Entlehnung in der Kommunikation und im Sprachwandel: Theorie und Analysen zum Französischen 9783110235067, 2222222200, 9783110235050

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Entlehnung in der Kommunikation und im Sprachwandel: Theorie und Analysen zum Französischen
 9783110235067, 2222222200, 9783110235050

Table of contents :
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Sprachkontakt- und Entlehnungsszenarien
Glossar
Typographische Konventionen
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
Vorwort
1 Einleitung
2 Ausgewählte Beschreibungs- und Erklärungsprobleme bei Entlehnung und Lehnwortintegration
2.1 Erklärung einzelner Integrationsprozesse
2.1.1 Aussprache und Schreibung
2.1.2 Morphologie
2.1.3 Semantik und Pragmatik
2.2 Übergreifende Fragen
2.2.1 Probleme bezüglich grundlegender Begriffe und Kategorien
2.2.2 Zum Verhältnis prozessualer und resultativer Aspekte von Entlehnung
2.2.3 Zur Modellierung von formalen und semantischen Veränderungen bei Entlehnungsprozessen
2.2.4 Das Phänomen der Varianz
2.3 Zusammenfassung
3 Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas I: «Entlehnung»
3.1 Entlehnung und Codeswitching
3.2 Entlehnung und Interferenz
3.3 Entlehnung und Substratinterferenz
3.4 Entlehnung und Scheinentlehnung nach traditionellen Auffassungen
3.5 Drei Typen sprachlicher Fremdheit: Sprachkontaktinduzierte Innovationen, Entlehnungen, formal fremde Wörter
3.6 Begriffliche Neubestimmung: Allogenismen, unmittelbare und spätere Veränderungen bei echten Entlehnungen
3.7 Zusammenfassung
4 Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas II: Das traditionelle Verständnis von «Lehnwort» und «Lehnwortintegration»
4.1 «Lehnwort» und «Fremdwort»
4.2 «Lehnwortintegration»
5 Zwei Typen der Konformität
5.1 Grundlegende Unterscheidungen
5.1.1 Integration einzelner Strukturelemente vs. Integration entlehnter Wörter insgesamt
5.1.2 Etymologische und strukturelle Fremdheit
5.1.3 Synchronie und Diachronie
5.1.4 Zum Status der verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen
5.1.5 Deskriptive vs. explanative Elemente
5.2 Zwei Bezugspunkte bei der Betrachtung entlehnter Wörter und zwei Typen der Konformität
5.2.1 Zwei weitere Optionen neben Transferenz und Integration
5.2.2 Zwei grundlegende Formen von Konformität
5.2.3 Mögliche Kombinationen der Konformitätstypen
5.2.4 Das Verhältnis der Konformitätskriterien zu zentralen Unterscheidungen der Entlehnungsforschung
5.2.5 Anwendungen der Konformitätskriterien
5.3 Zusammenfassung und Neufestlegung der Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration»
6 Zum Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel: Entlehnungen als Explanans für Sprachwandel?
6.1 Grundlegende Ansätze bei der Untersuchung von Entlehnungen
6.1.1 Lexikologische und lexikographische Ansätze
6.1.2 Sprachkontaktforschung und soziolinguistische Ansätze
6.1.3 Untersuchungen zur formal-strukturellen Integration von Entlehnungen
6.2 Vergleich und kritische Diskussion
6.3 Entlehnung innerhalb von Theorien des Sprachwandels: endogener vs. exogener Wandel
6.4 Zusammenfassung: Entlehnung als Explanandum des Sprachwandels
7 Zwei evolutionäre Erklärungsansätze für Sprachwandel
7.1 Kellers Theorie der unsichtbaren Hand
7.2 Crofts Theorie der Äußerungsselektion
7.3 Vergleich und kritische Bewertung
7.3.1 Zwei Ebenen oder Phasen des Sprachwandels und zwei Gruppen von Erklärungsfaktoren
7.3.2 Zum Begriff der Frequenz und zur Verbreitung von Innovationen in Form einer S-Kurve
7.3.3 Zur Auslegung des «Evolutionären» 147
7.3.4 Der Vorwurf der Zirkularität und das Verhältnis von Makro- und Mikroebene bei Keller
7.3.5 Das Paradox des Wandels und das Teleologieproblem
7.3.6 Zur Umsetzung des methodologischen Individualismus
7.3.7 Zur Einbeziehung von Entlehnungen
7.4 Zusammenfassung
8 Diskussion weiterer Ansätze im Hinblick auf die wesentlichen Desiderate für eine Sprachwandeltheorie
8.1 Ein kognitiver Ansatz zur Analyse von Entlehnungen innerhalb lexikalischer Innovationen
8.2 Coserius Konzeption von Sprachwandel und das Prinzip des methodologischen Individualismus
8.3 Zusammenfassung
9 Ein Schema zur Beschreibung und Erklärung von Entlehnung und Sprachwandel
9.1 Anforderungen an eine Modellierung von Sprachwandel
9.2 Phasen des Sprachwandels und die Ebenen des Sprachlichen
9.3 Erklärungsfaktoren für sprachliche Innovationen und ihre Adoptionen
9.4 Ein benutzerbasiertes und umfassendes Modell für Entlehnung und Sprachwandel
9.5 Zur Anwendung des Schemas auf Entlehnungsprozesse: Theoretische und methodologische Implikationen
9.5.1 Zur Betrachtung von Entlehnungen auf der individuellaktuellen Ebene
9.5.2 Analyse traditioneller Erklärungsfaktoren
9.5.2.1 Intensität des Sprachkontakts
9.5.2.2 Grad der Zweisprachigkeit
9.5.2.3 Prestige der beteiligten Sprachen
9.5.2.4 Purismus
9.5.2.5 Strukturelle Faktoren und genealogische Verwandtschaft
9.5.2.6 Wortart und Morphemtyp
9.5.2.7 Frequenz
9.5.2.8 Semantischer Bereich/Wortfeld
9.5.2.9 Zusammenfassung
9.5.3 Zur Einlösbarkeit des methodologischen Individualismus bei Lehnwortanalysen
9.6 Zusammenfassung
10 Semiotische und kommunikationstheoretische Überlegungen
10.1 Anforderungen an die semiotische Modellierung von Entlehnungen
10.1.1 Entlehnung als konkretes kommunikatives Ereignis
10.1.2 Entlehnung als sprachenübergreifendes Phänomen
10.1.3 Mehrdeutigkeit und semantischer Wandel
10.1.4 Kreativität und Konvention
10.1.5 Zur Unterbestimmtheit entlehnter Einheiten
10.1.6 Zwischenfazit
10.2 Analyse traditioneller Zeichen- und Kommunikationsmodelle
10.2.1 Zur strukturalistischen Zeichenkonzeption
10.2.2 Zur Zeichenkonzeption in kognitiven Ansätzen
10.3 Vergleich und kritische Diskussion
10.3.1 Semiotisch relevante Entitäten und Bezugspunkte
10.3.2 Zur Modellierung von Mehrdeutigkeit
10.3.3 Zur Modellierung von Kreativität und Phänomenen der Unterbestimmtheit
10.3.4 Zwischenfazit
10.4 Das semiotische Modell von Blank
10.4.1 Vorstellung des Modells
10.4.2 Kritische Bewertung
10.5 Zusammenfassung
11 Kommunikationsmodell zur Erfassung von Entlehnung und Sprachwandel
11.1 Entwicklung eines umfassenden semiotischen Modells der Kommunikation
11.2 Zur Darstellung von Entlehnungsprozessen
11.3 Kommunikationsszenarien bei Prozessen der Entlehnung und ihrer Verbreitung
11.3.1 Grundlegende Parameter
11.3.2 Sog. eye-loans vs. ear-loans
11.3.3 AS-produzenteninduzierte vs. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen
11.3.4 Phasen der Entlehnung und Verbreitung im Hinblick auf die Kommunikationspartner
11.4 Zur Modellierung von Wandelprozessen durch rezipientenseitige (Re-)Analyse
11.5 Zusammenfassung
12 Luxus vs. Bedürfnis? Zur pragmatischen Dimension von Entlehnungen
12.1 Entlehnungsmotive und die pragmatische Interpretation von Entlehnungen
12.2 Die traditionelle Unterscheidung von Luxus- vs. Bedürfnislehnwort
12.3 Kritische Diskussion
12.3.1 Zur Problematik der Begriffe «Bedürfnislehnwort» und «Luxuslehnwort»
12.3.2 Zur Relevanz der Kategorien
12.3.3 Zum rhetorischen Begriff der «Katachrese»
12.4 Neuansatz einer pragmatischen Fundierung zweier Grundtypen von Innovationen
12.5 Zusätzliche formale Markiertheitseffekte
12.6 Zusammenfassung
13 Methodologie der durchgeführten Untersuchungen
13.1 Auswahl der Sprachen und des Untersuchungszeitraums
13.2 Beschränkung auf einzelne Fallstudien
13.3 Herangezogene Quellen
13.3.1 Überblick über die verschiedenen Quellentypen
13.3.2 Zur Einbeziehung von Wörterbüchern und Corpora
13.3.3 Zu linguistischen Auswertungen des Internet als Corpus
14 Frz. grappa
14.1 Aussprache und Schreibung
14.2 Morphologie
14.3 Semantik und Pragmatik
14.4 Zusammenfassung
15 Frz. fuel oil, fuel, fioul
15.1 Zur Polymorphie frz. fuel oil/frz. mazout und zum Kontext der Entlehnung
15.2 Zuweisung des Genus
15.3 Zur Herleitung von frz. fuel
15.4 Aussprache- und Schreibvarianten von frz. fuel
15.5 Zusammenfassung
16 Frz. people, pipolisation etc
16.1 Chronologie der Entwicklung bei frz. people und frz. pipolisation
16.1.1 Frz. people/pipole
16.1.2 Frz. peopolisation/pipolisation
16.2 Sprachpflegerische Bestrebungen
16.3 Eine Scheinentlehnung? Semantische und pragmatische Aspekte
16.4 Adjektivische Verwendungen und Derivationen und das Auftreten verschiedener Schreibvarianten
16.4.1 Adjektivische Verwendungen
16.4.2 Frz. pipolisation und frz. pipoliser
16.4.3 Frz. pipolerie(s) 418
16.4.4 Frz. pipolade(s) 421
16.4.5 Frz. pipolette
16.4.6 Weitere Derivationen
16.4.7 Zusammenfassung
16.5 Qualitative Analyse der Aussprache- und Schreibvarianten
16.5.1 Grade der Lehnwortintegration
16.5.2 Zur Entstehung der Varianten
16.5.3 Zur Bewertung und Verwendung der Varianten durch die Sprachbenutzer
16.6 Morphologische Aspekte der Entlehnung von frz. people
16.6.1 Genuszuweisung
16.6.2 Numerusflexion
16.7 Zusammenfassung
17 Synthese
18 Bibliographie
18.1 Wörterbücher, Corpora und Suchmaschinen
18.2 Forschungsliteratur

Citation preview

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER HOLTUS UND WOLFGANG SCHWEICKARD

Band 360

ESME WINTER-FROEMEL

Entlehnung in der Kommunikation und im Sprachwandel Theorie und Analysen zum Französischen

De Gruyter

)U$OLFLD,ZHQXQG6WHIIHQ

ISBN 978-3-023505-0 e-ISBN 978-3-023506-7 ISSN 0084-5396 %LEOLRJUD¿VFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen NationalbiblioJUD¿HGHWDLOOLHUWHELEOLRJUD¿VFKH'DWHQVLQGLP,QWHUQHWEHUKWWSGQEGQEGHDEUXIEDU ‹:DOWHUGH*UX\WHU*PE+ &R.*%HUOLQ%RVWRQ *HVDPWKHUVWHOOXQJ+XEHUW &R*PE+ &R.**|WWLQJHQ ∞*HGUXFNWDXIVlXUHIUHLHP3DSLHU 3ULQWHGLQ*HUPDQ\ ZZZGHJUX\WHUFRP

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Verzeichnis der Sprachkontakt- und Entlehnungsszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Typographische Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI 1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2

Ausgewählte Beschreibungs- und Erklärungsprobleme bei Entlehnung und Lehnwortintegration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Erklärung einzelner Integrationsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Aussprache und Schreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Morphologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Semantik und Pragmatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Übergreifende Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Probleme bezüglich grundlegender Begriffe und Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Zum Verhältnis prozessualer und resultativer Aspekte von Entlehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Zur Modellierung von formalen und semantischen Veränderungen bei Entlehnungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Das Phänomen der Varianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 27 30

Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas I: «Entlehnung» . . . . . 3.1 Entlehnung und Codeswitching. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Entlehnung und Interferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Entlehnung und Substratinterferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 38 41

3

V

11 11 11 18 21 23 23 26

3.4 3.5 3.6 3.7

Entlehnung und Scheinentlehnung nach traditionellen Auffassungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drei Typen sprachlicher Fremdheit: Sprachkontaktinduzierte Innovationen, Entlehnungen, formal fremde Wörter. . . . . . . . . . . . . . . . Begriffliche Neubestimmung: Allogenismen, unmittelbare und spätere Veränderungen bei echten Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 53 58 64

4

Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas II: Das traditionelle Verständnis von «Lehnwort» und «Lehnwortintegration». . . . . . 65 4.1 «Lehnwort» und «Fremdwort» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2 «Lehnwortintegration» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

5

Zwei Typen der Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.1 Grundlegende Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5.1.1 Integration einzelner Strukturelemente vs. Integration entlehnter Wörter insgesamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5.1.2 Etymologische und strukturelle Fremdheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.1.3 Synchronie und Diachronie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.1.4 Zum Status der verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.1.5 Deskriptive vs. explanative Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.2 Zwei Bezugspunkte bei der Betrachtung entlehnter Wörter und zwei Typen der Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.2.1 Zwei weitere Optionen neben Transferenz und Integration . . . 96 5.2.2 Zwei grundlegende Formen von Konformität . . . . . . . . . . . . . . 97 5.2.3 Mögliche Kombinationen der Konformitätstypen . . . . . . . . . . 100 5.2.4 Das Verhältnis der Konformitätskriterien zu zentralen Unterscheidungen der Entlehnungsforschung . . . . . . . . . . . . . 102 5.2.5 Anwendungen der Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.3 Zusammenfassung und Neufestlegung der Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

6

Zum Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel: Entlehnungen als Explanans für Sprachwandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Grundlegende Ansätze bei der Untersuchung von Entlehnungen . . . . 6.1.1 Lexikologische und lexikographische Ansätze. . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Sprachkontaktforschung und soziolinguistische Ansätze . . . . 6.1.3 Untersuchungen zur formal-strukturellen Integration von Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Vergleich und kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Entlehnung innerhalb von Theorien des Sprachwandels: endogener vs. exogener Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Zusammenfassung: Entlehnung als Explanandum des Sprachwandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

111 112 112 116 118 120 124 128

Zwei evolutionäre Erklärungsansätze für Sprachwandel. . . . . . . . . . . . . . . . . 131 VI

7.1 7.2 7.3

7.4 8

9

Kellers Theorie der unsichtbaren Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Crofts Theorie der Äußerungsselektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich und kritische Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Zwei Ebenen oder Phasen des Sprachwandels und zwei Gruppen von Erklärungsfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Zum Begriff der Frequenz und zur Verbreitung von Innovationen in Form einer S-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Zur Auslegung des «Evolutionären» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Der Vorwurf der Zirkularität und das Verhältnis von Makro- und Mikroebene bei Keller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Das Paradox des Wandels und das Teleologieproblem . . . . . . 7.3.6 Zur Umsetzung des methodologischen Individualismus . . . . . 7.3.7 Zur Einbeziehung von Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Diskussion weiterer Ansätze im Hinblick auf die wesentlichen Desiderate für eine Sprachwandeltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Ein kognitiver Ansatz zur Analyse von Entlehnungen innerhalb lexikalischer Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Coserius Konzeption von Sprachwandel und das Prinzip des methodologischen Individualismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Schema zur Beschreibung und Erklärung von Entlehnung und Sprachwandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Anforderungen an eine Modellierung von Sprachwandel. . . . . . . . . . . 9.2 Phasen des Sprachwandels und die Ebenen des Sprachlichen . . . . . . . 9.3 Erklärungsfaktoren für sprachliche Innovationen und ihre Adoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Ein benutzerbasiertes und umfassendes Modell für Entlehnung und Sprachwandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Zur Anwendung des Schemas auf Entlehnungsprozesse: Theoretische und methodologische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Zur Betrachtung von Entlehnungen auf der individuellaktuellen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Analyse traditioneller Erklärungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.1 Intensität des Sprachkontakts . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.2 Grad der Zweisprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.3 Prestige der beteiligten Sprachen . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.4 Purismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.5 Strukturelle Faktoren und genealogische Verwandtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.6 Wortart und Morphemtyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.7 Frequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.8 Semantischer Bereich/Wortfeld . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 134 135 136 140 147 152 159 164 166 175 179 179 189 195 197 197 198 203 206 212 212 214 215 215 218 218 220 221 221 222 224

VII

Zur Einlösbarkeit des methodologischen Individualismus bei Lehnwortanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

9.5.3 9.6

10 Semiotische und kommunikationstheoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . 10.1 Anforderungen an die semiotische Modellierung von Entlehnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Entlehnung als konkretes kommunikatives Ereignis . . . . . . . . 10.1.2 Entlehnung als sprachenübergreifendes Phänomen . . . . . . . . . 10.1.3 Mehrdeutigkeit und semantischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.4 Kreativität und Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.5 Zur Unterbestimmtheit entlehnter Einheiten. . . . . . . . . . . . . . . 10.1.6 Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Analyse traditioneller Zeichen- und Kommunikationsmodelle . . . . . . 10.2.1 Zur strukturalistischen Zeichenkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Zur Zeichenkonzeption in kognitiven Ansätzen. . . . . . . . . . . . 10.3 Vergleich und kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Semiotisch relevante Entitäten und Bezugspunkte. . . . . . . . . . 10.3.2 Zur Modellierung von Mehrdeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Zur Modellierung von Kreativität und Phänomenen der Unterbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.4 Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Das semiotische Modell von Blank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Vorstellung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Kritische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Kommunikationsmodell zur Erfassung von Entlehnung und Sprachwandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Entwicklung eines umfassenden semiotischen Modells der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Zur Darstellung von Entlehnungsprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Kommunikationsszenarien bei Prozessen der Entlehnung und ihrer Verbreitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Grundlegende Parameter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Sog. eye-loans vs. ear-loans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 AS-produzenteninduzierte vs. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Phasen der Entlehnung und Verbreitung im Hinblick auf die Kommunikationspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Zur Modellierung von Wandelprozessen durch rezipientenseitige (Re-)Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 229 230 232 235 236 237 238 238 242 244 244 248 248 250 250 251 254 256 259 259 268 271 272 273 276 282 288 292

12 Luxus vs. Bedürfnis? Zur pragmatischen Dimension von Entlehnungen . . . 295

VIII

12.1 Entlehnungsmotive und die pragmatische Interpretation von Entlehnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die traditionelle Unterscheidung von Luxus- vs. Bedürfnislehnwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Kritische Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Zur Problematik der Begriffe «Bedürfnislehnwort» und «Luxuslehnwort». . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Zur Relevanz der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Zum rhetorischen Begriff der «Katachrese» . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Neuansatz einer pragmatischen Fundierung zweier Grundtypen von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Zusätzliche formale Markiertheitseffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309 316 318

13 Methodologie der durchgeführten Untersuchungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Auswahl der Sprachen und des Untersuchungszeitraums. . . . . . . . . . . 13.2 Beschränkung auf einzelne Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Herangezogene Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Überblick über die verschiedenen Quellentypen . . . . . . . . . . . 13.3.2 Zur Einbeziehung von Wörterbüchern und Corpora . . . . . . . . 13.3.3 Zu linguistischen Auswertungen des Internet als Corpus . . . .

321 321 323 325 325 326 328

14 Frz. grappa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Aussprache und Schreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Semantik und Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

337 337 339 350 353

15 Frz. fuel oil, fuel, fioul. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Zur Polymorphie frz. fuel oil/frz. mazout und zum Kontext der Entlehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Zuweisung des Genus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Zur Herleitung von frz. fuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Aussprache- und Schreibvarianten von frz. fuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

16 Frz. people, pipolisation etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Chronologie der Entwicklung bei frz. people und frz. pipolisation . . . 16.1.1 Frz. people/pipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.2 Frz. peopolisation/pipolisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Sprachpflegerische Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Eine Scheinentlehnung? Semantische und pragmatische Aspekte. . . . 16.4 Adjektivische Verwendungen und Derivationen und das Auftreten verschiedener Schreibvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.1 Adjektivische Verwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.2 Frz. pipolisation und frz. pipoliser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.3 Frz. pipolerie(s) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296 301 303 303 304 308

357 362 365 368 375 377 379 379 389 400 402 412 412 415 418

IX

16.4.4 Frz. pipolade(s) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.5 Frz. pipolette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.6 Weitere Derivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Qualitative Analyse der Aussprache- und Schreibvarianten. . . . . . . . . 16.5.1 Grade der Lehnwortintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.2 Zur Entstehung der Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.3 Zur Bewertung und Verwendung der Varianten durch die Sprachbenutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6 Morphologische Aspekte der Entlehnung von frz. people . . . . . . . . . . 16.6.1 Genuszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.2 Numerusflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

421 425 432 437 439 440 453 457 467 467 473 479

17 Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 18 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 18.1 Wörterbücher, Corpora und Suchmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 18.2 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

X

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22:

Positionen zur Lehnwortintegration innerhalb von OT. . . . . . . . . . . . . . 16 Schematische Darstellung des Verhältnisses von AS und ZS (nach Kabatek 1996, 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Zur Unterscheidung von borrowing und substratum interference . . . . . 44 Abgrenzung dreier Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Zum Verhältnis der Gegenstandsbereiche dreier Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit . . . 56 Abgrenzung von Allogenismen gegenüber anderen Typen von Divergenzen im Kontext von Entlehnungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . 63 Klassifikation von Lehnwörtern nach Betz (1959; 1974; 1975) . . . . . 68 Die Unterscheidung von Fremdwort und Lehnwort nach Carstensen (1968) und Kiesler (1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Potenzielle Entwicklung entlehnter Wörter innerhalb der ZS . . . . . . . . 85 Strukturelle Analyse der ZS-Formen: Korrespondenz – Lehnwortintegration – Transferenz – Allogenismus . . . . . . . . . . . . . . . 101 Analyse von engl. beef-steak [bi:fsteųk] ĺ frz. bifteck [biftŤk] nach den Konformitätskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Analyse von frz. bureau [by'ro] ĺ dt. Bureau [by'ro:] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Die allgemeine Form von Erklärungen mittels der unsichtbaren Hand nach Keller (1994, 125; 1995, 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Sprachwandel nach Crofts Theorie der Äußerungsselektion . . . . . . . . 135 Die S-Kurve zur Beschreibung des Verlaufs der Verbreitung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Drei Typen evolutionärer Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Die Struktur diagnostischer Erklärungen nach Keller. . . . . . . . . . . . . . 154 Zu Crofts Anwendung der Begriffe «Innovation» und «Selektion» auf Entlehnungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Schema zur Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel . . . . . . . 208 Das Zeichenmodell des Cours de linguistique générale (Saussure 1969 [11916], 158) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Der circuit de la parole (Saussure 1969 [11916], 27) . . . . . . . . . . . . . 240 Das Kommunikationsmodell des Cours de linguistique générale (Saussure 1969 [11916], 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 XI

Abb. 23: Das semiotische Modell Blanks (2001a, 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 24: Zuordnung von Ebenen des Wissens und Ebenen der Bedeutung nach Blank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 25: Modell der sprachlichen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 26: Zur Unterscheidung von medial graphischen und medial phonischen Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 27: Integrationsschritte nach Scholz (2004, 254) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 28: Integrationsschritte für medial graphische und phonische Entlehnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 29: Sprachkontakt, Entlehnung und Verbreitung der Innovation bei (AS-)produzenteninduzierten Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 30: Sprachkontakt, Entlehnung und Verbreitung der Innovation bei (ZS-)rezipienteninduzierten Entlehnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 31: Charakterisierung der Kommunikationsbedingungen in Phasen der Entlehnung/Innovation und Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 32: Pragmatische Inferenzen bei katachrestischen und nichtkatachrestischen Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 33: Analyse von it. grappa ['grap.pa] ĺ frz. grappa [gra.'pa] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 34: Datenblatt für frz. fioul im Journal officiel (22/09/2000) . . . . . . . . . . Abb. 35: Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 36: Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 37: Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 38: Titelblatt der Libération No 7877 (Libération, 05 septembre 2006, Zeichnung: Willem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 39: Relative Häufigkeit der Varianten und im Verlauf ihrer Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 40: Potenzielle semantisch-formale Motivationsbeziehungen für frz. people . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 41: Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] bzw. [pi'pœl] nach den Konformitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 42: Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] nach den Konformitätskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 43: Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] nach den Konformitätskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 44: Semiotische Modellierung des Sprachkontakts bei ZSrezipienteninduzierten Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XII

252 254 261 273 274 275 278 279 285 313 338 368 369 371 373 395 397 438 446 447 448 486

Verzeichnis der Tabellen

Tab. 1:

Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8:

Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17:

Beleghäufigkeiten für Varianten von frz. pipolisation an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (18.12.2008/19.12.2008) auf der Grundlage gängiger Internetsuchmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für maskuline und feminine Verwendungen von frz./it. grappa im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten von vs. im Internet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Kookkurrenzen von frz. pipolisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diachronischer Vergleich der Beleghäufigkeiten verschiedener Schreibvarianten von frz. pipolisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kookkurrenzen für frz. people auf der Grundlage von WebCorp . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. und . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. und und Vergleich zu Varianten von frz. pipolisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolisation und Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipoliser und Varianten. . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolerie und Varianten. . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolade und Varianten . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolette und Varianten . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. people und verbreitete Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beleghäufigkeiten für Varianten von frz. people in den Ausdrücken "presse ~", "actu ~", "politique ~" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für die Nomina frz. peoplePl – peoplesPl, pipolePl – pipolesPl, pipeulPl – pipeulsPl . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Beleghäufigkeiten für die Adjektive frz. peoplePl – peoplesPl, pipolePl – pipolesPl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332 341 375 392 399 404 413

414 415 416 421 422 425 442 450 476 477

XIII

Verzeichnis der Sprachkontakt- und Entlehnungsszenarien

it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’ . . . . . . . . dt. „Was ist das?“ ĺ frz. vasistas ‘Guckfenster’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sp. sombrero ‘Hut’ ĺ frz. sombrero ‘breitkrempiger Hut’. . . . . . . . . . . . . . . . it. alicorno ‘Einhorn’ ĺ mfrz. licorne ‘Einhorn’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . it. spaghetti N.m.pl. ‘Spaghetti’ ĺ frz. spaghetti N.m.sg. ‘Spaghetti’ . . . . . . . . engl. flipper ‘Flipperhebel’ ĺ it./frz. flipper ‘Flipperautomat, Flipperspiel’ . . . it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’ . . . . . . . . engl. fuel ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel ‘Heizöl’ . . . . . . . . . . . . . . . . . engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fioul [fjul] ‘Heizöl’ . . . . . . engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel [fŮŤl] ‘Heizöl’. . . . . . . engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel [fjul] ‘Heizöl’ . . . . . . . engl. people ['pipԥl] ‘Leute’ ĺ frz. people ‘berühmte Leute’ . . . . . . . . . . . . . . frz. people Adj. ‘people-bezogen’ ĺ frz. people Adj. ‘glamourös’ . . . . . . . . . . engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. people [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ bzw. engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. people [pi'pœl] ‘berühmte Leute’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. peopole [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ . . . . . . . engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. pipole [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ bzw. engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. pipeul [pi'pœl] ‘berühmte Leute’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIV

269 281 284 289 289 292 354 366 370 372 374 407 412

454 455

456

Glossar

Adoption Übernahme einer Innovation durch einen einzelnen Sprachbenutzer, als Phänomen auf der individuell-aktuellen Ebene des Diskurses (in Abgrenzung zur Verbreitung einer Innovation) aktueller Diskursraum mentaler Raum mit Elementen und Relationen, die vom Produzenten und Rezipienten als gemeinsame Grundlage der Kommunikation konstruiert werden (cf. Langacker 2001, 144) Allogenismus sprachliche Innovation innerhalb der «ZS», die nicht durch eine Sprachkontaktsituation mit der vermeintlichen «AS» induziert ist, gleichzeitig aber auf sprachliches Material zurückgreift, das innerhalb der «ZS» nicht produktiv ist und sich durch eine formal-strukturelle Fremdheit auszeichnet (Nichtkonformität der ZS-Form bzw. eines einzelnen Merkmals derselben mit der «AS»-Form und gleichzeitige Nichtkonformität mit dem ZS-System) Analogiebildung (nach fremdsprachlichem Vorbild) sprachkontaktinduzierte Innovation, bei der in Analogie zu einem AS-Vorbild in der ZS eine Wortbildung oder ein Bedeutungswandel erfolgt (auch: Lehnprägung, Lehnbedeutung) AS-produzenteninduzierte Entlehnung Entlehnung, die durch einen nativen Sprecher der AS (oder einen Sprecher mit annähernd nativer Sprachkompetenz der AS) erfolgt eigene lexikalische Innovation sprachkontaktinduzierte Innovation, bei der durch Wortbildung oder Bedeutungswandel ein ZS-Äquivalent für eine AS-Form geschaffen wird, das nicht durch die AS-Form (weder im Sinne einer Übernahme noch im Sinne einer Analogiebildung) beeinflusst ist (auch: Lehnschöpfung, substituierende Lehnbedeutung) Entlehnung Schaffung einer (ZS-)Bezeichnung, die durch eine fremdsprachliche (AS-) Bezeichnung beeinflusst ist Entlehnung, direkte Verwendung eines aus einer anderen Sprache (AS) übernommenen Ausdrucks in der ZS Entlehnung, indirekte siehe Analogiebildung entrenchment Routinisierung der Wiedererkennung und Verarbeitung sprachlicher Einheiten als individualpsychologisches, kognitives Faktum (cf. Langacker 1987; Croft 2000, 236) Erstentlehnung, absolute erstmalige Verwendung einer aus der AS übernommenen Form (oder einer Analogiebildung nach fremdsprachlichem Vorbild) in der ZS in Bezug auf die ZS bzw. auf eine objektive Zeitachse, d.h. chronologisch

XV

erster Beleg einer Verwendung innerhalb der ZS (in Abgrenzung zur Erstentlehnung aus Sicht der Sprachbenutzer) Erstentlehnung aus Sicht der Sprachbenutzer erstmalige Verwendung einer aus der AS übernommenen Form (oder einer Analogiebildung nach fremdsprachlichem Vorbild) in der ZS, bei der der Produzent davon ausgeht, dass der Rezipient das Wort noch nicht (als ZS-Form) kennt (in Abgrenzung zur absoluten Erstentlehnung) Fremdwort entlehntes Wort, das durch eine partielle Nichtkonformität gegenüber dem ZS-System charakterisiert ist, d.h. formal-strukturelle Fremdheitsmerkmale (Laute, Lautkombinationen, Wortakzent, Grapheme etc.) aufweist, die Transferenzen darstellen fremdes Wort Wort, das innerhalb einer gegebenen Sprache formal-strukturelle Fremdheitsmerkmale aufweist (cf. Heller 1980, 169; Eisenberg/Baurmann 1980; Winter 2005) Innovation direkt beobachtbare Abweichung von der sprachlichen Konvention in einer diskursiven Äußerung (d.h. als Phänomen der Performanz; cf. Coseriu 1983, 56), wobei sich die Abweichung auch nur auf einzelne linguistische Ebenen beziehen kann (in Abgrenzung zu Veränderungen in der Sprechergrammatik als Phänomen der Kompetenz) Innovation, sprachkontaktinduzierte in einer gegebenen Sprache neu geschaffene Bezeichnung (durch Übernahme, Analogiebildung oder eigene lexikalische Innovation), die auf eine Sprachkontaktsituation zurückgeht (cf. Winter 2005) Integration, Lehnwortintegration Prozess, der bei Wörtern etymologisch fremder Herkunft stattfinden kann und durch den diese der ZS angeglichen werden, indem bestimmte formal-strukturelle Fremdheitsmerkmale abgebaut und durch ZSsystemkonforme Elemente ersetzt werden; Nichtkonformität der ZS-Form (bzw. eines einzelnen Merkmals derselben) mit der AS-Form und gleichzeitige Konformität mit dem ZS-System, wobei die entsprechende Veränderung gegenüber der AS-Form unmittelbar bei der Entlehnung vorgenommen werden (Kontaktintegration) oder zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden kann (ZS-interne Integration) (auch: Assimilation, Nativisierung, Adaptation) katachrestische Innovation Innovation, bei der zum Innovationszeitpunkt keine Alternativbezeichnung für das entsprechende Konzept in der betrachteten Sprache vorhanden ist (in Abgrenzung zur nichtkatachrestischen Innovation) kommunikativer Referent in der Kommunikation aktualisierte Entität, auf die mit einer aktualisierten Zeichensequenz verwiesen wird Konformität (bzw. Nichtkonformität) gegenüber dem ZS-System formale Übereinstimmung (bzw. Nichtübereinstimmung) eines Merkmals einer ZS-Form mit den Strukturen des ZS-Systems Konformität (bzw. Nichtkonformität) gegenüber der AS-Form formale Übereinstimmung (bzw. Nichtübereinstimmung) eines Merkmals einer ZS-Form mit dem entsprechenden Merkmal der AS-Form Kontaktintegration, unmittelbare Integration Integration bei der Entlehnung selbst (d.h. bei der ersten Verwendung in der ZS); die Integration erfolgt in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontakt mit der AS-Form (in Abgrenzung zur ZS-internen Integration) XVI

Korrespondenz Konformität der ZS-Form (bzw. eines einzelnen Merkmals derselben) mit der AS-Form und gleichzeitige Konformität mit dem ZS-System Lehngut auf Entlehnung/Interferenz zurückgehende Elemente einer Sprache, die sich in dieser bereits etabliert haben (cf. Kabatek 1996, 20); durch fremdsprachliche Bezeichnungen beeinflusste Elemente einer Sprache; Resultat von Entlehnungsprozessen Lehnwort Ergebnis einer direkten Entlehnung; Oberbegriff, der Lehnwörter im engeren Sinn und Fremdwörter umfasst Lehnwort im engeren Sinn entlehntes Wort, das sich auf allen Beschreibungsebenen durch eine vollständige Konformität mit dem ZS-System auszeichnet, d.h. bei dem keine formal-strukturellen Fremdheitsmerkmale vorliegen (aufgrund von Integrationen bzw. Korrespondenzen) methodologischer Individualismus Ansatz, nach dem sprachliche Phänomene grundsätzlich ausgehend von der Ebene der Sprachbenutzer/der parole konzipiert werden (usage-based); für sprachlichen Wandel angesetzte Erklärungsfaktoren werden demnach grundsätzlich auf das sprachliche Handeln der einzelnen Sprachbenutzer bezogen nichtkatachrestische Innovation Innovation, die neben eine bereits in der Sprache vorhandene, alternative Bezeichnung für das jeweilige Konzept tritt (in Abgrenzung zur katachrestischen Innovation) Produzent Sprecher oder Schreiber Rezipient Hörer oder Leser Scheinentlehnung cf. Allogenismus sprachkontaktinduzierte Innovation lexikalische Innovation in der ZS, die in Folge einer Sprachkontaktsituation geschaffen wird, um ein ZS-Äquivalent für einen AS-Ausdruck zu schaffen (mittels direkter Entlehnung/Übernahme, indirekter Entlehnung/Analogiebildung oder eigener lexikalischer Innovation) Transferenz Konformität der ZS-Form (bzw. eines einzelnen Merkmals derselben) mit der AS-Form und gleichzeitige Nichtkonformität mit dem ZS-System Varianz Vorkommen unterschiedlicher Varianten eines einzelnen Lehnworts innerhalb einer ZS (z.B. frz. chat/tchat, frz. people/pipole) Verbreitung Ausbreitung einer Innovation als überindividuelles Phänomen, betrachtet auf der Ebene der historischen Einzelsprache bzw. mit Bezug auf die Sprachgemeinschaft als ganze (in Abgrenzung zur Adoption einer Innovation) ZS-interne Integration, spätere Integration weitere Integration eines entlehnten Worts innerhalb der ZS; Grundlage entsprechender Prozesse ist eine zu einem früheren Zeitpunkt in die ZS entlehnte Form, die noch formal-strukturelle Fremdheitsmerkmale aufweist (in Abgrenzung zur Kontaktintegration) ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung Entlehnung, die durch einen nativen Sprecher der ZS (oder einen Sprecher mit annähern nativer Sprachkompetenz der ZS) erfolgt, wobei die entsprechende Form zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen eines Sprachkontakts mit einem AS-Produzenten in das Wissen dieses ZSProduzenten eingegangen ist

XVII

Typographische Konventionen

„…fuel…“ […'fju:ԥl…] «…fuel…» kursiv [ ]

/ / < > < >ļ[ ]

[K] bzw. [V] bzw. /

__ ‘Bedeutung’ KONZEPT

«Klasse» «FRAME» )Referent { } . *

XVIII

aktualisierte Zeichensequenz (unter Vernachlässigung der Unterscheidung von phonischer und graphischer Realisierung) phonische Zeichensequenz graphische Zeichensequenz Zeichenausdruck (unter Vernachlässigung der Unterscheidung von Lautung und Schreibung) Zeichenausdruck (Lautung), ggf. unter Berücksichtigung einzelner allophonischer Lautdifferenzierungen; phonisches Segment oder Phonem (nur wenn Phoneme ausdrücklich von Allophonen unterschieden werden sollen, stehen erstere zwischen Schrägstrichen) Phonem (in Unterscheidung zu Allophonen) Zeichenausdruck (Schreibung); graphisches Segment oder Graphem Graphem-Phonem-Korrespondenz, -regel; Korrespondenz oder Korrespondenzregel zwischen einem graphischen und einem phonischen Segment beliebiger Konsonant bzw. Konsonantenbuchstabe beliebiger Vokal bzw. Vokalbuchstabe in Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln zu lesen als «wenn» (bei Angaben des graphischen oder phonischen Kontexts; cf. Meisenburg 1996, XII) im graphischen oder phonischen Kontext einer GraphemPhonem-Korrespondenzregel Platzhalter für das in der Regel behandelte Element (cf. Meisenburg 1996, XII) einzelsprachlicher Zeicheninhalt außereinzelsprachliches Konzept Referentenklasse Frame kommunikativer Referent Morphem Silbengrenze nicht belegte oder nicht normgerechte Form

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

ahdt. altokz. ALLO altfrz. altokz. am.engl. AS, ASaztek. bras.pg. brit. brit.engl. CS dt. engl. frz. GPK INT it. jap. jüd.-dt. K K AS-F K ZS-S Komm KORR lomb. lat. mfrz. mhdt. NK NK AS-F NK ZS-S okz. OT, OTpenns.dt.

althochdeutsch altokzitanisch Allogenismus altfranzösisch altokzitanisch amerikanisch-englisch Ausgangssprache, ausgangssprachlich aztekisch brasilianisch-portugiesisch britisch (bei Angaben der Aussprache englischer Wörter) britisch-englisch Codeswitching deutsch englisch französisch Graphem-Phonem-Korrespondenz Integration italienisch japanisch jüdisch-deutsch Konformität Konformität mit der ausgangssprachlichen Form Konformität mit dem zielsprachlichen System Kommunikation Korrespondenz lombardisch lateinisch mittelfranzösisch mittelhochdeutsch Nichtkonformität Nichtkonformität mit der ausgangssprachlichen Form Nichtkonformität mit dem zielsprachlichen System okzitanisch Optimalitätstheorie, optimalitätstheoretisch pennsylvanisch-deutsch XIX

PGK Prod pg. Rez russ. schwäb. sp. splat. TRANS U.S. ZS, ZS-

XX

Phonem-Graphem-Korrespondenz Produzent portugiesisch Rezipient russisch schwäbisch spanisch spätlateinisch Transferenz amerikanisch (bei Angaben der Aussprache englischer Wörter) Zielsprache, zielsprachlich

Vorwort

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die zum Zustandekommen dieser Arbeit beigetragen haben. Dies sind an erster Stelle Peter Koch und Richard Waltereit, die die Arbeit von Beginn an betreut haben, mir dabei kreativen Freiraum und gleichzeitig in den verschiedenen Phasen der Arbeit wichtige inhaltliche Anregungen gegeben und mich immer wieder angespornt haben. Für wertvolle und sehr engagierte Diskussionen danke ich insbesondere Heidi Aschenberg, John Humbley, Johannes Kabatek und Alexander Onysko. Sie haben mich angeregt, bestimmte Aspekte meiner Arbeit gedanklich zu präzisieren und genauer auszuarbeiten. Für inhaltliche Kommentare und Anregungen danke ich ferner Martin Becker, Christine Blauth-Henke, Klaus Böckle, Sarah Dessì Schmid, Ulrich Detges, Jean-Pierre Durafour, Vitória Gondim Jacoby, Stefan Hofstetter, Reinhard Meisterfeld sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Tübinger Oberseminars. Reinhild Steinberg und Beate Starke danke ich für die zuverlässige organisatorische Unterstützung. Weiterhin danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes für die Förderung der vorliegenden Arbeit und insbesondere Rolf Reuter für die Betreuung vor Ort sowie Imke Thamm für die freundliche Unterstützung während der Abschlussphase der Dissertation. Günter Holtus und Wolfgang Schweickard danke ich für die Aufnahme der Schrift in die Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Ebenso danke ich dem Verlag De Gruyter, insbesondere Ulrike Krauß und Norbert Alvermann, für die freundliche und kompetente Betreuung der Publikation. Schließlich geht ein ganz besonderer Dank an Alicia, Iwen und Steffen.

Tübingen/Nehren, Juni 2011

XXI

1

Einleitung

Lexikalische Entlehnungen stellen ein seit langer Zeit in der Romanistik und darüber hinaus intensiv untersuchtes Phänomen dar, und es existieren zahlreiche Wortschatzuntersuchungen, die sprachliches Lehngut für verschiedene Ausgangs- und Zielsprachen zusammenstellen (cf. u.a. Betz 1936; 1945; 1949; Deroy 1956; Hope 1971; Görlach, ed., 2002 sowie zahlreiche Spezialwörterbücher für Lehngut, u.a. DAngl; Dda; DILE; DMOE). Dabei werden immer wieder auffällige Entlehnungen und Lehnwortintegrationen angeführt, etwa: (1)

engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ ĺ frz. puzzle [pœzl], ‘Legespiel’ (OED; PR; Dda; DHLF) 1

(2)

engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ ĺ it. puzzle ['pazol] ‘Legespiel’ (OED; DO; DELI)

Entlehnungen und Lehnwortintegrationen werden dabei im Wesentlichen auf der Ebene des Sprachsystems betrachtet, d.h. Darstellungen wie die obigen können wie folgt ausformuliert werden: Wortform X wird aus Sprache A in Sprache B übernommen und dabei integriert zu Wortform Y. Eine solche Darstellung erscheint prinzipiell völlig berechtigt, doch wird damit im Grunde nicht erfasst, wie die einzelnen Entlehnungs- und Integrationsprozesse ablaufen und wie sie erklärbar sind. Darstellungen des obigen Typs geben allenfalls Anfangs- und Endpunkt einer Entwicklung wieder, die Komplexität der tatsächlich ablaufenden Prozesse wird damit jedoch keineswegs erfasst. So ist etwa grundsätzlich zu beachten, dass Entlehnungen prinzipiell nicht zwischen Sprachen stattfinden, sondern immer nur von Sprechern (oder Schreibern) vorgenommen werden. Der Begriff «Entlehnung» selbst impliziert ein menschliches Agens und ist damit zunächst einmal darauf zu beziehen, dass ein Sprecher eine Entlehnung vornimmt, d.h. bei einer Äußerung einen Ausdruck aus einer anderen Sprache übernimmt. Eine Betrachtung von Entlehnungen auf der Ebene der Sprachen kann daher allenfalls in einem übertragenen Sinn konzipiert werden (cf. Alexieva 2008, 47–48). Zusätzlich ist das Verhältnis der beiden Aspekte – der Entlehnung durch die Sprachbenutzer und dem Ergebnis solcher Prozesse auf der Ebene der Sprache – zu klären. Weiterhin stellt sich insbesondere für Veränderungen der Bedeutung und der Aussprache wie in Bsp. (1) und (2) die Frage, wie diese im Einzelnen erklärt werden 1

Die Kürzel für die zitierten Wörterbücher und Corpora werden im Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit aufgelöst.

1

können; dabei ist wiederum die Bezugnahme auf die Sprecher (oder Schreiber), die die Formen verwenden, zentral. Darüber hinaus erweisen sich Entlehnungsprozesse in vielen Fällen als wesentlich komplexer, als die obigen Darstellungen vermuten lassen. So sind für viele Entlehnungen zusätzliche Varianten belegt, die sich hinsichtlich des Integrationsgrads voneinander unterscheiden und innerhalb der Zielsprachen in Konkurrenz zueinander stehen. So ist etwa für frz. puzzle auch eine andere Aussprache belegt: 2 (3)

engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ĺ frz. puzzle [pœ'zœl] (OED; PR; Dda; DHLF)

Ein weiteres, sehr markantes Beispiel ist die Varianz in den Bereichen der Schreibung, Aussprache und Flexion, die bei der Entlehnung von engl. people ins Französische zu beobachten ist. So sind unter anderem die folgenden Formen belegt (zusätzlich zeigen die Belege, dass wiederum eine auffällige Veränderung in der Bedeutung gegenüber dem Englischen eintritt): 3

2

3

(4)

Le Nouvel An des people. Les célébrités aiment à se retrouver pour réveillonner. […] (Artikel vom 01.01.2009, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF)

(5)

Dis AD, c'est une "pipole" la fille sur la photo ? ou une star de qq chose ? tu l'as vue où ? (Beitrag vom 16.12.2005 in einer Internetdiskussion, Autor: MAJOR TOM, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF)

Da in der vorliegenden Arbeit für einzelne Beispiele sehr viele (Aussprache-, Schreib- und morphologische) Varianten besprochen werden, zähle ich diese aus Gründen der besseren Übersicht jeweils neu durch. Ebenso bespreche ich in einzelnen Abschnitten in der Regel nur bestimmte Aspekte der Lehnwörter (etwa lautliche oder semantische Aspekte) und spezifiziere daher jeweils nur die unmittelbar relevanten Aspekte. Wenn in späteren Abschnitten andere Aspekte dieser Lehnwörter behandelt werden, so sind die Beispiele wiederum neu durchgezählt. Nachfolgend gebe ich bei Internetbelegen auch metatextuelle Informationen zu Textsorte, Veröffentlichungsdatum und Autor bzw. Autorin (hierunter erfasse ich den Namen bzw. den selbstgewählten Nickname oder das Pseudonym des Sprechers). Die selbstgewählten Nicknames können dabei auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale hindeuten bzw. entsprechende Selbstcharakterisierungen ausdrücken (etwa Geschlecht, Alter und Nationalität sowie bestimmte Einstellungen, etwa eine aufgeschlossene Haltung gegenüber sprachlichen Innovationen oder gegenüber der Ausgangssprache, cf. u.a. die Nicknames bei französischsprachigen Beiträgen «Captain Gloo», «pocketgirl», «wicked», «Stitch», «RestaInAscolto»). Aufgrund des prinzipiell spekulativen Charakters entsprechender Zuschreibungen (die Selbstcharakterisierungen können fiktiv sein, d.h. die Angaben müssen nicht wahrheitsgemäß sein) werden diese bei der Interpretation der einzelnen Belege jedoch nicht systematisch einbezogen.

2

(6)

Une vrai [sic, EWF] célébrité, un pipeul ! […] (Beitrag von Dezember 2008 in einer Internetdiskussion, Autor: ??? [sic, EWF], , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF)

Demnach ließen sich gemäß der traditionellen Darstellungsform – mindestens! – die folgenden Entlehnungen und Integrationen angeben: (7)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. people N.pl.inv. ‘berühmte Leute’

(8)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. pipole [pipŝl] N.f.sg. ‘berühmte Person’

(9)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. pipeul [pipœl] N.m.sg. ‘berühmte Person’

In vielen traditionellen Darstellungen wird das Phänomen der Varianz weitgehend ausgeblendet: Vielfach wird jeweils nur eine bestimmte Variante des entlehnten Worts in der Zielsprache registiert, wobei Frequenzkritierien (Auswahl der häufigsten Form) oder auch puristische Kriterien (Auswahl einer als «angemessen» eingestuften Integrationsform) zugrunde gelegt werden. Entsprechende puristische Filterungen erscheinen jedoch für linguistische Analysen wie die hier vorgenommenen grundsätzlich nicht adäquat. Und auch bei einer frequenzbasierten Beschränkung auf die häufigste Variante eines Lehnworts – etwa frz. people – ist festzustellen, dass damit nicht die reale Situation wiedergegeben wird, sondern eine (relative) Homogenität vorgetäuscht wird. Schließlich erscheint das Phänomen der Varianz in theoretischer Hinsicht insofern von zentraler Bedeutung, als dadurch die Regelhaftigkeit und Vorhersagbarkeit bestimmter Integrationsprozesse grundsätzlich unterlaufen wird, d.h. es stellt sich die Frage, inwieweit für aktuelle Entlehnungen überhaupt regelmäßige Integrationsphänomene oder zumindest -tendenzen angegeben werden können. Aus dem Gesagten ergibt sich als wesentliche Zielsetzung der vorliegenden Arbeit, die Komplexität von Prozessen der Entlehnung und Lehnwortintegration aufzuarbeiten und in theoretischer Hinsicht zu modellieren. Anhand einer Analyse aktueller bzw. relativ kurz zurückliegender lexikalischer Entlehnungen in die Zielsprachen Französisch und Italienisch soll der Versuch unternommen werden, die theoretischen Grundlagen des gemeinhin als «Entlehnung» bezeichneten Phänomens zu klären, wobei das Phänomen der Varianz in seiner gesamten Breite berücksichtigt werden soll. Dabei wird eine Konzeption von Entlehnung und Lehnwortintegration zugrunde gelegt, die von zwei an sich trivialen Merkmalen von Entlehnungsprozessen ausgeht, die jedoch bislang nur ansatzweise im Rahmen theoretischer und empirischer Arbeiten umgesetzt wurden. Erstens handelt es sich um die Feststellung, dass Entlehnung und Lehnwortintegration ein Phänomen des Sprachwandels darstellen. Dementsprechend soll Entlehnung innerhalb einer umfassenden Konzeption von Sprachwandel betrachtet und erklärt werden. In der bisherigen Entlehnungs- und Sprachwandelforschung ist allerdings noch immer eine Trennung von «externen» und «internen» Wandelprozessen vorherrschend, d.h. die Beschreibung und Erklärung beider Bereiche erfolgt in der

3

Regel weitgehend unabhängig voneinander. Die vorliegende Arbeit möchte daher explizit an den Bereich von Sprachwandel im Allgemeinen anknüpfen und Erklärungsansätze für Entlehnungsprozesse entwickeln, die sowohl Erkenntnisse aus Untersuchungen internen Wandels einbeziehen als auch umgekehrt auf diese zurückwirken können. Ein zweites wesentliches Prinzip der vorliegenden Arbeit leitet sich dabei aus der bereits angesprochenen Feststellung ab, dass Wörter nicht von Sprachen, sondern von einzelnen Sprechern entlehnt werden. Diese Beobachtung wird zwar in zahlreichen Arbeiten der Entlehnungsforschung erwähnt, doch meist, ohne dass hieraus umfassende theoretische und methodologische Konsequenzen abgeleitet werden. In der vorliegenden Arbeit sollen die Prozesse der Entlehnung und Lehnwortintegration demnach konsequent ausgehend von den einzelnen Sprachbenutzern und mit ständigem Bezug auf diese modelliert werden (Orientierung am Sprachbenutzer, methodologischer Individualismus). Eine solche Orientierung impliziert, dass einige traditionell vorgeschlagene Erklärungsfaktoren, welche die Verwendung einzelner Formen motivieren, im Hinblick auf die Sprachbenutzer neu zu überdenken sind. Auch hieraus ergeben sich somit potenziell neue Erkenntnisse über die ablaufenden Prozesse und ihre Erklärung. Neben der genannten Fokussierung auf den Kontext des Sprachwandels geht es mir darum, eine Anknüpfung an semiotische Fragestellungen vorzunehmen. Gerade im Rahmen eines Ansatzes, der von den sprachlichen Handlungen der Sprachbenutzer ausgeht, erscheint die Frage zentral, wie Entlehnungsprozesse und die dabei stattfindenden Integrationen und Bedeutungsveränderungen semiotisch modelliert werden können: Letztlich liegt hier zu einem bestimmten Zeitpunkt bei den Kommunikationspartnern ein jeweils unterschiedlich spezifiziertes Zeichen vor; dennoch (dies kann zumindest als der Normalfall angesehen werden) ergeben sich zunächst keine unmittelbaren Kommunikationsprobleme. Zu klären ist daher, wie entsprechende Veränderungen in der Kommunikation stattfinden und wie sie innerhalb eines semiotischen Modells dargestellt werden können. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zunächst sollen als Fortsetzung des einleitenden Teils ausgewählte Beschreibungs- und Erklärungsprobleme skizziert werden (Kapitel 2), die in bisherigen Darstellungen nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Hierbei geht es sowohl um die Beschreibung und Erklärung einzelner Integrationsphänomene auf verschiedenen Ebenen der Sprachbeschreibung (Aussprache, Schreibung, Morphologie, Semantik, Pragmatik) als auch um übergreifende Fragen (den Status der sog. Scheinentehnungen, das Phänomen der Varianz, die Modellierung von formalen und semantischen Veränderungen im Kontext von Entlehnungsprozessen). An diese einführenden Überlegungen schließt sich ein begrifflicher Teil an (Kapitel 3 bis 5). Kapitel 3 dient dabei einer Klärung des Begriffs «Entlehnung» und einer Abgrenzung gegenüber verwandten Begriffen (Codeswitching, Interferenz, Substratinterferenz, Scheinentlehnung, sprachkontaktinduzierte Innovation, fremdes Wort). Gleichzeitig wird damit der Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit genauer eingegrenzt. In Kapitel 4 erfolgt anschließend eine Analyse des traditionellen Verständnisses der Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration». Für ersteren ist insbesondere 4

die kontroverse Abgrenzung gegenüber der Kategorie «Fremdwort» zu diskutieren. Der zweite Begriff wird hingegen häufig dem «Transfer» oder der «Transferenz» gegenübergestellt. Im Hinblick auf diese traditionellen Begriffspaare ergeben sich jedoch verschiedene Schwierigkeiten. So besteht nicht nur die Alternative, entweder fremde Strukturen zu übernehmen (Transfer) oder aber diese durch zielsprachenkonforme zu ersetzen (Integration), sondern im Zuge von Entlehnungsprozessen können bestimmte Einheiten auch unverändert übernommen werden und gleichzeitig bereits zielsprachenkonform sein. Dieses Phänomen ist gerade für Entlehnungen zwischen etymologisch verwandten Sprachen wie etwa dem Spanischen und Italienischen als bedeutsam anzusehen. Ein weiteres Problem für die klassische Gegenüberstellung von Transfer und Integration sind Entlehnungen, bei denen einzelne Elemente durch andere nicht-native Elemente substituiert werden, so dass die Substitutionen nicht als Integrationsprozesse interpretiert werden können. Zur adäquaten und differenzierten Erfassung der unterschiedlichen Optionen werden daher in Kapitel 5 zwei Typen von Konformität erarbeitet und voneinander abgegrenzt: Konformität gegenüber der ausgangssprachlichen Form und Konformität gegenüber dem zielsprachlichen System. Beide Kriterien können jeweils zwei Werte annehmen (Konformität vs. Nichtkonformität), so dass sich aus ihrer Kombination insgesamt vier Optionen ergeben, nach denen die einzelnen Elemente entlehnter Formen analysiert werden können. Diese Konformitätskriterien erlauben es, die Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration» präziser zu fassen. Die folgenden Kapitel 6 bis 12 stellen den Theorieteil der Arbeit dar, in dem die beiden genannten Grundprinzipien (der methodologische Individualismus und die Betrachtung von Entlehnungen im Kontext von Sprachwandel), die die theoretische Argumentationslinie der Arbeit bestimmen, expliziert und im Hinblick auf ihre theoretischen und methodologischen Implikationen ausgearbeitet werden. Insgesamt geht es hier darum, die theoretischen Voraussetzungen zur adäquaten Beschreibung und Erklärung von Entlehnung und Lehnwortintegration auszuarbeiten. Hierzu werden zunächst in Kapitel 6 die Fokussierungen traditioneller Ansätze der Entlehnungsforschung untersucht. Dabei lassen sich drei grundlegende Typen von Ansätzen gegenüberstellen, die jeweils unterschiedliche Aspekte von Entlehnungsprozessen in den Blick nehmen: 1. lexikologische und lexikographische Ansätze, 2. Ansätze der Sprachkontaktforschung, 3. Untersuchungen zur formalen Integration von Entlehnungen. In Bezug auf das Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel ist insgesamt festzustellen, dass die Annahme fremdsprachlicher Einflüsse traditionell häufig als Explanans für Sprachwandel fungiert. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass Entlehnung selbst eher ein Explanandum darstellt, da das Feld der lexikalischen Entlehnung und Integration als äußerst komplex und bisher nur unzureichend untersucht gelten kann. Gleichzeitig kann die Analyse von Entlehnungen, die aufgrund der Beteiligung mehrerer Sprachsysteme eine besonders komplexe Form des Sprachwandels darstellen, auch neue Rückschlüsse auf das Funktionieren interner Wandelprozesse erlauben. In Kapitel 7 erfolgt eine kritische Analyse zweier aktueller Sprachwandelmodelle (Keller 1994 und Croft 2000), die für die Fragestellungen meiner Arbeit wichtige Perspektiven aufzeigen, insofern als sie grundsätzlich für eine Einbeziehung von Entlehnungen offen scheinen und eine am Sprachbenutzer orientierte 5

Sichtweise erkennen lassen. Anhand eines Vergleichs der beiden Positionen werden verschiedene Fragestellungen und mögliche Problempunkte diskutiert. Hierbei zeigt sich, dass die beiden genannten Modelle im Hinblick auf einige traditionelle Probleme der Sprachwandelforschung, etwa das Teleologieproblem des Sprachwandels, hilfreiche Ansätze bereitstellen. Gleichzeitig ergibt sich aber auch, dass (insbesondere bei Croft) zwei unterschiedliche Aspekte der Verbreitung einer Innovation vermischt werden, so dass eine zusätzliche konzeptionelle Unterscheidung erforderlich wird. In Kapitel 8 werden dann die beiden bereits genannten Prinzipien unter Hinzuziehung weiterer Ansätze nochmals vertieft. Die Einbeziehung von Entlehnungen in eine umfassende Modellierung von Sprachwandel wird anhand eines Ansatzes diskutiert, der im Rahmen einer Rasterklassifikation lexikalischer Innovationen eine einheitliche Betrachtung von Entlehnungen und internen lexikalischen Wandelphänomenen anstrebt (u.a. Blank 2003; Koch 2000; 2001a; 2001b; Gévaudan 2003; 2007). Es kann aufgezeigt werden, dass diese Konzeption, obwohl sie nicht unmittelbar auf ein eigenes Sprachwandelmodell abzielt, wichtige Anknüpfungspunkte für die vorliegende Arbeit bereitstellt, insbesondere im Hinblick auf die Analyse semantischer und morphologischer Aspekte von Entlehnungen. Die Erörterung des methodologischen Individualismus stützt sich sodann wesentlich auf Coseriu, bei dem dieses Prinzip zwar nicht terminologisch gefasst wird, aber dennoch den Grundstein für die Entwicklung seiner Sprachwandeltheorie darstellt. Bei Coseriu erfolgt, in scharfer Abgrenzung zu anderen zeitgenössischen Auffassungen, eine umfassende Herleitung und Rechtfertigung einer entsprechenden Herangehensweise an Sprache und Sprachwandel, und einige der von ihm erarbeiteten Unterscheidungen nehmen daher für die vorliegende Arbeit eine zentrale Rolle ein. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird in Kapitel 9 eine umfassende Modellierung von Entlehnung und Sprachwandel entwickelt, die vom einzelnen Sprachbenutzer ausgeht und mit ständigem Bezug auf diesen konzipiert ist. Hierzu formuliere ich zunächst allgemeine Anforderungen an eine entsprechende Modellierung. Sodann präzisiere ich unter Rückgriff auf Coserius Unterscheidung von drei Ebenen des Sprachlichen die Phasen des Sprachwandels, wobei ich eine zusätzliche Unterscheidung von zwei Aspekten der Verbreitung einer Innovation – die individuelle Übernahme/Adoption einer Innovation einerseits und die Verbreitung der Innovation auf der Ebene der Sprache andererseits – vorschlage. Ebenso lassen sich so Präzisierungen hinsichtlich traditioneller Erklärungsfaktoren für Sprachwandel vornehmen. Nach der Synthetisierung der verschiedenen Überlegungen zu einem umfassenden Sprachwandelmodell werden theoretische und methodologische Implikationen für die Untersuchung von Entlehnungen formuliert. Im Anschluss diskutiere ich in Kapitel 10 semiotische und kommunikationstheoretische Ansätze im Hinblick auf eine entsprechende am Sprachbenutzer orientierte Modellierung von Entlehnung. Hierbei werden zunächst Grundlagen der Zeichenkonzeption in strukturalistischen und kognitiven Ansätze analysiert, wobei sich zu einem gewissen Grad eine Komplementarität der Ansätze ergibt. Beide Denklinien werden im semiotischen Modell von Blank (1997) zusammengeführt, welches ebenfalls einer kritischen Erörterung unterzogen wird.

6

Auf dieser Grundlage wird in Kapitel 11 ein umfassendes Modell der Kommunikation entwickelt. Dieses berücksichtigt einerseits die bei Sprecher/Produzent und Hörer/Rezipient vorliegenden semiotisch relevanten Entitäten und Wissensbestände und andererseits die in der Kommunikation aktualisierten Entitäten, wobei letztere als aktualisierte Zeichensequenz und als kommunikativer Referent gefasst werden. Im Anschluss zeige ich, wie sich hieraus eine neue Darstellungsform ableiten lässt, die Entlehnungen nicht mehr auf der Ebene der Sprache, sondern auf der Ebene der einzelnen kommunikativen Verwendungen zwischen Produzent und Rezipient analysiert. Weiterhin soll argumentiert werden, dass sich für Entlehnungen und ihre Verbreitung innerhalb der Zielsprachen unterschiedliche Phasen angeben lassen, denen jeweils typische Kommunikationsszenarien zugewiesen werden können. Den Theorieteil der Arbeit beschließt Kapitel 12, in dem ich die traditionelle Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort aufgreife, deren Relevanz sich bei den theoretischen Diskussionen immer wieder zeigt. Andererseits ist auch traditionellen Kritiken Rechnung zu tragen, die argumentieren, es gebe keine «überflüssigen» Entlehnungen; demnach seien aus Sicht der Sprachbenutzer alle Entlehnungen in gewisser Weise Bedürfnisentlehnungen. Zur Lösung dieses Problems schlage ich vor, das genannte Begriffspaar in neuer Weise – pragmatisch – zu fundieren. Die sich so ergebende Alternative zwischen katachrestischen und nichtkatachrestischen Innovationen lässt sich nicht nur auf Lehnwörter oder Entlehnungen, sondern auf Innovationen im Allgemeinen beziehen. Nachdem damit die theoretischen Grundlagen einer Modellierung von Entlehnung im Kontext von Sprachwandel und mit Bezug auf die Sprachbenutzer dargelegt wurden, schließt sich ein empirischer Teil an (Kapitel 13 bis 16), der die theoretischen Überlegungen veranschaulicht und Anwendungsbeispiele gibt. Kapitel 13 beinhaltet einige Erläuterungen zur Auswahl der analysierten Entlehnungen sowie zu den Datenquellen und zur Untersuchungsmethode. Wörterbücher können hierbei einen ersten Überblick über semantische, phonologische, graphematische und morphologische Merkmale entlehnter Einheiten geben. Darüber hinaus erweist sich für die behandelten Fragestellungen aber vor allem die Auswertung von Corpora als wesentlich, zum einen, da hier authentische kommunikative Verwendungen belegt sind (cf. das Prinzip des methodologischen Individualismus), zum anderen, da sich so in vielen Fällen ein etwas anderes, komplexeres Bild ergibt, als die Wörterbuchdaten vermuten lassen. In Kapitel 14 bis 16 werden dann im Rahmen von drei Fallstudien besonders auffällige Entlehnungs- und Integrationsprozesse analysiert. In Kapitel 14 handelt es sich um die Entlehnung von it. grappa ins Französische; wichtige Aspekte bei der Beschreibung und Erklärung dieser Entlehnung betreffen die Veränderung in der Bedeutung (it. grappa ‘Tresterbrand’ vs. frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’), die Herleitung der französischen Aussprache der Form sowie die Erfassung unterschiedlicher Flexionsformen (frz. les grappe/les grappas/les grappa). Kapitel 15 ist der Entlehnung von engl. fuel oil ins Französische gewidmet. Im Französischen ist sowohl die Form fuel oil als auch die Form fuel belegt, so dass zu klären ist, wie sich beide Formen jeweils herleiten lassen und wie die Bedeutungsabweichung zwischen engl. fuel ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ und frz. fuel ‘Heizöl’ zu erklären ist. Eine wichtige Rolle spielen hier fachsprachliche Verwendungskontexte 7

sowie das Verfahren der Markierung fremdsprachlicher Zitatwörter, womit auf die Frage der Abgrenzung von Entlehnung und Codeswitching zurückverwiesen wird. Ebenso werden Fragen der Genuszuweisung im Französischen diskutiert. Ein wesentliches Merkmal der untersuchten Entlehnung liegt schließlich in der Koexistenz unterschiedlicher Schreib- und Aussprachevarianten ( vs. , [fjul] vs. [fŮŤl]), welche auf grundlegend unterschiedliche Verfahren der Lehnwortintegration verweisen. Daher ist im Einzelnen zu klären, wie die Formen hergeleitet werden können und welche Konsequenzen sich hieraus für die Modellierung von Lehnwortintegrationen im Allgemeinen ergeben. Eine Untersuchung zu frz. people und den darauf aufbauenden Innovationen beschließt den empirischen Teil der Arbeit. Für das genannte Beispiel kann dabei eine extrem große Komplexität festgestellt werden, so dass praktisch alle behandelten theoretischen Aspekte aufgegriffen werden können: Es findet eine auffällige Veränderung in der Bedeutung gegenüber dem englischen Ausgangswort statt (engl. people ‘Leute’ vs. frz. people ‘berühmte Leute’), gleichzeitig sind im Französischen verschiedene Aussprache- und Schreibvarianten (u.a. [pi'pŝl], [pi'pœl], [pŝ'pŝl] bzw. , , ) sowie morphologische Varianten im Hinblick auf die Genuszuweisung (maskulines/feminines Genus) und Flexion (keine formale Markierung des Plurals/Plural durch -s) belegt. Darüber hinaus ist eine sehr große morphologische Produktivität der entlehnten Einheit festzustellen, die sich in zahlreichen Derivationen widerspiegelt (frz. pipolisation, pipoliser, pipolerie, pipolade, pipolade, pipolesque, pipoler). Das letzte Kapitel der Arbeit (Kapitel 17) dient schließlich einer Synthese. Hier werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, und ich gebe Ausblicke auf anknüpfende Fragestellungen für weitere Untersuchungen. Vorab möchte ich einige terminologische Festlegungen treffen: Ich verwende im Folgenden in der Regel die Termini «Ausgangssprache» (AS) und «Zielsprache» (ZS), um auf die bei der Entlehnung beteiligten Sprachen zu referieren. Die daneben existierenden Termini «Geber-» und «Nehmersprache», source language und recipient language, model language und replica language werden als jeweils synonym dazu aufgefasst. Da die betrachteten Entlehnungsprozesse sich sowohl auf das phonische als auch auf das graphische Medium beziehen, soll bei den folgenden Überlegungen prinzipiell sowohl medial phonische als auch medial graphische Kommunikation erfasst werden. Ich verwende daher die Termini «Produzent» (Prod) und «Rezipient» (Rez), um auf die Kommunikationsteilnehmer zu referieren. Insbesondere in klassischen Sprachwandelmodellen finden sich aber immer wieder auch Verwendungen von «Sprecher» und «Hörer» in einem generischen Sinn, der sowohl Sprecher als auch Schreiber bzw. sowohl Hörer als auch Leser einschließt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit folge ich bei der Diskussion entsprechender Positionen diesen Verwendungen der Autoren. In einem allgemeinen Sinn spreche ich darüber hinaus von den «Sprachbenutzern», wenn sowohl Sprecher und Schreiber als auch Hörer und Leser eingeschlossen sein sollen. Weiterhin ist hervorzuheben, dass in der vorliegenden Arbeit keine Wertung bezüglich des Phänomens der Entlehnung sowie bezüglich unterschiedlicher Integrationsgrade vorgenommen wird. Grundsätzlich werden sowohl eine sehr geringe Inte8

gration als auch eine starke Anpassung an die ZS als mögliche Optionen angesehen, wie die Sprecher der ZS mit Wortmaterial fremder Herkunft umgehen können. Eine Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, Formen oder Grade der Integration auf verschiedene Mechanismen zurückzuführen, um zu erklären, warum überhaupt und in welcher Form Lehnwortintegrationen auftreten können. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass sehr unterschiedliche und teilweise einander entgegengesetzte Faktoren eine Rolle spielen, so dass – selbst innerhalb einer ZS – sehr unterschiedliche Integrationsgrade realisiert werden können. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle noch auf das Glossar mit Begriffsdefinitionen, welches der Arbeit vorangestellt ist und zentrale Begriffe der vorliegenden Arbeit mitsamt den jeweiligen Definitionen aus den Theoriekapiteln extrahiert. Hintergrund dafür ist, dass Begriffe wie «Entlehnung», «Fremdwort», «Lehnwort», «Integration», «Adoption» oder «Scheinentlehnung» innerhalb der Entlehnungs- und Sprachwandelforschung teilweise unterschiedlich konzipiert werden, wodurch sich Missverständnisse bei der Rezeption der Ansätze ergeben können. In einigen Fällen verstellt die Verwendung abweichender Terminologien den Blick dafür, dass die dahinter liegenden Konzeptionen inhaltlich sehr gut miteinander vereinbar sind. Mit dem Glossar möchte ich daher meine eigenen terminologischen Festlegungen explizieren, in der Hoffnung, damit zu einer besseren Verständlichkeit und Zugänglichkeit der vorliegenden Überlegungen beizutragen.

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2

Ausgewählte Beschreibungs- und Erklärungsprobleme bei Entlehnung und Lehnwortintegration

Im folgenden Kapitel sollen zentrale Probleme umrissen werden, die sich bei der Beschreibung und Erklärung von Entlehnungsprozessen ergeben. Ein erster Bereich von Problemen lässt sich dabei auf die verschiedenen Ebenen der linguistischen Sprachbeschreibung beziehen. Ganz allgemein geht es hier um Phänomene, die gemeinhin als Integrationsprozesse gefasst werden und bislang noch nicht zufriedenstellend beschrieben und erklärt werden können und teilweise grundsätzliche Fragen zur Entlehnung und Lehnwortintegration aufwerfen. Zweitens lassen sich übergreifende Fragen nennen, die bei einer Untersuchung von Entlehnungen zu klären sind; diese Fragestellungen sollen im Anschluss diskutiert werden.

2.1

Erklärung einzelner Integrationsprozesse

2.1.1

Aussprache und Schreibung

Ein erster, traditionell wichtiger Bereich der Entlehnungsforschung sind Integrationen in den Bereichen der Aussprache und Schreibung, d.h. es geht allgemein um die Frage, wie entlehnte Einheiten in der jeweiligen Zielsprache (ZS) geschrieben und ausgesprochen werden. So sind immer wieder mehr oder weniger starke Veränderungen gegenüber der ausgangssprachlichen (AS-) Aussprache und/oder Schreibung zu beobachten (cf. Bsp. (11) bis (14)); entsprechende Veränderungen können aber auch ausbleiben (cf. Bsp. (10)). 1

1

(10)

frz. béchamel ĺ it. béchamel (DO; DELI s.v. besciamella)

(11)

frz. béchamel ĺ it. besciamella (DO; ZI; DELI; Hope 1971, vol. 2, 472)

(12)

engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF)

Auch wenn es in der vorliegenden Arbeit vor allem um phonologisch relevante Aspekte der Lehnwortintegration geht, verwende ich eine (weite) phonetische Umschrift, mit der ggf. auch allophonische Lautdifferenzierungen erfassten werden können. Demnach werden auch GPKs und GPK-Regeln allgemein in der Form < > ļ [ ] angegeben; nur wenn ausdrücklich zwischen Phonemen und Allophonen unterschieden werden soll, stehen erstere zwischen Schrägstrichen (zu diesem Vorgehen cf. Meisenburg 1996).

11

(13)

engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF s.v. fuel)

(14)

engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] (OED; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986, 250; cf. TLF)

Hier stellt sich die Aufgabe, die jeweiligen Realisierungen genau zu beschreiben, voneinander abzugrenzen und die vorgenommenen Integrationen (oder ihr Ausbleiben) zu erklären. Obwohl es zunächst sehr einfach erscheint, bestimmte Veränderungen festzustellen (etwa frz. wird in it. besciamella durch ersetzt), werfen entsprechende Beispiele bereits eine Reihe von grundsätzlichen Fragen auf. So geht es unmittelbar auch um die Frage der Definition der Kategorien «Fremdwort» und «Lehnwort», da im Allgemeinen nicht oder nur schwach veränderte Formen (z.B. it. béchamel, evtl. auch frz. fuel [fjul]) als Fremdwörter, stärker gegenüber der ASForm veränderte Formen hingegen als Lehnwörter (z.B. it. besciamella, frz. fioul) angesehen werden. 2 Es bleibt jedoch zu präzisieren, wie ein entsprechendes Abgrenzungskriterium gefasst werden kann, d.h. wie lange ein entlehntes Wort noch als Fremdwort anzusehen ist bzw. ab wann es als Lehnwort gelten kann. Weiterhin ist die an sich trivial erscheinende Tatsache hervorzuheben, dass im Kontext von Entlehnungsprozessen keineswegs alle Segmente der AS-Formen verändert werden, sondern sich die Veränderungen jeweils nur auf bestimmte Segmente beziehen. Im Beispiel der Entlehnung von engl. fuel ist etwa zu beobachten, dass die verschiedenen französischen Formen nur im Hinblick auf die phonische und graphische Wiedergabe der vokalischen (bzw. halbvokalischen) Segmente ([j], [u:], [ԥ] bzw. , ) voneinander abweichen. Die Konsonanten und bzw. [f] und [l] werden hingegen bei allen französischen Formen beibehalten. In Extremfällen können entsprechende Übernahmen ausgangssprachlicher Segmente – insbesondere bei verwandten Sprachen – sogar so weit gehen, dass eine völlige Übereinstimmung zwischen AS und ZS hinsichtlich der Aussprache und Schreibung vorliegt, so etwa in folgenden Beispielen: (15)

sp. tango ['taƾgo] ĺ it. tango ['taƾgo] (DO; ZI; DELI)

(16)

engl. pink [pųƾk] ĺ dt. pink [pųƾk] (Scholz 2004, 2)

Dieses Phänomen ist in theoretischer Hinsicht als bedeutsam einzustufen, da sich bisherige Untersuchungen zur Integration von Entlehnungen häufig auf die Beschreibung der auffälligen Veränderungen beschränken und entsprechende Übereinstimmungen – möglicherweise weil sie als uninteressant oder trivial angesehen werden – übergehen. Die adäquate Berücksichtigung entsprechender Konstellationen scheint jedoch für die Definition von Fremdwort und Lehnwort sowie für den Begriff der Lehnwortintegration selbst zentral. Im Rahmen der Analyse empirisch beobachteter Entlehnungen geht es darum, diese im Hinblick auf ihre Bestandteile 2

Die ebenfalls stark gegenüber dem Englischen veränderte Form frz. fuel [fŮŤl] ist im Hinblick auf ihre Verbreitung als randständig einzustufen, so dass von daher ihre Kategorisierung als Lehnwort im Französischen als umstritten gelten kann. Dass sie aber vereinzelt durchaus auftritt, bestätigen Arrivé/Gadet/Galmiche (1986, 250) und TLFI, s.v. fuel: «DUPRÉ 1972, p. 1070 rejette la prononc. francisante [fŮŤlwal] [für frz. fuel-oil]».

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auf verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen vollständig zu analysieren und dabei zu klären, wie groß das Ausmaß von Integrationserscheinungen jeweils einzustufen ist. Generell bedeutet dies, dass sich die Aufgabe stellt, Integration auch innerhalb einzelner Lehnwörter zu quantifizieren. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Schreibung zu klären. Bei Fällen wie frz. fuel [fŮŤl] scheint offensichtlich, dass die Schreibung herangezogen werden muss, um die gewählte lautliche Realisierung herzuleiten. Gleichzeitig ist zu fragen, ob sich zu verschiedenen Zeiten bestimmte Tendenzen der Integration feststellen lassen. So ist etwa beobachtet worden, dass bei Entlehnungen aus dem Englischen ins Französische bis zum Ende des 18. Jh. vor allem sog. ear loans auftreten, bei denen die Schreibung an die Aussprache angeglichen wird (z.B. engl. riding-coat ĺ frz. redingote, engl. bowling-green ĺ frz. boulingrin, cf. PR; DHLF). Ab dem Ende des 18. Jh. und bis zu Beginn des 20. Jh. wird hingegen eine gegenläufige Tendenz hin zu sog. eye loans festgestellt, bei denen die Originalschreibung übernommen und daraus eine ZS-Aussprache abgeleitet wird (z.B. engl. black-jack ĺ frz. black-jack [blakƛak], cf. PR). Seit dem Beginn des 20. Jh. schließlich wird eine relativ starke Orientierung sowohl an der AS-Aussprache als auch der AS-Schreibung konstatiert (Roudet 1908, 253, 258–260, 265–266; Pergnier 1989, 36), während ear loans und eye loans als zunehmend ungewöhnlich gelten können. Das eingangs zitierte Beispiel frz. pipole [pipŝl] (aus engl. people) scheint dieser Tendenz allerdings zuwiderzulaufen. Darüber hinaus erweist es sich für die theoretische Modellierung als unbefriedigend, wenn diese grundsätzlich nur auf lautlicher Ebene erfolgt und dann bei Fällen wie frz. fuel [fŮŤl] punktuell auf einen Einfluss der Schreibung verwiesen wird. 3 Da gerade für die untersuchten aktuellen Sprachkontaktsituationen zwischen dem Englischen, Französischen und Italienischen von einem sehr intensiven schriftlichen Kontakt und demnach potenziell von einem starken Einfluss der Graphie auszugehen ist, stellt sich die Aufgabe, den Bereich der Schreibung systematisch bei der Modellierung zu berücksichtigen. D.h. es geht darum, die Schreibung der entlehnten Form bei medial graphischem Sprachkontakt sowie auch bestimmte Wissensbestände der Sprachbenutzer bezüglich ZS-Graphem-Phonem-Korrespondenzen in ein Beschreibungs- und Erklärungsmodell für Entlehnung und Lehnwortintegration zu integrieren. Im Hinblick auf die linguistische Theoriebildung ist ferner auf optimalitätstheoretische Ansätze zu verweisen, in denen Lehnwörter eine wichtige Rolle spielen. Der Modellierungsansatz der Optimalitätstheorie (Optimality Theory, OT) wurde erstmals 1991 von Alan Prince und Paul Smolensky in einem Konferenzbeitrag «Optimality» vorgestellt. Seitdem hat sich die Untersuchung von Lehnwörtern zu einer wichtigen und häufig untersuchten Fragestellung innerhalb optimalitätstheoretischer Ansätze entwickelt. Generell geht OT davon aus, dass sprachliche Phänomene durch die Anwendung universeller, aber prinzipiell verletzbarer Beschränkungen (constraints) in Form von sprachenspezifischen Beschränkungshierarchien (constraint rankings) erklärt wer3

Nicht wenige Arbeiten schließen entsprechende Fälle mit dem Verweis auf einen Einfluss der Graphie sogar grundsätzlich von der Untersuchung aus.

13

den können. Der Begriff der «Beschränkung» wird hierbei explizit strukturell konzipiert, wie in der folgenden Definition deutlich wird: «a structural requirement that may either be satisfied or violated by an output form» (Kager 1999, 9, Hervorhebung im Original). Die Formulierung einzelner Beschränkungen orientiert sich an zwei Grundprinzipien: 1. der Markiertheit (Markedness) der Outputformen, 2. der Treue (Faithfulness) zwischen den jeweiligen Input- und Outputformen (cf. Prince/Smolensky 1997; Archangeli 1997; Gilbers/de Hoop 1998; Kager 1999; McCarthy 2002). Die erste Gruppe von Beschränkungen zielt demnach darauf ab, artikulatorisch günstige, d.h. einfache (unmarkierte) Outputformen zu erhalten und schwierige (markierte) Strukturen zu vermeiden. Es handelt sich also um «the grammatical factors that exert pressure toward unmarked types of structure» (Kager 1999, 4, Hervorhebung im Original). 4 Die zweite Gruppe von Beschränkungen fordert hingegen, dass keine Veränderungen zwischen Input und Output auftreten sollen (d.h. auch «schwierige» bzw. markierte Strukturen des Inputs aufrechterhalten werden sollen). Der grundsätzliche Konflikt zwischen beiden Gruppen führt zu dem OT-spezifischen Verständnis von Optimalität, nach dem es keine perfekten («‹Perfect› output forms are principally non-existent», Kager 1999, 13), sondern nur optimale Outputformen geben kann: «The basic assumption of OT is that each linguistic output form is optimal, in the sense that it incurs the least serious violations of a set of conflicting constraints» (Kager 1999, 8, Hervorhebung im Original).

Phänomene der Lehnwortintegration lassen sich somit grundsätzlich als eine Verletzung von Treueconstraints darstellen, die dadurch motiviert ist, dass in der ZSspezifischen Beschränkungshierarchie höher stehende Markiertheitsconstraints befriedigt werden. Die optimalitätstheoretische Modellierung wirft insofern ein interessantes Licht auf Phänomene der Lehnwortintegration, als diese hier als ein Aushandeln verschiedener Ansprüche verstanden werden können, wobei in Abhängigkeit von den einzelnen Sprachen (und darüber hinaus evtl. auch von weiteren Faktoren) jeweils unterschiedliche Lösungen «optimal» sind. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass Phänomenen der lautlichen Lehnwortintegration in OT generell ein großes Interesse entgegengebracht wird. Dies liegt zum einen daran, dass Entlehnungen als gut geeignete Testfälle gelten, um aufgestellte Hypothesen über Beschränkungshierarchien innerhalb einer Sprache zu überprüfen. Wenn die AS-Realisierung als Inputform angesetzt wird, der dann eine bestimmte ZS-Realisierung als Outputform zugeordnet wird, so ergibt sich, dass die Inputdaten bei vielen Entlehnungen stark von den phonologischen Strukturen der ZS abweichen, so dass relativ viele Beschränkungen verletzt werden und sich starke Abweichungen zwischen Input und Output ergeben können. Insgesamt bieten sich so gute Möglichkeiten, Annahmen bezüglich der Beschränkungshierarchie in der ZS zu überprüfen. Zum anderen kommt Lehnwörtern eine wichtige Bedeutung zu, insofern als sie von Vertretern der OT immer wieder als zentrales Argument im Theo4

OT bezieht hier Überlegungen aus der Theorie der natürlichen Phonologie mit ein, so vor allem durch die Übernahme des Begriffs der Markiertheit («OPTIMALITY THEORY [...] turns markedness statements into the actual substance of grammars», Kager 1999, 3).

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rienvergleich angeführt werden. Dabei wird hervorgehoben, dass anders als etwa in klassischen generativen Ansätzen der Phonologie bei OT keine Sonder- oder Zusatzregeln angenommen werden müssen, um die phonologische Form von Lehnwörtern in der ZS herzuleiten, sondern diese über die «normale» Beschränkungshierarchie der Sprache (oder allgemeine perzeptuelle Prinzipien) erklärt werden kann. 5 Im Einzelnen stellen sich hier jedoch einige Fragen, die sehr kontrovers diskutiert werden, insbesondere die (für OT grundsätzlich viel diskutierte Frage) nach dem anzusetzenden Input: Kann die AS-Form mitsamt ihren eventuell fremden strukturellen Merkmalen (z.B. den Lauten, die im Phonemsystem der ZS nicht vorkommen etc.) direkt als Input bei der Lehnwortintegration angesetzt werden? Aktuell lassen sich hier zwei Positionen gegenüberstellen, die sich grundlegend darin unterscheiden, wie bei Entlehnungsprozessen der Input definiert wird und wo ggf. eine Anpassung der Aussprache lokalisiert wird (cf. Calabrese/Wetzels 2009). Die erste Position geht von einer phonologischen Lehnwortintegration aus, d.h. Lehnwortintegration findet erst innerhalb der Produktionsgrammatik des Sprechers statt (cf. u.a. Jacobs/Gussenhoven 2000; LaCharité/Paradis 2005). Der Input wird in entsprechenden Arbeiten als treu gegenüber der AS-Form angesetzt, und die ggf. stattfindenden Veränderungen in der Aussprache des Lehnworts werden über die Anwendung der «normalen» Beschränkungshierarchie der ZS (oder auch über perzeptuelle Faktoren, die im spezifischen grammatischen System der ZS wirksam sind) hergeleitet. Insofern handelt es sich hier tatsächlich um eine ZS-spezifische Lehnwortintegration, die ausschließlich durch die Merkmale der Grammatik (bzw. der Beschränkungshierarchie) der ZS gesteuert wird. Vertreter einer radikal entgegengesetzten Position gehen hingegen im Wesentlichen von einer phonetisch-perzeptuellen Veränderung der Lehnwörter aus (cf. u.a. Peperkamp/Dupoux 2003). Als Input wird demnach eine perzeptuell gefilterte Form angesetzt, und die Integration wird sozusagen vorgeschaltet, d.h. in einem früheren Stadium – bereits bei der Perzeption der fremdsprachlichen Form – angesetzt. Legt man eine entsprechende Auffassung zugrunde, so kann im eigentlichen Sinn nicht von einer Integration gesprochen werden, da die Veränderung außerhalb der Beschränkungen und der sprachenspezifischen Beschränkungshierarchie, d.h. letztlich außerhalb der Grammatik der ZS, stattfindet und insofern keine Eingliederung der Einheiten in ein neues sprachliches System vorgenommen wird. Die Veränderung wird hier also als unabhängig von den Regeln bzw. Beschränkungen der ZS angesehen. Gleichzeitig wird prinzipiell ausgeschlossen, dass der ZS-Sprecher Zugang zur AS-Phonologie hat (alle eintretenden Veränderungen werden als perzeptuelle Phänomene behandelt; kritisch hierzu Miao 2005, 5). Die unterschiedlichen Annahmen lassen sich wie in Abb. 1 gezeigt gegenüberstellen, wobei jeweils die entscheidende Phase der Lehnwortintegration hervorgehoben ist (die Darstellung für die erste der Positionen lehnt sich an Jacobs/Gussenhoven 2000, 205 an; die Darstellung für die zweite Position wurde von mir ergänzt, wobei das Durchlaufen der Beschränkungshierarchie und der Prozess der Optimie5

Zum allgemeinen Anspruch von OT, besonders gut Phänomene sowohl der Synchronie als auch der Diachronie sowie der Variation und des Wandels zu erfassen, cf. Gilbers/de Hoop (1998, 9).

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rung des Lexikons in Klammern dargestellt sind, da hier keine entscheidenenden Veränderungen mehr zu erwarten sind). 6 Jacobs/Gussenhoven (2000), LaCharité/Paradis (2005)

Peperkamp/Dupoux (2003)

fremdsprachliches Wort  UNIVERSELLER PHONOLOGISCHER PARSER  voll spezifiziertes, nichtadaptiertes Lehnwort 

fremdsprachliches Wort 

BESCHRÄNKUNGSHIERARCHIE  treue Inputform (faithful underlying form) 

PHONETISCHE PERZEPTION  adaptiertes Lehnwort bzw. adaptierte Inputform 

BESCHRÄNKUNGSHIERARCHIE

(BESCHRÄNKUNGSHIERARCHIE)

 adaptierte Outputform 

 adaptierte Outputform 

LEXICON OPTIMIZATION

(LEXICON OPTIMIZATION)

 adaptierte Inputform

 (adaptierte Inputform)

Abb. 1:

Positionen zur Lehnwortintegration innerhalb von OT

Es ist allerdings anzumerken, dass in einigen Arbeiten beide Ansätze zusammengeführt werden, indem sowohl perzeptuelle als auch phonologische Komponenten der ZS-Grammatik anerkannt werden (u.a. Rose/Demuth 2006) 7; zwischen den

6

7

Dass die Beschränkungshierarchie im Schema bei Jacobs/Gussenhoven zwei Mal durchlaufen wird, erklärt sich dadurch, dass es im ersten Schritt um die Perzeption geht, bei der aus einer Outputform eine Inputform abgeleitet wird. Dieser Prozess ist insbesondere für den kindlichen Spracherwerb zentral. Für die Lehnwortintegration ist dagegen der zweite Schritt der Produktion wesentlich, bei dem aus der treuen Inputform eine adaptierte Outputform abgeleitet wird. Cf. Miao (2005, 7–8), der hier von einem «approach with separate perception and production levels» spricht. Darüber hinaus nennt er als einen vierten Ansatz den «perceptualsimilarity approach», den er selbst favorisiert. Nach diesem werden Lehnwortintegrationen ausschließlich in der Produktionsgrammatik situiert, gleichzeitig wird aber die perzeptuelle

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Positionen besteht damit unter Umständen keine absolute Unvereinbarkeit. Ferner wird die scheinbar sehr starke Gegensätzlichkeit der Positionen dadurch abgeschwächt, dass sie sich – zumindest teilweise – auf unterschiedliche methodologische Herangehensweisen zurückführen lässt (Rose/Demuth 2006, 1136–1137). So beruhen die Studien von Carole Paradis und Kollegen im Wesentlichen auf Lehnwörtern, die bei bilingualen Sprechern abgefragt werden, während die Studien von Sharon Peperkamp und Kollegen experimentelle Untersuchungen vor allem mit einsprachigen Sprechern durchführen. Dass sich hieraus sehr unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Lehnwortintegrationen ableiten lassen, scheint offensichtlich. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen: «The term ‹loanword adaptation› is often used to describe a large array of phenomena arising from many different situations, not all of which can be directly compared (e.g. differing status of the phonological systems of the source and borrowing languages, different sociolinguistic factors such as degree of bilingualism of the bilingual community in which loanwords are studied, and/or degree of bilingualism of the consultants involved in the research, the degree to which orthographic factors may have influenced the results, the influence of other task effects relating to data elicitation techniques, etc.)» (Rose/Demuth 2006, 1137).

Als dringendes Desiderat ergibt sich demnach zunächst, grundlegende methodologische Parameter entsprechender Untersuchungen zu explizieren, um die erzielten Ergebnisse vergleichbar zu machen. Darüber hinaus stellt sich die Aufgabe, hinreichend allgemeine Modelle der Lehnwortintegration zu konzipieren, die unterschiedliche Kontaktsituationen abdecken können – etwa Kontaktsituationen mit geringer sowie mit ausgeprägter Zweisprachigkeit (wobei im letzteren Fall bei den ZSSprechern unter Umständen auch gewisse Kenntnisse der AS-Phonologie vorausgesetzt werden können). Hierzu ist meiner Meinung nach eine Herangehensweise wesentlich, die Entlehnungen als einzelne kommunikative Akte betrachtet (methodologischer Individualismus, cf. Kap. 8.2). Als wichtige Bezugspunkte für die Formulierung grundlegender Parameter ergeben sich in einer solchen Perspektive die in der Kommunikation aktualisierten semiotischen Entitäten sowie die Kommunikationsteilnehmer und ihre jeweiligen Wissensbestände (etwa bezüglich der AS). Eine zusätzliche Unterscheidung, die sich hier aufdrängt, ist ferner die zwischen der ersten Entlehnung und der Weiterverwendung bereits konventionalisierter Entlehnungen. Beide Aspekte werden z.B. bei der Untersuchung von LaCharité/Paradis (2003) nicht strikt getrennt, obwohl hier durchaus ein jeweils unterschiedlicher Umgang mit den entlehnten Einheiten angenommen werden kann. Im Hinblick auf die genannte Kontroverse ist noch festzuhalten, dass die Fokussierung der vorliegenden Arbeit aufgrund der Auswahl der Sprachen und der gewählten Methodologie keine umfassenden Rückschlüsse zugunsten der einen oder anderen Position zulässt. Um eine solche Entscheidung herbeizuführen, scheinen etwa Studien zu Entlehnungen zwischen typologisch und/oder genetisch weit entfernten Sprachen, bei denen sehr auffällige lautliche Veränderungen zu beobachten Similarität (zwischen AS-Input und ZS-Output) dort integriert, so dass über phonologische Faktoren hinaus auch phonetische Aspekte berücksichtigt werden können.

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sind, erforderlich. Ferner ist festzustellen, dass bei den skizzierten OT-Untersuchungen nur die AS-Realisierung (das «fremdsprachliche Wort») und die ZS-Realisierung (die «adaptierte Outputform») als direkt beobachtete Phänomene gelten können. Dazwischen liegt eine black box, wobei die dort angesetzten Einheiten und Stadien zunächst nur im Hinblick darauf beurteilt werden können, ob bzw. wie gut sie die eintretenden Veränderungen (oder ihr Ausbleiben) herleiten können. Zur Entscheidung zwischen den Positionen scheinen daher auch weitere methodologische Herangehensweisen, etwa Perzeptionstests, hilfreich, durch die unter Umständen Rückschlüsse auf das Funktionieren einzelner Komponenten innerhalb der black box gezogen werden können.

2.1.2

Morphologie

Was morphologische Aspekte von Entlehnungsprozessen angeht, so wird allgemein angenommen, dass morphologisch unanalysierte Formen übernommen werden bzw. dass das Flexionsverhalten von Lehnwörtern durch das System der ZS bestimmt ist (Moravcsik 1975; 1978; Van Coetsem 2000, 157–163; Haspelmath 2003, 6). 8 Als Beispiel lässt sich etwa bei Verben die Integration in die regelmäßige Flexionsklasse der -er-Verben im Französischen bzw. der -are-Verben im Italienischen nennen: (17)

engl. click ĺ frz. cliquer ‘klicken’ (PR; CIT)

(18)

engl. click ĺ it. cliccare ‘klicken’ (DO; DIZ)

(19)

engl. chat ĺ frz. chatter, tchater ‘elektronisch in Echtzeit kommunizieren’ (PR; Internet)

(20)

engl. chat ĺ it. chattare, ciattare ‘elektronisch in Echtzeit kommunizieren’ (DO; Internet)

Dieses häufig beobachtete Verfahren ermöglicht prinzipiell eine regelmäßige Flexion der Verben in der jeweiligen ZS. Allerdings fällt in einem Zeitungsartikel über die Anfänge des Chat in Italien auf, dass die Infinitivform des Worts ohne typographische Hervorhebung erscheint, bei der Verwendung einer Imperfektform jedoch Anführungszeichen gesetzt sind: (21)

8

[...] Ed ecco che per chattare, agli inizi, ci si spostava in Francia e Germania. […] Perché dai chat alla realtà, dalle chiacchiere via modem all'incontro personale dieci anni fa il passo era breve, assai più di oggi, grazie al ridottissimo numero dei telematici e al fatto che, per lo più, si "chattava" senza muoversi dalla tariffa urbana e quindi dalla propria

Insofern stellt sich hier auch die Frage, inwiefern parallel zur phonologischen und graphematischen Lehnwortintegration auch von einer morphologischen Integration gesprochen werden kann. Dieser Punkt wird in Kap. 5.1.4 aufgegriffen, wo ich dafür argumentieren werde, dass es sich im Bereich der Morphologie in der Regel um eine andere Art von Prozessen handelt.

18

città. […] (Claudia di Giorgio: Ricordi di un’educazione potente telematica, 10.10.1998, erschienen in: La Reppublica.it Internet, , Zugriff 15.01.2009, Hervorhebung EWF) Auffällig ist die unterschiedliche Behandlung der flektierten und der nichtflektierten Form. Entsprechende typographische Verfahren können anzeigen, dass bestimmte Verwendungen (noch) als innovativ, als kommunikativ ungewöhnlich und möglicherweise riskant eingestuft werden. Näher zu untersuchen ist somit, ob in der ZS bestimmte Verwendungen teilweise von den Sprachbenutzern eher vermieden werden. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass noch ein alternatives Verfahren zur Verfügung steht, um entlehnte Formen verbal zu flektieren: 9 Vielfach finden sich auch Syntagmen des Typs frz. faire X/it. fare X (light verb construction/light verb strategy, cf. Wichmann/Wohlgemuth 2008). So sind etwa für die Entlehnung von engl. click die Realisierungen in Bsp. (22) und (23) weit verbreitet, und auch für die Entlehnung von engl. chat lassen sich entsprechende Formen nachweisen (cf. Bsp. (24) und (25)). Auch dieses Verfahren ist gut begründbar, da so eine einfache Flexion der entlehnten Wörter in der ZS möglich wird. (22)

engl. click ĺ frz. faire clic, faire click, faire clique ‘klicken’ (Internet)

(23)

engl. click ĺ it. fare clic, fare click (DIZ; Internet)

(24)

engl. chat ĺ frz. faire un chat, faire un tchat ‘elektronisch in Echtzeit kommunizieren’ (Internet)

(25)

engl. chat ĺ it. fare chat, fare un chat, fare una chat ‘elektronisch in Echtzeit kommunizieren’ (Internet)

Wie werden entlehnte Nomina flektiert? Auch hier ist gemäß den bisherigen Forschungsergebnissen davon auszugehen, dass die Flexion durch das System der ZS bestimmt wird. Genauer zu klären bleibt allerdings, welche Realisierungen sich ergeben können: Welches Flexionsparadigma wird üblicherweise angewandt (etwa im Französischen Pluralisierung durch , cf. Bsp. (26) und (27))? Falls mehrere Flexionsformen in der ZS koexistieren, in welchem Verhältnis stehen sie zueinander (cf. Bsp. (27) und (28) sowie das Nebeneinander von dt. Pizze, Pizzas und Pizzen)? Lassen sich auch invariable Formen nachweisen bzw. als wie bedeutend ist das entsprechende Verfahren einzustufen (cf. Bsp. (29) und (30))? In einem weiteren 9

Die zitierten Beispiele können grundsätzlich entweder als Entlehnung des englischen Verbs oder aber als ZS-Wortbildungen auf der Grundlage des jeweiligen entlehnten Substantivs (click, chat) interpretiert werden. Eine strikte Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Interpretation erscheint schwierig, jedoch auch nicht unbedingt notwendig. Vielmehr gehe ich davon aus, dass beide Interpretationsmöglichkeiten für die Sprecher der ZS verfügbar sind. Ferner ist auch aufgrund des intensiven Sprachkontakts von einer Vielzahl paralleler «Erst»-Entlehnungen auszugehen, wobei wiederum beide Optionen möglich erscheinen.

19

Schritt ist dann zu fragen, welche Prozesse im Einzelnen zur Erklärung der unterschiedlichen Realisierungen anzusetzen sind (etwa bei auftretenden Numeruswechseln, cf. Bsp. (31) und (32)). (26)

it. grappa, Pl. grappe ĺ frz. grappa, Pl. grappas ‘Tresterbrand’ (PR; DILE)

(27)

it. pizza ĺ frz. pizza, Pl. pizzas ‘Pizza’ (PR; DILE)

(28)

it. pizza ĺ frz. pizza, Pl. pizze ‘Pizza’ (Internet)

(29)

it. pizza ĺ frz. pizza, Pl. pizza ‘Pizza’ (Internet)

(30)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. people N.pl., Sg. people ‘berühmte Person(en)’ (PR)

(31)

it. spaghetti N.m.pl. ĺ frz. spaghetti N.m.sg. ‘Spaghetti’ (PR; DILE)

(32)

engl. people N.pl. ‘Leute’ ĺ frz. pipeul N.m.sg. ‘berühmte Person’ (Internet)

Ferner stellt sich bei der Entlehnung von Nomina ins Französische und Italienische die Frage der Genuszuweisung. Generell wird eine Zuweisung zum maskulinen Genus als das häufigste, unmarkierte Integrationsverfahren angesetzt (Humbley 1974, 67; 2002, 116; JabáoĔski 1990, 97; Pulcini 2002, 159; cf. Callies/Ogiermann/SzczeĞniak 2010, 67 und Bsp. (33) und (35)). Es ist jedoch zu fragen, welche zusätzlichen Faktoren hier eine Rolle spielen und wie sich von diesem Prinzip abweichende Genuszuweisungen erklären lassen (cf. Bsp. (34), (36) und (37)). (33)

engl. chat ĺ it. chat N.m. ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ (Internet)

(34)

engl. chat ĺ it. chat N.f. ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ (DO)

(35)

engl. newsletter ‘Rundschreiben’ ĺ it. newsletter N.m. ‘(elektronisches) Rundschreiben’ (DO)

(36)

engl. newsletter ‘Rundschreiben’ ĺ it. newsletter N.f. ‘(elektronisches) Rundschreiben’ (Internet)

(37)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. pipole N.f.sg. ‘berühmte Person’ (PR s.v. people; Internet)

In einigen Fällen können darüber hinaus auch zusätzliche morphologische Veränderungen im Kontext von Sprachkontakt und Entlehnung festgestellt werden, so z.B. Agglutinationen oder Deglutinationen (cf. Bsp. (38) und (39)). Auch hier ergibt sich die Frage, wie entsprechende auffällige Phänomene im Einzelnen modelliert und erklärt werden können. 20

(38)

frz.-D.O.M.-T.O.M. zoreille N.sg. ‘aus der Metropole stammender Bewohner der D.O.M.-T.O.M.’ (ĸ frz. „…de[z]/le[z] oreilles…“) (PR)

(39)

Seychellenkreol lisyen ‘Hund’ (ĸ frz. „…le chien…“) (Detges/Waltereit 2002, 155)

2.1.3

Semantik und Pragmatik

Im Bereich der Semantik wird in der Forschung festgestellt, dass im Kontext von Entlehnungen häufig eine «semantische Spezialisierung» (insbesondere auf fachsprachliche Bedeutungen) stattfinde: «An individual meaning is narrowed in the receiving language or restricted to a specific domain […]» (Busse/Görlach 2002, 27); «As a rule, the meaning of loanwords is restricted» (Pulcini 2002, 162). Bei dem Versuch, dieses Phänomen zu erklären, deutet sich jedoch an, dass unter dem Stichwort der «Spezialisierung» zwei völlig unterschiedlich gelagerte Fälle erfasst werden. Im einen Fall zeigt ein Vergleich der AS und ZS, dass die AS-Form mehrere Bedeutungen besitzt, während sie nur in einer Bedeutung in die ZS entlehnt wurde (cf. Humbley 2008b, 231 sowie Alexieva 2008, 43, die hier von «semantic reduction» spricht): (40)

engl. link ‘Verbindung’, ‘Mittelsmann’, ‘Längenmaß’, ‘Verknüpfung zwischen Webdokumenten’ ĺ it. link ‘Verknüpfung zwischen Webdokumenten’ (OED; DO)

(41)

engl. chat ‘Geplauder’, ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ ĺ frz. chat ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ (OED; PR)

(42)

engl. chat ‘Geplauder’, ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ ĺ it. chat ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’ (OED; DO)

Eine entsprechende Tendenz der Reduktion AS-Polysemie wird auch von Gusmani festgestellt: «Potremmo affermare, in linea di principio, che se il modello è caratterizzato da polisemia, nella sua riproduzione non si manterrà di norma la stessa complessità di significato» (Gusmani 1973, 95).

In anderen Fällen ergibt sich hingegen, dass das Wort in Folge der Entlehnung eine andere, speziellere Bedeutung erhält, die es in der AS nicht hat, so dass also eine taxonomische Spezialisierung vorliegt (Alexieva 2008, 43 bezeichnet diesen Fall als «semantic narrowing»): (43)

sp. sombrero ‘Hut’ ĺ frz. sombrero ‘breitkrempiger Hut’ (PR; TLF)

(44)

it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’ (PR; TLF)

21

(45)

engl. people ‘Leute’ ĺ frz. people ‘berühmte Leute’ (PR)

Hier ist zunächst die Abgrenzung der beiden unterschiedlichen Fälle zu präzisieren. Dabei lässt sich der erstgenannte Fall so charakterisieren, dass nur eine Teilmenge der Bedeutungen des AS-Wortes (nämlich nur jeweils eine Bedeutung) bei der Entlehnung betroffen ist. Im zweiten Fall hingegen umfasst die Extension des ZS-Worts nur einen Teilbereich der Extension des AS-Worts. Sodann stellt sich die Frage, wie beide Falltypen innerhalb der semiotischen Modellierung von Entlehnungen adäquat berücksichtigt und wie die jeweiligen Phänomene erklärt werden können. In Bezug auf den zweiten Fall ist ferner zu fragen, ob noch weitere Typen von semantischen Veränderungen bei der Entlehnung bzw. weitere semantische Relationen benannt werden können. In der Forschungsliteratur wird vereinzelt auch auf das Auftreten von Metonymien verwiesen: «[…] the original meaning of the loanword may be changed, especially through metonymic modifications» (Pulcini 2002, 162). Hieraus ergibt sich die Frage, wie entsprechende Veränderungen im Einzelnen erklärbar sind und warum gerade die genannten Typen von semantischen Relationen auftreten. Ferner geht es hier um das Verhältnis unterschiedlicher Betrachtungsweisen der sprachlichen Fremdheit. Vergleiche von AS- und ZS-Formen, wie sie in Bsp. (40) bis (42) angedeutet wurden, scheinen durch eine Herangehensweise motiviert zu sein, die sich prinzipiell nicht vollständig mit einer Untersuchung von Entlehnungsprozessen selbst deckt. So können in einem synchronisch-kontrastiven Sprachenvergleich unterschiedliche Typen von semantischen Divergenzen zwischen AS und ZS festgestellt werden, die aber in diachronischer Hinsicht auf völlig unterschiedliche Entstehungsprozesse zurückgehen können. Damit ist hier auf den Problembereich der sog. Scheinentlehnungen verwiesen, deren Abgrenzung gegenüber «echten» Entlehnungen als extrem problematisch und umstritten gelten kann (cf. Kap. 2.2.1). Die grundsätzliche Verschiedenheit synchronischer und diachronischer Analysen veranschaulicht auch das folgende Beispiel, in dem synchronisch-kontrastiv eine Relation der taxonomischen Sub-/Superordination festgestellt werden kann, diachronisch gesehen jedoch die Annahme einer Kürzung der AS-Form im Kontext der Entlehnung plausibel erscheint: (46)

engl. dealer ‘Händler’ – frz. dealer ‘Drogenhändler’ (ĸ Kürzung von engl. drug dealer ‘Drogenhändler’) (OED; PR)

Hier ergibt sich als Desiderat, die entsprechenden unterschiedlichen Betrachtungsweisen voneinander abzugrenzen und konzeptionell zu präzisieren. Die vorliegende Arbeit zielt sodann darauf ab, die diachronischen Prozesse nachzuzeichnen, die eine Erklärung der sprachlichen Fakten liefern können. Darüber hinaus besteht im semantischen Bereich noch Klärungsbedarf bezüglich der Frage, ob prinzipiell – analog zur phonologischen oder graphematischen Lehnwortintegration – auch sinnvoll von einer semantischen Integration gesprochen werden kann. Als potenziell problematisch kann hier gelten, dass im Bereich der Semantik kein ZS-System vorliegt, das dem phonologischen oder graphematischen System der ZS vergleichbar wäre. Wenn demnach die Annahme einer semantischen Fremdheit und ebenso einer «semantischen Integration» als fragwürdig einzustufen 22

ist, so ist zu klären, wie eintretende semantische Veränderungen ggf. alternativ konzipiert werden können. Zuletzt sind schließlich pragmatische Aspekte von Entlehnungen anzusprechen. Die traditionelle Forschung konzentriert sich hier vor allem darauf, bestimmte Effekte aufzulisten, die sich bei der Verwendung von Entlehnungen ergeben können, etwa Effekte der Expressivität, Lokalkolorit etc. (cf. Galinsky 1967). Relativ geringes Interesse wurde jedoch bislang der Frage entgegengebracht, wie entsprechende Effekte entstehen, d.h. durch welche Merkmale der Lehnwörter sie ausgelöst werden (können). In diesem Zusammenhang ist auch auf das traditionelle Begriffspaar von «Luxus- vs. Bedürfnislehnwort» hinzuweisen, das «unnötige» Lehnwörter, bei denen es zur Bezeichnung des betreffenden Konzepts bereits einen anderen ZS-Ausdruck gibt (Bsp. (47)), von «notwendigen» Lehnwörtern, bei denen das Lehnwort ein neues Konzept bezeichnet (Bsp. (48) und (49)), abgrenzt (in Einzelfällen kann allerdings die Abgrenzung durchaus schwierig sein). 10 (47)

frz. people BERÜHMTE LEUTE neben frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE (PR)

(48)

frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT (PR)

(49)

it. mouse COMPUTERMAUS (DO; DIZ)

Die grundsätzliche Problematik der Termini – aufgrund ihres wertenden Charakters und aufgrund der Tatsache, dass die Sprachbenutzer auch Luxuslehnwörter aufgrund eines kommunikativen Bedürfnisses verwenden – wurde immer wieder festgestellt. Daher ist zu diskutieren, inwiefern die Kategorien grundsätzlich beibehalten werden können bzw. wie sie sinnvoll alternativ bestimmt werden können.

2.2

Übergreifende Fragen

2.2.1

Probleme bezüglich grundlegender Begriffe und Kategorien

Zunächst lassen sich Probleme bezüglich der Bestimmung grundlegender Kategorien feststellen. Trotz der intensiven Erforschung von Entlehnungen werden zentrale Kategorien noch immer unterschiedlich definiert bzw. verbreitete Definitionen werden sehr kontrovers diskutiert. Als besonders problematisch können die Bestimmungen von «Entlehnung» (borrowing) und «Lehnwortintegration» gelten. Darüber hinaus ist auch der Begriff des «Lehnworts» selbst, dem unmittelbare Bedeutung für die Definition der Lehnwortintegration zukommt, keineswegs klar und einheitlich umrissen. Da die genannten Phänomene im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen, erscheint die Notwendigkeit einer begrifflichen Klärung hier besonders zentral. 10

Da hier verschiedene Bezeichnungen für ein bestimmtes Konzept betrachtet werden, ist das entsprechende Konzept in Kapitälchen angegeben. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden ebenso durchgängig Kapitälchen zur Markierung der Konzepte verwendet (zur weiteren semiotischen Begründung dieses Vorgehens cf. Kap. 10.1.2).

23

So ist etwa zu fragen, welche unterschiedlichen Typen von Entlehnungen angesetzt werden können (etwa Lehnwörter im weiten Sinn/äußeres Lehngut/direkte Entlehnungen/lexical borrowing vs. Lehnprägungen/inneres Lehngut/indirekte Entlehnungen/semantic borrowing, cf. u.a. Betz 1949; 1974; 1975; Onysko 2004, 60; Fischer 2008, 6). Extrem umstritten ist ferner die Zugehörigkeit von Kategorien wie der sog. «Lehnschöpfung» zum Bereich der Entlehnungen. Weiterhin wird in der Forschungsliteratur eine Reihe von verwandten Begriffen und Phänomenen thematisiert (u.a. Codeswitching, Interferenz, Substratinterferenz), deren Verhältnis zum Bereich der Entlehnungen zu präzisieren ist. Ferner erscheint klärungsbedürftig, wie das Phänomen der Entlehnung konzipiert werden kann. Trotz des immer wieder festgestellten metaphorischen Charakters der Begriffe «Entlehnung», borrowing etc. herrscht traditionell eine Sichtweise vor, nach der die entsprechenden Einheiten der AS an die ZS übergeben werden. Neuere Ansätze – gerade auch kognitiver Ausrichtung – weisen eine solche Darstellung hingegen scharf zurück und stellen heraus, dass bei Entlehnungsprozessen vielmehr ZS-Kopien der AS-Einheiten erstellt werden: «A closer look shows that foreign words are not really ‹borrowed› into other languages – either literally or metaphorically. They are not transferred across languages, and the source language, as is well known, is not deprived of any of its ‹borrowed› words. What, to my mind, really happens is the creation of close lexical copies of the respective foreign words by the ‹borrowing› language itself. […] So, if borrowings are treated as physical copies created by the recipient language, it becomes clear that, as linguistic forms, it is to the recipient language that they belong […]» (Alexieva 2008, 48, Hervorhebungen im Original; cf. Matras 2009, 146, der Entlehnungen als replications beschreibt).

Eine solche Präzisierung erweist sich als keineswegs trivial, da hieraus unmittelbar ableitbar ist, dass keinesfalls automatisch von (semantischen und formalen) Übereinstimmungen zwischen der AS- und der ZS-Form ausgegangen werden kann. Vielmehr ergibt sich grundsätzlich die Möglichkeit von Divergenzen (etwa in der Aussprache oder in der Bedeutung), und prinzipiell sind damit nicht nur eintretende Veränderungen, sondern ebenso ihr Ausbleiben erklärungsbedürftig. Zu problematisieren ist allerdings die Ausdrucksweise, nach der die jeweilige ZS als Agens angesetzt wird («by the ‹borrowing› language itself», «created by the recipient language»). Sie kann wiederum allenfalls als übertragene oder abkürzende Sprechweise verstanden werden. Ferner lässt sie sich unmittelbar mit der – äußerst problematischen – Tendenz in Verbindung bringen, Entlehnungsphänomene ausschließlich auf der Ebene der Sprachen zu behandeln (die entsprechende Tendenz wird im Übrigen von Alexieva selbst ebenfalls problematisiert, cf. Alexieva 2008, 47–48; Winford 2003, 2; Romaine 2004, 49). Es erscheint daher vorteilhaft, eine alternative Bestimmung des Begriffs «Entlehnung» vorzunehmen, welche die Sprachbenutzer ins Zentrum rückt. Für die Kategorie des «Lehnworts» erweist sich sodann die Abgrenzung gegenüber dem «Fremdwort» als wichtige Frage (cf. Bsp. (50) für ein «typisches» Lehnwort und Bsp. (51) für ein «typisches» Fremdwort). Beide Kategorien sind vor allem in der deutschsprachigen Entlehnungsforschung weit verbreitet, doch es kann gezeigt werden, dass die inhaltliche Bestimmung der Kategorien von Autor zu Autor

24

variiert, so dass Beispiele wie (52), die einen mittleren Integrationsgrad realisieren, unterschiedlich analysiert werden. (50)

it. goscismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI)

(51)

it. gauchisme ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277)

(52)

it. gauchismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI)

Da «Fremdwort» und «Lehnwort» häufig als nicht integrierte bzw. integrierte Formen gefasst werden, verweisen die Abgrenzungsprobleme zwischen beiden Kategorien gleichzeitig auf die Frage, wie der Begriff der «Integration» bestimmt werden kann. In der Literatur finden sich hierzu unterschiedliche Konzeptionen, die auf den Gebrauch bzw. die Etablierung oder Lexikalisierung der Formen in der ZS, auf soziolinguistische und stilistische Aspekte oder aber auf strukturelle Aspekte abzielen. Auch hier ist daher für die vorliegende Arbeit eine terminologische Festlegung zu treffen. Eine weitere grundlegende Frage betrifft den Status der sog. Scheinentlehnungen (cf. Bsp. (53) bis (56), die traditionell als Scheinentlehnungen behandelt werden). Auch für diese Kategorie gilt, dass sie in der Entlehnungsforschung gleichermaßen verbreitet wie umstritten ist bzw. ihre genaue inhaltliche Spezifizierung bei verschiedenen Autoren teilweise erheblich voneinander abweicht. Die Kontroversen beziehen sich dabei auf die inhaltliche Bestimmung der Kategorie und damit zusammenhängend auf die Frage, welche Phänomene dem Bereich der Scheinentlehnungen zuzurechnen sind. Gleichzeitig wird das Problem der Abgrenzung gegenüber «echten» Entlehnungen manifest. (53)

dt. picobello ‘tadellos, sehr fein’ (EWDS)

(54)

frz. smoking ‘Anzug’ (engl. smoking jacket) (DHLF; OED s.v. smoking; Etiemble 1964, 221–222; Dda s.v. smoking-jacket)

(55)

frz. recordman ‘Rekordhalter’ (engl. record-holder) (DHLF s.v. record; OED s.v. record; Dda s.v. record)

(56)

frz. slip ‘Unterhose’ (engl. slip ‘Unterrock, Unterkleid’) (DHLF; OED s.v. slip, n.3)

Da sowohl bei Entlehnungen als auch bei Scheinentlehnungen eine sprachliche Fremdheit (in einer jeweils spezifischen Ausprägung) konstatiert werden kann, stellt sich ferner die übergreifende Aufgabe, unterschiedliche Herangehensweisen an Phänomene der Entlehnung und sprachlichen Fremdheit zu präzisieren und voneinander abzugrenzen.

25

2.2.2

Zum Verhältnis prozessualer und resultativer Aspekte von Entlehnung

Ein weiteres zentrales Problem, das sich bei der Betrachtung von Entlehnungen zeigt, ist, dass diese in der Forschung – wie bereits festgestellt – häufig vor allem unter resultativen Gesichtspunkten bzw. im Hinblick auf die Auswirkungen für die (Ziel-)Sprache betrachtet werden; gleichzeitig wird jedoch immer wieder festgestellt, dass Entlehnung im eigentlichen Sinn nur als ein kommunikatives Phänomen konzipiert werden kann, das von einzelnen Sprechern im konkreten Diskurs realisiert wird (zur Gegenüberstellung beider Aspekte cf. Aschenberg 2006, 230). Zu klären ist vor allem, in welchem Verhältnis beide Aspekte zueinander stehen. Einerseits scheinen sie sich gegenseitig zu bedingen: Eine Auswirkung für die ZS insgesamt ergibt sich erst auf der Grundlage einer Reihe von einzelnen Verwendungen im Diskurs; zugleich gehen die Sprecher bei der Kommunikation von den Möglichkeiten aus, die ihnen die Sprache zur Verfügung stellt (bzw. erweitern diese Möglichkeiten durch eine Innovation entsprechend ihrer kommunikativen Bedürfnisse). In diesem Sinn liegt eine Komplementarität vor. Andererseits lässt sich das Verhältnis auch im Sinne eines diachronischen Aufeinanderfolgens fassen: Eine Auswirkung für die ZS bedeutet letztlich, dass ein Sprachwandel stattgefunden hat, und dieser lässt sich auf eine Reihe von einzelnen kommunikativen Verwendungen der neuen Form zurückführen. Zur weiteren Klärung des Verhältnisses der beiden Aspekte erscheint es daher hilfreich, Entlehnung im übergreifenden Kontext von Sprachwandel insgesamt zu betrachten und zu fragen, welche grundlegenden Stadien von Sprachwandel angesetzt werden können.

2.2.3

Zur Modellierung von formalen und semantischen Veränderungen bei Entlehnungsprozessen

Bereits bei der Vorstellung der Problematik der Scheinentlehnungen hat sich die Schwierigkeit der Einordnung von formalen und semantischen Veränderungen bei Entlehnungsprozessen gezeigt. In diesem Zusammenhang stellt sich noch ein weiteres grundlegendes Problem, das etwa auftritt, wenn ein Rezipient der ZS einen ASAusdruck in einer anderen Form oder Bedeutung in die ZS übernimmt. Im Allgemeinen ist auch bei entsprechenden Veränderungen prinzipiell von einer erfolgreichen Kommunikation auszugehen, d.h. in der Kommunikationssituation, in der der ZS-Rezipient mit dem AS-Ausdruck in Kontakt kommt, tritt zwar eine bestimmte Verschiebung ein – Produzent und Rezipient haben also unterschiedliche Repräsentationen des Zeichens (etwa bezüglich Aussprache, Schreibung, morphologischen Eigenschaften oder der Bedeutung) –, gleichwohl wird durch diese Abweichung aber in der Regel das Funktionieren der Kommunikation nicht gefährdet. Daraus ergibt sich die allgemeine Frage, wie entsprechende Veränderungen in semiotischer Hinsicht modelliert werden können. Dabei ist ferner zu untersuchen, wie sich die entlehnten Wörter in die ZS eingliedern. Die klassische strukturalistische Sichtweise geht von der Annahme aus, dass

26

ein Wort, sobald es in die ZS eingegangen ist, wie alle anderen Wörter der ZS eine gleichberechtigte Einheit innerhalb dieses Systems darstellt: «[…] surtout le mot emprunté ne compte plus comme tel, dès qu’il est étudié au sein du système ; il n’existe que par sa relation et son opposition avec les mots qui lui sont associés, au même titre que n’importe quel signe autochtone» (Saussure 1969 [11916], 42).

Diese Sichtweise blendet jedoch die diachronischen Prozesse, die bei der Entlehnung und Lehnwortintegration ablaufen, zugunsten einer rein synchronisch-funktionalen Perspektive aus. Um zu verstehen, wie die entsprechenden Prozesse ablaufen, scheint eine Überschreitung dieser Perspektive notwendig, und es ist zu klären, wie Entlehnung und Lehnwortintegration theoretisch konzipiert und semiotisch modelliert werden können.

2.2.4

Das Phänomen der Varianz

Im Hinblick auf die Beschreibung von Entlehnungen wurde bereits festgestellt, dass viele traditionelle Darstellungen nur jeweils eine ZS-Realisierung von Lehnwörtern (oder allenfalls sehr wenige Varianten) angeben. Bei der Vorstellung der bisher genannten Beispiele wurde jedoch immer wieder sichtbar, dass sich für die meisten der Beispiele mehrere Varianten innerhalb der ZS nachweisen lassen. Dabei sind verschiedene Ebenen der linguistischen Sprachbeschreibung betroffen (Aussprache, Schreibung, Morphologie). In der Tat ergibt sich bei Untersuchungen aktueller Entlehnungsprozesse – insbesondere auf der Grundlage wenig normativ geprägter Corpora wie des Internet – der empirische Befund, dass Variation als ein offensichtliches und wichtiges Merkmal vieler Entlehnungsprozesse angesehen werden kann. Daher ist zu fragen, wie das Phänomen der Variation im Bereich von Entlehnung und Lehnwortintegration einzugrenzen ist und welche theoretische Bedeutung ihm beizumessen ist. 11 Hier lassen sich vorab bereits folgende Präzisierungen treffen: Bei dem relevanten Verständnis von Variation handelt es sich grundsätzlich um eine Polymorphie, d.h. einem bestimmten Konzept sind (innerhalb der ZS) mehrere Ausdrücke zugeordnet. Dabei sind unterschiedliche Ausprägungen von Polymorphie denkbar, die auch kombiniert auftreten können. Erstens besteht die Möglichkeit, dass neben dem entlehnten Wort bereits ein anderes Wort der ZS zur Verfügung steht, um das betreffende Konzept zu bezeichnen (cf. Bsp. (57)). Diese Konstellation ist generell bei sog. Luxuslehnwörtern gegeben, auf die ich in Kap. 12 näher zurückkommen werde. (57)

frz. people BERÜHMTE LEUTE neben frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE (PR)

Zweitens können auf der Grundlage von Sprachkontakt unterschiedliche ZSBezeichnungen für das vom AS-Ausdruck bezeichnete Konzept geschaffen werden. So können verschiedene Innovationsverfahren angewandt werden, die in unter11

Cf. hierzu auch den Aufsatz Winter-Froemel (2010), in dem das Phänomen der Variation/Varianz anhand der Entlehnung frz. people (cf. Kap. 16 der vorliegenden Arbeit) diskutiert wird.

27

schiedlichen Typen sprachkontaktinduzierter Innovationen resultieren: Übernahme des AS-Ausdrucks bzw. Lehnwort (in einem weiten Sinn, Bsp. (58) und (61)), analogische Innovation bzw. Lehnprägung/sog. Lehnbedeutung (Bsp. (62)) oder eigene (unabhängige) lexikalische Innovation bzw. sog. Lehnschöpfung (Bsp. (59) und (63)) und sog. substituierende Lehnbedeutung (Bsp. (60)). Dieser Aspekt von Polymorphie ist für die vorliegende Arbeit allerdings von untergeordneter Bedeutung, da ich mich hier auf den Bereich der Lehnwörter beschränke. 12 (58)

frz. cookie COOKIE (PROFILDATEI) ĸ engl. cookie (PR; LexInt; OED)

(59)

frz. témoin de connexion COOKIE (PROFILDATEI) ĸ frz. témoin ZEUGE + frz. connexion VERBINDUNG (für engl. cookie COOKIE (PROFILDATEI)) (PR; JO)

(60)

frz. mouchard COOKIE (PROFILDATEI) ĸ frz. mouchard SPITZEL, PETZER (für engl. cookie COOKIE (PROFILDATEI)) (PR; JO; NEO s.v. log file)

(61)

frz. browser WEBBROWSER ĸ engl. browser WEBBROWSER (Internet)

(62)

frz. navigateur WEBBROWSER ĸ frz. navigateur engl. Navigator WEBBROWSER ĸ engl. navigator LexInt; NEO s.v. browser)

(63)

frz. butineur engl. browser s.v. browser)

WEBBROWSER

COOKIE (PROFILDATEI)

NAVIGATOR NAVIGATOR 13

nach (JO;

ĸ frz. butiner (HONIG) SAMMELN (für (NEO s.v. browser; IATE; LexInt

WEBBROWSER)

Weiterhin können sich auf der Grundlage von Sprachkontakt unterschiedliche Varianten eines einzelnen Lehnworts innerhalb der ZS ergeben (cf. Bsp. (64) und (65) und viele andere der bisher besprochenen Beispiele). Dieser Aspekt der Variation oder Polymorphie spielt für die vorliegende Arbeit insgesamt eine zentrale Rolle und wird im weiteren Verlauf immer wieder thematisiert werden. Dabei spreche ich im Folgenden auch von «Varianz», um auf diesen speziellen Aspekt zu referieren. (64)

12

13

engl. chat ĺ frz. chat (PR)

ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION IN ECHTZEIT

Bei der Beschreibung der Innovationen referiere ich hier und im Folgenden auf das bezeichnete Konzept, das in Kapitälchen notiert wird. Dies lässt sich dadurch begründen, dass nur ein außer(einzel)sprachliches Konzept als onomasiologischer Fixpunkt angesetzt werden kann, wenn Phänomene wie Entlehnungen betrachtet werden, die grundsätzlich die Überschreitung einer einzelsprachlichen Sicht implizieren (cf. dazu ausführlicher Kap. 10 und 11). Der englische Ausdruck Navigator bezeichnet zunächst nur ein bestimmtes Produkt unter den Webbrowsern, den (Netscape) Navigator von Netscape. Die Bezeichnung fungiert aber auch als generischer Ausdruck für WEBBROWSER im Allgemeinen (cf. Markennamen wie dt. Tempo, Tesa, frz. scotch etc.).

28

(65)

engl. chat ĺ frz. tchat (Internet)

ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION IN ECHTZEIT

Für konkrete Untersuchungen stellt sich sodann die Frage, wie das Auftreten entsprechender Varianten erklärt werden kann. Ein potenzieller Erklärungsfaktor ist die Ausprägung der Zweisprachigkeit in der Sprachgemeinschaft der ZS: Bei sehr heterogenen Kenntnissen bezüglich der AS lässt sich annehmen, dass die Entstehung von Varianten begünstigt wird (d.h. sowohl wenig als auch stark integrierte Formen realisiert werden), während bei homogenen Kenntnissen der AS tendenziell eher eine geringe Zahl von Varianten zu erwarten ist. Ebenso können diatopische Faktoren eine Rolle spielen, d.h. bestimmte Varianten sind unter Umständen auf einzelne diatopische Varietäten der ZS beschränkt (cf. die im kanadischen Französisch verbreitete Form clavardage ‘Chat’). Da jedoch teilweise nicht nur innerhalb der ZS-Sprachgemeinschaft, sondern auch durch einzelne Sprachbenutzer unterschiedliche Varianten eines Lehnworts verwendet werden, ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass sich die beobachteten Formen damit vollständig erklären lassen. Vielmehr können verschiedene Faktoren (kommunikative, soziolinguistische, stilistische etc.) bei der Wahl einer bestimmten Variante ins Spiel kommen. Insgesamt ist dabei bislang noch wenig untersucht, inwiefern sich bestimmte Grade der Lehnwortintegration mit bestimmten Sprechergruppen, Entlehnungssituationen, Typen von Kommunikationssituationen in der ZS oder kommunikativen Einschätzungen der Formen in Verbindung bringen lassen (zu denken ist hier etwa an als snobistisch oder ungebildet empfundene Extremvarianten, die sich durch einen besonders geringen bzw. besonders hohen Integrationsgrad auszeichnen). Entsprechende Untersuchungen erscheinen auch in theoretischer Hinsicht von großer Relevanz, da sich damit unter Umständen ein Zusammenwirken von strukturellen und sozialen Faktoren (formaler Integrationsgrad bzw. kommunikative Funktionen, Konnotationen etc.) ergibt, das strikte Trennungen beider Gruppen (wie etwa bei Croft 2000, cf. Kap. 7.3.1) in Frage stellt. Darüber hinaus können sich weitere Anstöße für Modifikationen bisheriger Auffassungen ergeben. So nehmen viele linguistische Modellierungen einen sehr regelmäßigen, vorhersagbaren Verlauf der Lehnwortintegration an. Dies gilt etwa für OT-Modellierungen, die von einer einheitlichen Beschränkungshierarchie ausgehen, die im Zuge der Lehnwortintegration durchlaufen wird: Demnach werden die auftretenden Integrationen als völlig vorhersagbar angenommen, sie können sozusagen auf der Grundlage des Inputs, der relevanten Beschränkungen und ihrer Hierarchisierung in der ZS im Voraus berechnet werden. Für entsprechende Modellierungen stellen die beobachteten Varianten jedoch eine bedeutende Herausforderung dar, da sie regelmäßige Tendenzen des Wandels bzw. spezieller, der Entlehnung und Lehnwortintegration, teilweise unterlaufen: Selbst wenn eine der Varianten das «übliche» Verfahren der Integration realisiert, stellt sich noch immer die Frage, wie davon abweichende Integrationsgrade und -verfahren bei den konkurrierenden Varianten erklärt werden können. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, hinreichend flexible Beschreibungs- und Erklärungsmodelle zu konzipieren, welche die Lehnwortintegration als dynamischen Prozess erfassen.

29

Im Hinblick auf den Kontext des Sprachwandels im Allgemeinen ist festzustellen, dass synchronische Variation grundsätzlich in engem Zusammenhang mit diachronischem Wandel steht, da die Innovationen, die am Anfang der Wandelprozesse stehen, häufig eine Variation schaffen, oder sich im Laufe des Wandels Verschiebungen innerhalb eines bestehenden Varietätengefüges ergeben (zum Verhältnis von Synchronie und Diachronie cf. allgemein Wartburg 1931; Coseriu 1958; 1980, insbesondere 140–141; Albrecht 2000, 40). Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, warum sich überhaupt unterschiedliche Varianten eines bestimmten Lehnworts etablieren können, da die so entstehende Polymorphie für das Funktionieren der Kommunikation innerhalb der ZS-Sprachgemeinschaft tendenziell als problematisch angesehen werden kann. Die beobachteten Phänomene der Varianz stellen daher auch ein wichtiges Erklärungsproblem für Theorien des Sprachwandels im Allgemeinen dar, das in Kap. 7.3.5 aufgegriffen werden soll.

2.3

Zusammenfassung

Insgesamt hat sich gezeigt, dass eine Reihe von Fragen zur Entlehnung und Lehnwortintegration als noch nicht zufriedenstellend geklärt anzusehen ist. Eine erste Gruppe von Fragen steht dabei in Zusammenhang mit der Beschreibung, Modellierung und Erklärung von Integrationsphänomenen auf verschiedenen Ebenen der Sprachbetrachtung; eine zweite Gruppe verweist hingegen auf übergreifende Problemstellungen. Für beide Gruppen lässt sich feststellen, dass die angesprochenen Probleme und Desiderate sowohl empirische als auch theoretische Aspekte betreffen. Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen daher neben empirischen Analysen auch theoretische Überlegungen zur Beschreibung und Erklärung von Entlehnungen und Lehnwortintegrationen ausführlich Berücksichtigung finden. Dabei ist noch hervorzuheben, dass sich bei der Besprechung einzelner Probleme bereits angedeutet hat, dass in der traditionellen Forschung teilweise sehr unterschiedliche Konstellationen von Kontaktsituationen behandelt werden – etwa Situationen vorwiegend schriftlichen bzw. vorwiegend mündlichen Sprachkontakts oder Situationen mit ausgeprägter bzw. mit nur reduzierter Zweisprachigkeit. Ergänzend wären noch Forschungen im Bereich Kreolsprachen zu nennen, die wiederum eine völlig eigene Konstellation des Sprachkontakts darstellen, insofern als hier noch keine bestehende ZS vorhanden ist, sondern sich diese erst im Kontext des Sprachkontakts konstituiert. Die bisherigen Forschungsergebnisse können daher teilweise nur eingeschränkt aufeinander bezogen werden. Als ein wichtiges übergreifendes Desiderat lässt sich hieraus ableiten, allgemeine Parameter von Sprachkontaktphänomenen zu spezifizieren, die auf alle genannten Konstellationen anwendbar sind (etwa das Wissen der Kommunikationsteilnehmer bezüglich der AS, ihr Wissen bezüglich der ZS bzw. die Frage, ob überhaupt eine ZS vorhanden ist oder ob dies wie bei Kreolisierungsprozessen nicht im eigentlichen Sinn der Fall ist, etc.). Hierzu bietet es sich an, eine Anbindung an den Bereich des Sprachwandels zu suchen und gleichzeitig grundsätzliche Überlegungen zum Funktionieren von Entlehnung in semiotischer Hinsicht anzustellen.

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Im Hinblick auf traditionelle Ansätze lässt sich Folgendes feststellen: Zwar wird theoretisch durchaus anerkannt, dass sich Sprache nur in einzelnen Kommunikationsakten realisiert. Dennoch werden aber in vielen Modellierungen von Sprachwandel – und insbesondere im Bereich der Entlehnungsforschung – die Sprache bzw. die eintretenden Veränderungen auf einer rein abstrakten Ebene betrachtet, d.h. es kann mit Coseriu eine Tendenz festgestellt werden, sich – sozusagen wider besseres Wissen – in die Sprache als ergon zu flüchten: «Ahora, la lengua funciona y se da concretamente en el hablar. Tomar como base de toda la teoría de la lengua este hecho significa partir de la conocida afirmación de Humboldt de que el lenguaje no es ‫ۆ‬ȡȖȠȞ sino ‫ۂ‬ȞȑȡȖİȚĮ. Esta afirmación se cita a menudo, pero, en la mayoría de los casos, para olvidarla rápidamente y refugiarse en la lengua como ‫ۆ‬ȡȖȠȞ. En cambio, es necesario, en primer lugar, tomar en serio la frase de Humboldt, es decir, tomarla como fundamento, pues no se trata de una paradoja o de una metáfora, sino de la desnuda aserción de una verdad. Realmente, y no en algún sentido metafórico, el lenguaje es actividad, y no producto. Más aún: sólo porque es actividad y se concoce como tal, puede abstraerse y estudiarse también como ‹producto›» (Coseriu 1958, 25, Hervorhebungen im Original).

Damit kann die wesentliche Zielsetzung der vorliegenden Arbeit dahingehend bestimmt werden, dass eine Modellierung von Entlehnung und Lehnwortintegration entwickelt werden soll, die bei den einzelnen Sprachbenutzern und ihren kommunikativen Äußerungen ansetzt und die genannten Phänomene im Kontext von Sprachwandel überhaupt betrachtet. Als wesentliche Aufgaben ergeben sich damit die Klärung grundlegender Fragen zu Sprachwandel im Allgemeinen sowie die Ausarbeitung einer semiotischen Modellierung entsprechender kommunikativer Prozesse.

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3

Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas I: «Entlehnung»

Im folgenden Kapitel soll der für die vorliegende Arbeit zentrale Begriff der «Entlehnung» präzisiert werden. Dabei geht es zunächst um das Verhältnis zu den verwandten Begriffen Codeswitching, Interferenz und Substratinterferenz. Als ein zentrales Problem stellt sich sodann die Abgrenzung gegenüber sog. Scheinentlehnungen dar, unter denen traditionell sehr unterschiedliche Phänomene erfasst werden, z.B. (66)

frz. smoking ‘Anzug’ (engl. smoking-jacket) (DHLF; OED s.v. smoking; Etiemble 1964, 221–222; Dda s.v. smoking-jacket)

(67)

frz. recordman ‘Rekordhalter’ (engl. record-holder) (DHLF s.v. record; OED s.v. record; Dda s.v. record)

(68)

frz. slip ‘Unterhose’ (engl. slip ‘Unterrock, Unterkleid’) (DHLF; OED s.v. slip, n.3)

Hierbei fällt auf, dass in einigen Fällen potenzielle Ausgangsformen in der AS existieren (engl. slip, engl. smoking jacket), wobei jedoch bestimmte Abweichungen gegenüber den ZS-Formen vorliegen – zu klären bleibt, um welche Typen von Abweichungen es sich jeweils handelt und wie diese erklärbar sind. In anderen Fällen wie frz. recordman lassen sich hingegen keine entsprechenden AS-Ausgangsformen angeben, so dass zu fragen ist, wie die Bildung entsprechender Formen überhaupt erklärbar ist. Weiterhin ist grundsätzlich zu diskutieren, wie eine sinnvolle Trennung zwischen «echten» Entlehnungen und bloßen Scheinentlehnungen vorgenommen werden kann. Ferner sollen Subdifferenzierungen vorgenommen werden, um unterschiedliche Konstellationen von sog. Scheinentlehnungen präzise beschreiben und im Hinblick auf ihre Entstehung erklären zu können.

3.1

Entlehnung und Codeswitching

Eine erste Fragestellung betrifft das Verhältnis von Entlehnung (borrowing) und Codeswitching (CS), die beide Phänomene des Sprachkontakts darstellen (cf. hierzu insgesamt Heller/Pfaff 1996, 601–602; King 2000, 86–89; Riehl 2004, 20–22; Onysko 2007, 36–38; Bullock/Toribio 2009, 5–6). CS wird im Allgemeinen definiert als 33

eine im Diskurs auftretende, von zweisprachigen (oder mehrsprachigen) Individuen vorgenommene Vermischung mehrerer Sprachen: «the mixing, by bilinguals (or multilinguals) of two or more languages in discourse, often with no change of interlocutor or topic» (Poplack 2001, 2062; cf. Poplack 1980; 2004; Poplack/Sankoff 1988). Diese kann auf den verschiedenen Ebenen der Sprachstruktur auftreten, wobei in der Forschung vor allem CS-Phänomene innerhalb des Satzes (intrasentential CS) intensiv untersucht sind. Wie lassen sich nun Entlehnung und CS voneinander abgegrenzen? Wenn, wie in Bsp. (69), jeweils längere syntaktische Einheiten auftreten, stellt sich die Abgrenzung relativ einfach dar, da aufgrund syntaktischer, morphologischer und lexikalischer Kriterien klar ein Sprachenwechsel und somit CS diagnostiziert werden kann. (69)

Sometimes I’ll start a sentence in Spanish y termino en español. (cf. Poplack 1980)

Problematischer sind jedoch Fälle, bei denen nur einzelne Wörter aus einer Sprache in einer anderen verwendet werden (also genau die Fälle, um die es auch in der vorliegenden Arbeit geht). Wie ist etwa die Form magazine im folgenden spanischen Satz einzuordnen: Handelt es sich um eine englische Form, und kann demnach CS konstatiert werden, oder liegt eher eine bereits spanische Form – also ein entlehntes Wort – vor? (70)

Leo un magazine. (cf. Poplack 1980)

Poplack (1980, 583–584) schlägt eine Abgrenzung vor, die genau auf dem Kriterium der Lehnwortintegration beruht: Bei einer phonologischen, morphologischen und syntaktischen Integration in die Basissprache (hier: das Spanische) wird ein Lehnwort angesetzt, beim Ausbleiben entsprechender Integrationen hingegen CS angenommen. 1 Im vorliegenden Fall beruht die Einstufung vor allem auf phonologischen Kriterien (die Frage der morphologischen und syntaktischen Integration ist hier hingegen letztlich nicht entscheidbar), d.h. bei einer Aussprache als [mægԥ'ziyn] wird CS angenommen, bei einer Aussprache als [maŬa'siƾ] hingegen das Vorliegen eines Lehnworts. Dabei ist allerdings grundsätzlich anzumerken, dass entsprechende lautliche Kriterien bei medial graphischer Kommunikation nicht anwendbar sind (zu written code-switching cf. Onysko 2005). Als ergänzendes, «soziales» Merkmal von Lehnwörtern wird ferner angeführt, dass diese habitualisiert sind, d.h. sowohl in den Sprachäußerungen des Individuums als auch innerhalb der Sprachgemeinschaft häufig vorkommen (recurrence bzw. distribution, Sankoff/Poplack/Vanniarajan 1990, 74; cf. King 2000, 88–89). Als eindeutiger Fall von Entlehnung stellen sich damit etablierte (lexikalisierte) Lehnwörter dar, die insgesamt wie folgt charakterisiert werden können: 1

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff «Integration» in der Forschung auch im Sinne einer Verwendung der entsprechenden Einheit in der ZS (unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß formale Veränderungen und Angleichungen an die Strukturen der ZS vorgenommen werden) gebraucht wird. In der vorliegenden Arbeit soll «Integration» jedoch grundsätzlich auf formale Integrationsphänomene bezogen werden; im anderen Fall spreche ich einfach von der «Verwendung» des Worts in der ZS.

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«Despite etymological identity with the donor language, established loanwords assume the morphological, syntactic, and often, phonological, identity of the recipient language. They tend to be recurrent in the speech of the individual and widespread across the community. The stock of established loanwords is available to monolingual speakers of the recipient language, who access them normally along with the remainder of the recipient-language lexicon. Loanwords further differ from CS in that there is no involvement of the morphology, syntax, or phonology of the lexifier language» (Poplack 2001, 2063).

Allerdings lässt sich beobachten, dass einige entsprechend habitualisierte Formen phonologisch nicht integriert sind (Poplack 1980, 598), und eine gewisse Problematik phonologischer Kriterien wird durchaus anerkannt. 2 Darüber hinaus erweist sich auch das Kriterium der Habitualisierung in vielen Fällen als problematisch – zum einen, da sich hier das methodologische Problem ergibt, wann bzw. wie eine Habitualisierung oder Etablierung der Formen festgestellt werden kann, zum anderen, da sich auch Einzelentlehnungen beobachten lassen, die sich nicht innerhalb der ZS durchsetzen. Diese werden häufig als nonce borrowings (Sankoff/Poplack/Vanniarajan 1990, 74; Weinreich 1968, 11; Matras 2009, 106), teilweise auch als ad hocEntlehnungen (Sankoff 1998, 41) bezeichnet. Sie lassen sich wie folgt charakterisieren: «Like its established counterpart, the nonce loan tends to involve lone lexical items, generally major-class content words, and to assume the morphological, syntactic, and often, phonological identity of the recipient language. Like CS, on the other hand, nonce borrowing is neither recurrent nor widespread, and necessarily requires a certain level of bilingual competence» (Poplack 2001, 2063).

Als eigentliche Abgrenzungskriterien für Entlehnung bzw. CS fungieren also die morphologische und syntaktische Integration. Letztlich ungelöst bleibt damit jedoch das Problem der Einstufung einzelner Wörter, die etymologisch aus einer anderen Sprache stammen und die in einem sprachlichen Kontext auftreten, bei dem die Wortstellung in beiden Sprachen (der etymologischen Herkunftssprache und der Sprache des Basissatzes) übereinstimmen und keine (formal realisierte) Flexion erforderlich ist. 3 In entsprechenden Fällen ergibt sich somit, dass eine eindeutige 2

3

«In practice, […] because of inter- and intraindividual variability, and/or pre-existing similarities in the phonological systems of a bilingual’s two speech varieties, phonology is not a reliable criterion for differentiating loanwords from code-switches» (Sankoff/Poplack/Vanniarajan 1990, 73). Bemerkenswert scheint die Tatsache, dass hier einerseits die Variabilität, andererseits das Ausmaß an übereinstimmenden Strukturen in den beteiligten Sprachen angeführt werden, d.h. es wird auf Aspekte verwiesen, deren Problematik auch in der vorliegenden Arbeit bereits festgestellt wurde (cf. Kap. 2.2.4 und 2.1.1) und noch weiter vertieft wird (cf. insbesondere Kap. 4 und 5). Cf. Poplacks Bemerkungen zur Einstufung sog. «lone other-language items»: «Distinguishing nonce borrowings from single-word CS is conceptually easy but methodologically difficult, especially when they surface bare [d.h. nicht in einer flektierten Form, EWF], giving no apparent indication of language membership» (Poplack 2001, 2063; cf. Poplack 2004). Dabei hält sie an der theoretischen Unterscheidung durchaus fest, während andere Arbeiten CS primär erst oberhalb der Wortgrenze ansetzen, wenn Einheiten von mehreren Wörtern eingefügt werden (Sankoff 1998, 49).

35

Entscheidung, ob Einwortcodeswitching oder aber eine Entlehnung vorliegt, nicht möglich ist. Insgesamt erscheint es vorteilhaft, die Begriffe CS bzw. Entlehnung nicht als strikten Gegensatz zu fassen, sondern eher ein Kontinuum anzusetzen (Onysko 2005; Fischer 2008, 10; Matras 2009, 110–114). Gleichzeitig können sowohl Einwortcodeswitching wie in Bsp. (71) (hierbei handelt es sich vor allem um Diskursmarker, cf. Onysko 2005) als auch Mehrwortentlehnung wie bei dt. Point of no return, Rhythm and Blues, trial and error etc. 4 als theoretisch denkbare Optionen offengehalten werden (cf. Onysko 2007, 274–286, mit zahlreichen Corpusbelegen aus Der Spiegel); allerdings ist im Einzelnen zu klären, durch welche Kriterien entsprechende Zuweisungen präzise fundiert werden können. (71)

Auf der Straße lächeln dich wildfremde Menschen an, und manche werfen dir im Gehen ein Hi! entgegen wie eine Handvoll Schnee. (Corpusbeleg aus Der Spiegel 7/232 (2000), zit. nach Onysko 2005)

Im Kontext traditioneller Überlegungen zur Abgrenzung von CS und Entlehnung zeigt sich darüber hinaus die grundlegende Bedeutung von Phänomenen der Lehnwortintegration auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache, insofern als sich aus dem Vorliegen bestimmter Integrationsgrade jeweils unterschiedliche linguistische Interpretationen (als CS bzw. als Entlehnung) ergeben können. Studien zur Lehnwortintegration und zum CS können sich insofern gegenseitig erhellen. Ein konkretes Beispiel hierfür liefert der im Rahmen der CS-Forschung aufgestellte free morpheme constraint, d.h. die Hypothese, dass CS nur an Wortgrenzen stattfindet (cf. Sankoff/Poplack/Vanniarajan 1990, 73; Poplack 1980; Matras 2009, 129). Bei der Kombination eines gebundenen Morphems mit einem anderen Morphem hingegen wird grundsätzlich angenommen, dass beide Morpheme derselben Sprache entstammen (bei unterschiedlicher etymologischer Herkunft wird somit eine zuvor erfolgte Entlehnung angesetzt, cf. Bsp. (72)). Damit ergeben sich hier bereits Hinweise auf die Abfolge bestimmter Schritte bei der Entlehnung und Lehnwortintegration. 5 (72)

frz. chatter ĸ frz. chat- (ĸ engl. chat) + frz. -er

In Bezug auf die in der CS-Forschung vorgenommene Abgrenzung von nonce borrowings und etablierten Entlehnungen ist noch anzumerken, dass hier eine Anbindung an die Sprachwandelforschung vielversprechend erscheint, um zusätzliche Präzisierungen vorzunehmen. Dabei geht es um die Frage des grundsätzlichen Ablaufs von Entlehnung als Phänomen des Sprachwandels: Generell ist auch für 4

5

Hier handelt es sich zwar um syntaktische Wortgruppen, diese haben jedoch im ZS-Satz eine rein lexikalische Funktion (sie können etwa durch ein einzelnes Nomen substituiert werden): «The phrasal elements tend to merge conceptually into one lexical unit that fills a nominal slot in a German sentence» (Onysko 2005). Allerdings stellt sich die Frage, wie Scheinentlehnungen diesbezüglich zu analysieren sind, bei denen entsprechend gängiger Definitionen eine Innovation in der «ZS» erfolgt, bei der erstmalig auf fremdsprachliches Material zurückgegriffen wird, das innerhalb der ZS noch nicht produktiv ist (dazu näher Kap. 3.4 bis 3.6).

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etablierte Entlehnungen ein Entstehungsprozess anzusetzen, in dessen Verlauf die Formen zunächst von einzelnen Sprechern in der ZS verwendet werden, bevor sie sich dort etablieren. Der eigentliche Unterschied scheint damit vor allem in einer zeitlichen Dimension zu liegen, wobei im Falle etablierter Entlehnungen der Weg von der erstmaligen Entlehnung bis hin zur Durchsetzung in der ZS bereits abgeschlossen ist, während dieser potenzielle Prozess (der selbstverständlich nicht in jedem Fall eintreten muss) bei den nonce borrowings noch an seinem Anfang steht. Weiterhin kann hier auf Untersuchungen zu metasprachlichen Verwendungen bzw. fremdsprachlichen Zitaten oder Zitatwörtern Bezug genommen werden (cf. Van Coetsem 2000, 67). Ein Beispiel für entsprechende Verfahren liefert der folgende Beleg aus einem Blog, in dem einerseits eine englische, andererseits eine spanische Ausdrucksweise zitiert wird (es handelt sich um einen Bericht über einen Aufenthalt in Buenos Aires, mit «ici» ist also Buenos Aires gemeint). (73)

Je me suis installé dans un genre de Bed & Breakfast comme disent les anglais [sic, EWF]. Ici on dirait plutôt un hostal... enfin par hostal faut pas comprendre hôtel mais plutôt auberge de jeunesse. (Eintrag vom 06.10.2007, , Zugriff 22.04.2009, Hervorhebungen EWF)

Auf der Grundlage unterschiedlicher Verfahren, mit denen fremdsprachliche Einheiten im Diskurs vom Produzenten markiert bzw. herausgehoben werden, können verschiedene Stufen bei der Übernahme fremdsprachlichen Wortgutes angesetzt werden (Carstensen 1965, 90–91; cf. Wilss 1958, 182 und 187). Auf der ersten Stufe erfolgt nach Carstensen eine Erklärung des übernommenen Worts, die dieses dem Rezipienten verständlich machen soll, wobei die Erklärung insbesondere auf Rezipienten ohne Kenntnisse der AS abzielt. Auf einer zweiten Stufe hingegen findet nur eine typographische Hervorhebung des übernommenen Worts statt (nach Carstensen durch Anführungszeichen, durch Kursivierung oder durch eine Kombination von beidem; Wilss 1958, 182 nennt zusätzlich das eher seltene Verfahren der Sperrung). Für medial phonische Kommunikation ließen sich parallel intonatorische Verfahren ansetzen. Den dritten und letzten Schritt bildet schließlich nach Carstensen die normale Schreibung, «die in der weitaus größten Zahl der Belege» (Carstensen 1965, 91) seiner Untersuchung gegeben ist. Auch wenn zu diskutieren ist, ob eine Annahme entsprechend klar abgegrenzter Stufen in allen Fällen möglich und sinnvoll ist (so ist zu einem gegebenen Zeitpunkt immer von einer Vielzahl von parallelen Verwendungen auszugehen, die unterschiedliche der genannten Verfahren realisieren können), so scheint die Beobachtung entsprechender Verfahren doch für die Einschätzung der Verbreitung der Formen in der ZS aufschlussreich. Wenn der Produzent eine zusätzliche Erläuterung vornimmt, so kann dies dadurch erklärt werden, dass er davon ausgeht, ansonsten vom Rezipienten möglicherweise nicht verstanden zu werden, d.h. der Produzent setzt die Kenntnis des Zeichens beim Rezipienten als nicht unbedingt gegeben voraus. Im Fall einer typographischen Hervorhebung hingegen scheint diese vor allem dadurch motiviert, dass sich der Produzent zu einem gewissen Grad von der Form distanzieren möchte, d.h. hier kann eine metasprachliche bzw. zitierende Verwendung festgestellt werden. Die Form lässt sich demnach als im Zeichenrepertoire 37

von Produzent und Rezipient vorhanden interpretieren, der Produzent stuft ihre Verwendung jedoch als kommunikativ riskant ein, insofern als der Rezipient diese unter Umständen missbilligen könnte. Zuletzt ist innerhalb der CS-Forschung noch auf die Arbeiten von Auer hinzuweisen, der mit seiner konversationsanalytischen Herangehensweise interessante Anknüpfungspunkte für die vorliegende Arbeit bietet (cf. auch Gafaranga 2009 und Gardner-Chloros 2009). CS wird demnach als ein Phänomen konzipiert, das in der Interaktion der Kommunikationsteilnehmer verhandelt wird: «Wir werden deshalb in dieser Arbeit versuchen, durch die konversationelle Analyse der Verwendung zweier Sprachen im Dialog Bilingualismus als eine Form sprachlichen Handelns, nicht als eine mentale Disposition, und auch nicht als eine soziale Struktur zu begreifen» (Auer 1984, 5; cf. Auer 1998; 2005).

Auers Ansatz legt somit nahe, bei der Untersuchung von Sprachkontaktphänomenen nicht von streng regelmäßigen Verfahren (die für einzelne Sprachenpaare übergreifend definiert werden können), sondern vielmehr von einer gewissen Spanne von Optionen auszugehen, die den Kommunikationsteilnehmern zur Verfügung stehen. Durch die Wahl einer bestimmten Option nehmen die Kommunikationsteilnehmer in der jeweiligen Kommunikationssituation eine bestimmte Positionierung vor; insofern kann etwa auch im Bereich der Lehnwortintegration eine gewisse Variabilität erwartet werden. Dass Lehnwortintegration variabel und zwischen Produzent und Rezipient verhandelbar ist, wird sich auch als ein zentrales Merkmal der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Entlehnungen erweisen (cf. Kap. 14 bis 16).

3.2

Entlehnung und Interferenz

Entlehnungen sind weiterhin von sprachlichen Interferenzen abzugrenzen. Der Begriff der «Interferenz» wird zunächst von Weinreich im folgenden Sinne geprägt: «Diejenigen Fälle der Abweichung von den Normen der einen wie der anderen Sprache, die in der Rede von Zweisprachigen als Ergebnis ihrer Vertrautheit mit mehr als einer Spache [sic], d.h. als Ergebnis des Sprachkontaktes vorkommen, werden als I n t e r f e r e n z erscheinungen verzeichnet» (Weinreich 1976, 15, Hervorhebung im Original; cf. Weinreich 1968, 1).

Diese Definition wird bei zahlreichen anderen Autoren aufgegriffen (u.a. Juhász 1970, 9; Tesch 1978, 31; Lehiste 1988, 1–2). Dabei lassen sich ergänzende Präzisierungen vornehmen. So wird eine doppelte Natur des Phänomens konstatiert: Interferenz stellt einerseits eine Übernahme oder Adoption (Kabatek 1996, 13) von sprachlichen Fakten einer «Ursprungssprache» dar. Betrachtet man sie andererseits in Bezug auf die Sprache, in der die Interferenz realisiert wird, so handelt es sich hier um eine Kreation oder Innovation. Die beteiligten Sprachen können – wie bei Entlehnungsprozessen – terminologisch auch als AS bzw. ZS gefasst werden. Weiterhin wird vorgeschlagen, in Bezug auf beide Referenzpunkte eine zusätzliche Unterscheidung zu treffen, die auf der von Coseriu vorgenommenen Differenzierung von System, Norm und Rede beruht: Interferenzen (als Redeereignisse) 38

können sowohl im Hinblick auf das System der Sprache als auch im Hinblick auf die jeweils gültige Norm betrachtet werden; im Allgemeinen stellen sie hierbei Verletzungen der Norm einer Sprache, nicht jedoch unbedingt auch des Sprachsystems (d.h. des funktionellen Regelwerks der Sprache; cf. Kabatek 1996, 15; Coseriu 1977, 92) dar. Üblicherweise werden vor allem sog. «positive Interferenzen» behandelt, bei denen aufgrund von Sprachkontakteinflüssen bestimmte von der ZS-Norm oder vom ZS-System abweichende Einheiten aus der AS in die ZS transferiert werden (so dass es zu direkt beobachtbaren Abweichungen von den ansonsten üblichen Realisierungen, also «Fehlern» kommen kann). 6 Darüber hinaus können jedoch auch «negative» Interferenzen eingeschlossen werden, die umgekehrt gerade in der sprachkontaktbedingten Nichtrealisierung bestimmter Optionen bestehen (d.h. die Termini «positive Interferenz» und «negative Interferenz» werden hier – anders als in den in Fußnote 6 erläuterten Verwendungen – keinesfalls als wertend verstanden, sondern es geht um das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein bestimmter Elemente in der Äußerung des Individuums; cf. Coseriu 1977, 99; Kabatek 1996, 16–17; 1997, 237; 2005b, 162). Coseriu differenziert noch zwischen zwei Arten der negativen Interferenz: «[…] die sich automatisch ergebende und die intentionelle negative Realisierung. Die erste tritt durch die Bevorzugung dessen ein, was in beiden Sprachen identisch oder analog ist und die sich daraus ergebende Ausschaltung anderer Möglichkeiten der ‹Sprache B›. […] Die zweite Art der negativen Realisierung besteht darin, daß man – umgekehrt – gerade das den beiden Sprachen Gemeinsame […] nicht realisiert [und stattdessen eine andere Möglichkeit realisiert, EWF]» (Coseriu 1977, 99, Hervorhebungen EWF).

Als Beispiele für entsprechende französisch-spanische Interferenzen ließen sich Verwendungen von sp. no … más que, no … sino (entsprechend frz. ne … que) bzw. umgekehrt ihre Vermeidung und die Verwendung von sp. sólo anführen (cf. Coseriu 1977, 99). Im Falle negativer Interferenzen ergibt sich demnach nur eine veränderte Gebrauchsfrequenz bestimmter Formen. Die negativen Interferenzen können dabei sowohl zu Konvergenz als auch zu Divergenz führen (wenn ähnliche bzw. unähnliche Strukturen bevorzugt werden). Hervorzuheben ist, dass damit auch eine differenziertere Betrachtung der beteiligten Sprachen und ihres Verhältnisses zueinander vorausgesetzt ist. Vor allem, um negative Interferenzen festzustellen, muss angenommen werden, dass es innerhalb der ZS teilweise alternative Realisierungen gibt, von denen manche mit der AS übereinstimmen, andere hingegen davon abweichen. Dies bedeutet gleich6

In der Zweitspracherwerbsforschung findet sich eine weitere Unterscheidung zwischen (negativer) «Interferenz» und (positivem) «Transfer». In beiden Fällen überträgt der Lerner Elemente aus einer ihm bereits bekannten Sprache (etwa seiner L1) in die andere, zu lernende Sprache (L2); ist diese Strategie erfolgreich – d.h. resultiert daraus eine korrekte Struktur/Äußerung in der L2 –, so handelt es sich um einen Transfer, während bei entstehenden Fehlern eine Interferenz festgestellt wird (cf. Lado 1967, 299; Matras 2009, 72; Müller et al. 2006, 19; wobei in der letzteren Arbeit die Termini «positiver» bzw. «negativer Transfer» verwendet werden). Aus Sicht des Sprachbenutzers ist das Verfahren aber in beiden Fällen dasselbe (Kabatek 1997, 234).

39

zeitig, dass ein Überschneidungsbereich zwischen den Sprachen angenommen wird, der sich wie in Abb. 2 gezeigt veranschaulichen lässt (Bereich 2 = Überschneidungsbereich). Dieser ist vor allem bei eng verwandten Sprachen bedeutend, und in der Tat sind negative Interferenzen gerade bei Sprachkontaktsituationen zwischen eng verwandten Sprachen wie etwa dem Galicischen und Spanischen häufig (Kabatek 1996). Vielfach streben Sprecher in entsprechenden Sprachkontaktsituationen entweder eine Annäherung der Sprachen oder gerade eine Vermeidung derselben an. Die Feststellung eines solchen Überschneidungsbereichs scheint darüber hinaus auch in theoretischer Hinsicht von grundlegender Bedeutung, da sich wiederum andeutet, dass (entgegen traditionellen Fokussierungen auf die Abweichungen zwischen den Sprachen) auch eine Untersuchung des Ausmaßes an Übereinstimmungen zwischen AS und ZS für die Entlehnungs- und Interferenzforschung zentral ist.

AS Bereich 1 Abb. 2:

AS-ZS Bereich 2

ZS Bereich 3

Schematische Darstellung des Verhältnisses von AS und ZS (nach Kabatek 1996, 18)

Schließlich können bei der Klassifikation von Interferenzen auch Hyperkorrektismen einbezogen werden (Kabatek 1996, 18–19; 1997, 238–239). Insgesamt lassen sich damit vier Grundtypen von Interferenzerscheinungen gegenüberstellen (beim ersten und vierten Typ können zusätzlich systemrelevante von nur normrelevanten Interferenzen unterschieden werden; cf. Kabatek 1997, 239–240): 1. die Übertragungsinterferenz, d.h. eine positive Interferenz, bei der Elemente aus dem Bereich 1 in der ZS verwendet werden; 2. die Überschneidungsinterferenz, d.h. eine negative Interferenz, bei der bevorzugt Elemente aus dem Bereich 2 in der ZS realisiert werden; 3. die Unterscheidungsinterferenz, d.h. eine negative Interferenz, bei der bevorzugt Elemente aus dem Bereich 3 in der ZS realisiert werden; 4. die Hyperkorrektion, d.h. die Übertragung von angenommenen Entsprechungsregeln für Elemente aus Bereich 1 und 3 auf Elemente aus dem Bereich 2. Zuletzt ist noch auf ein grundlegendes Problem zu verweisen, das sich bei traditionellen Verwendungen des Begriffs «Interferenz» zeigt (aber ebenso z.B. auch bei «Entlehnung», cf. Tesch 1978, 32): Sowohl bei Weinreich selbst als auch in der späteren Rezeption werden unterschiedliche Aspekte vermischt (Juhász 1970, 11; Tesch 1978, 32; Kabatek 1996, 12–13): Interferenz wird nicht nur im obigen Sinn als Phänomen in der Äußerung eines Individuums verstanden, sondern darüber hinaus auch auf Phänomene angewandt, die sich dauerhaft in der ZS etabliert haben (cf. Weinreichs Gegenüberstellung von «Interference in Speech and Language», Weinreich 1968, 11–12). Gegen ein solch weites Verständnis des Begriffs, das beide Aspekte einschließt, lässt sich einwenden, dass es sich um jeweils verschiedene und 40

klar trennbare Prozesse innerhalb des sprachlichen Wandels handelt (Kabatek 1996, 13). Damit wird wiederum auf die Frage verwiesen, welche Phasen des Sprachwandels angesetzt werden können und wie diese auf Phänomene des Sprachkontakts zu beziehen sind. Zur terminologischen Klärung schlägt Kabatek vor, den Begriff der «Interferenz» ausschließlich auf Phänomene in den Sprachäußerungen eines Individuums zu beschränken und diesem Begriff den des «Lehnguts» («auf Interferenz zurückzuführende Elemente einer Sprache, die bereits zu den Traditionen derselben gehören», Kabatek 1996, 20) gegenüberzustellen. Diese Terminologie soll in der vorliegenden Arbeit übernommen werden. 7 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Phänomene der Interferenz eine wichtige Rolle für die vorliegende Arbeit spielen, insofern als es hier um grundlegende Aspekte des Sprachkontakts im Hinblick auf die Sprachbenutzer geht. Allerdings konzentriert sich die vorliegende Arbeit im Wesentlichen auf zwei Typen von Interferenzen: einerseits die Übertragungsinterferenzen, die dem Begriff der «Entlehnung» angenähert werden können, und andererseits Fälle von Hyperkorrektion, die teilweise mit dem Phänomen der sog. «Scheinentlehnung» in Verbindung zu bringen sind (cf. Kap. 3.6).

3.3

Entlehnung und Substratinterferenz

Der englische Terminus borrowing («Entlehnung») wird häufig für sprachliche Kontaktphänomene im Allgemeinen verwendet. Bei einigen Autoren findet sich jedoch eine restriktivere Verwendung des Begriffs: Kontaktphänomene werden dabei in zwei Typen eingeteilt, die als borrowing vs. interference through shift bzw. als borrowing vs. substratum interference gegenübergestellt werden (Thomason/ Kaufman 1988, 37–45; cf. Croft 2000, 201–203 und Van Coetsems Gegenüberstellung von RL agentivity/borrowing transfer bzw. SL agentivity/imposition transfer, Van Coetsem 2000, 65; hierzu auch Onysko 2007, 14). Dabei werden Einflüsse des ersten Typs dadurch definiert, dass fremde Einheiten in die Muttersprache übernommen werden: «Borrowing is the incorporation of foreign features into a groups’s native language by speakers of that language: the native language is maintained but is changed by the addition of the incorporated features» (Thomason/Kaufman 1988, 37).

Wesentlich ist ferner, dass die ursprüngliche Sprache trotz der Entlehnungen beibehalten wird (maintenance) und keine Verschmelzung der Gesellschaften stattfindet

7

Noch nicht geklärt ist das Problem damit allerdings in Bezug auf den Begriff der «Entlehnung», der traditionell ebenfalls sowohl auf prozessuale als auch auf resultative Aspekte bezogen wird und sowohl Vorgänge beim einzelnen Sprachbenutzer als auch einzelsprachbezogene Phänomene einbezieht. Im Sinne einer begrifflichen Präzisierung werde ich in Kap. 3.5 dafür argumentieren, «Entlehnung» prozedural zu fassen und «Lehngut» demgegenüber als resultativen Begriff zu konzipieren.

41

(Sprecher der original language [der ZS] übernehmen einzelne Ausdrücke, aber verschmelzen nicht mit der Gruppe der Sprecher der foreign language [der AS]). Wird hingegen die von einer Sprechergruppe erworbene Sprache beeinflusst, so sprechen die Autoren von substratum interference, «a subtype of interference that results from imperfect group learning during a process of language shift» (Thomason/Kaufman 1988, 38). Zentral hierfür ist demnach der Übergang zur neuen Sprache (shift); es findet eine Verschmelzung der Gesellschaften statt (cf. Croft 2000, 205). Die Einführung fremdsprachlicher Einheiten findet demnach im Fall von borrowing durch native Sprecher, im Fall von substratum interference hingegen durch nichtnative Sprecher statt. 8 Eine weitere grundlegende Unterscheidung in diesem Zusammenhang betrifft die Natur der entlehnten Einheiten. Croft stellt substance linguemes und schematic linguemes gegenüber (Croft 2000, 203), wobei die ersteren substanzielle Phoneme, Morpheme oder Wörter (Croft 2000, 243) bzw. «pairings of form and meaning» darstellen (Croft 2003, 50 – Phoneme müssen allerdings bei der letzteren Bestimmung natürlich ausgenommen werden). Bei den schematic linguemes hingegen handelt es sich um einen von Langacker übernommenen Begriff für abstrakte, relationale Einheiten, der etwa Schemata für bestimmte Konstruktionen, Wortstellungen, Wortstrukturen oder phonotaktische Strukturen umfasst (Croft 2000, 242), bzw. nach Croft «form only, or meaning only, but not the combination of the two» (Croft 2003, 51). 9 Dabei lassen sich Korrelationen zwischen borrowing und substance linguemes einerseits sowie zwischen shift/substratum interference und schematic linguemes andererseits feststellen, wobei Thomason/Kaufman (1988) diese Korrelationen als eher schwach einschätzen, während Croft (2000, 203) deutliche Korrelationen annimmt. Sehr klar erscheint in diesem Zusammenhang die Darstellung von Haugen (1957). Er stellt in Bezug auf Entlehnung (borrowing) fest, dass diese grundsätzlich (und ausschließlich) lexikalischer Natur sei: «I believe it can be maintained that ALL BORROWING IS LEXEMIC, i.e. a transfer of lexemes by imitation from one language into another, using ‹lexeme› here to mean a free construction of one ore more morphemes. Bound morphemes are not borrowed except as part of lexemes; and the same goes for phonemes, accents, and taxemes. If these are established or become productive in the new language, it will be because they are generalized from the 8

9

Eine komplexere Systematik von insgesamt vier Typen kontaktinduzierten Wandels schlägt Ross (1991) vor, indem er zusätzlich zum Kriterium der agents of change (native vs. nichtnative Sprecher) noch zwischen zwei grundlegenden Motivationen für den Transfer sprachlicher Strukturen unterscheidet: Verarbeitungsaufwand (hier erfolgt der Transfer unbewusst) vs. «Kultur» (hier erfolgt der Transfer bewusst). Damit ergeben sich neben substrate (nichtnative Sprecher, Verarbeitungsaufwand) und exo-borrowing (native Sprecher, «Kultur») noch die zusätzlichen Optionen metatypy (native Sprecher, Verarbeitungsaufwand) und endo-borrowing (nichtnative Sprecher, «Kultur»). Die letztere Bestimmung ist allerdings kritisch zu diskutieren, da bei Entlehnungsprozessen grundsätzlich Kombinationen von Ausdrucks- und Inhaltseinheiten aktualisiert werden, die dann in die andere Sprache übernommen werden können, d.h. es ist prinzipiell fraglich, dass eine Entlehnung von «form only» bzw. von «meaning only» stattfinden kann (hierzu näher Kap. 10, insbesondere 10.2.1).

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imported lexemes. As for the borrowing of meanings, this is only a metaphor for the process of identification of a native lexeme with a foreign model, so that it becomes unnecessary to import the phonemic shape of the latter» (Haugen 1957, 588–589, Hervorhebung im Original).

Den so verstandenen «Entlehnungen» stellt Haugen dann alle anderen Formen der bilingualen Interferenz gegenüber, die auf unvollkommenem Spracherwerb beruhen: «In the latter case [bilingual interference that results from imperfect learning] speakers import phonemes, form-words, taxemes, and meanings from one language into the other without regard to whether these occur in particular lexemes or not, simply as a substitution resulting from inadequate mastery of both structures. This is the seedbed for substratum influence and pidginization» (Haugen 1957, 589).

Wesentlich an Haugens Charakterisierung erscheint, dass nicht (wie implizit bei den oben zitierten Autoren) auf einer abstrakten Ebene verschiedene sprachliche Strukturen kontrastiv analysiert werden, um eine Übernahme oder Interferenz festzustellen. Vielmehr legt Haugen den Akzent darauf, wie die entsprechenden Phänomene entstehen. 10 Zentral ist dabei seine Feststellung, dass im ersten Fall auch eine Entlehnung von Phonemen 11 etc. zunächst immer über lexikalische Einzelentlehnungen abläuft (d.h. auch für das Verständnis der Entlehnung von Phonemen ist die Betrachtung einer Reihe von lexikalischen Entlehnungen grundlegend). 12 Insgesamt lassen sich damit die beiden genannten Typen von Sprachkontakt wie in Abb. 3 gezeigt gegenüberstellen (ich nehme hier eine Angleichung an die in der vorliegenden Arbeit gewählten Termini «AS» und «ZS» vor). 13 Die abstrakte Darstellung lässt beide Konstellationen als klar voneinander abgegrenzte, grundlegende Optionen erscheinen. In Anknüpfung an Haugens Überlegungen ist jedoch zu fragen, wie die Genese und Entwicklung der jeweiligen Phänomene im Einzelnen konzipiert werden kann. Dabei geht es zunächst darum zu klären, welche Stadien von Wandelprozessen im Einzelnen anzusetzen sind, d.h. es geht darum, einen Bezug zur Sprachwandelforschung herzustellen. Sodann ergibt sich als wichtiges Desiderat die Entwicklung einer semiotischen Modellierung von Kommunikationsprozessen, die so allgemein gefasst ist, dass sie auf beide Konstellationen angewandt werden kann, die aber gleichzeitig auch erlaubt, die Parameter, 10

11 12

13

Zu diskutieren wäre allerdings, ob die Erklärung von Interferenzen des zweiten Typs bei Haugen über unvollkommenen Spracherwerb nicht teilweise zu kurz greift – cf. die in Kap. 3.2 angestellten Überlegungen zu Interferenzen im Allgemeinen. Haugens Ausdrucksweise einer «Entlehnung von Phonemen» ist allerdings kritisch zu sehen (cf. Fußnote 9 und die semiotischen Überlegungen in Kap. 10 und 11). Die grundlegende Bedeutung von Untersuchungen zu lexikalischen Entlehnungen für das Verständnis von grammatischen Aspekten wird umfassend auch von King (2000) herausgearbeitet (cf. Fuller 2001). In den zitierten Forschungsarbeiten erscheinen unterschiedliche Termini für die jeweils beteiligten Sprachen. Neben «Ausgangs-» und «Ziel-» oder «Empfängersprache» (source language vs. target/recipient language) wird im Falle von borrowing die beeinflusste Sprache als original language oder native language und die beeinflussende Sprache als foreign language bezeichnet; im Falle von substratum interference bezeichnet acquired language die beeinflusste Sprache und native/ancestral language die beeinflussende Sprache.

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die zu ihrer Unterscheidung wesentlich sind, zu spezifizieren. Eine entsprechende Modellierung soll in Kap. 11, insbesondere 11.3, vorgestellt werden. Hierbei wird sich die bereits in den klassischen Definitionen berücksichtigte Zugehörigkeit der Sprecher zur AS oder ZS als wesentlicher Parameter erweisen. Was die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Sprachen und Entlehnungsvorgänge angeht, so sind diese im Wesentlichen als klassisches borrowing zu charakterisieren, wobei AS und ZS als solche weiterbestehen (maintenance, cf. Croft 2003, 50). 14 Ferner werden ausschließlich lexikalische Entlehnungsphänomene betrachtet; aus Haugens Annahme der ausschließlich lexikalischen Natur von Entlehnungsprozessen im Allgemeinen lässt sich aber ableiten, dass entsprechende Betrachtungen auch über rein lexikalische Aspekte hinaus von potenzieller Relevanz sind. Borrowing AS

Substratum interference ĺ

ZS

AS

durch nativen Sprecher der ZS

durch nativen Sprecher der AS

ĺ

ZS

keine Verschmelzung der Gesellschaften

Verschmelzung der Gesellschaften

Betrachtung auf der Ebene der Sprache: bevorzugt substance linguemes

Betrachtung auf der Ebene der Sprache: bevorzugt schematic linguemes

Betrachtung des Entstehungsprozesses: immer Verlauf über lexikalische Entlehnungen

Betrachtung des Entstehungsprozesses: (u.a.) unvollkommener Spracherwerb, auch Transfer gebundener Strukturen

Abb. 3:

3.4

Zur Unterscheidung von borrowing und substratum interference

Entlehnung und Scheinentlehnung nach traditionellen Auffassungen

Was die Abgrenzung von Entlehnung und Scheinentlehnung angeht, so ist zunächst auf die große terminologische Vielfalt hinzuweisen, die bei der Bezeichnung der letzteren Kategorie anzutreffen ist. So finden sich unter anderem die Termini dt. «Scheinentlehnung», «Scheinanglizismus», «Pseudoanglizismus», «Lehnformation» (cf. Cypionka 1994)/engl. pseudo-loan, pseudo-borrowing, pseudo-anglicism, 14

Betrachtet man allerdings die einzelnen Entlehnungen durch die Sprachbenutzer, so ergibt sich unter Umständen eine gewisse Heterogenität, da einzelne Verwendungen der untersuchten Formen (z.B. frz. grappa, cf. Kap. 14) auch durch native Sprecher der AS erfolgen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird daher, in Übereinstimmung mit dem Grundprinzip der Orientierung an den Sprachbenutzern, eine Unterscheidung von AS-produzentenbzw. ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen entwickelt, auf welche die traditionelle Alternative substratum interference vs. borrowing letztlich rückführbar ist, mit der aber nicht ein Gesamtbefund auf der Ebene der Sprachgemeinschaften angegeben wird, sondern vielmehr einzelne Verwendungen im Hinblick auf die jeweiligen Kommunikationsszenarien analysiert werden können (cf. Kap. 11.3.3).

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false anglicism/frz. faux emprunt, faux anglicisme, pseudo anglicisme (cf. Humbley 2008c)/it. falso prestito, falso esotismo, pseudo-prestito, falso anglicismo, pseudoanglicismo, prestito apparente, anglicismo apparente, die wiederum auch in inhaltlicher Hinsicht teilweise unterschiedlich bestimmt werden. 15 Insgesamt ergibt sich, dass bislang keine kanonische Definition des Begriffs existiert. Daher erscheint eine terminologische und inhaltliche Klärung erforderlich, durch welche gleichzeitig die Grenze zwischen «echten» Entlehnungen und Scheinentlehnungen genauer ausgelotet wird. Im Allgemeinen werden unter dem Begriff der «Scheinentlehnung» Bildungen wie dt. picobello oder dt. Kasus knaxus behandelt, die aus einer anderen Sprache (hier dem Italienischen bzw. Lateinischen) direkt entlehnt zu sein scheinen, die sich aber in der vermeintlichen AS in dieser Form als nicht existent erweisen. 16 Dabei handelt es sich häufig um Komposita, deren einzelne Bestandteile durchaus in der AS vorkommen können (it. bello, lat. casus). Das Element pico in dt. picobello zeigt jedoch, dass dies nicht immer der Fall sein muss (Ähnliches gilt für knaxus in dt. Kasus knaxus). Ausgangspunkt für dieses Element ist nicht etwa ein it. pico (das dort nur als biologischer Gattungsname für eine Vogelart oder als literarische Variante von picchio auftreten kann, cf. DM), sondern das Element piek- in dt. piekfein (cf. EWDS), welches spielerisch in eine pseudo-italienische Form «übersetzt» wird. 17 Dabei wird das Element fein durch ein semantisch verwandtes, relativ vielen Sprechern des Deutschen zumindest passiv bekanntes Wort des Italienischen wiedergegeben (it. bello ‘schön’). Das Element piek- hingegen existiert im Deutschen nicht in isolierter Form, und innerhalb des Kompositums kann es als zu einem geringeren Grad motiviert eingestuft werden als das Element fein. Die spielerische «Übersetzung» wählt daher hier einen anderen Weg und nimmt eine formale Verfremdung vor, die das Wort lautlich (durch das auslautende [-o]) und graphisch (durch das Graphem und die Graphem-Phonem-Korrespondenz ļ [k]) 15

16 17

Weitere Termini werden bei Furiassi (2010, 19–20) aufgelistet. In der aktuellen Forschung ist zu beobachten, dass das Problem der Scheinentlehnung häufig nur noch in Bezug auf Anglizismen – bzw. eben Schein- oder Pseudoanglizismen – gestellt wird (so z.B. Furiassi 2003; 2008; 2010). Entsprechende Ansätze gehen aber in vielen Fällen über rein einzelsprachliche Untersuchungen hinaus und beinhalten auch allgemeine theoretische Positionierungen. Cf. Haugen (1950, 220–221), Deroy (1956, 63), Duckworth (1977, 50 und 54), Carstensen (1981), Höfler (1990), Cypionka (1994) und Jansen (2005, 33). Cf. folgenden Beleg: «Er kam – wohl um den traditionell picobello angezogenen Max Raabe, der Regie geführt hatte, zu übertreffen – im Frack» (Quelle: berlinonline.de vom 04.02.2005, zitiert nach , Zugriff 21.01.2009). Sehr häufig wird dt. picobello auch im Sinne von ‘makellos (sauber)’ verwendet, wobei dt. sauber gleichzeitig unter die signifikanten Kookkurrenzen einzuordnen ist (cf. dt. pieksauber; entsprechende Verwendungen von dt. picobello sind demnach analog erklärbar); z.B.: «‹Alles picobello sauber – aber es war nicht mehr unsere Wohnung.› Fema hatte jede Oberfläche feucht wischen, jedes Kleidungsstück in die Reinigung bringen lassen» (Quelle: archiv.tagesspiegel.de vom 12.09.2005 ; zu den Kookkurrenzen cf. , Zugriff 21.01.2009).

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dem Italienischen annähert. Ganz ähnlich kann bei dt. Kasus knaxus eine «Übersetzung» von dt. Punkt als (pseudo-)lateinisches kasus und eine gleichzeitige formale Verfremdung von dt. knack- zu knaxus (mit Annäherung an das Lateinische vor allem durch Anfügen der Endung -us) festgestellt werden. (74)

dt. picobello ‘tadellos, sehr fein’ ĸ dt. piekfein + it. bello ‘schön’ (EWDS; DILE s.v. bello)

(75)

dt. Kasus knaxus ‘Knackpunkt, zentrale Problemstelle’ ĸ dt. Knackpunkt + lat. casus ‘Fall’ (Internet) 18

Eine genauere Betrachtung zeigt allerdings, dass sich die Bestimmung der Kategorie keineswegs auf Fälle des genannten Typs beschränkt; vielmehr werden üblicherweise noch eine ganze Reihe weiterer Phänomene als Scheinentlehnungen behandelt. Viele weitere Beispiele für das Französische finden sich bei Etiemble (1964, 221–222), wobei entsprechende Formen aufgrund der puristischen Haltung des Autors aufs Schärfste zurückgewiesen werden. Inhaltlich werden die «superaméricanisings» bei Etiemble wie folgt bestimmt: «Il s’agit là de mots qui ou bien n’existent ni en anglais ni en américain, ou bien de mots qui n’existent point en anglais avec ce sens-là, ni en américain» (Etiemble 1964, 220–221). Als wesentliches Kriterium dient somit ein Vergleich zwischen «AS» und «ZS» 19, wobei eine Abweichung in den Formen oder Bedeutungen festgestellt wird. Dies bedeutet, dass bei Etiemble eine rein synchronische Betrachtung erfolgt; der diachronische Prozess der Entstehung der Abweichungen wird hingegen völlig ausgeblendet. Zur Veranschaulichung der beiden Gruppen bei Etiemble können die Beispiele frz. tennisman, tenniswoman und welcomme (die Wörter existieren in dieser Form weder im Englischen noch im Amerikanischen) bzw. frz. dressing und smoking (die Wörter existieren im Englischen und Amerikanischen nicht in der Bedeutung, die sie im Französischen haben) herangezogen werden. 20 (76)

18

19

20

frz. tennis-man/tennisman, tennis-woman/tenniswoman player) (Etiemble 1964, 221–222)

(engl. tennis-

Zwar ist dt. Kasus knaxus im Duden nicht verzeichnet, doch sind im Internet zahlreiche Verwendungen belegt, z.B.: «So wild ist Mathe an der TU Berlin nun wirklich nicht. Ana1 ist zum aussieben da, der Rest ist nicht so schwer. […] Ich würd sagen Ana1 ist der Kasus Knaxus» (Beitrag vom 31.08.2006, , Zugriff 21.01.2009). Da ja unter Umständen keine echte Entlehnung gegeben ist, kann nicht von AS und ZS im strengen Sinn gesprochen werden. Aus Gründen der Einfachheit werden diese Termini hier dennoch verwendet. Weitere Beispiele für die erste Gruppe sind nach Etiemble frz. auto-stop (engl. hitchhiking), shake-hand (engl. handshake), brother-ship ‘Schiff des gleichen Typs’ (engl. sister-ship), speaker und speakerine (engl. announcer und female announcer), service-man ‘Angestellter’ (engl. attendant), starter (engl. choke), girl ‘Tänzerin’ (engl. chorus-girl), shampooing (engl. shampoo) und chasse-partie (engl. hunt, hunting). Dabei ist die Zuordnung für einige Beispiele allerdings zu diskutieren, so etwa für speaker und girl, die meiner Meinung nach eher der zweiten als der ersten Kategorie Etiembles zugehören.

46

(77)

frz. welcomme (engl. welcome) (Etiemble 1964, 221–222)

(78)

frz. dressing ‘Garderobe, Ankleide’ (engl. dressing-room ‘Ankleide’) (Etiemble 1964, 221–222)

(79)

frz. smoking ‘Anzug’ (engl. smoking ‘Raucher-’ [bzw. brit.engl. dinner jacket/am.engl. tuxedo ‘Anzug’]) (Etiemble 1964, 221–222)

Dabei deutet sich bereits an, dass es sich um sehr unterschiedliche Phänomene handelt. Sie betreffen einerseits semantische Aspekte (cf. Bsp. (78) und (79), wobei durch das Auftreten von Wortkürzungen bzw. Ellipsen indirekt auch der Bereich der Morphologie betroffen ist), andererseits formale Aspekte im Bereich der Lautung oder Schreibung (Bsp. (77)) oder Wortbildungsverfahren, bei denen auf nichtnative Einheiten zurückgegriffen wird (Bsp. (76)). Zur Präzisierung des unterschiedlichen Status der genannten Phänomene bietet es sich an, neuere Klassifikationen der Scheinentlehnungen heranzuziehen, die in linguistischen Arbeiten vorgeschlagen werden. Exemplarisch soll hier die Einteilung von Furiassi (2003) besprochen werden, der zwischen drei Typen von Pseudoanglizismen unterscheidet (cf. Humbley 2002, 121–122): 21 1. «Compound Ellipses» wie it. personal (aus engl. personal computer), 2. «Autonomous Compounds» wie frz./it. recordman (der entsprechende englische Terminus ist record-holder, d.h. hier liegt keine Entlehnung vor, sondern es handelt sich um im Französischen bzw. Italienischen gebildete Bezeichnungen), 3. «Semantic Shifts» wie bei frz./it. slip für UNTERHOSE (aus engl. slip; das genannte Konzept wird im Englischen aber durch die Ausdrücke pants, panties und underpants bezeichnet). 22 Die Unterscheidung der drei Kategorien sowie ihre jeweiligen Bestimmungen erscheinen zunächst klar und einleuchtend. Einige der oben angeführten Beispiele Etiembles lassen sich gut den einzelnen Kategorien zuordnen: frz. tennis-man kann als «Autonomous Compound» identifiziert werden; frz. dressing und frz. smoking stellen «Compound Ellipses» dar (aus engl. dressing-room bzw. smoking jacket).

21

22

Eine feinere Aufgliederung findet sich bei Furiassi (2010); hier erscheinen zusätzlich die Typen «Autonomous Derivatives» (z.B. it. footing gegenüber engl. jogging), «Clippings» (z.B. it. happy end gegenüber engl. happy ending), «Eponyms» (z.B. it. carter gegenüber engl. chain-guard), «Toponyms» (z.B. it. new jersey in der Bedeutung ‘a long, uninterrupted, reverse T-shaped concrete median barrier used to separate lanes in highways’), «Generic Trademarks» (z.B. it. ticket restaurant gegenüber engl. meal ticket) (cf. Furiassi 2010, 38–52). Die nachfolgend angestellten Überlegungen scheinen auch auf diese Typen anwendbar, d.h. die einzelnen Beispiele ließen sich ebenso im Hinblick auf die Frage analysieren, ob es sich um genuine Innovationen im Italienischen oder aber um echte Entlehnungen handelt, bei denen bestimmte Veränderungen eingetreten sind. Engl. slip besitzt eine Vielzahl von Bedeutungen; im Bereich der Kleidungsstücke hat es jedoch nur die Bedeutung ‘Unterrock, Unterkleid’.

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Fälle wie frz. welcomme werden aber bei Furiassi nicht mehr erfasst; ihr Status scheint somit weiter klärungsbedürftig. Darüber hinaus ist zu fragen, welche Vor- und Nachteile die Zusammenfassung der drei Kategorien bei Furiassi – und damit de facto ihre Trennung von «echten» Entlehnungen – im Hinblick auf theoretische Auseinandersetzungen und empirische Analysen von Entlehnungsprozessen mit sich bringt. Als gemeinsamer Nenner der drei Typen lässt sich nach Furiassi festhalten, dass die jeweiligen Wörter formal oder semantisch von den (echten oder vermeintlichen) Ausgangsbezeichnungen abweichen: «False anglicisms are either formally or semantically different from the original English words from which they supposedly derive […]. A word or a compound will be considered as a false Anglicism […] only if it is not found in English or American dictionaries, either as an entry or as a sub-entry. However, even those words which have kept their original English forms but whose meanings are altered in Italian – different and/or distant from the English etymons from which they are supposed to derive – will also be considered as false anglicisms […] since they are not included with that specific meaning in any dictionary of English (e.g. footing)» (Furiassi 2003, 123–124; cf. 2010, 35).

Hieraus ist zu entnehmen, dass die Scheinentlehnung bei Furiassi ausschließlich synchronisch-kontrastiv bestimmt wird; im Kern wird also die bereits bei Etiemble getroffene Bestimmung aufgenommen. 23 Dabei ist anzumerken, dass viele entsprechende Ansätze – insbesondere auch Furiassi (cf. Furiassi 2003, 138) – primär auf fremdsprachendidaktische und/oder lexikographische Anwendungen abzielen, wo synchronisch-kontrastive Definitionen sehr sinnvoll sein können: Synchronische Abweichungen können sich für Sprachlerner als Problem darstellen, und da sich Wörterbücher zu einem bestimmten Grad ebenfalls an Sprachlerner richten, ist auch hier dieser Anwendungsbereich potenziell relevant. Wenn es aber, wie in der vorliegenden Arbeit, in erster Linie um das Verständnis der Phänomene selbst (d.h. ihre adäquate Beschreibung und Erklärung) geht, scheinen zusätzliche Differenzierungen erforderlich. Dabei sind insbesondere zwei weitere – diachronische – Aspekte zentral: 1. die Frage, ob diachronisch gesehen eine Entlehnung vorliegt oder nicht, 2. die Frage, ob – im Falle des Vorliegens einer echten Entlehnung – die betrachteten Innovationen zum Zeitpunkt der erstmaligen Entlehnung oder zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Was das erste Kriterium angeht, so lassen sich sowohl die erste als auch die dritte Kategorie bei Furiassi diachronisch gesehen als echte Entlehnungen interpretieren, die auf eine entsprechende fremdsprachliche Form zurückgehen. Im Fall der Ellipsen des Typs it. personal oder frz. smoking (cf. Humbley 2008c, der hier von modèles tronqués spricht) werden die entsprechenden Bezeichnungen in einer Sprachkontaktsituation mit dem Englischen in die jeweilige ZS übernommen und verbreiten sich dort weiter. Dabei tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine 23

Einen ausführlicheren Überblick über traditionelle Definitionen der Scheinentlehnung liefert Furiassi (2003, 122–123; 2010, 19–33); dort wird deutlich, dass auch viele andere Definitionen – etwa bei Serianni und Rando – den synchronisch-kontrastiven Aspekt in den Vordergrund stellen.

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morphologisch-formale Veränderung in Form einer Ellipse (oder Wortkürzung) ein, so dass die sprachlichen Einheiten in AS und ZS schließlich nicht mehr miteinander übereinstimmen (cf. Bsp. (80) und (81)). 24 Im Fall von frz. slip (Bsp. (82)) wird das Wort dagegen ausgehend von engl. (bathing) slips in der Bedeutung ‘Badehose’ ins Französische übernommen (wobei zusätzlich eine morphologische Veränderung hin zum Singularnomen frz. slip stattfindet). Später erfährt das Wort dann in der ZS – und, unabhängig davon, auch in der AS – eine Veränderung in seiner Bedeutung (siehe (83) und (84)). It. slip ‘Unterhose’ lässt sich auf das Französische zurückführen (ähnlich dt. Slip; cf. DHLF; EWDS; Furiassi 2003). Damit unterscheiden sich die beiden besprochenen Typen klar vom zweiten Typus (frz./it. recordman), für den keine entsprechende AS-Form (engl. *recordman) angesetzt werden kann. (80)

engl. personal computer ĺ it. personal (cf. Furiassi 2003)

(81)

engl. smoking jacket ĺ frz. smoking (cf. Cypionka 1994, 206–209; Humbley 2008c, 234)

(82)

engl. slips ‘eine Art Badehose’ ĺ frz. slip ‘eine Art Badehose’ (OED s.v. slip, n.3; DHLF; EWDS s.v. Slip)

(83)

frz. slip ‘Badehose’ ĺ frz. slip ‘Sporthose’ ĺ frz. slip ‘Unterhose’ (cf. DHLF; EWDS s.v. Slip; Cypionka 1994, 212)

(84)

engl. slips ‘Badehose’ ĺ engl. slip ‘Unterrock, Unterkleid’ (cf. Cypionka 1994, 212–213)

Zusätzlich drängt sich sodann im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf der Veränderungen die zweite erwähnte Unterscheidung auf (Humbley 2008c, 234; cf. Fischer 2008, 3): Grundsätzlich erscheint es denkbar, dass eine Ellipse/Wortkürzung zum Zeitpunkt der erstmaligen Entlehnung auftritt, so etwa bei Bsp. (85). Ebenso gut möglich erscheint jedoch, dass die Ellipse erst als spätere Veränderung innerhalb der

24

In Abkehr von üblichen Darstellungen der lexikalischen Ellipse als formale Reduktion komplexer Wörter argumentiert Blank (1997, 286–292; 2001b, 1604) dafür, diese eher als semantische Innovation zu fassen, bei der ein einfaches Lexem, das Teil einer komplexen Lexie ist, dann auch in der Bedeutung dieser komplexen Lexie verwendet wird, z.B. dt. Weizen ‘Weizen als Getreidesorte’ ĺ ‘Weizenbier’ (cf. dt. Weizenbier ‘id.’). Für Ellipsen im Kontext von Entlehnungsprozessen scheint eine solche Modellierung allerdings teilweise diskutabel: Erstens kann bei Entlehnungen nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass das einfache Lexem als solches (mit seiner Bedeutung) dem innovierenden Sprecher als Grundlage der Innovation zur Verfügung steht. Zweitens lässt sich unter Umständen eine klare diachronische Trennung zwischen der eigentlichen Entlehnung der komplexen Lexie (z.B. engl. smoking jacket ĺ frz. smoking-jacket) und der späteren Ellipse (z.B. frz. smoking-jacket ĺ frz. smoking) vornehmen (Cypionka 1994, 207 argumentiert dafür, hier ein «sekundäres Kürzungsverfahren innerhalb des Französischen» anzunehmen). Blank thematisiert den ersten Einwand ebenfalls und schlägt vor, in entsprechenden Fällen eine Wortkürzung anzunehmen, d.h. diese Fälle mit einer anderen Systematik als der für «echte» Ellipsen vorgeschlagenen zu analysieren (Blank 1997, 300).

