthig ist, es giebt Tage und Stunden, in denen auch der tapferste Mann kleinmuthig, schwachmüthig ist. Des Vor­ gesetzten Aufgabe ist es, den Muth seiner Untergebenen zu beleben. Wer im Chausseegraben Untergebene am Hitzschlag oder an der Cholera hat sterben sehen, der weiß, was ich damit meine. Der Schlachtenphilosoph Clausewitz spricht in seinem Werke „Vom Kriege" bei der subjektiven Natur des Krieges von dem Muth. Zn dem Muth gehört Wagen, Vertrauen auf Glück, Kühnheit, Verwegen­ heit. Verwegen ist eine Eigenschaft, die nicht angelernt werden kann. Dagegen kann Kühnheit durch Beispiel und Anregung anerzogen werden. Das Vertrauen auf Glück hat nie einen Menschen ganz verlassen; selbst ein Mensch, der stets in seinem Leben Unglück gehabt hat, den schwere Sorgen bis zum Rande der Verzweiflung geführt haben, hofft und die Hoffnung, wenn sie nicht baar aller moralischen Motive ist, läßt nicht zu Schanden werden. Mit der Mathematik ist im Kriege wenig zu machen, da es eben nicht Maschinen sind, mit denen gerechnet werden muß. Die Menschen haben ein fühlendes Herz. Daher ist es ein fort­ währendes Abwägen von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, das jeder Führer im Kriege bedenken muß. Energie, Festigkeit, Standhaftigkeit, Gemüths- und Charakterstärke des Mannes sind von jedem Führer in möglichst den ganzen Menschen beherrschenden Weise zu verlangen. Gewiß müssen in steigender Progression bis zum Feldherrn auch die Gaben des Verstandes jeden Führer beherrschen. Aber die seelischen Eigenschaften eines redlichen Willens, mit Selbstlosigkeit jeden Untergebenen in aller Energie und Gerechtigkeit zu behandeln als Menschen, als seines Gleichen, Alle berechtigt GOttes Kinder zu sein, das ist wichtiger; dieser Eigen­ schaften darf auch der glanzvollste Verstand eines Feldherrn nicht entbehren. Es kommt für jeden Führer darauf an, Herr seiner Untergebenen zu sein; je mehr er das versteht, ohne die persönliche seelische Freiheit des Unter­ gebenen in Fesseln der Unterthänigkeit, byzantinischer Devotion gefangen zu nehmen, desto mehr wird er militärischer Führer. Der unterste militärische Führer ist der Kompagnie-Chef (Eskadron-, Batterie-Chef), der Kompagnie-Führer. Soll er mit ganzer Freudigkeit seine Pflicht zu erfüllen suchen, so muß ihm von dem Bataillons- und Regiments-Kommandeur möglichste Selbstständigkeit gelassen werden. Ich

6 warne aus langjähriger Erfahrung vor zu scharfer oder einseitiger Kontrolle der Strafbücher. anderer.

Der eine Kompagnie-Chef muß mehr strafen als ein

Das Ideal ist ja unzweifelhaft: eine Kompagnie

ohne alle Strafen.

Der Bataillons- und Regiments-Kommandeur

wird bald sehen, ob dieses Ideal erstrebt wird, wenn der Kompagnie-Chef vertuscht, solche Insubordinationen nicht ahndet, welche durch das Gesetz straffällig sind.

Dann ist unnachsichtlich einzuschreiten.

der Kompagnie-Chef nicht Alles allein machen.

Wiederum kann

Er hat den Feldwebel,

einen oder den anderen Leutnant, den Kammerunteroffizier, den Fourier, den Gewehrnnteroffizier; allen diesen muß eine gewisse Selbstständigkeit gelassen werden.

Die Leutnants der Kompagnie müssen nach ihrer Quali­

fikation möglichst selbstständig arbeiten, das fördert mehr als Alles sonst die Lust am Dienst. dienst geübt.

Es wird geschossen, exerzirt, geturnt, instruirt, Feld­

Durch die Vielseitigkeit der Dienstverrichtungen wird es ein

Leichtes sein, den Leutnant mit irgend einem Dienst möglichst selbstständig zu betrauen.

Des Regiments-Kommandeurs Pflicht wird es sein, die

Versetzung der Offiziere möglichst selten vorzunehmen.

Ein junger Offizier

muß möglichst Ein ganzes Jahr bei derselben Compagnie stehen, während ältere Offiziere auch mehrere Jahre nicht versetzt zu werden brauchen, damit sie eine wirkliche Stütze des Kompagnie-Chefs werden können. Die allgemeine Wehrpficht macht jeden waffenfähigen Unter­ thanen zum Soldaten.

Der Beruf des Soldaten ist eine Ehrenpflicht

jedes Unterthanen, es soll ihm keine Last, es soll ihm ein Berns der Ehre sein und werden. des Volkes.

Dann erst wird das Volksheer eineSchule

Der Kompagnie-Chef soll in erster Linie Vater seiner

Kompagnie sein, er soll für jeden seiner Untergebenen mit Aufbietung all seiner geistigen und sittlichen Kräfte wirken und schaffen, und zwar nicht in Verweichlichung, sondern zur Anspornung aller Kräfte der Untergebenen, damit Jeder das Beste und Höchste leiste, was er zu leisten im Stande ist. sein.

Bis zum gewissen Grade muß jeder Führer ein kriegerischer Genius Es sind,

wie Clausewitz auf S. 74 in Band I sagt „mehr die

prüfenden als schaffenden, mehr die umfassenden als einseitig verfolgenden, mehr die kühlen als die heißen Köpfe, denen wir im Kriege das Heil unserer Brüder und Kinder, die Ehre und Sicherheit unseres Vaterlandes anvertrauen möchten." — Da das kombinirte Korps des Prinzen Friedrich Carl, die 6. und 13. Division auf Düppel dirigirt wurde, nachdem der Uebergang bei Holms als unmöglich erkannt war, ging die preußische Garde-Division in der Richtung auf Kolding vor, das am 19. Februar besetzt wurde.

7

Friedrich Carl, Prinz von Preuszcn. 1866. Gcb. so. März I8S8, gcst. lz. Juni 188S.

Unzweifelhaft wäre es möglich gewesen, die unfertigen Düppler Schanzen noch vor Mitte Februar mit stürmender Hand zu nehmen, ja es hätte wahrscheinlich dieser Sturm in der Zeit vom 10.-14. Februar weniger Blut gekostet als die schließlich nach manchen blutigen Gefechten nothwendig gewordene förmliche Belagerung der Düppler Schanzen, welche von Tag zu Tag durch umsichtige fleißige Arbeit der Dänen an Wider­ standsfähigkeit zunahmen. Wir standen in Wonsild südlich Kolding. Das fortwährende Schneegestöber machte es unthunlich, irgend welchen anhaltenden Dienst im Freien abzuhalten, und da die wenigen Räume der mit Soldaten stark belegten Ortschaften kaum hinreichten, den Mannschaften eine trockene Unterkunft zu verschaffen, so führten wir ein sehr beschauliches Leben. Nie in meinem Leben habe ich so viel Whist gespielt als in Wonsild. Alle möglichen Variationen wurden erdacht, um diesem Spiel Abwechselung zu geben. Die Mutter unseres Wirthes, eine alte würdige Frau, mußte durch unser Zimmer, in dem Abends die Streu für 4 Offiziere und einen

8

Ossiziere der 11. iivmpognie 3. I^arde-Rcaiments zu Hust,. 1864. von Willomowitz. von Onast. von Stülpmigcl. vi' Wincklcr. von Hollebcn.

Arzt hergerichtet wurde, und durchschritt dasselbe stets mit einem Gesangbuch. Schließlich aber besiegten wir sie durch andauernde Freundlichkeit, wie ich überhaupt nicht Anders sagen kann, als der Danske ein guter gemüthlicher Menschenschlag ist und mir nirgends von einer nationalen aggressiven Feindschaft gegen Preußen und Oesterreicher Etwas zu Ohren gekommen ist. Diplomatische Unterhandlungen behinderten das Ueberschrciten der jütischen Grenze. Und so wurde erst am 8. März früh von Kolding aus von der Garde-Division gegen Fridricia, von den Oesterreichern gegen Veile aufgebrochen. Da Fridricia Widerstand leistete, Bomben über uns fortflogen, so zog sich die Garde-Division wieder zurück. Der junge Leutnant von Stülpnagel begab sich in die Niederung vor uns, umKeinem

9 verwundeten Dänen beizustehen, was ich anführe, um die Gesinnung zu kennzeichnen, mit der wir den Krieg 1864 führten.

Die Oesterreicher

besetzten Veile. Inzwischen war Thauwetter

eingetreten,

abwechselte. Die Garde-Division cernirte Fridricia.

das

mit

leichtem Frost

Zur engeren Cernirung

von Fridricia hatten wir einige kleinere Gefechte.

Vormittags wurden

Hanptmann von Studnitz und Hanptmann von Bülow verwundet. Die von Fridricia geworfenen Bomben krepirten meist nicht und brachten uns kaum Verluste.

Am Abend des 19. März wurde Leutnant von Schaper unseres

Regiments erschossen.

Ich lag auf Stroh neben meinem Freunde, dem

Major von Barby, als uns in der Dunkelheit des Abends diese Nachricht kam.

Ich war in den Krieg gezogen, ohne Bestimmungen über Frau

und Kind zu treffen, und sprach mit Barby, er mochte sich meiner Frau und Kinder annehmen im Falle meines Todes. gelassen,

dazu würde es nicht kommen.

Er sagte sehr ruhig und

Und bald hatte die Müdigkeit

mich in erquicklichem Schlaf versenkt. Jedoch rathe ich jedem Verheiratheten, wenn er in den Krieg zieht, Bestimmungen über seinen doch möglichen Tod zu treffen.

^Gcneralfeldiiiarschall Graf Wränget bet Fridricia. 8^M,Am

20. und 21. Mürz wurde

beschossen.

Zu

diesem Zweck

kam

die Festung

am 21. März

1864.

durch Feldgeschütze Feldmarschall

Graf

Wrangel mit dem Kronprinzen von Preußen, dem Prinzen Albrecht Vater,

10

dem Erbprinzen von Anhalt und all der prinzlichen Begleitung des Hauptquartiers nach einem Gehöft südwestlich Fridricia, von dem aus durch wenig erhöhte Lage man eine gute Uebersicht über Fridricia hatte. Ich sehe noch heut, wie der alte Wrangel sich einen Stuhl herausbringen ließ, der auf Bretter auf einen Misthaufen gesetzt wurde, und auf dem­ selben mit aufgeschlagenem Mantelkragen Platz nahm. Dankbar erinnerlich ist mir, daß Prinz Albrecht Vater seine ganzen Vorräthe an Cacao, Brot und Wurst an uns Offiziere vertheilte. Der Kronprinz war in liebens­ würdigster Weise redselig und guter Dinge. Die Aufforderung zur Uebergabe wurde abgelehnt, wenn gleich einige Häuser in Fridricia brannten, und das Hauptquartier entfernte sich wieder am Nachmittag. Durch die Verwundung des die 9. Kompagnie führenden Hauptmann von Bülow vor Fridricia war mir die Führung dieser Kompagnie zu­ gefallen, die ich bis zum Dezember behielt, da sich die Verwundung des Hauptmann von Bülow durch Komplikationen der Heilung als eine schwere herausstellte, die er nie ganz überwunden hat. Sein linker Ober­ arm blieb geschwächt. Mit dem ganzen Feuereifer soldatischer Passion widmete ich mich der Kompagnieführung und empfand, daß es grade im Kriege kaum eine lohnen­ dere befriedigendere Thätigkeit geben kann als die eines Kompaguieführers. Die Garde-Division tauschte mit den Oesterreichern, die Fridricia cecnirten, während die Garde in beschleunigten Märschen über Horsens nordwärts sich ausbreitete; ich kam nach Nym, 2 Meilen nordwestlich Horsens. In sehr exponirter Lage lag dort eine Schwadron der 6. Kürassire (Rittmeister von Diebitsch). Die Hälfte der Kürassire lag mit einem Offizier im Bivak, gedeckt durch Posten und Patrouillen. Die 9. Kompagnie 3. Garde-Regiment z. F. übernahm den Nachtdienst, die Kürassire den Tagdienst. Ich muß dies in besonderer Anerkennung des Dienstbetriebes der 6. Kürassire anführen, wie später auch die österreichische Cavallerie sich durch Pflichttreue und Schneid auszeichnete. Nach dem anstrengendem Marsch von über 40 Kilometer erquickten uns sehr gut zubereitete Forellen, zu denen uns die Kürassiroffiziere bei guter Flasche Wein einluden. Der Befehl des Ober-Kommandos mit möglichst vielen Bataillonen nach Düppel zu kommen, führte 9 Bataillone der Garde-Division in formten Märschen nach Apenrade, während die 3 zurückbleibenden Bataillone nach und um Veile zurückgingen. Oben ist die Aufgabe des Kompagnie-Chefs skizzirt worden, wobei auf eine sehr wichtige Seite nicht gerücksichtigt wurde — die Verpflegung. Wenn Scherenberg sagt: „Satt muß er sein", so trifft er damit voll

11 die Wahrheit.

Aber das Muß ist schwer zu erreichen.

Bei allen Truppen­

konzentrationen vor einer Aktion wird es immer vorkommen, daß auf die Verpflegung nicht die nöthige Rücksicht genommen werden kann. Munitions-Colonnen sind wichtiger als die Proviant-Colonnen.

Die

Je größer

die Truppenmassen, desto schwerer wird es sein, die Verpflegung in aus­ reichendem Maße zu beschaffen werden müssen.

Vor Schlachten wird stets gehungert

Und in zukünftigen Kriegen, wo die Trnppenmassen viel

größer sein werden, wird trotz aller Hülfsmittel an eisernen Portionen, an Kdnserven aller Art mehr gehungert werden als dies 1866 und 1870 geschah.

Die Herbeischaffnng

Kompagnie-Chefs Sorge

muß

des Brotes

ist

das

Schwierigste.

Des

mit aller Energie darauf gerichtet sein,

seinen Leuten die nöthige Nahrung zu schaffen.

Wie das zu machen ist,

läßt sich schwer mit wenigen Worten sagen, da die lokalen Verhältnisse immer Abweichungen der Vorschriften erheischen.

Der Kompagnieführer

muß mit umsichtiger Energie alle Requisitionen selbst in die Hand nehmen und wird fast immer wahrnehmen, daß viel Nahrungsmittel vorhanden sind, wenn die Kommune als solche in Anspruch genommen wirdJütland waren die Verhältnisse sehr einfach. gab es in Fülle,

In

Fleisch und Kolonialwaaren

während die Herbeischaffung des Brotes

ab und zu

Schwierigkeiten bereitete, da oftmals die Sendungen in den Colonnen durch zu warmes Einpacken oder durch Nässe zu Schimmelbildung geführt hatten.

Verschimmeltes Brot schmeckt weder, noch ist es gesund, ist also

fortzuwerfen, da es auch für Pferde schädlich wirkt. — In Veile wechselten wir mit den Oesterreichern auf Vorposten und im Wachtdienst, und kann ich nicht Anders sagen, daß die öster­ reichischen Truppen 1864 uns nach fast jeder Richtung sehr Wohl gefielen. Disciplin, Ordnung, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Pflichttreue ließ selten zu wünschen übrig, vornehmlich muß ich betonend hervorheben, daß mir die österreichische Kavallerie (Lichtenstein-Husaren und Windischgrätz-Dragoner) im Dienst als Vedetten und Patrouilleure lieber waren als die uns über­ wiesene Preußische Kavallerie. Anders geworden.

Jetzt ist es bei unsrer Kavallerie ganz

Schöne praktische Medizinwagen, gute Proviantwagen,

gut adjnstirte gezogene Geschütze machten sich aufs Beste bemerklich, während der Verkehr mit den österreichischen Kameraden durch die Verschiedenheit ihrer Bildung schwierig blieb. Die einzige Nacht, in der ich während der drei Kriege zu einer selbstständigen Leistung Veranlassung hatte, war die Nacht vom 28. zum 29. März, in der der Ueberfall von Assen drup vorfiel. Ich lag mit der 9. Kompagnie in Bredal an der Chaussee VeileHorsens mit 6. Kürassiren zusammen.

Dieselben wurden Mittags abge-

12 löst durch Garde-Husaren. beim

Major von

Ich war am Morgen zwischen 1 und 2 Uhr

Somnitz

der Garde-Husaren,

der

Befehle für den

morgenden Tag erhalten hatte, die anordneten, daß der etwas weit vor­ geschobene Vorpostenkranz

näher an Veile herangezogen

werden sollte.

Wir hörten lebhaftes nicht zu fernes Schießen, bald auch kam ein leicht verwundeter Husar aus der Gegend

von Assendrup,

der

erzählte, daß

dänische Infanterie die Husaren in Assendrup überfallen hätte.

Meine

Kompagnie war sofort zur Stelle, und ich erbot mich mit derselben in der Richtung von Assendrup vorzurücken.

Dies wurde mir vom Major

von Somnitz verboten, was mich zu scharfer Widerrede veranlaßte. Da auch diese Gegenvorstellung ohne Erfolg blieb, mußte ich gehorchen. eine schöne mondeshelle Nacht.

Es war

Wie ich in späteren Jahren in der hi­

storischen Abtheilung des großen Generalstabes aus den Dänischen Berichten ersah, war eine in Roseuholm gelandete schwache Dänische Kompagnie zu diesen, Ueberfall der ziemlich unvorsichtig sich deckenden Husaren aufge­ brochen,

und

niit

den

geraubten

Pferden,

gefangenen

Husaren nach

Rosenholm znrückmarschirt, wo sie wegen stürmischen Wetters aufgehalten wurde. Ueberfallen

darf

nie

eine

Uebermacht vernichtet werden.

Truppe

werden.

Man

kann

durch

Cavallerie mit so ausgezeichneten Kara­

binern ist stets im Stande sich selbst zu decken, aber im Bett dürfen Offiziere und Mannschaften nicht liegen. Offiziere sind wol meist tot,

Die damals in Frage kommenden

so daß es der Sache wegen

angebracht

schien, diese Affaire nicht zu verschweigen. Wäre die 9. Kompagnie am Frühmorgen aufgebrochen, so wäre es ein Leichtes gewesen, die feindliche Kompagnie zu erspähen und sie zu vernichten. So aber wurden einige Gehöfte in Assendrup auf Befehl des HusarenOberst von Kerssenbrogk niedergebrannt und

der Premierleutnant

von

Eberstein marschirte mit der 9. Kompagnie gegen 10 Uhr zur Aufklärung bis jenseit Horsens und wurde Abends in Veile von General Graf Münster nach diesem Marsch von 8 Meilen nach völlig schlafloser Nacht freundlich empfangen. Wir blieben in Veile und erlebten dort den

Sturm

auf die

Düppler-Schanzen am 18. April, der durch die Präzision der Aus­ führung, durch die untadelhafte Haltung sämmtlicher dabei betheiligten Truppen eine der schönsten preußischen Waffenthaten bleiben wird.

Wäre

Düppel am 12. Februar in unsre Hände gekommen, so wäre der militärische Erfolg großartiger gewesen, aber

die Gammelmark-Batterien schossen bis

13 über Sonderburg hinaus, die Unfähigkeit des Rolf Krake, einen Umschwung in der Situation herbeizuführen, wirkte für den preußischen Ruhm in Europa bis über das Meer hinaus durchschlagender. Bereits am 25. April wurde die London er-Konfcrenz er­ öffnet, die am 12. Mai einen Waffenstillstand vereinbarte. Bismarck's

Graf Bismarck.

1866.

Geb. l. April 18lS, gest. SV. Juli I8S8.

Große trat in die Erscheinung, der Sachse Benst vertrat den deutschen Bund, England versuchte durch die seitdem sprichwörtlich gewordene Phraseologie zu dirigiren und bekundete seine Ohnmacht, so daß Düppel nicht nur das innere Düppel als Sieg wider die Opposition gegen die Armee-Organisation, sondern auch der Sieg preußischer Diploniatie wurde. Diplomatie macht es aber nicht, sondern die siegende Armee. Nach dem Fall von Düppel erschien in Veile der uns Allen sehr sympathische Major Graf Warten sieben als Generalstabsoffizier des kranken General Graf Münster und veranlaßte eine Besetzung von ganz Jütland.

In Skanderborg kam es zn unliebsamen Scenen von

14 Plünderung durch unsre Truppen, was ich auch nicht verschweige, da mich Dies damals tief kränkte und ich nur dankbar war, daß unser Bataillon nicht dabei betheiligt sein konnte, da wir nicht in Skanderborg selbst untergebracht waren. Einer für mich interessanten Scene in Viborg möchte ich gedenken. Nach 2 Bivaksnächten kamen wir nach Viborg. Ich erhielt mein Quartier bei einem Etatsrath Tang. Mein Bursche war bereits mit meinen Sachen dort, als ich die ganze Familie in Thränen vorfand, ohne daß irgend welche Maßregel zu meiner Aufnahme ergriffen war. Ich sagte dem Herrn Etatsrath, ich würde in einer halben Stunde wieder kommen und dann mir selbst Quartier machen, wenn bis dahin nicht Aenderung eingetreten sei.

Als ich wieder kam, war die Situation völlig

geändert. Alles, der Herr Rath mit Frau und Töchtern in liebens­ würdigster Weise bemüht, Alles zu thun, was in ihrer Macht stand. „Sie heißen Eberstein. Der letzte Deutsche, der Viborg besucht, war der Dänische Feldmarschall Ernst Albrecht Graf Eberstein, der nachher mit dem Brandenburgischen General von Quast die Schweden 1659 bei Niborg besiegte." Dieser Ernst Albrecht von Eberstein ist ein direkter Vorfahre von mir und ist in unsrem Familienarchiv ein eigenhändiger Brief des großen Kurfürsten vorhanden mit Glückwunsch zu dem entscheidenden Siege bei Niborg. Die ganze Familie saß mit mir bei gutem Mittagessen, wir gedachten im guten Schluck deutschen Weines meines Vorfahren und Abends gesellte sich zu uns Leutnant von Quast unseres Bataillons, der auch ein direkter Nachkomme des Brandenburgischen Generals von Quast war. Die 9. Kompagnie 3. Garde-Regiments hatte die Avantgarde, als wir in Aalborg am 5. Mai Morgens 9 Uhr den Lymfjord erreichten. Preußische Geschütze beschossen eine dänische Schanze nördlich des Fjord und unsre Zündnadelgewehre waren im Stande, die dänische Besatzung dieser Schanze zu beunruhigen. Damit schloß meine kriegerische Thätigkeit dieses Feldzuges. Monate lang blieben wir noch in Jütland, in der Gegend von Aarhuus, Randers, Hobro, Grenaa. Mehrere Wochen lag ich mit Leutnant von Unruhe (jetzt Kommandant von Königsberg) in Moerke nördlich Aarhuus bei einem Pastor in gutem Quartier. Mit uns lagen Garde-Husaren. Durch den liebenswürdigen Leutnant von Michaelis von den Husaren wurde an einem Sonntag ein sehr gut gelungenes Fest arrangirt, an dem sich auch viele Leute meiner Kompagnie betheiligten. Pferderennen, Sacklaufen, Clowns in den wunderlichsten primitivsten Kostümen wechselten mit Scherzen aller Art und Tanz, an dem sich auch die schmucke pije (Mädchen)

15 des Ortes und der Umgegend betheiligten. 1864.

Es war ein harmloser Krieg

Die Kompagnie marschirte in Jütland 209 Meilen und verzeichnete ich in meinen Briefen den 15. Marsch, an dem kein Mann der Kom­ pagnie überhaupt gebeten hatte, außer den bestimmten Rendezvous aus­ treten zu wollen. Die Marschdisciplin ist eine der wichtigsten Zweige soldatischer Leistung. Die höchste Sorgfalt muß darauf gerichtet sein. Wir marschirten den Kilometer in 9-10 Minuten und kann man auf diese Weise ohne Ucberanstrengung bei guten Witterungsverhältnissen 45—50 Kilometer ohne Ruhetag täglich zurücklegen Bei warmem schwülem Wetter ist die höchste Vorsicht mit doppelten Rendezvous und Wasseraufnahme kaum im Stande, unangenehme Erkrankungen oder Todes­ fälle durch Hitzschlag und Sonnenstich vorzubeugen. Der Genuß von Alkohol ist möglichst zu meide». Der Verkehr mit dem dänischen Adel wie dänischen Kaufleuten und Bauern gestaltete sich durchaus im freundlichen, zum Theil auch freund­ schaftlichen Einvernehmen und haben zum Theil auch dauernden Verkehr begründet.

General Vogel von Falckcnstetn.

1866.

Geb. S. Januar 1798, gest. S. April 188S.

16 In Jütland wurde der Chef des Generalstabes des alten Wrangel, General Vogel von

Falckenstein,

General-Gouverneur mit dem

Hauptquartier Aarhuus, dann Randers und hat sich durch sein ruhiges energisches Handeln, durch die Art, wie er in Allem bestrebt war, der Truppen leibliches und geistiges Wohl zu fördern, die allgemeine Ver­ ehrung erworben, Eduard Vogel von Falckenstein, geb. am 5. Januar 1797 in Breslau, wurde erst für den katholischen Priesterstand vorbereitet, trat 1813 in ein westpreußisches Grenadier-Bataillon ein, und erwarb bei Montmirail das eiserne Kreuz.

Er war ein hervorragender Topograph

und Zeichner, und richtete im Aufträge von Friedrich Wilhelm IV. das Institut für Glasmalerei in Berlin ein.

