Eric Voegelin Studies Yearbook; 2 Democracy and Representation: The Meaning of Eric Voegelin's Theory of Representation 3770567536, 9783770567539

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Eric Voegelin Studies Yearbook; 2 
Democracy and Representation: The Meaning of Eric Voegelin's Theory of Representation
 3770567536, 9783770567539

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Part I Demokratie und Repräsentation. Zur Bedeutung der Repräsentationstheorie Eric Voegelins
Die Repräsentation jenseits der repräsentativen Demokratie?
Voegelin on Hobbes: The Idea of an Everlasting Constitution
Repräsentation und politische Identität
Representation: From Principle to Trick
Konstitutioneller und existentieller Sinn der Repräsentation: Eric Voegelin und die Krise der repräsentativen Demokratie
Part II Voegelin’s Intellectual Environment
Etappen auf dem Weg von einer positivistischen Staatslehre zur „Grundlegung“ einer Staatslehre als Geisteswissenschaft. Eric Voegelins New Science of Politics in zeitlicher Perspektive
Eric Voegelins Studie zur historiogenetischen Symbolform (Teil 1): Zur Genese und Bedeutung eines Schlüsselkonzepts für The Ecumenic Age
On the Nature of History: Voegelin’s in-between and Hegel’s True Infinity
On the Concept of Creaturality in Eric Voegelin
Gnosis, Häresie und radikale Symbolisierung. Voegelin über das Problem intellektueller Redlichkeit in „Situationen geistiger Unordnung“
Eric Voegelin und die Symbole des Politischen
Part III Selected Book Reviews
Review of „Mario Marino (ed.), Körper, Leibideen und politische Gemeinschaft. ‚Rasse‘ und Rassismus aus der Sicht der Philosophischen Anthropologie, Nordhausen: Verlag Traugott Bautz, 2020“
Review of “Bogdan Ivaşcu, Oglinzile infinitului. Ce sunt filozofiile istoriei şi la ce folosesc, Bucureşti: Eikon, 2022”
Review of “Bernat Torres/Josep Monserrat-Molas (eds.), Eric Voegelin’s Political Readings. From the Ancient Greeks to Modern Times, New York-Abingdon: Routledge, 2021”
Review of “Bruno Godefroy, La fin du sens de l’histoire. Eric Voegelin, Karl Löwith et la temporalité du politique, Paris Classiques: Garnier, 2021”
Review of „Jürgen Habermas, Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp, 2022“
Autor:innen dieses Jahrbuchs

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Democracy and Representation

Eric Voegelin Studies: Yearbook Editorial Board Thierry Gontier, Giuliana Parotto, Nicoletta Scotti Muth, Hans-Jörg Sigwart, Arpad Szakolczai, Bernat Torres Morales, David Walsh in cooperation with the Voegelin-Zentrum für Politik, Kultur und Religion at the Ludwig-Maximilians-Universität München and the Eric-Voegelin-Gesellschaft Managing Editor Harald Bergbauer Advisory Board Ignacio Carbajosa, Catherine Chalier, Gabriele De Anna, Giuseppe Duso, Jürgen Gebhardt, Alessandra Gerolin, John von Heyking, Josep Monserrat Molas, Peter J. Opitz, Cyril O’Regan, William Petropulos, Matthias Riedl, Christian Schwaabe, Harald Seubert, Bjørn Thomassen, Mario Wintersteiger, Harald Wydra

Volume 2

Giuliana Parotto (Hg.)

Democracy and Representation Demokratie und Repräsentation The Meaning of Eric Voegelin’s Theory of Representation Zur Bedeutung der Repräsentationstheorie Eric Voegelins

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2023 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. www.fink.de Covergestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISSN 2702-8410 ISBN 978-3-7705-6753-9 (hardback) ISBN 978-3-8467-6753-5 (e-book)

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix

Part I Demokratie und Repräsentation. Zur Bedeutung der Repräsentationstheorie Eric Voegelins Die Repräsentation jenseits der repräsentativen Demokratie? . . . . . . . . 3 Giuseppe Duso Voegelin on Hobbes: The Idea of an Everlasting Constitution . . . . . . . . . 22 Roger Castellanos Corbera, Bernat Torres Morales Repräsentation und politische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Gabriele De Anna Representation: From Principle to Trick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Arpad Szakolczai Konstitutioneller und existentieller Sinn der Repräsentation: Eric Voegelin und die Krise der repräsentativen Demokratie  . . . . . . . . . 89 Giuliana Parotto

Part II Voegelin’s Intellectual Environment Etappen auf dem Weg von einer positivistischen Staatslehre zur „Grundlegung“ einer Staatslehre als Geisteswissenschaft. Eric Voegelins New Science of Politics in zeitlicher Perspektive . . . . . . . . 115 Peter J. Opitz Eric Voegelins Studie zur historiogenetischen Symbolform (Teil 1): Zur Genese und Bedeutung eines Schlüsselkonzepts für The Ecumenic Age . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Axel Bark

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Inhalt

On the Nature of History: Voegelin’s in-between and Hegel’s True Infinity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Bogdan Ivaşcu On the Concept of Creaturality in Eric Voegelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Alberto Castaldini Gnosis, Häresie und radikale Symbolisierung. Voegelin über das Problem intellektueller Redlichkeit in „Situationen geistiger Unordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Max Stange Eric Voegelin und die Symbole des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Massimo Mezzanzanica

Part III Selected Book Reviews Review of „Mario Marino (ed.), Körper, Leibideen und politische Gemeinschaft. ‚Rasse‘ und Rassismus aus der Sicht der Philosophischen Anthropologie, Nordhausen: Verlag Traugott Bautz, 2020“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Massimo Mezzanzanica Review of “Bogdan Ivaşcu, Oglinzile infinitului. Ce sunt filozofiile istoriei şi la ce folosesc, Bucureşti: Eikon, 2022” . . . . . . . . . . . . . . 323 Alberto Castaldini Review of “Bernat Torres/Josep Monserrat-Molas (eds.), Eric Voegelin’s Political Readings. From the Ancient Greeks to Modern Times, New York-Abingdon: Routledge, 2021” . . . . . . . . . . . . . . 325 Joachim Horubała Review of “Bruno Godefroy, La fin du sens de l’histoire. Eric Voegelin, Karl Löwith et la temporalité du politique, Paris Classiques: Garnier, 2021” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Umberto Lodovici

Inhalt

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Review of „Jürgen Habermas, Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp, 2022“ . . . . 335 Christian Schwaabe Autor:innen dieses Jahrbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

Einleitung Giuliana Parotto Die hier vorliegende zweite Ausgabe der Reihe Eric Voegelin Studies: Yearbook lässt Autoren zu Wort kommen, die sich die Aufgabe gestellt haben, die philosophisch-politischen Kategorien von Voegelin auf Fragen anzuwenden, die Philosophen und Politikwissenschaftler in unserer heutigen Zeit besonders beschäftigen. So widmet sich Teil I dieses Bandes dem Beitrag, den Eric Voegelins Denken zum Verständnis der offensichtlich gewordenen Schwächephase unserer repräsentativen Demokratie leisten kann. In diesem Teil sind die Vorträge zusammengestellt, die anlässlich der Jahreskonferenz 2021 der Eric-Voegelin-Gesellschaft unter dem Titel Demokratie und Repräsentation. Zur Bedeutung der Repräsentationstheorie Eric Voegelins gehalten wurden. Teil II widmet sich der Vertiefung von weiteren Themen und Aspekten, mit denen sich Eric Voegelin auseinandergesetzt hat und die auch im heutigen wissenschaftlichen Diskurs weiter gegenwärtig sind. Was hat uns dazu bewogen, die Jahrestagung 2021 dem Thema Demokratie und Repräsentation zu widmen? Und was hat uns Eric Voegelin heute zu diesem Thema zu sagen? Zunächst sehen wir, dass die Sorge um das Schicksal der Demokratie um sich greift und dass sich selbst in demokratisch besonders gefestigten Ländern deutliche Anzeichen einer Krise zeigen. So hat der Angriff auf den Capitol Hill am 6. Januar 2021 mit einem Schlag vor Augen geführt, welcher Gefährdung die 250 Jahre alte amerikanische Demokratie ausgesetzt ist. Vollkommen unerwartet kam dieser Putschversuch zumindest für aufmerksame Beobachter der amerikanischen Szene allerdings nicht. Die Wissenschaft ist auf die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verwerfungen frühzeitig aufmerksam geworden und hat Studien zu jenen tiefgreifenden Spannungen vorgelegt, die innerhalb der normalen demokratischen Dialektik kaum noch zum Ausgleich gebracht werden können und deshalb zunächst schleichende Formen von Bürgerkrieg provozieren, die dann plötzlich in gewaltsame Konflikte ausarten können (siehe Capitol Hill). Was nun Eric Voegelin angeht, so hat der in Wien aufgewachsene Deutsche und spätere Student an der dortigen Universität sein Denken in einer Zeit entwickelt, deren Krisen und Umbrüche so tiefgreifend waren, wie es uns Heutigen hoffentlich erspart bleibt: Europa hatte den Ersten Weltkrieg gerade hinter sich, Österreich stand nach der Auflösung von Monarchie und Kaiserreich vor der kaum lösbaren Aufgabe, für die neue republikanische Ordnung ein tragfähiges Fundament zu schaffen; in einer tiefen Krise steckte auch die

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europäische Kultur, die im „Groß-Wien“ zu höchster Blüte gelangt war, einschließlich der von Karl Kraus angeprangerten Sprachkrise, der Lügen in der Politik, der Verbreitung von Ideologien, die schließlich zur Krise der damaligen parlamentarischen Demokratien und zum Aufstieg des Totalitarismus geführt haben. All diese Umbrüche haben Eric Voegelins Denken bekanntermaßen sehr stark bestimmt. Insofern lag der Gedanke nahe, die theoretische Reichweite der von Eric Voegelin ausgearbeiteten philosophisch-politischen Kategorien auszuloten, um darin Elemente zur Deutung der aktuellen Krise der repräsentativen Demokratie zu finden. Kein leichtes, womöglich sogar waghalsiges Unterfangen angesichts der unsystematischen Natur von Voegelins Denken. Eine weitere Herausforderung kam hinzu: Wissenschaftlichen Voegelin-Exegeten ist bestens vertraut, was auch aufmerksame Leser bemerken können, nämlich dass sich die Philosophie von Eric Voegelin ganz besonders durch Offenheit und lebenslange Umgestaltung des Denkens auszeichnet. Der große Politikwissenschaftler hat seine Forschungsarbeit immer wieder jenseits der Grenzen ausgedehnt, die wir heute als „disziplinär“ bezeichnen. Dabei behielt er seine eigenen erkenntnistheoretischen Annahmen stets kritisch im Blick. Mit der Folge bedeutender theoretischer Wendungen, die sich daraus trotz – wenn nicht geradezu dank der – Beharrlichkeit ergaben, mit der er sich grundlegenden theoretischen Fragen widmete. Eine Untersuchung der Aussagefähigkeit von Voegelins politischer Philosophie in Bezug auf die aktuelle Krise der westlichen Demokratien bedeutet somit, sein Gedankengebäude einem „Stresstest“ zu unterziehen, der eine doppelte Aufgabe erfüllen soll: Einerseits handelt es sich um die Interpretationsarbeit, mit Präzision der Entwicklung von Voegelins Konzepten nachzugehen, von den ersten Versuchen an einer systematischen Herrschaftslehre bis zur Neuen Wissenschaft der Politik und darüber hinaus. Andererseits gilt es, diejenigen Elemente von Eric Voegelins politischer Theorie herauszuarbeiten und weiterzudenken, die sich als konzeptionelle Werkzeuge dazu anbieten, die heutige Krise der liberalen Demokratien zu beleuchten, zu deuten und womöglich Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen. Die Autoren des ersten Teils untersuchen die Krise der Repräsentation auf verschiedenen Ebenen und tragen damit der großen Komplexität dieses Themas Rechnung. Da ist zunächst die Ebene der Politikwissenschaft, deren methodische Ansätze Eric Voegelin nicht gerade nahestehen, hat er doch die rein empirische und analytische Ausrichtung der Politikwissenschaft immer wieder aufs Korn genommen. Man kann die Politikwissenschaft deshalb natürlich nicht aus dem Spiel lassen, wenn man die Konturen der gegenwärtigen Krise aufzeigen möchte. Eine zweite Betrachtungsebene nimmt die digitale

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Revolution und die damit verbundene anthropologische Transformation in den Blick, denen maßgeblicher Anteil an der Krise der Repräsentation zuzuschreiben ist. Drittens schließlich soll Thomas Hobbes zu Rate gezogen werden, mit dem die Genese der Repräsentation als Prinzip staatlicher Ordnung gewissermaßen ihren Anfang genommen und einen ersten Höhepunkt erreicht hat. 1.

Die politikwissenschaftliche Sicht auf die Krise der repräsentativen Demokratie

Der Begriff „Krise“ kommt aus der alten Medizin und beschreibt die Lage eines Patienten zwischen Leben und Tod. Der Eintritt entweder der einen oder der anderen dieser beiden Möglichkeiten beendet die Krise. Tendiert die Krise der repräsentativen Demokratie womöglich in Richtung des negativen Ausgangs? Sie beschäftigt und beunruhigt jedenfalls Politikwissenschaftler, politische Philosophen und einfache Bürger gleichermaßen. Dies belegt unter anderen eine beachtliche Zahl empirischer und analytischer Studien, von Colin Crouchs „Postdemokratie“ bis zu „Die demokratische Regression“1 (Arnim Schäfer und Michael Zürn, 2021) oder „Krisen der Demokratie“ (Adam Przeworski, 2020), um nur einige zu nennen. Sie führen diese Krise auf strukturelle Transformationen wie die Globalisierung und die daraus resultierende Bildung supranationaler Institutionen zurück, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen und so eine erhebliche Erosion der Volkssouveränität mit sich bringen. Mit anderen Worten: Es sind neue politische Subjekte entstanden, die keiner Kontrolle unterliegen, weil sie nicht gewählt sind. Sie treffen aber sehr wohl Entscheidungen von Gewicht und politischer Konsequenz. Hinzu kommt ein erheblicher Verlust an Repräsentationsvermögen der Parlamente, die, so der Vorwurf, vor allem die Interessen privilegierter Wählergruppen vertreten. Hinzu kommt das Siechtum solcher Parteien, die traditionell politische Forderungen von unten artikuliert, entsprechende Programme vorgelegt und Orientierung geboten haben. Die Erwartung einer Verbesserung der Lebensbedingungen im Rahmen der Gesamtentwicklung ist der Erfahrung exponentiell wachsender wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit gewichen. Ohne anderweitige Kompensationsmechanismen muss dies zu Unsicherheit und sozialen Konflikten führen, die sich in gesellschaftlich verbreiteten Ideen widerspiegeln: Schäfer und Zürn sprechen von einer „Entfremdung der Demokratie“, die zum Ausdruck bringt, 1 Schäfer, Arnim / Zürn, M., Die demokratische Regression, 2021.

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dass die Demokratie nicht mehr auf die Ansprüche von Wählerinnen und Wählern reagiert2. In diesem Zusammenhang kommt die Frage des Populismus ins Spiel, der die Forderung des Volkes nach Wiederaneignung von Politik und Souveränität zum Ausdruck bringt und in diesem Sinne von jeher als Begleiterscheinung zur Demokratie3 gehört. Andererseits ist der Populismus als Symptom einer demokratischen Regression zu betrachten, wenn solche Forderungen über die Wiederherstellung verlorengegangener Repräsentation hinausgehen und die Entscheidungsbefugnis unabhängiger demokratischer Institutionen in Frage stellen. Das Aufkommen „illiberaler Demokratien“4 in Verbindung mit einem autoritären Populismus untergräbt die Autorität repräsentativer Institutionen und beschleunigt die Krise der liberalen Demokratie5: In der wachsenden Kluft zwischen dem Volk und der in Parlamenten und Parteien tätigen politischen Elite ist ein Merkmal des um sich greifenden Populismus und seiner Rhetorik zu erkennen. Schwindendes Vertrauen lässt den Wunsch nach direkter Kontrolle des Abstimmungsverhaltens von gewählten Abgeordneten zum Beispiel durch Direktübertragung von Parlamentsdebatten via TV oder Streaming aufkommen, und aus demselben Grund werden Prinzipien der Repräsentation wie das freie Mandat zunehmend in Frage gestellt. 2.

Die anthropologische Transformation

Der Einfluss der digitalen Revolution wird somit zur Gefahr für die repräsentative Demokratie. In seinen Anfängen galt das Internet als förderlicher Faktor für die Demokratie, indem es seinen Nutzern die Möglichkeit eröffnet, als dezentrale Kommunikatoren aufzutreten und an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Die Kommunikation erfuhr eine Demokratisierung, war sie doch auf einmal zu geringen Kosten für jedermann zu haben und mit geringem Aufwand zu bedienen. Jeder konnte weitgehend ungehindert Nachrichten produzieren, weil das weltweite Netz, zunächst jedenfalls, keine regulierenden Filter vorsah, wie sie in der herkömmlichen Kommunikationswelt zum Beispiel als Redaktionen von Zeitungen oder Rundfunkanstalten fungierten. Im Internet können alle Bürger maßgeblich Einfluss nehmen, ja sogar selbst politische Entscheidungen treffen. Solche Möglichkeiten von „direkter 2 Schäfer, A. / Zürn, M., S. 127. 3 Chantal Mouffe, Für einen linken Populismus, Berlin: Suhrkamp, 2018, Nadia Urbinati, We the People. How Populism Transforms Democracy, Cambridge: Harvard University Press, 2019. 4 Fareed, Z., The Future of Freedom: Illiberal democracy at home and abroad, 2007. 5 Vgl. Yascha Mounk, The People vs. Democracy. Why Our Freedom Is in Danger and How to Save It, Cambridge: Harvard University Press, 2018.

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Demokratie“ können als „benefitärer“ Populismus definiert werden, zielen sie doch darauf ab, die politische Partizipation der Bürger zu erhöhen. Dieses ursprünglich positive Bild wich zunehmender Skepsis, als Plattformen wie Twitter, Instagram und Facebook auf den Plan traten und die öffentliche Kommunikation immer stärker beherrschten. Sie marginalisierten nicht nur die Rolle von Informationsfachleuten, die in der Lage sind, politische Nachrichten zu sichten und qualitativ hochwertige Informationen anzubieten, sondern veränderten auch die Art der Informationen selbst: Nachrichten wurden immer oberflächlicher und auf Unterhaltung mit kommerziellem Hintergrund angelegt. Als gravierende Folge dieser Entwicklung ist eine zunehmende Fragmentierung der Öffentlichkeit zu beobachten, eine durch Algorithmen stark beförderte Bildung von „Sphären“ oder „Blasen“ durch Vorauswahl von Bildern und Orten, die sich an Nutzerpräferenzen ausrichten und die Wissensbildung und den Vergleich zwischen widersprüchlichen Meinungen behindert. Jürgen Habermas spricht von Kommunikationssphären, die der Klärung von unterschiedlichen Positionen kein Forum mehr bieten, sondern im Gegenteil den Austausch von Gründen und Debatten verhindern. In „Strukturwandel der Öffentlichkeit“6 hat Habermas gerade erst beleuchtet, wie die Digitalisierung von Informationen zwei Säulen des demokratischen Systems gefährdet, nämlich erstens die Gleichheit, verstanden als Prozess der Inklusion, durch den diejenigen, die den Gesetzen unterworfen sind, auch das Recht auf Mitwirkung bei der Gesetzgebung besitzen müssen; zweitens muss bei der Deliberation der diskursive Charakter vorherrschen, der mit der Sphäre der öffentlichen Meinung verbunden ist, in der die Konfrontation in einer auf Argumenten basierten Debatte stattfindet. Beide Prinzipien sind miteinander verknüpft und bilden die Grundlage politischer Repräsentation. Demokratie bedingt eine Form künstlicher Zugehörigkeit zum Kollektiv, insoweit sie nur gleiche Bürger kennt, nicht aber Menschen, die in ganz unterschiedliche soziale und kulturelle Zusammenhänge gestellt sind: Repräsentation ist das Dispositiv, das diese Trennung zwischen gleichen Bürger-Wählern einerseits und den einzelnen Individuen mit ihren spezifischen Interessen andererseits bewerkstelligt. Der Repräsentant ist von seiner spezifischen Zugehörigkeit freigestellt, und in gewisser Weise befreit er auch seine Wähler von ihrer Zugehörigkeit. Das freie Mandat ermöglicht die am Gemeinwohl orientierte Konfrontation, die sowohl die Einbeziehung ALLER in die deliberativen Entscheidungsprozesse (basierend auf dem hier normativen Gleichheitsprinzip) als auch den diskursiven

6 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp, 2022.

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Charakter voraussetzt, der darauf abzielt, dass sich die jeweils besten Argumente durchzusetzen. Es würde die Grenzen dieser Einführung sicher überschreiten, auf die ethischen Fragen einzugehen, die sich hier auftun und die das viel diskutierte Verhältnis zwischen Demokratie und Wahrheit7 sowie das Verhältnis der Demokratie zur Realität als Prämisse der Wahrheit ins Spiel bringen. Deshalb beschränke ich mich darauf, das Thema „Erfahrung und Wahrnehmung“ zu berühren, das nicht nur in den Vordergrund rückt, was im Sinne von Habermas öffentlich und privat ist, sondern die Gesamtheit menschlicher Erfahrung im allgemeinen Sinn. Die aus den Plattformen des Internets bezogenen Informationen haben die Qualität der Erfahrung tiefgreifend verändert und die Wahrnehmung der Realität selbst deformiert. Wer in einer „Blase“ der Kommunikation gefangen ist, findet sich immer wieder wohlig an seine eigenen Gewohnheiten gekettet, er trachtet danach, sich der einzig in Frage kommenden Identität entsprechend angemessen zu verhalten, was darauf hinausläuft, dass er ausschließlich innerhalb des ihm vertrauten und geeignet erscheinenden Umfelds handelt und andere ausschließt. So stehen sich dann, wenn Meinungsstreit und Selbstzweifel ausgeschlossen sind, verschiedene Modelle einzigartiger und unwiderlegbarer Wahrheiten gegenüber, was zu einem axiologischen Schwarm von Werten führt, die die Gesellschaft durchwimmeln. Dabei geht nicht nur die Erfahrung einer gemeinsamen Welt verloren, die durch Austausch und gegenseitige Beziehungen geprägt ist; auch die Suche nach der Wahrheit verschwindet, und Gleichgültigkeit greift Platz, was Fake News Tür und Tor öffnet. Die kommunikative Revolution hat dazu geführt, dass wir von einer echten Transformation auf anthropologischer Ebene sprechen müssen, die in einer sogenannten „regressiven Konstruktion eines neuen individuellen Ethos“8 identifiziert wurde, die durch einen Rückzug ins persönliche Leben gekennzeichnet ist. Dieser Rückzug gilt dann als „der einzige, der Momente des Durchatmens und des Selbstwertgefühls9 bieten kann“. Diese Momente erschöpfen sich dann allerdings in der Befriedigung von Bedürfnissen des eigenen Körpers, der alleine noch die eigene Subjektivität zum Ausdruck zu bringen vermag.10 Der rein kompensatorische Charakter dieser Formen von 7 Vgl. Nida-Rümelin, J., Demokratie und Wahrheit, München: C.H.Beck-Verlag, 2006. 8 Sadin, É., L’ère de l’Individu tyran. La fin du monde commun., Paris: Grasset & Frasquelle 2020. 9 Ebd., S. 52. 10 Vgl. Hervè Juvin, The Coming of the Body 2010; Chris Shilling, The Body and the Social Theory, London, Newbury Park, New Delhi, 1993.

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Erfüllung beseitigt nicht ihren narzisstischen Charakter11, die letzte Stellung des liberalen Individualismus12. Diese Themen waren für Eric Voegelins philosophisch-politische Reflexion von Anfang an zentral. 3.

Thomas Hobbes und die moderne Repräsentation

Es ist nicht verwunderlich, dass nicht nur Sadin den durch die digitale Revolution erzeugten Zustand der Auflösung der gemeinsamen Welt mit dem von antagonistischer Subjektivität beherrschten Naturzustand von Hobbes verglichen hat. Hobbes skizziert eine Anthropologie, die mutatis mutandis auch heute noch Gültigkeit besitzt: Die Menschen sind von ihren Eigeninteressen geleitet, und sie entscheiden selbst, woran sie glauben und wie sie leben; sie versuchen, ihre Interessen gegen diejenigen ihrer Mitmenschen durchzusetzen; darin sind sie frei und gleich, und niemand darf über andere herrschen; Macht ergibt sich aus der Zustimmung, die Hobbes als vertraglich geregelte einvernehmliche Übertragung ansieht. Bei Hobbes stellt die Repräsentation ein konzeptionelles Dispositiv dar, das die jedem Menschen gegebene Macht in politische Macht umwandelt. In Kapitel XVI des Leviathans finden wir die beiden konstituierenden Elemente, die die Logik der Repräsentation im modernen Sinne gültig bis zum heutigen Tag begründen. Repräsentation ist dazu angetan, dem kollektiven Subjekt Gestalt zu geben: Durch Repräsentation werden Wille und Handeln des Souveräns zu Willen und Handlung des gesamten politischen Körpers. Um die Vielzahl der natürlichen Individuen mit ihren unvereinbaren Unterschieden in eine einzige Zivilperson – cives – zu verwandeln, muss jedes Individuum den Souverän ermächtigen, ihn und alle zu vertreten. Für Hobbes vollzieht sich Repräsentation genau in diesem Akt der Autorisierung, der dem Repräsentanten oder dem Souverän tatsächliche Autorität verleiht. Die Autorisierung vollzieht dabei in einer Bewegung von unten (aus der Menge) nach oben (zum Repräsentanten). Autorisierung und Repräsentation bilden in wechselseitiger Verflechtung die tragende Struktur der Souveränität, die Hobbes auf die berühmte Formel auctoritas non veritas facit legem gebracht hat. Die Autorität des Repräsentanten beziehungsweise des Souveräns ist von oben nach unten gerichtet: Die Repräsentierten sind verpflichtet, sich mit den Handlungen des Souveräns so zu identifizieren, als wären es ihre eigenen. Der Souverän fordert Gehorsam und verfügt über Macht zur Zwangsausübung. 11 Christopher Lasch, The Culture of Narcissism: American Life in an Age of Diminishing Expectations, New York: W.W. Norton, 2018. 12 Sadin, S. 33.

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EINLEITUNG

Die Logik der hier kurz umrissenen Konzepte von Souveränität und moderner Repräsentation umfasst zwei Entwicklungen, die berücksichtigt werden müssen, um das Wesen der Krise der Repräsentation zu verstehen. Erstens ist in modernen demokratischen Systemen der politische Wille des Volkes bei der Wahl seiner Repräsentanten nicht mehr als Willensübertragung anzusehen, sondern als Ausdruck des Vertrauens in den Repräsentanten, dem man die Fähigkeit zusprechen darf, im Sinne des politischen Körpers zu handeln.13 Die Legitimität der Herrschaft beruht auf der Einhaltung der Vorschriften, die für die Wahl der Repräsentanten gelten, und die Autorität ist die unpersönliche Autorität des Gesetzes. Das Gesetz ist Ausdruck der Vernunft, und es ist allgemein, nämlich allgemein in Bezug auf seinen Ursprung (von den Repräsentanten erlassen), in Bezug auf seine Form (die Norm ist unpersönlich) und auch in Bezug auf seine Administration durch den Staat.14 Die zweite Entwicklung resultiert aus dem Verhältnis zwischen Autorisierung und Repräsentation. Die Autorisierung ist gleichbedeutend mit dem Verzicht auf direkte politische Aktion. Dieser Verzicht setzt eine Identifikation der Repräsentierenden mit ihren Repräsentanten voraus. Voegelin spricht von Repräsentanten im existenziellen Sinn, Rosanvallon vom „Volks-Mann“ als demjenigen, der sich zum Deuter dessen erklärt, was das Volk wünscht, womit er als Repräsentant einen Akt der Identifikation mit dem Volk in Gang setzt.15 Dieses cäsaristische Element hat die Demokratie von jeher begleitet und bedroht, es gehört zu ihrer historischen Erfahrung, angefangen bei Thukydides (den Hobbes übersetzt und über den er meditiert hat), der die Demokratie in Athen in Anspielung auf Perikles zur Regierung eines pròtos anèr erklärt16, bis hin zum klassischen Beispiel von Napoleon Bonaparte als Katalysator der nationalen „Energie“. Nicht das Gesetz gewährleistet die politische Einheit, sondern ein Mensch, der das Kollektiv physisch verkörpert und zu seinem Interpreten wird; Eric Voegelin würde diesen Menschen als „existenziellen“ Repräsentanten definieren, einen Akteur, der als kollektives Subjekt auf der politischen Bühne handelt.

13

Vgl. Giuseppe Duso, Ripensare la rappresentanza, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno, Milano: Giuffré, 2012, pp. 9–47. 14 Vgl. Rosanvallon, Le bon gouvernement, Paris: Éditions du Seuil, 2015, pp. 37 ff. 15 Ibid., pp. 314 ff. 16 Vgl. Luciano Canfora, La democrazia. Storia di un’ideologia, Roma: Laterza, 2004.

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4.

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Zu Aufbau und Inhalt des vorliegenden Bandes

Neben den drei in den vorangegangenen Abschnitten behandelten Teilthemen befasst sich dieser Band mit den unterschiedlichen methodischen Ansätzen und Lesarten von Eric Voegelins Denken sowie mit den signifikanten Konvergenzpunkten, die sie aufweisen. Giuseppe Duso nähert sich der Krise der repräsentativen Demokratie über eine begriffsgeschichtliche Analyse der politischen Repräsentation. Dabei hebt er aporetische Entwicklungen hervor, die ihre Ursache im Ursprung der Repräsentation haben, der auf Thomas Hobbes zurückgeht und der Idee des Individuums und der modernen Souveränität zugrunde liegt. Die Analyse des Schmitt-Voegelin-Dossiers führt Duso zu einer Illustration der Schmitt’schen Thesen zur Repräsentation und Souveränität. In diesem Zusammenhang veranschaulicht er die Kritik von Eric Voegelin an Schmitt mit ihrer neuen, sich nicht auf das Individuum, sondern auf die Person mit ihren Erfahrungen und Ideen beziehenden Perspektive. In dieser Sichtweise von Voegelin erkennt Giuseppe Duso jenen Paradigmenwechsel, der es uns ermöglicht, die auf die Repräsentation zurückzuführenden Aporien der Souveränität zu überwinden. Laut Duso gestattet nur ein Rückgriff auf die klassische griechische Tradition die Eröffnung neuer theoretischer und sogar genuin politischer Perspektiven. In die gleiche Richtung weist Gabriele De Anna in seinem Beitrag. Er spricht das Problem der politischen Identität einerseits unter Berücksichtigung von Kommunitaristen und „Lokalisten“ bzw. „Souveränisten“ und andererseits der „Kosmopoliten“ an und beobachtet dabei, wie beide Perspektiven auf die liberalen Wurzeln der Repräsentation und somit wiederum auf Hobbes zurückführen. Repräsentation setzt ein sozialer Bindungen entkleidetes Individuum voraus und begrenzt damit Identität auf die abstrakte Ebene der politischen Zugehörigkeit. Mit den theoretischen Werkzeugen, die Voegelin in seiner ausführlichen Kritik des Liberalismus verwendet, formuliert auch De Anna Identität im Sinne einer aristotelischen Handlungstheorie. Gewissermaßen ins Herz der Hobbes’schen Repräsentation leuchten Torres Morales und Castellanos mit einer Analyse des Konzepts von der „everlasting constitution“. Die beiden Autoren zeigen auf, welche Rolle dieses Konzept dabei spielt, dass Voegelin der politischen Theorie von Thomas Hobbes gnostischen Charakter attestiert. Ihre Analyse der ursprünglichen Quellen von Hobbes legt allerdings nahe, dass die „ewige Konstitution“ durchaus nuanciertere Umrisse hat. Aber auch Torres Morales und Castellanos stellen Hobbes in den Kontext puritanischer Bewegungen und sehen darin einen Ausdruck

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dessen, was Voegelin „christlichen Gnostizismus“ nennt. Somit beinhaltet ihr Urteil eine gewisse Ambivalenz. Giuliana Parotto befasst sich mit dem Problem der Repräsentation im Lichte von zwei Kategorien, die Voegelin in der Neuen Politikwissenschaft herausgearbeitet hat: Elementare und existentielle Repräsentation. Erstere ist mit den institutionellen Formen der Demokratie verbunden, die zweite konzentriert sich auf das Problem der konkreten historischen Subjekte, die diese Institutionen hervorbringen. Parotto untersucht beide Konzepte, indem sie deren theoretischen und terminologischen Wurzeln in den frühen Schriften von Voegelin, insbesondere im Autoritären Staat aufspürt. Dort arbeitet Voegelin die besondere Beziehung zwischen existentieller und elementarer Repräsentation bei der Auflösung des österreichisch-ungarischen Imperiums und der Geburt von Nationalstaaten heraus, wozu er Autoren und Theoretiker aus dem 19. Jahrhundert heranzieht. Daraus gewinnt er nützliche Erkenntnisse, wie die Zukunft des Westens jenseits des Horizonts von Souveränität und Repräsentation aussehen könnte. Arpad Szakolczai schließlich interpretiert Voegelins Philosophie im Kontext der gegenwärtigen Krise, auf die er das Konzept der liminality anwendet, das er schon in zahlreichen früheren Schriften herangezogen hat. Den Kollaps der repräsentativen Demokratie und die heute sichtbare anthropologische Transformation führt er auf die Grundlage zurück, die Hobbes mit seinem Konzept der Repräsentation gelegt hat und das Szakolczai im Lichte der Logik der Alchemie (und der modernen Wissenschaft) versteht. Politik und Alchemie hingen beide von einer liminalen Auffassung von Zeit ab, die in der Moderne einen Charakter der Beständigkeit annehmen würde. Das Verhältnis der Repräsentation zum Göttlichen und die Verankerung in der konkreten Wirklichkeit der Person werden aus der Repräsentation eliminiert und Politik auf bloße Theatralik reduziert. Der zweite Teil des Jahrbuchs widmet sich einzelnen Aspekten von Voegelins Denken und versammelt dazu sowohl vertiefende Aufsätze als auch originelle Interpretationswege, die wissenschaftliche Debatten anregen sollen. Auch wenn die Titel der verschiedenen Aufsätze in diesem Teil zunächst den Eindruck einer kaum kohärenten Reihung vermitteln, so erweist die eigentliche Lektüre dann doch teilweise fast verblüffende gemeinsame Bezüge und Zusammenhänge. Wir finden zunächst einen umfangreichen Aufsatz von Peter  J.  Opitz, der den ganz großen Bogen über Voegelins Denken von den Versuchen der 1920er Jahre, eine systematische und philosophisch begründete Staatswissenschaft aufzubauen, bis zur Neuen Wissenschaft der Politik spannt. Daraus ist

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eine detaillierte Rekonstruktion entstanden, die in einem vertieften Quellenvergleich und unter Zuhilfenahme der Korrespondenz die verschiedenen Entwicklungsstadien von Forschungsthemen, die Voegelin ein Leben lang beschäftigt haben, in einer umfassenden Analyse verfolgt. Axel Bark präsentiert das Ergebnis umfangreicher Forschungen zum Konzept der Historiogenese, das Voegelin in der Zeitspanne zwischen den ersten drei Bänden von Ordnung und Geschichte bis zum Ecumenic Age (4. Band) entwickelt hat. In dieser Periode, die einen theoretischen Wendepunkt in Voegelins philosophisch-politischer Reflexion markiert, spielt das Thema der Historiogenese, nämlich die Untersuchung der Bedingungen, die die Entstehung historischer Narrative mit linearer Struktur begünstigen und ermöglichen, eine zentrale Rolle. Die Arbeit zeichnet die Themen und Aspekte nach, die Voegelin zur Fokussierung auf das Konzept der Historiogenese veranlasst haben, und sie zeichnet seine Befassung mit zahlreichen Werken nach, die der Entwicklung dieses für ihn so zentralen Konzepts vorausging beziehungsweise sie vorbereitete. Das für Voegelin so zentrale Geschichtsthema ist auch Gegenstand des Artikels von Bogdan Ivaşcu. Dieser setzt sich darin mit verschiedenen Formen des Denkens über Geschichte auseinander, die Voegelin als „abweichend“ oder sogar als intellektuell unehrlich kritisierte. Andere Denkformen, die stattdessen die Struktur der Geschichte respektieren, analysiert Ivaşcu nicht unter Zugrundelegung der philosophischen Anthropologie, sondern gemäß ihrer metaphysischen Natur. In der Gegenüberstellung von Voegelin und Hegel treten wichtige Affinitäten hervor, die Voegelin zu einem völlig modernen Philosophen machen würden. Auch Max Stange setzt sich inhaltlich kritisch mit dem Thema intellektueller Redlichkeit auseinander und fragt sich, was sich hinter diesem für Voegelin eigentlich ungewohnten Begriff unter Zugrundelegung seiner allgemeinen Definition verbirgt. Der Autor beleuchtet dabei die Frage, ob Voegelin mit seinen immer wieder gegen andere vorgebrachten Ideologievorwürfen nicht seine eigene Redlichkeit beeinträchtigt habe. Massimo Mezzazanica beschäftigt das Thema des Symbols auf Eric Voegelins Weg von den politischen Religionen zur Neuen Wissenschaft der Politik. Er zieht zeitgenössische Interpretationen des Symbols dazu heran, um Voegelins konzeptionelles Verständnis von Mythos, Symbol und Religion zu interpretieren. Das Thema der Erfahrung verleiht dem Konzept des Symbols neuen Lebenssaft und wird sowohl in Bezug auf das Politische und die Repräsentation als auch in seiner epistemischen Funktion untersucht. Alberto Castaldini thematisiert die Kreatürlichkeit im Prozess der Immanentisierung, den Eric Voegelin formuliert hat. Demnach kann Kreatürlichkeit

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bei Voegelin je nach Artikulationsebene etwa Geschöpflichkeit bedeuten, verstanden als Symbol einer menschlichen Natur, die in ihrer Körperlichkeit Ausdruck findet; als ein Symbol, das in der Offenbarung in der Gestalt von Abraham und Hiob in Erscheinung tritt, mithin als Symbolfiguren für die gesamte Menschheit. Rezensionen von Büchern, die in jüngerer Zeit erschienen sind und zur Vermutung Anlass gaben, bei den Lesern dieses Jahrbuchs Interesse zu finden, obwohl sie nicht alle unmittelbaren Bezug zu Eric Voegelin nehmen, beschließen diesen Band.

Part I Demokratie und Repräsentation. Zur Bedeutung der Repräsentationstheorie Eric Voegelins

Die Repräsentation jenseits der repräsentativen Demokratie? Giuseppe Duso Abstract Beginning with the question of the logic and aporias of modern representation – from the genesis of sovereignty to democratic constitutions – the essay discusses the theoretical structure of representation according to Eric Voegelin and the latter’s critique of Carl Schmitt. In this regard, the necessary relationship with the idea implicit in representation and the relevance of the reference to Plato are brought into focus. On this basis, some reasons for the crisis of modern democracy are spelt out. The task that comes to us from Voegelin, beyond his political proposal, is to think about the order of society in a way that is different from the state-form, in such a way that it does not contradict the structure of representation as an experience of transcendence.

Keywords Representation, Sovereignty, Idea, Democracy, Government/Rule

Das verbreitete Bewusstsein dafür, dass die Demokratie eine Krisenzeit erlebt, hat die Debatte um politische Repräsentation verschärft. Die Krise der Demokratie wird häufig mit der Krise der politischen Repräsentation identifiziert – oder, besser gesagt, mit der Unfähigkeit des allgemeinen repräsentativen Körpers und der politischen Parteien, die seine notwendige Vermittlung sicherstellen, die Bedürfnisse und den Willen der Bürger widerzuspiegeln. Unterschiedliche und sogar widersprüchliche Positionen teilen die Annahme, dass die Wahlen das geeignete Mittel sind, nicht nur um die Herrschaftsausübung zu legitimieren, sondern auch um die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben und am politischen Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Daraus ergibt sich auch die weit verbreitete Auffassung, dass die Aufgabe der Repräsentanten darin besteht, den Willen der Bürger widerzuspiegeln * Für die Übersetzung aus dem Italienischen danke ich Herrn Dr. Matteo Bozzon (IISF). Für die weitere Korrektur zur Veröffentlichung danke ich sehr Frau Felicitas Böshagen (WWU Münster). © Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_002

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und ihn in politischen Entscheidungen umzusetzen. Die größere oder geringere Repräsentativität der Institutionen erscheint als Gradmesser der Demokratie in einer Gesellschaft. Ich denke, dass es bei der philosophischen Kritik nicht so sehr darum geht, für eine der gegensätzlichen Positionen Partei zu ergreifen, sondern die weit verbreiteten Konzepte und Meinungen zu hinterfragen und dann ihre Gründe, ihre Logik und ihre Aporien zu verstehen1. Dies ist eine Haltung, die Voegelin als wissenschaftlich bezeichnen würde, nicht im Sinne eines abstrakten und definierenden Wissens, sondern im Sinne eines Wissens, das – wie bei der praktischen Philosophie von Platon und Aristoteles – durch das Problem des Wahren und des Guten bestimmt wird. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, den von der Konferenz vorgeschlagenen problematischen Rahmen anzugehen. Dabei handelt es sich um eine partielle Betrachtung, die durch meinen eigenen Forschungsweg bedingt ist, in dem die Auseinandersetzung mit dem Denken von Voegelin sehr relevant gewesen ist. Im Folgenden möchte ich auf drei Punkte eingehen: 1. das Problem der Demokratie, ihrer Krise, oder vielleicht genauer ihrer Aporien; 2. die zentrale Position der Repräsentation aus theoretischer und verfassungsmäßiger Sicht; 3. das Erfordernis einer Krisenüberwindung durch ein anderes Verständnis der politischen Ordnung (aber dabei handelt es sich um eine problematische und fragwürdige Ergänzung, die sich aus meinem Beitrag ergibt). Ich werde daher mit der Natur der Repräsentation als Kernelement für die moderne politische Form und für die heutigen demokratischen Verfassungen beginnen. Um die zentrale Bedeutung der Repräsentation für das Denken und die Praxis zu zeigen, werde ich auf einige Aspekte des Schmittschen Denkens im Rahmen der Rezeption (und Kritik) Voegelins eingehen. Darin wird die theoretische Natur der Repräsentation als Beziehung zu Idee und Wahrheit erschlossen. Diese Natur der Repräsentation ist genau diejenige, die die moderne Repräsentation ermöglicht. Die Letztere widerspricht ihr jedoch aufgrund ihrer strukturellen Kopplung mit dem Souveränitätsbegriff. Voegelins Gedankenspur zeigt meines Erachtens eine Aufgabe auf, die über Voegelin hinausgeht und für welche wir die theoretische Verantwortung übernehmen sollten. Die Natur der Repräsentation erfordert, dass man die politische Ordnung in einer Weise denkt, die sich von der Staatsform und von der im Horizont der modernen Souveränität (d.h. der modernen Repräsentation) gedachten Demokratie unterscheidet. Mit anderen Worten erscheint es notwendig, Politik und Demokratie neu zu denken. 1 G. Duso, La logica del potere. Storia concettuale come filosofia politica, Rom – Bari: Laterza 1999, Kap. 1.

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Natur und Funktion der modernen Repräsentation

Zunächst einmal kann es nützlich sein, kurz auf die Entstehung und Logik des modernen Begriffs der Repräsentation zu verweisen. Wenn in der gegenwärtigen Debatte von „Repräsentativität der Institutionen“ die Rede ist, geht man tendenziell davon aus, dass die politische Repräsentation in der Widerspiegelung des Willens der Bürger besteht. Eine solche Voraussetzung ergibt sich jedoch aus einem fehlenden Bewusstsein für die radikale Trennung, die seit der Französischen Revolution die Entstehung moderner Verfassungen kennzeichnet. Seit dem revolutionären Bruch geht es nicht mehr darum, Teile der Gesellschaft oder partikuläre Bedürfnisse eines plural und ständisch artikulierten Volkes gegenüber einer obersten regierenden Instanz (der Figur des Königs) zu vertreten; vielmehr soll der souveräne Volkswillen, d.h. der Wille des aus der Gesamtheit der Individuen gebildeten kollektiven Körpers, zum Ausdruck gelangen. Wenn der Dritte Stand zum Staat wird, gibt es keine verschiedenen Stände und Bünde mehr, die eine politische Funktion ausüben, wie das Le-Chapelier-Gesetz von 1791 besagt: Da das Volk selbst souverän ist, hat es keine herrschende Instanz mehr vor sich. Seit dem epochalen Übergang von der ständischen bzw. korporativen Vertretung zu einer Repräsentation nach Kopfzahl nehmen die Bürger als freie und gleiche Individuen an den Wahlen teil, d.h. nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder zu einer Körperschaft, sondern außerhalb jedes partikulären, bedingenden Verhältnisses. Dementsprechend müssen die Repräsentanten ihrerseits nicht mehr den existierenden Willen widerspiegeln – nicht denjenigen von Gruppen und Körperschaften, noch weniger denjenigen von den Individuen (ein Auftrag, der nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch unmöglich wäre). Der repräsentative Körper erhält eine ganz neue Funktion: den Willen des kollektiven Subjekts, d.h. des Volkes, auszudrücken. Und der Volkswille muss repräsentiert werden, weil das Volk nicht anwesend ist: Wenn das Volk anwesend wäre, wäre es nicht notwendig und auch nicht möglich, es zu repräsentieren. Der Begriff der Repräsentation scheint hier völlig neubestimmt zu sein. Es geht nicht mehr darum, einen vorgegebenen Willen widerzuspiegeln (wie es im Rahmen von der repraesentatio identitatis der Fall war2), sondern dem nicht empirisch Anwesenden eine Form zu geben. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der

2 Zur „repraesentatio identitatis“ vgl. H.  Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin: Duncker & Humblot 20034, S. 191–285.

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die Einzelnen und die Einheit des kollektiven Subjekts umfasst und die Vielzahl bestimmter Akteure drastisch ausschließt, da Gruppen und Verbände in den Bereich der Zivilgesellschaft verbannt werden müssen3. Wie deutlich wird, ist dieser Begriff der Repräsentation mit einem neuen Begriff des Volkes eng verbunden, da sich das Volk nicht mehr auf eine Pluralität unterschiedlicher Gruppierungen und sozialer Gebilde bezieht, die in der Erfahrung auftreten, sondern sich mit der Gesamtheit der Individuen identifiziert, die als frei und gleich verstanden werden müssen. Dieser Begriff des Volkes enthält zwei Aspekte, die auf den ersten Blick als Gegensätze zueinander erscheinen: Auf der einen Seite das einheitliche Subjekt, das als einziges legitimerweise die Herrschaft in Form des Gesetzes zum Ausdruck bringen kann; und auf der anderen Seite die Vielzahl der Bürger, die dem Gesetz gehorchen müssen. Aber da es die Bürger sind, die das Volk bilden, müssen die beiden gegensätzlichen Seiten der Einheit und der Vielzahl zusammengebracht werden. Für diese Aufgabe ist die Repräsentation bestimmt, die infolgedessen zwei Bewegungen mit sich bringt: Die erste, mit der alle Bürger durch Wahlen die politische Autorität begründen, d.h. die Repräsentanten wählen und sie ermächtigen, für alle den Volkswillen auszudrücken. Die zweite, die logischerweise nachfolgt, besteht darin, dass das Gesetz, das in der Deliberation des repräsentativen Organs Gestalt annimmt, als der Wille des Kollektivsubjekts, also aller Individuen, verstanden wird. Deshalb wird das Gesetz allgemeinverbindlich und unwiderstehlich, weil sich alle durch Wahlen selbst zu Urhebern (Autoren) gemacht haben. Daraus ergibt sich die Verpflichtung zum Gehorsam, auch wenn bestimmte Gesetze von vielen Bürger als ungerecht empfunden werden können. Wenn man sich fragt, woher dieses begriffliche Dispositiv, das sich historisch in den modernen Verfassungen etabliert hat, aus theoretischer Sicht kommt, dann muss man auf jene Vorstellung von Souveränität zurückblicken, die in den modernen Naturrechtslehren entstanden ist4. In dieser Vorstellung beruht die politische Herrschaft auf dem freien Willen jedes Einzelnen. Der Zusammenhang zwischen den individuellen Rechten und der Absolutheit der Herrschaft mag überraschend erscheinen, aber nur, wenn man die Logik, die sich mit der modernen Naturrechtslehre durchsetzt, missversteht. Insbesondere denke ich an die Werke von Hobbes, Pufendorf, Locke, Rousseau, 3 Vgl. E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, in: E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 379–405, und G. Duso, Die moderne politische Repräsentation. Entstehung und Krise des Begriffs, Duncker & Humblot: Berlin 2006. 4 Vgl. L. Jaume, Hobbes et l’État représentatif moderne, Paris: PUF 1986, und G. Duso (Hg.), Il contratto sociale nella filosofia politica moderna, Bologna: Il Mulino 1987.

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in denen (wenn auch auf unterschiedlichen Weisen) gerade ausgehend von den Individuen und ihren Rechten jene Zwangsgewalt des Kollektivsubjekts abgeleitet wird, die Resultat und Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Rechte gleichzeitig ist. Eine begriffsgeschichtliche Analyse der Repräsentation führt nicht nur zu der Schlussfolgerung – die paradox erscheinen mag –, dass die absolute Natur der Souveränität in den modernen Naturrechtslehren entsteht, sondern auch dass die moderne Demokratie nicht ohne diejenige begriffliche Trennung denkbar ist, die ihre Wurzeln im Denken von Thomas Hobbes hat, das oft als absolutistisch bezeichnet wird. Die Analysen, die ich und meine Forschungsgruppe über diese Aspekte in verschiedenen Arbeiten durchgeführt haben, lassen sich hier nicht wiederholen. Sie laufen in einer gemeinsamen Richtung zusammen, die ich „Begriffsgeschichte als politische Philosophie“ genannt habe. Es genügt, daran zu erinnern, dass zwar im Leviathan der moderne Souveränitätsbegriff als absolute und unwiderstehliche Herrschaft entsteht, dass dies aber nicht der Ausgangspunkt der hier eröffneten modernen Politikwissenschaft ist, sondern die unvermeidliche Konsequenz eines logischen Verfahrens, das die gleichen und freien Individuen als Voraussetzung hat und das den Begriff der Repräsentation als unverzichtbares theoretisches Instrument erfordert. Wie im 17. und 18. Kapitel des Leviathans deutlich wird, ist der Wille des Souveräns absolut, weil er Repräsentant ist, d.h. weil er dem einheitlichen Willen des politischen Körpers eine Stimme gibt. Es ist dann kein Zufall, dass die Darstellung des modernen Begriffs der Repräsentation (im 16. Kapitel) der Darstellung der Institution des Souveräns durch den Gesellschaftsvertrag (im 17. Kapitel) vorausgeht. Die Repräsentation erscheint nämlich nicht nur notwendig, um der politischen Einheit eine Stimme zu geben, sobald sie gebildet ist, sondern vor allem, um ihre Entstehung zu ermöglichen. Wenn man sich fragt, wie eine politische Einheit aus der zahllosen undifferenzierten Vielzahl gleicher und freier Individuen möglich ist, dann lautet die Hobbessche Antwort, dass dies möglich ist, insofern sich alle (Bürger) zu Autoren dessen, was der Repräsentant will oder machen wird, erklärt haben. Eine solche Antwort scheint kaum umstritten zu sein, wenn die einzelnen Individuen die Grundlage der Politik bilden. Es handelt sich um denjenigen Ermächtigungsvorgang, der die erste Bewegung der Repräsentation darstellt und auf den folgt, dass der vom Repräsentanten ausgedrückte Wille als Volkswille verstanden wird – und alle als Urheber hat. Ohne den modernen Repräsentationsbegriff ist die Souveränität nicht denkbar. Und umgekehrt erzeugt die moderne Repräsentation notwendig die Souveränität mit ihrer Logik und ihren Aporien. Das bedeutet, dass die Absolutheit der Herrschaft aus ihrer von unten hergeleiteter Begründung resultiert.

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Die Komplexität zeitgenössischer Verfassungen ist zweifellos nicht allein durch die Hobbessche Perspektive dechiffrierbar und in der modernen Repräsentation stellt sich, wie viele5 argumentieren, neben dem Element der Unabhängigkeit des Repräsentanten, das sich im Begriff des in allen demokratischen Verfassungen enthaltenen freien Mandats verdeutlicht, auch das Problem der Übereinstimmung zwischen dem Willen des Repräsentanten und dem Willen der Repräsentierten. Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass die in der Gesellschaft anwesenden unterschiedlichen Meinungen und Interessen zur Bildung eines allgemeinen Willens beitragen, der ihre Synthese darstellen sollte. Dennoch scheinen einige Elemente dieser Logik nicht radikal überholt zu sein, wenn man sich die Wahl der repräsentativen Körperschaften und die Bedeutung und Art der Rechtssetzung anschaut. Das Volk als einheitliches politisches Subjekt bleibt eine ideale Größe. Dieses Volk ist nicht mit einzelnen wählenden Bürgern identifizierbar und auch nicht mit dem repräsentativen Körper, der das Gesetz macht; es ist vielmehr eine Idee, die sich in der Gesamtheit dieses Prozesses ausdrückt und ihn gleichzeitig überschreitet, denn jede Repräsentation, die institutionell durchgeführt wird, kann immer noch wegen ihrer Parteilichkeit angeklagt werden. Dies ist in der Tat keine Synthese der Pluralität, sondern das Durchsetzen des Willens einer Mehrheit als Wille des gesamten Volkes. In diesem permanenten Mehr- und Anderssein des Volkes als konstituierende Größe (d.h. als Subjekt der verfassunggebenden Gewalt) besteht der Ansatzpunkt für die demokratische Dialektik, nach dem man die gegenwärtige Ausübung der repräsentativen Herrschaft immer als Verrat am wahren Volkswillen anprangern kann. Diese Struktur der repräsentativen Herrschaft betrifft auch die direkte Demokratie, die nicht aus der Logik und den Aporien der repräsentativen Demokratie heraustritt, sondern ihr anderes Gesicht bildet. Dass die politische Einheit und der Ausdruck des Volkes immer eine repräsentative Vermittlung benötigt – auch über den repräsentativen Körper hinaus – kann man gut verstehen, wenn man sich die institutionellen Formen ansieht, die sich an der direkten Demokratie orientieren: Auch der so genannte direkte Ausdruck des Volkswillens braucht eine Frage, die durch ein Ja oder ein Nein den unterschiedlichen Willen der Wähler in einheitlicher Form aufnimmt. Der direkte Ausdruck des Volkswillens besteht also in einem durch eine Frage geformten Prozess, der eine Berechnung der individuellen Antworten ermöglicht, deren Mehrheit (in Wirklichkeit eine kleine Minderheit der Bevölkerung) mit dem Volkswillen identifiziert wird. In diesem Prozess wird das Volk sicherlich nicht als ein wirkliches Subjekt herausgebildet, das sich direkt ausdrückt. Sowohl in 5 Vgl. H. Pitkin, The Concept of Representation, Berkeley: University of California Press 1967.

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der repräsentativen Demokratie als auch in der direkten Demokratie kommt die politische Einheit durch einen repräsentativen Prozess zum Ausdruck und erscheint als ein von den einzelnen Bürgern zu unterscheidender Wille6. Ich kann hier nicht auf die Aporien eingehen, die eine auf Souveränität beruhende Demokratie kennzeichnen7. Ich möchte allein auf die Lücke zwischen dem einheitlichen Charakter der politischen Herrschaft und den Bürgern hinweisen: Im Rahmen der repräsentativen Demokratie beauftragen die Bürger ihre Repräsentanten durch Wahlen, entscheiden aber nicht über den Inhalt des politischen Befehls, d.h. des Gesetzes; im Rahmen der direkten Demokratie befinden sich die Bürger in einem Prozess, in dem sie nur in dem Maße aktiv sind, wie sie eine Frage beantworten, die sie nicht gestellt haben. In beiden Fällen ist das, was als Ausdruck ihres politischen Willens verstanden wird, in Wirklichkeit der Ausdruck ihrer Meinung über Personen oder Themen, über die sie oft (nicht immer) weder Wissen noch Kompetenz noch Erfahrung haben8. Man kann dann sagen, dass die repräsentative Herrschaft, die als eine Errungenschaft der modernen Konzeption der Politik erscheint, eine rein autoritative Demokratie darstellt9, in der die Bürger kaum die Möglichkeit haben, politische Entscheidungen nicht so sehr auf der Grundlage ihrer Meinungen, sondern ihrer konkreten Erfahrungen, Bedürfnisse und Fähigkeiten zu beeinflussen. 2.

Das Denken der Repräsentation zwischen Schmitt und Voegelin

Die zentrale Position des Repräsentationsbegriffs für die moderne Auffassung der Politik hat Carl Schmitt hervorgehoben. Anlässlich eines Symposiums zu Voegelin hier in München10 habe ich bereits zu zeigen versucht, dass die Auseinandersetzung mit dem Schmittschen Denken – die beim frühen Voegelin 6 7 8 9 10

Vgl. H. Hofmann – H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: H.-P. Schneider – W. Zeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin – New York: de Gruyter 1989, S. 172–173. Ich verweise auf G. Duso, Repräsentative Demokratie: Entstehung, Logik und Aporie ihrer Grundbegriffe, in: K. Schmitt (Hg.), Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2003, S. 11–36. Zur Verabsolutierung der Meinungswillkür bei den Wahlen, siehe B. Karsenti, Election et Jugement de Tous, in: G. Duso – J.-F. Kervégan (Hgg.), Crise de la démocratie et gouvernement de la vie, Monza: Polimetrica 2007, S. 115–135. Wie auch von Pierre Rosanvallon hervorgehoben: vgl. P. Rosanvallon, Le bon gouvernement, Paris: Seuil 2015. Das Symposium fand 2001 in München statt. Der Text meines Vortrags wurde dann auf Französisch veröffentlicht: G. Duso, La crise de l’État comme forme juridique et la

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auftritt und in seiner Rezension von Schmitts Verfassungslehre11 besonders deutlich wird – für den Weg relevant ist, der Voegelin zu Die neue Wissenschaft der Politik führt. Wenn in diesem Werk der Begriff der Repräsentation von grundlegender Bedeutung ist, muss man in der Tat daran erinnern, dass sich Voegelin 1931 in seiner Rezeption Carl Schmitts sehr stark auf das Thema der Repräsentation fokussiert: Und zwar sowohl im Hinblick auf die Aufwertung des Schmittschen Werkes als auch auf dessen Kritik, die seinem von Schmitt abweichenden intellektuellen Weg zugrunde liegt. Hier ist auch daran zu erinnern, dass der Begriff der Repräsentation, der schon in frühen Werken von Schmitt theoretisch relevant erscheint, in der Verfassungslehre eine zentrale Rolle spielt, da er nicht nur unverzichtbar ist, sondern auch das formende Element der politischen Form ist. Obwohl behauptet wird, dass die Prinzipien der Staatsverfassung zwei sind, und zwar Repräsentation und Identität, zeigt die Analyse des Schmittschen Textes selbst, dass die beiden Prinzipien nicht nur in der historischen Realität, sondern in ihrer eigenen Logik miteinander verbunden sind, insofern es nicht möglich ist, dass sich das Volk ohne den repräsentativen Prozess äußert, wie oben erwähnt wurde12. Das sieht Voegelin ganz deutlich, wenn er behauptet, dass eine vollständige Identität des Volkes niemals erreichbar ist, sondern immer ein Rest der Repräsentation bleibt13. Ich denke, dass man noch radikaler sagen kann, dass das Volk nur durch Repräsentation Ausdruck finden kann, weil es als Einheit nur eine Idee ist. Daher weisen die beiden Prinzipien in Wirklichkeit auf zwei Elemente desselben Prozesses hin: den Prozess der Repräsentation. Dies ist der archimedische Punk für die Logik der modernen Repräsentation, die mit der Souveränitätsbewegung zusammenfällt. Wenn am Anfang die Einzelnen stehen, ist die Einheit des Volkes immer anders als die Einzelnen und die Einheit taucht nur repräsentativ auf. Man kann dann sagen, dass die Repräsentation nicht nur für die repräsentative, sondern auch für die direkte Demokratie strukturell ist: Anstatt die der Repräsentation inhärente Dualität zu überwinden, bestätigt die direkte Demokratie diese Dualität am Ende14. Die Interpretation von Voegelin zeigt jedoch, dass bei Schmitt keine einfache Anpassung an die Logik der politischen Form besteht, denn über die

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philosophie politique: Eric Voegelin et Carl Schmitt, in J.-F. Kervégan (Hg.), Crise et pensée de la crise en droit. Weimar, sa république et ses juristes, Lyon: ENS Éditions 2002, pp. 217–231. E. Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien, Zeitschrift für öffentliches Recht, 11 (1931), pp. 89–109. Duso, Die moderne politische Repräsentation, S. 148–176. Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 100. Vgl. G. Duso, Die moderne politische Repräsentation, S. 96–100.

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institutionelle Struktur der Repräsentation hinaus erkennt Schmitt ihren existenziellen Aspekt. Dieser existentielle Aspekt führt ihn zum Begriff der Entscheidung, der für das Verständnis der Entstehung und Bewegung der Form notwendig ist. Daher wäre in Schmitt ein wissenschaftliches Verständnis zu erkennen – im Sinne der Philosophie –, auch wenn es nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht und deshalb missbraucht wird, weil Schmitt in der Staatswissenschaft eingesperrt bleibt. Dieser existenzielle Aspekt der Repräsentation wird für die Entwicklung des Voegelinschen Denkens von grundlegender Bedeutung, insofern Voegelin die Repräsentation, unabhängig von den repräsentativen Institutionen, als die Praxis einer Regierung (einschließlich der sowjetischen) versteht, einer politischen Gesellschaft die Form zu geben, durch die sie in der Geschichte bereit ist zu handeln15. Der existenzielle Aspekt führt zu einer weiteren Verständnisebene der Natur der Repräsentation, die bei Schmitt selbst zu finden ist. Voegelin geht nämlich auf die berühmte Definition ein, die in der Verfassungslehre von Carl Schmitt gerade dort auftaucht, wo behauptet wird, dass die Repräsentation keine normative Tatsache ist, sondern „etwas Existentielles“: „Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbarmachen und gegenwärtigen“. Auf diese Weise entsteht die Beziehung zur Idee, die den repräsentativen Prozess kennzeichnet und deren wahre Essenz aufdeckt. Man muss bedenken, dass die Unsichtbarkeit der Idee für ihre Natur konstitutiv ist und daher auch in dem Vorgang, der sie vergegenwärtigt, übrigbleibt, weil die Idee sich nicht auf jenes Bild reduzieren lässt, das der repräsentative Prozess erzeugt. Aufgrund dieser Nichtreduzierbarkeit auf eine empirische Gegebenheit spielt die Idee eine konkrete und strukturelle Rolle für die Praxis und die Politik. Ich habe wiederholt versucht zu zeigen, wie in diesem eigenen transzendierenden Vorgang der Repräsentation, der die menschliche Praxis und die Politik kennzeichnet, der tiefste Sinn der politischen Theologie Schmitts besteht16, – viel eher als in der Definition der Souveränität, die in Politische Theologie von 1923 auftaucht. Es scheint mir, dass diese theoretische Struktur der Verbindung zur Idee für jenen Zusammenhang zwischen Repräsentation und Wahrheit relevant ist, der im Mittelpunkt der Neuen Wissenschaft der Politik steht. Auch für Voegelin kann man sagen, dass das Mehr- und Anderssein der Idee in dem repräsentativen Prozess nicht verloren geht: So wie die Idee für die Erfahrung der Seele 15 16

E. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München: Anton Pustet-Verlag 1959, Kap. 1, Repräsentation und Existenz, S. 60–61. Siehe M. Scattola, Teologia politica – Politische Theologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022.

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unerlässlich ist, hat sie sich ebenso zu einem Besitz unseres Denkens nie verfestigt. Die Voegelinsche Bezugnahme auf Platon ist in diesem Fall vorbildlich. Wenn in der Politeia das politische Problem in der Verwirklichung des Guten in der realen polis besteht, ist zu bedenken, dass sich das Gute nicht auf den Gegenstand unseres Wissens beschränken kann: Nichts kann über das agathon gesagt werden: „Das ist die fundamentale Einsicht der platonischen Ethik. Die Transzendenz des agathon macht immanente Aussagen über seinen Inhalt unmöglich“17. Die Begriffe Transzendenz und Immanenz können sich als unklar erwiesen und zu Missverständnissen führen. Man muss sich verdeutlichen, dass die Erfahrung der Wahrheit nicht zur Behauptung einer Transzendenz führt, die, da sie bekannt ist, Praxis und Politik begründen kann. Die Transzendenz der Wahrheit gehört dann zur Erfahrung der Seele, insofern sie ihre Realität bildet – unter diesem Gesichtspunkt könnte man auch sagen, dass die Transzendenz der Wahrheit gerade in der Seele selbst entsteht. Dank dieser Struktur der Repräsentation, die bei Platon in der spekulativ schärfsten Weise auftaucht, sieht Voegelin in den Dialogen von Platon keine Doktrin bzw. keine abstrakte Gerechtigkeitstheorie, sondern vielmehr den Widerstand gegen die konkreten Ungerechtigkeitsformen in der Polis und in der Doktrin der Sophisten, die im Lichte der platonischen episteme doxai sind. Diese Natur der wahren Wissenschaft der Politik, die eng mit der Struktur der Repräsentation verbunden ist, muss berücksichtigt werden, um jene Aufgabe zu verstehen, die sich daraus für das Denken der politischen Ordnung ergibt. Aber in erster Linie muss man die Kritik verstehen, die Voegelin an Schmitt richtet, denn durch sie stellt sich diese Aufgabe für uns. Wenn es richtig ist, dass bei Schmitt eine Radikalisierung der politischen Form erreicht wird, die zur existenziellen Dimension und Entscheidung führt, kommt er doch nicht über die Staatslehre und den theoretischen Horizont hinaus, den diese Form mit sich bringt. Wenn die gegen Schmitt gerichtete Kritik darin besteht, dass er in der Staatslehre gefangen bleibt, dann ist auch die Aufgabe auferlegt, die Politik jenseits der Staatslehre zu denken, d.h. über die moderne politische Form, bzw. das durch Rechtsrationalität konzipierte Politische, hinaus zu gehen. Das scheint mir die logische Konsequenz von Voegelins Kritik zu sein. Wir können zwei Aspekte dieser Kritik erkennen. Erstens, was das Konkrete der Bürger betrifft, die für Voegelin Personen und nicht undifferenzierte Individuen, die das Volk bilden, sind. Es ist ihre konkrete Realität, die Schmitt nicht erkennen würde, wenn er den repräsentativen Prozess nur den Herrschenden zuweist, d.h. denen, die im Kontext der repräsentativen Herrschaft 17

E. Voegelin, Plato, Baton Rouge: Louisiana State University Press, deutsche Übers, Fink Verlag 2002, S. 147.

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Repräsentanten sind. Wenn für Schmitt „nur wer regiert, nimmt an der Repräsentation teil“ gilt, widerspricht dies der Tatsache, dass die Repräsentation eine Struktur des Menschen und seiner Praxis ist. Daher muss sie allen zuerkannt werden und nicht nur den Regierenden: „Jeder Mensch repräsentiert die politische Einheit“, schreibt Voegelin. Wenn die Repräsentation die Natur des Politischen ist, erkennt man in dieser Kritik den Vorwurf der Entpolitisierung an, der in der Schmittschen Perspektive entsteht, weil er an die Staatsform gebunden bleibt (und das gilt auch für den demokratischen Staat). Aber neben diesem Aspekt, den wir als verfassungsmäßig bezeichnen könnten, kann Voegelins kritische Haltung es ermöglichen, einen anderen Aspekt hervorzuheben, der direkter die theoretische Struktur der Repräsentation betrifft. Obwohl die Voegelinsche Interpretation von Hobbes zweifach ist und auch Elemente einer Wertschätzung aufweist, wird in seinem Denken eine Form des Gnostizismus festgestellt; und genau das ist es, was in Bezug auf unser Thema von Bedeutung ist. Es handelt sich um einen anderen Gnostizismus, der demjenigen entgegengesetzt ist, der eine transzendente Grundlage der Ordnung verlangt. Er besteht darin, die Spannung zwischen der Ordnung der Gesellschaft und der Wahrheit der Seele zu leugnen18. Der Immanentisierung des Eschatons, die Religionskriege auslöste und die Existenz gefährdete, stelle Hobbes eine radikale Immanenz der Existenz gegenüber, die Eschaton und Beziehung zu einer transzendenten Wahrheit leugnete, so Voegelin. Kurzum: in Hobbes hat man eine Position der Immanenz, die jene Erfahrung der Transzendenz negiert, die die Ordnung der Seele kennzeichnet. Eine solche Immanenz besteht in der Verabsolutierung der Existenz der Gesellschaft und ihrer Selbstrechtfertigung, die sich meines Erachtens aus der die Souveränität kennzeichnenden Selbständigkeit der Herrschaftslegitimation ergibt. Ich glaube, dieser Punkt ermöglicht eine autonome Reflexion über das, was mit dem Hobbesschen Denken geschieht. Anstatt mit einer bloßen Behauptung der Immanenz konfrontiert zu sein, steht man hier vor etwas, das als Immanentisierungsprozess beschrieben werden kann. Die die Repräsentation kennzeichnende Transzendierungsbewegung, die Schmitt selbst als entscheidend für die Politik hervorgehoben hat, scheint unvermeidlich und strukturell für die menschliche Praxis zu sein. Denn dieselbe Einheit des souveränen Volkes kann erst durch diese Verbindung zur Idee hergestellt werden. Wenn man sich fragt, was der Grund dafür ist, dass sich die Verbindung zur Idee in diesem Fall in eine immanente wissenschaftliche Konstruktion verwandelt, dann muss meines Erachtens die Antwort darin gefunden werden, dass diese ursprüngliche theoretische Struktur, die bei Platon selbst zu finden ist, mit der 18

Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 221 ff.

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modernen Repräsentation identifiziert wird. In dieser ist die zu repräsentierende Idee, nicht mehr die der Gerechtigkeit, des Guten, der Wahrheit, sondern die der Einheit des Kollektivsubjekts, d.h. des Volkes. Man befindet sich dann in einer aporetischen Situation: Einerseits erfordert die Repräsentation notwendigerweise – selbst in der säkularsten Form wie derjenigen der modernen Parlamente – immer noch eine Transzendierungsbewegung, weil das Volk als einheitliches Subjekt keine konkrete, empirisch anwesende Realität ist, die in unserer Erfahrung erscheint, sondern nur eine Idee. Aber gleichzeitig erscheint das Volk, sobald es repräsentativ gebildet ist, – sowohl im Hobbesschen als auch im Rousseauschen Denken – als das absolute Subjekt der Politik, und das führt die Frage der Gerechtigkeit auf den Ausdruck des Volkswillens zurück19: In der Demokratie ist es gerecht, dem Gesetz zu gehorchen, weil es von Bürgern (direkt oder indirekt aber immer repräsentativ, wie wir gesehen haben) gemacht wird. Die Immanenz, die die Souveränität auch in ihrer demokratischen Form charakterisiert, hängt davon ab, dass die Vernunft nicht mehr diejenige der Griechen ist – und auch nicht diejenige der Neuen Wissenschaft der Politik. Es handelt sich nämlich um eine formale Rationalität, die zu einer Logik führt, die, insofern sie geometrisch und selbsttragend ist, eindeutig sein muss. Die Vernunft zielt nicht mehr darauf ab, die Frage des Guten und des Gerechten als unvermeidbar zu zeigen und gleichzeitig die Antworten als widersprüchlich zu erweisen, die sich als wahr und vollständig ausgeben (Antworten, die eigentlich bloße doxai sind). In dieser Logik gehen das Konkrete der Erfahrung und die Verbindung zur Gerechtigkeitsidee verloren, ohne die aber das Leben einer Gesellschaft unmöglich ist. Obwohl in den heutigen Demokratien ständig die nicht exorzierbare Frage der Gerechtigkeit auftaucht, bleibt der doppelte Prozess der modernen Repräsentation (d.h. der Souveränität) dennoch ausschlaggebend, um zu beurteilen, ob die politische Entscheidung gerecht ist. Es ist wichtig zu bedenken, dass das Dispositiv der Souveränität in Hobbes entsteht, um das ständige Wiederauftauchen der Frage der Gerechtigkeit zu verhindern, da das die Ursache für immer neue Konflikte und Kriege ist. Die eindeutige und definitive Antwort auf diese Frage ist die folgende: „gerecht ist es, den Gesetzen zu gehorchen“ und der Gehorsam muss nicht vom individuellen Urteil abhängen, das jeder über die Gerechtigkeit der Gesetze fällen kann. Nicht nur bei Hobbes, sondern in den gesamten modernen Naturrechtslehren erscheint die Herstellung des einzigen Richters ein grundlegendes Erfordernis, das die theoretische Konstruktion erklärt und die Notwendigkeit der 19

Vgl. G. Duso, Ripensare la rappresentanza alla luce della teologia politica, Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno, 41 (2012), S. 9–47.

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politischen Einheit zeigt; und mit dem einzigen Richter ist das Gewaltmonopol verbunden. Natürlich hängt der absolute Gehorsam gegenüber dem Gesetz davon ab, dass es vom gesamten Volk ausgeht und sich auf den Ermächtigungsvorgang stützt, der in der Demokratie durch Wahlen Gestalt annimmt. Dieser Vorgang, der auf dem Begriff der Freiheit beruht, breitet sich als Antwort auf die Frage der Gerechtigkeit aus – die Frage, die zuvor im Mittelpunkt des politischen Denkens stand20. In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass der Anspruch auf eine Eigenständigkeit der Gesellschaft – also ihr Anspruch auf Immanenz – zu einer schlechten Transzendenz führt, nämlich derjenigen der absoluten politischen Herrschaft gegenüber den Bürgern. Man kann also sagen, dass im Vergleich zur (von Schmitt radikalisierten, aber nicht überholten) Staatswissenschaft die Perspektive von Voegelin eine doppelte Öffnung impliziert: Einerseits in Bezug auf das Problem der Wahrheit und andererseits in Bezug auf die konkrete, kontingente und immer unterschiedliche Realität der Gesellschaft, die nicht auf die geometrische Linearität der Form (d.h. auf ein rechtlich verstandenes Politisches) reduziert werden kann. Diese doppelte Öffnung erfordert ein anderes Denken des Politischen, das nicht mehr auf die typische Konstruktion moderner Politikwissenschaft zurückzuführen ist, sondern vielmehr des Lichtes der neuen Wissenschaft der Politik bedarf. Das wird Voegelin später davon abhalten, eine andere Form vorzulegen, die die selbststützende Rationalität des Staates aufweist. Dem kann man zustimmen. Wenn aber die Ordnung der Gesellschaft nicht anders als die staatliche Ordnung gedacht wird, stellt sich die Frage, ob man nicht jener staatlichen Ordnung untergeordnet bleibt, die auf der Grundlage jener modernen Begriffe konzipiert wurde, die in der Tat Meinungen, doxai – also keine Begriffe der Wissenschaft – sind21. Es ist nicht ausreichend, eine Spannung zwischen der Ordnung der Gesellschaft und der Ordnung der Seele festzustellen, wenn die Ordnung der Gesellschaft auf jenem Anspruch auf Immanenz beruht, der von der Souveränität zur Demokratie führt; in der Tat erscheint das nicht wirklich möglich, denn wie gesehen, beruht eine solche Ordnung auf der Leugnung der Erfahrung, die die Seele mit Transzendenz macht. Die vorliegenden Überlegungen stammen aus einer Forschungstätigkeit, die in der Auseinandersetzung mit Voegelins Denken wichtige Impulse gefunden hat. Sie beabsichtigen jedoch nicht, dem eigentlichen theoretischen 20

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Hasso Hofmann hat diesen Punkt sehr gut erklärt (vgl. H. Hofmann, Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit. Drei anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie, München: Siemens Stiftung 1997, und H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000). Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 85–86.

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Vorschlag Voegelins zu folgen. Wenn man von ihnen ausgeht, kann man etwa nicht behaupten, dass es ein Grund zur Hoffnung sein kann, dass die amerikanischen und englischen Demokratien mächtig sind, „die in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele stärker repräsentieren“, wie im Abschluss der Neuen Wissenschaft der Politik zu lesen ist. Vielmehr stellt sich dem Gedanken eine neue Aufgabe, nämlich die Ordnung auf der Grundlage des Bewusstseins für die theoretische Struktur der Repräsentation zu denken – d.h. eine Ordnung, die die Natur der Repräsentation nicht in ihrem Anspruch auf Immanenz missachtet. Im Zusammenhang mit unserem Thema habe ich bereits versucht, die Aufgabe, die sich auf der Grundlage des hier vorgestellten Weges für unseres Denken stellt, so zu definieren: Wie lässt sich eine Gesellschaftsordnung denken, die über den Zusammenhang von Repräsentation und Souveränität und damit die moderne politische Form hinaus geht? Also eine Ordnung, die der Struktur der Repräsentation als Erfahrung der Transzendenz nicht widerspricht? 3.

Repräsentation und Ordnung der Gesellschaft

Man kann die soeben genannte Aufgabe anders zum Ausdruck bringen und sagen, dass es darum geht, die Demokratie sowohl vom kategorialem als auch vom verfassungsmäßigen Gesichtspunkt neu zu überdenken – also neu im Vergleich zu den demokratischen Verfassungen, die im Horizont der Souveränität entstanden sind. Es ist hier nicht möglich, die ersten Versuche in diese Richtung ausführlich zu berücksichtigen; man kann nur auf einige der Erfordernisse hinweisen, die diesen Versuchen zugrunde liegen. Wenn eine größere Repräsentativität der Institutionen verlangt wird, besteht das Ziel darin, die Beteiligung der Bürger an der Politik wirksam zu machen. Aber die Beteiligung scheint tatsächlich durch die Funktion der modernen Repräsentation eingeschränkt zu werden, durch die die Bürger die repräsentative Körperschaft einrichten, aber eine politische Dimension gegenüber der Herrschaft verlieren – gerade weil diese Herrschaft repräsentativ ist. Was überwunden werden muss, ist die Überzeugung, dass die Beteiligung darin besteht, dass die Bürger – als Einzelne – direkt oder indirekt die Subjekte der politischen Entscheidungen sein müssen und dass sie die Grundlage der Politik bilden. Eine echte Beteiligung scheint möglich zu sein, wenn man die angebliche Unabhängigkeit des Willens des Subjekts – individuell und kollektiv – überwindet, die von den Begriffen der Selbstbestimmung und Selbstregierung impliziert wird, und wenn man, sicherlich auf eine andere Art und Weise als die der vormodernen praktischen Philosophie, die zwischenmenschliche Regierungsbeziehung als unvermeidlich denkt. Eine begriffsgeschichtliche Forschung hat

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in der modernen Herrschaft – die sich auf die Identität zwischen Regierenden und Regierten stützt – die Zerstörung jener Herrschaftsbeziehung erkannt, die zuvor, beginnend mit den Griechen, zusammen mit der Frage der Gerechtigkeit im Mittelpunkt der Politik stand. So wie es unbestreitbar (d.h. naturale, im Sinne von rational) schien, die Gemeinschaftsdimension, die in der polis verwirklicht wurde, und dann in der civitas, in der societas, in der res publica (der Mensch ist von Natur aus ein politisches Wesen, sagte Aristoteles), so scheint es nicht nur ein Erfordernis der Erfahrung, sondern auch der Vernunft zu sein, dass es eine Funktion der Regierung gibt, die auch umfasst, dass Regierende und Regierte voneinander getrennt sind. Dabei ist die Bedeutung zu berücksichtigen, die das sogenannte Prinzip der Herrschaft bei Otto Brunner für das Verständnis vormoderner Politik hat (ein Ausdruck, in dem der Herrschaftsbegriff die Bedeutung der Regierung – im Sinne des alten gubernare – und nicht der modernen Herrschaft und der Exekutivgewalt hat, die mit der Souveränität entsteht). In der Logik der Souveränität wird stattdessen, aufgrund des Begriffs der Freiheit – des wahren Ausgangspunktes des modernen politischen Denkens (wie auch Hofmann deutlich erkennt) –, davon ausgegangen, dass die Beseitigung von Zwang und Gewalt zwischen den Menschen mit der Leugnung der zwischenmenschlichen Regierung zusammenfällt22. Ganz im Gegenteil dazu scheint es heute notwendig, politische Herrschaft nicht nach der formalen Dimension der politischen Macht zu betrachten, sondern nach der Kategorie der Regierung, wenn dieses Wort in seiner alten Bedeutung (also im Sinne von gubernare, regere, dirigere) verstanden wird. Diese beinhaltet nämlich, wie im alten Bild vom gubernare navem rei publicae deutlich wird, das Vorhandensein eines als wirklich angesehenen Horizonts, an dem man sich orientieren kann und eine Richtung wählen kann. In der Metapher besteht ein solcher Horizont in jenem Problem der Gerechtigkeit, ohne das das Leben der Gesellschaft undenkbar ist und das nicht auf eine rein formale Dimension reduziert werden kann. Dieses muss also ständig neu festgelegt werden, da keine Bestimmung hinsichtlich der Idee der Gerechtigkeit erschöpfend sein kann. Und diese Beziehung zur Idee geht alle an, weil die Struktur der Repräsentation für alle wesentlich ist, d.h. sie betrifft nicht nur diejenigen, die regieren (wie Voegelin sagt, indem er Schmitt kritisiert), sondern das kollektive Ethos einer Gesellschaft. Regieren ist dann eine Praxis, die immer mit dem Konkreten der verschiedenen Situationen verbunden ist und daher in der formalen Dimension der Norm nicht gelöst werden kann. Ich habe den Eindruck, dass die politische Obligation, mittels der Kategorie der Regierung (anstelle 22

Vgl. Duso, La logica del potere, Kap. 3.

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des formalen Konzepts der Herrschaft) zu verstehen, von der von Voegelin vorgenommenen doppelten Öffnung verlangt wird. Den politischen Befehl im Rahmen der Kategorie der Regierung zu denken, bedeutet auch, dass die Regierten ihre eigene politische Dimension gegenüber den Regierenden behalten. Sie wird damit dem Erfordernis der Regierten gerecht – das heute oft in Form von Widerstand und Konflikt zum Ausdruck kommt. Für die Regierten, die eine politische Rolle spielen wollen, soll das politische Handeln nicht auf die Wahl der Repräsentanten reduziert werden23. Man kann nicht übersehen, dass, auch in den Institutionen, die sich auf direkte Demokratie berufen (Volksabstimmungen), der sogenannte souveräne Volkswille oft mit etwas mehr als 25% der Wahlberechtigten zusammenfällt, wenn ein Mindestquorum der Wähler festgelegt ist, und mit noch weniger, falls gar kein Quorum eingeführt wird. Daraus folgt, dass der Volkswille mit demjenigen identifiziert wird, der indirekt (d.h. als Antwort auf eine Frage) von einer kleinen Minderheit der Wählerschaft ausgedrückt wird. Dieses Konzept der Regierung identifiziert sich nicht mit dem Thema der foucaultschen Gouvernementalität, in der die Regierung als solche eine Form von Zwang und Gewalt ist. Im Gegensatz dazu besteht das Problem gerade darin, die Regierung so zu denken, dass sie keine reine Beherrschung ist und dass die Regierten in ihrer Gesamtheit eine größere Bedeutung haben als diejenigen, die regieren (Regieren ist dann nur eine notwendige Funktion in der politischen Gesellschaft). Zu diesem Zweck erschien die Thematisierung alter Autoren, von Platon, über Aristoteles, Marsilio bis hin zu Althusius besonders fruchtbar. Im Hauptwerk des letztgenannten Autors, der Politica Methodice Digesta, haben zum Beispiel grundlegenden Wörter – nicht nur Politik, sondern auch Gesellschaft, Res publica, Vertrag, Volk, Imperium, Regierung, Repräsentation, Gesetz – eine radikal andere Bedeutung als diejenige, die sie innerhalb des Begriffssystems der modernen Herrschaft annehmen24. Selbstverständlich geht es heute darum, die Regierungsbeziehung neu zu betrachten. Man muss zweifellos dem modernen Prinzip der subjektiven Freiheit, der politischen Würde aller jenseits jeder Hierarchie dabei Rechnung 23

24

Aufschlussreich erscheint die Analyse von Dieter Grimm zur Wirkungslosigkeit der demokratischen Legitimation der Herrschaft durch Wahlen und der Repräsentativität der gesetzgebenden Gewalt (vgl. D. Grimm, Bedingungen demokratischer Rechtssetzung, in: L. Wingert, K. Günther (Hgg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffent­ lichkeit. Festschrift für Jürgen Habermas, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 489–506). G. Duso, Herrschaft als gubernatio in der politischen Lehre des Johannes Althusius, in: E. Bonfatti, G. Duso, M. Scattola (Hgg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, Wolfenbüttel: H.A.  Bibliothek 2002, S. 13–33.

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tragen. Es geht um eine Vorstellung, bei der die Regierten wichtiger sind als diejenigen, die die Regierungsfunktion haben. Im Vergleich zu den vormodernen Vorstellungen, in denen das Prinzip der Regierung von zentraler Bedeutung war, ist dies eine neue Aufgabe, die ich in einer Formel (die ich von Rosanvallon nehme) als „eine demokratische Theorie der Regierung“ (une théorie démocratique du gouvernement) bezeichnen würde25. In dieser Perspektive kann das Erfordernis der Mitwirkung, das der Begriff der Demokratie zu enthalten scheint, dem aber der moderne Repräsentationsprozess widerspricht, verwirklicht werden. Hier können die Bürger politisch präsent sein, gerade weil das Volk nicht souverän ist und sein Wille nicht durch die Herrschaft (repräsentativ) zum Ausdruck kommt. Sie müssen aufgrund ihrer Bedürfnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten, aber auch Wünsche, Bestrebungen und Praktiken, mehr als aufgrund ihrer bloßen Meinungen, politisches Gewicht haben. Die Unterschiede zwischen Bedürfnissen, Wissen und Praktiken ergeben sich jedoch, wenn die Bürger nicht als isolierte und selbständige Individuen begriffen werden, sondern innerhalb jener Beziehungen, in denen sie konkret leben, also in bestimmten Gruppen und Institutionen. Wenn der Staat eine Bestimmung der politischen Einheit beinhaltet, die auf dem Einzelnen beruht (eine Einheit, die durch den Repräsentationsprozess von der Vielzahl zur Einheit ermöglicht wird), geht es darum, die Einheit und ihre Entstehung anders zu betrachten: Es geht um eine strukturell plurale Einheit, die nicht aus der souveränen Entscheidung einer pouvoir constituant entsteht, sondern aus der Vereinbarung zwischen unterschiedlichen Vertragsparteien, wie es in Europa der Fall ist26, und in der die Mitglieder vor der regierenden Instanz nicht verschwinden, sondern ihre politische Dimension beibehalten. All dies kann in eine Richtung führen, die nicht ohne Grund als föderalistisch bezeichnet werden kann. Der Begriff Föderalismus sollte jedoch nicht mit der Bedeutung verwechselt werden, die er in der weit verbreiteten Dichotomie von Bundesstaat oder Staatenbund, auch in Bezug auf die Europa-Debatte erworben hat27. Vielmehr deutet Föderalismus auf eine radikal andere Denkweise von Politik und Demokratie in Vergleich zu der Denkform der Souveränität und des demokratischen Staates hin28. Ein solcher Föderalismus muss sich sowohl hinsichtlich seiner grundlegenden Kategorien als auch hinsichtlich 25 26 27 28

Rosanvallon, Le bon gouvernement. G.  Duso, Wie lässt sich eine europäische Verfassung begreifen? Politisches Denken, 27 (2017), S. 159–179. O. Beaud, Théorie de la Fédération, Paris: PUF 2007. Siehe  H.  Hofmann, Vom Wesen der Verfassung, Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin 2002. Für ein neues Verständnis von Föderalismus siehe G. Duso, Reinventare la democrazia. Dal popolo sovrano all’agire politico dei cittadini, Mailand: FrancoAngeli 2022.

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der verfassungsmäßigen Struktur diversifizieren, in der die Überwindung der Verabsolutisierung des Subjekts und seines Willens mit der Überschreitung des Konzepts der legislativen Gewalt und des Gesetzes als Befehl (Hauptprodukt der Logik der Souveränität) vorangeht, und die Regierung nicht als bloße Exekutivgewalt verstanden wird. Regieren ist eine einheitliche, von dem pluralen Charakter der politischen Einheit erforderte Funktion und hat seine eigenverantwortliche Autonomie. Diese hängt aber von der Pluralität der Mitglieder ab, die insgesamt über der Regierung liegt, weil sie die Regierung einrichtet und die Gerechtigkeitsprinzipien bestimmt, innerhalb derer sich das Handeln der Regierung aufrechterhalten muss. Die assoziativen Realitäten (und deshalb auch die Bürger) verbleiben aber mit ihrer Autonomie auch unter der Regierung: Mit ihnen ist die Regierungstätigkeit ständig konfrontiert, sodass die Regierten nicht direkt entscheiden, sondern am Regierungsprozess teilnehmen.

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Voegelin on Hobbes

The Idea of an Everlasting Constitution Roger Castellanos Corbera, Bernat Torres Morales Abstract The confrontation between Hobbes and Voegelin provides a great opportunity to observe the challenges of modernity in terms of the political foundation of civil order. In this paper we present a critical approach to Voegelin’s reading of Hobbes, concerning specifically the possibility in Hobbes’s philosophy of achieving an everlasting constitution. For Voegelin, the achievement of such a constitution, reached at the price of total indoctrination of the people, is a clear sign of Hobbes’s Gnosticism. The presentation is divided into two parts. In the first part we explore the main aspects of Voegelin’s understanding of Hobbes and his relevance in The New Science of Politics, where Hobbes is described as the paradigm of modern Gnosticism. In the second part we present Voegelin’s accusation against Hobbes and contrast it with Hobbes’s original sources, showing the relevance of the epistemological tension between strict science and hypothetical science in Hobbes in order to show that his defence of an everlasting constitution cannot be taken so strictly. Voegelin seems to neglect this epistemological tension. His differences with Hobbes are nonetheless to be found at the anthropological level, in a conception of human being closed to transcendence and to the good.

Keywords Hobbes, Voegelin, Everlasting constitution, Gnosticism, Leviathan

In The New Science of Politics (1952), Voegelin interprets Hobbes as defending the idea of an everlasting constitution, a defence compatible with the Hobbesian theory of representation, by which the Sovereign Power is such a man or assembly as will judge which opinions and doctrines can be translated into actions that will ensure or endanger the civil order. From Voegelin’s perspective, the Hobbesian sovereign has the capacity to fully indoctrinate the people in order to preserve peace, modifying human nature and transforming the civil order into a perfect and eternal condition of peace. For Voegelin, this serves as a proof of Hobbes’s Gnosticism, of his reductionist and even

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_003

VOEGELIN ON HOBBES: THE IDEA OF AN EVERLASTING CONSTITUTION

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dangerous or deviated conception of political reality and human nature.1 Despite his Gnosticism, Hobbes remains, for Voegelin, the last hope to build a social order where power and religion can coexist and maintain their respective authorities; he is for Voegelin the last great Christian political thinker who tried to build a political order, but he did so, Voegelin thinks, at the price of destroying the image (or the reality) of the human being open to transcendence and to the good. In this paper we will explore Voegelin’s conception of Hobbes as a gnostic thinker through the analysis of one specific accusation that Voegelin makes against Hobbes: that he intends to achieve an everlasting constitution. The exposition will be divided into two sections. In the first section we will show the relevance of Hobbes in Voegelin’s political philosophy, the evolution of his conception of Hobbes and the most fundamental aspects of their disagreement concerning the principles guiding political societies. In the second section, we will present Voegelin’s claim against Hobbes that he is a gnostic thinker, analysing in some detail the original sources where Hobbes supposedly defends the idea of the feasibility of an everlasting constitution and its compatibility with the Scriptures; in this same section, we will examine the limitations of Hobbes’s theory of indoctrination, the so-called rule of doctrines and opinions, where an important epistemological tension in Hobbes’s understanding of politics (apparently ignored by Voegelin) needs to be taken into consideration.

1 E.  Voegelin, The New Science of Politics. An Introduction, in: E.  Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 5: Modernity without Restraint, ed. by M. Henningsen, Columbia: University of Missouri Press 2000, p. 75–241, here p. 218–219. In a later work, Reason, the classic experience, we can see Voegelin describing Hobbes even as a case of mental disease: “In the modern Western history of unrest, on the contrary, from the Hobbesian ‘fear of death’ to Heidegger’s Angst, the tonality has shifted from joyful participation in a theophany to the agnoia ptoiodes, to the hostile alienation from a reality that rather hides than reveals itself. A Hobbes replaces the summum bonum by the summum malum as the ordering force of man’s existence […] as this list of cases shows, there is more to the matter than a mere difference of tonality between classic and modern unrest, for the representatives of the modern agnoia ptoiodes aggressively claim for their mental disease the status of mental health.” (E. Voegelin, Reason, the classic experience, in: E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 12, Published Essays 1966–1985, ed. by E. Sandoz, Columbia: University of Missouri Press 1990, p. 265–291, here p. 277). About Hobbes and his form of Gnosticism, see T. Gontier, Gnosticisme et sécularisation: la critique de la modernité chez Eric Voegelin”, Droits, 59 (2014), 49–66. See also Arpad Szakolczai in the present volume.

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Hobbes and His Relevance in Voegelin’s Political Philosophy: From Minister of Propaganda to Anti-Gnostic Thinker

We can find the presence of Hobbes in Voegelin’s work in mainly three of his publications: Political Religions (1938), History of Political Ideas (1940s) and The New Science of Politics (1952). Between the first two and the third, there seems to be an important shift in Voegelin’s understanding of Hobbes. In the first two volumes, the image of Hobbes is that of an author whose anthropological and political conception is compatible with totalitarianism. Nonetheless, in the last of the works, The New Science of Politics, Hobbes appears as an anti-gnostic thinker willing to fight against the Puritan crisis.2 Indeed, in his Political Religions, Voegelin describes the Hobbesian conception of the commonwealth (in Latin, civitas) as a politically and intellectuallyclosed cosmos in the sense that the sovereign has the right to judge which opinions and teachings are suitable to maintain and promote the unity of the commonwealth. For Voegelin, “the justification of this power could have been written by a modern minister of propaganda: The actions of people are determined by their opinions, and whoever directs the opinions in the right direction will also direct the actions to support peace and harmony.”3 Later on, Voegelin compares the person of the Führer with the Hobbesian sovereign: “in the German theory the Führer is the ‘representative’ in the same sense as Hobbes’s sovereign is the representative, the carrier of the personality of the commonwealth.”4 And similar ideas can be read in the unpublished History of Political Ideas, where Hobbes is understood as a psychological realist who, “in his zeal has contributed importantly to the understanding of the totalitarian state; his recipes for the total spiritual and intellectual control of the people are followed to the letter by present totalitarian governments, perfected by modern techniques.”5 2 Thierry Gontier has analysed this shift in Voegelin’s understanding of Hobbes. As he points out, most of the references made by academics to Voegelin as a reader of Hobbes emphasize the vision derived from the two first publications, normally ignoring his presence in the third one. T. Gontier, Eric Voegelin’s Reading of Hobbes: Restoration or Destruction of the Eschaton? In: B.  Torres, & J.  Monserrat: Eric Voegelin’s Political Readings: From the Ancient Greeks to Modern Times. London: Routledge 2021, pp. 59–73, here pp. 60–61. 3 E.  Voegelin, Political Religions, in: E.  Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.  5: Modernity without Restraint, ed. by M. Henningsen, Columbia et al.: University of Missouri Press 2000, pp. 19–74, here p. 53. 4 Voegelin, Political Religions, pp. 64–66. 5 E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 25: History of Political Ideas, vol. VII, The New Order and Last Orientation, in E. Voegelin, ed. with and intro. by Jürgen Gebhardt and A. Thomas Hollweck, Columbia: University of Missouri Press 1999, p. 71.

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As mentioned before, The New Science of Politics presents a rather different image of Hobbes. In this book, we can read Voegelin praising Hobbes for his lucidity, coherence and clarity while accusing those who call him an absolutist or a totalitarian of having misunderstood his theoretical intention.6 Voegelin’s last word on Hobbes seems to be that he tried, without success, to introduce a transcendental sense of order (and representation) in politics through the institution of a civil theology. And he did that in opposition to the Puritans, which need to be considered as a Gnostic movement that pretends to restore Christian eschatology: “In the seventeenth century the existence of the English national society seemed in danger of being destroyed by gnostic revolutionaries, as today on a larger scale the same danger seems to threaten the existence of Western society as a whole. Hobbes tried to meet the danger by devising a civil theology that made the order of the society in existence the truth that is represented […] The result of this effort was ambivalent.”7

This ambivalence has to do with the fact that Hobbes’s anti-gnostic movement reveals itself as a new gnostic form, because the final form of his theory of representation (Lev, XVI) ignores the transcendental dimension of the human being and society as Voegelin envisions it. It is well known, for Voegelin, the transcendental dimension of representation is only possible after the appearance of Christianity. Deviations from this maximum level of transcendence lead to Gnosticism.8 For Voegelin, Gnosticism is always an act of revolt against human existence, against the proper understanding of the human being in the Creation. This revolt is only possible after the appearance of Christianity, because in place of the striving of the human soul implied by Christian eschatology toward a hereafter beyond the world and history we find the pretension that human nature can be modified.9 Indeed, that would be the cause of Hobbes’ Gnosticism, the pretension that the real conditions of our life on earth can be transformed in terms of reaching what Voegelin understands to be a kind of Kingdom of God on Earth, which would correspond to Hobbes’s 6 Voegelin, The New Science, p. 214. 7 Voegelin, The New Science, p. 233. 8 Voegelin, The New Science, p. 152. For Voegelin’s differentiation between three different levels of representation (elemental, existential and transcendental), see chapters I and II of The New Science of Politics. Although Hobbes sees the need of a transcendental kind of representation, he is not able to capture its spirit, remaining in this sense in the existential level in terms of political representation. About the lack of transcendental source of representation in Hobbes see again Arpad Szakolczai in the present volume. 9 Voegelin, The New Science, pp. 220–222.

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everlasting constitution, only possible after a total indoctrination of the people.10 As Voegelin sees it, Hobbes wanted to improve upon man as created by God and create a man devoid of transcendent experiences; he wanted to overcome Puritan eschatology, but he did so at the cost of destroying eschatology itself.11 As with any other great political reformer (like Plato, Saint Augustine or Hegel), Hobbes tried to go back to the fundamental political principles. For Hobbes, political reform was possible only through a very specific understanding of human nature and political reality which can be widely described through the substitution of the summum bonum for the summum malum;12 that is, the substitution of the classical (Platonic-Aristotelian) sense of order where the soul of the citizen tends toward the best possible constitution, for the modern -more or less gnostic- concept that the origin of political life is human passion, and more specifically, the fear of death, considered the summum malum. For Voegelin, if human nature is assumed to be nothing but passionate existence, unable to access any kind of transcendental source of order in its soul, the horror of annihilation will be the overriding passion that would compel submission to order: “If pride cannot bow to Dike, or be redeemed by 10

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See the critical analysis of Arno Waschkuhn, for whom Voegelin’s vision of Hobbes is stubborn, apodictic and simplistic: “compared to classical Greek philosophy and the Christian religion, Hobbes impressively introduced new patterns of justification and construction that cannot simply be understood under the pejorative label of Gnosticism.” (See Arno Waschkuhn, Voegelins Hobbes-Interpretation, Occasional Papers, 35, München: Eric-Voegelin-Archiv 2003, 29). As Thierry Gontier puts it in the conclusions of his essay on Voegelin’s interpretation of Hobbes: “The destruction of human personhood is subsequently achieved less by the sacrifice of the individual for the benefit of a deified community than by individuals amputating the erotic dimension of their own personality […] If Hobbes has, in opposition to the Puritans, restored eschatology, he has only done so by erasing the eschaton itself, and with it the movement of the soul towards the good” (Gontier, Eric Voegelin’s Reading of Hobbes, 69). See also T. McAllister. Revolt Against Modernity: Leo Strauss, Eric Voegelin, and the Search for a Post Liberal Order, Kansas: University Press of Kansas 1995, pp. 120–121. Voegelin take the concepts of the summum bonum and the summum malum to describe Hobbes philosophy from Leo Strauss: “Hobbes’s notion of the state of nature presupposes the rejection of both the classic and the conventionalist view, for he denies the existence of a natural end, of a summum bonum. He identifies, therefore, the natural life with the “beginning,” the life dominated by the most elementary wants; and at the same time, he holds that this beginning is defective, and that the deficiency is remedied by civil society. There is, then, according to Hobbes, no tension between civil society and what is natural, whereas, according to conventionalism, there is a tension between civil society and what is natural. (L. Strauss, Natural Right and History, Toronto: The University of Chicago Press 1953, pp. 184–185; 249–250) (See Voegelin, Reason, p. 277).

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grace, it must be broken by the Leviathan, who ‘is the king of all the children pride.’ If the soul cannot participate in the Logos, then the sovereign who strikes terror into the soul will be the ‘essence of the commonwealth’. The ‘King of the Proud’ must break the amor sui that cannot be relieved by the amor Dei.”13 As Voegelin tells his friend Heilman in a letter from 1959, the Hobbesian conception of politics is based on a very particular psychology of passions: “The Hobbesian fallacy that the life of passions is the essence of man […] when consistently carried out as it is by Hobbes, has a certain grandeur, because it implacably debunks the melodrama and reduces it brutally to the power-drive as its core. This consequence inevitably makes it unpopular; and Hobbes has remained, in his consistency, an isolated figure.”14

For Voegelin, all later political conceptions derive from this conception of human being, a conception which is blind to human openness towards transcendence, without which, from Voegelin’s perspective, political order and also political science remain impossible. 2.

Voegelin and the Feasibility of Hobbes’s Everlasting Constitution

Having clarified the importance of Hobbes in Voegelin’s work as well as the fundamental differences between the two, we can now move to comment on the main accusation against Hobbes, that of defending an everlasting constitution. We will divide our approach into three sections: first, we will present Voegelin’s accusation and contrast it with Hobbes’s original sources, where he seems more moderate (or skeptical) concerning the feasibility of an everlasting constitution. Next, we will clarify in some detail the causes of Hobbes’ moderation, dealing with the limited access to the Principles of Reason (which are the condition for the establishment of solid political structures) and, with them, in the third section, with the limitations of a total indoctrination of the people as a condition of the achievement of an everlasting constitution. These limitations have to do with an important tension in Hobbes epistemology, a tension that seems to be neglected by Voegelin.

13 14

Voegelin, The New Science, pp. 237–238. R.B.  Heilman & E.  Voegelin, A Friendship in Letters, 1944–1984, Columbia: University of Missouri Press 2004, p. 194.

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2.1 The Accusation and Hobbes’s Original Sources Voegelin’s claim against Hobbes can be found in the chapter entitled “Gnostic Revolution” of The New Science of Politics. In this chapter, Voegelin presents the Puritan movement as a form of Christian Gnosticism. As with any modern form of Gnosticism, it is inspired in the tradition coming from Joachim of Fiore, and it impedes any kind of critical clarification as well as denies the relevance of classical philosophy or scholastic theology. Hobbes, as Voegelin sees it, wants to fight against Puritanism, but his position inadvertently falls, as previously mentioned, in another form of Gnosticism precisely because of his aim of achieving an everlasting constitution. Let us quote in extenso Voegelin’s argument against Hobbes: “He [Hobbes] saw himself in the role of a Plato, in quest of a king who would adopt the new truth and indoctrinate the people with it. The education of the people was an essential part of his program. Hobbes did not rely on governmental force for suppressing religious movements; he knew that public order was genuine only if the people accepted it freely and that free acceptance was possible only if the people understood obedience to the public representative as their duty under eternal law. If the people were ignorant of this law, they would consider punishment for rebellion an ‘act of hostility; which when they think they have strength enough, they will endeavour by acts of hostility, to avoid.’ He, therefore, declared it the duty of the sovereign to repair the ignorance of the people by appropriate information. If that were done, there might be hope that his principles would ‘make their constitution, excepting by external violence, everlasting.’ With this idea, however, of abolishing the tensions of history by the spreading of a new truth, Hobbes reveals his own Gnostic intentions; the attempt at freezing history into an everlasting constitution is an instance of the general class of Gnostic attempts at freezing history into an everlasting final realm on this earth. The idea of solving the troubles of history through the invention of the everlasting constitution made sense only under the condition that the source of these troubles, that is, the truth of the soul, would cease to agitate man. Hobbes, indeed, simplified the structure of politics by throwing out anthropological and soteriological truth. This is an understandable desire in a man who wants his peace; things, to be sure, would be so much simpler without philosophy and Christianity. But how can one dispose of them without abolishing the experiences of transcendence which belong to the nature of man? Hobbes was quite able to solve this problem, too; he improved on the man of God’s creation by creating a man without such experiences. At this point, however, we are entering the higher regions of the Gnostic dream world. This further Hobbesian enterprise must be placed in the larger context of the Western crisis.”15

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Voegelin, The New Science, pp. 218–219.

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As we have mentioned before, Voegelin’s position is clear concerning Hobbes’s Gnosticism, a Gnosticism which has two main grounds: first, the attempt to freeze history implied by the achievement of an everlasting constitution and, second, a certain conception of human nature totally devoid of transcendence and that can be modified through indoctrination. As we will see in the following pages, the two grounds of Voegelin’s accusation, what we might call the deification of the state and the despiritualisation of human personality, can be separated but are, at the same time, intimately connected. To ignore the transcendental dimension of human existence and the necessary tension between society and the soul is, for Voegelin, inexcusable after Classical Philosophy and Christianity have set the conditions for a proper understanding of the human being and his tension with political reality. Before dealing with these elements in the following sections, let us contrast now Voegelin’s textual analysis with the Hobbesian sources. It is worth noting in this sense that despite Voegelin’s conclusion about the achievability of an “everlasting constitution”, we only find one single instance of it in the Hobbes’ Leviathan. It is in the following passage: “So, long after men have begun to constitute Common-wealths, imperfect, and apt to relapse into disorder, there may, Principles of Reason be found out, by industrious meditation, to make their constitution (excepting by external violence) everlasting. And such are those which I have in this discourse set forth. […] But supposing that these of mine are not such Principles of Reason; yet I am sure they are principles from Authority of Scripture” (Lev, XXX, 522)

It is important for the purposes of our exposition to point out that in the Latin version of the Leviathan –published in 1668, seventeen years after the English version–, Hobbes sustains his former claim, but in a rather different tone: “Therefore, even if men have constituted their commonwealths in a way that has not been completely perfect, so that because of a defect in their constitution they collapse, some sooner, some later, nevertheless it is not impossible to constitute commonwealths in such a way that they will never perish (unless by external violence). Whether the principles which I have set forth above can produce this result, I do not know; yet they are principles of the sort found in the Holly Scripture” (Lev, XXX, 523).16

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“Etsi ergo homines Civitates suas sine perfectione ultima instituerunt, ita ut aliae citiùs, aliae tardius vitio ab institutione corruant, impossible tamen non est, ita Civitatem instituere, ut (nisi per vim externam) nunquam peritura esset. An Principia quae supra posui, haec praestare possint, nescio; talia tamen sunt, qualia inveniuntur in Scripturis Sacra”.

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It is noteworthy that Hobbes’s last word in the Latin version of the Leviathan17 on the possibility of an everlasting constitution is a bit more ambivalent than the former one. Specifically, Hobbes introduces three elements: i) instead of saying “there may, Principles of Reason be found out”, that would made possible to achieve an everlasting constitution, here he says that this claim “is not impossible”; ii) after that, instead of saying that these principles “are those which I have in this discourse set forth”, he says that “Whether the principles which I have set forth above can produce this result, I do not know”; iii) finally, instead of saying: “supposing that these of mine are not such Principles of Reason; yet I am sure they are principles from Authority of Scripture”, he says now that “yet they are principles of the sort found in the Holly Scripture”. It is clear that in the Latin and last version of the Leviathan, Hobbes uses a less assertive language when talking about the possibility of an everlasting constitution, which seems to be reflected in Voegelin’s use of terms like ‘hope’ and ‘attempt’, for example in the expression “there might be hope that his principles would ‘make their constitution, excepting by external violence, everlasting,’” and again in the next sentence, when he says that “the attempt at freezing history” is evidence of Hobbes’s Gnosticism. What could be seen as a minor rhetorical turn of the language, has for us central relevance. Indeed, Voegelin concludes his remarks in the text by saying that because of his attempts or hopes to reach an everlasting constitution, Hobbes belongs to “the general class of Gnostic attempts at freezing history into an everlasting final realm on this earth.”18 Voegelin’s relatively strong conclusion, nonetheless, 17 18

About the consistency of the position that defends that the latin version is the final one, see N. Malcolm, The Latin Leviathan, in: Thomas Hobbes: Leviathan. Vol. 1: Editorial Introduction, Oxford: Clarendon Press 2012, pp. 272–302. Already Hans Kelsen, in his commentary on the New Science of Politics, considers that it is very unclear that Hobbes defends the feasibility of an everlasting constitution: “Hence the term “everlasting” used in the passage quoted by Voegelin is evidently a typical hyperbole, a slightly exaggerated expression of the idea of an internally stabilized regime. And, last but not least: Hobbes did not refer to a final stage of mankind, even not to a worldwide commonwealth, but to commonwealths in the plural form. There is not a shadow of a similarity between the realistic picture of Hobbes’ Leviathan and the utopian stage of perfection mankind will reach in the realm to come according to the messianic prophecy.” (H. Kelsen, A New Science of Politics Hans Kelsen’s Reply to Eric Voegelin’s “New Science of Politics”. A Contribution to the Critique of Ideology, Edited by Eckhart Arnold, Frankfurt: Ontos Verlag 2004, p. 101). Also, as Joshua Mitchell point out, “this gnostic interpretation of Hobbes is only partially correct; while it does recognize that Hobbes ‘temporalizes’ a ‘transcendent’ pattern, what must also be taken into consideration is that, for Hobbes, God is absent from history. No author who affirms this can be accused of wishing to freeze this moment of history into an everlasting final realm on earth, for that would violate the insight (which Hobbes and the other Reformers endorse) that between God

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must be contrasted with Hobbes’s less assertive language and, beyond that, with the origin and source of his moderation. To fully understand the reasons for Hobbes’s moderation, we will need to clarify Hobbes’s understanding of what he calls ‘Principles of Reason’, as well as his conception of knowledge, a conception which determines his account of human nature and the capacity of politics to achieve the conditions for a stable and peaceful constitution (which are, among others, the total indoctrination of the people). These are the aims of the following sections of our paper. 2.2 The Principles of Reason and Hobbes’s Civil Theology The “Principles of Reason” to which Hobbes refers and that may allow, under certain potential conditions, the achievement of an everlasting constitution, are the nineteen “Immutable and Eternall” (Lev, XV, 240) laws of nature described in chapters XIV and XV of the Leviathan, plus one extra law that he introduces in the chapter called “A Review and Conclusion”. Laws of nature are defined as “convenient Articles of Peace, upon which men may be drawn to agreement” (Lev, XIII, p.196), as a “Precept, or generall Rule, fount out by Reason” (Lev, XIV, p.198) that correspond to “those Rules which conduce to preservation of man’s life on earth” (Lev, XV, p.226), or those “qualities that dispose men to peace, and to obedience” (Lev, XXVI, p.418). Among these natural laws, the first and most important of all, from which all the rest are derivations, is the one that orders “to seek Peace, and follow it” (Lev, XIV: 200). What is more important here is the fact that this natural law implies, as a dictate of reason, a civil theology. This is so because Hobbes considers that this truth, that is, the truth that leads toward the covenant and the constitution of a civil society, coincides perfectly with the truth of the Scriptures. For this reason, along his exposition of these principles, Hobbes will constantly compare (and attempt to show the coherence and correspondence between) the content of the natural laws, discovered through natural reason, and the Scriptures, where we find supernatural laws revealed by God. For Hobbes, a civil theology is needed to make the law of nature, as a dictate of reason, coincide with the truth of the Scripture. To justify this coincidence, Hobbes states that “God declareth his Lawes three wayes; by the Dictates of Naturall Reason, by Revelation, and by the Voyce of some man, to whom by and humankind lies a chasm that cannot presently be bridged and will only be bridged at the end of history. Additionally, Voegelin assumes precisely what Hobbes wishes to deny, namely, that human existence involves both the transcendent and the immanent dimension and that the two must be separate” (J. Mitchell, Hobbes and the Equality of All under the One, Political Theory, 21 / 1 (1993), p. 88, n. 57).