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ZS, also nach der eigentlichen Entlehnung, realisiert wird, wie in Bsp. (86) 25 bis (90). (85)

engl. dancing hall ĺ frz. dancing (cf. Cypionka 1994, 188)

(86)

[engl. smoking jacket ĺ] frz. smoking-jacket ĺ frz. smoking (cf. Cypionka 1994, 206–209)

(87)

[engl. basket-ball ĺ] frz. basketball ĺ frz. basket (cf. Humbley 2008c, 234)

(88)

[engl. body stocking ĺ] frz. body stocking ĺ frz. body (cf. Humbley 2008c, 234)

(89)

[engl. sweatshirt ĺ] frz. sweatshirt ĺ frz. sweat (cf. Humbley 2008c, 234)

(90)

[engl. top model ĺ] frz. top modèle ĺ frz. top (cf. Humbley 2008c, 234)

Die Abgrenzung kann sich im Einzelfall allerdings als empirisches Problem darstellen. Als ein wesentliches Kriterium erscheint hierbei die Frage, ob in der ZS nur die gekürzte Form nachweisbar ist – in diesem Fall ist die Annahme einer Veränderung bei der Entlehnung selbst plausibel – oder aber auch die Vollform auftritt und die gekürzte Form (idealerweise) deutlich später belegt ist – in diesem Fall kann geschlossen werden, dass die Ellipse bzw. Wortkürzung erst innerhalb der ZS stattgefunden hat. Unabhängig vom empirischen Problem der Abgrenzung beider Konstellationen erscheint in theoretischer Hinsicht in beiden Fällen eine Interpretation als echte Entlehnung vorteilhaft: Der erste Fall kann als Begleiterscheinung eines Entlehnungsprozesses angesehen werden; im zweiten Fall ist das diachronische Vorliegen einer Entlehnung sogar noch offensichtlicher (engl. basketball ĺ frz. basketball, dann frz. basketball ĺ frz. basket etc.). Eine Interpretation der letzteren Fälle als Scheinentlehnungen ist hingegen insofern fragwürdig, als die Formen zunächst als echte Entlehnungen anzusehen wären, welche dann diesen Status durch die spätere Ellipse verlieren und zu einer bloßen Scheinentlehnung herabsinken; der eigentliche Entlehnungsprozess ist jedoch zum Zeitpunkt der Ellipse bereits abgeschlossen und wird von den späteren Entwicklungen nicht mehr tangiert. Entsprechendes gilt für die Fälle von Bedeutungswandel. Auch semantische Veränderungen können grundsätzlich sowohl bei der Entlehnung selbst als auch zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der ZS auftreten. 26 So scheint etwa für frz. sombrero (Bsp. (91)) die Annahme einer Bedeutungsveränderung bei der Entlehnung selbst plausibel, da die Form im Französischen nur in der spezifischeren Bedeutung 25 26

Humbley (2008c, 234) analysiert hingegen abweichend von Cypionka Bsp. (86) als Ellipse/Wortkürzung bei der Entlehnung. Hierbei gehe ich (entgegen Definitionen, die bei semantischen Veränderungen automatisch eine Scheinentlehnung postulieren, cf. die zitierte Definition von Furiassi) von der These aus, dass sich Bedeutungswandel und Entlehnung nicht ausschließen.

50

belegt ist. D.h. es ist davon auszugehen, dass ein Sprecher des Französischen mit der spanischen Form in Kontakt gekommen ist, sie dabei entsprechend uminterpretiert und dann selbst im Französischen in der spezifischeren Bedeutung verwendet hat. Für Fälle wie frz. slip (Bsp. (92)) kann die Erklärung der Bedeutungsveränderung dagegen letztlich unabhängig von der Sprachkontaktsituation erfolgen; als Grundlage für die semantischen Innovationen, die sich hier rein innerhalb des Französischen abspielen, dient das entlehnte frz. slip ‘eine Art Badehose’. 27 Ähnliches lässt sich für sp. babi und sp. burger (Bsp. (93) bzw. (94)) aufzeigen, wobei hier metonymische Relationen zwischen der ursprünglichen ZS-Bedeutung (die der AS-Bedeutung entspricht) und der neuen Bedeutung vorliegen. (91)

sp. sombrero ‘Hut’ ĺ frz. sombrero ‘breitkrempiger Hut’

(92)

[engl. slip ‘eine Art Badehose’ ĺ] frz. slip ‘eine Art Badehose’ ĺ ‘Sporthose’ ĺ ‘Unterhose’ (DHLF; EWDS s.v. Slip)

(93)

[engl. baby ‘Baby’ ĺ] sp. babi ‘Baby’ ĺ sp. babi ‘Schürzenkleid für Kinder’ (cf. Rodríguez González 2002, 144)

(94)

[engl. burger ‘Hamburger, Sandwich’ ĺ] sp. burger ‘Hamburger, Sandwich’ ĺ sp. burger ‘Imbissverkauf (für Hamburger, Sandwiches etc.)’ (cf. Rodríguez González 2002, 144)

Trotz der unterschiedlichen Szenarien, die sich für die skizzierten Bedeutungswandelprozesse postulieren lassen (Bedeutungswandel beim Sprachkontakt vs. Bedeutungswandel innerhalb der ZS), erscheint es wiederum vorteilhaft, in beiden Fällen echte Entlehnungsprozesse anzusetzen. Als vorläufiges Fazit lassen sich damit mehrere Punkte festhalten. Zunächst einmal wurde deutlich, dass bei Fällen wie dt. picobello eine mehr oder weniger stark ausgeprägte kreative Leistung innerhalb der «ZS» vorliegt, die einen völlig anderen Prozess darstellt als die direkte Entlehnung eines fremdsprachlichen Ausdrucks. Insofern erscheint es problematisch, Scheinentlehnungen grundsätzlich unter echte Entlehnungen einzuordnen, wie es Meyer (1974, 101) oder Duckworth (1977, 54) vorschlagen (kritisch dazu auch Heller 1980, 169; Eisenberg/Baurmann 1984, 16 sowie Höfler 1990). Sodann hat sich gezeigt, dass traditionell sehr heterogene Phänomene innerhalb der Kategorie «Scheinentlehnung» zusammengefasst werden. So werden neben Fällen des Typs dt. picobello etwa auch «Compound Ellipses» und «Semantic Shifts» unter die Scheinentlehnungen eingeordnet. Dies erscheint jedoch insofern problematisch, als morphologische und semantische Veränderungen, wie sie bei diesen Kategorien gegeben sind, grundsätzlich bei regulär entlehnten Formen auftreten können.

27

Ein weiteres Beispiel für eine nach der Entlehnung auftretende Bedeutungsveränderung liefert frz. spider, dessen Entwicklung sich wie folgt beschreiben lässt: engl. spider ‘voiture hippomobile à très grandes roues’ ĺ frz. spider ‘id.’ ĺ frz. spider ‘coffre aménagé à l’arrière d’un cabriolet automobile’ (cf. Humbley 2008c, 234).

51

Die bezüglich der Ellipsen angestellten Reflexionen sind ferner auch auf weitere Phänomene anwendbar. Da die Ellipse nur einen Typ morphologischen Wandels neben anderen wie Derivation oder Komposition darstellt, liegt es nahe, etwa auch Wortbildungen mit zu einem früheren Zeitpunkt entlehntem Material parallel zu behandeln. Ein entsprechendes Beispiel, das traditionell ebenfalls als Scheinentlehnung klassifiziert wird, ist dt. Managerkrankheit, das aus dt. Krankheit und dem aus dem Englischen entlehnten Manager gebildet ist, ohne dass ein englisches Vorbild *manager disease existiert (Kiesler 1993, 511). Auch hier findet somit – diachronisch gesehen – zunächst eine echte Entlehnung der Einheit manager statt, welche die Voraussetzung für die Komposition ist. Da die Komposition erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen wird, erscheint es plausibel, als Ausgangspunkt der Innovation (neben dt. Krankheit) die ZS-Form dt. Manager anzusetzen. Ähnliches gilt für frz. western spaghetti, bei dem die Bestandteile des Kompositums auffälligerweise sogar aus unterschiedlichen Sprachen (dem Englischen bzw. Italienischen) entlehnt sind. (95)

dt. Krankheit + dt. Manager (aus engl. manager) ĺ dt. Managerkrankheit (Kiesler 1993, 511)

(96)

frz. western (aus engl. western) + frz. spaghetti (aus it. spaghetti) ĺ frz. western spaghetti ‘in Italien produzierter Western’ (PR s.v. western; DILE s.v. spaghetti)

Andere Klassifikationen ordnen unter die Scheinentlehnungen auch direkt entlehnte Formen ein, die Integrationsprozesse durchlaufen haben. Auch hierzu ist jedoch kritisch anzumerken, dass das Phänomen der Lehnwortintegration eine völlig normale und häufige Begleiterscheinung normaler Entlehnungen darstellt (Cypionka 1994, 9, 83 und 272–274), so dass es nicht sinnvoll erscheint, «Scheinentlehnung» in einem entsprechend weiten Sinn aufzufassen. Insgesamt erweisen sich somit traditionelle, synchronisch-kontrastiv fundierte Definitionen von «Scheinentlehnung» als problematisch, wenn es um die Beschreibung und Erklärung der Entstehung der Formen geht. Es konnte gezeigt werden, dass entsprechende Definitionen aufgrund des Ausblendens der diachronischen Dimension die sehr unterschiedlichen Entstehungsprozesse der Abweichungen nicht zufriedenstellend erfassen. Unter Hinzuziehung diachronischer Kriterien ergibt sich hingegen, dass einige der traditionell als «Scheinentlehnungen» behandelten Phänomene als echte Entlehnungen gefasst werden können, bei denen bestimmte morphologische oder semantische Veränderungen stattgefunden haben (cf. Onysko 2007, 54). Demgegenüber stellen Fälle wie dt. picobello eine völlig eigene Konstellation dar, die sich grundlegend von echten Entlehnungen unterscheidet (hierfür führe ich in Kap. 3.6 den Begriff «Allogenismen» ein). Bevor diese Kategorie näher behandelt werden kann, sollen jedoch zunächst unterschiedliche Perspektiven charakterisiert werden, die bei Untersuchungen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit eingenommen werden können.

52

3.5

Drei Typen sprachlicher Fremdheit: Sprachkontaktinduzierte Innovationen, Entlehnungen, formal fremde Wörter

Es hat sich gezeigt, dass einerseits eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen echten Entlehnungen und Scheinentlehnungen besteht, insofern als beide strukturelle Fremdheitsmerkmale in Bezug auf das System der ZS aufweisen können. Andererseits ergeben sich jedoch unter Hinzuziehung diachronischer Kriterien grundlegende Unterschiede zwischen Entlehnungen und Scheinentlehnungen. Wie kann demnach das gegenseitige Verhältnis beider Phänomene genauer bestimmt werden? Um eine Klärung herbeizuführen, erscheint es hilfreich, zwischen drei unterschiedlichen Fremdheitsbegriffen zu unterscheiden, die jeweils spezifische Untersuchungsgegenstände konstituieren (Winter 2005): c dem fremdinduzierten Charakter sprachlicher Innovationen, der auf die Untersuchung sprachkontaktinduzierter Innovationen abzielt, d etymologischer Fremdheit, die für den Untersuchungsgegenstand der Entlehnungen grundlegend ist, und e struktureller Fremdheit, die ein drittes Untersuchungsfeld von fremden Wörtern (cf. Heller 1980, 169; Eisenberg/ Baurmann 1980) umreißt. Wie in Kap. 4.1 sichtbar werden wird, spielen die drei Aspekte auch bezüglich der Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort eine wichtige Rolle. Darüber hinaus können sie dazu beitragen, den Begriff der Entlehnung sowie verwandte Phänomene zu präzisieren und terminologische und inhaltliche (Neu-)Festlegungen zu treffen. Die Fremdheitstypen und Untersuchungsgegenstände lassen sich dabei jeweils durch eine bestimmte grundlegende Fragestellung charakterisieren: c Wie wird in einer Sprachkontaktsituation mit einer fremdsprachlichen Bezeichnung umgegangen? d Inwiefern ist eine Bezeichnung einer gegebenen Sprache durch eine fremdsprachliche Bezeichnung beeinflusst? e Wie groß ist die strukturelle Fremdheit eines Worts einer gegebenen Sprache? Die entsprechenden Betrachtungsweisen können ferner anhand verschiedener Kriterien voneinander abgegrenzt werden (cf. zusammenfassend Abb. 4). So liegt sowohl bei der Betrachtung sprachkontaktinduzierter Innovationen c als auch bei der Analyse fremder Wörter e eine synchronische Perspektive vor. Im ersten Fall handelt es sich dabei um die Synchronie des Sprachkontakts, d.h. es geht um die unmittelbaren Auswirkungen des Sprachkontakts in der ZS. Bei der Betrachtung fremder Wörter werden diese im Hinblick auf ihren Status im Sprachsystem zu einem gegebenen Zeitpunkt analysiert. Bei der Betrachtung von Entlehnungen d kommen hingegen genuin diachronische Aspekte ins Spiel, insofern als es darum geht, die Entwicklung der entlehnten Einheiten – von der Sprachkontaktsituation und der erstmaligen Verwendung in der ZS bis hin zu ihrer dauerhaften Lexikalisierung in der ZS – nachzuzeichnen. Daraus ergibt sich zugleich, dass sowohl bei c als auch bei d eine historische Perspektive vorliegt, insofern als es (auch) um die Betrachtung einer historischen

53

Sprachkontaktsituation geht. 28 Fragestellung e hingegen ist als strukturell zu kennzeichnen, da es hier um den Status bestimmter Einheiten im Sprachsystem geht, d.h. es liegt mit der Sprache ein abstrakter Bezugspunkt vor, und es geht gerade nicht um eine Betrachtung historischer Einzelereignisse. c Umgang mit fremdsprachlichen Bezeichnungen in Sprachkontaktsituationen

d fremdsprachlich beeinflusste Bezeichnungen

e fremde Elemente im Sprachsystem

sychronische Perspektive

diachronische Perspektive

synchronische Perspektive

historische Perspektive

historische Perspektive

strukturelle Perspektive

onomasiologischer Vergleich von AS-Form und ZS-Form

semasiologisch; Betrachtung der ZS-Form im Hinblick auf die ASForm

Betrachtung der ZSForm im Hinblick auf das ZS-System

Ø

Ø

Ø

prozeduraler Aspekt:

prozeduraler Aspekt:

prozeduraler Aspekt:

Verfahren sprachkontaktinduzierter Innovationen

Entlehnung

Entstehung fremder Wörter

resultativer Aspekt:

resultativer Aspekt:

resultativer Aspekt:

Ergebnisse sprachkontaktinduzierter Innovationen

Lehngut

Status fremder Wörter

Abb. 4:

Abgrenzung dreier Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit

Perspektive c ist ferner grundsätzlich onomasiologisch konzipiert: Um Verfahren des Umgangs mit fremdsprachlichen Bezeichnungen in Sprachkontaktsituationen zu analysieren, wird ein Vergleich der AS-Formen und ZS-Formen vorgenommen; als Bezugspunkt kann hier nur ein außersprachliches bzw. außereinzelsprachliches Kon28

Der Terminus «historisch» wird hier konzipiert im Sinne einer Betrachtung einzelner Ereignisse, die in der Geschichte situiert und nicht wiederholbar sind, also im Sinne eines «Zur-Geschichte-Gehörens». Daneben wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch ein anderer Aspekt von Historizität, nämlich die Historizität von Einzelsprachen, eine wesentliche Rolle spielen, wobei dieses letztere Verständnis unmittelbar an Coserius grundlegende Unterscheidung von drei Ebenen des Sprachlichen anknüpft. Historizität in diesem Sinn beinhaltet auch, wie der einzelne Sprecher durch die Sprache an der Geschichte teilnimmt und die Sprache gleichzeitig durch sein Sprechen mitprägt. Schließlich lässt sich noch ein drittes Verständnis von Historizität eingrenzen, das auf Traditionen bestimmter Texte oder Textformen abzielt. Auch dieses Verständnis ist für die vorliegende Arbeit relevant, insofern als entsprechenden Traditionen generell eine wichtige Rolle im Sprachwandel zuerkannt werden kann. Zu den drei unterschiedlichen Auslegungen von Historizität cf. den Beitrag Coserius in Schlieben-Lange/Weydt (1979, 77–78) sowie Kabatek (2005a, 151; 2005b, 155).

54

zept fungieren (nur ausgehend davon kann z.B. eine sog. Lehnschöpfung bzw. generell eine eigene lexikalische Innovation in der ZS zur Bezeichnung des jeweiligen Konzepts festgestellt werden). Bei der Analyse von Entlehnungen d liegt hingegen eine semasiologische Betrachtung vor; die ZS-Formen werden im Hinblick auf ihre etymologische Herkunft in der AS zurückverfolgt. Bei der Betrachtung systemfremder Elemente e scheint die Unterscheidung von Semasiologie und Onomasiologie schließlich von untergeordneter Bedeutung, da der Bereich der Bedeutungen hier generell nicht im Vordergrund steht, sondern formal-strukturelle Aspekte analysiert werden. 29 Zuletzt lassen sich schließlich die primären Gegenstandsbereiche der drei Betrachtungsweisen angeben, wobei noch zwischen einer vorwiegend prozeduralen und einer vorwiegend resultativen Betrachtung unterschieden werden kann. Im Fall von c geht es demnach um Verfahren bzw. Ergebnisse sprachkontaktinduzierter Innovationen. Der Gegenstandsbereich von Perspektive d lässt sich als Entlehnungen bzw. Lehngut angeben. Im Fall von e schließlich geht es um die Entstehung bzw. den Status fremder Wörter im Sprachsystem. Entsprechend der formulierten Fragestellungen können einzelne Phänomene verschiedenen der Perspektiven zugewiesen werden (cf. Abb. 5). Dabei zeigt sich, dass bei der Bestimmung einiger Kategorien mehrere Perspektiven einfließen. Dies gilt insbesondere für das Fremdwort im Sinne eines in einer Sprachkontaktsituation direkt übernommenen Worts aus einer anderen Sprache, das strukturelle Fremdheitsmerkmale aufweist. Diese Kategorie, die intuitiv als prototypisches Phänomen sprachlicher Fremdheit angesehen werden kann, liegt genau im Überschneidungsbereich aller drei Betrachtungsweisen. Gleichzeitig veranschaulicht die Abbildung, dass die Analyse einer bestimmten Form als Fremdwort eine Kombination von historisch-etymologischen und strukturellen Kriterien voraussetzt, insofern als diese eine Unterscheidung zwischen Fremdwort und Scheinentlehnung bzw. zwischen Fremdwort und integriertem Lehnwort ermöglichen. Ein (übernommenes) Fremdwort ergibt sich demnach, wenn ein in einer Sprachkontaktsituation übernommenes Wort in struktureller Hinsicht durch Fremdheitsmerkmale gekennzeichnet ist. Wenn bereits der Entlehnung selbst bestimmte formale Veränderungen zur Anpassung an die ZS vorgenommen werden, jedoch ohne dass eine vollständige Integration resultiert, liegt hingegen ein unmittelbar teilintegriertes Fremdwort vor (z.B. dt. Bureau). Andere traditionelle Kategorien zeichnen sich ebenfalls dadurch aus, dass sie in mehreren Betrachtungsweisen relevant sind. 30 So stellen etwa Lehnprägungen sowohl einen Typ sprachkontaktinduzierter Innovationen als auch einen Typ von Entlehnungen dar; dementsprechend erscheinen sie in beiden Perspektiven. Entsprechendes gilt für entlehnte Wörter, die bereits bei der Entlehnung selbst keine strukturellen Fremdheitsmerkmale mehr aufweisen (z.B. it. tango, dt. pink), so dass sie 29 30

Eine nähere Rechtfertigung, warum semantische Aspekte bei Fragen der Systemfremdheit bzw. Lehnwortintegration ausgeklammert werden können, erfolgt in Kap. 5.1.4. Lediglich eine Konstellation ist ausgeschlossen bzw. in der Abbildung als «leer» angegeben: Es erscheint grundsätzlich nicht denkbar, Formen zu finden, die im Überschneidungsbereich der ersten und dritten, jedoch außerhalb der zweiten Perspektive liegen, da strukturell fremde Formen, die als sprachkontaktinduzierte Innovationen anzusehen sind, stets übernommene oder unmittelbar teilintegrierte Fremdwörter darstellen.

55

als übernommene Lehnwörter charakterisiert werden können, sowie für Wörter, bei denen unmittelbar bei der Entlehnung formale Veränderungen vorgenommen werden, durch die eine vollständige Integration erzielt wird (unmittelbar integrierte Lehnwörter). Andererseits können entlehnte Wörter auch nach ihrer Entlehnung einer teilweisen Integration unterworfen werden, durch die ein Teil der strukturellen Fremdheitsmerkmale abgebaut wird. Entsprechende Fälle von später teilintegrierten Fremdwörtern wie dt. Büro [by'ro:] überschreiten aufgrund der zeitlich späteren Integration den Bereich der ersten Perspektive, bleiben aber in der zweiten und dritten Perspektive relevant.

c

e

Lehnschöpfung

[leer] Scheinentlehnung

substituierende Lehnbedeutung

Lehnprägungen, übernommenes Lw, unmittelbar integriertes Lw

(übernommenes) Fremdwort, unmittelbar teilintegriertes Fremdwort

später teilintegriertes Fremdwort

später integriertes Lehnwort

d c = Betrachtung von Verfahren des Umgangs mit fremdsprachlichen Bezeichnungen in Sprachkontaktsituationen Ö Verfahren/Ergebnisse sprachkontaktinduzierter Innovationen d = Betrachtung fremdsprachlich beeinflusster Bezeichnungen, die auf Sprachkontaktsituationen zurückgehen Ö Entlehnungen/Lehngut e = strukturelle Betrachtung systemfremder Elemente im Sprachsystem Ö Entstehung/Status fremder Wörter Abb. 5:

56

Zum Verhältnis der Gegenstandsbereiche dreier Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit

Bestimmte Kategorien sind schließlich dadurch charakterisiert, dass sie nur in einer der Betrachtungsweisen relevant sind bzw. nur einen der genannten Fremdheitsaspekte verkörpern. Hier ist zunächst das integrierte Lehnwort zu nennen, bei dem strukturelle Fremdheitsmerkmale durch spätere Integrationsprozesse vollständig abgebaut wurden, so dass keine strukturelle Fremdheit mehr vorliegt und gleichzeitig auch der zeitliche Rahmen der sprachkontaktinduzierten Innovationen überschritten wird. 31 Auffällig ist sodann, dass darüber hinaus gerade Kategorien betroffen sind, die in der traditionellen Entlehnungsforschung als extrem umstritten gelten können: einerseits die bereits besprochene Scheinentlehnung, andererseits die Kategorien der sog. Lehnschöpfung und der sog. substituierenden Lehnbedeutung. Damit ergibt sich, dass die sog. Scheinentlehnung – wie auch die sog. Lehnschöpfung und ebenso die sog. substituierende Lehnbedeutung – zwar als verwandtes Phänomen, jedoch nicht als Entlehnung im eigentlichen Sinn angesehen werden kann (cf. Höfler 1971; 1981; 1990; Winter 2005; Winter-Froemel 2009b). 32 Nicht alle der genannten Kategorien sind für die vorliegende Arbeit relevant. Im Sinne der Fokussierung auf direkte Entlehnungen und Lehnwortintegrationen geht es einerseits grundsätzlich um alle Phänomene des dritten Bereichs, die sich also durch eine strukturelle Fremdheit auszeichnen. Andererseits geht es um die diachronische Entwicklung von Lehnwörtern in einem weiten Sinn, also insbesondere um Entwicklungen von Fremdwörtern hin zu vollständig integrierten Lehnwörtern (wobei unter Umständen Zwischenstadien teilintegrierter Formen auftreten). Zuletzt ist noch zu klären, wie sich synchronisch-kontrastive Bestimmungen der Scheinentlehnung, wie sie etwa bei Furiassi festgestellt wurden, im Hinblick auf die drei umrissenen Perspektiven situieren lassen. Zwar erfolgt bei synchronisch-kontrastiven Analysen ähnlich wie bei der ersten und zweiten Perspektive ein Vergleich von Elementen zweier Sprachen, doch werden bei einer rein synchronisch-kontrastiven Analyse lediglich Übereinstimmungen bzw. Abweichungen zwischen den Sprachen (genauer: zwischen formal ähnlichen Wörtern und ihren Bedeutungen) analysiert. Bei entsprechenden Fällen muss – anders als bei der ersten und zweiten Perspektive – keineswegs eine Sprachkontaktsituation vorgelegen haben, sondern es kann sich etwa auch um eine Auseinanderentwicklung verwandter Sprachen (ausgehend von einem gemeinsamen früheren Sprachzustand) handeln. Daher liegt hier nicht grundsätzlich eine Form der sprachlichen Fremdheit vor, und es handelt sich nochmals um eine zusätzliche, völlig eigene Betrachtungsweise. Zur terminologi31 32

Eine nähere Rechtfertigung der Subkategorien Fremdwort, teilintegriertes Fremdwort und integriertes Lehnwort erfolgt in Kap. 4 und 5. Auch Haugen nimmt diesbezüglich eine klare Positionierung vor: «Two kinds of native creations which are more or less directly connected with the bilingual or at least bicultural situation have been excluded from the above classification [of borrowings, EWF] because they are not strictly cases of borrowing. These will here be called induced and hybrid creations» (Haugen 1969, 403, Kursivierungen im Original, Fettdruck EWF; dabei entspricht die Kategorie der induced creation der Lehnschöpfung, die der hybrid creation hingegen der Scheinentlehnung). Eine neuerliche Einordnung der sog. Lehnschöpfungen unter die Kategorie Calque findet sich hingegen wieder bei Gévaudan (2007, 179), wenn auch mit einem knappen Verweis auf die Problematik einer solchen Einordnung (Gévaudan 2007, 182).

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schen Abgrenzung schlage ich vor, die in einer solchen Perspektive analysierten synchronisch-kontrastiven Abweichungen nicht als Scheinentlehnungen zu fassen, sondern hier auf den traditionellen Begriff der false friends zurückzugreifen (cf. Kap. 3.6).

3.6

Begriffliche Neubestimmung: Allogenismen, unmittelbare und spätere Veränderungen bei echten Entlehnungen

Auf der Grundlage der im vorangehenden Kapitel getroffenen Unterscheidungen kann eine begriffliche Neubestimmung der Kategorie der «Scheinentlehnung» vorgenommen werden. Zunächst kann festgehalten werden, dass Wörter, nachdem sie entlehnt wurden, in der ZS eine eigene Diachronie entwickeln (neben ihrer diachronischen Weiterentwicklung in der AS) und daher in AS und ZS eine divergente Entwicklung durchmachen können (Humbley 2008c, 234–236; Jansen 2005, 34). Entsprechende Veränderungen können nicht nur den Bereich der Morphologie, sondern auch semantische, lautliche und graphische Aspekte betreffen; die verschiedenen Typen können dabei auch kombiniert auftreten. Der Bereich der Semantik wird neben dem besprochenen frz. slip etwa auch durch frz. studio ‘Atelier’, ‘Vorführungsraum’, ‘Einzimmerappartement’ veranschaulicht, das über das Englische ins Italienische entlehnt wurde. Dort bedeutet es aktuell ‘Atelier’ und ‘Büro, Kanzlei, Praxis’, so dass nur eine teilweise semantische Übereinstimmung mit dem Französischen vorliegt (cf. FauxAmis; DHLF). Ein weiterer Fall betrifft Formen, die nach der Entlehnung in der AS untergehen und nur noch in der ZS weiterbestehen. Hierzu ist unter Umständen frz. footing zu rechnen, das vielfach als Scheinentlehnung behandelt wird, da die Form im aktuellen Englisch nicht existiert. In der Diachronie lässt sich aber durchaus eine mögliche englische Ausgangsform ausmachen (engl. footing ‘the act of walking, pacing, or stepping; a step or tread’, cf. Höfler 1990, 100–101). 33 In entsprechenden Fällen scheint es daher plausibel, von echten Entlehnungen auszugehen, ohne dass der Status der Entlehnung durch die späteren Entwicklungen in der AS und/oder ZS tangiert wird. Teilweise werden entsprechende Phänomene jedoch auch als «Scheinentlehnungen» behandelt, womit eine rein synchronische Definition dieser Kategorie zugrunde gelegt wird, die den (diachronischen) Ursprung der Divergenzen nicht berücksichtigt. Somit lassen sich zwei Grundtypen von Auffassungen gegenüberstellen: einerseits synchronisch-kontrastive, andererseits diachronisch fundierte Bestimmungen der Scheinentlehnung. Mit Cypionka soll hier dafür argumentiert werden, dass rein synchronisch-kontrastive Ansätze insofern zu weit gehen, als sie eine bloße 33

Allerdings weist Cypionka darauf hin, dass die englische Form in der genannten Bedeutung zuletzt 1820 – und damit deutlich vor dem Erstbeleg im Französischen von 1892 – nachgewiesen ist (und möglicherweise handelt es sich sogar um einen Hapaxbeleg, da alle übrigen Belege im OED aus dem 16. und 17. Jh. stammen, cf. OED s.v. footing). Cypionka favorisiert daher die Annahme einer französischen Neuprägung auf der Grundlage des Verbs engl. foot und des zum Innovationszeitpunkt bereits im Französischen verfügbaren Suffixes -ing (Cypionka 1994, 168–169).

58

Abweichung zwischen AS und ZS als hinreichend für eine Klassifikation als «Scheinentlehnung» ansehen; damit fallen jedoch z.B. auch Adaptationserscheinungen darunter (Cypionka 1994, 9). Andererseits wurde deutlich, dass synchronisch-kontrastive Bestimmungen von Scheinentlehnungen gleichzeitig insofern zu kurz greifen, als die unterschiedliche Genese der so zusammengefassten, sehr heterogenen Konstellationen rein synchronisch gerade nicht erklärt werden kann. Bei entsprechenden Ansätzen droht demnach die Bestimmung des Begriffs «Scheinentlehnung» in Richtung des Phänomens der false friends abzugleiten. Der letztere Begriff beruht genau auf einer synchronisch-kontrastiven Betrachtung und zielt auf die Klassifikation von sprachlichen Einheiten ab, die in (teilweise) ähnlicher Form in zwei Sprachen existieren, jedoch semantische oder formale Divergenzen (in ihrer Morphologie, Aussprache oder Schreibung) aufweisen. Entsprechende Betrachtungen sind etwa für die kontrastive Linguistik und die Fremdsprachendidaktik sowie für lexikologische und lexikographische Fragestellungen als äußerst relevant anzusehen (cf. Cypionka 1994, 8; Müller-Lancé 2003). Gleichzeitig erscheint es jedoch vorteilhaft, diesen Bereich terminologisch und konzeptionell von Untersuchungen abzugrenzen, bei denen es um die Entstehung und Entwicklung von echten «Scheinentlehnungen» geht. Für entsprechende Untersuchungen erscheint es vorteilhaft, dem zweiten, diachronischen Kriterium eine wesentliche Rolle zuzuerkennen und die Entstehung der jeweiligen Formen bei der Klassifikation mit einzubeziehen. Der Status der Scheinentlehnungen kann demnach unter Bezugnahme auf die drei Betrachtungsweisen sprachlicher Fremdheit dahingehend präzisiert werden, dass weder eine Fremdheit im Sinne von c noch im Sinne von d vorliegt, so dass die Kategorie weder unter die sprachkontaktinduzierten Innovationen noch unter die Entlehnungen einzuordnen ist. Ein grundlegendes Merkmal der Scheinentlehnungen ist aber ihre strukturelle Fremdheit e. Damit ergibt sich, dass die Kategorie positiv durch das Vorhandensein strukturell fremder Merkmale und gleichzeitig negativ durch das Fehlen eines sprachkontaktinduzierten Charakters oder einer fremden etymologischen Herkunft (im Sinne einer fremdsprachlichen Beeinflussung) definiert ist. Die Scheinentlehnung stellt demnach eine Innovation innerhalb der «ZS» dar, die auf Elemente zurückgreift, die sich innerhalb dieses Systems durch eine strukturelle Fremdheit auszeichnen und dort nicht produktiv sind; gleichzeitig gibt es kein fremdsprachliches Modell oder Vorbild der Innovation (cf. Humbley 2008c, 228–230; Jansen 2005, 34; Onysko 2007, 52–55). Wie lässt sich nun in dieser Perspektive das Phänomen genauer bestimmen und von Bildungen wie dem oben besprochenen Beispiel dt. Managerkrankheit abgrenzen? Auch für die Betrachtung von Wortbildungen unter Rückgriff auf Material fremdsprachlicher Herkunft spielt das zeitliche Kriterium eine wesentliche Rolle: Bildungen des Typs dt. Managerkrankheit greifen zwar auf Material fremder Herkunft (d.h. etymologisch und evtl. strukturell fremdes Material) zurück, doch es handelt sich um völlig «normale» und unauffällige Bildungen, die auf im ZS-System etablierten Verfahren beruhen und auf Ausgangselemente zurückgreifen, die zu einem früheren Zeitpunkt entlehnt wurden und in der ZS als potenziell produktive Einheiten vorhanden sind (dt. Manager).

59

Ein grundsätzlich anderes Phänomen liegt hingegen bei Fällen des Typs frz./it. recordman oder dt. picobello vor (cf. den zweiten Typus in Furiassis Systematik). Für diese Bildungen scheint es problematisch, ZS-Ausgangspunkte der Innovation zu benennen. Vielmehr erfolgt hier ein Rückgriff auf fremdsprachliche (in der ZS nicht produktive) Elemente im Rahmen einer Innovation in der ZS – in den Beispielen etwa die Wortbildungselemente -man 34 und -bello, die fremde Flexionsendung -o in pico- sowie die fremde Phonem-Graphem-Korrespondenzregel [k] ļ . 35 Zur Erklärung der Innovation muss also beim innovierenden Individuum zusätzlich zu seinem Wissen der ZS auch ein punktueller Rückgriff auf Wissensbestände bezüglich der AS angenommen werden. Um dieses Merkmal deutlicher auszudrücken, schlägt Humbley den Terminus der «allogenen Konstruktion» vor (construction allogène, Humbley 2008c, 230; cf. Guilbert 1975, 224–233, der den Terminus composition allogène für Formen wie frz. aéromotive, ovoïdal etc. verwendet). Dieser Terminus hat sich bislang noch nicht etabliert, er weist aber den Vorteil auf, eine präzise inhaltliche Bestimmung der Kategorie vorzunehmen. Aufgrund der festgestellten unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs «Scheinentlehnung» soll dieser aus Gründen der terminologischen und methodologischen Klarheit in der vorliegenden Arbeit aufgegeben werden. Um die in synchronisch-kontrastiven Ansätzen betrachteten Phänomene zusammenzufassen, kann der traditionelle Begriff der false friends aufgegriffen werden. Zur Bezeichnung der Phänomene, die ausgegend von einer diachronischen Bestimmung erfasst werden,

34

35

Es existieren verschiedene weitere Bildungen mit -man im Französischen. Zumindest in einer ersten Phase liegt bei entsprechenden Bildungen aber kein etabliertes morphologisches Verfahren unter Rückgriff auf eine produktive Einheiten des Französischen vor (auch wenn heute aufgrund von Reihenbildungen wie frz. tennisman, recordman, rugbyman etc. durchaus die Auffassung vertreten werden kann, dass es sich inzwischen um ein produktives Element handelt). Gleichzeitig kann der Status von -man unterschiedlich gesehen werden: Die Form kann prinzipiell sowohl als Suffix (vergleichbar frz. -eur, engl. -er) angesehen werden, so dass ein Derivationsverfahren vorliegt; ebenso erscheint aber auch eine Analyse als Komposition (cf. engl. man ‘Mann’) denkbar. Im Hinblick auf die Verbreitung des Ausdrucks im Französischen ist noch anzumerken, dass frz. tenniswoman im Internet wesentlich seltener belegt ist als der synonyme Ausdruck joueuse de tennis (140.000 Treffer für und 14.300 Treffer für / gegenüber 451.000 Treffern für ). Für frz. tennisman ist das Verhältnis hingegen ausgewogener (826.000 Treffer für und 15.100 Treffer für / gegenüber 1.020.000 Treffern für ; jeweils Abfrage vom 10.03.2010 auf der Grundlage von google unter Einschränkung auf französischsprachige Seiten). Der Status entsprechender Segmente wie innerhalb der ZS erscheint weiterführend klärungsbedürftig, da diese unter Umständen nicht als Grapheme der ZS anzusehen sind. Ich spreche daher hier nachfolgend von graphischen (und analog phonischen) Segmenten. Die Termini «Phonem-Graphem-Korrespondenz» bzw. «Graphem-Phonem-Korrespondenz» werden aus Gründen der Einfachheit in entsprechenden Fällen beibehalten; sie schließen also auch Korrespondenzen zwischen phonischen und graphischen Segmenten ein.

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kann hingegen in Anknüpfung an Humbley von «Allogenismen» gesprochen werden. Weiterhin lässt sich dafür argumentieren, unter diesem letzteren Begriff neben dem bereits besprochenen Falltypus frz./it. recordman noch einen anderen Typus zu erfassen, der weit reichende Gemeinsamkeiten mit diesem aufweist. Es handelt sich um den Bereich der sog. hyperforeignisms, die in der Forschungsliteratur vereinzelt ebenfalls thematisiert werden und die als ein Spezialfall von Hyperkorrektismen angesehen werden können (Janda/Joseph/Jacobs 1994; Hock/Joseph 1996, 270; cf. Deroy 1956, 248 und Pratt 1980, 123, wobei letzterer nur von «grafías hipercaracterizadas» spricht, d.h. nur den Bereich der Graphie behandelt). Diese lassen sich durch folgende Beispiele veranschaulichen: 36 (97)

frz. bifteck ‘Beefsteak’ [ĸ engl. beef-steak] (PR; DHLF; Dda; LAR; OED)

(98)

engl. lingerie [lŚѺƛš'reų] ‘(Damen-)Unterwäsche’ [ĸ frz. lingerie [lŤѺƛ'ri] ‘(Damen-)Unterwäsche’] (Janda/Joseph/Jacobs 1994)

Auffällig ist hierbei das graphische Segment in frz. bifteck und die Aussprache des Nasalvokals sowie der Endung [-reų] in engl. lingerie (letztere Aussprache tritt im Englischen z.B. auch bei dem Namen André und bei anderen Entlehnungen aus dem Französischen auf -é auf): In beiden Fällen lassen sich die genannten Merkmale nicht aus der AS-Form herleiten, gleichzeitig aber auch nicht als Integrationen bzw. Anpassungen an Strukturen und Regeln der ZS auffassen. D.h. auch hier erfolgt ein Rückgriff auf innerhalb der ZS nicht produktive Einheiten, wobei es sich nun nicht um morphologische Einheiten, sondern um Einheiten niedrigerer Ebenen handelt (cf. bereits auch das graphische Segment in dt. picobello). 37 Aufgrund dieses Merkmals scheint qualitativ eine enge Verwandtschaft zu den allogenen Konstruktionen zu bestehen 38, und entsprechende Fälle sollen daher hier mit diesen zu einer

36

37

38

Ähnlich auch die Aussprache von Lamartine im Spanischen als [lamartŤѺ] (Adolfo Murguía, persönliche Mitteilung), die Aussprache von it. Charlie Chaplin als ['tƌŤrli 'tƌŤplin] (Bernhard 1994, 209) sowie die bei Nettmann-Multanowska aufgeführten «hypercorrect false adoptions» dt. Rollerscater (engl. roller skater) und dt. scate-board (engl. skateboard; Nettmann-Multanowska 2003, 86). Entsprechende Phänomene werden bei Humbley (2008c) als modèles modifiés bezeichnet. Auch für das von ihm genannte Beispiel frz. pin’s (aus engl. pin) trifft dabei das grundlegende Merkmal zu, dass es sich nicht um eine anhand der produktiven Regeln und Verfahren des Französischen erklärbare Veränderung handelt. Eine weitere Rechtfertigung für diese Zuordnung lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass traditionell auch Fälle rein lautlicher oder graphischer Veränderungen von entlehntem Material zu den Scheinentlehnungen gerechnet wurden. Wie bereits oben dargelegt wurde, geht eine solche generelle Zuordnung jedoch meines Erachtens zu weit: Wenn alle Typen von lautlicher oder graphischer Veränderung – d.h. insbesondere auch normale Integrationsprozesse (bei oder nach der Entlehnung) – zur Scheinentlehnung gerechnet werden, so kann die Spezifizität von Formen wie frz. bifteck nicht mehr adäquat erfasst werden.

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übergeordneten Kategorie von «Allogenismen» gerechnet werden. 39 Dabei ist anzuerkennen, dass entsprechende Fälle von rein lautlichem oder graphischem Wandel durchaus innerhalb entlehnter Wörter auftreten. Entscheidend erscheint aber, dass sie im Gegensatz zu anderen Veränderungen entlehnter Wörter (durch Lehnwortintegration oder durch übergreifenden ZS-internen Lautwandel) nicht rein ZS-intern erklärbar sind, d.h. sich letztlich nicht vollständig durch produktive Verfahren der ZS herleiten lassen. Zusammenfassend schlage ich somit vor, den Begriff «Allogenismus» dahingehend zu bestimmen, dass es sich um sprachliche Innovationen handelt, die sich innerhalb der ZS abspielen (d.h. nicht durch eine Sprachkontaktsituation mit der vermeintlichen AS induziert sind), dabei aber auf (lexikalisches, morphologisches, phonetisch/phonologisches oder graphisch/graphematisches) Material zurückgreifen, das innerhalb der ZS nicht produktiv ist. Eine solche Bestimmung ist einerseits wesentlich restriktiver als bisherige Definitionsvorschläge der «Scheinentlehnung», da verschiedene Typen «echter» Entlehnungen nun ausgeschlossen werden. Allogenismen werden somit sowohl in theoretischer als auch in methodologischer Hinsicht deutlich von «echten» Entlehnungen getrennt. Andererseits wird mit der getroffenen Festlegung eine Erweiterung gegenüber traditionellen Bestimmungen der «Scheinentlehnung» vorgenommen, da neben Innovationen durch Wortbildungsverfahren auch lautliche oder graphische hyperforeignisms als qualitativ eng verwandtes Phänomen mit in die Betrachtung hineingenommen werden. Abb. 6 veranschaulicht diese inhaltliche Bestimmung der Allogenismen. Gleichzeitig werden die verschiedenen anders gelagerten Phänomene, die traditionell ebenfalls teilweise zu den Scheinentlehnungen gerechnet werden, präzise verortet und von den Allogenismen abgegrenzt. Dabei macht die Zuweisung der traditionellen Kategorien deutlich, dass üblicherweise keine terminologische Differenzierung zwischen Veränderungen bei der Entlehnung selbst und solchen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen wird (cf. semantic shifts1/2, compound ellipses1/2 etc.). 40 Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Verfahren auf den unterschiedlichen Ebenen grundsätzlich kombinierbar sind, und zwar sowohl synchronisch (z.B. können bei der Entlehnung selbst sowohl semantische als auch lautliche und graphische Veränderungen vorgenommen werden) als auch diachronisch (bereits teilweise veränderte Formen können in der ZS weiter integriert werden). 39

40

Eine solche Kategorisierung weist weit reichende Übereinstimmungen mit der Arbeit Cypionkas auf. Sie schlägt vor, den Begriff der «Scheinentlehnung» durch den der «Lehnformation» zu ersetzen, um auszudrücken, dass einerseits durchaus eine Entlehnung von fremdsprachlichem Material vorliegt, andererseits aber weitere (lexematische, semantische, morphologische oder graphematische) Prozesse eine Rolle spielen (Cypionka 1994, 7). Insgesamt zielt die Arbeit von Cypionka genau darauf ab, unter Einbeziehung synchronischer und diachronischer Aspekte eine objektive Differenzierung von (unmittelbaren oder späteren) Adaptationen/Lehnwortintegrationen und Lehnformationen zu erreichen. Als Beispiel für lautliche und graphische Veränderungen bei der Entlehnung selbst bzw. zu einem späteren Zeitpunkt ist in der Abbildung dt. Bureau bzw. Büro angegeben: Die Großschreibung im Deutschen ist unmittelbar bei der Entlehnung aus dem Französischen anzusetzen, während die Schreibung erst später eingeführt wird (cf. dazu ausführlicher Kap. 4 und 5).

62

Ferner ist anzumerken, dass die im Falle der Allogenismen relevante Fremdheit als formal-strukturelle Fremdheit bestimmt wird, so dass der Begriff im Bereich der Semantik keine Anwendung findet. D.h. es wird angenommen, dass es grundsätzlich keine allogenen semantischen Einheiten gibt, die allogenen graphischen, phonischen oder morphologischen Einheiten bzw. allogenen Graphem-Phonem-Korrespondenzen vergleichbar wären. Eine ausführliche Rechtfertigung der gesonderten Behandlung des Bereichs der Semantik erfolgt in Kap. 5.1.4. Ebenso werden in Kap. 5 die in der Abbildung angeführten Merkmale der Übernahme aus der AS-Form bzw. der Anpassung an das ZS-System weiter präzisiert. semantische Veränderungen bei der Entlehnung selbst, semantic shifts1 ¾ Typ frz. sombrero

spätere semantische Veränderungen, semantic shifts2 ¾ Typ frz. slip, frz. spider

---

morphologische Veränderungen bei der Entlehnung selbst, u.a. compound ellipses1, modèles tronqués1 ¾ Typ frz. dancing

spätere morphologische Veränderungen, u.a. compound ellipses2, modèles tronqués2

Scheinentlehnungen, morphologische Allogenismen, constructions allogènes, autonomous compounds ¾ Typ frz. recordman, dt. picobello

lautliche und graphische Veränderungen bei der Entlehnung selbst

spätere lautliche und graphische Veränderungen

¾ Typ dt. Bureau

¾ Typ dt. Büro

Ø

¾ Typ frz. basket, frz. body, frz. sweat, frz. top

Ø

allogener lautlicher und graphischer Wandel, modèles modifiés, hyperforeignisms ¾ Typ frz. bifteck, engl. [lŚѺƛš'reų] Ø

echte Entlehnung,

echte Entlehnung,

Allogenismus,

unmittelbare Veränderung

spätere Veränderung anhand produktiver ZSEinheiten/-Verfahren

Innovation innerhalb der ZS anhand nicht produktiver ZSEinheiten/-Verfahren

Anpassung an das ZSSystem (bei gleichzeitiger Übernahme von Elementen der AS-Form)

(weitere) Anpassung an das ZS-System

weder Übernahme aus AS-Form noch Anpassung an das ZS-System

Abb. 6:

Abgrenzung von Allogenismen gegenüber anderen Typen von Divergenzen im Kontext von Entlehnungsprozessen

63

3.7

Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurde der Begriff der Entlehnung präzisiert und von verschiedenen verwandten Phänomenen abgegrenzt. Dabei ging es zunächst um das Verhältnis der Entlehnung zu Codeswitching, Interferenz und Substratinterferenz. Die Abgrenzung gegenüber sog. Scheinentlehnungen hat sich dann als zentrales Problem herauskristallisiert. Es konnte gezeigt werden, dass traditionelle, synchronischkontrastiv fundierte Definitionen unter letzterem Begriff eine Reihe sehr heterogener Phänomene erfassen, die teilweise auch echte Entlehnungen darstellen. Gleichzeitig können rein synchronisch fundierte Einteilungen gerade nicht die Entstehung dieser sehr unterschiedlichen Konstellationen erklären. Zur Lösung des Problems wurde eine Präzisierung von drei grundlegenden Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit vorgeschlagen, mit deren Hilfe die einzelnen Gegenstandsbereiche genauer gefasst werden können (sprachkontaktinduzierte Innovationen, Entlehnungen/Lehngut, fremde Wörter). Dabei wurde in Bezug auf die traditionelle Kategorie der Scheinentlehnung für eine diachronisch fundierte Betrachtung argumentiert, deren Gegenstandsbereich als «Allogenismen» eingegrenzt wurde (gegenüber dem Bereich der false friends bei synchronisch-kontrastiven Betrachtungen). Schließlich wurde gezeigt, welche verschiedenen Typen von Allogenismen auftreten können und welche anderen Typen von Divergenzen im Kontext «echter» Entlehnungsprozesse ihnen gegenüberstehen.

64

4

Begriffliche Eingrenzung und Situierung des Themas II: Das traditionelle Verständnis von «Lehnwort» und «Lehnwortintegration»

Im folgenden Kapitel soll herausgearbeitet werden, wie die Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration» traditionell verstanden werden. 1 Im Bereich des Lehnworts geht es vor allem um die Abgrenzung zwischen Lehnwort im engeren Sinn und Fremdwort. Dabei werden in der Forschungsliteratur unterschiedliche Kriterien herangezogen, so dass sich im Einzelnen unterschiedliche Abgrenzungen zwischen den Kategorien ergeben, d.h. Fälle wie die folgenden werden bei manchen Autoren als Fremdwort, bei anderen dagegen als Lehnwort im engeren Sinn behandelt. (99)

it. gauchismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI)

(100) dt. Büro [by'ro:] ĸ frz. bureau (Duden; EWDS) (101) frz. peopole ĸ engl. people (Internet) Gleichzeitig werden dadurch grundlegende Fragen der Anwendung der Kriterien sowie bezüglich des Begriffs der «Lehnwortintegration» aufgeworfen: Die häufig anzutreffenden Gegenüberstellungen von Fremdwort und Lehnwort als nicht integriert bzw. integriert verschieben das Problem der Bestimmung der Kategorien letztlich nur hin zur Frage der Bestimmung von «Integriertheit». In einem zweiten Schritt sollen daher unterschiedliche traditionelle Auslegungen von «Lehnwortintegration» diskutiert werden. Dabei soll gezeigt werden, dass die Bestimmungen von jeweils unterschiedlichen Grundannahmen ausgehen, die durch zusätzliche begriffliche Unterscheidungen genauer gefasst werden können; diese zusätzlichen Unterscheidungen sollen dann in Kap. 5 herausgearbeitet werden.

4.1

«Lehnwort» und «Fremdwort»

Grundsätzlich hat sich in der traditionellen Entlehnungsforschung eine Unterscheidung von zwei Haupttypen der sprachlichen Beeinflussung etabliert. 2 Demnach steht 1

2

Teile der hier und in Kap. 5 angestellten Überlegungen wurden bei der 2nd Newcastle Postgraduate Conference in Theoretical and Applied Linguistics, Newcastle, 25. Juni 2007, vorgestellt (cf. Winter-Froemel 2008b). Vorab ist an dieser Stelle anzumerken, dass theoretische Diskussionen häufig nicht unter dem Schlagwort der «Entlehnung» bzw. der fremdsprachlichen Entsprechungsbegriffe,

65

eine erste Gruppe von sog. «direkten Entlehnungen» (Lehnwörter, engl. loans/loanwords, frz. emprunts, it. prestiti, sp. préstamos) 3 einer zweiten Hauptgruppe von sog. «indirekten Entlehnungen» (Lehnprägungen, engl. loanshifts/calques, frz. calques, it. calchi, sp. calcos) gegenüber. 4 Die letzteren zeichnen sich nach allgemeinem Verständnis dadurch aus, dass eine fremdsprachliche Bezeichnung mit eigensprachlichem Material nachgebildet wird (z.B. frz. souris ‘Computermaus’ ĸ ‘Maus als Nagetier’ nach engl. mouse ‘Computermaus’, ‘Maus als Nagetier’), während im ersten Fall – und nur hier – fremdsprachliches Material direkt übernommen wird (z.B. it. mouse ‘Computermaus’ aus engl. mouse ‘Computermaus’). Daraus ergibt sich, dass nur bei der ersten Gruppe fremdes Sprachmaterial (im Beispiel etwa der englische Diphthong [aƓ] und das Graphem ) importiert wird, welches Integrationsprozesse auslösen kann. Der Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit situiert sich damit grundsätzlich im Bereich der Gruppe der direkten Entlehnungen. Weiterhin zeigt ein Vergleich, dass sich in der deutschen Forschung insgesamt eine stärkere terminologische Differenzierung von Subtypen von Entlehnungen etabliert hat als in der englischen, französischen, italienischen oder spanischen Forschung. Dies betrifft zunächst den Bereich der Lehnprägungen, wo im Deutschen zwischen Lehnübersetzung, und Lehnübertragung unterschieden wird (cf. insbesondere Betz 1949, 28), sowie weitere Differenzierungen etwa innerhalb der sog. Lehnbedeutungen. Diese Differenzierungen sind hier jedoch insofern zu vernachlässigen,

3

4

sondern unter dem Stichwort «Anglizismen» geführt werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Entlehnungen aus dem Englischen für die europäischen Sprachen von heute in der Regel zahlenmäßig den bedeutendsten Rang einnehmen. Da in entsprechenden Arbeiten zu Anglizismen auch allgemeine theoretische Positionierungen hinsichtlich der Abgrenzung und Definition der Kategorien erfolgen, werden entsprechende Ansätze hier ebenfalls einbezogen. Begriffe wie emprunt oder prestito werden sehr häufig aber nicht nur für direkte Entlehnungen verwendet, sondern können auch Entlehnungen im Allgemeinen (direkte und indirekte) umfassen (cf. Gegenüberstellungen von emprunts directs und emprunts indirects). In der vorliegenden Arbeit folge ich teilweise aus Gründen der Einfachheit diesem Sprachgebrauch, da es ohnehin primär nur um direkte Entlehnungen geht. Darüber hinaus wird insbesondere in der anglophonen Forschung häufig eine dritte Hauptgruppe von sog. loanblends angesetzt, bei der das fremdsprachliche Material auf morphologischer Ebene teilweise übernommen und teilweise durch eigensprachliches Material ersetzt wird, so dass eine Art Mischform vorliegt, z.B. bei engl. funny ĺ penns.dt. fonnig (Übernahme von funn- [mit Anpassung der Aussprache], Ersetzung von engl. -y durch -ig; Haugen 1950, 219). Meiner Meinung nach kann diese Gruppe jedoch innerhalb der direkten Entlehnungen situiert werden, da auch bei diesen in der Regel eine Kombination von Übernahme und Ersetzung – hier nun auf der lautlichen Ebene sowie auf der bei Haugen nicht einbezogenen graphischen Ebene – vorliegt (cf. engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ (OED) ĺ frz. puzzle [pœzl] (PR)/it. puzzle ['pazol] (DO)). Dieser alternative Einteilungsvorschlag bietet methodologische Vorteile, da damit eine binäre Unterteilung aufrechterhalten wird, welche eine gut handhabbare, vollständige Klassifikation der untersuchten Phänomene gewährleistet (cf. Winter-Froemel 2009a). Im Übrigen wählt Haugen selbst in seiner späteren Arbeit von 1969 eine ähnliche Klassifikation, bei der nun innerhalb der loanwords zwischen pure loanwords und loanblends unterschieden wird (Haugen 1969, 402).

66

als die Lehnprägungen insgesamt nicht in den Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit fallen. Von unmittelbarer Relevanz ist hingegen die in der deutschsprachigen Entlehnungsforschung im Bereich der direkten Entlehnungen etablierte Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort (cf. Betz 1959; 1974; 1975). In den anderen Sprachen ist eine entsprechende terminologische Differenzierung eher unüblich, und es wird in der Regel auf die übergeordnete Kategorie des Lehnworts im weiteren Sinn (engl. loanword, frz. emprunt, it. prestito etc.) referiert. Eine Erörterung der Unterscheidung von «Fremdwort» und «Lehnwort» erscheint aber im vorliegenden Kontext aus mehreren Gründen geboten. So ergibt sich eine terminologische Unschärfe, da der Begriff des «Lehnworts» eine für wissenschaftliche Fachbegriffe potenziell problematische Mehrdeutigkeit aufweist: Einerseits wird hierunter die übergeordnete Kategorie verstanden, die Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn umfasst (Lehnwort im weiten Sinn = direkte Entlehnung); andererseits bezeichnet der Begriff häufig eine speziellere Kategorie (Lehnwort im engeren Sinn = Untergruppe der direkten Entlehnungen, in Abgrenzung zum Fremdwort) (cf. Carstensen 1967, 20; 1968; Duckworth 1977; Kiesler 1993; Blank 1995). Um eine Klärung vorzunehmen und die Mehrdeutigkeit aufzulösen, wurde vorgeschlagen, für die übergeordnete Kategorie den Terminus «entlehntes Wort» einzuführen (Duckworth 1977; Kiesler 1993). Dieser Vorschlag hat sich jedoch nicht durchgesetzt, und es findet sich nach wie vor auch der Begriff «Lehnwort» bzw. loanword zur Bezeichnung der übergeordneten Kategorie (so u.a. Blank 1995 und fast generell in der englischsprachigen Literatur, cf. Jacobs/Gussenhoven 2000; Hall/Hamann 2003; Peperkamp/Dupoux 2003; LaCharité/Paradis 2005). Die mit den fremdsprachlichen Entsprechungsbegriffen übereinstimmende Verwendung im übergeordneten Sinn blickt zudem auf eine längere Forschungstradition zurück (cf. die Bezeichung «Lehnwortforschung»). Ebenso kann damit unproblematisch das Kompositum Lehnwortintegration gebildet werden, das unmittelbar auf die Entsprechungsbegriffe loanword integration, intégration des emprunts etc. verweist. Im Folgenden soll daher der Terminus «Lehnwort» als Bezeichnung der übergeordneten Kategorie beibehalten werden (daneben wird synonym von «direkter Entlehnung» und «entlehntem Wort» gesprochen), während auf die Subkategorie als Lehnwort im engeren Sinn referiert wird. Nach diesen terminologischen Festlegungen stellt sich vor allem die Frage nach der inhaltlichen Bestimmung der Subkategorien und ihrer wechselseitigen Abgrenzung. Diese Problematik verweist bereits grundlegend auf das Phänomen der Lehnwortintegration, da der letztere Begriff im Sinne eines Übergangs vom (nicht integrierten) Fremdwort zum (integrierten) Lehnwort verstanden werden kann. 5 5

Vereinzelt wird zusätzlich eine dritte Kategorie des (nicht integrierten) Zitatworts angesetzt (cf. auch das in Kap. 3.1 angesprochene Phänomen des Einwortcodeswitching), wobei das Fremdwort in diesem Fall als partiell integriert und das Lehnwort als voll integriert eingestuft werden (so etwa bei Schank, cf. Kirkness 1979, 87). Problematisch am entsprechenden Integrationsmodell ist jedoch der angenommene zeitliche Ablauf (vom Ausgangspunkt = ersten Auftreten hin zum Endpunkt = der vollen Integration), der eine Parallelität von

67

Angesichts der Tatsache, dass die Erörterung der Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort bereits auf eine relativ lange Forschungstradition zurückblickt, überrascht es, dass bis heute konkurrierende, ja teilweise gegensätzliche Ab- und Eingrenzungsvorschläge vorliegen. Da die im Deutschen etablierte Entlehnungsterminologie im Wesentlichen auf Betz zurückgeht, erscheint es naheliegend, zunächst seine Definition der Kategorien zu analysieren (cf. Abb. 7): «Wird das Lehnwort in seiner fremden Lautgestalt bewahrt, so sprechen wir vom Fremdwort (Palais), wird es lautlich seiner neuen Umgebung angepaßt, von Lehnwort im eigentlichen Sinn (Pfalz)» (Betz 1959, 128; cf. Betz 1975, 250).

Lehnwort Ý Fremdwort Abb. 7:

Þ vs.

Lehnwort (im eigentlichen Sinn)

Klassifikation von Lehnwörtern nach Betz (1959; 1974; 1975)

Sehr früh wurde jedoch die Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort im eigentlichen oder engeren Sinn als problematisch angesehen (Scherner 1974, 264– 267; cf. Carstensen 1965, 88), und auch Betz selbst vertritt in früheren Arbeiten die Auffassung, dass beide Kategorien zusammengefasst werden können (u.a. Betz 1949, ebenso Carstensen 1965, 88). 6 Ebenso kommt Haugen zu der Schlussfolgerung: «[…] it does not appear just how the line [zwischen Fremdwörtern und Lehnwörtern im engeren Sinn, EWF] is to be drawn» (Haugen 1950, 230). Damit stellt sich die Frage, inwiefern es sich um eine mögliche und sinnvolle Abgrenzung handelt, beziehungsweise in welcher Form die inhaltliche Abgrenzung gegebenenfalls vorzunehmen ist. Bei Betz fungiert als wesentliches Abgrenzungskriterium die Alternative zwischen der Bewahrung der fremden Lautgestalt einerseits und der Anpassung derselben andererseits. Diese knappe Bestimmung scheint für die inhaltliche Festlegung der Kategorien jedoch unzureichend, da sie verschiedene Fragen offen lässt, die bei der konkreten Zuweisung von Beispielfällen relevant werden. So bleibt vage, was mit «fremder Lautgestalt» gemeint ist; eine linguistische Präzisierung dieses Begriffs fehlt. Generell wäre ferner zu diskutieren, ob die Fremdheit tatsächlich nur über die lautliche Ebene zu fundieren ist oder ob nicht vielmehr auch weitere Fremdheitsphänomene (etwa in der Schreibung) hinzukommen können. Ebenso bleibt die «Anpassung an die neue Umgebung» vage; unklar ist etwa, wann ein Wort im Einzelnen als angepasst gelten kann und anhand welcher Kriterien die Anpassung zu bestimmen ist. Problematisch erscheinen schließlich auch die zur

6

individuellen Verwendungen einerseits und formalen Aspekten der Integration andererseits suggeriert. Eine entsprechende Parallelität muss jedoch keinesfalls immer realisiert sein. Allerdings gehört der Bereich der Lehnwörter nicht zum eigentlichen Gegenstandsbereich von Betz’ Arbeit von 1949. Insofern erscheint die Vernachlässigung der Unterscheidung im Rahmen seiner theoretischen Fokussierung durchaus nachvollziehbar.

68

Illustration angeführten Beispiele dt. Palais und dt. Pfalz, die neben dem angedeuteten Kriterium einer Fremdheit bzw. Anpassung der lautlichen Strukturen noch einen weiteren, zeitlichen Aspekt ins Spiel bringen. Es handelt sich um zwei Formen, die zu unterschiedlichen Zeiten ins Deutsche entlehnt wurden. Die erste Form, dt. Pfalz, hat dabei seit dem Zeitpunkt der Entlehnung im 8. Jh. eine Lautverschiebung des Deutschen mitgemacht, die ebenso bei nativen Wörtern des Deutschen auftritt. Eine solche gemeinsame Entwicklung in Übereinstimmung mit dem übrigen deutschen Wortschatz fehlt hingegen bei dem wesentlich später entlehnten dt. Palais. 7 Damit legt das Beispiel nahe, dass die Unterscheidung von Fremdwort und Lehnwort auch über das Kriterium fundiert werden kann, ob bestimmte Prozesse der Lautentwicklung gemeinsam mit dem nativen Wortschatz der ZS durchlaufen werden (cf. Öhmann 1961, 10); offen bleibt jedoch eine linguistische Präzisierung dieses Aspekts sowie seines Verhältnisses zu dem anderen genannten Kriterium. Um eine Klärung hinsichtlich der genannten Punkte herbeizuführen und die Begriffe «Fremdwort» und «Lehnwort» zu präzisieren, sollen im Folgenden Ansätze anderer Autoren herangezogen werden. Dort werden teilweise die bei Betz angedeuteten Bestimmungen aufgegriffen, aber auch weitere Aspekte ins Spiel gebracht. Generell lässt sich zunächst zwischen diachronischen und synchronischen Aspekten bei der Betrachtung entlehnter Wörter unterscheiden (zu den unterschiedlichen Kriterien siehe auch Müller 1979). Der diachronische Aspekt entspricht dabei der Feststellung, dass ein bestimmtes Wort zu einem gegebenen Zeitpunkt aus einer anderen Sprache übernommen wurde, d.h. es handelt sich hier um die traditionelle etymologische Sichtweise. In diachronischer Perspektive kann die Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort so fundiert werden, dass Wörter, solange sie nach der Übernahme nicht weiter verändert werden, Fremdwörter darstellen, während Wörter, die nach der Entlehnung verschiedenen Veränderungen unterzogen werden, als Lehnwörter eingestuft werden (cf. das Beispiel bei Betz). In dieser Sichtweise geht dem Lehnwort also grundsätzlich das Stadium des Fremdworts voraus (JabáoĔski 1990, 13). Allerdings werden entsprechende diachronische Kriterien auch scharf kritisiert, und eine Reihe anderer Ansätze argumentiert, dass für die Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn synchronische Aspekte als entscheidend angesehen werden sollten. Hierbei gibt es zunächst Ansätze, die Aspekte des Gebrauchs der Formen als zentral ansehen. So wird etwa bei Gneuss das Fremdwort als dem Sprachbenutzer in der ZS noch unbekannte bzw. «fremde» Form aufgefasst und dem Lehnwort als bereits in der ZS etablierter Form gegenübergestellt («das endgültig aus einer fremden Sprache entlehnte und in allgemeinen Gebrauch gekommene Wort – ohne Rücksicht auf Lautstand, Flexionsendungen, Betonungsverhältnisse», Gneuss 1955, 19). 7

Dt. Palais wurde aus altfrz. palais entlehnt, welches auf lat. PalƗtium zurückgeht; dt. Pfalz beruht hingegen auf splat. palantia, einer Nebenform von palƗtiaPl (cf. EWDS s.v. Palast und Pfalz). Zu beachten ist damit nicht nur die unterschiedliche Entwicklung der Formen in der ZS nach der Entlehnung (dt. Pfalz wird aufgrund des frühen Entlehnungszeitpunkts von der Lautverschiebung erfasst), sondern hier liegen streng genommen auch unterschiedliche AS vor.

69

Gneuss’ Erläuterungen machen allerdings deutlich, dass das angesprochene Kriterium wiederum auch einen diachronischen Aspekt beinhaltet, insofern als das Fremdwort hier als erstmalig entlehnte Form (d.h. als Innovation), das Lehnwort im engeren Sinn hingegen als bereits lexikalisierte Form in der ZS angesehen wird. Diese Unterscheidung wird sich im Verlauf der vorliegenden Arbeit als zentral erweisen, da sie auf grundlegende Stadien des Entlehnungsprozesses sowie von Sprachwandel überhaupt verweist (Innovation vs. Verbreitung der Innovation bis hin zu ihrer Lexikalisierung, cf. Oesterreicher 2001b). Hier zeigt sich somit wieder ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Entlehnung und Sprachwandel, der systematisch und umfassend Berücksichtigung finden soll. Gleichzeitig erscheint es jedoch vorteilhaft, die entsprechende Unterscheidung, die auf Sprachwandelprozesse generell anwendbar ist, nicht für die Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn anzuwenden und das letztere Begriffspaar anderweitig zu fundieren. Hierzu werden auch soziolinguistische und stilistische Kriterien vorgeschlagen. Entsprechende Ansätze grenzen sich dabei deutlich von anderen Ansätzen ab, die zwar ebenfalls synchronisch vorgehen, jedoch auf strukturelle Aspekte der Fremdheit abzielen (u.a. Heller 1980; Eisenberg/Baurmann 1984). So vertritt etwa von Polenz die Auffassung (nachdem er diachronische Kriterien für die Gliederung des Wortschatzes aktueller Sprachen scharf zurückgewiesen hat 8), dass die Unterscheidung zwischen Fremdwort und Lehnwort für eine «gegenwartsbezogene Sprachbetrachtung» nur von untergeordneter Bedeutung sei (von Polenz 1967, 72; 1979, 19). Übliche Definitionen dieser Kategorien «nach dem formalgrammatischen Prinzip der graphischen, phonetischen und flexivischen Angleichung» sieht er als «unbefriedigend» an, da so einige allgemein gebräuchliche Wörter als Fremdwörter, einige seltene Fachwörter hingegen als Lehnwörter einzustufen wären: So wären etwa dt. Lexikon und Atlas aufgrund der besonderen Pluralbildung – und trotz ihres häufigen Gebrauchs – Fremdwörter, dt. Enzyklopädie und Foliant hingegen wegen der normalen deutschen Pluralbildung Lehnwörter (im engeren Sinn) (von Polenz 1967, 72; 1979, 19). Von Polenz schlägt daher eine Einteilung vor, die darauf basiert, «von wem ein Wort benutzt wird, gegenüber welchem anderen Sprachteilhaber, in welcher Sprech- und Schreibsituation, mit welchem Sachbezug, in welchem Kontext, mit welcher Stilfärbung und vor allem mit welcher Bedeutung im Verhältnis zu den Bedeutungen der anderen Wörter des Wortfeldes, in dem das entlehnte Wort seinen Platz gefunden hat» (von Polenz 1967, 72; 1979, 19).

Dabei stellt von Polenz fest, dass sog. Fremdwörter – genau wie viele Erbwörter – eine bestimmte sprachsoziologisch und stilistisch gebundene Geltung haben und demnach «von bestimmten Sprachteilhabern und in bestimmten Redesituationen nicht oder nicht richtig verstanden werden» – ohne dass dies in erster Linie auf ihre

8

«Das einseitig diachronische Denken hat etwas mit Historismus und Konservativismus zu tun. […] So wie es irrig und gefährlich ist, eine Gesellschaftsstruktur nach der Herkunft der Einzelpersonen und ihrer Vorfahren zu bestimmen, so ist es sprachwissenschaftlich falsch und nutzlos, die Wortschatzstruktur einer lebenden Sprache nach der Herkunft der Einzelwörter zu gliedern» (von Polenz 1967, 72).

70

Herkunft zurückzuführen sei (von Polenz 1967, 74). Demnach schlägt er vor, die Kategorie des Fremdworts auf Fälle zu beschränken, «in denen einzelne Sprachteilhaber ein Wort oder eine Wendung einer fremden Sprache nur gelegentlich und wie ein Zitat verwenden, wobei sie beim Gesprächspartner oder Leser die Kenntnis dieser fremden Sprache voraussetzen […]» (von Polenz 1967, 75; 1979, 23).

Synchronisch gesehen werden Lehnwörter hingegen definiert als «alle Wörter fremdsprachlicher Herkunft, die mindestens in einer größeren Gruppe von Sprachteilhabern zum üblichen Wortschatz gehören» (von Polenz 1967, 75; 1979, 23).

Die vorgestellten Definitionen sind allerdings in verschiedener Hinsicht zu problematisieren. Zunächst ist wieder auf die Rückkopplung zwischen der Geläufigkeit der Wörter und dem diachronischen Prozess ihrer Verbreitung in der ZS zu verweisen, d.h. auf die engen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Sprecherhandlungen und der diachronischen Entwicklung der Sprache bzw. zwischen Synchronie und Diachronie; entsprechende Wechselwirkungen machen die Notwendigkeit deutlich, bei Betrachtungen von Entlehnungen auch allgemeine Aspekte von Sprachwandel einzubeziehen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass «Fremdheit» hier weder im Sinne einer strukturellen Fremdheit zu interpretieren ist noch eine etymologische Fremdheit voraussetzt. Auch für einige Formen des nativen Wortschatzes gilt, dass sie dem durchschnittlichen Sprecher nicht oder nicht mehr geläufig sind, d.h. es finden sich sowohl entlehnte als auch nicht entlehnte «Fremdwörter». Die inhaltliche Bestimmung des Fremdworts bei von Polenz scheint damit eher auf eine Eingrenzung «schwieriger Wörter» (engl. hard words) abzuheben (cf. Kirkness 1979, 86). Andererseits ergibt sich, dass bei dem Lehnwort – über das Kriterium der fremdsprachlichen Herkunft (cf. die oben zitierte Definition) – doch auch diachronische Aspekte berücksichtigt werden. Daraus folgt eine gewisse Asymmetrie der Kategorien, da das etymologische Kriterium, das im Falle des Fremdworts aufgegeben wurde, beim Lehnwort doch berücksichtigt wird. Generell scheinen die bei von Polenz angeführten soziolinguistischen und stilistischen Kriterien überhaupt nicht mehr primär auf eine Eingrenzung und Subdifferenzierung entlehnter Einheiten des Wortschatzes abzuzielen. Vielmehr können entsprechende Bestimmungen in Bezug auf alle Einheiten des Wortschatzes vorgenommen werden. Dabei können sie sich für verschiedene Analysen als wichtig erweisen. So sind etwa bei der Erörterung des Ablaufs von Entlehnungs- und Sprachwandelprozessen und bei der Behandlung pragmatischer Rahmenbedingungen von Entlehnung die Fragen zentral, welche Rolle bestimmte soziale Gruppen für die Verbreitung einer Innovation spielen, und inwiefern sich aus bestimmten Entlehnungskonstellationen typische pragmatische Effekte bei der Verwendung der entlehnten Wörter in der ZS ergeben können. Grundsätzlich erscheint es aber vorteilhaft, bei der Bestimmung von Fremdwort und Lehnwort eine Klassifikation zugrunde zu legen, welche die skizzierten Asymmetrien und Vermischungen mit anderen Fragestellungen vermeidet. Dabei sehe ich es als sinnvoll an, das etymologische Kriterium beizubehalten und gleichzeitig mit einem weiteren Kriterium zu kombinieren. Das etymologische Kriterium ermöglicht, 71

zunächst einmal – in diachronischer Perspektive – entlehnte Wörter einzugrenzen, um dann innerhalb dieser Gruppe noch einmal – aufgrund synchronischer Kriterien – zwischen Fremd- und Lehnwort (im engeren Sinn) zu unterscheiden. 9 Für die zuletzt genannte Unterscheidung bietet es sich an, auf die in der traditionellen Forschung weit verbreiteten strukturellen Kriterien zurückzukommen. Wie angedeutet, werden diese von Vertretern einer soziolinguistisch-stilistischen Fremdheitsbestimmung zurückgewiesen; umgekehrt verweisen jedoch Kritiker entsprechender Ansätze gerade darauf, dass soziolinguistische Bestimmungen in der Praxis nur schwer vorzunehmen seien, da der Status der Wörter bei verschiedenen Gruppen innerhalb einer Sprachgemeinschaft variieren kann. Darüber hinaus ist grundsätzlich davon auszugehen, dass entsprechende Bestimmungen starken Schwankungen unterliegen, d.h. einzelne Wörter können relativ schnell in den Gebrauch (zumindest durch bestimmte Sprechergruppen) eingehen (cf. Duckworth 1977, 43). Strukturelle Kriterien scheinen teilweise besser handhabbar, da sie auf einer Analyse des sprachlichen Materials selbst beruhen. Darüber hinaus scheint es plausibel, dass Wörter wie dt. Atlas oder frz. people, auch wenn sie von vielen Sprechern verwendet werden, aufgrund bestimmter formaler Mekmale (ungewöhnliche Pluralbildung bzw. ungewöhnliche Schreibung und ungewöhnliche Graphem-PhonemKorrespondenzen) innerhalb des ZS-Wortschatzes eine Sonderstellung einnehmen und für die Sprecher der ZS durchaus eine «fremde» Markierung aufweisen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil – auch im Gegensatz zu soziolinguistischen und stilistischen Kriterien – liegt darin, dass strukturelle Kriterien auf eine Eigenschaft referieren, die nur bei entlehnten Wörter – und nicht etwa bei Lehnprägungen – auftritt: das potenzielle Vorhandensein formal fremder Ausdruckselemente, die aus der fremdsprachlichen Form übernommen werden (Schottmann 1977, 26). Schließlich ist anzumerken, dass entsprechende Kriterien in der aktuellen Lehnwortforschung breite Akzeptanz finden (sofern überhaupt eine entsprechende terminologische Differenzierung vorgenommen wird, cf. Scherner 1974, 266–267; Blank 1995, 46). Wie kann nun das entsprechende, bei Betz nur angedeutete Kriterium präziser formuliert werden? Seine Definition nennt einerseits das Merkmal der Beibehaltung der fremden Lautgestalt («in seiner fremden Lautgestalt bewahrt»), andererseits spricht Betz von einer Anpassung an die «neue Umwelt» des entlehnten Worts. Daher erscheint es zunächst einmal sinnvoll, die entsprechenden Bezugspunkte bei der Betrachtung präziser zu fassen: Im einen Fall wird das entlehnte Wort in seinem Verhältnis zur fremdsprachlichen Form betrachtet (für diese Betrachtung werde ich nachfolgend in Kap. 5 den Begriff der «Konformität gegenüber der AS-Form» einführen), im anderen Fall wird es hingegen im Hinblick auf seine Stellung im Sprachsystem der Sprache, in die das Wort entlehnt wird, analysiert (hierfür führe ich in Kap. 5 den Begriff der «Konformität gegenüber dem ZS-System» ein). 9

Für eine Berücksichtigung sowohl von synchronischen als auch von diachronischen Aspekten argumentiert auch Pratt (1980, 29–32), der beide Perspektiven allein jeweils als nicht zufriedenstellend ansieht. Die grundsätzliche Berechtigung unterschiedlicher Betrachtungsweisen von sprachlicher Fremdheit wurde darüber hinaus bereits im Rahmen der Überlegungen in Kap. 3.5 festgestellt.

72

Ferner stellt sich die Frage, ob die bei Betz genannten Charakterisierungen der beiden Kategorien tatsächlich eine kontradiktorische Alternative darstellen, die alle entlehnten Wörter eindeutig klassifizieren und so das gesamte Spektrum an Fällen abdecken kann (Prinzip des ausgeschlossenen Dritten). Eine nähere Analyse von Fällen wie den eingangs genannten (it. gauchismo, dt. Büro [by'ro:], frz. peopole) zeigt jedoch, dass hier zwei unterschiedliche Aspekte vermischt werden, die als prinzipiell voneinander unabhängig anzusehen sind. Dies wird noch deutlicher, wenn spätere Definitionsvorschläge analysiert werden. Diese berufen sich häufig jeweils nur auf einen der beiden Aspekte, anhand dessen sowohl Fremdwort als auch Lehnwort bestimmt werden. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Definitionen und abweichende Klassifikationen für bestimmte Phänomene, so dass eine Klärung vorzunehmen ist. Als Stellvertreter der beiden möglichen Positionen sollen Carstensen (1968) und Kiesler (1993) analysiert werden. Für Carstensen ist ausschließlich die Frage der Beibehaltung oder Nicht-Beibehaltung der AS-Form entscheidend, wobei im ersten Fall ein Fremdwort, im zweiten Fall ein Lehnwort vorliege: «Um die Scheidung in Fremd- und Lehnwort aufrechtzuerhalten, müssen wir von dieser Kategorie fordern, dass das aus dem Englischen kommende Sprachmaterial in Schreibung und Lautung seine ursprüngliche Form beibehält» (Carstensen 1968, 37).

Kiesler hingegen wählt gerade das andere Kriterium der Übereinstimmung mit den Regeln und Strukturen der ZS; das Lehnwort wird hierbei durch (vollständige) Übereinstimmung mit den Regeln der ZS charakterisiert, während das Fremdwort keine Übereinstimmung aufweise: «[…] una palabra prestada de otro idioma es extranjerismo si la pronunciación y la grafía no corresponden a las reglas de pronunciación de la lengua receptora, mientras que es préstamo léxico si corresponden a estas reglas» (Kiesler 1993, 508–510; cf. Duckworth 1977, 46).

Beide Definitionsvorschläge sind insofern klar, als die Aspekte der Veränderung gegenüber der AS-Form und der Angleichung an das System der ZS nicht vermischt werden. Die Kriterien scheinen darüber hinaus gut nachvollziehbar, und entsprechende Analysen liefern in vielen Fällen plausible Einteilungen. Ferner ergeben sich für viele Beispiele übereinstimmende Einteilungen, so etwa für die Analyse der folgenden italienischen Varianten der Entlehnung aus frz. brioche: (102) it. brioche ĸ frz. brioche (DO; DELI) (103) it. brioscia ĸ frz. brioche (DO; DELI s.v. brioche) Sowohl nach Carstensen als auch nach Kiesler wären Formen wie in (102) als Fremdwort zu klassifizieren, während Formen wie in (103) integrierte Lehnwörter (Lehnwörter im engeren Sinn) darstellen. Es gibt jedoch auch problematische Fälle: (104) it. gauchisme ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277) (105) it. gauchismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI) 73

(106) it. goscismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI) (107) dt. Bureau [by'ro:] ĸ frz. bureau (Nüssler 1987, 111) (108) dt. Büro [by'ro:] ĸ frz. bureau (Duden; EWDS) (109) dt. Büro ['bƘro] ĸ frz. bureau (Duden; EWDS; JabáoĔski 1990, 13) 10 (110) frz. people ĸ engl. people (PR) (111) frz. peopole ĸ engl. people (Internet) (112) frz. pipole ĸ engl. people (PR s.v. people) Hier liegen jeweils drei ZS-Varianten vor, die sich hinsichtlich des Grads der Übereinstimmung mit der AS-Form und hinsichtlich des Anpassungsgrads an das System der ZS unterscheiden. Bei it. gauchisme wird die AS-Form beibehalten; darüber hinaus weist das Wort im Hinblick auf das morphologische und graphematische System des Italienischen Fremdheitsmerkmale auf (-isme bzw. die GPKs ļ [o] und ļ [ƌ]). Auch die Form dt. Bureau, die zu Beginn des 20. Jh. auftritt, lässt sich relativ unproblematisch als Fremdwort analysieren, da sie fast vollständig mit der AS-Form übereinstimmt. Gleichzeitig weist sie in Bezug auf das Deutsche formale Fremdheitsmerkmale auf: die Endbetonung, das Graphem , die GPKs ļ [o:] und ļ [y] sowie die Silbenstruktur (Vollvokal [o] in der zweiten Silbe). 11 Schließlich stimmt auch frz. people – zumindest in der Schreibung – mit der AS-Form engl. people überein; gleichzeitig weist es im Hinblick auf das Französische deutliche Fremdheitsmerkmale wie etwa das fremde Graphem und die GPK ļ [i] auf. Bei den jeweils letzten Varianten (it. goscismo, dt. Büro ['bƘro], frz. pipole) hingegen lässt sich feststellen, dass die genannten Fremdheitsmerkmale im Hinblick auf die ZS abgebaut wurden, so dass sich gleichzeitig starke Abweichungen gegenüber den AS-Formen ergeben. So wird in Bsp. (106) die Endung -isme durch -ismo ersetzt; ebenso werden die Grapheme und durch und , entsprechend der italienischen PGK-Regeln [o] ļ und [ƌ] ļ , wiedergegeben. Die Form in (109) kann gleichfalls als integriertes Lehnwort analysiert werden, da gegenüber der französischen Form erhebliche Abweichungen vorliegen. Formale 10 11

Die angegebene Aussprache ist im Duden und im EWDS nicht verzeichnet, es findet sich aber ein Hinweis darauf bei JabáoĔski (1990, 13). Allerdings sind beim ersten Kriterium bestimmte Anpassungen vorzunehmen (die durchaus hinterfragbar sind): Während die französische Form in der Standardaussprache mit dem uvularen Frikativ [Ɗ] realisiert wird, können im Deutschen verschiedene Allophone des Phonems /r/ realisiert werden. Entsprechende Veränderungen gegenüber der Ausgangsform können als phonologisch nicht relevant ausgeklammert werden; eine mögliche Ersetzung stellt hier nur eine minimale Veränderung dar, die parallele Einheiten der Systeme der AS und der ZS betrifft (cf. Volland 1986, 57). Ebenso liegt aufgrund der Großschreibung des Worts keine perfekte Übereinstimmung mit der AS-Form vor. Carstensen lässt diesen speziellen Fall aber als Ausnahme zu, so dass eine Analyse als Fremdwort möglich bleibt (Carstensen 1968, 37).

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Fremdheitsmerkmale sind abgebaut und durch Strukturen ersetzt, die dem System des Deutschen entsprechen. So ist der Wortakzent auf die erste Silbe verschoben, das fremde Graphem wird durch ersetzt, und durch die Ersetzung von durch wird eine Anpassung an die PGK-Regel [y] ļ erzielt. 12 Schließlich lassen sich auch in (112) Veränderungen gegenüber der englischen Ausgangsform beobachten, die als eine Angleichung an die Regeln der ZS interpretiert werden können: wird entsprechend der französischen PGK-Regel [i] ļ durch ersetzt; darüber hinaus wird das in der Aussprache der französischen Form realisierte [ŝ] auch graphisch wiedergegeben, entsprechend der PGK-Regel [ŝ] ļ . Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei der Analyse der Formen in (105), (108) und (111). Bei it. gauchismo liegt auf morphologischer Ebene eine Anpassung an das Italienische vor, im Bereich der Schreibung werden jedoch fremde Ausdrucksmerkmale beibehalten (DO spricht bezeichnenderweise von einem «parziale adatt.[amento]»). Bei dt. Büro [by'ro:] sind ebenso einige Veränderungen gegenüber der französischen Form (insbesondere in der Schreibung) festzustellen, andererseits kann die Form jedoch im Hinblick auf das System des Deutschen (insbesondere aufgrund der Aussprache) nicht als vollständig integriert gelten. Schließlich liegt auch bei frz. peopole eine teilweise Anpassung an das Französische (durch die graphische Wiedergabe des [ŝ]) vor; gleichzeitig ist aber noch das Graphem als deutliches Fremdheitsmerkmal erhalten. Beispiele

it. brioche it. gauchisme dt. Bureau [by'ro:] frz. people

Beibehaltung der AS-Form? (Carstensen) Anpassung an das ZS-System? (Kiesler)

Ja Ö Fremdwort

12

it. brioscia it. goscismo dt. Büro ['bƘro] frz. pipole

Nein Ö integriertes Lehnwort

Nein Ö Fremdwort Ø übereinstimmende Einteilung

Abb. 8:

it. gauchismo dt. Büro [by'ro:] frz. peopole

Ø abweichende Einteilung

Ja Ö int. Lehnw. Ø übereinstimmende Einteilung

Die Unterscheidung von Fremdwort und Lehnwort nach Carstensen (1968) und Kiesler (1993)

Auch hier sind jedoch aufgrund des finalen -o Einwände möglich, die sich in diesem Fall auf die Übereinstimmung mit den Strukturen der ZS beziehen. Munske (1983, 576–577) argumentiert aber, dass im zentralen System des Deutschen bereits ein differenziertes Vokalsystem für Nebentonsilben vorliegt, so dass eine Analyse als Lehnwort möglich bleibt.

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Wie in Abb. 8 dargestellt, ergeben sich damit nach Carstensen und Kiesler für die genannten Formen voneinander abweichende Klassifikationen; nach Carstensen wären die Formen als Fremdwörter, nach Kiesler hingegen als Lehnwörter im engeren Sinn zu betrachten. Beide zugrunde gelegten Kriterien erscheinen dabei durchaus einleuchtend und sinnvoll, so dass zunächst keine einfache Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Kriteriums getroffen werden kann. Als vorläufiges Fazit der Diskussion der traditionellen Unterscheidung von Fremdwort und Lehnwort kann somit festgehalten werden, dass sich strukturelle Kriterien prinzipiell als gut handhabbar erweisen. Jedoch konkurrieren zwei unterschiedliche Auslegungen entsprechender Kriterien, die im Einzelfall zu abweichenden Einteilungen führen, so dass das Verhältnis und die Gewichtung der beiden Aspekte zu klären sind.

4.2

«Lehnwortintegration»

In aktuellen Arbeiten der Entlehnungsforschung wird häufig auf den Begriff der «Lehnwortintegration» Bezug genommen (Volland 1986; Meisenburg 1993). Dabei wird dieser Begriff im Wesentlichen auf zwei Phänomene angewandt. Erstens kann «Lehnwortintegration» die Tatsache bezeichnen, dass fremdsprachliche Wörter in der ZS verwendet werden und dann dauerhaft in den Wortschatz der ZS eingehen. Dieser Aspekt soll in der vorliegenden Arbeit als Verwendung in der ZS bzw. – in Anknüpfung an die in der Sprachwandelforschung gängige Terminologie – als (erstmalige) Verwendung in der ZS (Innovation) bzw. als Lexikalisierung des Lehnworts in der ZS gefasst werden. Zweitens wird der Begriff der «Lehnwortintegration» in Bezug auf formale Veränderungen bei Lehnwörtern verwendet, durch die diese den Strukturen der ZS angepasst werden. Insbesondere in der englischsprachigen Literatur finden sich hier auch die Begriffe der «Assimilation» bzw. assimilation, nativization und «(Lehnwort-)Adaptation»/(loanword) adaptation (cf. u.a. Hall/Hamann 2003; Heinemann 2003; Peperkamp/Dupoux 2003; LaCharité/Paradis 2005). In der vorliegenden Arbeit werden die genannten Begriffe als synonym aufgefasst, wobei ich im Wesentlichen den Begriff der «Integration» verwende. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, ergibt eine nähere Analyse, dass die umrissene Bestimmung des Begriffs relativ vage gehalten ist und verschiedene Fragen offen lässt. Zur Klärung des Begriffs ist es aufschlussreich, traditionelle Ansätze zu analysieren, die von zwei grundlegenden Verfahren im Umgang mit den Strukturen entlehnter Wörter ausgehen. Diese Verfahren werden in der richtungsweisenden Arbeit von Haugen (1950) als importation vs. substitution (Übernahme vs. Ersetzung) gefasst. Vor allem in der deutschsprachigen Forschung werden dann auch die Begriffe «Transfer»/«Transferenz» vs. «Integration» verwendet (cf. Volland 1986). In der englischsprachigen Forschung findet sich darüber hinaus die begriffliche Alternative adoption vs. adaptation (cf. McMahon 1994, 204–205; Fischer/Pulaczewska, edd., 2008); diese soll aber im Folgenden nicht näher kommentiert werden, da sie inhaltlich mit den anderen genannten Begriffspaaren übereinstimmt. Grundsätzlich ist dabei anzumerken, dass die Begriffe in der Regel jeweils als komplemen76

tär verstanden werden und der Anspruch erhoben wird, damit die grundlegenden Verfahren zu erfassen, die dem Sprachbenutzer bei der Entlehnung zur Verfügung stehen. Die Optionen der Übernahme vs. Ersetzung (importation vs. substitution) werden bei Haugen wie folgt definiert: «If the loan is similar enough to the model so that a native speaker would accept it as his own, the borrowing speaker may be said to have IMPORTED the model into his language, provided it is an innovation in that language. But insofar as he has reproduced the model inadequately, he has normally SUBSTITUTED a similar pattern from his own language. This distinction between IMPORTATION and SUBSTITUTION applies not only to a given loan as a whole but to its constituent patterns as well, since different parts of the pattern may be treated differently» (Haugen 1950, 212).

Demnach wird die Übernahme als Übernahme der Strukturen des fremdsprachlichen Wortvorbilds gefasst, während im anderen Fall die Strukturen des fremdsprachlichen Vorbilds durch eigensprachliche (der ZS) ersetzt werden. Haugen schlägt ferner vor, die Begriffe auf verschiedenen Ebenen der linguistischen Beschreibung anzuwenden. Dabei ist zunächst die Anwendung auf der morphologischen Ebene grundlegend, da sie die Unterscheidung von loanwords (z.B. am.engl. shivaree aus frz. charivari), loanblends (z.B. frz. couronne jacket aus engl. jacket crown) und loanshifts (z.B. frz. presqu’île nach lat. paeninsula, Beispiele nach Haugen 1950 und Blank 1995) begründet: Die drei genannten Haupttypen von Entlehnungen nach Haugen sind jeweils durch eine morphologische Übernahme, Übernahme und Ersetzung bzw. Ersetzung gekennzeichnet. Diese Unterscheidung soll hier nicht näher diskutiert werden, da es im Folgenden nur um die erste der genannten Gruppen geht. 13 Wesentlich für die vorliegende Arbeit ist die bei Haugen dargestellte Anwendung des Kriteriums auf der phonologischen Ebene. So lassen sich etwa für sp. estufa, das als [eh'tupa] in die Sprache der Yaqui entlehnt wird (Haugen 1950, 215–216), verschiedene Ersetzungen auf phonologischer Ebene feststellen: [s] wird durch [h] ersetzt, [f] durch [p]. Interessanterweise verweist Haugen aber selbst auf eine Schwierigkeit bei der Anwendung der Alternative Übernahme vs. Ersetzung, die auftritt, wenn die Strukturen in AS und ZS übereinstimmen: «If the loan contains patterns that are not innovations in the borrowing language, it becomes impossible to distinguish the two kinds of reproduction» (Haugen 1950, 213). Ein offensichtliches Beispiel hierfür liefert die Entlehnung von sp. tango ins Italienische in Bsp. (113), bei der keine formalen Veränderungen stattfinden, das Wort aber dennoch bereits zum Zeitpunkt der Entlehnung mit den Strukturen der ZS übereinstimmt (ähnlich auch Bsp. (114)): (113) sp. tango ['taƾgo] ĺ it. tango ['taƾgo] (DO; ZI; DELI)

13

In Kap. 4.1 habe ich bereits dafür argumentiert, die loanblends unter die Gruppe der loanwords einzuordnen (cf. Fußnote 4). Für eine nähere Erörterung der potenziellen Probleme, die sich hingegen aus einer Dreiteilung der Entlehnungen ergeben, und einer alternativen Klassifizierung cf. Winter (2005, 32) und Winter-Froemel (2009a).

77

(114) engl. pink [pųƾk] ĺ dt. pink [pųƾk] (Scholz 2004, 2) Betrachtet man auf dieser Grundlage nochmals das zitierte Beispiel [eh'tupa], so könnte auch hier gefragt werden, ob die Elemente [e, t, u, a] als Übernahmen charakterisiert werden können oder ob es sich nicht vielmehr auch hier um übereinstimmende Strukturen in beiden Sprachen handelt. Damit zeigt sich, dass das von Haugen nur am Rande erwähnte Phänomen keineswegs nur marginale Bedeutung besitzt, sondern für die Beschreibung von Entlehnungen im Allgemeinen von fundamentaler Bedeutung ist. Wie kann die Schwierigkeit nun aufgelöst werden? Meines Erachtens ist es hierzu notwendig, eine zusätzliche Unterscheidung von zwei Aspekten einzuführen, die bei Haugen vermischt werden. In der Tat verweist seine Definition von Übernahme und Ersetzung zum einen auf einen Vergleich von AS- und ZS-Form («If the loan is similar enough to the model so that a NATIVE speaker would accept it as his own,…»). Zum anderen wird jedoch auch der Status der übernommenen Einheiten im System der ZS berücksichtigt («…provided it is an innovation in that language»). 14 In vielen Fällen scheinen beide Aspekte durchaus eng verbunden, da Übernahmen von AS-Elementen in vielen Fällen gleichzeitig durch eine Abweichung von ZS-Strukturen gekennzeichnet sind (so etwa in frz. people, in it. brioche und gauchisme). Andererseits zeigen zahlreiche Beispiele jedoch, dass keine strenge Koppelung vorliegt, sondern Strukturen in vielen Fällen sowohl mit der AS-Form als auch mit dem ZS-System übereinstimmen können. Zur terminologischen Klärung schlage ich daher vor, Haugens Unterscheidung nur auf das erste der Kriterien zu beziehen, d.h. Übernahmen und Ersetzungen ausschließlich im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der AS-Form zu bestimmen. Demnach kann sowohl für [e, t, u, a] in [eh'tupa] als auch für die phonischen und graphischen Segmente von it. tango eine Übernahme festgestellt werden. Ganz ähnliche Probleme wie bei Übernahme vs. Ersetzung lassen sich auch bezüglich des Begriffspaars der Transferenz vs. Integration feststellen, die daher ebenso einer Klärung zuzuführen sind. 15 Hierzu ist zunächst anzumerken, dass in

14

15

Ein früher Hinweis auf die beiden Kriterien findet sich bei Humbley (1974, 47); allerdings wurde sein Ansatz in der bisherigen Entlehnungsforschung meiner Kenntnis nach nicht aufgegriffen und weiterentwickelt. Teilweise findet sich auch der Begriff des «Transfers». Dieser besitzt in der Sprachlernforschung eine zentrale Bedeutung, wobei dort der (positive) Transfer der (negativen) Interferenz gegenübergestellt wird (beide Begriffe haben damit aber eine partiell andere Bedeutung als im Kontext der Entlehnungsforschung): Beim Transfer werden demnach Einheiten aus der Muttersprache in die Fremdsprache übertragen, die in beiden Sprachen übereinstimmen (so dass es zu einer Lernerleichterung kommt); im Falle der Interferenz dagegen weichen die übertragenen Elemente in beiden Sprachen voneinander ab (so dass es zu einem Verstoß gegen die Norm der Fremdsprache bzw. zu einem «Fehler» kommt) (Juhász 1970, 29–32; cf. Lado 1967). Für den vorliegenden Kontext bedeutsam erscheint Juhász’ Feststellung: «Bei einer großen Zahl von sprachlichen Einheiten kommen Transfer und Interferenz gleichzeitig zur Geltung, weil die entsprechenden Formen Ähnlichkeiten u n d Unterschiede aufweisen […]» (Juhász 1970, 31, Sperrung im Orig.). Diese weist darauf

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vielen Arbeiten nur der letztere der beiden Begriffe genannt wird, wobei in vielen Fällen keine explizite Definition angegeben wird. Implizit werden unter «Integrationen» meist Veränderungsprozesse verstanden, die im Zusammenhang mit einer Entlehnung auftreten und durch die das entlehnte Wort an die ZS angepasst wird: (115) engl. ski ĺ sp. esquí (DLE; MOL) (116) frz. béchamel ĺ it. besciamella (DO; ZI; DELI; Hope 1971, vol. 2, 472) (117) engl. meeting ['mi:tųƾ] ĺ frz. meeting [mi'tiƾ] (PR; LAR) So lässt sich beispielsweise in der lautlichen Realisierung von (115) eine Epenthese beobachten, die phonologisch-phonotaktisch motiviert ist; der initiale Konsonantencluster [sK-], der im System des Spanischen nicht vorkommt, wird dahingehend verändert, dass eine Anpassung an ein entsprechendes Paradigma des Spanischen vorgenommen wird (cf. escuela, estómago, estricto, estoicismo). Diese Veränderung gegenüber der AS-Form schlägt sich auch in der Schreibung nieder, wobei darüber hinaus zusätzliche Anpassungen vorgenommen werden (Ersetzung des fremden Segments durch in Übereinstimmung mit den PGK-Regeln des Spanischen, graphische Markierung des finalen Wortakzents). Auch in (116) ist eine Reihe von Veränderungen feststellbar, so etwa die Ersetzung des fremden graphischen Segments durch italienisches und die morphologisch motivierte Einfügung des finalen -a. In Bsp. (117) schließlich ist im Bereich der Graphie keine Anpassung erkennbar, auf lautlicher Ebene liegen jedoch eine Verschiebung des Wortakzents auf die Ultima, wiederum im Einklang mit dem System des Französischen, und eine veränderte Realisierung der Vokale vor (Verlust der Längung und Realisierung beider Vokale als geschlossenes [i]). Damit kann festgehalten werden, dass bei der Lehnwortintegration generell bestimmte Merkmale des AS-Worts verändert und durch andere, mit dem System der ZS übereinstimmende Merkmale ersetzt werden. Auf dieser Grundlage kann die folgende vorläufige Definition des Begriffs «Lehnwortintegration» formuliert werden (eine weitere Präzisierung erfolgt in Kap. 5.1.2): 16 LEHNWORTINTEGRATION: Veränderung eines entlehnten Wortes gegenüber der ASForm, um eine Anpassung an die Strukturen der ZS zu erreichen

Diese Definition lässt sich problemlos auf die Beispiele (115) bis (117) anwenden. In (115) erfolgt eine Epenthese, durch die der Konsonantencluster [sK-], der nicht dem System der ZS entspricht, abgebaut wird. In (116) wird durch die Hinzufügung des finalen -a eine Anpassung an die morphologische Struktur italienischer Wörter erreicht. Darüber hinaus wird hier das Graphem durch ersetzt, so dass eine Übereinstimmung mit der PGK-Regel des Italienischen [ƌ] ļ erzielt

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hin, dass die Begriffe nicht nur auf Wörter als Ganze, sondern auch auf Einheiten auf niedrigeren Ebenen anwendbar sind; dieser Gedanke soll in Kap. 5.1.1 aufgegriffen werden. In Arbeiten, in denen auch der komplementäre Begriff der Transferenz erscheint, lässt sich letzterer als Übernahme von AS-Einheiten, die von den Strukturen der ZS abweichen, bestimmen (cf. Clyne 1975, 16; Volland 1986, 4–7).

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wird. In (117) schließlich erfolgt unter anderem eine Verschiebung des Wortakzents; auch hier entspricht die so realisierte Betonung den Regeln des Französischen. Damit liegen bei allen genannten Merkmalen eine Nichtübereinstimmung mit der AS-Form und gleichzeitig eine Übereinstimmung mit dem ZS-System vor. Abschließend sollen nun noch einige Probleme aufgezeigt werden, die sich bei traditionellen Arbeiten zur Lehnwortintegration stellen. Diese können anhand der folgenden definitorischen Festlegungen veranschaulicht werden: «Les mots étrangers sont ‹hors système›: ils ont leurs particularités phonétiques et morphologiques. Les emprunts sont assimilés quand ils sont conformes aux structures du français (sentimental, par exemple, est un anglicisme), ou quand ils se coulent dans ses moules phonétiques, orthographiques et morphologiques: beefsteak devient bifteck, look donne relooker; en revanche, apartheid ou tchador comportent des sons qui ne sont pas dans le phonétisme français» (Lehmann/Martin-Berthet 1998, 6).

Zunächst wird Fremdwörtern hier aufgrund ihrer lautlichen und morphologischen Besonderheiten ein Status außerhalb des Sprachsystems zuerkannt. Damit ist eine grundsätzliche Frage angerissen, die vor allem im Kontext des Prager Strukturalismus thematisiert wurde. Um einerseits der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich Fremdwörter in verschiedener Hinsicht vom nativen Wortschatz einer Sprache unterscheiden, und andererseits auch zu berücksichtigen, dass Fremdwörter dennoch durch ihre Verwendung in der ZS in gewisser Hinsicht als Teil derselben gelten müssen, wurde hier die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie der Sprachen eingeführt, d.h. es wurde ein Randbereich definiert (später auch mehrere Randbereiche/Peripherien, cf. Eisenberg 2001), in dem Fremdwörter situiert werden können. Eine ähnliche Konzeption liegt auch der obigen Definition zumindest implizit zugrunde. Gleichzeitig wird auch die Möglichkeit eines Übergangs in das eigentliche, «engere» Sprachsystem der ZS, nämlich durch Assimilation bzw. Lehnwortintegration, angedeutet. Hierbei werden zwei Typen unterschieden. Was den ersten Fall (frz. sentimental) angeht, so handelt es sich um eine Form, die aus dem Englischen (sentimental) übernommen wird, jedoch alternativ auch als Derivation zu frz. sentiment interpretiert werden kann und früh auch so interpretiert wurde (cf. DHLF s.v. sentir). Somit tritt keine Veränderung der Form nach der Entlehnung ein, sondern diese kann von Beginn an in struktureller Hinsicht als unauffällig gelten. Insofern ließe sich hier generell fragen, inwiefern überhaupt eine Assimilation vorliegt bzw. ob die Form nicht einfach von Beginn an als mit den Strukturen der ZS übereinstimmend zu analysieren wäre (cf. auch das etwas anders gelagerte Beispiel sp. tango ĺ it. tango, bei dem ebenfalls keine Veränderungen vorgenommen werden müssen, um eine Übereinstimmung mit den Strukturen der ZS zu erreichen). Noch größere Schwierigkeiten wirft die inhaltliche Bestimmung des zweiten Typs auf. Hier wird eine Veränderung der entlehnten Form und Anpassung derselben an Lautung, Schreibung und Morphologie der ZS gefordert. Die angeführten Beispiele erscheinen jedoch in dieser Hinsicht teilweise problematisch. Im Fall von look/relooker erfolgt ausgehend von dem entlehnten Wort eine Derivation, bei der auf das Präfix re- zurückgegriffen und das Verb der französischen Flexionsklasse der -er-Verben zugeordnet wird. Gleichwohl werden im Bereich der Schreibung

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deutliche Fremdheitsmerkmale bewahrt: Das Graphem und die entsprechende GPK ļ [u] kommen in nativen Wörtern des Französischen nicht vor (ebenso und ļ [k]), so dass die Assimilation zumindest nicht für alle im Zitat genannten Ebenen gleichermaßen erfüllt ist. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die einzelnen Ebenen bei der Bewertung des Status entlehnter Formen zu gewichten sind. Ferner ist anzumerken, dass auch die Form look, die selbst keine Veränderung in der Schreibung oder Morphologie erfährt, im Französischen weiter existiert. Hier kann allenfalls eine Veränderung der Aussprache [Ɠ] > [u] sowie die Anbindung an eine andere Einheit des Lexikons (das neu gebildete relooker) festgestellt werden. Damit wird zwar bei frz. look/relooker ein weiteres für Fremdwörter häufig als charakteristisch angesehenes Merkmal – die isolierte Stellung innerhalb des Wortschatzes (Hope spricht diesbezüglich von einem «loss of morphemic and semantic transparency» bei der Entlehnung, Hope 1971, Vol. 2, 611; Leisi/Mair sehen hier ein Phänomen der Dissoziation, Leisi/Mair 1999, 51–59) – abgebaut. Insgesamt kann aber dennoch eine deutliche Abweichung gegenüber den Regeln und Strukturen der ZS konstatiert werden (durch die Grapheme und sowie die zugehörigen GPKs). Im Fall des anderen angeführten Beispiels frz. bifteck ist vor allem die Veränderung der Schreibung auffällig. Hier ist jedoch bereits für die Ebene der Schreibung fragwürdig, ob tatsächlich von einer Assimilation gesprochen werden kann: Zwar werden durchaus Fremdheitsmerkmale abgebaut (insbesondere wird gemäß der französischen PGK-Regel [i] ļ durch ersetzt), doch gleichzeitig wird sogar ein neues Fremdheitsmerkmal eingeführt: Das nicht dem französischen Graphemsystem zugehörige wird durch ersetzt, welches ebensowenig dem System der ZS angehört. Daher erscheint es problematisch, diesen Vorgang als Assimilation zu betrachten, und es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie entsprechende Fälle zu behandeln sind. Zur Klärung der genannten und weiterer Fragen sollen nachfolgend zwei grundlegende Typen der Konformität präzisiert werden, die als grundlegende Kriterien bei der Analyse von entlehnten Wörtern herangezogen werden können und dadurch ergänzende Differenzierungen erlauben, mit denen die Schwierigkeiten bisheriger Ansätze gelöst werden können.

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5

Zwei Typen der Konformität

Bei der Analyse traditioneller Bestimmungen von «Lehnwort» (im engeren Sinn, in Abgrenzung zum «Fremdwort») und «Lehnwortintegration» hat sich gezeigt, dass einige Charakterisierungen innerhalb der Entlehnungsforschung breite Akzeptanz haben. So wird das Lehnwort im engeren Sinn sehr häufig als integrierte Form vom nichtintegrierten Fremdwort abgrenzt. Der Begriff der «Integration» wird dabei gängigerweise als eine Veränderung entlehnter Einheiten verstanden, durch die zugleich eine Anpassung an die Strukturen der aufnehmenden Sprache erfolgt. Ein näherer Blick hat jedoch gezeigt, dass sich bei der Anwendung dieser scheinbar sehr klaren Bestimmungen auf einzelne Entlehnungen verschiedene Schwierigkeiten ergeben, so dass teilweise gegensätzliche Kategorisierungen resultieren. Im Folgenden sollen daher zusätzliche begriffliche und konzeptionelle Unterscheidungen erarbeitet werden, die zu einer Klärung beitragen können. Als wesentlich sehe ich dabei die folgenden Fragen an, zwischen denen teilweise Überschneidungen bestehen: Betrifft Lehnwortintegration die entlehnten Wörter insgesamt oder kann der Begriff auch auf einzelne Merkmale oder Strukturelemente der Wörter angewandt werden (Kap. 5.1.1)? Welche Auslegungen des Fremdheitsbegriffs spielen hier eine Rolle (etymologische vs. strukturelle Fremdheit; Kap. 5.1.2)? Werden unter Lehnwortintegration nur Prozesse erfasst, die bei der Entlehnung selbst auftreten, oder werden auch spätere Veränderungen entlehnter Einheiten mit eingeschlossen, bzw. welche Rolle spielt die Unterscheidung von Synchronie und Diachronie im Kontext der Lehnwortintegration (Kap. 5.1.3)? 4) Lassen sich die Begriffe der «Fremdheit» und «Integration» auf alle linguistischen Beschreibungsebenen gleichermaßen anwenden (Kap. 5.1.4)? Wird Lehnwortintegration primär deskriptiv oder primär explanativ konzipiert (Kap. 5.1.5)? Ausgehend von der Feststellung, dass mit der traditionellen Opposition Transferenz vs. Integration keineswegs alle denkbaren Optionen erfasst werden, soll dann in Kap. 5.2 eine grundlegende Unterscheidung von zwei Typen der Konformität erarbeitet werden, die für die Betrachtung von Integrationsphänomenen zentral ist. Die klare Trennung von AS-Form und ZS-System als den wesentlichen Bezugspunkten bei entsprechenden Betrachtungen erlaubt eine Lösung traditioneller Kontroversen und gleichzeitig eine inhaltliche (Neu-)Festlegung der Begriffe des «Lehnworts» und der «Lehnwortintegration», die das vorliegende Kapitel beschließt.

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5.1

Grundlegende Unterscheidungen

5.1.1

Integration einzelner Strukturelemente vs. Integration entlehnter Wörter insgesamt

Ein erster Aspekt, der für die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der «Integration» relevant ist, betrifft die Frage, ob der Begriff nur auf entlehnte Wörter als ganze angewandt werden soll, oder ob er auch zur Analyse einzelner struktureller Merkmale der betreffenden Wörter dienen kann. Im ersten Fall ergibt sich eine binäre Unterscheidung zwischen nicht-integrierten und integrierten Formen. Entsprechende Verwendungsweisen finden sich häufig in der traditionellen und aktuellen Forschung und verweisen unmittelbar auf die traditionellen Kategorien des Fremdworts (non-adapted loanword, non-adapted borrowing) und des Lehnworts im engeren Sinn (adapted loanword, adapted borrowing), die wichtige Kategorien für die Beschreibung des Wortschatzes einzelner Sprachen darstellen. Diese Unterscheidung erscheint zunächst klar und einsichtig. Sie ermöglicht eine Trennung von zwei Typen von entlehnten Einheiten innerhalb des Wortschatzes der ZS. Vergleicht man etwa Formen wie it. mouse und it. bistecca, so kann die erste Form relativ unproblematisch als nicht-integriert, die zweite dagegen als integriert klassifiziert werden. Andererseits hat sich jedoch bereits angedeutet (cf. Kap. 4.1), dass sich bei der Analyse bestimmter Beispiele Probleme ergeben können. Dies betrifft Formen wie frz. peopole oder it. gauchismo, die in gewisser Hinsicht als nicht-integriert anzusehen sind (cf. etwa das Graphem bzw. die GPKs ļ [o] und ļ [ƌ]), andererseits aber auch Integrationserscheinungen aufweisen (Einfügung des in frz. peopole, morphologische Anpassung der Endung an das Italienische bei it. gauchismo). Ein weiteres markantes Beispiel, das sich hier anführen lässt, ist frz. clown, das vom Schriftbild her aufgrund des Graphems als nicht-integriert eingestuft werden kann. Andererseits lässt sich eine deutliche Veränderung gegenüber der englischen Aussprache feststellen, und auf rein lautlicher Ebene betrachtet ist bei [klun] keine Fremdheit mehr feststellbar. Ebenso kann dt. Match [mŤtƌ] in lautlicher Hinsicht als integriert eingestuft werden; die PGKs [Ť] ļ , [ƌ] ļ entsprechen jedoch nicht den normalen Regeln des Deutschen. (118) engl. clown [klaƓn] ĺ frz. clown [klun] (OED; PR; DHLF; Dda) (119) (am.)engl. match [mætƌ] ĺ dt. Match [mŤtƌ] (OED; Duden; Wienold 1979, 105–106) Bei den obigen Beispielanalysen wird implizit bereits eine andere Verwendung des Begriffs der «Integration» zugrunde gelegt: Der Begriff wird nun nicht mehr auf entlehnte Wörter als ganze, sondern jeweils nur auf bestimmte Merkmale (etwa die Schreibung oder Aussprache oder nur einzelne Grapheme, Graphem-PhonemKorrespondenzen etc.) angewandt. Ein zentraler Vorteil eines solchen Verständnisses liegt unmittelbar auf der Hand: Es erlaubt eine differenziertere Betrachtung und Beschreibung der betrachte-

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ten Einheiten, da nun die einzelnen Strukturmerkmale getrennt voneinander analysiert werden. Da entsprechende Analysen in der Entlehnungsforschung weit verbreitet sind, kann die Frage der Anwendbarkeit des Integrationsbegriffs auf einzelne Merkmale entlehnter Formen positiv beantwortet werden. Gleichzeitig ergibt sich jedoch die Schwierigkeit, dass die Merkmale der entlehnten Wörter im Hinblick auf ihre Integriertheit unter Umständen nicht einheitlich zu bewerten sind, so dass sich die Frage stellt, wie die Wörter als ganze ggf. einzuordnen sind: Handelt es sich bei entsprechenden teilweise integrierten Formen um Fremdwörter oder aber um Lehnwörter im engeren Sinn? Damit stellt sich hier die Frage der Gewichtung der einzelnen Merkmale. In Kap. 4.1 wurde bereits dargelegt, dass in der traditionellen Entlehnungsforschung unterschiedliche Lösungen dieses Problems vorgeschlagen wurden, aus denen sich abweichende Einteilungen ergeben: Wird wie bei Carstensen die Übereinstimmung mit der AS-Form als wesentlich betrachtet, so kann ein Lehnwort im engeren Sinn angesetzt werden, sobald eine Veränderung gegenüber der AS-Form eintritt. Wird hingegen wie bei Kiesler die Übereinstimmung mit den Regeln und Strukturen der ZS als wesentlich erachtet, so ist erst bei einer völligen Übereinstimmung mit der ZS ein Lehnwort im engeren Sinn gegeben. Eine andere, zusätzliche Lösungsmöglichkeit besteht darin, eine weitere Kategorie einzuführen, um teilweise integrierte Fremdwörter zu erfassen 1, so dass sich die in Abb. 9 gezeigte potenzielle Entwicklung ergibt. 2 Fremdwort

¾ völlige bzw. weitgehende Übereinstimmung mit der AS-Form

Ļ teilintegriertes Fremdwort

¾ teilweise Veränderung gegenüber der AS-Form, gleichzeitig nur unvollständige Anpassung an das ZSSystem

Ļ (vollständig) integriertes Lehnwort Abb. 9:

1

2

¾ vollständige Übereinstimmung mit dem ZS-System

Potenzielle Entwicklung entlehnter Wörter innerhalb der ZS

Ich spreche hier von teilintegrierten Fremdwörtern, d.h. die Abgrenzung der Begriffe «Fremdwort» und «Lehnwort» wird letztlich über das Kriterium der Übereinstimmung mit dem ZS-System fundiert. Eine ausführliche Rechtfertigung dieses Prinzips erfolgt im weiteren Verlauf des Kapitels. Dabei gehe ich davon aus, dass im Einzelfall bestimmte Stadien auch übersprungen werden können, d.h. es ist z.B. ein direkter Übergang vom Fremdwort zum vollständig integrierten Lehnwort denkbar. Ebenso halte ich eine unmittelbare Veränderung des Worts bei der Entlehnung selbst für möglich, so dass von Anfang an in der ZS ein teilintegriertes Fremdwort oder sogar ein vollständig integriertes Lehnwort vorliegen kann. Die Annahme, dass «das Stadium des ‹Fremdwortes› […] von jedem ‹Lehnwort› durchlaufen [wird]» (Blank 1995, 46), wird damit hier nicht vorausgesetzt.

85

Hinsichtlich der mittleren Kategorie lassen sich nach Bedarf weitere Präzisierungen vornehmen, um typische «mittlere» Grade der Integriertheit zu erfassen. Eine entsprechende Sichtweise deutet Blank (1995) an, indem er verschiedene Ebenen der Integration definiert: «der reine Import ohne die geringste formale Veränderung des Lehnwortes» (Ebene null), «lautlich-prosodische Veränderungen» (erste Ebene), «morphologische Veränderungen» (zweite Ebene), «graphetische Veränderungen» (dritte Ebene), «semantische Veränderungen» (vierte Ebene, Blank 1995, 46–48). Dabei präzisiert Blank weiter, dass «nicht jede Entlehnung alle Ebenen durchlaufen muß und außerdem die Phasen 3 und 4 parallel zu 1 oder 2 ablaufen können» (Blank 1995, 46). Hierzu sind mehrere Punkte anzumerken. Erstens deuten Beispiele wie frz. peopole an, dass auch auf den einzelnen Ebenen (hier der Ebene der Schreibung) eine teilweise Integration stattfinden kann, d.h. das «Durchlaufen» einer Ebene kann nicht automatisch damit gleichgesetzt werden, dass die Form auf der entsprechenden Ebene als vollständig integriert zu gelten hat. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die verschiedenen Ebenen bei der Integration zusammenwirken. Lassen sich bestimmte Korrelationen zwischen Integrationsphänomenen angeben? Und gibt es bestimmte Ebenen, die von allen Entlehnungen durchlaufen werden? Entsprechende Fragestellungen umschreiben einen zentralen Aspekt der vorliegenden Arbeit. Anhand von theoretischen Überlegungen zum Ablauf von Entlehnung aus der Perspektive der Sprachwandelforschung und der Semiotik sowie anhand von empirischen Fallstudien soll daher ein Ablaufmodell entwickelt werden, welches das Zusammenwirken von Integrationsphänomenen auf den verschiedenen Ebenen der Sprache veranschaulicht. Im Folgenden soll jedoch zunächst analysiert werden, welche Haltungen in der bisherigen Forschung zum Status entlehnter Einheiten eingenommen wurden.

5.1.2

Etymologische und strukturelle Fremdheit

Eine wichtige Frage in der traditionellen Entlehnungsforschung betrifft die Auslegung des Fremdheitskriteriums selbst. Wie bereits in 3.5 gezeigt wurde, lassen sich drei grundlegende Betrachtungsweisen von Phänomenen der sprachlichen Fremdheit gegenüberstellen. Für die Analyse von Fremdwörtern und Lehnwörern bzw. von Phänomenen der Lehnwortintegration sind dabei zwei Typen von Fremdheit wesentlich: Einerseits geht es um eine etymologische Fremdheit. Die betrachteten Formen lassen sich demnach grundsätzlich dadurch charakterisieren, dass sie fremdsprachlich beeinflusst sind, d.h. sie gehen auf eine Sprachkontaktsituation zurück, in der sie in Anlehnung an ein fremdsprachliches Vorbild durch direkte oder indirekte Entlehnung geschaffen wurden. Entsprechende Betrachtungsweisen lassen sich unmittelbar der traditionellen Lehngutforschung zuordnen, spielen aber auch für verwandte Untersuchungen sprachkontaktinduzierter Innovationen eine wichtige Rolle. Eine weitere mögliche Betrachtungsweise ist dagegen durch einen strukturellen Fremdheitsbegriff charakterisiert, d.h. «Fremdheit» wird hier in einem strukturellen Sinn aufgefasst und auf einzelne Merkmale sprachlicher Formen bezogen, die im Hinblick auf das System der jeweiligen (Ziel-)Sprache analysiert werden. Dieser 86

letztere Fremdheitsbegriff ist demnach für die oben angestellten Überlegungen zentral. Generell lässt sich damit feststellen, dass beide Aspekte von Fremdheit für die Bestimmung von «Lehnwortintegration» als wesentlich gelten können. Das etymologische Kriterium erlaubt es, einen Teilbereich des Wortschatzes einzugrenzen, für den Integrationsphänomene untersucht werden können. Entsprechende Untersuchungen beinhalten sodann Analysen zum Vorhandensein bzw. Abbau struktureller Fremdheit bezüglich der einzelnen Elemente entlehnter Wörter. Der Begriff der «Integration» lässt sich damit wie folgt präzisieren: LEHNWORTINTEGRATION beschreibt einen Prozess, der bei Wörtern etymologisch fremder Herkunft stattfinden kann, die strukturelle Fremdheitsmerkmale aufweisen. Durch Lehnwortintegration werden diese dabei der ZS angeglichen, d.h. bestimmte strukturelle Fremdheitsmerkmale werden abgebaut und durch ZS-systemkonforme Elemente ersetzt.

5.1.3

Synchronie und Diachronie

Weiterhin ist die Rolle synchronischer und diachronischer Aspekte der Lehnwortintegration zu klären. Traditionell wird der Begriff sowohl auf Veränderungen angewandt, die bereits bei der erstmaligen Entlehnung stattfinden, als auch auf Veränderungen entlehnter Wörter zu einem späteren Zeitpunkt (cf. Duden, 868). Im ersten Fall bezeichnet Lehnwortintegration einen Prozess in der Sprachkontaktsituation selbst bzw. in unmittelbarer Anknüpfung an diese, d.h. ein genuines Kontaktphänomen, während es sich im zweiten Fall um einen Prozess handelt, der innerhalb der ZS stattfindet. Als Beispiele von Veränderungen der ersten Kategorie lassen sich typische Veränderungen in der Aussprache entlehnter Formen anführen, etwa: (120) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF) (121) engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ ĺ frz. puzzle [pœzl], ‘Legespiel’ (OED; PR; DHLF; Dda) (122) engl. cookie ['kƓkų] ĺ frz. cookie [ku'ki] (OED; PR) Diese Veränderungen sind bereits bei der erstmaligen Verwendung der Formen in der ZS, d.h. bei der Entlehnung selbst, beobachtbar. Sie stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sprachkontaktsituation, und als Grundlage der Veränderungen dient hier die AS-Form. Im zweiten Fall fungiert hingegen eine ZS-Form als Grundlage für die Integrationprozesse, d.h. diese operieren auf einer bereits in der ZS vorhandenen Form. Beispiele für solche Veränderungen finden sich häufig im Zusammenhang mit Orthographiereformen, so etwa für die folgenden Schreibungen gemäß der neuen deutschen Rechtschreibung (parallel dazu werden die älteren, nichtintegrierten Schreibungen der entsprechenden Wörter weiterhin zugelassen):

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(123) dt. Ketschup (neben Ketchup) engl. ketchup] (Duden)

‘dickflüssige

Tomatensoße’



(124) dt. Bravur (neben Bravour) ‘Tapferkeit, meisterhafte Technik’ [ĸ frz. bravour] (Duden s.v. brav) (125) dt. Buklee (neben Bouclé) ‘Garn mit Knoten und Schlingen’, ‘Gewebe und Teppich aus diesem Garn’ [ĸ frz. bouclé] (Duden s.v. Bouclé1,2) Ein Vergleich der älteren mit den neueren Formen zeigt, dass hier systematisch Fremdheitsmerkmale abgebaut werden. Die älteren Formen sind jeweils durch bestimmte Merkmale charakterisiert, die typischerweise in entlehnten Wörtern vorkommen, so etwa die GPK ļ [ƌ] in Ketchup sowie die graphischen Segmente und in Bravour bzw. Bouclé. Durch Ersetzungen werden bei den neueren Formen jeweils Strukturen erzielt, die nativen Wörtern des Deutschen entsprechen ( ļ [ƌ] wie in dt. Schlaf, Tasche, Wunsch, ļ [u] bzw. [Ɠ] 3 wie in dt. Buch, Bude, Butter etc., ļ [e] wie in dt. Reet, See). Diese Fälle können als Veränderungen nach dem Entlehnungszeitpunkt analysiert werden, da die Ausgangsformen bei den Orthographiereformen Wörter des Deutschen darstellen. Sowohl Phänomene bei der Entlehnung selbst als auch spätere Prozesse innerhalb der ZS können damit als Lehnwortintegration gefasst werden, wobei sich bislang keine entsprechende terminologische Unterscheidung der beiden Typen etabliert hat. Zur Präzisierung kann hier zwischen unmittelbaren Integrationen oder Kontaktintegrationen und späteren Integrationen oder ZS-internen Integrationen unterschieden werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich bei der empirischen Anwendung dieser Kategorien Schwierigkeiten ergeben können. So scheint es für viele Einzelfälle problematisch zu entscheiden, ob es sich um Veränderungen nach der Entlehnung handelt, die also auf einer zu einem früheren Zeitpunkt entlehnten ZS-Form basieren, oder aber ob die beobachteten Prozesse im Kontext einer (neuerlichen, sozusagen parallelen) Entlehnung zu konzipieren sind. Reine Datierungen sind hier nicht ausreichend. Gerade bei relativ intensivem Sprachkontakt kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass Veränderungen, die nach dem Erstbeleg der Entlehnung datiert sind, losgelöst von der AS bzw. von einem Sprachkontakt stattfinden. Vielmehr scheint in vielen Fällen – insbesondere in einem frühen Stadium der Verbreitung der Entlehnung innerhalb der ZS (bei dem die entlehnte Form bei einer Vielzahl von Sprechern der ZS noch nicht als bekannt vorausgesetzt werden kann) – auch die alternative Interpretation möglich, dass es sich bei den Veränderungen um Prozesse handelt, die im Kontext einer neuerlichen Entlehnung stattfinden. Das Problem liegt damit nicht nur in der fehlenden Dokumentation der Erstentlehnungen, sondern darüber hinaus in der prinzipiellen Möglichkeit paralleler «Erst»Entlehnungen.

3

Der Öffnungsgrad korreliert hier mit der Vokallänge; die geschlossene Realisierung findet sich bei gelängtem Vokal.

88

Zur Rechtfertigung der Annahme späterer «Erst»-Entlehnungen lässt sich das folgende Beispiel anführen, bei dem die später belegte Form im Vergleich zur früher belegten Form gerade als weniger stark integriert einzustufen ist: (126) engl. clown ĺ frz. claune (Erstbeleg 1817; DHLF; Dda s.v. clown) (127) engl. clown ĺ frz. clown (Erstbeleg 1823; DHLF; Dda) Von der Datierung her stellt frz. clown eindeutig die spätere Form dar. Sie kann jedoch nicht aus der älteren Form frz. claune hergeleitet werden, da sie im Gegensatz zu dieser ein strukturelles Fremdheitsmerkmal aufweist, das nicht ZS-intern erklärt werden kann, sondern aus der englischen Ausgangsform herzuleiten ist (). Entsprechende klare Entscheidungen scheinen bei Integrationsprozessen jedoch im Normalfall nicht möglich, da entsprechende Erscheinungen (Abbau struktureller Fremdheit, Anpassung an ZS-Regeln) grundsätzlich sowohl bei AS-Formen als auch bei ZS-Formen, die strukturelle Fremdheitsmerkmale enthalten, auftreten können. In vielen Fällen sind daher die vorhandenen Daten für eine eindeutige Zuweisung zu den Kategorien der Kontaktintegration bzw. ZS-internen Integration nicht ausreichend. Allenfalls können Fakten angegeben werden, die die Zuweisung zur einen oder anderen Kategorie plausibel erscheinen lassen. So kann etwa tendenziell eher von einer ZS-internen Integration ausgegangen werden, wenn die entlehnten Formen zum Zeitpunkt der entsprechenden Veränderungen innerhalb der ZS bereits stark etabliert sind und ihre Kenntnis bei fast allen Sprechern der ZS vorausgesetzt werden kann (in diesem Fall ist eine neuerliche Entlehnung sozusagen aus Sicht der Sprecher unnötig, da die Form ja bereits als ZS-Zeichen existiert). In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der methodologischen Vorsicht bei mangelnden Daten auf eine eindeutige Zuweisung zu den Kategorien der Kontaktintegration bzw. ZSinternen Integration verzichtet, und es werden allenfalls Indizien angegeben, die für eine bestimmte Interpretation sprechen. Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich auch hier wieder die bereits in der Einleitung (Kap. 1) umrissene Problematik traditioneller Darstellungen zeigt, die Entlehnungen als Phänomen auf der Ebene der Sprache(n) behandeln und dabei die Ebene der Sprachbenutzer ausklammern. So werden in Bezug auf Lehnwortintegrationen häufig mehrere synchronische Schnitte gegenübergestellt, die eine Abfolge suggerieren, z.B.: (128) dt. Bouclé ĺ dt. Buklee (129) dt. Bureau ĺ dt. Büro In vielen Kontexten erscheinen entsprechende Darstellungen völlig ausreichend und zweckmäßig, da von der Komplexität der tatsächlichen Verwendungen abstrahiert wird und nur das Ergebnis des Wandels auf der Ebene der Sprache festgestellt wird (cf. im Übrigen auch Abb. 9 in Kap. 5.1.1, die ebenfalls entsprechend interpretiert werden kann). Aus der Sicht der Sprachbenutzer, die in der vorliegenden Arbeit in den Vordergrund gestellt werden soll, liegt jedoch keine entsprechende Abfolge vor, bei der die 89

neuere Form die ältere einfach ablöst. Vielmehr stellt sich die Situation hier so dar, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine neue, (stärker) integrierte Variante neben die ältere, bereits in der ZS vorhandene tritt, wobei sich dann innerhalb der Sprachgemeinschaft und im mentalen Lexikon der Sprachbenutzer eine der Formen durchsetzen kann (im obigen Beispiel dt. Bureau/dt. Büro hat sich die letztere Form durchgesetzt, für das Beispiel dt. Bouclé/dt. Buklee bleibt die weitere Entwicklung hingegen noch abzuwarten). 4

5.1.4

Zum Status der verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen

In 5.1.1 wurde bereits festgestellt, dass der Begriff der «Integration» nicht nur auf entlehnte Wörter insgesamt, sondern auch auf einzelne ihrer Merkmale angewandt werden kann. Hieraus ergibt sich die Frage, welche linguistischen Beschreibungsebenen im Einzelnen einzubeziehen sind, und welche Arten von Fremdheitsmerkmalen auf den jeweiligen Ebenen vorliegen können. Was die Ebene der Phonologie angeht, so kann ihre Berücksichtigung als weitgehend unkontrovers gelten, d.h. Arbeiten, welche die Integration entlehnter Wörter untersuchen, beziehen die lautliche Ebene in der Regel mit ein. Dabei sind zunächst strukturalistische Ansätze zu nennen (etwa die grundlegende Arbeit von Haugen 1950). Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren insbesondere im Rahmen optimalitätstheoretischer Ansätze (z.B. Hall/Hamann 2003; Peperkamp/Dupoux 2003; La Charité/Paradis 2005) umfassende Systeme zur Beschreibung lautlicher Integrationsphänomene ausgearbeitet, und Lehnwörter können sogar als ein bevorzugtes Untersuchungsobjekt entsprechender Ansätze angesehen werden, da sie eine Überprüfung von angenommenen Beschränkungshierarchien für einzelne Sprachen erlauben (cf. Kap. 2.1.1). Im Hinblick auf den Bereich der Graphematik sind sowohl strukturalistische als auch optimalitätstheoretische Arbeiten häufig dadurch gekennzeichnet, dass die Schreibung bei der Untersuchung ausgeklammert – oder zumindest nicht im Rahmen systematischer Analysen erfasst – wird. In anderen, vor allem lexikologisch ausgerichteten Arbeiten wird die Schreibung entlehnter Wörter dagegen traditionell durchaus einbezogen (cf. Duckworth 1977; Höfler 1980; Kiesler 1993; Blank 1995). Allerdings beschränken sich entsprechende Arbeiten häufig auf eine Auflistung einzelner Entlehnungen, ohne dass umfassende Analysen vorgenommen werden bzw. ohne dass das Zusammenwirken von Lautung und Schreibung bei der Lehnwortintegration modelliert wird. Einen Vorschlag für ein entsprechendes Beschreibungsinstrumentarium macht Meisenburg (1993), wobei der Begriff der Graphem-Phonem-Korrespondenzen eine 4

Die angesetzten Schritte lassen sich in Analogie zu Schritten bei Bedeutungswandelphänomenen sehen: Auch hier ist festzustellen, dass der Bedeutungswandel traditionell häufig als Abfolge von der älteren zur neueren Bedeutung dargestellt wird. In Realität verläuft er jedoch über ein Stadium der Polysemie (d.h. einem Nebeneinander von älterer und neuerer Bedeutung), wobei die Polysemie in einem weiteren Schritt abgebaut werden kann, indem eine der Bedeutungen untergeht (cf. dazu insgesamt Blank 1997).

90

zentrale Stellung einnimmt (cf. Meisenburg 1996). Auch hier bleiben die Analysen jedoch punktuell, d.h. es findet keine vollständige Analyse aller lautlichen und schriftlichen Merkmale der entlehnten Wörter statt. Daher erscheint es wünschenswert, entsprechende Ansätze auszubauen, um eine umfassende Berücksichtigung der Schreibung zu ermöglichen. Dies erscheint auch insofern notwendig, als für eine Vielzahl aktueller Entlehnungsprozesse dem Bereich der Schreibung eine zentrale Bedeutung zukommt. So finden etwa aktuelle Entlehnungen aus dem Englischen in romanische Sprachen sehr häufig auf schriftlichem Weg statt bzw. sind durch ein Nebeneinander von medial schriftlichem und mündlichem Sprachkontakt gekennzeichnet. Die Berücksichtigung entsprechender Entlehnungen im schriftlichen Medium stellt daher nicht nur unter qualitativen, sondern auch unter quantitativen Gesichtspunkten ein wichtiges Desiderat dar. Dies beinhaltet zum einen eine systematische Beschreibung der graphischen Segmente entlehnter Wörter, zum anderen eine Analyse der jeweils relevanten Graphem-Phonem-Korrespondenzen. Auch auf der Ebene der Morphologie wird der Begriff der Integration traditionell angewandt. Ein erster Aspekt, der hier eine Rolle spielt, ist die Zuweisung entlehnter Formen zu einer bestimmten morphologischen Kategorie und die Realisierung wortartenspezifischer Morpheme. So lässt sich etwa Bsp. (130) im Vergleich zu Bsp. (131)/(132) dahingehend analysieren, dass die Nominalendung im ersten Fall der AS-Form entspricht, während sie bei den anderen Formen durch eine entsprechende Nominalendung der ZS ersetzt wurde. In diesem Sinne kann hier von einer Integration gesprochen werden. Als Voraussetzung dieser Integration ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei AS und ZS um verwandte Sprachen handelt, so dass angenommen werden kann, dass das AS-Suffix für die Sprecher der ZS transparent ist bzw. dass diese eine Entsprechung zum italienischen Suffix -ismo feststellen können. (130) it. gauchisme ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277) (131) it. gauchismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI) (132) it. goscismo ĸ frz. gauchisme (DO; FauxAmis 277; DELI) Darüber hinaus geht es im Bereich der Morphologie vor allem um die Flexion entlehnter Formen. So werden beispielsweise unterschiedliche Pluralformen entlehnter Wörter im Deutschen als mehr oder weniger integriert charakterisiert (Wegener 1999; 2002; 2003; 2004): (133) dt. Pizze – Pizzas – Pizzen [ĸ it. pizza] (Wegener 2004; EWDS; DILE) (134) dt. Schemata – Schemas – Schemen [ĸ lat. schema] (Wegener 2003; EWDS) Bei beiden Beispielen entspricht die Pluralbildung bei der ersten Form der ursprünglichen Pluralform in der AS, wobei entsprechende Formen nach Wegener (2002; 2004) vor allem in fachsprachlichen und Prestigevarietäten auftreten. Die jeweils letzte Form ist hingegen durch ein Pluralisierungsverfahren gekennzeichnet, das 91

auch bei nativen Wörtern der ZS angewandt wird. Die mittleren Formen nehmen demgegenüber eine Art Mittelstellung ein. Das hier vorliegende Pluralisierungsverfahren durch -s findet sich regelmäßig bei nichtintegrierten Lehnwörtern, Onomatopoetika, Eigennamen, Kurzwörtern (clippings) und Akronymen (Clahsen/Rothweiler/Woest 1992, 228–229; Wegener 2004). Nach Clahsen/ Rothweiler/Woest handelt es sich ebenfalls um ein reguläres Pluralisierungsverfahren des Deutschen; das Verhältnis zum -en-Plural wird aber nicht näher analysiert. Wegener argumentiert dafür, hier jeweils unterschiedliche Schichten des Wortschatzes anzunehmen, für die unterschiedliche Regularitäten bzw. (in optimalitätstheoretischer Modellierung, so Wegener 2004) Beschränkungshierarchien formuliert werden. Die Anwendung des -s-Plurals lässt sich dabei nach Wegener funktional erklären: Dieser ermögliche eine «strukturbewahrende, transparente Pluralform» (Wegener 2002; 2004, 106) und könne somit als optimaler Übergangsplural angesehen werden. Im Falle des -en-Plurals müsse den Sprachbenutzern hingegen die komplexe morphologische Struktur des Nomens bewusst sein, so dass Stamm und Endung getrennt werden können und das Pluralsuffix direkt an den Stamm angehängt werden kann (Pizz-en). Formen wie Pizza-s belegen nach Wegener, dass von Seiten der Sprachbenutzer der ZS (noch) eine monomorphematische Sicht vorliegt, während die entsprechende morphologische Analyse bei Pizz-en als Zeichen einer stärkeren Integration der Formen gewertet wird. 5 Damit lässt sich festhalten, dass es sowohl bei dt. Pizzas als auch bei dt. Pizzen darum geht, die Flexion – d.h. die Zuweisung zu einem vorhandenen Paradigma der ZS – im Hinblick auf die Verwendung der Formen in der ZS zu erklären. Der Aspekt der Transparenz verweist dabei auf die wichtige Frage, inwiefern die sprachlichen Formen für andere Sprachbenutzer der ZS (neben dem Produzenten, der die Form verwendet) nachvollziehbar sind, d.h. die Verwendung einer Form wie dt. Pizza-s kann auch als Zugeständnis an den Rezipienten interpretiert werden, das ihm eine leichtere Wiedererkennung der lexikalischen Einheit dt. Pizza ermöglichen soll. Indirekt kann hier also auf eine noch vorhandene Neuheit der Einheit dt. Pizza in der ZS geschlossen werden. Bei einer Verwendung von dt. Pizz-en kann hingegen davon ausgegangen werden, dass die Grundform dt. Pizza als gut etabliert eingestuft wird, d.h. der Produzent nimmt an, dass der Rezipient auch die Form dt. Pizz-en gut dekodieren bzw. als flektierte Form von dt. Pizza analysieren kann. Hier kommen also Faktoren ins Spiel, die über den Bereich der Morphologie hinausgehen. Gleichzeitig spielt in beiden Fällen die AS-Realisierung des Plurals keine Rolle für die morphologischen Realisierungen in der ZS. In Fällen wie der Flexion von dt. Pizzas/ dt. Pizzen handelt es sich also um Prozesse, die aufbauend auf die eigentliche Sprachkontakt- und Entlehnungssituation stattfinden (Grundlage ist ein bereits entlehntes dt. Pizza), so dass nur noch ein mittelbarer Bezug zur AS besteht. 5

Zur morphologischen Behandlung von Fremdwörtern im Deutschen cf. auch Harnisch (2002; 2010), der unter anderem «Hyperplurale» wie dt. Praktikas und Pluralisierungen des Typs Pizza/Pizzen untersucht. Ausgehend von der Beobachtung, dass von unterschiedlichen Sprechern unterschiedliche Pluralformen realisiert werden können (etwa aufgrund unterschiedlichen Sprecherwissens über die Herkunftssprache), formuliert er die These «Eine reine Grammatiktheorie stößt hier an ihre Grenzen» (Harnisch 2002, 75).

92

Anders verhält es sich hingegen bei dt. Pizze: Diese Form kann letztlich nur über Anwendung einer AS-Flexionsregel (d.h. ausgeprägte Kenntnisse der AS beim ZSProduzenten) bzw. als zusätzliche Entlehnung der flektierten Form interpretiert werden (cf. Bsp. (135)/(136)). Daher handelt es sich hier um ein völlig anderes Phänomen, das auf der Ebene der Sprachbenutzer völlig anders zu beschreiben und zu erklären ist: Letztlich wird auch hier nicht ein Flexionsparadigma als solches aus der AS übernommen, sondern es wird in der ZS eine nach einem AS-Paradigma flektierte Form verwendet. (135) it. pizzaSg ĺ dt. PizzaSg (136) it. pizzePl ĺ dt. PizzePl Insgesamt lässt sich aus diesen Beobachtungen die Schlussfolgerung ziehen, dass die Anwendung der Konformitätskriterien im Bereich der Flexion keinen entscheidenden Erkenntniszugewinn verspricht, da es hier – anders als auf den Ebenen der Phonologie und Graphematik – prinzipiell nicht um Einheiten geht, die im Sprachkontakt als solche aktualisiert und damit ggf. übernommen werden. Vielmehr sind die abstrakten Flexionsparadigmen in der Kommunikation nicht als solche für den Rezipienten zugänglich. 6 Für reine Beschreibungen auf der Ebene der Sprache kann zwar eine Konformität von ZS-Flexionsformen gegenüber den AS-Formen und gegenüber dem ZS-System analysiert werden; im Hinblick auf Beschreibungen und Erklärungen entsprechender Flexionsprozesse auf der Ebene der Sprachbenutzer lassen sich die Begriffe «Übernahme» bzw. «Ersetzung» jedoch nicht sinnvoll anwenden. Bei den Anwendungen der Konformitätskriterien im weiteren Verlauf der Arbeit wird daher die Flexion nicht einbezogen. Über den Bereich der Nomina hinaus lässt sich ein entsprechendes Vorgehen auch für Entlehnungen von Verben rechtfertigen: Auch hier kann festgestellt werden, dass es um die Zuweisung entlehnter Formen zu bestimmten Paradigmen der ZS geht (und nicht um Übernahmen oder Ersetzungen AS-morphologischer Paradigmen als solcher). So ist für Entlehnungen von Verben einerseits die Tendenz zu beobachten, dass auf paraphrasierende Formulierungen des Typs frz. faire X/ it. fare X zurückgegriffen wird (light verb construction/light verb strategy, Wichmann/Wohlgemuth 2008, cf. McMahon 1994, 207–208); gerade diese Tendenz bestätigt indirekt die Notwendigkeit, bereits bei der ersten Verwendung bestimmte morphologische Zuweisungen vorzunehmen (wobei eine Verbalflexion der entlehnten Einheiten bei der light verb strategy umgangen wird, indem stattdessen ein frequentes und semantisch hinreichend allgemeines Verb der ZS herangezogen wird). 7 (137) frz. faire un chat ‘chatten’ (Internet): je fais/tu fais/… un chat 6 7

Cf. hierzu ausführlicher Kap. 11, in dem eine nähere semiotische und kommunikationstheoretische Rechtfertigung dieser Annahme erfolgt. Die genannten Beispiele zeigen, dass in einigen Fällen der bestimmte, in anderen der unbestimmte oder gar kein Artikel eingefügt wird (cf. besonders sp. hacer un download vs. pg. fazer o download). Weiterführend erschiene es interessant zu untersuchen, ob sich hierfür jeweils sprachenspezifische Tendenzen oder konzeptuell basierte Erklärungen angeben lassen.

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(138) it. fare clic ‘klicken’ (ZI s.v. clic): faccio/fai/… clic (139) sp. hacer un download ‘herunterladen’ (Internet): hago/haces/... un download (140) pg. fazer o download ‘herunterladen’ (DdI s.v. download): fazo/fazes/... o download Wenn entlehnte Verben hingegen einer bestimmten Verb- bzw. Flexionsklasse zugewiesen werden, so wird in der Regel auf eine stark produktive Klasse der ZS – etwa das -er-Paradigma im Französischen bzw. das -are-Paradigma im Italienischen – zurückgegriffen: (141) frz. chatter ‘chatten’ (Internet) (142) it. cliccare ‘klicken’ (DO; ZI) Zuletzt bleibt schließlich der Status der semantischen Ebene zu klären. Insgesamt besteht relative Uneinigkeit bezüglich der Frage, ob bei der Untersuchung von Integrationsphänomenen auch semantische Aspekte einzubeziehen sind. Autoren wie Höfler (1980) und Blank (1995) schließen semantische Integrationsphänomene ein, während andere wie Duckworth (1977) und Kiesler (1993) den Bereich der Semantik ausklammern. Zunächst ist festzustellen, dass auch für die Bedeutung 8 entlehnter Wörter ein Vergleich zwischen AS und ZS vorgenommen werden kann. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Wörter in einer ihrer Ausgangsbedeutungen entlehnt werden. Es treten jedoch immer wieder auch Bedeutungsveränderungen auf, wobei insbesondere taxonomische Spezialisierungen und metonymischer Wandel als charakteristisch für Entlehnungsprozesse angesehen werden (Busse/Görlach 2002, 162; Pulcini 2002, 162; Humbley 2008b, 231). Gleichzeitig scheint es aber ausgehend vom strukturellen Fremdheitsbegriff, für den in 5.1.2 argumentiert wurde, notwendig, der Ebene der Semantik im Hinblick auf die Untersuchung von Entlehnungs- und Integrationsphänomenen eine Sonderrolle zuzuweisen. Im Gegensatz zu den anderen besprochenen Ebenen, auf denen etwa strukturell fremde Phoneme, Silbenstrukturen und Grapheme festgestellt werden können, scheint es nicht möglich, strukturell fremde Bedeutungen anzunehmen. Der Begriff der strukturellen Fremdheit impliziert eine Abweichung vom System der ZS, eine Nichtübereinstimmung mit den vordefinierten Möglichkeiten des Systems der ZS, wobei dieses als prinzipiell geschlossenes Inventar mit einer relativ begrenzten 8

Dieser Formulierung liegt die Annahme zugrunde, dass Wörter jeweils nur in einer Bedeutung entlehnt werden (cf. Blank 1995, 48). Für eine Herleitung und Begründung des genannten Prinzips cf. Kap. 10.1.3, in dem dafür argumentiert wird, dieses als theoretisches und methodologisches Grundprinzip von Entlehnungsprozessen anzusetzen. Damit soll jedoch keineswegs ausgeschlossen werden, dass mehrdeutige Wörter der AS zu einem anderen Zeitpunkt auch in einer weiteren Bedeutung in die ZS entlehnt werden können; hierbei handelt es sich dann aber wiederum um einen eigenen Entlehnungsprozess, der als solcher zu untersuchen ist.

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Zahl an Einheiten (Phonemen, Graphemen etc.) zu verstehen ist. Im Bereich der Bedeutungen liegt dagegen ein prinzipiell offenes Inventar an Einheiten vor, zu dem leicht weitere hinzugefügt werden können: Geht ein fremdsprachlicher Ausdruck mit einer bis dahin in der ZS nicht lexikalisierten Bedeutung in den Wortschatz der ZS ein, so tritt unmittelbar eine Bereicherung des ZS-Inventars an Bedeutungen ein. Zwar kann es durch die Übernahme durchaus zu Verschiebungen und Umstrukturierungen innerhalb vorhandener ZS-Bedeutungsfelder kommen; diese Umstrukturierungen sind jedoch nicht durch die (etymologisch) fremde Herkunft der neuen Bedeutung, sondern schlicht durch das Hinzukommen der neuen Bedeutung zum Bedeutungsfeld bedingt. Damit ist bezüglich der Integrationsphänomene von einem grundsätzlich anderen Funktionieren von ausdrucksseitigen und inhaltsseitigen Ebenen der Sprache auszugehen. 9 Um diesem Unterschied Rechnung zu tragen, kann der zugrunde gelegte Fremdheitsbegriff im Sinne einer formal-strukturellen Fremdheit expliziert werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich für Untersuchungen von Integrationsphänomenen die Ebenen der Phonologie und Graphematik als zentral erwiesen haben. Die Ebene der Morphologie nimmt hingegen unter semiotischen und kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten eine Sonderrolle ein, insofern als AS-Flexionsparadigmen nicht direkt als solche entlehnt (bzw. übernommen oder ersetzt) werden. Die Ebene der Semantik nimmt ebenso eine Sonderstellung ein, da die Begriffe der «(formal-)strukturellen Fremdheit» und «Integration» hier nicht in sinnvoll angewandt werden können. Morphologische, semantische (und pragmatische) Aspekte werden in der vorliegenden Arbeit jedoch durchaus umfassend untersucht; sie spielen für die Beschreibung und Erklärung von Entlehnungsphänomenen ebenfalls eine zentrale Rolle.

5.1.5

Deskriptive vs. explanative Elemente

Zuletzt ist schließlich zu klären, welcher Status dem Begriff der «Lehnwortintegration» in theoretischer Hinsicht zukommt. Traditionelle Verwendungen lassen sowohl deskriptive als auch explanative Elemente erkennen: Einerseits dient der Begriff zur bloßen Feststellung und Gruppierung von Phänomenen, die bei der Entlehnung und späteren Entwicklung entlehnter Einheiten auftreten. Andererseits werden durch die Klassifizierung entsprechender Phänomene als Integrationsphänomene jedoch in der Regel auch bestimmte Motivationen unterstellt (die Merkmale entlehnter Wörter sollen an die ZS angepasst werden). Die Anpassung an die Strukturen der ZS ist insofern nicht nur objektives Ergebnis der entsprechenden Prozesse, sondern wird ebenso als Faktor verstanden, der diese Prozesse motiviert und erklärt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen beschreibende und erklärende Aspekte klar getrennt werden. Bevor die Frage der Erklärung von Integrationsphänomenen thematisiert wird, soll ein adäquates System zur deskriptiven Erfassung der Phänomene entwickelt werden, das eine neutrale Beschreibung derselben ermöglicht. Die 9

Bei den ausdrucksseitigen Ebenen bleibt die syntaktische Ebene unberücksichtigt, da sich die vorliegende Untersuchung auf den Bereich lexikalischer Entlehnungen beschränkt.

95

Ausarbeitung eines entsprechenden Systems ist Aufgabe des vorliegenden Kapitels. In den nachfolgenden Kapiteln sollen sodann Fragen der adäquaten Erklärung der so formulierten Fakten thematisiert werden. Dabei ist ferner darauf hinzuweisen, dass es zunächst nur um eine reine Feststellung der objektiven Befunde auf der Ebene der Sprache(n) geht, d.h. um eine Klärung des Status der einzelnen Strukturelemente der entlehnten Formen. Sobald hingegen die real ablaufenden Prozesse betrachtet werden, die zur Beibehaltung oder Ersetzung bestimmter Elemente geführt haben, wird auf die Ebene der Sprachbenutzer Bezug genommen, d.h. es geht dann darum zu zeigen, wie die Übernahmen bzw. Ersetzungen auf konkrete Kommunikationssituationen rückführbar sind.

5.2

Zwei Bezugspunkte bei der Betrachtung entlehnter Wörter und zwei Typen der Konformität

Nachfolgend soll eine weitere grundlegende Präzisierung der Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration» vorgenommen werden, indem zwei Typen der Konformität unterschieden werden, die bei einer Analyse von entlehnten Einheiten herangezogen werden können.

5.2.1

Zwei weitere Optionen neben Transferenz und Integration

In Kap. 4.2 wurde bereits festgestellt, dass die Begriffe importation und substitution sowie «Transferenz» und «Integration» in der traditionellen Entlehnungsforschung häufig als Dichotomien angesehen werden. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass entsprechende Gegenüberstellungen teilweise als problematisch anzusehen sind, da selbst bei Formen, die bei der Entlehnung weit reichenden formalen Veränderungen unterzogen werden, nicht alle Elemente verändert werden (cf. die von Haugen 1950, 215–216 zitierte Entlehnung von sp. estufa als [eh'tupa] in die Sprache der Yaqui, bei der zwar [s] durch [h] und [f] durch [p] ersetzt werden, gleichzeitig aber [e, t, u, a] übernommen werden). Das Ausmaß an solchen Übereinstimmungen zwischen AS und ZS ist variabel; insbesondere bei eng verwandten Sprachen wie dem Italienischen und Spanischen können sehr weit reichende Übereinstimmungen vorliegen. Entlehnungen wie sp. tango ['taƾgo] ĺ it. tango ['taƾgo] und engl. pink [pųƾk] ĺ dt. pink [pųƾk] veranschaulichen, dass in Einzelfällen sogar alle phonischen und graphischen Segmente des AS- und des ZS-Wortes übereinstimmen können, ohne dass sich eine Abweichung gegenüber den Strukturen der ZS ergibt. Das beschriebene Phänomen wird in der traditionellen Entlehnungs- und Integrationsforschung tendenziell eher vernachlässigt. Die Aufmerksamkeit liegt hier entweder auf den fremden Strukturen, die in die ZS transferiert werden, oder aber an ihrem Abbau und ihrer Ersetzung durch ZS-konforme Elemente. 10 Auch in aktuellen 10

Ebenso wird in der Tradition der Fremdsprachendidaktik und Interferenzforschung der Schwerpunkt zunächst auf die Unterschiede zwischen den Sprachen gelegt (cf. Braun

96

optimalitätstheoretischen Ansätzen wird in der Regel vor allem auf diejenigen Elemente eingegangen, die bei der Entlehnung verändert werden; Strukturen, die bei der Entlehnung übernommen werden, finden hingegen kaum Beachtung. Diese Schwerpunktsetzung erklärt sich auch dadurch, dass Entlehnungen vielfach InputFormen bedingen, die von den (Output-)Strukturen der betrachteten Sprache abweichen. Insofern stellen Entlehnungen ein in theoretischer Hinsicht besonders interessantes Phänomen und einen privilegierten Untersuchungsbereich dar. Insgesamt ergibt sich jedoch aus entsprechenden Fokussierungen, dass das Ausmaß an Fremdheit bzw. das Ausmaß von (sozusagen «notwendigen») Integrationen möglicherweise überschätzt wird, und es erscheint vielversprechend, in der Entlehnungsforschung verstärkt auch zu analysieren, in welchem Ausmaß Übereinstimmungen zwischen AS und ZS vorliegen. Darüber hinaus ist in grundsätzlicher Hinsicht der theoretische Status entsprechender Phänomene zu klären. Haugen selbst erkennt diesbezüglich die Problematik der Anwendung seiner Begriffe importation und substitution an (Haugen 1950, 213). In ähnlicher Weise ist auch die Alternative Transferenz vs. Integration fragwürdig, da in Fällen wie den oben genannten die übernommenen Elemente im Hinblick auf die ZS nicht als strukturell fremd und somit nicht als Transferenzen einzustufen sind, gleichzeitig jedoch auch keine Integrationen darstellen (da keine Veränderungen gegenüber der AS-Form vorgenommen werden). Des Weiteren ist auf ein völlig anders gelagertes Phänomen hinzuweisen, das aber ein sehr ähnliches Problem aufwirft. Bei Fällen wie frz. bifteck lässt sich beobachten, dass das graphische Segment eine Abweichung gegenüber der ASForm darstellt (in der englischen Form findet sich ), diese Abweichung kann aber wiederum gerade nicht als Integration gewertet werden, da kein Graphem des Französischen darstellt. (143) engl. beef-steak ĺ frz. bifteck ‘Beefsteak’ (PR; DHLF; Dda; LAR; OED)

5.2.2

Zwei grundlegende Formen von Konformität

Beide Phänomene stellen demnach in theoretischer Hinsicht zentrale Probleme für die traditionelle Alternative Transferenz vs. Integration dar. Die genannten Kategorien decken nicht das gesamte Spektrum an Optionen ab, die bei Entlehnungen realisiert werden können. Um die Merkmale entlehnter Wörter vollständig analysieren und die zwei skizzierten zusätzlichen Optionen erfassen zu können, schlage ich vor, zunächst zwischen zwei grundlegenden Typen von Konformität zu unterschei1978, 372–373). In der neueren Fremdsprachendidaktik lassen sich allerdings durchaus Ansätze ausmachen, in denen die Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Sprachen einen wichtigen Platz einnehmen. Entsprechende Fragestellungen sind insbesondere für die Mehrsprachigkeitsdidaktik grundlegend, welche die Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen einer Sprachfamilie gezielt ausnutzen möchte (Klein/Stegmann 2000; Blanche-Benveniste et al. 1997; Blanche-Benveniste/Valli, edd., 1997; Müller-Lancé 2003). Darüber hinaus ist die kontrastive Linguistik zu nennen, welche sich traditionell nicht nur mit den Unterschieden, sondern auch den Gemeinsamkeiten in den Strukturen verschiedener Sprachen befasst.

97

den, auf die die Bestimmungen von Transferenz und Integration implizit Bezug nehmen: 1. Konformität der ZS-Form gegenüber der AS-Form 2. Konformität der ZS-Form gegenüber dem ZS-System Beide Kriterien lassen sich auf ZS-Formen bei Entlehnungsprozessen anwenden, wobei sich jeweils zwei Werte ergeben können (Konformität bzw. Nichtkonformität). Das erste Kriterium lässt sich als sprachvergleichend oder interlingual charakterisieren, da die ZS-Form und ihre einzelnen Elemente hier mit sprachlichen Einheiten der AS verglichen werden. Die sich so ergebenden Werte können meiner Meinung nach mit Haugens Begriffen der Übernahme und Ersetzung (importation vs. substitution, Haugen 1950) in Verbindung gebracht werden, d.h. ich schlage – in teilweiser Abweichung von Haugen – vor, diese Begriffe ausschließlich auf den Aspekt der Übereinstimmung zwischen der AS-Form und der ZS-Form zu beziehen. Bei Konformität zwischen AS-Form und ZS-Form liegt demnach eine Übernahme vor, bei Nichtkonformität eine Ersetzung. Das zweite Kriterium analysiert hingegen den Status der entlehnten Einheiten bzw. einzelner ihrer Merkmale im Hinblick auf das System der ZS, so dass eine ZSinterne oder intralinguale Betrachtung vorliegt. Die sich so ergebenden Befunde können den Begriffen der Systemkonformität bzw. Systemfremdheit zugeordnet werde, so dass insgesamt folgende Terminologie festgehalten werden kann: 1. Konformität der ZS-Form gegenüber der AS-Form Ö Übernahme/Ersetzung 2. Konformität der ZS-Form gegenüber dem ZS-System Ö Systemkonformität/Systemfremdheit In methodologischer Hinsicht ergibt sich aus den skizzierten Charakterisierungen, dass eine Analyse gemäß dem ersten Kriterium eine Segmentierung der AS-Form und der ZS-Form sowie eine Zuweisung von sich aufeinander beziehenden Elementen und deren Bewertung gemäß des ersten Konformitätstyps beinhaltet: (144) frz. béchamel ĺ it. besciamella (DO; ZI; DELI; Hope 1971, vol. 2, 472) ļ [b] ļ [e] ļ [ƌ] ļ [a] ļ [m] ļ [Ť] ļ [l] ---

– – – – – – – –

ļ [b] ļ [e] ļ [ƌ] ļ [a] ļ [m] ļ [Ť] ļ [ll] ļ [a]

Übernahme Ersetzung Ersetzung Übernahme Übernahme Übernahme Ersetzung Ersetzung

Nach einer entsprechenden Segmentierung und Zuweisung kann unmittelbar festgestellt werden, wo Konformität bzw. Nichtkonformität vorliegt und somit eine 98

Übernahme bzw. Ersetzung stattgefunden hat. 11 Für die sich so ergebenden Befunde ist sodann zu fragen, wie die entsprechenden Entwicklungen erklärt werden können. 12 Ein Vergleich mit anderen Entlehnungen kann dabei Aufschluss über häufig auftretende Ersetzungen liefern. So finden sich etwa zahlreiche weitere Beispiele für Entlehnungen aus dem Französischen ins Italienische, in deren Verlauf das graphische Segment , dem in der AS das phonische Segment [ƌ] zugeordnet ist, entsprechend der PGK-Regeln der ZS [ƌ] / [ __ a, o, ŝ, u] ļ und [ƌ] / [ __ e, Ť, i] ļ durch (vor [a, o, ŝ, u]) bzw. durch (vor [e, Ť, i]) ersetzt wird: 13 (145) frz. châle ĺ it. scialle (DO; ZI; DELI) (146) frz. chanteuse ĺ it. sciantosa (DO; ZI; DELI) (147) frz. chic ĺ it. scicche (DO: «Adatt.[amento] pop.[olare]»; ZI s.v. scic; DELI) Eine Untersuchung des zweiten Konformitätstyps, der Konformität der ZS-Form gegenüber dem ZS-System, verlangt demgegenüber eine etwas andere Methodologie. Nach der Segmentierung der ZS-Form und der Bestimmung der einzelnen phonischen und graphischen Segmente geht es hier darum, in einem zweiten Schritt den Status dieser Elemente im Hinblick auf das System der ZS (Konformität bzw. Nichtkonformität mit den Strukturen und Regeln der ZS) zu klären. Dies setzt voraus, dass in einem vorangehenden Schritt ein entsprechendes System der ZS vordefiniert wurde. Ein solches System ist nicht objektiv gegeben, sondern bei der Analyse einzelner Einheiten kann ein Entscheidungsspielraum bestehen. So wird etwa der Status des französischen [ƾ] kontrovers diskutiert: Teil11

12

13

Dabei lässt sich nicht nur bei qualitativen Veränderungen der einzelnen Segmente, sondern auch bei Tilgungen oder Epenthesen (cf. engl. week-end [,wi:k'Ťnd] ĺ sp. [wik'en(d)]) bzw. engl. squash [skwśƌ] ĺ sp. [es'kwoƌ], beide Beispiele nach Umbreit 2004, 69) eine Nichtkonformität gegenüber der AS-Form feststellen (cf. im obigen Beispiel das finale -a in der italienischen Form). Zur Betrachtung der Entwicklungen selbst wird ein Wechsel auf die Ebene der Sprachbenutzer notwendig. Dabei ist zu beachten, dass auf dieser Ebene prinzipiell keine Übernahme oder Ersetzung von Phonemen oder Graphemen festgestellt werden kann, da Phoneme und Grapheme abstrakte Einheiten des Sprachsystems darstellen, die als solche prinzipiell nicht direkt in ein anderes Sprachsystem übernommen werden können. Stattdessen spreche ich daher von einer Übernahme bzw. Ersetzung phonischer oder graphischer Segmente (diese Termini scheinen darüber hinaus auch insofern angemessener, als die entsprechenden Einheiten der ZS-Formen nicht automatisch als Elemente des phonologischen bzw. graphematischen Systems der ZS angesehen werden können; cf. dazu die nachfolgenden Bemerkungen). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird näher zu klären sein, wie die entsprechenden Entwicklungen unter semiotischen Gesichtspunkten charakterisiert werden können (cf. Kap. 10 und 11). Von einer absoluten Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit der Ersetzungsprozesse ist allerdings nicht auszugehen, da sich auch Gegenbeispiele wie die nichtintegrierte Form ital. béchamel (DO) finden lassen. Zumindest besteht aber eine starke Tendenz, dass, wenn eine Ersetzung erfolgt, dabei auf die angegebenen Grapheme des Italienischen zurückgegriffen wird.

99

weise wird der Laut als Phonem des Französischen angesehen, teilweise aber auch nicht zum französischen Phonemsystem gerechnet, da er nur in entlehnten Wörtern vorkomme (cf. Meisenburg/Selig 1998, 78). Das Beispiel zeigt somit, dass eine Grenzziehung zwischen nativen und nicht-nativen Elementen des Sprachsystems keineswegs einfach ist und dass hier bereits bestimmte theoretische Prämissen einfließen. Die Überprüfung des zweiten Konformitätstyps verweist insofern auf die grundlegende theoretische Frage, wie und weshalb bestimmte Strukturen einer Sprache als zum Sprachsystem zugehörig oder nicht zugehörig analysiert werden können (Wienold 1968, 209; Munske 1983, 565–570; 1988, 69). Erstmals wurde diese Fragestellung im Kontext des Prager Struktualismus ausführlich diskutiert (Daneš 1966; Filipec 1966; Vachek 1966; Blánar 1968; cf. Uspensky/Zhivov 1977; Heller 1980), wobei eine Unterscheidung von «Zentrum» und «Peripherie» des Sprachsystems vorgeschlagen wurde (neuere Arbeiten setzen sogar mehrere Peripherien an, cf. Eisenberg 2001). Generell ist ferner bezüglich des zweiten Konformitätstyps anzumerken, dass ich hier einen weiten Systembegriff zugrunde lege, der prinzipiell sowohl Phänomene des Systems im engeren Sinn als auch konventionell festgelegte Phänomene einer bloßen Norm einschließt. 14

5.2.3

Mögliche Kombinationen der Konformitätstypen

Wie festgestellt, können beide Konformitätskriterien jeweils zwei Werte annehmen (Konformität und Nichtkonformität). Da beide Kriterien prinzipiell voneinander unabhängig sind und getrennt voneinander analysiert werden können, ergeben sich aus ihrer Kombination insgesamt vier grundlegende Optionen für die Analyse der Struktur entlehnter Formen. Als besonders typische Optionen können dabei wie beschrieben Transferenz und Integration gelten, die sich anhand der Konformitätstypen wie folgt explizieren lassen: TRANSFERENZ = Konformität der ZS-Form mit der AS-Form und Nichtkonformität mit dem ZS-System (LEHNWORT-)INTEGRATION 15 = Nichtkonformität der ZS-Form mit der ASForm und Konformität mit dem ZS-System Darüber hinaus ergeben sich aber zwei weitere Optionen, für die ich die Begriffe der «Korrespondenz» bzw. des «Allogenismus» 16 (cf. Kap. 3.6) vorschlage:

14

15

Neuere Arbeiten gehen teilweise sogar so weit, dass die Annahme eines Systems im engen Sinn in Bezug auf die Sprache generell in Frage gestellt wird und nur eine relativ lose Struktur von lokalen Regeln angenommen wird (cf. Croft 2000 sowie allgemeine Hypothesen über Sprache im Rahmen der Konstruktionsgrammatik und der neueren Kognitiven Linguistik). Aus Gründen der Einfachheit spreche ich im Folgenden auch nur von «Integration».

100

KORRESPONDENZ = Konformität der ZS-Form mit der AS-Form und Konformität mit dem ZS-System ALLOGENISMUS = Nichtkonformität der ZS-Form mit der AS-Form und Nichtkonformität mit dem ZS-System Bei der ersten der genannten zusätzlichen Optionen handelt es sich genau um den bereits als problematisch erkannten Falltypus, der etwa bei it. tango (ĸ sp. tango) vorliegt. Die zweite Option erfasst hingegen genau Fälle wie frz. bifteck, bei dem die Ersetzung des Graphems durch als erklärungsbedürftig anzusehen ist. Insgesamt lassen sich die vier Optionen wie in Abb. 10 angegeben gegenüberstellen; sie decken alle möglichen Konstellationen ab, die beim Umgang mit den formalen Strukturen entlehnter Wörter in der ZS auftreten können. Konformität gegenüber der AS-Form (K AS-F)

Nichtkonformität gegenüber der AS-Form (NK AS-F)

Konformität gegenüber dem ZS-System (K ZS-S)

KORRESPONDENZ [t, a,…], , ,… in it. tango (ĸ sp. tango), , , in frz. clown (ĸ engl. clown), , , in frz. bifteck (ĸ engl. beef-steak)

LEHNWORTINTEGRATION , in frz. bifteck (ĸ engl. beef-steak)

Nichtkonformität gegenüber dem ZS-System (NK ZS-S)

TRANSFERENZ in frz. clown (ĸ engl. clown)

ALLOGENISMUS in frz. bifteck (ĸ engl. beef-steak)

Abb. 10:

Strukturelle Analyse der ZS-Formen: Korrespondenz – Lehnwortintegration – Transferenz – Allogenismus

Im Falle einer KORRESPONDENZ liegen demnach strukturelle Übereinstimmungen zwischen AS und ZS vor, so dass die betreffenden Einheiten ohne Veränderung übernommen werden können und gleichzeitig mit dem System der ZS konform sind. Diese Option ist vor allem bei eng verwandten Sprachen wie etwa dem Italienischen und Spanischen zu erwarten. Darüber hinaus sind jedoch auch bei Entlehnungen zwischen anderen Sprachen Korrespondenzen bei einzelnen Einheiten der Wörter festzustellen, so etwa bei den graphischen Segmenten und sowie den phonischen Segmenten [k] und [l] in frz. clown (ĸ engl. clown; PR; LAR). Gleichzeitig besteht die Option der TRANSFERENZ einzelner Merkmale: Auch das graphische Segment wird bei der Entlehnung von frz. clown übernommen; 16

Dabei geht es hier nun speziell um Allogenismen auf phonischer und/oder graphischer Ebene (z.B. frz. bifteck, frz. sweat-shirt [swit-], engl. lingerie [lŚѺƛš'reų] etc.). Bei Allogenismen auf morphologischer Ebene (z.B. frz. recordman, dt. picobello) liegt hingegen gar keine AS-Form vor, hinsichtlich der das erste Konformitätskriterium analysiert werden könnte (cf. Kap. 3.6).

101

es wird jedoch im Gegensatz zu und im Allgemeinen nicht zum Graphemsystem des Französischen gerechnet. Andererseits besteht auch die Möglichkeit der LEHNWORTINTEGRATION: Strukturen, die nicht dem ZS-System entsprechen, können beim Entlehnungsprozess abgebaut werden und durch ZS-konforme Elemente ersetzt werden. So werden etwa bei frz. bifteck durch und durch ersetzt. Schließlich können auch ALLOGENISMEN auftreten, d.h. Strukturen, die weder aus der AS übernommen noch über eine Anpassung an das System der ZS erklärbar sind, so etwa das graphische Segment in frz. bifteck (PR; DHLF; Dda; LAR). Auf entsprechende Fälle, die traditionell auch als hyperforeignisms bezeichnet werden, wurde bereits in Kap. 3.6 hingewiesen. Auch wenn es sich um markante Einzelfälle handelt, treten diese doch in einer Vielzahl von Sprachen auf (cf. Janda/Joseph/Jacobs 1994). Die Kombination der Konformitätstypen ermöglicht ihre Berücksichtigung im Rahmen von Analysen der Strukturen entlehnter Wörter. Insgesamt ergeben sich damit Analysen des folgenden Typs: (148) frz. béchamel ĺ it. besciamella (DO; ZI; DELI; Hope 1971, vol. 2, 472) ļ [b] ļ [e] ļ [ƌ] ļ [a] ļ [m] ļ [Ť] ļ [l] ---

5.2.4

– – – – – – – –

ļ [b] ļ [e] ļ [ƌ] ļ [a] ļ [m] ļ [Ť] ļ [ll] ļ [a]

KORRESPONDENZ INTEGRATION INTEGRATION KORRESPONDENZ KORRESPONDENZ KORRESPONDENZ INTEGRATION INTEGRATION

Das Verhältnis der Konformitätskriterien zu zentralen Unterscheidungen der Entlehnungsforschung

Um die Konformitätskriterien zu präzisieren und ihr Verhältnis zu traditionellen Positionen der Entlehnungsforschung zu klären, möchte ich nachfolgend auf die in Kap. 5.1 besprochenen Unterscheidungen zurückkommen. Was den Status einzelner Strukturelemente bzw. den Gesamtstatus entlehnter Einheiten betrifft, so ergibt sich aus der obigen Darstellung, dass die Konformitätskriterien zunächst auf eine Analyse einzelner Strukturelemente abzielen. Dadurch sind sehr differenzierte Analysen möglich, was als Vorteil der Konformitätskriterien angesehen werden kann. Zentral erscheint insbesondere die Feststellung, dass sich bei der Analyse häufig heterogene Ergebnisse innerhalb einzelner entlehnter Einheiten ergeben. Dieses Merkmal wird durch die Formulierung und Anwendung der Konformitätskriterien deutlicher als bei traditionellen Begriffen wie «Lehnwortintegration», «Fremdwort» und «Lehnwort». Umgekehrt ergibt sich damit allerdings, dass die Ergebnisse der Einzelanalysen zunächst keine Kategorien für den Gesamtstatus entlehnter Wörter bereitstellen. In Kap. 3.5 wurden hierzu bereits die Kategorien des teilintegrierten Fremdworts, des integrierten Lehnworts und des übernommenen Lehnworts neu eingeführt. Ggf.

102

können auf der Grundlage der Konformitätskriterien weitere typische Konstellationen ergänzt werden. Was die Frage der etymologischen vs. strukturellen Fremdheitsbestimmung angeht, so verweist der erste Konformitätstyp auf die etymologische Fragestellung: Es geht um eine Betrachtung einzelner Einheiten von AS und ZS, die in einer direkten etymologischen Relation stehen. Im Gegensatz zur traditionellen lexikalischetymologischen Perspektive geht es allerdings nicht nur um lexikalische Einheiten als ganze, sondern vor allem um die einzelnen Strukturen dieser Formen. Der zweite Konformitätstyp verweist hingegen auf den strukturellen Fremdheitsbegriff; hier geht es genau um die Frage der formal-strukturellen Fremdheit im Hinblick auf das Sprachsystem der ZS. Insofern beinhaltet die Kombination der beiden Kriterien auch eine Kombination der beiden traditionellen Betrachtungsweisen der Entlehnungsforschung, die sich wechselseitig ergänzen. Was den Status der verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen angeht, so ergibt sich aus der Anwendung der Kriterien, dass auf den einzelnen Ebenen unterschiedliche Befunde denkbar sind. So kann ein entlehntes Wort wie frz. clown etwa auf der lautlichen Ebene vollständig durch Korrespondenzen ([k], [l], [n]) und Integrationen ([aƓ? ĺ [u]) gekennzeichnet sein, während auf der graphischen Ebene durchaus noch Transferenzen () vorliegen können. Darüber hinaus zeigen die Analysen, dass auch auf den einzelnen Ebenen selbst häufig ein heterogener Charakter der entlehnten Formen festzustellen ist. So liegen etwa im Beispiel neben dem transferierten graphischen Segment auch auf der graphischen Ebene Korrespondenzen vor (, , ). Hinsichtlich der Alternative von deskriptiven vs. explanativen Kategorien sowie der Ebene der Sprache vs. der Sprachbenutzer situieren sich die Konformitätskriterien in einem deskriptiven Bereich auf der Ebene der Sprache. Die Kriterien zielen lediglich darauf ab, die einzelnen Strukturen entlehnter Einheiten genau und umfassend zu analysieren; sie beanspruchen jedoch nicht, gleichzeitig eine Erklärung für die beobachteten Phänomene bereitzustellen oder die bei den Sprachbenutzern tatsächlich ablaufenden Prozesse zu erfassen, die zum entsprechenden Ergebnis auf der Ebene der Sprache führen. Eine solche Trennung von Beschreibung und Erklärung hat den potenziellen Vorteil, dass zunächst Beobachtungsergebnisse festgehalten und weitgehend theorieneutralen Beschreibungskategorien zugewiesen werden. 17 Damit wird gleichzeitig ein Phänomenbereich umschrieben, der anschließend unter Einbeziehung unterschiedlicher Erklärungsansätze weiter analysiert werden kann.

17

Allerdings wurde bereits darauf hingewiesen, dass beim ersten Kriterium ein gewisser Spielraum in Bezug auf die Behandlung von Allophonen besteht. Darüber hinaus fließen bei der Anwendung des zweiten Kriteriums auch theoretische Vorannahmen bezüglich des Sprachsystems ein, so dass dieses nicht als völlig theorieunabhängig einzustufen ist.

103

5.2.5

Anwendungen der Konformitätskriterien

Zuletzt möchte ich einige Anwendungsbeispiele für die Konformitätskriterien geben. Abb. 11 zeigt eine vollständige Analyse für die graphischen und phonischen Segmente von frz. bifteck (ĸ engl. beef-steak, PR; DHLF; Dda; LAR): 18 Graphische Segmente engl. frz. K ggü. ASForm? K ggü. ZSSystem? Analyse

<
>

Phonische Segmente

Abb. 11:

KORR

s NK

] ]

KORR

Analyse von engl. beef-steak [bi:fsteųk] ĺ frz. bifteck [biftŤk] nach den Konformitätskriterien

Wie die Abbildung zeigt, kann durch die Anwendung beider Konformitätskriterien eine differenzierte Analyse der einzelnen Strukturen erfolgen. Demnach lassen sich alle Kombinationen von Konformität gegenüber der AS-Form und gegenüber dem ZS-System als Korrespondenzen aussondern: K AS-F + K ZS-S (KORRESPONDENZ):

, , [b], [f], [t], [k]

Diese Einheiten können im Entlehnungsprozess unproblematisch übernommen werden, da sie mit den Strukturen des Französischen übereinstimmen. Darüber hinaus können Ersetzungen erfasst werden, durch die eine Anpassung an die ZSStrukturen erfolgt: NK AS-F + K ZS-S (INTEGRATION):

18

ĺ , ĺ [i:] ĺ [i], [eų] ĺ [Ť]

KORR = Korrespondenz, INT = Integration, TRANS = Transferenz, ALLO = Allogenismus, K = Konformität, NK = Nichtkonformität. Da das graphische Segment und das phonische Segment [s] der AS-Form getilgt werden, wird der zweite Konformitätstyp nur für die verbleibenden sechs Segmente analysiert und nur dort wird ein Gesamtbefund angegeben.

104

Schließlich kann mittels der Kriterien ebenso das allogene graphische Segment analysiert werden: NK AS-F + NK ZS-S (ALLOGENISMUS): ĺ Darüber hinaus lässt sich die Unterscheidung der Konformitätskriterien ebenso auf diachronische Entwicklungen beziehen. Hier geht es insbesondere um die weitere Entwicklung entlehnter Wörter innerhalb der ZS, durch die eine zunehmende Anpassung an die Strukturen der ZS erfolgen kann. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung liefert die bereits erwähnte Entlehnung von frz. bureau ins Deutsche. Die Form wird zunächst mit der Schreibung dt. Bureau entlehnt; später wird die Schreibung des Wortes zu Büro verändert, welche heute als die etablierte Schreibung gelten kann (cf. Duden). Darüber hinaus findet sich in aktuellen Verwendungen neben der verbreiteten Aussprache mit Endbetonung auch eine weiter ans Deutsche angepasste Aussprache mit Betonung auf der ersten Silbe und Öffnung des ersten Vokals: (149) frz. bureau ĺ dt. Bureau [by'ro:] (Nüssler 1987, 111) (150) dt. Bureau ĺ dt. Büro [by'ro:] (Duden; EWDS) (151) dt. Büro [by'ro:] ĺ dt. ['bƘro] (Duden; EWDS; JabáoĔski 1990, 13) 19 Auch hier können die Konformitätskriterien zunächst auf die ursprünglich entlehnte Form angewandt werden (cf. Abb. 12); ich berücksichtige in diesem Fall auch die Graphem-Phonem-Korrespondenzen und den Wortakzent, da die späteren Integrationen auch auf diese Merkmale Bezug nehmen. Mittels der Konformitätskriterien können zunächst wiederum die einzelnen auftretenden Kombinationen ermittelt werden: K AS-F + K ZS-S (KORRESPONDENZ):

, [b], [y], [r] 20

NK AS-F + K ZS-S (INTEGRATION):

ĺ [o] ĺ [o:]

K AS-F + NK ZS-S (TRANSFERENZ):

ı 'ı

Zusätzlich können die Graphem-Phonem-Korrespondenzen der entlehnten Form hinsichtlich des zweiten Konformitätskriteriums analysiert werden (eine Analyse gemäß dem ersten Kriterium entfällt dagegen, da die AS-Graphem-Phonem-Korrespondenzen in der Sprachkontaktsituation für den ZS-Rezipienten nicht direkt rele19

20

Die angegebene Aussprache ist im Duden und im EWDS nicht belegt, es findet sich aber ein Hinweis darauf bei JabáoĔski (1990, 13). Darüber hinaus kann die entsprechende Realisierung in Sprecheräußerungen immer wieder festgestellt werden. Nicht phonologisch relevante Veränderungen, wie sie etwa in der Aussprache des /r/ auftreten können, werden hier ausgeklammert.

105

vant bzw. zugänglich sind (cf. die Bemerkungen zur prinzipiellen Nichtentlehnbarkeit von [AS-]Phonemen und Graphemen in Fußnote 12): 21 K ZS-S:

ļ [b], ļ [r]

NK ZS-S:

ļ [y], ļ [o:] Graphische Segmente

frz. dt. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

<
>

] ]

Phonische Segmente frz. dt. K ggü. AS-Form?

[ [

b b K

y y K

r r K

o o: NK

K ggü. ZS-System? Analyse

K KORR

K KORR

K KORR

K INT

dt.

ļ [b] K

Graphem-Phonem-Korrespondenzen

K ggü. ZS-System?

ļ [y] NK

ļ [r] K

ļ [o:] NK

Wortakzent frz. dt. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse Abb. 12:

ı 'ı ı 'ı K NK TRANS

Analyse von frz. bureau [by'ro] ĺ dt. Bureau [by'ro:] nach den Konformitätskriterien

Auf dieser Grundlage kann nun auch die weitere Entwicklung der Form im Deutschen analysiert werden. Hierbei kann die Hypothese formuliert werden, dass Strukturen, die bereits dem System des Deutschen entsprechen (Korrespondenzen und Integrationen), nicht weiter verändert werden, so dass die weitere Veränderung nur 21

Interessanterweise lässt sich beobachten, dass bei der untersuchten Entlehnung die GPK ļ /y/ auftritt, die im Hinblick auf das Deutsche als systemfremd einzustufen ist, obwohl weder das graphische Segment noch das phonische Segment [y] im Hinblick auf das System des Deutschen als nicht-konform einzustufen sind. Demnach stellen transferierte graphische oder phonische Segmente eine hinreichende (cf. ļ /o:/), jedoch keine notwendige Bedingung für das Vorliegen von systemfremden GPKs dar.

106

noch die nicht angepassten Strukturen betrifft. In der Tat findet ein fortschreitender Abbau entsprechender Strukturen statt. In der Form dt. Büro [by'ro:] werden die graphischen Segmente und durch und ersetzt, die gemäß des zweiten Kriteriums als ZS-konform einzustufen sind. Gleichzeitig erhält man dadurch auch ZS-konforme GPKs ( ļ [y], ļ [o:]). Einzig der Wortakzent bleibt zunächst nicht-konform gegenüber dem deutschen System; in einem weiteren Integrationsschritt wird dann jedoch auch genau dieses Merkmal verändert (dt. Büro ['bƘro], 'ı ı). 22 Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass Prozesse der späteren Lehnwortintegration nur bestimmte Strukturen der entlehnten Wörter betreffen, die mittels der Konformitätskriterien genau lokalisiert werden können. Der zeitliche Aspekt entsprechender diachronischer Betrachtungen tritt so neben das erste, sprachvergleichende und zweite, synchronisch-ZS-interne und strukturelle Konformitätskriterium und eröffnet eine zusätzliche, zeitliche Dimension. Damit finden sich hier die drei grundlegenden Betrachtungsweisen wieder, die allgemein für die Untersuchung von Entlehnungen und verwandten Phänomenen der sprachlichen Fremdheit gegenübergestellt werden können (cf. Kap. 3.5). Darüber hinaus leistet die vorgestellte Unterscheidung von zwei Typen der Konformität einen Beitrag zur Lösung bisheriger Kontroversen bezüglich der Bestimmung von «Fremdwort» und «Lehnwort», insofern als der scheinbare Widerspruch zwischen bisherigen Auffassungen (cf. Carstensen vs. Kiesler) dahingehend aufgelöst werden kann, dass es sich um prinzipiell voneinander unabhängige Aspekte bzw. Typen der Konformität handelt. Ebenso kann durch die Konformitätskriterien der Begriff der «Lehnwortintegration» neu fundiert werden: Seine beschreibenden Aspekte im Hinblick auf die Ebene der Sprache können vollständig über die Merkmale der Nichtkonformität gegenüber der AS-Form und der Konformität gegenüber dem ZS-System erfasst werden. Dies bedeutet, dass die beobachteten Phänomene weitgehend theorieneutral festgestellt und klassifiziert werden können; gleichzeitig wird dadurch das methodologische Vorgehen bei der Analyse von Integrationsphänomenen deutlicher gemacht.

5.3

Zusammenfassung und Neufestlegung der Begriffe «Lehnwort» und «Lehnwortintegration»

Die zentrale These des vorliegenden Kapitels kann dahingehend zusammengefasst werden, dass ungeklärte Fragen und Schwierigkeiten traditioneller Bestimmungen von «Lehnwort» und «Lehnwortintegration» auf das Fehlen bestimmter begrifflicher Unterscheidungen zurückgeführt werden können. Daher wurden verschiedene terminologische und konzeptionelle Klärungen vorgenommen. Sodann wurde eine zusätz22

Zusätzlich bedingt die Verschiebung des Wortakzents eine Öffnung des Vokals und einen Verlust der Vokallängung: [y:] ĺ [Ƙ] (cf. das Nebeneinander von dt. Dusche ['du:ƌš] und ['dƓƌš], das ebenso das Zusammenspiel von Vokalqualität und -quantität belegt [langes, geschlossenes /i:/, /y:/, /u:/ vs. kurzes, relativ offenes /ų/, /Ƙ/, /Ɠ/], wobei im Beispiel von dt. Dusche keine Verschiebung des Wortakzents auftritt; Volland 1986, 29).

107

liche Unterscheidung von zwei grundlegenden Typen der Konformität vorgeschlagen: Konformität gegenüber der AS-Form (Übernahme/Ersetzung) und Konformität gegenüber dem ZS-System (Systemkonformität/Systemfremdheit). Diese Konformitätstypen erlauben es, hinsichtlich der Begriffe des «Lehnworts» und der «Lehnwortintegration», die für die Eingrenzung des Gegenstandsbereichs dieser Arbeit zentral sind, präzise inhaltliche (Neu-)Festlegungen zu treffen. «Integration» wird demnach auf die einzelnen Strukturelemente entlehnter Wörter bezogen und lässt sich über die Merkmale der Nichtkonformität gegenüber der AS-Form und der Konformität gegenüber dem ZS-System charakterisieren. Gleichzeitig stellt sich Integration so als eine von vier grundlegenden Optionen dar; alternativ dazu können auch Korrespondenzen, Transferenzen und Allogenismen vorliegen. Dabei wurde dafür argumentiert, die Kriterien nur auf den Ebenen der Aussprache und Schreibung anzuwenden, während für morphologische Prozesse in der Regel eine andere Beschreibung sinnvoll erscheint; ebenso stellen semantische Veränderungen ein anders geartetes Phänomen dar. Insgesamt können auf der Grundlage der vorgestellten Konformitätskriterien differenzierte Analysen entlehnter Formen durchgeführt werden, die sowohl den intra- als auch den interlingualen Status der Formen berücksichtigen. Mit entsprechenden differenzierten Analysen kann zugleich die für viele Betrachtungen von Entlehnungen unzureichende Dichotomie Fremdwort vs. Lehnwort überwunden werden. Insbesondere können auf der Grundlage der Einzelanalysen auf den verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen auch Zwischenstadien der Integriertheit präzise erfasst werden. Die Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn rückt damit zunächst in den Hintergrund. Dennoch erscheint es sinnvoll, diese Begriffe als allgemeine Beschreibungskategorien beizubehalten. Der Terminus «Lehnwort» wird dabei in einem umfassenden Sinn verstanden, der Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn einschließt. Zur Abgrenzung der beiden Unterkategorien wird auf das zweite Konformitätskriterium zurückgegriffen. Fremdwörter lassen sich demnach durch eine (partielle) Nichtkonformität gegenüber dem ZS-System charakterisieren, d.h. sie weisen formal-strukturelle Fremdheitsmerkmale (Laute, Lautkombinationen, Wortakzent, graphische Segmente, GPKs) auf, die als Transferenzen zu charakterisieren sind. 23 Weisen die Formen dabei keine Abweichungen gegenüber den ASFormen auf, so handelt es sich um übernommene Fremdwörter; im Falle der Ersetzung einzelner Merkmale durch ZS-systemkonforme Elemente liegen hingegen teilintegrierte Fremdwörter vor. Bei Lehnwörtern im engeren Sinn wurden entsprechende Fremdheitsmerkmale vollständig abgebaut (durch Integration) oder lagen (aufgrund von Korrespondenzen) von vornherein nicht vor. Diese beiden möglichen Optionen, die zum Vorliegen eines Lehnworts im engeren Sinn führen können (Integration und Korrespondenz) machen zugleich deutlich, dass der Begriff des «inte23

Aufgrund universaler Charakteristika von Sprachen sowie aufgrund bestimmter typologisch häufiger Strukturen ist selbst für typologisch stark verschiedene und etymologisch nicht verwandte Sprachen in der Regel nur von einer partiellen Nicht-Konformität bzw. von einem Vorliegen von Transferenzen nur bei einigen Strukturen der entlehnten Wörter auszugehen.

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grierten Lehnworts» nicht geeignet erscheint, um als Gegenbegriff zum Fremdwort zu fungieren: Formen wie it. tango können nicht als integrierte Formen gewertet werden, da sie auf die alternative Option der Korrespondenz zurückgehen; gleichzeitig stellen entsprechende Formen aber im Sinne des zugrunde gelegten Verständnisses klar Lehnwörter im engeren Sinn dar (da sie keine formal-strukturellen Fremdheitsmerkmale aufweisen). Diese Fälle werden daher hier als «übernommene Lehnwörter» gefasst. Die Option der lautlichen und/oder graphischen Allogenismen verweist schließlich auf den Bereich der sog. hyperforeignisms. Diese werden traditionell nicht unbedingt mit Fremdwort und Lehnwort im engeren Sinn in eine Reihe gestellt. Anhand der beiden Konformitätstypen lassen sie sich jedoch parallel zu den anderen Konstellationen analysieren. Im Vergleich zu traditionellen Definitionen ist vor allem darauf hinzuweisen, dass die Fundierung der Begriffe über die Konformitätskriterien auf eine deutlichere Trennung zwischen deskriptiven und explanativen Elementen abzielt. Anders als bisherige Definitionsvorschläge, die neben beschreibenden auch erklärende Elemente beinhalten (so etwa das Merkmal einer «Angleichung» an die ZS), soll hier zunächst eine Rückführung auf deskriptive und weitgehend theorieneutrale Aspekte erfolgen, d.h. die Konformitätskriterien werden im Wesentlichen als diagnostische Instrumente verstanden. Die Bestimmung der Konformität oder Nichtkonformität gegenüber der AS-Form, d.h. von Übernahme bzw. Ersetzung, erfolgt dabei über einen Vergleich der jeweiligen Formen. Die Bestimmung des zweiten Kriteriums bezieht sich hingegen auf den Status der Strukturen der entlehnten Wörter im System der ZS; auch hier gehen jedoch keine Annahmen darüber ein, warum die Sprachbenutzer entsprechende Verfahren realisieren. Damit wurden im vorliegenden Kapitel zentrale Grundlagen einer umfassenden und detaillierten Beschreibung von Integrationsphänomenen erarbeitet. In den folgenden Kapiteln soll nun darüber hinausgehend gefragt werden, wie entsprechende Phänomene aus der Perspektive der Sprachbenutzer beschreib- und erklärbar sind. Hierzu ist es wesentlich, auf diachronische Aspekte und insbesondere das Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel näher einzugehen, wie dies auch aus Saussures Auffassung von Synchronie und Diachronie abgeleitet werden kann: «Das System einer Sprache ist zunächst nur beschreibbar zu einem bestimmten Zeitpunkt, sozusagen als statisches, unter Absehung von bereits durchlaufener und potentiell noch zu durchlaufender Entwicklung. Zugleich ist es aber nur verstehbar als ein Gewordenes, als Produkt einer Entwicklung. Nur unter Berücksichtigung beider Achsen, der ‹simultanen› und der ‹sukzessiven›, vom sog. panchronischen Standpunkt aus, lassen sich sprachliche Erscheinungen tatsächlich erklären» (Pelz 52000, 62–63).

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6

Zum Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel: Entlehnungen als Explanans für Sprachwandel?

Nachfolgend sollen zunächst wichtige Ansätze skizziert werden, in denen die Untersuchung von Entlehnungsphänomenen eine zentrale Stellung einnimmt. Das Ziel der Betrachtungen ist, es, die Anforderungen zu klären, die an die Beschreibung und Erklärung von Entlehnungs- und Integrationsprozessen gestellt werden können. Dabei eröffnet die traditionelle Forschung unterschiedliche Zugänge zum Thema. Es lassen sich drei grundlegende Typen von Ansätzen herausstellen, die unterschiedliche Perspektiven einnehmen, jeweils bestimmte theoretische Aspekte der Entlehnung fokussieren und bestimmte methodologische Zugänge wählen (cf. Kap. 3.5). Die Aufzählung der genannten Ansätze und die Zuweisung einzelner Autoren zu den jeweiligen Zugängen sind hierbei nicht als exhaustiv zu verstehen. In vielen Arbeiten werden verschiedene der Ansätze kombiniert, worauf ich nicht im Einzelnen eingehen werde. Vielmehr soll es im Folgenden vor allem darum gehen, zentrale Typen von Ansätzen zu charakterisieren und gegenüberzustellen, um wichtige Perspektiven der traditionellen Entlehnungsforschung deutlich zu machen. Besprochen werden zunächst lexikographische Ansätze, die Entlehnungen im Wortschatz einzelner Sprachen erfassen und analysieren. Danach gehe ich auf den Bereich der Sprachkontaktforschung und soziolinguistische Ansätze ein, die demgegenüber stärker auf die konkreten Entlehnungsvorgänge durch die Sprecher und die Rahmenbedingungen der jeweiligen Entlehnung oder der kontaktinduzierten Innovation eingehen. Drittens werden Entlehnungen häufig unter dem Aspekt der auftretenden formalen Veränderungen untersucht, wobei wiederum eine bestimmte theoretische und methodologische Fokussierung vorgenommen wird. Mit den unterschiedlichen methodologischen Zugängen korrelieren jeweils bestimmte Analysen von Entlehnungsvorgängen, wobei die Ansätze teilweise komplementäre Perspektiven auf das Phänomen der Entlehnung liefern. Im Anschluss werden daher Probleme und Perspektiven der traditionellen Ansätze diskutiert. Insbesondere soll für die drei Typen von Ansätzen skizziert werden, wie das Verhältnis von Entlehnung zu anderen Bereichen von Sprachwandel bestimmt wird. Hierbei zeigt sich die Tendenz, Entlehnungen anderen Bereichen des Wandels gegenüberzustellen und sie getrennt von diesen zu analysieren. Das Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel wird demnach im Anschluss nochmals eingehender diskutiert. Die häufige Gegenüberstellung von Entlehnung als exogenem oder externem Wandel einerseits und endogenem oder internem Wandel andererseits lässt sich auch dahingehend interpretieren, dass Entlehnung häufig als Explanans betrachtet

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wird: Wandelphänomene, die sich intern nicht herleiten lassen, werden durch externe Einflüsse begründet und damit scheinbar erklärt. Es ist jedoch zu hinterfragen, ob die Entlehnungsvorgänge selbst damit tatsächlich hinreichend genau erklärt sind. Sowohl für die drei skizzierten Typen von Ansätzen als auch aus der Perspektive der Sprachwandelforschung ergibt sich, dass Entlehnung bislang nur unter bestimmten Aspekten fokussiert wurde, jedoch als zentrales Phänomen des Sprachwandels in seiner ganzen Komplexität bislang nur unzureichend verstanden ist. Zugespitzt formuliert: Mit der «Erklärung» eines bestimmten sprachlichen Phänomens durch Entlehnung ist im Grunde genommen noch sehr wenig erklärt – was aussteht, ist eine umfassende Modellierung des Ablaufs der Entlehnung selbst und der bei den kommunikativen Verwendungen der Sprachbenutzer zusammenwirkenden Faktoren. Abschließend kann daher die These formuliert werden, dass Entlehnung im Rahmen traditioneller Ansätze zum Sprachwandel noch immer – zu Unrecht – ein zentrales Explanans darstellt.

