Elektrodynamik [3. Aufl. 2019] 978-3-662-59786-6, 978-3-662-59787-3

Dieses Lehrbuch behandelt präzise und ausführlich die klassische Elektrodynamik, wie sie für das Physik-Studium erforder

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German Pages XIX, 653 [667] Year 2019

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Elektrodynamik [3. Aufl. 2019]
 978-3-662-59786-6, 978-3-662-59787-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIX
Die Maxwell’schen Feldgleichungen (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 1-28
Ruhende elektrische Ladungen und die Verteilung der Elektrizität auf Leitern (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 29-79
Randwertprobleme in der Elektrostatik (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 81-125
Magnetostatik im Vakuum (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 127-162
Elektromagnetische Vorgänge in Materie (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 163-204
Elektrostatik in Materie (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 205-226
Magnetostatik in Materie (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 227-276
Felder von bewegten Ladungen (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 277-334
Quasistationäre Ströme (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 335-357
Elektromagnetische Wellen (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 359-392
Röntgen-Streuung (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 393-450
Spezielle Relativitätstheorie (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 451-498
Kovariante Elektrodynamik (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 499-522
Relativistische Mechanik (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 523-547
Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 549-600
Mathematische Hilfsmittel (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 601-630
Maßeinheiten in der Elektrodynamik (Dietmar Petrascheck, Franz Schwabl)....Pages 631-644
Back Matter ....Pages 645-653

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Dietmar Petrascheck Franz Schwabl

Elektrodynamik 3. Auflage

Elektrodynamik

Dietmar Petrascheck · Franz Schwabl

Elektrodynamik 3. Auflage

Dietmar Petrascheck Johannes Kepler Universität Linz Linz, Österreich

Franz Schwabl Technische Universität München Garching, Deutschland

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf https://www.springer.com/978-3-662-59786-6. ISBN 978-3-662-59786-6 ISBN 978-3-662-59787-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2015, 2016, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Margit Maly Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort zur 3. Auflage

Meist wird in der Elektrodynamik gleich am Anfang ein Maßsystem gewählt, ohne dessen Wirkung auf die Struktur der Grundgleichungen auszuloten. Die Umrechnung auf ein andere System ist mühsam. Im Vakuum kann man jedoch mit zwei frei wählbaren Parametern die Formeln in allen nur möglichen Systemen darstellen. In diesem Sinne wurde in der vorliegenden dritten Auflage auf eine Fixierung dieser Parameter verzichtet, so dass die Formeln für alle Systeme gleichermaßen gelten. Als Parameter bieten sich die Vorfaktoren der Coulomb- und der LorentzKraft an (kc , kl ) an. Die Maxwell-Gleichungen können in diesen Parametern angegeben werden. Vollständig bestimmt sind sie aber erst, wenn man die Lichtgeschwindigkeit c für elektromagnetische Wellen einbezieht. In Folge mussten vor allem das erste Kapitel und der Anhang C (Maßeinheiten in der Elektrodynamik) geändert werden, Letzterer auch im Hinblick auf die Neuerungen im SI-System. Nur die spezielle Relativitätstheorie wurde im Gauß-System belassen. Ein paar Literaturzitate wurden hinzugefügt, insbesondere hinsichtlich der historischen Entwicklung. So zeigt sich auch in der Elektrodynamik, dass der Forscher nach dem ein Gesetz benannt wurde, nicht immer dessen Entdecker war (Gesetz der Eponyme). Das kann bewusst geschehen wie bei der Lorentz-Transformation, für die Poincaré den Namen vorschlug, oder aus mangelner Wahrnehmung wie beim Coulomb-Gesetz, das Priestley 18 Jahre vor Coulomb fand. Die Gliederung des Buches betreffend, wurde von der Relativitätstheorie die kovariante Formulierung der Elektrodynamik (Abschnitt 12.5) abgetrennt und als eigenes Kapitel weitergeführt, was der Übersichtlichkeit zugute kommt. Neu hinzugekommen sind die Takagi-Taupin-Gleichungen der dynamischen Theorie (Kap. 11) und die Unipolarinduktion (Kap. 13), die in neueren Lehrbüchern nur selten zu finden ist. Ausführlicher wird auf den Helmholtz’schen Zerlegungssatz (Kap. 7 und Anhang A) und seine Anwendung auf die Maxwell-Gleichungen (Kap. 8) eingegangen. Im Übrigen sind einige unklare Formulierungen geändert und Fehler beseitigt worden. Mein Dank gilt vor allem Herrn Prof. R. Folk für die vielen Diskussionen und Hinweise. Die Lösungen der Übungsaufgaben finden Sie unter: https://www.springer.com/978-3-662-59786-6 Linz, im Juni 2019

Dietmar Petrascheck

VI

Vorwort zur 3. Auflage

Vorwort zur 2. Auflage Bei diesem Buch handelt es sich im Wesentlichen um eine korrigierte 1. Auflage. Hierbei wurde auch die Strukturierung durch kleine Änderungen in der Einteilung der Abschnitte verbessert. Neu bearbeitet wurde der Hauptsatz der Vektoranalysis (Abschnitt 7.1.2 und Anhang A.4.7). Das schien notwendig, da der Gültigkeitsbereich des Satzes größer ist als in den anderen Lehrbüchern der Elektrodynamik dargestellt und wir uns in der 1. Auflage mit einem Hinweis auf eine weitreichendere Gültigkeit begnügt haben, den Beweis aber schuldig geblieben sind. Zugleich haben wir jetzt den gebräuchlicheren Namen (Helmholtz’scher) Zerlegungssatz verwendet. Den Lösungen der Übungsaufgaben (http://www.springer.com/978-3-66248179-0) vorangestellt haben wir eine kleine Formelsammlung, die man zum Buch legen kann, um einige der in Beweisen, Rechnungen etc. häufig verwendeten Formeln präsent zu haben. Linz, im Juni 2015

Dietmar Petrascheck

Vorwort zur 1. Auflage Mit dem hier vorliegenden Buch Elektrodynamik soll die bisherige Reihe von Lehrbüchern von Prof. Schwabl (Quantenmechanik, Quantenmechanik für Fortgeschrittene und Statistische Mechanik) durch einen Band über Elektrodynamik ergänzt werden. Das Buch richtet sich an Studierende der Physik, die in einem Zyklus über Theoretische Physik eine Vorlesung über Elektrodynamik besuchen. Erwartet werden dabei Kenntnisse in Mathematik in einem Umfang, wie er in Vorlesungen über mathematische Methoden in der Physik, die es an fast allen Universitäten gibt, gelehrt wird. Sind diese Kenntnisse nicht oder nur teilweise vorhanden, so kann der Leser/die Leserin den ausführlich gehaltenen mathematischen Anhang zu Hilfe nehmen. Dieser geht über den in der Elektrodynamik erforderlichen unmittelbaren Bedarf hinaus. Es wird in dem Buch die (klassische) Elektrodynamik inklusive der speziellen Relativitätstheorie im üblichen Rahmen abgedeckt. In der Elektrostatik werden einfache, aber charakteristische Ladungsverteilungen behandelt. Das erachten wir wegen der Linearität der MaxwellGleichungen als sinnvoll, da mit diesen auf einfache Weise die Potentiale komplexerer Ladungsverteilungen zusammengesetzt werden können. Recht ausführlich wird in der Elektrostatik die Potentialtheorie behandelt. Einige Phänomene, die der Festkörperphysik zugeschrieben werden, aber direkt mit der klassischen Elektrodynamik zu tun haben, wie die ClausiusMossotti-Formel, der Hall-Effekt etc. sind Teil des Inhalts.

Vorwort zur 3. Auflage

VII

Ein besonderer Fall ist die Magnetostatik; geht man ein wenig über die einfachsten Konfigurationen hinaus, so werden die nicht sonderlich komplizierten Rechnungen schnell unübersichtlich; wir haben diese trotzdem dargelegt, wenngleich sie nur für wenige Leser von Interesse sind. Weder in Lehrbüchern der Elektrodynamik noch in solchen der Festkörperphysik wird auf die dynamische Theorie der Röntgen-Strahlung eingegangen, obwohl sie als direkte Anwendung der Maxwell-Gleichungen auf Idealkristalle beide Gebiete tangiert. Ihre Bedeutung liegt in der Optik und der Topografie mit Röntgen-(und Neutronen-)Strahlen. Die für die dynamische Theorie notwendige Kenntnis der kinematischen Streuung wurde auf ein Minimum beschränkt. Knapp gehalten sind die (technischen) Anwendungen in Netzwerken mithilfe der stationären Näherung, aber auch die (geometrische) Optik, wogegen der speziellen Relativitätstheorie (SRT) und hier insbesondere der LorentzTransformation (LT) viel Platz eingeräumt wird. Am Ende jedes Kapitels sind einige Übungsbeispiele. Musterlösungen können auf der Produktseite des Buches http://www.springer.com/978-3-66243456-7 heruntergeladen werden. In den Büchern Statistische Mechanik, Quantenmechanik oder Höhere Quantenmechanik von F. Schwabl wird für Größen aus der Elektrodynamik das Gauß-System verwendet. Ausgenommen ist die Quantisierung des Strahlungsfeldes, da in der Quantenelektrodynamik das rationale HeavisideLorentz-System verbreitet ist. So war es naheliegend auch für dieses Buch das Gauß-System zu nehmen; damit der Zugriff auf alle Formeln auch im SI-System gegeben ist, ist im Anhang eine Übersetzungstabelle Gauß → SI. Professor Dr. Franz Schwabl hat mir, seinem ehemaligen Assistenten, angeboten bei der Elektrodynamik mitzuarbeiten. Leider konnten wir das Buch nicht zusammen vollenden, da er während der Arbeit völlig unerwartet gestorben ist. Es hat dann meinerseits einer Phase des Überdenkens bedurft, bis ich die Arbeit abschließen konnte. Das wäre ohne die Unterstützung von Professor Dr. Dr. h.c. Reinhard Folk, der mir mit einem sehr hohen Zeitaufwand in allen Belangen geholfen hat, nicht möglich gewesen. Abschließend möchte ich noch Herrn DI Jakob Egger für die Anfertigung von Abbildungen danken. Linz, im Juni 2014

Dietmar Petrascheck

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII 1

Die Maxwell’schen Feldgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ladungen, Ströme und Ladungserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Lorentz-Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Kraft auf eine ruhende Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Kraft auf eine bewegte Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Gauß’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Faraday’sches Induktionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Ampère-Maxwell-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Divergenzfreiheit der magnetischen Flussdichte . . . . . . . . 1.3.5 Maxwell-Gleichungen in integraler Form . . . . . . . . . . . . . . 1.3.6 Die Maxwell-Gleichungen in differentieller Form . . . . . . . 1.3.7 Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Anmerkungen zu den Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Maßsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die Elektrodynamik und ihr Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

Ruhende elektrische Ladungen und die Verteilung der Elektrizität auf Leitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Elektrostatisches Potential und Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . 2.2 Potential und Feld für vorgegebene Ladungsverteilungen . . . . . . 2.2.1 Einfache Anordnungen von Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Feldlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Randbedingung des elektrischen Feldes an einer Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Dipolschicht und Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Felder von ruhenden Ladungen in Gegenwart von Leitern . . . . . 2.3.1 Methode der Bildladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 9 9 11 12 13 14 16 19 19 20 21 22 22 25 27 29 29 31 31 39 41 43 47 50

X

Inhaltsverzeichnis

2.3.2 Maxwell’scher Spannungstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Felder in der Nähe von Spitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Energie des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Wechselwirkungsenergie zweier Ladungsverteilungen 2.4.2 Die Selbstenergie einer homogen geladenen Kugel . . . . . . 2.4.3 Theorem von Thomson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Multipolentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Entwicklung nach Momenten der Ladungsverteilung . . . 2.5.2 Energie einer Ladungsverteilung im äußeren Feld . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 56 58 60 62 64 66 67 71 75

3

Randwertprobleme in der Elektrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung . . . . . . . . . . . 81 3.1.1 Eindeutigkeit der Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.1.2 Lösung des Randwertproblems durch Green’sche Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.2.1 Polarkoordinaten und Separationsansatz . . . . . . . . . . . . . 91 3.2.2 Radialteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.2.3 Azimutaler Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.2.4 Polarer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.2.5 Lösungsfunktion der Laplace-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . 100 3.3 Kugelsymmetrische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.3.1 Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen . . . . . . . . . . . . 101 3.3.2 Entwicklung von |x−x |−1 nach Kugelflächenfunktionen 103 3.3.3 Multipolentwicklung nach Kugelflächenfunktionen . . . . . 104 3.3.4 Leitende Kugel im homogenen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.4 Zylindersymmetrische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.4.1 Laplace-Gleichung in Zylinderkoordinaten . . . . . . . . . . . . 108 3.4.2 Fourier-Bessel-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.4.3 Entwicklung der Green’schen Funktion nach Zylinderfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.5 Probleme in zwei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3.5.1 Potentialtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3.5.2 Funktionentheoretische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Aufgaben zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

4

Magnetostatik im Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.1 Grundgleichungen der Magnetostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.1.1 Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.1.2 Ampère’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.1.3 Biot-Savart-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.1.4 Magnetfeld eines unendlich langen Drahtes . . . . . . . . . . . 130 4.2 Magnetischer Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Inhaltsverzeichnis

XI

4.2.1 Berechnung von Momenten einer Stromverteilung . . . . . . 133 4.2.2 Magnetisches Dipolfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.2.3 Dipolmoment einer Stromschleife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.2.4 Potential und Feld einer kreisförmigen Schleife . . . . . . . . 137 4.2.5 Potentiale und Felder von Spulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.3 Drehimpuls, Kraft und Drehmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4.3.1 Drehimpuls und magnetisches Moment . . . . . . . . . . . . . . . 148 4.3.2 Kraft und Drehmoment auf eine Stromschleife . . . . . . . . 149 4.3.3 Ampère’sches Kraftgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.4 Magnetische Multipolentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.4.1 Momente des skalaren Potentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.4.2 Vektorielle Kugelflächenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Aufgaben zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5

Elektromagnetische Vorgänge in Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.1 Die mikroskopischen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.2.1 Die mittlere Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.2.2 Die mittlere Stromdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.2.3 Mittelung der Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5.2.4 Die makroskopischen Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . 169 5.2.5 Randbedingungen an den Grenzflächen zweier Medien . . 173 5.3 Ohm’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.3.1 Drude-Modell der elektrischen Leitung . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.3.2 Joule’sche Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5.3.3 Hall-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.4.1 Lagrange- und Hamilton-Funktion des Elektrons . . . . . . 183 5.4.2 Bewegung eines Teilchens im äußeren Feld . . . . . . . . . . . . 186 5.4.3 London-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5.5 Dielektrische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.5.1 Atomare Polarisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.5.2 Dielektrische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.6 Energie- und Impuls-Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.6.1 Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.6.2 Impulsbilanz und Spannungstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Aufgaben zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

6

Elektrostatik in Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 6.1 Grundgleichungen und Stetigkeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 205 6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 6.2.1 Konfigurationen mit Dielektrika, Leitern und Ladungen 207 6.2.2 Dielektrikum im Plattenkondensator . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6.2.3 Bildladungen in Dielektrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6.2.4 Dielektrische Kugel in einem äußeren Feld E0 . . . . . . . . 212

XII

Inhaltsverzeichnis

6.2.5 Die Clausius-Mossotti-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.3 Energie im Dielektrikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.3.1 Herleitung der Feldenergie im Dielektrikum . . . . . . . . . . . 218 6.3.2 Energie und Kraft bei Änderung der Dielektrizitätskonstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Aufgaben zu Kapitel 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7

Magnetostatik in Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 7.1.1 Übergangsbedingungen an Materialoberflächen . . . . . . . . 228 7.1.2 Helmholtz’scher Zerlegungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 7.1.3 Potentiale und Felder in Ferromagneten . . . . . . . . . . . . . . 233 7.1.4 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 7.1.5 Magnetostatisches Kraftgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 7.2 Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 7.2.1 Energie des Magnetfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 7.2.2 Induktionskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.2.3 Magnetischer Fluss und Induktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.2.4 Die Selbstinduktivitäten ausgewählter Konfigurationen . 253 7.3 Formen des Magnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 7.3.1 Diamagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 7.3.2 Paramagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 7.3.3 Ferromagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Aufgaben zu Kapitel 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