Am 18. März 1848 wurde er in

Berlin als Bataillons-Kommandeur im Franz-Regiment verwundet. Im Feldzuge 1864 war er Wrangel's Chef des Generalstabes, wurde dann populärer General und zeichnete sich im Main-Feldzuge 1866 als selbst­ ständiger Führer aus.

Das Einrücken in Frankfurt a. M. am 16. Juli

1866 brachte ihm viel Jubel ein. Ungehorsam gegen Direktive des großen Hauptquartiers führten zu seiner Abberufung; an seine Stelle trat Edwin Manteuffel. Wiederum verstand er es als General-Gouverneur von Böhmen und Mähren für die Armee nach besten Kräften zu sorgen. Im Juli 1870 wurde er zum General-Gouverneur der deutschen Küsten­ provinzen ernannt, trat mit schlichter Energie den welfischen Agitationen entgegen und starb am 6. April 1885 in Dölzig. An Falckenstein's Stelle trat General Freiherr von Moltke. Der General-Leutnant Otto von derMülbe war ein einfacher, begabter, vielseitig gebildeter, ausgezeichneter General. Seine Anschauungen über Dienst und- Ehre waren mustergültig. Doch ist es Pflicht hervor­ zuheben, daß er seine Ansichten über Orden und Auszeichnungen, die ich voll und ganz theile, entgegen den Anschauungen, welche in dem kombinirten Korps des Prinzen Friedrich Carl zur Geltung kamen, zum Schaden seiner Untergebenen zur Anwendung brachte. Die Kriegsorden erscheinen völlig unnütz, ja sie bringen viel Mißgunst und Neid bei kleinen Naturen bei dem Durchschnitt der Menschen. Ein Vorgesetzter hat aber die Pflicht, in dieser Hinsicht den herrschenden Anschauungen nicht zu widerstreben, weil dadurch im Urtheil der Welt, in der öffentlichen Meinung seine Untergebenen im Vergleich zu Anderen geschädigt werden. Durch einen unglücklichen Sturz aus dem Wagen mußte Generäl von der Mülbe nach der Heimath gehen. An seine Stelle trat der ein­ silbige General-Leutnant von Plonski.

17

Offiziere der S. .Nompagiiic 3. Garde-Regiments zu Nutz, von der Grüben. Freiherr von Everstein. Henning.

Interessant war, als im Dezember von Altona und Hamburg aus wir durch ganz überraschenden Marsch nach Oldesloe in der Richtung auf Lübeck mitwirkten, den gefürchteten Widerstand der Sachsen zu brechen. Mit den Hannoveranern traten wir in ein durchweg kameradschaftliches Verhältniß. Diese einfache Maßregel genügte, den Widerstand der Sachsen zu überwinden. Die Kameradschaft ist von hohem Werth grade im Kriege zu gemeinsamem Leben und Handeln. Das Bestreben, es besser machen zu wollen, als der Kamerad, anstatt das Bestreben, es gut, möglichst gut zu machen, tritt der Kameradschaft entgegen. Man soll sich gegenseitig helfen, fördern zu allem Guten, um das Höchstmöglichste zu erreichen. Nur dann ist es möglich, die Ziele annähernd zu erringen, welche oben als nothwendige von Eberstein: Kriegscrlebnissc.

2

18 Eigenschaften jedes Führers hingestellt wurden. Somit gehört die echte selbstlose Kameradschaft zu den Eigenschaften eines kriegerischen Genius, auf den der viel zu wenig gelesene Clausewitz in seiner Lehre vom Kriege immer wieder zurückkommt. Wir wurden in Schöneberg bei bejubelt in Berlin ein.

Berlin

einquartirt und zogen

In Danzig demobilisirten wir.

II. 1866.

Am 9. Mai 1866 war das Preußische Abgeordnetenhaus aufgelöst worden. Bei den Wahlagitationen herrschte die oppositionsjubelnde Fortschrittspartei, ein Sybel und Schulze-Delitzsch beherrschten mit ihrem: „Diesem Ministerium keinen Groschen" das Gebühren der Massen. Trotz­ dem hatte in vielen Gemüthern Düppel und Alsen gewirkt und so blieb die königliche Proklamation vom 18. Juni nicht ohne umgestaltende Wirkung. Des Krieges Ruhm erobert mehr als alles Andere die öffentliche Meinung. In einem Volksheere ist die öffentliche Meinung eine Macht.

Die eingewurzelte allgemeine Wehrpflicht führte ohne

wesentliche Ausschreitungen die Reserven und Landwehren unter die Fahnen und so konnten alle Patrioten mit Stolz auf die preußische Armee von 1866 hoffend der Zukunft entgegensehen Von kriegerischer Begeisterung war die Armee nicht erfüllt.

Es galt nicht, dem Erbfeind

entgegenzutreten.

Diese natürliche Empfindung beherrschte die Armee, hatte doch der geliebte König selbst es überall bekundet, mit wie schwerem Herzen er selbst sich von der Nothwendigkeit überzeugt hatte, mit den Waffen in der Hand die Rechte Preußen's zu vertheidigen. Der 7 jährige Krieg lag zu weit, über 100 Jahre zurück, als daß das Volksbewußtsein sich

dazu erheben konnte, in dem

zu erwartenden Kriege die Ideen

Friedrich des Großen sich ausbauen zu sehen.

Und so ging es mit Gott

vorwärts. Ich war dem Königsberger Garde-Landwehr-Bataillon als Kompagnieführer der 4. Kompagnie zugetheilt. Man tritt mit

19 Reserven und Landwehren sofort in ein persönliches Verhältniß

durch

ihre Urlaubsgesuche. Die verschiedensten Gründe bestimmten sie um Urlaub zu bitten. Ich beurlaubte viele Leute von Sonnabend Nach­ mittag bis Montag Früh und ließ sie auch vorausreiscn, bevor wir nach Berlin fuhren. Alle waren zur rechten Zeit zur Stelle. Dies hatte einen guten Einfluß auf mein Zusammenleben mit der Kompagnie. Als wir am Abend des 9. Juni in der Dämmerung auf dem Potsdamer Bahnhof dem Könige Wilhelm nach der langen heißen Fahrt von Königs­ berg i. Pr. uns präsentirten, waren wir Alle nicht begeistert. Der König selbst sah ernst drein und sprach Nichts.

Wir zogen nach Tempel­

hof. Die 4. Kompagnie wurde gut in Tempelhof untergebracht. Diese günstige Dislokation war eine sehr glückliche. Das scharfe Exerziren auf dem Tempelhofer Felde während der nächsten Tage wurde der Kitt, der mich mit der Kompagnie bei tüchtigen Offizieren bald zu einer vorzüg­ lichen Kompagnie zusammenwachsen ließ. Ein einziger unverbesserlicher Säufer brachte es fertig, sich in steigenden Strafen schließlich auf Festung zu bringen. Sonst brauchte ich nicht mit Arrest zu strafen. Die Kom­ pagnie führte sich vorzüglich und leistete auf den Märschen ohne Ueberanstrengung alles Nöthige. Ich führe dies mit besonderem Dank auf, da es namentlich für die Landwehr von hohem Werth ist, daß ihr vor Beginn des Feldzuges die Zeit gelassen wird, um sich als festgeschlossene Truppe zu konsolidiren. Und so stehe ich bis auf den heutigen Tag in dankbarer Erinnerung für das in letzten Jahrzehnten zu einem volkreichen Ort aufgeblühten Tempel­ hof. Es ist falsch, wenn der sogenannte neue Kurs die Landwehr geringschätzig behandelt. Am

15.

Juni

fuhren wir vom Potsdamer

Bahnhof

aus über

Magdeburg nach Bitterfeld, marschirten über Eilenburg, Wurzen, Döbeln nach Meissen,

fuhren

nach Bischofswerda und

marschirten

dann über

Schlnckenau, Georgenthal nach Gabel in Böhmen. Die Garde-LandwehrDivision war der Elb-Armee unter General Herwarth von Bittenfeld zugetheilt, wir rückten über das Feld von Hühnerwasser, über das Schlacht­ feld von Münchengrätz und erlebten dort eine Panik. Karl Eberhard Herwarth von Bittenfeld, geb. 4. September 1796 zu Großwerthen in Thüringen, trat bereits 1811 in preußischen Militärdienst und avancirte langsam im Garde-Korps. 1848 war er Kommandeur des 1. Garde-Regiments z. F. und erwarb sich in dieser ernsten Zeit durch mangelnde Energie nicht die Liebe und Anerkennung seiner Untergebenen.

Als im

Mai

Wrangel's Stelle Oberbefehlshaber

1864 Prinz Friedrich

der

Carl

preußisch-österreichischen 2-

an

Armee

20 wurde, erhielt er als Kommandirender des VII. Korps das Kommando über das kombinirte preußische Armee Korps, 6. und 13. Division, und wird sein Name stets durch den glanzvollen Sieg auf Alsen am 29. Juni 1864 der Vergessenheit entzogen sein. 1866 wurde er Oberbefehlshaber der Elb-Armee, lieferte die Gefechte bei Hühnerwasser und Münchengrätz und nahm in der Schlacht bei Königgrätz wesentlichen Antheil durch die Fortnähme von Problus und Prim. 1870 wurde er General-Gouverneur des westlichen Deutschland (7., 8. und 11. Armee-Korps), erhielt 1871 den Charakter als Generalfeldmarschall und starb in Bonn am 2. Sep­ tember 1884. Wir waren eben eingerückt, meine Kompagnie hatte äu g'onr, die Wachen zu stellen, ich selbst war äu g'onr habender Offizier, als ich in eiligster Flucht Wagen, Proviant-, Postwagen, Medizinkarren durch die Stadt fahren sah. Ich ging sofort nach dem Stadteingang von Jungpunzlau und sah in wirrem Durcheinander Wagen aller Art Münchengrätz zueilen. Als eine Pause dies zuließ, stellte ich die Wache mit fertig gemachtem Gewehr quer über die Straße, was bei Wiederholung bewirkte, daß die unaufgeklärte Panik sich beruhigte.

Nach und nach kamen die

Wagen wieder zurück. Clausewitz spricht im 1. Buche im 7. Kapitel von der Friktion im Kriege, was mir richtiger erscheint, als wenn Hoenig in der Schlacht von Gravelotte von verschiedenen Paniken handelt, bei denen er nicht zugegen war und die er in dramatischer Weise schildert, ohne da­ durch der Objektivität der historischen Darstellung irgend welchen Dienst geleistet zu haben.

Jedoch ist hier nicht der Ort über derartige Ge­

schichtsschreibung zu polemisiren, die durch die neuste Erklärung von Offizieren des Regiments No. 57 aufs Schärfste verurtheilt ist. Fritz Hoenig hat von Anfang an in pietätloser Weise sich gegen König Wilhelm, General Moltke, Steinmetz vergangen, hat von Paniken in dramatischer Schärfe und übertriebenem Wortschwall legendenartige Schilderungen gemacht, die Viele verletzten, höchstens romanlüsterne Frauenzimmer begeisterten, um jetzt solche energische Abfertigung von allen noch lebenden Kameraden seines alten Regiments zu erfahren. Solche Schärfe ist kaum dagewesen wie in No. 64 des M. W. Bl.

Mit Wärme tritt

diese Erklärung für den Regiments-Chef, General von Schwarzkoppen, wegen unbegründeten Anschuldigungen und gehässigen Urtheilen ein, sowie für einen verstorbenen Soldaten, der bei Mars la Tour die Fahne des 1. Bataillons mit Ehre und Auszeichnung trug. Durch diese scharfe kameradschaftliche Erklärung wird wol Fritz Hoenig dauernd seine kriegsgeschichtlichen Arbeiten aufgeben. Eine schrift-

21 stellerische Begabung und Fleiß muß Jeder bei ihm anerkennen, aber Mangel an Pietät, Ueberhebung seiner eigenen Leistungen haben ihn oftmals auf Ab- und Irrwege geführt, die auch oft in Verbindung mit Taktlosigkeit zu den schroffsten unmotivirten persönlichen Verurtheilungen führten, welche, wenn auch seltener, in seinen späteren Arbeiten, im Volks­ kriege an der Loire wiederkehren. Am 3. Juli machte die Garde-Landwehr-Division 8 Meilen, wir machten in Neu-Bidzow Mittagsrast und marschirten Abends nach 6 Uhr bei Nechanitz über die Bistritz, und lagen in der Nacht am 4. Juli neben der Cavallerie-Division Alvenslebeu ohne Holz und einer feuchten Wiese im Bivack nördlich Nechanitz. Den 3. Juli hatte es meist fein geregnet,

Stroh auf

der Himmel

war

grau, von Geschützfeuer hatten wir Nichts gehört, nur ab und zu das Blitzen der Geschütze gesehen. Wir wußten, daß eine Schlacht sich ab­ gespielt hatte.

Als wir in die Nähe von Nechanitz kamen, fing meine

Kompagnie ohne Anregung zu singen an, was mir ein neuer Beweis war, wie frisch und wohlgemuth die Leute ihre Pflicht thaten. Die Nacht bei Nechanitz war wenig erquicklich, kalt und feucht und ohne Nahrung. Es ist Dies ja

nur zu natürlich, daß bei Koncentrationen zur

Schlacht die disponiblen Straßen nicht in der Lage sind außer den Munitionskolonnen und Feldlazarethen noch Proviantwagen aufzunehmen. Die Mitgeführten eisernen Portionen sind längst verbraucht oder fort­ geschafft, namentlich fehlt es an Brot, das 1866 fast immer in ver­ schimmeltem Zustande oder gar nicht zur Ausgabe gelangte. Das muß in künftigen Kriegen, zu denen man etwa 2—3 mal so starke Armeen zur Disposition hat, noch schlimmer werden, mögen auch die Vorkehrungen durch Mitnahme von verschiedensten Konserven noch so sorgsam und für­ sorgend getroffen sein. Am 4. Juli setzte ich mich früh Morgens zu Pferde, ritt nach Problus, sprach dort General von Schwartzkoppen und General von Herwarth, der gar nicht zu wissen schien, daß die Garde-LandwehrDivision schon zur Stelle. Er sagte, wir sollten nur zur Truppe zurück­ reiten.

^

Erst am Nachmittag ging bei uns der Befehl ein, in der Richtung auf Pardubitz vorzurücken. Wir nahmen wahr, daß die Oesterreicher in wilder Flucht abgezogen sein mußten, und wurde uns nun klar, daß gestern ein entscheidender Sieg erfochten. Wäre das Hauptquartier, wenigstens General von Moltke auf dem Schlachtfelde verblieben, so wären intakte Truppen genug zur Stelle

22 gewesen, um den Sieg des 3. Juli durch energische Ver­ folgung zu einer Katastrophe auszugestalten. Am geeignetsten Ort stand die Garde-Landwehr-Division. Nun wurde uns bei Biela Halt geboten, ohne daß es erlaubt wurde, die vor uns deutlich sichtbaren österreichischen Nachzügler durch einen kräftigen Vorstoß zu vertreiben. gemeinen Mann klar.

Dieser Fehler wurde selbst dem

Ich freute mich, mit welcher lautlosen Zustimmung

im Gestchtsausdruck meine wiederholten scharfen Vorstellungen dem Divisions­ General gegenüber zum Ausdruck kamen. über Nichts machen.

Eine Kompagnie konnte hier­

Schließlich legte ich mich auf die Erde und schlief

in der wärmeren Nacht zum 5. Juli sehr erquicklich. Am Morgen des 5. Juli kam ein überraschender Befehl.

Unser

Divisions-Kommandeur arrangirte eine Gefechtsübung, da ihm wol dämmerte, daß vielleicht doch die Garde-Landwehr-Division zur Aktion kommen könnte. schossen.

Es war nur gut, daß wir uns gegenseitig nicht tot

Diese Gefechtsübung in der Richtung auf Prag ist das eigen­

artigste Unternehmen, das mir in meiner Dienstzeit im Kriege vorgekommen. Die Motive zu dieser Großthat find mir nie bekannt geworden, zumal ich nach den Vorkommnissen des 4. Juli bei Biela keine Veranlassung hatte, mit dem Herrn General mich noch einmal in Erörterungen ein­ zulassen.

Nach dieser kurzen Uebung marschirten wir über Chlumetz und

Podiebrad nach Prag. Bei Chwalla östlich Prag hatte ich die Vorposten, als eine Kutsche mit Erzbischof Kardinal Fürst Schwarzenberg und dem Oberbürgermeister von Prag Einlaß begehrten, um den kommandirenden General zu sprechen. Der Fürst Schwarzenberg, eine schöne stattliche Erscheinung, war sehr devot und als er wieder die Kutsche bestieg, und sehr befriedigt von seiner Mission aussah, würdigte er mich keines Blickes. Mein Stolz hätte ihm gern ein Bein gestellt, jedoch war sein Benehmen ein Beweis, daß er nicht Herr der Situation war, denn ein gebildeter Mann hätte nicht anders handeln können als höflich. Und ich glaube, daß der Herr Kardinal sich zu der Klasse der gebildeten Menschen rechnete. Wir rückten über das fridricianische Schlachtfeld Prag, 6. Mai 1757 der edle Schwerin gefallen war.

wo am

Auf dem Flecke zu fein,

wo einst der tapfere Schwerin gefallen, erfüllte mich mit voller Be­ geisterung, Schwerins Tod bei Prag hatte mich schon als Kind erhoben. Unser Einzug in Prag erfolgte am 8. Juli Vormittags. Meine Kompagnie marschirte mit einem Selbstbewußtsein und einem Stolz, der vielleicht einer noch besseren höheren Sache würdig gewesen wäre.

Man

kann aber wirklich keine schönere Truppe sehen als die Garde-Landwehr.

23 Namentlich

muß

jedem

Kenner

ins

Auge

fallen

die

Gleichmäßigkeit

schöner ausdrucksvoller Gesichter und Glieder. Die Vorbereitungen zu unserer Unterkunft waren sehr ungenügend getroffen.

Zuerst wurde ich nach

dem Hradschin gewiesen,

nach dem

Franz-JosePlpHospital, wo ca. 1000 Verwundete aus den Gefechten von Münchengrätz und Jcin lagen und wir nicht unterkommen konnten.

Nach

vielem Hin und Her erhielten wir um 1'/2 Uhr Quartier in der Franziskaner Kaserne in der Altstadt, wo Läuse und Flohe in bedenklichster Weise hausten. Daher nahmen die Leute es durchaus nicht tragisch, als uns am selben Tage, am 8. Juli, an einem Sonntag Nachmittag 3'/s Uhr der Befehl zuging, nach Kralup aufzubrechen.

Da der Major krank, der

ältere Hauptmann (von Altrock) Platzmajor von Prag geworden war, so führte ich das Bataillon.

Nach den Anstrengungen des Tages war mein

Bestreben dahin gerichtet, den Leuten möglichst bald Wagen zu verschaffen. Da die nach Prag Reisenden nicht wußten, daß Prag von den Preußen besetzt war, so kann man sich vorstellen, daß an einem Sonntag Nach­ mittag der Verkehr auf einer großen Chaussee in der Nähe einer großen Stadt ein recht lebhafter war.

Die komischsten Szenen kamen vor, als

die Insassen von Wagen aller Art veranlaßt wurden, ihre Plätze aufzu­ geben.

Als ich 2 Juden mit Reisekoffern ersuchte den Wagen zu verlassen,

wurde mir von Umstehenden ein Hoch ausgebracht.

So gelang es, den

größten Theil des Bataillons in Wagen untergebracht zu haben, ehe wir das Marschziel erreichten. Kralup ist ein unbedeutender Ort, etwa 3 Meilen nördlich von Prag und liegt an einer schönen über die Moldau führenden Eisenbahnbrücke, die zerstört war. Die Märsche der letzten Tage hatten manche Kranke gebracht, jedoch war die Gesinnung im Bataillon eine sehr gute und ohne Schwierigkeiten auch zu außergewöhnlichen Anstrengungen anzuregen. Die damals meist deutsche Bevölkerung war gutartig und zu allen Leistungen bereit, so daß die Unterbringung des Bataillons eine sehr gute war.

Das von österreichischen Truppen gut besetzte, etwa 5 Meilen

entfernte Theresienstadt machte einige Vorsicht nöthig, der ich dadurch gerecht zu werden suchte, daß ich Vor- und Nachmittags Expeditionen von etwa 100 Mann auf den verschiedensten

Straßen auf Wagen die

Umgegend beunruhigen ließ. Böhmen ist ein landschaftlich und in Bezug auf Bodenbeschaffenheit schönes Land.

Man sah vielfach die schönsten Waizen- und Roggenfelder,

aber neben großen mächtigen Schlössern auch viel elende Hütten voller

24 Schmutz und Ungeziefer, so daß das Ganze doch einen verwahrlosten Eindruck machte, was

wol zum Theil auf die jesuitisch-romanisirende

Richtung des vielgestalteten Klerus zurückzuführen fein wird. Am 14. Juli wurde das Bataillon durch das 2. Bataillon 1. GardeLandwehr-Regiments abgelöst und fuhren wir auf der inzwischen her­ gerichteten Eisenbahn nach Prag. Es mag jetzt am Orte fein der Erfahrungen zu gedenken, die ich im Feldzuge 1866 und auch schon früher bei der Landwehr machte. Die Landwehr war bis zur Organisation der Armee ein wesentlicher Bestandtheil der Feldarmee und ist bis auf den heutigen Tag von hoher Wichtigkeit, da es unmöglich ist, daß durch noch größere Vermehrung der stehenden Armee man diese Organisation entbehren kann. Wir Deutsche mit unseren 3 Millionen Soldaten im Falle der Mobilmachung haben Landwehr und Landsturm. Unser Leutematerial ist vorzüglich. Wie steht es aber mit den Offizieren und Unteroffizieren? Vorläufig wird noch wenig auf die Vorschläge für Abschaffung derEinjährigen gehört, die schon seit Jahren zu wiederholten Malen mit motivirten Aenderungsvorschlägen der Oeffentlichkeit übergeben wurden. (Alter Kurs im Militarismus 1892.) Durch die Einjährigen kann keine genügende Erziehung für einen Offizier erzielt werden.

Der größte Theil

der Einjährigen rekrutirt sich aus solchen Berufsbeslissenen, welche keine Fühlung mit den sogenannten niederen Ständen unseres Volkes haben. Darauf kommt es wesentlich an, daß der Offizier mit seinen Untergebenen in innigen Kontakt tritt; der Offizier muß wissen und mitfühlen, was den Untergebenen bewegt, nur dann kann er Einfluß auf ihn haben, nur dann kann er die Herrschaft über ihn gewinnen, die auch im Kugelregen nicht versagt. Es ist hier nicht der Ort, diese gewiß allgemein aner­ kannte Wahrheit weiter zu detailliren. Die Dienstkenntniß der Reserveund Landwehroffiziere läßt zu wünschen übrig, und zwar liegt dies nicht an ihrer Gesinnung, sondern an der Organisition dieses so wichtigen Instituts. Aehnlich verhält es sich mit den Unteroffizieren. Es ist falsch, daß von den aktiven Regimentern Leute als Reserve­ oder Landwehr-Unteroffiziere entlassen werden. Wenn gut gediente Gefreite mit der Qualifikation als Reserve- oder Landwehr-Unteroffizier entlassen werden, so ist dies völlig ausreichend.

Es kommt oft vor, daß Bauer­

söhne Jnspektorenstellen der Landwirthschaft oder einer Fabrik übernehmen. Solche Leute sind meist geeignet, durch ihre civile Beschäftigung an Befehlen gewöhnt, als Unteroffiziere Verwendung zu finden. wiederholentlich

Mir ist es

vorgekommen, daß Landwehr-Unteroffiziere mit dickem

25 Bauch mir ein Ballast waren.

Verwendet man sie als unfähig zum

Unteroffizierdienst nicht als Unteroffiziere in der Kompagnie, so wirkt ihr Einfluß schädigend auf die Gesinnung in der Kompagnie. Jedoch ist hier auch nicht der Ort, näher auf diesen Organisationsmangel einzugehen. Die Landwehr kann ein sehr brauchbares Kriegsinstrument abgeben, doch fürchte ich, daß die Einführung der zweijährigen Dienstzeit darauf nachtheilig gewirkt hat, wenngleich nach der Richtung noch nicht hin­ reichend Erfahrungen gemacht sein mögen. — Die Zeit in Prag war sehr interessant.

Damals sprach Alles in

Prag deutsch, man hörte kaum ein czechisches Wort.

Aber die Demorali­

sation war furchtbar. Es ist unmöglich, die Situationen auf der SophienJnsel zu schildern, wo alle möglichen und nicht möglichen Gestalten von Fürsten und Nichtfürsten zusammenströmten, um unter glänzendstem Aeußeren eine Verwüstung aller Moralität, alles verfaulten Lebens zu verdecken, die für irgend feinfühlende Gemüther doch einen pestialischen Geruch verbreiteten. Am 18. Juli fuhr das Königsberger Garde-Landwehr-Bataillon von Prag nach Brünn. Da österreichische Eisenbahnbedieustete den Zug führten, so mußten Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden. Ich als Kom­ mandeur setzte dem Lokomotivführer 2 Mann mit geladenem Gewehr, jedem Bremser 1 Mann mit geladenem Gewehr zur Seite. Wir kamen glücklich nach etwa 20stündiger Fahrt am Frühmorgen des 9. Juli in Brünn au. Brünn war schon 1866 eine moderne schöne aufblühende Stadt und merkte man dort in keiner Weise den Krieg, auch sah man nicht mal viele Soldaten. Man konnte in den Restaurants gut essen und trinken. Fein gekleidete Damen aller Stände belebten die Straßen, jedoch herrschte nicht in so versumpfender Art die äsrni naonäs und die, welche sich ihr gleich stellten. Wir marschirten am 21. Juli nach Pohrlitz, am 22. Juli nach Nikolsburg. Auf dem Marsche am 22. Juli trat der erste Cholerafall im Bataillon ein. Der Mann hatte in Pohrlitz nicht extravagirt, meldete sich aus dem Marsche krank, lag im Chausseegraben und nach 2 Stunden war er tot. Alle Maßregeln waren durch den Arzt, den Lazarethgehülfen, durch mich angewandt, die furchtbare Hitze war durch Schweiß treibende Mittel, durch Waschungen und Frottiren nicht zu beseitigen.