6.1

Grundlegende Ansätze bei der Untersuchung von Entlehnungen

6.1.1

Lexikologische und lexikographische Ansätze

Entlehnungsvorgänge werden insbesondere in der deutschsprachigen Forschung häufig in lexikologischen und lexikographischen Ansätzen erfasst. Im Zentrum der Aufmerksamkeit der traditionellen Entlehnungsforschung steht dabei die Klassifikation verschiedener Typen von sprachlichen Einflüssen bzw. ihren Reflexen im Lexikon der entlehnenden Sprache. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Betz (1936; 1945; 1949; 1951; 1959; 1974; 1975), die darauf abzielen, den Umfang der Beeinflussung bestimmter Sprachen durch andere zu bestimmen und vor allem die bis dahin kaum systematisch untersuchten Typen inneren Lehnguts zu erfassen. Betz’ Arbeiten können für die deutsche Entlehnungsforschung bis heute als richtungweisend angesehen werden. In der Folge entstehen dann eine Reihe von Arbeiten, in denen die von Betz entwickelte Systematik ganz, weitgehend oder mit Modifikationen übernommen und auf bestimmte Bereiche des Wortschatzes sowie weitere Sprachen angewandt wird (cf. u.a. Hope 1971; Duckworth 1977; Kiesler 1993 und Görlach, ed., 2002). Dabei nimmt in den theoretischen Diskussionen vor allem der Status der sog. Lehnschöpfung eine zentrale Rolle ein (cf. insbesondere Höfler 1990). Auch wenn es daher insgesamt eine Vielzahl von partiell voneinander abweichenden Klassifikationen gibt, so ist doch eine relativ große Kontinuität in der Herangehensweise an das Phänomen der Entlehnung festzustellen: Diese wird im Wesentlichen als lexikalisches Phänomen untersucht, wobei es darum geht, Teile des Wortschatzes einer Sprache als entlehnt oder auf fremden Einfluss zurückgehend zu kennzeichnen, d.h. insgesamt liegt – insbesondere in der deutschen Lexikologie – eine primär etymologische Perspektive vor (cf. von Polenz 1979, 17). Innerhalb des auf diese Weise eingegrenzten Materials werden dann unterschiedliche Fragestellungen bearbeitet. Dabei wurde in den letzten Jahrzehnten eine große Fülle an Materialzusammenstellungen erarbeitet, es sind jedoch kaum neue theoretische 112

Ansätze im Bereich der Erforschung des sprachlichen Lehnguts entwickelt worden (Humbley 2008b, 229). Einige grundlegend neue Gedanken werden durch die Arbeit von Jansen (2005) eingebracht 1, wobei aber auch hier der Schwerpunkt auf der Klassifikation von sprachkontaktinduzierten Innovationen eines ausgewählten Bereichs des französischen und spanischen Lexikons liegt. Noch laufende oder vor kurzem abgeschlossene Projekte zeigen, dass entsprechenden Fragestellungen noch immer große Aktualität und Relevanz beigemessen wird. So untersucht beispielsweise das Projekt Dizionario di italianismi nelle lingue europee, wie Italianismen in unterschiedliche europäische Sprache eingegangen sind und welche Unterschiede in ihrer Bedeutung und formalen Integration im Sprachenvergleich feststellbar sind (cf. DILE). 2 Auch in den Tübinger Projekten DECOLAR (Dictionnaire Etymologique et Cognitif des Langues Romanes) und LexiType(Dia) – Lexikalischer Wandel – Polygenese – kognitive Konstanten: Der menschliche Körper (SFB 441, Universität Tübingen, 1999–2004), welche die Entstehung von Körperteilbezeichnungen in 14 romanischen Sprachen und Idiomen bzw. in einer repräsentativen Auswahl von Sprachen der Welt untersuchen, stellt die Alternative von Erbwort vs. Lehnwort einen wichtigen Parameter der Analysen dar. 3 Ebenso widmet sich das Projekt Loanword Typology von Martin Haspelmath und Uri Tadmor (Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology, Department of Linguistics, Leipzig) dem Bereich der Entlehnung, wobei speziell «lexical borrowing patterns» in verschiedenen Sprachen der Welt untersucht werden. Für jede der Sprachen werden die Ausdrücke für ca. 1.400 Konzepte 4 analysiert. Das Ziel des Projekts besteht darin, Aussagen über die «Entlehnbarkeit» bestimmter Typen von Wörtern (d.h. die Häufigkeit von Entlehnungen für verschiedene semantische 1

2

3

4

Wichtig erscheint mir vor allem ihre Kritik an der traditionell unzureichenden Differenzierung von Entlehnung als synchronisches und als diachronisches Phänomen. Unter Bezugnahme auf Coserius Unterscheidung von System, Norm und Rede lässt sich Entlehnung nach Jansen als Phänomen der Synchronie und der Rede auffassen, wobei die entlehnten Wörter in der aufnehmenden Sprache lexikalisiert und somit Teil des Sprachsystems werden können. Der Übergangsbereich zwischen diesen Stadien lässt sich über den Begriff der Norm erfassen. Neu an dieser Sichtweise ist, dass hier eine Brücke zum Sprachwandel geschlagen wird, indem ein Vorschlag gemacht wird, den Ablauf von der Entlehnung selbst bis hin zur Lexikalisierung der Formen in der ZS zu erfassen. Das DILE geht dabei nicht wie die meisten traditionellen Wörterbücher zu Entlehnungen von einer bestimmten ZS aus, um die darin vorhandenen Entlehnungen zu dokumentieren, sondern stützt sich auf das Italienische als AS, um Entlehnungen der einzelnen Wörter in das Französische, Englische und Deutsche gegenüberzustellen. Cf. die Internetseiten der Projekte, und (Zugriff jeweils am 22.07.2008), sowie Gévaudan (2007) und Steinberg (2008). Eine Auszählung für das Comparative Austronesian dictionary kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass in den austronesischen Sprachen im Bereich der Körperteilbezeichnungen gerade besonders wenige Entlehnungen vorliegen (Haspelmath 2003, 10). Analog kann auch für andere Sprachen angenommen werden, dass in diesem Bereich des Wortschatzes gerade ein relativ geringer Anteil an Entlehnungen vorliegt. Als Grundlage hierfür dient eine auf Buck (1949) basierende Liste der Intercontinental Dictionary Series.

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Felder, Wortarten etc.), über die Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung sowie über grammatische, soziale und kulturelle Bedingungen der Entlehnungen zu treffen. 5 Mit ihrer übergreifenden sprachtypologischen Ausrichtung gehen die Projekte LexiType(Dia) und Loanword Typology bereits über einzelsprachlich-lexikologische Fragestellungen hinaus; im zuletzt genannten Projekt finden sich zusätzlich enge Bezüge zu Fragestellungen der Sprachkontaktforschung, die im folgenden Kapitel 6.1.2 besprochen wird. Die für entsprechende lexikologische und lexikographische Ansätze zentrale Fragestellung lautet: «Inwiefern ist eine Bezeichnung einer gegebenen Sprache durch eine fremdsprachliche Bezeichnung beeinflusst?» Der sich daraus ergebende Gegenstandsbereich lässt sich als «Entlehnungen» oder «Lehnwortschatz» charakterisieren (cf. Kap. 3.5). Bei den meisten der genannten Arbeiten liegt dabei der Schwerpunkt auf der Erfassung von Entlehnungen in ausgewählten Teilen des Wortschatzes oder im Gesamtwortschatz einer Sprache, d.h. es geht generell um Entlehnungen innerhalb des Zeichenrepertoires der langue: Der Wortschatz einer oder mehrerer Sprachen oder Teilbereiche davon werden ausgewertet, um das Ausmaß und die Ausformungen fremdsprachlicher Einflüsse zu bestimmen; hierbei werden häufig nicht nur Lehnwörter, sondern auch Lehnprägungen und zum Teil auch sog. Lehnschöpfungen berücksichtigt. 6 Gleichzeitig werden in der Regel nur lexikalisierte Entlehnungen erfasst, die also fest in den Wortschatz der aufnehmenden Sprache eingegangen sind, während ad hoc-Entlehnungen einzelner Sprecher bzw. erstmalige Entlehnungen meist ausgeklammert werden. Daraus ergibt sich, dass nur ein spezieller Aspekt der Entlehnungsvorgänge thematisiert wird – nämlich die dauerhaften Ergebnisse von Entlehnungsprozessen im Lexikon einzelner Sprachen –, während andere mögliche Fragestellungen von vornherein ausgeklammert werden und nicht Gegenstand des Interesses sind. Die primäre Zielsetzung ist nicht unbedingt, den Ablauf der Entlehnung zu verstehen und zu erklären, sondern es geht im Wesentlichen um einen synchronischen Sprachenvergleich bzw. um eine Charakterisierung des Wortschatzes einer Sprache. In einem entsprechenden Kontext sind ferner bestimmte Unterscheidungen von untergeordneter Bedeutung. So wird etwa in vielen Fällen nicht systematisch unterschieden zwischen Veränderungen, die bei der erstmaligen Entlehnung auftreten (etwa Bedeutungsveränderungen oder formalen Anpassungen der Aussprache und Schreibung, cf. den in Kap. 5.1.3 eingeführten Terminus der Kontaktintegration und Bsp. (152)), und erst später in der ZS eintretenden Veränderungen der entlehnten Einheiten (cf. den in Kap. 5.1.3 eingeführten Terminus der ZS-internen Integration und Bsp. (153)). (152) engl. cookie ['kƓkų] ĺ frz. cookie [ku'ki] (OED; PR)

5 6

Cf. Haspelmath (2003) sowie die Angaben auf der Homepage des Projekts Loanword Typology (, Zugriff 21.07.2008). Eine Einordnung der Lehnschöpfungen unter die Entlehnungen erscheint allerdings aus den in Kap. 3.5 dargelegten Gründen problematisch.

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(153) dt. Bouclé ĺ dt. Buklee ‘Garn mit Knoten und Schlingen’; ‘Gewebe und Teppich aus diesem Garn’ (Duden s.v. Bouclé1,2) Ebenso gehen entsprechende Arbeiten häufig selektiv vor: Von in der ZS koexistierenden Varianten entlehnter Einheiten (Aussprache- oder Schreibvarianten, morphologische Varianten) wird häufig nur eine oder zumindest nur eine begrenzte Zahl erfasst. Auch diese Ausrichtung ergibt sich teilweise aus der Fokussierung entsprechender Arbeiten auf lexikalisierte Einheiten; es geht also im Wesentlichen um die Erfassung von Formen, die in der ZS weit verbreitet sind und als etabliert gelten können. 7 Eine weitere Tendenz im Zusammenhang mit entsprechenden lexikographischen Arbeiten besteht schließlich darin, dass die Zusammenstellung von Entlehnungen in speziellen Fremdwörterbüchern auch eine marginalisierende Funktion übernehmen kann. Entsprechende Wörterbücher können, wie Munske für das Deutsche anmerkt, ein «Alibi für die Ignorierung dieses Teils des deutschen Wortschatzes in verschiedenen einsprachigen Wörterbüchern seit den Anfängen deutscher Lexikographie» sein (Munske 1983, 560; cf. Kirkness 1979, 74). Darüber hinaus stellt Munske fest – und dies ist weit schwerwiegender –, dass «in den meisten Darstellungen zum Gesamtsystem der deutschen Sprache, sei es zur Phonologie, Graphematik oder Morphologie, die Fremdwörter von vornherein ausgesondert oder nur ansatzweise behandelt werden» (Munske 1983, 560).

Mit anderen Worten: Die Einstufung bestimmter Formen als entlehnt begründet gleichzeitig, warum Beschreibungen und Theorien des Lexikons entsprechende Formen ausklammern dürfen. Entsprechende Tendenzen finden sich auch über das Deutsche hinaus. Ein solches Vorgehen erscheint in theoretischer Hinsicht unbefriedigend, da die Inkorporierung von Entlehnungen als «(e)ine der wesentlichen Sprachwandelerscheinungen aller natürlichen Sprachen» (Munske 1983, 560) angesehen werden kann. Generell besteht somit die Tendenz, Entlehnungen stark von anderen Bereichen des sprachinternen Wandels abzugrenzen und diese als alternative Prozesse zu analysieren. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der traditionellen Gegenüberstellung der Bereiche Bedeutungswandel, Wortbildung und Entlehnung (cf. Geckeler/Kattenbusch 1992, 78; Tekavþiü 1972, 16; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986 s.v. néologie). 8 7

8

Teilweise entsprechen die in lexikographischen Werken angegebenen Formen allerdings auch eher einer präskriptiven Norm, nicht jedoch den tatsächlichen (frequenten) Realisierungen durch die Sprecher. So findet sich etwa im DAF unter fuel nur ein Verweis auf den Haupteintrag fioul; bei Frantext finden sich jedoch nur zwei Belege für die Schreibung (gegenüber 22 Belegen für ; Stand Mai 2011), und auch im Internet ist die Schreibung frz. häufig belegt (cf. Kap. 15.4). Im Übrigen korreliert mit dieser Gegenüberstellung häufig eine Fokussierung auf direkte Entlehnungen. Typen des inneren Lehnguts – Lehnprägungen oder Analogiebildungen – werden hingegen weitgehend ausgeklammert (Tekavþiü 1972, 16; cf. Arrivé/Gadet/Galmiche 1986 s.v. néologie). Dies ist teilweise auch dadurch erklärbar, dass bei letzteren sowohl fremdsprachliche Einflüsse als auch Wortbildungs- und Bedeutungswandelprozesse unmittelbar sichtbar sind, wodurch die Trennung von Entlehnung, Wortbildung und

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Zusammenfassend lassen sich entsprechende Wortschatzuntersuchungen daher dadurch charakterisieren, dass Entlehnungen als ein eingegrenztes Teilgebiet des Wortschatzes behandelt werden bzw. dass es gerade darum geht, innerhalb des Wortschatzes einer Sprache ein entsprechendes Teilgebiet aufgrund sprachgeschichtlicher (sowie teilweise auch formaler) Kriterien einzugrenzen. Insofern werden lexikalische Einheiten, die aus einer anderen Sprache entlehnt sind, hier dem restlichen, nativen Wortschatz gegenübergestellt. Insgesamt stellen lexikographische Ansätze der Entlehnungsforschung umfassendes und wertvolles Material bereit 9, indem kulturelle und sprachliche Einflüsse und ihre jeweilige Ausprägung zu unterschiedlichen historischen Epochen dokumentiert werden. Die Entlehnungsvorgänge selbst werden jedoch in entsprechenden Arbeiten kaum untersucht. Phänomene, die den Entlehnungsprozess selbst bzw. die spätere Entwicklung entlehnter Einheiten in der ZS betreffen, werden allenfalls registriert, es werden jedoch keine umfassenden Erklärungsansätze bereitgestellt – was allerdings auch nicht der Zielsetzung der Arbeiten entspricht. Mit der Einschränkung, dass bestimmte theoretische Aspekte und Unterscheidungen gegebenenfalls noch zu ergänzen sind, können lexikographische Arbeiten daher eine wichtige Grundlage für weiterführende Untersuchungen darstellen, welche verstärkt die Erklärbarkeit der festgestellten Phänomene in den Blick nehmen möchten.

6.1.2

Sprachkontaktforschung und soziolinguistische Ansätze

Eine zweite Ausrichtung bei der Untersuchung von Entlehnungsvorgängen, die im englischsprachigen (insbesondere dem amerikanischen) Raum auf eine längere Tradition zurückblickt und auch gegenwärtig intensiv verfolgt wird, sind Ansätze der Sprachkontaktforschung und soziolinguistische Ansätze. Grundlegend sind die Arbeiten von Haugen (1950; 1969) sowie Weinreich (1968 [11953]) (cf. Hoffer 1996). Für die aktuellere Forschung sind unter anderem die Arbeiten von Thomason (Thomason, ed., 1997; Thomason 2001; 2003), Thomason/Kaufman (1988) sowie Van Coetsem (2000), Myers-Scotton (2002), Clyne (2003), Enfield (2003), Winford (2003) und Riehl (2004) zu nennen. Innerhalb dieser Gruppe von Ansätzen wird der Begriff der «Interferenz» geprägt (Weinreich 1968; cf. Kap. 3.2 der vorliegenden Arbeit), der häufig anstelle von «Entlehnung» verwendet wird und der bereits auch auf den dritten Typ von Ansatz verweist (cf. dazu Kap. 6.1.3). Die zweite Ausrichtung unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht grundlegend von den lexikographischen Ansätzen. Anders als dort geht es nunmehr darum, die Entlehnung als Vorgang im Sprechen einzelner Sprachbenutzer zu begreifen. Die zentrale Fragestellung, die hinter entsprechenden Ansätzen steht, lautet: «Wie

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Bedeutungswandel gerade unterlaufen wird. (Dies soll jedoch keineswegs heißen, dass Aspekte der Wortbildung und Semantik nicht auch bei direkten Entlehnungen zu analysieren wären! – cf. hierzu insbesondere den in Kap. 8.1 vorgestellten Ansatz der Rasterklassifikation lexikalischer Innovationen). So etwa die umfangreiche Zusammenstellung bei Deroy (1956), der aber bereits weit über lexikographische Fragestellungen hinausgeht.

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wird in einer Sprachkontaktsituation mit einer fremdsprachlichen Bezeichnung umgegangen?» (cf. Kap. 3.5). Der eigentliche Gegenstandsbereich, der sich aus dieser Perspektive ergibt, umfasst demnach Entlehnungen zum Zeitpunkt der Erstentlehnung. Es geht darum, die Entstehung und Form von Interferenzen im Sprechen einzelner Individuen zu beschreiben und zu erklären. Hierbei werden verstärkt direkte Entlehnungen und dabei auftretende Interferenzen im lautlichen und morphologischen Bereich untersucht (cf. Weinreich 1968, 14–46), teilweise werden aber auch inneres Lehngut (so etwa in Haugens Systematik von 1950; cf. Weinreich 1968, 47–53) und andere Typen von sprachkontaktinduzierten Innovationen (sog. Lehnschöpfungen und sog. substituierende Lehnbedeutungen) eingeschlossen. 10 Der Schwerpunkt liegt damit nun nicht mehr auf der Ebene der langue, sondern auf einzelnen Sprachäußerungen auf der parole-Ebene (cf. zahlreiche Beispiele in Haugens Aufsatz von 1950). Weiterhin werden innerhalb dieser Ansätze bestimmte Typen von Erklärungsfaktoren für Entlehnung bzw. Interferenz untersucht. Ein wichtiges Ziel ist es darzulegen, wie sich soziologische Faktoren und Dominanzverhältnisse zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften in Sprachkontaktsituationen auswirken, d.h. inwiefern sie generell Einflüsse von der einen auf die andere Sprache begünstigen oder hemmen bzw. inwiefern bestimmte Formen des Einflusses begünstigt werden. Allerdings ist das Verhältnis der verschiedenen Erklärungsfaktoren zueinander teilweise strittig. So vertritt Croft (2000, 166 und 175) die Auffassung, dass Innovationen ausschließlich durch funktionale, die Verbreitung von Innovationen hingegen ausschließlich durch soziale Faktoren zu erklären seien. Andere Autoren stellen dagegen – speziell mit Blick auf Entlehnungsvorgänge – fest, dass auch bei Innovationen soziale Faktoren eine entscheidende Rolle übernehmen können (Thomason/ Kaufman 1988, 15; Thomason 2003, 9; Enfield 2003, 7; cf. Nettle 1999, 453), bzw. es wird generell für eine zentrale Rolle sozialer Faktoren argumentiert, während die Bedeutung linguistisch-struktureller Faktoren insgesamt als gering eingestuft wird: «[…] it is the sociolinguistic history of the speakers, and not the structure of their language, that is the primary determinant of the linguistic outcome of language contact. Purely linguistic considerations are relevant but strictly secondary overall» (Thomason/ Kaufman 1988, 35).

Somit besteht hier weiterer Klärungsbedarf, der nahelegt, unterschiedliche theoretische Ansätze zu kombinieren, um das Funktionieren von Entlehnungsprozessen in ihrer Gesamtheit besser zu verstehen. Insgesamt besteht bei dieser zweiten Gruppe von Ansätzen – anders als in den lexikographischen Ansätzen – teilweise eine Tendenz zur Beschreibung von Einzelphänomenen, d.h. es geht nicht so sehr darum, ein Gesamtpanorama der Beeinflussung einer bestimmten Sprache durch eine andere zu geben, sondern die primäre Zielsetzung ist es, Faktoren und Mechanismen zu analysieren, die den Ablauf konkreter Entlehnungsprozesse beim einzelnen Sprecher beeinflussen. Daraus ergibt sich weiterhin, dass hier vor allem der Zeitpunkt der erstmaligen Entlehnung ins 10

Darüber hinaus werden häufig auch die langfristigen Folgen der Entlehnungen für die beteiligten Sprachen betrachtet.

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Blickfeld des Interesses rückt (insbesondere im Rahmen der Sprachkontaktforschung). Diese zweite Gruppe von Ansätzen kann daher in verschiedener Hinsicht als komplementär zu den lexikographischen Arbeiten gelten. Im Hinblick auf die Untersuchung von Entlehnungen im Vergleich zu anderen Bereichen von Sprachwandel ist – ähnlich wie für die Gruppe der lexikographischen Ansätze – auch für die Ansätze der Sprachkontaktforschung und Interferenzforschung festzustellen, dass Entlehnung im Wesentlichen als Wandelprozess angesehen wird, der alternativ zu internem Wandel stattfindet. Innerhalb der Sprachkontakt- und Interferenzforschung geht es grundsätzlich nur um Situtationen, die einen Kontakt mehrerer Sprachen beinhalten. Der Bereich des internen Wandels hingegen bleibt seinem Funktionieren nach ausgeklammert; allenfalls interessiert das Verhältnis der beiden Wandeltypen bzw. die Frage, ob bestimmte sprachliche Phänomene auf interne Wandelprozesse oder aber auf Sprachkontakteinflüsse zurückgehen.

6.1.3

Untersuchungen zur formal-strukturellen Integration von Entlehnungen

Eine dritte Gruppe von Ansätzen thematisiert Entlehnung nicht mehr (primär) als Phänomen auf der Ebene des Wortschatzes bzw. als Interferenzphänomen bei Sprechern, sondern fokussiert die dabei ablaufenden Integrationsprozesse auf einzelnen Ebenen der Sprache. 11 Die grundlegende Frage ist hier: «Wie groß ist die strukturelle Fremdheit eines Worts einer gegebenen Sprache?»; der primäre Gegenstandsbereich lässt sich als «fremde Wörter» (Eisenberg/Baurmann 1980) oder als «formal fremde Strukturen im Sprachsystem» umreißen (cf. Kap. 3.5). Anders gesagt, es geht um die Frage, was passiert, wenn Elemente aus unterschiedlichen Sprachsystemen aufeinandertreffen, bzw. um die Stellung systemfremder Elemente innerhalb von Sprachsystemen. Hierbei werden verschiedene Ebenen der Integration berücksichtigt, wobei traditionell vor allem lautliche Aspekte fokussiert werden (cf. insbesondere OT-Arbeiten zur lautlichen Lehnwortintegration). In etwas geringerem Ausmaß werden Aspekte der Morphologie und Schreibung und teilweise auch semantische Aspekte behandelt. In Kap. 5.1.4 wurde jedoch dargelegt, dass in der Semantik nicht in gleicher Weise eine (formal-strukturelle) Fremdheit gegeben ist wie in den anderen Bereichen, so dass der Semantik eine Sonderrolle zukommt. Ebenso habe ich dort aus semiotischen Überlegungen heraus argumentiert, für den Bereich der Flexion andere Analyseverfahren und -kategorien anzuwenden als für Betrachtungen der Aussprache und Schreibung.

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Der Begriff der «Interferenz» zielt teilweise auch auf entsprechende strukturelle Aspekte von Sprachkontaktphänomenen ab. Im Vergleich zum Begriff der «(Lehnwort-)Integration» der entsprechende Veränderungen im Hinblick auf die ZS analysiert, betont der erstere Begriff stärker, dass es sich um ein genuin zwischensprachliches Phänomen handelt (cf. auch Diskussionen zur interlanguage im Zweitspracherwerb).

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Traditionell werden ferner vor allem lexikalisierte Formen betrachtet; in neueren Arbeiten wird hingegen häufig auch versucht, allgemeine Regeln der Lehnwortintegration aufzustellen und zu überprüfen, indem Sprecher mit neuen (unter Umständen auch fiktiven) fremdsprachlichen Formen konfrontiert werden (Untersuchung sog. online adaptations). Darüber hinaus werden in den meisten Arbeiten bevorzugt Entlehnungen aus typologisch weit auseinander liegenden Sprachen untersucht, da bei entsprechenden Entlehnungskonstellationen besonders viele und vergleichsweise auffällige Integrationsphänomene auftreten. Was das Verhältnis von Entlehnung und anderen Bereichen des Sprachwandels angeht, so finden bei Untersuchungen der formalen Integration von Entlehnungen sowohl interne als auch externe Aspekte Berücksichtigung. Es geht darum aufzuzeigen, welche Prozesse beim Aufeinandertreffen verschiedener Sprachsysteme bzw. genauer bei der Übernahme einzelner fremder Elemente in eine andere Sprache – also einem «klassischen» externen Faktum – in der aufnehmenden Sprache ausgelöst werden. Dabei lässt sich aber insbesondere für OT-Ansätze feststellen, dass diese meist von einer völlig einheitlichen Verarbeitung entlehnter und nativer Einheiten ausgehen, wobei sich wiederum Schwierigkeiten ergeben können. Ein grundlegendes Problem stellt sich (aufgrund der rigiden OT-Modellierung) durch das Auftreten von Varianten in der ZS, die sich im Grad der Lehnwortintegration unterscheiden. Der Erklärungsansatz von OT ist rein strukturell konzipiert, d.h. die Erklärung und Modellierung der Lehnwortintegration erfolgt im Wesentlichen sprachintern und auf der Grundlage einer feststehenden Beschränkungshierarchie. Andere Faktoren, die die Realisierung einer bestimmten Integration ebenfalls beeinflussen können (etwa soziale oder weitere funktionale Faktoren, die über die Vermeidung von Markiertheit bzw. über die Gewährleistung einer Treue gegenüber der Inputform hinausgehen), werden im Rahmen der Modellierung über ConstraintTableaux in der Regel nicht berücksichtigt. 12 Insgesamt lässt sich daher feststellen, 12

In neueren Arbeiten werden allerdings mögliche Einflüsse entsprechender Faktoren durchaus gewürdigt. So bezieht etwa die Arbeit von Miao (2005) auch Einflüsse der Orthographie und Aspekte der semantischen Motivierbarkeit mit ein und stellt fest: «Mandarin speakers make conscious efforts to choose a particular written character so that the adapted form can convey desirable meaning links to the source term. Sometimes semantic considerations override phonological faithfulness, triggering a deviant output. In view of this phenomenon, it is predicted that loans that can achieve semantic effects will demonstrate higher variability in phoneme substitutions» (Miao 2005, 78). Allerdings verzichtet Miao in entsprechenden Fällen auf eine Modellierung mittels Constraint-Tableaux. Wegener (2004) hingegen modelliert konkurrierende Pluralformen von Fremdwörtern im Deutschen (etwa dt. Pizzen vs. Pizzas) anhand unterschiedlicher Beschränkungshierarchien für assimilierte und unassimilierte Fremdwörter, wobei diese funktional begründet werden: «Der Unterschied im Ranking der Beschränkungen für native Appellative und unassimilierte Fremdwörter folgt aus der Notwendigkeit singular-ähnlicher Pluralformen für die letzteren, bedingt durch ihre mangelnde Etabliertheit. Für native Appellativa ist dagegen die phonetische und prosodische Wohlgeformtheit der Pluralformen ein wichtigeres Kriterium, die deren leichte Artikulierbarkeit garantiert. Die Beschränkungshierarchie für die nativen Appellativa beruht auf den Prinzipien einer ikonischen Beziehung zwischen Form und Bedeutung und dem Vorrang phonologisch-prosodischer Unmarkiertheit, die Beschränkungs-

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dass das Funktionieren der Integrationsprozesse hier vorwiegend unter sprachinternen Aspekten und unter Bezugnahme auf eine bestimmte Beschreibungsebene (vor allem die lautliche) thematisiert wird, während das Zusammenspiel mit anderen Faktoren und Prozessen der kognitiven Verarbeitung noch unzureichend erforscht ist. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Analysen berühren ebenfalls den Bereich der formalen Integration von Entlehnungen. Dabei werden aber insbesondere Entlehnungen zwischen verwandten Sprachen berücksichtigt, da sich immer wieder angedeutet hat, dass diese bestimmte Phänomene veranschaulichen, die in der traditionellen Entlehnungsforschung nur wenig Aufmerksamkeit gefunden haben (so etwa die Frage der Erfassung von Korrespondenzen wie bei sp. tango ĺ it. tango). Gleichzeitig werden Integrationsphänomene auf verschiedenen Ebenen der Sprache analysiert, wobei ich aber den Begriff der «Integration» nicht auf die Bereiche der Semantik und der Flexion anwende (gleichwohl nehmen entsprechende Analysen selbstverständlich eine zentrale Rolle bei den Untersuchungen ein). Eine wesentliche Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht dabei darin, die Integrationsphänomene auf den einzelnen Ebenen der Sprache nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern zu klären, inwiefern diese Bereiche interagieren und inwiefern sich daraus bestimmte Rückschlüsse über den Ablauf von Entlehnungsund Integrationsprozessen im Allgemeinen ziehen lassen.

6.2

Vergleich und kritische Diskussion

Die Besprechung verschiedener traditioneller Ansätze zur Erforschung von Entlehnungen hat gezeigt, dass unterschiedliche Fokussierungen vorgenommen werden, die sich wechselseitig ergänzen können. Gleichzeitig hat sich jedoch – gerade aufgrund der unterschiedlichen Perspektivierungen – bezüglich einer Reihe von Fragen Klärungsbedarf ergeben. So wurde festgestellt, dass sich die bisherigen Ansätze hinsichtlich des primären Erkenntnisinteresses unterscheiden: In lexikographischen Arbeiten liegt der Schwerpunkt auf lexikalisierten Entlehnungen, die bereits seit einiger Zeit in der jeweiligen ZS existieren und dort eine gewisse Verbreitung erlangt haben, während in soziolinguistischer Orientierung umgekehrt gerade auch besonders junge Entlehnungen bzw. Prozesse der Entlehnung und des Sprachkontakts thematisiert werden. Bei Untersuchungen der formalen Integration finden sowohl lexikalisierte Formen als auch spontane Anpassungen Berücksichtigung. Dementsprechend sind auch die Gegenstandsbereiche der verschiedenen Ansätzen teilweise komplementär (Erstentlehnungen vs. lexikalisierte Entlehnungen). hierarchie für die unassimilierten Fremdwörter […] beruht dagegen auf der Notwendigkeit von Struktur bewahrenden Flexionsformen, begründet in dem hörerorientierten Bedürfnis nach leichter Erkennbarkeit des Stammes» (Wegener 2004, 107). Interessant erscheint auch, dass im einen Fall Hörerbedürfnissen, im anderen Fall dagegen Sprecherbedürfnissen Vorrang eingeräumt wird. Die Annahme konkurrierender Hierarchien innerhalb einer Sprache widerspricht allerdings grundlegenden Prinzipien von OT, so dass eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Problematik entsprechender Modellierungen notwendig erschiene.

120

Ferner lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen gegenüberstellen: Einerseits wird Entlehnung auf der Ebene der langue betrachtet, d.h. als Phänomen innerhalb der ZS (so bei den lexikographischen Ansätzen und vielen Arbeiten zur Lehnwortintegration); andererseits wird Entlehnung hingegen auf der Ebene der parole, als Phänomen des individuellen Sprachgebrauchs thematisiert (so vor allem in der klassischen Sprachkontaktforschung). Die stärker systematisierend angelegten, langue-orientierten Ansätze integrieren zudem häufig kontrastive Betrachtungen. So werden AS- und ZS-Formen und -Bedeutungen verglichen, eventuelle Abweichungen werden unter Stichwörtern wie «falsche Freunde», false friends etc. (cf. etwa das Wörterbuch FauxAmis) oder «Scheinentlehnungen», falsi anglicismi etc. erfasst. Was konkrete Untersuchungen für die romanischen Sprachen angeht, so sind vor allem für Entlehnungen aus dem Englischen viele formale Integrationserscheinungen gut dokumentiert. Neben Regularitäten der Integration werden allgemeine Tendenzen für Entlehnungsprozesse im semantischen Bereich festgestellt, etwa die Reduktion von AS-Polysemie (cf. Busse/Görlach 2002, 27; Pulcini 2002, 162; Onysko 2007, 16–17; Munske 2010, 31). Gleichzeitig ist jedoch zu bemerken, dass trotz der intensiven und umfassenden Beschreibung der Phänomene eine Erklärung derselben in vielen Fällen noch aussteht, d.h. die Entlehnungsvorgänge selbst, die zu den jeweiligen ZS-Formen führen, sind erst in Ansätzen verstanden. Dies ist teilweise auch darauf zurückzuführen, dass bei der Beschreibung so weit wie möglich vom Sprachbenutzer abstrahiert und umgekehrt gerade eine Beschreibung der sprachlichen Strukturen selbst angestrebt wird. Als Beispiel lässt sich die Reduktion von AS-Polysemie anführen, die sich auf der Ebene der langue zunächst nicht erklären lässt. Eine einfache Erklärung dieses Faktums kann jedoch gefunden werden, wenn man von der Betrachtung der sprachlichen Formen und ihrer Bedeutungen auf der Ebene der langue umschwenkt auf eine Fokussierung der einzelnen Kommunikationsereignisse auf der Ebene der parole, auf der die Sprachbenutzer die Entlehnung vollzogen haben. Es erscheint völlig naheliegend, dass im konkreten Entlehnungskontext jeweils nur eine bestimmte Bedeutung der AS-Form relevant ist, so dass eben nur diese Bedeutung bei der Entlehnung betroffen ist. Auch für die bereits angesprochenen sog. Scheinentlehnungen gilt, dass entsprechende (kontrastiv fundierte) Zusammenstellungen auf der langue-Ebene zwar im Hinblick auf fremdsprachendidaktische Zielsetzungen sehr hilfreich sein können, jedoch meist keine Erklärung für die Entstehung der Abweichungen geben. Eine nähere Betrachtung hat gezeigt, dass die traditionell als Scheinentlehnungen zusammenfassten Phänomene sehr unterschiedliche Typen von Fällen darstellen, die in diachronischer Hinsicht und mit Bezug auf die parole-Ereignisse ihrer Entstehung jeweils anders zu erklären sind. Grundlegend verschieden sind in dieser Hinsicht Veränderungen, die bei echten Entlehnungen stattfinden, spätere ZS-interne Veränderungen entlehnter Formen sowie wirkliche Allogenismen (cf. Kap.3.4–3.6). Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass «Entlehnung» in den drei Typen von Ansätzen unterschiedlich restriktiv definiert wird. Insbesondere in Arbeiten aus dem Bereich der Sprachkontaktforschung wird diese bereits beim Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung eines fremdsprachlich beein121

flussten Worts angesetzt, d.h. bei der Übernahme eines fremdsprachlichen Worts, z.B. it. mouse COMPUTERMAUS, oder bei einer lexikalischen Innovation, die ein fremdsprachliches Modell imitiert, z.B. frz. souris MAUS ĺ COMPUTERMAUS nach engl. mouse MAUS, COMPUTERMAUS. 13 Demgegenüber heben lexikographische Arbeiten hervor, dass erst dann von «Entlehnung» gesprochen werden sollte, wenn die entsprechenden Formen fest in den Wortschatz der ZS eingegangen sind (wie dies inzwischen sowohl für it. mouse als auch für frz. souris der Fall ist). Hier ist eine theoretische Präzisierung vorzunehmen, die im allgemeineren Kontext einer Sprachwandeltheorie grundsätzlich relevant ist: Es geht um die Frage, in welche Stadien sich Sprachwandelprozesse aufgliedern lassen (etwa: Innovation – Übernahme der Innovation durch andere Sprachbenutzer/Verbreitung der Innovation – Durchsetzung, d.h. Lexikalisierung oder Grammatikalisierung der Innovation, cf. dazu insbesondere Kap. 7.3.1 und 9.2), sowie um die Einstufung der Bedeutung der einzelnen Stadien für den Prozess des Sprachwandels insgesamt. Die erstmalige Entlehnung lässt sich dabei dem Stadium der Innovation zuordnen, während spätere Verwendungen der entlehnten Einheiten in der ZS dem Stadium der Verbreitung der Innovation zuzuweisen sind. Die Tatsache, dass diese einfache Unterscheidung in bisherigen Arbeiten zur Entlehnung und Lehnwortintegration nicht immer oder nicht durchgängig getroffen wird, zeigt bereits, dass eine Annäherung von Entlehnungsund Sprachwandelforschung ergänzende Perspektiven aufzeigen kann. Die Unterscheidung zwischen der erstmaligen Übernahme eines fremdsprachlichen Ausdrucks und der späteren Entwicklung der Form in der ZS ist auch von empirischer Relevanz. So ist zu fragen, ob bestimmte Phänomene des Bedeutungswandels und der Lehnwortintegration nur in einem der beiden Stadien auftreten können. Hierzu gibt es jedoch bislang kaum Untersuchungen, welche die in beiden Phasen auftretenden Veränderungen systematisch gegenüberstellen. Weiterhin ist festzustellen, dass lexikologische und lexikographische Arbeiten zu Entlehnungen sich häufig darauf beschränken, nur die jeweils am stärksten verbreiteten Varianten der entlehnten Formen zu registrieren, sehr häufig also nur eine bestimmte Aussprache, Schreibung, Flexion etc. anzugeben. Teilweise liegen dabei auch präskriptive Tendenzen vor, cf. das im DAF als Haupteintrag verzeichnete frz. fioul gegenüber dem ebenso gebräuchlichen frz. fuel, unter dem sich im DAF nur ein Verweis auf die andere genannte Form findet. In entsprechenden lexikologischen und lexikographischen Arbeiten können also auch nur bestimmte Formen registriert werden, die einen starken Integrationsgrad aufweisen. Hier ist generell zu fragen, inwiefern dieses Bild der Realität aus der Sicht der Sprachbenutzer entspricht: Verfügen die einzelnen Sprecher tatsächlich jeweils nur über eine Variante der entlehnten Formen, die sie unabhängig vom Gesprächskontext und -partner verwenden? Und wird auch in der Sprachgemeinschaft insgesamt im Wesentlichen nur 13

Im ersten Fall gebe ich das Verhältnis zwischen den Konzepten als gerichteten Pfeil an, da ausgehend vom zuerst genannten Konzept eine Assoziation zum zweiten Konzept hergestellt wird. Für das englische Vorbildwort ist dagegen keine Richtung angegeben, da für die französische Innovation nur das Vorliegen einer (synchronischen) Polysemie, nicht aber die diachronische Frage der Entstehung dieser Polysemie im Englischen (auch hier: MAUS ĺ COMPUTERMAUS) relevant ist.

122

eine bestimmte Variante der entlehnten Formen verwendet? Da viele der bereits genannten Beispiele darauf hindeuten, dass beide Fragen möglicherweise zu verneinen sind, ergibt sich die Aufgabe, genauer auszuloten, 1. wie bedeutsam das Phänomen der Varianz bei aktuellen Entlehnungsprozessen im Hinblick auf einzelne Sprachbenutzer und auf die Sprachgemeinschaft insgesamt ist, 2. welche Faktoren ggf. die Verwendung einer bestimmten Variante beeinflussen, und 3. wie Lehnwortintegration – bzw. die Wahl einer Variante, die sich durch bestimmte Integrationsphänomene auszeichnet – erklärbar ist. Schließlich ist im Hinblick auf die bisherigen Perspektivierungen des Phänomens Entlehnung darauf hinzuweisen, dass diese sehr unterschiedliche Annahmen bezüglich der kommunikativen und kognitiven Rahmenbedingungen des Sprachkontakts zugrunde legen und von sehr unterschiedlich gearteten Kontaktsituationen ausgehen. Dies betrifft etwa die Ähnlichkeit bzw. den Abstand der beteiligten Sprachen, die Ausprägung der Zweisprachigkeit bei den beteiligten Sprechern sowie das Medium, in dem der Sprachkontakt stattfindet (phonisch vs. graphisch). Daher stellt sich häufig das Problem der mangelnden Vergleichbarkeit der bisherigen Ansätze und Thesen. Dies zeigt sich beispielsweise an der Kontroverse bezüglich der phonetischen vs. phonologischen Lehnwortintegration innerhalb optimalitätstheoretischer Ansätze (cf. Kap. 2.1.1). Eine nähere Betrachtung hat ergeben, dass die jeweiligen Arbeiten sehr unterschiedliche Kommunikations- und Sprachkontaktsituationen zugrunde legen. Insbesondere bezüglich der Charakterisierung der Sprecher, die eine Entlehnung vornehmen, weichen die Positionen stark voneinander ab: Die Ansätze zur phonologischen Lehnwortintegration (LaCharité, Paradis u.a.) untersuchen im Wesentlichen Lehnwörter bei bilingualen Sprechern, während die Ansätze zur phonetisch-perzeptuellen Lehnwortintegration (Peperkamp, Dupoux u.a.) vor allem auf experimentellen Untersuchungen mit einsprachigen Sprechern beruhen. Eine Entscheidung zwischen den kontroversen Standpunkten zu treffen, erscheint insofern schwierig, als die Positionen nicht in direktem Widerspruch zueinander stehen, sondern vielmehr unterschiedliche Erklärungsansätze für keineswegs gleichzusetzende Entlehnungskonstellationen vorschlagen. Um entsprechende Kontroversen differenzierter beurteilen zu können, erscheint es daher sinnvoll, zunächst das Spektrum an möglichen Entlehnungskonstellationen zu bestimmen, um die Positionen vergleichbar zu machen. Hierzu bietet es sich an, von den einzelnen Kommunikationssituationen auszugehen, d.h. auch hier geht es letztlich wieder darum, das Potenzial einer Betrachtungsweise zu nutzen, die explizit auf die Sprachbenutzer und ihre kommunikativen Äußerungen Bezug nimmt. Was das Verhältnis der entlehnten Einheiten zum übrigen Wortschatz der Sprache angeht, so ist die traditionelle Lehngutforschung tendenziell dadurch gekennzeichnet, dass beide Bereiche strikt getrennt werden (cf. Kap. 6.1.1). Bei optimalitätstheoretischen Ansätzen zur formal-strukturellen Lehnwortintegration liegt hingegen gerade die umgekehrte Tendenz vor, von einer einheitlichen Verarbeitung entlehnter und nativer Einheiten auszugehen, so dass keine Trennung von Entlehnungen und den restlichen Einheiten des Lexikons sowie dem nativen Sprachsystem insgesamt vorgenommen wird. Beide Tendenzen können sich jedoch als problematisch erweisen, da sich entlehnte Einheiten häufig in einer Art Zwischenstadium der 123

Integration befinden (cf. die in Bezug auf die Abgrenzung von Fremdwort und Lehnwort diskutierten Beispiele it. gauchismo, dt. Büro [by'ro:] und frz. peopole). Ein letzter Punkt, der in Bezug auf alle drei bisherigen Typen von Ansätzen erörtert wurde, betrifft das Verhältnis von Entlehnung und Sprachwandel. Da es sich hierbei um einen Punkt von sehr grundlegender Bedeutung handelt, soll dieser nachfolgend näher erörtert werden. Hierbei soll ergänzend die Sicht der Sprachwandelforschung auf Entlehnungen, also gewissermaßen die umgekehrte Blickrichtung, analysiert werden.

6.3

Entlehnung innerhalb von Theorien des Sprachwandels: endogener vs. exogener Wandel

Was das Verhältnis von Entlehnungsforschung und Sprachwandelforschung angeht, so findet sich innerhalb von Sprachwandeltheorien sehr häufig eine Trennung von zwei grundsätzlich unterschiedlich funktionierenden Typen von Sprachwandel. Diese werden als sog. «externer» und «interner», «äußerer» und «innerer» Wandel oder als «exogener» und «endogener» Wandel gegenübergestellt. Dabei wird externer Wandel häufig als kontaktbedingter Wandel, interner Wandel komplementär dazu als nicht kontaktbedingter Wandel verstanden (so u.a. Croft 2000). Darüber hinaus werden externe und interne Faktoren des Sprachwandels kontrastiert: «Sprachwandel ist teils endogen, teils exogen, d.h. bestimmte Veränderungen resultieren aus der Wechselwirkung zwischen Potential und Tätigkeit, andere hingegen werden von außen in den Kreisprozeß hineingetragen» (Lüdtke 1980, 9-10).

Bei Lüdtke werden die beiden Gruppen allerdings etwas anders konzipiert. Zentral für seine Konzeption ist der Aspekt der Sprachbewusstheit. Exogener Wandel wird demnach verstanden als Wandel durch Metakommunikation, bei der auf ein bestimmtes Kommunikationsverfahren (langue) referiert wird (cf. auch seine Gegenüberstellung von endogenem A-Wandel und exogenem A’-Wandel). Bei anderen Autoren werden darüber hinaus ökonomische, soziale und kulturelle Faktoren als externe Wandelfaktoren angesehen (cf. Vachek 1962, 433). Trotz der verschiedenen Akzentuierungen der Bereiche des «externen» und «internen» Wandels lässt sich als gemeinsamer Nenner formulieren, dass interner Sprachwandel aus der Sprache selbst heraus erklärt wird, während externer Wandel von außerhalb der Sprache erklärt wird. 14 Insofern besteht grundsätzlich eine Affinität zwischen dem internen Typus und innersprachlichem Wandel ohne Kontakteinflüsse anderer Sprachen einerseits sowie dem externen Typus und Entlehnung

14

Cf. Heger (1969, 152), der einerseits diachronische Veränderungen ansetzt, die aus dem System und seinen Aktualisierungsmöglichkeiten erklärbar sind, und andererseits Veränderungen, die hieraus gerade nicht erklärbar sind («die man je nach terminologischer Vorliebe als Auswirkungen einer ‹rule-changing creativity›, einer ‹languages in contact›Situation, eines Sub- oder Superstrateinflusses oder von was auch immer bezeichnen mag», Heger 1969, 152).

124

andererseits: Sprachkontakt kann als ein «klassischer» Einfluss gelten, der von außen auf die betrachtete Sprache einwirkt. Was die Bedeutung von internem und externem Sprachwandel bzw. entsprechenden Wandelfaktoren angeht, so finden sich ebenfalls unterschiedliche Positionen. So vertritt Schuchardt die Auffassung, dass Sprachwandel grundsätzlich auf Sprachmischung beruhe (cf. Spitzer 1976 [21928], 6; Kabatek 1996, 24), d.h. hier wird eine zentrale Bedeutung externer Faktoren angenommen. Interne Ansätze des Sprachwandels hingegen erkennen zwar in der Regel auch die Existenz von äußeren Einflüssen an, gehen aber davon aus, dass auch diese durch interne Faktoren gesteuert werden. So vertreten etwa Strukturalisten wie Havránek und Vachek die Auffassung, dass sich nur bestimmte äußere Einflüsse durchsetzen, nämlich diejenigen, welche den inneren Tendenzen des Systems entsprechen (Havránek 1966, 92; Vachek 1962, 434 und 448; 1975, 191 und 204). Coseriu zeigt jedoch auf, dass sich innerhalb entsprechender Ansätze, die Sprache eng strukturalistisch als reine synchronische Projektion konzipieren, Sprachwandel ein grundlegendes Erklärungsproblem darstellt: Wenn Sprachen als synchronisch stabile (unveränderliche) und funktionierende Systeme angesehen werden, sollte kein Sprachwandel eintreten; da aber Sprachwandel offensichtlich ständig zu beobachten ist, kann hier eine Aporie oder ein Paradox des Wandels festgestellt werden (Coseriu 1958, 7–9; cf. Coseriu 1980; Detges/Waltereid, edd., 2008). Ein Lösungsweg liegt nach Coseriu darin, Sprache nicht als ergon zu konzipieren, sondern als energeia aufzufassen und damit den Wandel als zum Wesen der Sprache gehörig zu verstehen: «El lenguaje no es algo hecho de una vez, sino algo que se hace, mejor dicho, un perpetuo hacer» (Coseriu 1958, 37, cf. 60–62, 153–155; siehe dazu auch Weinreich/Labov/Herzog 1968, 150). Dabei ergibt sich, dass sich die Historizität der Sprache und ihre Systematizität nicht mehr gegenseitig ausschließen, sondern gerade bedingen (cf. Coseriu 1958, 17–18; für eine ausführlichere Erörterung dieses Lösungswegs, der unmittelbar mit der Programmatik des methodologischen Individualismus in Verbindung gebracht werden kann, siehe Kap. 8.2 und 9). Einen wichtigen neueren Ansatz einer externen Auffassung von Sprachwandel entwirft Keller (1994) mit seiner «Theorie der unsichtbaren Hand». Er führt Sprachwandel darauf zurück, dass einzelne Sprecher intentional bestimmte neue sprachliche Strukturen verwenden (oder bestehende Strukturen aus bestimmten Gründen vermeiden). Auch wenn die Sprecher den Sprachwandel selbst hierbei nicht beabsichtigen, führen sie ihn doch herbei, indem eine ausreichend große Zahl von Sprechern ähnlichen (sprachlichen) Handlungsmustern folgt; wesentlich für Kellers Erklärungen von Sprachwandel sind daher die Intentionen der einzelnen Sprecher. Ein weiterer neuerer Ansatz zum Sprachwandel findet sich bei Croft (2000) mit seiner Theorie der Äußerungsselektion (utterance selection). Croft lehnt sich bei der Formulierung der Theorie – wie im Übrigen auch Keller – an die Theorie der (biologischen) Evolution an, formuliert aber eine im Kern interne Auffassung von Sprachwandel: Zentral ist für ihn insbesondere der Mechanismus der Form-FunktionsReanalyse, bei dem eine (hörerseitige, nichtintentionale) Neuzuordnung zwischen Sprachstruktur und Funktion vorgenommen wird. Darüber hinaus bezieht Croft allerdings auch Sprachkontakt mit ein, so dass hier ein Ansatz zur Verbindung von internen und externen Theorien gegeben ist. 125

Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass die große Mehrzahl der bisherigen Arbeiten entweder nur internen oder externen Sprachwandel untersuchen bzw. dem einen oder anderen Bereich die «eigentliche» Rolle für Sprachwandel zuweisen oder beide zumindest als grundsätzlich unterschiedlich funktionierende Typen des Sprachwandels betrachten (cf. die Darstellungen in vielen Handbüchern und Einführungen in die historische Linguistik, so etwa Hock/Joseph 1996). Die Trennung von endo- und exogenem bzw. internem und externem Wandel wird jedoch vereinzelt als unbefriedigend zurückgewiesen, und eine umfassende Sprachwandeltheorie wird eingefordert. So formuliert etwa William Croft verschiedene Desiderate für eine allgemeine Sprachwandeltheorie. Eine zentrale Stellung nimmt dabei sein Plädoyer für eine allgemeine Konzeption ein, die unterschiedliche (strukturelle, funktionale, soziale) Aspekte berücksichtigt und sowohl internen Wandel (d.h. Wandel innerhalb einer Sprache ohne Einflüsse aus einer anderen Sprache) als auch externen (d.h. sprachkontaktbedingten) Wandel einbezieht (Croft 2000, 4– 6). Es liegt insofern nahe, die theoretische Modellierung von Sprachwandel, die Croft selbst vorschlägt, genauer zu analysieren. Darüber hinaus erscheint es aufschlussreich, Kellers Theorie vergleichend hinzuzuziehen, die ebenfalls eine neuere Modellierung bereitstellt, die in der Forschung stark rezipiert wurde und einige Anknüpfungspunkte zu Croft aufweist. In Kap. 7 soll daher untersucht werden, inwiefern sich aus den genannten Ansätzen neue Perspektiven auch für den Bereich der Entlehnung und Lehnwortintegration gewinnen lassen. Durch die Verbindung von internen und externen Aspekten wird dabei eine breite Palette von möglichen Wandelfaktoren und Erklärungsprinzipien für Sprachwandel einbezogen. Hieraus können sich nun insofern neue Erkenntnisse ergeben, als es darum geht, das Verhältnis der Erklärungsfaktoren und -ansätze zueinander genauer auszuloten. Dies betrifft die Frage, inwieweit die verschiedenen Ansätze vereinbar sind oder nicht, und sodann – im Falle einer grundsätzlichen Vereinbarkeit – die Frage, wie die verschiedenen Erklärungsfaktoren zu gewichten sind. Weiterhin ergibt sich aus der Verbindung interner und externer Ansätze, dass allgemeine Desiderate der Sprachwandelforschung in Bezug zum Bereich der Entlehnungen gesetzt werden. Dabei ist festzustellen, dass einige Aspekte auch oder sogar verstärkt für diesen Bereich gelten. Dies betrifft etwa den nicht zufriedenstellend geklärten Status von Erklärungsfaktoren, die über universelle Aspekte der Sprechtätigkeit argumentieren (cf. Oesterreicher 2001a, 1582). Ebenso wurde bereits darauf hingewiesen, dass Entlehnung häufig als Explanans für Sprachwandel fungiert – eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass dabei nur einzelne Aspekte der Entlehnung thematisiert werden, so dass die ablaufenden Entlehnungsprozesse selbst in ihrer Gesamtheit viel eher ein Explanandum darstellen. Neben der diskutierten Gegenüberstellung von internem und externem Wandel findet sich in der traditionellen Forschung häufig eine weitere Gegenüberstellung, nämlich die von Bedeutungswandel, Wortbildung und Entlehnung als den drei zentralen Bereichen der Wortschatzentwicklung (cf. z.B. Geckeler/Kattenbusch 1992,

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78; Tekavþiü 1972, 16; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986 s.v. néologie). 15 Diese Bereiche werden meist weitgehend getrennt voneinander betrachtet und jeweils mit spezifischen Verfahren analysiert. So versucht die Forschung zum Bedeutungswandel, einzelne Bedeutungsentwicklungen präzise nachzuzeichnen, die Wortbildungsforschung konzentriert sich demgegenüber primär auf die in der jeweiligen Sprache produktiven materiellen Verfahren der Wortbildung, und die Entlehnungsforschung zielt im Wesentlichen darauf ab, entlehnte Wörter – insbesondere direkte Entlehnungen – einer bestimmten Herkunftssprache zuzuweisen. Diese Ausrichtungen sind zwar jeweils völlig naheliegend, doch es besteht die Gefahr eines gewissen Reduktionismus, wenn die jeweils anderen Aspekte völlig ausgeblendet werden. So ist etwa der Bedeutungsaspekt bei Entlehnungen kaum systematisch untersucht. Eventuelle Bedeutungsveränderungen werden häufig einfach als «Scheinentlehnungen» etikettiert (cf. Kap. 3.4), ohne dass genauer analysiert wird, wie diese zustande kommen. Eine nähere Betrachtung ergibt in vielen Fällen, dass es sich um «echte» Entlehnungen handelt – cf. das bereits in Kap. 3.4 besprochene Beispiel frz. slip: (154) engl. slip ‘eine Art Badehose’ ĺ frz. slip ‘id.’ ĺ ‘Sporthose’ ĺ ‘Unterhose’ (DHLF; EWDS s.v. Slip) Sowohl in empirischer als auch in theoretischer Hinsicht sind daher einige Punkte klärungsbedürftig. So ist weitgehend offen, in welchem Umfang Bedeutungsveränderungen bei Entlehnungen auftreten, um welche semantischen Relationen es sich handelt und warum nur diese auftreten. Über das Nachzeichnen von Einzelentwicklungen hinaus ergibt sich in theoretischer Hinsicht die Notwendigkeit einer Modellierung, welche die Komplexität und Mehrdimensionalität von Entlehnung berücksichtigt, d.h. neben dem stratischen Aspekt auch formale und semantische Aspekte systematisch einbezieht (cf. Koch 2000; 2001a; Gévaudan 2003; 2007 und Kap. 8.1). Auch hier zeigt sich, dass die Verbindung von traditioneller interner Sprachwandelforschung mit dem Feld der Entlehnungen nicht nur für die Analyse von letzeren hilfreich sein kann, sondern dass umgekehrt die Einbeziehung von Entlehnungen auch neue Rückschlüsse auf allgemeine Fragen des Sprachwandels zulassen kann. Von grundlegender Bedeutung für eine solche umfassende Betrachtung ist schließlich die Frage, warum sich Sprache überhaupt verändern sollte, wenn es doch im Normalfall keineswegs die Absicht der einzelnen Sprecher ist, diese zu verändern. Es geht damit um den scheinbaren Widerspruch zwischen dem individuellem Sprachgebrauch und der Entwicklung der Sprache als überindividuelles Phänomen. Hieraus ergibt sich die Aufgabe, die Ebene der Sprachbenutzer – auf der gemäß der obigen Formulierung des Paradoxes entscheidende Prozesse des Sprachwandels stattfinden – bei der theoretischen Modellierung umfassend mit einzubeziehen. Allerdings ist für die bisherigen Modellierungen festzustellen, dass diese Ebene 15

Diese Dreiteilung kann wiederum mit der Alternative interner vs. externer Wandel in Beziehung gesetzt werden, indem Entlehnung dem Bereich des externen Wandels zugewiesen wird, während Wortbildung und Bedeutungswandel dem Bereich des internen Wandels zugehören.

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allenfalls am Rande berücksichtigt wird. Diese Problemstellung verweist somit auf die Notwendigkeit, zwischen grundlegend unterschiedlichen Perspektiven zu vermitteln: einerseits einer parole-orientierten Perspektive, die den Sprachbenutzer und seine individuell-aktuelle Äußerung in den Vordergrund stellt, und andererseits einer langue-orientierten Perspektive, die grammatik- oder lexikonbasiert ist. In den folgenden Kapiteln wird es daher ein wichtiges Ziel sein, das Potential einer Sprachwandelkonzeption, die vom einzelnen Sprachbenutzer ausgeht, auszuloten. Eine solche Konzeption kann hierbei als zentrales Desiderat sowohl der traditionellen Sprachwandelforschung als auch neuerer Ansätze zur Erforschung von Lehnprozessen angesehen werden.

6.4

Zusammenfassung: Entlehnung als Explanandum des Sprachwandels

Als Fazit der vorangegangenen Analyse traditioneller und aktueller Sprachwandeltheorien sind zwei zentrale Punkte festzuhalten: 1. Bisherige Ansätze der Entlehnungsforschung behandeln Entlehnung häufig als Phänomen des Austauschs zwischen Sprachen; 2. Entlehnung wird häufig als Phänomen des externen Wandels dem internen Wandel gegenübergestellt, wobei beide als alternative Optionen betrachtet werden. In Bezug auf den ersten Punkt ist festzustellen, dass viele traditionelle Ansätze tendenziell vom einzelnen Sprachbenutzer abstrahieren und sich auf die Stellung entlehnter Einheiten im Lexikon oder in der Grammatik konzentrieren. Eine entsprechende Ausrichtung erscheint völlig legitim, wenn es etwa darum geht, sprachvergleichende oder sprachtypologische Aussagen zu treffen. Wenn es allerdings um die Beschreibung und Erklärung von Entlehnungsprozessen geht, so ist zu betonen, dass der eigentliche Entlehnungsprozess nur durch die Sprachbenutzer vollzogen wird. Demnach sollte auch bei der theoretischen Modellierung von Entlehnungsvorgängen der Sprachbenutzer ins Zentrum gestellt werden. Hierzu liegen etwa Ansätze im Bereich der Sprachkontaktforschung vor, insgesamt erscheint dieser Anspruch jedoch für die Entlehnungsforschung insgesamt noch nicht zufriedenstellend eingelöst. Ebenso ergibt sich in Bezug auf den zweiten Punkt, dass die Gegenüberstellung und weitgehende Trennung von externem und internem Wandel als problematisch angesehen werden kann. Das Verhältnis von beiden Wandeltypen, die Gemeinsamkeiten sowie die Spezifika von Entlehnungsprozessen in Abgrenzung von rein internen Wandelphänomenen sind bislang nicht umfassend untersucht. Ebenso ist nicht vollständig ausgearbeitet, inwieweit Entlehnungsprozesse auch von ZS-spezifischen (internen) Faktoren beeinflusst werden. Weiterhin können traditionelle Gegenüberstellungen zu verkürzenden Charakterisierungen führen, indem interner und externer Wandel bzw. Entlehnung, Wortbildung und Bedeutungswandel gegenübergestellt und jeweils auf bestimmte Aspekte reduziert werden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass teilweise die Tendenz besteht, insbesondere dann über Entlehnungen zu argumentieren, wenn interne Erklärungsversuche nicht ausreichen; es besteht somit die Gefahr, dass externer Wandel als Explanans missbraucht wird, ohne dass dieser selbst hinreichend präzise gefasst ist – cf. auch die sehr unterschiedlichen Konzep128

tionen von «externem» Wandel, die auf Aspekte der Sprachbewusstheit (Lüdtke), strukturelle Aspekte (formale Eigenschaften und Einheiten einer fremden Sprache, welche auf eine andere Sprache einwirken) oder Motive des Sprechers für die (Nicht-)Verwendung bestimmter sprachlicher Ausdrücke (u.a. Keller) abzielen. All dem kann entgegengehalten werden, dass Entlehnung eine Form der Innovation darstellt. Demnach kann Entlehnung als ein Teilbereich oder Subtyp des Sprachwandels angesehen werden. Diese Feststellung legt nahe, Entlehnung und Sprachkontakt als ein Schnittstellenphänomen zu betrachten, das auch Rückschlüsse über das Funktionieren internen Wandels erlauben kann. Da entsprechende Bezüge und Interaktionsphänomene bislang jedoch kaum analysiert sind, stellen Entlehnungen im Rahmen der Sprachwandelforschung eher als ein Explanandum als ein Explanans dar. Aus den obigen Überlegungen ergeben sich zwei grundlegend neue Ansatzmöglichkeiten, die in den folgenden Kapiteln näher ausgearbeitet werden sollen: Der Sprachbenutzer soll konsequent als Ausgangspunkt für Überlegungen zum Sprachwandel und zur Entlehnung herangezogen werden (cf. den o.g. Punkt 1.), d.h. Erklärungsansätze sollen grundsätzlich in Bezug auf die Sprachbenutzer konzipiert und formuliert werden. Eine wesentliche Aufgabe ist in diesem Zusammenhang die adäquate Berücksichtigung der unterschiedlichen Entlehnungssituationen und Entlehnungstypen in Abhängigkeit von den beteiligten Sprachbenutzern sowie von den kognitiven und kommunikativen Rahmenbedingungen. Weiterhin sollen interner und externer Wandel nicht mehr im Gegensatz zueinander begriffen werden, sondern ausgehend von Forschungsergebnissen beider Bereiche sollen zunächst allgemeine Abläufe und Faktoren des (internen und externen) Wandels herausgearbeitet werden, um anschließend nach Spezifika kontaktbedingten Wandels zu fragen (cf. Punkt 2.). Da externer Wandel eine zusätzliche Komplexität aufweist, stellt die Untersuchung dieses Bereichs auch eine gute Möglichkeit dar, bisherige Theorien zum internen Wandel zu überprüfen und ggf. zu ergänzen. Entlehnungen können somit nicht nur – wie etwa bereits innerhalb generativer und optimalitätstheoretischer Ansätze – als synchroner Testfall zur Überprüfung von Hypothesen über Regeln, Beschränkungen und Beschränkungshierarchien innerhalb einer Sprache eingesetzt werden. Vielmehr können sie auch als diachroner Testfall zur Überprüfung von Annahmen bezüglich des Ablaufs und der Erklärung von Sprachwandelprozessen dienen. Eine Umkehrung der Perspektive und eine Betrachtung von Entlehnungen nicht als Explanans, sondern als Explanandum von Sprachwandel kann daher neue Dimensionen der Entlehnungsforschung eröffnen.

129

7

Zwei evolutionäre Erklärungsansätze für Sprachwandel

Um die im vorangehenden Kapitel aufgestellten Forderungen für konkrete Untersuchungen einlösen zu können, soll eine umfassende und benutzerbasierte Konzeption von Sprachwandel und Entlehnung entwickelt werden. Als mögliche Ausgangspunkte für eine entsprechende Konzeption sollen zunächst zwei Modelle analysiert werden: die Sprachwandeltheorie Kellers (1994), die den Wandel natürlicher Sprachen als Phänomen der unsichtbaren Hand darstellt, und die Theory of Utterance Selection, die Croft (2000) vorschlägt. 1 Beide Theorien sind relativ neu und für die aktuelle Sprachwandelforschung von großem Einfluss. Darüber hinaus scheinen sie im Hinblick auf das Ziel einer benutzerorientierten Auffassung des Sprachwandels besonders geeignet, da beide darauf abzielen, diesen auf einzelne kommunikative Äußerungen zurückzuführen. Dabei zeigt sich eine weitere bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Um das Wechselspiel zwischen individueller Kommunikation und globalen Veränderungen der Sprache zu modellieren, greifen beide Theorien immer wieder auf eine Terminologie zurück, die der biologischen Evolutionstheorie entlehnt ist. Zunächst sollen wesentliche Gedanken der von Keller und Croft vorgeschlagenen Sprachwandeltheorien vorgestellt werden, und es soll aufgezeigt werden, wie Sprachwandel jeweils konzipiert wird. Im Anschluss daran erfolgt eine kritische Analyse der Theorien, wobei insbesondere erörtert wird, inwiefern eine «evolutionäre» Konzeption für eine umfassende Sprachwandeltheorie notwendig ist. Kann die Bezugnahme auf Konzepte der biologischen Evolution für die Sprachwandelforschung neue Erkenntnisse liefern? Oder können wesentliche inhaltliche Aspekte auch unabhängig davon konzipiert werden? Darüber hinaus ergeben sich verschiedene Problempunkte, die als noch nicht zufriedenstellend gelöst angesehen werden können. Als wichtige Aspekte sollen die Einbeziehung von Frequenzaspekten, der Vorwurf der Zirkularität und das Paradox des sprachlichen Wandels diskutiert werden. Schließlich wird diskutiert, wie das Prinzip des methodologischen Individualismus und die Einbeziehung von Entlehnungen in ein umfassendes Sprachwandelmodell in beiden Ansätzen eingelöst werden.

1

Teile der in Kap. 7–9 angestellten Überlegungen wurden auf dem Romanistentag 2005 vorgestellt und im Beitrag Towards a Comprehensive View of Language Change. Three Recent Evolutionary Approaches (Winter-Froemel 2008a) veröffentlicht.

131

7.1

Kellers Theorie der unsichtbaren Hand

Kellers Theorie der unsichtbaren Hand (1984; 1994 [11990]; 1995; 2005) stellt heute eine im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus weit bekannte und weithin anerkannte Sprachwandeltheorie dar (cf. Lüdtke 1996, 526). Gleichzeitig handelt es sich um eine von Beginn an sehr kontrovers debattierte Auffassung. Keller betont den engen Zusammenhang des Verständnisses von Sprachwandel und dem zugrunde gelegten Verständnis von Sprache. Diese lässt sich nach Keller als «Phänomen der dritten Art» charakterisieren. Dieser Begriff wird dabei wie folgt definiert: «Ein Phänomen der dritten Art ist die kausale Konsequenz einer Vielzahl individueller intentionaler Handlungen, die mindestens partiell ähnlichen Intentionen dienen» (Keller 1994, 92, Hervorhebung im Original; cf. Keller 1987, 109–114).

Phänomene der dritten Art zeichnen sich demnach durch drei grundlegende Eigenschaften aus: 1. Es handelt sich weder um Naturobjekte noch um künstliche Objekte. Vielmehr nehmen Phänomene der dritten Art eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Typen von Objekten ein. 2. Es handelt sich um Phänomene prozessualer Natur. 3. Es handelt sich um Phänomene, die sich aus einer Mikro- und einer Makroebene konstituieren (cf. Keller 1994, 99). Diese drei Eigenschaften sind auch bei der Erklärung entsprechender Phänomene zu berücksichtigen. Der einzige hier adäquate Erklärungstyp sind nach Keller Erklärungen mittels der unsichtbaren Hand. 2 Entsprechende Erklärungen sind allgemein wie folgt aufgebaut: «Eine Invisible-hand-Erklärung erklärt ihr Explanandum, ein Phänomen der dritten Art, als die kausale Konsequenz individueller intentionaler Handlungen, die mindestens partiell ähnliche Intentionen verwirklichen» (Keller 1994, 100–101).

Bekannte Beispiele für entsprechend erklärbare nichtlinguistische Phänomene sind die Entstehung von Trampelpfaden und die Entstehung sogenannter «Staus aus dem Nichts». Ihre Erklärungen besitzen damit die in Abb. 13 dargestellte allgemeine Form, die auch für Sprachwandelphänomene grundlegend ist. Die Mikroebene stellt hierbei die Ebene der intentionalen Handlungen der Individuen (samt der relevanten Handlungsbedingungen) dar. Die Makroebene lässt sich dagegen nach Keller (1994, 126) als Ebene «der Sprache im hypostasierenden Sinne» auffassen. 3 Wesentlich für

2

3

Keller übernimmt diesen Begriff von Robert Nozick. Ursprünglich wird die Metapher von Adam Smith in Zusammenhang mit der im Werk Der Wohlstand der Nationen (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations) entwickelten ökonomischen Theorie geprägt (cf. Keller 1994, 96). Später wird der Begriff von Malthus übernommen, den wiederum Darwin rezipiert. Interessanterweise lassen sich bei Darwins Bezug auf Malthus einige Um- bzw. Fehldeutungen feststellen (cf. Wolgast 1984). Keller ist sich dabei der potenziellen Problematik einer solchen Hypostasierung durchaus bewusst, stuft sie aber für die Betrachtung bestimmter Fragestellungen als nützlich oder praktisch notwendig ein (cf. Keller 1994, 24 und 171). Für Fragestellungen im Kontext von Sprachwandel hingegen sieht er – wie oben erläutert – nur eine Betrachtung von Sprache als Phänomen der dritten Art als adäquat an (cf. Keller 1994, 209).

132

den Invisible-hand-Prozess, der als Brücke zwischen beiden aufgefasst wird, ist dessen kumulativer Charakter (Keller 1994, 126).

ökologische

intentionale Handlungen

kausale Konsequenz InvisiblehandProzess

Bedingungen Abb. 13:

MIKROEBENE

Explanandum MAKROEBENE

Die allgemeine Form von Erklärungen mittels der unsichtbaren Hand nach Keller (1994, 125; 1995, 18)

Zentral für die Erklärung von Sprachwandel sind nach Keller weiterhin verschiedene Maximen, die die einzelnen Sprachbenutzer befolgen können. Diese Maximen werden in zwei Hauptgruppen eingeteilt. Statische Maximen: Rede so, wie Du denkst, daß der andere reden würde, wenn er an Deiner Statt wäre. Rede so, daß Du als Gruppenzugehöriger zu erkennen bist. Rede so, daß Du nicht auffällst. oder allgemein, Rede so wie die andern (cf. Keller 1994, 136–139). Dynamische Maximen: Rede so, daß Du beachtet wirst. Rede so, daß Du als nicht zu der Gruppe gehörig erkennbar bist. Rede amüsant, witzig etc. Rede besonders höflich, schmeichelhaft, charmant etc. Rede so, daß es Dich nicht unnötige Anstrengung kostet (cf. Keller 1994, 139).

Es wird unmittelbar deutlich, dass sich die Maximen teilweise widersprechen (cf. «Rede so, daß Du als Gruppenzugehöriger erkennbar bist» vs. «Rede so, daß Du als nicht zu der Gruppe gehörig erkennbar bist»); bei der einzelnen Äußerung kann es somit immer nur darum gehen, jeweils bestimmte Maximen in den Vordergrund zu stellen. Nach Keller lassen sich die beiden Hauptgruppen ferner den beiden Grundtendenzen Dynamik vs. Stase zuordnen (Keller 1994, 139). Die statischen Maximen zielen auf konventionskonformes Sprechen ab, so dass sprachliche Innovationen generell gehemmt werden. Die dynamischen Maximen hingegen zielen gerade auf innovatives, normabweichendes Sprechen ab. Daher besteht nicht nur ein Widerspruch zwischen einzelnen Maximen, sondern generell ein unauflösbarer Widerspruch zwischen den beiden Hauptgruppen von Maximen. Aus dem so umrissenen Spannungsfeld ergibt sich eine Dynamik, die Sprachwandel erklärt, andererseits aber auch eine Erklärung für das Ausbleiben von Wandel liefert.

133

7.2

Crofts Theorie der Äußerungsselektion

Eine andere evolutionär konzipierte Theorie des Sprachwandels schlägt Croft (2000) mit seiner Theorie der Äußerungsselektion (Theory of Utterance Selection) vor. Auch er geht von der Annahme aus, dass Sprachwandel in der Kommunikation beginnt. Croft unterscheidet zwei grundlegende Phasen des Sprachwandels, die Innovation selbst und die Verbreitung der Innovation, die darüber entscheidet, welche sprachlichen Formen «überleben» und welche «ausgelöscht» werden: 4 «[…] language change consists of two processes: altered replication of a replicator, i.e. innovation; and differential replication of replicators leading to survival/extinction, i.e. propagation. That is, change = innovation + propagation» (Croft 2000, 185, cf. 31).

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass die sprachlichen Einheiten, auf die der Sprecher in einer konkreten Äußerung zurückgreift, entsprechend der sprachlichen Konvention verwendet werden. Diesen Fall bezeichnet Croft als «normale Replikation», die der «veränderten Replikation» oder Innovation gegenübersteht. Ähnlich wie bei Keller besteht ein Ziel von Crofts Theorie darin, einzelne Innovationen bzw. ihre Abwesenheit zu erklären, und ähnlich wie bei Keller wird auf das Sprechen der anderen Mitglieder der Sprachgemeinschaft Bezug genommen. Als Gegenspieler erhält Croft dadurch normale vs. veränderte Replikationen, welche der Bevorzugung der statischen vs. dynamischen Maximen bei Keller zugeordnet werden können. Zusätzlich erscheint bei Croft explizit der Begriff der Konvention, die den grundlegenden Orientierungspunkt für das genannte Gegensatzpaar darstellt. Als zweite Phase des Sprachwandels setzt Croft sodann die Verbreitung (propagation) der neuen Form innerhalb der Sprachgemeinschaft an, die er auch als «differentielle Replikation» oder «Selektion» bezeichnet. 5 Eine weitere grundlegende Annahme von Croft betrifft die Faktoren, die zur Erklärung der unterschiedlichen Prozesse herangezogen werden. Während Innovationen ausschließlich durch funktionale Faktoren erklärt werden sollen, sind nach Croft nur soziale Faktoren für die Erklärung der Verbreitung der Formen innerhalb der Sprachgemeinschaft ausschlaggebend. Der zentrale Mechanismus zur Erklärung von Innovationen ist dabei die Form-Funktions-Reanalyse. Croft geht hier von der Annahme aus, dass die Sprecherbedeutung zum Zeitpunkt einer Äußerung nicht völlig fixiert ist, sondern vielmehr von Sprecher und Hörer gemeinsam eine Gebrauchsbedeutung konstruiert wird (cf. Croft 2000, 110 und 120). Demnach können Fehlzuordnungen zwischen Sprachstruktur und Funktion vorkommen, durch die neue Vari4

5

Selbstverständlich ist diese Unterscheidung keineswegs neu, sondern wird etwa bereits bei Coseriu (1958, 44–46) getroffen, den Croft in diesem Zusammenhang allerdings nicht erwähnt. Allerdings erscheint der Begriff «Selektion» bei Croft meines Erachtens in zwei unterschiedlichen Lesarten: Zum einen wird er auf individuelle Akte der Selektion einer konkreten sprachlichen Form, zum anderen aber auch auf die Selektion bestimmter sprachlicher Formen innerhalb einer Sprachgemeinschaft angewandt, d.h. in einem überindividuellen, sozialen Sinn verstanden. Eine solche unklare Verwendung des Begriffs der «Verbreitung» ist auch in nichtevolutionären Ansätzen zum Sprachwandel beobachtbar, so dass hier eine Präzisierung vorzunehmen ist (cf. Kap. 9.2).

134

anten in Umlauf gebracht werden. Veränderte Replikationen erfolgen somit nichtintentional und sind zunächst durch den Hörer induziert. Sodann findet nach Croft eine Selektion zwischen den miteinander konkurrierenden Varianten statt, wobei er eine allgemeine Tendenz zur Steigerung der Konventionalität einer Form (zuungunsten der konkurrierenden anderen Varianten) feststellt. Hierfür sind nach Croft soziale Faktoren oder Mechanismen ausschlaggebend, d.h. es geht grundsätzlich um die Beziehung zwischen dem Sprecher und der Gesellschaft, zu der er gehört. Sprechen wird als «act of identity» (LePage/Tabouret-Keller 1985) angesehen, und es geht dem Sprecher nach Croft primär um den sozialen Nutzen der einzelnen Formen: «in general, differences in functional utility do not play a role in the propagation of a variant; only differences in social utility do» (Croft 2000, 175). Hierdurch kann sich dann schließlich eine neue, veränderte Konvention etablieren. Die strikte Trennung der funktionalen und sozialen Faktoren sowie ihre Zuschreibung zu den beiden genannten Phasen können als wesentliche Elemente von Crofts Theorie gelten: «One of the central theses of this book is that there are distinct causal mechanisms that bring about the innovation and the propagation of language change […]. Functional factors – the phonetic and conceptual factors appealed to by functional linguists – are responsible only for innovation, and social factors provide a selection mechanism for propagation» (Croft 2000, 38).

Diese wesentlichen Annahmen von Crofts Theorie der Äußerungsselektion lassen sich damit wie in Abb. 14 dargestellt zusammengefassen. differentielle Replikation/ Verbreitung/Selektion

Õ soziale Faktoren

χ normale Replikation Abb. 14:

7.3

vs.

veränderte Replikation sprachlicher Einheiten/ Innovation

Õ funktionale Faktoren

Sprachwandel nach Crofts Theorie der Äußerungsselektion

Vergleich und kritische Bewertung

Die vorgestellten Theorien weisen auf den ersten Blick wesentliche Übereinstimmungen auf. Neben der evolutionären Formulierung der Modelle unterscheiden beide zwischen zwei wesentlichen Aspekten des Sprachwandels, einem individuellen und einem globalen oder sozialen Aspekt. Nach einer Betrachtung dieser Übereinstimmung zwischen den Theorien sollen mögliche Problempunkte sowie Abweichungen zwischen beiden Auffassungen näher beleuchtet werden. Dabei gehe ich auf den Begriff der Frequenz und den angenommenen Verlauf der Verbreitung von Innovationen in Form einer S-Kurve ein. Weiterhin werde ich analysieren, wie die evolutionäre Konzeption jeweils ausgelegt wird. Ferner diskutiere ich den Vorwurf

135

der Zirkularität und das Paradox des Sprachwandels als eine für Sprachwandeltheorien im Allgemeinen zentrale Problemstellung. Schließlich erörtere ich, inwiefern die Modelle das Prinzip des methodologischen Individualismus berücksichtigen und Entlehnungen einbeziehen bzw. sich auf Entlehnungsphänomene übertragen lassen.

7.3.1

Zwei Ebenen oder Phasen des Sprachwandels und zwei Gruppen von Erklärungsfaktoren

Ein Vergleich von Keller und Croft zeigt als wesentliche Gemeinsamkeit beider Theorien die Unterscheidung von zwei Ebenen bzw. Phasen, auf denen Sprachwandel abläuft. Bei Keller werden diese als Makro- und Mikroebene gegenübergestellt; bei Croft ergibt sich eine entsprechende Trennung aus der Unterscheidung von innovation und propagation oder selection als den grundlegenden Phasen des Wandels. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass es sich prinzipiell nicht um eine neue Unterscheidung in der Sprachwandelforschung handelt. Vielmehr wird eine ähnliche Trennung bereits wesentlich früher in nicht evolutionär konzipierten Ansätzen eingeführt, wobei insbesondere Coseriu (1958, 44–46), Weinreich/Labov/Herzog (1968) sowie Milroy/Milroy (1985, 347 und 381) zu nennen sind (cf. darüber hinaus Traugott 1999; Oesterreicher 2001a, 1583; 2001b, 230; Koch 2004b, 607; Janda/ Joseph 2003, 13). Wie sind die beiden Ebenen oder Phasen nun im Einzelnen konzipiert? Die untere Ebene bzw. erste Phase wird in beiden Ansätzen mit einzelnen Sprachbenutzern und singulären Kommunikationsakten in Verbindung gebracht. Demgegenüber wird die obere Ebene bzw. zweite Phase in beiden Ansätzen gerade dadurch charakterisiert, dass sie der Verfügung des Einzelnen in gewisser Weise entzogen ist. So betont Keller immer wieder, dass sich die Sprecher bei ihren Kommunikationsakten auf der Mikroebene gar nicht dessen bewusst sind, dass sie Teil einer Makrostruktur sind und somit gemeinsam mit anderen Sprechern Sprachwandel vollziehen: «Eine Invisible-hand-Theorie will Strukturen erklären und Prozesse sichtbar machen. Und zwar solche Strukturen, die Menschen, ohne daß sie dies beabsichtigen oder auch nur merken, wie ‹von unsichtbarer Hand geleitet›, erzeugen» (Keller 1994, 96, cf. 37).

Auch bei Croft finden sich verschiedene Belege dafür, dass die Verbreitung bzw. Selektion nicht mehr im Hinblick auf einzelne Sprecher konzipiert ist, sondern in einem grundlegend anderen Sinn verstanden und auf das gesamte System der Sprache oder die gesamte Sprachgemeinschaft bezogen wird. So wird etwa der Terminus propagation im Glossar wie folgt definiert: «the increase in frequency of a lingueme in a language by selection» (Croft 2000, 241). 6 Andere Formulierungen legen allerdings ein etwas anderes Begriffsverständnis nahe, das doch wieder auf eine indivi6

Eine andere Erläuterung des Begriffs lautet: «The propagation of a novel linguistic variant is essentially the adoption of a new linguistic convention by the community» (Croft 2000, 174).

136

dualistische Lesart abzuzielen scheint, so etwa die erste Bestimmung des Terminus selection in Crofts Glossar: «the process by which an interactor interacting with its environment causes differential replication of its replicators» (Croft 2000, 242) 7 – hier geht es also wieder um einzelne Sprecheräußerungen. 8 Die weiteren Überlegungen werden bestätigen, dass der Begriff der Verbreitung bei Croft tatsächlich unscharf konzipiert ist, so dass sich das dringende Desiderat einer Präzisierung und weiteren Ausarbeitung ergibt. Durch die Trennung der beiden Ebenen bzw. Phasen des Sprachwandels kann grundsätzlich ein Fortschritt gegenüber anderen, teleologisch konzipierten Erklärungsansätzen für Sprachwandel festgestellt werden (cf. Kap. 7.3.5). Allerdings stellen sich sowohl für Kellers als auch für Crofts Ansatz Fragen, wenn es um die Erklärung der Prozesse auf der oberen Ebene geht. Nach Keller konstituiert sich die Makroebene zunächst einfach als Summe von einzelnen Handlungen auf der Mikroebene, die mindestens partiell ähnliche Intentionen verwirklichen (cf. Keller 1994, 101). Darüber hinaus lässt sich nach ihm häufig auch ein paradoxer Umschlag beobachten – Keller spricht hier auch von einem «Moment der Überraschung» bzw. von der «Mandevillesch-paradoxe[n] Form der Erklärung» (Keller 1994, 106–107): Die globale Folge auf der Makroebene scheint den Einzelhandlungen auf der Mikroebene gerade zuwider zu laufen. 9 So ergibt sich etwa aus häufigen Verwendungen von Formen wie mhdt. vrouwe ‘adelige Frau, Dame, Herrin’, mit denen die Sprecher besonders vornehm, höflich o.ä. sein möchten, gerade eine Abwertung oder Pejorisierung dieser Formen (cf. Keller 1994, 107–109). Bei seiner allgemeinen Charakterisierung von Erklärungen über die unsichtbare Hand verzichtet Keller auf die Erwähnung des genannten Merkmals, die von ihm untersuchten Beispiele zeigen jedoch auffällig häufig eine entsprechende paradoxe Struktur. Letztlich bleibt somit offen, welche Charakteristika von Sprache möglicherweise entsprechende Wandelprozesse begünstigen. Darüber hinaus wird die theoretische Bedeutung dieses Merkmals für Sprachwandel insgesamt nicht präzise aufgeklärt: Wie groß ist die quantitative Bedeutung entsprechender paradoxer Wandelprozesse, und inwiefern treten auch andere – unspektakulärere – Wandelphänomene (bei denen die Prozesse auf der Makroebene letztlich auch in die auf der Mikroebene intendierte Richtung laufen) auf? 7

8

9

Die zweite Bestimmung, die Croft gibt, scheint wiederum eher auf den überindividuellen Aspekt abzuzielen: «also the evolutionary model of processes that requires the generation of variation by (altered) replication and the selection of variants» (Croft 2000, 242). Die individualistische Auslegung des Verbreitungsbegriffs zeigt sich ebenso bei Crofts Überlegungen zu Sprachkontaktphänomenen, wo die Verbreitung explizit beim individuellen Sprecher angesetzt wird (cf. hierzu näher Kap. 7.3.7). Allerdings handelt es sich bei der genannten Charakterisierung bereits um ein modifiziertes Verständnis der Denkfigur des Mandevilleschen Paradoxes. Ursprünglich umschreibt Keller deren Form wie folgt: «Nützliche und positiv bewertete gesellschaftliche Phänomene werden erklärt als Konsequenzen mißbilligenswerter Motive der Mitglieder der Gesellschaft» (Keller 1994, 53). Dieses ursprüngliche Verständnis scheint jedoch auf Phänomene des Sprachwandels nur schwer anwendbar: Inwiefern sollte etwa Höflichkeit missbilligenswert sein? Und inwiefern sollte die Pejorisierung bestimmter sprachlicher Formen nützlich und positiv zu bewerten sein?

137

Nach Croft sind für die Erklärung der Prozesse auf der oberen Ebene ausschließlich soziale Erklärungsfaktoren relevant. Hier ist zunächst zu fragen, inwiefern seine strikte Trennung von funktionalen und sozialen Faktoren haltbar ist. Ein grundlegendes Problem stellt sich für die Anfangsphase der Verbreitung der Innovation, die Croft wie folgt charakterisiert: «It is thus quite possible that an innovation, which does not adhere to prior conventions of the community, is reanalyzed by the listener as a social indicator (in Labov’s sense of the term). At that point, the innovation passes from an ‹error› – that is, a form, lacking any social value – to a socially defined variant in the mind of the hearer. The hearer later replicates the innovation in another context, intending it to be understood by his interlocutors as having a social value. If his interlocutors understand his intention in this context, then the propagation of the innovation has begun» (Croft 2000, 186).

Es fällt unmittelbar auf, dass die obigen Bestimmungen mehrfach zirkulär sind: Der Begriff der Variante wird per definitionem auf sozial markierte Abweichungen beschränkt; ebenso wird das Stadium der propagation per definitionem erst dann angesetzt, wenn eine soziale Markierung der Variante vorhanden ist. Insofern ist die Zuschreibung von sozialen Mechanismen zu dieser Phase zwar korrekt, doch eben bereits definitorisch festgelegt. Damit bleibt noch immer die theoretische Möglichkeit von Weiterverwendungen einer Innovation, die nicht sozial markiert sind. Problematisch erscheint ferner Crofts Schilderung der Weiterverwendung der Innovation: Zwar kann mit Croft davon ausgegangen werden, dass eine neue Form vom Hörer1 (aufgrund bestimmter Rahmenbedingungen der Kommunikation) als sozial markiert reinterpretiert werden kann. Fraglich ist jedoch, dass dieser Hörer bei der Weiterverwendung der Variante als Sprecher2 (d.h. in einer völlig anderen Kommunikationssituation) tatsächlich davon ausgehen kann, dass für weitere Hörer2–n ebenfalls dieselbe soziale Markierung vorliegt, und dass er demnach die Form in diesem Sinne intentional verwenden kann. Ebenso ist grundsätzlich zu fragen, unter welchen Bedingungen Innovationen überhaupt als sozial markiert (re-)analysiert werden können: Bei Innovationen wie in Bsp. (155) und (156), wo die neue Form neben eine bereits bestehende alternative Variante oder einen alternativen Ausdruck für das betreffende Konzept tritt, erscheint dies durchaus plausibel, da hier eine Abweichung von der sprachlichen Konvention vorliegt. In Fällen wie Bsp. (157) und (158) kann aber durchaus hinterfragt werden, ob ebenfalls eine entsprechende soziale Markierung besteht oder bestanden hat (die beiden grundlegenden Konstellationen, die sich hier andeuten, verweisen auf das traditionelle Begriffspaar von sog. Luxus- und Bedürfnislehnwort, das in Kap. 12 näher diskutiert werden soll, wobei die Begriffe der «nichtkatachrestischen» bzw. «katachrestischen Innovation» eingeführt werden). (155) frz. bloudjinnzes neben frz. blue-jeans PR)

JEANS

(Queneau 1959, 48 bzw.

(156) frz. people BERÜHMTE LEUTE neben frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE (PR) (157) it. mouse COMPUTERMAUS (DO; DIZ)

138

(158) dt. Maus COMPUTERMAUS (Duden) Darüber hinaus lassen sich weitere Einwände zu Crofts scharfer Trennung von funktionalen und sozialen Faktoren diskutieren. So betont Croft immer wieder die zentrale Rolle der sprachlichen Konvention (u.a. Croft 2000, 95–99): Sie resultiert aus den einzelnen Sprecheräußerungen, wirkt aber gleichzeitig auf diese zurück, indem sie den Maßstab dafür liefert, was als normale oder veränderte Replikation einzustufen ist. Da Konvention als soziales Phänomen verstanden werden muss, kann sie somit als sozialer Faktor interpretiert werden, der die Innovation (veränderte Replikation) beeinflusst. Dies steht jedoch in Widerspruch zu Crofts Annahme, dass Innovationen ausschließlich über funktionale Faktoren zu erklären seien. Auch andere Ansätze kommen zu dem Ergebnis, dass soziale Faktoren für die Erklärung von Innovationen sogar wichtiger als funktionale sein können (Thomason/Kaufman 1988, 15; Thomason 2003, 709; Enfield 2003, 7; cf. Nettle 1999, 453). Ebenso werden in der Forschungsliteratur auch funktionale Faktoren für die Verbreitung von Innovationen diskutiert (cf. Enfield 2003, 2–19). 10 Ferner begegnen im Zusammenhang mit der Erklärung der Verbreitung von Innovationen wieder die oben angedeuteten Interpretationsschwierigkeiten, die das Verständnis des Begriffs der «Verbreitung» betreffen. Die Verbreitung kann durchaus als soziales Phänomen verstanden werden, wenn es um die Verbreitung einer bestimmten sprachlichen Form in der Sprachgemeinschaft geht. Das oben zitierte Verständnis von propagation als «the increase in frequency of a lingueme in a language by selection» (Croft 2000, 241) legt nahe, dass es Croft (zumindest auch) um die relative Häufigkeit der Verwendungen geht, d.h. um ein überindividuelles Phänomen. Andererseits wurden oben jedoch auch Textstellen zitiert, die nahelegen, dass Croft den Begriff über die soziale Auslegung hinaus auch in einem individuellen Sinn interpretiert. Dies wird ebenso durch Crofts Diskussion verschiedener Faktoren für Sprachwandel deutlich. So nennt er etwa innerhalb der sozialen Faktoren auch Aspekte wie Macht, Solidarität, Prestige, Identitätsakte und Akkomodation (Croft 2000, 180–183), d.h. Aspekte, die bei einzelnen Sprecheräußerungen relevant werden und damit nur sinnvoll auf das Handeln einzelner Sprachbenutzer bezogen werden können. Wenn nun entsprechende soziale Wandelfaktoren auf das Sprechen der Einzelnen bezogen werden, so ergibt sich unter Umständen eine Aufweichung der strikten Trennung der beiden Phasen von Sprachwandel, denen die beiden Gruppen von 10

Aufschlussreich erscheinen in diesem Zusammenhang auch Andersens Bemerkungen zu Weinreich/Labov/Herzog (1968), in denen er das Verhältnis sprachlicher und sozialer Aspekte thematisiert. Andersen sieht hier eine «false dichotomy» (Andersen 1989, 10), die aus zwei Gründen nicht existiere: «For one thing, language is an entirely social phenomenon and can in no way be separated from its social functions. For another, when linguistic rules make reference to social categories such as age, sex, or class, these categories are eo ipso linguistic categories» (Andersen 1989, 10). Wenn soziale Kategorien demnach als in der Sprache verankert angesehen werden – «through the sociolinguistic categories of context indexed by linguistic expressions, the categories of a society are (‹unevenly›, that is, selectively) embedded in its language» (Andersen 1989, 11) –, so erscheint eine strikte Trennung sozialer und sprachlicher (funktionaler) Aspekte prinzipiell kaum mehr möglich.

139

Erklärungsfaktoren (funktionale vs. soziale Faktoren) zugewiesen werden. Die zunächst sehr klar erscheinende Trennung verwischt sich somit durch die unklare bzw. ambige Verwendung des Begriffs der Verbreitung von sprachlichen Innovationen. Insgesamt stellt sich damit fürs Crofts Ansatz die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Aspekte der Verbreitung von Innovationen zueinander stehen und wie sie jeweils präzisiert werden können. Darüber hinaus deutet sich an, dass in diesem Zusammenhang noch ein weiterer Aspekt – neben der Innovation und ihrer Verbreitung bzw. Übernahme durch andere Sprachbenutzer – ins Spiel kommt: Als Ergebnis von Wandelprozessen ergibt sich nach Keller das Vorliegen einer neuen Struktur auf der Makroebene, nach Croft das Vorliegen einer neuen sprachlichen Konvention. Dies bedeutet, dass auf der Ebene der Sprache festgestellt wird, dass sich die Innovation durchgesetzt hat (d.h. sie wurde verallgemeinert, lexikalisiert oder grammatikalisiert). Dementsprechend wird hier in anderen Ansätzen häufig ein eigenes Stadium des Sprachwandels angesetzt: «Der Wandel wird erst durch die Verallgemeinerung eines Faktums in einer Gemeinschaft vollzogen: nicht die Neuerung, sondern ihre Übernahme und Verallgemeinerung ist Wandel» (Kabatek 2005c, 163; cf. Coseriu 1958, 45; Weinreich/Labov/Herzog 1968, 186–187).

Die Modelle von Keller und Croft sind somit zu erweitern, um diesen Aspekt präzise erfassen und ihn den anderen Stadien gegenüberstellen zu können.

7.3.2

Zum Begriff der Frequenz und zur Verbreitung von Innovationen in Form einer S-Kurve

Zur Klärung des Verbreitungsbegriffs scheint es hilfreich, den Aspekt der Häufigkeit oder Frequenz zu thematisieren, der bei Croft immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Zu diesem Begriff ist zunächst anzumerken, dass er in der Linguistik im Bereich des Lexikons häufig absolut aufgefasst wird. So lässt sich etwa anhand von Corpora die Häufigkeit des Vorkommens einzelner Formen in verschiedenen Zeitabschnitten auszählen, und es kann für bestimmte Abschnitte ein starker Anstieg der Verwendungen festgestellt werden. Auf dieser Grundlage kann dann auch die relative Frequenz der einzelnen Einheiten bestimmt werden, wobei als Bezugsgröße die Gesamtzahl der Wörter des Corpus bzw. der jeweils ausgewählten Texte fungiert. Der Frequenzbegriff bei Croft berücksichtigt einerseits diese Lesart, wird andererseits aber auch als eine mentale Größe auf den einzelnen Sprecher bezogen: «Linguemes make up a lingueme pool replete with alleles (variants) which occur in various frequencies in a language (population of utterances), and in a speaker’s mind relative to her exposure to the language (…). These frequencies are dynamic, changing incrementally with every utterance spoken and heard» (Croft 2000, 231).

Die zweite Lesart verweist dabei auf den Begriff des entrenchment, den Croft in Anknüpfung an Langacker (1987) wie folgt konzipiert: «the psychological routinization of a behavior, such as the behavior of recognizing a linguistic expression and producing it» (Croft 2000, 236). Gemäß der funktionalistischen Grundannahme «All linguistic units are abstracted from usage events» (Langacker 2001, 146; 2007, 422 140

und 425) wird dabei angenommen, dass es sich bei allen linguistischen Einheiten letztlich um kognitive Routinen handelt, die – qua entrenchment – aus einer Reihe von Äußerungsereignissen abgeleitet werden: «A unit emerges by the reinforcing and progressive ‹entrenchment› of a commonality (apparent at some level of abstraction) that recurs in a sufficient number of events» (Langacker 2001, 146). 11 Allerdings stellt sich in Bezug auf diese Lesart von «Frequenz» die Frage, wie sie empirisch ermittelt bzw. berücksichtigt werden kann. Hier scheinen insbesondere psycholinguistische Studien erforderlich. Zu klären ist zudem, ob es primär darum geht, dass die einzelnen Formen im passiven Wortschatz der Sprecher vorhanden sind, ob eine Verfügbarkeit im aktiven Wortschatz der Sprecher zu verlangen ist, oder ob eine bestimmte Zahl von regelmäßigen Verwendungen gefordert werden sollte. Entsprechende Untersuchungen empirisch durchzuführen, erscheint schwierig – insbesondere für eine ausreichend große Zahl von Sprechern, um eine Repräsentativität für die Sprachgemeinschaft insgesamt gewährleisten zu können. Zumindest vorerst eher empirisch praktikabel scheint es daher, Frequenz doch über vordefinierte Corpora zu analysieren. Dabei geht es im Kontext einer Modellierung von Sprachwandel im Sinne Crofts gerade darum, die Frequenz konkurrierender Einheiten in Bezug auf eine Sprachgemeinschaft zu vergleichen, um zu analysieren, inwiefern sich bestimmte Innovationen durchgesetzt haben. Als entsprechendes Verfahren bietet sich eine onomasiologische Herangehensweise an, bei der die Häufigkeit verschiedener Bezeichnungen für ein vorgegebenes Konzept zu verschiedenen Zeitpunkten in vordefinierten Corpora ausgezählt und so die relative Häufigkeit der Formen in Bezug zueinander gesetzt wird. Entsprechende Untersuchungen erscheinen vor allem im Bereich grammatischer Innovationen möglich, wo ein weitgehend feststehendes und relativ begrenztes Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten für Kategorien wie ZUKÜNFTIGKEIT zur Verfügung steht. Entsprechende Inhalte sind zugleich so allgemein und grundlegend, dass 11

Der Begriff des entrenchment wird damit prinzipiell individualpsychologisch verstanden und auf den einzelnen Sprachbenutzer bezogen; ihm gegenüberstellen lässt sich der Begriff der Konventionalisierung, der auf der Ebene der Sprachgemeinschaft angesiedelt, also sozial verstanden wird. In der bisherigen Forschung werden beide Aspekte allerdings nicht immer deutlich getrennt bzw. teilweise sogar bewusst zusammengefasst: «Entrenchment of concepts or constructions not only depends on the frequency of activation by individual speakers (and in that sense is not a completely private matter), but it also applies to languages as such and whole speech communities, because the frequency of occurrence of concepts or constructions in a speech community has an effect on the frequency with which its members are exposed to them. The (tacit rather than explicit) implication is that this results in some kind of collective automatization effect, which makes it possible to talk of the degree of entrenchment of a concept or construction in a given language» (Schmid 2007, 119, Hervorhebung EWF). Selbstverständlich bestehen durchaus enge Beziehungen zwischen dem Grad der Konventionalisierung einer Form und ihrem entrenchment bei einzelnen Sprachbenutzern. Dennoch halte ich eine theoretisch und methodologisch saubere Trennung zwischen der Ebene der Sprachbenutzer (entrenchment) und der Ebene der Sprache (Konvention) für unverzichtbar. Für eine umfassende Klärung und Gegenüberstellung der Begriffe entrenchment und convention in diesem Sinne cf. den Vortrag von Richard Waltereit «Entrenchment, convention, and diachronic change: Negation in French», ICCLS Symposium, München, 29.–30. Januar 2009.

141

sie im Sprechen zwangsläufig ausgedrückt werden. Dementsprechend kann etwa ausgezählt werden, wie oft ZUKÜNFTIGKEIT im Französischen durch das Futur simple oder das Futur proche ausgedrückt wird (oder, für die Diachronie der romanischen Sprachen, wie oft sich synthetische vs. analytische Futurformen finden). Im Bereich des Lexikons jedoch scheinen entsprechende Analysen schwieriger, da hier ein prinzipiell offenes Inventar an Ausdrucksformen bereitsteht. Die Versprachlichung bestimmter Konzepte hängt zudem eng mit weiteren Faktoren (Textsorte, historische Ereignisse, kulturelle Modeerscheinungen etc.) zusammen, so dass sich Verzerrungen in den Verwendungshäufigkeiten ergeben können. Prinzipiell scheinen daher vor allem zwei Untersuchungsstrategien möglich: Erstens Abfragen der Häufigkeit verschiedener konkurrierender Varianten (Aussprache- und Schreibvarianten wie etwa frz. , , morphologische Varianten wie frz. peoplePl, peoplesPl etc., cf. Kap. 16) zu verschiedenen Zeitpunkten, anhand deren ggf. festgestellt werden kann, wie sich eine bestimmte Variante verbreitet und möglicherweise durchsetzt. Dabei zeigt sich gerade für Entlehnungen, dass in einem frühen Stadium sehr häufig verschiedene Varianten konkurrieren, so dass entsprechende Recherchen prinzipiell gut möglich scheinen. Zweitens besteht in einigen Fällen die Möglichkeit, von einem bestimmten Konzept (etwa BERÜHMTE LEUTE) auszugehen und die Häufigkeit konkurrierender Bezeichnungen (etwa frz. célébrités, people) zu verschiedenen Zeitpunkten zu untersuchen. Im weiteren Verlauf der Arbeit (cf. Kap. 12) werde ich dafür argumentieren, dass hier die traditionelle Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort aufgegriffen werden kann und – mit einigen Modifikationen – zu einer besseren Eingrenzung entsprechender Untersuchungsfelder beitragen kann. 12 Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Verbreitung von Innovationen ist weiterhin auf die sog. S-Kurve zu verweisen, die Croft ausführlich diskutiert (Croft 2000, 183–190; cf. Abb. 15). Die Kurve zielt darauf ab, den Verlauf der Verbreitung einer Innovation in der Gesellschaft abzubilden. relative Häufigkeit der Innovation (0 bis 100 %) Zeit Abb. 15:

12

Die S-Kurve zur Beschreibung des Verlaufs der Verbreitung von Innovationen

Unter anderem soll die Unterscheidung nicht nur auf Lehnwörter, sondern auf Innovationen im Allgemeinen bezogen werden. Sodann kann für den Bereich der «Luxusinnovationen» – und nur für diesen Bereich! – eine Untersuchung der relativen Häufigkeit der einzelnen Ausdrucksformen vorgenommen werden, da hier eine eingegrenzte Zahl an Ausdrucksalternativen (die «Luxusinnovation» und der bereits vorhandene Ausdruck, welcher die Einstufung als «Luxusinnovation» begründet) vorliegt.

142

Als entscheidende Grundlage für die Anwendung dieser Konzeption in der aktuellen Sprachwandelforschung kann die Arbeit von Rogers (1995 [11962]) gelten. Dort geht es vor allem um nichtsprachliche Innovationen. Rogers entwickelt ein allgemeines Modell der Verbreitung von Innovationen, das auf die Verbreitung von Produktionstechniken in der Landwirtschaft, technischen Geräten etc. anwendbar ist. Dabei betrachtet Rogers sowohl Faktoren, die beim einzelnen Individuum zu einer Übernahme der Innovation führen können, als auch soziale Faktoren bei der Verbreitung von Innovationen innerhalb von Gemeinschaften. Auch Rogers geht damit von einem Zwei-Phasen-Modell aus; er stellt die jeweils relevanten Faktoren für die Übernahme der Innovation beim einzelnen Individuum einerseits und für die Verbreitung von Innovationen innerhalb von Gemeinschaften andererseits gegenüber. Bei der Betrachtung des erstgenannten Aspekts führt Rogers den Begriff des innovation-decision process ein, den er wie folgt definiert: «The innovation-decision process is the process through which an individual (or other decision-making unit) passes from first knowledge of an innovation to forming an attitude toward the innovation, to a decision to adopt or reject, to implementation of the new idea, and to confirmation of this decision» (Rogers 1995, 163).

In dieser Definition werden die wesentlichen Stadien benannt, die der Prozess nach Rogers beinhaltet: Das Individuum erlangt Kenntnis von der Innovation (knowledge), ist von dieser überzeugt (persuasion), entscheidet sich ggf., sie selbst zu übernehmen (decision), realisiert (implementation) und bestätigt dies (confirmation). Grundlegende Voraussetzungen, welche den gesamten Prozess der Übernahme einer Innovation beeinflussen, sind nach Rogers das bisherige Vorgehen (etwa das bisherige technische Vorgehen), die Tatsache, dass ein Bedürfnis (für eine Innovation) wahrgenommen wird, die Innovativität des einzelnen Individuums und soziale Normen. Entscheidend dafür, wie das Individuum Kenntnis von der Innovation erlangt, sind nach Rogers sozioökonomische Faktoren, Persönlichkeitsmerkmale und das Kommunikationsverhalten; die Bewertung der Innovation berücksichtigt u.a. ihren relativen Vorteil gegenüber dem bisherigen Verfahren, ihre Kompatibilität mit bestehenden Strukturen, ihre Komplexität etc. Die S-Kurve ist hingegen für den zweiten genannten Aspekt, die Verbreitung von Innovationen in der Gemeinschaft, relevant (cf. Rogers 1995, 258). Sie beinhaltet die folgenden wesentlichen Annahmen: 1. Die Verbreitung einer Innovation lässt sich in verschiedene Phasen aufteilen. 2. Eine erste Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass nur einzelne Individuen die Innovation übernehmen, d.h. es kommt nur zu einem langsamen Anstieg der Zahl der Verwendungen der Innovation. 3. Eine zweite Phase ist dagegen durch einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Verwendungen gekennzeichnet; der Wandel beschleunigt sich sprunghaft. 4. Eine dritte Phase ist wiederum durch eine Verlangsamung (der zusätzlichen Übernahmen) gekennzeichnet; die vollständige Durchsetzung der Innovation tritt nur mit einer gewissen Verzögerung ein, da die verbleibenden konservativen Individuen nur langsam zur Übernahme der Innovation übergehen. Darüber hinaus unterscheidet Rogers in diesem Zusammenhang zwischen verschiedenen Adopter Categories, je nachdem, wie leicht oder schwer die Individuen

143

zur Übernahme einer Innovation übergehen (innovators – early adopters – early majority – late majority – laggards, Rogers 1995, 252–280). Das Modell der S-Kurve sowie Rogers’ Kategorien werden in vielen aktuellen Arbeiten der Sprachwandelforschung übernommen (cf. neben Croft u.a. Enfield 2003, 5–21). Insgesamt wurde diese jedoch bislang im Bereich sprachlicher Innovationen kaum überprüft – was nicht zuletzt auch auf die oben diskutierten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Begriff der Häufigkeit zurückzuführen sein könnte. Die S-Kurve kann daher nicht als gesichertes Faktum des Sprachwandels angesehen werden, sondern ihr Zutreffen ist im Einzelnen zu überprüfen. Welche Probleme stellen sich grundsätzlich in Bezug auf das Modell, und welche Spezifika sind bei der Anwendung auf sprachliche Innovationen sowie bei konkreten Einzeluntersuchungen zu beachten? 13 Zunächst ist festzustellen, dass der in Abb. 15 gezeigte Verlauf mathematisch eine Sigmoidfunktion oder S-Funktion darstellt, deren Graph also in S-Form verläuft. Spezieller handelt es sich hier um ein logistisches Wachstum, d.h. es geht um die Darstellung von Sättigungsprozessen, bei denen ganz allgemein gesprochen zunächst ein exponentielles Wachstum erfolgt, das sich dann abschwächt und in einen Sättigungszustand übergeht. Der Begriff des logistischen Wachstums wurde von Pierre François Verhulst (1804–1849) geprägt und lässt sich mathematisch wie folgt definieren: «Ein Wachstum heißt logistisches Wachstum mit der Schranke S, wenn sich der Bestand B(t) nach t, t ЫͲ Zeitschritten im nächsten Zeitschritt um k * B(t) * [S – B(t)] ändert, wenn also die Änderungsrate zum Produkt aus Bestand und Sättigungsmanko proportional ist» (Schmid, ed., 2005, 51, Hervorhebungen im Original).

Die angegebene Formel lässt sich etwa in Bezug auf die Ausbreitung einer Krankheit so interpretieren, dass S der untersuchten Bevölkerung insgesamt entspricht und das Produkt B(t) * [S – B(t)] die Zahl der theoretisch möglichen Kontakte zwischen bereits Infizierten (B(t)) und noch nicht Infizierten (S – B(t)) angibt. Durch den Faktor k kann schließlich erfasst werden, dass z.B. nur ein bestimmter Anteil der möglichen Kontakte tatsächlich stattfindet und dass es nicht in allen Kontaktfällen zu einer Ansteckung mit der Krankheit kommt. Anwendungsbeispiele lassen sich aus dem Bereich der Biologie (neben der Ausbreitung von Krankheiten etwa für das Wachstum von Bakterienpopulationen), aber auch aus anderen Bereichen geben (etwa die Ausbreitung eines Gerüchts). Idealerweise kann hier jeweils ein Ausbreitungsverlauf in Form einer S-Funktion angenommen werden. Intuitiv scheint der beschriebene Verlauf durchaus plausibel. Es lassen sich jedoch verschiedene zusätzliche Faktoren benennen, die bei einzelnen Wachstumsprozessen eine Rolle spielen, so dass unter Umständen nicht in allen Fällen ein 13

Viele der nachfolgenden kritischen Überlegungen scheinen nicht nur auf das Modell der SKurve, sondern allgemein auf berechnende Modelle für Sprachwandel, wie sie etwa in spieltheoretischen Ansätzen vorliegen, anwendbar.

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entsprechender Verlauf tatsächlich eintritt. Dies gilt insbesondere für sprachliche Innovationen. Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass die S-Kurve im Bereich sprachlicher Innovationen (und möglicherweise auch in anderen Bereichen) nur im Nachhinein festgestellt werden kann. Da es nicht nur erfolgreiche Innovationen gibt, sondern immer auch die Möglichkeit besteht, dass sich Innovationen nicht durchsetzen, besitzt die Kurve allenfalls eingeschränkten prognostischen Wert, in dem Sinn, dass, wenn sich die betrachtete Innovation durchsetzt (und nur dann), ggf. ein Verbreitungsverlauf in Form einer S-Kurve angenommen werden kann. Weiterhin scheint im Bereich der Sprache eine wesentlich größere Komplexität gegeben als etwa bei der Verbreitung einer technischen Innovation in der Landwirtschaft, bei der Ausbreitung einer Krankheit oder auch bei der Ausbreitung eines Gerüchts. In den drei zuletzt genannten Bereichen scheint ein einmaliger «erfolgreicher» Kontakt hinreichend dafür, dass eine Übernahme der «Innovation» dauerhaft festgestellt werden kann: Nach Erwerb des technischen Geräts gehört der Landwirt dauerhaft zur Gruppe der Landwirte, die die technische Innovation übernommen haben; nach einer Infektion gilt die betreffende Person als krank bzw. krank gewesen (sie besitzt dann z.B. bestimmte Antikörper); nach der Kenntnisnahme von einem Gerücht gilt die Person als informiert über das Gerücht. Für den Bereich der Sprache hingegen ist die weitere aktive Tradierung der Innovation entscheidend: Für die vollständige Verbreitung der Innovation reicht es nicht aus, dass alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft irgendwann einmal mit der Innovation konfrontiert waren (oder sie evtl. sogar selbst ein Mal verwendet haben), sondern es ist eine regelmäßige Weiterverwendung der sprachlichen Innovation durch viele Sprachbenutzer erforderlich (cf. Coseriu 1958, 37). 14 Dies verweist auf die Wechselwirkung zwischen Sprache und Sprechen sowie auf die grundlegende Eigenschaft, dass sich Sprache erst und nur im Sprechen konstituiert. Damit kommen hier zusätzliche Faktoren ins Spiel. So muss etwa zusätzlich vorausgesetzt werden, dass das durch die Innovation bezeichnete Konzept durch die Zeit hindurch regelmäßig immer wieder thematisiert wird, so dass überhaupt die Möglichkeit zur Verwendung der Innovation besteht. Darüber hinaus ist unmittelbar deutlich geworden, dass die S-Kurve das Vorhandensein einer oberen Schranke voraussetzt, d.h. es geht grundsätzlich um eine relative Verbreitung innerhalb einer vordefinierten Menge, die konstant bleiben sollte. Im Bereich von technischen Innovationen erscheinen entsprechende Untersuchungen durchaus praktikabel. So könnte etwa die Menge aller Landwirte in einer bestimmten Region zugrunde gelegt werden und dann in verschiedenen Zeitabschnitten untersucht werden, ob die einzelnen Landwirte eine bestimmte Innovation über-

14

Eine entsprechende Weiterverwendung ist z.B. auch bei technischen Innovationen im Bereich der Landwirtschaft in einem trivialen Sinn gegeben (da davon auszugehen ist, dass die Innovation erworben wurde, um auch tatsächlich eingesetzt zu werden). Für die Betrachtung des Verbreitungsprozesses sind entsprechende Weiterverwendungen jedoch weitgehend belanglos (ein gewisser Einfluss könnte höchstens insofern angenommen werden, als durch eine für andere Landwirte sichtbare Weiterverwendung ein zusätzlicher Werbeeffekt eintreten kann).

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nommen haben oder nicht. Die so ermittelten absoluten Häufigkeiten können in Bezug zur Gesamtmenge der untersuchten Landwirte gesetzt werden. Im Bereich der Sprache müsste idealerweise eine – ausreichend große – Zahl von Sprechern bzw. eine Sprachgemeinschaft als ganze im Hinblick auf die Kenntnis der Innovation bzw. auf das sprachliche Handeln untersucht werden. Dies scheint jedoch aus methodologischen Gründen schwierig bzw. zumindest sehr aufwendig (cf. die obigen Überlegungen zum Begriff der Frequenz). Eine häufig gewählte Alternative sind daher Auszählungen auf der Grundlage von Corpora. Hierbei sind jedoch wiederum nicht nur absolute Häufigkeiten von Okkurrenzen zu ermitteln, sondern es muss ebenfalls eine Bezugsmenge festgelegt werden, zu der die festgestellten absoluten Häufigkeiten in Bezug gesetzt werden. Dabei ergibt sich das gewichtige Problem, dass hier streng genommen keine konstante Grundmenge gewährleistet ist, da die Corpora für verschiedene Zeitabschnitte jeweils aus unterschiedlichen Dokumenten bestehen. Daher müssen zusätzliche Prämissen bezüglich der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Zeitschnitte in den Corpora angenommen werden: 1. Es muss angenommen werden, dass jedes Corpus für die zu betrachtende Gruppe von Sprechern (in der Regel geht es um die gesamte Sprachgemeinschaft) bzw. deren sprachliches Handeln repräsentativ ist. 2. Es muss angenommen werden, dass die Verbreitung der Innovationen in jedem Corpus grundsätzlich den gleichen Prinzipien unterliegt (dazu müssen z.B. die Menge an Sprecherkontakten und der Anteil an Übernahmen der Innovation bei einzelnen Kontakten jeweils in etwa gleich sein). Beide Annahmen erscheinen aber durchaus nicht ganz unproblematisch, so dass ihr Zutreffen bei konkreten Analysen kritisch hinterfragt werden sollte. Insbesondere die Überprüfung, ob 2. gewährleistet ist, scheint allerdings im Einzelfall sehr schwierig, da sich die Zahl und Art der Sprecherkontakte nicht direkt in den Corpora widerspiegeln. Schließlich stellt sich das zusätzliche Problem, dass ein Verbreitungsprozess innerhalb der Sprachgemeinschaft gemäß der S-Kurve prinzipiell nur bei allgemeinsprachlichen Innovationen angenommen werden kann. Während etwa Krankheiten oder Gerüchte prinzipiell alle Individuen betreffen bzw. dies zumindest methodologisch angenommen werden kann, und während im Bereich technischer Innovationen die Menge der potenziell Interessierten relativ leicht zu ermitteln ist, sind viele sprachliche Innovationen (zunächst) auf bestimmte Diskurstraditionen beschränkt, an denen nur Teile der Sprachgemeinschaft teilhaben. 15 Gerade da der Verbreitungsprozess von Innovationen im Bereich der Sprache zwingend voraussetzt, dass sich immer wieder geeignete Gelegenheiten zur Verwendung der Innovationen ergeben – 15

Diskurstraditionen lassen sich grundsätzlich dahingehend bestimmen, dass sie bestimmte Normen bereitstellen, nach denen Diskurse/Texte gestaltet werden (z.B. Sonett, Gesetzestext, Trauerrede, Beichtgespräch, Wegauskunft, Manierismus), d.h. ein Text steht zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte mit einem anderen, früheren Text in einer diskursiven Beziehung und wiederholt bestimmte Elemente aus diesem früheren Text. Dabei werden beide Texte durch eine bestimmte diskursive Konstellation evoziert, d.h. auch die Wiederholung dieser Konstellation ist grundlegend für den Begriff der Diskurstradition (cf. Koch 1988, 341–342; 1997; 2005; 2008, 53–56; Oesterreicher 1997; Kabatek 2005b, 157– 159; Aschenberg 2003, 1; Wilhelm 2001; 2005; sowie Schlieben-Lange 1983, die den Begriff «Texttraditionen» verwendet).

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sowohl gegenüber «neuen» Rezipienten, die noch keine Kenntnis von der Innovation haben, als auch generell zur aktiven Weitertradierung der Innovation –, ist es wesentlich, dass bei der Bestimmung der oberen Schranke nur die potenziell interessierten Rezipienten angesetzt werden. Dies bedeutet, dass im Einzelfall genau zu bestimmen ist, welche Rolle spezifische Diskurstraditionen für die Verbreitung der betrachteten Innovation haben. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich sodann durch die Möglichkeit, dass Innovationen aus einer bestimmten Diskurstradition auch in die Allgemeinsprache übergehen können; dies impliziert, dass sich die Bezugsmenge der potenziell betroffenen Sprecher für die Innovation im Verlauf ihrer Verbreitung ändert.

7.3.3

Zur Auslegung des «Evolutionären»

Da die Modelle von Keller und Croft die auffällige Gemeinsamkeit aufweisen, beide evolutionär konzipiert zu sein, soll nachfolgend näher beleuchtet werden, was das Evolutionäre an beiden Modellen ist und inwiefern es für die theoretische Konzeption von Sprachwandel zentral ist. Gleichzeitig stellt sich damit auch die Frage der Notwendigkeit eines evolutionären Ansatzes: Kann Sprachwandel nur in einer evolutionären Konzeption adäquat verstanden werden, oder lässt sich eine Sprachwandeltheorie auch unabhängig davon formulieren? Um die genannten Fragen beantworten zu können, muss der Heterogenität der evolutionären Konzeptionen Rechnung getragen werden. Es zeigt sich, dass sich die Ansätze zum Teil erheblich darin unterscheiden, wie radikal die Verbindung von biologischer Evolutionstheorie und Entwicklung der Sprache ausgelegt wird. Nach Croft (2000, 10–12) lassen sich drei grundlegende Positionen unterscheiden: analogical, literal und generalized approaches. Diese können wie in Abb. 16 gezeigt gegenübergestellt werden. Metaphorische Ansätze (analogical views) Sprache ~ Biologie

-

-

Ähnlichkeit zwischen Entwicklung der Sprache und biologischer Evolution Eigene (kulturelle) Erklärungsmechanismen für Sprachwandel

Abb. 16:

Biologistische Ansätze (literal views)

Generalisierte Ansätze (generalized views)

biologische Evolution ώ Entwicklung der Sprache - Entwicklung der Sprache als Untertyp der biologischen Evolution - Biologische Erklärungsmechanismen für Sprachwandel

evolutionäre Modelle Ϗ Sprache -

-

ώ Biologie

Sprachliche und biologische Systeme als Untertypen von historisch entwickelten Systemen Gemeinsame sowie jeweils spezifische Erklärungsmechanismen für Sprachwandel und biologische Evolution

Drei Typen evolutionärer Ansätze

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Hierbei nehmen die erstgenannten Ansätze eine vergleichsweise wenig radikale Haltung ein: Die Entwicklung der Sprache wird lediglich in Analogie gesetzt zur biologischen Evolution bzw. das Evolutionäre wird als bloße Metapher verstanden. 16 Diese Gruppe kann daher als «analogische» oder «metaphorische» Sichtweise bezeichnet werden. Dieser Position lässt sich auch Kellers Ansatz zurechnen, wie aus folgendem Zitat deutlich wird: «Mein Versuch, die sprachliche Entwicklung als evolutionären Prozeß zu begreifen, ist überhaupt nicht geprägt von dem Bestreben, ein naturwissenschaftliches Modell auf einen kulturwissenschaftlichen Gegenstand zu ü b e r t r a g e n . Mein Versuch ist vielmehr von dem Bestreben getragen, ein genuin kulturwissenschaftliches Modell, das der unsichtbaren Hand, auf die Sprachbetrachtung anzuwenden. […] Die Theorie der Evolution der belebten Natur soll uns nur als heuristisches Modell dienen […]» (Keller 1994, 195, Sperrung im Original).

Diese Sichtweise ist insofern relativ unproblematisch, als die Bezugnahme auf die biologische Evolutionstheorie im Wesentlichen heuristische Zwecke erfüllt, jedoch ohne dass beansprucht wird, ein naturwissenschaftliches Modell auf die Entwicklung der Sprache zu übertragen. Vielmehr wird zur Erklärung der letzteren explizit ein kulturwissenschaftliches Modell eingefordert. Allerdings stellt sich unmittelbar die Frage, in welchen Punkten eine Ähnlichkeit zwischen der biologischen und der sprachlichen Entwicklung gesehen wird und wo hingegen grundlegende Unterschiede angenommen werden. Nur wenn die Analogie und ihre Grenzen klar aufgezeigt werden, scheint die Bezugnahme auf die biologische Evolution wissenschaftliche Zwecke erfüllen zu können. Keller nennt im Wesentlichen drei – allerdings relativ allgemein gehaltene – Gemeinsamkeiten entsprechender Prozesse in Biologie und Sprache: ihren nichtteleologischen Charakter, ihren kumulativen Charakter sowie das Zusammenspiel von Variation und Selektion, das die Dynamik der Prozesse begründet (Keller 1994, 195–196). Was die Unterschiede zwischen beiden Bereichen betrifft, so nennt Keller die aktive Rolle der Gene (diese «stellen» Körper «her» und bedienen sich dieser zur Replikation); sprachliche Einheiten hingegen werden von den Sprechern verwendet. Darüber hinaus diskutiert Keller ausführlich das jeweils partiell unterschiedliche Verständnis von «Selektion». Allerdings fällt auf, dass diese Erörterungen nur im Fazit seines Buchs stattfinden, und zwar im Kontext einer Besprechung des Dawkinsschen Membegriffs, dem Keller durchaus kritisch gegenübersteht. 17 Insgesamt bleiben aber auch dort Kellers Ausführungen zum Selektionsbegriff sehr knapp. Er führt eine neue Unterscheidung zwischen sozialer und linguistischer Selektion für den Bereich der Sprache ein, wobei zwischen beiden und zum Invisible-hand-Prozess eine Rückkopplung angenommen wird. Die neuen Konzepte von «Selektion» werden jedoch bei der eigentlichen Erarbeitung seiner Theorie im Hauptteil des Buchs nicht fruchtbar gemacht und 16

17

Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich allerdings dadurch, dass die Terminologie der biologischen Evolution teilweise selbst metaphorisch ist, so etwa der Begriff der «Selektion» (in der Biologie gibt es keine selegierende Instanz; cf. Andersen 2006, 85; Pörksen 1984, 95). So spricht Keller von einer «vemutlich nicht ganz ernst gemeinte[n]» (Keller 1994, 198) Entsprechung zum Gen, die Dawkins für den Bereich der Kultur einführe.

148

nicht näher erläutert. Insofern setzt Keller die Evolutionstheorie bei der Erarbeitung seiner Sprachwandeltheorie tatsächlich nur sehr begrenzt ein; der (metaphorisch) evolutionäre Kern seiner Theorie konzentriert sich damit im Wesentlichen auf die Aspekte der Nichtteleologizität und Kumulativität. Ein weiterer grundlegender Unterschied lässt sich schließlich in Bezug auf die Gegenstandsbereiche feststellen (Naturphänomene im Fall der biologischen Evolution, Phänomene der dritten Art im Bereich des sprachlichen Wandels). Wesentlich radikalere Positionen finden sich in biologistischen Auffassungen, nach denen die Entwicklung der Sprache den Gesetzmäßigkeiten der biologischen Evolution folgt, d.h. die in der Biologie entwickelte Theorie wird unmittelbar auf die Entwicklung der Sprache angewandt. Ein Beispiel für diese Auffassung liefert August Schleicher, der damit zu einer Einordnung der Linguistik (bzw. Glottik) unter die Naturwissenschaften gelangt. 18 Aktuell finden sich biologistische Konzeptionen vor allem unter dem Schlagwort der Biolinguistik (biolinguistics) in Bezug auf die Entstehung der Sprechfähigkeit und der menschlichen Sprache insgesamt (cf. Lenneberg 1967; Newmeyer 1991; Givón 2002; Chomsky 2004; 2005 sowie die seit 2007 von Cedric Boeckx und Kleanthes K. Grohmann herausgegebene Zeitschrift Biolinguistics). Da weder Keller noch Croft einen solchen Ansatz vertreten, wird dieser hier nicht weiter kommentiert. Von Interesse für den vorliegenden Kontext ist hingegen die dritte Gruppe der «generalisierten» Ansätze, denen Croft sich selbst zurechnet. Kennzeichnend für diese Gruppe ist nach Croft, dass die biologische und die sprachliche Evolution als Unterarten eines allgemeinen Typs von Prozessen verstanden werden, d.h. die «evolutionäre» Theorie soll auf beide Bereiche gleichermaßen anwendbar sein: «First, there is a general theory of selection, most fully developed in evolutionary biology, which shows that evolutionary processes operate at two levels, replication and selection (Hull 1988). Second, this model can be applied to language by taking the speaker as the

18

«Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe von Erscheinungen eigen, die man unter dem Namen ‹Leben› zu verstehen pflegt. Die Glottik, die Wissenschaft der Sprache, ist demnach eine Naturwissenschaft; ihre Methode ist im Ganzen und Allgemeinen dieselbe, wie die der übrigen Naturwissenschaften» (Schleicher 1863, 6–7). In einer Fußnote nimmt Schleicher allerdings die Philologie aufgrund ihres historischen Charakters aus dieser Charakterisierung gerade heraus: «Von der Philologie, einer historischen Disciplin, ist hier natürlich nicht die Rede» (Schleicher 1863, 7). Auch am Ende seines Sendschreibens macht er deutlich, dass gewisse Unterschiede zwischen den Sprachen und den Untersuchungsgegenständen der Biologie durchaus anzuerkennen sind: «Begreiflicher Weise konnten es nur die Grundzüge der Darwinschen Anschauungen sein, die auf die Sprachen Anwendung finden. Das Reich der Sprachen ist von dem der Pflanzen und Thiere zu verschieden, als dass die Gesammtheit der Darwinschen Ausführungen mit ihren Einzelheiten für dasselbe Geltung haben könnten» (Schleicher 1863, 29). Dabei sieht Schleicher vor allem zwei wichtige Gemeinsamkeiten: erstens die «Entstehung der Arten durch allmähliche Differenzierung», zweitens die «Erhaltung der höher entwickelten Organismen im Kampfe ums Dasein» (Schleicher 1863, 29).

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unit of selection and the lingueme [= unit of linguistic structure, EWF] as the unit of replication; this is the Theory of Utterance Selection […]» (Croft 2000, 229).

David Hull, auf den sich Croft hier bezieht, entwickelt eine ähnlich konzipierte, übergreifende «evolutionäre» Theorie im Bereich der Wissenschaftsgeschichte: «I do not propose to extend a gene-based biological theory of evolution to include conceptual development in science. Instead, I provide a general analysis of selection processes which is intended to apply equally to both biological and conceptual change. Neither biological nor conceptual selection is more fundamental than the other» (Hull 1988, 20).

Ein weiterer linguistischer Ansatz dieses Typs findet sich bei Nettle: «Evolutionary processes are not restricted to DNA. They occur wherever there is variation, replication and selection. They are best understood as algorithms for producing efficient design by a series of mindless steps […]» (Nettle 1999, 447).

Die angeführten Zitate machen deutlich, dass es sich um einen grundlegend anderen Typ von Ansatz handelt als bei den beiden oben diskutierten, insofern als der Begriff der «Evolution» hier in einem neuen Sinn definiert wird. Während Evolution sowohl bei den metaphorischen als auch bei den biologistischen Ansätzen die biologische Evolution(stheorie) meint, beansprucht diese dritte Gruppe von Ansätzen ein neues, übergreifendes Begriffsverständnis, das die biologische Ausformulierung in gewisser Weise relativiert. Die biologische Evolution stellt demnach nur noch einen Anwendungsbereich neben anderen dar 19 – wenn auch einen Bereich, für den die entsprechende allgemeine «Evolutions»-Theorie bereits besonders gut ausgearbeitet ist. 20 Gleichzeitig stellt auch Croft einige grundlegende Unterschiede im Funktionieren von Selektionsprozessen in der Biologie und der Sprache fest. So sind etwa Individuen Mitglieder mehrerer Sprachgemeinschaften, während Organismen nur einer Population angehören (Croft 2000, 91 und 170). Ebenso steht der funktionale Charakter der veränderten Replikation (Innovation) in der Sprache dem zufälligen Charakter von biologischen veränderten Replikationen (Mutationen) gegenüber (Croft 2000, 39). 21 Croft konzipiert weiterhin Selektion in der Sprache sozial, was dem funktionalen Charakter der biologischen Selektion – die auf die Funktionalität der 19

20

21

Dies zeigt sich auch daran, dass Croft eine Unterscheidung zwischen 1. der allgemeinen Theorie der Selektion, 2. der Selektion in der Biologie und 3. der Selektion in der Linguistik vornimmt und die sich in den verschiedenen Bereichen entsprechenden Einheiten jeweils terminologisch trennt, z.B. Replikator – Gen – Linguem (definiert als konkrete Realisierung einer strukturellen Einheit), strukturierte Menge von Replikatoren – DNA – Äußerung, Interaktor – Organismus – Sprecher, Reproduktion – Fortpflanzung – Kommunikation etc. (Croft 2000, 38). Aus der Tatsache, dass Autoren wie Croft weitgehend auf die etablierte Terminologie der biologischen Evolution zurückgreifen, ergibt sich allerdings doch eine gewisse Asymmetrie der Anwendungsbereiche bzw. die Gefahr von biologistischen Fehldeutungen. Hierzu ist anzumerken, dass Croft den Begriff der veränderten Replikation in der Biologie nur auf Mutationen bezieht; grundsätzlich besteht aber auch die Option der normalen geschlechtlichen Fortpflanzung, bei der ebenfalls – völlig regelmäßig – Veränderungen initiiert werden.

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Eigenschaften für das Leben in der Umwelt abzielt – gegenübersteht (Croft 2000, 39). Darüber hinausgehend wird aber mit den generalisierten Ansätzen der Anspruch erhoben, den Ablauf von komplexen historischen Prozessen im Allgemeinen zu modellieren. Insgesamt ist in Bezug auf die Gruppe der generalisierten Ansätze anzumerken, dass diese – und das entsprechend modifizierte Verständnis von «Evolution» – nicht immer als solche anerkannt werden. Wenn nicht ausreichend deutlich gemacht wird, wo die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen biologischer und sprachlicher Evolution gesehen werden, so besteht daher die Gefahr, dass entsprechende Ansätze biologistisch (um)interpretiert werden. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit ist festzustellen, dass keine abschließende Bewertung der in dieser Gruppe entwickelten «evolutionären» Konzeption vorgenommen werden kann. Allenfalls kann deren Adäquatheit für den Bereich von Sprachwandel beurteilt werden, nicht jedoch für andere Bereiche wie die biologische Evolution. Der vergleichsweise hohe theoretische Anspruch, der in generalisierten Ansätzen erhoben wird (nämlich ein umfassendes Modell zu entwerfen, das auf verschiedenste Bereiche anwendbar ist), kann somit ebenfalls hier nicht insgesamt, sondern nur vorläufig bzw. nur für den eingegrenzten Bereich sprachlichen Wandels beurteilt werden. Was den generellen Nutzen eines Bezugs zur biologischen Evolutionstheorie für die Modellierung von Sprachwandel angeht, so sind verschiedene Punkte kritisch hervorzuheben. Es wurde gezeigt, dass sowohl Keller als auch Croft einige zentrale Unterschiede zwischen biologischer und sprachlicher Evolution anerkennen. 22 Damit wird auch die Möglichkeit, beide Bereiche analog zu analysieren bzw. unter eine allgemeine Theorie zu subsumieren, unmittelbar eingeschränkt. Grundlegend für das adäquate Verständnis von Sprachwandel bleibt es damit, das Wesen von Sprache adäquat zu erfassen, welches erst die Möglichkeit von Sprachwandel begründet. Dabei deuten einige Ansätze auf sehr fundamentale Unterschiede zwischen Sprache und Biologie hin: Keller selbst sieht im Falle des Sprachwandels einen völlig eigenen Untersuchungsgegenstand gegeben (ein Phänomen der dritten Art), der sich von biologischen Untersuchungsgegenständen (Organismen) wesentlich unterscheidet. Auch andere Auffassungen kommen zu einem ähnlichen Schluss. So weist etwa Andersen in Anknüpfung an Coseriu darauf hin, dass Sprache einerseits (synchronisch) nur als Praktik, andererseits (diachronisch) nur als Tradition adäquat zu ver22

Als weitere Unterschiede lassen sich u.a. die folgenden nennen: Die biologische Evolution stellt sich als viel- und kleinschrittiger Prozess dar, der häufig auf einer Serie von jeweils geringfügig veränderten Replikationen beruht (A ĺ A’ ĺ A’’ ĺ … ĺ B). Im Sprachwandel ist dagegen meist ein einzelner Akt der Schaffung einer neuen Variante anzusetzen, die klar von der bestehenden Form zu unterscheiden ist und in Konkurrenz zu dieser steht (A, B). Darüber hinaus beruht die biologische Mutation auf zufälligen Kopierfehlern; in der Sprache erfolgen rezipienteninduzierte Veränderungen hingegen auf der Grundlage abduktiver – und damit rationaler – Prozesse (der Rezipient erschließt auf der Grundlage einer sprachlichen Äußerung eine bestimmte grammatische Struktur; cf. Andersen 2006, 77; Andersen 1973). Im Übrigen entspräche die Übernahme von Innovationen einer radikal lamarckistischen Auffassung (erworbene Merkmale werden vererbt), die nicht der heute etablierten biologischen Evolutionstheorie entspricht (Andersen 2006, 80, cf. insgesamt 75–81).

151

stehen ist (Andersen 2006, 65, cf. 81–84). Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Bedeutung der Kreativität im Hinblick sowohl auf die Synchronie als auch auf die Diachronie der Sprache zu betonen. 23 Damit kommen völlig eigene Erkärungsmechanismen für Sprachwandel ins Spiel, die bei der Entwicklung der anorganischen und der organischen Welt keine Rolle spielen. Insgesamt legen diese Feststellungen nahe, dass eine Bezugnahme auf Konzepte der biologischen Evolutionstheorie allenfalls im Bereich der Beschreibung von Sprachwandel möglich erscheint (wobei eine solche Bezugnahme auch hier keineswegs als notwendig anzusehen ist). So lassen sich einige sehr allgemeine Gemeinsamkeiten anführen, etwa die Tatsache, dass der Wandel über das Kopieren und die Weitergabe von Informationseinheiten verläuft 24 und dass in der Entwicklung immer wieder neue, konkurrierende Varianten geschaffen werden, von denen sich auf lange Sicht eine bestimmte Variante etablieren kann. Über diese minimalen Parallelismen hinaus scheint es für die Erklärung von Sprachwandel jedoch notwendig, Merkmale von Sprache in den Blick zu nehmen, in denen sie sich grundlegend von biologischen Phänomenen unterscheidet. Andersen sieht daher «no chance of explaining language change by the mechanisms of evolutionary theory» (Andersen 2006, 59), und die biologische Evolutionsvorstellung erweist sich im Hinblick auf Sprachwandel insgesamt in vielerlei Hinsicht als irreführend bzw. nicht anwendbar.

7.3.4

Der Vorwurf der Zirkularität und das Verhältnis von Makro- und Mikroebene bei Keller

«[…] there was a heatwave in the Red Sea, and everybody took off all the clothes they had. […] the Rhinoceros took off his skin and carried it over his shoulder as he came down to the beach to bathe. In those days it buttoned underneath with three buttons and looked like a waterproof. […]. Presently the Parsee came by and found the skin […]. 23

24

Die hier relevante Kreativität bezieht sich einerseits auf die hergestellten Objekte selbst, andererseits auf die Verfahren ihrer Herstellung, d.h. etwa auf bestimmte sprachliche Regeln, die ebenfalls Veränderungen unterworfen sind (cf. Coseriu 1983, 52). Besonders deutlich zeigt sich die sprachliche Kreativität bei Sprachkontaktphänomenen: «Die sprachliche Interferenz ist in Wirklichkeit eine Form der sprachlichen Kreativität, besser gesagt, eine Manifestation dieser Kreativität und zugleich ein Beweis dafür, daß der Sprecher nicht einfach das von ihm schon Gehörte wiederholt, sondern seinen Ausdruck aufgrund seines sprachlichen Wissens schafft […]» (Coseriu 1977, 97). Zur sprachlichen Kreativität generell und ihrer zentralen Bedeutung für die Bestimmung der Sprechtätigkeit cf. Oesterreicher (1979, 236–237). Auch hier besteht jedoch bereits wieder ein wichtiger Unterschied darin, dass es sich bei der Replikation von Genen um einen einfachen Kopiervorgang handelt, im Bereich der Sprache hingegen sowohl die Perspektive des Produzenten als auch die des Rezipienten (d.h. sowohl Kodierung als auch Dekodierung und damit z.B. die Komplexität von Interpretationsvorgängen) zu berücksichtigen ist (Andersen 2006, 84).

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He took that skin, and he shook that skin, and he scrubbed that skin, and he rubbed that skin just as full of old, dry, stale, tickly cake-crumbs and some burned currants as ever it could possibly hold. Then he […] waited for the Rhinoceros to come out of the water and put it on. And the Rhinoceros did. He buttoned it up with three buttons, and it tickled like cake-crumbs in bed. Then he wanted to scratch, but that made it worse; and then he lay down on the sands and rolled and rolled and rolled, and every time he rolled the cake-crumbs tickled him worse and worse and worse. Then he ran to the palm-tree and rubbed and rubbed and rubbed himself against it. He rubbed so much and so hard that he rubbed his skin into a great fold over his shoulders, and another fold underneath, where the buttons used to be (but he rubbed the buttons off), and he rubbed some more folds over his legs. And it spoiled his temper, but it didn’t make the least difference to the cakecrumbs. They were inside his skin and they tickled. So he went home, very angry indeed and horribly scratchy; and from that day to this every rhinoceros has great folds in his skin and a very bad temper, all on account of the cakecrumbs inside. […]» («How the Rhinoceros got His Skin», Kipling 1987 [11902], 29–30).

Ein immer wieder geäußerter Vorwurf gegenüber Erklärungen für Sprachwandel betrifft die Frage ihrer Zirkularität, die auch in Kellers Theorie aufgeworfen wird. Als wesentlich erscheint hierbei das von ihm umrissene Verständnis von «diagnostischen Erklärungen», denen Erklärungen über die unsichtbare Hand grundsätzlich zuzurechnen seien: «Meist stellen wir erst post festum auf der Basis der Existenz des Explanandums fest, daß die Prämissen erfüllt waren. Das heißt, wir kennen das Explanandum, kennen die Gesetze und rekonstruieren die Prämissen. Dies ist der Witz der diagnostischen Erklärung» (Keller 1994, 106, Hervorhebung im Original).

Die Struktur dieser Argumentation kann durch das Schema in Abb. 17 veranschaulicht werden. Die Gefahr einer Zirkularität erscheint hier offensichtlich, d.h. es besteht die Gefahr, dass die Prämissen passend gemacht werden, um ein bestimmtes Phänomen zu erklären, ohne dass eine ausreichende Absicherung erfolgt. In der obigen Charakterisierung werden keine Möglichkeiten der Überprüfung der Argumentation und der Zulässigkeit der Rekonstruktion der Prämissen genannt. Indirekt anerkannt wird die Berechtigung des Vorwurfs der Zirkularität auch von Keller selbst. Um sich demgegenüber zu verteidigen, führt er den zusätzlichen Begriff der Erklärungskraft einer Theorie ein. Auf der Grundlage dieses Parameters eröffnet er anschließend ein Kontinuum, in dessen Endbereichen einerseits zirkuläre Erklärungen und andererseits diagnostische Erklärungen situiert werden:

153

«Verantwortlich für die Stärke der Erklärungskraft einer Theorie ist nämlich nicht allein ihre Wahrheit oder Stringenz. Zirkuläre Erklärungen sind ein Beispiel für wahre Erklärungen ohne explanative Kraft. Sie bilden das eine Extrem eines Kontinuums. Ziemlich weit am anderen Ende sind Erklärungen mittels der unsichtbaren Hand angesiedelt. Der Parameter für die Platzierung auf dem Kontinuum der Erklärungsstärke ist der ‹Abstand› des Bereiches, aus dem die erklärenden Begriffe stammen, zu dem Bereich des Explanandums. Die zirkuläre Erklärung stellt ein Extrem dar; der Abstand der Explanans-Begriffe zum Explanandum ist gleich null. Die Begriffe sind identisch. In der Invisible-hand-Erklärung ist diese Entfernung typischerweise sehr groß. Während die zentralen Begriffe des Explanans meist dem Bereich der Psychologie und der Soziologie angehören, gehört das Explanandum meist zu Bereichen wie Rechts- und Staatsphilosophie, Linguistik, Nationalökonomie und dergleichen, oder es stellt geometrische und sonstige Strukturen dar. Offenbar empfinden wir Erklärungen als um so befriedigender, je weniger die verwendeten Begriffe prima facie mit dem Erklärungsgegenstand zu tun haben. Verstärkt wird diese Distanz vielfach noch durch die Mandevillesch-paradoxe Form der Erklärung (Faulheit – intelligente Struktur der Trampelpfade, Egoismus des Einzelnen – Wohlstand aller, Sicherheitsstreben – Verkehrsstau)» (Keller 1994, 106–107).

bekannte Gesetze

Prämissen

Explanandum

Ö Prämissen waren erfüllt Abb. 17:

Die Struktur diagnostischer Erklärungen nach Keller

Bezüglich Kellers Argumentation erscheinen mehrere Punkte problematisch. Zunächst ist zu bemerken, dass der negative Begriff der Zirkularität mit den neutralen oder positiven Begriffen der Stringenz und Wahrheit vermischt wird. Gemeint ist dabei eine Wahrheit im Sinne der formalen Logik. Dieses Merkmal kommt nach Keller sowohl diagnostischen Erklärungen über die unsichtbare Hand als auch einem anderen Typ von abzulehnenden Erklärungen zu. 25 Die genannte Charakterisierung 25

An anderer Stelle nimmt Keller allerdings auch den Anspruch der Wahrheit im strengen Sinn zurück, wobei anzunehmen ist, dass «Wahrheit» nun im Sinne einer Übereinstimmung mit der empirischen Realität gemeint ist: «Der Wahrheitswert einer Invisible-handTheorie ist jedoch meist nicht feststellbar, da die Wahrheit der wesentlichen Prämissen nicht feststellbar ist. Der Wahrheitswert von Aussagen über Motive, die Handlungsweisen zugrunde liegen, kann vielfach sowohl aus technischen als auch aus psychologischen Gründen weder verifiziert noch falsifiziert werden» (Keller 1994, 102).

154

ist im logischen Sinn durchaus richtig: Zirkuläre Argumentationen sind im logischen Sinne wahr. Allerdings handelt es sich hier eben nur um eine Wahrheit im aussagenlogischen (und nicht im alltagssprachlichen!) Sinn, bei der von der empirischen Realität der behaupteten Tatsachen und darüber hinaus von bestimmten semantischen Inhalten abstrahiert wird. 26 Neben diesen Einschränkungen in Bezug auf den Aspekt der Wahrheit ist zudem nicht nachvollziehbar, inwiefern der den diagnostischen Erklärungen entgegengebrachte Vorwurf der Zirkularität hier entkräftet wird. Ohne den genannten Vorwurf näher zu diskutieren, verlagert Keller den Schwerpunkt seiner Argumentation auf die Stärke der Erklärungskraft, wobei er innerhalb wahrer (d.h. unter Umständen auch zirkulärer?) Erklärungen zwischen Erklärungen mit schwacher und mit starker Erklärungskraft differenziert. Dazu führt Keller die Beobachtung an, dass Explanandum und Explanans bei Erklärungen über die unsichtbare Hand typischerweise aus weit voneinander entfernten Bereichen stammen: das Explanandum aus Bereichen wie Rechts- und Staatsphilosophie, Linguistik (bzw. Sprache, EWF) oder Nationalökonomie, die erklärenden Begriffe vor allem aus der Psychologie und Soziologie (cf. Keller 1994, 106). Damit komme diesen Erklärungen generell eine starke Erklärungskraft zu, die sie von anderen Erklärungstypen unterscheide. Hier sind wiederum Zweifel angebracht: Linguistische Erklärungen nehmen immer auch auf sprachliche Fakten (als Explanans) Bezug, so dass von einer völligen Entfernung oder Trennung der Bereiche kaum auszugehen ist. Auch die darüber hinaus bei Keller angeführte Bemerkung der paradoxen Form vieler Erklärungen ist in verschiedener Hinsicht zu relativieren (cf. Kap. 7.3.1). Zwar sind durchaus Beispiele von Sprachwandel dokumentiert, bei denen die globale Entwicklung den ursprünglichen Sprechermotiven bei der Innovation genau zuwiderläuft – etwa die von Keller zitierte Pejorisierung der Ausdrücke dt. Weib/wîp und Frau/vrouwe (Keller 1994, 107–109) –, doch bei zahlreichen anderen Wandeltypen scheint ein solcher Widerspruch nicht gegeben. So können etwa einzelne lautliche Assimilationen dadurch begründet sein, dass der Sprecher schwierig zu artikulierende Lautsequenzen vereinfacht; wenn diese Vereinfachungen bei einer ausreichenden Zahl von Sprechern auftreten, kann ein entsprechender Sprachwandel eintreten. Globaler Wandel und individuelles Handeln laufen hier weitgehend parallel. Auch bei dem von Keller immer wieder angeführten Beispiel der Trampelpfade ist meines Erachtens nur bedingt ein Widerspruch festzustellen. Die «intelligente Struktur der Trampelpfade» scheint nur bedingt der Faulheit entgegengesetzt, die für ihre Entstehung (mit)verantwortlich ist, denn gleichzeitig ist vorauszusetzen, dass der einzelne Fußgänger intelligent handelt und einen für seine Zwecke möglichst gut geeigneten, kurzen Weg wählt. Auch hier besteht also eine Parallelität zwischen dem Handeln des Einzelnen und dem globalen Ergebnis; das durchaus den Interessen des einzelnen Handelnden entspricht.

26

So zählen etwa kausale Verknüpfungen, wie sie typischerweise in Erklärungen vorkommen (weil etc.), gerade nicht zu den 16 Junktoren der Aussagenlogik (und, oder, wenn-dann etc.; cf. Zoglauer 1997, 44), d.h. ihr spezifischer semantischer Gehalt wird bei streng aussagenlogischen Analysen nicht berücksichtigt.

155

Schließlich, und dies scheint der eigentlich entscheidende Punkt, bleibt noch immer das Problem, dass zirkuläre Erklärungen nicht ausgeschlossen werden können, wenn keine Kriterien zur Verfügung gestellt werden, die eine Überprüfung der Erklärungen erlauben. Dies kann einfach anhand eines hypothetischen Beispiels aufgezeigt werden, das Keller selbst anführt: «Im Balkan sollen alle Leute Knoblauch essen; die Erklärung dafür – so habe ich gehört – sei die: Einer soll einmal versehentlich damit angefangen haben, und die übrigen sollen gewusst haben, daß man den Knoblauchgeruch des anderen dann nicht als unangenehm wahrnimmt, wenn man selbst Knoblauch gegessen hat» (Keller 1994, 95).

Die Pointe dieser Erklärungsmöglichkeit liegt gerade in ihrer paradoxen Struktur; insofern erscheint dieses Merkmal durchaus erfüllt. Auch liegt die in Abb. 17 dargestellte Struktur einer diagnostischen Erklärung zugrunde: Der Erklärungsvorschlag geht von einem gegebenen Sachverhalt aus («Alle essen Knoblauch») und rekonstruiert auf der Grundlage bekannter «Gesetze» («Knoblauchgeruch wird als nicht unangenehm wahrgenommen, wenn man selbst davon gegessen hat») Prämissen, die erfüllt sein mussten, damit der entsprechende Prozess eintritt. Insofern entspricht die Struktur der Erklärung genau den von Keller in ernster Absicht vorgebrachten linguistischen Erklärungen für Sprachwandel. Wie können nun entsprechende Erklärungen verworfen werden? Neben dem zwingenden Charakter des Invisible-hand-Prozesses (der im Beispiel erfüllt ist) verweist Keller hierzu auf die notwendige Plausibilität der Prämissen: «Gut ist sie [eine Erklärung mittels der unsichtbaren Hand, EWF], wenn die Prämissen plausibel sind und der Invisible-hand-Prozeß zwingend ist. Plausibel und zwingend zu sein, das ist das entscheidende Adäquatheitskriterium einer Invisible-hand-Theorie» (Keller 1994, 102, Hervorhebung im Original).

Das Kriterium der Plausibilität ist im Beispiel offensichtlich nicht erfüllt (cf. Keller 1994, 95). Das Hauptproblem liegt demnach bei der implizit enthaltenen Hypothese bezüglich des Handelns des Einzelnen, die für die Erklärung notwendig ist: Hypothese: Ein Individuum, das Knoblauchgeruch nicht ausstehen kann, isst Knoblauch, wenn es mit jemandem verkehrt, der nach Knoblauch riecht, um den Geruch beim anderen nicht mehr wahrzunehmen.

Diese Hypothese ist – ausgehend von alltäglichen Erfahrungen – als extrem unplausibel einzustufen. Näherliegend erscheinen alternative Handlungsweisen, etwa, selbst trotzdem keinen Knoblauch zu essen, aber die entsprechende Person zu meiden (Keller 1994, 102), sie auf das Problem anzusprechen etc. Allerdings nennt Keller keine allgemeinen Kriterien, anhand deren die Plausibilität von Erklärungen abgesichert werden kann und diese überprüft und ggf. verworfen werden können. Insofern bleibt nach Keller nur im Einzelfall (subjektiv) abzuwägen, ob die jeweiligen Prämissen einer bestimmten Erklärung plausibel erscheinen oder nicht. Hier ergibt sich die dringende Notwendigkeit, die von Keller postulierten Handlungsmaximen für die Mikroebene ausführlicher zu begründen und stärker zu systematisieren: Es bleibt zu zeigen, warum die Sprecher genau die von ihm genannten Handlungsmaximen befolgen sollten und inwiefern die Maximen vollständig die 156

relevanten Sprecherintentionen erfassen. Generell ist somit nicht nur eine intuitive Plausibilität der Aussagen/Prämissen anzustreben, sondern ihre umfassende theoretische Fundierung stellt ein wichtiges Desiderat dar. Der gesicherte Status der Erklärungselemente auf der Mikroebene bildet somit ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung von Erklärungsmodellen für Sprachwandel insgesamt. Als theoretisches und methodologisches Prinzip lässt sich daraus ableiten, dass linguistische Erklärungsansätze für Sprachwandel auf eine solide theoretische Grundlage auf der Ebene der einzelnen Sprachbenutzer (Mikroebene) gestellt werden sollten. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass die beschriebene Problematik darin besteht, dass das Erkärungsmodell der unsichtbaren Hand vor allem auf der Makroebene theoretisch ausgearbeitet ist. Der Keller entgegengebrachte Vorwurf, die Mikroebene zugunsten der Makroebene zu vernachlässigen (cf. Kabatek 2005c, 159), scheint somit berechtigt. 27 Keller steht eigentlich vor der Aufgabe, zwei Phänomene zu erklären: Erstens den Ablauf der Verbreitung und Durchsetzung (Lexikalisierung, Grammatikalisierung) einer Innovation, zweitens die einzelnen Innovationen selbst als individuelle Handlungen der Sprachbenutzer. Kellers Erläuterungen zum Modell der unsichtbaren Hand zielen jedoch vor allem auf den erstgenannten Aspekt ab, d.h. darauf, den sozialen, überindividuellen Prozess darzustellen. Was die Erklärungen der einzelnen Sprecherhandlungen angeht, so gibt Keller zwar einige exemplarische Analysen und nennt allgemeine Maximen. Eine genauere Betrachtung der Maximen zeigt jedoch, dass diese im Einzelnen weiter auszuarbeiten, d.h. zu präzisieren und stärker zu systematisieren sind. So kann etwa die von Keller als dynamisch ausgegebene Maxime «Rede so, dass es dich nicht unnötige Anstrengung kostet» auch als statische Maxime fungieren: So kann angenommen werden, dass sprachliche Innovationen in vielen Fällen mit einem bestimmten kognitiven Aufwand verbunden sind (der Sprecher übernimmt nicht eine bereits vorhandene Form, sondern schafft eine neue). Die Vermeidung von unnötiger Anstrengung würde demnach gerade die Verwendung der vorhandenen Form begünstigen. Weiterhin scheint es notwendig, hier die Bedürfnisse von Produzent und Rezipient abzuwägen, die durchaus gegenläufig sein können. Das von Keller angesprochene Prinzip ist daher sehr komplex und verbirgt eine Reihe unterschiedlicher Einzelaspekte. Ferner erscheint es denkbar, dass in Sprachgemeinschaften bestimmte (positive oder negative) Haltungen gegenüber Innovationen bestehen, die ebenfalls die Wahl einer bestimmten sprachlichen Form beeinflussen, so etwa in der Chatkommunikation, die grundsätzlich als innovationsfreudig eingestuft werden kann: Kreative Neuschöpfungen können hier als wichtiges Mittel gelten, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass unter Zugrundelegung des Verlaufs von Sprachwandel in Form einer S-Kurve Maximen wie «Rede so wie die andern» (nach 27

Zwar beansprucht Keller explizit, ein dem Prinzip des methodologischen Individualismus verpflichtetes Modell zu entwerfen, und betont demgemäß die zentrale Bedeutung der Mikroebene für seine Konzeption von Sprachwandel, doch kann seiner Theorie der Vorwurf entgegengebracht werden, dass dieser Anspruch letztlich nicht ausreichend eingelöst wird, da die Ausarbeitung der Theorie auf der Mikroebene nur ansatzweise erfolgt.

157

Keller eine statische Maxime, die also der Verwendung einer Innovation im Wege steht) ab einem bestimmten Zeitpunkt gerade zur weiteren Verbreitung von Innovationen beitragen. Sobald nämlich der kritische Punkt überschritten ist und in etwa die Hälfte der Sprecher die Innovation übernommen haben (bzw. die Innovation etwa in der Hälfte der Äußerungen erscheint), fordert die entsprechende Maxime gerade das weitere Vorantreiben des Wandels, insofern als die Innovation nun der Sprechweise der (Mehrzahl) der anderen entspricht. So weit ich sehe, wird auch dieser Umschlag bei Keller nicht thematisiert. Darüber hinaus lässt sich ein weiteres methodologisches Prinzip anführen, mit dem eine Beliebigkeit der Hypothesen bezüglich der Sprecherhandlungen vermieden werden kann: Bei der Formulierung und Beurteilung von Erklärungsansätzen, die Annahmen über zurückliegende Sprachhandlungen beinhalten, sollten auch Beobachtungen einfließen, die auf dem aktuellen (Sprach-)Handeln von Individuen beruhen. 28 Generell kann der Anspruch formuliert werden, dass Erklärungsvorschläge für vergangene Wandelprozesse nicht im Widerspruch zu aktuellen parallelen Phänomenen stehen dürfen (cf. die bei Keller genannte «Plausibilität» von Erklärungen, der letztlich auch dieses Prinzip zugrunde liegt). 29 Was schließlich das Merkmal der Zirkularität angeht, so wird dieses in der Logik traditionell nicht über den Abstand der Bereiche von Explanans und Explanandum fundiert, sondern über ihre logische Unabhängigkeit. Das festgestellte Merkmal linguistischer Erklärungen, auch auf linguistische Erklärungselemente zurückzugreifen, ist grundsätzlich keineswegs problematisch. Vielmehr geht es darum, dass die die angesetzten Erklärungselemente unabhängig fundiert werden, so dass gegebenenfalls auch das Verwerfen von Erklärungsansätzen möglich ist. Besteht hingegen eine logische Abhängigkeit von Explanans und Explanandum, so besteht die Gefahr eines bloßen storytelling, d.h. es können mehr oder weniger beliebige just-so stories formuliert werden, welche die Entstehung eines bestimmten Phänomens (z.B. der faltigen Haut und des reizbaren Charakters von Nashörnern – cf. den dem Kapitel vorangestellten Text R. Kiplings) scheinbar erklären. 30 Für eine solche Fundierung bzw. unabhängige Überprüfung der jeweiligen Annahmen (etwa bestimmter rekonstruierter sprachlicher Formen) können die oben erläuterten Prinzipien sowie eine Reihe von sprachlichen, metasprachlichen und außersprachlichen Daten aus der Synchronie und Diachronie herangezogen werden (cf. Koch 2004a; Lass 1980, 50–82; Nettle 1999, 452). Zentral hierbei ist, dass es 28

29

30

Dass Beobachtungen aktueller Zustände bei Betrachtungen vergangener Zustände überhaupt einfließen dürfen, leiten Janda/Joseph (2003, 23–37) bei ihrer Diskussion des Uniformitarismus her: Aktuelle Zustände stellen demnach eine wichtige Informationsquelle auch für die Erforschung von Prozessen in der Vergangenheit dar; gleichzeitig wird ein solches Vorgehen durch das Prinzip von Ockhams Rasiermesser oder die Sparsamkeit in der Wissenschaft legitimiert. Dies bedeutet allerdings nicht, dass für die Vergangenheit nur Prozesse angenommen werden können, die auch aktuell tatsächlich belegt sind; es geht nur um die Vermeidung beliebiger (aufgrund aktueller Erkenntnisse absurder) Annahmen über vergangene Phänomene. Entsprechende Scheinerklärungen entlarvt Gould (1978; 1985) zunächst für die Bereiche der Psychologie und Soziologie, wobei er den Begriff der just-so stories prägt, der auf die Erzählungen von Kipling (1987 [11902]) anspielt.

158

sich um von dem zu erklärenden Phänomen bzw. der zugrunde gelegten Theorie unabhängige Daten und Prinzipien handelt. Insgesamt scheint damit eine Reihe von Abhilfemöglichkeiten verfügbar, um zirkuläre Erklärungen zu vermeiden, ohne dass das Erklärungsmodell über die unsichtbare Hand insgesamt verworfen werden müsste. Neben der Hinzuziehung unterschiedlicher Daten und Datentypen aus Synchronie und Diachronie stellt sich dabei das Ausgehen von der Ebene der Sprachbenutzer als wesentliches theoretisches Prinzip dar.

7.3.5

Das Paradox des Wandels und das Teleologieproblem

Ein zentrales Problem für Sprachwandeltheorien im Allgemeinen ist die Erklärung des Wandels an sich: Wenn Sprachen synchronisch gesehen perfekt funktionierende Systeme darstellen, so ist nicht klar, warum überhaupt Sprachwandel eintreten sollte, umso mehr als es in der Regel keineswegs Absicht der Sprecher ist, die Sprache zu verändern (Coseriu 1958, 7–8; 1980, 136; cf. Detges/Waltereit 2008, 1). Andererseits ist festzustellen, dass in einzelnen Sprachen beobachtete Wandelprozesse in anderen Sprachen nicht eintreten müssen und innerhalb einzelner Sprachen bestimmte Strukturen über längere Zeiträume hinweg auch eine große Stabilität aufweisen können. Die Stabilität sprachlicher Strukturen ist demnach ebenso erklärungsbedürftig wie das Eintreten von Wandelphänomenen (cf. die nachdrückliche Feststellung dieses Faktums bei Coseriu 1958, 64). Gerade die Erklärung des Ausbleibens von Wandel stellt sich jedoch für einige traditionelle Erklärungsansätze als zentrales Problem dar, so etwa für adaptive Erklärungsansätze wie Haspelmath (1999), die Sprachwandel im Sinne einer langfristigen Optimierung der Sprache im Hinblick auf die Bedürfnisse der Sprachbenutzer auffassen (cf. Traugott 1999, 239; Lass 1980, 35): Wird aufgrund des in einigen Sprachen festgestellten Wandels von einer Struktur A zu einer Struktur B und der generellen Auffassung von Wandel als Optimierungsprozess angenommen, dass die Struktur A suboptimal ist, so stellen Sprachen, in denen entsprechende Strukturen relativ stabil sind, ein Erklärungsproblem dar, da nicht einsichtig ist, warum diese Sprachen auf einem suboptimalen Niveau verharren sollten. Auch die alternative Annahme, dass bereits die Struktur A einen optimalen Zustand repräsentiert, führt hier nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung, da somit unklar bliebe, warum dann in einigen Sprachen überhaupt ein Wandel eintritt. Generell scheint der Kern dieses Problembereichs darin zu liegen, dass sich nach Auffassung der meisten Autoren (cf. Fritz 1998, 31) im Bereich des Sprachwandels allenfalls Tendenzen angeben lassen, die jedoch nicht zwingend realisiert sein müssen. Insbesondere sind in der diachronen Entwicklung von Sprachen sowohl Tendenzen und Phasen der Kontinuität als auch der Dynamik zu berücksichtigen. Somit ergibt sich ein Spannungsfeld, das bis zu einem gewissen Grad flexible Erklärungsmechanismen – bzw. die Annahme untereinander konkurrierender und prinzipiell verletzbarer Kommunikationsprinzipien – erfordert. Keller und Croft stellen Ansätze bereit, mit denen diese Anforderung möglicherweise erfüllt werden kann. Beide nehmen für den Bereich der individuellen Sprech159

handlungen jeweils zwei unterschiedliche Optionen an (statische vs. dynamische Maximen bzw. normale vs. veränderte Replikation). Diese erlauben es grundsätzlich, sowohl Wandel als auch dessen Abwesenheit zu erfassen: Die (Weiter-)Verwendung bereits vorhandener, etablierter sprachlicher Formen wird prinzipiell als gleichberechtigte Option neben der Einführung neuer Formen anerkannt. Insbesondere Kellers Diskussion der einander teilweise entgegengesetzten Maximen (cf. Kap. 7.1) macht deutlich, dass eine allgemeine (intersubjektive, situationsunabhängige) Beurteilung sprachlicher Formen nicht möglich ist, sondern abhängig vom Sprecher, Gesprächspartner, Situationskontext etc. jeweils unterschiedliche Formen als am besten eingestuft werden können. 31 Im Zusammenhang mit dem Paradox des Sprachwandels wird in der aktuellen Forschung auch die Zulässigkeit bzw. Adäquatheit von funktionalen und teleologischen Erklärungen für Sprachwandel überhaupt diskutiert. Allgemein lassen sich teleologische Erklärungen (oder Erklärungsmechanismen) wie folgt charakterisieren: «TELEOLOGICAL MECHANISMS are those in which changing (or preserving) the linguistic system is the explanation of the innovations, either as the intended goal of the speaker in her behavior, or as some mysterious law that linguistic systems submit to in their evolution» (Croft 2000, 66).

Viele teleologische Ansätze behaupten somit eine Parallelität zwischen den einzelnen Sprecherhandlungen und der Entwicklung der Sprache insgesamt, d.h. die Richtung des Sprachwandels ergibt sich unmittelbar aus den Intentionen der Sprecher bei der Innovation. Der teleologische Erklärungstypus wird in der Regel als inadäquat für die Erklärung von Sprachwandel zurückgewiesen (cf. Coseriu 1958, 129–130). Hierbei wird als wesentliches Charakteristikum von Sprachwandel angeführt, dass der einzelne Sprecher gerade nicht das Eintreten und die Richtung von Sprachwandel beeinflussen kann. Darüber hinaus kann Sprachwandel nie als vorhersagbar gelten, d.h. es lassen sich keine Gesetze angeben, die das Eintreten von bestimmten Sprachwandelprozessen bedingen. Durch die Trennung der Ebenen bzw. Phasen des Sprachwandels und die in Kap. 7.3.1 skizzierte Konzeption der oberen Ebene/zweiten Phase von Sprachwandel weisen die vorgestellten Erklärungsansätze von Keller und Croft keinen teleologischen Charakter auf, da die Richtung von Sprachwandel insgesamt nicht mit der intendierten Richtung der einzelnen Sprecherhandlungen parallel laufen muss (cf. Kellers explizite Zurückweisung eines teleologischen Ansatzes, Keller 1994, 195– 197, sowie Croft 2000, 66). Dementsprechend treffen Kritiken an teleologischen Erklärungsmodellen auf die Theorien von Keller und Croft nicht zu. Weiterhin können nach ihren Ansätzen bestimmte Wandelphänomene erklärt werden, die in teleologischen Ansätzen potenziell Erklärungsschwierigkeiten bereiten. 31

Dies scheint z.B. für unterschiedliche Formen des Umgangs mit fremdsprachlichen Formen in Sprachkontaktsituationen anwendbar, d.h. für die Wahl bestimmter Typen von sprachkontaktinduzierten Innovationen wie Lehnwort, Analogiebildung oder eigener lexikalischer Innovation (cf. Winter-Froemel 2008c). Ebenso ist auch an die Wahl eines bestimmten Integrationsgrads bei Lehnwörtern zu denken.

160

Hier sind insbesondere inflationäre Wandelprozesse zu nennen, die bei Keller ausführlich diskutiert werden (z.B. dt. Frau/vrouwe, Weib/wîp). In diesen Fällen läuft der Sprachwandel – die Pejorisierung der genannten Formen – der Intention der einzelnen Sprecher zuwider, die mit der Wahl der entsprechenden sprachlichen Formen gerade besonders höflich sein möchten. Die Abwertung der Formen ergibt sich dabei genau aus dem inflationären bzw. abusiven Gebrauch dieser Strategie. Ein weiteres Phänomen, das teleologische Modellierungen von Sprachwandel in Frage stellt, sind Fälle, bei denen unterschiedliche Varianten resultieren – so etwa unterschiedliche Varianten hinsichtlich des Grads der Lehnwortintegration (cf. Kap. 2.2.4): (159) frz. béchamel ĺ s.v. besciamella)

it. béchamel

BÉCHAMELSOßE

(DO;

DELI

(DO; ZI; DELI; Hope

(160) frz. béchamel ĺ it. besciamella 1971, vol. 2, 472)

BÉCHAMELSOßE

(161) engl. chat ĺ frz. chat N.m. ECHTZEIT (PR)

ELEKTRONISCHE

(162) engl. chat ĺ frz. tchat N.m. ECHTZEIT (Internet)

ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION IN

KOMMUNIKATION

IN

Dieses für die vorliegende Arbeit wichtige Phänomen stellt ebenfalls eine interessante Herausforderung für Sprachwandelmodelle dar: Wenn Sprachwandel langfristig teleologisch verlaufen würde, so wäre zu erwarten, dass entsprechende Varianzen extrem instabil sind und sich innerhalb kurzer Zeit eine der Varianten durchsetzt. Gerade im Bereich von Entlehnungen zeigt sich jedoch, dass mehrere Formen durchaus über längere Zeiträume koexistieren können, und dies sogar in den Verwendungen einzelner Sprachbenutzer – cf. den Wortakzent von dt. Büro, der von vielen Sprechern je nach Kontext und Situation unterschiedlich realisiert wird (wobei die Variante mit Endbetonung als die schwächer integrierte Form zu bewerten ist). 32 Nach Keller lässt sich das Nebeneinander der Formen dadurch erklären, dass abhängig von den verschiedenen Kommunikationssituationen jeweils unterschiedliche Strategien und Maximen befolgt werden können, d.h. die Sprecher räumen jeweils anderen Maximen Vorrang ein. So kann grundsätzlich sowohl eine möglichst starke Annäherung an die AS als auch eine möglichst starke Anpassung an die strukturellen Eigenschaften der ZS angestrebt werden, so dass jeweils eine andere Realisierung (schwache bzw. starke Lehnwortintegration) als die am besten geeignete erscheinen kann. Indem Keller den Sprachwandel auf die Mikroebene zurückführt, geht es letztlich stets um Sprecherentscheidungen in konkreten Kommunika32

Cf. dt. Motor, bei dem die weniger stark integrierte Variante mit Endbetonung auf Verwendungen in nicht übertragener Bedeutung (d.h. in einer den Entlehnungskontext nahen Bedeutung) beschränkt ist, während bei Verwendungen in übertragener Bedeutung die Form mit Anfangsbetonung realisiert wird (cf. Duden).

161

tionssituationen, die unterschiedlich spezifiziert sind, so dass zunächst keine einheitliche Tendenz zur Bevorzugung einer bestimmten Form resultieren muss. 33 Weiterhin ist in diesem Zusammenhang der Status funktionaler Erklärungen zu diskutieren. Dieser Erklärungstypus wird häufig mit teleologischen Erklärungen zusammengefasst, etwa bei Lass’ Erörterung des «Teleologieproblems» (Kap. 3 in Lass 1980); Lass gelangt damit ebenfalls zu einer globalen Zurückweisung entsprechender Erklärungen. Als weitere Beispiele für eine Gleichsetzung teleologischer und funktionaler Mechanismen lassen sich Martinet, Anttila und Labov anführen (Croft 2000, 65). Eine solche (weitgehende) Gleichsetzung beider Begriffe ist jedoch keinesfalls zwingend. Croft nimmt eine terminologische Unterscheidung vor, die sich auch bei Keller in ähnlicher Form findet: «I will use the term INTENTIONAL to describe mechanisms that are not teleological but involve the intention of a speaker to achieve some other goal in language use. […] I will refer to teleological mechanisms as SYSTEMIC FUNCTIONAL explanations, since their purported goal is to create, restore, or maintain certain properties of the linguistic system. FUNCTIONAL explanations proper refer only to nonteleological intentional mechanims» (Croft 2000, 65).

Damit ergeben sich nuanciertere Möglichkeiten einer Beurteilung des funktionalen Erklärungstypus. Funktionale Erklärungen, die auf intentionale Mechanismen auf der Ebene der Sprachbenutzer zurückgreifen, können beibehalten werden, ohne dass damit eine Teleologie im Hinblick auf die Sprache insgesamt und ihre Entwicklung angenommen wird. 34 So charakterisiert Keller Sprachwandel als Prozess der unsichtbaren Hand über seinen nichtteleologischen und grundsätzlich intentionalen Charakter. Auch Croft lässt die Möglichkeit intentionalen, jedoch nicht teleologischen Wandels etwa für die Vermeidung von Homonymie zu («some changes that have been interpreted as teleological could in fact be nonteleological but intentional», Croft 2000, 70). Gleichzeitig ist allerdings anzumerken, dass Croft (anders als Keller) zur Erklärung von Innovationen prinzipiell nicht nur intentionale, sondern auch nichtintentionale Faktoren heranzieht und letzteren sogar bei konkreten Analysen aus methodologischen Gründen Priorität einräumt (cf. Croft 2000, 66 und 78). Wesentlich für die skizzierte Differenzierung von funktionalen vs. teleologischen Aspekten des Sprachwandels bei Keller und Croft ist die Unterscheidung von zwei Ebenen bzw. Phasen des Sprachwandels. Die Beobachtung, dass sich Sprachen verändern, ohne dass es die Absicht der Sprecher ist, diese zu verändern, wird erklär33

34

Croft hingegen stellt eine generelle Tendenz hin zum Abbau von Varianten fest. Darüber hinaus geht er für die Phase der Verbreitung der Innovation von einer bestimmten sozialen (überindividuellen) Markierung der Varianten aus, so dass die einzelnen Varianten von verschiedenen Sprechern ähnlich beurteilt und dementsprechend verwendet oder gemieden werden sollten. Auch Coseriu, dessen Konzeption in Kap. 8.2 näher erörtert wird, weist teleologische Erklärungen scharf zurück, erkennt aber gleichzeitig finalistische Erklärungen an: «[…] la teleología, entendida como tendencia de la lengua a una finalidad objetiva exterior, debe ser rechazada y debe distinguirse netamente de la finalidad auténtica [...], pues, lejos de ser lo mismo que ella, es su contrario» (Coseriu 1958, 129–130).

162

bar, indem die Intentionalität auf die Mikroebene der individuellen Sprecheräußerungen bzw. auf den Bereich der (individuellen) Innovation beschränkt wird. Der Wandel der Sprache auf der Makroebene bzw. die Selektion einer Variante und die Etablierung einer (neuen) Konvention wird hingegen gerade als dem Verfügungsbereich des einzelnen Sprechers enthoben angesetzt, so dass teleologischer Wandel durch den einzelnen Sprecher nicht möglich ist. Die Trennung der beiden Phasen wird bei Croft zusätzlich verstärkt, indem jeweils unterschiedliche Erklärungsfaktoren angesetzt werden – funktionale für die Innovation, soziale für die Verbreitung der Innovation bzw. Selektion. Jedoch ergibt sich hier ein neues Problem: Es ist anzunehmen, dass die sozialen Erklärungsfaktoren – Croft spricht auch von «social utility» (Croft 2000, 175) – ebenfalls nur sinnvoll auf das sprachliche Handeln Einzelner bezogen werden können, d.h. auf die einzelnen Akte, die zur Verbreitung der Innovation beitragen. Die Wahl einer bestimmten Form in der Phase der Verbreitung der Innovation liegt dabei durchaus in der Verfügungsgewalt des einzelnen Sprechers. Andererseits scheinen jedoch bestimmte andere Aspekte der Verbreitung, etwa der von Croft angenommene Verlauf in Form einer S-Kurve, gerade nicht in der Verfügungsgewalt des einzelnen Sprechers zu liegen. Kellers Ansatz ist hier insofern klarer, als er die Maximen, die zur Wahl einer bestimmten sprachlichen Form beitragen, ausschließlich auf die Mikroebene bezieht. Auf der Makroebene hingegen nimmt er nur einen überindividuellen (kumulativen) Prozess bzw. die Herausbildung bestimmter abstrakter Strukturmuster an (cf. seine Veranschaulichung dieses Aspekts anhand einer Fotoserie, welche die Herausbildung einer Ringstruktur von Schaulustigen vor dem Centre Pompidou zeigt; Keller 1994, 34–35). 35 Für Crofts Ansatz ergibt sich hingegen das Desiderat, die Phase der Verbreitung weiter zu präzisieren und das Verhältnis von sozialen Handlungsmotiven einerseits und allgemeinen strukturellen Charakteristika (etwa der S-Kurve) andererseits zu klären. Insgesamt zeigen aber sowohl Keller als auch Croft Ansätze auf, wie das Paradox des Sprachwandels erklärt und das Teleologieproblem umgangen werden kann. Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass es durchaus Wandelphänomene gibt, deren Eintreten durch den einzelnen Sprecher intendiert ist (cf. Keller 1987, 116). Diese werden häufig als sog. künstlicher Wandel dem Bereich des natürlichen Wandels gegenübergestellt (cf. auch künstliche bzw. künstlich geschaffene Sprachen wie das von Keller 1994, 89 zitierte Esperanto). Für künstlichen Wandel ist generell ein anderes Funktionieren anzunehmen als für natürlichen Sprachwandel, auf den sich die in der vorliegenden Arbeit angestellten Überlegungen im Wesentlichen beziehen. Dennoch kann eine scharfe Abgrenzung von beiden Bereichen durchaus schwierig sein. Dies lässt sich für sprachlichen Ausbau demonstrieren: Hier kommt 35

Auffälligerweise kritisiert Croft bei Kellers Ansatz gerade, dass dort eigentlich nur die Hervorbringung von Innovationen behandelt werde, jedoch nicht deren Verbreitung im Vergleich zu konkurrierenden Varianten. Demnach handle es sich bei den von Keller beschriebenen Prozessen nur um drift, jedoch keine echten Evolutionsprozesse (Croft 2000, 60, cf. 85, n. 10: «Keller in fact does not clearly distinguish between innovation and propagation of a change»). Diese Kritik erscheint insofern berechtigt, als Keller z.B. komplexe Wechselwirkungen bei der Verbreitung sprachlicher Formen – etwa die Veränderung pragmatischer Markierungen im Laufe der Etablierung einer Innovation – nicht erfasst.

163

der Sprecherreflexion eine wichtige Rolle zu, während diese bei vielen anderen Wandelprozessen keine Rolle spielt. Demnach lässt sich Wandel durch Ausbau generell als bewusst geplanter Wandel bzw. zunächst als Innovation «von oben» (in der geschriebenen, umfassend geplanten Sprache) konzipieren und so dem Wandel bzw. der Innovation «von unten» (die vor allem in der gesprochenen Sprache anzusetzen ist) gegenüberstellen. Gleichzeitig wird vorgeschlagen, keine strenge Gegenüberstellung, sondern eher ein Kontinuum von bewusstem und unbewusstem Sprachwandel anzunehmen (Kabatek 2006, 286). Ebenso ist zu beachten, dass sich die unterschiedlichen Typen von Innovationen bei ihrer Verbreitung einander annähern können. D.h. auch bei bewussten Innovationen kann z.B. die Adoption der Innovation durch andere Sprecher unbewusst erfolgen, Innovationen von oben können sich auch in der Nähesprache ausbreiten und umgekehrt. Daher erscheint es sinnvoll, bei Überlegungen zum Sprachwandel grundsätzlich beide Wandeltypen einzubeziehen.

7.3.6

Zur Umsetzung des methodologischen Individualismus

Die Erörterung der Ansätze von Keller und Croft hat bereits gezeigt, dass der Ausgangspunkt für die Erklärung von Sprachwandelprozessen nach beiden Auffassungen in individuellen Sprecheräußerungen liegt; beide können demnach als äußerungsbasierte (usage-based, Barlow/Kemmer, edd., 2000) Theorien des Sprachwandels angesehen werden. Beide Theorien betonen, dass Sprachwandel mit einzelnen Äußerungen beginnt, und es werden unterschiedliche Faktoren exemplarisch analysiert, die dafür ausschlaggebend sein können, dass ein einzelner Sprecher eine Innovation vornimmt und damit potenziell Sprachwandel initiiert. Grundsätzlich scheint damit das Prinzip des methodologischen Individualismus berücksichtigt. Eine Erwähnung des Prinzips findet sich bei Croft allerdings nur in Bezug auf Keller, von dem er diesen Begriff übernimmt (Croft 2000, 4). In theoretischer Hinsicht stimmt er dem Prinzip jedoch voll zu und baut auch seinen Ansatz entsprechend auf. Keller hingegen bezieht sich explizit auf das Prinzip des (methodologischen) Individualismus, wobei er auch eine genaue Charakterisierung und Definition des Begriffs liefert: 36

36

Generell ist darauf hinzuweisen, dass der gewählte Begriff nicht optimal ist, da grundsätzlich die Gefahr besteht, dass «Individualismus» im Sinne einer Betrachtung von idiosynkratischen Fakten interpretiert oder im Sinne eines Solipsismus verstanden wird. Genau darum geht es jedoch nicht, da entsprechende Betrachtungen auf der Grundlage des methodologischen Individualismus einerseits darauf abzielen, das Handeln Einzelner auch ausgehend von allgemeinen (universellen) Prinzipien sowie aufgrund des genuin sozialen Charakters des Einzelnen zu denken. Für den Bereich der Sprache stellt sich hierbei insbesondere der Aspekt der Dialogizität als wesentlich dar, der immer mitzudenken ist, d.h. das sprachliche Handeln des Einzelnen ist immer dialogisch (im Hinblick auf konkrete oder mögliche Rezipienten) konzipiert. Diesem Merkmal soll in der vorliegenden Arbeit umfassend Rechnung getragen werden. So wird in Kap. 11 ein Kommunikationsmodell entworfen, das als Grundlage für die Analysen von Entlehnungen und Lehnwortintegrationen

164

«Der Individualismus stellt (…) eine bestimmte methodologische Position bezüglich der Erklärungskraft von Theorien g e s e l l s c h a f t l i c h e r I n s t i t u t i o n e n dar, der [sic] Position nämlich, daß eine Theorie einer gesellschaftlichen Institution nur dann zum Verständnis dieser Institutionen [sic] beiträgt, wenn sie beginnt beim individuellen Handeln der an der betreffenden Institution beteiligten Individuen bzw. zu diesen hinabreicht» (Keller 1984, 64, Hervorhebung im Original).

Dabei erkennt Keller durchaus ein dialektisches Verhältnis zwischen den Institutionen und dem individuellen Handeln an, d.h. bei der Erklärung der individuellen Handlungen gehen durchaus institutionelle Faktoren mit ein (Keller 1984, 66). Der so verstandene Individualismus steht der Gegenposition des Kollektivismus gegenüber, der bei der Erklärung von der Existenz der betreffenden Institution ausgeht, um so die Existenz oder Möglichkeit des individuellen Handelns zu erklären (Keller 1984, 65). Die beiden Optionen Individualismus vs. Kollektivismus lassen sich auch als Erklärung von unten bzw. von oben gegenüberstellen (Keller 1984, 65). Keller kommt zu dem Schluss, eine entsprechende Erklärung von unten sei die einzig adäquate Erklärungsform für Sprachwandel (Keller 1984, 66; cf. 1994, 117 und 147), und er beruft sich mit seinem Erklärungsmodell explizit auf dieses Prinzip – so bei einem Vergleich seines Ansatzes mit einem Erklärungsvorschlag von Lass: «Meine Erklärung ist den Prinzipien des methodologischen Individualismus verpflichtet. Das heißt: Ausgangspunkt der Erklärung sind handelnde Individuen; nicht Sprachen, Strukturen, Prozesse oder Kollektive» (Keller 1994, 164).

Diese Ausrichtung wird nochmals deutlich, wenn Keller die Legitimität einer hypostasierenden Sichtweise von Sprache diskutiert. So stellt er zunächst fest, dass Hypostasierungen «bequeme Abkürzungen» (Keller 1994, 24) sein können, um über bestimmte Phänomene zu sprechen. Die Makroebene seines Modells ist demnach als Ebene «der Sprache im hypostasierenden Sinne» (Keller 1994, 126) aufzufassen. Ein grundlegendes Problem sieht Keller jedoch gegeben, wenn keine nichthypostasierende Auflösung einer solchen abkürzenden Redeweise vorliegt. Hierzu erarbeitet er den Begriff des «Phänomens der dritten Art», welcher den Charakter von Sprache adäquat wiedergebe. Damit ist nach Keller neben der Makroebene die Betrachtung der Mikroebene als wesentlich für das adäquate Verständnis von Sprache anzusehen (cf. Kap. 7.1), d.h. Kellers Sprachbegriff stützt sich wesentlich auf die Ebene der individuellen Sprecherhandlungen. Darüber hinaus schränkt Keller die Legitimität einer hypostasierenden Betrachtung von Sprache auf synchronische, beschreibende Fragestellungen ein, während für diachronische, erklärende Fragen auf die Mikroebene bzw. das individuelle Handeln der Sprecher Bezug genommen werden müsse: «[…] die Hypostasierung und Reifizierung der Sprache ist meist kein erkenntnistheoretischer Fehlgriff, sondern eine praktische Notwendigkeit. Meist, aber nicht immer. Fehl am Platze ist eine ausschließlich Ergon-orientierte Betrachtungsweise stets da, wo tatsächlich Fragen der Genese, der Erzeugung im Vordergrund stehen» (Keller 1994, 171, Hervorhebung im Original).

fungiert, d.h. bei entsprechenden Betrachtungen werden grundsätzlich stets die Perspektiven des Produzenten und Rezipienten berücksichtigt.

165

Insgesamt erscheint damit das Prinzip des methodologischen Individualismus bei Keller und Croft durchaus berücksichtigt. Im Zusammenhang mit diesem Prinzip ist allerdings auf ein Problem zurückzukommen, das bereits in Kap. 7.3.1 festgestellt wurde: die fehlende Präzision des Begriffs der Verbreitung einer Innovation. Es ist nicht vollständig klar, inwiefern in beiden Theorien die Verbreitung der Innovationen als Handlung einzelner Sprecher oder aber im Hinblick auf die Sprache insgesamt (d.h. in einer hypostasierenden Sichtweise) aufgefasst wird. Bei Keller scheint die Verbreitung vor allem im Sinne einer globalen Verbreitung gefasst, wenn er betont, dass die Makroperspektive für die einzelnen Handelnden bei der Handlung nicht «sichtbar» sei. Im Vergleich zu Croft fällt auf, dass Keller nicht gesondert diskutiert, welche Erklärungsfaktoren für die Übernahme von Innovationen ausschlaggebend sind; Sprachwandel beruht insofern nach seiner Darstellung auf einer Anhäufung von Innovationen (Croft kritisiert genau diese rein kumulative Perspektive bei Keller, cf. Croft 1999, 208; 2000, 60). Darüber hinaus wurde bereits aufgezeigt, dass Keller die Dynamik des Verbreitungsprozesses (in dessen Verlauf sich der Status der Formen für die Sprecher verändern kann) nicht ausreichend berücksichtigt (cf. Kap. 7.3.5, insbesondere Fußnote 35). Croft hingegen erörtert ausführlich Mechanismen, die den Sprecher bei der Übernahme einer Innovation leiten, und schlägt hierfür sogar einen eigenen Typus von Erklärungsfaktoren – nämlich soziale Mechanismen – vor (Croft 2000, 166– 195). Es wird deutlich, dass diese Faktoren, genau wie die funktionalen Faktoren zur Erklärung von Innovationen, nur sinnvoll auf das Handeln einzelner Sprecher bezogen werden können. Die Verbreitung wird demnach hier im Sinne von individuellen Übernahmen (die auf Kellers Mikroebene zu situieren wären) verstanden. Allerdings finden sich bei Croft auch Formulierungen, die eher im Sinne einer globalen Verbreitung der Innovation (innerhalb der Sprache, d.h. wiederum auf der Makroebene) zu verstehen sind. Zusammenfassend lässt sich daraus das Desiderat einer zusätzlichen theoretischen Präzisierung ableiten, welche die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der Verbreitung einer Innovation berücksichtigt.

7.3.7

Zur Einbeziehung von Entlehnungen

Schließlich soll umrissen werden, inwiefern die Ansätze von Keller und Croft eine Einbeziehung von Entlehnungen bzw. die Entwicklung einer umfassenden Sprachwandeltheorie ermöglichen. Dabei wird zunächst analysiert, inwiefern die Autoren selbst explizit auf Sprachkontaktphänomene eingehen. Darüber hinausgehend soll sodann versucht werden, die von den Autoren für internen Wandel angestellten Überlegungen auf Phänomene der Entlehnung zu übertragen. Bei Keller wird der Bereich der Entlehnungen und Sprachkontaktphänomene nicht innerhalb eines eigenen Kapitels thematisiert. Auch im Stichwortregister am Ende des Buchs lassen sich praktisch keine Einträge finden, die auf entsprechende Fragestellungen verweisen. Es findet sich lediglich ein kurzer Verweis auf das Phänomen Foreigner-Talk, allerdings nur im Kontext der Erläuterungen zur Maxime «Rede so, wie Du denkst, daß der andere reden würde, wenn er an Deiner Statt

166

wäre» (Keller 1994, 136–137), ohne dass näher auf die Spezifika von ForeignerTalk eingegangen wird. Für Kellers Positionierung bezüglich internem und externem Wandel ist sein Verständnis von «ökologischen Faktoren» des Sprachwandels wichtig. Unter diesem Begriff erfasst Keller sowohl sprachliche als auch außersprachliche Faktoren; die innersprachlichen Faktoren werden hierbei durch die Individualkompetenz des Sprechers und seine Antizipation der Individualkompetenz des Kommunikationspartners gebildet, während zu den außersprachlichen Faktoren «soziale Gegebenheiten, Gegebenheiten der materialen Welt sowie möglicherweise biologische Gegebenheiten» (Keller 1994, 128) zählen. Damit wird die klassische Gegenüberstellung von innersprachlichen und außersprachlichen Wandelfaktoren teilweise unterlaufen; Keller merkt sogar explizit an, dass diese «Unterscheidung […] nicht strikt durchzuhalten [ist], da soziale wie biologische Faktoren teilweise unmittelbaren Einfluß auf die Sprachkompetenz haben» (Keller 1994, 128). Die bei Keller besprochenen Beispiele für Sprachwandel stellen allerdings ausschließlich Wandelphänomene dar, die innerhalb einer Sprache situiert sind. Croft nennt in der Einführung zu seiner Monographie verschiedene Desiderate für eine Sprachwandeltheorie und fordert hierbei als letzten Punkt explizit ein umfassendes Sprachwandelmodell ein. Er beklagt die traditionelle Trennung der Diskussion von externem und internem Wandel und erhebt den Anspruch, für beide Bereiche vergleichbare Mechanismen des Sprachwandels aufzustellen: «Last, a comprehensive framework for understanding language change must subsume both INTERNAL and EXTERNAL causes of language change. Theories of internal causes are varied, and most attention has been focused on them. Externally caused changes, that is, changes caused by contact such as borrowing and substratum phenomena, tend to be discussed relatively little in theories of language change, and are typically placed in separate chapters from internal causes in textbooks on historical linguistics. Contactinduced change appears to have an obvious source – the other language. Nevertheless, mechanisms for the innovation and propagation of contact-induced change, preferably mechanisms comparable to those posited for internal changes, must be established» (Croft 2000, 6, Hervorhebung im Original).

Inwiefern wird dieser völlig berechtigte Anspruch von Croft selbst eingelöst? Wesentlich für die Beantwortung dieser Frage ist sein Verständnis von «speech community». Dieser Begriff soll nicht mehr als Ansammlung von Sprechern verstanden werden, sondern wird über Verwendungsbereiche (domains of use) fundiert. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass Sprecher stets mehreren solcher Sprachgemeinschaften angehören; letztere können dabei innerhalb einer historischen Sprache situiert sein, aber auch verschiedenen Sprachen zugehören. So ergibt sich eine Aufweichung der scharfen Trennung von internem und externem Wandel, und einige der internen Wandelmechanismen sind direkt auf externen Wandel übertragbar (Croft 2000, 8, 90–94, 115). 37

37

Cf. die folgende Passage: «all individuals in a society are members of multiple communities. Each community has its own code, hence all individuals in a society are multilingual» (Croft 2000, 173).

167

Ferner erkennt Croft Sprachkontaktphänomenen in theoretischer Hinsicht eine zentrale Rolle zu, insofern als er aufgrund der hohen Aufnahmebereitschaft von Sprachen für kontaktbedingte Innovationen und Übernahmen heterogener Einheiten in eine Sprache Auffassungen zurückweist, nach denen Sprachen feste, einheitlich strukturierte Systeme darstellen: «Instead, as implied in this book, the linguistic system is not rigid, homogeneous, self-contained, or ‹finely balanced›» (Croft 2000, 231). Dennoch ist abschwächend anzumerken, dass Croft seine Sprachwandeltheorie vor allem anhand von Beispielen internen Wandels herleitet. Seine Überlegungen etwa zu Innovationen und ihrer Verbreitung sowie den dabei jeweils relevanten Mechanismen erscheinen durchaus auch auf Entlehnungen anwendbar; de facto ist eine solche Übertragung jedoch bei ihm nur in Ansätzen realisiert. Entlehnungsphänomene werden zunächst in einem Abschnitt zur Interferenz (Croft 2000, 145–148) thematisiert. Croft nimmt dabei Bezug auf Weinreichs (1968 [11953]) Konzepte der Interferenz und der interlingualen Identifikation (interlingual identification). Letztere besteht darin, dass ein zweisprachiger Sprecher Elemente aus zwei unterschiedlichen Sprachsystemen aufgrund bestimmter (phonetischer oder semantisch-funktionaler) Merkmale in Verbindung bringt. Eine solche Identifikation motiviert nach Croft einen Transfer in die andere Sprache; das Ergebnis des Transfers stellt eine Interferenz dar: 38 «Interlingual identification motivates the transfer of properties of an element of one linguistic system to an element of the other, via the external substance that joins them. The effect of transfer is interference» (Croft 2000, 146).