8

Felder von bewegten Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 8.1 Vektor- und skalares Potential in Lorenz-Eichung . . . . . . . . . . . . 277 8.2 Retardierte Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8.2.1 Die inhomogene Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8.2.2 Retardierte Potentiale und Felder einer Punktladung . . . 285 8.2.3 Coulomb-Eichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 298 8.3.1 Maxwell-Gleichungen für die Fourier-Komponenten . . . . 298 8.3.2 Helmholtz-Potentiale für Quellen- und Wirbelfelder . . . . 299 8.3.3 Periodische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 8.3.4 Entwicklung nach Multipolen und Zonen . . . . . . . . . . . . . 302 8.3.5 Nahzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 8.3.6 Fernzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 8.4.1 Elektrische Dipolstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 8.4.2 Dipolstrahlung einer Antenne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.4.3 Magnetische Dipol- und elektrische Quadrupol-Strahlung317 8.4.4 Polarisationspotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 8.5 Strahlungsrückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Inhaltsverzeichnis

XIII

8.5.1 Allgemeinerer Zugang zur Strahlungsrückwirkung im nicht relativistischen Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 8.5.2 Endliche Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Aufgaben zu Kapitel 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 9

Quasistationäre Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9.1 Die quasistationäre Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9.1.1 Die Näherung für den induktiven Teil eines Netzwerkes . 336 9.1.2 Die Näherung für den kapazitiven Teil des Netzwerkes . 337 9.1.3 Kirchoff’sche Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 9.2 Schwingungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 9.2.1 Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.2.2 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.2.3 Energetische Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 9.2.4 Gekoppelte Stromkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 9.2.5 Telegrafengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 9.3 Magnetohydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 9.3.1 Die Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 9.3.2 Magnetische Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 9.3.3 Magnetohydrodynamische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Aufgaben zu Kapitel 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

10 Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 10.1 Ebene Wellen in einem homogenen Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 10.2 Polarisation elektromagnetischer Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 10.2.1 Lineare und zirkulare Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 10.2.2 Stokes’sche Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren . . . . . . . . . . . . . . 365 10.3.1 Brechungsgesetz von Snellius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 10.3.2 Übergangsbedingungen für elektromagnetische Wellen . . 366 10.3.3 Fresnel’sche Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 10.3.4 Brewster-Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 10.3.5 Totalreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 10.3.6 Geometrische Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 10.4 Wellen in Leitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 10.4.1 Die Gleichungen für die Wellenausbreitung in Metallen . 376 10.4.2 Zylinderförmiger Draht (Skineffekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern . . . . . . . . . . . . . 381 10.5.1 Stehende Wellen in einem Hohlraumresonator . . . . . . . . . 381 10.5.2 Elektromagnetische Wellen in Hohlleitern . . . . . . . . . . . . . 384 Aufgaben zu Kapitel 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392

XIV

Inhaltsverzeichnis

11 Röntgen-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 11.1 Streuung von Licht an Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 11.1.1 Streuung an freien Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 11.1.2 Streuung an schwach gebundenen Elektronen . . . . . . . . . 398 11.1.3 Streuung an einer Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 11.1.4 Streuung am Gitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 11.2.1 Elektromagnetische Wellen im Kristall . . . . . . . . . . . . . . . 409 11.2.2 Verfahren zur Lösung der fundamentalen Gleichungen . . 413 11.2.3 Brechung im Einstrahl-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 11.2.4 Der Zweistrahlfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 11.3 Laue- und Bragg-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 11.3.1 Beugung in einer Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 11.3.2 Laue-Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 11.3.3 Die Bragg-Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 11.4.1 Laue-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 11.4.2 Die Intensitätsprofile im Bragg-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 11.4.3 Auswertung des Integrals Rm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 11.4.4 Die gesamte Wellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 11.5 Takagi-Taupin-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 11.5.1 Idealkristalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 11.5.2 Leicht verzerrtes Kristallgitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Aufgaben zu Kapitel 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 12 Spezielle Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip . . . . . . . . . . . 452 12.1.1 Konstruktion der Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . 453 12.1.2 Zur Äthertheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 12.1.3 Michelson-Morley-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 12.1.4 Versuch von Fizeau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 12.2 Die Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 12.2.1 Klassifikation der Lorentz-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 12.2.2 Die eigentliche orthochrone Lorentz-Gruppe . . . . . . . . . . 470 12.3 Raum-Zeit-Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 12.3.1 Synchronisation von Uhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 12.3.2 Raum-Zeit-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12.3.3 Beobachtung schnell bewegter Körper . . . . . . . . . . . . . . . . 481 12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen . . . . . . . . . . . . 484 12.4.1 Lorentz-Transformation für beliebige Orientierung der Relativgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 12.4.2 Addition von Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 12.4.3 Multiplikation zweier Boosts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 12.4.4 Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Aufgaben zu Kapitel 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

Inhaltsverzeichnis

XV

13 Kovariante Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1 Maxwell-Gleichungen in kovarianter Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1.1 Tensoreigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 13.1.2 Kovariante Tensoren der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . 502 13.1.3 Feldstärketensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 13.1.4 Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 13.1.5 Transformation des elektromagnetischen Feldes . . . . . . . . 507 13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 13.2.1 Maxwell-Gleichungen in Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 13.2.2 Materialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 13.2.3 Ladungstransport in bewegten Leitern . . . . . . . . . . . . . . . 511 13.2.4 Maxwell-Gleichungen für nicht magnetische Materie . . . 515 13.3 Unipolarinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 13.3.1 Induktion und EMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 13.3.2 Der Unipolargenerator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 13.3.3 Bewegung eines unendlich langen Quaders . . . . . . . . . . . . 519 Aufgaben zu Kapitel 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 14 Relativistische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 14.1 Newtons Lex Secunda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 14.1.1 Geschwindigkeit, Impuls und Beschleunigung . . . . . . . . . 523 14.1.2 Strahlungsleistung und Strahlungsrückwirkung . . . . . . . . 527 14.1.3 Lorentz-Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 14.1.4 Energie-Impulstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 14.2 Lagrange-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 14.2.1 Relativistische Lagrange-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 14.2.2 Kovariante Formulierung des Hamilton-Prinzips . . . . . . . 536 14.2.3 Elektromagnetische Feldgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 14.3 Kinematische Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 14.3.1 Energie-Impuls-Erhaltungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 14.3.2 Compton-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 14.3.3 Die Bewegung des Elektrons um den Kern . . . . . . . . . . . . 543 Aufgaben zu Kapitel 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 A

Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 549 A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 A.1.1 Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 A.1.2 n-dimensionale Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 A.1.3 Levi-Civita-Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 A.1.4 Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 A.1.5 Dreidimensionale Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 A.2 Vektoranalysis und lokale Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 A.2.1 Krummlinige Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 A.2.2 Differentialoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 A.3 Orthogonale krummlinige Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . 573

XVI

Inhaltsverzeichnis

A.3.1 Zylinderkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 A.3.2 Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 A.3.3 Elliptische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 A.4 Vektorfelder und Integralsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 A.4.1 Gauß’scher Satz und Divergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 A.4.2 Rotation und Stokes’scher Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 A.4.3 Die Green’schen Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 A.4.4 Green-Funktion des Laplace-Operators . . . . . . . . . . . . . . . 591 A.4.5 Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 A.4.6 Lösung der Poisson-Gleichung mit Green-Funktionen . . . 593 A.4.7 Ergänzungen zum Helmholtz’schen Zerlegungssatz . . . . . 594 Aufgaben zum Anhang A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 B

Mathematische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 B.1 Elemente der Funktionentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 B.1.1 Analytische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 B.1.2 Eigenschaften analytischer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 602 B.1.3 Die konforme Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 B.2 Legendre-Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 B.2.1 Rodrigues-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 B.2.2 Die erzeugende Funktion der Legendre-Polynome . . . . . . 608 B.2.3 Eigenschaften der Legendre-Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . 610 B.2.4 Zugeordnete Legendre-Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 B.3 Kugelflächenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 B.4 Bessel-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 B.4.1 Bessel’sche Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 B.4.2 Eigenschaften der Bessel-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 B.5 Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 B.5.1 Elliptische Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 B.5.2 Integrale zur Potentialtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 B.5.3 Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 B.6 Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 B.6.1 Die Dirac’sche Delta-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 B.6.2 Stufenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Aufgaben zum Anhang B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630

C

Maßeinheiten in der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 C.1 Mechanische Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 C.2 Systeme der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 C.2.1 Systeme der Elektrodynamik mit 3 Basiseinheiten . . . . . 633 C.2.2 Systeme in der Elektrodynamik mit 4 Basiseinheiten . . . 637 C.2.3 Zum Wechsel zwischen Systemen und Einheiten . . . . . . . 640

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645

Einleitung

In der Elektrodynamik werden die durch ruhende und bewegte Ladungen erzeugten elektrischen und magnetischen Felder behandelt sowie die Bewegung und Wechselwirkung geladener Teilchen unter dem Einfluss elektromagnetischer Felder. Obwohl einfache elektromagnetische Erscheinungen schon in der Antike bekannt waren, blieben Elektrostatik und Magnetostatik bis ins 19. Jahrhundert als unzusammenhängend angesehene Gebiete. Erste Erkenntnisse zum Magnetismus, wie die Auffassung der Erde als Magnet mit Nord- und Südpol kommen 1600 von W. Gilbert (1544–1603). C. Dufay (1698–1739) fand 1733 positive (Glaselektrizität) und negative (Harzelektrizität) Ladungen. Die systematische Erfassung elektrischer Vorgänge beginnt um 1785 mit der Beschreibung der Kraftwirkung ruhender elektrischer Ladungen aufeinander durch das nach seinem Entdecker Charles A. de Coulomb (1736–1806) benannte Coulomb’sche Gesetz. Zur Zeit der Konstruktion der ersten Batterie von Alessandro Volta, der Volta’schen Säule, um 1800 war auch der Zusammenhang zwischen elektrischem Strom und Magnetismus unbekannt. Erst um 1820 entdeckte H.C. Øersted (1777–1851), ein dänischer Physiker, dass der elektrische Strom eine Kraft auf eine Magnetnadel ausübt und dass die Kraft senkrecht zum Strom ist. Der Feldbegriff war damals noch nicht bekannt und man ist von einer instantanen Fernwirkung ausgegangen. Bereits 1802 beobachtete G.D. Romagnosi, ein Jurist aus Trient, den Einfluss elektrischen Stroms auf eine Magnetnadel1 . Es geht aus der Beschreibung des Experiments nicht eindeutig hervor, ob Romagnosi die Kraftwirkung des Magnetfeldes einer Stromschleife beobachtet hat. Wir schließen uns der Meinung von B. Dibner2

1

S. Stringari & R. Wilson, Rend. Fis. Lincei 11, 115–136 (2000) B. Dibner Oersted and the Discovery of Electromagnetism, Blaisdell Publishing Company (1962)

2

XVIII Einleitung an, dass Romagnosis Experiment zu früh war, um von der Wissenschaft wahrgenommen zu werden.

In den folgenden Jahren (1820–1825) ist es vor allem André Marie Ampère, der mit wesentlich genaueren Messungen die Grundlagen der Magnetostatik gefunden hat. 1831 entdeckte Michael Faraday die magnetische Induktion, die Erzeugung eines elektrischen Stroms durch Änderung des Magnetfeldes. Damit waren die experimentellen Grundlagen für die Vereinheitlichung der elektromagnetischen Vorgänge gegeben. Basierend auf Faradays Vorstellungen eines den Raum durchdringenden Feldes stellte James Clerk Maxwell (1831–1879) 1861 und 1865 die nach ihm benannten Feldgleichungen des Elektromagnetismus auf3 . In diese Zeit fällt auch die Einführung des elektromagnetischen Äthers4 in das physikalische Weltbild. Breitet sich eine Wechselwirkung mit endlicher Geschwindigkeit aus, so nahm man ein hypothetisches Medium mit gewissen (mechanischen) Eigenschaften an, das Träger der Wechselwirkung sein sollte. Wilhelm E. Weber (1804–1891) und Rudolf Kohlrausch (1808–1858) bestimmten 1856 die Ausbreitungsgeschwindigkeit mit 311 000 km/s so nahe der von Fizeau ermittelten Lichtgeschwindigkeit von 315 000 km/s, dass Maxwell die Vermutung aussprach, dass Licht aus transversalen Schwingungen desselben Mediums besteht, das die Ursache elektrischer und magnetischer Phänomene ist. Der Nachweis elektromagnetischer Wellen gelang 1888 Heinrich Hertz (1857–1894). Man wusste, dass das Bezugssystem in dem der Äther ruht, ausgezeichnet war und die Gesetze der Elektrodynamik, anders als die der Mechanik, in Systemen, die sich gegen den Äther kräftefrei bewegen, modifiziert werden müssten. Daher suchten 1881 Albert A. Michelson (1852–1931) und (1887) Edward W. Morley (1838–1923) die Bewegung der Erde gegen das Bezugssystem, in dem der Äther ruht, festzustellen. Sie wiesen die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, unabhängig von Beobachter und Quelle, nach. Demnach wäre der Äther für jeden Beobachter in Ruhe. Zur Erklärung des Experiments haben 1889 George FitzGerald (1851–1901) und unabhängig davon 1892 Hendrik A. Lorentz (1853–1928, Nobelpreis 1902) eine Kontraktion der Länge bei bewegten Körpern postuliert. Eine wirklich befriedigende Erklärung des Experiments gelang jedoch nicht. Die Transformation, unter der die Maxwell-Gleichungen ihre Form beibehielten, die Lorentz-Transformation, geht auf Arbeiten von W. Voigt, J. Larmor, H.A. Lorentz zurück und wurde 1905 in allgemeiner Form von H. Poincaré formuliert. Damit war 1905 der Weg für die spezielle Relativitätstheorie (SRT) von Albert Einstein (1879–1955, Nobelpreis 1922 für den lichtelektrischen Effekt) frei. Erwähnt sei noch, dass

3

J.C. Maxwell On Physical Lines of Force, Philosophical Magazine, 4. Ser. (March 1861); A Dynamical Theory of the Electromagnetic Field, Philosophical Transactions of the Royal Society of London 155, 459–512 (1865). 4 Einen Lichtäther zur Fortpflanzung der Lichtwellen hat bereits Huygens eingeführt.

Einleitung

XIX

die Maxwell-Gleichungen in heute gebräuchlicher Vektorschreibweise 1892 von Oliver Heaviside (1850–1925) formuliert wurden. Die Entwicklung der klassischen Elektrodynamik war damit im Wesentlichen abgeschlossen. Eine nicht restlos geklärte Frage betrifft die Existenz magnetischer Monopole, die von vereinheitlichten Feldtheorien (grand unified theory) als nicht unmöglich dargestellt wird, wobei die Monopole aber Massen von 1016 GeV/c2 haben sollten, so dass deren Erzeugung nur kurze Zeit nach dem Urknall möglich gewesen wäre. Die Bedeutung elektromagnetischer Kräfte beschränkt sich nicht nur auf die Materie, deren Erscheinungsformen durch diese Kräfte geprägt sind, sondern bestimmt mittels elektromagnetischer Strahlung auch Instrumente, mit denen die Materie erforscht wird. Mit der Erfindung der Puluj-Lampe, einer Röntgen-Röhre, 1881, und der Entdeckung der Röntgen-Strahlung 1895 durch Wilhelm Röntgen hat die Untersuchung von Materie mittels Röntgen-Streuung ihren Weg genommen. Max von Laue (1879–1960, Nobelpreis 1914) beobachtete 1912 die Beugung von Röntgen-Strahlen an Kristallgittern (mit W. Friedrich und P. Knipping), was sowohl den Wellencharakter der Röntgen-Strahlung als auch die Existenz regelmäßiger Anordnungen von Atomen in Kristallen belegte. Etwa gleichzeitig entwickelte W. Bragg (1862–1942, Nobelpreis 1915) mit seinem Sohn die Drehkristallmethode zur Untersuchung von Kristallstrukturen. In diesen Fällen ist die Streuung im Kristall kinematisch und hat nur am Rande mit der Elektrodynamik zu tun. Schon ein paar Jahre später, 1917, wurde von P.P. Ewald (1888–1985) die dynamische Theorie der Röntgen-Strahlung entwickelt. Mit dieser werden die Maxwell-Gleichungen für Röntgen-Strahlen in Kristallen näherungsweise gelöst; sie ist daher noch der Elektrodynamik zuzuordnen, wenngleich die Kristalloptik und die Interferometrie mit Röntgen-Strahlen selbstständige Zweige geworden sind.