Nach einer

Stunde traten Krämpfe ein, die Gesichtszüge nahmen einen starren Aus­ druck mit hervorquellenden Augen an und dann Ruhe, bis ein Herzschlag den Tod brachte.

Es war mir ebenso schmerzlich als interessant.

26

-

Koni,, Wilhelm von Preußen auf Ser Sudowa bei Mkolsvurg 1866.

In Nikolsburg wurden wir nicht vom König empfangen, FlügelAdjutant Oberstleutnant Graf Kanitz sprach uns das Bedauern des ge­ liebten Königs aus, Krankheitshalber nicht sein Königsbecger GardeLandwehr-Bataillon sehen zu können.

Er selbst wie Bismarck hatten

einen Cholerine-Anfall, der in der Zeit doppelte Beachtung verlangte. In Nikolsburg starben o Leute schnell an der Cholera. Ich be­ mühte mich bei einem Bataillons-Appell hygienische und diätetische Vor-

27 sichtsmaßregeln zu empfehlen und hatte die Freude, durch Hülfeleistuug bei einem Cholerakranken die kameradschaftliche Liebesihäligkeit zu wecken, was sich als besonders ersprießlich erwies. Denn in den ersten Anfangen von dieser heimtückischen Krankheit läßt sich viel thun, um die Krankheit zu coupiren. In Nikolsburg war viel Leben. Karolyi, Degenfeldt, Benedetti, Pfordten mußten durch meine Wache eingeführt werden. Ueber das große Hauptquartier hörte man die wunderlichsten Dinge. Hofmarschälle, Kammerherren, General- und Flügel-Adjutanten (darunter auch der in Joppe umhergehende Militärbevollmächtigte in Paris Freiherr von Los) wurden zur königlichen Tafel befohlen, nicht aber der Generalstabschef der Armee Moltke, der doch wol im Kriege nächst dem königlichen Feldherrn die Hauptperson sein müßte. Liest man in Bismarck's „Gedanken und Erinnerungen" im II. Band das 20. Kapitel Nikolsburg, so habe ich so recht empfunden, daß alles das, was auf dem felsigen Mensdorf'schen Schlosse Nikolsburg sich in diesen Tagen zutrug, gleichsam durch die Luft auch unten in dem elenden Neste Nikolsburg umherschwirrte.

Man sprach

viel über Königgrätz, lobte den Kronprinzen durch seine Frische und seinen

Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen. Geb. 18. Oktober 1831, gest. 15. Juni 1888.

1866.

28 beneidenswerthen Muth, seine Unerschrockenheit im Kugelregen.

Es ist

ein wunderbares Ding mit dem Renommee, mit der öffentlichen Meinung. Wenn Bismarck in der Zeit seiner Größe sich so souverän gegen die öffentliche Meinung benahm, so wurde er von dem Volksjubel später in bedenkliche Bahnen geführt.

Die Geschichte hat die Pflicht, in objektiver

Ruhe die Wahrheit zu erspähen.

In diesem Bestreben hielt ich mich für

verpflichtet das zu skizziren, was ich am 23. Juli 1866 aus Nikolsburg an meine Frau schrieb. Am 23. Juli übernahm der älteste Hauptmann des Regiments, Fritz Graf Waldersee, Sohn des bekannten Kriegsministers und Schrift­ stellers, das Bataillon, was mir sehr angenehm war, da gleichzeitig der als Platzmajor in Prag verwandte Hauptmann von Altrock zum Bataillon zurückkehrte. Die Tage in Nikolsburg ließen mich mancherlei Interessantes er­ leben.

Es mag ja sein, daß Jemand, der draußen steht, mit schärferem

Blick alles das beobachtete, was ihn Nichts angeht.

Durch ein gutes

Gedächtniß, das bis zu meinem 12 Lebensjahr zurückreicht, bin ich in der Lage, das wirklich Gesehene oder Gehörte mitzutheilen, unterstützt durch ausführliche Briese, die mir vorliegen, welche ich aus Nikolsburg schrieb. Ich war an meinem Doppelposten auf der Chausfee nach Wien, als ein Wagen mit zwei Herren und einem Diener auf dem Bock in scharfem Trabe dahergerollt kam.

Der Posten rief:

„Halt", der Wagen

fuhr weiter; ich sagte ihm: „Legen Sie an!" und rufen Sie laut: schieße."

Dies wirkte, der Wagen hielt.

„ich

Es entpuppte sich ein kleiner

gelblich jüdisch aussehender Herr, der sich Benedetti nannte, und ein mir zuverlässig erscheinendes Schriftstück vorzeigte, worauf ich ihm die Durchfahrt

gestaltete.

Warum

wollte Bismarck sprechen.

kam

der Herr

nach

Nikolsburg?

Er

Wäre der Minister des Aeußeren Bismarck

in Berlin gewesen, so wären seine Memoiren kürzer geworden, aber ich bleibe bei meiner oft ausgesprochenen Behauptung, daß der Minister des Aeußeren nicht unbedingt in's Hauptquartier gehört. Es mußte eine Brücke über die Thaya geschlagen werden.

Der

Ingenieur-Offizier baute dieselbe so stark, daß ein voll kriegerisch aus­ gerüstetes Geschütz darüber fahren konnte.

Als der mit 6 großen Pferden

bespannte Küchenwagen Seiner Majestät darüber fahren wollte, wäre die Brücke beinahe eingestürzt.

Dem Hofbeamten antwortete

der Offizier

sehr korrekt, er wäre nicht beauftragt gewesen, die Brücke für königliche Küchenwagen von solchen Dimensionen zu bauen.

29 Ein in Paris

angestellter

preußischer Militär-Attachee

ging in

Nikolsburg mit Joppe und Reitpeitsche spazieren. Ein Posten von mir präsentirte vor diesem Herrn, worauf ich ihn verwies und zwar so laut, daß dieser Herr es hören konnte: „Vor Civilisten werden keine Honneurs gemacht." Diese und ähnliche Erfahrungen in Nikolsburg bestimmten mich März 1894 zu schreiben: „Die Organisation des Hauptquar­ tiers", welche in dem Satz gipfelte: „Jede Person zu viel ist im Hauptquartier von Uebel." Der Kriegsminister gehört nach Berlin, der Hauptstadt, und in den meisten Fällen auch der Minister des Aeußeren, damit er dort Gablentz, Karolyi, Benedetti, Pfordten empfangen kann. Wozu sind die Telegraphen da? Es giebt ja auch chiffrirte Depeschen, und wenn eine mündliche Besprechung der König befiehlt, so kann ja der Minister des Aeußeren auf Zeit in's Hauptquartier reisen. „Nikolsburg und Versailles"

Die Kapitel:

der Bismark-Memoiren werden meine Be­

hauptung als zutreffend erhärten. — Anfangs sollte die Gardelandwehr-Division in der Richtung auf Wien weitermarschiren.

Es kam aber nicht dazu, da der Abschluß der

Waffenruhe vom 22.-27. Juli dies wie die Ausnutzung des siegreichen Gefechts bei Blumenau verhinderte. Am Abend des 24. Juli kam auch Pfordten an, dem Bismarck sagen ließ, daß er vorläufig für ihn keine Zeit habe, das Geheimrath Borck Abends in der Kneipe erzählte. Man war sehr gespannt auf Beust's Ankunft, jedoch kam er nicht, so lange wir in Nikolsburg waren. In wie schwierige Situation hatten sich die Oesterreicher durch ihren Rückzug nach Olmütz und nach Wien gesetzt. Man hätte sicher mit nicht zu großen Opfern bei Florisdorf gesiegt und dann nach Wien rücken können. Bismarck mag recht gehabt haben, davon abzurathen. Jedoch hat der Soldat auch Recht, wenn er für die vielen Tausende, die auf dem Felde der Ehre und der Cholera dahingerafft waren, ein gewonnenes Objekt sein nennen will, und wenn dies die Hauptstadt ist und Wien, das schon vor über 100 Jahren Friedrich der Große erstrebte, so schwillt das Soldatenherz.

Daß unser geliebter König mit seinen Soldaten fühlte,

das gewonnene Sachsen nicht wieder herausgeben wollte, das wurde in Dankbarkeit von jedem Soldaten mitempfunden. Wäre unser Militär­ attaches in Paris geblieben, so hätte er gewußt, daß Frankreich damals ohnmächtig war, so hätte man den schlauen Benedetti ruhig vor den Thoren von Nikolsburg im Wagen sitzen lassen können mit der Antwort, daß Bismarck jetzt für ihn keine Zeit habe. So hat er für Sachsen plädirt.

Wäre es nicht besser gewesen, wenn der König von Sachsen

30 König von Böhmen geworden wäre unter der Suprematie von Oester­ reich; einen wechselnden Statthalter von Böhmen hätte Oesterreich nicht nothwendig gehabt, und das Czechenthum hätte sicher nicht so ungewöhn­ liche Fortschritte gemacht. Doch ich rüttle am Ruhme Bismarck's. gekommen.

Die Zeit ist noch nicht

Maximilian Harden zieht Caprivi deßhalb in schmachvoller

Weise herunter, weil dieser deutsche selbstlose Mann wagte, Nachfolger des gewaltigen psros tsutouions zu werden. Und Harden darf in der Zukunft sagen, was er will, er wird für Majestätsbeleidigungen verurtheilt und läßt einen Sitzredakteur für sich die Festungsstrafe absitzen. Das nennt man bei uns Preßfreiheit. Ich spreche ohne Furcht in vollster Devotion für Kaiser Wilhelm I. für Kaiser Friedrich, für den bekenntnißtreuen Wilhelm II. meine in Nicolsburg vor 33 Jahren gewonnene Meinung aus. Am 25. Juli marschirten wir nach Urspitz und Pohrlitz; in Urspitz lag ich mit meinem Regiments-Commaudeur, Oberstleutnant Ranisch, zu­ sammen, der Commandant von Prag gewesen war. Ranisch erzählte daher Dinge, daß einem die Haare zu Berge standen. Oesterreich ist „ein verrottetes faules Geschlecht, voller Lug und Trug, und an Böhmen hat sich das Haus Habsburg durch Inquisition und römische Tyrannei eine czechische Brut voller Gemeinheit, Unterwürfigkeit, Falschheit großgezogen und alles germanische Wesen mit der Reformation und dem evangelischen Geist ausgerottet Eine furchtbare Erscheinung. Es ist hier Alles faul — reiche Gegend und arme Leute, bigottes Römerthum mit Aberglaube und Heuchelei" (Wörtlich aus einem Briefe vom 26. Juli 1866). Das schöne Land Böhmen ist in fast jeder Richtung verwahrlost. Große Herrschaften werden von untüchtigen betrügerischen Beamten bewirthschaftet und bringen ihren fürstlichen Besitzern nicht einen Kreuzer Reinertrag, daher haben diese auch keine Neigung, für ihre Arbeiter das Nöthigste in Wohnung und Verpflegung zu thun. So sah man stolze verwahrloste Schlösser neben elenden Hütten und schlecht bestellten Feldern. Mit der Verwaltung kaun es auch nicht gut ausgesehen haben, man hatte den Eindruck, daß es gebräuchlich war, Staatsbeamte zu bestechen, um irgend Etwas durchzusetzen.

Von den verschiedensten Seilen wurde uns

dies kund. Wenn Bismarck in einer Rede

am 12. September

1866 sagte:

„die Abschätzung der Tragweite eines militärischen Sieges in dem Moment, wo er erfochten wird, ist eine der schwierigsten Aufgaben der Politik", so erscheint es berechtigt, auf diese Wahrheit einzugehen. Bismarck hat in erster Linie Königgrätz vorgeschwebt.

31 Nicht nur Bismarck als Diplomat, sondern ebenso König Wilhelm und Moltke hat den Sieg von Königgrätz bis zum 5. Juli 1866 unter­ schätzt.

Erst am 4- Juli Abends bei Biela wurde mir als Kompagnie­

führer der Garde-Landwehr

der

großartige Sieg

klar vor die Augen

geführt. Erscheint es eben nicht deßhalb richtiger, wenn der Minister des Aeußeren nicht mit im Hauptquartier ist? Abgesehen von der Gewaltthätigkeit, hochgradigen Nervosität Bismarck's

konnte

der Minister des Aeußeren

in

Berlin

viel

besser die „Tragweite des Sieges" beurtheilen. Wenn Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen" II, S. 43 von einem vermeintlichen Kriegsrath im Bismarck-Zimmer am 23. Juli 1866 berichtet:

„Meine Nerven widerstanden den mich Tag und Nacht

ergreifenden Eindrücken nicht,

ich

stand schweigend auf,

ging in mein

anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen", so erweist er damit zur Genüge, daß er besser in seinen gewohnten Räumen in Berlin geblieben wäre. Denn wenn auch Tausende von Leserinnen von dem Schlage von Frau Bertha von Suttner herzlichste Theilnahme an diesem Weinkrampf nehmen mögen, so ist es doch beinahe lächerlich, daß Bismarck persönlich nach über 32 Jahren der erstaunten Nachwelt diesen persönlichen Echec mittheilt.

Da er meist Kürassirpallasch trug, so müßte er damit auch so

viel militärisches Empfinden angelegt haben, daß es für einen Soldaten nicht passend ist, einen Weinkrampf zu bekommen. Wenn Bismarck auf S. 43 weiter schreibt „ich begab mich an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die für den Friedensschluß sprechen", so kann diese Arbeit nach einer solchen körperlichen Niederlage kaum den Stempel eines llsros tsntonious getragen haben. Die

Bismarck'schen

Memoiren

enthalten

in

den

Abschnitten:

Nikolsburg und Versailles eine Menge von Beweisen dafür, daß es nur der erhabenen Vornehmheit des Königs Wilhelm, sowie der ausgeglichenen überlegenen Ruhe von Moltke gelingen konnte, die überhebenden nervös zugespitzten

Machinationen

Bismarck's

zu

ertragen.

Da

der

Kriegs­

minister und Chef des Generalstabes nicht in der Lage waren, den Bis­ marck-Auslassungen zur Wahrung der Ehre der Armee offiziell entgegen­ zutreten, so werden diese Worte nicht ohne Berechtigung sein. — Am 31. Juli brachen wir von Urspitz bei Pohrlitz auf und gingen in

langsamen Friedensmärschen in

der Richtung auf Prag.

In den

elendesten Dörfern fand man eine gute Tasse Kaffee, gutes Weißbrot und eine Petroleumlampe, was mich frappirte, da noch

1864 in Dörfern

32 Schleswigs und Jütland's das Talglicht prävalirte, 1863 in Masuren die Petroleumlampe ein selten gesehener Luxus war. Die Friedensluft bestimmte die Division zu allen möglichen Be­ fehlen zur Hebung der Disziplin, was eine mir häufig wieder kehrende Erfahrung wurde.

Es ist nicht zu leugnen, daß es hinter der Armee

nicht sonderlich aussah. Nach Königgrätz hatte man mit Aufbietung aller Kräfte den Vormarsch bis gegen Wien zur Ausführung gebracht, ohne das Etappenwesen, sowie die Lazaretheinrichtungen gehörig zu berücksichtigen. Lese man den Brief des General Graf Blumenthal, Chef des General­ stabes des Kronprinzen, der in Wiener Zeitungen publizirt war. So schwirrten hinter der Armee eine recht beträchtliche Anzahl von Marodeuren und Feiglingen umher, welche dem preußischen Namen Schande machten. Durch das ungeregelte Etappenwesen kam es vor, daß Mannschaften, die, aus dem Lazareth entlassen, zu ihren Truppentheilen zurückkehren wollten, nicht die richtigen Wege gewiesen wurden, und so mehrten rechtschaffene Soldaten die Klasse der Marodeure zu einer recht ansehnlichen Meute. Unzweifelhaft haben die Erfahrungen des Jahres 1866 erwiesen, daß in Bezug auf Verpflegung. Lazarethwesen und Etappenernrichtungen, wie auch Feldpost Vieles zu wünschen übrig blieb, was zum großen Theil unter den viel schwierigeren Verhältnissen des Feldzuges 1870 wesentlich gebessert wurde. Einen besonders angenehmen Eindruck machte mir auf dem Marsche bis

Prag

die

etwa

15000

Einwohner

die nicht durch den Krieg geschädigt war.

zählende

Stadt

Kuttenberg,

Ueber Schwarz-Costeletz kamen

wir am 13. August nach Prag, das voll von allen möglichen Offizieren steckte und wo ich fast alle Bekannte auf der Sophien-Jnsel und bei Chlumetzki (Restaurant) antraf. Nie Alles war unzufrieden und fand dies ja nicht zu leugnen, daß den Feldzug fröhliche Schneid des Leutnants zu

habe ich so viel schimpfen hören. oder das falsch gemacht. Es ist 1866 zum guten Theil der frische einem solchen Ende gebracht hat.

Ganz vereinzelt nur ist von einer Führung größerer Truppenkörper Etwas zu verspüren.

Am Eklatantesten freilich trat dies bei den großartigen

Erfolgen der 1. Garde-Division bei Chlum und Rosberitz in der Schlacht bei Königgrätz hervor. Jeder nahm die Masse der eroberten Geschütze für sich in Anspruch, und viel Papier mußte verschrieben werden, um mit annähernder Gerechtigkeit die Geschütz-Douceur-Gelder zu vertheilen. Wie schwierig war die Vertheilung der Kriegsorden, namentlich auch die Ver­ leihung des xour 1s raärits! Ueber die moralische Zerstörung Prag's ist oben genug gesprochen. Jetzt war noch die Cholera hinzugetreten, welche die Gemüther bedrückte.

Diätetische Maßregeln sind augenscheinlich von Werth.

Ich

aß weder

Kartoffeln, Gurken, Obst, Gemüse, trank weder Bier noch Wasser und habe keine Abweichung verspürt, trotzdem ich durch meine Pflicht als Vorgesetzter mehrfach mit Cholerakranken direkt in Berührung kam. Wir rückten über Schlau nach Sa atz und muß ich sagen,

daß

dieser nordwestliche deutsche Theil Böhmens ein reiches, wohlgeordnetes, gut bestelltes Land

ist

— wir erlebten

dort die reiche Hopfenernte,

kauften Rebhühner für 10 Kreuzer —, das sich auch wol bis auf den heutigen Tag diesen Charakter bewahrt hat, trotz sonst in Böhmen das Czechenthum die traurigsten Fortschritte gemacht hat. So angenehm der Aufenthalt in Saatz war, so war die Freude groß, als der Befehl kam, über Dresden nach Königsberg zur Entlassung befördert zu werden. Grade

in

der letzten Zeit

hatte ich Gelegenheit,

mit mehreren

Leuten der Kompagnie in näheres persönliches Verhältniß

wegen ihrer

häuslichen Verhältnisse zu treten, und habe ich die Erfahrung gemacht, daß der Staat damals nicht ausreichend für die zurückgelassenen Familien sorgte.

Wenn dies auch besser geworden ist, so muß Staat

und Kommune wirklich ausreichend für die zurückgelassenen Familien der eingezogenen Reservisten-

und

Landwehrleute

sorgen.

Die Ruhe

im

Gemüth, zu wissen, daß Frau und Kinder zu Hause nicht darben, stärkt den Muth, stärkt den soldatischen Werth des Mannes, wirkt demnach für König und Vaterland, Kaiser und Reich.

Die moralischen Eigenschaften

sind es schließlich mehr als alle Andere, die den Sieg bringen. Wir Offiziere erhielten seit dem l0. August 5 Thaler täglicher Verpflegungsgelder, Unteroffiziere und Mannschaft auch beträchtliche Auf­ besserungen an Verpflegung und Geldzuschüssen, was dem zum Gouverneur von Böhmen ernannten General Vogel von Falckenstein zu danken war, der bereits in Jütland in gleicher Weise gehandelt hatte.

Solche von

dem okkupirten Lande bezahlten Gelder vermehren den Trieb nach Frieden, haben

deßhalb

einen

sittlichen Werth.

Wir

erhielten

diese Gelder in

blanken Friedrichsd'or, die ich zum Theil noch lange bewahrte.

In einem

siegreichen Kriege fehlt es an Geld nie; großenteils hat man Geld, ohne Gelegenheit es ausgeben zu können. Am 28. August maschirten wir von Saatz über Teplitz, Lauenstein, Dohna nach Dresden, von wo wir über Posen nach Königsberg in Preußen 40 Stunden lang fuhren, um mit Nichts sagenden Redens­ arten vom Ober-Präsidenten Eichmann am 5. September begrüßt und recht miserabel einquartirt zu werden. Von Eberstein: Kriegserlebnisse.

In ganz ähnlicher Weise wurden 3

34 wir in Berlin nach dem ebenso glanzvollen als anstrengenden Tag des Einzuges am 16. Juni 1871 in wüsten Kellerräumen untergebracht, da die Einquartierungs-Deputation nicht mal so viel durchsetzte, an einem solchen Ehrentag für die Armee, an einem solchen Freudentag für die Nation jede Ausqnartierung für unstatthaft zu erklären.

III. 1870/71. Ueber den Feldzug 1870/71 ist sehr viel geschrieben worden, ich selbst habe eine Studie in möglichst populärer Abfassung über „Metz 1870" versucht. Am Meisten ist der 16. August behandelt worden, der Tag von Mars la Tour, Vionville-Rezonville, da an diesem Tage die preußischen Korps und Cavallerie-Divisionen gegen große französische Ueberlegenheit durch das Halten des Schlachtfeldes sich den Sieg zusprechen durften. Jetzt hat nun auch der französische Generalstab die Veröffent­ lichung der amtlichen Aktenstücke bis einschließlich zur Schlacht von Sedan annoncirt. Mit Recht führt das M. W. Bl. in No. 55 1899 aus, daß diesem Unternehmen mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen sein wird, da wahrscheinlich nur die Aktenstücke in die Oeffentlichkeit kommen, welche Bazaine als den Verräther hinstellen. In der französischen Armee sind durch den Dreyfus-Prozeß so tiefe sittliche Schäden aufgedeckt, daß kaum zu erwarten steht, daß diese Veröffentlichungen die Wahrheit an den Tag bringen werden. Die französische Armee hat sich selbst zu Grunde gerichtet und wird selbst ein Gallifet sie nicht zu retabliren verstehen. Die Armee ist der Ausdruck des sittlichen Werthes des Volkes. Die Sitte ersteigt schwer wieder eine verloren gegangene Höhe. Der Stein rollt schnell bergab, (siehe oben Bemerkung über Honig, Seite 20). Die in den Bismarck'schen Memoiren öfters wiederkehrende An­ deutung, „daß ein Krieg als Mittel nur zur Beschäftigung der Armee und ihrer Offiziere zu verwenden wäre", erscheint als eine traurige, frivole Auf­ fassung. Mit diesen Aussprüchen und Verdächtigungen beweist Bismarck,



85

daß in dem pommerschen Junker kein Verständniß übrig geblieben ist für die Gesinnungen, welche die brandenburgisch-preußische Armee und vorerst ihr Offizierkorps seit Jahrhunderten unentwegt ausgezeichnet haben.

Der

preußische Offizier räsonnirt — aber gehorcht. Unsere Armee hat sich seit 1860 vervierfacht.

Die Namen des kleinen Adels find viel­

fach aus unseren Offizierkorps gewichen.

Welcher Vater, der seit Jahr­

hunderten durch den Dienst mit der Waffe verarmte Offizier, ist bei den gesteigerten Ansprüchen werden zu lassen?

des Lebens im Stande,

seine

Söhne Offizier

Ist der Sohn nicht sonderlich begabt, so thut der

Vater besser, ihn Bauhandwerker werden zu lassen, wo die Stunde Arbeit 0,60—0,65 Mk. einbringt, als daß er ihn wieder Offizier werden läßt, der bis zu seinem 30. oder 35. Lebensjahre 600—1000 Mk. jährlicher Zubuße bedarf.

Ist der Sohn begabt, so lasse er ihn Physiker, Chemiker,

Elektrotechniker, Architekt werden, so ist seine Zukunft pekuniär gesichert. Freilich ist es in unserer Zeit, wo der Artikel 4 unserer Verfassung klar und unzweideutig lautet:

„Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich,

Standesvorrechte finden nicht statt", ganz gleichgültig, ob ein Offizier Schultze

oder Müller

heißt,

ob er Baron, Graf oder Prinz ist;

von

Wichtigkeit bleibt allein, ob er mit der Muttermilch die Gesinnungen königstreuer Hingabe eingesogen hat.

Diese Gesinnungen todesmuthiger

Hingabe für König und Vaterland haben Preußen groß gemacht, das deutsche Reich geeint und werden auch die weitere Einigung des deutschen Reiches

zu

einem

machtbewußten

König-Kaiser es befiehlt.

Deutschland

ausgestalten,

wenn

der

Der Ehrgeiz ist für den Offizier eine

der verderblichsten Untugenden.