Bemerkenswert an dieser Charakterisierung ist (auch im Hinblick auf die traditionelle Entlehnungsforschung), dass die Übernahme fremdsprachlicher Ausdruckseinheiten hier (anders als bei Keller) nicht als intentionales Phänomen gesehen wird, das von sozialen Faktoren, etwa Identifikation mit bestimmten sozialen Gruppen (cf. traditionelle Konzepte wie das Prestige der fremden Sprache etc.), beeinflusst ist. Entsprechende Faktoren erkennt Croft zwar an, ordnet sie aber als soziale Mechanismen einem Selektionsprozess, also einem späteren Stadium zu. Dieses Stadium setzt einen Innovationsprozess – die interlingual identification – voraus, bei der die Varianten geschaffen werden, zwischen denen dann die Selektion stattfindet (cf. Croft 2003, 48). Den Innovationsprozess interpretiert Croft damit paradigmatisch und verortet ihn im Individuum, das eine interlinguale Identifikation herstellt; als Erklärungsfaktoren werden hier ausschließlich funktionale Faktoren angesetzt. Das Stadium der Innovation wird so im Vergleich zur traditionellen Entlehnungsforschung vorverlagert (cf. Abb. 18). Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass die Varianten, zwischen denen ein Selektionsprozess stattfindet (von denen sich eine verbreitet und ggf. durchsetzt), bei Croft innerhalb des Individuums, in der traditio38

Davon abzugrenzen ist eine weitere Verwendung der Begriffe, die vor allem in der Fremdsprachendidaktik und Zweitspracherwerbsforschung zentral ist. (Positiver) Transfer kann demnach bei übereinstimmenden Strukturen in den Sprachen erfolgen, während Sprachkontakt bei abweichenden Strukturen in den Sprachen zu Fehlern bzw. (negativer) Interferenz führt (cf. Kap. 3.2 sowie Lado 1967, 299; Matras 2009, 72).

168

nellen Entlehnungsforschung dagegen in der Sprachgemeinschaft bzw. in der Gesamtheit der Äußerungen konkurrieren. Croft nimmt – in Übereinstimmung mit dem Prinzip des methodologischen Individualismus – auf den einzelnen (hier: zweisprachigen) Sprecher Bezug, der als zentrale Instanz bei sprachlicher Hybridität fungiert. So grenzt sich Croft von traditionellen Ansätzen ab, die das Phänomen der Hybridität auf der Ebene der Sprache ansiedeln. interlingual identification beim zweisprachigen Individuum Croft traditionelle Entlehnungsforschung Abb. 18:

«Innovation»

Ö

Transfer und Interferenz beim zweisprachigen Individuum

Ö

Verbreitung innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS

«Selektion»/ «Verbreitung» «Innovation»

«Verbreitung»

Zu Crofts Anwendung der Begriffe «Innovation» und «Selektion» auf Entlehnungsprozesse

Croft kommt damit zu folgender Beschreibung von Sprachkontaktphänomenen: «The nature of the contact between two societies can then be described in terms of the nature of the lingueme flow from one language to the other, via bilingual speakers. Lingueme flow is a function of two factors, associated with innovation and propagation. The first factor is the degree of bilingualism of speakers in the two societies; this will determine the amount and direction of lingueme flow. The second factor is the degree of group identification of the speakers in the two societies. The second factor is particularly important when there is a high degree of bilingualism: will the speakers of the original language shift completely to the acquired language, or will they resist, and to what extent will they resist?» (Croft 2000, 201).

Damit deutet Croft bestimmte zusätzliche Erklärungsfaktoren für Entlehnungsprozesse an. In Bezug auf die Innovation stellt sich die Frage, wie viel und in welcher Richtung entlehnt wird; dies hängt nach Croft wesentlich von der Ausprägung der Zweisprachigkeit ab. In Bezug auf die Verbreitung der Innovation stellt sich dann die Frage, ob ein Übergang zur neuen Sprache stattfindet oder die ursprüngliche Sprache – zu einem bestimmten Grad – beibehalten wird. Entscheidend hierfür ist nach Croft, inwiefern sich die Sprecher in den beteiligten Gesellschaften mit bestimmten Gruppen identifizieren, d.h. es handelt sich um einen genuin sozialen Erklärungsmodus. Auch hier werden also soziale Faktoren ausschließlich für das Stadium der Verbreitung angesetzt (cf. das Prinzip der grundsätzlichen Trennung von funktionalen und sozialen Faktoren). Allerdings ist wiederum auf das in Abb. 18 skizzierte Verständnis von «Innovation» und «Verbreitung» hinzuweisen. Daraus ergibt sich, dass die erstmalige Verwendung eines fremdsprachlichen Ausdrucks bereits als Akt der Selektion/Verbreitung interpretiert werden kann. Für dessen Erklärung sind demnach soziale Faktoren heranzuziehen; gleichzeitig erscheint es aber 169

auch sinnvoll, auf das der Selektion vorangehende Stadium der interlingualen Identifikation und den Faktor der Ausprägung der Zweisprachigkeit Bezug zu nehmen. Zu fragen ist allerdings, ob mit den genannten wirklich alle Erklärungsfaktoren erfasst sind. In der traditionellen Entlehnungsforschung wird eine ganze Reihe weiterer Faktoren ins Spiel gebracht (Intensität des Sprachkontakts, strukturelle Ähnlichkeit und genealogische Verwandtschaft der Sprachen, Prestige, Bedeutung puristischer Strömungen etc., cf. Kap. 9.5.2). Für diese ist im Einzelnen zu klären, inwiefern sie auf die von Croft genannten Faktoren rückführbar sind oder aber zusätzliche Aspekte umschreiben. Zudem ist – in methodologischer und empirischer Hinsicht – an Crofts Sichtweise potenziell problematisch, dass die Innovation nicht mehr ein beobachtbares Faktum ist, sondern nur im Nachhinein aus einer entsprechenden sprachlichen Realisierung erschlossen wird. Allerdings schwächt sich der Widerspruch zwischen Croft und traditionellen Positionen dadurch ab, dass bei der beobachtbaren erstmaligen sprachlichen Realisierung der Interferenz – auch nach Croft – soziale Faktoren ins Spiel kommen, d.h. die Erklärung der Mechanismen der Interferenz wird in beiden Fällen ähnlich gesehen. 39 Schließlich stellt sich in Bezug auf das Stadium der Verbreitung bzw. Selektion bei Croft die Frage, wie bestimmt werden kann, ob sich eine Innovation «durchgesetzt» hat. Aufgrund der in Kap. 7.3.1 angestellten Überlegungen erscheint eine onomasiologische Herangehensweise sinnvoll, welche die relative Frequenz konkurrierender Ausdrucksformen betrachtet. D.h. es ist zu überprüfen, ob ein vorgegebener Inhalt durchgängig mit dem neuen Ausdruck (der Innovation) – z.B. frz. people – versprachlicht wird oder aber konkurrierende (bereits vorhandene) Ausdrücke – z.B. frz. célébrités – weiter verwendet werden (cf. Bsp. (163)). (163) frz. people BERÜHMTE LEUTE neben frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE Eine solche Betrachtung erscheint allerdings prinzipiell nicht für sog. Bedürfnislehnwörter möglich. Die traditionelle Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort ist demnach auch hier relevant, und es ergibt sich die Notwendigkeit einer theoretischen Ausarbeitung dieser Begriffe (cf. dazu Kap. 12). Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion von Aspekten der Entlehnungsforschung bildet Kapitel 8 von Crofts Monographie, in dem er sich mit der Abstammung von Sprachen befasst. Die zentrale Fragestellung betrifft die Einordnung von Mischsprachen oder hybriden Sprachen 40 in Sprachenstammbäume. Sprachkontakt und eine daraus resultierende starke Divergenz von Sprachen kann zu Einordnungsproblemen führen; als Lösung schlägt Croft (in Analogie zum Konzept der Hybridi39

40

Zusätzlich weist Croft jedoch auch auf die Möglichkeit nichtintentionaler Interferenzen hin (Croft 2000, 148) – eine Möglichkeit, die aber auch die traditionelle Entlehnungsforschung durchaus anerkennen würde. Der Terminus «Mischsprache» umfasst nach Croft (2003, 49) verschiedene Grade und Modalitäten einer fast immer asymmetrischen Sprachmischung, während er echte «hybride Sprachen» nur bei Koineisierungen o.ä. von eng verwandten Sprachen oder Dialekten als gegeben ansieht.

170

sierung bei Pflanzen) vor, bei Mischsprachen mehrere Elternsprachen anzusetzen. Gleichzeitig schlägt er eine neue Typologie für Mischsprachen vor, die er als «mixed marriage languages», «death by borrowing» und «semi-shift» gegenüberstellt (Croft 2000, 213–221). 41 Insgesamt werden damit bei Croft im Wesentlichen Fälle intensiven Sprachkontakts besprochen, die sich auf die grammatische Struktur auswirken und evtl. sogar das Weiterbestehen der beeinflussten Sprache als ganze in Frage stellen. Zu «bloßen» lexikalischen Entlehnungen wie den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Phänomenen finden sich dagegen vergleichsweise wenige Ausführungen. Um zu analysieren, wie die Modelle Kellers und Crofts auf Phänomene bezogen werden können, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit analysiert werden, sollen nun zunächst einige Beispiele lexikalischer Entlehnungen betrachtet werden. Danach gehe ich speziell auf Phänomene der Lehnwortintegration ein. Wie bereits festgestellt wurde, kann lexikalische Entlehnung als ein Typ sprachlicher Innovation angesehen werden. Demnach sollten sich die von Keller genannten Maximen hier ähnlich auswirken wie bei innersprachlichen Innovationen. So wäre zu erwarten, dass sich eine Bevorzugung statischer Maximen des Typs «Rede so wie die andern» auch ungünstig auf Innovationen durch Entlehnung auswirkt, d.h. Lehnprozessen entgegenwirkt. Hingegen scheinen Innovationen allgemein und somit auch Entlehnungen durch die dynamischen Maximen begünstigt zu werden. Beispielsweise ist zu erwarten, dass ein Sprecher durch die Einführung neuer Ausdrucksformen in eine Sprache Aufmerksamkeit erregen oder sich von einer Sprachgemeinschaft absondern kann. Ebenso werden häufig fremdsprachliche Ausdrücke mit dem Ziel übernommen, zusätzliche pragmatische Effekte zu erzielen, etwa um Produkte als außergewöhnlich, exklusiv und damit besonders hochwertig darzustellen (z.B. it. Haute Couture, dt. Eau de Cologne, engl. lingerie). Eine genauere Betrachtung ergibt jedoch, dass sich die Situation keineswegs so einfach darstellt. So greift Keller selbst den Einwand von Elisabeth Gülich auf, dass statische Maximen wie «Rede so wie die andern» in Sprachkontaktsituationen gerade zu Dynamik führen können, wenn nämlich die Redeweise der fremden Sprachgemeinschaft als Orientierungspunkt genommen wird (Keller 1984, 70). Keller entwickelt aus dieser Beobachtung die Vermutung, dass «alle stabilen [bzw. statischen, so in der späteren Ausarbeitung seiner Theorie, EWF] Maximen destabilisierende Auswirkung haben in Sprachkontaktsituationen und konservierende in sprachhomo41

Diese Theorie wird weiterentwickelt und systematisiert in Croft (2003), wo verschiedene Formen und Grade der Sprachmischung gegenübergestellt und hinsichtlich der dafür charakteristischen Identitätsakte (acts of identity) analysiert werden, d.h. bestimmte Typen von sozialen Kontaktsituationen werden mit der Übernahme bestimmter Typen sprachlicher Einheiten in Verbindung gebracht. Hierbei ergeben sich als grundlegende Kategorien maintenance, death by borrowing, functional turnover, shift, semi-shift, creole, mixed marriage language, secret language. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Kontaktphänomene sind der Kategorie maintenance zuzurechnen, bei der sich die Sprecher nicht mit der Gesellschaft der Kontaktsprache identifizieren (cf. die Definition von klassischem borrowing in Abgrenzung zu substratum interference in Kap. 3.3 sowie die Übersicht in Croft 2003, 67).

171

genen Situationen» (Keller 1984, 70). Allerdings wird diese grundsätzliche Umkehrung, die für Sprachkontaktsituationen getroffen wird, in Kellers Monographie (1994) nicht aufgegriffen. Unerwähnt bleibt ferner, dass Maximen wie «Rede so wie die andern» in Sprachkontaktsituationen prinzipiell auf zwei unterschiedliche Sprechergruppen bezogen werden können, wobei sich die Wirkung der Maximen genau umkehrt: Sowohl Sprecher der AS als auch Sprecher der ZS können als Bezugspunkt gemeint sein. Eine Befolgung statischer Maximen mit Bezugnahme auf die Sprecher der AS begünstigt Entlehnung: Eine Maxime wie «Rede so wie die andern» kann demnach dahingehend ausgelegt werden, dass beispielsweise der AS-Terminus für ein bestimmtes Konzept übernommen werden soll (cf. Bsp. (164)). Bei Bezugnahme auf die Sprecher der ZS ergibt sich dagegen die Beibehaltung des vorhandenen ZSAusdrucks ohne Entlehnung (cf. Bsp. (165)). (164) «Rede so wie die anderen Sprecher der AS» Ö Entlehnung von engl. people BERÜHMTE LEUTE ĺ frz. people BERÜHMTE LEUTE (165) «Rede so wie die anderen Sprecher der ZS» Ö Beibehaltung von frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE Ein entsprechender Umkehreffekt kann auch für die dynamischen Maximen festgestellt werden (etwa: «Rede so, dass du als nicht zu der Gruppe gehörig erkennbar bist»): Unter Bezugnahme auf die Sprecher der AS kann die Verwendung eines vorhandenen ZS-Ausdrucks (also die Vermeidung einer Entlehnung) als bewusste Abgrenzung intendiert sein; unter Bezugnahme auf die Sprecher der ZS kann hingegen eine Entlehnung als abweichendes, auffälliges sprachliches Verhalten favorisiert werden. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang klärungsbedürftig, ob die sog. Bedürfnislehnwörter – also «notwendige» Entlehnungen, für die keine andere ZS-Bezeichnung verfügbar ist (z.B. it. computer) – im Hinblick auf die Maximen nicht in grundsätzlich anderer Weise funktionieren als die sog. Luxuslehnwörter, die neben ein bereits vorhandenes ZS-Wort treten (z.B. frz. people). Nur im letzteren Fall ist die Maxime «Rede so wie die anderen Sprecher der ZS» auf lexikalischer Ebene direkt anwendbar, da nur hier eine mögliche Ausdrucksform in der ZS vorhanden ist, die als Orientierungspunkt fungieren kann. Insofern erscheint es geboten, die Unterscheidung von Bedürfnis- und Luxuslehnwort aufzugreifen und in Kellers Überlegungen zu Sprachwandel einzuarbeiten (cf. Kap. 12). Was Crofts Ansatz angeht, so erweist sich sein Verständnis von Konvention als zentral für eine Anwendung auf Entlehnungen. Die Konvention stellt den Orientierungsmaßstab für die Beurteilung sprachlicher Formen durch die Sprecher dar. Gleichzeitig fungieren bei Croft konkrete sprachliche Formen als Bezugspunkte, von denen ausgehend entweder eine normale oder aber eine veränderte Replikation diagnostiziert wird. Das Begriffspaar der normalen vs. veränderten Replikation erscheint klar definiert und im Hinblick auf konkrete Formen gut anwendbar. Für Entlehnungen ist demnach zunächst die Entlehnungssituation zu betrachten, d.h. die AS-Form stellt den Bezugspunkt dar, im Hinblick auf den eine normale Replikation

172

(Übernahme ohne formale Veränderung, cf. Bsp. (166)) oder veränderte Replikation (bei Auftreten von Integrationserscheinungen 42 wie in Bsp. (167)) festgestellt wird. (166) sp. tango ['taƾgo] ĺ it. tango ['taƾgo] (DO; ZI; DELI) (167) engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ĺ it. puzzle ['pazol] (OED; DO; DELI) Allerdings stellen Entlehnungen, wie oben gesehen, im Hinblick auf die ZS auch generell Innovationen dar, d.h. es wird ein neuer Ausdruck in die ZS eingeführt, der von der bisherigen Konvention der ZS abweicht und keine bereits vorhandene Form «normal» repliziert. Auch bei der Anwendung von Crofts Theorie auf Entlehnungen stellt sich somit das Problem, dass in Sprachkontaktsituationen grundsätzlich zwei gegenläufige Bezugspunkte zur Verfügung stehen: einerseits die AS-Form, andererseits die geltende Konvention der ZS. Die Orientierung an den beiden genannten Maßstäben kann wiederum – ähnlich wie bei Keller – zu jeweils entgegengesetzten Analysen der Formen führen: (168) it. tango ['taƾgo]: normale Replikation in Bezug auf sp. tango ['taƾgo] (169) it. tango ['taƾgo]: keine normale Replikation in Bezug auf die Konvention des Italienischen zum Entlehnungszeitpunkt Ähnliche Umkehreffekte lassen sich darüber hinaus auch unterhalb der lexikalischen Ebene im Hinblick auf Lehnwortintegrationen beobachten. Eine wichtige Frage, auf die bereits bei der Besprechung des Teleologieproblems hingewiesen wurde (cf. Kap. 7.3.5) ist hier die, wie Varianten entlehnter Wörter, die sich im Grad der Lehnwortintegration unterscheiden, nach Keller und Croft analysierbar sind. (170) it. béchamel ĸ frz. béchamel (DO; DELI s.v. besciamella) (171) it. besciamella ĸ frz. béchamel (DO; ZI; DELI; Hope 1971, vol. 2, 472) (172) frz. blue-jeans ĸ engl. blue jeans (OED s.v. jean; PR) (173) frz. bloudjinnzes ĸ engl. blue jeans (OED s.v. jean; Queneau 1959, 48) Nach Croft ist davon auszugehen, dass nur bei dem völligen Ausbleiben von Integrationserscheinungen eine normale Replikation vorliegt. Bereits bei schwacher Lehnwortintegration wäre hingegen wohl eine veränderte Replikation festzustellen. Crofts Ansatz bietet damit zwar den Vorteil einer weitgehend objektiven Bestimmbarkeit der jeweils gewählten Option (normale vs. veränderte Replikation) in Bezug auf konkrete sprachliche (Ausgangs-)Formen; gleichzeitig scheint es jedoch schwierig, verschiedene Grade der Integration einander gegenüberzustellen. Weiterhin wird über die Alternative der normalen vs. veränderten Replikation vor allem eine 42

Die Alternative der normalen vs. veränderten Replikation lässt sich daher unmittelbar mit dem in Kapitel 5.2 erarbeiteten Kriterium der Konformität gegenüber der AS-Form in Verbindung bringen.

173

Beschreibung, jedoch noch keine Erklärung der stattfindenden Phänomene geliefert. Der von Croft genannte Mechanismus der Form-Funktions-Reanalyse, der für seine Theorie der Äußerungsselektion insgesamt als zentral anzusehen ist, bezieht sich vor allem auf sprachlichen Wandel in der Grammatik 43, so dass lexikalische Wandelund Entlehnungsprozesse kaum erfasst werden. Für Keller kann festgestellt werden, dass die Maxime «Rede so wie die andern» wiederum prinzipiell sowohl auf Sprecher der AS als auch der ZS bezogen werden kann 44; aus der Befolgung der Maxime ergeben sich damit jeweils entgegengesetzte Strategien bezüglich der Integration: (174) «Rede so wie die anderen Sprecher der AS» Ö Behalte die ASAusdrucksform möglichst genau bei. Ö minimale bis keine Lehnwortintegration (175) «Rede so wie die anderen Sprecher der ZS» Ö Verwende keine in der ZS ungewöhnlichen Laute etc. Ö maximale Lehnwortintegration Nach Keller ließen sich die schwach integrierten Formen in (170) und (172) demnach auf die Befolgung einer statischen Maxime mit Bezug auf die Sprecher der AS zurückführen. Ebenso kann eine besonders schwache Integration aber auch dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erregen: Wenn die Integration das in der Sprachgemeinschaft der ZS übliche Maß unterschreitet, kann die Äußerung gerade dadurch auffällig, besonders interessant, gebildet oder eventuell auch amüsant wirken («Rede so, dass du beachtet wirst», «Rede amüsant, witzig etc.»). Umgekehrt kann eine starke Lehnwortintegration nach Keller als Befolgung des Prinzips «Rede so wie die anderen [Sprecher der ZS]» interpretiert werden («Verwende nur die in deiner Sprachgemeinschaft üblichen Phoneme etc.») – cf. Bsp. (171) und (173). Ebenso kann aber eine besonders starke Lehnwortintegration (die also wiederum vom üblichen Maß abweicht) auch dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und witzig zu wirken («Rede so, dass du beachtet wirst», «Rede amüsant, witzig etc.», cf. Bsp. (173)). Beide Optionen können somit aus Sicht der Sprecher im Hinblick auf bestimmte Kommunikationssituationen durchaus Sinn ergeben, so dass die Entstehung sowohl schwach als auch stark integrierter Formen motivierbar ist. Die Anwendung von Kellers Maximen auf konkrete Beispiele zeigt aber gleichzeitig, dass die Maximen sehr allgemein gehalten sind, so dass sowohl starke als auch schwache Lehnwortintegrationen potenziell sowohl über statische als auch über dynamische Maximen begründet werden können. Daher erscheint eine weitere Ausarbeitung und Systematisierung der Maximen hier sinnvoll, und Kellers Modell ist im Einzelnen zu präzi43

44

Cf. Crofts Kurzdefinition der «Theory of Utterance Selection» im Glossar: «the theory that the utterance contains the paradigm replicators (the linguemes) in language change, altered replication of grammar largely occurs through form-function reanalysis, and selection occurs through social mechanisms» (Croft 2000, 244, Hervorhebung EWF). Eine solche Anwendung unterhalb der lexikalischen Ebene impliziert allerdings ein etwas anderes Verständnis der genannten Maxime, da diese nun auch auf strukturelle Merkmale der Sprache (Laute, Flexionen etc.) bezogen wird.

174

sieren, um sowohl externen als auch internen Wandel erfassen zu können. Eine wichtige notwendige Präzisierung betrifft die Frage, wer die «anderen» sind, auf die bzw. auf deren Sprechen sowohl die statischen als auch die dynamischen Maximen Bezug nehmen. Für eine solche Präzisierung kann auf die Überlegungen in Kap. 5.2.2 zurückgegriffen werden. Dort wurden bei der Bestimmung des Begriffs der «Lehnwortintegration» zwei grundlegende Bezugspunkte konkretisiert, die bei einer Betrachtung entlehnter Einheiten eine Rolle spielen: die AS-Form einerseits und das ZS-System andererseits. Diese Bezugspunkte decken sich nicht genau mit denen Kellers, weisen aber den Vorteil auf, einfach anwendbar zu sein. Während Kellers Maxime «Rede so wie die anderen Sprecher der AS» eine relativ gute Kenntnis der AS und der dort üblichen Redeweise voraussetzt, bezieht sich das Kriterium der Orientierung an der AS-Form nur auf die im Einzelfall relevante AS-Form. Dies bietet den Vorteil, dass auch Situationen mit gering ausgeprägter Zweisprachigkeit einbezogen werden können. Darüber hinaus kann die AS-Form direkt analysiert und mit der entlehnten Form bzw. anderen vorhandenen Bezeichnungen der ZS verglichen werden.

7.4

Zusammenfassung

Die Vorstellung und Diskussion aktueller Ansätze der Sprachwandelforschung hat gezeigt, dass die Modelle von Keller und Croft eine Grundlage bieten, um Sprachwandelprozesse zu modellieren und hierbei Betrachtungen von Entlehnungen und Lehnwortintegrationen an die Sprachwandelforschung anzubinden. Hervorzuheben ist die in beiden Ansätzen sehr klare Trennung von zwei Ebenen bzw. Phasen des Sprachwandels im Bereich der Beschreibung von Sprachwandel sowie die darüber hinausgehende Thematisierung auch von erklärenden Aspekten (cf. Kellers Maximen und seine Erläuterung des Invisible-hand-Prozesses bzw. Crofts Gegenüberstellung von funktionalen und sozialen Faktoren). Die Trennung erlaubt eine klare Zuweisung einzelner Elemente der Theorien zu den jeweiligen Bereichen. Als weitere wichtige Vorteile ihrer zweistufigen Modellierung von Sprachwandel können die Vermeidung teleologischer Fehldeutungen und die flexible Modellierung von Sprachwandel, durch die ein Lösungsweg für das Paradox des Sprachwandels aufgezeigt wird, herausgestellt werden. Gleichzeitig wurden aber auch einige potenziell problematische Aspekte der Ansätze deutlich. So besteht für Kellers Ansatz die Gefahr zirkulärer Erklärungen; dieser Gefahr kann jedoch durch geeignete Strategien – die Hinzuziehung unterschiedlicher Daten zur Absicherung der Erklärungen sowie die Beachtung allgemeiner Erklärungsprinzipien (Plausibilisierung der Annahmen bezüglich der Handlungsintentionen der einzelnen Sprachbenutzer auf der Mikroebene) – begegnet werden. Was die evolutionäre Formulierung der Modelle angeht, so wurde sichtbar, dass das Verhältnis zwischen sprachlicher (oder allgemeiner: kultureller) und biologischer Evolution im Einzelnen sehr unterschiedlich interpretiert wird. Damit variiert auch der Status der evolutionären Konzeptionen im Hinblick auf die linguistische Theorie erheblich. Während Keller die biologische Evolution nur als Metapher ver175

wendet, entwirft Croft ein allgemeines Modell der Evolution, das in seinen Grundzügen sowohl für die Biologie als auch für die Sprache Geltung beansprucht. Insgesamt stellt sich eine evolutionäre Konzeption aber keineswegs als zwingend für die Modellierung von Sprachwandel dar. Insbesondere für die Erklärung von Sprachwandelphänomenen – die als die eigentliche Aufgabe von Sprachwandelmodellen angesehen werden kann – ergibt sich die Notwendigkeit, auf genuine Charakteristika von Sprache Bezug zu nehmen. Darüber hinaus hat sich Klärungsbedarf hinsichtlich des Begriffs der «Verbreitung» von Innovationen ergeben. Hierunter werden traditionell sowohl an die einzelnen Sprecher gebundene als auch übergeordnete soziale Phänomene erfasst, so dass eine zusätzliche theoretische Unterscheidung zu erarbeiten ist. Weiterhin sind die Bestimmungen der funktionalen und sozialen Erklärungsfaktoren für Sprachwandel sowie ihre strikte Trennung bei Croft zu hinterfragen, und es sind für beide Ansätze möglicherweise weitere Erklärungsfaktoren – insbesondere für den Bereich lexikalischer Entlehnungen – zu ergänzen. Ein wichtiges Desiderat für beide Theorien scheint ferner die Klärung des universalen oder einzelsprachlichen Status verschiedener Erklärungsfaktoren. Ebenso erscheint es hilfreich, die Rollen von Produzent und Rezipient für Sprachwandel zu präzisieren: Während Kellers Ansatz bei Innovationen vor allem auf Sprecher- (bzw. Produzenten-)Intentionen Bezug nimmt (Kellers fehlende Berücksichtigung der Rezipientenperspektive wird etwa von Stolz bemängelt; Stolz 1991, 553), zielt Crofts Mechanismus der FormFunktions-Reanalyse gerade auf den Hörer bzw. Rezipienten und auf nichtintentionale Innovationen ab. Beide Theorien scheinen daher zu einem gewissen Grad komplementär. Für beide Ansätze ist ferner zu fragen, welche Rolle dem Rezipienten bei der Verbreitung der Innovation zukommt. Im Hinblick auf die beiden grundlegenden Desiderate für eine Modellierung von Entlehnung und Sprachwandel – die Eingliederung von Entlehnungen in ein allgemeines Sprachwandelmodell und die Orientierung am Sprachbenutzer – berufen sich sowohl Keller als auch Croft explizit oder implizit auf das Prinzip des methodologischen Individualismus, d.h. sie plädieren dafür, bei der Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel vom einzelnen Sprachbenutzer auszugehen. Bei Croft wird dieses Prinzip allerdings nicht explizit erörtert, und auch bei Keller fehlt eine umfassende Diskussion, in deren Rahmen auf frühere Ausarbeitungen des Prinzips Bezug genommen werden sollte. Eine Einbeziehung von Entlehnungen scheint grundsätzlich sowohl bei Keller als auch bei Croft möglich, da beide Modelle so allgemein konzipiert sind, dass sie auch auf Entlehnungsphänomene anwendbar sein sollten. Croft fordert eine entsprechende Berücksichtigung von Entlehnungen in ein umfassendes Modell sprachlichen Wandels sogar explizit ein, doch dieser Anspruch scheint im Rahmen seiner Theorie nur bedingt eingelöst. Vielmehr argumentiert Croft vor allem anhand von Beispielen internen Sprachwandels. Diese Tendenz zeigt sich ebenso bzw. noch deutlicher bei Keller. Bei dem Versuch, Kellers und Crofts Überlegungen auf Beispiele von Entlehnungen zu übertragen, haben sich verschiedene Unklarheiten der Theorien ergeben, die auf notwendige Präzisierungen verweisen. Diese betreffen insbesondere die Tatsache, dass in den Theorien angesetzte Bezugsgrößen (die «Redeweise der andern» 176

bei Keller, konkrete sprachliche Formen und die Konvention einer Sprache bei Croft) bei Entlehnungsphänomenen sowohl auf die AS als auch auf die ZS referieren können. Hierbei kehrt sich die Interpretation der von den Autoren angesetzten Maximen bzw. Erklärungsfaktoren jeweils um, d.h. im einen Fall wird Entlehnung generell sowie das Ausbleiben von Lehnwortintegrationen begünstigt, im anderen Fall hingegen eine starke Lehnwortintegration bzw. die Beibehaltung vorhandener ZS-Ausdrucksalternativen. Eine klare Unterscheidung dieser fundamentalen Bezugspunkte kann durch die in Kap. 5.2.2 hergeleiteten Konformitätstypen – Konformität gegenüber der AS-Form und Konformität gegenüber dem ZS-System – herbeigeführt werden. Weiterhin hat sich die traditionelle Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort bei der Besprechung von Keller und Croft als wichtig erwiesen, da sie auf zwei grundlegend unterschiedlich funktionierende Typen von Innovationen verweist. Diese Unterscheidung soll in Kap. 12 aufgegriffen und ausgearbeitet werden, wobei sie dahingehend generalisiert wird, dass allgemein zwischen Luxus- und Bedürfnisinnovationen (bzw. nichtkatachrestischen und katachrestischen Innovationen) unterschieden wird.

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8

Diskussion weiterer Ansätze im Hinblick auf die wesentlichen Desiderate für eine Sprachwandeltheorie

Bei den bisherigen Betrachtungen von Entlehnungsprozessen haben sich zwei grundlegende Desiderate für eine Modellierung von Sprachwandel und Entlehnung ergeben: 1. die Entwicklung einer umfassenden Konzeption von Sprachwandel, welche auch Entlehnungsprozesse einschließt, und 2. die Fundierung eines entsprechenden Modells auf der Ebene der einzelnen Sprachbenutzer (Prinzip des methodologischen Individualismus bzw. der Orientierung am Sprachbenutzer). Bei Keller und Croft werden diese Punkte in Ansätzen berücksichtigt, doch es wurde festgestellt, dass beide Aspekte noch nicht zufriedenstellend eingelöst sind und sich für entsprechende Weiterentwicklungen der Theorien grundlegende Fragen ergeben. Nachfolgend soll daher die Diskussion der beiden Aspekte nochmals vertieft werden. Bei der Besprechung des erstgenannten Punkts wird ein Ansatz in den Vordergrund gestellt, der verschiedene Typen lexikalischer Innovationen anhand eines einheitlichen Beschreibungsinstrumentariums analysiert (Koch 2000; 2001a; Gévaudan 2003; 2007). Da die vorgeschlagene Rasterklassifikation sowohl Entlehnungen als auch Fälle von Wortbildung und (innersprachlichem) Bedeutungswandel berücksichtigt, wird das Prinzip der Einbeziehung von Entlehnungen in eine umfassende Betrachtung von Sprachwandel hier exemplarisch umgesetzt. Gleichzeitig wird sich zeigen, dass bei einer Betrachtung von Lehnwortintegrationen zusätzliche Analysedimensionen ergänzt werden sollten; hierzu kann auf die bereits erörterten Typen der Konformität (cf. Kap. 5) zurückgegriffen werden. Was das Prinzip des methodologischen Individualismus angeht, so kann der Ansatz Coserius (1958) als richtungsweisend gelten, da das genannte Prinzip den Grundstein darstellt, auf dem Coseriu eine umfassende Sprachwandeltheorie entwirft. Auch wenn das Prinzip hierbei nicht als eigener Terminus gefasst wird, so wird doch erstmals eine entsprechende Ausrichtung der Sprachwandelforschung begründet und entschieden eingefordert. Durch diese Ausrichtung hebt sich Coserius Ansatz grundlegend von früheren Ansätzen ab, so dass von einem Perspektivwechsel bzw. der «Coserianischen Wende» gesprochen werden kann.

8.1

Ein kognitiver Ansatz zur Analyse von Entlehnungen innerhalb lexikalischer Innovationen

Nachfolgend soll ein kognitiver Ansatz vorgestellt werden, der auf die konkrete Modellierung von sprachlichen Innovationen abzielt: die Rasterklassifikation lexika179

lischer Innovationen (Blank 1997; 2003; Koch 2000; 2001a; 2001b; Gévaudan 2003; 2007). Auch wenn im Rahmen der Rasterklassifikation nicht der Anspruch erhoben wird, ein genuin neues Sprachwandelmodell vorzustellen, so ergeben sich dennoch – gerade auch aufgrund der Zielsetzung der Beschreibung eines breiten Inventars an Innovationen – wichtige Anknüpfungspunkte und Perspektiven für Betrachtungen von Sprachwandel im Allgemeinen. Im Mittelpunkt der Rasterklassifikation steht die Beschreibung lexikalischer Innovationen zu ihrem Entstehungszeitpunkt, d.h. es werden unmittelbar Aspekte des Sprachwandels thematisiert. 1 Auch wenn es schwerpunktmäßig um eine Betrachtung sprachlicher Fakten geht, argumentiert Koch gleichzeitig nachdrücklich dafür, die Prozesse auf der Ebene des Diskurses bzw. die Ebene der einzelnen Sprachbenutzer als entscheidend anzusehen (Koch 2000, 79–80, cf. Koch/Oesterreicher 1996, 74–78; 1990, 7: «Von entscheidender Bedeutung ist die Ebene des Diskurses selbstverständlich für das Problem des Sprachwandels»). Dabei stellt sich nach Koch für die Sprecher stets die Aufgabe, bestimmte Konzepte zu versprachlichen, und zwar möglichst effektiv und mit größtmöglichem kommunikativem Erfolg. Um dieses Ziel zu realisieren, können die Sprecher eine sprachliche Innovation vornehmen (d.h. einen potenziellen Sprachwandelprozess initiieren). Aus dem Gesagten ergibt sich, dass für die Betrachtung der Innovationen eine onomasiologische Perspektive eingefordert wird, da diese der Perspektive des innovierenden Sprechers entspreche: «Il est bien évident que l’on est obligé ici de mettre l’accent sur la désignation et donc sur la perspective onomasiologique. C’est cette perspective qui correspond à la perspective du sujet parlant en tant qu’instance de l’innovation linguistique (cf. Koch/Oesterreicher 1996)» (Koch 2000, 79–80, Hervorhebung im Original).

Darüber hinaus argumentiert Koch, dass zur Erklärung entsprechender Innovationen im Diskurs bestimmte universale Prinzipien, d.h. Prinzipien auf der Ebene der Sprechtätigkeit, heranzuziehen sind (cf. Koch 2000, 80): «Wenn es so etwas wie eine unsichtbare Hand gibt, die Innovationen leitet und damit auch am Sprachwandel beteiligt ist, so muss sie von der Ebene der Sprechtätigkeit aus wirken, die die Konventionen der einzelsprachlichen Tradition mit der Freiheit des aktuellen Diskurses vermittelt (vgl. Oesterreicher 1979, S. 232). Bei der Verfolgung seiner individuellen Ausdrucksintentionen im Diskurs setzt der Sprecher unvermeidlich universale Konstanten auf der Ebene der Sprechtätigkeit um» (Koch 2001a, 11).

Mit den hier ins Spiel gebrachten universalen Konstanten geht Koch über die vorgestellten Ansätze von Keller und Croft hinaus, da es nun darum geht, über partikuläre Einzelerklärungen von Diskursphänomenen und über einzelsprachliche Rahmenbedingungen der Innovation hinaus entsprechende universale Konstanten vorzuschlagen und einer Überprüfung zu unterziehen. 2 1 2

Ausgeklammert wird hingegen die Phase der Verbreitung der Innovationen, d.h. es geht bei der Beschreibung ausschließlich um die Phase der Innovation selbst. Damit ergibt sich ein hoher Anspruch, der an die Betrachtung der Innovationen gestellt wird. Gleichzeitig wird deutlich, dass zur Erklärung der einzelnen Innovationen Faktoren unterschiedlichen Typs herangezogen werden müssen, die bislang nur wenig systematisiert

180

Ausgangspunkt für die Rasterklassifikation ist die Feststellung, dass traditionelle Beschreibungen lexikalischer Innovationen teilweise zu undifferenziert sind. So werden Fälle von Bedeutungswandel, Wortbildung und Entlehnung (die als die Haupttypen von lexikalischen Innovationen angesehen werden können) in der Regel getrennt voneinander und in jeweils unterschiedlicher Form analysiert. Beschreibungen von Phänomenen des Bedeutungswandels konzentrieren sich (naheliegenderweise) auf semantische Aspekte (cf. Bsp. (176) und (177)). (176) engl. mouse ‘Maus’ ĺ ‘Computermaus’: Metapher (177) frz. veille ‘Tag vor einem Feiertag’ ĺ ‘Vortag’: Generalisierung Demgegenüber werden Wortbildungen vor allem unter formalen Gesichtspunkten analysiert, d.h. in Bsp. (178) wird etwa eine Derivation, in Bsp. (179) hingegen eine Komposition festgestellt. Dabei wird jedoch in der Regel zunächst von semantischen Aspekten abstrahiert; diese werden allenfalls ergänzend thematisiert. (178) engl. print + -er ĺ engl. printer: Derivation (179) engl. drive + engl. disk ĺ engl. disk drive: Komposition Im Bereich der (direkten) Entlehnungen hingegen geht es primär um die Feststellung der fremdsprachlichen Herkunft der betrachteten Formen (cf. Bsp. (180)). Semantische (oder auch formale) Aspekte werden dabei nur bei Bedarf – wenn sich wie in Bsp. (181) auffällige Veränderungen ergeben – thematisiert. (180) engl. mouse ĺ it. mouse: direkte Entlehnung (181) sp. sombrero ‘Hut’ ĺ frz. sombrero ‘breitkrempiger Hut’: direkte Entlehnung (mit semantischer Veränderung) Insgesamt zeigt sich damit, dass die traditionellen Modellierungen in der Regel nur eine partielle Beschreibung liefern und nur jeweils bestimmte Aspekte der Innovationen erfassen. Der Grundgedanke der Rasterklassifikation ist es daher, die verschiedenen Typen lexikalischer Innovationen, die traditionell meist anhand unterschiedlicher Begriffe analysiert werden, in einer einheitlichen, umfassenden Systematik zu betrachten. 3 Dazu werden die Innovationen mit ihren jeweiligen Vorgän-

3

sind. Insbesondere die Rolle und der theoretische Status universaler Faktoren innerhalb von Erklärungsmodellen des Sprachwandels scheinen noch nicht zufriedenstellend geklärt. Kochs Ansatz deutet an, dass die Faktoren dadurch systematisiert werden können, dass sie den verschiedenen Ebenen des Sprachlichen nach Coseriu (1958, 25–26) zugewiesen werden. Diesen Gedanken werde ich bei der Erarbeitung einer neuen Modellierung von Entlehnung und Sprachwandel in Kap. 9 aufgreifen und umfassend berücksichtigen. Unabhängig vom Ansatz der Rasterklassifikation deuten im Übrigen auch Éloy und Humbley eine potenzielle Kombinierbarkeit von Innovationen im Bereich der Bedeutung, der Wortbildung und Entlehnung an. Die genannten Verfahren werden dabei als Möglichkeiten aufgezählt, durch die ein besoin lexical der Sprecher, d.h. ein ständiges Bedürfnis nach (Weiter-)Entwicklung der Sprache (etwa aufgrund neuer Technologien), befriedigt

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gern (Antezedenten) in Verbindung gesetzt und hinsichtlich drei Typen von Relationen analysiert: der kognitiv-semantischen, der formalen und der stratischen Relationen (die Autoren sprechen hier auch von den drei grundlegenden Dimensionen der Analyse lexikalischer Innovationen). Im Bereich der kognitiv-assoziativen Relationen liegt dabei eine abgeschlossene Liste von acht universellen Relationen vor: Identität, Kontiguität, metaphorische Similarität, taxonomische Subordination, taxonomische Superordination, kotaxonomische Similarität, kotaxonomischer Kontrast, konzeptueller Kontrast. Die Kategorie der Identität wird angesetzt, wenn zwischen Vorgänger und Nachfolger kein semantischer Wandel festzustellen ist. Diese Kategorie ist insbesondere gekoppelt mit formalen oder stratischen Relationen wichtig, um bestimmte Wandelprozesse zu beschreiben (z.B. Entlehnungen, bei denen keine Veränderung der Bedeutung auftritt). Der Begriff der Kontiguität wird auf Relationen innerhalb konzeptueller Frames bezogen, er umfasst dabei sowohl TEIL-GANZES-Relationen als auch TEIL-TEIL-Relationen. Metaphorische Similarität beinhaltet dagegen einen konzeptuellen Kippeffekt, wie er bei Metaphern gegeben ist. Weiterhin lassen sich innerhalb von Taxonomien verschiedene Relationen unterscheiden (Über- bzw. Unterordnung zwischen Unter- und Oberbegriff, kotaxonomische Similarität zwischen Konzepten der gleichen Hierarchieebene sowie kotaxonomischer Kontrast zwischen einander direkt entgegengesetzten Konzepten innerhalb einer Taxonomie). Beim konzeptuellen Kontrast liegt hingegen nicht eine unmittelbar taxonomische Relation, sondern eine etwas lockerer gefasste Form der Unvereinbarkeit (z.B. GEFÄNGNIS ļ HOTEL) vor (cf. insgesamt Koch 2001a, 18–20). 4 Im Bereich der formalen Relationen sind Kategorien wie Suffigierung, Präfigierung, Komposition und Numeruswechsel situiert. Für reine Bedeutungswandelprozesse (und viele Entlehnungsprozesse) liegt in formaler Hinsicht dagegen die

4

werden kann: «néologismes de sens, de forme (composition, dérivation), emprunt lexical (langue ancienne ou moderne), et leurs combinaisons» (Éloy/Humbley 1993, 18, Hervorhebung EWF; das beschriebene Bedürfnis begünstigt somit die Entstehung von Ausdrucksvarianten, wobei komplementär dazu ein besoin terminologique angesetzt wird, das auf Stabilität sowie auf eine terminologische Vereinheitlichung und Biunivozität in den Zuordnungen von Formen und Bedeutungen abzielt, d.h. umgekehrt den Abbau von Varianz begünstigt). Hinsichtlich der Kategorien ließe sich der Einwand diskutieren, dass sie eine gewisse Heterogenität aufweisen (cf. die Bemerkungen eines anonymen Gutachtens zu dem Artikel Winter-Froemel 2009b). So lassen sich nur Similarität, Kontiguität und Kontrast gleichzeitig als Assoziationsprinzipien aus Sicht der Sprachbenutzer fassen, während die Kategorien Identität sowie taxonomische Sub- und Superordination primär nur im Rahmen linguistischer Analysen festgestellt werden (Blank 1997, 203 setzt bei taxonomischen Subund Superordinationen ebenfalls Assoziationen über Similarität an; ferner erscheinen hier auch Prototypikalitätseffekte und die Wahl einer bestimmten Abstraktionsebene bei der Kategorisierung von Referenten zentral). Ebenso enthält die Liste sowohl gerichtete (taxonomische Sub-/Superordination) als auch ungerichtete Relationen (Kontiguität, kotaxonomischer und konzeptueller Kontrast, metaphorische und kotaxonomische Similarität). Im Rahmen der Anwendung der Rasterklassifikation auf die Beschreibung von Innovationen geht es allerdings stets um das Verhältnis von Vorgänger und Nachfolger, so dass ohnehin grundsätzlich eine Gerichtetheit der Relation vorliegt.

182

Kategorie «Null» (bzw. Kontinuität oder formale Identität, cf. Koch/Marzo 2007, 268) vor. Dabei ist die Liste formaler Relationen grundsätzlich offen, da die jeweils relevanten Verfahren von den in der Einzelsprache zur Verfügung gestellten Mitteln abhängen (Koch 2000, 84). Weiterhin ist anzumerken, dass grundsätzlich von Lautwandel abstrahiert wird, d.h. bei reinem Lautwandel (wenn keine der anderen genannten formalen Relationen vorliegt) erfolgt ebenfalls eine Analyse als «Null»/Kontinuität. Der Bereich der stratischen Relationen erfasst schließlich den Gegensatz zwischen Stratum und Entlehnung. Zusätzlich wird bei Koch (2000; 2001a) die Kategorie Lehneinfluss bzw. calque (für den traditionell als «Lehnprägungen» umschriebenen Bereich) angesetzt. Die Systematik wird dann weiter ausgearbeitet bei Gévaudan (2007), der insbesondere für eine noch wesentlich weitere Auffassung der stratischen Dimension argumentiert: Stratische Innovation wird nun dahingehend verstanden, dass der historische Vorgänger einer lexikalischen Einheit kein Element des primären Inventars der lexikalischen Einheiten ist. So ergibt sich, «dass das Kriterium für stratische Innovation nicht die Fremdsprachlichkeit des Vorgängers ist, sondern lediglich seine Nicht-Zugehörigkeit zum betreffenden lexikalischen Inventar» (Gévaudan 2007, 37). Daher werden auch analogische Bildungen, Antonomasien, Onomatopoetika und Volksetymologien als stratische Innovationen behandelt (Gévaudan 2007, 141– 163). Damit ergibt sich jedoch eine starke Heterogenität der Kategorien: Diese berücksichtigen einerseits die etymologische Herkunft der materiellen Ausgangseinheiten der Innovation – so etwa die Kategorie der (direkten) Entlehnung, z.B. engl. mouse ĺ it. mouse –, andererseits aber auch abstrakte Schemata für Innovationen, die erst mit bestimmtem sprachlichem Material gefüllt werden müssen – so etwa die Kategorien der analogischen Bildung und des calque, z.B. Nachbildung der Polysemie engl. mouse ‘Maus’ ļ ‘Computermaus’ ausgehend von der französischen Bezeichnung für das Konzept MAUS: frz. souris MAUS ĺ COMPUTERMAUS (cf. Gévaudan 2007, 163). Darüber hinaus zeigt sich, dass einige der angesprochenen Aspekte und Kategorien untereinander kombinierbar sind: So lassen sich etwa Volksetymologien auf der Grundlage eigensprachlichen oder entlehnten Materials gegenüberstellen, z.B. dt. Friedhof (< ahdt. frƯthof, Anlehnung an dt. Friede, cf. EWDS) vs. sp. bailar ‘tanzen’ (< altokz. balar ‘tanzen’, Anlehnung an sp. bailar ‘schaukeln, schwanken’, cf. DCECH und Gévaudan 2007, 162, der als Vorgänger okz. ballar angibt). Ebenso gibt es antonomastische Bildungen auf der Grundlage eigensprachlichen oder entlehnten Materials (z.B. dt. Marienkäfer [dt. Maria] vs. Venushügel [lat. Venus]), und auch die Kategorien der (innersprachlichen) analogischen Bildungen und der calques unterscheiden sich genau aufgrund des Merkmals der Eigen- bzw. Fremdsprachlichkeit der Modelle (z.B. it. stampella ‘Kleiderbügel’ ĸ ‘Krücke’ nach it. gruccia ‘Kleiderbügel’ ļ ‘Krücke’, cf. Blank 1997, 321–322, vs. frz. souris ‘Computermaus’ ĸ ‘Maus (Nagetier)’ nach engl. mouse ‘Maus’ ļ ‘Computermaus’). Da sich durch die genannten Beispiele immer wieder die grundlegende Bedeutung der Opposition eigen- vs. fremdsprachlich bestätigt, soll der Bereich der stra183

tischen Relationen hier restriktiver aufgefasst und auf die Opposition Stratum vs. Entlehnung bzw. eigensprachlich vs. fremdsprachlich reduziert werden. Hieraus ergibt sich auch der Vorteil, dass so unmittelbar an bisherige Ansätze zur Erforschung etymologischer und formal-struktureller Fremdheit angeknüpft werden kann (cf. Kap. 5.1.2, 6.1.1 und 6.1.3). Die bei Gévaudan genannten Kategorien der analogischen Bildungen (einschließlich calques) und Volksetymologien lassen sich hingegen als eine zusätzliche Dimension auffassen, die einen allgemeinen Rahmen der Innovationen bereitstellt, der mit lexikalischem Ausgangsmaterial gefüllt wird. 5 Die entsprechenden Kategorien sind demnach mit der Alternative eigen- vs. fremdsprachlich kombinierbar, womit auch die verschiedenen oben genannten Beispielpaare unmittelbar erfasst werden können (cf. Winter-Froemel 2009b, 113–114). Innersprachliche Bedeutungswandelphänomene wie etwa engl. mouse COMPUTERMAUS ĸ MAUS oder frz. veille VORTAG ĸ TAG VOR EINEM FEIERTAG lassen sich nach der skizzierten Systematik wie folgt analysieren: (182) engl. mouse COMPUTERMAUS ĸ engl. mouse MAUS ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

metaphorische Similarität «Null» eigensprachlich

(183) frz. veille VORTAG ĸ frz. veille TAG VOR EINEM FEIERTAG ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

taxon. Superordination «Null» eigensprachlich

Für Bedeutungswandel ergibt sich damit allgemein die folgende Analyse: (184) Bedeutungswandel: ¾

kognitiv-assoziative Dimension:

Kontiguität ODER metaphor. Simil. ODER taxon. Subord. ODER taxon. Superord. ODER kotaxon. Simil. ODER kotaxon. Kontrast ODER konz. Kontrast

¾ ¾

formale Dimension: stratische Dimension:

«Null» eigensprachlich

Für innersprachliche Wortbildungsprozesse liegt in stratischer Hinsicht ebenfalls immer die Relation eigensprachlich vor; für die beiden anderen Dimensionen kann hingegen das gesamte Potential an Relationen ausgeschöpft werden (im Bereich der 5

Antonomasien lassen sich hingegen präzise erfassen, indem die morphologische Kategorie des Vorgängers als Eigenname spezifiziert wird. Für Onomatopoetika ist zunächst genauer zu klären, wie dieser Begriff gefasst wird (cf. traditionelle Gegenüberstellungen von primären und sekundären Onomatopoetika) und welche Art von Vorgänger hier anzunehmen ist.

184

kognitiv-assoziativen Relationen besteht hier zusätzlich die Option der Identität). So ergeben sich Analysen des folgenden Typs: (185) engl. printer DRUCKER ĸ engl. print DRUCKEN ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

(186) engl. disk drive DISKETTENLAUFWERK ĸ engl. drive engl. disk DISKETTE ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

LAUFWERK

+

taxon. Subord. + Kontig. Komposition eigenspr. + eigenspr.

Die allgemeine Darstellung (cf. (187)) ist hier um einiges komplexer als bei Bedeutungswandelphänomenen, da nicht nur im Bereich der kognitiv-assoziativen Relationen, sondern auch hinsichtlich der formalen Relationen eine Reihe von Optionen vorliegen kann. Zusätzlich ist zu beachten, dass die semantische und die stratische Analyse ggf. (etwa bei Kompositionen) für jeden Vorgänger gesondert erfolgen. (187) Wortbildung: ¾

¾

kognitiv-assoziative Dimension: (für jeden Vorgänger)

formale Dimension:

Identität ODER Kontiguität ODER metaphor. Simil. ODER taxon. Subord. ODER taxon. Superord. ODER kotaxon. Simil. ODER kotaxon. Kontrast ODER konz. Kontrast

Präfigierung ODER Suffigierung ODER Komposition ODER …

¾

stratische Dimension: (für jeden Vorgänger)

eigensprachlich

Für den Fall von direkten Übernahmen aus einer anderen Sprache ohne Bedeutungswandel, der in der bisherigen Forschung als prototypisch für Entlehnung gelten kann 6, ergeben sich schließlich Analysen des folgenden Typs: (188) it. mouse COMPUTERMAUS ĸ engl. mouse COMPUTERMAUS

6

Dies zeigen auch die bereits in Kap. 6.1.1 und 6.3 erwähnten Systematisierungen von Neologismen, die Bedeutungswandel, Wortbildung und Entlehnung als drei Hauptquellen des lexikalischen Wandels gegenüberstellen und dabei den Bereich der Entlehnung im Wesentlichen auf direkte Entlehnungen beschränken (so etwa Tekavþiü 1972, 16; Arrivé/ Gadet/Galmiche 1986 s.v. néologie).

185

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität «Null» fremdsprachlich

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Abstrahieren vom Lautwandel für den Bereich der Entlehnungen ergibt, dass auch von möglicherweise eintretenden Prozessen der lautlichen – und graphischen – Lehnwortintegration (cf. Kap. 2.1.1 und 5.1.4) abstrahiert wird. Demnach ergeben sich identische Analysen für schwach und stark integrierte Lehnwortpaare des Typs it. brioche/it. brioscia: (189) it. brioche HEFEGEBÄCK ĸ frz. brioche HEFEGEBÄCK ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität «Null» fremdsprachlich

(190) it. brioscia HEFEGEBÄCK ĸ frz. brioche HEFEGEBÄCK ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität «Null» fremdsprachlich

Gerade für Untersuchungen lexikalischer Entlehnungen erscheint es aber wichtig, die Kategorie «Null»/Kontinuität nur als zusammenfassenden Oberbegriff aufzufassen. Dahinter können sich demnach durchaus auch Diskontinuitäten verbergen, nämlich Veränderungen unterhalb der Ebene der Morphologie, d.h. lautliche oder graphische Veränderungen. Da entsprechende Veränderungen für Entlehnungsprozesse sehr bedeutsam sind, eröffnen sich hier Perspektiven für weiterführende Betrachtungen. Dabei kann direkt auf die in Kap. 5.2 erarbeiteten Konformitätskriterien zurückgegriffen werden; Analysen mittels der Kriterien erlauben es, die hier relevanten Veränderungen präzise und vollständig zu erfassen. Ein weiteres, auffälliges Phänomen, das anhand der Rasterklassifikation sehr gut erfasst werden kann, sind semantische Veränderungen bei Entlehnungen. Entsprechende Veränderungen werden in der bisherigen Forschung zwar immer wieder festgestellt, jedoch kaum systematisiert. Anhand der vorgestellten Rasterklassifikation hingegen lassen sich diese Veränderungen unmittelbar bestimmten Kategorien der kognitiv-assoziativen Dimension zuweisen: Einerseits handelt es sich um Bedeutungsverengungen, d.h. Fälle taxonomischer Subordination (Typ sp. sombrero HUT ĺ frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT, cf. Bsp. (191)), andererseits um Metonymien, d.h. Fälle von kontiguitätsbasierten semantischen Veränderungen (Typ engl. flipper FLIPPERHEBEL ĺ frz./it. flipper FLIPPERAUTOMAT, FLIPPERSPIEL, cf. Bsp. (192)). Auffällig ist, dass entsprechend der mir bekannten Forschungsliteratur nur zwei der theoretisch denkbaren sieben Typen von Veränderungen auftreten, und es ist weiterführend zu fragen, warum genau diese Typen betroffen sind, und wie die entsprechenden Veränderungen in der Kommunikation stattfinden (cf. Kap. 11.4). (191) frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT ĸ sp. sombrero HUT ¾

186

kognitiv-assoziative Dimension:

taxonom. Subordination

¾ ¾

formale Dimension: stratische Dimension:

(192) frz./it. flipper

FLIPPERAUTOMAT,

«Null» fremdsprachlich FLIPPERSPIEL

ĸ

engl. flipper

FLIPPERHEBEL

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität «Null» fremdsprachlich

Darüber hinaus werden in der Entlehnungsforschung verschiedene Veränderungen in formaler Hinsicht genannt, die bei Entlehnungen auftreten können. So wurden bereits Beispiele für Ellipsen (bzw. Wortkürzungen) gegeben, die sich wie folgt analysieren lassen: (193) frz. dancing TANZLOKAL ĸ engl. dancing hall TANZLOKAL (cf. Cypionka 1994, 188) ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität Ellipse fremdsprachlich

Auch weitere Typen von formalen Relationen lassen sich beobachten, etwa Numeruswechsel wie in Bsp. (194) und (195) oder Genuswechsel (bzw. Genusattribuierungen) wie in Bsp. (195) bis (197). 7 (194) frz. spaghetti N.m.sg. DILE)

SPAGHETTI

ĸ it. spaghetti N.m.pl.

SPAGHETTI

(PR;

(195) frz. pipole N.f.sg. BERÜHMTE PERSON φ engl. people N.pl. LEUTE (196) it. newsletter N.m. NEWSLETTER φ engl. newsletter N. NEWSLETTER (DO; Internet) (197) it. newsletter N.f. (Internet)

NEWSLETTER

φ engl. newsletter N.

NEWSLETTER

Entsprechende Fälle lassen sich demnach wie folgt analysieren: (198) frz. spaghetti N.m.sg. SPAGHETTI ĸ it. spaghetti N.m.pl. SPAGHETTI ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität Numeruswechsel fremdsprachlich

(199) it. newsletter N.m. NEWSLETTER φ engl. newsletter N. NEWSLETTER 7

In den genannten Beispielen ist die Kategorie Genus in der AS inexistent; bei der Entlehnung in die ZS wird jedoch die Attribuierung eines maskulinen oder femininen Genus erforderlich. Entsprechende Fälle von Genusattribuierung können in der Rasterklassifikation der Kategorie Genuswechsel zugeordnet werden.

187

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität Genuswechsel fremdsprachlich

Darüber hinaus ist näher zu untersuchen, inwiefern auch andere der genannten Relationen (Präfigierung, Suffigierung, Komposition etc.) in diesem Bereich eine Rolle spielen bzw. inwiefern sie bei der erstmaligen Entlehnung selbst auftreten (dass entsprechende Relationen bzw. Verfahren bei der späteren Entwicklung entlehnter Formen in der ZS auftreten können, scheint selbstverständlich). Insgesamt ergibt sich damit für direkte Entlehnungen die folgende allgemeine Darstellungsform: (200) Direkte Entlehnung: ¾

kognitiv-assoziative Dimension:

Identität ODER Kontiguität ODER taxon. Subord. ODER …?

¾

formale Dimension:

«Null» ODER Genuswechsel ODER Numeruswechsel ODER Ellipse/Wortkürz. ODER …?

¾

stratische Dimension:

fremdsprachlich

In Bezug auf den Bereich der Entlehnung ist noch darauf hinzuweisen, dass dieser traditionell auch sog. indirekte Entlehnungen umfasst, also etwa frz. souris COMPUTERMAUS ĸ MAUS nach engl. mouse MAUS ļ COMPUTERMAUS. Zur adäquaten Darstellung dieses Typs von Innovationen, der auch als analogische Innovation gefasst werden kann (cf. Winter 2005; Winter-Froemel 2008c; Winter-Froemel 2009b), ist meines Erachtens, wie oben erläutert, eine zusätzliche Dimension anzusetzen, da hier neben den materiellen Vorgängern – die hinsichtlich der genannten Relationen zu analysieren sind – eine weitere «Ausgangs»form, nämlich das fremdsprachliche Vorbild hinzukommt. Generell lässt sich daher für indirekte Entlehnungen (sowie für andere komplexe Verfahren wie innersprachliche Analogien oder Volksetymologien) zusätzlich ein allgemeiner Rahmen der Innovation angeben, der zur vollständigen Analyse der Innovation notwendig ist. Damit ergeben sich insgesamt Analysen des folgenden Typs: 8 (201) frz. souris COMPUTERMAUS ĸ frz. souris MAUS ¾ ¾ ¾

8

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

metaphorische Similarität «Null» eigensprachlich

Da bei der Analyse des fremdsprachlichen Vorbilds keine gerichtete Relation angenommen wird (relevant für die Innovation frz. souris ist lediglich die Tatsache, dass das englische Vorbild die entsprechende Polysemie aufweist, cf. Fußnote 13 in Kap. 6.2), sind die gerichteten Kategorien der taxonomischen Über- und Unterordnung hier ggf. zu einer einzigen Kategorie zusammenzufassen.

188

allgemeiner Rahmen: Analogiebildung zu fremdspr. Vorbild engl. mouse COMPUTERMAUS ļ engl. mouse MAUS ¾ ¾ ¾

kogn.-assoziative Dimens.: metaphorische Similarität formale Dimension: «Null» stratische Dimension: eigensprachlich

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die vorgestellte Systematik wichtige Perspektiven für die vorliegende Arbeit aufzeigt. So wird deutlich, dass in der bisherigen Forschung häufig eine reduzierte Sicht auf Entlehnungen vorliegt, insofern als bei traditionellen Analysen etwa die semantische Dimension von Entlehnungen weitestgehend ausgeblendet wird. Die Rasterklassifikation zeigt hingegen auf, dass morphologische, semantische und stratische Aspekte grundsätzlich kombinierbar sind und erst eine Berücksichtigung all dieser Dimensionen eine umfassende Sicht auf Entlehnungen eröffnet. Die Anwendung der Systematik (mit der vorgenommenen Einschränkung der stratischen Dimension auf die Alternative eigen- vs. fremdsprachlicher Ausgangsformen) erlaubt somit eine umfassende Betrachtung von Entlehnungsphänomenen im allgemeineren Kontext von Sprachwandel bzw. lexikalischem Wandel und schlägt einheitliche Analyseverfahren für die verschiedenen Typen lexikalischer Innovationen vor. Dabei ergeben sich für den Bereich der Entlehnungen Präzisierungen, insofern als semantische und formale Veränderungen bei der Entlehnung analysiert werden können, indem auf bewährte Kategorien der Bedeutungswandel- und Wortbildungsforschung zurückgegriffen wird. Die festgestellten semantischen Veränderungen können auf zwei der insgesamt sieben Kategorien eingeschränkt werden. Im Bereich der formalen Veränderungen wurden Fälle von Genus- und Numeruswechsel sowie Ellipsen/Wortkürzungen festgestellt; zu klären ist, ob eventuell weitere Typen von Veränderungen auftreten können. Ebenso sind für eintretende Prozesse der lautlichen und graphischen Lehnwortintegration ggf. ergänzende Analysen vorzunehmen und in die vorgestellte Systematik zu integrieren, wobei die in Kap. 5 erarbeiteten Typen der Konformität herangezogen werden können.

8.2

Coserius Konzeption von Sprachwandel und das Prinzip des methodologischen Individualismus

Nachfolgend möchte ich skizzieren, inwiefern das Prinzip des methodologischen Individualismus in traditionellen und aktuellen Ansätzen der Sprachwandelforschung implizit oder explizit berücksichtigt wird. Anschließend sollen methodologische und theoretische Implikationen dieses Prinzips erläutert werden. Für die neuere Linguistik wird der Grundgedanke des methodologischen Individualismus zum ersten Mal in Coserius Sincronía, diacronía e historia (1958) auf eine prägnante Formel gebracht. In dem genannten Werk werden Überlegungen zu den theoretischen Grundlagen von Sprachwandel angestellt; diese beinhalten aber gleichzeitig Reflexionen zum Wesen von Sprache überhaupt, so dass nachfolgend einige allgemeine Grundgedanken von Coserius Sprachauffassung skizziert werden.

189

Ausgehend von einer Kritik an Saussure, speziell an dessen Antinomie von Synchronie und Diachronie, fordert Coseriu einen grundlegenden Perspektivwechsel bei linguistischen Betrachtungen von Sprachwandel ein; dieser sei nicht etwa ausgehend von der langue, sondern ausgehend von der parole zu analysieren: «[…] para comprender el mecanismo del cambio lingüístico, ‹hay que colocarse desde el primer momento en el terreno del hablar y tomarlo como norma de todas las otras manifestaciones del lenguaje› (inclusive de la ‹lengua›)» (Coseriu 1958, 18, cf. 25–29 und 153– 154; cf. Coseriu 1988, 58). «En primer término, parece necesario un cambio radical de punto de vista: no hay que explicar el hablar desde el punto de vista de la lengua, sino viceversa» (Zunächst scheint ein vollkommener Wechsel des Standpunktes notwendig: das Sprechen ist nicht von der Sprache her zu erklären, sondern umgekehrt die Sprache vom Sprechen; Coseriu 1955–56, 32 bzw. 1975, 258).

Diese Forderung lässt sich unmittelbar mit dem Prinzip des methodologischen Individualismus identifizieren. Es ist hervorzuheben, dass diese den zeitgenössischen Tendenzen etwa der generativen Linguistik genau zuwiderläuft; daher wird in diesem Zusammenhang auch von der «Coserianischen Wende» gesprochen (Kabatek 2005c, 157). Coseriu beruft sich hierbei auf die Tradition Humboldts, der das eigentliche Wesen der Sprache als energeia (im Gegensatz zur Sprache als ergon) bestimmt, d.h. sie ist primär als Aktivität und nicht als Produkt zu konzipieren (Coseriu 1958, 17–18, 25 und passim; 1980, 134; 1981, 272; 1983, 51). Eine solche Sprachauffassung ermöglicht eine Überwindung von Saussures Antinomie von Synchronie und Diachronie und eine Umkehrung der Perspektive in Bezug auf Sprachwandel: Die Sprache als synchronisches System stellt nicht ein vorgegebenes System dar, das durch Wandelprozesse verändert wird, sondern die Sprache wird durch die Sprecher ständig neu erschaffen, d.h. die eigentliche Dynamik liegt in der ständigen Neuerschaffung bzw. Systematisierung der Sprache (Coseriu 1958, 154). Sprache als ergon, d.h. Sprache als abstrahiertes Ergebnis der menschlichen Sprechtätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt, ist somit nicht ein Phänomen der Wirklichkeit, sondern ein Konstrukt der Linguistik. Hieraus folgt ihre Unveränderlichkeit (cf. die zugespitzte Formulierung eines Aufsatztitels von Coseriu: «Linguistic Change Does Not Exist», Coseriu 1983), und es können lediglich diachronische Entsprechungen analysiert, d.h. zwei diachronische Schnitte gegenübergestellt und ggf. eine Abweichung (d.h. eingetretener Sprachwandel) festgestellt werden. Das eigentliche Wesen des Sprachwandels liegt demnach in der Sprache als energeia, d.h. der Ablauf des Sprachwandels ist nur ausgehend von der Sprache als (kontinuierlicher) Sprechtätigkeit zu denken (Coseriu 1958, 153). Als Konsequenz der geforderten Ausrichtung lässt sich festhalten, «[…] daß jede sprachliche Veränderung, auch wenn sie auf der abstraktesten Betrachtungsebene festgestellt würde, letztlich auf die Aktivität des Sprechens zurückführbar sein muß» (Kabatek 2005c, 158).

190

Bezogen auf Coserius Ebenen des Sprachlichen bedeutet dies, dass hier die Ebene der Texte betroffen ist: «Der Ort der sprachlichen Kreation und der Interferenz als einer ihrer Formen sind die Texte» (Kabatek 1996, 20; cf. ebd., 11). Damit wird unmittelbar deutlich, dass Erklärungen für Sprachwandel grundsätzlich auf die individuell-aktuelle Ebene der Texte bzw. Diskurse zu beziehen sind. Dieser Gedanke wird sich für die Formulierung eines Schemas zur Modellierung von Sprachwandel in Kap. 9 als zentral erweisen. Das Prinzip des methodologischen Individualismus erscheint dann auch in den Überlegungen anderer Autoren. So stellt etwa Oesterreicher in Bezug auf die Modellierung von Sprachwandel fest: «Sprachwandel kann sinnvoll allein radikal historisch, also diskursbezogen varietätenlinguistisch und kontaktlinguistisch konzipiert werden. Kognitivistisch-grammatikalisierungstheoretisch konzipierte Erklärungsmuster sind in ihrer Ort- und Zeitlosigkeit deshalb nur bedingt brauchbar, weil Sprachwandel auch nicht ohne ‹echte›, das heißt von sprechenden Subjekten produzierte Diskurse konzipiert werden kann, von denen ausgehend historische Erkenntnis des Sprachlichen allein gewonnen werden kann […]» (Oesterreicher 2001a, 1584, Hervorhebungen im Original; cf. 2001b, 237).

Oesterreicher leitet aus dem Prinzip eine grundlegende Bedeutung varietätenlinguistischer und kontaktlinguistischer Untersuchungen ab. Diese ergibt sich aus dem historischen Charakter der einzelnen zu untersuchenden Diskurse, in denen räumliche und zeitliche Faktoren sowie die aufeinandertreffenden Varietäten und Sprachen zu berücksichtigen sind. Für den Bereich der Semantik lässt sich die zentrale Rolle des Prinzips des methodologischen Individualismus in neueren Ansätzen anhand von Durafours Forderung einer semantique génétique aufzeigen. Diese ist weg von einer ausschließlichen Betrachtung des logischen signifié (auf der Ebene der Sprache) hin zu einer Betrachtung des heterogenen sens (im Diskurs) orientiert und kann somit als eine Anwendung des methodologischen Individualismus auf den semantischen Bereich angesehen werden (cf. Durafour 2001, 174). Für die englischsprachige Forschung findet sich eine klare Einforderung des methodologischen Individualismus bei Milroy und Milroy; sie betonen, dass das zentrale Problem der Auslösung von Sprachwandel (actuation problem) 9 nur angegangen werden könne, wenn die Perspektive der Sprachbenutzer zugrunde gelegt wird: «If we are to address the actuation problem (which is ‹the very heart of the matter›), we must break with tradition and maintain that it is not languages that innovate; it is speakers who innovate. The reflexes of speaker-innovations are then observed in language states, where they appear as systematic and rule-governed linguistic change» (Milroy/Milroy 1985, 345).

In sehr ähnlicher Weise hebt auch Andersen immer wieder hervor, dass Sprachwandel nur adäquat verstanden werden könne, wenn die einzelnen dafür konstitutiven Innovationen betrachtet werden: 9

«Why do changes in a structural feature take place in a particular language at a given time, but not in other languages with the same feature, or in the same language at other times?» (Weinreich/Labov/Herzog 1968, 102).

191

«[…] since every change has its origin and is played out in usage, where speakers use variant elements differently, there is no doubt that in all interpretations of linguistic change, we have to recur, ultimately, to this level» (Andersen 2006, 65; cf. 1989, 11–13).

Darüber hinaus findet sich das Prinzip des methodologischen Individualismus etwa bei Janda und Joseph, die von einer «speaker-based linguistic diachrony» sprechen (Janda/Joseph 2003, 128). Speziell im Bereich der Sprachkontaktforschung ist ferner auf Enfield hinzuweisen, der – mit einigen Parallelen zu Croft – ein «epidemiologisches» Modell von Sprachkontaktphänomenen (in Analogie zur Ansteckung und Verbreitung von Krankheiten) entwirft. Hierbei beruft er sich explizit auf das Prinzip des methodologischen Individualismus: «The doctrine of methodological individualism states that the fundamental unit or locus of any social process is the individual, and thus all explanations must be phrased in such terms […]» (Enfield 2003, 3).

Weiterhin ist auf die Grammar-Usage-Kontroverse (cf. Newmeyer 1999; 2003; Bybee 2005 10) zu verweisen. Der usage lässt sich dabei als «(d)urch die Sprecher einer Sprachgemeinschaft etablierter Sprachgebrauch in Hinblick auf die Häufigkeit bzw. Üblichkeit des Auftretens bestimmter Formen» (Herbst/Stoll/Westermayr 1991, 29) charakterisieren. Bei einer Fokussierung des usage nimmt demnach das Prinzip des methodologischen Individualismus eine zentrale Rolle ein, und die Kontroverse betrifft letztlich genau die Frage der Möglichkeit und Legitimität einer Abstraktion vom Sprachgebrauch bzw. die Frage der Autonomie der Grammatik. Im Kontext der Debatte wurde eine Vielzahl von äußerungsbasierten (usage-based) Ansätzen vorgeschlagen, so etwa Langackers usage-based model, ein Grammatikmodell, das einerseits auf Regeln, andererseits aber auch auf etablierten Traditionen (bzw. üblichen Realisierungen) beruht (der Ansatz wurde von Langacker zunächst 1981 und 1982 im Rahmen seiner Space Grammer entwickelt; ab 1987 bezeichnet er das Modell als Cognitive Grammar, cf. Langacker 1988a; 1988b; 2000; 2001; 2007, 421). Das Prinzip, dass Betrachtungen sprachlicher Phänomene grundsätzlich auf dem einzelnen Sprachbenutzer und einzelnen kommunikativen Äußerungen basieren sollten, wird auch als theoretisches und methodologisches Grundprinzip der Kognitiven Linguistik immer wieder eingefordert und kann als wesentliches Element entsprechender Ansätze gelten (cf. die Erläuterungen auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Kognitive Linguistik (DGKL) sowie Geeraerts/Cuyckens 2007, 14). 11 Generell scheint es für den gesamten Bereich der funktionalen Linguistik kennzeichnend: 10

11

Die ursprüngliche Fassung des Artikels von Bybee, in deren Titel direkt auf Newmeyers Statement Bezug genommen wird, wurde inzwischen durch eine neuere Version ersetzt (Bybee 2006). Cf. darüber hinaus auch die Zielsetzung der «recontextualization of grammar» (Geeraerts/ Cuyckens 2007, 11, Hervorhebung im Original), die ebenfalls genau in dem Sinne verstanden werden kann, dass die Beschreibung und Erklärung einzelsprachlicher Strukturen im Blick auf die einzelnen Kommunikationssituationen, in denen diese Strukturen entstehen und verwendet werden, erfolgen soll.

192

«The principal focus of functional linguistics is on explanatory principles that derive from language as a communicative system […]» (Kemmer 2007). «All of these theoretical currents [functional linguistics, Cognitive Linguistics, historical linguistics, EWF] hold that language is best studied and described with reference to its cognitive, experiential, and social contexts, which go far beyond the linguistic system proper» (Kemmer 2007).

Dabei ist hervorzuheben, dass in der Kognitiven Linguistik entsprechend ausgerichtete Untersuchungen im semantischen Bereich bereits auf eine vergleichsweise lange Tradition zurückblicken, während die Umsetzung dieses Gedankens und seiner theoretischen und methodologischen Implikationen im Bereich der Wortbildungsforschung erst in den Anfängen steckt (cf. Onysko/Michel, edd., 2010) und im Bereich der Entlehnungsforschung noch kaum realisiert scheint. 12 So findet sich z.B. im Oxford Handbook of Cognitive Linguistics (Geeraerts/Cuyckens, edd., 2007) zwar ein Kapitel zur Wortbildung, jedoch keines zu Entlehnung oder Sprachkontakt; die Stichwörter «borrowing», «loan» und «language contact» fehlen im Index des Bandes. Auch Blanks Vorschläge zur Anbindung der Lexikologie an genuin kognitive Fragestellungen (Blank 1999b) werden im Wesentlichen anhand von Phänomenen des Bedeutungswandels und der Wortbildung illustriert; andererseits hebt Blank aber selbst das Potenzial einer Anbindung auch der Entlehnungsforschung an die Kognitive Linguistik deutlich hervor: «Ich bin überzeugt, daß alle Verfahren, die zur lexikalischen Innovation und zur Lexikalisierung führen können, also bes. Wortbildung, Phraseologie und eben Bedeutungswandel, aber auch sämtliche Entlehnungsprozesse, auf dem Hintergrund dessen, was wir in den letzten Jahren über Wahrnehmung, Kategorisierung, Konzeptualisierung gelernt haben, besser erfaßt und dargestellt werden können […]» (Blank 1999a, 125, Hervorhebung EWF).

Insgesamt ist damit festzustellen, dass das Prinzip des methodologischen Individualismus auf eine lange Tradition in der Linguistik zurückblickt und in verschiedenen Ansätzen ausgearbeitet wurde. Generell spielt dieses Prinzip überall dort eine Rolle, wo bei der Behandlung von Sprachwandel für eine Fundierung der Betrachtungen auf den Bereich der parole (im Gegensatz zur langue), des Diskurses, der Äußerung oder des usage (im Gegensatz zur grammar) argumentiert wird. Die lange Tradition entsprechender Fundierungen wird jedoch teilweise dadurch verschleiert, dass das Prinzip des methodologischen Individualismus unter verschiedenen Bezeichnungen abgehandelt oder überhaupt nicht als Grundprinzip expliziert wird. Welche Implikationen ergeben sich nun aus dem genannten Prinzip? Eine erste wesentliche Aufgabe, die sich daraus ableiten lässt, betrifft die Erfassung der für 12

Eine gewisse Ausnahme für den Bereich der Entlehnungsforschung stellt die Arbeit von Cypionka (1994) dar, die sich zwar nicht eng innerhalb der Kognitiven Linguistik situiert, bei ihrer Untersuchung von Pseudoanglizismen aber explizit für eine sprecherbezogene Perspektive argumentiert. Darüber hinaus betont auch Krefeld die Rolle der Sprechergemeinschaften im Rahmen seiner Erläuterungen zum Konzept der Migrationslinguistik, deren Aufgabe es sei, «die zahlreichen feststellbaren Innovationen in ihrer genuin migratorischen Räumlichkeit zu erfassen» (Krefeld 2004, 18).

193

sprachliche Innovationen und Sprachwandel insgesamt relevanten Ausgangsdaten. Dabei handelt es sich zunächst um die konkreten Sprachäußerungen, in denen die Innovationen erscheinen. Zur Erklärung der Innovationen ist sodann auf kognitive Faktoren und kommunikative Rahmenbedingungen Bezug zu nehmen, insofern als diese die Wahl bestimmter sprachlicher Formen durch den Produzenten oder deren Interpretation durch den Rezipienten steuern. Dies betrifft für Entlehnungskontexte etwa Faktoren wie den Grad der Zweisprachigkeit der kommunizierenden Individuen. Die Einbeziehung entsprechender Faktoren erscheint unter Umständen als eine triviale Forderung. Bisherige Erklärungen für sprachliche Strukturen argumentieren jedoch häufig nur über die abstrakte Ebene der Sprache (bzw. des Sprachsystems) insgesamt. So begründet z.B. Kager die Existenz von Treueconstraints innerhalb der Optimalitätstheorie wie folgt: «From a functional angle, the importance of faithfulness is clear: to express contrasts of meaning, any language needs a minimal amount of formal contrast» (Kager 1999, 5, Hervorhebung im Original). Gemäß dem Prinzip des methodologischen Individualismus erscheint es notwendig, entsprechende Erklärungen zu reformulieren und auf die einzelnen Sprachbenutzer zu beziehen, d.h. Erklärungsfaktoren anzugeben, die unmittelbar auf einzelne Sprechhandlungen bezogen werden können. Ebenso zeigt eine Betrachtung vieler Ansätze der Entlehnungsforschung, dass das Prinzip des methodologischen Individualismus keineswegs überall umgesetzt wird, sondern vielfach gerade von den einzelnen Sprachbenutzern abstrahiert wird und Entlehnung letztlich als Phänomen des Austauschs zwischen Sprachen behandelt wird. Andererseits gibt es zwar Untersuchungen, die Sprachkontaktphänomene bei bestimmten Sprechergruppen analysieren, doch handelt es sich hierbei häufig um sehr spezifische soziale und sprachliche Konstellationen (so etwa bei optimalitätstheoretischen Arbeiten zur lautlichen Lehnwortintegration, die von sehr unterschiedlich charakterisierten Sprechergruppen ausgehen, cf. Kap. 2.1.1). Unter Umständen sind daher die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen kaum vergleichbar. Unter Zugrundelegung des methodologischen Individualismus kann hier die Aufgabe abgeleitet werden, zunächst grundlegende Parameter zu erarbeiten, um die jeweils untersuchten Äußerungen, Äußerungssituationen und Kommunikationskonstellationen vergleichbar zu machen. Eine Anwendung des Prinzips eröffnet daher neue Perspektiven und ermöglicht gleichzeitig nuanciertere Analysen von Entlehnungsprozessen. Abschließend ist noch der mögliche Vorwurf zu diskutieren, dass durch die Orientierung am (individuellen) Sprachbenutzer der soziale Charakter der Sprache (cf. Saussure 1969 [11916], 34) vernachlässigt oder geleugnet werde. Bei den skizzierten Auslegungen des Prinzips des methodologischen Individualismus scheint dieser Vorwurf jedoch nicht zutreffend. Zwar werden durchaus zunächst partikuläre Phänomene aus dem Bereich der parole untersucht, das Hauptziel der Betrachtung liegt jedoch gerade darauf 1. zu zeigen, welche allgemeinen (überindividuellen) Prinzipien diesen Phänomenen zugrunde liegen, und 2. darzustellen, wie ausgehend von solchen partikulären Phänomenen Sprachwandel eintreten kann. Eine konsequente Umsetzung des Prinzips des methodologischen Individualismus kann daher zusammenfassend wie folgt charakterisiert werden: Es geht erstens 194

darum, bei der Beschreibung des Ablaufs von Sprachwandel die eintretenden Wandelphänomene auf einzelne Kommunikationssituationen zurückzuführen (hierfür bieten sich z.B. Corpusuntersuchungen an). Zweitens geht es darum, bei der Erklärung des Ablaufs von Wandel wiederum auf die einzelnen Sprachbenutzer und die einzelnen Kommunikationsereignisse Bezug zu nehmen, d.h. die kognitiven und kommunikativen Rahmenbedingungen der Kommunikation zu erfassen sowie die Absichten des Produzenten (Sprechers oder Schreibers) und die Interpretationsmechanismen des Rezipienten (Hörers oder Lesers) zu analysieren.

8.3

Zusammenfassung

Die analysierte Rasterklassifikation lexikalischer Innovationen beruht auf dem Grundprinzip, dass verschiedene Typen lexikalischer Innovationen, darunter auch Entlehnungen, zusammengeführt und einheitlich analysiert werden. Insofern kann die Einbeziehung von Entlehnungen – anders als bei Keller und Croft – als konstitutives Grundprinzip der erarbeiteten Systematik angesehen werden, durch das sie sich von traditionellen Ansätzen abhebt. Indem grundlegende Kategorien fundiert werden, die sowohl auf innersprachlichen Wandel als auch auf Entlehnungen unmittelbar anwendbar sind, stellt die Klassifikation eine gute Ausgangsbasis für die vorliegende Arbeit dar, insbesondere was die möglichen semantischen Veränderungen im Kontext von Entlehnungsprozessen angeht. Gleichzeitig sind Ergänzungen vorzunehmen, um zusätzlich Phänomene der lautlichen und graphischen Lehnwortintegration zu erfassen. In Bezug auf das Prinzip des methodologischen Individualismus wurde festgestellt, dass dieses keineswegs als eine Neuerung innerhalb aktueller evolutionärer Ansätze der Sprachwandelforschung anzusehen ist, sondern vielmehr auf eine lange Tradition in der Linguistik zurückblickt. Eine sehr frühe und sehr radikale Einforderung dieses Prinzips findet sich bei Coseriu (1958). In der aktuellen Linguistik spielt das Prinzip im Rahmen der funktionalen und Kognitiven Linguistik insgesamt eine wesentliche Rolle. Abschließend ist allerdings festzustellen, dass das genannte Prinzip bislang noch nicht terminologisch etabliert ist, so dass seine zentrale Rolle in vielen Ansätzen nicht explizit sichtbar gemacht wird.

195

9

Ein Schema zur Beschreibung und Erklärung von Entlehnung und Sprachwandel

Auf der Grundlage der in den vorangehenden Kapiteln erarbeiteten Desiderate und Prinzipien soll nachfolgend ein allgemeines Schema vorgestellt werden, das sowohl auf externen als auch auf internen Sprachwandel anwendbar ist und einen Rahmen vorgibt, in dem Erklärungsansätze formuliert werden können. Das entwickelte Schema geht dabei über Keller und Croft hinaus und berücksichtigt ergänzend weitere Ansätze der Sprachwandelforschung, wobei insbesondere auf Coserius Unterscheidung von drei Ebenen des Sprachlichen Bezug genommen wird. Insgesamt wird das Schema unabhängig von evolutionären Begriffen konzipiert.

9.1

Anforderungen an eine Modellierung von Sprachwandel

Im Hinblick auf die Modellierung von Sprachwandel wurden im Rahmen der bisherigen Überlegungen zwei grundlegende Desiderate präzisiert: erstens die Entwicklung einer umfassenden Konzeption von Sprachwandel, welche einen einheitlichen Rahmen zur Beschreibung und Erklärung sowohl interner als auch externer Wandelphänomene zur Verfügung stellt, und zweitens die Berücksichtigung des Prinzips des methodologischen Individualismus. Aus dem erstgenannten Prinzip lässt sich ableiten, dass ein ausreichend allgemeines Modell von Sprachwandel zu konzipieren ist, das sehr heterogene Wandelphänomene erfassen kann. Hinsichtlich der Beschreibung von Sprachwandel ist demnach zu fragen, welche Phasen für internen wie für externen Wandel angesetzt werden können. Im Hinblick auf die Erklärung von Sprachwandel kann es hier nicht um eine vollständige Auflistung aller Faktoren gehen, die zur Erklärung verschiedenster Wandelphänomene potenziell relevant sind. Vielmehr zielen die folgenden Überlegungen darauf ab, den Status unterschiedlicher Erklärungsfaktoren sowie ihr Zusammenwirken zu präzisieren. Was das Prinzip des methodologischen Individualismus angeht, so lässt sich daraus die Forderung ableiten, bei der Beschreibung von Sprachwandel einzelne Kommunikationssituationen zu fokussieren und den Sprachwandel insgesamt auf diese zurückzuführen. Die verschiedenen Faktoren, die zur Erklärung des Wandels vorgeschlagen werden, sind ebenfalls grundsätzlich im Hinblick auf diese Ebene, d.h. in direktem Bezug zu den Sprachbenutzern, zu konzipieren. Neben einer Gruppe von (im weitesten Sinne) kommunikativen Faktoren kann dabei eine zweite Hauptgruppe von (im weitesten Sinne) kognitiven Faktoren angesetzt werden, die sich auf Wissensbestände und kognitive Prozesse bei den Kommunikationsteilneh197

mern (Produzent, d.h. Sprecher oder Schreiber, und Rezipient, d.h. Hörer oder Leser) beziehen. 1 Näher zu untersuchen ist, wie die verschiedenen Faktoren, die Sprachwandel (und sein Ausbleiben) steuern – cf. Kellers Maximen und Crofts Trennung funktionaler vs. sozialer Mechanismen – bei konkreten Äußerungen produzenten- und rezipientenseitig zusammenwirken. Darüber hinaus hat die Betrachtung der Ansätze von Keller und Croft gezeigt, dass der Begriff der Verbreitung von Innovationen unterschiedlich bzw. sogar innerhalb der Theorie Crofts für unterschiedliche Phänomene verwendet wird, so dass eine weitere Präzisierung vorzunehmen ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage aufzugreifen, welche Rolle die verschiedenen Ebenen oder Phasen für Sprachwandel insgesamt spielen. 2 Dabei soll nachfolgend klar getrennt werden zwischen der diachronischen Beschreibung des Ablaufs von Sprachwandel einerseits und der Erklärung einzelner Wandelphänomene anderseits, bei der verschiedene Erklärungsfaktoren auf jeweils bestimmte (Teil-)Prozesse des Wandels bezogen werden.

9.2

Phasen des Sprachwandels und die Ebenen des Sprachlichen

Bei der Diskussion der Positionen von Keller und Croft wurde bereits deutlich, dass Begriffe wie die «Verbreitung» (propagation) oder auch die «Selektion» von Innovationen traditionell unterschiedlich verstanden werden. Einerseits werden sie in einem globalen Sinn als Resultat einer Reihe von Übernahmen einer Innovation interpretiert: «The propagation of a novel linguistic variant is essentially the adoption of a new linguistic convention by the community» (Croft 2000, 174). Andererseits wird die Verbreitung einer Innovation jedoch immer wieder auch als auf einzelne Kommunikationsereignisse bezogenes Phänomen (das also auf Kellers Mikroebene zu situieren wäre) thematisiert: «[…] mechanisms of selection are those that favour a particular form being adopted among members of a speech community» (Croft 2000, 73). Es geht damit nun um einzelne Sprecherhandlungen der Übernahme einer Innovation: «The hearer later replicates the innovation in another context, intending it to be understood by his interlocutors as having a social value. If his interlocutors understand his intention in this context, then the propagation of the innovation has begun» (Croft 2000, 186).

Zur Unterscheidung der beiden Aspekte soll im Folgenden von «Adoption» gesprochen werden, wenn es um die Übernahme einer Innovation durch einen einzelnen Sprachbenutzer geht. Die «Verbreitung» einer Innovation wird hingegen in einem überindividuellen Sinn verstanden und auf die Verbreitung innerhalb der Sprach-

1

2

Cf. hierzu im Übrigen Croft (2000), der als die grundlegenden, real existierenden Einheiten der Linguistik erstens die Äußerung (eine genuin kommunikative Einheit) und zweitens die Sprechergrammatik (eine genuin kognitive Einheit) ansieht. Während Keller von verschiedenen Ebenen des Sprachwandels spricht, stellt Croft zwei grundlegende Phasen des Sprachwandels gegenüber, betont also stärker die dynamische Komponente des Wandels.

198

gemeinschaft insgesamt oder innerhalb der Sprache (langue) bezogen. 3 Unter der Voraussetzung, dass diese Unterscheidung ergänzt wird, erscheinen die Ansätze Kellers und Crofts durchaus vereinbar, was die Beschreibung des Ablaufs von Sprachwandel angeht 4: Keller thematisiert demnach neben der Innovation vor allem den Aspekt der globalen Verbreitung, während Croft neben der Innovation eher die einzelnen Akte der Adoptionen fokussiert (wobei er jedoch, wie erläutert, immer wieder auch auf die globale Verbreitung Bezug nimmt). Im Anschluss daran stellt sich nun die Frage, wie die verschiedenen Prozesse – Innovation und Adoption bzw. die Verbreitung der Innovation bis hin zu ihrer Durchsetzung – für Sprachwandel insgesamt zu gewichten sind. In Kap. 8.2 wurde bereits erläutert, dass formale (generative) Ansätze der Linguistik generell den Aspekt der grammar bzw. die Ebene der Sprache (auf der die Verbreitung und Durchsetzung der Innovation festgestellt wird) als entscheidend ansehen, während funktionale Ansätze gerade die Bedeutung des usage bzw. der Ebene des Diskurses (und somit der Innovationen und Adoptionen) betonen. Ebenso wurde jedoch immer wieder festgestellt, dass beide Ebenen beim Sprachwandel zusammenwirken. Insofern erscheint für ein adäquates Verständnis von Sprachwandel grundlegend, beide Ebenen konzeptionell und terminologisch klar zu trennen, gleichzeitig aber auch beide Aspekte einzubeziehen. Ihr Zusammenspiel wird bereits innerhalb der Modelle Kellers und Crofts deutlich, die beide Aspekte thematisieren. Dies zeigt sich auch daran, dass Kellers Ansatz einerseits vorgeworfen wird, die entscheidende Rolle der einzelnen Sprecher für Sprachwandel nicht ausreichend zu berücksichtigen (cf. Kabatek 2005c, 159 und Kap. 7.3.4). Andererseits wird jedoch gerade auch kritisiert, dass er sich zu sehr auf die Betrachtung einzelner Äußerungen konzentriere und Veränderungen im Sprachsystem insgesamt nicht ausreichend darstelle: «KELLERS Ansatz bringt es daher so weit, daß die Sprachwandelphänomene an sich irrelevant werden: Man spricht nicht mehr über veränderte Strukturen, sondern über veränderte Sprechhandlungen. So ergibt sich letztlich der Eindruck, daß das Buch Sprachwandel gar nicht von Sprachwandel handelt, sondern bestenfalls von Sprecherverhaltenswandel» (Stolz 1991, 554, Hervorhebungen im Original).

3

4

Eine ähnliche Unterscheidung findet sich bereits bei Coseriu, der die Begriffe «adoption (of an innovation by an individual)» und «diffusion (adoption by several individuals)» gegenüberstellt (Coseriu 1983, 56, Hervorhebungen im Original). Dabei scheint mir die ergänzende Präzisierung wichtig, dass es sich bei der Verbreitung nicht nur um eine reine Summe von Adoptionen handelt, sondern dass gleichzeitig ein Perspektivwechsel auf eine überindividuelle Betrachtungsebene vorgenommen wird. Darüber hinaus lässt sich in diesem Zusammenhang auf das von Coseriu vorgeschlagene Begriffspaar der «intensiven» vs. «extensiven Allgemeinheit» sprachlicher Fakten verweisen; erstere bezieht sich dabei auf die Allgemeinheit in einem bestimmten Sprachsystem (es handelt sich also um ein im Sprecherwissen verankertes Faktum), letztere dagegen auf die Allgemeinheit in einer bestimmten Sprachgemeinschaft (Coseriu 1958, 51). Grundlegende Unterschiede ergeben sich hingegen bezüglich der jeweils angesetzten zentralen Erklärungsmechanismen – intentionale Mechanismen bei Keller, vorwiegend nichtintentionale bei Croft.

199

Die unterschiedlichen Kritiken bestätigen indirekt, dass bei Keller beide Aspekte angesprochen werden. Die eigentliche Kritik bezieht sich somit eher auf die Art der Berücksichtigung der einzelnen Abläufe und die jeweils vorgeschlagenen Erklärungsmodi. So lässt sich die Kritik von Stolz dahingehend auslegen, dass Keller bei den konkreten Erläuterungen seiner Theorie insgesamt vorwiegend die einzelnen innovativen Veränderungen (und darüber hinaus das allgemeine Erklärungsschema der unsichtbaren Hand, EWF) bespricht, ohne jedoch die verschiedenen Sprachstufen in der Diachronie (vor bzw. nach dem Wandel) umfassend zu kontrastieren. Eine mögliche Verteidigung Kellers könnte lauten, dass das auch nicht die eigentliche Zielsetzung seiner Theorie ist, da es ihm nicht so sehr um die historische Betrachtung einzelner Sprachen, sondern vor allem um die Herleitung eines allgemeinen Erklärungsmodells für Sprachwandel geht. Dennoch erscheint die Kritik in Ansätzen durchaus berechtigt. Auf der anderen Seite wird vor allem die Adäquatheit von Erklärungen mittels der unsichtbaren Hand in Zweifel gezogen: «Das Hauptproblem dieser Theorie besteht aber in der Stellung der Frage nach den Gründen des Sprachwandels auf der abstrakten Ebene der Sprache. Ganz richtig wird zwar festgestellt, daß der Wandel auf der Ebene des Sprechens nur aus den zielgerichteten Tätigkeiten der Individuen erklärt werden kann (1994, 113), es soll aber damit nicht genug sein und bedarf eines zusätzlichen Scheinagens, eben der ‹unsichtbaren Hand›, die als Metapher durchaus treffend, als Erklärung jedoch nichtssagend ist» (Kabatek 1996, 38–39, Fußnote).

Auch wenn der Ablauf von Sprachwandel unter Umständen mittels der Metapher der unsichtbaren Hand beschrieben werden kann, so ist eine solche Darstellung nach Kabatek doch keinesfalls als eine Erklärung des Wandels anzusehen. Diese Kritik erscheint aufgrund der im Kontext des methodologischen Individualismus angestellten Überlegungen völlig berechtigt: Es wurde bereits festgestellt, dass Erklärungsfaktoren für Sprachwandel grundsätzlich auf die Ebene des individuellen Handelns zu beziehen sind (cf. die in Kap. 7.3.1 und 7.3.5 angestellten kritischen Überlegungen zur Rolle sozialer Faktoren für die Erklärung von globalen Verbreitungsprozessen bei Croft). Was lässt sich hieraus ableiten? Zunächst bestätigt sich noch einmal die Notwendigkeit einer Trennung der beiden Aspekte von Sprachwandel. Weiterhin erscheint es notwendig, auch zwischen Aspekten der Beschreibung und der Erklärung von Sprachwandel zu trennen. Schließlich ist ferner der Status der verschiedenen vorgeschlagenen Erklärungsfaktoren zu präzisieren. Zur Klärung der genannten Fragen erscheint es hilfreich, auf die Unterscheidung der Ebenen des Sprachlichen nach Coseriu zurückzugreifen. Demnach lassen sich drei grundlegende Ebenen gegenüberstellen: 1. die universelle Ebene des Sprechens im Allgemeinen, die sich auf die Sprechfähigkeit des Menschen bezieht, 2. die historische Ebene der Einzelsprachen, die sich auf Einzelsprachen als historische Produkte der menschlichen Tätigkeit bezieht, sowie 3. die individuelle Ebene der Texte/ Diskurse, die sich auf die konkrete Realität der Rede bezieht (Coseriu 1958, 25–28; 1981, 270; 1988, 70–71; cf. Oesterreicher 1979, 224–256; 1988, 357–370; Kabatek

200

2005c, 152). 5 Nach Coseriu können jeweils drei Perspektiven eingenommen werden, um die einzelnen Ebenen zu analysieren; diese können a) als Tätigkeit des Sprechens, b) als Fähigkeit zur Tätigkeit des Sprechens und c) als Produkt des Gesprochenen betrachtet werden (Coseriu 1958, 25; 1981, 272–273). 6 Mit Hilfe von Coserius Unterscheidung können die oben skizzierten Aspekte der Adoption bzw. Verbreitung einer Innovation klarer gefasst werden: Im ersten Fall handelt es sich um individuelle Übernahmen auf der Ebene der Diskurse. Im zweiten Fall geht es hingegen um den Status der sprachlichen Einheiten im Sprachsystem, d.h. um ein Phänomen der historischen Ebene der Einzelsprache. Ferner ist hervorzuheben, dass Wandel auf der Ebene der Einzelsprachen nur in Form von diachronischen Entsprechungen (diachronic correspondences, Andersen 1989, 12) festgestellt werden kann: In diesem Fall werden zwei Sprachzustände 5

6

Cf. die Unterscheidung zwischen der Sprechfähigkeit (faculté du langage), der Sprache als System (langue) und der Rede (parole) bei Saussure sowie zwischen Sprachvermögen, Einzelsprache und Rede bei von der Gabelentz (cf. Coseriu 1967; 1988, 15–22; Kabatek 1996, 4–5). Als Erweiterung von Coserius Unterscheidung wird ferner vorgeschlagen, auf der historischen Ebene neben Einzelsprachen auch Diskurstraditionen zu verorten (Koch 1988, 341–342; 1997; 2001a; 2005; Oesterreicher 1997; 2001a, 1559; Blank 2005). Dies wird damit begründet, dass Diskurstraditionen – wie Einzelsprachen – historische Traditionen darstellen, in denen einzelne Äußerungen realisiert werden und die bestimmte Konventionen für deren Realisierung bereitstellen. Diskurstraditionen lassen sich in diesem Sinn dahingehend bestimmen, dass es sich um einen sprachlich-historischen Rahmen für die einzelnen Texte/Diskurse handelt, der zusätzlich zu den Regeln des Sprachsystems der Einzelsprache wirkt. Entsprechende Erweiterungen von Coserius Schema werden jedoch mit der Begründung kritisiert, dass Diskurstraditionen ein grundlegend anderer Status als Einzelsprachen zukomme, so dass beide nicht einfach nebeneinanderzustellen seien (cf. u.a. Kabatek 2005b, 155). Weiterführend stellt sich daher die Frage, wie das Verhältnis von Diskurstraditionen und Einzelsprachen genauer zu bestimmen ist. Zentral hierfür erscheint die Auslegung des Begriffs der «Historizität». Dieser kann in einem allgemeinen Sinn als ein «Zur-Geschichte-Gehören» verstanden sowie in Bezug auf Traditionen von Texten und Textformen konzipiert werden. Das von Coseriu in Bezug auf historische Einzelsprachen geprägte Verständnis zielt demgegenüber auf einen spezifischen Aspekt von Historizität ab, nämlich die Tatsache, dass der einzelne Sprecher durch die Sprache an der Geschichte teilnimmt und gleichzeitig durch sein Sprechen die Sprache mitprägt (cf. den Beitrag Coserius in Schlieben-Lange/Weydt 1979, 77–78; Kabatek 2005a, 151–153; 2005b, 155 sowie Fußnote 28 in Kap. 3.5). – Unabhängig von der Frage der Einordnung von Diskurstraditionen innerhalb von Coserius Schema kann als unbestritten gelten, dass Diskurstraditionen bei der Verbreitung von Innovationen häufig eine zentrale Rolle einnehmen, d.h. es ist davon auszugehen, dass die Verbreitung einer Innovation in vielen Fällen zunächst nur in bestimmten Diskurstraditionen und Varietäten erfolgt, bevor eine Übertragung auf andere Diskurstraditionen und Varietäten und letztlich ggf. eine Etablierung im System der Sprache insgesamt erfolgt (Kabatek 2005b, 173, cf. die in Kap. 7.3.2 angestellten Überlegungen bezüglich der empirischen Anwendbarkeit der S-Kurve). Dementsprechend sind Diskurstraditionen im Rahmen konkreter Analysen empirischer Wandelphänomene unbedingt zu berücksichtigen, wobei es sich allerdings im Einzelfall als schwierig erweisen kann, etwa auf der Grundlage von Corpusdaten die Wege der Verbreitung einer Innovation durch verschiedene Diskurstraditionen genau nachzuzeichnen (Kabatek 2006, 293).

201

(synchronisch) analysiert und zueinander in Beziehung gesetzt, wobei eine Abweichung – und damit erfolgter Sprachwandel – festgestellt wird (d.h. die diachronische Entsprechung ist nicht mit dem Wandel gleichzusetzen, sondern sie weist auf einen Wandel hin, wobei der Wandel selbst in der Geschichte der einzelnen gewandelten Elemente liegt; cf. hierzu auch Coseriu, der hier den Wandel als Verbreitung einer Innovation der Mutation als Ersetzung einer Struktur durch eine andere gegenüberstellt, Coseriu 1958, 124). Damit ergibt sich als zusätzlicher Aspekt neben der Verbreitung einer Innovation im Sprachsystem ihre Durchsetzung im System bzw. in der Konvention der Sprache. Lässt sich nun einer der Aspekte als der eigentliche für Sprachwandel ausmachen? Coseriu betont, Innovationen alleine seien noch kein Sprachwandel («la innovación no es ‹cambio›», Coseriu 1958, 45, cf. Kabatek 1996, 22); die Priorität liegt demnach für ihn bei der Übernahme der Innovation: 7 «El cambio lingüístico (“cambio en la lengua”) es la difusión o generalización de una innovación, o sea, necesariamente, una serie de adopciones sucesivas. Es decir que, en último análisis, todo cambio es originariamente una adopción» (Coseriu 1958, 45).

Nach Coseriu ist es demnach entscheidend zu erfassen, wie die Innovation in Folge einer Reihe von Adoptionen zu einer (neuen) Tradition wird, da erst damit Sprachwandel im eigentlichen Sinn gegeben ist: «[…] el ‹cambio› no empieza con la innovación, sino con la adopción» (Coseriu 1958, 45, cf. 82 und 86). Insofern ist also die Erklärung der Adoptionen für die Erklärung von Wandel insgesamt zentral. Dennoch erkennt auch Coseriu an, dass für viele Wandelphänomene der Wandel insgesamt in gleicher Weise wie die Innovation erklärt werden kann (Coseriu 1958, 88) – auch wenn dies nicht grundsätzlich der Fall sein muss (Coseriu 1983, 58). Hervorzuheben ist ferner, dass Coseriu die Innovation als Phänomen der parole (bzw. als hecho de habla) und damit als innovative Verwendung in einem bestimmten Diskurs konzipiert, während die Übernahme (als hecho de lengua) dahingehend bestimmt wird, dass hier ein Übergang von einer Erfahrung zum Bereich des Wissens erfolgt (Coseriu 1958, 45). Es geht hier also um den Rezipienten, der sich eine bestimmte Innovation aneignet (in sein sprachliches Wissen integriert), um sie selbst potenziell weiterzuverwenden. Die Übernahme bei Coseriu stellt daher nicht (zumindest nicht in erster Linie) eine weitere Verwendung der Innovation in einem neuen Diskurs dar, sondern es geht primär um den einer solchen Verwendung vorausgehenden Schritt der mentalen Aneignung der Innovation. Abschließend kann gesagt werden, dass das Phänomen Sprachwandel bereits von seiner Definition her auf die Ebene der Einzelsprache zu beziehen ist und nur hier festgestellt werden kann. Andererseits wird jedoch gerade im Rahmen der Syste7

Ausgehend von dieser Bestimmung ist nach Coseriu «beim Sprachwandel immer und grundsätzlich eine Interferenz im Spiel […], und zwar eine Interferenz zwischen ‹Sprachen› innerhalb einer historischen Sprache (gleichgültig, wo die ‹Innovationen› herkommen), da die Elementarform des Sprachwandels die ‹Adoption› ist, d.h. die Übernahme eines sprachlichen Verfahrens aus dem Sprechen eines anderen Sprechers» (Coseriu 1977, 100). Bei den hier relevanten Interferenzen handelt es sich also um Interferenzen zwischen den Ausdrucksweisen einzelner Sprecher.

202

matik Coserius besonders deutlich, wie eng dieses Phänomen an Prozesse auf der Ebene der Texte/Diskurse bezogen ist. In diesem Sinn erscheint die Innovation keineswegs unwesentlich für Sprachwandel, und Sprachwandel steht insofern grundsätzlich im Kontext einer sprachlichen Kreativität, welche Innovationen begründet. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die verschiedenen Ebenen und Aspekte des Sprachwandels mit Hilfe der von Coseriu vorgeschlagenen Unterscheidung klar getrennt werden können. Gleichzeitig wird dabei aber auch deutlich, wie eng sie aufeinander bezogen sind, so dass es letztlich nicht möglich erscheint, bei der Erklärung von Sprachwandel diesen auf den einen oder anderen Aspekt zu reduzieren und die jeweils anderen Aspekte völlig auszublenden. 8

9.3

Erklärungsfaktoren für sprachliche Innovationen und ihre Adoptionen

Nachdem die verschiedenen Phasen von Sprachwandel und die verschiedenen Ebenen seiner Betrachtung klar getrennt wurden, ist nun der Status verschiedener Erklärungsfaktoren zu klären. Hierbei geht es im Folgenden nicht um eine vollständige Auflistung von Faktoren, die für verschiedenste Sprachwandelphänomene eine Rolle spielen. Vielmehr soll im Zentrum der Aufmerksamkeit die Frage stehen, wie unterschiedliche Erklärungsfaktoren auf einzelne Wandelprozesse bezogen werden können und wie dabei ihr Zusammenspiel zu konzipieren ist. Hierbei kann zunächst auf drei Typen von Problemen bzw. Fragestellungen in Bezug auf Sprachwandel Bezug genommen werden (Coseriu 1958, 37; cf. Andersen 1989, 7; 2006, 63): 1. das rationale Problem des Wandels (warum verändern sich Sprachen?), 2. das generelle Problem der Veränderungen (wie verändern sich Sprachen, d.h. unter welchen Bedingungen treten bestimmte Wandelphänomene auf?), 3. das historische Problem eines bestimmten Wandels (welche Veränderungen ergeben sich im Einzelnen?). 9 Demnach zielt die zuletzt genannte Frage auf die Analyse einzelner Wandelphänomene ab. Bei entsprechenden Erklärungen kommen jedoch immer auch allgemeine Überlegungen mit ins Spiel, die sich den anderen Fragestellungen zuweisen lassen. In Bezug auf das generelle Problem des Sprachwandels geht es darum, Typen des Wandels einzugrenzen, d.h. auf der Grundlage einer Reihe von einzelnen Wandelphänomenen Generalisierungen zu treffen. Entsprechende Generalisierungen können dann auch in umgekehrter Perspektive dazu beitragen, neue Wandelphänomene besser zu verstehen und zu erklären, so dass sich beide Aspekte wechselseitig 8 9

Für hilfreiche Anmerkungen zu einigen der hier angestellten Überlegungen danke ich JeanPierre Durafour. Cf. Weinreich, Labov und Herzog, die fünf grundlegende Aspekte bzw. Probleme des Sprachwandels benennen: constraints (Welche Einschränkungen gibt es bezüglich möglicher Wandelphänomene?), transition (In welchen Stadien verläuft der Wandel?), embedding (Wie sind die Wandelphänomene in die Struktur der Sprache und der Gesellschaft eingebettet?), evaluation (Wie sind die Wandelphänomene zu bewerten?) und actuation (Warum findet ein bestimmter Wandel zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer gegebenen Sprache statt?) (Weinreich/Labov/Herzog 1968, 102 und 183–187).

203

erhellen können. Dabei fließen ferner auch Überlegungen bezüglich des rationalen Problems des Wandels ein, insofern als bestimmten grundlegenden Merkmalen von Sprache, die die Möglichkeit von Wandel erst begründen – insbesondere der grundlegenden Bedeutung der Kreativität –, Rechnung zu tragen ist. Damit ergibt sich, dass prinzipiell sowohl universelle als auch historische Aspekte bei der Betrachtung individueller Wandelphänomene eine Rolle spielen. Ebenso hat sich bei der Betrachtung der Ansätze von Keller und Croft gezeigt, dass unterschiedliche Typen von Erklärungsfaktoren einfließen. Insbesondere bei Keller wird das Verhältnis der unterschiedlichen Faktoren zueinander jedoch nicht thematisiert (Keller spricht bei der Skizzierung seines Modells nur ganz allgemein von «ökologischen Bedingungen»; Keller 1994, 125). Zur Systematisierung der verschiedenen Erklärungsfaktoren kann wieder auf Coserius Unterscheidung der drei Ebenen des Sprachlichen zurückgegriffen werden. Zusätzlich erscheint es hilfreich, auch eine außersprachliche Ebene einzubeziehen, auf der einige der traditionell vorgeschlagenen Erklärungsfaktoren (etwa soziale Faktoren) verortet werden können. Die universelle Ebene wird in den Modellen Kellers und Crofts nicht explizit thematisiert. Dennoch sprechen beide Autoren aber sehr allgemeine Aspekte an, die als universell interpretiert werden können (so etwa die Opposition von statischen und dynamischen Maximen bei Keller oder grundlegende Mechanismen wie die Form-Funktions-Reanalyse bei Croft). Entsprechende Maximen, Mechanismen und Erklärungsfaktoren verweisen somit auf universelle Aspekte von Sprache bzw. auf universelle Prinzipien, welche die Ausprägung von Innovationen und Sprachwandel leiten. Ebenso lassen sich hier die semantisch-kognitiven Universalien anführen, die im Rahmen der Rasterklassifikation lexikalischen Wandels festgestellt wurden (cf. Kap. 8.1): Die Klassifikation beinhaltet ein universelles Inventar an kognitiv-assoziativen Relationen, mit dem Innovationen hinsichtlich der semantischen Dimension analysiert werden können. Ferner sind allgemeine Charakteristika von Sprache wie ihre Alterität und Historizität sowie das grundlegende Phänomen der Kreativität zu nennen. Sie alle stellen Rahmenbedingungen für die Schaffung von Innovationen sowie für ihre Interpretation und Weiterverwendung dar. Der Bereich der historischen Faktoren erscheint bei Keller und Croft explizit, da in beiden Modellen ein Rückbezug zur Ebene der Sprache hergestellt wird. Beide Autoren stellen fest, dass konkrete Äußerungen stets auch als eine Stellungnahme zur geltenden Konvention interpretiert werden können. Weiterhin kann innerhalb der historischen Faktoren zwischen systembezogenen und normbezogenen Aspekten unterschieden werden. Das (Sprach-)System lässt sich dabei nach Coseriu als funktionales System kennzeichnen, während die Norm nur historisch und sozial festgelegt wird, jedoch nicht notwendigerweise funktional ist bzw. nicht als distinktiv im strukturalistischen Sinn konzipiert wird: «En las estructuras que constituyen la lengua es importante distinguir entre lo que es simplemente normal o común (norma) y lo que es oposicional o funcional (sistema)» (Coseriu 1958, 30, Hervorhebungen im Original).

204

«[…] this definition of the norm as the level of what is merely traditionally fixed and not necessarily functional, and the definition of the system as the functional (or distinctive) level of language […]» (Coseriu/Geckeler 1981, 54).

Die Norm entspricht also der Festlegung auf bestimmte traditionelle Realisierungen, d.h. dieser Begriff ist für Erklärungen des Ausbleibens von Wandel grundlegend (die Sprachbenutzer orientieren sich an der geltenden Norm, so dass keine innovativen Verwendungen resultieren). Dem System hingegen kann ein dynamischer Charakter zuerkannt werden, indem dieses als ein System von Möglichkeiten konzipiert wird (Coseriu 1958, 31). Das System stellt demnach den Sprachbenutzern bestimmte (einzelsprachliche) Techniken zur Verfügung, auf die sie bei Innovationen zurückgreifen können: «En efecto, para los propios hablantes la lengua actual no es sólo conjunto de formas ya realizadas, modelos a utilizar como tales (norma), sino también técnica para ir más allá de lo realizado, ‹sistema de posibilidades› (sistema) [...]» (Coseriu 1958, 155, Hervorhebungen im Original).

Eine weitere Unterscheidung innerhalb der historischen Faktoren betrifft innereinzelsprachliche vs. zwischensprachliche bzw. intralinguistische vs. interlinguistische Aspekte. So nehmen etwa die in Kap. 5 hergeleiteten Konformitätskriterien einerseits auf innereinzelsprachliche (Konformität der ZS-Form gegenüber dem ZSSystem), andererseits auf zwischensprachliche Aspekte (Konformität der ZS-Form gegenüber der AS-Form) Bezug. Die Unterscheidung zwischen beiden Gruppen von Faktoren erscheint für Betrachtungen von Lehnwortintegrationen wie von externem Sprachwandel generell zentral, d.h. durch die Einbeziehung von externem Wandel bzw. durch die Entwicklung eines umfassenden Sprachwandelmodells ergibt sich hier eine wichtige Erweiterung bisheriger Modellierungen von Sprachwandel. Für die individuell-aktuelle Ebene ist hingegen festzustellen, dass hier keine Generalisierungen getroffen bzw. Regeln oder Normen angegeben werden können (cf. Koch 1997, 45–46; Koch 2008, 54–55). Daher werden bei den folgenden Überlegungen keine Faktoren auf der individuell-aktuellen Ebene angesetzt. In einem außersprachlichen Bereich lassen sich schließlich verschiedene traditionelle Faktoren situieren, von denen einige auch bei Keller und Croft angesprochen werden. So spricht etwa Keller recht allgemein von den sozialen Gegebenheiten, die Innovationen beeinflussen können (Keller 1994, 128). Croft hingegen diskutiert immer wieder den Einfluss sozialer Faktoren, wobei er unter anderem ausführlich auf die Struktur der sozialen Netzwerke in der Sprachgemeinschaft eingeht (Croft 2000, 240, cf. Milroy/Milroy 1985). Weiterhin lassen sich hier auf die Kommunikationspartner bezogene Persönlichkeitsmerkmale anführen, etwa eine bestimmte Haltung gegenüber Einflüssen aus einzelnen anderen Sprachen, gegenüber fremdsprachlichen Einflüssen im Allgemeinen oder auch gegenüber Innovationen überhaupt. Ebenso scheint die soziale Hierarchie der Kommunikationspartner für einige Wandelprozesse relevant (etwa im Bereich sprachlicher Höflichkeit). Somit können die verschiedenen Erklärungsfaktoren mit Hilfe der von Coseriu unterschiedenen Ebenen systematisiert werden. Weiterführend erscheint es möglich, auch andere Erklärungsfaktoren für Sprachwandel einzubeziehen und analog zu den 205

angestellten Überlegungen hinsichtlich der verschiedenen Ebenen einzuordnen. Als allgemeine Konsequenz aus dem Prinzip des methodologischen Individualismus ergibt sich dabei, dass alle Erklärungsfaktoren für Sprachwandel grundsätzlich auf das Handeln einzelner Sprachbenutzer, d.h. auf die Ebene der Texte/Diskurse und somit auf Innovationen und deren Adoptionen durch andere Sprecher, zu beziehen sind. In diesem Zusammenhang lässt sich noch ein weiteres wichtiges Charakteristikum von Erklärungsfaktoren für Sprachwandel herausstellen. In Bezug auf die Erklärung von Sprachwandelprozessen bzw. von Innovationen und Adoptionen ergibt sich letztlich eine Priorität des kognitiven Aspekts: Wenn Erklärungsfaktoren generell (gemäß dem methodologischen Individualismus) auf den einzelnen Sprachbenutzer bezogen werden, so geht es darum zu zeigen, wie diese Faktoren seine sprachlichen Äußerungen bzw. Interpretationsleistungen beeinflussen. Hierzu muss vorausgesetzt werden, dass die verschiedenen Faktoren von ihm internalisiert sind, d.h. einen bestimmten kognitiven Zustand bewirken. 10 So spielen auch «äußere» Faktoren wie etwa die soziale Hierarchie zwischen Produzent und Rezipient nicht als objektive, äußerlich gegebene Fakten eine potenzielle Rolle für einzelne Äußerungen und ihre Interpretation, sondern nur insofern als sie von Produzent bzw. Rezipient internalisiert sind – nur dann besteht überhaupt die Option, die Gestaltung der sprachlichen Äußerung bzw. ihre Interpretation entsprechend anzupassen (oder dies gerade nicht zu tun). Zugespitzt formuliert geht es also z.B. nur darum, wie die Kommunikationsteilnehmer die soziale Hierarchie einschätzen; die Frage, ob diese Einschätzung objektiv gesehen korrekt ist, spielt hingegen zunächst keine Rolle. Interpretiert man den kognitiven Aspekt in einem entsprechend weiten Sinn, so lassen sich die meisten der genannten Erklärungsfaktoren als kognitive interpretieren; davon ausgenommen bleiben lediglich Faktoren wie die Struktur der sozialen Netzwerke, die überhaupt erst steuern, wer mit wem kommuniziert. In dieser Perspektive rücken traditionelle Gegenüberstellungen sprachlich-funktionaler vs. sozialer Faktoren zu einem gewissen Grad in den Hintergrund, und es ergibt sich eine grundsätzliche kognitive Filterung bzw. Internalisierung aller Erklärungsfaktoren.

9.4

Ein benutzerbasiertes und umfassendes Modell für Entlehnung und Sprachwandel

In den vorangegangenen Abschnitten wurden wesentliche Grundlagen der Modellierung von Sprachwandel diskutiert. Als zentral hat sich hierbei Coserius Unterscheidung von drei Ebenen des Sprachlichen erwiesen, die aufgegriffen und auf die Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel bezogen wurde. Hinsichtlich der 10

Auch Coseriu erörtert in diesem Zusammenhang den Gegensatz von externen und internen Faktoren. Externe Faktoren wie etwa die Vermischung von Bevölkerungsgruppen oder die Existenz bestimmter kultureller Zentren sieht er dabei generell als Faktoren zweiten Grades an: Sie spielen für Sprachwandel nur eine indirekte Rolle, insofern als sie sich auf das sprachliche Wissen auswirken, welches allein die Ausgangsbedingung für die Äußerungen der Sprachbenutzer darstellt (Coseriu 1958, 64–65). Damit ist auch für Coseriu entscheidend, wie entsprechende Fakten beim Sprachbenutzer internalisiert werden.

206

Phasen des Sprachwandels hat sich in Erweiterung bisheriger Modelle eine zusätzliche konzeptuelle Unterscheidung zwischen zwei Aspekten der «Verbreitung» einer Innovation ergeben, die sich als Adoption vs. Verbreitung gegenüberstellen lassen: 1. die Adoption oder Übernahme der Innovation durch einzelne Sprachbenutzer, betrachtet als ein Phänomen auf der individuell-aktuellen Ebene des Diskurses, 2. die Verbreitung der Innovation als Phänomen auf der historischen Ebene der Einzelsprache. Was die Beschreibung von Wandelphänomenen angeht, sind somit zwei der bei Coseriu unterschiedenen Ebenen tangiert: die individuell-aktuelle und die historische. In einem weiteren Schritt wurden verschiedene Wandelfaktoren diskutiert, die in der traditionellen Forschung genannt werden. Auch diese wurden sodann den verschiedenen Ebenen zugewiesen. Hierbei hat sich gezeigt: 1. Für die Erklärung von Wandelphänomenen erscheinen Faktoren der universellen und der historischen Ebene sowie Faktoren außersprachlicher Natur grundlegend. 2. Die Faktoren sind allesamt – als Konsequenz aus dem Prinzip des methodologischen Individualismus – auf die einzelnen Abläufe auf der individuell-aktuellen Ebene zu beziehen. 3. Im Regelfall können die Faktoren letztlich als kognitive Faktoren interpretiert werden, da es um bestimmte von den Sprachbenutzern internalisierte Wissensbestände bzw. Annahmen bezüglich der Rahmenbedingungen der Kommunikation, der Kommunikationspartner und ihrer Wissensbestände etc. geht (cf. dazu näher in Kap. 10 und 11). Nachfolgend sollen die genannten Einzelergebnisse zusammengeführt und ein allgemeines Schema des Sprachwandels vorgestellt werden, das die getroffenen Unterscheidungen berücksichtigt und die verschiedenen Faktoren integriert (cf. Abb. 19 und Winter-Froemel 2008a). Das Schema geht von den Darstellungen Kellers und Crofts aus, berücksichtigt aber gleichzeitig die in Kap. 7 und 8 diskutierten Problempunkte und Lösungsmöglichkeiten. Wesentlich für die Strukturierung des Schemas ist Coserius Unterscheidung der drei Ebenen des Sprachlichen, die um die außersprachliche Ebene ergänzt wird (cf. die linke Spalte des Schemas). Ansätze zu einer solchen Verbindung von Coserius Unterscheidung mit aktuellen Sprachwandelmodellen finden sich bereits bei Kabatek (1996) 11, Koch (1997; 2000; 2001a, 8–11; 2005, 246–249), Koch/Oesterreicher (1996, 74–79) und Blank (1997, 116– 119; 2005, 281–283). Aus der Trennung der Ebenen ergibt sich auch die Unterscheidung zwischen der Adoption vs. Verbreitung einer Innovation. Diese betrifft die verschiedenen Prozesse, in die sich Sprachwandel aufgliedern lässt; sie findet sich in der mittleren Spalte des Schemas wieder, welche den Ablauf von Sprachwandel darstellt. Als wesentliche Etappen ergeben sich damit auf der individuell-aktuellen Ebene die Innovation selbst 12 – die der Alternative des system- bzw. normkonformen Sprechens gegen11

12

Die Arbeit von Kabatek widmet sich Interferenz- und Sprachwandelphänomenen im Galicischen; dabei werden individuelle Redeereignisse untersucht, gleichzeitig besteht aber die «wichtigste Aufgabe der Interpretation […] darin, die jeweiligen untersuchten Redeereignisse auf die verschiedenen Ebenen zu beziehen und jeweils zu unterscheiden, was individuelle, historische oder universelle Eigenschaften sind bzw. in welchem Zusammenhang diese stehen» (Kabatek 1996, 5). «Innovation» wird dabei in Übereinstimmung mit vielen traditionellen Ansätzen verstanden als eine Abweichung von der sprachlichen Konvention im Diskurs (cf. folgende

207

übersteht, aus dem sich kein Sprachwandel ergibt – und ihre Adoption durch andere Sprecher sowie auf der historischen Ebene die Verbreitung der Innovation und schließlich ihre Durchsetzung, die eine Veränderung des Systems bzw. der Norm beinhaltet. BETRACHTUNGSEBENEN

ABLAUF UND STADIEN DES SPRACHWANDELS

allgemein-kognitive und linguistische Faktoren (z.B. semantische und pragmatische Universalien)

universelle Ebene: Sprechen im Allgemeinen

historische Ebene: Einzelsprachen

Durchsetzung der Innovation, Veränderung des Sprachsystems/der Norm × × × × Verbreitung der Innovation × × × ×

individuell-aktuelle Ebene: Diskurs/Text

Adoption/Übernahme der Innovation im Diskurs × × × × Innovation vs. system-/normkonformes Sprechen

außersprachliche Ebene

Abb. 19:

FAKTOREN DES SPRACHWANDELS

system- und normbezogene Faktoren, intra- und interlinguistische Faktoren (z.B. Konvention, relativer kognitiver Verarbeitungsaufwand)

Kommunikationsbedingungen, soziale und kulturelle Faktoren (z.B. Struktur der sozialen Netzwerke, individuelle Persönlichkeit, soziale Hierarchie) Schema zur Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel

In der rechten Spalte sind schließlich Erklärungsfaktoren und -mechanismen für Sprachwandelphänomene angegeben. Hierbei werden Faktoren angeführt, die in der traditionellen Sprachwandelforschung häufig genannt werden (cf. Coseriu 1962; Bestimmung: «First we must make a clear distinction hetween [sic] innovation in discourse (performance) and change in language (competence)», Coseriu 1983, 56, Hervorhebungen im Original). Diese Auslegung scheint insofern methodologisch vorteilhaft, als die Innovation damit ein äußerliches, direkt beobachtbares Diskursphänomen darstellt. Teilweise finden sich in der Literatur jedoch auch andere Definitionen, so etwa bei Andersen, der Innovationen sowohl im Bereich des usage als auch im Bereich der Grammatik situiert (gemeint sind dabei individuelle Sprechergrammatiken; Andersen 1989, 14; 2006, 67). Nach einem solchen Verständnis stellen auch Übernahmen in der Sprechergrammatik von Rezipienten einen Typ von Innovationen dar. Ferner ergibt sich, dass entsprechende Veränderungen in der Sprechergrammatik als solche nicht mehr direkt beobachtbar sind, sondern letztlich vor allem über ihre Auswirkungen auf Sprecheräußerungen (d.h. über innovative Verwendungen im Diskurs) erschließbar sind.

208

Milroy/Milroy 1985; Koch/Oesterreicher 1985; 1990; Keller 1994; Blank 1997; 2001a; Croft 2000; Detges/Waltereit 2002; Enfield 2003; Koch 1997; 1999; 2001a; 2002; 2004b; 2005). Allerdings ist zu betonen, dass das Schema bezüglich der Auflistung von Erklärungsfaktoren keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, sondern nur einige allgemeine Faktoren genannt werden, die für viele Wandelprozesse potenziell relevant erscheinen. Zur Erklärung spezifischer Wandelphänomene sind daher ggf. weitere Faktoren zu ergänzen. 13 Die gegebene Auflistung versteht sich insofern als exemplarisch, und es geht primär darum zu zeigen, wie sich heterogene Erklärungsfaktoren in ein generelles Schema integrieren lassen. Die verschiedenen Faktoren werden dabei allesamt auf die individuell-aktuelle Ebene, d.h. auf einzelne Äußerungen (Innovationen und Adoptionen) bezogen (wobei sich im Kontext der in Kap. 10 und 11 angestellten semiotischen Überlegungen zeigen wird, dass zusätzlich zwischen der Perspektive des Produzenten und des Rezipienten zu unterscheiden ist). Bei der Formulierung von Erklärungsfaktoren ist daher jeweils aufzuzeigen, inwiefern diese für den einzelnen Sprachbenutzer bei der Realisierung seiner sprachlichen Äußerung relevant sind (Prinzip des methodologischen Individualismus). Ferner ist das Merkmal der kognitiven Filterung der Faktoren im Schema graphisch angedeutet. Insgesamt lässt sich das vorgestellte Schema damit als pragmatisch-kognitive Konzeption von Sprachwandel charakterisieren. Wie bereits erläutert wurde, nimmt die Analyse von Sprachwandelprozessen auf Phänomene und Fakten sowohl der individuell-aktuellen als auch der historischen Ebene Bezug. Das komplexe Zusammenspiel beider Ebenen zeigt sich auch in Bezug auf die Rolle der Konvention. Bereits bei der Besprechung von Croft wurde erörtert, dass diese einerseits als Maßstab zur Beurteilung von Innovationen fungiert und andererseits eine neue Konvention als Ergebnis von Sprachwandel angesehen werden kann. Diese unterschiedlichen Aspekte können wiederum mit Hilfe des Schemas klarer gefasst werden, indem diese an verschiedenen Stellen im Schema lokalisiert werden. So ist die bestehende Konvention zunächst implizit für die Unterscheidung von innovativem vs. konventions- (bzw. system-/norm-)konformem Sprechen grundlegend; sie bildet daher den zentralen Maßstab bei der Beschreibung des Ausgangspunkts von Sprachwandelprozessen. Weiterhin lässt sich das letzte Stadium des Sprachwandels, d.h. die Durchsetzung der Innovation, als Etablierung einer neuen Konvention interpretieren, und die Beschreibung der alten und neuen Konvention stellt demnach ein Element bei der Beschreibung von Sprachwandel dar. Dabei wird die Konvention als externes Faktum gefasst und auf eine Sprachgemeinschaft bezogen. Darüber hinaus spielt die sprachliche Konvention auch eine wesentliche Rolle für die Erklärung von Sprachwandel. Dies hat sich etwa bei der Diskussion von Keller gezeigt. So lassen sich einige seiner dynamischen Maximen als gezielte Abweichung von der Konvention interpretieren, statische Maximen hingegen als gezielte Anlehnung an eine gegebene Konvention. In diesem Sinne stellt die Konvention eine Richtschnur dar, an der sich der Produzent orientiert, um eine bestimmte 13

Dies gilt insbesondere für den Bereich des reduktiven Sprachwandels, bei dem bestimmte Formen nicht mehr verwendet werden und dadurch untergehen (cf. Lüdtke 1989, 135; Blank 2001a, 70).

209

Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren. Ferner lässt sich die Konvention auch als Richtschnur auffassen, an der sich der Produzent orientiert, um einen reibungslosen Informationsaustausch zu gewährleisten. Bei der Formulierung entsprechender Erklärungsansätze wird die sprachliche Konvention nun als internalisiertes Faktum beim Sprachbenutzer gefasst, d.h. es geht letztlich um das Wissen des Sprachbenutzers bezüglich der Konvention. Ähnlich ergibt sich auch für den Begriff der Frequenz, dass dieser in zwei grundlegend unterschiedlichen Arten konzipiert werden kann (cf. Kap. 7.3.2). Einerseits handelt es sich um einen sozial fundierten Begriff, d.h. es geht um die Gebrauchsfrequenz einzelner sprachlicher Formen in der Sprachgemeinschaft (bzw. in einer vordefinierten Auswahl an Texten). Dieser Aspekt kann auf die historische Ebene der Sprache bezogen werden. Darüber hinaus wird Frequenz jedoch auch im Hinblick auf den einzelnen Sprachbenutzer konzipiert, indem analysiert wird, wie einzelne sprachliche Formen in Abhängigkeit von ihrer Gebrauchsfrequenz kognitiv verarbeitet werden. 14 Das Konzept des entrenchment (Langacker 1987; 2000, 3; Schmid 2007) nimmt genau auf diesen Aspekt Bezug, d.h. es geht nun um kognitive bzw. mentale Prozesse und Fakten. 15 Generell zeigt sich damit, dass Begriffe wie Konvention und Frequenz, das sprachliche System und sprachliche Normen auf zweierlei Arten interpretiert werden können. Einerseits können sie als soziale, andererseits als mentale Größen aufgefasst werden. 16 Im ersten Fall wird Sprache als Kommunikationsmittel einer Gemeinschaft betrachtet, wobei sich innerhalb der Sprachgemeinschaft bestimmte sprachliche Konventionen (Strukturen, Normen) etablieren (cf. die Auffassung von Sprache als ergon). Im zweiten Fall wird Sprache hingegen als kognitives System betrachtet, das bei einzelnen Sprechern mental repräsentiert ist, d.h. es geht um das sprachliche Wissen des einzelnen Sprechers, das die Grundlage für seine konkreten Äußerungen bildet. 17 Das vorgestellte Schema erlaubt es, beide Interpretationsweisen zu berücksichtigen, wobei die Aspekte nicht als im Widerspruch zueinander stehend, sondern vielmehr als komplementär erscheinen. 14 15

16

17

Cf. das folgende Zitat: «Repetition and its consequences for cognitive representation are major facts in the creation of grammar» (Bybee 2003, 622, Hervorhebung EWF). Es soll nochmals betont werden, dass der Begriff des entrenchment damit hier als individuelles Faktum gefasst wird, das auf einzelne Sprachbenutzer und ihre Verarbeitung sprachlicher Formen bezogen ist und der Konventionalisierung als soziales Faktum gegenübersteht (cf. Fußnote 11 in Kap. 7 sowie den Vortrag von Richard Waltereit «Entrenchment, convention, and diachronic change: Negation in French», ICCLS Symposium, München, 29.–30. Januar 2009). Analog dazu lassen sich nach Romaine (1995) zwei grundlegende Aspekte von Zweisprachigkeit gegenüberstellen: Zweisprachigkeit in der Sprachgemeinschaft als soziolinguistisches Faktum und Zweisprachigkeit beim Individuum bzw. im Gehirn als psycholinguistisches bzw. neurolinguistisches Faktum (cf. ferner Riehls Gegenüberstellung einer psycholinguistischen und einer soziolinguistischen Begriffsbestimmung von «Sprachkontakt»; Riehl 2004, 11). Diese Interpretation lässt sich im Übrigen auch mit Chomskys Begriffen der «I-Grammatik» bzw. «I-Sprache» (I = Internalized) in Verbindung bringen, die soziale Interpretationsweise hingegen mit Chomskys «E-Grammatik» bzw. «E-Sprache» (E = Externalized) (Chomsky 1986, vor allem Kap. 2.3, S. 19–24).

210

Was die angesetzten Erklärungsfaktoren angeht, so fällt bei einem Vergleich mit traditionellen Konzeptionen von Sprachwandel auf, dass bisherige Ansätze häufig nur bestimmte Typen von Erklärungsfaktoren fokussieren oder bestimmte Faktoren sogar explizit zurückweisen. So bestreitet etwa Labov grundsätzlich die Relevanz universeller Faktoren für (einzelsprachliche) Wandelphänomene (Labov 2001, 503); hierzu lässt sich jedoch anmerken, dass universelle Aspekte grundsätzlich bei allen Wandelprozessen einen zentralen Einfluss haben, da die Möglichkeit von Wandel überhaupt nur auf dieser Ebene begründbar ist. Insgesamt stellen universelle Faktoren ein Spektrum an überhaupt möglichen Wandelphänomenen bereit, so dass sie auch bei der Erklärung einzelsprachlichen Wandels zu berücksichtigen sind (wobei selbstverständlich weitere Faktoren zusätzlich herangezogen werden müssen). Als eine weitere, sehr radikale Position wurde Crofts strikte Trennung funktionaler und sozialer Faktoren analysiert. Bei den bisherigen Überlegungen haben sich jedoch immer wieder Evidenzen dafür ergeben, dass eine strikte Trennung beider Gruppen in Einzelfällen fragwürdig ist. Darüber hinaus ergibt sich auf der Grundlage des vorgestellten Schemas, dass auch Crofts «Selektionen» (im Sinne einzelner Adoptionen) auf der Ebene des Diskurses zu analysieren sind. Bei entsprechenden Betrachtungen scheint es plausibel, dass neben sozialen Aspekten auch kognitive Aspekte der Verarbeitung der Formen eine Rolle spielen, womit auch funktionale Aspekte ins Spiel kommen. 18 Insgesamt soll daher hier eine weite Auffassung vertreten werden, bei der eine breite Auswahl von Faktoren (soziale, historische, politische, diskursive, soziolinguistische etc.) sowohl für Innovationen als auch für deren Adoptionen als potenziell relevant angesetzt wird – aber eben nur für diese Prozesse auf der individuellaktuellen Ebene und nur im Rahmen einer generellen kognitiven Internalisierung der Faktoren. Damit ergibt sich eine Aufspaltung von Sprachwandelphänomenen in viele kleine Schritte sowie die Einbeziehung unterschiedlicher Faktoren für deren jeweilige Erklärung. 19 Gleichzeitig bleibt die Möglichkeit bestehen, weitere Präzisierungen vorzunehmen und den Einfluss einzelner Faktoren genauer zu spezifizieren. 18

19

Cf. die Systematisierung von Erklärungsmechanismen bei Croft selbst, bei der er im Bereich der Selektion neben den intentionalen Mechanismen der Akkomodation (als Anpassung an eine Gruppe), der acts of identity und des Prestige – also Mechanismen, die genau klassischen sozialen Faktoren entsprechen – als nichtintentionalen Mechanismus eine Veränderung im entrenchment einzelner sprachlicher Formen ansetzt (Croft 2000, 79). Cf. Andersen (1989, 13): «Most importantly, as the notion of innovation allows us to analyse any diachronic development into its constituent steps, it also lets us recognize that these are of necessity quite differently conditioned and leads us to inquire whether any given innovation in usage or in grammar is intentional, to what extent it is determined by universal or language specific features of discourse or grammar, and whether it affects or is codetermined by one or another of the different levels of grammatical organization of the language – its received norms, its functional system, and its type (thus Coseriu 1971) or groundplan (as Sapir sometimes called it)». Allerdings legt Andersen, wie bereits in Fußnote 12 erläutert, einen anderen Innovationsbegriff zugrunde; der Begriff wird dort nicht nur auf Verwendungen in Diskursen einzelner Sprecher, sondern auch auf Veränderungen in einer Grammatik bezogen. «Innovation» bei Andersen umfasst damit im Sinne der von mir vorgenommenen Definitionen sowohl Innovationen (bei Andersen: «initial innovations») als auch deren Adoptionen und Übernahmen in die Sprechergrammatiken anderer

211

Abschließend lässt sich auf der Grundlage der obigen Erläuterungen nochmals herausstellen, dass das Prinzip des methodologischen Individualismus, nach dem das vorgestellte Schema konzipiert ist, nicht impliziert, dass nur individuelle und zufällige Phänomene betrachtet werden (wie es zunächst den Anschein haben könnte). 20 Vielmehr geht es gerade darum, das Wirken allgemeiner Faktoren (universellen, historisch-innereinzelsprachlichen, historisch-zwischensprachlichen oder außersprachlichen Typs) in der Kommunikation einzelner Sprachbenutzer zu betrachten und die verschiedenen Erklärungsfaktoren auf diese Ebene zurückzubeziehen.

9.5

Zur Anwendung des Schemas auf Entlehnungsprozesse: Theoretische und methodologische Implikationen

9.5.1

Zur Betrachtung von Entlehnungen auf der individuell-aktuellen Ebene

Im vorgestellten Schema zur Modellierung von Sprachwandel wird auf der individuell-aktuellen Ebene eine klare Unterscheidung zwischen der Innovation einerseits und deren Adoptionen andererseits getroffen. Bezieht man diese Unterscheidung auf den Bereich der Entlehnung, so lässt sich damit zunächst der Begriff der «Entlehnung» selbst präzisieren: Es ergibt sich eine Trennung zwischen dem eigentlichen Akt der Entlehnung (d.h. der Innovation) und den weiteren Verwendungen der entlehnten Form innerhalb der ZS; dies bedeutet, dass «Entlehnung» als erstmalige Verwendung eines direkt entlehnten Worts in der betrachteten ZS gefasst werden kann. Gemäß dem Prinzip des methodologischen Individualismus wird Entlehnung damit auf eine einzelne Kommunikationssituation zurückgeführt, d.h. im Hinblick auf die beteiligten Kommunikationspartner und die jeweiligen kognitiven und kommunikativen Rahmenbedingungen der Kommunikation betrachtet. Hierdurch wird die häufig getroffene Feststellung aufgegriffen, dass Entlehnung nicht zwischen Sprachen stattfindet, sondern nur von einzelnen Sprechern vorgenommen werden kann («Der Sprecher ist der Ort des Sprachkontaktes, der sprachlichen Interferenz», Kabatek 1996, 12). 21

20

21

Sprecher: «[…] each and every step in such a development is an innovation, not only the initial act, through which a new linguistic entity comes into being. It is through innumerable individual acts of innovation – of acceptance, adoption, and acquisition – that any new entity gains currency and enters into competition with traditional entities in the usage of a linguistic community» (Andersen 1989, 14). Cf. Saussures Bestimmung des Bereichs der parole im Gegensatz zur langue: «En séparant la langue de la parole, on sépare du même coup : 1o ce qui est social de ce qui est individuel ; 2o ce qui est essentiel de ce qui est accessoire et plus ou moins accidentel» (Saussure 1969 [11916], 30). Ebenso sieht Weinreich (1968 [11953]) den zweisprachigen Sprecher als «the only true locus of language contact» an (cf. Matras 2009, 99). Eine sehr klare Erläuterung dieses methodologischen Prinzips findet sich auch bei Matras: «Language change is thus always the product of innovations that are introduced by individual speakers in the course of

212

Wie bereits deutlich wurde, finden sich trotz dieser an sich unkontroversen Feststellung in der traditionellen Entlehnungsforschung immer wieder Sichtweisen und Beschreibungen, die von den einzelnen Sprachbenutzern und Kommunikationsereignissen abstrahieren. Entsprechende Darstellungen erscheinen legitim, wenn es ausschließlich um den resultativen Aspekt von Entlehnungen auf der Ebene der Sprache(n) geht. Die Feststellung von Sprachwandel setzt sogar voraus, dass die Perspektive der einzelnen Sprachbenutzer überschritten wird und ein abstraktes Sprachsystem oder die sprachliche Konvention einer Sprachgemeinschaft betrachtet und mit einem früheren Zustand des Systems oder der Konvention verglichen wird. Eine Erklärung des Sprachwandels kann in dieser übergreifenden, einzelsprachbezogenen Perspektive jedoch gerade nicht gegeben werden. Dagegen kann eine konsequente Berücksichtigung des methodologischen Individualismus eine adäquatere Modellierung von Entlehnung und möglicherweise neue Erkenntnisse über die im Einzelnen stattfindenen Phänomene liefern. So ergibt sich beispielsweise eine einfache Erklärung für die vielfach festgestellte «Tendenz», dass Wörter nur in einer Bedeutung entlehnt werden (cf. Kap. 2.1.3): Mehr als eine Tendenz ist es eine unmittelbare Konsequenz der obigen theoretischen Bestimmung von Entlehnung, dass diese grundsätzlich nur eine Bedeutung der AS-Form betrifft – nämlich die in der jeweiligen Kommunikationssituation aktualisierte Bedeutung. Eine ähnlich grundlegende Bedeutung der Unterscheidung zwischen der historischen und der individuell-aktuellen Ebene lässt sich auch für den Bereich der Allogenismen aufzeigen. Die Feststellung eines Allogenismus auf der historischen Ebene beruht auf einem Vergleich sprachlicher Formen in den jeweils relevanten Sprachen sowie auf einer Bewertung der Formen im Hinblick auf das Sprachsystem der «ZS». So existiert etwa die Form frz. recordman nicht in der vermeintlichen AS Englisch; ebenso wenig kann sie anhand produktiver Muster des Französischen hergeleitet werden. In ähnlicher Weise kann das in der Schreibung von frz. bifteck nicht als Übernahme aus dem Englischen analysiert werden; ebensowenig handelt es sich jedoch um eine Lehnwortintegration, da im Hinblick auf das Französische nicht als systemkonform einzustufen ist. (202) frz. recordman ‘Rekordhalter’ (engl. record-holder) (DHLF s.v. record; OED s.v. record; Dda s.v. record) (203) frz. bifteck ‘Beefsteak’ [ĸ engl. beef-steak] (PR; DHLF; Dda; LAR; OED) Auf der individuell-aktuellen Ebene, d.h. aus Sicht der Sprachbenutzer, stellen sich entsprechende Phänomene hingegen anders dar, da die Sprachbenutzer innerhalb der ZS unter Umständen durchaus von einer Übernahme oder Weiterverwendung (vermeintlich existenter) AS-Einheiten (etwa *engl. recordman) bzw. von einer Anlehdiscourse interaction, and which find favourable conditions of propagation throughout a sector within the speech community, and on to the speech community as a whole. – This realisation has lead us to search for and identify the mechanisms of contact-induced change not in macro-level societal processes, but in concrete, local discourse strategies that individual speakers pursue in conversation» (Matras 2009, 310).

213

nung an (vermeintlich existente) AS-Formen (etwa *engl. beef-steack) ausgehen, d.h. die Abweichung gegenüber der AS, die für Allogenismen konstitutiv ist, muss ihnen als solche nicht bewusst sein. Gleichzeitig ergibt sich, dass bestimmte Einheiten oder Regeln der AS beim innovierenden Sprachbenutzer in der ZS als bekannt vorausgesetzt werden müssen – etwa das Element man, das als Grundlage für die Wortbildung recordman zur Verfügung steht, sowie das graphische Segment bzw. die GPK ļ [k]. 22

9.5.2

Analyse traditioneller Erklärungsfaktoren

Nachfolgend sollen nun wichtige Erklärungsfaktoren für Entlehnungsprozesse diskutiert werden. Dabei geht es mir um allgemeine (etwa soziale oder historische) Rahmenbedingungen, denen sich der einzelne Sprachbenutzer gegenüber sieht. Traditionell werden darüber hinaus teilweise auch Aspekte wie die Erzeugung von Lokalkolorit oder der Verhüllungscharakter von Fremdwörtern als Erklärungsfaktoren für Entlehnung behandelt. Entsprechende Aspekte scheinen jedoch speziell auf intentionale, pragmatisch-stilistische Verwendungen von Lehnwörtern abzuzielen. Diese Faktoren werden daher erst bei der Untersuchung der pragmatischen Dimension von Entlehnungen (Kap. 12) diskutiert. Unter den «klassischen» Faktoren, die für die Erklärung von Entlehnungsprozessen herangezogen werden, sind die folgenden zu nennen: die Intensität des Sprachkontakts und die Ausprägung der Zweisprachigkeit, das Prestige der beteiligten Sprachen, die Bedeutung puristischer Strömungen im Sprach- und Kulturraum der ZS sowie die strukturelle Ähnlichkeit und genealogische Verwandtschaft der beteiligten Sprachen. Diese Faktoren lassen sich zu einer ersten Gruppe zusammenfassen (Haspelmath 2003, 4–8); nach Haspelmath bestimmen sie mit, ob und in welchem Ausmaß Entlehnungen zwischen zwei Sprachen stattfinden. 23 Weitere häufig diskutierte Faktoren sind Wortart und Morphemtyp der betrachteten Ausgangselemente sowie die Frequenz der AS-Formen und eventuell vorhandener ZS-Bezeichnungsäquivalente; teilweise wird zusätzlich auch der semantische Bereich der Entlehnung genannt (cf. Haspelmath 2003, 7). Die zuletzt genannten Faktoren lassen sich zu einer zweiten Gruppe zusammenfassen 24, die nun nicht so sehr dafür relevant ist, in welchem Ausmaß zwischen zwei Sprachen insgesamt entlehnt wird, sondern steuert, welche Formen ggf. entlehnt werden, d.h. es geht nun 22

23

24

Entgegen dem «Normalfall» bei Entlehnungsprozessen, dass die AS-Graphem-PhonemKorrespondenzen für den ZS-Rezipienten keine Rolle spielen (cf. Kap. 5.2), muss bei entsprechenden Allogenismen gerade ein (partielles) Wissen bezüglich entsprechender ASRegeln angenommen werden. Alternativ zu einer Entlehnung kann z.B. die Option einer sprachkontaktinduzierten eigenen lexikalischen Innovation (sog. Lehnschöpfung oder substituierende Lehnbedeutung, cf. Winter 2005; Winter-Froemel 2008c) realisiert werden. Haspelmath (2003, 4–8) etikettiert die beiden Gruppen wie folgt: «factors for differential borrowing behavior among different languages» (entspricht der ersten Gruppe von Faktoren), «factors for differential borrowability of word meanings» (entspricht der zweiten oben besprochenen Gruppe).

214

um die Frage, wie leicht oder schwer bestimmte sprachliche Einheiten entlehnt werden können («relative ease or difficulty of borrowing», Croft 2000, 205). Im Folgenden sollen die genannten Faktoren näher kommentiert werden. Hierbei zeigt sich in einigen Fällen, dass auch Faktoren der ersten Gruppe die konkrete Ausprägung von Entlehnungen mitbeeinflussen. Da die Faktoren weiterhin konsequent auf die einzelnen Sprachbenutzer und die individuell-aktuelle Ebene des Diskurses bezogen werden, ergibt sich teilweise eine Reformulierung der Faktoren. Da einige der Faktoren sehr allgemeine Prinzipien betreffen, sind die angestellten Überlegungen dabei auch für Sprachwandel im Allgemeinen relevant.

9.5.2.1 Intensität des Sprachkontakts Generell lässt sich feststellen, dass die Häufigkeit von Entlehnungen sowie ihre Ausprägung mit der Intensität des Sprachkontakts zwischen den beteiligten Sprachen korrelieren. In der Entlehnungsforschung hat sich eine fünfstufige Skala etabliert, anhand der die Intensität des Sprachkontakts beurteilt werden kann; diese umfasst die folgenden Stufen: «1) casual contact, 2) slightly more intense contact, 3) more intense contact, 4) strong cultural pressure, 5) very strong cultural pressure» (Thomason/Kaufman 1988, 74–76; cf. Haspelmath 2003, 7). Dabei werden auf der ersten Stufe nur Entlehnungen im Bereich des Lexikons festgestellt, speziell Entlehnungen von Inhaltswörtern (und hierbei nonbasic vocabulary vor basic vocabulary); auf den höheren Stufen finden sich hingegen neben Entlehnungen von Funktionswörtern auch Auswirkungen auf die grammatische Struktur der ZS (genauer dazu Thomason/Kaufman 1988, 74–75, die sich insbesondere für die zuletzt genannten Typen von Einflüssen interessieren). Die fünfstufige Skala wird insbesondere bei der Betrachtung von Mischsprachen, Kreolsprachen etc. herangezogen. Allerdings ist einzuräumen, dass mangels scharfer Einteilungskriterien bei der Zuweisung konkreter Sprachkontaktsituationen zu den Stufen ein gewisser Interpretationsspielraum bestehen bleibt. Zudem ist zu beachten, dass der angegebene Faktor auf die beteiligten Sprach- und Kulturgemeinschaften als ganze bezogen ist und insofern nur eine Art Mittelwert darstellt. Bei der Betrachtung der Intensität des Sprachkontakts bei den einzelnen Individuen, welche die Entlehnungen vollziehen, können sich somit Abweichungen ergeben (Individuen mit stark ausgeprägtem Sprachkontakt innerhalb von Sprachgemeinschaften mit eher schwachem Sprachkontakt etc.).

9.5.2.2 Grad der Zweisprachigkeit Die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von Entlehnungen korreliert auch mit dem Grad der Zweisprachigkeit der Sprecher der ZS 25, d.h. eine stark ausgeprägte 25

Insbesondere in der (Zweit-)Spracherwerbsforschung werden darüber hinaus Parameter wie der Aktivierungsgrad der Sprachen beim Individuum (cf. Green 1986, 215) und die Sprachdominanz bzw. Sprachbalance (cf. Müller et al. 2006, 59–88) genannt, mit denen

215

Zweisprachigkeit begünstigt generell Entlehnungen. 26 Nach Croft ist dieser Faktor von fundamentaler Bedeutung, da Croft neben diesem nur die Gruppenidentifikation (welche für die Verbreitung der Entlehnungen verantwortlich sei) als weiteren Erklärungsfaktor für Sprachkontaktphänomene ansetzt: «The nature of the contact between two societies can then be described in terms of the nature of the lingueme flow from one language to the other, via bilingual speakers. Lingueme flow is a function of two factors, associated with innovation and propagation. The first factor is the degree of bilingualism of speakers in the two societies; this will determine the amount and direction of lingueme flow. The second factor is the degree of group identification of the speakers in the two societies» (Croft 2000, 201).

Auch hier ist allerdings zu beachten, dass der für eine Sprachgemeinschaft als ganze angegebene Grad der Zweisprachigkeit nicht unbedingt die individuelle Kompetenz der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft genau widerspiegeln muss, so dass eventuellen Abweichungen bei der Betrachtung einzelner Entlehnungen Rechnung zu tragen ist. Weiterhin hängt der Grad der Zweisprachigkeit einer Sprachgemeinschaft teilweise auch mit der Intensität des Sprachkontakts zusammen, da bei intensiverem Kontakt tendenziell davon ausgegangen werden kann, dass die AS zu einem gewissen Grad erlernt wird. Croft hebt gleichzeitig hervor, dass auch eine vergleichsweise geringe Zweisprachigkeit bereits hinreichend für Entlehnungen sein kann: «The contact and the bilingualism may be minimal: one speaker acquiring (even imperfectly) a word spoken by a speaker of the other language is sufficient to introduce that word in the first speaker’s original language, from which point it may be propagated» (Croft 2000, 200).

Diese Beobachtung erscheint prinzipiell zutreffend; generell scheint es ferner sinnvoll, in diesem Zusammenhang nicht nur die aktive Sprachkompetenz der Sprecher zu fokussieren, sondern auch den Aspekt der passiven Sprachkompetenz in den Blick zu nehmen. 27

26

27

analysiert werden kann, wie eine bestimmte Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen verarbeitet wird und wie weit sie beim Individuum entwickelt ist. Jedoch ist noch zu betonen, dass auch ausgeprägte Mehrsprachigkeit nicht als hinreichende Bedingung für eine starke Beeinflussung der Sprachen gewertet werden kann: Trotz Mehrsprachigkeit können die Kontaktsprachen weitgehend stabil nebeneinander bestehen (Kabatek 1996, 23). Zentral für das Ausmaß der Beeinflussung sind daher weitere Faktoren, die sich nach Kabatek der «sprachlichen Gravitation» zurechnen lassen (cf. auch die Gegenüberstellung von Zentrifugal- und Zentripetalkraft bei Schuchardt). Die Finalität des Sprechens kann demnach entweder auf Anpassung oder Nichtanpassung an die Gesprächspartner, auf Integration oder Desintegration des Verhältnisses des Einzelnen zu Gruppen ausgerichtet sein. Damit kommt eine Reihe von Faktoren ins Spiel, die vor allem in der Soziolinguistik erarbeitet wurden und die den grundlegend sozialen Charakter von sprachlichem Handeln bzw. von Kommunikation unterstreichen (Prestige von Sprachformen und Sprechergruppen, Sprecherhaltungen/attitudes gegenüber diesen etc.). In der Entlehnungsforschung wird unterschiedlich beurteilt, inwiefern Zweisprachigkeit bzw. ein bestimmter Grad an Zweisprachigkeit als Voraussetzung für Entlehnung überhaupt gelten kann. Es lassen sich immer wieder Fälle von lexikalischen Entlehnungen bele-

216

Darüber hinaus deuten einige Beispiele von Entlehnungen an, dass die Ausprägung der Zweisprachigkeit unter Umständen nicht nur die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von Entlehnungen insgesamt beeinflusst, sondern sich auch auf deren konkrete Realisierung auswirken kann. Zu denken ist hier z.B. an morphologische Analysen und die Anwendung bestimmter Flexionsverfahren: Bei den nachfolgend angeführten Beispielen findet im Kontext der Entlehnung ein Numeruswechsel statt. Dabei erscheint die Annahme plausibel, dass dieser von den Sprachbenutzern der ZS, die die Entlehnung vollzogen haben, nicht intendiert ist, sondern aus einer entsprechenden (Re-)Analyse der AS-Formen durch ZS-Rezipienten resultiert. Damit ist hier tendenziell eine eher schwach ausgeprägte Zweisprachigkeit anzunehmen. (204) it. spaghetti N.m.pl. ĺ frz. spaghetti N.m.sg. ‘Spaghetti’ (PR; DILE) (205) it. cannelloni N.m.pl. ĺ frz. cannelloni N.m.sg. (PR) (206) it. tagliatelle N.f.pl. ĺ frz. tagliatelle N.f.sg. (PR) Andere Beispiele von Entlehnungen weisen umgekehrt auf eine relativ stark ausgeprägte Zweisprachigkeit und einen intensiveren Sprachkontakt hin: (207) it. pizza, Pl. pizze ĺ dt. Pizza, Pl. Pizze (Wegener 2004) (208) it. pizza, Pl. pizze ĺ frz. pizza, Pl. pizze ‘Pizza’ (Internet) Die Tatsache, dass sich in der ZS Flexionsformen finden, die mit den AS-Formen übereinstimmen, lässt sich dadurch erklären, dass sowohl die Singularform als auch die Pluralform entlehnt wurde (ohne dass dabei ein Numeruswechsel wie in Bsp. (204) bis (206) stattgefunden hat), d.h. durch intensiven Sprachkontakt. Parallel dazu kann angenommen werden, dass die Sprecher der ZS, die die Entlehnung vorgenommen haben und die Form innerhalb der ZS so weiterverwendet haben, Kenntnis von der italienischen Pluralisierungsregel hatten, d.h. eine relativ gut ausgeprägte Zweisprachigkeit vorlag. Darüber hinaus finden sich für dt. Pizza/frz. pizza allerdings auch die alternativen Pluralformen dt. Pizzas und dt. Pizzen bzw. frz. pizzas (cf. Kap. 2.1.2 und 5.1.4). Entsprechende Formen können dadurch erklärt werden, dass eine Pluralisierungsregel der ZS angewandt wird. Hierbei kann im Fall von dt. Pizza-s eine monomorphematische Sicht von Pizza, bei dt. Pizz-en hingegen eine morphologische Analyse angenommen werden (cf. Kap. 5.1.4). Darüber hinaus scheinen bei den genannten Beispielen begrenzte Kenntnisse bezüglich der AS bzw. ein begrenzter Grad der Zweisprachigkeit eine Rolle zu spielen. Somit wird hier nochmals deutlich, gen, bei denen in der Tat nur eine sehr geringe Zweisprachigkeit gegeben ist. So nennt etwa McMahon das Beispiel sp. banana: «Spanish borrowed the Wolof word banana along with the object, and we need only imagine a puzzled Spanish speaker pointing to the object in question with an inquiring look, and receiving the one-word answer ‹banana› from a cooperative Wolof speaker. The only requirement is that the borrowing speaker must understand, or believe he understands, the meaning of the items he is learning» (McMahon 1994, 204).

217

dass bezüglich des Grads der Zweisprachigkeit und seiner Auswirkungen auf die Realisierung der Entlehnung unter Umständen keine einheitlichen Aussagen für eine Sprachgemeinschaft als ganze getroffen werden können. (209) it. pizza ĺ dt. Pizza, Pl. Pizzas (DILE) (210) it. pizza ĺ dt. Pizza, Pl. Pizzen (DILE) (211) it. pizza ĺ frz. pizza, Pl. pizzas ‘Pizza’ (PR; DILE)

9.5.2.3 Prestige der beteiligten Sprachen Auch das Prestige der AS kann eine wichtige Rolle für Entlehnungen spielen. Nach Haspelmath (2003, 8) hängt dieser Faktor ebenfalls zum Teil mit der Intensität des Sprachkontakts und dem Grad der Zweisprachigkeit zusammen, da ein hohes Prestige der AS erwarten lässt, dass relativ viele Sprecher diese Sprache erlernen. Ebenso lassen sich jedoch immer wieder auch Beispiele für ausgeprägte Zweisprachigkeit bei geringem Prestige (z.B. relativ ausgeprägte Zweisprachigkeit SpanischGuaraní, aber geringes Prestige des Guaraní in Paraguay, daher relativ wenige Lehnwörter aus dem Guaraní im Spanischen) und umgekehrt für hohes Prestige bei gering ausgeprägter Zweisprachigkeit (z.B. das Französische im 19. Jh. in Europa, Englisch in vielen Teilen der Welt heute; Beispiele nach Haspelmath) finden. Dieser Faktor kann zudem nicht nur auf das Prestige einer Sprache, sondern auch auf das Prestige einzelner Gruppen innerhalb einer Sprachgemeinschaft bezogen werden. In diesem Sinne erscheint das Prestige bestimmter Sprechergruppen nicht nur für Entlehnungskontexte, sondern für Sprachwandel im Allgemeinen relevant (cf. Kellers dynamische Maximen sowie die Begriffe der Macht/power und der Dominanz einzelner Gruppen in bestimmten sozialen Kontexten; Croft 2000, 241, s.v. power). Im Hinblick auf empirische Untersuchungen erscheint es daher sinnvoll, bei der Berücksichtigung dieses Faktors nur von den für die konkrete Entlehnung relevanten Kontexten (etwa fachsprachlichen Kontexten) und Diskurstraditionen auszugehen. So wird sich etwa bei den Untersuchungen der Entlehnungen von it. grappa und engl. fuel ins Französische (Kap. 14 bzw. 15) zeigen, dass in den Entlehnungssituationen ein vorhandenes Prestige der AS – im entsprechenden Bereich – eine wichtige Rolle spielt (ohne dass damit notwendigerweise ein generelles Prestige der AS innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS angenommen werden muss).

9.5.2.4 Purismus Wiederum im Zusammenhang mit dem Prestige der AS bzw. bestimmter Sprecher(-gruppen) der AS ist auch die Ausprägung puristischer Strömungen in der Sprachgemeinschaft der ZS zu beachten. Stark ausgeprägte puristische Strömungen lassen eine eher geringe Zahl von Entlehnungen erwarten. Haspelmath betont, dass

218

hierbei vor allem an gesetzgeberische Maßnahmen und Sprachpflegeinstitutionen gedacht werden sollte, da der Einfluss der Haltungen einzelner Sprecher hingegen schwer einzuschätzen sei: «However, unless there is legislation or language academies with a high degree of social acceptance, it seems to be difficult to find evidence for the exact role of speaker attitudes, and we must be careful to avoid circular reasoning» (Haspelmath 2003, 8).

Allerdings liegen durchaus Arbeiten vor, die detaillierte Einblicke geben, wie sich metasprachliche Bewertungen auf Interferenzen auswirken (cf. insbesondere Kabatek 1996). Dabei setzen entsprechende Arbeiten eine bestimmte methodologische Herangehensweise voraus (etwa Intensivinterviews mit Sprechern), die sich grundlegend von der Methodologie von Haspelmaths und Tadmors sehr breit angelegtem Projekt Loanword Typology unterscheidet. Darüber hinaus ist zu klären, ob das Vorhandensein etablierter puristischer Institutionen bereits die Zahl der Entlehnungen selbst einschränkt oder ob dadurch vor allem ihre Verbreitung behindert wird (Entlehnungen finden statt, doch ihre Verwendung in der ZS ist stigmatisiert, so dass sich die Formen kaum ausbreiten). Einige im Zusammenhang mit der Analyse von frz. people untersuchte Quellen scheinen eher auf das letztere Szenario hinzudeuten, d.h. der Ausdruck wird zunächst von vielen ZS-Sprechern entlehnt und verbreitet sich innerhalb der ZS. Dann finden sich aber auch viele metasprachliche Diskussionen zu der Frage, ob entsprechende Verwendungen zulässig oder angemessen sind, und hierbei wird häufig – explizit oder implizit – die Haltung von Sprachpflegeinstitutionen als Richtschnur herangezogen (cf. hierzu näher Kap. 16). Ferner können puristische Strömungen wiederum auch dafür mitbestimmend sein, in welcher Form Entlehnungen ggf. realisiert werden: Formal stark integrierte Formen werden in der Regel – auch von Sprachpflegeinstitutionen – eher akzeptiert als schwach integrierte Formen. So verzeichnet etwa das DAF als Haupteintrag die integrierte Form frz. fioul; unter frz. fuel findet sich dagegen nur ein Verweis auf den genannten Haupteintrag (cf. hierzu näher Kap. 15). Ebenso werden Analogiebildungen (Lehnprägungen, bei denen eine fremdsprachliche Polysemie oder Wortbildung mit eigenem (ZS-)Sprachmaterial nachgebildet wird, cf. Bsp. (212)) im Rahmen puristischer Haltungen zum Teil eher akzeptiert als direkte Übernahmen wie frz. flash (Georgin 1957, 121). Teilweise werden entsprechende Analogiebildungen von puristischen Standpunkten aus jedoch gerade auch als besonders gefährliche, fast unmerkliche «Unterwanderung» der Sprache angesehen (cf. Georgin 1957, 120 sowie das Schlagwort der «anglicismes masqués», Braselmann 2002, 206–207), so dass puristische Positionen hier als teilweise widersprüchlich erscheinen. (212)

frz. éclair ‘Kurzmeldung’ ĸ ‘Blitz’ wie engl. flash ‘Kurzmeldung’ ļ ‘Blitz’ (cf. Georgin 1957, 121)

219

9.5.2.5 Strukturelle Faktoren und genealogische Verwandtschaft Traditionell wird angenommen, dass die strukturelle Inkompatibilität bestimmter Merkmale der AS und ZS Entlehnungen behindert. Dies erscheint für grammatische Entlehnungen gut nachvollziehbar. Allerdings ist unklar, inwiefern dieser Faktor auch für lexikalische Entlehnungen eine Rolle spielt (Haspelmath 2003, 8). Im Hinblick auf den einzelnen Sprachbenutzer der ZS, der eine Entlehnung vornimmt, scheint im lexikalischen Bereich vor allem wesentlich, dass die fremdsprachlichen Einheiten für ihn gut identifizierbar sind (cf. das in Kap. 7.3.7 erläuterte Konzept der interlingual identification, welches die Grundlage für Entlehnungen darstellt). Demnach ist zu klären, inwiefern strukturelle Unterschiede eine solche Identifikation für den einzelnen Sprecher erschweren. Zudem erscheint es sinnvoll, nicht nur die abweichenden Strukturen, sondern auch den Grad der Ähnlichkeit der beteiligten Sprachen zu beachten, da davon auszugehen ist, dass ausgeprägte Übereinstimmungen zwischen den Sprachen eine interlingual identification und somit auch Entlehnungen begünstigen können. Entsprechende Ähnlichkeiten werden bislang vor allem unter dem Aspekt der genealogischen Verwandtschaft behandelt, und es wird festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit von Entlehnungen bei verwandten Sprachen ansteigt (Haspelmath 2003, 8). 28 Letztlich geht es hier aber nicht um rein etymologische Beziehungen, sondern um strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Sprachen, die eine teilweise Interkomprehension ermöglichen können. Darüber hinaus ergibt sich auch für diesen Faktor, dass er in einigen Fällen von untergeordneter Bedeutung für die Frage ist, wie viele Wörter entlehnt werden. So sind etwa in der ZS Italienisch – trotz der genealogischen Verwandtschaft mit dem Spanischen und trotz der relativ guten Interkomprehension beider Sprachen – wesentlich weniger Entlehnungen aus dem Spanischen als aus dem Englischen belegt. Wenn es hingegen darum geht, wie einzelne Entlehnungen in der ZS konkret realisiert werden, so scheint der genannte Faktor durchaus relevant. Beispielsweise kann zwischen dem Französischen, Italienischen und Spanischen von morphologischen Transparenzen ausgegangen werden, so dass bei innerromanischen Entlehnungen eine Beibehaltung des AS-Genus auch in der ZS zu erwarten ist (cf. it. grappa N.f. – frz. grappa N.f. vs. dt. Grappa N.m. [und N.f.]; frz. garage N.m. – it. garage N.m. vs. dt. Garage N.f.).

28

Gleichzeitig kann dadurch ein höherer Grad der Zweisprachigkeit resultieren: Einerseits kann die Nähe von Sprachen begünstigen, dass entsprechende als leicht eingestufte Sprachen von relativ vielen Sprechern erlernt werden (so etwa Spanisch in Italien). Wenn ferner der Begriff der Zwei- oder Mehrsprachigkeit nicht mehr nur auf die aktive Kompetenz bezogen, sondern auch über die passive Kompetenz bestimmt wird, so ergibt sich bei einer hohen Ähnlichkeit der Sprachen automatisch eine ausgeprägtere Zweisprachigkeit.

220

9.5.2.6 Wortart und Morphemtyp Immer wieder wird festgestellt, dass lexikalische Einheiten und Wörter leichter entlehnt werden als grammatische Einheiten und gebundene Morpheme. Ebenso werden Nomina leichter entlehnt als Verben (Moravcsik 1978; Myers-Scotton 2002, 240). Lucien Tesnière trifft diesbezüglich die allgemeine Feststellung, dass sprachliche Einheiten umso leichter entlehnt werden können, je geringer ihre Systematisierung ist (cf. Haugen 1969, 406). Sehr häufig wird in diesem Zusammenhang auch eine hierarchy of borrowability oder borrowing scale aufgestellt (Onysko 2007, 45; Haspelmath 2003, 4; die wohl früheste Formulierung einer entsprechenden Skala findet sich 1881 bei William Dwight Whitney, cf. Haugen 1969, 405; Van Hout/ Muysken 1994, 41). 29 Entsprechende Skalen berücksichtigen Faktoren wie Wortart und Morphemtyp (Nomina, Verben und Adjektive lassen sich den Inhaltswörtern zurechnen, Pronomina, Konjunktionen etc. den Funktionswörtern). Dabei lassen sich die Hierarchien zunächst rein quantitativ oder im Sinne einer abnehmenden Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung der jeweiligen Einheiten interpretieren. Darüber hinaus werden teilweise auch implikationelle Relationen angenommen in der Art: Wenn eine Sprache Verben entlehnt hat, dann wurden auch Nomina entlehnt.

9.5.2.7 Frequenz Ein weiterer Faktor, dem ein Einfluss zugeschrieben wird, ist die Frequenz der betreffenden sprachlichen Einheiten. Dabei kann sowohl die Frequenz einzelner Formen in der AS als auch in der ZS einbezogen werden (Van Hout/Muysken 1994, 42). Für die AS kann angenommen werden, dass eine hohe Frequenz bestimmter Einheiten ihre Entlehnung in andere Sprachen begünstigt. Für die ZS spielt hingegen die Frequenz konkurrierender ZS-Einheiten eine potenzielle Rolle: Wenn es für das vom AS- bzw. entlehnten Ausdruck bezeichnete Konzept bereits eine alternative ZS-Bezeichnung gibt, die mit hoher Frequenz verwendet wird, so kann dies die Entlehnung blockieren bzw. sich negativ auf ihre Verbreitung auswirken. Allerdings ist zu präzisieren, dass grundsätzlich nur der Bereich der sog. Luxuslehnwörter betroffen scheint, da es nur hier bereits vorhandene ZS-Bezeichnungen für das entsprechende Konzept gibt. Dies bestätigt nochmals die bereits festgestellte Bedeutung der traditionellen Opposition von sog. Luxus- und Bedürfnislehnwörtern (cf. Kap. 12.3.2).

29

Die Skalen weichen im Einzelnen voneinander ab, was die angesetzten Kategorien – und, insbesondere für Verben und Adjektive, ihre Hierarchisierung – angeht. Van Hout/Muysken zitieren die folgenden Hierarchien: «nouns – other parts of speech – suffixes – inflection – sounds» (Whitney 1881), «nouns – verbs – adjectives – adverbs – prepositions – interjections – …» (Haugen 1950), «nouns – adjectives – verbs – prepositions» (Singh 1981), «nouns – adjectives – verbs – prepositions – coordinating conjunctions – quantifiers – determiners – free pronouns – clitic pronouns – subordinating conjunctions» (Van Hout/Muysken 1994, 41).

221

Darüber hinaus ergibt sich, dass das genannte Frequenzkriterium allenfalls eine bestimmte Tendenz ausdrückt (hochfrequente Wörter sind stabilere Einheiten des Lexikons als niederfrequente). Die Tatsache, dass Luxuslehnwörter in Sprachen wie dem Französischen und Italienischen durchaus häufig belegt sind, zeigt jedoch, dass weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere ist an semantischpragmatische Aspekte zu denken. So lässt sich für bestimmte tabuisierte oder stark expressiv markierte Bereiche des Lexikons – bei denen es sich vielfach gerade um häufig thematisierte Bereiche handelt, so dass den vorhandenen Formen eine relativ hohe Gebrauchsfrequenz zugeschrieben werden kann – generell eine sehr schnelle Abnutzung der vorhandenen sprachlichen Formen feststellen, d.h. in entsprechenden Bereichen liegt (trotz oder gerade auch wegen der hohen Gebrauchsfrequenz der Formen) eine hohe Innovationsfreudigkeit vor, so dass auch Entlehnungen generell begünstigt werden, cf. die folgenden Beispiele. (213)

SEHR GUT:

frz. super, extra, génial, top (ĸ engl. top), cool (ĸ engl. cool) etc. (PR)

9.5.2.8 Semantischer Bereich/Wortfeld Das obige Beispiel (213) hat bereits gezeigt, dass auch semantische Aspekte einen wichtigen Einfluss haben können. Insgesamt ist die Rolle des semantischen Bereichs für die Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung allerdings bislang nur unzureichend erforscht – cf. hierzu aber das in Kap. 6.1.1 skizzierte Projekt Loanword Typology von Martin Haspelmath und Uri Tadmor, das sich genau dieser Fragestellung widmet. Unter Umständen ist dabei auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass innerhalb bestimmter semantischer Bereiche und Wortfelder jeweils nur bestimmte Konzepte «anfällig» für eine Versprachlichung mittels entlehnter Bezeichnungen sind. Betrachtet man etwa den Bereich der Farbbezeichnungen, so fällt auf, dass vor allem solche Farbkategorien durch Entlehnungen bezeichnet werden, die außerhalb der von Berlin/Kay (1969) festgestellten elf Grundkategorien 30 (WEIß, SCHWARZ, ROT, GELB, GRÜN, BLAU, GRAU, ROSA, BRAUN, ORANGE und PURPUR) – cf. Bsp. (214) bis (217) – oder die zumindest weit hinten in dieser Hierarchie liegen – cf. Bsp. (218) und (219). (214) engl. turquoise ĸ altfrz. turqueise, -quaise (OED) (215) dt. beige ĸ frz. beige (EWDS) (216) it. beige ĸ frz. beige (DELI) (217) frz. indigo ĸ pg. indigo (DHLF) 30

Berlin/Kay (1969) sprechen von den basic color terms einzelner Sprachen; ich referiere hier jedoch auf die betreffenden Konzepte bzw. Farbkategorien, da nur in einer onomasiologischen Perspektive die dafür jeweils vorhandenen Bezeichnungen in verschiedenen Sprachen analysiert und verglichen werden können.

222

(218) engl. orange ĸ mfrz. orenge/frz. orange (OED) (219) dt. rosa ĸ lat. rosa (EWDS) Bezeichnenderweise werden im Übrigen vor kurzem entlehnte Wörter in Zweifelsfällen bereits aufgrund des Kriteriums ihrer Entlehntheit von den basic color terms einer Sprache ausgeschlossen (Berlin/Kay 1969, 6). (Die Tatsache, dass z.B. das im 14./15. Jh. entlehnte engl. turquoise nicht als basic color term des amerikanischen Englischen gewertet wird, das im 15. Jh. entlehnte engl. orange hingegen schon [Berlin/Kay 1969, 119], zeigt allerdings, dass die Anwendung dieses Kriteriums in Einzelfällen durchaus als problematisch gelten kann.) Im Zusammenhang mit den beiden zuletzt genannten Faktoren wird in der Entlehnungsforschung auch auf die Unterscheidung von basic vs. nonbasic vocabulary verwiesen (McMahon 1994, 204). Das nonbasic vocabulary bezeichnet insbesondere Fachwortschätze; es geht vor allem um «domains of expertise found in the society speaking the source language but not in the society speaking the borrowing language» (Croft 2000, 205). Der Begriff des basic vocabulary wird hingegen als vielen Sprechergruppen gemeinsamer Kernwortschatz bestimmt. Die Tatsache, dass zunächst nonbasic vocabulary entlehnt wird, erklärt Croft dabei wie folgt, indem er auf Sprechergemeinschaften Bezug nimmt: «The domain of expertise of the source society defines a community. Members of the borrowing society share in the domain of expertise, and use the code of the loaning society in that domain. Those linguemes in the code that are not already present in the borrowing society’s language are the more likely to be transferred to the borrowing language, and those are more likely to be nonbasic vocabulary. Basic vocabulary, on the other hand, generally denotes the core expertise that is common across many communities in a society. Since that core expertise is present in any society, vocabulary for the core expertise is fairly strongly entrenched and is more likely to prevail over foreign basic vocabulary» (Croft 2000, 205).

Die Unterscheidung zwischen basic und nonbasic vocabulary wird darüber hinaus bei Thomason/Kaufman (1988) mit den sozialen Rahmenbedingungen des Sprachkontakts, speziell mit der von den Autoren angesetzten fünfstufigen Skala von gelegentlichem bis hin zu sehr ausgeprägtem Sprachkontakt (cf. Kap. 9.5.2.1), in Verbindung gebracht. Nach Thomason und Kaufman lässt sich auf der ersten Stufe nur eine Entlehnung von Inhaltswörtern, speziell nonbasic vocabulary beobachten. Auf den weiteren Stufen werden dann hingegen auch Funktionswörter entlehnt, und es ergeben sich Auswirkungen auf die grammatischen Strukturen der ZS, d.h. es können neue Phoneme auftreten, Affixe in entlehnten Wörtern können in der ZS produktiv werden etc. (Thomason/Kaufman 1988, 74–76). Ferner erscheint es interessant, die Überlegungen zur Entlehnung von basic vs. nonbasic vocabulary auf die traditionelle Unterscheidung von Luxus- vs. Bedürfnislehnwörtern (cf. Kap. 12) zu beziehen. Da Bedürfnislehnwörter in der Mehrzahl spezifischen Fachgebieten zuzurechnen sind, in denen die AS einen technologischen Vorsprung o.ä. hat (cf. it. computer, it. mouse, frz. cannelloni), scheinen hier enge Beziehungen zur Kategorie des nonbasic vocabulary zu bestehen. Umgekehrt scheinen Luxuslehnwörter, für die bereits ein ZS-Bezeichnungsäquivalent vorhanden ist 223

(cf. frz. célébrités neben frz. people, frz. calme und frz. décontracté neben frz. cool), in vielen Fällen dem Basiswortschatz zu entstammen, so dass sich auch hier gewisse Korrelationen ergeben. Gleichzeitig ergibt sich, dass auch innerhalb des basic vocabulary bei bestimmten Konzepten von häufigen Entlehnungen bzw. allgemeiner, Neuversprachlichungen, auszugehen ist (cf. das Konzept SEHR GUT in Bsp. (213)).

9.5.2.9 Zwischenfazit Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass viele der bisher erläuterten Faktoren traditionell auf der Ebene der beteiligten Sprachen und Sprachgemeinschaften insgesamt formuliert werden. Hier lässt sich von den äußeren Voraussetzungen von Entlehnung sprechen; allgemein geht es dabei um die historischen, geographischen, politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen, die etwa die Ausprägung des Sprachkontakts und der Zweisprachigkeit beeinflussen. Wie gezeigt wurde, können die letzteren Faktoren aber durchaus auch auf einzelne Sprachbenutzer bezogen werden, wobei sich jedoch individuelle Abweichungen gegenüber dem Durchschnitt der Sprachgemeinschaft ergeben können. Andere der traditionell genannten Faktoren nehmen auf Charakteristika bestimmter sprachlicher Kategorien Bezug; auch sie werden somit traditionell (weitgehend) unabhängig vom individuellen Sprachbenutzer und der konkreten Verwendung der Einheiten in der Kommunikation konzipiert. Hier habe ich immer wieder versucht, Bezüge zur Ebene der Sprachbenutzer und der diskursiven Verwendungen herzustellen. Bei der näheren Analyse der Faktoren hat sich ferner immer wieder gezeigt, dass die traditionelle Unterscheidung von sog. Luxus- und Bedürfnislehnwörtern zu einer zusätzlichen Präzisierung beitragen kann; diese Unterscheidung soll daher in Kap. 12 näher analysiert werden.

9.5.3

Zur Einlösbarkeit des methodologischen Individualismus bei Lehnwortanalysen

Es stellt sich schließlich die Frage, inwiefern eine Untersuchung von Entlehnungen und ihrer Verbreitung innerhalb der ZS im Sinne der obigen theoretischen Bestimmungen tatsächlich methodologisch einlösbar ist. Idealerweise würde dies bedeuten, die jeweiligen Prozesse bis hin zur ersten Entlehnung zurückzuverfolgen (Analoges gilt im Übrigen auch für andere Sprachwandelprozesse, die jeweils auf die erste Innovation zurückzuführen wären). Dieser Idealfall ist etwa gegeben, wenn ein einzelner Wissenschaftler über ein bislang unbekanntes Phänomen publiziert und hierfür einen neuen Ausdruck aus einer anderen Sprache in seine Sprache einführt. Eine solche Situation erscheint jedoch für die meisten aktuellen Entlehnungen in Sprachen wie dem Französischen und Italienischen kaum realistisch, da davon auszugehen ist, dass innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS mehrere Innovationen parallel und unabhängig voneinander erfolgen. Selbst wenn es als ausreichend anzusehen wäre, eine dieser Innovationen zu analysieren, so erscheint es immer noch kaum einlösbar, die entsprechen224

den kommunikativen Äußerungen in vorhandenen Corpora ausfindig zu machen. In vielen Fällen ist vielmehr davon auszugehen, dass die Innovation selbst nicht dokumentiert und somit einer linguistischen Analyse nicht mehr zugänglich ist. 31 Wenn die Innovation daher in der Regel kaum selbst beobachtbar ist, so sind jedoch Fälle denkbar, in denen bestimmte Merkmale der Innovation und des Innovationskontextes erschließbar sind. So setzen etwa bestimmte morphologische (Re-)Analysen einen fremdsprachlichen Kontext voraus (entsprechende Fälle sind häufig für Kreolisierungssituationen belegt, sind aber nicht auf diesen Bereich beschränkt, wie Bsp. (222) zeigt): 32 (220) frz.-D.O.M.-T.O.M. zoreille N.sg. ‘aus der Metropole stammender Bewohner der D.O.M.-T.O.M.’ (ĸ frz. „…de[z]/le[z] oreilles…“) (PR) (221) Seychellenkreol lisyen ‘Hund’ (ĸ frz. „…le chien…“) (Detges/Waltereit 2002, 155) (222) mfrz. licorne ‘Einhorn’ (mfrz. „…la licorne…“ ĸ it. „…l’alicorno…“) (Detges/Waltereit 2002, 155) Die in Bsp. (220) und (221) auftretenden Agglutinationen sind nur erklärbar, indem auf einen bestimmten sprachlichen Kontext Bezug genommen wird, in dem die agglutinierten Einheiten erscheinen. So muss etwa für die Agglutination von [z-] bei frz. zoreille ein Kontext frz. „…de[z]/le[z] oreilles…“ als Grundlage für die Innovation angesetzt werden. Für (222) muss ebenso ein Kontext angenommen werden, der entsprechend (re-)analysiert werden kann, so dass eine Deglutination stattfindet: it. „…l’alicorno…“ ĺ *„…la licorno…“ (cf. (m)frz. „la liesse“, „la ligne“ etc./„la X“-Paradigma; Detges/Waltereit 2002, 159). Andererseits lassen sich viele Beispiele von Veränderungen im Kontext von Entlehnungsprozessen anführen, bei denen auf der Grundlage der isolierten sprachlichen Fakten allein zunächst nicht eindeutig erschließbar ist, ob diese bei der erstmaligen Entlehnung oder aber zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der ZS stattgefunden haben. Dies betrifft etwa lautliche und graphische Integrationen: (223) frz. pipole ĸ engl. people (Integration bei der Entlehnung selbst)? ODER (224) frz. pipole ĸ frz. people ĸ engl. people (spätere Integration in der ZS)? 31

32

Cf. Coseriu: «[...] la innovación inicial específica no puede establecerse más que hipotéticamente para cada cambio en particular. Lingüísticamente solemos comprobar la innovación cuando ya se ha adoptado por varios individuos y se ha vuelto ‹cambio› y, salvo para ciertos casos léxicos y para algún otro caso documentado [...], resulta imposible llegar hasta el individuo innovador y el momento mismo de la innovación» (Coseriu 1958, 83–84, Hervorhebung im Original). Da bei Kreolisierungsprozessen nicht innerhalb einer gegebenen Sprache vorhandene Strukturen neu analysiert werden, sondern erst eine neue Sprache geschaffen wird, kann argumentiert werden, dass hier eher von einer Analyse als von einer Reanalyse zu sprechen ist.

225

Um hier eine Entscheidung zu treffen, sind ergänzende Informationen zu berücksichtigen. So lässt sich die Chronologie der Belege analysieren; zu beachten ist aber, dass aus dieser nicht mit vollständiger Sicherheit auf die Chronologie der Entwicklungen zurückgeschlossen werden kann, da unter Umständen entscheidende Belege nicht dokumentiert sind. Weiterhin lassen sich Vergleiche zu anderen Entlehnungen im beobachteten Zeitraum ziehen, um festzustellen, ob bestimmte Integrationsprozesse als weithin üblich angesehen werden können, so dass mit einer gewissen Plausibilität angenommen werden kann, dass diese bereits bei der ersten Entlehnung stattgefunden haben. Ebenso können Informationen über die Intensität des Sprachkontakts und den Grad der Zweisprachigkeit eine Rolle spielen, da eine zunächst erfolgende Übernahme sehr schwach integrierter Formen in der Regel nur bei intensivem Sprachkontakt und relativ ausgeprägter Zweisprachigkeit gegeben ist. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Prinzip des methodologischen Individualismus eine kleinschrittige Betrachtung von Veränderungen nahelegt, so dass bei der Beschreibung und Erklärung von Entlehnungen und Lehnwortintegrationen unter Umständen zusätzliche Zwischenschritte berücksichtigt werden. Dabei kann aber im Regelfall nicht der Anspruch erhoben werden, die «tatsächlich erste Entlehnung» in vorhandenen Corpora ausfindig zu machen und davon ausgehend den Verbreitungsverlauf detailliert nachzuverfolgen, da sich hier verschiedene methodologische Schwierigkeiten ergeben. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen einer Betrachtung, die konsequent von der Ebene der Sprachbenutzer ausgeht, letztlich auch nicht so sehr darauf ankommen kann, die «erste Entlehnung» im Sinne der «absolut» ersten Verwendung innerhalb der ZS zu ermitteln. Vielmehr erscheint es nur konsequent, auch den Begriff der Erstentlehnung im Hinblick auf die Sprachbenutzer zu fundieren, wobei die Erstentlehnung als die erste Verwendung innerhalb der ZS aus Sicht des Produzenten gefasst werden kann. Als entscheidender Faktor erweist sich damit die Kenntnis bzw. Nichtkenntnis der Form als Form der ZS, womit der Möglichkeit paralleler «Erst»-Entlehnungen Rechnung getragen wird (cf. Kap. 5.1.3). Dieser Gedanke scheint auch auf das Stadium der Verbreitung einer Innovation übertragbar. So soll im Folgenden argumentiert werden, dass sich eine heuristische und methodologische Trennung von verschiedenen Phasen der Verbreitung einer Innovation vornehmen lässt, die darauf basiert, welches Wissen Produzent und Rezipient bezüglich der Innovation haben bzw. welches Wissen der Produzent hat und welches Wissen er dem Rezipienten bei seiner Verwendung der Form unterstellt (cf. Kap. 10 und 11).

9.6

Zusammenfassung

Im vorangehenden Kapitel wurde ein umfassendes Schema erarbeitet, mit dem Entlehnungs- und allgemein Sprachwandelprozesse dargestellt werden können. Dieses pragmatisch-kognitiv fundierte Schema integriert die Ansätze von Keller und Croft sowie eine Reihe weiterer Ansätze. Dabei wird insbesondere auf die drei Ebenen des Sprachlichen nach Coseriu Bezug genommen, um das Schema zu

226

strukturieren und um traditionelle Konzepte wie die Verbreitung von Innovationen zu präzisieren. Ferner nimmt das Schema eine klare Trennung des Ablaufs von Sprachwandel, d.h. beschreibenden Aspekten, einerseits sowie der Erklärung der einzelnen Prozesse andererseits vor. Verschiedene traditionelle Erklärungsfaktoren wurden in das Schema integriert; ggf. können weitere Faktoren, die zur Erklärung spezifischer Wandelphänomene herangezogen werden müssen, entsprechend in das Schema integriert werden. Im Hinblick auf bisherige Erklärungsansätze ergeben sich dabei verschiedene Präzisierungen. Der Status der einzelnen Erklärungsfaktoren wird genauer bestimmt, indem diese mit Hilfe der Trennung der Ebenen des Sprachlichen sowie der außersprachlichen Ebene systematisiert werden. Gleichzeitig werden die verschiedenen Faktoren in ihrem Wirken allesamt in Bezug auf die individuell-aktuelle Ebene des Diskurses konzipiert. Dadurch wird das Prinzip des methodologischen Individualismus berücksichtigt (cf. die erste der in Kap. 8 formulierten Anforderungen): Sprachwandel wird – sowohl was seine Beschreibung als auch seine Erklärung angeht – stets von der Ebene der Diskurse/Texte und der einzelnen Sprachbenutzer her gedacht. Darüber hinaus wird auch die zweite grundlegende Anforderung umgesetzt: Das Schema ist sowohl auf Entlehnungsprozesse als auch auf andere Typen von Sprachwandel anwendbar und erlaubt somit eine umfassende Betrachtung der genannten Phänomene. Im Hinblick auf konkrete Untersuchungen von Entlehnungs- und Sprachwandelprozessen können damit die folgenden Fragen formuliert werden: Wie beeinflussen bestimmte Erklärungsfaktoren verschiedene Teilprozesse des Sprachwandels (Innovationen und Adoptionen), und wie wirken unterschiedliche Faktoren hierbei zusammen? Und speziell im Hinblick auf Prozesse der direkten Entlehnung: Wie greifen Integrationsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache ineinander, d.h. welche wechselseitigen Beeinflussungen sind hier denkbar? Wenn entsprechende Fragestellungen ausgehend von der Ebene der Sprachbenutzer bearbeitet werden, so erweist es als grundlegend, die hier stattfindenden Prozesse als genuine Kommunikationsprozesse zu analysieren: «El hablar es siempre ‹comunicar› […]. […] la esencia del lenguaje se da en el diálogo» (Coseriu 1958, 40). «El cambio lingüístico tiene su origen en el diálogo: en el pasaje de modos lingüísticos del hablar de un interlocutor al saber del otro» (Coseriu 1958, 44).

Die Frage der adäquaten semiotischen Modellierung entsprechender Kommunikationsprozesse soll daher in den nachfolgenden Kapiteln eingehend erörtert werden.

227

10

Semiotische und kommunikationstheoretische Überlegungen

Im folgenden Kapitel sollen zunächst zentrale Anforderungen formuliert werden, die an eine semiotische Modellierung von Entlehnungen gestellt werden können. Hierbei ergeben sich verschiedene Problematiken, die auf die dringende Notwendigkeit einer – bislang nicht eingelösten – Ausarbeitung und Explizierung der semiotischen Grundlagen von Entlehnungsprozessen im Allgemeinen verweisen. Im Anschluss soll daher untersucht werden, welche Perspektiven bisherige semiotische Modelle hierfür aufzeigen. Dabei werden einerseits strukturalistische Konzeptionen, andererseits Ansätze der Kognitiven Linguistik diskutiert. Da beide Konzeptionen einen wichtigen Beitrag zur Modellierung der auftretenden Phänomene leisten, soll für eine Kombination bzw. Arbeitsteilung zwischen ihnen argumentiert werden. Eine solche Kombinatin beider Ansätze schlägt bereits Blank vor, so dass sein Modell im Anschluss erörtert wird. Auf dieser Grundlage wird dann im nachfolgenden Kapitel ein Modell der Kommunikation entwickelt, mit dem zentrale Etappen bei Prozessen der Entlehnung und des Sprachwandels dargestellt werden können.

10.1

Anforderungen an die semiotische Modellierung von Entlehnungen

Nachfolgend sollen zunächst grundlegende Merkmale von Entlehnungs- und Sprachwandelprozessen skizziert werden, die im Hinblick auf die semiotische Modellierung entsprechender Prozesse Schwierigkeiten aufwerfen können. Hieraus ergeben sich bestimmte Anforderungen, denen ein semiotisches Modell genügen muss, um Entlehnungs- und Integrationsprozesse befriedigend erfassen zu können.