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the operation of Miracles, he procureth credit with the rest. From hence there ariseth a triple Word of God, Rational, Sensible, and Prophetique” (Lev, XXXI, p.556). That means that the laws of God are not discovered only by supernatural means, but also through natural reason. These laws, in the same way that they can be discovered through reason, guiding in this way the good sovereign, can also be taught to (or serve to educate) the people, so that the people will contribute to the preservation of peace.19 As we have mentioned, Voegelin considers a positive merit of Hobbes the fact that he saw with clarity the need of a civil theology to establish political order. The problem is that his conception of civil theology lacks the transcendental sense of Christianity that for Voegelin is fundamental, namely the distance and necessary tension between God and man. This disagreement can be seen in their different understanding of what Hobbes calls “natural reason”. As he puts it in his New Science, “When he [Hobbes] treats Christianity under the aspect of its substantial identity with the dictate of reason and derives its authority from governmental sanction, he shows himself as oddly insensitive to its meaning as a truth of the soul as were the Patres to the meaning of the Roman gods as a truth of society.”20

For Voegelin, the opening of the soul was an epochal event in the history of mankind, an achievement that he describes as “the differentiation of the soul as the sensorium of transcendence”. Through this differentiation, the critical and theoretical standards for the interpretation of human existence in society,

19

20

As Teresa M. Bejan puts it: “[Hobbes] is not primarily regarded as a philosopher of education; however, the only firm policy recommendation he made in his Leviathan (1651) was for the immediate reform of university teaching by the sovereign” (p. 607). And she concludes: “Sovereigns who failed to exercise their rights in overseeing the people’s education were not only shortsighted, they were guilty of neglecting the very end for which sovereignty was instituted […] Hence education of the people in true civic doctrine was, he insisted, an essential duty of the sovereign power […] This comprehensive instruction of the commonwealth would require Hobbes’s civil doctrine to be taught to people at all levels of society and at every stage of life. Not only the universities, but also the pulpit and the family must be made to serve the educational aims of the commonwealth, and these must furthermore be supplemented with sovereign assiduity in suppressing dissent. Hobbes hoped that the sovereign might thereby educate a true public, characterized not only by consensus, but by a real unity of them all (p.609–10). (See T.M. Bejan, Teaching the ‘Leviathan’: Thomas Hobbes on education, in: Oxford Review of Education 36–5, Political and philosophical perspectives on education. Part 1: Tayor & Francis 2010, p. 607–626). Voegelin, The New Science, 214.

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as well as the source of their authority, came into view.21 For Voegelin, Hobbes, by ignoring this sense of rationality, completely ignores the constitutive tension in human existence (our existence in the metaxy) and, with that, the tension between the truth of the soul and the truth of society (CW, 5: 217–218). If we would see it from the three possible ways in which the Word of God can be present for Hobbes (the rational, the sensual and the prophetic), then we could say that, for Voegelin, natural reason needs to be always and at the same time a certain form of prophetic revelation. Voegelin and Hobbes have different understandings of what rationality means, and this is crucial to appreciating their differences. For Voegelin, by denying the tension between God and man, Hobbes denies the tension between human nature and society, between the truth of the soul and the truth of society, and this makes it impossible to maintain political order as Voegelin understand it, that is, as an earthly order inspired and in constant tension with a transcendental order that orients it and also allows a critical perspective on what is good and what is bad.22 2.3 Hobbes’s Conception of Knowledge and the Limits of Indoctrination We are coming now to the last point of our exposition, where we will talk about Hobbes’s indoctrination and its limitations, limitations which Voegelin seems to ignore and that have its origin in an epistemological tension in Hobbes’s philosophical system. As we have seen, to achieve an everlasting constitution, a total indoctrination of the people needs to be achieved. This will only be possible because the principles of reason have been discovered by (or revealed to) 21

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As we can read in his Reason, the classic experience, from 1974: “What did change through the differentiation of reason was the level of critical consciousness concerning the order of existence. The classic philosophers were conscious of this change as an epochal event; they were fully aware of the educational, diagnostic, and therapeutic functions of their discoveries; and they laid the foundations of a critical psychopathology that was further elaborated by the Stoics. They could not foresee, however, the vicissitudes to which their achievement would be exposed once it had entered history and become an integral factor in the cultures of Hellenistic, Christian, Islamic, and modern Western societies.” (Voegelin, Reason, 288) We come here to a delicate question concerning what Voegelin means by “a proper social order”. We can here refer to his work from 1959 called “Die geistige und politische Zukunft der westlichen Welt” (The spiritual and political future of the western world). In this text, Voegelin defends that spiritual power (a kind of civil theology), administrative and economic power and also philosophical power need to coexist as different authorities, limiting each other, without being absorbed or destroyed by the other forms of power. (E. Voegelin, The Spiritual and Political Future of the Western World, in: E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin., Vol 33. Miscellaneous Papers, ed. and trans. M.J. Hanak, with an intro. by Gilbert Weiss and William Petropulos, Columbia: University of Missouri Press 2003 p. 67–88).

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the sovereign, so that he may transmit them through indoctrination. What we are going to see now is that these principles of reason, as far as they deal with human nature, have only a hypothetical and not strict value as knowledge. This is also the reason for Hobbes’s less assertive and more moderate tone when he defends the possibility of an everlasting constitution. There is an important tension in Hobbes’s work between the artificial political mechanisms known with scientific certainty that aim at restricting human nature (a priori science), and the merely hypothetical knowledge about human nature (a posteriori science). For Hobbes, there are two main forms of knowledge with a different degree of certainty. The first form of knowledge, used in physics or Philosophy of Nature, applies to the establishment of the causes of a phenomenon given in nature, and this knowledge is not a product of our reason, but rather is based on observation and on the establishment of nonabsurd (or plausible) hypotheses; in other words, by observing a natural phenomenon, we try to infer from it an hypothesis, using an inductive movement of thought rather than a deductive.23 In this sense, Hobbes talks about an “a posteriori’ science”, because scientifically proven certainty is not achievable here, but only what he calls an absolute knowledge of the effect produced; that is, a knowledge based on experience and prudence. On the other hand, there is an “a priori science” when science is produced fully through human reason, as in the case of geometry, where we can systematically (re)build and therefore demonstrate the causes that produce a certain phenomenon.24 In this case, says Hobbes, we can achieve a conditional knowledge: “There are of knowledge two kinds; whereof one is knowledge of Fact: the other knowledge of the Consequence of one Affirmation to another. The former is nothing else, but Sense and Memory, and is Absolute Knowledge; as when we see a Fact doing, or remember it done: And this is the Knowledge required in a Witnesse. The later is called Science; and is Conditionall; as when we know, that, If the figure showne be a Circle, then any straight line through the Center shall divide it into two equall parts. And this is the Knowledge required in a Philosopher; that is to say, of him that pretends to Reasoning. (Lev, IX, p.124)

23 24

F. Wilson, Hobbes’s Inductive Methodology, History of Philosophy Quarterly 13–2 (1996), 167–86; J. Monserrat, Thomas Hobbes: La fundació de l’Estat Modern, Barcelona: Gedisa 2018, 31. The lexicon used by Hobbes to refer to science and knowledge may be dissonant today, given its own internal variability and the meaning it takes with respect to later conceptualizations. A very clarifying work of the epistemological semantics of Thomas Hobbes: D.  Jesseph, Scientia in Hobbes, in: T.  Sorell et  al., Scientia in Early Modern Philosophy. Seventeenth-Century Thinkers on Demonstrative Knowledge from First Principles, ed. by Tom Sorell, London & New York: Springer 2010, pp. 117–29.

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Political philosophy belongs for Hobbes to the second kind of science, the science which is a product of human reason. In the case of political philosophy, using reasoning, that is, a combination of names, propositions and syllogisms, it is possible to develop a method in order to scientifically study the effects of politics. The most relevant epistemological problem that Hobbes’s political philosophy presents is the degree of certainty that can be attained concerning not the effects, but the causes of politics. These causes are human action and, therefore, the human natural condition. For Hobbes, the human condition can be restricted, but not destroyed. Therefore, the tension that constitutes Hobbes’s epistemology has a great influence on his conception of the possibility of indoctrination of the people. For Voegelin, the possibility of a total indoctrination is a concept that would lead Hobbes to Gnosticism in that it presupposes that human nature can be transformed (that is, that the constitutive tension in us can be destroyed or overcome). However, we believe that because of the prudential access to human nature in Hobbes’s epistemology, that is, due to the limited access to the principles of reason, the feasibility of a total indoctrination of the people and, with that, the feasibility of an everlasting constitution, cannot be stated dogmatically without a great deal of circumspection. All in all, Hobbes, by expressing with a clear circumspection the possibility of an everlasting constitution, he is basically expressing his own gnoseological skepticism.25 Indeed, Hobbes considers that if politics could effectively restrict or limit the inherent tension between the will of body’s self-preservation and the will of power that characterizes the human condition (a tension that constitutes the main cause of war) then an everlasting constitution could be reached. But, given the fact that human nature can only be partially understood through experience —with an absolute knowledge or an a posteriori science— all political mechanisms meant to restrict and limit human nature have been designed as merely hypothetical tools, lacking scientific evidence. This implies that these tools or mechanisms can only be evaluated and validated through the effects that they produce; only then can we obtain from them a conditional knowledge or an a priori science. In addition to that, a closer examination of Hobbes’s conception of the commonwealth strengthens the Hobbesian reasons for moderation concerning the achievement of an everlasting constitution. For Hobbes, the sovereign commonwealth, as a product of human reason and human arts, is understood as an “Artificiall Man […] in which, the Sovereignty is an Artificiall Soul, as giving 25

R.  Santi, Etica della lettura e scrittura filosofica in Thomas Hobbes, Italy: CEDAM 2012, pp. 45–48.

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life and motion to the whole body” (Lev, Intr., p.16). Inside of this body, the natural man is “the Matter thereof, and the Artificer” (Lev, Intr., p.18); and being this natural man a mortal being, “though Soveraignty, in the intention of them that make it, be immortall” (Lev, XXI, p.344), it can only create mortal artifices, because nothing created by a mortal being can become immortal. This is precisely the reason why Hobbes defines the commonwealth or the Leviathan as a “Mortall God, to which wee owe under the Immortall God, our peace and defence” (Lev, XVII, p.260). Therefore, the sovereign power “is mortall, and subject to decay, as all other Earthly creatures are” (Lev, XXVIII, p.496), and can suffer from “illnesses” (Ibid.) that may provoke its death. The mortal condition of any commonwealth limits its possibility of becoming immortal, which includes the possibility of it becoming an eternal or everlasting constitution. This is so because “yet is it in its own nature, not only subject to violent death, by foreign war; but also through the ignorance, and passions of men, it hath in it, from the very institution, many seeds of a naturall mortality, by Intestine Discord” (Lev, XXI, p.344). However, Hobbes will talk about an “Artificiall Eternity of life” (Lev, XIX, p.298) of the commonwealths which is related to succession rights and other political mechanisms that Hobbes considers contribute to increase the artificial life of any commonwealth. And among these mechanisms we find, as mentioned before, the so-called rule of doctrines and opinions (Lev, XVIII, p.272), the indoctrination mechanism itself. Voegelin was surely aware of all these mechanisms and their nature, but he decided to stress Hobbes’s aim for eternity rather than his moderation and circumspection. 3.

Conclusions

Coming now to the end of our paper, we can summarise the confrontation between Hobbes and Voegelin and evaluate the consistency of Voegelin’s accusation towards Hobbes of being a gnostic thinker based on his defense of an everlasting constitution. We have seen, using the original sources, that Hobbes is ambiguous about the feasibility of such a constitution, which depends on the knowledge of the Principles of Reason. Only if these principles could be known and transmitted could a total indoctrination of the people be ensured and, with it, an everlasting constitution. As we have seen, Voegelin bases his argument on Hobbes’s Gnosticism on the possibility of total indoctrination of the citizens as a condition for the achievement of an everlasting constitution (which would include, as one of its main constituents, a civil theology in order to make the law of nature, as a dictate of reason, coincide with the truth of the Scriptures). Nonetheless, given the epistemological limitations of Hobbes’s

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conception of human nature, from which we can only have hypothetical and prudential knowledge, the possibility of restricting human life and freedom (through indoctrination and other political artificial mechanisms) cannot be considered total under any circumstances. Only the political structures are built using exact and non-hypothetical science, but not the knowledge of human nature. The permanent pressure exerted by human passions and the rest of human inclinations that lead to a conflict between men, together with the limitations of political science to discern them, properly implies that their effective restriction and the success of this restriction seems a very challenging and almost impossible achievement, especially given the limitation of human reason. This is the full reason for Hobbes’s moderation or scepticism when he considers the possibility of an everlasting constitution. As he says, using Plato’s expression, until the philosophers become the sovereigns, the dissolution of the commonwealths will be very difficult to avoid (Lev, XXXI, p.574). Despite this fact, it is true that Hobbes retains the hope that the rule of the doctrines and opinions, as a mechanism of artificial immortality, would be able to keep obedience and peaceful life in society. It appears true, as stated in a former quote, that Hobbes “saw himself in the role of a Plato”, but as we have tried to show, he did not see himself in the role of the more or less dogmatic Plato of the Republic, but rather of the sceptical one, the Plato who is in a permanent search for the truth of the soul. The order of society can be built geometrically, like a square or a triangle, while human nature (its soul and its passions) can only be known partially, hypothetically. This distinction, which Voegelin seems to neglect, strongly contrasts with his own vision on the feasibility of knowing the true nature of human being. For Voegelin, the human being is essentially capable of capturing transcendence, of going beyond passions in the search for truth and order. In this sense, reason, as a classical discovery, implies human capacity to access transcendence, and not only his capacity to calculate the possibilities of surviving. As Plato would have seen, our experience takes place in the metaxy, in the space between the human and divine, immanence and transcendence, ignorance and wisdom.26 For Voegelin, without understanding this conception of reason (reducing rationality to calculation as Hobbes does) we cannot understand politics, because politics always implies a level of (properly understood) transcendental representation.

26

Voegelin, Reason 287–289.

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Roger Castellanos Corbera, Bernat Torres Morales

References

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VOEGELIN ON HOBBES: THE IDEA OF AN EVERLASTING CONSTITUTION

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Repräsentation und politische Identität Gabriele De Anna Abstract The concept of political identity is seen with suspicion in current political discourse. Group identities might trump the rights of individuals and, historically, this has often been the case. This essay argues that the problem of political identity lays in the way in which the concept has been thought of in the context of the modern theory of representation. Following Eric Voegelin’s analysis of representation, which implies a criticism of the modern approach, the essay argues that the concept of political identity (properly understood) is necessary to explain the conditions of existence and persistence of political communities. The proposed view stresses the importance of the concept of „common good“ in political theory and challenges the usual opposition between descriptive and prescriptive accounts of politics. The upshot is that, in order to anesthetize the dangers of political identities, we should not try to eliminate the concept, but we should relocate it in a proper theory of representation.

Keywords Political identity, Representation, Common Good, Freedom, Gnosticism, Liberalism

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Die Debatte über die politische Identität

Der Begriff „politische Identität“ spielt im gegenwärtigen politischen Diskurs eine zentrale Rolle und ist als umstritten anzusehen. Dass er zentral ist, zeigt sich in den Diskussionen über Populismus und Souveränismus. Diejenigen, die die Souveränität der Staaten gegen die Globalisierungsprozesse schützen möchten, erkennen in der Identität der Völker einen Grund für ihre Unabhängigkeit und ihr Recht, sich um ihre internen Probleme und Interessen zu kümmern. Dagegen argumentieren die Vertreter der Globalisierung, dass Souveränismus eine egoistische Auffassung sei und dass die politische Identität als Rechtfertigung von Beziehungen benutzt werde, die in einer globalisierten Welt moralisch unrecht sind. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_004

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die Menschenrechte allgemeine Gültigkeit haben sollen. Der Begriff „politische Identität“ ist umstritten, da er im politischen Diskurs stets auf ideologische Weise benutzt wird. Populisten betrachten ihn als eine letzte Begründung für ihr politisches Handeln, als einen Hauptwert, der über allen anderen Werten steht. Anti-Populisten verachten das Reden über die politische Identität, da sie darin den Hauptursprung von politischen und gesellschaftlichen Konflikten erkennen.1 In der Wahrnehmung dieser gegenwärtigen Diskussionen scheint sich das Spektrum möglicher Ansichten über politische Identität an einer Seite auf einen radikalen Dualismus zu reduzieren: entweder unterstützt man politische Identität als ein praktisches Prinzip und vertritt Nationalismus und Souveränismus, oder aber man lehnt politische Identität ab und unterstützt eine Art von Globalisierung, die die Nationalstaaten überwinden soll. So betrachtet scheint dieser Dualismus aus moralischen Gründen nur eine Möglichkeit offen zu lassen: Souveränismus begünstigt Egoismus und vernachlässigt die Menschenrechte. Aus diesem Grund wird die Frage der Identität in öffentlichen Diskussionen mit Argwohn betrachtet. Das Thema der politischen Identität lässt sich jedoch nicht einfach umgehen. Multikulturelle Gesellschaften scheinen immer schwieriger zu handhaben zu sein.2 Die Europäische Kommission tritt in den letzten Jahren für eine neue inklusive und offene europäische Identität als Hauptziel des politischen Handelns und der sozialwissenschaftlichen Forschung ein.3 In diese Richtung haben einige Politikwissenschaftler versucht, eine Diskussion über politische Identität zu entwickeln, die Identität so erklärt, dass 1 Für eine Definition und eine Erklärung des Begriffs Populismus, vgl. M. Anselmi, Populism: an Introduction, London and New York: Routledge, 2018; eine kritische Diskussion der Verbringung zwischen Populismus und politische Identität befindet sich in: N. Urbinati, Me the People: How Populism transforms Democracy, Cambridge (MA): Harvard University Press, 2019; eine Diskussion der Schwachen der gegenwärtigen liberalen Systeme, die Populismus unterstützen, ist in Michael Sandel, The Tirrany of Merit: What’s Become of the Common Good? New York: Farrar, Straus und Giroux, 2020; deutsche Übersetzung von Helmut Reuter, Vom Ende des Gemeinwohls: Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt, Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2020. 2 Eine empirische Untersuchung der Schwierigkeiten des Multikulturalismus in Europa und Amerika ist R. Alba und N. Foner, Strangers No More: Immigration and the Challenges of Integration in North America and Western Europe, Princeton (NJ): Princeton University Press, 2015. 3 Vgl. European Commission. The Development of European Identity/Identities: Unfinished Business. A Policy Review, Brussels: European Commission. Directorate-General for Research & Innovation, 2012. URL: https://ec.europa.eu/research/social-sciences/pdf/policy_reviews/ development-of-european-identity-identities_en.pdf. Für eine wissenschaftliche Betrach­ tung des Themas der europäischen Identität, vgl. S. Ivic, European Identity and Citizenship: Between Modernity and Postmodernity, London: Palgrave Macmillan, 2016.

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sie mit allgemeinen Menschenrechten kompatibel erscheint. Teilweise wurde darauf hingewiesen, dass persönliche Entscheidungen, die die Beachtung der Menschenrechte erfordern, kulturelle und nationale Identitäten voraussetzen.4 Andere Politikwissenschaftler haben argumentiert, dass der für den Schutz der Menschenrechte unabdingbare Kosmopolitismus nur möglich ist, wenn Nationalstaaten fortbestehen, die allerdings eine höhere Weltautorität anerkennen5. So wichtig und gut entwickelt diese Beiträge sind, so haben sie ein Problem miteinander gemein: Sie erklären nicht wirklich, was politische Identität überhaupt ist. Will Kymlicka unterscheidet zum Beispiel bezüglich der Zuerkennung verschiedener Minderheitenrechte zwischen nationalen Minderheiten mit langen historischen Wurzeln und erst in jüngerer Zeit immigrierten Minderheiten. Dagegen erklärt er nicht, welche Voraussetzungen eine Bevölkerungsgruppe erfüllen muss, damit ihr eine Identität als nationale Minderheit zuerkannt werden kann. In ähnlicher Weise geht Benhabib davon aus, dass es zum Aufbau einer neuen kosmopolitischen Weltordnung einer Vielzahl von Nationalstaaten bedürfe, wobei er aber nicht erklärt, unter welchen Bedingungen eine bestimmte Gruppe von Menschen als Teil dieser Ordnung betrachtet werden kann. Meiner Ansicht nach verlangt diese gegenwärtige Debatte über Identität nach einer Klärung ihrer liberalistischen Voraussetzungen. Dazu zählt, unter Beachtung einer Tradition, die von Locke bis Rawls geht, dass die Beziehungen zwischen Individuum und Staat völlig unmittelbar und willkürlich sind. Wir müssen aber schließlich auch auf Hobbes zurückkommen: eine politische Identität besteht nur aufgrund eines Vertrages, und sie ist über die Klauseln dieses Vertrages völlig kontrollierbar. Das Symbol des Naturzustandes spielt eine große Rolle in dieser Denkart. Selbst wenn den gegenwärtigen Debattenführern bewusst ist, dass dem sogenannten Naturzustand keine historische Wirklichkeit zugrunde liegt und dass sie ihn nur als ein Werkzeug für normative Reflexionen benutzen, steht die ganze Diskussion unter der Prämisse, dass ein erwachsenes und vollwertiges Individuum unabhängig von einem Staat oder einer anderen Form von Gemeinschaft denkbar ist. Die Kritiker von John Rawls leiten als Bild für diese Prämisse ein Individuum als „Unbelastetes Selbst“ (unencumbered self) ab. Alasdair MacIntyre und Charles Taylor haben schon vor langer Zeit argumentiert, dass das „unencumbered self“ eine problematische Begrifflichkeit für 4 Vgl. W. Kymlicka, Multicultural Citizenship, Oxford and New York: Oxford University Press, 1995; D. Miller, Citizenship and National Identity, Cambridge (UK) and Maldon (USA): Polity Press, 2005; Y. Tamir, Why Nationalism, Princeton: Princeton University Press, 2019. 5 S. Benhabib, Another Cosmopolitanism, London and New York: Oxford University Press, 2006.

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das politische Denken ist. Ihre Stimmen werden jedoch in der zeitgenössischen Debatte über politische Identität nicht mehr viel diskutiert. Selbst wenn ihre Kritik des Liberalismus erforderlich ist, erscheint ihre theoretische Alternative nicht wirklich klar und überzeugend. In diesem Beitrag möchte ich argumentieren, dass uns Eric Voegelins Konzeption der politischen Repräsentation eine wertvolle Begrifflichkeit bieten kann, um der Natur der politischen Identität noch näher zu kommen, ohne die Prämisse des liberalistischen Individualismus vorauszusetzen. Im nächsten Schritt werde ich Voegelins Kritizismus von Liberalismus kurz zusammenfassen und seine Ansicht über die Repräsentanz vorstellen. Im dritten Schritt werde ich auf der Basis von Voegelins Repräsentanz-Begriff ein Kriterium für die Identität von politischen Einheiten entwickeln. Im vierten und letzten Teil werde ich einige Bemerkungen zur Rolle des Guten in der Politik machen: Sie sind mir wichtig, da politische Identität heute oft als letzter Grund für eine kommunitaristische Rechtfertigung des Guten herangezogen wird. Populisten behaupten, dass „bei uns“ etwas auf eine bestimmte Art und Weise gemacht werden soll, da „unserer Identität“ auf eine bestimmte Art und Weise entspricht. Ich möchte einwenden, dass ein richtiges Verständnis der politischen Identität diese Denkart nicht unterstützt. 2.

Voegelins Repräsentanz-Begriff und politische Identität

Die Naturzustandshypothese, die den Liberalismus begründet, ist ein starkes gnostisches Symbol. Ich folge Voegelin und verstehe unter Gnostizismus eine Herangehensweise an die Erfahrung, die die Realität der sinnlichen Welt ablehnt. Um das Problem des Bösen zu lösen, geht dieser Ansatz davon aus, dass die Erfahrung einer vom Bösen durchdrungenen Welt eine Illusion ist. Wahres Wissen bestünde in dem Bewusstsein, dass die Welt der Erfahrung und die Ordnung, die wir darin zu sehen meinen, illusorisch sind. Das Symbol des Naturzustands reduziert das menschliche Handeln auf die Erfüllung von menschlichen Wünschen und betrachtet alle Wünsche als gleichwertig. Deshalb wird auch die praktische Vernunft auf die einfache Berechnung der Konsequenzen von Handlungsmöglichkeiten und die vergleichende Gewichtung von Handlungsergebnissen reduziert. Das Böse wird mit der Frustration von Wünschen identifiziert. Die Politik wird als Aufbau einer Ordnung gesehen, die die Erfüllung von Wünschen maximiert und die Frustration von Wünschen minimiert. Demzufolge hätte Politik nicht nur Lösungen für Koordinationsprobleme vorzuschlagen, sondern zur Erlösung zu führen: sie muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen alle Wünsche befriedigt werden

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können. Tatsachlich würde die Lösung von besonderen Problemen die Wirklichkeit einer Welt, in der diese Probleme bestehen, bestätigen. Dem aber steht die Erkenntnis entgegen, dass die Welt der Geschichte, Erfahrungen und Probleme illusorisch ist und dass darum diese Welt von Grund auf neu zu ordnen ist, um sie zu retten. Aus dieser Sicht ist die politische Gesellschaft ein künstliches Konstrukt, das uns die Erlösung bringt. Liberalismus, der auf der Naturzustandshypothese gründet, ist nur eine der Ideologien, die eine solche Erlösung anbieten beziehungsweise die Erlösung vom Bösen in die Geschichte tragen. Unter diesem Gesichtspunkt unterscheidet sich Liberalismus nicht von anderen bekannten Ideologien wie z.B. dem Kommunismus. Die gnostische Natur des Liberalismus hat Voegelin deutlich zum Ausdruck gebracht: „Die Selbsterlösung, die Tragödie des Gnostizismus, die Nietzsche durchlebte […], ist ein Lebensinhalt, den jeder Mensch mit dem Gefühl gewinnt, er leiste seinen Beitrag zur Gesellschaft gemäß seinem Können, wofür er als Gegenleistung seinen Wochenlohn erhält. Es gibt keine Probleme menschlicher Existenz in der Gesellschaft außer der immanenten Befriedigung der Massen. Die politische Analyse zeigt, wer der Gewinner im Machtkampf sein wird, so dass der Intellektuelle sich rechtzeitig auf die Position eines Hoftheologen des kommunistischen Reiches vorbereiten kann. Und wer schlau genug ist, wird ihm in seinem kundigen Wellenreiten auf der Woge der Zukunft folgen. […] Es ist der Fall der kleinen Parakleten, in denen sich der Geist regt; derer, die den Drang verspüren, eine öffentliche Rolle zu spielen und als Lehrer der Menschheit aufzutreten. […] Wenn der Liberalismus als die immanente Erlösung von Mensch und Gesellschaft verstanden wird, ist der Kommunismus zweifellos sein radikalster Ausdruck; es handelt sich um das Ende einer Entwicklung, die schon durch John Stuart Mills Glauben an den Advent des Kommunismus für die Menschheit vorweggenommen wurde.“6

In seinem Buch vertritt Voegelin die These, dass die allgemeine Eigenschaft von gnostischen Ideologien darin besteht, dass sie keine echten Vorstellungen der Wirklichkeit zu erreichen versuchen. Trotzdem trachten sie danach, die Wirklichkeit mit samt ihren Schwächen zu verstecken. Gnostische Ideologien versuchen demnach, eine Traumwelt zu errichten, durch die sie die imperfekte, wirkliche Welt ersetzen möchten. Jedoch sind menschliche Wünsche in der Wirklichkeit nicht alle gleichwertig oder gleichgültig. Können Menschen zufrieden sein, wenn all Ihre Wünsche erfüllt werden? Die Entscheidung zwischen verschieden Handlungszielen stellt die praktische Vernunft vor die unlösbare Aufgabe, eine endliche Erlösung für das menschliche Leben zu 6 E.  Voegelin, The New Science of Politics, Chicago: Chicago University Press, 1952; deutsche Übersetzung, Die neue Wissenschaft der Politik, München: Fink, 2004, S. 182–3.

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finden. Das Erkenntnis- und Willensvermögen von Menschen ist begrenzt. Wir können den Ursprung des Bösen nicht völlig verstehen. Deshalb können wir zwar für besondere Probleme Lösungen finden, nicht aber eine endliche und definitive Erlösung für alle Probleme in unserem Leben. Die Naturzustandshypothese versucht, eine künstliche Wirklichkeit zu errichten, die auf einer falschen Voraussetzung für menschliches Handeln gründet. Da uns der gnostische Traum die Wirklichkeit verbirgt, können wir die echte Schwierigkeit unseres Zusammenlebens nicht bemerken und beschreiben, wenn wir die Wirklichkeit durch die Linse einer Ideologie beobachten. Wenn wir uns also der Realität durch eine Ideologie nähern, können wir nicht einmal die Lösungen für unsere Probleme finden, die wir erreichen könnten, wenn wir versuchen würden, die Realität zu verstehen. Bevor wir fortfahren, erscheint es angebracht, auf einen möglichen Widerspruch einzugehen. Ich habe Voegelin mit einer Passage zitiert und als klare Kritik am Liberalismus interpretiert. An anderer Stelle in seinem Buch schätzt Voegelin jedoch den Liberalismus und sieht im Erfolg der amerikanischen liberalen Demokratie die einzige Hoffnung auf Erfolg für die Zukunft der Politik: „In dieser Situation gibt es einen Hoffnungsstrahl: Denn die amerikanischen und englischen Demokratien, die in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele am stärksten repräsentieren, sind gleichzeitig auch existentiell die stärksten Mächte.“7

War meine Interpretation also einseitig? Oder gibt es einen echten Widerspruch in Voegelins Arbeit? Ich glaube, dass die Lösung für dieser Frage im Text enthalten ist, und ich möchte sie jetzt explizit machen. Ich glaube, dass Voegelin in seinem Buch den Liberalismus von zwei Punkten aus betrachtet. Eine Sichtweise ist die des modernen politischen Denkens, das versucht, mit dem klassischen Denken zu brechen. Aus dieser Sicht ist der Liberalismus tatsächlich eine gnostische Ideologie. Der andere Blickwinkel erfolgt aus der historischen Entwicklung europäischer und insbesondere angelsächsischer Institutionen heraus. Aus dieser Sicht ist der Parlamentarismus eine institutionelle Tradition, die es geschafft hat, ein sehr hohes Maß an politischer Repräsentativität zu entwickeln. Dieser institutionelle Erfolg ist in gewisser Weise unabhängig von den Denkprozessen, die ihn historisch begleitet haben. Kehren wir jetzt wieder zum Thema der politischen Identität zurück. Identität kann als Eigenschaft einer Sache verstanden werden, „sich selbst zu sein“ und von anderen Sachen sich zu unterschieden. Politische Identität ist 7 A.a.O., S. 196.

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die Antwort auf die Frage, was aus einer bestimmten Gruppe von menschlichen Individuen eine politische Einheit bzw. eine politische Gesellschaft macht. Gemäß der Naturzustandshypothese wird die politische Gesellschaft durch einen Vertrag gebildet, das heißt durch eine absolut freiwillige Entscheidung der Individuen, die in dem Sinne rational ist, dass die Existenz des Staates für die Individuen die beste Möglichkeit ist, die Befriedigung ihrer Wünsche zu maximieren und ihre Ängste zu minimieren. Die Befriedigung von Wünschen, die alle für gleichwertig gehalten werden, ist das Hauptprinzip der Naturzustandshypothese: das Handeln eines Einzelmenschen entsteht aus dem Streben nach Ausgleich seiner Wünsche; das allgemeine Bestreben eines Staats, der auf willkürlichen Verträgen der Bürger gründet, leitet sich aus der Abwägung der Wünsche aller Bürger ab. In diesem Zusammenhang bezieht sich Voegelin auf Hobbes, der die Verbindung zwischen den drei wichtigen Begriffen der modernen politischen Theorie „Einheit“, „Person“ und „Repräsentanz“ gründet: [Dazu schreibt Hobbes:] “‚Eine Person ist derjenige, dessen Worte oder Handlungen entweder als seine eigenen angesehen werden oder solche, welche die Worte und Handlungen eines anderen Menschen oder einer anderen Sache repräsentieren.‘ […] Dieser Begriff der Person gestattet es Hobbes, den sichtbaren Bereich repräsentativer Worte und Taten von dem unsichtbaren Bereich der Seelenvorgänge zu trennen, was zur Folge hat, dass die sichtbaren Worte und Aktionen, die immer von einem bestimmten, physischen Menschen herrühren müssen, auch Einheit physischer Vorgänge repräsentieren können, die aus der Wechselwirkung menschlicher Einzel-Seelen hervorgehen. Im Naturzustand hat jeder Mensch seine eigene Person, in dem Sinne, dass seine Worte und Handlungen den Machttrieb seiner Leidenschaften repräsentieren. In Zivilstand werden die menschlichen Einheiten von Leidenschaft gebrochen und zu seiner neuen Einheit, genannt das Commonwealth, verschmolzen.“8

Das Handeln der Einzelperson besteht nur im inneren Widerstreit ihrer verschiedenen Leidenschaften bis zu dem Punkt, dass die stärkste Leidenschaft über die anderen siegt. Die Einzelperson besteht als Einheit, da ihre Leidenschaften eine reductio ad unum erfahren. Das Prinzip dieser reductio wäre gemäß der Naturzustandshypothese keine wesentliche Ordnung der Seele, die die Vernunft erkennen könnte, sondern nur ein zufälliges Ergebnis der Kräfte der Leidenschaften. Deshalb wäre die Einheit der Einzelperson eine Repräsentation, bzw. das Ergebnis des Versuchs, den Leidenschaften im höchst möglichen Grad zu folgen. Hobbes entnimmt die Begriffe Person und Repräsentation im Sinne des Theaters. So wie die Figur auf der Bühne nur eine 8 A.a.O., S. 190.

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Repräsentation ist, der keine metaphysische Realität entspricht, so ist die Einheit der Einzelperson keine substantielle Realität, die wir verstehen könnten und die uns ein Auswahlkriterium bieten könnte. Die politische Gesellschaft ist wie eine Einzelperson, jedoch auf einer höheren Ebene. Der allgemeine Wille ergibt sich aus dem Ausgleich der Begierden, je nach der Kraft, mit der sie sich manifestieren. Die Einheit einer politischen Gesellschaft besteht darin, dass alle Wünsche von allen Mitgliedern der Gesellschaft als gleichwertvoll betrachtet werden und gleichermaßen zur Bildung eines allgemeinen Willens beitragen. Es gibt in dem Allgemeinwillen keine Vernünftigkeit, abgesehen von der Notwendigkeit, die Wunscherfüllung aller Mitglieder zu maximieren. Wie im Fall der Einzelperson ist auch der Staat eine Person, bzw. eine künstliche Person, die als Einheit anzusehen ist, weil sie auf der Grundlage der Ausgewogenheit der Wünsche aller handelt. Als Person ist sie nur eine Darstellung des Ausgleichs der Wünsche der Mitglieder, der kein Kriterium der Auswahl in der Wirklichkeit entspricht. Diese Auffassung wurzelt letztlich in der trügerischen und illusorischen gnostischen Ansicht, die Hobbes im ersten Buch Leviathan klar zum Ausdruck bringt, wonach sich Freiheit in rein negativen Begriffen definieren lässt, nämlich als das Fehlen von Hindernissen, auch psychologischen oder moralischen, zur Wunscherfüllung.9 In dieser Denkrichtung übernimmt der Begriff Repräsentanz eine zentrale Rolle, die für die politische Philosophie der Moderne typisch ist. Die Repräsentanz begründet eine politische Gesellschaft, nach diesem Prinzip schließen sich die Einzelindividuen zur politischen Einheit zusammen. Gemäß dieser Ansicht ist die politische Gesellschaft eine Sammlung von Individuen (eine „Gesellschaft der Individuen“), deren Zusammenleben durch die Repräsentanz-Aktion aufgebaut wird. Die Teilnahme an der politischen Gesellschaft ist eine völlig willkürliche, an keine Bedingung geknüpfte Entscheidung, während die Beziehungen zwischen Individuen unabhängig vom Gesellschaftsvertrag bestehen. Zwischen Staat und Individuum besteht eine unmittelbare Beziehung, die von prä-politischen menschlichen Beziehungen unabhängig ist. Somit läge das Typische für die moderne Ansicht über Politik, dass das Ziel und der Motor aller politischen Entscheidungen in einer Maximierung der Erfüllung von den Wünschen der Individuen liegen. Die Wünsche der Individuen werden zerlegt und als Wünsche der künstlichen Person, die durch 9 Zu diesem negativen Freiheitsbegriff und der ihm zugrunde liegenden Problematik vgl. D.  Castellano, La verità della politica, Naples: Edizioni Scientifiche Italiane, 1993, S.  25–53. P. Deneen, Why Liberalism Failed, New Heaven: Yale University Press, S. 116; Jean-Marc, Ferry, Valeurs et normes. La question de l’éthique, Brussels: Université de Bruxelles, 2002, S. 51–70.

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Repräsentation entsteht, neu zusammengesetzt. Liberalismus vertritt die Auffassung, dass natürliche Rechte dem Aufbau staatlicher Ordnung vorausgehen und alle politischen Beziehungen von Rechten begrenzt werden. Er postuliert, dass das Respektieren dieser Rechte eine notwendige Bedingung maximaler Bedürfnisbefriedigung ist. Dieser Meinung gemäß liegt im Liberalismus kein radikaler Einwand gegen Hobbes‘ Repräsentationstheorie, er entwickelt vielmehr seine Logik kohärent weiter.10 Die moderne Repräsentationslogik zerstört jedoch, so Voegelin, die Grundlagen eines politischen Lebens, das auf der Möglichkeit basiert, rationale Handlungsziele zu teilen: „Dieser Konzeption gemäß ist die Natur des Menschen in seinen Leidenschaften zu suchen, während die Gegenstände, auf die sich die Leidenschaften richte, kein legitimer Gegenstand der Untersuchung sind. Das ist die fundamentale Gegenposition zur klassischen und christlichen Ethik. Die aristotelische Ethik geht von dem Zweck der Handlungen aus und erforscht die Ordnung des Menschenlebens im Sinne einer Ausrichtung aller Handlungen auf einen höchsten Zweck, das summum bonum. Hobbes hingegen betont, dass es das summum bonum, „von dem in den Büchern der alten Moralphilosophen gesprochen wird“, nicht gebe. Mit dem summum bonum verschwindet jedoch die Quelle der Ordnung aus dem menschlichen Leben, und nicht nur aus dem Leben des Einzelmenschen, sondern auch aus dem der Gesellschaft. Denn […] die Ordnung des Lebens in der Gesellschaft beruht auf der homonoia im aristotelischen und christlichen Sinne, das heißt auf der Teilnahme am gemeinsamen nous. Hobbes steht daher vor der Aufgabe, eine Gesellschaftsordnung aus isolierten Einzelpersonen zu konstruieren, die nicht auf einen gemeinsamen Zweck ausgerichtet, sondern nur von ihren individuellen Leidenschaften angetrieben sind.“11

Indem sie das Individuum als negativ frei denkt, verwehrt die moderne Repräsentationslogik jede Möglichkeit, über eine Ordnung der Seele nachzudenken. Und indem sie die politische Gesellschaft auf den Vertrag negativ freier Individuen gründet, zerstört sie jede Möglichkeit, über eine Gesellschaftsordnung nachzudenken, die ein Legitimationskriterium und eine gemeinsame Rechtfertigung politischen Handelns sein könnte. Das Allgemeinwohl, das

10

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Leo Strauss und Carl Schmitt teilen die These, dass Hobbes der Vater des Liberalismus ist, trotz der verschiedenen Konsequenzen, die sie daraus ziehen. Vgl. L. Strauss, Natural Right and History, Chicago: University of Chicago Press, 1965; C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1938. für eine eingehende Diskussion der Repräsentationslogik in der modernen Philosophie und ihren Anhängern vgl. G. Duso, La rappresentanza politica. Genesi e crisi del concetto, Mailand: FrancoAngeli, 2006 (2. Ausgabe). A.a.O., S. 187–8.

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in der vormodernen politischen Theorie die Möglichkeit des politischen Zusammenlebens begründete, ist endlich verloren. In dieser Sicht verliert auch die politische Identität eine bedeutsame Rolle in der politischen Theorie. Da die Beziehungen zwischen Bürger und politischer Gesellschaft direkt sind und der allgemeine Wille kein Allgemeinwohl suchen soll, ist das politische Zusammenleben völlig von vorpolitischen Zugehörigkeiten unabhängig. Die politische Struktur der Gesellschaft entspricht keiner Ordnung, die ein Kriterium für politische Entscheidungen bieten kann. Aus diesem Grund sollte, wie wir im ersten Abschnitt dieses Essays gesehen haben, die politische Identität nach liberaler Auffassung keine entscheidende Rolle in den politischen Entscheidungsprozessen spielen. Die logische Konstruktion moderner Repräsentation, so Voegelin, baut jedoch auf dem gnostischen Traum auf, der die reale Struktur der Zuverlässigkeit überdeckt. In der Realität sehen wir als Menschen nicht alle unsere Wünsche als gleichermaßen gültig an, und wir sind auch nicht bereit, irgendeine politische Entscheidung zu akzeptieren, nur weil sie es schafft, die meisten Wünsche der beteiligten Menschen zu befriedigen. Voegelin bietet in seinem Buch eine Kritik der modernen Repräsentation an, die von seiner Kritik am gnostischen Zugang zur Wirklichkeit ausgeht. Voegelins Kritik an der modernen Repräsentation nimmt jedoch nicht die Form einer Ablehnung des Repräsentationsbegriffs an. In der Einleitung und im ersten Kapitel von „The New Science of Politics“ unterstützt er eine aristotelische Methodik in der Politikwissenschaft. Nach dieser Methodik sollte die Politikwissenschaft von den Symbolen der Politik ausgehen, die auf der Ebene der politischen Realität vorhanden sind, und diejenigen von ihnen auswählen, die theoretische Bedeutung haben, um eine normative Kritik des Status quo zu formulieren. Wir können heute nicht einfach die Politikwissenschaft des Aristoteles übernehmen, die von den politischen Symbolen seiner Zeit ausging. In unserer Zeit sollte der Begriff der Repräsentation eine zentrale Rolle in der Politikwissenschaft einnehmen. Die politische Wissenschaft sollte ein Ordnungswissen wiederherstellen, und Voegelin versucht das, indem er den Begriff der „Repräsentation“ verwendet, den er nicht verwirft, sondern gemäß den gnostischen Vorannahmen der Moderne korrigiert. Unter Verzicht auf die gnostischen Prämissen sieht Voegelin Repräsentation als das politische Grundphänomen, durch das jemand im Namen der gesamten politischen Gesellschaft handeln kann. Dies geschieht nicht, wenn die Autorität nur auf die Befriedigung von Wünschen abzielt, sondern wenn Vertrauensund Delegationsbeziehungen innerhalb der Gesellschaftsgruppen bestehen, so dass in der Gesellschaftsstruktur eine Funktion entsteht, die darin besteht, wählen zu können für die ganze Gruppe:

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Gabriele De Anna „Artikulierung ist die Bedingung der Repräsentation. Um zur Existenz zu gelangen, muss eine Gesellschaft sich artikulieren, indem sie einen Repräsentanten hervorbringt, der für sie handelt. […] Hinter dem Symbol „Artikulierung“ verbirgt sich nichts Geringeres als der historische Prozess, in dem politische Gesellschaften, die Nationen, die Reiche entstehen und vergehen sowie die zwischen diesen Ausgangs- und Endpunkten stattfindenden Evolutionen und Revolutionen.“12

Dabei nimmt der Artikulationsbegriff eine zentrale Rolle ein. Repräsentation (Handlung von jemandem im Namen aller) kann es nur dann geben, wenn es der Gesellschaft gelungen ist, sich so zu artikulieren, dass eine Funktion entsteht, die in der Lage ist, die Rolle des Repräsentanten zu erfüllen. Es ist diese Artikulation, die der Gesellschaft Einheit verleiht und sie daher zu einem Individuum macht, das sie von anderen Individuen unterscheidet. Dies ist die zentrale Bedeutung politischer Identität: eine artikulierte Einheit zu bilden, die in der Lage ist, politische Repräsentation auszudrücken. Die Rolle der Geschichte ist grundlegend im Begriff der Artikulation, an die Voegelin in der eben zitierten Passage erinnert. Artikulation ist eine besondere Form, die eine Gesellschaft aufgrund ihrer Geschichte annehmen kann. Die Form besteht aus einer Unterteilung in Gruppen oder Teile, die miteinander verbunden und voneinander abhängig, aber dennoch verschieden sind. Diese Gruppen sind vorpolitisch und agieren als Einheiten, weil in ihnen Vertrauensund Delegationsbeziehungen bestehen, die sich auch in den Beziehungen zwischen ihnen auf höherer Ebene übertragen. All dies hat drei wichtige Konsequenzen, die diese Position von der modernen Repräsentationsansicht unterscheiden. Erstens ist die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Staat nicht rein freiwillig, sondern hängt von der Zugehörigkeit des Individuums zu Gruppen ab, die die Artikulation der Gesellschaft bilden. Es gibt Repräsentation, weil die politische Gemeinschaft nicht nur eine Gesellschaft von Individuen ist. Zweitens diktiert die besondere Form der Artikulation die Kriterien für die Bewertung der politischen Realität. Die Entscheidungen der Individuen sind vor dem Hintergrund ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Artikulation verständlich. Diese Mitgliedschaften bieten gemeinsame Rationalitätskriterien und ermöglichen es, im Hinblick auf das Gemeinwohl zu handeln, das nicht als abstraktes Gut verstanden wird, sondern als praktisches Gut, an dem alle vernünftigen Menschen in der Gemeinschaft teilhaben können. Drittens hängt das praktische Gemeinwohl nicht notwendigerweise nur von der besonderen Identität der Gesellschaft und ihrer Mitglieder ab, die als letztes Legitimationskriterium 12

A.a.O., S. 56.

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gedacht ist, sondern es ist eine solche, weil die Mitglieder der Gemeinschaft es aufgrund ihrer Rationalität erkennen können. Dieser Aspekt, der aus der gerade zitierten Passage nicht hervorgeht, ist in Voegelins Buch grundlegend: Der Mensch ist vernunftbegabt, und auch wenn er immer in konkreten Einzelumständen denkt, muss er immer verallgemeinern, wenn er seine Entscheidungen begründet. Zusammenfassend ergibt sich für Gnostiker Identität aus Repräsentation. Im Gegensatz dazu setzt für Voegelin Repräsentation Identität voraus. Die Identität muss nicht national oder kulturell sein: Sie erfordert nur, dass die Gesellschaft so artikuliert ist, dass eine Repräsentation möglich ist. Dies ist mit der Ansicht vereinbar, dass Individuen möglicherweise mehrdimensionale Identitäten haben und dass bestimmte politische Gesellschaften gut artikuliert sind, obwohl sie multikulturell oder multinational sind. Im Folgenden werde ich versuchen, Voegelins theoretischen Vorschlag in dieser Richtung zu erweitern. Zunächst werde ich diskutieren, was die Identitätskriterien einer politischen Gemeinschaft sind, die eine repräsentationsfähige Artikulation ermöglichen. Zweitens werde ich einige weitere Bemerkungen zur Rolle des Gemeinwohls (summum bonum) bei der Bildung der Identität einer Gemeinschaft machen. 3.

Die Kriterien von politischer Identität

Die Identität einer politischen Gemeinschaft besteht darin, dass sie als Individuum existiert, das neben anderen Individuen identifiziert und neu identifiziert werden kann. Bei Voegelin erwirbt eine politische Gemeinschaft eine Identität, wenn ihre Artikulation es ihr erlaubt, einen Repräsentanten auszudrücken. Politische Autorität, mithin die repräsentative Macht einer Gemeinschaft, ist also das Prinzip der Einheit der Gemeinschaft: Dank der Autorität kann die Gemeinschaft „ins Dasein eruptieren“, wie Voegelin in Anlehnung an einen Begriff von Fortescue sagt.13 Eine politische Gemeinschaft existiert, wenn sie durch ihren Artikulationsprozess der Gemeinschaft eine von ihren Mitgliedern anerkannte politische Autorität zum Ausdruck bringen kann. Die erklärende Rolle des Autoritätsbegriffs unterstreicht, dass der Begriff des Gemeinwohls in der politischen Theorie eine entscheidende Rolle spielt, wie Voegelin im letzten Zitat oben angedeutet hat. Der Begriff des Gemeinwohls wird benötigt, um den der Autorität zu erklären, und diese Tatsache macht ihn für die politische Theorie relevant. Der Punkt ist, dass sich herausstellt, dass 13

A.a.O., S. 57.

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das Gemeinwohl nicht nur eine moralische Vorstellung ist, d.h. ein normativer und wertender Begriff, mit dem wir politische Autoritäten und politische Institutionen rechtfertigen oder legitimieren können, nachdem diese bereits identifiziert und beschrieben wurden. Vielmehr ist dieser Begriff auch notwendig, um Identitätskriterien für die politische Wirklichkeit zu setzen.14 Die Autorität hängt auch von der Einstellung der Bürger gegenüber den Vertretern ab, und da die Bürger rationale Akteure sind, hängt ihre Einstellung von den Gründen für das Handeln ab, die sie als gut ansehen, wenn sie so handeln, dass sie die politische Gemeinschaft stärken oder ihre Existenz aufrechterhalten. Durch die Berücksichtigung politischer Autorität und des Strebens nach dem Gemeinwohl kann man die Stärke und Gesundheit einer politischen Gemeinschaft verstehen und erklären, ihre Lebens- und Entwicklungsaussichten bewerten, gangbare Wege zu ihrer Verbesserung oder ihrer Rettung vor dem Zusammenbruch skizzieren. In einigen Fällen könnte man nur zum Schluss kommen, dass die politische Gemeinschaft unheilbar krank ist, und anerkennen, dass ihr Untergang unvermeidlich ist. Die These, dass Autorität und Gemeinwohl (d.h. zwei normative Begriffe) die Identitätskriterien einer politischen Gemeinschaft festlegen, impliziert nicht, dass keine weiteren Überlegungen erforderlich sind, um den Aufstieg und Fall politischer Gemeinschaften zu erklären. Meine These lautet lediglich, dass diese normativen Vorstellungen notwendig sind, um zu erklären, wie Gruppen „ins Dasein eruptieren“ und Repräsentationsformen hervorbringen, die politische Gemeinschaften bilden. Sicherlich ist auch mehr nötig. Eine Eruption kann stattfinden, wenn bereits genügend soziale Praktiken geteilt werden und dies voraussetzt, dass bereits eine Gruppenidentität vorhanden ist. Gruppenidentität kann ein Gegenstand der anthropologischen Analyse sein, und meine Darstellung hält sie für selbstverständlich. Zum Beispiel hat Benedict Anderson einen aufschlussreichen Bericht über den Ursprung von Gemeinschaften auf der Grundlage einer gemeinsamen Vorstellungskraft geliefert. Seiner Ansicht nach sind „alle Gemeinschaften, die größer sind als Urdörfer von Angesicht zu Angesicht (und vielleicht sogar diese) imaginiert“, nicht in dem Sinne, dass sie eine „Fälschung und Falschheit“ sind, sondern in dem Sinne, dass sie das Ergebnisse des „Vorstellens“, einer „Schöpfung“, sind. Eine Gemeinschaft „wird vorgestellt, weil die Mitglieder […] die meisten ihrer Mitmitglieder nie kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, doch in den Köpfen 14

Ich halte dies für den Hauptpunkt von Passerin-d’Entréves Herangehensweise an die Politik A. Passerin-D’Entréves, The Notion of the State: An Introduction to Political Theory. Oxford: Oxford University Press, 1967, S.  223–30). Im Folgenden versuche ich, diesen Punkt zu entwickeln.

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eines jeden das Bild ihrer Gemeinschaft lebt“.15 Er zeigt weiter an vielen historischen Beispielen, dass die Nation eine der Möglichkeiten ist, wie man sich eine politische Gemeinschaft vorstellen kann, und argumentiert überzeugend, dass Sprache oder kulturelles Erbe keine eindeutige Rolle spielen. Darüber hinaus hebt seine Analyse hervor, dass es andere, nicht-nationale Arten gegeben hat, sich politische Gemeinschaften vorzustellen. Meine Darstellung ist mit der von Anderson vereinbar und setzt sogar die Wahrheit einer Analyse dieser Art voraus (d.h. basierend auf den psychologischen Zuständen von Individuen, die Gruppenidentitäten erzeugen), aber sie behauptet, dass diese Art von Analyse nicht ausreicht. Da Menschen in ihrer prekären Art und Weise rational sind, können wir meiner Ansicht nach ihre Art, sich Gemeinschaften vorzustellen, nicht vollständig erklären, es sei denn, wir berücksichtigen, dass sie diese Gemeinschaften als irgendwie gut ansehen und sie auf Ziele lenken, die für sie gut sind. Ein Grund für meine Darstellung ist, dass sie auf diese Weise einen Aspekt der politischen Erfahrung erklärt, den Anderson sehr schwer zu behandeln findet: „Es ist zweifelhaft, ob entweder soziale Veränderungen oder Bewusstseinsänderungen, die sich in der Gemeinschaft vollziehen, an sich viel zur Erklärung der Bindung beitragen, dass Menschen für die Erfindungen ihrer Fantasie empfinden – oder […] warum Menschen bereit sind, für diese Erfindungen zu sterben.“16 Sicherlich haben die Mitglieder die größtmögliche Verbundenheit mit politischen Gemeinschaften, von denen sie anerkennen, dass sie zum Gemeinwohl führen. Die Bemerkung, dass politische Autorität ein Einheitsprinzip ist, das sehr unterschiedliche anthropologische Formen von Gemeinschaften verbinden kann, hat wichtige Konsequenzen für die Identitätskriterien politischer Gemeinschaften. Solche Kriterien sind Funktionen der besonderen Art und Weise, wie Gemeinschaften strukturiert sind, d.h. auf ihre Gruppenidentität. Gruppenidentitäten sind das Ergebnis etablierter Praktiken und dazu gehört auch die Vorstellung von der Gemeinschaft, die die Mitglieder teilen. Vier metaphysische Merkmale der apolitischen Gemeinschaft beruhen auf dieser Vielfalt von Imaginationsformen. Erstens können unterschiedliche politische Gemeinschaften unterschiedliche Grade der Vereinigung aufweisen und daher unterschiedliche Grade von Identitäten haben. Dieser Gradualismus beruht auf der Tatsache, dass die Stärke der Bindungen, die die Mitglieder der Gemeinschaften zusammenhalten, von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, abhängig von der Stärke 15 16

B. Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London and New York: Verso, 1983, S. 6. A.a.O., S. 141.

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der Gruppenidentität, die die Eruption der politischen Repräsentation untermauert. Die Stärke der Gruppenidentität hängt von der Verbreitung der sozialen Praktiken im Leben der Mitglieder und von der Stärke der imaginierten Identität ab. In einigen extremen Fällen können Gruppenidentität und soziale Praktiken sehr gering sein und dennoch die Eruption der politischen Autorität ermöglichen. Die daraus resultierende politische Gemeinschaft wird sehr locker sein, und die Bandbreite an praktischen Gemeingütern, die die Vertreter erreichen können, wird sehr gering sein. In dieser Situation kann die politische Vertretung sehr fragil sein. Ein Beispiel kann eine stark multikulturelle Gesellschaft sein, wie zum Beispiel Südafrika. Ich halte die USA oder Kanada für weniger geeignete Beispiele, auch wenn sie nahezuliegen scheinen, da ihre repräsentativen Institutionen, obwohl sie sehr multikulturelle Gemeinwesen zu sein scheinen, nicht aus einer multikulturellen Gesellschaft hervorgegangen sind und eine sehr starke einfallsreiche Kraft auf alle Bürger und Einwanderer ausüben. Zweitens könnte es zusammengesetzte politische Gemeinschaften geben, d.h. politische Gemeinschaften, die nicht nur aus Einzelpersonen oder Gemeinschaften anderer „untergeordneter“ Art (zwischengeschaltete Stellen), sondern auch aus politischen Gemeinschaften bestehen. So kann es beispielsweise Situationen geben, in denen politische Autorität nicht in einer Institution oder einem Institutionensystem konzentriert ist (wie etwa in traditionellen modernen Nationalstaaten), sondern in hierarchisch geordneten, autonomen Formen politischer Repräsentation geschichtet ist. Das Römische Reich oder das Feudalsystem könnten hierfür als geeignete Beispiele in Betracht gezogen werden. Dies zeigt, dass organizistische Auffassungen politischer Identitäten unzureichend sind: In einigen Fällen kann eine politische Gemeinschaft mit einem Organismus verglichen werden, in anderen Fällen kann sie jedoch eher einem Schwamm gleichen. Drittens können die Kriterien für die Individuation politischer Gemeinschaften dem physischen Raum sehr unterschiedliche Rollen zuweisen, je nachdem, welche Rolle der Raum in der Vorstellung spielt, die jede Gemeinschaft entstehen lässt. In einigen Fällen ist der tatsächlich von der Gemeinschaft eingenommene Raum konstitutiv für die Identität der Gemeinschaft: Moderne Nationalstaaten werden auch durch ihr Territorium identifiziert, und alle innerhalb der Grenzen Geborenen sind Mitglieder der Gemeinschaft, zumindest in einigen Versionen von dieser Auffassung der politischen Gemeinschaft. In anderen Fällen ist ein bestimmter Raum Teil der Identität, obwohl die Gemeinschaft auch außerhalb dieses Raums existieren kann. Das ist zum Beispiel bei den Juden der Fall, vorausgesetzt, dass sie auch als politische Gemeinschaft betrachtet werden: Ihre Identität wird durch Orte wie den

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Berg Sinai und das gelobte Land definiert, aber sie bleiben als Gemeinschaft bestehen, auch wenn es ihnen nicht erlaubt ist, diese Räume besetzen. Ein ähnliches Beispiel könnten die Japaner und ihre Beziehung zum Berg Fuji sein. Obwohl ihr Leben ohne die Besetzung dieses physischen Raums nur kontrafaktisch betrachtet werden kann, ist es vernünftig anzunehmen, dass sie ihre Identität behalten würden, selbst wenn sie den Ort verlassen würden. In einigen anderen Fällen erfordert die Identität der Gemeinschaft einen Raum nur im allgemeinen Sinne, nicht als einen bestimmten Raum. Um beispielsweise die Prozesse durchzuführen, die das Leben einer Gemeinschaft ausmachen, müssen ihre Mitglieder zu jeder Zeit ihres Bestehens zusammenhängende Räume besetzen: Sie müssen sich in Versammlungen treffen oder bei Wahlen abstimmen und so weiter. Daher müssen Gemeinschaften, die diese Art von Leben haben, eine Raum-Zeit-Kontinuität aufrechterhalten, ähnlich wie bei gewöhnlicheren alltäglichen mittelgroßen Objekten wie Tischen oder Stühlen. Dieser Fall scheint sich in zwei Unterklassen aufzuteilen. Manche Gemeinschaften haben Lebensprozesse, die eine exklusive Besetzung eines bestimmten Raumes erfordern. Beispielsweise könnten sie ein Rechtssystem haben, das verlangt, dass alle in einem bestimmten Gebiet denselben Gesetzen unterliegen. Andere Gemeinschaften könnten Arten von Lebensprozessen implizieren, die eine Koexistenz im Weltraum mit anderen Gemeinschaften ermöglichen. Diese Fälle sind jedoch immer riskant, da sich die Lebensprozesse von Gemeinschaften mit der Zeit ändern und die Koexistenz mit anderen politischen Gemeinschaften leicht unmöglich werden kann. Schließlich können wir uns Fälle politischer Gemeinschaften vorstellen, die über die ganze Welt verteilt leben und dennoch in der Lage sind, ihre lebenswichtigen Prozesse fortzusetzen. Solche Gemeinschaften müssen metaphysisch sehr kurzlebig sein und das Leben ihrer Mitglieder nur in sehr geringem Maße beeinflussen (z.B. müssen sie ihre Mitglieder den gesetzlichen Anforderungen unterwerfen, die von anderen Gemeinschaften gestellt werden, die die Gebiete besetzen, in denen die Mitglieder leben). Viertens können politische Gemeinschaften sehr unterschiedliche Arten von diachronen Identitätsbedingungen haben. In einigen Fällen kann eine Gemeinschaft sie selbst bleiben, selbst wenn sie radikale Veränderungen in der Regierungsform oder sogar der Staatsform erfährt. Dies kann passieren, wenn sich die Mitglieder nach der Änderung immer noch als Gruppe identifizieren, die mit der älteren Community identisch ist oder nicht. Andersons Prozesse der Selbstimagination sind in solchen Fällen entscheidend. Daher könnte das Nachkriegsdeutschland als eine andere politische Gemeinschaft als Nazideutschland bezeichnet werden, nicht so sehr wegen der Änderung der Regierungs- oder Staatsform (tatsächlich könnte die Weimer-Republik

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kaum als eine andere Art von Regierung bezeichnet werden als die heutige Regierungsform), sondern für die Distanzierung, die Nachkriegsdeutsche gegenüber Vorkriegsdeutschen vollzogen haben. Eine ähnliche Darstellung könnte für Italien und seine Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben werden. In anderen Fällen können jedoch einige objektive Kriterien mehr wiegen als die Vorstellungskraft der Mitglieder. Wenn beispielsweise ein Regierungswechsel eher auf das Eingreifen äußerer Kräfte als auf interne Veränderungsprozesse einer Gemeinschaft zurückzuführen ist, können wir eher vom Ende einer Gemeinschaft und der Geburt einer neuen sprechen als von der Entstehung einer neuen Gemeinschaft, egal was die Vorstellungskraft der Mitglieder vorgibt. Ein Beispiel könnte der Irak sein, der nach dem Sturz von Saddam Hussein und der Abstimmung über eine neue Verfassung derzeit die Entwicklung in Richtung einer staatlichen Ordnung nach westlichem Vorbild durchmacht. 4.

Die Rolle des Gemeinwohls

Ich möchte auf die Bedeutung dieser Darstellung der Identitätskriterien politischer Gemeinschaften für die Wissenschaft der Politik eingehen. Diese Art der Erklärung ist der Kern von Aristoteles’ Politik, dem höchsten Teil ihrer praktischen Wissenschaften. Dies ist ein Politikansatz, der einen praktischen Zweck (d.h. richtiges politisches Handeln) erreicht, indem er von einer theoretischen Analyse der Struktur der politischen Realität ausgeht, um zu verstehen, wie man sich dieser Realität am besten nähern und in ihr richtig wählen kann.17 Ein Philosoph, der Politik aus dieser Perspektive betrachtet, kann praktische Ratschläge geben, hat aber keinen Grund anzunehmen, dass er eine perfekte Theorie aufbauen kann, die alle praktischen Probleme lösen kann. Dieser Aspekt der aristotelischen Methodik markiert den Unterschied zu den Ansätzen der modernen Repräsentationslogik. Philosophen, die der modernen Repräsentationslogik folgen, überlassen normalerweise deskriptive Darstellungen der Politik empirischen Forschern und nehmen einen normativen Zugang zur Politik, d.h. sie versuchen, Kriterien anzubieten, die politische Institutionen und Gesetze rechtfertigen. Infolgedessen versuchen Theoretiker 17

Passerin d’Entréves hat diese Methodik der politischen Philosophie im zwanzigsten Jahrhundert effektiv vorgeschlagen. Wie er es ausdrückte, ist dieser Ansatz eher deskriptiv als präskriptiv (Passerin d’Entréves, The Notion of the State, S. 157), kommt aber zu dem Schluss, dass eine Beschreibung politischer Realitäten normative Konzepte (z.B. Autorität) erfordert und Kriterien bietet, die das Handeln leiten können und daher praktische Konsequenzen haben (a.a.O., S. 166).

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dieser Überzeugung, Probleme von Konflikten und Ungerechtigkeit zu lösen, indem sie aus ihren normativen Darstellungen jene Konzepte eliminieren, die die historischen Prozesse vorangetrieben haben, die überhaupt zu Konflikten und Ungerechtigkeit geführt haben. Aus diesem Grund wurden die Schlüsselbegriffe der klassischen Politikauffassung, d.h. Autorität und Gemeinwohl, aus den zeitgenössischen, regulierenden Darstellungen gestrichen, um zu versuchen, Gesetze und politische Institutionen zu rechtfertigen. Leonard Hobhouse zum Beispiel definierte den Liberalismus als eine Bewegung, die darauf abzielt, die „Autoritätsketten“ zu „sprengen“,18 nach einer langen Geschichte, in der das „Prinzip der Autorität“ besagte, dass „jeder Mann theoretisch seinen Herrn hatte.“19 In ähnlicher Weise definieren liberale Theorien der Politik politische Legitimität auf eine Weise, die Überlegungen darüber umgeht, welche Vorstellungen vom Guten die Mitglieder einer Gemeinschaft haben: Sie beabsichtigen, Räume der Freiheit zu gestalten, in denen alle ihre Vorstellungen vom Guten erreichen können, an denen sie festhalten.20 Die Konzepte des Gemeinwohls und der Autorität wurden aufgrund der Ungerechtigkeiten und Konflikte, die in der Geschichte unter diesen Überschriften stattfanden, mit Argwohn betrachtet. Ich gehe nicht auf die historiografische Frage dieser Fälle ein und erwähne sie nur, um zu betonen, dass wir nach Voegelins Methodik eine theoretische Verwendung eines Begriffs von seiner politischen Verwendung unterscheiden sollten. Daher sollten wir den theoretischen Nutzen, den die Konzepte des Gemeinwohls und der Autorität bieten können, nicht mit den ideologischen Zwecken verwechseln, für die sie im Laufe der Geschichte eingesetzt wurden. Meine These ist, dass diese Begriffe notwendig sind, um die politische Realität zu erklären: Wenn wir sie ausschließen, könnten wir die Tatsache aus den Augen verlieren, dass Politik eine eingebaute normative Dimension hat. Der 18 19

20

L. Hobhouse, Liberalism, London: Williams and Norgate, 1911, S. 50. A.a.O., 15. In ähnlicher Weise schreibt Isaiah Berlin: „Meine These ist, dass im Laufe dieses [historischen] Prozesses [der Konstruktion des Selbst] aus einer Freiheitsdoktrin eine Autoritätsdoktrin wurde und zeitweise eine Unterdrückungsdoktrin und wurde zur bevorzugten Waffe des Despotismus“ (I. Berlin, Liberty: Incorporating Four Essays on Liberty, Oxford and New York: Oxford University Press., 2002, S. 37, meine Übersetzung). Ein Beispiel ist natürlich John Rawls, der behauptet, dass die Grundprinzipien, die die Gesellschaft beherrschen, hinter einem Schleier der Unwissenheit gewählt werden sollten, von dem niemand weiß, welche Vorstellung vom Guten man vertritt (J.  Rawls, A Theory of Justice, Oxford and New York: Oxford University Press., 1971, 2. Aufgabe 1999, S. 13). Zwar akzeptiert Rawls einen Begriff des „Gemeinwohls“ (a.a.O., S. 207), aber damit meint er den Zustand, in dem jeder die größtmögliche negative Freiheit genießen kann. Dieses Verständnis von Gemeinwohl unterscheidet sich in offensichtlicher Weise von meinem.

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Punkt ist, dass wir es nur erklären können, wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass sich die politische Realität aus der bewertenden Haltung ergibt, die die Mitglieder einer Gemeinschaft gegenüber der Autorität einnehmen, die sie anerkennen. Wenn wir das aus den Augen verlieren, enden wir damit, den individuellen Willen und den Willen der Autorität einer Gemeinschaft als normativ neutral, d.h. willkürlich und ungebremst, zu begreifen. Daher werden wir die politische Gemeinschaft zwangsläufig zwischen zwei Extremen gefangen sehen: Anarchie, in der der individuelle Wille freigesetzt wird, und Autoritarismus, in dem der individuelle Wille willkürlich eingeschränkt und vereitelt wird. Wenn ich recht habe, perfektioniert die moderne Auffassung von Politik durch die Verklammerung der Begriffe Autorität und Gemeinwohl die Wirklichkeit nicht wirklich (d.h. sie legitimiert und rechtfertigt politische Institutionen nicht), wie sie hofft, aber sie hindert sich selbst daran, einige Merkmale dieser Realität zu bemerken, Merkmale, die jederzeit degenerieren können, besonders wenn sie unbemerkt und unkontrolliert bleiben. Dieser Ansatz läuft Gefahr, die politische Philosophie sowohl auf theoretischer als auch auf institutioneller Ebene von der realen Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen zu lösen. Echte Dynamik bleibt dennoch unbemerkt. Dagegen erweist sich der klassische Gemeinwohlbegriff als adäquates Instrument, um über die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft nachzudenken. Einerseits legt es nahe, dass die Behauptung, der Staat könne moralisch neutral und ungebunden bleiben, unrealistisch ist. Auf der anderen Seite deutet der klassische Gemeinwohlbegriff darauf hin, dass die moralischen Beschwerden, die innerhalb einer politischen Gemeinschaft auftauchen, Bedenken hinsichtlich der Koordinierung und Verbesserung der Gemeinschaft aufwerfen, die von ganzem Herzen politisch sind. Dies führt uns zurück zur erkenntnistheoretischen Bedeutung des Begriffs des Gemeinwohls und zu den Beziehungen zwischen Politik und Moral (bzw. Normativität). Das Gemeinwohl ist nicht nur ein Ziel, das eine politische Autorität aus moralischen Gründen anstreben muss, die außerhalb des politischen Lebens liegen. Vielmehr ist das Streben nach dem Gemeinwohl eine notwendige Bedingung für die Errichtung und Aufrechterhaltung einer soliden Autorität, die in der Lage ist, die Zustimmung zu steigern und eine entschlossene, starke und großzügige Unterstützung aller Mitglieder ihrer politischen Gemeinschaft zu gewinnen. Die Eruption ins Dasein einer politischen Gemeinschaft ist nur möglich, wenn die Artikulation der Gesellschaft darin besteht, dass (fast) alle Mitglieder eine Repräsentationsfunktion anerkennen und ihre Entscheidungen als auf ein Gemeinwohl abzielend verstehen, d.h. am Ende der Aktion, die sie teilen können. Auf diese Weise kann

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eine politische Gemeinschaft insofern bestehen, als sie eine Identität hat, die immer die Identifikation eines Gemeinwohls, d.h. die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten, die die Politik teilen kann, zu Ziel hat. An dieser Stelle sind zwei Bemerkungen nötig, um mögliche Missverständnisse über den Begriff des Gemeinwohls auszuräumen. Erstens befürworte ich mit der Berufung auf das Gemeinwohl als Identitätskriterium weder eine optimistische Sichtweise der Politik noch gebe ich Wunschdenken nach. Das Gemeinwohl wird als notwendiges Kriterium für die Identifizierung politischer Gemeinschaften eingeführt und besagt, dass Gemeinschaften auf das Gemeinwohl abzielen, ebenso wie Individuen mit ihrem Handeln auf das Einzelwohl abzielen. Dies bedeutet nicht, dass jede Wahl notwendigerweise richtig ist: Es deutet vielmehr darauf hin, dass eine schlechte Wahl ein Versagen ist, das die Identität einer politischen Gemeinschaft gefährden und möglicherweise zerstören kann. Zweitens rechtfertigt dieser Verweis auf ein identitätsbezogenes Gemeinwohl keinen ethischen Partikularismus. Meine Ansicht erkennt an, dass die Menschen, die Autorität akzeptieren, ihre Urteile auf der Grundlage ihrer Identität äußern, die von ihrer Zugehörigkeit zur Artikulation der Gesellschaft abhängt. Im Gegensatz zu dem, was einige Kommunitaristen behaupten,21 bedeutet dies jedoch nicht, dass ihre Urteile vollständig von ihrer Position bestimmt werden. Wir sprechen hier von rationalen Agenten, d.h. Wesen, die verallgemeinernd denken. Ihre Einschätzungen der Autoritätsentscheidungen beruhen letztendlich auf Gründen, die sie auf der Grundlage ihrer rationalen Fähigkeiten und der Anerkennung grundlegender Bedürfnisse des menschlichen Lebens, die alle Menschen teilen, skizzieren können. Praktische Vernunft ist die Anwendung allgemeiner Prinzipien auf besondere Situationen, was die Spezifikation universeller Regeln erfordert. Individuelle und politische Identität liefern einige Details der Situationen, setzen aber die universellen Prinzipien nicht, die spezifizierte werden sollen. „Hier machen wir das so“ ist keine Rechtfertigung für einen bestimmten Zweck politischen Handelns, es sei denn, es benennt auch alle relevanten universellen Normen.22

21 22

Vgl. z.B. A. MacIntyre, Whose Justice? Which Rationality?, Notre Dame: Notre Dame University Press, 1988. The interplay between universal human needs and individual demands in practical reason has been object of a very articulated debate. For some of the most successful solutions see: J. Finnis, Natural Law and Natural Rights, Oxford: Oxford University Press, 1980; M.  Nussbaum, Creating Capabilities: The Human Development Approach, Cambridge (MA): Harvard University Press, 2013; A. Sen, Rationality and Freedom, Cambridge (MA): Harvard University Press, 2002.

60 5.

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Fazit

Wie wir im ersten Abschnitt gesehen haben, wird das Diskurs über politische Identität normalerweise mit viel Argwohn betrachtet. Grund für den Verdacht ist vor allem die Befürchtung, dass die Rechte Einzelner durch Berufung auf die Identitätsgruppen übertrumpft werden könnten. Ich habe argumentiert, dass diese Angst aus der Logik der modernen Repräsentation stammt. In Anlehnung an Voegelin schlug ich vor, dass diese Logik die Probleme der Realität verbirgt – anstatt sie zu beseitigen. Selbst wenn wir eine politische Theorie konstruieren, in der politische Identität keine Rolle spielt, garantiert das nicht, dass wir die Identitätsprobleme betäubt haben. Wenn die politische Identität ein wesentlicher Bestandteil der politischen Realität ist (d.h. nicht nur eine kulturelle Konstruktion), blenden wir sie vielmehr aus unserer Sicht aus und lassen sie unkontrolliert wirken, indem wir sie ignorieren. Indem ich Voegelins Analyse der Repräsentation zustimme, habe ich angedeutet, dass politische Identität tatsächlich ein wesentlicher Teil unserer politischen Realität ist und dass wir lernen müssen, zu erkennen, welche Rolle sie in unserem Leben spielt und wie wir sie kontrollieren und verfolgen können. Politisches Handeln erfordert Repräsentation, und Repräsentation ist möglich, wenn eine Gesellschaft in Gruppen artikuliert ist, bis zu dem Punkt, an dem sie eine politische Autorität zum Ausdruck bringt. Dieser Weg erlaubt es der gesamten Gruppe, Entscheidungen zu treffen. Politische Artikulation verleiht der Gesellschaft eine Identität, die auch einige der Dimensionen ihrer einzelnen Mitglieder prägt. Ohne eine solche Identität wäre Repräsentation nicht möglich, und politische Beziehungen würden verfallen und zu normalen zwischenmenschlichen Beziehungen werden, mit einer viel geringeren Wahrscheinlichkeit, von universellen Prinzipien der Gerechtigkeit beherrscht zu werden. Durch politische Identität hingegen kann eine Gruppe Wege finden, gemeinsam auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten, und zwischenmenschliche Beziehungen werden gezwungen, universelle rationale Kriterien zu respektieren. Das von einer Gemeinschaft identifizierte Gemeinwohl ist jedoch nur eine von unzähligen praktischen Möglichkeiten, ein gutes menschliches Leben zu spezifizieren. Menschen, die keiner bestimmten politischen Gemeinschaft angehören, verdienen dennoch Respekt und Anerkennung: Soweit Menschen eine allgemeine Lebensform teilen, haben sie die gleichen universellen Bedürfnisse, auch wenn jeder sie gemäß seiner individuellen Identität spezifiziert. Das Ergebnis meiner Argumente ist, dass wir nicht hoffen können und sollten, politische Identität durch Kultur zu beseitigen, um die Probleme zu vermeiden, die sie hervorrufen kann. Politische Identität ist ein wesentliches

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Ergebnis unserer sozialen Natur. Politische Identitäten können ihre Funktion jedoch auf böswillige Weise erfüllen. Alle Aspekte des menschlichen Lebens sollten funktional erklärt werden, ebenso wie seine biologischen Aspekte. Herzen sind für uns für die Funktion, die sie in unserem Leben spielen, unerlässlich, aber sie können Fehlfunktionen aufweisen und tun dies oft (vielleicht in den meisten Fällen). In ähnlicher Weise sind politische Identitäten für unsere Lebensform notwendig, auch wenn sie oft nicht funktionieren. Aber auch wenn die Beseitigung politischer Identität durch Kultur weder möglich noch empfehlenswert ist, könnten und sollten wir Kultur nutzen, um über politische Identität nachzudenken und ihr zu helfen, ihre Funktion im menschlichen Leben angemessen zu erfüllen.

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Representation: From Principle to Trick Arpad Szakolczai Abstract The aim of this article is to explore the contemporary situation around the question of political representation through the works of Eric Voegelin. While the theme of representation takes up little space in Voegelin’s works, being restricted to The New Science of Politics, there its role is central, and is combined with the modern Gnosticism thesis, explaining both the major success and resounding actuality, but also controversiality of the book. The article explores the link established there between these two concerns, focusing on the discussion of Hobbes and Puritanism, and complements Voegelin’s ideas by some affine approaches, like the works of Bernard Manin, Hasso Hofmann, and Alessandro Pizzorno. It then sketches the manner by which political representation, a medieval idea, in modern mass democratic politics became first a secularized principle, and then a mere trick.

Keywords Hobbes, Puritanism, Gnosticism, Liminality, Trickster The specifically modern problems of representation are connected with the re-divinization of society. Eric Voegelin, The New Science of Politics, p. 106 The religion of our time […] is the religion of society […] a totally secularised society is at the same time the least secularised of all Roberto Calasso, Ardour, p. 440–2 The prehistory of the second World War raises the serious question whether the Gnostic dream has not corroded Western society so deeply that rational politics has become impossible Eric Voegelin, The New Science of Politics, p. 172 Mimetic thinkers, tragic thinkers, are generally distrusted for being unduly pessimistic and depressive, even psychologically unbalanced. The supreme artists often are apocalyptic thinkers, always inclined to

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_005

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Arpad Szakolczai exaggerate the urgency of the crisis in which, they feel, their societies as well as themselves are plunged. There is more than a grain of truth in this distrust, but it becomes a justification for massive untruth when it leads to a blanket dismissal of the fundamental insight these thinkers provide. René Girard, A Theater Of Envy, p. 228

The aim of this article, which is a substantially extended and reworked version of the paper presented at the 3–4 December 2021 Munich conference of the Eric Voegelin Society, is to explore the contemporary situation around the question of political representation, representative democracy or representative government, identified in the conference call as a ‘crisis of representation, as is currently being diagnosed in western democracies’, through the prism of the works and ideas of Eric Voegelin. This task, of course, requires way more than a single paper, presuming a vast collaborative task, so within its limits the paper can do hardly more than scratch the surface. In approaching the theme, the article will follow the ensuing way of proceeding. The theme of representation takes up little space in Voegelin’s extensive works, being all but restricted to The New Science of Politics.1 Furthermore, there its role is central, being title word of the original lecture series (‘Representation and Truth’) on which the book was based. This book, however, not only became a major success, making it into the cover of Time magazine, a rare feat for a book in political science, but preserves a resounding actuality even for our own days, while at the same time being controversial both at the time of its publication and ever since. The article starts with this striking actuality, and argues that the evident intellectual force of the book much lies in the way the discussion of representation is connected there to a very controversial, but for many also most important element of Voegelin’s work, the thesis about modern Gnosticism – a nexus to which Voegelin, perhaps puzzlingly, did not return in his later writings. The article therefore, while discussing extensively the argument of Voegelin’s book, in particular his treatment of Hobbes, founder of the modern representative theory of government, focusing on the way Voegelin introduces his modern Gnosticism thesis as a conceptual extension of the Hobbesian discussion of Puritanism, will complement Voegelin’s ideas by a series of complementary and affine approaches. This will start by arguing, using the work of Bernard Manin, for the striking uniqueness of European representative politics. Manin’s work helps to put into 1 The Cumulative Index to the Collected Works shows that the use of the word ‘representation’ outside The New Science of Politics is very limited and only technical.

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perspective Voegelin’s reading of Hobbes, as Voegelin, while praising Hobbes for recognising his own times as a period of unprecedented crisis, similarly to Plato and Aristotle, and also Ambrose and Augustine, and searching for a way out – a series of attempts in which Voegelin recognises his own predecessors; also diagnoses the error in Hobbes’s purely technical solution, based on a faulty anthropology, which takes the ways humans behave in such periods of crisis as the nature of human being. Thus, Hobbes’s solution, just as the ideas of the Puritans, can be considered as modalities of Gnosticism, breaking with the intellectual tradition of classical Antiquity and Christianity that started not with appetites and feelings – primarily vainglory – liberated in the void situation of a crisis but from the order of the soul. These periods of crisis, according to Voegelin, not only build upon each other, but show a progressive deepening – an argument that could be taken further through a series of political-anthropological terms, like liminality and the trickster, introduced here only shortly. Keeping the focus on representation, in the ensuing sections the article complements Voegelin’s ideas by first introducing Alessandro Pizzorno’s ideas about Hobbes and representation – fragmentary as he did not complete his planned book on Hobbes; and then shortly Hasso Hofmann’s classic and wellknown book on the conceptual history of political representation, rooting the uniqueness of European representative politics in medieval-Christian ideas. The works of Pizzorno and Hofmann are not only complementary to Voegelin’s ideas but start by identifying the classic book of Pitkin as being important but of limited value – partly through its implicit confounding of etymology, semantics and conceptual history, characteristic of purely analytical approaches. This leads up to the next two sections of the article, discussing its title words: first, presenting a kind of politics where representation, while already secularised, still lives up to some principles; and then sketching the trend towards a kind of politics where representation becomes used as a mere trick, increasingly relying on the theatrical aspects of representation that well complement mere instrumental rationality and the Habermasian ‘public sphere’, and is thus fully in line with Voegelin’s modern Gnosticism thesis. 1.

The Striking Actuality of The New Science of Politics

To start with, The New Science of Politics, which contains Voegelin’s most sustained discussion of representation, has a striking, and most preoccupying, relevance today. The book, based on a series of six Walgreen lectures given at the University of Chicago in 1951, was written at the height of the Cold War,

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and is not so much an indictment of – now long past – totalitarian regimes, that would have made it little interesting even in its own times, but an indeed passionate attempt at analysing the intellectual and socio-political sources of such totalitarian tendencies within European/ Western civilisation, and especially the reasons why such regimes could have become so powerful. The problems of our day, one could claim, and certainly most people, even expert academics, are bound to do so, are radically different; totalitarianism was safely confined into the wastebasket of history. It would indeed be impossible, and foolish, to image the rise of another Hitler and Stalin, and the recurrent, media-fuelled campaigns against the threatening rise of the extreme right – the rise of the extreme left is rarely if ever feared by the ‘media’ – simply belong to this same foolishness. However – and this is what is most preoccupying – the issue of our days is indeed the rise of a kind of totalitarianism which, while appears so different from the times of Voegelin’s book, is yet strangely not so different in its nature. This is why re-reading the book today is not just an antiquarian exercise, but still helps thinking – in spite of certain evident exaggerations it contains, and which can easily be understood, given the conditions – exaggerations that were later repeated, among others by Michel Foucault or in our days by Giorgio Agamben, and for which the motto quotation from Girard also applies. More concretely, the paper will address three issues. First, it will argue that, while the theme of representation takes up little space inside the vast work of Voegelin, hardly appearing outside The New Science of Politics, it is yet crucial, and for a series of reasons, most importantly due to the tight if mostly implicit connections between representation and modern Gnosticism. Second, it will complement Voegelin’s perspective, which is focusing on certain substantive issue around the idea of representation, with later discussions about the concrete sense of the term and the practice in the European intellectual and political context, focusing on works by Bernard Manin, Alessandro Pizzorno and Hasso Hofmann. Third, it will complement Voegelin’s analysis of the Gnostic aspects of representation through a series of concepts developed inside political anthropology, especially liminality and the trickster, and the diagnosis about the fundamentally theatrical character of modernity, developed in a series of prior publications.2

2 See the journal International Political Anthropology, the Routledge series Contemporary Liminality, and in particular Szakolczai (2013, 2017, 2022).

REPRESENTATION: FROM PRINCIPLE TO TRICK

2.

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The Striking Uniqueness of European Representative Politics

Bernard Manin starts his by now classic work The Principles of Representative Government (1997: 6) by problematising the taken for granted contemporary meaning of representation: ‘The uncertainty and poverty of our modern terminology, like the contrast that it presents with the perception of the eighteenth century, show that we do not know either what makes representative government resemble democracy or what distinguishes it therefrom. Representative institutions may be more enigmatic than their place in our familiar environment would lead us to believe’. Voegelin came up with a quite similar diagnosis, according to Karsenti (2012: 523): for Voegelin Hobbes ‘appears as the great culprit for our present blindness and the current degradation ( forclusion) of épistémé politiké. Due to him the operational meaning of the word “representation” escapes us, and thus even the true sense of politics’. A further, direct parallel between Manin and Voegelin is that Manin’s book is Aristotelian in orientation; Manin simply calls Aristotle in the last paragraph of his book ‘the Philosopher’ (1997: 238); and at the same place proposes something like a mixed government,3 which is a basic idea of Aristotle and of those thinkers in early modernity who followed Aristotle – and they were the majority and the ‘mainstream’, until the ‘revolutionary’ ideas of Hobbes,4 which indeed not just happened at the same time but also reflected both the ‘scientific revolution’ that was about to explode, and also the logic of appetite, envy, vanity, and unlimited exchangeability (Appleby 1978) that was on its way towards full institutionalisation in Hobbes’s lifetime – as a way out of the coming impasse of modern representative democracy. Manin developed his ideas already in the late 1980s, as in a 1990 conference Alessandro Pizzorno presented a paper which used his encounters with, and readings of previous papers, by Manin.5 Pizzorno’s presentation contained two ideas that then was quite astonishing and novel, at least for me: first of all, that modern democracy is not based on Greek principles, so it is a mistake to trace ‘our’ democracy to presumed Greek origins, because modern democracies are 3 The closing sentence of the book is worth quoting in full: ‘Genealogical scrutiny discerns in representative government the mixed constitution of modern times’, identifying his method as genealogical, and the then existing, specifically European mode of representation as mixed government. 4 See again Manin (1997: 45): ‘The notion of mixed government has largely been forgotten, yet it played a major part in the formation of Western political thought’. 5 ‘Notes on Representative Regimes, their crises and corruptions’, paper presented at a conference organised by the Gruppo di Studio Società e Istituzioni, Florence, 7–9 November 1990. The paper, as so many of the valuable contributions by Pizzorno, is so far unpublished.

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representative, and political representation is not a Greek idea; and second, that representative politics is not even a democratic idea, rather medieval and aristocratic. These ideas encountered through Pizzorno oriented my work since then, helping my eventual encounter with the work of Eric Voegelin. Turning to Voegelin, the question of representation was not at the centre of his work, both before and after The New Science of Politics. He extensively discussed corporatism in the Middle Ages, mentioning political representation there, but without offering a sustained reflection. Nevertheless, The New Science of Politics, one of his most fundamental works, a kind of Zwischenbetrachtung, in the Weberian sense, a reflection on his project in-between the History of Political Ideas and Order and History, is centrally concerned with representation. Furthermore, this work programmatically presents his ideas about modern Gnosticism, or modernity as a Gnostic revolt. The titles of the six chapters, the original six lectures, capture fundamental concerns of representation in the first part, and Gnosticism in the second, setting up an explicit parallel between representation and Gnosticism.6 3.

Eric Voegelin on Representation, Existence, Truth, and Modern Gnosticism

This article will start by arguing that beyond the seemingly accidental connection between representation and Gnosticism, inscribed into the very structure of The New Science of Politics, there is something fundamental, a visionary insight.7 Concerning Gnosticism, everybody knows that it is an ancient, Hellenistic movement of thought, but before Voegelin no major thinker formulated the thesis that not just aspects of modernity, but the modern world is a modality of Gnosticism, even outright a Gnostic revolt. That was a visionary insight, just as Weber had a similar insight about modern capitalism having a ‘spirit’, rooted in the Protestant ethic. The modern Gnosticism thesis has a further visionary aspect concerning representative politics. How can one connect not just Gnosticism and modernity, but Gnosticism and political representation? How can one pose the problem of modern democracy and contemporary representative politics, which I called in my book Post-Truth Society as ‘trickster politics’, as a modality of modern Gnosticism? This is the basic problem I try to address in this paper. 6 For an emphasis on such parallels, see Castellanos & Torres, in this volume. 7 About the meaning of vision for social theory, see Szakolczai (2000).

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To start with, one can say about Voegelin’s discussion of representation the same thing that Thierry Gontier (2022: 59) said about his discussion of Hobbes, anyway much connected: it is important not by its quantity, by quality. In The New Science of Politics the technical discussion of representation is much connected to Hobbes, though the prior, short discussion of Hobbes in Political Religions ignores the theme of representation, even though it is much centred (see again Gontier 2022: 61) on Ch. XVI of the Leviathan, central for exposing Hobbes’s ideas on representation; while the discussion of representation in The Authoritarian State (about this, see Giuliana Parotto in this volume) ignores Hobbes. The significance of Voegelin’s ideas about political representation lies in the distinction he makes between three different aspects of this term.8 The first is the standard meaning, which he calls ‘constitutional’ or ‘elemental’, and which implies that a government is legally representative, or legitimate,9 in the sense that the government which is selected10 by following certain legal principles ‘represents’ the people, and thus acts on the basis of consent. This meaning is important, even elemental, but not sufficient, according to Voegelin, as it ignores the issue of ‘existential representation’,11 which means that beyond the legal mechanisms by which individuals transfer authority to the state there is also a community of people that belongs together, sharing history, culture, and traditions, and so a government in a substantial sense represents not just the concrete outcome of a legal process but the essence of the existence of such a community.12 In fashionable terminology, such a position could be accused of essentialism, but that would be a grave mistake, as ‘essentialism’ as a diagnosis of intellectual error was developed against (neo-)Kantianism, rooted in the ideas of Nietzsche, and opposes the practice of defining a ‘concept’ and then argue that this term has something like a real essence. Voegelin’s concern is quite different, and not only fully legitimate but crucial: he claims that the existence of a people as a political community precedes the formal establishment of a government, whether by democratic, authoritarian, military or other 8 9

10 11 12

This is discussed in detail by Giuliana Parotto, in this volume. In a manner that at first is puzzling, Voegelin ignores in The New Science of Politics the issue of legitimacy, apparently identifying it with representativity. The puzzle can be solved by realising that Voegelin started The New Science of Politics with a rather critical discussion of Weber, and as legitimacy was a central issue in Weber’s political sociology, Voegelin was evidently weary of using it. This, however, only increases the puzzle, as such evasions, also connected to Kant and Kelsen (about this see Szakolczai 2011; Thomassen 2022), pose a not irrelevant problem, but this cannot be discussed further here. Or nominated; see the discussion of Pizzorno’s ideas, as below. For a particularly insightful analysis, see Karsenti (2012). Note the common etymology of ‘essence’ and ‘existence’.

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means; and that therefore any government of a people is bound to ‘represent’ existentially the people it governs.13 In this way, Voegelin’s contribution is fundamental in returning philosophical questions at the heart of practical, contemporary political concerns (Duso 2006: 197). The problem with Hobbes’s solution and therefore with the modern European tradition of constitutional politics is that it ignores these substantive, pre-political foundations. Hobbes could fall into this error by assuming that before the establishment of political authority there existed a state of nature, or the war of each against all, without prior community substance. This is a well-known point, endlessly discussed in any introductory course on political science. However, Voegelin, as great thinkers are bound to do, manages to offer an illuminating interpretation of this commonplace, entering the heart of Hobbes’s sharp insight into his historical situation, but also his faulty anthropology, and even the way in which his supposed universalistic solution simply reiterates a certain faulty position at the heart of historical Christianity. The great merit of Hobbes, according to Voegelin, is to have recognised the character of his times as a period of civilisation crisis with few precedents – closest to Plato and Aristotle, and Ambrose and Augustine, not accidentally the pairs most discussed in The New Science of Politics.14 This crisis is best manifested by the Puritan movement, where Hobbes recognised, under the cloak of religious terminology, the greatest sin of vainglory.15 The way out for Hobbes is to curb this vainglory, by a new political theory, and so Hobbes assumes the role of a new Plato (Voegelin 1952: 160; see again Castellanos & Torres, in this volume) – though also at the same time a new Augustine, as Hobbes’s solution remained Christian, even in its errors, and thus in both ways follows Augustine even more closely than Plato. This is also where Voegelin takes up 13

14 15

Note that an ‘empire’ is not necessarily based on a ‘people’. Let me offer two comparative examples. The Assyrian Empire was a vast military machine, conquering and displacing people, so much so that at the end Assyrians as a people simply disappeared – though Aramaic language under the neo-Assyrian Empire became the lingua franca of a vast territory, so much so that it became the original language of the Gospels. The Soviet Union, on the other hand, while it was technically an empire, in the footsteps of Tzarist Russia, it was yet based on the Russians as a people, so much so that all around the Empire its government or ‘representation’ was mostly in the hands of Russians, posing the problem of what it means to be Russian outside Russia after the collapse of the Empire. For a similar reading of Hobbes, see René Girard (1994: 29): “One of the great founders of political science, Hobbes, also thought starting from the crisis, at least up to a point”. Note that vainglory, or superbia, is identical to Greek hybris, the greatest possible ‘sin’ in classical Greece, the arrogant ignoring of one’s own limits, the error of Prometheus, which furthermore is etymologically identical to evil (‘hubris’ and ‘evil’ have the same etymology in ‘exceeding due limits’; see Onions 1966: 332).

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Hobbes’s diagnosis for his own times, extending it from the concrete problem of Puritanism into the broader issue of modern Gnosticism while also identifies with Hobbes in trying to give an answer to such a crisis, but avoiding the errors still plaguing the solution invented by Hobbes, including the error of Christianity, ignoring the pre-existence of a political community.16 A most preoccupying aspect is the spiralling deepening of the crisis: while Hobbes attempted to think ‘in the manner of Plato, though in a situation more degraded than the one that was known by Plato’ (Karsenti 2012: 523), Voegelin continued the line in an evidently even more degraded situation, and we now, instead of the ‘end of history’, might be facing, right here, right now, a type of in-depth degradation that at least in some respects goes beyond anything experienced so far. The driving force of such process of degradation is the obsession with artificial constructs and mediation, vain human efforts to imitate God the creator and Christ the mediator, ignoring and thus only further disturbing the order of the soul,17 and destroying the concretely given, whether personality or community.18 However, to move further, we need to introduce here the third aspect of representation according to Voegelin, the question of truth – the representation of truth, whether this is revelatory truth, or the truth of the soul. Here we touch upon the core of Voegelin’s ideas, in so far as they concern the problems with Hobbes’s anthropology that underline his theory of representative government, and thus the faulty bases of modern politics. According to Voegelin, classical Greek philosophy, especially Plato and Aristotle, not only offered a first reflection on the nature of politics, but also on the true order of the soul.19 Just as a political government cannot ignore the substance of a people, its history, traditions, culture and language, it cannot ignore the integrity of the persons who live inside it. Thinking the relationship between these two realities, the polis/ political community and the soul / mind / intellect was at the heart of the philosophies of Plato and Aristotle at the very moment when the polis itself was collapsing, the unity between the

16 17 18 19

This is discussed in detail by Karsenti (2012) and Gontier (2022). See also De Anna, this volume. See also Gontier (2022: 65, 69–70). Greek nous (intellect), or Latin mentis (mind); let’s not be preoccupied with the exact word here. Note that in the current Italian title of St. Bonaventure’s Itinerary of the Soul to God, one of the greatest works of medieval theology / philosophy, mentis is translated as anima (soul), even though the direct Italian derivate of mentis is mente (mind). The central issue is that this is certainly not the brain as an emotional or organic computer, but the core of every living human person.

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concrete persons and the concrete community dissolving in its inseparable concreteness. It is to this same problem that historical Christianity gave another answer, which in Voegelin’s view represents in some ways a progress, and in some ways a gap and so a problem. Moving back to Hobbes and the presumed ‘state of nature’, this is nonsensical as an absolute idea – how could people exist without language, and language assumes the prior historical existence of a community – but of course Hobbes was aware of this and explicitly offered his idea as a lapse from a previous state of order. So, before going further, we need to reflect upon the nature of this lapse, as a collapse (and in fact also rise) of empires. Classical Greek philosophy and then Christianity, with their discovery of the true order of the soul did not emerge out of a void, but of a specific context. This was a historical liminal void – the collapse of the previously stable, timeless order of things that was produced first by the rise of the first ecumenic or world empires, and then by their inevitable collapse. Since then, world history can be described as the sequence of a series of liminal voids, and the accumulation and amalgamation of the various responses given in various times and places to these void situations. The source of the problem is easy to identify, and concerns the nature of any empire as empire. An empire is an amalgamation of people, brought together by conquest, and so its absence of a community principle (as an existential representation) is insoluble. It can only be kept together by force, and by keeping expansion in movement, which is simply unsustainable.20 Once it collapsed, the same problem becomes posed, though in a slightly different way: how can a modicum of decency be maintained inside the various splinters of the empire, or an empire-like mixed entity?21 The crucial difficulty – and this is a real problem, in many ways connected to the problem of our times – is that the problem of empires cannot be solved. Empires (again, meaning large political entities created by conquest) makes no sense; empires should not exist; they only came into existence through various tricks.22 The central source of imperial conquest is not 20 21

22

This was the heart of Max Weber’s theoretisation of the collapse of the Roman Empire. This is not just a historical problem, but very much an issue of our times. For one example, the greatest conflicts of post-communism emerged in areas that most resemble an Empire: in certain areas of the former Soviet Union (not in Russia, where there is a people), and especially in the former Yugoslavia (there isn’t, and there has never been, a ‘Yugoslavian people’). This is discussed in some detail in Szakolczai (2022: 158–9), where the drive to empirebuilding is connected to the Magi ideal-type, developed on the basis of the anthropological term of the trickster.

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simply human ambition, passion, will to power, vainglory, but the activity of historical tricksters that incite and exploit such weaknesses beyond limit. This is why with Agnes Horvath we developed the anthropological term trickster into the Weberian idealtype of the Magi, a counterpoint of charismatic leaders (Horvath and Szakolczai 2020). This took into account of the fact that ‘magi’ is a Persian word, and Persian Magi are arche-typical in several senses: the word evidently denoted a people, before it was used for a kind of priestly caste; reading Herodotus it becomes evidently that the Magi were the driving force of Persian imperial ambitions; and according to an old, time and again renewed suspicion, which though is also viciously – indeed, too viciously – refuted time and again, Gnosticism has Persian origins, more specifically traced to the Iranian highlands, in some accounts identified as the original homeland of the Indo-European tribes. The outcome was a world in which suffering became universalised, and life for everyone turned into an endless struggle, discussed by Max Weber in his Einleitung, by Karl Jaspers as the ‘axial age’, and by Voegelin as the age of ecumenic empires. It is to this impossible problem that historical Christianity offered, if not a solution, then at least a temporary respite. This respite has three main component. The first concerns the truth and order of the soul, captured in Voegelin’s account of how Christianity incorporates classical philosophy, especially Plato, and represents an advance.23 The second is the Church as the community of Christians, without however any precise implication for secular government; a certain aversion to secular politics which carries on the similarly problematic aversion to secular existence in Ancient Judaism, according to Max Weber. The third element is the problem of politics or an earthly community, where Christianity simply offered no solution, and where any collusion between the Church and secular politics was bound to generate confusion and abuse. Voegelin charges Christianity of not being capable to offer a civil theology (Voegelin 1952: 81–3, 158–9, 163–4; for a sustained discussion, see Karsenti 2012). But how can one even think about of a proper ‘civil theology’ in a post-imperial age? Instead of attempting to give an answer to this question, probably anyway impossible, I suggest to turn back, on the basis of the previous discussion, to Voegelin’s discussion of Hobbes, focusing on two aspects: Hobbes’s faulty anthropology, and the (deeply Christian) sources of his ideas concerning representation, before turning to Pizzorno and Hofmann.

23

This is discussed in detail in the Order and History series, and is resumed concerning The New Science of Politics by Karsenti (2012).

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The Anthropology of Hobbes

In a Voegelinian perspective, the error of Hobbes’s solution, the belief that mere institutional-technical tinkering can solve the problems of a political order, even ‘eternally’, is due to his faulty anthropology; the belief that human beings are purely driven by will to power and vainglory, or ignoring the truth of the soul. On the basis of the previous analysis, the diagnosis can be complemented by the idea that this error is also based his extending the post-imperial solution into an original state of nature. Human beings who are uprooted, thrown out of their home community, subjected to all kinds of humiliation and suffering, indeed cannot be driven by anything else but their basest passions. Philosophy, and Christianity, were efforts to turn them back, or convert them, to the truth of their soul.24 But by the time of Hobbes, it was this Christian solution itself that collapsed, leading Hobbes to take the features of liminal times as anthropological foundations – and offer his institutional-legal solution, through representation, which was itself a secularised version of Christianity. 5.

Alessandro Pizzorno on Hobbes and Political Representation

Alessandro Pizzorno (1924–2019) is one of the greatest contemporary social and political theorists. Having been a professor or Research Fellow in Paris, Oxford, Harvard University, Milan, and the European University Institute, his academic career has few equivalents, and yet his work and name is certainly not known as well as it should be, partly because it is situated outside the beaten tracks, and partly because he was a perfectionist who had great reluctance in letting any written work out of his hands, especially in English. It was a great privilege for me to have been his colleague at the European University Institute, and then to be allowed to stay in touch with him for further over twenty years.25 24

25

Note that such conversion can never be based on force or violence. Apart from the evident related problems of historical Christianity, one can note an important change at the heart of Plato’s thinking in this regard: while in the Republic the philosopher was presented as attempting – and failing – to convert the people by a degree of verbal force, already in the Symposium, and confirmed in the Seventh Letter, any forced conversion is excluded: it is the overwhelming beauty of the world that must spark such conversion; the philosopher can talk only if he is invited, not by imposing himself on an audience. For some introduction, see the Pizzorno Festschrift (Della Porta, Greco and Szakolczai 2000), and the excellent entry on Pizzorno in the Treccani biographical lexicon. Pizzorno’s most important, in some way conclusive writings, focusing of identity, recognition and rationality, are Pizzorno (2000, 2007a).

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Bringing together the ideas of Voegelin and Pizzorno on Hobbes and representation has both a substantive and a method-logical reason. Concerning the latter, over the past century, for a number of reasons and through a series of ways that cannot be analysed here, the social, political and human sciences developed and canonised certain positions, close in many ways to the ‘isms’ of political ideologies, that cannot be accepted as a starting point, but that simply render intellectual dialogue impossible by blocking the space through saturating it with meaningless and misleading commentaries. As a result, important ideas are mostly developed by individual thinkers who most often themselves hardly new about each other’s work, as they were working alone, often in considerable isolation, in distant disciplines and countries, fighting the ‘isms’ and approaches dominating their fields and areas. The task of real intellectual work now is not to offer new canons, that are bound to be just as futile as the previous, but to bring together as many important thinkers as possible, in this way developing their ideas – or simply thinking – further, by igniting intellectual sparks through establishing a dialogue between their works. Concerning substance, there are a series of important parallels between the reflections of Voegelin and Pizzorno on Hobbes. This starts with a more formal than substantive issue: they both started by accepting the standard reading, and only later developed their own approach. Thus, in Political Religions Voegelin’s treatment of Hobbes is limited and problematic, while he presents a new and more subtle picture in The New Science of Politics. As for Pizzorno, in his important 1991 article presenting the outline of his theory of recognition he considered Hobbes as representative of the individualistic theory of social order, focusing of self-preservation, or starting from the homo homini lupus argument. However, about a decade later, when he was translating his own article into Italian for a collection of essays, he realised that his reading had to be revised, the essay became lengthier, impossible to include in a collection, and started him on his last project which was never finished, but some of its central ideas appearing in his two last published writings. Even more importantly, both focused on the same term, vainglory, though differently: Voegelin, underlying the Gnostic connotations, uses the Latin terms libido dominandi (1952: 179) or superbia (186), focusing on the psychologicalanthropological aspect, while Pizzorno considers Hobbes’s discussion of vainglory as social. Finally, Pizzorno also shares with Voegelin the view concerning the fundamental, but also fundamentally ambivalent character of Hobbes for modern political thinking, in that Hobbes’s thinking is at once the foundation of democratic and totalitarian politics. For Pizzorno, just as for Voegelin, Hobbes and the question of representation matters not as an abstract theoretical problem of a scholarly field, but

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as a vital contemporary issue: what is the exact character of the political system under which we live?’ (Pizzorno 2017: vii). Though any schoolboy knows the answer: ‘representative democracy’, for Pizzorno it is not at all clear what the word ‘democracy’ and especially ‘representation’ mean. And the problem even in this sense is not just intellectual, but vital and existential, as representative democracy is clearly having problems, or is undergoing a crisis: in her 2004 article published in lieu of a new preface to the 2017 Italian edition of her 1967 book Pitkin offers a clearly negative evaluation of recent trends, though Pizzorno adds, in the last phrase of his last published writing, based on the experience of well over 90 years, that these developments are not so new: ‘the disparity between the elements of electoral representation and the ideals of democracy was always profound’ (Pizzorno 2017: xxxi). Of course, ideals are never realised in actual life; one might even say that it is the meaning of ideals that they cannot and should not be fully realised. The question concerns Pizzorno’s final analysis of the meaning and significance of this failure of modern representative democracies. Out of the rich set of ideas of these last writings – as every article of Pizzorno contains more ideas than most books by most people – I select three: what exactly happens in the voting booth; what is the rationality of voting, from the perspective of the individual voter; and what is meant by ‘people’ in ‘popular sovereignty’. 5.1 A Micro-Sociology of the Voting Booth The fifth section of Pizzorno’s 2017 Preface (‘Analysing the act of choosing a representative’, xix-xxiv) is a gem of micro-sociological analysis. For Pizzorno, the completion of such an act has no connection to the theory of rational choice; it is rather equivalent to performing a periodically repeated and solemn ceremonial act,26 part of a ‘formal repetitive ceremony required by the rules of a regime’ (2017: xx): here an individual goes into a voting booth where, in perfect isolation (note that such isolation and secrecy is considered as the height of modern democratic legal rights!) selects one name among a series of names, of persons that are completely unknown to him, and thus trades five years of slavery for a five-minute complete freedom – as it was already foreseen by Rousseau. For this act, even the term ‘representation’ is misleading: ‘in reality, in the electoral choice, one does not create a representation, but simply a nomination [nomina, in italics in original] is taking place’ (xx); or, people do not ‘elect their representatives [… rather] nominate a determined number of functionaries’ (xxii). Personal knowledge of the candidate is replaced by a certain vague familiarity with what they – or their leaders – stated during 26

Elections are examples for a modern collective rite of passage.

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the electoral campaigns, but as after the act voters have no way to control the selected representatives – and, as Pizzorno agrees, even should not have such control, as that would indeed only create chaos – their statements have no binding value: so ‘what they stated was nothing more than propaganda’ (xxi). Such ceremonies have no meaning in terms of ‘rational choice’, but have their own importance, as it is in this way that legitimacy is functioning in modern politics: the fiction of electoral representation, or ‘the electoral system as a form of pseudo-representation’ (xxii), was selected as a way to secure, or consider as given, the consent of the ‘people’;27 and this is why mainstream political scientists, no longer academics with ideas but state functionaries serving other state functionaries periodically lament about absenteeism, as that refutes the legitimation of consent. The Rationality of Voting 5.2 The analysis offered so far almost inescapably seems to imply that by ‘going to vote […] we complete an irrational act’ (xxiii). So are we all just taken for a ride? Fooled by the system? This would certainly be the radical or Marxist inference; but Pizzorno is by no means a Marxist. From the perspective of rational choice theory, this collection of trivial commonplaces and inane tautologies,28 not so distant from Marxism, and not only in the radical dogmatism of both, voting is indeed irrational, as voters don’t gain a penny out of voting; even, being one of many millions of voters in most cases, whether they trouble to go to vote or not makes no difference whatsoever in the overall picture. This, however, does not make voting irrational, as the real rationality of voting is substantial and not instrumental. Voting is an expression of solidarity and trust: ‘ours is a vote against the isolation which we would feel if even we did not vote’ (xxiii). So, even if one is not part of the majority, one is not alone, and ‘what is more rational than refuting solitude’? (xxiv). Thus, by going to vote, people express their belongingness to a community and their solidarity to other voters; so, in a way, voting is a substitute for

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Pizzorno again strongly relies on the work of Manin, here concerning the centrality of gaining (manipulated) consent for modern representative politics, pioneered by 18th century England. Pizzorno wrote several articles, in both English and Italian, that simply demolished the intellectual foundations of rational choice theory (see in particular Pizzorno 2007b, 2008). This made no difference: the theory is alive and kicking, and all but took over not only American-led economics, but increasingly political science and sociology as well. This is the character of our current intellectual life.