Es kommt niemals darauf an,

es besser zu machen. Jeder muß bestrebt sein, seine Pflicht zu thun, seines geleisteten Eides eingedenk, nicht nach Orden, Auszeichnungen,

nach

Karriere lüstern

sein,

nach Ehrenzeichen, er

muß

ein

nach

Mann sein

und werden, dem die Ehre das höchste unveräußerliche Gut ist, und seine Ehre muß er vorerst darin suchen, dem Vaterlande bis zum letzten Athemzuge mit all seinen Kräften zu dienen. Offizier wird

nie

den Krieg

als

eine

Ein solcher

nothwendige Beschäftigung

wünschen, um Ruhm und Ehre zu erringen.

er-

Es erschien geboten,

den Bismarck'schen wiederholten frivolen

Auslassungen

entgegenzutreten. Im brandenburgisch-preußisch-deutschen Offizierkorps giebt es Gott Dank! keine Katkow und Skobelew; solche Leute können wir nicht brauchen, wenn auch der preußische Offizier ihren Muth und ihre Leistungsfähigkeit in den Gefahren der Schlacht bewunderte. —

36

1. Bis St. Privat.

30. Juli bis 10. August 1870.

Im Feldzuge 1870/71 war ich Chef der 5. Kompagnie 3. GardeRegiments zu Fuß.

Das Regiment stand seit 1866 iu Hannover, wurde

dort mobil.

Oberst von Ltnsingen. 1871.

Regiments-Kommandeur war Oberst vonLiusingeu, Kommandeur der 1. Garde Infanterie-Brigade General-Major von Kessel, Komman­ deur der 1. Garde-Division General-Major von Pape, Kommandeur des Garde-Korps Prinz August von Württemberg, der bereits 1866 kommandirender General des Garde-Korps war. Mein Bataillons-Kommandeur war Oberstleutnant von Hollebcn, bei der Kompagnie standen Leutnant Herlth, Leutnant Becker voll der Linien-Reserve, Leutnant von Jastrzembski I., Feldwebel Meissner. Bataillons-Adjutant war Leutnant von der Groeben. Die 8. Kompagnie führte Premier-Leutnant Fritz von Twardvwski I., die 6. Kompagnie Premier-Leutnant von Kracht, die 7. Kompagnie Hauptmann von Lobenthal.

Kommandeur des 1.

Bataillons war

Major von Segenberg, des Füsilier-Bataillons Major von Notz.

37

General von Pape. Geb. 2. Februar 1813, gest. 7. Mai 1895.

Am 30. Juli fuhren wir Vormittags von Hannover ab. Von der Begeisterung, die das ganze Volk beseelte, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. In Hannover, Minden, Bielefeld waren Damen aller Stünde bemüht, die Truppen mit allen möglichen Liebesgaben zu be­ glücken. Von Bielefeld ans steigerte sich die Betheiligung des Volkes. In den Jndustriebezirken Westfalen's und des Rheinlandes standen Tausende an den Bahngeleisen, schwenkten Fahnen und bejubelten die durchfahrenden

38 Militärzüge. In Düsseldorf

Ueberall bengalische Beleuchtung und die Wacht am Rhein. war

der Empfang auf

das Großartigste geleitet.

Mit

allen erdenklichen Liebesgaben an Cigarren, Chokolade, Wurst, Wein wurden Alle überschüttet, so daß man völlig befriedigt war, als die^ hereinbrechende Nacht auch Gelegenheit gab zu ruhe».

Andreas August Friedrich von Twardowski. Geb. 29. Juli 1839, f St. Privat.

Gegen 6 Uhr früh am 31. Juli wurden wir in Bingerbrück ausgeschifft und marschirten durch die Weinberge Rheinhessens nach Ocken­ heim.

Am 1. August ging's nach Spiesheim bei Wörstadt, wo sich der

katholische Priester die ausgesprochene Antipathie des Dorfes zuzog, als er die bei ihm quartirten Offiziere recht mäßig behandelte.

Ueber Alzey

ging es am 2. August nach Mölsheim, wo auf einem Hofe 60 Mann

39 großartiges Quartier hatten.

Am 3. nach Lambsheim bei Dürkheim, wo

des Pfälzer Wein beinahe zu viel gethan wurde.

Ein Bivak bei Jäger­

thal auf abschüssigem Bergeshange war sehr anmuthig, doch folgte ihm ein nasses Bivak bei Landstuhl zwischen Kaiserslautern und Zweibrücken, das nach sehr anstrengendem Marsch kaum Schlaf zuließ. Das Bivak bei Homburg am 6. August war in anmuthiger Gegend und Wald sehr angenehm.

Am 8. überschritten wir die französische Grenze bei

Ober-Gailbach, ich ließ mein unbrauchbares Reitpferd dem Maire und nahm an Stelle des Packpferdes einen kleinen Wagen. Die Packpserde erwiesen sich als völlig unbrauchbar und war es mir damals schon unverständlich, weßhalb bei dem Bestreben unserer Militärverwaltung, aus den Erfahrungen des Krieges 1866 Nutzen zu ziehen, diese Packpferde beibehalten waren. Jetzt ist dies in bester Weise durch den Patronen- und Packwagen der Kompagnie gebessert, um so mehr deßhalb, da die Patronenwagen der Kompagnie zur Bagage 1. Staffel gehören, deßhalb immer bei der Truppe bleiben, so daß der Kompagnie­ führer auch jetzt einen Ort hat, die Kompagniegelder zu verwahren. Im Bivak Ober-Gailbach lag im andauernden Regen die ganze 1. Garde Infanterie-Brigade und hatte dort einen unerquicklichen Ruhetag. Den strengen Lehmboden behielt man in Massen am Stiefel, so daß man völlig durchweicht fror, auch nicht genügend Nahrung hatte.

Der Abend

des 9. August brachte bei aufgeklärtem Wetter einen schönen BrigadeGottesdienst durch Bernhard Rogge.

Die Einrichtungen der Post waren

sehr gut geordnet. Am Spätabend hielt die Feldpost im Lager und nahm unendlich viel Kartei: mit. Das Wetter war anhaltend regnerisch, kalt und stürmisch, so daß die Nacht in Herbitzheim vom 10. zum 11. August im Bett beim Priester Herzog sehr erquickte.

^

Der 13. August vereinigte das ganze Garde-Korps auf Einer Straße nach Dieulouard an der Mosel.

Am Frühmorgen des 10. August schrieb

ich aus Bivak Neufvillage, am 14. aus Bivak d'Estry bei Morhange (jetzt Mörchingen). Von hier aus sprach die Einwohnerschaft nur französisch, aber von feindlicher Gesinnung war Nichts zu spüren. Alles war in höchster Spannung der herannahenden Entscheidung um Metz. Der 13. führte uns bei Dieulouard über die Mosel. Ein entsetzlicher Schmutz machte alle Quartiere, da der Ort vom GeneralKommando, Divisions- und Brigadestab überlegt war, fast unerträglich, so daß ich schrieb: „ein gutes Bivak wäre dem Schmutz vorzuziehen ge­ wesen."

Wir hörten von dem Siege bei Colombey-Nouilly und wußten,

40 daß in allernächster Zeit auch

für uns die

Entscheidung

Brot gab es nicht mehr, daher herrschte positiver Hunger.

herannahte. Die Marke­

tender hatten auch Nichts. Am 16. früh marschirten wir bei herrlichem Wetter nach Minorville bei Royaumeux und erhielt die Kompagnie den Auftrag gegen Toul zu decken, dessen Berge deutlich sichtbar waren. Am Frühmorgen des 17. August in voller Dunkelheit wurden wir allarm irt und marschirten den ganzen Tag in der Richtung auf Mars la Tour. Zu essen gab's Nichts. Bei einem längeren Halt hatte ich Gelegenheit für 1 Thaler ein Stück Brot und Speck von einem Marketender zu kaufen, jedoch reichte dies nicht aus, sämmtlichen Offizieren davon mittheilen zu können.

Eine Flasche Cognac hatte Jastr-

zembski erstanden, aber was nutzt Cognac, wenn man kein Brot hat? Spät Abends bezogen wir bei Hannonville westlich Mars la Tour ein feuchtes Bivak. In der Nacht brachte mein Fourier >/? Hammel für die ganze Kompagnie, den ich den Unteroffizieren überließ. der

Am 18. August früh wurden wir allarmirt. Bald erschien Divisionspfarrer Rogge zu Pferde und hielt wunderliche Reden,

indem er mit sonorer Stimme sprach: „Viele von Euch werden die eben aufgehende Sonne nicht untergehen sehen", doch genügte ein leise ge­ sprochenes energisches Wort, daß er mit solchen Reden aufhörte und uns verließ.

In späteren Jahren bekannte er mir, daß ich Recht gehabt, ihn

zum Schweigen zu bringen. zu sein.

Es ist nicht leicht, ein tüchtiger Feldprediger

Deßhalb schreibe ich dies unbekümmert nieder.

Der Feldprediger

wird von der Mannschaft geachtet, da die Gefahr das Herz für GOttes Wort empfänglich macht. Aber GOttes Wort muß mit Weisheit gelehrt werden; man muß los von sich selbst sein, damit ganz allein GOtt herrscht und diese Arbeit, der innersten Mission am eignen Herzen wird zu Worten führen, die beleben und im Gewehrfeuer den Muth stärken, um bis zum letzten Athemzuge die Pflicht zu erfüllen. Wir rückten in der Richtung auf Mars la Tour und versammelte sich die Infanterie des Garde-Corps westlich dieses Ortes zu einem wenigstens 4 ständigen Halt. Niemand hatte Etwas zu essen. Man sah alle Kameraden und sprach von dem Erlebten und zu Erlebenden in ernster freudiger Stimmung.

Der Feldprediger brauchte nicht zu reden.

Die Situation war ernst genug, das wußte Jeder bis zum geringsten Trainsoldaten herab.

Das XII. Korps, die Sachsen, marschirten in nicht

enden wollenden Sektionskolonnen an uns vorüber.

Jeder fragte sich:

„warum?" Doch es war so besohlen — man ließ sie marschiren.

41 Endlich nach 9 Uhr brachen wir auf. la Tour in der Richtung auf Donconrt.

Wir marschirten durch Mars Zuerst trafen wir Leichen

des Regiments 16 und 57, dann die der 1. und 2. Garde-Dragoner, der verschiedensten Cavallerie-Regimenter, dann Franzosen. Ich ließ schwärmen und sagte, die Franzosen hätten ein Stück Schiffszwieback im Tornister. Die Kompagnie solle sich vor Doucourt wieder sammeln. Ich selbst stieg vom Pferde und schnallte den Tornister eines toten Franzosen auf, um ein Stück Zwieback zu suchen.

Da kam ein Grenadier mit einem Stück

Wurst, reichte es mir, indem er sagte „hier, Herr Hauptmann, die Wurst ist gut, sie ist noch aus Hannover."

Ich dachte an

Alexander den Großen, als er den im Helm ihm dargereichten Trunk Wasser ausschüttete, gab dem Mann die Hand und dankte für die Liebes­ gabe, er solle sie nur selbst essen. Diese liebliche Geschichte führe ich auf, um zu zeigen, daß ich mit meiner Kompagnie im persönlichen Verhältniß stand. Es waren mit Sorgsamkeit alle eingezogenen Reserven der Kompagnie zugetheilt, bei der sie früher gestanden, so kannte ich fast alle Leute persönlich. In Doncourt kammein Feldwebel Meissner zu mir. Wir setzten uns auf einen Baumstamm und schrieb er mit mir die KompagnieGelder auf und alle die, welche noch an die Kompagnie Forderungen hatten. Es waren einzelne Leute dem Lazareth überwiesen worden, denen noch Löhnung zu stand, auch waren 3 Mann jeder Kompagnie am 17. zur Bewachung der abgelegten Tornister zurückgelassen worden. Es waren 231 Grenadire zur Stelle, wir hatten 277 Thaler in ver­ schiedenen Scheinen und Münzsorten, für die der Kompagnie-Chef be­ stimmungsmäßig verantwortlich war, die ich dem Feldwebel in seiner Dienstledertasche beließ, ihm, dem braven Mann, die Hand gab in der Hoffnung, daß wir noch lange zusammen arbeiten könnten, worauf er mir sagte: „Nein, Herr Hauptmanu, ich falle heut", worauf ich sagte: „Mit GOtt vorwärts!" Wir hatten nach Wasser nach Doncourt geschickt. Ehe die Leute zurück waren, wurde angetreten und formirten wir uns außerhalb der Straße in Zugfront.

Es begann das Geschützfeuer, man sah springende

Granaten. Wir marschirten in der Richtung auf St. Ail und machten etwa bis 3 Uhr Halt in einer deckenden Schlucht südlich St. Ail. Das Garde-Füsilier-Regiment und die Garde-Jäger wurden zum Sturm auf St. Marie aux Chsnes vorgezogen. Der Kampf wurde mit geringeren Verlusten durchgeführt. Wir verließen die Schlucht und stellte sich die 1. Garde-Jnfanterie-Brigade in Halbbataillons-Kolonnen zwischen St. Marie und St. Ail auf. Die 4. Garde-

42 Infanterie-Brigade war auf stand im heftigen Kampfe. Es

schlugen

St. Privat la Mvntagne

vereinzelt

verlorene Chassepotkugeln

vorgerückt und bei uns ein.

Leutnant von Helldorff vom 1. Garde-Regiment, Sohn des bei Königgrätz gebliebenen Oberstleutnant von Helldorf, bedauerte mit Lebhaftigkeit, daß es heut wieder nicht zum Kampfe käme, als ihn eine solche verlorene Chassepotkugel tot niederstreckte. Inzwischen war es 4>/s Uhr geworden. Ohne einen Befehl gehört zu haben, trat die 1. Garde-Brigade an, rechts stand das 3. Garde-Regiment, Füsilier-, 2., 1. Bataillon in Halbbataillons-Kolonne, links in gleicher Formation das 1. Garde-Regiment. Die Pferde hatten wir in der Schlucht zurückgelassen. aus

An der Tete des

der 5. und 8. Kompagnie bestehenden Halbbataillons marschirten

Fritz von Twardowski und ich. Als wir antraten, sagte Twardowski zu mir: „Welcher Blödsinn!" Ich schwieg und muß nach beinahe 30 Jahren sagen: wortlicher Blödsinn!" vorwärts.

„Welch unverant­

Aber es war befohlen und wir liefen förmlich

Die weittragenden Geschosse der Chassepots hatten den Vortheil,

daß sich Niemand drücken konnte.

Deckung war nicht vorhanden.

Wir

stürmten mit einer Vehemenz bis zum Laufschritt in den dicken Halbbataillons-Kolonnen vor. Jeder hatte das Gefühl nach vorwärts, um schießen zu können. Wir sahen keine Franzosen, etwa 2000 Meter von uns vor St. Privat lagen die Franzosen und schossen auf die ohne jede Deckung heran­ stürmenden dicken Kolonnen.

Wir überschritten die mit Pappeln besetzte

Chaussee nach St. Privat und hatten große Verluste. Vor uns sah ich meinen Freund, den Major von Notz, Kommandeur unseres FüsilierBataillons. Der linke Hinterfuß seines Pferdes war zertrümmert, er sah das unfähige Pferd an und fiel tot zu Boden. Twardowski sagte mir: „Wir müssen Halt machen". Die links von uns vorgehenden Halbbataillone des 2. Bataillons 1. Garde-Regiments hatten sich uns so genähert, daß wir keinen Platz mehr hatten, es waren somit etwa 1500 Mann in dicker Kolonne vereinigt und in solche Massen mußte jede Chassepotkugel treffen.

Nie ist ein Befehl schneller zur Aus­

führung gekommen, als mein Kommando: „Halt, nieder".

Kaum lagen

wir, als der Brigade-Kommandeur General von Kessel schrie „Vorwärts", ich: „Das Gewehr über, marsch" und neben mir fiel Twardowski. Kaum 50 Schritt weiter bekam ich einen Schuß in den linken Fuß, dicht an der Kniescheibe,

der mich

ohne

jede Schmerzempfindung niederstreckte.

Als ich lag, kam Oberstleutnant von Holleben, mein Bataillons-Komman-

43 dem, und hatte einen stark blutenden Schuß am linken Handgelenk. Ich wollte ihn mit dem Tomnikett verbinden, als er einen schmerzhaften sächsischen Granatsplitter in den Rücken bekam, er sagte „An" und wenige Sekunden darauf bekam ich einen ähnlichen sächsischen Granatsplitter. Unser Divisionskommandeur General von Pape sprach in späteren Jahren mit Vorliebe über den Tag von St. Privat, betonte, daß ihm auch der Befehl des kommandirenden Generals, der hinter einer Mauer von St. Marie hielt, überraschend gekommen sei, daß er zu wiederholten Malen der links von uns in Thätigkeit getretenen sächsischen Artillerie mitgetheilt habe, sie schösse nicht nach St. Privat, sondern in unseren Rücken, jedoch muß man all dies nicht zu tragisch nehmen. Wir siegten und ob Tausende vielleicht unnütz geopfert wurden, ehe die massenhaft vorhandene Artillerie des Garde- und X. Korps in Thätigkeit

treten

konnte —Wir siegte». Und doch war der Zweck des Tages der Sieg. Es trat ein Zurückfluthen von Leichtverwundeten und vielleicht auch Feiglingen ein, ich erhob mich auf meinem rechten gesunden Fuß, zog meinen Revolver und schrie: „Wer hier nicht bei mir bleibt, den schieße ich nieder."

In kaum 1 Minute waren gegen 100 Mann des 1. und

3. Garde-Regiments um mich gesammelt. Der Leutnant Henning von Quast-Vichel, der früher bei der Kompagnie stand, sah sich um diese Zeit veranlaßt, einen Unteroffizier des 1. Garde-Regiments mit dem Säbel zu traktiren, als er sich nach rückwärts konzentriren wollte.

Das

that im Affekt der Schlacht ein ebenso ruhiger, wie vornehmer preußischer Edelmann. Gegen 6 Uhr brannte St. Privat und als die dicken Dampfwolken das etwa 800 ra vor uns liegende Dorf einhüllten, sagte ich: „Nun könnt Ihr gehen."

Mein Lazarethgehülfe kam zu mir heran, ich

ließ meinen Stiefel aufschneiden, mich oberflächlich verbinden und ging gestützt auf einem am Arm leicht verwundeten Grenadier der Kompagnie nach St. Marie zurück. Dort fand ich Unterkunft in einer kleinen Stube, wo Oberst vou Liusin geu, der schwer verwundete Oberstleutnant von Linsin gen vom Franz-Regiment, Premier-Leutnant von Kracht, Leutnant von Rh ein baden auf Matratzen lagen; ich theilte mein Lager mit Leutnant von Kracht. Die breiten Dorfstraßen der französischen Dörfer haben die Eigenart, daß die Misthaufen vor den Häusern auf der Straße Platz haben. Dort lagen Hunderte von Verwundeten des Garde-Korps. Es war ein wenig erquicklicher Anblick. Gegen Dunkelheit des Abends kam Sergeant Höpner, jetzt Inspektor des Gefängnisses in Brandenburg a. H., zu mir, den ich als Stellvertreter

44 des Feldwebels namhaft gemacht hatte; er hatte, zu einem Requisitions­ Kommando koinmandirt, nicht an der Schlacht Theil genommen. Ich beauftragte ihn, die Leiche des Feldwebel Meissner aufzusuchen, und mir Alles zu bringen, was werthvoll vorhanden, namentlich seine schwarze

n n n n/?

Ruhestätte vei St. Marie aux CHZnes. 19. August 1899.

Ledertasche. Nach fte Stunde brachte er mir Degen, Ordensschnalle und die schwarze Tasche mit der Abrechnung, Geld und Uhr, Siegelring fehlten. Ich übergab dem Sergeant Höpner das Buch und sagte, daß er die Feldwebelgeschäfte übernehmen solle. Abends nach 9 Uhr erschien er nochmals und sagte mir, daß Leutnant Herlth, ein liebenswürdiger ge­ scheuter Mann, tot, die anderen Herren verwundet seien, Oberstleutnant von Holleben sei nicht aufzufinden, Leutnant von der Groeben tot, keiner der Kompagnieführer zur Stelle, von der Kompagnie seien 56 Grenadiere beim schwachen Wachtfeuer. Diese Nachrichten trafen mich aufs Tiefste. St. Privat ist ein wichtiger Tag für mein inneres Leben geworden. Ich wurde als 35Jähriger ein Mann. Seitdem imponirt mir Nichts mehr. Und das ist eines Mannes würdig, daß er los von sich und der Welt kommt, damit allein GOtt der HErr ist und wird. Ich darf dies unbe­ kümmert sagen. Und nachdem dies nunmehr über 29 Jahre meines Lebens Loosung geblieben, so darf ich es wol als mein durch St. Privat erworbenes Eigenthum betrachten, ein Eigenthum, das mir nicht genommen werden kann. Daher ist der an sich tragische Tag von

45 St. Privat, der mich manche Mannesthräne gekostet, in gewisser Weise der Tag meiner Neugeburt als Kind GOttes und dadurch als Mann.

Friedhof bei Lt. Marie aux Chcmes.

Am 19. Mittags schrieb ich folgende Karte: „St. Marie aux Chßnes 1'/2 Uhr, 19. 8. 1870. Jetzt erklingen die Regimentsmusiken zur Be­ erdigung der Offiziere des Regiments, der Brigade. Vom Regiment sind gefallen: Major von Notz, Hauptmaun von Herwarth, Premier-Leutnant von Twardowski, von Sauden, Leutnant von Wedelstädt, von Quast I, von Sydow I, von der Groeben II, von Jastrzembski II, von Hohnhorst, Herlth, Pawlowski, Leonhardt, Stieve, außerdem mein guter Feldwebel, der mir Freund war. GOtt mit uns! Mit Ihm vorwärts!" Es starben an den Wunden: Oberstleutnant von Holleben in Coblenz, Hauptmann von Rauch in St. Marie. Daß Holleben an der Granatkontusion, die ihm die Blase verletzte, so bald starb, war mir verwunderlich. Ich hatte durch eine ähnliche Kontusion den Rock und Hose zerrissen, und einen '/^ Meter großen blauen Fleck davon getragen. Als ich am 19. August früh das Zimmer verlassen mußte, hatte ich auf der Dorfstraße von St. Marie einen furchtbaren Anblick. Die Mist­ haufen der Dorfstraße waren wie übersät mit Gestorbenen, Sterbenden

46

wimmernden Verwundeten, und dazu der Leicheugeruch,

dieser süßliche

penetrante Geruch, den man nie wieder vergißt. Da wurde mir klar, daß ich die erste Gelegenheit benutzen wurde, um diesem Pestnest zu entrinnen. Am Nachmittage des 19. kam Vorberg, der Divisionspfarrer der 19. Division, — jetzt Superintendent in Schöneberg — der fast erschöpft mit Behagen Knochenreste einer Hühnersuppe mit Reis verzehrte, die mein guter Bursche Bnkowski uns gekocht.

Das Hungern ist sehr schwer,

schlimmer aber der Leichengeruch. Am 20. August Vormittags fuhr ich durch Hülfe des Oberstabsarzt Dr. Lauer (Leibarzt Seiner Majestät) und von Johannitern mit Haupt­ mann Lyons vom 4. Garde-Regiment fort, sah in Gravelotte meinen beim Regiment 74 stehenden einzigen Bruder, der mir eine Flasche Champagner schenkte, über Co ruh, dem Hauptquartier des Prinzen Friedrich Carl, nach Courcelles, wo wir in der Nacht zum 21. August ankamen. Am 22. Mittags war ich in Frankfurt a. M. und kam am 23. Vormittags in Potsdam an. In Frankfurt wurden wir Verwundete mit überraschender Freundlichkeit verpflegt, beschenkt und auf jede Weise unter­ stützt.

In Brandenburg

kreuzten

wir

den Zug,

in dem

General Vogel von Falckenstein mit seinem Adjutanten Ferdinand von Stülp nagel saß.

Beide stiegen aus und ließen

47

Friedhof bei St. Marie aux ChZnes.

sich der IV. der

von mir erzählen. Der General wußte noch Nichts von der Bildung Maas-Armee unter Kronprinz von Sachsen, das aus dem Garde-, und XII. Korps gebildet war, während Prinz Friedrich Carl mit I. und II. Armee vor Metz verblieb. In Potsdam wurde ich von meinem Vater und meiner Frau em­ pfangen. Damen, Mutter, Frauen, Bräute bestürmten mich wegen ihrer Verwandten — es war eine traurige und doch freundliche Ankunft. Im Wagen mußte ich mich erst ausweinen; die Erlebnisse der letzten Tage waren auch meinen Nerven zu viel gewesen. Von 231 Mann meiner Kompagnie nur 56 Mann Abends zur Stelle! Und 62 Mann wirk­ lich tot! — Es mögen hier einige Sätze Platz finden, welche die Schlacht bei St. Privat kritisch beleuchten. Jeder denkende Offizier und jeder auch nicht denkende Soldat hatte sofort nach dem Antreten von der Stelle zwischen St. Marie und St. Ail die Empfindung, was Fritz von Twardorski mir laut sagte: „Welcher Blödsinn!" Die 1. Garde Infanterie-Brigade in beiden Regimentern nebeneinander, das 3. Garde-Regiment rechts, das 1. Garde-Regiment links, Füsilier-Bataillon, II. Bataillon, I. Bataillon in Halbbataillonen hintereinander trat an. Es waren keine Schützen entwickelt. Alles geschah

48 in der Bewegung.