10.1.1

Entlehnung als konkretes kommunikatives Ereignis

Ein erstes grundlegendes Merkmal von Entlehnung wurde im Zusammenhang mit dem Prinzip des methodologischen Individualismus festgestellt: Entlehnung im Sinne der Übernahme eines fremdsprachlichen Ausdrucks stellt ein konkretes kommunikatives Ereignis dar, das im Bereich des Diskurses situiert ist. Ebenso ist auch die weitere Verbreitung entlehnter Einheiten in der ZS auf eine Reihe einzelner Kommunikationsakte (Adoptionen) zurückzuführen. Traditionelle Darstellungen von Entlehnung als Phänomen des Austauschs zwischen Sprachen sind demnach allen-

229

falls als abkürzende Sprechweisen zu verstehen, die jedoch keine Beschreibung der tatsächlich ablaufenden Phänomene liefern. Aus diesen Überlegungen ergeben sich grundlegende Konsequenzen für die semiotische Modellierung entsprechender Prozesse. Zunächst einmal sind nicht nur abstrakte semiotische Entitäten zu betrachten, sondern (zumindest auch) die in einer konkreten, individuellen Kommunikationssituation semiotisch relevanten Entitäten. Weiterhin sind alle semiotischen Komponenten grundsätzlich auf die beteiligten Sprachbenutzer zu beziehen bzw. zumindest auch im Hinblick auf diese zu interpretieren. Dies betrifft zunächst den kognitiven Status der einzelnen Entitäten, die mit bestimmten kognitiven Fakten, insbesondere mit bestimmten Wissensbeständen des Sprechers und Hörers bzw. des Produzenten und Rezipienten, in Verbindung zu bringen sind. Entsprechende Wissensbestände umfassen etwa Kenntnisse bezüglich sprachlicher Formen innerhalb des gegebenen Sprachsystems, d.h. einzelsprachlichlexikalisches Wissen (Blank 1997, 95) bezogen auf das System der ZS. Im Bereich der Entlehnungen kommen darüber hinaus insbesondere auch Kenntnisse bezüglich der AS hinzu (cf. Kap. 9.5.2.2, in dem der Grad der Zweisprachigkeit als wichtiger Faktor für Entlehnungen analysiert wurde). Darüber hinaus lässt sich aus dem methodologischen Individualismus und der Verankerung von Entlehnung in konkreten Diskursereignissen ableiten, dass die Rahmenbedingungen der Kommunikation zu berücksichtigen sind, insofern als sie etwa die Möglichkeit bestimmter Referenzbezüge begründen. 1 Ein weiterer Punkt ist schließlich die Überwindung einer rein sprecher- bzw. produktionsorientierten Sichtweise, um auch hörer- bzw. rezipienteninduzierte Veränderungen zu erfassen. D.h. es geht darum, auch den Prozess der Rezeption und Interpretation sprachlicher Formen bzw. die Perspektive des Rezipienten, einzubeziehen. Damit erscheint es für die Modellierung von Entlehnungsprozessen notwendig, reine Zeichenmodelle (die nur die Perspektive der Produktion oder der Rezeption erfassen) zu echten Kommunikationsmodellen zu erweitern, die den Produktionsund den Rezeptionsaspekt einschließen.

10.1.2

Entlehnung als sprachenübergreifendes Phänomen

Eine weitere, an sich triviale Beobachtung ist die, dass eine Betrachtung von Lehnwörtern die Überschreitung einer einzelsprachlichen Perspektive impliziert, insofern als Elemente aus einer Sprache in eine andere übernommen werden. Auch aus dieser Beobachtung ergeben sich jedoch weit reichende Konsequenzen für die semiotische Modellierung des Entlehnungsprozesses; es stellt sich die Frage, welche semiotischen Entitäten überhaupt als solche entlehnt werden können. Als höchst problematisch erweisen sich in dieser Hinsicht traditionelle Definitionen der Lehnbedeutung und der Scheinentlehnung. Erstere wird häufig als bloße Bedeutungsentlehnung bzw. als Entlehnung nur einer Bedeutung/eines signifiés (ohne gleichzeitige Entlehnung eines Ausdrucks/signifiants) aufgefasst (so die etab1

Zu entsprechenden Kommunikationsbedingungen im Allgemeinen cf. Koch/Oesterreicher (1990, 8–12).

230

lierte Definition von Betz, die sich in ähnlicher Form bei einer Reihe von anderen Autoren wiederfindet, cf. Betz 1951, 23–24; Haugen 1950, 214; Gneuss 1955, 20; Duckworth 1977, 52; Haensch 1981, 140; Kiesler 1993, 517; Blank 1995, 42 2). Die sog. Scheinentlehnung hingegen wird immer wieder als rein formale Entlehnung («emprunts purement formels», DAngl [Josette Rey-Debove, Introduction], IX) bzw. als Entlehnung nur eines Ausdrucks/signifiants (ohne gleichzeitige Entlehnung der Bedeutung/des signifiés) bestimmt. 3 Geht man von einer strukturalistischen Zeichenkonzeption aus, so widersprechen jedoch beide Definitionen dem grundlegenden Prinzip der Einheit des sprachlichen Zeichens im Sinne von Saussure (1969 [11916], 145), d.h. der grundsätzlichen Untrennbarkeit von signifiant und signifié: Nach dem genannten Prinzip können weder signifiés noch signifiants isoliert von der jeweils anderen Einheit entlehnt werden (cf. Jansen 2005, 100; Onysko 2007, 15 und 21; Humbley 2008b, 230; 2008c, 229; Winter-Froemel 2009b, 97; zur generellen Untrennbarkeit von signifiant und signifié cf. Kabatek 1996, 6). Darüber hinaus impliziert der strukturalistische Zeichenbegriff, dass das sprachliche Zeichen unmittelbar an das semiotische System gebunden ist, das allein den Wert des Zeichens bestimmt. Insofern ist es ebenso unmöglich, Zeichen einer Sprache als solche zu entlehnen, da diese bei der Übernahme in eine andere Sprache ihren einzelsprachbezogenen Status (hier: in Bezug auf das System der AS) verlieren. Wenn nun weder signifiants noch Zeichen entlehnt werden können, so ist genauer zu bestimmen, welche semiotischen Ausdruckseinheiten überhaupt in eine andere Sprache übernommen werden. Die Rückbindung des Entlehnungsprozesses an konkrete Kommunikationsereignisse legt wiederum nahe, dass die entsprechenden semiotischen Entitäten als konkret in der Kommunikation realisierte Entitäten zu konzipieren sind. Gleichzeitig ergibt sich durch die Überschreitung einer innereinzelsprachlichen Perspektive die Notwendigkeit, auch auf der Ebene des Inhalts einen semiotischen Bezugspunkt zu finden, der als Brücke zwischen der AS-Entität und der ZS-Entität fungieren kann (cf. Heger 1987, 425). Ein solcher Bezugspunkt ist nicht nur für sprachvergleichende Betrachtungen zentral, sondern stellt insbesondere auch für Situationen der Übersetzung und des Sprachkontakts eine notwendige Etappe der Semiose dar. Hierzu wird vielfach ein außer(einzel)sprachliches Konzept angesetzt, das von einem bestimmten AS-Ausdruck und ZS-Ausdruck bezeichnet wird. Demnach be2

3

Blank übernimmt in seinem Aufsatz von 1995 noch die etablierte Definition von Betz, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Im Rahmen späterer Arbeiten (u.a. Blank 1997; 2001a) und der dort zugrunde gelegten Zeichenkonzeption ergibt sich jedoch die Möglichkeit einer völlig anderen Modellierung von Lehnbedeutungen, bei der die Problematik der traditionellen Sichtweise umgangen werden kann. Diese Modellierung wurde in Kap. 8.1 anhand von frz. souris (Bsp. (201)) veranschaulicht. Auch in einer Broschüre des Office québecois de la langue française wird bei der Definition des Begriffs Emprunt lexical die Möglichkeit einer Entlehnung nur der Form oder nur der Bedeutung angenommen: «Emprunt linguistique par lequel les locuteurs d’une langue adoptent intégralement (forme et sens) ou partiellement (forme ou sens seulement) une unité lexicale d’une autre langue» (PolEmpruntling 2007, 21; eine ähnlich problematische Darstellung findet sich auch bei Winford 2003, 42).

231

ziehen in einer Sprachkontaktsituation (im Idealfall) der Produzent und der Rezipient den realisierten Ausdruck auf dasselbe Konzept, so dass der Rezipient diesen ggf. selbst als Ausdruck für eben dieses Konzept übernimmt. 4 Allerdings sind auch Fälle zu beobachten, bei denen die vom AS- und ZSAusdruck bezeichneten Konzepte nicht übereinstimmen: (225) sp. sombrero HUT ĺ frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT Für entsprechende Fälle ist daher ein anderer Bezugspunkt zu suchen, wobei wiederum die Anbindung an die konkrete Kommunikationssituation zentral ist. Trotz der eintretenden semantischen Veränderung ist von einer (im Wesentlichen) erfolgreichen Kommunikation auszugehen, was durch das Vorliegen eines gemeinsamen Referenzbezugs erklärt werden kann: Beide Konzepte – sowohl BREITKREMPIGER HUT als auch HUT – können erfolgreich auf einen in der Kommunikationssituation aktualisierten Hut, d.h. den konkreten Referenten bezogen werden. 5 Damit ergibt sich, dass für bestimmte Fälle von Entlehnungen das außer(einzel)sprachliche Konzept und der Referent unterschieden und nebeneinander berücksichtigt werden müssen. 6

10.1.3

Mehrdeutigkeit und semantischer Wandel

Ein weiteres Phänomen, das bei traditionellen Untersuchungen von Entlehnungen immer wieder thematisiert wird, ist die semantische Mehrdeutigkeit. Diese betrifft hier im Wesentlichen Phänomene der Polysemie. 7 4

5

6

7

Die Notwendigkeit einer Betrachtung ausgehend vom jeweils bezeichneten Konzept stellt sich noch deutlicher, wenn es darum geht, auch eigene lexikalische Innovationen zu erfassen, die zwar durch eine Sprachkontaktsituation induziert sind, jedoch unabhängig von einem fremdsprachlichen Modell gebildet werden (sog. Lehnschöpfungen und substituierende Lehnbedeutungen). Der für die Klassifikation entsprechender Fälle erforderliche Vergleich von AS-Bezeichnungen und ZS-Bezeichnungen ist nur in einer onomasiologischen, konzeptbasierten Perspektive möglich (cf. Humbley 1988). Die vorgeschlagene Erklärungshypothese, die in Kap. 11.4 nochmals aufgegriffen und weiter präzisiert wird, lässt sich etwa durch den folgenden, relativ frühen Corpusbeleg von 1902 stützen (laut DHLF ist der Ausdruck sombrero im Französischen bis zum 19. Jh. als selten einzustufen): «[…] dans les régions de fortes chaleurs, dans le sud de l’Espagne, en particulier, il est nécessaire, pour éviter les insolations, de porter le chapeau à larges bords, auquel on a donné le nom poétique de sombrero» (Damase de Loisey: Le bienheureux Diego-Joseph de Cadix, apôtre de l'Espagne au XVIIIe siècle. Paris: Œuvre de St-François d'Assise, 1902, p. 204/Gallica). Ferner ist anzumerken, dass semiotisch gesehen das Konzept als gemeinsamer Bezugspunkt der Kommunikationspartner problematisch ist, da dieses nur eine mentale Entität bei dem Produzenten einerseits und dem Rezipienten andererseits darstellt. Streng genommen kann somit grundsätzlich nur der Referent als gemeinsamer Bezugspunkt fungieren; das Konzept kann allenfalls aus praktischen Gründen als Bezugspunkt bei linguistischen Betrachtungen beibehalten werden (cf. Kap. 11.1). In Einzelfällen können auch Homonymien vorliegen; allerdings ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass AS-Homonymien für Entlehnungen keine wesentliche Rolle spielen.

232

Zunächst einmal sind die Ausgangswörter bei Entlehnungsprozessen häufig mehrdeutig. Diesbezüglich wird in der Entlehnungsforschung immer wieder festgestellt, dass entsprechende Mehrdeutigkeiten im Entlehnungsprozess vielfach abgebaut werden bzw. dass die Ausgangswörter häufig nur in einer Bedeutung entlehnt werden (cf. Gusmani 1973, 95; Görlach 2002, 10; Busse/Görlach 2002, 27; Humbley 2002, 119; Rodríguez González 2002, 144; Onysko 2007, 16–17). Unter semiotischen Gesichtspunkten ist hierzu anzumerken, dass Wörter streng genommen nicht in einer bestimmten Ausgangsbedeutung entlehnt werden, da die Ausgangsbedeutung als signifié an das System der AS gebunden ist (cf. Busse/Görlach 2002, 27; Humbley 2008b, 230). Vielmehr ist bei einer konkreten Entlehnung jeweils nur eine bestimmte Ausgangsbedeutung betroffen, die in der jeweiligen Kommunikationssituation aktualisiert ist und mit der auf ein bestimmtes Konzept und einen aktualisierten, individuellen Referenten verwiesen wird. Darüber hinaus ergibt sich aus den angestellten semiotischen und sprachwandeltheoretischen Überlegungen, dass es sich bei dem Abbau von Mehrdeutigkeit nicht nur um eine Tendenz handelt (so etwa Gusmani 1973, 95), sondern um ein Prinzip, das für Entlehnungsprozesse allgemein angesetzt werden kann (cf. Pergnier 1989, 53). 8 Aus dem methodologischen Individualismus und der Rückbindung von Entlehnung an individuelle Kommunikationsakte lässt sich somit die Reduktion von ASMehrdeutigkeit als Grundprinzip der Entlehnung ableiten. 9

8

9

Darüber hinaus können durch Entlehnung auch neue Homonymien in der ZS entstehen, so z.B. bei it. scannare ‘scannen’ (ĸ engl. scan ‘scannen’), das neben it. scannare ‘schlachten’ (parasynthetische Derivation aus it. canna ‘Luft-/Speiseröhre, Kehle’, cf. DO; DELI) tritt. Pergniers Erläuterungen machen dabei deutlich, dass diese Reduktion von Polysemie unmittelbar aus den Bedingungen der Entlehnung – d.h. der kommunikativen Verwendung des entlehnten Ausdrucks durch die Sprachbenutzer – erklärt werden kann: «La réduction de la polysémie du signe emprunté à une seule de ses désignations tient bien sûr aux conditions de l’emprunt: l’emprunteur ne veut pas emprunter un mot pour lui-même; il veut, dans une visée pragmatique, emprunter un concept et sa dénomination» (Pergnier 1989, 55, Hervorhebungen im Original). Wichtig erscheint auch die damit zusammenhängende Unterscheidung zwischen der signification auf der (einzelsprachlichen) Ebene der langue einerseits (die prinzipiell nicht entlehnbar ist) und der désignation als Phänomen der parole andererseits: «Non seulement l’emprunt […] est mutilé de la majeure partie de ses emplois dans la désignation (réduction à la monosémie) mais il est aussi mutilé de sa signification» (Pergnier 1989, 57). Gleichzeitig beschreibt Pergnier in diesem Zusammenhang das Merkmal der fehlenden Motivierbarkeit entlehnter Wörter, das sich genau aus der Reduktion der Polysemie ergibt. Auch Blank stellt bereits als Grundprinzip von Entlehnungen fest, dass jeweils nur eine Bedeutung des AS-Worts betroffen ist (cf. Görlach 2002, 10): «[…] borrowing speech communities are only interested in one of the meanings of a polysemous loanword and lexicalize it with only the meaning», so z.B. bei it. goal ‘Tor (beim Punktestand)’ gegenüber engl. goal ‘Ziel’, ‘Endpunkt eines Rennens’, ‘Markierung dieses Endpunkts’, ‘Tor (als Zielobjekt der Spieler)’, ‘Tor (beim Punktestand)’. Dies lässt sich nach Blank wie folgt begründen: «[…] we do not really borrow words, but rather whole frames in which certain concepts play an important part» (Blank 2001b, 1606). Die vorgenommene Personifizierung der Sprachgemeinschaften muss allerdings als verkürzende Sprechweise verstanden

233

In scheinbarem Widerspruch zu dieser Feststellung stehen Fälle, bei denen die AS-Wörter und ZS-Wörter eine zumindest teilweise parallele Mehrdeutigkeit aufweisen. Entsprechende Fälle lassen sich als sog. Doppelentlehnungen (Carstensen 1967, 25) bzw. genauer, als Mehrfachentlehnungen analysieren. Dieser Begriff lässt sich allgemein definieren als «die mehrmalige Übernahme desselben Wortes in übersetzter oder unübersetzter Form» (Carstensen 1967, 25), wobei im Kontext der vorliegenden Arbeit nur mehrfache Übernahmen in unübersetzter Form, d.h. mehrfache direkte Entlehnungen, interessieren. Als Beispiele nennt Carstensen neben dt. Steckenpferd/dt. Hobby (Übernahme in übersetzter bzw. unübersetzter Form) dt. Service als ‘Aufschlag beim Tennisspiel’/‘Kundendienst’, ‘Dienstleistung’ und Slip als ‘Schlüpfbahn auf Schiffswerften’/‘Unterhose’ (bzw. «als Terminus aus der Bekleidungsindustrie», so die Formulierung bei Carstensen 1967, 25). Diese und ähnliche Fälle können jedoch jeweils als getrennte Einzelentlehnungen interpretiert werden, so dass sich keinerlei Widerspruch zum Abbau von Mehrdeutigkeit als Grundprinzip der Entlehnung ergibt: (226) engl. service

AUFSCHLAG BEIM TENNISSPIEL

ĺ dt. Service

AUFSCHLAG

BEIM TENNISSPIEL

(227) engl. service KUNDENDIENST ĺ dt. Service KUNDENDIENST (228) engl. service DIENSTLEISTUNG ĺ dt. Service DIENSTLEISTUNG Eine zusätzliche Bestätigung dieser Analyse kann darin gesehen werden, dass bei den einzelnen Entlehnungen unterschiedliche Modalitäten der Entlehnung (etwa: Entlehnung im graphischen oder phonischen Medium) und Grade der Integration realisiert werden können. Entsprechende Vorgänge prinzipiell als getrennte und voneinander unabhängige Prozesse anzusehen, scheint auch insofern sinnvoll, als die AS-Mehrdeutigkeit den Sprechern der ZS zum Zeitpunkt der Entlehnung keineswegs bewusst sein muss. Die jeweils anderen Bedeutungen (die häufig auch nur bestimmte Fachbereiche wie etwa den Tennissport in Bsp. (226) betreffen) sind für die einzelnen Entlehnungsprozesse im Normalfall nicht relevant. 10 Damit ergibt sich, dass ausgangssprachliche Mehrdeutigkeit für Entlehnungsprozesse in der Regel zunächst nur insofern relevant ist, als es um die «Auswahl» bzw. Aktualisierung jeweils einer der Bedeutungen in der Entlehnungssituation geht. Gleichzeitig kann hier aber bereits eine erste Form von Wandel gesehen werden.

10

werden, da entsprechende Interessen nur einzelnen Sprachbenutzern zugeschrieben werden können. Darüber hinaus ist die Begründung zu hinterfragen: Einerseits ist zu klären, inwiefern Frames als ganze grundsätzlich entlehnbar sind, andererseits können mit der obigen Begründung höchstens sog. Bedürfnisentlehnungen erfasst werden (bei sog. Luxusentlehnungen handelt es sich hingegen weder um neue Konzepte noch um neue Frames, cf. Kap. 12.2). Diese Aussage ist allerdings bei ausgeprägter Zweisprachigkeit zu nuancieren, da hier bei den Sprechern der ZS durchaus ein Bewusstsein der AS-Mehrdeutigkeit vorhanden sein kann.

234

Weitere Prozesse des Wandels betreffen zielsprachliche Mehrdeutigkeiten. Wie festgestellt, können Polysemien in der ZS durch mehrmalige Entlehnung entstehen. Ebenso können sie aber auch auf späteren semantischen Wandel der entlehnten Einheiten in der ZS (nach der Entlehnung selbst) zurückgehen, d.h. in diesem Fall entstehen die ZS-Polysemien unabhängig von der AS und müssen dort keine Entsprechung haben. 11 Daher sind entsprechende Fälle prinzipiell aus der ZS heraus, d.h. parallel zu semantischem Wandel bei nativem Sprachmaterial zu erklären. 12 Zuletzt soll schließlich der Bereich der semantischen Veränderungen angesprochen werden, die bei der Entlehnung selbst eintreten können – gewissermaßen handelt es sich hier um den offensichtlichsten semantischen Wandelprozess bei Entlehnungen. Zwar wurden in der bisherigen Forschung bestimmte Tendenzen – ein gehäuftes Auftreten von taxonomischen Spezialisierungen des Typs frz. grappa ITALIENISCHER TRESTERBRAND (ĸ it. grappa TRESTERBRAND) sowie von metonymischen Verschiebungen wie bei frz./it. flipper FLIPPERAUTOMAT, FLIPPERSPIEL (ĸ engl. flipper FLIPPERHEBEL, cf. Pulcini 2002, 162) festgestellt, doch sind entsprechende Phänomene bislang nur unzureichend untersucht. In semiotischer Hinsicht stellt sich die grundsätzliche Frage, wie diese Veränderungen auftreten können, ohne das Funktionieren der Kommunikation zu gefährden. Darüber hinaus ist zu klären, welche semantischen Relationen zwischen AS- und ZS-Bedeutung vorliegen können und welche nicht; für ein Inventar der prinzipiell denkbaren Relationen kann hierbei auf die in Kap. 8.1 vorgestellte Rasterklassifikation lexikalischer Innovationen zurückgegriffen werden.

10.1.4

Kreativität und Konvention

Für Entlehnungsprozesse und lexikalische Innovationen überhaupt geht es nicht (nur) um die Verwendung und Interpretation bereits vorhandener sprachlicher Zeichen, sondern vor allem um die Einführung und Interpretation neuer Ausdrucksformen und semantisch neuer Verwendungsweisen im Hinblick auf die ZS. Dementsprechend können die folgenden Fragen formuliert werden: Wie erfolgt der Übergang von einer konkreten AS-Form zu einer ZS-Form? Inwiefern finden bei der Übernahme der Form Veränderungen in der Bedeutung oder auf formaler Ebene (Aussprache, Schreibung, Morphologie) statt? Wie können die eintretenden Veränderungen jeweils erklärt werden? In theoretischer Hinsicht liegt die zentrale Schwierigkeit hier darin zu klären, wo und wie eintretende Veränderungen in einem semiotischen Modell erfasst werden können. Anders gesagt stellt sich für Entlehnungen – wie für Sprachwandelprozesse überhaupt – die Frage nach der adäquaten semiotischen Modellierung der sprach11

12

Dennoch kann es zu Übereinstimmungen kommen, die sich durch parallele Entwicklungen in AS und ZS erklären lassen (ohne dass zwingend eine mehrfache Entlehnung der Form in den jeweiligen Bedeutungen angenommen werden muss). Zusätzlich ist aber zu berücksichtigen, dass die formale Auffälligkeit nicht bzw. nur schwach integrierter Lehnwörter unter Umständen bestimmte pragmatische oder semantische Effekte begünstigen kann (cf. hierzu näher Kap. 12.5).

235

lichen Kreativität, die sich hier – einerseits als regelgeleitete Kreativität bei der Aktualisierung der langue in der parole, andererseits als regelverändernde Kreativität bei Effekten der parole-Aktualisierungen auf die langue 13 (rule-governed bzw. rule-changing creativity, Heger 1969, 152) – manifestiert. Ganz allgemein ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis des Neuen (der Innovation als Ausdruck und Ergebnis sprachlicher Kreativität) zum Etablierten, d.h. zur bestehenden sprachlichen Konvention und den entsprechenden Wissensbeständen der beteiligten Kommunikationspartner, zu klären. Dies betrifft zunächst die Innovation selbst. Hier stellt sich die Frage, wie sie semiotisch modelliert werden kann bzw. wo Raum für individuelle Kreativität, d.h. Abweichung vom etablierten Sprachgebrauch, besteht. Einerseits muss dem individuellen Sprecher ein gewisser Freiraum zugestanden werden, andererseits geht es jedoch auch gerade darum, Grenzen dieses Freiraums zu definieren, welche (in der Kommunikation) mögliche von unmöglichen Innovationen unterscheiden. Dabei ist nicht nur die Perspektive des Produzenten und Rezipienten bzw. die Produktion und Rezeption sprachlicher Formen zu berücksichtigen (sprecher- und hörerinduzierte bzw. produzenten- und rezipienteninduzierte Innovationen), sondern es ist ggf. auch darzustellen, wie entsprechende Innovationen in der Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient verhandelt werden. Damit ergibt sich auch hier die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung traditioneller Zeichenmodelle zu genuinen Kommunikationsmodellen. Zweitens wird auch die Phase der Verbreitung der Innovation, in der viele individuelle Akte der Übernahme der Innovation stattfinden, berührt. Die Schwierigkeit liegt hier in der angemessenen Modellierung des Status der neuen Formen, die eine gewisse Verbreitung erlangt haben, sich jedoch noch nicht endgültig durchgesetzt haben. Wie kann das Nebeneinander von alten und neuen Formen konzipiert werden? Und wie ist eine Verschiebung zugunsten einer bestimmten Form darstellbar? So geht es etwa darum, den kognitiven und kommunikativen Status der (alten und neuen) Formen im Hinblick auf konkrete Verwendungen einzelner Sprecher zu bestimmen: Wie realisiert sich ihr Nebeneinander für den einzelnen Sprecher, und wie wirkt dieser selbst auf den Prozess der Verbreitung einer bestimmten Innovation ein?

10.1.5

Zur Unterbestimmtheit entlehnter Einheiten

Darüber hinaus wurde bereits festgestellt, dass im Umfeld von Entlehnungsprozessen – insbesondere in frühen Stadien der Verbreitung der Entlehnungen – häufig verschiedene Varianten entlehnter Formen in der ZS koexistieren. Diese Varianten 13

Der zuletzt genannte Aspekt kann meines Erachtens auf zwei unterschiedliche Arten ausgelegt werden. Im Falle einer individualistischen Betrachtung handelt es sich im Wesentlichen um die Perspektive des Rezipienten, der eine parole-Äußerung des Produzenten mit seiner eigenen langue abgleicht. Im Fall einer überindividuellen Betrachtung hingegen geht es genau um die Charakterisierung von Sprachwandel als Wandel in der langue als Folge einer Reihe von parole-Phänomenen.

236

können sich etwa im Hinblick auf Merkmale der Morphologie (cf. Bsp. (229), (230) und (232)), Aussprache (cf. Bsp. (232)), Schreibung (cf. Bsp. (231) und (232)) oder Semantik (cf. Bsp. (232)) voneinander unterscheiden. (229) dt. Pizze – Pizzas – Pizzen (ĸ it. pizza) (230) dt. gedownloadet – downgeloadet (ĸ engl. download) (231) frz. chat – tchat (ĸ engl. chat) (232) frz. people N.pl. ‘berühmte Leute’ – frz. pipole [pipŝl] N.f.sg. ‘berühmte Person’ – frz. pipeul [pipœl] N.m.sg. ‘berühmte Person’ (ĸ engl. people) Aus der Beobachtung solcher Varianz lässt sich die Hypothese einer Fragmentarizität sprachlicher Konventionen ableiten. Bestimmte Merkmale entlehnter Einheiten (etwa Flexionsmerkmale) müssen demnach möglicherweise nicht zwingend konventionell spezifiziert sein, sondern können unter Umständen bei der Aktualisierung der entsprechenden Formen in einer konkreten Kommunikationssituation erst ad hoc spezifiziert (d.h. letztlich zwischen Produzent und Rezipient verhandelt) werden. Sprache insgesamt stellt sich damit nicht als fester Block, sondern als Summe teils lokaler Konventionen dar; entlehnte Formen können in gewisser Hinsicht unterbestimmt sein. Hieraus lässt sich die theoretische Implikation ableiten, dass ein semiotisches Modell ausreichend flexibel konzipiert werden muss, damit entsprechende lokale bzw. individuelle Ergänzungen integriert werden können.

10.1.6

Zwischenfazit

Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass bei der semiotischen Modellierung von Entlehnungs- und Integrationsprozessen sowohl der Produzent als auch der Rezipient einzubeziehen sind. Darüber hinaus hat sich die Notwendigkeit gezeigt, semiotische Entitäten unterschiedlichen Typs einzuschließen. Die Einbeziehung konkreter Entitäten erlaubt es, die Forderung des methodologischen Individualismus einzulösen und Sprachwandel und Entlehnung auf konkrete Kommunikationsereignisse zurückzuführen. Im Bereich der abstrakten Entitäten hat sich gezeigt, dass sowohl innereinzelsprachliche Entitäten als auch zwischensprachliche Bezugspunkte anzusetzen sind. Eine zentrale Aufgabe besteht ferner darin, die verschiedenen Komponenten eines semiotischen Modells im Hinblick auf bestimmte Wissensbestände bei Produzent und Rezipient zu interpretieren und so wiederum eine Rückbindung an das konkrete Kommunikationsereignis vorzunehmen. Zuletzt geht es schließlich darum, Mehrdeutigkeit, das Spannungsverhältnis von sprachlicher Kreativität und Konvention sowie die Unterbestimmtheit entlehnter Einheiten zu modellieren. Bezüglich der aufgeworfenen Fragen stellen strukturalistische und kognitive Ansätze unterschiedliche Antwortmöglichkeiten bereit. Daher soll nachfolgend untersucht werden, inwiefern diese Ansätze die verschiedenen formulierten Anforderungen einlösen bzw. einen Beitrag zu ihrer Einlösung leisten können. 237

10.2

Analyse traditioneller Zeichen- und Kommunikationsmodelle

10.2.1

Zur strukturalistischen Zeichenkonzeption

Als wesentliche Prinzipien des Strukturalismus im Allgemeinen lassen sich die synchronische Ausrichtung der Sprachwissenschaft und das Ausgehen von der Systemhaftigkeit der Sprache nennen (cf. zum Folgenden Albrecht 2000). Diese Merkmale spiegeln sich auch in der strukturalistischen Zeichenkonzeption wider. Grundlegend hierfür ist zunächst der Cours de linguistique générale (Saussure 1969 [11916]). Das sprachliche Zeichen wird dort – in radikaler Abkehr von traditionellen nomenklatorischen Auffassungen – als Verbindung eines Konzepts mit einem Lautbild bestimmt: «Le signe linguistique unit non une chose et un nom, mais un concept et une image acoustique» (Saussure 1969 [11916], 98). 14 Zur Gegenüberstellung der beiden Seiten des Zeichens prägt Saussure sodann das Begriffspaar von signifiant und signifié (cf. Abb. 20), das die Begriffe image acoustique bzw. concept ersetzt und eine der klassischen Dichotomien des Cours de linguistique générale darstellt, d.h. beide Begriffe sind einander entgegengesetzt und bedingen sich gleichzeitig, sie stellen komplementäre Betrachtungsweisen eines Phänomens (hier: des Zeichens) dar (Albrecht 2000, 28). Dabei ist hervorzuheben, dass beide Seiten des Zeichens bei Saussure als psychische Entitäten konzipiert und somit unmittelbar beim Sprecher verortet werden.

Abb. 20:

Das Zeichenmodell des Cours de linguistique générale (Saussure 1969 [11916], 158)

Zentral für die strukturalistische Zeichenauffassung ist weiterhin der Begriff des «Werts» einer sprachlichen Einheit (valeur). Nach Saussure ergibt sich dieser nicht primär aus dem Verhältnis von signifiant und signifié, sondern aus der Strukturierung der signifiants und signifiés, d.h. der Abgrenzung gegenüber den anderen signifiants bzw. signifiés des Systems. 15 Dies bedeutet letztlich, dass Zeichen nur im Rahmen ihrer Verankerung in einem vorgegebenen Zeichensystem zu betrachten 14 15

Der Begriff concept wird demnach bei Saussure in einem grundlegend anderen Sinn verstanden als in Ansätzen der Kognitiven Linguistik und in der vorliegenden Arbeit. Diese negative Bedeutungsdefinition des Strukturalismus steht jedoch in einer gewissen Spannung zu anderen Komponenten strukturalistischer Auffassungen. So erkennt etwa Saussure selbst an, dass bei der Betrachtung der sprachlichen Zeichen insgesamt auch das System der Werte (valeurs) als etwas positiv Gegebenes ins Spiel kommt, und auch der spätere strukturalistische Ansatz Coserius setzt neben der negativen Bedeutungsdefinition auch ein intuitives Erfassen oder Zuschreiben von Bedeutung an.

238

sind. Ebenso ergibt sich aus dem Gesagten die prinzipielle Untrennbarkeit von signifiant und signifié. Wie bereits in Kap. 10.1.2 angedeutet, erweisen sich damit traditionelle begriffliche Bestimmungen, die eine Trennung der beiden Aspekte vornehmen (cf. Bestimmungen der Lehnbedeutung als Entlehnung nur des signifié bzw. der Scheinentlehnung als Entlehnung nur des signifiant), als nicht haltbar. 16 Weiterhin erscheint es im Rahmen einer strukturalistischen Zeichenkonzeption grundsätzlich problematisch, Zeichen isoliert von den jeweiligen Systemen, denen sie angehören, zu betrachten, und es stellt sich die generelle Frage, inwiefern ein Zeichen als Verbindung von signifiant und signifié nach strukturalistischer Konzeption überhaupt entlehnbar ist bzw. ob für die Entlehnung selbst nicht grundsätzlich andere semiotische Entitäten angesetzt werden müssen. 17 Bezeichnenderweise lässt sich die Notwendigkeit, weitere semiotische Entitäten heranzuziehen, auch bei Saussure selbst aufzeigen, wenn es um sprachvergleichende Betrachtungen geht. So ergibt etwa die folgende Feststellung nur ausgehend von einem übereinzelsprachlichen Bezugspunkt (etwa einem Konzept SCHAF) Sinn: «Le français mouton peut avoir la même signification que l’anglais sheep, mais non la même valeur […]» (Saussure 1969 [11916], 160, Hervorhebung EWF). Noch deutli-

16

17

Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die Bestimmung der Onomasiologie als Blickrichtung vom signifié auf die zugehörigen signifiants, die sich in Geckelers und Kattenbuschs Einführung in die italienische Sprachwissenschaft findet (Geckeler/Kattenbusch 1992, 89). Auch hier wird wiederum eine Trennung von signifié und signifiant vorgenommen; nicht berücksichtigt wird das strukturalistische Prinzip, dass die Feststellung eines einzelsprachlichen signifié bereits auch eine Analyse der zugehörigen signifiants voraussetzt. (Umgekehrt scheint es jedoch durchaus möglich, einen signifiant für sich in den Blick zu nehmen und ausgehend davon nach dem signifié zu fragen, d.h. eine Bestimmung der Semasiologie als Blickrichtung vom signifiant auf den signifié ist prinzipiell möglich.) Im Übrigen ist noch anzumerken, dass Geckeler/Kattenbusch selbst die obige Bestimmung der Onomasiologie ergänzen, indem sie das Ausgehen vom Begriff bzw. «in der Praxis sogar z.T. von einer Sache der außersprachlichen Wirklichkeit» (Geckeler/Kattenbusch 1992, 89) als weitere Optionen nennen. Eine entsprechende Auffassung der Onomasiologie scheint in der Tat vorzuziehen; nachfolgend wird der Begriff demnach als Ausgehen vom Begriff/außersprachlichen Konzept oder von der Sache/vom konkreten Referenten und Abfrage der zur Bezeichnung dieser Entitäten verwendeten oder verwendbaren Ausdruckselemente verstanden (cf. Koch 1996a, 224). Allerdings handelt es sich bei Begriff und Sache um völlig andere semiotische Einheiten als das signifié, so dass sie zusätzlich zu diesem in einem semiotischen Modell zu verorten sind. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Entlehnung von Einheiten unterhalb der lexikalischen Ebene: Aufgrund der strukturalistischen Bestimmung ist es ebenso unmöglich, etwa Phoneme zu entlehnen, da es sich wiederum definitorisch um einzelsprachliche Einheiten handelt (cf. Munske 1983, 574). Daher sind Begriffe wie ‘Phonemspaltung’, ‘Phonemzusammenfall’ oder ‘Phonemverschiebung’, die teilweise in der Entlehnungsforschung anzutreffen sind (cf. Tesch 1978) zurückzuweisen: «Die genannten Termini der historischen Linguistik beziehen sich stets auf Sprachwandelerscheinungen e i n e s Systems und sind deshalb für interlinguale Vergleiche ungeeignet» (Munske 1983, 575, Sperrung im Original).

239

cher werden die Schwierigkeiten in Saussures Argumentation an folgender Textstelle: «Si les mots étaient chargés de représenter des concepts donnés d’avance, ils auraient chacun, d’une langue à l’autre, des correspondants exacts pour le sens ; or il n’en est pas ainsi. Le français dit indifféremment louer (une maison) pour « prendre à bail » et « donner à bail », là où l’allemand emploie deux termes : mieten et vermieten ; il n’y a donc pas correspondance exacte des valeurs» (Saussure 1969 [11916], 161).

Hier wird aus der einzelsprachlichen Spezifizität der valeurs (frz. louer – dt. mieten vs. vermieten) geschlossen, dass es keine vor der Sprache existierenden Konzepte geben kann. Dieser Schluss erscheint jedoch problematisch. So ist festzustellen, dass Saussure selbst so etwas wie ein außer(einzel)sprachliches Konzept implizit voraussetzt – nämlich die in Anführungszeichen gesetzten Inhalte PRENDRE À BAIL und DONNER À BAIL; nur über einen entsprechenden Vergleichspunkt (das tertium comparationis) kann überhaupt eine Beziehung zwischen den deutschen Ausdrücken und dem französischen Ausdruck hergestellt werden. Konzepte sind damit aus theoretischen und methodologischen Erwägungen heraus als grundlegende semiotische Entitäten neben den signifiés anzusetzen. Damit wird jedoch keineswegs impliziert, dass diese Konzepte als reale und universelle Entitäten (etwa im Sinne platonischer Ideen) den einzelsprachlichen Entitäten vorausgehen. 18 Neben den erläuterten begrifflichen Unterscheidungen ist für den vorliegenden Kontext besonders wichtig, dass im Cours de linguistique générale auch ein genuines Kommunikationsmodell skizziert wird. Hierbei betrachtet Saussure den circuit de la parole zwischen Sprecher und Hörer (Saussure 1969 [11916], 27, cf. Abb. 21).

Abb. 21: 18

Der circuit de la parole (Saussure 1969 [11916], 27)

Cf. Willems (2005), der aufzeigt, dass die Herausgeber des Cours de linguistique générale bei der Darstellung des fait linguistique eine teilweise erheblich andere Darstellung wählen, als in Mitschriften der Vorlesungen Saussures belegt ist. Im vorliegenden Kontext erscheint vor allem wichtig, dass die klare Trennung zwischen dem Bereich der idées einerseits und den signifiés andererseits verwischt wird, d.h. die Herausgeber «identifizierten, aufgrund einer Verwechslung von langue und (faculté du) langage, den signifié mit einem Ausschnitt aus dem Bereich der Gedanken, den sie als ideelles Substrat des Sprachzeichens darstellten […]» (Willems 2005, 266). Insofern scheinen die festgestellten Probleme teilweise eher den edierten Cours de linguistique générale als die eigentliche Position Saussures zu betreffen.

240

Allgemein lassen sich die dabei ablaufenden Prozesse im Einzelnen wie folgt charakterisieren (cf. Abb. 22): Zunächst stellt der Sprecher ausgehend vom Konzept eine Verbindung zum dazugehörigen Lautbild her. Sodann artikuliert er dieses Lautbild (Phonation). Die Schallwellen gelangen als physisches Phänomen zum Hörer. Dieser wiederum nimmt das Lautbild wahr (Audition). Schließlich stellt der Hörer ausgehend vom Lautbild eine Verbindung zum dazugehörigen Konzept her. Wird nun der Hörer seinerseits als Sprecher aktiv, so wiederholen sich die beschriebenen Schritte.

Abb. 22:

Das Kommunikationsmodell des Cours de linguistique générale (Saussure 1969 [11916], 28)

Die eigentlichen Prozesse, die Saussure hierbei interessieren, sind die bei Sprecher und Hörer ablaufenden, d.h. nach seiner Konzeption die psychischen Vorgänge (die in der Abbildung innerhalb der Kreise situiert sind) und die physiologischen Vorgänge (Audition und Phonation); beide sind nicht direkt der Beobachtung/Wahrnehmung zugänglich. Was den konkret wahrzunehmenden Prozess der physischen Übermittlung angeht, so fällt auf, dass Saussure nur die Schallwellen, d.h. die materielle Realisierung des Zeichens, betrachtet. Andere traditionelle Zeichenmodelle legen jedoch nahe, dass daneben auch inhaltsbezogene Entitäten, die in der Kommunikation gegeben sind, einzubeziehen sind. So scheint etwa der Referent (den Saussure ja bei der Entwicklung seines Zeichenbegriffs in Abkehr von nomenklatorischen Auffassungen gezielt ausblendet) ebenfalls für die Verwendung und Interpretation der sprachlichen Formen durch die Sprachbenutzer relevant. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang nach selbstverständlich auch Wissensbestände von Sprecher und Hörer zu berücksichtigen (etwa sprachliches Wissen, aber auch die «Kenntnis der Sachen», die nach Coseriu eine Teilkomponente des übereinzelsprachlichen «elokutionellen Wissens» darstellt; Coseriu 1988, 96– 107; cf. Aschenberg 2007, 471).

241

10.2.2

Zur Zeichenkonzeption in kognitiven Ansätzen

Für kognitive Ansätze lässt sich zunächst feststellen, dass es nicht in vergleichbarer Weise wie beim Strukturalismus ein Zeichenmodell gibt, das weithin anerkannt ist und verwendet wird. Um dennoch allgemeine semiotische Grundannahmen kognitiver Ansätze offenzulegen, sollen daher nachfolgend wichtige Modelle skizziert und im Hinblick auf ihre semiotische Dimension analysiert werden. Als klassische Modelle können die Prototypentheorie einschließlich ihrer Weiterentwicklung zur von Kleiber (1990) so genannten «erweiterten Version der Prototypensemantik» («la version étendue de la sémantique du prototype», Kleiber 1990, 147; wichtige Vertreter sind u.a. Rosch 1978 und Lakoff mit seinem Begriff der idealized cognitive models/ICMs, Lakoff 1987), sowie die Frames-and-Scenes-Semantik (cf. u.a. Fillmore 1975; 1977; 1985) gelten. All diesen Ansätzen ist die Zielsetzung der «Erforschung des Zusammenhangs zwischen sinnlicher Welterfahrung, Konzeptbildung und Versprachlichung dieser Erfahrung» (Blank 2001a, 35) gemeinsam. Dies impliziert die Überschreitung einer einzelsprachlichen Orientierung. Vielmehr besteht ein wesentliches Prinzip gerade darin, die Untersuchung sprachlicher Phänomene an den Bereich der Wahrnehmung im Allgemeinen anzubinden. Grundsätzlich liegt damit ein universalistischer Ansatz vor, der von den «Dingen» und nicht primär von bestimmten einzelsprachlichen Fakten ausgeht. Im Rahmen der Prototypentheorie geht es insbesondere darum, wie bestimmte Referenten kategorisiert werden und wie entsprechende mentale Kategorien strukturiert sind; eine wesentliche Annahme ist dabei die, dass es für die jeweiligen Kategorien prototypische, aber auch randständige Vertreter gibt, so dass die Zuordnung zu den Kategorien keine absolut scharfe ist, sondern ggf. ein gewisser Spielraum besteht. Im Bereich der Frames-and-Scenes-Semantik geht es hingegen in erster Linie darum, wie Bereiche des Weltwissens mental gespeichert sind (etwa in Frames und Scenes) und wie mentale Verarbeitungsprozesse ablaufen, d.h. es geht um die Strukturierung des mentalen Lexikons. Die untersuchten mentalen Kategorien werden in der Regel als Konzepte gefasst; insofern kann das Konzept als zentrale semiotische Entität in kognitiven Ansätzen gelten. Wie wird dieses nun näher bestimmt? Lakoff betrachtet Konzepte als «durch leibliche Erfahrung und Imagination fundierte, habitualisierte Perzeptionen» (Aschenberg 2007, 478), die sich in metaphorischen Konzeptualisierungen wie GOOD IS UP, HAPPY IS UP etc. äußern (Lakoff/Johnson 1980, 18). Ein wichtiges Merkmal von Konzepten ist demnach, dass sie sich durch einen Prozess der Habitualisierung herausbilden, und zwar auf der Grundlage der Welterfahrung des Individuums, wobei sich überindividuelle (universelle?) Tendenzen ergeben. Eine etwas andere Definition des Konzeptbegriffs schlägt Blank vor; er versteht dieses zunächst als «eine Vorstellung von der Klasse der Referenten, auf die mit dem entsprechenden Wort Bezug genommen werden kann. Zum Konzept gehört sämtliches ‹enzyklopädisches Wissen›, das wir im Laufe der Jahre angehäuft haben und das wir mit anderen Menschen teilen, das also mehr als nur episodisch-individuell ist. […] Lautform und Referent sind konkret-individuelle Einheiten des Sprechaktes, das Konzept ist abstrakt und sozial, insofern wir es mit anderen teilen» (Blank 2001a, 8).

242

Auch Blank betont somit, dass sich Konzepte im Laufe des Lebens beim Individuum herausbilden. Gleichzeitig führt er jedoch ein soziales Kriterium ein, d.h. das Konzept ist nun auch an eine bestimmte Gemeinschaft von Sprechern gebunden. Diese Restriktion wird noch deutlicher, wenn Blank das Konzept an anderer Stelle definiert als «‹Dingvorstellung› von der Klasse der Referenten, auf die mit einem entsprechenden Wort Bezug genommen werden kann. Zum Konzept gehört das ‹enzyklopädische Wissen›, das jeder im Leben anhäuft und mit anderen Menschen derselben Kulturgemeinschaft teilt» (Blank 2001a, 153).

Hier liegt nun nicht mehr eine universalistische Auffassung des Konzeptbegriffs vor, sondern dieses ist kulturgebunden, insofern als es auf das Wissen beschränkt ist, das die Mitglieder einer Kulturgemeinschaft teilen. Insgesamt zeigt sich damit, dass der Konzeptbegriff innerhalb kognitiver Ansätze nicht einheitlich gefasst ist (zu Blank cf. insbesondere Aschenberg 2007, 473–475). Insbesondere ist zu präzisieren, welche Reichweite Konzepten zuzuschreiben ist, wie übereinzelsprachliche und einzelsprachliche Aspekte berücksichtigt werden und wie Konzepte im Einzelfall bestimmbar sind. Während einzelsprachliche signifiés durch Wortschatzanalysen ermittelt werden können, sind Konzepte zunächst nicht in gleicher Weise zugänglich. Obwohl das Konzept gemäß der obigen Definitionen generell vom Referenten ausgehend gedacht wird (der ja die Grundlage der Erfahrung und der Perzeptionen des Individuums ist), besteht bei konkreten Untersuchungen die problematische Tendenz, die jeweils betrachteten Konzepte de facto ausgehend von einzelnen Sprachen und den dort vorhandenen Wortformen her zu bestimmen. So kritisiert Coseriu diesbezüglich die Prototypentheorie: Nach Coseriu zeigen Kategorien wie BIRD bereits, dass von einzelnen Sprachen her – hier dem Englischen – gedacht wird, da in dieser Sprache nicht (wie etwa im Spanischen oder Portugiesischen) zwischen kleinen und nichtkleinen Vögeln unterschieden wird (sp. pájaro vs. ave/pg. pássaro vs. ave; cf. Coseriu 1990, 242). 19 Generell besteht damit die Gefahr, dass bei der Formulierung der Konzepte einfach eine Dopplung von einzelsprachlichen Bedeutungen vorgenommen wird. Ein solches Vorgehen erscheint insofern höchst problematisch, als damit der einzelsprachliche oder übereinzelsprachliche Charakter bestimmter Grenzziehungen bzw. Kategorisierungen verwischt wird bzw. Einzelsprachlichem vorschnell ein allgemeinerer (evtl. sogar universeller) Charakter zuerkannt wird. Ein allgemeines Problem kognitiver Ansätze ist demnach die vielfach vorliegende Gleichsetzung von Konzep19

Zwar ließe sich prinzipiell argumentieren, dass es sich in entsprechenden Fällen nicht nur um eine sprachliche Unterscheidung, sondern vielmehr primär um eine Unterscheidung innerhalb einer bestimmten Kulturgemeinschaft handelt, wobei die Kognitive Linguistik ja durchaus eine Bindung der Prototypen an Kulturgemeinschaften anerkennt (cf. Lebsanft/ Gleßgen 2004, 8). Gerade für das Beispiel ave vs. pájaro scheint diese Argumentation jedoch kaum plausibel, da die betreffende Grenzziehung nicht mit starken kulturellen Unterschieden korreliert (andere romanische Sprachen wie etwa das Französische und Italienische nehmen z.B. keine entsprechende Abgrenzung vor; cf. Blank 2001a, 52), d.h. die Abgrenzung ist doch eher als einzelsprachliches Faktum anzusehen.

243

ten (oder Dingen) mit Wörtern, sowie die Missachtung der einzelsprachlichen Ebene des Zeichens (Coseriu 1990; 2000; Kleiber 1990, 186; Koch 1996a, 230–231; cf. Koch 1996b, 122–123; Blank 1997, 76–77; Blank 2001a, 52); entsprechende Tendenzen lassen sich etwa bei Taylor (1995 [11989]; 1999, 20, 24–25 und passim) sowie bei Haiman (1980a) aufzeigen. 20 Nach Blank kann die «Nicht-Unterscheidung von Konzepten und einzelsprachlichen lexikalischen Bedeutungen» sogar als «eine der Grundthesen der Kognitiven Semantik» angesehen werden (Blank 2001a, 52).

10.3

Vergleich und kritische Diskussion

Nachfolgend sollen die skizzierten Ansätze auf der Grundlage der in 10.1 analysierten Anforderungen verglichen und jeweils Problempunkte benannt werden.

10.3.1

Semiotisch relevante Entitäten und Bezugspunkte

Ein Vergleich des strukturalistischen und des kognitiven Ansatzes (insbesondere in der Ausprägung der Prototypentheorie) zeigt zunächst, dass sich die Ansätze im Hinblick auf die semiotischen Grundannahmen wesentlich voneinander unterscheiden. Während der Strukturalismus von einer präzisen, genau festgelegten Bedeutung ausgeht (die signifiés grenzen sich innerhalb eines Sprachsystems gegenseitig voneinander ab), wird in der kognitiven Semantik eine grundsätzliche Vagheit der Bedeutung angenommen (cf. Lebsanft/Gleßgen 2004, 6). Allerdings ist hervorzuheben, dass sich «Bedeutung» in beiden Ansätzen auf jeweils unterschiedliche semiotisch relevante Entitäten bezieht (signifiés bzw. Konzepte), und es besteht daher nicht zwingend ein Widerspruch zwischen den beiden theoretischen Zugriffen. In der Tat hat sich bei der Diskussion der strukturalistischen Ansätze gezeigt, dass es für verschiedene Fragestellungen notwendig ist, auf der Inhaltsseite neben einzelsprachlichen signifiés auch einen weiteren, übereinzelsprachlichen Typus semiotischer Entitäten (etwa Konzepte) zu berücksichtigen. Umgekehrt hat sich für kognitive Ansätze ergeben, dass der Konzeptbegriff teilweise mit einzelsprachlichen Fakten überfrachtet wird, so dass es sinnvoll erscheint, auf der Inhaltsseite neben außer(einzel)sprachlichen Konzepten einen weiteren, einzelsprachlichen Typus semiotisch relevanter Entitäten (etwa signifiés) anzusetzen. Wenn nun signifié und Konzept als unterschiedliche Entitäten nebeneinander berücksichtigt werden, so löst sich der scheinbare Widerspruch auf, und es ergibt sich eine Komplementarität der Ansätze, insofern als sowohl den Merkmalen der Systembindung und der scharfen Abgrenzung (der signifiés) als auch denjenigen der Übereinzelsprachlichkeit und der Vagheit (der Konzepte) Rechnung getragen werden kann. Für eine Verbindung beider Aspekte wird auch innerhalb beider Typen von Ansätzen verschiedentlich argumentiert. So hebt zunächst Coseriu die Notwendigkeit einer klaren begrifflichen Unterscheidung zwischen signifié und Konzept oder 20

Cf. Haimans Statement: «Dictionaries are encyclopedias» (Haiman 1980a, 331, Hervorhebung im Original).

244

bezeichneter Sache bzw. zwischen Bedeutungs- und Bezeichnungsrelation hervor und kritisiert diesbezüglich die Prototypentheorie, in der diese Unterscheidung – wie auch in sogenannten «check-list theories of meaning» (cf. die generative Semantik von Katz und Fodor) – verwischt werde: «[...] una semántica [gemeint sind hier check-list theories of meaning, EWF] que, como la semántica de los prototipos, no considera las palabras en sus ‹relaciones de significación› con otras palabras en una lengua determinada, sino sólo y exclusivamente en sus ‹relaciones de designación›, con respecto a las ‹cosas› nombradas (o sea, sólo como n o m b r e s d e c l a s e s de ‹cosas›), que identifica – o no distingue – s i g n i f i c a d o y d e s i g n a c i ó n (distinción básica de toda semántica propiamente tal), y que, por tanto, también como la semántica de los prototipos, en realidad no define ni analiza s i g n i f i c a d o s , contenidos de lengua, sino c o n c e p t o s y c l a s e s de cosas» (Coseriu 1990, 245–246, Sperrungen im Original; cf. Coseriu 2000, 22). «[...] la semántica de los prototipos comete el error más grave y más elemental que pueda cometerse en semántica: el de confundir las significaciones con las cosas designadas» (Coseriu 1990, 267 und passim).

Dabei gesteht Coseriu durchaus ein, dass es sich bei Fragestellungen bezüglich der bezeichneten Sachen um wichtige Fragestellungen handelt, und fordert selbst nachdrücklich ihre – freilich separate – Einbeziehung in die Linguistik: «Pero una semántica ‹de las cosas› conscientes [sic] de que es tal, es decir, una semántica lingüística de las referencias, explícitas e implícitas, al saber extralingüístico (no una Sachsemantik, sino una sachbezogene Semantik), es necesaria y hasta indispensable para la comprensión efectiva de la actividad lingüística» (Coseriu 1990, 281; cf. 2000, 41).

Allerdings präzisiert er den Status einer solchen «lingüística esqueológica» bzw. «lingüística de las cosas» dahingehend, dass es sich um einen untergeordneten Teilbereich der Linguistik handle: 21 «Pero esta lingüística no la entiendo como una lingüística e n l u g a r de la lingüística de las lenguas, ni como una lingüística a l l a d o de la lingüística de las lenguas y para la descripción e interpretación del mismo saber idiomático, sino como sección de la lingüística general del hablar, y, por consiguiente, como disciplina auxiliar de la lingüística del texto, ya que su objetivo sólo puede ser el de servir para la justificación e interpretación de los hechos determinados por el saber extralingüístico en el hablar realizado en discursos: el saber idiomático es autónomo y primario, y debe ser deslindado e interpretado como tal» (Coseriu 1990, 281–282, Sperrungen im Original; cf. Coseriu 2000, 41). 21

Dies zeigt sich auch bei Coserius Eingrenzung der funktionellen Sprache als Untersuchungsgegenstand der strukturellen Linguistik (Coseriu 1978 [11966], 201–236, vor allem 224; cf. 1988, 25–28 sowie Lebsanft/Gleßgen 2004, 5). Coseriu nimmt hierzu verschiedene Unterscheidungen vor (Wissen bezüglich Sachen vs. Wissen bezüglich Sprache, Metasprache vs. Primärsprache, Diachronie vs. Synchronie, wiederholte Rede vs. Technik des Sprechens, Architektur der Sprache vs. funktionelle Sprache, virtuelle vs. realisierte Technik). Die verschiedenen genannten Bereiche und ihre Beziehungen zu den jeweils gegenübergestellten Bereichen sind daher bei der Betrachtung der funktionellen Sprache stets als Grundlage mit vorausgesetzt, auch wenn sie nicht den eigentlichen Untersuchungsgegenstand darstellen.

245

Die (strukturelle) Bedeutung wird demnach als primär angesetzt, während die Bezeichnung und eventuelle zusätzliche Einschränkungen, die sich bei der Verwendung und Interpretation durch die Kenntnis der Sachen, die Situation und den Kontext ergeben, als sekundär angesehen werden (cf. Coseriu 1978 [11966], 121–122, 146–147). Insgesamt erfolgt damit die Untersuchung des außersprachlichen Wissens von den Dingen ausgehend von einer (strukturalistischen) Betrachtung des sprachlichen Wissens bezüglich der (einzelsprachlichen) idiomatischen Bedeutungen, die funktional voneinander abgegrenzt sind. Grundlegend erscheint hierbei auch Kabateks (2000, 202) Beobachtung, dass innovative Verwendungen einerseits durch die Sachen, andererseits aber auch durch die Sprache motiviert sein können. So lässt sich die Metapher dt. Maus (analog frz. souris) aus einer Ähnlichkeit in der äußeren Gestalt von Mäusen und Computermäusen herleiten. Für andere metaphorische Verwendungen wie etwa bei dt. Kredithai hingegen ist nicht mehr der Bereich der Sachen zentral (es geht hier nicht mehr um eine äußere Ähnlichkeit eines Bankangestellten mit einem Hai), sondern die Metapher lässt sich als eine Übertragung bestimmter semantischer Züge erklären. 22 Demnach kann eine Einbeziehung beider Aspekte als wichtiges Desiderat für eine Integrale Linguistik (cf. Kabatek/Murguía 1997, 157–170) angesehen werden. Ein Plädoyer für eine Verbindung von strukturalistischen und kognitiven Komponenten findet sich auch bei Koch. Er kritisiert gleichermaßen semantische Ansätze, die nur signifiés betrachten und die Designate (bzw. Konzepte) ausblenden, und Ansätze, die umgekehrt nur Designate berücksichtigen und die signifiés ausblenden: «[…] une sémantique du signifié est aussi indispensable qu’une sémantique du désigné, mais une sémantique du seul signifié est aussi incomplète qu’une sémantique du seul désigné» (Koch 1996a, 227).

Die beiden Typen von Ansätzen können mit dem klassischen Strukturalismus einerseits und traditionellen kognitiven Ansätze wie der Prototypensemantik andererseits identifiziert werden, wobei ersterer durch einen «réductionnisme sémiotique relatif au désigné» (Koch 1996a, 229; 1996b, 120), letztere hingegen durch einen «réductionnisme sémiotique relatif au signifié» 23 (Koch 1996a, 230; 1996b, 123) gekennzeichnet seien (cf. Koch 1995, 36 und Koch, Manuskript). Daher seien die unterschiedlichen Ansätze zu kombinieren, um ihre Komplementarität auszuschöpfen:

22

23

Vergleiche in diesem Zusammenhang auch analogische Innovationen wie etwa bei it. stampella KLEIDERBÜGEL ĸ it. stampella KRÜCKE nach it. gruccia ‘Kleiderbügel’, ‘Krücke’ (Blank 1997, 321–322), zu deren Erklärung ebenfalls grundsätzlich auf (einzel-)sprachliche Fakten (die Polysemie des Wortvorbilds) referiert werden muss (darüber hinaus lässt sich die Polysemie des Vorbilds it. gruccia wiederum durch sachliche bzw. konzeptuelle Aspekte motivieren). Generell lässt sich feststellen, dass im Rahmen klassischer kognitiver Ansätze Phänomene im Bereich der Saussureschen valeur bzw. der «Inhaltsform» nach Hjelmslev sowie einzelsprachlich-funktionale Aspekte der Seme und Sememe nicht erfasst werden (Koch 1996b, 122).

246

«[…] une sémantique du prototype-désigné me paraît parfaitement compatible avec une sémantique du signifié linguistique. Les deux approches sont distinctes, mais complémentaires» (Koch 1996a, 237–238).

Eine solche Arbeitsteilung lässt sich näher charakterisieren, indem beiden Bereichen und Ansätzen jeweils bestimmte zu erklärende Phänomene zugeschrieben werden. Für den Bereich des signifié sind dabei nach Koch im Wesentlichen die folgenden Phänomene anzusetzen, die auch in Entlehnungskontexten potenziell relevant sind: 24 1. einzelsprachliche Grenzziehungen des Typs sp. pez ‘Fisch als Tier’ vs. pescado ‘Fisch als Nahrungsmittel’ (gegenüber dt. Fisch oder frz. poisson, cf. sp./pg. ave ‘großer Vogel’ vs. pájaro/pássaro ‘kleiner Vogel’ gegenüber engl. bird, frz. oiseau etc.; cf. Blank 2001a, 52), 2. Phänomene der variationellen Markierung (z.B. die diaphasische Markierung von frz. bagnole als familier), 3. einzelsprachlich ratifizierte, derivationelle, kompositionelle oder phraseologische Motivationen (so z.B. für frz. forgeron ĸ frz. forger, frz. forge oder für frz. gratte-ciel ĸ frz. gratter, frz. ciel, frz. logiciel ĸ frz. logique, frz. matériel) 25 und 4. einzelsprachlich ratifizierte Motivationen durch Polysemie (z.B. engl. mouse ‘Maus als Tier’, ‘Computermaus’) 26 (Koch 1996a, 227; 1996b, 116–118). Umgekehrt können bestimmte Phänomene innerhalb einer rein strukturalistischen, signifié-bezogenen Semantik nicht erfasst werden. So werden etwa die kognitiven Grundlagen einzelsprachlicher Innovationen wie bei frz. forgeron etc. nicht adäquat berücksichtigt. Ebenso werden die kognitiven Grundlagen für Innovationen bei Bedeutungswandel nicht einbezogen, und es lässt sich nicht angeben, inwiefern unterschiedliche einzelsprachliche Bezeichnungslösungen wie frz. portemanteau und it. attaccapanni auf gemeinsame kognitive Grundlagen zurückgehen (cf. Koch 1996a, 227–229). Im Beispiel ist hierzu ein Frame anzusetzen, der folgende Elemente umfasst: eine VORRICHTUNG, die KLEIDUNGSSTÜCKE wie MÄNTEL, HÜTE etc. TRÄGT, die dort AUFGEHÄNGT werden; demnach ergibt sich: (233) frz. portemanteau ĸ frz. porter TRAGEN + frz. manteau MANTEL 24

25

26

Nach Koch (1996a, 227; 1996b, 116) wird im Rahmen der klassischen Semanalyse der strukturellen Semantik allerdings nur das erste der im Folgenden genannten Phänomene erfasst. Die von Koch vorgeschlagene Bestimmung des signifié geht damit über einige klassische strukturalistische Ansätze hinaus. Für eine weite Auslegung der strukturellen Semanik, die neben Wortfeldanalysen auch Aspekte der Wortbildung sowie lexikalische Solidaritäten einschließt, argumentiert auch Coseriu (1990, 269). Die letzteren beiden Beispiele zeigen, dass im Bereich der sprachkontaktinduzierten Innovationen vor allem Lehnprägungen bzw. Analogiebildungen nach fremdsprachlichem Vorbild (frz. gratte-ciel nach engl. sky-scraper) sowie (sprachkontaktinduzierte) eigene lexikalische Innovationen (frz. logiciel für engl. software) betroffen sind; der Bereich der aus einer anderen Sprache übernommenen Lehnwörter ist hingegen in der Regel nicht tangiert, da Lehnwörter im Allgemeinen innerhalb der ZS nicht entsprechend motivierbar sind, sondern eine isolierte Stellung einnehmen (cf. Hope 1971, Vol. II, 611; Leisi/Mair 1999, 51– 59). Das Beispiel zeigt im Übrigen, dass diese Polysemien auch im Sprachkontakt eine Rolle spielen können, wenn durch das Verfahren einer Analogiebildung entsprechende Polysemien auch in der ZS entstehen (z.B. frz. souris MAUS ĺ COMPUTERMAUS).

247

(234) it. attaccapanni ĸ it. attaccare

AUFHÄNGEN

+ it. panni

KLEIDUNGS-

STÜCKE

Als Fazit der Überlegungen lässt sich festhalten, dass eine Verbindung von strukturalistischen, signifié-bezogenen und kognitiven, konzeptbezogenden Ansätzen sinnvoll und möglich erscheint. Die Frage, inwiefern bei einer solchen Kombination letztlich doch einer der Aspekte als primär anzusehen ist, kann im Kontext der vorliegenden Arbeit zurückgestellt werden. Als wesentliche Konsequenz für die semiotische Modellierung ergibt sich die Option, eine einzelsprachliche, strukturalistisch konzipierte Bedeutung (signifié) und ein außer(einzel)sprachliches Konzept, das mit einem bestimmten enzyklopädischen Wissen über bestimmte Referenten bzw. Referentenklassen verknüpft ist, als getrennte und nicht aufeinander rückführbare Entitäten nebeneinander zu berücksichtigen.

10.3.2

Zur Modellierung von Mehrdeutigkeit

Ein solches Vorgehen scheint auch für die Modellierung von Phänomenen der Mehrdeutigkeit wichtig, da Polysemien und ihre Entstehung durch semantischen Wandel grundsätzlich sowohl einzelsprachliche als auch außer(einzel)sprachliche, kognitiv-konzeptuelle Aspekte involvieren. Einerseits geht es etwa um die Analyse einer einzelsprachlich ratifizierten Polysemie, d.h. um ein genuin einzelsprachliches Faktum, andererseits geht es darum, dieses Faktum anhand bestimmter kognitiver Grundlagen und Prozesse zu erklären (Koch 1996a, 233). Zur umfassenden Modellierung entsprechender Phänomene erweist sich daher eine Kombination von strukturalistischen und kognitiven Ansätzen als sinnvoll. Außer(einzel)sprachlich-konzeptuelle Analysen beziehen sich dabei auf die (per Definition) noch nicht einzelsprachlich beschränkten kognitiven Grundlagen der Innovation bzw. die kognitiven Relationen, welche die Polysemie motivieren. Da Polysemie jedoch gleichzeitig ein einzelsprachliches Faktum darstellt, ist sie darüber hinaus im Hinblick auf das Sprachsystem als Ergebnis eines historischen Prozesses der Verbreitung und Lexikalisierung der Innovation zu interpretieren, der nun (ebenfalls per Definition) einzelsprachlich beschränkt ist.

10.3.3

Zur Modellierung von Kreativität und Phänomenen der Unterbestimmtheit

Was die Modellierung von sprachlicher Kreativität angeht, so deutet bereits Saussure ein Nebeneinander von individuellem Sprachgebrauch und sozialem Charakter der Sprache an, das ein gewisses Spannungsverhältnis begründet. So nennt er bei seiner Aufzählung verschiedener grundlegender Eigenschaften sprachlicher Phänomene die folgenden Merkmale: «[…] Le langage a un côté individuel et un côté social, et l’on ne peut concevoir l’un sans l’autre. En outre : […] A chaque instant il implique à la fois un système établi et une

248

évolution ; à chaque moment, il est une institution actuelle et un produit du passé» (Saussure 1969 [11916], 24).

Noch deutlicher betont Coseriu unter Verweis auf Wilhelm von Humboldt, dass die Sprache nicht nur ein fertiges Werk (ergon) darstellt, sondern zunächst als sprachliche Tätigkeit der Sprecher (energeia) zu konzipieren ist (cf. Kap. 8.2). Demnach kommt der Kreativität des einzelnen Sprechers eine zentrale Rolle zu: Ihm stehen bestimmte Freiräume zur Veränderung der bestehenden sprachlichen Konventionen offen, so dass sich ein Potential zur Veränderung der historischen, durch Tradition vorgegebenen Sprache eröffnet. Andererseits ist diese Freiheit jedoch in verschiedener Hinsicht eingeschränkt. Um Rahmenbedingungen zu formulieren, welche die Kreativität grundsätzlich einschränken und damit mögliche von unmöglichen Innovationen unterscheiden, können wiederum sowohl strukturalistische als auch kognitive Ansätze einen Beitrag leisten. Strukturalistische Ansätze erfassen die Rolle der Einzelsprache als Bezugssystem für Produzent und Rezipient (cf. die im obigen Zitat angedeutete soziale Dimension von Sprache), während viele kognitive Ansätze gerade darauf abzielen, übergreifende kognitive Prinzipien (auf der Ebene der Sprechtätigkeit) zu formulieren, welche die Schaffung und Interpretation neuer Zeichen ermöglichen, so etwa die grundlegenden Assoziationsprinzipien der Similarität, der Kontiguität und des Kontrasts (cf. Koch 1996a, 227–228; Blank 1999a, 133; 1999b, 200–201). Damit decken beide Typen von Ansätzen einen bestimmten Bereich der relevanten Fakten und Erklärungsfaktoren ab. Weiterhin wurde ausgehend von strukturalistischen Ansätzen als allgemeines Merkmal von Sprache die Alterität herausgearbeitet, d.h. das Sprechen wie und für andere, die Ausrichtung auf den oder die anderen (auf den oder die Kommunikationspartner und generell auf die anderen Mitglieder der Sprachgemeinschaft) (cf. Coseriu 1983, 56; Oesterreicher 1979, 230; 1988, 363–364; Kabatek 1996, 7; Schlieben-Lange 2010 [11998]). Dieses Prinzip schränkt auch die Kreativität des Einzelnen ein, insofern als dessen Äußerung und damit im Fall einer Innovation sein Akt der Kreation für den anderen, d.h. den Kommunikationspartner, nachvollziehbar sein muss (cf. die Überlegungen zur Nachvollziehbarkeit von Innovationen im Rahmen des in Kap. 11 entwickelten semiotischen Modells). Damit ergibt sich in semiotischer Perspektive die Notwendigkeit, beide Kommunikationspartner in die Betrachtungen mit einzubeziehen und nicht nur ein Zeichenmodell zu entwickeln, das auf einen Sprecher (Produzenten) oder Hörer (Rezipienten) bezogen werden kann, sondern ein genuines Modell der Kommunikation zu entwerfen, das beide Perspektiven beinhaltet. Ferner stellt sich bei der Betrachtung sprachlicher Kreativität und sprachlicher Innovationen die Frage, wie der Status von Formen modelliert werden kann, die eine gewisse Verbreitung erlangt haben, jedoch noch nicht voll konventionalisiert sind bzw. noch nicht als Teil des eigentlichen Sprachsystems angesehen werden können. Ein solcher Zwischenstatus lässt sich für Entlehnungen – und für Innovationen im Allgemeinen – im Verlauf ihrer Verbreitung annehmen. Darüber hinaus betrifft dieses Problem auch speziell Varianten, die innerhalb einer Sprache miteinander in Konkurrenz stehen bzw. von denen sich noch keine gegenüber den anderen durchgesetzt hat. 249

Neuere strukturalistische Ansätze versuchen, den Zwischenstatus entsprechender Formen mit Hilfe der Unterscheidung von System und Norm nach Coseriu wiederzugeben (so etwa Jansen 2005). Demnach werden die Formen nach der erstmaligen Verwendung und vor ihrer endgültigen Etablierung im System im Bereich der sprachlichen Norm verortet. Für eine Betrachtung auf einer vom Sprachbenutzer abstrahierenden Ebene (der Ebene der Norm und des Systems) scheint es damit in der Tat möglich, den Zwischenstatus der Formen zu erfassen. Allerdings zeigt eine solche Modellierung nicht unmittelbar auf, inwiefern die einzelnen Formen für einzelne Sprachbenutzer und bei einzelnen kommunikativen Verwendungen einen unterschiedlichen Status haben. Im Rahmen kognitiver Ansätze wird diesbezüglich der kognitive Verarbeitungsaufwand sprachlicher Formen thematisiert, der nun direkt auf den einzelnen Sprachbenutzer bezogen ist. Darüber hinaus ist der Begriff des entrenchment (Langacker 1987; 2000, 3; Schmid 2007) tangiert, da es auch darum geht, ob und wie gut verschiedene konkurrierende Varianten für den Produzenten bzw. Rezipienten zugänglich sind. Allerdings ist anzumerken, dass es in diesem Bereich bislang kaum umfassende empirische Studien gibt, so dass insbesondere die Frage des relativen kognitiven Verarbeitungsaufwands konkurrierender Formen weitestgehend als ungeklärt anzusehen ist.

10.3.4

Zwischenfazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass sowohl strukturalistische als auch kognitive Ansätze wichtige Beiträge zur Erfassung semiotischer Aspekte von Entlehnungsprozessen liefern. Insgesamt lassen sich aus dem Strukturalismus vor allem Ansätze zur Modellierung der einzelsprachlichen Bedeutung bzw. der einzelsprachlichen Bedeutungskomponenten gewinnen, während die Kognitive Linguistik insbesondere im Hinblick auf die Einbeziehung des Konzepts als semiotisch relevante Entität sowie die Erfassung allgemeiner kognitiver Grundlagen der Sprachproduktion und verarbeitung wesentliche Ansätze beisteuert. Aus dem Prinzip des methodologischen Individualismus und der angestrebten Rückführung von Entlehnungsprozessen auf einzelne Kommunikationssituationen ergibt sich gleichzeitig die Notwendigkeit, semiotische Prozesse sowohl beim Produzenten als auch beim Rezipienten zu erfassen und von einem genuinen Kommunikationsmodell auszugehen. Ebenso ergibt sich, dass hierzu Entitäten unterschiedlichen Typs – insbesondere auch konkrete, singuläre Entitäten – herangezogen werden müssen, so dass auch hier entsprechende Erweiterungen der klassischen Modelle vorzunehmen sind.

10.4

Das semiotische Modell von Blank

Nachfolgend möchte ich das semiotische Modell von Blank (2001a, 9; cf. 1997, 102; 1999a, 130; 1999b, 202) diskutieren, das sich aufgrund der bisherigen Über-

250

legungen als gute Ausgangsbasis darstellt, insofern als es sowohl strukturalistische als auch kognitive Ansätze einbezieht.

10.4.1

Vorstellung des Modells

Blanks Modell basiert letztlich auf einem komplexen Zeichenmodell Hegers, das dieser in verschiedenen Fassungen ausarbeitet (Heger 1964, 515; 1969, 168; 1976, 51; cf. 1987, 424–429). Hegers Modell wird dann von Raible (1983, 5) aufgegriffen, an den sich Blank eng anlehnt. Raibles Modell setzt fünf grundlegende semiotisch relevante Entitäten an: nomen – signans – signatum – designatum – denotatum. Damit werden sowohl strukturalistische Ansätze (signans und signatum, die zusammen das signum bilden, werden von Saussure übernommen) als auch kognitive Ansätze (durch die Berücksichtigung des designatums als außersprachliche Dingvorstellung) aufgegriffen. Grundlegend für das Modell ist ferner die Unterscheidung zwischen einer Ebene des Möglichen (welche signans, signatum und designatum umfasst) und einer Ebene des Wirklichen (welche nomen und denotatum umfasst) (zu dieser Unterscheidung cf. bereits Hilty 1971). Die wesentlichen Elemente von Raibles Modell finden sich dann auch bei Blank wieder (cf. Abb. 23), wobei er allerdings punktuelle Modifikationen, insbesondere in terminologischer und darstellungstechnischer Hinsicht, vornimmt. So führt er für die einzelnen semiotischen Entitäten durchgehend andere Termini ein: konkrete Lautung – Zeichenausdruck – Zeicheninhalt – Designat (in der Fassung von 1997) bzw. Konzept (in der Fassung von 2001a) – Referent. Weiterhin wird in der Darstellung stärker hervorgehoben, dass Zeichenausdruck und Zeicheninhalt gemeinsam das Zeichen bilden, so dass Blanks Modell von seiner Grundstruktur her nur noch vier Eckpunkte aufweist. Wesentlich für die Gliederung des Modells sind ferner zwei Unterscheidungen. Erstens übernimmt Blank die bei Raible vorhandene Trennung zwischem Möglichem und Wirklichem in konzeptioneller Hinsicht, wobei er den Terminus des «Möglichen» allerdings dahingehend kritisiert, dass signans/Zeichenausdruck, signatum/Zeicheninhalt und designatum/Designat nicht nur dem Bereich des Möglichen zuzurechnen seien, sondern auch im philosophischen Sinne als wirklich anzusehen seien, «insofern wir sie ja für geistige Realitäten unserer Kognition bzw. unserer Sprache halten» (Blank 1997, 101). Blank verwendet daher selbst die Termini des Abstrakten vs. Konkreten. Zweitens nimmt Blank noch eine zusätzliche Unterscheidung von einzelsprachlichen und außersprachlichen Einheiten vor. Insgesamt ergibt sich damit das in Abb. 23 dargestellte Modell (Blank 2001a, 9; cf. 1997, 102; 1999a, 130; 1999b, 202), das sich wie folgt charakterisieren lässt: Das Modell greift einerseits die strukturalistischen Einheiten des Zeichenausdrucks und Zeicheninhalts, andererseits das Konzept kognitiver Ansätze auf. Darüber hinaus lässt sich hinsichtlich der Einbeziehung von konkreter Lautung und konkretem Referenten ein Bezug zu Ogden/Richards herstellen, da auch dort zwischen der kon-

251

kreten Lautform (symbol), einer inhaltlichen Ebene (thought/reference) 27 und schließlich dem konkreten Referenten (referent) unterschieden wird. 28 Auf dieser Grundlage charakterisiert Blank sein Modell dahingehend, dass eine Verbindung der Ebenen der langue (durch die Übernahme der Saussureschen Entitäten von Zeichenausdruck und Zeicheninhalt) und der parole (durch Einbeziehung von konkreter Lautung und Referent) hergestellt werde (Blank 1997, 102). 29 einzelsprachlich

außersprachlich

Zeichen (lexikalisches Wissen)

Zeichenausdruck (phonolog. Wissen)

Konkrete Lautung

Abb. 23:

Zeicheninhalt (einzelsprach lich-semem. Wissen)

Konzept (enzyklopädisches Wissen)

Referent

abstrakt

konkret

Das semiotische Modell Blanks (2001a, 9)

Wie lässt sich das Zusammenspiel der unterschiedlichen Entitäten bei einzelnen Prozessen der Zeichenverwendung konzipieren? Als wesentlich hierfür erscheint, dass Blank den verschiedenen abstrakten Entitäten in seinem Modell jeweils bestimmte Wissensbestände zuordnet (cf. Abb. 23), die einem einzelnen Produzenten oder Rezipienten bei der Verwendung und Interpretation konkreter sprachlicher Zeichen zugeschrieben werden können. 30 So umfasst das lexikalische Wissen Kenntnisse

27

28

29

30

Die inhaltliche Ebene wird allerdings in der Rezeption von Ogden/Richards traditionellen einzel- oder außersprachlichen Bedeutungsbegriffen angenähert und dementsprechend unterschiedlich ausgelegt (cf. Blank 1997, 35 und 96). Ansätze zu einer Verbindung des klassischen semiotischen Dreiecks mit Saussures Dichotomie von signifiant und signifié finden sich bereits bei den Trapezmodellen von Hilty und Heger (cf. Heger 1987, 422). Allerdings ist anzumerken, dass Saussure ja mit seinem circuit de la parole auch ein genuines Kommunikationsmodell entwirft (cf. Kap. 10.2.1), das ebenfalls Prozesse im Bereich der parole berücksichtigt. Weiterführend wäre in diesem Zusammenhang zu untersuchen, wie sich hier SchliebenLanges Gegenüberstellung von Typen von Wissensbeständen (primäre sprachliche Bedeutung, weiteres Sprach- und Textwissen, außersprachliches Wissen) sowie die von ihr auf-

252

über die Morphologie, Wortart sowie typische Vorkommen und übliche Kontexte des jeweiligen Zeichens. Das phonologische Wissen bezieht sich auf die normale Aussprache des Zeichenausdrucks. Das enzyklopädische Wissen wird auf der Ebene des Konzepts angesiedelt, wobei das einzelsprachlich-sememische Wissen als der Teilbereich davon aufgefasst wird, der für die Abgrenzung des jeweiligen Zeicheninhalts im Lexikon einer Sprache relevant ist. Diese Wissensbestände stellen nach Blank eine psycholinguistische Annahme bzw. eine neuropsychologische Realität dar (Blank 1997, 92–93), und Blanks Modell kann so insgesamt eine kognitionstheoretische Ausrichtung zugeschrieben werden: «Die kognitionstheoretische Auslegung des sprachlichen Zeichens zeigt sich nicht nur in der Einbeziehung des Konzepts als eines eigenständigen Komplexes, sondern auch in der Verankerung der einzelnen Komponenten des Modells in den diesen korrespondierenden Modi der Sprecherkompetenz: lexikalisches, phonologisches, einzelsprachlich-sememisches und enzyklopädisches Wissen» (Aschenberg 2007, 474).

Damit wird das Prinzip des methodologischen Individualismus bei Blank unmittelbar umgesetzt: Zum einen werden konkrete semiotisch relevante Entitäten einbezogen, die also bei einzelnen Sprachäußerungen im Diskurs eine Rolle spielen; zum anderen werden die Entitäten bzw. Komponenten des Zeichens an den Sprachbenutzer rückgebunden. Blanks Ebene des Abstrakten lässt sich demnach auch als Ebene mentaler Vorgänge fassen (Blank 1997, 100). Diese Formulierung erscheint für die angestellten Überlegungen zu Entlehnung und Sprachwandel zentral: So wurde in Kap. 9.1 das Ziel formuliert, die jeweiligen Prozesse auf einzelne Kommunikationsakte auf der Ebene des Diskurses zurückzuführen, für ihre Erklärung jedoch auf Erklärungsfaktoren zurückzugreifen, die auf anderen (allgemeineren) Ebenen des Sprachlichen (oder auf der außersprachlichen Ebene) situiert sind. Insofern geht es gerade auch darum zu zeigen, wie bestimmte mentale Wissensbestände (bezüglich universeller, historischer oder außersprachlicher Fakten) bei konkreten Verwendungen bzw. Interpretationen im Diskurs wirksam werden. 31 Blank selbst geht es gerade auch um eine (metasprachliche) Betrachtung von Bedeutung, d.h. um Bedeutung als linguistische Abstraktion. Diese lässt sich so fassen, dass die Wissensbestände jeweils (mit Ausnahme des phonologischen Wissens, das sich ja auf den Zeichenausdruck bezieht) mit bestimmten Ebenen der Bedeutung in Korrelation gesetzt werden (Blank 1997, 95–96; cf. Abb. 24). Dem einzelsprachlich-sememischen Wissen entspricht das Semem bzw. der Zeicheninhalt. Das einzelsprachlich-lexikalische Wissen umfasst hingegen die externe und interne Wortvorstellung sowie syntagmatische Relationen. Das außersprachliche

31

gezeigten Anknüpfungsmöglichkeiten an Coserius und Bühlers Umfeldertheorien (cf. insbesondere Coseriu 1955–56) einbeziehen ließen (Schlieben-Lange 1983, 20–28). Für die Betrachtung von Entlehnungen und allgemein von Innovationen, bei denen neue Zeichen (im Hinblick auf das betrachtete Sprachsystem) geschaffen werden, können allerdings noch keine entsprechenden zeichenspezifischen Wissensbestände angenommen werden, sondern hier sind vor allem andere Wissensbestände wie etwa bezüglich der Phonologie und Grammatik des Sprachsystems relevant.

253

Wissen bezieht sich schließlich auf Konnotationen und den Bereich des Weltwissens. Damit wird ein weiter Bedeutungsbegriff zugrundegelegt, der sowohl einzelsprachliche als auch außersprachliche Komponenten umfasst und darüber hinaus mit der Einbeziehung einzelsprachlich-lexikalischen Wissens noch zusätzliche Informationen berücksichtigt. Blanks Ebenen der Bedeutung enthalten somit ein umfassendes Inventar an Informationen bzw. Kenntnissen, die beim einzelnen Sprachbenutzer bezüglich sprachlicher Entitäten angesetzt werden können. EBENEN DES WISSENS

EBENEN DER BEDEUTUNG

einzelsprachlich-sememisch einzelsprachlich-lexikalisch

¾ Semem/Zeicheninhalt ¾ externe Wortvorstellung/diasystematische Markiertheit ¾ interne Wortvorstellung/grammatikalische Markierungen, Wortfamilien, Polysemie ¾ syntagmatische Relationen/Wortbildungen, Kollokationen ¾ Konnotationen ¾ Weltwissen

außersprachliches Wissen Abb. 24:

10.4.2

Zuordnung von Ebenen des Wissens und Ebenen der Bedeutung nach Blank

Kritische Bewertung

Im Kontext der vorliegenden Fragestellungen erscheinen bei Blanks Zeichenmodell vor allem die von ihm hervorgehobenen Trennungen zwischen (Einzel-)Sprachlichem und Außersprachlichem sowie Abstraktem und Konkretem zentral. Hinsichtlich des erstgenannten Aspekts wurde immer wieder die Notwendigkeit festgestellt, sowohl einzel- als auch zwischen- bzw. außer(einzel)sprachliche Aspekte zu erfassen, und es wurde deutlich, dass gerade für sprachvergleichende Betrachtungen und Analysen von Entlehnungsvorgängen eine onomasiologische Perspektive zentral ist, die vom bezeichneten Konzept oder sogar dem Referenten ausgeht. Eine solche onomasiologische Perspektive ist auch für die Betrachtung von produzenteninduzierten Innovationen im Allgemeinen grundlegend, da es aus Sicht des Produzenten stets darum geht, bestimmte konzeptuelle Inhalte zu versprachlichen; hierbei besteht für ihn neben der Verwendung eines vorhandenen Ausdrucks auch die Möglichkeit, einen neuen Ausdruck zu schaffen, d.h. zu innovieren (cf. Koch 2000; 2003; Koch/ Oesterreicher 1996). Darüber hinaus kommt auch dem zweiten Aspekt, der Opposition zwischen abstrakten und konkreten Entitäten, eine zentrale Bedeutung zu, wenn die Forderung des methodologischen Individualismus eingelöst werden soll, linguistische Aussagen und Erklärungsansätze auf der Ebene konkreter Äußerungen zu fundieren. Entgegen traditioneller Darstellungen, nach denen Zeichen zwischen Sprachen entlehnt werden, erweisen sich insofern die konkrete Realisierung des Zeichenausdrucks sowie der in einer bestimmten Kommunikationssituation bezeichnete Referent als zentrale semiotisch relevante Entitäten.

254

Allerdings ist in terminologischer Hinsicht anzumerken, dass sich für Konzepte wie EINHORN oder Abstrakta wie LIEBE (cf. FÜNFUHRTEE) keine konkreten Referenten im herkömmlichen Sinn angeben lassen. Wesentlich aus Sicht der Sprachbenutzer erscheint vielmehr, dass in der konkreten Kommunikation jeweils bestimmte Referenten(-vorstellungen) aktualisiert werden (ohne dass diese in einem materiellen Sinn konkret gegeben sein müssten). Dementsprechend erscheint es vorteilhaft, den Bereich der parole eher als den Bereich des Individuellen und Aktuellen bzw. Aktualisierten zu konzipieren (cf. Hilty 1971, 243 und passim; Coseriu 1955–56 sowie die Etikettierung der entsprechenden Ebene bei Coserius Ebenen des Sprachlichen). 32 Ich spreche daher nachfolgend von den jeweils aktualisierten Entitäten. Als Gegenbegriff bietet es sich an, das Zeichen (mit Zeichenausdruck und Zeicheninhalt) und das Konzept als virtuelle Entitäten zu fassen. 33 In konzeptioneller Hinsicht zeigt sich die grundlegende Bedeutung der aktualisierten semiotisch relevanten Entitäten insbesondere bei bestimmten Phänomenen formalen oder semantischen Wandels (cf. hierzu näher Kap. 11.4). Wie bereits in Kap. 10.1.2 und 10.1.3 angedeutet, sind Wandelphänomene wie in Bsp. (235) und (236) nur dadurch erklärbar, dass der Produzent und der Rezipient einen gegebenen Referenten auf unterschiedliche Weise konzeptuell interpretieren. Insofern stellt der gemeinsame Referent hier eine zentrale semiotisch relevante Entität dar. In ähnlicher Weise kann in Bezug auf formale Veränderungen wie Agglutinationen oder Deglutinationen (cf. Bsp. (237) bis (239) sowie Detges/Waltereit 2002 und die Kommentierung der genannten Beispiele in Kap. 9.5.3) eine zentrale Bedeutung des aktualisierten Zeichenausdrucks – der als Teil einer kontinuierlichen chaîne parlée auftritt – festgestellt werden. Analog dazu lassen sich Numeruswechsel im Kontext von Entlehnungsprozessen wie in Bsp. (240) dadurch erklären, dass der Rezipient eine Pluralform, die im aktualisierten Zeichenausdruck auftritt, als Singular interpretiert. (235) it. grappa TRESTERBRAND ĺ frz. grappa ITALIENISCHER TRESTERBRAND (236) sp. sombrero HUT ĺ frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT (237) frz.-D.O.M.-T.O.M. zoreille N.sg. ‘aus der Metropole stammender Bewohner der D.O.M.-T.O.M.’ (ĸ frz. „…de[z]/le[z] oreilles…“) (PR) (238) Seychellenkreol lisyen ‘Hund’ (ĸ frz. „…le chien…“) (Detges/Waltereit 2002, 155) (239) mfrz. licorne ‘Einhorn’ (mfrz. „…la licorne…“ ĸ it. „…l’alicorno…“) (Detges/Waltereit 2002, 155)

32 33

Die Aktualisierung stellt dabei den Übergang von der Ebene des Abstrakten bzw. Virtuellen zur Ebene des Aktuellen dar. Cf. die Bestimmung der langue bei Saussure als «un système grammatical existant virtuellement dans chaque cerveau, ou plus exactement dans les cerveaux d’un ensemble d’individus» (Saussure 1969 [11916], 30).

255

(240) it. spaghetti N.m.pl. (Pl. von it. spaghetto N.m.) ĺ frz. spaghetti N.m.sg. Die Beispiele belegen, dass bestimmte Wandelprozesse nur mit Bezug auf die Scharnierstelle der Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient adäquat verstanden werden können. Somit erweist sich die Erfassung von Kommunikationsprozessen, also sowohl der Perspektive des Produzenten als auch der des Rezipienten, hier als zentrale Anforderung. Bei Entlehnungen ist insbesondere an Kommunikationssituationen zwischen Produzenten der AS und Rezipienten der ZS zu denken, bei denen die Kenntnisse der letzteren bezüglich der AS begrenzt sind: In diesen Fällen spielt das Wissen des Rezipienten bezüglich der AS keine oder nur eine untergeordnete Rolle für seine Rezeption/Interpretation der vom Produzenten geäußerten Form, und diese (sowie ggf. ihre spätere Reproduktion durch den Rezipienten) wird wesentlich durch die in der konkreten Kommunikation aktualisierten Einheiten gesteuert. 34 Was die Modellierung genuiner Kommunikationsprozesse anbetrifft, so erscheint dieser Aspekt vor allem bei Saussures circuit de la parole klar ausgearbeitet. Blank hingegen bezieht zwar durchaus Aspekte sowohl der langue als auch der parole ein, doch zielt sein Modell im Wesentlichen darauf ab, den Weg von der konkreten Lautung zum Referenten oder dessen Umkehrung (d.h. Bezeichnungsrelationen) abzubilden. Die zentrale Frage von Blanks Modell (wie auch einer Reihe anderer traditioneller Zeichenmodelle) kann daher dahingegehend zusammengefasst werden, dass es darum geht zu zeigen, wie der semiotische Prozess in den Köpfen der Sprachbenutzer verläuft, im Rahmen dessen ein Bezug zwischen der konkreten Realisierung des Zeichens einerseits und dem Referenten andererseits hergestellt wird (cf. Blank 1997, 99). Bei der vorliegenden Betrachtung von Entlehnungen als Form sprachlicher Innovationen lässt sich hingegen als zentrale Frage angeben, wie Rezipienten – ausgehend von aktualisierten Zeichensequenzen und Referenten – zu neuen Zeichen gelangen, bzw. wie neue Zeichen in die Wissensbestände der Sprachbenutzer (und abstrahierend: in das historische System und die Norm der Sprache) gelangen. Zur Behandlung dieser Frage scheint es notwendig, Blanks Modell zu einem semiotischen Modell der Kommunikation zu erweitern.

10.5

Zusammenfassung

Bei der Analyse der semiotischen Dimension von Entlehnungsprozessen wurden zunächst zwei Typen von Ansätzen gegenübergestellt: strukturalistische und kognitive Ansätze. Strukturalistische Konzeptionen setzen signifiant und signifié als grundlegende semiotische Entitäten an und betrachten generell (einzel-)sprachliche Aspekte der Zeichen und des Zeichengebrauchs. Diese sind für die Betrachtung von Entlehnungen insofern relevant, als das einzelsprachliche Wissen der Sprachbenutzer (bezüglich der AS und bezüglich der ZS) einen wesentlichen Faktor dafür dar34

Darüber hinaus kommen dann selbstverständlich weitere Faktoren, etwa bezüglich des ZSSystems oder der ZS-Norm ins Spiel.

256

stellt, wie einzelne Formen entlehnt werden. Kognitive Ansätze betonen demgegenüber die Bedeutung außersprachlicher Konzepte. Auch diese sind für Entlehnungsprozesse direkt relevant, unter anderem, da nur außer(einzel)sprachliche Konzepte als Vergleichspunkte bei der Betrachtung von Wortformen und -bedeutungen in AS und ZS fungieren können. Darüber hinaus erscheint für die Betrachtung von produzenteninduzierten Innovationen im Allgemeinen (und somit auch von Entlehnungen) nur eine onomasiologische Perspektive adäquat, die vom Konzept (oder Referenten) ausgeht, das (bzw. den) der Produzent in einer konkreten Kommunikationssituation bezeichnen möchte. Die beiden Ansätze müssen sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen, sondern es erscheint möglich, ein umfassendes semiotisches Modell zu konzipieren, das alle genannten Entitäten (sowie ggf. weitere) berücksichtigt. Daher habe ich im Anschluss das semiotische Modell von Blank analysiert, das genau auf eine Verbindung von strukturalistischen und kognitiven Ansätzen abzielt, indem unterschiedliche Typen semiotisch relevanter Entitäten nebeneinander berücksichtigt werden. Wichtig scheint ferner Blanks Zuordnung bestimmter Wissensbestände bei den Sprachbenutzern zu verschiedenen semiotischen Entitäten. Daher soll Blanks Modell als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen zugrundegelegt werden. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass bisherige Zeichenmodelle primär darauf abzielen, die Relationen zwischen etablierten sprachlichen Ausdrücken und der Wirklichkeit (den «Dingen» oder «Sachen») zu klären – so vor allem kognitive Ansätze – oder aber bestehende Ausdrucks-Inhalts-Paare innerhalb vorgegebener Sprachsysteme zu betrachten – so vor allem strukturalistische Ansätze. Auch bei Blank geht es im Wesentlichen darum darzustellen, wie die – nur indirekte (cf. das semiotische Dreieck von Ogden/Richards) – Verbindung zwischen Referent und konkreter Lautung, die Produzent und Rezipient in der Kommunikation herstellen, genauer gefasst werden kann. Im Kontext der vorliegenden Arbeit geht es hingegen um die Beschreibung und Erklärung sprachlicher Innovationen und ihrer Verbreitung, d.h. um Manifestationen der sprachlichen Kreativität. Um diese modellieren zu können, erscheint es daher notwendig, Blanks Modell zu einem genuinen Kommunikationsmodell zu erweitern.

257

11

Kommunikationsmodell zur Erfassung von Entlehnung und Sprachwandel

[...] Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. [...] Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. «Guter Freund», redete er ihn an, «könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?» Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück geradesoviel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: «Kannitverstan!» und schnurrte vorüber. Dies war nur ein holländisches Wort, oder drei, wenn mans recht betrachtet, und heißt auf deutsch soviel als: Ich kann Euch nicht verstehn. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. ‹Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan›, dachte er und ging weiter. [...] (Hebel, Kannitverstan, in: Hebel 1973 [1809], 27).

Im nachfolgenden Kapitel soll ausgehend vom semiotischen Modell Blanks ein genuines Kommunikationsmodell entwickelt werden, mit dem Entlehnungsprozesse dargestellt werden können. Hierzu soll auf die im vorangehenden Kapitel formulierten allgemeinen Anforderungen an ein entsprechendes semiotisches Modell sowie potenzielle Problempunkte bei der Anwendung von Blanks Modell auf Entlehnungsprozesse Bezug genommen werden. Nach der Erläuterung eines entsprechend erweiterten Kommunikationsmodells soll skizziert werden, wie dieses auf Situationen des Sprachkontakts, Entlehnungen und Adoptionen von Entlehnungen innerhalb der ZS anwendbar ist.

11.1

Entwicklung eines umfassenden semiotischen Modells der Kommunikation

Um die Möglichkeit von Uminterpretationen des Zeichenausdrucks (Agglutination, Deglutination, Numeruswechsel, Konversion flektierter Formen, cf. Kap. 10.4.2) zu berücksichtigen, schlage ich vor, von einer aktualisierten Zeichensequenz anstatt von einer konkreten Lautung des einzelnen Zeichens zu sprechen. Diese kann dem259

nach in einer flektierten Form vorliegen und umfasst einen direkten sprachlichen Kontext, der ggf. mit in die Betrachtung einbezogen wird. Des Weiteren sollen generell nicht nur lautliche, sondern auch graphische Realisierungen berücksichtigt werden. Gerade für aktuelle Entlehnungsprozesse ist von einem intensiven schriftlichen Sprachkontakt auszugehen, d.h. die Entlehnungen erfolgen insbesondere auch über das graphische Kontaktmedium. Diese Option kann erfasst werden, indem als entsprechende semiotische Entität im Modell eine aktualisierte phonische und/oder graphische Zeichensequenz angesetzt wird. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass auch beim Referenten ein gewisser Interpretationsspielraum besteht (cf. die Beispiele frz. sombrero, frz. grappa und frz./it. flipper), so dass sich bei Produzent und Rezipient voneinander abweichende Konzeptualisierungen ergeben können, verwende ich nachfolgend auch den Terminus «kommunikativer Referent» («k-Referent»). Damit soll hervorgehoben werden, dass es sich um eine Entität handelt, die stets als aktualisierte Entität konzipiert wird, d.h. stets auf konkrete Kommunikationssituationen bezogen betrachtet wird. Um schließlich Blanks Modell zu einem umfassenden semiotischen Modell der Kommunikation zu erweitern, schlage ich eine Dopplung des Schemas vor. Bei dieser bilden die phonische und/oder graphische Sequenz einerseits und der kommunikative Referent andererseits die Scharnierstellen, da diese Entitäten (und nur diese) für Produzent und Rezipient gleichermaßen «äußerlich» gegeben sind. Zusätzlich kann hierbei an Überlegungen Langackers zu einem äußerungsbasierten (usage-based) Modell (Langacker 1988b; 2000; 2001) angeknüpft werden, im Rahmen dessen Äußerungsereignisse so verstanden werden, dass sie einerseits eine Konzeptualisierung, andererseits eine Vokalisierung beinhalten (Langacker 2001, 144; cf. 2007, 425–427). Beide genannten Bereiche sind dabei sehr weit gefasst. Der Bereich der Vokalisierung beinhaltet nach Langacker etwa auch die Gestik (Langacker 2001, 186, n. 3). Im Bereich der Konzeptualisierung werden das Äußerungsereignis selbst, Sprecher und Hörer, ihre Interaktion und die unmittelbaren Rahmenbedingungen der Kommunikation sowie der current discourse space (CDS) erfasst, der wie folgt definiert wird: «the mental space comprising those elements and relations construed as being shared by the speaker and hearer as a basis for communication at a given moment in the flow of discourse» (Langacker 2001, 144; cf. 2007, 425–426).

All diese Elemente bilden gemeinsam eine Grundlage, auf der sprachlichen Einheiten bestimmte Bedeutungen zugewiesen werden. Gerade das Konzept des current discourse space (was ich im Folgenden als «aktueller Diskursraum» wiedergebe) scheint im Kontext der vorliegenden Arbeit in zweierlei Hinsicht wesentlich: Erstens wird akzentuiert, dass die Rahmenbedingungen der Kommunikation ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen sind. Dabei geht es jedoch letztlich nicht um bestimmte objektive Rahmenbedingungen der Kommunikation, sondern darum, wie diese von den Kommunikationsteilnehmern konzeptualisiert werden (cf. das in Kap. 9.4 vorgestellte Schema zur Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel, bei dem eine kognitive Filterung bzw. Internalisierung von Erklärungsfaktoren angesetzt wurde). Zweitens wird betont, dass es sich um eine Größe handelt, die gemeinsam von Sprecher und Hörer (bzw. allgemeiner, Produzent und Rezipient) konstruiert wird. Damit 260

können Aspekte wie die Nachvollziehbarkeit einer Innovation durch den Rezipienten sowie gegenseitige Erwartungserwartungen von Produzent und Rezipient unmittelbar erfasst werden. einzelsprachlich

außereinzelsprachlich

Z übergreifende sprachliche und enzyklopädische Wissensbestände

Morphologische Eigenschaften ZA Produzent Ý

kommunikative Rahmenbedingungen und aktueller Diskursraum

Lautung

Schreibung

|

|



|

kommunikativer Referent

|

Lautung

übergreifende sprachliche und enzyklopädische Wissensbestände

Konzept

virtuell

|

phonische und/oder graphische Sequenz Û

aktuell/ aktualisiert

|

Schreibung ZA

ZI



Konzept

virtuell

Morphologische Eigenschaften Rezipient

Abb. 25:

ZI

Z

Modell der sprachlichen Kommunikation

Insgesamt ergibt sich so ein semiotisches Modell, das ausgehend von Blank und Langacker wie folgt konzipiert ist (cf. Abb. 25): Das Modell unterscheidet zwischen virtuellen Entitäten, die mit bestimmten Wissensbeständen korrelieren (im Schema grau unterlegt), und aktualisierten Entitäten. Im Bereich der in der Kommunikation aktualisierten Entitäten wird einerseits der kommunikative Referent (k-Referent), andererseits eine phonische und/oder graphische Zeichensequenz angesetzt. Hiermit wird den Optionen von medial mündlicher/phonischer oder schriftlicher/graphischer Kommunikation oder einer Kombination beider Medien – wie sie etwa in Nachrichtensendungen auftritt, wenn Schlagzeilen o.ä. sowohl graphisch am Bildschirm dargestellt als auch verlesen oder kommentiert werden – Rechnung getragen. Dementsprechend wird auch bei der virtuellen Entität des Zeichenausdrucks (ZA) sowohl die Lautung als auch die Schreibung der betreffenden Form erfasst. Weitere virtuelle Entitäten sind der Zeicheninhalt (ZI), das Zeichen (Z) als Kombination aus Zeichenausdruck und Zeicheninhalt sowie das Konzept. Letzteres wird als außersprachliche bzw. außereinzelsprachliche 1 kognitive Kategorie aufgefasst, der enzyklopädische 1

In Blanks Modell wird das Konzept als außersprachliche Entität gefasst. In anderen Zeichenmodellen hingegen wird es teilweise auch nur außereinzelsprachlich konzipiert. So setzt Heger zunächst ein außereinzelsprachliches Noem an, das zwar als unabhängig von den Gegebenheiten natürlicher Einzelsprachen, nicht jedoch als unabhängig von Sprache schlechthin verstanden wird (Heger 1969, 209; cf. 1987, 425). Später greift er die Unterscheidung zwischen außereinzelsprachlichen und außersprachlichen Einheiten in seinem

261

Wissensbestände zugeordnet werden. 2 Gleichzeitig fungiert das Konzept ggf. als Ausgangspunkt für sprachenvergleichende, onomasiologische Betrachtungen. Dem Zeicheninhalt sollen hingegen alle einzelsprachlichen Bedeutungsaspekte zugerechnet werden. Diese Entität lehnt sich demnach zunächst an die strukturalistische Konzeption des signifié nach Saussure an und erfasst so die distinktive Funktion innerhalb von Wortfeldern im Sinne der klassischen Semanalyse. In Fällen von Polysemie werden aber im Unterschied zu klassisch strukturalistischen Positionen ggf. mehrere acceptions und jeweils unterschiedliche Sememe angesetzt (cf. Koch 1996b, 130). Darüber hinaus sollen beim Zeicheninhalt auch variationelle und motivationale Aspekte erfasst werden (cf. Blank 1997, 95; Koch 1996a, 227; 1996b, 116; Coseriu 1990, 269 sowie Fußnote 24 in Kap. 10). Schließlich werden – neben den eigentlichen semiotischen Entitäten im engeren Sinn – übergreifende Wissensbestände von Produzent und Rezipient berücksichtigt. Dabei handelt es sich zunächst um ein allgemeines konzeptuelles Wissen, d.h. enzyklopädische Wissensbestände. Ferner scheint auch das gesamte einzelsprachliche Wissen relevant, da dieses ebenso das die Produktion und Rezeption einzelner Zeichen beeinflussen kann. So lassen sich etwa Innovationen, die auf einer Analogiesetzung zu anderen Zeichen des Sprachsystems beruhen, nur unter Rückgriff auf einzelsprachliche Wissensbestände erklären: Zur Erklärung der in Bsp. (241) angeführten Innovation – der erstmaligen Verwendung von it. stampella zur Bezeichnung des Konzepts KLEIDERBÜGEL – ist es wesentlich, dass der innovierende Produzent Kenntnis von der Form it. gruccia und ihrer Polysemie (‘Kleiderbügel’, ‘Krücke’) hat. (241) it. stampella KLEIDERBÜGEL ĸ it. stampella KRÜCKE nach it. gruccia ‘Kleiderbügel’, ‘Krücke’ (Blank 1997, 321–322) Insgesamt lassen sich die verschiedenen übergreifenden Wissensbestände auf den virtuellen Ebenen des Modells – bei Produzent und Rezipient – verorten. Die jeweils aktualisierten Zeichen sind somit für Produzent und Rezipient nie isoliert gegeben, sondern werden stets als Elemente eines übergreifenden Systems sowie auf der Grundlage von allgemeinem enzyklopädischem Wissen verwendet und interpretiert. Zur Erklärung einzelner Verwendungen und Interpretationen ist ferner wesentlich, welche Elemente und Relationen von Produzent und Rezipient als gemeinsame Basis der Kommunikation konstruiert werden (etwa das hierarchische Verhältnis zwischen Produzent und Rezipient), welche Entitäten dem Produzenten und Rezipienten gemeinsam für deiktische Verweise zur Verfügung stehen etc. Im mittleren Bereich des Modells, d.h. im Bereich der Scharnierstelle der aktualisierten Entitäten

2

Dodekagon-Modell auf. Dabei wird das Noem als außereinzelsprachlich, die Klasse (als Menge von Elementen) hingegen als außersprachlich gefasst; bei der Dingvorstellung schließlich wird die Zuweisung offen gehalten (Heger 1987, 432–433). Wo dies notwendig erscheint, ist eine weitere Differenzierung zwischen einem (primär) intensional definierten Konzept und einer (primär) extensional definierten Referentenklasse möglich (cf. Heger 1969, 168; 1987, 428–429). In meinem Modell werden die betreffenden semiotischen Einheiten hingegen als virtuelle, nicht mehr einzelsprachliche inhaltliche Kategorie zusammengefasst.

262

werden demnach die (von Produzent und Rezipient internalisierten) kommunikativen Rahmenbedingungen und der aktuelle Diskursraum angesetzt. Um das semiotische Modell weiter zu präzisieren, möchte ich nun einige der angesetzten Entitäten und Unterscheidungen näher kommentieren. Durch die Einbeziehung von Produzent und Rezipient beinhaltet das Modell sowohl eine onomasiologische als auch eine semasiologische Perspektive. Die Perspektive des Produzenten entspricht grundsätzlich dem Blickwinkel der Onomasiologie: Der Produzent möchte über bestimmte Referenten bzw. diesen zugeordnete konzeptuelle Inhalte sprechen und wählt dafür eine ihm angemessen erscheinende Ausdrucksform, die er phonisch oder graphisch realisiert. Der Rezipient sieht sich damit vor der Aufgabe, die geäußerte Zeichensequenz zu interpretieren, d.h. diese auf einen bestimmten konzeptuellen Inhalt bzw. kommunikativen Referenten zu beziehen (cf. die Blickrichtung der Semasiologie). Was die strikte Trennung von virtuellen und in der Kommunikation aktualisierten Entitäten betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass nur letztere für Produzent und Rezipient prinzipiell gleichermaßen («äußerlich») zugänglich sind. 3 Allerdings wurde bereits darauf hingewiesen, dass die entsprechenden Entitäten – die phonisch und/oder graphisch aktualisierte Zeichensequenz und der kommunikative Referent – zwar objektiv gegeben sind, doch beim Zugriff auf diese Entitäten (d.h. bei der Zuordnung zu einem Zeichenausdruck bzw. einem Konzept) ein gewisser Spielraum besteht, so dass sich bei Produzent und Rezipient Abweichungen bezüglich der genauen Bestimmung sowohl des betreffenden Zeichenausdrucks (cf. frz./frz.-D.O.M.T.O.M. oreille/zoreille, it./frz. spaghetti N.m.pl./sg. etc.) als auch des bezeichneten Konzepts (cf. lat./frz. panarium/panier BROTKORB/KORB, focus/feu FEUERSTELLE/ FEUER) ergeben können. Hierdurch werden verschiedene Wandeltypen erklärbar: im Bereich des Zeichenausdrucks Agglutinationen und Deglutinationen sowie Numeruswechsel und andere morphologische Uminterpretationen, im Bereich des Zeicheninhalts bzw. Konzepts taxonomische und metonymische Uminterpretationen (cf. Kap. 10.4.2 und 11.4). Für die angesetzten virtuellen Entitäten hingegen gilt, dass die diesbezüglich beim Produzenten gespeicherten Informationen dem Rezipienten prinzipiell nicht zugänglich sind. Allerdings ergeben sich im Einzelnen dennoch weit reichende Übereinstimmungen hinsichtlich des Wissens über die beteiligten Konzepte bzw. Zeichen, wenn Produzent und Rezipient einer Kultur- bzw. Sprachgemeinschaft angehören. Somit zeigt sich hier die grundlegende Bedeutung des Faktors der Zweisprachigkeit, der dafür ausschlaggebend ist, in welchem Ausmaß von sich überschneidenden Wissensbeständen auszugehen ist. Das Nebeneinander von aktualisierten und virtuellen Entitäten ist darüber hinaus noch in einem weiteren Sinn von zentraler Bedeutung. Durch das Ansetzen von aktualisierten Zeichensequenzen wird der Feststellung Rechnung getragen, dass keinesfalls virtuelle, einzelsprachliche Einheiten wie etwa Phoneme als solche entlehnt werden können. Die Entlehnung bezieht sich vielmehr zunächst immer nur auf eine aktualisierte Zeichensequenz. Ausgehend von dieser Zeichensequenz werden 3

Ich blende hier ungewöhnliche Kommunikationssituationen etwa mit eingeschränkter akustischer Verständlichkeit durch Nebengeräusche und Ähnliches aus.

263

dann jedoch Verarbeitungs- und Speicherungsprozesse beim Kommunikationspartner ausgelöst, d.h. die aktualisierte Zeichensequenz wird mit bestimmten virtuellen Wissensbeständen (etwa einem Zeichenausdruck) verknüpft. Insgesamt kann dadurch das Zusammenspiel von zwei grundlegenden Aspekten von Sprache modelliert werden, die bei sprachlicher Kommunikation manifest werden. Diese können im Sinne der klassischen Termini als langue vs. parole gefasst werden, wobei diese hier konzipiert werden im Sinne von «Sprache als virtuelles und abstraktes System» (langue) bzw. von «Sprache als konkrete (gesprochene oder geschriebene), das heißt an ein jeweiliges hic et nunc gebundene Aktualisierung» (parole) (Heger 1969, 147). Ebenso kann in diesem Zusammenhang auf das Begriffspaar grammar – usage verwiesen werden (cf. Langacker 2001). Das semiotische Modell berücksichtigt beide Aspekte, indem einerseits virtuelle Entitäten (als Teil eines Systems bzw. der Wissensbestände der Sprachbenutzer, die in einem weiten Sinne als grammar gefasst werden können) und andererseits aktualisierte Entitäten (in der parole bzw. der konkret beobachtbare usage) angesetzt werden. Darüber hinaus werden gerade auch die Übergänge zwischen beiden Bereichen im Modell erfasst. Der Weg grammar ĺ usage entspricht dabei der Perspektive des Produzenten, der auf der Grundlage seines sprachlichen und enzyklopädischen Wissens bestimmte Einheiten auswählt und in der Kommunikation aktualisiert. Der umgekehrte Weg usage ĺ grammar hingegen entspricht der Perspektive des Rezipienten, der die Äußerung mit seinen Wissensbeständen abgleicht, wobei er ggf. auch Änderungen oder Ergänzungen seiner Wissensbestände vornehmen kann (etwa wenn er eine sprachliche Innovation rezipiert). 4 In diesem Zusammenhang ist ferner auf zwei grundlegende logische Verfahren hinzuweisen, die Produzent und Rezipient anwenden: einerseits das Verfahren der Deduktion («Ableitung» einer konkreten Äußerung aus der Grammatik, Perspektive des Produzenten), andererseits das Verfahren der Abduktion («Ableitung» von grammatischen Regeln auf der Grundlage einer konkreten Äußerung, Perspektive des Rezipienten) (Andersen 1973; 1989, 17). Hierbei ergibt sich auf Rezipientenseite aus der grundsätzlichen Fehlbarkeit des Abduktionsverfahrens die Möglichkeit, durch (Re-)Analyse sprachliche Veränderungen zu initiieren (der Rezipient [re-]konstruiert eine von der Produzentengrammatik abweichende Grammatik). Für die Produzentenseite ist hingegen (zusätzlich zur reinen Deduktion) der Aspekt der Kreativität zu ergänzen, der hier die Möglichkeit von abweichenden (innovativen) Verwendungen im Diskurs eröffnet. Weiterhin lässt sich die Lexikalisierung von Innovationen grundsätzlich als Prozess der Abduktion charakterisieren, über den

4

Für die vorliegende Arbeit ist der Prozess zentral, dass der Rezipient ein neues Zeichen in sein (ZS-)Zeichenrepertoire aufnimmt. Ich etikettiere die dabei entstehende semiotisch relevante Entität der Einfachheit halber als «Zeichen», auch wenn sich im weiteren Verlauf der Überlegungen Indizien dafür ergeben werden, dass hier unter Umständen nicht unmittelbar ein voll spezifiziertes ZS-Zeichen anzusetzen ist. Darüber hinaus ist anzumerken, dass es sich zunächst nur um ein neues Zeichen im mentalen Lexikon des Rezipienten handelt (d.h. gerade noch kein Zeichen als Teil der überindividuellen langue der ZSSprachgemeinschaft vorliegt – dies setzt einen weiterführenden Verbreitungsprozess bis hin zur Lexikalisierung, also Sprachwandel, voraus).

264

neue Einheiten zur vorhandenen Grammatik (bzw. allgemeiner: zum vorhandenen Sprachsystem) hinzugefügt werden (Blank 2001b, 1597). Das vorgestellte Modell erlaubt auch eine unmittelbare semiotische Fundierung der getroffenen Feststellung, dass Wörter grundsätzlich nur in einer Bedeutung entlehnt werden: Entsprechend der vorgeschlagenen Modellierung erweist sich die Scharnierstelle in der parole, d.h. die Aktualisierung einer Zeichensequenz zur Bezeichnung eines kommunikativen Referenten, als die eigentlich entscheidende Phase bei der Entlehnung. Möglicherweise vorhandene AS-Polysemien der aktualisierten Zeichen spielen dabei keine Rolle, da jeweils nur eine bestimmte Bedeutung aktualisiert wird (cf. die traditionelle Feststellung der monosemierenden Funktion des Kontexts, Heger 1969, 170–171). Was den Bereich der Schreibung angeht, so wird diese innerhalb linguistischer Modelle vielfach als von der Aussprache abgeleiteter Code angesehen und demnach in traditionellen Zeichenmodellen häufig nicht berücksichtigt. Diese Sichtweise erscheint jedoch für empirische Betrachtungen aktueller Entlehnungsvorgänge in vielen Fällen nicht ausreichend. Dies zeigt sich etwa auch daran, dass einige aktuelle optimalitätstheoretische Arbeiten versuchen, den rein aussprachebasierten Ansatz der klassischen Optimalitätstheorie zu überwinden und ergänzend Einflüsse der graphischen Realisierung zu berücksichtigen (cf. Rose/Demuth 2006). Weiterführend kann in diesem Kontext diskutiert werden, inwiefern ein Leser, der eine schriftliche Form aus einer anderen Sprache übernimmt – möglicherweise ohne ihre AS-Aussprache genau zu kennen – diese noch als von der entsprechenden Lautung abgeleitet ansieht. In Bezug auf den kommunikativen Referenten ist anzumerken, dass Entlehnungen in vielen Fällen auch auf der virtuellen konzeptuellen Ebene analysiert werden können (so generell bei «unspektakulären» Fällen, bei denen sich keine semantischen Veränderungen ergeben). Um jedoch auch auftretende Fälle von konzeptuellen Verschiebungen (Produzent und Rezipient nehmen unterschiedliche Konzeptualisierungen des Referenten vor) zu erfassen, sowie aus allgemeinen theoretischen Überlegungen heraus erscheint es dennoch wichtig, zunächst eine umfassende Version des semiotischen Modells zu skizzieren, so dass bei Bedarf auf die unterschiedlichen Entitäten Bezug genommen werden kann. Für das Konzept als virtuelle, außer(einzel)sprachliche Entität sind ebenso einige Fragen zu klären. Zunächst einmal geht es darum, wie das Konzept generell definiert wird. Hier stellt sich in der aktuellen Forschung das Problem einer mangelnden inhaltlichen Präzisierung des Konzeptbegriffs bzw. des unklaren Verhältnisses unterschiedlicher Konzeptbegriffe (cf. Aschenberg 2007, 475). Nach Aschenberg besteht insbesondere eine Unklarheit bezüglich der Reichweite der Konzepte, da Konzepte teilweise als universell verstanden werden, andererseits aber auch eine Einzelsprachbezogenheit bzw. eine Gebundenheit der Konzepte an eine bestimmte Kulturgemeinschaft angedeutet wird (Blank 2001a, 153).

265

Aus der Perspektive der Entlehnungsforschung lässt sich hierzu anmerken, dass Konzepte zunächst als übereinzelsprachliche oder außereinzelsprachliche 5 abstrakte Entitäten aufgefasst werden können. Diese stellen so einen notwendigen sprachenübergreifenden Bezugspunkt bereit, hinsichtlich dessen verschiedene einzelsprachliche Formen (und ggf. ihre einzelsprachlichen signifiés) in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Ein universeller Status der Konzepte muss dabei aber nicht zwingend angenommen werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine Betrachtung der sog. «Bedürfnisentlehnungen» wie etwa frz. geisha aufschlussreich. Diese werden häufig als konzeptuelle Entlehnungen verstanden werden, bei denen zusammen mit dem Zeichenausdruck das betreffende, in der Regel an die Ausgangskultur gebundene Konzept in eine andere Kultur und Sprache übernommen wird, so dass das entlehnte Wort die Bezeichnungslücke in der ZS unmittelbar schließt (cf. dazu näher in Kap. 12). Akzeptiert man diese inhaltliche Bestimmung, so ergibt sich unmittelbar, dass Konzepten nicht grundsätzlich ein universeller Status zugeschrieben werden kann, sondern einzelne Konzepte zunächst an eine bestimmte Kulturgemeinschaft gebunden sein können (dies wird linguistisch dadurch diagnostiziert, dass diese Konzepte nur in einzelnen Sprachen versprachlicht sind). Gleichzeitig belegen die sog. Bedürfnisentlehnungen jedoch auch eine grundsätzliche Transferierbarkeit von Konzepten und somit gerade die Möglichkeit einer Überwindung ihrer Gebundenheit an bestimmte Sprach- oder Kulturgemeinschaften. Weiterhin ergibt sich dann die Frage, wie einzelne Konzepte im Rahmen empirischer Untersuchungen bestimmt werden können. Hier stellt sich das bereits angedeutete Problem, dass die Konzepte selbst als mentale Einheiten dem Sprecher bzw. Linguisten nicht unmittelbar zugänglich sind. In konkreten Arbeiten werden Konzepte häufig durch Introspektion bzw. ausgehend von (einzel-)sprachlichen Fakten (Wortformen) postuliert. Beides ist insofern nicht unproblematisch, als sich unter Umständen kognitiv eher unplausible Konzepte ergeben können, deren realer Status fragwürdig ist (Aschenberg 2007, 481–482 und 493). Allerdings ist auch die kognitive (Im-)Plausibilität einzelner Konzepte bislang eine vorwiegend impressionistische, nicht empirisch abgesichterte Aussage, die im Einzelfall z.B. durch psychologische bzw. psycholinguistische Experimente zu untermauern wäre. Der reale mentale Status der im Einzelnen angesetzten Konzepte wird daher in der vorliegenden Arbeit bewusst ausgeklammert. Für die vorliegenden Zwecke werden die einzelnen Konzepte demnach als heuristische Einheiten verstanden, die zur Analyse bestimmter zwischensprachlicher Phänomene dienen. 6 Als zentral für 5

6

Dieser von Heger eingeführte Terminus hat den wichtigen Vorteil, dass damit nicht notwendigerweise eine Universalität der Konzepte impliziert wird (auch wenn sie damit nicht explizit ausgeschlossen wird) (cf. Heger 1969, 209; 1987, 425). Demnach werden – aus methodologischen Gründen – auf der Ebene der Vorstellungen bestimmte Strukturierungen angesetzt, die zur Eingrenzung von onomasiologisch abfragbaren Konzepten dienen. Damit soll jedoch nicht ausgesagt werden, dass entsprechende Strukturierungen im Bereich der Vorstellungen/Konzepte als unmittelbare Grundlage für (einzel-)sprachliche Grenzziehungen fungieren. Vielmehr erscheint der hier zugrunde gelegte Konzeptbegriff auch mit der Annahme kompatibel, dass vorhandene sprachliche Zeichen (und Grenzziehungen), die in einer bestimmten Gemeinschaft «schon da sind», im Bezug auf die Sachen gefunden werden (cf. Kabatek 2000, 198–202). D.h. Konzepte

266

das Verständnis des Konzeptbegriffs wird somit angesehen, mit welchen Erklärungsfunktionen der Konzeptbegriff (hier: im Rahmen der Modellierung von Entlehnungsprozessen) ausgestattet werden soll (cf. Aschenberg 2007, 470). Dabei erscheint es legitim, zur Herleitung der Konzepte von (einzel-)sprachlichen Ausdrücken und Bedeutungen auszugehen (d.h. die Konzepte zunächst semasiologisch zu fundieren) und entsprechende Konzepte als außer(einzel)sprachliche Bezugspunkte für einen Sprachenvergleich anzusetzen (ähnlich auch das Vorgehen von Gauger, cf. Aschenberg 2007, 493). 7 Insgesamt bleibt dennoch grundsätzlich ein Hypothesencharakter der angesetzten Konzepte bestehen. Abschließend möchte ich skizzieren, welche Konsequenzen sich aus dem semiotischen Modell für die Erklärung einzelner Phänomene ergeben. Zunächst wird deutlich, dass sowohl konkrete Kommunikationssituationen und die dort aktualisierten semiotischen Entitäten als auch die bei der Kommunikation ablaufenden kognitiven Verarbeitungsprozesse und beteiligten Wissensbestände (bei Produzent und Rezipient) betrachtet werden. Die Wissensbestände – das sprachliche und enzyklopädische Wissen sowie der in einer bestimmten Situation konstruierte aktuelle Diskursraum – sind dabei wesentliche Faktoren, welche die Verwendung und Interpretation der aktualisierten Zeichensequenzen erklären. Ebenso werden die verschiedenen bei der Erklärung von Sprachwandel relevanten Ebenen (cf. das Schema in Kap. 9.4) berücksichtigt. Der Bezug auf konkrete Kommunikationssituation und die dort aktualisierten Entitäten bedeutet eine Einbeziehung der Ebene des Diskurses; gleichzeitig ist hier der außersprachliche Bereich tangiert (cf. Erklärungsfaktoren wie das hierarchische Verhältnis zwischen Produzent und Rezipient etc.). Im Bereich der virtuellen Entitäten ergibt sich aus dem Bezug auf das (einzelsprachliche) Zeichen mit Zeichenausdruck und Zeicheninhalt eine Betrachtung historisch-einzelsprachlicher Phänomene. Durch die Einbeziehung des Konzepts werden ferner auch allgemeine kognitive Wissensbestände und Prinzipien der universellen Ebene berücksichtigt. Weiterhin stellen Betrachtungen auf der Grundlage des skizzierten Kommunikationsmodells deutlich heraus, dass die relevanten semiotischen Entitäten generell zwischen Produzent und Rezipient verhandelt werden. Dieses Merkmal scheint allgemein für die Erklärung von rezipienteninduzierten Innovationen wesentlich, die

7

werden nicht als vorsprachliche, sondern lediglich als übereinzelsprachliche Entitäten angesetzt. – Ferner ist zwischen der Perspektive der Sprecher und derjenigen der Linguisten zu unterscheiden. Aus Sicht der Sprecher stellt sich die Situation wie folgt dar: «Die Strukturierung der Einzelsprache finde ich also nicht in der Sache oder von der Sache her, sondern von der Sprache her, nicht onomasiologisch, sondern semasiologisch» (Kabatek 2000, 201). Gleichzeitig referieren aber linguistische Beschreibungen einzelsprachlicher Grenzziehungen auf eine (konzeptuelle) Metasprache, in der Kategorien formuliert werden, die in verschiedenen Einzelsprachen potenziell relevant sind (d.h. übereinzelsprachliche Konzepte). Darüber hinaus werden die so ermittelten Konzepte weiteren Überprüfungen unterzogen. Insbesondere erfolgt eine onomasiologische Kontrolle anhand von Referentenklassen, d.h. bei unterschiedlichen Referentenklassen werden stets auch unterschiedliche Konzepte angesetzt (Koch 1996a, 237; zur Problematik einer rein semasiologischen Bestimmung von kognitiven Kategorien cf. Koch 1996a, 231–233; 1996b, 126 und 129; Kleiber 1990).

267

grundsätzlich nur ausgehend von einer konkreten Kommunikationssituation zwischen Produzent und Rezipient zu verstehen sind. Gleichzeitig ergibt sich jedoch auch für produzenteninduzierte Innovationen, dass diese in der Kommunikation durch den Rezipienten ratifiziert werden müssen, so dass auch hier der Rezipient den Spielraum möglicher Innovationen begrenzt (cf. das in Kap. 10.3.3 angesprochene Prinzip der Alterität sowie das Kriterium der Nachvollziehbarkeit einer Innovation durch den Hörer/Rezipienten; Kabatek 1996, 22). Diesem Merkmal wird insbesondere auch dadurch Rechnung getragen, dass im mittleren Bereich des Modells der gemeinsam konstruierte aktuelle Diskursraum verortet wird.

11.2

Zur Darstellung von Entlehnungsprozessen

Es wurde bereits gezeigt, dass Entlehnungen traditionell wie folgt dargestellt werden: (242) it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italien. Tresterbrand’ (243) it. spaghetti N.m.pl. ĺ frz. spaghetti N.m.sg. Diese Darstellung abstrahiert von den Sprachbenutzern und konkreten kommunikativen Verwendungen der betrachteten sprachlichen Einheit (genauer, sowohl von den Verwendungen der AS-Einheit als auch der ZS-Einheit). Die Entlehnung wird vielmehr auf der Ebene der betroffenen Einzelsprachen – der AS (hier: Italienisch) und der ZS (hier: Französisch) – analysiert. Eine solche Darstellung erscheint prinzipiell für viele linguistische Untersuchungszwecke völlig legitim und unproblematisch, so etwa, wenn es ausschließlich um die Betrachtung des ZS-Lexikons oder um rein synchronisch-kontrastive Sprachenvergleiche geht. Grundsätzlich lässt sich die traditionelle Darstellungsform daher dem resultativen Aspekt von Entlehnungen zuordnen, der die Auswirkungen von Entlehnungen auf die Sprache insgesamt erfasst und somit generell auf der Beschreibungsebene der Einzelsprachen situiert ist. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn auch der andere grundlegende Aspekt von Entlehnungen – der kommunikative, prozessuale Aspekt (Aschenberg 2006, 230) – einbezogen werden soll, der auf die dynamischen Verwendungsprozesse bei den Sprachbenutzern eingeht. Für eine Betrachtung der Entlehnungsvorgänge selbst erscheint es problematisch, wenn diese auf der Grundlage traditioneller Darstellungen als ein Phänomen des Austauschs zwischen Sprachen konzipiert werden – cf. etwa die folgende Begriffsdefinition: «Il y a emprunt linguistique quand un parler A utilise et finit par intégrer une unité ou un trait linguistique qui existait précédemment dans un parler B (dit langue source) et que A ne possédait pas ; l’unité ou le trait empruntés sont eux-mêmes qualifiés d’emprunts» (Dubois et al., edd., 1994 s.v. emprunt).

Entsprechende Bestimmungen werden zwar immer wieder als inadäquat zurückgewiesen, und es wird betont, dass Entlehnungen nur von Individuen vorgenommen werden können. In einzelnen Untersuchungen finden sich aber doch immer wieder 268

Anzeichen für eine Sichtweise, die bei der Betrachtung von Entlehnungsprozessen weitgehend oder völlig von den Sprachbenutzern abstrahiert. Dazu mag nicht zuletzt auch beigetragen haben, dass sich bislang keine alternative Darstellungsform für Entlehnungsprozesse etabliert hat, die dem kommunikativen Charakter von Entlehnungen (der Tatsache, dass Wörter von einzelnen Sprachbenutzern in konkreten Kommunikationssituationen entlehnt werden) unmittelbar Rechnung trägt. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird daher eine Darstellungsform gewählt, die zwar zunächst von den abstrakten sprachlichen Fakten (auf der Ebene der Einzelsprachen) ausgeht (cf. die erste Zeile in der Darstellung, in der sozusagen der Ausgangsbefund angegeben ist bzw. das Ergebnis der Entlehnung zusammengefasst wird). Dann aber werden die einzelnen Prozesse, die sich sozusagen im mittleren Pfeil verbergen, genauer aufschlüsselt und auf konkrete Kommunikationsereignisse bezogen. Dazu wird – wie bereits im vorgestellten Kommunikationsmodell (cf. Abb. 25 in Kap. 11.1) der relevante Kommunikationsprozess zwischen Produzent (Prod) und Rezipient (Rez) vertikal von oben nach unten aufgeklappt; die konkrete Kommunikation (Komm) bildet dabei die Scharnierstelle. 8 (244) it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’ N.f., Pl. grappe

Prod [It.]

‘Tresterbrand’

Komm [it.]

Rez [Frz.]



TRESTERBRAND

['grappa]

Ļ „…grappa…“ Ļ

[gra'pa] N.f. Ļ Pl. grappas

‘italien. Tresterbrand’

Ļ )italienischer Tresterbrand Ļ ITALIEN . – TRESTERBRAND

Dabei werden – sofern dies aufgrund der sprachlichen Fakten erschlossen werden kann – Produzent und Rezipient bestimmten Sprachgemeinschaften zugewiesen. Aufgrund der eintretenden Bedeutungsveränderung scheint für das genannte Beispiel die Annahme plausibel, dass es sich um einen italienischen Sprecher oder Schreiber (der die AS-Bedeutung des Worts aktualisiert) und um einen französischen Hörer oder Leser (der den Ausdruck dann auf das speziellere Konzept bezieht) handelt. Ebenso wird angegeben, in welcher Sprache die Kommunikationssituation zu konzipieren ist. Ich gehe hier von einer normalen Entlehnungssituation aus 8

Bei entsprechenden Kommunikationsszenarien handelt es sich prinzipiell um Szenarien des Sprachkontakts. Bei einem bestimmten Typ der Entlehnung (AS-produzenteninduzierte Entlehnungen, cf. auch den traditionellen Begriff der «Substratinterferenz») ist diese Phase, wie in Kap. 11.3.3 näher erläutert wird (cf. dort Abb. 29), identisch mit der Phase der Entlehnung. Bei einem anderen Typ der Entlehnung (ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen) hingegen erfolgt die Entlehnung im Sinne der erstmaligen Verwendung des entlehnten Ausdrucks in der ZS erst zu einem späteren Zeitpunkt; diese Phase setzt aber ein entsprechendes Sprachkontaktszenario als vorangehenden Schritt voraus.

269

(borrowing, cf. Kap. 3.3), bei welcher der Rezipient der ZS-Sprachgemeinschaft mit dem betreffenden Ausdruck in der Fremdsprache (AS) konfrontiert ist, bevor er ihn selbst übernimmt (= erstmalige Verwendung in der ZS). Oben wird demnach eine Kommunikation auf Italienisch angenommen. 9 Dies bedeutet, dass hier nicht die erstmalige Verwendung innerhalb der ZS dargestellt ist, sondern die eigentlich entscheidenden Prozesse in einer vorausgehenden Kommunikationssituation situiert werden: Es geht darum, wie der innovierende Sprachbenutzer – hier also der ZS-Rezipient – selbst zu der betreffenden Einheit gelangt (welchen Zeichenausdruck er aus der konkreten Realisierung des Zeichens in der Kommunikation erschließt, auf welches Konzept er den Ausdruck bezieht und welchen Zeicheninhalt er daraus ableitet). Bei den in der konkreten Kommunikationssituation relevanten Fakten handelt es sich einerseits um den kommunikativen Referenten, auf den der Ausdruck in der Kommunikationssituation bezogen wird; dieser wird z.B. als )italienischer Tresterbrand notiert. Andererseits geht es um die konkrete Realisierung des Zeichenausdrucks („…grappa…“). Bei Bedarf (bzw. wo dies auf der Grundlage der Fakten erschließbar ist) kann genauer spezifiziert werden, ob eine medial graphische und/oder phonische Realisierung erfolgt. Was die typographische Darstellung angeht, so werden graphische und phonische Sequenz nachfolgend als «…grappa…» bzw. […'grappa…] notiert; wenn die Unterscheidung zwischen graphischer und phonischer Realisierung vernachlässigt werden kann, stehen doppelte Anführungszeichen („…grappa…“). Ferner ist noch anzumerken, dass im Bereich der konkreten Kommunikation grundsätzlich keine morphologischen Kategorien spezifiziert werden (etwa N.m.pl.), da diese als solche in der Kommunikation nicht gegeben sind, sondern nur als Wissensbestände bei Produzent und Rezipient vorliegen bzw. erschlossen werden. Wenn also wie bei frz. spaghetti (ĸ it. spaghetti) ein Wort in der Pluralform entlehnt wird, dann wird ggf. bei den aktualisierten semiotisch relevanten Entitäten ein entsprechender Kontext spezifiziert (z.B. „…gli spaghetti…“), es wird jedoch keine morphologische Kategorie angegeben. Die grau unterlegten Kästen veranschaulichen Wissensbestände, kognitive Relationen und Prozesse, die bei Produzent bzw. Rezipient verortet sind. Die Informationen bezüglich der jeweiligen sprachlichen Entität umfassen in der ersten und zweiten Spalte den Zeichenausdruck, wobei ich sowohl schriftliche als auch lautliche Realisierungen berücksichtige, darüber hinaus morphologische Informationen (und ggf. weiteres sprachliches Wissen bezüglich des Zeichens, etwa bezüglich Kollokationen, Polysemien und Homonymien etc.) sowie in der dritten und vierten Spalte semantisches Wissen bezüglich des Zeicheninhalts und des Konzepts, das durch den Ausdruck bezeichnet werden kann. Der Zeicheninhalt umfasst dabei einzelsprachliche Aspekte, während enzyklopädische Wissensbestände beim Konzept verortet werden.

9

Im Rahmen der Fallstudie in Kap. 14 wird sich allerdings zeigen, dass für frz. grappa parallel auch AS-produzenteninduzierte Entlehnungssituationen angenommen werden können, so dass diese Möglichkeit dort ebenfalls Berücksichtigung findet.

270

Der Zeichenausdruck als virtuelle semiotische Entität wird typographisch als (graphematischer ZA) bzw. ['grappa] (phonologischer ZA) notiert; wenn die Unterscheidung vernachlässigt werden kann, wird der Ausdruck kursiviert (grappa). Der Zeicheninhalt steht in einfachen Anführungszeichen (‘Tresterbrand’), das Konzept in Kapitälchen (TRESTERBRAND). Gleichzeitig werden bestimmte kognitive Relationen und Prozesse wiedergegeben. So kann aus den sprachlichen Fakten erschlossen werden, dass die französischen Plurale des grappas bzw. des spaghettis erst innerhalb des Französischen – auf der Grundlage der entlehnten Formen grappa bzw. spaghetti – gebildet werden. In den Beispielen sind somit mehrere Schritte bei der Übernahme klar erkennbar, und der Ablauf der Prozesse wird in der Darstellung durch Pfeile wiedergegeben. Abschließend ist noch anzumerken, dass bei der Besprechung konkreter Beispiele die verschiedenen Aspekte und Prozesse nur nach Bedarf bzw. nach Möglichkeit spezifiziert werden, d.h. es werden unter Umständen nicht alle der Informationen in der Darstellung ausformuliert, wenn die sprachlichen Fakten keine Rückschlüsse auf bestimmte Informationen zulassen oder wenn bestimmte Informationen für das Verständnis der jeweils betrachteten Entlehnung und Lehnwortintegration unwichtig sind. Das Schema wird daher bei der Besprechung weiterer Beispiele bei Bedarf in reduzierter Form darstellt.

11.3

Kommunikationsszenarien bei Prozessen der Entlehnung und ihrer Verbreitung

In Kap. 8 und 9 habe ich dafür argumentiert, Analysen von Entlehnungen in eine umfassende Betrachtung von Sprachwandelprozessen im Allgemeinen zu integrieren und die einzelnen Prozesse ausgehend vom einzelnen Sprachbenutzer zu modellieren. Dies bedeutet, dass Entlehnung (wie Sprachwandel allgemein) über konkrete Kommunikationsereignisse konzipiert wird. Dabei haben sich zwei grundlegende Typen von Kommunikationsereignissen ergeben: einerseits die Innovation (bzw. die Entlehnung) selbst, andererseits ihre Verbreitung. Nachfolgend soll nun skizziert werden, wie sich das skizzierte semiotische Modell auf die Betrachtung der jeweiligen Prozesse anwenden lässt und welche Implikationen sich hieraus ergeben. Hierzu stelle ich zunächst grundlegende Parameter vor, die zu einer Charakterisierung von Kommunikationsszenarien herangezogen werden können. Anschließend soll gezeigt werden, wie sich ausgehend davon spezifische Phänomene der Entlehnung und Lehnwortintegration darstellen lassen. Dabei gehe ich zunächst auf die traditionelle Unterscheidung von sog. eye-loans und ear-loans ein. Anschließend schlage ich – in Anknüpfung an das traditionelle Begriffspaar von borrowing vs. substratum interference (cf. Kap. 3.3) – vor, zwischen ZS-rezipienteninduzierten und AS-produzenteninduzierten Entlehnungen zu unterscheiden. Schließlich erläutere ich, inwiefern sich anhand der Parameter grundlegende Phasen der Entlehnung und Verbreitung gegenüberstellen lassen.

271

11.3.1

Grundlegende Parameter

Ausgehend von dem vorgestellten semiotischen Modell können zunächst verschiedene Parameter formuliert werden, mit denen die Kommunikationssituationen im Kontext von Entlehnungsprozessen charakterisiert werden können. Dabei geht es allgemein um die Charakterisierung von Produzent und Rezipient (ihre Wissensbestände, kommunikativen Erwartungen und Intentionen sowie weitere kognitive Faktoren wie etwa der Aktivierungsgrad von AS und ZS etc.), die Charakterisierung der Äußerung selbst (medial phonische und/oder graphische Realisierung) sowie allgemeine Rahmenbedingungen der Kommunikation. Zu letzteren können Aspekte gerechnet werden, die das Verhältnis der Kommunikationsteilnehmer zueinander betreffen (soziale Hierarchie, auch Dominanzverhältnisse wie etwa institutioneller Druck). Darüber hinaus ist der grundlegende Aspekt der Nähe/Distanz zu nennen, der ein Kontinuum eröffnet, in das einzelne Kommunikationsakte eingeordnet werden können. Hierzu können die folgenden Parameter analysiert werden (Koch/Oesterreicher 1985, 19–24; 1990, 8–9): der Grad der Öffentlichkeit, der Grad der Vertrautheit der Kommunikationspartner, der Grad der emotionalen Beteiligung, der Grad der Situations- und Handlungseinbindung, der Referenzbezug, die physische Nähe der Kommunikationspartner, der Grad der Kooperation, der Grad der Dialogizität, der Grad der Spontaneität sowie der Grad der Themenfixierung. Insgesamt liegt damit eine Reihe von Parametern vor, die potenzielle Erklärungsfaktoren darstellen und demnach bei der Erklärung einzelner Entlehnungen nach Bedarf heranzuziehen sind. Hinsichtlich traditioneller Analysen von Entlehnungsprozessen ist festzustellen, dass diese teilweise von sehr unterschiedlichen Entlehnungskonstellationen ausgehen, so dass die bisherigen Ergebnisse nur sehr bedingt aufeinander bezogen werden können bzw. sich grundlegende Kontroversen ergeben haben (so etwa die Kontroverse bezüglich des phonetischen vs. phonologischen Charakters der Lehnwortintegration, bei der beide Positionen von völlig unterschiedlich charakterisierten Sprechergruppen ausgehen, cf. Kap. 2.1.1). Auf der Grundlage der genannten Parameter können die Unterschiede in den Ansätzen präzisiert werden, so dass sich neue Perspektiven für die Beurteilung der bisherigen Analysen ergeben. Darüber hinaus lassen sich typische Konstellationen des Sprachkontakts mit Hilfe der Parameter charakterisieren. Nachfolgend sollen einige spezifische Parameter (P1 bis P4) herausgegriffen und näher kommentiert werden, die – wie zu zeigen sein wird – unmittelbar mit bestimmten Typen der Entlehnung und Lehnwortintegration korrelieren, die für die vorliegende Arbeit unmittelbar relevant sind: P1

Findet die Kommunikation im phonischen oder graphischen Medium statt?

P2

In welcher Sprache findet die Kommunikation statt (in der AS oder in der ZS)?

P3

Welche Kenntnisse hinsichtlich der AS und der ZS besitzen Produzent und Rezipient? Handelt es sich um Muttersprachler der AS oder der ZS?

P4

Welche Kenntnisse und Einstellungen hinsichtlich der AS und der ZS kann der Produzent dem Rezipienten unterstellen?

272

11.3.2

Sog. eye-loans vs. ear-loans

Der erstgenannte Parameter wurde wie folgt umschrieben: P1

Findet die Kommunikation im phonischen oder graphischen Medium statt?

Dieser Aspekt ist in das semiotische Modell durch die Unterscheidung einer phonischen bzw. graphischen Zeichensequenz sowie durch die Berücksichtigung der entsprechenden abstrakten Wissensbestände (Lautung und Schreibung des Zeichenausdrucks) integriert. Damit wird gleichzeitig auf die in der Entlehnungsforschung verbreitete Unterscheidung zwischen medial graphischen und medial phonischen Entlehnungen verwiesen, die sich bei zahlreichen Autoren – mit unterschiedlichen Termini – findet (cf. die Übersicht in Abb. 26). Im Folgenden beziehe ich mich nach Meisenburg auf die Termini der sog. eye-loans (medial graphisch) und ear-loans (medial phonisch). Roudet (1908, 244) Deroy (1956, 210) Pratt (1980, 16) Munske (1983, 582) Jabáonski (1990, 23) Meisenburg (1993, 48) Scholz (2004, 254) Munske (2010, 32–33) Abb. 26:

emprunts auditifs et phonétiques emprunt auditif ou oral préstamos orales Phonolexeme phonetic spelling ear-loans graphematische Anpassung (graphische Integration)

vs. vs.

emprunts visuels et graphiques emprunt visuel ou écrit

vs. vs. vs. vs. vs.

préstamos visuales Grapholexeme spelling pronunciation eye-loans Leseaussprache

vs.

graphisch-lautliche Integration

Zur Unterscheidung von medial graphischen und medial phonischen Entlehnungen

Die Unterscheidung lässt sich zunächst bei der Beschreibung von Entlehnungen anwenden, wobei sie zu einer genaueren Charakterisierung der Entlehnungen beiträgt. Darüber hinaus ergeben sich aus den genannten Optionen jedoch auch Konsequenzen im Hinblick auf potenzielle Integrationsphänomene. 10 Einige Autoren sehen hier eine Abfolge von einzelnen Integrationsschritten gegeben. So schlägt etwa Scholz vor, «die einzelnen Schritte des Integrationsprozesses» (Scholz 2004, 254) wie in Abb. 27 gezeigt zu veranschaulichen. Die Darstellung ist allerdings wohl nicht so zu interpretieren, dass alle der angeführten Schritte von einzelnen Entlehnungen nacheinander durchlaufen werden: Es handelt sich um völlig unterschiedliche Modalitäten der Integration, und sobald eine Leseaussprache 10

Zu Einflüssen der Schreibung auf die Aussprache im Allgemeinen cf. die grundlegende Arbeit zum Französischen von Vladimir Buben (1935). Eine Vielzahl von Beispielen findet sich bei Levitt (1978), wobei auch einige Entlehnungen aus modernen Sprachen thematisiert werden, so unter anderem frz. clown [klun], frz. club [klyb] und frz. pullover [pylŝvŤr] (Levitt 1978, 49).

273

(z.B. dt. Tank [taƾk] ĸ engl. tank [tæƾk]; Scholz 2004, 3) vorliegt, erweist sich z.B. eine weitere (graphematische) Anpassung des betreffenden Worts an die ZS (wie sie etwa bei dt. Keks [ke:ks] ĸ engl. cakes [keųks] vorliegt; cf. Scholz 2004, 23) als nicht mehr notwendig. Die «Schritte» scheinen daher eher auf den Status entlehnter Formen in der ZS abzuzielen, in dem Sinne: Formen mit graphematischer Anpassung sind stärker in das System der ZS integriert als Formen mit Leseaussprache etc. 11 gebersprachliche Lautung Ø assimilierte Lautung Ø Leseaussprache Ø graphematische Anpassung Abb. 27:

Integrationsschritte nach Scholz (2004, 254)

Wie lässt sich nun aber die Entstehung der verschiedenen Formen erklären, d.h. wie sind die verschiedenen Modalitäten im Einzelnen zu charakterisieren? Hierzu erweist sich das Medium als grundlegend, in dem die Entlehnung stattgefunden hat. Dies kann anhand der folgenden Beispiele aufgezeigt werden: (245) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] (OED; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986, 250; cf. TLF) (246) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF s.v. fuel) Im ersten Fall ist im Bereich der Schreibung keine Veränderung gegenüber der AS festzustellen, im Bereich der Lautung hingegen eine starke Abweichung von der ASLautung. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Entlehnung im graphischen Medium erfolgt, d.h. zunächst eine graphische Zeichensequenz vorliegt, welche die Grundlage für die ZS-Schreibung bildet. Hierbei sind keine Veränderungen gegenüber der AS-Schreibung festzustellen, da die Schreibung im Hinblick auf das graphematische System des Französischen keine Fremdheitsmerkmale aufweist. Ausgehend von dieser Schreibung – und ausgehend von GPK-Regeln des Französischen 12 – wird sodann eine ZS-Lautung abgeleitet: ļ [f], __

11

12

Der Begriff der «Integration» wird damit bei Scholz als graduierbar konzipiert und auf den Gesamtstatus einzelner Formen bezogen. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff hingegen primär auf die Analyse einzelner Segmente der entlehnten Formen bezogen und anhand der Konformitätskriterien über kontradiktorische Alternativen fundiert (/Übernahme; /Systemkonformität; cf. Kap. 5.2.2). Demnach kann allgemein festgestellt werden: «‹Schriftinduzierte Interferenz› wird also nicht durch die Schrift selbst hervorgerufen, sondern durch das mit der Schrift verbundene Wissen um Zuordnung […]» (Kabatek 1996, 28).

274

ļ [Ů] (zur Erklärung ist hier zusätzlich zu berücksichtigen, dass unmittelbar ein Vokal folgt, cf. frz. duel [dŮŤl]; Meisenburg/Selig 1998, 58), ļ [Ť], ļ [l]. 13 Im zweiten Fall liegt hingegen umgekehrt eine ZS-Lautung vor, die relativ nahe an der AS-Lautung liegt, während die Schreibung deutlich von der AS-Form abweicht. Dies ist erklärbar, indem eine Entlehnung im phonischen Medium angenommen wird, d.h. als Grundlage fungiert eine phonische Zeichensequenz […'fju:ԥl…], die bestimmten Integrationsprozessen unterworfen wird. Ausgehend von der so erhaltenen ZS-Lautung [fjul] – und ausgehend von den PGK-Regeln des Französischen – wird sodann eine ZS-Schreibung abgeleitet: [f] ļ , [j] ļ , [u] ļ , [l] ļ . Die beiden Integrationsmodalitäten werden traditionell auch als grapho-phonemische (frz. fuel [fŮŤl]) bzw. phono-graphemische (frz. fioul [fjul]) Integration gegenübergestellt (Munske 1987; Volland 1986; Meisenburg 1993). Die zitierten Beispiele zeigen dabei, dass es sich um völlig getrennte Verfahren der Integration handelt. Wenn eine potenzielle Abfolge von Integrationsschritten aufgestellt wird, so ist diese daher wie in Abb. 28 gezeigt für beide Typen getrennt zu formulieren. Medial graphische Entlehnung (eye-loan, grapho-phonemische Integration)

Medial phonische Entlehnung (ear-loan, phono-graphemische Integration)

AS-Schreibung Ø aktualisierte graphische Zeichensequenz Ø ZS-Schreibung Ø ZS-Lautung («Leseaussprache», abgeleitet von der ZS-Schreibung, daher in der Regel Abweichungen von der AS-Lautung)

AS-Lautung Ø aktualisierte phonische Zeichensequenz Ø (assimilierte) ZS-Lautung Ø ZS-Schreibung («graphematische Anpassung», die Schreibung wird aus der ZS-Aussprache abgeleitet, daher in der Regel Abweichungen von der AS-Schreibung)

z.B. engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl]

z.B. engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul]

Abb. 28:

Integrationsschritte für medial graphische und phonische Entlehnungen

Neben den beiden genannten Kategorien der grapho-phonemischen und phonographemischen Integration wird traditionell noch eine Kategorie der graphemischen Integration angesetzt, die anhand der folgenden Beispiele illustriert wird: (247) engl. tennis ĺ sp. tenis (Meisenburg 1993, 53) (248) frz. pâté ĺ sp. paté (Meisenburg 1993, 53)

13

Die Formulierung der Graphem-Phonem-Korrespondenzen orientiert sich an Meisenburg (1996, 189–196); diese Quelle wird auch in den folgenden Kapiteln zugrunde gelegt.

275

Die von Meisenburg vorgenommene Charakterisierung entsprechender Integrationen als «Veränderungen, die unabhängig von der Aussprache allein die graphische Ebene betreffen» (Meisenburg 1993, 53) ist jedoch zu nuancieren. Eine völlige Unabhängigkeit von der Aussprache besteht hier insofern nicht, als etwa die Setzung des Akzents in sp. , die im Spanischen zur Markierung des Wortakzents dient, nur erklärt werden kann, indem auf die Aussprache der AS-Form bzw. einer darauf beruhenden ZS-Aussprache mit Endbetonung Bezug genommen wird. Daher kann auch hier zunächst ein Kontakt im phonischen Medium angenommen werden. Allerdings lassen sich Beispiele anführen, die ohnehin für eine Aufweichung der strikten Trennung von medial phonischen und medial graphischen Entlehnungen sprechen. So liegt etwa im folgenden Beispiel eine ZS-Aussprache vor, die relativ nah an der AS-Aussprache liegt und als Integration einer AS-, phonischen Zeichensequenz […'fju:ԥl…] interpretiert werden kann. Gleichzeitig stimmt jedoch die ZSSchreibung mit der AS-Schreibung überein, d.h. die ZS-Schreibung ist nicht etwa wie in Bsp. (246) aus der ZS-Aussprache herzuleiten, sondern als Übernahme einer graphischen Zeichensequenz «…fuel…» zu interpretieren. (249) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF) Daraus lässt sich die allgemeine Konsequenz ableiten, dass medial phonische und medial graphische Entlehnungen nicht als strikte Opposition zu konzipieren sind, sondern beide Optionen auch kombiniert auftreten können (cf. die entsprechende Berücksichtigung dieses Aspekts im vorgeschlagenen semiotischen Modell). Zu denken ist hier etwa an Kontexte wie Nachrichtensendungen im Fernsehen, in denen die fraglichen Wörter sowohl in graphischer Form am Bildschirm dargestellt als auch im gesprochenen Nachrichtentext enthalten sein können. Ferner ist zu berücksichtigen, dass für den in Bsp. (249) gegebenen Entlehnungskontext aufgrund vorhandener Zweisprachigkeit die AS-Schreibung den ZS-Rezipienten auch im Kontext einer medial phonischen Entlehnung bekannt gewesen sein kann.

11.3.3

AS-produzenteninduzierte vs. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen

Damit komme ich zu einer Erörterung des zweiten und dritten Parameters: P2

In welcher Sprache findet die Kommunikation statt (in der AS oder in der ZS)?

P3

Welche Kenntnisse hinsichtlich der AS und der ZS besitzen Produzent und Rezipient? Handelt es sich um Muttersprachler der AS oder der ZS?

Bei Parameter 2 scheint zunächst nur die Option einer Kommunikation in der ZS betroffen, insofern als Entlehnung definiert wurde als die erstmalige Verwendung eines Ausdrucks fremdsprachlicher Herkunft in der ZS 14 und insofern als auch die

14

In Kap. 7.3.7 wurde erläutert, dass bei Croft hingegen ein etwas anderes Verständnis vorliegt: Er setzt als Innovation bereits die interlinguale Identifikation der entsprechenden Ein-

276

weitere Verbreitung der entlehnten Formen innerhalb der ZS situiert ist. In Anknüpfung an die traditionelle Gegenüberstellung von borrowing und substratum interference (cf. Kap. 3.3) lassen sich jedoch zwei Typen von Entlehnungen – ASproduzenteninduzierte vs. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen – gegenüberstellen, wobei sich für das Verständnis der letzteren auch der vorangehende Kontakt des ZS-Rezipienten mit der entsprechenden Form in einem AS-Kontext als wesentlich erweist. Hinsichtlich Parameter 3 geht es einerseits um die Ausprägung der Zweisprachigkeit, auf deren grundlegende Bedeutung immer wieder hingewiesen wurde. Darüber hinaus ist hier wiederum die Unterscheidung zwischen borrowing und substratum interference tangiert, bei der es (auch) darum geht, ob der Transfer der sprachlichen Einheit durch einen Muttersprachler der AS (substratum interference) oder der ZS (borrowing) erfolgt. Dabei wird das traditionelle Begriffspaar allerdings in der Regel nicht auf das sprachliche Handeln einzelner Sprachbenutzer, sondern auf übergreifende soziale bzw. soziolinguistisch zu beschreibende Konstellationen (d.h. das Handeln ganzer Sprachgemeinschaften) bezogen. Im Folgenden soll hingegen versucht werden, den genannten Aspekt im Hinblick auf einzelne Kommunikationssituationen sowie auf das sprachliche Handeln einzelner Sprachbenutzer zu interpretieren. Betrachtet man Entlehnungen als Innovationen (erstmalige Verwendungen) in der ZS, so ergeben sich zwei grundlegende Möglichkeiten: 15 Erstens kann die Innovation durch einen nativen Sprecher der AS (oder einen Sprecher mit annähernd nativer Sprachkompetenz) erfolgen, d.h. in der Sprachkontaktsituation selbst wird ein neuer Ausdruck in die ZS eingeführt. In diesem Falle schlage ich vor, von einer (AS-)produzenteninduzierten Entlehnung zu sprechen, da es sich um eine produzenteninduzierte Innovation handelt, bei welcher der Produzent der Gruppe der (muttersprachlichen) Sprecher der AS angehört. Wesentlich für den Erfolg der Innovation ist in diesem Fall, ob der ZS-Rezipient die Form übernimmt, d.h. in seiner späteren Kommunikation mit anderen ZS-Rezipienten selbst weiterverwendet und sich die Form so innerhalb der ZS weiterverbreitet. Insgesamt kann diese Konstellation wie in Abb. 29 dargestellt veranschaulicht werden; der innovierende Produzent sowie die Situation der Innovation sind dabei durch Fettdruck hervorgehoben. Insgesamt ergibt sich, dass hier zunächst keine starken formalen oder semantischen Veränderungen im Kontext der Entlehnung selbst zu erwarten sind. Wenn dennoch entsprechende Veränderungen auftreten, so können diese als Zugeständnis des Produzenten an eine begrenzte AS-Kompetenz des Rezipienten interpretiert werden (d.h. der Produzent kann ggf. eine von seinem AS-Wissen abweichende Realisierung wählen, die er als rezipientenfreundlicher einstuft, cf. das Phänomen des

15

heiten im zweisprachigen Individuum an, die der Verwendung der Einheit durch das Individuum (Transfer, Interferenz) vorausgeht. «Entlehnung» wird damit hier in einem übergreifenden Sinn verstanden, der Phänomene von borrowing (= Entlehnung im engeren Sinn bzw. im Folgenden ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung) und substratum interference (bzw. AS-produzenteninduzierte Entlehnung) einschließt.

277

foreigner talk). Darüber hinaus können Einheiten, die zunächst in einer nur schwach integrierten Form entlehnt werden, im weiteren Verlauf der Verbreitung in der ZS weiteren Integrationsprozessen unterliegen. Ausschlaggebend hierfür ist jedoch nicht mehr die ursprüngliche Kontaktsituation mit einem AS-Produzenten, sondern es geht dann um spätere Kommunikationssituationen zwischen ZS-Produzenten und ZS-Rezipienten.

ZS ZS AS-Prod.



ZS-Rezipient1 = ZS-Produzent1

Ø Entlehnung = Innovation in ZS Sprachkontaktsituation Abb. 29:

ZS –

Ø

ZS-Rezipient2 = ZS-Prod.2



ZS-Rez.3

Ø

Verbreitung der Innovation

Sprachkontakt, Entlehnung und Verbreitung der Innovation bei (AS-)produzenteninduzierten Entlehnungen

Eine zweite mögliche Konstellation lässt sich hingegen dahingehend charakterisieren, dass die Entlehnung, d.h. die erstmalige Verwendung der Form in der ZS, durch einen nativen Sprecher der ZS (oder einen Sprecher mit annähernd nativer Sprachkompetenz) erfolgt. In diesem Fall muss die entsprechende Form zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen einer Sprachkontaktsituation in das Wissen dieses ZS-Produzenten eingegangen sein, d.h. auch hier kann auf eine Kommunikation dieses Individuums – nun in der Rezipientenrolle – mit einem AS-Produzenten geschlossen werden. Wesentlich dafür, wie die Form bei der Innovation realisiert wird (hinsichtlich Aussprache, Schreibung und Morphologie) und mit welcher Bedeutung sie verwendet wird, ist nun, wie der innovierende ZS-Produzent die Form in dieser vorausgehenden Sprachkontaktsituation rezipiert hat. Als wesentlich für die Erklärung entsprechender Entlehnungen und Lehnwortintegrationen erweist sich somit nicht nur die Betrachtung der Entlehnung selbst, sondern auch die Betrachtung des vorangehenden Kommunikationsschritts. 16 Da hier der Rezipientenrolle eine zentra16

Cf. Enfield (2003, 2–19), der die beiden Stadien im Hinblick auf die Adoptionen einer Innovation sehr klar trennt: 1. der individuelle Sprachbenutzer wird mit einer bestimmten Innovation konfrontiert, 2. dieser kann die Innovation selbst übernehmen. Dabei gibt Enfield jeweils spezifische Erklärungsfaktoren für beide Stadien an. Entscheidend dafür, welche Individuen überhaupt mit Innovationen in Kontakt kommen und wie sie die Innovationen wahrnehmen, sind nach Enfield die Strukturen der sozialen Netzwerke (cf.

278

le Bedeutung zukommt, was mögliche Lehnwortintegrationen und semantische Veränderungen im Kontext der Entlehnung angeht, schlage ich vor, diesen Typ der Entlehnung als (ZS-)rezipienteninduzierte Entlehnung zu bezeichnen. Diese Konstellation lässt sich wie in Abb. 30 dargestellt veranschaulichen (der innovierende Produzent und die Situation der Innovation sind wiederum durch Fettdruck hervorgehoben).

AS ZS AS-Prod.



ZS-Rezipient1 = ZS-Produzent1

Ø

ZS-Rezipient2 = ZS-Produzent2

Ø

Sprachkontaktsituation

Abb. 30:

ZS –

Entlehnung = Innovation in ZS



ZS-Rez.3

Ø Verbreitung der Innovation

Sprachkontakt, Entlehnung und Verbreitung der Innovation bei (ZS-)rezipienteninduzierten Entlehnungen

Hervorzuheben ist, dass nur bei (ZS-)rezipienteninduzierten Entlehnungen – im Unterschied zur oben skizzierten AS-produzenteninduzierten Entlehnung – beim ersten Schritt eine Kommunikation in der AS, d.h. ein AS-Kontext, gegeben ist, der bestimmte formale Uminterpretationen (cf. die erwähnten Fälle von Numeruswechseln wie bei frz. spaghetti sowie Agglutinationen und Deglutinationen) ermöglicht. Das Auftreten entsprechender formaler sowie auch auffälliger semantischer Veränderungen kann dabei mit der Ausprägung der AS-Kompetenz des innovierenden Sprachbenutzers in Verbindung gesetzt werden, d.h. auffällige Veränderungen sind insbesondere bei gering ausgeprägter Sprachkompetenz der AS zu erwarten. Bei gut ausgeprägten AS-Kompetenzen sind hingegen tendenziell zunächst keine auffälligen Veränderungen zu erwarten (es sei denn, als Zugeständnis an eine eingeschränkte AS-Kompetenz des ZS-Rezipienten2); hinsichtlich der formalen und semantischen Realisierung der entlehnten Form nähert sich die Situation in diesem Fall der Konstellation bei (AS-)produzenteninduzierten Entlehnungen an. hierzu insbesondere Milroy/Milroy 1985), Persönlichkeitsfaktoren (die Aufgeschlossenheit gegenüber Innovationen im Allgemeinen) sowie die soziale Position der innovierenden Sprecher. Wichtige Faktoren für die Übernahme der Innovation sind hingegen Aspekte des kognitiven Verarbeitungsaufwands und der soziale Wert der Innovationen (prestigeträchtige vs. riskante Innovationen etc.). Cf. auch Rogers’ feine Aufgliederung des innovationdecision process (cf. Kap. 7.3.2).

279

Entscheidend dafür, mit welchem Integrationsgrad sich entlehnte Formen letztlich innerhalb der ZS etablieren, sind aber nicht nur die Situation der Entlehnung und ggf. die vorangehende Sprachkontaktsituation, sondern hierfür erscheint insbesondere auch das Stadium der Verbreitung der Innovation wesentlich. Ferner wurde bereits festgestellt, dass einzelne Formen unter Umständen auch mehrfach «erst»entlehnt werden können, wobei jeweils unterschiedliche Integrationsgrade realisiert werden können. Welche der so entstehenden Varianten sich letztlich durchsetzt, ergibt sich aus einer Reihe von späteren Adoptionen der Innovationen durch andere Sprecher der ZS. Die Komplexität entsprechender Prozesse soll abschließend durch einige Beispiele veranschaulicht werden. Die Situation einer Entlehnung bei sehr reduzierten bzw. fast nicht vorhandenen Kenntnissen der AS lässt sich zunächst durch das literarische Beispiel Kannitverstan illustrieren (cf. den dem Kapitel vorangestellten Textauszug): (250) (dt.) Kannitverstan PERSONENNAME ĸ ndl. „Kannitverstan.“ ‘Ich kann Euch nicht verstehn.’ (nach Hebel 1973 [1809], 27) Auch wenn es sich hier um ein fiktives Beispiel handelt, scheint es doch insofern interessant, als es ein grundsätzlich mögliches Kommunikationsszenario – einen sehr extremen Fall einer ZS-rezipienteninduzierten Entlehnung – umschreibt: Der ZS-Rezipient besitzt praktisch keine Kenntnisse der AS («Der Mann [= der ASProduzent] aber, der […] geradesoviel von der deutschen Sprache verstand als der Fragende [= der ZS-Rezipient] von der holländischen, nämlich nichts», Hebel 1973 [1809], 27). Dementsprechend weist er der aktualisierten phonischen Zeichensequenz („Kannitverstan.“) eine völlig neue Bedeutung zu, die aber durchaus mit dem Gesprächskontext vereinbar ist: Er interpretiert diese Äußerung nicht als Verneinung einer Auskunft (‘Ich kann Euch nicht verstehn.’), sondern genau im Sinne der von ihm erwünschten Auskunft («[…] könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt […]?»), d.h. als Personenname Kannitverstan. Dabei übernimmt er diese Zeichensequenz in morphologisch unanalysierter Form. 17 Eine real belegte Entlehnung, die dem beschriebenen Fall teilweise ähnlich erscheint und im Allgemeinen als delokutiver Wandel gefasst wird, ist frz. vasistas (Bsp. (251), Erstbeleg 1760; DHLF; cf. auch die in Kap. 9.5.2.2, Fußnote 27 zitierte Entlehnung sp. banana). Wesentlich für die Erklärung der Entlehnung ist auch hier die Frage, wie der innovierende Produzent der ZS – als ZS-Rezipient – mit der ASZeichensequenz in Kontakt gelangt ist, d.h. auch hier ist die Beschreibung der vorangehenden Kontaktsituation zentral. (Da nicht nur ein AS-Zeichen, sondern mehrere als Grundlage der Innovation anzusetzen sind, ist die Darstellung der semiotisch relevanten Entitäten und Wissensbestände beim AS-Produzenten im Folgenden vereinfacht.)

17

Eine Entlehnung im eigentlichen Sinn liegt hier aber noch nicht vor, da es ja nur darum geht, wie der ZS-Rezipient die Zeichensequenz («fehl»-)interpretiert.

280

(251) dt. „Was ist das?“ ĺ frz. vasistas ‘Guckfenster’ was, ist, das

Prod [Dt.]

Komm [dt.]

Ļ „…was ist das…?“ Ļ [vasis'tas]

Ϗ

Rez [Frz.]

‘was’, ‘sein‘, ‘das’



WAS + SEIN + DAS

Ļ )[durch ein Schalterfenster gestellte Frage] Ļ ‘Schalterfenster, – SCHALTERFENSTER/ Guckfenster’ GUCKFENSTER

Auffällig ist, dass die stark integrierte Form frz. vasistas sehr früh belegt ist, während etwas später auch schwächer integrierte Varianten (frz. wass-ist-dass, wasistas) – sowie eine noch stärker veränderte Variante vagistas – auftreten (cf. Bsp. (252), (253) und (254)). Damit zeigt sich wiederum, dass nach dem (in Bezug auf die ZS insgesamt) absoluten Erstbeleg der Entlehnung innerhalb der ZS nicht nur von einer Verbreitung dieser Innovation auszugehen ist, sondern aus Sicht der Sprachbenutzer auch in einer frühen Phase der Verbreitung, in der die Innovation noch nicht allgemein bekannt ist, neue «Erst»-Entlehnungen vorgenommen werden können. (252) frz. wass-ist-dass (Erstbeleg 1784) ĸ dt. „Was ist das?“ (DHLF) (253) frz. wasistas (Erstbeleg 1784) ĸ dt. „Was ist das?“ (DHLF) (254) frz. vagistas (Erstbeleg 1786) ĸ dt. „Was ist das?“ (DHLF) Darüber hinaus weisen die schwach integrierten Varianten (frz. wass-ist-dass, wasistas) darauf hin, dass – zumindest bei einzelnen Sprechern des Französischen, darunter die jeweils innovierenden Individuen – zum Innovationszeitpunkt doch eine relativ ausgeprägte Zweisprachigkeit angenommen werden muss, da nur so z.B. die Übernahmen des erklärbar sind (d.h. dem innovierenden Individuen muss eine entsprechende Kenntnis der AS-Schreibung unterstellt werden). Bei einer entsprechend ausgeprägten Zweisprachigkeit erscheint es jedoch eher unplausibel, von einer rezipienteninduzierten «Fehl»-Interpretation auszugehen, sondern es erscheint näherliegend, dass es sich um eine Art scherzhafte Umdeutung handelt, die ein ZSProduzent bewusst vornimmt. Diese Überlegungen scheinen auch auf die Variante vasistas anwendbar, die sich letztlich im Französischen etabliert. Weitere Beispiele für Entlehnungen bei (potenziell) reduzierten Kenntnissen der AS liegen vor, wenn Einzelpersonen (z.B. Forscher) Entlehnungen aus «exotischen» (d.h. der Sprach- und Kulturgemeinschaft des innovierenden Individuums weitgehend unbekannten) Sprachen vornehmen – cf. Bsp. (255) und (256). Interessanterweise ist in Bsp. (256) zunächst eine schwach integrierte Form im Spanischen belegt; dies zeigt, dass der innovierende ZS-Produzent selbst durchaus relativ gut ausgeprägte Kenntnisse der AS besessen haben muss. Noch bevor sich diese Form

281

jedoch im Spanischen etabliert, treten stärker integrierte Varianten auf, die sich dann durchsetzen und auch in andere Sprachen übernommen werden (cf. Bsp. (257)). (255) aztek./nahuatl cacahuatl DCECH)

KAKAO

ĺ sp. cacao

KAKAO

(DHLF s.v. cacao;

(256) aztek./nahuatl tla(l)cacahuatl ERDNUSS ĺ sp. tlacacaguatl (Erstbeleg 1575), sp. cacaguate (1653), sp. cacahuete (1750–1765) ERDNUSS (DHLF s.v. cacahuète; DCECH s.v. cacahuete) (257) sp. cacahuete ERDNUSS ĺ frz. cacahuète ERDNUSS (DHLF)

11.3.4

Phasen der Entlehnung und Verbreitung im Hinblick auf die Kommunikationspartner

Im Rahmen der Einbeziehung von Entlehnungen in eine umfassendere Betrachtung von Sprachwandelprozessen im Allgemeinen haben sich die Entlehnung selbst bzw. die Innovation und die Verbreitung der Innovation bis hin zu ihrer Durchsetzung als grundlegende Phasen des Sprachwandels ergeben. Ferner wurde für eine Modellierung der einzelnen Prozesse ausgehend vom Sprachbenutzer argumentiert. Auf dieser Grundlage soll im Folgenden eine feinere Untergliederung der Phase der Verbreitung vorgeschlagen werden, die vor allem methodologisch konzipiert wird: Ausgehend von den Wissensbeständen und den diesbezüglichen Erwartungserwartungen der Kommunikationspartner sollen typische Kommunikationsszenarien umrissen werden, die bestimmten Phasen der Verbreitung zugewiesen werden können. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die folgende Trennung verschiedener Phasen der Verbreitung einer Innovation nicht mehr nur rein zeitlich (bzw. nicht in Bezug auf eine «objektive» Zeitachse auf der überindividuellen Ebene der Sprache insgesamt) zu interpretieren ist. Vielmehr geht es darum, die jeweils an der Kommunikation beteiligten Produzenten und Rezipienten hinsichtlich bestimmter Parameter zu charakterisieren (cf. die Überlegungen zum Begriff der «Erst»-Entlehnung auf der Ebene der Sprache vs. auf der Ebene der Sprachbenutzer, siehe Kap. 5.1.3 und 9.5.3 sowie nachfolgend Kap. 11.3.4). Als zentral für die weiteren Überlegungen erachte ich dabei den vierten der in Kap. 11.3.1 genannten Parameter: P4

Welche Kenntnisse und Einstellungen hinsichtlich der AS und der ZS kann der Produzent dem Rezipienten unterstellen?

Dieser Parameter greift den Gedanken auf, dass die betrachteten Kommunikationssituationen generell in Bezug auf beide Kommunikationspartner – Produzent und Rezipient – zu analysieren sind. Insofern werden Innovationen grundsätzlich zwischen Produzent und Rezipient verhandelt. Der Produzent ist in seiner Kreativität dadurch beschränkt, dass die Innovation durch den Rezipienten nachvollziehbar sein muss. Das Kriterium der Nachvollzieh-

282

barkeit sowie seine grundlegende Bedeutung für Innovationen im Allgemeinen lassen sich zunächst wie folgt beschreiben: «Bei bedeutungstragenden Innovationen ist Voraussetzung für eine Übernahme ihre Nachvollziehbarkeit durch den Hörer. Diese ist etwa dann gegeben, wenn die Neuerung den Möglichkeiten des Systems entspricht, oder wenn sie aus dem Kontext erschließbar ist» (Kabatek 1996, 22).

Speziell für den Bereich von Entlehnungen bzw. fremdsprachlichen Interferenzen lässt sich sodann Folgendes präzisieren: «Die Nachvollziehbarkeit einer fremdsprachlichen Interferenz ist dann gegeben, wenn nicht nur der Sprecher, sondern auch der Hörer den fremden Ausdruck kennt. Daher ist die Voraussetzung für die extensive Ausbreitung einer Interferenz in solchen Gemeinschaften am ehesten gegeben, in denen die Mehrsprachigkeit weiter verbreitet ist. In allgemein mehrsprachigen Gesellschaften ist Verständigung prinzipiell auch bei massiver Interferenz der Kontaktsprachen möglich. Dabei können Elemente fremder Sprachen unabhängig von ihrer Systemintegration zu extensiver Allgemeinheit gelangen» (Kabatek 1996, 22–23).

Diese Erläuterungen zur Nachvollziehbarkeit fremdsprachlicher Interferenzen greifen den in der Entlehnungs- und Sprachkontaktforschung weithin anerkannten Gedanken auf, dass Mehrsprachigkeit als Voraussetzung für Sprachkontakt anzusehen ist. Auch in Kap. 9.5.2.2 der vorliegenden Arbeit wurde festgestellt, dass eine stark ausgeprägte Mehrsprachigkeit generell kontaktinduzierte Innovationen und deren Verbreitung innerhalb der ZS begünstigt. Wichtig erscheint ferner die Möglichkeit, nicht nur im Hinblick auf die Zahl der Entlehnungen, sondern auch auf ihre qualitative Ausprägung bestimmte Rückschlüsse zu ziehen, derart, dass sich bei ausgeprägter Zweisprachigkeit auch schwach integrierte Formen (bzw. Formen, die transferierte Segmente enthalten) in der ZS etablieren können. Allerdings wurde im Rahmen der angestellten Überlegungen bereits deutlich, dass für einzelne Entlehnungssituationen unterschiedliche Ausprägungen der Zweisprachigkeit vorliegen können, und dass unter Umständen auch eine nur geringe Zweisprachigkeit für Entlehnungen ausreichend sein kann. Auch für fremdsprachliche Interferenzen scheinen insofern – neben dem grundlegenden Faktor der Zweisprachigkeit – die oben genannten allgemeinen Kriterien ebenfalls potenziell relevant: die Nachvollziehbarkeit der Innovation im Rahmen des Sprachsystems und die Erschließbarkeit aus dem Kontext. Was das erste Kriterium angeht, so besteht bei Entlehnungen generell keine Nachvollziehbarkeit im Rahmen des Sprachsystems der ZS 18, sondern es ist ggf. eine Nachvollziehbarkeit ausgehend von der AS anzunehmen. Dies impliziert jedoch wiederum, dass beim ZS-Rezipienten Kenntnisse bezüglich der AS vorausgesetzt werden müssen, d.h. dieses Kriterium verweist bei Entlehnungen direkt auf den Grad der Zweisprachigkeit.

18

Entlehnungen zwischen eng verwandten Sprachen sind hier unter Umständen auszunehmen, da in diesem Fall aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen AS und ZS doch eine gewisse Nachvollziehbarkeit auch ausgehend vom ZS-System bzw. von bekannten Entsprechungsregeln zwischen AS und ZS gegeben sein kann.

283

Anders verhält es sich hingegen mit dem Kriterium der Erschließbarkeit einer Innovation aus dem Kontext heraus. Extrembeispiele wie der hypothetische Fall des Kannitverstan, aber auch real belegte Bedeutungsveränderungen bei Entlehnungen wie in Bsp. (258) zeigen, dass auch in Sprachkontaktsituationen denkbar ist, dass eine eher schwach ausgeprägte Zweisprachigkeit durch Erschließungen aus dem Kontext kommunikativ kompensiert wird. So kann angenommen werden, dass der ZS-Rezipient in Bsp. (258) die «korrekte» (AS-)Bedeutung ‘Hut’ von sp. sombrero nicht kennt, sondern auf der Grundlage der in der Kommunikation aktualisierten Entitäten eine spezifischere («falsche») Bedeutung ‘breitkrempiger Hut’ erschließt. (258) sp. sombrero ‘Hut’ ĺ frz. sombrero ‘breitkrempiger Hut’ Prod [Sp.]

sombrero

Komm [sp.]

Ļ „…sombrero…“ Ļ

Rez [Frz.]

sombrero

‘Hut’



HUT

Ļ )breitkrempiger Hut Ļ ‘breitkrempiger Hut’



BREITKREMPIGER HUT

Das Beispiel verdeutlicht somit nochmals die Notwendigkeit, den kommunikativen Kontext und die dort gegebenen Entitäten wie den kommunikativen Referenten bei der semiotischen Modellierung entsprechender Sprachkontaktphänomene einzubeziehen. Ebenso zeigt sich, dass Kommunikation als eine Kooperationsaufgabe zwischen Produzent und Rezipient interpretiert werden kann, so dass von einem genuinen Kommunikationsmodell ausgegangen werden muss. Der Aspekt, dass sich der Produzent bei seinen sprachlichen Äußerungen stets auf den Rezipienten bezieht, verweist darüber hinaus auf die Erwartungserwartungen. Diese können gefasst werden als reziprok von Produzent und Rezipient erwartete Realisierungen in einer bestimmten Kommunikationssituation (cf. Koch/Oesterreicher 1990, 15; Keller 1994, 201–202). Auf der Grundlage entsprechender Erwartungserwartungen können bestimmte Phasen der Verbreitung einer Innovation unterschieden werden (cf. Kap. 9.5.3). Unter Hinzufügung der in Kap. 11.3.3 erläuterten Phase der Entlehnung/Innovation innerhalb der ZS sowie (bei ZS-rezipienteninduzierten Innovationen) der vorangehenden Sprachkontaktsituation ergeben sich damit insgesamt folgende Phasen: Kont: der Kontakt mit der AS-Form (bei ZS-rezipienteninduzierter Entlehnung) I:

die Entlehnung selbst/die Innovation

V1:

eine frühe Phase der Verbreitung der Entlehnung/Innovation

V2 :

eine mittlere Phase der Verbreitung der Entlehnung/Innovation

284

V3:

eine späte Phase der Verbreitung der Entlehnung/Innovation

AS-Kontext?

ja

Produzent–Rezipient: bei AS-prod.-ind. Entl.

späte Phase der Verbreitung (V3)

mittlere Phase der Verbreitung (V2)

frühe Phase der Verbreitung (V1)

Kontakt mit der AS-Form (Kont)

Entlehnung/Innovation (I)

Diese Phasen werden von den Kommunikationsteilnehmern her, d.h. von der individuell-aktuellen Ebene einzelner Kommunikationsereignisse her konzipiert, d.h. es geht hier darum, anhand pragmatischer, kognitiver und kommunikativer Kriterien grundlegende Kommunikationsszenarien zu unterscheiden, die für die jeweiligen Phasen als charakteristisch angesehen werden können. Als wichtige Kriterien können hierbei die folgenden gelten: In welcher Sprache findet die Kommunikation statt, d.h. ist ein AS- oder aber ein ZS-Kontext gegeben? Handelt es sich bei den Kommunikationsteilnehmern um Sprecher der AS oder der ZS? Wie groß sind die Kenntnisse der AS bei anderen Sprechern der ZS, d.h. bei den Rezipienten, bzw. wie schätzt der Produzent diese ein? Ist die Verwendung der entlehnten Einheiten als kommunikativ auffällig einzustufen? Eine Übersicht über die aus der Anwendung der Kriterien ableitbaren Phasen und ihre jeweiligen Charakterisierungen ist in Abb. 31 gegeben.

nein

nein

nein

nein

AS–ZS

ZS–ZS

ZS–ZS

ZS–ZS

bei ZS-rez.-ind. Entl.

AS–ZS

ZS–ZS

ZS–ZS

ZS–ZS

ZS–ZS

Zeichen beim jeweiligen Rezipienten bereits (als Zeichen der ZS) als bekannt vorauszusetzen?

nein

nein

nein

ja

ja

ja

ja

ja

nein

Auffälliger/marginaler Status des Zeichens in der ZS? Abb. 31:

Charakterisierung der Kommunikationsbedingungen in Phasen der Entlehnung/Innovation und Verbreitung

Was den sprachlichen Kontext angeht, in dem die betrachtete Zeichensequenz aktualisiert wird, so ist ein AS-Kontext nur in der Phase des Kontakts mit der AS-Form (Kont) – und nur bei ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen – gegeben. Dies bedeutet, dass nur hier die Möglichkeit formaler Veränderungen gegeben ist, die einen 285

AS-Kontext voraussetzen (etwa Agglutinationen oder Deglutinationen von ASSprachmaterial und delokutive Wandelprozesse, bei denen eine AS-Äußerung oder Teile davon [re-]analysiert werden). Produzent und Rezipient entstammen bei der Verbreitung der Innovation (V1–3) durchgängig der Sprachgemeinschaft der ZS. Bei der Entlehnung/Innovation selbst (I) kann der innovierende Produzent hingegen entweder der Sprachgemeinschaft der AS oder aber der ZS zuzuordnen sein (AS-produzenten- bzw. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung), wobei im letzteren Fall zusätzlich der vorangehende Kontakt dieses Individuums mit der AS-Form, d.h. wiederum eine Kommunikation zwischen einem AS-Produzenten und einem ZS-Rezipienten, in die Betrachtungen einbezogen wird. Hinsichtlich der Frage nach der Bekanntheit des Zeichens (als Zeichen der ZS) beim Rezipienten sowie der Frage seines auffälligen Status innerhalb der ZS ist nochmals anzumerken, dass es hier nicht primär um eine Feststellung «objektiver» Tatsachen geht. Vielmehr geht es darum, was der Produzent bei der Gestaltung seiner Äußerung diesbezüglich annimmt, d.h. – insbesondere bei der Frage der Bekanntheit des Zeichens – geht es um diesbezügliche Erwartungen und Einschätzungen, die dem jeweiligen Produzenten zugeschrieben werden können und die seine Gestaltung der Äußerung und Realisierung der konkreten Form mitbeeinflussen können. Der genannte Parameter der Bekanntheit des Zeichens beim Rezipienten markiert dabei den Übergang von einer frühen Phase der Verbreitung (V1), in der dies noch nicht der Fall ist, hin zu einer mittleren Phase der Verbreitung (V2), ab der der Produzent davon ausgehen kann, dass das entsprechende Zeichen dem Rezipienten bereits (zumindest als Teil seiner passiven Kompetenz) bekannt ist. Zuletzt kann schließlich der Status des Zeichens innerhalb der ZS betrachtet werden. In der mittleren Phase der Verbreitung (V2) kann der Produzent das Zeichen beim Rezipienten zwar schon als bekannt voraussetzen, dieses besitzt aber noch einen auffälligen oder marginalen Status, so dass seine Verwendung noch kommunikativ riskant oder auffällig sein kann. Sobald ein solcher Status nicht mehr gegeben ist, wird eine späte Phase der Verbreitung (V3) angesetzt. Bezogen auf die Ebene der Sprache geht diese Phase in die Durchsetzung/Etablierung/Normativität der Innovation über. (Für die Phase des Kontakts mit der AS-Form wird dieses Kriterium in Abb. 31 nicht bewertet, da die entlehnte Form in der entsprechenden Kontaktsituation noch als Form der AS wahrgenommen wird.) Inwiefern sind die verschiedenen Phasen für die Betrachtung konkreter Wandelphänomene relevant? Die genannten Phasen sollen vor allem als methodologische Instrumente verstanden werden. Sie können z.B. herangezogen werden, um bisherige Beschreibungen von Sprachwandelphänomenen auf ihre kognitive und kommunikative Plausibilität hin zu überprüfen. Hierbei ist zu fragen, ob sich ein entsprechendes Kommunikationsszenario konstruieren lässt, in dem die angenommenen Veränderungen stattgefunden haben können. Indem die Phasen ausgehend von den Kommunikationsteilnehmern konzipiert werden, lässt sich auch präziseren, inwiefern bei vielen Entlehnungsprozessen tatsächlich von parallelen «Erst»-Entlehnungen ausgegangen werden kann (cf. Kap. 5.1.3 und 9.5.3). Wenn die erstmalige Entlehnung nicht mehr von der Ebene 286

der Sprache bzw. von einer absoluten Zeichachse her gedacht wird, sondern von der Ebene des Diskurses bzw. von den Sprachbenutzern her fundiert wird, so lässt sich die Erstentlehnung fassen als die erstmalige Verwendung einer Form durch einen Produzenten, bei der dieser davon ausgeht, dass der Rezipient das Wort noch nicht (als ZS-Form) kennt. So lange die jeweilige Form in der ZS noch relativ wenig verbreitet ist (V1) und der Produzent von der genannten Annahme ausgehen kann, ergibt sich damit die Möglichkeit paralleler «Erst»-Entlehnungen. 19 Dieser Befund spiegelt sich in Abb. 31 darin wider, dass für ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen die wesentlichen Parameter in den Phasen der Innovation und der frühen Verbreitung identisch sind. Demnach erscheint es bei einer Untersuchung aktueller Entlehnungsprozesse in theoretischer und methodologischer Hinsicht vielfach ausreichend, sich auf die Analyse der Phase V1 zu konzentrieren, in welcher der entsprechende Ausdruck innerhalb der betrachteten ZS noch weitgehend unbekannt ist bzw. in welcher der Produzent bei der Verwendung des Ausdrucks davon ausgehen muss bzw. kann, dass dieser dem Rezipienten nicht geläufig ist (zumindest nicht als Ausdruck der betrachteten Sprache, evtl. jedoch als fremdsprachlicher Ausdruck). Die mittlere Phase der Verbreitung (V2) kann hingegen so charakterisiert werden, dass der Ausdruck bereits eine gewisse Verbreitung innerhalb der betrachteten Sprache erlangt hat. Als präzisere Bestimmung in Bezug auf den Produzenten und Rezipienten ergibt sich wiederum, dass der Produzent bei der Verwendung des Ausdrucks davon ausgehen kann, dass der Rezipient diesen als ZS-Ausdruck kennt, jedoch noch als innovativ (ungewöhnlich, auffällig, marginal etc.) wahrnimmt und nicht unbedingt selbst verwendet. Insofern ist der Gebrauch des Ausdrucks durch den Produzenten in gewisser Hinsicht als kommunikativ riskant einzustufen. Nicht (bzw. nicht vollständig) integrierte Formen fremdsprachlicher Herkunft können gerade aufgrund ihrer formalen Fremdheitsmerkmale prädestiniert für eine entsprechende Markiertheit bzw. einen entsprechend marginalen Status sein. Daneben können entlehnte Wörter im Vergleich zu bereits in der ZS vorhandenen Alternativausdrücken als «auffällig neu» wahrgenommen werden (für eine Präzisierung dieser Aspekte cf. Kap. 12). Schließlich ergibt sich eine letzte, späte Phase der Verbreitung der Innovation (V3), in welcher der Ausdruck innerhalb der betrachteten Sprache weit verbreitet ist und keinen auffälligen oder marginalen Status mehr hat. Dieses Stadium lässt sich mit der vollständigen Durchsetzung der Innovation identifizieren (wobei der Begriff der «Durchsetzung» nicht mehr auf einzelne Kommunikationssituationen, sondern auf die Sprache insgesamt bezogen ist, so dass hier ein Wechsel der Betrachtungsebenen vorliegt). Die vorgenommene Unterscheidung verschiedener Phasen der Verbreitung erinnert an die traditionell angesetzte S-Kurve zur Verbreitung von Innovationen. Wie bereits in Kap. 7.3.2 erläutert, ist letztere aber rein quantitativ fundiert (es geht um den Anteil der Individuen, die die Innovation übernommen haben), und es wurden Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser quantitativen Bestimmung auf sprachliche Innovationen offensichtlich. Die hier vorgenommene Einteilung verschiedener 19

Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Phase der absolut ersten Entlehnung (in Bezug auf die Sprache) nur in Einzelfällen beobachtbar (bzw. dokumentiert) oder erschließbar ist.

287

Phasen der Verbreitung einer Innovation ist daher nicht mehr primär quantitativ fundiert, sondern es geht im Wesentlichen um den pragmatischen, kognitiven und kommunikativen Status der einzelnen Formen für Produzent und Rezipient, speziell darum, welches Wissen und welche Einstellung bezüglich der betrachteten Formen der Produzent beim Rezipienten voraussetzt.

11.4

Zur Modellierung von Wandelprozessen durch rezipientenseitige (Re-)Analyse

Bei der Erörterung von Blanks Zeichenmodell wurde bereits festgestellt, dass sich bestimmte Wandelprozesse nur mit Bezug auf konkrete Kommunikationssituationen erklären lassen (cf. Kap. 10.4.2). Eingeschlossen sind hier sowohl Phänomene formalen als auch semantischen Wandels bei der Entlehnung; gemeinsames Charakteristikum der entsprechenden Phänomene ist die Tatsache, dass die jeweiligen Veränderungen vom Rezipienten ins Spiel gebracht werden, indem dieser einen aktualisierten Zeichenausdruck (re-)analysiert. Es handelt sich somit um Fälle rezipienteninduzierten Sprachwandels, und die folgenden Überlegungen sind daher auch auf innersprachliche Reanalysen übertragbar. Im Bereich der formalen Veränderungen handelt es sich zunächst um Agglutinationen und Deglutinationen. Diese betreffen in Bsp. (259) bis (261) den (bestimmten oder unbestimmten) Artikel bzw. Teile davon. (259) frz.-D.O.M.-T.O.M. zoreille N.sg. ‘aus der Metropole stammender Bewohner der D.O.M.-T.O.M.’ (ĸ frz. „…de[z]/le[z] oreilles…“) (PR) (260) Seychellenkreol lisyen ‘Hund’ (ĸ frz. „…le chien…“) (Detges/Waltereit 2002, 155) (261) mfrz. licorne ‘Einhorn’ (ĸ it. „…l’alicorno…“) (Detges/Waltereit 2002, 155) Zur Erklärung der auftretenden Veränderungen ist es wesentlich, auf eine konkrete Kommunikationssituation zu referieren: In medial phonischer Kommunikation werden nicht nur isolierte Zeichenausdrücke aktualisiert, sondern die aktualisierten Zeichenausdrücke sind stets Teil der (kontinuierlichen) chaîne parlée. 20 Diese beinhaltet etwa für Nomina in romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) häufig einen vorangehenden (bestimmten oder unbestimmten) Artikel, woraus sich die Möglichkeit von «falschen» Erschließungen des Zeichenausdrucks, d.h. Agglutinationen oder Deglutinationen wie in den zitierten Beispielen, ergibt. Neben der lautlichen Sequenz (Artikel + Nomen) scheint dabei wesentlich, dass in der Kommunikationssituation auch ein aktualisierter Referent gegeben ist, der die inhaltliche Interpretation der Zeichensequenz leitet. Beide Entitäten – der aktualisierte Zeichen20

Im schriftlichen Medium ist hingegen in den hier untersuchten Sprachen insbesondere durch die Setzung von Wortabständen prinzipiell eine Segmentierung der aktualisierten Zeichenausdrücke gegeben.

288

ausdruck sowie der aktualisierte Referent – sind also für Sprecher und Hörer gegeben und stellen die Grundlage dar, auf welcher der Hörer einen entsprechenden Zeichenausdruck mit Bedeutung erschließt (wobei es eben auch zu «falschen» Erschließungen bzw. Agglutinationen oder Deglutinationen kommen kann). 21 Die Modellierung entsprechender Phänomene ist für Bsp. (262) veranschaulicht (analog dazu sind auch die anderen genannten Beispiele darstellbar). (262) it. alicorno ‘Einhorn’ ĺ mfrz. licorne ‘Einhorn’ Prod [It.]

Komm [it.]

Rez [Frz.]

[ali'kŝrno]

‘Einhorn’



Ļ […lali'kŝrno…] Ļ

[li'kŝrnԥ]

EINHORN

Ļ )Einhorn Ļ ‘Einhorn’



EINHORN

Weiterhin werden die jeweiligen Zeichenausdrücke häufig in einer flektierten Form aktualisiert, so dass sich die Möglichkeit einer Entlehnung der flektierten Form (und nicht etwa der AS-Zitierform im Hinblick auf das Lexikon der AS) und ggf. einer morphologischen Uminterpretation ergibt. Diese Option scheint etwa für Numeruswechsel im Kontext der Entlehnung wie im folgenden Beispiel zentral (cf. darüber hinaus auch Konversionen flektierter Formen). Auch bei entsprechenden (Re-)Analysen ist wiederum der Bezug auf die aktualisierten Zeichenausdrücke im Sprachkontakt zwischen dem AS-Produzenten und dem ZS-Rezipienten zentral. (263) it. spaghetti N.m.pl. ‘Spaghetti’ (Pl. von it. spaghetto N.m.) ĺ frz. spaghetti N.m.sg. ‘Spaghetti’ N.m. Pl. spaghetti

Prod [It.]



SPAGHETTI

Komm [it.]

Rez [Frz.]

21

[spa'getto] Ļ „…spaghetti…“ Ļ

[spage'ti] N.m. Ļ Pl. spaghettis

‘Spaghetti’

Ļ )Spaghetti Ļ ‘Spaghetti’



SPAGHETTI

Ich beziehe mich hier explizit auf Sprecher und Hörer, da es nur um medial mündliche Kommunikation geht.