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the missing community substance of both traditional Christian and modern, ‘secularised’ Christian politics.29 5.3 The Meaning of the People Modern representative government is based on the ideas of popular sovereignty and the will of the people, and of election as the revelation of this will – little short of being a secularised version of a divine revelation (xv).30 Still, insists Pizzorno, ‘the people’ cannot be left unspecified, as a kind of modern idol, and must be connected to the actual realities of the voting process; the idea of a ‘sovereignty of all’ would be outright ridiculous (xvii). Taking some cues from Schmitt and his definition of the people as those who do not govern (xv), Pizzorno offers a more positive specification that avoids ideological nonsense by remaining closely tied to the realities of the electoral process. According to this, while voting is a modern ritual that aims at unifying a nation, what it actually does, or its implicit and undeclared function, is to divide the population into two parts: those whose participation in political life is reduced to periodical voting; and those who actively contribute to the functioning of the state (xxvii). Thus, while the task of politics, not ‘ideally’ but in its very essence, as it was discussed by Plato and Aristotle, and also Varro and Cicero, is to deal with matters belonging to the entire community, modern representative politics is founded upon an exclusive binary division. Such a technique recalls, politically, an entity created by military conquest, like an Empire, while intellectually, the technique of alchemy: in order to create a perfect unity, one must first divide things into elements. Inside this political system, based on Hobbesian principles, over the past centuries ‘progressive’ development implied the extension of voting rights. This, however, failed to alter in any way the basic, dichotomising feature of the political system.31 Quite on the contrary, the expansion of political rights, instead of generating the anarchy feared by conservatives, only reinforced the 29

30 31

It is this problem that is addressed, through Aristotelian philia, in the work of John von Heyking (2016) on friendship (see also the 2017/1 issue of International Political Anthropology); and by Agnes Horvath (2021) through charis; see also Meier (1987). It is close to the concern of Adam Smith with sympathy, discussed extensively by Pizzorno, and yet the difference is fundamental, as the classical perspective is on existential participation, while the modern on the ‘ideal spectator’ who exactly does not participate. A classical account of how voting in Puritan New England was indeed considered as manifesting divine revelation, the only carnival in a world that ruled out popular festivities, is contained in Hawthorne’s The Scarlet Letter. In case this needs to be mentioned, more ‘radical’ solutions, whether from the left or the right, only created an even more absolute gap between the governing and the governed.

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same gap between the electorate and the political functionaries by producing a new social group whose professional specialisation became politics, including not just elected officials and other state functionaries, but also lobbyists. The extension of voting rights thus only reinforced a certain social differentiation that also became interpenetrated with markets, especially financial markets, and thus became founded on corruption – though on a kind of corruption that increasingly gained legitimacy, even support from the highest legal authorities, who in a landmark decision argued that influencing politics by money is just as legitimate as it is to influence it by words (xxx). With that, the constitution of modern politics as a hermetically closed system of existential corruptness became watertight – a system, argues Pizzorno, that was generated through ‘the divisive effect provoked by the isolating participation in voting as the sole periodical presence of the population in the organisation of a state’ (xxviii). 6.

What is Representation? On Hasso Hofmann’s Conceptual History of the Word

Representation, of course, is first of all a word. Such insistence on words is a crucial method-logical point, and one must be strictly Platonic here, as words, and ideas, do have their reality, and yet reality, the real world, cannot be reduced to verbal jugglery. The way to avoid ideological thinking is to pay attention to words – and ideology is not an exclusive feature of totalitarian movements, as liberal democracies are also increasingly saturated with ideology. A key ideological expression is ‘free market’, not only because markets of course are not ‘free’, but because we do not live in a market economy, but in a permanentized fairground. Returning to representation, the focus on the word is again fundamental, and this is why we must turn back to classical thinkers, away from the modern discourse saturated with misleading and ideological theories since the origins of modern rationalism. The classic discussion of the term is offered by Hasso Hofmann (2007). At its start there is the famous statement that ‘at the beginning, there was the word’. The allusion of course is to the Gospel of John, and though the logos used there is not the same as ‘the word’, at the beginning there indeed is the word; the concept only came later. So, if we want to understand the meaning of ‘representation’, the fate of this specific idea of ‘representative government’, we must start with trying to understand what the word means, what is the history of the word, and also the history of the concept, in the Koselleckian sense, central for Hofmann. This can help to understand how we ended up with this

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contemporary system of representation, democracy, and elections, which for our world is the only possible ‘good’ political system, but which is both highly specific and problematic. So, and again, what is representation? What is representation as a word? Now, before going shortly into the history of the word, following Hofmann, let me go to the ‘word’ the last time. It is a Latin word; it does not exist in Greek. It has to do with ‘presence’, as a word. So, though I do not want to take back what I was saying about the historicity of the word, still the word ‘representation’ has an inherent relation with ‘presence’: it is a certain articulation of presence. Furthermore, this relation is gnoseological. The gnoseological aspect of representation is underlined by Hofmann, and while ‘gnoseological’ is by no means identical to ‘gnostic’, they have evident connections, leading to the inference that representation is a knowledge-related operation with presence. According to Hofmann the conceptual history of representation can identify three different threads of meaning. The first is the theological notion of representation, which goes back to the Eucharist or the real presence of Christ. This is a key theological concern, connected to appearance, apparition, manifestation or phaino: how something can appear, become present, as a presence. Thus, the concern with representation has a Christian, medieval, theological origin. It does not go back to classical Latin sources, has no legal background. Second, the idea of representation as standing for something, or a person standing for another person also has religious, liturgical origins, related to the priest producing the real presence of Christ. The third concerns representation expressing identities, and it goes back to the medieval idea of corporations. The very term corporatio is not classical Latin, rather is again connected to the Christian theological idea of Corpus Christi. What this means is that ‘representation’ as ‘bringing into presence’ is a specifically Christian idea, and it was originally not related to politics, not even the Law. Another confirmation of Schmitt’s controversial insight. The question is what this means here and now for us. This is where the title words come into play, representation as principle and as trick. 7.

Representation as Principle

The first point concerns representation as a principle. The medieval idea of representation, the real presence of the divine, of course implied something like a principle, even the very substance of our culture. This is not a theological claim and issue, but vitally connected to presence and participation. With the secularisation of the idea, representation remained a principle, but concerns

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with presence and participation became neglected through the overwhelming focus on mediation and reduced to technical issues of substitution and replacement. Representation as principle in politics was kept as responsibility or responsiveness. Representation implies taking up the existential concerns of a certain group or a community, so a representative is responsive to this group, this is the fundamental issue of principle. However, already here we encounter a series of problems, which concerns the meaning of the replacement of God in this classic European idea of representative politics. Who plays the role of God in political representation? Is this the monarch? The state? Or the people? There is something very problematic in the idea of replacing ‘God’ with the ‘people’. Before medieval Christianity representation did not exist as an explicit concern. For us, representation implies responsibility to the electors, as if this were inherent in representation, but this is again a specifically modern issue. Manin and Pizzorno show that democracy and election were not connected before the 18th century; election was a specifically aristocratic principle. This is because electing someone assumes knowing him – but how could people know their representatives? They only know them through mediation, from slogans and images in the media, which replace knowledge as familiarity in the modern form of representation. But electing representatives is not the only way to secure responsiveness or responsibility. This can be achieved through recognition, respect, reputation, all central terms for Pizzorno’s work: how to secure the right kind of people who can be entrusted to make the right kind of decisions about politics? The underlying social or anthropological foundation of political life is undermined by the techniques of modern representative politics. This is when representation becomes a trick. 8.

Representation as a Trick

I will discuss three points concerning representation as a trick. The first concerns the link between representation and theatricality; or politics as theatre. Theatre and theatricality so far have been mostly ignored in politics. Emblematic is Habermas’s discussion of the public sphere, reduced to rational deliberation. Still, modern politics is highly theatrical. This is most evidently the case with revolutionary politics, where liminality and theatricality, a connection discussed extensively by Victor Turner, are tightly interwoven, offering further explanation for the centrality of the theatre for Hobbes’s discussion of political representation, so much inspired by the English Revolution. Another good example is the way broadcasting C-Span

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altered the nature of debates in the House of Representatives. The more discussion in the public sphere becomes separated from concrete and local identities, becoming an abstract deliberation approaching the ‘ideal speech situation’ of Habermas, the more it becomes an arena where masked people struggle.32 The second issue is just as important, and just as specifically modern and European, or almost, and concerns the number zero; the zero as placeholder, or an equivalent of the void. The zero is an extremely problematic (non)number, because the zero creates a space for something – out of nothing. The history of the zero is part of the history of representation, back to creatio ex nihilo, in modern politics as well as in modern science, thus having vital links to modern Gnosticism, as it is used to generate the empty space that can be ‘held’ by a ‘representative’ – altering the meaning of representation from bringing into presence a concrete but absent person (the king, or God) to filling a pre-conceived empty place (say, one of the n places in a House of Representatives). The Latins and the Greeks did not use the zero, and for a good reason. Here I again make use of the works of Agnes Horvath, who also introduced the trickster into the study of modern political and social thinking. Much of the reason of our troubles is connected to the use of the (non-)number zero. Look at digitalisation, which reduces everything to a combination of zero and one, creating in this way something out of non-being. The problem was foreseen by Plato’s Sophist, the conjuring up of non-being by the sophists, also central to Heidegger’s reading of The Sophist and nihilism. Should we use the zero? It is a quite Rousseauian question: did we ‘progress’ through the zero? I think we didn’t. It is part of our Gnostic entrapment. In mathematics there is an old discussion whether the zero exists, or whether it is pure convention. Mathematicians still debate about it. But if it is pure convention, why is it that through digitalisation our entire life is turned around the zero, this mere placeholder? The redefinition of anything through the placeholder implies the prior destruction of any concreteness, thus is closely and ‘in principle’ connected to alchemy. Applying these reflections on the placeholder to modern representative government, in fact to any institution, a term that again can be traced back to Christianity and not before,33 yields very disturbing inferences, as the functions and positions in any institution are fixed outside individual qualities, so in principle anybody can fill them – in extremis, any nullity can take up a position set up in advance, as it is literally identical with the position of the nulla. The question of the qualities of the person who can take up such a place was 32 33

For more details, see Szakolczai (2013). Paradigmatic examples include the Institutes by John Cassian and John Calvin.

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a concern for Pizzorno, just as for Max Weber: the problem of Menschentum (humankind), of personality and the life orders, was the central preoccupation of Max Weber, according to Wilhelm Hennis (1988). Here again the experience of Communism, where after the takeover all persons of qualities were dismissed and state institutions were filled with actual nullities, producing rather ambivalent and preoccupying results, offers precious insights. Theatricality and the void are closely connected to the trickster, through outsiderness. In a theatre – in contrast to a ritual – nobody participates, everyone is either an actor or a spectator; and the main feature of the trickster, in all anthropological and mythological accounts, is that he is the perennial outsider. A trickster takeover in politics means that by being deprived of genuine, existential participation, everyone is transformed into a trickster, forced to play for one’s whole life masked games, instead of participating in reality. The world is just a stage, said Shakespeare. But we all know that our life isn’t. The third and last point concerning representation as a trick, after theatre and the zero, it is about sacrifice and substitutability. Much of the work of Roberto Calasso (1941–2022), another major Italian thinker who died recently, is concerned with the problem of infinite substitutability. This is at the heart of his interpretation of sacrifice: the person who is sacrificed never counts in his individuality, can always be substituted by another victim, this changes nothing in the procedure and its outcome, bringing sacrifice, exchange and substitution together in a tight circle. Substitutability is fundamental for modern democratic representative politics, just as for the ‘market economy’, and is the heart of their joining in modern managerialism, The expression ‘nobody is irreplaceable’ is a key buzzword in the new managerial talk, part of its populist rhetoric, oriented – in academia – against ‘old-style’ professors who thought, and acted, as if they were not substitutable (and of course they were not). Substitutability is the end of academic life – and among others we are living the end of academic life – but this is also the end of the human person. This is because actually the opposite is true: everybody is irreplaceable; nobody can be substituted. Everybody is single and concrete. Every household pet, every tree is single and concrete. Substitution has no sense.34 Nothing is substitutable. The idea of substitution came into European thinking through medieval Christianity in the same way as representation, and this is also the true foundation of the modern economy, before the ‘Protestant Ethic’. This is how representation as if got into the machine. And if the number zero enters 34

As a trivial but not irrelevant example, substitution was impossible in football (soccer), until the late 1960s. In Hungarian, the term ‘substitute’ in football is expressed in the language of ‘exchange’.

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a closed system, it will eventually turn all other numbers into zero. In a way, this is where we are. We are not at the end of history in this fantastic modern technologized democratic world, but we are deeply entrapped in this trickster reality where theatricalization, the use of the zero, and this extremely strange idea of infinite substitutability simply eats away our reality. So, the question is, how can we return to something real? 9.

Conclusion: Can We Return to Reality?

A return to reality will be extremely difficult, as theatricality, the void, the zero, the sacrificial mechanism, infinite substitutability and the self-deification of society form a tight, hermetically closed system whose elements are built on each other, and which is all but impossible to escape. The basis of theatre, as Peter Brook famously argued, is nothing but an empty space in which somebody appears and whom others watch. Such empty space, in the form of the ‘public arena’, by today has not only become the place of public life, but through the internet moved into the virtual void. In a virtual world dominated by technology substitutability rules in an ever smoother manner, where concrete qualities of concrete persons, cultures and traditions are replaced by numerical values alongside variables, deciding through ‘competition’ how preordained places in pre-arranged structures are assigned to people, making everybody into a ‘place-holder’, or a non-entity, a zero, which the ‘organisation’ or the ‘institution’ can change at preference – given that such Leviathan-like structures pretend for themselves the ‘representation’ of public interest. In such systems the concerns of concrete human beings will be sacrificed in the name of the whole, ignoring conscience or the ‘true order of the soul’, as it is now happening in a paradigmatic way on a global scale with COVID vaccination, where previously irrelevant pseudo-institutions like the WHO suddenly become masters of reality.35 The use of statistical data, whether to defend individuals or simply to ease the presumed budgetary problems of the state, in promoting compulsory vaccination against ‘conscientious objectors’ (redefined by the media as ‘conspiracy theorists’, an absurd expression), is a truly frightening contemporary example of Hobbesian liberalist totalitarianism, and we ignore where this particular ‘experiment’ will lead us. At any rate the icing on the cake, and the closing of the system, is provided by the joint self-deification 35

Charles Dickens coined the term ‘Circumlocution Office’ for this in Little Dorrit, showing how the process is vital for institutional modernity.

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of the individual and the society: the individual not as a concrete human being, living a concrete life in a given time and place, carrying cultural and family traditions and the experiences of a life-time, but the atomised, isolated and enclosed individual in so far as it fills a set of pre-ordained places in the system and meets the related obligations; and the society as the ultimate reference point, the immanentization of transcendence, as ‘the religion of our time [… is] the religion of society’ (Calasso 2010: 440–1), as it was first conjured up, on the basis of Hobbes (as it was well seen by Parsons), by Durkheim, who considered bloody rituals of sacrifice as the very foundation of social life. What Durkheim foresaw, and as if (pre)ordered, is ‘the transformation of society itself into a new all-encompassing cult [… which] now dominates the planet’ (442). At the same time this remains all but invisible, due to a series of paradoxes around the immanentization of transcendence, like that ‘a totally secularised society is at the same time the least secularised of all, because profaneness, at the moment in which it expands to everything, assumes in itself even those hallucinatory, phantasmagorical and delirious features that Durkheim identified in religious phenomena’ (442) – a diagnosis closely recalling that of Girard, the other great theorist of sacrifice who is so close to both Voegelin and Calasso, and who claimed that modern society, while pretending to be rational and not imitative, is actually the most mimetic of all (see for e.g. Girard 1994: 73). The outcome is inevitable: ‘life will proceed inside a social realm’ where ‘hallucinations will be taken quasi literally’ (Calasso 2010: 442). Durkheim’s words, which anticipated and as if programmed these developments, were taken throughout the past century (his programmatic and deeply flawed book Elementary Forms of Religious Life, which through the academic power politics of Durkheim replaced Arnold van Gennep’s Rites of Passage as the foundational work for the social sciences, was published exactly 100 years ago) as ‘the voice of science’, ignoring that only an act of faith could ‘confer to an invisible entity (the society) a divine status’ (443), and so eventually his gesture ‘will appear not less improbable than that of the Urabunna who would detach stones from a rock and throw them randomly in all directions to secure an abundant harvest of lizards’ (443). This hermetically closed system of hallucinations, which is the modern technologised Gnostic world, and which, as Francis Yates argued, emerged out of Renaissance Hermetic philosophy, will run its course, from which nothing humanly foreseeable can deviate it, until it inevitably bumps into limits that force it to overcome its ‘resistance to face reality’ (Voegelin 1952: 51); or, still in the words of Voegelin, it ‘works quite well as long as there are human and natural resources to be exploited so that there is enough to go around for

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satisfying the “democracy of cupidity”’ (CW 22: 125).36 This mode of operation, as Hobbes foresaw it, is a permanent race or competition (Pizzorno 2013: 53, 59); a ‘continuous warfare in a time when every political society, through its representatives, professes its ardent desire for peace [… or] an age when war is peace, and peace is war’ (Voegelin 1952: 171); in another related terminology, it implies pushing everything continuously on the limit, or a permanent liminality, of which neoclassical economic theory, with its focus on producing and consuming everything ‘on the margin’, represents the coherent – and perfectly absurd – theoretisation. Being always on the limit produces the paradox captured by Voegelin through Hobbes – thus further proof of the identity between the deification of society and the individual – which is that if one is on the limit, one fails to perceive the limit, even ignores the fact that there are limits. But this does not alter the structure of reality in which there are limits – and the evidently unstoppable machinery of the modern world, in which we all travel, while it keeps destroying nature and culture, traditions and beings, through economic, political and military means, evidently keeps bumping into limits after limits, transforming the permanent marginality of economics and the permanent liminality of wars into a series of permanent crises – ecological, epidemiological, socioeconomic. While Voegelin obviously could not have foreseen details of our current situation, his analysis intuited the heart of these developments, the course of ‘modern Gnosticism’, with visionary precision. Even further, he intuited that the system of representative government, as conjured up by Hobbes, far from offering the solution, as an ‘everlasting constitution’ (Voegelin 1952: 160–1; see its discussion by Castellanos & Torres, this volume), anticipating the ‘eternal peace’ of Kant, another Gnostic dream-nightmare, is a central part of the problem, due to the necessary confusion it institutionalises between the real and the fake, by its inherent theatricality. Still, from this perspective it remains a problem why Voegelin did not return, in the next over thirty years of his life, to analysing in further details the links between Gnosticism and political representation. Approaching this question would necessarily be speculative; and whether it is worth the effort or not, the task does not belong to this paper.

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Here again, Pizzorno’s ideas closely rhyme with those of Voegelin: strangely enough, the first great theory about the formation of the modern state ignored the problem of borders or limits (Pizzorno 2013: 21). Such ignorance has close affinities with the ‘frontier mentality’ of the New England Puritan pioneers.

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Konstitutioneller und existentieller Sinn der Repräsentation Eric Voegelin und die Krise der repräsentativen Demokratie Giuliana Parotto Abstract The article examines Voegelin’s concepts of existential and elementary representation starting from the formulations present in the first chapter of the New Science of Politics. The analysis highlights the theoretical origin of these two concepts in The Authoritarian State where Voegelin discusses the constitutional structure of Austria after World War II. The link between representative institutions and developing nations, as emerges from the analysis of some thinkers who experienced personally the dissolution of the Empire and looked critically at the birth of national states, allows Voegelin to provide tools for thinking about politics and representation beyond the nation-state.

Keywords Representation, Nation, Religion, Politics, Empire

1.

Die Krise der repräsentativen Demokratie

Die Krise der repräsentativen Demokratie ist heute Gegenstand vieler Studien, die sich aus der Sorge um die Stabilität demokratischer Institutionen speisen. Die Autorität der politischen Eliten scheint im Schwinden begriffen, und dies bringt die Verfahren zur Auswahl der politischen Klasse und damit letztlich die Verfassungsordnung in Misskredit. Diese Entwicklung wurde vielfach und ausführlich behandelt. Dabei ist zu unterstreichen, dass weniger die Demokratie als solche in eine Krise geraten ist, sondern vor allem das Prinzip der Repräsentation als eine ihrer tragenden Säulen. Zwar befürworten die Menschen in vielen Ländern nach wie vor mit großer Mehrheit die Demokratie als bestmögliche Regierungsform, dies verhindert aber nicht, dass sie ihren Parlamentariern immer weniger vertrauen1, Anlass genug zu dieser Befassung mit dem 1 Nach einer Periode anhaltender Zunahme der Zahl von Staaten mit demokratischer Regierungsform, die bis in die 1990er Jahre anhielt, wendete sich dieser Trend, und auf allen © Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_006

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Autoritätsverfall der repräsentativen Demokratie. Eines der bedeutendsten Symptome dieses Autoritätsverlusts ist der Erfolg populistischer Bewegungen, die nicht nur in Europa die „politische Klasse“ beziehungsweise die „alten Parteien“ angreifen. Der Gegensatz zwischen Volk und Elite ist das Merkmal, das alle Autoren im Populismus2 erkennen und das seine Rhetorik trägt. Die gewählten Volksvertreter und somit ein wesentlicher Teil der „politischen Klasse“ werden mit Verachtung betrachtet und verdächtigt, ihre eigenen Kasteninteressen zu pflegen; grundlegende Prinzipien der Vertretung wie das freie Mandat werden in Frage gestellt und direkte Kontrolle über die Tätigkeit von politischen Repräsentanten durch Direktübertragungen von Parlamentsdebatten im Rundfunk oder in neuerer Zeit über Streamingdienste gefordert. Vielfach wurde darauf verwiesen, dass Volksbewegungen, die Formen der direkten Demokratie einfordern und dadurch politische Eliten in Frage stellen, eine Konstante in der Geschichte der Demokratien sind. Sie übernehmen damit die Funktion, Abwege der Repräsentation zu korrigieren und der Demokratie neue Energien zu verleihen3. Druck von unten kann allerdings gewalttätige Züge annehmen und die Auflösung der Demokratie provozieren, die Konflikte nur in begrenzten Dosen erträgt4. An gewalttätigen Ausdrucksformen des Konfliktes zwischen dem Volk und seinen Vertretern fehlt es heute nicht: Die Gelbwesten sind aus der Provinz auf die Straßen von Paris gezogen und haben die Fahne Frankreichs geschwenkt, während ihr Protest in Vandalismus ausartete. Die Gewalt, die aus dem Gegensatz zwischen dem Volk und seinen Repräsentanten entstehen kann, hat vor allem französische Liberale in ihrer Suche nach geeigneten Lösungen geprägt, „die Revolution zu beenden“. Sie sind davon überzeugt, dass sich solche Lösungen im Rahmen der Verfassung ergeben müssen, indem sie das Recht auf Widerstand ersetzt und überflüssig macht. Dann muss nicht das souveräne Volk antreten, um gegen seinen zum Tyrannen fünf Kontinenten wuchs die Zahl der illiberalen Staaten spürbar; die Neigung, Wahlen eher fernzubleiben, nahm überall in beachtlichem Ausmaß zu, wodurch die Wahlbeteiligung von durchschnittlich 83% in den 1960er Jahren auf unter 70% nach dem Jahr 2000 sank. Diese Daten werden allerdings nicht von einem generell wachsenden Misstrauen gegenüber der Demokratie begleitet: Einer Untersuchung des World Values Survey auf Basis von 75.000 Befragten in 57 Ländern zufolge erklären sich 91,6% davon überzeugt, dass die Demokratie eine gute Regierungsform sei. S. Armin Schäfer und Michael Zürn, Die demokratische Regression, Berlin: Suhrkamp, 2021. 2 Y.  Mounk, Der Zerfall der Demokratie – Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht, München: Droemer, 2018. 3 N. Urbinati, Democrazia in-diretta, Milano, Feltrinelli, 2014. 4 A. Przeworki, Crises of Democracy, Cambridge Univ Press, 2019 trad. Krisen der Demokratie, Berlin: Suhrkamp, 2020.

KONSTITUTIONELLER UND EXISTENTIELLER SINN DER REPRÄSENTATION

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gewandelten Gesetzgeber vorzugehen, sondern die Verfassung garantiert ihre Einhaltung selbst. Verfassungsgerichte werden zu Wächtern über verfassungskonforme Gesetzgebung. Die Autorität von Repräsentanten in ihrer Funktion als Gesetzgeber ist Teil der allgemeineren Autorität des Gesetzes und der Verfassung. Nun hat nicht nur die Repräsentation an Autorität verloren, sondern mit ihr die Verfassung: Die in vielen Demokratien fortschreitende Schwächung von Verfassungen, die historisch aus nationaler Souveränität hervorgegangen sind, wird in jüngerer Zeit durch neue Institutionen bewirkt, die in tiefgreifend veränderten sozialen und politischen Kontexten operieren. In dieselbe Richtung wirken die anthropologischen Transformationen im Gefolge der Digitalisierung. Diese beiden Entwicklungen sind miteinander verbunden. Unter den zahlreichen institutionellen Subjekten, die in der jüngeren Zeit den Vertretungsorganen den Entscheidungsspielraum entziehen, will ich nur die aus meiner Sicht wichtigsten nennen: die europäische Zentralbank, die von nicht gewählten Technokraten ohne jede politische Verantwortung gesteuert wird und deren supranationale Geldpolitik sich massiv auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung auswirkt5; unabhängige Behörden wie die Europäische Kommission; internationale Verträge und Organisationen, die mit der globalen Ausweitung von Handelsgeschäften an Gewicht gewonnen haben. Zur Aushöhlung repräsentativer Institutionen tragen aber auch Regierungsdekrete bei, die in vielen demokratisch verfassten Ländern die Legislative in den Parlamenten mit Verweis auf den dringenden Handlungsbedarf in einer Ausnahmesituation (siehe Covid) umgehen. Und schließlich werden immer mehr technische Bereiche von bürokratischen Organen und nicht im Rahmen legislativer Funktionen reguliert6. Die Globalisierung hat die sozialen und politischen Verhältnisse, die der Entstehung der Verfassungen einst zugrunde lagen, tiefgreifend verändert. Wenden wir uns deshalb den kollektiven Themen zu, die im Zuge der Digitalisierung durch neue Formen der Subjektivität entstanden sind und die in der Geschichte der Menschheit beispiellos sind. In seinen Anfängen galt das Internet als Enabler demokratischen Wachstums: Es vermittelte die öffentliche Meinung zu nicht-zentralisierten Kommunikatoren und unterstützte die Kommunikation von einer Person zu vielen; das Netz war unschlagbar billig und kannte praktisch keine Filter, die zwischen 5 Mounk, The people vs. democracy: Why Our Freedom Is in Danger and How to Save it, Massachusetts and London: Harvard University Press, 2018. 6 Ebd., S. 66.

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Nachrichten unterscheiden, die offengelegt oder aber zurückgehalten werden sollen. In diesem zensurfreien Netz konnten alle Bürger maßgeblich Einfluss nehmen, indem es sie in die Lage versetzt, am Prozess der politischen Entscheidungsfindung teilzuhaben. Nach dem Erfolg von Berlusconi, Trump und anderen Politikern mit „medialer leadership“ hat in den Politik- und Medienwissenschaften eine Rückbesinnung auf Themen stattgefunden, die Guy Debord, Bernard Siegler, Jean Baudrillard und andere schon viel früher entwickelt hatten. Die Digitalisierung hat Kommunikationsmittel mit der Fähigkeit hervorgebracht, reale soziale Umfelder zu schaffen. Auf anthropologischer Ebene definiert Eric Sadin eine „regressive Konstruktion eines neuen individuellen Ethos“, das ein Rückzug ins private Leben kennzeichnet, das alleine noch „Momente des Atems und des Selbstwertgefühls bieten kann“7. Die rein kompensatorische Bedürfnisbefriedigung der social media beseitigt nicht, sondern verstärkt deren narzisstische Eigenschaft, die im Namen eines freien Lebens ohne Einschränkungen jeden kollektiven Horizont eliminiert. Die sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Instagram entfalten somit erhebliche politische Wirkungen, indem sie den Verlust des Kollektiven beschleunigen und zu Formen der Fragmentierung führen, für die der Neologismus „Sphärisierung“ geprägt wurde. Dieser Begriff beschreibt den Einschluss des Individuums in eine Blase, die nur noch vorausgewählte Informationen gemäß den diesem Individuum eigenen, im Netz hinterlegten und verwertbaren Präferenzen und Interessen zulässt. Pariser hat diesen Prozess ausführlich beschrieben und als web-personalization8 bezeichnet. Frühere Formen des gemeinsamen Lebens und des kollektiven Handelns werden durch die „Politik des click“ ersetzt, mithin durch eine Bürgerbeteiligung, die vom Sofa zu Hause aus leicht praktikabel und anspruchslos wahrgenommen werden kann. Deser Zustand wurde verschiedentlich als eine Auflösung der gemeinsamen Welt im Sinne des Hobbes’schen Naturzustandes verstanden, in dem eine antagonistische Subjektivität vorherrscht. Die Krise der repräsentativen Demokratie vollzieht sich also, kurz gesagt, auf zwei Ebenen: die institutionell-politische einerseits und die existenziellanthropologische andererseits.

7 E. Sadin, L’ère de l’individu tyran: La fin d’un monde commun, Paris: Grasset & Fasquelle 2020. 8 E. Pariser, The Filter Bubble: What Internet is Hiding from You, London: Penguin, 2012.

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2.

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Repräsentative Institutionen und existentielle Repräsentation in Eric Voegelins Die Neue Wissenschaft der Politik

Müssen wir angesichts der genannten Beispiele die repräsentative Demokratie als Auslaufmodell in ihren letzten Lebensjahren betrachten? Und welche Antworten finden wir auf diese Frage bei Eric Voegelin beziehungsweise in den von ihm entwickelten Kategorien zur politischen Repräsentation? In der Neue Wissenschaft der Politik (im Folgenden auch als NW abgekürzt) finden wir nützliche Hinweise, wie der Krise der repräsentativen Demokratie zu begegnen wäre. In der methodologischen Einführung bekundet Eric Voegelin die Absicht, diese Frage der politischen Repräsentation zu behandeln, und zwar „über die bloße Beschreibung der konventionell sogenannten „repräsentativen Institutionen“ hinaus“9. Im ersten Kapitel dieses Werkes erarbeitet Voegelin zwei Bedeutungen der Repräsentation, nämlich die „existentielle“ und die „elementare“ Repräsentation, welch letztere er auch als „konstitutionell“ bezeichnet. Zur Deutung der aktuellen Krise der Repräsentation erscheint mir diese Unterscheidung hilfreich. Ein explizites Monitum, das wir in Voegelins NW finden, deutet recht aufschlussreich auf unser Problem der Repräsentationskrise: „Wenn eine Regierung lediglich im konstitutionellen Sinn repräsentativ ist, wird ihr früher oder später durch einen repräsentativen Herrscher im existenziellen Sinn ein Ende bereitet; und sehr wahrscheinlich wird der neue existenzielle Herrscher im konstitutionellen Sinne nicht allzu repräsentativ sein“10. Im Folgenden möchte ich zunächst untersuchen, was Eric Voegelin in der NW mit dem „konstitutionellen“ beziehungsweise „existenziellen“ Sinn der Repräsentation meint. Anschließend sollen diese Begriffe dann im Licht der ersten Versuche, eine Staatslehre zu entwerfen, untersucht und erklärt werden. Die Ergebnisse möchte ich zum Schluss dazu nutzen, die theoretische Positionierung Voegelins zur politischen Zukunft der Westlichen Gesellschaft zu erläutern. Dies verspricht wichtige Hinweise und Stimuli, wie die Krise der Repräsentation besser zu begreifen ist. Die erste zu klärende Frage ist, was genau Voegelin unter „repräsentativ im konstitutionellen Sinn“ versteht und was „repräsentativ im existentiellen Sinn“ bedeutet. Diese Unterscheidung ergibt sich aus methodischen Prämissen, die in den ersten beiden Absätzen des ersten Kapitels der NW erörtert werden und auf die kurz eingegangen werden muss. 9 10

E. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung, München: Wilhelm Fink Verlag, 2004, S. 19. Ebd., S. 63.

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Voegelin hinterfragt zunächst grundsätzlich den kognitiven Erkenntniswert von Begriffen zur Beschreibung der sozialen und politischen Realität. Die „Politikwissenschaft“ bewege sich nicht auf einer begrifflichen „tabula rasa“, erfinde ihre Begriffe also nicht neu11, sondern müsse sie der komplexen kulturellen Realität entnehmen, mit der sie sich auseinandersetzt. Voegelin spricht diesbezüglich von Sprachsymbolen, in denen sich eine Gesellschaft selbst sieht und legitimiert. Mythen, Bilder und Ideen seien wiederum mit Gefühlen und Erfahrungen verbunden, die dem kollektiven und individuellen Leben einen Sinn geben. Sie sind deshalb „Teil der Realität“. Wissenschaft besteht aus der kritischen Reflexion dieser Symbole. Sie entsteht aus einer Arbeit der „Reinigung“, der Unterscheidung und Klärung, die es ermöglicht, aus den verschiedenen Sprachsymbolen Begriffe mit theoretischem Potenzial abzuleiten und ihren Erkenntniswert zu prüfen. Voegelin definiert, was die theoretischen Begriffe von einfachen Sprachsymbolen letztlich unterscheidet: sie müssen sich in „größere theoretische Zusammenhänge einfügen lassen.“12 Im Unterschied zu sprachlichen Symbolen eignen sich theoretische Begriffe dazu, auch in anderen Kontexten verwendet zu werden13. Ohne diese kritische Reflexion bliebe die politische Theorie darauf beschränkt, einfache Symbole unkritisch wie theoretische Konzepte zu behandeln und der Illusion zu erliegen, die in der Realität verwendeten Symbole seien theoretische Begriffe; in Wahrheit sind sie, so Voegelin, vorgefundene Sprachsymbole ohne theoretischen Gehalt14. Diesen Prämissen folgend behandelt Voegelin die gesellschaftlich am weitesten verbreitete Definition von Repräsentation und bezeichnet sie als „konventionell“ im Sinne von sozial verbreitet. Er sieht ihr Verständnis in den politischen Debatten seiner Zeit, wonach „… die Institutionen eines Landes repräsentativen Charakter hätten, wenn die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung ihre Mitgliedschaft kraft Volkswahl besitzen“15. Die so definierte Verfassungsvertretung sei ein Symbol der politischen Realität, das ohne die notwendige kritische Klärung verwendet wird. Um die theoretische Inkonsistenz dieser Definition nachzuweisen, inszeniert Voegelin in der NW

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Voegelin benutzt den Ausdruck „tabula rasa“, vgl. S. 44. Ebd., S. 46. Für eine tiefere Behandlung dieses Themas siehe Cooper, B. Wissenschaft in Voegelins Frühwerk, in Sigwart, H.J. (Hrsg.), Staaten und Ordnungen: die politische und Staatstheorie von Eric Voegelin, Baden-Baden: Nomos 2016. E. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 45. Ebd., S. 47.

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einen platonischen Dialog mit einem imaginären Gesprächspartner16. Damit zeigt er auf, wie verschiedene Länder dieser Definition in Bezug auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive entsprechen: Dafür zieht er das amerikanische, das britische und das Schweizer System heran, und bezieht in diese Betrachtung (unter bestimmten Bedingungen) sogar das System einer Monarchie ein17. Repräsentation im elementar-konstitutionellen Sinne ist eine Kategorie, die mehrere Formen beschreibt, in denen Macht sogar sehr unterschiedlich und widersprüchlich zueinander organisiert ist. Voegelin stellt sich dann vor, den Gesprächspartner aufzufordern, er möge spezifizieren, was er unter Volkswahl versteht, worauf er ebenso wirre wie widersprüchliche Antworten erhält: die Wahl der Abgeordneten müsse von der gesamten in einem bestimmten Gebiet ansässigen Bevölkerung durchgeführt werden. Dessen ungeachtet dürfe der repräsentative Charakter von Wahlen auch dann nicht beeinträchtigt sein, wenn gewisse Teile der Bevölkerung ausgeschlossen sind; im 19. Jahrhundert waren Frauen oder Arme von der politischen Mitwirkung noch weithin ausgeschlossen, heute würde man in diesem Zusammenhang zum Beispiel an Migranten denken, die unter Umständen zwar Wohnrecht haben, aber nicht eingebürgert sind.18 Wahlen, die den oben genannten Bedingungen genügen, seien, so Voegelin, im konstitutionellen Sinn also auch dann noch gültig, wenn wachsende Teile der Bevölkerung gar nicht mehr zu Wahl gehen. Solche formalen Festlegungen sind für Voegelin deskriptiv beziehungsweise von „äußerer Existenz“, also äußerliche Festlegungen des Wahlrechts auf der Basis von einfachen Daten wie Name, Geburtsort, Geschlecht oder Zugehörigkeit zu einem Wahlkreis. Sie sind deskriptiv und haben keinen theoretischen Erkenntniswert. Sie beziehen sich auf Institutionen, die einer spezifisch existenziellen Realität eingeschrieben sind. Irrelevant sind sie deshalb aber nicht: Die äußere Existenz einer Gesellschaft ist immer noch Teil ihrer „ontischen Struktur19 und kann als Symbol behandelt werden. Als solches kann es der Gesellschaft zur Selbstinterpretation dienen. Das deskriptiv-Elementare sei darum, wie bereits ausgeführt, nicht als „politische Theorie“ zu betrachten, sondern als deren Untersuchungsgegenstand.

16 17 18 19

„Wenn jemand, der sich dieses Symbols bedient, aufgefordert würde, zu erklären, was er damit meint… .“ Ebd., S. 47. Ebd., S. 48. Ebd., S. 48. Ebd., S. 48.

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Die elementaren Formen der Repräsentation werden im Folgenden nach der jeweils unterschiedlichen Art und Weise betrachtet, wie sich verschiedene Gesellschaften selbst sehen: Voegelin wählt dazu beispielhaft die kommunistische Gesellschaft der Sowjetunion oder die Gründungszeit der amerikanischen Republik als unterschiedliche existentielle Hintergründe. So hätten die Kommunisten die Überzeugung vertreten, dass eine Einheitspartei am besten dazu geeignet ist, die Volksinteressen zu vertreten. In den USA oder England gewährleiste dies dagegen ein Zweiparteiensystem am besten. Dies alles seien „Meinungen“, findet Voegelin, doxai im platonischen Sinn, möchte man hinzufügen. Wie in den platonischen Dialogen erweisen sich „Meinungen“ als widersprüchlich, und so schließt Voegelin mit der Feststellung: „Wenn man die Vielfalt der Meinungen zusammenfasst, lässt sich daher die folgende Reihe bilden: ein repräsentatives System ist nur dann repräsentativ, (1) wenn es keine Parteien, (2) wenn es eine Partei, (3) wenn es zwei oder mehr Parteien gibt, oder (4) wenn die zwei Parteien als Flügel einer Partei angesehen werden können“20. Das all diesen widersprüchlichen Bedingungen von Repräsentation Gemeinsame sieht Voegelin jedoch im Symbol „Volk“. Die symbolische Grundlage der Repräsentation im elementaren Sinne ist das Volk. Die weitere Analyse der „ontischen Struktur“ lässt im Folgenden die Grenzen der Repräsentation im konstitutionellen Sinn hinter sich und richtet sich auf politische Gesellschaften, denen Voegelin die Eigenschaft „handlungsfähige Einheit“ im Sinne ihrer Fähigkeit zuordnet, in der Geschichte zu agieren. In diesem Zusammenhang spricht Voegelin von „existenzieller Repräsentation“. Ein „existenzieller“ Repräsentant kann sich auf den regelmäßigen Gehorsam21 der Bevölkerung stützen. Dieses Thema lässt sich zurückverfolgen bis zu den ersten Arbeiten zur Staatslehre der 1920er Jahre22. 20 21 22

Ebd., S. 50. Ebd., S. 52. Hierbei handelt es sich um das spezifische Objekt in Die Herrschaftslehre, die ein Teil der Staatslehre werden sollte, einem in den 1920er Jahren begonnen Projekt. Die Herrschaftslehre beginnt mit folgender Definition von Herrschaftsverhältnis von Max Weber: „Unter Herrschaft soll darum der Tatbestand verstanden werden: „dass ein konkreter Wille (‚Befehl‘) des oder der ‚Herrschenden‘ das Handeln anderer (des oder der ‚Beherrschten‘) beeinflussen will und tatsächlich in der Art beeinflusst, dass dies Handeln, in einem sozial relevanten Grade, so abläuft, als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehles um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht hätten (‚Gehorsam‘)“. Voegelin lässt diesem Zitat eine kritische Analyse der Beziehung zwischen Herrschaft und Gehorsam folgen und erweitert sie zu einer Befassung mit den Ideen, die der politischen Ordnung zugrunde liegen. Vgl. Voegelin „Grundlagen der Herrschaftslehre“: Ein Kapitel des Systems der Staatslehre, in: Occasional Papers Eric Voegelin Archiv Ludwig-MaximiliansUniversität, München, LV, 2007.

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Um Gehorsam zu finden, muss jede Staatsführung dazu in der Lage sein, zwei „existentielle Bedürfnisse“ der Gesellschaft zu erfüllen, nämlich die Gewährleistung von Sicherheit und Gerechtigkeit. Die Liste möglicher Machtinhaber, die diese Grundbedürfnisse der Gesellschaft garantieren können, ist lang: „Herrscher, Fürsten, der Souverän, die Obrigkeit etc “23; diese Pluralität zeigt, wie unterschiedlich Gesellschaften verfasst und geführt – oder gemäß Voegelin „artikuliert“ – werden können. Allen Gesellschaften gemeinsam sei das Ergebnis dieser „Artikulation“: „Als Ergebnis der politischen Artikulierung gibt es dann Menschen, die wir Herrscher nennen, die für die Gesellschaft handeln können, Männer, deren Handlungen nicht ihrer Person, sondern der Gesellschaft als einem Ganzen zugerechnet werden“24. Wenn die Handlungen einer Person der gesamten Gesellschaft zugeschrieben werden, kann man sagen, dass sie die Gesellschaft in einem existenziellen Sinne repräsentiert, dass „eine politische Gesellschaft existent wird, wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten hervorbringt“25. In diesem Zusammenhang stellt Voegelin mit dem Begriff der „Zurechnung“ ein weiteres Konzept vor, das uns neuerlich zu seinen Studien über die Staatslehre der 1920er Jahre zurückführt. Dass zwischen der Neuen Wissenschaft der Politik und Voegelins ersten Entwürfen zu einem System der Staatslehre eine Verbindung besteht, offenbart er in einem Brief an seinen Freund Engel-Janosi26. Tatsächlich lassen sich mehrere Zusammenhänge finden: Die „Verschiebung des Diskursrahmens“ über die „elementare Repräsentation“ hinaus zur „existentiellen“ Repräsentation offenbart methodische und erkenntnistheoretische Festlegungen Voegelins als Ergebnis einer theoretischen Reflexion, die schon in den 1920er Jahren einsetzt. Damals unternahm er erste Versuche, eine systematische Arbeit über politische Theorie und ein System der Staatslehre zu entwerfen. In diesen Jahren entwickelte der Philosoph seine ursprünglichen Vorstellungen, die von der Kritik an Hans Kelsen und dem Rechtspositivismus ihren Ausgang nahmen, weiter und legte den Grundstein für eine Staatslehre im Rahmen der Debatte, die sich zwischen den beiden Kriegen im deutschen Raum entwickelte.

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Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 52. Ebd., S. 52. Ebd., S. 64. Brief vom 20. November 1950 von Voegelin an Friedrich Engel – Janosi. Siehe Peter Opitz, Etappen auf dem Weg von einer positivistischen Staatslehre zur „Grundlegung“ einer Staatslehre als Geisteswissenschaft. Eric Voegelins New Science of Politics in zeitlicher Perspektive, Eric Voegelin Studies: Yearbook, Volume 2, Manuskript S. 2.

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Die Themen, die im ersten Kapitel der NW auftauchen, finden sich samt ihren konzeptionellen Hintergründen und theoretischen Implikationen schon in Voegelins ersten Überlegungen zur Staatslehre: – Die „elementare“ Repräsentation charakterisiert die verschiedenen verfassungsrechtlichen Ordnungen, die Teil der „ontischen Struktur“ und damit der politischen Realität sind. In diesem Sinne zeigt sich in der „elementaren“, das heißt „konstitutionellen“ Repräsentation ein allgemeineres Problem, das die Beziehung zwischen der Verfassung und dem historischen, politischen und existenziellen Kontext betrifft, in dem sie entstanden ist. Hierin liegt Voegelins zentrale Kritik an Kelsen. – Die „existentielle“ Repräsentation bezieht sich präzise auf den konkreten Kontext mit seinen politischen, historischen und symbolischen Implikationen. Im Zentrum dieser Repräsentation steht die „Zurechnung“. In seinem Artikel „Reine Rechtslehre und Staatslehre“ von 1924 kritisiert Voegelin diesen zentralen Begriff in Kelsens „Reine Rechtslehre“.27 – Die Beziehung zwischen den beiden Formen der Repräsentation (existenziell und elementar) wird auf der Grundlage des in den NW zum Ausdruck gebrachten methodischen Ansatzes skizziert, den wir in den Ausarbeitungen der Jahre zwischen den beiden Kriegen finden. Repräsentation im konstitutionellen Sinne kann in ihren Bedeutungen in Bezug auf Repräsentation im existentiellen Sinne geklärt werden. In den genannten Zwischenkriegsarbeiten wird die Konstitution als Teil der „ontischen Struktur“ zum Theorieobjekt. Voegelin unterscheidet Mythen, Symbole und schließlich Ideen.28 – Die theoretischen Begriffe sind ihrerseits in präzise historische und politische Kontexte zu stellen, die rekonstruiert werden müssen, um Begriffe und Symbole auseinanderzuhalten. Es ist notwendig, die Begriffe zu „reinigen“, um sie kritisch nutzen zu können. – Repräsentation im verfassungsmäßigen Sinn basiert auf einem bestimmten Symbol, dem des Volkes29. Voegelin hat dieses Symbol insbesondere noch im Autoritären Staat durch die Rekonstruktion des Kontextes, in dem es gebildet wurde, in die Analyse einbezogen. Bevor dies nachgewiesen werden kann, bedarf es einer Klarstellung: Es geht hier nicht darum, den jungen Voegelin mit den Theorien der Neuen Wissenschaft zu konfrontieren, um festzustellen, ob seine theoretische Weiterentwicklung 27 28 29

Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, in: Zeitschrift für öffentliches Recht IV, Heft 1/2, 1924, S. 80–131. Ebd., S. 131. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S. 51.

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seit den frühen Schriften kontinuierlich oder eher diskontinuierlich verlaufen ist30; eher geht es um das Gegenteil: Die theoretischen Positionen des Kapitels Repräsentanz und Existenz der NW stimmen mit den frühen Arbeiten Voegelins überein bzw. lassen sich daraus erklären31. Diese Klärung erleichtert das Verständnis der Hintergründe und Implikationen in der Neuen Wissenschaft und stößt auch auf mögliche Antworten auf die aktuelle Repräsentationskrise. 3.

Theoretische Hintergründe

Die „ontische Struktur“ als Verbindung von Symbolen und Ideen der Staatslehre hat Voegelin erschöpfend in dem 1936 im Wiener Julius Springer Verlag erschienenen Buch „Der autoritäre Staat“ behandelt. Hierin setzt er sich mit der autoritären österreichischen Verfassung von 1934 und ihren historischen, politischen und theoretischen Hintergründen auseinander. Voegelin liefert in diesem aufgrund seiner vielen Themen und Deutungsebenen hoch komplexen Werk eine differenzierte Analyse der österreichischen Verfassungsgeschichte bis zur ersten Verfassung der österreichischen Republik, an der Kelsen mitgewirkt hat. Darin wird die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Repräsentation unter Berücksichtigung ihrer Entstehung behandelt. Der von Voegelin dazu gewählte methodische Ansatz gleicht bereits dem späteren ersten Kapitel der Neuen Wissenschaft: Dort tauchen die elementare und die existentielle Ebene gesondert auf. Die Bedeutung der republikanischen Verfassung und damit der Staatslehre von Kelsen wird nicht ausgehend von theoretischen Annahmen diskutiert, die a priori definiert wurden, sondern ergibt sich aus der Analyse der existentiellen und politischen Kontexte, in denen sie gebildet wurde. Voegelin befasst sich mit der Entstehungsgeschichte österreichischer Verfassungen und den Theorien des öffentlichen Rechts. Er 30

31

Diese Frage – kontinuierlich oder diskontinuierlich – bewerten Voegelin-Interpreten bis heute unterschiedlich: entschieden für die Kontinuität tritt Dietmar Herz ein, Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat. Zur Kritik Eric Voegelins an Hans Kelsen, Occasional Papers des Eric Voegelin-Archiv, Bd. III, 2. überarbeitete Version, München, 2002. Zur gegenteiligen Auffassung gelangt Michael Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938), Occasional Papers des Eric VoegelinArchiv, Bd. XXXVI, München, 2005. Peter J. Opitz schließlich erkennt sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität. Siehe Peter J. Opitz, Etappen auf dem Weg von einer positivistischen Staatslehre zur „Grundlegung“ einer Staatslehre als Geisteswissenschaft. Eric Voegelins New Science of Politics in zeitlicher Perspektive, in Yearbook II, 2023 (Manuskript S. 12). M. Henkel, ebd. S. 7.

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rekonstruiert die verschiedenen Anläufe zu Verfassungsurkunden vom frühen 19. Jahrhundert bis Kelsen. Voegelin erkennt in der Geschichte der österreichischen Verfassung, den Werken über die österreichische Staatslehre und den Theorien, die sich dazu im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt haben, die Entstehung eines „Verwaltungsstils“, der sich immer weiter durchgesetzt habe: „Die Verfassungs- und Rechtslehre eines solchen politischen Gebildes, das die Mitte zwischen „Reich“ und „Staat“ hält, ist geneigt, besonderes Gewicht auf die „administrativen“ Rechtsphänomene zu legen und die ursprünglich nomothetischen Akte auf dem Felde der Betrachtung zu entfernen.“32 Den endgültigen paradigmatischen Ausdruck dieser Entfernung finden wir, wie gesagt, bei Hans Kelsen. Im dritten Teil von Der Autoritäre Staat (Paragraph  19) zeichnet Voegelin unter der Überschrift „Die reine Rechtslehre Kelsens in der Tradition der österreichischen Staatslehre“ nach, worin er Kelsens „prinzipielle Haltung“ erkennt. Dessen Staatslehre reduziere den Staat auf Normen und Normordnungen und weigere sich daraus folgend, den Staat in Übereinstimmung mit der Politikwissenschaft seit Aristoteles zu betrachten. Dies sei, so Voegelin, „ein konstitutioneller Zug der österreichischen Staatslehre, der sich zurückverfolgen lässt bis auf die Begründung des österreichischen Kaisertums“33. Die zahlreichen Quellen, die Voegelin im Zusammenhang mit der Geschichte des Staatsrechts und der österreichischen Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts analysiert, offenbaren denselben Grundzug. Historiker sprechen von der Reduktion des Staatsrechts auf bloße „Rechtssammlungen“ (Joseph Ulbrich), von der „überwiegenden Behandlung des Verwaltungsrechts und der Abwesenheit jeglicher Erörterung verfassungsrechtlicher Fragen“ (Robert von Mohl); Theoretiker argumentieren, dass es „keine Theorie des Staates jenseits der Rechtsnormen“ (Gumplowicz) gebe. Diese Unzulänglichkeit der österreichischen Staatslehre und die im 19. Jahrhundert immer wieder gescheiterten Versuche einer Verfassungsgebung für die Doppelmonarchie haben eine gemeinsame Ursache. Sie kommt dem nahe, was Voegelin später in der Neuen Wissenschaft in den Begriff „existentielle“ Repräsentation gefasst hat. Tatsächlich standen schon die ganz frühen Anläufe der österreichischen Verfassungsgebung im Zuge der Revolution von 1848 vor dem Problem, einen grundlegenden Widerspruch zu lösen: Auf der einen Seite stand die im Mittelalter begründete Tradition des Kaiserreichs als einer supranationalen Monarchie; dieser Tradition stand auf der anderen Seite die Verfassung gegenüber, die ein politisch aktives Volk voraussetzt, das sich 32 33

Voegelin, Der autoritäre Staat, Wien, New York: Springer, 1997, S. 4. Ebd., S. 128.

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seine Verfassung zumindest vom Souverän gewähren lässt, soweit dieses Volk sie sich zur damaligen Zeit noch nicht selbst geben konnte. Im Administrativstil wie auch den anderen Unzulänglichkeiten offenbart sich Voegelin das grundlegende Problem der k.u.k Doppelmonarchie: „Die österreichische Monarchie hat für die Staatliche Machtorganisation nie das Autoritätsgewicht erwerben können, das die westeuropäische Kraft ihres repräsentativen Charakters als die Machtorganisation der Nation besitzt, und sie konnte es nicht erwerben, weil die Voraussetzung einer solchen Autorität als nationale Repräsentanz, also das politische Volk, das die Machtorganisation als den Ausdruck seines politischen Existenzwillens erlebt, sich nicht entwickelt hat.“34 Der repräsentative Charakter der Institutionen in Westeuropa setzt die Nation als Volk mit einem politischen Willen voraus. Die österreichische kaiserliche Tradition verhinderte diesen „existenziellen Schritt“ und die Entwicklung eines politischen „Willens zur Existenz“ des österreichischen Volkes. Dem Reich fehlte der Nationalcharakter. Es konnte deshalb keine nationale Repräsentanz entwickeln, weil es kein politisches Volk gab, das sich repräsentieren ließ. Der Herrscher der österreichischen Monarchie symbolisierte keine Nation. Stattdessen waren Administratoren einer Machtorganisation für die geistige und materielle Wohlfahrt der Bevölkerung eingesetzt. Das Fehlen eines „Volkes“, das sich als Nation versteht und seinen Willen zur Existenz als kollektives Subjekt auch zum Ausdruck bringt, hat also drei Konsequenzen: Es steht als Ursache für die Schwierigkeiten und Widersprüche, die die verschiedenen Versuche des Kaiserreichs kennzeichnen, sich eine verfassungsmäßige Ordnung zu geben. Es ist, zweitens, der Grund für die Nichtexistenz einer eigenen Staatstheorie. Und drittens ist das fehlende Volk die politische Voraussetzung für Kelsens Ausblendung der gesamten existenziellen Dimension des Rechts von der Frage nach der „verfassungsgebenden Gewalt“ bis zum existentiellen Hintergrund, ohne den der Sinn des Rechts überhaupt verloren geht: Die Norm kann nicht durch Normen und als Teilinhalt von Normen verstanden werden; Normen regeln menschliches Verhalten, das per se schon sinngeladen ist. Eine umfassende Behandlung von Voegelins Kritik an Kelsen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass Kelsens gesamtes erkenntnistheoretische System mit seinen metaphysischen Schlussfolgerungen die imperiale österreichische Geschichte zur „existentiellen“ Voraussetzung hat. Das Fehlen einer kritischen Reflexion 34

Ebd., S. 4.

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der eigenen erkenntnistheoretischen Kategorien verleihe dem Werk Kelsens geradezu ideologischen Charakter35. In diesem Zusammenhang stoßen wir auf eine interessante Feststellung: Im Autoritären Staat bezieht sich Voegelin auf Felix Stoerks Zur Methodik des öffentlichen Rechts (Wien 1885), dessen Argumentation sich von seiner – Voegelins – lediglich „durch die Terminologie seiner Zeit“36 unterscheide. Die Betrachtung des Rechts als einer „Erscheinung von kulturell-sozialer, wirtschaftlicher und politischer Sinnhaftigkeit“, die Stoerk entgegen der „wissenschaftlichen“ Methodik seiner Zeit gebraucht, kommen in der von Voegelin geteilten Aussage zum Ausdruck, „das Sein wird nicht durch das Denken bestimmt, sondern das Denken muss sich umgekehrt durch das Sein bestimmen lassen“37. Das Bedürfnis nach „Abstraktion“, das für Stoerk dazu führt, einen einzigen Aspekt als ausschließlich und erschöpfend für die Definition des Rechts zu betrachten, verfehlt sein Wesen. „Die Abstraktion dürfe nicht ein „elementares“ Merkmal treffen.“38 Man kann vermuten, dass Voegelin die Bezeichnung „elementar“, die er viel später in der Neuen Wissenschaft der Politik im Zusammenhang der Repräsentation verwendet, hier aufgegriffen hat. Die Definition der Repräsentation auf die bloße Verfassungsstruktur ist ein Akt der „Reduktion“, der nur einen Aspekt, eben ein „elementares Merkmal“, berücksichtigt. Die „elementare“ Repräsentation in der NW hat im Autoritären Staat hier auch ihre terminologischen Wurzeln. Von „existentieller“ Repräsentation dagegen ist dort nicht die Rede, obwohl die Untersuchung der existentiellen Voraussetzungen der österreichischen Verfassungsansätze und Staatstheorien im Autoritären Staat eine zentrale Rolle spielt. Allerdings finden wir in der NW eine Definition der existentiellen Repräsentation, die sich an noch frühere Werke anlehnt39, was der zuvor schon erwähnte Begriff der „Zurechnung“ zeigt. Er spielt eine zentrale Rolle in Voegelins Kritik an Kelsens Reine Rechtslehre, die er in dem genannten Artikel von 1924 formuliert, auf die hier aber nicht tiefer eingegangen werden kann40. Wir beschränken uns darauf, darüber nachzudenken, wie Voegelin Kelsens „Zurechnung“ verwendet. Bei Kelsen nimmt dieser Terminus eine entscheidende Stellung für das Recht ein: Er vergleicht die Zurechnung mit dem Begriff der Kausalität in den Naturwissenschaften und bezieht sie nicht nur auf natürliche Menschen, sondern auch auf kollektive Subjekte bis hin zum Staat als „Zurechnungsendpunkt“. Diese Übertragung ist 35 36 37 38 39 40

Voegelin, Der Autoritäre Staat, S. 113. Ebd., S. 137. F. Stoerk, Über die juristische Methode, Wien, New York: Springer, 1996, S. 5. Voegelin, Der Autoritäre Staat, S. 138. Dazu siehe Dietmar Herz. Für eine detaillierte Analyse, s. Dietmar Herz, S. 32.

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Voegelin zu abstrakt. Er sieht, dass die Definition dieses Begriffs in Bezug auf positives Recht, wie Kelsen es gerne hätte, in eine Sackgasse führen würde. Die Lehre vom Zurechnungsendpunkt greife zu kurz, weil sie Fragen der Staatsbegründung, die an Kulturobjektivationen wie Kunst, Sprache oder Religion nicht berücksichtigt41. In ihnen deutet sich wohl bereits die „ontische Struktur“ an. Voegelin geht es darum, die Staatslehre im Kontext der Symbole und ihrer Beziehung mit den Ideen zu formulieren, die der staatlichen Gemeinschaft zugrunde liegen. Nur so ergebe sich eine vollständige Staatslehre. In Voegelins Schrift von 1924 finden wir erstmals Formulierungen, die unser Autor später in der Neuen Wissenschaft der Politik verwendet. Allerdings ist der Begriff „Zurechnung“ wesentlich weiterentwickelt bzw. erweitert. So unterscheidet Voegelin zwischen der „Zurechnung“ zu einem Repräsentanten und zu einem „Agenten“. Während der Repräsentant befugt ist, für eine Gesellschaft zu handeln, wird der Agent von seinem Auftraggeber unter spezifischer Weisung zu einem speziellen Geschäft ermächtigt42. Diese Unterscheidung erinnert an den Unterschied zwischen Vertretung und Repräsentation, die Carl Schmitt in seiner Verfassungslehre von 1928 formuliert hat. Voegelin zieht es aber vor, sich auf Maurice Hauriou als den Haupttheoretiker der Repräsentation zu beziehen. Zusammenfassend können wir sagen, dass 1. die Reduktion der Repräsentation auf eine rein konstitutionelle Definition – als „elementare“ Repräsentation – ein Akt der Reduktion der „ontischen Struktur“ bedeutet; 2. diese Reduktion für die österreichische Staatslehre charakteristisch ist; 3. die Reduktion dadurch bedingt ist, dass die imperiale Tradition der Entstehung eines „politisch aktiven Volkes“ beziehungsweise eines eigenen Nationalgefühls im Wege steht. Es fehlt die existentielle Ebene, also die Erfahrung eines politisch bewussten und aktiven Volkes. Die von Kelsen entworfene Verfassung von 1920 erwies sich wegen des fehlenden Volkes als untragbar. Voegelin befürwortete deshalb im „autoritären Staat“ die Dollfuß-Verfassung von 1934, die einen solchen autoritären Staat begründet. Er konzentriert sich auf die Frage, auf welchem Wege über die Autorität ein kollektives politisches Subjekt geschaffen werden kann. Er setzt sich dabei mit einer ganzen Reihe von Autoren wie Renan, Blanqui und auch mit dem Dollfuß-Freund Mussolini auseinander, was hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden kann. 41 42

Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, IV, Bd. 1. und 2. Heft, Wien/Leipzig 1924, S. 131; siehe auch Dietmar Herz, ebd., S. 32. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S. 52.

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Ich beschränke mich darauf, hervorzuheben, dass auch hinsichtlich der Frage der Autorität eine tiefe Kohärenz mit den methodischen Ansätzen besteht, die Voegelin in dem Kapitel über Repräsentation und Existenz in der oben analysierten Neuen Wissenschaft veranschaulicht. Auch in Der Autoritäre Staat interessiert sich Voegelin für die Sprachsymbole, die dem autoritären Staat zugrunde liegen und die er in den Begriffen „total“ und „autoritär“ identifiziert. Das Kapitel „Politische Symbole und theoretische Begriffe“ seines Werkes über den autoritären Staat setzt sich in einem exemplarischen Fall kritischer Reflexion diesbezüglich mit Carl Schmitt und Maurice Hauriou auseinander: Beide Begriffe „total“ und „autoritär“ sind aus der spezifischen deutschen und französischen politischen Realität hervorgegangen, insbesondere aus den auseinandergehenden Vorstellungen von Gesellschaft und Staat. Wie wir schon an anderer Stelle gesehen haben, befasst sich Voegelin mit diesen Begriffen mit dem Ziel, sie zu „reinigen“. Dazu trennt er die Elemente, die auf den politischen Kampf zurückzuführen sind, von denen, die zur Theoriebildung taugen. Unser Autor erkennt die politischen Sprachsymbole in ihrer Funktion, die Gesellschaft zu legitimieren oder zu beeinflussen: sie sind auf politische Macht ausgerichtet. Er beabsichtigt, sie als Komponenten der politischen Realität zu erläutern. „Aufgeräumt“ behalten diese Konzepte ihren Erkenntniswert auch in Bezug auf andere Kontexte. Im konkreten Fall bildet die autoritäre Verfassung von Dollfuss den Kontext. Voegelin erkennt in dem von Hauriou entwickelten Konzept des „consentement coutumier“, das sich in Bezug auf eine bestimmte Leitidee (idée directrice) bilden kann, hohen Erkenntniswert und theoretische Gültigkeit. Durch Leitideen wird die soziale Organisation zu einer „Institution coutumière“43, deren Grundlage der Konsens bildet, der frei in der historischen Gemeinschaft wächst und nicht Frucht von Ideologie ist. Die gleiche Arbeit kritischer Revision durchläuft das Konzept der Totalität, das, ausgehend von den Schmittianischen und Jünger’schen Definitionen (die Voegelin nicht analysiert) die Werkzeuge zur Verfügung stellt, um sich auf die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft zu konzentrieren, insbesondere in dem Nexus, der das Volk und die politischen Eliten verbindet. Derselbe methodische „Reinigungsansatz“ findet sich bei der Entwicklung von Voegelins Analyse in den folgenden Absätzen des ersten Kapitels der Neuen Wissenschaft der Politik. In Abschnitt 5. untersucht Voegelin die Rolle des symbolhaft verstandenen „Volkes“ als Akteur in der Politik Frankreichs und insbesondere Englands, wo Fortescue die Idee des „Volkes“ entwickelt. 43

M. Hauriou, Précis de Droit Constitutionnel, Paris: Librairie Recueil Sirey, 1929, S. 73.

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Die Elemente, aus denen sich diese Idee zusammensetzt, sind theologischpolitischer Natur und beziehen sich auf die Idee des mystischen Körpers. Hier stoßen wir auf die Verbindung zwischen Religion und Politik, auf die ich im folgenden Abschnitt noch tiefer eingehen werde: Die Definition des politischen Körpers als mystischer Körper, nämlich die Übertragung des Corpus mysticum auf das Reich, „zielte doch auf einen Repräsentanten ab, der die Gesellschaft für den Gesamtbereich menschlicher Existenz, einschließlich die geistige Dimension vertreten würde“44. Dieses Thema hat Voegelin in Der Autoritäre Staat in der Befassung mit dem „totalen Staat“ Carl Schmitts und Ernst Jüngers entwickelt. Voegelin kommt in der NW auf Maurice Hauriou als denjenigen zurück, der die Idee von der existentiellen Repräsentation entwickelt hat. In Abschnitt 8. nimmt er diese Idee unter die Lupe und wiederholt dabei fast vollständig, was er im ersten Kapitel des Autoritären Staats (dort in § 15) zu Haurious Theorie der Autorität geschrieben hat. Die Gewalt einer Herrschaft ist kraft ihres Fungierens als Repräsentant einer Institution legitimiert45; diese Institution ist bei Hauriou der Staat. Voegelins Definition des Staates als „nationale Gemeinschaft, in der die herrscherliche Gewalt die Geschäfte der res publica führt“, übernimmt er direkt aus dem Autoritären Staat. Ebenso stammt von dort die wörtliche Beschreibung von Aufgaben der Herrschergewalt wie die Schaffung einer politisch geeigneten Nation durch die Leitidee (idee directrice) oder die Beschreibung der Beziehung zwischen Recht und Gewalt46. Schließlich findet Voegelin bei Hauriou auch die Formel für das Verhältnis zwischen konstitutioneller und existentieller Repräsentation. Das positive Recht kann nur von einer Autorität eingesetzt werden, die repräsentativ im existentiellen Sinn ist.47 In der Neuen Wissenschaft ist gegenüber dem Autoritären Staat allerdings trotz aller festgestellten Analogien auch eine Verschiebung der Untersuchungsebene festzustellen. Im Autoritären Staat liegt der staatlichen Autorität eine Leitidee zugrunde, die von einer menschlichen Gemeinschaft getragen und weiterentwickelt wird48. Ihre Grundlage bildet der Konsens im Sinne des „consentement coutumier“, von dem Hauriou spricht. In der NW dagegen führt die 44 45 46 47 48

Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S. 58. Ebd., S. 62. Voegelin, Der Autoritäre Staat, S. 49. „Die Autorität einer repräsentativen Gewalt geht existentiell der Regelung dieser Gewalt durch positives Recht voran.“ Die Neue Wissenschaft der Politik, S. 63. Voegelin schreibt: „Wenn der Staat als eine Idee verstanden wird, die konzipiert und am Stoffe einer menschlichen Gemeinschaft auf einem Territorium verwirklicht wird, dann ist die Leistung der Gründung, Bewahrung, Vermehrung eine autoritäre im prägnanten Sinne einer unerheblichen, schöpferischen.“ Der Autoritäre Staat, S. 49.

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„Leitidee“, die sich in der Geschichte realisiert49, über die Repräsentation im existentiellen Sinn hinaus. Sie wird in Bezug auf die Wahrheit und im Rahmen einer philosophischen Antropologie behandelt. 4.

Vor dem Volk – das Reich

Wie ich schon ausgeführt habe, erfordert elementare, konstitutionelle Repräsentation ein Volk als kollektives Subjekt. Die Idee des Volkes dient als notwendiges existenzielles Pendant zur Gewährleistung des repräsentativen und demokratischen Systems im „elementaren“ Sinne. Am Beispiel von Österreich hatten wir gesehen, dass die Repräsentation im elementaren Sinne auf Schwierigkeiten stößt, wenn ihr das Volk als politisches Subjekt fehlt. Die Tradition des Kaiserreichs stand der Entwicklung einer Nation im Weg, sie erlaubte aber auch einen kritischen Blick auf das tiefere Wesen der Nation. Im ersten Kapitel von Teil 2 des Autoritären Staats analysiert Voegelin eine Reihe von Autoren, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts loyal zum Kaiserreich standen und sich kritisch mit dem Gedanken von Nation und Volkssouveränität auseinandersetzten. Bei diesen Autoren handelt es sich um Victor AndrianWehrburg – Österreich und dessen Zukunft (Hamburg, 1843) und Zentralisation und Dezentralisation in Österreich (Wien, 1850) – sowie um den ungarischen Baron von Eötvös – Über die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Österreich (Pest 1850), Der Einfluss der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat (Wien 1851) und Die Garantien der Macht und Einheit Österreichs (Leipzig, 1859 (3. Ausgabe)). Insbesondere Joszef Eötvös untersucht das nationale Prinzip als „Willen zum radikalen, die Wurzel bloßlegenden psychologischen Verständnis der politischen Mächte“ und setzt sie ins Verhältnis zu den anderen „Bauprinzipien Europas“, sprich jenen des Reiches. Er analysiert das Nationalprinzip also in seiner existenziellen Dimension: „Das Nationalgefühl ist ein schwer zu fassender, unwiderstehlicher Drang des Inneren, dessen inhaltliche Bestimmung […] aus den einer höheren menschlichen Allgemeinheitsstufe angehörenden seelischen Bedürfnissen nach gefühlsmäßiger Ausweitung der Person durch das Erlebnis der Zugehörigkeit zu einem Kollektivum“50. Dieses sogenannte Nationalgefühl kristallisiert sich in einem Punkt, in dem sich „nationale Erlebnisse“ begegnen, als „affektuelle Neigung zum Eigentümlichen des Volkes, Erlebnis der Werthaftigkeit der nur einmal und nur durch dieses 49 50

„Die besondere Funktion eines Herrschers ist die Schöpfung dieser Idee und ihre Verwirklichung in der Geschichte“, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 62. Voegelin, Der Autoritäre Staat, S. 57.

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Volk zu realisierenden menschlichen Gehalte, Erlebnis der Berufung und Sendung, das mythische Bewusstsein künftiger Größe und künftigen Glanzes […}“51 All dies hat ein alleiniges Herz und Ziel, die „Grundlage aller nationellen Bestrebungen ist das Gefühl höherer Begabung, ihr Zweck ist Herrschaft“.52 Wenn das nationale Prinzip mit der politischen Schaffung eines souveränen Volkes und der Demokratie verbunden wird, also mit dem Modell, das aus der Französischen Revolution hervorgegangen ist, dann tritt für Eötvös das emotionale Element in den Vordergrund und bewirkt eine Veränderung: Von den Prinzipien der „Staatsführung“ (Reich) zu jenen der „politischen Überzeugungen, Meinungen, Gesinnungen, Weltanschauungen“, die ausmachen, was Eövtös als „eine zweite Religion“ definiert. Damit, so Voegelin, habe Eötvös „damals schon schlicht herausgesagt …, was heute [wir sprechen von 1936] in der konsequenten Weiterentwicklung der Anfänge für jeden sichtbar aufbricht“53. Dies bedeute, dass die Entstehung der modernen Nation „weniger wichtig als politisches Phänomen ist, denn als Ereignis im theogonischen Prozess. Neue Götter erheben sich im Kampf mit den alten, neue Quellen religiöser Extase brechen auf, neue Gefühlsmächte wirken, untemperiert noch durch Reflexion und Ratio, mit der Unerbittlichkeit der geistigen Blindheit“54. Zwei Jahre später wird Voegelin diese Themen in den Politischen Religionen entwickeln. Für den Baron von Eötvös liegt auf der Hand, dass sein Kaiserreich die Alternative zur Volkssouveränität darstellt. Das Kaiserreich ermöglicht die Verbindung von nationalem Prinzip und Regierungsfähigkeit. Denn Adel und Klerus konnten sich auf Institutionen stützen, die bekanntermaßen supranational waren, trotzdem aber das Vertrauen ihrer jeweiligen Landsmannschaft genossen.55 5.

Der Untergang des Volkes als Souverän und die Herausforderungen des Westens

Die Rekonstruktion des historischen Kontextes, der die Idee des „Volkes“ im Rahmen des österreichischen Imperiums entspringt, und das von Voegelin nur gestreifte Thema „Regierung“, erlauben uns nun die Rückkehr zur 51 52 53 54 55

Ebd., S. 58. Ebd., S. 58. Ebd., S. 65. Ebd., S. 66. Ebd., S. 61.

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repräsentativen Demokratie. Sie hat, wie wir gesehen haben, das „Volk“ zur Voraussetzung, das aber, wie jedes andere Kollektiv, im Zeitalter des Internets zu verschwinden droht. Müssen also repräsentative demokratische Institutionen, die auf der Idee der Volkssouveränität beruhen (also Repräsentation im elementaren Sinne) und die durch die Idee von Volk und Nation konstituierte „existenzielle“ Repräsentation so eng miteinander verbunden sein, dass sie entweder gemeinsam bestehen oder scheitern? „Simul stabunt simul cedent“? Welche Perspektiven eröffnen sich in einer globalisierten Gesellschaft, in der repräsentative Institutionen und nationale Souveränität nicht mehr im Zentrum politischer Entscheidungen stehen? Sieht Voegelin in der Reichsidee noch irgendeine Bedeutung für ein politisches und nicht-nationales Staatsgebilde? Die Reichsidee ist in vielerlei Hinsicht interessant und verdient eine spezifische Analyse: Die Kritik an Kelsens Theorie hat die Realität des Habsburgerreichs zum Hintergrund, auf die sich Voegelins Interesse von Anfang an und in mehreren seiner Werke konzentriert.56 In ihren theologisch-politischen Aspekten behandelt er die Reichsidee in einem Absatz der Neuen Wisenschaft der Politik über das mongolische Reich von Kuyuk Kahn. Weiter spielt das Reichsmodell eine Rolle bei der Entwicklung der ökumenischen Idee, der wir im vierten Band von Order and History mit dem Titel Ecumenic Age begegnen. Die Beziehung zwischen Reichsidee und Christentum hat ihren Ausdruck historisch im „Heiligen Römischen Reich“ gefunden. Die Reichsidee findet sich also vielfach in Voegelins Werk. In unserem Zusammenhang ist ein Vortrag von besonderem Interesse, den Voegelin am 9. Juni 1959 im Amerikahaus in München gehalten hat und auf den ich zum Abschluss noch kurz eingehen möchte. Der Titel dieses Vortrags lautete „Die geistige und politische Zukunft der westlichen Welt.“ Voegelin fragt sich dort, wie Machtstrukturen in einer – wie wir heute sagen würden – „globalisierten“ Epoche überleben können. Wenn wir die in der Neuen Wissenschaft ausgearbeiteten Kategorien verwenden, richtet sich die Analyse hier auf die „existentielle“ Ebene. Er spricht von der Epoche der „Industriegesellschaft“, in der die Produktivität und die Wirtschaftsversorgung durch die moderne Technologie aufgrund der modernen Naturwissenschaft bestimmt ist. Mit der Industriegesellschaft fand eine Weltrevolution statt, die das Modell der westlichen Zivilisation, das nur im materiellen Sinne verstanden wurde, auf den gesamten Globus ausdehnte. Es liegt auf der Hand, dass diese neue Realität des „materiellen Wohlstands“ mit dem technologischen Fortschritt, 56

Eric Voegelin hat das Thema „Imperium“ schon im Wiener „Geistkreis“ referiert. Vgl. Friedrich Engel–Janosi, … . ein stolzer Bettler. Erinnerungen aus einer verlorenen Generation, Verlag Styr, 1974, S. 131.

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der steigenden Nachfrage nach Natur- und Energieressourcen und militärischen Herausforderungen zur endgültigen Überwindung der Nationalstaaten geführt hat, die „als Einheiten zu klein“57 sind. Selbst das getrennte Europa und Amerika seien nicht mehr ‚lebensfähig‘. Beide sind Teil eines einzigen Blocks, dem der „westlichen Zivilisation“, dem andere Machtblöcke wie Russland und – von Voegelin erstaunlich weit im Voraus gesehen – China gegenüberstehen. Auf welcher politischen Ordnung soll der „Machtblock“ des Westens beruhen? Dabei schwebt Voegelin tatsächlich ein imperiales Modell vor. Im Westen sieht Voegelin drei konstitutive Formen der Ordnung: die geistliche Autorität – die die Beziehung des Menschen zu Gott betrifft und in der Offenbarung zum Ausdruck kommt – die politische und militärische Macht und die philosophische Tradition. (Römische Machtorganisation, hellenische Philosophie, jüdisch-christliche Religiosität). Diese drei Funktionen findet er in der kaiserlichen Tradition. Für die erste (geistliche Autorität) hat Gelasius das Modell entworfen, das die Unterscheidung zwischen Auctoritas und Potestas erklärt. Dem „gelasianischen Prinzip“ zufolge steht der Mensch innerhalb der kaiserlich geordneten Welt und in der päpstlich geordneten Kirche“58. Voegelin erkennt, dass dieser Gegensatz bis in die Neuzeit fortwirkt: „Das Problem besteht heute so wie im 5. Jahrhundert; vierzehnhundert Jahre später sind wir noch immer mit dem Problem der weltlichen und der geistlichen Ordnung befasst.“59 Und so haben auch unsere „globalisierte“ Welt und die westliche Ordnung noch immer die Probleme des spätantiken Imperiums. Für Voegelin muss die Grundlage der abendländischen Ordnung die christliche spirituelle Tradition bleiben, weil sie sich im Widerstand gegen Ideologien am besten bewährt hat, indem sie die Verschmelzung der Sphären von Macht und Religion verhindert. Daraus erwächst ein kulturelles und geistiges Bollwerk gegen jede Art von „politischer Religion“. Der wahre politische Gewinn wurde aus dem Differenzierungsprozess gezogen, der gerade in der soteriologischen Wahrheit des Christentums kulminiert. Die zweite für die westliche Welt konstitutive Form der Ordnung sieht Voegelin in der politischen und militärischen Macht gemäß Justinianus begründet. Nach der Constitutio imperatoria majestas werden dem Kaiser drei Funktionen zugeschrieben: die militärische, die geistliche und die der Gerechtigkeit, die der Kaiser achten muss („religiosissimus iuris“). Wir sprechen hierbei nicht 57 58 59

Voegelin, Geistige und politische Zukunft der westlichen Welt, Occasional Papers Eric Voegelin Archiv, Bd. I, Ludwig-Maximilians-Universität München, 1996. S. 15. Ebd., S. 22. Ebd., S. 24.

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von „positivem“, d.h. verfassungsmäßigem Recht, sondern von einem Recht mit philosophischen Wurzeln. „Der Kaiser“, schreibt Voegelin, „muss also, um gerecht zu sein, nicht nur ein Produzent von positivem Recht sein – das ja auch sehr ungerecht sein könnte –, sondern muss in dieses positive Recht einen Gerechtigkeitsgehalt einarbeiten, der durch das Verstehen einer gerechten Ordnung unter Menschen gegeben wird – jetzt als Weltordnung von Menschen verstanden.“60 Diese Funktion der politischen Macht, die dem Kaiser vorbehalten ist, wird in der angelsächsischen Tradition vom „civil government“ ausgeübt und bezieht demokratische Institutionen ein. Dieser Wandel hat sich experimentell bewährt. Voegelin nennt diese Zivilverwaltung „… ein Regime, das sich von der Kirche getrennt hat, aber in seiner Regimepraxis die christliche Persönlichkeit anerkennt und sich so verhält, dass die Persönlichkeit geachtet und geschützt wird. Diese Art von Zivilregime, wenn sie dann gleichzeitig auch noch mit den Formen der Demokratie im institutionellen Sinne verbunden ist – also mit allgemeinem, freiem und gleichem Wahlrecht, mit regelmäßigem Wechsel der Regenten oder zumindest mit der Gelegenheit, sie durch Wahlakte zu wechseln, usw. – das ist das, was man heute „Demokratie“ nennt“61. Man beachte, dass Voegelin in der Neuen Wissenschaft der Politik Bezug auf dieses politische Modell nimmt und dabei die meisterhafte dialektische Prägnanz der Definition von Lincoln für die „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“62 hervorhebt. Das Volk ist dabei nicht Nation, sondern „die artikulierte politische Gesellschaft, ihre Repräsentanten und die Gesamtheit ihrer Glieder, die durch die Handlungen des Repräsentanten gebunden ist“. Voegelin sieht hier das Individuum als „vertretbare Einheit“63 und als Charakteristikum der „westlichen Gesellschaft“. Hier tritt keine Zivilgesellschaft in Erscheinung, sondern eine politische, deren Konzeption wir bei Hauriou wiederfinden und die Maritain in seinen 1951 unter dem Titel L’Homme et l’Etat veröffentlichten Walgreen lectures unter Bezug auf das besagte Lincoln-Zitat entwickelt hat64. Maritain unterscheidet wohlweislich genau zwischen Nation und politischer Gesellschaft, die nicht von Normen einer höheren Instanz geführt wird, sondern gwissermaßen von unten, nämlich vom „droit coutumier“, einem Begriff, den Maritain von Hauriou übernimmt. Dieses Recht durchdringt die Artikulationen der Gesellschaft und 60 61 62 63 64

Ebd., S. 26. Ebd., S. 36. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 55. Ebd. J. Maritain, L’Homme et l’Etat, Paris: Presse Universitaire de France, 1953, S. 24.

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wird in der klassischen Tradition, auf die sich auch Voegelin in Die geistige und politische Zukunft der westlichen Welt bezieht, als ars boni et aequi interpretiert. Neben dem Recht steht die elementare (konstitutionelle) Repräsentation als eine spezialisierte Funktion der politischen Gesellschaft gegenüber. Um die westliche politische Ordnung zu schaffen, bedarf es deshalb der griechischen Philosophie. Voegelin schreibt dazu: „Der Inhalt des römischen Rechtes wird auf die aristotelische Ethik zurückgeführt und seine philosophische Fundierung damit in der aristotelischen Philosophie gesucht.“65 Die Überlegungen zur Gerechtigkeit stammen aus der philosophischen Tradition, die die „dritte Säule“ der künftigen politischen Ordnung darstellt. Die drei idealtypisch getrennten Formen der Ordnung und Ordnungsgaranten gerieten mit der Entstehung der Nation in die Krise, weil sie sowohl den Kaiser als auch den Papst abgeschafft und gleichzeitig die Philosophie durch die Wissenschaft ersetzt hat. Wir haben schon bemerkt, wie die Machtbestätigung der Nation auf das Rechtsverständnis gewirkt hat. Voegelin ist davon überzeugt, dass die drei genannten konstitutiven Formen der Ordnung, die die kaiserliche Tradition kennzeichnen, getrennt bleiben müssen. Wenn die Philosophie in den Bereich der Offenbarung eindringt, wird sie zur Ideologie; wenn die Macht in den geistigen Bereich eindringt, wird sie totalitär. Die Spuren des Imperiums sind zugleich also auch die Wurzeln der westlichen Zivilisation. Sie wieder zu entdecken beziehungsweise wieder herzustellen sieht Voegelin als Aufgabe des Westens in einer globalisierten Welt.

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Ebd., S. 26.

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Part II Voegelin’s Intellectual Environment

Etappen auf dem Weg von einer positivistischen Staatslehre zur „Grundlegung“ einer Staatslehre als Geisteswissenschaft Eric Voegelins New Science of Politics in zeitlicher Perspektive Peter J. Opitz Abstract The following article reconstructs the development of Eric Voegelin’s early work. The analysis begins with Voegelin’s work on a Theory of the State in the early 1930s, continues with the treatise on Political Religions from 1938, and extends to the publication of the New Science of Politics in 1952. The project of a theory of the state as a science of the spirit is considered, as is the role of political myth and the emergence of a systematic philosophy of history. The contribution is intended to clarify the lines of connection between Voegelin’s early works and thus also to show how Voegelin’s thought developed step by step in the direction that we know today primarily through his major works.

Keywords Political Science, Myth, Plato, Truth, Schelling, Philosophy of History

Das Verständnis des Werkes von Eric Voegelin leidet noch immer an einem Problem, das es mit zahlreichen anderen philosophischen Texten teilt: dass nur selten versucht wird, seine einzelnen Teile und Texte in die größeren Zusammenhänge zu integrieren, in denen sie stehen und aus denen sie erwuchsen. Statt das Gesamtwerk als geistiges Kontinuum zu lesen – gewissermaßen als „work in progress“ –, neigt man dazu, sich auf einzelne Texte und Werksblöcke zu konzentrieren und diese isoliert voneinander zu betrachten. Das gilt für die History of Political Ideas (= History), ebenso wie für Order and History, aber es gilt auch für die Politischen Religionen und für die New Science of Politics (= New Science). Um Letztere geht es im Folgenden. Für die Isolierung gerade dieses Textes gibt es natürlich Gründe. So lag bei ihrem Erscheinen die letzte Buchpublikation Voegelins Der autoritäre Staat. Ein Versuch über das

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_007

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Peter J. Opitz

österreichische Staatsproblem von 1936 gut anderthalb Jahrzehnte zurück und betraf zudem eine Problematik, die inzwischen niemanden mehr interessierte. Vor allem nicht in den USA. Die Rezeption der großen History, an der Voegelin zwischen 1940 und 1952 gearbeitet hatte, litt darunter, da sie erst posthum, Ende der 1990er Jahre erschien – sieht man von Vorveröffentlichungen einzelner Kapitel ab. Das zeigt, zwischen dem Autoritären Staat und der New Science klafft eine gewaltige zeitliche Lücke, und eine Verbindung zu den noch früheren Texten Voegelins, etwa zu den beiden Rassebüchern von 1933 und über diese hinauszuziehen, war noch schwerer. Inzwischen haben die Forschungen der vergangenen Jahre die Nebel ein wenig gelüftet und bislang übersehene oder vernachlässigte Zusammenhänge sichtbar gemacht. Hinsichtlich der New Science wurde dabei immer deutlicher, dass diese auch so etwas wie die Zwischenbilanz eines Reflektionsprozesses bildet, der schon in der ersten Hälfte der 1920er Jahre in Reaktion auf die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre eingesetzt hatte.1 Hinweise für diese These finden sich in einer der wichtigsten Korrespondenzen Voegelins, die mit dem österreichischen Historiker Friedrich Engel-Janosi, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verband.2 Wie Voegelin, so war auch Engel-Janosi in die USA emigriert, und in ihrem Briefwechsel ging Voegelin immer wieder auf die Arbeiten ein, die ihn gerade beschäftigten – so auch auf seine Walgreen Lectures im Winter 1951 an der University of Chicago, deren schriftliche Fassung 1952 unter dem Titel The New Science of Politics als Buch erscheinen sollte: „Es wird ein Buch von ca. 150 Seiten. Der Gegenstand ist ‚On Representation‘. Und ich plage mich sehr damit, um es so gut wie möglich zu machen, weil es meine erste systematische Arbeit über politische Theorie ist, seit ich meinen Versuch ein ‚System der Staatslehre‘ zu fabrizieren, so um 1930 herum aufgegeben habe. Und wie Sie wissen, die kompliziertesten Probleme ergeben sich immer erst bei Gelegenheit der Durcharbeitung im Detail. Immerhin, zwei Drittel ist fertig, und der Rest so im Umriss geplant. Wie Sie sich wohl denken können, wird es natürlich wesentlich eine Geschichtsphilosophie sein“.3

1 Ein guter Überblick über diese Debatte sowie Hinweise auf weiterführende Literatur finden sich bei Michael Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938), in: Occasional Papers (OP) XXXVI, München: Eric-Voegelin-Archiv, April 2003, überarb. Aufl., Januar 2005. 2 Siehe dazu Friedrich Engel-Janosi, … aber ein stolzer Bettler. Erinnerungen aus einer verlorenen Generation, Verlag Styr, 1974. 3 Brief vom 20. November 1950 von Voegelin an Friedrich Engel-Janosi (Hervorh. PJO). Sofern nicht anders zitiert, finden sich die Korrespondenzen in den Eric Voegelin Papers (EVP) der

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Nur wenige Monate später heißt es dann in einem weiteren Brief: „Ich habe Ihnen nichts Näheres über die ganze Sache geschrieben, solange ich noch in der Arbeit steckte, aber jetzt da es fertig ist, glaube ich, daß eine anständige, systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im platonischen Sinn (die eine Geschichtsphilosophie einbezieht) daraus geworden ist.“4

Mehrere Punkte fallen hier auf: Da ist zum einen der weite zeitliche Bogen, den Voegelin selbst von der New Science zurück zu einem Staatslehre-Projekt Anfang der 1930er Jahre schlägt; da ist zum anderen die Tatsache, dass er beide Projekte als „Staatswissenschaft“ bezeichnet; und da ist schließlich die Betonung ihres „systematischen“ Charakters, die wohl auch impliziert, dass viele der Arbeiten, die dazwischen lagen, nicht bzw. noch nicht „systematisch“ waren und damit noch nicht den Reifegrad erreicht hatten, den Voegelin anstrebte. Das galt auch für die History of Political Ideas. Und schließlich ist den beiden Projekten, wie sich zeigen wird, noch etwas Anderes gemeinsam: Es geht in beiden um eine „Grundlegung“. Dass es im Verlauf dieses zwei Jahrzehnte überbrückenden Arbeitsprozesses zu wesentlichen Veränderungen kam – zum Fortfall früherer Sachkomplexe auf der einen Seite und zur Anreicherung durch eine Geschichtsphilosophie auf der anderen, vor allem aber zum Wechsel theoretischer Positionen unter Einbeziehung gewaltiger Mengen empirischen Materials ist evident. Dass all diese Veränderungen wesentlich dazu beitrugen, die gemeinsame ursprüngliche Zielsetzung zu verdecken, bedarf nicht der Erwähnung. Ungeachtet dessen liegt es nahe, diesen weit mehr als zwei Jahrzehnte überbrückenden Prozess als eine Einheit zu betrachten und zugleich als eine grundlegende erste Phase im Entwicklungsprozess der politischen Philosophie Voegelins. Der Schwerpunkt der folgenden Darstellung liegt daher auch nicht auf einer Analyse der New Science of Politics – hierzu beziehe ich mich weitgehend auf frühere Untersuchungen5 –, als auf der Erhellung der übergreifenden werksgeschichtlichen Zusammenhänge. Im Blickpunkt stehen dabei besonders jene Zusammenhänge, die bis in die frühen 1920er Jahre zurückreichen. Dass diese in der Forschung bislang eher im Schatten standen, ist nicht zuletzt eine Folge Hoover Institution der Stanford University, Palo Alto, CA. Siehe auch den Brief Voegelins vom 2. Januar 1951 an Alfred Schütz, in: Schütz/Voegelin Briefwechsel, S. 380. 4 Brief vom 29. März 1951 von Voegelin an Engel-Janosi. 5 Insbesondere Peter J. Opitz, Eric Voegelin The New Science of Politics Revisited. Studien zur Werksgeschichte und Argumentationsstruktur eines Klassikers der politischen Theorie. Voegeliniana-Occasional Papers (VOP) No. 106, München: Eric-Voegelin-Zentrum für Politik, Kultur und Religion an der LMU, Februar 2020.

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der schlechten Quellenlage. Obwohl sich an ihr wenig geändert hat, erschien es doch sinnvoll, auf diese Zusammenhänge der New Science mit dem Frühwerk aufmerksam zu machen – zugleich damit aber auch auf einen weiter bestehenden Forschungsbedarf. 1.

Frühe Aufbrüche

Eric Voegelin wurde 1922 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Wien zum Doktor der Staatswissenschaften (Dr. rerum politicarum) promoviert; der Titel seiner von Othmar Spann und Hans Kelsen betreuten Arbeit lautete „Wechselwirkung und Entzweiung“. 1923–24, gleich im Anschluss an einem Studienaufenthalt an der Humboldt-Universität in Berlin, wurde Voegelin wissenschaftlicher Assistent an der Lehrkanzel für Öffentliches Recht bei Hans Kelsen – eine Stelle, die er 1927–29, nach seiner Rückkehr von einem Forschungsaufenthalt in den USA und Frankreich erneut antrat. 1928, nach seiner Habilitation, wurde Voegelin Dozent für Gesellschaftslehre an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und war dort seitdem als Privatdozent für Verfassungs- und Verwaltungsrecht tätig. Zudem hatte er zunächst bei Kelsen und – nach dessen Weggang nach Köln 1930 – bei Adolf Merkl eine Stelle inne. Da die von Voegelin angestrebte Venia für das Fach Allgemeine Staatslehre aufgrund unzureichender Veröffentlichungen in diesem Bereich zunächst scheiterte, konzentrierte er sich darauf, die fehlenden Publikationen nachzuholen – und zu diesen gehörte vor allem das eingangs von ihm erwähnte Projekt einer systematischen Staatslehre. Diese ist auch der Hintergrund eines Briefes Voegelins vom 19. Juli 1931 an John V. Van Sickle, Vertreter der Rockefeller Foundation in Wien, um Gewährung eines Stipendiums. In ihm heißt es nach einigen einführenden Bemerkungen zu seinem wissenschaftlichen Werdegang und seiner derzeitigen Tätigkeit: „Concerning my scientific work you will be best informed by giving a glance to the list of publications I have attached to this letter. At present I am working on my Principles of Government, more intensively since two years, the plans however going back till 1922; I have collected practically all the material required, and already completed certain parts of it; one chapter has been published already (it figures under the number 22 in the list of publications). The purpose of this book is the following: the only German ‚Staatslehre‘ as yet is that of Jellinek (1904), still living in the tradition of Hegel, and collecting a series of essays on the traditional topics of this science without any systematic foundation; the Staatslehre of Kelsen (1925) contains only a theory of Law. It is my intention to rearrange and reformulate the whole science of Government in terms of the results of modern philosophy (Husserl, Heidegger, Jaspers in Germany, Dewey in America, Bergson in France), and to make the system extend from the philosophic basis to the

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details of technical constitutional law. There are marked signs in Germany that a work of this sort would be very successful as it is badly needed; attempts in this direction have been made by men like Carl Schmitt (see #23 in my list), but they failed, because they had not the general and broad philosophic as well as historical knowledge required for such an enterprise. The three parts of my book will be: 1) Herrschaftslehre, 2) Rechtslehre, 3) Die technischen Probleme des Verfassungsrechts.“6

Bei dem Titel „Principles of Government“ bezog sich Voegelin auf eine Veranstaltung, die er im Wintersemester 1931/32 an der Wiener Universität unter dem Titel „Prinzipien der Staatslehre“ angeboten hatte; er wird den schon hier anklingenden systematischen Charakter des geplanten Projekts ein wenig später in dem Buch Rasse und Staat durch die Bezeichnung „System der Staatslehre“ weiter betonen. Es handelt sich dabei um jenes Projekt, auf das er 1950/51 in seiner Korrespondenz mit Engel-Janosi Bezug nehmen wird. Ausweislich jenes oben zitierten Briefes an Van Sickle begann die Arbeit Voegelins an einer Staatslehre allerdings nicht erst Ende der 1920er Jahre, sondern schon zu deren Beginn – im Jahre 1922. Vermutlich bezog er sich bei dieser Datierung auf Vorarbeiten zu einem umfangreichen Artikel, den er 1924 unter dem Titel „Reine Rechtslehre und Staatslehre“ in der von Hans Kelsen herausgegebenen Zeitschrift für öffentliches Recht veröffentlicht hatte.7 In ihm hatte er rückblickend den Dekonstruktionsprozess der traditionellen deutschen Staatslehre skizziert und sich schließlich kritisch mit der Reinen Rechtslehre Kelsens auseinandergesetzt, in der er den Höhepunkt jenes Prozesses sah. Dessen Allgemeine Staatslehre sei – so Voegelin – von dem Gedanken getragen, dass Staatslehre primär Rechtslehre sei und dass es deshalb darum gehe, die Rechtswissenschaft als reine Normwissenschaft zu entwickeln und alles, was nicht positiver Rechtsinhalt ist, aus ihr zu entfernen – die „Staatsideen“ ebenso wie die Begründung der Rechtsinhalte.8 Am Ende seiner Kritik hatte Voegelin den Punkt markiert, an dem – wie es heißt – „der Aufstieg zu 6 Brief vom 19. Juni 1931 von Voegelin an John V. Van Sickle (Hervorh. PJO), in: RockefellerFoundation, Record Group-12.1 Series – Van Sickle Diaries, Box-64. Vol. 1931, June 3/7, Vienna. 7 Erich Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, IV, Bd.  1. und 2. Heft, Wien/Leipzig 1924, S.  80–131 (Hervorh. PJO). Siehe dazu auch Dietmar Herz, Das Ideal einer objektiven Wissenschaft von Recht und Staat. Zur Kritik Eric Voegelins an Hans Kelsen, OP III, München: Eric-Voegelin-Archiv, März ²2002. Eine knappe Zusammenfassung der Argumentation Voegelins findet sich in Henkel, „Positivismuskritik und autoritärer Staat“ (siehe Anm. 1). 8 Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. Entwickelt an der Lehre vom Rechtssatz, 1911; Neudruck der 2. Aufl. Aalen 1960; ders. Allgemeine Staatslehre, 1925; Nachdruck Wien 1993. Zu Kelsen siehe Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl. Baden-Baden 1990.

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einer Rekonstruktion der vollständigen Wissenschaft vom Staat“ (Hervorh. PJO) beginnen könne und dazu programmatisch ausgeführt: „Sie baut sich auf in den Lehren von den Elementen, welche die staatliche Gemeinschaft, oder kurz den Staat, fundieren, und jenen anderen, welche die Symbole fundieren; ferner in der Theorie der Symbole: ihrer Intensitätsdifferenzen, ihrer Verknüpfungs- und Überschiebungsmöglichkeiten  … und schließlich der Lehre von den Ideen, die einander korrelativ ergänzen und in ihrem Verein die oberste [bedingende] Form des Staates sind. Mit dieser letzten Verankerung der Staatslehre in der Ideenlehre ist der Punkt erreicht, von dem die Theorien anderer Kulturobjektivationen ausgehen können; neben die Lehre von der Idee des Staates kann die Lehre von der Idee der Kunst, der Sprache, der Religion, der Wirtschaft treten und in der Aufweisung der Zusammenhänge dieser Ideen stehen wir auf der obersten systematischen Stufe eines Systems der Gesellschaftsphilosophie; unmittelbar an diese Stufe reicht der Bau der hier entworfenen Staatslehre heran.“9

Es dürfte viele Gründe gegeben haben, warum der junge Voegelin dieses Projekt nicht gleich in Angriff nahm. Einer war, dass er sich unmittelbar vor der Abreise zu einem dreijährigen Studienaufenthalt in die USA und nach Frankreich befand und sich 1927 nach seiner Rückkehr nach Wien um die Fertigstellung seiner Habilitationsschrift kümmern musste. Doch schon bald, nach erfolgreicher Habilitation und der Vorbereitung auf eine Universitätskarriere, nahm er das 1924 angesprochene Projekt einer systematisch angelegten, umfassenden Staatslehre wieder auf. Und spätestens jetzt wird deutlich, worum es dabei ging: um eine geisteswissenschaftliche Fundierung der Staatslehre. Darauf verwies schon der Titel eines Projekts, das er vermutlich schon nach der Habilitation entworfen, allerdings nie realisiert hatte, sondern von dem wir lediglich aus einigen im Nachlass erhaltenen Fragmenten wissen. Es trug den Titel „Staatslehre als Geisteswissenschaft“ und verwies gleich in seiner Einleitung auf die Wendung der deutschen Staatslehre zu einer Geisteswissenschaft, wobei sich Voegelin u.a. auf Georg Simmel, Hans Freyer, Erich Kaufmann, Hermann Heller, Rudolf Smend und Carl Schmitt bezog. Zum Titel des Projekts heißt es abschließend, er deute „den systematischen Versuch einer geisteswissenschaftlichen Grundlegung der Staatslehre an, die es bisher weder in der Sache noch in dieser Formulierung und Weite der Problemstellung gibt.“10 Wir wissen nicht, warum es nicht zur Realisierung dieses Projekts kam. Möglicherweise fand Voegelin keinen Verlag dafür, vielleicht schien es ihm 9 10

Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, S. 131. Der Text des Fragments findet sich in Peter  J.  Opitz, Fragmente eines Torsos. Werksgeschichtliche Studien zu Eric Voegelins „Staatslehre“ und ihrer Stellung im Gesamtwerk, VOP No. 74, München, 2. überarb. Aufl. November 2009, S. 109–112 (Hervorh. PJO).

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aber noch nicht ausgereift, vor allem noch nicht systematisch genug angelegt, hatte er doch auch hier den „systematischen“ Charakter betont. Doch wie auch immer: Kurz darauf finden wir ihn jedenfalls bei der Arbeit an jenem Folgeprojekt, von dem er im Juli 1931 unter dem englischen Titel Principles of Government Van Sickle berichtete, das er aber schon bald darauf in „System der Staatslehre“ umtaufte. Im Vergleich zum früheren Projekt macht es nicht nur einen erheblich gereifteren Eindruck. So hatte sich der Schwerpunkt nun deutlich auf die „philosophische Basis“ verlagert, zu der auf mehrere moderne Philosophen Bezug genommen wurde, ohne dass deutlich wurde, wofür diese im Einzelnen standen. Und noch etwas fällt auf: Obwohl der Schwerpunkt auf der „philosophischen Basis“ liegen sollte, wurde nicht recht deutlich, welcher der drei Teile diese Basis bildete. Da sie kaum dem Schlussteil über die technischen Probleme des Verfassungsrechts zugeordnet werden konnte, musste sie die Grundlage der ihnen vorgeordneten „Herrschaftslehre“ und „Rechtslehre“ bilden. Das wiederum lässt sich aber nur schwer mit den von Voegelin angeführten Philosophen verbinden. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Voegelin selbst noch nicht darüber im Klaren war – der Rockefeller Foundation aber eine solche Klarheit vorspiegeln wollte. Für diese Vermutung spricht auch die weitere Entwicklung des Projekts, von der wir allerdings nur durch gelegentliche spätere Erwähnungen Voegelins wissen. So findet sich ein relativ detaillierter Bericht dazu im Spätherbst 1949, in einer Bewerbung um finanzielle Unterstützung einer Forschungsreise nach Europa, in dem es heißt: „The work in which I am engaged concerns a systematic theory of politics. Range and nature of this work have been forming during the last twenty years. Hence, I shall first give an account of the genesis of the work up to the present. The beginnings of the work go back to the late 20’s. After I had finished the study on the ‚American Mind‘ (see Bibliography no.) I planned to write a systematic theory of politics. Of this plan were executed a ‚Theory of Law‘ and a ‚Theory of Power‘. When it came to the treatment of the ‚Political Myth‘ it turned out that the existing theories of the myth were inadequate, and that I was unable to develop a tenable theory of my own because my philosophical training as well as my historical knowledge were insufficient. The project had to be abandoned for the time being. It was then that I began seriously to study the problem of the myth and the historical processes in which political ideas grow, become socially effective, and loose the effectiveness to be replaced by new ones. The first result were the two volumes on the race idea, published in 1933 (see Bibliography nos. 2 and 3). By 1938 I had advanced the systematic problem sufficiently to publish the brief account of it under the title Political Religions (see Bibliography nos. 5 and 6).“11

11

Der Text findet sich im Antrag Voegelins an die Guggenheim Foundation um ein Forschungsstipendium vom 8. Oktober 1949 (Hervorh. PJO).

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Der Rückblick Voegelins ist in verschiedener Hinsicht erhellend. Der in unserem Zusammenhang wichtigste Punkt ist, dass es sich auch bei dem Projekt, dem nun auch die geplante Europareise im weitesten Sinne zugeordnet war, um eine „systematische Theorie der Politik“ handelte und dass Voegelin die Anfänge dieser Arbeit auf das Ende der 1920er Jahre datierte. Das ist genau der Zeitpunkt, an dem seine Arbeit an den „Principles of Government“ bzw. eines „Systems der Staatslehre“ eingesetzt hatte. Dass es sich tatsächlich um Letztere handelt, bestätigt der Bericht über den Arbeitsverlauf, d.h. über die Fertigstellung der Herrschaftslehre und der Rechtslehre12, die, wie hier deutlich wird, wohl doch nicht – oder nur unzureichend – die angestrebte „philosophische Grundlage“ des Projekts enthielten. Doch nun erfolgt eine interessante Abweichung von der Projektbeschreibung, die Voegelin zuvor Van Sickle gegeben hatte. Nun ist nicht mehr von den technischen Problemen einer Verfassungslehre die Rede, die das Projekt hatte abschließen sollen, sondern von der Behandlung des „politischen Mythos“, an der er, wie er zugab, scheiterte, weil er die dazu vorhandenen Theorien für inadäquat hielt, sich aufgrund unzureichender eigener philosophischer und historischer Kompetenz aber nicht in der Lage sah, selbst eine solche Theorie zu entwerfen. Das war offenbar erst einige Jahre später, 1938, in den Politischen Religionen der Fall, was wiederum Licht auf die Bedeutung dieses Textes wirft. Mit welchen Mythentheorien er sich beschäftigt hatte, bleibt leider unerwähnt. Ungeklärt bleibt außerdem, was er unter einem „politischen Mythos“ verstand und wie er auf den Gedanken kam, dass eine Theorie des politischen Mythos Teil – und wohl auch Fundament – einer systematischen politischen Theorie sein müsse. Dagegen hören wir mehr über den weiteren Verlauf. Denn obwohl Voegelin die Arbeit am „System der Staatslehre“ zunächst einstellte – „abandoned for the time being“, wie es heißt –, gingen die Arbeiten am Problem des „Mythos“ und der „politischen Ideen“, sowie an den historischen Prozessen, in denen sie wachsen, sozial wirksam werden und schließlich ihre Wirksamkeit verlieren, weiter. Und noch etwas erfahren wir: dass die Ergebnisse dieser Studien in die beiden Rassebücher von 1933 einfließen – gemeint sind Rasse und Staat (1933) sowie Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Carus bis Ray (1933). Da in unserem Zusammenhang eine Analyse dieser beiden Texte nicht weiterführen würde, können wir uns auf Hinweise in einer Passage in Rasse und Staat 12

Der Text findet sich in Occasional Paper (= OP) LVI. Erich Voegelin, Herrschaftslehre/ Staatslehre als Geisteswissenschaft. Zwei Fragmente. München 2. überarb. Aufl. Juni 2009, S.  59 ff. Zum größeren Hdintergrund siehe auch Peter  J.  Opitz, Fragmente eines Torsos. Werksgeschichtliche Studien zu Eric Voegelins „Staatslehre“ und ihrer Stellung im Gesamtwerk, in VOP, No. 74, München, 2. überarb. Aufl., November 2009.

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beschränken, die im Hinblick auf den politischen Mythos einschlägig sind und uns zugleich einen Schritt weiterführen. Interessanterweise ist es keiner der im Brief an Van Sickle aufgeführten Philosophen, auf den sich Voegelin hier bezieht, sondern der deutsche Philosoph Friedrich Schelling: „Schelling gibt die für den Realaufbau der Gemeinschaft und die Methode der Untersuchung entscheidend wichtige Antwort: der Mythus entstehe überhaupt nicht aus oder unter einem Volk, sondern umgekehrt entstehe das Volk aus seinem Mythus. Seinsgrund und Einheit eines Volkes sei der Mythus. Ein Volk sei nicht gegeben durch die räumliche Koexistenz einer Gruppe von Individuen; es werde auch nicht bloß zusammengehalten durch den gemeinsamen Betrieb von Ackerbau und Handel oder durch die gemeinsame Rechtsordnung, sondern durch die ‚Gemeinschaft des Bewusstseins‘, durch eine ‚gemeinschaftliche Weltansicht‘, eine gemeinsame ‚Mythologie‘. Nicht im Verlauf seiner Geschichte werde einem Volk seine Mythologie gegeben, sondern durch die Mythologie werde seine Geschichte bestimmt; ja der Ausdruck ‚bestimmen‘ drückt Schelling noch zu sehr eine Distanz zwischen Geschichte und Mythologie aus und er formuliert daher, die Mythologie sei die Geschichte selbst, sie sei das Schicksal des Volkes, wie der Charakter eines Menschen sein Schicksal ist, sein ihm ‚gleich anfangs gefallenes Loos‘. Die Mythologie ist das Volksbewußtsein und mit dem Entstehen der Mythologie werden die Völker, lösen sie sich aus dem Zusammenhang der Menschheit.“13

Und nur wenige Seiten weiter heißt es dann: „Die Schellingsche Lehre vom Mythus als dem Seinsgrund der Völker scheint uns die erste tiefe Einsicht in das religiöse Wesen, im weitesten Sinne, aller Gemeinschaftsbildung zu sein. (…) Schelling hat Distanz zu seinem Gegenstand und sieht die Gemeinschaftsbildung objektiv vor sich als theogonischen Prozess. Seine Lehre entwickelt er zwar am Fall der vorchristlichen Mythen, aber sie ist in ihren methodischen Grundsätzen ebenso gültig für die gegenwärtige Gemeinschaftsbildung und beleuchtet hell ihren mythischen Grundzug, aus dem die oben angeführten Einzelzüge herfließen.“14

Die Bedeutung, die Voegelin dem Mythus-Verständnis Schellings zu jener Zeit – und wohl weit darüber hinaus – beimaß, zeigt sich auch darin, dass er sich einige Jahre später, in der Introduction zu seiner History, erneut auf ihn beziehen wird. Bevor wir uns dem nächsten Schritt im Werksrückblick Voegelins zuwenden – seiner im Frühjahr 1938 entstandenen kleinen Studie Die politischen Religionen – sei auf einen anderen Aspekt in Rasse und Staat aufmerksam 13 14

Eric Voegelin, Rasse und Staat. Tübingen: J.C.E. Mohr (Paul Siebeck), 1933, S. 149 f (Hervorh. PJO). Ebd., S. 151 (Hervorh. PJO).