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Vorbemerkung Im Text vorkommende Absätze in kleiner Schrift enthalten ergänzende Anmerkungen. Sind diese Absätze jedoch, wie der folgende Absatz, eingerückt und durch horizontale Linien vom übrigen Text getrennt, so ergänzen sie das behandelte Thema: Absätze wie dieser enthalten Zwischenrechnungen, Formeln, Ergänzungen etc., die fallweise von Interesse sein mögen.

Wir werden in diesem Kapitel ziemlich unvermittelt mit den Maxwell-Gleichungen konfrontiert. Zum Verständnis dieser werden Kenntnisse der Vektoranalysis, oder genauer, der Vektorfelder und der Integralsätze von Gauß, Stokes und Green vorausgesetzt. Fehlen diese Kenntnisse, so ist es vorteilhaft mit dem Anhang A.4 zu beginnen. Zur Notation sei angemerkt, dass durchgehend die sogenannte Einstein’sche Summenkonvention verwendet wird, die besagt, dass über doppelt vorkommende Indizes summiert wird. Die Divergenz eines Tensors lautet so ∇j Tij ≡ Tij,j ≡

3  j=1

∇j Tij ,

wobei das Komma in Tij,j anzeigt, dass nach xj differenziert wird.

1.1 Ladungen, Ströme und Ladungserhaltung Die Elektrodynamik behandelt die durch ruhende und bewegte Ladungen erzeugten elektrischen und magnetischen Felder, die Bewegung und die Wechselwirkung von geladenen Teilchen unter dem Einfluss von elektromagnetischen Feldern. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_1

2

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Die Erfahrung zeigt, dass es zwei Arten Ladungen gibt, positive und negative. Die Festlegung des Vorzeichens ist reine Konvention1. Sie hat zur Folge, dass Protonen eine positive und Elektronen eine negative Ladung tragen. Als Elementarladung e0 wird die kleinste elektrische Ladung bezeichnet. Das Elektron trägt die Ladung −e0 , das Proton die Ladung +e0 . Quarks mit einem und zwei Drittel der Elementarladung werden hier nicht einbezogen, da diese nicht als freie Teilchen vorkommen, sondern nur in Kombinationen mit der Ladung 0, ±e0 . Die Ladungsträger, die uns hier begegnen werden, sind stabil. Das sind Elektronen, Protonen, Atomkerne, die die Ladung Ze0 mit der Ordnungszahl Z tragen und Ionen mit der Ladung ±ze0 , wobei z in Elektrolyten gleich der Wertigkeit ist. Um die Größe einer Ladung angeben zu können, müssen wir uns für ein Einheitensystem entscheiden. Damit legen wir nicht nur die Zahlenwerte elektrischer Größen fest, sondern auch deren Dimensionen und (fast) alle Relationen zwischen elektromagnetischen Größen. Im Folgenden sind wir bemüht Elektrodynamik, d.h. die Maxwell-Gleichungen ganz allgemein, ohne Bezug auf ein bestimmtes Einheitensystem anzugeben. Erst in der Relativitätstheorie (SRT), d.h. ab dem 12. Kapitel werden wir uns auf das Gauß-System beschränken. In diesem ist die Einheit der Ladung 1 statC(oulomb) so festgelegt, dass die Kraft zwischen zwei Einheitsladungen im Abstand von 1 cm den Wert von 1 dyn hat: 1 statC = 1 cm3/2 g1/2 sec−1 .

Nun sind die Gauß’schen Einheiten nur von begrenztem Interesse und bei messtechnischen Anwendungen sollte man SI-Einheiten (Système internationale; siehe S. 638) verwenden. In diesen ist die Einheit der Ladung das Coulomb (1 C). Das ist die Ladung, die bei einem Strom von 1 Ampere in einer Sekunde durch einen Leiter fließt. Die Umrechnung auf die Gauß-Einheit findet man in Tab. C.6, S. 642: 1 C = 1 As ≈ 3×109 statC.

Die Elementarladung e0 hat in diesen Einheiten die Werte −19 esi C 0 = 1.60218 × 10



e0 = 4.80325×10−10 statC.

Man kann daraus ablesen, dass für einen Strom von 1 Mikroampere (μA) pro Mikrosekunde (μs) die Ladungen von 6×106 Elektronen notwendig sind. Wir folgern daraus, dass einerseits die Ladung diskret ist, also nur als Vielfaches der Elementarladung auftritt, andererseits die große Zahl an Elementarladungen mit einer Mittelung über einen kleinen Volumenbereich die Darstellung von ρ als kontinuierliche (Raum-)Ladungsdichte erlaubt. Die ersten Hinweise auf die Existenz einer Elementarladung gaben die 1832 von Faraday2 aufgestellten Gesetze der Elektrolyse. In heutiger Formulierung 1

Reibt man einen Glasstab, so wird dieser positiv aufgeladen; bei Hartgummi ist die Ladung negativ. 2 Michael Faraday, 1791–1867; engl. Naturwissenschafter; elmagn. Induktion.

1.1 Ladungen, Ströme und Ladungserhaltung

3

besagt das 1. Faraday’sche Gesetz, dass in einem Elektrolyten die für die Abscheidung eines Mols eines z-wertigen Ions erforderliche Ladung gegeben ist durch Q = zF . Hierbei gibt die Faraday-Konstante F = e0 NA = 96 485 C mol−1 die Ladungsmenge an, die notwendig ist, um 1 Mol eines einwertigen Ions abzuscheiden. NA = 6.022×1023 mol−1 ist die Avogadro-Konstante. Die Existenz einer Elementarladung mit dem Namen Elektron wurde 1874 vom irischen Physiker Stoney3 vorgeschlagen. 1881 stellte H. von Helmholtz4 vor der Chemical Society in London die Existenz einer elektrischen Elementarladung als Konsequenz der Faraday-Gesetze dar. Die Entdeckung des Elektrons 1897 geht unabhängig auf Emil Wiechert5 und J. J. Thomson6 [Wiechert, 1897; J.J. Thomson, 1897] zurück. Der Wert der Elementarladung wurde 1909 experimentell von Millikan7 bestimmt [Millikan, 1911]. Millikan-Versuch: Bewegung von Öltröpfchen mit der Ladung e > 0 in einem Gas. Auf das Tröpfchen, eine Kugel mit dem Radius a, wirken das elektrische Feld E (Coulomb-Kraft) und das Schwerefeld (vermindert um den Auftrieb der Kugel im Gas)

.

m¨ x = eE − 6πηax − gm. Der erste Term auf der rechten Seite gibt die Beschleunigung des Tröpfchens durch das elektrische Feld an, der zweite Term die (Stokes’sche) Reibung im Gas mit der Viskosität η und der dritte Term die Erdbeschleunigung. Zuerst haben die Tröpfchen die Ladung e = 0. Durch das Ionisieren des Gases bekommen die Tröpfchen die Ladung e=±Ze0 . Aus ihrer Bewegung wird e bestimmt.

Die elektrische Ladung ist eine fundamentale Größe. Bei jedem Wechselwirkungsprozess von Elementarteilchen bleibt die gesamte Ladung der Teilchen unverändert, gleichgültig, ob bei dieser Wechselwirkung die starke, schwache oder elektromagnetische Wechselwirkung ins Spiel kommt8 . Es gilt demnach für Ladungen ein Erhaltungssatz: In einem abgeschlossenen System bleibt die Summe aller Ladungen konstant. Die Ausdehnung der Ladung in diesen Teilchen ist unterschiedlich. Elektronen sind punktförmig, d.h., endliche Abmessungen sind nicht nachweisbar. Protonen haben einen endlichen Radius von ∼ 10−13 cm. Aber auch die Ausdehnung der Protonen und Kerne kann vernachlässigt werden, so dass im Folgenden alle Ladungsträger als Punktteilchen behandelt werden. 3

George Stoney, 1826–1911. Hermann von Helmholtz, 1821–1894, vielseitiger Gelehrter, u.a. Wirbelsätze, Wellengleichung. Ab 1870 Professur für Physik in Berlin. 5 Emil Wiechert, 1861–1928, ab 1905 o. Prof. für Geophysik in Göttingen. 6 Joseph John Thomson, 1846–1940, Nobelpreis 1906 für el. Leitfähigkeit von Gasen. 7 Robert Andrews Millikan, 1868–1953; Nobelpreis 1923. An den Messungen war Harvey Fletcher (unerwähnt) beteiligt. 8 stark: p+p → Σ 0 +p+K + ; schwach: n → p+e− + ν¯; elektromagnetisch: π 0 → γ +γ. 4

4

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Anmerkung: Punktteilchen machen auch in der klassischen Elektrodynamik Schwierigkeiten. Die Selbstenergie einer endlichen Ladung divergiert, wenn der Radius der Ladungsverteilung gegen null strebt. In ähnlicher Weise führt auch die Reduktion des Durchmessers eines Drahtes bei endlich bleibendem Strom zu einer Divergenz der Selbstinduktivität. Aus der Dynamik der Elektronen lernt man, dass die Annahme eines Radius a  re ≈ 3×10−13 cm der Ladungsverteilung zu inkorrekten Ergebnissen führt (siehe Strahlungsrückwirkung, Abschnitt 8.5). Darüber hinaus wäre bei Abständen der Größenordnung der Compton-Wellenlänge λ ¯ c ≈ 4 × 10−11 cm die Quantenmechanik zu berücksichtigen. Einen Ausweg bietet erst die QED (Quantenelektrodynamik). Man kann diese nur selten auftretenden Schwierigkeiten umgehen, so dass wir trotz der konzeptionellen Einwände gegen Punktteilchen an diesen festhalten.

Die gesamte Ladung Q eines Atomkerns ist die Summe der Ladungen der Protonen  Q= ep = Z e0 , p

wobei Z die Kernladungszahl ist. Rechnet man noch die negative Ladung der Z Elektronen hinzu, so ist Gesamtladung des Atoms null. Anders ausgedrückt, gilt für Ladungen die Additivität, nach der die Gesamtladung Q die Summe der Teilladungen qi ist. Wichtiger als die gesamte Ladung Q ist oft die (Raum-)Ladungsdichte ρ, d.h. die Ladung ΔQ pro Volumenelement ΔV . Vorhanden seien n Teilchen, die mit i nummeriert sind. Sie tragen die Ladung ei am Ort xi (t) zur Zeit t. Man definiert: Mikroskopische Ladungsdichte ρ(x, t) =

n  i=1

ei δ(3) (x − xi (t)).

(1.1.1)

Mikroskopische Stromdichte j(x, t) =

n  i=1

.

ei δ(3) (x − xi (t)) xi .

(1.1.2)

Hierbei ist δ(3) (x) die dreidimensionale Dirac’sche Delta-Funktion (B.6.12) . ρ(x, t) und j(x, t) erfüllen die Kontinuitätsgleichung ∂ ρ(x, t) + ∇ · j(x, t) = 0, ∂t

(1.1.3)

was durch Ableitung der Ladungsdichte nach der Zeit verifiziert werden kann:

1.1 Ladungen, Ströme und Ladungserhaltung

5

.

 ∂     ∂δ(x−xi ) ∂ ρ(x, t) = ei δ(3) x−xi (t) = ei xi δ(y−yi) δ(z −zi ) ∂t ∂t ∂xi i i ∂δ(z −zi )  ∂δ(y −yi ) yi δ(z −zi ) + δ(x−xi ) δ(y−yi ) zi + δ(x−xi ) ∂yi ∂zi    ei ∇δ(3) x − xi (t) · xi . =−

.

.

.

i

Anmerkung: Die Kontinuitätsgleichung ist für jedes einzelne Teilchen i ρi (x, t) = qi δ(3) (x − xi (t)),

ji (x, t) = qi vi δ(3) (x − xi (t))

separat gültig.

Strom durch eine Fläche Die Ladung innerhalb eines festen Volumens V ist ˆ  Q(t) = ei . d3 x ρ(x, t) = V

(1.1.4)

xi (t)∈V

In vielen Fällen hat man es mit Ladungsträgern einer Sorte (oder einiger weniger Sorten) zu tun, so dass man die Dichte auf die Form ρ(x, t) = q

n  i=1

δ(3) (x − xi (t)) = q n(x, t)

(1.1.5)

bringen kann. n(x, t) ist die Teilchendichte. Die Stromdichte j(x, t) kann mithilfe einer mittleren Geschwindigkeit v(x, t) definiert werden: n

v(x, t) =

1 vi n i=1



j(x, t) = ρ(x, t) v(x, t) .

Wir wenden uns jetzt der Abb. 1.1 zu, um die durch die Fläche df in der Zeit δt fließende Ladung δQ zu bestimmen. Die Änderung der Ladung pro Zeiteinheit ergibt den Strom durch die Fläche. j · n df ist die Ladung, die pro Zeiteinheit durch die Flächeneinheit senkrecht zu j strömt ([j] = statC/(cm2 s)). Während δt führt der Strom durch df zu dem Ladungsverlust (siehe Abb. 1.1) δQ = −j · n δtdf = −ρ v · df δt . Y

vn δt

j

j

zn df

Abb. 1.1. v ist die mittlere Geschwindigkeit der Ladungsträger und df = n df das Flächenelement, durch welches in der Zeit δt die sich im Volumen δt v · n df befindenden Teilchen strömen

Für einen endlichen Querschnitt F erhält man ¨ δQ =− ρ v · df . δt F

6

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Kontinuierliche Ladungsverteilungen Wir rufen uns in Erinnerung, dass der Abstand der Ladungsträger in kondensierter Materie (Festkörper, Flüssigkeit, Plasma) etwa 10−8 cm beträgt. Bei allen makroskopischen Beobachtungen sind Distanzen dieser Größenordnung nicht auflösbar. Die Teilchenstruktur der Materie ist also nicht sichtbar, sondern man hat es mit einer scheinbar kontinuierlichen Ladungsverteilung zu tun, die durch Mittelung der mikroskopischen Ladungsverteilung in einem Volumen ΔV (x) zu bilden ist. Nach Lorentz9 ist es naheliegend alle Ladungen, die innerhalb einer Kugel Ka = 4πa3 /3 mit dem Radius a um den betrachteten Punkt x liegen, zusammenzufassen: ˆ     ΔQ = ej . ej δ(3) x − xj (t) = d3 x Ka (x)

j

xj ∈Ka (x)

Man erhält so die mittlere Dichte ˆ ΔQ = d3 x f (x−x ) ρ(x ) ρ¯(x, t) = Ka

mit f (x−x ) =

θ(a − |x−x |) , Ka

wobei f normiert ˆ d3 x f (x − x ) = 1 und θ(x) die Stufenfunktion (Heaviside-Funktion) (B.6.17) ist. Anmerkung 1 : Obige Verteilungsfunktion f hat den Nachteil der Unstetigkeit auf der Kugeloberfläche. Wir denken uns f dort etwas geglättet, wie in Abb. 1.2 skizziert, so dass wir eine stetige Funktion erhalten, was etwa durch f (r) =

γ

1

ln(eγKa + 1) eγ(Kr −Ka ) + 1

mit

Kr =

4πr 3 3

(1.1.6)

erreicht werden kann. γ bestimmt die Glättung von f . Für γ Ka = 50 liegen etwa 10% des Volumens im Übergangsbereich um r = a und für γKa → ∞ geht (1.1.6) in die θ-Funktion über. In einer Dimension (Ka = 2a) erhält man mit f (x) =

γ 1 ln(e2γa + 1) e2γ(|x|−a) + 1

(1.1.7)

¯ eine gemittelte Linienladungsdichte λ(x). In Abb. 1.3 ist sowohl die Mittelung einer linearen Ladungsverteilung als auch (im Insert) die zugehörige Verteilungsfunktion (1.1.7) dargestellt. Hätten wir die Mittelung mit einer Rechteckverteilung durchgeführt, so wären kleine Unstetigkeiten sichtbar geworden. 9

Hendrik Antoon Lorentz, 1853–1928; Nobelpreis 1902 für Zeeman-Effekt

1.1 Ladungen, Ströme und Ladungserhaltung 1 Ka

7

f (|x−x |)

6

a

2

1

1.5

Abb. 1.2. Verteilungsfunktion f (|x−x |), die, ausgehend von einer Kugel Ka mit dem Radius a (strich|x−x | liert), gemäß (1.1.6) am Rand geglättet ist

gemittelte Ladung

0

λ(x) L/Q

-0.5

0.0

0.5

0.5 0 -6

-4

-2 0 2 x (beliebige Einheit)

4

6

Abb. 1.3. Normierte mittlere ¯ Linienladungsdichte λ(x)/(Q/L); die vertikalen Striche sind Punktladungen mit der Gesamtladung Q, die sich auf einer Länge L = 10 (beliebige Längeneinheit) verteilen. Die Mittelung wurde mit (1.1.7): γ = 10 und a = 0.5 (siehe Insert) durchgeführt

Anmerkung 2 : In manchem Zusammenhang ist eine (zusätzliche) zeitliche Mittelung sinnvoll. In klassischer Betrachtung erzeugt ein punktförmiges Elektron, das sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius a und Geschwindigkeit v = aωeϕ um den Kern bewegt den Strom j(x, t) = ρ(x, t) v(x, t) = −e0 δ( − a) δ(ϕ − ωt) δ(z) ω eϕ . Die zeitliche Mittelung ergibt den Ringstrom j(x) = −

e0 δ( − a) δ(z)ω eϕ , 2π

der ein konstantes magnetisches Moment μ erzeugt. Anmerkung 3 : Die hier angeführten Mittelungen beziehen sich auf Ladungsträger eines Typs und sollen die Verwendung kontinuierlicher Ladungsverteilungen erläutern. Nicht einbezogen sind Ladungsträger (Atome oder Moleküle) mit Ladungen verschiedenen Vorzeichens, deren gesamte Ladung zwar verschwindet, die aber endliches (mikroskopisches) Dipolmoment haben. Man hat es hier mit gebundenen Ladungen zu tun, wie sie in Materie auftritt und auf die erst im Abschnitt 5.2 eingegangen wird.