289

Was semantischen Wandel bei der Entlehnung durch (Re-)Analyse angeht, so ergeben sich zwei grundlegende Wandeltypen: Bedeutungsverengung (d.h. die ZSBedeutung steht zur AS-Bedeutung in der Relation einer taxonomischen Subordination) und Metonymie (hier liegt eine Kontiguitätsrelation zwischen AS-und ZSBedeutung vor). 22 Bemerkenswert ist, dass auch hier von einer im Wesentlichen erfolgreichen Kommunikation auszugehen ist. Wie sind entsprechende Wandelphänomene erklärbar? Als wesentliches Merkmal lässt sich in beiden Fällen festhalten, dass der Produzent und der Rezipient einen gegebenen Referenten auf unterschiedliche Weise konzeptuell interpretieren, d.h. in gewisser Weise spiegelbildlich zur Unschärfe der konkreten Realisierung des Zeichens hinsichtlich der Abgrenzung gegenüber benachbarten Zeichenrealisierungen ist auch im Verhältnis von Referent und Designat von einer gewissen Unschärfe auszugehen, die typischerweise an taxonomischen und metonymischen Verschiebungen sichtbar wird. Für die semiotische Modellierung stellt daher hier der kommunikative Referent eine zentrale Entität dar, da er die Instanz für den «Übersprung» zwischen der Verwendung durch den Produzenten und der Interpretation durch den Rezipienten ist. Gleichzeitig ergibt sich eine wesentliche Rolle des Rezipienten, der seine Bestimmung der kommunikativ relevanten Entitäten beisteuert. Dabei scheint der Spielraum, in dem entsprechende Uminterpretationen vorgenommen werden können, ohne dass das Gelingen der Kommunikation in Frage gestellt wird, relativ eng begrenzt – in der Tat liegen nur zwei Typen von semantischen Relationen vor. Um diesen Spielraum genauer auszuloten, ist eine Betrachtung von (empirisch dokumentierten oder möglichen) Kommunikationssituationen 23 und speziell des Bezugs auf einen gemeinsamen, in der Kommunikationssituation gegebenen Referenten zentral. Bei begrifflichen Taxonomien verfügen Sprachbenutzer generell über unterschiedliche Abstraktionsebenen zur Kategorisierung eines Referenten. Beispielsweise kann ein Brotkorb sowohl als BROTKORB als auch als KORB kategorisiert werden; ebenso kann ein breitkrempiger Hut sowohl als BREITKREMPIGER HUT als auch als HUT kategorisiert werden. In beiden Fällen kann eine gelungene Kommunikation stattfinden, selbst wenn bei Produzent und Rezipient unterschiedliche Abstraktionsebenen vorliegen. Für innersprachlichen Bedeutungswandel können dabei sowohl Generalisierungen (cf. Bsp. (264)) als auch Spezialisierungen auftreten; für Entlehnungen werden hingegen nur Spezialisierungen registriert, d.h. der Rezipient reichert die konzeptuelle Interpretation eines Wortes mit kontextuell gegebenen Merkmalen an (cf. Bsp. (265) und (266); zur semiotischen Darstellung von Bsp. (265) cf. Kap. 11.2). 24 (264) lat. panarium BROTKORB ĺ frz. panier KORB (DHLF) 22

23 24

Im Rahmen der durchgeführten Fallstudien (cf. Kap. 14 bis 16) wurden allerdings nur Fälle von Bedeutungsverengung festgestellt, und dieser Wandeltyp ist bei Entlehnungen quantitativ als wesentlich bedeutender einzuschätzen. Für entsprechende Entwürfe möglicher Kommunikationsszenarien cf. das in Kap. 7.3.4 erläuterte Prinzip des Uniformitarismus. Ein Erklärungsansatz für die Beschränkung auf Spezialisierungen bei Entlehnungen wird in Kap. 12.4 vorgestellt.

290

(265) it. grappa TRESTERBRAND ĺ frz. grappa ITALIENISCHER TRESTERBRAND (266) sp. sombrero HUT ĺ frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT Andererseits können Produzent und Rezipient auch auf benachbarte Referenten (und damit Konzepte) innerhalb eines Frames zugreifen, ohne dass das Gelingen der Kommunikation dadurch gefährdet sein muss. So sind etwa die Elemente FEUERSTELLE und FEUER innerhalb eines Frames «KOCHSTELLE» (in der Antike) eng benachbart. Damit können sich beim Rezipienten «Fehl»-Interpretationen des Ausdrucks für FEUERSTELLE (lat. focus) bzw. innovative Zuordnungen dieses Ausdrucks zum Konzept FEUER ergeben; diese müssen jedoch in der Kommunikation nicht unmittelbar zu Problemen führen (cf. den entsprechenden innersprachlichen Bedeutungswandel in Bsp. (267)). (267) lat. focus FEUERSTELLE ĺ frz. feu FEUER (DHLF) Auch hier lassen sich parallele Beispiele aus dem Bereich der Entlehnungen anführen, die analog erklärt werden können. So findet bei der Entlehnung von engl. flipper in viele andere Sprachen, darunter das Französische und Italienische, ein Wandel in der Bedeutung statt: Während der Ausdruck im Englischen nur die FLIPPERHEBEL bezeichnet, mit denen die Kugel beim Flipperspiel wieder auf das Spielfeld zurückgeschossen wird, referiert der Ausdruck im Französischen und Italienischen auch auf den FLIPPERAUTOMATEN und das FLIPPERSPIEL (cf. Bsp. (268)). 25 Der Wandel ist dadurch erklärbar, dass die Flipperhebel zu einem bestimmten Zeitpunkt als neues Element in das Spiel eingeführt wurden; der Ausdruck engl. flipper, der dieses neue Element bezeichnet, wurde dabei sowohl als Aufschrift auf den Flipperhebeln einiger Geräte als auch im Namen einiger weit verbreiteter Spielgeräte (z.B. «Flipper Fair») und in Werbetexten und Aufschriften am Kopfaufsatz der Geräte (z.B. «a Gottlieb flipper skill game») verwendet. 26 Insofern kann ein unmittelbarer und intensiver Kontakt der ZS-Rezipienten mit der Zeichensequenz «flipper» angenommen werden, und es scheint möglich, dass die Rezipienten bei der Interpretation dieses Ausdrucks auf ein kontiges Element innerhalb des Frames auswichen (den FLIPPERAUTOMAT oder das FLIPPERSPIEL; cf. DELI s.v. flipper). Da die Flipperhebel ein sehr wichtiges Element der Spielgeräte des neuen Typs darstellen, lassen sich ferner Zeichensequenzen angeben, die potenziell ambig bzw. rezipientenseitig entsprechend (re-)analysierbar sind, ohne dass sich hieraus kommunikative Probleme ergeben (z.B. frz. „il actionnait les boutons des flippers“:

25

26

Darüber hinaus ist im Französischen auch die Bedeutung ‘Flipperhebel’ belegt (cf. PR s.v. flipper1), und im Italienischen finden sich ebenso einzelne – quantitativ gesehen aber als eher unbedeutend einzustufende – Verwendungen in dieser Bedeutung (Entsprechendes gilt auch für das Deutsche). Grundsätzlich kann der semantische Wandel damit auch als innersprachliche Entwicklung in den ZS konzipiert werden; auch in diesem Fall wäre er aber analog zu den obigen Erläuterungen durch rezipientenseitige (Re-)Analyse erklärbar. Cf. und (letzter Zugriff jeweils 18.05.2011).

291

)die Knöpfe der Flipperhebel bzw. )die Knöpfe des Flipperautomaten). 27 Insgesamt lässt sich der Wandel damit wie folgt modellieren: (268) engl. flipper ‘Flipperhebel’ ĺ it./frz. flipper ‘Flipperautomat, Flipperspiel’ Prod [Engl.]

Komm [engl.]

flipper Ļ „…flipper…“ Ļ

Rez [Frz./It.]

11.5

flipper

‘Flipperhebel’



FLIPPERHEBEL

Ļ )Flipperhebel am Flipperautomaten/ beim Flipperspiel Ļ ‘Flipperautomat’, FLIPPERAUTOMAT, – ‘Flipperspiel’ FLIPPERSPIEL

Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurde Blanks Zeichenmodell zu einem genuinen Kommunikationsmodell erweitert, das zur Beschreibung und Erklärung sprachlicher Innovationen und ihrer Verbreitung, d.h. von Manifestationen der sprachlichen Kreativität, herangezogen werden kann. Dabei habe ich gegenüber Blank einzelne Modifikationen vorgenommen, die vor allem die Konzeption der in der Kommunikationssituation aktualisierten Entitäten betreffen: Der Referent wurde als kommunikativer Referent präzisiert, um deutlich zu machen, dass seine genaue Bestimmung bzw. Konzeptualisierung zwischen Produzent und Rezipient verhandelt wird. Darüber hinaus berücksichtige ich ergänzend zu phonischen auch graphische Realisierungen und fasse diese jeweils als aktualisierte Zeichensequenzen, um deutlich zu machen, dass in der Kommunikation nicht isolierte Formen auftreten, sondern diese stets in einen sprachlichen Kontext eingebettet sind. Damit haben sich insgesamt die folgenden grundlegenden semiotischen Entitäten ergeben: die aktualisierte phonische und/oder graphische Sequenz, das einzelsprachliche Zeichen mit Zeichenausdruck (Lautung und Schreibung) und Zeicheninhalt, das außereinzelsprachliche Konzept sowie der kommunikative Referent. Als zentrale Scharnierstellen des Modells können die aktualisierten semiotischen Entitäten gelten, welche die gemeinsame Grundlage für Produzent und Rezipient darstellen. Des Weiteren werden bei Produzent und Rezipient übergreifende Wissensbestände angesetzt, welche bei der Verwendung und Interpretation einzelner Zeichensequenzen eine Rolle spielen. Ebenso wird in Anknüpfung an Langacker der aktuelle Diskursraum einbezogen, der die gemeinsame – von Produzent und Rezipient konstruierte – Grundlage der Kommunikation umschreibt und die hier verfügbaren Einheiten umfasst.

27

Entsprechende Wandelphänomene lassen sich im Übrigen als ein spezifischer Typus von Ambiguität konzipieren, der im Hinblick auf die beteiligten Sprecher in grundlegend anderer Weise funktioniert als kommunikativ (potenziell) störende (d.h. potenziell zu Missverständnissen führende) oder intendierte Ambiguität (cf. Winter-Froemel/Zirker 2010).

292

Weiterhin wurde gezeigt, wie mit dem Modell konkrete Entlehnungsprozesse analysiert werden können, wobei gesondert auf rezipientenseitige (Re-)Analysen eingegangen wurde, die in kommunikativer Hinsicht einen besonders interessanten Typus von Wandelphänomenen darstellen. Schließlich habe ich erörtert, welche grundlegenden Kommunikationsszenarien im Kontext von Entlehnungsprozessen auftreten können. Unter Zugrundelegung verschiedener Parameter ergeben sich hier Bezüge zur traditionellen Unterscheidung von sog. eye-loans und ear-loans sowie zur Gegenüberstellung von borrowing und substratum interference. Die letztere Unterscheidung ist traditionell in einer überindividuellen, soziolinguistischen Perspektive konzipiert. Geht man hingegen von einzelnen Kommunikationssituationen und -teilnehmern aus, so lassen sich ASproduzenteninduzierte vs. ZS-rezipienteninduzierte Entlehnungen als grundlegende Typen von Entlehnungssituationen gegenüberstellen. Darüber hinaus lassen sich im Hinblick auf die Kommunikationsteilnehmer drei grundlegende Phasen der Verbreitung einer Innovation (eine frühe, mittlere und späte Phase der Verbreitung) gegenüberstellen und durch bestimmte kommunikative Parameter charakterisieren.

293

12

Luxus vs. Bedürfnis? Zur pragmatischen Dimension von Entlehnungen

Was die pragmatischen Aspekte von Entlehnungen angeht, so finden sich immer wieder Aufzählungen von Entlehnungsmotiven, die auf bestimmte stilistische oder pragmatische Effekte der entlehnten Einheiten abzielen. Einige dieser Effekte sollen nachfolgend betrachtet werden. Dabei stellt sich nicht nur die – bereits häufig behandelte – Frage, welche Effekte hier eintreten können. Vielmehr ist auch zu klären, wodurch (durch welche Eigenschaften der entlehnten Wörter) die Effekte überhaupt hervorgerufen werden. Eine nähere Betrachtung traditioneller Auflistungen wird zeigen, dass entsprechende Effekte vor allem bei bestimmten Typen von Lehnwörtern konstatiert werden – nämlich genau bei den Formen, die von puristischen Standpunkten aus als «unnötig» kritisiert werden. Somit erweist sich die traditionelle und weit verbreitete Unterscheidung von («unnötigen») Luxuslehnwörtern einerseits und Bedürfnislehnwörtern andererseits als zentral, und sie soll daher im vorliegenden Kapitel ausführlich erörtert werden. Dabei gehe ich ausführlich auf Kritiken ein, nach denen die Unterscheidung nicht aufgrund linguistischer Kriterien fundiert werden könne bzw. die Kategorie der Luxuslehnwörter grundsätzlich aus Sprechersicht unangemessen sei. Anschließend soll untersucht werden, ob die Opposition demnach zu verwerfen ist. Es soll die These vertreten werden, dass die Kategorien des Luxus- und Bedürfnislehnworts durchaus auf ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Entlehnungen referieren, das linguistisch fundiert ist bzw. entsprechend expliziert werden kann. Damit soll für eine Betrachtung argumentiert werden, die ohne jegliche (puristische) Wertung erfolgt. Weiterhin werde ich dafür argumentieren, dass es sich um eine sehr grundlegende Opposition handelt, die auf Innovationen generell anwendbar ist, d.h. über den Bereich der Lehnwörter und Entlehnungen hinausreicht. Darüber hinaus sollen Implikationen der Unterscheidung für die Betrachtung konkreter Entlehnungen und ihrer weiteren Verwendung in der ZS skizziert werden. 1 1

Einige der im Folgenden angestellten Überlegungen wurden bei den Vorträgen Necessary loans – luxury loans? Explaining the pragmatic dimension of borrowing (Language contact and multilingualism as a challenge for sociolinguistics and theoretical linguistics, 37. Österreichische Linguistiktagung, 5.–7. Dezember 2009, Salzburg) und Luxury or necessity? Pragmatic effects of anglicisms (The Anglicization of European Lexis, 10th International Conference of the European Society for the Study of English [ESSE], 24.– 28. August 2010, Torino) vorgestellt (cf. Onysko/Winter-Froemel 2011). Die vorgeschlagene Unterscheidung zweier Typen von Innovationen wurde dabei auf etwa 100 hochfrequente Anglizismen im Deutschen auf der Grundlage eines Corpus des Jahrgangs 2000 der

295

Abschließend soll dann auf einen weiteren Typ der formalen Markiertheit eingegangen werden, der speziell bei Lehnwörtern auftritt und der ebenfalls zusätzliche pragmatische Interpretationen auslösen kann.

12.1

Entlehnungsmotive und die pragmatische Interpretation von Entlehnungen

Hinsichtlich traditioneller Auflistungen von Entlehnungsfaktoren ist festzustellen, dass diese häufig auf pragmatisch-stilistische Effekte der entlehnten Formen abzielen. Anders als bei den in Kap. 9.3 und 9.5.2 erläuterten Erklärungsfaktoren für Sprachwandel und Entlehnung stellen entsprechende Faktoren nicht mehr allgemeine Rahmenbedingungen dar, denen sich der einzelne Sprecher gegenüber sieht. Vielmehr handelt es sich im Wesentlichen um Motive, die auf subjektiven Einschätzungen, etwa bezüglich der Bewertung fremder kultureller und sprachlicher Einheiten, beruhen und die ggf. die Verwendung eines Lehnworts motivieren. Generell geht es damit um den intentionalen Einsatz von entlehnten Einheiten mit bestimmten pragmatisch-stilistischen Zielsetzungen. 2 Exemplarisch sollen einige der wichtigsten Entlehnungsmotive behandelt werden. Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass entsprechende Auflistungen teilweise puristisch geprägt sind, so dass unter Umständen einzelne Entlehnungsmotive sowie häufige Verwendungen von Entlehnungen generell kritisch gesehen werden. Die vorliegende Untersuchung nimmt hingegen eine neutrale Position ein, d.h. es geht mir im Folgenden darum zu untersuchen, welche pragmatisch-stilistischen Effekte sich aus der Verwendung von Entlehnungen ergeben können, ohne dass Wertungen bezüglich der Optionen vorgenommen werden. Mit der Frage der Motive für Entlehnungen und insbesondere den dabei relevanten stilistischen Aspekten befasst sich ausführlich Galinsky (1967). Er untersucht die Übernahme von Wörtern aus dem Amerikanischen ins Deutsche. Hierbei geht es ihm zunächst nicht so sehr um Interferenzphänomene in Sprachgemeinschaften als vielmehr um individuelle (okkasionelle) Verwendungen entlehnter Wörter, etwa bei Autoren wie Ingeborg Bachmann und Bertolt Brecht. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass im Wesentlichen Formen betrachtet werden, die bereits in der ZS Deutsch

2

Zeitschrift Der Spiegel (287.301 Types/5.202.583 Tokens; cf. Onysko 2007) angewandt. Interessante Anknüpfungspunkte für die im Folgenden behandelten Fragestellungen liefert ferner ein Forschungsprojekt an der Universität Leuven, in dem die Verwendung von aus dem Englischen entlehnten Personenbezeichnungen im Niederländischen im Vergleich zu nativen Alternativbezeichnungen analysiert wird. Hierbei wird die Rolle verschiedener potenzieller Einflussfaktoren erörtert, und es werden speziell auch Fragen der semantischen und stilistischen Spezialisierung einbezogen (cf. Zenner/Geeraerts/Speelman 2009, Folie 57–60; Zenner/Geeraerts/Speelman 2010 sowie , Zugriff 03.06.2011) Es findet sich auch die Gegenüberstellung von äußeren Voraussetzungen von Entlehnung/Interferenz (d.h. historischen, geographischen, ökonomischen und sozialen Faktoren) und inneren Ursachen der Entlehnung/Interferenz (d.h. den nachfolgend behandelten Aspekten) (cf. Tesch 1978, 199).

296

vorhanden sind, d.h. es geht vor allem um das Stadium der weiteren Verbreitung nach der eigentlichen Entlehnung. 3 Dennoch hat Galinskys Auflistung für die Entlehnungsforschung im Allgemeinen große Bedeutung erlangt, und viele der bei ihm genannten Faktoren finden sich auch bei anderen Autoren wieder (cf. Carstensens Besprechung von Galinskys Ansatz, Carstensen 1965, sowie Pfitzner 1978; Nettmann-Multanowska 2003; Plümer 2000, 258–269). Insgesamt kommt Galinsky auf sieben stilistische Funktionen der Anglizismen bzw. Amerikanismen im Deutschen: «[…] (1) providing national American color of settings, actions, and characters, (2) establishing or enhancing precision, (3) offering or facilitating intentional disguise, (4) effecting brevity to the point of terseness, (5) producing vividness, often by way of metaphor, (6) conveying tone, its gamut ranging from humorous playfulness to sneering parody on America and ‹Americanized› Germany, (7) creating or increasing variation of expression» (Galinsky 1967, 71).

Es fällt unmittelbar auf, dass die genannten Faktoren relativ heterogen sind und sich in unterschiedlichem Maß auf andere Zeitabschnitte und Sprachenpaare übertragen lassen. Unter den Faktoren, die zunächst als spezifisch für die von Galinsky betrachtete Entlehnungssituation gelten können, ist insbesondere der sechste Aspekt zu nennen, d.h. das Parodieren der amerikanischen Sprache und Kultur sowie des stark von amerikanischen Einflüssen geprägten Nachkriegsdeutschland. Hier geht es um bestimmte (historische) Kultur- und Sprachgemeinschaften; dieser Faktor ist daher nicht unmittelbar auf andere Entlehnungssituationen anwendbar. Unter Umständen erschiene es jedoch möglich, den entsprechenden Aspekt allgemeiner zu fassen, etwa als das Parodieren kultureller und sprachlicher Gegenstände und Strömungen aus der AS, die sich innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS manifestieren. Damit zeigt sich eine gewisse Ähnlichkeit zum ersten Faktor, der bei Galinsky wiederum speziell für das von ihm betrachtete Untersuchungsgebiet formuliert wird, jedoch auch allgemeiner gefasst werden kann. Es geht hier im Wesentlichen darum, dass durch Entlehnungen ein bestimmtes Lokalkolorit erzeugt bzw. vermittelt werden soll (cf. Plümer 2000, 259–264). Lokalkolorit lässt sich allgemein fassen als «die Stilfärbung, die bei der Schilderung, von Reisen, Romanen und zur Darstellung von Eigenschaften des betreffenden Herkunftslandes angestrebt wird» (Plümer 2000, 259). Lokalkolorit kann insbesondere erzeugt werden, wenn Referenten, die in der Ausgangskultur beheimatet sind, genannt bzw. beschrieben werden. Letztlich zielt also auch dieser Faktor darauf ab, auf bestimmte kulturelle und sprachliche Gegenstände und Merkmale der AS bzw. der Ausgangskultur anzuspielen. Nach Galinsky handelt es sich hier um eine sehr grundlegende Funktion der Anglizismen; er spricht in diesem Zusammenhang von «the most obvious of its stylistic uses» (Galinsky 1967, 38). Dabei wird vielfach ein vorhandenes Prestige der AS und der entsprechenden Kultur angedeutet. Der wesentliche Unterschied zum sechsten Faktor scheint mir daher darin zu liegen, dass bei der Erzeugung von Lokalkolorit eine 3

«Stylistic considerations apparently have not caused their introduction, but, promoted their diffusion. To what extent stylistic factors determine or co-determine the very first loan or several early loans of an AE [American English, EWF] item, cannot be ascertained without rigorous diachronic research» (Galinsky 1967, 72).

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tendenziell positive Haltung gegenüber der fremden Sprache und Kultur eingenommen wird. Darüber hinaus wird hier durch die Verwendung der fremdsprachlichen bzw. entlehnten Bezeichnungen gerade die kulturelle Differenz betont. Die Verwendung der Entlehnung kann ferner darauf hinweisen, dass es keinen geeigneten ZSAusdruck gibt, um den entsprechenden Sachverhalt treffend zu umschreiben; demnach geht es hier insbesondere um sog. Bedürfnislehnwörter (auch andere Autoren stellen eine semantische bzw. denotative Motivation für entsprechende Entlehnungen fest, cf. Onysko 2004, 62). Völlig anders stellt sich die Situation hingegen beim Parodieren AS-Gegenstände und Strömungen dar. Durch den Akt des Parodierens wird prinzipiell eine distanzierte Haltung eingenommen, und grundsätzlich scheint hier eine eher negative oder kritische Haltung gegenüber der fremden Sprache und Kultur vorzuliegen. In gewisser Weise wird durch die Parodie eine vorherrschende zu große Offenheit gegenüber der fremden Sprache und Kultur kritisiert. Typischerweise scheinen daher «unnötige» Entlehnungen betroffen, für die es andere ZS-Bezeichnungsalternativen gibt, d.h. es sind primär die sog. Luxuslehnwörter betroffen. 4 Die weiteren bei Galinsky genannten Faktoren sind allgemeiner formuliert; einige davon finden sich daher in ähnlicher Form auch in Arbeiten anderer Autoren zu anderen Sprachen und Zeitabschnitten wieder. Auch hier ergibt sich jedoch im Einzelnen die Notwendigkeit ergänzender Präzisierungen. So erscheint in Bezug auf den zweiten Faktor zunächst nicht ganz klar, inwiefern die Verwendung von Entlehnungen zu einer größeren Präzision beitragen kann. Galinsky (1967, 42–47) bezieht diesen Faktor auf Fälle, bei denen eine entlehnte Form ein neues Konzept bezeichnet, für das es bislang keinen ZS-Ausdruck gibt. Damit wird wiederum auf den Bereich der Bedürfnislehnwörter verwiesen. Allerdings ist anzumerken, dass ein neues Konzept prinzipiell auch mit eigensprachlichen Mitteln (der ZS) bezeichnet werden kann und entsprechende ZS-Neuschöpfungen nicht grundsätzlich als weniger präzise anzusehen sind. Galinskys Beschreibung sollte daher eher auf Situationen bezogen werden, in denen die Alternative der Übernahme eines Lehnworts einem ZS-Bedeutungswandel gegenübersteht. 5 Im ersteren Fall ergibt sich das Vorliegen einer neuen ZS-Einheit mit einer bestimmten (häufig fachsprachlichen) Bedeutung – cf. Bsp. (269) und (271). Im letzteren Fall resultiert hingegen eine polyseme ZS-Form: Eine vorhandene ZS-Einheit nimmt neben einer bereits vorhandenen Bedeutung (‘Park’ bzw. ‘[öffentliches oder privates] Treffen’) eine weitere an (‘Parkplatz’ bzw. ‘öffentliches politisches Treffen’; cf. Bsp. (270) und (272)). Bei entsprechenden Fällen bietet das Lehnwort (das nun als Luxuslehnwort analysiert werden kann) im Vergleich zu den alternativen Bezeichnungen den potenziellen Vorteil der Vermeidung von Mehrdeutigkeit.

4 5

Allerdings wird dieser Faktor insgesamt als eher unwichtig eingeschätzt (Carstensen 1965, 269). Der ZS-Bedeutungswandel kann dabei entweder in Analogie zu einem AS-Vorbild oder als eigenständige ZS-Innovation erfolgen (cf. die traditionellen Kategorien der sog. Lehnbedeutung bzw. substituierenden Lehnbedeutung).

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(269) frz. parking ‘Parkplatz’ (ĸ engl. parking [place/lot/space]) (Goosse 1971, 39; DHLF) (270) frz. parc ‘Parkplatz’ ĸ frz. parc ‘Park’ (Goosse 1971, 39; DHLF) (271) frz. meeting ‘öffentliches politisches Treffen’ (ĸ engl. meeting) (Goosse 1971, 39; DHLF) (272) frz. réunion ‘öffentliches politisches Treffen’ ĸ frz. réunion ‘(öffentliches oder privates) Treffen’ (Goosse 1971, 39; DHLF) Die nächste Funktion, die Galinsky als verhüllenden Charakter der Amerikanismen umschreibt, findet sich traditionell auch unter der Etikettierung der euphemistischen Wirkung von Entlehnungen wieder (cf. Tesch 1978, 212; Onysko 2004, 62). Häufig geht es um Bezeichnungen für mit einem Tabu belegte Konzepte; Carstensen nennt als Beispiel dt. Striptease (anstelle von Nackttanz und Entkleidungsnummer). Es fällt auf, dass auch hier die entsprechende Wirkung der Entlehnung gerade im Vergleich zu anderen Bezeichnungsalternativen sichtbar wird, d.h. hier sind wiederum Luxuslehnwörter betroffen. Entscheidend ist die Frage, inwiefern die Formen innerhalb der ZS motiviert bzw. motivierbar sind, d.h. inwiefern der Sprachbenutzer die Formen mit anderen Einheiten der ZS (etwa dt. nackt, entkleiden) in Verbindung bringen kann. Ferner ergibt sich, dass der potenzielle Vorteil der Undurchsichtigkeit bzw. des Fehlens einer solchen Motivierbarkeit nicht für Entlehnungen generell, sondern nur im Bereich der Lehnwörter (cf. Bsp. (273)) – nicht aber im Bereich der Lehnprägungen/Analogiebildungen (cf. Bsp. (274)) – angesetzt werden kann; bei letzteren besteht hingegen eine grundsätzliche Motivierbarkeit durch die jeweiligen Ausgangsformen und -bedeutungen: (273) it. call-girl (ĸ engl. call-girl) (DO; OED s.v. call) (274) it. ragazza squillo ‘Callgirl’ ĸ it. ragazza ‘Mädchen’ + it. squillo ‘Klingeln’ (Lehnprägung nach engl. call-girl ĸ engl. girl ‘Mädchen’ + engl. call ‘Anruf’) (DO; OED s.v. call) Die durch Entlehnungen erreichbare Kürze bzw. die sprachliche Ökonomie 6 wird ebenfalls häufig als Entlehnungsfaktor angeführt, wobei es auch hier wieder um eine relative Kürze bzw. Ökonomie von Luxuslehnwörtern im Vergleich zu konkurrierenden Bezeichnungsalternativen geht (cf. Onysko 2004, 62–63). Als Beispiele lassen sich dt. Campus vs. Hochschulgelände (Zimmer 1997, 27) oder dt. Baby vs. Säugling, Kleinkind (Plümer 2000, 265) nennen. 7 Allerdings ist dieser Faktor nach

6

7

Cf. Pfitzner (1978, 161), der sprachliche Ökonomie in Kürze im Wortumfang und Präzision im Ausdruck, in der Wortwahl aufgliedert, sowie Tesch (1978, 207–209) und Plümer (2000, 264–265). Cf. bereits Daniels (1959, 107–109; 1979, 160–162), der das Scheitern von Ersatzwörtern wie dt. Empfindlichsamkeit und Kunstgefäß auf ihre Umständlichkeit im Vergleich zu den

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Carstensen (1965, 268–269) durchaus zu hinterfragen, da sich auch Gegenbeispiele wie etwa dt. Problem Solving anführen lassen, die in etwa gleich lang (oder sogar kürzer) als die Alternativbezeichnungen (dt. Problemlösung) sind. Dennoch schätzt Carstensen diesen Faktor insgesamt als wichtig ein. Als eine weitere Funktion nennt Galinsky das Erreichen einer größeren Lebendigkeit. Wesentlich für sein Verständis dieser Funktion erscheint der Zusatz «often by way of metaphor» (Galinsky 1967, 71): Hierdurch wird nahe gelegt, dass es nun gerade um Bezeichnungen geht, die für den ZS-Sprecher semantisch motivierbar sind, so dass grundsätzlich vor allem der Bereich der Lehnprägungen betroffen scheint. Dies belegen auch die Beispiele, die für diese Funktion angeführt werden: dt. hinausfeuern (nach engl. fire), Gehirnwäsche (nach engl. brainwashing), Gipfelkonferenz (nach engl. summit conference) (cf. Galinsky 1967, 58–59; Carstensen 1965, 269). Ergänzend ist zu fragen, ob nicht auch andere semantisch-kognitive Relationen neben der metaphorischen Similarität betroffen sein können. Allerdings wird die Bedeutung dieser Funktion ohnehin als eher gering eingeschätzt. So merkt etwa Carstensen an, es scheine «der unwesentlichste der sieben von Galinsky ermittelten Faktoren zu sein» (Carstensen 1965, 269). Der letzte Faktor, den Galinsky anführt, ist schließlich die Ausdrucksvarianz, die durch Entlehnungen erzielt werden kann (cf. Plümer 2000, 266–269; Onysko 2004, 62). Carstensen schätzt diesen Faktor, vor allem für die von ihm untersuchte Pressesprache, als wichtig ein. Bei diesem Faktor wird besonders deutlich, dass es um Konstellationen geht, bei denen neben dem Lehnwort eine oder mehrere ZSBezeichnungsalternativen zur Verfügung stehen, d.h. es sind wiederum grundsätzlich sog. Luxuslehnwörter betroffen. Anders als bei den oben diskutierten Funktionen geht es nun aber nicht mehr um eine relative Betrachtung dieser Luxuslehnwörter im paradigmatischen Vergleich zu Bezeichnungsalternativen, sondern um den potenziellen Vorteil der Ausdrucksvarianz, der sich aus einer syntagmatischen Realisierung verschiedener Bezeichnungsalternativen ergibt. Insofern handelt es sich in der Tat um einen grundlegenden Faktor, der die Einführung und Verwendung von Entlehnungen grundsätzlich motiviert, ohne dass damit zugleich eine Entscheidung gegen konkurrierende Bezeichnungsalternativen getroffen wird. Bemerkenswert ist ferner, dass es gerade um die vielfach als «unnötig» kritisierten Luxuslehnwörter geht, d.h. hier deutet sich bereits an, dass eine einfache Gegenüberstellung «notwendiger» Bedürfnislehnwörter und «überflüssiger» Luxuslehnwörter aus der Sicht der Sprachbenutzer zu kurz greift. Insgesamt ist festzuhalten, dass eine Reihe pragmatisch-stilistischer Faktoren die Verwendung entlehnter Wörter beeinflussen kann. Dabei fällt auf, dass der erste Faktor bei Galinsky vor allem sog. Bedürfnislehnwörter betrifft, während die meisten der anderen Faktoren einen Vergleich der Entlehnungen mit anderen ZSBezeichnungsalternativen voraussetzen, sich also auf Luxuslehnwörter (oder Luxusentlehnungen) beziehen lassen. Im Wesentlichen scheinen entsprechende pragmatisch-stilistische Effekte daher im Bereich der sog. Luxuslehnwörter situiert. Der Bezug zur Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern wird jedoch bei Lehnwörtern dt. Sensation und Vase sowie auf die Schwierigkeit von weiteren Derivationen und Kompositionen auf der Grundlage der Formen zurückführt.

300

Untersuchungen zur pragmatisch-stilistischen Wirkung von Entlehnungen meiner Kenntnis nach nicht hergestellt. Nachfolgend soll die genannte Unterscheidung daher genauer betrachtet werden. Anschließend möchte ich dafür argumentieren, sie unabhängig von puristischen Wertungen linguistisch zu fundieren, da sie sich in einer entsprechenden Auslegung als grundlegend für die Erfassung der pragmatischen Dimension von Entlehnungen im Allgemeinen erweist. 8

12.2

Die traditionelle Unterscheidung von Luxus- vs. Bedürfnislehnwort

In der traditionellen Entlehnungsforschung ist immer wieder eine – vielfach allerdings auch scharf kritisierte – Unterscheidung zwischen sog. «Luxus-» und «Bedürfnislehnwörtern» anzutreffen. Die genannten Termini finden sich bei Öhmann (1961, 3), wurden aber nach Tesch (1978, 203) wohl bereits bei H. Paul verwendet und dann von Tappolet mitgeprägt (cf. Tagliavini 1973, 214; Krefeld 1999, 275). Ebenso findet sich die Unterscheidung konzeptionell bei Deroy wieder, wenn auch mit anderer Terminologie; er spricht von zwei zentralen Gründen einer Entlehnung: einer nécessité pratique (Bedürfnislehnwort) bzw. von raisons de cœur (Luxuslehnwort) (Deroy 1956, 137 bzw. 171). In ähnlicher Weise werden need und prestige (cf. Winford 2003, 37) bzw. gaps und prestige (Matras 2009, 149–151) als zwei zentrale Motive für Entlehnungen gegenübergestellt. Nachfolgend soll die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien näher erläutert werden. In der Regel wird das Bedürfnislehnwort dahingehend definiert, dass die Entlehnung aus einem kommunikativen Bedürfnis heraus erfolgt; das fremde (fremdsprachliche) Wort wird zusammen mit der fremden Sache oder dem Konzept übernommen: «[…] daß man einem alten, häufig angewendeten Verfahren folgend, der Einfachheit halber oder aus Gründen der Unübersetzbarkeit – zum Beispiel activity, challenge, efficiency, frustration, impact, outfit, publicity, public relations, tutor, understatement – mit der Sache zugleich auch den dazugehörigen Begriff übernimmt» (Wilss 1958, 183; cf. Grzega 2004, 172).

Vielfach wird daher in diesem Zusammenhang auch von einer «Wort-Sach-Entlehnung» (Plümer 2000, 258) gesprochen, wobei die Bedürfnislehnwörter nach gängigen Auffassungen «sicherlich die Ausdrucksmöglichkeiten der dt. Sprache [bzw. allgemein der jeweiligen ZS, EWF] [bereichern]» (Carstensen 1965, 266). Wilss stellt fest, dass dieses Verfahren insbesondere bei landeskundlichen und fachsprachlichen Texten Anwendung findet. Diese Situation liegt also typischerweise vor, wenn kulturspezifische Gegenstände und Konzepte betroffen sind (cf. den bei Bloomfield erscheinenden englischen Terminus des cultural borrowing [McMahon 8

Traditionell werden die Kategorien in der Regel nur in Bezug auf Lehnwörter formuliert. Da einige der bei Galinsky und Carstensen genannten Beispiele jedoch Lehnprägungen darstellen, sind die Kategorien entsprechend zu erweitern. Im Folgenden (Kap. 12.4) werde ich für eine noch weitere Auffassung argumentieren, nach der die Unterscheidung Luxus vs. Bedürfnis auf Innovationen im Allgemeinen angewandt wird.

301

1994, 201] sowie Bsp. (275) und (276)). Ebenso dieser Kategorie zuzurechnen sind Fälle von technologischen Neuerungen oder wissenschaftlichen Entdeckungen, bei denen der in einer Sprache geprägte Ausdruck dann in andere Sprachen übernommen wird (cf. Bsp. (277) und (278); zu engl. adrenaline cf. DHLF s.v. adrénaline: «mot créé en 1901 aux États-Unis par le découvreur de la substance, Takamine, et formé du latin ad- […] et de renal ‘rénal’ […], d’où adrenal ‘surrénal’, avec le suffixe -in»). (275) it. geisha ĸ jap. gƝiša (DELI) (276) frz. flamenco ĸ sp. flamenco (DMOE, DHLF) (277) it. computer ĸ engl. computer (DO) (278) frz. adrénaline ĸ engl. adrenaline (DMOE, DHLF) Im Falle des Luxuslehnworts hingegen tritt die entlehnte Form neben eine bereits vorhandene entsprechende Form der ZS, d.h. es existiert bereits eine ZS-Bezeichnung für das fragliche Konzept (cf. Bsp. (279); Baranow 1973, 124; Tesch 1978, 203). In diesem Sinne stellen Luxuslehnwörter «den Sprecher […] vor die Entscheidung, ob er das heimische oder das fremde Wort verwenden will» (Carstensen 1965, 266; cf. Öhmann 1962, 3). Da Luxus- und Bedürfnislehnwort in der Regel als kontradiktorische Alternativen aufgefasst werden, wird damit traditionell für Luxuslehnwörter angenommen, dass kein kommunikatives Bedürfnis ihrer Verwendung vorliegt, d.h. die Entlehnung wird in diesem Sinne als «unnötig» aufgefasst. (279) frz. people

BERÜHMTE LEUTE

(ĸ engl. people) neben frz. célébrités

BERÜHMTE LEUTE

Durch die genannten inhaltlichen Bestimmungen wird bereits eine bestimmte Wertung deutlich, die sich auch in den Begriffen selbst widerspiegelt: Ein Bedürfnis impliziert eine gewisse Notwendigkeit des jeweiligen Gegenstands, während Luxus sich gerade dadurch auszeichnet, dass keine Notwendigkeit gegeben ist (cf. Duden s.v. Luxus: «[…] den normalen Rahmen […] übersteigender, nicht notwendiger, nur zum Vergnügen betriebener Aufwand […]»). Dementsprechend ist die Unterscheidung insbesondere in puristischen Diskussionen anzutreffen (cf. Weisgerbers Gegenüberstellung von schädlichen, neutralen und nützlichen Fremdwörtern, Weisgerber 1960, 1). 9 Dabei sind generell positive Haltungen gegenüber Bedürfnislehnwörtern erkennbar bzw. diese werden gewissermaßen als notwendiges Übel anerkannt. Hingegen werden in der Regel alle (puristischen) Bestrebungen darauf gerichtet, die umso mehr zu verurteilenden «unnötigen» Luxuslehnwörter aus dem Wortschatz zu verbannen. Dies wird etwa bei Castellani (1987; cf. Winter-Froemel 2008c, 16–17) besonders deutlich, lässt sich jedoch z.B. auch in den Erläuterungen 9

Bei der näheren Erläuterung schlägt Weisgerber (1960, 1–5) eine noch feiner differenzierte Skala vor: schädliche – hinderliche – fragwürdige – überflüssige – neutrale Fremdwörter – Fremdwörter als Notbehelf – Fremdwörter als kleineres Übel – Fremdwörter als notwendige Aufgabe und potenzielle echte Bereicherung.

302

des Office québecois de la langue française zum Umgang mit Entlehnungen aus dem Englischen aufzeigen (PolEmpruntling 2007, 10–12). 10 Entsprechende puristische Wertungen sollen hier nicht vorgenommen werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die genannten Kategorien grundsätzlich zu verwerfen sind oder ob diese – über puristische Aspekte hinaus – ein wichtiges Merkmal von Entlehnungen erfassen; im letzteren Fall ist zu klären, wie die Kategorien alternativ (ohne puristische Wertung) fundiert werden können.

12.3

Kritische Diskussion

12.3.1

Zur Problematik der Begriffe «Bedürfnislehnwort» und «Luxuslehnwort»

In Bezug auf beide Kategorien lassen sich grundlegende Kritikpunkte formulieren. Zunächst stellt sich die Frage, wie das vorliegende oder nicht vorliegende «Bedürfnis» genau konzipiert wird. So findet sich etwa die folgende Bestimmung: «language users could not make themselves understood among each other in principle without the loans» (Ronneberger-Sibold 2003, 363). Diese Bestimmung erscheint jedoch problematisch, da den Sprachbenutzern neben der Verwendung des Lehnworts grundsätzlich immer auch die Möglichkeit offensteht, den jeweiligen Inhalt anders – etwa mittels einer Paraphrase – auszudrücken. Generell besteht das Problem, dass selbst in Sprachkontaktsituationen, in denen eine ZS-Bezeichnungslücke offenbar wird (also der «klassischen» Situation bei sog. Bedürfnislehnwörtern), eine Entlehnung niemals zwingend erfolgen muss. Es besteht «immer die Möglichkeit eigensprachlicher Neuschöpfung» (Tesch 1978, 202); «(d)er veränderte oder neue Umweltreferent kann mittels indigener Lexikoneinheiten bezeichnet werden» (Tesch 1978, 201; cf. Plümer 2000, 258). D.h. bei Übernahme eines fremden Gegenstands oder Konzepts stehen dem Sprecher grundsätzlich neben einer okkasionellen Paraphrasierung verschiedene Typen sprachkontaktinduzierter Innovationen offen, die sich in drei Haupttypen einteilen lassen: 1. die Übernahme eines Fremdworts/Lehnworts, 2. die Realisierung einer Analogiebildung (Lehnprägung, Lehnbedeutung), 3. die Realisierung einer eigenen lexikalischen Innovation (sog. Lehnschöpfung, substituierende Lehnbedeutung; cf. Kap. 3.5 und Winter 2005). Selbst bei Vorliegen eines entsprechenden sachlichen Bezeichnungsbedürfnisses stellt die Übernahme eines Lehnworts somit nur eine der möglichen Optionen dar, und ein entsprechendes Bezeichnungsbedürfnis ist keinesfalls hinreichend für die Übernahme eines Lehnworts.

10

Im Übrigen lassen sich für Betrachtungen von Entlehnungen generell die Tendenz einer starken Wertung und das Bestreben, eine bestimmte sprachliche Norm zu etablieren, beobachten. Pratt (1980, 17) spricht hier von einer «tendencia al normativismo», die sich an vielen Kategorisierungen von Entlehnungen zeige (préstamo necesario, préstamo de lujo, préstamo por esnobismo, barbarismo, solecismo, incorrecto, malsonante, malformado, injustificado, Pratt 1980, 16–17), wobei er selbst entsprechende Tendenzen deutlich ablehnt.

303

Darüber hinaus ist das Vorliegen eines «sachlichen» Bezeichnungsbedürfnisses auch keine notwendige Bedingung für Lehnwörter, d.h. es gibt auch Fälle von Lehnwörtern ohne sachliches Bezeichnungsbedürfnis, nämlich genau die sog. Luxuslehnwörter. In Bezug auf diese Kategorie lässt sich nun einwenden, dass aus Sprechersicht grundsätzlich kein Luxus realisiert wird, sondern auch in diesen Fällen aus Sprechersicht ein Bedürfnis vorliegt (Deroy 1956, 172; Haugen 1969, 373; Baranow 1973, 124). Dabei kann es sich um affektive Bedürfnisse (Plümer 2000, 258) handeln; ebenso können Bedürfnisse in der Kommunikation (Bedeutungsnuancen, konnotative Unterschiede) eine Rolle spielen (cf. Tesch 1978, 203–204): Da sich das neu entlehnte Wort und das bereits vorhandene ZS-Wort häufig in Bedeutungsnuancen unterscheiden, können aus Sicht der Sprecher beide Wörter erforderlich sein. In diesem Sinne gibt es nach Carstensen kaum echte Luxuslehnwörter (Carstensen 1965, 266). Letztlich liegt insofern jeder Entlehnung ein Bedürfnis zugrunde, womit die Unterscheidung zwischen Luxus- und Bedürfnislehnwörtern vollends fragwürdig wird. Die genannten Kritikpunkte werden in Haugens Rezension zu Deroys Arbeit zu Entlehnungen prägnant zusammengefasst: «[…] yet he [Deroy] recognizes that there is no absolute necessity of borrowing a foreign name along with a new product, and conversely that emotional needs are just as real as any other» (Haugen 1957, 588).

Über die festgestellte Problematik hinaus ist die Unterscheidung der beiden Kategorien insgesamt stark puristisch geprägt (cf. Kap. 12.2). Daher werden die Kategorien in linguistischen Diskussionen häufig vollständig verworfen. Dieser Schluss erscheint jedoch voreilig, da sich verschiedene Kontexte nennen lassen, in denen die Unterscheidung doch (zumindest implizit) berücksichtigt wird bzw. relevant ist.

12.3.2

Zur Relevanz der Kategorien

Die Relevanz der Unterscheidung zeigt sich etwa bei Kategorien der traditionellen Entlehnungsforschung für Wörter, die aus einer fremden Sprache übernommen werden und eine Sache oder ein Konzept der fremden Kultur bezeichnen. So versteht Carstensen (1965, 88) im Rahmen seiner Dreiteilung fremdes Wort – Fremdwort – Lehnwort unter der ersteren Kategorie «die engl. Bezeichnung für eine engl. oder amerikan. Sache, Einrichtung usw.», d.h. erfasst werden hier Bezeichnungen wie Barrister, Church-Army etc., die «nicht auf die entsprechenden dt. Dinge übertragen werden» können. 11 Diese Bestimmung kann unmittelbar mit dem 11

Demgegenüber fasst Carstensen als «eigentliche Fremdwörter» solche Formen auf, «die auch auf dt. Dinge angewendet werden können» (Carstensen 1965, 88). Allerdings ist anzumerken, dass die Unterscheidung der drei Kategorien bei Carstensen darüber hinaus vor allem auf den Aspekt der formalen Markiertheit bzw. der Integration in die ZS abzielt. Das fremde Wort ist demnach durch eine ausgeprägte formal-strukturelle Fremdheit gekennzeichnet, während Fremdwort und insbesondere Lehnwort starke Integrationserscheinungen aufweisen.

304

Bereich der sog. Bedürfnislehnwörter identifiziert werden. Im Französischen findet sich eine ähnliche Gegenüberstellung von xénisme vs. emprunt, bei der der erstere Begriff wiederum den Bedürfnislehnwörtern anzunähern ist: «Xénisme est réservé à l’emprunt qui correspond à une réalité étrangère (apartheid, toundra)» (Lehmann/ Martin-Berthet 1998, 6; cf. DAngl [Rey-Debove], XII). 12 Entsprechendes gilt auch für die englischen Bezeichnungen exoticism und foreignism. Weiterhin verweist auch die in der Entlehnungsforschung anzutreffende Gegenüberstellung von cultural borrowings und core borrowings (Myers-Scotton 2002, 239) implizit auf die Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern (Onysko 2007, 37; Matras 2009, 110). Cultural borrowings sind Bezeichnungen für neue Gegenstände (z.B. engl. espresso) oder Konzepte (z.B. engl. zeitgeist), so dass sich diese Gruppe der traditionellen Kategorie der Bedürfnislehnwörter annähert. Core borrowings hingegen treten neben bereits existierende ZS-Bezeichnungen bzw. ersetzen diese (z.B. dt. OK statt gut, einverstanden) (cf. Haspelmath 2003, 4), so dass sich diese Gruppe den Luxuslehnwörtern annähert. Ähnlich gilt auch für die Bereiche des nonbasic vocabulary bzw. des basic vocabulary, die Thomason/Kaufman (1988) bei der Erörterung ihrer fünfstufigen Skala für die Intensität von Sprachkontakt einbeziehen (Entlehnung von nonbasic vocabulary bereits bei schwach ausgeprägtem Sprachkontakt, von basic vocabulary erst bei intensiverem Kontakt), dass sich gewisse Bezüge zu den Gruppen der Bedürfnis- bzw. Luxuslehnwörter herstellen lassen (cf. Kap. 9.5.2.1). Darüber hinaus ist die Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern auch im Hinblick auf die Frage der Motive der Entlehnung relevant (Öhmann 1961, 3). Während nach Öhmann Bedürfnislehnwörter im Wesentlichen sprach- und kulturgeschichtlich erklärt werden können, sind bei Luxuslehnwörtern darüber hinaus auch psychologische Erklärungen (darunter der Spieltrieb und «die Vorliebe für Fremdes, die Lust, mit fremdem, als vornehm empfundenem Sprachgut die Rede zu schmücken», Öhmann 1961, 4) zu suchen. 13 Ebenso hat sich in Kap. 12.1 gezeigt, dass eine Reihe von pragmatischen Effekten, die bei der Verwendung von Entlehnungen beobachtet werden, vor allem bei Luxuslehnwörtern auftritt.

12

13

Guilbert (1975, 92–93) definiert den Begriff xénisme hingegen als erste Stufe bei der Übernahme fremdsprachlicher Wörter, d.h. es handelt sich um meist typographisch hervorgehobene und zusätzlich in die ZS übersetzte fremdsprachliche Zitatwörter, die nur Referenten des fremden Kulturraums bezeichnen. Sie können in das Stadium von pérérgrinismes übergehen, in welchem sie sich in der ZS weiter verbreiten und auch von nicht-zweisprachigen Sprechern für Referenten des ZS-Kulturraums benutzt werden. Schließlich können diese entweder durch die Sprachgemeinschaft verworfen oder aber endgültig als emprunts in die ZS aufgenommen werden. Bei Guilbert zielt der Begriff xénisme insofern nicht primär auf die Frage von Luxus vs. Bedürfnis, sondern ist vor allem in einer zeitlichen Dimension bzw. im Hinblick auf die Verbreitung der Formen in der ZS konzipiert. Allerdings wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass auch bei sachlichen Bezeichnungsnotwendigkeiten grundsätzlich die Alternative der Realisierung einer analogischen oder eigenen lexikalischen Innovation besteht, so dass auch bei der Gruppe der Bedürfnislehnwörter unter Umständen zusätzliche Erklärungsfaktoren (neben allgemeinen sprachund kulturgeschichtlichen) einzubeziehen sind.

305

Im Zusammenhang mit den Motiven der Entlehnung weist Öhmann auch darauf hin, dass bei Luxuslehnwörtern generell die AS und AS-Kultur als kulturell höherstehend eingestuft werden, während Bedürfnislehnwörter gerade auch aus kulturell niedrigerstehend eingeordneten Kulturen und Sprachen entlehnt werden (so etwa dt. Bambus, Banane, Kanu; Öhmann 1961, 4–5). Ferner scheint es möglich, die Alternative Luxus vs. Bedürfnis auch auf unterschiedliche Typen von Wandelphänomenen zu beziehen. So sind Luxuslehnwörter vielfach durch Expressivität gekennzeichnet: Der innovierende Sprecher möchte anstelle des vorhandenen Normalworts eine andere, auffällige Bezeichnung verwenden. Insofern können Luxuslehnwörter tendenziell dem Bereich des Sprachwandels «von unten» (cf. Kabatek 2006) zugeordnet werden. Bedürfnislehnwörter hingegen zeichnen sich prinzipiell gerade dadurch aus, dass sie gezielt entlehnt werden, um Bezeichnungslücken zu schließen (etwa innerhalb von Fachterminologien). Ihre Einführung und Etablierung in der ZS ist insofern geplant, und sie lassen sich demnach tendenziell dem Bereich des Sprachwandels «von oben» (Kabatek 2006) zuordnen (cf. Kabateks Beispiel sp. azafata, das ausgehend von der Bedeutung ‘Kammerzofe’ zur Bezeichnung des neuen Konzepts STEWARDESS verwendet wird und dann diese neue, zusätzliche Bedeutung annimmt – hier handelt es sich zwar um einen innersprachlichen Bedeutungswandel und nicht um ein Bedürfnislehnwort, doch liegt ebenso eine Innovation aufgrund einer Bezeichnungslücke vor, die sich als Sprachwandel «von oben» interpretieren lässt). Auch bei der Analyse der Modelle von Keller und Croft hat sich verschiedentlich die Bedeutung der Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern gezeigt. So scheint etwa Kellers Maxime «Rede so wie die anderen [Sprecher der ZS]» grundsätzlich nur für Luxuslehnwörter relevant, die mit vorhandenen ZS-Bezeichnungen in Konkurrenz stehen (wobei die Verwendung eines Luxuslehnworts impliziert, dass die genannte Maxime gerade nicht befolgt wird) (cf. Kap. 7.3.7). Bei Croft ergibt sich in ähnlicher Weise, dass die soziale Markiertheit von Innovationen, die Croft im Stadium ihrer Verbreitung annimmt, vor allem bei der Gruppe der Luxuslehnwörter angenommen werden kann (cf. Kap. 7.3.1 und 7.3.7). Ebenso wurde bereits darauf hingewiesen (cf. Kap. 7.3.2), dass die Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwörtern auch für die Beschreibung des Verlaufs der Verbreitung einer Innovation mittels einer S-Kurve relevant ist. Die Möglichkeit der Feststellung eines entsprechenden Verbreitungsverlaufs setzt eine onomasiologische Betrachtung voraus, bei der die relative Verbreitung konkurrierender Formen im Laufe der Zeit analysiert wird (d.h. bei der von der relativen Zahl der Verwendungen der einzelnen Formen ausgegangen wird). 14 Eine solche Situation ist zum einen gegeben, wenn unterschiedliche Varianten eines Lehnworts in Konkurrenz zueinander stehen (etwa verschiedene Aussprache- oder Schreibvarianten). Zum anderen ist an den Bereich der Luxuslehnwörter zu denken, da hier – anders als bei den Bedürfnislehnwörtern – konkurrierende Formen in der ZS (die bereits vorhan14

Wenn die S-Kurve hingegen ausschließlich darauf bezogen wird, wie eine Menge von Sprechern (passive) Kenntnis von einer Innovation erlangt, scheint sie sowohl für Luxusals auch für Bedürfnislehnwörter anwendbar, da in diesem Fall die Sprechergruppe die konstante Bezugsgröße darstellt.

306

denen ZS-Bezeichnungen für das jeweilige Konzept) vorliegen. Die Häufigkeit der Verwendung von Bedürfnislehnwörtern hingegen scheint wesentlich darauf zu beruhen, wie oft das entsprechende Konzept überhaupt sprachlich thematisiert wird – damit ist die Verwendungshäufigkeit bzw. Verbreitung hier grundsätzlich nicht in derselben Weise relativ quantifizierbar. Schließlich lassen sich auch Bezüge zu Arbeiten im Bereich des Bedeutungsund Bezeichnungswandels herstellen. Unter den verschiedenen Motiven für semantische bzw. lexikalische Innovationen (cf. Blank 1997, 375–404; 1999a, 137–141; 2001a, 95–99; Grzega 2004) nimmt die Konstellation «neue Konzepte» bzw. «neue Referenten» eine Sonderstellung ein: Hier (und nur hier) geht es ausschließlich um die Entstehung neuer Bezeichnungen, d.h. auch dieses Merkmal zielt genau auf den Bereich «notwendiger» Innovationen ab. 15 Die anderen genannten Motivationen, insbesondere die emotionale Markierung eines Konzepts, die verhüllend-euphemistische oder drastisch-expressive Versprachlichungen motivieren kann (Blank 1997, 394–404; 2001a, 98–99), scheinen hingegen gerade im Bereich «nicht notwendiger» Innovationen situiert zu sein, da es hier darum geht, die vorhandene, übliche Bezeichnung zu vermeiden bzw. zu «überbieten»: «Emotionale Markiertheit eines Konzepts heißt, daß die entsprechenden Konzepte einem ständigen Druck zur Neuversprachlichung unterworfen sind» (Blank 1997, 351, Hervorhebung EWF). In entsprechenden Fällen (cf. auch die Motive «abstrakte oder kognitiv ‹fernliegende› Konzepte», «enge konzeptuelle oder sachliche Verbindung») kann durch die Innovation ein Bezeichnungswandel initiiert werden, in dessen Rahmen die bisherige (vorhandene) Bezeichnung für das Konzept verdrängt wird – oder es geht um die semantische Weiterentwicklung bereits vorhandener Ausdrücke (so insbesondere bei den Motivationen «sozio-kultureller Wandel» und «lexikalische Komplexität und Irregularität»). Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang auch Labovs Bemerkungen zur Wirkung von Innovationen im Vergleich zu vorhandenen sprachlichen Formen. Nach Labov können diese verschiedene weitere Botschaften übermitteln, etwa «stronger meaning», «the speaker’s membership in a local group», «greater intimacy» (Labov 1974, 253; cf. Andersen 1989, 24). Insgesamt lässt sich Labovs Position wie folgt zusammenfassen: 16 «It [Labov’s study] assumes, in fact, that any novel expression, apart from the content invested in it by grammar and pragmatics, has a specific value by virtue of being different from a traditional expression with the same grammatical and pragmatic content […]» (Andersen 1989, 24, Hervorhebung EWF).

Dabei behandelt Labov im Wesentlichen Innovationen, die bereits eine große Verbreitung erlangt haben, d.h. es geht um einen «definite, collectively understood 15

16

Ebenso verweisen weitere traditionell genannte Ursachen für Bedeutungswandel auf den Bereich der «notwendigen» Innovationen, so etwa die Bezeichnungsnot bzw. bei Ullmann «need for a new name as a cause of semantic change» (cf. Blank 1997, 347–348). Zu fragen ist allerdings, was hier unter «pragmatisch» verstanden werden soll, da es ja genau um Bedeutungsunterschiede geht, die als pragmatische Unterschiede gefasst werden können.

307

connotative content» (Andersen 1989, 24) der neuen Formen. Andersen schlägt hingegen vor, entsprechende Überlegungen auch auf das Stadium der Innovation selbst oder einer frühen Verbreitungsphase anzuwenden. Demnach nimmt der Produzent nach Andersen mit der Verwendung einer bestimmten sprachlichen Form – über die eigentlichen Kommunikationszwecke hinaus – an zwei Typen von Metadialogen teil. Diese betreffen einerseits den Spracherwerb, d.h. es geht um Lernerhypothesen über das System und die Normen der Sprache und diesbezügliche Rückmeldungen, die seine Hypothesen bestätigen oder verwerfen; dieser Aspekt ist hier jedoch nicht relevant. Andererseits sind entsprechende Metadialoge auf den sozialen Wert der neuen Ausdrücke bezogen, d.h. es geht um die Frage, ob eine Innovation in bestimmten Kontexten allgemein verwendet werden soll. Nach Andersen kann der Produzent durch sein sprachliches Handeln zu dieser Frage positiv oder negativ Stellung beziehen oder aber die Frage unentschieden lassen (Andersen 1989, 25). Als allgemeine Voraussetzung ergibt sich hier wiederum, dass es sich um Innovationen handelt, die neben vorhandene Alternativbezeichnungen treten, so dass sich die entsprechenden Formen den traditionellen Luxuslehnwörtern annähern.

12.3.3

Zum rhetorischen Begriff der «Katachrese»

Für die Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort lassen sich auch aufschlussreiche Anknüpfungspunkte zu Reflexionen innerhalb der rhetorischen Tradition aufzeigen. So weist Cicero bei seiner Besprechung der Metapher auf Fälle hin, in denen kein eigentlicher Ausdruck zur Verfügung steht, so dass eine Metapher «inopiae causa» («aus Mangel», Cicero, Orator XXVI, 92; cf. Quintilian, Institutio oratoria VIII,6,35; Weinrich 1980, 1182–1183) notwendig wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass eine bestimmte Metapher den ursprünglichen (nichtmetaphorischen) Ausdruck weitestgehend verdrängt hat, so dass die Metapher in gewissem Sinn notwendig ist. All diese Fälle, bei denen neben der Metapher keine andere Bezeichnungsalternative (mehr) zur Verfügung steht, werden von Cicero als «Katachrese» eingestuft. 17 Dabei gelten im Fall einer entsprechenden Ausdrucksnotwendigkeit auch gewagte Metaphern eher als akzeptabel, als wenn es sich um «unnötige» Tropen handelt (d.h. wenn ein alternativer Ausdruck zur Verfügung steht). Das von Cicero genannte Kriterium (gibt es einen alternativen eigentlichen Ausdruck oder nicht?) erinnert stark an die Diskussionen in der Entlehnungsforschung bezüglich Luxus- und Bedürfnislehnwort, so dass nicht unmittelbar einsichtig erscheint, warum die Beschreibung zunächst nur im Hinblick auf das Verfahren der Metapher erfolgt. In der Tat finden sich dann später auch Anwendungen des Begriffs der Katachrese auf Metonymien bei Dumarsais (Dumarsais, Traité des tropes, II, 1/Du Marsais 1977 [11730], 44–61; cf. Le Guern 1973, 68 und 81; Koch 1994, 203). Bei Charisius (cf. Eisenhut 1974, 23) und Donat wird der Aspekt der Notwendigkeit (necessitas) noch weiter gefasst und in Gegenüberstellung zum Schmuck (ornatus) bei allgemeinen Definitionen von «Tropus» angesprochen: 17

Daneben kann der Begriff der Katachrese auch einen Bildbruch bezeichnen; diese Verwendung ist für die vorliegenden Überlegungen jedoch nicht relevant.

308

«tropus est dictio translata a propria significatione ad non propriam similitudinem ornatus necessitasue causa» (Donatus, Ars maior, de uitiis et uirtutibus orationis, 667/Donati ars maior, ed. L. Holtz 1981/CGL; cf. Donati ars grammatica, ed. H. Keil, III, de tropis, 399).

Die Ausweitung der Alternative auf prinzipiell alle Tropen bzw. Fälle von semantischem Wandel erscheint völlig nahe liegend. Gleichzeitig fällt auf, dass sich die konzeptuelle Unterscheidung auch in einem ganz anderen Bereich lexikalischer Innovationen – den Entlehnungen – in der Opposition Luxus- vs. Bedürfnislehnwort wiederfindet. Nachfolgend soll daher argumentiert werden, dass die Unterscheidung für die Betrachtung von sprachlichen Innovationen im Allgemeinen fruchtbar gemacht werden kann, wobei sie anhand linguistischer Begriffe definiert und über pragmatische Ansätze fundiert werden soll.

12.4

Neuansatz einer pragmatischen Fundierung zweier Grundtypen von Innovationen

Es wurde gezeigt, dass traditionelle Ansätze für einzelne Typen sprachlicher Innovationen jeweils «notwendige» von «nicht notwendigen» Innovationen unterscheiden. Allerdings hat sich der Begriff der Notwendigkeit oder des Bedürfnisses ebenso wie der Komplementärbegriff (keine Notwendigkeit bzw. Luxus) aufgrund der damit verbundenen Wertungen als problematisch erwiesen. Als entscheidendes linguistisches Kriterium, das den genannten Unterscheidungen zugrunde liegt, lässt sich jedoch das folgende angeben: Gibt es in der betrachteten Sprache eine alternative, lexikalisierte Bezeichnung neben der Innovation für das jeweils auszudrückende Konzept? Auf der Grundlage dieses Kriteriums lassen sich zwei Grundtypen von Innovationen unterscheiden, die ich nachfolgend als katachrestische Innovationen (bei Nichtvorhandensein einer alternativen, lexikalisierten Bezeichnung für das Konzept) bzw. nichtkatachrestische Innovationen (bei Vorhandensein einer alternativen. lexikalisierten Bezeichnung für das Konzept) bezeichnen möchte. 18 Inwiefern kann angenommen werden, dass sich für diese beiden Grundtypen von Innovationen stabile und regelmäßige Unterschiede in der Bedeutung bzw. in der pragmatischen Interpretation entsprechender Äußerungen ergeben? Zur Beantwortung dieser Frage ist es aufschlussreich, Levinsons Theorie der generalisierten konversationellen Implikaturen (Levinson 2000) heranzuziehen. 19 Zentral für Levinsons Theorie ist der Begriff der presumptive meanings bzw. 18

19

Weiterführend erscheint auch eine Übertragung auf den Bereich des hier nicht näher thematisierten reduktiven Wandels möglich: Die Kehrseite einer nichtkatachrestischen Innovation wäre demnach die Verdrängung durch eine konkurrierende Form (der betreffende konzeptuelle Inhalt wird weiter versprachlicht); als Gegenstück der katachrestischen Innovation ergäbe sich hingegen das gemeinsame Verschwinden von Wort und Sache bzw. die Aufgabe der lexikalischen Versprachlichung des betreffenden konzeptuellen Inhalts. Für weitere Vorschläge zur Verbindung von Kräften des Bezeichnungs- und Bedeutungswandels mit Konversationsmaximen und pragmatischen Prinzipien cf. Grzega (2004; 2007, 21) und Blank (1997).

309

preferred interpretations, die ganz allgemein so charakterisiert werden, dass aus dem Gesagten zusätzliche Inhalte abgeleitet werden können, indem auf alternativ mögliche, jedoch nicht realisierte Arten, den entsprechenden Gedanken auszudrücken, Bezug genommen wird: «when we say something, we find ourselves committed to much more, just by virtue of choices between all the ways we could have said it» (Levinson 2000, 367). Die so erschließbaren Inhalte bilden nach Levinson eine dritte Ebene der Bedeutung des Äußerungstyps, die neben die semantisch kodierten Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke einerseits und die spontanen (okkasionellen) Inferenzen der Sprecherbedeutung andererseits tritt. Mit anderen Worten, es geht zwar um pragmatische Bedeutungen, diese werden jedoch nicht (wie etwa bei Grice 1975) beim einzelnen Sprecher situiert, sondern allgemein auf bestimmte Äußerungstypen bezogen (cf. Levinson 2000, 373). Damit kommt den von Levinson untersuchten Phänomenen ein hinreichend allgemeiner, überindividueller Charakter zu: Entsprechende pragmatische Inferenzen werden aus der Form der sprachlichen Äußerungen selbst abgeleitet (ohne dass auf spezifische situationelle und kommunikative Faktoren Bezug genommen werden muss). Weiterhin ist hervorzuheben, dass Levinson (wiederum im Gegensatz zu Grice, bei dem die konversationellen Implikaturen stets die Äußerung als ganze betreffen) lokale Mechanismen und Interpretationen ansetzt, d.h. die Implikaturen können aus einzelnen Teilen der Äußerung (etwa einzelnen Quantoren etc.) abgeleitet werden (cf. Blutner 2009, 487). Auch aufgrund dieses Merkmals bietet sich eine Anknüpfung an Levinsons Theorie an, um vergleichend katachrestische und nichtkatachrestische Innovationen im Hinblick darauf zu untersuchen, welche allgemeinen pragmatischen Inferenzen sich aus ihrer jeweiligen Verwendung ergeben. Unter die presumptive meanings ordnet Levinson (neben Sprechakten und Präsuppositionen) insbesondere drei Typen von generalisierten konversationellen Implikaturen ein – Q-, I- und M-Inferenzen (beruhend auf den Prinzipien der Quantität, Informativität und Art und Weise/manner) –, von denen die letzteren beiden im vorliegenden Kontext zentral erscheinen. Die Heuristik, die der Hörer anwenden kann, um I-Inferenzen zu erschließen, lautet: «What is simply described is stereotypically exemplified» (Levinson 2000, 32). Damit bestehen hier Anknüpfungspunkte zur zweiten Quantitätsmaxime bei Grice («Do not make your contribution more informative than is required»; Grice 1975, 45). I-Inferenzen stellen dabei nach Levinson generell Inferenzen zum Stereotyp dar. Die entsprechende I-Heuristik kann anhand des folgenden Beispiels erläutert werden: (280) «Die blaue Pyramide ist auf dem roten Würfel.» Lizenzierte Inferenzen: ‘Es handelt sich um eine stereotypische Pyramide, die eine quadratische (und nicht etwa sechseckige etc.) Grundfläche hat’; ‘Die Pyramide steht direkt auf dem Würfel’; ‘Sie steht aufrecht (und liegt nicht etwa mit einer Seitenfläche auf dem Würfel)’ etc. (cf. Levinson 2000, 32) Die grundlegende Heuristik zur Erschließung von M-Inferenzen lautet hingegen: «What’s said in an abnormal way, isn’t normal; or Marked message indicates

310

marked situation» (Levinson 2000, 33). Diese Heuristik lässt sich durch das folgende Beispiel veranschaulichen: (281) «Das blaue würfelartige Gebilde wird von dem roten Würfel getragen.» Lizenzierte Inferenzen: ‘Die blaue Form ist streng genommen kein Würfel’; ‘Die blaue Form liegt nicht stabil unmittelbar auf der Mitte des roten Würfels’ (cf. Levinson 2000, 33) Damit bestehen hier Anknüpfungspunkte zur Maxime der Art und Weise bei Grice («1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity. 4. Be orderly», Grice 1975, 46). Der für die M-Heuristik und die MInferenzen zentrale Begriff der Markiertheit lässt sich dabei anhand eines Vergleichs verschiedener Ausdrucksalternativen wie folgt bestimmen: Formale Markiertheit liegt bei morphologisch komplexen, weniger stark lexikalisierten, weitschweifigeren oder periphrastischen, seltenen oder weniger gebräuchlichen sowie weniger registerneutralen Formen vor. Hierdurch entstehen dann zusätzliche Bedeutungen oder Konnotationen, welche bei den unmarkierten Formen nicht auftreten (Levinson 2000, 137). M-Inferenzen sind somit negative Inferenzen, die auf der Betrachtung nicht realisierter alternativer Ausdrucksmöglichkeiten beruhen (Levinson 2000, 41). Gleichzeitig funktionieren sie grundsätzlich metasprachlich, wobei der Kontrast zwischen (kommunikativ) synonymen Oberflächenformen zentral ist. 20 Levinson bespricht unter anderem doppelte Verneinungen («Es ist nicht unmöglich, dass…»), Periphrasen («Ihre Mundwinkel schoben sich leicht nach oben» vs. «Sie lächelte») und Verwendungen NPs anstatt von Pronomen («John kam herein und der Mann lachte» +> Lizenzierte Inferenz: ‘Der Mann war nicht John’). Wichtig für den vorliegenden Kontext erscheinen vor allem seine Bemerkungen zu lexikalischen Dubletten (engl. book – tome, argument – discussion/disputation etc.), bei denen das eine – unmarkierte – Element jeweils I-Implikaturen, das andere – relativ markierte – hingegen M-Implikaturen auslöst (Beispiele nach Levinson 2000, 138–139) 21: (282) a. «He was reading a book» I+> gewöhnliches Buch b. «He was reading a tome» M+> umfangreiches Buch (283) a. «The had an argument» I+> unangenehme Auseinandersetzung b. «They had a discussion/disputation» M+> sachliches Streitgespräch Allgemein lässt sich das M-Prinzip daher nach Levinson so charakterisieren, dass formale Markiertheit konversationell semantische Markiertheit implikatiert. Unmar-

20 21

Hierbei lässt der Begriff der «Synonymie» selbstverständlich die entsprechenden zusätzlichen Bedeutungen der markierten Formen außer Acht. Die Notation +> gibt den implikatierten Gehalt an; der vorangestellte Buchstabe weist auf die Art der Implikaturen hin. Darüber hinaus findet sich bei Levinson auch die Notation ++> für den kommunizierten Gehalt, «i.e., the sum of what is ‹said› and the […] implicature in question» (Levinson 2000, 117).

311

kierte Formen lösen hingegen I-Inferenzen aus. Damit lassen sich allgemeine Voraussagen über Form-Bedeutungs-Beziehungen treffen (Levinson 2000, 369). Die angestellten Überlegungen sind auch auf den Bereich katachrestischer und nichtkatachrestischer Innovationen übertragbar. Letztere Innovationen treten, so die Definition der Kategorie, neben bereits in der Sprache vorhandene, alternative Bezeichnungen für das jeweilige Konzept. Den Innovationen kann dabei nach Levinson – aufgrund ihres innovativen Charakters bzw. der nicht vorhandenen Lexikalisierung – generell eine formale Markiertheit (im Vergleich zu den vorhandenen, unmarkierten Formen) zugesprochen werden. Wenn die Innovation vom Hörer als nichtkatachrestische wahrgenommen wird (dies erscheint allerdings als wichtige Voraussetzung), so können demnach entsprechende (M-)Inferenzen ausgelöst werden. Hier werden somit genau die pragmatischen Effekte erfasst, die sich bei der Verwendung von sog. Luxuslehnwörtern gegenüber einheimischen Wörtern ergeben können (cf. Carstensen 1965, 266; Matras 2009, 150): Ihre Verwendung kann etwa ein Abgrenzen vom bisherigen Sprachgebrauch und von bestimmten Gruppen bzw. gerade eine Anlehnung an bestimmte (andere) Gruppen signalisieren, oder generell einen Versuch, kommunikativ aufzufallen und die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu steigern etc. (cf. die in Kap. 12.1 im Rahmen von Galinskys Auflistung besprochenen Aspekte «intentional disguise», «brevity/terseness», «tone/playfulness/parody»). Entsprechende pragmatische Effekte lassen sich etwa für frz. people im Vergleich zu frz. célébrités oder für it. killer im Vergleich zu it. assassino/it. sicario beobachten. Bei katachrestischen Innovationen scheinen solche Effekte hingegen grundsätzlich nicht gegeben, da ja keine alternative, unmarkierte Bezeichnung vorhanden ist und die Innovation daher nicht in derselben Weise als relativ markiert eingestuft werden kann. So lösen etwa Innovationen wie it. computer (entlehnt aus engl. computer), dt. Software (aus engl. software) oder frz. dingo (aus engl. dingo), keine entsprechenden pragmatischen Interpretationsmechanismen aus. Im Vordergrund steht hier vor allem das Referieren auf das entsprechende Objekt. Allenfalls kann eine IInferenz zum Stereotyp angenommen werden. Diese ist allerdings tendenziell schwach ausgeprägt, da dem Konzept selbst im Kontext einer katachrestischen Innovationen häufig zunächst nur eine begrenzte Verbreitung in der entsprechenden (Ziel-)Sprach- und Kulturgemeinschaft zukommt (es handelt sich um ein neues, noch kaum etabliertes Konzept, für das daher – im Bereich der ZS – auch kein Prototyp/Stereotyp etabliert ist). 22 Als formal markierte Ausdrucksalternative ließe sich höchstens eine Paraphrasierung angeben, durch die ggf. M-Inferenzen ausgelöst werden können. Auch hier erscheinen pragmatische Effekte allerdings abgeschwächt bzw. nur für «ungewöhnliche» Paraphrasen gegeben, da eine «normale» Paraphrase – wiederum aufgrund der Neuheit des Konzepts – auch einfach als (rezipientenfreundliche) Erläuterung des neuen Sachverhalts oder Konzepts verstanden werden kann. 22

Der Faktor «Lokalkolorit», der in Galinskys Auflistung ebenfalls als stilistische Funktion von Anglizismen genannt wird, kann in diesem Sinn dahingehend ausgelegt werden, dass hier I-Inferenzen zu einem Konzept oder Referenten aus einem fremden Kulturkreis (cf. das Beispiel frz. dingo) erzeugt werden.

312

Diese Überlegungen lassen sich wie in Abb. 32 dargestellt zusammenfassen. Grundsätzlich lässt sich hieraus ableiten, dass nichtkatachrestische Innovationen immer auch im Vergleich zur Alternative der Weiterverwendung vorhandener Wörter (konventionskonformes Sprechen, Unterlassen einer Innovation) wahrgenommen werden und auch linguistisch entsprechend zu analysieren sind. Gleichzeitig ist der Einfluss entsprechender Faktoren (cf. insbesondere Kellers statische Maximen und Crofts Betonung der Rolle der Konvention) aber auf den Bereich der nichtkatachrestischen Innovationen beschränkt, während katachrestische Innovationen grundsätzlich anders zu analysieren sind. Katachrestische Innovationen

Nichtkatachrestische Innovationen

Es gibt in der Sprache keine alternative lexikalisierte Bezeichnung für das betreffende Konzept:

Es gibt in der Sprache bereits eine alternative lexikalisierte Bezeichnung für das betreffende Konzept:

Innovkat vs. Paraphrasierung

Bezalt vs. Innovn-kat

¾ Innovkat = unmarkiert (I++> Inferenz zum Stereotyp [sofern bereits etabliert]) ¾ Paraphrase = markiert (M++> Inferenz zu einem semantisch markierten Inhalt [bei ungewöhnlicher/auffälliger Paraphrasierung])

¾ Bezalt = unmarkiert I++> Inferenz zum Stereotyp

z.B. it. computer, dt. Software

z.B. frz. people (neben frz. célébrités)

Abb. 32:

¾ Innovn-kat = markiert M ++> Inferenz zu einem semantisch markierten Inhalt

Pragmatische Inferenzen bei katachrestischen und nichtkatachrestischen Innovationen

Eine Fragestellung, die in diesem Zusammenhang aufgegriffen werden kann, betrifft semantische Veränderungen bei der Entlehnung. Es wurde bereits festgestellt, dass taxonomische Spezialisierungen hier die bei weitem häufigste Relation darstellen. Eine Erklärung, warum gerade diese Relation bei rezipientenseitigen semantischen (Re-)Analysen in Entlehnungskontexten auftritt, lässt sich aus dem Isomorphismusprinzip ableiten, das generell auf eine 1:1-Entsprechung zwischen Form und Inhalt abzielt (cf. Haiman 1980b, 515). Allgemein besteht der Vorteil dieser Option (eine Form ist genau einem Inhalt zugeordnet und umgekehrt) in einer maximalen Unterscheidung von Bedeutungen, gleichzeitig ergibt sich jedoch der Nachteil eines Ausuferns von Formen. Daher treten häufig Abweichungen vom Isomorphieprinzip in der Form auf, dass eine Form mehr als einem Inhalt zugeordnet ist, d.h. Polysemien vorliegen. 23 Als potenzieller Nachteil ergibt sich eine Ambiguität der Formen 24,

23

Die Definition (eine Form ist mehreren Inhalten zugeordnet) erfasst darüber hinaus auch Homonymien, die hier aber von untergeordneter Bedeutung sind.

313

gleichzeitig besteht jedoch der wichtige Vorteil einer größeren Ökonomie der Sprache. Die umgekehrte Form der Abweichung vom Isomorphismusprinzip (einem Inhalt ist mehr als eine Form zugeordnet, d.h. es liegt Synonymie vor) ist hingegen nur selten belegt. Dies kann dadurch erklärt werden, dass kein Vorteil dieser Option festgestellt wird 25, gleichzeitig aber der wichtige Nachteil eines Ausuferns an Formen entsteht. Daraus kann die Tendenz abgeleitet werden, dass die Sprachbenutzer bei annähernd synonymen Formen ggf. zusätzliche Bedeutungsdifferenzierungen vornehmen bzw. die Formen entsprechend unterschiedlich interpretieren. Hierbei erscheint es naheliegend, dass bereits vorhandene (ZS-)Formen ihre traditionell und konventionell festgelegte Bedeutung beibehalten, während bei neuen Formen (Innovationen) zusätzliche Bedeutungsnuancen interpretiert werden. Dieses Szenario erscheint nicht nur für pragmatische Bedeutungsnuancen, sondern auch auf bestimmte Fälle von semantischen Veränderungen anwendbar. (284) it. grappa TRESTERBRAND ĺ frz. grappa ITALIENISCHER TRESTERBRAND (285) sp. sombrero HUT ĺ frz. sombrero BREITKREMPIGER HUT In beiden Beispielen lassen sich die Veränderungen dadurch erklären, dass ZSRezipienten die AS-Formen in einer bestimmten Weise (um-)interpretieren und dann entsprechend in der ZS weiterverwenden. Wichtig scheint dabei die Tatsache, dass in der ZS zum Entlehnungszeitpunkt bereits Bezeichnungen für die Konzepte TRESTERBRAND bzw. HUT existieren (frz. marc bzw. frz. chapeau), so dass diese Konzepte bereits mit vorhandenen sprachlichen Ausdrücken belegt sind. Die Interpretation der AS-Ausdrücke it. grappa und sp. sombrero als TRESTERBRAND bzw. HUT würde zu nichtkatachrestischen Innovationen in der ZS führen (*frz. grappa TRESTERBRAND, *frz. sombrero HUT). Indem die AS-Ausdrücke aber auf neue, bislang in der ZS nicht versprachlichte Konzepte (ITALIENISCHER TRESTERBRAND, BREITKREMPIGER HUT) bezogen werden, sind die entsprechenden Innovationen im Französischen als katachrestisch einzustufen. Insgesamt kann die hier festgestellte Tendenz somit als Tendenz einer katachrestischen Uminterpretation umschrieben werden. Die Uminterpretationen der Ausdrücke in einem spezifischeren Sinn erscheinen dabei kommunikativ unproblematisch, wenn es in der jeweiligen Kommunikationssituation um )italienischen Tresterbrand bzw. um einen )breitkrempigen Hut als kommunikative Referenten geht. Aus Sicht des Produzenten ist es völlig unauffällig, die Referenten mittels der übergeordneten Konzepte zu erfassen, insbesondere wenn 24

25

Allerdings ist anzumerken, dass sich aus einer entsprechenden Ambiguität auf der Ebene des Sprachsystems nicht unbedingt bei allen kommunikativen Verwendungen Probleme ergeben müssen, so dass hier weiterer Präzisierungsbedarf für die Rolle der Ambiguität auf der Ebene der Sprachbenutzer besteht. Ein möglicher Vorteil ließe sich jedoch in der dadurch erreichbaren Ausdrucksvariation sehen, die etwa für journalistische Kontexte eine wichtige Rolle spielt (cf. auch den in Kap. 12.1 erörterten Faktor «creating or increasing variation of expression», Galinsky 1967, 71).

314

in der Kommunikation ein Frame gegeben ist, in dem ITALIENISCHER TRESTERBRAND bzw. BREITKREMPIGE HÜTE als saliente bzw. prototypische und erwartbare Elemente gelten können. Gleichzeitig sind die Uminterpretation der Ausdrücke aus Sicht der Rezipienten insofern völlig naheliegend, als das italienische Wort grappa auf ein Konzept bezogen wird, das ein italienisches Getränk darstellt, bzw. als das spanische Wort sombrero auf ein Konzept bezogen wird, das einen im spanischsprachigen Raum verbreiteten Gegenstand bezeichnet. Für empirische Untersuchungen von Entlehnungsprozessen lässt sich aus den angestellten Überlegungen ableiten, dass zunächst zu untersuchen ist, ob zum Zeitpunkt der Entlehnung, d.h. zum Zeitpunkt der Innovation in der ZS, bereits eine andere ZS-Bezeichnung für das entsprechende Konzept vorhanden ist oder nicht. Dabei werden also der Innovationszeitpunkt und die dabei vorliegenden Verhältnisse rekonstruiert. 26 Andererseits erscheint es jedoch auch wichtig, spätere Sprachzustände einzubeziehen, die teilweise eine andere Interpretation der Lehnwörter nahelegen. So liegt etwa für die Entlehnung von frz. software (Erstbeleg 1965/1966; PR bzw. DHLF) zum Zeitpunkt der Entlehnung klar eine katachrestische Innovation vor; mit der Bezeichnung wird zugleich das neue Konzept eingeführt. Für den Innovationszeitpunkt scheinen daher keine M-Inferenzen aufgrund der Neuheit der Innovation zu entstehen. 27 Relativ bald nach der Entlehnung wird jedoch innerhalb des Französischen (mit puristischen Motiven) zusätzlich frz. logiciel als Alternativbezeichnung geschaffen (Erstbeleg 1972, DHLF s.v. software, bzw. ca. 1970, DHLF s.v. logique und PR s.v. logiciel). Diese Alternativbezeichnung ist in der Folgezeit sehr erfolgreich, und heute kann frz. logiciel als völlig etabliert gelten. So ist heute die Verwendung von software gegenüber logiciel als markiert einzustufen, und die Verwendung des Lehnworts kann heute ähnliche pragmatische Effekte wie nichtkatachrestische Innovationen hervorrufen. Wesentlich für entsprechende pragmatisch-stilistische Effekte bei Lehnwörtern ist allerdings nicht nur der (relative) Verbreitungs- und Lexikalisierungsgrad der entsprechenden Einheiten, der bei den bisherigen Überlegungen im Vordergrund stand (Gibt es eine alternative lexikalisierte Bezeichnung?). Zentral erscheint darüber hinaus auch die Frage, inwiefern die betreffenden Lehnwörter Strukturen aufweisen, die vom System der ZS abweichen (cf. frz. software). Bei diesem in Levinsons Verständnis von «formaler Markiertheit» nicht erwähnten Aspekt geht es also um die formal-strukturelle Fremdheit bzw. Nichtkonformität gegenüber dem ZS-System (cf. Kap. 5.2.2). Nachfolgend möchte ich dafür argumentieren, hier eine formale Markiertheit anzunehmen, die ebenfalls bestimmte pragmatische Effekte hervorrufen kann.

26 27

Eine zentrale Schwierigkeit liegt allerdings in ungenauen bzw. voneinander abweichenden Datierungen der Erstbelege. Allerdings können dennoch aufgrund der formalen Fremdheit der Form (etwa durch in der Schreibung) bestimmte pragmatische Effekte ausgelöst werden (cf. Kap. 12.5).

315

12.5

Zusätzliche formale Markiertheitseffekte

Der Aspekt der formal-strukturellen Markiertheit bzw. Nichtkonformität gegenüber dem System der ZS klingt bereits bei Öhmann an, wenn er die besondere Wirkung des Fremdworts auf eine «äußere» und eine «innere Kontrastwirkung» zurückführt. Die äußere Kontrastwirkung meint dabei «die Diskrepanz zwischen der Lautgestalt des Fremdwortes und seiner einheimischen Umgebung» (Öhmann 1961, 6); die innere hingegen zielt auf einen Stilunterschied 28 ab, wobei dieser semantische Effekt meiner Meinung nach auf der Ausdrucksseite wiederum entweder auf die Markiertheit nichtkatachrestischer Entlehnungen oder aber auf deren formal-strukturelle Auffälligkeit zurückgeführt werden kann. Bestimmte lautliche Merkmale von Lehnwörtern – und darüber hinaus weitere formale Merkmale, etwa in den Bereichen der Schreibung und Morphologie – können demnach als auffällige Fremdheitsmerkmale fungieren. Neben fremden Lauten oder Wortakzenten (etwa Endbetonung bei Entlehnungen aus dem Französischen im Deutschen, z.B. dt. Bidet, Soufflé) ist hier auch an bestimmte Merkmale der Schreibung zu denken, die nur in entlehnten Formen erscheinen und somit als auffällig gelten können (etwa und für die romanischen Sprachen oder im Deutschen). 29 Grundsätzlich können entsprechende Merkmale über das Kriterium der Nichtkonformität gegenüber dem ZS-System (cf. Kap. 5.2.2) erfasst werden. Darüber hinaus spielt in diesem Zusammenhang vielfach der Integrationsgrad der jeweiligen Formen eine wichtige Rolle. Dieser Aspekt erscheint insbesondere dann relevant, wenn unterschiedliche Varianten eines einzelnen Lehnworts innerhalb der ZS vorliegen, die sich in ihrem Integrationsgrad unterscheiden. Für viele Sprachgemeinschaften kann so etwas wie ein als «normal» (bzw. angemessen, akzeptabel etc.) angesehener Integrationsgrad angenommen werden. Besonders auffällig sind demgegenüber vor allem Formen, die einen ungewöhnlichen Integrationsgrad aufweisen, d.h. einerseits auffällig stark, andererseits auffällig schwach integrierte Formen. So stellt etwa die Autorin einer anthropologischen Studie über England bzw. die Engländer fest: «While mispronunciations are generally seen as lower-class indicators, and this includes mispronunciation of foreign words and names, attempts at overly foreign pronunciation of frequently used foreign expressions and place-names are a different matter. Trying to do a throaty French ‹r› in ‹en route›, for example, or saying Barthelona with a lispy Spanish ‹c›, or telling everyone that you are going to Firenze rather than Florence – even if you

28

29

«[…] das Fremdwort vertritt oft eine andere Stillage als die Umgebung, gelegentlich eine höhere oder richtiger eine feinere, aber in anderen Fällen eine nüchtern sachliche, poesielosere» (Öhmann 1961, 6). Insbesondere findet sich aktuell auch in spielerischen Verfremdungen wie etwa bei , (für , ), die in der Internetkommunikation häufig auftreten: Hier wird (in nativen Wörtern des Französischen!) das native Graphem durch nichtnatives ersetzt. Entsprechende Verwendungen sind vielfach dadurch motiviert, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen, als kreativ und witzig zu erscheinen etc.; insofern belegen sie letztlich ebenfalls die pragmatische Wirkung entsprechender formaler Fremdheitsmerkmale.

316

pronounce them correctly – is affected and pretentious, which almost invariably means lower-middle or middle-middle class. The upper-middle, upper and working classes usually do not feel the need to show off in this way. If you are a fluent speaker of the language in question, you might just, perhaps, be forgiven for lapsing into correct foreign pronunciation of these words – although it would be far more English and modest of you to avoid exhibiting your skill» (Fox 2004, 75, Hervorhebung im Original).

Die Aussage belegt, dass – vor allem bei häufig gebrauchten Lehnwörtern – verschiedene Integrationsgrade von den Sprechern wahrgenommen und als unterschiedlich sozial markiert eingestuft werden; es ergibt sich ein Spannungsfeld, das von «mispronunciations» über ein «normales» Maß der Integration bis hin zu «overly foreign pronunciations» reicht. Ohne die präzisen Klassenzuschreibungen (die eng auf die englische Gesellschaft bezogen sind) hier näher zu kommentieren, soll kurz die Grundstruktur der Argumentation herausgearbeitet werden, da diese auch auf andere Sprach- und Kulturgemeinschaften übertragbar scheint. Demnach wird ein mittleres Maß der Integration am ehesten als unmarkiert und akzeptabel («English», «modest») eingestuft. Eine zu schwache Integration bzw. das völlige Unterlassen von Lehnwortintegrationen («even if you pronounce them correctly») kann hingegen als übermäßig und dementsprechend negativ interpretiert werden («affected», «pretentious», «need to show off»). Andererseits kann aber auch eine zu starke Integration, die zu einer Abweichung von den etablierten ZSRealisierungen des Lehnworts führt («mispronunciation») negativ wahrgenommen werden. Lehnwortintegration stellt sich somit als eine Art Gratwanderung dar, bei der das richtige Mittelmaß zwischen zu starker und zu schwacher Integration gefunden werden muss. 30 Einen Hinweis auf pragmatische Effekte ungewöhnlich schwacher Integration liefern auch Dubois et al. (edd., 1994, s.v. emprunt): «L’absence d’intégration phonétique et morphologique […] est parfois considérée comme de l’affectation de la part du sujet parlant […]» (cf. Fritz 1973, 141–142). Pragmatisch-stilistische Effekte, die sich hingegen durch die Verwendung von ungewöhnlich stark integrierten Formen ergeben, lassen sich etwa bei Queneau nachweisen, der diese gezielt mit spielerischen Motiven einsetzt. Er verwendet – gerade für relativ weit verbreitete Lehnwörter – Schreibungen wie frz. bloudjinnzes, claqueson, linnecher (Queneau 1959, 48, 97 und 42), die von den etablierten Formen abweichen, indem sie das «normale» Maß der Integration überschreiten (frz. blue-jeans, klaxon, lyncher). Weiterhin kann die Wahl eines bestimmten Integrationsgrads auch im Hinblick auf die fachliche Kompetenz des Sprechers interpretiert werden. So stellt Schweickard (1998, 301) fest, dass schwach integrierte Formen, die formale Fremdheitsmerkmale aufweisen, den Sprecher fachlich kompetent und kosmopolitsch erschei30

Cf. Romaine (2004, 51): «Where the language has great prestige, words borrowed from it may be pronounced in a phonetic form as close as possible to the original. Such pronunciations may serve as a mark of status and education. However, even this is not uniformly so. Pronunciations such as /paƊis/ for Paris would be regarded as pompous. Conversely, aggressively nativized pronunciations far removed from French such as /mŚ:seilz/ Marseilles and /laiԥnz/ Lyons are characteristic of conservative RP (received pronunciation). Thus, the degree of integration of any given word may vary in different varieties of English».

317

nen lassen können. Stark integrierte Formen wie it. quizzo (aus engl. quiz) oder it. miting (aus engl. meeting) hingegen können umgekehrt als Zeichen mangelnder Bildung interpretiert werden (Schweickard 1998, 294). Ferner ist anzumerken, dass für entsprechende Interpretationen die Einstellung des Rezipienten gegenüber der AS (und der ZS) eine wichtige Rolle spielt. Je nachdem, wie aufgeschlossen er fremden Einflüssen generell gegenübersteht, wird er schwach bzw. stark integrierte Formen eher positiv oder eher negativ beurteilen. Insgesamt können Effekte des hier besprochenen Typs sowohl bei katachrestischen (cf. Bsp. (286) und (287)) als auch bei nichtkatachrestischen Innovationen (cf. Bsp. (288) und (289)) auftreten. D.h. es ist davon auszugehen, dass Lehnwörter, die formal fremde Strukturen oder aber einen ungewöhnlichen Integrationsgrad aufweisen, generell als markiert wahrgenommen werden können. 31 Die entsprechenden Einschätzungen der Sprecher können allerdings innerhalb der Sprachgemeinschaft variieren, d.h. unter Umständen nehmen einzelne Sprecher der ZS schwach integrierte, andere Sprecher hingegen gerade stark integrierte Formen (cf. Bsp. (288) bzw. (289)) als markiert wahr. (286) frz. software (zum Zeitpunkt der Entlehnung): katachrestisch, formal markiert (u.a. aufgrund ) (287) it. computer: katachrestisch, formal markiert (u.a. aufgrund ļ [ju], -r) (288) frz. people (neben frz. célébrités): nichtkatachrestisch, formal markiert () (289) frz. pipole (neben frz. célébrités): nichtkatachrestisch, formal markiert aufgrund starker Integration

12.6

Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurden zunächst verschiedene pragmatisch-stilistische Effekte besprochen, die sich bei der Verwendung von Lehnwörtern ergeben können. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die traditionelle Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort immer wieder eine zentrale Rolle spielt, insofern als viele der festgestellten Effekte nur sog. Bedürfnislehnwörter bzw. nur sog. Luxuslehnwörter 31

Es wäre näher zu untersuchen, ob auch für andere Typen von Innovationen eine zusätzliche Quelle der Markiertheit angenommen werden kann. Als potenziell relevant erscheint dabei die Motivierbarkeit der Innovationen: besonders anschauliche, drastische, witzige etc. Konzeptualisierungen wie etwa bei dt. ins Gras beißen für STERBEN können unter Umständen ähnliche pragmatisch-stilistische Effekte auslösen. Dieser Aspekt der Motivierbarkeit spielt jedoch bei direkten Entlehnungen eine stark untergeordnete Rolle, da direkte Entlehnungen im Allgemeinen als innerhalb der ZS nicht motiviert eingestuft werden können (wobei Ausnahmen bei verwandten Sprachen oder intensivem Sprachkontakt möglich sind).

318

betreffen. Daher wurde die Unterscheidung von Luxus- und Bedürfnislehnwort im Anschluss ausführlicher dargestellt und kritisch analysiert. Hierbei wurde deutlich, dass dieser Unterscheidung nicht nur im Hinblick auf die pragmatische Interpretation von Lehnwörtern, sondern auch im Hinblick auf allgemeine Fragestellungen des Sprachwandels eine große Bedeutung zukommt (cf. Überlegungen zur Verbreitung von Innovationen in Form einer S-Kurve, einzelne Aspekte der Theorien Kellers und Crofts sowie Forschungsansätze zum Bedeutungswandel- und Bezeichnungswandel). Gleichzeitig hat sich jedoch die puristische Fundierung der traditionellen Bestimmungen der Kategorien als problematisch erwiesen, und es wurde festgestellt, dass die betreffenden Entlehnungen keineswegs als Luxus gelten können bzw. durch ein (Bezeichnungs-)Bedürfnis zwingend erforderlich werden. Daher habe ich vorgeschlagen, die Unterscheidung auf anderem Wege zu fundieren. Ausgehend von der Bestimmung der Katachrese in der rhetorischen Tradition wurde die Unterscheidung über ein linguistisches Kriterium fundiert und auf die Betrachtung von Innovationen überhaupt ausgeweitet. So hat sich eine Gegenüberstellung von katachrestischen und nichtkatachrestischen Innovationen ergeben. Unter Bezugnahme auf Levinsons Theorie der generalisierten konversationellen Implikaturen (Levinson 2000) habe ich dann dafür argumentiert, dass in beiden Fällen jeweils unterschiedliche Typen von Inferenzen hervorgerufen werden (können). Wesentlich hierfür ist die Tatsache, dass nichtkatachrestische Innovationen – im Vergleich zu den bereits lexikalisierten sprachlichen Formen, die ihre Einstufung als nichtkatachrestisch bedingen – grundsätzlich als markiert gelten können. Schließlich habe ich analysiert, welche zusätzlichen Effekte sich bei Lehnwörtern durch das Vorliegen formal-struktureller Fremdheitsmerkmale ergeben können. Dabei hat sich gezeigt, dass sich dieser Aspekt mit der Markiertheit nichtkatachrestischer Innovationen überlagert. Damit lassen sich die vielfältigen pragmatischstilistischen Effekte, die bei der Verwendung von Lehnwörtern entstehen können, auf zwei Hauptquellen der Markiertheit zurückführen: einerseits auf die relative Neuheit nichtkatachrestischer Innovationen, andererseits auf formal-strukturelle Auffälligkeiten unvollständig integrierter Lehnwörter oder Abweichungen vom üblichen Integrationsgrad für AS-Formen in der ZS.

319

13

Methodologie der durchgeführten Untersuchungen

In den vorangegangenen Kapiteln wurde untersucht, wie sich Untersuchungen zu Entlehnungen an den Bereich von Sprachwandel überhaupt sowie an Fragestellungen der Semiotik und Kommunikationstheorie anbinden lassen. Als ein wichtiges Ergebnis der Überlegungen kann dabei das Prinzip des methodologischen Individualismus festgehalten werden, d.h. ich habe dafür argumentiert, Betrachtungen von Entlehnungs- und Integrationsprozessen ausgehend von einzelnen kommunikativen Verwendungen der Sprachbenutzer (Produzenten und Rezipienten) zu konzipieren. Welche Konsequenzen lassen sich hieraus in Bezug auf empirische Untersuchungen ableiten, und wie sind die im Rahmen der Arbeit durchgeführten Fallstudien im Einzelnen konzipiert?

13.1

Auswahl der Sprachen und des Untersuchungszeitraums

Viele aktuelle Untersuchungen zu Entlehnungen behandeln Sprachkontakte zwischen typologisch und genetisch weit entfernten Sprachen (so etwa viele optimalitätstheoretische Untersuchungen zur Lehnwortintegration auf lautlicher Ebene, cf. Peperkamp/Dupoux 2003; LaCharité/Paradis 2005; Miao 2005; Rose/Demuth 2006). Daneben besteht für die Romanistik (ebenso wie für die Germanistik) eine lange Tradition lexikologischer Arbeiten, die sich mit Entlehnungen aus dem Englischen befassen (cf. die Beiträge in Görlach, ed., 2002; Fink 1970; Pfitzner 1978; JabáoĔski 1990; Blank 1995; Jansen 2005; Onysko 2007; Furiassi 2008; 2010). Insgesamt liegt der Fokus meist auf relativ aktuellen Entlehnungsprozessen. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Beispiele (die in den folgenden Kapiteln ausführlich behandelten Entlehnungen sowie die Beispiele, die in den bisherigen Kapiteln besprochen wurden) stellen ebenfalls in der Mehrzahl relativ aktuelle Entlehnungen dar, d.h. Formen, die im 20. oder 21. Jh. entlehnt wurden. Als Sprachen, in die entlehnt wird (ZS), wurden in den bisherigen Kapiteln vor allem das Französische und Italienische berücksichtigt. Für die folgenden Fallstudien wurden drei Fälle von Entlehnungen in das Französische ausgewählt. Sie lassen sich unterschiedlichen Zeitabschnitten zuordnen (frühes 20. Jh. bis Mitte des 20. Jh. bei frz. grappa [Erstbeleg laut DHLF 1936, DHLF s.v. grappe] und frz. fuel oil/fuel [Erstbelege laut DHLF 1921 bzw. 1944, DHLF s.v. fuel]; Ende des 20. bzw. Beginn des 21. Jh. bei frz. people und den darauf aufbauenden Innovationen). Daraus ergibt sich unmittelbar, dass bei den Untersuchungen jeweils unterschiedliche Daten321

quellen im Vordergrund stehen – einerseits klassische Wörterbücher und Corpora (insbesondere bei frz. fuel oil, fuel, fioul), andererseits das Internet als Corpus und weitere Informationsquellen im Internet (insbesondere bei frz. people und den darauf aufbauenden Innovationen). Da für den genannten Untersuchungszeitraum insgesamt und die genannten ZS das Englische als wichtigste Quelle für Entlehnungen angesehen werden kann – sowohl was ihr zahlenmäßiges Kontingent als auch was ihre Präsenz im Bewusstsein der Sprecher und in linguistischen Untersuchungen angeht –, stellen viele der bisher analysierten Beispiele Entlehnungen aus der AS Englisch dar. Ebenso thematisieren zwei der drei folgenden Fallstudien Entlehnungen aus dem Englischen (frz. fuel oil/fuel und frz. people). Darüber hinaus habe ich aber auch das bislang weniger stark erforschte Gebiet der innerromanischen Entlehnungen (cf. hierzu etwa Hope 1971) einbezogen, um vergleichend die Integrationsmodalitäten bei Entlehnungen zwischen enger verwandten Sprachen zu analysieren (cf. die folgende Fallstudie zu frz. grappa). Wie lassen sich die für die vorliegende Arbeit relevanten Sprachkontaktsituationen zwischen dem Englischen und Französischen bzw. Italienischen sowie zwischen dem Italienischen und Französischen charakterisieren? Für eine allgemeine Charakterisierung können hier die in Kap. 9.5.2 erörterten Entlehnungsfaktoren herangezogen werden. Was die Intensität des Sprachkontakts angeht, so ist dieser für die romanischen Sprachen untereinander schwach ausgeprägt. Zwischen dem Englischen und Französischen bzw. Italienischen besteht hingegen ein etwas intensiverer Kontakt, wobei auch hier fast nur Inhaltswörter entlehnt werden, so dass noch immer eine relativ geringe Intensität des Sprachkontakts entsprechend Thomasons und Kaufmans Skala vorliegt. Im Hinblick auf den Grad der Zweisprachigkeit lässt sich für Frankreich und Italien feststellen, dass Kenntnisse des Englischen verbreitet sind. Dies ist einerseits auf den Schulunterricht zurückzuführen, wo Englisch heute in beiden Ländern als wichtigste Fremdsprache angesehen werden kann (Humbley 2002, 113; Pulcini 2002, 156). Andererseits ist an fachliche Kontexte zu denken, in denen notwendige Englischkenntnisse ggf. auch im Erwachsenenalter noch erlernt bzw. perfektioniert werden; für viele Entlehnungen sind vor allem entsprechende fachliche Kontexte wichtig. Ebenso können zu einem gewissen Grad Französischkenntnisse bei italienischen Sprechern vorausgesetzt werden (wiederum insbesondere aufgrund von Schulunterricht, cf. Pulcini 2002, 156). Hingegen können Italienischkenntnisse bei der Mehrzahl der französischen Sprecher nicht bzw. nur in geringem Ausmaß (etwa aufgrund von touristischen Kontakten) vorausgesetzt werden. Diese Aussage ist allerdings wiederum für fachsprachliche Kontexte zu nuancieren: Bei der Untersuchung der Entlehnung von it. grappa in Kap. 14 wird sich zeigen, dass entsprechende Kontexte eine wichtige Rolle spielen können; insofern deutet sich hier bereits an, dass entsprechende Einflussfaktoren für Entlehnungen innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen können. Für empirische Untersuchungen von Entlehnungen – insbesondere, wenn unterschiedliche Entlehnungskontexte und Diskurstraditionen berücksichtigt werden –, stellt sich somit die Aufgabe, die jeweilige Ausprägung von Faktoren wie etwa der Zweisprachigkeit im Einzelfall, d.h. für die jeweiligen Kommunikationspartner, zu analysieren. 322

Ähnliches gilt auch in Bezug auf das Prestige der beteiligten Sprachen und den Einfluss puristischer Strömungen in der Sprachgemeinschaft der ZS. Auch hier erscheint es vorrangig, diese Faktoren im Hinblick auf die für die konkreten Kommunikationssituationen relevanten Kontexte (z.B. fachsprachliche Kontexte) und Diskurstraditionen zu analysieren. So kann etwa für die Entlehnungen von it. grappa und engl. fuel ins Französische (Kap. 14 bzw. 15) in einigen Kommunikationssituationen von einem hohen Prestige der AS ausgegangen werden; ein entsprechend hohes Prestige des Italienischen bzw. Englischen muss damit aber nicht unbedingt auch für die ZS-Sprachgemeinschaft als ganze angenommen werden. Was den Einfluss puristischer Strömungen angeht, so lassen sich für Italien zwar einzelne puristische Debatten zu Entlehnungen feststellen (cf. insbesondere Castellanis Schlagwort des «morbus anglicus»; Castellani 1987), insgesamt sind puristische Strömungen aktuell aber schwach ausgeprägt. Vielmehr wird Italienisch (im Vergleich zu den «introvertierten» Sprachen Französisch oder Spanisch) als eine «demokratische» Sprache eingestuft (Pulcini 2002, 153), die sich durch eine große Offenheit gegenüber fremdsprachlichen Einflüssen auszeichnet. So werden etwa in gängigen Wörterbüchern des Italienischen auffällig viele (neue) Anglizismen erfasst (Furiassi 2008, 313). Allerdings ist dies teilweise auch dadurch zu erklären, dass die Herausgeber von Wörterbüchern dazu tendieren, möglichst viele neue Wörter (entlehnte Wörter, aber auch fachsprachliche Neologismen etc.) in die Neuauflagen mit hineinzunehmen, um eine große Steigerung in der Zahl der Lemmata gegenüber älteren Auflagen oder konkurrierenden Wörterbüchern herbeizuführen und so die Verkaufszahlen für die Neuauflagen zu erhöhen (Furiassi 2008, 323–324). 1 Für Frankreich lässt sich eine starke Präsenz von Sprachpflegeinstitutionen und eine lange Tradition von Versuchen der Ersetzung entlehnter Wörter durch ZSErsatzwörter konstatieren (cf. Humbley 2002, 110–112; 2008a, 86–89), so dass auf eine tendenziell ablehnende Haltung gegenüber Entlehnungen geschlossen werden kann. Insbesondere Entlehnungen aus dem Englischen können dabei (etwa in der Folge von Etiembles Parlez-vous franglais [Etiemble 1964], das weite Bekanntheit erlangt hat) als potenziell stigmatisiert gelten. Allerdings ist auch hier wieder zu beachten, dass sich beim einzelnen Sprachbenutzer durchaus Abweichungen von den festgestellten allgemeinen Tendenzen ergeben können.

13.2

Beschränkung auf einzelne Fallstudien

Ein in der Entlehnungsforschung häufig gewählter Weg besteht darin, von einem bestimmten Textcorpus auszugehen – etwa einer Zeitung oder Zeitschrift – und dann für einen festgelegten Zeitraum alle dort auftretenden Entlehnungen (in der Regel aus einer bestimmten AS) zu registieren und im Hinblick auf unterschiedliche Fragestellungen auszuwerten (cf. Wilss 1958; Carstensen 1965; Fink 1970; Pfitzner 1

Vergleiche auch die Bemerkungen von Cristiano Furiassi im Rahmen seines Vortrags «Anglicisms in Italian: the role of corpus-based frequency counts in lexicography» auf der Tagung Anglizismen in Europa/Anglicisms in Europe, Universität Regensburg, 26.– 28.9.2006.

323

1978; Plümer 2000; Onysko 2007). Allgemein gilt dabei die Tagespresse als wichtiger Bereich für Entlehnungen und ihre Verbreitung in der betrachteten ZS. So stellt etwa Carstensen fest, «[d]aß die Zeitung und die Zeitschrift ein Haupteinfallstor für engl. Fremdwortgut ins Dt. bildet» (Carstensen 1965, 270). Bei entsprechenden Untersuchungen geht es häufig darum, Regularitäten der stattfindenden Lehnwortintegrationen festzustellen. Weiterhin werden in der Regel auch Aussagen über die Gesamthäufigkeit von Entlehnungen im betrachteten Corpus getroffen. Voraussetzung hierfür ist, dass eine ausreichend große Zahl an Entlehnungen bzw. an Texten analysiert wird. Die folgenden Untersuchungen haben komplementär dazu eine etwas andere Ausrichtung: Entsprechend der theoretischen Fundierung der vorliegenden Arbeit im Sinne eines konsequenten Ausgehens vom Sprachbenutzer wird der Schwerpunkt darauf gelegt, einzelne Entlehnungsphänomene möglichst genau und umfassend nachzuzeichnen. Daraus ergibt sich im Vergleich zu anderen Untersuchungen zahlenmäßig eine relativ geringe Zahl von untersuchten Fällen, und die Feinmodellierung der entsprechenden Entwicklungen steht im Vordergrund. Hierzu werden gezielt unterschiedliche Quellentypen einbezogen (cf. Kap. 13.3.1). Sodann geht es vor allem auch darum, Vorkommen in unterschiedlichen Textsorten und Diskurstraditionen einzubeziehen, um zu klären, inwiefern sich auch innerhalb der Sprachgemeinschaft der ZS ein großes Ausmaß an Varianz bei der Verwendung der Entlehnungen ergeben kann. 2 Auch wenn selbstverständlich versucht wird, die wesentlichen Aspekte der einzelnen Entlehnungen in ihrer Gesamtheit herauszuarbeiten, ist dennoch grundsätzlich anzuerkennen, dass eine Exhaustivität der Corpusauswertungen (insbesondere bei dem sehr großen Corpus des Internet) hier nicht in derselben Weise gewährleistet werden kann wie bei einer vollständigen Durchsicht eines Zeitschriftenjahrgangs o.ä. Die folgenden Untersuchungen zielen aber durchaus darauf ab, über das punktuelle Sammeln von Belegen hinaus die Entwicklung einzelner Formen in verschiedenen Textsorten und Diskurstraditionen nachzuzeichnen. Ferner soll immer wieder der kreative Umgang der Sprachbenutzer mit den sprachlichen Einheiten herausgestellt werden, der sich einerseits im Phänomen der Entlehnung und Lehnwortintegration selbst zeigt – die ZS-Sprachbenutzer schaffen ausgehend vom Kontakt mit einer AS-Zeichensequenz ein neues ZS-Zeichen –, andererseits in der Prägung neuer Varianten entlehnter Wörter – wobei gerade eine Abweichung von der etablierten ZS-Ausdrucksweise (etwa der etablierten ZS-Aussprache oder -Schreibung des entlehnten Worts) intendiert sein kann. 2

Die Tatsache, dass viele der bisherigen Untersuchungen zu Entlehnung und Lehnwortintegration von einer jeweils relativ homogenen Materialbasis ausgehen (etwa nur von Texten der Textsorte Zeitungsartikel), wird bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse nicht immer ausreichend gewürdigt. Wenn die herangezogenen Datenquellen einen gewissen Normierungsgrad und Elaboriertheitsgrad aufweisen (wie etwa bei Zeitungstexten oder bei Wörterbuchinformationen zu Entlehnungen), ist davon auszugehen, dass die festgestellten Verfahren der Lehnwortintegration nicht unbedingt das gesamte Ausmaß an Varianz widerspiegeln, das innerhalb der ZS-Sprachgemeinschaft vorkommt (cf. hierzu auch die Fallstudien zu frz. grappa und frz. people, pipolisation in Kap. 14 und 16, bei denen wenig normierte Quellen im Internet ein großes Ausmaß an Varianz aufzeigen).

324

Die untersuchten Beispiele wurden daher dahingehend ausgewählt, dass es sich um relativ aktuelle Entlehnungen aus verschiedenen Sachbereichen handelt, die nicht ausschließlich fachsprachlicher Natur sind, sondern auch in der Alltagskommunikation vorkommen. Darüber hinaus veranschaulichen die Beispiele typische Phänomene, die im Kontext von Entlehnungsprozessen auftreten können: Veränderungen in der Bedeutung, Aussprache und Schreibung (wobei in der ZS sowohl aussprachebasierte Schreibungen als auch schreibungsbasierte Aussprachen realisiert werden können, cf. frz. [fjul] bzw. frz. frz. [fŮŤl]), Genuszuweisung und Flexion bei entlehnten Wörtern etc. Bei den untersuchten Beispielen handelt es sich um vergleichsweise komplexe Beispiele, die jeweils mehrere der genannten Typen von Veränderungen veranschaulichen. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit, Entlehnung und Lehnwortintegration als einen sehr komplexen Vorgang zu begreifen, bei dem Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache interagieren.

13.3

Herangezogene Quellen

13.3.1

Überblick über die verschiedenen Quellentypen

Wie bereits angedeutet, beziehen die empirischen Untersuchungen der vorliegenden Arbeit eine breite Auswahl an unterschiedlichen Quellentypen ein. Im Wesentlichen handelt es sich dabei einerseits um Wörterbücher, andererseits um Corpora. Im Bereich der Wörterbücher sind zunächst klassische einsprachige Wörterbücher wie PR, LAR, TLF, DAF (Französisch), ZI, DO, DM, SC (Italienisch) und das OED (Englisch) zu nennen, darüber hinaus auch historische Wörterbücher wie DHLF und DELI (Französisch bzw. Italienisch, darüber hinaus u.a. EWDS, DCECH für Deutsch und Spanisch). Weiterhin wurden verschiedene Wörterbücher speziell zu Entlehnungen und verwandten Phänomenen ausgewertet (DMOE, DAngl, Dda, FauxAmis, DILE). Bei den Corpora handelt es sich zunächst um klassische Corpora oder Textrechercheprogramme wie Frantext, Gallica und BNC. Allerdings sind sehr junge Entlehnungen wie frz. people (mit seinen Varianten und Derivaten) in entsprechenden Corpora bislang nicht oder kaum belegt. Darüber hinaus wurden auch Corpora gesprochener Sprache durchgesehen; hierbei hat sich allerdings gezeigt, dass die meisten der untersuchten Beispiele – auch die älteren – dort nicht belegt sind (so finden sich etwa bei C-ORAL-ROM keine Belege für frz. grappa, fuel, fioul, people, pipole, chat [in der Bedeutung ‘elektronische Kommunikation in Echtzeit’] sowie für it. chat, chattare; Ähnliches gilt für ELICOP). Eine sehr wichtige Rolle spielt daher das Internet: Hier finden sich zusätzliche Informationsquellen wie Wikipedia und Wiktionary (mit den jeweiligen länder- bzw. sprachenspezifischen Versionen), IATE, Antidico, DI und WordReference. 3 Ein 3

Wikipedia und Wiktionary stellen eine im Internet verfügbare Enzyklopädie und ein im Internet verfügbares Wörterbuch dar, zu denen prinzipiell jeder Nutzer des Internet neue Informationen beisteuern oder vorhandene Informationen korrigieren kann. Cf. hierzu die Informationen unter den folgenden Internetadressen:

325

wichtiger Vorteil ist, dass hier auch sehr junge Formen verzeichnet sind. Hervorzuheben ist ferner der teilweise interaktive Charakter entsprechender Quellen: In einigen Fällen wird zwischen verschiedenen Internetnutzern über die angemessene Realisierung entsprechender Formen diskutiert (cf. Diskussionsforen mit dezidiert metasprachlicher Ausrichtung wie etwa die «Language Forums» bei WordReference). Gleichzeitig kann das Internet selbst als Corpus herangezogen werden. Dies stellt eine gute Ergänzung zu den klassischen Corpora dar, insofern als sehr unterschiedliche – und teilweise auch völlig neue – Diskurstraditionen enthalten sind, die teilweise einen sehr schwachen Normierungsgrad aufweisen. Damit besteht hier ein Gegengewicht zum häufig literarisch gefärbten Sprachgebrauch und zur generell normativ beeinflussten Sprache der Texte in klassischen Corpora (es handelt sich dort praktisch durchweg um produzentenseitig stark elaborierte Texte, die darüber hinaus einen Editionsprozess durchlaufen haben, bei dem auch die Sprache einer Überprüfung und ggf. Korrekturen unterzogen wurde). Darüber hinaus lassen sich im Internet auch gesprochene Belege für die Entlehnungen finden (z.B. in Videoaufzeichnungen von TV- oder Radiobeiträgen, Podcasts etc.), d.h. hier bieten sich auch Einblicke in authentische phonische Realisierungen der entlehnten Formen.

13.3.2

Zur Einbeziehung von Wörterbüchern und Corpora

Was die Einbeziehung von Wörterbüchern angeht, so bietet sich hier der wichtige Vorteil, dass in sehr kompakter Form Informationen zur Bedeutung, Aussprache, Schreibung und zu den morphologischen Eigenschaften der entlehnten Wörter in der ZS zur Verfügung gestellt werden. Gerade bei klassischen Wörterbüchern kann darüber hinaus grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die angegebenen Informationen verbreiteten Realisierungen in der Sprachgemeinschaft der ZS entsprechen. Allerdings wird teilweise bemängelt, dass die in den Wörterbüchern zur Verfügung gestellten Informationen unvollständig oder oberflächlich sind. So fehlen vielfach Angaben zur ZS-Aussprache entlehnter Wörter (z.B. DM gibt lediglich die AS-Aussprache der einzelnen Formen an) oder über bestimmte morphologische , , , (Zugriff jeweils am 23.04.2009). Beide existieren in verschiedenen sprachenspezifischen Versionen (Wikipédia und Wiktionnaire für Französisch bzw. Wikipedia und Wikizionario für Italienisch). IATE stellt eine mehrsprachige Terminologiedatenbank der EU dar. Bei L’Antidico – Le dictionnaire des mots absents des autres dictionnaires handelt es sich um ein Wörterbuch für Formen, die in der aktuellen Tagespresse verwendet werden (im Wesentlichen Le Monde für Frankreich und Le Soir für Belgien), jedoch in gängigen Wörterbüchern in Buchform bislang nicht registriert sind (cf. , Zugriff 22.12.2008). DI ist ein im Internet verfügbares Italienisch-Wörterbuch. WordReference schließlich stellt eine Internetplattform dar, auf der verschiedene Wörterbücher und weitere sprachenbezogene Informationen sowie ein Diskussionsforum zu sprachlichen Fragen zugänglich sind.

326

Eigenschaften (Pluralisierung, grammatisches Genus etc., cf. Pratt 1980, 20–22; er ergänzt daher seine Auswertung von Wörterbüchern durch eine Untersuchung der Verwendung von Anglizismen in den Massenmedien). Weiterhin ist grundsätzlich zu beachten, dass es sich bei den Angaben in Wörterbüchern um von den Autoren der Wörterbücher gefilterte Daten handelt. So werden in normativen Wörterbüchern vom jeweiligen Autor als richtig oder empfehlenswert empfundene Realisierungen registriert, die nicht unbedingt den tatsächlichen Sprachgebrauch widerspiegeln müssen. Und auch bei deskriptiven Wörterbüchern ist festzustellen, dass in der Regel nur relativ weit verbreitete Formen erfasst werden – z.B. in der Regel nur ein bis zwei Schreib-, Aussprache- und Flexionsvarianten entlehnter Wörter –, d.h. unter Umständen wird auch hier der tatsächliche Sprachgebrauch nicht oder zumindest nicht vollständig widergespiegelt. 4 Daher werden in der vorliegenden Arbeit zusätzlich Corpusuntersuchungen durchgeführt, bei denen authentische, reale Daten des Sprachgebrauchs analysiert werden. 5 In der Tat wird sich zeigen, dass hier weiteres Material erschlossen werden kann (d.h. weitere Varianten der entlehnten Wörter festgestellt werden können). Damit erweisen sich einige aktuelle Entlehnungsprozesse als wesentlich komplexer, als sich aufgrund der Wörterbuchinformationen erwarten ließe. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass bei der Darstellung von Entlehnungen in Wörterbüchern in der Regel andere Prinzipien und Zielsetzungen im Vordergrund stehen als bei der Modellierung und Erklärung der Entlehnungsprozesse selbst. So können Fremdwörterbücher eine primär synchronisch-kontrastive Ausrichtung haben und demnach z.B. nur die üblichsten Bedeutungen der AS- und ZS-Formen gegenüberstellen (etwa engl. chat PLAUDEREI gegenüber frz. chat ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION IN ECHTZEIT; cf. PR s.v. chat2; Ausgangspunkt der Entlehnung ist aber engl. chat ELEKTRONISCHE KOMMUNIKATION IN ECHTZEIT). In vielen Fällen liegt der Schwerpunkt der Darstellung auch auf der weiter zurückliegenden Etymologie der Formen und nicht auf den einzelnen Schritten der Entlehnung und Verbreitung, d.h. mehrere Etappen der Entwicklungen werden unter Umständen zusammenge4

5

Callies/Ogiermann/SzczeĞniak (2010, 70–74) stellen z.B. fest, dass Genusschwankung bei Anglizismen im Deutschen in den meisten Arbeiten als eher unbedeutend eingeschätzt wird; dies sei zumindest teilweise auf die Verwendung von Wörterbüchern als Datengrundlage zurückzuführen. Bei einer von ihnen selbst durchgeführten Corpusstudie und Sprecherbefragung stellen sie demnach ein höheres Ausmaß an Genusschwankungen fest. Zur grundsätzlichen Problematik von Wörterbuchdaten cf. auch Beinke (1990, 73): «Einschränkend muß […] betont werden, daß die Aufnahme eines Lemmas in ein Wörterbuch noch nichts über die Zugehörigkeit des Lexems zum sog. lexique commun aussagt». Allerdings lässt sich auch aufgrund einzelner Corpusbelege noch nicht auf eine weite Verbreitung einer Form in der Sprachgemeinschaft schließen; hierzu sind quantitative Corpusauswertungen erforderlich. Nach Janda (2006, 24) lassen sich entsprechende reale Daten (real data) durch die folgenden Merkmale charakterisieren: «spontaneously produced by native speakers under natural conditions». Insbesondere durch das zuletzt genannte Merkmal unterscheiden sie sich grundlegend von anderen Datentypen wie concocted oder elicited data, wie sie etwa bei gezielten Sprecherbefragungen vorliegen (so etwa bei OT-Untersuchungen zur lautlichen Lehnwortintegration, bei denen Probanden Listen realer oder hypothetischer Lehnwörter vorgelegt werden, die vorgelesen werden sollen, cf. Kap. 2.1.1).

327

fasst. Bei kleinschrittigen diachronischen Betrachtungen zeigt sich in entsprechenden Fällen jedoch häufig, dass die konkret entlehnte Bedeutung in AS und ZS identisch ist, so dass gar kein echter Bedeutungswandel bei der Entlehnung selbst vorliegt. So wurde etwa in Kap. 3.4 aufgezeigt, dass engl. slip zunächst als Bezeichnung für EINE ART BADEHOSE ins Französische entlehnt wurde. Das DMOE übergeht diesen Schritt jedoch völlig und beschränkt sich darauf, einerseits die heute üblichsten Bedeutungen von engl. slip und frz. slip zu nennen und andererseits die Etymologie des englischen Ausdrucks anzugeben: slip n.m. « petite culotte » de l’ANGLAIS slip, « petit morceau d’étoffe », de (to) slip, « glisser ». En ANGLAIS, slip désigne une « combinaison de femme » ; XXe s. (DMOE s.v. slip)

Bei der Gegenüberstellung der Datenquellen Wörterbücher vs. Corpora erscheint darüber hinaus die Differenzierung unterschiedlicher Betrachtungsebenen von sprachlichen Phänomenen relevant. Wörterbücher registrieren grundsätzlich die sprachlichen Fakten auf der Ebene der langue bzw. des Sprachsystems. 6 Sie erlauben somit, Analysematerial zusammenzustellen und auf einer rein beschreibenden Ebene zu erfassen (etwa die Aussprache eines entlehnten Worts in der ZS im Vergleich zur AS-Aussprache). Dabei wird von den einzelnen kommunikativen Verwendungen auf der parole-Ebene abstrahiert. Genau hier findet aber der eigentliche Entlehnungsprozess als solcher statt, und, so eine zentrale These der vorliegenden Arbeit, nur mit Bezug auf diese Ebene können Phänomene der Entlehnung und Lehnwortintegration adäquat erklärt werden. Die Hinzuziehung von Corpora erlaubt somit einen Blick auf authentische Kommunikationssituationen, bei denen verschiedene Faktoren, die für die Entlehnung und Lehnwortintegration eine potenzielle Rolle spielen, miteinander interagieren. 7 Für eine solche Kombination von Fachwörterbuchdaten einerseits und primärem Corpusmaterial andererseits plädiert auch Humbley und hebt hervor, dass beide Datentypen sich wechselseitig ergänzen können: «Ici nous avons retenu les deux démarches, le caractère concret des dépouillements directs compensant et corrigeant le parti pris des lexicographes, tandis que le caractère exhaustif du dictionnaire complète l’aspect aléatoire de l’enquête sur le terrain» (Humbley 1987, 321).

13.3.3

Zu linguistischen Auswertungen des Internet als Corpus

Ein zentraler Vorteil des Internet als Corpus stellt zunächst seine Größe und einfache Zugänglichkeit dar. Es wird ständig aktualisiert und erweitert und deckt viele unterschiedliche Sachgebiete ab (Kehoe/Renouf 2002). Hierdurch bietet sich die 6 7

Wenn in den Wörterbüchern auch Belegstellen für die einzelnen Formen zitiert werden, liegt eine Kombination mit einem anderen Datentypus (Corpusdaten) vor. Etwa bei Abfragen von Stimuli (cf. Fußnote 5) ist dagegen davon auszugehen, dass bestimmte Faktoren kaum erfasst werden (etwa das grundlegende Kriterium der Nachvollziehbarkeit einer Innovation für den Rezipienten), da ja keine echten Kommunikationssituationen und keine Produzenten und Rezipienten im eigentlichen Sinn vorliegen.

328

Möglichkeit, sehr aktuelle Sprachwandelvorgänge wie etwa bei frz. people zu beobachten, die in «klassischen» Corpora noch nicht dokumentiert sind (cf. Kehoe 2006, 297). Weiterhin finden sich im Internet – im Gegensatz zu traditionellen Corpora wie Gallica oder Frantext, in denen literarische Texte (d.h. sehr elaborierte Texte) einen großen Raum einnehmen – sehr unterschiedliche Textsorten und Diskurstraditionen: Zeitungsartikel, literarische, wissenschaftliche und politische Texte, aber auch Kommentare zu bestimmten Themen von Internetnutzern verschiedensten Alters und verschiedenster sozialer Herkunft etc. (cf. Wooldridge 2003). Darüber hinaus sind einige neue Diskurstraditionen zu nennen, die unmittelbar an das Internet als Medium gebunden sind und die in klassischen Corpora nicht auftreten, cf. z.B. chat room talk, Beiträge in Diskussionsforen, etc. (Renouf/Kehoe/Banerjee 2007; Dorleijn/Nortier 2009). Insgesamt liegt damit eine breite Auswahl an Dokumenten vor, die von wenig bis hin zu stark normierten Texten reicht, unterschiedliche Diskurstraditionen und Themenbereiche abdeckt und auch gesprochene Belege enthält (Videoaufzeichnungen, Podcasts etc.). Gleichzeitig sind im Internet Äußerungen sehr unterschiedlich charakterisierter Sprecher belegt (Sprachbenutzer aus unterschiedlichen geographischen Herkunftsorten, sozialen Schichten, Altersgruppen etc. sowie mit unterschiedlich stark ausgeprägten Fremdsprachenkenntnissen etc.). Gerade aufgrund der Tatsache, dass sich viele Äußerungen mit einem geringen Elaboriertheits- und Normierungsgrad finden, sind vergleichsweise viele Abweichungen von etablierten Realisierungen belegt. Dabei kann sich eine scharfe Abgrenzung zwischen «fehlerhaften» Realisierungen und bewusst eingesetzten innovativen Verwendungen als schwierig erweisen (auch «Fehler» können als Innovationen eingestuft werden und sich langfristig etablieren, d.h. zu Sprachwandel führen). Hier bietet sich also teilweise ein direkter Einblick in die «Werkstatt» der Sprachbenutzer. Interessant im Hinblick auf linguistische Betrachtungen erscheint auch die Tatsache, dass teilweise sehr präzise Informationen über die Kommunikationspartner verfügbar sind. So finden sich etwa in Charakterisierungen der Teilnehmer in Diskussionsforen teilweise Angaben zum Alter und Geschlecht der Teilnehmer, zum Herkunfts- oder Wohnort, zu den Sprachenkenntnissen, teilweise auch zum Beruf etc. 8 Weiterhin ist festzustellen, dass das Internet auch einen wichtigen Ort für Sprachreflexion und Sprachdiskussionen darstellt. So finden sich viele punktuelle Sprecherurteile zu einzelnen sprachlichen Formen, in denen etwa eine Unsicherheit bezüglich der «richtigen» Realisierung eines entlehnten Worts (Aussprache, Schreibung, Flexion etc.) oder aber wertende Urteile geäußert werden. Ebenso gibt es eini-

8

Zwar ist anzuerkennen, dass diese Informationen in der Regel Selbstcharakterisierungen darstellen, die nicht wahrheitsgemäß sein müssen, doch letztlich stellt sich die Frage der Zuverlässigkeit entsprechender Selbstcharakterisierungen etwa auch bei Online-Befragungen von Informanten, sofern entsprechende Informationen über die Informanten mit erhoben werden.

329

ge Diskussionsforen mit explizit metasprachlichem Charakter (z.B. WordReference), die ebenfalls für die vorliegende Untersuchung interessantes Material bereitstellen. Ein wichtiger Aspekt bei der Verwendung des Internet als Corpus ist allerdings die Suchgenauigkeit konkreter Abfragen. Grundsätzlich lässt sich die Suchgenauigkeit über die Zahl der false positives und false negatives bestimmen (zu den Begriffen cf. Lüdeling/Evert/Baroni 2005; Meurers 2005, 1622). Im letzteren Fall geht es dabei darum, dass idealerweise alle richtigen Treffer auch gefunden werden sollten, d.h. es geht um den sog. recall der Suche. Für die vorliegenden Untersuchungen spielen allerdings absolute Trefferzahlen ohnehin eine eher untergeordnete Rolle (bei den quantitativen Auswertungen geht es vor allem um die jeweiligen Anteile konkurrierender Formen), so dass eventuelle false negatives hier toleriert werden können. Im Fall der false positives geht es hingegen um die Präzision der Suche, d.h. im Idealfall sollten keine Fehltreffer erfasst werden. Bei den durchgeführten Internetrecherchen ergibt sich aber durchaus ein gewisser Anteil an Fehltreffern. Dies liegt z.B. daran, dass die gesuchte Wortform (frz.) "people" auch im Englischen existiert, d.h. Treffer für engl. people (Belege der Form in englischsprachigen Texten) sind hier als false positives einzustufen. Zwar lässt sich bei den verwendeten gängigen Suchmaschinen 9 die Recherche auf französischsprachige Seiten eingrenzen (dieses Verfahren wird bei den nachfolgenden Analysen standardmäßig gewählt), dennoch können damit aber englischsprachige Dokumente nicht vollständig ausgeschlossen werden, da die Filterung nicht perfekt funktioniert. Auch eine Beschränkung auf bestimmte Domains (.fr bzw. .it) kann teilweise zu einer Verbesserung der Suchgenauigkeit führen, auch damit können Fehltreffer jedoch nicht vollständig vermieden werden. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Inhalte bestimmter Internetseiten gespiegelt werden. Dies bedeutet, dass die betreffenden Daten (etwa Zeitungsartikel) exakt kopiert und auf weiteren Servern abgelegt werden. Dies wird etwa bei der Abfrage von "peopeul" 10 bei yahoo (18.12.2008) sichtbar: Als Trefferzahl wird 2240 angegeben, in der Anzeige erscheinen jedoch nur 5 Treffer und der Hinweis: «Afin de ne vous montrer que les résultats les plus pertinents, nous avons occulté certains résultats très semblables à ceux déjà affichés». D.h. letztlich liegen nur fünf unterschiedliche Verwendungen der gesuchten Form vor; bei den weiteren Treffern handelt es sich um Spiegelungen dieser «Ur-Texte». Indem die Daten so mehrfach im Internet zur Verfügung stehen, werden viele zeitgleiche Zugriffe auf die betreffenden Inhalte ermöglicht. Bei als für die potenziellen Leser sehr interessant eingestuften Inhalten ist generell davon auszugehen, dass die Seiten in sehr großer Zahl gespiegelt sind (cf. Wooldridge 2006a; Lüdeling/Evert/Baroni 2005). Dementsprechend sind auch die Untersuchungsergebnisse 9

10

Die Abfragen basieren auf den Suchmaschinen google, yahoo, ask und lycos, die als gängige Suchmaschinen angesehen werden können. Nicht berücksichtigt wurden andere Suchmaschinen wie guruji, rediff und AltaVista, bei denen keine Einschränkung der Suche auf französischsprachige Trefferseiten möglich ist (Stand Mai 2009). Weitere Suchmaschinen wie live search und excite wurden aufgrund hoher Anteile an false positives nicht einbezogen. Suchausdrücke bei Internetabfragen sind nachfolgend in gerade Anführungsstriche gesetzt.

330

mit einer gewissen Vorsicht zu interpretieren, wenn bei Internetsuchmaschinen die Zahl der Belegstellen für einzelne Formen abgefragt wird: Ausgenommen bei so extremem Fällen wie der Abfrage zu "peopeul", bei der schnell sichtbar wird, dass es sich in der Realität um nur sehr wenige unterschiedliche Treffer handelt, kann nicht präzise angegeben werden, wie viele unterschiedliche Texte wirklich vorliegen bzw. wie groß der Anteil an gespiegelten Seiten ist. Dennoch erscheinen die bei den Internetsuchmaschinen angegebenen Trefferzahlen aus mehreren Gründen aussagekräftig. Erstens kann das Phänomen der Spiegelung grundsätzlich bei allen gesuchten Varianten einer Form auftreten; damit kann das relative Verhältnis der Belegzahlen für die einzelnen Varianten trotzdem untersucht werden. Zweitens lässt sich aus der Spiegelung bestimmter Seiten ableiten, dass diese als für viele Leser interessant eingestuft werden; insofern drückt die so entstehende Erhöhung der Belegzahlen auch aus, dass die Inhalte potenziell von vielen Benutzern abgerufen werden, d.h. eine hohe Zahl gespiegelter Seiten korreliert mit einer potenziell großen Verbreitung der betreffenden Inhalte und damit auch der sprachlichen Formen. Grundsätzlich ist allerdings dennoch darauf hinzuweisen, dass die gängigen Internetsuchmaschinen vor allem dem Zweck dienen, bestimmte Informationen verfügbar zu machen (cf. Kehoe/Renouf 2002). Daher werden tendenziell bevorzugt neue Seiten (cf. Kehoe 2006) sowie besonders beliebte Seiten (cf. Lüdeling/Evert/ Baroni 2005) aufgelistet, d.h. die Suchmaschinen sind prinzipiell im Hinblick auf kommerzielle Zwecke (und nicht für die Bereitstellung linguistischer oder wissenschaftlicher Daten) konzipiert. Ferner lassen sich etwa für google einige offensichtliche Schwächen im Hinblick auf die Erstellung von Statistiken aufzeigen. 11 Zwar werden die Suchalgorithmen von google und anderen Suchmaschinen immer wieder überarbeitet und verbessert, doch sind Statistiken über Trefferzahlen auf der Grundlage entsprechender Suchmaschinen immer nur zu einem gewissen Grad wissenschaftlich verlässlich. Hier kann die Kombination verschiedener Suchmaschinen ein gewisses Korrektiv liefern; in der Regel werden daher im Folgenden google, yahoo, ask und lycos vergleichend ausgewertet. Ein weiteres grundlegendes Merkmal der Daten im Internet ist ihre Aktualität. Diese wurde bereits als ein wichtiger Vorteil des Internet als Corpus herausgestellt. Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass fast keine Internetseiten auf den Zeitraum vor 1994/1995 zu datieren sind, da erst zu diesem Zeitpunkt das Internet beliebt wurde und allgemeine Verbreitung erlangt hat (cf. Kehoe 2006). 12 Gleichzeitig ist zu beachten, dass eine Exhaustivität der Recherchen im Internet prinzipiell nicht in demselben Maße gewährleistet werden kann wie bei traditionellen Quellen. Dies liegt in einigen Fällen bereits an den extrem hohen Trefferzahlen (so ergibt etwa eine Suche nach "people" am 10.06.2009 bei yahoo unter Einschränkung auf französischsprachige Seiten 141.000.000 Treffer). 11 12

Cf. die Beiträge zum Thema «problems with Google counts» bei (Zugriff 29.12.2008). Nichtsdestoweniger stehen aber natürlich in immer stärkerem Ausmaß auch archivierte Versionen älterer Texte (insbesondere literarischer Texte) im Internet zur Verfügung.

331

Darüber hinaus impliziert die große Aktualität der Daten aber auch eine für linguistische Recherchen potenziell problematische Instabilität. Aus der Tatsache, dass gängige Suchmaschinen immer wieder neu konfiguriert werden, ergibt sich, dass zu unterschiedlichen Abfragezeitpunkten unter Umständen unterschiedliche Treffer und Trefferzahlen ermittelt werden. Ferner sind auch die im Internet verfügbaren Dokumente und Seiten selbst einem ständigen Wandel unterworfen (cf. Wooldridge 2002a; Lüdeling/Evert/Baroni 2005). Die sich somit ergebende Instabilität kann anhand eines Vergleichs der Ergebnisse zweier Abfragen aufgezeigt werden, die an aufeinanderfolgenden Tagen auf der Grundlage gängiger Suchmaschinen durchgeführt wurden (cf. Tab. 1): Hier ergeben sich – bereits nach einem verhältnismäßig kurzen Zeitintervall von ca. 24 Stunden – fast durchweg Abweichungen in den angegebenen Trefferzahlen («=» drückt hingegen aus, dass keine Veränderung in den Trefferzahlen vorliegt). Um die sich hieraus ergebende Problematik zu minimieren, wurden die Abfragen für einzelne Wörter und ihre Varianten jeweils innerhalb eines Tages durchgeführt, so dass die jeweiligen Trefferzahlen zumindest sinnvoll miteinander verglichen werden können. google pipolisation peopolisation peoplisation peoplelisation peopleisation pipeulisation

Tab. 1:

yahoo

ask

lycos

18.12.08

19.12.08

18.12. 08

19.12.08

18.12.08

19.12.08

18.12.08

19.12.08

14.400 13.300 5.050 1.450 728 425

14.300 13.000 5.000 = 704 418

120.000 90.900 31.200 4.760 1.810 465

= 91.000 31.100 4.800 1.770 448

3.740 3.030 1.370 447 245 79

3.730 3.020 1.360 444 238 84

3.470 2.830 1.140 415 212 67

3.500 = = 419 208 68

Beleghäufigkeiten für Varianten von frz. pipolisation an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (18.12.2008/19.12.2008) auf der Grundlage gängiger Internetsuchmaschinen

Im Zusammenhang mit der zeitlichen Dimension stellt sich schließlich die Frage nach der Datierbarkeit der im Internet verfügbaren Dokumente und Belege. Hierzu ist allgemein festzustellen, dass die Möglichkeiten zu automatisierten Recherchen oder Filterungen von Suchergebnissen relativ beschränkt sind. Dies liegt zum einen daran, dass in den Internetdokumenten selbst häufig Informationen zur Datierung fehlen (zumindest in hinreichend standardisierter Form, so dass diese von Suchmaschinen erkannt und interpretiert werden können). Daher können gängige Suchmaschinen entsprechende Informationen bei Abfragen entweder gar nicht oder nur in eingeschränktem Maß berücksichtigen und ausgeben (cf. Kehoe 2006). Google etwa ermöglicht lediglich eine Einschränkung der Suche auf Webseiten, die in den letzten 24 Stunden, 7 Tagen, 31 Tagen oder 365 Tagen erfasst wurden; die genaue Datierung der einzelnen Ergebnisseiten wird jedoch bei der Ausgabe der Treffer nicht sichtbar. Die Funktion einer chronologischen Ausgabe der Treffer fehlt bei allen gängigen Suchmaschinen (Stand 25.05.2011). Allerdings sind zwei wichtige Ausnahmen zu nennen: Zum einen ist bei der Suchmaschine AltaVista im Rahmen einer «recherche avancée» eine Beschränkung

332

der Treffer auf bestimmte, beliebig gewählte Zeittranchen (zwischen dem 01.01.1980 und dem aktuellen Abfragedatum) möglich 13; diese Option erscheint insbesondere interessant, wenn es darum geht, frühe Belege für einzelne Formen wie frz. pipolisation etc. zu ermitteln. Zu beachten ist aber, dass entsprechende Recherchen nur Seiten erfassen können, bei denen vom Server automatisch entsprechende Dateninformationen zur letzten Modifikation an den Client übermittelt werden; dies ist bei weitem nicht bei allen Internetseiten gegeben. Ferner zeigen manuelle Auswertungen einzelner Seiten, dass die eigentlichen Dokumenteninhalte (etwa einzelne Beiträge in Diskussionsforen) auch früher datiert sein können als die entsprechenden Last modified-Angaben. Im Übrigen ist zu beachten, dass bei AltaVista nur eine Filterung möglich ist, die sowohl englisch- als auch französischsprachige Seiten erfasst. Um die Zahl englischsprachiger Treffer zu reduzieren, ist zwar eine zusätzliche Beschränkung auf in Frankreich lokalisierte Treffer möglich, auch mit diesem Verfahren können jedoch englischsprachige Treffer nicht vollständig ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist vor allem das WebCorp-Projekt zu nennen, welches mit der Zielsetzung entworfen wurde, die Ergebnisse gängiger Suchmaschinen wie google, AltaVista, yahoo oder live search besser für linguistische Untersuchungen nutzbar zu machen (allgemein zu WebCorp cf. Kehoe/Renouf 2002; Wooldridge 2002b). Dabei ging es speziell auch um Untersuchungen von Neologismen (Renouf/Kehoe/ Banerjee 2007). Als eine wesentliche Funktion von WebCorp kann die Ausgabe der Okkurrenzen in ihrem sprachlichen Kontext genannt werden, ferner die Möglichkeit zu weiterführenden Analysen der Daten (etwa häufige Kookkurrenzen im rechten und linken Kontext, Datierung der Belege, token- und type-Zahl der Wörter in den jeweiligen Texten etc.) sowie zu einer chronologisch geordneten Ausgabe der Daten (cf. Kehoe 2006). Dadurch, dass sich WebCorp auf vorhandene Suchmaschinen stützt, ergeben sich jedoch auch einige Beschränkungen: So können grundsätzlich nur Informationen ausgegeben werden, die von den Suchmaschinen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem besteht auch hier das Problem der ständigen Aktualisierung des Internet (die Ergebnisse der Suchanfragen besitzen jeweils nur für kurze Zeit absolute Gültigkeit bzw. die Suchanfragen ergeben bei einer späteren Wiederholung teilweise andere Ergebnisse; cf. Lüdeling/Evert/Baroni 2005). Ebenso ist zu beachten, dass nur eine festgelegte Zahl von Seiten (maximal 500) mit Hilfe von WebCorp bearbeitet und ausgegeben werden kann. Insofern ergeben die Suchen zwar generell eine hohe Präzision (bzw. einen geringen Anteil an false positives), zeichnen sich jedoch in der Regel durch einen sehr geringen recall (bzw. viele false negatives) aus (cf. Lüdeling/Evert/Baroni 2005). Im Hinblick auf die automatische Datierung der Trefferseiten bei WebCorp ist schließlich anzumerken, dass die ermittelten Datierungen ebenfalls nur zu einem gewissen Grad verlässlich sind. So stellt sich zunächst das Problem, dass nicht bei allen Internetseiten dieselben Informationen zur Datierung verfügbar sind. Die verschiedenen verfügbaren Informationen unterscheiden sich dabei teilweise erheblich 13

Cf. (Zugriff 10.06.2009). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Mai 2011) steht diese Suchoption allerdings leider nicht mehr zur Verfügung.

333

im Hinblick auf ihre Aussagekraft und Zuverlässigkeit. So sagt z.B. das Aktualisierungsdatum einer Internetseite grundsätzlich nichts darüber aus, wann der eigentliche Inhalt eines Dokuments erstellt wurde bzw. welche Veränderung des Dokuments zum angegebenen Zeitpunkt vorgenommen wurde. Ebenso können neu angelegte Seiten auch alte (z.B. literarische) Texte enthalten, die dort zitiert werden (cf. Lüdeling/Evert/Baroni 2005). WebCorp definiert daher verschiedene Heuristiken zur Datierung von Internetseiten, die sich nach absteigender Zuverlässigkeit wie folgt angeben lassen (cf. Kehoe 2006, 302–304; Renouf/Kehoe/Banerjee 2007): 14 1. Last Modified-Angaben, die bei der Abfrage einer Internetseite automatisch vom Server an den Client übermittelt werden (allerdings wird dieses Verfahren nicht bei allen Webseiten angewandt, so dass nicht alle Webseiten so datiert werden können), 2. Datierungsangaben in Form von Meta-Tags, die im Kopf-Bereich des Quellcodes der Internetseiten stehen (diese Meta-Tags werden an den Browser geschickt, wenn die betreffende Seite abgerufen wird, sie werden jedoch in der normalen Ansicht der Webseite nicht angezeigt), 3. Angaben zur letzten Aktualisierung/Modifizierung der Webseite, die auf der Seite selbst angezeigt werden, 15 4. Datierungen bei Copyright-Angaben (für «© 2008» würde daraus etwa die Datierung 01.01.2008 abgeleitet, für «© 2000-2001» die Datierung 01.01.2001), 5. Datierungen, die sich aus den Internetadressen (URLs) ableiten lassen. 16 Bei der Ausgabe der Trefferseiten mit ihren Datierungen wird jeweils mit angezeigt, um welchen Typus von Datenangabe es sich handelt, so dass die Zuverlässigkeit der Angabe zumindest eingeschätzt werden kann.

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15

16

Da die verschiedenen Verfahren und Angaben nicht bei allen Internetseiten verfügbar sind, wählt WebCorp jeweils die bestmögliche unter den für eine bestimmte Seite verfügbaren Angaben als Grundlage für die Datierung. Stichprobenartige Untersuchungen zeigen jedoch, dass unter Umständen nicht alle auf einer Seite verfügbaren Informationen erfasst werden (möglicherweise insbesondere nichtenglischsprachige Angaben). So findet sich etwa auf der Internetseite (Zugriff 29.04.2009) sowohl in der URL als auch im Dokument selbst eine Datumsangabe («2006/09/17» bzw. «17 septembre, 2006»). Als Grundlage für die Datierung wendet WebCorp anstelle der damit verfügbaren Heuristik 3 aber die unzuverlässigere Heuristik 5 an, aus der nur die (ungenaue) Datumsangabe 01.01.2006 ermittelt wird. Gerade bei dieser letzten Heuristik besteht allerdings eine relative Ungenauigkeit bzw. hohe Fehleranfälligkeit, wie bereits am Beleg in Fußnote 15 sichtbar wurde und wie auch anhand der Seite (Zugriff 29.04.2009) sichtbar gemacht werden kann, für die WebCorp das Datum 01.01.1012 ausgibt.

334

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen ohnehin die Feinanalyse einzelner Belege im Vordergrund stand, d.h. die Dokumente wurden jeweils einzeln durchgesehen und manuell ausgewertet. Hierbei bietet sich im Internet häufig der wichtige Vorteil, dass einzelne Sprecheräußerungen sehr präzise datiert sind, so etwa Einträge und Kommentare in Blogs und Internetforen (hier findet sich in der Regel eine genaue Angabe von Tag und Uhrzeit der Veröffentlichung). Insofern lässt sich festhalten, dass programmgestützte diachronische Analysen im Internet als eher schwierig gelten können, sich jedoch bei manuellen Recherchen sehr genaue Datierungsmöglichkeiten bieten.

335

14

Frz. grappa

In den vorangehenden Kapiteln wurde bereits immer wieder auf die Bedeutungsveränderung hingewiesen, die bei der Entlehnung von it. grappa ins Französische zu beobachten ist (it. grappa TRESTERBRAND vs. frz. grappa ITALIENISCHER TRESTERBRAND). Hier soll diese nochmals umfassend analysiert werden, wobei es insbesondere darum geht, das vorgeschlagene Erklärungsszenario anhand empirischer Corpusbelege abzusichern. Zunächst werden jedoch formale Aspekte der Lehnwortintegration behandelt: einerseits die eintretende Veränderung der Aussprache, andererseits morphologische Aspekte (die Zuweisung des Genus sowie die Flexion der entlehnten Form in der ZS). Demnach lässt sich die Entlehnung wie folgt zusammenfassen: (290) it. grappa ['grappa] N.f., Pl. grappe TRESTERBRAND ĺ frz. grappa [gra'pa] N.f., Pl. grappas ITALIENISCHER TRESTERBRAND (DM; DO; PR; TLF; DHLF s.v. grappe; DILE)

14.1

Aussprache und Schreibung

Hinsichtlich der Schreibung wird it. grappa unverändert ins Französische übernommen, wobei die Form (auf der Ebene der Schreibung) keine Fremdheitsmerkmale im Hinblick auf das Französische aufweist, d.h. es können durchgehend korrespondierende Segmente festgestellt werden (cf. die Analyse nach den Konformitätskriterien in Abb. 33; K = Konformität, NK = Nichtkonformität, KORR = Korrespondenz, INT = Integration). Im Bereich der Aussprache lassen sich ebenfalls weit reichende Korrespondenzen feststellen. Was die einzelnen phonischen Segmente angeht, so wird lediglich der Doppelkonsonant [pp] im Zuge der Entlehnung durch einfaches [p] ersetzt. Zwischen dem ersetzten AS-Segment und dem entsprechenden ZS-Segment liegt dabei eine große lautliche Ähnlichkeit vor. Die Abweichung der ZS- gegenüber der ASForm lässt sich als Integration analysieren, da [p] mit den Strukturen des ZSSystems konform ist. Bezüglich der Graphem-Phonem-Korrespondenzen ergibt sich, dass die einzelnen Zuordnungen bei frz. [grapa] den normalen Regeln des ZS-Systems entsprechen. Da es sich bei der Regel / ļ [p] um eine markierte Regel handelt – die unmarkierte Regel ist

ļ [p] – erscheint es plausibel, eine

337

Entlehnung im graphischen Medium bzw. sowohl im phonischen als auch im graphischen Medium anzunehmen, durch welche die ZS-Schreibung unmittelbar hergeleitet werden kann. (Bei einer Entlehnung ausschließlich im phonischen Medium wäre hingegen zunächst eine integrierte ZS-Lautung [grapa] zu erwarten, aus der dann unter Anwendung der unmarkierten PGK-Regeln eine ZS-Schreibung * abgeleitet werden könnte. 1) Schließlich ist im Bereich der Aussprache noch auf die Verschiebung des Wortakzents hinzuweisen, die bei der Entlehnung auftritt. Diese kann wiederum als eine typische Integrationserscheinung bei Entlehnungen ins Französische angesehen werden. Insgesamt ergibt sich damit die in Abb. 33 dargestellte Analyse. Graphische Segmente it. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

<
> K K

KORR

Phonische Segmente it. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

[ [

g g

a a K K

pp p NK K

a a

K K

r r K K

] ]

KORR

KORR

KORR

INT

KORR

K K

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz. K ggü. ZSSystem?

ļ [g]

ļ [r]

ļ [a]

K

K

K

/

ļ [p] K

ļ [a] K

Wortakzent it. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse Abb. 33:

1

'ı ı ['grap.pa] ı 'ı [gra.'pa] NK K INT

Analyse von it. grappa ['grap.pa] ĺ frz. grappa [gra.'pa] nach den Konformitätskriterien

Eine Internetabfrage mit google am 24.02.2009 ergab lediglich einen einzigen Treffer für den Ausdruck "une grapa", der als Tippfehler eingestuft werden kann.

338

14.2

Morphologie

Im Bereich der Morphologie lässt sich zunächst feststellen, dass die Form frz. grappa im Hinblick auf das ZS-System durch das finale -a eine Fremdheit aufweist, d.h. das Wort kann innerhalb des Französischen noch zu einem gewissen Grad als formal auffällig gelten. Insgesamt beschränkt sich die formal-strukturelle Fremdheit bei frz. grappa somit völlig auf die Ebene der Morphologie, da im Bereich der Aussprache und Schreibung durchgängig Korrespondenzen und Integrationen vorliegen, d.h. eine vollständige Konformität gegenüber dem ZS-System festzustellen ist. Weiterhin wird der ZS-Form das feminine Genus zugewiesen (cf. die Angaben in den oben zitierten Wörterbüchern, die durchgängig – und ausschließlich – das feminine Genus angeben). Auch in Corpora sind entsprechende Verwendungen belegt: (291) Non, je n'étais pas pressé, je buvais un express au comptoir, offrais une grappa au jeune homme. (TOUSSAINT Jean-Philippe, La Salle de bain, 1985, p. 100, PARIS/Frantext, Hervorhebung EWF) (292) – Je me sens bien, me dit-elle. – C'est parfait, lui dis-je. Le monde va mal. Tu te sens bien. Bravo ! Champagne? Whisky? ou peut-être una grappa? – Non, non, merci. Mais si tu me trouvais une bière... (ORMESSON Jean d', Tous les hommes sont fous, 1986, p. 282, VI PORTRAIT DE L'AUTEUR EN SAINT-BERNARD DES COEURS/ Frantext, Hervorhebung EWF) (293) La grappa est une eau-de-vie de marc de raisin populaire en Italie et dans le Tessin. (, Zugriff 26.02.2009, Hervorhebung im Original) Für die Zuweisung des femininen Genus lassen sich verschiedene Gründe angeben: Generell kann bei Entlehnungen aus anderen romanischen Sprachen ins Französische von einer gewissen morphologischen Transparenz ausgegangen werden, so dass Formen auf -a als typisch feminine, Formen auf -o hingegen als typisch maskuline Formen analysiert werden können und das entsprechende Genus im Französischen zugewiesen wird – cf. die folgenden Beispiele: 2 (294) it. pizza N.f. ĺ frz. pizza N.f. (DILE; PR; DHLF; DMOE) (295) it. tombola N.f. ĺ frz. tombola N.f. (PR; DHLF; DMOE) (296) sp. guerilla N.f. ĺ frz. guérilla N.f. (PR; DHLF; DMOE)

2

Die Entlehnung von engl. formica ĺ frz. formica N.m. (DMOE; DHLF) zeigt aber, dass die Zuweisung des femininen Genus bei entlehnten Nomina auf -a im Französischen nicht grundsätzlich erfolgt, d.h. die Herkunft aus anderen romanischen Sprachen scheint bei den genannten Beispielen eine wichtige Rolle für die Genuszuweisung zu spielen.

339

(297) pg. favela N.f. ĺ frz. favela N.f. (PR; DMOE) (298) it. concerto N.m. ĺ frz. concerto N.m. (PR; DHLF; DMOE) (299) sp. sombrero N.m. ĺ frz. sombrero N.m. (PR; DHLF s.v. sombre; DMOE) (300) sp. tango N.m. ĺ frz. tango N.m. (PR; DHLF; DMOE) (301) pg. fado N.m. ĺ frz. fado N.m. (PR; DHLF; DMOE) Darüber hinaus kann für die Entlehnung von grappa eine relative Zweisprachigkeit der ZS-Rezipienten angenommen werden, insofern als die Entlehnung im Bereich der Gastronomie und damit innerhalb der entsprechenden Fachsprache bzw. entsprechender Diskurstraditionen situiert ist. Ferner kann – zumindest auch – von ASproduzenteninduzierten Entlehnungen ausgegangen werden, etwa derart, dass italienische Restaurantbesitzer oder Weinhändler in Frankreich Restaurantkarten, Weinkarten, Restaurantbeschreibungen etc. auf Französisch formulieren, in denen der Ausdruck grappa erscheint. 3 Die primär intendierten ZS-Adressaten sind dabei Kenner und Liebhaber der italienischen Küche, denen auch ein gewisser Hang zur italienischen Kultur und Sprache zugeschrieben werden kann. Aus Sicht von ASProduzenten erscheint es daher kommunikativ durchaus naheliegend, das Wort in einer der AS nahen Form zu verwenden (cf. hierzu auch die weiter unten folgenden Bemerkungen zur Verwendung der Pluralform grappe im Französischen). Innerhalb entsprechender Kommunikationskontexte kann dann auch für die Weiterverwendungen in der ZS davon ausgegangen werden, dass sich die ZS-Rezipienten (nun in der Rolle von Produzenten) um eine AS-nahe Realisierung der Form bemühen, und es ergibt sich zunächst keine Motivation für eine abweichende Genuszuweisung. Allerdings sind auch einzelne maskuline Verwendungen der Form grappa im Französischen – wie auch im Italienischen – belegt: (302) it. grappa N.m. (Internet) (303) frz. grappa N.m. (Internet) Quantitativ gesehen sind entsprechende Verwendungen zwar deutlich in der Minderzahl (cf. Tab. 2) 4, da ihre Erklärung aber potenziell problematisch ist, sollen sie hier ausführlicher kommentiert werden. 3

4

Es handelt sich also hier um Konstellationen, die den traditionellen Begriffen der Substratinterferenz (cf. Kap. 3.3) bzw. den Phänomenen endo-borrowing und metatypy anzunähern wären (cf. Fußnote 8 in Kap. 3). Die Zahlen beruhen auf einer Abfrage vom 20.04.2009 auf der Grundlage der französischen bzw. italienischen Version von google. Die Suchen wurden dabei auf französischbzw. italienischsprachige Dokumente beschränkt. Die Abfrageergebnisse für it. "il grappa" wurden nicht in die Wertung einbezogen, da es sich bei sehr vielen Treffern um Verwendungen als Toponym handelt (cf. «Il Grappa è diventato una montagna sacra a causa dei caduti delle due grandi guerre. […] È sotto la giurisdizione di tre province del Veneto: belluno, treviso e vicenza, tra il Brenta e il Piave», ,

340

grappa N.m.

grappa N.f.

gesamt

Anteile m./f.

Frz.

"un grappa" "le grappa" Gesamt

276 291 567

"une grappa" "la grappa" Gesamt

1.080 9.150 10.230

1.356 9.441 10.797

20,35 %/79,65 % 3,08 %/96,92 % 5,25 %/94,75 %

It.

"un grappa"

228

"una grappa"

61.900

62.128

0,37 %/99,63 %

Tab. 2:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für maskuline und feminine Verwendungen von frz./it. grappa im Internet

Zunächst ist auffällig, dass viele der entsprechenden Dokumente Beschreibungen von Hotels oder Restaurants darstellen, die häufig in mehrere Sprachen übersetzt sind (cf. Bsp. (304), wobei auf der entsprechenden Internetseite neben der französischen auch eine deutsche und englische Version des Texts abrufbar sind). Maskuline Verwendungen können daher unter Umständen als Interferenzen mit dem Deutschen (dt. Grappa N.m.), das nun als AS fungiert, erklärt werden – insbesondere in der Schweiz (cf. Bsp. (305)) und in Südtirol (cf. Bsp. (306), das der Beschreibung eines Hotels in Bolzano entnommen ist) und insbesondere, wenn eingeschränkte Kenntnisse des Französischen bzw. Italienischen anzunehmen sind. 5 Ferner finden sich in italienischen Dokumenten teilweise auch Sequenzen un grappa + fem. Adj., die nahelegen, dass es sich möglicherweise schlicht um Schreibfehler handelt (cf. Bsp. (306) und (307); im letzteren Dokument finden sich durchgehend feminine Adjektive bei der Form grappa und der feminine Artikel bei der Pluralform grappe). Schließlich kann für maskuline Verwendungen im Italienischen auch das Vorhandensein des Derivats grappino N.m. ‘Grappaglas’ (auch: bere un grappino ‘ein Gläschen Grappa trinken’) sowie des Hyperonyms distillato N.m. eine gewisse

5

Zugriff 20.04.2009, Hervorhebung EWF). Auch bei einzelnen Ergebnisseiten für frz. "le grappa" ist das Toponym gemeint, so dass der oben angegebene Anteil der Trefferzahlen eher noch nach unten zu korrigieren wäre. Interessant erscheint auch der folgende Beleg in einer Beschreibung eines florentinischen Hotels, bei der explizit angegeben ist, dass es sich um ein automatisch übersetztes Dokument handelt, das sprachliche Fehler enthalten kann (was in der Tat so ist): «Gonfiar fino al nostro Bar lucido del salotto e godere di un grappa freddo mentre lucidare mette con l'elite fiorentina» [sic, EWF] (, Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF). Als Ausgangstext ist hier die englische Version anzusetzen («Belly up to our sleek Lounge Bar and enjoy a cool grappa while rubbing shoulders with the Florentine elite», Hervorhebung EWF). In der französischen, spanischen und deutschen Version erscheint grappa bzw. Grappa ebenfalls in maskuliner Form, so dass angenommen werden kann, dass das Übersetzungprogramm das maskuline Genus als default wählt. Die Wahl des maskulinen Genus als default ausgehend vom Englischen scheint möglicherweise auch für die Erklärung des folgenden Belegs relevant. Der Beleg ist in einem kanadischen Kontext situiert, in dem Englisch als Kontaktsprache für das Französische eine wichtige Rolle spielt: «Avec quelques tranches de gorgonzola sur croûtons pour finir le Barolo, le dîner peut se conclure sur un espresso crémeux et ,[sic, EWF] pourquoi pas, un grappa hors d'âge» (Reaktion vom 15.06.2007 auf einen Artikel, in dem ein Bistro in Aylmer, Montreal, beschrieben wird, Autor: Nicolas Joly, , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF).

341

Rolle spielen, d.h. in einigen Fällen kann von Performanzfehlern ausgegangen werden, bei denen das maskuline Genus eines semantisch assoziierten, möglicherweise kookkurrenten Worts auf grappa übertragen wird (cf. Bsp. (307) und (308)). 6 (304) Pourrions-nous vous proposer le vin idéal pour accompagner les spécialités de notre cuisine et après le menu vous servir un grappa ou une tasse d’espresso? (Begrüßungsseite im Internet für die Enoteca La Sosta del Rossellino, Settignano/Firenze, Autoren: Silvia, Damiano et l’équipe de l’Enoteca, , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF) (305) En même temps qu'un Grappa, Kirsch ou Poire Williams vous offrirez deux verres à snaps, que vous pourrez personnaliser par un chiffre d'âge ou d'anniversaire. (aus der Produktbeschreibung für eine «Bouteille personnalisée à double fond», , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF) (306) La stube confortevole e l'atmosfera intima del bar vi doneranno [sic, EWF] piacevoli momenti. L'Après Ski è una sera con clima divertente in compagnia di nuovi amici, musica coinvolgente, una birra, un grappa aromatizzata, un cocktail… (, Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung von «la stube» im Original, Hervorhebung von «un grappa …» EWF) (307) Nell'ampio listino figurano le grappe tradizionali di monovitigno piemontese (nebbiolo, grignolino, barbera), l'Ardita (cioè l'acquavite di uve monovitigno), le grappe invecchiate, un piacevole brandy. Infine l'eccellente «I Legni», un grappa affinata con il metodo delle botticelle (da grande a piccola) dell' aceto balsamico […]. (Artikel E il Grignolino va (con Nils) vom 27.11.2004, in: Corriere della Sera, Autor: Remondino Mauro, , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebungen EWF) (308) cmq se non mi sbaglio Prime Uve non è un grappa (distillato di vinacce) ma un distillato d’uva (Beitrag vom 02.07.2007 in einem Diskussionsforum, Autor: Bruto, , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF)

6

Für eine muttersprachliche Einschätzung zu den angestellten Überlegungen danke ich Sarah Dessì Schmid.

342

Was die Flexion von frz. grappa angeht, so ist zunächst festzustellen, dass das finale -a innerhalb des Systems des Französischen nicht mehr als Flexionsendung analysiert werden kann. Grundsätzlich ist demnach davon auszugehen, dass die in der Sprachkontaktsituation aktualisierte Form („…grappa…“) übernommen und dann innerhalb der ZS aufgrund von ZS-Regeln flektiert wird. Als unmarkierte Regel kann dabei die Pluralisierung durch -s gelten, so dass als Pluralform grappas resultiert, eine Form, die durch die gängigen Wörterbücher sowie zahlreiche Corpusbelege bestätigt wird. (309) […] Les grappas arrivent (grappa de Sassicaïa CHF 24.- les 4 cl) 20 minutes avant les cafés. On commande une seconde tournée de grappas, elles ne sont jamais arrivées. (Restaurantbewertung vom 28.04.2007, Autor: Benevento, , Zugriff 20.06.2009, Hervorhebungen EWF) (310) J'aime bien le rhum vieux, les grappas, le calvados et les vieux armagnacs (Beitrag in einem Diskussionsforum vom 02.10.2008, Autor: Christian Rausis, , Zugriff 26.02.2009, Hervorhebung EWF) Dieses Pluralisierungsverfahren weist im Hinblick auf die Sprachbenutzer den Vorteil auf, dass eine «strukturbewahrende, transparente Pluralform» (so Wegener 2002; 2004, 106 für das Beispiel dt. Pizzas) vorliegt, d.h. eine entsprechende Zeichensequenz kann vom ZS-Rezipienten auch ohne Kenntnisse der AS wie folgt morphologisch analysiert werden: (311) „…grappas…“: frz. {grappa} + Flexionsmorphem {-s} (Plural) Ö frz. grappasPl Allerdings finden sich neben der genannten etablierten Pluralform auch Belege für andere Flexionsvarianten: (312) frz. grappa N.f.pl. (Internet) (313) frz. grappe N.f.pl. (Internet) Was die erste der Formen angeht, so wird hier völlig auf eine formale Markierung des Plurals am Nomen verzichtet. Aus Rezipientensicht scheint auch dieses Verfahren prinzipiell motivierbar: Durch die maximale Strukturbewahrung kann unmittelbar die lexikalische Einheit grappa im mentalen Lexikon des Rezipienten abgerufen werden. Die Markierung des Plurals wird in der konkreten Äußerungssequenz auch durch andere Elemente – insbesondere die Artikelform les oder des und Verb-

343

formen, eventuell auch flektierte Adjektive – gewährleistet7, d.h. die Markierung des Plurals am Nomen ist in der Regel zu einem gewissen Grad redundant und kann daher entfallen, ohne dass die Nachvollziehbarkeit der Produzentenäußerung damit zwangsläufig verloren geht und die Kommunikation scheitert: (314) „…les/des grappa…“: ArtikelPl + frz. {grappa} Ö frz. grappaPl Zur Überprüfung der skizzierten Interpretation lassen sich die folgenden Belege heranziehen: (315) La distillation "en continu" est utilisée pour les grappa courantes. […] La législation européenne […] distingue les grappa de monocépage, de pluricépages et de cépages aromatiques, les plus aisées à reconnaître à la dégustation. On distingue encore les grappa blanches, mises en bouteilles tout de suite après la distillation et la réduction d'une grappa vieillie en fût de chêne, frêne, cerisier, acacia ou mûrier, pendant au moins une année. (Beitrag vom 18.08.2005 in einem Diskussionsforum, Autor: camales, , Zugriff 26.02.2009, Hervorhebungen EWF) (316) […] 3 c à soupe de Vin santo* ou *grappa (facultatif) 310 g de fruits rouges 2 c à soupe de confiture de mûres * Les Grappa sont des eaux-de-vie italiennes. * Le Santo Vino [sic, EWF] est un vin de paille (vin liquoreux) italien. (Eintrag in einem Blog über die englische Küche vom 25.08.2008, Autorin: Hélène, , Zugriff 26.02.2009, Kursivierung im Original, Fettdruck EWF) In Bsp. (315) zeigt sich, dass es sich bei der Flexionsform grappa N.f.pl. nicht um okkasionelle Performanz-«Fehler» handelt, sondern dass diese Form vom Produzenten regelmäßig und durchgängig verwendet wird. Aus dem Kontext der Äußerung lässt sich ferner erschließen, dass sich der Beitrag nicht an einen Adressatenkreis von Fachleuten richtet, sondern eher als Erklärung für Laien konzipiert ist; demzufolge erscheint die gewählte Flexionsvariante im Hinblick auf die intendierten Rezipienten durchaus plausibel. In Bsp. (316) fällt zunächst auf, dass das Wort grappa ein Mal in Großschreibung erscheint (cf. auch die Großschreibung von Vin santo/Santo Vino sowie Bsp. (305) oben). Dies kann so interpretiert werden, dass der Ausdruck als Eigenname verwendet wird; bei einer entsprechenden Verwendung ist es im Französischen 7

Die Pluralmarkierung durch -s ist ohnehin auf das graphische Medium beschränkt, d.h. bei phonischen Realisierungen erfolgt die Numerus(de)kodierung ebenfalls durch die Artikelrealisierung, Verbflexion etc.

344

völlig unauffällig, dass keine formale Markierung des Plurals erfolgt (cf. frz. les Renault, les Concorde, deux Martini etc.; Riegel/Pellat/Rioul 1994, 178; Klein/ Kleineidam 1983, 31). Allerdings ist anzuerkennen, dass die Verfasserin des zitierten Textes bei grappa nicht durchgängig die Großschreibung anwendet, so dass der Erklärungsansatz der Pluralform grappa als Plural eines Eigennamens nicht vollständig greift. Darüber hinaus lässt sich die gewählte Flexionsvariante aber auch wieder im Hinblick auf das Kommunikationsszenario rechtfertigen. So kann aus obigem Textbeleg erschlossen werden, dass sowohl bei der ZS-Produzentin als auch bei den intendierten ZS-Rezipienten keine oder allenfalls geringe Italienischkenntnisse vorhanden sind: Die Ausdrücke «Vin santo» und «grappa» werden in einer Art Fußnote zur Zutatenliste erklärt (dabei erscheint in der Erklärung der abweichende, im Italienischen nicht bzw. nicht in dieser Bedeutung existierende Ausdruck *Santo Vino). 8 Die Erklärung ist also vor allem an Rezipienten gerichtet, die keine ausreichende Kenntnis des entsprechenden Produkts bzw. kommunikativen Referenten und keine ausreichende Kenntnis des entsprechenden Ausdrucks frz. grappa haben. Auch hier erscheint die Wahl der Variante ohne formale Pluralmarkierung dadurch motivierbar, dass für Rezipienten, denen die entsprechende lexikalische Einheit nicht oder kaum geläufig ist, eine maximale (Wieder-)Erkennbarkeit gewährleistet werden soll. Was die Verwendungen der anderen Flexionsvariante frz. grappe N.f.pl. angeht, so kann ein Teil der Belege zunächst als offensichtliche Schreibfehler, d.h. fehlerhafte Schreibweisen des Plurals von frz. grappe N.f. ‘Traube’ interpretiert werden. So erscheint etwa im folgenden Beleg zwar die Pluralform in der Überschrift des Artikels, im Artikel selbst wird jedoch durchgängig der Plural verwendet. (317) Le folletage des grappe : un accident physiologique de la vigne en recrudescence. Le folletage des grappes est souvent confondu avec le phénomène du dessèchement de la rafle. (Artikel vom 06.12.2006 [ohne Angaben zum Autor], , Zugriff 24.02.2009, Hervorhebung im Original) Bei anderen Belegen handelt es sich jedoch eindeutig um Plurale der Form grappa, die nun nicht mehr als Flüchtigkeitsfehler interpretiert werden können: (318) Carte et prix des grappe et liqueurs (Titel einer Internetseite, welche die Preisliste für Grappa und andere Spirituosen eines italienischern Wein8

Die Tatsache, dass die Produzentin im Rezepttitel den italienischen Ausdruck «tarta di more» verwendet, scheint als Übernahme aus einem (englischen) Modelltext erklärbar, ohne dass damit bei der Textproduzentin Kenntnisse des Italienischen (oder ein Kontakt mit der AS Italienisch) vorausgesetzt werden müssen: Es handelt sich bei dem Dokument um eine französische Fassung eines ursprünglich italienischen Rezepts, das in einem englischen Kochbuch von Jamie Oliver erscheint; die Produzentin charakterisiert ihren Blog insgesamt als «Blog amateur d'une passionnée de cuisine, dédié en grande partie à la cuisine moderne anglaise» (, Hervorhebung EWF).

345

händlers in [Ans] Loncin, Belgien, enthält, , Zugriff 24.02.2009, Hervorhebung EWF) Entsprechende Verwendungen lassen sich zunächst dadurch erklären, dass es sich um Äußerungen eines AS-Produzenten handelt (etwa im obigen Beispiel), d.h. es kann eine AS-produzenteninduzierte Entlehnung (oder eine Entlehnung durch einen ZS-Produzenten mit sehr guten Kenntnissen der AS) angenommen werden. Weiterhin ist die Verwendung der Pluralform grappe im Hinblick auf die ZS-Rezipienten dadurch motivierbar, dass bei den entsprechenden Verwendungen eine gewisse Fachsprachlichkeit bzw. ein fachlicher Kontext angenommen werden kann. Die intendierten Adressaten entsprechender Äußerungen (etwa von Weinkarten etc.) sind Kenner von Weinen und verwandten Produkten. Demnach kann der Produzent bei der Gestaltung seiner Äußerung beim Rezipienten gewisse Kenntnisse der AS erwarten. Gleichzeitig legt der Äußerungskontext nahe, dass eine positive Einschätzung bezüglich des entsprechenden Produkts (dem kommunikativen Referenten) und damit auch ein gewisses Prestige des AS-Ausdrucks vorliegen. In der Kommunikation zwischen Kennern von Weinen und verwandten Produkten kann eine Verwendung der Pluralform grappas vom Produzenten als potenziell riskant eingestuft werden, insofern als der Rezipient diese als Zeichen mangelnder Bildung bzw. mangelnden (sprachlichen und fachlichen) Wissens interpretieren könnte. Die Wahl der Pluralform grappe kann daher auch dadurch motiviert sein, diesen Eindruck zu vermeiden. Zusammenfassend kann dies wie folgt dargestellt werden: (319) „…grappe…“: it. {grapp} + Flexionsmorphem {e} (morphologische Analysierbarkeit anhand von Regeln der AS bei vorhandenen ASKenntnissen des ZS-Rezipienten) bzw. Kenntnis der Form it. grappePl Ö frz. grappePl Das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren wird auch im folgenden Beleg deutlich. In dem entsprechenden Dokument werden verschiedene Weinhändler etc. empfohlen, d.h. die intendierten Adressaten sind Kenner (und Liebhaber) der von entsprechenden Händern verkauften Produkte. Auffällig ist ferner, dass die Pluralform grappe typographisch durch einfache Anführungszeichen markiert wird; dies deutet darauf hin, dass gleichzeitig ein Zitatcharakter gesehen werden kann, d.h. im Text wird die Ausdrucksweise der – italienischen – Hersteller des Produkts gewissermaßen zitiert. Gleichzeitig kann die typographische Hervorhebung als eine metasprachliche Strategie interpretiert werden, mit der dem Rezipienten die Neuheit (oder Ungewöhnlichkeit) der Form im Französischen signalisiert werden kann: (320) […] Cette famille extraordinaire a révolutionné le monde de la grappa dans les années 70 et depuis. Le père Benito, la mère Giannola et leurs trois filles, Cristina, Antonella et Elisabetta, toutes aussi charmantes que leur mère, produisent des 'grappe', 'Ué' (uniques eaux-de-vie à base de grappen [sic, EWF] entières!) et eaux-de-vie diverses d'une qualité et pureté quasiment inégalable.

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(Charakterisierung eines Weinproduzenten, Autor: Christian Callec [1955 geborener Franzose, der seit 1978 in den Niederlanden lebt und seit 1985 die niederländische Staatsangehörigkeit hat, Journalist und freischaffender Autor im Bereich Wein und Gastronomie, cf. , Zugriff 20.06.2009], , Zugriff 25.02.2009, Hervorhebung EWF) Ähnliches lässt sich auch im folgenden Fall zeigen: (321) Casa italiana. […] Il faut le trouver, ce resto, niché au fond d'un magasin de luxe de produits gastronomiques italiens hors de prix, qui existe depuis 1962. […] Il est impératif de réserver, car ce minuscule resto n'a qu'une vingtaine de couverts et encore, cinq sont placés à un comptoir face au mur, moins conviviales. La promiscuité est donc de mise, mais la clientèle est faite d'habitués […]. Le chef Luca Forte a des principes : sa cuisine est ouverte, en toute transparence, au fond de la pièce […] Les spaghetoni aux anguilles du lac sont une réussite […]. Pour faire descendre tout ça, on vous conseille une grappa Most, de Bepi Tosolini, distillat de raisin, contrairement à la plupart des grappe qui sont des distillats de marc de raisin. (Blogeintrag vom 07.09.2007, in dem ein italienisches Restaurants in Brüssel empfohlen wird, 07.09.2007, Autor: Hughes Belin, , Zugriff 24.02.2009, Hervorhebungen im Original) Hier findet sich sogar ein expliziter Hinweis darauf, dass die intendierten Adressaten zu einem gewissen Grad Kenner der italienischen Küche und damit der entsprechenden Fachsprache sind: Die Restaurantkunden werden vor allem als Stammkundschaft ausgewiesen («mais la clientèle est faite d’habitués»), und die Empfehlung zielt vor allem auf Rezipienten ab, die regelmäßig italienisch essen gehen und dabei die Qualität des Essens höher bewerten als die Annehmlichkeit der Räumlichkeiten. Daher kann angenommen werden, dass der Textproduzent die entlehnten Formen hier bewusst einsetzt, um ein fremdes Flair zu erzeugen; die Wahl von Pluralformen wie grappe erscheint daher kommunikativ völlig naheliegend, um entsprechende pragmatische Effekte zu erzielen. Ferner finden sich typographische Hervorhebungen der entlehnten Wörter (hier durch Kursivierung), d.h. es lässt sich wieder ein gewisser Zitatcharakter feststellen, und die entlehnten Wörter können als Übernahmen der Ausdrucksweise des italienischen Chefkochs («Le chef Luca Forte […]») oder einer italienischen Speisekarte interpretiert werden. Dass hier bewusst und regelmäßig eine starke Anlehnung an die AS gewählt wird, zeigt sich im Übrigen auch an der Form les spaghetoni, die ebenfalls von der im Französischen verbreiteten Pluralisierung auf -s bei italienischen Lehnwörtern abweicht (cf. die im Französischen übliche Form spaghettis N.m.pl., ebenso frz. cannellonis N.m.pl., frz. tagliatelles N.f.pl. etc., PR).

347

Der folgende Beleg für die französische Pluralform grappe erscheint insofern besonders interessant, als der Produzent hier eindeutig als Sprecher des Französischen identifiziert werden kann: (322) […] La carte des vins est remarquable (mais c'est monnaie courante chez nos amis italiens ). […] Par ailleurs, il faut noter une sélection d'une quinzaine de vins servis au verre, ainsi qu'une étonnante carte des "Grappe" (=> Grappa) : 40 références. Enfin, les prix donnent envie de faire des kilomètres... Pour lire (ou télécharger) la carte des vins (format DOC => Word), c'est ICI (Beitrag vom 20.01.2009 in einem Diskussionsforum zum Thema Les plus belles cartes de vins […], Autor: philippe03, , Zugriff 24.02.2009, Hervorhebung EWF) Auch hier geht aus dem Kontext der Äußerung unmittelbar hervor, dass die intendierten Adressaten Anhänger der italienischen Kultur sind («nos amis italiens», «Enfin, les prix donnent envie de faire des kilomètres»); der Diskussionsbeitrag sowie der gesamte Thread von Diskussionsbeiträgen zielen nur darauf ab, Informationen über Weine und verwandte Produkte sowie Händler auszutauschen. Daher erscheint die Wahl der Pluralform grappe kommunikativ prinzipiell möglich und im Hinblick auf die intendierten Rezipienten naheliegend. Weiterhin lässt sich die Wahl der Form dadurch erklären, dass der ZS-Produzent diesen Ausdruck aus der italienischen Speisekarte übernimmt, die über den von ihm angegebenen Link abrufbar ist: Dort findet sich die Überschrift «Selezione di grappe». Auffällig ist aber die Hinzusetzung von «=> Grappa» im obigen Beleg. Diese kann als Zugeständnis an Rezipienten mit geringeren Kenntnissen der AS interpretiert werden: Der Produzent geht möglicherweise davon aus, dass die im Französischen unübliche Form grappe für einige Rezipienten nicht unmittelbar verständlich ist und auch nicht unmittelbar als flektierte Form von grappa identifiziert werden kann (d.h. hier liegt gerade keine strukturbewahrende, transparente Form vor). Daher fügt er eine zusätzliche Erläuterung an. Insgesamt kann dies wie folgt analysiert werden: (323) „…les grappe…“: ??? (erschwerte morphologische Analysierbarkeit und erschwerte Identifikation des Lemmas bei schwach ausgeprägten ASKenntnissen des ZS-Rezipienten) (324) „…les grappe (=> Grappa)…“: ArtikelPl + Nomen? (Lemma: grappa) Ö frz. grappePl als Flexionsform von frz. grappaSg Abschließend soll noch ein Beleg analysiert werden, der aufzeigt, dass die verschiedenen Flexionsvarianten nicht nur innerhalb der ZS-Sprachgemeinschaft nebeneinanderstehen. Vielmehr können auch einzelne Individuen über mehrere Varianten verfügen, wobei sie teilweise ein deutliches Bewusstsein hinsichtlich der Varianz und des unterschiedlichen kommunikativen Werts der Varianten haben: (325) C'est un alcool généralement très fort, les grappas traditionnelles peuvent dépasser les 50° mais depuis quelque temps, on peut en trouver 348

dans le commerce des plus légères, avec une teneur en alcool inférieure à 40°. Les grappas (je devrais dire grappe) de la dernière génération sont particulièrement parfumées et aromatisées, car le gout du mout cache celui de l'alcool. On peut également trouver des grappas aromatisées avec des herbes ou des fruits, je n'y ai jamais gouté pour ma part. (aus einer Produktbewertung für Grappa La Versa vom 08.09.2002, Autorin: Chaton94 [weiblich], , Zugriff 24.02.2009, Hervorhebungen EWF) Die Textproduzentin – eine Sprecherin des Französischen – verwendet selbst durchgängig die Pluralform grappas. Diese ist außerhalb fachsprachlicher Kontexte im Französischen als die am weitesten verbreitete Variante einzustufen; die Wahl dieser Variante steht daher in Einklang mit der Kommunikationssituation – es handelt sich um ein Diskussionsforum im Internet, das nicht auf Weinkenner spezialisiert ist, sondern sich an ein breites Leserpublikum richtet. Interessant erscheint nun der metasprachliche Kommentar, den die Textproduzentin bei einer Verwendung des Plurals grappas hinzufügt: «je devrais dire grappe». Dieser kann dadurch erklärt werden, dass der Eindruck vermieden werden soll, die Verwendung von grappas sei durch eine Unkenntnis der («korrekten») AS-Form bedingt, d.h. die Textproduzentin zeigt ihre Kenntnis der AS-Form grappe, entscheidet sich aber dennoch für eine konsequente Verwendung der in der ZS eher etablierten Variante grappas, die ihr im Hinblick auf die intendierten Rezipienten wohl angemessener erscheint oder die ihr selbst geläufiger ist (d.h. einen höheren Grad an entrenchment aufweist). Ein ähnliches Bild der Koexistenz mehrerer Varianten liefert auch der folgende Beleg, in dem unterschiedliche Pluralformen von frz. pizza durch einen französischsprachigen Produzenten nebeneinander verwendet werden: (326) Trop bonnes pizze !! comme disent les Corse Si vous voulez manger je pense les meilleures pizze comme le prononcent les corses, alors, allez en direction de moriani et arretez vous à santa lucia di moriani sur le parking de la mairie sur votre gauche .... un petit fourgon s'y trouve et je pense que vous mangerez jamais d'aussi bonnes pizzas, qui sont faites par un cuisinier de métier ... […] il y a je crois 17 pizzas au choix et toutes supers bonnes .... [sic, EWF] (Beitrag vom 01.10.2008 in einem Diskussionsforum, Autor: toutounette, , Zugriff 22.04.2009, Hervorhebungen EWF) Der Plural pizze, der zwei Mal erscheint, ist hier als Zitat der Redeweise der Bewohner Korsikas ausgewiesen («comme disent», «comme le prononcent»). Die genannte Form kann dabei in verschiedener Hinsicht als markiert eingestuft werden: Es handelt sich (anders als bei der alternativen Form frz. pizzas, die ebenfalls zwei Mal erscheint) um eine nicht in der ZS etablierte Form; gleichzeitig ist die Form insofern formal markiert, als die Pluralmarkierung -e nicht auf der Grundlage der Regeln des

349

Französischen herleitbar (produzentenseitig) bzw. analysierbar (rezipientenseitig) ist. Die Verwendung beider Pluralformen erscheint aber kommunikativ gesehen durchaus plausibel, und es kann angenommen werden, dass der Produzent die jeweiligen Varianten tatsächlich bewusst mit entsprechenden Intentionen einsetzt: Die auffällige Form pizze erscheint im Titel des Beitrags, wo sie zu einer zusätzlichen Steigerung der Aufmerksamkeit des Lesers beitragen kann. Die zweite Verwendung im ersten Satz des Beitrags fungiert als eine Art Wiederaufnahme und Explizierung der Titelinformation (cf. das entsprechende Verfahren in Zeitungsartikeln), so dass die Beibehaltung der Pluralform pizze naheliegend erscheint. Gleichzeitig lässt sich so eine Art Lokalkolorit erzeugen; der entsprechende pragmatische Effekt wird durch die Wahl einer auffällig fremden Variante erzielt. Andererseits wählt der Produzent dann in der Folge des Beitrags zwei Mal die nach einer Pluralisierungsregel der ZS flektierte und in der ZS etablierte Form pizzas. Dies lässt sich dadurch begründen, dass nun – bei der näheren Beschreibung der Pizzeria – die Informationsübermittlung im Vordergrund steht. Der Produzent verwendet die Form, der mit hoher Wahrscheinlichkeit bei ihm selbst ein stärkeres entrenchment zugeschrieben werden kann; gleichzeitig wird der Text dadurch auch potenziell leserfreundlicher, da auch beim Rezipienten ein stärkeres entrenchment und eine einfachere Dekodierung der Form pizzas angenommen werden kann.

14.3

Semantik und Pragmatik

Im Bereich der Semantik belegt die Entlehnung von frz. grappa zunächst das häufig festgestellte Phänomen der Reduktion von AS-Mehrdeutigkeit. So besitzt die Form im Italienischen neben der hier relevanten Bedeutung ‘Tresterbrand’ auch die Bedeutungen ‘Krampe, Klammer (im Bauwesen)’ und ‘Klammer’ (hier synonym zu it. graffa; cf. DO): (327) it. grappa ‘Krampe’, ‘Klammer’, ‘Tresterbrand’ (DM; DO; DI; SC) Dabei liegt hinsichtlich der Bedeutungen ‘Krampe’ und ‘Klammer’ eine Polysemie vor (zwischen den Bedeutungen besteht eine Relation der Similarität), während grappa ‘Tresterbrand’ in den meisten Wörterbüchern unter einem gesonderten Eintrag verzeichnet ist (so DO, DM, SC), d.h. als homonym dazu eingestuft wird (anders dagegen DI, in dem die Bedeutungen ‘Tresterbrand’ und ‘Krampe, Klammer’ unter einem gemeinsamen Haupteintrag erscheinen). Die Bedeutung ‘Tresterbrand’ ist dabei als die jüngere einzustufen; sie ist seit 1876 im Italienischen belegt, wobei die Form auf lomb. grapa zurückgeht. Für die Entlehnung ins Französische spielt aber nur die Bedeutung ‘Tresterbrand’ eine Rolle: Für den Sprachkontakt vor der Entlehnung sind Kommunikationssituationen anzusetzen, in denen )italienischer Tresterbrand als kommunikativer Referent vorliegt; dementsprechend sind aus Sicht der ZS-Kommunikationsteilnehmer die anderen Bedeutungen der AS-Form in der Kommunikation nicht relevant.

350

Auffällig ist sodann die semantische Veränderung, die bei der Entlehnung stattfindet: Für frz. grappa wird in der Regel nicht mehr die Bedeutung ‘Tresterbrand’, sondern eine spezifischere Bedeutung (‘italienischer Tresterbrand’) angegeben: 9 (328) ‘eau-de-vie de marc de raisin fabriquée dans le nord de l’Italie’ (PR s.v. grappa) (329) ‘eau-de-vie italienne fabriquée à partir du marc de raisin’ (TLF s.v. grappa) Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch eine Richtlinie der Europäischen Union, in der die Verwendung der Bezeichnung frz. grappa geregelt wird, wobei eine explizite Einschränkung auf in Italien hergestellte Produkte vorgenommen wird: (330) Extrait du règlement (CEE) n° 1576/89 du Conseil, du 29 mai 1989, établissant les règles générales relatives à la définition, à la désignation et à la présentation des boissons spiritueuses : « La dénomination «marc» ou «eau-de-vie de marc de raisin» peut être remplacée par la dénomination « grappa » uniquement pour la boisson spiritueuse produite en Italie. » (, Zugriff 26.02.2009, Hervorhebungen im Original) Wie lässt sich diese semantische Abweichung gegenüber der AS genauer nachzeichnen und erklären? Betrachtet man die Verwendung aus dem Jahr 1936 in Bsp. (331), die im Allgemeinen als Erstbeleg für frz. grappa angesehen wird (cf. TLF), so ist eine entsprechende Uminterpretation des Ausdrucks in der dort vorliegenden Kommunikationssituation zunächst nicht eindeutig erschließbar. Interessant ist aber, dass eine weitere Spirituose genannt wird, die ebenfalls mit einem entlehnten Wort – frz. kümmel ĸ dt. Kümmel (cf. DHLF s.v. kummel) – bezeichnet wird. Insofern kann angenommen werden, dass im aktuellen Diskursraum der Kommunikationspartner ein Getränkesortiment vorliegt, das auch ausländische Produkte umfasst, d.h. es liegt nahe, dass es sich bei dem kommunikativen Referenten um )italienischen Tresterbrand handelt und demnach Produzent und Rezipient den Ausdruck frz. grappa auf das Konzept ITALIENISCHER TRESTERBRAND beziehen:

9

Abweichend davon gibt das DHLF allerdings eine allgemeinere Bedeutung an: «grappa n.f. ‘eau-de-vie de marc de raisin’ est un emprunt (1936) à l’italien grappa (1876)» (DHLF s.v. grappe); es erscheint jedoch fraglich, dass die Form tatsächlich als völlig synonym zu frz. marc gelten kann, für welches das DHLF ebenfalls die Bedeutung ‘l’alcool distillé à partir du résidu préparé avec du raisin’ angibt (DHLF s.v. marc1). Auch die Tatsache, dass frz. grappa im DAF überhaupt nicht eingetragen ist, kann möglicherweise gerade dadurch erklärt werden, dass die ZS-Bedeutung auf ‘italienischen Tresterbrand’ beschränkt ist und die Form demnach als Exotismus bei der Redaktion des Wörterbuchs ausgeschlossen wurde.

351

(331) "alors, dit-elle, c'est le kümmel, décidément, ta liqueur ? Moi, j'aime la grappa. Je te ferai boire de la grappa." (ARAGON Louis, Les Beaux quartiers, 1936, p. 383, 2E PART. PARIS, CHAP. XXXVII/ Frantext) Bei dem folgenden, ebenfalls relativ frühen Beleg handelt sich um die Beschreibung einer Bar, so dass angenommen werden kann, dass dort eine Auswahl von Getränken unterschiedlicher Herkunft geführt wird; auch hier scheint also plausibel, dass mit dem Ausdruck frz. grappa auf ein italienisches Produkt referiert wird. Auffällig ist ferner die typographische Markierung des Worts grappa durch Anführungszeichen, durch die das Wort für den ZS-Rezipienten, hier: den Leser, hervorgehoben wird. Dies kann signalisieren, dass das Wort innerhalb des Französischen zum Verwendungszeitpunkt als auffällig empfunden wird, was einerseits auf seine Neuheit, andererseits auf seine formale (morphologische) Fremdheit zurückgeführt werden kann. (332) Il existait alors, dans la partie de la rue de Seine qui va de la Buci au boulevard Saint-Germain, un petit bar voisin d'une épicerie où Guillaume venait s'approvisionner de truffes blanches, de vermouth, d'huile d'olive, de pâtes fraîches de nèfles, de kakis. Son cabas à la main, le poète bavardait avec la patronne et, quand il me voyait au bar, entrait boire un verre de « grappa ». (CARCO Francis, Nostalgie de Paris, 1941, p. 204, X/Frantext) Etwas später erscheinen dann mehrere Belege für frz. grappa, in denen explizite Hinweise darauf gegeben sind, dass es sich um ein italienisches Produkt handelt. Hieraus lässt sich die eigentliche Uminterpretation des Ausdrucks in einer Kommunikationssituation zwischen einem AS-Produzenten und einem ZS-Rezipienten erklären: (333) […] Mercadier commençait à ressentir sa solitude comme un alcool trop fort et plein d'analogie avec cette grappa brutale qu'on boit en Italie, et qui est sans nuance pour un Français, fait au cognac. (ARAGON Louis, Les Voyageurs de l'impériale, 1947, p. 407, DEUX MESURES POUR RIEN, I. VENISE, VII/Frantext) (334) Pour sortir de mon brouillard, il m'aurait fallu un verre de brutal : de la Grappa de bûcheron piémontais, ou du rhum Kroumanne comme s'en tapent les soutiers sur les cargos d'Afrique. (SIMONIN Albert, Touchez pas au grisbi, 1953, p. 55/Frantext) In beiden Belegen wird aus dem sprachlichen Kontext deutlich, dass )italienischer Tresterbrand den kommunikativen Referenten darstellt («cette grappa brutale qu’on boit en Italie», «de la Grappa de bûcheron piémontais»). Somit lässt sich eine Sprachkontaktsituation Italienisch-Französisch rekonstruieren, in der ein AS-Produzent mit einem ZS-Rezipienten kommuniziert und dabei auf )italienischen Tresterbrand referiert. Dabei verwendet der AS-Produzent den Ausdruck grappa, der für ihn die (im Italienischen lexikalisierte) Bedeutung ‘Tresterbrand’ besitzt, d.h. er konzeptualisiert den Referenten als TRESTERBRAND. Dies ist kommunikativ völlig 352

unauffällig, umso mehr in einer Äußerung über bzw. in Italien, in der italienischer Tresterbrand als prototypischer Vertreter des Konzepts TRESTERBRAND gelten kann. Der ZS-Rezipient hingegen bezieht den Ausdruck grappa auf das speziellere Konzept ITALIENISCHER TRESTERBRAND. Auch dies erscheint aus seiner Sicht völlig naheliegend: Im Lexikon der ZS – und damit in den Wissensbeständen des ZS-Rezipienten – ist bereits frz. marc als Bezeichnung für das Konzept TRESTERBRAND vorhanden. Eine Übernahme von it. grappa zur Bezeichnung dieses Konzepts wäre daher als nichtkatachrestische Innovation zu werten, wobei ein kommunikativer Mehrwert der entlehnten Form im Hinblick auf die Kommunikation mit anderen ZSRezipienten nicht erkennbar ist (eine mögliche kommunikative Rechtfertigung entsprechender weitgehender Synonymie wäre ein unterschiedlicher pragmatischer Wert der Quasi-Synonyme; cf. Kap. 12). Aus Rezipientensicht liegt daher eine katachrestische Uminterpretation nahe, bei welcher der italienische Ausdruck uminterpretiert und auf ein spezifischeres Konzept bezogen wird, d.h. als Bezeichnung eines Typs italienischer Spirituosen aufgefasst wird. Damit kann hier eine Art denotativer Rechtfertigung der Uminterpretation und der Entlehnung gesehen werden: Durch die Übernahme von grappa als Bezeichnung für ITALIENISCHEN TRESTERBRAND wird ein neuer Ausdruck in das Französische eingeführt, der es erlaubt, das entsprechende Konzept präzise und effektiv zu bezeichnen (cf. hingegen die umständlicheren Paraphrasierungen «marc italien», «eau-de-vie de marc italienne» etc.). Die Uminterpretation erscheint gleichzeitig auch in der Sprachkontaktsituation selbst kommunikativ möglich bzw. kontextverträglich, wenn angenommen wird, dass sowohl Produzent als auch Rezipient – trotz der abweichenden Konzeptualisierungen – mittels des Ausdrucks grappa auf )italienischen Tresterbrand referieren. Insgesamt geht es damit hier aus Produzenten- und Rezipientensicht um die Wahl eines bestimmten Abstraktionsniveaus beim konzeptuellen Zugriff auf den kommunikativen Referenten. 10 Die eintretende semantische Veränderung lässt sich als rezipienteninduziert charakterisieren, d.h. ein ZS-Rezipient interpretiert die Form entsprechend neu.