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gemacht, der in enger Beziehung zu der Schellingschen Lehre vom Mythos und dessen „erster tiefen Einsicht in das religiöse Wesen, im weitesten Sinne einer Gemeinschaftsbildung“ steht. Gemeint ist die gleich zu Beginn von Rasse und Staat formulierte und geforderte „Grundidee“ zu einem System der Staatslehre: dass „die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen zu suchen“ und folglich „Probleme der Staatslehre aufgrund einer philosophischen Anthropologie zu formulieren“ seien.15 Und ergänzend dazu: dass im Zentrum dieser „philosophischen Anthropologie“ die „Grunderlebnisse“ des Menschen zu stehen haben. Bei Berücksichtigung dieser Einsichten zeigten sich Voegelin zwei Fehlentwicklungen, von denen die eine die deutsche Staatslehre betraf, die andere das den meisten Rasselehren seiner Zeit zugrundeliegende Menschenbild. Den deutschen Staatslehren seit der Reichsgründung – veranschaulicht an denen von Jellinek und Kelsen – attestiert er, „daß also ihr systematisches Zentrum nicht in den menschlichen Grunderlebnissen, die das Staatsphänomen hervortreiben, liegt, sondern in dem letzten Teil der Staatslehre, der alle anderen Teile (Allgemeine Normlehre, Herrschaftslehre, Lehre von den persönlichen Sphären der Gemeinschaftsglieder, Lehre von den Staatsideen) voraussetzt. Die Grundprobleme werden nicht auf ihrem eigenen Boden behandelt, sondern in ihrer Spiegelung in den positiven Rechtsinhalten, und müssen (sic!) daher schief gesehen werden. Die Aufgabe, ein System der Staatslehre aus der Wesenslehre des Menschen zu entwickeln, ist noch nicht gelöst – sie wird gestellt durch den unanzweifelbaren Grundverhalt, daß der Mensch der Schöpfer des Staates ist.“16

Voegelins Kritik am Stand der philosophischen Anthropologie der Zeit findet sich auch in seiner zur selben Zeit verfassten Schrift Die Rassenidee in der Geistesgeschichte. Dort heißt es: „Das Wissen vom Menschen ist aus den Fugen geraten. Die Unsicherheit des Blicks für das Wesentliche und der Verfall in der handwerklichen Kunst, es denkend zu erfassen, charakterisieren die Rassenlehre unserer Zeit.“17 Zur Letzteren heißt es dann nur wenige Seiten weiter: „Der gegenwärtige Zustand der Rassenlehre ist gegenüber ihrer klassischen Form ein Verfallszustand. Die Urbilder sind aus dem Blick geschwunden und das handwerkliche Können in der Bildung von Begriffen ist verfallen – die Rassenlehre bewegt sich heute mit wenigen Ausnahmen in unechtem Denken über den Menschen.“18 Und nur wenige Seiten weiter: 15 16 17 18

Ebd., S. 2 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 5 und S. 7 (Hervorh. PJO). Erich Voegelin, Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus. Juncker und Dünnhaupt Verlag, Berlin 1933, S. 1. Ebd., S. 17.

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„Werfen wir nun einen Blick auf die Rassenlehre der Gegenwart – wir sehen ein Bild der Zerstörung. Nichts ist von den urbildlichen Gehalten geblieben, und die denkbildlichen, die in so hoffnungsvollen Anfängen waren, wurden nicht weiter gepflegt. Vom Urbild der Materie her soll alles begriffen werden; der materialistische Gesetzesbegriff hat die Geschichte unterdrückt; des Carus große Idee der Wohlgeborenheit des Menschen wurde erniedrigt zum Begriff des eugenen, erbgesunden Leibes  … Geblieben ist von der großen Konzeption die Gewißheit, daß Geist nicht eine blutleere Substanz und daß der Leib nicht ein gleichgültiges Anhängsel der Person ist – aber die Gewißheit wurde gebrochen durch die liberalen und marxistischen Ideen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Was die Rassenlehre, die in diesem Zeitraum wurzelt, mit dem Liberalismus und dem Marxismus verbindet (sic!), ist der Wille, den Staat geschichtslos zu machen, ihn der Masse auszuliefern, die geschichtliche Substanz, den urbildlichen Menschen in seiner gemeinschaftserzeugenden Kraft zu zerstören.“19

Spätestens 1933 hat sich Voegelins Wende zu einer anthropologisch fundierten Staatslehre vollzogen, deren systematisches Zentrum „menschliche Grunderlebnisse“ bilden, zu denen auch religiöse Erfahrungen „im weitesten Sinne“ gehören. Insofern war es nur konsequent, dass in einer 1934 überarbeiteten Fassung seiner Herrschaftslehre ein Kapitel über „die Bestimmung des Personbegriffs“ findet, zu dem er über die Meditationen von Augustinus, Descartes sowie Husserl und Scheler gelangt war. Das Wesen der menschlichen Person wird hier bestimmt „durch ihre Offenheit gegen ein transzendentes Sein, durch seinen Grenzcharakter zwischen der Welt, mit ihrem Sein und Werden, und einer Überwelt. (…) Die Person ist die Erfahrung der Grenze, in der ein Diesseitig-Endliches sich gegen ein Jenseitig-Unendliches absetzt.“20 Voegelin belässt es allerdings nicht bei seinem Befund, dass das Wesen vom Menschen aus den Fugen geraten ist – mit entsprechend desaströsen Konsequenzen für Staat und Staatslehre. Er sieht sich zudem vor die Aufgabe gestellt, das verlorene Wissen wiederherzustellen und gleichzeitig weiterzuentwickeln. So heißt es zum Abschluss seiner Einleitung zur Rassenidee: „Unsere Wendung zur Geschichte der Rassenidee ist also nicht nur als Erweiterung unseres Wissenshorizontes gemeint; sie verfolgt das wissenschaftspraktische Ziel, die urbildlichen und denkbildlichen Grundfragen, die heute aus dem Geschichtskreis verschwunden sind, wieder heraufzuführen, sie neu zu stellen und zur Weiterarbeit an ihnen aufzufordern.“21

19 20 21

Ebd., S. 21 f (Hervorh. PJO). Siehe FN 12 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 23 (Hervorh. PJO).

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Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage nach den Anstößen, die diese Wendung hin zu einer philosophischen Anthropologie ausgelöst hatten. Obwohl derzeit nicht abschließend beantwortbar, finden sich einige Hinweise in einem Brief an den amerikanischen Soziologen Talcott Parsons, dem er 1943 berichtete: „The evolution of social theory has taken in Germany after Weber a significant turn in the movement of the Philosophische Anthropologie, as represented by Scheler (Die Stellung des Menschen im Kosmos), Plessner (Macht und menschliche Natur), Jaspers (Psychologie der Weltanschauungen, Metaphysik), Landsberg (Philosophische Anthropologie), etc. Everybody who had an active mind had the feeling that a new interpretation of man was required which would furnish the conceptual framework for the interpretation of the civilizational materials.“22

Und 1946 heißt es in einem Brief an den Politologen Francis Coker, der im Auftrag des Macmillan Verlags Teilmanuskripte seiner History of Political Ideas begutachtet und sich in seinem Gutachten ein wenig irritiert über Voegelins „fondness for finding mystic, mythical, symbolic implications in political writings“ geäußert hatte: „Of course, I do not deny that this fondness is quite visible throughout the work. But I would plead that it is more than a mere fondness. The principles of interpretation which I use were developed after the breakdown of an attempt to write a systematic theory of politics (around 1930). I had finished the ‚Theory of Law‘ and the ‚Theory of Power‘. Then I found that I could not handle the problem of political ideas in a satisfactory fashion because meanwhile (that is: between 1900 and 1930), there had come into full swing the new monographic literature on the religious implications of political ideas and I simply did not know enough about history of religion and about theology to tackle the problem on the level of scientific standards that had been established by this new literature. If I may do a little self-criticism, I would say, that even today my performance will still lie open to severe criticism on the part of such authorities as Dempf, Przywara, Etienne de Greeff, H.U. von Balthasar, etc. (May I draw your attention, by the way, to Balthasar’s 3 volumes on ‚Apokalypse der deutschen Seele‘; a masterpiece of analysis of ideas.)“23

Weitere wichtige Impulse und Anregungen – bis heute ein Desiderat der Voegelin-Forschung – kamen von katholischen Philosophen wie Jacques 22 23

Brief von Voegelin an Talcott Parsons vom 24. September 1943. Siehe dazu auch Voegelin, Rasse und Staat, S. 8, wo einige dieser Denker mit dem Entstehen einer „Wesenslehre vom Menschen“ in Verbindung gebracht werden. Brief vom 1. Mai 1946 von Voegelin an Francis W. Coker (Hervorh. PJO).

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Maritain, Henri de Lubac und Etienne Gilson. So bemerkte Voegelin 1936 in seinem kleinen Aufsatz Volksbildung, Wissenschaft und Politik, in dem er näher auf den „religiösen Charakter der politischen Weltanschauung“ des Marxismus einging, dass seine eigene „Auffassung von Theorie und Wissenschaft der von Jacques Maritain entwickelten sehr nahe“ sei. Zugleich stellte er die Vorzüge des christlichen Religionssystems und der in diesem entstandenen Form „abendländischer Wissenschaft“ heraus: „Ein Religionssystem vom Typus des christlichen gewährt der Wissenschaft nicht nur einen größeren Bewegungsspielraum als die Dämonologien des 19. Jahrhunderts, sondern nur in einem System dieses Typus kann die überlieferte Form der abendländischen Wissenschaft mit ihrer Quelle in der gotteskontemplativen Mystik überhaupt sinnvoll sozial fungieren. […] Die Theorie lenkt den Blick auf die Mannigfaltigkeit der nebeneinander bestehenden Gemeinschaften und kann dadurch der Steigerung des Wertes der eigenen ins Unbedingte vorbeugen; sie führt den Blick über die Stufenordnung des Seins von der Natur zu Gott und kann dadurch von der Vergöttlichung einer der unteren Seinsstufen abhalten.“24

Michael Henkel hat in seiner ebenso klugen wie kenntnisreichen Studie „Positivismuskritik und autoritärer Staat“ mit Blick auf den VolksbildungsAufsatz von 1936 und den im gleichen Jahr erschienenen Autoritären Staat eine „entscheidende Zäsur in Voegelins Entwicklung“ gesehen: von einem bis dahin säkularen Wissenschaftsverständnis, das von der „Immanenzauffassung“ der politischen Welt geprägt war, hin zu einer religiös geprägten Auffassung, und er hat in diesem Zusammenhang von einem „konstitutiven Bruch in der Entwicklung des Voegelinschen Werkes“ gesprochen.25 Das ist nicht falsch – es ist aber auch nicht ganz richtig: Es ist nicht falsch, weil hier tatsächlich so etwas wie eine Veränderung des ursprünglichen Ansatzes Voegelins sichtbar wird – nämlich eine Hinwendung zu einer religiös, spezifisch mystisch geprägten Weltsicht. Es ist jedoch insofern auch nicht ganz richtig, weil Voegelin seinen Ansatz von Beginn an als Wende zu einer Staatslehre als „Geisteswissenschaft“ verstanden hatte, auch wenn er für einen ausgereiften geisteswissenschaftlichen Ansatz selbst noch nicht über das dafür erforderliche philosophische Rüstzeug verfügte. Und zum anderen: Weil die weitgehend ausgereifte anthropologisch zentrierte Form nicht erst 1936 sichtbar wurde, sondern spätestens 1933, wie Voegelin selbst es in seinem Werksbericht bestätigte. 24 25

Erich Voegelin, Volksbildung, Wissenschaft und Politik, in: Monatsschrift für Politik, Kultur und Politik, 1. Jg. (H. 7), Juli 1936, S. 603 (Hervorh. PJO). Michael Henkel, Positivismuskritik und autoritärer Staat, a.a.O.

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Existentielle Dimensionen

Damit können wir uns den Politischen Religionen von 1938 zuwenden. Zu ihnen hatte Voegelin in jenem oben zitierten Bericht an die Guggenheim Foundation bemerkt, bis 1938 das „systematische Problem“ soweit entwickelt zu haben, dass er eine kurze Beschreibung darüber unter dem Titel Die politischen Religionen veröffentlichen konnte. Es ist ein weiterer Beleg für unsere Ausgangsthese, dass auch dieser Text nicht isoliert gesehen werden darf, sondern im Zusammenhang – und als eine Art Zwischenbilanz – jenes größeren Reflektionsprozesses an einer systematischen Staatslehre als Geisteswissenschaft. Angesichts der schon vorliegenden Analysen dieser kleinen Studie können wir uns erneut auf einige zentrale Punkte beschränken und dabei mit jenem Punkt beginnen, auf den der Text letztlich zuläuft: mit dem abschließenden „Epilog“, in dem Voegelin, wie er schreibt, das „Fazit der Erkenntnis“ zieht: „Das Leben der Menschen in politischer Gemeinschaft kann nicht als ein profaner Bezirk abgegrenzt werden, in dem wir es nur mit Fragen der Rechts- und Machtorganisation zu tun haben. Die Gemeinschaft ist auch ein Bereich religiöser Ordnung, und die Erkenntnis eines politischen Zustandes ist in einem entscheidenden Punkt unvollständig, wenn sie nicht die religiösen Kräfte der Gemeinschaft und die Symbole, in denen sie Ausdruck finden, mitumfaßt, oder sie zwar umfaßt, aber nicht als solche erkennt, sondern in a-religiöse Kategorien übersetzt. In der politischen Gemeinschaft lebt der Mensch mit allen Zügen seines Wesens von den leiblichen bis zu den geistigen und religiösen.“ (… .) Immer ist die politische Gemeinschaft in den Zusammenhang des Welt- und Gotterlebens der Menschen eingegliedert, sei es, daß der politische Bereich in der Hierarchie des Seins eine untere Stufe der göttlichen Ordnung einnimmt, sei es, daß er selbst vergöttlicht wird. Immer ist auch die Sprache der Politik durchweht von Erregungen der Religiosität und wird dadurch zur Symbolik in dem prägnanten Sinn der Durchdringung der weltinhaltlichen mit transzendent-göttlicher Erfahrung.“26

Geht man davon aus, dass sich Voegelin hier mit dem Hinweis auf „Fragen der Rechts- und Machtorganisation“ selbstkritisch auf die beiden vorliegenden Teile seines Systems der Staatslehre bezieht, so wird deutlich, dass wir uns mit diesem „Fazit der Erkenntnis“ im Bereich des „politischen Mythos“ befinden. Darüber hinaus überschreitet Voegelin hier auch schon deutlich den Bereich der traditionellen eurozentrischen Staatslehre. Denn, wie es weiter heißt, „die These will allgemein sein und gilt ebenfalls für die politischen Formen des 26

Eric Voegelin, Die politischen Religionen (Wien: Bermann-Fischer 1938). Hrsg. und mit einem Nachwort versehen v. Peter J. Opitz, München: Fink, 3. Aufl. 2007, S. 63 (Hervorh. PJO).

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Ostens.“ Das heißt, sie gilt nicht nur für den Nationalstaat europäischer Prägung, auf den sich seine bisherigen Untersuchungen weitgehend bezogen hatten, sondern für alle Formen politischer Gemeinschaft. Dabei fällt der Begriff „Osten“ keineswegs zufällig. Vielmehr bezog sich Voegelin mit ihm auf die Ergebnisse einer Studie, an der er schon seit zwei Jahren gearbeitet und über deren Thema er 1937/38 sogar schon im Wiener „Geistkreis“ referiert hatte.27 Es handelt sich um eine Studie über die Unterwerfungsbefehle der Mongolenkhane an die westlichen Mächte und das in ihnen enthaltene ökumenische Reichsverständnis. Die Bedeutsamkeit, die Voegelin den Briefen beimaß, zeigt sich nicht nur darin, dass er seine Studie 1941 in englischer Sprache unter dem Titel „The Mongol Orders of Submission to European Powers, 1245–1255“ veröffentlichte, sondern dass er 1966 in Anamnesis auch eine leicht überarbeitete deutsche Fassung unter dem Titel „Der Befehl Gottes“ nachreichte, zu der er bemerkte, dass „die analytischen Teile, die im englischen Original noch sehr unzureichend waren, nun erweitert und auf den neuesten Stand gebracht waren.“28 Während die Studie nun für eine „Theorie des Imperiums“ ausgewertet werden sollte, hatte sie in ihrer ursprünglichen Fassung primär zur Begründung des „allgemeinen“ Charakters der These von den „religiösen Implikationen“ politischer Ideen gedient. Doch damit nicht genug: 1969 findet sie sich als Kapitel in einem Inhaltsverzeichnis des zu jener Zeit noch immer in Arbeit befindlichen vierten Bandes von Order and History.29 Der Hinweis auf die Allgemeinheit dieser These – und damit kommen wir zu einem weiteren Punkt des Textes – lässt erkennen, dass der Begriff des „Religiösen“ hier nicht im engeren Sinne auf das Christentum oder eine der anderen großen Weltreligionen eingeschränkt ist, sondern viel weiter gefasst, was auch erklären mag, dass Voegelin ihn später in dieser Form nicht mehr verwendet hat. Letztlich entwickelt er ihn als Reaktion auf eine menschliche Grunderfahrung: auf die der Kreatürlichkeit des Menschen, auf dessen Kontingenz und aus der daraus resultierenden Suche nach eben dem aller Kreatürlichkeit zugrundeliegenden Seinsgrund. So machte er schon in den Politischen Religionen gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass man den Begriff des „Religiösen“, um ihn angemessen zu erfassen, so erweitern muss, „daß nicht nur die Erlösungsreligionen, sondern auch jene anderen Erscheinungen darunter fallen, die wir in der Staatsentwicklung als religiöse zu erkennen glauben; und wir 27 28 29

Engel-Janosi, … ein stolzer Bettler, S. 128. Das Vortragsverzeichnis, das sich bei Engel-Janosi findet, enthält für 1937/38 den Hinweis: „Voegelin, Mongolenbriefe, Politische Religionen“. In: Byzantion, Boston (Mass.) 1940/41, Bd. XV, S. 378–413. Eric Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie von Geschichte und Politik. München: Piper, 1966, S. 179–222 (hier: S. 10). Siehe dazu CW 30, S. 631 f.

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müssen den Begriff des Staates daraufhin prüfen, ob er wirklich nichts anderes betrifft als weltlich-menschliche Organisationsverhältnisse ohne Beziehung zum Bereich des Religiösen.“30 Und genau diese Erweiterung des Religionsbegriffs erfolgt gleich zu Beginn eines „Religion“ überschriebenen Kapitels. „Der Mensch“, so heißt es hier, „… erlebt seine Existenz als kreatürlich und darum fragwürdig.“31 Was Voegelin hier so pointiert anspricht, ist ganz offensichtlich eines jener „Grunderlebnisse“, von denen er in Rasse und Staat gesprochen hatte. Es ist deswegen auch kaum ein Zufall, dass er sowohl diese Erfahrung menschlicher Kreatürlichkeit gleich zu Beginn der Studie anspricht, wie auch die aus ihr sich ergebenden Konsequenzen für den Einzelnen und für das Staatsgeschehen im Allgemeinen. Beides, das Erlebnis der „Kreatürlichkeit“ und die Erregungen, die es in der menschlichen Seele auslöst, sind zentrale Elemente des Fundaments seiner philosophischen Anthropologie, auf die er in seinen späteren Arbeiten immer wieder zurückkommen wird. Vor allem aber sind sie auch die Quelle der „religiösen Erlebnisse“, lösen sie doch die Suche des Menschen nach dem „Allerwirklichsten“ aus, in dem die beunruhigte und erregte Seele Ruhe findet: „Wo immer ein Wirkliches im religiösen Erlebnis sich als ein Heiliges zu erkennen gibt, wird es zum Allerwirklichsten, zum Realissimum. Diese Grundwandlung vom Natürlichen zum Göttlichen hat zur Folge eine sakrale und wertmäßige Rekristallisation der Wirklichkeit um das als göttlich Erkannte. Welten von Symbolen, Sprachzeichen und Begriffen ordnen sich um den heiligen Mittelpunkt, verfestigen sich zu Systemen, füllen sich mit dem Geist der religiösen Erregung und werden fanatisch als die ‚richtige‘ Ordnung des Seins verteidigt.“32

In der so entstehenden Vielfalt von religiösen Systemen unterscheidet Voegelin zwei Typen: „Geistreligionen, die das Realissimum im Weltgrund finden, sollen für uns überweltliche Religionen heißen; alle anderen, die das Göttliche in Teilinhalten der Welt finden, sollen innerweltliche Religionen heißen.“33 Gleichzeitig stellt er die Weichen für eine geistesgeschichtliche tour d’horizon, die sich mit der Entstehung und Entfaltung innerweltlicher Religionen befasst, dem zentralen Thema seiner Studie. Es ist ein erster solcher geistesgeschichticher Überblicke – weitere werden folgen: die History of Political Ideas ist schon ihrem Titel her darauf angelegt; die New Science of Politics ebenso und schließlich auch das ursprüngliche Konzept von Order and History, das von den kosmologischen Reichsbildungen des Nahen Ostens über die Geistreligionen 30 31 32 33

Voegelin, Die politischen Religionen, S. 12 (Hervorh. PJO). Ebd. Ebd., S. 17. Ebd.

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Israels, Hellas und des Christentums bis zum Umschlag in die innerweltliche Religiosität der westlichen Moderne führen sollte. Da Voegelin die Arbeit an der History schließlich abbrach und die geplanten drei Schlussbände von Order and History, die sich gerade mit diesem Aspekt der Geschichte näher befassen sollten, konzeptionellen Veränderungen zum Opfer fielen, blieb die New Science of Politics der einzige Überblick, in dem der „große Zyklus“ von der kosmologischen bis in die innerweltliche Religiosität der Moderne skizziert wurde. Letztere ist das zentrale Thema des großen Schlusskapitels der Politischen Religionen – „Die innerweltliche Gemeinschaft“ –, mit dem sich Voegelin wieder der Gegenwart zuwendet. Im Vergleich mit dem später verfassten Vorwort, auf das noch zurückzukommen sein wird, ist die Beschreibung der „innerweltlichen Gemeinschaft“ überaus zurückhaltend formuliert. Ursache dafür war vermutlich die politische Situation in Österreich, in der es sich nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich empfahl, die eigene kritische Position im Schatten zu belassen. Auch bei der Charakterisierung der innerweltlichen Gemeinschaft müssen wir uns wieder auf einige Aspekte beschränken. Ausgangspunkt der Beschreibung ist „das gewaltige Fundament der Innerweltlichkeit“, nämlich „die Kenntnis der Welt als Inventar von Seinstatsachen aller Stufen und als Wissen um ihre Wesens- und Kausalzusammenhänge. Das Wissen von Weltraum und der Natur, von der Erde und den Völkern, die sie bewohnen, von ihrer Geschichte und geistigen Differenzierung, von Pflanzen und Tieren, vom Menschen als Leibwesen und als Geist, von seiner geschichtlichen Existenz und seiner Erkenntnisfähigkeit, seinem Seelenleben und seinen Trieben füllt massiv das neue Weltbild und drängt alles Wissen um göttliche Ordnung an den Rand und darüber hinaus. Die metaphysische Radikalfrage Schellings: Warum ist etwas, warum ist nicht Nichts? – ist die Sorge Weniger, breiten Massen bedeutet sie nichts für ihre religiöse Haltung. Die Welt als Inhalt hat die Welt als Existenz verdrängt. Die Methoden der Wissenschaft als Formen der Erforschung des Weltinhaltes werden zu den allgemein verbindlichen, auf die sich die Haltung des Menschen zur Welt zu gründen habe. (… ..) Gegenformeln zu den Geistreligionen und ihrer Weltansicht werden gebildet, die sich aus der Weltwissenschaft als der gültigen Form der Einsicht im Gegensatz zu Offenbarung und mystischem Denken legitimieren. (… ..) Gleichzeitig verfällt das Wissen um die fundamentalen Seinsfragen und um die Formensprache, in der sie zu behandeln sind, als allgemeines und zieht sich auf kleine Kreise zurück. Indifferentismus, Laizismus und Atheismus werden die Merkmale des öffentlich-verbindlichen Weltbildes.“34

Das Ergebnis dieser Erkundung der Weltinhalte war fatal – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn erzeugt wurde im Laufe der Zeit ein „neues Weltbild“, das 34

Voegelin, Die politischen Religionen, S. 49 f (Hervorh. PJO).

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wiederum „alles Wissen um göttliche Ordnung an den Rand“ drängte – und über diesen hinaus. Diese Entwicklung blieb allerdings nicht ohne Folgen, denn: „Die Menschen können den Weltinhalt so anwachsen lassen, dass Welt und Gott hinter ihm verschwinden, aber sie können nicht die Problematik ihrer Existenz aufheben. Sie lebt in jeder Einzelseele weiter, und wenn Gott hinter der Welt unsichtbar geworden ist, dann werden die Inhalte der Welt zu neuen Göttern; wenn die Symbole der überweltlichen Religiosität verbannt werden, treten neue, aus der innerweltlichen Wissenschaftssprache entwickelte Symbole an ihre Stelle.“35

Wir befinden uns an dem Punkt, an dem sich – zumindest auf der Ebene der Symbole – die Wende von der überweltlichen zur innerweltlichen Religiosität vollzieht. Wir stoßen hier auf einen der ersten Versuche Voegelins, den Umbruch von dem christlich geprägten Denken des Mittelalters zum „modernen Weltverständnis“ zu erklären. Weitere Anläufe werden bald auf einer erheblich breiteren empirischen und theoretischen Grundlage bei der Arbeit einer History of Political Ideas und schließlich der New Science of Politics folgen, nun aber die ganze zweite Hälfte der New Science umfassen. Mit Blick auf unsere spezifischen Erkenntnisinteressen ist es nicht nötig, der weiteren Beschreibung der Prozesse zu folgen, die in den Politischen Religionen zur innerweltlichen Religiosität und Gemeinschaft führen. Lediglich ein besonders gravierender Aspekt bedarf der Erwähnung, zumal er offensichtlich wieder in die Gegenwart des von der innerweltlichen Religiosität geprägten gesellschaftlichen Klima zurückführt. Er betrifft die Folgen, die sich ergeben, wenn an die Stelle Gottes – auf den die überweltliche Religiosität, sprich das Christentum, ausgerichtet ist –, die innerweltliche Kollektivexistenz tritt. In diesem Fall „wird die Person zum dienenden Glied des sakralen Weltinhaltes; sie wird In­ strument, wie Kant schon – und noch – mit ‚Befremden‘ bemerkte; das Problem ihrer Lebensführung, ihrer physischen und geistigen Existenz ist nur wichtig im Zusammenhang der Existenz der umfassenden Gemeinschaft, als des Realissimum. In der Haltung innerweltlicher Religiosität akzeptiert der Mensch diese Stellung; er nimmt sich selbst als Werkzeug, als Hegelschen Maschinenteil des großen Ganzen, und unterwirft sich willig den technischen Mitteln, mit denen die Organisation des Kollektivums ihn eingliedert. Das Wissen um die Weltinhalte und die darauf begründete Technik sind nicht temporal untergeordnete Mittel für das ewige Ziel des Lebens im überweltlichen Gott, sondern das Lebensblut des innerweltlichen Gottes selbst; sie bauen das corpus mysticum 35

Ebd. (Hervorh. PJO).

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des Kollektivums und verbinden die Glieder zu der Einheit des Leibes; sie werden nicht als Verbrechen gegen die Würde der Person verworfen, sie werden nicht einmal nur ertragen aus der Einsicht in ein Gebot des Augenblicks, sie werden gefordert und ersehnt als Methoden religiös-ekstatischer Verbindung des Menschen mit seinem Gott.“36

Die Passage bestätigt, dass es Voegelin weniger um eine Verteidigung des christlichen Gottes ging, als um die Verteidigung des Menschen als „Person“ in seiner Unmittelbarkeit unter Gott, und damit um die „Würde“ des Menschen, die ihm gerade aus dieser Unmittelbarkeit zukommt. Wir kommen zum letzten Punkt: zu dem nun schon im sicheren Exil verfassten Vorwort, das Voegelin der 1939 in Kopenhagen erschienenen zweiten Auflage der Politischen Religionen beisteuerte.37 Obwohl in vielfacher Hinsicht wichtig, interessiert in unserem Zusammenhang vor allem jener Punkt, in dem er nicht nur die Zeitdiagnose des Schlusskapitels wiederholt, sondern auch auf die Konsequenzen verweist, die sich daraus für eine Therapie ergaben. Zunächst zur Zeitdiagnose. Mit ihr weiß er sich mit vielen Denkern der westlichen Welt einig: dass sich nämlich die westliche Welt „in einer schweren Krise befindet, in einem Prozeß des Verdorrens, der seine Ursache in der Säkularisierung des Geistes, in seinen Wurzeln in der Religiosität hat.“38 Hier ist in geraffter Form zusammengefasst, was schon zuvor im Schlusskapitel zur Genese und Gestalt der „innerweltlichen Gemeinschaft“ ausgeführt worden war. Zur Therapie heißt es, dass „die Gesundung nur durch religiöse Erneuerung, sei es im Rahmen der geschichtlichen Kirchen, sei es außerhalb dieses Rahmens, herbeigeführt werden kann. Die Erneuerung kann in großem Maße nur von großen religiösen Persönlichkeiten ausgehen – aber jedem ist es möglich, bereit zu sein und das Seine zu tun, um den Boden zu bereiten, aus dem sich der Widerstand gegen das Böse erhebt.“39 36

37 38 39

Ebd., S.  55. Auf die letzte Konsequenz der Ersetzung des welttranszendenten Gottes durch die neuen weltimmanenten Götter, war Voegelin zuvor schon eingegangen, in der Auseinandersetzung mit dem Staatsverständnis von Hegel: „Wenn der Staat absolute Macht ist, dann darf er im Innern keine Schranken haben. Daher gehöre zu ihm das Mechanische der Ordnung und des Dienstes, gänzlicher Gehorsam und Abtun des eigenen Meinens und Räsonierens, Abwesenheit des eigenen Geistes und zugleich intensive Gegenwart des Geistes, der im Staate aufgeht.“ Voegelin, Die politischen Religionen, S. 13 (Hervorh. PJO) Siehe dazu mein Nachwort zu den Politischen Religionen, S. 124 ff. Hier findet sich auch der Text der ersten Fassung des Nachworts, S. 145 ff. Ebd., S. 6. Ebd.

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Damit sind die beiden Aufgaben angesprochen, denen das Voegelinsche Werk von nun an gewidmet ist: Die eine ist die Arbeit an einer „religiösen Erneuerung“, allerdings weniger in den Diensten der christlichen Kirchen und Konfessionen, als durch die Wiederbelebung des Bewusstseins von der Kreatürlichkeit des Menschen und seiner Stellung unter Gott. Bei der anderen handelt es sich um den „Widerstand gegen das Böse“. Mit ihnen gewinnt das Werk Voegelins so etwas wie eine existentielle Grundierung, die sehr wesentlich seine thematische Kontinuität begründet. Dagegen scheint die Entwicklung einer systematischen politischen Theorie, so könnte man meinen, in den Hintergrund gerückt zu sein. Doch der Eindruck täuscht, wie die oben zitierten Rückblicke zeigen: Die Arbeit an einer systematischen politischen Theorie – und zwar in Form einer „Geisteswissenschaft“ – geht weiter. 3.

Eine Zwischenbetrachtung – in systematischer Absicht

Mit den Politischen Religionen haben wir den Punkt erreicht, an dem sich das Werk Voegelins thematisch in mehrere Richtungen zu verzweigen beginnt – ohne freilich das Ziel einer systematischen Theorie der Politik aus den Augen zu verlieren. Erkennbar sind mehrere Linien: Da ist zunächst jene Linie, die sich aus dem Projekt der systematischen Staatslehre ergeben hatte: die Arbeit an einer „Theorie des politischen Mythos“. Sie hatte nach den Studien zum Rasse-Begriff mit der Identifizierung der „religiösen Implikationen“ als zentrale Elemente politischer Ideen – auch das „Fazit der Erkenntnis“ der Politischen Religionen – eine wichtige Zwischenetappe erreicht. Sie bleibt auch weiterhin die theoretische Grundlinie, an der Voegelin arbeitete, obwohl sie, von den Materialstudien der History verdeckt, ein wenig in den Hintergrund tritt. Jedenfalls entstehen in den folgenden Jahren nur wenige Arbeiten, in denen Voegelin seinen theoretischen Ansatz erläutert. Zu den Ausnahmen gehören neben der Introduction zur History of Political Ideas vor allem drei Studien aus dem Jahre 1943 aus der Korrespondenz mit Alfred Schütz, die Voegelin erst 1966 unter dem Titel „Erinnerung“ in Anamnesis veröffentlichte und zu denen er feststellte, dass sie den „kritischen Durchbruch“ artikulieren und „Voraussetzung für die Entwicklung einer Theorie der Politik in The New Science of Politics (1952) und Order and History (1956/57)“ wurden.40 In unserem 40

Voegelin, Anamnesis, S. 8. Siehe dazu auch den weitaus ausführlicheren Bericht in Voegelins Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Anamnesis „Remembrance of Things Past“, in: Eric Voegelin, Anamnesis. Transl. and ed. by Gerhard Niemeyer, Notre Dame and London: University of Notre Dame Press, 1978.

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Zusammenhang von Interesse sind hier insbesondere die Überlegungen zu einer Theorie des Mythos in dem Stück „Zur Theorie des Bewußtseins“. Unübersehbar bildet dabei das Platon-Kapitel der History einen wichtigen Teil des Hintergrundes. Da ist zum anderen jene zweite Linie, die – sieht man einmal von dem kleinen Aufsatz von 1936 „Volksbildung, Wissenschaft und Politik“ ab – ebenfalls mit den Politischen Religionen einsetzt und dort am Beispiel der europäischen Geschichte den Weg in die „innerweltliche Religiosität“ und damit in die geistige Krise der westlichen Welt skizziert. Übersehen wird dabei allerdings häufig, dass es sich bei den Politischen Religionen – genau gesehen – um eine Fallstudie zur „allgemeinen These“ von den „religiösen Implikationen“ politischer Ideen handelt, speziell zum Übergang von der überweltlichen in die innerweltliche Religiosität. Dass dies übersehen wird, dürfte nicht zuletzt auf den Glanz zurückzuführen sein, der von der in der New Science entwickelten Gnosis-These auf die Politischen Religionen zurückstrahlte und damit deren eigentliche theoretische Leistung überschattete. Hinzu kommt, dass viele der anderen Studien, die Voegelin im Rahmen der History der Genese der innerweltlichen Religiosität gewidmet hatte, aufgrund des erst posthumen Erscheinens der History lange unbekannt blieben. Das gilt für die beiden „People of God“Kapitel von 1940 und 1948 ebenso wie für das „Phänomenalismus“-Kapitel der History, und es gilt schließlich für den Aufsatz „The Origins of Scientism“. Sie müssen in eine Analyse des Weges in die Krise ebenso einbezogen werden, wie weite Teile des Schlussteils der History. Schließlich gibt es noch eine dritte Linie. Sie betrifft jene Schritte, die aus der Krise herausführen sollen. Erneut bieten sich als Ausgangspunkt die Politischen Religionen an. Voegelin hatte dort darüber geklagt, dass „das Wissen um die fundamentalen Seinsfragen und um die Formensprache, in der sie zu behandeln sind, als „allgemeines“ verfällt und als Beispiele „Offenbarung“ und „mystisches Denken“ angeführt. Zudem hatte er auf die „metaphysische Radikalfrage“ Schellings hingewiesen und geklagt, dass sie einer breiten Masse „nichts für ihre religiöse Haltung“ bedeute. Es stellte sich somit die Aufgabe, diese vernachlässigten „fundamentalen Seinsfragen“ wieder ins Bewusstsein zu heben, um so, als Akt des geforderten Widerstandes, zu einer Revitalisierung der religiösen Wurzeln beizutragen. Dass dies im Rahmen einer History of Political Ideas nur sehr begrenzt möglich war – zumindest in der Form, in der dieser Text zunächst konzipiert war –, dürfte Voegelin von Beginn an bewusst gewesen sein. Und das war vermutlich einer der Gründe für die tiefgreifenden Veränderungen, die das Projekt schon bald erfuhr und die Voegelin schließlich zu einem Text veranlassten, den man als eine neue theoretische Grundlegung der History lesen muss. Zu ihm heißt es in einem Brief vom 3. Mai 1952

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an Robert Heilman, mit der Bitte um stilistische Durchsicht: „Enclosed you find the MS of the first chapter of the ‚History‘, which is supposed to develop the principles of interpretation for the whole subsequent study. The chapter, thus, has a certain importance, both as the first one and as the statement of principles.“41 Der Text ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse: Zum einen hinsichtlich der „Prinzipien“, die der History zu jener Zeit zugrunde lagen. Zum anderen, weil er – schon bald nach Fertigstellung der New Science verfasst – auch deren theoretische Fundierung widerspiegelt, flossen doch auch die Erkenntnisse ein, die Voegelin durch die Arbeit an den Walgreen Lectures gewonnen hatte. Ein weiterer Grund ist, dass Voegelin diesen Text wenige Jahre später, 1956, unter dem Titel „The Symbolization of Order“ als Einleitung für den ersten Band von Order and History verwendete. Dessen Titel lautete zu jener Zeit allerdings noch „The Symbolization of Being and Existence“, was den existentiellen Charakter auch sprachlich andeutet, den das Projekt inzwischen angenommen hatte. Schon bald darauf verabschiedete Voegelin sich von dem History-Projekt in dessen bishieriger Form. So informierte er den Macmillan Verlag am 25. Oktober 1953, dass sich der Titel des Projekts geändert habe: „The older title (History of Political Ideas) is inadequate because the liberal ideology on which it was based has by now exploded into critical science. ‚Order and Symbols‘ is the theoretically correct description, for the subject matter is the development of the experiences of order and their adequate symbolization. Hence, the subdivisions also have a systematic significance. The first volume deals with the three great symbolic forms developed in antiquity, that is with Myth, History and Philosophy.“42

Der Hinweis auf jene drei „großen symbolischen Formen“ von Ordnung signalisiert, dass Voegelin inzwischen dabei war, jene Bereiche des Denkens wiederzubeleben und ins Bewusstsein zu heben, deren Verdrängung durch die moderne „Weltwissenschaft“ er in den Politischen Religionen beklagt hatte. Das sind diese drei Linien, die – sich häufig überschneidend und überlagernd – in den 1940er Jahren zur New Science of Politics hinführen und 41

42

Brief vom 3. Mai 1952 von Voegelin an Robert Heilman (Hervorh. PJO). Siehe dazu auch den Brief vom 25. Mai 1952 an Karl Löwith (Hervorh. PJO), in: Sinn und Form, Eric Voegelin, Briefwechsel mit Karl Löwith, 59. Jahr/2007/6.Heft, November/Dezember, S. 792. Siehe auch den Brief vom 14. Januar 1953 an Schütz, dem er den Text mit der Bemerkung schickte, dass er „das Einleitungskapitel der History (sei), in dem ich versuche, die ontologischen Prinzipien der ganzen Untersuchung zu umreißen, sowie das in kurzer Form möglich ist.“ (Briefwechsel, S. 475) Brief vom 25. Oktober 1953 von Voegelin an Charles D. Anderson (Hervorh. PJO).

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sich in ihr miteinander verbinden – und dabei einerseits die erste große Etappe auf dem Wege Voegelins zu einer systematischen Staatslehre als Geisteswissenschaft abschließen, andererseits die ersten drei Bände von Order and History vorbereiten und damit zugleich theoretisch fundieren. Wenn wir diese Linien im Folgenden ein wenig näher betrachten, so kann dies nur sehr skizzenhaft geschehen und immer wieder unter Hinweis auf schon vorliegende Detailuntersuchungen. Sie werden uns schließlich zur New Science of Politics führen. 4.

Der innerweltlichen Religiosität auf der Spur – oder: Wege in die Krise

Man mag darüber streiten, mit welcher dieser Linien man beginnen sollte. Für unsere Entscheidung zugunsten jener Linie, die in die Krise der westlichen Welt führt, sprechen mehrere Gründe: Zum einen, dass Voegelin selbst sich auf diesem Gebiet seit den Politischen Religionen besondere Kompetenz zuschrieb, zum anderen, weil sie seine Arbeit zumindest während der 1940er Jahre dominierte und schließlich, weil sie mit der Gnosis-These in der New Science einen Höhepunkt erreichte. Wir haben zuvor auf die verschiedenen Überblicke hingewiesen, in denen Voegelin den Gang der westlichen Geistesgeschichte in die innerweltliche Gemeinschaft und Religiosität skizzierte und als einen ersten Versuch die Politischen Religionen identifiziert. Das war insofern korrekt, als in dieser Studie Entwicklungen dargestellt werden, die von Altägypten über das westliche Mittelalter bis in die Vorgänge des 20. Jahrhunderts führten. Genauer besehen handelt es sich bei diesem Text aber weniger um einen chronologisch angelegten historischen Überblick, als um zeitlich geordnete Kontinuitäten und Diskontinuitäten der „wichtigsten sakralen Symbole, mit deren Hilfe die Verbindung des menschlich-politischen Bereichs mit dem göttlichen hergestellt wurde.“43 Das heißt, die Struktur des Textes ist zugleich systematisch wie historisch-chronologisch. Befragt man ihn nach dem Punkt, an dem die Fehlentwicklung zur innerweltlichen Religiosität einsetzte, so stößt man auf Joachim von Fiore. Ihm schreibt Voegelin eine Wandlung des „Grundschemas der religiösen Geschichtsdeutung“ zu, „die von entscheidender Bedeutung für die Dynamik der Ekklesia und ihrer innerweltlichen Abspaltung“ ist. Und weiter: „Die christliche Reichsapokalypse und der Symbolismus des Spätmittelalters bilden den geschichtstiefen Untergrund der apokalyptischen Dynamik in 43

Voegelin, Die politischen Religionen, S. 29 / S.38.

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den modernen politischen Religionen.“44 An dieser Einschätzung Joachims wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Sie findet sich in einem Joachim gewidmeten Kapitel der History of Political Ideas45 sowie schließlich an prominenter Stelle in der New Science of Politics. Bei seiner Arbeit an der History ging Voegelin dieser Problematik aber schon bald weiter nach – und zwar in einem Kapitel über die mittelalterlichen Sektenbewegungen, auf deren Bedeutung ihm ein Kapitel in Edward Gibbons‘ The Decline and Fall of the Roman Empire aufmerksam gemacht hatte.46 Dazu heißt es in einem Brief an Fritz Morstein Marx, dem Herausgeber der Textbook-Reihe, in der die History erscheinen sollte – kommentierend zu einem Inhaltsverzeichnis der modernen Periode: „Ich habe den Gegenstand, wie Sie sehen, in die obere Schicht von Ideen und die unterschwelligen Bewegungen aufgeteilt. Der Paragraph über The People of God gibt einen Überblick (30 Ms Seiten) vom zehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart, das heißt, dass er das Revolutionsproblem enthält, mittelalterlich und modern. Das macht es möglich, die rationalen Ideensysteme zu isolieren und prägnant zu behandeln, ohne ihre Darstellung in ausführlichen Erläuterungen der Situation zu belasten. Ich arbeite nun über die [Heiligen] von Bodin bis Rousseau in einer Serie kurzer Paragraphen (nebenbei bemerkt, The People of God ist meiner Meinung nach eine überaus wichtige Synthese der Dynamik westlicher Ideen, die in dieser Weise bislang noch nicht dargestellt wurde).“47

Die Bedeutung, die Voegelin diesem Text und damit dieser Entdeckung beimaß, zeigt sich auch darin, dass er ihn Leo Strauss für dessen Zeitschrift Social Research als Vorabdruck anbot. Dasselbe zeigt einige Jahre später eine Bemerkung in einem Vortrag vor der American Political Science Association: „Diese Bewegungen bilden einen der wichtigsten Parallel-Ströme der Geschichte; er verbindet sich mit dem Hauptstrom im Westen in der Reformation und gibt der nachmittelalterlichen Politik einen von jenen angeblich „modernen“ Anklängen (touches) als Folge seiner Anhebung auf die Hauptebenen der zivilisatorischen Entwicklung von politischen Gewohnheiten und Gedanken, die im Mittelalter unter der Oberfläche der Institution geblieben waren.“48

44 45 46 47 48

Ebd., S. 40 (Hervorh. PJO). The Collected Works of Eric Voegelin (CW ) 20, History of Political Ideas, Vol. II: The Middle Ages to Aquinas. Ed. with an Introduction by Peter von Sivers, Columbia/London: University of Missouri Press, S. 126–134. Der Text von „The People of God“ (1941) findet sich in OP XXXVII. Hrsg. und mit einem Vorwort von Peter J. Opitz, 2., überarb. Aufl. Februar 2020. Brief vom 6. Mai 1941 von Voegelin an Marx. Eric Voegelin, Political Theory and the Pattern of General History, in The American Political Science Review, Vol. XXXVIII, August 1944, no. 4, S. 754.

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Dass Voegelin – vermutlich im Sommer 1948 – das Thema nochmal aufnahm und eine zweite Fassung von „The People of God“ entwarf49, die nun erheblich länger ausfiel als der ursprüngliche Text, hatte mehrere Gründe: unter anderem hatte der Mangel an geeigneten Quellen dazu geführt, dass die erste Fassung nur bis zur puritanischen Revolution in England geführt hatte und eine Frage aufwarf, die Voegelin zu jener Zeit noch nicht beantworten konnte: „Wann und wie wurde der intellektuell zweitrangige sektiererische Typus der Spekulation ‚angesehen‘ und drang in die intellektuelle Oberschicht des westlichen Denkens ein? (…) Wann und wo ereignete sich die Verschmelzung der Spekulation der aktivistischen Mystik mit dem Medium des innerweltlichen ‚Intellektualismus‘ und der ‚Wissenschaft‘?“50

Beides änderte sich in den folgenden Jahren – die Quellenlage und Voegelins vertiefte Kenntnis der politischen Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts. Beides schlug sich in zwei neuen Kapiteln – „Der freie Geist“ und „Das Apollinische Imperium“ – nieder, die es ermöglichten, den Zeitbogen weiterzuspannen. Wichtige Anregungen waren auch von Wilhelm Fraengers 1947 veröffentlichten Werks Hieronymos Bosch: Das Tausendjährige Reich gekommen. Eines der Hauptprobleme, das inzwischen sichtbar geworden war, bestand darin, diese auf den ersten Blick höchst unterschiedlichen politischen Strömungen und Denker, die inzwischen vom neunten Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert reichten, also mehr als ein Jahrtausend umfassten, auf einen Begriff zu bringen. Voegelin zufolge fand er die dafür entscheidende Anregung bei dem Schweizer Jesuiten Hans Urs von Balthasar, der auf den „Geist“ der „Gnosis“ hingewiesen hatte. Gestoßen war Voegelin auf den Begriff aber wohl nicht in dessen Hauptwerk Apokalypse der deutschen Seele, sondern in der kleinen von von Balthasar herausgegebenen Edition Irenäus von Lyon. Die Geduld des Reifens, der er in seinem Vorwort bemerkt hatte: „In allen diesen Kennzeichen wirkt die im Einzelnen so veraltete Gnosis immer wieder modern. Jakob Böhme und Schelling leben vom Geist der Gnosis, in Hegel selbst ist sie lebendig (…) Gnosis entspringt jeweils neu an allen Stellen abendländischer Geistesentwicklung, wo der Mensch, der Existenz im Glauben überdrüssig, sich aberwitzig dieses Glaubens zu bemächtigen sucht, an die Stelle der Erlösung durch den in die ‚Gewöhnlichkeit‘ absteigenden Gott die Selbsterlösung des aus der ‚Gewöhnlichkeit‘ hinauf- und hinausstrebenden Menschen setzt.“51 49 50 51

Eric Voegelin, Das Volk Gottes. Sektenbewegungen und der Geist der Moderne. Hrsg., eingeleitet und aus dem Englischen v. Heike Kaltschmidt, München: Fink, 1994. Voegelin, Das Volk Gottes, S. 108. Irenäus von Lyon, Geduld des Reifens. Die christliche Antwort auf den gnostischen Mythus des zweiten Jahrhunderts. Hrsg. v. Hans Urs von Balthasar, Verlag Benno Schwabe & Co.,

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Es sollte allerdings noch einige Jahre dauern, bis Voegelin von der „essentiellen Kontinuität“ zwischen den mittelalterlichen Sektenbewegungen und den modernen Bewegungen überzeugt war. Vermutlich geschah dies erst während seiner ersten Europareise im Sommer 1950, nach Gesprächen mit Experten auf diesem Gebiet. So heißt es in einem Brief aus Paris an Alfred Schütz: „Das Kontinuum vom Frühchristentum zur Sektierergeschichte des Mittelalters, und weiter zur säkularisierten ‚Ideologie‘ wird immer deutlicher. Ich würde jetzt endgültig die ‚modernen‘ politischen Ideen (seit der Reformation) als Säkularisierung der Sektierergnosis deuten.“52 Diese späte Einschätzung passt auch zu einer Anmerkung in einem Brief an Leo Strauss, in dem er über die Arbeit an den Walgreen Lectures berichtet: „Natürlich ist etwas anderes daraus geworden, als ich vorausgesehen hatte. Der Titel wird lauten ‚Truth and Representation‘; und das Problem der modernen Gnosis wird einen breiten Raum darin einnehmen.“53 Das war in der Tat der Fall, umfasst es doch die ganze zweite Hälfte der Vorlesung – die Lectures IV–VI. Mehr noch: In einem Questionnaire für den Verlag schreibt Voegelin: „The principal achievement of the book is the interpretation of modernity as the rise of political gnosis since the High Middle Ages in rivalry with the classic and Christian tradition, and of its destructive effects on Western civilization.“54 In den Politischen Religionen hatte die Überlegungen über den Aufstieg der innerweltlichen Religiosität einen Umfang von nur wenigen Dutzend Seiten, in der New Science umfassten sie inzwischen die ganze zweite Hälfte des Buches. Diese gewaltige quantitative Erweiterung war vor allem die Folge der historischen Kapitel in The People of God wie auch der Einbeziehung von Karl Löwiths Meaning in History (Chicago 1949) und Jacob Taubes‘ Abendländische Eschatologie (Bern 1947) – Studien, durch die der geschichtliche Rahmen nun erheblich weitergespannt und als Hintergrund Entwicklungen im Judentum und frühen Christentum in die Argumentation einbezogen werden konnten.55 Über die Linie, die von den Politischen Religionen über die beiden People of God-Kapitel zur New Science führt, besteht die Gefahr, eine weitere, nicht

52 53 54 55

Klosterberg, Basel & Co., 1943 S. 13 f (Hervorh. PJO). Während Voegelin in „The People of God“ nicht auf diesen Text hinweist, bezeugt ein kleiner Aufsatz mit dem Titel „Gnostische Politik“ 1952 in der Zeitschrift Merkur, dass er ihn kannte. Merkur, Jg. VI, Heft 4, April 1952, S. 301–317. Ein Nachdruck findet sich in Der Gottesmord, S. 36–56. Brief vom 27. Juli 1950 von Voegelin an Schütz, in Schütz/Voegelin Briefwechsel, S.  378 (Hervorh. PJO). Brief vom 4. Dezember 1950 von Voegelin an Strauss, in Voegelin/Strauss Briefwechsel, S. 81. Die Questionnaires und weitere Unterlagen finden sich in den EVP, Box 38/21, Reel 36. Siehe dazu im Einzelnen Peter J. Opitz, VOP 106, S. 43 ff.

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minder wichtige Linie zu vernachlässigen oder gar zu übersehen, die sich mit einem eng damit zusammenhängenden Phänomen befasst, das aber erst im Modern World-Teil der History in den Vordergrund tritt. Mit gutem Grund, handelt es sich doch um eine Erscheinung, die erst mit dem Aufstieg der modernen Naturwissenschaften auftrat, dann aber schnell an Bedeutung gewann. Voegelin hatte die Problematik schon in den Politischen Religionen – mit der Feststellung „Die Welt als Inhalt hat die Welt als Existenz verdrängt“ auf den Punkt gebracht, ohne sie allerdings näher auszuführen. Dies erfolgte erst in einem 1945 entstandenen Kapitel der History mit dem Titel „Phänomenalismus“, ein Begriff, mit dem er zuvor schon im Schelling-Kapitel das Phänomen bezeichnet hatte.56 Voegelin hatte das Kapitel Alfred Schütz geschickt, der, wie er schrieb, davon tief beeindruckt war und eine gesonderte Vorveröffentlichung empfohlen hatte, die Voegelin allerdings mit dem Hinweis ablehnte, „dass diese Ausführungen so stark in die Problematik von Bruno und Schelling hineingearbeitet sind, dass sie isoliert ihren Effekt verlieren würden. Man müßte eine längere Einleitung dazu schreiben, die das Substanzproblem erläutert – und dazu komme ich jetzt kaum.“57 Eine umfassende Behandlung der Problematik müsste somit, wie Voegelins Erwiderung zeigt, auch näher auf das eng damit zusammenhängende Substanzproblem eingehen, was in unserem Zusammenhang weder möglich noch nötig ist. Bei dem von Voegelin als „Phänomenalismus“ bezeichneten Phänomen handelt es sich um das „überwältigende Interesse an den in der Wissenschaft zutage tretenden Erscheinungsaspekten (phenomenal aspects) der Welt“, das in „Stimmungen, Vorstellungen, Ideen und Spekulationen“ zum Ausdruck kommt“ und dessen Entstehen Voegelin vor allem auf zwei Ursachen zurückführt: auf die spektakulären Erfolge der Naturwissenschaften, etwa der Astronomie und der Physik sowie „auf die Atrophie der christlichen Spiritualität und auf das Anwachsen innerweltlicher Stimmungen.“58 In der Sache handelt es sich – in Begriffen der klassischen Metaphysik gesprochen – um die Wendung von Substanzen zu Akzidentien bzw. um den Ersatz von Substanzen durch Akzidentien, also um die Neigung, „aus den Wissenschaften von den Akzidentien eine Wissenschaft der Substanz zu machen sowie langfristig um 56

57 58

Eine dt. Übersetzung des Phänomenalismus-Kapitels der History findet sich in OP XLIV: Eric Voegelin, Phänomenalismus. Hrsg. und mit einer Einleitung v. Peter J. Opitz; aus dem Englischen von Heide Lipecky, München 2004, S. 10. Der engl. Text findet sich in CW 25: History of Political Ideas, Vol. VII: The New Order and Last Orientation. Ed. with an Introduction by Jürgen Gebhardt and Thomas A. Hollweck, Missouri Press 1999, S. 178–192. Siehe dazu den Brief an Alfred Schütz vom 9. September 1945 sowie Voegelins Antwort vom 17. September 1945, in Schütz/Voegelin. Eine Freundschaft, S. 258–268 (zit. S. 267). Voegelin, Phänomenalismus, S. 10.

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das Bemühen, aus der Wissenschaft von den ‚Akzidentien der Akzidentien“ eine Wissenschaft von der „wirklichen“ Ordnung der Natur (zu machen) – „ein Fundament des Wissens über den Menschen und das Universum, welches das aus spiritueller Erfahrung erwachsene Wissen der Substanz ersetzen soll.“59 Voegelin erläuterte diese Tendenzen an Beispielen aus den Bereichen der Biologie, der Ökonomie und der Psychoanalyse, wobei es ihm vor allem um die Konsequenzen ging, die sich unmittelbar, aber auch langfristig aus diesen phänomenologischen Wissenschaften ergeben. So heißt es etwa in Hinblick auf den von der Evolutionstheorie Darwins ausgelösten „biologischen Phänomenalismus“: „Durch die Annahme, dass die Interpretation des Menschen als letztes Glied in der Evolutionskette sich auf das Verständnis des Menschen als spirituelle Existenz auswirke, erhält das Evolutionsmoment einen ausgesprochen antichristlichen, säkularistischen Einschlag; der Wunsch, den Menschen in einer durch eine Wissenschaft von den Erscheinungen offenbarten weltimmanenten Ordnung angesiedelt zu sehen und nicht in einer durch die cognitio fidei offenbarten trans­zendentalen Ordnung, ist der dynamische Faktor in der Transformation.“60

Und schließlich: „Die Substanz von Mensch und Gesellschaft ist von einer Hülle aus biologischen Erscheinungen überlagert, die das spirituelle und moralische Bewusstsein ersticken und die Tendenz zeigen, die spirituelle Ordnung der Gesellschaft durch eine Ordnung des biologischen Überlebens abzulösen. Zur Handlungsregel gemacht, wird die Erscheinungsordnung des Lebens zur Erscheinungsobsession.“61

Gefahren für eine humane Gesellschaft sah Voegelin aber nicht nur von den einzelnen phänomenologischen Wissenschaften ausgehen, sondern ebenso sehr von der „Kombination verschiedener Phänomenalismen“: „Wenn, wie es gegenwärtig der Fall ist, das Reich der Zwecke von der Sub­ stanz her verdorrt und biologische, ökonomische und psychologische Obsessionen die Zwecke ersetzen, besteht die Gefahr, dass eine Kombination verschiedener Phänomenalismen die letzten Spuren der Substanz auslöscht. Die nationalsozialistische Vernichtung ist der deutlichste Beweis für den Sieg der Erscheinungsobsession über die spirituelle Ordnung.“62

59 60 61 62

Voegelin, Phänomenalismus, S. 17. Ebd., S. 19 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 21 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 28 (Hervorh. PJO).

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Wie sehr diese Entwicklung Voegelin beschäftigte – ihre Ursachen ebenso wie ihre Folgen –, zeigt sich in den Kapiteln der History über Schelling und Vico, aber auch in einem umfangreichen Artikel mit dem Titel „The Origins of Scientism“ in der von Leo Strauss herausgegebenen Zeitschrift Social Research.63 Stand im Phänomenalismus-Kapitel vor allem eine Stimmung im Vordergrund, die sich mit dem Aufstieg und den Erfolgen der Naturwissenschaft gebildet hatte, so hat sich der Akzent nun auf eine Überzeugung verlagert, zu der sich jene phänomenalistische Stimmung im Laufe der Zeit verdichtete: zu der „Überzeugung nämlich, daß die mathematisch (exakte) Wissenschaft ein Vorbild sei, nach deren Methoden sich alle anderen Wissenschaften richten sollten.“ Sie ist das Thema der Szientismus-Studie, und die drei wichtigsten Elemente der „szientistischen Glaubenslehre“ bringt Voegelin gleich einleitend auf den Punkt: „1. daß die mathematisierte Wissenschaft von den Naturerscheinungen das Modell darstelle, dem sich alle anderen Wissenschaften anzugleichen haben; 2. daß alle Seinsbereiche den Methoden der Erscheinungswissenschaften zugänglich seien; 3. daß alles Sein, sofern es den Erscheinungswissenschaften nicht zugänglich ist, irrevelant oder – noch schärfer formuliert – nichts als Illusion sei. Dieses Glaubensbekenntnis enthält zwei große Negationen: es verneint die Aufgabe der Wissenschaft, nach Substanzen zu forschen (sei es in der Natur, in der Menschheit und Gesellschaft oder in der transzendenten Realität) und es verneint in seiner radikaleren Form auch die Realität der Substanz. […] Der Szientifismus als Versuch, Substanz (auch beim Menschen, historisch und soziologisch) so zu behandeln, als wäre sie Erscheinung, gehört zu den bestimmenden Zügen solcher moderner Denkrichtungen wie Positivismus und Neupositivismus bzw. solcher politischer Massenbewegungen wie Kommunismus und Nationalsozialismus.“64

63

64

Eric Voegelin, The Origins of Scientism, in Social Research. An International Quarterly of Political and Social Science, New York, Vol. 15 No. 4, S. 462–494. Dt.: Erich Voegelin, Wissenschaft als Aberglaube, in Wort und Wahrheit, VI. Jg., Mai 1951, S. 341–360. Dass auch diese Studie zunächst für die History bestimmt war, geht aus einem Brief an Karl H. Wolff hervor, der die Szientismus-Studie als polemisch und negativ gerügt hatte und dem Voegelin darauf antwortete: „You complain that the approach in the ‚Origins‘ is largely polemical and negative. This is due to the fact that the article in question is one paragraph, of one chapter, of one part, of one volume, of a ‚History of Political Ideas‘ on which I am working. It looked like a piece that could stand for itself and so I let it go to print …“ Brief vom 14. März 1949 von Voegelin an Kurt H. Wolff, in CW 29: Selected Correspondence 1924–1949. Ed. with an Introduction by Jürgen Gebhardt; translated from the German by William Petropulos, Columbia/London: University of Missouri Press, 2009, S. 611. Voegelin, Wissenschaft als Aberglaube. Die Ursprünge des Szientifismus, in Wort und Wahrheit VI, Mai 1951, S. 341–360; hier S. 341 (Hervorh. PJO).

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Die szientistische Thematik war, wie der Text zeigt, brisant. Wenn sich Voegelin in den Walgreen Lectures dennoch auf den Hinweis beschränkte, dass der Szientismus „bis zum heutigen Tag eine der stärksten gnostischen Bewegungen in der westlichen Gesellschaft“ (sei), und der immanentistische Stolz auf die Wissenschaft so stark ist, daß sogar jede der Einzelwissenschaften ihren spezifischen Niederschlag gefunden hat in den Varianten des Heilswissens aus der Physik, der Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Biologie und Psychologie“65, so hat dies wohl vor allem mit der Thematik der Walgreen Lectures zu tun, ging es in diesen doch um „Truth and Representation“, mit dem Schwerpunkt auf „Truth“. Das änderte sich, als auf Anregung des Verlags ein publikumswirksamerer Buchtitel gesucht wurde und man sich, auf Vorschlag Voegelins schließlich auf den Titel „The New Science of Politics“ einigte. Denn dieser machte es nicht nur nötig, das „Neue“ der hier vorgelegten „neuen Wissenschaft“ zu erklären, sondern gleichzeitig auch näher auf die „alte“ Wissenschaft einzugehen, sowohl auf die Prozesse, die zu ihrem Entstehen beigetragen hatten, wie auch auf jene, in denen sie die „alte“ Wissenschaft immer mehr verdrängt und im Positivismus ihre gegenwärtige Form und allgegenwärtige Präsenz erlangt hatte. Das alles konnte, ja musste, nun in die nachträglich angefügte Introduction eingebracht werden. Da Voegelin vieles davon schon in seinem Vico-Kapitel der History dargestellt und dort auch darauf hingewiesen hatte, dass Giambattista Vico in seiner Nuova Scienza zu einem der „Begründer der modernen politischen Wissenschaft“ geworden sei, lag es nahe, in der Einleitung auf diesen Bezug zu nehmen und den Text in die von Vico begründete Tradition einzuordnen: „Denn so wie Vicos neue Wissenschaft von Politik und Geschichte in Opposition zu Galileis Nuova Scienza konzipiert war, so sind die vorliegenden Vorlesungen ein Versuch, die Politische Wissenschaft im klassischen Sinne wiederherzustellen, im Gegensatz zu den vorherrschenden Methoden des Positivismus.66 Das bedarf allerdings einer Klarstellung: Der Bezug Voegelins auf Vico und Galilei war lediglich ein Hinweis auf die Parallelsituation, in der er sich sah. Er bestand nicht in einer unkritischen Übernahme des Vichianischen Ansatzes insgesamt – der Name Vico taucht in der New Science ebenso wenig auf wie derjenige Galileis. Dennoch zeigt der Blick in das Vico-Kapitel der History zwei Punkte, die für Voegelin und seinen eigenen Ansatz schon früh zentral waren: die durch Vico erfolgte „Wiederherstellung einer Substanzwissenschaft“

65 66

Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 138. Ebd., S. 13.

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sowie deren „erstes Axiom: die Geschichtlichkeit der Existenz“.67 Allerdings hatte Voegelin auch hier schon die Grenzen der Vichianischen Wissenschaft angesprochen – im Zusammenhang mit der Perspektive, in der er die weitere Entwicklung der „neuen Wissenschaft“ sah: „Wir haben die Mängel in der Vichianischen Konstruktion, die sowohl von der Verallgemeinerung des römischen Modells wie auch von der unkritischen Übernahme des Problems der geistigen Geschichte in der Augustinischen Form herrühren, bereits erörtert. Hier liegt das noch weit offene Feld der neuen politischen Wissenschaft. Mit dem Wissenszuwachs in der empirischen Geschichte zum einen und der zunehmenden Durchdringung der theoretischen Probleme der geistigen, evokativen und pragmatischen Geschichte zum anderen haben wir eine Entwicklung der neuen Wissenschaft weit über den Bereich hinaus zu erwarten, den Vico im Blick hatte – einer Erweiterung, für die die Untersuchungen von Schelling und Bergson, von Spengler und Toynbee kaum mehr als ein Anfang sind.“68

5.

Wege aus der Krise

Wir sind bislang der Entwicklungslinie gefolgt, auf der Voegelin die Verdorrung der religiösen Wurzeln des Menschen verortete und damit zu jener Krise führte, die politisch ihren Höhepunkt im Aufstieg totalitärer Regime Europas fand und damit, um mit Voegelin zu sprechen, zum Verlust der Wahrheit der Existenz des Menschen unter Gott. Wir müssen uns jetzt jener sich parallel entwickelnden zweiten Linie zuwenden, auf der er seine Arbeit am Projekt einer systematischen Theorie der Politik bzw. einer „Staatslehre als Geisteswissenschaft“ fortsetzte und damit an einer Wiederherstellung des verlorengegangenen Wissens über die „fundamentalen Seinsfragen und um die Formensprache, in der sie zu behandeln sind.“ Es ist jene Linie, die wir als Hauptlinie bezeichneten, auch deshalb, weil sie über die New Science of Politics hinausführen wird. Zeitlich müssen wir dabei zu jenem Punkt zurückgehen, an dem dieses Unternehmen einsetzte und zunehmend an Dynamik und Dauer gewann: zu der zu Beginn der 1940er Jahre einsetzenden Arbeit an einer History of Political Ideas. Allerdings müssen wir Voegelin ernst nehmen, wenn er später davon 67

68

Eric Voegelin, Giambattista Vico – La Scienza nuova. Hrsg. und mit einem Vorwort v. Peter J. Opitz; mit einem Nachwort v. Stephan Otto. Aus dem Englischen v. Nils Winkler und Anna E. Frazier, München: Fink, 2003, S. 108. CW 24: Revolution and the New Science. Ed. with an Introduction by Barry Cooper, Columbia/London: University of Missouri Press, 1998, S. 147. Voegelin, Giambattista Vico, S. 112. CW, S. 147 f.

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sprach, dass es sich bei diesem Projekt – sieht man einmal von dem Bemühen ab, in den USA wissenschaftlich Fuß zu fassen und sich als politischer Theoretiker zu positionieren – vor allem um Vorarbeiten zu einer systematischen politischen Theorie gehandelt habe, also um weitere Studien zu den Prozessen, in denen „politische Ideen“ entstehen, an Zuspruch und Zulauf gewinnen, um später wieder zu verglühen. So heißt es in einem Brief an Henry A. Moe: „For me personally the work on it had primary the purpose of aquiring a thorough understanding of the theoretical problems of a philosophy of politics.“69 Von besonderem Interesse ist dabei in unserem Zusammenhang die Introduction, die Voegelin dieser History voranstellte, zwang sie ihn doch, sich mit dem Phänomen der „Idee“ im Allgemeinen und der „politischen Idee“ im Besonderen näher auseinanderzusetzen.70 Dies geschah – wie gezeigt – nicht zum ersten Mal. So hatte er schon 1933 in Rasse und Staat auf die Leistung der „Idee“ beim Aufbau der Gemeinschaft hingewiesen und dabei zwei Aspekte unterschieden: „Objektiv gesehen, ist die Gemeinschaft wirklich als Verwirklichung der Idee; subjektiv ist ihre Wirklichkeit ein stetiges Werden im Prozeß der Ideenerzeugung durch den Geist von Menschen, die eben durch das Werk gemeinsamer Erzeugung einer Idee die Gemeinschaft aufbauen, die wir nachher vom Standpunkt des Beobachters als ideedurchwirkte Einheit einer Mannigfaltigkeit erkennen. Der persönliche Geist des Menschen ist der Ort, an dem eine Idee als objektiv seiende ergriffen und zugleich im Akt dieses Ergreifens erzeugt, d.h. wirklich wird“.71

Einschränkend hatte Voegelin allerdings hinzugefügt, dass hier nicht die „Stelle“ für die Durcharbeitung einer Ideenlehre sei, sondern dass dies „anderwärts im Zusammenhang einer Lehre von der Staatsidee“ erfolgen werde.72 Obwohl sich die Introduction für eine solche „Durcharbeitung“ durchaus angeboten hätte, fällt der hierzu verfasste Text doch ein wenig knapp aus. Doch wie dem auch sei: Dieser relativ kurze, deutlich auf das konkrete Projekt der History zugeschnittene Text dürfte die Frage „Was ist eine politische Idee?“ – so der Titel des ersten Teils der Introduction – adäquat beantworten und zugleich das inzwischen erreichte theoretische Grundverständnis Voegelins widerspiegeln. 69 70

71 72

Brief vom 20. August  1948 von Voegelin an Henry  A.  Moe (Guggenheim Foundation). Siehe auch CW 29, S. 572. Das Original und eine dt. Übersetzung der Introduction zur History (im Folgenden, sofern nicht anders angegeben, nach der dt. Übersetzung zit.) findet sich in: Peter  J.  Opitz (Hrsg.), Zwischen Evokation und Kontemplation. Eric Voegelins Introduction zur History of Political Ideas (im Folgenden Introduction). Aus dem Engl. und mit einem Nachwort versehen v. Peter J. Opitz, OP XI, München 1999, 2., überarb. Aufl. April 2002, 3., überarb. Aufl. Juli 2020. Voegelin, Rasse und Staat, S. 120, siehe dazu auch S. 150 f (Hervorh. PJO). Ebd., S. 121.

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Obwohl der Text eine in sich geschlossene diskursive Argumentation bildet, lassen sich in ihm drei Problemkomplexe unterscheiden, deren Fundament wiederum eine philosophische Anthropologie bildet. So heißt es, ähnlich wie schon früher in Rasse und Staat, nur ein wenig differenzierter: „Ein Denker, der den Menschen zu verstehen versucht, mag das Phänomen der politischen Ordnung verabscheuen und den Wunsch haben, es zu beseitigen, aber er kann es nicht ignorieren. Er muss die Erfahrungen von Leben und Tod, Existenzangst und den Wunsch und die Kraft, auf der vergänglichen Existenz eine kosmische Analogie zu schaffen, in Rechnung stellen. Das Problem der Politik muß im weiteren Rahmen einer Interpretation der menschlichen Natur betrachtet werden.“73

Es ist dieses existentielle Moment, das gleich im ersten Punkt anklingt, wenn Voegelin schon in den einleitenden Sätzen auf die existentielle Grundsituation des Menschen hinweist: auf seine Gefährdung von innen und außen, vor allem aber auf seine grundsätzliche „Ungewißheit“ über den Sinn dieser Existenz. Unmittelbares Anliegen ist daher die Schaffung einer „kleinen Welt der Ordnung“, einer „kosmischen Analogie“, d.h. eines „Kosmions“, dessen „primäre Funktion“ die „Schaffung eines Schutzraumes (ist), in dem der Mensch seinem Leben einen Sinn zu geben vermag.“74 Es ist – um es zu wiederholen – dieses existentielle Moment: „die Erfahrung vom bruchstückhaften und sinnlosen Charakter menschlicher Existenz“ –, das der Schaffung des politischen Kosmos zugrunde liegt, „als das Experiment, die essentielle Unvollkommenheit und Relativität des menschlichen Lebens mit Hilfe eines Bildes von göttlicher Vollkommenheit und Absolutheit zu überwinden.“75 Damit ist der Hintergrund erhellt, vor dem nun der zweite Punkt behandelt werden kann: die Schaffung jenes Kosmions, das Schutz vor den Gefährdungen für Leib und Leben bietet, gleichzeitig aber auch – ja vor allem – „eine Sinnstruktur (liefert), in die das einzelne menschliche Wesen die Ergebnisse der biologisch und geistig [prokreativen] Energien seines personellen Lebens einbringen und auf diese Weise sein Leben von den [Unordnung schaffenden Aspekten] der Existenz entlasten kann, die immer dann auftreten, wenn die Möglichkeit der vollständigen Sinnlosigkeit seines Lebens, das in Vernichtung endet, in den Blick gerät.“76 Das ist die „primäre Funktion“ der „politischen Idee“. Diese ist nicht kognitiv, sondern gestaltend (… .), sie ist „kein Instrument zur Beschreibung einer politischen Einheit, sondern ein Instrument zu deren 73 74 75 76

Ebd., S. 36 f. Ebd., S. 13. Ebd., S. 19. Ebd., S. 17.

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Erschaffung.“77 Interessanterweise verweist Voegelin an dieser Stelle auf Schellings Philosophie des Mythos und dessen Feststellung, dass nicht die Nation einen Mythos erzeugt, sondern dieser eine Nation. Der Eindruck drängt sich auf, als habe hier die politische Idee die Stelle des politischen Mythos übernommen und als handele es sich in der Introduction zur History auch um einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Theorie des politischen Mythos. Während Voegelin nicht weiter der Frage nachgeht, aus welchen Quellen die politische Idee ihre Kraft bezieht, ein „amorphes Feld menschlicher Kräfte durch einen Akt der Evokation, solche Einheiten in eine geordnete Einheit zu verwandeln“78, betont er nachdrücklich den „magischen“ Charakter des evokativen Aktes sowie dessen Produkt, zugleich damit aber auch dessen „grundlegende Unfähigkeit, das zu leisten“79, was man von ihm erwartet. Das heißt, wird die evokative Kraft einer politischen Idee beschädigt, so wird ihr magischer Zauber erlöschen und die Bindekräfte, die das Kosmion zusammengehalten haben, werden nachlassen. Im Kampf mit neuen evokativen Ideen wird sich das Kosmion auflösen. Eine der wichtigsten Kräfte in diesem Prozess – und damit kommen wir zum dritten Punkt der Introduction – ist die „politische Theorie“. Er ist inhaltlich, zumindest mit Blick auf das spätere Werk Voegelins, ein wenig enttäuschend. War er 1936 der Auffassung von Aristoteles gefolgt, „dass die theoria die Fähigkeit des theiototon am Menschen sei, des Geistes“ und die „Mystik der fruitio Dei [als] das heimlich Bewegende aller theoretischen Haltung“80, so wird politische Theorie hier zum „Ergebnis einer distanzierten Betrachtung der politischen Realität.“81 Offen bleibt dabei nicht nur die Frage, um welche „Distanz“ es sich dabei handelt, sondern auch um welche Art von „Betrachtung“ es geht. Letztlich handelt es sich hier lediglich um so etwas wie um eine besonders radikale Analyse, die das Kosmion als das erklärt, „was es ist“, nämlich als „eine magische Einheit, die durch die evokativen Kräfte des Menschen existiert; [sie] hat seine Relativität zu erklären und seine grundlegende Fähigkeit, das zu leisten, was es beabsichtigt – nämlich einen absoluten Schutz mittels der Vermittlung von Sinn bereitzustellen.“82 In diesem Sinne handelt es sich bei der politischen Theorie im Kern um eine das Kosmion zersetzende Kraft, deren Träger mit dem Widerstand jener Menschen rechnen muss, die zu seinen Verteidigern zählen. Das aber kann wiederum dazu führen – so Voegelin vielleicht 77 78 79 80 81 82

Ebd., S. 23. Ebd., S. 23. Ebd., S. 41. E. Voegelin, Volksbildung, Wissenschaft und Politik, S. 600. Ebd., S. 37. Ebd., S. 41.

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aus bitterer Selbsterfahrung –, dass der Theoretiker zögern könnte, „die Ergebnisse seiner Forschung einem größeren Publikum zugänglich zu machen.“83 Interessanterweise fällt in diesem Zusammenhang zum ersten Mal der Name jenes Denkers, den Voegelin in diesem ersten Entwurf der History einen der längsten Beiträge widmen wird: Platon. Wenn wir uns im Folgenden eingehender mit Platon bzw. mit der PlatonRezeption Voegelins beschäftigen werden, so geschieht dies aus mehreren Gründen. Der wichtigste ist, dass es die platonische Philosophie war, die auf Voegelin bei seiner Suche aus der Krise von Beginn an den stärksten Einfluss ausübte. Er zeigt sich schon in dieser ersten Auseinandersetzung mit der platonischen Philosophie – im Platon-Kapitel der History of Political Ideas – und nimmt von nun an immer mehr an Bedeutung zu. Wie groß dieser Einfluss auf sein Werk ist, zeigt im Zusammenhang unserer Untersuchung die eingangs zitierte Feststellung Voegelins, dass die New Science eine „systematische Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im platonischen Sinn“ darstellt. Was damit gemeint war, wird zu klären sein. Ein zweiter Grund ist, dass sich in Auseinandersetzung mit Platon wesentliche Elemente seiner eigenen Philosophie herausbilden. Das gilt für den Erfahrungs-Begriff, auf dem wiederum sein Theorie-Verständnis basiert, es gilt aber auch, wenngleich in abgeschwächter Form, für seine Geschichtsphilosophie, deren theoretische Grundlagen ebenfalls in der New Science sichtbar werden. Wir werden im Folgenden in drei Schritten vorgehen: In einem ersten Schritt werden wir eine Analyse des frühen Platon-Kapitels der History vornehmen; im Anschluss daran einen Blick auf dessen 1947 erfolgte Überarbeitung werfen und schließlich im Lichte dieser Analysen eine Antwort auf die Frage versuchen, inwiefern es sich bei der New Science um eine „Grundlegung im platonischen Sinn“ handelt. Folgt man den Literaturhinweisen Voegelins in Plato and Aristotle, dem dritten Band von Order and History – die frühe Fassung der History enthält keine solchen Hinweise –, so dürften es vor allem die Werke von Paul Friedländer und Kurt Hildebrandt gewesen sein, die diese frühe Platon-Interpretation Voegelins wesentlich beeinflusst hatten.84 Eine Bestätigung findet diese Vermutung in den Autobiographischen Reflexionen Voegelins, in denen ein ganzes Kapitel Stefan George und seinem Kreis gewidmet ist. In ihm weist er auf die Arbeit des im Ersten Weltkrieg gefallenen Heinrich Friedemann über Platon hin, die – wie es dann weiter heißt – „Paul Friedländer und Kurt Hildebrandt mit ihren eigenen Arbeiten über Platon fortsetzte.“ Und dann weiter: „Ihre Werke 83 84

Ebd., S. 43. Paul Friedländer, Platon. Berlin und Leipzig, I, 1928 und 1930; Kurt Hildebrandt, Platon. Der Kampf des Geistes um die Macht. Berlin 1933.

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wiederum wurden für meine eigenen Studien grundlegend, die ich in ihrem Geist fortführte.“85 Bezeichnenderweise kam Voegelin auch in seiner anderen autobiographischen Ausführung auf den Georgekreis und dessen Einsluss auf sein Denken, speziell auf seine Platoninterpretation zu sprechen. So heißt es in seinem Autobiographical Statement at Age Eighty-Two: „A strong influence, for instance, was the circle of Stefan George, today almost forgotten, but extremely important at the time. Men like Friedrich Gundolf (who wrote on Goethe) Paul Friedländer, and Kurt von Hildebrandt promoted the revival of Plato; also my Introduction to Plato came from the George circle.“86

Da die dem Griechenland-Kapitel der History vorangehenden Paragraphen nicht überliefert sind, wissen wir nicht, ob und inwieweit Voegelin sich in ihnen mit dem traditionellen griechischen Volksmythos befasst hatte, der wesentlich zu den Bindekräften der hellenischen Welt beigetragen hatte. Es ist jedoch wahrscheinlich, zumal er sich gleich zu Beginn des Platon-Textes auf den alten Mythos bezieht und auch in späteren Texten auf den Übergang vom griechischen Volksmythos zur platonischen Philosophie eingehen wird. Denkbar ist auch, dass Voegelin bei dieser Gelegenheit erneut das Problem einer Theorie des politischen Mythos in Angriff nahm, die, wie wir sahen, ein wichtiges Element seines Projekts einer systematischen Staatslehre war. Wie dem auch sei: Es ist jedenfalls kein Zufall, dass er den Platon-Paragraphen der History den Titel „Plato’s Myth of the Soul“ gab und damit signalisierte, dass es besonders dieser Aspekt der platonischen Philosophie war, den er als wichtig erachtete. Das bestätigt die gleich zu Beginn stehende Feststellung: „the myth of Plato is the key for the understanding of his political work.“87 Ziel dieses politischen Werkes sei es gewesen – so jedenfalls die Sicht Voegelins –, den sterbenden Volksmythos durch einen neuen Mythos zu ersetzen und auf diese Weise ein „neues Volk“ zu schaffen. „The new myth, as we said, is not a myth of the people but a myth of the Soul destined to create a people.“88 Der Mythos hat hier offensichtlich die Funktion, die Voegelin in der Introduction 85 86 87 88

Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen. Hrsg., eingeleitet und mit einer Bibliographie versehen v. Peter J. Opitz; aus dem Englischen v. Caroline König, München: Fink, 1989, S. 34 f (Hervorh. PJO). In CW 33: The Drama of Humanity and Other Miscellaneous Papers 1939–1985. Ed. with an Introduction by William Petropulos and Gilbert Weiss, Columbia Missouri Press, 2004. S. 434. Eric Voegelin, Plato’s Myth of the Soul. Transkribiert und hrsg. von Elisabeth von Lochner, OP XX, Januar 2001. Ebd., S. 7.

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der „politischen Idee“ zugewiesen hatte: Er ist eine evokative Kraft, die jenes Kosmion ins Leben rufen soll, das dem Menschen Schutz und seinem Leben Sinn vermittelt. In diesem Sinn war es nur konsequent, wenn Voegelin gleich zu Beginn, im ersten der insgesamt vier Kapitel des Textes, diesen „neuen Mythos der Seele“ skizziert: Dessen „new content is given through the power of the Soul inherent in the life and death of Socrates and Plato. The chosen powers of the soul are Thanatos, Eros and Dike (insufficiently translated as Death, Love and Justice).“89 Die Bedeutung, die Voegelin diesen drei Seelenkräften zuweist, zeigt sich nicht nur darin, dass er sie gleich zu Beginn des Textes ausführlich charakterisiert, sondern auch darin, dass er sich auch später, in anderen Texten – auch noch in der New Science – an zentraler Stelle auf sie beziehen wird.90 Zu Beginn des Platon-Kapitels ist thanatos nicht das Ereignis, das dem Leben des Menschen ein Ende setzt, sondern „the great force which orders and adjusts the soul of the living through making it desirous of stripping itself of everything that is not noble and just.“91 Während thanatos die Seele somit auf das Gute hin ausrichtet, ist eros „the positive desire for the good“92, und die im Sokratischen Dialog evozierte Idee des Guten wird gleichzeitig zum „bond of community between the participants and creates the nucleus of the new society (… .)“: „The evocative conversation, however, is only the beginning of the movement of the Soul. From the love of the young man and his spirit, the soul moves on to the love of the Idea as embodied in institutions, and finally to the mystic contemplation of the Idea itself, free of its earthly encumbrances. The ascent through enthusiasm from the evocative eroticism to the Idea itself has a function similar to the catharsis through Thanatos. Death and Love are intimately connected as ruling powers in the person of Socrates.“93

Ebenso wie diese beiden Kräfte zur richtigen Ordnung der Seele und der Gesellschaft hinführen, so bewirkt dies auch dike und wird so zum einflussreichsten „Strukturprinzip der Polis, das, wie die beiden anderen Kräfte, die Polis mit dem Kosmos verbindet“: „The polis confirms the various possibilities of the human soul, and it is a function of the wise statesman, of the philosopher-king, to organize with the human 89 90 91 92 93

Ebd. (Hervorh. PJO) Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 79. Voegelin, Plato’s Myth, S. 8. Ebd., S. 9. Ebd. (Hervorh. PJO)

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Peter J. Opitz material at hand the right order of the political society which corresponds to the right order of the soul. The soul is alive with conflicting forces, the purely appetitive form, the courageous spiritual element, and the thinking spirit. (…) The Soul is in its right order when the three elements are kept in the proper relationship; and the polis is kept in good order when the Soul’s trinity reflects properly the three elements required by ***. The myth of the soul is also the myth of the polis.“94

Deutlich steht hinter dieser Auffassung das „anthropologische Prinzip“ Platons, demzufolge die Polis der großgeschriebene Mensch sei. Von ihm wird Voegelin später in der New Science sagen, dass es das „Glaubensbekenntnis des neuen Zeitalters“ sei.95 Wir haben darauf hingewiesen, dass Voegelin die Schaffung des platonischen Mythos vor dem Hintergrund des zur „leeren Hülle“ gewordenen alten homerischen Volksmythos sah, den es zu ersetzen galt. Wir müssen nun nochmals darauf zurückkommen und ihn in einem wesentlichen Punkt ergänzen und damit zu vervollständigen. Dieser betrifft die Krise der „old religious world of Hellas“96, die ein wesentliches Element des alten Volksmythos gebildet hatte. Diese Krise manifestierte sich für Platon in doppelter Weise: Zum einen in den falschen und schädlichen Symbolisierungen der Götter in den Epen Homers, die ihn deshalb dessen Vertreibung fordern ließ. Und zum anderen in der von dem Sophisten Protagoras vertretenen Lehre, dass es keine Götter gibt, dass sie sich, sofern es sie gäbe, nicht um die Menschen kümmern und dass sie, sofern sie dies täten, bestechlich seien – was wiederum den protagoräischen Schluss begründete, dass nicht Gott, sondern der Mensch das Maß aller Dinge sei. Ihm stellte Platon in den Nomoi die These entgegen, „dass Gott das Maß aller Dinge (sei), und nicht der Mensch, wie einige derzeit sagen.“ Dazu Voegelin: „This new formula establishes the mystic contemplation of God as the basis of the science of man not only for Greece but also for the later antiquity and for the Christian world. Theoretical achievements in political science is determined by the degree to which the scientist himself is a mystique who is able to penetrate to the a-dogmatic contemplation of Divinity, or, if he is not a mystic himself, by the degree to which his work rests on a mystic culture and the ontology developed by it.“97

Noch pointierter als im History-Kapitel wird Voegelin auf die herausragende Bedeutung dieses Deus mensura-Prinzips in der New Science verweisen und 94 95 96 97

Ebd., S. 11. (Hervorh. PJO) Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 74. Voegelin, Plato’s Myth, S. 44. Ebd., S. 16 (Hervorh. PJO).

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dazu feststellen, dass „das anthropologische Prinzip das theologische als ein Korrelat erfordert.“98 Der Hinweis Voegelins auf die mystische Kontemplation Gottes als Grundlage einer Wissenschaft vom Menschen sowie seine Forderung, ein Wissenschaftler müsse entweder selbst Mystiker sein oder sein Werk zumindest „auf einer mystischen Kultur und der von ihr entwickelten Ontologie basieren“, bedarf einer kurzen abschließenden Bemerkung, wirft sie doch die Frage auf, inwieweit dies für Voegelin selbst und für sein eigenes Werk gilt. Für Letzteres gibt es eine Reihe von Indizien. Nachdem sich schon in den Schlussbemerkungen zu den Politischen Religionen im Hinweis auf den Frankfurter eine Hinneigung zur Mystik angedeutet hatte, gilt dies, wie aus Voegelins Korrespondenz mit Karl Löwith hervorgeht, auch für seine History. So berichtete er Löwith, dass sich ihm bei der Arbeit an der History „die methodische Grundfrage nach den Kategorien (stellte), welche als die Konstanten für das Gesamtbild anzusetzen sind.“ Seine Antwort lautete, dass „die Position der Mystiker die methodisch wichtigste (ist), weil sie systematisch allgemein genug angelegt ist, um die tieferen Stufen der historischen Konkretisationen im Recht ihrer jeweiligen Relativität zu beschreiben. Auch politischgeschichtlich ist diese Wahl kein Zufall, denn die mystischen Positionen treten geschichtlich mit entscheidendem Gewicht gerade dann auf, wenn die tieferen Konkretisierungsstufen der Geschichte zerbrechen wie das antik-christliche Imperium in der Zeit Augustins, das mittelalterlich-christliche in der Zeit von Eckhart sowie Cusanus… .. Wir stehen heute wieder in einem Zusammenbruch (und nicht zufällig im 500 Jahr Rhythmus, nach dem des 15. Jahrhunderts). Die Krise ist heute, wie es Krisen immer sind, sozial, nicht unbedingt persönlich. Was zusammenbricht, ist eine historische Konkretisationsstufe und die ihr zugehörigen Institutionen; für das Individuum bleibt heute, wie im fünften und im fünfzehnten Jahrhundert, die sozial unzerstörbare Position der theologia negativa.“99

Während in der New Science vergleichbare Ausführungen zur Bedeutung der Mystik und einer mystischen Grundposition fehlen, ist auch hier – mit Blick auf Platon und einige der vorsokratischen Denker – von der mystischen Grundierung der politischen Theorie die Rede. So heißt es zur Entdeckung der Seele als des „neuen Zentrums im Menschen“, in dem er sich als aufgeschlossen für 98 99

Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 81. Die Korrespondenz mit Löwith findet sich in Karl Löwith/Eric Voegelin Briefwechsel, in Sinn und Form 59. Jahr/2007/6. Heft, November/Dezember, S.  764–774 (hier: S.  771). In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung der „Meditation“ im Werk Voegelins hinzuweisen – siehe dazu Opitz, Eric Voegelins „The Ecumenic Age“, VOP No. 104A, S. 98 ff.

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transzendente Realität erfährt: „Dieses Öffnen, das ebensosehr Aktion wie Passion ist, verdanken wir dem Genius der mystischen Philosophen.“100 Durch diese sei der „mystische Philosoph … zum Repräsentanten der neuen Wahrheit“ (geworden); und die Symbole, in denen er seine Erfahrung auslegte, bildeten den Kern einer Theorie der Sozialordnung.“101 Dass Voegelin sich auch, in der New Science auf dem Boden der mystischen Position und der von ihr entwickelten Ontologie bewegte, erscheint somit evident. Daraus folgt allerdings nicht zwingend, dass er sich selbst als Mystiker betrachtete – obwohl es auch dafür einige Belege gibt.102 Man ist versucht, darüber zu spekulieren, ob im Hintergrund von Voegelins Platon-Kapitel historische – vielleicht sogar autobiographische – Parallelen stehen, d.h., ob Voegelin die athenische Polis in einer geistigen Krise sah, ähnlich derjenigen, die er kurz zuvor im Vorwort zu den Politischen Religionen für die westliche Welt diagnostiziert hatte: ein Absterben der religiösen Wurzeln als tiefere Ursache massiver gesellschaftlicher Unordnung, die nur durch eine Revitalisierung der religiösen Wurzeln zu beleben sei. Sofern man eine solche Parallelität erkennen will, wäre allerdings ein Unterschied erkennbar: Während Sokrates das ihm angebotene Exil verweigert und freiwillig den Schierlings-Becher trank, wählte Voegelin die Flucht ins Exil, allerdings mit dem Ziel, dort den geistigen Widerstand zu organisieren. Wir haben zu Beginn die Frage aufgeworfen, was Voegelin an Platon und dessen Philosophie so faszinierte, dass er ihm schon im ersten Entwurf seiner History ein so langes und in der Sache zustimmendes Kapitel widmete, was auch schon deshalb überrascht, als er sich 1930, bei der philosophischen Grundierung seiner Staatslehre, an modernen Philosophien zu orientieren beabsichtigte, während der Name Platon in seinen früheren Schriften nur sehr gelegentlich aufgetaucht war.103 Im Rückblick auf diesen frühen Platon-Text, bei dessen Analyse wir uns auf einige zentrale Punkte beschränken mussten, wollen wir noch einmal kurz zu unserer Ausgangsfrage zurückkehren – zumal die platonische Philosophie auch weiterhin im Werk Voegelins ein zentraler Bezugspunkt Voegelins eigenen Philosophierens blieb.

100 Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 81. 101 Ebd., S. 88. Siehe dazu auch S. 165 f. 102 Vergl. dazu die kontroversen Positionen in: International and Interdisciplinary Perspectives on Eric Voegelin, ed. Stephen McKnight and Geoffrey L. Price, Columbia: University of Missouri Press 1997. – Jürgen Gebhardt, The Vocation of the Scholar; sowie Frederick E. Lawrence, The Problem of Eric Voegelin, Mystic, Philosopher and Scientist. 103 Allerdings hielt Voegelin im Rahmen seiner Vorträge am Österreichischen Volkshochschularchiv schon 1921/22 einen Vortrag mit dem Thema „Platons Staat“.

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Da war – zum einen – die philosophische Anthropologie als Grundlage der politischen Theorie Platons, die im sogenannten „anthropologischen Prinzip“ ebenso zum Ausdruck kam wie in den dieses Prinzip fundierenden seelischen und geistigen Kräften, verbanden doch diese die Ordnung der Gesellschaft mit der Transzendenz bzw. mit dem „Weltengrund“, wie es Voegelin schon in Rasse und Staat formuliert hatte. Damit lieferte die platonische Philosophie die ideale Basis für eine „Staatwissenschaft als Geisteswissenschaft“. Eng damit verbunden ist – zum anderen – Voegelins Affinität für Mysthik und Mythos. Für beide hatte er in der platonischen Philosophie zahlreiche Bezüge gefunden und die „mystische Kontemplation Gottes“ als Grundlage der Wissenschaft vom Menschen nicht nur für Griechenland, sondern für die christliche Welt bezeichnet. Wie schon erwähnt, hatte er dann die gesamte History von einer „mystischen Position“ aus verfasst. Wenn es auch keine eigenständigen Texte Voegelins über die Mystik gibt, so war ein solcher Text doch im Zusammenhang mit dem vierten Band von Order and History geplant. Ein weiterer Grund für die Faszination, die Platon auf ihn ausübte, war schließlich, dass er in dem platonischen Werk den „first great approach to a theory in the technical sense of the word“ sah, mit dem, wie eine „gift from heaven“104, politische Theorie einsetzt und zugleich alle zentralen Problemkomplexe politischer Ordnung einbezog, seien es Fragen der Verfassung und die Form ihres Wandels, sei es die Schichtung der Gesellschaft und die Probleme, die sich aus ihr für die politische Ordnung ergaben. Insgesamt gipfelt die Wertschätzung Platons deshalb in der Feststellung: „Never again has there been a man who was a mystic, a theorist, and a political statesman and founder of an empire at the same time.“105 Doch da ist noch ein weiterer Punkt, der der Erwähnung bedarf. Gemeint ist der Zusammenhang, den Voegelin zwischen der Philosophie Platons und der christlichen Zivilisation sah. Diese basiere ebenfalls „on mystic [contemplation?] and the elaboration of a view of the world which is closely related to the Greek theory.“106 Auf dieselbe These einer solchen geistigen Kontinuität wird der Leser in der New Science stoßen, in der Voegelin auf die „theoretische“ bzw. „anthropologische Wahrheit“ der griechischen Philosophie, die „soteriologische Wahrheit“ des Christentums folgen lässt. Viele Jahre später, 1970, wird Voegelin diese These in The Meaning of the

104 Voegelin, Plato’s Myth, S. 15. 105 Ebd., S. 17. 106 Ebd. Siehe dazu auch S. 21, wo die Unterschiede herausgearbeitet werden.

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Gospel wieder aufnehmen und näher auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede eingehen.107 Dass die Faszination, die die Philosophie Platons bei Voegelin ausgelöst hatte, nicht nur anhielt, sondern sich sogar noch steigerte, zeigt die weitere Entwicklung. Denn obwohl er die ersten beiden Teile der History – „Ancient World“ und „The Middle Ages“ – um 1945 abgeschlossen hatte und diese vom Macmillan Verlag, zu dem er inzwischen mit dem Projekt der History gewechselt war, nach einer positiven Begutachtung auch akzeptiert worden waren, nahm er die Arbeit am Platon-Teil schon bald wieder auf. Ursachen, Hintergründe und Abläufe dieses Prozesses lassen sich über einige seiner Korrespondenzen unschwer rekonstruieren. So heißt es in einem Brief an William Y. Elliott, der wesentlich dazu beigetragen hatte, dass Voegelin nach seiner Flucht aus Österreich an der Harvard University vorübergehend akademisches Asyl gewährt worden war: „I have neglected my correspondence somewhat because I was engaged in recent months in revising and, for the greater part, writing entirely new the section on Plato in my ‚History‘. After I had finished my studies on Schelling and Vico, certain problems dawned on me and I found that now I could give a sensible interpretation of the late work of Plato (Politicos, Timaios, Kritias) which usually is neglected.“108

Zu den Adressaten, denen Voegelin von der umfangreichen Revision des Platon-Kapitels berichtete, gehörte auch Alfred Schütz. Ihm berichtet er im Herbst 1947: „Die ‚History‘ geht gut weiter – wenn es auch einige Aufregung und Verzögerung gegeben hat. Angesichts der Arbeit am 3. Band ergab sich, dass der erste unzulänglich war. Ich habe seit Januar an der Revision gearbeitet, durch die er von 450 auf 700 Seiten angeschwollen ist. Und jetzt ist er fertig. Damit Sie sich irgendeine Vorstellung machen können, was ich treibe, lege ich das Inhaltsverzeichnis des neuen Platon-Teiles bei. Es ist detailliert genug, um wenigstens die Probleme erkennen zu lassen.“109

Ein Vergleich der Gliederung der ersten Fassung des Platon-Kapitels mit der an Schütz beiliegenden Gliederung zeigt, dass dieses inzwischen gewaltig 107 Eric Voegelin, Evangelium und Kultur. Das Evangelium als Antwort. Mit einem Vorwort v. Wolfhart Pannenberg; aus dem Englischen und mit einem Nachwort v. Helmut Winterholler, 2., erweiterte Aufl. 2022. 108 Brief vom 29. Januar 1947 von Eric Voegelin an William Y. Elliott. 109 Brief vom 1. August 1947 von Eric Voegelin an Alfred Schütz. Der Text des Inhaltsverzeichnisses findet sich im Anhang von Occasional Paper XX, S. 58–62.

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an Umfang zugenommen hatte, wobei die Erweiterungen nicht nur, wie die Korrespondenzen Voegelins andeuten, das Spätwerk Platons betrafen. Hinzu gekommen war auch ein längeres Kapitel über den Gorgias-Dialog, das bald als Vorabdruck in der Review of Politics erschien110, nachdem er zuvor schon Teile des Timaios-Kapitels im Journal of Politics veröffentlicht hatte.111 Noch nicht enthalten war hingegen das lange Nomoi-Kapitel, das sich 1956 in Plato and Aristotle findet. Es zeigt, dass Voegelins Feststellung im Brief an Schütz „und jetzt ist er fertig“, keineswegs zutrifft, sondern dass er auch weiterhin an dem „Ancient World“-Teil der History arbeitete – und damit auch am Platon-Teil. Nach einer Zählung Voegelins im Herbst 1954 hatte dieser schließlich einen Umfang von 410 Manuskriptseiten angenommen, war aber dennoch – so der Hinweis auf noch notwendige Revisionen in „certain sections in the part on Plato“ – auch jetzt noch nicht fertig112. Damit stellt sich die Frage, ob die quantitativen Erweiterungen auch die im 1940er Kapitel geäußerten Grundeinstellungen zu Platons Philosophie verändert hatten. Die Frage ist zu verneinen. Das zeigt sich allein schon darin, dass die stark erweiterte Schütz-Fassung des Platon-Teils noch immer unter dem Titel „Plato’s Myth of the Soul“ stand, gleich im ersten Kapitel den Mythos der So­kratischen Seele und deren drei Hauptkräfte thanatos, eros und dike thematisierte, was, wenngleich in weiter abgeschwächter Form auch in der 1956er Fassung noch der Fall war. Das heißt, die Seele und ihre Kräfte bleiben auch weiterhin ein zentrales Element von Voegelins Platon-Rezeption. In einem wesentlichen Punkt war allerdings eine Veränderung eingetreten – verursacht vermutlich durch die von Voegelin angesprochene Auseinandersetzung mit Schelling, die ja auch den Anstoß zur Überarbeitung des Platons-Kapitels gegeben hatte. Gemeint ist der Wechsel von dem ursprünglich der History zugrundeliegenden ideengeschichtlichen zu einem erfahrungstheoretischen Ansatz. Merkwürdigerweise findet sich darüber nichts in den Korrespondenzen jener Zeit, sondern erst viele Jahre später in zwei autobiographischen Rückblicken. Einen ersten Hinweis enthält allerdings schon Voegelins Nachruf 1966 auf seinen verstorbenen Freund Alfred Schütz, in dem er über Gespräche berichtet, die er anlässlich eines Besuches in New York mit diesem führte. „Die New Yorker Gespräche“, so erinnerte sich Voegelin, „waren die Gelegenheit, bei der uns beiden die Frage, um die es in unseren verschiedenartigen, 110 Eric Voegelin, The Philosophy of Existence: Plato’s Gorgias, in Review of Politics 11, no. 4 (1949), S. 477–498. 111 Eric Voegelin, Plato’s Egyptian Myth, in Journal of Politics 9, no. 3 (1947), S. 307–324. 112 Brief vom 25. Oktober 1953 von Voegelin an Charles D. Anderson (Macmillan Company).

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Peter J. Opitz aber parallelen Bemühungen ging, klar wurde: das phänomenologische Philosophieren eines Husserls orientiert sich grundsätzlich am Modell der Erfahrung und Gegenstände der Außenwelt; das klassische Philosophieren über politische Ordnung orientiert sich ebenso grundsätzlich am Modell der noetischen Erfahrung von transzendent-göttlichen Seins. (…) Für mich folgte aus der Einsicht, daß die klassische Politik zwar die Grundlage einer Philosophie der gesellschaftlichen Ordnung, keineswegs aber ihr letztes Wort ist. Denn fürs Erste gibt es in der Tat das Netzwerk weltimmanenten Handelns, im Besonderen im Bereich zweckrationalen, planenden Handelns, für das Interpretation eine Theorie wie die von Schütz entwickelte erforderlich ist. Zweitens aber wurde mir a propos der Erfahrungen, die uns unmittelbar beschäftigten, das allgemeine Problem des Verhältnisses von Erfahrungen und Symbolen deutlich. Da sich der Realitätsakzent auf die Erfahrungen verlagert hatte, musste ich meine projektierte und schon weit fortgeschrittene ‚Geschichte der politischen Ideen‘ als obsolet aufgeben. An ihre Stelle traten die neuen Untersuchungen zur Philosophie des Bewußtseins – über die Erfahrungen von Ordnung; über ihre symbolischen Ausdrücke; über die fundierenden Institutionen; und schließlich über die Ordnung des Bewußtseins selbst.“113

Dass dies alles nicht auf einmal geschah, sondern in einem über mehrere Jahre sich hinziehenden Prozess, der erst in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre seine volle Dynamik entfaltete, legen die beiden autobiographischen Bemerkungen nahe. So berichtet Voegelin in seinen im Sommer 1973 entstandenen Autobiographical Reflections: „I had written my History of Political Ideas up well into the nineteenth century. Large chapters on Schelling, Bakunin, Marx, and Nietzsche were finished. While working on the chapter on Schelling, it dawned on me that the conception of a history of ideas was an ideological deformation of reality. There were no ideas unless there were symbols of immediate experiences.“114

Nur wenige Jahre vor seinem Tod kam Voegelin, in seinem Autobiographical Statement at the Age of Eighty-Two, erneut auf das Thema zu sprechen: „I worked myself all the way from the Chicago Oriental School on the oriental empires up through the nineteenth century. Then I arrived at Schelling and his philosophy of the Myth. That brought the crash. Because Schelling was an intelligent philosopher, and when I studied the philosophy of the myth, I understood that ideas are nonsense: there are no ideas as such and there is no history of ideas; but there is a history of experiences which can express themselves in various forms, 113 Voegelin, Anamnesis, S. 19 f. 114 Eric Voegelin, Autobiographical Reflections. Ed. with an Introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge/London: Louisiana State University Press, 1989, S. 63. Dt. Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen, hrsg., eingeleitet und mit einer Bibliographie von Peter J. Opitz, München: Fink, 1994, S. 83.

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as myths of various types, as philosophical development, theological development, and so on. One has to get back to the analysis of experience. So I cashiered that history of ideas, which was practically finished in four or five volumes, and started reworking it from the standpoint of the problem of the experiences. That is how Order and History started.“115

Wir wissen nicht, wann sich dieser Wechsel vollzog. Er findet sich jedoch schon in einem Text, den Voegelin im Spätherbst 1949, erneut nach Gesprächen mit Schütz, verfasste. Es handelt sich um einen Nachtrag116 zu der kurz zuvor verfassten Neufassung des Aristoteles-Kapitels, in dem es um die „historicity of Truth“ geht. Wir werden später noch genauer auf ihn einzugehen haben. „The Truth of the philosopher“, so heißt es im Nachtrag, „is discovered in the previously analyzed experiences of Socrates-Plato. The cathartic experience of Thanatos and the enthusiastic experience of Eros open the soul toward transcendental reality; and they become effective in that re-ordering of the soul which Plato symbolized through Dike. (… ..) When, through the experiences of the Socratic-Platonic type, eternity enters time, we may say that ‚Truth‘ becomes ‚historical‘. (… ..) By ‚historicity of Truth‘ we mean transcendental reality, precisely because it is not an object of world-immanent knowledge, has a history of experience and symbolization.“117

Hier wird nochmals deutlich, dass Voegelin die früheren seelischen „Kräfte“ inzwischen als „seelische Erfahrungen“ verstand. Der hier verwendete Erfahrungs-Begriff wird schon bald auch der New Science zugrunde liegen. Und dort wird er wiederum in einer engen Beziehung zu dem Theorieverständnis Voegelins stehen, zu dem es heißen wird: „Theorie ist nicht ein beliebiges Meinen über die menschliche Existenz in Gesellschaft; sie ist vielmehr ein Versuch, den Sinn der Existenz durch die Auslegung einer bestimmten Klasse von

115 The Beginning and the Beyond. Papers from the Gadamer and Voegelin Conferences. Supplementary Issue of Lonergan Workshop, vol. 4. ed. by Fred Lawrence, Chico, CA: Scholars Press, 1986, S. 119 (Hervorh. PJO). 116 Der Nachtrag entstand ausweislich der Korrespondenz Voegelins mit Schütz im Spätherbst 1949. Siehe dazu den Brief Voegelins vom 3. Oktober 1949 an Schütz und dessen Erwiderung vom 1.November 1949 sowie Voegelins Antwort vom 7. November 1949. Ein in den EVP (Box  56–60) befindliches Manuskript mit dem Titel „On Types of Character and Scepticism“ ist weitgehend identisch mit dem Schlusskapitel von Order and History, Vol. 3: Plato and Aristotle, Baton Rouge: Louisiana State University Press, S. 358–372, insb. S. 362 f. Dt.: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. VII: Aristoteles, Kap. 4: Über Charaktertypen und Skepsis, S. 117–133. Hrsg. v. Peter J. Opitz; aus dem Englischen v. Helmut Winterholler, München: Fink, 2001. 117 Voegelin, Plato and Aristotle, S. 362 f (Hervorh. PJO).

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Erfahrungen zu gewinnen.“118 Im Vergleich zu dem Platon-Kapitel von 1940, in dem Voegelin politische Theorie noch recht vage als „das Ergebnis einer distanzierten Betrachtung der politischen Realität“ bestimmt hatte, ohne Näheres über die Art jener „Distanz“ zu sagen, hat der Begriff in der New Science durch die Beziehung zu den „Erfahrungen“ erheblich an Prägnanz und Substanz gewonnen. Dies umso mehr, als Voegelin hier auch auf die „strenge Wechselbeziehung zwischen der Theorie von der menschlichen Existenz und der historischen Differenzierung von Erfahrungen“ betont.119 Im Hintergrund steht zudem die Auffassung, dass sich „Erfahrungen“, speziell Realitätserfahrungen im weiteren Sinne, in einem Prozess der Differenzierung befinden, mit der Konsequenz, dass politische Theorie, aufgrund ihrer Bindung an die Erfahrungen, sich ebenfalls in einem solchen Prozess befindet – woraus schließlich die „Historizität der Wahrheit“ resultiert. Eng verbunden mit dem Wechsel von dem Ideen- zum Erfahrungs-Begriff ist ein weiterer Begriff, der hier erstmals als terminus technicus auftritt, in den Walgreen Lectures aber schon bald an prominenter Stelle stehen wird. Es ist der Begriff der „Wahrheit“, gegen den Schütz in der Korrespondenz erhebliche Bedenken erhob:120 „In der sokratisch-platonischen Erfahrung von Thanatos und Eros ist Wahrheit ein höchstes [welt]:transzendentes Gut, über das man nur in Symbolen sprechen kann […] Ewigkeit wird verzeitlicht und in diesem Sinn kann man, sagen Sie, von der Geschichtswerdung der Wahrheit sprechen […] Dieser ‚historische‘ Prozess ist aber nicht, wie mir scheinen will, einer der Geschichtswerdung der Wahrheit, sondern ein rein innerweltlicher Prozess, die Ersetzung einer Form des Wissens durch eine andere, die Wendung von der Volksreligiosität zur Metaphysik und – unter Aristoteles – zum Problem der Aktualisierung.“121

Die Einwände von Schütz überzeugen Voegelin zwar nicht, zwingen ihn aber zu einer genaueren Begründung seiner Begrifflichkeit: „Es ist mir vielleicht gelungen klarer zu machen (…), warum ich die ‚Geschichtlichkeit der Wahrheit‘ brauche nicht in einer Erkenntnistheorie, sondern in einer Theorie des Menschen in geschichtlicher Existenz. Alle Wissensausdrücke (und ihre Formen) sind innerweltlich (inclusive ‚Offenbarungen‘) (…) Aber nicht alles Wissen ist Wissen von innerweltlichem Sein. In den Transzendenzerlebnissen ist transzendentes Sein erfahren (wenn auch nicht ‚gegeben‘); und die Differenzierung dieser Erlebnisse (wie z.B. das Auftreten der Peitho) ist ein 118 119 120 121

Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 77 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 92. Brief vom 1. November 1949 von Schütz an Voegelin, in Briefwechsel, S. 357–361. Ebd., S. 359.