Alles lief vorwärts aus dem natürlichen Gefühl, an

den Feind zu kommen, um von dem Gewehr Gebrauch machen zu können. Vom Feinde sah man Nichts. Das Chasfepot der Vertheidiger von St. Privat, französische Geschütze zwischen Privat und Roncourt, die befreundeten sächsischen Geschütze nördlich St. Marie brachten in die dicken Halbbataillons-Kolonnen die ungewöhnlichen Verluste hervor. Hätte am 16. August die 5. und 6. Division ähnlich formirt den Kampf geführt, so wäre es unmöglich gewesen, daß der Held Konstantin von Alvensleben, die Generale von Stülpnagel und von Buddenbrock das Schlachtfeld bei Vionville mit dem III. Armee-Korps, unter heldenmüthiger Mitwirkung der Artillerie des III. Korps unter General von Bülow die bedeutende Ueberlegenheit des Marschall Bazaine bis zum Abend abhielt, Vionville wieder zu gewinnen. Dank auch der schneidigen Kavallerie der Brigade Bredow, Dank den Garde-Dragonern, den Regimentern des General von Barby, Dank der Mithülfe des X. Korps, der Regimenter No. 11, 40, 72. Während die Führung der Schlacht bei GravelotteSt. Privat nach vielen Seiten viel zu wünschen ließ und das Blut aller drei Waffen in heldenmüthigem Wetteifer in Treue und Disziplin diese Fehler beglich, war der Entschluß zum Angriff am 16. August des General von Alvensleben, wie das stete Bestreben des warollsr smx drnits äss eauoiis, die Führung der Infanterie in den Kompagnie-Kolonnen, der Kavallerie und Artillerie mustergültig. Der 16. und 18. August 1870 siud die entscheiden­ den Tage des Feldzuges 1870 geworden. Gewiß ist Sedan und zwar der 2. September 1870 durch die Gefangen­ nahme Louis Napoleon's berechtigt, als Nationalfesttag der deutschen Nation, der preußisch-deutschen Armee ge­ feiert zu werden. Aber der Sieg von St. Privat ist der bedeutendste Tag

im

Feldzuge 1870/71.

Das wird Jeder

zugeben, je mehr er sich vertieft in die Geschichte des Krieges. Die 7000 der Garde-Infanterie sind nicht umsonst gefallen, getötet oder verwundet. Den Sieg muß der Soldat in jedem Kriege erstreben. Wir können trauern über die, welche gefallen, wir dürfen trauern, weil Tausende unnütz,

durch

die Fehler

der Führung

fielen, — aber wir

müssen als Soldaten nicht trauern, sondern GOtt danken, daß wir siegten. Und so freue ich mich des Tages von St. Privat, werde stets dankbar sein, diesen Tag in den Reihen der 1. Garde-Jnfanterie-Brigade mitgemacht zu haben.

49

2. Paris bis zum Waffenstillstände. 24. September 1870 bis 29. Januar 1871. Meine Wunde dicht am linken Knie, ohne den Knochen zn verletzen, heilte durch Behandlung von lauem Kamillenthee sehr schnell. Eine leichte Knochenhaut-Entzündung war das Schwierigste. Die Kontusion am Rücken schmerzte kaum und blaßte nach und nach ab. Sedan, der Vormarsch auf Paris beschäftigte mich aufs Wärmste.

Rittmeister Brix. 187N.

Da ich zum Einzug in Paris nicht zu spät komme» wollte, reiste ich am 16. September mit offener Wunde nach Frankfurt a. M., traf Vvn Eberstein: Kriegserlebnisse.

4

50 dort Rittmeister Brix von den Ulanen (nachher Geheime Kriegskanzlei) und einen Premier-Leutnant Studt (jetzt Ober-Präsident von Westfalen), der mit offener Ordre Karten des großen Generalstabes nach Versailles bringen sollte.

Leutnant Studt.

187«.

Ober-Präsident in Westfalen, jetzt Kultusminister.

Wir beschlossen die weitere Reise zusammen zu machen und fuhren am 16. September über Darmstadt, Mannheim nach Weißen bürg, wo wir übernachten mußten.

Am 17. Mittags ging's nach Nancy, Nach­

mittags nach Pont-L-Mousson, wo ich im Lazareth den Oberstleutnant Bernhard von Stülpnagel vom 1.

Garde-Regiment besuchte, der bald

darauf in Mainz seinen Wunden erlag. mit

Nach Commercy mußten wir

elenden Leiterwagen vorlieb nehmen.

Ich kam in Commercy in's

51 Quartier zu einer Matrone, welche mit ihrer Tochter allein ihren Haus­ halt besorgte und wo ich einen eigenartigen Einblick in ein französisches Familienleben that, wie ich es bis dahin noch nie gekannt hatte. Bei großer Wohlhabenheit, welche sich in dem ganzen Hause kund that, eine ungewöhnliche Einfachheit in Verpflegung. Doch wurde mir eine hervor­ ragende Flasche Bordeaux vorgesetzt. Am 19. fuhren wir auf Pferdebahn in einer Lore auf den Eisenbahnschienen nach Bar-le-Duc, wo wir ein ausgezeichnetes Quartier bei einem Präsidenten Henriot erhielten. An

meiner Wunde hatte ich

eine rosenartige Geschwulst, so

daß der

Württembergische Arzt mich in's Lazareth aufnehmen wollte, jedoch fuhr ich weiter. Nach dem guten Diner bei Mr. Henriot begab ich mich mit ihm zur gut organisirten Berpflegungsstation in Bar le-Duc, wo Hunderte von armen Frauen und Kindern mit einer vollen Abendkost mit reichlichem Brot versehen wurden. Ich führe dies besonders deßhalb an, um jüngere Kameraden anzu­ regen, jede Gelegenheit zu benutzen, um sich volkswirthschaftlich zu bilden. Bei Manövern, auf Dienst- und Generalstabsreisen wird jeder Offizier oftmals Gelegenheit haben Beobachtungen zu machen, er kann Land und Leute kennen lernen. Ich bin kein unbedingter Anhänger vom Tagebuch­ führen, da ich zu oft erfahren habe, daß die Schreiber von Tagebüchern in Eitelkeit und Selbstüberhebung Ungewöhnliches leisteten. In besonderen Zeiten aber halte ich sachlich gehaltene Darstellungen von Gesehenem und Beobachtungen für sehr bildend. Gewöhnlich wird man Offizier in einem Alter, wo die Meisten anderer Stände noch auf der Schulbank sitzen. Ist man im Kadettenhause gewesen, hat mau sich privatim zum Fähnrichexamen vorbereitet, so wird jeder junge Offizier beim Bestreben nach

Selbsterkenntniß

zu dem

wenig gelernt zu haben.

Bewußtsein

kommen,

zu

Diese Selbsterkenntniß ist das

beste Fundament sich selbst weiter bilden zu wollen. Und die Bekanntschaft mit dem Leben im gesellschaftlichen Verkehr, wie in fremden Häusern — ob beim Bauer, Pastor oder größerem Besitzer ist ganz gleichgültig — wird die Fülle von Gelegenheiten darbieten, besser als Assessoren durch die staubigen Akten sich fortzubilden. Dies ist auch der Hauptgrund, daß in unseren Kolonien die Assessorenweisheit, die hauptsächlich in Gesetzkenntniß und Gedächtnißkram besteht, meist der Er­ fahrung praktischer denkender Offiziere sich als untergeordnet erwiesen hat und erweist. Wird dies nicht geändert, daß die Examina zur Verwaltungs­ und Justizkarriere auf anderen Fundamenten basirt werden, so wird die Bildung eines praktischen Offiziers denen stets überlegen sich erweisen, welche aus vergilbten Akten ihre Weisheit schöpften. 4»

52 Am 20. kamen wir in Lore nach Vitry le Francais zu einer Mme. Vinciennes, wo wir sehr gut aufgenommen wurden. Am 21. Mittags trank ich das erste Glas Champagner im Hotel Dien in Chalons, am Abend des 21. bei Mr. Papelart in Epe rn ah wieder Sekt, wo wir die Nachricht von dem Gefecht bei Sceaux südlich Paris empfingen. Auch trafen wir dort mit den von Sedan nach Versailles reisenden medizinischen Größen zusammen, unter denen mir der geistvolle vortreffliche Generalarzt Geheime-Rath Dr. Wilms bekannt war.

Am

23. waren wir in Meaux und am 24. ich in Roissy, wo sich unser 2. Bataillon mit dem General-Kommando des Garde-Korps befand. Die Dörfer um Paris waren völlig von Einwohnern verlassen. Großartige Ernte stand auf den Feldern, Rüben, Kartoffeln, Luzern in ungewöhnlicher Pracht. Die Getreideschober waren meist verbrannt, über­ haupt Alles möglichst verwüstet, um den gehaßten Preußen die Unterkunft zu erschweren. Am 25. bestellte ich mir auf Sturzacker bei Roissy die Kompagnie. Die Ersatzmannschaften waren bereits eingetroffen, so daß die Kompagnie beinahe die volle Kopfstärke hatte, unter denen viele Leute, die nicht bei der Kompagnie gestanden hatten.

Ich begrüßte die Kompagnie und sagte:

„Einer unter Euch ist ein Schuft, der den Feldwebel Meissner am Abend des 18. August beraubt hat. Ich ver­ pflichte Jeden, mir direkt zu melden, wenn ihm Etwas davon bekannt wäre oder würde."

Und zur Stärkung des Entschlusses, mir selbst Ver­

muthungen sofort mitzutheilen, wurde mit gepacktem Tornister 2 Stunden im Sturzacker langsamer Schritt geübt. Nachmittags wurde die Uebung fortgesetzt.

Abends am 25. September klopfte es an meiner Thür.

Ein

schüchterner Hornist erzählte mir, daß der Bataillonstambour die Uhr des Feldwebels Meissner mit silberner Kette habe. Ich ging zur Wache, nahm mir 2 Mann und begab mich zu dem Nichts ahnenden Bataillonstambour, ließ vor ihm die Leute scharf laden und sagte ihm: „Sie sind Arrestant!", brachte ihn in ein gut verwahrtes Zimmer neben der Wache, reichte That­ bericht ein und dem Sergenant, der mit Feldwebel Meissner vor 12 Jahren bei derselben Kompagnie 1. Garde-Regiments als Ersatzrekrut eingestellt war, wurde bewiesen, die 277 gestohlenen Thaler an seine Braut in Hannover in kleinen Raten geschickt zu haben. Er wurde degradirt und erhielt 12 Jahre Zuchthaus. Das sind die Hyänen des Schlachtfeldes.

Es mögen ja

auch Marketender oder Marketenderfrauen sich solcher Verbrechen schuldig gemacht haben. In den meisten Fällen sind es aber gute Freunde, deren Gemeinheit so lange geschlummert hat, bis die Versuchung auf leichten

53 Gewinn sie zum Verbrecherthum führt.

Eine sehr traurige Erfahrung.

Meine Stellung mit der Kompagnie wurde aber dadurch klar und bin ich selten verpflichtet gewesen, ferner zu strafen. Ein sehr schöner Herbst machte den Aufenthalt vor Paris zu einem anregend hübschen. Die Nahrung war einseitig. Die Rinderpest hatte Tausenden von Ochsen das Leben gekostet. Hammel und Hammel und immer wieder Hammel war bis nach Weihnachten unsere stete Fleisch­ nahrung. Ich wurde der Ansicht, daß von allen Fleischsorten der Hammel noch die geeignetste als dauernde Fleischnahrung ist. Das schöne Gemüse, Blumenkohl, Artischocken, alle Kohlarten, Rüben erleichterten die Ein­ tönigkeit der Nahrung. Wir ernteten das Gemüse, Obst, Kartoffeln, Luzern, was sich alles sehr praktisch erwies. Meine Sorge, den Einzug in Paris zu versäumen, erwies sich bald als falsch.

Es ist wol kein Zweifel, daß die bessere Ausnutzung und

größere Ausdehnung des Gefechtes bei Sceau unsre Truppen nach Paris führen konnte. Denn die Ankunft der Preußen kam den Parisern über­ raschend, sie waren mit der Ausrüstung der Vertheidigungsmaßregeln noch nicht fertig, hatten die Geschütze nicht eingestellt, die Munition nicht zur Stelle, so daß ein energischer Sturm wol den Erfolg mit sich bringen konnte. Auch dies wird richtig sein, daß ein Sturm in der dritten Decade des September weniger Opfer gekostet hätte als die bis Ende Januar dauernde Belagerung von Paris. Doch sind dies ja nutzlose Betrachtungen, die ich

nicht berührt

hätte, wären nicht meine Briefe aus Anfang Oktober von denselben er­ füllt gewesen. Bedenkt man, daß wir etwa 121,000 Mann zur Cernirung von Paris am 19. September zur Disposition hatten, daß in Paris wol drei mal so viel Soldaten vorhanden waren, so liegt es auf der Hand, daß ein Sturm auf Paris als gewagtes Unternehmen erschien. Am 12. Oktober kam das Bataillon von Roissy nach Sarcelles, das bis dahin vom IV. Korps besetzt war. Wir bekamen den Ort Pierrefitte als Vorpostenort. Wir lösten die Vorposten Abends 7 Uhr in der Dunkelheit ab, da die Franzosen von St. Denis aus, Double Couronne, Aubervilliers, Fort de llEst jede Gelegenheit benutzten, ihre Bomben selbst auf einzelne Preußen abzuschießen.

Eisen und Blei wurde

von den Franzosen förmlich vergeudet, und es ist gewiß richtig, daß jedes Pfund Preußenfleisch mit 1000 Kilogramm französischen Eisen und Blei erkauft wurde. Unsre Verluste waren sehr unbedeutend, aber das Gefühl, stets, auch in den Ruhequartieren, wie in Sarcelles, durch einen französischen Zuckerhut getötet werden zu können, wirkt doch auf die Dauer nervenverstimmend, und habe ich keinen Kameraden kennen lernen,

Kaizenmutter in Sarcelles.

55

der dies nicht zugab. Ob jung oder alt, das macht nach der Seite kaum einen Unterschied. Es ist ein allgemein menschliches Empfinden, das seine volle Berechtigung hat. Somit war es die Länge der Zeit, welche das stolze Gefühl des Sieges herabstimmte. Die oft wiederkehrenden Depeschen des Generals Podbielski: „Vor Paris nichts Neues" sind ja im Vaterlande sprich­ wörtlich geworden, ja mehr, der Krieg dauerte zu lange, die Begeisterung stumpfte ab, die rückkehrenden Truppen wurden vielfach lau empfangen. Es ist dies ja auch naturgemäß. In Pierrefitte war nur ein Greis zurückgeblieben, der sich von den Ueberbleibseln preußischer Nahrung ernährte. In Sarcelles war eine alte Frau, die um ihr Kamin einige 30 der schönsten Katzen versammelte, welche auch von den Preußen ernährt wurden. Die Katze ist ein Haus­ thier und verläßt nur gezwungen das Haus, dem sie angehört.

R. 8!-. v. L. v. ir

Englisches Haus in Pierrefitte.

Pierrefitte war ein schöner Villenort, so daß dort Alles zu haben war, was der verwöhnteste Geschmack begehrte, Meubles, Geschirr, Bilder in Oel und Stich, Bücher in den geschmackvollsten Einbänden. Nach und nach verkamen und verrotteten die Sachen. Es saßen Posten in den Laufgräben auf den schönsten seidenen oder Plüschfauteuils, die wieder ersetzt wurden, wenn sie durchgesessen waren.

i-O

Komfort aus Doppelposten (Pierresitte).

57 Die Repliabtheilungen waren in Kellern untergebracht. in Fülle vorhanden.

Wein war

Oft fand man in Gärten unter Bosketts Hunderte

von Flaschen Bordeaux der feinsten Marken.

Silberkaften zu 24 Bestecken,

Papiere bis über 100000 Francs Werth habe ich der Mairie in Sarcelles übergeben.

Der Krieg ist eben Krieg der Nation gegen die Nation,

und wurde nicht mehr von den Proklamationen gesprochen, welche beim Betreten des französischen Bodens erlassen waren, in denen der Krieg gegen Napoleon, nicht aber gegen das französische Volk proklamirt wurde. Seit die Franktireurs aufkamen, seit fanatische Weiber hinterlistig deutsche Soldaten niederschössen, seitdem wurde von Jedem solche Proklamation für widersinnig aufgefaßt.

Als der König in den Tagen des September

in Ferrisres, dem großartigen Rothschild'schen Schlosse bei Lagny,

das Hauptquartier aufgeschlagen

hatte,

blieb

des

welt­

beherrschenden Juden Weinkeller unberührt, was später wol auch nicht geschehen wäre.

In späteren Kriegen wird das Dynamit wol mehr An­

wendung finden, da der Krieg mit allen Mitteln der Technik geführt werden wird und alles das dem Boden gleich gemacht werden muß, was uns nicht Nutzen bringen kann.

Künftige Kriege werden Nationalkriege

sein und müssen mit aller erdenklichen Energie geführt werden, damit so bald als möglich die feindliche Nation zu Boden geworfen wird, um den Frieden zu erringen. Den Befehlen des General von Pape muß mit besonderer An­ erkennung gedacht werden.

Nach diesen sollte Alles vermieden werden,

um die Franzosen zu reizen.

Es durfte nicht wieder geschossen werden.

Es sollte möglichst stille auf Vorposten sein.

Es hat sich bewährt, daß

wir mit ungeladenen Gewehren die Vorposten besetzten.

Es war und wird

auch für die Zukunft zu empfehlen sein, das Rauchen den Vorposten und Posten zu erlauben.

Wer raucht, schläft nicht und die paar Momente,

die den Posten mit seiner Pfeife beschäftigen, also abziehen, werden durch die gesteigerte

Aufmerksamkeit

reichlich ersetzt.

Der nächtliche Angriff

eines Zuges der Garde-Füsiliere auf Schloß Villetaneuse bei St. Denis hätte beinahe dem waghalsigen Offizier eine kriegsgerichtliche Untersuchung wegen Ungehorsams eingetragen, endete aber mit

der

Dekorirung des

ungehorsamen, selbst verwundeten Offiziers. Steigerte sich das Feuer der vorliegenden Forts, so war es das Gerathenste, Alles in die vorderste Linie zu ziehen, da man von dort am Besten beurtheilen konnte, ob die meist aus Scharten feuernden franzö­ sischen Geschütze uns Schaden bringen konnten.

Das Getöse der Geschütze

war manchmal furchtbar, die meisten der Bomben, die bis zu 0,75 Meter hohen Zuckerhüte krepirten nicht und sind noch heute, vielfach zu Kande-

Bombensicher eingedeckt. Tranchee Kompagnie Pterrefitte.

59 labern verarbeitet, als Schmuck unserer Offizier-Kasinos zu sehen. 3. Garde-Regiment schenkte

Dem

ich zwei entladene Bomben kleinerer Art,

welche noch heut das Kasino schmücken. Die Ruhetage in Sarcelles wurden stets zu einfachsten Exerzier­ übungen benutzt, um die Disziplin zu erhalten.

Oftmals hörte ich die

bewundernden Ansdrücke von Franzosen über die strammen Griffe und den strammen langsamen Schritt, der geübt wurde, neben fortdauernden Zielübungen und Distanceschätzen.

Das stramme Exerziren ist das beste

Mittel für Erhaltung der Disciplin neben Reinlichkeit im Anzüge, Knöpfe putzen: jede unnütze Abweichung vom vorschriftsmäßigen Anzuge ist zu vermeiden. Die schöne Umgegend von Paris regte mich an, dieselbe zu durch­ streifen, ich ritt möglichst täglich meine zwei Pferde und wurde dadurch so orientirt in der Umgegend bis zu 2 Meilen Umkreis, daß ich keinen Ort der Erde so genau kannte als den nordwestlichen Theil der Umgegend von Paris. ritt ich

Da man sich nicht an die Wege zu halten nöthig hatte,

meist direkt von einem Kirchthurm zum anderen.

einsamen Ritte erhielten mich frisch und gesund.

so

Diese meist

Die Natur ist das

Schönste auf dieser Erde, stärkt die Nerven und läßt die Betrachtung des Ichs zu.

Das Hegel'sche Ich-Ich habe ich vor Paris gründlich studirt.

An Stelle des verstorbenen Oberstleutnant von Holleben hatte der Major von der Lochau unser Bataillon bekommen, mit dem ich dauernd in bestem Einvernehmen stand trotz der verschiedenen Lebensanschauungen. Zur Kompagnie waren Leutnant Henning von Quast (jetzt auf Bichel) und Leutnant von Wegnern gekommen, mit denen in Pierrefitte und Sareelles manche Parthie Whist gespielt wurde.

Beide waren mir sehr

sympathische Menschen, sind mir noch heut liebe Freunde geblieben. Wir aßen in meinem Quartier,

mein Trainsoldat Bukowski,

ein

besonders

reinlicher Mensch, kochte mit steigernder Akkuratesse, und da Nichts zu kaufen war, so hatten wir Geld in Fülle und wanderte mancher Thaler nach Hause. Die

Intendantur hatte verfügt,

ich

sollte

die

277 Thaler,

die

meinem gefallenen Feldwebel Meissner bei St. Privat geraubt waren, ersetzen, da ich als Kompagnie-Chef dem strengen Wortlaut des Gesetzes nach verpflichtet war, diese Gelder bei mir zu führen.

Doch gelang es

mir durch wiederholtes Widerstreben, das Geld aus der Staatskasse ersetzt zu erhalten. Erinnerlich ist mir, daß in Pierrefitte

am 21. Dezember mir der

treue Bukorski unter dem heftigsten Geschützfeuer eine Tasse Hammel­ bouillon mit einem Stück Brot in den Laufgraben brachte.

Es war mir

60 eine Freude, dem treuen Menschen durch den Bericht dieser Thatsache eine dauernde Pension zu erwirken, als er in Folge von den Strapazen des Krieges siech geworden, mehrmals von seinem Bezirks-Kommando mit seinem Anliegen abgewiesen war. Die Dienstbeschädigungsatteste

müssen

pagnie-Chefs

ist

ausgestellt werden.

Manchmal

von

man

den

Kom­

außer Stande

selbst bei bestem Gedächtniß allen Anforderungen zu genügen, die oft noch nach 10 Jahren herantreten. Ordnung in der Buchführung ist von hohem Werth und hat es mir oft leid gethan, daß ich nicht die viele freie Zeit vor Paris dazu benutzt hatte, persönlich Nationale aller Leute der Kompagnie aufgenommen zu haben.

Nur eine solche Maßregel

ist im Stande, allen Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Im November kam ein pommersches Elternpaar nach Sarcelles.

Ihr Sohn, ein schöner ausgezeichneter Gefreiter der Kompagnie,

war als tot bei St. Privat in den Listen geführt. Sonst hatten sie Nichts gehört. Die wohlhabenden Bauern machten sich nach dem Fall von Metz auf, um persönlich zu recherchiren. Alle ihre Bemühungen waren vergeblich, und nun kamen sie nach Sarcelles zu dem KompagnieChef ihres Sohnes. Ich hatte den mir wohlbekannten Mann noch am 18. August gesehen, vernahm in ihrer Gegenwart alle Leute, welche St. Privat mitgemacht hatten, jedoch wußte Niemand, wann und wo der Gefreite gefallen. Da es ausgeschlossen war, daß irgend ein Mann in französische Gefangenschaft, auch bei dem späteren Sturm von St. Privat gerathen sein konnte, so

verließen mich die treuen Eltern thränenden

Auges, indem sie sagten, daß seit Jahrhunderten der Bauernhof immer von Vater auf Sohn gegangen sei, und nun ihr Einziger auf dem Nach­ felde von Metz als Toter verschollen wäre. Es mag hier angebracht sein für eine gesetzliche Bestimmung zu Plaidiren, die für den Krieg durchaus nothwendig erscheint. Es betrifft dies den Schutz der Leichen. schon 1870 in Geltung gewesenen

Durch die striktere Durchführung der Erkennungsmarken ist es zwar

möglich, allen auf dem Schlachtfelde beerdigten Todten diese Erkennungs­ marke abzunehmen, wenngleich es bei solchen Massenschlachten sehr schwierig bleibt, dies gewissenhaft durchzuführen. DasAusgrabenvonLeichen, das

Suchen nach

Leichen,

um

dieselben

Heimath zu betten, müßte verboten sein.

später in der Es wird dadurch

die Ruhe der Andern gestört. Wer beerdigt ist, bleibt, wo er liegt und wartet dort der Posaune der Auferstehung. Es ließe sich dieser Wunsch durch manche Erfahrung begründen, doch würde dies zu weit führen, zumal es in Regionen führt, die lieber der Vergessenheit erhalten bleiben. —

61 Le Bourget liegt längs der Chaussee von Paris nach Compiegne, etwa 11 Kilometer von der Enceinte nördlich und war mit der schmalen Seite Paris zugekehrt, hatte 1870 etwa 2000 Einwohner.

Man hatte

es mit einer Kompagnie der 2. Garde-Jnfanterie-Division besetzt, da man nicht die Absicht hatte, es dauernd in den Bereich der Vorpostenstellung zu ziehen.

Dies war von Anfang an ein Fehler, da halbe Maßregeln

im Kriege niemals angebracht sind.

Am Frühmorgen des 28. Oktober

griffen die Franzosen Bourget an und drängten die Kompagnie heraus. Ein Versuch, Bourget wieder zu nehmen, mißlang in der Nacht zum 29. Oktober und verlor das 2. Bataillon des Franz-Regiments nicht un­ beträchtlich bei diesem mißglückten Vorstoß.

So befahl der Kronprinz von

Sachsen, Bourget mit allen verfügbaren Mitteln zu nehmen.