14.4

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann die Entlehnung von frz. grappa wie folgt charakterisiert werden: (335) it. grappa N.f.

TRESTERBRAND

ĺ frz. grappa N.f.

ITALIENISCHER

TRESTERBRAND

10

Interessant erscheint, dass weder beim Produzenten noch beim Rezipienten eine Assoziation im eigentlichen Sinn zwischen den Konzepten TRESTERBRAND und ITALIENISCHER TRESTERBRAND hergestellt wird – die hier vorliegende Bedeutungsabweichung unterscheidet sich also grundlegend von anderen Typen des (sprecher- bzw. produzenteninduzierten) Bedeutungswandels, bei denen die innovierenden Sprecher das Ausgangs- und Zielkonzept assoziieren (etwa: engl. mouse MAUS ĺ COMPUTERMAUS).

353

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

taxonom. Subordination «Null» fremdsprachlich

Als mögliches Sprachkontaktszenario für diese Entlehnung ergibt sich damit: (336) it. grappa N.f. ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa N.f. ‘italienischer Tresterbrand’ N.f., Pl. grappe

Prod [It.]

Komm [it./frz.]

Rez [Frz.]

['grappa]

Ļ «…grappa…» Ļ

[gra'pa] N.f. Ļ Pl. grappas (oder Pl. grappa)

‘Tresterbrand’

‘italienischer Tresterbrand’



TRESTERBRAND

Ļ )italienischer Tresterbrand Ļ ITALIEN . – TRESTERBRAND

Dabei lassen sich anhand der Corpusbelege erstens Szenarien konzipieren, bei denen Sprecher des Italienischen im Französischen innovieren (also eine Kommunikation auf Französisch vorliegt), so dass Sprachkontakt und Entlehnung zusammenfallen (etwa: italienische Restaurantbesitzer, die den Ausdruck grappa auf eine französische Speisekarte aufnehmen; AS-produzenteninduzierte Entlehnung, cf. den traditionellen Begriff der Substratinterferenz). Zweitens besteht auch die Möglichkeit, dass die Entlehnung (= erstmalige Verwendung des Ausdrucks im Französischen) durch Sprecher des Französischen erfolgt (etwa in Anknüpfung an touristische Kontakte; ZS-rezipienteninduzierte Entlehnung); für das Sprachkontaktszenario, das einer solchen Entlehnung vorausgeht, ist demnach eine Kommunikation auf Italienisch anzunehmen. Damit können AS-produzenteninduzierte und ZS-rezipienteninduzierte Innovationen hier parallel ablaufen. Traditionelle Ansätze, die für bestimmte Sprachenpaare eine globale Zuweisung der Kategorien Substratinterferenz vs. Entlehnung vornehmen («Bei den Einflüssen aus Sprache A auf Sprache B handelt es sich um Entlehnungen»/«…um Substratinterferenzen»), scheinen hingegen an ihre Grenzen zu stoßen. Somit ergibt sich die Notwendigkeit einer flexibleren Modellierung der Entlehnung auf der Ebene der Sprachbenutzer und der kommunikativen Verwendungen. Was die Erklärung der auftretenden Veränderungen angeht, so ist die ZS-Lautung entweder aus der ZS-Schreibung ableitbar (Rez [Frz.]: ĺ [gra'pa]) oder aber durch einen zusätzlichen Kontakt auch mit einer phonischen Zeichensequenz erklärbar (Prod [It.]: ['grappa] ĺ Komm [it./frz.]: […'grappa…] ĺ Rez [Frz.]: [gra'pa]). Weiterhin wurden neben der Flexionsform grappas N.f.pl. auch die Varianten grappa N.f.pl. und grappe N.f.pl. registriert. Hierbei lässt sich die erstere durch Anwendung eines Nullmorphems erklären (Rez [Frz.]: grappa N.f.sg. ĺ grappa N.f.pl.). Die Anwendung dieses markierten Verfahrens erscheint bei Formen 354

wie frz. grappa, die eine formal-strukturelle (hier: morphologische) Fremdheit aufweisen, prinzipiell durchaus möglich. Außerdem kann in einigen Corpusbelegen die Form als Eigenname interpretiert werden; in diesem Fall entspricht die Pluralisierung durch ein Nullmorphem ohnehin dem regulären Verfahren der ZS. Die Variante frz. grappe N.f.pl. hingegen ist nur über einen intensiveren Sprachkontakt erklärbar, und es ist eine zusätzliche Sprachkontaktsituation anzunehmen, in welcher der ZS-Rezipient auch mit der AS-Pluralform in Kontakt kommt (Komm [it./frz.]: „…grappe…“ )italienische Tresterbrände ĺ Rez [Frz.] grappe N.f.pl.). Weiterhin kann bei gut ausgeprägten Kenntnissen der AS auf Seiten des ZS-Rezipienten davon ausgegangen werden, dass der ZS-Rezipient die italienische Form morphologisch analysieren kann und dann selbst bei der Bildung der französischen Pluralform auf die entsprechende AS-Pluralisierungsregel zurückgreifen kann (Rez [Frz.]: grappa N.f.sg. ĺ {grapp} + {a} ĺ grappe N.f.pl. = {grapp} + {e}, nach der AS-Pluralisierungsregel {-a} ĺ {-e}). Abschließend kann festgestellt werden, dass das Beispiel frz. grappa deutlich die wichtige Rolle bestimmter Diskurstraditionen und fachsprachlich geprägter Kontexte für Entlehnungen sowie für die Realisierung von Lehnwortintegrationen belegt. So hat sich gezeigt, dass Kommunikationssituationen im Kontext von Getränkehandel sowie im Bereich der Gastronomie einen wichtigen Bereich darstellen, in dem entsprechende Entlehnungen häufig vorkommen und sich innerhalb der ZS ausbreiten. Ferner kann bei einer ZS-Kommunikation innerhalb entsprechender fachlicher Diskurstraditionen tendenziell von besseren Kenntnissen der AS und einer schwächer ausgeprägten Lehnwortintegration ausgegangen werden (cf. frz. grappe N.f.pl.). Sobald die entlehnte Form jedoch innerhalb der ZS eine weite Verbreitung erlangt und den engeren Bereich spezieller Diskurstradition verlässt, werden in der Regel stärker integrierte Varianten (cf. frz. grappas N.f.pl.) als kommunikativ angemessener eingeschätzt.

355

15

Frz. fuel oil, fuel, fioul

Das Beispiel frz. fuel veranschaulicht verschiedene Formen der Polymorphie, die im Kontext von Entlehnungen auftreten können. So steht die Form einerseits neben frz. mazout und frz. fuel oil; gleichzeitig sind mit frz. und bzw. mit [fjul], [fŮŤl] und [fy'Ťl] verschiedene Schreib- bzw. Aussprachevarianten der Form belegt: 1 (337) frz. fuel [fjul] HEIZÖL neben frz. fioul, fuel oil, fuel [fŮŤl], [fy'Ťl], mazout HEIZÖL (PR; DHLF; TLF; DAF; IATE; Dda) Nachfolgend soll untersucht werden, welcher Entlehnungskontext sich für die zunächst in der ZS belegte Form frz. fuel oil rekonstruieren lässt und in welchem Verhältnis diese Form zu frz. mazout steht. Weiterhin soll gefragt werden, wie die Zuweisung des maskulinen Genus für frz. fuel oil erklärt werden kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie frz. fuel hergeleitet werden kann; hier scheinen prinzipiell zwei Erklärungsmöglichkeiten gegeben: eine neuerliche Entlehnung aus engl. fuel oder eine Ellipse aus frz. fuel oil. Schließlich sollen die verschiedenen Aussprache- und Schreibvarianten näher charakterisiert werden, die als eye-loan bzw. ear-loan klassifiziert werden können und so typische Modalitäten der Lehnwortintegration aufzeigen.

15.1

Zur Polymorphie frz. fuel oil/frz. mazout und zum Kontext der Entlehnung

Dass die Formen fuel und mazout aktuell noch in Konkurrenz zueinander stehen bzw. als synonym einzustufen sind, zeigt sich unter anderem daran, dass als Bedeutung von fuel teilweise ‘mazout’ angegeben wird (so etwa im PR); im TLF findet sich sogar ein expliziter Hinweis auf die Synonymie (zu fuel, fuel oil: «Synon. mazout»). Ebenso weist das DHLF explizit auf das Nebeneinander der Formen hin:

1

Zusätzlich treten auch Schreibungen mit Bindestrich (frz. fuel-oil) auf, die hier nicht näher analysiert werden.

357

«Dans la langue technique, mazout est concurrencé par l’anglicisme fuel francisé en fioule, en particulier pour les emplois industriels» (DHLF s.v. mazout). 2 Die Form mazout ist selbst – aus dem Russischen – entlehnt; der Erstbeleg wird im DHLF mit der Schreibung auf 1895 datiert (dann 1899 und 1902 ). (338) russ. mazut HEIZÖL ĺ frz. mazoute [mazut] [mazu] (DHLF), mazout [mazut] (PR; DHLF)

HEIZÖL

(DHLF), mazou

Zu diesen Varianten ist anzumerken, dass die Form [mazut] im Hinblick auf das Französische stark integriert ist; die hier vorliegende Zuordnung der Aussprache [mazut] und Schreibung entspricht den regulären GPK-Regeln des Französischen. Im Fall von ist von einer Aussprache als [mazu] auszugehen, auch diese lässt sich demnach anhand der normalen GPK-Regeln des Französischen aus der Schreibung herleiten. Die heute etablierte Variante [mazut] hingegen ist im Hinblick auf die Ausspracheregeln des Französischen als markiert einzustufen, da auf der Grundlage der Schreibung und der Nulltendenz im konsonantischen Wortauslaut (Meisenburg 1996, 92–93) eine Aussprache als *[mazu] zu erwarten wäre. Corpusbelege zeigen, dass zunächst der Bereich der Schifffahrt eine wichtige Rolle für die Verwendung und Verbreitung der entlehnten Form im Französischen spielt (cf. Bsp. (339)). Wesentlich dafür, dass das Wort dann in den Allgemeinwortschatz übergeht, ist die Tatsache, dass das Produkt auch zum Beheizen von Wohnhäusern verwendet wird (cf. Bsp. (340)). (339) Ces navires présentent de nombreux avantages : consommation moins élevée de mazout ; emploi d’un personnel réduit ; donc, diminution du prix de revient d’une traversée. (ALBITRECCIA Antoine, Ce qu'il faut connaître des grands moyens de transport, 1931, p. 98/Frantext, Hervorhebung EWF) (340) Les huiles végétales peuvent être utilisées telles quelles dans les moteurs à combustion ou dans les foyers équipés pour brûler le mazout. (CHARTROU Jean-Jacques, Pétrole naturel et artificiels, 1931, p. 197/ Frantext, Hervorhebung EWF) Ein mögliches Indiz dafür, dass die Form im Französischen recht schnell eine weite Verbreitung erlangt, lässt sich auch daraus ableiten, dass für 1937 eine Verwendung in einem literarischen Text belegt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist die Form also bereits nicht mehr auf bestimmte (technische) Fachbereiche beschränkt, sondern findet auch in völlig anderen Diskurstraditionen Verwendung:

2

Die Schreibung im Zitat ist aller Wahrscheinlichkeit nach als Schreibfehler einzustufen; auch im DHLF wird unter dem Eintrag fuel die integrierte Form als angegeben.

358

(341) Elle est la vérité sans résidu, la lampe sans mazout, la lumière sans mèche. (GIRAUDOUX Jean, Électre : Pièce en deux actes, 1937, p. 625, ÉLECTRE, ACTE PREMIER, SCÈNE XIII/Frantext) Interessant ist ferner, dass das Wort aus dem Russischen auch ins Englische entlehnt wurde. Heute ist dort die Schreibung etabliert, wobei aber auch bei dieser Entlehnung zunächst unterschiedliche Varianten auftreten (1897: masut, 1924: mazout, mazut, cf. OED). Auffällig erscheint die Schreibung , die weder aus dem Russischen noch aus dem Englischen hergeleitet werden kann, so dass möglicherweise ein Einfluss des Französischen anzunehmen ist. (342) russ. mazut HEIZÖL ĺ engl. masut HEIZÖL (OED; DHLF s.v. mazout), mazout [cf. frz. mazout HEIZÖL] (OED; DHLF s.v. mazout), mazut brit. [mšzu:t], U.S. [mšzut] HEIZÖL (OED; DHLF s.v. mazout) Generell kann damit in diesem Bereich von einem intensiven Sprachkontakt zwischen dem Englischen und Französischen ausgegangen werden. Dieser erscheint auch in umgekehrter Richtung für die Entlehnung von frz. fuel (oil) zentral, die sich wie folgt beschreiben lässt: (343) engl. fuel oil HEIZÖL ĺ frz. fuel oil HEIZÖL (OED; DHLF s.v. fuel) ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität «Null» fremdsprachlich

Der Erstbeleg für die Form fuel oil ist im Französischen auf 1921 datiert. Damit ergibt sich, dass die Innovation als nichtkatachrestisch einzustufen ist, da zu diesem Zeitpunkt auch frz. mazout bereits existiert und davon ausgegangen werden kann, dass diese Form im Französischen – insbesondere in den zunächst relevanten Fachbereichen und Diskurstraditionen – bereits eine gewisse Verbreitung erlangt hat. Dass trotz des Vorhandenseins von frz. mazout zur Bezeichnung des Konzepts HEIZÖL zusätzlich die Form fuel oil entlehnt wird, kann dadurch erklärt werden, dass in entsprechenden fachsprachlichen und technischen Kontexten ein intensiver Sprachkontakt bestand. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass in englischen Diskursen die Form fuel oil wesentlich häufiger verwendet wurde als engl. mazut (im BNC finden sich etwa 39 Belege für fuel oil gegenüber keinem einzigen Beleg für mazut). Dementsprechend ist die Entlehnung damit in den fachsprachlichen Kontexten – trotz ihres nichtkatachrestischen Charakters – pragmatisch als eher unauffällig einzustufen; aus Sicht der ZS-Sprecher wird hier einfach die in der AS übliche Form in die ZS übernommen. Gleichwohl kann in einer frühen Phase der Verbreitung von frz. fuel oil noch eine gewisse Randständigkeit der Form festgestellt werden. Dies zeigt sich im folgenden Beleg, in dem die Form frz. fuel oil erklärend paraphrasiert wird («combustible liquide»); gleichzeitig wird frz. mazout als Synonym angegeben. Diese Erklärung kann als Zugeständnis an den Rezipienten interpretiert werden, d.h. der Produzent geht möglicherweise davon aus, dass die (jüngere) Form fuel-oil dem Rezipienten noch nicht bzw. noch nicht gut bekannt ist.

359

(344) Depuis quelque temps, la chauffe au moyen de combustible liquide : fuel-oil / ou mazout / a été introduite, en *France, sur certaines locomotives. (BAILLEUL Maurice, Notions de matériel roulant des chemins de fer, 1951, p. 37/Frantext, Hervorhebung EWF) Die Académie française spricht sich in einem Communiqué vom 20.04.1967 gegen die Form fuel-oil aus und fordert ihre Ersetzung «par l’équivalent français mazout» (TLF s.v. fuel, fuel oil). Bemerkenswert hieran ist, dass die noch jüngere, aus dem Englischen entlehnte Form durch ein ebenfalls entlehntes Wort ersetzt werden soll, das aber bereits als französisches Wort etikettiert wird. Heute hat die Form frz. mazout weite Verbreitung erlangt und kann im Französischen als etabliert angesehen werden. Gleichwohl hat die Form nicht den alternativen Ausdruck fuel/fioul verdrängt, der heute ebenfalls etabliert ist. 3 Zunächst besitzt frz. fuel oil jedoch noch einen auffälligen Status, wie auch folgender Beleg zeigt, in dem der Ausdruck durch Anführungszeichen hervorgehoben wird: (345) Cette turbine du type à circuit ouvert et qui brûle du « fuel oil » équipait la vedette rapide anglaise * 2 oo 9 et sa puissance atteint * 25 oocv. [sic, EWF] (LE MASSON Henry, La Marine, 1951, p. 61/Frantext, Hervorhebung EWF) Die Verwendung der Anführungszeichen lässt sich so interpretieren, dass die Form als eine Art Zitat markiert wird – in diesem Fall ein Zitat der Ausdrucksweise der Fachleute in der entsprechenden Diskurstradition. Dieses (implizite) Zitat ließe sich etwa wie folgt umschreiben: «[…] qui brûle du «fuel oil», comme disent les spécialistes». Im Übrigen ergibt sich aus dem Kontext, dass es um ein englisches Schiff geht («la vedette rapide anglaise»), so dass hier auch eine Anspielung auf die AS-Ausdrucksweise gesehen werden kann. Dass die Verwendung von Entlehnungen – insbesondere in einem frühen Stadium der Verbreitung – Zitatcharakter haben kann, lässt sich auch anhand der Beispiele (346) und (347) bestätigen. In (346) wird der Ausdruck Hobbys durch eine Redezuweisung fremden Sprechern zugeschrieben; in ähnlicher Weise wird für die Form sky ein französisches Äquivalent angegeben, so dass sie ebenfalls als nichtfranzösisch markiert wird. In (347) handelt sich um den frühesten Beleg für die Form frz. baby in Frantext. Hier wird das Zitat des fremdsprachlichen Ausdrucks einer Sprecherin der AS zugeschrieben, was darauf hinweist, dass die Form unter Sprechern der ZS noch als kaum verbreitet einzustufen ist.

3

Eine Abfrage mit der französischen Version von google unter Einschränkung auf französischsprachige Seiten ergibt folgende Trefferzahlen: "le fuel" – "le fioul" – "le mazout": 42.700 – 81.300 – 54.100 Treffer (entspricht ca. 23,97 %, 45,65 % bzw. 30,38 %); "fuel" – "fioul" – "mazout": 1.690.000 – 1.180.000 – 891.000 Treffer (entspricht ca. 44,94 %, 31,37 % bzw. 23,69 %; Abfragen durchgeführt am 08.12.2009). Bei Frantext ergeben sich in Texten ab 1980 13 Belege für fuel, 2 Belege für fioul und 24 Belege für mazout (entspricht 33,33 %, 5,13 % bzw. 61,54 % der Gesamtzahl der Belege; Abfrage vom 28.05.2011).

360

(346) Ma Vie Mes Hobbys (comme disent les anglais) mon sky ( ou mon ciel en francai) [sic, EWF] (Kurzbeschreibung des Inhalts eines Blogs, Autor: breamsmile [männlich, 19 Jahre, Wohnort: Mirecourt (Vosges)], , Zugriff 21.04.2009, Hervorhebungen EWF) (347) Donc mon singe n’est plus un singe, mais un baby, comme dit ma bonne Anglaise, un baby blanc et rose. (BALZAC Honoré de, Mémoires de deux jeunes mariées, 1842, p. 321/Frantext, Hervorhebung EWF). Weiterhin lässt sich aufzeigen, dass dieses Distanzierungsverfahren (der Produzent distanziert sich von bestimmten Teilen seiner Rede, indem er sie anderen Sprechern zuschreibt) nicht nur auf den Bereich der Entlehnungen beschränkt ist. Vielmehr finden sich entsprechende Verwendungen auch für «schwierige» fachsprachliche Wörter oder aber für Wörter, die als spezifisch für bestimmte Sprechergruppen oder Diskurstraditionen angesehen werden (cf. die Belege (348) und (349)). Dabei findet sich interessanterweise in (348) sowohl eine typographische Hervorhebung des fachsprachlichen Ausdrucks durch Anführungszeichen als auch eine explizite Redezuschreibung; in (349) finden sich eine Erläuterung und eine Redezuweisung: (348) […] Ce que je ne comprends pas : c’est si on doit faire une auto-greffe sur le pépin qui a germé - Celui qui se nome [sic, EWF] ''Le franc" comme disent les spécialistes - ou si il faut récupérer un greffon sur un arbre ayant déjà donné des fruits. (Diskussionsbeitrag vom 04.10.2005, Autorin: Louisa, , Zugriff 21.04.2009, Hervorhebung EWF) (349) D’où provient notre ethnonyme (nom de peuple), comme disent les historiens? (Artikel vom 17.04.2009, Autor: Fabrice Breithaupt, , Zugriff 21.04.2009, Hervorhebung EWF) Insgesamt deutet sich hier an, dass aus Sicht der Sprachbenutzer Einwortcodeswitching durchaus als prinzipielle Option denkbar ist (cf. Kap. 3.1). Gleichzeitig bestätigt sich damit die Schwierigkeit einer scharfen Abgrenzung zwischen Codeswitching und Entlehnung für einzelne, in der Kommunikation herausgestellte «fremde» Wörter. Verschiedene Verfahren zur Hervorhebung solcher Wörter (Erläuterung des Ausdrucks, typographische Hervorhebung bzw. Intonation, sowie eventuell auch Gestik, Mimik) können kombiniert auftreten. Eine entsprechende Hervorhebung wird grundsätzlich zwischen Produzent und Rezipient verhandelt, und insofern sind traditionelle Ansätze zur Abgrenzung von Codeswitching und Entlehnung dahingehend zu erweitern, dass die Einschätzungen der Kommunikationspartner als zentraler Aspekt bei der Bestimmung der Kategorien einzubeziehen sind. Dabei ist anzunehmen, dass in der konkreten Kommunikation eine Hervorhebung durch bloße

361

Intonation unter Umständen einen ebenso eindeutigen Zitatcharakter erzeugen kann wie eine explizite Redezuweisung. Darüber hinaus bestätigen die Belege nachdrücklich die wichtige Rolle von Diskurstraditionen für die Verbreitung von Innovationen. Die Anwendung der beschriebenen Strategie der Distanzierung kann genau den Zeitpunkt anzeigen, zu dem die Formen den Bereich bestimmter Diskurstraditionen verlassen: Sie werden nun in einem neuen Bereich verwendet; da ihre Verwendung dort jedoch (noch) als kommunikativ auffällig eingeschätzt wird, werden sie als Zitat aus der entsprechenden Diskurstradition markiert. Dies bestätigt auch der folgende Beleg, in dem der Ausdruck frz. tournant du match in einem Diskussionsthread zu einem politischen Thema (es geht um die Beurteilung eines für den 29.01.2009 geplanten Streiks) verwendet wird, wobei die Herkunft des Ausdrucks aus dem Bereich der Sportsprache explizit thematisiert wird: (350) 29 Janvier : le tournant du match comme disent les journalistes sportifs ? (Diskussionsbeitrag von Januar 2009, Autor: jeanayma, , Zugriff 21.04.2009, Hervorhebung EWF)

15.2

Zuweisung des Genus

In Bezug auf frz. fuel oil lässt sich weiterhin fragen, wie die Zuweisung des maskulinen Genus im Französischen erklärbar ist. Grundsätzlich kann das Genus hier nicht aus der AS hergeleitet werden, da im Englischen die Kategorie Genus inexistent ist. Allerdings ist ohnehin anzumerken, dass eine Orientierung am AS-Genus nur bei gut ausgeprägter Zweisprachigkeit oder einer vorhandenen Transparenz der AS angenommen werden kann (so etwa bei Entlehnungen zwischen romanischen Sprachen, cf. die übliche Genuszuweisung bei frz. grappa sowie die in Kap. 14.2 zitierten Beispiele anderer innerromanischer Entlehnungen). Als Normalfall ist vielmehr davon auszugehen, dass die Genuszuweisung innerhalb der ZS und aufgrund dort vorhandener Kategorien erfolgt (Humbley 1974, 66; Winford 2003, 49); dies zeigt nicht zuletzt auch das Beispiel in (351). (351) dt. Mark N.f. ĺ frz. Mark N.m. (Humbley 1974, 67) Relativ häufig kann das entlehnte Wort dabei in ein verbreitetes Paradigma in der ZS eingeordnet werden (Suffixanalogie, cf. Callies/Ogiermann/SzczeĞniak 2010, 67 sowie Pulcini 2002, 159, die als Beispiele die feminine Genuszuweisung bei Anglizismen im Italienischen auf -ione [aus engl. -ion] und -tà [aus engl. -ty] nennt). Ähnlich lassen sich auch für das Französische viele Beispiele für die Zuweisung eines femininen Genus angeben – cf. Bsp. (352) bis (356). Dabei kann entweder wie in Bsp. (352) bis (355) eine formale Übereinstimmung der Suffixe vorliegen oder aber wie in Bsp. (356) eine Annäherung an ein entsprechendes ZS-Paradigma bzw. Suffix vorgenommen werden. Ein entsprechendes Verfahren scheint jedoch für frz. fuel oil nicht möglich.

362

(352) frz. fission N.f. (ĸ engl. fission) (DMOE; PR; OED): cf. frz. opinion N.f., union N.f. etc. (353) frz. jam-session (ĸ engl. jam session) (DMOE; PR; Dda; OED s.v. jam): cf. frz. session N.f., opinion N.f., union N.f. etc. (354) frz. déflation N.f. (ĸ engl. deflation) (DMOE; PR; OED): cf. frz. nation N.f., option N.f. etc. (355) frz. impédance N.f. (ĸ engl. impedance) (DMOE; PR; Dda; OED): cf. frz. assurance N.f., résistance N.f., croyance N.f. etc. (356) frz. épistémologie (ĸ engl. epistemology) (DMOE; PR; OED): cf. frz. biologie N.f., philologie N.f. In einigen Fällen lässt sich auch eine Genuszuweisung beobachten, die auf einer Anlehnung an eine lautlich ähnliche und semantisch nahe ZS-Einheit beruht (cf. Bsp. (357) und (358); in der Regel handelt es sich um etymologisch verwandte Wörter in AS und ZS); auch hier liegt aber für frz. fuel oil kein entsprechendes lautlich ähnliches ZS-Wort vor. (357) frz. hot(-)line N.f. ‘Hotline’ (ĸ engl. hotline) (PR; Humbley 1974, 67; OED): cf. frz. ligne N.f. (358) frz. check(-)list N.f. ‘Checkliste’ (ĸ engl. check-list) (DMOE; PR; Dda; OED): cf. frz. liste N.f. Schließlich lässt sich bei frz. fuel oil ein feminines Genus auch nicht in semantischer Hinsicht durch das natürliche Geschlecht des Referenten motivieren, da kein belebter Referent vorliegt – anders dagegen in den folgenden Beispielen, in denen die Genuszuweisung in der ZS entsprechend erklärbar ist (cf. Humbley 2002, 116; Pulcini 2002, 159). (359) frz. girl N.f. ‘Revuetänzerin’ (ĸ engl. girl ‘Mädchen’) (DMOE; PR; Dda; OED) 4 (360) frz. call-girl N.f. ‘Callgirl’ (ĸ engl. call-girl) (DMOE; PR; Dda; OED s.v. call) (361) frz. cover-girl N.f. ‘Covergirl’ (ĸ engl. cover-girl) (DMOE; PR; Dda; OED s.v. cover) (362) frz. First lady N.f. ‘First Lady’ (ĸ engl. first lady) (Humbley 1974, 67; OED s.v. first)

4

Im Englischen ist die Bedeutung ‘Revuetänzerin’ zwar ebenfalls belegt, doch ist im OED auffälligerweise nur die Pluralform les girls angegeben, so dass hier eine Rückentlehnung aus dem Französischen anzunehmen ist.

363

(363) frz. lady N.f. ‘elegante Dame’ (ĸ engl. lady) (PR; Dda; OED) (364) frz. recordwoman N.f. ‘Rekordhalterin’ (Allogenismus, cf. Kap. 3.6) (PR; Dda s.v. record; Humbley 1974, 67) Als ein weiterer potenzieller semantischer Faktor der Genuszuweisung kann die Anlehnung an semantisch nahe Wörter der ZS gelten (cf. Pulcini 2002, 159). Diese stellen in der Regel sowohl die Übersetzung eines Elements der AS-Form als auch ein Hyperonym des gesamten Ausdrucks dar, so etwa im folgenden Beispiel: (365) frz. holy cross church N.f. (ĸ engl. Holy Cross Church) (Humbley 1974, 67): cf. frz. église N.f. KIRCHE (engl. church KIRCHE) (366) frz. day-school N.f. (ĸ engl. day-school) (Humbley 2002, 116; OED): cf. frz. école N.f. SCHULE (engl. school SCHULE) Als entsprechende ZS-Einheit ließe sich für frz. fuel oil die Form frz. huile angeben, so dass grundsätzlich auch eine Zuweisung des femininen Genus denkbar wäre. Eine entsprechende Zuweisung ist jedoch nicht belegt. Dies zeigt, dass hier andere Faktoren für die Entwicklung der Form ausschlaggebend sind. Wichtig erscheint vor allem das konsonantische Wortende der entlehnten Form, das im graphischen Medium eine Anlehnung an französische Maskulina nahelegt (cf. Humbley 2002, 116). Gleichzeitig kann die Zuweisung des maskulinen Genus als eine Art default-Zuweisung angesehen werden, d.h. die oben genannten potenziellen Faktoren erscheinen vor allem relevant, um ein davon abweichendes feminines Genus bei Lehnwörtern zu erklären (Humbley 2002, 116; für das Italienische cf. Pulcini 2002, 159). Schließlich ist noch allgemein festzustellen, dass die unterschiedlichen – formalen und semantischen – Kriterien im Widerspruch zueinander stehen können. Die Beispiele (367) bis (370) zeigen, dass im Einzelfall auch innerhalb einer ZS unterschiedliche Genuszuweisungen abgeleitet werden können (was aber bei frz. fuel oil nicht der Fall ist). Das Auftreten entsprechender morphologischer Varianz ist demnach dadurch erklärbar, dass in konkreten Kommunikationssituationen die Sprachbenutzer unterschiedlichen Kriterien Priorität einräumen. 5 (367) frz. hit-parade N.m. HITPARADE (ĸ engl. hit parade) (DMOE; PR; OED): default-Zuweisung des maskulinen Genus

5

Für eine ausführliche Untersuchung der Genuszuweisung bei Anglizismen im Deutschen cf. Onysko (2007, 151–180). Der dort zugrunde gelegte «principle and rule approach» berücksichtigt verschiedene potenzielle Auslöser für eine bestimmte Genuszuweisung (eine default-Hierarchie sowie semantische, morphologische und phonologische Faktoren), die miteinander interagieren, so dass auch die dort festgestellten Beispiele für variable Genuszuweisungen (dt. der/das Cash, der/das Cyberspace, das/die E-Mail, der/das Event, der/die Single, der/das Speed und die Runway, die Gangway vs. der Highway, cf. Onysko 2007, 174–177) entsprechend erklärbar sind (zu Genusschwankungen bei englischen Lehnwörtern im Deutschen und Polnischen cf. auch Callies/Ogiermann/SzczeĞniak 2010).

364

(368) frz. hit-parade N.f. frz. parade N.f.

HITPARADE

(ĸ engl. hit parade) (Internet): cf.

(369) frz. holding N.m. BETEILIGUNGSGESELLSCHAFT (ĸ engl. holding company) (OED; Humbley 1974, 68; PR): default-Zuweisung zum maskulinen Genus; cf. frz. shopping N.m., footing N.m. sowie frz. groupe N.m. KONZERN, trust N.m. TRUST (engl. company HANDELSGESELLSCHAFT, FIRMA) (370) frz. holding N.f. BETEILIGUNGSGESELLSCHAFT (ĸ engl. holding company) (OED; Humbley 1974, 68; PR): cf. frz. société N.f. GESELLSCHAFT, FIRMA, maison N.f. FIRMA (engl. company HANDELSGESELLSCHAFT, FIRMA) (cf. Humbley 1974, 68)

15.3

Zur Herleitung von frz. fuel

Neben der ZS-Form frz. fuel oil tritt auch die Form frz. fuel auf (Erstbeleg nach DHLF 1944, Erstbeleg bei Frantext 1951); das folgende Beispiel bestätigt darüber hinaus nochmals die Synonymie von frz. fuel und frz. mazout: (371) Il faut enfin signaler les essais faits depuis quelques années pour alimenter des moteurs marins diesel, transformés par quelques modifications de détail, non plus avec du gasoil, mais avec du fuel ordinaire / notamment les essais particulièrement poussés du pétrolier *Auricula en *I 947 / [sic, EWF]. Les raisons qui ont longtemps empêché l’emploi des mazouts ordinaires étaient de deux ordres […] (LE MASSON Henry, La Marine, 1951, p. 111/Frantext, Hervorhebung EWF) Diese Form kann prinzipiell sowohl als neue Entlehnung aus dem Englischen (cf. (372)) als auch als Ellipse/Wortkürzung innerhalb des Französischen (cf. (373)) interpretiert werden: (372) engl. fuel HEIZMATERIAL, KRAFTSTOFF ĺ frz. fuel HEIZÖL ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

taxonom. Subordination «Null» fremdsprachlich

ODER (373) frz. fuel oil HEIZÖL ĺ frz. fuel HEIZÖL ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität Ellipse/Wortkürzung eigensprachlich

Die Herleitung der Form aus dem Englischen ließe sich damit begründen, dass die Form frz. fuel zunächst wieder innerhalb bestimmter fachsprachlicher Diskurstraditionen (im Bereich der Schifffahrt) verwendet wird, in denen von einem intensiven 365

Sprachkontakt zwischen dem Englischen und Französischen ausgegangen werden kann. Dabei kann ferner in AS-Äußerungen auf das Produkt )Heizöl (den kommunikativen Referenten) auch mittels des Ausdrucks fuel referiert werden, indem eine Konzeptualisierung auf abstrakterer Ebene zugrunde gelegt wird (Heizöl ist eine Art von Heizmaterial oder Kraftstoff). Analog zu den in Kap. 12.4 für frz. sombrero und frz. grappa angestellten Überlegungen scheint daher auch hier die Annahme unproblematisch, dass der ZS-Rezipient in der Sprachkontaktsituation die ASForm entsprechend uminterpretiert, d.h. auf das spezifischere Konzept HEIZÖL bezieht und daraus die Bedeutung ‘Heizöl’ ableitet: (374) engl. fuel ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel ‘Heizöl’ Prod [Engl.]

Komm

Rez [Frz.]

['fju:ԥl]

‘Heizmaterial, Kraftstoff’



Ļ „…fuel…“ Ļ

[…]

HEIZMATERIAL, KRAFTSTOFF

Ļ )Heizöl Ļ ‘Heizöl’



HEIZÖL

Gleichzeitig ergibt sich durch die Verwendung der Form frz. fuel im Vergleich zu frz. fuel oil der potenzielle kommunikative Vorteil, dass hier eine kürzere Form vorliegt. Dieser Aspekt ist auch zentral, wenn die Form frz. fuel auf eine innersprachliche Entwicklung im Französischen zurückgeführt wird. Auch diese Interpretation lässt sich durch die sprachlichen Fakten gut begründen. So zeigt die Chronologie der Belege, dass im Französischen zunächst die Form fuel oil auftritt und erst deutlich später auch frz. fuel belegt ist (cf. Frantext, wo von 1931–1950 durchgängig fuel oil und erst ab 1951 auch die Form fuel erscheint), d.h. eine Innovation frz. fuel auf der Grundlage von frz. fuel oil scheint ebenfalls mit den Corpusbefunden vereinbar. Im Unterschied zur obigen Interpretation von frz. fuel als Innovation im Rahmen von Sprachkontakt ergibt sich bei einer innersprachlichen Analyse, dass hier nun nicht eine semantische Veränderung bei formaler Kontinuität, sondern eine formale Veränderung bei semantischer Kontinuität bzw. Identität vorliegt (cf. die Analyse in (373)). Entsprechende Ellipsen bzw. Wortkürzungen können als gängiges morphologisches Verfahren angesehen werden. Kommunikativ erscheinen sie insbesondere innerhalb der Diskurstraditionen unproblematisch, in denen die Form fuel oil bereits weit verbreitet ist; hier kann der Produzent davon ausgehen, dass der Rezipient aufgrund seines sprachlichen und enzyklopädischen Wissens auch die Form fuel erfolgreich auf den kommunikativen Referenten )Heizöl beziehen kann. Auffällig ist im Übrigen, dass der erste Beleg für die gekürzte Form in Frantext einem Text entstammt, in dem auch die Form fuel oil häufig auftritt (cf. die oben zitierten Belege (345) und (371)).

366

Sowohl eine Erklärung über Sprachkontakt als auch eine innersprachliche Erklärung sind damit prinzipiell möglich. Eine Entscheidung für die eine und gegen die andere Interpretation ist auf der Grundlage der vorhandenen Fakten nicht möglich, scheint aber auch nicht zwingend notwendig. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass beide Aspekte zusammenwirken und sich gegenseitig stützen können, d.h. bei der innovativen Verwendung von frz. fuel innerhalb der entsprechenden Diskurstradition spielen sowohl Sprachkontaktfaktoren und Wissensbestände bezüglich der AS (etwa: im Englischen wird auch die Form fuel ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ verwendet, um auf )Heizöl zu referieren) als auch Wissensbestände bezüglich der ZS und des vorhandenen Zeichens frz. fuel oil eine potenzielle Rolle. Was den Verlauf der Verbreitung von frz. fuel angeht, so lässt sich für ein frühes Stadium der Verbreitung wieder ein Beleg angeben, in dem die Form in Anführungszeichen gesetzt ist, was auf eine noch vorhandene Randständigkeit der Form hinweisen kann: (375) Des accords suggérés par le gouvernement aux producteurs de « fuel », avec toute l’autorité dont il dispose, ont empêché la situation de s’aggraver […]. (CHENOT Bernard, Les Entreprises nationalisées, 1956, p. 45/Frantext, Hervorhebung EWF) Aktuell ist hingegen davon auszugehen, dass die Form im Französischen völlig etabliert ist, was sich insbesondere an alltagssprachlichen Verwendungen zeigt (bezeichnenderweise geht es dabei meist nicht mehr um Heizöl als Kraftstoff für Schiffe, sondern als Heizmaterial zum Beheizen von Wohnhäusern (cf. die Bedeutungsangabe im TLF in (378)), so dass der Bereich fachsprachlicher Diskurstraditionen verlassen wird): (376) Un sac poubelle, tous les trois jours, suffit. Les notes d’eau, de gaz, de fuel, d’électricité ont notablement diminué. (BAZIN Hervé, L'école des pères, 1991, p. 306, 1983/Frantext, Hervorhebung EWF) (377) La fenêtre de la chambre des gosses donne sur le jardin, nous on sort directement par là, en sautant sur la cuve à fuel (la chaudière est en bas, dans la cave). (BON François, Mécanique, 2001, p. 37/Frantext, Hervorhebung EWF) (378) FUEL, FUEL(-)OIL […] ‘Résidu de la distillation du pétrole, employé seul ou en mélange avec d’autres huiles pour le chauffage domestique et la chauffe des foyers’ (Comité d'étude des Termes techniques français 1955) […] (TLF) Gleichzeitig kann die Form frz. fuel oil als weitgehend abgelöst gelten. Der letzte Beleg dieser Form in Frantext stammt aus dem Jahr 1975; eine Recherche über google ergibt 76.100 Treffer für "fuel oil" auf französischsprachigen Seiten (gegenüber 4.450.000 Treffern für "fuel"; Abfrage vom 01.03.2011). Auch im PR wird die Form nicht mehr verzeichnet.

367

15.4

Aussprache- und Schreibvarianten von frz. fuel

Trotz seiner Etabliertheit kann frz. fuel in formaler Hinsicht noch immer als auffällig gelten – zumindest, sofern eine Aussprache als [fjul] realisiert wird. Damit komme ich nun zu einer Erörterung der verschiedenen Aussprache- und Schreibvarianten. Hier lassen sich die folgenden Formen gegenüberstellen: (379) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF) (380) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul] (OED; PR: «Recomm.[andation] offic.[ielle] pour fuel»; TLF; DHLF s.v. fuel; DAF) (381) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] (OED; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986, 250; cf. TLF) (382) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fy'Ťl] (OED; TLF) Was die unterschiedlichen Schreibungen angeht, so ist in Frantext die Form 13 Mal, die Form hingegen nur 2 Mal belegt. 6 Gängige Wörterbücher des Französischen registrieren hingegen auch die Schreibvariante (Erstbeleg nach PR 1983). Dabei gehen sie im Einzelnen aber unterschiedlich vor: Im DHLF wird die Form fioul nur unter dem Haupteintrag fuel erwähnt; für fioul selbst findet sich hingegen kein Eintrag. Im PR hingegen sind beide Formen verzeichnet, wobei fuel als Anglizismus eingestuft wird und davon ausgehend auf die Form fioul verwiesen wird; letztere wird im entsprechenden Eintrag als «forme francisée de fuel» sowie als offiziell empfohlene Form ausgewiesen. Im DAF schließlich ist fioul als Haupteintrag verzeichnet, unter fuel findet sich lediglich ein Verweis auf diesen Eintrag. Insgesamt zeigt sich, dass die Verbreitung von frz. fioul erheblich durch sprachpflegerische Bestrebungen geprägt ist. Als entscheidend für die Verbreitung der Form kann insbesondere die Veröffentlichung einer entsprechenden Empfehlung der Verwendung dieser Form anstelle von frz. fuel im Journal officiel gelten (Abb. 34; Quelle: , Zugriff 20.02.2009). fioul, n.m. Domaine : Pétrole et gaz/Raffinage Définition : Distillat lourd, résidu ou mélange utilisé comme combustible pour la production de chaleur. Note : On trouve aussi, dans certains cas, la forme « fuel ». Équivalent étranger : fuel oil (en) Source : Arrêté du 18 février 1987 Abb. 34:

6

Datenblatt für frz. fioul im Journal officiel (22/09/2000)

Stand Mai 2011. Da die Textbasis von Frantext laufend erweitert wird, können unter Umständen bei späteren Abfragen andere Belegzahlen festgestellt werden.

368

Wie lässt sich die Form fioul im Hinblick auf die realisierte Lehnwortintegration analysieren? Eine Analyse der einzelnen graphischen Segmente hinsichtlich ihrer Konformität gegenüber der AS-Form und gegenüber dem ZS-System (cf. Abb. 35) zeigt zunächst Korrespondenzen bezüglich der konsonantischen Segmente, die unverändert übernommen werden und gleichzeitig im Hinblick auf das Französische als systemkonform gelten können. Bei der Schreibung der Vokale ist hingegen eine Veränderung gegenüber der AS-Schreibung festzustellen, bei der ZS-systemkonforme Einheiten gewählt werden, so dass eine Integration vorliegt. Auffällig ist aber, dass die graphischen Segmente und der AS-Form ebenfalls im Hinblick auf das Französische als systemkonform gelten können, d.h. ihre Ersetzung kann nicht rein auf der graphischen Ebene motiviert werden, sondern erklärt sich erst in Bezugnahme auf die Aussprache, d.h. auf PGK-Regeln (cf. dazu näher im Folgenden). Graphische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

<
>

l l K K KORR

] ]

Phonische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

[ [

f f K K KORR

j j K K KORR

u: u NK K INT

ԥ NK (K) (INT)

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz. K ggü. ZS-System?

ļ [f]

ļ [j]

K

K

ļ [u] K

ļ [l] K

Wortakzent engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse Abb. 35:

'ı ı ['fju:.ԥl] 'ı [fjul] NK K INT

Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fioul [fjul] nach den Konformitätskriterien

Was die Aussprache angeht, so lassen sich wiederum im Bereich der Konsonanten – und des Gleitlauts [j] – Korrespondenzen feststellen, während sich für die Vokale [u:] und [ԥ] Abweichungen zwischen der AS- und der ZS-Aussprache ergeben. Die Veränderungen können dabei nun als normale Phänomene der lautlichen Lehnwortintegration interpretiert werden: Die im Französischen phonologisch nicht relevante 369

Längung geht verloren und die im Französischen nicht übliche Vokalfolge wird vermieden, indem das zweite Segment getilgt wird. Damit ergibt sich eine auf lautlicher Ebene vollständig integrierte Aussprache [fjul]. Gleichzeitig resultiert damit in der ZS ein einsilbiges Wort. So ergibt sich auch im Bereich des Wortakzents eine Abweichung gegenüber der AS: Das Merkmal der Anfangsbetonung, das im Hinblick auf das Französische als systemfremd einzustufen wäre, wird ebenfalls abgebaut, und hinsichtlich des Wortakzents kann die französische Form ebenfalls als integriert gelten. (Da auch bei den anderen Ausspracheund Schreibvarianten im Französischen einsilbige Formen vorliegen, gilt dort Entsprechendes, und der Wortakzent wird im Folgenden nicht mehr kommentiert.) Wesentlich für die Erklärung der Schreibung ist nun eine Bezugnahme auf die Aussprache [fjul] sowie die PGK-Regeln des Französischen. Wichtig sind dabei im vorliegenden Fall die folgenden Regeln: (383) PGK-Regeln des Französischen: [f] ļ , [j] ļ , [u] ļ , [l] ļ Dies bedeutet, dass zur Herleitung der Form frz. fioul [fjul] ein Sprachkontakt im phonischen Medium angesetzt werden kann, bei dem eine phonische Zeichensequenz […'fju:ԥl…] realisiert wird. 7 Die phonische Zeichensequenz wird den beschriebenen lautlichen Integrationsprozessen unterworfen, so dass eine integrierte ZS-Lautung [fjul] resultiert. Diese stellt dann – gemeinsam mit den hier relevanten PGK-Regeln des Französischen – die Grundlage dar, auf der sodann eine ZS-Schreibung abgeleitet wird. Damit handelt es sich um ein klares Beispiel für einen sog. ear-loan, und es ergeben sich hintereinandergeschaltete Stadien des Entlehnungsund Integrationsprozesses (AS-Lautung ĺ phonische Zeichensequenz ĺ integrierte ZS-Lautung ĺ ZS-Schreibung). 8 (384) engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fioul [fjul] ‘Heizöl’ Prod [Engl.]

['fju:ԥl] Ļ […'fju:ԥl…] Ļ [fjul]

Komm [engl.]

Rez [Frz.]

7

8

Ϗ ĸ

‘Heizmat., Kraftstoff’



HEIZMATERIAL, KRAFTSTOFF

Ļ )Heizöl Ļ ‘Heizöl’



HEIZÖL

[f] ļ , [j] ļ , [u] ļ , [l] ļ

Die bisher zitierten Belege deuten darauf hin, dass hier vor allem der Typus der ZS-rezipienteninduzierten Entlehnung zentral ist (d.h. Sprachkontakte eines ZS-Rezipienten mit einer AS-Äußerung); im Schema zu Bsp. (384) ist daher als Sprache der Kommunikation das Englische angegeben. Wenn hingegen eine Entwicklung über frz. fuel oil angenommen wird, ist die gesamte Entwicklung etwas anders darzustellen und es sind zusätzliche Zwischenschritte zu ergänzen (etwa: engl. fuel oil ĺ frz. fuel oil [fjul …] ĺ frz. fuel [fjul] ĺ frz. ).

370

Neben dieser ear-loan-Variante werden vereinzelt auch weitere Varianten registriert. Zwar sind diese Formen – gerade auch im Vergleich zu den bisher besprochenen Varianten – als randständig anzusehen, doch veranschaulichen sie einen alternativen Weg der Entlehnung und Lehnwortintegration: (385) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] (OED; Arrivé/Gadet/Galmiche 1986, 250; cf. TLF) (386) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fy'Ťl] (OED; TLF) Zur Erklärung dieser Formen, die als eye-loans eingestuft werden können, ist eine völlig andere Abfolge von Integrationsstadien anzusetzen. Abweichungen gegenüber den anderen Varianten ergeben sich dabei aber nur im Hinblick auf die phonische und graphische Wiedergabe der vokalischen bzw. halbvokalischen Segmente ([j], [u:], [ԥ] bzw. , ). Zur Analyse der Formen kann wieder auf die Konformitätskriterien zurückgegriffen werden (cf. Abb. 36; ich beschränke mich auf eine ausführliche Darstellung für die zuerst genannte Form). 9 Graphische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

<
l > K K KORR

Phonische Segmente j

u: Ů NK K INT

ԥ Ť NK K INT

l ] l ] K K KORR

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz.

ļ [f]

K ggü. ZS-System? Abb. 36:

9

K

/ ļ [Ů] K

/ ļ [Ť] K

ļ [l] K

Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fŮŤl] nach den Konformitätskriterien

Die Aussprachevariante frz. [fy'Ťl] lässt sich weitgehend analog herleiten; lediglich für die Aussprache [y] ist zu ergänzen, dass zu ihrer Herleitung aus der Schreibung eine andere Silbenstruktur – nämlich [fy.'Ťl] – und demnach eine andere GPK-Regel – nämlich die allgemeinere, kontextfreie Regel ļ [y] – zugrunde gelegt wird. Gleichzeitig ergibt sich damit in der ZS eine mehrsilbige Form, wobei das Fremdheitsmerkmal der Anfangsbetonung abgebaut und eine integrierte Aussprache mit Endbetonung realisiert wird (ı'ı; Nichtkonformität gegenüber der AS-Form und Konformität gegenüber dem ZS-System).

371

Die Analyse zeigt, dass die Entlehnung im rein graphischen Bereich als unauffällig einzustufen ist: Die graphischen Segmente der AS-Form können unverändert übernommen werden, so dass jeweils Korrespondenzen vorliegen. Auffällig sind jedoch die Abweichungen gegenüber der AS-Aussprache, die nicht mehr einfach als Prozesse einer rein lautlichen Integration erklärbar sind. Vielmehr muss ein Bezug zur Schreibung – und zu relevanten GPK-Regeln des Französischen – hergestellt werden. Ausgehend von den Graphemen , , , erweisen sich dabei die folgenden Regeln als zentral: 10 (387) GPK-Regeln des Französischen: / ļ [Ť], ļ [l]

ļ [f],

/ ļ [Ů],

Damit liegt also ein eye-loan vor, und es ergeben sich wiederum klar hintereinandergeschaltete Stadien des Entlehnungs- und Integrationsprozesses (AS-Schreibung ĺ graphische Zeichensequenz ĺ ZS-Schreibung ĺ ZS-Aussprache), die sich wie folgt darstellen lassen: (388) engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel [fŮŤl] ‘Heizöl’ Prod [Engl.]

Komm [engl.]

Rez [Frz.]

['fju:ԥl]

Ļ «…fuel…» Ļ



HEIZMAT., KRAFTST.

Ļ )Heizöl Ļ ‘Heizöl’ ώ

ļ [f], / ļ [Ů], / ļ [Ť], ļ [l]

‘Heizmat., Kraftst.’

ĺ



HEIZÖL

[fŮŤl]

Der Vergleich der Beispiele zeigt damit, dass die traditionellen Kategorien ear-loan bzw. eye-loan Aussagen bezüglich verschiedener Parameter enthalten, die mittels der obigen Darstellungen klar voneinander unterschieden werden können. In beiden Fällen handelt es sich um Integrationen, die einem ZS-Rezipienten zuzuschreiben sind. 11 Beide Kategorien implizieren ferner eine Anwendung von PGK- bzw. GPK10

11

Die Formulierung der GPK-Regel / ļ [Ů] drückt aus, dass innerhalb der Silbe unmittelbar ein Vokal folgt. Was die Regel für angeht, so gibt Meisenburg (1996, 191–192) die PGK-Regel wie folgt an: [Ť/e] ļ . Zusätzlich stellt sie aber fest, dass bei graphisch geschlossener Silbe meist keine Markierung der in der Regel offenen Vokalqualität erfolgt, so dass ich die Regel entsprechend spezifiziere. Dies kann sogar bei einer AS-produzenteninduzierten Entlehnung des Ausdrucks ins Französische angenommen werden: In diesem Fall würde dieser bei der erstmaligen Verwendung (cf. die obige aktualisierte Zeichensequenz) in einer AS-konformen Realisierung im Französischen erscheinen, wobei die Integrationserscheinungen dann bei der Übernahme und Weiterverwendung der Innovation durch den ZS-Rezipienten und andere Sprecher der ZS anzusetzen wären.

372

Regeln der ZS. Sodann unterscheiden sich beide Typen aber grundlegend im Hinblick auf den Kanal, in dem der Sprachkontakt stattfindet, bzw. im Hinblick auf die mediale Realisierung der im Sprachkontakt aktualisierten Zeichensequenz (phonisch bzw. graphisch). Schließlich treffen die Kategorien eine Aussage darüber, dass jeweils bestimmte Integrationserscheinungen eintreten und in einer bestimmten Abfolge stehen (bei ear-loans liegt zunächst eine [ggf. Integrationsprozessen unterzogene] ZS-Aussprache vor, und darauf aufbauend wird eine integrierte ZS-Schreibung abgeleitet; bei eye-loans liegt zunächst eine ZS-Schreibung vor, und darauf aufbauend wird eine integrierte ZS-Lautung abgeleitet). Allerdings ergeben sich auch Evidenzen für einen dritten Typ der Entlehnung, der neben die beiden genannten, scheinbar klar getrennten Typen der medial phonisch und medial graphisch basierten Entlehnungen tritt. Dies kann anhand der folgenden Variante aufgezeigt werden: (389) engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] (OED; PR; TLF; DHLF) Hier liegt eine ZS-Aussprache vor, die im Sinne einer lautlichen Integration ausgehend von einer phonischen Zeichensequenz […'fju:ԥl…] interpretiert werden kann. Gleichzeitig stimmt aber die ZS-Schreibung mit der AS-Schreibung überein, so dass sich diese nicht aus der ZS-Aussprache herleitet, sondern als Übernahme einer graphischen Zeichensequenz «…fuel…» zu interpretieren ist. Eine Analyse anhand der Konformitätskriterien ergibt daher das in Abb. 37 dargestellte Bild. Graphische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

<
l > K K KORR

Phonische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZS-System? Analyse

[ [

f f K K KORR

j j K K KORR

u: u NK K INT

ԥ NK INT

l ] l ] K K KORR

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz. K ggü. ZS-System? Abb. 37:

ļ [f] K

ļ [ju] NK

/ ļNK

ļ [l] K

Analyse von engl. fuel ['fju:ԥl] ĺ frz. fuel [fjul] nach den Konformitätskriterien

Für sich genommen handelt es sich auf phonischer und graphischer Ebene jeweils um eine vollständig integrierte Form: Weder im Bereich der phonischen noch im Bereich der graphischen Segmente sind systemfremde Einheiten gegeben. Aller373

dings liegen hier – im Unterschied zu den oben besprochenen Varianten – mit ļ [ju] und / ļ - markierte GPKs vor, die sich gerade nicht aus den nativen Korrespondenzregeln des Französischen herleiten lassen. Diese Beobachtung bestätigt auch, dass GPK-Regeln der AS im Entlehnungsprozess keine direkte Rolle spielen. Vielmehr erklären sich die nicht systemkonformen GPKs in der ZS nur daraus, dass zunächst sowohl auf lautlicher als auch auf graphischer Ebene bestimmte Segmente der AS-Form übernommen werden. Für die Entlehnung und Lehnwortintegration erweist sich damit hier folgendes Szenario als grundlegend: (390) engl. fuel ['fju:ԥl] ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel [fjul] ‘Heizöl’ Prod [Engl.]

['fju:ԥl]

Komm [engl.]

Ļ «…fuel…» Ļ

Ļ […'fju:ԥl…] Ļ

Rez [Frz.]

[fjul]

‘Heizmat., Kraftstoff’



HEIZMAT., KRAFTSTOFF

Ļ )Heizöl Ļ ‘Heizöl’



HEIZÖL

Die Darstellung lässt sich so interpretieren, dass Rezipienten der ZS sowohl mit phonischen als auch mit graphischen Zeichensequenzen konfrontiert sind (dies erscheint insbesondere im Rahmen eines intensiven Sprachkontakts möglich) und beide Realisierungen darauf Einfluss nehmen, wie sich die Form innerhalb der ZS etabliert. Abschließend ist noch anzumerken, dass im heutigen Französisch die Schreibung als weit verbreitet angesehen werden kann. Dies ist insofern relativ erstaunlich, als im Allgemeinen für aktuelle Entlehnungen die Tendenz festgestellt wird, dass keine Veränderungen in der Schreibung vorgenommen werden: «En reproduisant en français la graphie des mots latins empruntés, on y instaure un souscode qui n’est que le prolongement de notre prononciation du latin. Rien de semblable pour les mots empruntés à des langues modernes. On les réduisait jadis au code phonographique, comme on l’a fait pour redingote, adapté de riding-coat ou pour bifteck, adapté de beefsteak. On y a renoncé depuis, et les emprunts les plus récents conservent leur forme étrangère, même pour des mots parfaitement naturalisés comme meeting, week-end, football» (Blanche-Benveniste/Chervel 1978, 154).

Frz. fioul stellt – ganz ähnlich wie frz. redingote 12 – eine in der Schreibung stark veränderte Form dar, deren Integrationsgrad und -modalität daher heute als ungewöhnlich gelten kann. Die Tatsache, dass diese Form sich dennoch etabliert hat, 12

Wie bereits in Kap. 3.6 und Kap. 5 festgestellt, lässt sich frz. bifteck hingegen nicht vollständig als Integration werten, da die Schreibung nicht aus dem System der französischen Grapheme und PGK-Regeln hergeleitet werden kann.

374

scheint somit in starkem Ausmaß durch die sprachpflegerischen Anstrengungen beeinflusst, die hier als erfolgreich gelten können. Gleichzeitig ist anzumerken, dass die Schreibung dennoch die alternative Variante nicht vollständig verdrängt hat. Dies bestätigen etwa Abfragen im Internet für die Ausdrücke "livraison de fuel/fioul domestique", "livraison de fuel/fioul à domicile", "livraison de fuel/fioul" und "le fuel/fioul" (cf. die in Tab. 3 angegebenen Trefferzahlen). 13

"livraison de ~ domestique" "livraison de ~ à domicile" "livraison de ~" "le ~" Tab. 3:

624 Treffer (42,68 %) 175 Treffer (34,86 %) 4.860 Treffer (26,05 %) 242.000 Treffer (77,49 %)

838 Treffer (57,32 %) 327 Treffer (65,14 %) 13.800 Treffer (73,95 %) 70.300 Treffer (22,51 %)

Vergleich der Beleghäufigkeiten von vs. im Internet

Das noch lebendige Nebeneinander der Formen veranschaulicht auch der folgende Beleg: Hier werden beide Varianten in der Überschrift des Textes nebeneinandergestellt. Dies kann dadurch begründet werden, dass der entsprechende Artikel sowohl für eine Suche nach "fuel" als auch nach "fioul" auffindbar gemacht werden soll. Auffälligerweise erscheinen dann aber auch im Text selbst beide Varianten. Da sich für beide Verwendungen keine speziellen kommunikativen Intentionen erkennen lassen, kann angenommen werden, dass beide Formen dem Textproduzenten sehr geläufig sind; gleichzeitig ist nicht von einem starken pragmatischen Kontrast bzw. einer starken pragmatischen Wirkung der schwach oder der vollständig integrierten Form auszugehen: (391) Fioul/fuel: obtenir la prime à la cuve. Les ménages non imposables qui ont fait livrer du fuel pour leur chauffage entre le 10 novembre 2007 et le 31 janvier 2008 peuvent demander une aide à la cuve. […] Cette prime au fioul devrait être portée à 200 euros pour l’hiver prochain. (Dokument vom 11.06.2008, Autor: ericRg, , Zugriff 19.02.2009, Hervorhebungen EWF)

15.5

Zusammenfassung

Im Rahmen der Analysen des vorliegenden Kapitels konnte aufgezeigt werden, dass Verwendungen von frz. fuel oil und fuel zunächst eng an bestimmte Diskurs13

Die Recherchen wurden am 19.02.2009 ("livraison de …") und 01.03.2011 ("le fuel/fioul") auf der Grundlage der französischen Version von google unter Einschränkung auf französischsprachige Trefferseiten durchgeführt. Durch die Formulierung der längeren Abfrageausdrücke konnten Fehltreffer im Sinne von Internetseiten anderer Sprachen weitestgehend ausgeschlossen werden.

375

traditionen und Fachbereiche gebunden sind, so dass sich die wichtige Rolle der letzeren für das Auftreten von Entlehnungen und ihre Verbreitung bestätigt hat. Weiterhin wurde festgestellt, dass bei einigen Verwendungen die entlehnten Einheiten als fremde oder fremdsprachige Zitate fungieren, teilweise sogar explizit als solche markiert werden («comme disent…»). Entsprechende Verwendungen können als ein grundlegendes Distanzierungsverfahren angesehen werden, das – gerade im Stadium der frühen Verbreitung von Entlehnungen – häufig eingesetzt wird. Es markiert den Übergang einer Einheit in einen neuen Sprachraum (die ZS) bzw. das Verlassen bestimmter ZS-Diskurstraditionen und den Übergang in neue Diskurstraditionen oder die Allgemeinsprache. In theoretischer Hinsicht ist es insofern bedeutsam, als es Ansätze bestätigt, die Codeswitching und Entlehnung als ein Kontinuum konzipieren. Darüber hinaus habe ich ausgehend vom vorliegenden Beispiel grundlegende Prinzipien der Genuszuweisung erörtert, wobei sich gezeigt hat, dass verschiedene potenzielle Einflussfaktoren im Widerspruch zueinander stehen können, so dass in Einzelfällen auch schwankende Genuszuweisungen auftreten (cf. frz. hit-parade N.m. oder N.f., frz. holding N.m. oder N.f.). Ebenso wurde ein Erklärungsansatz für die im Kontext der Entlehnung eintretende Bedeutungsveränderung (HEIZMATERIAL, KRAFTSTOFF ĺ HEIZÖL) vorgeschlagen. Im Hinblick auf die Varianz bei der Entlehnung und Lehnwortintegration schließlich sind beim untersuchten Beispiel vor allem Aspekte der Lautung und Schreibung interessant. Es wurde dargelegt, wie die verschiedenen in der ZS belegten Varianten kategorisiert und die Prozesse ihrer Entstehung semiotisch modelliert werden können. Dabei haben sich die Kategorien ear loan und eye loan als zentral erwiesen. Bei diesen Entlehnungen lassen sich aufeinanderfolgende Stadien der Lehnwortintegration voneinander abgrenzen. Darüber hinaus wurde noch ein weiterer Typ von Entlehnungen festgestellt, der in der bisherigen Forschung nicht als eigene Kategorie erscheint. Dieser ist durch eine Kombination von medial graphischen und phonischen Sprachkontaktsituationen gekennzeichnet und stellt somit eine weitere grundlegende Modalität der Lehnwortintegration dar.

376

16

Frz. people, pipolisation etc.

Frz. people stellt eine sehr aktuelle Entlehnung dar, in deren Kontext eine ganze Reihe von auffälligen Phänomenen zu beobachten sind, die verschiedene linguistische Ebenen – Semantik, Pragmatik, Phonologie, Graphematik und Morphologie – betreffen. Einige der Aspekte werden im folgenden Auszug aus einer Internetdiskussion thematisiert (es handelt sich um eine Diskussion zum Artikel Mazarine Pingeot mère d’une petite fille, erschienen im Nouvel Observateur in der Rubrik People, und es geht hier speziell um die Frage, warum der genannte Artikel in dieser Rubrik erscheint bzw. wie der Ausdruck im Französischen verwendet wird): 1 (392) Braban Réponse à leah […] Désolé pour le mot ''people'', je suis résolument Français et ne parle pas Anglais.Sur mon dictionnaire (le petit larousse illustré, édition 2001), je trouve dans l'ordre : pénurie péon pep mais pas de ''peopel''. Désolé, leah, je suis un illéttré en langues étrangères. Donnez moi donc la traduction SVP ? 18.10 à 14h30 leah les "people" (prononcer pipol) Définition: Personnalité connue, recherchée par la presse traitant de la vie privée des gens célèbres Synonyme: célébrité Généralement des artistes, des acteurs très connus ou des personnalités de grande notoriété. Le terme people est à éviter en français et peut être remplacé par vedette ou célébrité. Il en est de même de la graphie francisée pipole, utilisée en France, qui est basée sur la prononciation anglaise. Ainsi, on écrira : les vedettes ou les célébrités plutôt que les people (ou les peoples) ou les 1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich die Beiträge chronologisch aufsteigend (anstatt absteigend wie im Original des Internetdokuments) geordnet.

377

pipoles. People est le nom d'un magazine américain qui couvre les nouvelles et les potins sur les célébrités. Il a sans doute influencé l'emploi en français de people (surtout en France) pour désigner ce type de presse spécialisée (la presse people). Ce qui a donné lieu à la formation de certains dérivés indésirables, comme peopleisation, peopleiser et peopleisable. 18.10 à 15h27 braban @ leah Merci de vos explications, leah, mais je vous taquinais en disant ne pas connaitre la signification de ce mot. Mais enfin, reconnaissez que si mazarine n'avait pas été la fille à Mitterrand, serait-elle aujourd'hui dans les ''peopel'' ? […] 18.10 à 17h49 (Beiträge einer Internetdiskussion zum Artikel Mazarine Pingeot mère d’une petite fille, Le nouvel Observateur, 24.06.2008, , Zugriff 08.05.2009) Der erste Beitrag deutet die Neuheit des Ausdrucks an. Zudem wird von dem Autor «braban» (durchgängig, cf. den dritten der zitierten Beiträge) die Schreibung verwendet, während «leah» (durchgängig) schreibt, so dass hier bereits eine Varianz zu beobachten ist. Die Entgegnung von «leah» enthält Angaben zu der (bzw. einer) ZS-Aussprache des Ausdrucks sowie zur ZS-Bedeutung; dabei wird der Ausdruck als synonym zu frz. célébrité eingestuft. Darüber hinaus wird eine puristische Position vertreten: Der entlehnte Ausdruck wird kritisiert und seine Ersetzung durch frz. célébrité oder vedette wird vorgeschlagen. Ferner wird auch eine morphologische Varianz angedeutet (les people vs. les peoples), und es werden Hypothesen über den Kontext der Entlehnung angestellt. 2 Insgesamt erscheint der Fall frz. people, pipolisation für eine nähere Untersuchung auch insofern besonders geeignet, als dank einer früheren Reihe von Abfragen zu der Form pipolisation ein Einblick in die (noch sehr kurze) Diachronie innerhalb des Französischen möglich ist (cf. Wooldridge 2006–2007). Gleichzeitig liegen von Wooldridge mehrere wissenschaftliche Betrachtungen vor, in denen die genannte Form erwähnt wird (Wooldridge 2006a; 2006b; 2006–2007), allerdings handelt es sich nur um schlaglichtartige Überlegungen zu einzelnen, spezifischen Aspekten dieser Innovation, ohne dass die Entwicklung der Form in ihrer Gesamtheit und Komplexität analysiert wird. Nachfolgend werde ich mich in Kap. 16.1 mit der allgemeinen Entwicklung der Formen people und pipolisation befassen. Interessant scheint dabei auch ein Blick auf sprachpflegerische Haltungen, die sich vor allem in Québec feststellen lassen 2

In Kap. 16.2 wird sichtbar werden, dass die von «leah» vorgebrachten puristischen Kommentare sehr eng an die Ausführungen des Office québécois de la langue française zu vedettisation (bzw. peopleisation/pipolisation) im Grand dictionnaire terminologique angelehnt sind, auch wenn diese Quelle nicht von «leah» angegeben wird.

378

(cf. Kap. 16.2). Was die im Kontext der Entlehnung auftretenden formalen und inhaltlichen Veränderungen angeht, so wird frz. people wegen der Veränderung der Bedeutung (engl. people ‘Leute’ gegenüber frz. people ‘Berühmtheiten’) häufig als Scheinentlehnung tituliert. In Kap. 16.3 soll jedoch argumentiert werden, dass es sich um eine «normale» Entlehnung handelt und die eintretende Veränderung im Rahmen eines entsprechenden Sprachkontaktszenarios erklärbar ist. Das Beispiel veranschaulicht weiterhin sehr gut, wie sich entlehnte Formen innerhalb der ZS weiterentwickeln können. Dies betrifft einerseits die große morphologische Produktivität, die sich durch verschiedene Wortbildungen auf der Grundlage von people zeigt (frz. pipolisation/peopolisation/peoplisation, pipoliser/peopoliser/peopliser, pipolerie/peoplerie, pipolette/peoplelette/peoplette u.a.); diese werden in Kap. 16.4 untersucht. Andererseits ist eine extrem große Zahl an Schreib- und Aussprachevarianten festzustellen; entsprechende Varianzphänomene werden in Kap. 16.5 analysiert (wobei auch weitere Schreibvarianten der oben genannten Derivate berücksichtigt werden). Schließlich sind Schwankungen zwischen singularischen und pluralischen bzw. zwischen individuativen und kollektiven Verwendungen (les people, un/une people, les pipoles etc.) im Französischen zu beobachten, die in Kap. 16.6 behandelt werden.

16.1

Chronologie der Entwicklung bei frz. people und frz. pipolisation

16.1.1

Frz. people/pipole

Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei frz. people um eine relativ junge Entlehnung handelt. PR verzeichnet die Form bereits, wobei auf weitere Schreibvarianten (pipeule, pipole) und individuative Verwendungen (un people) hingewiesen wird: 3 «PEOPLE [pipœl] adj. inv. et n. m. inv. – 1988; mot anglais, de people journalism, genre journalistique ƒ ANGLIC. ƒ 1 Presse, magazine people, qui traite des vedettes, des personnalités (notamment de leur vie privée). ƒ 2 n. m. pl. Célébrités dont il est question dans ces médias. « Les acteurs ne s’appelaient pas encore des people, bons à pourchasser » POIROT-DELPECH. – Parfois au sing : un people. – On trouve aussi pipeule, pipole» (PR, Hervorhebungen im Original).

3

Bei den folgenden Untersuchungen wird sich aber zeigen, dass inzwischen noch zahlreiche weitere Innovationen auf der Grundlage von frz. people stattgefunden haben, die bislang nicht im PR registriert werden.

379

Als Erstbeleg wird dabei das Jahr 1988 genannt. 4 Sucht man nach weiteren frühen Verwendungen der Form im Französischen, so ergibt sich die Schwierigkeit, dass die Form in klassischen Corpora wie Frantext bislang nicht bzw. kaum belegt ist. 5 Die Untersuchung stützt sich daher im Folgenden vor allem auf das Internet als Corpus sowie auf weitere im Internet verfügbare Informationsquellen. Bei entsprechenden Recherchen ergibt sich allerdings unmittelbar das Problem, dass die Form so auch im Englischen vorkommt. Hier erweist sich daher die von gängigen Suchmaschinen (google, yahoo, ask, lycos etc.) angebotene Funktion, nur Ergebnisseiten in einer bestimmten Sprache (hier: Französisch) auszugeben, als zentral. Aufgrund der sehr hohen Trefferzahlen sowie der generellen Ausrichtung der genannten Suchmaschinen – diese zielen im Wesentlichen darauf ab, aktuelle bzw. neue Dokumente und Informationen verfügbar zu machen – sind diese jedoch nicht geeignet, um gezielt frühe Belege für Verwendungen von frz. people nachzuweisen. Hierzu kann auf die Suchmaschine WebCorp zurückgegriffen werden, die auf der Grundlage von google (oder anderen gängigen Suchmaschinen) arbeitet, jedoch zusätzliche Optionen – insbesondere eine Datierung der Ergebnisseiten und eine chronologisch geordnete Ausgabe der Daten – bereitstellt (cf. Kap. 13.3). 6 Aller4

5

6

Dakhlia (2005, 3) weist darauf hin, dass in einer anderen Ausgabe des PR der Erstbeleg hingegen auf das Jahr 1994 datiert wird. Ferner werden in dem genannten Artikel die folgenden Erstbelege für frz. people in Le Monde zitiert: «Il ne s’agit pas de ces ‹hidalgos› de la finance et des affaires, de cette élite surnommée les beautiful people […]», (06.05.1992); «La publication, dans le magazine Hola, la revue du beautiful people (comme on dit en Espagne), des photos de la somptueuse demeure de l’ancien ministre des finances […]» (03.04.1993 ; cf. Dakhlia 2005, 4). Auffällig ist, dass in beiden Belegen ein spanischer Kontext gegeben ist und die Form innerhalb des Ausdrucks beautiful people erscheint. Ein entsprechender Einfluss kann daher zusätzlich zu den nachfolgend in Kap. 16.3 diskutierten Erklärungshypothesen angenommen werden. Eine Abfrage bei Frantext im Juni 2009 ergab keine Belege; bei einer späteren Abfrage (Mai 2011) wurden hingegen acht Belege von people in der gesuchten Bedeutung registriert. Die Abweichung der Abfrageergebnisse lässt sich dadurch erklären, dass zwischenzeitlich weitere Texte in die Frantext-Datenbank aufgenommen wurden. Was die Datierungen der Belege bei Frantext angeht, so fällt auf, dass die beiden frühesten Belege aus dem Jahr 1993 stammen: «Chaque lundi ou presque, le téléphone sonnait chez moi. Logique : le dimanche, dans leurs résidences secondaires, en pestant contre la cheminée qui tire mal et l'enfer prévisible du retour, l'embouteillage coutumier au triangle de Roquencourt, les éditeurs lisent la rubrique "People" des journaux» (ORSENNA Éric, Grand amour, 1993, p. 36, Les autobiographies/Frantext, Hervorhebung EWF); «On prend n'importe quoi, l'actualité idiote, les scandales récents, telle photo ou tel article particulièrement tocards, la série people des magazines, les laideurs proposées, bref l'énormité falsifiée en cours» (SOLLERS Philippe, Le Secret, 1993, p. 230, III/Frantext, Hervorhebung EWF). In beiden Fällen referiert der Ausdruck auf eine Rubrik innerhalb von Zeitschriften, so dass die in Kap. 16.3 diskutierte Erklärungshypothese gestützt wird; dabei findet sich hier aber kein Verweis auf einen spanischen Kontext wie in den in Fußnote 4 zitierten Belegen. Eine Recherche mit Hilfe der Suchmaschine AltaVista, die, wie in Kap. 13.3 beschrieben, ebenfalls die Möglichkeit bereitstellte, nur Dokumente eines bestimmten Zeitraums zu erfassen, erwies sich hier nicht als hilfreich, da nur eine Filterung für englisch- und französischsprachige Seiten gemeinsam möglich war und auch bei zusätzlichen Einschränkungen der Suche (nur Seiten in Frankreich, nur Seiten, die nicht die Ausdrücke «the», «and» etc.

380

dings ist bei WebCorp eine Filterung der Ergebnisseiten nach bestimmten Sprachen nicht möglich. Daher muss auf anderem Weg versucht werden, nur französischsprachige Dokumente zu erfassen. Hierzu wurde die Suche auf Internetseiten der Domain .fr beschränkt; zusätzlich wurden Seiten ausgeschlossen, in denen «the» und «and» (als hochfrequente Wörter des Englischen) vorkommen. Mit Hilfe dieser Strategien können englischsprachige Seiten weitgehend, wenn auch nicht vollständig, ausgeschlossen werden. Als weitere Schwierigkeit erweist sich dann die extrem hohe Zahl der Okkurrenzen der Form people im Französischen bzw. die Beschränkung von WebCorp auf maximal 500 Ergebnisseiten: Bei der entsprechenden Abfrage wurden nur relativ aktuelle Dokumente ausgegeben, d.h. die frühesten Belege dieser Recherche sind auf 2007 datiert – die Entlehnung von frz. people ist jedoch wesentlich früher anzusetzen (cf. dazu im Folgenden). Daher wurde eine weitere Recherche durchgeführt, bei der gezielt nach dem Ausdruck "presse people" gesucht wurde. Dieses Vorgehen erscheint möglich, da angenommen werden kann, dass die Entlehnung tatsächlich in diesem Kontext erfolgt ist (cf. weiter unten und Kap. 16.3). Ein wichtiger Vorteil bei dieser Abfrage ist, dass aufgrund der Reihenfolge von Determinatum und Determinans sowie des französischen Worts presse keine englischsprachigen Seiten gefunden werden. Ein früher Beleg für die Verwendung von people im Französischen lässt sich demnach auf das Jahr 1998 datieren; dabei erscheint die Form im entsprechenden Dokument innerhalb der Ausdrücke presse people und magazines people: (393) Prisma joue au « Blitzkrieg » dans la presse people. Réputé pour ses intuitions éclairs en matière éditoriale, le patron du groupe Prisma Presse, Axel Ganz, tire plus vite que son ombre quand la part de marché de ses magazines people est menacée. (Artikel Prisma joue au « Blitzkrieg » dans la presse people, in: Les Echos n° 17730, 14.09.1998, page 18, Autor: J.-C. F., , Zugriff 31.12.2008, Hervorhebung im Original) Ein weiterer früher Beleg lässt sich auf den 20.05.1999 datieren; es handelt sich um Informationen zu einer Fernsehsendung: (394) PRESSE "PEOPLE" ET CODE CIVIL. La presse "people", classée dans la presse féminine, a fait sa fortune en livrant au public, les détails de la vie privée des stars. Mariages, naissances, séparations, tout est bon pour en savoir plus. Mais jusqu'où peut aller cette presse particulièrement contestée depuis le décès de la Princesse de Galles. La presse "people" est une presse largement plébiscitée par le public. Elle tient au courant des activités des gens célèbres, donne les dernières informations les concernant et rend souvent compte de la vie privée des stars. De ce fait, il

enthalten) noch immer sehr viele englische Fehltreffer erfasst wurden. Inzwischen sind entsprechende Recherchen mit AltaVista ohnehin nicht mehr möglich.

381

lui arrive de "déraper" et de ne pas respecter le fameux article 9 du code civil : "Chacun a droit au respect de sa vie privée". (Ministère de L’Education, Bulletin Officiel de l’Education Nationale No 20 du 20 mai, , Zugriff 31.12.2008, Hervorhebungen EWF) Dieser Beleg scheint besonders interessant, da hier eine Kurzbeschreibung des Phänomens der presse people geliefert wird: Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Berichterstattung über das Privatleben berühmter Personen. Da der Ausdruck people zunächst im Kontext von Presse und Medien in der ZS verwendet wird, sind die Presse und das Internet für frz. people nicht nur (wie für sehr viele aktuelle Entlehnungen) wichtige Medien, in denen Anglizismen entlehnt und innerhalb der ZS verbreitet werden (cf. Onysko 2004, 60), sondern der Ausdruck presse people gehört selbst dem Sachbereich Presse/Medien an. Daher können auch Diskurstraditionen im Bereich der Presse und des Internet die weitere Entwicklung von frz. people beeinflussen. Zu nennen ist hier für das Internet (bzw. für die relevanten Bereiche und Dokumente des Internet, die auf ein junges Publikum abzielen) eine relative Offenheit gegenüber englischen Einflüssen sowie gegenüber sprachlichen Innovationen im Allgemeinen. Ferner lassen sich für die Pressesprache allgemeine Verfahren nennen, die zur Aufmerksamkeitssteigerung eingesetzt werden. So finden sich insbesondere in Überschriften gezielte Verwendungen von auffälligen sprachlichen Ausdrücken, etwa Wortspielen (cf. Hausmann 1974; Winter-Froemel 2009c, 1439) oder sprachlichen Innovationen. Die durchgängige typographische Hervorhebung des Lehnworts durch doppelte Anführungszeichen im obigen Beleg zeigt darüber hinaus an, dass der Textproduzent (der hier die Haltung einer Institution, des Ministère de l’Education, vertritt) eine gewisse Distanz einnimmt. Diese kann im vorliegenden Fall sowohl auf die Neuheit des Ausdrucks und dessen formale Auffälligkeit als auch auf das Phänomen selbst bezogen werden: Aus dem Kontext ergibt sich, dass der Textproduzent einigen Aspekten entsprechender Berichterstattungen sehr kritisch gegenübersteht («Mais jusqu'où peut aller cette presse particulièrement contestée depuis le décès de la Princesse de Galles. […] il lui arrive de "déraper" et de ne pas respecter le fameux article 9 du code civil […]»). Was die weitere Verbreitung angeht, so erscheint eine Analyse der Einträge bei der französischen Version der Enzyklopädie Wikipedia sowie des Wiktionnaire, eines nach denselben Grundprinzipien funktionierenden Wörterbuchs, aufschlussreich. Die genannten Internet-Plattformen bestehen seit dem 23.03.2001 bzw. dem 22.03.2004 7, und prinzipiell kann jeder Nutzer des Internet hierzu neue Informationen beisteuern bzw. vorhandene Informationen korrigieren. Die Änderungen werden sofort übernommen, so dass von einer großen Aktualität der Daten auszugehen ist. Wenn Korrekturen über einen längeren Zeitraum ausbleiben, kann somit von einer gewissen Ratifizierung der Inhalte ausgegangen werden. Dabei besteht im Wiktionnaire grundsätzlich eine relativ große Offenheit bezüglich der Aufnahme neu 7

Siehe bzw. (Zugriff jeweils am 23.04.2009).

382

entlehnter Wörter, wie aus den Auswahlkriterien deutlich wird – auch insofern bietet es sich als Quelle gerade für Untersuchungen zu sehr jungen Entlehnungen an: «[…] Les mots étrangers, mais utilisés dans la langue, sont acceptés, même quand il est difficile de dire qu’ils font partie de la langue. Cela est valable également pour les noms propres. Par exemple, il peut être utile d’avoir highway en français, avec des citations, bien que ce ne soit pas un mot français, pour montrer que le sens est beaucoup plus particulier que le sens en anglais, et pour montrer quel article (masculin ou féminin) est utilisé. […]» (, Zugriff 23.04.2009).

Sucht man bei Wikipédia nach "people" oder "pipole", so wird man zum Artikel Personnage public weitergeleitet (, Zugriff 30.12.2008). Ein Blick in die Chronologie der Überarbeitungen des Artikels zeigt, dass diese Weiterleitung ausgehend von "people" am 21.04.2007 eingerichtet wurde, d.h. frz. people ist spätestens seit diesem Zeitpunkt als weit verbreitet anzusehen. Im Text des Artikels Personnage public erscheint die Form people nicht, in der Bibliographie werden jedoch verschiedene Publikationen aufgelistet, in deren Titel das Lehnwort auftritt: (395) Jamil Dakhlia, Politique people, éditions Bréal, 2008; Léna Lutaud, Thiébault Dromard, Les dessous de la presse people, éditions de La Martinière, 2006; Gaël Pollès, People mode d'emploi, éditions First, 2006; Renaud Revel, Laurence Debril, People: le grand déballage, Michel Lafon, 2006 (cf. , Zugriff 30.12.2008) Diese Publikationen bestätigen, dass das Wort bereits 2006 eine große Verbreitung in der ZS Französisch erlangt hat. Ferner zeigt sich, dass der Ausdruck noch immer eng an journalistische Kontexte gebunden ist und vor allem in Bezug auf die Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens verwendet wird. Darüber hinaus ist jedoch auch ein Übergang zu Verwendungen in einem politischen Kontext festzustellen («politique people»), der im Folgenden näher untersucht wird; eine wichtige Rolle spielt hierbei die Derivation frz. peopolisation/pipolisation. Weiterhin kann der Nutzer ausgehend vom Artikel «Personnage public» über einen Link zu einem zweiten Artikel People (homonymie) gelangen, in dem verschiedene Bedeutungen des Worts aufgelistet werden. Dort findet sich dann die folgende Definition: «People est un terme anglais signifiant « les gens » ou « le peuple » (mot français à l'origine du mot anglais). Francisé en « pipole » et parfois « pipeul », ce faux anglicisme a d'abord recouvert les membres du show business et du Gotha, puis qui [sic, EWF] est devenu largement plus ou moins synonyme de célébrité. En France, le terme de peoplisation désigne deux phénomènes : d'une part la tendance des médias généralistes à imiter les méthodes de la presse people et, d'autre part, la médiatisation de la vie privée de personnages publics considérés comme ne faisant pas partie des people, comme c'est le cas pour certains responsables politiques (on parle alors de peoplisation du politique)» (, Zugriff 30.12.2008, Hervorhebungen im Original).

383

Auffällig ist zunächst, dass hier für das Französische andere, integrierte Schreibungen – pipole und, als seltener eingestuftes, pipeul – angegeben sind. Das Verhältnis dieser Varianten zueinander (sowie zu weiteren auftretenden Varianten) soll weiter unten und in Kap. 16.5 näher untersucht werden. Ebenso sollen die Bemerkungen zur Bedeutung sowie die Einstufung als Scheinentlehnung («faux anglicisme») in Kap. 16.3 näher analysiert und kritisch hinterfragt werden. Aufschlussreich für die Rekonstruktion der Entwicklung von frz. people sind die Anmerkungen zum Derivat peoplisation. Der enge Bezug zu den Bereichen Politik und Journalismus bestätigt und präzisiert sich hier durch die angegebenen Bedeutungen (‘Annäherung der allgemeinen Presse an die Klatschpresse’ bzw. ‘Mediatisierung von öffentlichen Personen, etwa Politikern’; genauere Analysen zum Derivat folgen in Kap. 16.4.2). Die Tatsache, dass frz. people zunächst an den Bereich der Pressesprache gebunden ist, lässt sich anhand eines weiteren Artikels in Wikipédia bestätigen: Das Stichwort erscheint auch im Artikel Lexique du jargon des diffuseurs de presse, wo es am 30.12.2004 eingetragen wurde; als Definition wurde am 31.12.2004 ergänzt: «people: titres destinés à un large public». 8 Als Wort der Fachsprache des Pressewesens erscheint frz. people also innerhalb von Wikipédia schon mehr als zwei Jahre, bevor ein eigener Eintrag für den Begriff selbst angelegt wird. Im Wiktionnaire führt eine Recherche für "people" zunächst zu dem Eintrag engl. people, unter den dort aufgelisteten «Mots dérivés dans d’autres langues» finden sich dann aber Links zu den Einträgen [frz.] pipole (bei dem es sich selbstverständlich nicht um eine Derivation im linguistischen Sinn handelt) sowie [frz.] pipolisation. Der Eintrag pipole wurde am 14.01.2007 angelegt, wobei die Form als maskulines und feminines Adjektiv und Nomen kategorisiert wurde. 9 Im Hinblick auf die Datierung findet sich der folgende Hinweis: «Néologisme français dérivé de l'anglicisme « people » au sens de « gens célèbres » et réécrit "à la française". Apparu dans les années 2000 avec le développement de la presse du même nom (souvent encore écrit people). La fréquence de son emploi est un bon indicateur de la « starisation » constatée depuis les années 1980» (, Zugriff 15.12.2008).

Eine Recherche mit AltaVista ergibt einzelne frühe Treffer für die Form "pipole" in französischsprachigen Dokumenten ab 2002. Auffällig ist dabei, dass praktisch durchgängig ein spielerischer Charakter der entsprechenden Texte deutlich erkennbar ist, da sich im unmittelbaren Äußerungskontext weitere sprachspielerische Formen finden (cf. «Ingliche» [English] in Beleg (396), «Radio Poûets» in Beleg (397), «Cho-Bizzzz» [show-biz] in Beleg (398)). Weiterhin ist festzustellen, dass die Form "pipole" sehr häufig als eine Verfremdung des englischen Worts people zu interpretieren ist (so geht es in Beleg (398) um das englischsprachige Yahoo (People); in 8

9

Cf. , , (Zugriff jeweils am 02.05.2009). Cf. (Zugriff 30.12.2008) bzw. (Zugriff 15.12.2008).

384

Beleg (396) ist bei «Ingliche Pipole» auch an der Reihenfolge von Determinans und Determinatum zu erkennen, dass es sich um ein fremdsprachliches Zitat handelt, das verfremdet wird). Dennoch lässt sich festhalten, dass damit bereits frühe Anwendungen des entsprechenden Integrationsverfahrens belegt sind. Für die Jahre 2003 bis einschließlich 2006 steigt die Trefferzahl für "pipole" langsam und kontinuierlich an; ab 2007 geht die Trefferzahl nach AltaVista dann sprunghaft nach oben. (396) tu récupères tous les mecs qui parlent anglais. Forcément, les fonctionnaires qui bossent aux renseignements sont un peu légers en langue étrangères et vu que tu es un petit jeune, tu te récupères tous les Ingliche Pipole (Beitrag vom 04.07.2002 in einem Diskussionsforum zum Thema Vous avez fait quoi comme job d'été ??, Autor: OuiOui [männlich, aus Clichy], , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF) (397) Voilà de quoi alimenter la rubrique pipole de Radio Poûets, n'est ce pas Tralala ? (Beitrag vom 10.07.2002 in einem Diskussionsforum zum Thema De l’amour, de l’art ou du pouêt, Autorin: sibylle, , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF) 10 (398) moi ca me parait pas mal, mais il faudrait plutot en mettre plein dans les actus du Cho-Bizzzz. C'est trop nul le truc yahoo pipole. amusez vous bien (Kommentar vom 20.07.2000 zu einer Internetumfrage Questionnaire visant à valider ou non l'idée de la diffusion de communiqués de presse bidons par Kitetoa.com, Autor: youyoute overnuts [männlich, geboren 1977], , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF) 11 Bei WebCorp ergeben sich für die Abfrage von "pipole" zuverlässig datierte Treffer erst ab 2005/2006 (cf. die Belege in (399) bis (402)). 12 Insgesamt kann damit ange10

11 12

Bei «Tralala» handelt es sich um den Namen eines anderen Diskussionsteilnehmers bzw. einer anderen Teilnehmerin. Der Ausdruck «Radio Poûets» ist als eine spielerische Neuschöpfung anzusehen, die hier aus einem anderen Beitrag von «Tralala» übernommen wird («Je l'ai dit ailleurs, juste à côté, et je le répète ici : j'ai fait un rêve... Une "Radio-pouêt on ze Net"... (Mes zoreilles pourraient servir d'antenne!)», , Zugriff 13.06.2009); der Ausdruck «poûet» wird im Forum generell zur Bezeichnung der Diskussionsteilnehmer(innen) verwendet. Es geht bei der Umfrage um eine Bewertung des Vorhabens, scherzhafte falsche Pressemitteilungen in seriöse Internetseiten (etwa Yahoo Finance) einzuschleusen. Zunächst wird eine Reihe von offensichtlich falsch datierten Treffern mit Datumsangaben wie 01.01.1014 angezeigt, dann folgt ein einzelner auf den 01.01.1997 datierter Treffer. Aus den Angaben auf der entsprechenden Internetseite wird aber ersichtlich, dass auch hier in Wirklichkeit ein sehr aktueller Beleg vorliegt (es handelt sich um eine Verkaufsanzeige bei ebay; die Versteigerung wurde am 24.02.2009 beendet, cf. , Zugriff 29.04.2009). In all diesen Fällen handelt es sich um Datierungen auf der Grundlage der Datierungsmethode, die von WebCorp selbst als unzuverlässigste Heuristik eingestuft wird (d.h. die Datierungen wurden anhand der URL abgeleitet). Drei weitere Belege für frz. pipole folgen dann für 2004, also deutlich später. Auch hier sind die Datierungen jedoch ebenfalls nicht völlig unzweifelhaft.

386

(402) […] Des observateurs pensent que tout cela va s'arrêter, que bientôt, les politiques en termineront avec cette dérive pipole qui transforme la politique en pipolitique. […] (Blogeintrag vom 08.12.2007, Autor: Iconoclaste, gino-hoel, , Zugriff 29.04.2009, Hervorhebungen EWF) In (399) erscheint das Syntagma éditions pipole, wobei es um Verlagshäuser von populären Zeitschriften geht, die über das Privatleben von Personen wie Nicolas Sarkozy berichten. Auffällig an diesem Beleg ist die Tatsache, dass der Text zu einem gewissen Grad poetische Ansprüche erhebt, andererseits aber auch einer Sprecherin aus der Bevölkerung zugeschrieben werden kann – es handelt sich um die schriftliche Wiedergabe eines Liedtextes, der am 21.11.2005 im Rahmen einer regelmäßigen Liederabendreihe La Goguette des Z’énervés im Pariser Bistrot Limonaire zur Melodie von G. Brassens’ Les funérailles d’antan von einer Bistrotbesucherin vorgetragen wurde. Dies macht deutlich, dass die Form pipole nicht mehr nur in der Pressesprache oder in Internetdokumenten erscheint, sondern auch von anderen Sprechern übernommen und innerhalb völlig anderer Diskurstraditionen verwendet wird. In (400) handelt es sich um die Überschrift einer Darstellung verschiedener Smileys, und der Ausdruck erscheint hier innerhalb des Syntagmas smiley pipole, d.h. ebenfalls in einem neuen Kontext. In (401) wird pipole hingegen als Nomen verwendet; dabei nimmt die Autorin des Blogs – wie bereits bei anderen Belegen festgestellt – eine gewisse Distanz zu dem entsprechenden Phänomen ein (die Bedeutung von pipole lässt sich hier als ‘Starkult’ angeben). In weiteren, relativ frühen Belegen von frz. pipole finden sich Syntagmen wie chronique «pipole», suspense pipole, sujet pipole und commentaire pipole, magazine pipole, dérive pipole und presse pipole (im ersten Fall noch mit typographischer Hervorhebung des entlehnten Ausdrucks) sowie generische Verwendungen des Typs «la culture du pipole», «le pipole est […] riche», «C’est du pipole». 13 Das Wortspiel politique – pipolitique in Beleg (402) schließlich zeigt indirekt bereits eine relativ starke Verbreitung und Etablierung der Form pipole an, da der Textproduzent für die erfolgreiche Verwendung des Wortspiels beim Rezipienten die Kenntnis der letzteren Form bereits voraussetzt (die Form pipole erscheint dabei auch an weiteren Stellen im Text). Eine weitgehende Etablierung der Form im Französischen kann ab 2007 festgestellt werden. Allerdings scheint dies vor allem für das in Frankreich gesprochene Französisch zu gelten, während die Aussage z.B. für das kanadische Französisch möglicherweise abzuschwächen ist. So schlägt etwa in einem Internet-Diskussions-

13

Cf. , , , , (Zugriff jeweils am 29.04.2009).

387

forum 14 ein in Montréal lebender Französisch-Muttersprachler als französisches Äquivalent für engl. celebrity magazine den Ausdruck magazine de vedettes vor, den er als «courant au Québec» einstuft; gleichzeitig weist er den von anderen Diskussionsteilnehmern vorgeschlagenen Ausdruck frz. presse people zurück, da er ihm gänzlich unbekannt sei (cf. (403)). Die Entgegnung eines anderen Diskussionsteilnehmers, die Ausdrücke frz. magazine de vedettes und magazine de célébrités seien hingegen in Frankreich völlig unüblich, impliziert eine Bestätigung des Ausdrucks presse people als in Frankreich verbreiteter und üblicher Ausdruck zur Bezeichnung des Konzepts KLATSCHPRESSE (cf. (404)). In einem weiteren Beitrag (Bsp. (405)) wird eine entsprechende diatopische Zuweisung der Formen bestätigt; gleichzeitig wird angedeutet, dass für Kanada sprachpflegerische Bestrebungen durch das Office québécois de la langue française eine wichtige Rolle spielen (cf. hierzu näher in Kap. 16.2). (403) Magazine de vedettes est courant au Québec, i'm not sure that really helps. Also, magazine or journaux à potins. […] Note i had never heard about people whatever... In Québec that is, or even on France's tv, or movies. (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Celebrity magazine, 24.02.2007, Autor: alain larochelle [in Montréal lebender Französisch-Muttersprachler], , Zugriff 08.05.2009, Hervorhebungen im Original) (404) Never heard about "magazine de vedettes / de célébrités" in France. (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Celebrity magazine, 24.02.2007, Autor: Floor [27jähriger, in Nordfrankreich lebender Französisch-Muttersprachler], , Zugriff 08.05.2009) (405) […] C'est [magazine de vedettes, EWF] ce que l'OQLF suggère... sans le [...] "de". Mais il semble qu'en France "people" soit plus "glamour". (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Celebrity magazine, 24.02.2007, Autor: Nicomon [55jähriger, in Montréal lebender Französisch-Muttersprachler], , Zugriff 08.05.2009) Zur Entwicklung von frz. people lässt sich damit insgesamt feststellen, dass erste Belege der Form im Französischen 1998/1999 erscheinen, wobei die eigentliche 14

Das Diskussionsforum WordReference, um das es sich hier handelt, erscheint für linguistische Untersuchungen insofern interessant, als es sich um ein Forum (bzw. eine Reihe von Foren) handelt, das speziell sprach- und übersetzungsbezogenen Fragen gewidmet ist. Die einzelnen Beiträge sind dabei nicht nur genau datiert, sondern enthalten auch vielfach (freiwillige) Angaben über die Region des Wohnorts, die Muttersprache und das Alter der Autoren der Beiträge.

388

Verbreitung des Ausdrucks ab ca. 2000 anzusetzen ist. Gerade in der Anfangsphase der Verbreitung tritt der Ausdruck sehr häufig innerhalb des Syntagmas presse people auf. Eine Reihe von ergänzenden Belegen bestätigt, dass der Ausdruck zunächst innerhalb dieses Bereichs situiert ist. Bei der weiteren Verbreitung nimmt die Zahl von Verwendungen in anderen Syntagmen oder als eigenständiges Nomen zu; gleichzeitig tritt ab etwa 2005 neben die alternative Schreibvariante auf (cf. hierzu näher Kap. 16.5). Hinweise auf einen bereits relativ stark etablierten Status der Form people und – zunächst in etwas schwächerer Ausprägung auch für pipole – finden sich ab 2006 in Buchpublikationen sowie im Rahmen der Aufnahme der Stichwörter bei Wikipédia und im Wiktionnaire; heute können beide genannten Schreibvarianten als etabliert gelten.

16.1.2

Frz. peopolisation/pipolisation

Da sich bereits angedeutet hat, dass auch das im Französischen auftretende Derivat peopolisation/pipolisation eine sehr wichtige Rolle für die Betrachtung von frz. people spielt, soll nun die Entwicklung dieser Form skizziert werden. Zunächst ist hierbei auf das Nebeneinander der weit verbreiteten Schreibvarianten und hinzuweisen. Anders als bei / , wo die erstere Form deutlich vor der anderen belegt ist, sind im Fall von / beide Varianten früh belegt. Bei einer Abfrage mit AltaVista ergibt sich für "pipolisation" ein einzelner Beleg für 2005 (siehe Beispiel (406)); ab 2006 geht die Trefferzahl dann stark nach oben. 15 (406) Les signes multipliés au monde de l’argent, au CAC 40, aux milliardaires, à l’univers du Fouquet’s, la « pipolisation » de la société, les vedettes éphémères, la vedettarisation de la politique, la jubilation des hot-dogs avec Bush père, Bush mère, Bush couple, - et que j’ai aimé ce jour-là que Cécilia Sarkozy ait une angine blanche !- […] (Beitrag vom 09.06.2005 in einem Diskussionsforum zum Thema Mouvement Démocrate/Parti Démocrate : Des solutions pour l’Europe !, Autor: Hephaestos, , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF)

15

Im Einzelnen ergeben sich folgende Zahlen für weitere, zusätzliche Treffer: keine Treffer bis einschließlich März 2006, 2 für April, 3 für Mai, 2 für Juni, 3 für Juli, 0 für August, 2 für September, 1 für Oktober, 5 für November (darunter allerdings bereits zwei wissenschaftliche Dokumente, die sich mit dem Neologismus pipolisation befassen) und 5 für Dezember (darunter wiederum ein linguistisches Dokument). Für 2007: 4 für Januar, 7 für Februar, 3 für März, 6 für April, 6 für Mai (darunter ein linguistisches Dokument), 4 für Juni, 1 für Juli, 11 für August, 37 für September, 56 für Oktober, 44 für November, 42 für Dezember (insbesondere ab September 2007 finden sich allerdings auch mehrfach gespiegelte Seiten, die mehrfach gezählt werden; Abfragen durchgeführt am 13.06.2009).

389

Für "peopolisation" gibt AltaVista einen einzelnen Treffer aus, der auf Dezember 2004 datiert wird (im Dokument selbst kann allerdings keine Datierung eingesehen werden). Es handelt sich um einen Beleg in einer Kurzcharakterisierung des in Anse-Bertrand auf Guadeloupe lebenden Schriftstellers und Fotografen Jean Juraver: (407) […] L'homme est devenu le jouet de la télé. La peopolisation excessive a confisqué l'art et l'a confiné au sein d'une élite, voire d'un petit nombre pas forcément privilégié. Aussi, la tâche qui attend Jean JURAVER est considérable; car comme disait une sociologue guadeloupéenne : « l'Antillais a intériorisé les valeurs de son maître ». (, Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF) Für 2005 werden insgesamt drei Treffer für "peopolisation" ausgegeben. Dabei tritt der Ausdruck in Beleg (408) in einem Interview mit Nicolas Sarkozy auf. Aus Beleg (409) – der in Wirklichkeit bereits auf das Jahr 2003 zu datieren ist – ergibt sich, dass der Ausdruck bereits in einem Buch von 2003 erscheint, das im Beleg zitiert wird. Zahlreiche weitere Treffer finden sich dann ab 2006. 16 (408) Je voudrais finir par une question plus personnelle: vous avez joué la «peopolisation» à fond jusqu'à mettre en scène votre fils mineur Louis. Vous dénoncez maintenant le voyeurisme des médias et entendez vous protéger. Votre erreur fondamentale n'est-elle pas d'aller toujours trop loin parce que vous pensez avoir toujours raison? (Interview von Denis Jeambar mit Nicolas Sarkozy, zitiert in: Les Nouvelles de Chrétienté no 30, 25.11.2005, , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung EWF) (409) Ce que brocardent MM. Péan et Cohen, c’est le ralliement du Monde, et, partant, de l’ensemble de la nouvelle gauche à l’idéologie cosmopolite bon marché des fameux bobos : « Homosexualité, "pacsification des esprits", légalisation des drogues douces, télé-réalité, néo-pornographie, défense et illustrations des "romans de cul", peopolisation du monde, dénonciation du harcèlement, ultra-féminisme, antifascisme conventionnel. Le Monde est devenu le champion toutes catégories de la rébellion de salon. » (Rezension zu Pierre Péan/Philippe Cohen, La face cachée du Monde, Autor: C. Dessanti, in: Le Mouvement. Mouvement national républicain, Bouches-du-Rhône, no 27, avril 2003, p. 11, , Zugriff 13.06.2009, Hervorhebung von «peopolisation du monde» EWF) Bei Wikipédia wurde ein Eintrag für peopolisation am 05.09.2006 angelegt, am 15.09.2006, also bereits kurze Zeit später, wurde die Schreibung hin zu verändert 17, d.h. auch hier zeigt sich, dass beide Schreibvarianten früh belegt sind, wobei die letztere Schreibung als etablierter eingestuft wird. 18 Wooldridge (2006–2007) untersucht die Erstbelege der Formen und in den Zeitungen Libération und Le Monde; er stellt fest, dass die Form am 30.01.2004 in Libération und am 01.10.2005 in Le Monde erstmals belegt ist. Für die Form finden sich die Erstbelege am 15.03.2006 in Libération und am 05.09.2005 in Le Monde (die Variante lässt sich bei Abfragen auf der Grundlage der französischen Version von google hingegen nach Wooldridge erst später belegen). Unabhängig vom Verhältnis der verschiedenen Schreibvarianten im Einzelnen (cf. hierzu Kap. 16.5) lässt sich feststellen, dass für die Entwicklung der Form im Französischen zwei Bereiche grundlegend sind: zum einen, wie bei frz. people, der Bereich der Medien, zum anderen aber auch der Bereich der Politik. Das Phänomen der pipolisation beschreibt dabei das Vorgehen von Medien, über Politiker ähnlich wie über (TV-)Stars zu berichten, d.h. insbesondere auch ihr Privatleben zu thematisieren – das bezeichnete Konzept lässt sich demnach als STARISIERUNG fassen. Hierbei wird insbesondere «seriösen» Medien der Vorwurf gemacht, sich in der Berichterstattung immer stärker der Klatschpresse anzunähern, d.h. pipolisation kann auch eine POPULARISIERUNG DER MEDIEN bezeichnen. Gleichzeitig beschreibt die pipolisation die Einwilligung von Politikern in entsprechende Formen der Berichterstattung bzw. die bewusste Zurschaustellung privater Angelegenheiten für politische Zwecke. 19 Insgesamt stellt die ‘Starisierung’ die wichtigste Bedeutung von pipolisation dar; sie ist für die allermeisten Belege anzusetzen. Dabei kann das Phänomen einerseits auf einzelne Personen bezogen werden, andererseits aber auch auf bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens, bestimmte Institutionen etc. Die beiden Interpretationsmöglichkeiten zeigen sich ebenfalls deutlich, wenn man typische Kookkurrenzen von pipolisation betrachtet: Hier finden sich einerseits Eigennamen und Umschrei17

18

19

Die entsprechende Recherche wurde am 30.12.2008 durchgeführt. Die Untersuchung ist aktuell nicht mehr wiederholbar, da inzwischen bei Wikipédia das Stichwort mit der Schreibung erscheint und diese Schreibung durchgängig auch bei den archivierten früheren Versionen des Artikels eingeführt wurde (cf. , Zugriff 04.05.2009). Interessanterweise findet im September 2006 eine intensive Debatte innerhalb der Benutzergemeinschaft von Wikipédia darüber statt, ob der entsprechende Artikel entfernt werden soll. Als wichtige Gründe hierfür werden das Schwanken der Schreibungen, die mangelnde Etabliertheit des Ausdrucks sowie die Gefahr einer politisch tendenziösen Beschreibung genannt. Es stimmt dann jedoch eine Mehrheit für die Beibehaltung des Artikels («31 conserver, 20 supprimer, 4 neutres»; cf. , Zugriff 20.05.2009). Cf. hierzu und zum Folgenden (Zugriff 04.05.2009).

391

bungen von Einzelpersonen, andererseits Abstrakta für Institutionen und einzelne Fachbereiche (cf. Tab. 4). 20 la pipolisation … … de (Nicolas) Sarkozy, de Ségolène Royal/Ségo, de Laure Manaudou, du Pape, de Barack Obama, de Rachida Dati, … … du couple Sarkozy, de sa famille [de la famille du Président Nicolas Sarkozy], du candidat (démocrate) [Barack Obama], de leur président [du président des Français], du couple idéal [Nicolas et Cécilia Sarkozy], du nouveau couple présidentiel, du président, du chef de l’Etat, des politiciens, des hommes (et des femmes) politiques, des journalistes, des riches, des célébrités, des présentateurs de radios ou de télés, … … de la politique, de la science, de la présidentielle, de l’espace public, de la vie politique, de la religion/ des religions, des institutions, du politique, du combat politique, du pouvoir, du monde politique, du débat [politique], du jeu politique, du commentaire politique, du pouvoir, du sport, du monde artistique, du monde de l’art, de la vie politique française, de la société, de ce sport [du rugby], de la littérature, de l’espace politique, de la sphère politique, du paysage politique, …

Ö Eigennamen von Personen (die zu Stars gemacht werden)

Ö Personenbezeichnungen (von Einzelpersonen und Personengruppen, die zu Stars gemacht werden)

Ö Abstrakta für Institutionen, Fachbereiche etc. (in denen ein Starkult beobachtbar wird)

… du prix Nobel, du PS, de la Ve République, …

Ö Namen von Institutionen (in denen ein Starkult beobachtbar wird)

… des médias, du journalisme, du « Nouvel Obs », …

Ö Abstrakta für Institutionen und Namen von Institutionen (die eine entsprechende Berichterstattung vornehmen)

Tab. 4:

Typische Kookkurrenzen von frz. pipolisation

Ein entsprechendes Vorgehen, Privates für politische Zwecke bewusst zur Schau zu stellen, wird bereits unter anderem 1974 bei Valéry Giscard d’Estaing gesehen. Als umfassendes gesellschaftliches Phänomen wird es jedoch erst ab etwa dem Jahr 20

Die gegebene Zusammenstellung basiert auf einer eigenen Durchsicht von Internetquellen. Die Ergebnisse einer entsprechenden Recherche nach Kokkurrenzen auf der Grundlage von WebCorp sind hingegen für die vorliegende Fragestellung weniger aussagekräftig: Zwar wird das häufige Vorkommen von politique bzw. politiques bestätigt (93 bzw. 19 Kookkurrenzen auf den Positionen R1 bis R4, d.h. im rechten Kontext im Abstand von null bis drei Wörtern; daneben erscheinen unter den häufigen Kookkurrenzen vie und hommes mit 66 bzw. 18 Kookkurrenzen auf den Positionen R2 bis R4), ansonsten finden sich aber nur die Einheiten à, que, est, pas, qui, une, d’une, cette, ce, ne, n’est, mais, sa, qu’on, Ce, contre (Recherche durchgeführt am 28.05.2009).

392

2000 lokalisiert. Hierbei erscheint zunächst auch der Ausdruck politique people, der dann zunehmend von peoplisation/peopolisation/pipolisation verdrängt wird. Insgesamt wird ab 2003 intensiv und kritisch über die «dérive people» der Medien, die Entwicklung der «presse people» im Allgemeinen und das Konzept von «téléréalité»-Sendungen (Reality-TV-Sendungen über das Alltagsleben von berühmten oder bis dahin nicht berühmten Personen) diskutiert. Von Beginn an ist daher eine deutlich negative Konnotation des Begriffs gegeben. Als wichtige Etappen der zunehmenden «peopolisation du politique» werden häufig die folgenden gesehen: Das Phänomen wird zunächst vor allem auf Nicolas Sarkozy bezogen, der ab 2002 starke Medienpräsenz erlangt («le terme semble avoir été inventé pour lui [Nicolas Sarkozy]», so die Einschätzung des Autors, der den entsprechenden Wikipédia-Artikel angelegt und immer wieder überarbeitet hat): 21 Eine im Dezember 2002 ausgestrahlte Fernsehreportage thematisiert intensiv das Privatleben des damaligen Innenministers. Ende 2004 wird bei seiner Ernennung zum Parteichef ein Film gezeigt, in dem verschiedene Künstler ihre Unterstützung für Sarkozy ausdrücken und am Ende der jüngste Sohn dem Vater «Bonne chance mon Papa» zuruft. Später wird das Konzept zunehmend auch auf andere Politiker angewandt. So läuft etwa von Januar bis August 2005 eine wöchentliche Radiosendung Politique people bei Europe 1. Ungefähr auf diesen Zeitraum lassen sich auch die ersten Belege für den Ausdruck peopolisation/pipolisation datieren. Entscheidend für seine sprachliche Etablierung ist dann vor allem der französische Präsidentschaftswahlkampf 2007, in dem das Phänomen immer wieder explizit thematisiert und beim politischen Gegner diagnostiziert und kritisiert wird. So äußert etwa Laurent Fabius in Anspielung auf die Präsenz seiner Konkurrentin Ségolène Royal in Magazinen wie Voici in einem Interview: (410) Je n’aime pas l’«américanisation» de la politique, qui confond vie privée et vie publique. L’authentique bonheur d’une vie partagée n’a pas besoin d’être exhibé matin et soir. Je préfère dire: «Voici mon projet», plutôt que: «Mon projet, c’est Voici!» (Laurent Fabius: «Si j’étais président…». Propos recueillis par Christophe Barbier et Elise Karlin, in: L’Express, erschienen 24.08.2006, aktualisiert 29.08.2006, , Zugriff 04.05.2009). Dieser Gedanke wird auch in einem Interview mit Jean-Luc Mélenchon ausgeführt (bezeichnenderweise wird gerade das unten hervorgehobene Zitat als Titel des entsprechenden Zeitungsartikels ausgewählt – dies bestätigt noch einmal, dass die Zeitungsredakteure den Ausdruck pipolisation als auffällig einstufen und dem Thema zentrale Bedeutung beimessen): (411) […] actuellement il y a une ambiance La croisière s’amuse. C’est insupportable ! La «pipolisation» de la présidentielle est criminelle. Elle masque la gravité des problèmes qui montent. […] (Interview mit Jean21

(Zugriff 19.05.2009).

393

Luc Mélenchon, Propos recueillis par Nicolas Barotte, ursprünglich erschienen in Le Figaro, 22.08.2006, Wiederabdruck bei Revuerepublicaine.fr am 28.06.2006, , cf. , Zugriff 07.05.2009, Hervorhebung EWF) Ab Juli/August/September 2006 erscheinen zahlreiche kritische Stellungnahmen zum Phänomen der peopolisation/pipolisation. So titelt etwa die Libération No 7877 vom 05.09.2006 «Peopolisation. La grande dérive» (cf. Abb. 38) 22; Anlass hierfür ist die öffentliche Unterstützung von Sarkozys Wahlkampf durch Johnny Hallyday und den Rapper Doc Gynéco. Weitere Stellungnahmen (für und gegen die peopolisation/pipolisation) werden in einem Artikel von Grégory Rzepski zitiert: (412) Il y aura donc les « pour » comme Roland Cayrol sur France Culture (le 16.09.2006) : « La "peopolisation", c’est une chose sérieuse et utile. Je ne crois pas que c’est seulement la presse magazine qui doit nous faire des photos (...). Les journaux les plus sérieux devront nous expliquer plus en détail que d’habitude qui sont les candidats (...). » ; les « contre » comme Alain Duhamel dans Libération (le 30.09.2006) : « La peopolisation n’est (...) que l’avant-garde caricaturale de la démocratie d’opinion. Elle envahit en fait beaucoup plus profondément la scène politique que son strass et ses paillettes ne pourraient le faire croire. » ; et les dialecticiens postmodernes comme Zaki Laïdi, toujours dans Libération (le 04.07.2006), qui met en garde contre « la "peopolisation" du jugement politique qui conduit à une adhésion paresseuse à ce qui est à la mode, et son envers, sa disqualification automatique au prétexte qu’elle enfreindrait les règles du jeu politique classique. » (Grégory Rzepski, Vous avez dit « peopolisation » ? (1): Querelles de clocher et questions de frontières, Artikel erschienen am 18.01.2007, , Zugriff 07.05.2009, Kursivierungen im Original, Fettdruck EWF) Auch hier zeigt sich der enge Zusammenhang zum Begriff presse people, wobei dieser ebenso wie peopolisation im zitierten Artikel durchgängig in Anführungszeichen gesetzt ist. Die typographische Hervorhebung kann auf den noch nicht etablierten Status des Ausdrucks zurückgeführt werden. Dabei bemängelt der Autor eine Unschärfe des noch jungen Begriffs peopolisation und stellt fest, dass unklar sei, ob es sich um ein reines Medienphänomen oder aber eine Strategie des politischen Marketings (d.h. eine von Politikern bewusst eingesetzte Strategie) handle:

22

Cf. (Zugriff 17.12.2008)

394

Abb. 38:

Titelblatt der Libération No 7877 (Libération, 05 septembre 2006, Zeichnung: Willem)

395

(413) Un peu « conceptuel », un peu anglo-américain, donc moderne : le terme de « peopolisation » – ou « pipolisation » – dans la campagne présidentielle de 2007 rencontre un franc succès chez les journalistes et les experts en tous genres. Cet usage du mot est observable depuis plusieurs mois. A quoi renvoie, pour les commentateurs médiatiques, la « peopolisation » servie et resservie à longueur d’éditorial ? […] Il s’agit parfois de désigner le soutien accordé par des personnalités du show-business aux candidats. [...]. La « peopolisation » désigne également cet aspect de la personnalisation de la vie politique qui consiste à faire primer les enjeux de personnes sur les questions de fond. […] La notion de « peopolisation » semble pour le moins confuse mais la conversion de la presse « de qualité » à des pratiques journalistiques qui sont en fait celle de la presse « people » paraît, en revanche, avérée. (Grégory Rzepski, Vous avez dit « peopolisation » ? (1): Querelles de clocher et questions de frontières, Artikel erschienen am 18.01.2007, , Zugriff 07.05.2009, Hervorhebungen des Originaldokuments entfernt) Diese Ausführungen legen nahe, dass die durchgängige typographische Hervorhebung von peopolisation und people auch wesentlich dadurch motiviert ist, dass der Autor eine kritische Distanz zu den entsprechenden Phänomenen einnimmt. Dabei übt er insbesondere Kritik daran, dass sich die «presse (dite) ‹people›» bzw. die «presse ‹populaire›» und die «presse (dite) ‹sérieuse›» in den Formen der Berichterstattung einander immer mehr annäherten, so dass sich eine strenge Trennung beider Sektoren als zunehmend problematisch erweise. Als letzten Beleg für die große Bedeutung der peopolisation/pipolisation im Präsidentschaftswahlkampf möchte ich eine vom 29.08. bis 07.09.2006 durchgeführte Internetumfrage zum Thema Lequel de ces personnages politiques jugez-vous le plus people ? anführen, bei der folgende Ergebnisse festgestellt wurden: Nicolas Sarkozy 54,4 %, [Olivier] Besancenot 6,1 %, Ségolène Royal 31,3 %, François Bayrou 1 %, J.[ean]-M.[arie] Le Pen 4,1 %, [Philippe] De Villier 1,4 %, M.[arie]G.[eorge] Buffet 0,7 %, Dominique Voynet 1 %. 23 Nachdem damit eingehend charakterisiert wurde, in welchem Kontext die Innovation frz. peopolisation/pipolisation stattgefunden hat und sich der Ausdruck weiter verbreitet hat, möchte ich nun auf das Verhältnis der beiden genannten Varianten im Verlauf der Verbreitung eingehen. Auf der Grundlage dreier von mir durchgeführter Abfragen, einer früheren wissenschaftlichen Studie (Wooldridge 2006–2007) und weiterer Abfrageergebnisse, die im Wikipédia-Artikel zu peoplisa-

23

(Zugriff 07.05.2009). Bei den angegebenen Ergebnissen wurden nur die 294 Antworten gewertet, bei denen pro IPAdresse nur eine Antwort abgegeben wurde. Bezieht man Mehrfachantworten ausgehend von einer IP-Adresse ebenfalls ein, so ergeben sich insgesamt 382 Antworten, wobei die prozentuale Verteilung nur gering von den obigen Werten abweicht.

396

tion verfügbar sind 24, lassen sich relativ feine Schnitte in der Diachronie ziehen (cf. Tab. 5 und Abb. 39). 25 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

pipolisation

pipolisation peopolisation Andere

Abb. 39:

peopolisation

Andere

05.06.06

14.09.06

22.09.06

26.09.06

28.10.06

30.01.07

03.01.09

15.04.09

11.05.09

88,72 % 0% 0%

30,00 % 66,66 % 3,34 %

48,19 % 48,57 % 3,24 %

76,27 % 21,92 % 1,81 %

58,60 % 37,06 % 4,34 %

19,99 % 77,62 % 2,39 %

40,41 % 37,16 % 22,43 %

60,76 % 34,81 % 4,43 %

43,51 % 38,94 % 17,55 %

Relative Häufigkeit der Varianten und im Verlauf ihrer Verbreitung

Betrachtet man die Anteile der jeweiligen Okkurrenzen für und in Abb. 39, so ergibt sich ein sehr unregelmäßiger Verlauf der Verbreitung bzw. ein wiederholtes Schwanken in der Verteilung der beiden Varianten. 26 Damit ergibt sich ein völlig anderer Verlauf als eine S-Kurve, die in der 24

25

26

(Zugriff 03.01.2009). Am 12.02.2009 wurden die entsprechenden Statistiken aufgrund ihrer nicht mehr gegebenen Aktualität aus dem Wikipédia-Artikel entfernt; sie sind jedoch noch immer in den älteren, archivierten Versionen des Artikels einsehbar (cf. , Zugriff 07.05.2009). RW = Russon Wooldridge, Wiki = Wikipédia. «?» signalisiert, dass keine Aussagen über die Vorkommenshäufigkeit der jeweiligen Formen möglich sind, da die Formen bei der entsprechenden Untersuchung nicht abgefragt wurden. Alle genannten Abfragen beruhen auf einer Abfrage mit google; allerdings ist für RW und Wiki nicht klar, ob ebenfalls mit der französischen google-Version gearbeitet wurde. Für die Wiki-Abfragen sind zudem keine Informationen verfügbar, ob die Suche auf französischsprachige Seiten beschränkt wurde. Die absoluten Trefferzahlen sind somit unter Umständen nicht genau untereinander vergleichbar. Gleichwohl erscheint ein Vergleich der Anteile der jeweiligen Varianten, d.h. ihrer relativen Häufigkeiten, möglich. Die in der Abbildung eingezeichneten Linien sind allerdings nur Verbindungen zwischen den einzelnen Datenpunkten. Sie bilden somit nicht die tatsächliche Verbreitung zwischen

397

Forschung im Allgemeinen angesetzt wird, um den Verlauf der Verbreitung von Innovationen zu beschreiben. 27 Während die S-Kurve einen sehr regelmäßigen und gerichteten Verlauf der Verbreitung nahelegt, zeigt sich für das untersuchte Beispiel, dass die ablaufenden Prozesse im Einzelnen wesentlich unregelmäßiger sein können. Bemerkenswerterweise zeichnet sich vorerst noch keine eindeutige Tendenz zugunsten der einen oder anderen Variante ab, und auch eine funktionale Differenzierung scheint zumindest vorerst aufgrund der Belege nicht eindeutig gegeben.

27

den Datenpunkten ab, für die weitere Schwankungen und ein abweichender Verlauf vorliegen können. Streng genommen beruhen die durchgeführten Abfragen auf jeweils unterschiedlichen Corpora – eben dem jeweiligen Stand des Internet zum Abfragezeitpunkt. Somit ergibt sich keine konstante Grundmenge (dies wäre etwa der Fall, wenn 1.000 Sprecher zu den verschiedenen Zeitpunkten im Hinblick auf ihre Kenntnis bzw. Verwendung der Innovation untersucht würden). Grundsätzlich muss daher für die angestellten Betrachtungen angenommen werden, dass das Internet zu den verschiedenen Abfragezeitpunkten jeweils ein repräsentatives Corpus darstellt und dass die verschiedenen Schnitte des Internet im Hinblick auf den Verbreitungsprozess der Innovationen vergleichbar sind.

398

399

45.003

13.500 30.000 811 ? 514 178 ? ? ? ?

14.09.06 (Wiki) 68.900 19.800 918 ? 528 191 ? ? ? ? 90.337

53.120

26.09.06 (Wiki)

25.600 25.800 853 ? 673 194 ? ? ? ?

22.09.06 (Wiki)

34.809

20.400 12.900 804 ? 517 198 ? ? ? ?

28.10.06 (Wiki)

72.023

14.400 55.900 870 ? 688 165 ? ? ? ?

30.01.07 (RW)

Diachronischer Vergleich der Beleghäufigkeiten verschiedener Schreibvarianten von frz. pipolisation

665

Gesamt

Tab. 5:

590 ? ? ? 75 ? ? ? ? ?

pipolisation peopolisation peoplisation peoplelisation peopleisation pipeulisation peopelisation peopeulisation pipelisation Andere (v.a. )

05.06.06 (RW)

33.903

13.700 12.600 4.780 1.380 628 332 235 85 9 154

03.01.09 (EWF)

41.556

20.600 11.800 6.540 1.360 519 225 176 89 57 200

15.04.09 (EWF)

37.233

16.200 14.500 3.840 1.410 539 216 164 81 80 203

11.05.09 (EWF)

16.2

Sprachpflegerische Bestrebungen

Im Folgenden möchte ich kurz auf metasprachliche Kommentare und sprachpflegerische Bestrebungen eingehen. Hierbei lassen sich zunächst von Seiten einzelner Sprachbenutzer sprachkritische Äußerungen belegen: (414) Professeur à la retraite, je suis abonnée à L'Express depuis la nuit des temps. J'ai toujours utilisé votre hebdomadaire comme outil de travail et j'ai suivi avec intérêt l'évolution de la langue. Pourtant, je suis bien contente de laisser à mes jeunes collègues le soin d'expliquer cet usage étonnant du mot « people », dont la signification n'a aucun rapport avec le mot anglais. Ne pouvait-on exprimer en français le titre de votre couverture « Le président people » (L'Express du 10 janvier) ? Etait-il également impossible de traduire dans votre belle langue « le couple le plus people », « la pipolisation de la fonction » et, pour couronner le tout, « la frontière entre les journaux people et les news est abolie » ? (Leserbrief vom 31.01.2008, Autorin: A. Shelton [aus Maidenhead, Großbritannien], , Zugriff 27.12.2008) Für Frankreich ist allerdings festzustellen, dass es von offizieller Seite bislang keine sprachpflegerischen Bemühungen zur Vermeidung von people oder peopolisation/pipolisation gibt. So findet sich bei France Terme, das alle im Journal officiel von der Commission générale de terminologie et de néologie veröffentlichten Artikel verzeichnet, bislang kein Eintrag zu people, pipole, pipolisation, peopolisation oder peoplisation. 28 Für die Situation in Québec gilt hingegen, dass die Entwicklung der Audrücke durch sprachpflegerische Bestrebungen mitgeprägt ist. So wird der Benutzer des Grand dictionnaire terminologique bei einer Suche nach "pipolisation" oder "peopleisation" zum Artikel vedettisation weitergeleitet (Suchen für andere Schreibvarianten sowie people und Varianten bleiben hingegen ergebnislos), in dem die Formen pipolisation und peopleisation als «termes à éviter» gekennzeichnet werden. 29 Der Begriff vedettisation wird dabei den Bereichen Journalismus, Radio und Fernsehen zugewiesen und wie folgt definiert: «Action de vedettiser, de faire devenir quelqu’un une vedette, principalement par l’entremise des médias.» Anders als in Frankreich, wo grundsätzlich ein sehr enger Bezug der peopolisation/pipolisation zum Bereich der Politik festzustellen ist, ist diese Definition allgemeiner gehalten und zielt auf Formen der Berichterstattung ab, durch die Einzelpersonen zu (neuen) Stars gemacht werden. In einem zusätzlichen Kommentar werden dann aber 28

29

Abfrage vom 05.06.2011. Der Eintrag zu monospace führt zwar den Ausdruck people carrier an; dieser Ausdruck wird aber als fremdsprachliches Äquivalent (d.h. nicht als Ausdruck des Französischen) etikettiert (cf. ).

(Zugriff 02.05.2009).

400

auch Personen aus der Politik – neben Sportlern und Schriftstellern – als Beispiele angeführt («On parlera, par exemple, de: vedettisation des sportifs, des écrivains, des politiques»). Auffällig ist noch die sehr frühe Quellenangabe («Office québécois de la langue française, 2005»), die zeigt, dass die Form bereits sehr früh im kanadischen Französisch erscheint und zum Gegenstand sprachpflegerischer Maßnahmen wird. Ferner erscheint der Kommentar interessant, in dem eine Begründung für die Ablehnung der entlehnten Formen angedeutet wird: «Le terme peopleisation est à éviter en français et peut être remplacé par vedettisation. Cette structure hybride, où le suffixe français -isation est ajouté au mot anglais people (avec maintien de la prononciation anglaise), est mal adaptée au français. Il en est de même de la graphie francisée pipolisation, utilisée en France, qui est basée sur la prononciation anglaise» (, Zugriff 02.05.2009).

Die Form peopleisation wird aufgrund ihres hybriden Charakters zurückgewiesen (englischer Stamm + französisches Suffix). Der Zusatz bei people, «avec maintien de la prononciation anglaise» deutet aber an, dass hier möglicherweise nicht der etymologische Fremdheitsaspekt von people die zentrale Rolle spielt, sondern es eher um formale Fremdheitsmerkmale geht. Im rein lautlichen Bereich finden sich allerdings für die amerikanische Aussprache ['pipԥl] (OED) auf der Ebene der phonischen Segmente durchgehend Korrespondenzen, d.h. die einzelnen lautlichen Segmente weisen eine Konformität mit den Strukturen des ZS-Systems auf. Lediglich die Anfangsbetonung stellt ein Fremdheitsmerkmal dar, das von den Strukturen des ZS-Systems abweicht; da aber bei der suffigierten Form peopleisation der Wortakzent ohnehin am Wortende liegt, scheint auch dieses Merkmal von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr erscheint es plausibel, dass hier eher die GPKs gemeint sind (insbesondere ļ [i]), die im Hinblick auf das ZS-System als nichtkonform einzustufen sind. Die Form pipolisation weist hingegen keine entsprechenden formalen Fremdheitsmerkmale auf. Die Aussage, auch sie sei «mal adaptée au français» erscheint daher zu hinterfragen, da es sich ja gerade um eine graphisch an das ZS-System adaptierte Form handelt. Die genannte Schreibvariante wird ferner im Grand dictionnaire terminologique auf das in Frankreich verwendete Französisch beschränkt. Daher kann angenommen werden, dass die bei dieser Form vorliegende starke Lehnwortintegration für das kanadische Französisch aufgrund des sehr engen Sprachkontakts mit dem Englischen als inadäquat angesehen wird.

401

16.3

Eine Scheinentlehnung? Semantische und pragmatische Aspekte

I have just come across this word [pipolisation, EWF] in Le Point and I can't find it in the dictionary. If it is what i think it is then it is a variation on a sexual term used in france [sic, EWF] for oral gratification. Please advise. (Frage vom 25.10.2007 in einem Diskussionsforum zum Thema pipolisation, Autor: jamesjoyce [in den USA lebender Ire], , Zugriff 15.12.2008)

Der zitierte Beleg zeigt eindrücklich, dass die Form frz. pipolisation für den Verfasser des Beitrags, einen in den USA lebenden Iren, nicht mehr mit engl. people in Verbindung gebracht wird (vielmehr scheint er einen Bezug zu frz. pipe ‘Fellatio’/faire une pipe, cf. PR s.v. pipe, herzustellen). Ebenso wird auch für frz. people festgestellt, dass die Bedeutung erheblich vom Englischen abweicht: (415) […] cet usage étonnant du mot « people », dont la signification n'a aucun rapport avec le mot anglais […] (Leserbrief vom 31.01.2008, Autorin: A. Shelton [aus Maidenhead, Großbritannien], , Zugriff 27.12.2008) Aufgrund der semantischen Abweichung sowie ggf. aufgrund der formalen Abweichungen bei Varianten mit Lehnwortintegration werden frz. people/pipole und peopolisation/pipolisation häufig als Scheinentlehnungen (faux anglicismes) bezeichnet – cf. die bereits zitierte Definition bei Wikipédia: «People est un terme anglais signifiant « les gens » ou « le peuple » (mot français à l'origine du mot anglais). Francisé en « pipole » et parfois « pipeul », ce faux anglicisme a d'abord recouvert les membres du show business et du Gotha, puis qui [sic, EWF] est devenu largement plus ou moins synonyme de célébrité. En France, le terme de peoplisation désigne deux phénomènes : d'une part la tendance des médias généralistes à imiter les méthodes de la presse people et, d'autre part, la médiatisation de la vie privée de personnages publics considérés comme ne faisant pas partie des people, comme c'est le cas pour certains responsables politiques (on parle alors de peoplisation du politique)» (, Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung im Original).

Somit zeigt sich hier wiederum die bereits in Kap. 3.4 festgestellte rein synchronisch-kontrastive Auslegung der Kategorie «Scheinentlehnung». In der Tat liegt mit engl./frz. people synchronisch gesehen ein false friend vor. Diachronisch gesehen handelt es sich jedoch um eine echte Entlehnung. Für ihre Modellierung stellt sich nun die wichtige Frage, wie der bei der Entlehnung eingetretene Bedeutungswandel erklärbar ist.

402

Die Aussage, dass die Bedeutungen von engl. und frz. people in keinerlei Relation zueinander stehen (cf. die Aussage in Bsp. (415)), ist unter linguistischer Perspektive zu relativieren. In der obigen Definition wird die Bedeutung von frz. people zunächst als ‘Mitglieder des Showbusiness’ bzw. ‘Mitglieder des Adels’ (der Gotha stellt einen Almanach über Familien der Aristokratie Europas dar, cf. PR) angegeben, dann allgemeiner als ‘Berühmtheit, berühmte Person’ gefasst (so auch die zweite Bedeutungsangabe im PR s.v. people). Somit lässt sich die Entlehnung wie folgt charakterisieren: (416) engl. people LEUTE ĺ frz. people BERÜHMTE LEUTE ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

taxonom. Subordination «Null» fremdsprachlich

In semantischer Hinsicht stellt die Entwicklung eine Spezialisierung dar, bzw. die Relation der ZS- zur AS-Bedeutung ist die einer taxonomischen Subordination. Hervorzuheben ist aber, dass es sich hier nicht um eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Phänomen oder Produkt der AS-Kultur handelt, wie sie in Entlehnungskontexten häufig ist (cf. it. grappa ‘Tresterbrand’ ĺ frz. grappa ‘italienischer Tresterbrand’). Wie kann also die eher ungewöhnliche Bedeutungsveränderung erklärt werden? Hierfür erscheint zunächst die bereits festgestellte Tatsache relevant, dass der Ausdruck frz. people vor allem im Bereich der Presse und Medien erscheint (cf. die erste Bedeutungsangabe im PR und die dort genannten französischen Ausdrücke presse people, magazine people). Darüber hinaus gibt das Wörterbuch bei der etymologischen Herleitung die Form engl. people journalism an, und auch die Angaben im Wikipédia-Artikel zu pipole legen nahe, dass die Entlehnung in diesem Kontext stattgefunden hat: «Apparu dans les années 2000 avec le développement de la presse du même nom (souvent encore écrit people)». 30 Schließlich bestätigen auch Corpusrecherchen eine große Häufigkeit des Ausdrucks presse people ‘Klatschpresse’: So stellt Wooldridge (2006–2007) für 2006 eine hohe Zahl von Okkurrenzen für "presse people" fest. Und auch eine aktuelle Recherche mit Hilfe von WebCorp zeigt, dass unter den Kookkurrenzen von frz. people sehr häufig das Wort presse erscheint: So ergeben sich 46 Belege für "presse people", (Groß- und Kleinschreibung zusammengenommen). Darüber hinaus treten auch andere Wörter aus dem Bereich der Presse und Medien auf (copyright, index, news, Voici – hier ist davon auszugehen, dass es sich vor allem um Belege für den Titel der Zeitschrift Voici handelt – sowie stars; cf. Tab. 6). 31

30 31

(Zugriff 07.05.2008). Die WebCorp-Abfrage wurde am 31.12.2008 durchgeführt. Die Buchstaben L bzw. R geben an, ob die Wörter im linken oder rechten Kontext stehen; die jeweilige Zahl gibt den Abstand an (L1 + presse bedeutet, dass es sich um einen Beleg «presse people» handelt; bei L4 + presse stehen drei weitere beliebige Wörter zwischen «presse» und «people»). Die Kookkurrenzen mit people/People lassen sich etwa durch Überschreitungen von (Teil-)Satzgrenzen erklären.

403

Wort à presse plage copyright infiltrés people Presse Abaca Index est news 2008 sont fr Toutes vous Voici stars People Caroline Tab. 6:

L4

L3

L2

1 2

9

1

L1

R1

R2

R3

R4

Links gesamt

Rechts gesamt

Gesamt

22 2

3

1

2

28

10 31 0 20 18 10 18 16 15 2 12 10 1 7 11 5 0 2 7 2

28 2 22 0 0 8 0 0 0 12 2 3 12 5 0 5 10 7 2 6

38 33 22 20 18 18 18 16 15 14 14 13 13 12 11 10 10 9 9 8

22 20 1

5

18 3

1

4 1

16 10 1

1 18

12 7 5 1 5

1 2

3 1 1

4

3

1

4 2

5

1

2

10

1

3 1

1

5

10 1 1 3

1 3

1 1

1 10 3

3 3 1

6

Kookkurrenzen für frz. people auf der Grundlage von WebCorp

Wie ist nun der eingetretene Bedeutungswandel erklärbar? Wesentlich hierfür erscheint, dass Ausdrücke wie der im PR genannte engl. people journalism einerseits – (AS-)produzentenseitig – im Sinne einer BERICHTERSTATTUNG ÜBER LEUTE, andererseits – (ZS-)rezipientenseitig – im Sinne einer BERICHTERSTATTUNG ÜBER BERÜHMTE LEUTE interpretiert werden können, ohne dass sich hieraus kommunikative Probleme ergeben. Damit lässt sich der Wandel über eine rezipienteninduzierte semantische (Re-)Analyse erklären. Teilweise wird im Zusammenhang mit der Herleitung der französischen Bedeutung auch auf die amerikanische Zeitschrift People verwiesen, die ein wichtiges Organ entsprechender Berichterstattung (people journalism) darstellt 32; aufgrund ihrer hohen Verbreitung und ihres Bekanntheitsgrads scheint es plausibel, dass ihr Vorhandensein die bei der Entlehnung eingetretene Bedeutungsveränderung mit-

32

Die im PR angenommene Herleitung der Form aus engl. people journalism wird in verschiedenen Publikationen aufgegriffen und diskutiert, wobei darauf hingewiesen wird, dass der Ausdruck im Englischen eher unüblich sei und das entsprechende Konzept eher durch die Ausdrücke gossip bzw. celebrity magazines bezeichnet werde. Dementsprechend wird ein Einfluss der Zeitschrift People als weiterer Erklärungsansatz genannt (Dakhlia 2005, 3; cf. Spies 2008, 128). Die genannten Arbeiten haben allerdings ohnehin einen kommunikationswissenschaftlichen Schwerpunkt, so dass linguistische Aspekte der Verwendung des Ausdrucks frz. presse people nur knapp erörtert werden.

404

beeinflusst hat. Diese Hypothese wird etwa im Artikel vedettisation im Grand dictionnaire terminologique angedeutet: 33 «People est le nom d'un magazine américain qui couvre les nouvelles et les potins sur les célébrités. Il a sans doute influencé l'emploi en français de people (surtout en France) pour désigner ce type de presse spécialisée (la presse people). Ce qui a donné lieu à la formation de certains dérivés indésirables, comme peopleisation, peopleiser et peopleisable. En anglais, le terme peopleization (ou sa variante graphique peopleisation) possède un sens différent, qui se rapproche davantage de celui de popularization (popularisation ou vulgarisation, en français)» (, Zugriff 02.05.2009).

Die Zeitschrift People stellt dezidiert einzelne Personen ins Zentrum der Berichterstattung – cf. die im folgenden Artikel zur Gründung von People dargelegten Grundprinzipien der Zeitschrift: (417) This week Time Inc. takes its co-founder's thought a large step forward by bringing out PEOPLE, a new magazine based on the old journalistic precept that names make news. Says Managing Editor Richard Stolley: "We're getting back to the people who are causing the news and who are caught up in it, or deserve to be in it. Our focus is on people, not issues." The weekly's 72-page premiere issue is crammed with names, some famous (Queen Elizabeth, Sam Ervin), some unsung (Air Force Major Thomas T. Hart, one of the 1,300 Americans still missing in Viet Nam), and some neglected (Marina Oswald is the major biographical subject). […] Stolley foresees no problem in establishing the magazine's identity: "There is nothing abstract about our name. People are what we are all about." (Artikel in der Time vom 04.03.1974, , Zugriff 31.12.2008) Der Titel der Zeitschrift ist demnach im Sinne des englischen Worts zunächst so zu interpretieren, dass es sich um eine Zeitschrift über )Leute handelt. Dabei wird aber naheliegenderweise vor allem über berühmte Personen des öffentlichen Lebens berichtet; gleichzeitig erlangen auch bis dahin nicht berühmte Personen durch die Berichterstattung selbst eine gewisse Berühmtheit. Insofern stellen die konkreten Referenten in der Regel )berühmte Personen dar. Bei dem vorliegenden Typ der taxonomischen Subordination wird also aus der betreffenden Referentenklasse «Leute» des AS-Ausdrucks nur eine bestimmte Teilmenge – die der «berühmten Leute» ins Auge gefasst. Dabei kann man einen Prototypikalitätseffekt sehen: Unter dem Aspekt des Mondänen stellen berühmte Leute prototypische Vertreter der Kategorie Leute dar.

33

Diese Auffassung wird auch im Internetforum WordReference diskutiert, das speziell sprachbezogenen Fragen gewidmet ist (, Zugriff 07.05.2009).

405

Ein entsprechender pragmatischer Diskurseffekt kann bereits in der AS gesehen werden. Er lässt sich mit Relevanzkriterien nach Grice (1975) oder Sperber/Wilson (1986) herleiten: Eine Aussage, dass die Zeitschrift einfach über Leute berichtet, erscheint banal und stellt eine potenzielle Verletzung der Maxime «Be relevant» dar. Daher arbeitet der Rezipient (in der Annahme, dass der Produzent das Kooperationsprinzip befolgt und seinen Gesprächsbeitrag entsprechend der Anforderungen der Kommunikation gestaltet hat) eine konversationelle Implikatur heraus, nach der berühmte Leute gemeint sind. Nach Levinson ließe sich die Implikatur als I-Implikatur – «What is simply described is stereotypically exemplified» – darstellen (somit bestehen auch Bezüge zur zweiten Maxime der Quantität bei Grice), d.h. bei dieser Interpretation wird der Prototypikalitätseffekt stärker in den Vordergrund gerückt, was ebenfalls kommunikativ plausibel erscheint: Da der Produzent nicht genauer spezifiziert, um welche Leute es hier geht, kann der Rezipient davon ausgehen, dass typische Vertreter der Kategorie, also berühmte Leute, gemeint sind. Nach beiden Ansätzen ergibt sich also eine Implikatur, die das Merkmal der Streichbarkeit erfüllt («Unsere Zeitschrift berichtet über Leute, aber gerade nicht über berühmte Leute»), also in der AS rücknehmbar ist: 34 (418) Our focus is on people. +> famous people Ein mögliches Kommunikationsszenario, das den Bedeutungswandel bei der Entlehnung erklärbar macht, lässt sich daher so beschreiben, dass der konkrete Referent sowohl (produzentenseitig) als LEUTE als auch (rezipientenseitig) als BERÜHMTE LEUTE konzeptualisiert werden kann. Der in der AS bzw. beim Produzenten gegebene pragmatische Effekt einer Implikatur auf berühmte Leute (der in der AS eben nur

34

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass sich in anderen Sprachen ähnliche Implikaturen nachweisen lassen – cf. den Titel einer deutschen TV-Sendung Leute heute, in der es vor allem um Neuigkeiten aus dem Leben internationaler Fernseh- und Filmstars geht (cf. , Zugriff 10.06.2009). Bei der weit verbreiteten italienischen Zeitschrift Gente hingegen, in der ebenfalls (auch) über berühmte Leute berichtet wird, scheint hingegen eine etwas andere Implikatur intendiert zu sein. Die Zeitschrift richtet sich an ein breites Publikum, vor allem Familien mittlerer Bevölkerungsschichten, und hier scheint weniger der Aspekt der Exklusivität im Vordergrund zu stehen, sondern eher eine Implikatur des Typs «eine Zeitschrift über bzw. für Leute +> Leute wie du und ich» – cf. die Beschreibung der Zeitschrift: «Gente è un settimanale diretto alle famiglie medie, di pseudo-informazione con un carattere indirizzato al gossip e al pettegolezzo. La rivista vanta una lunga tradizione, sono almeno 40 anni che questo settimanale fa capolino nelle case degli italiani, e si colloca nelle riviste di medio spessore culturale come Oggi o Chi. Attualità, personaggi famosi, interviste, rubriche, giochi, tanta pubblicità, oroscopi e guida tv: ecco ciò che offre il settimanale Gente. Il prezzo è contenuto, le pagine sono patinate, ma la grafica risente di una nostalgia alle origini. La diffusione sul territorio nazionale è alta, anche perché è una rivista diretta alle famiglie che non si presenta volgare, pur trattando di gossip e personaggi famosi per un buon 40% del suo contenuto. Vi si trovano anche delle rubriche interessanti, le classifiche di vendita di libri e cd, o le recensioni dei film al cinema, come le rubriche di dialogo con i lettori» (, Zugriff 10.06.2009).

406

ein pragmatisches Phänomen darstellt) geht bei der Entlehnung in die Semantik des ZS-Audrucks ein, indem der Rezipient den Ausdruck entsprechend (re-)analysiert: 35 (419) engl. people ['pipԥl] ‘Leute’ ĺ frz. people ‘berühmte Leute’ Prod [Engl.]

Komm [engl.]

Rez [Frz.]

['pipԥl]

‘Leute’



Ļ „…people…“ Ļ

[…]

LEUTE

Ļ )berühmte Leute Ļ ‘berühmte Leute’



BERÜHMTE LEUTE

Dieses Szenario kann etwa auf die folgenden Beispiele angewandt werden: (420) People Weekly, commonly referred to as People, is a magazine hit the market in 1974 [sic], offering an in depth look at the entertainment industry and celebrity life. It also runs human interest stories. (, Zugriff 08.05.2009) (421) People (ou People Weekly) est un hebdomadaire magazine à people américain […] Numéros annuels spéciaux. « 100 Most Beautiful People » […] (, Zugriff 31.12.2008, Hervorhebung im Original) Das Szenario erscheint also prinzipiell nicht nur für Sprachkontaktsituationen französischer Rezipienten mit englischsprachigen Äußerungen (cf. Bsp. (420) 36), sondern auch innerhalb der ZS (cf. Bsp. (421)) denkbar. Da sich im Französischen keine Belege für people finden, in denen nur die allgemeinere Bedeutung ‘Leute’ angesetzt werden kann, ist aber anzunehmen, dass die entsprechende Uminterpretation entweder in den Sprachkontaktsituationen selbst oder aber in einer sehr frühen Phase der Verbreitung der Innovation im Französischen erfolgt ist. Beide Optionen müssen dabei nicht als strenge Alternativen konzipiert werden, sondern sie können parallel zueinander ablaufen (d.h. in einigen Fällen findet der Bedeutungswandel bereits beim Sprachkontakt statt, in anderen Fällen übernehmen französische Rezipienten 35

36

Für die AS-Form gebe ich hier die U.S.-amerikanische Aussprache an (brit. ['pi:pl], cf. OED), da aktuell ein Sprachkontakt vor allem mit dem amerikanischen Englisch stattfindet; darüber hinaus legt auch der Kontext der Entlehnung eine entsprechende Annahme nahe (es geht vielfach um U.S.-amerikanische Stars, und die amerikanische Zeitschrift People spielt eine wichtige Rolle für die Entlehnung). Die Frage der ZS-Aussprache der Entlehnung wird aufgrund der großen Komplexität vorläufig ausgeklammert und erst in Kap. 16.5 ausführlich besprochen. Allerdings ist hier noch kein Sprachkontakt selbst belegt. Entsprechende Texte können jedoch jederzeit im Internet von französischen Rezipienten abgerufen werden, so dass die Möglichkeit von Sprachkontakt immer gegeben ist.

407

die Form people als Bezeichnung für LEUTE und verwenden sie selbst entsprechend weiter, wobei wiederum andere Rezipienten innerhalb des Französischen die beschriebene Uminterpretation vornehmen). Da es sich bei frz. people um eine sehr junge Entlehnung handelt, die eng auf den Bereich von Presse und Medien bezogen ist, scheint es ferner naheliegend, dass gerade das Internet und die Internetpräsenz der Zeitschrift People die Entlehnung sowie die weitere Verbreitung des Ausdrucks in der ZS beeinflusst haben. Auch für die Webseite der Zeitschrift (, Zugriff 31.12.2008) lässt sich feststellen, dass ausschließlich Neuigkeiten von berühmten Personen behandelt werden, so dass das obige Szenario auch hier potenziell gültig erscheint (cf. , Zugriff 31.12.2008). Ein weiteres mögliches Szenario für die Uminterpretation (das jedoch nicht in Widerspruch zum oben beschriebenen steht, sondern ergänzend dazutritt) lässt sich dahingehend charakterisieren, dass mit dem Ausdruck people nicht die Zeitschrift bezeichnet wird, sondern eine Rubrik innerhalb (anderer) Zeitschriften oder Zeitungen, in der entsprechende Themen behandelt werden. Auch hier lässt sich genau dieselbe Spanne für eine Uminterpretation des Ausdrucks aufzeigen (cf. Bsp. (422) und (423)). 37 (422) People was co-founded by Dick Durrell as a spin-off from the "People" page in Time magazine. (, Zugriff 31.12.2008) (423) PEOPLE. Mot anglais. Rubrique qui, dans la presse est consacrée aux personnes en vue. (Maurice Lescure, Dictionnaire de la Publicité, , Zugriff 02.05.2009, Hervorhebung im Original) Bsp. (423) zeigt, dass der Ausdruck people auch im Französischen als Bezeichnung für eine entsprechende Zeitschriftenrubrik etabliert ist. Entsprechende Entlehnungssituationen (mit einer Uminterpretation des Ausdrucks) erscheinen dabei sehr gut nachvollziehbar: Nach dem Vorbild englischer oder amerikanischer Zeitschriften wird people als Ausdruck zur Bezeichnung der entsprechenden Rubrik in französischen Zeitschriften eingeführt. Dies kann als eine bewusste Marketingstrategie interpretiert werden, mit der versucht wird, durch die Verwendung eines auffälligen, weil neuen und formal markierten, Worts eine Steigerung der Aufmerksamkeit des Lesers und einen Werbeeffekt zu erzielen. Der Ausdruck wird eingesetzt, um anzudeuten, dass die Zeitschrift international ausgerichtet – in – ist (wiederum ein entlehnter Ausdruck) und dem Leser einen Überblick über interessante Neuigkeiten über internationale Persönlichkeiten gibt. Trotz einer möglichen Uminterpretation LEUTE ĺ BERÜHMTE LEUTE kann dabei ein völlig unproblematisches Funktionieren der Kommunikation festgestellt werden. 37

Das erstere Beispiel zeigt im Übrigen, dass auch historisch gesehen beide Möglichkeiten in engem Zusammenhang stehen, da die Zeitschrift People ebenfalls aus einer entsprechenden Rubrik innerhalb der Time hervorgegangen ist.

408

Gerade dadurch, dass der Ausdruck people vor allem in der Überschrift der Rubrik, jedoch tendenziell weniger in einzelnen Artikeltexten erscheint, steht er syntaktisch völlig isoliert, und es ist kein sprachlicher Kontext gegeben, der den Rezipienten unter Umständen auf eine allgemeinere Interpretation im Sinne von LEUTE festlegen könnte. Zusätzlich wird die Uminterpretation dadurch begünstigt, dass im Französischen bereits der Ausdruck gens für LEUTE existiert. Allerdings wurde bereits festgestellt, dass auch zur Bezeichnung des Konzepts BERÜHMTE LEUTE bereits ein alternativer französischer Ausdruck zur Verfügung steht: 38 (424) frz. people BERÜHMTE LEUTE neben frz. célébrités BERÜHMTE LEUTE Die Übernahme von people ins Französische ist also als nichtkatachrestische Innovation einzustufen, und es ist daher zu fragen, inwiefern sich der Audruck durch zusätzliche pragmatische Effekte vom bereits vorhandenen Ausdruck abgrenzt. Bezüglich der Verwendungen von frz. people im Vergleich zu frz. célébrité ist zu beobachten, dass z.B. in Überschriften von Presseartikeln und Titeln von Internetseiten vor allem die erste Form erscheint. Ihr kann aufgrund ihrer Neuheit und formalen Nichtintegriertheit eine auffälligere Wirkung zugeschrieben werden. Bei einigen Internetseiten ist allerdings auch ein Nebeneinander beider Formen zu beobachten, das einerseits auf die enge semantische Verwandtschaft hinweist (eine klare semantische Unterscheidung zwischen people und célébrité(s) scheint bei den folgenden Belegen nicht gegeben). Andererseits kann auch hier angenommen werden, dass durch die Verwendung von people zusätzliche pragmatische Effekte erzielt werden sollen (Ähnliches gilt auch für die nichtkatachrestische Innovation frz. news gegenüber frz. actu(alité), wobei auffälligerweise auch hier in Bsp. (425) und (426) beide Formen nebeneinander verwendet werden). (425) Actu people, actu stars et news de célébrités : People Club (Seitentitel von , Zugriff 08.02.2009) (426) Toute l’actu people et les news des stars (Rubrikenüberschrift auf , Zugriff 08.02.2009) (427) Quelles sont les people et célébrités françaises ayant le plus ou le moins de popularité ? Découvrez notre site de sondage de popularité des people et célébrités françaises !! Et vous quelle est votre opinion ? Votez pour votre people préféré. (, Zugriff 08.02.2009)

38

Als (britisch) englisches Äquivalent von frz. people wird im Übrigen die Form celebrities/celebs angeführt, die als célébrités ins Französische (rück-)übersetzt werden kann (, Zugriff 08.05.2009; cf. das Grand dictionnaire terminologique, das engl. celebritization als Äquivalent von frz. peopleisation/vedettisation angibt; , Zugriff 02.05.2009).

409

Wie die Beispiele (425) und (426) zeigen, erscheint in entsprechenden Kontexten zusätzlich auch die Form frz. star, die ebenfalls aus dem Englischen entlehnt ist. Allerdings liegt hier die Entlehnung bereits länger zurück (das DHLF registriert eine einzelne Verwendung 1844 und zitiert dann einen Beleg von 1919, der als Beginn der eigentlichen Verbreitung der Form im Französischen angesehen werden kann), und die Form ist inzwischen im Französischen stark etabliert. Daher scheint eine auffällige Wirkung im Fall von star kaum noch gegeben. Für frz. people/pipole werden entsprechende pragmatische Effekte hingegen deutlich wahrgenommen, wie die folgenden Beispiele metasprachlicher Äußerungen belegen: (428) yes I also think it comes from the magazine "People", featuring celebrities, hence "pipole" became the "in" way to say celebs in french. […] (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema pipolisation, 25.10.2007, Autor: mogador [in Marseille lebender Muttersprachler des Französischen und amerikanischen Englischen], , Zugriff 08.05.2009) (429) […] il semble qu'en France "people" soit plus "glamour" [que (magazine (de)) vedettes, EWF]. [...] (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Celebrity magazine, 24.02.2007, Autor: Nicomon [55jähriger, in Montréal lebender Französisch-Muttersprachler], , Zugriff 08.05.2009) Was adjektivische Verwendungen von frz. people/pipole angeht, so lässt sich deren Bedeutung zunächst als ‘people-bezogen’ fassen (cf. Ausdrücke wie presse people/ pipole, actu people/pipole, etc.). Die entsprechende Bedeutung, die zu der des Nomens in einer Relation der Kontiguität steht, kann analog zu letzterer hergeleitet werden (cf. Ausdrücke in der AS wie people journalism), und zwischen Nomen und Adjektiv liegt im Französischen eine klare Transparenzbeziehung vor bzw. das Adjektiv people/pipole ‘people-bezogen’ scheint aus Sprechersicht gut über das Nomen motivierbar. Darüber hinaus deuten sich aber in einigen Belegen weitere innovative Verwendungen des Adjektivs people/pipole an, die als zusätzlicher semantischer Wandel gefasst werden können. Bei entsprechenden Verwendungen kann die Bedeutung des Adjektivs als ‘glamourös’ umschrieben werden (cf. die metasprachliche Äußerung in Bsp. (431) sowie Bsp. (432), in dem als Quasi-Synonym frz. trendy ‘trendig’ erscheint), d.h. es liegt ein metonymischer Bedeutungswandel vor: (430) frz. people Adj. PEOPLE-BEZOGEN ĺ frz. people Adj. GLAMOURÖS ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität «Null» eigensprachlich

(431) […] this is one of those words that are used in France and appear to be English, but actually aren't used by English-speakers (at least not in the 410

sense it is used in France). "People" is used all the time here as an adjective to refer to things involving celebrities or high society etc. You could say a glitzy, highly-publicised event was very "people". In English, "people" just means "gens". (Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema pipolisation, 25.10.2007, Autor: orlando09 [in Frankreich lebender Muttersprachler des britischen Englischen], , Zugriff 07.05.2009) (432) Coachella : le festival le plus people de l’année ! Le festival Coachella est en passe de devenir plus trendy que celui de Glastonbury. Moins trash et plus bon enfant, les célébrités s'y pressent pour profiter de trois jours de concerts époustouflants et surtout oublier un instant leur vie de personnalité publique ! (Titel und Kurzbeschreibung einer Fotogalerie auf einer Webseite zum Thema Mode, , Hervorhebung im Original) Dieser Wandel – der nun innerhalb des Französischen zu lokalisieren ist – lässt sich durch Verwendungen erklären, bei denen Formulierungen wie „une soirée people“ – produzentenseitig – als ABENDVERANSTALTUNG, BEI DER VIELE PEOPLE ANWESEND SIND interpretiert werden können (d.h. hier liegt die ursprüngliche Bedeutung des Adjektivs im Französischen vor), rezipientenseitig aber auch eine Interpretation als GLAMOURÖSE ABENDVERANSTALTUNG (AUFGRUND DER ANWESENHEIT VIELER PEOPLE) möglich ist (cf. Bsp. (433) und (434)). Für die Kommunikation ist die entsprechende Abweichung in den Interpretationen von Produzent und Rezipient dabei völlig unproblematisch. (433) Cette année, la dernière fête de Cannes était à Paris avec la soirée très, très people de Studio Magazine le 12 juin salle Wagram. Avec près de 1 500 personnes et toujours plus de stars du grand écran… et d'Emap. (Kurztext innerhalb der Rubrik People in der Zeitschrift Kiosk, Le magazine interne d’Emap France, No 78, Août 2003, , Zugriff 31.05.2011, Hervorhebung EWF) (434) Hommage aux années 80 sur le podium automne-hiver 2008-2009 de Louis Vuitton. […] Un défilé applaudit [sic, EWF] chaleureusement par un premier rang très people. De Sofia Coppola à Milla Jovovich, en passant par Dita Von Teese, Mélanie Laurent et Kanye West, pas uns n'auraient raté [sic, EWF] les dernières créations de Marc Jacobs pour Louis Vuitton. (Blogeintrag vom 20.09.2008, Autor: Clothes-Wear [männlich, 18 Jahre, Student, La Défense (92), Frankreich; cf. ], , Zugriff 31.05.2011, Hervorhebung EWF)

411

Damit ergibt sich folgendes Erklärungsschema (das Schema wird nur für die häufigere Variante people ausformuliert): (435) frz. people Adj. ‘people-bezogen’ ĺ frz. people Adj. ‘glamourös’ Prod [Frz.]

Komm [frz.]

Rez [Frz.]

[…]

Ļ „…une soirée people…“ Ļ

[…]

‘people-bezogen’



PEOPLE-BEZOGEN

Ļ ) glamouröse Abendveranstaltung, bei der viele berühmte Personen anwesend sind Ļ ‘glamourös’



GLAMOURÖS

Die Darstellung zeigt, dass das Schema auch auf Prozesse internen Wandels anwendbar ist. Gleichzeitig wird damit noch einmal ein Beispiel für eine semantische (Re-)Analyse gegeben, bei der die relevanten Bedeutungen in einer Kontiguitätsrelation stehen (cf. das Beispiel engl./frz. flipper in Kap. 11.4).

16.4

Adjektivische Verwendungen und Derivationen und das Auftreten verschiedener Schreibvarianten

16.4.1

Adjektivische Verwendungen

In Kap. 16.1.1 wurde bereits deutlich, dass frz. people einerseits sehr häufig als isolierter Titel einer Zeitschriftenrubrik, andererseits sehr häufig innerhalb des Ausdrucks presse people erscheint. 39 Dabei ist für diesen Ausdruck vor allem die Schreibung verbreitet, daneben gibt es noch relativ viele Belege für die Schreibung (weitere Schreibungen werden in Kap. 16.5 besprochen; für die hier durchgeführte Abfrage beschränke ich mich auf die beiden genannten, häufigsten Varianten). Ein Vergleich der Häufigkeiten der Belege zeigt, dass insgesamt die erstere Variante deutlich vorherrscht (cf. die Gegenüberstellung in Tab. 7). 40 39

40

Es ist anzumerken, dass bei Verwendungen von presse people zunächst nicht eindeutig entscheidbar scheint, ob people tatsächlich als Adjektiv verstanden wird oder ob noch eine nominale Verwendung vorliegt. Im Rahmen der Wortbildungsregeln des Französischen sind beide Optionen (N + N bzw. N + Adj) denkbar. Bei einigen Belegen ist people jedoch eindeutig als Adjektiv zu klassifizieren (cf. «le festival le plus people», «la soirée très, très people», «un premier rang très people», «cette nouvelle émission très people», «les moments les plus ‹people›» in Bsp. (432), (433), (434), (436) und (437)), so dass die entsprechende Konversion auf jeden Fall stattgefunden hat. Die entsprechenden Abfragen wurden mit den französischen Versionen der Suchmaschinen und mit Beschränkung auf französischsprachige Seiten am 11.05.2009 durchgeführt. Die Anführungszeichen signalisieren, dass jeweils die genauen Ausdrücke gesucht wurden.

412

google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"presse people"

139.000 90,08 %

969.000 93,32 %

29.200 83,60 %

32.700 85,18 %

88,04 %

"presse pipole"

15.300 9,92 %

69.400 6,68 %

5.730 16,40 %

5.690 14,82 %

11,96 %

154.300 100 %

1.038.400 100 %

34.930 100 %

38.390 100 %

Gesamt Tab. 7:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. und

Bei den Belegen für handelt es sich in vielen Fällen um Zitate des Titels eines Theaterstücks Presse pipole, d.h. letztlich um Zitate einer einzigen Quelle. Das entsprechende Theaterstück von Olivier Lejeune wurde am 08.08.2008 in Evian uraufgeführt un dann im Rahmen von 63 weiteren Vorstellungen im Theater des Palais Royal in Paris aufgeführt (cf. , Zugriff 03.03.2011). Daneben lassen sich zahlreiche adjektivische Verwendungen von frz. people belegen, bei denen anstelle von presse semantisch verwandte Nomina aus dem Bereich Presse und Medien stehen. So werden etwa im Internetdiskussionsforum WordReference für engl. celebrity magazine als französische Äquivalente des magazines/journaux/revues people vorgeschlagen. 41 Darüber hinaus erscheinen im Internet unter anderem Belege für frz. actu(alité) people, news people, info people, fil info people, information(s) people, titres people, site people (und entsprechende Treffer für die Varianten , allerdings jeweils in deutlich geringerer Zahl). Einige Belege für adjektivische Verwendungen mit weiteren Nomina sind in (436) bis (439) gegeben. (436) Quel plaisir de vous retrouver tous les 2 pour cette nouvelle émission très people. (Kommentar zur TV-Sendung La Semaine people, 03.05.2008, , Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung EWF) (437) nous vous proposons de revoir les moments les plus "people" (, Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung EWF) (438) Le zapping politique de 2008(4) : une année... (, Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung EWF)

41

people

Beitrag vom 24.02.2007, Autor: Floor [27jähriger, in Nordfrankreich lebender Französisch-Muttersprachler], (Zugriff 11.05.2009).

413

(439) […] en attendant le moment où les mariages avec le clan des journalistes pipoles seront la règle et plus l'exception […] (Artikel Le bal des hypocrites vom 20.06.2007, Autor: Guillermo, , Zugriff 27.12.2008, Hervorhebung EWF) Ferner finden sich Belege für die bereits erwähnten Formen politique people/politique pipole, die in engem Zusammenhang mit dem Schlagwort der pipolisation zu sehen sind. Interessant ist, dass bei den entsprechenden adjektivischen Verwendungen – wie auch bei presse people etc., bzw. sogar noch deutlicher – die Schreibung quantitativ eindeutig vorherrscht, während beim Substantiv pipolisation im selben Zeitraum die integrierte Schreibung im Vergleich zu anderen Varianten insgesamt am häufigsten belegt ist (cf. Tab. 8). 42 google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"politique people"

18.000 98,37 %

124.000 99,80 %

3.450 97,76 %

4.920 98,68 %

98,65 %

"politique pipole"

299 1,63 %

253 0,20 %

79 2,24 %

66 1,32 %

1,35 %

18.299 100 %

124.253 100 %

3.529 100 %

4.986 100 %

"pipolisation"

16.200 44,40 %

91.400 44,57 %

3.340 40,95 %

3.050 41,59 %

42,88 %

"peopolisation"

14.500 39,74 %

72.000 35,11 %

2.980 36,54 %

2.770 37,77 %

37,29 %

"peoplisation"

3.840 10,52 %

33.300 16,24 %

1.170 14,35 %

921 12,56 %

13,42 %

"peoplelisation"

1.410 3,86 %

7.140 3,48 %

466 5,71 %

408 5,56 %

4,66 %

"peopleisation"

539 1,48 %

1.230 0,60 %

200 2,45 %

185 2,52 %

1,76 %

36.489 100 %

205.070 100 %

8.156 100 %

7.334 100 %

Gesamt

Gesamt Tab. 8:

42

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. und und Vergleich zu Varianten von frz. pipolisation

Die entsprechenden Abfragen wurden auf der Grundlage der französischen Versionen der Suchmaschinen mit Beschränkung auf französischsprachige Seiten am 11.05.2009 durchgeführt. Die Anführungszeichen signalisieren, dass jeweils nur die genauen Ausdrücke gesucht wurden. Auch hier beschränkt sich die Abfrage auf die häufigsten – hier die häufigsten zwei bzw. fünf – Schreibvarianten. Zur relativen Häufigkeit von zu früheren Zeitpunkten und im Vergleich zu anderen, selteneren Schreibvarianten cf. Tab. 5 und Abb. 39 in Kap. 16.1.2 sowie nachfolgend Tab. 9. Generell sind die Schreibvarianten in dieser und in den nachfolgenden Abbildungen nach absteigender Häufigkeit angeordnet.

414

16.4.2

Frz. pipolisation und frz. pipoliser

Was den Bereich der Wortbildung angeht, so lässt sich feststellen, dass ausgehend von der Form frz. people (bzw. von Varianten davon) verschiedene Derivationen vorgenommen werden. Zu nennen sind hier insbesondere frz. pipolisation, pipoliser, pipolerie, pipolade und pipolette (einschließlich jeweiliger Varianten). Dies erscheint zunächst insofern bemerkenswert, als im Französischen üblicherweise vom System her mögliche Wortbildungen in starkem Maß Beschränkungen der Norm unterliegen, d.h. vielfach vermieden werden. Das entlehnte Wort people zeigt jedoch eine sehr große Produktivität, d.h. hier manifestiert sich – auf der Ebene der Wortbildung und in der Realisierung der Aussprache und Schreibung (cf. Kap. 16.5) – eine Kreativität der Sprachbenutzer, die in vergleichsweise geringem Maß normativen Beschränkungen unterliegt. google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"pipolisation"

14.400 40,63 %

120.000 48,16 %

3.740 41,96 %

3.470 42,64 %

43,35 %

"peopolisation"

13.300 37,52 %

90.900 36,48 %

3.030 34,00 %

2.830 34,78 %

35,70 %

"peoplisation"

5.050 14,25 %

31.200 12,52 %

1.370 15,37 %

1.140 14,01 %

14,04 %

"peoplelisation"

1.450 4,09 %

4.760 1,91 %

447 5,02 %

415 5,10 %

4,03 %

"peopleisation"

728 2,05 %

1.810 0,73 %

245 2,75 %

212 2,61 %

2,03 %

"pipeulisation"

425 1,20 %

465 0,19 %

79 0,89 %

67 0,82 %

0,77 %

"peopeulisation"

91 0,26 %

15 0,01 %

2 0,02 %

3 0,04 %

0,08 %

35.444 100 %

249.153 100 %

8.913 100,01 % 43

8.137 100 %

Gesamt

Tab. 9:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolisation und Varianten

Auffällig ist ferner, dass bei den Derivaten in der Regel die Formen mit stark graphisch integriertem Stamm vorherrschen. So liefert etwa eine Abfrage mit gängigen Suchmaschinen für den 18.12.2008 die in Tab. 9 angegebenen Beleghäufigkeiten. 44 Als etablierte Varianten können damit vor allem , 43 44

Abweichungen von 100,00 % in dieser und den folgenden Tabellen beruhen auf Ungenauigkeiten durch Rundung. Zusätzlich liefert yahoo drei Treffer für die Abfrage "pipoleisation", wobei die Morphemgrenze in zwei Fällen durch Trema (pipoleïsation) und in einem Fall durch graphischen Akzent (pipoléisation) markiert wird. Diese Treffer wurden bei der Berechnung der Anteile nicht einbezogen. Folgende Abfragen liefern bei keiner der Suchmaschinen ein Ergebnis:

415

und gelten. 45 Diese Aussage wird auch dadurch gestützt, dass in L’Antidico (Zugriff 22.12.2008) die Schreibung für den Haupteintrag gewählt wird (ebenso findet sich ein Eintrag zu ); darüber hinaus sind die Varianten und bzw. und registriert, von denen ausgehend sich jeweils Verweise auf die Einträge zu peopolisation bzw. peopoliser finden. google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"pipoliser"

583 32,72 %

1.050 45,32 %

165 42,20 %

171 41,91 %

40,54 %

"peopoliser"

638 35,80 %

801 34,57 %

149 38,11 %

154 37,75 %

36,56 %

"peopliser"

264 14,81 %

401 17,31 %

57 14,58 %

63 15,44 %

15,54 %

151 8,47 %

28 1,21 %

10 2,56 %

10 2,45 %

3,67 %

"peopleiser"

124 6,96 %

25 1,08 %

8 2,05 %

8 1,96 %

3,01 %

"pipeuliser"

20 1,12 %

12 0,52 %

2 0,51 %

2 0,49 %

0,66 %

"peopeuliser"

2 0,11 %

0 0,00 %

0 0,00 %

0 0,00 %

0,03 %

1.786 99,99 %

2.317 100,01 %

391 100,01 %

408 100 %

"peopleliser"

Gesamt Tab. 10:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipoliser und Varianten

Für frz. pipoliser ergibt sich ein sehr ähnliches Bild bezüglich des Vorkommens verschiedener Varianten und bezüglich ihres Verhältnisses zueinander (cf. Tab. 10). Auch hier sind bei einer Abfrage vom 18.12.2008 insgesamt viele unterschiedliche

45

"peopelisation", "pipelisation", "pipeuleisation", "peopoleisation", "peopeuleisation", "pipeulelisation", "peopolelisation", "peopeulelisation", "pipolelisation". Aufgrund der Tatsache, dass der Prozess der vollständigen Etablierung der Form bzw. einer diesbezüglichen sprachlichen Norm zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist, ergeben sich bei späteren Abfragen immer wieder gewisse Schwankungen im quantitativen Verhältnis der Varianten. Zudem lassen sich bei späteren Abfragen Belege für noch weitere Schreibvarianten finden, so etwa für eine Abfrage am 03.01.2009: "peopelisation" (google: 235/yahoo: 406/ask: 66/lycos: 53 Treffer), "pipelisation" (9/6/3/3 Treffer), "peoplization" (9/6/2/1 Treffer), "peoplelization" (2/3/0/0 Treffer), "pipolization" (140/9/4/2 Treffer), "peopolization" (3/1/1/0 Treffer). Bei den Varianten mit handelt es sich allerdings in einigen Fällen – trotz der Beschränkung der Suche auf französischsprachige Seiten – um englischsprachige Treffer.

416

Varianten belegt; als am stärksten etabliert können die Schreibungen , und gelten. 46 Diese Parallelität zwischen dem Verb pipoliser und dem Substantiv pipolisation erscheint völlig naheliegend, und es könnte eine Entwicklung people/pipole ĺ pipoliser ĺ pipolisation (und entsprechend peopoliser ĺ peopolisation, peopliser ĺ peoplisation) angenommen werden. Auffälligerweise lässt sich jedoch feststellen, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem das suffigierte Substantiv bereits relativ weit verbreitet ist (November 2006), das Verb noch kaum belegt ist: «[…] l'adjectif français people (du nom anglais people), attesté dans la presse people (= "celebrity press"), a donné lieu directement à pipolisation (au début peopleisation) alors que l'étape intermédiaire du verbe pipoliser s'emploie à peine (chiffres Google du 20 nov. 2006 : pipolisation x 20 700, pipoliser x 48, pipolisé x 136, pipolisée x 72)» (Wooldridge 2006b).

Zwar lassen sich auch über WebCorp (Recherche vom 02.05.2009) einzelne frühe Treffer für das Verb ausfindig machen, deren Datierung zuverlässig erscheint – ein Beleg vom 11.09.2005 in einem Blog und ein Beleg vom 16.12.2006 in einem Internet-Diskussionsbeitrag 47 –, insgesamt legt das quantitative Verhältnis der Belege jedoch die Interpretation nahe, dass das Substantiv pipolisation in der Mehrzahl der innovativen Verwendungen direkt aus people (bzw. pipole) 48 abgeleitet wurde und das Verb erst später daraus rückgebildet wurde. Damit lassen sich die Innovationen wie folgt beschreiben: (440) frz. people/pipole BERÜHMTE LEUTE ĺ frz. pipolisation STARISIERUNG ¾ ¾ ¾

46

47

48

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität (doppelte) Suffigierung eigensprachlich

Für die Abfrage "peopeliser" liefert keine der Suchmaschinen einen Treffer. Für "pipoleiser" gibt google vier Treffer aus, dabei handelt es sich aber stets um das (selbstgewählte) Pseudonym eines Verkäufers bei ebay, so dass -er hier eher als Agens-Suffix als im Sinne einer Verbendung zu interpretieren ist. (Zugriff 02.05.2009) bzw. (Zugriff 02.05.2009). Für das Jahr 2007 finden sich bereits acht zuverlässig datierbare Treffer (13.03.2007, 08.09.2007, 17.09.2007, 01.10.2007, 25.10.2007, 27.10.2007, 30.10.2007, 20.12.2007), ab 2008 geht die Zahl der Belege dann deutlich nach oben. Aufgrund der Belege ist nicht eindeutig entscheidbar, welche der Schreibvarianten als Grundlage der Innovation anzusetzen ist: In formaler Hinsicht erscheint eine Derivation ĺ naheliegend. Aufgrund der Tatsache, dass die Schreibung wesentlich häufiger vorkommt und auch eine entsprechende Lehnwortintegration im Zuge der Derivation prinzipiell möglich ist, kommt jedoch auch eine Derivation ĺ in Frage. Grundsätzlich scheint ohnehin auch hier wieder kein striktes Entweder – Oder gegeben, sondern beide Erklärungsoptionen können innerhalb der Sprachgemeinschaft auch parallel angesetzt werden. Entsprechendes gilt für die im Folgenden besprochenen Derivationen.

417

(441) frz. pipolisation

STARISIERUNG

ĺ frz. pipoliser

ZU EINEM MEDIENSTAR

MACHEN

¾ ¾ ¾

16.4.3

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Rückbildung eigensprachlich

Frz. pipolerie(s)

Ein weiteres Derivat ist frz. pipolerie(s). Mit diesem Ausdruck kann auf das GEHABE referiert werden (cf. Bsp. (442)). Ein weiteres – gesprochenes – Beispiel aus der Videoaufzeichnung einer TV-Sendung belegt die Verwendung im Sinne einer BERICHTERSTATTUNG ÜBER BERÜHMTE PERSONEN (Bsp. (443)). Sehr häufig erscheint der Ausdruck auch im Plural und bezeichnet NEUIGKEITEN ÜBER BERÜHMTE PERSONEN; in diesem Sinne kann der Ausdruck als Bezeichnung einer entsprechenden Rubrik in Zeitschriften etc. fungieren (siehe Bsp. (444)), in der Neuigkeiten über berühmte Personen behandelt werden:

EINER BERÜHMTEN PERSON

(442) Mohammed VI est un roi people. Et sa pipolerie trouve son apogée lorsqu’il vient faire un petit tour en France où du Crillon à Courchevel il oublie les soucis du royaume. (, Zugriff 12.05.2009, Hervorhebung EWF) (443) – Qu’est-ce que vous pensez Brigitte de toute cette [pipŝlri] de l’été dont on vient de parler ? – Alors moi je pense euh qu’il ne faut pas croire tout ce qu’on lit dans les journaux hein sauf si c’est vrai je veux dire. […] (Dialog zwischen Laurent Ruquier und Florence Foresti in der Rolle der 25- oder 27jährigen 49 Brigitte in der Sendung On a tout essayé von Laurent Ruquier, Titel der Aufzeichnung: Florence Foresti brigitte et les people, , 00:41–00:44, Zugriff 01.06.2009) (444) PIPOLERIES. La vie trépidante des stars en haut de l’affiche politique et des VIP dont les péripéties financières, médiatiques ou culturelles ravivent nos interrogations sur le sens de la vie sur terre.

49

In der Rollenbeschreibung bei Wikipédia findet sich die Altersangabe 24 Jahre und 12 Monate (cf. , Zugriff 06.06.2009). Im oben zitierten Auftritt sagt Florence Foresti als Brigitte jedoch von sich selbst: «Alors donc je me présente. Je m’appelle donc Brigitte et j’ai pas tout à fait 24 ans, puisque... j’en ai 27, voilà» (, 00:34–00:41, Zugriff 01.06.2009).

418

(Titel und Kurzbeschreibung einer Rubrik, , Zugriff 12.05.2009, Hervorhebung im Original) Die entsprechenden Innovationen lassen sich damit wie folgt charakterisieren (da zwischen den Bedeutungen von pipolerie(s) ebenfalls Kontiguitätsrelationen vorliegen, kann alternativ bzw. parallel auch ein Bedeutungswandel ausgehend von der einen zur anderen Bedeutung angenommen werden): 50 (445) frz. people/pipole

BERÜHMTE PERSON

ĺ frz. pipolerie

GEHABE EINER

BERÜHMTEN PERSON

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

(446) frz. people/pipole

BERÜHMTE LEUTE

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

ĺ frz. pipolerie

BERICHTERSTAT-

TUNG ÜBER BERÜHMTE PERSONEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

(447) frz. people/pipole

BERÜHMTE LEUTE

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

ĺ frz. pipoleries

NEUIGKEITEN ÜBER

BERÜHMTE PERSONEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

Wie bereits in Kap. 16.1.1 festgestellt wurde, erscheint als Bezeichnung entsprechender Zeitungsrubriken auch der Ausdruck frz. people. Im Vergleich beider Formen ist nun festzustellen, dass es sich bei sehr vielen Belegen von "pipoleries" um täglich bzw. regelmäßig aktualisierte Rubriken handelt («les pipoleries du» + Datum bzw. «les pipoleries du» + Name eines Wochentags) – cf. die Belege für canalstars.com («la chaîne people», so die Selbstcharakterisierung auf der Internetseite) und für die Online-Fernsehzeitschrift Télépoche: (448) Les pipoleries du mardi 12 mai/lundi 11 mai/… (cf. , Zugriff 12.05.2009, Hervorhebung EWF) (449) Les pipoleries… du lundi/du mercredi/… (cf. , Zugriff 12.05.2009, Hervorhebung EWF) Als ein kommunikativer Vorteil der suffigierten Form stellt sich dabei ihre geringere Polysemie dar: Während frz. people auch (und vor allem) das Konzept BERÜHMTE LEUTE bezeichnet, ist frz. pipoleries im Wesentlichen als Bezeichnung für NEUIGKEITEN ÜBER BERÜHMTE LEUTE etabliert, so dass sich bei den Verwendungen von frz. pipoleries als Titel der Zeitschriftenrubrik eine bessere (eindeutigere) Dekodierung durch den Rezipienten ergibt. Für diese Interpretation spricht auch der Aufbau der Seite mageneration.com: Hier bezeichnet «people» eine übergeordnete Rubrik, innerhalb der sich die untergeordneten Rubriken «L’actu people», «Enquêtes», «Secrets de stars» und «Portraits de stars» befinden; die Rubrik «L’actu people» enthält Artikel wie den im folgenden Beispiel zitierten: (450) Les pipoleries... du lundi. On est quand même content de savoir que... Véritable tombeur, David Caruso s'affiche depuis quelques semaines avec Amina Islam, une actrice qui s'est surtout fait remarquer pour avoir fait de la figuration dans Star Trek: Enterprise... (, Zugriff 12.05.2009, Hervorhebungen des Originaldokuments entfernt) Auffällig ist ferner, dass bei vielen Belegen die (integrierte) Schreibvariante neben der Grundform in einer nicht integrierten Schreibung erscheint (cf. den zitierten Beleg (442)). Bemerkenswert ist, dass hierdurch (auf der graphischen Ebene) die morphologische Transparenz und damit die gegenseitige morphologisch-semantische Motivierbarkeit der Formen in den Hintergrund rücken. Entscheidend für die Wahl der jeweiligen Schreibvariante erscheint eher, wie stark die einzelnen Schreibungen etabliert sind: Für beide gewählten Formen und Schreibungen ( und ) kann beim Produzenten (und Rezipienten) ein hohes Ausmaß an entrenchment angesetzt werden, das die Verwendungen der jeweiligen Varianten gut erklärbar macht. (Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Derivate pipolisation, pipoliser, pipolade und pipolette.) Allerdings sind neben der genannten Schreibvariante – die insgesamt deutlich vorherrscht – auch andere Schreibvarianten belegt (cf. die in Tab. 11 dargestellten Ergebnisse einer Abfrage vom 18.12.2008). 51 Die Schreibung erscheint dabei morphologisch gut analysierbar, d.h. es kann ein formaler und inhaltlicher Bezug zu engl./frz. people hergestellt werden. Zur Erklärung der Varianten und vor allem scheint darüber hinaus das Vorhandensein der Schreibvarianten und sowie der Schreibvarianten und eine gewisse Rolle zu spielen, da hier eine gegenseitige Motivierbarkeit der Formen vorliegt. 51

Für andere, theoretisch ebenso mögliche Formen ergeben die Abfragen entweder gar keine Treffer (z.B. "peopelerie") oder nur vereinzelte Belege (z.B. ein Treffer für "peopeulerie" bei google am 18.12.2008, je ein Treffer für "pipelerie" bei google und yahoo am 12.05.2009).

420

google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"pipolerie"

2.560 78,82 %

5.220 82,13 %

675 82,82 %

893 84,40 %

82,04 %

"peoplerie"

412 12,68 %

959 15,09 %

94 11,53 %

113 10,68 %

12,50 %

"peopolerie"

199 6,13 %

147 2,31 %

41 5,03 %

45 4,25 %

4,43 %

"pipeulerie"

77 2,37 %

30 0,47 %

5 0,61 %

7 0,66 %

1,03 %

3.249 100 %

6.356 100 %

815 99,99 %

1.058 99,99 %

Gesamt Tab. 11:

16.4.4

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolerie und Varianten

Frz. pipolade(s)

Als weiteres suffigiertes Nomen findet sich frz. pipolade, für das relativ viele unterschiedliche Schreibvarianten belegt sind (cf. die Ergebnisse einer Abfrage vom 13.05.2009 in Tab. 12). 52 Zum Zeitpunkt der Abfrage ist die Schreibung vorherrschend; ebenfalls relativ häufig belegt sind darüber hinaus die Schreibungen und , für die wiederum angenommen werden kann, dass sie zu einem gewissen Grad durch das Vorhandensein von und , und etc. gestützt werden. Auch hier scheint somit einerseits das entrenchment der Formen bzw. bestimmter Schreibmuster und andererseits die gegenseitige Motivierbarkeit der Formen eine Rolle zu spielen. google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"pipolade"

871 64,85 %

158 59,40 %

22 53,66 %

30 61,22 %

59,78 %

"peopolade"

185 13,78 %

52 19,55 %

9 21,95 %

8 16,33 %

17,90 %

"peoplade"

211 15,71 %

45 16,92 %

8 19,51 %

8 16,33 %

17,12 %

"peopleade"

64 4,77 %

4 1,50 %

0 0,00 %

1 2,04 %

2,08 %

"peoplelade"

7 0,52 %

3 1,13 %

1 2,44 %

1 2,04 %

1,53 %

"peopelade"

3 0,22 %

2 0,75 %

1 2,44 %

0 0,00 %

0,85 %

52

Darüber hinaus finden sich bei google 7 Treffer für "pipelade"; Verwendungen dieser Form sind jedoch über die anderen Suchmaschinen nicht auffindbar.

421

"pipeulade" Gesamt Tab. 12:

2 0,15 %

2 0,75 %

0 0,00 %

1 2,04 %

1.343 100 %

266 100 %

41 100 %

49 100 %

0,74 %

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolade und Varianten

Was die Bedeutung von pipolade angeht, so finden sich viele Belege, in denen es um eine PLAUDEREI ÜBER BERÜHMTE PERSONEN geht. In diesem Sinn können pipolades als weitgehend harmloses und eher belangloses Geplauder eingestuft werden, und es finden sich Belege, in denen die Produzenten die Rezipienten zu einer pipolade einladen (Bsp. (451)) oder ihre eigene Neigung zu pipolades offen eingestehen (Bsp. (452)). Als weitgehend synonym kann dabei die Umschreibung potins de stars gelten (siehe Bsp. (453)). Ferner fällt auf, dass auch der Ausdruck pipolades – ähnlich wie pipoleries – häufig in Überschriften erscheint (cf. Bsp. (451) und (454)). (451) Un peu de pipolade? La première danse du couple présidentiel [Barack et Michelle Obama, EWF] hier soir: drôlement inconfortable devant tant de spectateurs mais ils s'en sont sortis à merveille. (Blogeintrag vom 21.01.2009, Autorin: quinquabelle, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) (452) […] J'ai commencé ma semaine, enfin la précédente, en courant après la revue "Elle". Ben oui ! J'avais loupé la parution exceptionnelle du samedi, et moi, il me faut ma dose de peoplade... Oh! pas n'importe lesquels : Paris-Match, Gala, VSD... Et encore, ça dépend des Unes !... (Blogeintrag vom 30.10.2007, Autorin: Nicky49, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) (453) pipolades – potins de stars (, Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) (454) Les brèves pipolades du CBG HEBDO (Beitrag vom 12.08.2008, Autor: Paracelse, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) Bei anderen Belegen finden sich allerdings auch wieder mehr oder weniger deutlich ablehnende Haltungen. Diese beziehen sich sowohl auf das bezeichnete Phänomen (cf. Bsp. (455), bei dem es sich um einen sehr kritischen Kommentar zur Veröffentlichung des Buchs Témoignage von Nicolas Sarkozy im Jahr 2006 handelt) als auch auf die sprachliche Innovation selbst (cf. die typographische Hervorhebung durch Anführungszeichen und den metasprachlichen Kommentar in Bsp. (456)).

422

(455) Il est inconcevable et très malsain d'en faire un bouquin à un an d'une échéance si importante pour le pays. C'est de la peopelade, et ça n'a pas sa place quand on n°2 du gouvernement [sic, EWF] et qu'on essaye d'être calif à la place du calif. C'est indigne d'un responsable politique, mais c'est effectivement digne de l'UMP. (Kommentar vom 07.08.2006 zu einem Blogeintrag, Autorin: magicienne, , Zugriff: 13.05.2009, Hervorhebung EWF) (456) […] En tous cas, il faut bien reconnaître que ce magazine a peu de chances d'être acheté "par hasard" par quelqu'un qui tombe dessus en cherchant une bonne lecture sur la bonne variété française, sans "peopelade" (désolée pour cet affreux néologisme), avec aussi peu d'exemplaires en kiosque. […] (Beitrag in einer Internetdiskussion vom 24.09.2007, Autorin: Agnès, , Zugriff: 13.05.2009, Kursivierung EWF) Die entsprechenden Verwendungen zugrunde liegende Innovation kann wie folgt beschrieben werden: (457) frz. people/pipole BERÜHMTE PERSONEN ĺ frz. pipolade PLAUDEREI ÜBER BERÜHMTE PERSONEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

Ferner finden sich aber für frz. pipolade auch Belege, in denen eine etwas andere Bedeutung angesetzt werden muss. So kann der Ausdruck auf eine einzelne NEUIGKEIT AUS DEM PRIVATLEBEN EINER BERÜHMTEN PERSON referieren (cf. Bsp. (458)). Ebenso finden sich Verwendungen, bei denen es um das Phänomen des STARKULTS in seiner Gesamtheit geht (cf. Bsp. (459)) bzw. bei denen der Ausdruck sich auf die GESAMTHEIT BERÜHMTER LEUTE (also die GESAMTHEIT VON PEOPLE) bezieht (cf. Bsp. (460)). Für einige Belege ist dabei ein gewisser Interpretationsspielraum gegeben; grundlegend erscheint jedoch in allen Fällen der formale und semantische Bezug zu frz. people/pipole BERÜHMTE PERSONEN (Vorliegen einer Suffigierung bzw. von Kontiguitätsrelationen). (458) […] A sa manière, le gouvernement Sarkozy compte pratiquer l’assolement triennal. En alternance : un lapin du chapeau, une polémique, une pipolade. Cela permet de ne pas assécher totalement l’opinion publique. Elle a au contraire le temps de respirer, d’avaler les couleuvres avec un petit coup de rubrique people, et c’est reparti comme en quarante ! […] (Blogeintrag vom 02.01.2009, Autor: Nick Carraway, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebungen des Originaldokuments entfernt, Kursivierung EWF) 423

(459) […] Mais bon ainsi va le monde depuis des lustres et cela ne changera pas de sitôt, surtout maintenant que nous avons un président et un gouvernement friands de toutes cette pipolade [sic, EWF] […] (Kommentar vom 26.09.2008 zu einem Artikel, Autor: tampouille [männlich], , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) (460) […] Entre les trois stations Megève, Chamonix et Saint-Gervais, la concentration de personnalités en vue rivalise avec les franges occidentales du périphérique parisien. Les deux premières ont une longue tradition de "people". […] les people à Megève viennent en discrétion. […] L'été, le VIP est plus rare à Megève. […] Nos amis people fréquentent Megève surtout l'hiver, pour skier, et assez peu pour être vu. […] Si le triangle Cham-Saint-Ger'-Megève se taille la part du lion, question showbiz et autre pipolade, la périphérie n'est pas en reste. Combloux, Praz-sur-Arly ont des allures de banlieue ouest. (Artikel vom 25.07.2008, Autor: Antoine Chandellier/La Rédaction du DL, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebungen EWF) Auch hier gilt somit wieder, dass der Ausdruck nicht nur in der bereits teilweise etablierten Bedeutung ‘Plauderei über berühmte Personen’ verwendet wird, sondern in einzelnen Kommunikationssituationen auch zur Bezeichnung anderer Konzepte angewandt werden kann. Die entsprechenden Innovationen können – ähnlich wie bei frz. pipolerie(s) – sowohl als Derivationen aus frz. people/pipole (etwa: frz. people/ pipole BERÜHMTE PERSON(EN) ĺ frz. pipolade GESAMTHEIT BERÜHMTER LEUTE) als auch als Bedeutungsübertragungen ausgehend von einer anderen Bedeutung von frz. pipolade interpretiert werden (cf. die möglichen Assoziationen der folgenden Konzepte: PLAUDEREI ÜBER BERÜHMTE PERSONEN ĺ NEUIGKEIT AUS DEM PRIVATLEBEN EINER BERÜHMTEN PERSON, PLAUDEREI ÜBER BERÜHMTE PERSONEN ĺ STARKULT). Dabei liegen bei den kommentierten Fällen stets Kontiguitätsrelationen vor. Abschließend ist noch anzumerken, dass bei vielen Belegen wieder ein politischer Kontext gegeben ist (cf. die Belege in (451), (455), (458) und (459)), d.h. es kann davon ausgegangen werden, dass frz. pipolade von vielen Sprachbenutzern in engem Zusammenhang mit frz. pipolisation gesehen wird. Ebenso fällt auf, dass entsprechende Verwendungen sehr häufig mit einer negativen Haltung gegenüber der sprachlichen Innovation wie auch dem bezeichneten Phänomen einhergehen (cf. die Belege (455), (456), (458) und (459)).

424

16.4.5

Frz. pipolette

In formal und semantisch enger Beziehung zu den bereits besprochenen Formen steht auch frz. pipolette. Auch hier lässt sich wieder eine relativ hohe Zahl unterschiedlicher Schreibvarianten belegen (cf. die in Tab. 13 dargestellten Ergebnisse einer Abfrage vom 18.12.2008). 53 Dabei ist wieder die Schreibung mit großem Abstand am häufigsten belegt, sie kann in das bereits angedeutete Paradigma pipol- (pipol(e), pipolisation, pipoliser, pipolerie, pipolade) eingereiht werden. 54 google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"pipolette"

1.210 45,17 %

7.910 90,70 %

413 86,40 %

394 85,28 %

76,89 %

"peoplelette"

909 33,93 %

647 7,42 %

7 1,46 %

5 1,08 %

10,97 %

"peoplette"

153 5,71 %

135 1,55 %

46 9,62 %

50 10,82 %

6,93 %

"peopolette"

319 11,91 %

17 0,19 %

9 1,88 %

9 1,95 %

3,98 %

"pipeulette"

88 3,28 %

12 0,14 %

3 0,63 %

4 0,87 %

1,23 %

Gesamt

2.679 100 %

8.721 100 %

478 99,99 %

462 100 %

Tab. 13:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. pipolette und Varianten

Was die Entstehung und Verbreitung der Form angeht, so erscheint die Tatsache zentral, dass von 2002 bis 2005 eine Radiosendung mit dem Titel Peopl’ettes auf Europe 1 ausgestrahlt wurde. Es handelt sich dabei um eine Sendung, die Neuigkeiten über berühmte Personen witzig behandelt 55; das vom Ausdruck peopl’ettes bezeichnete Konzept kann also als PLAUDEREIEN ÜBER BERÜHMTE PERSONEN gefasst werden.