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geschichtlicher Prozess – die Theogonie im Schelling’schen Sinne. (…) [L]assen Sie mich versichern, dass ich mit diesem Begriff durch das ganze Werk hindurch arbeiten muss – eben jetzt in einer sehr komplizierten Analyse Hesiod’s – der als erster die Autorität der ‚Wahrheit‘ für sich in Anspruch genommen hat.“122

Ausführlich wird Voegelin auf diese Problematik erst einige Jahre später, 1957, in „Mankind and History“, dem Einleitungs-Essay zu The World of the Polis, eingehen. Kurze Zeit später, Anfang 1950, muss sich Voegelin erneut zu der Problematik äußern. Anlass ist ein Brief von Leo Strauss, dem er seine kurz zuvor erschienene Gorgias-Studie geschickt und der an dessen Titel „The Philosophy of Existence“ Anstoß genommen hatte. Spezielles Ärgernis war der Begriff „existentiell“. Abgesehen von seinem Hinweis, dass er den Begriff nicht im Sinne des Existentialismus verwendet habe, sondern in der Bedeutung, in der ihn Jacques Maritain in seinem Court Traité de L’Existence verwendete, ging Voegelin bei seiner Klarstellung auch auf seine Verwendung des Begriffs „Wahrheit“ ein: „Die Wahrheit der Ontologie (einschließlich im besonderen der philosophischen Anthropologie) ist nicht ein Datum, das von jedermann zu jeder Zeit erkannt werden kann. Ontologisches Wissen entsteht im Prozess der Geschichte und biographisch im Prozess des einzelmenschlichen Lebens unter gewissen Bedingungen der Erziehung, der gesellschaftlichen Umgebung, der persönlichen Neigung und der seelischen Habituierung. Die Episteme ist nicht nur eine Erkenntnisfunktion, eine dianoetische Areté. Für diesen nicht-kognitiven Aspekt der Episteme verwende ich den Ausdruck ‚existentiell‘. In einer Ideengeschichte muss ich diesen Ausdruck ziemlich oft verwenden. Eine Ideengeschichte soll nicht doxographischer Bericht, nicht „Dogmengeschichte“ im älteren Sinne sein, sondern Geschichte der existentiellen Wandlungen, in denen die ‚Wahrheit‘ in den Blick kommt, verdunkelt wird, verloren geht und wiedergewonnen wird. Eine Geschichte der politischen Ideen im Besonderen soll die Prozesse untersuchen, in denen ‚Wahrheit‘ sozial wirksam wird oder an solcher Wirksamkeit verhindert wird. Sie sehen, dass es sich nicht um eine Negierung oder Relativierung der Ontologie handelt, sondern um die Korrelation zwischen Erkenntnis im kognitiven und im existentiellen Sinne; diese Korrelation ist für mich das Thema der ‚Geschichte‘.“

122 Siehe dazu im Einzelnen das Hesiod-Kapitel in Order and History, Vol. II: The World of the Polis, Louisiana State University Press, 1957, S. 126–164. Dt.: Ordnung und Geschichte, Bd. 4: Die Welt der Polis – Gesellschaft, Mythos und Geschichte. Hrsg. v. Jürgen Gebhardt, München: Fink, 2002, S.  157–200. Siehe dazu auch Thomas Hollweck, Truth and Relativity: On the Historical Emergence of Truth, in Philosophy of Order. Hrsg. v. Peter J. Opitz und Gregor Sebba, Stuttgart: Klett-Cotta, 1981, S. 125–136.

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Und ergänzend dazu: „Existentielle Spezialthemen wären: Theogonie; Geschichte des Mythus und der Offenbarung: Zerstörung des Wahrheitswissens durch die Pleonexie der Intellektuellen; Wirksamkeit von Autorität, durch existentielle Bereitschaft erkannte Wahrheit imaginativ zu reproduzieren; Zerstörung von Autorität durch die verschließende Leidenschaft der Selbstbehauptung; etc.“123

Es sind diese Themen, auf die wir bald in den Walgreen Lectures stoßen werden, und es lag in der Logik dieses Verständnisses, dass Voegelin den zunächst vorgersehenen Titel der Lectures „On Representation“ in „Truth and Representation“ abänderte. Er signalisierte damit, dass es ihm in den Vorlesungen nicht nur um ein interessantes staatswissenschaftliches Thema ging, nicht nur im kognitiven, sondern auch im existentiellen Sinne. Eben um die Wahrheit der Existenz. Wenden wir uns nach diesem Rückblick auf die zweite Phase der PlatonRezeption Voegelins nun der New Science selbst zu, mit Blick und unter besonderer Berücksichtigung der Charakterisierung dieses Textes als einer „systematischen Studie zur Grundlegung einer Staatswissenschaft im platonischen Sinn“. Dass Platon im bisherigen Werk Voegelins inzwischen eine zentrale Rolle einnahm, hatte der Rückblick gezeigt. Dass dies auch für die New Science gilt, zeigt schon ein Blick ins Namensregister, in dem Platon – zusammen mit Aristoteles – bei Weitem über die meisten Eintragungen verfügt. Das heißt allerdings nicht, dass die obigen Ausführungen zu Platon in ihrer Substanz über das in „Plato’s Myth of the Soul“ und den späteren Langfassungen hinausgehen; im Wesentlichen fassen sie das dort Gesagte in seinen zentralen Aussagen lediglich noch einmal zusammen. In anderer Hinsicht tragen sie allerdings darüber hinaus wesentlich zu einer Profilierung des griechischen Denkers bei: Das gilt zum einen für dessen Einordnung in die Entwicklung der griechischen Philosophie, speziell in die Prozesse, in deren Verlauf es zur Entdeckung der Seele als Instrument der Erfahrung von Transzendenz kam, sowie zugleich zur „Erfahrung der Gottheit in ihrer nichtmenschlichen Transzendenz.“124 Hier profitierte Voegelin von dem neuen Forschungsstand, der sich insbesondere in Werner Jaegers Theology of Early Greek Philosophers (1947) 123 Brief vom 2. Januar 1950 von Voegelin an Leo Strauss (Brief  31), in Eric Voegelin / Leo Strauss. Glaube und Wissen. Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss von 1934 bis 1964. Unter Mitwirkung von Emmanuel Patard; hrsg. v. Peter J. Opitz, München: Fink, 2010, S. 68 f. (= Voegelin/Strauss Briefwechsel -- Hervorh. PJO). 124 Ebd., S. 81.

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und Bruno Snells Die Entdeckung des Geistes. Zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen (Hamburg 1948) manifestierte. Hinzu kam die Einordnung der griechischen Entwicklungen in größere zivilisationsübergreifende Zusammenhänge, wie sie Karl Jaspers kurz zuvor in seiner 1949 erschienenen Studie Vom Ursprung und Ziel der Geschichte vorgenommen hatte. Jaspers hatte die Zeit zwischen 700 und 200 v.Chr. als „Achsenzeit“ bezeichnet und diese als eine Zeit charakterisiert, in der, in mehreren Zivilisationen in Ost und West, „der Mensch sich des Seins im Ganzen seiner Selbst und seiner Grenzen bewußt“ wurde, in der „die Grundkategorien hervorgebracht [wurden], in denen wir bis heute denken und … die Ansätze der Weltreligionen geschaffen, aus denen die Menschen bis heute leben, in dem das „Menschsein im Ganzen einen Sprung tat.“125 Voegelin, der Jaspers 1949 im Rahmen seiner ersten Forschungsreise nach Europa in Basel besuchte und vermutlich mit diesem über dessen Auffassungen diskutiert hatte, stimmte Jaspers in der New Science zwar im Wesentlichen zu, meldete zugleich aber auch einen Einwand und eine Spezifizierung an: So monierte er zum einen, dass Jaspers die menschheitliche Relevanz des Christentums bestritten hatte und wies zum anderen – in unserem Zusammenhang relevant – dem „Ausbruch im Westen“ eine besondere Bedeutung zu. „Denn nur im Abendland“, so Voegelin, „hat dieser Ausbruch infolge besonderer historischer Umstände, die in anderen Kulturen nicht vorhanden waren, seinen Höhepunkt in der Begründung der Philosophie im griechischen Sinne und insbesondere einer Theorie der Politik erreicht.“126 Gleichsam zur Erläuterung dieser These schließen sich an diese Bemerkungen nun seine Ausführungen über die platonische und aristotelische Philosophie an, auf deren zentrale Bedeutung Voegelin später im Vorwort zur deutschen Ausgabe ausdrücklich hinweisen wird.127 Was dann folgt, sind die schon angeführten Ausführungen über das „anthropologische Prinzip“ als „allgemeines Prinzip zur Interpretation der Gesellschaft“, sowie als Instrument der Sozialkritik. Dabei erfährt das allgemeine Prinzip die Qualifizierung, „daß nicht eine willkürliche Idee vom Menschen als einem welt-immanenten Wesen zum Instrument gesellschaftlicher Kritik wird, sondern die Idee des Menschen, der seine wahre Natur entdeckt hat durch die Entdeckung seiner wahren 125 Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg, 1949; siehe dazu das erste Kapitel „Die Achsenzeit“ sowie Peter J. Opitz, Eric Voegelin und die ‚Achsenzeit‘ – eine Forschungsnotiz, in VOP No. 105, August 2019. 126 Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 75. 127 Ebd., S. 15.

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Peter J. Opitz Beziehung zu Gott. Das neue Maß, das für die Gesellschaftskritik gefunden wird, ist nicht der Mensch schlechthin, sondern der Mensch, sofern er durch die Differenzierung seiner Psyche zum Repräsentanten göttlicher Wahrheit geworden ist.“128

Neben dieser Qualifizierung verweist Voegelin erneut auf das das „anthropologische Prinzip“ ergänzende Deus Mensura-Prinzip: „Gott ist das Maß“. Zusammenfassend und zugleich damit den Abschnitt abschließend heißt es schließlich: „Die Gültigkeit der von Platon und Aristoteles entwickelten Maßstäbe beruht auf der Vorstellung von einem Menschen, der das Maß der Gesellschaft sein kann, weil Gott das Maß seiner Seele ist.“129 Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir in diesen Ausführungen zur platonischen Philosophie wesentliche Elemente jener „systematischen Grundlegung einer Staatswissenschaft im platonischen Sinn“ vor uns haben. Jedenfalls auf den ersten Blick. Denn bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage, ob Voegelin sich tatsächlich nur auf jene Grunderfahrungen sowie auf jenes „anthropologische Prinzip“ und das es ergänzende Deus MensuraPrinzip bezog, in denen die „Wahrheit“ der menschlichen Existenz in den Blick kommt? Denn ein wenig genauer betrachtet, ist seine Analyse Platons in der New Science vielschichtiger. So bezieht er sich in ihr nicht nur auf die Politeia und das dieser zugrundeliegende „anthropologische Prinzip“, sondern auch auf die Nomoi. Dabei macht er in einer häufig übersehenen „theoretischen Distinktion“130 auf eine „Evolution von der Politeia zu den Nomoi“ aufmerksam und verweist darauf, dass zu unterscheiden sei zwischen dem „Öffnen der Seele als einer Epoche seelischer Differenzierung und der Struktur der Realität, die unverändert bleibt.“131 So hatte Platon in der Politeia eine Polis konzipiert, „welche die Wahrheit der Seele unter der unmittelbaren Herrschaft mystischer Philosophen verkörpern sollte“, während er in den Nomoi „die Wahrheit der Seele im Hintergrund ihrer Offenbarung in der Politeia“ gelassen und die Polis begründet habe, „auf Institutionen, welche die Ordnung des Kosmos widerspiegelten, während die Wahrheit der Seele durch Administratoren vermittelt wurde, die sie als Dogma empfingen. Platon selbst, der potentielle Philosophenkönig der Politeia, wurde der athenische Fremdling der Nomoi, der mithalf, Institutionen zu ersinnen, die soviel an Geist verkörperten, als mit der unverändert gebliebenen natürlichen Existenz der Gesellschaft zu vereinbaren war.“132 128 129 130 131 132

Ebd., S. 81 (Hervorh. PJO). Ebd., S. 83. Voegelin, Neue Wissenschaft, S. 165, Voegelin, New Science, S. 166. Ebd., S. 166 (Hervorh. PJO).

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Schon zuvor, bei dessen erster Erwähnung, hatte Voegelin auf diese Einschränkung des „anthropologischen Prinzips“ mit dem Hinweis aufmerksam gemacht: „Aber wenn das Prinzip auch durch die Einführung anderer eingeschränkt werden muß und wenn auch der kosmologischen Interpretation und der Wahrheit, die in ihr steckt, Zugeständnisse gemacht werden müssen, so ist es dennoch das dynamische Lebenszentrum der neuen Theorie. Der Keil dieses Prinzips muß immer wieder in die Idee getrieben werden, daß die Gesellschaft nichts repräsentiere als kosmische Wahrheit, heute noch genauso wie zur Zeit Platons. Eine existente politische Gesellschaft muß ein geordnetes Kosmion sein, aber nicht auf Kosten des Menschen; sie soll nicht nur ein Mikrokosmos sein, sondern auch ein Makroanthropos.“133

Im Kern geht es Platon – so die Lesart Voegelins – also um die Herstellung einer Koexistenz der beiden Wahrheitstypen: des kosmologischen und des anthropologischen. Damit drängt sich die Frage auf, ob es nicht diese Koexistenz ist, auf die Voegelin in seinem Brief an Engel-Janosi enthaltene Formulierung „im platonischen Sinn“ hinweist? Wäre dies der Fall, so stellt sich die Frage: Wie stellt sich Voegelin dann eine moderne Variante der in den Nomoi entworfenen Lösung vor? Ein möglicher Fingerzeig findet sich ganz am Schluss der New Science. Dort sind es „die amerikanischen und englischen Demokratien, die in ihren Institutionen die Wahrheit der Seele am stärksten repräsentieren“134 – zumal wenn man diese Sätze im Zusammenhang mit seinen abschließenden Bemerkungen zur deutschen Ausgabe der New Science liest, in der es nach Hinweisen auf die klassische Politik und die jüdisch-christliche Ontologie von Mensch, Gesellschaft und Geschichte heißt: „Das angelsächsische Zivilregime (civil government) ist der prinzipiell und weltgeschichtlich bedeutsame Versuch, diese beiden Massen von Ordnungssubstanz adäquat zu institutionalisieren – zuerst für den Nationalstaat eines alten Stils und heute für die moderne Industriegesellschaft. Das Zivilregime überragt an nomothetischer Kunst und praktischen Erfolg alle anderen Verfassungsexperimente der Neuzeit: für die nachmittelalterlichen, modernen Gesellschaften sind seine Prinzipien an paradigmatischem Wert den Modellkonstruktionen eines Platons und Aristoteles für die Polis zu vergleichen.“135

Mit den „Institutionen“ des angelsächsischen Zivilregimes wären dann auch jene beiden Sachkomplexe in seine „Grundlegung“ einbezogen, die Voegelin 133 Ebd., S. 75 (Hervorh. PJO). 134 Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 196. 135 Ebd., S. 16 f (Hervorh. PJO).

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in seinem früheren System der Staatswissenschaft in den Teilen „Herrschaftslehre“ und „Rechtlehre“ behandelt hatte. 6.

Geschichtlichkeit der Existenz

Schon während der Arbeit an den Walgreen Lectures hatte Voegelin in verschiedenen Korrespondenzen darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine „Geschichtsphilosophie“ handeln würde, und in einem dieser Briefe war sogar davon die Rede gewesen, dass es „wesentlich eine Geschichtsphilosophie“ sei. Im Text selbst wurde dies gleich zu Beginn an prominenter Stelle bestätigt, so heißt es in den ersten Sätzen der Einleitung, dass „die Existenz des Menschen in politischer Gesellschaft geschichtliche Existenz“ sei und dass ferner eine Theorie der Politik, wenn sie zu den Prinzipien vorstößt“ – und das wollte Voegelin, wie schon der englische Titel „Principles of Government“ seines „Systems der Staatslehre“ erkennen ließ – gleichzeitig zu einer „Theorie der Geschichte“ werden müsse. Und nur wenig später heißt es, dass die folgende Symbolanalyse „in folgerechter Entfaltung der theoretischen Implikationen, in eine Philosophie der Geschichte ausmünden wird.“136 Das ist ohne Zweifel eine substantielle Erweiterung des Konzepts, das 1930 dem „System der Staatslehre“ zugrunde gelegen hatte.137 Bei ihm war von einer Philosophie der Geschichte nicht die Rede gewesen war. Damit stellt sich die Frage, wann eine solche Philosophie der Geschichte in dieses Projekt geriet – und warum dies geschah? Und an sie schließt sich die Frage an: wie diese Geschichtsphilosophie aussieht? Sieht man einmal davon ab, dass sich Voegelin schon in den Politischen Religionen mit den Geschichtsdeutungen von Paulus, Augustinus und Joachim von Fiore befasst hatte, ohne dass geschichtsphilosophische Deutungen in seinem eigenen Projekt eine Rolle gespielt hatten, so begann sich das bald zu ändern. So heißt es im September 1943 in seiner Korrespondenz mit Alfred Schütz über Edmund Husserls Schrift Die Krise der europäischen Wissenschaft: „Eine nicht-mißbräuchliche Geschichte des Geistes hat die Aufgabe, jede geschichtlich geistige Position bis zu dem Punkt zu durchdringen, an dem sie in sich selbst ruht, d.h. in dem sie in den Transzendenzerfahrungen des betreffenden Denkers verwurzelt ist. Nur wenn Geistesgeschichte mit diesem methodischen Ziel betrieben wird, kann sie ihr philosophisches Ziel erreichen, 136 Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 19. 137 Allerdings hatte Voegelin auch schon zu jener Zeit auf die „Geschichtlichkeit des Menschen“ als wichtiges Element einer Staatswissenschaft aufmerksam gemacht. Siehe Voegelin, Rassenidee, S. 21 f.

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den Geist in seiner Geschichtlichkeit oder, anders formuliert, die geschichtlichen Ausformungen des Geistes als Variationen über das Thema der Transzendenzerfahrungen zu verstehen. Diese Variationen folgen einander empirischtatsächlich, nicht willkürlich; sie bilden nicht eine anarchische Serie; sie lassen Ordnungsreihen erkennen, wenngleich die Ordnung etwas komplizierter ist, als die Forschritssmetaphysiker es sich wünschen.“

Und einige Zeilen weiter: „Das geistesgeschichtliche Verstehen ist eine Katharsis, eine purificatio im mystischen Sinn, mit dem persönlichen Ziel der illuminatio und der unio mystica; sachlich kann es, wenn systematisch an großen Materialketten betrieben, zur Herausarbeitung von Ordnungsreihen in der geschichtlichen Offenbarung des Geistes führen; sachlich-final kann es auf diesem Weg eine Philosophie der Geschichte produzieren. Der Leitfaden jedoch dieses Verstehens, der keinen Augenblick verlassen werden darf, sind die ‚Selbstzeugnisse‘ der Denker.“138

Mehreres lässt sich diesen Zeilen entnehmen: Zunächst einmal – und vor allem –, dass sich Voegelin zu diesem Zeitpunkt weiterhin mit Problemen des Geistes und einer Geisteswissenschaft beschäftigte, auch wenn ein Bezug zu einer „Staatswissenschaft als Geisteswissenschaft“ nicht explizit angesprochen wird. Sodann, dass er dem „Geist“ eine geschichtliche Dimension zuweist. Und schließlich, dass die „Herausarbeitung von Ordnungsreihen“ des Geistes zu einer Philosophie der Geschichte führen würde. Wenn er später, in der Einleitung zu Anamnesis, auf die Bedeutung dieser Texte von 1943 für die New Science und Order and History hinweisen wird, so dürfte damit nicht zuletzt auch der hier angesprochene geschichtsphilosophische Aspekt gemeint gewesen sein. Stärker ins Zentrum seiner Überlegungen begann sich die Geschichtsproblematik aber erst Mitte der 1940er Jahre zu schieben. Dazu trugen mehrere Faktoren bei, insbesondere die nun einsetzende Arbeit am Modern WorldTeil der History, die zu einer intensiven Beschäftigung mit den Geschichtsspekulationen des 18. und 19. Jahrhunderts – insbesondere mit denen von Voltaire, Saint-Simon und Auguste Comte, aber auch mit denen von Giambattista Vico und Friedrich Schelling führte. Ein weiterer Faktor dürfte seine Korrespondenz mit Karl Löwith gewesen sein, in der es immer wieder um geschichtsphilosophische Probleme geht. Ende Dezember 1947 heißt es dann in einem Brief an Alfred Schütz: „Und je länger ich an diesem Stoff arbeite, desto mehr rückt das Problem der Historizität des Geistes und der Möglichkeit

138 Brief vom 27. September 1943 von Voegelin an Alfred Schütz, in: Anamnesis, S. 31 f.

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einer Geschichtsphilosophie in das Zentrum.“139 Das geschieht spätestens im Herbst 1949, erneut nach Gesprächen mit Schütz, die Voegelin zu einem Nachtrag zu dem kurz zuvor bearbeiteten Kapitel über Aristoteles inspiriert hatten. Wir sind schon zuvor im Zusammenhang mit dem der „Wahrheit“ darauf eingegangen. In diesem geht es nun nicht um die „Historizität des Geistes“, sondern um das eng damit verwandte Problem der „Historizität der Wahrheit“, jenen Begriff also, der bald darauf im Zentrum der Walgreen Lectures stehen wird. „Wahrheit“, so grenzt Voegelin den Begriff gegen Missverständnisse ab, sei „nicht eine Sammlung von Aussagen über einen welt-immanenten Gegenstand; sie ist das welttranszendente summum bonum, das als eine orientierende Kraft in der Seele erfahren wird und von der wir nur in Analogie-Symbolen sprechen können. Transzendente Wirklichkeit kann kein Erkenntnisgegenstand in der Art einer welt-immanenten Gegebenheit sein, weil sie mit dem Menschen nicht die Endlichkeit und Zeitlichkeit immanenter Existenz teilt. Sie ist ewig, außerhalb der Zeit; sie ist nicht auf einer zeitlichen Ebene mit der erfahrenden Seele.“140

Hinsichtlich der „erfahrenden Seele“ hatte sich Voegelin schon zuvor auf die „Erfahrungen“ der Philosophen bezogen: auf die kathartische thanatosErfahrung und die enthusiastische eros-Erfahrung, mit der sich die Seele auf die „transzendente Realität“ hin öffnet und jene „Neuordnung“ der Seele bewirkte, die er als dike bezeichnete. Wir befinden uns hier wieder bei jenen drei „Kräften“ der Seele, mit deren Beschreibung Voegelin schon 1940 das Kapitel „The Myth of the Soul“ eröffnet hatte. Aus diesen Kräften waren nun „Erfahrungen“ geworden, zu denen es gleich anschließend heißt: „Tritt durch die Erfahrungen des sokratisch-platonischen Typs das Zeitlose in die Zeit, dann können wir sagen, dass ‚Wahrheit‘ ‚geschichtlich‘ wird. Diese Geschichtlichkeit wird dabei im Fortschreiten von den Symbolisierungen des athenischen Volksmythos zu den ‚differenzierten Erfahrungen‘ der Philosophen und deren Symbolisierungen sichtbar. „Dieses Fortschreiten ist Teil des geschichtlichen Prozesses, in dem die ältere symbolische Ordnung des Mythos sich – in der zuvor beschriebenen Weise – auflöst, und auf einem differenzierteren Niveau eine neue Ordnung der Seele in Offenheit zur transzendenten Wirklichkeit hergestellt wird. Mit ‚Geschichtlichkeit der Wahrheit‘ wollen wir ausdrücken, daß die transzendente Wirklichkeit, gerade weil sie

139 Brief vom 31. Dezember 1947 von Voegelin an Schütz, in: Briefwechsel 1938–1959, S.  318 (Hervorh. PJO). 140 Voegelin, Aristoteles, S. 122 f (Hervorh. PJO).

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nicht ein Gegenstand welt-immanenten Wissens ist, eine Geschichte von Erfahrung und Symbolisierung hat.“141

In diesen Ausführungen finden sich aber nicht nur deutliche Hinweise auf Voegelins spätere Geschichtsphilosophie, insbesondere zur Frage nach dem „Gegenstand der Geschichte“, sondern – wie der Fortgang des Textes zeigt – auch wichtige Präzisierungen seiner philosophischen Anthropologie: „Das Feld dieser Geschichte [von Erfahrung und Symbolisierung ‚transzendenter Wirklichkeit‘ – PJO] ist die Seele des Menschen. Der Mensch, in seinem Wissen von sich selbst, weiß sich nicht nur als ein welt-immanentes Seiendes, sondern auch als existierend in Offenheit gegenüber transzendenter Wirklichkeit; aber er weiß sich in dieser Offenheit nur geschichtlich in dem Grad an Differenzierung, den seine Erfahrungen und ihre Symbolisierungen erreicht haben. […]Wenn der Philosoph die geistige Ordnung der Seele erforscht, dann erforscht er einen Erfahrungsbereich, den er angemessen nur in einer Symbolsprache beschreiben kann, welche die Bewegung der Seele in Richtung auf transzendente Wirklichkeit und die Überflutung der Seele durch Transzendenz zum Ausdruck bringt. An der Grenze der Transzendenz muß die Sprache der philosophischen Anthropologie zur Sprache religiöser Symbolisierung werden.“142

Wir haben hier – im Kern jedenfalls – jenen geschichtsphilosophischen Ansatz vor uns, der bald auch den Walgreen Lectures zugrunde liegen wird. Nach Darstellung der drei Typen von „Wahrheit“ – der kosmologischen, der theoretischanthropologischen und der soteriologischen Wahrheit des Christentums –, verweist Voegelin dort auf eine „Annahme über Geschichte“, die seiner Arbeit zugrunde liegt: „die Annahme nämlich, dass die Substanz der Geschichte in den Erfahrungen besteht, durch die der Mensch das Verständnis seiner Menschlichkeit und gleichzeitig das Verständnis seiner Grenzen gewinnt.“143 Erzeugt wird dieses Verständnis durch jene „Erfahrungen“, die die Grundlage jener „Wahrheiten“ bilden. Doch es bleibt nicht bei dieser Feststellung. Verwiesen wird auch auf die Konsequenzen, die sich aus dieser „Annahme über die Substanz der Geschichte (…) für eine Theorie von der menschlichen Existenz in der Gesellschaft ergeben“144: dass nämlich die politische Theorie 141 Ebd., S. 123 (Hervorh. PJO). 142 Voegelin, Aristoteles, S. 123 (Hervorh. PJO). Damit befindet sich Voegelin auch ganz in Einklang mit Schelling, zu dessen Philosophie des Unbewussten er zusammenfassend festgestellt hatte: „Diese Erkenntnis begründet Geschichte als Wissenschaft von der Seele… . Die Geschichte bekommt ihre Bedeutung von der Seele, während die Seele die geschichtlichen Bedeutungen als Schichten in ihrer Existenz entdeckt.“ Voegelin, Schelling OP XLV, S. 58 f. 143 Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 91. 144 Ebd.

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„durch die Geschichte im Sinne der differenzierenden Erfahrungen gebunden ist und sich deshalb innerhalb ihres Horizontes bewegen muss.“145 Dies sind bei Voegelin vor allem die der griechischen Philosophie, speziell diejenige Platons, sowie die der christlichen Ontologie. Wenn Letztere hier nur kurz angesprochen wird, so dürfte das nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass zu dieser Zeit eine detaillierte Beschäftigung Voegelins mit dem Christentum noch ausstand. Während die politischen Implikationen, die sich aus jener „Annahme“ über Geschichte ergaben, an Klarheit nichts zu wünschen übrigließen, blieben die Implikationen für eine Philosophie der Geschichte in verschiedener Hinsicht unpräzise. Sie waren insoweit nachvollziehbar, dass sich aus der Reihe der symbolischen Selbstinterpretationen „die Reihe (der) verstehbar aufeinanderfolgenden Phasen eines historischen Prozesses theoretisieren“ ließ, wie er es schon in der Einleitung zur Neuen Wissenschaft angekündigt hatte. Genau genommen handelt es sich allerdings nicht um eine „Reihe“, die sich daraus ergab, sondern, wie er es selbst gegen Ende der Walgreen Lectures forumliert hatte, um „the conception of a civilizational cycle of world-historic proportions.“146 Versteht man unter einem „Zyklus“ einen Kreis, dessen Ende sich wieder seinem Anfang zuneigt, so war es – erneut genau genommen – auch kein „Zyklus“, der sich aus der Abfolge der Symbolanalysen ergab. Denn jener die einzelnen Zivilisationsgesellschaften überwölbende „giant cycle“, den Voegelin in der New Science beschrieb – der, ausgehend von den kosmologisch geprägten Hochkulturen seinen Höhepunkt „in der maximalen Differenzierung durch die Offenbarung des Logos in der Geschichte“ fand, also im „Erscheinen Christi“ – kehrte eben nicht zu dem kompakten Erleben der Seele in den vorchristlichen Hochkulturen zurück, sondern führte zur Unterdrückung der „autoritativen Ordnung in der Seele“, bzw. zu ihrer „Verschließung“ im modernen Gnostizismus. Von einem „Zyklus“ im exakten Sinne des Wortes konnte deshalb keine Rede sein. Wenn Voegelin diesen Begriff dennoch verwendete – dessen Ungenauigkeit er sich zweifellos bewusst war –, so dürfte dies zum einen auf seine Beschäftigung mit den von Zyklustheorien geprägten Geschichtsphilosophien Oswald Spenglers, Arnold Toynbees, vor allem aber Giambattista Vicos zu erklären sein. Hinzu kam vermutlich das Fehlen einer überzeugenden Antwort auf die Frage, wie es denn nach dem Ende des modernen Gnostizismus, mit dem „giant cycle“ weitergehen würde. Würde dann eine Rückkehr zu der früheren Differenzierungshöhe des Christentums erfolgen oder waren weitere 145 Ebd. 146 Voegelin, The New Science, S. 164. Dt., Die neue Wissenschaft, S. 172 (Übersetzung ist hier missverständlich).

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Phasen der Differenzierung der Transzendenzerfahrung denkbar? Dass Voegelin Letzteres durchaus für möglich hielt, klingt in einer Bemerkung Karl Löwith gegenüber an, in der es heißt: „Die Heilgeschichte im Sinne der Differenzierung und Purifizierung der Transzendenzerlebnisse ist nicht mit Christus abgeschlossen.“ Sie findet sich in einem Brief an Karl Löwith vom 9. Januar 1950.147 Unklarheit bestand jedoch nicht nur über die weitere Entwicklung des Geistes in der westlichen Hemisphäre. Einer adäquaten Berücksichtigung bedürften in einer umfassenden Geschichtsphilosophie auch die nichtwestlichen Hochkulturen, insbesondere China und Indien, die Jaspers in seiner Achsenzeit-These einbezogen hatte und die zu berücksichtigen Toynbee Voegelin bald auffordern wird. Kurzum: Von einer ausgereiften „systematischen Geschichtsphilosophie“ kann in der New Science noch nicht die Rede sein, bestenfalls von Ansätzen zu einer theoretischen „Grundlegung“ einer solchen Philosophie. Dennoch hatte das Projekt einer „Staatswissenschaft als Geisteswissenschaft“ – ungeachtet aller noch offenen Fragen – mit ihr eine systematische Abrundung gefunden, die ihm Anfang der 1930er Jahre, als Voegelin das Projekt in Angriff nahm, noch gefehlt hatte. Voegelin wird seine Ausführungen über eine Philosophie der Geschichte, die in der New Science noch sehr knapp gehalten sind, einige Jahre später in Mankind and History, der Einleitung zum zweiten Band von Order and History, erneut aufgreifen. Auch hier werden sie weiterhin auf der „Annahme“ beruhen, dass der „struggle for the truth of order … the very substance of history“ sei.148 Schon zuvor hatte er zudem – gleich zu Beginn des ersten Bandes von Order and History – das „Prinzip“ formuliert, das dem Gesamtprojekt und damit seiner eigenen Geschichtsphilosophie inzwischen zugrunde lag: „The order of history emerges from the history of order.“ Ergänzend dazu heißt es: „The inquiry into the types of order and their symbolic forms will be, at the same time, an inquiry into the order of history that emerges from their succession.“149 Nota bene: Um die „Ordnung“ der Geschichte geht hier, nicht etwa um deren „Sinn“. Dieser bleibt dem Menschen, da die Geschichte noch nicht abgeschlossen ist – es also auch kein eidos von ihr gibt – verschlossen.150 147 Siehe Sinn und Form, 2007, 6. Heft, S. 787. 148 Eric Voegelin, Order and History, Vol. Two: The World of the Polis, Louisiana State University Press, 1957, S. 2. 149 Eric Voegelin, Order and History, Vol. One: Israel and Revelation, Louisiana State University Press, 1956, S. X. 150 Mit dem Hinweis auf das fehlende eidos der Geschichte bezieht sich Voegelin auf Hans Urs von Balthasars Buch Theologie der Geschichte, auf das ihn von Balthasar während seines Besuchs in der Schweiz hingewiesen hatte. Siehe dazu Voegelin, Die neue Wissenschaft, S. 130 f.

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Mankind and History wird näher ausführen, was in der New Science erst kurz skizziert worden war. Hatte Voegelin in seinem Brief an Friedrich Engel-Janosi den Hinweis auf die Geschichtsphilosophie noch in Klammern gesetzt, so wird sie im nächsten Jahrzehnt zunehmend zunehmend an Gewicht und Präzision gewinnen. 7.

Abschließende Bemerkungen

Wir sind am Ende angekommen – wenden wir uns abschließend noch einmal kurz unserem Anfang zu – nämlich unserer Ausgangsthese, dass man die New Science of Politics in der Perspektive jenes „Systems der Staatswissenschaft“ sehen sollte, das Voegelin Anfang der 1930er Jahre in Angriff genommen hatte. Da Voegelin selbst es gewesen war, der eine solche Perspektive in seinem Brief an Engel-Janosi nahegelegt hatte, sollte man sie nicht ohne Weiteres von der Hand weisen, sondern sie ungeachtet der langen Zeitspanne, die zwischen den beiden Projekten liegt und der tiefgreifenden Veränderungen, zu denen es in den beiden dazwischenliegenden Jahrzehnten gekommen war, ernst nehmen. Vielleicht führt ein Vergleich der New Science of Politics mit der Struktur des „Systems der Staatswissenschaft“, wie Voegelin sie damals Van Sickle gegenüber skizziert hatte, ein wenig weiter. Das wichtigste Merkmal jenes Projekts war dessen systematischer Charakter, der schon im Titel – „System der Staatslehre“ – anklang. Abgesehen davon, dass Voegelin selbst die New Science als eine „systematische Studie“ bezeichnete, ist ihr systematischer Aufbau unschwer erkennbar: So vollzieht sich die Argumentation in zwei Schritten: Nachdem in einem ersten Schritt zwischen existentieller und transzendenter Repräsentation unterschieden und erstere relativ knapp behandelt worden war, wendet sie die Argumentation in einem zweiten Schritt der transzendenten Repräsentation zu, dabei zwischen vier Typen von „Wahrheit“ unterscheidend: kosmologischer, anthropologischer, soteriologischer und gnostischer „Wahrheit“. Dabei liegt der Schwerpunkt der New Science zweifellos auf dem Aspekt der „Wahrheit“. Dass es ihm vor allem auf diesen Aspekt ankam, zeigte sich auch darin, dass er den mit der University of Chicago ursprünglich vereinbarten Titel der Lecture, „On Representation“, noch während der Vorlesung nicht nur durch „Truth“ erweiterte, sondern Letztere auch an den Anfang stellte, zweifellos, um auf diese Weise zu zeigen, dass es ihm vor allem um die „Wahrheit“ ging. Um dies zu verstehen, bedarf es wiederum eines Blicks auf das Projekt „System der Staatslehre“ und auf die zentrale Intention, die Voegelin mit ihm verband: Es sollte – im Rahmen der von ihm beobachteten und befürworteten

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„Wende“ der deutschen Staatswissenschaft von einer positivistischen Rechtslehre zu einer „Geisteswissenschaft“ – auf einer „philosophischen Grundlage“ – basieren. Und genau eine solche zeichnet auch die New Science aus. Mehr noch: Bei ihr handelt es sich – auf den Begriff „Wahrheit“ gebracht – genau um diese philosophische Grundlegung. Das ist letztlich auch der Grund für, die Voranstellun des Begriffs „Truth“. Das heißt, wir haben in der New Science jene philosophische Grundlegung vor uns, um die Voegelin im Zusammenhang mit dem früheren Projekt zwei Jahrzehnte gerungen hatte. Bezeichnenderweise ist deshalb in seinem Brief an Engel-Janosi zur New Science auch von einer „Grundlegung“ die Rede. Dass sich diese nun nicht mehr, wie 1930 zunächst vorgesehen, auf Vertreter der „modernen“ Philosophie stützt, sondern auf die griechischchristliche Philosophie im Allgemeinen und die Platona im Besonderen ist aus struktureller Sicht von sekundärer Bedeutung. Die Betonung der philosophischen Basis – der „Grundlegung“ – erklärt auch, dass die beiden anderen Teile des Projekts von 1930, die damals schon in Form einer „Herrschaftslehre“ und einer „Rechtslehre“ vorlagen, hier nur noch am Rande auftauchen, genauer: am Ende des Textes, im Hinweis auf die „Institutionen des angelsächsischen Zivilregimes“, von denen es heißt, dass sie die „Wahrheit der Seele“ am stärksten repräsentieren. Dass Voegelin nicht genauer auf diesen Punkt eingeht, war insofern durchaus legitim, als sie ja nicht im abgesteckten Themenkreis der Walgreen Lectures lagen. In diesen ging es primär um die Erstellung einer geistigen Grundlage, also um den Entwurf einer „Staatslehre als Geisteswissenschaft“ auf der Basis des westlichen Ordnungswissens. Dass man dennoch gern mehr darüber gehört hätte, inwiefern und inwieweit diese „Institutionen des angelsächsischen Zivilregimes“ den platonisch-aristotelischen Geist atmen, ist eine andere Frage. Leider hat sich Voegelin auch später nicht näher dazu geäußert, zumindest nicht in einer seiner zahlreichen Publikationen. Das führt uns zu einem letzten Punkt: zu Voegelins Charakterisierung der New Science als einer „Geschichtsphilosophie“, genauer gesagt als einer „systematischen Geschichtsphilosophie“. Das ist ohne Zweifel ein Element, das in der Struktur des Textes von 1930 nicht enthalten war – vielleicht könnte man sogar sagen, dass es in ihr noch gar nicht enthalten sein konnte, zumindest nicht in der Form, die das Projekt schließlich angenommen hatte. Denn die der New Science zugrundeliegende Geschichtsphilosophie ergab sich erst aus der philosophischen Grundlage und der Freilegung der „Prinzipien“ menschlicher Existenz und politischer Ordnung. Über sie aber hatte Voegelin zunächst noch gar nicht verfügt. Es fand sich erst, als er der „Historizität des Geistes“ bzw. der „Historizität der Wahrheit“ nachging und sich zeigte, dass diese verschiedenen Typen der „Wahrheit“ nicht isoliert zueinanderstanden, sondern miteinander

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zusammenhingen und sich in Form eines „giant cycle“ entfalteten – so jedenfalls das Bild, in dem Voegelin den geschichtsphilosophischen Prozess gegen Ende der New Science zum Ausdruck bringt. Dass dies nicht sein letztes Wort dazu war, sondern eher der Beginn einer neuen Suche, die sich nun auf eine adäquate Geschichtsphilosophie konzentrierte, ist eine andere Geschichte, die mit der New Science erst beginnt und Voegelin die kommenden Jahrzehnte beschäftigen sollte. Die New Science in die Perspektive des „Systems der Staatslehre“ von 1930 zu stellen, löst auf den ersten Blick Skepsis aus. Zu Recht. Denn die Unterschiede zwischen den beiden Texten erscheinen nicht nur gravierend – sie sind es auch, zumal es sich bei dem einen, dem ersten, nur um Fragmente eines abgebrochenen Projekts handelt. Bei näherem Hinsehen und unter Berücksichtigung der Reflektionsprozesse, zu denen es in den zwei dazwischenliegenden Jahrzehnten gekommen war, ist jedoch die Perspektive nicht ganz so abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie trägt wesentlich dazu bei, den Reflektionsprozess zu verfolgen und die Kontinuität zu verstehen, in der sich das Denken Voegelins über mehrere Jahrzehnte entwickelte. Über diese Zielführung sollte allerdings nicht übersehen werden, dass bei allen Ähnlichkeiten auch ein wesentlicher Unterschied besteht. Während es sich bei dem „System der Staatslehre“ um so etwas wie einen „akademischen“ Text handelt, in der Absicht verfasst, eine gravierende Fehlentwicklung in der zeitgenössischen Staatslehre zu korrigieren und sich in der Weimarer (bzw. Wiener) Staatsrechtsdiskussion zu positionieren, liegt der New Science nun eine existentielle Dimension zugrunde, die jenes frühe Projekt nicht besessen hatte. Das hatte sehr wesentlich mit der veränderten politischen Situation zu tun, zu der es in den 1930er Jahren gekommen war, insbesondere mit den Verschärfungen, die durch die Machtergreifung totalitärer Regime in Teilen Europas verursacht wurden. Nicht minder wichtig war allerdings wohl eine im Laufe der Jahre gewachsene Sensibilisierung Voegelins für die Gefahren, die die Erosion des traditionellen geistigen Fundaments des Abendlandes und die Ausbreitung einer „innerweltlichen Religiosität“ lagen. Der Widerstand gegen diese Entwicklungen, die die „Wahrheit der Existenz“ bedrohten, wurde damit zu einer treibenden Kraft seiner wissenschaftlichen Arbeit – auch der der New Science, in der es gegen Ende des Textes heißt: „Auch was unsere eigene westliche Gesellschaft anbelangt, lässt sich kaum mehr tun als darauf hinzuweisen, daß der Gnostizismus trotz seines geräuschvollen Aufstiegs das Feld durchaus nicht allein beherrscht, daß die klassische und christliche Tradition der westlichen Gesellschaft lebt, daß die Bildung des geistigen und intellektuellen Widerstands gegen den Gnostizismus in allen seinen Spielarten ein Faktor in unserer Gesellschaft ist, daß die Wiederherstellung einer

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Wissenschaft von Mensch und Gesellschaft eines der beachtlichen Ereignisse des letzten Halbjahrhunderts darstellt und rückblickend einem künftigen Betrachter vielleicht als das wichtigste Ereignis unserer Zeit erscheinen wird.“151



Literaturhinweise

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151 Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung, hrsg. v. Peter  J.  Opitz, München: Fink, 2004, S. 174 (Hervorh. PJO).

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Peter J. Opitz

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VOEGELINS NEW SCIENCE OF POLITICS IN ZEITLICHER PERSPEKTIVE

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Voegelin, Eric: The Collected Works of Eric Voegelin 20, History of Political Ideas, Vol. II: The Middle Ages to Aquinas. Ed. with an Introduction by Peter von Sivers, Columbia/London: University of Missouri Press. Voegelin, Eric, Volksbildung, Wissenschaft und Politik, in: Monatsschrift für Politik, Kultur und Politik, 1. Jg. (H. 7), Juli 1936. Voegelin, Eric / Strauss, Leo, Glaube und Wissen. Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss von 1934 bis 1964. Unter Mitwirkung von Emmanuel Patard; hrsg. v. Peter J. Opitz, München: Fink, 2010.

Eric Voegelins Studie zur historiogenetischen Symbolform (Teil 1)

Zur Genese und Bedeutung eines Schlüsselkonzepts für The Ecumenic Age Axel Bark Abstract Between 1959 and 1970, Voegelin wrote four different versions of an essay entitled „Historiogenesis“. During the same period, he was working on the fourth volume of Order and History, which was published, after much delay, only in 1975 under the title The Ecumenic Age. The introductory chapter to this volume is entitled „Historiogenesis“ and is the final version of the series of essays mentioned above. Why Voegelin took so long to bring out the fourth volume, much of which had already been completed, is clear from his own words in the introduction to The Ecumenic Age. There he speaks of a „break“ that this volume represents with the program he had originally developed for Order and History. The reasons for this break are many, but one seems to be Voegelin’s „discovery“ of historiogenetic symbolism. This study will analyze the four versions of Historiogenesis in more detail, identify their differences, and – building on this – attempt to clarify what influence „Historiogenesis“ had on the „break“ with the original program of Order and History and the continuation of this work in The Ecumenic Age.

Keywords Historiogenesis, Symbolism, Mythospeculation, Equivalence, Leap in Being

Anfang 1975 erschien der vierte Band von Eric Voegelins opus magnum Order and History unter dem Titel The Ecumenic Age. Das erste Kapitel dieses Bandes trägt die Überschrift Historiogenesis. Diesen Begriff konnten allerdings nur Leser richtig einordnen, die Voegelins 1966 publizierte Anthologie Anamnesis kannten. Denn dort findet sich bereits ein Essay mit gleichem Titel. Doch auch dieser Text hatte einen Vorläufer gleichen Namens, der schon 1960 im Philosophischen Jahrbuch veröffentlicht worden war und sich prima vista nicht wesentlich vom Anamnesis-Text unterscheidet. * Teil 2 erscheint in einem der folgenden Jahrbücher. © Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_008

VOEGELINS STUDIE ZUR HISTORIOGENETISCHEN SYMBOLFORM

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Neben diesen drei Texten gibt es einen weiteren mit der Überschrift Historiogenesis, und zwar den Entwurf eines Eingangskapitels zum vierten Band von Order an History, der sich ganz erheblich vom schließlich veröffentlichten ersten Kapitel dieses Bandes unterscheidet. Dieser Entwurf ist ein Torso und wurde von Voegelin nicht publiziert. Er ist erst posthum unter dem Titel Anxiety and Reason in den Collected Works erschienen. An ihm arbeitete Voegelin vermutlich zwischen dem Sommer 1966 und April 1967.1 Uns liegen also vier Fassungen von Studien Voegelins mit dem ursprünglichen Titel Historiogenesis vor, nämlich: Fassung 1: in Philosophisches Jahrbuch, München 19602, Fassung 2: in der Anthologie Anamnesis, München 19663, Fassung 3: im Text Anxiety and Reason, verfasst wohl 1966/67, posthum veröffentlicht in Collected Works, Vol. 28, Baton Rouge, 19904, Fassung 4: in Order and History, Vol. IV: The Ecumenic Age, Baton Rouge, 19755, (im Folgenden abgekürzt OH IV). Bei den beiden ersten, in deutscher Sprache geschriebenen Texten handelt es sich um eigenständige Untersuchungen, während die beiden letzten, in englischer Sprache verfassten Versionen von vornherein als Eingangskapitel zum vierten Band von Order and History vorgesehen waren. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden ersten Fassungen nur um einige wenige, aber wesentliche Seiten, während die dritte Fassung Anxiety and Reason zwar auf diesen Versionen aufbaut, aber einen deutlich größeren geschichtsphilosophischen Bogen aufzuspannen versucht. Dieser Ansatz wird in der vierten Fassung im Band The Ecumenic Age nicht weiter verfolgt. 1 Zur Datierung von Anxiety and Reason siehe Peter J. Opitz (Hg.), Die Entdeckung der Vernunft. Anmerkungen zu Eric Voegelins „Anxiety and Reason“ in: Eric Voegelin, Angst und Vernunft, Occasional Papers 100, München: 2016, S. 79 ff., hier S. 82 ff. 2 Eric Voegelin, Historiogenesis in: Philosophisches Jahrbuch, 68. Jahrgang, Freiburg/München: 1960, S.  419–446, und in: Philosophia Viva, Bd.  13, Festschrift für Alois Dempf, hrsg. von M. Müller und M. Schmaus, Freiburg/München: 1960, S. 13–42. 3 Eric Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München: Piper 1966, S. 79–116. 4 Eric Voegelin, Anxiety and Reason in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 28: What is History? And Other Late Published Writings, ed. by Thomas A. Hollweck and Paul Caringella, Baton Rouge/London: LSU Press 1990, S.  52–110; Deutsch: Eric Voegelin, Angst und Vernunft, Occasional Papers 100, München: 2016. 5 Eric Voegelin, Order and History, Vol. IV: The Ecumenic Age, Baton Rouge: LSU Press, 1975, S. 59–113; Deutsch: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, hrsg. von Peter J. Opitz und Dietmar Herz, Band 8, Das Ökumenische Zeitalter – Legitimität der Antike, hrsg. von Thomas Hollweck, München: Fink 2004, S. 85–149.

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Da die letzte Fassung bereits 1971 abgeschlossen war, sind alle vier Historiogenesis-Texte innerhalb von 12 Jahren – von 1960 bis 1971 – entstanden, also weitgehend in der Zeit, in der Voegelin intensiv am vierten Band von Order and History arbeitete. Diesen Zeitraum bis zum Erscheinen von The Ecumenic Age kann man als Krisenzeit Voegelins bezeichnen, in der er zunehmend zentrale Aspekte des ursprünglichen Ansatzes von Order and History an Frage stellte und modifizierte. Er selbst spricht in der Einleitung zu The Ecumenic Age sogar von einem „Bruch“ dieses Bandes mit dem Plan, der Order and History ursprünglich zugrunde lag: „The present volume, The Ecumenic Age, breaks with the program I have developed for Order and History in the Preface to Volume I of the series.“6 Deutlich wird diese Krise nicht nur durch das verzögerte Erscheinen des vierten Bandes – ursprünglich sollte er schon 1958 veröffentlicht werden, also unmittelbar nach der Publikation der ersten drei Bände –, sondern vor allem durch dessen inhaltliche Umgestaltung. Denn eigentlich sollte der Band unter dem Namen „Empire and Christianity“ die multizivilisatorischen Reiche seit Alexander und die Entwicklung des Christentums behandeln, tatsächlich aber behandelt er unter dem neuen Titel „The Ecumenic Age“ das sogenannte „ökumenische Zeitalter“. Hierunter versteht Voegelin eine „Epoche“ in der Geschichte der Menschheit, die vom Auftreten „der großen geistigen Ausbrüche“ charakterisiert ist und die er auf die Jahrhunderte vom Beginn des Persischen Reiches bis zum Untergang des Römischen Reiches und zur Gründung seiner Nachfolgereiche eingrenzt, also auf den Zeitraum von etwa 800 v. Chr. bis 800 n. Chr.7 Nicht mehr enthalten in dem Band ist die ursprünglich angekündigte Behandlung von Christentum und Mittelalter. Im Zuge dieser Arbeitskrise wurde der vierte Band von Order and History nicht nur einmal umgestaltet, sondern unterlag im Laufe der Jahre mehreren inhaltlichen Umformungen, die aber regelmäßig wieder umgeworfen wurden, bevor er seine endgültige Form fand.8 Doch das Kapitel „Historiogenesis“ fin6 Voegelin, The Ecumenic Age, S. 1. 7 Voegelin bestimmt das „Ökumenische Zeitalter“ durch drei Charakteristika:  1. Das Auftreten ökumenischer (multikultureller) Reiche vom Atlantik zum Pazifik, die durch die Zerstörung, Eroberung oder Integration kosmologischer Reiche entstanden sind, 2. die „großen geistigen Ausbrüche“ in Griechenland und Israel, in China, Indien und im Iran, sowie 3. die Entwicklung eines „historischen Bewusstseins“, erkennbar an der Entstehung von „Historiographie“. „The triad“ – so Voegelin – „is a unit of experience in process of differentiation and symbolization. This process in its personal, social and historical dimensions, is the period which I have called the Ecumenic Age.“ (E. Voegelin, The Ecumenic Age, S. 313). 8 Zur Werksgeschichte des Bandes The Ecumenic Age siehe die ausführliche Untersuchung von Peter J. Opitz, Eric Voegelin, The Ecumenic Age: Die Entdeckung und Erkundung eines neuen Zeitalters. Protokoll einer Werksgeschichte, Occasional Papers 104 A und 104 B, München: 2018.

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det sich seit 1960 in fast allen Inhaltsentwürfen für den neuen vierten Band wieder – und zwar fast immer als dessen erstes Kapitel. Dies unterstreicht die Bedeutung, die der Topos Historiogenesis für Voegelin in dieser Krise hatte. Es gibt wohl nur wenige andere Themen, mit denen er sich so lange und ausführlich befasst hat wie mit dem historiogenetischen Symbolismus. Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Analyse untersucht werden, was Voegelin unter dem historiogenetischen Symbolismus versteht, worin sich die einzelnen Fassungen inhaltlich unterscheiden und welche Entwicklung seine Analyse dieses Symbolismus genommen hat. Abschließend soll erörtert werden, warum Voegelin dem historiogenetischen Symbolismus einen derart großen Stellenwert beimaß, dass er sich in den 1960er Jahren mehrfach intensiv mit ihm auseinandersetzte. 1.

Die erste Fassung: Was ist „Historiogenesis“? (1960)

Auf den ersten Seiten seiner im Philosophischen Jahrbuch 1960 veröffentlichten Studie skizziert Voegelin den „Wesenskern“ der Historiogenesis wie folgt: „In der Historiographie des Alten Orients treten Spekulationen auf, in denen die mündlich oder annalistisch überlieferte Geschichte als Phase eines Ablaufs von einem Ursprung her konstruiert wird. Der überlieferten Geschichte werden Perioden legendärer und mythischer Geschichte vorangestellt, die Zeiträume von Tausenden bis zu Hunderttausenden von Jahren umfassen, bis zurück zu einem Punkt, der als der Anfang alles historischen Geschehens verstanden wird.“9

Bei dem beschriebenen Phänomen handelt es sich also um eine in den kosmologischen Gesellschaften des Alten Orients (Ägypten, Mesopotamien, Israel) auftretende historiographische Spekulation über den Ursprung der Gesellschaft, in der ihre Autoren die „Geschichte“ der Gesellschaft bis zu einem göttlich-kosmischen Anfang zurückführen. Hierbei besteht der zeitlich jüngere Teil der Darstellung aus überlieferten Ereignissen, also den res gestae, während sich der vorangehende ältere Teil aus legendären und mythischen Darstellungen zusammensetzt, die sich über mehrere Jahrtausende erstrecken können – bis hin zu dem Punkt, an dem die konkrete Gesellschaft aufgrund göttlichen Handelns in das „Sein“ eintritt. Als Beispiele greift Voegelin auf die Sumerische Königsliste, das Götterdrama der Theologie von Memphis und die Genesis des Alten Testaments zurück. 9 Voegelin, Historiogenesis, Philosophisches Jahrbuch, S. 419.

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Der historiogenetische Symbolismus steht in engem Zusammenhang mit den ähnlichen Spekulationen der Kosmogonie, Theogonie und Anthropogonie, denn jede dieser Symbolismen stellt die Frage nach dem Anfang, allerdings jeweils für einen anderen Seinsbereich: „So wie aus den Erfahrungen von der Welt, den Göttern und den Menschen sich die Frage nach dem Ursprung des erfahrenen Seins erheben kann, so kann die Vernunft die Ursprungsfrage auch bei Gelegenheit der Erfahrung von der historischen Existenz des Menschen in Gesellschaft aufwerfen.“10

Es ist also die „Vernunft“, welche die Frage nach dem Ursprung des jeweiligen Seinsbereichs stellt. Sie wird hier im Rahmen des kosmologischen Mythos tätig, was neu ist, denn bisher hatte Voegelin den Topos „Vernunft“ nicht mit der „Wahrheit des Kosmos“ in Zusammenhang gebracht, sondern stets mit der „Wahrheit der hellenischen Philosophie“. Wie und in welcher Form die „Vernunft“ im Rahmen des kosmologischen Wahrheitsstils aktiv wird, wird er erst später, in der Studie Anxiety and Reason, näher untersuchen. Voegelin betrachtet aber nicht nur das Verhältnis der historiogenetischen Spekulation zu den übrigen drei Ursprungsspekulationen, er stellt darüber hinaus auch eine Beziehung her zwischen dem Aggregat aus Kosmogonie, Theogonie, Anthropogonie und Historiogenesis einerseits und der nach dem „Grund alles Seienden“ fragenden Metaphysik der griechischen Philosophie andererseits. Die Gesamtheit dieser vier Symbolismen umfasst jene „ursprüngliche Gemeinschaft des Seins“ von Gott und Mensch, Welt und Gesellschaft, die Voegelin schon in seiner Introduction zu Order and History als „datum of human experience“ beschrieben hatte.11 „Im Medium des Historischen wird über die arche spekuliert, so wie dies auch in den anderen Medien der Symbolik – im kosmischen, göttlichen und menschlichen – getan wird. (…) Aber wenn auch die Symbolismen sich spekulativ innerhalb des jeweiligen Seinsbereiches bewegen, an dessen Erfahrung sie anknüpfen, so intendieren sie doch das Sein der Metaphysik, das Sein, das der Grund alles Seienden ist. (…) (D)urch die Vielzahl der Spekulationstypen und ihre stoffliche Verschränkung hindurch (wird) das intendierte Sein selbst sichtbar.“12

10 11 12

A.a.O., Hervorh. A.B. Eric Voegelin, Order and History, Vol. I: Israel and Revelation, Baton Rouge: LSU Press 1956, S. 1. E. Voegelin, Historiogenesis, Philosophisches Jahrbuch, S. 419, Hervorh. A.B.

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Die Seinserfahrungen und ihr Ausdruck in den vier kosmologischen Symbolismen haben „pluralistischen Charakter“ und bilden gemeinsam eine Spekulation, die das „Sein“ als Grund alles Seienden der griechischen Philosophie „intendiert“. In dieser ersten Studie zur Historiogenesis geht Voegelin noch nicht näher auf die so beschriebene Art der Relation zwischen kosmologischer und philosophischer Spekulation ein. Er wird sie erst in der zweiten Fassung, im Band Anamnesis, genauer herausarbeiten und als „Äquivalenz“ bezeichnen und sie noch später, in Anxiety and Reason und in der letzten Fassung, ausführlicher beschreiben und in Form einer Matrix darstellen. Doch schon in dieser Fassung wird die „Ähnlichkeit“ zwischen einer kosmologischen Spekulation über den Anfang einerseits und der philosophischen Suche nach dem Grund des Seins andererseits herausgearbeitet, ohne sie explizit als „Äquivalenz“ zu benennen. Den so beschriebenen Symbolismus, der über den Ursprung von Geschichte der Gesellschaft spekuliert, identifiziert Voegelin als eine „Symbolform sui generis“ und nennt ihn in Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte der biblischen Genesis „Historiogenesis“. Er erweist sich – so Voegelin – „als von unvermutet großer Bedeutung in der Geschichte der Menschheit“13, da er nicht nur in Israel und den mesopotamischen und ägyptischen Zivilisationen auftritt, sondern „es fallen darunter auch die (…) Spekulation des Euhemeros im Anschluss an die imperiale Expansion Alexanders, sowie die historiogenetischen Spekulationen des Berossos und Manetho in der Zeit der Diadochenreiche. Ja, sogar in der christlichen Zeit tritt er noch mit voller Kraft in der wenig beachteten Spekulation des Clemens von Alexandrien auf und wird bei dieser Gelegenheit zu einem erstaunlichen Instrument der Auseinandersetzung mit dem Polytheismus. Über den vorderasiatisch-mediterranen Kulturbereich hinaus erweist der Typus seine Fruchtbarkeit vor allem in der Untersuchung der spekulativen Extrapolationen in der chinesischen Historiographie – aber die fernöstlichen Probleme sollen nicht in die vorliegende Studie einbezogen werden.“14

Diese Aufzählung umreißt den historischen Rahmen, in dem Voegelin die Fallanalysen zum historiogenetischen Symbolismus durchführt. Sie bilden umfangmäßig den allergrößten Teil der Studie. Nicht enthalten in diesen Einzelstudien ist – wie erwähnt – der aufgeführte Fall der chinesischen Historiographie. Auf ihn ist Voegelin zwar schon im Jahre 1959/60 bei seiner Arbeit am China-Kapitel für den vierten Band von Order and History gestoßen, 13 14

A.a.O., S. 420. A.a.O.

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wo er ihn als eigenständige Symbolform analysiert, aber noch nicht benennt. Hier bezeichnet er den Fall China erstmals als historiogenetisch. Soviel zum „Wesenskern“ des historiogenetischen Symbolismus. Abschlie­ ßend stellt sich natürlich die Frage: Welche Ereignisse veranlassten die Autoren dieser Symbolik zu einer solchen Konstruktion, und was waren ihre Motive? Der äußere Anstoß lässt sich leicht finden, denn der historiogenetische Symbolismus tritt stets deutlich später auf als die drei anderen Spekulationstypen, nämlich immer dann, wenn es in der jeweiligen Gesellschaft zu außerordentlichen politischen oder sozialen Krisen, zu Erschütterungen oder gar zur totalen Zerstörung des Reiches gekommen war – wie z.B. in Ägypten zu Beginn des Mittleren Reiches nach der Ersten Zwischenzeit (ca. 2000 v. Chr.). Dann bedurfte es einer Sinngebung der neuen politischen Ordnung. Und damit wird das Motiv für die historiogenetische Spekulation deutlich – nämlich als Versuch, der gegenwärtigen Gesellschaft Sinn zu geben, indem sie mit einem göttlichen Ursprung verknüpft wird. Voegelin bezieht sich hier insbesondere auf die Sumerische Königsliste, in der das Königtum im Himmel geschaffen und dann auf die Erde herabgelassen wird: „Als das Königtum vom Himmel herabkam, war das Königtum (zuerst) in Eridu“. Und ebenso später nach der Flut: „Nachdem die Flut beendet war, stieg das Königtum (wieder) vom Himmel herab, (und) das Königtum war (zuerst) in Kisch“.15 „Im Bemühen um das Sinnverständnis der Gegenwart wird vor allem die Geschehensreihe in die Vergangenheit extrapoliert bis zu einem absoluten Anfang, so dass der Sinn der Gegenwart als der vorläufige Endpunkt eines Geschehens vom Ursprung her verstanden werden kann.“16

Mit dem Herabsteigen des Königtums vom Himmel beginnt die Geschichte der Gesellschaft. Ihre Existenz, ihre Erfolge – aber auch ihre Niederlagen – sind göttliche Schickungen. Der König handelt auf Befehl der Götter. Und handelt er nicht, dann deshalb, weil der Befehl der Götter ausgeblieben ist. Die geschichtlichen Ereignisse der Gesellschaft können also durch die historiogenetische Konstruktion als Teil einer verstehbaren, von den Göttern durchwalteten Ordnung erfahren werden. Die von der historiogenetischen Spekulation aufgeführten tatsächlichen und legendären Ereignisse haben deshalb primär keinen historiographischen oder annalistischen Charakter, sondern sollen vor allem die Verknüpfung des aktuellen Geschehens in der Gesellschaft mit dem göttlichen Willen zeigen und somit die gesellschaftliche Gegenwart legitimieren und ihr Sinn verleihen. Die Verknüpfung der Gegenwart mit einem 15 16

Voegelin, Historiogenesis, Philosophisches Jahrbuch, S. 422. A.a.O., S. 421, Hervorh. A.B.

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kosmisch-göttlichen Anfang macht die historiogenetische Konstruktion gleichsam zu einer historia sacra. Das Motiv der Sinngebung wird durch die Beobachtung bestätigt, dass die Spekulanten der historiogenetischen Konstruktionen nicht vor radikalen Manipulationen und Verfälschungen des historischen Materials zurückschreckten. So eliminierten die Autoren der Theologie von Memphis die damals durchaus bekannte vordynastische Geschichte Ägyptens und ließen die Geschichte – die immer Reichsgeschichte ist – erst mit der Vereinigung von Ober- und Unterägypten durch König Menes (ca. 3000 v. Chr.) beginnen. Ein Wesensmerkmal der historiogenetischen Konstruktion ist also die Bereitschaft ihrer Autoren, die bekannten res gestae – wenn nötig – so zu verfälschen oder gar zu eliminieren, dass die gewünschte Sinngebung der gesellschaftlichen Realität erreicht wird. Damit sind die wesentlichen Charakteristika des historiogenetischen Symbolismus, die Motive ihrer Autoren sowie deren Neigung zur Manipulation, wie Voegelin sie in der ersten Fassung beschreibt, dargestellt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die historiogenetische Spekulation eine frühe Symbolform von „Geschichte“ bildet, die in den altorientalischen Reichen Ägyptens und Mesopotamiens in der Folge politischer und gesellschaftlicher Katastrophen auftritt – wobei „Geschichte“ als sinngebende Geschichte zu verstehen ist und nicht als rein annalistisches Erfassen von Geschehnissen. Bevor wir uns der zweiten Version zuwenden, wollen wir untersuchen, warum sich Voegelin nach Abschluss von Order and History Band I: Israel and Revelation, der die kosmologischen Reiche des Vorderen Orients und Israel behandelt, erneut mit Geschichtsspekulationen im kosmologischen Umfeld befasst. Wann und in welchem Zusammenhang Voegelin erstmals auf den historiogenetischen Symbolismus gestoßen ist, lässt sich nur vermuten, denn es gibt nur wenige Dokumente zu diesem Arbeitsprozess: Zum einen ein Schreiben an den Alttestamentler Gerhard von Rad vom Februar 196017 und zum anderen ein Typoskript zu dem für Band IV von Order and History vorgesehenen China-Kapitel aus dem Jahr 1959/60. Aus dem Brief an Gerhard von Rad geht allerdings nur hervor, dass Voegelin gerade an „frühen Geschichtsspekulationen, wie die des Berossos und Manetho“ arbeitete – zweifellos sind hiermit die historischen Spekulationen beider Geschichtsschreiber gemeint, die ausführlich in den Fallstudien des Aufsatzes behandelt werden –, nicht aber, warum er sich mit diesen Spekulationen auseinandersetzt. 17

E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 30: Selected Correspondence 1950– 1984, ed. by Thomas  A.  Hollweck, Columbia et  al.: University of Missouri Press, 2007, S. 409 f.

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Hier hilft ein Blick auf die Werksgeschichte von The Ecumenic Age weiter. Er zeigt, dass Voegelin 1959/60 im Rahmen seiner Untersuchung multizivilisatorischer Reiche an einem Abschnitt über das imperiale China arbeitete. Der Textentwurf für dieses Kapitel, der inhaltlich weitgehend dem in The Ecumenic Age veröffentlichten China-Kapitel entspricht, ist in Form des erwähnten Maschinen-Typoskripts erhalten geblieben.18 In diesem Text setzt sich Voegelin unter anderem mit dem Geschichtswerk Shih-chi des chinesischen Historiographen Ssu-ma Ch’ien aus dem 2. Jhdt. v. Chr. auseinander und stellt fest, dass Ch’iens Bericht der res gestae, also der „pragmatischen Geschichte“, durch einen Symbolismus mit dem Charakter einer „paradigmatischen Geschichte“ überlagert wird. Voegelin vergleicht ihn deshalb mit der Struktur der „paradigmatischen Form und den pragmatischen Ereignissen in der Biblischen Geschichte“: „For Ssu-ma Ch’ien was not altogether a pragmatic historian. Though it definitely was among his purpose to present a reliable record of events by selecting and transmitting to posterity the best sources available, his pragmatic record is overlaid by a symbolism that endows his work as a whole with the character of a paradigmatic history. The structure of his work, in this respect, resembles the relation between paradigmatic form and pragmatic events in the Biblical story.“19

In einer Fußnote verweist Voegelin an dieser Stelle auf Chapter 6: The Historiographic Work von Order and History Band I, also auf das Kapitel dieses Bandes, der sich mit dem historiographischen Werk Israels auseinandersetzt. Dort geht Voegelin detailliert auf die Geschichtsschreibung des Alten Testaments ein und beobachtet, dass es neben dem Strom der pragmatischen Geschichte einen Strom paradigmatischer Geschichte gibt, der den ersten überlagert. Ihr Kern sei nicht die Darstellung von Ereignissen, sondern ein Bericht über die besondere Beziehung des Volkes Israel zu Gott. „For the story told from Genesis to the end of II Kings is not a critical history of pragmatic events, (…) but an account of Israel’s relation with God. (…) The events are not experienced in a pragmatic context of means and ends (…), but as acts of obedience to, or defection from, a revealed will of God.“20

18

19 20

Ein Durchschlag dieses Typoskripts befindet sich im Besitz von Peter J. Opitz, der mir diesen dankenswerterweise für die vorliegende Arbeit zur Verfügung gestellt und mich auf den dargestellten Sachverhalt aufmerksam gemacht hat. Siehe hierzu auch Peter J. Opitz, Die chinesische Episode: Anmerkungen zum werksgeschichtlichen Hintergrund des ChinaKapitels in Eric Voegelins ‚The Ecumenic Age‘, Occasional Papers 99, München 2015, S. 28 ff. Typoskript, S. 1 f. Voegelin, Israel and Revelation, S. 121.

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Hier wird die Ähnlichkeit zwischen der chinesischen und der israelitischen Symbolform von Geschichte deutlich, wenn auch die „Form“ der Geschichte Israels erst durch die Erfahrung der göttlichen Offenbarung möglich wurde, die es im kosmologischen China nicht gab. Hierauf weist Voegelin in seinem China-Typoskript hin, indem er schreibt, „that China had achieved something like existence in historical form, even though the cosmological form was not radically broken. It was a form widely different, it is true, from the Israelite existence in the present under God or from the Hellenic historical perspective that opened with philosophical existence at the end of Greek history, but a form it was nevertheless which transformed the past into a meaningful course of events debouching into the present of imperial China.“21

An dieser Stelle erwähnt Voegelin erstmals, dass der Symbolismus der „Existenz in historischer Form“, den er bisher allein Israel zuschrieb, bereits in einem kosmologischen Reich, nämlich im imperialen China, auftritt, der allerdings vom Durchbruch zur israelischen Form der „Existenz unter Gott“ oder dem zur griechischen philosophischen Existenz weit entfernt ist. Auch wenn er diese Symbolform hier vor allem in Abgrenzung zum Durchbruch in Israel als „unvollständigen Durchbruch“ behandelt und auch nicht eigens benennt, so handelt es sich doch um das gleiche Phänomen, das er wenige Monate später „Historiogenesis“ nennen wird. In der schließlich veröffentlichten Fassung dieses China-Textes als Chapter 6: The Chinese Ecumene in Order and History, Band IV bezeichnet Voegelin die Darstellung des Ssu-ma Ch’ien dann auch folgerichtig als „historiogenetischen Bericht“ – nun aber ohne Verweis auf das Israel-Kapitel, der auch nicht mehr nötig ist, da der historiogenetische Symbolismus schon im Eröffnungskapitel von Band IV ausführlich behandelt wird: „For Ssu-ma Ch’ien was not altogether a pragmatic historian. Though it definitely was among his purpose to present a reliable record of events by selecting and transmitting to posterity the best sources available, the pragmatic part of his work is preceded by an historiogenetic account of the legends which traces the history of the ecumene back to its divine-cosmic origins.“22

Voegelin ist also offenbar auf das Phänomen des historiogenetischen Symbolismus bereits 1959/60 bei seiner Arbeit am China-Kapitel für OH IV gestoßen. Und diese Begegnung hat ihn wohl – so die Vermutung – dazu veranlasst, in Texten des Alten Orients nach ähnlichen Symbolformen in anderen 21 22

Typoskript, S. 2, Hervorh. A.B. Voegelin, The Ecumenic Age, S. 275.

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kosmologischen Gesellschaften zu suchen. Denn sollte er auch dort auf eine paradigmatische Geschichte stoßen, hätte dies eine erhebliche Rückwirkung auf den Band Israel and Revelation, da er in diesem Band auf das Geschichtsverständnis in kosmologischen Reichen gar nicht näher eingeht. Er erwähnt dort gar keine „Geschichte“ und begründet dies am Beispiel Mesopotamiens damit, dass die kosmologische Symbolisierung keinen „historischen Zeitfluss“ kennt; irdische Ereignisse, wie die Gründung eines Reiches oder einer Regierung, würden vielmehr als analoges Ereignis der kosmischen Ordnung der Götter durch eine göttliche Anordnung (cosmic decree) symbolisiert. „A political organization exists in time, and as a recognizable unit originates in time. In the cosmological style of symbolization, however, there is no flow of historical time articulated by an originating event. The foundation of a government is rather conceived as an event in the cosmic order of the gods, of which the earthly event is the analogous expression. What today we would call the category of historical time is symbolized by origination in a cosmic decree.“23

Hier wird deutlich, dass Voegelin damals – beim Verfassen von Israel and Revelation – noch der verbreiteten Vorstellung anhing, dass kosmologische Gesellschaften einen linearen Ablauf historischer Zeit nicht kannten und Zeit nur in zyklischer Form erfuhren.24 Die Entdeckung einer „paradigmatischen“ Geschichte im kosmologischen China und in der Folge auch in den vorderorientalischen Reichen zeigte aber, dass diese Annahme falsch war und es in kosmologischen Reichen sehr wohl die Erfahrung eines Ablaufs von „Geschichte“ in linearer Form gab. 2.

„A theory of relativity for the field of symbolic forms“

Dass Voegelin nach der Veröffentlichung der Historiogenesis-Studie im Philosophischen Jahrbuch seine Arbeit an diesem Thema nicht abgeschlossen hat, geht aus zwei Briefen an den damaligen Leiter der Louisiana State University Press, Donald R. Ellegood, hervor, in denen er den aktuellen Stand seiner Arbeit an OH IV zusammenfasst und hierbei auf seinen Historiogenesis-Aufsatz 23 24

Voegelin, Israel and Revelation, S. 25, Hervorh. A.B. Dies bestätigt Voegelin später, Ende 1974, in seiner Introduction zu: The Ecumenic Age, S. 7: „When I devised the program I was still laboring under the conventional belief that the conception of history as a meaningful course of events on a straight line of time was the great achievement of Israelites and Christians who were favored in its creation by the revelatory events, while the pagans, deprived as they were of revelation, could never rise above the conception of a cyclical time.“

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eingeht. Beide Briefe wurden schon bald nach der Veröffentlichung der Studie verfasst, der erste am 21. Juli 1960 und der zweite am 15. Januar 1961. Insbesondere der erste Brief, der nahezu gleichzeitig mit dem Erscheinen des Aufsatzes geschrieben wurde, lässt vermuten, dass Voegelin seine Analyse des historiogenetischen Symbolismus schon zu diesem Zeitpunkt weiter entwickelt hatte, als es im Text ablesbar ist. Anlass des ersten Briefes ist ein Bericht über den Stand seiner Arbeit an OH IV, in dem er eine völlig neue Gliederung des Bandes vorstellt. Auffällig ist, dass nun die Historiogenesis-Studie als erstes von acht Kapiteln den Band eröffnen soll. Das zweite Kapitel trägt die Überschrift „Formation of Existence“. Hierbei handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Vortragsentwurf, der später unter dem Titel „On Debate and Existence“ veröffentlicht wurde.25 Beide Kapitel sollen die „theoretischen Probleme“ behandeln, die die Grundlage des neuen Konzeptes für den Band IV bilden, während die folgenden Kapitel unter diesem „theoretischen Konzept“ abgehandelt werden sollen. Er brauche dann bei der Materialanalyse nicht mehr chronologisch vorzugehen wie bei den vorherigen Bänden, sondern „by large surveys of the dominant theoretical problems“. Der Band sei deshalb so aufgebaut, dass „the presentation of the theoretical problems will cover the first two chapters (…), while the great mass of the materials will be covered in the subsequent chapters under the theoretical concept developed in chapters I and II.“26

Nach der Lektüre beider Studien – dem Historiogenesis-Aufsatz und dem Artikel On Debate and Existence – muss sich der Leser aber fragen, welches denn nun die „theoretischen Probleme“ sind, auf die sich Voegelin in OH IV beziehen will. Unsere Analyse des Historiogenesis-Textes hat jedenfalls zunächst keine solchen Probleme aufzeigen können, die als „theoretische Grundlage“ für die übrigen Kapitel dienen könnten. Und der Aufsatz On Debate and Existence hat eine ganz andere inhaltliche Stoßrichtung: Er befasst sich nämlich mit den Schwierigkeiten, auf die man bei der Rezeption der scholastischen Philosophie und Aristotelischen Metaphysik stößt, wenn man bei ihrer Analyse von 25

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Im November 1960 hat Voegelin am Department of Philosophy der University of Illinois in Urbana und im Januar 1961 am Department of Political Science der Notre Dame University einen Vortrag unter dem Titel „Experience and Symbolization“ gehalten, der 1967 unter dem Titel „On Debate and Existence“ in der Intercollegiate Review veröffentlicht wurde. Vgl. hierzu Peter  J.  Opitz, Anmerkungen zu einem ‚Ersten Vorstoß in eine außerordentlich vielschichtige Problematik‘ in: Eric Voegelin, Debatte und Existenz, Voegelin Occasional Papers 93, hrsg. von Peter J. Opitz, München: 2013, S. 46 f. Voegelin, Collected Works Vol. 30, S. 421, Hervorh. A.B.

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der für heutige Leser schwer verständlichen, weil doktrinären Terminologie ausgeht und nicht auf die ihnen zugrunde liegenden Existenz- und Realitätserfahrungen zurückgreift27 – ein Thema, das Voegelin in den 1960er Jahren in mehreren Aufsätzen im Rahmen seiner Bewusstseinsphilosophie vertieft hat. Es fällt also in beiden Aufsätzen schwer, das angesprochene „theoretische Konzept“ für den vierten Band von Order and History zu erkennen. Noch schwieriger wird die Beantwortung dieser Frage, wenn man seine weitere Begründung liest: „That procedure has become necessary because several civilizations are treated with regard to the identical problems; and it has become possible as the consequence of an incredible stroke of luck: I have hit on something like a theory of relativity for the field of symbolic forms, and the discovery of the theoretical formula that will cover all the forms to whatever civilization they belong has made possible an abbreviation of the whole presentation which I had not dreamt of before.“28

Die Nachricht an Ellegood lautet also, dass Voegelin dem Fund einer „theory of relativity for the field of symbolic forms“ und der Entdeckung einer entsprechenden „theoretical formula“ die Möglichkeit verdankt, „verschiedene Zivilisationen unter dem Blickwinkel identischer Probleme“ zu behandeln. Doch kann man weder im Aufsatz On Debate and Existence noch in der ersten Fassung des Historiogenesis-Aufsatzes – so wie sie uns vorliegen – eine solche Theorie und theoretische Formel finden. Es ist deshalb zu vermuten, dass die erwähnten „theoretischen Probleme“ in dieser Fassung des HistoriogenesisAufsatzes noch nicht ausgearbeitet, doch gedanklich bereits entwickelt waren.29 Diese Annahme wird durch eine retrospektive Betrachtung, die dem Leser nach der Lektüre der vorliegenden Analyse möglich wird, bestätigt: Erst die weiteren Historiogenesis-Fassungen werden zeigen, was es mit der „Relativitätstheorie“ und der „Formel“ auf sich hat. Auf jeden Fall scheinen die theoretischen Ergebnisse der Historiogenesis-Studie für das Konzept von 27 28 29

Siehe hierzu: Voegelin, On Debate and Existence in: Voegelin, Collected Works Vol.  12, Published Essays 1966–1985, ed. by E. Sandoz, LSU Press 1990, S. 49. Voegelin, Collected Works Vol. 30, S. 420 f., Hervorh. A.B. Voegelin hatte Donald  R.  Ellegood eine wohl ins Englische übertragene Fassung des Historiogenesis-Aufsatzes zugeschickt. Denn er kündigt in seinem Brief vom 21. Juli 1960 die Zusendung von Chapter I: Historiogenesis und Chapter II: The Formation of Existence an: „The first two chapters will arrive in about two weeks.“ Dies wird durch eine Bemerkung in seinem nächsten Brief an Ellegood vom 15. Januar 1961 bestätigt: „With regard to the Chapter on Historiogenesis that you liked so much …“ (CW Vol. 30, S. 433 f., Hervorh. AB). Ob dies die Fassung im Philosophischen Jahrbuch war oder eine möglicherweise bereits modifizierte Fassung, wissen wir nicht.

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Order and History so bedeutend gewesen zu sein, dass die vorgesehenen Folgebände der Reihe weder in der bisherigen Form und Struktur, noch unter ihrem ursprünglichen Titel erschienen sind. An den dafür verantwortlichen konzeptionellen Problemen dürfte die „Entdeckung“ des historiogenetischen Symbolismus einen nicht unwesentlichen Anteil gehabt haben. Doch bleibt die Frage offen, worin die theoretischen Erkenntnisse bestanden, die zur Neukonzeption der Folgebände von Order and History führten. Wir werden später darauf zurückkommen. Sechs Monate später, am 15. Januar 1961, schreibt Voegelin in einem zweiten Brief an Ellegood, dass er das Historiogenesis-Kapitel für Band IV noch überarbeiten und einen weiteren Fall, nämlich den Sumerischen Fall, in das Kapitel aufnehmen müsse: „I have found in Chicago, through the association with Thorkil[d] Jacobsen, that there is one more case to be included in the materials (the Sumerian case) which happens to be a brilliant confirmation of the theory I had developed. That requires insertion of a few pages in the Chapter.“30

Tatsächlich spielt die Sumerische Königsliste, deren Konstruktion Jacobsen beschreibt, in der nächsten Fassung eine größere Rolle als in der ersten. In einer neu eingefügten Fußnote verweist Voegelin dort auf das Werk „The Sumerian King List“ von T. Jacobsen31 aus dem Jahr 193932, das ihm beim Verfassen der ersten Version offenbar nicht vorlag. Kurz zur Sumerischen Königsliste aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die ein hervorragendes Beispiel einer historiogenetischen Konstruktion darstellt: Ihre Autoren manipulierten nach der Eroberung verschiedener Stadtstaaten ihre Reichsgeschichte derart, dass sie die parallel verlaufenden Geschichten der eroberten Städte nicht zeitlich parallel darstellten, sondern sie nacheinander auf einer Zeitlinie anordneten, die der eigentlichen Sumerischen Geschichte vorgeschaltet wurde. Zuvor wurden die Geschichten der einzelnen Städte noch zerstückelt und mit Einzelstücken aus der Geschichte anderer Städte vermischt. Manche Teile wurden sogar ausgeblendet. Auf diese historiogenetische Konstruktion der sumerischen Reichsgeschichte bezieht sich Voegelin, wenn er – in der folgenden Anamnesis-Fassung – von der Erfahrung 30 31

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A.a.O., Hervorh. A.B. T. Jakobsen gehörte zur Gruppe der Orientalisten an der University of Chicago der 1940er und 50er Jahre, die Voegelins Verständnis der kosmologischen Reiche des Vorderen Orients stark beeinflusste. Siehe hierzu u.a.: Henri and H.A. Frankfort, John A. Wilson, Thorkild Jacobsen, The Intellectual Adventure of Ancient Man, Chicago 1946. Dt.: dieselben, Frühlicht des Geistes, Wandlungen des Weltbildes im Alten Orient, Stuttgart: 1954. T. Jakobsen, The Sumerian Kinglist, Assyriological Studies No. 11, Chicago: 1939.

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der „Nichtumkehrbarkeit der Zeit“ spricht, die die „brutale Konstruktion linearer Geschichte“ auslöst und in der man „den Untergrund von Angst spüren“ kann.33 Die Erfahrung der Nichtumkehrbarkeit der Zeit, die sich hieraus ergebende existentielle Angst sowie die Bedeutung der erwähnten „Relativitätstheorie der symbolischen Formen“ werden in der folgenden AnamnesisFassung detaillierter ausgearbeitet. 3.

Die zweite Fassung im Band Anamnesis (1966)

Im Jahr 1966 erschien Voegelins Anthologie-Band Anamnesis – Zur Theorie der Geschichte und Politik.34 Er enthält an hervorgehobener Stelle – nämlich als Einleitungskapitel des zweiten Teils mit dem Titel Erfahrung und Geschichte – die überarbeitete Fassung seines Historiogenesis-Aufsatzes von 1960. Gegenüber der ersten Fassung ist die neue Version weitgehend unverändert geblieben; allein der bisherige Abschnitt I der Studie von etwa 1½ Druckseiten Länge wurde durch einen Vorspann und einen völlig neuen Abschnitt I von insgesamt sechs Druckseiten ersetzt. Alle übrigen acht Abschnitte mit den einzelnen Fallstudien zum historiogenetischen Symbolismus sind identisch mit denen der ersten Version. Man könnte also meinen, dass sich auch inhaltlich gegenüber der ersten Fassung nicht viel geändert hat. Dem ist aber nicht so. Denn auf den neuen Seiten formuliert und diskutiert Voegelin „eine Reihe von Fragen, die von allgemeiner Bedeutung für eine Philosophie der Politik und Geschichte sind.“35 Allerdings handelt es sich hierbei weniger um Fragen als um Themenkomplexe, die in der ersten Fassung schon angelegt sind, aber nicht ausgeführt wurden. Sie lassen sich wie folgt strukturieren: 1. „Äquivalenz“ von Symbolismen und die Natur der konstanten Probleme 2. Historiogenesis als „Mythospekulation“ und ihre Motivation 3. Historiogenesis als „Symbolkonstante“ in der Geschichte der Menschheit Diese „Fragen“ können zwar – wie Voegelin schreibt – „bei dieser Gelegenheit nicht völlig durchgearbeitet werden; wohl aber müssen wir sie als Hintergrund

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Voegelin, Anamnesis, S. 83 f. Neben dieser deutschen gibt es eine englisch-sprachige Ausgabe der Anamnesis (Eric Voegelin, Anamnesis, ed. by Gerhart Niemeyer, University of Notre Dame Press, 1978). Sie enthält allerdings nicht den Historiogenesis-Aufsatz – da er ja nur wenige Jahre zuvor, nämlich 1975, in Voegelin, The Ecumenic Age in englischer Sprache veröffentlicht worden war. Voegelin, Anamnesis, S. 80.

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für die spezielle Untersuchung der Fälle von Historiogenesis zumindest andeuten.“36 Sie sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden: 1. Der erste Sachkomplex betrifft den Begriff der „Äquivalenz von Symbolismen“. Was versteht Voegelin darunter? Auch in dieser Version arbeitet er zunächst den Typus des historiogenetischen Symbolismus heraus, der „als Glied einer Klasse von Spekulationen betrachtet werden (muss), zu der auch Theogonie, Anthropogonie und Kosmogonie gehören“37, weil sie die Ursprungsfrage stellen – wobei die Historiogenesis nach dem Ursprung der gesellschaftlichen Ordnung fragt. Und auch jetzt ist es die „Vernunft“, die die Frage nach dem Anfang stellt. Anschließend stellt Voegelin wiederum das Aggregat der vier Ursprungssymbolismen des kosmologischen Mythos (Kosmogonie, Theogonie, Anthropogonie und Historiogenesis) der Seinsspekulation der frühen griechischen Philosophie gegenüber, führt nun aber den Begriff der „Äquivalenz“ ein und beschreibt das Verhältnis des kosmologischen Symbolaggregats als „äquivalent“ zur Spekulation der griechischen Philosophie über den Seinsgrund. Zwar hatte er schon in der ersten Fassung das Phänomen, das er nun „Äquivalenz“ nennt, beschrieben, indem er bemerkte, dass die vier genannten Symbolismen „das Sein der Metaphysik, das Sein, das der Grund alles Seienden ist, intendieren“38, doch hatte er dort noch keinen spezifischen Begriff dafür eingeführt. „Das Aggregat der vier Komplexe umfasst das ganze Feld des Seins, und die vier Symbolismen – der theogonische, anthropogonische, kosmogonische und historiogenetische – bilden das korrespondierende Aggregat von Spekulation betreffend das gesamte Feld. Wenn Historiogenesis zu den drei anderen Spekulationstypen hinzutritt, wird das Aggregat zu einem Phänomen, das im Medium des Mythos das Äquivalent zur Spekulation über den Seinsgrund im Medium der Philosophie darstellt.“39

Das Aggregat der vier kosmologischen Spekulationstypen ist also äquivalent zur Spekulation über den Seinsgrund im Medium der Philosophie. Äquivalent heißt gleichwertig, aber nicht gleich. Wenn die Symbolismen aber nicht gleich sind, stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen zwei äquivalenten Symbolismen besteht. Voegelin sagt an dieser Stelle hierzu nichts. Erst später,

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A.a.O. A.a.O. Voegelin, Historiogenesis in: Philosophisches Jahrbuch, S. 419. Voegelin, Anamnesis, S. 80, Hervorh. A.B.

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in Anxiety and Reason, erläutert er, dass sich äquivalente Symbolismen durch ihren „Differenzierungsgrad“ (degree of differentiation) unterscheiden.40 Das Phänomen der „Äquivalenz“ von Symbolismen im Medium des Mythos einerseits und in dem der hellenischen Philosophie andererseits beschreibt Voegelin an dieser Stelle erstmals systematisch, auch wenn er den ÄquivalenzBegriff in einem ähnlichen Kontext bereits früher, nämlich im Israel-Teil von Israel and Revelation, verwendet. Dort vergleicht er die symbolische Existenzform der Geschichte in Israel mit der kosmologischen Form des Mythos und bezeichnet sie als „äquivalent“: „History, we therefore conclude, is a symbolic form of existence, of the same class as the cosmological form; and the paradigmatic narrative is, in the historical form, the equivalent of the myth in the cosmological form.“41 Erst später, vor allem in OH IV, wird das „Äquivalent“ zu einem systematischen Instrument seiner Analyse, das insbesondere eine Verknüpfung und Vergleichbarkeit von Erfahrungen und Symbolismen in verschiedenen „Wahrheitsstilen“ ermöglicht. Denn er sieht dahinter das „allgemeine Problem der Äquivalenz von Symbolismen in verschiedenen Medien der Erfahrung“ und damit zusammenhängend die „Natur der konstanten Probleme, die sich in so verschiedenartigen Symbolismen wie Mythos und Philosophie ausdrücken lassen“.42 Und genau diese beiden Punkte – das allgemeine Problem der Äquivalenz von Symbolen sowie die dahinter liegende Natur der konstanten Probleme – scheinen die Grundlage der von Voegelin – in seinem oben erwähnten Brief an Ellegood vom Juli 1960 – erwähnten „theory of relativity for the field of symbolic forms“ zu sein. Denn eine Theorie äquivalenter Symbole kann natürlich eine Untersuchung konstanter Probleme in verschiedenen Zivilisationen erleichtern und zu einer Darstellung mit reduziertem Materialteil führen. Voegelin vertieft das Äquivalenzproblem hier nicht weiter. Erst später, in Anxiety and Reason, wird er eine Art „Formel“ in Form einer Matrix entwickeln, die auch in der letzten Historiogenesis-Fassung in OH IV erscheint. Eine solche Matrix kann man durchaus als die „theoretical formula, that will cover the forms to whatever civilization they belong“ identifizieren, die er wohl im erwähnten Brief an Ellegood vor Augen gehabt hat. In der Anamnesis-Fassung geht er auf beide Probleme – das der Äquivalenz und das der Natur der konstanten Probleme – allerdings noch nicht weiter ein, sondern verweist nur auf die Notwendigkeit einer vertiefenden Analyse: „Im Besonderen durch eine

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Voegelin, Anxiety and Reason, S. 70, 92. Voegelin, Israel and Revelation, S. 124, Hervorh. A.B. Voegelin, Anamnesis, S. 81 f., Hervorh. A.B.

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Untersuchung der Äquivalenzen – die wir hier nicht vornehmen können – würde neues Licht auf Grundprobleme der Philosophie fallen.“43 Eine genauere Untersuchung des Äquivalenzthemas erfolgte aber schon bald nach dem Erscheinen des Anamnesis-Bandes in Anxiety and Reason, der dritten Version der Historiogenesis. Und nur wenig später vertieft Voegelin das Thema in einer systematischen Untersuchung in seinem im August  1968 in Florenz gehaltenen Vortrag Equivalences of Experience and Symbolization in History, der im Jahr 1970 veröffentlicht wird.44 Äquivalenzen sieht Voegelin auch in anderen Zusammenhängen. Hier seien nur die beiden in der Anamnesis-Fassung erwähnten Fälle genannt: Zum einen betrifft der beschriebene Äquivalenzcharakter nicht nur das Aggregat der vier genannten Spekulationstypen, sondern auch jeden einzelnen Symbolismus, da sich dieser in der Regel nicht nur auf Materialien seines Realitätsbereich beschränkt, sondern auch Stoffe aus den jeweils anderen Bereichen als sekundäre Materialien aufnimmt und somit alle Seinsbereiche symbolisieren kann. Und zum anderen sieht er in der historiogenetischen Spekulation das mythische Äquivalent zu einer kritischen Historiographie, weil ihre Autoren die Stoffe weder im historiographischen Teil der res gestae noch in ihrem mythischen Teil beliebig zusammenstellen, sondern deren Auswahl bestimmten Relevanzkriterien folgen lassen – nämlich der Relevanz für eine göttlichkosmische Sinngebung der aktuellen Gesellschaft. Und auch hier verweist Voegelin auf die Notwendigkeit einer vertiefenden Untersuchung äquivalenter Symbolismen, die „wichtige Ergebnisse für Grundfragen der Historiographie erwarten“ lässt.45 2. Kommen wir zum zweiten Themenkomplex, nämlich zur Frage nach der Typisierung der historiogenetischen Spekulation als „Mythospekulation“ und ihrer Motivation. Was versteht Voegelin unter einer solchen? Die historiogenetische Spekulation wird ausgelöst durch die „Vernunft“, die im Medium der Geschichte die spekulative Frage nach dem Seinsgrund stellt und sie in der

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A.a.O., S. 82. E.  Voegelin, Equivalences of Experience and Symbolization in History, auf Englisch und Italienisch, Valecchi, Florenz: 1970; leicht verändert nachgedruckt in Philosophical Studies, National University of Ireland: 1981; siehe auch in: CW, Vol. 12, E. Voegelin, Published Essays 1966–1985, ed. with an introduction by Ellis Sandoz, LSU Press 1990, S. 115–133; in deutscher Sprache in: E. Voegelin, Ordnung, Bewusstsein und Geschichte. Späte Schriften – eine Auswahl, hrsg. von P.J. Opitz, Stuttgart 1988, Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, S. 99–126. Unveränderter Nachdruck in Voegeliniana Occasional Papers (VOP) 79, München 2010. Voegelin, Anamnesis, S. 83.

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Sprache der „Mythopoesie“ beantwortet. Dieses Zusammenspiel von Mythos und Spekulation nennt Voegelin „Mythospekulation“. „In der historiogenetischen Konstruktion wirken Mythos und Spekulation mit der historiographischen Intention zusammen. Insofern als das Paar Mythos– Spekulation auch bei der Schöpfung der anderen Typen dieser Klasse mitwirkt, muss es als eine formative Einheit eigenen Sinngehalts betrachtet werden, die auf historische Stoffe angewendet werden kann oder auch nicht.“46

Im Fall der Historiogenesis arbeiten Mythos und Spekulation im Medium der Geschichte zusammen, da sie die Frage nach dem Anfang der Gesellschaft stellen bzw. beantworten. Doch wirkt das Paar Mythos-Spekulation nicht nur in der historiogenetischen Spekulation, sondern auch in den drei übrigen Ursprungsspekulationen – dort allerdings in einem jeweils anderen inhaltlichen Zusammenhang. Mythospekulation stellt deshalb eine „formative Einheit eigenen Sinngehalts“ dar. Der Typus bildet eine Übergangsform im Prozess von der „Wahrheit des Kosmos“ zur „Wahrheit der Existenz“, die allerdings nicht zu einer vollständigen Differenzierung dessen führt, was Voegelin nun als das „noetische Bewusstsein“ bezeichnet – vielmehr bleibt die Spekulation dem Mythos untergeordnet. So beschreibt Voegelin später, in seiner vierten Version des Historiogenesis-Aufsatzes, die formative Einheit der Mythospekulation – also das Zusammenwirken von philosophischer Frage und mythopoetischer Antwort – als „zwischen kosmologischer Kompaktheit und noetischer Differenziertheit“ liegend, die aber im Mythos verbleibt.47 Es stellt sich aber noch die Frage: Was ist das eigentliche „Motiv des formativen Bemühens“ der Autoren der Mythospekulation, das hinter dem einer Sinngebung der gesellschaftlichen Ordnung steht? Dies lässt sich – so Voegelin – am besten am historiogenetischen Fall beobachten, weil es vor dem Auftreten des historiogenetischen Symbolismus schon andere Formen der „Beruhigung“ gesellschaftlicher Unordnung gab, nämlich: Rituale regelmäßiger Erneuerung (Neujahrsfeste, Krönungszeremonien etc.) durch analoges Wiederholen der Schöpfung des Kosmos im Sinn von Mircea Eliade48, welche die gesellschaftliche Ordnung auf den Rhythmus der kosmischen Ordnung einstimmen, ihr dadurch Sinn geben und sie beruhigen sollten. Es muss also etwas geschehen sein, was diese Form ritueller Beruhigung nicht mehr ausreichen ließ und zur 46 47 48

A.a.O., Hervorh. A.B. Siehe Voegelin, The Ecumenic Age, S. 64 und – im Zusammenhang mit der „Wahrheit des Paulinischen Mythos“ – S. 249. Voegelin stützt sich hier im Wesentlichen auf die Ausführungen von Mircea Eliade in: Cosmos and History: The Myth of the Eternal Return, 1954; deutsch: Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Frankfurt: 2007.

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Schaffung der Mythospekulation Historiogenesis führte – indem zum Mythos die spekulative Komponente hinzutrat. Was immer der äußere Anlass hierfür war, es bleibt die Frage: Welche Erfahrung führte zu einer „Mythospekulation“? Im Fall der Historiogenesis ist es – wie Voegelin diagnostiziert – die Erfahrung der „Unruhe, die durch die Nichtumkehrbarkeit der Zeit erregt wird“, eine Unruhe, die „den Untergrund von Angst spüren“ lässt, „die um jeden Preis das Errungene zum irreversibel Endgültigen machen will“.49 Auf die Erfahrung der „Nichtumkehrbarkeit der Zeit“, die einen „Untergrund von Angst“ aufzeigt, reagieren die Spekulanten mit einer „brutalen“ Geschichtskonstruktion, welche die Ereignisse auf einer unumkehrbaren Linie der Zeit positioniert und so angelegt ist, dass „keine äußeren Ereignisse den einzig zulässigen Ablauf stören können“. Von „Angst“, die es zu beschwichtigen gilt, ist in diesem Zusammenhang zum ersten Mal die Rede. Auf die tieferen Gründe, die „Angst“ auslösen, geht Voegelin hier noch nicht ein; er wird sie erst im Text Anxiety and Reason und in der vierten Version der Historiogenesis in OH Band IV analysieren. Wir werden darauf zurückkommen. 3. In seiner dritten „Frage von allgemeiner Bedeutung“ – bei der es sich wiederum weniger um eine Frage, als um eine Feststellung handelt – greift Voegelin erneut den Aspekt der „großen Bedeutung der Historiogenesis in der Geschichte der Menschheit“ auf, indem er auf ihre „Allgegenwärtigkeit“ in der Geschichte hinweist. Nun aber spannt er den historischen Bogen ihres Auftretens bis in die westliche Moderne und führt als weitere Fälle – neben den ökumenischen Reichen in China, Indien und Rom – die progressiven, romantischen, idealistischen, materialistischen und positivistischen Geschichtsspekulationen des 19. Jahrhunderts an. Die ursprünglich rein kosmologische Symbolik der historiogenetischen Spekulation entpuppt sich damit als „eine Symbolkonstante in der Geschichte der Menschheit, die sich in sehr unterschiedlichen Erfahrungs- und Symbolstilen“50 von der Antike bis zur Gegenwart manifestiert. „Der Charakter einer Konstanten, die in Gesellschaften von sehr unterschiedlichen Erfahrungs- und Symbolstilen auftritt, weist darauf hin, dass Historiogenesis in der Ökonomie gesellschaftlicher Ordnung eine Funktion von hoher Allgemeinheitsstufe hat. Auf das Problem dieser generellen Funktion können wir jedoch im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingehen. Die Analyse wird sich auf die frühen Fälle der Spekulation beschränken.“51

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Voegelin, Anamnesis, S. 83 f. Voegelin, Anamnesis S. 85. A.a.O., Hervorh. A.B.

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Die Historiogenesis als kosmologischer Symbolismus, der in verschiedenen „Wahrheitsstilen“ auftritt, veranlasst Voegelin also dazu, den Übergangsprozess von einem Wahrheitsstil zu einem anderen nicht mehr „hart“ als „Seinssprung“52, sondern eher als „fließend“ zu beschreiben. Später, in Anxiety and Reason, wird er von den dynamics of change der Wahrheitsstile sprechen. Der Charakter der Historiogenesis als einer durchgehenden Symbolkonstante veranlasst ihn in den beiden folgenden Fassungen zu einer Themenerweiterung des Historiogenesis-Aufsatzes, in der er den Übergangsprozess vom kosmologischen Wahrheitsstil zum revelatorischen oder philosophischen Wahrheitsstil zu analysieren versucht. Betrachtet man abschließend diese drei „Fragen von allgemeiner Bedeutung“, so kann man zusammenfassend feststellen, dass sie sich im Kern auf drei Themenkreise konzentrieren, nämlich (1) auf die Äquivalenztheorie, (2) auf die Identifizierung der Historiogenesis als Mythospekulation und (3) auf ihren Charakter einer Konstanten in verschiedenen Erfahrungs- und Symbolstilen. Einen etwas anderen Akzent setzt Voegelin dagegen in seiner Vorstellung des Historiogenesis-Aufsatzes im Vorwort des Anamnesis-Buches. Dort betont er die Linearität historiogenetischer Geschichtskonstruktionen, die durch die „Angst um Bestand und Legitimität der Ordnung“ motiviert und durch eine rücksichtslose „Vergewaltigung des geschichtlichen Stoffes“ charakterisiert sind. „(Die altorientalischen Reiche) bringen in der Tat auch die Symbolik linearer Geschichte hervor, und zwar charakteristischerweise im Zusammenhang mit schweren Störungen der politischen Ordnung. Lineare Konstruktionen entspringen der Angst um Bestand und Legitimität der Ordnung; sie haben die Funktion, durch eine Art magischen Zwang die jeweilige Ordnung zu restaurieren, zu legitimieren, oder revolutionär zu etablieren. Die Vergewaltigung des geschichtlichen Stoffes ist für die altorientalischen Konstruktionen ebenso charakteristisch wie für die modernen „Geschichtsphilosophien“. Die Analyse macht auf die Äquivalenz politischer Obsessivkonstruktionen in den Medien mythischer und ideologischer Spekulation aufmerksam.“53

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Mit „Sprung“ (leap) oder „Sprung im Sein“ (leap in being) beschreibt Voegelin – vor allem in den drei ersten Bänden von Order and History – den geistigen Fortschritt von der kompakten kosmologischen Existenzform zu den differenzierten Existenzformen der hellenischen Philosophie und der israelischen Offenbarung. Neu ist hierbei die Erfahrung der direkten Unterstellung des Menschen unter Gott. In der „Seinsgemeinschaft“ aus Gott, Welt, Mensch und Gesellschaft, die auch nach dem Seinssprung erhalten bleibt, erfährt die Beziehung Gott – Mensch durch den qualitativen „Sprung“ eine Privilegierung. Siehe hierzu Voegelin, Israel and Revelation, Introduction, S. 10 f. Voegelin, Anamnesis, S. 9, Hervorh. A.B.

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Den hier betonten Aspekt der „Angst“ spricht Voegelin zwar auch im Rahmen seiner zweiten Frage im Text der Studie selbst kurz an, stellt sie dort aber nicht so sehr in den Vordergrund wie an dieser Stelle. Zum besseren Verständnis der unterschiedlichen Akzentsetzung muss man wissen, dass das Vorwort zum Anamnesis-Band wohl erst kurz vor dessen Erscheinen geschrieben wurde, jedenfalls später als die Überarbeitung des Historiogenesis-Aufsatzes, die sich vor allem auf den Topos der „Äquivalenz“, den Charakter der „Mytho­ spekulation“ als Übergangssymbolismus und der „Allgegenwärtigkeit“ der Historiogenesis in verschiedenen, auch modernen Wahrheitsstilen konzentriert. Tatsächlich rückt Voegelin die Erfahrung der „Nichtumkehrbarkeit der Geschichte“ aufgrund ihrer linearen Konstruktion sowie ihr Motiv existentieller Angst mehr und mehr ins Zentrum seiner letzten beiden Studien zur Historiogenesis. Fassen wir die wesentlichen Erkenntnisse der beiden ersten Aufsätze zusammen: In ihnen beschreibt Voegelin den Wesenskern des historiogenetischen Symbolismus. Schon in der ersten Version werden alle Bestandteile dieses Wesenskerns – wenn auch knapp – angesprochen und beschrieben, auch wenn sie dort oft noch keine eigene Bezeichnung gefunden haben, wie z.B. die Topoi „Mytho­spekulation“ oder „Äquivalenz“. Es geht im Wesentlichen um folgende Bestandteile: 1. Historiogenesis als Mythospekulation Die historiogenetische Spekulation stellt die Frage nach dem Ursprung der politischen Gesellschaft und ihrer Ordnung. Die Suche nach dem Ursprung ist ein Akt der Vernunft, da sie die Frage nach dem Grund stellt. Sie wird durch eine mythopoetische Erzählung im Rahmen des kosmologischen Wahrheitsstils beantwortet, indem die Geschichte der politischen Gesellschaft – eine Reichsgeschichte – bis zu ihrem göttlich-kosmischen Anfang zurückgeführt wird. Die von der Vernunft gestellte Frage und die mythopoetische Antwort wirken zusammen und bilden eine Spekulation im Medium des Mythos, die Voegelin Mythospekulation nennt – ein Übergangssymbolismus zwischen kosmologischer Kompaktheit und noetischer Differenzierung, der aber im Rahmen des Mythos verbleibt. Zu den Mythospekulationen zählen neben der Historiogenesis die bekannten Spekulationstypen Kosmogonie, Theogonie und Anthropogonie. Alle vier sind im Medium des kosmologischen Mythos auf der Suche nach dem Anfang in ihrem jeweiligen Seinsbereich, die Historiogenesis im Seinsbereich der politischen Gesellschaft. Als Gesamtheit symbolisieren sie das Feld des „Seins“, bestehend aus Gott, Mensch, Welt und Gesellschaft.

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2. Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolismen Das Aggregat der vier Typen von Mythospekulation beschreibt Voegelin als äquivalent zur philosophischen Spekulation über die arche der Dinge. Aus dieser Entdeckung – der dritten nach der Entdeckung der Historiogenesis und der der Mythospekulation – leitet Voegelin die Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in verschiedenen Wahrheitsstilen ab. Unter „Äquivalenz“ versteht er die Möglichkeit, Realitätserfahrungen und deren Symbolisierungen, die auf verschiedenen Ebenen von Kompaktheit und Differenzierung gemacht werden, zueinander in Beziehung zu setzen. Äquivalenz ist dann die erkennbare Identität der auf verschiedenen Differenzierungsstufen erfahrenen und ausgedrückten Realität. 3. Motivation und Deformation der Historiogenesis Der historiogenetische Symbolismus kann nur dann beobachtet werden, wenn das jeweilige Reich in eine außerordentliche politische oder soziale Krise geraten ist, die zum Untergang oder zur revolutionären Erneuerung der alten politischen Ordnung oder zur Gründung einer neuen führt. Suche und Finden des Anfangs der Gesellschaft und die Erzählung der bedeutsamen Punkte ihrer Geschichte bis hin zum Jetzt der Autoren der historiogenetischen Spekulation sollen der konkreten Gesellschaft – dem Reich – Sinn geben und ihre Herrschaft legitimieren. Der historiogenetischen Spekulation geht es also primär nicht um eine Historiographie oder Annalistik, also nicht um die pragmatische Geschichte, als vielmehr um die Begründung und Stabilisierung einer politischen Ordnung durch die Konstruktion einer paradigmatischen Geschichte. Das tiefer liegende Moment ist aber die Unruhe oder existentielle Angst, die durch die Erfahrung der Nichtumkehrbarkeit der Zeit ausgelöst wird. Denn politische Ereignisse welcher Art auch immer – seien es Siege oder Niederlagen – können auf einem unilinear erfahrenen Zeitstrahl nicht ungeschehen gemacht werden. Um diese Angst zu beruhigen, schrecken die Autoren der Historiogenesis auch nicht vor Verfälschungen und Erfindungen der pragmatischen Geschichte, vor „Gewaltakten gegen die historische Realität“, zurück. Voegelin spricht von einer „willkürliche(n) Deformierung der historischen Realität“ und der Schaffung einer „fiktive(n) zweite(n) Wirklichkeit“, um die durch die Erfahrung der Unumkehrbarkeit der Zeit ausgelöste existentielle Angst zu beruhigen.54

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Voegelin, Das Ökumenische Zeitalter, in: OG 8, S. 92 f.

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4. Historiogenesis und Geschichte als Symbolform Die Entdeckung der Historiogenesis in kosmologischen Reichen hatte für die Fortführung von Order and History zwei Konsequenzen: (1) Es gab – anders als bisher angenommen – paradigmatische Geschichte in linearer Form schon in kosmologischen Gesellschaften. Die bisherige Annahme, dass es in diesen Gesellschaften nur eine zyklische, nicht aber eine lineare Zeitvorstellung gab, hat sich als falsch erwiesen. (2) Demzufolge ist „Geschichte“ als Symbolform nicht erstmals in Israel aufgetreten. Lineare Geschichte war also kein originär israelisch-christlicher Symbolismus, denn es gab ihn schon in kosmologischen Reichen. Der Fall Israel, in dem – wie bisher angenommen – durch den „Seinssprung“ der Offenbarungserfahrung die „Geburt der Geschichte“ stattfand, wurde so zu einem Unterfall historiogenetischer Spekulationen. 5. Dauerhaftigkeit des kosmologischen Symbolismus „Entdeckt“ hat Voegelin den historiogenetischen Symbolismus im Umfeld der Primärerfahrung des Kosmos, also in den kosmologischen Gesellschaften Ägyptens und Mesopotamiens, nachdem er kurz zuvor auf das Auftreten paradigmatischer Geschichte im imperialen China gestoßen war. Doch stellte sich bald heraus, dass der Symbolismus auch in Gesellschaften auftrat, die mit dem Kosmos gebrochen haben, wie in Israel, und sogar in Griechenland (obwohl es kein hellenisches Reich gab) sowie in den ökumenischen Reichen Chinas, Indiens und Roms. Darüber hinaus erkennt Voegelin den Symbolismus auch in den „progressiven, idealistischen, materialistischen und positivistischen Spekulationen“ der modernen westlichen Zivilisationen. Der historiogenetische Symbolismus ist also nicht an die Primärerfahrung des Kosmos gebunden, sondern eine der in verschiedenen „Wahrheitsstilen“ auftretenden „großen Konstanten bei der Suche nach Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart“.55 4.

Die dritte Fassung: Anxiety and Reason (1967/68)

Zum Text 4.1 Der Text „Anxiety and Reason“ wurde als Schreibmaschinen-Typoskript in den Voegelin Papers der Hoover Institutions Archives gefunden und erstmals 1990 im Rahmen der Collected Works publiziert.56 Wann genau er verfasst 55 56

Voegelin, Das Ökumenische Zeitalter in OG 8, S. 95. Voegelin, Collected Works Vol.  28, What is history? and other late unpublished writings, S. 52–110.