Die mittlere Dichte ist definiert durch ˆ ρ¯(x, t) ≡ d3 x f (x−x ) ρ(x , t) = e n ¯ (x, t).

(1.1.8)

Mit n ¯ (x, t) wird die Teilchendichte bezeichnet. Für den Strom erhält man ˆ ¯j(x, t) ≡ d3 x f (x−x ) j(x , t) = ρ¯(x, t) v(x, t) . (1.1.9)

8

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Die mittlere Geschwindigkeit v(x, t) ist so definiert als n

v(x, t) =

1  n ¯ (x, t) i=1

ˆ d3 x f (x−x ) ni (x , t) vi .

Zu zeigen ist, dass die gemittelten Größen ebenfalls die Kontinuitätsgleichung erfüllen. Das ist der Fall, wenn Mittelung und Ableitung vertauschen. Dann gilt für den Integranden die Kontinuitätsgleichung und somit auch für das Integral. Für ˆ ¯ t) ρ¯(x, t) = d3 x f (x−x )ρ(x , t) = ρ(x, (1.1.10)

.

.

.

ist das offensichtlich und für ˆ ¯ ∇ · j(x, t) = ∇ · d3 x f (x−x ) j(x , t) V

verwenden wir zwei „Kunstgriffe“, die noch öfter vorkommen werden. 1. Hängt eine Funktion nur von der Differenz zweier Variabeln ab, so ist ∇f (x−x ) = −∇ f (x−x ).

(1.1.11)

Daraus folgt ˆ ˆ d3 x j(x , t) · ∇ f (x−x ). ∇· d3 x f (x−x ) j(x , t) = − V

(1.1.12)

V

2. Partielle Integration: Ergänzung des Integranden zu einer vollständigen Divergenz, auf welche dann der Gauß’sche Satz (A.4.3) angewandt werden kann: ˆ d3 x j(x , t)·∇ f (x−x ) (1.1.13) V ˆ 

 d3 x ∇ · f (x−x ) j(x , t) − f (x−x )∇ ·j(x , t) = "V ˆ = df  · f (x−x ) j(x , t) − d3 x f (x−x ) ∇ ·j(x , t). ∂V

V

Der Randterm ist hier ein Oberflächenintegral, das verschwindet, da V genügend groß gewählt wird, so dass auf der Oberfläche keine Ströme mehr vorhanden sind. Es gilt somit ∇ ·¯j(x, t) = ∇·j(x, t) .

(1.1.14)

Mittelungen und Ableitungen sind also vertauschbar und somit erhalten wir die Kontinuitätsgleichung für die gemittelte Ladungs- und Stromdichte

1.2 Lorentz-Kraft

∂ ρ¯(x, t) + ∇ · ¯j(x, t) = 0 . ∂t

9

(1.1.15)

Eine Unterscheidung zwischen gemittelten, kontinuierlichen und mikroskopischen Strömen und Dichten ist fortan nicht mehr notwendig und wird im Allgemeinen nicht gemacht, so dass für Ströme und Ladungen, mit der Ausnahme ganz spezieller Fälle, nur j und ρ verwendet werden. Wir integrieren nun den 2. Term der Kontinuitätsgleichung über das Volumen V und wenden den Gauß’schen Satz (A.4.3) an: ˆ " I(t) = d3 x ∇ · j(x, t) = df · j(x, t) . (1.1.16) V

∂V

∂V bezeichnet die Oberfläche von V . Mit div j sind die Quellen (Senken) in V bezeichnet, die den gesamten Strom I ergeben, der durch die Oberfläche ∂V tritt. Die zeitliche Änderung der Gesamtladung Q (siehe (1.1.4)) muss den Strom I ergeben, der durch die das Volumen einschließende Oberfläche fließt: ˆ " d Q+I =0 ⇔ d3 x ρ(x, t) + df · j = 0 . (1.1.17) dt V ∂V

.

Wir haben hier die integrale Form der Kontinuitätsgleichung und können (1.1.15) präziser als differentielle Form der Kontinuitätsgleichung bezeichnen. Dieselbe Unterscheidung zwischen differentiellen und integralen Formen kommt an vielen Stellen zum Ausdruck, insbesondere bei den MaxwellGleichungen.

1.2 Lorentz-Kraft Elektrische Ladungen sind nicht per se definiert, sondern über Wechselwirkungskräfte, die sie aufeinander ausüben. Die Kraft, die eine Ladung erfährt, wenn sie sich in elektrischen und magnetischen Feldern bewegt, nennt man Lorentz-Kraft. Bei dieser sind genau zwei Konstanten, kc und kl , frei wählbar. Sind sie festgelegt, so sind es auch die Ladungen, Ströme, Felder und (mit Zusatzannahmen) die Maxwell-Gleichungen. 1.2.1 Kraft auf eine ruhende Ladung Nach dem Coulomb’schen Gesetz üben zwei ruhende elektrische Ladungen die Coulomb-Kraft F1 = q1 E2 (x1 ) = kc q1 q2

x1 − x2 = −F2 |x1 − x2 |3

(1.2.1)

aufeinander aus, wobei der Faktor kc die Ladung definiert. In Folge sind mit (1.1.2) auch die Stromdichte j und mit (1.2.2) das elektrische Feld E bestimmt, wie in Tab. 1.1, S. 22 angegeben.

10

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Coulomb10 fand das nach ihm benannte Gesetz 1785 aus der Abstoßung zweier Ladungen mittels einer Drehwaage. Priestley [1767, S. 732] hat (auf Hinweis von Benjamin Franklin) aus der Tatsache, dass auf Kugeln, die sich in einem geladenen Metallgefäß befinden, keine Kraft wirkt, geschlossen, dass die elektrostatische Kraft ∼ 1/r2 ist: May we not infer from this experiment that the attraction of electricity is subject to the same laws with that of gravitation, and is therefore according to the squares of distances; since it is easily demonstrated, that where the earth in the form of a shell, a body in the inside of it would not be attracted to one side more than another?

Auf ähnliche Art hat 1773 Cavendish11 das Kraftgesetz bestimmt, aber leider nicht veröffentlicht. Es blieb Maxwell12 vorenthalten auf diese Messungen hinzuweisen [Maxwell, 1873, Art. 74a] und Cavendish’s Arbeit bekannt zu machen [Maxwell, 1879]. In der Skizze Abb. 1.4 haben q1 und q2 das gleiche Vorzeichen, d.h., die Kräfte sind abstoßend. E2 (x1 ) ist dabei das elektrische Feld der Ladung q2 , F1]

• q1 x1  ] x1 −x2

1• q2 x2 ^ F2 0

Abb. 1.4. Die Kräfte F1 und F2 , die zwei ruhende Punktladungen q1 und q2 aufeinander ausüben, sind (anti-) parallel zur Verbindungslinie x1 −x2 . Eingezeichnet sind die Kräfte für Punktladungen gleichen Vorzeichens

das die Ladung q1 am Ort x1 spürt: E2 (x1 ) = kc q2

x1 − x2 1 . = −kc q2 ∇1 |x1 − x2 |3 |x1 − x2 |

(1.2.2)

Aus dieser Definition der Kraft folgt, dass sie analog zur Gravitation aus einem Potential herleitbar ist: F1 = −q1 ∇1 φ(x1 −x2 )

mit

φ(x1 −x2 ) = kc

q2 . |x1 −x2 |

(1.2.3)

φ ist das skalare elektrostatische Potential, das in dieser Form nur für ruhende Ladungen gültig ist. Die Coulomb-Kraft (1.2.1) ist eine Zentralkraft, analog der Schwerkraft. 10

Charles Augustin de Coulomb, 1736–1806. Henry Cavendish, 1731–1810, englischer Naturwissenschafter. 12 James Clerk Maxwell, 1831–1879; Forschung zu Elektrodynamik, kinet. Gastheorie, statist. Mechanik. 11

1.2 Lorentz-Kraft

11

Zentralkräfte zeigen immer auf das Kraftzentrum (x1 , Abb. 1.4); das Drehmoment N verschwindet, und der Drehimpuls L ist zeitlich konstant K(x) = K(|x−x1 |)

x−x1 , |x−x1 |

.

N = L = (x−x1 )×K(x) = 0.

Nach (1.2.2) ist F1 = q1 E2 = −q2 E1 .

(1.2.4)

1.2.2 Kraft auf eine bewegte Ladung Ein Magnetfeld B übt auf eine bewegte Ladung eine Kraft senkrecht auf die Bewegungsrichtung v der Ladung aus. Diese Kraft Fl muss der CoulombKraft Fc hinzugefügt werden: F = Fc + Fl ,

Fc = qE,

v Fl = kl q ×B. c

(1.2.5)

Der speziellen Wahl von v/c in Fl mit der Lichtgeschwindigkeit c liegt zugrunde, dass die Gleichwertigkeit von Inertialsystemen (Systeme, die sich kräftefrei gleichförmig bewegen) eine universelle Geschwindigkeit c zur Folge hat, wie im Abschnitt 12.1.1 dargelegt wird. Daher treten Geschwindigkeiten im Verhältnis v/c auf, wie es in Fl berücksichtigt ist. Das muss nicht beachtet werden, denn kl ist eine frei wählbare Konstante, die das Magnetfeld B bestimmt, aber eine Wahl mit kl = 1 greift in die Symmetrie zwischen elektrischem Feld E und Magnetfeld B ein. Nun sind alle Größen, die in den Maxwell-Gleichungen (1.3.21) vorkommen, das sind ρ, j, E und B, durch die beiden Konstanten kc und kl festgelegt. Das System mit kc = 1 und kl = 1 heißt Gauß-System. B ist gemäß (1.3.1) die magnetische Flussdichte und heißt (historisch bedingt) magnetische Induktion; wie aus (1.2.5) ablesbar, ist B das physikalische Feld, dessen Kraftwirkung auf bewegte Ladungen messbar ist. Zur Beschreibung elektromagnetischer Vorgänge in Materie führt man Hilfsfelder ein, die dielektrische Verschiebung D und das Magnetfeld H, die mittels Materialgleichungen (5.2.17) definiert sind. Verwendet man für B die Bezeichnung Magnetfeld, so sollte man, um genau zu sein, bei H von einem magnetischen Hilfsfeld [Griffiths, 2011, S. 350] oder der magnetischen Erregung [Sommerfeld, 1967, S. 10], sprechen, was eher selten gemacht wird. Die Kraft Fl , die die Ablenkung bewegter Teilchen in einem Magnetfeld beschreibt, heißt LorentzAnteil der (Lorentz)-Kraft. Die Literatur ist hier nicht einheitlich, manchmal wird Fl als Lorentz-Kraft bezeichnet, manchmal F. Arbeit ist als Kraft mal Weg definiert. Der Lorentz-Anteil Fl leistet keine Arbeit, da die Kraft senkrecht auf den Weg δs = vδt steht:

12

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

  kl δW = q E + v×B · vδt = qE·δs. c

(1.2.6)

Anmerkungen: Maxwell [1873, Art. 599] bezeichnet das Feld13 E1 = v×B als den Teil der elektromotorischen Kraft (electromotive intensity), der der Bewegung eines Teilchens, das magnetische Feldlinien quert, zuzuordnen ist (d.h. Fl = qE1 ). E1 ist eine Konsequenz des Induktionsgesetzes für bewegte Leiter (1.3.4) und wird von Maxwell [bereits 1861, (77)] angegeben. Man könnte meinen, dass hiermit Fl gefunden ist. Es dauerte ∼ 30 Jahre bis Lorentz [1892, (61)] die Kraft auf ein sich im Feld B bewegendes geladenes Teilchen mit Fl angibt. Zu dieser Zeit hatte man bereits ein atomistisches Bild der Materie mit Hinweisen Elektronen. Der direkte experimentelle Nachweis durch die Ablenkung von Kathodenstrahlen in elektromagnetischen Feldern geht auf Lenard14 und J.J. Thomson [1897] zurück. Als indirekter Nachweis kann die Hall-Spannung (entdeckt 1879, Abschnitt 5.3.3), die durch die Ablenkung von Elektronen in einem Leiter verursacht wird, verstanden werden.

1.3 Maxwell-Gleichungen Die Gleichungen, die das Verhalten geladener Teilchen in elektromagnetischen Feldern bestimmen, die Maxwell-Gleichungen, können sowohl in differentieller als auch in integraler Form angegeben werden. In Letzterer hat man Integrale, vor allem über Oberflächen, die Volumina und Linien, die Flächen einschließen; diese Darstellung eignet sich meist besser für die Untersuchungen von Stetigkeitsbedingungen an Grenzflächen. Zunächst ist es notwendig, einige Begriffe zu definieren: ¨ magnetischer Fluss durch Fläche F : Φb = df · B , ¨F df · E, elektrischer Fluss durch Fläche F : Φe = ‰F (1.3.1) dx · B , magnetische Ringspannung: Zb = ‰∂F dx · E . elektrische Ringspannung: Ze = ∂F

∂F ist eine geschlossene Kurve, die als Randkurve der Fläche F mit deren n

6 F

∂F 13 14

-

Abb. 1.5. Fläche F mit Randkurve ∂F , die im Gegenuhrzeigersinn durchlaufen wird und mit df = df n eine Rechtsschraube bildet

elektrostatische Einheiten, kc = 1 , kl = c, d.h. E1 = (kl /c)v×B → v×B. Philipp Lenard (1862–1947), Nobelpreis 1905.

1.3 Maxwell-Gleichungen

13

Normalenvektor n eine Rechtsschraube bildet, wie in Abb. 1.5 skizziert. Die Felder B bzw. E müssen Wirbel (rot E = 0) haben, damit eine Ringspannung (Zirkulation) auftritt. Der elektrische (magnetische) Fluss wird auch als elektrische (magnetische) Durchflutung bezeichnet oder als Stromlinien-(Kraftlinien-)Zahl. E oder EMK (elektromotorische Kraft) sind alternative Ausdrücke für die elektrische Ringspannung ZE , wobei „Kraft“ in ihrer älteren Bedeutung für Energie steht [Sommerfeld, 1967, S. 12]. Die Maxwell-Gleichungen, auf denen die Elektrodynamik beruht, sind Ergebnis der Erfahrung mit elektrodynamischen Phänomenen und so etwa den Newton’schen Axiomen der Mechanik gleichzusetzen. Wir nehmen dabei vorweg, dass wir zwei Gesetze, das Faraday’sche Induktionsgesetz und das AmpèreMaxwell-Gesetz in den Vordergrund stellen. Die beiden anderen Gesetze, das Gauß’sche Gesetz und die Divergenzfreiheit des Magnetfeldes, sind Zusatzaxiome, die aus der Annahme folgen, dass E und B Vektorfelder sind mit den elektrischen Ladungen als Quellen und Senken von E. 1.3.1 Gauß’sches Gesetz Von Interesse ist der Fluss Φe durch die Oberfläche ∂V des (einfach zusammenhängenden) Volumens V , skizziert in Abb. 1.6. Der elektrische Fluss Φe durch die Oberfläche ∂V des Volumens V ist proportional der in V enthaltenen Ladung Q. Dieser Proportionalitätsfaktor ist 4πkc , wie in (1.3.3’) gezeigt wird.