53

54

55

Abfragen für "peopelette" und "peopeulette" ergaben hingegen durchweg keine Treffer. Die Schreibung wurde bei der quantitativen Auswertung nicht einbezogen, da dieser Ausdruck bereits mit einer anderen Bedeutung lexikalisiert ist. Im Folgenden wird sich aber zeigen, dass die sich hieraus ergebende Möglichkeit von wortspielerischen Verwendungen in der Tat eine wichtige Rolle spielt. Bei vielen der von den Suchmaschinen ausgegebenen Treffer tritt die Form allerdings innerhalb eines Buchtitels auf (Martine Murray: Pipolette, le journal d'une petite fille es-zaspérante, Album jeunesse dès 3 ans (cartonné). Paru en 03/2006, cf. , Zugriff 15.05.2009). Der verhältnismäßig hohe Anteil der Belege dieser Schreibvariante ist demnach auch durch die hohe Präsenz der Publikation im Internet zu erklären. Cf. (Zugriff 14.05.2009).

425

Im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung von frz. people und seinen Derivaten stellt das Jahr 2002 einen sehr frühen Belegzeitpunkt dar: Wie bereits festgestellt wurde, setzt die eigentliche Verbreitung von frz. people erst etwa im Jahr 2000 ein, und die Derivate erscheinen ebenfalls erst deutlich später, ab etwa 2005 oder 2006. Insofern kann angenommen werden, dass hier mit der Schöpfung des Sendetitels der Innovationszeitpunkt für frz. pipolette/peoplette lokalisiert werden kann. Dabei zielt die Entwicklung des Sendekonzepts selbstverständlich darauf ab, die Sendung bekannt zu machen. Dies bedeutet unmittelbar, dass auch der Sendetitel (und damit die sprachliche Innovation peopl’ettes) bekannt gemacht werden. Mit der erfolgreichen Popularisierung der Sendung wird also auf sprachlicher Ebene der entsprechende Wandel vollzogen. Der Titel der Sendung scheint sehr bewusst im Hinblick auf die genannte Zielsetzung gewählt: Aufgrund seines wortspielerischen Charakters und aufgrund der formalen Auffälligkeit (im Bereich der Schreibung: und der Aposthroph in der Wortmitte) wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten gesteigert und so (potenziell) eine bessere Memorierung des Ausdrucks erreicht. Die Tatsache, dass der Ausdruck zunächst in der Schreibung , also in einer anderen Schreibung als der heute üblichsten, realisiert wird, kann – neben der unter Umständen intendierten formalen Auffälligkeit – durch verschiedene Einflussfaktoren erklärt werden: Die Basis der Derivation, frz. people, wird zum Innovationszeitpunkt 2002 in der Regel ebenso in der nicht integrierten Schreibung verwendet (die Schreibung erscheint hingegen erst deutlich später, etwa ab 2005). Gleichzeitig lassen sich auch im Englischen Verwendungen der Form peopleette für PERSONEN WEIBLICHEN GESCHLECHTS nachwiesen; auch diese können bei der Innovation eine Rolle gespielt haben: (461) Ok, hey peoples and people-ettes. […] (Beitrag in einem Diskussionsforum vom 03.08.2008, Autorin: emily235, , Zugriff 14.05.2009, Hervorhebung EWF) Grundlegend für die Innovation im Französischen erscheint sodann ihr wortspielerischer Charakter, da gleichzeitig auf den bereits vorhandenen Ausdruck frz. pipelette GESCHWÄTZIGE PERSON angespielt wird. Die Aussprache [pi'plet] dieser Form entspricht genau der bzw. einer Aussprache von peopl’ettes (daneben existiert für das entsprechende Derivat aus frz. people/pipole heute auch die Aussprache [pipŝ'let]). Hier liegt damit ein wortspielerischer oder volksetymologischer Charakter der Innovation vor: Die Form pipelette, die für manche Sprecher möglicherweise nicht mehr über den veralteten Ausdruck frz. pipelet, -te HAUSMEISTER, -IN motivierbar ist, wird nun neu motiviert wird, indem sie formal und semantisch an den aktuell in den Medien sehr präsenten Ausdruck frz. people angebunden wird. Damit lässt sich die Innovation wie folgt charakterisieren: (462) frz. people N.pl.

BERÜHMTE PERSONEN

ÜBER BERÜHMTE PERSONEN

426

ĺ frz. peopl’ettes

PLAUDEREIEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

allgemeiner Rahmen: Volksetymologie frz. pipelette GESCHWÄTZIGE PERSON ÜBER BERÜHMTE PERSONEN ¾ ¾ ¾

– frz. peopl’ettes

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

PLAUDEREIEN

Kontiguität «Null» eigensprachlich

Der später erfolgende Übergang auch zu anderen, integrierten Schreibungen, insbesondere , kann dann dadurch erklärt werden, dass wiederum eine Anbindung an die entsprechenden integrierten Schreibvarianten von frz. people vorgenommen wird; gleichzeitig kann damit das Wortspiel mit frz. pipelette auch auf graphischer Ebene stärker betont werden, da sich die Formen hier nur noch in einem einzigen Graphem unterscheiden ( vs. ). 56 Betrachtet man aktuelle Verwendungen von frz. pipolette (und Varianten), so lassen sich auch im inhaltlichen Bereich weitere Innovationen feststellen, wobei insgesamt der Ausdruck immer häufiger zur Bezeichnung von Personen bzw. ihrer Eigenschaften verwendet wird. So erscheint die Form bei einer Vielzahl der aktuellen Belege als Name. Dabei handelt es sich um den Namen der Heldin eines Kinderbuchs (cf. Fußnote 54), den Namen einer Clownin (cf. Beleg (463)) und den Namen einer komischen Rolle in der TV-Sendung Popsaland (cf. Beleg (464)) sowie um selbstgewählte Pseudonyme oder Nicknames in Internetdiskussionen. Entsprechende Verwendungen können semantisch dadurch motiviert werden, dass die jeweiligen Personen durch das Merkmal [geschwätzig] (bzw. [dem Klatsch nicht abgeneigt]) charakterisiert werden können – hier zeigt sich also wiederum der enge Zusammenhang mit frz. pipelette GESCHWÄTZIGE PERSON. (463) Fanny Domingo chanteuse / accordéoniste / clownette Pipolette !!! (Blogeintrag vom 30.09.2008, Autorin: Fanny Domingo, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung EWF) (464) Comment décririez-vous Pipolette ? – […] C’est la fofolle qui papote beaucoup, elle représente bien les femmes en général ! (aus einem Interview mit der Schauspielerin Sophie d’Hondt/Propos recueillis par Stéphanie Fourneau, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung im Original)

56

Aufgrund der formalen und semantischen Nähe von frz. pipolette und frz. pipelette scheint es in einigen Belegen sogar schwierig zu entscheiden, welche Form der Produzent äußern wollte.

427

Im Vergleich von frz. pipelette und frz. peoplette/pipolette fällt auf, dass es bei Verwendungen von frz. peoplette/pipolette vor allem um Klatsch über berühmte Personen (people) geht (cf. den Beleg in (465)). Hier erscheint plausibel, dass die Produzentin des Texts eine Motivationsbeziehung zu frz. people herstellt (cf. die explizite Erwähnung des Ausdrucks magazine People) und die Form pipolette vor allem in entsprechenden Kontexten zur Bezeichnung einer PERSON, DIE GERNE ÜBER BERÜHMTE PERSONEN TRATSCHT verwendet. Der ausführlich zitierte Kontext der gesamten Äußerung macht im Übrigen gut deutlich, dass die Informationsbeschaffung über people eine Freizeitbeschäftigung der Produzentin – wie auch ihrer Freundinnen – darstellt («J'achète toutes les semaines les magazines People», «je vois régulièrement défiler les copines le mercredi», «j'achète, comme ça je vérifie»); gleichzeitig illustriert der Text auch den sich daran anschließenden Klatsch.57 (465) UNE ÂME DE PIPOLETTE Allez .... j'ai un travers ... si si !! J'achète toutes les semaines les magazines People ...... Ben oui .... J'assume .... D'ailleurs, je vois régulièrement défiler les copines le mercredi .... Pour prendre des nouvelles ...(alors !!! Paris !!! Elle se tape QUI ????? héhéhé ....) Flute ! Déception cruelle ! Je pensais qu'elles voulaient savoir comment j'allais moi (quelle nouille que je fais non ?§) ... Le plus drôle, c'est que ce côté " commère " n'est pas du tout de moi ! En règle générale, je suis d'une discrétion absolue avec mes proches, et mes moins proches d'ailleurs ..! Et tous ces gens qui sont dans les magazines, j'en connais quasi aucun (car la TV et moi, c'est une histoire finie depuis l'adolescence et Santa BArbara dont je n'ai jamais vu la fin car elle n'a jamais été diffusée ..... des années à suivre et RIEN ! Bref, je suis fâchée ^^) ..... Mais quel plaisir jubilatoire de voir que la plupart de ces dames sont retouchées partout, et crac, on prend en photo la demoiselle en maillot et ARGGGG ....... PEAU D ORANGE MEGA GEANTE EN VUE !!!!! Bon au téléobjectif agrandi un max mais QUAND MM .... Et l'autre saucisse qui se retrouve habillée TOUT PAREIL que sa pire ennemie à la mm soirée (un coup comme ça et je repars illico me changer moi ....) Meuh non, l'autre elle se fait shooter en veux tu .... Aucune dignité ma parole !!! Ah !!! Et les mariages !!! héhéhé .... C'est pas souvent remarquez ... Mais là aussi, quelques bonnes blagues en perspective ... Mais le must, c'est les photos du style " ILS SONT COMME NOUS " .... Comme si on avait douté un seul instant que ces cibles soient des marchiens (oups, une dérive due à SAMSAM, le nouveau héros de mon rejeton) .... pffffff 57

Insbesondere in diesem und im folgenden Beleg finden sich zahlreiche auffällige sprachliche Verwendungen, vor allem Verfahren der Hervorhebung (etwa durch die Wiederholung von Interpunktionszeichen) sowie Fehler auf verschiedenen Ebenen der Sprache («vous avait», «ont sens que», «il à», etc.). Diese werden hier und im Folgenden nicht einzeln durch «sic» markiert.

428

Pour qui ils nous prennent franchement ...... Bon, du coup, j'achète, comme ça je vérifie .... des fois .... on sait jamais hin ..... ^^ (Blogeintrag vom 18.09.2007, Autorin: parolesdesardine, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebungen durch Großschreibung und Kursivierung im Original, Fettdruck EWF) (466) Ah ! show bize quand tu nous tiens...! c'est vrai ma belle Virginie je vois que vous avait vraiment une âme de pipolette ont sens que vous tenez bien votre sujet ;-), remarquez que celui ou celle qui n'a pas l'âme pipolette me lance le premier voiçi ou gala qu'il à sous la main ;-))))) Allez la bize jeune beautée Marseillaise, et arrêttez les magizines pipol vous allait nous finir jobastre, et ça, ça serait dommage, parce qu'il faut bien le dire le trois quart on de ces vies qu'y faut arrivait à suivre, et moi j'ai un tout pétit cerveau, tout pitit, pitit...!! BON WEEK END A VOUS LES FILLES, ET NE PIPOLER PAS TROP, ENFIN JUSTE CE QUI FAUT ;-))) immense bizou à vous belle Virginie, AFFECTEUSEMENT, *Christine YM* (Kommentar vom 28.09.2007 zum Blogeintrag in (465), Autorin: Christine YM, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebungen durch Großschreibung im Original, Kursivierungen EWF) Auch in Bsp. (466), einer Reaktion auf den Blogeintrag in Bsp. (465), erscheint plausibel, dass von der Produzentin des Texts ein formaler und semantischer Bezug zu frz. people hergestellt wird, da im Kontext der Verwendung von pipolette sowohl der Ausdruck als auch die Zeitschriften Voici und Gala (d.h. zwei populäre Beispiele für magazines people) erwähnt werden. Insgesamt manifestiert sich hier deutlich das Phänomen sprachlicher Kreativität: Es liegt ein humoristischer und sprachspielerischer Unterton vor, der etwa in der Anspielung auf das Bibelzitat «Que celui d’entre vous qui n’a jamais péché lui jette la première pierre» (Johannes 8.7) 58 deutlich wird. Darüber hinaus wird pipolette im Beleg adjektivisch verwendet («l’âme pipolette», zu entsprechenden Verwendungen cf. auch Bsp. (467)), und es findet sich die Derivation eines neuen Verbs pipoler ÜBER BERÜHMTE PERSONEN TRATSCHEN. (467) Quiz. Peopoleries & Cie. Tu es incollable sur la vie des stars ? Tu collectionnes leurs autographes ? Voici un quiz spécial plage à faire à deux pour savoir qui est le ou la + "peoplette" ! (Präsentation des Zeit58

Cf. (Zugriff 15.05.2009).

429

schriftenhefts Okapi [eine Zeitschrift für Jugendliche] N° 830 – Août 2007, Posté par La rédac' d'Okapi le juillet 21, 2007, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebungen im Original) Weiterhin ist im Vergleich von frz. pipelette und frz. peoplette/pipolette festzustellen, dass die erstere Form auf Personen sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts angewandt werden kann, während die letztere Form sehr häufig nur auf Personen weiblichen Geschlechts referiert (cf. Bsp. (468) bzw. Bsp. (463), (464), (465) und (466)). (468) Perez la pipelette d'Hollywood. […] Comme tant d'autres avant lui, Perez Hilton raconte la vie des stars d'Hollywood et d'ailleurs, une histoire sans fin dont l'Amérique profonde ne se lasse pas. Mais contrairement aux blogs de fans et aux sites officiels de la presse people, il insiste sur tout ce qui va de travers dans le monde des super-privilégiés du show-biz […] (Artikel vom 27.12.2008 in Le Monde, Autor: Yves Eudes, , Zugriff 28.12.2008, Hervorhebung im Original) Häufig bezeichnet der Ausdruck auch nicht mehr die Personen, die tratschen, sondern die (berühmten) Personen, über die getratscht wird (cf. im Folgenden die Belege (471) bis (474)); es ist also eine weitere Bedeutungsverschiebung festzustellen. Diese kann dadurch erklärt werden, dass der Ausdruck von den Sprachbenutzern als feminines Derivat zu einem maskulinen Nomen frz. people interpretiert wird, wobei die maskuline Form Referenten männlichen Geschlechts und die feminine Form Referenten weiblichen Geschlechts zugeordnet wird. Das hier von frz. peoplette/pipolette bezeichnete Konzept lässt sich also als BERÜHMTE PERSON WEIBLICHEN GESCHLECHTS fassen, und die Innovation (bzw. die Motivierbarkeit der Innovation für andere Sprachbenutzer) kann wie folgt charakterisiert werden: (469) frz. people N.m.sg. BERÜHMTE PERSON MÄNNLICHEN GESCHLECHTS ĺ frz. peoplette N.f.sg. BERÜHMTE PERSON WEIBLICHEN GESCHLECHTS ¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

kotaxon. Similarität Suffigierung eigensprachlich

In Beleg (470) lässt sich ferner ein spielerischer Charakter der Innovation und der Äußerung insgesamt beobachten: peoplette wird hier nicht als bereits etablierter Ausdruck verwendet, sondern aus dem Namen der Band Only Cool People abgeleitet, um auf das Baby eines Bandmitglieds zu referieren. (470) les Only Cool People font leur derniere scene samedi 25 a 20h00, car notre chanteuse julie attend une petite Only Cool Peoplette...:-) […] quoi qu'il en soit les Only Cool people continue [sic, EWF] l'aventure, n'hesitez pas a vous incrire dans notre mailing liste nous tacherons de vous

430

tenir informer [sic, EWF] de l'evolution du band...... merci et samedi pour ceux qui viennent.... rafa des Only Cool People. (nicht datierte Nachricht, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung EWF) Eine gewisse Distanzierung zeigt sich auch im folgenden Beleg, wo der Ausdruck typographisch hervorgehoben wird und gleichzeitig eine humoristische Distanzierung auf der Ebene des Inhalts feststellbar ist: (471) Cet été et l'été dernier, on s'est encore bien marré avec les effets de mode : Il y a deux ou trois ans, tous les magazines féminins, racoleurs ou people (ce qui désormais revient à peu près au même, vu le contenu de ces magazines respectifs qui tend à s'harmoniser ... vers le bas-fond : sexe, voyeurisme et cie) on ne voyait que des "peoplelettes" qui se trimballaient en slip de bain avec des moonboots aux pieds. Non seulement, c'est très seyant mais en plus, ça doit apporter beaucoup de fraîcheur aux pieds, à 35 degrés à l'ombre, voire plus. (Blogeintrag vom 14.09.2008, Autor: Jean-Frédéric Minéry, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung durch Kursivierung im Original, Fettdruck EWF) In anderen Belegen liegen noch deutlicher abwertende Haltungen vor (cf. (472) bis (474)). Dabei geht es in den sehr kritischen Äußerungen in (473) und (474) jeweils um einen WEIBLICHEN POLITISCHEN STAR (Rachida Dati) – auch hier gibt es also wieder die Tendenz, den Audruck vor allem auf den Bereich der Politik zu beziehen, und es lässt sich wieder eine implizite Anknüpfung an die Debatten zur pipolisation feststellen. (472) […] Ces études démontrent que la beauté d'un visage serait régie par des critères intemporels, parmi lesquels : symétrie des traits, petit menton, grands yeux, mâchoire étroite, petit nez et arcades sourcilières peu prononcées. Seulement, avec ce type de portrait-robot, autant qu'on la tonde ou qu'on la teigne en blonde, la Joconde ne se différencie en rien de n'importe quelle peoplette de série B. (Edito, in: VictoireMag, 15.05.2009, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung EWF) (473) Les people franco-marocains aiment décidément le Mur des lamentations. Après Jamel, et Sofia qui se contenta du Trocadéro, c’est au tour de la peoplette Rachida de plaire aux Israëliens – qu’ils la gardent! (Beitrag vom 25.09.2008, Autor: ibnkafka, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung EWF)

431

(474) Sarkozy s'est enfin débarrassé d'une peoplette. Il peut enfin respirer le président en attendant de virer un prochain ministre. (Kommentar vom 25.01.[2009] zu einer Zeitungsnotiz zur Entlassung von Rachida Dati durch Nicolas Sarkozy, Autor: Pistranias, , Zugriff 15.05.2009, Hervorhebung EWF)

16.4.6

Weitere Derivationen

Es hat sich bereits angedeutet, dass das gesamte Umfeld von frz. people durch eine sehr intensive Ausnutzung der sprachlichen Kreativität geprägt ist. Insgesamt ist ausgehend von frz. people eine Vielzahl von Innovationen belegt; diese beziehen sich auf die Wahl bzw. Schaffung bestimmter Aussprache- und Schreibvarianten, die Anwendung von Wortbildungsverfahren (insbesondere der Derivation) sowie auf die semantische und pragmatische Interpretation der so geschaffenen Ausdrücke. Neben den oben ausführlich besprochenen sind noch weitere morphologische Innovationen im Internet nachweisbar. So wurde in (466) eine adjektivische Verwendung von frz. pipolette und die Derivation eines Verbs pipoler festgestellt; darüber hinaus sind im Internet auch die Derivationen frz. pipolesque, peopleisable und pipolising belegt. Die Derivation frz. pipolesque kann aufgrund der Belegzahlen als aktuell noch eher schwach verbreitete Innovation eingestuft werden. 59 Auch hier sind unterschiedliche Schreibvarianten belegt (die häufigsten Varianten sind, nach absteigender Häufigkeit: , , , ); dies bestätigt, dass die verschiedenen Integrationsverfahren, die bereits bei den anderen Derivationen festgestellt wurden, aus Sicht der Sprachbenutzer durchweg jeweils plausible Optionen darstellen. Auffällig ist der hohe Anteil der Schreibungen , der – anders als bei allen der bisher untersuchten Derivationen – die Zahl der Schreibungen deutlich übersteigt.

59

Eine Abfrage am 29.05.2009 auf der Grundlage der französischen google-Version und unter Einschränkung der Suche auf französischsprachige Seiten ergibt insgesamt 481 Trefferseiten für die Schreibung , 768 Trefferseiten für , 204 für , 59 für , je 5 für und , je 4 für und , je 2 für und und 1 für – sowie einen einzelnen Beleg für , wobei es sich aber um eine spielerische Derivation aus dem Nickname «pipaul» eines anderen Diskussionsteilnehmers handelt, um dessen Ausdrucksweise zu charakterisieren: «[Beitrag vom 14.02.2009, Autor: pipaul] Il me semble que la twinghost [gemeint: Twingo, EWF] n'a eu que 4 etoiles ! – [Kommentar dazu vom 14.02.2009, Autor: windju] Pipaulesque : de l'italien pipaulesco, est un art du décalage qui consiste à adopter un ton grotesque que personne ne comprend mais qui fait bien rire son auteur» (, Zugriff 29.05.2009, Hervorhebung im Original).

432

Einige Belege für Verwendungen des Adjektivs sind in (477) bis (480) gegeben. Hierbei zeigt sich, dass die Form in vielen Fällen als Quasi-Synonym des Adjektivs frz. people eingestuft werden kann; die Bedeutung lässt sich demnach umschreiben als ‘people-bezogen’. Aus Sicht der Sprachbenutzer erscheint diese Innovation dadurch motiviert, dass die morphologisch nicht als Adjektiv analysierbare Form frz. people durch eine suffigierte Form ersetzt wird, die eindeutig als Adjektiv zu identifzieren ist, so dass die Dekodierung für den Rezipienten erleichtert werden kann: (475) frz. people Adj.

PEOPLE-BEZOGEN

ĺ frz. peopolesque Adj.

PEOPLE-

BEZOGEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Identität Suffigierung eigensprachlich

Alternativ scheint auch eine Herleitung aus dem Nomen möglich: (476) frz. people N.

BERÜHMTE LEUTE

ĺ frz. peopolesque Adj.

PEOPLE-

BEZOGEN

¾ ¾ ¾

kognitiv-assoziative Dimension: formale Dimension: stratische Dimension:

Kontiguität Suffigierung eigensprachlich

Gleichzeitig zeigen sich in einigen Belegen wiederum humoristische und sprachspielerische Tendenzen sowie eine kritische (häufig ironische) Distanzierung, d.h. die Innovation wird produzentenseitig auch eingesetzt, um bestimmte pragmatische Effekte hervorzurufen. Besonders deutlich ist die sprachspielerische Ausrichtung in (480) erkennbar (cf. das Wortspiel in der Überschrift des Artikels – eine Anspielung auf Barack Obamas «Yes we can» –, die Wortspiele «c’est nul et faux cul» und «génies géniaux», die Verfremdungen der Schreibungen von smoking und robe du soir als bzw. etc.). (477) Je suis vraiment une vieille pie: j'ignore qui est Hannah Montana! :-) Pauvre de moi: je vais devoir reprendre mon éducation télévisuelle, cinématographique et " peopolesque " :-) (Kommentar vom 11.04.2009 zu einem Blogeintrag, Autorin: Quinquabelle [59 Jahre, weiblich, Wohnort: Meyzieu, Frankreich, Grundschullehrerin im Ruhestand, cf. ], , Zugriff 01.06.2009, Hervorhebung EWF) (478) Le brouhaha peopolesque des aventures de Mickey président s'estompant quelque peu, la vie normale peut reprendre son cours... Et c'est quoi la vie normale dans le beau pays de Sarkozy, Rolex Imperator ? […] (Blogeintrag vom 19.12.2007, in: Sarkobasta/Le blog de

433

Rébus, , Zugriff 01.06.2009, Hervorhebung EWF) (479) Alors c’est sûr, ce lieu édifié par les fils de saint Bernard de Clairvaux plaira à l’écrivain. Sans doute moins la pompe pipolesque qui l’embuait. Car le tout-Paris était là tout de même… (Artikel vom 17.09.2008, Autorin: Cynthia Fleury, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (480) Yes we Cannes, mais on n’est pas obligés… Ça revient tous les ans comme une plaie d’Égypte, version sauterelles. C’est le festival de Cannes, cette horreur pipolesque et pour tout dire vulgaire à l’extrême. On va bouffer du tapis rouge à jet continu, des pipoles qui montent les marches, d’autres qui les descendent. […] Le festival de Cannes, c’est nul et faux cul comme une soirée des Césars qui durerait quinze jours. Presque perpète…Tout ce petit monde endogame a besoin de tout le monde, alors dans les smokinnes et les robdusôuar y a que des génies géniaux. (Blogeintrag vom 14.05.2009, Autor: Gérard Scheer, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) Für frz. pipoler ist anzumerken, dass dieses Verb bereits im Alt- und Mittelfranzösischen mit der Bedeutung ‘schmücken, verzieren’ existiert (cf. TL; Gdf; DMF; FEW, vol. VIII s.v. pipp-). Dieses Verb geht aber im Neufranzösischen unter, und neuere Verwendungen von frz. pipoler sind daher als Derivationen auf der Grundlage von engl./frz. people (bzw. frz. pipole) anzusehen. Im Internet finden sich allerdings nur relativ weniger Belege, wobei eine zuverlässige quantitative Auswertung dadurch erschwert wird, dass sich viele Treffer für "pipoler" auf das mittelfranzösische Verb beziehen. 60 Inhaltlich gesehen stehen verschiedene Verwendungen des Derivats nebeneinander: Das von dem Ausdruck bezeichnete Konzept lässt sich in Beleg (481) und (482) als DEM LEBEN BERÜHMTER LEUTE NACHGEHEN angeben, in (483) als ÜBER BERÜHMTE LEUTE TRATSCHEN. In allen Fällen ist demnach eine konzeptuelle und semantische Nähe zu frz. people/pipole BERÜHMTE LEUTE deutlich gegeben. 61 60

61

Auch für andere denkbare Schreibvarianten finden sich bei einer Recherche vom 01.06.2009 auf der Grundlage der französischen google-Version und unter Einschränkung der Suche auf französischsprachige Seiten sehr viele Fehltreffer, so dass sich insgesamt keine zuverlässigen Belegzahlen angeben lassen. Unter den relevanten Treffern finden sich vor allem die Schreibungen , und . Letztere wird häufig mit frz. pipelette in Verbindung gebracht; letztlich ist dabei nicht eindeutig entscheidbar, ob hier aus Sicht der Sprachbenutzer auch eine Motivationsbeziehung zu frz. pipolette (und anderen Einheiten der Wortfamilie von frz. people) hergestellt wird. Der Kommentar in (483) wird in seiner ganzen Länge zitiert, da hier verschiedene Derivate von frz. people/pipole von einer Produzentin nebeneinander verwendet werden (pipolette, pipol, pipoler), so dass davon ausgegangen werden kann, dass sie tatsächlich formale und inhaltliche Beziehungen zwischen den Formen herstellt. Darüber hinaus zeigt sich noch

434

(481) Je n’ai pas, non plus le sentiment que mon peuple, mes potes de boulot vont se coucher puisque les pipoles partent pipoler ailleurs... (Kommentar vom 12.12.2006 zu einem Internetartikel Sentiment d’un militant de base du PCF, Autor des Kommentars: Alain Girard, , Zugriff 01.06.2009, Hervorhebung EWF) (482) Il nous faut absolument des politiciens qui comprennent et agissent, et qui arrêtent de peopoler. Je sais c'est utopiste. (Kommentar vom 11.03.2009 zu einem Blogeintrag in Le Blog de Bourdin & Co, Autor des Kommentars: jean-pierre, , Zugriff 01.06.2009, Hervorhebung EWF) (483) Ah ! show bize quand tu nous tiens...! c'est vrai ma belle Virginie je vois que vous avait vraiment une âme de pipolette ont sens que vous tenez bien votre sujet ;-), remarquez que celui ou celle qui n'a pas l'âme pipolette me lance le premier voiçi ou gala qu'il à sous la main ;-))))) Allez la bize jeune beautée Marseillaise, et arrêttez les magizines pipol vous allait nous finir jobastre, et ça, ça serait dommage, parce qu'il faut bien le dire le trois quart on de ces vies qu'y faut arrivait à suivre, et moi j'ai un tout pétit cerveau, tout pitit, pitit...!! BON WEEK END A VOUS LES FILLES, ET NE PIPOLER PAS TROP, ENFIN JUSTE CE QUI FAUT ;-))) immense bizou à vous belle Virginie, AFFECTEUSEMENT, *Christine YM* (Kommentar vom 28.09.2007 zu einem Blogeintrag Une âme de pipolette, Autorin des Kommentars: Christine YM, , Zugriff 01.06.2009, Hervorhebungen durch Großschreibung im Original, Kursivierung EWF) Für die Form peopleisable finden sich im Internet bei einer Recherche vom 08.05.2009 auf der Grundlage der französischen und englischen Version von google nur Belege, die sich an eine entsprechende Empfehlung des Office québécois de la langue française (OQLF) (cf. die unten zitierte Passage) eng anlehnen (in Bsp. (484) allerdings ohne Nennung der Quelle) bzw. diese wörtlich zitieren (Belege (484), (485) und (486)); es handelt sich somit um metasprachliche – und spezieller, puristische – Äußerungskontexte. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Form peopleisable (zumindest zum Zeitpunkt der Recherche) noch relativ wenig verbreitet einmal die Problematik «fehlerhafter» Schreibungen ( statt , statt , statt , statt etc.) und – etwa für / – ihrer Abgrenzung zu kreativen, möglicherweise bewusst gewählten Abweichungen von der etablierten Schreibung oder Aussprachenorm (, , ).

435

und unter Umständen auf Québec beschränkt ist. Möglicherweise wird die Form dort bereits in medial phonischem Sprachgebrauch verwendet, in der medialen Schriftlichkeit des Internet sind hingegen keine normalsprachlichen Verwendungen nachweisbar. «Le terme peopleisation est à éviter en français et peut être remplacé par vedettisation. Cette structure hybride, où le suffixe français -isation est ajouté au mot anglais people (avec maintien de la prononciation anglaise), est mal adaptée au français. Il en est de même de la graphie francisée pipolisation, utilisée en France, qui est basée sur la prononciation anglaise. People est le nom d'un magazine américain qui couvre les nouvelles et les potins sur les célébrités. Il a sans doute influencé l'emploi en français de people (surtout en France) pour désigner ce type de presse spécialisée (la presse people). Ce qui a donné lieu à la formation de certains dérivés indésirables, comme peopleisation, peopleiser et peopleisable» (, Zugriff 15.05.2009).

(484) Le terme people est à éviter en français et peut être remplacé par vedette ou célébrité. Il en est de même de la graphie francisée pipole, utilisée en France, qui est basée sur la prononciation anglaise. Ainsi, on écrira : les vedettes ou les célébrités plutôt que les people (ou les peoples) ou les pipoles. People est le nom d'un magazine américain qui couvre les nouvelles et les potins sur les célébrités. Il a sans doute influencé l'emploi en français de people (surtout en France) pour désigner ce type de presse spécialisée (la presse people). Ce qui a donné lieu à la formation de certains dérivés indésirables, comme peopleisation, peopleiser et peopleisable. (Beitrag in einer Internetdiskussion zum Artikel Mazarine Pingeot mère d’une petite fille, Le nouvel Observateur, 24.06.2008, Autorin: leah, , Zugriff 08.05.2009, Hervorhebung EWF) (485) Non à la pipolisation ? Oui à la vedettisation ! J’entends régulièrement ce terme dans les média et me suis interrogé ce jour, suite à l’émission «Parlons Net» où l’invité, Roger-Gérard Schwartzenberg, ancien ministre de la Recherche, a parlé de ce phénomène qu’il aurait dû commencer par nommer en français. FranceTerme, malheureusement, ne me sera pas d’une grande aide. Les différentes orthographes du mot (peoplisation, peoplelisation, pipolisation) ne donne [sic, EWF] pas de réponse. En revanche, le Grand Dictionnaire, nous indique : […] [es folgt ein ausführliches Zitat des Eintrags, in dem auch die Form peopleisable erwähnt wird] Merci au GrandDictionnaire, j’en profite pour le soumettre dans la boîte à idées de FranceTerme. (Blogeintrag vom 10.05.2009, Autor: Gringoire maître causeur, , Zugriff 15.05.2009) (486) [Quote aus einem früheren Beitrag:] «[…] Magazine de vedettes est courant au Québec. […]» 436

C'est ce que l'OQLF suggère... sans le "de". Mais il semble qu'en France "people" soit plus "glamour". [Quote:] «People est le nom d'un magazine américain qui couvre […] [es folgt ein Zitat des entsprechenden Abschnitts im Grand dictionnaire terminologique, in dem auch die Form peopleisable erwähnt wird] » (Diskussionsbeitrag vom 24.02.2007, Autor: Nicomon [55jähriger Bewohner von Montréal, Muttersprachen: «Québec, Français»], , Zugriff 15.05.2009) Auch für pipolising findet sich zum Abfragezeitpunkt nur ein einziger Beleg, wobei auch dieser im Kontext einer metasprachlichen Diskussion zum Französischen (die auf Englisch geführt wird) situiert ist: (487) […] Pipolising is: to make someone a pipole. To make someone famous. (Beitrag vom 25.10.2007, Autor: bapsbourgougnon [FranzösischMuttersprachler], , Zugriff 08.05.2009, Hervorhebung EWF) Die genannte Form stellt dabei einen Allogenismus dar: pipolis- ist als ZS-Stamm einzustufen, da er erst im Rahmen der französischen Wortbildungen pipolisation und pipoliser entsteht, an diesen ZS-Stamm wird das fremde Suffix -ing angehängt. Allerdings ist frz. pipolising wie auch frz. peopleisable (zumindest vorerst) nur vereinzelt belegt, und die gefundenen Belege stehen durchweg in einem metasprachlichen Kontext, d.h. es handelt sich hier gerade nicht um (potenzielle) innovatorische Verwendungen der Ausdrücke in der ZS. Es ist aber keineswegs auszuschließen, dass sie sich noch (weiter) in der ZS ausbreiten. 62

16.4.7

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich für die Wortbildungen auf der Grundlage von frz. people Folgendes festhalten: Insgesamt ist die Form sehr produktiv, d.h. es sind viele Wortbildungen auf dieser Grundlage belegt. Dadurch besitzt die allgemein für entlehnte Wörter angenommene isolierte oder dissoziierte Stellung innerhalb des 62

Eine spätere Abfrage im Internet (05.06.2011) auf der Grundlage von google mit Beschränkung auf französischsprachige Seiten ergibt für "pipolising" keine gültigen Treffer (bzw. nur Treffer in englischsprachigen Dokumenten). Für "peopleisable" finden sich dagegen weitere metasprachliche Kommentare bzw. Zitate des Kommentars im Grand dictionnaire terminologique auf anderen Internetseiten sowie drei Belege in nicht-metasprachlichen Kontexten: , , (Zugriff 05.06.2011). Die Form ist damit noch immer als sehr randständig einzustufen.

437

ZS-Wortschatzes (cf. Leisi/Mair 1999, 51–59; Gusmani 1973, 56) hier nur eingeschränkte Gültigkeit: Der entlehnte Ausdruck people steht heute keineswegs isoliert im Wortschatz der ZS, sondern es besteht ein Netz an Verbindungen zu Neologismen auf der Grundlage des entlehnten Worts wie auch zu anderen Einheiten des ZS-Wortschatzes – im Wesentlichen frz. pipelette – (sowie zu AS-Einheiten), so dass die Sprachbenutzer potenziell eine Reihe von Assoziationen herstellen können (cf. Abb. 40). 63

frz. pipelette

engl. people engl. peoplette

frz. pipoletteAdj

frz. pipoletteN frz. peopleletteN

frz. actu(alité) people

frz. peopleN frz. presse people

frz. magazine people

frz. pipoleN

frz. peopleAdj

frz. pipolisation

frz. pipoleAdj

frz. peopolisation frz. pipoleisable

frz. politique people

frz. pipolerie

frz. news people

frz. pipoliser frz. peoplerie frz. peopoliser frz. pipoler

frz. pipolade frz. peopolade frz. pipolising

Abb. 40:

frz. peopolesque frz. pipolesque

Potenzielle semantisch-formale Motivationsbeziehungen für frz. people

Bei den Derivationen spielen vor allem Relationen der Kontiguität eine zentrale Rolle (cf. frz. people/pipole BERÜHMTE LEUTE ĺ frz. pipolisation STARISIERUNG, frz. people/pipole BERÜHMTE LEUTE ĺ frz. pipolerie BERICHTERSTATTUNG ÜBER BERÜHMTE PERSONEN etc.); darüber hinaus ist auch eine kohyponymische Verschiebung belegt (frz. people N.m.sg. BERÜHMTE PERSON MÄNNLICHEN GESCHLECHTS ĺ frz. peoplette N.f.sg. BERÜHMTE PERSON WEIBLICHEN GESCHLECHTS).

63

Aus Gründen der Übersichtlichkeit berücksichtige ich in der Abbildung jeweils nur die zwei häufigsten Schreibvarianten der einzelnen Formen. Dabei erscheint auch im Hinblick auf die einzelnen Sprachbenutzer plausibel, dass ihnen diese Schreibvarianten geläufig sein können (während eine Kenntnis weiterer Schreibvarianten nicht unbedingt bei allen Sprechern des Französischen angenommen werden kann).

438

Was die unterschiedlichen Schreibvarianten angeht, so zeichnen sich bereits zwei Hauptparadigmen ab: einerseits eine Reihe von Formen , andererseits eine Reihe von Formen . Belege, bei denen innerhalb einer Äußerung Formen aus den unterschiedlichen Paradigmen kombiniert werden (z.B. und ), zeigen aber auf, dass bei der Wahl einer bestimmten Schreibvariante für die Sprachbenutzer nicht nur die Verknüpfung und Einheitlichkeit innerhalb der Wortfamilie bedeutsam ist, sondern die Wahl einer bestimmten Schreibvariante in starkem Maß auch von anderen Faktoren abhängt. So ist anzunehmen, dass das entrenchment der einzelnen Formen beim Sprachbenutzer einen wesentlichen Faktor für die Wahl einer bestimmten Variante darstellt. Das entrenchment einer bestimmten Form bzw. Variante hängt wiederum eng mit ihrer Verbreitung in der Sprachgemeinschaft und mit dem Grad ihrer Etablierung in bestimmten Diskurstraditionen und Sachbereichen zusammen. Für die Grundform scheint eine Übernahme der AS-Schreibung in vielen Fällen die übliche Lösung zu sein; die entsprechende Form erscheint heute bereits als Rubrik auf vielen Internetseiten von Zeitschriften etc. Umgekehrt ist für die Derivate von frz. people – und insbesondere ihre Verwendung in einem politischen Kontext – die Schreibung die häufiger gewählte Lösung. Zusätzlich kommt der Faktor ins Spiel, dass bei frz. people (als Nomen oder Adjektiv) eine unmittelbare etymologische Beziehung zu engl. people besteht, die auch durch die Schreibung sichtbar bleibt (es kann aufgrund relativ ausgeprägter Zweisprachigkeit davon ausgegangen werden, dass die Form engl. people vielen ZSSprechern bekannt ist). Bei den Derivaten handelt es sich hingegen um genuine ZSFormen, so dass die Wahl einer integrierten Schreibvariante hier ohnehin nur noch eine mittelbare Abweichung gegenüber dem Englischen darstellt (da es ja keine direkte englische Entsprechung bzw. Ausgangsform gibt). Gleichzeitig ergeben sich, wie beschrieben, neue Anbindungseffekte innerhalb der ZS für die verschiedenen Derivate untereinander.

16.5

Qualitative Analyse der Aussprache- und Schreibvarianten

J’EN AI MARRE D’ENTENDRE PARLER DES PEOPLE! DES PIPEUL, DES PIPOL VOIRE DES POPOL COMME DISENT CES CONS DE PRÉSENTATEURS. […] (, Zugriff 27.05.2009)

Als ein unmittelbarer Befund bei Recherchen zu frz. people haben sich die auftretenden Schreibvarianten dargestellt, aus denen auf eine Varianz auch in der Aussprache zurückgeschlossen werden kann. Nachfolgend sollen diese Varianten unter vorwiegend qualitativen Gesichtspunkten betrachtet werden, d.h. es soll gefragt werden, wie sich die Formen auf einem Spektrum der schwächeren oder stärkeren Lehnwortintegration situieren lassen. Weiterhin geht es um die Frage der Entstehung der 439

einzelnen Varianten; dabei zeigt sich, dass hier das Verfahren sog. ear-loans (deren Bedeutung für aktuelle Entlehnungen ins Französische in der Forschung als sehr gering eingestuft wird) eine wichtige Rolle einnimmt. Die genannten Fragen werden anhand der Grundform frz. people diskutiert; die Überlegungen sind aber auch auf die daraus abgeleiteten Formen und ihre jeweiligen Varianten übertragbar. Schließlich soll versucht werden, anhand von Corpusbelegen aufzuzeigen, wie unterschiedliche Varianten von den Sprachbenutzern eingeschätzt werden und welche Faktoren im Einzelfall die Wahl einer bestimmten Variante beeinflussen können (hierbei beziehe ich sowohl Belege für frz. people als auch für die Derivate ein).

16.5.1

Grade der Lehnwortintegration

Es wurde bereits festgestellt, dass in der ZS Französisch verschiedene Schreibvarianten für die entlehnte Form people koexistieren, wobei vor allem die Schreibung als etabliert gelten kann. Daneben sind die Schreibungen und noch relativ weit verbreitet (im PR s.v. people findet sich ein Verweis auf die Schreibungen und ; zur letzteren Variante cf. weiter unten). Die genannten Schreibungen lassen sich in den folgenden Belegen nachweisen: (488) Le Nouvel An des people. Les célébrités aiment à se retrouver pour réveillonner. […] (Artikel vom 01.01.2009, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) (489) Dis AD, c'est une "pipole" la fille sur la photo ? ou une star de qq chose ? tu l'as vue où ? (Beitrag in einer Internetdiskussion, Autor: MAJOR TOM, 16.12.2005, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) (490) Une vrai [sic, EWF] célébrité, un pipeul ! […] (Beitrag in einer Internetdiskussion von Dezember 2008, Autor: ??? [sic, EWF], , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) Um das Vorkommen der genannten Varianten (und weiterer) sowie ihr Verhältnis zueinander genauer zu klären, können Enzyklopädien und Wörterbücher im Internet befragt werden. Hierbei deutet sich allerdings immer wieder an, dass die dort verzeichneten Informationen nicht unbedingt ein realistisches Bild über die tatsächliche Verbreitung der Varianten liefern und ferner die vorhandene Varianz insgesamt nicht vollständig erfassen – besonders auffällig ist etwa, dass frz. , also die am weitesten verbreitete Variante, in einigen Fällen gar nicht erfasst wird. Im Wikipédia-Artikel zu people (so die Schreibung des Stichworts dort) findet sich folgender Hinweis: «Francisé en ‹pipole› et parfois ‹pipeul›, […]» (Artikel people (homonymie), , Zugriff 30.12.2008). Weitere Varianten werden nicht erwähnt. Im Wiktionary bzw. dem 440

Wiktionnaire, also einem nach denselben Grundprinzipien konzipierten interaktiven Internetwörterbuch, ergibt sich interessanterweise ein etwas anderer (und teilweise in sich widersprüchlicher) Befund: Im Eintrag zu people wird diese Form ausschließlich als englische Form charakterisiert, wobei sich unter den «Mots dérivés dans d’autres langues» ein Verweis auf frz. pipole findet (bei dem es sich selbstverständlich nicht um ein Derivat im linguistischen Sinn handelt). 64 Unter dem Eintrag pipole hingegen wird diese Form wie folgt charakterisiert: «Néologisme français dérivé de l'anglicisme ‹people› au sens de ‹gens célèbres› et réécrit "à la française"» (, Zugriff 15.12.2008). Auffälligerweise wird hier nun also people als (französischer) Anglizismus eingestuft – die Form frz. people findet sich jedoch ansonsten nicht im Wiktionary/Wiktionnaire. Ferner werden auch hier keine anderen Varianten verzeichnet. Ein Fehlen der Schreibung frz. ist auch für das Internetwörterbuch Antidico festzustellen; hier findet sich nur ein Eintrag pipeul, mit dem Kommentar «Orthographe plaisante de people» (Antidico s.v. pipeul, Zugriff 22.12.2008). Aus dem angedeuteten spielerischen Charakter der integrierten Schreibung kann auf eine gewisse Randständigkeit dieser Schreibung geschlossen werden: Der Kommentar kann dahingehend interpretiert werden, dass es sich bei um eine spielerische Abwandlung der ansonsten üblichen Schreibung handelt. Die Tatsache, dass frz. people selbst nicht als Eintrag im Antidico verzeichnet ist, erscheint jedoch erstaunlich: Erklärte Zielsetzung des Antidico ist es, Neologismen aus der Presse (vor allem Le Monde, Le Soir) zu erfassen, die in den üblichen Buchwörterbüchern («dictionnaires usuels en un volume») nicht verzeichnet sind (, Zugriff 02.01.2009). Zwar ist frz. people inzwischen z.B. in den neueren Auflagen des PR verzeichnet, doch dort erscheint ebenso die Variante frz. pipeul(e). Da frz. people gerade die Schreibung darstellt, in der das Wort am häufigsten in der Presse erscheint, läge seine Aufnahme in das Antidico ebenfalls nahe. Das teilweise festgestellte Übergehen von frz. lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass ein Eintrag als nicht notwendig angesehen wird, da die Form people (als englische Form) als den Lesern bekannt eingestuft wird. 65 Gleichzeitig kann aus Sicht der Sprachbenutzer und Verfasser von Lexikoneinträgen eine potenzielle Unsicherheit bestehen, ob people überhaupt eine Form des Französischen darstellt bzw. ausreichend etabliert ist, um als französisches Wort erfasst zu werden. Unter linguistischer Perspektive verweist dies auf die Schwierigkeit der Feststellung der Durchsetzung von Innovationen sowie auf die Schwierigkeit einer Abgrenzung von Entlehnung und Codeswitching bei einzelnen übernommenen Formen: Unter Umständen kann eine Verwendung von people im Französischen auch als Einwortcodeswitching ins Englische interpretiert werden. Dementsprechend erscheint es erklärbar, dass AS-konforme Schreibungen zunächst nur zögerlich als entlehnte Formen der ZS registriert werden. Für gegenüber der AS veränderte Schreibvarianten gilt hingegen, dass sie unmittelbar als «eindeutig» ZS-Formen 64 65

(Zugriff 02.01.2009). Die Bedeutungsverschiebung von engl. people ‘Leute’ hin zu frz. people ‘berühmte Leute’ wäre allerdings dennoch zu kommentieren.

441

identifiziert werden können, so dass sie lexikographisch relativ schnell erfasst werden, sobald sie eine gewisse Verbreitung in der ZS erlangt haben (das Nichtvorhandensein einer puristischen Ausgrenzung von Entlehnungen vorausgesetzt). Auf der Grundlage der untersuchten Quellen zusammengenommen können damit die folgenden Schreibungen von frz. people angesetzt werden, die bereits eine gewisse Verbreitung in der ZS Französisch erlangt haben: , , . Abfragen anhand gängiger Internetsuchmaschinen bestätigen, dass die genannten Formen vielfach verwendet werden (Tab. 14) 66; interessanterweise erscheinen darüber hinaus auch relativ viele Belege für Schreibvarianten auf (d.h. mit Tilgung des finalen ), so dass sich jeweils Paare mit bzw. ohne finales bilden lassen: – , – , – . 67 google

yahoo

ask

lycos

Prozentualer Mittelwert

"people"

54.000.000 99,47 %

137.000.000 98,74 %

2.554.000 96,33 %

235.000 69,52 %

90,92 %

"pipole"

181.000 0,33 %

820.000 0,59 %

59.600 2,25 %

66.200 19,58 %

5,67 %

"pipol"

31.500 0,06 %

796.000 0,57 %

18.900 0,71 %

18.600 5,50 %

1,71 %

"peopl"

29.700 0,05 %

32.600 0,02 %

14.600 0,55 %

14.200 4,20 %

1,20 %

"pipeul"

39.700 0,07 %

72.400 0,05 %

3.170 0,12 %

3.210 0,95 %

0,30 %

"pipeule"

4.550 0,01 %

21.500 0,02 %

1.100 0,04 %

845 0,25 %

0,08 %

54.286.450 99,99 %

138.742.500 99,99 %

2.651.370 100 %

338.055 100 %

Gesamt Tab. 14:

Vergleich der Beleghäufigkeiten für frz. people und verbreitete Varianten

Was die Aussprache der entlehnten Form angeht, so sind ebenfalls unterschiedliche Varianten belegt. Im PR s.v. people ist (nur) die Aussprache [pipœl] angegeben. Aus der im Wiktionnaire für frz. pipolisation angegebenen Aussprache [pi.pŝ.li.za.sjŝѺ] (, Zugriff 15.12.2008) lässt sich aber auch auf eine entsprechende Aussprache [pipŝl] der Grundform schließen (cf. auch die Schreibung ); diese phonische Realisierung ist ebenso in einer Videoaufzeichnung im Internet belegt:

66

67

Die Recherche wurde am 31.12.2008 unter Einschränkung der Suche auf französischsprachige Seiten durchgeführt. Für eine umfassendere Recherche, die zahlreiche weitere Varianten berücksichtigt cf. weiter unten Tab. 15. Was die Zahl der Belege für "pipol" angeht, so ist einschränkend anzumerken, dass hier von einem vergleichsweise hohen Anteil an Fehltreffern auszugehen ist, da – trotz des Suchkriteriums französischsprachiger Seiten – sehr viele englischsprachige Belege für die Computerspiele Pipol Destinations und Pipol Lemmings gefunden wurden.

442

(491) les magazines [pipŝl] (gesprochen von Laurent Ruquier in einem Dialog mit Florence Foresti in der Rolle der Brigitte in der Sendung On a tout essayé, Titel der Aufzeichnung: Florence Foresti brigitte et les people, , 00:05–00:06, Zugriff 01.06.2009) Darüber hinaus finden sich im Internet weitere metasprachliche Kommentare, in denen neben der genannten Aussprachevariante [pipŝl] (deren Vorkommen in (492) wie auch in (493) – in letzterer Quelle allerdings nur indirekt – bestätigt wird) auch die Aussprache [pipœl] erwähnt wird, der die Schreibung zugeordnet werden kann. 68 (492) […] "people chics" (prononcer "pipole"), […] (Le Monde: populisme ou «pipolisme»?, Artikel vom 15.04.2004, Autor: Patrick Lemaire, , Zugriff 03.01.2009, Kursivierung im Original) (493) Décidément, « les people » n'ont pas fini de devenir fous. Note de Nil : on prononce le mot People « Pi-peul », pas « Pi-Pole. » Merci de ne pas répéter cette faute de prononciation stupide xD (Beitrag vom 25.02.2007 in der Rubrik L’actualité informatique et multimédia, Autor: Nicolas.G, 37407 lectures, , Zugriff 18.05.2009, Kursivierung im Original) Es erscheint ferner plausibel, dass diese beiden Aussprachevarianten auch für die Schreibung angesetzt werden können. Unter zusätzlicher Einbeziehung der Schreibung , die ebenfalls häufig belegt ist (cf. die nachfolgend in Tab. 15 dargestellten Abfrageergebnisse) und die in qualitativer Hinsicht eine interessante teilweise Integration aufweist, ergeben sich damit die folgenden relativ verbreiteten Realisierungen, die nun näher analysiert werden sollen (bei der ASForm gehe ich, wie bereits in Fußnote 35 des vorliegenden Kapitels erläutert, von der U.S.-amerikanischen Aussprache aus): (494) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] (495) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pœl] (496) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] (497) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] (498) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pœl]

68

Für die Derivate kann zudem eine Variante mit Schwa angesetzt werden: [pipšlizasjŝѺ] neben [pipølizasjŝѺ] und [pipŝlizasjŝѺ].

443

Die Schreibung der ZS-Formen in (494) und (495) ist gegenüber der AS konform, enthält aber gleichzeitig Strukturen, die im Hinblick auf die ZS als systemfremd einzustufen sind, so das graphische Segment , d.h. es liegen Korrespondenzen (

, , ) und Transferenzen () vor. Betrachtet man die im Französischen verbreiteten Aussprachevarianten [pi'pŝl] und [pi'pœl], so ist ferner festzustellen, dass die sich ergebenden Zuordnungen von graphischen und phonischen Segmenten nicht den GPK-Regeln des Französischen entsprechen, d.h. es erfolgt nicht eine Aussprache ausgehend von der Schreibung gemäß den GPK-Regeln des Französischen. Zur Herleitung der französischen Aussprachen ist vielmehr die ASAussprache ['pipšl] heranzuziehen, die verschiedenen Integrationen unterliegt: Der Wortakzent wird an das Französische angepasst (Endbetonung) und das Schwa wird durch einen Vollvokal ersetzt, d.h. hier liegt eine Nichtkonformität gegenüber der AS-Form vor. Die Ersetzung durch [œ] ist dabei durch verschiedene Faktoren erklärbar: Es handelt sich bei dem englischen [ԥ] und dem französischen [œ] um artikulatorisch und akustisch einander sehr nahe stehende Vokale, so dass sich die realisierte Lehnwortintegration bei [pipœl] entsprechend begründen lässt. Ferner lassen sich auch andere Entlehnungen aus dem Englischen anführen, bei denen ebenfalls dieses Verfahren angewandt wird, z.B. (499) engl. puzzle U.S. ['pšz(š)l] ĺ frz. puzzle [pœ'zœl] (OED; PR; Dda; DHLF) Dennoch ist anzumerken, dass es sich phonetisch gesehen nur um einander ähnliche Vokale handelt. So liegt das englische (wie auch das französische) [ԥ] artikulatorisch gesehen zwischen der halbgeschlossenen Realisierung von französisch [ø] und der halboffenen Realisierung von französisch [œ], so dass prinzipiell sowohl Realisierungen mit [œ] als auch mit [ø] im Französischen möglich und erklärbar erscheinen. 69 Darüber hinaus ist der englische Schwa-Laut ungerundet, das französische [œ] (ebenso wie das französische [ԥ] und [ø]) hingegen gerundet, so dass hier eine zusätzliche Veränderung eintritt. In diesem Zusammenhang scheint die phonetische Realisierung des /l/ in der AS potenziell relevant, dem die Allophone [l] und [á] (auch clear l vs. dark l, cf. Roach 1983, 48) zugeordnet werden können. Für (am.)engl. people ist von einer Realisierung des velarisierten Konsonanten auszugehen (Celce-Murcia/Brinton/Goodwin 1996, 46), so dass in einer engen phonetischen Umschrift [á] zu transkribieren wäre. 70 Dabei besteht für diesen Laut im 69

70

Cf. innerhalb französischer Wörter auftretende Ersetzungen von [ԥ] in betonter Position durch [œ] oder [ø] (cf. Meisenburg 1996, 190; Meisenburg/Selig 1998, 64); hier lassen sich die Schwankungen ebenfalls durch die artikulatorische Mittelstellung des [ԥ] begründen. Nachfolgend gebe ich aber beim Vergleich der AS- und ZS-Form eine weite phonetische Umschrift der AS-Form mit [l] an, so dass für engl. [l] – frz. [l] eine Korrespondenz festgestellt wird. Dieses Vorgehen, von rein phonetischen Unterschieden zu abstrahieren (cf. auch it. [r] vs. frz. [Ɗ] bei it. grappa), entspricht dem üblichen Vorgehen in der Forschung zur Lehnwortintegration auf lautlicher Ebene (cf. Umbreit 2004) und lässt sich dadurch rechtfertigen, dass primär nur systemrelevante Merkmale erfasst werden. Wenn hingegen Korrespondenzen nur bei absoluter phonetischer Übereinstimmung angesetzt würden, wären hinsichtlich sehr vieler phonischer Segmente in Lehnwörtern Abweichungen bzw. Integrationserscheinungen zu konstatieren.

444

Englischen wie auch in anderen Sprachen eine Tendenz zur Vokalisierung, bei der ein gerundetes [w] oder [Ɠ] realisiert wird (cf. Wells 1982, 258–259; vgl. auch altfrz. chevals > chevaus, bras.pg. Brasil [bra'ziw] etc.). Im Rahmen einer Koartikulation kann damit unter Umständen auch für das englische [ԥ] – also bereits in der AS – ein (rein phonetisches) Element der Rundung konstatiert werden, das die Zuordnung des ZS-, gerundeten Segments [œ] noch besser erklärbar macht. Insgesamt besteht also trotz der verschiedenen Abweichungen eine ausreichend große artikulatorische und akustische Nähe zwischen dem AS-Segment und dem entsprechenden ZS-Segment. Die Ersetzung von [ԥ] durch [ŝ] ist hingegen als auffälliger einzustufen, da die ZS-Realisierung hier artikulatorisch und akustisch weiter von der AS-Realisierung abweicht. Abgesehen vom deutlich unterschiedlichen Artikulationsort ([hinten] bei [ŝ] gegenüber [zentral] bei [ԥ]) weisen die Laute aber die gemeinsamen Merkmale [vokalisch] und [oral] auf. Ferner sind in Bezug auf das Merkmal der Rundung die oben angestellten Überlegungen auch hier anwendbar, d.h. auch wenn das englische [ԥ] (im Gegensatz zum französischen [ŝ]) prinzipiell ungerundet ist, lässt sich dennoch bereits in der AS unter Umständen ein Element der Rundung ansetzen. Ebenso ist die auftretende Veränderung in Bezug auf die Hebung der Zunge (halboffene Realisierung bei französisch [ŝ] gegenüber einer etwas geschlosseneren Realisierung bei englisch [ԥ]) als vergleichsweise gut tolerabel einzustufen. Das gewählte Integrationsverfahren erscheint somit aus Sicht der Sprachbenutzer noch immer hinreichend plausibel, d.h. die Laute und die entsprechenden Wortformen können noch immer in Verbindung miteinander gebracht werden. Damit ergibt sich jedoch, dass für lautliche Integrationsprozesse keine Vorhersagbarkeit im strengen Sinn angenommen werden kann; vielmehr können in Einzelfällen auch andere Integrationsverfahren angewandt werden als die für bestimmte Laute weithin üblichen (wobei die jeweils resultierenden Formen innerhalb der ZS auch koexistieren können). Abgesehen von diesem Unterschied sind die Formen frz. [pi'pŝl] und [pi'pœl] sehr ähnlich zu analysieren: Lautlich liegen jeweils Korrespondenzen und Integrationen vor, so dass die Formen insgesamt lautlich vollständig integriert sind. Im Bereich der Schreibung und der Graphem-Phonem-Korrespondenzen bestehen hingegen formale Fremdheitsmerkmale (das transferierte graphische Segment und die damit zusammenhängende GPK ļ [i] sowie die Zuordnung ļ [ŝ] bzw. ļ [œ]; cf. Abb. 41).

445

Graphische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

<
>

KORR

Phonische Segmente engl. frz. K ggü.AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

[ [

p p K K KORR

i i K K

p p K K

š ŝ/œ NK K

l l K K

KORR

KORR

INT

KORR

] ]

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz.

K ggü. ZSSystem?

ļ [p]

ļ [i]

ļ [p]

K

NK

K

ļ [ŝ]/ [œ] NK

ļ [l]

K

ļ [-]

K

Wortakzent engl. frz. K ggü.AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse Abb. 41:

'ı ı ['pipšl] ı 'ı [pi'pŝl]/[pi'pœl] NK K INT

Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] bzw. [pi'pœl] nach den Konformitätskriterien

Was die Aussprache [pi'pŝl] angeht, so ist noch anzumerken, dass hier zusätzlich eine regionale Varianz innerhalb Frankreichs festgestellt werden kann, d.h. es ist davon auszugehen, dass der zweite Vokal mit unterschiedlichen Öffnungsgraden, also als [ŝ] oder [o], realisiert werden kann. Dies belegt auch der folgende Kommentar in einer Internetdiskussion, in der es genau um die Frage der «richtigen» Aussprache von frz. people geht: (500) pipole ou pipaule si tu préfères.. Bon après c'est une question de prononciation régionale. Chez moi, auto se prononce comme otto, mais je sais que ce n'est pas le cas dans toute [sic, EWF] les régions de France.. […] (Kommentar vom 26.02.2007 in einer Internetdiskussion zur Aussprache von frz. people, Autor: arsinoe, 446

, Zugriff 18.05.2009) Neben den besprochenen Formen lassen sich auch ZS-Varianten finden, bei denen auf den Ebenen der Schreibung und der Graphem-Phonem-Korrespondenzen eine teilweise oder vollständige Integration erfolgt. Hier werden also genau die oben genannten Fremdheitsmerkmale abgebaut. Ein teilweiser Abbau liegt bei frz. [pi'pŝl] vor: Auf der Grundlage der ZS-Aussprache wird eine ZS-Schreibung gewählt, bei welcher der Laut [ŝ] einem graphischen Segment zugeordnet wird. Damit wird ein Teil der Strukturen abgebaut, die keine Konformität mit dem ZS-System aufweisen; es resultiert die ZS-konforme GPK ļ [ŝ] (cf. Abb. 42). 71 Graphische Segmente engl. frz. K ggü. AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

<
>

Phonische Segmente p p K K KORR

i i K K

p p K K

š ŝ NK K

l l K K

KORR

KORR

INT

KORR

] ]

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz.

K ggü. ZSSystem? Abb. 42:

ļ [p]

ļ [i]

ļ [p]

K

NK

K

ļ [ŝ] K

ļ [l]

ļ [-]

K

K

Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] nach den Konformitätskriterien

Die hier vorgenommene Integration kann dabei prinzipiell (von den sprachlichen Strukturen her betrachtet) sowohl bei der ersten Entlehnung als auch zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der ZS erfolgt sein. Um dies näher zu bestimmen, sind historische Fakten ausschlaggebend. Im vorliegenden Fall legt die Chronologie der Belege eher die Annahme nahe, dass es sich bei Verwendungen der teilintegrierten 71

Was die rein lautliche Ebene angeht, so scheint die Analyse aus Abb. 41 hier genau übertragbar. Dasselbe gilt für den Wortakzent, der im Folgenden auch bei der Analyse der anderen Varianten nicht näher kommentiert wird.

447

Variante um spätere Innovationen in der ZS handelt: Unter den frühen Belegen findet sich hauptsächlich die Schreibung ; erst später sind auch andere Schreibvarianten belegt. Entsprechende Überlegungen sind auch auf andere teilintegrierte und vollständig integrierte Schreibvarianten von frz. people übertragbar. Der Status von frz. [pi'pŝl] innerhalb der ZS lässt sich damit im Hinblick auf strukturelle Fremdheitsmerkmale dahingehend charakterisieren, dass die Form zwar im lautlichen Bereich vollständig integriert ist und auch im Bereich der Schreibung eine Teilintegration stattgefunden hat; gleichzeitig sind jedoch noch immer Fremdheitsmerkmale vorhanden (das graphische Segment und die GPK ļ [i]), die einen potenziell markierten Status der Form implizieren. Da eine entsprechende Markierung pragmatische Effekte hervorrufen kann (cf. Kap. 12.5), erscheint es sinnvoll, entsprechende Formen als (teilintegrierte) Fremdwörter einzuordnen und somit von integrierten Lehnwörtern zu unterscheiden (cf. Kap. 3.5 und 5.3). Bei der ebenfalls belegten Variante frz. [pi'pŝl] lässt sich hingegen eine vollständige Integration feststellen: Hier werden auch die zuletzt genannten Fremdheitsmerkmale abgebaut: wird durch ersetzt, so dass die ZS-konforme GPK ļ [i] resultiert. Damit ergibt sich insgesamt die in Abb. 43 dargestellte Analyse. Graphische Segmente engl. frz. K ggü.AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

<
>

Phonische Segmente engl. frz. K ggü.AS-Form? K ggü. ZSSystem? Analyse

[ [

p p K K KORR

i i K K

p p K K

š ŝ NK K

l l K K

KORR

KORR

INT

KORR

] ]

Graphem-Phonem-Korrespondenzen frz.

K ggü. ZSSystem? Abb. 43:

448

ļ [p]

ļ [i]

ļ [p]

K

K

K

ļ [ŝ] K

ļ [l]

ļ [-]

K

K

Analyse von engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] nach den Konformitätskriterien

Schließlich sind Verwendungen der Schreibung frz. ebenfalls mit einer gewissen Häufigkeit belegt; auf lautlicher Ebene ist hierbei die bereits besprochene Aussprache [pi'pœl] anzusetzen. Auch hier liegt damit lautlich eine vollständige Integration vor (cf. die Analyse in Abb. 41), und ähnlich wie beim zuletzt besprochenen Beispiel findet zusätzlich eine Anpassung der Schreibung statt. Dabei wird die ZS-Graphem-Phonem-Korrespondenz ļ [œ] zugrunde gelegt, das gewählte graphische Segment ist ebenso ZS-systemkonform. Zu kommentieren ist ferner, dass das finale in der Schreibung getilgt wird. Für die Dekodierung der Form durch einen ZS-Rezipienten ergibt sich hieraus, dass die Anbindung an die AS-Form (die – bei vorhandenen Kenntnissen der AS – ebenfalls eine gewisse Rolle spielen kann) abgeschwächt wird. Innerhalb der ZS betrachtet funktioniert die Schreibung jedoch in phonographischer Hinsicht unproblematisch: Da dem finalen ohnehin kein Lautwert zugeordnet ist, kann auch die graphisch gekürzte Form unmittelbar der entsprechenden Aussprache zugeordnet werden. Entsprechendes gilt im Übrigen für alle anderen Schreibvarianten von people ohne finales (, , auch etc.). 72 Insgesamt ergibt sich damit der Befund, dass eine relativ große Varianz in der Aussprache und Schreibung von frz. people zu beobachten ist. Auffälligerweise erscheinen verschiedene stark gegenüber der AS veränderte Formen. Die Orte potenzieller Veränderungen lassen sich dahingehend lokalisieren, dass das Konsonantengerüst

bzw. [p p l] als stabil gelten kann, d.h. die Veränderungen beziehen sich nur auf die phonische bzw. graphische Wiedergabe der Vokale. Mit den bisher angestellten Überlegungen ist das Phänomen der Varianz für frz. people allerdings noch keineswegs hinreichend erfasst. Eine Internetrecherche zeigt, dass neben den bereits genannten Formen noch zahlreiche weitere Schreibvarianten auftreten (Tab. 15). 73 Bei Abfragen nur der Varianten ergeben sich aber teilweise viele Fehltreffer: So findet etwa eine Suche nach "pipel" viele Verwendungen von Pipel als Personennachname, eine Recherche für "peopele" ergibt – trotz der Einschränkung der Suche auf französischsprachige Seiten – viele englischsprachige Trefferseiten (oder englische Textteile innerhalb französischer Dokumente, jeweils mit entsprechendem Tippfehler) und für frz. "pipele" treten Treffer mit den Ausdrücken oder Sequenzen «pipelettes», «pipe le», «chemin de Pipelé» etc. auf. Um die Untersuchungsergebnisse zu präzisieren, habe ich daher die Abfragen auf die Syntagmen "presse ~", "actu ~" und "politique ~" beschränkt, die wichtige Verwendungskontexte repräsentieren; hierdurch können Fehltreffer weitgehend ausgeschlossen werden.

72 73

Eine noch stärker gekürzte Variante stellt frz. dar, wobei hier ein morphologisches Kürzungsverfahren – eine Apokope – vorliegt. Die Recherche wurde am 19.05.2009 auf der Grundlage der französischen Version von google mit Beschränkung auf französischsprachige Trefferseiten durchgeführt. Für folgende Ausdrücke ergaben sich keine Treffer: "[presse/actu/politique] peopeul, pipoul, paupol, pipl, popl, pauple, paupl, peapeule, peapeul".

449

"presse ~"

"actu ~"

"politique ~"

Prozentualer Mittelwert

people pipole pipeul pipol popol popole pipeule peopl popaul peopole pipaule peapole pipaul peopel peopele peapol pipoule pipel pople paupaul peopol popaule peopeule paupaule pipele paupole

232.000 90,65 % 21.400 8,36 % 599 0,23 % 139 0,05 % 417 0,16 % 361 0,14 % 266 0,10 % 98 0,04 % 114 0,04 % 126 0,05 % 153 0,06 % 81 0,03 % 94 0,04 % 33 0,01 % 1 0,00 % 4 0,00 % 10 0,00 % 6 0,00 % 6 0,00 % 5 0,00 % 4 0,00 % 4 0,00 % 2 0,00 % 2 0,00 % 1 0,00 % 1 0,00 %

891.000 660 5 155 2 56 8 484 2 8 3 3 3 4 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

99,84 % 0,07 % 0,00 % 0,02 % 0,00 % 0,01 % 0,00 % 0,05 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 %

18.700 391 179 122 9 3 7 4 9 4 0 2 0 3 2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Gesamt

255.927 99,96 %

892.394

99,99 %

19.436 100,02 %

Tab. 15:

96,21 % 2,01 % 0,92 % 0,63 % 0,05 % 0,02 % 0,04 % 0,02 % 0,05 % 0,02 % 0,00 % 0,01 % 0,00 % 0,02 % 0,01 % 0,01 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 %

95,57 % 3,48 % 0,39 % 0,23 % 0,07 % 0,05 % 0,05 % 0,04 % 0,03 % 0,02 % 0,02 % 0,01 % 0,01 % 0,01 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 %

Beleghäufigkeiten für Varianten von frz. people in den Ausdrücken "presse ~", "actu ~", "politique ~"

Die Angaben zu den Trefferhäufigkeiten und prozentualen Mittelwerten machen unmittelbar deutlich, dass die zusätzlichen Varianten quantitativ betrachtet einen marginalen Status besitzen. Inwiefern sind entsprechende Formen bei einer Untersuchung überhaupt zu berücksichtigen? Es könnte zunächst die Auffassung vertreten werden, dass es sich schlicht um fehlerhafte Schreibungen handelt, die entweder aus einer Unachtsamkeit bei der Eingabe über die Computertastatur (Tippfehler) oder aber aus mangelnden Kenntnissen des Schreibers bezüglich der etablierten Schreibung der betreffenden Form resultieren. Andererseits deutet sich aber vielfach auch an, dass abweichende Schreibungen von den Produzenten der Texte bewusst eingesetzt werden, um expressive Effekte zu erzielen, sich selbst als kreativ darzustellen oder die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf die entsprechenden Texte zu lenken. Dies belegen etwa die häufigen Verwendungen abweichender, d.h. auffälliger Schreibungen in Überschriften. Gerade für diesen Teil der Äußerung ist zudem von einem relativ hohen Planungsgrad auszugehen – der Produzent setzt die sprachlichen Mittel (etwa eine lexikalische Innovation oder die Wahl einer innovativen Schreibvariante eines vorhandenen Worts) bewusst ein und kontrolliert dann die Realisie-

450

rung (d.h. Tippfehler werden unter Umständen korrigiert, bevor der Text ins Internet gestellt wird). Gerade für die untersuchten Texte aus der Internetkommunikation erscheint es somit grundsätzlich schwierig, eine Grenzziehung zwischen Tippfehlern und bewusst eingesetzten abweichenden Schreibungen zu treffen. Im Übrigen besteht auch die Möglichkeit, dass produzentenseitige «Fehler» (wenn sie denn eindeutig bestimmbar wären) rezipientenseitig als bewusste Abweichungen interpretiert werden – in entsprechenden Fällen erscheint es ebenso problematisch, die eine oder andere Sichtweise als die einzig zutreffende anzusetzen. Darüber hinaus impliziert die Einstufung einer bestimmten Schreibung als «Fehler» (insbesondere als Fehler aufgrund mangelnder Orthographiekenntnisse) bereits einen normativen Standpunkt, der in der vorliegenden Arbeit unbedingt vermieden werden soll. Aus den genannten Gründen werden Abweichungen von der üblichen Schreibung einer bestimmten Form hier grundsätzlich als innovative Formen eingestuft. Ein weiterer potenzieller Einwand gegen die Berücksichtigung entsprechender Formen ist sodann ihre mangelnde Etabliertheit – die Zahl der Beleghäufigkeiten in Tab. 15 weist in der Tat darauf hin, dass es sich bei einigen der Schreibungen um sehr vereinzelte Belege handelt. Legt man aber – wie in der vorliegenden Arbeit – eine Betrachtung zugrunde, bei der Entlehnungen als Teilbereich des Sprachwandels analysiert werden, wobei die verschiedenen Phasen der entsprechenden Entwicklungen einbezogen werden (Sprachkontakt – Innovation in der ZS – weitere Verbreitung in der ZS bis hin zur Etablierung der Innovation), geht es nicht nur um Varianten, die bereits eine gewisse Verbreitung und Etablierung in der ZS besitzen, sondern gerade auch um Formen, die (vorerst) nur vereinzelt in der ZS vorkommen (Stadium der Innovation bzw. der frühen Verbreitung einer Innovation). Die aktuell noch marginalen Varianten stehen somit potenziell am Anfang eines Sprachwandelprozesses, und ihre Einbeziehung erscheint insofern besonders interessant, als hier gerade Varianten vorliegen, deren Verwendung innerhalb der Sprachgemeinschaft noch ausgehandelt wird. 74 Aus dem Gesagten ergibt sich allerdings auch die Unabgeschlossenheit der vorliegenden Untersuchung: Es erscheint plausibel, dass bei parallelen Untersuchungen zu späteren Zeitpunkten noch weitere Varianten ermittelt werden können bzw. umgekehrt, dass einige der aktuell nachweisbaren Varianten nicht mehr weiterver74

Die angestellten Überlegungen scheinen auch außerhalb von Entlehnungskontexten für Sprachwandel im Allgemeinen anwendbar. So stellt etwa Wooldridge bei einer Auszählung zur relativen Häufigkeit der Schreibungen vs. («sous les meilleurs auspices» vs. «sous les meilleurs hospices») am 03.12.2002 eine Verteilung von 93,49 % vs. 6,51 % (auf der Grundlage der Suchmaschine AltaVista) bzw. von 88,73 % vs. 11,27 % (auf der Grundlage von google) fest (Wooldridge 2002b). Führt man aktuell (26.12.2008) eine parallele Abfrage durch, so ergibt sich, dass der Anteil der (von der Etymologie und aktuell [noch] gültigen Norm her) «falschen» bzw. innovativen Schreibung sogar angestiegen bzw. zumindest relativ hoch geblieben ist: Bei AltaVista ergeben sich 297.000 vs. 29.500 Treffer (entspricht 90,96 % vs. 9,04 %), bei google 222.000 vs. 15.400 Treffer (93,51 % vs. 6,49 %). Weiter zu untersuchen wäre, inwiefern dem Internet als neuem Medium – etwa aufgrund seines wenig normativ geprägten Charakters – generell eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Prägung und Verbreitung entsprechender Innovationen zuzuschreiben ist.

451

wendet werden. Dies hat sich auch in Kap. 16.1.2 gezeigt, in dem Schwankungen in den Verwendungshäufigkeiten verschiedener Varianten von frz. pipolisation im Verlauf des Verbreitungsprozesses aufgezeigt wurden. Die Formen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als etabliert gelten können, sind zu einem früheren Zeitpunkt mehr oder weniger stark marginal, d.h. im Verlauf des Sprachwandels kann sich eine abweichende innovative Variante etablieren. Auch hier scheint der entsprechende Prozess noch nicht abgeschlossen. Was nun die formalen Merkmale der noch zusätzlich belegten Varianten angeht, so lässt sich wiederum zunächst feststellen, dass die Unterschiede nur die Wiedergabe der vokalischen Segmente betreffen. Auch hier lassen sich sodann wieder fast durchgängig Gruppierungen von Varianten mit bzw. ohne finales bilden: – , – , – , – , – , – , – , – . Ferner ergeben sich abweichende Realisierungen in der lautlichen und graphischen Wiedergabe beider Vokale: Der zweite Vokal kann auch als [Ť] realisiert werden (cf. die Schreibungen und ), d.h. hier wird noch einmal ein anderes Integrationsverfahren als das übliche (Ersetzung durch [œ], cf. engl. puzzle ĺ frz. puzzle etc.) realisiert. Der in der ZS-Aussprache realisierte Vokal unterscheidet sich im Artikulationsort ([vorn]) deutlich vom entsprechenden AS-Segment ([zentral]). Dennoch besteht noch immer eine gewisse artikulatorische und akustische Ähnlichkeit der Laute, die die Merkmale [vokalisch], [oral], [ungerundet] und [halb-offen] teilen, so dass das gewählte Verfahren aus Sicht der Sprachbenutzer noch ausreichend nachvollziehbar erscheint. Bei der Variante , der eine Aussprache [pi'pul] zugeordnet werden kann, liegt hingegen eine noch stärkere lautliche Abweichung vor ([u]: [hinten], [geschlossen] vs. [ԥ]: [zentral], [halb-offen]). Zur Herleitung dieser Variante erscheint es plausibel, einen zusätzlichen Bezug auf andere lexikalische Einheiten der ZS – frz. poule ‘Schätzchen’/‘Kokotte, leichtes Mädchen’ und frz. poupoule als familiäre Variante davon (PR s.v. poule) – anzunehmen. Neben dem lautlichen Anklang, der hier vorliegt, kann auch ein semantischer Bezug zu dem von frz. people bezeichneten Konzept BERÜHMTE WEIBLICHE PERSON gesehen werden. Damit besteht eine Nähe zu volksetymologischen Innovationen, wobei es sich im vorliegenden Fall um eine vom Produzenten bewusst herbeigeführte Annäherung der lexikalischen Einheiten handelt. Verwendungen von frz. können demnach sprachspielerisch motiviert sein, wobei die Anspielung auf die genannten Ausdrücke sowohl einen harmlosen oder affektiven als auch einen leicht kritischen Unterton suggerieren kann. Was die Realisierung des ersten Vokals angeht, so fallen zunächst eine Reihe von Schreibungen auf, die auf eine Aussprache [pŝ'pŝl]/[po'pol] hindeuten (, etc.). Eine entsprechende Aussprache ist auch in einer Aufzeichnung einer TV-Sendung belegt: (501) parce que toute belle-mère de Laurent Ruquier que je suis moi on me ferme la porte dans les soirées [pŝpŝl]

452

(Florence Foresti in der Rolle der «Belle-maman Myriam» in der Sendung On a tout essayé von Laurent Ruquier, Titel der Aufzeichnung: Florence Foresti Les Soirées People, , 00:25–00:29, Zugriff 18.05.2009) Hier wird die Realisierung des ersten Vokals dahingehend verändert, dass eine Angleichung an die Aussprache des zweiten Vokals vorgenommen wird; hierdurch ergibt sich eine Reduplikation der Silbe [pŝ]. Die resultierende Form kann mit einer spielerischen Verfremdung des Namens Paul als [pŝpŝl] sowie mit anderen reduplikativen Formen wie etwa foufou, fofolle ‘un peu fou’ (PR) assoziiert werden, die insbesondere in der französischen Kindersprache anzutreffen sind (cf. frz. bobo ‘Aua, Wunde’, dodo ‘Schlaf’, lolo ‘Milch’, nounou ‘Amme’, nounours ‘Plüschbär’). Insofern erscheint es plausibel, dass pragmatisch gesehen eine spielerische Wirkung oder auch ein spielerisch-harmloser oder verniedlichender Unterton intendiert sein bzw. interpretiert werden kann. Bei der Schreibung der entsprechenden Aussprachevariante treten wiederum mehrere Varianten auf, die durch die Anwendung unterschiedlicher GPK-Regeln des Französischen erklärbar sind: ļ [o/ŝ] bzw. ļ [o]. Für die Dekodierung entsprechender Varianten resultiert dabei eine sehr große Entfernung vom AS-Ausdruck, so dass der Bezug zur AS hier stark abgeschwächt wird und für die Dekodierung vor allem ZS-Faktoren entscheidend erscheinen. Schließlich sind noch Schreibungen wie belegt, die der bereits besprochenen, relativ weit verbreiteten Aussprache [pi'pŝl] zugeordnet werden können. Hier liegt nun mit eine Nichtkonformität sowohl gegenüber der ASForm als auch gegenüber dem ZS-System vor, d.h. es handelt sich um einen Allogenismus. Die entsprechende Schreibung kann dadurch erklärt werden, dass eine AS-Graphem-Phonem-Korrespondenzregel angewandt wird ( ļ [i], cf. engl. pea brit. [pi:], U.S. [pi], engl. peace brit. [pi:s], U.S. [pis], engl. peach brit. [pi:tƌ], U.S. [pitƌ] etc.; OED), d.h. es müssen gewisse Kenntnisse der AS bei den ZS-Produzenten vorausgesetzt werden.

16.5.2

Zur Entstehung der Varianten

Nachfolgend soll nun skizziert werden, wie die Entstehung der am weitesten verbreiteten Varianten von frz. people erklärbar ist. Dabei zeigt sich, dass zwei grundlegend unterschiedliche Sprachkontakt- und Innovationsszenarien angesetzt werden müssen. Im ersten Fall ist von einem Sprachkontakt sowohl im graphischen als auch im phonischen Medium auszugehen. Dieses Szenario erscheint für die folgenden Formen gültig: (502) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] (503) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pœl] (504) engl. ['pipšl] ĺ frz. [pi'pŝl] 453

Bei allen genannten Formen ist im Bereich der Aussprache eine Integration ausgehend von der AS-Aussprache festzustellen. Gleichzeitig ist aber zur Erklärung der ZS-Schreibung auch die AS-Schreibung heranzuziehen, da die Schreibung nicht anderweitig (d.h. nicht rein innerhalb der ZS) erklärbar ist. Demnach ergibt sich folgendes Szenario: (505) engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. people [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ bzw. (506) engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. people [pi'pœl] ‘berühmte Leute’ Prod [Engl.]

['pipšl]

Komm [engl.]

Ļ «…people…» Ļ

Ļ […'pipšl…] Ļ

Rez [Frz.]

[pi'pŝl] bzw. [pi'pœl]

‘Leute’



LEUTE

Ļ )berühmte Leute Ļ ‘berühmte Leute’



BERÜHMTE LEUTE

Für die Variante frz. werden am Wortanfang bei der Schreibung ebenfalls die AS-Segmente übernommen, so dass eine starke Anbindung an die ASForm erhalten bleibt und eine Wiedererkennung ausgehend vom AS-Wort möglich bleibt. 75 Darüber hinaus wird aber auch auf der Ebene der Schreibung eine Veränderung vorgenommen, indem ausgehend von der ZS-Aussprache und einer entsprechenden PGK-Regel ein eingefügt wird. Insgesamt ergibt sich damit ein etwas komplexeres Szenario: 76

75

76

Psycholinguistische Untersuchungen belegen, dass vor allem der Wortanfang (sowie das Wortende) bei der Identifizierung von Wörtern eine zentrale Rolle einnimmt (MüllerLancé 2003, 159). Die in der Abbildung angedeutete Aufeinanderfolge ist nicht dahingehend zu verstehen, dass es sich um real trennbare zeitliche Schritte handelt, sondern es geht mir darum zu zeigen, dass die Herleitung der Schreibung einerseits auf einer graphischen Zeichensequenz, andererseits aber auch auf einer ZS-Aussprache (die auf der Grundlage einer phonischen Zeichensequenz geschaffen wurde) beruht, d.h. es handelt sich um in einem logischen Sinn aufeinander aufbauende Schritte.

454

(507) engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. peopole [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ Prod [Engl.]

Komm [engl.]

Rez [Frz.]

['pipšl]

Ļ

Ļ

«…people…»

[…'pipšl…]

Ļ Ļ Ļ

Ļ [pi'pŝl] Ϗ ĸ

‘Leute’



LEUTE

Ļ )berühmte Leute Ļ ‘berühmte Leute’



BERÜHMTE LEUTE

[ŝ] ļ

Bei den bisher besprochenen Varianten ist somit ein doppelter Kanal anzusetzen, d.h. der ZS-Rezipient kommt sowohl mit einer phonischen als auch mit einer graphischen Zeichensequenz in Kontakt. Damit bestätigt sich hier nochmals die zentrale Rolle dieser Konstellation, die in der traditionellen Entlehnungsforschung bislang nicht explizit als eigener Typus anerkannt wird. Gerade für aktuelle Entlehnungen aus dem Englischen in das Französische handelt es sich jedoch um ein gängiges Szenario. Ganz allgemein resultieren dabei ZS-Formen, die in der Lautung bestimmte Integrationsprozesse durchlaufen haben, auf der Ebene der Schreibung aber weitgehend oder vollständig mit der AS-Form übereinstimmen und die gleichzeitig GPKs beinhalten, die nicht im ZS-System enthalten sind (in den obigen Beispielen etwa ļ [i]). Als weitere Beispiele, die diesen Typus veranschaulichen, lassen sich für das Französische und Italienische anführen (als nicht ZS-konforme GPKs ergeben sich hier etwa ļ [e], ļ [œ] und ļ [a]): (508) engl. ['beųbų] ĺ frz. [be'bi] (OED; PR) (509) engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ ĺ frz. puzzle [pœzl], ‘Legespiel’ (OED; PR; Dda; DHLF) (510) engl. puzzle brit. [pƕzl], U.S. ['pšz(š)l] ‘Rätsel’ ĺ it. puzzle ['pazol] ‘Legespiel’ (OED; DO; DELI) Umgekehrt besteht bei Sprachkontakt sowohl im phonischen als auch graphischen Medium auch die Möglichkeit, dass im Bereich der Aussprache sowohl Einflüsse aus der AS-Aussprache als auch aus der ZS-Schreibung zusammenwirken, so dass sich wiederum eine logische Abfolge von Schritten der Integration ergibt. So ist etwa für die Aussprache [-awt] im folgenden Beispiel das AS-Vorbild relevant (lautliche Integration ausgehend von engl. [-aƓt]); gleichzeitig kann aber eine Aussprache mit [kn-] nur durch Bezugnahme auf die Schreibung erklärt werden. (511) engl. ['nśk'aƓt] ĺ fr. [(k)nŝkawt] (OED; PR) Ein deutlich anderes Szenario ist hingegen für die weiteren Varianten von frz. people anzusetzen, bei denen die ZS-Schreibung stark gegenüber der AS

455

verändert wird. Hier handelt es sich um eine klassische ear loan-Konstellation, d.h. die Entlehnung erfolgt auf der Grundlage eines Sprachkontakts im phonischen Medium, wobei der Rezipient Integrationen im Bereich der Lautung vornimmt und so zu einer ZS-Aussprache gelangt. Auf dieser Grundlage wird dann eine ZS-Schreibung hergeleitet; die AS-Schreibung spielt dabei keine direkte Rolle mehr: (512) engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. pipole [pi'pŝl] ‘berühmte Leute’ bzw. (513) engl. people ['pipšl] ‘Leute’ ĺ frz. pipeul [pi'pœl] ‘berühmte Leute’ Prod [Engl.]

['pipšl] Ļ […'pipšl…] Ļ [pi'pŝl] bzw. [pi'pœl]

Komm [am.engl.]

Rez [Frz.]

bzw.

Ϗ ĸ

‘Leute’



LEUTE

Ļ )berühmte Leute Ļ ‘berühmte Leute’



BERÜHMTE LEUTE

[p] ļ

, [i] ļ , [ŝ] ļ bzw. [œ] ļ , [l] ļ , [-] ļ

Wie bereits erläutert, handelt es sich bei den entsprechenden Formen im Vergleich zu frz. [pi'pŝl], [pi'pœl] um relativ randständige Realisierungen. Dennoch kann ihnen aufgrund der hohen absoluten Beleghäufigkeiten (je nach Suchmaschine und Variante zwischen 3.200 und 820.000 Treffer am 31.12.2008; cf. die Zahlen in Tab. 14) zu einem gewissen Grad ebenfalls ein gefestiger Status (zumindest bei einem Teil der ZS-Sprachgemeinschaft) zuerkannt werden. Zudem wurde bereits festgestellt (cf. Kap. 16.4), dass die Varianten bei den Derivaten am stärksten vertreten sind, so dass ihnen insgesamt eine große Bedeutung zukommt. Was die zeitliche Situierung der entsprechenden Integrationsprozesse auf der Ebene der Schreibung angeht, so kann aufgrund der Chronologie der Belege angenommen werden, dass es sich im Wesentlichen um Integrationen handelt, die nach der eigentlichen Entlehnung innerhalb der ZS stattfinden, d.h. die Schreibungen und können ausgehend von einer bereits in der ZS vorhandenen Form frz. hergeleitet werden (wobei ebenfalls bedeutsam erscheint, dass bereits Derivate wie frz. vorliegen). 77 Abschließend ist noch zu betonen, dass auch das Auftreten dieser Konstellation insofern bemerkenswert ist, als in der Forschungsliteratur generell die These vertreten wird, dass ear loans für aktuelle Entlehnungen ins Französische eher unbedeu77

So wird etwa der Artikel «pipolisation» bei Wikipédia am 05.09.2006 angelegt, d.h. vor einem Eintrag «people» bzw. «pipole» (cf. bzw. , Zugriff 21.05.2009).

456

tend sind. Die untersuchten Beispiele weisen demgegenüber darauf hin, dass einerseits Entlehnungen mit doppeltem Kanal (phonisch und graphisch) eine große Bedeutung zukommt. Andererseits deutet sich an, dass – gerade in der Internetkommunikation – zunehmend Verfahren realisiert werden, bei denen die Schreibung vorhandener Formen ausgehend von der Aussprache spielerisch oder expressiv verfremdet wird.

16.5.3

Zur Bewertung und Verwendung der Varianten durch die Sprachbenutzer

Im Folgenden soll näher beleuchtet werden, welche Faktoren die Verwendung bestimmter Aussprache- und Schreibvarianten im Einzelnen steuern können. Zunächst einmal hängt die Verwendung der Varianten teilweise von der Person der Sprecher ab, d.h. einzelne Varianten sind an bestimmte Sprechergruppen gebunden. Hierbei kann es sich um diatopische oder diastratische Variation handeln (cf. Coseriu 1981, 302–305; Koch/Oesterreicher 1985, 16; 1990; 2001), die auch als «variety according to the user» bzw. als dialect (Halliday 1978, 35, cf. 110) zusammengefasst werden. So lassen sich für frz. people/pipole und seine Derivate unterschiedliche Aussprachevarianten gegenüberstellen, die sich hinsichtlich des Öffnungsgrades des zweiten Vokals unterscheiden ([o] verweist eher auf Nordfrankreich, [ŝ] hingegen auf Südfrankreich, cf. den bereits zitieren Beleg (500)). Weiterhin werden auch Unterschiede zwischen dem in Nordamerika und dem in Frankreich gesprochenen Französisch festgestellt. Interessanterweise wird dabei im folgenden Beleg die Variante mit (der die Aussprache [œ] zugeordnet werden kann, welche akustisch und artikulatorisch gesehen der AS-Aussprache am nächsten kommt), gerade als typisch [Frankreich-]Französisch eingestuft. Für Nordamerika hingegen, wo aufgrund eines intensiveren Sprachkontakts mit dem Englischen und ausgeprägteren Kenntnissen der AS von einer tendenziell schwachen Lehnwortintegration auszugehen ist, wird die von der AS-Aussprache weiter entfernte Realisierung mit (d.h. [o] oder [ŝ]) angegeben: (514) Pour avoir vécu aux états-unis "Pi-pole" ou "pi-peul" est dépendant plus du coin où tu vis qu'autre chose, AMHA [= à mon humble avis, EWF]. En l'occurence, ma prononciation est entre les deux, et tourne plus vers le "pole" que le "peul", qui, LUI, me semble, pour le coup, vachement français. EN tout cas, si je devais le dire, instinctivement, je sortirai avec mon accent un truc bien plus proche de "pi-pole"... (Kommentar vom 26.02.2007 in einer Internetdiskussion zur Aussprache von frz. people, Autor: Tetedeiench, , Zugriff 18.05.2009)

457

Ferner werden auch im Bereich der Schreibung regionale Unterschiede festgestellt: So ist in Kanada vor allem die Schreibung des Derivats verbreitet, während vom OQLF als diatopische Variante auf Frankreich beschränkt wird (cf. Kap. 16.2 und den dort zitierten Artikel aus dem Grand dictionnaire terminologique); daneben wurde gezeigt, dass auch die Schreibungen und in Frankreich relativ weit verbreitet sind. Für den Bereich diastratischer Variation finden sich im Internet zwar teilweise relevante Informationen in Selbstcharakterisierungen von Diskussionsteilnehmern etc., doch es handelt sich um freiwillige und nicht systematisch erfasste Informationen, so dass eine fundierte soziolinguistische Auswertung und diastratische Charakterisierung der Varianten schwierig erscheint. Es bleibt daher – auch im weiteren Verlauf der Verbreitung einzelner Varianten – näher zu untersuchen, inwiefern sich hier bestimmte Korrelationen ergeben. Darüber hinaus zeichnet sich deutlich ab, dass sich die im Umfeld der Entlehnung von frz. people festzustellende Varianz ohnehin keineswegs durch diatopische und diastratische Faktoren hinreichend erklären lässt. Vielmehr verfügen auch einzelne Sprachbenutzer in vielen Fällen über mehrere Varianten, deren Verwendung durch die Rahmenbedingungen der Kommunikation gesteuert wird. Dieser Bereich umfasst potenziell diaphasische Variation und Variation hinsichtlich der Parameter kommunikativer Nähe und Distanz (Koch/Oesterreicher 1985; 1990; 2001), bzw. hier kann nach Halliday (1978, 35, cf. 110) von einer «variety according to the use» oder register gesprochen werden. 78 In einigen Fällen scheint die Wahl einer bestimmten Variante allerdings auf weiteren Faktoren zu beruhen, die sich nicht unmittelbar innerhalb des Diasystems lokalisieren bzw. mit den klassischen Definitionen der einzelnen Dia-Kategorien erfassen lassen. So gibt es etwa Belege, bei denen innerhalb einer Äußerung unterschiedliche Varianten eines Lehnworts realisiert werden (hier liegen also sowohl ein «konstanter Sprecher» als auch konstante kommunikative Rahmenbedingungen vor). Entsprechende Verwendungen sind daher über zusätzliche Strategien, etwa das Abzielen auf bestimmte pragmatische Effekte, zu erklären. So nimmt der Produzent im folgenden Beispiel eine spielerische Abwandlung des Ausdrucks presse people hin zu presse popole vor. Eine klare Bedeutungsunterscheidung zwischen den Varianten ist dabei nicht erkennbar, und der Kommentar «c’est plus humoristique» weist darauf hin, dass es eher darum geht, eine Variation im Ausdruck (d.h. eine stilistische Lebendigkeit und Abwechslung) zu erreichen und den Produzenten als kreativ und witzig erscheinen zu lassen. (515) Au lieu de faire une revue de presse people comme j'ai fait il y a 2 semaines, je préfère faire une revue de presse popole c'est plus 78

Im einen Fall ist das Phänomen der Variation somit innerhalb der Sprachgemeinschaft insgesamt lokalisiert, im anderen Fall innerhalb der einzelnen Sprachbenutzer, die über mehrere Varianten verfügen. In ähnlicher Weise stellt auch Wüest (1997, 165) die Makrovariation, die auf stabilen diatopischen und diastratischen Faktoren beruhe, der Mikrovariation, die durch spezifische Bedingungen der Kommunikationssituationen gesteuert werde, gegenüber. Zu den verschiedenen Arten der Variation cf. insgesamt Dufter/Stark (2002, 82– 89 sowie 102).

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humoristique. Cette semaine, alors qu'il y a 2 semaines Mylene Farmer était en vacances topless Jean-Luc Delarue a fait pire : les images devraient être censurées : il donne à manger à un CHEVAL (bientôt la grippe du cheval...). Après et sans faire d'humour moi-même, Pete Doherty (à prononcer comme dirait Magloire : Pété Doherty) a été élu plus bel homme d'Angleterre par un magazine anglais !!! […] (Blogeintrag vom 07.03.2006, Autor: Baby Junkie [männlich, Herkunft: Amiens], , Zugriff: 19.05.2009, Hervorhebungen EWF) Gerade für den Bereich der Entlehnungen erscheint es ferner zentral, auch die Person des Rezipienten umfassend einzubeziehen, da die Wahl einer Variante mit einem bestimmten Integrationsgrad teilweise auch darauf beruht, welche Kenntnisse der AS und welche Haltung gegenüber der AS dem Rezipienten vom Produzenten unterstellt werden. Wie insbesondere für frz. grappa gezeigt werden konnte, spielen hier etwa fachsprachliche Kontexte eine zentrale Rolle, bei denen der Produzent beim Rezipienten gute Kenntnisse der AS-Form und eine positive Haltung gegenüber der AS-Kultur und Sprache annimmt. Damit kann die Hypothese formuliert werden, dass in Fällen, in denen der Produzent selbst sehr gute Kenntnisse der AS besitzt und dem Rezipienten auch entsprechende Kenntnisse unterstellt, Varianten mit einem auffällig niedrigen Integrationsgrad realisiert werden können, die als Prestigevarianten fungieren können. Dies belegt auch der metasprachliche Kommentar in Bsp. (516), bei dem es um die pragmatische Wirkung von frz. , d.h. einer schwächer integrierten Variante, im Vergleich zur üblicheren, stärker integrierten Variante geht. Umgekehrt können Verwendungen besonders stark integrierter Varianten als Zeichen von Dummheit bzw. mangelnder Bildung eingestuft werden (cf. Bsp. (517)). (516) Je vais arrêter là cette croisade donquichottesque contre la pipolisation (ou peopolisation, pour du frangliche de plus haut vol). (Artikel vom 30.06.2008, Autor: Captain Gloo, , auch abrufbar unter , Zugriff jeweils am 27.12.2008) (517)

[…] Note de Nil : on prononce le mot People « Pi-peul », pas « PiPole. » Merci de ne pas répéter cette faute de prononciation stupide […] (Beitrag vom 25.02.2007 in der Rubrik L’actualité informatique et multimédia, Autor: Nicolas.G, 37407 lectures, , Zugriff 18.05.2009, Kursivierung im Original)

Insgesamt stellt damit die Orientierung an der Sprechweise der anderen (cf. Kellers statische Maximen bzw. die Betonung der Rolle der Konvention bei Croft) einen

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zentralen Faktor dar, wobei sowohl die Sprechweise der AS als auch der ZS gemeint sein kann. Dabei wird aber die Bezugnahme auf die AS teilweise auch als nicht völlig angemessen eingeschätzt: (518) […] la véritable prononciation [de people, EWF] n'existe plus, car c'est désormais un mot appartenant au franglish et plus à l'english (Kommentar vom 25.02.2007, Autor: Jupikha, , Zugriff 18.05.2009) Vor allem für nicht fachsprachliche Kontexte scheint somit tendenziell eher der Bezug auf die Sprechweise in der ZS, d.h. die dort übliche Ausdrucksform, entscheidend. In vielen Fällen (wenn auch nicht immer, cf. die Konkurrenz von frz. , und ) kann jeweils ein bestimmter Ausdruck als der übliche eingestuft werden. Seine Verwendung kann kommunikativ als unauffällig gelten; durch die Verwendung einer davon abweichenden Ausdrucksweise (d.h. durch die Realisierung einer nichtkatachrestischen Innovation bzw. durch die Weiterverwendung einer solchen) werden hingegen zusätzliche pragmatische Effekte erzielt. Selbstverständlich können sich dabei aber im Laufe der Zeit Veränderungen ergeben. So erscheint etwa frz. people zum Zeitpunkt der Innovation und frühen Verbreitung als unüblicher Ausdruck (cf. vorhandenes frz. célébrité); dementsprechend können zusätzliche pragmatische Effekte bei seiner Verwendung entstehen. Aktuell hingegen ist der Ausdruck z.B. für die Bezeichnung einer Zeitschriftenrubrik weithin verbreitet und entsprechende zusätzliche pragmatische Effekte scheinen kaum noch gegeben (diese treten aber bei der Verwendung einer abweichenden Schreibung, z.B. , in entsprechenden Kontexten auf). 79 Zusätzliche pragmatische Effekte können auch entstehen, wenn ein auffällig hoher Integrationsgrad realisiert wird, d.h. in vielen Fällen setzt der Produzent entsprechende Formen gezielt mit pragmatischen Zielsetzungen ein. So wird etwa im folgenden Beispiel – einem frühen Beleg des Derivats im Französischen – die stark integrierte Schreibvariante gewählt. Es handelt sich dabei um einen Artikel in einem Comicmagazin, in dem eine «‹pipeulisation› de la BD» festgestellt und diskutiert wird. (519) La « pipeulisation » de la BD, une occasion ou un aveu de faiblesse ? Il ne se passe plus une journée sans que l’on annonce une BD qui exploite une marque connue, que ce soit une série télé, une émission de téléréalité, une starlette, ou un chanteur plus ou moins célèbre. Que signifie ce phénomène qui a pris une ampleur inédite en 2004 et dont les effets semblent se prolonger en 2005 ? Est-ce un signe de vitalité du secteur de 79

Außerhalb solcher Kontexte, d.h. insbesondere in noch stärker nähesprachlichen Texten wie etwa Blogeinträgen, ist inzwischen auch für die stärker integrierten Formen , , etc. bereits eine partielle Abnutzung der pragmatisch auffälligen Wirkung zu beobachten.

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la BD ou plutôt celui d’un essoufflement créatif annonciateur d’une crise ? […] Or, si l’on y réfléchit, la BD « pipeule » ne fait pas autre chose que les mangas pour les jeunes. […] Alors, a-t-on affaire là à un marketing cynique qui correspond à une mode saisonnière ? On peut avoir cette impression. Mais nous pensons, au contraire, que cette tendance va perdurer et qu’elle continuera de (bien) vivre, en dépit du mépris d’un certain nombre de bédéphiles éclairés. (Artikel vom 20.01.2005, Autor: Didier Pasamonik, , Zugriff 02.05.2009, Hervorhebungen EWF) Interessanterweise wird hier eine zum Verwendungszeitpunkt kaum etablierte Schreibung verwendet, und zwar sowohl bei der Form pipeule als auch bei dem Derivat pipeulisation. 80 Dies legt nahe, dass der Autor eine Motivationsbeziehung zwischen beiden Einheiten sieht und diese auch für den Leser nachvollziehbar machen möchte. Gleichzeitig ist eine spielerisch-expressive Intention des Autors festzustellen, die im journalistischen Schreiben und speziell für den Sachbereich Comics als charakteristisch gelten kann. Die Form, die auch im Titel des Artikels (La « pipeulisation » de la BD, une occasion ou un aveu de faiblesse?) erscheint, kann dabei gezielt die Aufmerksamkeit des Lesers erregen bzw. steigern. Die bei beiden Formen gesetzten Anführungszeichen signalisieren ferner eine gewisse Distanzierung, die einerseits auf die Neuheit der Formen bzw. der gewählten Schreibvarianten bezogen, andererseits aber auch inhaltlich begründet werden kann: Der Autor zitiert das Schlagwort der «pipeulisation», um sich mit Meinungen kritisch auseinanderzusetzen, die in der Schaffung neuer, eng an Medienstars angelehnter Comic-Helden eine zu verurteilende Marketingstrategie der Verleger sehen. (Der Autor selbst beurteilt dieses Phänomen hingegen eher als Chance, neue – junge – Leser zu gewinnen und so der Comicbranche neue Impulse zu geben, d.h. die kritische Distanz bezieht sich hier auf andere Sprecher.) Betrachtet man weitere Belege und das Gesamtbild der Verbreitung der verschiedenen Varianten der Grundform und ihrer Derivate, so erscheint bemerkenswert, dass gegenwärtig einerseits frz. , andererseits frz. , etc. als übliche Realisierungen mit weitgehend neutraler Wirkung eingestuft werden können, d.h. innerhalb der Wortfamilie handelt es sich um Formen mit sehr unterschiedlichem Integrationsgrad. Dies zeigt, dass es bei Verwendungen dieser Formen nicht unbedingt darum geht, ein einheitliches Verfahren der Lehnwortintegration anzuwenden (d.h. es lässt sich kein einheitlicher «normaler» Grad der Lehn80

In zwei Kommentaren zum zitierten Artikel wird hingegen jeweils die Schreibung verwendet, sie erscheint in den Ausdrücken «la BD people» bzw. «les bd similipeople» (Beitrag vom 25.01.2005, Autor: Fercocq Lothaire, bzw. Beitrag vom 06.02.2005, Autor: Xavier MoutonDubosc, , Zugriff 02.05.2009). Auch in einem weiteren Artikel im entsprechenden Comicmagazin, der einen Tag vor Pasamoniks Artikel veröffentlicht wurde, wird die Schreibung verwendet: «La Star Academy à Angoulême, en compagnie d’autres ‹people›. […]» (, Zugriff 02.05.2009).

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wortintegration angeben) und eine enge Verknüpfung innerhalb der Wortfamilie zu erreichen. Vielmehr machen die einzelnen Mitglieder der Wortfamilie getrennte Entwicklungen durch, in deren Verlauf sich jeweils bestimmte Varianten etablieren. Die daraus resultierende Konvention sowie ihr individueller Reflex (das entrenchment der Formen beim einzelnen Sprachbenutzer) stellen dann zentrale Faktoren dar, welche die Verwendungen der einzelnen Formen mitbeeinflussen können. Dies bestätigen auch weitere Analysen auffällig stark integrierter Formen. So werden in Bsp. (520), (521) und (522) spielerische Verfremdungen von frz. people vorgenommen, durch die eine expressive Wirkung intendiert ist; der Produzent möchte sich dadurch als kreativ und witzig darstellen (cf. insbesondere auch die deutlich expressive Schreibung in (520) und die Verfremdungen von frz. news als und engl. «imagine all the» als in (521) bzw. (522)). (520) Pipol pipol pipol… - Tom Cruise pète les plombs Oui je crois que c'est le mot... Depuis plusieurs, mois, au sein de l'actu pipolllllllllllllll on ne voit quasiment plus que lui: Tom Cruise. (Blogeintrag vom 04.06.2005, Autor: Guillaume, , Zugriff 21.05.2009, Hervorhebung im Original) (521) Bon les niouses pipole la? (in einem Internetforum gestellte Frage vom 13.09.2006, , Zugriff 18.05.2009, Hervorhebung EWF) (522) Imadgjine ol ze pipeuuuul (Kommentar vom 26.02.2007 zu einer Diskussion im Internet, bei der es um die Aussprache von frz. people geht, Autor: wicked, , Zugriff 18.05.2009, Hervorhebung EWF) In diesem Zusammenhang ist auf den generell innovationsfreudigen Charakter spezifischer Textsorten der Internetkommunikation wie etwa von Blogeinträgen und Kommentaren hierzu hinzuweisen, d.h. hier zeigt sich noch einmal die wichtige Rolle bestimmter Diskurstraditionen für die Einführung von Innovationen und ihre Adoption durch andere Sprecher. Zum einen sind entsprechende Texte in der Regel in sehr geringem Maße normativ geprägt81, zum anderen werden Abweichungen von der üblichen Ausdrucksweise (d.h. nichtkatachrestische Innovationen) hier häufig bewusst und spielerisch eingesetzt, um die Person des Textproduzenten als erfindungsreich, innovativ, witzig, kreativ etc. zu charakterisieren. Diese Einschätzung wird im folgenden Beleg bestätigt:

81

Eine gewisse Ausnahme stellen aber z.B. Blogs von Politikern dar.

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(523) – […] ah au fait pipolisation ça s'écrit pas peoplisation ou un truc du style? enfin c'est du franglais donc... [Kommentar vom 05.03.2008 zu einem Blogeintrag, Autor: JB] […] – […] @JB : People, pipole, pipeule ... tu connais la politique (mon dieu quel mot ! ) de ce blog, t'écris comme tu veux du moment que tu te crois pas sur un skyblog ;) En ce qui me concerne, le mot qui se rapproche le plus de peopeul, c'est mes copains les Popples :P ... mais y dit qui voit pas le rapport ! [Kommentar vom 05.03.2008, Autor: Stitch] (, Zugriff 18.12.2008) Eine bewusste Ausnutzung entsprechender Effekte lässt sich auch bei künstlerischen Texten feststellen. So ist in dem in (524) zitierten Liedtext von Marcel Amont eine spielerische Verfremdung von frz. people zu beobachten. Dass der Ausdruck tatsächlich eine entsprechend kommunikativ auffällige Wirkung hat, bestätigt sich auch darin, dass er als Zitat gerade in der Überschrift aufgegriffen wird (im eigentlichen Artikel selbst erscheint der Ausdruck hingegen nicht mehr, sondern dort wird der neutrale Ausdruck presse féminine verwendet): (524) "Presse pipaule, j'lève les épaules ..." comme chantait Marcel Amont Certains y vont assez fort dans la critique de la presse féminine en tapant avec véhémence et disons-le un certain extrêmisme, notamment en vidéo sur un monument du secteur des magazines. J'ai donc décidé de me faire une opinion en lisant le Elle de cette semaine. […] (Artikel vom 22.10.2007, Autor: Emilio Boronali, , Zugriff 19.05.2009, Hervorhebung im Original) Eine deutlich humoristisch geprägte Verfremdung der Aussprache von frz. people liegt auch in Bsp. (525) vor. Es handelt sich hier um eine Äußerung der Komikerin und Schauspielerin Florence Foresti in der Rolle der «Belle-maman Myriam» in der Sendung On a tout essayé von Laurent Ruquier. In dieser Rolle parodiert sie eine jüdische Schwiegermutter, und die Verwendung von Sprachspielen kann als ein wichtiges Charakteristikum ihrer Auftritte gelten (cf. die ebenfalls vorkommenden Sprachspiele «la jet-set, la jet-huit, la jet-neuf» oder «un laissez-pas-passer»). Ein zusätzlicher Beleg dafür, dass die Aussprache [pŝpŝl] tatsächlich auch von Rezipienten als komisch wahrgenommen wird, ist in einem Kommentar zur Videoaufzeichnung gegeben (siehe Bsp. (526); «mdr» bedeutet dabei «mort de rire», wobei die Verdopplung des finalen Konsonanten eine zusätzliche Steigerung ausdrückt). (525) […] parce que toute belle-mère de Laurent Ruquier que je suis moi on me ferme la porte dans les soirées [pŝpŝl] […]

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(Florence Foresti in der Rolle der «Belle-maman Myriam» in der Sendung On a tout essayé von Laurent Ruquier, , 00:25–00:29, Zugriff 18.05.2009) (526) "Les soirées popoles" mdrr (Kommentar von 2007, Autor: RestaInAscolto, , Zugriff 21.05.2009) Besonders gut erkennbar sind die spielerischen Intentionen auch bei der Verwendung von noch stärker veränderten Varianten, die nur durch eine zusätzliche Anspielung auf andere ZS-Einheiten erklärt werden können (cf. das Beispiel frz. pipoule in (527) und (528)). Dabei wird der innovative Charakter des Ausdrucks in beiden Fällen auch typographisch durch die Verwendung von Anführungszeichen angezeigt; der erste Beleg macht zudem klar, dass die Sprachbenutzer tatsächlich eine Verbindung zu frz. poule herstellen (cf. die Kommentierung dieser Form in Kap. 16.5.1). (527) En France, on a Eve Angeli, toujours prête à sortir sa science (peu) infuse et à nous faire rire quand elle veut faire sa fifille cultivée. Ailleurs dans le monde, aux USA notamment, les "poules" de la presse "pipoule" savent aussi sortir des perles; des phrases "collectors" à mettre dans l'album des citations délirantes. (Beitrag vom 30.01.2009, Autor: Team, , Zugriff 18.05.2009, Hervorhebung EWF) (528) A l'évidence, si vous cherchiez un magazine "pipoule" à compulser distraitement au fond d'une salle d'attente, durant vos interminables après-midi d'ennui, eh bien, c'est raté, vous vous êtes clairement trompé(e) d'endroit ! (aus einer Buchbeschreibung, , Zugriff 18.05.2009, Hervorhebung EWF) Allerdings können stark integrierte Formen nicht nur eine witzige Wirkung erzielen, sondern auch als unangemessen beurteilt oder aus ästhetischen Gründen abgelehnt werden (cf. Bsp. (529)). (529) En tout cas pipeule, je trouve ça vraiment laid. (Kommentar vom 26.02.2007, Autor: arsinoe, , Zugriff 18.05.2009) Insgesamt lässt sich festhalten, dass pragmatische Intentionen und spezieller, spielerisch-expressive und humoristische Intentionen für viele Verwendungen stark integrierter Varianten wesentlich sind. Darüber hinaus lassen sich die verschiedenen Varianten auch unter funktionalen Gesichtspunkten charakterisieren: Wie sind die Formen durch den Rezipienten dekodierbar, wie sind sie durch den Produzenten und den Rezipienten motivierbar? 464

Die Analysen zur Aussprache und Schreibung verschiedener Varianten in Kap. 16.5.1 und 16.5.2 haben bereits gezeigt, dass hier phonographische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Für den Erfolg einzelner Varianten ist somit auch relevant, inwiefern die dabei vorliegenden GPKs den Regeln der ZS entsprechen bzw. inwiefern unmarkierte Regeln angewandt werden. Das folgende Beispiel belegt, dass auch aus Sicht der Sprachbenutzer Unterschiede in der Dekodierbarkeit verschiedener Varianten gesehen werden: Der Produzent fügt zum angeführten Ausdruck den erläuternden Zusatz hinzu «Oui, pipeulade!». Dies kann so interpretiert werden, dass der Produzent zwar selbst die Schreibung als die angemessene beurteilt und verwendet, gleichzeitig aber davon ausgeht, dass beim Rezipienten Unsicherheiten bei der Dekodierung dieser Form auftreten können. Die erläuternd hinzugefügte Variante zeichnet sich durch einen auffällig hohen Integrationsgrad aus, d.h. ausgehend von der Schreibung kann durch Anwendung der normalen GPK-Regeln des Französischen die Aussprache [pipœlad] – und damit die betreffende lexikalische Einheit der ZS – leicht erschlossen werden. (530) […] Aujourd'hui, ça ficanasse... mais on peut se lâcher c'est sur de la peopleade (Oui, pipeulade !) Bon. […] (Beitrag vom 21.12.2007, Autorin: pocketgirl, , Zugriff 13.05.2009, Hervorhebung EWF) Ebenso sind auch morphologische Aspekte potenziell relevant für die Auswahl und Verwendung bestimmter Varianten des entlehnten Worts people und seiner Derivate. Dies zeigt sich insbesondere bei den Derivaten, bei denen Schreibvarianten wie (neben ) vorliegen, die phonographisch gesehen unnötige (wenn man von der verbreiteten Aussprache [piplŤt] ausgeht) graphische Segmente enthalten: Im Hinblick auf die Abbildung der Aussprache ist die Schreibung völlig ausreichend (auf die Problematik der nichtnativen GPK ļ [i] gehe ich hier nicht mehr näher ein). Die graphische Verdopplung von kann aber morphologisch dadurch begründet werden, dass so eine Morphemkonstanz der entlehnten Einheit people erreicht wird und diese vollständig erkennbar und vom Suffix abtrennbar bleibt. Entsprechende Überlegungen sind auch auf andere Derivate übertragbar (, , , , , ). Insgesamt lässt sich somit ein Zusammenwirken phonologisch-graphematischer und morphologischer sowie weiterer Faktoren feststellen. So versucht etwa Wooldridge, den (zeitweisen) Erfolg der Schreibung wie folgt zu erklären: «Le succès de la graphie peopolisation [festgestellt für Januar 2007, EWF] viendrait de sa prise en compte de l’étymologie, du sens et de la prononciation : a) on voit que le mot vient de people ; b) le sens du mot est mieux indiqué par peopol- ou peopl- que par pipeul-/ pipol- ; c) les prononciations en -pl- (cf. les deux premières graphies [peoplisation, peopleisation, EWF]) sont plus rares que celles en -peul-/-pol-» (Wooldridge 2006–2007).

Hier werden nochmals verschiedene der bereits diskutierten Faktoren zusammengefasst: die Orientierung an der AS, d.h. die Herstellung oder Wahrung eines Bezugs zur AS-Form, die Motivierbarkeit über andere Wörter – insbesondere engl. 465

oder frz. people 82 sowie die Funktionalität der Schreibung im Hinblick auf die Orientierung an der Aussprache (phonographischer Aspekt, zugrunde liegende GPK-Regeln). Allerdings zeichnet sich ab, dass sich auf der Grundlage entsprechender Faktoren allenfalls Entwicklungstendenzen angeben lassen; die tatsächliche Entwicklung kann aber im Einzelfall durchaus auch anders verlaufen. Dies zeigt nicht zuletzt auch die weitere Entwicklung der Form , die nach Wooldridges Kriterien eigentlich sehr erfolgreich verlaufen sollte, die aber tatsächlich aktuell im Rückgang begriffen ist. Somit lässt sich festhalten, dass die Entwicklung entlehnter Formen in der ZS, eventuell vorhandener Varianten und ihres Verhältnisses zueinander durch ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren gesteuert wird. Als potenziell relevante Faktoren lassen sich festhalten: die Anbindung an AS-Einheiten, die Anbindung an ZSEinheiten, die Orientierung an der geltenden AS-Konvention (bei entsprechenden Kenntnissen der AS), die Orientierung an der geltenden ZS-Konvention (durch die eine weitgehend neutrale Variante festgelegt werden kann, wobei der realisierte Integrationsgrad auch innerhalb einer Wortfamilie von Form zu Form unterschiedlich sein kann), Prestige (bei auffällig schwach integrierten Formen) bzw. sprachspielerische, humoristische, expressive und kreative Intentionen (insbesondere bei auffällig stark integrierten Formen), die Funktionalität der Zuordnung von Aussprache und Schreibung (Phonographie) sowie die morphologische Analysierbarkeit. Die Bedeutung und Legitimität der einzelnen Faktoren kann von einzelnen Sprachbenutzern sehr unterschiedlich bewertet werden. Dies kann abschließend noch einmal anhand des folgenden Beispiels einer metasprachlichen Diskussion gezeigt werden, in der kontroverse Standpunkte bezüglich der Aussprache von frz. people vertreten werden (diese Frage wird ausgehend von einer Randbemerkung zu einem Artikel über Britney Spears diskutiert). Die angesprochenen Argumente und Faktoren wurden bereits im Einzelnen analysiert; hier sind sie noch einmal in ihren Zusammenhang gestellt, um zu zeigen, dass die Innovationen von den Sprachbenutzern als solche wahrgenommen und problematisiert werden: Der Status der Innovationen innerhalb der ZS kann zu einem gewissen Grad als unsicher gelten, und ihre Legitimität und adäquate Realisierung werden innerhalb der Sprachgemeinschaft intensiv verhandelt – für das vorliegende Beispiel frz. people kann dabei der Beurteilungsprozess als noch nicht vollständig abgeschlossen gelten. (531) Décidément, « les people » n'ont pas fini de devenir fous. Note de Nil : on prononce le mot People « Pi-peul », pas « Pi-Pole. » Merci de ne pas répéter cette faute de prononciation stupide xD [Beitrag vom 25.02.2007 in der Rubrik L’actualité informatique et multimédia, Autor: Nicolas.G, 37407 lectures] – Pi-Pole est du franglish rentrer [sic, EWF] dans le domaine du parler commun, la véritable prononciation n'existe plus, car c'est désormais un 82

Es erscheint plausibel, Wooldridges zweiten Punkt in diesem Sinn zu interpretieren, da ansonsten nicht einsichtig erscheint, inwiefern die Bedeutung ‘Starisierung’, ‘Popularisierung der Medien’ besser oder schlechter durch eine bestimmte französische Schreibung wiedergegeben werden sollte.

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mot appartenant au franglish et plus à l'english. [Kommentar vom 25.02.2007, Autor: Jupikha] – Pour avoir vécu aux états-unis "Pi-pole" ou "pi-peul" est dépendant plus du coin où tu vis qu'autre chose, AMHA. En l'occurence, ma prononciation est entre les deux, et tourne plus vers le "pole" que le "peul", qui, LUI, me semble, pour le coup, vachement français. EN tout cas, si je devais le dire, instinctivement, je sortirai avec mon accent un truc bien plus proche de "pi-pole"... [Kommentar vom 25.02.2007, Autor: Tetedeiench] […] – Hum. Peo : pi Ple : l'est où le O ? C'est effectivement entre les deux. Mais en aucun cas Pi pôle comme pôle nord [Kommentar vom 25.02.2007 zu einem anderen Kommentar, in dem die Formulierung «Shiny happy pi-pole» erscheint, Autor: Nil Sanyas] – pipole ou pipaule si tu préfères.. Bon après c'est une question de prononciation régionale. Chez moi, auto se prononce comme otto, mais je sais que ce n'est pas le cas dans toute les régions de France.. En tout cas pipeule, je trouve ça vraiment laid. [Kommentar vom 26.02.2007, Autor: arsinoe] – Et dans le sud du Kentucky, on prononce : Pie-Poule ! loin, loiiinnnnn --->[] KFC Powaa [Kommentar vom 26.02.2007, Autor: _Fish_Leong_] (, Zugriff 18.05.2009)

16.6

Morphologische Aspekte der Entlehnung von frz. people

Zuletzt sollen nun morphologische Aspekte der Entlehnung von frz. people analysiert werden. Hierbei gehe ich auf die Zuweisung des maskulinen bzw. femininen Genus, auf die Numerusflexion sowie auf die damit zusammenhängende Koexistenz von individuativen und kollektiven Verwendungen ein.

16.6.1

Genuszuweisung

Anders als beim bereits untersuchten frz. fuel oil, das in der ZS nur mit maskulinem Genus belegt ist, finden sich für frz. people und Varianten zahlreiche Belege für maskuline und feminine Verwendungen. 83 So lassen sich etwa für die weit ver83

Im PR ist allerdings bislang nur das maskuline Genus angegeben (cf. PR s.v. people).

467

breiteten Varianten und folgende Belege gegenüberstellen (Bsp. (534) zeigt dabei, dass selbst innerhalb einzelner Texte Schwankungen in der Genuszuweisung autreten können): (532) Un people c'est une personne qui fait l'actualité au niveau médiatique. (Beitrag vom 30.08.2007 in einer Internetdiskussion zur Frage C’est quoi un People ?, Autorin: Ley [weiblich, 22 Jahre, aus Frankreich/Lille], , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (533) A l'ère du tout-people, faut-il étaler sa vie privée pour exister? – Je ne me considère pas comme une people et je n'étale pas ma vie privée. (aus einem Interview mit Rosalie von Breemen, erschienen 12.05.2009, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (534) Paris Hilton : n'est pas un pipole qui veut ! […] La pipole par excellence, c'est Paris Hilton ! (, Zugriff 23.05.2009, Hervorhebungen EWF) Um entsprechende Verwendungen zu erklären, kann eine Reihe von Faktoren angeführt werden. Dabei zeigt sich, dass einige Faktoren im Widerspruch zueinander stehen, d.h. bestimmte Faktoren sprechen für eine Zuweisung zum maskulinen, andere für eine Zuweisung zum femininen Genus. Die unterschiedlichen Realisierungen lassen sich demnach darauf zurückführen, dass jeweils bestimmten Faktoren Priorität eingeräumt wird, wobei diese Entscheidung zwischen verschiedenen Sprachbenutzern und in verschiedenen Kommunikationskontexten unterschiedlich ausfallen kann. Grundsätzlich gilt zunächst, dass in der AS die Kategorie Genus inexistent ist und somit die AS nicht die Zuweisung in der ZS beeinflusst haben kann. Hingegen scheint die Tatsache relevant, dass die Zuweisung zum maskulinen Genus als das häufigste, unmarkierte Integrationsverfahren für Entlehnungen aus dem Englischen ins Französische angesehen werden kann (Humbley 1974, 67; 2002, 116; JabáoĔski 1990, 91 und 97; cf. für das Italienische Pulcini 2002, 159) – cf. auch das Beispiel frz. fuel oil. Darüber hinaus ist mit frz. peuple N.m. ‘Volk’ eine lautlich und semantisch ähnliche – und im Übrigen auch etymologisch verwandte – ZS-Einheit gegeben, die eine entsprechende Zuweisung zusätzlich stützt. In einzelnen Textbelegen finden sich Hinweise darauf, dass aus Sicht der Sprachbenutzer hier tatsächlich ein Bezug hergestellt werden kann: 84 (535) Tout le monde a relevé, certains pour s'en offusquer, d'autres pour le déclarer insignifiant, la coloration très people de la soirée électorale. […] 84

Bei den Derivaten erscheint interessanterweise im ersten Beleg die Schreibung neben , im zweiten Beleg hingegen neben .

468

le fait marquant reste encore ce qu'il est désormais convenu de nommer peopolisation de la vie politique. […] On remarquera pourtant ce glissement qui, du peuple, nous entraîne vers le people, vers la célébrité! […] En s'anglicisant, la démocratie moderne trahit la république! (aus dem Artikel People, in: Lexique 2007/Petit abécédaire du quotidien, Autor: Pierre-Michel Simonin, , Zugriff 25.05.2009, Kursivierung im Original, Fettdruck EWF) (536) […] Jamais rassasié, le peuple se nourrit de people. […] Avec l’année 2007 qui a marqué un tournant dans la pipolisation de l’information, on pouvait croire le marché saturé. Les consommateurs de news gavés. Il n’en est rien. Le people reste une ressource inépuisable, de digestion facile. (Artikel Le virus de l'actualité people gangrène de plus en plus le web vom 19.08.2008, Autor: Régis Soubrouillard, , Zugriff 25.05.2009, Hervorhebung EWF) Daneben lassen sich mit frz. star N.f., vedette N.f., célébrité N.f. und personnalité N.f. aber auch semantisch nahe ZS-Wörter angeben (die genannten Formen können sogar als [Quasi-]Synonyme angesehen werden), die umgekehrt eine Zuweisung zum femininen Genus motivieren. Wiederum finden sich auch Textbelege, in denen eine oder mehrere der genannten Formen neben frz. people erscheinen, so dass ein entsprechender Einfluss angenommen werden kann. (537) Et vous Charlotte, êtes-vous plutôt une star, une célébrité ou une people ? Pour moi, une star se joue à l’International. Donc, j’élimine d’emblée le premier choix. People, peut être. Puisque quand on relate les potins des uns ou des autres ou les soirées des célébrités, que cela soit en Belgique ou ailleurs, nous devenons « people ». Quand on est reconnue à droite, à gauche, en rue, ou au restaurant, on est forcément une célébrité… (aus einem Interview mit Charlotte Baut, Beitrag in der Radiosendung 2007: La vie privée des stars, ausgestrahlt am 24.12.2007 um 19.45 Uhr auf RTL TVI, Textfassung von Mara UM, , Zugriff 25.05.2009, Hervorhebung im Original) (538) […] Devenir une "people" ou rester discrète ? Aux Etats-Unis, la tentation de devenir une star est très forte. Chapeautée par un redoutable gourou de la communication californien qui travaille aussi bien pour la CIA que pour des stars d'Hollywood, l'adolescente hésiterait entre deux stratégies diamétralement opposées. Devenir un "people", et écrire un livre pour en vendre les droits à Hollywood. Ou suivre l'avis de son père, en restant discrète et en s'installant près de lui, en France, pour poursuivre ses études. […] 469

(Artikel Albert de Monaco a également une fille, ohne Datumsangabe, Autoren: Thiébault Dromard/Léna Lutaud, , Zugriff 25.05.2009, Hervorhebung EWF) In Bsp. (538) zeigt sich allerdings wiederum eine schwankende Genuszuweisung innerhalb des Textes selbst – auffälligerweise sogar bei parallelen Formulierungen («devenir une "people"» vs. «devenir un "people"»). Dies bestätigt, dass auch die Anlehnung an die semantisch nahen femininen Wörter in der ZS allein nicht als entscheidender Faktor gelten kann – cf. auch die folgenden Belege, in denen trotz der Erwähnung der femininen (Quasi-)Synonyme bei frz. people maskulines Genus vorliegt: (539) Si une star de cinéma peut être un people, c’est au sens où cette star est souvent présente dans la presse people. A l’inverse, un people, n’est pas forcément une star, loin de là. (Zitat aus Virginie Spies, Télévision, presse people : Les marchands de bonheur, De Boeck 2008, zitiert in: , Zugriff 25.05.2009, Kursivierungen im Original, Fettdruck EWF) (540) Un people c'est une personne qui fait l'actualité au niveau médiatique. L'actualité people consiste à se centrer sur la vie d'une star, d'une célébrité, d'une personnalité comme Paris Hilton, Angelina Jolie, Brad Pitt, Lady Diana, Madonna, Jenifer Aniston.... (Beitrag vom 30.08.2007 in einer Internetdiskussion zur Frage C’est quoi un People ?, Autorin: Ley [weiblich, 22 Jahre, aus Frankreich/Lille], , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) Als weiterer potenziell relevanter Faktor lässt sich die Anbindung an bestimmte formale Paradigmen der ZS anführen. So finden sich für die Schreibvarianten auf und (etwa: , ) vergleichsweise sehr wenige Belege für feminine Verwendungen, d.h. die Zuweisung zum femininen Genus scheint hier aufgrund des Anklangs an maskuline Paradigmen (cf. das Suffix frz. -ol sowie frz. bol N.m., vol N.m. etc. bzw. das Suffix -eul sowie seul m., filleul N.m., aïeul N.m. etc.) teilweise blockiert zu sein. So erscheint beispielsweise in Beleg (541) trotz der unmittelbaren Nähe zu frz. célébrité N.f. das Nomen frz. pipeul als Maskulinum. (541) Une vrai [sic, EWF] célébrité, un pipeul ! […] (Beitrag in einer Internetdiskussion von Dezember 2008, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) Umgekehrt lässt sich bei Schreibvarianten auf oder eine Zuweisung zum femininen Genus motivieren (cf. das Suffix frz. -ole sowie frz. parole N.f., bagnole N.f. etc. bzw. frz. seule f., aïeule N.f. etc.), d.h. eine entsprechende Anbindung kann feminine Verwendungen stützen. Der folgende Beleg (542) zeigt, dass 470

eine entsprechende Einbindung in ZS-Paradigmen in Einzelfällen sogar dazu genutzt werden kann, innerhalb der ZS eine zusätzliche morphologische Differenzierung zu treffen – un pipol vs. une pipole –, um zwischen männlichen und weiblichen Referenten zu unterscheiden (dass hierzu neben der Genuszuweisung aber auch das morphologische Verfahren der Derivation gewählt werden kann, zeigt die Gegenüberstellung von Pipolo und Pipolette in (543)): (542) […] cette femme [Cécilia Sarkozy, EWF] est une pipole, c'est normal, elle a commencé avec un pipol, elle a séduit un politique qui s'est luimême pipolisé, puis elle est retourné [sic, EWF] au monde des pipols. (Beitrag von 2007 in einer Internetdiskussion, Autor: Kolderov, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (543) […] Et, comme la publicité est le méta spectacle de la marchandise, qui est, elle, le véritable spectacle de l'échange, la pipolisation, n'est donc que le méta spectacle de la farce politique, formidable joute, où tous les coups sont permis, sorte de free fight, dont la séparation n’est qu’un des épisodes, un moment du spectacle, plus intime, donc plus dense, du drama. Quand Pipolo et Pipolette se quittent, à la fin du spectacle, ça vous a quand même plus de gueule que quand Colombine se casse avec Arlequin, laissant choir son Pantalone en pleine conquête du pouvoir… (Kommentar vom 21.06.2007 zu einem Blogeintrag, Autor: Briscard, , Zugriff 27.12.2008, Hervorhebung EWF) Damit deutet sich schließlich ein letzter Faktor an, der für die Zuweisung des Genus von frz. people potenziell relevant ist: das natürliche Geschlecht der Referenten. Dabei kann frz. people einerseits als generischer Ausdruck zur Bezeichnung einer BERÜHMTEN PERSON MÄNNLICHEN ODER WEIBLICHEN GESCHLECHTS verwendet werden; dies gilt für viele der bisher zitierten Belege. In entsprechenden Fällen kommt in den angeführten Belegen durchweg maskulines Genus vor (cf. Belege (535), (536), (539) und (540)). Das maskuline Genus lässt sich hier (über eine defaultZuweisung, die Anbindung an frz. peuple sowie evtl. morphologische Faktoren hinaus) auch dadurch motivieren, dass der generische Ausdruck auf eine Gesamtheit von Personen referiert, zu der sowohl Männer als auch Frauen gehören können; die Wahl des maskulinen Genus stellt dabei die normale Realisierung bei einer entsprechenden Referenz auf gemischte Gruppen dar. Andererseits finden sich Verwendungen, in denen konkrete Einzelpersonen bezeichnet werden. Hier steht bei männlichen Referenten (und ebenso bei einer gemischten Gruppe von Referenten) fast ausschließlich das maskuline Genus (cf. Bsp. (542) sowie im Folgenden Bsp. (544), (545) und (546); im letzteren Fall handelt es sich um eine regelmäßige Rubrik, die wöchentlich neu ausgewertet wird). Für weibliche Referenten erscheint dagegen sehr häufig das feminine Genus (cf. Bsp. (533), (537) und (542) sowie im Folgenden Bsp. (547) und (548)).

471

(544) Il ne faut pas oublier Nicolas Sarkozy, lui aussi c'est un people ! (Beitrag vom 30.08.2007 in einer Internetdiskussion zur Frage C’est quoi un People ?, Autorin: Mana [weiblich, 22 Jahre, aus Frankreich/Lille], , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (545) Selon vous, qui est le people de l'année 2008 ? (mit einer Auswahl von zehn Antwortoptionen, darunter Männer und Frauen, , Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung EWF) (546) Quel est le people In de la semaine ? […] Quel est le people Out de la semaine ? (darunter jeweils Männer und Frauen, , Zugriff 30.12.2008, Hervorhebungen EWF) (547) Dis AD, c'est une "pipole" la fille sur la photo ? ou une star de qq chose ? tu l'as vue où ? (Beitrag in einer Internetdiskussion, Autor: MAJOR TOM, 16.12.2005, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) (548) Votre people préférée en 2008? (mit einer Auswahl von fünf Antwortoptionen, darunter ausschließlich Frauen, , Zugriff 30.12.2008, Hervorhebung EWF) Insgesamt scheint der Faktor des natürlichen Geschlechts der Referenten somit in vielen Fällen eine wichtige Rolle bei der Genuszuweisung zu spielen. Dass allerdings selbst hier vereinzelt andere Faktoren als wichtiger eingestuft werden können, zeigt die Verwendung von frz. pipole N.f. für einen männlichen Referenten («un ancien journaliste député européen et candidat malheureux») im folgenden Beispiel. (549) Dans une salle strasbourgeoise des plus ringardes*, un public de même et clairsemé (on nous montra tout de même une “pipole” : un ancien journaliste député européen et candidat malheureux, dernièrement, à Paris XII) écouta sans enthousiasme des bribes de la Symphonie fantastique, des Nuits d’été, de Roméo et Juliette, d’Harold en Italie (salut l’altiste !), de La Damnation de Faust, interprétées sans éclat … (Blogeintrag vom 17.12.2008, , Zugriff 23.05.2009, Kursivierungen im Original, Fettdruck EWF) Hieraus lässt sich abschließend folgern, dass 1. unterschiedliche Faktoren für die Genuszuweisung von frz. people und Varianten relevant sind, wobei insbesondere dem natürlichen Geschlecht der Referenten eine wichtige Rolle zukommt, 2. die Faktoren interagieren und im Widerspruch zueinander stehen können, so dass 3. unterschiedliche Lösungen gewählt werden und bislang ein einheitliches Genus von frz. people nicht normativ festgelegt ist (zumindest nicht innerhalb der Sprachgemeinschaft als ganze betrachtet).

472

16.6.2

Numerusflexion

Im Hinblick auf die Numerusflexion von frz. people und Varianten lässt sich zunächst feststellen, dass die im Folgenden behandelten Pluralisierungsverfahren sich nur auf graphische Realisierungen der Zeichenausdrücke beziehen. Bei phonischen Realisierungen erfolgt eine entsprechende Markierung nur anderweitig, insbesondere über den Artikel, cf. [lԥpipŝl] vs. [lepipŝl]. Was die graphisch realisierte Numerusflexion angeht, so stuft PR das Nomen frz. people wie auch das Adjektiv als invariabel ein. Im Internet sind aber für das Nomen sowohl Formen mit als auch ohne den Pluralmarker -s belegt: (550) Le Nouvel An des people. Les célébrités aiment à se retrouver pour réveillonner. […] (Artikel vom 01.01.2009, , Zugriff 12.01.2009, Hervorhebung EWF) (551) Quand les people jouent les créateurs de mode (Titel eines MultipleChoice-Tests vom 08.05.2009, entworfen von Claire Mabrut, , Zugriff 27.05.2009, Hervorhebung EWF) (552) Peoples – Le site des peoples (, Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) (553) Nouvelles stars du 7ème art, chroniqueurs ou pique-assiette... Les peoples TV ont envahi la Croisette ! (Überschrift eines Artikels vom 22.05.2009, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebung EWF) Auch in der folgenden metasprachlichen Äußerung, die sich eng an eine Stellungnahme des OQLF anlehnt, werden für die Schreibung beide morphologischen Varianten erwähnt – und dabei gleichermaßen kritisiert (für die integrierte Schreibvariante wird hingegen nur der regelmäßige s-Plural angeführt): (554) Le terme people est à éviter en français et peut être remplacé par vedette ou célébrité. Il en est de même de la graphie francisée pipole, utilisée en France, qui est basée sur la prononciation anglaise. Ainsi, on écrira : les vedettes ou les célébrités plutôt que les people (ou les peoples) ou les pipoles. (Beitrag in einer Internetdiskussion zum Artikel Mazarine Pingeot mère d’une petite fille, Le nouvel Observateur, 24.06.2008, Autorin: leah, , Zugriff 08.05.2009, Hervorhebung EWF)

473

Ebenso findet sich in (555) ein Beleg dafür, dass ein Sprachbenutzer über beide morphologischen Varianten verfügt; dabei wird aber gerade eine Unsicherheit bezüglich der «richtigen» Realisierung geäußert: (555) […] Enfin ... il s'adapte, travailler plus pour gagner plus, ça marche aussi pour les people (ou peoples, je ne sais pas si on met le S pour ces anglicismes !). (Blogeintrag vom 08.02.2008, Autor: moussakaonline [Sprecher französischer Nationalität, geboren 1978, lebt in Athen; cf. ], , Zugriff 27.05.2009, Hervorhebung EWF) Die Tatsache des häufigen Vorkommens von Varianz an sich (die sich teilweise auch darin widerspiegelt, dass in Sprecheräußerungen mehrere Varianten nebeneinander gestellt werden 85) sowie entsprechende metasprachliche Kommentare wie in Beleg (555) können als Indizien dafür angesehen werden, dass bestimmte Merkmale entlehnter Formen nicht unmittelbar in der Sprachkontaktsituation selbst, bei der Interpretation der aktualisierten Zeichensequenz bzw. der Schaffung des ZS-Zeichens durch den ZS-Rezipienten, festgelegt werden müssen. Vielmehr werden sie unter Umständen erst bei der aktiven Weiterverwendung des Zeichens – bei Bedarf – ad hoc spezifiziert. Hierbei können die Sprachbenutzer ggf. mehrere mögliche Optionen realisieren und nebeneinanderstellen (cf. die in Fußnote 85 zitierten Belege), um eine bessere Nachvollziehbarkeit durch den Rezipienten zu gewährleisten. In ähnlicher Weise können metasprachliche Äußerungen des obigen Typs interpretiert werden, die eine Unsicherheit bezüglich der Realisierung entsprechender Merkmale bzw. bezüglich der «richtigen» Flexionsform thematisieren: Hier wird wiederum deutlich, dass die Produzenten über mehrere morphologische Varianten verfügen; dabei erscheint plausibel, dass diese in vielen Fällen erst ad hoc als mögliche Flexionsformen generiert werden. Im Fall einer unmittelbaren Festlegung und Speicherung entsprechender morphologischer Eigenschaften wäre hingegen keine ausgeprägte Varianz, sondern eher eine unmittelbare und stabile Festlegung auf eine bestimmte Flexionsform zu erwarten. Schließlich lassen sich teilweise auch Bemühungen der ZS-Sprecher belegen, entsprechende Schwierigkeiten bzw. eine entsprechende Festlegung völlig zu umgehen und ihre Äußerungen so zu gestalten, dass etwa eine Verwendung der Pluralform des entlehnten Worts völlig vermieden wird – cf. für das bereits besprochene Beispiel des deutschen Plurals von Pizza: «Wer sich zwischen Pizzas und Pizzen nicht entscheiden mag, der kann der Pluralfrage auch ganz einfach aus dem Weg gehen. Im Restaurant sagt er dann: ‹Wir hätten gern zweimal die Pizza mit Meeresfrüchten!›» (Sick 2009).

85

Cf. Formulierungen wie «c’est sur de la peopleade (Oui, pipeulade !)» in Beleg (530) (wobei es hier primär um die Schreibvarianten, eventuell auch um korrelierende Aussprachevarianten, geht), «ah au fait pipolisation ça s'écrit pas peoplisation ou un truc du style?» in Beleg (523) und weitere ähnliche Belege.

474

Wenn nun Flexionsformen teilweise erst bei Bedarf generiert werden, so ist noch zu klären, inwiefern sich die konkret nachgewiesenen Formen aus Sicht der Sprachbenutzer herleiten lassen. Hierzu sind für frz. people zunächst semantische Aspekte zu rekapitulieren: In der AS stellt der Ausdruck people ein Kollektivum dar; dieser Ausdruck ohne formale Pluralmarkierung referiert demnach auf eine Gesamtheit von Personen. Dementsprechend können Verwendungen ohne graphische Pluralmarkierung im Französischen ausgehend von entsprechenden Sprachkontakt- und Entlehnungssituationen erklärt werden: Der AS-Ausdruck wird mit einer kollektiven Bedeutung übernommen (wobei sich wie in Kap. 16.3 erläutert eine Einengung auf BERÜHMTE LEUTE ergibt). Andererseits wurde bereits in Kap. 16.6.1 festgestellt, dass der Ausdruck in der ZS auch als Individuativum verwendet wird, um konkrete Einzelpersonen zu bezeichnen (un people, une people etc., cf. PR, der die erstere Form ebenfalls erwähnt). 86 Auf dieser Grundlage stellt sich eine ZS-Pluralisierung mit -s ebenso als naheliegendes Verfahren dar. Damit deutet sich an, dass eine ZS-Realisierung (in pluralischer Bedeutung) ohne graphische Pluralmarkierung am Nomen tendenziell einen stärkeren Bezug zur AS aufrechterhält, während eine Pluralmarkierung durch -s auf eine größere Entfernung von der AS und eine Betonung der Eigenständigkeit der ZS-Verwendung hinweist. Auffälligerweise lassen sich hier auch Korrelationen mit der Wahl bestimmter graphischer Varianten feststellen. Eine Abfrage im Internet zeigt, dass für pluralische Verwendungen der Variante , welche alle graphischen Segmente der AS-Einheit übernimmt, Realisierungen ohne -s deutlich häufiger belegt sind als Realisierungen mit -s (86,12 % vs. 13,88 %). Bei Verwendungen der graphisch stark integrierten Variante (aus der sich auch eine starke lautliche Integration ableiten lässt) hingegen kehrt sich das Verhältnis genau um; hierbei sind die Korrelationen sogar noch deutlicher (0,86 % Realisierungen ohne -s vs. 99,14 % Realisierungen mit -s; cf. Tab. 16). 87 Dies kann auch dadurch erklärt werden, dass die letztere Form aufgrund der zahlreichen Derivationen (pipolisation, pipoliser etc.) bereits stark in eine ZS-Wortfamilie eingebunden ist und von den Sprachbenutzern vor allem mit entsprechenden anderen ZS-Einheiten (und weniger mit der AS-Einheit people) assoziiert wird. Potenziell problematisch erscheint allerdings das Zahlenverhältnis für frz. pipeul – pipeuls: Da auch diese Form auf graphischer Ebene deutlich von der AS-Form abweicht und stark integriert ist, könnte eine ähnliche Verteilung wie bei frz. pipole – pipoles, d.h. eine klare Präferenz für eine Numerusmarkierung durch -s, erwartet werden. Das relativ ausgewogene Verhältnis der beiden morphologischen Varianten zeigt jedoch an, dass hier bei der Numerusflexion andere Faktoren für die Sprach86

87

Zu in der Sprachgeschichte der romanischen Sprachen immer wieder auftretenden Schwankungen zwischen kollektiven und individuativen Konzeptualisierungen im Allgemeinen cf. Ising (2009). Die Abfrage wurde am 27.05.2009 auf der Grundlage der französischen Version von google mit Beschränkung auf französischsprachige Trefferseiten durchgeführt. Die Untersuchung bezieht sich dabei auf drei häufig belegte Schreibvarianten von frz. people.

475

benutzer relevant sind. Die völlig andere Verteilung als bei frz. pipole – pipoles lässt sich zum einen dadurch erklären, dass frz. pipeul nicht in derselben Weise an die ZS-Wortfamilie eingebunden ist (cf. Kap. 16.4, in dem gezeigt wurde, dass bei den Derivaten die Schreibvarianten deutlich dominieren), d.h. es ist bei frz. von einer schwächeren Anbindung an andere ZS-Einheiten auszugehen. Gleichzeitig bleibt in der Aussprache eine etwas stärkere Anbindung an die AS-Form erhalten, da frz. [œ] in pipeul artikulatorisch und akustisch gesehen näher an engl. [ԥ] liegt als frz. [ŝ] in pipole. Somit lässt sich eine Art Mittelstellung der Form konstatieren: Die Form weist zwar auf graphischer Ebene deutliche Integrationen im Hinblick auf das ZS-System auf, behält aber lautlich einen relativ starken Bezug zur AS-Form bei und ist nur vergleichsweise schwach in den Wortschatz der ZS eingebunden. Diese Mittelstellung spiegelt sich darin wider, dass bei der Numerusflexion sowohl das eng auf die AS verweisende Verfahren (pipeulPl) als auch das reguläre ZS-Verfahren (pipeulsPl) häufig Anwendung findet. Trefferzahlen für die einzelnen Ausdrücke "les people" "des people" "les peoples" "des peoples" Gesamt

Trefferzahlen und Anteile für die Formen ohne bzw. mit -s

472.000 peoplePl 534.000 70.400 91.700 peoplesPl 1.168.100 Gesamt

"les pipole" "des pipole" "les pipoles" "des pipoles"

281 pipolePl 184 45.700 7.790 pipolesPl

Gesamt

53.955 Gesamt

"les pipeul" "des pipeul" "les pipeuls" "des pipeuls"

295 pipeulPl 103 194 262 pipeulsPl

Gesamt

854 Gesamt

Tab. 16:

1.006.000/86,12 % 162.100/13,88 % 100 % 465/0,86 % 53.490/99,14 % 100 % 398/46,60 % 456/53,40 % 100 %

Vergleich der Beleghäufigkeiten für die Nomina frz. peoplePl – peoplesPl, pipolePl – pipolesPl, pipeulPl – pipeulsPl

Was adjektivische Verwendungen angeht, so könnte zunächst erwartet werden, dass sich ein ähnliches Bild ergibt wie bei den nominalen Verwendungen der verschiedenen Varianten. Allerdings ist anzumerken, dass viele der adjektivischen Verwendungen ohnehin Nomina im Singular betreffen, cf. frz. presse people, politique people etc., d.h. bei den adjektivischen Verwendungen finden sich insgesamt sehr viele Singularformen. Um gezielt die morphologische Realisierung bei Pluralen zu vergleichen, lassen sich frz. news people(s)/pipole(s) und infos people(s)/pipole(s)

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als verbreitete Ausdrücke für eine Abfrage herausgreifen. 88 Hierbei zeichnet sich sowohl bei der schwach integrierten Schreibvariante als auch bei der stärker integrierten Schreibvariante eine klare Tendenz hin zu einer Invarianz an, d.h. auch die Variante erscheint bei adjektivischen Verwendungen in der Regel ohne Numerusmarkierung durch -s (cf. die Ergebnisse der Abfrage in Tab. 17). Trefferzahlen für die einzelnen Ausdrücke

Trefferzahlen und Anteile für die Formen ohne bzw. mit -s

"les news people" "les infos people" "les news peoples" "les infos peoples"

268.000 peoplePl 1.720 215 110 peoplesPl

Gesamt

270.045 Gesamt

"les news pipole" "les infos pipole" "les news pipoles" "les infos pipoles"

67 pipolePl 3 6 5 pipolesPl

Gesamt

81 Gesamt

Tab. 17:

269.720/99,88 % 325/0,12 % 100 % 70/86,42 % 11/13,58 % 100 %

Vergleich der Beleghäufigkeiten für die Adjektive frz. peoplePl – peoplesPl, pipolePl – pipolesPl

Schließlich ist im Hinblick auf die Realisierung des Numerus bei frz. people und Varianten noch ein weiterer Verwendungstypus in den Blick zu nehmen, der ebenfalls als ZS-Innovation gefasst werden kann: Im Französischen finden sich auch Realisierungen, bei denen der Ausdruck im Singular steht und generisch verwendet wird. Hier geht es nun also um eine Art Gattung (die der berühmten Leute) bzw. ein abstraktes Phänomen (etwa: die zunehmende Ausrichtung auf berühmte Leute, das verstärkte Interesse für berühmte Leute; das hier bezeichnete Konzept scheint dem von pipolisation bezeichneten teilweise sehr nahe, cf. die Belege (556), (557) und (558)). Konzeptuell gesehen bleibt damit eine Pluralität noch immer angedeutet, formal wird der Ausdruck jedoch als Singularform realisiert. (556) le pipole nous irrigue (Artikel Le bal des hypocrites vom 20.06.2007, Autor: Guillermo, , Zugriff 27.12.2008, Hervorhebung EWF) (557) Le pipole, c'est en effet un système de références qui envahit la masse. Les bourges, intellos et autres assimilés s'inquiètent plutôt de la 88

Die Abfrage wurde am 27.05.2009 auf der Grundlage der französischen Version von google mit Beschränkung auf französischsprachige Trefferseiten durchgeführt. Ebenfalls abgefragt wurden die Ausdrücke "les news pipeul" – "les news pipeuls", "les infos pipeul" – "les infos pipeuls"; dabei wurden aber keine exakten Treffer dieser Ausdrücke gefunden, so dass die Variante nicht in die obige Auswertung einbezogen wird.

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fascination que suscite le pipole. (Kommentar vom 20.06.2007 zum Artikel in (556), Autorin: Marie, , Zugriff 27.12.2008, Hervorhebungen EWF) (558) […] Or, plus encore que l’autonomie de la sphère publique, c’est ce lien entre amour et vérité que le « people » affaiblit considérablement. […] Ce marchandage à but médiatique est ce qui, dans le people, échappe presque nécessairement au glamour. Tous les efforts de mise en scène n’évitent pas qu’on imagine un tel dialogue. Car dans le « people » ce n’est évidemment pas ce que l’on voit qui importe : les téléspectateurs ont appris à regarder au-delà de ce qu’on leur montre. (Artikel La pipolisation de la vie privée, 20.12.2007, Autor: Michaël Foessel, , Zugriff 27.12.2008, Hervorhebungen EWF) Die unterschiedlichen Verwendungsoptionen lassen sich zusammenfassend im folgenden Textbeleg veranschaulichen (im gewählten Beispiel handelt es sich um Verwendungen der selteneren Schreibvariante in einer Internetausgabe der etablierten konservativen Zeitung Le Figaro): le pipole bezeichnet eine Einzelperson und les pipoles eine Menge von Personen; daneben wird le pipole aber auch generisch verwendet. (559) Sandrine Sarroche égratigne les «pipoles». Ancienne avocate, l'humoriste présente un spectacle cocasse, «Nos amis les pipoles», au Théâtre le Temple. […] Qui a vu Sandrine Sarroche une première fois ne l'oubliera plus. Après le succès de Je suis Ségolène au Théâtre de Dix-Heures, l'humoriste a cette fois choisi de tacler les «pipoles». […] Enfin, la demoiselle se lance dans l'énumération des règles essentielles qui permettent de devenir le parfait pipole des années 2000. […] Car il y a des paramètres évidents pour faire la couverture des tabloïds : la beauté - le pipole n'est pas laid -, la jeunesse - le pipole n'est pas ridé -, les formes - le pipole n'est pas gros -, etc. Avis aux candidats ! Il y a aussi des modèles. Regardez, recommande Sandrine Sarroche, les Carla Bruni, Paris Hilton, Vanessa Paradis et autres Madonna. Côté masculin, Johnny Hallyday, Michael Jackson, Dick Rivers ou Christophe Willem. […] (Artikel vom 24.03.2009, Autorin: Nathalie Simon, , Zugriff 23.05.2009, Hervorhebungen EWF) Der Ausdruck erscheint zunächst im Titel des entsprechenden Artikels, was auf dessen auffällige Wirkung hinweist, die hier gezielt eingesetzt wird, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken oder zu steigern. Gleichzeitig ist der Ausdruck durch Anführungszeichen typographisch gekennzeichnet; dies kann dadurch motiviert werden, dass sich die Autorin des Artikels (und die Zeitung insgesamt) zu

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einem gewissen Grad von dem noch unüblichen Ausdruck distanziert: Da der Ausdruck bei konservativen Lesern eine Ablehnung auslösen kann (aufgrund der starken Lehnwortintegration und Abweichung gegenüber der «korrekten» AS-Realisierung, die als Zeichen mangelnder Bildung interpretiert werden kann, oder aufgrund einer generell ablehnenden Haltung gegenüber Entlehnungen oder Neologismen überhaupt), wird er zunächst wie ein fremdes Zitat eingeführt. Dies gilt auch für die erste Verwendung im Text des Artikels selbst, wo der Ausdruck im Titel einer Aufführung Nos amis les pipoles erscheint. Auch bei der darauf folgenden Verwendung finden sich noch Anführungszeichen, und auch hier kann der Ausdruck als Zitat der Ausdrucksweise der Komikerin interpretiert werden («l'humoriste a cette fois choisi de tacler les ‹pipoles›»). Interessanterweise finden sich dann aber bei den weiteren Verwendungen keine Anführungszeichen mehr. Dies kann dadurch erklärt werden, dass der neue Ausdruck nun innerhalb des Artikels eingeführt ist und weitere Hervorhebungen den Lesefluss eher behindert würden oder als unschön angesehen werden könnten – dies gilt insbesondere für den Parallelismus, cf. die alternative Realisierungsmöglichkeit: «la beauté – le ‹pipole› n’est pas laid –, la jeunesse – le ‹pipole› n’est pas ridé –, les formes – le ‹pipole› n’est pas gros –, etc.». Die zuletzt angeführte Liste von möglichen Modellen macht deutlich, dass der Ausdruck sowohl männliche als auch weibliche Referenten bezeichnet.

16.7

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Entlehnung von engl. people ins Französische und die sich daran anschließenden Entwicklungen in der ZS sowohl im Vergleich zu traditionellen Beispielen der Entlehnungsforschung als auch im Vergleich zu den anderen hier analysierten Beispielen sehr junge Entwicklungen darstellen. Hierdurch ergeben sich Unterschiede bei der Durchführung entsprechender Untersuchungen wie auch bei den Untersuchungsergebnissen. Methodologisch gesehen besteht der Hauptunterschied in den zur Verfügung stehenden Datenquellen. Da die Entlehnung in linguistischen und lexikographischen Arbeiten bisher kaum thematisiert ist, stützen sich die vorliegenden Analysen weitestgehend auf Internetquellen. Als wichtiger Vorteil des Internet als Datenquelle erweist sich dabei die einfache Verfügbarkeit einer sehr großen Zahl von Verwendungsbelegen. Zudem sind die Belege in authentischen Äußerungen der Sprachbenutzer situiert, d.h. die Rahmenbedingungen der Kommunikation sind in der Regel ebenfalls teilweise bekannt. In vielen Fällen erlauben die Datenquellen sogar Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale der Produzenten und – etwa bei Stellungnahmen zu fremden Beiträgen in Diskussionsforen – der Rezipienten (z.B. Alter, Geschlecht, Sprachenkenntnisse, Wohnort etc.). Weiterhin kann das Internet – bzw. spezieller, bestimmte an das Internet gebundene Textsorten wie Blogeinträge und Kommentare zu fremden Beiträgen sowie damit verbundene Diskurstraditionen – generell als innovationsfreundlich eingestuft werden: Vielfach geht es aus Sicht der Produzenten darum, die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu wecken oder zu steigern und sich selbst als kreativ und witzig 479

darzustellen; hierzu werden insbesondere auch auffällige sprachliche Mittel verwendet, zu denen Innovationen auf lexikalischer Ebene (Entlehnungen, Wortbildungen, auch auf der Grundlage entlehnter Wörter) sowie auf niedrigeren Ebenen (insbesondere innovatorische Verfremdungen der Schreibung) gerechnet werden können. Gleichzeitig liegt im Internet – gerade auch im Vergleich zu traditionellen Quellen der Entlehnungsforschung wie Standardwörterbüchern – ein relativ geringer Normierungsgrad vor. 89 Insgesamt bietet sich dadurch ein Einblick in das tatsächliche sprachliche Handeln der Sprachbenutzer und insbesondere in das tatsächliche Ausmaß von Varianz in der Phase der Verbreitung von Innovationen. Allerdings haben sich auch einige potenzielle Probleme gezeigt. Grundsätzlich ist festzustellen, dass bei Auswertungen des Internet als Corpus vor allem relativ junge Belege erfasst werden können, da das Internet selbst ein noch junges Medium darstellt. Da aber inzwischen zunehmend auch ältere Texte digitalisiert und im Internet verfügbar gemacht werden, ergeben sich auch Möglichkeiten für Analysen älterer Quellen. Für die vorliegende Untersuchung von frz. people gilt zudem ohnehin, dass es sich um so junge Entwicklungen handelt, dass die vorhandene diachrone Tiefe des Internet gut ausreicht. Gleichzeitig sind die analysierten Entwicklungen selbst noch nicht abgeschlossen, so dass auch die Analysen kein abgeschlossenes Bild liefern können. Ebenso kann eine Vollständigkeit der Untersuchung aufgrund der extrem hohen Belegzahlen im Internet (etwa für frz. people) sowie aufgrund der Instabilität des Corpus (es kommen ständig neue Internetseiten hinzu, vorhandene werden gelöscht) nicht gewährleistet werden. Im Hinblick auf die Datierbarkeit der Belege besteht ferner das Problem, dass programmgestützte Suchen nach Belegen aus bestimmten Zeitabschnitten nur eingeschränkt möglich sind. Programme wie WebCorp und Suchmaschinen wie AltaVista stellen wichtige Suchfunktionen bereit; aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Datierungsnorm für Internetseiten unterliegen die erzielbaren Ergebnisse dennoch gewissen Einschränkungen. Andererseits hat sich bei den konkreten Analysen der Belegstellen gezeigt, dass eine manuelle Durchsicht der Dokumente in vielen Fällen doch eine Datierung erlaubt, in einigen Fällen sogar eine sehr präzise (Tag, Monat, Jahr und sogar Uhrzeit von Einträgen in Blogs, Diskussionsforen etc.). Was die durchgeführten Analysen angeht, so haben sich die in der vorliegenden Arbeit entwickelten Konformitätskriterien als gut geeignet erwiesen, um die unterschiedlichen Schreib- und Aussprachevarianten von frz. people und seinen Derivaten genau zu charakterisieren und gegenüberzustellen. Zur Herleitung der verschiedenen Formen hat sich sodann die Anwendung des vorgestellten semiotischen Modells als hilfreich erwiesen: Für bestimmte Varianten (etwa frz. people gegen89

Hieraus ergibt sich allerdings auch, dass vergleichsweise viele «fehlerhafte» Äußerungen belegt sind, die z.B. Verstöße gegen die grammatischen Regeln der Sprachen enthalten (etwa Verwechslungen von französischem Infinitiv, participe passé und Verbform der 2. Person Plural, z.B. , etc.). Grundsätzlich erweist sich eine scharfe Abgrenzung von «Fehlern» und Innovationen jedoch als schwierig; Schreibungen wie frz. stellen zunächst einfach Abweichungen von einer anderen, verbreiteten Schreibung dar, die sowohl okkasionelle Performanz«fehler» als auch Innovationen darstellen können, aus denen sich ein dauerhafter Sprachwandel ergeben kann.

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über pipole, pipeul) lässt sich auf eine Entlehnung ausgehend von einem medial graphischen bzw. phonischen Sprachkontakt schließen, wobei die realisierten Integrationen durch die Anwendung bestimmter ZS-Wissensbestände beim Rezipienten (insbesondere GPK-Regeln der ZS) zu erklären sind (etwa: Herleitung der ZSSchreibung ausgehend von der Aussprache [pipŝl] auf der Grundlage der Regeln [p] ļ

, [i] ļ , [ŝ] ļ , [l] ļ , [-] ļ ). Ebenso hat sich das semiotische Modell als grundlegend für die Erklärung der eintretenden Bedeutungsveränderung (engl. people LEUTE ĺ frz. people BERÜHMTE LEUTE) erwiesen; als zentrale Scharnierstellen können dabei die in der konkreten Kommunikationssituation des Sprachkontakts aktualisierten Einheiten – die aktualisierte Zeichensequenz und der kommunikative Referent – gelten. In der Kommunikation bestehen hier gewisse Spielräume, so dass Produzent und Rezipient den Referenten unterschiedlich konzeptualisieren können, ohne dass sich Probleme für das Gelingen der Kommunikation ergeben. Die skizzierte Modellierung scheint über den Bereich der Entlehnung hinaus auch auf andere Sprachwandelphänomene anwendbar. Als ein wichtiges Ergebnis der Fallstudie kann ferner die große Bedeutung von Varianz festgehalten werden, die bei Innovationen im Kontext von frz. people auftritt. Neben der Aussprache und Schreibung betrifft dies insbesondere auch die morphologischen Eigenschaften der ZS-Formen, d.h. einerseits die Frage der Genuszuweisung und andererseits die Frage der Numerusflexion. Die in der vorliegenden Arbeit immer wieder eingeforderte konsequente Ausrichtung auf die Sprachbenutzer scheint zentral, um einerseits die Varianz innerhalb der Sprachgemeinschaft zu erklären und andererseits Verwendungen der unterschiedlichen Varianten bei einzelnen Sprachbenutzern zu motivieren. Zur Herleitung der Formen ist in vielen Fällen ein Zusammenwirken verschiedener Erklärungsfaktoren anzunehmen, die im Widerspruch zueinander stehen können. Das Nebeneinander konkurrierender Formen zeigt zudem die große Komplexität der Entwicklungen. Ebenso wurde ein ausgeprägtes metasprachliches Bewusstsein bzw. eine intensive metasprachliche Auseinandersetzung mit den untersuchten Innovationen festgestellt. Es hat sich gezeigt, dass sowohl die generelle Neuheit der Innovation als auch ihre formale Nichtkonformität im Hinblick auf die ZS bestimmte pragmatische Effekte auslösen können, die gezielt in der Kommunikation eingesetzt werden, aber auch zu einer Ablehnung der Formen führen können. Ein weiterer wichtiger Faktor, der für die Verwendung und Bewertung der ZS-Innovationen eine Rolle spielt, ist darüber hinaus in deren Verhältnis zu AS-Formen zu sehen. Ferner hat sich gezeigt, dass eine Betrachtung der Entlehnung im Kontext von Sprachwandel (entsprechend der zweiten wesentlichen Forderung der vorliegenden Arbeit) sehr ergiebig ist, insofern als sich bei frz. people etc. klare Entwicklungsprozesse beobachten lassen, die bereits zu Sprachwandel geführt haben oder aber potenziell Sprachwandel bewirken können. Die Tatsache, dass Sprachwandel hier in seinem Verlauf selbst beobachtet wird, impliziert allerdings auch, dass viele der Entwicklungen im Umfeld von frz. people als noch nicht abgeschlossen gelten können, d.h. es hat sich teilweise noch keine (neue) sprachliche Norm etabliert. Umgekehrt kann aber in der Unabgeschlossenheit und Dynamik der Entwicklungen gerade auch ein sehr großes Potenzial für linguistische Untersuchungen gesehen 481

werden. Insgesamt sind die Daten durch eine sehr große Varianz und Produktivität gekennzeichnet: Auf der Grundlage der entlehnten Einheit frz. people findet in der ZS eine Vielzahl an weiteren Entwicklungen statt, wobei sowohl semantische Innovationen als auch die Einführung neuer Schreib- und Aussprachevarianten sowie schließlich morphologische Innovationen in den Bereichen der Flexion und der Wortbildung vorkommen. Der gesamte aktuell hier stattfindende Sprachwandel stellt sich damit als ein sehr vielschichtiger und teilweise widersprüchlicher Prozess dar (cf. u.a. das schwankende Verhältnis verschiedener Schreibvarianten von frz. pipolisation in unterschiedlichen Zeitabschnitten). Somit bietet sich hier ein Einblick in Sprache in ihrem Entstehen, und es kann eine ausgeprägte Ausschöpfung der sprachlichen Kreativität durch die Sprachbenutzer festgestellt werden. Als Fazit lässt sich festhalten, dass Untersuchungen so junger Entwicklungen wie der vorliegenden auf der Grundlage des Internet als Corpus methodologisch gesehen gewisse Zugeständnisse im Hinblick auf die Abgeschlossenheit und Vollständigkeit der Untersuchungen erfordern. Dieser potenzielle Nachteil wird aber durch den zentralen Vorteil aufgewogen, dass sich ein authentischer Blick auf Sprachwandel in seinem Entstehen zeigt. Durch Auswertungen von Belegen im jeweils erschließbaren Äußerungskontext sollte der Versuch unternommen werden, unter Bezugnahme auf die Sprachbenutzer und ihre Innovationen im Diskurs neue Ansätze für die Entlehnungsforschung und Sprachwandelforschung aufzuzeigen.

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Synthese

Die verschiedenen Einzelergebnisse der begrifflichen und theoretischen Überlegungen sowie der durchgeführten empirischen Untersuchungen habe ich bereits am Ende der jeweiligen Kapitel zusammengefasst. An dieser Stelle soll nun eine übergreifende Synthese vorgenommen werden, in der die Ergebnisse der empirischen Analysen im Hinblick auf ihre theoretischen Implikationen ausgeleuchtet und grundlegende Charakteristika von Entlehnungsprozessen herausgestellt werden, die auf weiterführende Fragestellungen verweisen. Die allgemeine Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bestand darin, ein Instrumentarium zur Beschreibung und Erklärung von Phänomenen der Entlehnung und Lehnwortintegration zu erarbeiten, welches von der Ebene der Sprachbenutzer und der konkreten kommunikativen Verwendungen her konzipiert ist. Hierzu habe ich zunächst eine Reihe von begrifflichen Klärungen vorgenommen. Durch die Gegenüberstellung von drei grundlegenden Betrachtungsweisen der sprachlichen Fremdheit konnte aufgezeigt werden, wie sich verschiedene Phänomene im Umfeld von Entlehnungsprozessen präziser fassen und wechselseitig voneinander abgrenzen lassen. Gleichzeitig wurde dadurch deutlich, welche unterschiedlichen methodischen Zugriffe möglich und in der Forschung etabliert sind. Im Hinblick auf die formale Beschreibung entlehnter Wörter habe ich zwei Kriterien der Konformität vorgeschlagen, die auf die einzelnen Merkmale der Wörter angewandt werden können und so eine genaue Analyse der Formen ermöglichen. Der sich daran anschließende theoretische Teil der Arbeit war darauf ausgerichtet, die Betrachtung von Entlehnungen in eine umfassende Betrachtung von Phänomenen sprachlichen Wandels zu integrieren. Hierbei bin ich von den Sprachwandelmodellen Kellers und Crofts ausgegangen. Ergänzend wurden die Rasterklassifikation lexikalischer Innovationen und Coserius Überlegungen zu Sprachwandel erörtert, wobei sich insbesondere Coserius Unterscheidung von drei Ebenen des Sprachlichen als zentral erwiesen hat. Auf dieser Grundlage habe ich ein umfassendes Schema vorgestellt, das zur Beschreibung und Erklärung von Sprachwandelprozessen herangezogen werden kann. Darüber hinaus wurden Überlegungen zur semiotischen Modellierung der einzelnen relevanten Kommunikationsakte angestellt. Als Ergebnis lässt sich ein Modell festhalten, das Produzent und Rezipient und ihre jeweiligen Wissensbestände einerseits sowie die in der Kommunikation aktualisierten semiotischen Einheiten andererseits einbezieht. Des Weiteren habe ich für eine pragmatisch fundierte Unterscheidung von zwei grundlegenden Typen von Innovationen (katachrestische vs. nichtkatachrestische Innovationen) argumentiert. 483

Das begriffliche und theoretische Instrumentarium wurde dann anhand von Fallstudien zu aktuellen Entlehnungsprozessen zwischen dem Englischen und Französischen bzw. dem Italienischen und Französischen angewandt und überprüft. Im Sinne der Ausrichtung auf die Sprachbenutzer wurde der Schwerpunkt darauf gelegt, einzelne Entlehnungsphänomene möglichst genau und umfassend nachzuzeichnen. Aus den empirischen Analysen lässt sich dabei eine Reihe neuer Erkenntnisse über Entlehnung und Lehnwortintegration gewinnen. So wurden verschiedene Formen der Divergenz festgestellt, die bei Entlehnungsprozessen zwischen der AS-Form und der ZS-Form auftreten können. So hat sich zunächst eine Divergenz durch Reduktion der Bedeutungen des AS-Worts im Entlehnungsprozess als zentral erwiesen. Aus semiotischen Überlegungen heraus habe ich dafür argumentiert, die Reduktion von AS-Mehrdeutigkeit als Grundprinzip der Entlehnung anzusehen, da es in einer einzelnen Entlehnungssituation prinzipiell nur um eine der Bedeutungen des AS-Ausdrucks – die in der Sprachkontaktsituation aktualisierte Bedeutung – geht. Vergegenwärtigt man sich den typischen Ablauf von Entlehnungsprozessen – ein Sprecher (Produzent) führt ein Wort, das ihm innerhalb eines fremdsprachlichen Texts begegnet ist, in seine eigene Sprache ein –, so erscheint naheliegend, dass im Regelfall keine Bedeutungsveränderung bei der Entlehnung zu erwarten ist, sondern der Produzent das betreffende Wort in der Bedeutung in die ZS übernimmt, die es auch in dem AS-Text hatte. In Widerspruch zu dieser Annahme stehen jedoch mehr oder weniger auffällige Abweichungen zwischen den Bedeutungen entlehnter Einheiten in AS und ZS wie etwa bei it. grappa – frz. grappa (‘Tresterbrand’ – ‘italienischer Tresterbrand’), engl. fuel – frz. fuel (‘Heizmaterial, Kraftstoff’ – ‘Heizöl’) und engl. people – frz. people (‘Leute’ – ‘berühmte Leute’). Die Analyse des Beispiels frz. fuel hat gezeigt, dass entsprechende Divergenzen durch spätere Entwicklungen in der ZS (oder auch in der AS) bedingt sein können (im vorliegenden Fall kann eine Entlehnung ohne Bedeutungsveränderung engl. fuel oil ‘Heizöl’ ĺ frz. fuel oil ‘Heizöl’ und eine spätere Ellipse in der ZS frz. fuel oil ‘Heizöl’ ĺ frz. fuel ‘Heizöl’ angenommen werden). Alternativ kann aber auch ein Bedeutungswandel bei der Entlehnung vorliegen (engl. fuel ‘Heizmaterial, Kraftstoff’ ĺ frz. fuel ‘Heizöl’), und auch bei den anderen genannten Beispielen ist von einer Bedeutungsveränderung bei der Entlehnung selbst auszugehen. Auffällig erscheint die festgestellte Dominanz von Spezialisierungen, d.h. die ZS-Bedeutungen stehen sehr häufig in einem Verhältnis der taxonomischen Subordination zu den AS-Bedeutungen. Im Rahmen der semiotischen Modellierung der einzelnen Entlehnungen bzw. Sprachkontaktsituationen konnte aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen entsprechende Wandelphänomene erklärbar sind, ohne dass der Erfolg der Kommunikation gefährdet wird; als wesentlich hierfür hat sich die Möglichkeit erwiesen, dass bei Produzent und Rezipient ein unterschiedlicher konzeptueller Zugriff auf den kommunikativen Referenten vorliegt. Dieses Merkmal lässt sich ebenso auf bestimmte Typen der Metonymie, eine ebenfalls bei Entlehnungen belegte Form der Bedeutungsverschiebung, übertragen. Weiterhin können unmittelbar bei der Entlehnung auftretende Divergenzen die formalen Merkmale entlehnter Wörter betreffen. Hierbei ist vor allem der Bereich der Lehnwortintegration tangiert, der durch eine Reihe von Beispielen illustriert 484

wurde (dabei geht es also primär um Kontaktintegrationen, während ZS-interne Integrationen zu den Divergenzen aufgrund späterer Entwicklungen in der ZS gerechnet werden können). Als noch ein grundlegend anderer Typ der Divergenz stellen sich schließlich echte Scheinentlehnungen bzw. Allogenismen dar, bei denen Sprecher der ZS auf der Grundlage von AS-Sprachmaterial in der ZS innovieren: Hier ist keine direkte Kontaktsituation mit einem AS-Ausgangswort der Innovation gegeben. Insgesamt lassen sich damit die folgenden Typen von Divergenzen gegenüberstellen, die sich in ihrer Entstehung grundlegend unterscheiden: 1. Reduktion von AS-Mehrdeutigkeit 2. Wandel in der AS und/oder ZS nach der Entlehnung (u.a. ZS-interne Integration, späterer semantischer Wandel) 3. semantischer Wandel bei der Entlehnung selbst 4. formaler Wandel/Kontaktintegration 5. Allogenismus Eine wichtige Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bestand sodann in der Klärung der theoretischen und speziell der semiotischen Grundlagen der Modellierung von Wandelphänomenen im Kontext von Entlehnungen. Hierzu wurde in Kap. 11.1 ein Modell der sprachlichen Kommunikation vorgestellt, das verschiedene Entitäten berücksichtigt, die in konkreten Kommunikationssituationen semiotisch relevant sind (produzentenseitige und rezipientenseitige Entitäten sowie die aktualisierten Entitäten, welche eine Scharnierfunktion einnehmen). Auf der Grundlage der durchgeführten Fallstudien lässt sich dieses Modell nun für Sprachkontaktsituationen bei ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen weiter präzisieren, indem bestimmte Schritte im Sinne einer logischen Abfolge angegeben werden (Abb. 44). 1 Den Ausgangs- und Referenzpunkt für sprachvergleichende Betrachtungen bildet zunächst das AS-Zeichen, das als virtuelle Entität bei einem Produzenten der AS vorliegt. Dieses wird in einer Sprachkontaktsituation, d.h. in der Kommunikation mit einem ZS-Rezipienten, als phonische und/oder graphische Zeichensequenz aktualisiert. Inhaltsseitig nimmt der Produzent dabei eine bestimmte Konzeptualisierung des kommunikativen Referenten vor und wählt das geeignete AS-Zeichen mit dem entsprechenden Zeicheninhalt aus. Auf der Grundlage der aktualisierten Zeichensequenz sowie des kommunikativen Referenten erschließt der ZS-Rezipient dann ein ZS-Zeichen, wobei es zu Abweichungen gegenüber dem AS-Zeichen – in der Ab1

Im Fall von AS-produzenteninduzierten Entlehnungen fallen Sprachkontakt und Entlehnung im Sinne der ersten Verwendung des Lehnworts in der ZS zusammen. Daher könnte hier schon auf Stufe I ein ZS-Zeichen angesetzt werden (das beim Produzenten vorliegt bzw. von ihm unmittelbar geschaffen oder zumindest vorgeschlagen wird). Die dargestellte Kommunikationssituation erfasst aber auch in diesem Fall den erstmaligen Kontakt eines ZS-Rezipienten mit der betrachteten Form, so dass auch hier bestimmte Uminterpretationen möglich sind.

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grenzung der Wortform selbst (cf. Agglutinationen und Deglutinationen), in der Festlegung der ZS-Aussprache und -Schreibung sowie im Hinblick auf morphologische Merkmale – kommen kann. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass der Rezipient eine kommunikativ mögliche, aber von derjenigen des Produzenten abweichende Konzeptualisierung des Referenten vornimmt (insbesondere durch Zugriff auf eine niedrigere Abstraktionsebene; hieraus ergibt sich ein ZS-Zeicheninhalt, der zum ASZeicheninhalt in einem Verhältnis der taxonomischen Subordination steht). 2 Insgesamt stellt das auf diese Weise hergeleitete ZS-Zeichen die Grundlage für weitere kommunikative Verwendungen durch den Rezipienten – nun in der Rolle eines Produzenten – dar.

I AS-Zeichen Morphologische Eigenschaften Produzent (AS)

ZA Lautung Schreibung | | II phonische und/oder graphische Zeichensequenz | | IIIa IIIb Lautung Schreibung ZA

ZI



| kommunikativer Referent |

ZI —

Rezipient (ZS)

Konzept

Konzept

IIIc/IV Morphologische Eigenschaften III ZS-Zeichen

Abb. 44:

Semiotische Modellierung des Sprachkontakts bei ZS-rezipienteninduzierten Entlehnungen

Neben den genannten allgemeinen Schritten bei Sprachkontakt und Entlehnung können für einige auftretende Lehnwortintegrationen weitere Schritte differenziert werden. 3 Hier ist zunächst auf Fälle von sog. ear loans und eye loans zu verweisen; im ersteren Fall wird die ZS-Schreibung auf der Grundlage der ZS-Lautung abgeleitet (IIIb ĺ IIIa, z.B. frz. [fjul] ψ ), im letzteren Fall ist der Ablauf genau umgekehrt (IIIa ĺ IIIb, z.B. frz. ψ [fŮŤl]).

2

3

Die skizzierten Überlegungen scheinen grundsätzlich auch auf andere Sprachwandelprozesse übertragbar (etwa hörer- oder rezipienteninduzierte Typen der innersprachlichen Bedeutungsinnovation/Reanalyse, Agglutinationen und Deglutinationen). Es handelt sich wiederum um Schritte im Sinne einer logischen Abfolge. Die Frage, inwiefern sich diese Abfolge etwa auch in der kognitiven Verarbeitung der sprachlichen Einheiten bei den Sprachbenutzern widerspiegelt, muss an dieser Stelle offen gelassen werden.

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Für den Bereich der Morphologie lässt sich feststellen, dass bestimmte Veränderungen wie Agglutinationen oder Deglutinationen bereits unmittelbar in der Sprachkontaktsituation selbst bzw. im Übergang von II zu III erfolgen müssen, wenn diese einen AS-Äußerungskontext voraussetzen. Bestimmte morphologische Zuweisungen, etwa des Genus oder einer Flexionsklasse, werden hingegen erst bei den späteren Verwendungen des ZS-Zeichens in der ZS erforderlich, können also einem späteren Stadium (IIIc bzw. IV) der Verwendung des ZS-Zeichens zugeschrieben werden. Es haben sich verschiedene Indizien dafür ergeben, dass entsprechende morphologische Merkmale nicht unmittelbar bei der Erschließung bzw. Schaffung des ZS-Zeichens durch den ZS-Rezipienten festgelegt werden müssen, sondern unter Umständen erst bei der aktiven Weiterverwendung des Zeichens – bei Bedarf – ad hoc spezifiziert werden: das häufige Auftreten von Varianz an sich, metasprachliche Äußerungen einer Unsicherheit bezüglich der «richtigen» Realisierung sowie Versuche, entsprechende problematische Realisierungen durch lexikalische Strategien zu umgehen. Über den Bereich der Morphologie hinaus können ähnliche Beobachtungen auch für die Aussprache oder Schreibung sowie für die Semantik gemacht werden. Für den Bereich der Semantik wurde bereits gezeigt, inwiefern die Kommunikationsteilnehmer generell über gewisse Spielräume beim Zugriff auf den kommunikativen Referenten verfügen; dies kann sich auch darin niederschlagen, dass beim Rezipienten eine Unsicherheit bezüglich der genauen Bedeutung des fremden Zeichens besteht. Ebenso lassen sich metasprachliche Äußerungen über eine Unsicherheit bezüglich der «richtigen» Aussprache eines entlehnten Worts dahingehend interpretieren, dass der Produzent das Zeichen nur in einer medial graphischen Realisierung kennengelernt hat und sich das «Problem» der «richtigen» Aussprache erst zu einem späteren Zeitpunkt bei der Weiterverwendung des Ausdrucks stellt. (Analog kann das Zeichen auch zunächst nur in medial phonischer Kommunikation übernommen werden, so dass sich zu einem späteren Zeitpunkt das «Problem» der «richtigen» Schreibung stellt.) Für entsprechende Fälle von Entlehnungen kann daher angenommen werden, dass das ZS-Zeichen zunächst in einer unterspezifizierten Form vorliegt. Abschließend ist noch unter semiotischen Gesichtspunkten festzuhalten, dass sowohl die theoretischen Überlegungen als auch die im Rahmen der Fallstudien durchgeführten Analysen immer wieder gezeigt haben, dass den Rezipienten – und zwar nicht nur Hörern, sondern bei aktuellen Entlehnungen gerade auch Lesern – eine zentrale Rolle bei der Modellierung von Prozessen der Entlehnung und Lehnwortintegration zukommt: So gehen viele Wandelphänomene auf rezipienteninduzierte Innovationen – Reanalysen bzw. Analysen – zurück, d.h. eine (etwa morphologische oder semantische) Uminterpretation der aktualisierten Zeichensequenz durch den Rezipienten steht am Anfang der Wandelprozesse. Darüber hinaus hat sich immer wieder gezeigt, dass auch für die Erklärung von produzenteninduzierten Innovationen die Berücksichtigung des Rezipienten eine zentrale Rolle spielt, insofern als der Produzent seine Äußerung immer auch im Hinblick auf den (intendierten) Rezipienten gestaltet (cf. das grundlegende Kriterium der Nachvollziehbarkeit einer Innovation durch den Rezipienten).

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Wie lässt sich die Stellung entlehnter Formen in der ZS aus der Perspektive der Sprachbenutzer charakterisieren? Wesentlich hierfür erscheinen generell synchronische Kriterien, da diachronische Kriterien bereits linguistische Analysen voraussetzen. Zunächst lässt sich feststellen, dass – synchronisch gesehen – vielen entlehnten Formen eine auffällige Wirkung zugeschrieben werden kann: Die Formen sind als markiert anzusehen und können bei ihrer Verwendung zusätzliche pragmatische Effekte auslösen. Hierbei wurden zwei wesentliche Quellen für entsprechende Effekte benannt: Einerseits die Neuheit entlehnter Ausdrücke im Vergleich zu bereits vorhandenen, alternativen ZS-Bezeichnungen für das betreffende Konzept, die im Fall nichtkatachrestischer Innovationen besteht, und andererseits das Vorliegen von formalen Fremdheitsmerkmalen (etwa fremden Phonemen oder Graphemen); beide Optionen können auch kombiniert auftreten. Für entsprechende Formen kann daher ein in gewisser Hinsicht marginaler Status innerhalb der ZS angenommen werden. Ebenso wurde festgestellt, dass Entlehnungen häufig zunächst in bestimmten Fachbereichen und Diskurstraditionen stattfinden und auch in einer frühen Phase ihrer Verbreitung in der ZS noch auf entsprechende Bereiche beschränkt sein können. Hieraus ergibt sich, dass entsprechende Formen nicht unbedingt jedem Sprecher der ZS geläufig sind und nicht von allen Sprechern regelmäßig aktiv verwendet werden. Bei der Verwendung entsprechender Formen in der ZS muss der Produzent also unter Umständen davon ausgehen, dass sie dem Rezipienten noch nicht bekannt sind; auch hier kann also ein Sonderstatus der entlehnten Formen gesehen werden. In zahlreichen Fällen werden aber bei der Entlehnung oder im Verlauf der Verbreitung in der ZS formale Veränderungen vorgenommen, durch welche die Fremdheitsmerkmale der AS-Wörter vollständig abgebaut werden können, so dass keine formale Fremdheit mehr erkennbar ist (cf. frz. pipole [pipŝl], frz. fioul [fjul], frz. fuel [fŮŤl]). Ebenso können entlehnte Wörter, insbesondere bei Sprachkontakt zwischen verwandten Sprachen, aufgrund von Übereinstimmungen in den Sprachsystemen der AS und ZS von Beginn an keinerlei formale Fremdheitsmerkmale aufweisen (z.B. it. tango ['taƾgo]). Was die pragmatische Auffälligkeit von nichtkatachrestischen Innovationen und formal markierten Formen angeht, so ist ferner von einer relativ schnellen Abnutzung auszugehen, wenn die Formen häufig verwendet werden. Nach Keller kann hier ein typischer Effekt der unsichtbaren Hand gesehen werden: Je häufiger die Sprecher der ZS die entsprechenden Formen – gerade wegen ihrer pragmatischen Wirkung – verwenden, umso schneller nutzen sich entsprechende Effekte ab. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass inzwischen neue, auffällige Varianten wie frz. [pŝpŝl] geprägt werden, die teilweise als bewusste Abweichungen oder Verfremdungen von der inzwischen etablierten ZS-Realisierung [pipŝl] interpretiert werden können. Auch was den Gebrauch angeht, sind viele entlehnte Einheiten ab einem gewissen Stadium ihrer Verbreitung als Teil der Allgemeinsprache anzusehen (z.B. it. tango, frz. fuel, frz. people), so dass insgesamt auch eine Reihe von Beispielen und Argumenten dafür spricht, dass hier gerade keine scharfe Trennung zwischen entlehnten Einheiten und dem übrigen Wortschatz vorliegt, sondern die entlehnten Wörter als Teil des ZS-Lexikons aufgefasst werden.

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Zusammenfassend lässt sich hieraus ableiten, dass entlehnten Einheiten aus der Perspektive der Sprachbenutzer nicht ein einheitlicher Status zugeschrieben werden kann, sondern vielmehr grundsätzlich ein Spektrum von Optionen anzunehmen ist. Dieses reicht von einem deutlich marginalen Status der entsprechenden Einheiten im Hinblick auf das Lexikon und das System der aufnehmenden Sprache über die Situierung innerhalb eines Übergangsbereichs bis hin zur vollständigen Eingliederung in die ZS, die eine Aussonderung entsprechender Einheiten auf der Grundlage synchronischer Kriterien unmöglich macht (diachronisch gesehen lassen sich die Formen hingegen weiterhin aufgrund ihrer Etymologie aussondern; das Merkmal der Entlehntheit wird von formalen Integrationsprozessen, pragmatischen Abnutzungseffekten sowie dem Eingang der Formen in den Allgemeinwortschatz der ZS nicht tangiert). Hieraus ergibt sich auch, dass einfache Gegenüberstellungen des Typs «Fremdwort = formal nicht integriert = marginale Stellung vs. Lehnwort = formal integriert = gleichberechtigter Teil des ZS-Lexikons» letztlich unzureichend sind. Vielmehr lassen sich Zwischenstadien angeben, für deren Analyse ein präzises Instrumentarium entwickelt wurde. Zu nennen sind hier einerseits die vorgeschlagenen Kriterien der Konformität gegenüber der AS-Form und gegenüber dem ZSSystem sowie andererseits die Unterscheidung von drei Stadien der Verbreitung einer Innovation, die auf den sich wandelnden Status der Formen in der ZS Bezug nimmt – diese werden den Rezipienten zunehmend bekannt und verlieren ihren auffälligen oder marginalen Status. Dementsprechend kann zwischen einer frühen, einer mittleren und einer späten Phase der Verbreitung unterschieden werden. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Merkmal der Variation bzw. Varianz hinzuweisen, das sich im Kontext von Entlehnungen in verschiedenen Formen zeigt: Einerseits geht es um Polymorphien im Bereich nichtkatachrestischer Innovationen (etwa frz. people neben frz. célébrités), andererseits geht es insbesondere um formale Varianten von Lehnwörtern, die sich in Merkmalen ihrer Aussprache, Schreibung und/oder Flexion unterscheiden (etwa it. béchamel – besciamella, frz. people – pipol(e) – pipeul(e) – popol(e), [pipŝl] – [pipœl] – [pŝpŝl], dt. Pizze – Pizzas – Pizzen etc.). Die untersuchten Entlehnungen legen dabei die Schlussfolgerung nahe, dass die Variabilität der Lehnwortintegration als ein grundlegendes Charakteristikum aktueller Entlehnungsprozesse gelten kann. Gerade für aktuelle Entlehnungen erscheint es demnach vielfach nicht möglich, strenge Vorhersagen über das Eintreten bestimmter Integrationsprozesse zu treffen und eine einzige ZS-Realisierung der Lehnwörter anzugeben. Als realistischer Anspruch ergibt sich hingegen, die Entstehung und Verwendung der (unter Umständen zahlreichen) auftretenden Varianten in Bezug auf die Sprachbenutzer über sprachliche, kognitive und kommunikative Faktoren zu motivieren. Hier hat sich ein Zusammenwirken heterogener Faktoren gezeigt, wobei sowohl sprachsystembezogenformale als auch funktionale und soziale Faktoren eine Rolle spielen. Insgesamt ergibt sich damit ein komplexes Bild der Lehnwortintegration, welches das Funktionieren von Sprache in ihrer kreativen und kommunikativen Verwendung durch die Sprachbenutzer, d.h. im Kontakt zwischen Produzent und Rezipient in einem gemeinsamen aktuellen Diskursraum, veranschaulicht. Lehnwortintegration kann so als ein Aushandeln verschiedener Ansprüche verstanden werden. Es gibt keine «perfekten» Strategien des Umgangs mit fremd489

sprachlichen Strukturen, sondern es erfolgt eine Abwägung verschiedener Optionen im Spannungsfeld von starker bis schwacher Lehnwortintegration, bei der die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Optionen im Hinblick auf kognitive und kommunikative Faktoren bewertet werden (Nachvollziehbarkeit der Innovation für den Rezipienten aufgrund von erwartbaren Kenntnissen und kognitiver Plausibilität, pragmatische Effekte aufgrund von Einstellungen gegenüber der AS, Lehnwortintegrationen und Innovationen im Allgemeinen etc.). Dieses Aushandeln findet in der konkreten Kommunikation statt, d.h. Lehnwortintegration ist in diesem Sinn kein statisches Phänomen, das für zwei Sprachen abstrakt beschrieben und erklärt werden kann, sondern diese ist letztlich nur abhängig von den Sprachbenutzern erklärbar. Hieraus ergeben sich weiter reichende Implikationen für das Funktionieren von Sprache im Allgemeinen: Die festgestellte Variabilität und Flexibilität deutet darauf hin, dass Sprache eine Vielzahl von (teils lokalen) Konventionen und Verarbeitungsmechanismen beinhaltet (hier: in Bezug auf die Realisierung einer bestimmten Form der Lehnwortintegration). Damit bestehen Anknüpfungspunkte zu aktuellen Ansätzen der Kognitiven Linguistik, die davon ausgehen, dass ein bedeutender Teil der Sprachverarbeitung nicht über allgemeine Regeln, sondern auf einer lokalen Ebene erfolgt (cf. Dąbrowska, Manuskript, sowie Langacker 2000, 3). Ebenso stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit Merkmale sprachlicher Formen im mentalen Lexikon spezifiziert sind und in wie weit bestimmte Merkmale erst ad hoc in der Kommunikation spezifiziert werden, ohne dass eine dauerhafte Speicherung vorliegt, bzw. in welchen Fällen ein Übergang von einer komputationellen Verarbeitung im usage zu einer dauerhaften Speicherung angenommen werden kann. Ebenso lassen sich Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit auf Grundfragen des Sprachwandels insgesamt anwenden. Der Prozess des Aushandelns einer bestimmten Realisierung von Lehnwortintegrationen kann auf Innovationen im Allgemeinen übertragen werden. Die angestellten Überlegungen scheinen ferner für die Erklärung verschiedener auffälliger Wandelphänomene relevant (etwa rezipienteninduzierten semantischen Wandel oder formalen Wandel wie Agglutinationen und Deglutinationen); wichtig erscheinen hierzu insbesondere die Überlegungen zu theoretischen und semiotischen Grundlagen der Modellierung entsprechender Phänomene. Ebenso scheinen die festgestellten Wechselwirkungen zwischen sozialen/überindividuellen Aspekten (etwa einer bestehenden Konvention) und der individuellaktuellen Ebene, auf der die Sprachbenutzer einzelne Realisierungen verwenden, zentral. Entsprechende Wechselwirkungen implizieren letztlich, dass es reduktionistisch ist, Sprachwandel einfach als Mehrheitsentscheid anzusehen (cf. das suggestive Modell der S-Kurve, bei der sich eine Form nach einem bestimmten Muster verbreitet und durchsetzt), sondern es sind vielmehr Rückkopplungseffekte anzunehmen: Unterschiedliche Grade und Stadien der Verbreitung korrelieren potenziell mit pragmatischen Unterschieden bei der Verwendung der einzelnen Formen, welche wiederum die weiteren Verwendungen beeinflussen können. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass die vorliegende Arbeit – im Gegensatz zu vielen traditionellen Arbeiten der Entlehnungsforschung – weniger darauf abzielt, umfassende quantitative Generalisierungen über aktuelle Entlehnungen in den untersuchten Sprachen zu formulieren. Vielmehr sollte gezeigt werden, 490

dass Entlehnungen und Lehnwortintegrationen ein qualitativ höchst interessantes Phänomen darstellen, insofern als sie – als Phänomene der sprachlichen Kreativität – grundlegende Fragen des Sprachwandels und des Funktionierens von Sprache überhaupt aufwerfen und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen des Sprachlichen im Handeln der Sprachbenutzer besonders deutlich illustrieren.

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Bibliographie

Die hier verwendeten Abkürzungen für Zeitschriftentitel richten sich nach dem Lexikon der Romanistischen Linguistik (Holtus/Metzeltin/Schmitt 1988–2005).

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Wörterbücher, Corpora und Suchmaschinen

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