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wurde, ist schwer zu sagen, doch kann man den Zeitraum, in dem er entstand, anhand von Voegelins Korrespondenzen plausibel eingrenzen: Wahrscheinlich wurde er schon bald nach dem Erscheinen von Anamnesis im Sommer 1966, aber noch vor den Candler Lectures zum Thema The Drama of Humanity im April 1967 geschrieben.57 Erstmals erwähnt Voegelin den Text in einem der vielen Gliederungsentwürfe zu OH IV vom Dezember 1969.58 Die Studie wurde offenbar nicht redigiert, denn man findet keine Textstrukturierungen außer der Überschrift „Chapter 1: Historiogenesis“ auf einem vorangestellten Einzelblatt und – wenige Seiten später – einem Zwischentitel mit der Bezeichnung „Anxiety and Reason“. Von diesem Zwischentitel leiten die Herausgeber der Collected Works, Vol.  28 den für den Gesamtaufsatz gewählten Titel „Anxiety and Reason“ ab – zu Recht, wie wir meinen, da Aufbau und Inhalt der Studie erheblich von den drei anderen HistoriogenesisFassungen abweichen. Die Überschrift „Chapter  1: Historiogenesis“ sowie mehrere Hinweise im Manuskript selbst belegen, dass der Text – anders als die beiden ersten Fassungen – von vornherein als Buchkapitel vorgesehen war.59 Ganz offensichtlich sollte er zu dieser Zeit das Eröffnungskapitel von OH IV bilden. Bei dem Typoskript handelt es sich um einen Torso, denn der Essay wurde offensichtlich nicht abgeschlossen. Er umfasst nicht alle Abschnitte, die der Autor im Text selbst aufführt: „The analysis of materials will be preceded … by a section on the forces that tend to break the primary experience of the cosmos; and will be followed by a section on the transformation of historiogenesis in the work of Plato.“60 Das Typoskript enthält aber nur den ersten dieser beiden Abschnitte, der allerdings nicht nur die Kräfte beschreibt, „die die Primärerfahrung des Kosmos aufzubrechen drohen“, sondern ausgedehnt wurde auf eine Analyse des gesamten Übergangsprozesses vom Mythos über die Mythospekulation bis hin zur „differenzierten Vernunft“ und zur noetischen Suche nach dem Grund bei Aristoteles. Der angekündigte Platon-Abschnitt fehlt dagegen völlig; ob er je verfasst wurde, wissen wir nicht. 57 58 59

60

Siehe hierzu Peter J. Opitz in Die Entdeckung der Vernunft. Anmerkungen zu Eric Voegelins ,Anxiety and Reason‘ in E. Voegelin, Angst und Vernunft, Occasional Papers 100, München: 2016, S. 79 ff., hier S. 82 ff.). Voegelin, Collected Works Vol. 30, Selected Correspondence 1950–1984, S. 629, hier S. 632. Eine Stelle verweist auf „the organization of the present chapter“, eine andere darauf, dass der chinesische Fall der Historiogenesis „in the chapter on Chinese ecumenism“ behandelt werden wird, (E.  Voegelin, Anxiety and Reason, S.  58) und eine dritte darauf, dass der dort behandelte Problemkomplex Autor und Leser „in later chapters“ beschäftigen wird (Voegelin, a.a.O., S. 65). Voegelin, Anxiety and Reason, S. 58.

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Bei den von Voegelin erwähnten Materialien handelt sich um die schon in den ersten beiden Fassungen aufgeführten Einzelstudien zur Historiogenesis – ausgehend von Ägypten und Mesopotamien, über Israel und Griechenland bis hin zu den Historiomachien der jüdischen und christlichen Geschichtsschreibung des Josephus Flavius und Clemens von Alexandrien im 2. Jahr­hun­ dert n. Chr. Aufgeführt sind nun auch die historiogenetischen Spekulationen Indiens und Roms, die allerdings nicht vorliegen und wohl noch zu verfassen gewesen wären. Würde man den vorgesehenen Platon-Abschnitt noch anfügen, so wäre der gesamte Text wohl auf mehr als 150 Seiten angewachsen und schon allein deswegen als Buchkapitel nur schwer verwendbar gewesen. Vielleicht war dies der Grund dafür, dass Anxiety and Reason in der ursprünglich vorgesehenen Form nicht vollendet wurde. Kommen wir nun zum Text selbst, zunächst zum Vorspann und anschließend zum Abschnitt Anxiety and Reason, soweit er für die vorliegende Analyse von Bedeutung ist. 4.2 Der Vorspann Der Vorspann des Textes, der bis zum Zwischentitel „Anxiety and Reason“ reicht, entspricht inhaltlich weitgehend dem etwa gleich langen Vorspann und ersten Abschnitt der Anamnesis-Fassung. Er schließt aber mit einem Gedanken ab, der in den bisherigen Versionen nicht enthalten ist und den Voegelin auf „eine merkwürdige Reihe von Reflexionen“ stützt. Sie gehen von der Beobachtung aus, dass die historiogenetische Symbolik nicht nur in den kosmologischen Gesellschaften zu beobachten ist, sondern auch in den verschiedensten Wahrheitsstilen bis hin zu den modernen westlichen Gesellschaften. Historiogenesis ist – so Voegelin – „eine der großen Konstanten bei der Suche nach Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart“. „The nature of a constant in the search of order, if added to the characteristics of historiogenesis previously set forth, makes possible an odd series of reflections: Both reason and the concern with irreversible time strive for expression in cosmological societies; a speculation of the cosmological type occurs also in societies that have broken with the myth of the cosmos; a speculation on the arche of being that we associate with the Ionian beginnings of the Hellenic philosophy appears in cosmological empires; a conception of unilinear history that by conventional assumptions belongs in the orbit of Israelite-Christian Revelation is to be found not only in cosmological and ecumenic empires but also in modern progressivist societies; and so forth.“61

61

Voegelin, Anxiety and Reason, S. 56, Hervorh. A.B.

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Diese „Reflexionen“ beschreiben Symbolisierungen verschiedener Realitäts­ erfahrungen, die offensichtlich – anders als von Voegelin bisher angenommen – nicht an einen bestimmten „Wahrheitsstil“ gebunden sind, sondern in verschiedenen „Wahrheitsstilen“ auftreten. Sie eröffnen den Zugang zu einem Themenkreis, der im Rahmen der bisherigen Untersuchungen des historiogenetischen Symbolismus nicht angesprochen und behandelt wurde: nämlich (a) zum Problem der „Stile der Wahrheit“ (styles of truth) und (b) zu dem der „Dynamik des Wechsels von einem Stil zum anderen“ (the dynamics of change from one style to the other).62 Die beiden aufgeführten Problemkreise sind an sich nichts Neues im Werk Voegelins. Sie wurden schon in den 1950er Jahren in The New Science of Politics63 behandelt, wenn auch unter einem etwas anderen Namen. Dort spricht er von der „kosmologischen Wahrheit“ des Mythos, der „anthropologischen Wahrheit“ der griechischen Philosophie, der „soteriologischen Wahrheit“ des Christentums und der „gnostischen Wahrheit“ der westlichen Moderne. Und später, in den drei ersten Bänden von Order and History, geht es auch um die Übergänge von der Wahrheit des Kosmos zur Offenbarung in Israel und zur Philosophie in Griechenland. Hier aber, im Kontext mit seiner Arbeit am HistoriogenesisKapitel, geht es Voegelin um die innere Struktur der „Wahrheitsstile“, die sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Realitätserfahrungen ergibt: In jedem Wahrheitsstil gebe es verschiedene „modes of super- and subordination of experiences and their symbolization“.64 Die übergeordneten Erfahrungen dominierten die Erfahrungen anderer Wirklichkeitsbereiche derart, dass diese und ihre Symboliken nicht mehr erreichen könnten als „a state of compact understanding within the limits set by the dominant experiences and its symbolization“. Komme es beispielsweise in einer kosmologischen Gesellschaft zu einem Wechsel des „styles of truth“, so werde die neu gewonnene, differenzierte Einsicht dominant und verweise ihrerseits andere Erfahrungen in die untergeordnete Rolle des kompakten Ausdrucks. Die neue Wahrheit tritt also auf der Ebene der differenzierten Einsicht in der übergeordneten Rolle auf und verschließt sich zugleich untergeordneten Erfahrungen. „Such complexes of super- and subordination of experience we shall call styles of truth.“65 Hatte sich Voegelin bisher vor allem mit den „Erfahrungen“ befasst, die den 62 63

64 65

A.a.O., S. 57. Eric Voegelin, The New Science of Politics, An Introduction, University of Chicago Press, Chicago and Cambridge University Press, London: 1952; deutsch: Eric Voegelin, Die Neue Wissenschaft der Politik. Eine Einführung, München: 1959; neu herausgegeben von P.J. Opitz, München: 2004. Voegelin, Anxiety and Reason, S. 57. A.a.O.

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Wahrheitsstilen zugrunde liegen, so untersucht er nun die innere Struktur der Wahrheitsstile, die sich aus der Präsenz und Überlagerung mehrerer Realitätserfahrungen ergibt. Einige Seiten später spricht er von „Erfahrungsschichten im Wahrheitsstil“ (stratification of experiences in the style of truth)66, was an die „Schichtung des menschlichen Bewusstseins“ (stratification of man’s consciousness) erinnert, auf die später noch einzugehen sein wird. Was den zweiten Problemkreis angeht, die Frage nach der Dynamik des Wechsels, so weist Voegelin an dieser Stelle lediglich darauf hin, dass kein Wahrheitsstil absolut stabil ist. „None of the styles of truth achieved by a society, even if it lasts thousands of years, is absolutely stable but will give way, under the pressure of a variety of factors, to new types of dominance and subordination.“67 Dies führt zum Hauptteil des Textes und dort zu den „forces that tend to break the primary experience of the cosmos“68 – nämlich zu „anxiety“ und „reason“. 4.3 Anxiety and Reason Der Textabschnitt Anxiety and Reason von über 50 Druckseiten Länge wurde vom Autor nicht strukturiert. Anders als beim Vorspann handelt es sich eher um einen Textentwurf, der noch gestrafft werden müsste, als um eine Endfassung. So kommt es gelegentlich zu Wiederholungen und weitschweifigen Digressionen, die bei einer redaktionellen Überarbeitung wohl zu kürzen gewesen oder entfallen wären. Versucht man, den Abschnitt zu gliedern, so gibt es einen ersten Teil, der sich mit der Suche nach dem Grund der Angst beschäftigt (Anxiety and Reason, S.  58–71); wir kennen die „Angst“ aus der Anamnesis-Fassung als die „Unruhe, die durch die Nichtumkehrbarkeit der Zeit erregt wird“. In einem zweiten Teil wird die Rolle der Vernunft analysiert, die im Medium des Mythos die Ursprungsfrage als Reaktion auf die erwähnte Angst stellt (S. 71–94). Eingeleitet wird dieser Abschnitt durch eine eingehende Beschreibung der Äquivalenz und ihrer Darstellung durch eine Matrix, die verdeutlichen soll, „what is meant by a cosmological equivalent to philosophical speculation on the arche of things.“69 In einem dritten Teil beschreibt Voegelin anhand von drei repräsentativen Beispielen – einer babylonischen Zauberformel, einem Ausschnitt aus der Brihadaranyaka Upanishad und einem Auszug aus der AbrahamApokalypse – die Dynamik des Übergangs von einem Wahrheitsstil zum 66 67 68 69

A.a.O., S. 62. A.a.O., S. 58. A.a.O. A.a.O., S. 74.

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anderen, nämlich von der „Wahrheit des Kosmos“ in Form der Mythospekulation zur „Wahrheit der Existenz“ in Form der „differenzierten Vernunft“, bevor er abschließend die noetische Suche nach dem Grund bei Aristoteles in den beiden ersten Büchern seiner Metaphysik analysiert (S. 94–110). Schon diese Gliederung zeigt, wie weit sich Voegelin vom ursprünglichen Gegenstand der Untersuchung entfernt und in welchen größeren Rahmen er das Thema Historiogenesis inzwischen stellt. In der endgültigen Fassung seiner Historiogenesis-Studien, strafft und kürzt er den Abschnitt mit dem Zwischentitel „Anxiety and Reason“ wieder so sehr, dass er als Kapitel in OH IV integriert werden kann. Wir werden im Folgenden die Analyse nur soweit nachvollziehen, dass der umfassende Problemkomplex sichtbar wird, in dem die historiogenetische Spekulation steht. „Angst“ 4.3.1 Voegelin sucht nach den Kräften, die die „Primärerfahrung des Kosmos“, also die Kernerfahrung des Menschen in kosmologischer Gesellschaft, aufzubrechen drohen. Ausgangspunkt der Analyse ist deshalb der Kosmos sowie der kosmologische „Wahrheitsstil“, symbolischer Ausdruck der kosmischen Primärerfahrung, den er wie folgt beschreibt: „It (…) is the cosmos of an earth below and a heaven above; of celestial bodies and their movements, of seasonal changes, of fertility rhythms in plant and animal life; of human life, birth and death; and above all, as Thales still knew, it is a cosmos full of gods.“70

Der Kosmos ist das Ganze, die äußere Welt der Objekte, der Menschen und Götter, der Erde und des Himmels. Er ist voll von Göttern. Es gibt nicht – noch nicht – die Vorstellung einer diesseitigen Welt und eines transzendenten Gottes. Alles spielt sich im Kosmos ab. Und ein weiterer Aspekt ist wichtig für das Verständnis der Primärerfahrung des Kosmos: Eines kann durch das Andere qua Konsubstantialität ausgedrückt werden. „This togetherness and one-inanotherness is the primary experience that must be called cosmic in the pregnant sense.“71 Auch das Geschichtsverständnis in den kosmologischen Reichen ist Ausdruck der kosmischen Primärerfahrung. Der kosmologische Herrscher ist Vermittler der kosmischen Ordnung, die durch ihn von den Göttern zu den Menschen fließt. Er handelt in göttlichem Auftrag. Seine Siege sind „göttliche Schickungen“ – aber auch seine Niederlagen. Denn bleibt der Befehl Gottes aus, so kann der König nicht handeln. Siegesberichte bezeugen die Erfolge des 70 71

A.a.O., S. 59. A.a.O.

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Herrschers, vor allem aber das Walten der Götter, die die zeitliche Existenz und Ordnung der Gesellschaft lenken. Sie lösen Triumphgefühle aus – aber es gibt auch Erinnerungen an Niederlagen, gegen die die Götter nicht immer Schutz bieten konnten. „The pride inspiring the reports of victory can barely veil an undercurrent of anxiety, a vivid sense of existence triumphant over the abyss of possible annihilation.“72 Man könnte deshalb vermuten – so Voegelin –, dass die Angst vor einem Untergang des Reiches – und, wer weiß, vielleicht auch des Kosmos selbst – die Kraft sei, die, vor allem in Zeiten schwerer politischer Katastrophen, den Glauben an die kosmische Ordnung ins Wanken bringen könnte. Denn solche Ereignisse könnten Verzweiflung, Verwirrung und Entfremdung hervorrufen, die auch ihren literarischen Niederschlag fanden, doch zeige die Geschichte kosmologischer Gesellschaften selbst in Krisenzeiten keine Versuche, eine neue „Wahrheit“ anstelle der alten kosmologischen zu entwickeln und zu etablieren. Im Gegenteil: Außerordentliche politische Wirren – wie die Erste Zwischenzeit in Ägypten – können zwar zur Schöpfung eines neuen Symbolismus führen, wie zum historiogenetischen, der durch die Konstruktion der Unumkehrbarkeit der Zeit helfen soll, die geistige Verwirrung zu beruhigen, nicht aber zu einem Wechsel des Wahrheitsstils. Wenn es also nicht die von schweren politischen Wirren ausgelöste Angst ist, die den kosmologischen „Wahrheitsstil“ auflösen kann, wo liegt dann sein Schwachpunkt, an dem eine neue „Wahrheit“ ansetzen könnte? Voegelin sieht die Schwäche des kosmologischen Wahrheitsstils im „Spiel der kosmischen Analogien“: Das Reich ist ein Analogon des Kosmos und die königliche Herrschaft über das Reich ein Analogon göttlicher Herrschaft über den Kosmos. Dieses Aufeinander-Verweisen funktioniere aber nur, weil Götter und Könige, wie alle existierenden „Dinge“, qua ihrer Teilhabe am Kosmos konsubstantielle Partner im Kosmos sind. Doch hat der Kosmos selbst keine Dingqualität. Er gehört nicht zur Klasse der existenten Dinge, sondern bildet den Hintergrund, vor dem die Dinge im Kosmos existieren und durch gegenseitiges AufeinanderVerweisen Ruhe und Stabilität zu finden suchen. „This play with mutual analogies (…) cannot give lasting assurance but can do no more than make the particular sectors of reality – in this case, society and its order in history – transparent for the dread mystery of existence. We must therefore conclude: The ‚cosmos‘ to which this mystery ultimately attaches is itself non-existent; the own ground of the primary experience turns out to be no-ground; and anxiety is not the fear of a definite threat or event but the response to existence out of nothing.“73 72 73

A.a.O., S. 61. A.a.O., S. 63, Hervorh. A.B.

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Die „Existenz aus dem Nichts“ ist „die dominante Erfahrung früher Gesellschaften“. Und weiter unten: „The sense of a cosmos existing in precarious balance on the edge of emergence from nothing and return to nothing must be acknowledged, therefore, as lying at the center of the primary experience.“74

Die kosmische Primärerfahrung wird als Spannung zwischen existierenden Dingen und dem Grund der Existenz erfahren. Sie ist insofern ein Modus der in verschiedenen „Wahrheitsstilen“ auftretenden „Spannung zum Grund“ oder „Spannung im Sein“, die mithilfe der Äquivalenztheorie identifiziert werden kann. „The tension in being is one of the constant problems in need of equivalent symbolization in the several styles of truth.“75 In der endgültigen Fassung des Historiogenesis-Kapitels in OH IV geht Voegelin einen Schritt weiter und bezeichnet die „aus dem Nichts kommende Existenz“ (existence out of nothing) als „the fundamental experience of reality in early societies just as much in later ones“76 – also als eine Erfahrung, die allen Wahrheitsstilen zugrunde liegt. Was versteht Voegelin unter der Spannung der „Existenz aus der Nichtexistenz“? Die Bezeichnung einer „aus dem Nichts kommenden Existenz“ als fundamentale Realitätserfahrung im kosmologischen Umfeld, aber auch in frühen wie in späteren Gesellschaften, verwendet er nur an dieser Stelle und – im gleichen Zusammenhang – auch in der vierten Version, also dem Einleitungskapitel von The Ecumenic Age. In einem Brief vom 10. August 1972 an Brendan Purcell, der offenbar mit dem Ausdruck „non-existent reality“ nichts anzufangen wusste, erläutert Voegelin: „For the moment let me only say, that the use of the term ‚non-existent reality‘ is not haphazard. At the present stage of our empirical knowledge of early civilizations the problem of ‚non-existence‘ as the chaos over which the order of the cosmos is built is fundamental. Only with the development of the ‚Unknown God‘ beyond the intra-cosmic gods does the problem of ‚non-existence‘ go over into the new type of transcendent god, since in a scientific study I cannot limit my perspective to the christian-theological horizon. Such unaccustomed terminology is unavoidable.“77

74 75 76 77

A.a.O., S. 63 f., Hervorh. A.B. A.a.O., S. 66. Voegelin, The Ecumenic Age, S. 73, Hervorh. A.B. Voegelin, Collected Works, Vol. 30, S. 737 f.

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Nichtexistenz ist also das Chaos, auf dem die Ordnung des Kosmos aufgebaut ist und das deshalb Angst auslöst. Wie aber kommt es zum Bruch mit dem kosmologischen Wahrheitsstil? Die Primärerfahrung muss – wie Voegelin sagt – „auf ihrem eigenen Grund“ (own ground) angegriffen werden und den in der kosmischen Primärerfahrung fehlenden Grund „bereitstellen“ (supply) oder „benennen“. Und dies kann nur durch einen „Grund“ jenseits des Kosmos geschehen, zum Beispiel durch die Offenbarung eines welttranszendenten Gottes als Schöpfergott: „Since this ‚own ground‘ turns out to be the no-ground of cosmic existence, a challenge can be effective only if it somehow supplies the missing ground. And in fact, this is the quarter from which the challenge comes when the worldtranscendent God is revealed as the creator of the world as well as of all things existent in it. Revelation is a spiritual and intellectual revolution inasmuch as the ground beyond no-ground is found at last.“78

Die Spannung der kosmischen Existenz verschwindet aber nicht, wenn die Primärerfahrung einer alternativen Erfahrung Platz macht bzw. von ihr überlagert wird. Und auch die Angst, die sich ja mit dem Auftreten des neuen Wahrheitsstils der Transzendenz eigentlich auflösen müsste, verschwindet nicht. Denn jene „spirituelle und intellektuelle Revolution“ führt nicht zu einem abrupten Wechsel des Wahrheitsstils, sondern bewirkt „vielmehr eine subtile Abstufung und Verschmelzung alter und neuer Stile“. Dies belegt Voegelin mit dem hybriden Charakter verschiedener Psalmen, in denen Elemente beider Wahrheitsstile erkennbar sind.79 Die neue Einsicht der Transzendenzerfahrung lasse sich weder verifizieren noch falsifizieren wie eine Aussage über Objekte der Sinneswahrnehmung. Offenbarung und Philosophie führen zwar zu einem differenzierten Verständnis der Spannung zwischen den existenten Dingen und ihrem Grund, sie vergrößern aber nicht die Gewissheit der Einsicht: „Even when faith has supervened, the one and only thing certain about existence remains the uncertainty about its ground. In the experiences both of the cosmos and of transcendence one must distinguish, therefore, between the tension of existence and the degree to which the Logos of the tension becomes differentiated; the differentiation of insight pertains to the Logos, not to the tension itself.“80

78 79 80

Voegelin, Anxiety and Reason, S. 67. A.a.O., S. 68. A.a.O., S. 69 f., Hervorh. A.B.

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Durch die Unterscheidung von ‚Spannung der Existenz‘ (tension of existence) und ‚Logos der Spannung‘ (logos of the tension) wird verständlich, warum die „tiefe Angst“, die auf die Grundlosigkeit der kosmischen Existenz antwortet, mit der neuen differenzierteren Erfahrung nicht verschwindet. Denn die Transzendenzerfahrung vermittelt die gleiche Einsicht wie das kompakte kosmische Existenzgefühl. Transzendenzerfahrung und kosmisches Existenzgefühl sind insofern äquivalent. „The experience of the cosmos thus is primary indeed, inasmuch as its core of anxiety in response to groundless experience does not disappear when its understanding of the tension is superseded by differentiating experiences; for the experience of transcendence can do no more than develop the very insight compactly grasped even by the sense of cosmic existence.“81

Angst und ihre Beschwichtigung durch das Schaffen von Symbolen ist nichts Neues in Voegelins Werk. Sie werden an verschiedenen Stellen angesprochen, so auch in der Einleitung zu OH I: Israel and Revelation, wo die „Existenzangst“ beschrieben wird, die Sorge des Menschen über den Sinn seiner Existenz, der er sich durch das Schaffen von Ordnungssymbolen erwehren kann. Angst wird dort durch „Unwissenheit“ und „Ungewissheit“ über den Sinn der Existenz ausgelöst – ähnlich wie hier, wo die Angst durch die Erfahrung der Spannung der Existenz aus der Nichtexistenz hervorgerufen wird und Beschwichtigungssymbole wie Siegesberichte und Erneuerungsriten oder die mythospekulative Symbolik der Historiogenesis schafft. Angst verschwindet auch nicht, wenn die Primärerfahrung des Kosmos durch die neue Wahrheit abgelöst wird. Es ändert sich nur ihre Ursache: Denn auch die offenbarte „Wahrheit“ kann verfehlt werden und „the anxiety of falling into the untruth of disorder“ auslösen und „the vision of a divine intervention that will put an end to disorder in time for all time“ erzeugen – so Voegelin im Zusammenhang mit der theophanen Erfahrung des Paulus in The Ecumenic Age.82 „Vernunft“ 4.3.2 Der Abschnitt „Vernunft“ beginnt mit einer zusammenfassenden Überleitung: „Anxiety is the response to the mystery of existence out of nothing. The search of order is the response to anxiety.“ Und einige Zeilen später: „Frantic and perverse as it sometimes appears, there is reason in the search of order.“83 Die logische Kette lautet also: 1. Erfahrung der Existenz aus dem Nichts – 81 82 83

A.a.O., S. 70. Voegelin, The Ecumenic Age, S. 239. Voegelin, Anxiety and Reason, S. 72.

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2. Angst als Reaktion auf diese Erfahrung – 3. Suche nach Ordnung, bei der die Vernunft (reasoning) beteiligt ist. Wir stoßen hier wieder auf die „Vernunft“, die die Frage nach dem Ursprung stellt. Sie wurde von Voegelin schon zu Beginn der beiden ersten Fassungen bei der Beschreibung des Wesenskerns der Historiogenesis kurz angesprochen, ohne dass er weiter auf sie eingegangen ist. In Anxiety and Reason wird sie zum zentralen Thema. Hier untersucht er, welche Rolle die Vernunft bei der Suche nach Ordnung spielt, und will sich dazu „mit dem Faktor der Rationalität in der Historiogenesis und den ihr verwandten Spekulationen über den Ursprung innerkosmischer Realitätsbereiche befassen“84. Zunächst aber geht er ausführlicher als in den bisherigen Versionen auf die Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen ein und stellt eine Formel vor, die verdeutlichen soll, was er unter einem kosmologischen Äquivalent zur philosophischen Spekulation über die arche der Dinge versteht. Sie soll hier kurz vorgestellt werden: Ausgangspunkt ist wieder das Feld der vier kosmologischen Ursprungsspekulationen Historiogenesis, Theogonie, Anthropogonie und Kosmogonie, bei der jede einzelne zwar primär den jeweils angesprochenen Seinsbereich darstellt, sekundär aber stets auch Stoffe aus den anderen Seinsbereichen in ihre Symbolik integriert. So beschreibt beispielsweise Hesiods Theogonie nicht nur die Göttergeschichte, sondern enthält auch kosmogonische, anthropogonische und historiogenetische Elemente, so dass jeder Typus schon allein die gesamte erfahrene Realität symbolisiert. Insofern sind auch die vier Spekulationstypen untereinander äquivalent. Als Aggregat betrachtet, decken sie aufgrund ihres „pluralistischen Charakters“ die Möglichkeiten der Spekulation über den Ursprung des Seins ab. Diese Vierereinheit stellt Voegelin als Matrix dar und sieht in ihrer Gesamtheit das kosmologische Äquivalent zur philosophischen Spekulation über die arche der Dinge. Die Matrix – so Voegelin – könne zwar allgemein verwendet werden, doch wolle er sich im vorliegenden Kontext auf die Fragen der Äquivalenz von Mythos und Philosophie beschränken. Mythos und Philosophie bewegen dieselben Fragen – insbesondere die Frage nach dem Grund der Dinge, der ihrer Existenz einen Sinn verleiht. Beide unterscheiden sich lediglich in der Differenziertheit ihrer Einsicht und Symbolisierung und können insofern bei der Artikulation mythospekulativer Symboliken „zusammenarbeiten“. „Seeking, finding, and giving the ground of things, however, is reasoning; and the act of relating things to a ground is reasoning, whatever symbolic form it may assume. Reason must be acknowledged, therefore, as having a part not only 84

A.a.O.

212

Axel Bark in philosophy but also in mythopoesis, strange as this may sound to the many who still believe myth to be some kind of imaginative play beyond the pale of reason.“85

In welcher symbolischen Form die Vernunft auftreten kann, indem sie Dinge auf einen Grund bezieht, ist unerheblich. Denn „the act of relating things to their ground is indeed an act of reasoning, regardless of the symbolic form it assumes – be it that of myth, philosophy, revelation, apocalypse, or gnostic speculation, ancient or modern.“86

Die Vernunft agiert also nicht nur in der Philosophie oder Offenbarung, sondern auch in der Mythopoesie. Sie ist aber kein Wahrheitsstil.87 Vielmehr haben Mythos und Philosophie einen gemeinsamen „Vernunftkern“, auch wenn sich beide „im Stil des Vernunftgebrauchs“ (style of reasoning)88 unterscheiden: In der Philosophie durch die direkte Frage nach dem Grund der Dinge, im kosmologischen Wahrheitsstil durch analoges Verweisen auf innerkosmische Dinge, wie z.B. auf die Götter oder das physische Universum. Hier schließt sich später die Frage nach der Differenzierung des Vernunftgebrauchs an, also nach der Überlegenheit eines Wahrheitsstils über einen anderen. Dies ist die letzte der drei Fragen, die Voegelin im Folgenden untersuchen wird und die wir stark gekürzt nachvollziehen wollen, nämlich: 1. Die Frage nach dem Mythos als Instrument des Vernunftgebrauchs. 2. Die Frage nach dem gemeinsamen Kern äquivalenter Symbolisierungen im Medium des Mythos und im Medium der Philosophie (= Was ist Vernunft?) 3. Die Suche nach Kriterien zur Beurteilung der Überlegenheit oder Unterlegenheit eines Wahrheitsstils gegenüber dem anderen. 1. Bei der Untersuchung der Frage nach dem Mythos als Instrument des Vernunftgebrauchs werden zwei fundamentale Varianten, der „streng innerkosmische oder gewöhnliche“ Typus des Mythos und der „mythospekulative“ Typus unterschieden. Beide Typen haben gemeinsam, dass sie die Vernunft gebrauchen, indem sie die Dinge durch innerkosmische Analogien auf ihren Grund beziehen. Sie unterscheiden sich aber darin, dass der erste Typus, der gewöhnliche Mythos, diese Regel konsequent umsetzt, während der zweite Typus, die Mythospekulation, dazu tendiert, die Regel zu brechen, indem 85 86 87 88

A.a.O., S. 74. A.a.O., S. 87. A.a.O., S. 91. A.a.O., S. 74.

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er die Genese der Dinge durch aitiologische Ketten verschiedenster Art auf einen absoluten Grund zu extrapolieren versucht. Diese Differenzierung entspricht der bereits erwähnten Unterscheidung in der Anamnesis-Fassung zwischen dem Mythos der Erneuerungsriten im Sinne von Mircea Eliade und dem erst später auftretenden Mythos der Mythospekulation, zu dem er auch die historiogenetische Spekulation zählt. Hier rückt Voegelin die Mythospekulation als Übergangssymbolik wieder in den Fokus, die ja auch der Äquivalenzformel zugrunde liegt. Die weitere Analyse, die er – anhand einer Passage bei Macrobius in seinen Kommentaren zu Ciceros Somnium Scipionis – vornimmt, ergibt, „that the two types of ordinary myth and mytho-speculation are complementary and form a pattern equivalent to the philosophic distinction of immanence and transendence. Moreover, since the distinction is present even within the cosmological style of truth, the equivalence of mytho-speculation and philosophy must be admitted to be part of a more comprehensive pattern of equivalences.“89

Zur Frage eines „umfassenderen Äquivalenzmusters“ gehört auch, dass die kosmologischen Götter als res sacrae Teil der Immanenz sind. Das aber bedeutet, dass die Welt voller Götter bei Auflösung der kosmischen Primärerfahrung durch einen neuen „Wahrheitsstil“ nicht beseitigt werden darf, will man eine Pervertierung der Immanenz vermeiden. Deshalb wird der Mythos auch innerhalb des transzendenten „Wahrheitsstils“ verwendet, wobei sich Voegelin nicht nur auf die hellenische Philosophie stützt, sondern auch auf die „geistigen Ausbrüche“ in Indien (Buddha) und China (Konfuzius). Der Mythos braucht im neuen Wahrheitsstil also nicht abzusterben, sondern überlebt: „This, however, is not to say that myth has not been supplemented by later symbolizations of divine presence in the world. To philosophy we owe the stark symbol of Reason (nous), that erects the having of a ground, the participation in it, and the ordering of existence by such participation, into the nature of man, while to Christianity we owe the imago Dei, the spiritual movements of the soul through Grace, and above all the presence of God in history through Incarnation. The noetic and pneumatic experiences of transcendence thus bring forth an insight into existence and its relation to the divine ground, surpassing by far cosmological understanding and relegating myth to the second rank.“90

2. Bei der Frage nach dem gemeinsamen Kern der Vernunft im Mythos und in der Philosophie, wird ihre Symbolisierung im „Mythos im vollen Sinn“ mit der 89 90

A.a.O., S. 77, Hervorh. A.B. A.a.O., S. 80 f.

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Erfahrung und Symbolisierung der Vernunft in der klassischen Philosophie verglichen. Der Mythos in vollem Sinn ist mehr als der tradierte Bericht. Dieser allein wäre nur eine tote Wahrheit. Um die Ordnung durch rituelle Inszenierung wiederherstellen zu können, muss zur kosmologischen Erzählung der Ritus hinzutreten, der die Erzählung symbolisch wiederholt. Der Mythenforscher Samuel Hooke, auf den Voegelin sich hier stützt, nennt dies die Fähigkeit des Mythos, die Situation in Verbindung mit dem Ritus „im Sein zu halten“. In diesem Charakteristikum des Mythos sieht Voegelin einen Akt des Vernunftgebrauchs. Denn Vernunft gebrauchen bedeutet, wie wir wissen, Dinge auf den „Grund“ zu beziehen – ganz gleich in welcher symbolischen Form. Dem stellt Voegelin eine Liste aus zehn Bedeutungen der Vernunft gegenüber, um zu prüfen, ob die Funktionsübertragung vom Akt der Symbolisierung im Mythos auf den Akt des Vernunftgebrauches gerechtfertigt ist. Die aufgeführte Liste orientiert sich am Gebrauch des Terminus nous in der klassischen Philosophie bei Platon und Aristoteles.91 Die erste und umfassendste Bedeutung lautet: „Vernunft ist das Bewusstsein von einem Existenzgrund her zu existieren“. Die Existenz ist also von Bewusstsein erhellt. Voegelin nennt sie deshalb auch „Lichtung in der Existenz“ (clearing in existence). Lichtung in der Existenz ist das gemeinsame Zentrum der Existenzerfahrung aus dem Nichts, der Angst als Antwort darauf sowie der Suche nach Ordnung. „The cosmic sense of existence out of nothing, the waste through time, decline and restoration of order, responsive anxiety, and the search of order have as their common center that clearing in existence to which such terms as nous, or intellectus, or reason have become associated.“92 Die weitere detaillierte Untersuchung ergibt, dass sich die Eigenschaften des Mythos tatsächlich auf die Vernunft beziehen und im Kern aller Symbolisierungen, die die Existenz mit ihrem Grund verbinden, Vernunft ist. 3. Es bleibt noch die Frage nach den Kriterien zur Beurteilung der Überlegenheit eines Wahrheitsstils über einen anderen, insbesondere der Überlegenheit des philosophischen Wahrheitsstils über den des Kosmos. Hier greift Voegelin wieder auf die Rolle der Vernunft bei der Suche nach Ordnung im Medium der Philosophie und in dem des Mythos zurück: 91

92

Voegelin verwendet hier die gleiche Liste wie in den Candler Lectures „The Drama of Humanity“ vom April 1967, siehe Eric Voegelin, The Drama of Humanity in: Voegelin, Collected Works, Vol. 33, The Drama Of Humanity and Other Miscellaneous Papers 1939–1985, ed. by William Petropulos und Gilbert Weiss, University of Missouri Press, Columbia and London: 2004, S.  214 ff.; deutsch: Eric Voegelin, Das Drama des Menschseins, hrsg. von Peter J. Opitz, Wien: 2007, S. 37 ff. Voegelin, Anxiety and Reason, S. 87.

VOEGELINS STUDIE ZUR HISTORIOGENETISCHEN SYMBOLFORM

215

„Myth, however, reasons by means of relating things to other intracosmic things of a higher rank, while philosophy differentiates the clearing in existence and articulates the non-existent ground. Hence, differentiated reason is the criterion by which philosophy must be judged a more adequate means of reasoning than myth.“93

Durch Differenzierung und Benennung des nichtexistenten Grundes ist die Vernunft der Philosophie – also die „differenzierte“ Vernunft – dem Vernunftgebrauch im Medium des Mythos überlegen. Während der Mythos Unzulänglichkeiten im kosmologischen „Wahrheitsstil“ durch Suchen nach einem vollkommeneren Ausdruck für eine unvollkommen erkannte Wahrheit auszugleichen sucht, erreicht die klassische Philosophie ein neues Niveau der Einsicht. Im letzten Abschnitt der Studie beschreibt Voegelin den Prozess des Übergangs von der Mythospekulation zur differenzierten Vernunft am Beispiel von drei, bereits oben erwähnten Texten – einer babylonischen Zauberformel, einem Ausschnitt aus dem Brihadaranyaka Upanishad und einem Auszug aus der Abraham-Apokalypse – bevor er abschließend die noetische Suche nach dem Grund bei Aristoteles analysiert. Die Untersuchung dieser drei Texte ist in erweiterter Form in das letzte Kapitel von The Ecumenic Age mit dem Titel Universal Humanity („Das universale Menschsein“) eingegangen. Das Thema „Vernunft“ hat Voegelin 1974 in seiner Studie „Reason: The Classic Experience“94 vertieft. In ihr geht es aber nicht mehr um das Wirken der Vernunft in verschiedenen Wahrheitsstilen und dem Übergang von einem Wahrheitsstil zu einem anderen, sondern um die Vernunft, die er in Anxiety and Reason „differenzierte Vernunft“ nennt, also das, was die klassischen Philosophen als nous bezeichnen. Die Unterscheidung zwischen „Vernunft“, die in allen „Wahrheitsstilen“ wirkt, und „differenzierter Vernunft“, die dem nous der klassischen Philosophie entspricht, nimmt Voegelin nur in Anxiety und Reason vor. Das Thema „Vernunft im kosmologischen Wahrheitsstil“ zieht sich aber – wie wir gesehen haben – von Beginn seiner Arbeit an der Historiogenesis durch alle ihre Fassungen hindurch.95 93 94

95

A.a.O., S. 91, Hervorh. A.B. E. Voegelin, Reason: The Classic Experience in: Southern Review 1974, New Series, Vol. 10, Heft 2, S. 237 ff.), und in E. Voegelin, Collected Works, Vol. 12, 1990, S. 265 ff.; deutsch: Eric Voegelin, Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen, Occasional Papers LIV, München: 2006. Zum unterschiedlichen Gebrauch des Terminus ‚Vernunft‘ durch Voegelin in Anxiety and Reason gegenüber anderen, früheren und späteren Veröffentlichungen, siehe das Nachwort von Helmut Winterholler zu Eric Voegelin, Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen, VOP LIV, München: 2006.

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Die Analyse von Anxiety and Reason soll hier abgebrochen werden, weil ihre weiteren Ergebnisse für eine Untersuchung der Genese und Bedeutung der Historiogenesis nicht mehr relevant sind. Fassen wir also zusammen: Die in den beiden ersten Fassungen gewonnen Einsichten zum historiogenetischen Symbolismus bleiben in Anxiety and Reason voll erhalten. Doch schlägt Voegelins Analyse darüber hinaus eine neue Richtung ein: Ausgehend von ihrer Eigenschaft als Symbolkonstante, die in verschiedenen Wahrheitsstilen auftritt, wendet er sich einem neuen Untersuchungsgegenstand zu, nämlich der inneren Struktur des Wechsels von einem Wahrheitsstil zu einem anderen, und fragt: Was verursacht einen solchen Wechsel und wie läuft er ab? Gemeint ist hierbei stets der Wechsel vom kosmologischen Wahrheitsstil zu dem der hellenischen Philosophie oder der Offenbarung, also von der Wahrheit des Mythos zur Wahrheit der Existenz, wie Voegelin jetzt die Wahrheitsstile der Philosophie und Offenbarung zusammenfassend nennt. Das Ergebnis dieser Untersuchung lautet: Die Primärerfahrung des Kosmos ist die Erfahrung der Spannung der Existenz aus der Nichtexistenz. Sie erzeugt Angst (anxiety); und es ist diese Angst, die in einem Akt der Vernunft (reason) die Suche nach Ordnung auslöst.

Literaturhinweise

Opitz, Peter J., Eric Voegelin, The Ecumenic Age: Die Entdeckung und Erkundung eines neuen Zeitalters. Protokoll einer Werksgeschichte, Occasional Papers  104 A und 104 B, München: 2018. Opitz, Peter J., „… that horrible Introduction“. Anmerkungen zur Einleitung von Eric Voegelins The Ecumenic Age in: Occasional Papers 105, München: 2019. Opitz, Peter J., Die chinesische Episode: Anmerkungen zum werksgeschichtlichen Hintergrund des China-Kapitels in Eric Voegelins ‚The Ecumenic Age‘, München: Occasional Papers 99 2015. Voegelin, Eric, The New Science of Politics, An Introduction, London: University of Chicago Press and Cambridge University Press 1952. Voegelin, Eric, Order and History, Vol. I: Israel and Revelation, Baton Rouge: Louisiana State University Press 1956. Voegelin, Eric, Order and History, Vol. IV: The Ecumenic Age, Baton Rouge: Louisiana State University Press 1975. Voegelin, Eric, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol.  30: Selected Correspondence 1950–1984, ed. by Thomas A. Hollweck, Columbia et al.: University of Missouri Press 2007.

VOEGELINS STUDIE ZUR HISTORIOGENETISCHEN SYMBOLFORM

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Voegelin, Eric, Anxiety and Reason in E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 28: What is History? And Other Late Published Writings, ed. by Thomas A. Hollweck and Paul Caringella, Baton Rouge/London: Louisiana State University Press 1990, S. 52–110. Voegelin, Eric, Historiogenesis in: Philosophisches Jahrbuch, 68. Jahrgang, Freiburg/ München: 1960. Voegelin, Eric, Historiogenesis, in: E. Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München: Piper-Verlag 1966, S. 79–116. Voegelin, Eric, The Drama of Humanity in: E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 33: The Drama of Humanity and other Miscellaneous Papers 1939–1985, ed. by William Petropulos and Gilbert Weiss, Columbia et al.: University of Missouri Press 2004, S. 174–242. Voegelin, Eric, Reason: The Classic Experience in: E.  Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 12, Published Essays 1966–1985, ed. by Ellis Sandoz, Baton Rouge/ London: Louisiana State University Press 1990, S. 265–291. Voegelin, Eric, On Debate and Existence in: E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 12, Published Essays 1966–1985, ed. by Ellis Sandoz, Baton Rouge/London: Louisiana State University Press 1990, S. 36–51. Voegelin, Eric, Equivalences of Experiences and Symbolization in History in: E. Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin, Vol. 12, Published Essays 1966–1985, ed. by Ellis Sandoz, Baton Rouge/London: Louisiana State University Press 1990, S. 115–133.

On the Nature of History

Voegelin’s in-between and Hegel’s True Infinity Bogdan Ivaşcu Abstract The present article argues for an “equivalence of experience and symbolization” between Hegel and Voegelin’s reflection on the nature of history. Considering Voegelin’s rather harsh treatment of Hegel, this might come as a surprise. Nonetheless, the article will try to argue that both thinkers saw history as a dynamic process, constituted by the mutual grounding of its components – the res gestae and the historia rerum gestarum. The article also provides an analysis of some core concepts elaborated by the two philosophers, Hegel’s true infinity and Voegelin’s in between. While conceived by their authors for different philosophical purposes, this study suggests that they are also applicable to the authors views on the metaphysics of history.

Keywords History, Metaphysics, Infinity, In-between

1.

Voegelin and Hegel: a Common Philosophical Path?

The philosophical legacy of Eric Voegelin is one primarily related to the philosophy of politics and history. However, the statement should be qualified. Voegelin was not a political scientist in the usual understanding of the term. He did not write about institutions and institutional mechanisms, elections, or about types of government and their corresponding ways of transferring political power. Likewise, his philosophy of history, although a speculative one, was not concerned with “laws”, the meaning or final destination of history. In fact, Voegelin mistrusted such XVIII–XIXth century approaches, considering them an ideological derailment. What is his philosophy of history about, then? In a short answer, one could say it is about the metaphysics of history. Like every “great speculator” on this topic, Voegelin sees history as multi-layered: what “appears”, what we call “historical events”, are a manifestation of a substratum. He even speaks about

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_009

VOEGELIN’S IN-BETWEEN AND HEGEL’S TRUE INFINITY

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the “double constitution of history”, and considers it appropriate to use the Kantian terminology of phenomena and noumena when examining the nature of history: “Using this language, one might say: History has a phenomenal surface that can be explored by an objectifying science, but the enterprise of science makes sense only as the facts ascertained can be related to the noumenal depth of encounter.”1 We shall elaborate further below what this “noumenal depth of encounter” means. For now, an important qualification should be made: the noumenal substratum is not a “hidden essence” of history, a static “something”, conceived like the objects of the phenomenal world, but only immaterial. Rather, it’s an activity, a search: man’s search for God, and God’s search for man. Or as Voegelin has put it, an encounter. In this respect, I think one should distinguish two aspects in Voegelin’s metaphysics of history. One is what I would call the existential-theological aspect; the other what could be somewhat inappropriately named “the purely metaphysical”. Inappropriate because it’s not actually “pure”. This article will concern itself primarily with the later one; but needless to say, the two aspects are intertwined – they are distinguishable, but not separable. I called the first aspect “existential”, because Voegelin sees history as man’s search for meaning: history is constituted by man’s search of his meaning and is simultaneously the framework in which this search takes place. And it is theological because it has to do with God, with man’s positioning towards the divine ground of being, expressing either openness or closure to the divine. These opposed attitudes have a crucial impact on history: they engender its order and disorder. Thus, from this existential-theological point of view, for Voegelin history is the resulting blend of ordering and disordering experiences, each with their corresponding symbolic architecture: myth, philosophy and revelation for the former, metastatic faith, sophistry and especially ideology for the latter. Ordered existence is the outcome of man’s honest attempt to assess his place within the matrix of reality: “By order is meant the structure of reality as experienced, as well as the attunement of man to an order that is not of his making – i.e., the cosmic order.”2 Dishonesty about one’s experiencing of reality creates disorder/ideology: “Ideology is existence in rebellion against God and man. It is the violation of the First and Tenth Commandments, if we want 1 Eric Voegelin, What is history?, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 28: What is history? And other late unpublished writings, edited with an introduction by Thomas A. Hollweck and Paul Caringella, Louisiana: Louisiana State University Press 1990, pp. 1–52, here p. 12. 2 Eric Voegelin, Autobiographical Reflections, edited with an introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge and London: Louisiana State University Press, 1989, p. 75.

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to use the language of Israelite order; it is the nosos, the disease of the spirit, if we want to use the language of Aeschylus and Plato.”3 Those who reject “the quaternian structure of being” (God, man, cosmos and society) produce a pseudo-reality, a “second reality”, as Voegelin likes to call it. Some of these versions of second reality are very sophisticated and successful in corrupting the minds of millions and in derailing the course of an entire civilization. Their authors are the ideologues, philosophers who betrayed their mission of lovers of wisdom and became creators of a bogus reality, which nevertheless has a disastrous impact on the structure of primary reality. And the modern age seems to be filled with them. Voegelin was not shy at all in letting his readers know his thoughts on modernity and modern thinkers, and he did that in an outspoken manner. Modern times were mostly an irruption of disorder, an age when the search for order was very often forgotten. With a few notable exception (like Bodin, Henri Bergson, Santayana, Max Weber or Whitehead), modern thinkers are rather on the side of disorder and Voegelin has often harsh words for them. They indulge themselves in the creation of “second realities” because they close themselves to the genuine experience of the order of being: they are “spiritually diseased”. Voegelin, as one commentator pointed out, was a “first rank demonologist”.4 Freshly appointed as a professor of political science at the University of Munich, he managed to shock his audience during his inaugural lecture by calling Marx “an intellectual swindler”. While Heidegger, as he wrote to Karl Löwith, was not a philosopher, but belonged to the genus “prophet”, “and within this genus to the species ‘false prophet’”.5 But within this gallery of “evil thinkers” of the Modern Age, Hegel was by far the main target of his criticism. More sophisticated than Marx, and thus more dangerous, he is preferred by those “who otherwise would be Marxists (…) because Hegel is so much more complicated.” However, that’s not a difference “of any profound conviction but of what I would compare to the taste of a man who prefers chess to pinochle.”6 In Voegelin’s “On Hegel: A Study in Sorcery”, 3 Eric Voegelin, Israel and Revelation, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 14: Order and History, Volume I, Israel and Revelation, ed. by Maurice P. Hogan, Columbia et al.: University of Missouri Press 2001, p. 24. 4 Thomas Altizer, The theological conflict between Strauss and Voegelin, in: Faith and Political Philosophy: The Correspondence between Leo Strauss and Eric Voegelin, 1934–1964, ed. by Peter Emberley and Barry Cooper, Columbia et al.: University of Missouri Press, 2004, pp. 267–277, here p. 272. 5 Eric Voegelin, Letter to Karl Löwith, 25th of May 1952, in Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 30: Selected Correspondence, 1950–1984, edited with an introduction by Thomas A. Hollweck, Columbia et al.: University of Missouri Press 2007, p. 111–112, here p. 112. 6 Voegelin, Autobiographical Reflections, p. 47.

VOEGELIN’S IN-BETWEEN AND HEGEL’S TRUE INFINITY

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Hegel is portrayed no more and no less than a sorcerer, leading his unsuspecting readers from the primary into an ideological second-reality.7 Thus Hegel’s Phenomenology of Spirit becomes for Voegelin a Grimoire, a book of magic, casting a spell on the real world, in order to transform it according to Hegel’s purposes. Symbols of openness towards the divine ground of being – myth, philosophy and revelation are replaced by Hegel’s Geist, Gedanke, Vorstellung and Idea, the pillars of his corrupted version of reality. Hegelian symbols are magic mirrors building a system, trapping the reader and forbidding him to get in touch with the world of common experience. This interpretation of Hegel is essentially preserved in Voegelin’s reply to the Hegelian Thomas Altizer and in his final word on Hegel, expressed in the fourth volume of his Order and History. For Voegelin, Hegel is par excellence the representative of “egophanic revolt”. Philosophy as a symbol expressing man’s awareness of his finiteness (love of wisdom) is substituted with the absolute knowledge by the Hegelian hubris. He engages in a “libidinous revolt” against the structure of reality, aiming to heal, to bring reconciliation / Versöhnung for the imperfect creation of God. By performing this act “(…) he is the new God-man, the new Messiah”8 – in fact, the modern philosophical Antichrist. 2.

Being Fully Human: History as a Necessary Mode of Experience

Thus, for every Voegelin reader, it would seem odd at the first glance to suggest that Eric Voegelin and G.W.F. Hegel could be participants in a common philosophical zetesis. However, Voegelin was after all a modern philosopher, in spite of his rather gloomy portrayal of modernity and modern thinkers. There are certain similarities between Voegelin’s philosophical search and the one of the “spiritually diseased” Heidegger.9 This study will try to argue that the same can be said about Voegelin and Hegel. For sure, there is no room of a philosophical affinity within the Voegelinian existential-theological narrative 7 Eric Voegelin, On Hegel: A Study in Sorcery, in Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.  12: Published Essays 1966–1985, edited with an introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge et al.: Louisiana State University Press. 1990, pp. 213–255. 8 Eric Voegelin, The Ecumenic Age, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 17: Order and History, Volume 4, The Ecumenic Age, ed. by Michael Franz, Columbia et al.: University of Missouri Press. 2000, pp. 320–321. 9 As David Walsh has persuasively argued in his Introduction, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 6: Anamnesis. On the theory of history and politics, edited with an introduction by David Walsh, Columbia et al.: University of Missouri Press 2002, pp. 1–27, here pp. 21–27.

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of the metaphysics of history. In this account, Hegel is for ever ascribed the role of the villain. Nonetheless, such an affinity exists in what I have called the “purely metaphysical” layer, concerning the nature of history. That is, similarities can be found in the answer they give to the question “What is history?” Peeking ahead a little bit to what will follow, we shall disclose that both of them agree that the question is misformulated. Because history is not a “what”, a static something, which the subject contemplates from outside, but a process, a dynamic tension in which we are meaningfully involved. We distinguish within this process a res gestae and a historia rerum gestarum, the totality of past events that we deem “historical” and the narrative we “build” out of these events. But this is a distinguishing that is not really a distinguishing. In order to get a better idea of what we’re talking about, I have put below what I consider to be two relevant quotes for our topic, extracted from the works of Hegel and Voegelin. Let’s start with Hegel: “In our language the term History unites the objective with the subjective side, and denotes quite as much the historia rerum gestarum as the res gestae themselves; on the other hand it comprehends not less what has happened, than the narration of what has happened. This union of the two meanings we must regard as of a higher order than mere outward accident; we must suppose historical narrations to have appeared contemporaneously with historical deeds and events. It is an internal vital principle common to both that produces them synchronously.10 (my emphasis of the last line).”

And now Voegelin: “In common usage, the word history has the two meanings of a course of events and of a story telling them. A double meaning is perhaps more than we expected, but at least it is suggestive – assuming it to be more than an accidental equivocation – for it seems to point to a univocal phenomenon, to a sort of compactly emergent history preceding the retrospective dissociation into the res gestae and their story, to situations where history, at the point of its emergence, is experienced not in the past, but in the present tense. The remembrance of things past, presupposes a present of existence where man, involved with events, senses his passions and action as memorable. To this sphere where man is involved with events, to the disturbances in being where man becomes part of events and the events part of human existence, to the units of mutual participation where there is yet no subject or object, where a present is constituted as a past to be remembered in the future, we shall refer as the sphere of involvement or encounter.11 (my emphasis of the last words).” 10 11

G.W.F. Hegel, The philosophy of history, translated by J. Sibree, Ontario: Batoche Books. 2001, p. 76. Eric Voegelin, What is history?, p. 10.

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It is no coincidence therefore, that we use the same word – “history” – to denote both the course of events and the narrative; because both are grounded in some kind of Ur-history, “the internal vital principle”, or “the sphere of encounter”. If we want to speak Hegelese, we will say that this primordial ground is an “in itself”, that has to become articulated, a “for itself”, into a res gestae and a historia rerum gestarum; while if we want to speak Voegelinese, we’ll refer to history in a compact form that has yet to be differentiated. The undifferentiated history is history that is not yet history in its own right, as a differentiated form of experience. It is history still embedded in what Voegelin named “the cosmological style of truth”, still mixed with the myth. There is a parallel that can be drawn, Voegelin thinks, between the articulated experience of history and the “discovery” of transcendence in religion, i.e., the awareness that the ultimate reality is beyond everything of the physical world, even beyond the cosmos itself. The mytho-cosmological divinity is mingled with the whole range of being, causing an existential unrest, a confusion of the heart. The unrest triggers a questioning search, the final result being differentiation. By the end of the journey, God and man are standing face to face, the differentiated transcendent God of the Beyond being recognized as the God from within, which caused the unrest. Similarly, by the end of the process within the “sphere of encounter”, man and history are standing face to face. The differentiation of transcendence has unveiled a world of objects, a disenchanted universe and a transcendent God; while the differentiation of history produces a disenchanted time and a world of historical events.12 The emergence of history as a full-fledged mode experience has occurred for the first time with Israel.13 Voegelin starts by noticing that Israel was the only society of the ancient Middle East that left us a course of events recorded in a coherent manner, constituting a history. Babylon or Egypt, although creators of original and advanced civilizations, did not leave us a recorded history for the simple fact that they were not aware they were living in one. As pointed above by both Hegel and Voegelin, there is no history before its recording, and the later one is only possible if there’s a historical consciousness, i.e., the awareness that time in which human beings are meaningfully involved is not the time of nature, but has the shape of history. History – as the historian E.H. Carr tells us – “begins when men begin to think of the passage of time in terms not of natural processes – the cycle of the seasons, the human life-span – but of 12 13

Eric Voegelin, What is history?, pp. 4–5. This is Voegelin’s thesis in Israel and Revelation, the first volume of his Order and History. He later seems to have changed his mind, no longer considering Israel entitled to the “copyright” for the discovery of history. But that does not affect our analysis.

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a series of specific events in which men are consciously involved and which they can consciously influence.” Or, in the words of Jacob Burckhardt, quoted by the same Carr, “history is the break with nature caused by the awakening of consciousness.”14 “The awakening of consciousness” is thus the sine qua non for “perceiving” the res gestae, history as a course of events. Without this awakening we would not be aware that time has the shape of history for us. Without the “inside” of consciousness, there would be no “outside” of history-as-events. The latter is only possible because we have history as an “inner form”. Human selfunderstanding has suffered a process of differentiation: from the form of cosmological myth to the form of history. As mentioned above, it was first experienced by Israel: “Israel alone had history as an inner form, while the other societies existed in the form of cosmological myth.” History is thus not only the “outside’” of events, but a mode of experience, a “symbolic form of existence” as Voegelin calls it. Historia rerum gestarum is the written expression of this form of consciousness, responsible for making the course of human affairs “visible” as history. Differentiation renders the old cosmological framework of selfinterpretation obsolete. History is a necessary structure of self-consciousness, once ‘self-consciousness’ reaches a certain stage of self-understanding. This seems to be Voegelin’s conclusion, which also seems to be reached by Hegel, within the different context of the Phenomenology of Spirit. As noticed by the Hegelian scholar Terry Pinkard, many readers were puzzled, when the book took what seemed to take a sudden turn from conceptual-abstract considerations about an hypothetical encounter in an-historical “state of nature” (the master/slave dialectics) to configurations of consciousness with certain historical overtones – late Antiquity (stoicism and scepticism) or Medieval Christianity (unhappy consciousness).15 But self-consciousness is necessarily connected to history and must take this logical step in its journey towards absolute knowledge. It has to integrate historicity into its self-understanding. After searching in vain for the truth of reality in an object independent of consciousness (as sense-certainty, perception, and intellect try to do) consciousness is forced to acknowledge that truth has to incorporate a form of self-relation, self-consciousness. The intricacies of the master-slave relationship lead in turn to the next step: an isolated, an-historical self-consciousness, devoid of its relationships with identical others within a meaningful social space (society) 14 15

Edward Hallet Carr, What is history?, London: Penguin Books 1987, p. 134. Terry Pinkard, Hegel’s Phenomenology. The sociality of reason, New York: Cambridge University Press 1994, p. 63.

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unfolding in time (history), is an incomplete, crippled self-consciousness. It cannot explain itself to itself in its own terms. It is incomplete and it has to advance towards the superior configuration of consciousness which integrates within its self-identification both society and history: spirit, “I that is We, and We that is I”.16 Consciousness is compelled to acquire for itself the logic of history, a teleological logic. Inanimate nature can be explained strictly in terms of mechanistic concepts, while for the organic world we are forced to employ purposive/functional descriptions in order to make sense.17 But the teleology employed in history’s making-sense is more complex than that of biology. As Pinkard points it out, history requires that later stages be seen as completions of the earlier ones, in a way that the thinking of nature does not require. The world of self-conscious human beings is essentially historical, while nature does not have a genuine history.18 We think the succession of historical events, and even of historical eras, in terms of contradiction-and-completion. Not only that we can, but we must do so. We think of the Renaissance as an opposition/reaction to the Middle Ages, but also as a completion, trying to solve the “contradictions” engendered within the self-understanding of the former historical configuration. The French Revolution must be thought as the parricidal offspring of the Ancient Regime. It completes the earlier events even if those ones were not consciously aiming at their outcome. We don’t need to establish such a connection between Jurassic and Cretaceous. The later need not be conceived as the fruition of the former, but as the result of a series of accidental past causal chains. The fact that a new species is formed through random mutations, that out the evolution of the hominids, homo sapiens is born, is, as Raymond Aron noticed, a natural, not an historical event. The former did not create anything purposefully for the later, nor did the latter learn anything from the former. History means community of spirit between the present and the past. Only humanity as spiritual, carries a historical record explicitly, only humanity is constituted historically as its own recollected record of experience writ large in a transpersonal collective memory. Nature certainly can be said to have a history as a record for us, but not for itself. The stars do not remember their lives nor any other lives, foxes do not carry a record of where they have come from, passed on from generation to generation. A comparison between humans and other species is thus limited to biology. One can compare the spreading of snakes throughout the Earth with the spread of humans, Aron 16 17 18

G.W.F. Hegel, The Phenomenology of Spirit, translated with Introduction and Commentary by Michael Inwood, Oxford: Oxford University Press, 2018, § 177, p. 132. Such as “the heart beats in order to circulate blood”, Pinkard’s example. Terry Pinkard, Hegel’s Phenomenology, 86.

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points out, but humanity would have had a history, even if it had not reached for every corner of the planet: “It would have been enough to create instruments and monuments, and to transform itself through its creations. Only man has a history, because history is part of his nature, or better said, is his nature.”19 History, to speak Voegelinese again, has the structure of a Before-and-After; where the “After” must be conceived as simultaneously opposed to the “Before” while intimately connected to it. If it’s genuine history, it will not discard the past as a whole; this is what ideology does. It will rather “sublate” the past and take up its story in a new framework. At this point I realize that some Voegelin’s readers might get confused and the whole parallel between Hegel’s and Voegelin’s philosophies of history might seem far-fetched to them. After all, the Before-and-After of history is for Voegelin the result a theophanic event, of man’s responsiveness to a disturbance in being that “is not at his command”, and not the dialectical progression of a naive consciousness becoming aware of the shortcomings of its various paradigms of self-understanding. The gap is indeed wide, but I would argue that it relates to the existential-theological aspect of Voegelin’s metaphysics. However, we are not concerned here with how history as a mode of experience comes into being, but with the result, history’s structure per se. This structure is one of a Before-and-After, a succession of epochs, the subsequent epoch surpassing and preserving simultaneously the previously one. Philosophy and revelation are not a one-sided cancellation of the myth, or if they attempt to do that, they open the door to ideological derailment. They are differentiations of the compact experience of the myth, negating without annihilating. In Hegelese that would mean an Aufhebung. 3.

Res Gestae and the Historia Rerum Gestarum: an Intricate Relationship

We shall return now to our initial issue, the common ground of the res gestae and the historia rerum gestarum. There is no history before its recording, and we are only able to see history-as-events within the formative light of historyas-a-mode-of-experience. However, as Voegelin notices, this would lead to the absurd conclusion that before Israel’s discovery of history as an inner form, Babylon or Egypt had no history. Voegelin solves the problem in two steps. First of all, he argues that history is also present in the self-interpretations of

19

Raymond Aron, Introduction à la philosophie de l’histoire. Essai sur les limites de l’objectivité historique, complétée par des textes récents, Paris: Gallimard 1981, 44. My translation.

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cosmological civilizations, but as a species of myth, similar to cosmogony or other types of mythological speculation, “bound by the compactness of cosmological form, not yet differentiated.”20 Secondly, Babylon and Egypt do have a history, because in their cases history is born through “retrospective interpretation”. That is, history as an inner form retrospectively summons to life history-as-events: “the presence of history is discovered only in retrospect from a position in which history as the form of existence has already been differentiated.”21 Babylonian and Egyptian history resemble thus the history of nature: it is a history only “for us”, but not for themselves. Nonetheless, this solution is only partial and does not completely explain the intricacies of the historia rerum gestarum/ res gestae complex. The former cannot one-sidedly ground the later, retrospectively or not. One has to reckon with the fact that if history-as-events is only visible because of history-as-aninner-form, the latter, in its turn, reveals itself to be a simple event … in history. The field of events itself also has to present a certain degree of articulation for the emergence of history-as-an-inner-form to be possible. It is already “informed” to a certain degree. For Hegel this articulation means the existence of the State and of the Laws, the absence of which relegate spans of time into oblivion, no matter how vast or filled with dramatic events – upheavals, migrations, etc. They are not properly historical events because human existence is still “compact”: “they are destitute of objective history, because they present no subjective history, no annals”. Moreover, in order for history to exist, spirit has to understand itself in its own terms. India is devoid of history, Hegel thinks, because its social space does not articulate itself in its self-produced determinations, but in nature’s determinations; its system of castes is the equivalent of the natural species.22 For Voegelin, the emergence of history-as-an-inner-form, generating historiography, is part of a wider complex of phenomena, a “configuration of history”, as he calls it. It usually comes into being together with the phenomena of ecumenic empire and of spiritual outbursts. Configurations of history are not exclusively patterns one can empirically describe, as all the great philosophies of history have attempted to do, starting with the 18th–19th century and ending with Spengler and Toynbee. The self-interpretation of human communities is part and parcel of the issue, because man is a meaning-seeking being.23 20 21 22 23

Voegelin, Israel and Revelation, p. 169. Voegelin, Israel and Revelation, p. 169. G.W.F. Hegel, The philosophy of history, pp. 77–78. See for that matter Eric Voegelin, Configurations of History, in: Eric Voegelin, The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.12: Published Essays 1966–1985, edited with an introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge et al.: Louisiana State University Press 1990 pp. 95–114, here p. 98.

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Voegelin is thus trying to provide a more comprehensive criterion for a philosophy of history than the existing ones which are too one-sided for him: translatio imperii (Hegel), spiritual outbursts/ Axis-time (Jaspers), cultures (Spengler) or civilizations (Toynbee).24 But what is important for Voegelin, is that history cannot be exclusively conceived either as a “pure It”, or as a “pure I”, but is constituted by their reciprocal determination: philosophy is a constituent of history, just as much as history is a constituent of philosophy. The fact that history is the kind of “thing” that it is, i.e., a sequence of events in which men sense themselves as meaningfully involved, is a philosophical insight; and this philosophical insight occurs within a “configuration of history”, while being essentially conditioned by the historically concrete person of the philosopher, whose open soul becomes a sensorium of transcendence.25 Thus we can see that the relationship between res gestae and historia rerum gestarum is an chicken and egg philosophical type of problem. Whenever one of the two components tries to assert its primacy, it inevitably “negates” itself, pointing to the other. Without history-as-an-inner-form, there would be no field of historical events; but without the field of events there would be no event of differentiation. The Kantian language proves itself appropriate again. History, it seems, is in this respect an antinomial concept. The thought of the smallest possible particle, requires, when is thought through, as its opposite, the concept of an infinite divisibility; the thought of a timeless world has the thought of a necessary beginning in time lurking in the background. Historia rerum gestarum points necessarily to res gestae, which likewise when thoroughly thought through, requires the former as its inner form, as its necessary ground. 4.

True Infinity and in-Between: an Equivalence of Experience and Symbolization?

Kant called these concepts antinomies, a type of contradiction which inevitably arises when we try to think the ultimate metaphysical realities. Hegel praised Kant for his insight, but considered that he did not go far enough. Not

24 25

Eric Voegelin, Autobiographical Reflections, pp. 102–105. Eric Voegelin, Eternal Being in Time, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.  6: Anamnesis. On the theory of history and politics, edited with an introduction by David Walsh, Columbia et  al.: University of Missouri Press 2002, pp.  312–337, here pp. 312–320.

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only the classic topics of metaphysics are antinomial, but the entire structure of reality when thought properly reveals itself to be so: The main point that has to be made is that antinomy is found not only in the four particular objects taken from cosmology, but rather in all objects of all kinds, in all representations, concepts and ideas. To know this, and to be cognizant of this property of objects, belongs to what is essential in philosophical study; this is the property that constitutes what will determine itself in due course as the dialectical moment of logical thinking.26 The truth of this antinomial structure of reality is what Hegel calls true infinity. The concept is developed in both the Phenomenology of Spirit and the Logic. Later it is opposed to the “spurious infinity” (schlechte Unendlichkeit), the common understanding of infinity. The endless succession of finite entities does not represent a true infinity: “Something becomes an other, but the other is itself a something, so it likewise becomes an other, and so on ad infinitum. This infinity is spurious or negative infinity, since it is nothing but the negation of the finite, but the finite arises again in the same way, so that is no more sublated.”27 In contrast with this spurious infinity, the genuine, true infinity “consists rather in remaining at home with itself in its other” (my emphasis). Infinite progression has nothing sublime, but is rather tedious, a superficial alternation: “A limit is set, it is exceeded, then there is another limit, and so on without end.”28 The spurious infinity is spurious because it’s not really an infinity. Conceived in this manner, the infinite is nothing but an “other-finite”, opposed to and limited by the finite, and thus not a genuine infinity. This kind of dualism “which makes the opposition of finite and infinite insuperable, fails to make the simple observation that in this way the infinite itself is also just one of the two, [and] that is therefore reduced to one particular, in addition to which the finite is the other one.”29 In order to be a genuine infinity, it has to “integrate” the finite within itself, to make it a moment of itself. Striving to grasp the essence of this process, Hegel has employed his famous term Aufhebung, denoting suppressing and preserving at the same time. Dualism fails, monism is the answer. Things are somehow differently put in the Phenomenology. Here at the end of the “Force and understanding” chapter, infinity is defined as the absolute difference, as the law of the “inverted world”. The “inverted world” blows away 26 27 28 29

G.W.F. Hegel, The Encyclopaedia Logic (with Zusätze), translation with introduction and notes by T.F. Geraets, W.A. Suchting and H.S. Harris, Indianapolis et al.: Hackett 1991, § 48, p. 93. G.W.F. Hegel, The Encyclopaedia Logic, § 93–94, p. 150. G.W.F. Hegel, The Encyclopaedia Logic, § 94, p. 150. G.W.F. Hegel, The Encyclopaedia Logic, § 95, p. 151.

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the initial presupposition of a static, clear-cut distinction between a phenomenal realm, defined by change and chaos, and a supersensible one characterized by order and the calm stability of the law. The common concept of difference entails a clear, defined relation between two entities with a stable identity. But like the spurious infinity which is not a true infinity, neither is this a genuine difference. The inner difference, as Hegel calls it, is “the difference in its own self, when the like is unlike itself and the unlike like itself.” Or in more advanced Hegelese is “the becoming-unlike of the like and the becoming-like of the unlike.” It is a difference which undermines itself, the moment it is stated. “Through this principle, the first supersensible, the tranquil kingdom of laws, the immediate copy of the perceived world, is turned round into its contrary.” Strife enters now in Paradise. The supersensible acquires thus “the principle of exchange and alteration” it lacked before. The “sensory representation of a consolidation of differences in a distinct element of subsistence” must be therefore removed. We no longer have two stable opposites separated by a dividing line. That would mean the opposite to be merely one of two, and “if it were, it would be just a being not an opposite”. But instead, we now have the “repulsion of the like-named as like-named, from itself”. The inverted world is opposed to the first conception of the supersensible world, and is also opposed to itself; it has difference as its inner nature: “Only thus is this world the difference as inner difference, or difference in its own self, or difference as infinity.”30 The usually abstruse and dry style of Hegel’s prose now leaves the stage in favour of a veritable infinity glory hymn. Infinity is “the absolute concept, may be called the simple concept of life, the soul of the world, the universal blood, whose omnipresence is neither disturbed nor interrupted by any difference, but rather is itself all differences as also their sublatedness;”31 In this account, infinity seems to be the truth of all there is. One has the feeling that the Phenomenology of Spirit might well have ended here. Remaining at home with itself in its other; or an inner difference undermining itself the moment it asserts itself. We can see that this is nothing but the of the nature of history in a nutshell, the very relation defining the connection between the res gestae and the historia rerum gestarum. It is the definition of the realm of spirit, of the historical world, our world. As stated above, in Hegel’s system, infinity is the truth of the whole being. But even in his account, “nature has yielded itself as the Idea in the form of otherness.” Therefore, nature is the

30 31

G.W.F. Hegel, The Phenomenology of Spirit, § 157–160, pp. 119–121. Ibidem, § 162, p. 122.

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embodiment of the Idea in the “determination of externality”.32 Or in the language of the Science of Logic: The study of nature, because of the stable reality of its objects, is inevitably led to fix categories that can no longer be ignored in it, even if with complete disregard for consistency towards other categories which are also allowed to stand; it is not given room for abstracting from opposition and moving on to generalities, as so easily happens when spirit is the object.33 (my emphasis of the last words) By contrast, the “objects” of the historical world do not entail a “stable reality”. We use the term “historical facts” when referring to the these “objects”. However, these “facts” do not “exist” the way the objects of nature do. An historical fact is constituted by history as an inner form, and can only “appear” if this inner form has reached an appropriate level, if our self-understanding presents a certain structure. Until the 19th century we could not see the social history, the private life of the everyday man, or the history of mentalities. We could not see it because we did not have the inner eye for it. We only had eyes for “great men” and great events: kings, generals, diplomats, famous battles or the fall of great empires. An event is raised to the dignity of historical event only if it’s relevant. Relevant for what and to whom? Relevant for our level of self-understanding. Again, this necessary involvement of subjectivity in building the historical world does not mean that the inner form fancifully or arbitrarily construes the res gestae. The latter presses on the former, compelling it to re-evaluate the frame of its self-understanding and to create a new one. While that might not be so obvious for the particular historical facts, it becomes so when referring to the great historical frameworks without which the flux of history would be unintelligible. We are forced to postulate a new epoch, when history doesn’t make sense any more in terms of Roman Antiquity. When the attempt to understand the flux of historical events with medieval concepts fails, we are forced to “invent” the Renaissance. Nations fail to provide the “intelligible unit of history”, so Toynbee is forced to speak about civilizations. One should however keep in mind that such concepts are even farther removed from the objects of nature than the particular historical facts, i.e., are even more volatile. The Renaissance or the Enlightenment do not “exist” in the past the way that particular historical events do – say the battle of Poitiers, or da Vinci’s painting 32 33

G.W.F.  Hegel, Philosophy of nature, edited and translated with explanatory notes by M.J. Petry, London: George Allen and Unwind Ltd 1970, § 247, p. 205. G.W.F.  Hegel, The Science of Logic, edited and translated by George di Giovanni, Cambridge: Cambridge University Press 2010, p. 13.

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of La Gioconda. They are rather synthesizing operations, grouping together and providing an enhanced unity and intelligibility to the former. They are the kind of “colligatory concepts” described by W.N.  Walsh or L.B.  Cebik. When employed “to the historical facts, the mind adds something not perceived; a limited number of basic ideas or concepts”, the task of these concepts being “rather to illuminate than to fit the facts.”34 The scholar should always remain acutely aware of their status, and avoid at all cost the empiricist fallacy. If these concepts are treated like objects of the physical universe, they become the source of the greatest misunderstanding.35 Both Voegelin and Hegel were aware of these dangers. They are equally critical of the naïve empiricism of the practising historians. This is how we should interpret Hegel’s project of a “philosophical history”, Philosophical history aims to remediate the shortcomings of the imperfect types of history – original and reflective history. He is particularly critical of the spurious distinction between a history that deals with “facts” and a philosophy lost in the realm of “ideas”. Historians fear that speculation might encroach the province of history, “to force it into conformity with a tyrannous idea, and to construe it, as the phrase is, ‘a priori’.” Because of this fear, they provide an untenable definition of their discipline, whose business should be “simply to adopt into its records what is and has been” and which can only “remain true to its character in proportion as it strictly adheres to its data.” But this is an illusion. There is no “objective history” passively registered by our cognition. The subject is actively involved in the construction of history: “Even the ordinary, the “impartial” historiographer who believes and professes that he maintains a simply receptive attitude; surrendering himself only to the data supplied him – is by no means passive as regards the exercise of his thinking powers. He brings his categories with him, and sees the phenomena presented to his mental vision exclusively through these media.”36 In various parts of his works, Voegelin deplores in a similar way the surrender of historians to the empiricist mentality, the reduction of history to an “it”. History however is not an “it”, an object that can be studied form outside, as we proceed with objects of the physical world. Like political reality, it belongs to the class of “objects” of “non-existent reality”, as Voegelin puts it. They do not have a tangible material reality like cats, trees and asteroids. However, they are 34 35

36

L.B. Cebik, ‘Colligation in the writing of history’, The Monist, vol. 53, 1969, p. 41. This is, in my opinion, the source of the failure of Toynbee’s Study of History, when he conceives his civilizations as some sort of biological entities. For a detailed account, see my ‘Toynbee’s Study of History: an ‘abortive idealist philosophy of history?’, Collingwood and British Idealism Studies, 23 (2) 2017, pp. 197–224. G.W.F. Hegel, Philosophy of history, p. 24.

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in a way, “more real” then the former because they are the processes within which the order of human existence is structured. Cats, trees and asteroids constitute the external environment of human beings, they are peripheral to the human person. History and political reality are an “outer” that is at the same time an “inner”, they are central to human existence, or as Aron wrote, they are the very “stuff” from which human nature is made. History, Voegelin argues, “is not a field of indifferent, objective materials from which we may select some according to arbitrary criteria in order to construct an ‘image’ of history. Rather history is constituted by consciousness.” This is why, Voegelin believes, the time of history is not the time of nature “in which the life of man with its somatic foundation leaves its trace, but to the dimension of the desiring and searching for the ground, a dimension which is immanent to consciousness.”37 We can see how, via his philosophy of consciousness, Voegelin’s philosophy of history turns into a theology of history. In fact, the conceptual framework of a process theology is for him the most adequate instrument to grasp the nature of reality. In such a process theology (…) one deals with the development of a symbolic system that seeks to express the relations between consciousness, the consciousness-transcending innerwordly categories of being and the world-transcending ground of being, in the language of an immanently conceived process. I am inclined to believe that the process-theological attempt and its expansion, a metaphysics that interprets the transcendence system of the world as the immanent process of a divine substance, is the only meaningful systematic philosophy.38

Voegelinian history has the structure of an in-between, identical with that of human existence. The in-between or metaxy, is a key concept of Voegelin’s existential-theological aspect of his philosophy of history. It expresses both the intermediary condition of man as well as that of the whole process of history. Man’s existence in this world is one lived in a constant tension: “(…) and if anything is constant in the history of mankind it is the language of tension between life and death, immortality and mortality, time and timelessness; between order and disorder, truth and untruth (…) and between alienation in 37

38

Eric Voegelin, What is political reality?, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 6: Anamnesis. On the theory of history and politics, edited with an introduction by David Walsh, Columbia et al.: University of Missouri Press 2002, pp. 341–412, here pp. 356–57. Eric Voegelin, On the theory of consciousness, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.6: Anamnesis. On the theory of history and politics, edited with an introduction by David Walsh, Columbia et al.: University of Missouri Press 2002, pp. 62–83, here p. 74.

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its double meaning of alienation from world and alienation from God.”39 No different is the status of history. History, as Voegelin tells us, is Christ written large.40 Through the differentiation of consciousness history becomes visible as the field where man searches for his meaning, where the differentiations occur. Because these differentiations advance the self-understanding of man, history must be seen as a superior class of experiences to man’s existence in society. Furthermore, because the differentiating moments are experienced as simultaneously in and out of this world “(…) history is discovered as the process in which reality becomes luminous for the movement beyond its own structure; the structure of history is eschatological.” This makes Voegelin conclude that “history is not a merely human, but a divine-human process.” Historical events might occur in the physical universe and may have calendar dates; but they “partake of the divine lasting out of time.” Therefore, the historical constitution of our human nature “is neither world time nor eternity but the flux of the presence in the metaxy.”41 This would be the existential-theological in-between of Voegelinian history in a nutshell. However, I think it is appropriate to say that the same structure defines the “purely metaphysical” constitution of history, i.e., the relationship between the res gestae and the historia rerum gestarum. And in this respect, it stands towards the Hegelian true infinity in a relation of “equivalence of experience and symbolization”. History is neither the course of events, nor the narrative we build out of it. It is a neither-neither and at the same time is both. Or rather it is the tension between them, in which, similar to the existential-theological type of in-between, the poles of the tension cannot be reified. Moreover, they exist only through the other, standing in an antinomial relationship to one-another. Each of these poles contains the Hegelian inner difference: they negate themselves the very moment they try to establish their primacy, pointing to the other. Whenever we attempt to assert the logical priority of “external history” we are forced to admit history-as-an-inner-form as its necessary condition and vice-versa. The poles reflect into each other the way the mirrors in a clothes store do, each one referring to the other as its origin and purpose in a truly infinite reflection. Reification must be avoided here too, 39

40 41

Eric Voegelin, Experience and symbolization in history, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 12: Published Essays 1966–1985, edited with an introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge et al.: Louisiana State University Press 1990, pp. 115–133, here pp. 119–120. Eric Voegelin, Immortality: Experience and Symbol, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 12: Published Essays 1966–1985, edited with an introduction by Ellis Sandoz, Baton Rouge et al.: Louisiana State University Press 1990, pp. 52–94, here p. 78. Eric Voegelin, The Ecumenic Age, p. 375.

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and the “balance of consciousness” preserved. If history is conceived exclusively as a “pure it”, the balance is lost and we fall into the empiricist/positivist fallacy. History becomes a process studied by the historians from the outside, while historical “facts” become akin to objects in the physical world, unearthed by the historian like melons from the garden of history. If, on the other hand, history is thought as a “pure I”, we’re now into the post-modern misconstruction of history, reminiscent, as Voegelin pointed out, of the ancient sophistic triads. History’s existence as a substantial process is denied, and reduced to the narratives of historians, or at best explained in terms of sociology and psychology.42 But history is neither a substance, nor a subject. It is substance precisely by being a subject and the other way round, a substance that is at the same time a subject. The true “location” of history is the dynamic passing in-between the res gestae and the historia rerum gestarum, or – which is the equivalent expression – their true infinity. With the last remarks we have nevertheless reached the limits of the “equivalence of experience and symbolization” between Hegel and Voegelin’s reflections on the nature of history. Voegelin is not a Hegelian and cannot be reduced to Hegel. The limits of this comparative metaphysics are conditioned by its existential-theological aspect. Voegelin’s history is constituted by the “search for the ground”, or more simply put, by God. The different status of God in the philosophising of these two thinkers is the likely source of their influence on other philosophical topics, including the one of history. Voegelinian history, we remember, has an eschatological structure; it points beyond itself. It points towards God, a God that is not entirely the God of classic theism. Voegelin’s God is the ultimate category, the final pan(en)theistic process that comprehends both the process of nature and the one of history.43 But is a God that remains ultimately unknown, the God of the “tetragrammatic abyss”, as he wrote to Gregor Sebba.44 It is a God that cannot be rendered fully intelligible even by the revelation of Christ, let alone by a philosophical exegesis. In contrast, not even God is beyond intelligibility in Hegel’s system, because intelligibility, reaching the Idea in its final shape, is the ultimate category of being: “to

42 43 44

Eric Voegelin, What is history?, p. 1. “Things do not happen in the astrophysical universe; the universe together with all things founded in it, happens in God”, Eric Voegelin, The Ecumenic Age, p. 408. Eric Voegelin, Letter to Gregor Sebba, February 3rd 1973, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 30: Selected Correspondence, 1950–1984, edited with an introduction by Thomas  A.  Hollweck, Columbia et  al.: University of Missouri Press 2007, p. 751.

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be is to be intelligible”.45 Such a thesis would be the equivalent of a blasphemy for Voegelin, whose reflection bears a distinctive Schellingian twist. Reflection on the nature of history and its importance for our selfunderstanding is a defining feature of our modern philosophical thought. This is because the modern age means, among other things, the awareness that our human condition is a historical one; that we cannot philosophise on human nature without taking history and historicity into account. We’re not just living in a history, we are a history. This is something that differentiates us significantly from the ancients and their self-understanding. In this respect, Voegelin’s philosophical quest – notwithstanding the essential differences – is part of a common zetesis, alongside Hegel, Heidegger and many others. He may have referred throughout his work to ancient and scholastic philosophy, and he may have sharply criticized modernity. But in spite of all that, he remains – in the opinion of this author at least – not a modern Plato, but a modern philosopher.

References

Altizer, Thomas, The theological conflict between Strauss and Voegelin, in: Faith and Political Philosophy: The Correspondence between Leo Strauss and Eric Voegelin, 1934–1964, ed. by Peter Emberley and Barry Cooper, Columbia et al.: University of Missouri Press, 2004, 267–277. Aron, Raymond, Introduction à la philosophie de l’histoire. Essai sur les limites de l’objectivité historique, complétée par des textes récents, Paris: Gallimard 1981. Carr, Edward Hallet, What is history?, London: Penguin Books 1987. Cebik, L.B., Colligation in the writing of history, in: The Monist, vol. 53, 1969, pp. 40–57. Hegel, G.W.F., The Encyclopaedia Logic (with Zusätze), translation with introduction and notes by T.F. Geraets, W.A. Suchting and H.S. Harris, Indianapolis et al.: Hackett 1991. Hegel, G.W.F., The Phenomenology of Spirit, translated with Introduction and Commentary by Michael Inwood, Oxford: Oxford University Press, 2018. Hegel, G.W.F., The philosophy of history, translated by J. Sibree, Ontario: Batoche Books 2001. Hegel, G.W.F., Philosophy of nature, edited and translated with explanatory notes by M.J. Petry, London: George Allen and Unwind Ltd., 1970.

45

This is at least how Robert Pippin sums up the Hegelian metaphysics. See Robert Pippin, Hegel’s Realm of Shadows. Logic as Metaphysics in the Science of Logic, Chicago and London: The University of Chicago Press 2019, p. 77.

VOEGELIN’S IN-BETWEEN AND HEGEL’S TRUE INFINITY

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Bogdan Ivaşcu

Voegelin, Eric, The Ecumenic Age, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol.  17: Order and History, Volume 4, The Ecumenic Age, ed. by Michael Franz, Columbia et al.: University of Missouri Press 2000. Voegelin, Eric, What is history?, in Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 28: What is history? And other late unpublished writings, edited with an introduction by Thomas  A.  Hollweck and Paul Caringella, Louisiana: Louisiana State University Press 1990, pp. 1–52. Voegelin, Eric, What is political reality?, in: Eric Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 6: Anamnesis. On the theory of history and politics, edited with an introduction by David Walsh, Columbia et al.: University of Missouri Press 2002, pp. 341–412.

On the Concept of Creaturality in Eric Voegelin Alberto Castaldini Abstract This essay analyzes the fundamental concept of creaturality from the perspective of Eric Voegelin which forms the basis of the Judeo-Christian vision indicating humanity’s awareness of being an active part of God’s plan in history. As Voegelin stated repeatedly, when awareness is diverted from the transcendent to the immanent dimension, both creaturality and the political order decay.

Keywords Creaturality, Revelation, Political Order, Representation, Gnosis

Creaturality is man’s awareness of being created in God’s image (Gen  1:26) reaffirming a metaphysical presence at an individual and relational level. Man relates to God from a perspective of vocation and mutual attention; thus the human condition is formed through the creatural awareness of a living God. The same conscience finds its order in the creatural dimension1. Creaturality is the harmonic expression of reason and spirit for maintaining transcendence in the personal and political order2 which is the basis for the Judeo-Christian vision. In the Bible, God is the Lord of universal history as well as of our existence. When this awareness is diverted, excluding the supernatural to transform it into an intramundane immanence, both creature and political order decay, imprisoned in the trap of Gnosticism. This phenomenon is dangerous as it causes spiritual unease not only for the individual and his personal experience, but also the existential perspective, creating ambiguity in self-defining the political order and the premise for conflict which in turn compromises institutions that do not recognize the basis of their authenticity in human nature. This generates a sense of fatigue

1 E. Voegelin, Anamnesis. Teoria della storia e della politica, Milano: Giuffrè 1971, p. 16. 2 E. Voegelin, Hitler e i tedeschi, Milano: Medusa 2005, pp. 46 ff.

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_010

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which impedes social hope and, ultimately, human coexistence3. Fear of death affects social order and disorder, and only a sense of transcendence can confer a further surviving possibility to man even in the exercise of rational choices. 1.

The Danger of Self-Redemption

Implicit in the concept of creaturality, there lies a dangerous belief that the advent of a future kingdom – which does not exist in the present – is not related to a transcendent and biblical Presence but rather depends exclusively on man’s initiative based on a secular salvific immanentism. This self-redemption is deeply anti-creatural. It is a perverse expression that consciously transcends itself to deny divine transcendence; it embodies a self-interpretation that stifles constructive reflection of a political nature even at the hermeneutic level. It represents sterile self-referentiality of a secularized community that pursues its own autonomous fullness and, in this way, will be destroyed. Anyone who transcends himself and rejects, or intends to modify his creatural nature, reaches aims that are in perfect opposition to existential ones and, as such, are nihilistic. If man intends to absorb, or associate the spirit of God with himself, he loses his vocation and true aspiration, because creaturality is fundamentally order and hope: it is future. As Luigi Mistrorigo observed, Voegelin’s thought is developed within the history of political ideas, symbols, and through the “brightness of conscience” “it falls and measures itself with the history of our time”4. It escapes the traditional domination-freedom dialectic, making of creaturality the foundation of man’s political conscience. The stability of the political order is possible only from a transcendent perspective, where social reality is not excluded, as this vision is based on the full awareness of humanity and historical reality. In Voegelin, existential involvement in the phenomena is a stimulus that provides rational answers that are not satisfied by dialectical solutions. Answering each question arouses answers raises new questions. The order of the soul is reflected in the divine and secular order, guaranteeing a link between politics and metapolitics. If this bond is broken or transcendence is corrupted by an eschatological (but ideological) immanentism, 3 See E. Voegelin, Configurations of History, in: The Concept of Order, ed. by P.G. Kuntz, Seattle and London: The University of Washington Press 1968, pp. 38–42. 4 L. Mistrorigo, Eric Voegelin: decadenza e ordine politico. La politica prima del potere, Roma: Città Nuova 1994, p. 9.

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a process of decadence begins, affecting institutions and political representation. Man is fully aware of his experience in a political order that reflects transcendence only if he recognizes himself as a creature. Creaturality is therefore elevation to a higher order, of whose destruction the human psyche – released from the myth – is aware, but of whose necessity (guaranteed by God) the soul bears as a constitutive component of man’s created nature. For Voegelin, revelation, as synthesis and peak of this event, is the culmination of human civilization, after which the descending parable began, which was the Gnostic decadence of the political and sacred order5. The topic of creaturality directly involves political representation. Every act of the king, servus servorum Dei, must refer to his kingdom, and if the king is for the kingdom, every man is for God, the creator. This is an intimate implication of the creatural condition, beyond doubling spiritual or temporal representation, which underlies that responsibility-dependence whose human recognition allows for rediscovery of a transcendent order in society. For this reason, Voegelin’s The New Science of Politics is perhaps, above all, a treatise on anthropology, because of its close, constant connection between experience and reality, where individual conscience opens up to a generative, fruitful perspective, focused on the survival of present and future generations (our reference is to Hans Jonas’s ethics of responsibility) where the search for political order is a response to the moral crisis and spiritual distress of contemporary man. Moreover, the philosophy of politics – as Voegelin writes in Anamnesis6 – is, speaking of consciousness, deeply empirical because it analyzes and addresses the real experiences that constitute and organize human existence. Is consciousness not the primary rational source of human order in society and in history? Creatural consciousness confirms itself as the place of experimentation of that order in history – distinguished in this essay by the concept of metaxy (In-Between), which structures human existence and defines the existential condition of the soul between transcendence and immanence7. Creaturality is the aware acceptance – not an interior tension – of being part of God’s plan in history. 5 Mistrorigo, Voegelin, pp. 26–27. 6 Mistrorigo, Voegelin, p. 40. 7 E.  Voegelin, Dall’illuminismo alla Rivoluzione, Roma: Gangemi, 2005, p. 34; E.  Voegelin, Equivalence of Experience and Symbolization in History, in: Eternità e storia. I valori permanenti nel divenire storico, ed. by Istituto Accademico di Roma, Firenze: Vallecchi 1970, pp. 220–223. See S. Marega, Pneumatologia della coscienza: una diagnosi della follia gnostica in Eric Voegelin, Heliopolis. Culture Civiltà Politica 2 (2020), pp. 99–112, and passim: G.F. Lami, Introduzione a Eric Voegelin. Dal mito teo-cosmogonico al sensorio della trascendenza: la ragione degli antichi e la ragione dei moderni, Milano: Giuffrè 1993.

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Creatural Order and Conscience

Decay generates disorder, disorder feeds decadence, compromising the order of the soul, or the conscious perception of creative transcendence. This is not a simple opinion underlying the order but a presupposition. Creaturality, then, is an order of the soul and the foundation of the political order. The primacy of creatures presupposes the primacy of the soul, where conscience is at the heart of every experience of existing. Because of this, historical existence opens up to its foundation: the transcendence of truth. Political life develops with a continuous tension between existence and being, with consciousness as the defining sphere. Representation is the organizational translation of this order, however in Voegelin primacy belongs to the soul, not the political. It has a cosmic foundation because it is present in all of creation, as if anthropology were embedded in cosmology, and creaturality was therefore the foundation of order and history. If soul creates myth and political symbolism is built on the myth, both are at the center of the historical and meta-historical order, and no real political reform can ignore an order that the conscience perceives as real and transcendent at the same time. Creatural consciousness reveals the same reality to us, by providing the representation of politics founded on transcendence. In this sense, all tyranny is surrender of the spirit and a fall into demonology (Voegelin), understood as an image of man’s rejection of creaturehood, of his condition of dependence and gratitude to the Creator. The rebellion of Satan described in the Bible appears as the model for refusing this original condition, and the premise for salvific logic within the world. On the contrary, the balanced exercise, as creatural, of political and social relations prevents the exercise of power for itself, while allowing its institutional evolution. Conscious creaturality belongs to humanity for developing and maximizing the potential of its nature from an ethical perspective that builds the political order. This conscious intention cannot ignore transcendence. God is the measure of creation and every creature, and every institution that reflects his order. But man must consider himself a child of God, and not merely subjected to a nomos. Ethically, institutional rules could therefore correspond to acts of human nature in society and history. Voegelin shows us institutional ethics founded on creaturality where political action, directly or through representation, guarantees political order and social coexistence. Different men are called to live together and choose their representation in institutions which guarantee that coexistence. Along with the diversity of individuals, human nature becomes the undisputed essence on which to build a peaceful order that is neither deficient on the spiritual level

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nor disadvantaged in terms of material needs. Human nature in its creatural condition does not need to be transformed precisely nor conditioned by ideological immanentism. Political action is not an exclusive creation of promethean and revolutionary men; it does not shape the political order alone, but in man’s creatural awareness it is inspired by God’s love: a perspective which exposes itself to a difficult synthesis (and a consequent crisis) between worldly and spiritual existence, because man is not a disembodied being, but through his own body (his organic nature), as in self-awareness, he takes part in reality. The defense of creatures becomes resistance to political disorder and spiritual distress. It constitutes a strengthening of the ethos in humanity, in the precariousness of man’s condition, and questions about existence, destiny, and divine genesis8. An old and a new creation face each other in the Gnostic political revolution, while the pre-existing world is described as obscured by the fall of man, provoked by the original sin that compromised the creatural condition. The divine sacrifice of Christ can redeem it, however. Modernity has committed to the task of absolving, justifying, and redeeming man from his fallibility. This vision, however, is dissolved in an immanent historical present, a civil theology proposing a materialistic paradox that empties the Genesis of meaning, cancelling the Judeo-Christian tension between creatural and divine being9. Along with the idea of sin in the presence of transcendence, creaturality is canceled within an autonomy that promises a possible perfect life (i.e., an alternative eschatology that ignores transcendent protology) as a new world rejects the old man and shapes a future mankind where “the mud must be eliminated” (K. Marx)10. This self-absolution defines an unrealistic overman, which is the culmination of an orderly, immanent evolution, in the absence of any further perspective, rejecting a cognitive approach that may transcend reality. Instead, we know that Voegelin did not hesitate to affirm that the wise man is the one who starts from God in his path of knowledge11. In Voegelin, adherence to ideologies is paralysis of conscience. For this reason, political science makes use of interdisciplinarity, which offers multiple rational criteria of evaluation, focused on examining the event in which the acting man is aware of his existence, NS experiencing reality. Reality’s symbols are the interpretative key to understanding the historical and political order. 8 9 10 11

E. Voegelin, La nuova scienza politica, introduction by A. Del Noce, Torino: Borla, 1968, pp. 123–128. E. Voegelin, Politica gnostica, in: L. Mistrorigo, Voegelin, p. 124. E. Voegelin, Politica gnostica, p. 133. E. Voegelin, Volksbildung, Wissenschaft und Politik, Monatsschrift für Kultur und Politik 7 (1936), ed. by J. Messner, pp. 594–603 (here p. 600).

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In this frame, the anthropological dimension is central, because man is that point of reality in which he can understand himself12. Therefore, creaturality is the essential condition where consciousness relates to the reality to act in, since the order of reality is a political-existential order created by society to attribute meanings and purposes to this same existence. The search for meaning also takes place thanks to the extraordinary experience of a single person, like Abraham or Moses13. 3.

The Creatural Search for God

The search for God through an original feeling, which constitutes human nature, allows us to overcome bewilderment, the sense of loneliness and abandonment of existence, by restoring peace in the heart of man. God, man and the world make up community and this relationship supports order and history. A soul that denies this relationship, defining itself exclusively in immanent terms, thus rejecting any further perspective, is an impoverished soul. Peter  J.  Opitz wrote how Voegelin wanted to re-establish philosophical anthropology as the foundation of a human society14. Hence the fact that the fall of man determines the fall of God: divinity’s death which is associated with the removal of the sacred and the transcendent from the individual and collective existential horizon. Voegelin’s main challenges are therefore twofold: the controversy against forgetting transcendence and the consequent attempt to reconstitute a consciousness of transcendence. At the center of both, as a supporting axis, is the opening of man to the divine being. For Voegelin, ideology is a rebellious existence towards God and towards man. It embodies violating the first and tenth commandments, synthesizing the arrogant autonomy that ultimately proves self-destructive. Voegelin’s philosophical reflection is not just an intellectual exercise, but a creatural reaction to the disorder of our time in recovering the order of human existence. The history of the world develops along this searching for an order that is not a project of human or social action, but a reality that pre-exists and transcends, and is placed in the flow of events. It crosses the present and projects itself towards the future, since God, as Voegelin recalls in the light of the Judeo-Christian revelation, is the original and final source of order in the world and in man, in 12 13 14

E. Voegelin, Ordine e storia. Vol. I: Israele e la rivelazione, ed. by N. Scotti Muth, Milano: Vita e Pensiero, 2009, XVII. Voegelin, Ordine e storia, XVII. Voegelin, Ordine e storia, XXVIII.

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society and in history15. God who transcends the world, finally guarantees its order, in the revealed framework that the man-creature recognizes in the fullness of his awareness. Man participates in the mystery, taking part with it in the reality of creation where he is an involved and constitutive factor. We could say that he is a conscious part of it. By this creatural participation, man’s experience opens up to an effective knowledge of the fourfold reality God-man-world and society16. This knowledge is not necessarily reassuring. In fact, in our existence we are part of a more extensive drama: the divine being within everyone is destined to die, to restore to eternity, in the freedom of the human condition, all that is precarious and offers itself to the disorder. Man in his freedom knows good and evil, because he is defined in Genesis as a creature through the image and likeness (tzelem: shadow) of God, and as such is invested with a primacy (in custody) over every other creature. Considering this original condition, however, it is difficult to find a balance in human existence, and temptation exposes man to rise to the level of that divinity to which he is similar, as the biblical narrative repeatedly confirms. Therefore, the awareness of his creatural condition and, at the same time, the possibility of individual or cosmic ruin, restore man to his weakness and creaturality. Every historical society like every people – in the division sanctioned by the challenge to transcendence expressed in the episode of Babel – are thus called to adapt with humility to the time and place foreseen by the divine order. The paradigm of man who, after overcoming many trials, finds the guarantee of divine promises in his creaturality, is that of Abraham17. In Abraham, relations between God and man reach equilibrium through the custody of promises, and man’s dominion over creation can rediscover its analogical configuration with divine creation, in the order that he is called to respect. Symbol and myth in Voegelin are always correlated to the experience of the world18 including the foundation of a political system: so, secular reality reflects cosmic reality and mankind participates on earth, by merely existing, in the social order as well as in that divine. They are separate, but an analogous and orderly flow unites them to the point of becoming a single entity19. Man thus finds himself at the center of a cosmic revolution that does not subvert 15 16 17 18 19

Voegelin, Ordine e storia, p. 7. Voegelin, Ordine e storia, p. 15. See A. Castaldini, Il paradigma di Abramo. Tre scritti sul padre dei credenti, with a note by Joseph Ratzinger- Benedetto XVI, Livorno: Belforte 2021. Voegelin, Ordine e storia, p.  40. See  E.  Voegelin, Equivalence of Experience and Symbolization in History, pp. 215–234. Voegelin, Ordine e storia, pp. 42–48.

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divine architecture but rules it on earth (the empire in its spatial organization must reflect the cosmos). Man experiences it in his creaturality within of the periodicity that marks the individual and community experience of redemption and salvation. The framework in which man acts is that of transcendence of the world in the presence of divinity, which has gradually taken on the traits of a unique and universal creator, who seems to sanction on a symbolic level the concept of a creatural condition unique in man. A specific vocation corresponds to this singularity. The God who is revealed after the ancient gods, is elusive. Job in his singularity embodies the bewilderment and scandal of a man who cannot be heard, who has lost an authentic, personal relationship. Yet his profoundly creatural and heartbreaking cry, inaugurates the theological discourse, symbolizing the cosmic order, for which the forces that order human life, in primordial, tribal and later, urban society, necessarily reflect a stability that comes from God. Job, abandoned to his fate without being guilty, appears as an outcast, a subject who has been denied all rights and protection. His subjection to a transcendent and incomprehensible divinity is the expression of a disorder that only a revolution can heal. And yet Job, up to the end, preserves his own creaturality by which guarantees order for every man. 3.1 Pharaoh and Cosmic Creaturality Voegelin’s perspective on creaturality is also present in his writing about ancient Egypt. If the pharaoh is the father of all men, with his political mediation he guarantees the divine sonship of humanity which shares in his strength. Creaturality passes from a condition of regeneration favored by the consubstantiality between pharaoh and divinity. It is a creaturality regenerated by the divine and cosmic order, marked by the seasons and annual cycles. Man participates in the life-giving force, by which the sovereign is the creator and guardian of an order that coincides with the world. The restoration of order is a re-creation of the creatural condition of humanity of which the pharaoh is the guarantor by divine mandate and for his identification with the uniqueness of the kingdom, of God and of the world20. Logos would have broken the Pharaoh’s mediation (the anticipation of this break was in Moses) and destroyed his royal order, but certainly not the cosmic order. Voegelin observes that the attempt to create new social bonds came from the disorder following the Fourth Dynasty, to propitiate the birth of a new community, with a renewed social significance. This required a sort of interiorization of the cosmic order, in the presence of a god who didn’t manifest 20

Voegelin, Ordine e storia, p. 124.

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himself anywhere except in his provident presence. A beneficial internalization of the cosmic order was the response to the threat of chaos, to its iniquity, through a state of goodness that man must restore in his heart, obeying the creative commands of the god21. The natural phenomena created by the divinity involved everyone, planting in the heart of each human being the care of death, the awareness of transience. in this way, society, became one of equals by divine will, whose organizing center was therefore the human condition. Any exclusive mediation of the sovereign between divinity and man, for which obedience to the pharaoh was the only way to participate in the divine substance, would have proved to be a dead end in the political order of Egypt. 3.2 Israel and the Real Encounter with God The creatural turning point was determined by the political experience of Israel. Throughout the exodus into the desert, the real encounter with God develops in stages, so the renewed recovery of a full awareness of creation. Here we can find the core of the existential experience for which the people make a covenant with God to become his people. If Egypt is the kingdom of death (Sheol, Voegelin writes), it is finally pushed back, and Israel, torn from the grip of death, is thrown into an uncertain and indecisive desert: further proof of its creaturality22. The passage from chaos to the cosmos demands a price for political representation. Revelation cannot fail to be inserted in a metapolitical order in which the messianic triumph of the suffering servant is a paradoxical synthesis. Cosmos was no longer the harmonious place in which to inscribe man’s life. In the desert, which is not a dead end or an interrupted path but an open and ever new horizon, man, albeit in solitude, finds the voice of the spirit of life, which had pushed him away from death. Moses and the tribes of Israel listened to the voice of God and obtained life: the response to their vocation was an act of profound creaturality that Voegelin highlights in the definition of election. Sheol is replaced by the Kingdom of the living God, and the people-creature lives in history for an end that lies beyond history23. Moses and his people experienced the decay of death in the kingdom of Sheol and for it a closure in the cosmic order. Through the Exodus, as a divine plan of redemption, they made a jump into being24, discovering transcendence as the source of an order in man and society. Transcendence was intended as a 21 22 23 24

Voegelin, Ordine e storia, p. 126. Voegelin, Ordine e storia, p. 147. Voegelin, Ordine e storia, p. 148. Voegelin, Ordine e storia, p. 159.

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perspective for becoming aware of the order that reflects creatural consciousness. Without the book of Genesis, in fact, Exodus cannot be understood, and the Bible is the memorial that fixes this experience. Israel recounted the genesis of the world and its people, and, through its narration, it was constituted in relation to an event of special significance in history. History is the symbolic form of existence for Israel25. Creaturality, in this vision of meaning in history, denies the value of the cyclical conception of civilizations, which, in its circularity, escapes the divine plan because it is deprived of freedom which is a form of existence in the vision of God. History builds humanity as a community of men26 and humanity builds history through adherence to an existence in the order of God. The same historical truth is ontologically real in its becoming and must consider the creaturality that opens up to the encounter with the whole human genre in an increasingly extended space-time horizon, which is not subjected to decay or closure. The perspective of Toynbee and Spengler, in Voegelin’s opinion, is an anti-creatural historical view because it leads to decline and death. History is represented at the moment in which it reveals the ordering will of God from the creation of the world. The divine order cannot ignore the creative act, or the original intention that precedes history and puts an end to chaos with its disintegrating possibility. God forms his vision by creating world and man, with his word, as he did with Israel, through his call (Ex 3:14). He is the Creator, and by creating, he creates justice. If man is a creature, he cooperates with God in justice. Accepting God’s help and helping God, he completes him by completing himself (the summit of creation). Abraham, with his historical-existential mission, opens the divine vocation to world history. For this reason, he is the paradigm of creaturality27. After the fall of Adam, after the flood, after Babel, Abraham helps restore the divine order that has been compromised by mankind several times. Abraham and the nucleus of Israel are representative of all humanity: history and creatures are harmoniously merged for them. During the historical event of Israel, however, a priestly and then theocratic separatism is affirmed (nothing to do with the holy separateness of God, in any case Lord of history). It is a sacred line that excludes divine promises and so sacrifices election, separating it from man28. With Christianity, in which creaturality takes on a connotation that becomes truly universal, all peoples (gentes) will be able to merge into a single humanity 25 26 27 28

Voegelin, Ordine e storia, p. 160. Voegelin, Ordine e storia, p. 165. A. Castaldini, Il paradigma, p. 12 f; 53 f; 88 f. Voegelin, Ordine e storia, p. 185.

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renewed under the gaze of God, in a theopolitical perspective that will last a millennium and a half. The creatural and, at the same time, creative condition guarantees the continuous existence of mankind and with it the response to the divine vocation, and fulfillment of all its promises. The continuation of the history of stories / generations (toledot) is not by chance the fruit of the holy seed planted by God in Abraham’s womb, after Adam had wasted the fruit29. Through stories, history offers a unified narrative to earth and sky, and without this correlation the divine order would not be possible: from Adam to the fulfillment of history. Voegelin speaks about the collaborative process between creation and procreation, in which the order of being arises from the divine creative initiative and from the pro-creative response of creation30. Hence it is the collaborative obedience of man in the awareness of his own vocation as well as of his intermediary function in the presence of Transcendence. The pact with God embodies creaturality and generativity (two fundamental divine traits) on a metapolitical level. While liberating man, it does not exalt his rebellious autonomy. Rather, it makes him responsible, inserting him into the inheritance of Abraham (future inheritance of all peoples), breaking all his servants31. Man has freely answered the Lord of history, who is not the Baal of Canaan, but the Father of risky freedom, which in Genesis 22 reaches its riskiest expression in the episode of the sacrifice of Isaac. Freedom in creaturality is that of Abraham towards God and Isaac towards Abraham. The personal experience of Moses is a paradigm. God’s revelation to a man becomes the historical constitution for his people. God discloses his presence after having heard the cry of Israel: the creator is not insensitive to his creatures. This empathy justifies all creation and perfects it. The Decalogue is the individual and collective codification of a covenant that blends the “divine substance” with the human (creatural and creative synthesis; it is the regulation of a transcendent perspective of existence on which the subsequent royal representation is built32. Moses represents a further and risky stage of the political vocation in the presence of Transcendence. The presence of God, who sustains the fragility of Moses33 and his people from the beginning, confers security on man’s action, and allows him to carry out his commands, creating his order beyond his own 29 30 31 32 33

Voegelin, Ordine e storia, p. 209. Voegelin, Ordine e storia, p. 215. Voegelin, Ordine e storia, p. 244. Voegelin, Ordine e storia, p. 501. Voegelin, Ordine e storia, p. 471–472.

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limited abilities. Moses and his people are the creature that the creator associates with himself in the project of history because creatures are the guarantee of a confident response to his presence34. The form of historical existence is outlined in the acceptance of the gift of revelation, in the recognition of God on the mountain and in the awareness, through the Decalogue, of the aspects of man’s existence in a society ordained by God. The Decalogue distances itself from a rebellious existence, revealing an order in society and in history in which not only the pole of God is constituted in his historical existence, but the divine creation can expand and where life itself can unfold in its generativity35. As Voegelin wrote, Israel is expansion of God’s creation into the order of man and society36. Of course, in this unprecedented balance between divine transcendence and the human condition, there is a high risk of overcoming the tension in each, the outcome of which can be totalitarian, the end of history in a peaceful society but whose transcendence becomes too worldly. The creature conscience is a barrier to this totalitarian outcome. This awareness is based on the biblical dictation of Genesis 1: 26–28: man was created in the image and likeness of God. The greatness of revelation and order that springs from it, rises on this anthropological foundation37. Man, creature of God, transcends his existence in the freedom of the beyond, by acting in the world and in historical society. Later in history, even in the Davidic context, the royal symbolism in the Psalms is not only an expression of piety but provides some configurations that define the representation of the earthly kingdom. From Psalms derives a symbolic radiation that legitimizes power shared by the human condition, historical narration and prophetic vision. This difference in plans is the foundation and limit of royal consent and political representation38. The danger is not the mythologization, but the impossibility of the royal model to correspond to the prophetic vision in its conformation to the divine will through a transcendent perspective by which the covenant (berit) is a constitutive guarantee39. The tension between heaven and earth, between the kings and the prophets, between the material needs of peoples and their spiritual origins, constitutes a dilemma in the representation of institutions. Politics is therefore a

34 35 36 37 38 39

Voegelin, Ordine e storia, pp. 491–492. Voegelin, Ordine e storia, pp. 540–544. Voegelin, Ordine e storia, p. 544. Voegelin, Ordine e storia, pp. 654–655. Voegelin, Ordine e storia, p. 344. Voegelin, Ordine e storia, p. 356 f.

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risky dialectic between temporal subjects, in the presence of revelation that for man-creature is not simply a documentary datum, legitimizing the power40. 4.