Abb. 1.6. Einfach zusammenhängendes Volumen V mit der Oberfläche ∂V ; diese ist stückweise glatt (siehe S. 585), wobei df = df n immer nach außen zeigt

Gauß’sches Gesetz oder Kraftflusssatz: " df ·E(x, t) = 4πkc Q(t).

(1.3.2)

∂V

Der Name Kraftflusssatz nimmt Bezug auf die ältere Bezeichnung Kraftfluss für Φe . Wandeln wir das Oberflächenintegral mit dem Gauß’schen Satz (A.4.3) in ein Volumenintegral um, so erhalten wir das Gauß’sche Gesetz in der Form ˆ   d3 x ∇ · E − 4πkc ρ(x, t) = 0. V

14

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Diese Gleichung gilt für beliebige Volumina V nur, wenn der Integrand verschwindet ∇·E(x, t) = 4πkc ρ(x, t),

(1.3.3)

womit wir die differentielle Form des Gauß’schen Gesetzes (1.3.2) hergeleitet haben. Setzt man das elektrische Feld (1.2.2) der Ladung q2 in (1.3.3) ein, so kann man den Proportionalitätsfaktor 4πkc verifizieren: ∇·E(x) = −q2 kc Δ

1 |x−x2 |

(2.1.7)

=

4πkc q2 δ(3) (x−x2 ) ≡ 4πkc ρ(x). (1.3.3’)

1.3.2 Faraday’sches Induktionsgesetz Faraday [1832] fand, dass in einer Leiterschleife ein Strom (Feld) induziert wird, wenn sich der durch die Schleife der Fläche F tretende magnetische Fluss Φb ändert. Das kann durch eine benachbarte Schleife geschehen, in der der Strom variiert wird; es kann aber auch diese Schleife (oder ein Permanentmagnet) relativ zur Leiterschleife bewegt werden. Anders ausgedrückt, wird die Flussänderung durch eine Änderung des Magnetfeldes B und/oder der Fläche F (t) hervorgerufen. Mit der Flussänderung wird in der Leiterschleife eine Ringspannung induziert, wobei E das Feld im System der Schleife ist: ¨ ‰ d (1.3.8) kl  . (1.3.4) df ·B, k3 = ds·E = −k3 dt F c ∂F k3 ist ein vorerst unbestimmter Proportionalitätsfaktor, der in (1.3.8) als k3 = kl /c identifiziert wird. Das negative Vorzeichen nimmt vorweg, dass das Magnetfeld des induzierten Stromes der den Strom erzeugenden Flussänderung entgegengerichtet ist (Lenz’sche Regel). Der Umlaufsinn des Wegintegrals entlang ∂F ist im mathematisch positiven Sinn, d.h. gegen den Uhrzeigersinn, wie durch das Integralzeichen in (1.3.4) angedeutet und in Abb. 1.7 skizziert ist. Mittels der Definitionen der Ringspannung Ze und des magnetischen Flusses Φb (1.3.1) kann man das Induktionsgesetz auf die kompakte Form

.

Ze = −k3 Φb

(1.3.5)

bringen. In Worten: Die in einem Leiter induzierte Ringspannung ist gleich der kl /c-fachen Abnahme des magnetischen Flusses pro Zeiteinheit. Die Lenz’sche Regel gibt die Richtung des Stroms an, der durch die Änderung des durch F gehenden magnetischen Flusses erzeugt wird. Wie in Abb. 1.7(a) skizziert, ist es die „Linksschraubenregel“. Stellt die Berandung ∂F der Fläche F , wie in Abb. 1.7(b) skizziert, eine Leiterschleife dar, so bewirkt die in dieser induzierte Spannung einen Strom, dessen Magnetfeld Bind der Feldänderung dB entgegengesetzt gerichtet ist.

1.3 Maxwell-Gleichungen

B

6

.

B

6

666

k Y i y -  s ? Bind  i 9 )  +

∂F ds

 n  dB

++ + E

E] j

15

××××××××××××××

N

B

(b)

(a)

Abb. 1.7. (a) Induktionsgesetz (Linksschraubenregel); das Magnetfeld wird stär˙ ker: BB. (b) (Ruhende) Leiterschleife der Fläche F mit dem Normalenvekor n und der Rand˙ > 0 und als Folge Φ˙ b > 0. E und j sind kurve ∂F ; wird das Feld stärker, so ist n· B dem Umlaufsinn der Randkurve ∂F entgegengerichtet. j induziert ein Feld Bind , das dB entgegengesetzt gerichtet ist

Lenz’sche Regel: Das induzierte elektrische Feld ist so gerichtet, dass das von diesem induzierte Magnetfeld der verursachenden Flussänderung entgegenwirkt. Wird F (t) bewegt, so ist in (1.3.4) E das Feld im (momentanen) Ruhsystem der Schleife; hierbei soll v/c genügend klein sein, so dass höhere Ordnungen nicht zu berücksichtigen sind; im Ruhsystem der Schleife wird F (t) nicht deformiert, weshalb die Ableitung mit dem Integral vertauscht werden kann. Zur Berechnung von dB verwenden wir (A.2.35) für konstantes a: dt ∇×(a×b) = a(∇·b) − (a·∇)b. Damit erhält man die sogenannte konvektive Ableitung

.

∂B dB = + (v·∇)B = B − ∇×(v×B), dt ∂t

(1.3.6)

da der Term v(∇·B) wegen der erst später angesprochenen Divergenzfreiheit (1.3.19) von B verschwindet. Nun wendet man den Stokes’schen Satz (A.4.13) auf (1.3.4) an und erhält: ˛ ¨ ˛ ds · E = −k3 df · B+k3 ds · v×B. (1.3.7)

.

∂F (t)

F

∂F (t)

Wir haben so die Beziehung zwischen dem Feld E im bewegten und E im ruhenden System: E = E+k3 v×B

(1.2.5)

=⇒

k3 =

kl . c

(1.3.8)

16

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Maxwell, der die von Faraday beobachtete Induktion in eine mathematische Form brachte, hat diese Gleichung hergeleitet [Maxwell, 1861, (77)]. Sie beschreibt das Feld, das eine bewegte Ladung q spürt; daher kann k3 durch Vergleich mit der Kraft (1.2.5) auf eine bewegte Ladung angegeben werden: k3 = kl /c. Nach Anwendung des Stokes’schen Satzes (A.4.13) erhält man ¨ kl (1.3.9) df ·(rot E+ B) = 0. c F

.

Da das Verschwinden obigen Integrals nicht von der Fläche abhängt, muss der Integrand verschwinden und man erhält das Induktionsgesetz in differentieller Form rot E+

.

kl B = 0. c

(1.3.10)

Anmerkungen: Wir haben in (1.3.4) eine sich mit v bewegende Stromschleife betrachtet und nur in v lineare Beiträge berücksichtigt [Jackson, 2006, Abschn. 5.15]. E geht hier durch die lineare Galilei-Transformation (12.0.1) aus E hervor. Im Rahmen der SRT werden wir sehen, dass die korrekte Transformation, die LorentzTransformation im bewegten System eine Kontraktion der zu v parallelen Länge zur Folge hat, die ein Effekt höherer Ordnung in v ist; (13.1.29) ist die Transformation für E. Die differentiellen Maxwell-Gleichungen, wie (1.3.10), sind forminvariant unter Lorentz-Transformationen, worauf im Abschnitt 13.1.4 näher eingegangen wird.

1.3.3 Ampère-Maxwell-Gesetz Das Ampère-Maxwell-Gesetz beschreibt den Aufbau eines Magnetfeldes B um einen elektrischen Stromleiter: ¨ ‰  4πk ¨  1 d (1.3.15’) 1 c df ·j + df ·E , k4 = . (1.3.11) ds·B = k4 c c dt F kl F ∂F k4 ist ein zu bestimmender Proportionalitätsfaktor, der im Folgenden mittels der Wellengleichung (1.3.15’) als 1/kl identifiziert wird. Die Korrektheit des Ausdrucks in der eckigen Klammer, der den gesamten Strom (4πkc /c) Itot beschreibt, wird mittels der Kontinuitätsgleichung gezeigt. Zur (Leitungs-)Stromdichte j kommt noch die Verschiebungsstromdichte jd = E/4πkc hinzu und bildet so die Gesamtstromdichte. jd (displacement current) ist proportional der zeitlichen Änderung der elektrischen Flussdichte:

.

jtot (x, t) = j(x, t) + jd (x, t),

jd (x, t) =

.

1 E(x, t) . 4πkc

(1.3.12)

Das Ampère-Maxwell-Gesetz hat so die Form des Ampère’schen Gesetzes ¨ 4πkc (1.3.15’) 1 Itot mit k4 = und Itot = df ·jtot , (1.3.13) ZB = k4 c kl F

1.3 Maxwell-Gleichungen

17

wobei ZB die Ringspannung (Wirbelstärke) des Magnetfeldes ist. Röntgen hat 1888 den Verschiebungsstrom durch ein im elektrischen Feld bewegtes Dielektrikum (Röntgen-Strom) experimentell nachgewiesen [Röntgen, 1888], was von Lorentz als nahezu ebenso wichtige Entdeckung wie die der RöntgenStrahlen angesehen wurde [Beier, 2013, S. 62]. Für das Ampère-Maxwell-Gesetz, von Sommerfeld auch als Ampère’sches elektromagnetisches Verkettungsgesetz bzw. (elektromagnetisches) Durchflutungsgesetz bezeichnet [Sommerfeld, 1967, S. 13], kann die folgende Formulierung verwendet werden, wenn man zur Stromdichte j auch die Verschiebungsstromdichte jd rechnet: Die Zahl elektrischer Stromlinien, die eine beliebige Fläche F durchsetzen, ist begleitet von einer ihr gleichen, auch dem Schraubensinn nach gleichen magnetischen Ringspannung in der Randkurve ∂F von F . Von größerer Relevanz ist die Umformung des Linienintegrals in ein Flächenintegral mit der Wirbeldichte zB = n · rot B durch Anwendung des Stokes’schen Satzes (A.4.13): ¨ 1 4πkc j = 0. (1.3.14) df · rot B − k4 E + c c F

.

Da das Integral für jede Fläche gilt, muss der Integrand verschwinden, so dass wir die differentielle Form des Ampère-Maxwell-Gesetzes: rot B = k4

.

4πkc  1 j+ E , c 4πkc

k4

(1.3.15’)

=

1 kl

(1.3.15)

erhalten. Aus der Bildung der Divergenz folgt mithilfe der Kontinuitätsgleichung (1.1.15): ∇·∇×B

(1.3.3)

=

k4 kc

.

(1.1.15) 4π  ∇·j+ ρ = 0. c

Zwischen j und jd kann somit kein weiterer Proportionalitätsfaktor sein. Zur Bestimmung von k4 nehmen wir die Maxwell-Gleichungen für das Vakuum (j = ρ = 0), leiten die Ampère-Maxwell-Gleichung nach der Zeit ab und setzen für B die Induktionsgleichung ein:

.

.

∇× B = −

k4 ¨ c (A.2.38) c ∇×(∇×E) = ΔE = E. kl kl c

Verwendet haben wir bei der Berechnung von ∇×(∇×E), dass keine Quellen vorhanden sind (∇·E = 0) und so die Wellengleichung für E erhalten:   k4 kl ∂ 2 −Δ E=0 2 2 c ∂t

=⇒

k4 =

1 . kl

(1.3.15’)

c ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit elektrischer Wellen, weshalb k4 = 1/kl .

18

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Anmerkung: Zu (1.3.15) wäre hinzuzufügen, dass um 1860 nur das Ampère’sche Durchflutungsgesetz rot B =

4πkc j ckl

(1.3.16)

bekannt war. Maxwell bemerkte, dass dieses für zeitabhängige Phänomene nicht richtig sein konnte. Es muss durch einen Term, den Verschiebungsstrom jd , ergänzt werden, der garantiert, dass div rot B = 0 und der gleichzeitig die Ladungserhaltung (Kontinuitätsgleichung) erfüllt, wie vorher gezeigt wurde. Erst mit dem Verschiebungsstrom jd = 1 E sind elektromagnetische Wellen als Lösungen der Maxwell4πkc Gleichungen im Vakuum (ρ = j = 0) möglich. Es war das Verdienst von Hertz15 um 1887 die Existenz elektromagnetischer Wellen nachzuweisen und damit auch die Ampère-Maxwell-Gleichung zu verifizieren, die zur Zeit ihrer Aufstellung experimentell nicht abgesichert war.

.

Bereits erwähnt haben wir das dem Ampère-Maxwell-Gesetz vorangehende Ampère’sche Gesetz für stationäre Ströme, das in integraler Form lautet: ‰ ¨ 4πkc I, I= df ·j. (1.3.17) ds · B = ckl F ∂F Noch etwas früher (1820) hat Ørsted entdeckt, dass ein elektrischer Strom in einem linearen Leiter ein Magnetfeld erzeugt, wie es in Abb. 1.8 dargestellt ist und das mit dem Biot-Savart’schen Gesetz, manchmal auch als Ørsted’sches Gesetz bezeichnet, berechnet werden kann.

6 33 3B I 6

Abb. 1.8. Im Draht fließt ein Strom I, der das Magnetfeld B erzeugt. Als Ampère’sche Regel bezeichnet man die Rechtsschraubenregel, wenn I nach oben zeigt und B im Gegenuhrzeigersinn gerichtet ist (Rechtsschraube)

Das Magnetfeld ist kreisförmig, und die magnetische Ringspannung auf einem Kreis mit dem Radius R ist gegeben durch ˛ 4πkc I kc 2I ZB = ds·B = 2πRB = , so dass B = . ck ck l l R C Dieses hier für einen unendlich langen Leiter (Draht) gültige Gesetz folgt sowohl aus dem Ampère’schen Durchflutungsgesetz als auch aus dem BiotSavart’schen Gesetz (1820). In allgemeinerer Form ersetzt man den Draht durch einen Strom, der sich über die Fläche F verteilt. 15

Heinrich Hertz, 1857–1894.

1.3 Maxwell-Gleichungen

19

1.3.4 Divergenzfreiheit der magnetischen Flussdichte In Analogie zum Gauß’schen Gesetz für das elektrische Feld gilt auch für B, dass div B die Quelldichte des Magnetfeldes angibt. Wegen des Fehlens magnetischer Ladungen (Monopole) ist die Quelldichte null und damit verschwindet auch der magnetische Fluss durch eine geschlossene Oberfläche ∂V " df · B = 0 . (1.3.18) ∂V

Dieses (4.) Maxwell-Gesetz ist analog dem Gauß’schen Gesetz für das elektrische Feld, mit dem bereits erwähnten Unterschied, dass bisher noch keine magnetischen Ladungen (magnetische Monopole) nachgewiesen werden konnten. Daher wird das Magnetfeld als quellenfrei angenommen: ∇ · B(x, t) = 0 .

(1.3.19)

Das Oberflächenintegral (1.3.18) haben wir mit dem Gauß’schen Satz in ein Volumenintegral mit div B als Integranden umgeformt, woraus (1.3.19), die differentielle Form von (1.3.18) folgt. Damit sind die Maxwell-Gleichungen vollständig. 1.3.5 Maxwell-Gleichungen in integraler Form Unter dem Begriff Maxwell-Gleichungen sind das Gauß’sche Gesetz (1.3.2), das Faraday’sche Induktionsgesetz (1.3.4), das Ampère-Maxwell-Gesetz (1.3.12) und die Divergenzfreiheit des Magnetfeldes (1.3.18) zusammengefasst. Diese werden immer in obiger Reihenfolge angesprochen, gleich ob in differentieller oder integraler Form: " ¨ ˆ ˛ kl d (a) df ·E = 4πkc d3 x ρ, (b) ds·E = − df ·B, c dt F ∂V V ∂F ˛ ¨ " (1.3.20)  E  4πkc (c) , (d) df · j+ df ·B = 0 . ds·B = ckl F 4πkc ∂V ∂F

.