Es ist viel

darüber gesprochen worden, ob dieser Befehl zutreffend war, Bourget lag so ungünstig, daß dies sehr zweifelhaft ist. War der Befehl, Bourget zu nehmen, berechtigt?

War es noth­

wendig, daß Tausende von Soldaten für dieses ungünstig gelegene Dorf geopfert wurden?

Bourget blieb bis zu Ende Januar 1871 ein steter

Zankapfel; schließlich war von den Franzosen ein halbkreisförmiges Lauf­ grabensystem um Bourget hergerichtet, das viel Unruhe brachte. Mir wurde erst in Monfermeil und Gagny später — Anfang De­ zember — klar, weßhalb der Kronprinz Albert von Sachsen, der ArmeeKommandant der IV. (Maas-) Armee, diesen Befehl erließ.

Als die

Sachsen, das XII. Korps, am 18. und 19. September zur Cernirung von Paris schritten, war der Mont Avron in deutschen, in der Sachsen Besitz

gekommen.

Nach

und nach ohne irgend nennenswertste Gegen­

maßregeln hatten die Franzosen den Mt. Avron in ihren Besitz gebracht. In Gagny fand ich unglaubliche Zustände vor.

Das halbe Dorf war

in französischen Händen und die von den Sachsen aufgestellten Vorposten entbehrten jeder militärischen Idee, so daß ich schon am nächsten Tage eine Aenderung versucht hätte.

Durch unsere Ablösung kam meine Absicht

nicht zur Ausführung, und erst durch die Beschießung des Mt. Avron, mit der der artilleristische Kampf gegen Paris begann, wurden die un­ glaublichen Zustände geändert.

Um Aehnliches abzuschneiden, hatte wahr­

scheinlich der Kronprinz von Sachsen den Angriff auf Bourget befohlen. Da es mal befohlen war, Bourget wieder zu nehmen, so mußten die Maßregeln so ergriffen werden, daß ein Mißerfolg ausgeschlossen blieb. Mit 9 Bataillonen der 2. Garde-Division und entsprechender Artillerie wurde der Angriff am 30. Oktober von drei verschiedenen Seiten, von Dugny, von Drancy, von Pont-Jblouc durch General von Budritzki mit hingebendem Schneid zur Ausführung gebracht.

Wir traten am 30. früh

62 5 Uhr an und marschirten in furchtbarem Schmutz nach Arnonville und wurden dann die 5. und 8. Kompagnie nach Garges dirigirt. Wir be­ setzten die nach Stains zu gelegene Visiere und hörten von 8 Uhr ab Kanonenschüsse.

Etwa

um

10

Uhr

verstummte

das

Geschütz-

und

Gewehrfeuer. Um 3 Uhr kamen einzelne Kompagnien des AlexanderRegiments Oberst von Zenner, Hauptmann von Rössing zurück, die von Le Blanc-Mesnil über Drancy auf den Südeingang von Bourget dirigirt waren und die geringsten Verluste gehabt hatten.

Bourget soll von etwa

6000 Franzosen besetzt gewesen sein so daß der Kampf von Norden her sehr heftig gewesen war. Alles war in froher Siegesstimmung, wir waren Abends nach 6 Uhr wieder in Sarcelles. Daß der Sieg des 30. Oktober durch Wiederbesitznahme von Bourget in Paris großen Eindruck machte und alle Zeitungen lebhaftest interessirte, daß Bourget bis in den Januar hinein ein fortwährender Zankapfel blieb, daß Tausende von Menschenleben auf beiden Seiten geopfert wurden, das hat Bourget eine Berühmtheit gebracht, die es sonst kaum verdiente. Es wäre besser gewesen, man hätte Bourget überhaupt nicht besetzt, da die Lage des Dorfes in Beziehung zu Drancy und Dugny für die VorpostenAufstellung nicht Vortheilhaft war. War es möglich, früher mit dem Bombardement von Paris zu beginnen? Ich fürchte nicht, daß der unverkennbare landesverbrecherische Ein­ fluß hoher Frauen Veranlassung wurde, das Bombardement der heiligen Metropole Frankreichs zu hintertreiben, wenngleich nach den kürzlich er­ schienenen Memoiren Bismarck's die Vermuthung dazu nahe liegt, aber doch nicht erwiesen ist und wol auch kaum die Wahrheit des Geschehenen der Geschichte übergeben werden wird. Dies vorangeschickt, erscheint es nicht ungerechtfertigt, wenn ich meine damals in Briefen von Sarcelles, Pierrefitte, Garges, Stains niedergelegten Anschauungen der Oeffentlichkeit übergebe. Es ist eigen­ artig, wie man auch in untergeordneten Stellungen ein offenes Auge für das Allgemeine hat. Es ist viel über diese Frage vor Paris debattirt worden. Wenn man Monate lang beschossen wird, ohne trotz der glanz­ vollsten Siege bei Wörth, Metz, Sedan wieder schießen zu können, so liegt die Frage nahe: Sind die Verhältnisse von der Armeeführung richtig be­ urtheilt worden? Die Schwierigkeiten sind ja sehr groß gewesen. wozu sind werden.

die

Schwierigkeiten

da?

Damit

sie

Aber

überwunden

Das ist ein soldatischer Grundsatz.

So möchte ich dazu neigen zu behaupten, die Schwierigkeiten waren zu überwinden, wenn man schon im September mit den Vorbereit-

63 ungen begonnen hätte.

Nach

dem

Fall von

Straßburg mußten alle

disponiblen Belagerungsgeschütze mit ausreichender Munition nach Paris in Bewegung gesetzt werden. Wir mußten alle vorhandenen Belagerungs­ geschütze im

deutschen

Reiche

mit Ausnahme der vom Kriegsminister

Kriegsminister von Roon. 1866. Geb. so. April 1808, gest. 2g. Februar 187g.

von Roon für verwendbar erklärten Bombengeschütze nach Paris in Be­ wegung setzen.

Nach dem Falle von Toul konnte man bis Nanteuil

fahren und, nachdem der Tunnel wieder gangbar war, bis Lagny, und von da aus mußten und konnten alle disponibel zu machenden Wagen und Karren diesem Zwecke des Geschütz- und Munitionstransports zur Disposition gestellt werden. Ein Weiteres halte ich mich nicht für berechtigt zu sagen, könnte ich aus meinen vor Paris im Oktober bis Dezember geschriebenen Briefen manche interessante Details dieser Behauptung beifügen. Mit Graf Moltke habe ich diese Frage in Ragaz 1885 nicht ventilirt, er fing nicht davon an, und ich hielt mich nicht für berechtigt, ihn auf dieses Kapitel zu bringen. —

64 Als der Ducrot'sche Ausfall nach Westen auf Brie »nd Champigny

gemacht

wurde,

die Sachsen

auch

zum

Kampfe

herangezogen

wurden, marschirteu wir auf einige Tage vom 4.—6. Dezember nach Montfermeil, wo ich bei den Sachsen die wunderbarsten Zustände vorfand. Gagny war halb von den Franzosen, halb von den Sachsen besetzt.

Es

standen mehrere Posten hintereinander im Dorfe, es wurde fortwährend hin und her geknallt.

Dann waren die Vorposten mit Zerreißung der

taktischen Verbände aus den geeignetsten Leuten des Regiments zusammen­ gesetzt, was ich als einen Fehler bezeichnen muß, wie die Sachsen sowol bei St. Privat wie hier in Gagny mir nicht auf der nothwendigen Höhe der militärischen Ausbildung erschienen.

Sehr ausgezeichnet gefiel uns

der Kronprinz von Sachsen, der jetzige König Albert, durch seine einfache Ruhe, Unerschrockenheit und Klarheit.

Wir lagen in Montfermeil,

wo wir vom St. Avron aus beschossen wurden. über Muth gesagt.

Oben habe ich Einiges

Trotz des weiten Marsches in eisiger Kälte war ich

in Gagny aus Opposition muthig, Beweis dafür, daß die verschiedensten Motive diese seelische Eigenschaft zur That fördern können. die unglaubliche sächsische Aufstellung

Mich ärgerte

der Vorposten in Gagny,

sowie

namentlich das überaus sorgliche Decken des mich instruirenden sächsischen Hauptmanns,

so

daß

Sachsen einherging.

ich

stets

hoch

aufgerichtet neben dem gebückten

Abends beim Wein stieß er auf mich an, indem er

sagte, ich hätte ihm wegen meiner Furchtlosigkeit imponirt.

Ich erwiderte

dies dankend, ließ aber nicht die sächsischen Bundesbrüder leben. Das Schloß Montfermeil hat Ludwig XIV. für eine seiner Damen gebaut; die herrlich großartige Avenue und Terrasse gaben Zeugniß von dem vermeintlich Großen Frankreichs, von dem stolzen, bald in Mißkredit gekommenen I'stat o'sst inoi.

In diesen Tagen hatte das Garde-Korps

den Norden von Paris, von Montmorency bis Montfermeil, 4 Meilen, zu decken.

Um 8 Uhr Abends des 5. Dezember marschirten wir wieder

nach Sarcelles, wo wir am 6. Dezember früh 1 Uhr anlangten. Wie aber fanden wir unsere Quartiere vor? Kriege

Kameradschaft.

Jeder

beraubt mit

Das nennt man im

einer gewissen

Virtuosität

seinen Kameraden, Alles war fort, Fensterscheiben in Rohheit zerschlagen. In dieser Zeit sind meine Briefe voll Klagen über die Nervo­ sität unseres Brigade-Kommandeurs, vorragend freundlich

behandelt

hatte.

der mich immer her­

Nervosität ist

eine Eigenschaft,

die für den Krieg, namentlich bei Vorgesetzten sehr wenig angebracht ist. Eine Dame, die auf der Oirai8s loiiAns liegt und den ganzen Tag nichts Anderes zu thun hat, als über ihre Nervosität nachzudenken, mag ent­ schuldigt sein; ein nerviöser General aber kann nur Schaden bringen.

65 Ein Major Hoffmann und Hauptmann Rheinsdorf von der FußArtillerie waren nach Chelles gekommen, um die definitive Batteriestellung gegen den Mt. Avron festzustellen. Diesmal wurde es wirklich ernst. Die Artillerieoffiziere erzählten, daß 280 Geschütze mit je 200 Schuß zur Stelle seien und man beschlossen habe nun anzufangen. Den Mt. Avron hatten die Sachsen Ende September in vollem Umfange besetzt gehabt. Bei der Art Vorpostendienst konnte es nicht Wunder nehmen, daß sich die Sachsen nach und nach hatten Herausmanöveriren lassen. Die anhaltende Kälte war sehr unangenehm, zumal die Kohlen zum Heizen völlig fehlten. In den Laufgräben von Pierrefitte hatten wir Kanonenöfen aufgestellt, die aber nur wenig halfen. 24 Stunden unausgesetzt frieren, ist das unangenehmste Empfinden. Lieber hungern, als frieren, da es kein Mittel giebt, der Kälte zu währen, da man nicht

Posten in Pierrefitte.

s

X. 8^. v. ö. v. L'.

Auf Observatorium-Vorposten.

Bouffier.

67 24 Stunden ohne Unterbrechung umherlaufen kann. Es fiel Schnee, die schönen Edeltannen in den Gärten von Pierrefitte sahen herrlich aus. Wir deckten Häuser ab, nur um trockenes Holz zum Feuern zu schaffen. Meubles, Stühle und Tische gaben zu wenig Hitze, auch waren die über­ flüssigen Meubles zu bald verbraucht.

Die eingelaufenen Liebesgaben

hatten gestattet, daß jeder Mann ein wollenes Hemd und wollene Strümpfe bekam, die wollenen Decken hingen die Vorposten über den Mantel, was doch einige Hülse brachte. Man hörte, daß Oberstleutnant Alfred Waldersee an Trochu nach Paris geschickt, es würde nun das Bombardement beginnen.

Doch war

dies nur ein Schreckschuß, der ohne Folgen blieb. Am 11. Dezember trat Glatteis in Pierrefitte ein, was uns sehr behinderte.

Die Garde-Füsiliere gingen in der Richtung von Beaumont

und Compiegne gegen das Franktireur-Unwesen.

Gegen diese Vagabunden-

Krieger, woran sich auch fanatische Weiber betheiligten, kann nur die rück­ sichtsloseste Strenge wirken. Es sind ganze Dörfer niedergebrannt worden, und alle Einwohner bis auf Kinder und Greise tot geschossen. Die Furcht allein kann solchen Extravaganzen gegenüber helfen. Am 15. Dezember regnete es und wir versanken in den Laufgräben im Schmutz. aller Art,

Bretter waren nicht hinreichend vorhanden, so daß Meubles

auch kostbare, auf Holz gemalte Oelgemälde zum Belag der

Laufgräben verwandt wurden. Als Bogun von Wangenheim, der Ingenieur, das Franz-Regiment erhielt, wurde gesagt: „Sollen sich denn die Alle begraben lassen?" Er war ein tüchtiger Mensch, aber als Kommandeur eines Garde-Regiments nicht geeignet, wozu ihn General von Dannenberg empfohlen hatte. Von Paris kamen Nachrichten, daß noch immer Kühe im Bois de Boulogne vorhanden und daß man in den Restaurants ein Beefsteak für 3 Frs. haben könne. In Versailles sollten Bismarck und Roon für das Bombardement wirken, wogegen der Kronprinz mit Blumenthal die Schwierigkeiten eines unzureichend in Scene gesetzten Bombardements hervorhoben, und auch Moltke bestimmten, noch zu warten. Diese aus bester Quelle stammende Nachricht schrieb ich am 16. Dezember aus Sarcelles, erwähnte auch des Einflusses von allerhöchsten und hohen Frauen. Bis zum gemeinen Mann sickern solche traurigen Fakta durch. Das ungenirte Kartoffelbuddeln von französischen Soldaten ohne Waffen vor St. Denis nahm immer größere Dimensionen an, was doch immerhin ein Beweis war, daß in Paris Mangel herrschte, denn aus Vergnügen setzt sich ein Soldat nicht solcher Gefahr aus.

Wir konnten s*

Diner in Pierrefitte (Bastion rechts).

Der Herr Platzmajor zieht um. (Leutnant Knevel.)

70

7'

^

________ „

,-------------------------------- "--------------------------

Offizier-Wachtstube in Pterrefitte (Garten-Kompagnie). ja schießen, thaten es aber nicht, da sonst sicherlich die Forts mit Bomben antworteten, und wenn die Zuckerhüte auch wenig Schaden brachten, so war es angenehmer, wenn sie nicht flogen.

Aus Pterrefitte schickte ich am

19. Dezember im Freien gepflückte Veilchen nach Hause. Das am 2l. Dezember gegen die ganze Nordfront vollführte Bom­ bardement mit einigen Ausfällen auf Status war mehr interessant und Ohren beunruhigend als verlustreich. und die Splitter derselben Bombardement

Da die Bomben jetzt mehr krepirten

unberechenbaren Lauf nahmen, so war das

unangenehmer.

Die Ausfälle gegen Le Bourget waren

mit 20 Bataillonen unternommen und hatten auch für eine Zeit lang die Hälfte des Dorfes in französischen Besitz gebracht, auch dem Regiment Elisabeth 100 Gefangene gekostet.

Woher der 21. Dezember in den von

Versailles veröffentlichten Depeschen zu einer aufgebauscht wurde,

viel größeren Bedeutung

ist mir bis heut unklar, vielleicht wegen der 100

Gefangenen, die das Regiment Elisabeth bei Bourget einbüßte. Am 23. Dezember war wieder ein bunter Tag.

Wir rückten nach

Gonnesse und nahmen in der Richtung auf Pont-Jblon Aufstellung. scheinbares Hin

und Her

bei Kälte

und

völliger

Abwesenheit

Ein

unseres

kommandirenden Generals, der in Gonnesse in seinem Quartier verblieb. Diese Art von Indolenz übersteigt doch alle Möglichkeiten, Viele sagten

Oberstabsarzt l>>. Astmann fährt Praxis.

72

Boufsier.

Onkel Tom s Hütte Pierrefitte (Offizierwohnung). auch, daß andere seelische Motive ihn an das vor Bomben gesicherte Zimmer fesselten. Die Weihnachtstage war ich viel bei unangenehmer Kälte und scharfem Nordost in den Laufgräben von Pierrefitte, wie es überhaupt schien, als ob die Franzosen mit besonderer Vorliebe uns das Weihnachts­ fest vergällen wollten. Am 24. Dezember konzentrirten sich große französische Abtheilungen bei Bondy und Drancy, so daß auch Theile der benachbarten 7. Division zur Unterstützung durch Sarcelles marschirten. Wir hatten andauernd an Kälte zu leiden. Der mit nassem Holze geheizte Kamin konnte keine Wärme spenden, so daß man nur im Bett warm wurde. Jedoch endlich war man dem Bombardement von Paris näher getreten. Durch Pferde der Munitionskolonnen der III. Armee, durch Requisition von 2000 beschirrten Zugpferden hatte man endlich einen genügenden Wagenpark beisammen, um die bei Nanteuil und Chelles aufgespeicherte Munition weiter zu transportiren. Zur Beschießung des Mont Avron waren inzwischen Batterien fertiggestellt worden.

13

Die bei Montfermeil und Raincy und

Noisy le Grand aufgestellten Batterien eröffneten am 27. Dezember früh

8>/2 Uhr ihr Feuer. begrüßt!

Mit welchem Jubel wurde dies auch in Sarcelles Alle nicht dienstlich behinderten Soldaten liefen auf die Höhen

73

s^io,«uip ^sunsfsll

75 von Sarcelles, um auch die blitzeirden Geschütze zu sehen.

Der Erfolg

dieses Bombardements war überraschend. Der Mt. Avron wurde in kürzester Frist von allen Franzosen weggefegt. Eine verlustreiche Ver­ wüstung war erzielt. Ende Dezember begann auch die Industrie vor Paris sich Bahn zu brechen. Sektfilialen aus Rheims etablirten sich, man konnte Butter, Eier, Gänse, Fasanen kaufen, freilich war Alles sehr theuer; ich entsinne mich für 1 Pfund Kalbfleisch 4 Frs. bezahlt zu haben. Bukowski hatte sich zum Koch ausgebildet und immer mehr Offiziere nahmen an unsern Mahlzeiten Theil.

Für 1 Pfund Zucker mußte 2 Frs., für 1 Fasan 8

Frs. bezahlt werden.

Posten in «taills. Wir kamen nun auch nach Stains aus Vorposten, das weniger schön als Pierrefitte war, von wo man aber eine freiere Aussicht auf St. Denis und Auberoiliiers hatte.

Die am 28. Dezember zugefrorene

76 Jnundation gab gegen Aubervilliers keine Deckung, so daß doppelte Auf­ merksamkeit nöthig war. Gegen le Bourget hatten die Franzosen mit großem Eifer Schützen­ gräben in geschickten Windungen aufgeführt, so daß man vielfach der Ansicht war, dies viel umstrittene ungünstig gelegene Dorf ganz aufzugeben.

In meinem Hause in Stains stand folgender Vers: „Lieber Moltke, gehst so stumm Um das alte Ding herum, Guter Moltke, sei nicht dumm,

Mach doch endlich „Bumm, Bumm, Bumm" Herzens Moltke, denn warum? Deutschland will das „Bumm, Bumm, Bumm." In Pierresitte stand folgender Vers:

isu" schrieb ich am

15. April.

Nun

kam der Frühling mit Macht, die Nachtigallen vollendeten das poetische Wehen des Frühlings.

Aber so herrlich auch die Umgegend, so angenehm

der Umgang mit gleichgesinnten Kameraden,

es fehlte an wirklicher Ar­

beit, und erst die Arbeit bringt die Würze des Lebens. Am 22. April machte ich abermals mit begleitenden Husaren, die die Garde-Ulanen abgelöst hatten, eine Patrouille über Argenteuil, Bezons, Carriere nach Vesinet. Unser Divisionsgeneral von Pape erfreute sich allgemeiner An­ erkennung durch sein schlichtes kameradschaftliches Wesen, sichtslose Strenge.

wie seine rück­

Und doch kann ich ihn nicht freisprechen, daß er bei

St. Privat nicht als selbstbewußter General gehandelt hat.

Er durfte

den Befehl des kommandirenden Generals nicht ohne Weiteres ausführen. Erst mußte die Artillerie des Garde- und X. Korps gegen St. Privat mit allen aufzufahrenden Geschützen in Thätigkeit gesetzt werden.

Es

war hinreichend, daß die 4. Garde-Jnfanterie-Brigade im Gefecht gegen Jerusalem stand.

Die Truppen der 1. Garde-Division dursten erst an­

treten, als St. Privat brannte. Mit Oberst von Linsingen kam ich in dieser Zeit viel zu­ sammen.

Abgesehen davon, daß er mir andauernd sehr wohlgeneigt war,

lernte ich in ihm mehr und mehr einen echten braven ehrlichen deutschen Edelmann kennen, von dem ich nur nicht verstand, daß er sich von einem so nervösen Vorgesetzten, wie dem General von Kessel, schlecht behandeln lassen konnte.

Der Herr General würde sich wohl fühlen, wenn ihm niit

selbstbewußter Energie entgegen getreten würde, und allein nur dadurch würde erreicht werden, daß das 3. Garde-Regiment nicht als Stiefkind behandelt würde.

Jeder hatte das Empfinden, daß das 3. Garde-Regiment

sich bei St. Privat die volle Gleichberechtigung mit dem Mutter-Regiment erworben halte.

Es wirkt schädlich, wenn ein Regiment das Gefühl hat

ungerecht als Stiefkind behandelt zu werden.

Zumal dies bis auf die Jetz-

zeit fortgesetzt wird, so halte ich es für meine Pflicht, in aller Devotion

112 diese betrübende Erfahrung hier ohne Scheu auszusprechen.

Die Pflicht

des Vorgesetzten, solchen Ausschreitungen des Vorgesetzten mit männlichem Selbstbewußtsein entgegenzutreten, und selbst auf die Gefahr hin, sich selbst dadurch sein Grab zu graben, ist nie abzuleugnen.

Es ist doch

besser, daß ein Oberst Unrecht leidet, als daß ein ganzes Regiment un­ gerecht behandelt

wird.

Und

in

diesem Falle

war bei

der nervösen

gereizten Stimmung des sonst sehr gut beanlagten Generals dies ganz ausgeschlossen. männlichem

Es

Stolz

kam

nur

darauf an,

entgegenzutreten.

ihm zu rechter Stunde mit

Ich führe dies nicht deßhalb an,

weil ich mich persönlich verletzt fühlte.

Im Gegentheil wurde ich vom

Brigadegeneral mit ausgezeichneter Liebenswürdigkeit behandelt, so daß ich beinahe selbst mal das Gespräch auf dieses Thema lenken wollte. schwieg

aber

und

konnte

den

von

mir

hochverehrten

Ich

Regiments-

Kommandeur nicht dazu veranlassen, das zu thun, was ich an seiner Stelle für Pflicht hielt.

Solche psychologischen Differenzen zwischen den Vor­

gesetzten schaden der Truppe, weil sie die frische Freudigkeit zur Pflicht­ erfüllung beeinträchtigen, und das ist der Grund, weßhalb ich diese Ver­ hältnisse der Oeffentlichkeit übergebe, wodurch ich nicht das Gedächtniß der Toten verletze. An Stelle des

erkrankten General von Kessel übernahm Oberst

Graf Kanitz die 1.

Garde-Jnfanterie-Brigade, der mich in liebens­

würdigster Weise als einstigen Kompagnie-Kameraden begrüßte, als ich mit ihm 1856 mit von Oppeln, von Roon und Graf Groeben (damals Ulan von

der allgemeinen

Kriegsschule)

bei der

3. Kompagnie

1.

Garde-

Regiments unter Hauptmann Eckard von Schmeling stand. Wir hatten noch Leute aus dem Jahrgang 1855 bei der Kompagnie, denen man gönnen mußte, daß sie nun entlassen würden. Es war zu bedauern, daß die Verhältnisse in Paris und die Machtlosig­ keit der bestehenden französischen Regierung eine frühere Entlassung der der Landwehr angehörenden Reserven der aktiven Armee unmöglich machte. Die Leute kamen zu mir und erzählten von den schwierigsten häuslichen Verhältnissen, doch konnte ich Nichts thun als ihnen kleine Geldgeschenke geben,

die sie sofort nach Hause schickten.

Die Landräthe forderte ich

auf, Reklamationen einzureichen, doch war dieser Geschäftsgang zeitraubend. Die Soldaten litten ja keine Noth,

im Gegentheil,

schwierig, die Leute angemessen zu beschäftigen.

es

war

manchmal

Wir begannen Schieß­

übungen, deren Werth, durch die Nothwendigkeit nur auf höchstens 150 Meter zu schießen, zweifelhaft blieb, welche aber immer eine gewisse an­ regende

Beschäftigung

brachten.