Revelation of the Word versus Gnostic Revolution

If man’s self-transcendence prevails, through a transfiguration of human nature that leads to a process of self-redemption, the cancellation of creatures will result. Revolution takes the place of grace, and an anthropological fiction takes the place of nature41. The egophanic gnostic revolution denies creaturality because it diverts consciousness from divine transcendence by depriving man of his own humanity42. The vitality that transforms the world is a narrative which distorts it, which distorts the human condition, in a radical, profoundly anti-salvific immanentism. Voegelin’s explanation, which is associated with Augusto Del Noce’s opinion, is well known: the contemporary regurgitation of ancient gnosis rejects the world in its entirety and with it creaturality as a harmonious fusion of body and soul, of matter and spirit. The world is evil, and in this perspective, man finds himself fundamentally separated from God along with a cosmos which he must re-appropriate. In this vision of denial of divine fatherhood, in which only a self-redemptive evolution is admitted, God can exist only because man thinks he needs it: he must thus recover his full autonomy, beyond the truth of the soul, in the name of an immanent myth. For Voegelin, on the other hand, restoring political science means recovering full awareness of the constitutive principles of man, which is, above all, his creaturality. Man, precisely because he is aware of his own existence and of the foundations of his creatural condition, is able to reflect on his role in political society. Salvific immanentism and ethical relativism are closely related, in the negation of an order of the soul that reflects that of historical societies. In Voegelin43 the vision of society is a microcosm, in which a series of symbols confer, a meaning to the political order through man. The historical existence of man, allows the symbol to express its revealing possibility, participating in a divine order that transcends its existence. From this perspective, freedom is not merely immanence but rather an openness to the possible development of the human vocation. There is nothing granted or previously 40 41 42 43

E. Voegelin, Caratteri gnostici della moderna politica economica e sociale. Quattro saggi di Eric Voegelin, Roma: Astra, 1980, p. 156. See Augusto Del Noce in his introduction to the Italian edition of The New Science of Politics: Eric Voegelin e la critica all’idea di modernità, p. 11 f. E. Voegelin, Trascendenza e gnosticismo, p. 74 E. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 83 f.

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defined in the human condition: it is an existential structure open to possibility, to that generativity which, despite the precariousness of existence, is nourished by his creatural consciousness. In this dimension, premises are created, and the articulation of each social order develops. Society’s order reflects the human type that makes it44. The anthropological principle, Voegelin writes, takes on a precise meaning, since not every tool of social criticism is based on an arbitrary conception of the human being, as being immanent to the world, but on the concept for which its true nature is in the relationship with God. Man as a creature of God is representative of divine truth45, so much so that man’s truth and God’s truth for Voegelin are strictly joined46. Man lives in the truth of his existence, only if he is aware, as a rational creature, of the truth of God; God’s truth is manifested in history when man’s creatural conscience receives it in its own transcendence47. The spirit of man turns to this transcendence, and even if he receives no answers, he knows that there is a friendship, or rather: an alliance between himself and God, which dissipates the darkness, prevents hopeless abandonment, defines the human condition with a new perspective, in an unprecedented dimension that does not exclude reason but contemplates creation along with it. At the same time, the creatural dimension imposes limits on the greatness of man. For Voegelin, Christianity reduced the demonic dimension of the world to the permanent danger of the spirit falling, when man raises his own autonomy. Man, as such, without faith shaped by charity, remains a victim of demonic nothingness, because in the anti-creatural and materialistic rebellion of the overman, we recognize the rejection and degenerative fall of Satan48. Creaturality is characterized (and redeemed in its weakness for trusting abandonment to God) by the uncertainty that followed the disappearance of the gods from the horizon of the world in Western civilization, replaced by communication with God through faith, the substance of our hope and proof of what we do not see (Heb 11: 1)49. Yet this subtle bond, which can easily be broken, does not prevent adventure of the soul which, by opening itself to God, recognizes its own vocation. However, without the awareness of being creatures there is a risk that the experience will not possess the spiritual vigor on 44 45 46 47 48 49

Voegelin, La nuova scienza politica, p. 123. Voegelin, La nuova scienza politica, pp. 129–130. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 131. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 131. Voegelin, La nuova scienza politica, pp. 143–145. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 193.

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which an order of civilization is based: faith needs a living meaning, not the intellectual experience of gnosis50. Gnosis aspires to the possession of God (refusing the creatural condition) and it is therefore the most anti-creatural perspective man can aim for. The soul is “dilated” to such an extent that it incorporates God, becoming essentially sterile, nullifying the creative relationship and every model of generativity, and compromising the order at the basis of the cosmos and society. It is an autonomous redemption which distances humanity from the life of spirit51: the source of every human and political order. Totalitarianism, as anticreatural domination52, is the outcome of this inclination: it is the fulfillment of a decline. The purpose of the so-called Gnostic revelation is changing the nature of man, which is followed by the foundation of a ‘transfigured’ society (which looks beyond historical reality)53. The temptation is historically present, when mankind, which is created by God, is replaced with a man molded in an artificial creaturality: “[…] the point is to destroy the order of being that is experienced as imperfect and unjust and replace it with a perfect and just order of human creativity. […]”54. It is a result of political engineering that does not consider anthropological truth. On the contrary, it educates man in a civil theology in the name of a truth, which forgets the truth of the soul, and seeks to redefine – then deny – transcendence in modernity. Voegelin, gives a famous example from Hobbes55. From this perspective, in his essay Wissenschaft, Politik und Gnosis56 Voegelin defines Karl Marx as a speculative Gnostic for whom man is a being of nature, immersed in a natural becoming that produced him. This is the real anthropological foundation of humanity, and man creates universal history with his own work: the being of man is therefore dissociated from the transcendent being because man can create himself. Any question about the creation of man and nature is therefore an abstract one, and as such useless to be renounced57. Man 50 51 52 53 54 55 56 57

Voegelin, La nuova scienza politica, pp. 194–195. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 203. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 204. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 228. Voegelin, Der Gottesmord, in: Der Gottesmord, Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis, ed. by P.J. Opitz, München: Fink 1999, pp. 91–104, here p. 91. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 238. München: Kösel Verlag, 1959. Voegelin, Il mito del mondo nuovo. Saggi sui movimenti rivoluzionari del nostro tempo, introduction by F. Alberoni, Milano: Rusconi 1990, pp. 69–72.

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is master of himself, because he owes his existence to himself: he becomes the source of his own creation58. Voegelin, in an original expedient, will compare Marx’s new man to the Golem of the mystical and esoteric tradition of Judaism: the humanoid without feelings, dead and alive at the same time, as a challenge to the creative act of God. As Gershom Scholem wrote, if the Golem experiment were fully successful it would be a prelude to the death of God, overwhelmed by the violence (hybris) of his creatures which in turn create59. Spirit and reason developed an awareness in the presence of transcendence, opening the way to the revelation of the divine Word in history. Totalitarianism denied that awareness and an anthropological dimension defined over the course of more than a millennium and a half. The truth of the soul is therefore destroyed to affirm the materialist immanence of an anti-creative project that proposes an imagined world, where any real discourse on man and every ultimate reality is rejected in the name of the passions and instincts on which the disorder is founded60. The social order, on the other hand, proposes to attribute a meaning to existence, because history, in which this order has descended, is not a set of abstract ideas or representations, although along its course there is the alternation of a series of symbolic representations that assign further meaning to reality the order itself refers to. For Voegelin, moreover, the roots of political doctrine lie in the essence of man, and in his existential and human experience for which he participates in the various spheres of life, living in a constant relationship with transcendence in his creatural condition. It is transcendence, or rather: its realistic consideration, which liberates man, guards him, redeems him by attributing order and meaning to his existence. Otherwise, in the so-called “political religions” that deify the state, race, proletarian class, or public health (biopolitical experiment in progress) and decapitate the order of creation and its creator, man accepts that his is one part of a great totality, without a personality, and thus loses his direct relationship with God, his problematic character and, finally, his creaturality. Voegelin’s political philosophy thus confirms its foundation in philosophical and theological anthropology.

58 59 60

Voegelin, Il mito, pp. 83–84. Voegelin, Il mito, pp. 108–111. See E. Voegelin, Gnostische Politik, in: Der Gottesmord, p. 46. Voegelin, La nuova scienza politica, p. 261.

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5.

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Conclusion: A Salvific Fragility

The creatural man is not pessimistic like the Gnostic man, who feels like a prisoner of the world he lives in, suffers from alienation and denies reality. Creatural incompleteness opens the possibility for man to experience his biological imperfection, but at the same time to demonstrate the creative force of his ideas. Therefore, in creaturality man lives out his freedom: a fruitful ambivalence on which the order of history and society is based. In this possibility of creating society within the limitations of the human condition but in the presence of God, through a transcendent tension which opens itself up to its manifestation, lies the greatness of being a creature. As Peter J. Opitz observed, in Voegelin being a creature is existential precariousness but also hope, support, the possibility of seeking a solution to suffering that is not intramundane but already and not yet completely transcendent in the openness to the world: it is the ability to be human and, at the same time, overcome weakness in order to assign a perspective of meaning to existence, in the order of creation and within a historical framework. If the creature, on the other hand, attributes all that is good to his exclusive cause, he overturns his own condition. The devil, Voegelin recalls, did nothing else. His fall stems from this presumption that led him to turn his back and his awareness to God. For Voegelin, this is the core of apostasy. The New man is the apostate man who denies his creaturehood, rising above all that is creatural. Creaturality is an original, constitutive condition, the perception of the foundation of life, which can express itself in an emotion which is devoid of direction, but which culminates in a trusting abandonment to God, in which multiple feelings are summarized in opening to the unique dimension of religious experience61. This creaturality, which passes from perception to a personal and community experimentation of transcendence, opens the human being to a full vision of existence. This same vision reveals to man the order of the cosmos, confirming that the life of any political community cannot be resolved in a profane dimension, in the juridical organization of power, but in a transcendent perspective, with a sensitive heart and a spirit that is attentive to the reality of creation62.

61 62

E. Voegelin, Le religioni politiche, in: Voegelin, La politica: dai simboli alle esperienze. 1. Le religioni politiche; 2. Riflessioni autobiografiche, ed. by S. Chignola, Milano: Giuffré 1993, pp. 29–32. Voegelin, Le religioni politiche, pp. 31–32.

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References

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Gnosis, Häresie und radikale Symbolisierung

Voegelin über das Problem intellektueller Redlichkeit in „Situationen geistiger Unordnung“ Max Stange Abstract A main topic of Eric Voegelin’s thinking – and as well a personal matter of himself as an intellectual figure – is the demand for intellectual sincerity. Sincerity consists of continuously examining one’s own presuppositions and considering neither tradition nor faith to be the sole grounds for true knowledge. Considering Voegelin himself as an example, we can understand the difficulties associated with the subjective claim to sincerity when it is made in a situation in which the goal of science is not the activity of research itself but the choice of a fixed theory and its language, so that all science ends up in dogmatism. The critical researcher himself may appear as a dogmatist in such a situation, i.e. as a defender of this or that sharply defined set of beliefs. How can intellectual sincerity be realized in such a situation? The claim or appeal to sincerity is obviously not sufficient, as Voegelin himself is clearly conscious. According to him, intellectual sincerity is enabled by a certain type of self-relation in which the historical constitution of the thinking self as a human self is recognized. But this act of recognition has nothing to do with the choice of some ‚picture of man‘. It consists in the ongoing activity of a rightly understood historical research dedicated to past articulations of personal self-relations.

Keywords Accuracy and Sincerity, Experience, Human Self, Ideology, Symbols, Truth Conditions „Darum: wer meint, er stehe aufrecht, sehe zu, dass er nicht falle.“ (Paulus, 1. Kor. 10,12)

1.

Vorbemerkungen zum Problem intellektueller Redlichkeit

Eric Voegelin war ohne Zweifel ein ‚großer Schwieriger‘, wie Stephan Sattler in Anlehnung an Hans Maier formulierte.1 Wie dieser bemerkt hat, stand der 1 Stephan Sattler, „Der große Schwierige“, DIE ZEIT, 40/2002 (26. September 2002). © Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_011

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Max Stange

Wissenschaftler Voegelin in verschiedenen Hinsichten „zwischen den Fronten“2, teils willentlich, teils aber auch unwillentlich.3 Diese Stellung lässt sich nicht allein durch subjektive Faktoren erklären, auch wenn Voegelins idiosynkratische Ausdrucksweise und unverblümte Polemik sicher dazu beigetragen haben, dass er nicht nur zu Lebzeiten heftigen Widerspruch erregte, sondern auch ein nur bedingt anschlussfähiges Werk hinterlassen hat. Sein Vermächtnis besteht nämlich nicht in einem großen Systementwurf, der sich zu einem nachhaltig bestehenden Lehrgebäude hätte ausbauen lassen, in dem nachfolgende Generationen sich schülerhaft zuhause fühlen könnten. Das von Voegelin hinterlassene Werk erscheint vielmehr unabgeschlossen, als ein unvollendet gebliebener Versuch, sich in die Geschichte des Geistes hineinzuarbeiten, um in dieser fortwährenden Auseinandersetzung die Ursprünge und die Genese von gegenwärtig akuten Problemen des geistigen – das heißt für Voegelin immer auch: des sozialen und politischen – Lebens, vielleicht auch Ansätze zur Auflösung dieser Probleme aufzuzeigen. Voegelins nicht besonders komfortable Stellung ‚zwischen den Fronten‘, seine leicht selbstgerecht erscheinende Polemik und nicht zuletzt die Gestalt des von ihm hinterlassenen Werks sind keine zufälligen Erscheinungen, sondern hängen – wie ich hier zeigen möchte – wesentlich miteinander zusammen. Sie verweisen in ihrem Zusammenspiel auf ein allgemeines Problem intellektueller Kultur, das sich insbesondere im Umgang mit der überlieferten Geistesgeschichte sowie mit stimmkräftigen Diskurspositionen der Gegenwart anzeigt. Dieses Problem lässt sich in der Frage fassen, ob im Streit festgefügter Weltanschauungen und etablierter „Denk-Schulen“4 eine Chance auf wahres, die gemeinsame Welt und Wirklichkeit ergreifendes, Wissen besteht. Sofern diese Frage verneint wird und eine Person sich auf den Standpunkt einer zwar überlegenen, aber die eigenen Ansichten nicht mehr prüfenden und ggf. korrigierenden Geisteshaltung zurückzieht, kann sie unredlich genannt werden. Eric Voegelin dagegen scheint – gegen die wirkliche oder auch nur vermeintliche Unredlichkeit mancher als ‚wirklichkeitsblind‘5 gegeißelter, also zur Wahrheit unfähig erklärter Zeitgenossen und ihrer geistigen Vorläufer – für sich selbst eine durchaus redliche Haltung beansprucht zu haben, die ihm (anders als jenen) die Chance auf wahres Wissen sichern würde. Rhetorisch stellte er sich auf einen Standpunkt jenseits geistiger Parteien und bornierter 2 Hans Maier, „Eric Voegelin und die deutsche Politikwissenschaft“, in: Occasional Papers XIV, 37–63, vgl. S. 39 und 53. 3 A.a.O., S. 61. 4 A.a.O., S. 53. 5 Eric Voegelin, Realitätsfinsternis, übers. v. D. Fischer-Barnicol, hg. v. P.J. Opitz, Berlin, 2010.

GNOSIS, HÄRESIE UND RADIKALE SYMBOLISIERUNG

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Weltansichten, jenseits ideologischer Lager und Fraktionen, wobei aber fraglich ist, inwiefern diese Selbstverortung nicht nur wohlfeil ist und das Problem einer standortabhängigen Bedingtheit oder gar ideologischen Borniertheit der eigenen Ansichten ausblendet.6 Der Umstand, dass er selbst vielfach unter den Verdacht weltanschaulicher Befangenheit gestellt wurde, scheint ihn aber in seiner Einschätzung der problematischen Gesamtsituation eher bestärkt als verunsichert zu haben. In seinen Autobiografischen Reflexionen berichtet er: „Ich habe Ordner mit Dokumenten, in denen ich als Kommunist, Faschist, Nationalsozialist, alter Liberaler, Neoliberaler, als Katholik, Protestant, Platoniker, als Neoaugustianer, Thomist und natürlich auch als Hegelianer bezeichnet werde. Nicht zu vergessen: Angeblich bin ich auch von Huey Long beeinflusst worden.“7

Keine dieser Etiketten will der eigenwillige Theoretiker für sich gelten lassen. Doch behauptet er, dass in diesen Versuchen, das Denken ideologisch einzuordnen und in Schubladen zu verstauen, das oben schon genannte, tieferliegende Problem zum Vorschein komme. Das zu beobachtende Phänomen sei symptomatisch für „Situationen geistiger Unordnung […] wo alle Parteien so falsch liegen, daß es ausreicht, die Gegenseite zu unterstützen, um wenigstens teilweise im Recht zu sein“8. Anders gesagt: die Wahrheit des polemischen Durcheinanders liege gerade darin, dass die eine Seite der anderen ihren Anspruch auf umfassende Wahrheit streitig macht und eben darin, in ihrem Widerspruch, im Recht ist. In der agonalen ‚Logik‘ weltanschaulicher Konkurrenzkämpfe verbindet sich nun aber mit dem Widerspruch gegen die eine Meinung oft auch schon die Affirmation der gegenteiligen Ansicht, sodass sehr leicht der Eindruck entsteht, dass die Kritik selbst nicht anders motiviert und gerechtfertigt sein könne als durch eine gegenläufige These. Daher umgibt sowohl den eigentlichen Ideologen wie auch den kritischen Philosophen, der gegen irgendeine Ideologie im Namen einer übergreifenden Wahrheit das Wort erhebt, ein ideologischer Schein. Der kritische Philosoph erscheint daher in seiner Kritik einer partikularen Weltanschauung zugleich als Apologet oder Parteigänger einer anderen, als ebenso bekannt und beschränkt vorausgesetzten Weltanschauung. Das von Voegelin diagnostizierte Problem scheint in die Aporie zu führen. Denn der eben geschilderte ideologische Schein ist wohl kaum dadurch 6 Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen, übers. von C. König, hg. von P.J. Opitz, München, 1994, S. 64. 7 Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S. 65. 8 A.a.O.

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Max Stange

aufzuheben, dass man sich ‚gegen den Rest der Welt‘ stellt und sich im vermeintlichen Wissen des Nichtwissens über alles erhaben fühlt. Der radikale Verzicht, Position zu beziehen, kann bestenfalls den Anschein erwecken, dass eine Person wirklich einen Standpunkt jenseits bornierter und wirklichkeitsentstellender Weltansichten gefunden hat. Derselbe Umstand könnte aber auch dafür sprechen, dass es sich um einen unsteten und unverbindlichen Geist handelt, der dem Durcheinander der Parteien und Meinungen nichts als seine eigene, unantastbare Negativität entgegenzusetzen hat, also die nur selbstgewisse und daher eitle Subjektivität des eigenen Urteilens, Meinens und Besserwissens. Für die selbstherrliche Subjektivität wäre nichts dabei, die eine oder die andere ideologische Position zu beziehen oder zurückzuweisen. Der unzurechnungsfähige ‚Geist, der stets verneint‘ manövriert sich selbst ins Abseits der Vernunft, wie schon Hegel in seiner kritischen Analyse der ‚romantischen Ironie‘ gezeigt hat.9 Aus dieser Analyse erhellt, wie problematisch Voegelins pauschale Zurückweisung aller Versuche ist, seine eigene theoretische Leistung in irgendeiner Linie oder Schule des Denkens einzuordnen: Es kann leicht so aussehen, als verfiele er in seiner selbstherrlichen Haltung des geistigen Vorbehalts dem von ihm selbst oft beklagten Nihilismus einer willkürlichen Imagination von Welt- und Selbstbildern, die alle Wirklichkeit in einem „geschrumpfte[n] oder kontrahierte[n] Selbst“10, in der Beliebigkeit des subjektiven Räsonnements, auflöst. Der ideologische Schein, sich im Widerspruch auf eine bestimmte Opposition zu verpflichten, lässt sich – wie das Beispiel Voegelin zeigt – durch den Akt des Widerspruchs allein nicht aufheben. Vielmehr wären der Gestus intellektueller Überlegenheit und ein nichtiger Anschein von Wissen alles, was von der sogenannten ‚Wirklichkeit‘ übrigbliebe. Es wäre keine besonders wohlwollende Interpretation, Eric Voegelin einen so platten Selbstwiderspruch zu unterstellen, wo er doch nicht nur den Anspruch erhebt, einen Ausweg aus dieser geistigen Misere eines allseitigen Verblendungszusammenhangs gefunden zu haben, sondern sich durch sein ganzes Werk an dem beschriebenen Problem abarbeitet. Man sollte sich daher fragen, wie man seine reservatio mentalis – sein zurückweisendes Verhalten gegenüber allen Versuchen, ihn als Parteigänger irgendeiner Ideologie zu kategorisieren – zu nehmen hat und unter welchen Bedingungen diese Haltung womöglich doch als redlich gelten könnte. Es geht in diesem Aufsatz nicht in erster Linie um die Person Eric Voegelin und seine intellektuelle Haltung, sondern vor allem um das allgemeine 9 10

Vgl. insb. Grundlinien der Philosophie des Rechts (= TW 7), Frankfurt am Main, 2013, § 140. Eric Voegelin, Realitätsfinsternis, S. 5.

GNOSIS, HÄRESIE UND RADIKALE SYMBOLISIERUNG

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Problem, ob und unter welchen Bedingungen die Möglichkeit besteht, im Gewühl scheinbar unversöhnlicher weltanschaulicher Widersprüche einen Standpunkt zu beziehen, auf dem ‚Wahrheit‘ mehr bedeutet als eine Bekräftigung von schon bestehenden Überzeugungen. Diese Möglichkeit kann nicht einfach gesetzt werden, ohne sich im Strudel bloßer Behauptung zu verlieren. Insofern aber klar ist, dass diese Möglichkeit nicht für diejenige Person besteht, die die Möglichkeit eines wahren Wissens per se bestreitet, lässt sich in der Unterscheidung zweier subjektiver Haltungen zumindest eine wesentliche Bedingung aufzeigen, unter der wahres Wissen wirklich möglich wäre. Die relevante Unterscheidung ist die zwischen intellektueller, d.h. reflexiv auf das eigene Denken bezogener, Redlichkeit und Unredlichkeit. Eric Voegelin ist nun allerdings nicht nur ein Beispiel für die tiefe Schwierigkeit dieser Unterscheidung, sondern kann zugleich als jemand gesehen werden, der dieses Problem erkannt und – in Auseinandersetzung mit verschiedenen Versuchen, sein Denken auf den Nenner einer Ideologie zu bringen – danach gefragt hat, wie es zu bewältigen wäre. Voegelin bespricht dabei kein bloßes Sachproblem, sondern ein ihn selbst betreffendes, persönlich empfundenes und zu bewältigendes Problem, wie nicht nur die oben zitierte Passage aus den Autobiographischen Reflexionen zeigt, sondern wie auch aus den im Folgenden herangezogenen Quellen, besonders in der brieflichen Auseinandersetzung mit Alfred Schütz, deutlich wird. Bevor ich mich Voegelins Auseinandersetzung mit dem ihn selbst betreffenden Problem zuwende, möchte ich die von mir ins Spiel gebrachte Unterscheidung von intellektueller Redlichkeit und Unredlichkeit weiter befestigen, die zwar von Voegelin selbst nicht gebraucht wird, aber – wie ich hoffe nachvollziehbar zeigen zu können – ein grundsätzliches Problem des von ihm hinterlassenen Werks zu verstehen hilft. Es erscheint mir relativ leicht zu bestimmen, worin die Haltung intellektueller Unredlichkeit besteht: Sie besteht darin, das eigene Denken von Vorannahmen leiten zu lassen, die nicht nur ungeprüft vorausgesetzt, sondern gegen offenkundige Widersprüche aus bloßer Glaubensüberzeugung festgehalten werden. Darin unterscheidet sich die Unredlichkeit von mangelhafter Gewissenhaftigkeit (Schludrigkeit), die eine Prüfung der eigenen Vorannahmen bloß unterlässt. Mangelhafte Gewissenhaftigkeit wird erst dann zur Unredlichkeit, wenn sie die Möglichkeit besseren Wissens aktiv bzw. willentlich ausschließt, indem sie den zutage tretenden Widersprüchen in ihren eigenen Überzeugungen oder zwischen ihren Überzeugungen und ihren Handlungen kein Gehör schenkt, sondern daran festhält, selbst im Recht zu sein. Wir nennen eine solche Person auch ‚verbissen‘, ‚verstockt‘ oder ‚verbohrt‘. Eine solche Verstockung ist per se unvernünftig, insofern ‚Vernunft‘ nicht ein mit gegebenen Faktoren umgehendes

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und sich in vorgegebenen Bahnen bewegendes Denken bezeichnet, sondern die Ansprechbarkeit für von außen kommende Impulse und Einwürfe, die eine Prüfung vorgegebener Formen und Faktoren motivieren können. Die der Vernunft zugeordnete Tätigkeit ist das auf wahres Wissen zielende, nicht nur behauptende, sondern abwägende und aufgrund seiner Abwägung zu einem Schluss kommende Denken. Die unredliche Person denkt nicht, sondern sie unterwirft die Wahrheit, die wirkliches Wissen vor bloßer Meinung auszeichnet, dem Diktat von Glaubenssätzen und schon besehenden Überzeugungen. Auf diese Weise wird aber noch nicht einmal der Glaubenssatz, sondern allein die subjektive Überzeugtheit festgehalten, womit jede Möglichkeit einer gemeinsamen Überprüfung der eigenen Ansichten von vornherein ausgeschlossen ist. Indem die Prüfchance entfällt, lässt sich zwischen Wissen und einer womöglich irrtümlichen Meinung nicht mehr unterscheiden. Die unredliche Person liegt in ihren Urteilen nur zufälligerweise richtig, wenn überhaupt. Insofern sie sich dann auch in ihrem tätigen Leben von ihren starren Überzeugungen leiten lässt, ohne dabei die Möglichkeit des Fehlgehens auch nur zu erwägen, wird sie nicht nur allerhand vermeidbare Dummheiten anstellen, sondern sich zwangsläufig in unauflösliche Konflikte mit anderen verstricken. Unredlichkeit ist kein nur ‚innerliches‘ oder auch nur innerlich festzustellendes, sondern ein zu gegebener Zeit gut sichtbares Problem. Dagegen bestünde intellektuelle Redlichkeit vermutlich darin, sich für die Prüfung der eigenen Vorannahmen zu öffnen und die Möglichkeit eines auf wahres Wissen ausgerichteten Gesprächs, mithin auch die eines gemeinschaftlichen Lebens aufgrund eines gemeinsamen Wissens, aufrecht zu erhalten. Der Begriff der Redlichkeit entspricht damit ungefähr dem der Gewissenhaftigkeit, die allerdings weit schwieriger von außen festzustellen ist als die in ihren Folgen zuverlässig offenbar werdende Unredlichkeit.11 Redlichkeit oder Gewissenhaftigkeit kann aber, wie gesagt, auf zweifache Weise negiert werden, nämlich als (zumindest momentan) unwillentliche Nachlässigkeit im Sinne einer ausbleibenden Prüfung der eigenen Ansichten (mangelnde Gewissenhaftigkeit, Schludrigkeit) – oder als willentliche Unredlichkeit, die sich dem Widerspruch auch dann noch verschließt, wenn er bereits offen zutage getreten ist.12 11 12

Vgl. dazu die systematischen Arbeiten von Bernard Williams, Truth and Truthfulness. An Essay in Genealogy, Princeton, 2002, insb. Kap. 5 & 6; sowie von Kathi Beier, Selbsttäuschung, Berlin/New York, 2010, S. 170 ff. So gesehen besteht das Problem, mit dem Voegelin sich auseinandersetzt, weniger im bloßen Vorliegen konkurrierender Weltanschauungen, als vielmehr in der Unfähigkeit, mit solchen Differenzen angemessen umzugehen. Unter ‚Weltanschauung‘ oder ‚Ideologie‘ verstehe ich dabei ganz allgemein die handlungsleitenden Vorannahmen, auf denen ein sich mit Bewusstsein vollziehendes Leben gründet. Allerdings beschreibt Voegelin selbst

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2.

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Die Anerkennung des „menschlichen Selbst“ als Bedingung einer redlichen Haltung und der Chance auf wahres Wissen

Es geht mir in diesem Aufsatz um ein tieferes Verständnis der von Voegelin beanspruchten und durchaus auch von anderen geforderten Haltung intellektueller Redlichkeit, die zugleich Wahrheits- und Gemeinschaftsfähigkeit verbürgen können soll. Ich kehre zunächst zum eingangs benannten Problem zurück, um davon ausgehend mein weiteres Vorgehen zu begründen. In seiner Polemik gegen die einander ausschließenden Weltanschauungen verfällt der kritische Philosoph dem ideologischen Schein – und lässt sich insofern nicht von einem Vertreter einer beliebigen ideologischen Opposition zu unterscheiden. Um den Anspruch des Philosophen auf intellektuelle Redlichkeit zu prüfen, wäre zunächst eine andere, bisweilen vernachlässigte Unterscheidung zu bemühen, nämlich die zwischen Schein und Erscheinung: Der kritische Philosoph mag vielleicht in seiner Kritik als ein Ideologe unter vielen erscheinen, doch nimmt er zumindest für sich selbst in Anspruch, dass es sich bei dieser Erscheinung nur um einen (wenngleich notwendig entstandenen) Schein handelt. In der Erscheinung wird etwas sichtbar, das in einer Sache oder Person verborgen ist. Dagegen wird dieses im Innern verborgene Wesen durch den Schein verhüllt oder überblendet. Die Erscheinung bringt etwas ans Licht – der Schein trügt, indem er das Wesentliche verbirgt. Was ist nun aber das Wesentliche, das nach Voegelins Ansicht durch den ideologischen Schein verborgen wird? Es ist, wie er in den Autobiografischen Reflexionen eher beiläufig andeutet, „das menschliche Selbst“13, das von einem ‚geschrumpften‘ oder ‚kontrahierten

13

das Problem weniger im Sinne eines vernachlässigten Könnens, sondern kritisiert vielmehr den ignoranten Umgang mit einem bereits erarbeiteten Bestand von Symbolen, die diese Fähigkeit des wahrheitsorientierten Denkens artikulieren. Die intellektuelle Redlichkeit ist demnach nicht die bloße Fähigkeit des rechten oder redlichen Denkens, sondern beinhaltet zugleich das explizit artikulierte oder symbolisch dargestellte Wissen um die Form dieses Denkens. Wenn ich Voegelin richtig verstehe, begreift er seine ideengeschichtliche Forschung als erinnernde Aufarbeitung dieses Wissensbestands um eine redliche, gewissenhafte, aufrichtige Haltung. Diesem Gang durch die Geschichte scheint auch Voegelins Schweigen bzw. sein bloß negatives Verhältnis zu konkurrierenden Weltanschauungen erklären zu können. Diese in Bezug auf und in Auseinandersetzung mit Voegelin artikulierte These will ich im Folgenden weiter entfalten und begründen. Voegelin, Autobiographische Reflexionen, S.  66: „Ein anderer Grund für meine tiefe Abscheu gegen den Nationalsozialismus und andere Ideologien ist recht simpel. Ich finde es abstoßend, wenn man Menschen aus Spaß an der Freude umbringt. […] Der Spaß besteht darin, eine Pseudo-Identität dadurch zu gewinnen, daß man seine Machtposition behauptet, idealiter durch das Töten eines anderen. Diese Pseudo-Identität fungiert als Ersatz für das menschliche Selbst, das verlorengegangen ist.“

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Selbst‘ eitler Selbstgewissheit14 wohl zu unterscheiden wäre. Die Stärke von Voegelins Standpunkt bestünde darin, dass er ein gemeinsames Wesen aller Gesprächsteilnehmer – ‚das menschliche Selbst‘ – voraussetzt, dabei aber von verschiedenen möglichen Verhaltungen gegenüber diesem ‚menschlichen Selbst‘ ausgeht. Die redliche Person würde sich folglich dadurch vom Ideologen unterscheiden, dass sie „das menschliche Selbst“ nicht zum Verschwinden bringt, sondern es in ihr Denken einbezieht und würdigt. Diese Anerkennung und Würdigung des ‚menschlichen Selbst‘ bedingt die Möglichkeit, in ‚Situationen geistiger Unordnung‘ den Kopf über Wasser zu halten, und die Zielrichtung eines wahren Wissens im Blick zu behalten. Nun ist zunächst alles andere als klar, was die Rede von einem ‚menschlichen Selbst‘ besagen soll. Schon die Rede von einem ‚Selbst‘ ist so prekär wie alles Reden vom ‚Ich‘ und ‚Wir‘, von ‚mir‘ und ‚uns‘. Das hat nicht zuletzt der von Voegelin so oft zu Unrecht gescholtene und chronisch missverstandene Hegel im kritischen Anschluss an Kant, Fichte und Schelling herausgearbeitet.15 Nicht weniger unklar ist, was es heißen soll, dass ein Selbst sich als ‚menschliches‘ von einem zusammengeschrumpften unterscheidet. Noch fraglicher ist, wie diesem ‚menschlichen Selbst‘ im Sinne intellektueller Redlichkeit Achtung zu zollen wäre. Mit dem in den Autobiografischen Reflexionen nur beiläufig erwähnten Begriff des ‚menschlichen Selbst‘ ist nur erst eine Spur gelegt, die einen Ausweg aus dem von Voegelin vorgefundenen Verblendungszusammenhang weisen könnte. Diese Spur weist einerseits voraus auf einen durch mögliche Leserinnen und Leser selbständig zu erfassenden Gedanken – andererseits weist sie zurück auf Voegelins eigene Denkgeschichte und Gedankenentwicklung. Ich möchte dieser Spur hier zunächst rückläufig folgen. So war dasselbe Problem, das Voegelin 1973 in den Autobiografischen Reflexionen umtreibt, schon in den Politischen Religionen (1938) Thema. Damals klagte er über die „babylonische Sprachverwirrung“ von miteinander konkurrierenden und einander (wenigstens rhetorisch) ausschließenden, als existenziell verbindlich empfundenen Weltansichten: „Die Sprache ist heute innerhalb eines Volkes nicht mehr allgemein verbindlich, sondern zerrissen in Sondersprachen nach den Linien der politisch-religiösen Spaltungen“16. Dasselbe Problem artikuliert er in seiner Schelling-Studie von 1945: Die geistige Welt habe sich im Zuge des 14 15

16

Vgl. Fn. 10. Dazu Pirmin Stekeler-Weithofer: „‚Wer ist der Herr, wer ist der Knecht?‘ Der Kampf zwischen Denken und Handeln als Grundform jedes Selbstbewusstseins“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. von K. Vieweg & W. Welsch, Frankfurt am Main, 2008, S. 205–237. Eric Voegelin, Die politischen Religionen, München, 1996, S. 17.

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18. Jahr­hunderts in eine „große Wüste der Parteipositionen“ verwandelt, in der es immer schwerer falle, „die Oase einer empfänglichen Gemeinschaft zu finden“: „fortan bewegen sich die verschiedenen Überzeugungsgemeinschaften in ihrem je eigenen Diskursuniversum“17. Bekanntlich bewertet Voegelin die Zeit Mitte der 1940er Jahre bis zu den Walgreen-Lectures 1951 und die damit verbundene Ausarbeitung von Die neue Wissenschaft der Politik als eine Phase, in der sich sein Nachdenken in Bezug auf die zugrundeliegenden Vorannahmen neu sortierte. Das schon mit den Politischen Religionen (1938) gesetzte Thema, nämlich der Zusammenhang von Gemeinschaft und gemeinschaftstragenden Symbolen, sowie auch das Problem verlorener Kommunikationsfähigkeit, scheinen gleich geblieben zu sein. Doch ist Voegelin offenbar zu dem Schluss gekommen, das Problem anders als bisher angehen zu müssen. Er habe – so bemerkt er in den Autobiografischen Reflexionen – erkannt, dass das politisch-theoretische Denken auf den Grund eines umfassenden Erfahrungsbegriffs gestellt werden müsse, womit zugleich ein methodologischer Grundstein für das Fragment gebliebene Großprojekt Ordnung und Geschichte gelegt war.18 Mit seiner betonten Hinwendung zur Erfahrung lenkte Voegelin den Blick auf ein mögliches Korrektiv zu einem nur in sich selbst kreisenden und dabei die Reibung mit der wirklichen Welt verlierenden Denken. Darin zeigt sich, wie erst später ausführlich gezeigt werden kann, ein konstitutiver Zusammenhang mit seiner Rede vom ‚menschlichen Selbst‘, das sich erst in seiner bewussten Bezogenheit auf die Erfahrung als ein menschliches konstituiert. Ich möchte der aufgewiesenen Spur weiter folgen, indem ich mich auf eine vielleicht eher periphere Quelle aus dieser Umbruchszeit fokussiere, nämlich eine zwischen Voegelin und dem ihm befreundeten Alfred Schütz geführte Auseinandersetzung über die mögliche ideologische Prägung von Voegelins Denken und dessen, möglicherweise nicht einlösbaren, Anspruch auf Wissenschaftlichkeit (1952/1953). Als Freund formuliert Schütz gegenüber Voegelin den nicht trivialen Verdacht, er sei womöglich entgegen seinem theoretischen Anspruch ein christlicher, mithin von vornherein parteiischer Weltanschauungsphilosoph (Kapitel 3). In seiner Antwort an Schütz verteidigt Voegelin seinen Anspruch auf intellektuelle Selbständigkeit und Redlichkeit. Ich möchte nachvollziehen, wie er seinen eigenen Standpunkt begreift und inwiefern dieser untrennbar mit der Sache, die ihn interessiert, verbunden ist (Kapitel 4). Daraus erhellt Voegelins ambivalentes Verhältnis zur christlichen, aber eben nicht notwendig nur christlichen Tradition, die von ihm als ein 17 18

Vgl. Eric Voegelin, Schelling (= Occasional Papers XLV), 2014, S. 6. Vgl. Voegelin, Autobiografische Reflexionen, S. 83 und 98 ff.

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Prozess interpretiert wird, in dem eine vorgängige Erfahrung symbolisch artikuliert und in immer weiter differenzierten Symbolen gefasst wird (Kapitel 5). Wie oben gesagt ist dieser Briefwechsel von einem nicht gering zu schätzenden Quellenwert, insofern sich Voegelin hier – bedingt durch das Medium des persönlichen Briefs – auf eine zugleich knappe und leicht verständliche Weise mit dem von Schütz geäußerten Verdacht auseinandersetzt. Nach dieser mehr exegetischen Ausarbeitung kehre ich zur allgemeinen Frage nach dem Zusammenhang von intellektueller Redlichkeit und ‚menschlichem Selbst‘ zurück, die ich im Rahmen eines Exkurses erörtern werde: Die Rede von einem – dem Diskurs zugrunde liegenden und die Möglichkeit wahren Wissens bedingenden – ‚menschlichen Selbst‘ bezeichnet ein die eigene Endlichkeit und erfahrungsmäßige Situiertheit konkret anerkennendes, sich in diesem Sinne geschichtlich begreifendes Bewusstsein (Kapitel 6). Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, inwiefern die von Voegelin geforderte redliche Haltung sich durchaus in der zuvor aufgewiesenen Traditionslinie verstehen lässt, die nämlich nicht auf eine bestimmte Ideologie, sondern ins Offene führt und in dieser Hinsicht guten Gewissens in beredtem Schweigen enden kann, aber eben nicht um Willen der eigenen Subjektivität, sondern um der Geschichte selbst Gehör zu verschaffen (Kapitel 7). 3.

Alfred Schütz’ Ideologieverdacht: Voegelin als ‚christlicher Philosoph‘?

Ein illustratives Beispiel für einen Voegelin gegenüber geäußerten Ideologieverdacht findet sich in seinem Briefwechsel mit Alfred Schütz.19 Eine Auseinandersetzung mit diesem Fall bietet sich umso mehr an, als Voegelin im Rahmen der Korrespondenz eine Chance zur Selbstverteidigung findet. Im November 1952 äußert Schütz gegenüber Voegelin den Verdacht, seine Kritik einer ‚gnostischen‘ Moderne gründe in der unhinterfragten Voraussetzung einer schon bestehenden Glaubenslehre: „Die weitere Lektüre belehrte mich […], vielleicht irrigerweise, daß Sie sich ganz und gar auf den Standpunkt der christlichen Doktrin stellen. Jeder Abfall vom christlichen Glauben involviert

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Vgl. dazu die umsichtige Rekonstruktion von Gilbert Weiss, Theorie, Relevanz und Wahrheit. Eine Rekonstruktion des Briefwechsels zwischen Eric Voegelin und Alfred Schütz (1938– 1959), München, 2000, Kapitel V, siehe insb. S. 230 ff.

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Gnosis entweder von der intellektuellen oder der gefühlsmäßigen oder der Willensform.“20. Es ist hier nicht wichtig, Voegelins Begriff der Gnosis en detail zu verstehen. Es genügt zu sagen, dass er damit eine bestimmte Form von theoretischem oder praktischem Größenwahn adressiert, der das Wissen um den Lauf der Weltgeschichte oder darüber hinaus sogar die Macht zu ihrer Veränderung für sich gepachtet zu haben meint. Der ‚gnostische Wahn‘ zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht naiv oder unmittelbar ist, sondern sich in seinem umfassenden Wissens- oder Gestaltungsanspruch über einen vorhergehenden Zustand der Ungewissheit und bewusst gewordenen eigenen Endlichkeit hinwegsetzt.21 Insofern etikettiert Voegelin die Gnosis tatsächlich als Nachgeburt des Christentums, dessen „eigentliche[s] Wesen“ die „Ungewißheit“ sei – im Unterschied zum zuvor dominierenden „Gefühl der Sicherheit“ einer heilen Welt im mythologischen Bewusstsein.22 Die ‚Gnosis‘ beschreibt gewissermaßen den Versuch einer Wiederherstellung der heilen Welt per Ukas, also per willkürlicher Entscheidung einer Einzelperson oder Clique, was mit Ablehnung oder gar Vernichtungsphantasien gegenüber der bestehenden Welt einhergeht. Voegelins Begriff der Gnosis entspricht insofern dem eben vorgestellten Begriff der Unredlichkeit. Der Brieffreund Alfred Schütz argumentiert gegen eine religionsgeschichtliche Engführung des von Voegelin thematisierten Phänomens, die sich von einem identitätsstiftenden kirchengeschichtlichen Narrativ herzuschreiben und daher nur einen religionsspezifischen Wahrheitsanspruch zu bekräftigen scheint. Dagegen sieht Schütz in der Selbstüberhebung der ‚gnostischen Revolution‘ ein allgemeines Prinzip menschlicher Gemeinschaftsbildung: „Sie führen […] zwei technische Einrichtungen an, die nach Ihrer Meinung zu Hauptwerkzeugen der gnostischen Revolution geworden sind. Das ist erstens der Korancharakter der heiligen Schriften und zweitens das Tabu, das allen kritischen Versuchen auferlegt wird. Ich behaupte, daß diese beiden technischen Einrichtungen allgemeiner Natur sind, die allen Gesellschaftssphären und allen 20 21 22

Alfred Schütz; Eric Voegelin: Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat, Briewechsel 1938–1959, Konstanz, 2004, S. 439. Im Folgenden zitiert als „Briefwechsel“. Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München, 2004, S. 132 f. A.a.O., S.  133. In Angst und Vernunft arbeitet Voegelin dann heraus, dass auch das nur retrospektiv als ‚heile Welt‘ verstandene mythologische Bewusstsein schon von derselben Erfahrung des Bruchs und der Verunsicherung geprägt ist, die auch in der Symbolik christlicher Religion artikuliert wird. Vgl. Eric Voegelin, Angst und Vernunft, übers. von D. Fischer-Barnicol und H. Winterholler, Berlin, 2018. Im Briefwechsel mit Schütz hebt er außerdem hervor, dass und in welchem Sinne er auch vorchristliche Phänomene der Gnosis identifiziert zu haben meint. Vgl. Briefwechsel, S. 469 f.

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Max Stange Gesellschaftsformen angehören und nichts mit Gnostik [in einem spezifischen Sinne] zu tun haben. Beide sind Ausdrücke der gesellschaftlichen Macht, ob diese nun in den Diensten der christlichen Doktrin steht oder nicht. […] Macht jeder Art schafft ihren Koran und schafft ihre Tabus. […] Ich frage mich überhaupt, ob nicht jedes Symbolsystem in Ihrem Sinn gleichzeitig ein negatives Symbolsystem […] voraussetzt. Ob nicht daher eine dialektische Spannung zwischen diesen beiden positiven und negativen Polen der Symbolsysteme […] besteht und bestehen muß, und ob nicht vielleicht das Eidos der Geschichte zu suchen wäre, wie ja in einem gewissen Sinne Hegel dies zu tun versucht hat.“23

Die Kanonisierung und Sanktionierung bestimmter Symbole und Lehren, ebenso wie der ‚ketzerische‘ Protest dagegen, seien demnach geschichtsübergreifend wirksame Faktoren der Bildungs- und Entwicklungsprozesse menschlicher Gemeinschaft. Sofern also irgendeine Gemeinschaft besteht, wäre das Moment ‚gnostischer‘ Selbstüberhebung in ihr schon enthalten oder aufgehoben. Daher würde es sich empfehlen, die mit einem neutralen Begriff oder Theorem zu arbeiten, statt einen religionsgeschichtlich vorbelasteten Kampfbegriff zu bemühen. Der gegen Voegelin geäußerte Verdacht besteht also darin, diese allgemein wirkenden Faktoren ohne hinreichenden Grund auf einen besonderen Entwicklungspfad zu begrenzen – und damit nicht nur dem Wahrheits-, sondern auch dem Machtanspruch eines besonderen sozialen Akteurs zu sekundieren. Diese Kritik droht in der Tat, Voegelins theoretischem Anspruch den Boden zu entziehen: Statt eine an der Darstellung allgemeiner Zusammenhänge orientierte Theorie zu entwerfen, trüge ihr Autor nur zum polemischen Durcheinander der Glaubensmeinungen bei. Doch wie ich im nächsten Kapitel nachvollziehen möchte, thematisiert Voegelin das geschichtliche Werden gemeinschaftsstiftender Symbole als einen Prozess, der ein immanentes Maß enthält, zu dem sich auch die Forscherperson verhalten muss: „[E]s ist nicht gleichgültig, ob die Entwicklung von Kompaktheit zu Differenzierung der Transzendenzerlebnisse geht, oder ob sie von differenzierter Transzendenz zu immanentisierender Gnosis geht.“24 Während Schütz’ Theorievorschlag sich 23 24

A.a.O., S. 441 f. Vgl. a.a.O., S. 472, wo Voegelin Schütz eine normative Indifferenz oder Anspruchslosigkeit in der Analyse des Gemeinschaftslebens vorwirft und dagegen für eine Art universelles, normatives Maß solcher Prozesse plädiert. Es ist aber wohl keine ganz faire Einschätzung, wie sich in Schütz’ Verweis auf Hegel andeutet, den Voegelin aber schlicht ignoriert, weil er ihn vermutlich nicht versteht. Vgl. zu dieser Problematik übrigens auch das posthum veröffentliche Fragment zum zehnten Band von Ordnung und Geschichte: „Jeder Denker, der sich auf der Suche nach Wahrheit befindet, leistet Widerstand gegen eine überkommene Symbolik, die er als unzureichend ansieht, die Wirklichkeit seiner respondierenden Erfahrung wahrheitsgetreu auszudrücken. Um eine Wahrheit zu erreichen,

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zu der in den geschilderten Verhältnissen beanspruchten Wahrheit indifferent verhält, ist eine solche normative Neutralität nach Voegelin nicht haltbar. Das hat wesentlich mit der Beschaffenheit des untersuchten Gegenstandes und dem Verhältnis des Theoretikers zu diesem Gegenstand zu tun. Die Beschaffenheit dieses Verhältnisses tritt deutlich hervor, wenn Voegelin sich in seiner Antwort an Schütz über sein Verhältnis zur christlichen Tradition erklärt. Dem wende ich mich im nächsten Kapitel zu. 4.

Das ‚wesentliche Christentum‘ als Paradigma einer Geschichte gemeinschaftstragender Symbole

In seiner Antwort vom Neujahrstag 1953 hebt Voegelin hervor, es gäbe „keine wesentlichen Mißverständnisse […], sondern die Punkte, die Sie [Schütz] anregen, sind sehr berechtige Fragen, die weitere Ausführungen erfordern“25. Eine „Apologetik des Christentums“ habe er durchaus nicht beabsichtigt, sondern nur die Rehabilitierung der christlichen Tradition als Forschungsgegenstand einer „allgemeine[n] Ideengeschichte“26. Nun besteht aber, wie Schütz richtig bemerkt, ein seltsames Verhältnis zwischen dem Theoretiker Voegelin und dem Gegenstand seiner Untersuchung. Die Schwierigkeit, dieses Verhältnis zur Sprache zu bringen, liegt in Voegelins Annahmen über die Konstitution des infrage stehenden Gegenstandsbereichs. Ich möchte diese Schwierigkeit vorläufig so fassen, dass der relevante Gegenstandsbereich gar keinen Bereich, kein vollständig objektivierbares Forschungsfeld darstellt, sondern als fortschreitendes und in sich selbst reflektiertes Forschungsprojekt begriffen wird, das den zurückblickenden Forscher selbst miteinschließt. Indem Voegelin sich also nachfolgend über sein

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die in höhere[m] Maße wahr ist, muß er die bisher durch Imagination hervorgebrachten Symbole imaginativ überschreiten; und indem er seine imaginative Macht affirmativ zur Geltung bringt, kann er vergessen, daß er dabei zwar die Symbole der Wahrheit, nicht aber den Prozeß der Realität, in dem er sich als ein Partner bewegt, imaginativ überschreiten kann.“ (Eric Voegelin, Auf der Suche nach Ordnung (=Ordnung und Geschichte X), übers. von H. Winterholler, hg. von P. Caringella und G. Weiss, München, 2004, S. 49 f.). Diese spätere Überlegung integriert (zumindest ansatzweise) den von Schütz schon damals gestellten Anspruch auf eine historisch umfassende, allgemeine und zunächst neutrale Theoriebildung – vgl. dazu die kluge Einschätzung von Gilbert Weiß, Theorie, Relevanz und Wahrheit, S. 237: Voegelin laufe Gefahr, „die allgemeinen Handlungsstrukturen und sozialen Konsitutiva […] aus dem Blick zu verlieren“. Briefwechsel, S. 455. A.a.O., S. 455 f.

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Verhältnis zur christlichen Tradition erklärt, erklärt er sich auch über die Form und inhärente Normativität der eigenen Unternehmung. Das sei hier aber nur vorwegnehmend gesagt und ist nun auch am Text nachzuvollziehen. Voegelin selbst beginnt seine Verteidigung mit einem Hinweis auf die Konstitution des von ihm untersuchten Sachverhalts, der – wie die eigene Unternehmung! – unter den allgemeinen Titel der „Theorie“ fallen soll.27 „Theorie“ bestehe in der „Auslegung von Transzendenzerlebnissen“, die es auch „historisch-faktisch unabhängig vom Christentum gegeben“ habe.28 Was er unter einem solchen ‚Transzendenzerlebnis‘ versteht, verrät Voegelin an dieser Stelle leider nicht, sondern verweist nur auf zwei geschichtlich prägende Bilder oder Symbole, in denen sich diese Art von Erlebnis ausdrückt. Beide thematisieren das Hereinbrechen eines nicht näher bestimmten ‚Jenseits‘.29 Das erste Symbol entstammt Platons Politeia und besteht in der ‚Umwendung‘ (periagoge) des Höhlenbewohners in Richtung des Höhlenausgangs. Das andere ist der christlichen Tradition entnommen und handelt von einer ‚Offenbarung‘ oder ‚Gnade‘ als „erlebte[m] Eingriff in das menschliche Leben“. Das zugrundeliegende Erlebnis steht nicht für sich, wird nicht als bloßes Erlebnis begriffen, sondern als schon artikulierte und weiter differenzierbare Erfahrung. Ein Transzendenzerlebnis manifestiert sich nach Voegelins Beschreibung in einem Bild oder Symbol, sonst ließe sich kaum darüber reden. Damit wird es aber auch zum möglichen Bezugspunkt einer „Gemeinschaft der Anhänger

27

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Er spricht auch vom „Wesen des Philosophierens“, was hier aber – wie der Kontext erhellt – wohl eher im so weiten wie vagen Sinne einer ‚überlegenden Suche nach wahrem Wissen‘ zu übersetzen wäre; nach Voegelin ein Grundzug menschlichen Seins und zugleich Bedingung der Möglichkeit einer selbstbewussten praktischen Teilnahme an Ordnungszusammenhängen. In Die neue Wissenschaft der Politik (S.  43) führt Voegelin die „Theorie“ als eine Art von Symbolik an, die sich von den anderen „Ritus“ und „Mythos“ durch ihre fortgeschrittene Differenzierung (dazu später) unterscheidet. Später erklärt er „Theorie ist nicht ein beliebiges Meinen über die menschliche Existenz in Gesellschaft; sie ist vielmehr ein Versuch, den Sinn der Existenz durch Auslegung einer bestimmten Klasse von Erfahrungen zu gewinnen.“ (S. 77). Vgl. dazu ferner auch Briefwechsel, S. 393: „Unter ‚Theorie‘ würde ich die Methode verstehen, die geeignet ist, gewisse Sachgebiete (die Erlebnisse der Transzendenz) kommunikabel zu beschreiben. In weiterer Ausdehnung der Bedeutung würde ich dann unter Theorie eine Wissenschaft von Mensch und Gesellschaft verstehen, die sich auf eine Ontologie stützt, in der die Transzendenzerlebnisse als Wesensbestand des Menschen anerkannt sind.“ Briefwechsel, S. 456. Allerdings wird auch schon der Religionsbegriff in den Politischen Religionen auf ähnliche Weise, in Bezug auf ein Gefühl der eigenen Endlichkeit und Abhängigkeit, konstruiert, vgl. Die politischen Religionen, S. 15 f.

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des Inspirierten“, also der Person, die ihre zunächst intime Erfahrung auf allgemeine Art zum Ausdruck gebracht hat.30 Anhand dieser beiden von Voegelin selbst gegebenen Beispiele lässt sich eine ungefähre Arbeitsdefinition von ‚Transzendenzerlebnis‘ formulieren, an der ich mich orientieren werde: Der von Voegelin vorausgesetzte allgemeine Typ von Erlebnis ist die symbolisch artikulierbare und damit auch potenziell geteilte Erfahrung einer Veränderung im Denken oder Leben einer menschlichen Person. Deren symbolische Artikulation ermöglicht die Stiftung einer bewussten Gemeinschaft, die auf der Gemeinsamkeit der Erfahrung (im Unterschied zum nur ‚privaten‘ Erleben) beruht. Um gemeinschaftsstiftend wirksam zu werden, müssen sowohl das Erlebnis wie auch das aus ihr heraus geschaffene Symbol interpretationsfähig und damit wechselseitig aufeinander beziehbar sein. Mit Josiah Royce ist Interpretation dabei als dreistellige Relation von Interpret, Interpretiertem und Adressaten der Interpretation zu begreifen.31 In der realen Geschichte freilich liegen solche symbolischen Zusammenhänge immer schon vor: „Die Selbsterhellung [oder „Selbstinterpretation“] der Gesellschaft durch Symbole ist ein integrativer Bestandteil der sozialen Realität“32, heißt es in der Neuen Wissenschaft der Politik. Doch besteht nach Voegelins Auffassung offenbar ein Vorrang des Erlebens und der wirklichen Erfahrung vor dem artikulierten Symbol und einer schon bestehenden Gemeinschaft. Die beiden genannten Symbole der ‚Umwendung‘ und der ‚Gnade‘ lassen sich nach Voegelin auf dieselbe Art von Erlebnis beziehen, bringen das zugrundeliegende Erlebnis aber in verschiedenen Graden der Differenzierung zum Ausdruck.33 Diesen zwei Graden der Differenzierung entsprächen zugleich zwei verschiedene Arten der Vergemeinschaftung, nämlich „Polis“ und „Kirche“. Dabei stehe die „Gemeinde einer Kirche“ „jenseits der temporalen [zeitlichen und damit auch in der Zeit zu realisierenden, MS] Politik“34. Warum dieser Übergang als Differenzierungsleistung und daher als Fortschritt anzusehen ist, erhellt aus Voegelins weiteren Ausführungen über die Kirche.

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Voegelin, Briefwechsel, S. 457. Zum Begriff der „interpretation“, den Royce in Anschluss an Peirce entwickelt, vgl. Josiah Royce, The Problem of Christianity, Washington D.C., 2001, Vorlesungen XI & XII. Es ist seltsam, dass Voegelin zwar bei Dewey studierte, ihn auch gelegentlich erwähnt, sich außerdem in seiner Wende zur Erfahrung insbesondere auf W. James beruft, aber über Royce, soweit ich sehe, nie ein Wort verloren hat. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 43. Voegelin, Briefwechsel, vgl. S. 456 f. A.a.O., S. 457.

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Für das Kirchenverständnis der christlichen Tradition seien „zwei Hauptkomponenten“35 charakteristisch. Voegelin unterscheidet ein eschatologisches von einem weltzugewandten Moment. Durch das erste Moment wird die als Kirche verstandene Gemeinschaft offenbar der ‚temporalen Politik‘ enthoben. Für sich genommen verbindet sich mit dieser Komponente daher eine prinzipielle Abwertung von bestehenden Einrichtungen des gemeinsamen Lebens. Tatsächlich sei das Christentum aber nie auf bloße Weltentsagung angelegt gewesen, sondern seit seinen apostolischen Anfängen als ein sich in der Welt formendes bzw. gestaltgebendes Gemeinschaftsprojekt verstanden worden: „Das Christentum ist historisch wirksam geworden durch die Paulinischen Kompromisse mit der Ordnung der Welt (nicht nur des Staates, sondern vor allem mit dem Bestand der Welt selbst, einer Welt, die nicht nächste Woche untergeht), und die Transformation der Gläubigen, die in eschatologischer Erwartung leben, in das geschichtliche corpus mysticum Christi [d.i. wiederum ‚die Kirche‘ als in der Welt stehende Gemeinde].“36

Diese Versöhnung des eschatologischen Zugs mit der bestehenden Welt bezeichnet Voegelin als Kern eines ‚wesentlichen Christentums‘, von dem er sich die rein eschatologische Ausprägung des Christentums wohl als unwesentlich unterscheiden lassen soll. Aus dieser Unterscheidung mag sich allerdings der Schein verstärken, dass Voegelin nicht nur ein überhaupt christlicher Ideologe, sondern sogar ein voreingenommener Apologet katholischer Lehrmeinungen sei – insofern man die Betonung einer innerweltlichen, institutionell geformten Repräsentanz des Himmelreichs als differentia specifica katholischen Selbstverständnisses in den frühen 1950er Jahren, damit auch vor dem Zweiten Vaticanum, anzusehen bereit ist. Voegelin geht es aber nach eigener Aussage nicht um eine Verteidigung eines so oder so ähnlich fassbaren Selbstverständnisses der Katholischen Kirche, sondern um die „sehr bedeutsame[n] kritische[n] Leistungen“ dieser institutionellen sowie auch symbolischen Entwicklung, die er unter dem Titel eines ‚wesentlichen Christentums‘ fasst. Das Wort ‚kritisch‘ ist hier zunächst zu verstehen im eher neutralen Sinne einer fortschreitenden Differenzierung der Symbole, durch welche die zugrundeliegenden Erlebnisart gedeutet wird. Voegelin erklärt sich über einige dieser Leistungen, die, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt, systematisch zusammenhängen und die ich hier zum besseren Verständnis der Gesamtlage wiedergebe:

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A.a.O., S. 459. A.a.O., S. 460 f.

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Die ‚Christologie‘ als Universalisierung des Gottmenschentums, nach der nicht länger ein weltlicher Potentat, „sondern ein armer Teufel proletarischen Status’, der ein höchst miserables, ungöttliches Ende fand“ als Gottessohn erfahren (nicht etwa nur inszeniert oder stilisiert) wurde. Gerade in der Jedermannshaftigkeit des Gottessohns sowie durch die Bezugnahme auf „Gott im monotheistischen Sinne, der alle anderen Götter ausschließt“, bringt die Möglichkeit einer kulturinvarianten und von abstammungsartigen Bindungen unabhängigen Gemeinschaft zu Bewusstsein. Die unendliche Ehrerbietung und bedingungslose Gefolgschaft gegenüber „totalitären Führern“ sei dagegen ein klarer Rückfall hinter die Einsicht, dass „göttlich[e] Hilfe“ jedermann zuteilwerden könne. Damit einher geht die Einsicht, dass gerade Erfolg und Macht keine Zeichen göttlicher Zuwendung sein müssen.37 Das Dogma der ‚Trinität‘, also der Dreieinigkeit Gottes als Artikulation des Zusammenspiels der Unverfügbarkeit (Transzendenz) Gottes (a), seines ‚wunderbaren‘ innerweltlichen Wirkens (b) und seiner Anwesenheit „in der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche“, als Geist (c).38 Man kann darin – um Voegelin zu ergänzen – die Explikation der zugrundeliegenden (Prozess-)Form sehen, in der sich die in (1) nur erst vage umrissene universelle Gemeinschaft innerweltlich bildet. Die ‚Mariologie‘ als Artikulation der Einsicht, „[d]aß Fortschritt […] in der Heiligung des Lebens und der Vervollkommnung der Person nicht nur ein Werk von außen wirkender Gnade ist, sondern daß die Menschen aus eigenen Kräften auch allerlei dazu beitragen können und beizutragen verpflichtet sind“, wenngleich nur „innerhalb der Schranken, die ihnen von ihrer Natur gesetzt“ sind.39 Hier wird offenbar (2.b) dahingehend spezifiziert, dass die Menschheit nicht bloße Empfängerin göttlicher Gnade ist, sondern jeder Mensch durch eigenes Mitwirken an Bildung und Erhalt jener universellen Gemeinschaft der Menschheit mitwirken muss, wenn sie denn wirklich in der Welt bestehen können soll. Die ‚Analogia Entis‘ als Einsicht in den analogischen Charakter aller Rede von Gott, die sich zwar derselben Redeformen bedient, mit denen wir auch über ‚weltliche‘ Dinge sprechen, aber einen Sachverhalt von ganz anderer Art betrifft.40 Diese Einsicht betrifft offensichtlich den adäquaten Umgang mit den zuvor genannten Symbolen oder Dogmen, deren Vgl. a.a.O., S. 461 f. Vgl. a.a.O., S. 462 f. A.a.O., S. 463 f. A.a.O., S. 464 f.

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Anspruch auf Universalität auch theoretisch gesichert werden muss, nämlich gegen vereinseitigende und daher regressive Missverständnisse von (2) und (3). „Die Dogmatik“, so beschließt Voegelin seine Ausführungen, „ist ein Symbolgewebe, das die außerordentlich komplizierten religiösen Erfahrungen expliziert und differenziert; und die Ordnung dieser Symbole ist eine deskriptive Ordnung, nicht ein rationales System, das von Axiomen abgeleitet werden könnte“41. In der Betonung des ‚deskriptiven‘ Charakters der Dogmatik hebt Voegelin den ‚analogischen‘ Charakter theologischer Rede hervor, der nämlich allein vom Standpunkt der Erfahrung verstanden werden könne, nicht vom Standpunkt eines bloßen Räsonnements, sofern es die erfahrungsbedingte radikale Differenz menschlicher Perspektiven ausblendet. Gerade wegen ihrer historisch gewachsenen und symbolisch festgehaltenen Komplexität gilt Voegelin der Kanon christlicher Dogmen „als ein mehr als tausendjähriger Schatz von religiösen Erfahrungen“,42 der wohl gerade im Sinne einer historisch informierten und dabei die Teilnehmerperspektive kompetent miteinbeziehenden Theorie menschlicher Gemeinschaftsbildung auf- und ernstgenommen werden müsste. Eine solche Unternehmung könnte durchaus als Fortführung des Projekts eines ‚wesentlichen Christentums‘ verstanden werden. Dieses von Voegelin so genannte ‚wesentliche Christentum‘ umfasst den zuvor beschriebenen Gang fortschreitender symbolischer Differenzierung eines zugrundeliegenden Typs von Erlebnissen, der sich qua Typ in den immer neuen, aber gleichartigen Erlebnissen irgendwelcher Menschen manifestieren kann. Voegelin nennt das ‚wesentliche Christentum‘ daher nicht zufällig eine „Bewegung“43. Zwar ordnet er sein eigenes Forschungsunternehmen nicht explizit in diese Traditionslinie ein, doch indem Voegelin die christliche Theologie als ein historisch vorfindliches und womöglich irgendwie fortzusetzendes Projekt symbolischer Differenzierung beschreibt, dass sich auf Grundlage eines allgemein menschlichen, also nicht religionsspezifischen Erfahrungsgrundes vollzieht, ist auch nicht auszuschließen, dass sein theoretisches Projekt in der Nachfolge dieser Unternehmung verstanden werden kann, ohne aber deshalb als ‚christlich‘ gelten zu müssen. Es mag vielleicht paradox erscheinen, wenn ich behaupte, dass Voegelin eben deshalb nicht als ‚christlicher Philosoph‘ oder Apologet des Christentums im Sinne der konfessionell bindenden Religion anzusehen ist, weil 41 42 43

A.a.O., S. 464. A.a.O. A.a.O., S. 465.

GNOSIS, HÄRESIE UND RADIKALE SYMBOLISIERUNG

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er (vielleicht) die Bewegung eines ‚wesentlichen Christentums‘ fortsetzt. Die Paradoxie verschwindet, wenn man bedenkt, dass sich gerade in der Bewegung eines ‚wesentlichen Christentums‘ der Horizont daraufhin öffnet, auch noch die Kirche als Symbol zu begreifen – also nicht nur als Institution der verallgemeinernden und dogmatisierenden Deutung, sondern auch als sich weiter differenzierender Ausdruck und wandelbares Erzeugnis jener auslegungsbedürftigen ‚Transzendenzerlebnisse‘. Diesen Fluchtpunkt, auf den die Denkbewegung des ‚wesentlichen Christentums‘ nach Voegelin hinstrebt, werde ich im folgenden Kapitel näher betrachten, um dann auf die allgemeine Frage nach der intellektuellen Redlichkeit zurückzukommen. 5.

„Kirche“ als Problem

Das von Voegelin so genannte ‚wesentliche Christentum‘ beschreibt das Projekt der Überlieferung, Aufnahme und fortschreitenden Differenzierung von überlieferten Symbolen, in denen sich individuell erfahrene ‚Transzendenzerlebnisse‘ ausdrücken und einordnen lassen. Diese Erlebnisse werden von Voegelin so verstanden, dass sie grundsätzlich interpretationsbedürftig sind, zugleich aber auch die symbolischen Mittel ihrer Auslegung ‚selbst‘ hervorbringen. Die christliche Theologie mit ihrer Dogmatik stellt eine Möglichkeit solcher Symbolisierung vor. Sie zeichnet sich nach dem bisher Gesagten durch ihre fortschreitende und entwicklungsoffene Selbstkritik aus: unter Aufnahme überlieferte Symbole sollen diese, auf Basis individuellen Transzendenzerlebens, spezifiziert und weiterentwickelt werden können. Insofern die christliche Theologie mit dem ‚wesentlichen Christentum‘ übereinstimmt, ist sie daher nicht als jemals abzuschließende Unternehmung zu begreifen, sondern als fortzuschreibendes Projekt oder „Bewegung“. Dieses Projekt gerät aber dann in Gefahr, wenn es den institutionellen Rahmen, in dem es vollzogen wird, infrage stellt – wenn nämlich ‚die Kirche‘ nicht mehr einfach als Institution oder Verwalterin der Gemeinschaft der Gläubigen und ihrer Glaubenssätze hingenommen, sondern selbst als Symbol begriffen wird, als Ausdruck und Deutungsmittel individueller Transzendenzerlebnisse. Ich denke, dass eine solche Überlegung im Hintergrund steht, wenn Voegelin schreibt: „[D]ieses wesentliche Christentum ist nur mit Vorbehalten mit dem Katholizismus zu identifizieren. Auch in der katholischen Hauptlinie des Christentums ist diese Richtung auf eine klare Symbolinterpretation nie ganz durchgeführt worden. Immer mischt sich in die kritische Arbeit etwas wie ein ‚buchstäbliches‘, fundamentalistisches Verstehen der Dogmatik. […] Die pièce de résistance dieses Fundamentalismus‘ ist natürlich die katholische Kirche selbst, die

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Max Stange als konkret-historische als das Vehikel der Erlösung verstanden ist, wenn auch mit vorsichtigen Vorbehalten, daß Erlösung vielleicht auch außerhalb der Kirche möglich sei. Die vollständige Symbolkritik, bis in die Kirchendoktrin, hat sich nie durchgesetzt“44.

Zum Beweis dieser zuletzt artikulierten Behauptung bemerkt Voegelin, dass sich in Thomas von Aquins Summa Theologiae „kein Lehrstück über die Kirche“ finde.45 „[A]n dieser peinlichen Tatsache“ sei „nichts zu ändern“. Dann fährt Voegelin fort: „Ich kann diese Merkwürdigkeit nur damit erklären, daß Thomas sich […] einige Dinge über die Kirche gedacht hat, die er vorzog, nicht zu Papier zu bringen. – Und diese Hemmung in radikaler Symbolisierung scheint mir auch historisch die Ursache des Krachs in der katholischen Kirche zu sein, der zur Reformation geführt hat. Denn in der Generation nach Thomas, mit Eckhart, beginnt die radikale Symbolisierung durch die großen Mystiker bis zu Cusanus. Und diese Richtung ist, im Gegensatz zum Thomismus, niemals von der Kirche als Institution absorbiert worden.“46

Ausgehend von den vorigen Überlegungen würde die Anerkennung ‚radikaler Symbolisierung‘ bedeuten, das Prinzip analogischen Begreifens auch auf die Kirche selbst anzuwenden, sie als symbolische Artikulation der relevanten Art von Erfahrung zu verstehen – und damit der Erfahrung den Vorzug vor dem Dogma zu geben, was aber umgekehrt nicht bedeutet, dass deshalb die ‚kritische‘ Leistung von christlicher Theologie und Dogmatik geringgeschätzt werden dürfte. Daher schließt Voegelin auch nicht aus, dass die „Kirche als Institution“ die Tendenz zur radikalen Symbolisierung in sich hätte aufnehmen können. Das sei nun aber damals und wohl auch bisher nicht gelungen.47 Voe44 45

46 47

Voegelin, Briefwechsel, S. 465. Soweit ich sehe, ist das nicht (zumindest nicht in jeder Hinsicht) richtig, vgl. Summa Theologiae III qu. 8, wo die Kirche (Ecclesia mit kapitalem E) allerdings nur im ganz allgemeinen Sinne einer Gemeinde oder eines geistigen Leibs (unum corpus mysticum) unter dem gemeinsamen „Haupt“ (caput) Christus verhandelt wird; vgl. ferner Summa Theologiae II-II qu. 1 art. 10, zur möglichen Veränderung des „symbolum“, der kanonischen Fassung der Glaubensinhalte. A.a.O., S. 465 f., Hervorhebung von mir, M.S. Ähnliches findet sich in der eingangs erwähnten Studie über Schelling. Zwar scheint Voegelin sich zunächst auf eine heile Welt mittelalterlicher Philosophie zu berufen (Schelling, S. 9), verkennt aber doch keineswegs, dass auch eine traditionalistische Wiederbelebung alter Lehrgebäude, zumal unter den diagnostizierten Bedingungen, selbst nur mehr provinziell wäre und keinen gerechtfertigten Anspruch auf Universalität erheben könnte. Wohlgemerkt verteidigt er auch nur eine im Zuge des Mittelalters kultivierte „philosophische Technik“ (a.a.O.), nicht eine bestimmte kirchliche Lehrmeinung. Gegen einen

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gelin stellt fest: „Alles, was ich zum Problem des ‚wesentlichen Christentums‘ ausführte, ist […] vom katholischen Standpunkt unhaltbar und wäre als eine Variante des als Häresie verurteilten Modernismus zu klassifizieren“48. Voegelin will sich dem von Schütz geäußerten Ideologieverdacht entziehen, indem er darauf verweist, dass seine Polemik gegen die ‚gnostischen‘ Selbstüberhebungen der Moderne nur oberflächlich betrachtet der Polemik eines christlich-katholischen Antimodernismus bzw. Traditionalismus entspricht. Denn die von ihm vertretene Auffassung des Christentums würde in den Augen eines solchen Traditionalismus als Häresie erscheinen. Doch begnügt sich Voegelin nicht damit, den eigenen Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit allein damit zu begründen, dass er mit seinen Überlegungen zwischen die Fronten gerät. Sondern er verweist auf den Vorgang einer sich zunehmend radikalisierenden Differenzierung von Symbolen, deren Ende darin erreicht wird, dass jene Institution, die den geschichtlich akkumulierten Haushalt von Symbolen verwaltet, selbst in den Prozess der Symbolisierung hineingezogen wird, nämlich in der erfahrungsmäßig fundierten Aneignung und weiteren Differenzierung des tradierten Bestands – bei gleichzeitigem Verzicht auf Dogmatisierung oder ‚Koranisierung‘ der eigenen Einsichten. Offenbar kommt es darauf an, den rechten Umgang mit diesem Prozess fortschreitender Symbolisierung bzw. symbolischer Differenzierung zu finden, statt ihn als Ketzerei zu verdammen und damit seinerseits das Gespräch aufzukündigen. 6.

Exkurs: Die Geschichtlichkeit des ‚menschlichen Selbst‘

In der ‚radikalen Symbolisierung‘, von der Voegelin spricht, wird die ausgereifte Form jener ‚Bewegung‘ beschrieben, die im von Voegelin so genannten ‚wesentlichen Christentum‘ auf paradigmatische Weise realisiert wurde. Mir scheint, dass dieser Vorgang ‚radikaler Symbolisierung‘ dieselbe Dynamik beschreibt, durch die sich das ‚menschliche Selbst‘ als menschliches konstituiert und erhält. Das ‚menschliche Selbst‘ im Sinne intellektueller Redlichkeit zu achten bedeutet – wie ich weiter zeigen möchte –, die Bewegung ‚radikaler Symbolisierung‘ nicht nur formell zu explizieren oder historisch aufzuweisen, sondern sie auf angemessene Weise nach- oder mitzuvollziehen. Die von Voegelin gescholtene ‚Gnosis‘ ließe sich als fehlerhaftes, die eigene

48

restaurativen Traditionalismus verweist er auf die relative Berechtigung von „Gefühlen und Ansichten, die in einer sich geistig immer mehr verengenden kirchlichen Organisation keinen Platz mehr fanden“ (a.a.O.). Voegelin, Briefwechsel, S. 466 f.

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Endlichkeit ignorierendes Selbstbewusstsein im Nachvollzug dieser Bewegung beschreiben, wohingegen der Anschein von ‚Häresie‘ (der Ideologieverdacht aufgrund nonkonformer, unerwünschter, aber trotzdem beharrlich festgehaltener Ansichten) noch nicht notwendig darauf schließen lässt, dass die Bewegung radikaler Symbolisierung wirklich inadäquat realisiert wurde. Um diesen Zusammenhang durchsichtig werden zu lassen, erlaube ich mir, einen Schritt zurückzutreten. Es geht mir darum, die hintergründigen Gedanken Voegelins – oder was ich dafür halte – auf eigene Faust zu fassen. Zunächst sollte man sich fragen, was so ein ‚Selbst‘ sein kann, das sich womöglich als ein menschliches erweisen, sich aber auch in sich selbst zurückoder zusammenziehen kann.49 Zuerst ist festzustellen, dass die nominale Rede von einem ‚Selbst‘ kein Ding bezeichnet, auf das man sich denkend oder wahrnehmend beziehen könnte. Vielmehr wird, durch die Nominalisierung eines Reflexivpronomens, ein reflexives Verhältnis thematisiert. Das paradigmatische Beispiel eines reflexiven Verhältnisses ist das (potenziell iterative) Nachdenken oder Sprechen über etwas, das ich selbst gedacht oder zu jemandem gesagt habe. Reflexion besteht demnach in der Kommentierung dessen, was zuvor gedacht oder gesagt wurde – und als Gedachtes oder Gesagtes im Bewusstsein behalten wurde. Reflexivität hat demnach wesentlich etwas damit zu tun, dass man sich nicht nur jetzt im Moment über das, was man eben so tut, bewusst ist – sondern darüber hinaus auf etwas, das gewesen ist, jederzeit denkend oder sprechend zurückkommen kann, weil es ‚im Bewusstsein behalten wurde‘. Letzteres ist wiederum nur möglich, insofern sich der Gegenstand der Reflexion zeichenartig fixieren lässt, sodass ich selbst oder andere darauf Bezug nehmen können. Wir sprechen zwar auch davon, dass Tiere sich in ihrem Verhalten irgendwie auf sich selbst beziehen (‚Die Katze putzt sich das Fell‘; ‚Der Schimpanse erblickt sich im Spiegel oder nimmt sich einen Stock‘). Doch beziehen sich diese Aussagen in der Regel auf die Tätigkeit bzw. das Verhalten eines Tieres und müssen nicht unterstellen, dass das Tier selbst auch ‚weiß‘, was es da tut, also ein reflexives Verhältnis im eben beschriebenen, bewusstseinstheoretischen Sinne aktualisiert. Sehr wohl aber verlangen wir diese Fähigkeit von unseren Mitmenschen und setzten sie als Basis vernünftiger Interaktion voraus. Wir gehen davon aus, dass unsere Mitmenschen sich über ihr äußeres Tun bewusst sind, darüber auf Nachfrage Rechenschaft geben können (sowohl über die Form wie auch über die Gründe ihres Handelns) und sich ferner auch belehren lassen müssten, wenn ihrer Tätigkeit irrtümliche oder fehlerhafte Annahmen zugrunde liegen. Wir gehen davon aus, dass eine andere Person 49

Vgl. Voegelin, Realitätsfinsternis, S. 5 f.

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auf dieselbe Weise über sich selbst denken kann, wie je ich von außen über sie denke und spreche – und vice versa. Reflexivität des Bewusstseins bedeutet, dass ich selbst mich mit dem Adressaten meiner Rede oder meines (lauten) Denkens gemein mache, also ein gemeinsames Bewusstsein unterstelle, aufgrund dessen eine reflexive Bezugnahme, mithin ein (selbst-)bewusstes und damit womöglich auch kooperatives Handeln, überhaupt erst möglich ist. Wenn die Rede vom ‚Selbst‘ so begriffen wird, lässt sich auch besser verstehen, was es heißt, dieses Selbst im Sinne Voegelins als ein ‚menschliches‘ zu qualifizieren und von einem ‚kontrahierten‘ Selbst zu unterscheiden. Erhellend erscheint mir in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass das Böse im Sinne der Verwerflichkeit persönlicher Einstellungen und Handlungen traditionell in Zusammenhang mit korrupten Selbstverhältnissen gebracht wird. Immer wird vorausgesetzt, dass wir einer Person die zufälligen, nicht absehbaren, Folgen ihres Handelns kaum oder gar nicht in Rechnung stellen können, wohl aber die intendierten oder zumindest antizipierbaren Folgen ihres Handelns. Wir setzen in der moralischen Beurteilung menschlichen Handelns immer schon ein Handlungswissen bzw. das Bestehen von Absichten voraus. Dies wird besonders klar an Beispielen, in denen ein Unglück auf ein Widerfahrnis – z.B. ein schrecklicher Autounfall auf ein Niesen oder einen Herzinfarkt – zurückzuführen ist. Man wird dem Verursacher eines solchen Unfalls in der Regel keine Vorwürfe machen, wenngleich sich trefflich darüber streiten lässt, wo die (notwendig unscharfe) Grenze von Unvorhersehbarkeit und Fahrlässigkeit verläuft. Chronischen Epileptikern ist das Autofahren in Deutschland nicht erlaubt, dagegen altersbedingt reaktionsschwachen oder emotional aufgewühlten Menschen sehr wohl, was aber umgekehrt nicht heißt, dass sie vernünftigerweise nicht vielleicht besser trotzdem vom Autorfahren absehen sollten. Die moralische Beurteilung von Handlungen oder Einstellungen setzt also ein relevantes Selbstwissen der handelnden Person voraus. Dieses Selbstwissen ist nach obiger Darstellung auch als ein möglicherweise gemeinsames Wissen zu verstehen, unterliegt also zunächst einem kommunikativen Bildungsprozess und dann auch der nie auszuschließenden Möglichkeit von ebenfalls kommunikativ erwirkten Korrekturen der eigenen Absichten, Handlungspläne und Einstellungen. Die philosophische Reflexion auf ‚das Böse‘ ebenso wie die korrespondierende Praxis moralischer Beurteilungen bezieht schlechte, verderbliche und daher auch zu beklagende Handlungsfolgen nur in einem sekundären oder vermittelten Sinne mit ein. Primär geht es um das bewusste Selbstverhältnis eines menschlichen Akteurs und seine Fähigkeit, das eigene Tun im Lichte gemeinsamen Wissens und Urteilens selbst zu kontrollieren.

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Wer sich nicht nur in einer bestimmten Hinsicht als stur oder engstirnig erweist – darin kann schließlich noch etwas Gutes liegen –, sondern ganz aus der Praxis der gemeinsamen Selbstreflexion, d.h. der praktisch vollzogenen Perspektivwechsel, aussteigt, macht sich nicht etwa zu einem Tier, sondern steht aus eigener Entscheidung – wie Franz von Baader richtig sagt – sogar noch „unter dem Thiere“50, das in seinen rein selbstbezogenen Begierden immerhin auf den Zweck des Selbsterhalts von Individuum und Gattung festgelegt ist. Weiterhin gilt, was Hannah Arendt in einer Vorlesung über das Böse bemerkt: „Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben, und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten.“51 Der bedenkenlose Schreibtischtäter, der in den Augen seiner Vorgesetzten korrekt handelt und dabei sorglos bzw. ‚besten Gewissens‘ sein mörderisches Tagwerk vollbringt, ist der Form nach nicht weniger böse als der Trittbrettfahrer Gyges aus Platons Politeia, der (scheinbar)52 unbemerkt defektieren und sich dabei ‚alle‘ seine Begierden nach Macht, Reichtum und sexueller Befriedigung auf Kosten anderer erfüllen kann. Der Fall des Gyges ist vielleicht sogar weniger drastisch, jedenfalls einfacher, weil sich der Delinquent des problematischen Modus seines Handelns immerhin bewusst ist: er gebraucht ganz bewusst einen Ring, der ihn unsichtbar macht, um seine Ziele im Verborgenen, durch den heimlichen Gebrauch verbrecherischer Mittel, zu erreichen. Darin ähnelt er den drei Sophisten aus Platons Dialog Gorgias, welche die Sprache – das schlechthin Gemeinsame – gebrauchen, um ihr verwerfliches, nur auf die Befriedigung der je eigenen Begierden ausgerichtetes, Handeln als gutes Handeln erscheinen zu lassen, wobei es doch seiner Form nach ein böses, nämlich dem allgemeinen Willen einer funktionierenden Gemeinschaft (Polis) widriges, Handeln ist. Der Ring des Gyges entspricht der Sprache des Sophisten, die in dem Sinne pervers genannt werden kann, dass sie als etwas prinzipiell Gemeinschaftliches und als Mittel der Verständigung untereinander in den Dienst der arglistigen Täuschung und Verklärung einer eigentlich gemeinschaftswidrigen Haltung gestellt wird. Statt von einer perversen, also verkehrenden und sinnentstellenden, Verwendung der prima facie gemeinsamen Sprache könnte man auch davon sprechen, dass sich die Sophisten im permanenten Selbstwiderspruch befinden, worauf Eric Voegelin in seiner Rekonstruktion des Dialogs hingewiesen hat.53 50 51 52 53

Franz Baader: „Ueber die Behauptung: daß kein übler Gebrauch der Vernunft sein kann“, in: ders.: Philosophische Schriften und Aufsätze, Münster, 1831, S. 92–96, zit. S. 93. Hannah Arendt: Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, München, 2007, S. 77. Wir selbst, als Leser der Geschichte, wissen sehr wohl, was Gyges eigentlich tut. Vgl. Eric Voegelin, „The Philosophy of Existence: Plato’s Gorgias“, The Review of Politics, 11(4), 1949, S. 477–498, S. 488: „Callicles does not seriously deny differences of value; he is

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Wo aber Widerspruch ist, scheint auch eine Chance zur Umkehr gegeben zu sein. Und eben insofern ist der Fall des Gyges oder des sophistischen Wortverdrehers noch relativ harmlos. Das Problem verschärft sich aber, wenn solcher (Selbst-)Widerspruch nicht nur zurückgewiesen, sondern gar nicht mehr als solcher wahrgenommen wird. „The curable soul, thus, is permanently in the state of judgement; to experience itself permanently in the presence of the judgement […] is the criterion of the curable soul“54, bemerkt Voegelin in diesem Sinne. Es stellt sich durchaus die Frage, wie mit dem ‚größten Übeltäter‘ im Sinne Arendts umzugehen ist, der in seiner Bedenkenlosigkeit für solchen Widerspruch nicht mehr empfänglich ist und damit die Möglichkeit eines Selbst oder auch eines gemeinsamen Bewusstseins auszuschließen scheint. Dieses Problem wird in Voegelins Rede von einem ‚kontrahierten Selbst‘ in gestauchter Form zur Sprache gebracht. Wie Voegelin mit Platon und, ohne es anzuerkennen auch mit Schiller und Hegel,55 sieht, ist die Geschichte das Weltgericht – und sei es in Gestalt des sokratischen Mythos vom Gericht über die menschlichen Seelen nach ihrem Tod, der als Mythos nicht weniger wahr ist als die zu erwartende realgeschichtliche Verdammung eines Tyrannen post mortem. Die Annahme, dass eine solche Verdammung ausbleiben könnte, verweist nur auf die Langwierigkeit der Prozesse, in denen sich solche Verurteilungen allgemein durchsetzen bzw. sie entbindet den Einzelnen nicht von der Pflicht, sich zu einer real sich vollziehenden Geschichte menschlichen Tuns zu verhalten. Nur insofern diese Geschichte, die nie nur die eigene ist, im Bewusstsein behalten und bedacht wird, verhält sich ‚das Selbst‘ zu sich als menschliches. Das menschliche Selbst ist daher seiner Form nach geschichtlich, während das in sich zusammengeschrumpfte Selbst die reale Differenz der Perspektiven nicht oder nur rhetorisch, jedenfalls nicht im relevanten praktisch-verbindlichen Sinne, anerkennt und womöglich in sich aufnimmt. Wer nicht verstanden hat, dass die gemeinsam erinnerbare und daher allein wirkliche, nämlich in eine mögliche Zukunft führende, Geschichte nur unter der Bedingung einer real möglichen Anerkennung der einheitsfähigen

54 55

not prepared to maintain that courage does not rank higher than cowardice, or wisdom higher than folly. When he identifies the good with the strong, he acts on the inarticulate premise that there exists a preestablished harmony between the lustiness which he represents and the social success of values which he does not discern too clearly but to which he gives conventional assent. Socrates, in his argument, uses the technique of pointing to facts which disprove the preestablished harmony and of involving Callicles in the contradictions between his value assumptions and the consequences of his existentialism.“ A.a.O., S. 498. Vgl. Eric Voegelin, Realitätsfinsternis, passim.

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Vielzahl von Perspektiven und Urteilen möglich ist, der hat auch noch nicht verstanden, dass die verhängnisvoll unaufrichtige und im Prinzip verlogene Selbstbeurteilung eines Individuums oder auch einer Gruppe, vom Standpunkt eines höheren Wissens um die Bedingungen möglicher Gemeinschaft her gesehen, auf Dauer nicht bestandsfähig ist. Das Schicksal des Tyrannen ist deshalb der einsame Tod, in den er sich schon als Lebender aus mehr oder weniger freien Stücken hingegeben hat. Dabei ist ‚die Geschichte‘ aber nie einfach mit dem gegenständlichen Lauf der Dinge und Geschehnisse, auch nicht mit der faktischen Entwicklung von dominanten Ansichten oder Meinungen, zu verwechseln, auch nicht mit den bestehenden Erinnerungen einer fixen Menge von Leuten oder dem, was heute in den Geschichtsbüchern steht. Die Geschichte in dem Sinne, der moralisch relevant ist und gerade auch Eric Voegelin interessiert, schließt das lebendige Subjekt, also das sich erinnernde und hoffende ‚Selbst‘ sowie das durch Reflexion begründete ‚Bewusstsein‘, mit ein. Dabei ist „das Bewußtsein“, wie Voegelin sich etwas kompliziert ausdrückt, „nicht ein Gegebenes, das von außen beschrieben werden könnte, sondern eine Erfahrung des Partizipierens am Seinsgrund, deren Logos nur durch meditative Exegese ihrer selbst zur Klarheit gebracht werden kann“56. Die Geschichte, so ließe sich daran anschließend sagen, ist die bewusste Form des Prozesses, in dem mögliche Perspektivwechsel real vollzogen werden in Rücksicht auf eine immer schon partiell realisierte, aber auch in Hinblick auf eine weiter zu erhaltende Gemeinschaft selbstbewusster Wesen. Die relativ stabile Formung einer solchen Gemeinschaft ist demnach am Bestand ihrer kanonischen, das bewusste Zusammenleben strukturierenden, Symbole zu erkennen. Mit den spezifischeren Symbolisierungen der Geschichte wird der Bestand der Gemeinschaft und des gemeinschaftlichen Bewusstseins als etwas in sich Bewegtes und durch eigenes Zutun Veränderbares verstanden. Die platonischen Mythen sind eine Weise der symbolischen Repräsentation von Geschichte in diesem Sinne. Der Symbolkomplex christlicher Theologie und Heilsgeschichte ist eine andere Weise, sich über die eigene Situation (in diesem grundsätzlichen Sinne der Teilnahme an einem größeren, wandelbaren Zusammenhang) bewusst zu werden. Voegelins Rede von einer fortschreitenden Differenzierung verstehe ich dabei übrigens im Sinne einer erweiterungsfähigen Darstellung von Bedingungs- und Abhängigkeitsverhältnissen, deren Vorliegen sich ‚ganz natürlich‘ in Erfahrungen der Unverfügbarkeit oder ‚Transzendenz‘ von Etwas 56

Eric Voegelin, Anamnesis, Zur Theorie der Geschichte und Politik, Freiburg/München, 2005, S. 7.

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(oder auch Jemandem!) ausdrückt. Voegelins eigene Rede von ‚Transzendenz‘ ist leicht missverständlich, da zu oft nicht verstanden wird, dass das Wort Transzendenz eine bloß relationale, keine qualitative Bestimmung anzeigt. Sofern man bereit ist, in der differenzierenden Darstellung und fortschreitenden Überlieferung von (existenziellen, das menschliche Leben allgemein betreffenden) Bedingungs- und Abhängigkeitsverhältnissen ein allgemeines Menschheitsprojekt zu sehen, würde sich das oben genannte Kirchenproblem wohl von allein lösen, ohne dass deshalb irgendeine bestehende Kirche oder Religion ‚falsch liegen‘ oder sich gar in ‚reiner Vernunft‘ auflösen lassen müsste. 7.

Anamnetische Wiedergewinnung einer selbstbewussten Redlichkeit

Aus den vorigen Überlegungen erhellt der Zusammenhang des ‚menschlichen Selbst‘ mit den Symbolen, in denen die Bewegung selbstreferenzieller Perspektivwechsel eine konkrete Gestalt gewonnen hat und zum (gemein­ samen) Bewusstsein gereift ist. Die Symbole, für die Voegelin sich im Zuge seiner Untersuchungen interessiert, repräsentieren eine Ordnung des gemein­ samen und gemeinsam bewussten Lebens, wie sie möglicherweise auch von der gewissenhaft reflektierenden Einzelperson (dem spoudaios57) als gut eingesehen und dann auch, im bewussten Vollzug des eigenen Handelns, als subjektiv verbindlich erlebt werden kann. Die historisch vorfindlichen Symbolisierungen der Geschichte, sei es als Mythos vom Totengericht oder als innerweltlich sich vollziehende Heilsgeschichte, sind nicht die einzigen Symbole in diesem Sinne. Sie heben sich jedoch insofern von anderen Symbolen ab, als sie den Prozess der Bildung und progressiven Differenzierung von Symbolen artikulieren. Voegelin betont immer wieder, dass die Symbole auf wirklichen Erfahrungen gründen, genauer eben auf Erfahrungen des Abhängens und Teilnehmens an etwas, das ‚unabhängig von mir selbst‘, also unabhängig von je meinem Wähnen und Wünschen, ist. Voegelin spricht in diesem Zusammenhang von ‚Transzendenz‘ oder in spätesten Texten auch von einer radikal unbestimmten, 57

Vgl. Die neue Wissenschaft der Politik, S. 77–80. „Der spoudaios ist der Mann [sic – was sonst bei Aristoteles, dem der Ausdruck entnommen ist], der die Möglichkeiten der menschlichen Natur im höchsten Grade aktualisiert hat, dem es zur Gewohnheit geworden ist, seinen Charakter ganz auf die Aktualisierung der dianoetischen und ethischen Tugenden hin zu formen, der Mann, der auf der Höhe seiner Entwicklung fähig ist zum bios theoretikos.“ (S. 78).

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vorintentionalen „ES-Realität“58. Dieser Primat der Erfahrung ist nicht so zu verstehen, als würde hier den subjektiven Gefühlen und Meinungen einer Einzelperson der Vorrang vor allem anderen gegeben. Die Erfahrung, wie sie Voegelin interessiert, hat keine bestätigende Funktion. Ganz im Gegenteil überwiegt ein irritierendes Moment, dass zugleich die persönlich zu vollziehende Suche nach allgemeiner Orientierung, nach einer wirklich seienden Ordnung, motiviert. Eine solche Ordnung ist aber nie einfach gegeben, noch ist sie jemals restlos zur Darstellung zu bringen. Diese Unmöglichkeit restloser Artikulation hängt wesentlich mit der erfahrungsmäßigen Fundierung der Ordnungssuche zusammen. Erhellend ist in diesem Zusammenhang, wie Voegelin in seinen Autobiographischen Reflexionen seinen ‚Paradigmenwechsel‘ von den ‚politischen Ideen‘ hin zum Erfahrungsgrund der Symbole beschreibt: „Ich mußte also die ‚Ideen‘ als Gegenstand meiner historischen Untersuchung aufgeben und dafür die Erfahrung der – persönlichen, sozialen, historischen, kosmischen – Wirklichkeit dagegensetzen als die Realität, die es historisch zu erforschen galt. Diese Erfahrungen konnten jedoch nur in der Analyse ihrer Artikulation in Symbolen untersucht werden. Die Bestimmung des zentralen Untersuchungsgegenstandes und damit auch der bei der Untersuchung anzuwendenden Methode führte mich zu dem Grundsatz, der für alle meine späteren Arbeiten wegweisend sein sollte: Die Realität der Erfahrung ist selbst-interpretativ.“59

Voegelin spricht in diesem Zusammenhang auch von „Erfahrungen der Realität in der Mehrzahl“, was aber gerade nicht heißen muss, dass diese Erfahrungen nicht gleichartig wären, sondern wohl nur auf den Sachverhalt verweist, dass jeder Mensch, und es gibt derer viele, seine eigenen Erfahrungen macht und sich – bei allen Hilfen, die ihm möglicherweise in Form tradierter Symbole zuteilwerden – doch in letzter Konsequenz selbst zurechtfinden muss. Aufgrund der geschichtlichen Formung des ‚menschlichen Selbst‘ bleibt diese Orientierung aber notwendig darauf angewiesen, dass das Verhältnis zur Erfahrung, mithin auch die Ansprechbarkeit für möglichen Widerspruch, nicht verloren geht. Das Problem der von Voegelin so genannten Gnosis besteht eben darin, sich die Augen und Ohren zu verschließen, sich selbst zu blenden, das irritierende Moment aller Erfahrung nicht ins Denken aufzunehmen. Die ‚radikale Symbolisierung‘ ist daher, recht verstanden, gerade das Gegenteil einer solchen ‚gnostischen‘ Selbstverblendung, insofern sie zwar durchaus eigenwillig 58 59

Vgl. Auf der Suche nach Ordnung (= Ordnung und Geschichte X), S. 25. Voegelin, Autobiographische Reflexionen, 100.

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agiert, sich dabei aber intensiv mit einem überlieferten Bestand von Symbolen auseinandersetzt. Dieses sich Einfinden in eine Geschichte nicht nur der ‚Ideen‘, sondern der gesamtgeschichtlich akkumulierten Erfahrungsbestände, ist eine Praxis, die nach Voegelins Auffassung in der Entwicklungslinie eines ‚wesentlichen Christentums‘ – bis hin zur ‚radikalen Symbolisierung‘ einer in dessen Entwicklungslinie stehenden Mystik – auf einzigartige Weise kultiviert wurde. Eine von Voegelin immer wieder besonders hervorgehobene und mit Sympathie betrachtete Figur ist dabei Jean Bodin: „Jenseits des historischen Wettstreits der Symbole liegt die Wirklichkeit des mystischen Schweigens und die Heiligkeit des Lebens. […] Bodins Werk nimmt einen einzigartigen Platz in der modernen Geschichte der Politik ein, weil es bewußt den Versuch unternimmt, die Idee der politischen Ordnung auf mystische Kultur zu gründen.“60 Es wäre sicher nicht ganz falsch, Voegelin selbst einen Mystiker in diesem Sinne zu nennen, wenngleich man zugleich einräumen müsste, dass dieser Mystik nicht zufällig das wissenschaftlich forschende Projekt einer erinnernden Geschichte und Analyse gemeinschaftstragender Symbole entspricht. In diesem Sinne fordert er in der oben schon erwähnten Studie Anamnesis: „In Zeiten gesellschaftlicher Unordnung wie der unseren sind wir daher von den Symboltrümmern vergangener Erinnerung, sowie von den Symbolen der Revolte gegen den Zustand der Vergessenheit umgeben und müssen das Werk der Erinnerung wieder in Gang bringen.“61 Bei dieser ‚anamnetischen‘ Aufarbeitung schon geprägter Symbole geht es wohl nicht zuletzt auch um die nachvollziehbare Wiederinstandsetzung oder ‚Rehabilitierung‘ transsubjektiver, allgemein anrufbarer, Orientierungshilfen des menschlichen Denkens. In der von Voegelin geforderten Haltung intellektueller Redlichkeit soll die Bewegung einer ‚radikalen Symbolisierung‘ dann aber nicht nur anerkannt und ausgehalten, sondern auch im kritischen Anschluss aufgenommen und fortgesetzt werden. Das Denken soll dem menschlichen Selbst, also seiner eigenen Geschichtlichkeit, Rechnung tragen. Dies geschieht, indem es den aus sich selbst heraus schöpferischen Erfahrungsgrund des menschlichen Denkens anerkennt und sich, zweitens, auch dessen historisch vorfindlichen Hervorbringungen zuwendet. Damit wird zugleich der einheitsfähigen Vielzahl von menschlichen Perspektiven, die immer schon vorhanden ist, Tribut gezollt. 60

61

Vgl. Autobiographische Reflexionen, S. 137: „Meine eingehende Studie des Werkes von Jean Bodin in den frühen dreißiger Jahren vermittelte mir einen ersten umfassenden Eindruck von der Funktion der Mystik in Zeiten sozialer Unordnung.“ Vgl. dazu die zweite Fassung der Studie von 1948: Eric Voegelin, Jean Bodin, übers. von D. Fischer-Barnicol und G. von Sivers-Sattler, hg. von P.J. Opitz, München, 2003, S. 85 ff., Zit. S. 86 f. Anamnesis, S. 12 f.

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Intellektuelle Redlichkeit im Sinne Voegelins meint also nicht einfach nur eine Haltung, sondern immer auch eine dieser Haltung korrespondierende Praxis der Aufnahme und Fortsetzung einer als allgemein menschlich behaupteten, letztlich aber jeweils erfahrungsmäßig lokalisierten bzw. subjektiv verwurzelten „Suche nach Ordnung“, wie das von Voegelin fortgeschriebene Projekt im letzten, posthum zusammengeführten Band von Ordnung und Geschichte betitelt wird. Freilich kann und soll diese Suche nicht als idiosynkratische Privatunternehmung verstanden werden. Nur, soweit es Voegelin selbst auf nachvollziehbare Weise gelingt, an dieser zeitlich übergreifenden Suchbewegung teilzunehmen, können wir seinem Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit stattgeben. Soweit er darin – vielleicht gerade auch in seiner Auseinandersetzung mit Hegel oder Marx, oder auch mit Joachim von Fiore, wie John Milbank bemerkt62 – scheitert oder fehlgeht, sehen wir uns selbst in der Pflicht, deren Leistungen ins rechte Licht zu rücken. Doch selbst wenn Voegelins Stil, in seiner teils überzogenen Polemik und zuweilen selbstgerechten Attitüde, Zweifel an seiner Redlichkeit (im beschriebenen Sinne) aufkommen lässt, wäre doch, im Sinne einer charitablen Lektüre, daran zu erinnern, dass die aufgetragenen Speisen nie so heiß gegessen werden (sollten), wie sie gekocht worden sind. 62

John Milbank: „Truth and the Ambivalence of Empire: on the Theoretical Work of Eric Voegelin“, in: Israel and the Cosmological Empires of the Ancient Orient. Symbols of Order in Eric Voegelin’s Order and History Vol. 1 (Eric Voegelin Studies Supplements, Bd. 1), hg. von I. Carbajosa, N. Scotti Muth, Paderborn, 2021, 169–189, 179. Überhaupt trifft Milbank einen wunden Punkt der ganzen Konzeption, wenn er bemerkt, dass Voegelin den praktischen Beitrag von Kirche und Theologie zur Herausbildung einer neuen Art von Gemeinwesen strukturell vernachlässigt: im begrifflichen Horizont von Symbol und Erfahrung scheint die praktische Bedeutung einer ‚immanentisierenden Eschatologie‘ gar nicht verstanden werden zu können: „Yet for the degree that he regards the entire theological apparatus as a redundant excretion and therefore the Church (in a natively Lutheran fashion?) as little more than a vehicle for sustaining the possibility of an indivual ‚experience‘, Voegelin has himself over-spiritualized the Christian message.“ (179 f.); „[…] the Church itself was also in its pilgrimage on earth a this-worldly and its primacy meant that the legality and coercion of the ‚secular‘ city were oriented towards and judged by their serving of the higher ends of peace, mercy, and reconciliation.“ (185 f.). Milbanks Kritik offenbart eine problematische Tendenz der von Voegelin entwickelten, im Prinzip eklektischen und in der Tendenz vielleicht ‚zu mystischen‘ Theoriesprache, die vielleicht zu einseitig auf die symbolische Repräsentation geistiger Selbstverhältnisse abhebt, dagegen das korrespondierende Moment einer gelingenden gemeinsamen Praxis zwar nicht ausschließt, aber doch wohl nicht hinreichend in der Theoriebildung berücksichtigt. Milbanks Verdacht, Voegelin begreife die Kirche nur als Bedingung der Möglichkeit einer gewissen Art ‚Erfahrung‘, ist allerdings überzogen.

GNOSIS, HÄRESIE UND RADIKALE SYMBOLISIERUNG



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Eric Voegelin und die Symbole des Politischen Massimo Mezzanzanica Abstract The article deals with Eric Voegelin’s analysis of the symbolic dimension of politics and history. It focuses at first on the analysis of the relationship between religion, politics and totalitarianism in the essay on „political religions“ and outlines some aspects of the context in which this essay was written. Some characteristics of Voegelin’s methodological reflections on the idea of a „new science“ of politics are then presented and it is then shown how the attempt to understand the relationship between ideas and symbols opens a new horizon of research, in which the relationship between symbol and representation, and that between symbol, history and being, around which the monumental, and unfinished work Order and History moves, are the main axes.

Keywords Political Ontology, Philosophical Anthropology, Religion and Politics, Representation, Theory of History.

1.

Einleitung: Das Politische und das Symbolische*

Das Bestehen einer grundlegenden Beziehung zwischen dem Politischen und der symbolischen Dimension hängt mit der konstitutiven Rolle des Symbolischen in Bezug auf das Leben des Menschen zusammen. Als politisches Tier – physei politikon zoon, nach der Definition von Aristoteles1 – ist der Mensch auch zoon logon echon, ein sprachfähiges Tier2 und daher, in Ernst Cassirers Worten, animal symbolicum, das in der Dimension des Symbolischen, d.h. in einem „dritten System“ der Anpassung an die Umwelt, neben dem rezeptiven

* Dieser Text ist die erweiterte und teilweise veränderte Übersetzung des Artikels Eric Voegelin e i simboli del politico, veröffentlicht in: Materiali di Estetica, 8.2 (2021), S. 130–154 (https:// riviste.unimi.it/index.php/MdE/article/view/16982). 1 Aristoteles, Pol., 1253a, 2–3. 2 Aristoteles, Pol., 1253a, 9–10.

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_012

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und reaktiven System, lebt3. Der Symbolbegriff kann auf verschiedene Weise verstanden werden4. Jedenfalls aber kann das Zusammenleben der Menschen, das zum Aufbau sozialer und politischer Institutionen, Lebensformen und Machtstrukturen führt, nicht ohne die sprachliche und symbolische Artikulation bestehen, die jeden Bereich des menschlichen Lebens prägt. Es ist dieser konstitutive Wert des Symbolischen, der in Bezug auf das Studium der politischen Dimension wichtig ist. Aus dieser Sicht scheint die Frage nach dem Symbolischen eine grundlegende Rolle in Bezug auf zwei Themen zu spielen: Einerseits das Thema einer Ontologie des Politischen, die letzteres als eine von der Politik verschiedene Dimension betrachtet5; andererseits das Thema Institution als konstitutives Element des Politischen6. Um in erster Näherung die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen und ihrem Verhältnis zur Ebene der Institution und des Symbolischen zu verdeutlichen, sei beispielsweise auf Claude Lefort verwiesen, der den „positivistischen“ Ansatz kritisierte, der seiner Meinung nach die Analyse der Sozialwissenschaften charakterisiert; dabei bezog sich Lefort auf die 3 E.  Cassirer, An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of the Human Culture, New Haven: Yale University Press 1992, S. 26.: „Reason is a very inadequate term with which to comprehend the forms of man’s cultural life in all their richness and variety. But all these forms are symbolic forms. Hence, instead of defining man as an animal rationale, we should define him as an animal symbolicum“. Zum symbolischen System als „third link“ between the receptor system and the effector system, vgl. a.a.O., S. 24. Eine andere Auffassung des Symbolischen findet sich in Giulio Maria Chiodis Studien zur politischen Symbolik. Chiodi meint, dass im „meisterhaften“, von einer Kantischen Erkenntnistheorie bedingten Werk Cassirers das Symbolische die Grundlage der Charakterisierung der Sprachen der verschiedenen Wissenschaften und/oder Erkenntnisformen bildet, aber es nicht in seiner konstitutiven Bedeutung in Bezug auf die menschliche Existenz im Ganzen gedeutet wird. Vgl. dazu G.M. Chiodi, Propedeutica alla simbolica politica I, Milano: Franco Angeli 2006, S. 20, 13–14. 4 G.  Durand, L’imagination symbolique, Paris: Presses Universitaires de France 1964, stellt beispielsweise die „instaurative“ Hermeneutik (Jung, Bachelard, Ricoeur), die das Symbol vom Zeichen unterscheidet und die symbolische Welt in ihrer Besonderheit betrachtet, der „reduktiven“ Hermeneutik (Freud, Dumézil, Lévi-Strauss) gegenüber, die dazu neigt, das Symbol auf intellektualistische Weise auf das Zeichen zu reduzieren. Laut Durand liegt Cassirers Position in einer Zwischenzone zwischen diesen beiden Ansätzen. 5 Zur Unterscheidung zwischen der Politik als Gesamtheit empirischer Verfahren und Entscheidungsprozesse in Bezug auf Sachfragen und dem Politischen als sinnfragenbezogene Dimension gesellschaftlicher Konstitution, vgl. T. Bedorf, Das politische und die Politik. Konturen einer Differenz, in: T. Bedorf, K. Röttgers (Hg.), Das politische und die Politik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2010, S. 13–37. Zu den ontologischen Implikationen der „politischen Differenz“ vgl. O. Marchart, Politische Theorie als Erste Philosophie. Warum der ontologischen Differenz die politische Differenz zugrunde liegt, in: Bedorf, Röttgers (Hg.), Das politische und die Politik, S. 143–158. 6 Zur Rolle der Institution in Bezug auf die politische Ontolgie vgl. R. Esposito, Pensiero istituente. Tre paradigmi di ontologia politica, Torino: Einaudi 2020.

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alternative Tradition der politischen Philosophie7. Er formulierte in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen der Untersuchung der Politik, verstanden als die Sphäre der tatsächlich existierenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Institutionen, oder als der etablierte Plan der Machtausübung, und der Reflexion über das Politische, das den stiftenden Prozess der Formgebung (mise en forme) sozialer Verhältnisse voraussetzt. Diese Formgebung, die eine Leistung der produktiven Einbildungskraft ist8, hat die doppelte Bedeutung eines In-Sinn-Setzens (mise en sens) und eines In-SzeneSetzens (mise en scène). Sie ermöglicht eine Annäherung an das Wesen des Politischen, was durch einen objektivistischen Ansatz, der bei den einzelnen historischen Formen der politischen Verfassung stehen bleibt, ohne die Voraussetzungen zu hinterfragen, nicht erreicht werden kann9. Das Politische als Sinnstiftung zeichnet sich durch eine semantische Struktur aus, die dem gesellschaftlichen Sein erst eine Ordnung gibt und sie der Wahrnehmung der Individuen, aus denen sie besteht, zugänglich macht10. „Précisons donc la notion de mise en forme que nous introduisions, en signalant qu’elle implique celle d’une mise en sens […] e d’une mise en scène des rapports sociaux; ou bien, disons qu’une societé n’advient à soi, dans un agencement de ces rapports, qu’en instituant les conditions de leur intelligibilité et qu’en se donnant à travers mille signes quasi-représentation d’elle-même“11. Als Inszenierung gibt sich die politische Form eine Repräsentation ihrer selbst, ohne die sie nicht existieren könnte. Um auf der operativen und institutionellen Ebene auf sich selbst verweisen zu können, muss sich eine Gesellschaft als Einheit etablieren, das heißt, sie muss einen gemeinsamen Bereich des Politischen schaffen, innerhalb dessen soziale Differenzierung stattfinden kann. Dieser Prozess 7

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10 11

C. Lefort, La question de la démocratie, in: C. Lefort, Essais sur le politique. XIX–XX siècles, Paris: Seuil 1986, S. 17–30, hier S. 19: „Repenser le politique requiert une rupture avec le point de vue de la science en général, et, notamment, avec le point de vue qui est venu à s’imposer dans ce qu’on nomme les sciences politiques et la sociologie politique“. Vgl. dazu A. Koschorke, S. Lüdemann, T. Frank, E. Matala de Mazza, Der fiktve Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a.M.: Fischer 2007, S. 61. Wie Roberto Esposito (Pensiero istituente, S. 158) betont, äußerte Lefort auch einige Vorbehalte gegenüber der politischen Philosophie, die, wenn auch aus einer weniger spezialisierten Perspektive als der der Sozialwissenschaften, dazu neigt, „bestimmte politische Kategorien zu verwenden, ohne zuerst die Voraussetzungen zu diskutieren“, und damit ein „hermeneutisches Defizit“ analog zu dem der Sozialwissenschaften zeigt (eigene Übersetzung). Vgl. Bedorf, Das Politische und die Politik, S. 28. C. Lefort, Permanence du théologico-politique?, in: Lefort, Essais sur le politique, S. 251– 300, hier S. 257.