∂F ist die Randkurve der Fläche F und ∂V die Oberfläche des Volumens V . Anmerkungen: Sommerfeld [1967, S. 14] hat gezeigt, dass unter gewissen Voraussetzungen über die Abschaltbarkeit der Felder E und B die Divergenzfreiheit des Magnetfeldes aus dem Induktionsgesetz (siehe (a)) und das Gauß-Gesetz aus dem Ampère-Maxwell-Gesetz folgen (siehe (b)). (a) Nimmt man das Induktionsgesetz und bildet um die Kurve C eine geschlossene Oberfläche, bei der die zweite Fläche im entgegengesetzten Sinn orientiert ist, so verschwindet die elektrische Ringspannung und man erhält

20

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen " kl d df · B. 0=− c dt Die Integration ergibt " " df · B(t) = const = df · B(t0 ) . Die Annahme, dass B(t0 ) = 0, führt zu const = 0 und damit zu div B = 0.

(b) Beim Ampère’schen Gesetz für eine geschlossene Oberfläche muss die Kurve C ebenfalls zusätzlich im entgegengesetzten Richtungssinn durchlaufen werden. Die magnetische Ringspannung kompensiert sich auf den beiden Durchläufen, und es bleibt " " d 0 = 4πkc df · j + df · E. dt Daraus folgt nach dem Gauß’schen Satz ˆ " d d3 x ∇ · j + 0 = 4πkc df · E. dt V Im 1. Term auf der rechten Seite setzen wir die Kontinuitätsgleichung ein. Man erhält so ˆ " d d d3 x ρ(x, t) + 0 = −4πkc df · E. dt V dt Die Integration ergibt ˆ " df · E. const = −4πkc d3 x ρ + Das ist das Gauß’sche Gesetz, wenn const=0 angenommen wird, was analog zum vorhergehenden Beispiel durchgeführt werden kann.

1.3.6 Die Maxwell-Gleichungen in differentieller Form Wir haben bereits bei den Maxwell-Gleichungen in integraler Form auf die differentielle Form hingewiesen, indem wir beim Gauß’schen Gesetz und bei der Divergenzfreiheit der magnetischen Flussdichte festgestellt haben, dass beim Verschwinden des Integrals über ein beliebiges Volumen V der Integrand verschwinden muss (siehe (1.3.3) und (1.3.19)). Das Faraday’sche Induktionsgesetz und das Ampère-Maxwell-Gesetz haben wir als Integrale über beliebige Flächen dargestellt, deren Integranden dann ebenfalls verschwinden mussten (siehe (1.3.10) und (1.3.15)): (a)

∇·E = 4πkc ρ

(c) kl ∇×B =

.

1 4πkc j+ E c c

.

(b) ∇×E +

kl B=0 c

(d)

∇·B = 0 .

(1.3.21)

1.3 Maxwell-Gleichungen

21

Die beiden inhomogenen Maxwell-Gleichungen sind auf der linken Seite, die beiden homogenen auf der rechten Seite. Diese Gleichungen bedürfen noch einer Modifizierung, wenn sie in Materie angewandt werden, in der die elektrische und/oder die magnetische Suszeptibilität eine Rolle spielen. Wir werden uns dabei nicht nur auf Punktteilchen beschränken, sondern auch kontinuierlich verteilte Dichten untersuchen. Wir wissen schon, dass sich durch Mittelung über ein Auflösungsvolumen ΔV aus den mikroskopischen Dichten kontinuierliche Dichteverteilungen ergeben. Wir werden später sehen, dass man aus den mikroskopischen Maxwell-Gleichungen, die ρ und j als Quellen enthalten, durch Mittelung ähnlich strukturierte Maxwell-Gleichungen für über ΔV gemittelte Felder E und B erhält, die ρ¯ und ¯j als Quellen enthalten. Wir haben hier der Reihe nach das Gauß’sche Gesetz (Kraftflusssatz), das (Faraday’sche) Induktionsgesetz, das Ampère-Maxwell-Gesetz ((elektromagnetisches) Durchflutungsgesetz) und die Divergenzfreiheit (Quellenfreiheit) der magnetischen Flussdichte kennengelernt, die zusammen die Maxwell’schen Gesetze bilden. Nun wird diese Reihenfolge der Gesetze zwar innerhalb des Buches eingehalten, doch ist in der Literatur keine einheitliche Reihung gegeben, so dass die Bezeichnung des Induktionsgesetzes als 2. Maxwell-Gesetz nur begrenzt sinnvoll ist. Wir werden uns deshalb vor allem an die Namen der Gesetze halten, obwohl diese in erster Linie auf die integrale Form hinweisen, von uns aber überwiegend in differentieller Form angesprochen werden.

1.3.7 Superpositionsprinzip Anfangs haben wir festgestellt, dass zur Berechnung der Gesamtladungen die Punktladungen qi addiert werden wie reelle Zahlen. Aus der Coulomb-Kraft (1.2.1) folgt sofort, dass sich dann auch die Felder einzelner Ladungen zu einem gesamten Feld aufaddieren: E(x) =



E(i) (x) = kc

i



qi

i

x − xi = −∇φ(x) . |x − xi |3

Das gilt auch für Potentiale (1.2.3) und Ladungsverteilungen: φ(x) =

 i

∇·E = −

 i

Δφ(i)



qi , |x − xi | i  qi δ(3) (x−xi ) = 4πkc ρ(x). = 4πkc

φ(i) (x) = kc

i

Was hier für Punktladungen gezeigt wurde, gilt natürlich auch für kontinuierliche Ladungsverteilungen ρ(i) (x) und für Stromdichten (1.1.1). Das geht aus der Kontinuitätsgleichung (1.1.3) hervor. Aufgrund der Linearität der Maxwell-Gleichungen gilt das Superpositionsprinzip auch für das Magnetfeld B, das später einzuführende Vektorpotential A mit B = ∇ × A etc.

22

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

1.4 Anmerkungen zu den Einheiten Legt man in der Coulomb-Kraft Fc den Faktor kc fest, so sind die Ladungsdichte ρ, die Stromdichte j und das elektrische Feld E bestimmt. Da kl das Magnetfeld B festlegt, sind alle Größen, die in den Maxwell-Gleichungen vorkommen, definiert. Mithilfe der Tab. 1.1 können so die Maxwell-Gleichungen in jedem beliebigen System dargestellt werden, wobei nach heutigen Maßstäben nur drei Systeme übrig geblieben sind. Tab. 1.1. Einheiten-Systeme in der Elektrodynamik: Das Heaviside-LorentzSystem und das SI-System nennt man rational; gemäß (C.2.7) ist μ0 = 1/kl2 0 . System

kc

kl

ρ = √1 ρ kc

j = √1 j kc

Gauß

1

1

ρ

j

1 Heaviside-Lorentz 4π

1

1 4π0

SI





E =

√ E

kc E B  =



kc B kl

B

Bh = √B Eh = √E 4π

4π √ √ μ si si si si E c ρ = 4π0 ρ j = 4π0 j E = √ B = 4π0 B 4π0 ρh =

4π ρ

jh =

4π j

1.4.1 Maßsysteme Gauß-System Systeme mit kl = 1 nennt man symmetrisch. In diesen haben die Felder E und B die gleiche Dimension. Das trifft für die nach Gauß und HeavisideLorentz benannten Systeme zu. Ende des 19. Jahrhunderts haben sich die Gauß-Einheiten durchgesetzt, sind aber mittlerweile durch die SI-Einheiten ersetzt worden. Die Coulomb-Kraft wird mit kc = 1 herangezogen, um die elektrische Ladung zu definieren [Maxwell, 1873, Art. 41]: Die electrostatische Einheit der Electricität ist diejenige positive Electricitätsmenge, welche eine ihr gleiche positive Electricitätsmenge in der Einheit der Entfernung mit der Einheit der Kraft abstösst. Im Gauß-System ist die Einheit der Kraft 1 dyn und die der Länge 1 cm. Aus (1.2.1) folgt, dass die Ladung q die Dimension (dyn=g cm s−2 )   −1 [q] =

dyn cm =

g cm3 s

= statC(oulomb)

hat, was bereits auf S. 2 vorweggenommen wurde. Setzt man [q] in die Coulomb-Kraft (1.2.4) ein, so erhält man die Dimension von [E]. Die Dimension der Stromdichte [j] folgt aus der Kontinuitätsgleichung (1.1.15). Mit kl = 1 ist das Magnetfeld B bestimmt, d.h. alle Größen, die in den MaxwellGleichungen vorkommen, sind definiert. Mithilfe der Tab. 1.1 können so die

1.4 Anmerkungen zu den Einheiten

23

Maxwell-Gleichungen in jedem beliebigen System dargestellt werden. Inkonsequent sind die Definitionen der Polarisation und der Magnetisierung (5.2.17), was sich nachteilig in Materie auswirkt. Maxwell-Gleichungen:

.

(a)

div E = 4πρ, G: 1 4π j + E, (c) ∇ × B = c c

.

1 (b) ∇ × E = − B, c (d) div B = 0 .

(1.3.21”)

Das Heaviside-Lorentz-System Man nennt Systeme, in denen im Nenner des Coulomb-Gesetzes der Faktor 4π auftaucht, rational. In diesen nehmen die Maxwell-Gleichungen eine einfache Form an. Verwendet wird das Heaviside-Lorentz-System in der Quantenelektrodynamik, wo meist von natürlichen Einheiten ausgegangen wird; es wäre aber auch in der Elektrodynamik ideal. Das SI-System Will man die Ladung als eine für die Elektrodynamik charakteristische Basiseinheit darstellen, so muss in der Coulomb-Kraft (1.2.5) der Faktor kc dimensionsabhängig sein, damit Fc die Dimension einer Kraft bekommt. Nun wird die Kraft, die zwei Ladungen aufeinander ausüben, in einem Dielektrikum durch die Polarisation, d.h. durch die Verschiebung der negativen Ladungen gegen die positiven mit ∝ 1/ geschwächt, wobei die Dielektrizitätskonstante ist. Im SI-System führt man eine solche Konstante ( 0 ) auch für das Vakuum ein; daher der Faktor kc = 1/4π 0 . Nur nimmt man als vierte Basiseinheit den Strom und misst zur Festlegung der elektrischen Feldkonstante 0 die Kraft zwischen zwei parallelen Strömen (C.2.9). μ0 = 1/kl2 0 definiert die magnetische Feldkonstante. Seine Wurzeln hat das SI-System in dem von Giorgi [1901] vorgeschlagenen MKS-System mit einer noch nicht festgelegten elektrischen Einheit. 1948 wurde von der CPGM (Conférence Générale des Poids et Mésures) das Ampere als vierte Basiseinheit (MKSA-System) offiziell eingeführt [PTB, 2007, S. 14] (siehe (C.2.9)). Für die Physik wäre es günstiger, wenn im SI-System statt der historisch älteren Variante mit kl = c die symmetrische (kl = 1) zum Zug gekommen wäre. Das würde nur magnetische Größen/Einheiten betreffen (μ0 , B, ...), aber die Symmetrie der SRT wäre erhalten. Im Anhang C wird genauer auf die verschiedenen Systeme eingegangen. Maxwell-Gleichungen: SI:

(a) (c)

. ∇ × 1 B = j + E, div E = ρ/ 0 , μ0

0

.

(b) ∇ × E = −B, (d)

div B = 0 .

(1.3.21’)

24

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

Zur Systemunabhängigkeit Erst ab der Relativitätstheorie (Kap. 12) wird in der Notation zugunsten des Gauß-Systems entschieden. Davor sind alle Gleichungen für „alle“ Systeme, d.h. Gauß und SI gültig. Die Formeln wirken, obwohl wir nur 2 unabhängige Größen haben (kc und kl ), ungewohnt. In Materie wird dieser Eindruck durch die Einführung der Feldkonstanten 0 und μ0 verstärkt. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist jedoch, dass man sofort sieht, welche Formeln bzw. Größen in allen Systemen gleich sind. Die Gleichungen in Materie haben im SI-System einfachere Faktoren, nicht zuletzt, weil c zugunsten von 0 und μ0 ’eliminiert’ wird. Dazu verwendet man auch im Vakuum vier verschiedene Felder, wie aus Tab. C.2, S. 632 hervorgeht. Man hat für das elektrische Feld E (V m−1 ), die dielektrische Verschiebung D (C m−2 ), die Magnetfelder B (T) und H (A m−1 ) verschiedene Dimensionen, die vier unabhängige Felder andeuten könnten. Nach unserer Auffassung hat die Elektrodynamik, die eine klassische Feldtheorie ist, nur die Felder E und B, die in der SRT als Tensorkraft dargestellt werden. D = 0E und H = (μ0 μ)−1 B sind Hilfsfelder (5.2.17), die dadurch entstehen, dass man in Materie die von den gebundenen Ladungen herrührende Polarisation und die von den gebundenen Strömen herrührende Magnetisierung zu den Feldern E und B addiert. Daher ’sollten’ D und H die gleichen Dimensionen wie E und B haben, d.h. 0 = μ0 = 1 und die Dielektrizitätskonstante wie auch die Permeabilität μ sind Zahlen. Die Lorentz-Transformation (LT) zeigt, wie E und B voneinander abhängen: Ein ruhendes Elektron hat nur das Feld E; in einem gegen das Elektron gleichförmig bewegten System (Boost) wird nicht nur E transformiert, sondern es kommt noch das Feld B hinzu, wobei die Geschwindigkeit mit β = vc ≤ 1 parametrisiert ist16 . Das wird im SI-System nur holprig dargestellt, weshalb in der SRT, d.h. in der kovarianten Formulierung der Elektrodynamik, das SI-System seltener verwendet wird. Auch in Mechanik und Quantenmechanik wird die Bewegung von Teilchen im elektromagnetischen Feld (Hamilton-Funktion bzw. SchrödingerGleichung) noch mehrheitlich auf der Basis des Gauß-Systems dargestellt, was insbesondere für die Lehrbücher Statistische Mechanik, Quantenmechanik und Quantenmechanik für Fortgeschrittene von Schwabl [2004, 2007, 2008] gilt. Die systemunabhängige Darstellung ist jedoch gleichermaßen für das SISystem gültig.

16

In Bezug auf die SRT wäre es logisch, eine reduzierte Stromdichte zu definieren: jr = j/c = ρv/c. c tritt dann nur mit den Zeitableitungen auf, d.h., mit der Ableitung nach x0 = ct hätte man c in den Maxwell-Gleichungen eliminiert.