Das

fortwährende

Detail - Exerziren,

Marsch- und Gefechtsübungen wechselten ab und konnte dieses Schießen

113 nun als Abwechselung eingereiht werden. Arbeit und Diensternst kann allein die nothwendige Disziplin erhalten. Auch darüber herrschen in der Armee sehr verschiedene Ansichten. Es ist im Kriege Nichts gleichgültig. Der Chef der Kompagnie, der Eskadron, der Batterie muß vorerst dahin sein Streben richten, möglichst durchdringend Herr seiner Leute zu sein und zu bleiben. Er muß mit rücksichtsloser Strenge darauf bedacht sein, daß die Leute stramm ihre Pflicht thun, sich keine Ausschreitungen in Bezug aus Anzug und Reinlichkeit erlauben. Es ist von höchster Wichtigkeit, daß die Leute sich gründlich waschen, ihre Knöpfe ordentlich putzen, ihre Bekleidung vorschriftsmäßig in Ordnung halten, worin die Offiziere vorbildlich gutes Beispiel geben müssen. Das ist im Frieden wichtig, das muß erst recht im Kriege berücksichtigt werden. Es ist dies ein Hülfsmittel der Disziplin, und ohne Disziplin wird eine Truppe eine gefährliche Bande. Durch die bessere Einrichtung des Etappen- und Lazarethwesens sah es auch hinter der Armee besser aus als 1866 und war man trotz der Auswüchse des Franctireur-Unwesens im Stande, die langen Verbindungen mit der Heimath vor gefährlichen Unter­ nehmungen zu schützen. Fast überall ließen sich die Ueberfälle von Franctireurbanden auf Pflichtverletzung der Etappeneinrichtuugen zurückführen. Die neuen Instruktionen über Etappenwesen, die neue Feldpostdienstordnung werden hoffentlich in künftigen Kriegen die Armee noch besser sichern als dies 1870 erreicht wurde. Am 18. Mai gingen wir nach Epinay, wo die 7. Division während des Winters gelegen hatte und wo der Ueberfall stattgehabt hatte, indem die Franzosen aus Schiffen die Seine benutzt hatten, um die Truppen der 7. Division zu überfallen, die während des Bombar­ dements in die Keller geklettert waren und die Gewehre draußen stehen ließen. Ein wunderliches Ereigniß. Wie ist es möglich, daß man sich je von seinen Gewehren trennen kann? Während des Bombardements geht man in die äußersten Linien, wo man am Sichersten ist und klettert nicht in die Keller, wo man sich allem Möglichen Preis giebt. Jetzt waren nun freilich die Bomben nicht mehr zu fürchten, immer­ hin war es aber angezeigt, den Leuten zu beweisen, daß diese Art Deckung, sehr viel Schattenseiten mit sich bringen muß. Bei der 7. Division hatte man auch die Vorsicht gebraucht, jeden Morgen bei anbrechendem Tage im Winter Stunden lang allarmirt zu stehen. Jeder Ueberfall fällt auf die zurück, die sich überfallen lassen. Am Himmelfahrtstag war herrliches Wetter, aber die bedrückenden, von Eberstein: KricgSerlebnisse.

8

114 lang hinsiechenden Verhältnisse in Paris waren deprimirend.

Kampf und

Elend aller Art, und daneben Tingeltangel, Theater, Vergnügungen in berauschender Ausdehnung. Dieses Volk ist es nicht besser werth, als daß es durch seine eigene Schande sich selbst das Grab gräbt In Epiuay Hane ich eigenthümliche Familienverhältnisse.

Als ich

von einem Ritt nach Hause kam, sagte mir mein Bursche, ich hätte Be­ such bekommen. Eine Familie Dimpre, bestehend aus Großvater, Groß­ mutter und 2 Enkeln, waren aus Paris nach Epinay gekommen, um in ihrem Hause, einer anspruchslosen Villa, Quartier zu nehmen. Diese hatte ich mir zur Wohnung ausgesucht. Eine französische Bombe hatte arge Ver­ wüstung angerichtet. Ich hatte mir zwei kleine Zimmer mit meinen mitge­ führten Meubles hergerichtet Die Großmutter, eine Elsässerin, die gut deutsch sprach, bat mich, daß sie hier bleiben durften. Die Leute hatten absolut Nichts, so daß ich eine zweite Portion gegen Bezahlung nahm und wir nun

ein gemeinsames Leben führten.

Großmutter kochte,

die Kinder

spielten auf meinem Schoße, und die ganze Familie lebte von meinen beiden und meines Burschen Portion mit uns sehr einfach und gemüth­ lich.

Der Großvater, ein geiziger Franzose, verkaufte mir den Wein,

den er noch in einem zugemauerten Keller des Hauses gefunden, wor­ über freilich die Großmutter Thränen vergoß, aber doch zuließ, daß ich weiter zahlte. So wurde diese Zeit in Epinay mir sehr angenehm und durch die einfache Kost besiegte ich bald meine Magen-Indisposition. Am Morgen des 19. Mai brachte mir mein Bursche dicke Eis­ stücke. Es hatte so heftig gefroren, daß die Platanentriebe sämmtlich schwarz wurden, der Wein, der zu blühen angefangen, völlig vernichtet war. Der Frankfurter Friede war am 10. Mai abgeschlossen und auch ratisizirt. Mein körperliches Befinden steigerte neben Sehnsucht nach Hause meine hypochondrische

Stimmung,

so daß allein nur der

Umgang mit den Kindern meiner Wirthsleute einige frohe Stunden am Tage brachte. Trotz der Ratifikation des Friedens blieb Alles beim Alten. Der Kampf tobte jetzt im Innern von Paris. Dieser schmachvolle Kampf währte nun schon zwei Monate und noch immer war kein Ende abzusehen. Die Terrasse an der Seine wurde Abends viel frequentirt.

Das brennende

Paris ließ es zu, daß man noch Abends 11'/s Uhr mit Bequemlichkeit die eingetroffenen Pariser Zeitungen lesen konnte; ich erwähne einige Kinder, die durch gutes Harfen- und Violinenspiel uns erfreuten, sich das Brot verdienten.

Es

war viel Elend

unter den

zurückgekehrten

Einwohnern, so daß man Gelegenheit hatte, Liebe zu üben an denen, die uns haßten.

115 Am 22. Mai wurden Publikationen angeklebt, wonach Paris bis zum Trocadero in den Händen der Versailler war. Der Widerstand schien gebrochen. Die Mobilgarden-Bataillone lösten sich auf, die FrauenBataillone mit der Devise s Versailles waren thatenlos verduftet.

Wir

bekamen in der Nacht zum 23. Mai den Befehl, Paris absolut abzusperren. Das Bataillon hatte den Abschnitt von St. Denis bis Epinay zu besetzen. Ich ritt in der Morgendämmerung von St. Denis bis Argenteuil und fand die Verbindung mit dem Regiment No. 26 (7. Division). wechslung in dem eintönigen Dienst hatte uns Alle erfrischt.

Die Ab­ Es giebt

nichts Schlimmeres als Mangel an Arbeit und namentlich mit einer Truppe, von der sich sehr Viele nach Hause sehnen. Aus Paris tönte fortwährend der Kampf, Gewehrfeuer,

dumpf

schallende Explosionen, Feuersbrünste mehrten sich, — es war ein tragisches Kämpfen unter den Gewehren der siegenden Eroberer. Ab und zu, namentlich bei Pantin und Belleville wollten die Mobilgarden ausbrechen, wurden aber durch unser Schnellfeuer niedergestreckt. Vom Orzemont aus sah ich am 24. Mai dem Kampf auf dem Montmartre zu. Die Tricolore wehte auf den Thürmen, die Versailler waren als Sieger bis in diese verrufensten Gegenden von Paris vor­ gedrungen. Die Nationalversammlung in Versailles hatte den Beschluß gefaßt: ^Os8 prisrss pnbügns8 ssrout äswairässs äsn8 torits

1s.

trsnos ponr supplisr Oisu ä'spsmsr nos äi8oorä8 oivils8 st äs rnsttrs UN tsrms sux rnsnx gni Q0U8 stliiAsnt".

Abends 6>/2 Ahr erscholl

wieder eine mächtige Explosion aus Paris. In Paris brannten die Tuilerien, das Hotel de Ville, das Finanzministerium, der Louvre, die großen Kohlenniederlagen, die die Nacht beinahe taghell lichteten. Die Terrasse von Epinay wurde auch von vielen fremden Offizieren besucht. Die

fortwährenden

Publikationen

von

Thiers

hatten

sich

abermals

getäuscht, der Kampf dauerte immer noch fort. Die Nachrichten von Paris waren nur dunkle Gerüchte, da absolut Nichts herausgelassen wurde. In der Nationalversammlung sagte Admiral La Roncisre: „I7ou8 ri'svon8 pln8 gu'g, norm rstirsr äsns äsinsnrs3 ponr plsnrsr^. Was hilft das Weinen von Thiers und La Roncisre? Am 26. Mai erhielten wir die Notiz, daß wir am 3. oder 4. Juni abfahren würden. Doch dauerte der Kampf immer noch fort; er zog sich mehr und mehr bis an die nördliche Enceinte von Paris, also bis in unsere Nähe. Zu verschiedenen Malen versuchten kleinere und größere Trupps bei Pantin, zurückgewiesen wurde. erbeutet

Romainville, Belleville auszubrechen, was stets Es wurden auch einfache rothe Communardfahnen 8*

116 Am 28. Mai, dem 1. Pfingsttage, war ich bei Epinay auf Vor­ posten. Paris beruhigte sich. Das grause Spiel leidenschaftlichster Er­ regung war endlich zu Ende, nachdem es 10 Wochen Frankreich an den Rand des Veiderbeus geführt. In Enghien sah ich am 29. Mai auch Oberstleutnant von Caprivi (später Reichskanzler), der mir erzählte, daß das 73. und 74. Regiment dem X. Korps zugetheilt sei. was ein Beweis war, daß man nach dem gemeinsam vergossenen Blute des Krieges die Welfen-Regimenter

nicht

mehr außerhalb Hannovers garnisoniren zu lassen brauchte. Am 1. Juni gingen unsere Fonriere ab, das IV. Korps rückte nach St. Denis, wo es noch weniger angenehm war als gleich nach der Besetzung. Es war ein ungewöhnlich unwirthliches schmutziges Städtchen. Am 3. Juni marschirten wir aus Epinay fort. Mein Abschied von meinen Hausgenossen, namentlich von den Kindern war sehr herzlich. Wir marschirten nach Mitry, wo wir Quartier nahmen, um am 4. Juni von dort unsere 84 ständige Heimfahrt anzutreten.

4. Die Heimfahrt und der Einzug in Berlin und Hannover. Wir fuhren über Soissons,

Rheims,

Thionville,

wo wir einen

12 ständigen Aufenthalt hatten, aber doch nicht nach Metz konnten, und dann über Metz, Bingen, Cöln, Hannover nach Magdeburg. Der Krieg hatte zu lange gedauert.

Von irgend freudiger Erregung, von festlichem

Empfang war nicht die Rede. Das neue deutsche Reich, der Kaiser des deutschen Reiches, Elsaß und Lothringen, die 5 Milliarden waren schon abgethane Dinge, so daß sich darüber Niemand mehr echaufsirte. Das ist der Welten Lauf. Die öffentliche Meinung ist ein wunder­ liches Ding. Je mehr man Mann wird, desto mehr muß man sie ver­ achten oder mißachten, man muß darüber stehen. Dies allein ist des Strebens und Lebens werth, das die Pointe meines ersten Briefes auf heimathlichen Boden war. Am 16. Juni zogen wir in Berlin ein.

Die Bauern in

Schmargendorf, unserem letzten Quartier, fuhren den Inhalt der Tornister, in Säcken verpackt, nach Berlin. Ich hatte darum gebeten, da es mir so schien, als ob der Tag bei heißem ruhigem Wetter große Anstrengungen bringen mußte.

Um

6 Uhr fiüh

Tempelhofer Felde und

erst um

waren

wir

aufgebrochen nach dem

6>/s Uhr Abends kamen wir in die

117 Quartiere, in dumpfe schlechte Keller mit fauligem Stroh. hatte jedem einziehenden Soldaten 1 Thaler bewilligt.

Der Magistrat Die Leute aber

hatten Recht, da sie von 1866 her den Ruhmestag des Einzuges kannten, und daher sehr gegen den Einzug in Berlin waren Die Ruhmes­ inschriften, die kunstvoll hergerichteten Ehrenpforten, die Begeisterung der Massen von Zuschauern, die siegende lorbeerbekränzte Germania mit den Kunstwerken des heimkehrenden Kriegers als Relief machten wenig Ein­ druck, da der Magen knurrte. Die Kompagnie hatte die Auszeichnung zu ertragen,

der Ent­

hüllung des Denkmals Friedrich Wilhelm's III. auf dem Lustgarten beiwohnen zu dürfen. Und nachher giug's in die dumpfen Keller vor dem Rosenthaler-Thor: die Ausquartierung müßte verboten sein.

Das hatte der Magistrat Berlin's nicht anzuordnen gewagt.

In

Hannover war der Einzug voll Begeisterung und erfrischender Herzlich­ keit, wenn auch nicht so großartig künstlerisch ausgestaltet. Die Stadt Hannover schenkte dem Regiment einen Schellenbaum für die Musik. Die Demobilmachung erfolgte sofort.

118

Die parlamentarischen Kämpfe von 1859—1866 wegen der Reor­ ganisation der Armee, welche König Wilhelm's I. eigenster Gedanke war, konnten nur zum Siege geführt werden durch die rastlose weitsichtige Energie Roon's, wie die gewaltthätige überlegene Kraft Bismarck's.

Die

Armee wird in steter Dankbarkeit des König-Kaiser's Wilhelm gedenken und seiner großen Paladine Moltke, Roon, Bismarck. Die über Erwarten in glänzendster Weise geführten Kriege 1864, 1866, 1870/71 hatten zur Einigung des deutschen Reiches geführt. Trotz alles Strebens, die Segnungen des Friedens zu erhalten, muß der Soldat das Pulver trocken halten, um jeden Augenblick mit aller Wucht da einzusetzen, wo der Kaiser befiehlt. Die Kämpfe um die Weiterentwickelung der Armee dauern fort. Der Widerspruch steigerte sich in den Parlamenten zu leidenschaftlichem Kampfe. Wir haben nach Roon bisher nur Einen Kriegsminister (Walter von Bronhart) gehabt, der seiner Aufgabe mit Kraft und urwüchsiger Energie

gewachsen

war.

Reichskanzler

Caprivi mußte

einst

für

den

Kriegsminister eintreten. Die ruZs äss nornbrss hat Frankreichs Armee überreizt, auch bei uns nicht zu unterschätzende Ueberschreitungen einer gesunden Armee­ organisation gezeitigt. Möchten die 3 Millionen deutscher Soldaten in einem Zukunftskriege Siegeerfechten, welche das deutscheReich zu dem lang ersehnten Deutschland ausgestalten! Die wirthschaftlichen Fortschritte des

deutschen Reiches gestatten

die Ausgestaltung der Flotte, damit wir auch auf dem Meere die uns lange vorenthaltene Machtstellung erringen. Möge Armee und Flotte den Aufgaben gewachsen sein, welche die Zukunft fordert! Dann darf der Ruf in Hoffnungsfreudigkeit er­ schallen: Heil Kaiser und Reich!

elbslerlemes mu Meneralfewmarschaü

L> ^ VS

Vorwort In einem reichen Familienkreise unter der Leitung vortrefflicher Eltern kam ich 4>./2 Jahre alt nach Berlin, wo ich von meinem sechsten Jahre ab den ersten Unterricht empfing. Als 9 jähriger Knabe lernte ich im elterlichen Hause den Historiker Leopold Ranke kennen, dem ich ans die Frage, welcher Mann mich am meisten in der Geschichte begeisterte, schnell die Antwort gab: „Hannibal." Als 12 Jähriger kam ich nach Unter-Tertia des Kölnischen Gym­ nasiums und wurde 1847 im Kadettenhause Wahlstatt der Quinta zu­ getheilt. In Wahlstatt hatten wir ausgezeichnete Lehrer. In Berlin kam ich zum Komfirmanden-Unterricht des Pastor Stahn, mit dem ich bis an sein Lebensende in engsten Beziehungen verblieb. Ein Lehrer meines Vaters, der kleine Professor Pischon, war im Deutschen und Geschichte ein mich fördernder Lehrer, und in Selekta regte mich besonders der applikatorische Unterricht in Logik und Psychologie des Professor Werder an. Mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (nachherigen Kaiser Friedrich), der mit dem General von Radowitz mehrfach die Vorlesungen in der Selekta besuchte, trat ich schon als Kadett in Beziehungen.

Oberst von Steinmetz, damals Kommandeur des Kadetten-

Korps, war besonders freundlich zu mir und erhielt mir diese Gesinnung auch später. 1853 kam ich

als Leutnant in's 1. Garde-Regiment

zu Fuß.

Außer dem Prinzen Friedrich Wilhelm und dem Prinzen Albrecht (Sohn) von Preußen, mit dem ich öfters Vierschach spielte, waren eine Menge deutsche Prinzen im 1. Garde-Regiment zur Dienstleistung thätig. Unter ihnen waren besonders gnädig zu mir Prinz Wilhelm von Baden und Erbprinz Leopold von Hohenzollern (jetzt Fürst).

Als Leibpage König

Friedrich Wilhelm's IV. war ich durch Seine besonderen Gnadenerweisungen mit Ihm und der Königin Elisabeth in Verbindung getreten und erwärmte sich dieses Verhältniß während der ersten Jahre als Offizier, namentlich bei den häufigen Wachen in Sanssouci, bei denen der Wache habende Offizier stets zur Mittags- und Abendtafel befohlen war. Dort lernte ich Alexander von Humboldt kennen, der stets Gast der Allerhöchsten Herrschaften war, und der mehrmals Stunden lang neben mir im Lust­ garten wandelte und. mir dadurch auf's Lehrreichste den eintönigen Dienst

122 als Rekruten än g'our- verkürzte.

Als Mentor war mir der Premier-

Leutnant von Schweinitz (zuletzt langjähriger Botschafter in Petersburg) beigegeben, der mich in die Geheimnisse des Felddienstes am Teufels-See und dem Langerwischer-Weg mit Prinz Friedrich

einführte.

Mit Prinz Friedrich Wilhelm,

Carl war ich viel in den Jahren 1856 und 1857

während meines Kommandos zur Schwimm-Anstalt des 1. Garde-Regiments zu Fuß an der Heiligen-Geist-Kirche zusammen mit Prinz Friedrich Wilhelm

Namentlich hatte ich

Gelegenheit im Bademantel mich täglich

1/2—I Stunde über alles Mögliche zwischen Himmel und Erde zu unter­

halten, und habe ich diese Unterhaltungen stets sofort zu Papier gebracht. Durch Familienverkehr im Hause des Hosprediger O. Friedrich Wilhelm Krummacher, des Gymnasialdirektors Rigler und des Geh.-Rath Wagner hatte ich geistige Anregung, in Kameradenkreisen freundschaftlichen Verkehr, so daß ich mit Schmerz 1857 die Allgemeine Kriegsschule (jetzt KriegsAkademie) in Berlin bezog, wo als Militärlehrer der Hauptmann Kriege in der Waffenlehre, der Oberst Ollech in Kriegsgeschichte, als Civillehrer Professor Ohm in der Mathematik, Professor Ferdinand Müller in all­ gemeiner Geographie, Professor Dove in Physik und physikalischer Geogra­ phie, die Professoren Köpke und Hirsch in Weltgeschichte und Litteratur­ geschichte mich voll anzogen, so daß ich nur allen Kameraden den Besuch der Kriegs-Akademie empfehlen kann. Auf der Universität hörte ich ProfessorStahl in Parteien in Staat und Kirche, Professor Ranke, Professor Köpke und Hirsch in neuerer Geschichte, und Professor Steinmeyer in Theologie. Den Vorträgen von Ranke war durch die mangelnde Elastizität seiner Sprache schwierig zu folgen.

Später zum Generalstab kommandirt, er­

neuerte ich die Bekanntschaft mit General von Moltke und seiner Frau, kam in das Haus des Kriegsminister von Roon, wurde mit den Gerlach's, namentlich mit dem Präsidenten Ludwig von Gerlach bekannt. Als Mann mit weißem Haar mit treuem Gedächtniß all der mir gewordenen Bekanntschaften mit bedeutenden Männern, übergebe ich diesen kurzen Aufsatz: Moltke"

meinen

„Selbsterlebtes mit Generalfeldmarschall Hellmuth Graf Kameraden,

da die 8 Tage, welche ich im Oktober

1885 mit Moltke in Ragaz zusammen sein durfte, zu den freundlichsten Erinnerungen meines Lebens gehören.

General Feldmarschall Graf Moltke.

1871.

Geb. s«. Oktober >800, gest. 24. April l8Sl.

Es ist besonders erwecklich, der Männer zn gedenken, die in ihrer Jngend sich mit der Noih des Lebens abfinden mußten, die im Kampfe ums Dasein oft nicht wußten, wie sie den nothwendigsten Bedingungen des Lebens gerecht werden konnten. Zu diesen Männern gehören Moltke und Roon. Und doch was sind diese Männer durch GOttes Gnade geworden! Es giebt eine sehr gute Biographie Roon's „Denkwürdigkeiten ans dem Leben des Generalfeldinarschall Kriegsministers Albrecht Graf Roon". Der Biographien über Moltke giebt es hinreichend.

Es sollen hier

nur die persönlichen Erlebnisse eines ihm in Verehrung zugethanen Mannes erzählt werden. Als junger Offizier des Ersten Garde-Regiments zn Fuß war ich im Januar 1854 das erste Mal mit dem damaligen Oberst von Moltke und seiner Fran beim Ober-Präsidenten von Witzleben in Magdeburg zu einem Bail zusammen

Ta Fran von Moltke mit Vergnügen tanzte, so

124 wagte ich,

sie um einen Tanz zu bitten und lernte in ihr eine sehr

liebenswürdige einfache Frau kennen.

Der Oberst Freiherr von Moltke

bekümmerte sich, Whist spielend, nicht um die Tänzer seiner Frau und so hatte ich nicht die Ehre mit ihm in Verbindung zu treten. Im Jahre 1863 wurde ich zum topographischen Bureau kommandirt und sprach Moltke zum ersten Male mit mir bei Gelegenheit der so­ genannten Platten-Parade. Der Chef des Generalstabes sah sich während des Winters die Arbeiten an, die darin bestanden, die in Bleistift während des Sommers aufgenommene Platte in Tusche auszuzeichnen und in Farben anzulegen.

Es war erlaubt, die Schriftlichen von geeigneten

Planzeichnern Herstellen zu lassen.

Ich machte mir nicht die Ausgabe, da

ich kalligraphisch gut schrieb, und trug mir Dies das erste Lob des General Moltke ein. Im

Jahre

kommandirt.

1865

wurde

ich

zur

kriegshistorischen

Abtheilung

Ich machte mit meiner Frau Besuch beim General von

Moltke und ist mir noch in klarer Erinnerung, als uns der General mit Frau den Gegenbesuch in der Neuenburgerstraße, 3 Treppen hoch, machte. Als ich mit meiner Frau das erste Mal zum General geladen war, stand er in elastischer Eleganz aus und ließ sich meiner Frau vorstellen. Die Frau Generalin entsann sich, mit mir in Magdeburg getanzt zu haben. Ich führe Dies nur auf, um zu sagen, in welcher Einfachheit der General und seine Frau repräsentirten. Ich arbeitete im Generalstabe die Tagebücher des Jahres 1864 durch. Es wurde mir eine ohne Namensunterschrift abgefaßte Arbeit über 1864 vorgelegt mit dem Aufträge, dieselbe kritisch zu beleuchten. Es war eine einfache geistvolle Arbeit, die aber aufs Deutlichste bekundete, daß sie von einem Offizier als Exposee hingeworfen sei, ohne auf die Details der Truppendislocation und Truppenverwendung einzugehen. Seite waren Irrthümer zu verzeichnen.

Auf jeder

In meiner Kritik sagte ich etwa:

„Kriegsgeschichte muß von unten nach oben, nicht von oben nach unten abgefaßt werden,

da

sonst Irrthümer

über

Truppenverwendung nicht zu vermeiden seien."

die

wirklich

stattgehabte

Mein vorgesetzter Major,

ein kleinlicher Streber, sagte mir, daß der General Moltke diese Arbeit verfaßt, worauf ich antwortete, daß ich Dies nicht gewußt, aber dabei beharren müsse, daß meine Ansicht begründet fei.

Später erzählte mir

Exzellenz von Moltke, daß ihn der Freimuth des jungen Offiziers ange­ nehm berührt habe, zumal ich Recht gehabt hätte.

125 Die taktischen Arbeiten wurden von General von Moltke eingehend kritisirt. Man sah Thränen auch von Generalstabsoffizieren, die durch Verfehlen der Ansicht des Chefs des Generalstabes sich in ihrem Streben, schnell zu avanciren, behindert glaubten.

Manchmal hatte ich die Ansicht

des Generals Moltke getroffen, manchmal wurde ich durch seine Kritik überzeugt, manchmal auch nicht. Ein Major des Generalstabes war tief geschlagen, weil er nicht die Ansicht des General Moltke getroffen, dem ich unbekümmert sagte, es sei mir auch angenehm, des Generals Ansicht zu treffen. Doch sei dies eigentlich nebensächlich. Später wurde dieser Streber mein DivisionsKommandeur und erinnerte sich der Ansicht von mir vor über 20 Jahren in unliebsamer Weise. So vergingen die Feldzüge 1864, 1866, 1870/71, auf deren Er­ lebnisse ich vorne zurück kam. Im Jahre 1885 ging ich Ende September mit meinem ältesten Sohne nach Ragaz. Wir stiegen im Quellenhof ab und wurde uns Wohnung neben Feldmarschall Graf Moltke angewiesen. Da die eigentliche Kurzeit vorüber war, nur noch wenige Damen im Quellenhof versammelt waren, so ergab es sich auf natürlichste Weise, daß ich die Bekanntschaft mit Graf Moltke auf stundenlangen Spazier­ gängen, beim Frühstück, Mittag und Abendbrot erneuerte und vertiefen konnte. Diese Oktobertage 1885 in Ragaz sind mit die schönsten meines langen Lebens. Die Ungezwungenheit des Verkehrs brachte es mit sich, daß Graf Moltke in rückhaltlosester Weise mir und meinem Sohne, dem er besonderes Wohlwollen erwies, aus seinem reichen Leben erzählte. Gras Moltke litt damals an einem Augen-Katarrh, der erkenntlich war durch geröthete Augenlieder und ihn am Lesen hinderte. Daher ließ er sich gern von mir die Kölnische Zeitung vorlesen, wies die Leitartikel zurück als leeres Geschwätz und interessirte sich nicht für klimatische Ver­ hältnisse in Kamerun, dagegen für Alles, was über Marine, Handel, Verkehr, Landwirthschaft und Industrie gesagt wurde, wie über die damals beginnenden Streitigkeiten zwischen Serbien und Bulgarien. Er sagte: „Ich kenne Milan und den Fürsten von Bulgarien.