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vollzieht sich auf der Ebene des Symbolischen, das damit ein zentrales Element der Konstitution der Realität und insbesondere der politischen Realität ist, die ein grundlegender Aspekt des Lebens des Menschen ist. Das menschliche Leben, wie Pierre Legendre in Anlehnung an das vitam instituere von Marciano schreibt, muss instituiert werden, und das Mittel dieser Institution ist die „fiktionale“ Dimension des Symbolischen12. Letztere kann im Sinne von fictio als „figura veritatis“ und als Nachahmung der Natur verstanden werden, von der Ernst Kantorowicz unter Bezugnahme auf Thomas von Aquin und auf die Rechtsauffassung der Glossatoren und mittelalterlichen Kommentatoren des römischen Rechts sprach13. Unter den Denkern, die sich im 20. Jahrhundert der Analyse des Symbolischen in Bezug auf die politische Dimension und im weiteren Sinne in Bezug auf das Verständnis der Geschichtlichkeit des menschlichen Lebens widmeten, sticht die Figur von Eric Voegelin hervor. Jenseits der Differenzen zu Leforts Perspektive, die von der Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys beeinflusst ist, ist das Interesse an den symbolischen Aspekten des Politischen auch in Voegelins Werk mit einer Abkehr vom sozialwissenschaftlichen Zugang zur Politik verbunden14. Dem „Positivismus“ der Sozial- und Rechtswissenschaften setzt auch Voegelin in zunehmend artikulierter und radikaler Weise einen philosophischen Zugang zur Politik entgegen, der einerseits auf der Analyse von Symbolen beruht, in denen sich menschliche Erfahrungen ausdrücken, darunter auch die Erfahrungen der politischen Ordnung, und plädiert andererseits für die Rückkehr zum Ansatz der politike episteme von Platon und Aristoteles unter den veränderten Bedingungen der Moderne. Dieser Standpunkt findet seine vollständige methodische Formulierung und seine erste Verwirklichung in dem Werk The New Science of Politics von 1952 und artikuliert sich dann in dem monumentalen und unvollendeten Werk Order and History, dessen erste drei Bände zwischen 1956 und 1957 veröffentlicht wurden, während der vierte 1974 und der fünfte posthum 1985 erschienen. Ein erster Kristallisationspunkt dieser Problemstellung ist der kurze, aber dichte und wichtige Aufsatz von 1938 Die politischen Religionen.

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P.  Legendre, Anthropologie dogmatique. Définition d’un concept, Annuaires de l’École pratique des hautes études, 105 (1996), S. 23–43, hier S. 23. E.H. Kantorowicz, The Sovereignty of the Artist. A Note on Legal Maxims and Renaissance Theory of Art, in: E.H. Kantorowicz, Selected Studies, Locust Valley, New York: Augustin 1965, S. 352–365, hier S. 354. Für einen Vergleich zwischen Voegelins und Leforts Denkansätze vgl. J. Rohgalf, Pathologische oder ambivalente Moderne? Eric Voegelin wieder gelesen mit Claude Lefort, Leviathan, 43 (2015), S. 567–592.

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Im ersten Teil dieses Beitrags werde ich einige Aspekte dieses Aufsatzes und des Denkzusammenhangs, in dem es reift und Gestalt annimmt, betrachten. Im zweiten Teil werde ich unter Bezugnahme auf The New Science of Politics und auf einige Teile von Order and History sowohl Voegelins methodologische Überlegungen als auch einige Aspekte seiner Analyse politischer Symbole und der Erfahrungen der Ordnung erörtern. Insbesondere werde ich versuchen zu zeigen, wie sich bei dieser Entwicklung eine Problemstellung herausbildet, die die Dimension des Symbolischen eng mit einem neuen Zugang zu Politik und Geschichte verbindet und wie dabei die Perspektive einer philosophischen Anthropologie mit einer ontologischen Problemstellung produktiv verknüpft wird. 2.

Religion und Politik: Zwischen philosophischer Anthropologie und Ideengeschichte

Der Aufsatz Die politischen Religionen bedeutet in Voegelins Werk sowohl ein Ankunfts- als auch ein Übergangsmoment zu einer neuen Forschungsperspektive. Als die erste Auflage des Aufsatzes erscheint, hat Voegelin, ein junger Privatdozent für Rechtstheorie und Soziologie, ausgebildet an der Schule von Hans Kelsen und Othmar Spann, einige Studien hinter sich, in denen er sich mit Kelsens positivistischem Ansatz auseinanderzusetzen begann. Indem Voegelin in den Autobiographical Reflections an die Ergebnisse dieser Studien erinnert, unterstreicht er zunächst seine grundsätzliche Zustimmung zu der von Kelsen in der reinen Rechtslehre vorgenommenen logischen Analyse des Rechtssystems. „What Kelsen did in this respect still stands at the core of any analytical theory of law. I later used this core, with some improvements of my own, in the courses in jurisprudence that I gave in the school of law at LSU (Louisiana State University). I should like to stress that there never has been a difference of opinion between Kelsen and myself regarding the fundamental validity of the Pure Theory of Law“15. Nur allmählich weicht Voegelins Position von Kelsens Theorie ab, und diese Unterschiede betreffen die von ihm als „ideologisch“ definierten Komponenten der reinen Rechtslehre, die die Logik der Rechtsordnung überlagern, ohne deren Geltung zu berühren. Diese Ideologie deckt sich mit der neukantianischen Methodologie, die die Staatslehre mit einer Rechtslehre identifiziert. Dieser Methode gegenüber macht Voegelin die formalistischen Grenzen eines ausschließlich juristischen 15

E. Voegelin, Autobiographical Reflections. Revised Edition with Glossary, ed. by E. Sandoz, Columbia et al.: University of Missouri Press 2011, S. 49.

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Staatsverständnisses deutlich: „It was obviously impossible to deal with the problems of the Staat, and of politics in general, while omitting everything except the logic of legal norms. […] Already at that time I conceived the task of the future political scientist to be that of reconstructing the full range of political science after its restriction to the core of the Normlogik“16. Voegelin zufolge macht Kelsen mit seiner Identifikation von Staat und Recht den Staat zu einem Rechtsbegriff und verkennt die tiefen Identifikationsprozesse, die der Verfassungswirklichkeit zugrunde liegen und ihr Konkretheit verleihen. Stattdessen geht es Voegelin darum, einerseits anzuerkennen, dass die Realität des Staates nicht auf „reine logische Form“ reduziert werden kann, da „der Staat […] keine wissenschaftliche Sphäre“ ist, und andererseits, dass diese Realität einer Logik symbolischer Art entspricht17. Das heißt, die Rechtswissenschaft findet ihren Gegenstand außerhalb ihrer selbst, im Horizont eines metajuristischen Sinnes, und ist daher einer Hermeneutik dieser Bedeutungen untergeordnet18. Diese ersten kritischen Einsichten kamen in den 1930er Jahren zum Ausdruck und entwickelten sich in der Arbeit Der autoritäre Staat von 1936 zu einer Kritik von Kelsens juristischem „Nominalismus“. Hat der Staat als juristische Person für Kelsen keine autonome Realität, so beziehen sich die menschliche Person und der Staat für Voegelin nicht auf natürliche Realitäten, sondern auf Bedeutungen, die in sinngebenden Akten wurzeln, die erlebte Wahrheiten sind. Daher ist der angemessene Zugang zu politischen Phänomenen, deren Hauptaspekt Rechtsnormen sind, ein phänomenologischer Zugang19. Konkretisiert und artikuliert wird diese Konzeption Ende der 1920er Jahre im Projekt einer allgemeinen, antipositivistisch orientierten Staatslehre, von der Voegelin die ersten beiden Teile abschließt, nicht aber den dritten, der eine Theorie des Mythos enthalten sollte, deren Bedeutung er zu erkennen beginnt20. In den 1930er Jahren tauchen die Themen des Mythos und des Verhältnisses von Religion und Politik auch in den beiden Büchern über die Idee der Rasse auf21. Wie Voegelin selbst erklärt, sind die beiden Rassebücher aus 16 17 18 19 20 21

A.a.O., S. 49–50. E.  Voegelin, Reine Rechtslehre und Staatslehre, in: Zeitschrift für öffentliches Recht, IV (1924), S. 80–131, hier S. 123. Vgl. dazu T. Gontier, Voegelin. Symboles du politique, Paris: Michalon 2017, S. 25. Zum phänomenologischen Charakter des Ansatzes Voegelins in Der autoritäre Staat vgl. Gontier, Voegelin, S. 28. Vgl. dazu P.J.  Opitz, Ordine e storia. Concezione e sviluppo dell’opera, in: E.  Voegelin, Ordine e storia. vol I: Israele e la rivelazione, a cura di N. Scotti Muth, tr. it. di G. Rigamonti, Milano: Vita e Pensiero 2009, S. XXIX–XLVI, hier S. XXX. E.  Voegelin, Rasse und Staat, Tübingen: Mohr 1933; E.  Voegelin, Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, Berlin: Junker und Dünnhaupt 1933. Rasse und Staat

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seinen „Arbeiten an einem System der Staatslehre“ entstanden22. Ein Abschnitt dieser Arbeit hätte sich mit jener Theorie der Staatsideen befassen sollen, die Voegelin zufolge in Kelsens Theorie der Staatsformen fehlt. Unter diesen Staatsideen hätten auch „die Leib-Ideen als Mit-Erzeuger der politischen Gemeinschaft“ dargestellt werden sollen. Zu diesen Leibideen gehört – neben den Ideen der Dynastie, des Geblütes, des blauen Blutes, des mystischen Leibes Christi – auch die Idee der Rasse. Daher entschließt sich Voegelin im Laufe der Arbeit aus einem Bedürfnis nach Ausführlichkeit heraus, das „Problem der Leibideen, unter besonderer Berücksichtigung der für die Gegenwart wichtigsten, der Rassenidee“ in zwei getrennten Monographien anzugehen23. Voegelin, der hier eine Position von eindeutig politischer Bedeutung zum Ausdruck bringt, kritisiert den Anspruch, die Anthropologie auf naturwissenschaftliche Weise zu gründen und weist auf die Grenzen jeglicher Form des Reduktionismus hin: „Ein Angsttraum der Gedanke, wir sollten die Menschen, denen wir folgen und die wir uns nahe kommen lassen, nicht am Blick, am Wort und der Gebärde erkennen, sondern am Schädelindex und den Proportionszahlen der Extremitäten“24. In einer mit der damals entstehenden philosophischen Anthropologie übereinstimmenden Perspektive – Voegelin erwähnt in diesem Zusammenhang Scheler, Plessner, Groethuysen, Jaspers und Heidegger – wird der Rassenbegriff auf das Verhältnis von Leib und Seele zurückgeführt: „Das Rassenproblem ist ein Teil des Leib-Seele Problems; das erste setzt zu seiner angemessenen Behandlung völlige Klarheit über das zweite voraus und damit über das Wesen des Menschen“25. Voegelin bezieht sich insbesondere auf Schelers Position, von der er den Versuch schätzt, die Trennung zwischen Physischem und Psychischem zu überwinden und den Menschen als ein Wesen zu betrachten, das Leib, Seele und Geist in sich vereint. Von Scheler greift Voegelin den Gedanken der Offenheit als wesentliches Merkmal des Menschen auf,

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wurde später von Hannah Arendt als „the best historical account of race thinking in the pattern of a ‚history of ideas‘“ bezeichnet. Vgl. dazu H. Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York: Harcourt, Brace 1951, S. 158. Voegelin, Rasse und Staat, S. 1. A.a.O., S. 1. Zur Bedeutung der Rassebücher in der politischen Wissenschaft Voegelins und zu ihrer Rolle innerhalb der Entwicklung seines Werkes vgl. die Beiträge von W. Petro­ pulos, Eric Voegelin: Die Rassenidee im Rahmen der politischen Wissenschaft, und von M.  Henkel, Anthropologische Grundlagen politischer Gemeinschaft. Wie Leibidee und Rassebegriff im Werk Eric Voegelins auftauchen und wiederverschwinden, in: M. Marino (Hg.), Körper, Leibideen und politische Gemeinschaft. „Rasse“ und Rassismus aus der Sicht der Philosophischen Anthropologie, Nordhausen: Traugott Bautz 2020, S. 67–83 und 85–112. Voegelin, Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, S. 23. Voegelin, Rasse und Staat, S. 8.

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der eine der Konstanten seiner anthropologischen Konzeption bleiben wird. Allerdings kritisiert er die Scheler’sche Theorie des Geistes, den diese Theorie seiner Meinung nach dem als Einheit von Leib und Psyche verstandenen Leben als ohnmächtig gegenüberstellt: „Der menschliche Geist tritt zur leibseelischen untermenschlichen Natur hinzu, um das Gesamtdasein des Menschen zu erfüllen – aber in dieser Addition von Teilen schnürt Scheler nun wieder den Geist gegen Leib und Seele noch schärfer ab als Descartes die Seele gegen den Mechanismus“26. In diesem Zusammenhang wird die Leibidee von Voegelin als staatstheoretische Grundidee angesehen, da die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen zu suchen sind. Die Analyse der Rasseidee hebt die politische Bedeutung von Ideen hervor und begründet damit die Perspektive einer politischen Anthropologie, die Ideen als menschliche und politische Phänomene untersucht und sie in ihrem Verhältnis zur Geschichte betrachtet. Andererseits hebt Voegelin mit Verweis auf Schelling die Existenz einer Verbindung zwischen Geschichte und Mythos hervor: Der Mythos ermöglicht es einer Gemeinschaft, sich zu strukturieren und das Bewusstsein ihrer eigenen Einheit zu finden, und er ermöglicht es einem Volk, zu leben und eine Geschichte zu haben. „Ein Volk sei nicht gegeben durch die räumliche Koexistenz einer Gruppe von Individuen; es werde nicht bloß zusammengehalten durch den gemeinsamen Betrieb von Ackerbau und Handel oder durch die gemeinsame Rechtsordnung, sondern durch die ‚Gemeinschaft des Bewusstseins‘, durch eine ‚gemeinschaftliche Weltansicht‘, eine gemeinsame ‚Mythologie‘“27. Diese Überlegungen zum Mythos öffnen den Raum für eine philosophische Untersuchung des religiösen Phänomens, seiner symbolischen, ideologischen und politischen Werte und seiner Implikationen in Bezug auf die Gemeinschaftsbildung. Dies ist das zentrale Thema des Aufsatzes Die politischen Religionen, in dem Voegelin, nach dem Vorbild einer Literatur, die exemplarisch durch das Buch Le Mystiques politiques von Louis Rougier repräsentiert wird, „ideological movements as a variety of religions“ betrachtet28. Dieser Aufsatz, 26

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A.a.O., S. 24. Vgl. dazu M. Marino, Rassenidee und Philosophische Anthropologie in den 1930er Jahren (Voegelin, Plessner, Gehlen). Historisch-kritische Vorbemerkung zur Ausarbeitung eines kritischen Potenzials der Philosophischen Anthropologie, in: Marino, Körper, Leibideen und politische Gemeinschaft, S. 27–66. Marino betont die Gemeinsamkeit zwischen dieser Stellungnahme Voegelins gegenüber Scheler und Gehlens Kritik an Schelers Auffassung des Geistes. Voegelin, Rasse und Staat, S.  149. Vgl. dazu L.  Franco, Storia e politica nella riflessione di Eric Voegelin, in: R. Racinaro (a cura di), Ordine e storia in Eric Voegelin, Napoli: Edizioni Scientifiche Italiane 1988, S. 143–153, hier S. 147. Vgl. auch Petropulos, Eric Voegelin, S. 73–75. Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 78.

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den Voegelin kurz vor der Emigration in die Vereinigten Staaten nach dem nationalsozialistischen Anschluss Österreichs verfasste, wurde vor allem als Analyse der religiösen Wurzeln der Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts und des historischen Phänomens des Totalitarismus gelesen. Ohne den Begriff Totalitarismus zu verwenden, betont Voegelin selbst im 1939 verfassten Vorwort zur zweiten, in Stockholm erschienenen Auflage des Aufsatzes diesen Aspekt, indem er ausdrücklich seine „Abneigung gegen jede Art von politischem Kollektivismus“29 bekundet. Neben den oben erwähnten theoretischen Erfahrungen ist die Entstehung des Aufsatzes, wie Voegelin in den Autobiographical Reflections erinnert, mit dem Interesse an Ideologien verbunden, die sich aus den „stimuli“ der damaligen politischen Situation ergeben: aus den Folgen der „recent Communist revolution in Russia“ und dem „rise of Fascism and National Socialism“30. Voegelins Aufmerksamkeit richtet sich dabei insbesondere auf das Verständnis des Nationalsozialismus als religiöses Phänomen im weiteren Sinne. Bedenkt man aber, dass nur ein Teil des vorletzten Kapitels den Massenbewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts gewidmet ist, und bedenkt man weiter, in welchem Sinne Voegelin vom Nazionalsozialismus als religiöses Phänomen redet, so kann man die Besonderheit seines Ansatzes und die Bedeutung seiner Studie verstehen. Sie gehört in den breiteren Zusammenhang eines Forschungsprogramms zu den „religiösen Implikationen politischen Denkens“, das, wie Peter J. Opitz hervorgehoben hat, mit den Studien zum Problem der Rasse geboren wurde und sich bis zu Order and History entwickeln wird31. Dieses Programm bildet eine Teilbehandlung eines umfassenderen Problems: das Problem des politischen Mythos und der „historischen Prozesse, in denen politische Ideen entstehen, wirksam werden und vergehen“32. Rückblickend zeigt Voegelin die Grenzen seines Aufsatzes auf, die seiner Meinung nach in der Unbestimmtheit des Begriffs der politischen Religionen bestehen und darin, durch diese Kategorie sehr unterschiedliche Phänomene vereint zu haben, etwa „the spiritual movement of Ikhnaton, the medieval theories of spiritual and temporal power, apocalypses, the Leviathan of Hobbes, and certain National Socialist symbolisms“33. Aus dieser Sicht erscheint Voegelins Rekonstruktion durch den typologischen Ansatz der damaligen Sozialwissenschaften bedingt, von dem er sich auch entfernen möchte, um die politischen 29 30 31 32 33

E. Voegelin, Die politischen Religionen, hg. von P.J. Opitz, München: Fink 2007, S. 5. A.a.O., S. 52. P.J. Opitz, Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten, in: Voegelin, Die politischen Religionen, S. 69–139, hier S. 75. A.a.O., S. 78. Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 78–79.

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Phänomene in ihrer Geschichtlichkeit zu erfassen. Es sollte jedoch beachtet werden, dass der Begriff der politischen Religion über diese Grenzen hinaus von Philosophen, Historikern und Soziologen des zwanzigsten Jahrhunderts auf fruchtbare Weise, wenn auch nicht ohne kontroverse Aspekte, verwendet wurde, zusammen mit ähnlichen Begriffen wie denen der Zivilreligion oder der weltlichen Religion34. Andererseits schlägt Voegelin durch die Analyse politischer Religionen einen ersten Versuch vor, sich dem Politischen in einer symbolischen Perspektive zu nähern. Er identifiziert dabei zwei Themen, die in seinen späteren Arbeiten zentral bleiben werden: Die moderne Politik erbt die Inhalte des christlichen Monotheismus und die Staatssymbole sind ein religiöser Ersatz; die politische Ordnung ist die weltliche Repräsentation einer transzendenten Ordnung. Im Mittelpunkt der Analyse von Die politischen Religionen stehen mehr als der Totalitarismus die tiefgreifenden Strömungen der europäischen Geschichte, die ihn verursacht haben. Das totalitäre Phänomen wird als Ausdruck einer geistigen Krise in der westlichen Welt gesehen, die ihre Ursache „in der Säkularisierung des Geistes, in der Trennung eines dadurch nur weltlichen Geistes von seinen Wurzeln in der Religiosität“ hat35. Um die Entstehung und die Durchsetzung des Nationalsozialismus zu verstehen, muss man daher der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik im Kontext der Säkularisierung nachgehen. Dieses Thema wurde in 34

35

Die Herangehensweise an politische Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts als religiöse Phänomene ist zentral in dem Buch von Emilio Gentile, Le religioni della politica. Fra democrazie e totalitarismi, Roma-Bari: Laterza 2007. Im weiten Feld der „Religionen der Politik“ unterscheidet Gentile die beiden grundlegenden Kategorien der „Zivilreligion“ einerseits und der „politischen Religion“ bzw. „säkularen Religion“ andererseits. Gentile (a.a.O., S. 3–7) bietet auch eine Rekonstruktion der Verwendung dieser Begriffe im Studium von Politik und Geschichte. In den sechziger Jahren verwendet der Soziologe Robert  N.  Bellah das Konzept der Zivilreligion in der Erforschung der amerikanischen politischen Kultur und bezieht sich dabei auch auf den Voegelinischen (und Jasper’schen) Begriff des „Achsenzeitalters“, während Jean-Pierre Sironneau in den frühen achtziger Jahren politische Religionen in Bezug auf das Thema der Säkularisierung betrachtet und dabei symbolische Aspekte des Nationalsozialismus und Kommunismus wie Mythos, Ritus und Glaube berücksichtigt. Für bibliographische Angaben zu diesem Thema vgl. Gentile, Le religioni della politica, S.  219–221. Zum Begriff der politischen Religion und ihrer Präsenz in der zeitgenössischen Diskussion in den Bereichen Geschichtsschreibung, Soziologie, politische Philosophie und Politikwissenschaft vgl. auch M.  Ley, H.  Neisser, G. Weiss, Politische Religion? Politik, Religion und Anthropologie im Werk von Eric Voegelin, München: Fink 2003. Ausführliche Überlegungen zur Verwendbarkeit des Begriffs „politische Religion“ in der Totalitarismusforschung finden sich in H. Maier (Hg.), Totalitarismus und politische Religion. Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. I, Paderborn et. al.: Schöning 1996; Bd. II, Paderborn et al.: Schöning 1997; Bd. III, Paderborn et al.: Schöning 2003. Voegelin, Die politischen Religionen, S. 6.

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den gleichen Jahren von Max Weber aufgegriffen, der gezeigt hatte, welche Bedeutung der religiöse Faktor auch in säkularisierter Form im gesellschaftlichen Leben und in der Geschichte spielen kann. Um dieser Problematik angemessen begegnen zu können, bedarf es jedoch einer Erweiterung sowohl des Religions- als auch des Staatsbegriffs. Einerseits muss der Religionsbegriff „nicht nur die Erlösungsreligionen, sondern auch jene anderen Erscheinungen“ umfassen, „die wir in der Staatsentwicklung als religiöse zu erkennen glauben“; andererseits muss man den Begriff des Staates daraufhin prüfen, „ob er wirklich nichts anderes betrifft als weltlich-menschlich Organisationsverhältnisse ohne Beziehung zum Bereich des Religiösen“36. Mit der Hinterfragung der Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Religion will Voegelin die moderne Auffassung kritisieren, die den Staat als profane Sphäre betrachtet, deren Genese mit einem Prozess der Selbstlegitimation verbunden wäre37. Seiner Meinung nach impliziert Politik auch in der Moderne einen Bezug auf die Dimension des Religiösen. Die moderne Auffassung, wonach der Staat das Fundament seiner Souveränität ist, setzt die „Dekapitation“ der Schöpfungsordnung voraus, mit der „das göttliche Haupt […] abgeschlagen“ wird und auf deren Grundlage „an die Stelle des welttranszendenten Gottes […] der Staat als die letzte Bedingung und der Ursprung seines eigenen Seins“ tritt38. Bei dieser Auffassung, die nach Voegelin in der Hegelschen Konzeption ihren Ausdruck findet, wird der Staat zu einer absoluten Macht, zu einem Mechanismus, der das Leben des Individuums in sich aufnimmt: Der Einzelne hat nicht mehr den Charakter einer „besonderen Person“, sondern den eines bloßen „Gliedes des Ganzen“39. Voegelin führt aus, wie politische Religionen in einer anthropologischen Dynamik verwurzelt sind. Dadurch, dass der Mensch seine Existenz als „kreatürlich und darum fragwürdig“40 erlebt, sucht er die Verbindung mit einer überpersönlichen Realität. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: „In allen Richtungen, in denen die menschliche Existenz zur Welt hin offen ist, kann das umgebende Jenseits gesucht und gefunden werden: im Leib und im Geist, im Menschen und in der Gemeinschaft, in der Natur und in Gott“41. Daraus ergibt sich eine unerschöpfliche Fülle an Erlebnissen, von denen einige 36 37 38 39 40 41

A.a.O., S. 12. Vgl. dazu S. Chignola, Filosofia ed esodo. Oltre la teoria politica, in: G. Duso (a cura di), Filosofia politica e pratica del pensiero. Eric Voegelin, Leo Strauss, Hannah Arendt, Milano: Franco Angeli 1988, S. 69–113. Voegelin, Die politischen Religionen, S. 13. A.a.O., S. 14. A.a.O., S. 15. A.a.O., S. 16.

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breiter und artikulierter, bis hin zur Gottesidee, andere eingeschränkter und begrenzter sind. In diesen letzteren Fällen sind dem Einzelnen nur „karge Blicke in die Wirklichkeit“ vergönnt und das Gesehene – etwa die Natur, ein großer Menschen, sein Volk, die Menschheit – „wird ihm zum Realissimum, zum Allerwirklichsten, es rückt an die Stelle Gottes, und verdeckt ihm dadurch alles andere – auch, und vor allem, Gott“42. Auf der Grundlage dieser Dynamik entwickelt Voegelin die Unterscheidung zwischen überweltlichen Religionen und innerweltlichen Religionen: „Wir müssen daher eine sprachliche Entscheidung fällen: die Geistreligionen, die das Realissimum im Weltgrund finden, sollen für uns überweltliche Religionen heißen; alle anderen, die das Göttliche in Teilinhalten der Welt finden, sollen innerweltliche Religionen heißen“43. Bei dieser zweiten Art von Religion bewirken die sakralen Symbole die „Vereinigung der menschlichen und politischen Sphäre mit dem Göttlichen“, was zu einer Vergöttlichung des Staates und der Politik führt. Nach der Beschreibung der Präsenz der Figur des Mittlers zwischen den Menschen und den Göttern im ägyptischen Pharao hebt Voegelin insbesondere drei Symbole hervor, die Hierarchie, die Ekklesia und die Apokalypse, und zeigt ihre Beständigkeit im Übergang vom Mittelalter zur Moderne. Die Hierarchie bildet „eine Grundform der Legitimierung der Herrschaft von Menschen über Menschen“, die „sich in Ausstrahlung von der göttlichen Spitze über die Hierarchie der Herrscher und Ämter bis hinunter zum letzten gehorchenden Untertan“ vollzieht44. Das Symbol der Ekklesia, das durch eine organische Analogie die Kirche zum mystischen Leib Christi macht, vereint in sich Hierarchie und Vermittlung und bildet die „Substanz“, die in ihren Umbildungen die „modernen innerweltlichen politischen Einheiten“ bestimmt45; darunter auch solche, die vom Corpus mysticum des Mittelalters weiter entfernt zu sein scheinen, wie die innerweltlich gewordenen Gemeinschaften, die Gleichheit und Brüderlichkeit aller ihrer Mitglieder anerkennen „und zwar auch dort, wo sich die Gemeinschaften und Bewegungen scharf antikirchlich und antichristlich einstellen bis zur Einführung einer neuen Staatsreligion, wie in der französischen Revolution“46. Durch das weitere Symbol der Apokalypse versuchte das Mittelalter, der geschichtlichen Entwicklung einen inneren Sinn zuzuschreiben. Zur vollen Reife kommt diese Deutung in der Lehre des dritten Reiches des Joachim von Fiore, wonach dem göttlichen 42 43 44 45 46

A.a.O., S. 16–17. A.a.O., S. 17. A.a.O., S. 29. A.a.O., S. 32. A.a.O., S. 34.

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Reich des alten Bundes das christliche folgt, um schließlich zum Reich des Heiligen Geistes zu gelangen. Das bildet einen Prozess der Vergeistigung, dank derer die Menschen geistig, brüderlich und in Armut leben können, ohne jegliche Zwangsordnung. Diese apokalyptische Vision mit ihren symbolischen Ausdrucksformen bildet „den geschichtstiefen Untergrund“, aus dem sich die apokalyptische Dynamik in den modernen politischen Religionen entwickelt. Deren Symbolik lebt fort „im Symbolismus des 19. und 20. Jahrhunderts, in den drei Reichen der Marx-Engels’schen Geschichtsphilosophie, im dritten Reich des Nationalsozialismus, im faschistischen dritten Rom, nach dem antiken und dem christlichen“47. Mit der Entstehung des modernen Staates im Zeitalter des Absolutismus zerfällt die Ekklesia in eine Vielzahl staatlicher Teilgemeinschaften und Hobbes ist „der große Theologe der partikulären gottesunmittelbaren Ekklesia“48. Der wesentliche Aspekt, den Voegelin im Leviathan-Symbol hervorhebt, ist nicht der Kontraktualismus, sondern der Prozess, durch den die gestaltlose Vielzahl der Menschen zur Einheit des Commonwealth wird, das im Souverän seinen Persönlichkeitsträger findet. An dieser Stelle ergibt sich eine Analogie zwischen der Hobbes’schen Theorie und dem christlichen Symbol des Corpus mysticum, zwischen der innerweltlichen Ekklesia der einzelnen Nationen und der Ekklesia des Paulus, da der Souverän der Vielzahl in gleicher „symbolischmystischer“ Weise Einheit verleiht wie das Pneuma der Ekklesia Einheit verleiht49. In Hobbes’ Auffassung und überhaupt in der englischen reformierten Welt bleibt daher ein Bezug zur Transzendenz offen: Jüdische Theokratie ist mit dem nationalen Bewusstsein im Symbol der sakralen Person der Gemeinde verbunden; dieses Symbol, verstanden als Vermittler des Willens Gottes an das Volk, weist Züge auf, die denen der Reichsreligion des Echnaton entsprechen. Dieser Bezug zur Transzendenz verschwindet in späteren Entwicklungen, die zur Bildung einer ganzheitlich innerweltlichen Gemeinschaft führen, in der die Ekklesia „nicht mehr sakral von der obersten Quelle her durchströmt“, „sondern […] selbst ursprüngliche sakrale Substanz geworden“ ist50. Auf der Grundlage einer radikalen Immanentisierung des Wissens wird der Inhalt der Welt bis zum Verbergen der Welt und Gottes vergrößert. Es entsteht eine neue innerweltliche Religiosität und mit ihr eine neue Symbolik, deren vermeintlicher Wissenschaftscharakter im Ausschluss alles Weltüberschreitenden besteht. Die „innerweltliche Kollektivexistenz“ rückt an die Stelle Gottes und 47 48 49 50

A.a.O., S. 40. A.a.O., S. 43. A.a.O., S. 44. A.a.O., S. 49.

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die Person wird zum Instrument im Dienst des „sakralen Weltinhaltes“51. „Die Erzeugung des Mythus und seine Propaganda durch Zeitung und Rundfunk, die Reden und Gemeinschaftsfeiern, die Versammlungen und das Marschieren, die Planarbeit und das Sterben im Kampf sind die innerweltlichen Formen der unio mystica“52. Als Folge der Enthauptung Gottes wird die Gemeinde zur einzigen Legitimationsquelle für die Gemeinschaftsperson. Diese definiert sich als Auftrag des eigenen Persönlichkeitsträgers oder des Führers, in dem der Volksgeist voll zum Ausdruck kommt und der in die geschichtliche Wirklichkeit einbricht. 3.

Symbol, Politik und Geschichte

Nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten im Jahr 1938 erhielt Voegelin das Angebot, eine History of Political Ideas zu schreiben. Während der Arbeit an diesem Werk, dessen Dimensionen im Laufe der Zeit gegenüber den ursprünglich vorgesehenen erheblich zunehmen, wird Voegelin mit einem Problem konfrontiert, das in seinen früheren Studien offen geblieben war, dem der Beziehung zwischen Ideen und Symbolen. 1945, als das Werk abgeschlossen zu sein scheint, stößt Voegelin bei der Arbeit an den Kapiteln über Vico und Schelling auf jene Mythentheorie, deren Bedeutung sich ihm bereits in den 1930er Jahren erschlossen hatte. Dank der Lektüre von Schellings Philosophie der Mythologie erkennt Voegelin, dass die traditionelle Konzeption einer „history of ideas“ eine „ideological deformation of reality“ darstellt, sofern diese Ideen nicht in „symbols of immediate experience“ zum Ausdruck kommen53. Voegelin spricht nach diesem Wechsel nicht mehr von „political ideas“, sondern von „experiences of reality“54. Von diesem Moment an stehen nicht mehr politische Ideen im Mittelpunkt seiner Analysen, sondern die Symbole und Symbolsysteme, durch die Menschen im Laufe ihrer Geschichte ihre Erfahrungen ausgedrückt haben. Der Übergang von der Ideengeschichte zu den durch Symbole artikulierten Erfahrungen wird eine Umgestaltung des Geschichtsbegriffs implizieren, der aus der Ideengeschichte heraus zur konkreten Geschichtlichkeit menschlicher Existenz wird55. Die Notwendigkeit, die menschliche 51 52 53 54 55

A.a.O., S. 54. A.a.O., S. 55. Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 90. A.a.O., 104–105. Für eine detaillierte Analyse des historischen Zusammenhangs, in dem sich dieser Übergang entwickelt und ihrer grundlegenden theoretischen Aspekte, vgl. N.  Scotti  Muth, „Dovetti abbandonare le idee per far posto all’esperienza della realtà“. Motivazioni e

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Wirklichkeit in ihren symbolischen Äußerungen zu erforschen, führt daher zur Unterbrechung der Arbeit an der Geschichte der politischen Ideen und zur Eröffnung eines neuen Forschungshorizonts, in dem das Verhältnis von Symbol und Repräsentation, das in The New Science of Politics thematisiert wird, und das Verhältnis zwischen Symbol, Geschichte und Sein, um das sich Order and History bewegt, die tragenden Achsen bilden. Auf diese Weise entwickelt sich Voegelins Position in Richtung einer politischen Philosophie, die auf einer philosophischen Anthropologie und einer Hermeneutik der Symbole beruht56. Die „neue“ politische Wissenschaft, die Voegelin aufbauen will, stellt sich als Wiederherstellung des Bewusstseins für die Prinzipien dar, die die politike episteme der Antike, insbesondere die von Platon und Aristoteles57, charakterisierte, und enthält in ihrer Benennung eine Anspielung auf die „neue Wissenschaft“ von Giambattista Vico58. Sie entspricht der Absicht, eine Untersuchung der menschlichen Welt zu begründen, die eine dem Positivismus entgegengesetzte Vorstellung von Wissenschaftlichkeit durchsetzt. Einen positivistischen Charakter, so Voegelin, hat auch Max Webers Ansatz, indem er die These nach der Wertfreiheit der Wissenschaft vertritt und sowohl die Kriterien für die Auswahl von Studienmaterialien als auch solche, die eine Verantwortungsethik motivieren können, ausschließt. Gegen die Annahme naturwissenschaftlicher Methoden als allgemein gültige methodische Kriterien stellt Voegelin den aristotelischen Gedanken auf, dass die Methode an den Untersuchungsgegenstand angepasst werden muss. Von Vico beeinflusst ist die Absicht, eine anthropologische Philosophie zu entwickeln, die die menschliche Erfahrung in ihrer ganzen historischen und psychischen Breite und Tiefe betrachtet, sowie das Interesse an den Ursprüngen der Menschheit, die Neubewertung von Symbolen und Rhetorik. die Hervorhebung der Beziehung zwischen Philosophie

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circostanze di un ripensamento sulla storia, in: N.  Scotti  Muth (a cura di), Prima della filosofia. Dinamiche dell’esperienza nei regni dell’Oriente antico e in Israele, Milano: Vita e Pensiero 2012, S. 71–112. Vgl. dazu Gontier, Voegelin, S. 47–82. Laut  G.  Duso, La rappresentanza politica. Genesi e crisi del concetto, Milano: Franco Angeli 2003, S. 220, findet sich bei Voegelin „eine Deutung, die die wesentliche Einheit der Grundhaltung der beiden Philosophen erfasst“: Platons Philosophie werde als „Weg der Seele“ verstanden und Aristoteles’ Begriffe als Symbole, also als Bilder der seelischen Erfahrung und nicht als Inhalte einer objektiven Erkenntnis, die die Begriffe Erkenntnis und Gegenstand im modernen Sinne versteht (eigene Übersetzung). Zu Voegelins Idee einer „neuen Wissenschaft“ vgl. G.F. Lami, Introduzione a Eric Voegelin. Dal mito teo-cosmogonico al sensorio della trascendenza: la ragione degli antichi e la ragione dei moderni, Milano: Giuffrè 1993, S. 127–150.

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und Mythos59. Von Platon, aber auch von Bergson, sind die Ideen beeinflusst, dass der Mensch ein dem Göttlichen offenes Wesen ist, dass das Bewusstsein der Ort ist, an dem der Mensch dem Göttlichen begegnet und wo Geschichte gemacht wird und dass das Symbol die Teilhabe des Menschen an der Ordnung ausdrückt. In den Worten von Nicola Matteucci: „Damit ist die Anthropologie in eine umfassendere Kosmologie eingebettet, wobei das bewusste Subjekt nur dann am Leben des Ganzen teilhaben kann, wenn es die Urkräfte des Kosmos zu verstehen weiß, die sich in den Tiefen seiner Seele regen“60. In prägnanter Weise kommt diese Auffassung in den einleitenden Worten von Order and History zum Ausdruck: „God and man, world and society form a primordial community of being“61. Der Begriff der Offenheit der Seele, die in Voegelins Anthropologie konstant bleibt, findet ihren Ausdruck im platonischen Begriff des metaxy und im Begriff der reinen Erfahrung von William James: „In developing his concept of pure experience, James put his finger on the reality of the consciousness of participation, inasmuch as what he calls pure experience is the something that can be put into the context either of the subject’s stream of consciousness or of objects of the external world. This fundamental insight of James identifies the something that lies between the subject and object of participation as the experience. Later I found that the same type of analysis had been conducted on a much vaster scale by Plato, resulting in his concept of the metaxy − the In-Between“62. Beide Begriffe identifizieren einen Zwischenbereich zwischen dem Subjekt und den Objekten als Erfahrung: „The experience is neither in the subject nor in the world of objects but In-Between, and that means InBetween the poles of man and the reality that he experiences“63. Im Gegensatz zu Husserl, dessen Bewusstseinskonzept seiner Meinung nach auf dem der Wahrnehmung von Objekten beruht und der damit die Philosophie auf eine Erkenntniskritik beschränkt, sieht Voegelin die philosophische Haltung darin, Partizipationserfahrungen in unterschiedlichen Bereichen der Realität zu erforschen, diesseits der Trennung von Subjekt und Objekt. In diesem Sinne 59 60 61 62 63

Vgl. G.  Ballacci, Eric Voegelin e Giambattista Vico. Una lettura retorica, in: G.F.  Lami (a cura di), Lo stato degli studi voegeliniani. A cinquant’anni dalla pubblicazione di Ordine e storia, Milano: Franco Angeli 2011, S. 182–214. N. Matteucci, Eric Voegelin e il ritorno a Platone, in: N. Matteucci, Filosofi politici contemporanei, Bologna: Il Mulino 2001, S. 115–143, hier S. 122 (eigene Übersetzung). E. Voegelin, Order and History. Vol. 1: Israel and Revelation, in: E. Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 14: Order and History. Vol. 1: Israel and Revelation, ed. by M.P. Hogan, Columbia et al.: University of Missouri Press 2001, S. 15–606, hier S. 39. Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 98. A.a.O., S. 98.

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kann seine Ansicht als Radikalisierung von Husserls Kritik am neuzeitlichen Objektivismus gelesen werden64. Insofern er einer politischen Gesellschaft angehört, ist der Mensch ein geschichtliches Wesen. Das bedeutet, dass Politikwissenschaft zugleich Geschichtstheorie sein muss, die mit den Deutungen zu tun hat, die der Mensch in seinem konkreten Leben von sich gegeben hat. „For man does not wait for science to have his life explained to him, and when the theorist approaches social reality he finds the field pre-empted by what may be called the self-interpretation of society“65. Die Gesellschaft ist „a little world, a cosmion, illuminated with meaning from within by the human beings who continuously create and bear it as the mode and condition of their self-realisation“66. Die Bedeutungsdimension, die ihm der Einzelne zuschreibt, ist somit zentral für das gesellschaftliche Leben der Menschen. Die Bedeutung, die die Individuen der Gesellschaft beimessen, wird immer durch Symbole ausgedrückt: „this symbolism illuminates it [die Gesellschaft, M.M.] with meaning in so far as the symbols make the internal structure of such a cosmion, the relations between its members and groups of members, as well as its existence as a whole, transparent for the mistery of human existence“67. Die Ordnungserfahrung, die zugleich existentielle politische Ordnung und Seinsordnung ist, ist somit gesellschaftskonstitutiv und drückt sich in Symbolen aus, die sowohl von der Gesellschaft in ihren Selbstverständigungsversuchen hervorgebracht werden können, als auch von der Wissenschaft. Daher die zentrale Bedeutung des Themas „Repräsentation“: Sie bildet „the central problem of a theory of politics“ und ist „the form by wich a political society gains existence for action in history“68. Wenn die Realität der Erfahrung selbstinterpretierend ist und wenn die Erfahrungen der Realität nur durch ihren Ausdruck in Symbolen untersucht werden können69, so muss sich die Analyse auf die Erforschung der Symbole erstrecken, durch die sich politische Gesellschaften als Vertreter einer transzendenten Wahrheit selbst interpretieren. In diesem Sinne, schließt Voegelin, 64 65 66 67 68 69

Vgl. dazu R. Racinaro, Tempo ed eternità in Eric Voegelin, in: Racinaro (a cura di), Ordine e storia in Eric Voegelin, S. 167–180, hier S. 171. E. Voegelin, The New Science of Politics. An Introduction, in: E. Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 5: Modernity without Restraint, ed. by M. Henningsen, Columbia et al.: University of Missouri Press 2000, S. 75–241, hier S. 109. A.a.O., S. 109. A.a.O., S. 109. A.a.O., S. 88. Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 106: „the reality of experience is self-interpretive. The men who have the experiences express them through symbols, and symbols are the key to understanding the experiences expressed“.

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„an inquiry concerning representation, if its theoretical implications are unfolded consistently, will in fact become a philosophy of history“70. Repräsentation ist laut Voegelin nicht nur die empirische Dimension der Interessenvertretung oder die konstitutionelle Dimension der Organisation und Legitimation von Macht, sondern als Selbstrepräsentation einer Gesellschaft die Existenzbedingung einer politischen Ordnung71. Voegelin identifiziert vier Formen der Repräsentation, die in der historischen Realität eng miteinander verflochten sind und die nur die philosophische Analyse unterscheiden kann: Repräsentation im deskriptiven Sinne, die mit institutionellen Repräsentationsformen verbunden ist; Repräsentation im existentiellen Sinne, die in der Fähigkeit einer Regierung besteht, die Idee der Institution zu verwirklichen, und die das Element ist, das es einer Gesellschaft ermöglicht, sich historisch zu artikulieren und zu existieren; Repräsentation der Wahrheit; transzendentale Repräsentation72. Diese Repräsentationsformen werden von Voegelin auf konkrete Gesellschaften und historische Situationen bezogen. Während Repräsentation im deskriptiven Sinne in liberalen demokratischen repräsentativen Institutionen stattfindet, bieten laut Voegelin die Institutionen der UdSSR ein Beispiel für Repräsentation im existenziellen Sinne, die zwar nicht das Volk, aber den Sowjetstaat repräsentieren (dies bedeutet jedoch nicht, dass die Repräsentation im existentiellen Sinne mit totalitären Staaten zusammenfällt, da jede Repräsentation nach Voegelin immer existentiell ist, d.h. den Handlungswillen einer bestimmten historischen Gesellschaft repräsentiert). Wenn die Idee, die repräsentiert wird, ganz in Immanenz getaucht ist, wie es im imperialen China oder der UdSSR der Fall ist, oder in Gesellschaften, die glauben, die kosmische Ordnung und Wahrheit unmittelbar zu repräsentieren und sich daher absolut legitimiert fühlen, dann haben wir es mit einem kompakten und grundsätzlichen totalitäre Repräsentationsform zu tun. Wo hingegen, wie in den Gesellschaften Israels, des antiken Griechenlands und des christlichen Mittelalters, die Geschlossenheit des Seins, die die östlichen Zivilisationen charakterisiert, zusammenbricht, wird zuerst eine „anthropologische“ und dann eine „soteriologische“ Wahrheit bejaht, die das Fundament der Gesellschaft in der Beziehung zum Göttlichen identifiziert. Vor dem Hintergrund der kosmologischen Ordnung entsteht mit Israel die geschichtliche Erfahrungsform, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine Antwort auf die Offenbarung ist, 70 71 72

Voegelin, The New Science, S. 88. Dazu und zum Voegelinschen Repräsentationsbegriff vgl. C. Galli, Contingenza e necessità nella ragione politica moderna, Roma-Bari: Laterza 2009, S. 211–220. Diese vier Repräsentationskonzepte werden in den ersten beiden Kapiteln von The New Science, „Representation and Existence“ und „Representation and Truth“, erörtert.

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und im antiken Griechenland die philosophische Erfahrungsform73. Durch die Analyse der unterschiedlichen Repräsentationsformen und der unterschiedlichen Artikulationen der Ordnung in der Geschichte verdeutlicht Voegelin daher eine Veränderung, in deren Mittelpunkt die Psyche als „Sensorium der Transzendenz“74 steht, die durch einen „Sprung ins Sein“ (leap in being), entsteht75. In diesem Sprung eröffnet sich eine „noetische“ Spannung zur Transzendenz, die den Menschen zu einem Selbstverständnis im „Seinsdrama“76 führen lässt. Diese Offenheit und Beziehung zur Transzendenz bedeutet, dass Transzendenz, obwohl sie von der Geschichte abwesend ist und nicht mit ihr zusammenfällt, „gerade in dieser Spannung aktiv und bewusst“77 ist, und dies schließt jede totalitäre Schließung der Gesellschaft und jeden Anspruch auf Identifikation mit der Wahrheit aus. Mit den Worten von Carlo Galli lässt sich also sagen, dass „das Wesen der Repräsentation […] gerade darin zu liegen scheint, dass sie diese Art ‚zerstörungsfreier Kritik der Endlichkeit‘ in sich trägt; dass sich in ihr die prinzipielle Untrennbarkeit und zugleich der prinzipielle Unterschied zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen Politik und Idee zeigt“78. Der Sieg des Christentums im Kampf zwischen den verschiedenen Arten von Wahrheit, die im römischen Reich vorhanden sind, führt zu einer Entgöttlichung der weltlichen Macht: „The spiritual destiny of man in the Christian sense cannot be represented on earth by the power organization of a political society; it can be represented only by the church. The sphere of power 73

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Voegelin, Order and History. Vol. 1, S. 21. Vgl. E. Voegelin, Order and History. Vol. 2: The World of the Polis, in: E. Voegelin: The Collected Works of Eric Voegelin. Vol. 15: Order and History. Vol. 2: The World of the Polis, ed. by A. Moulakis, Columbia et al.: University of Missouri Press 2000, S. 53–477, hier S. 67. Voegelin, The New Science, S. 147–148: „The precise nature of this many-sided problem [d.h. das Problem des Verhältnisses zwischen Repräsentation in existentiellen Sinn und Repräsentation der Wahrheit, M.M.], furthermore, came historically into the range of reflective consciousness through the discovery of the psyche as the sensorium of trascendence“. Für den Begriff des Seinssprungs bezieht sich Voegelin auf Kierkegaard. Vgl. dazu Voegelin, Autobiographical Reflections, S. 105: „I used, at the time, the term leap in being, taking the term leap from Kierkegaard’s Sprung“. Voegelin, Order and History. Vol. 1, S. 39. Galli, Contingenza e necessità nella ragione politica moderna, S. 214 (eigene Übersetzung). A.a.O., S. 217 (eigene Übersetzung). Diese Auffassung von Repräsentation unterscheidet sich von der Auffassung Carl Schmitts. Voegelin schätzt den Versuch Schmitts, eine Kategorie zu finden, die es ermöglichen würde, die Formen der Einheit eines Volkes zu verstehen. Er kritisiert jedoch seinen formalen und nicht-transzendenten Ansatz, der die Repräsentation auf den Horizont der Immanenz beschränkt. Vgl. E.  Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer Staatstheoretischen Prinzipien, Zeitschrift für öffentliches Recht, XI (1931), S. 89–109.

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is radically de-divinized; it has become temporal“79. Diese Entgöttlichung besteht aus dem historischen Prozess, durch den die polytheistische Kultur verkümmert und die Gesellschaft auf der Grundlage der Erfahrung von Transzendenz und überirdischer Erlösung neu geordnet wird. Bereits im Spätmittelalter entwickeln sich jedoch Tendenzen, die nach dem Aufgeben millenaristischer Perspektiven durch die Kirche und deren Ersetzung durch die Vorstellung eines zu erwartenden Heils am Ende der Zeit zu einer Immanentisierung des christlichen Eschatons führen; sie identifizieren politische Ordnung, Geschichte und Wahrheit und beseitigen so jegliche Spannung zur Transzendenz. Voegelin betont, dass diese Wiedervergöttlichung jedoch nicht in einer Wiederbelebung des Polytheismus im griechisch-römischen Sinne bestehe, da sie ihren Ursprung im Christentum selbst habe und sich von Komponenten ableite, die von der Weltkirche als Häretiker unterdrückt worden seien. Beispielhaft ist in dieser Hinsicht der Gegensatz zwischen den Vorstellungen der Geschichte des hl. Augustinus und Joachim von Fiore. Während Augustinus glaubt, dass sich der Gottestaat und der irdische Staat erst mit dem Jüngsten Gericht unterscheiden werden, wendet Joachim das Symbol der Trinität auf die Geschichte an und stellt damit die Voraussetzungen für eine Wiedervergöttlichung der Gesellschaft. Damit schafft Joachim den Symbolkomplex auf dessen Grundlage die Neuzeit Politik und Geschichte interpretieren wird80. Durch die Symbole des dritten Reichs, des Führers, des gnostischen Propheten und der Bruderschaft autonomer Personen, und durch seine Geschichtsphilosophie, die versucht, ein Eidos oder einen Sinn der Geschichte zu identifizieren, legt Joachim die Grundlagen der Philosophie und Politik, die die Moderne beherrschen und die Voegelin nun als „gnostische“ definiert. Aus seiner Sicht werden diese Tendenzen exemplarisch verkörpert durch die Philosophien von Hegel, Marx, Comte und Nietzsche und durch die verschiedenen Formen des Progressivismus, Utopismus und revolutionären Aktivismus, aus denen die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts hervorgehen werden81. 79 80 81

Voegelin, The New Science, S. 174. Zum Gegensatz zwischen den Auffassungen der Geschichte des hl. Augustinus und Joachim von Fiore vgl. A. Del Noce, Eric Voegelin e la critica dell’idea di modernità, in E. Voegelin, La nuova scienza politica, übers. von R. Pavetto, Roma: Borla 1999, S. 7–28. Die Analyse dieser Aspekte der Moderne findet sich im vierten, fünften und sechsten Kapitel von The New Science of Politics unter den Titeln „Gnosticism: the Nature of Modernity“, „Gnostic Revolution: the Puritan Case“ und „The End of Modernity“. Diese Fragestellung wird von Voegelin in den Aufsätzen Wissenschaft, Politik und Gnosis (1959) und Ersatz Religion: The Gnostic Mass Movements of Our Time (1960) entwickelt. Laut Voegelin ist im modernen Gnostizismus mit der Resakralisierung der Gesellschaft die Tendenz korreliert, den Menschen zu vergöttlichen. Hier erwähne ich einige der von Voegelin zitierten

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Insbesondere aus Joachim von Fiores Versuch, ein eidos der Geschichte zu identifizieren, leitet sich die Immanentisierung des christlichen Eschatons ab. Aber diese Immanentisierung, die aus einer Hypostasierung der christlichen Transzendentalerfüllung hervorgeht, ist ein theoretischer Irrtum, da der Verlauf der Geschichte als Ganzes kein Gegenstand der Erfahrung ist. „The meaning of history, thus, is an illusion; and this illusionary eidos is created by treating a symbol of faith as if it were a proposition concerning an object of immanent experience“82. Auch Hobbes wird von Voegelin in den Rahmen des neuzeitlichen Gnostizismus gestellt. Einerseits will Hobbes mit seiner Repräsentationstheorie das Problem der politischen Ordnung neu formulieren, um die zerstörerischen Wirkungen des Gnostizismus der Puritaner einzudämmen; er macht damit das Christentum zu einer Art „english theologia civilis in the Varronic sense“83. Andererseits scheint Hobbes, insofern er die Autorität des Christentums aus der „governmental sanction“ ableitet, jeden Bezug auf die Wahrheit der Seele und jede Offenheit zur Transzendenz auszuschließen und die politische Ordnung mit der konstituierten Ordnung der Gesellschaft zu identifizieren84. In diesem Sinne steht Hobbes’ politische Philosophie im Einklang mit der Perspektive des modernen Gnostizismus, der in Voegelins Augen die Suche nach einer zivilen Theologie darstellt, die, sofern sie das Christentum abschaffen will, die Wahrheit der Seele und ihre Offenheit zur Transzendenz zerstört. Das hat politische Konsequenzen, die ihre jüngste Manifestation im zeitgenössischen Totalitarismus haben: „As a consequence [der radikaleren Immanentisierung des christlichen Eschatons, M.M.], wherever gnostic movements spread they distroyed the truth of the open soul; a whole area of differentiated reality that had been gained by philosophy, and Christianity was ruined. […]

82 83 84

Forschungen in Bezug auf das Problemfeld Gnostizismus: Abendländische Eschatologie von Jacob Taubes, Meaning in History von Karl Löwith, Theologie der Geschichte und Prometheus von Hans Urs von Balthasar, Gnosis und spätantiker Geist von Hans Jonas, Le drame de l’humanisme athée von Henri de Lubac, L’Homme révolté von Albert Camus und The Pursuit of the Millennium von Norman Cohn. Del Noce, Eric Voegelin e la critica dell’idea di modernità, S. 18, 20, weist auf Voegelins fehlenden Unterschied zwischen der alten Gnosis und der neuen Gnosis hin: Während die erstere eine „Position der Wahrheit“ war, entsteht die zweite „zur Befriedigung eines praktischen Bedürfnisses“, was einen qualitativen Unterschied der beiden Gnosen bedingt: „als nachchristliche muss die neue Gnosis dem Menschen die schöpferische Kraft zuschreiben“ (eigene Übersetzung). Für eine Problematisierung des Voegelinschen Gnosis-Begriffs vgl. E. Webb, Voegelin’s Gnosticism Reconsidered, The Political Science Reviewer, XXXIV (2005), S. 48–76. Voegelin, The New Science, S. 185–186. A.a.O., S. 214. A.a.O., S. 215.

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This repression of the authoritative source of order in the soul is the cause of the bleak atrocity of totalitarian governments in their dealings with individual human beings“85. Im Gegensatz zu den immanentistischen Tendenzen der Moderne ist das Bewusstsein bzw. die Seele in Voegelins Denken zugleich der Ort, an dem die Probleme der menschlichen Ordnung in Gesellschaft und Geschichte entstehen und das Zwischen, in dem die Spannung zwischen dem zeitlichen Sein des Menschen und dem ewigen Sein angesiedelt ist: „Ewiges Sein verwirklicht sich in der Zeit“86. Aus diesem Grund bildet die Philosophie des Bewusstseins den wesentlichen Kern der politischen Philosophie und der Philosophie der Geschichte. Die für das Bewusstsein konstitutive Einfügung in die Geschichte und die Tatsache, dass die Ordnung der Geschichte aus der Geschichte der Ordnung hervorgeht87, machen allerdings die geschichtsphilosophische Dimension zentral. Da diese Ordnung nicht nur die politische und soziale Ordnung, sondern auch die transzendentale Seinsordnung ist, sind politische Philosophie und Philosophie der Geschichte in der ontologischen Fragestellung eingebettet, die ihrerseits kein rein theoretisches Unternehmen ist, sondern eine Art und Weise der menschlichen Existenz: „The Logos of being is the object proper of philosophical inquiry; and the search for truth concerning the order of being cannot be conducted without diagnosing the modes of existence in untruth. The truth of order has to be gained and regained in the perpetual struggle against the fall from it; and the movement toward truth starts from a man’s awareness of his existence in untruth“88. Der Versuch, einen Sinn in der menschlichen Geschichte zu finden, wird dadurch ermöglicht, dass jede Gesellschaft die Aufgabe hat, in ihren konkreten Lebensumständen eine Ordnung zu schaffen, die ihrer Existenz Sinn, d.h. göttliche und menschliche Ziele gibt. Geschichte wird also verständlich, wenn sie als Kampf um die Bejahung von Ordnung und Wahrheit gelesen wird. Da die Gesellschaftsordnung zum menschlichen Leben gehört, und da diese Ordnung das Sediment eines jahrtausendealten Ringens um ihre Wahrheit ist, hat historische Forschung keinen antiquarischen Charakter, sondern zielt auf das Verständnis der Gegenwart: „Order and History should be read, not as an attempt to explore curiosities of a dead past, but as an inquiry into the structure of the order in which we live 85 86 87 88

a.a.O., S. 221. E. Voegelin, Ewiges Sein in der Zeit, in: E. Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München: Piper 1966, S. 254–280, hier S. 254. Voegelin, Order and History. Vol. I, S. 19: „The order of history emerges from the history of order“. A.a.O., S., S. 24.

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presently“89. Voegelins Philosophie, in der das Systematische und das Historische eng miteinander verwoben sind, zielt darauf ab, ein Verständnis der Ordnungsstruktur der Gegenwart und der sie charakterisierenden „Pneumopathologie“90 zu wecken. Damit stellt sie den unzeitgemäßen Versuch dar, in der heutigen Welt das Problem der Ordnung neu zu stellen und den Wert der Transzendenzerfahrung zu bejahen91. In dieser Perspektive soll der Verweis auf die Transzendenz gleichzeitig eine undogmatische Haltung gegenüber dem Heiligen, eine kritische Beziehung der philosophischen Theorie zur politischen Form und eine offene Auffassung der Geschichte bewahren. Denn weit davon entfernt, sich in Übereinstimmung mit einem eidos bzw. mit einer vorbestimmten Bedeutung zu schließen, „the course of history extends into the unknown future“92.

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Part III Selected Book Reviews

Review of „Mario Marino (ed.), Körper, Leibideen und politische Gemeinschaft. ‚Rasse‘ und Rassismus aus der Sicht der Philosophischen Anthropologie, Nordhausen: Verlag Traugott Bautz, 2020“ Massimo Mezzanzanica Der Versuch, eine philosophische Anthropologie zu entwickeln, die in der Lage sei, die menschliche Erfahrung in ihrer ganzen Breite und Konkretheit zu verstehen und die somit ein grundlegendes Element einer nicht-positivistischen Ordnungswissenschaft sein könne, ist ein konstantes Merkmal von Voegelins Werk. Aus diesem Grund mag ein Vergleich zwischen Voegelins Denken und der Philosophischen Anthropologie von Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen interessant sein. Der Analyse dieser historisch-systematischen Konstellation widmen sich die in diesem Band versammelten Beiträge, die auf die Konferenz zum Thema „Leib, Körper, Gemeinschaft und die Krise der Moderne. Philosophische Anthropologie zu altem und neuem Rassismus“ zurückgehen, die in München im Oktober 2013 von der Helmuth-PlessnerGesellschaft, der Eric-Voegelin-Gesellschaft und dem Geschwister-SchollInstitut für Politikwissenschaft veranstaltet wurde. Die Tagung, an der Politikwissenschaftler, Philosophen, Soziologen, Wissenschafts- und Philosophiehistoriker teilnahmen, geht auf die Initiative von Mario Marino zurück, einem anerkannten Spezialisten für die Anthropologien von Herder und Gehlen. In einem Artikel aus dem Jahr 2013, der in diesem Band wiederveröffentlicht wird, hat Marino auf die Bedeutung der Konstellation hingewiesen, die aus Voegelins Buch Rasse und Staat von 1933 und aus den beiden zeitgleich erscheinenden positiven Besprechungen dieses Buches von Helmuth Plessner und Arnold Gehlen gebildet wird. Wichtig sind in diesem Zusammenhang, neben dem anthropologisch-philosophischen Ansatz Max Schelers in der Stellung des Menschen im Kosmos, auf dem sich die Perspektive von Rasse und Staat bezieht, auch Voegelins Buch Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, (1933) die von Plessner 1937 in Groningen gehaltene Antrittsvorlesung Die Aufgabe der philosophischen Anthropologie sowie Gehlens grundlegendes systematisches Werk Der Mensch und seine Fragmenten zu einer „Philosophie des Nationalsozialismus“, die er 1933 ausgearbeitet und 1934 aufgegeben hat. Ausgehend von der Analyse dieser historisch-systematischen Konstellation rekonstruiert der Tagungsband in philologisch fundierter Weise

© Brill Fink, 2023 | doi:10.30965/9783846767535_013

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wichtige Aspekte der Debatte zu Rassenidee, Rassismen und Rassentheorien im Horizont der Philosophischen Anthropologie. Er verdeutlicht damit die Rolle, die Voegelin in dieser Debatte spielt, und leistet zugleich einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des noch wenig untersuchten Verhältnisses zwischen Voegelin und der deutschen Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts. Zu den Beiträgen, die den Anthropologien von Voegelin, Plessner und Gehlen gewidmet sind (von Joachim Fischer, Mario Marino, William Petropulos, Michael Henkel, Wolfgang Bialas, Walter Seitter und Karl-Siegbert Rehberg; aus Platzgründen muss sich diese Besprechung auf einige dieser Beiträge beschränken) kommen zwei Texte hinzu, die sich mit der Rassenthematik in der Anthropologie Erich Rothackers und der Rolle des Rassenbegriffs in der Medizinethik des Nationalsozialismus befassen (Guillaume Plas und Florian Bruns). Der Band endet mit einem Beitrag von Ugo Balzaretti, der die Positionen von Voegelin und Foucault aus biopolitischer und symbolischer Perspektive vergleicht. Der Beitrag von Marino erklärt die Bedeutung des Themas Rasse in der philosophischen Anthropologie und stellt den Forschungsstand zum Verhältnis zwischen Voegelin und der deutschen Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts dar. Angesichts der zentralen und kontroversen Stellung des Rassengedankens in der westlichen Anthropologie seit Mitte des 18. Jahrhunderts (man denke z.B. an die Herder-Kant-Forster-Kontroverse um die Anwendung und Bestimmung des Rassenbegriffs) ist es fast unmöglich, so Marino, die Geschichte des modernen anthropologischen Denkens zu behandeln, ohne den Themenkomplex von Rasse und Rassismus zu erörtern. Die politischen und menschlichen Implikationen des Themas Rasse in der deutschen Geschichte in der Zwischenkriegszeit und das mögliche Wiederaufleben verschiedener Formen von Rassismus in der aktuellen Welt machen das Rassethema zu einem geeigneten Thema für eine Überprüfung des kritischen Potenzials der Philosophischen Anthropologie. Unter Bezugnahme auf einige der wenigen Studien, die sich mit dem Verhältnis zwischen Voegelin und der deutschen Philosophischen Anthropologie befasst haben, nämlich die von William Petropulos und Joachim Fischer, identifiziert Marino zwei Themenkomplexe: den einer Interpretation des Rassengedankens im Lichte einer im anthropologisch-philosophischen Sinne orientierten Geistesgeschichte und den des Selbstbildungs- und Selbstlegitimationsprozesses der Philosophischen Anthropologie. Was Voegelin, Plessner und Gehlen in geistesgeschichtlicher Hinsicht verbindet ist eine Auffassung der Moderne als Prozess der Verwissenschaftlichung und der Verweltlichung. Aber wenn Plessner die Frage nach Rettung und Wiederherstellung der menschlichen Würde innerhalb des Horizontes der entzauberten Welt der Moderne stellt, will

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Voegelin eine „Offensive der Transzendenz anführen, indem er die religiöse Transzendenzerfahrung als ewige Grundlage des Bewusstseinslebens sowie des Aufbaues und der Bestimmung des politischen und kollektiven Lebens annimmt“ (S. 39). Betrachtet man dagegen die Rolle, die das Rasseproblem in Bezug auf die Begründung der philosophischen Anthropologie spielt, so tritt der Versuch, den Leib-Seele-Dualismus zu überwinden, als zentral hervor. In dieser Perspektive spielen die auf der Grundlage menschlicher Erfahrungen entstandenen Körpervorstellungen, die Voegelin „Leibideen“ nennt, eine wichtige Rolle in der Genese und im Selbstverständnis des Staates und der Gemeinschaft. Der Reduktion des Menschen auf seine tierisch-natürliche Schicht, die Voegelin und Plessner als Folge des für die Moderne charakteristischen Prozesses der Naturalisierung und Verweltlichung verstehen, entspricht die Ersetzung der Leibideen von Blut und Blutsverwandtschaft und des Corpus mysticum Christi durch die Idee der Rasse. Der philosophischen Anthropologie von Voegelin, die eine Theorie der Symbolisierung und geistigen Erfahrung von Ordnungen ist, fügen Plessner und Gehlen die notwendige Berücksichtigung des biologischen Lebensfeldes hinzu. Jeweils auf ihre Art versuchen Voegelin, Plessner und Gehlen, „eine Umformung der Idee von Rasse gegen die biopolitische Rassenidee der Moderne“ (S. 47) zu verwirklichen, die in ihren Augen eine mythische, positive Variante der Rassenidee darstellt. Obwohl sie die Risiken dieser Variante unterschätzt haben, haben die genannte Autoren eine Analyse der Dynamik geboten, mit der die Rassenidee als politische Idee bzw. Leibidee wirkt, und darin erkennt Marino einen kritischen Potenzial der philosophischen Anthropologie. Joachim Fischer stellt eine Verbindung zwischen dem Begriff der „exzentrischen Positionalität“ (Plessner) und dem der „Leibidee“ (Voegelin) her, indem er im zweiten einen komplementären Begriff zum ersten sieht. Wenn der Mensch, wie es im Begriff der exzentrischen Positionalität zum Ausdruck kommt, ein konstitutiv offenes und doppeltes Verhältnis zu seinem Körper hat, der von innen erfahrbar (Leib) oder von außen repräsentiert (Körper) ist, braucht er, um diese bioanthropologische Konstellation historisch leben zu können, in Bezug auf sich selbst und auf andere, eine „orientierende Leibidee“. Durch die Tätigkeit des Geistes und seiner Vorstellungskraft verwandelt sich der Körper so in ein „corpus mysticum“, d.h. in einen gemeinschaftsstiftenden Mythos. Ausgehend von dieser systematischen Perspektive geht Fischer auf andere mögliche Leibideen ein, deren konstitutive Funktion auf gesellschaftlicher Ebene identifiziert werden kann, etwa die des Totemismus (die archaische Gesellschaften kennzeichnet), die der Menschenwürde (die mit dem Begriff des Habeas Corpus eine „Urszene“ der Menschenrechte in modernen Gesellschaften bildet) und jene Idee, die sich in zeitgenössischen

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Gesellschaften in der Semantik von Nachhaltigkeit in Bezug auf die ökologische Integration von Gesellschaften ausdrückt. Voegelins systematische Untersuchung zur Rassenproblematik entsteht im Rahmen seiner Arbeit an einer umfassenden Staatslehre, in der Rasse und Staat den systematischen Teil und Die Rassenidee in der Geistesgeschichte den historischen Teil bilden. Der Beitrag von William Petropulos betrachtet den systematischen Teil und beschäftigt sich mit der Rolle des Rassengedankens im Kontext der politischen Wissenschaft. Zwei Themen sind dabei bedeutsam: Einerseits handelt es sich um eine „adäquate Wissenschaft vom Menschen“, andererseits um eine „adäquate Auffassung der geistigen Erfahrungen, die im Aufbau der Gesellschaft wirksam sind“ (S. 68). Petropulos sieht in Voegelin eine platonische Intention: die Wurzeln des Staates im Wesen des Menschen zu suchen. Die Staatsideen – und darunter auch Leibideen wie die der Dynastie oder der Rasse – machen keine wissenschaftlichen Aussagen über die politische Wirklichkeit, sondern spielen eine Rolle in der praktischen Gestaltung von Gemeinschaften und sind stets in eine Ordnung eingebettet, die Voegelin – im Anschluss an Schelling – „Mythos“ nennt. Den naturwissenschaftlichen Ansatz in der politischen Wissenschaft lehnt Voegelin zugunsten eines geisteswissenschaftlichen Ansatzes ab, der Leib und Seele des Menschen als geistdurchwohnte Seinsstufen sieht und den Menschen von den geistigen Seinsstufen aus betrachtet. Das Neue an der modernen Vorstellung von Rasse liegt in ihrem Anspruch, Wissenschaft zu sein. Gegen die naturalistische Rassenauffassung, die er für abergläubisch hält, behauptet Voegelin, dass das Menschen- und Gottesbild einer Gesellschaft aus der Tiefe religiöser Erfahrung entstehe. Nach dieser Auffassung liegt der Seinsgrund der Völker im Mythos, der Kern des Mythos ist die religiöse Erfahrung, und eine adäquate Wissenschaft vom Menschen kann „nur im Rahmen des differenziertesten Mythos, innerhalb des Glaubenssymbol der universalen Menschheit“ (S. 82) entstehen. Aus dem Vergleich des Ansatzes von Rasse und Staat (1933) mit dem der Politischen Religionen (1938) zieht Petropulos den Schluss, dass die in diesen Werken behandelten Themen den Rahmen der systematischen Fragestellungen, die Voegelin seit den 1950er Jahren, insbesondere in seinem monumentalen Werk Order and History, entwickelt. Der Bedeutung der beiden Rassenbücher für die weitere Entwicklung des Denkens Voegelins ist der Beitrag von Michael Henkel gewidmet. Henkel betrachtet den Aufsatz The Growth of the Race Idea von 1940 als Bezugspunkt, in dem er einen „bedeutenden Wandel“ aufzeigt, in dessen Folge Voegelin das Interesse an der Rassenidee verliert. Dieser Wandel betrifft im Wesentlichen die Interpretation der Geschichte des Rassendenkens im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Sowohl in Die Rassenidee als auch in dem

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Aufsatz von 1940 stellt Voegelin die Geschichte des Rassendenkens als Verfallsgeschichte dar. Aber was sich gewandelt hat, ist das Kriterium, an dem dieser Verfall gemessen wird: Handelt es sich im ersten Fall um eine „klassische Form“ des Rassendenkens, die sich sowohl bei Leibniz, Wolff, Herder und Kant als auch bei zeitgenössischen Autoren wie Ludwig Ferdinand Clauß und Othmar Spann findet, so geht es im zweiten Fall um eine Geschichtsphilosophie, derzufolge die Geistesgeschichte der Neuzeit – als Säkularisierungsgeschichte verstanden  – einen Verfallsprozess darstellt. Die verschiedenen Varianten des Rassendenkens sind Verfallsphänomene, weil sie mit einer säkularen Weltanschauung verbunden sind, die im Denken von Thomas Hobbes Ausdruck findet, und das Verhältnis des Menschen zur Transzendenz, die die entscheidende Quelle der menschlichen Ordnung darstellt, unzureichend berücksichtigen oder leugnen. Nach 1940 verschwindet der Rassegedanke aus Voegelins Horizont. Obwohl einige Elemente davon in seiner späteren Entwicklung erhalten bleiben (wie die Verwendung des Erlebnisbegriffs, die Unterscheidung zwischen naturwissenschaftlicher Theorie und Symbolen, die ihrerseits erst Wirklichkeit konstituieren, die Vorstellung vom Menschen als an allen Seinsbereichen teilhabendes Wesen und die Idee vom religiösen der Gemeinschaftsbildung), gibt Voegelin die entscheidenden Positionen auf, die er in den beiden Bücher von 1933 entwickelt hatte. „Wir müssen vermuten – so Henkel – dass er dies aus der Einsicht heraus tat, mit seiner Konzeption von Leib- und Rassenidee letzlich in eine politiktheoretische Sackgasse geraten zu sein“ (S. 108). Das Thema Körper bei Voegelin und Plessner steht im Mittelpunkt des Beitrags von Walter Seitter. Unter dem Titel „Somatismus in philosophschen Anthropologien“ unterstreicht er die Bedeutung, die Voegelin und Plessner der „somatischen Schicht“ des Menschen beimessen. Einerseits findet sich bei Plessner eine Kritik am Kantischen Gegensatz von Vernunft und Sinnen und andererseits konzentriert sich Voegelins Versuch, den Staat in der Perspektive einer philosophischen Anthropologie zu gründen, „auf das Segment ‚Leiblichkeit‘“ (S. 136). Daher müssen sich die normativen Vorstellungen, die für die Konstruktion einer politischen Gemeinschaft erforderlich sind, auf die leibliche Sphäre beziehen, da sie dem gesamten Wesen des Menschen entsprechen müssen. In der Plessnerschen Rezension von Rasse und Staat, in der er den „hohen Grad von Zustimmung, ja Empathie“ (S. 138) mit Voegelin hervorhebt, identifiziert Seitter die Erörterung zweier Arten von Fragen: Einerseits solche, die erkenntnistheoretische Aspekte betreffen, und andererseits solche, die mit der normativen Dimension zu tun haben. An diesen letzten Aspekt knüpft Plessners Würdigung der Kritik Voegelins am Rassenmaterialismus und seine positive Bewertung der klassischen Form der Rassentheorie an,

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eine Form, die nach einigen Voegelinischen Behauptungen der dreißiger Jahre in der Gestalt Goethes als Repräsentant eines „schönen Ideals“ Ausdruck findet. Die Rassenideen sind Voegelin zufolge, wie Plessner betont, Ideale, Wertideen, besitzen den Charakter von „politischen Wunschbildern“, gehen daher „über die deskriptive Dimension hinaus und zum Normativen und Optativen über“ (S. 140). In diesem Sinne sieht Seitter in Plessners Affirmation des Adels als vorbürgerlichem Ideal eine Konvergenz mit der Auffassung Voegelins. Abschließend weist Seitter darauf hin, „dass sich beide Theoretiker in den folgenden Jahrzehnten von diesen Positionen abgesetzt haben“ (S. 144). Indem Voegelin in The New Science of Politics (1952) das anthropologische Prinzip festhält, wonach die Struktur und politische Qualität einer Gesellschaft von dem in ihr dominierenden Menschentyp abhängen, verläßt er seine bisherige charakterologische Theorie. Und auch bei Plessner gibt es nach dem Krieg keine Spuren mehr von einem „normativen Somatismus“. Dies bedeute allerdings nicht, so das Fazit von Seitter, „dass die Probleme, die seinerzeit mit ‘Rasse’ oder ‘Rassismus’ formuliert bzw. politisiert worden sind, verschwunden sind“ (S. 144). Massimo Mezzanzanica, Mailand

Review of “Bogdan Ivaşcu, Oglinzile infinitului. Ce sunt filozofiile istoriei şi la ce folosesc, Bucureşti: Eikon, 2022” Alberto Castaldini Bogdan Ivaşcu’s essay deals with the vexata quaestio of the nature of the philosophy of history, often defined as a speculative hybrid, and sometimes considered a fascinating disguise of a weak historiographical consciousness. History, explains the author, is not in any case a definite quid, independent from the thinking subject. It doesn’t only constitute an objective knowable datum but rather an experience of persistent tension between the knowledge of the past and its reality, that is, a dynamic acting between the consciousness that assigns to time the forms of history and the history, within which the consciousness is an event in itself. In short, between philosophy (of history) and the événementielle history exists a profound and fruitful tension which in any case escapes from an exclusively rational materialistic perspective. The careful considerations that Ivaşcu dedicates to Eric Voegelin (analyzed after Hegel, Marx and Toynbee) fit into this reading possibility. In Voegelin, the speculative philosophy of history clearly distinguishes itself from the tradition of idealism and places the order of conscience before freedom. Voegelin in the perspective of Revelation assigns to the philosophy of history a substitute function in the void left in the West by the traditional religious vision, and he does so by criticizing the great ideological systems of which he was a convinced opponent. Voegelin, explains Ivaşcu, accuses ideology of rejecting reality to the point of raising a revolution aimed at overthrowing the divine order. Eric Voegelin experimented all that with his life and his personal history in the years of the interwar crisis and during the conquest of power by the Nazis. He, therefore, is a philosophical witness to a historical-ideological phenomenon and its lacerating contradictions. The perspective of Voegelin’s thought is not ethical in nature but spiritual, transcendent and the philosophy of history is an important component of it. Voegelin’s position in relation to his philosophy of history can be understood only by its comprehensive approach to his work. Bogdan Ivaşcu states that the fundamental position in Voegelin’s thought is that man takes part in the process of reality with an experience that is the participation of a whole. In this existential condition, the symbol has an essential function for intelligible experience. The awareness of the event plays a central

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Alberto Castaldini

role in Voegelin’s work and the philosophy of history itself is transformed into a stage of consciousness. Luminosity, according to Voegelin’s lexicon, represents the awareness of participation in reality and its understanding. In this regard, the author of the volume recalls the importance for Voegelin of the revealing vision in the legend of the monk of Heisterbach, in which the brightness reveals to man the truth of awareness, which is not reducible to sense perception. Ivaşcu particularly presents Voegelin’s criticisms of Hegel, of the artificial nature of his philosophy, defined as a series of magical mirrors that block the reading of reality. For this reason, Hegel confirms himself as an exponent of the so-called “egophanic revolution” which obscures the transcendent reality and its divine manifestation. The philosopher participates to the drama of the philosophy of history in the creative framework of myth and political ideas. The Revelation, thanks to the historical experience of Israel connotes the collective historical experience. Thus the order of history has been transferred to an order of consciousness: the tool that makes history a field of intelligible, investigable and rational phenomena. This internalization of the philosophy of history in the presence of a transcendent order also makes Voegelin a great mystic, as writes Ivaşcu. In this non-hypostatic perspective, the philosophy of history shows its intrinsically dynamic nature that escapes a quid, a law or a static sense. Alberto Castaldini, Mailand

Review of “Bernat Torres/Josep Monserrat-Molas (eds.), Eric Voegelin’s Political Readings. From the Ancient Greeks to Modern Times, New York-Abingdon: Routledge, 2021” Joachim Horubała When the reader picks up Eric Voegelin’s Political Readings. From the Ancient Greeks to Modern Times, he would be forgiven for thinking that he is about to witness another instance of the querelle des Anciens et des Modernes, arguably one of the primary and recurrent features of intellectual life in the Western world, in which the noble task of rousing the smug sycophants of power and the status quo from their complacency would this time fall to the intrepid professor of political science, Eric Voegelin himself, fleeing the Nazis and attempting to call the Old Continent back to its roots from his American exile. That much is suggested not only by the subtitle, but also by the structure of the work edited by Bernat Torres and Josep Monserrat, where three chapters dealing with Voegelin’s reception of Plato, Aristotle, and Augustine are followed by another three concerned with the German-American philosopher’s relationship to Hobbes, Max Weber, and Hans Kelsen. And yet the foreword by Zdravko Planinc contains an explicit and firm denial of this seemingly natural reading of the publication’s aim. This is a very welcome because refreshing irritation which challenges expectations that a superficial understanding of Voegelin might give rise to and puts the reader on guard against potentially oversimplifying interpretations. Indeed, Planinc would like to see Voegelin as a thinker standing for a radical openness to experience, a stance characteristic of what Planinc takes to be the proper way of doing philosophy and one which is endangered by any “metanarrative” with its claim to completeness and ultimacy. There seems to be a tension here between Planinc’s foreword and the editors’ introduction which appears to be much more ready to assign to Voegelin a more positive and substantial interpretation of the experience of transcendence, for example when identifying the task to “recover classical and Christian thought to guide modern political science” as one of the main aspects of his work, not to mention the ambitious aim of providing “tools for the understanding and recovery of reality” as such. These formulations suggest an author much more confident in the ability of reason to comprehend the nature of reality than the emphasis on myths as the medium of expression and

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on their necessary plurality would suggest. This ambivalence will run through all contributions to this volume. The stated goals which the editors set before themselves and the authors of the individual chapters consist in enriching the understanding of Voegelin’s thought through studies of his engagement with ancient and modern authors who have had an impact both on his philosophical output and his life. It is the editors’ firm conviction that this heterogeneity of influences gives evidence of Voegelin’s exceptionality as a thinker and even enables us to treat an overview of those inspirations as a study in continuity and transformation in the history of Western political philosophy as such. The volume opens with a chapter on Voegelin’s reading of Plato by Bernat Torres, one of the editors, who makes it clear that putting Plato at the fore is not only a matter of chronology, but is fully justified with respect to the substance of Voegelin’s thought. Plato lies at the root of Voegelin’s theory of consciousness, political theory, and philosophy of history. The very idea which arguably is at the core of the whole project of Order and History, namely the foundation of political science on a very specific theory of consciousness, is quite clearly an actualization of the famous Platonic insight into an isomorphy between the soul of man and the city, though the phenomenological inspiration mediated by Alfred Schütz does not go unmentioned. Voegelin’s understanding of Plato is described as “Christianising”, though other influences are mentioned as well, including the notorious George-Kreis. Those writing on Voegelin’s attitude to Plato and Aristotle have the advantage of having at their disposition a separate book dedicated by Voegelin to these thinkers, namely the third volume of Order and History, and Torres makes adequate use of that circumstance by artfully extricating ten hermeneutic principles underlying Voegelin’s interpretation of Plato from merely four pages of the aforementioned volume. These principles concern mainly the nature of the Platonic dialogue and it is interesting to compare them with those espoused by the other great 20th-century interpreter of Plato, Leo Strauss. Throughout the chapter, suggestions are interspersed of a “mystical” dimension to Voegelin’s engagement with Plato, including his apparent existential self-identification with the author of the Symposium. It would be interesting to find out to what extent Voegelin can indeed be thought of as an alter Plato and how far his view of Plato has been mediated by the lens of modern philosophies of consciousness. Aristotle’s presence in Voegelin’s work is scrutinized by Barry Cooper who shows how what is commonly taken to be the Stagirite’s groundbreaking development of a technical philosophical terminology is understood in Voegelin’s scheme as an “intellectualization” of the original philosophical experience and a transformation of the symbols devised by Plato to articulate it into “objects

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of speculation”. Although it might seem that the process itself is inevitable and hence axiologically neutral, more detailed analysis of Aristotelian topics appearing in Voegelin’s work suggests a preference for those in which the process of “intellectualization” has not gone too far: both Voegelin’s appreciation of the idea of the spoudaios as the normative point of reference in ethics (dubbed as “perhaps the most important contribution to epistemology of ethics and politics that has ever been made”, p. 32) and the strict dissociation of Aristotle’s concept of that which is “right by nature” as a symbol of noetic experience from that of “natural law” understood as a body of rules, while not in themselves new and hardly innovative as interpretations of Aristotle, nevertheless point to those areas of the Stagirite’s thought in which he remained as close as possible to the concept of philosophy as based on a specific kind of experience. Augustine might not be the obvious choice when discussing Voegelin’s intellectual genealogy, but Nicoletta Scotti Muth makes a convincing case for his inclusion. What both thinkers have in common is an interest in politics which is historically informed. Voegelin’s account of Augustine’s thought in the last chapter of the first volume of his unpublished History of Political Ideas singles out the development of the idea of sacred history (historia sacra), along with the separation of politics and religion as well as the de-divinisation of nature, as Augustine’s most lasting achievement, due to its being the first universal and meaningful concept of history as such. This recognition enables Voegelin to appreciate what the established political science of his time apparently overlooked, namely the eminent significance of Christianity not only for the practice, but also for the theory of politics. The inclusion of one of Voegelin’s likewise unpublished and even less-known works, a short commentary on books X and XI of Augustine’s Confessions, enables Scotti Muth to trace an intellectual genealogy back from Voegelin through Husserl and Descartes to Augustine, a lineage which would help to account for Voegelin’s path from the philosophical climate of his own academic surroundings to the study of Augustine and which could naturally be extended to Plato. This extension seems especially appropriate as it becomes clear that Augustine is for Voegelin first and foremost a rediscoverer of Plato and the quintessentially philosophical quest for justice against any attempts to elevate a particular political dispensation to the rank of an indisputable measure of all things political, like supposedly in the case of Cicero and the Roman Republic. While not suggested by the author, given what we have previously learned of Voegelin’s identification with Plato, it is not unreasonable to suspect that here also there is a process of analogization at work in which Cicero would correspond to contemporary established political science, while the role of the new Augustine would of course belong

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to Voegelin. Be that as it may, Voegelin sees Augustine’s greatness in his ability to elevate his own historical situation to the plane of theory, a task which was no doubt not alien to Voegelin himself, while also not insensitive to the ambiguity of one of the main results of Augustine’s epochal achievement, namely the separation of politics from religion which sealed Christianity’s inability to provide a political theology (theologia civilis) for the Empire. The motif of theologia civilis leads us directly to Voegelin’s treatment of Hobbes which is subjected to scrutiny by Thierry Gontier. The lynchpin of his analysis is given by the observation of a change in Voegelin’s approach to the author of The Leviathan: while in The Political Religions Hobbes was viewed as a successor to Joachim of Fiore’s apocalypticism, The New Science of Politics showed him as an opponent of its putative contemporary reincarnation, Puritanism. One of the main reasons behind this striking volte-face is Voegelin’s reassessment and new appreciation of the role played by political theology. Disregarded and neglected by the Church Fathers, the necessity of a political theology and its functional justification as a precondition of peace among warring factions with their absolute truth claims has only been rediscovered by Hobbes who garners Voegelin’s praise for that. This might come as a surprise to those with a more superficial picture of Voegelin as an indiscriminate critic of modernity, but also those aware that he set himself the task of tracing back the genesis of totalitarianism back to Hobbes, a line of inquiry not uncommon among his contemporaries like Schmitt, Strauss, Arendt, or Collingwood. In fact, Voegelin does not revise his major commitments, but redirects his critique from Hobbes’ conception of the state to his anthropology. After recognizing that he was mistaken in accusing Hobbes of attempting to divinize the state by granting it the right to exert control over human conscience, Voegelin came to the conclusion that Hobbes’ mistake lay not so much in seeing a role for the state in ensuring lasting peace as in grounding that peace not positively in the love of the common good, but instead purely negatively in the fear of death. A peace thus established is in fact one not worthy of its name because it is more reminiscent of war, only with war’s most destructive consequences limited. Herein Voegelin sees the roots of modern liberalism which seems to bring him in line with most contemporary interpreters who would deny the meaningfulness of searching for the sources of totalitarianism in Hobbes, yet Voegelin’s partial reappreciation of Hobbes does not change his overall verdict: in depriving the human mind of the possibility of self-transcendence and confining it to immanence, the author of De Cive and with him the whole tradition of liberalism is rightly viewed as having paved the way for the totalitarian excesses of the 20th century.

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The problem of seemingly mutually exclusive assessments of a thinker by Voegelin is only exacerbated in the case of Max Weber which is dealt with by Arpad Szakolczai. While most readers of Voegelin, if asked about his attitude to the great German sociologist, would probably think of the introduction to The New Science of Politics with its sweeping criticism of positivism and of Weber as its personification, Szakolczai wants to convince us that any inference from this piece to a more general picture of how Voegelin saw Weber rests on a colossal misunderstanding. The account which Voegelin has given of Weber in the famous Walgreen lectures represents such a drastic break with everything that he is known to have said up to that point about him and is furthermore meant to be such a distortion of Weber’s actual thought that it can be wondered what could possibly account for such a radical change. Szakolczai puts at least part of the blame on the influence of Leo Strauss, though that can certainly not be the only or even the decisive factor, unless one would be ready to question Voegelin’s intellectual independence and sincerity. While the precise explanation can be said to remain somewhat of a mystery, the fact is that Voegelin seems to have returned to a much more nuanced view of Weber’s achievement in his later lectures which were to be published under the title Hitler und die Deutschen – there, Weber is presented as a ‘representative thinker of our age’ who could make the correct diagnosis of the crisis of European civilization, but proved to be unable to devise an equally adequate remedy. This inability, however, is in a sense justified by the assessment that the ‘experience of transcendence’ which alone could have brought about a cure was apparently simply not given to Weber – a circumstance which was no fault of his own. That would make him resemble other great critics of modernity, like Nietzsche whom Szakolczai also claims as a great influence on the young Voegelin. Overall, it has to be noted that this contribution is marked by a significantly more polemical inclination than other chapters of this volume, though it no doubt also includes very valuable analysis like the indication of a parallel between Weber’s positing of ‘this-worldly asceticism’ as the heart of the ‘spirit of capitalism’ on the one hand and Voegelin’s discovery of ‘immanent eschatology’ as the driving force behind the ‘spirit of modernity’ on the other. This observation enables Szakolczai to conclude that the most significant insight which Voegelin owes to Weber is that of secularization not only pertaining to religion, but also to an originally religiously motivated rejection of the world. Taking into account that out of the six thinkers considered in the present volume, it is only Hans Kelsen with whom Voegelin held a personal acquaintance relationship, one would expect his intellectual influence to have manifested

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itself in a public engagement of both authors with each other’s work. When one bears in mind that Kelsen was Voegelin’s doctoral advisor in Vienna, conjecture might become certainty. In fact, nothing of that sort took place, and Bjørn Thomassen set himself the task of explaining why. Owing to their common predicament as exiles in the United States, Kelsen and Voegelin shared an interest in the question of how to explain the emergence of totalitarianism against the backdrop of modernity, but offered radically different answers. This had to do with their antithetically opposed views on such characteristically modern phenomena as secularization and positivism, and although this difference did not elude them, neither did it find expression in their public writing. What is more, it was even curiously suppressed by Voegelin in their short correspondence in which he openly denied that his former teacher should take himself to have been a target of his critique. Thomassen considers this elusion on the part of Voegelin to be a great loss and convincingly argues that from a contemporary perspective, the liberal Kelsen would have made for a much more interesting intellectual opponent than the fellow travelers of revolutionary socialism who can be taken to have been the principal objects of Voegelin’s critique. Even if this appearance was not intended by Voegelin himself, his refusal to critically engage the work of his former mentor has certainly not helped in making his intentions clear. As Thomassen rightly notices, such an engagement would have compelled Voegelin to deal with intellectual currents of paramount importance which otherwise seem virtually absent from his work, such as Neo-Kantianism, analytical philosophy, rational choice theory, or social constructivism. It might have also induced him to take Kelsen’s criticism more seriously, for instance when pertaining to Voegelin’s picture of Christianity itself strongly resembling that of Gnosticism. Kelsen himself would have in turn also benefitted from a more judicious assessment of his former student’s work which might have enabled him to view his own dogmatic aversion to metaphysics and theology as well as his unquestioning partisanship for modernity in a more critical light. By juxtaposing the true greatness and the glaring limitations of both thinkers, Thomassen’s contribution has to count as one of the most insightful and challenging of the present volume. All contributions to the volume are constrained by the limited space accorded to the authors who nevertheless manage to include plenty of valuable information and illuminating commentary. Even if the individual chapters come across as quite short, it nevertheless has to be considered a great advantage to have them collected in a well-planned publication which has to be read as a whole. The editors succeed in demonstrating to the reader the wide range of Voegelin’s philosophical interests and his ability to engage

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constructively with thinkers both ancient and modern. Some contributions further unearth the critical potential of confronting Voegelin with thinkers relevant for his own work by throwing light on choices made by him in the inevitable process of the selection of material and possible deficiencies arising from them. Due to the constraints mentioned above, some contexts remain underexposed such as the somewhat puzzling statement, which nevertheless appears repeatedly in more than one chapter, to the effect that Voegelin abandoned post-Kantian positivism and opened his thought to the experience of transcendence after getting to know the American intellectual landscape of the 1930s – a connection which raises more questions than it answers, seeing as American pragmatism flourishing at that time is not exactly known for being conducive to metaphysical speculation or theology. The reader is also left wishing to learn more about Voegelin’s relationship to the philosophical tradition closest to him in virtue of academic socialization, namely the German one, and so such thinkers as Kant, Hegel, Nietzsche, and not least Husserl whose influence, though mediated through Alfred Schütz, seems to have been greater than it might at first appear. These remarks are however not to be understood as a reproach to the editors of the present volume, but rather as an indication of a desideratum, namely the continuation of the work already begun to such great effect. Joachim Horubała, Munich

Review of “Bruno Godefroy, La fin du sens de l’histoire. Eric Voegelin, Karl Löwith et la temporalité du politique, Paris Classiques: Garnier, 2021” Umberto Lodovici Bruno Godefroy’s book is a wide work on the nexus between history, time and politics. The thesis that accompanies the entire book is clear: the political order cannot be reduced to the mechanism of its institutions and powers, but needs a symbolic dimension capable of conveying a sense of permanence and stability to its members. It is the relationship with time that defines the substance of human existence, and there is no politics that can evade responding to the precariousness and transience of being in the world. The nexus between order and time is thus not a modern phenomenon, but a constant in politics throughout the ages. The author shows that in all epochs it is essential to ensure the continuity and stability of a society’s relationship with time. The problem of modernity is the emergence of a sense of history that somehow instrumentalises one of the two poles in a univocal, necessary and therefore nihilistic sense. The book brings into dialogue the recent debate of the ‘politics of time’ – discussing the theses of Fukuyama, Koselleck, Lefort, among others – with an in-depth analysis of the philosophy of history by Karl Löwith and Eric Voegelin. In the first part, Godefroy studies how it was possible in the modern era to attribute to history a definite and uniform sense that made politics an instrument of social oppression. The author then introduces the concept of the ‘politicisation of time’ by which he designates the assignment of a political sense to the passage of time. Subsequently, what he calls the ‘temporalisation of politics’ comes into play, in which political action becomes a response to a certain conception of time that demands collective action, as in the recent situation where there is a shortage of time due to the various crises threatening humanity. This ‘politicisation of time’ implies an eternalisation of the political order that has expressed itself in the most diverse ways: in the postulation of an end and goal of history towards which human forces should be put at the service, or in its place in the idea that politics should constitute a brake on the revolutionary powers of history, or in the version of the ‘end of history’ whereby political conflict would result in a universal stasis dominated by a universal consumer society. But the most perverse form was the fascist temporalisation:

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BRUNO GODEFROY, LA FIN DU SENS DE L’HISTOIRE

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totalitarianisms were political forms that wanted a global and unambiguous meaning to history by eternalising a particular political order. These are always forms that attribute an unambiguous political sense to the passage of time. The philosophy of Löwith and Voegelin is studied by the author, on the one hand, to highlight their diagnoses of this distortion constituted by secularised theologies of history and, on the other, to outline an alternative model of declination between politics and time. Their theoretical project would be to dissociate politics and time according to a necessary form, without, however, forgetting the historical dimension of human existence and the need for a reference to an otherness capable of grounding it. In essence, it is a matter of thinking of a politics of time that excludes the two extremes: both the absence of a reference to a foundation that opens up political nihilism and the hypostatisation of a certain social order that bends the future to entirely contingent demands. Löwith seeks the path of a return to antiquity and a relationship to nature by passing through Nietzsche and the theory of the eternal return, Voegelin on the other hand, passes through Schelling by working on the connection between the philosophy of existence and the philosophy of history. Both strongly emphasise the Christian tradition as the bearer of a timeless eschatology, which caused the destruction of the ancient worldview in which the cosmological limitation made the emergence of an autonomous and meaningful sphere of history impossible. Both authors also emphasise Augustine’s role in ruling out any possible salvation within the horizon of man-made history by avoiding any millenarianism. On the other hand, Augustine is the basis for the transformation of Christian eschatology brought about by Joachim of Fiore, who made history an immanent and therefore politicized process. The sense of history is based on this transposition of Christian eschatology into historical development. Voegelin identifies, in his first theoretical phase, a linear development that leads to Christian revelation; subsequently, however, the revelation of the transcendent being enters into time according to a non-linear progress while still representing the ultimate telos of history. According to the author, Voegelin would thus remain bound to an existential dimension that refers to an eschatological structure of history. He thus defines it as a ‘historicist philosophy of existence’ in which a necessary and universal truth, essentially the Christian truth, is essentially re-proposed as the ultimate meaning of history. Löwith’s, on the other hand, is a secular and immanent perspective and refers to nature, whose immediate access to every man would avoid the problem of mediation that any transcendent revelation seems to imply. Towards Löwith’s position seems to be the author’s conclusion: politics must remove itself from any

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Umberto Lodovici

theory of a catastrophist conception of the meaning of history in order to be able to respond to the challenges that emerge from time to time from the history in which humanity finds itself living. In short, it is a matter of rediscovering the present without taking refuge in the past or the future and to look the world in which we now find ourselves. Umberto Lodovici, München

Review of „Jürgen Habermas, Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin: Suhrkamp, 2022“ Christian Schwaabe Sechzig Jahre nach Erscheinen seiner berühmt gewordenen Habilitationsschrift über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ wendet sich Jürgen Habermas erneut (wenn auch keineswegs zum ersten Mal seit 1962) diesem Thema zu. Der Suhrkamp Verlag hat in einem kleinen Büchlein einen längeren Aufsatz und ein überaus interessantes Interview versammelt. Anlass ist keineswegs ein Jahrestag; vielmehr sind es die demokratietheoretische Dringlichkeit der Thematik und die Interpretationsbedürftigkeit der empirisch beobachtbaren Veränderungen, die Habermas das Wort ergreifen lassen: Mit der Digitalisierung der Öffentlichkeit und ihrer Kanäle, mit der Verbreitung sozialer Medien und der Nutzung völlig neuer Wege der Information und Kommunikation haben sich die Grundlagen demokratischer Öffentlichkeiten verschoben – und womöglich verschieben sich auch längst die Grundlagen und Funktionsweisen der Demokratie im Ganzen. Habermas ist als ein Vertreter der deliberativen Demokratietheorie durch die angedeuteten Veränderungen einerseits in besonderem Maße herausgefordert, andererseits aber auch im Besitze der politiktheoretischen Instrumente und normativen Perspektiven, um die Gesamtproblematik adäquat zu beurteilen. Deliberative Demokratietheorien rücken bekanntermaßen die Öffentlichkeit ins Zentrum der empirischen wie auch normativen Betrachtung von Demokratie. Habermas hat diesen Ansatz systematisch in „Faktizität und Geltung“ (1992) entwickelt. Ausgangspunkt war (und ist heute noch) ein genuin modernes Verständnis von Volkssouveränität: „die Idee der Autonomie, wonach Menschen nur in dem Maße als freie Subjekte handeln, wie sie genau den Gesetzen gehorchen, die sie sich gemäß ihren intersubjektiv gewonnenen Einsichten selber geben“. Weil es in der nachmetaphysischen Moderne keine verfahrensunabhängigen moralischen oder politischen Wahrheiten mehr gibt, weil aber auch die Vorstellung eines gleichsam objektiv und immer schon bestehenden Gemeinwillens oder Gemeinwohls im modernen Pluralismus nicht mehr haltbar ist, hängt alles an den demokratischen Prozeduren, an den Prozessen der gemeinsamen Beratung, des gemeinsamen Austauschs von Argumenten und des gemeinsamen rationalen Abwägens – kurz: der „Deliberation“. „Mit der Positivität des Rechts ist die Erwartung verbunden, dass

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Christian Schwaabe

das demokratische Verfahren der Rechtsetzung die Vermutung der rationalen Akzeptabilität der gesatzten Normen begründet.“ Damit diese legitimatorisch überaus wichtige Unterstellung der Vernünftigkeit der Ergebnisse mit guten Gründen gemacht werden kann, muss eine gut funktionierende Öffentlichkeit den demokratischen Entscheidungsprozess begleiten, ja: tragen. Das Kernstück des deliberativen Politikmodells bildet ein normativer Begriff von Öffentlichkeit, verstanden als „Netzwerk für Kommunikation“, als im kommunikativen Handeln erzeugter sozialer Raum, in dem Meinungen gefiltert, synthetisiert und zu themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichtet werden. Deliberative Selbstbestimmungspraxis lebt von dem Zusammenspiel von Parlament und Öffentlichkeit, das wiederum nur vor dem Hintergrund einer entsprechenden liberalen politischen Kultur und nur mit einer tatsächlich hinreichend aufgeklärten Bürgerschaft funktionieren kann. Das „diskursive Niveau“ der Meinungsbildung, also die „Qualität der öffentlichen Meinung“, ist für Habermas schon 1992 nicht nur eine empirische Größe: „Normativ betrachtet, begründet sie ein Maß für die Legitimität des Einflusses, den öffentliche Meinungen auf das politische System ausüben.“ Mit der Qualität von Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und politischer Kultur steht und fällt die Demokratie. Damit wird es zur zentralen Aufgabe einer kritischen Gesellschaftstheorie, entsprechende Deformationen kenntlich zu machen – dies ist ja schon das Unterfangen im „Strukturwandel der Öffentlichkeit“. Eben solche Deformationen beunruhigen Habermas von Beginn an. In „Faktizität und Geltung“ stehen noch die Veränderungen der Medienlandschaft der 80er Jahre im Fokus. Idealiter sollten sich die Massenmedien als „Mandatar eines aufgeklärten Publikums“ verstehen, dessen Lernbereitschaft und Kritikfähigkeit sie zugleich voraussetzen, beanspruchen und bestärken – realiter aber folge die „Informationsproduktion“ immer deutlicher den Anforderungen der Werbewirtschaft und den Gesetzen der Unterhaltung. Diese Entwicklung, die seit längerem unter den Schlagwörtern „Mediokratie“ und „Politainment“ diskutiert wird, gab bereits vor 30 Jahren Anlass zu einigen unverändert berechtigten Sorgen: „Die Personalisierung von Sachfragen, die Vermischung von Information und Unterhaltung, eine episodische Aufbereitung und die Fragmentierung von Zusammenhängen schießen zu einem Syndrom zusammen, das die Entpolitisierung der öffentlichen Kommunikation fördert.“ In dem nun vorliegenden Band knüpft Habermas an diese Problematisierungen an und ergänzt sie um eine Reihe wichtiger Veränderungen, die sich den allseits bekannten technologischen Innovationen auf dem Gebiet digitaler Kommunikation verdanken. Gestützt auf eine intensive Beschäftigung mit den Befunden empirischer Analysen vor allem der Kommunikationswissenschaft

JÜRGEN HABERMAS, EIN NEUER STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT

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skizziert Habermas die veränderte Medienstruktur und deren Auswirkungen auf den politischen Prozess. Der technologische Fortschritt der digitalisierten Kommunikation, so rekonstruiert Habermas, fördert Tendenzen zur Entgrenzung wie auch zur Fragmentierung der Öffentlichkeit. Der Plattformcharakter der neuen Medien erzeugt neben der redaktionellen Öffentlichkeit einen Kommunikationsraum, worin Leser, Hörer und Zuschauer spontan die Rolle von Autoren ergreifen können – was zu Beginn dieser Entwicklung von vielen als positive Chance zu politischer und emanzipatorischer Ermächtigung betrachtet wurde, mittlerweile aber zu erheblicher Ernüchterung Anlass gibt. Die sozialen Medien und die Art ihrer Nutzung verstärken die bereits seit längerem zu beobachtenden Tendenzen der Entpolitisierung. Habermas betont zurecht, dass es nicht alleine auf technische Möglichkeiten (und die Offenheit ihrer Nutzung) ankommt, sondern darauf, was die Nutzer tatsächlich damit tun und wie sich dadurch auch die Wahrnehmung von Öffentlichkeit verändert. Es mehren sich empirische Indizien für eine bedrohliche Abkehr von der traditionellen Wahrnehmung der politischen Öffentlichkeit und der Politik selbst: „In bestimmten Subkulturen wird die Öffentlichkeit nicht länger als inklusiv wahrgenommen und die politische Öffentlichkeit nicht länger als ein Kommunikationsraum für eine alle Bürger umfassende Interessenverallgemeinerung.“ Menschen, die sich gar nicht mehr über klassische Kanäle (Zeitungen und Fernsehen) informieren, sondern ausschließlich oder überwiegend soziale Medien nutzen, nehmen politische Öffentlichkeit anders wahr. Ihre „halböffentliche, fragmentierte und in sich kreisende Kommunikation“ untergräbt mithin jene wichtigen subjektiven Voraussetzungen, auf die eine mehr oder weniger deliberativ funktionierende Meinungs- und Willensbildung angewiesen ist. Jürgen Habermas analysiert diese Entwicklungen im vorliegenden Büchlein in gewohnt prägnanter Art und Weise. Empirische Analyse und normative bzw. demokratietheoretische Einordnung greifen ineinander, verbunden durch einen Spürsinn für Relevanzen, den man in vielen aufgeregten Debatten zum Thema, aber auch in vielen abwiegelnden Wortmeldungen schmerzlich vermisst. Eine längere Passage aus Habermas’ Text soll dies verdeutlichen: „Die zu Autoren ermächtigten Nutzer provozieren mit ihren Botschaften Aufmerksamkeit, weil die unstrukturierte Öffentlichkeit durch die Kommentare der Leser und die „Likes“ der Follower erst hergestellt wird. Soweit sich daraus selbsttragende Echoräume bilden, teilen diese Blasen mit der klassischen Gestalt der Öffentlichkeit den porösen Charakter der Offenheit für weitere Vernetzungen; gleichzeitig unterscheiden sie sich jedoch vom grundsätzlich inklusiven Charakter der Öffentlichkeit  – und dem Gegensatz zum Privaten – durch die Abwehr dissonanter und die assimilierende Einbeziehung

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Christian Schwaabe

konsonanter Stimmen in den eigenen, identitätswahrend begrenzten Horizont des vermeintlichen, doch professionell ungefilterten „Wissens“. Aus einer durch die gegenseitige Bestätigung ihrer Urteile befestigten Sicht geraten die über den jeweils eigenen Horizont hinausreichenden Universalitätsansprüche grundsätzlich in den Verdacht der Hypokrisie. Aus der beschränkten Perspektive einer solchen Halböffentlichkeit kann die politische Öffentlichkeit demokratischer Verfassungsstaaten nicht mehr als inklusiver Raum für eine mögliche diskursive Klärung konkurrierender Ansprüche auf Wahrheitsgeltung und allgemeine Interessenberücksichtigung wahrgenommen werden; gerade diese als inklusiv auftretende Öffentlichkeit wird dann zu einer der auf Augenhöhe konkurrierenden Halböffentlichkeiten herabgestuft. Ein Symptom dafür ist die Doppelstrategie des Ausstreuens von Fake News und der gleichzeitige Kampf gegen die „Lügenpresse“, die wiederum Verunsicherung in der Öffentlichkeit und in den führenden Medien selbst hervorrufen. Wenn aber der gemeinsame Raum „des Politischen“ zum Kampfplatz konkurrierender Öffentlichkeiten degeneriert, reizen die demokratisch legitimierten, staatlich durchgesetzten politischen Programme– wie im Fall der libertär inszenierten, aber autoritär motivierten Anti-Corona-Demonstrationen– zu verschwörungstheoretischen Erklärungen.“ Mit aller Deutlichkeit und mit tief besorgter Eindringlichkeit fordert Habermas dazu auf, entsprechende Konsequenzen zu ziehen: „In einer schwer vorstellbaren „Welt“ von Fake News, die nicht mehr als solche identifiziert, also von wahren Informationen unterschieden werden könnten, würde kein Kind aufwachsen können, ohne klinische Symptome zu entwickeln. Es ist deshalb keine politische Richtungsentscheidung, sondern ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrechtzuerhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und einen deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht.“ Die Lektüre des kleinen Büchleins lohnt. Mehr noch: Die von Habermas herausgearbeiteten Problemdiagnosen wie auch die von ihm gegebenen normativen Einordnungen sind unverzichtbar für die demokratietheoretische Selbstvergewisserung unserer westlichen Demokratien in unruhiger Zeit. Die Erfolge rechtspopulistischer Agitatoren und ihrer teilweise kruden Positionen, der kämpferische Antiliberalismus, der zunehmend auch von Konservativen Besitz ergreift, die zunehmende Hetze gegen Minderheiten und all jene, die diesen zur Seite stehen, die wahnhafte Beschwörung einer angeblich omnipräsenten „wokeness“ und einer „cancel culture“, die die demokratische „Meinungsfreiheit“ bedrohen soll, und endlich der Rückzug vieler Menschen in weithin entpolitisierte Bubbles oder den Infantilismus letztlich belangloser Kommunikationsakte – all diese Krisenphänomene drohen

JÜRGEN HABERMAS, EIN NEUER STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT

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die Errungenschaften der liberalen Selbstzivilisierung der westlichen Gesellschaften seit der Aufklärung in ihrem Kern zu gefährden. Eine moralisch gehaltvolle und Freiheit ermöglichende Demokratie ist mehr, ja grundsätzlich anderes als nur „Herrschaft des Volkes“. Eine Demokratie, die freiheitlich und vernünftig zugleich sein will, lebt aus einer politischen Kultur, die ohne das von Habermas beschriebene Netzwerk einer kritischen Öffentlichkeit nicht existieren kann. Demokratie kann sich als nur elektorale nicht erhalten; sie muss deliberativ sein. Insofern stellen die zunehmenden Krisensymptome liberaler Öffentlichkeit die deliberative Demokratietheorie gerade nicht in Frage, sondern bestätigen sie in ihrer normativen Unverzichtbarkeit. Christian Schwaabe, München

Autor:innen dieses Jahrbuchs Axel Bark Politikwissenschaftler und Jurist Alberto Castaldini PhD, Professor h.c., Babeş-Bolyai University, Cluj-Napoca (Romania), Faculty of Greek-Catholic Theology Roger Castellanos PhD in Philosophy from the Autonomous University of Barcelona (UAB), Member of the Catalan Society of Philosophy Gabriele De Anna Dr. phil., Professor für Politische Philosophie an der Universität Udine, Italien JOACHIM HORUBALA Doktorand am Lehrstuhl für Philosophie I der LMU München zu Robert Spaemanns Begriff der Person Bogdan Ivaşcu PhD in Geschichte an der Babes-Bolyai-Universität in Cluj-Napoca. Er arbeitet als offizieller Museograph im Museumskomplex der Stadt Arad, Rumänien Massimo Mezzanzanica Dr. phil., 2021–22 apl. Professor für Geschichte und Theorie der Philosophie an den Universitäten Modena und Reggio Emilia Peter J. Opitz Dr. phil., Professor emeritus für Politikwissenschaft am Geschwister-SchollInstitut der Universität München; langjähriger Leiter des Eric-Voegelin-Archivs an der Universität München Giuliana Parotto Dr. phil., Professorin für Politische Philosophie an der Universität Triest, Italien Christian Schwaabe PD, Lecturer für Politische Theorie am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellv. Leiter des Voegelin-Zentrums an der LMU

AUTOR:INNEN DIESES JAHRBUCHS

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Max Stange Promovend am Lehrstuhl für Philosophie I der LMU München Arpad Szakolczai Professor emeritus of Sociology, University College Cork, Ireland Bernat Torres Morales Dr. phil., Professor contractus in the Faculty of Humanities of the Universitat Internacional in Barcelona