1.4 Anmerkungen zu den Einheiten

25

1.4.2 Die Elektrodynamik und ihr Umfeld Wir versuchen die Bereiche, in die die Elektrodynamik eingreift und die uns im Laufe der folgenden Kapitel begegnen werden, in einem Schema, dem Flussdiagramm auf S. 26, zu ordnen. Wenn wir hier, am Ende des 1. Kapitels, mit einer Einteilung der klassischen Elektrodynamik beginnen, so können wir dies auf der Basis der Kenntnis der Maxwell-Gleichungen tun, zu der die Kontinuitätsgleichung und die Lorentz-Kraft hinzugekommen sind. Bringt man ein Atom (Molekül) in ein elektrisches Feld, so kann sich die Elektronenhülle gegen den Kern verschieben. Das Atom wird polarisiert, ohne dass die Elektronen ihre Bindung an den Atomkern verlieren; diese an das Atom gebundenen Elektronen sind anders zu behandeln als in Materie frei bewegliche Elektronen. Die Aufspaltung von Ladungen und Strömen in gebundene und freie Anteile hat in Materie eine Aufteilung der Felder zur Folge und damit eine Umstrukturierung der Maxwell-Gleichungen (Abschnitt 5.1 und 5.2). Ein weiterer Faktor zur Einteilung und Lösung der Maxwell-Gleichungen ist die Zeitskala, auf der die Prozesse ablaufen und die im Diagramm in Form von drei Spalten hinunter bis zur strichlierten Linie dargestellt sind: 1. Zeitunabhängige Vorgänge: Die Maxwell-Gleichungen entkoppeln in elektrostatische (Kap. 2, 3, 6) und magnetostatische (Kap. 4, 7) Anteile. 2. In zeitlich langsam veränderlichen Vorgängen wird der Verschiebungsstrom jd vernachlässigt, und es ist ∇ · jf = 0. Der Strom ist dann innerhalb des Systems quellenfrei und es gibt keine Abstrahlung. Verwendet wird das in elektrischen Netzwerken, in der Magnetohydrodynamik (Kap. 9), für die London-Gleichungen (Abschnitt 5.4.3) oder den Skin-Effekt (Abschnitt 10.4.2). In allen diesen Systemen spielt auch das (phänomenologische) Ohm’sche Gesetz (Abschnitt 5.3) eine Rolle. Zur Magnetohydrodynamik kommt von außen die Hydrodynamik mit den Navier-StokesGleichungen und der Kontinuitätsgleichung für die Dichte der Flüssigkeit hinzu. Die London-Gleichungen, die Teilaspekte der Supraleitung, wie den Meissner-Effekt, das Nicht-Eindringen des Magnetfeldes in den Supraleiter, klassisch erklären, verwenden für die Dynamik der Elektronen Bewegungsgleichungen der Mechanik, die der Trägheit der Leitungselektronen Rechnung tragen. 3. Zu den zeitlich schnell veränderlichen Vorgängen zählen die Abstrahlung schnell bewegter Ladungen (Kap. 8), die Optik (Kap. 10) und die dynamische Theorie (Kap. 11). Viele Anwendungen der Optik und der dynamischen Theorie, wie die Berechnung von Strahlwegen (Brechungsgesetze), Intensitäten etc. können jedoch zeitunabhängig durchgeführt werden. Außerhalb dieses Schemas steht die Bewegung des Elektrons im äußeren elektromagnetischen Feld, da hiezu nur die Lorentz-Kraft in die Euler-LagrangeGleichung der klassischen Mechanik eingebracht wird (Abschnitt 5.4). Einen größeren Raum beansprucht die SRT, wo gezeigt wird, dass die Maxwell-Gleichungen kovariant unter der Lorentz-Transformation (Kap. 13)

26

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen



.

.

Kontinuitätsgl. Maxwell-Gleichungen im Vakuum  ρ+∇·j =0 div E = 4πρ rot E + 1c B = 0 1 Lorentz-Kraft  rot B − E = 4π div B = 0 c j c F = e E+β×B

.

ρ = ρf + ρp

j = jf + jb

?

?

Materialgleichungen D = E B = μH

.

Maxwell-Gleichungen in Materie div D = 4πρf rot E + 1c B = 0 rot H − 1c D = 4π c jf div B = 0

.

Ohm’sches Gesetz jf = σ E



.

.

?

.

Elektrostatik div D = 4πρf rot E = 0

-

Magnetostatik div B = 0 rot H= 4πj/c

-

?

quasistat. Ströme jd = D/4π = 0

Elektro-/Magnetostat. E=0 B=0

-

?

elektr. Netzwerke Schwingkreise Skin-Effekt

-

.

Optik ρf = 0 jf = 0



- dyn. Theorie:  period.  ρf = 0

-Magnetohydrodynamik - London-Gleichungen

.

elektromagn. Wellen  E = 0 B = 0

-

jf = 0

Abstrahlung ρ = 0, j = 0



Wellen in Leitern jf = σE

6 Hydrodynamik

klass. Mechanik

- Elektron im elm. Feld 

? - Relativitätstheorie Abb. 1.9. Flussdiagramm zu den Anwendungsbereichen der Elektrodynamik

sind, nicht aber die Gesetze der klassischen Mechanik, so dass Letztere umgeformt werden müssen, damit sie der Lorentz-Kovarianz genügen (Kap. 14). Nicht angesprochen werden die Quantentheorie, obwohl diese in sehr vielen Bereichen entscheidenden Anteil hätte, und die Quantenelektrodynamik.

Aufgaben zu Kapitel 1

27

Aufgaben zu Kapitel 1 1.1. Coulomb-Kraft: Wie groß ist die Kraft mit der sich Proton und Elektron im Abstand r0 = ab ≈ 0.593 Å anziehen? 1.2. Quellen und Wirbel eines Vektorfeldes: Gegeben ist das Vektorfeld v=λ

ez × x . |ez × x|2

Berechnen Sie die Quellen und Wirbel von v, d.h. insbesondere div v und rot v. Zusatzfrage: Welche physikalische Anordnung liegt v zugrunde, wenn Sie für λ = 2I/c einsetzen (siehe Abschnitt 4.1.4)? 1.3. Konservatives Vektorfeld: Sei E = f (r) x. Berechnen Sie div E, rot E und geben Sie die Resultate für E = x/r 3 an. Zeigen Sie insbesondere, dass rot E = 0 auch für r = 0 gilt, selbst wenn E dort singulär ist. 1.4. ’Polarisationspotential’: Es sei Z = μ/r, wobei μ ein konstanter Vektor sein soll . Berechnen Sie φ = − div Z, A = rot Z, B = rot A, E = grad div Z und B−E. 1.5. Zeitliche Änderung des Flusses durch eine Fläche F (t): ¨ d dΦ = df · a dt dt F gibt den Fluss des Vektorfeldes a durch die Fläche F (t) an, den wir für (1.3.4) mithilfe der konvektiven Ableitung berechnet haben. Mit der folgenden „direkteren“ Methode erhält man die Relation ˛ ¨ ¨ dΦ ∂a df · df · v (∇ · a) − dx · (v × a) , (1.4.1) = + dt ∂t F (t) F (t) ∂F (t) deren Gültigkeit Sie zeigen sollen. Φ(t+δt)−Φ(t) und orientieren Sie sich an Abb. 1.10, die Hinweis: Bilden Sie lim δt δ→0 zeigt, wie die Flächenintegrale zu einem Oberflächenintegral ergänzt werden können. F (t)

F (t+δt)

--vδt ? df m

Abb. 1.10. df m = dx×vδt ist der Vektor des Flächenelementes auf der Mantelfläche Fm . Mit V bezeichnet man das von F (t), F (t+δt) und der Mantelfläche Fm eingeschlossene Volumen, dessen Oberfläche gegeben ist durch ∂V = F (t+δt) + F (t) + Fm

1.6. Induktion im Magnetfeld der Erde: Die Tragflächen eines Flugzeugs (Airbus A380) haben eine Spannweite von 80 m. Das Flugzeug fliege mit 900 km/h über Mitteleuropa nach Norden, wobei die Vertikalkomponente des erdmagnetischen Feldes B = 45×10−6 T betragen soll. Berechnen Sie die Potentialdifferenz zwischen den beiden Enden der Tragflächen und geben Sie an, welches der beiden auf höherem Niveau liegt. Hinweis: Der magnetische Südpol liegt in der Nähe des geografischen Nordpols.

28

1 Die Maxwell’schen Feldgleichungen

1.7. Poisson-Gleichung: Zeigen Sie, dass aus dem Coulomb-Gesetz (1.2.1) das Potential einer Punktladung und damit die Green-Funktion der Poisson-Gleichung hergeleitet werden kann. Außerdem erhalten Sie, ausgehend von der einzelnen Punktladung mithilfe des Superpositionsprinzips die Poisson-Gleichung für die mikroskopische Ladungsdichte (1.1.1).

Literaturverzeichnis W. Beier Wilhelm Conrad Röntgen, Springer Berlin (2013) M. Faraday Experimental Researches in Electricity, Phil. Trans. 122, 125–162 (1832) G. Giorgi Unità Razionali di Elettromagnetismo, Atti della Associazione Elettrotecnica Italiana 5, 402, Torino (1901) und G. Giorgi, Nuovo Cimento (5) 4, 11 (1902) D. Griffiths Elektrodynamik, 3. Aufl., Pearson München (2011) H. von Helmholtz On the Modern Development of Faraday’s Conception of Electricity, Science 2, 182–185 (1881) bzw. in J. Chem. Soc. 39, 277-304 (1881) J. D. Jackson, Klassische Elektrodynamik, 4. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin (2006) P. Lenard Ueber die magnetische Ablenkung der Kathodenstrahlen, Ann. Physik. Neue Folge 52, 23–33 (1894) H. A. Lorentz La théorie électromagnétique de Maxwell et son application aux corps mouvants E.J. Brill, Harlem (1892); aus den Archives Néerlandaises XXV, 363 (1892) J. C. Maxwell On Physical Lines of Force Phil. Mag. 21, part II, A Dynamical Theory of the Electromagnetic Field, 338–348 (1861) J. C. Maxwell A treatise on electricity and magnetism, 2 volumes, Clarendon Press Oxford (1873), auf deutsch: Lehrbuch der Electricität und des Magnetismus, 2 Bände, Springer Berlin (1883) J. C. Maxwell The electrical research of the Honourable Henry Cavendish written between 1771 and 1781, edited from the original manuscripts, Cambridge at the University Press (1879) R. A. Millikan The Isolation of an Ion, a Precision Measurement of its Charge, and the Correction of Stokes’s Law, Phys. Rev. (series 1) 32, 349–397 (1911) Joseph Priestley The History and Present State of Electricity, with Original Experiments, London (1767) PTB Mitteilungen, Jahrgang 117, Heft 2 (2007) W.C. Röntgen Über die durch Bewegung eines im homogenen elektrischen Felde befindlichen Dielektrikums hervorgerufene elektrodynamische Kraft, Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 7, 23–29 (1888) F. Schwabl Statistische Mechanik, 2. Aufl., Springer Berlin (2004) F. Schwabl Quantenmechanik, 7. Aufl. Springer Berlin (2007) F. Schwabl Quantenmechanik für Fortgeschrittene, 5. Aufl. Springer Berlin (2008) A. Sommerfeld Elektrodynamik, 5. Aufl. Akad. Verlagsges. Leipzig (1967) J.J. Thomson Cathode rays, Phil. Mag. 44, 293 (1897) E. Wiechert, Schriften d. phys.-ökon. Gesell. zu Königsberg in Pr. Jahrgang 38, No. 1. Sitzungsber. 3–16 (1897)

2 Ruhende elektrische Ladungen und die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

In der systemunabhängigen Formulierung der Elektrostatik tritt nur der der Coulomb-Kraft zuzuordnende Faktor kc auf: Gauß: kc = 1

Heaviside: kc =

1 4π

SI: kc =

1 . 4π 0

2.1 Elektrostatisches Potential und Poisson-Gleichung In der Elektrostatik wird vorausgesetzt, dass die Ladungsdichte ρ zeitunabhängig ist und die Stromdichte j verschwindet. Dann sind E und B ebenfalls zeitunabhängig und in den Maxwell-Gleichungen (1.3.21”) aufgrund von E = B = 0 entkoppelt:

. .

(a) (c)

div E = 4πkc ρ ⇒ SI: div E = ρ/ 0 rot B = 0

(b)

rot E = 0

(d)

div B = 0 ,

(2.1.1)

wobei für die Phänomene der Elektrostatik nur die erste Zeile von (2.1.1) relevant ist. Das Gauß’sche Gesetz (Kraftflusssatz) besagt, dass E Quellen und Senken hat, und dem Faraday’schen Induktionsgesetz entnehmen wir, dass beim Vorhandensein keiner oder nur statischer Magnetfelder das elektrische Feld wirbelfrei ist (rot E = 0). Ein wirbelfreies Feld E kann als Gradient eines skalaren Potentials φ dargestellt werden: E = −∇φ , da rot E = −∇ × ∇φ = 0 . Das Integral ˆ xb ˆ xb ˆ xb ∂φ ∂φ ∂φ

V =− dx · E = dφ dx + dy + dz = ∂x ∂y ∂z xa xa xa = φ(xb ) − φ(xa )

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_2

(2.1.2)

(2.1.3)

30

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

ist ein vom Weg unabhängiges Linienintegral (siehe Abb. 2.1). Die Potentialxb

> C1

7 C2

Abb. 2.1. Die Differenz des elektrischen Potentials φ(xb ) − φ(xa ) ist für die Wege C1 und C2 gleich

xa

differenz V wird als Spannung bezeichnet. Sie ist die Potentialdifferenz vom Endpunkt zum Ausgangspunkt. Geht man entlang einer Feldlinie, so nimmt das Potential ab. Die Spannung wird in Volt angegeben, der Einheit des SI-Systems, nach der 1 Volt=1 J/(A s). Kaum verwendet wird die Einheit 1 statV≈ 300 V des elektrostatischen bzw. Gauß’schen Systems.

¸ Ist der Weg geschlossen, so ist die Ringspannung dx · E = 0, da das elektrostatische Feld wirbelfrei ist. Die Kraft auf ein Testteilchen mit der Ladung e ist nach (2.1.3) e E . Um dieses Teilchen gegen die Wirkung des elektrischen Feldes vom Punkt A zum Punkt B zu verschieben, muss man die Arbeit ˆ xb   WAB = −e dx · E = e φ(xb ) − φ(xa ) = eV (2.1.4) xa

leisten. Somit kann eφ(x) als potentielle Energie der Testladung im Feld angesehen werden. Setzt man E = −∇φ in das Gauß’sche Gesetz (2.1.1a) ein, so erhält man die Poisson-Gleichung Δφ(x) = −4πkc ρ(x).

(2.1.5)

Diese können wir mittels der Green’schen Funktion der Poisson-Gleichung G(x − x ) ≡ G0 (x, x ) =

1 |x − x |

(2.1.6)

integrieren. Für G werden wir manchmal die Bezeichnung G0 verwenden. In der Potentialtheorie können Green-Funktionen Gi mit dem stärkeren asymptotischen Abfall 1/r1+i notwendig sein, um konvergente Integrale der Form von (2.1.8) zu erhalten (siehe S. 593). G erfüllt die Differentialgleichung Δ

1 = −4πδ(3) (x − x ). |x − x |

Multiplikation mit ρ(x ) und Integration

(2.1.7) ´

d3 x ergibt

2.2 Potential und Feld für vorgegebene Ladungsverteilungen

ˆ Δ

d3 x

31

ρ(x ) = −4πρ(x) , |x − x |

woraus die allgemeine Lösung der Poisson-Gleichung ˆ ρ(x ) φ(x) = kc d3 x |x − x |

(2.1.8)

folgt. Es bleibt noch zu zeigen, dass 1/r die Green-Funktion der PoissonGleichung ist. Mit r = |x| bekommt man ∂r xi = , ∂xi r x 1 ∇ =− 3 r r

und

∂ 1 xi =− 3, ∂xi r r 1 1 r2 Δ = −3 3 + 3 5 = 0 r r r

∂2 1 x2i 1 +3 , = − ∂x2i r r3 r5 für

r = 0.

Zur Bestimmung von Δ 1r am Nullpunkt bildet man das Integral innerhalb einer Kugel K vom Radius , wobei df = r2 er dΩ und er = x/r: ˆ " " ˆ 1 x 3 21 d x∇ = df · ∇ = − df · 3 = − dΩ = −4π. (2.1.9) r r r K ∂K ∂K Somit ist Δ 1r = −4πδ(3) (x), wie in (2.1.7) behauptet. Ausführlicher wird auf die Poisson-Gleichung im Anhang A.4.4 und A.4.6 eingegangen.

2.2 Potential und Feld für vorgegebene Ladungsverteilungen Es werden nun Potentiale und Felder für einige einfache und für die Elektrostatik charakteristische Ladungsverteilungen berechnet. Diese können als Bausteine für komplexere Ladungsverteilungen verwendet werden, um deren Potentiale und Felder durch Superposition zu berechnen. 2.2.1 Einfache Anordnungen von Ladungen Eine räumlich ausgedehnte Ladungsverteilung hat im Allgemeinen nicht verschwindende Momente ˆ Mij... = d3 x ρ(x )xi xj ... in beliebiger Ordnung. Die nullte Ordnung gibt die Gesamtladung an, die erste das Dipolmoment etc.. Eine punktförmige Ladung hat jedoch außer dem nullten Moment keine weiteren. Beim Punktdipol verschwindet nur das erste Moment nicht. Man kann also an einfachen Anordnungen von Ladungen die Winkelverteilung und die Reichweite des Feldes der einzelnen Momente studieren.