Der Bulgare siegt,

weil er Soldat ist. Doch ist es richtig, daß Bismarck die projektirte Heirath des Bulgaren mit der Prinzeß Viktoria von Preußen nicht ge­ duldet hat." Morgens nach dem Frühstück begleitete ich Graf Moltke auf weiten Spaziergängen, die gewöhnlich durch die im Herbstschmuck der Bäume prangende Tamina-Schlucht nach Pfeffers führten.

Er sprach über König-

126 grätz und Gravelotte, Sedan, Nicolsburg, Versailles und ganz rückhaltlos über Personen nnd die interessantesten Situationen dieser Zeit. Den mehrstündigen Aufenthalt des Hauptquartiers bei Sadowa auf dem

linken Ufer

der Bistritz

schilderte

er

detaillirt.

Durch den

schnellen Aufbruch am Frühmorgeu des 3. Juli 1866 von Jcin war ver­ säumt worden, hinreichend Nahrungsmittel mitzuführen. lange Harren

bei Sadowa brachte

Das stunden­

eigenthümliche Situationen

hervor.

Die Truppen der 4. und 7. Division standen im harten Kampfe.

Es

strömten leicht Verwundete, Marodeure und Feiglinge zurück, die König Wilhelm mit strengen Worten anging, bis ihm General von Boigts-Rhetz, Chef des Generalstabes der Armee des Prinzen Friedrich Carl, erwiderte, daß solche Momente immer im Kriege vorkämen und es besser sei, solche Leute, die nicht mehr wollten, laufen zu lassen, es sei nur Vortheilhaft, daß die Truppe von solchen unlauteren Elementen befreit würde. Moltke schwieg, nahm

General

die berühmte Cigarre aus der Tasche des Grafen

Bismarck und sah unverwandt auf die Höhen von Horenowes.

Als er

deutlich wahrnahm, daß die österreichischen Geschütze nach Westen feuerten, ritt er an den König heran und gratulirte zu einem großen Siege.

Der

König wollte sofort, nachdem er sich von der Wahrheit der Beobachtung Moltke's überzeugt hatte, in die Schlacht reiten.

Moltke sagte, er dürfe

nicht mitreiten, da der Aufenthalt des Hauptquartiers den Truppen bei Sadowa angezeigt war. Darauf kamen die Granaten von Sweti und Rosberitz, aus denen Roon und Bismarck den König Wilhelm führten, da der König, nicht achtend die Gefahr, in seiner Kampfbegeisterung überall sein wollte, wo seine braven Truppen kämpften. Der Sieg von Königgrätz wurde in seiner Großartigkeit am Abend des 3. Juli nicht erkannt.

Moltke bekannte den Fehler willig ein, daß

er nicht auf dem Schlachtfelde geblieben, daß er gar nicht gewußt, daß gegen Abend die Garde-Landwehr-Division bei Nechanitz die Bistritz über­ schritten hatte, daß frische Truppen ans dem rechten und linken Flügel hinreichend vorhanden waren,

um den Sieg von Königgrätz zu einer

Katastrophe umzugestalten — In rückhaltlosester Weise sprach er über den Kaiser, über Friedrich Wilhelm IV., über Friedrich den Großen, Prinzen Heinrich (Bruder des großen Friedrich), über Prinz Friedrich Carl, über den frischen Muth des

Kronprinzen

und

auch

sehr

eingehend

über

Gravelotte

am

18.

August 1870. Trotz seines Widerstrebens habe der König nach Ankunft des II. Korps am Abend des 18. August bei Gravelotte befohlen, auch dieses

127 gegen Point du Jour ins Gefecht zu führen. in seiner lange nicht genug gelesenen

Später hat dies Moltke

„Geschichte des deutsch-französischen

Krieges 1810/71" damit ausgedrückt, was er auf S. 58 sagt: „Es wäre richtiger gewesen,

wenn

der

zur Stelle anwesende Chef des General­

stabes der Armee dieses Vorgehen in so später Abendstunde nicht gewährt hätte.

Eine völlig intakte Kerntruppe konnte am folgenden Tage sehr

erwünscht sein, an diesem Abend aber hier kaum noch einen entscheidenden Umschwung herbeiführen". Moltke hatte selbst seinen Degen gezogen, um

die Truppen des

II. Korps zu führen, jedoch war derselbe nicht der Scheide zu entwinden gewesen, da er seit beinahe 50 Jahren zuletzt als Leutnant geführt war. Sein Urtheil über Kaiser Wilhelm interessirte mich auf's Höchste, er hob um so wärmer die Eigenschaften hervor, welche ihm jetzt den Beinamen „den Großen" geben sollen.

Er war in der Demuth groß, und das ist

und bleibt neben Treue die größeste Eigenschaft eines deutschen Mannes. Die

jetzt

bekannten

Differenzen

des

Königs

mit

Bismarck in

Nikolsburg waren mir damals nicht so detaillirt zu Ohren gekommen, auch nicht, daß Bismarck im November 1870 mehrmals die mit wichtigen Meldungen von der Loire-Armee in Versailles in der Nacht eintreffenden Generalstabsvfsiziere und Adjutanten bestimmte, ihm die an Moltke ge­ richteten Meldungen zuerst lesen zu lassen.

Die einfache Art, wie der

König Wilhelm diesen nicht zu duldenden Ausschreitungen des nervösen Reichskanzlers entgegentrat, erzählte Moltke mit feinem Lächeln.

Doch

halte ich es für nicht angezeigt, die Worte wieder zu geben, welche er über Bismarck äußerte.

Die Verschiedenheit dieser Männer konnte ein

völliges Einvernehmen nicht zulassen. Das Augenleiden bestimmte Moltke sofort nach dem Abendbrot das Zimmer

aufzusuchen.

An einem Sonntag bat ich

ihn im Salon zu

bleiben, ich würde ihm ein Konzert vorführen. Da ich selbst nicht musikalisch, so mußten Andere als Produzenten herbeigeschafft werden.

Ein Dr. Hofften

aus dem Thurgau hatte mir von seiner Weltreise erzählt, Violinspielen, wodurch er in Japan turors gemacht.

von seinem

Da er seine Violine

mit in Ragaz hatte, so ließ er sich leicht bestimmen, dem großen Moltke Etwas vorzuspielen.

Eine Engländerin spielte mit Vorliebe Beethoven'sche

Sonaten, ich bat sie die as-äur, ois-rnoU gründlich zu üben, um sie Moltke vorzuspielen.

Augenscheinlich hatte ihr Neben genutzt, so daß sie

Manches mit einer gewissen Vollkommenheit vorführte.

Als ich sie bat,

einen Satz noch mal zu spielen, zeigte sie auf Moltke, der mit zugemachten Augen in einem Fauteuil saß und sagte: Beethoven hören."

„Ich kann den ganzen Tag

128 Einmal ging ich mit Graf Moltke bis zum Bade Pfeffers in der Tamina-Schlucht.

Er war sehr geneigt zu erzählen.

Ich mußte in's

Bad, sah nach der Uhr und empfahl mich, indem ich sagte: „Der große Schweiger hat jetzt 1 Stunde IS'/s Minute hintereinander gesprochen, ich habe nur drei Mal „sehr wohl Excellenz" gesagt", worauf er schnell antwortete: „Wenn mir ordentlich zugehört wird, kann ich schon sprechen." Auch über den Kronprinzen (nachherigen Kaiser Friedrich) sprach sich Moltke rückhaltslos aus, lobte seine Jovialität, die Freiheit, mit der er mit Andren verkehrte, die Unerschrockenheit und Furchtlosigkeit gegen feindliche Kugeln, die Freude, eine Verantwortlichkeit zu übernehmen, berührte mit feinem Takt das eheliche Verhältniß, aus dem grade im Jahre 1870 leicht Bismarck'sche Gewaltthätigkeit tief greifende Entschlüsse zur Lahmlegung des Einflusses höchst gestellter Frauen zur That geführt hätte. Da ich meinem Sohne sofort nach Abfahrt des Grafen Moltke die Erlebnisse des letzten Morgens diktirte, so mag dieser Morgen des 7. Oktober 1885 detaillirter beschrieben werden. Es war ein herrlicher sonniger Herbstmorgen.

Ich hatte neben

dem Frühstücksteller des Grafen Moltke einige lose Rosen gelegt, die ich selbst in dem Garten geschnitten.

Graf Moltke erschien bald nach 7 Uhr,

begrüßte mich und meinen Sohn aufs Freundlichste und sagte, als er die sehr schönen Rosen sah: „Die sind für mich alten Mann viel zu schön. Geben Sie die der Engländerin, die so schön Beethoven spielte", worauf ich sagte: „Ja, wenn Sie sie der Engländerin schicken", worauf er sofort einging, und nachher zauberten dieselben bei der Engländerin ein freudiges Erröthen hervor. Als mein Sohn mal hinaus ging, gab mir Graf Moltke die Hand und sagte thränenden Auges: „Sie glücklicher Mann", worauf ich sagte, er hätte doch auch viel Glück im Leben gehabt, was er auch voll zuge­ stand und besonders hervorhob, daß er durch die rücksichtsvolle Liebens­ würdigkeit seines Neffen und dessen Frau und Kinder ein glückliches Familienleben führte. Ec sprach über Graf Waldersee und Frau, die ich aus Hannover kannte.

Ich hatte ihm mehrfach von der Gräfin Waldersee erzählt, für

die ich durch ihre stets bereite christliche, dienende Liebesthätigkeit in schlichter Einfachheit aufrichtige Verehrung bekundet hatte. Graf Moltke erzählte mir Details des Unfalls, den Waldersee im Manöver am Knöchel erlitten hatte und der nach seinem letzten Briefe noch immer nicht ge­ hoben sei. Ich sagte, Waldersee sei durch die Warmherzigkeit echt christ­ lichen charitas seiner Frau vertieft, was er auch zugab.

Ich sagte: „ich

129



bin gesund hierher gekommen, und was etwa noch mir gewesen, sei durch Berge,

krankhaft nervös an

Bad, Luft, vor Allem aber durch Euer

Exzellenz Güte und Liebenswürdigkeit verwischt'', worauf er kurz sagte: „Ich alter Mann." Im Garten sprach ich über die Familie Korn in Schlesien, die er namentlich in ihrem Vertreter, dem Stadtrath Heinrich Korn auf Schön­ feld, genau kannte und ausführte, welche Unglücksfälle diese reiche ange­ sehene Familie betroffen hätte. Zu meinem Sohne sagte er unter Anderem scherzend: „Halten Sie sich an die Erbtante, eine gute Partie", die herrliche Brillanten trug, die sein Kennerauge sofort als solche erkannt. Sie war die Tante der Klavierspielerin. Vor dem Hotel Quellenhof vor dem Besteigen des Omnibus gab er meinem Sohn und mir aufs freundlichste die Hand, worauf wir uns Beide nach dem Bahnhof zu Fuß begaben, woselbst der „kolossal" glück­ liche Dr. Hassten erzählte, wie Graf Moltke ihn aufgesucht und ihm in liebenswürdigster Weise die Hand gegeben hätte. Gras Moltke ging allein auf dem Perron, kam an mich heran und sagte: „Die Infanterie marschirt schnell".

Er sagte, es habe ihn gefreut,

dem Dr. Hassten für sein neuliches Violinspiel noch danken zu können und dann zu mir:

„Sie haben ein besonderes Talent, nette Leute gleich

ausfindig zu machen", worauf ich entgegnete, mir wären auch oftmals Menschen durch den Trieb, anders zu scheinen als sie sind, unangenehm und käme ich über den ersten Eindruck schwer fort. „Am Meisten iuteressirt mich jetzt, wie sich Hohenlohe (jetzt Reichs­ kanzler) im Elsaß machen wird. worden.

Es ist viel über Manteuffel geschimpft

Der war ein ganzer Mann — ein edler treuer Mann.

Die

Treue ist eine der edelsten deutschen Tugenden, die in unserer Zeit in Mißkredit gekommen ist.

Ich habe neulich ein Gedicht zugesandt be­

kommen, das in sehr schöner Weise die Treue Manteuffel's pries.

Wenn

man bedenkt, daß Manteuffel am 18. März 1848 und zwar als DragonerLeutnant

dem

edlen

König

Friedrich

Wilhelm IV.

vor Arnim

und

Bodelschwingh und wie sie Alle hießen auf seine Aeußerung: „Wie kann ein König auf sein Volk schießen lassen?"

sagte:

„Heinrich IV. von

Frankreich hat auf sein Volk schießen lassen und ist dadurch der populärste Monarch

der

Welt

geworden",

worauf

Friedrich

Wilhelm

IV.

sich

schweigend zurückzog und sich wie in einer Judenschule dem Einfluß aller möglichen und unmöglichen Menschen Preis gab.

Manteuffel hat mir

selbst erzählt, ihm habe Friedrich Wilhelm IV. nach Jahren einen Kupfer­ stich Heinrich's IV. geschenkt, habe ihm aufs Wärmste die Hand gegeben und gesagt:

„Denken Sie noch an den 18. März?"

Hierauf sagte ich, 9

130 ich sei 1852/53 Leibpage bei Friedrich Wilhelm IV. gewesen und hätte für Ihn und die Königin Elisabeth viele kleine Züge des edlen Königs­ paares in dankbarster Erinnerung. „Wissen Sie, Radowitz hat das richtigste Urtheil über Friedrich Wilhelm IV. gefällt.

Der deutsche Bund ist eine eiserne Kette wider-

strebeudster Elemente,

das Hauptglied

in derselben ist Friedrich Wil­

helm IV, und zwar von edlem weichem Wachs". setzte:

„Friedrich

Wilhelm

IV.

war

Worauf Moltke hinzu­

gezwungen,

Großmachtpolitik zu

treiben und hatte keine Armee, mit der Landwehr ging das nicht.

Das

ist das unleugbare Verdienst des Kaisers, diese Armee geschaffen zu haben, daher kamen unsere Erfolge.

Der Kaiser ist viel weniger bedeutend als

der edle, unglückliche Friedrich Wilhelm IV.

Und wie wäre das ganz

anders geworden!" Ich brachte das Gespräch auf Frau von Moltke, aus den Ball beim Oberpräsidenten von Witzleben, auf die in der Werderkirche in Berlin in Gemeinschaft genossenen Abendmahlsfeiern beim verehrten Konsistorialrath Stahn, erzählte von den mit meiner Frau in der Behrenstraße verlebten Gesellschaften bei General von Moltke und Frau von Moltke, worauf er weich sagte:

„Damals lebte noch meine gute Frau — Sie sind ein

glücklicher Mann", worauf ich sagte: „Aus dieser Zeit habe ich mir für Euer Excellenz die aufrichtigste Verehrung bewahrt, Sie waren damals noch kein großer Mann", worauf er stehen blieb und mit abwehrender Handbewegung sagte: „Was heißt groß? — Der Mensch ist, was er ist und wird, was aus ihm die Verhältnisse machen", worauf ich ihm sagte: „Hätte dies doch mein Sohn gehört!

Ich sage immer meinen Kindern,

es ist ganz gleichgültig, ob Ihr Etwas in der Welt werdet — es kommt allein darauf an, daß Ihr tüchtige Menschen werdet." Der Zug brauste heran.

Moltke sagte, die Berge beschauend: „Ein

herrlicher Tag", drückte mir wie ein alter Freund die Hand, wünschte gute Kur, worauf er meinem Sohne die Hand gab, den Hut abnahm, uns in seiner vornehmen Art begrüßte, indem er in's Coupee stieg. — Nach meiner Verabschiedung besuchte ich Graf Moltke auf meiner Reise nach Wernigerode in Berlin, wo er mir in herzlichster Weise nahe trat mit Beweisen aufrichtigster Freundlichkeit und

über den Nord-Ostsee-

Kanal sprach, er habe Alles gethan, um dieses theure zweifelhafte Projekt von uns abzuwenden, zur Abstimmung würde er nun nach Creisau gehen, um nicht gegen die Vorlage stimmen zu müssen;

ohne den Besitz von

Helgoland wäre der Nord-Ostsee-Kanal auch für die maritime Machtentfaltung eine zweifelhafte Errungenschaft.

131 Seitdem habe ich Graf Moltke nicht mehr gesehen. — Nun sei es vergönnt in kurzer Parallele die drei Paladine des Reichs zu skizziren, die auf die Neugestaltung des deutschen Reiches neben und unter

dem in der Demuth großen Kaiser Wilhelm I. den hervor­

ragendsten Einfluß geübt. Der

älteste

von ihnen war Hellmuth von Moltke,

26. Oktober 1800.

geboren am

Ein Moltke bekannte in der Demuth seines Seins:

„Wir haben Nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch Nichts hinausbringen."

1. Thim. 6, 7.

Moltke beschäftigte sich bereits in seiner Jugend mehrfach mit schriftstellerischen Arbeiten.

Er war

ein

geistvoller vornehmer

zurück­

haltender Mann von ausgrzeichneten Gesellschaftsformen bei Elastizität in Gang und Bewegung bis in sein hohes Alter, von hervorragendem Gedächtniß bei mangelndem Personalintereffe. Moltke Geldes.

hatte mit Bismarck gemein:

die

Werthschätzung

des

Wenn Poschinger vor Kurzem einen Ausspruch Bismarck's über

Moltke citirt:

„Moltke war gut, aber sehr geizig", so muß man lachen.

Bismarck nennt

einen

Anderen

geizig!

Hätte Bismarck je

einen Begriff von dem Hegel'schen Ich-Ich in sich aufgenommen oder mit anderen Worten, hätte der große Bismarck je sich selbst zum Gegenstand seiner Betrachtung gemacht, so hätte er sicher über sich selbst ein viel schärferes Urtheil gefällt.

Und den guten Moltke hat Bismarck bis aufs

Blut gepeinigt. Während Moltke in seiner Kindheit und Jugend mit der Noth des Lebens zu kämpfen hatte, war Bismarck freundlicher gebettet. Mütter wurden

von

den Söhnen besonders

verehrt,

sie

Beider

konnten sich

einer guten Kinderstube rühmen, so daß Beider gesellschaftliche Formen in Gang, Benehmen, Haltung, Unterhaltung nur als vorbildlich bezeichnet werden können-

Beide waren von ritterlichem Sinn beseelt, die Frauen

zu ehren und haben sie keusch und züchtig gelebt, in Wort und Be­ nehmen, wenn such Bismarck's sprudelnder Geist ihn zu ungewöhnlichen Scherzen

und Sarkasmen

selbst

in Damengesellschaft

führte.

Moltke

hatte etwas fein Zurückhaltendes, im Ganzen Schweigsames, während er mit Feuer der Begeisterung auch im persönlichen Verkehr, unter vier Augen sprechen konnte.

namentlich

Dann waren seine Urtheile scharf,

rücksichtslos, ohne jede Reserve, nur die Wahrheit suchend, so daß es unmöglich ist, wollte ich das Niedergeschriebene über verschiedene Lebende und Todte der Oeffentlichkeit übergeben. Während Bismarck

eine

cholerisch-sanguinische Natur

von unge­

wöhnlicher vielseitigster, ost divinatorischer Begabung mit gewaltthätiger

132 dämonischer Eigenart war, wird Mvltke als phlegmatisch, überlegend, zurückhaltend, sich selbst beschränkend, demüthig, edel zu bezeichnen sein. In seiner Selbstbeschränknng liegt vornehmlich seine Geöße, während Bismarck Alles an sich riß, Widerstrebendes bis zur Rachsucht zu Boden schlug.

Moltke dachte in seinem späteren Alter nie Etwas, was er in

seiner Jugend nicht gelernt, es interessirten ihn nur Dinge, in denen er bewandert war.

Bismarck war ein universaler vollbewußter, gewalt-

thätiger llsro8 tsutoniorm,

der in späteren Jahren bedenkliche Wege

ging, unbekümmert, ob Dies für den pommerschen Junker paßte, ab­ weichend von dem in seiner Jugend Gelernten, groß in den gewagtesten Zielen, energisch in seiner gewaltthätigen Thatenlust. Mit Bismarck bin ich niemals in persönliche Berührung gekommen, daher ist es zu entschuldigen, wenn ich ohne den Eindruck der ge­ waltigen Macht seiner großen Persönlichkeit urtheile, was Andere mir erzählt. Arthur von Obernitz (zur Thurn und Taxis'schen Post nach Frankfurt am Main kommandirt, langjähriger Hausfreund im Bismarck'schen Hause), Ludwig von Gerlach, Roon und andere hochgestellte Persönlich­ keiten, was seine Memoiren, was der Briefwechsel mit Leopold von Gerlach bringen, sind meine Gewährsmänner. Mit Roon trat ich schon als Wahlstätter Kadett im Mai 1848 in Verbindung, als Major Roon seine beiden ältesten Söhne Waldemar und Bernhard (gestorben am 3. September 1870 nach seiner schweren Verwundung bei Dugny in der Schlacht von Sedan) dem Kadettenhause anvertraute.

Ich habe herrliche Briefe vom Oberst von Roon, als er

Kommandeur des Füsilier-Regiments No. 33 war, die sich zur Veröffent­ lichung nicht eignen. Später war ich öfters in seinem Hause als Kriegs­ minister, er mit Ludwig von Gerlach auch mal in meinem Hause zu einer Zusammenkunft des „nassen Engel". Roon, geboren am 30. April 1803, stand dem Alter nach zwischen Moltke und Bismarck. Groß, kräftig, hart, cholerisch .bis zur Gewalt­ thätigkeit, universal begabt und gebildet, war er ein frommer Christ, ein Freund von Büchsel ohne besondere gesellschaftliche Formen, rücksichtslos, furchtlos, ein echter deutscher pommerscher Junker mit voller soldatischer Hingabe für seinen König und Herrn, ein aufrichtig treuer Diener seines GOttes, seines Königs, so daß man es mit seinen Kindern bedauern muß, daß sein Gedächtniß nicht in dem Maaße in der öffentlichen Meinung erhalten ist, als der brave Kämpfer für die Armeeorganisation verdient. Ich durfte bei der Todtenfeier Roon's Ende Februar 1879 in der Berliner Garnisonkirche, die Büchsel leitete und der Kaiser Wilhelm mit der könig-

133 lichen Familie beiwohnte, zugegen sein und

geleitete bei anhaltendem

Regenwetter die sterbliche Hülle bis zum Görlitzer Bahnhof. Daß unser Kaiser Wilhelm II. diese drei Männer gekannt, von denen noch Moltke und Bismarck ihm als Kaiser Dienste leisten durften, ist dem begabten, bekenntnißtreuen Kaiser in treuem Gedächtniß.

Er hat

sie geehrt in pietätvollem Dank für die Großthaten, die diese Männer, diese Paladine des Deutschen Reiches Deutschland, seinem Großvater, seinem so früh dahingerafften Vater gewähren durften.

Dies berechtigt

in vollem Dank zu dem Jubelruf: Heil Kaiser und Reich!

Von dem Verfasser sind früher erschienen: 1. Aphorismen äußerer und innerer Politik, 2. Auflage 1899, Zuckschwerdt Leipzig. 2. Unsere Trauertage im März 1888, Wiesbaden, Moritz L Münzel. 8. Kritische Bemerkungen über H. Sybel's Begründung des deutschen Reiches, 1. und 2. Band 1890, Schellenberg'sche Hosbuchdruckerei. — Vergriffen. — 4. Hervortreten des Judenthums, Wiesbaden, Selbstverlag, 1883. 5. Ist eine Versöhnung Bismarck's mit Kaiser Wilhelm möglich? Wiesbaden 1693, Schnegelbergec. 6. Der alte Kurs im Militarismus, 2. Auflage, Wiesbaden 1893, Bechtold. 7. Luise Kurfürstin von Brandenburg, Elisabeth Königin von Preußen, Berlin 1894, Wiegandt L Grieben. 8. Der 31. Oktober 1882 zu Wittenberg, Wiesbaden 1893, Schnegelberger. 9. Erfahrungen eines Truppensührers, Darmstadt 1894, Zernin. 10. 1892, Wiesbaden 1893. 11. 1893, Kritische Studie, Wiesbaden 1894. 12. Frühjahr 1891, Socialpolitische Studie, Wiesbaden 1894. 13. Metz 1879, Wiesbaden, Schnegelberger. 14. Entgegnung gegen Gustav Freytag, 6. Auflage, Wiesbaden 1899. 15. Ein Neujahrsgrutz, Wiesbaden 1899. 16. Ehre und falsche Ehrbegriffe, Leipzig. W. Friedrich. 17 Ueber die Revolution in Preußen und Deutschland 1818/19, Leipzig, Julius Werner, 1899.

G. Weijer'iche Buchdruckerei, Rachf. I. G. Schabel. Wiesbaden.^