32

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

Punktladung An der Stelle x0 befindet sich eine Punktladung e, deren Ladungsdichte gemäß (1.1.1) gegeben ist durch ρ(x) = e δ(3) (x−x0 ). Das Potential wird mittels (2.1.8) bestimmt als φ(x) = kc

e |x−x0 |

⇒ E = −∇φ = kc e

x−x0 . |x−x0 |3

(2.2.1)

E zeigt von positiver zu negativer Ladung und ist, wie in Abb. 2.2 skizziert, um x0 radialsymmetrisch, was als Coulomb-Feld bezeichnet wird. Die Flächen gleichen Potentials, die Äquipotentialflächen, sind Kugeloberflächen. 6

I





x0



?

R

Abb. 2.2. Coulomb-Feld um eine positive Punktladung an der Stelle x0 mit Äquipotentiallinien (Kreise)

Elektrischer Dipol Gegeben seien zwei Ladungen e und −e im Abstand d, wobei die negative im Ursprung sitzt, wie in Abb. 2.3 skizziert. Die Ladungsdichte ist dann in 1. Ordnung einer Taylorentwicklung für r d:  ρ(x) = e δ(3) (x−d) − δ(3) (x) ≈ −ed· ∇δ(3) (x) = −p· ∇δ(3) (x).

(2.2.2)

p = ed ist das Dipolmoment der Ladungsverteilung, wobei p zur positiven Ladung zeigt. Wird der Grenzübergang

Abb. 2.3. Der Dipol p = ed ist zur positiven Ladung e > 0 hin gerichtet (im Gegensatz zum Feld E, das zum niedrigeren Potential zeigt))

d

*e −e

p=

lim

d→0 ; ed 0 und −e aus. Die Gesamtladung q verschwindet so. Zusätzlich wird verlangt, dass auch das Dipolmoment verschwindet. Das wird durch den Ansatz ρ(x) =

4  i=1

  ρi (x) = e δ(3) (x−c) − δ(3) (x−a) − e δ(3) (x+a) + δ(3) (x+c)

34

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

gewährleistet. Skizziert ist eine solche Konfiguration in Abb. 2.5. In großem Abstand von der um den Nullpunkt lokalisierten Ladungsverteilung erhält man durch Taylorentwicklung bis zur 2. Ordnung   ρ(x) = e δ(3) (x−c) + δ(3) (x+c) − δ(3) (x−a) − δ(3) (x+a)  ≈ e ci cj − ai aj )∇i ∇j δ(3) (x) . z

z

6

6

e+ p

c e−

}

a

~

a c

−p

e+

y

2e− x

-

e− x

e+

e+ (b)

(a)

Abb. 2.5. (a) Die Ladungen sind so angeordnet, dass Dipolmoment und Quadrupolmomente Qij für i = j verschwinden (b) axialsymmetrischer, gestreckter Quadrupol als Grenzwert a → 0

Die 2. Momente dieser Ladungsverteilung sind ˆ Mkl = d3 x xk xl ρ(x) ˆ    part. int = e ci cj − ai aj ) d3 x xk xl ∇i ∇j δ(3) (x) = 2e ck cl − ak al . Mittels

ρ(x) ≈

1 Mij ∇i ∇j δ(3) (x) 2

berechnet man nun das Potential obiger Punktladungen und erhält nach zweimaliger partieller Integration und Überwälzen der Differentiation von ∇i → −∇i ˆ ˆ Mij Mij 1 d3 x   (3)  d3 x δ(3) (x )∇i ∇j φq (x) = kc ∇ δ (x ) = k ∇ c i j  2 |x−x | 2 |x−x | 1 Mij 3xi xj − δij r2 Mij ∇i ∇j = kc = kc . (2.2.10) 2 r 2 r5 Jetzt wird der letzte Term umgeformt Mij δij r2 = xi xj δij M

mit

M = Sp M =



Mkk .

k

Wir erhalten schließlich φq (x) =

xi xj kc Qij 5 2 r

mit

Qij = 3Mij − δij Sp M .

(2.2.11)

2.2 Potential und Feld für vorgegebene Ladungsverteilungen

35

Auf Hauptachsenform gebracht hat man drei diagonale Quadrupolmomente Qi mit i = 1, 2, 3. Aufgrund der Spurfreiheit bleiben jedoch nur zwei unabhängige Momente. Die in Abb. 2.5a skizzierte Ladungsverteilung hat mit a und c zwei Parameter für zwei unabhängige Quadrupolmomente, was ausreichend für die Darstellung jedes Quadrupols in Hauptachsenform ist. Der Punktquadrupol ist nach Abb. 2.5 bestimmt durch e(4a2 + 2c2 ) ,

Q1 = −lim a,c→0

a2 e 0 ist positiv, während Uw auch negativ sein kann. In (2.4.6) haben wir benützt, dass U12 = U21 , was manchmal als Reziprozitätstheorem von Green bezeichnet wird. Der Beweis ist einfach, da man in (2.4.2) nur x mit x zu vertauschen hat. Die Wechselwirkungsenergie von zwei Punktladungen Das Potential von 2 Punktladungen ist nach (2.2.1) gegeben durch φ = φ1 + φ2 =

kc q1 kc q2 + . |x−x1 | |x−x2 |

Daraus folgt für die Energie ˆ 1 d3 x ρ(x) φ(x) U= 2 ˆ  q2 ˆ q1 q2

δ(3) (x−x1 ) q22 δ(3) (x−x2 ) = kc 1 d3 x + d3 x + . 2 |x−x1 | 2 |x−x2 | |x1 −x2 | Zunächst bemerken wir den singulären Charakter der Selbstenergie von Punktladungen, der deutlicher in der alternativen Formulierung der Energie ˆ  1 x−x1 x−x2 U= d3 x E 2 + q2 mit E = −∇φ = kc q1 3 8πkc |x−x1 | |x−x2 |3 zum Ausdruck kommt. Für die Selbstenergien folgt daraus ˆ ˆ ∞ qi2 q2 q2 1 1 Uii = 1 d3 x = lim dr 2 = lim i . 4 →0 2kc  →0 2kc 8πkc |x−xi | r

Sie ändern sich bei Annäherung der beiden Ladungen nicht und entsprechen dem elektrischen Teil der Arbeit, die aufzuwenden wäre, um die Ladung qi aus einer unendlich ausgedehnten Ladungsverteilung auf eine Kugel vom Radius zusammenzuballen, wie aus (2.4.8) hervorgeht. Die Gesamtenergie U ist wegen der Selbstenergien positiv definit, während die Wechselwirkungsenergie Uw = 2U12 =

kc q1 q2 |x1 −x2 |

bei Ladungen mit unterschiedlichem Vorzeichen negativ ist, weshalb sich dann die beiden Ladungen anziehen und die Energie der Konfiguration bei Annäherung minimiert wird. Das Ergebnis ist in dieser Form nicht überraschend, da die Kraft zwischen zwei Ladungen Fc = −∇U12 wie erwartet die CoulombKraft (1.2.1) ist.

62

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern Die Berechnung der Wechselwirkungsenergie aus der Feldenergie E 2 /8πkc bringt natürlich dasselbe Ergebnis: U12

q1 q2 = kc 4π

ˆ



x = x−x1 ⇒ x − x2 = x + d d = x1 −x2

(x−x1 )·(x−x2 ) d x |x−x1 |3 |x−x2 |3 3

ˆ

x · (x + d) r 3 |x + d|3 ˆ 1 ˆ ∞ q1 q2 r  + dξ dξ dr   = kc 3/2 . 2 −1 0 r 2 +d2 +2r  dξ

= kc

q1 q2 4π

d3 x 

Kugelkoordinaten

Das Integral istlösbar, da im Zähler die innere Ableitung des Nenners steht: ∞ ˆ  q1 q2 q1 q2 1 −1 U12 = kc dξ  1/2  = kc d . 2 2 2  −1 r +d +2r dξ 0

2.4.2 Die Selbstenergie einer homogen geladenen Kugel Zunächst berechnen wir das Feld einer homogen geladenen Kugel mit dem Radius R und der Ladungsdichte ρ0 , das aufgrund der Symmetrie von der Form E = Eer sein muss. E ist dann mithilfe des Gauß’schen Gesetzes (1.3.2) bestimmbar, wobei das Integrationsvolumen eine Kugel Kr vom Radius r sein soll:  " ˆ Q r3 /R3 r < R 2 3 df ·E = 4πr E = 4πkc d x ρ0 θ(R−r) = 4πkc Q r ≥ R. ∂Kr Kr Q = ρ0 4πR3 /3 ist die gesamte Ladung der Kugel KR . Wir unterscheiden zwischen E(i) , dem Feld innerhalb, und E(a) , dem außerhalb der Kugel:  r R . In Atomen und Molekülen sind die Ladungsverteilungen oft nicht isotrop. Die Anisotropie zeigt sich in erster Linie durch ein intrinsisches Dipolmoment, wie beim H2 O Molekül (siehe Abb. 2.33). Aufgrund der größeren Elektronegativität des OAtoms bildet sich um dieses eine negative Raumladung und um das H-Atom eine positive. Moleküle mit ionischer Bindung haben immer ein elektrisches

2.5 Multipolentwicklung

67

H e+

O

104.5◦ e+ e−

H

Abb. 2.33. Ladungsverteilung im Wassermolekül. e+ ≈ 0.4e0 und e− ≈ −0.8e0

Dipolmoment, wie etwa HCl2 . Die Dipolmomente der meisten Moleküle sind kleiner als 10 Debye. In einer systematischen Entwicklung wird man φ nach den Beiträgen der Momente von ρ(x ) ordnen, indem man in ˆ ρ(x ) (2.5.1) φ(x) = kc d3 x |x − x | eine Taylorentwicklung von 1/|x − x | für r > R einsetzt. Es ist das jedoch nicht die einzige Möglichkeit, Multipolmomente zu definieren. Insbesondere wenn höhere Ordnungen eine Rolle spielen, entwickelt man 1/|x−x | nach Kugelflächenfunktionen. Diese Entwicklung wird erst im Abschnitt 3.3.3 behandelt, wo die notwendigen mathematischen Voraussetzungen vorhanden sind. Man hat dort eine Entwicklung nach rl – wie das letztlich auch die Taylorentwicklung ist –, so dass die Momente gleicher Ordnung durch Linearkombinationen ineinander übergeführt werden können (siehe (3.3.12)). 2.5.1 Entwicklung nach Momenten der Ladungsverteilung Die Taylorentwicklung von 1/|x − x | für r > R, eingesetzt in (2.5.1), ergibt φ(x) =

∞ 

n=0

ˆ

Mi1 ...in =

φ(n) (x) = kc

∞  q (−1)n 1 + kc Mi1 ...in ∇i1 ....∇in , (2.5.2) r n! r n=1

d3 x ρ(x ) xi1 ...xin .

(2.5.3)

Das gesamte Potential wird durch Superposition der Potentiale von am Ursprung sitzenden (Punkt-)Ladungen, Dipolen, etc. angenähert. Monopol Das nullte Moment ist die gesamte Ladung. Man erhält so für den ersten Term Taylorentwicklung (2.5.2) ˆ q (0) φ (x) = φe (x) = kc , q = d3 x ρ(x ) , r 1 xi (2.5.4) Ei = −kc q∇i = kc q 3 . r r 2

H2 O : p = 1.84 Debye = 6.14 × 10−30 Cm; HCl: p = 1.03 Debye = 3.44 × 10−30 Cm.

68

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

Dipol Der zweite Term von (2.5.2) bestimmt den Anteil des Dipolmoments zum Potential ˆ 1 φ(1) = φp = −kc pj ∇j pi = d3 x ρ(x ) xi r  pj  xi xj 1 (2.5.5) Ei = kc pj ∇i ∇j = kc 3 3 2 − δij , r r r

was mit (2.2.5) übereinstimmt. Das Dipolfeld (2.5.5) ist für r = 0 singulär und kann dort gesondert behandelt werden. Legt man eine Kugel Ka mit dem Radius a um den Ursprung, so ist der gesamte Beitrag des Dipolfeldes innerhalb der Kugel gegeben durch ˆ ˆ ˆ 1 pi 1 3 3 d x Ei (x) = kc pj d x ∇i ∇j = kc d3 x ∇2 . r 3 r Ka Ka Ka Man erhält den gleichen von a unabhängigen Beitrag, wenn man E ersetzt durch: p 1 4π E(x) = kc Δ = −kc pδ(3) (x). 3 r 3 Das Dipolfeld kann so geschrieben werden als [siehe Jackson, 2006, (4.20)]:  (p · x)x 4π p E = lim kc 3 − 3 θ(r−a) − kc p δ(3) (x). 5 a→0 r r 3

(2.5.6)

Anmerkungen: Natürlich muss E auch in der Form von (2.5.6) wirbelfrei sein und dem Gauß’schen Gesetz genügen. Es sind die Beiträge der Stufenfunktion, die das gewährleisten, wie in Aufgabe 2.17 zu zeigen ist. Der innere Bereich muss keine Kugel sein; es genügt die Inversionssymmetrie des Bereiches zu fordern damit der Integrand ∇i ∇j 1 r für i = j verschwindet. Statt der Stufenfunktion kann man für den ersten Term den Hauptwert P (siehe Abschn. B.1.2, S. 604) nehmen, der bei Integration eine infinitesimale Kugel um den Sitz des Dipols ausschließt [Fließbach, 2008, (12.33)]. Anschaulicher läßt sich E erklären, wenn man von einem Dipol ausgeht, der aus zwei im Abstand d fixierten Ladungen ±e besteht, wie in Abb. 2.4 skizziert. Eine Kugel mit dem Radius a = d/2 um den Sitz des Dipols teilt das Feld in einen inneren Bereich mit einem starken Feld zwischen den beiden Ladungen und einen äußeren Bereich, der für r > a in linearer Näherung von d ein Dipolfeld ergibt. In dieser Näherung erhält man das (singuläre) Feld in der Kugel [Brandt, Dahmen, 2004, Abschn. 2.10.1] E = −kc e

d 4π (3) a→0;ed=p θ(a−r) −→ −kc pδ (x). a3 3

(2.5.6’)

2.5 Multipolentwicklung

69

Quadrupol Den nächsten Beitrag zu φ bringt das Quadrupolmoment von ρ(x) 1 kc φ(2) (x) = φq (x) = Mij ∇i ∇j , 2 r ˆ Mij = d3 x ρ(x ) xi xj ,

(2.5.7) M=



Mii .

(2.5.8)

i

Man kann zu den Mij diagonale Terme δij M hinzufügen ohne φ(2) zu verändern, da δφ(2) = kc M δij ∇i ∇j

1 1 = kc M Δ = 0 r r

fu ¨ r r > R.

Anstelle der Mij werden spurfreie Quadrupolmomente Qij verwendet: Qkl xk xl 1 Qkl 3xk xl − r2 δkl kc = kc , Qkl ∇k ∇l = kc 6 r ˆ 6 r5 2 r5 = 3Mkl − δkl M = d3 x ρ(x ) (3xk xl − r2 δkl ) ,

φq = Qkl

(2.5.9)

1 Qkl 5xi xk xl − r2 (δkl xi + δil xk + δik xl ) kc Qkl ∇i ∇k ∇l = kc 6 r 2 r7 Qkl 5xi xk xl xk = kc − kc Qik 5 . 2 r7 r

Ei = −

In Tensor-Schreibweise lautet das Feld E=

kc 5kc t (x Qx)x − 5 (Qx). 7 2r r

(2.5.9’)

Für Ladungen eines Vorzeichens (Ladungsdichte des Atomkerns, Massendichte in der Gravitation) kann man durch eine geeignete Wahl des Bezugspunktes p = 0 erreichen. Dann ist das Quadrupolmoment ein Maß für die Abweichung von der Kugelsymmetrie.  Auf Diagonalform gebracht hat der Quadrupoltensor wegen k Qkk = 0 nur zwei unabhängige Elemente. Ist die Ladungsdichte zusätzlich axialsymmetrisch, bleibt nur ein Element, das Quadrupolmoment Q = Q33 . Eine axialsymmetrische, elongierte, positive Ladungsverteilung hat Q = Q33 > 0; bei flacher Verteilung wäre Q < 0. Beispiele für Quadrupolmomente von Atomkernen 1 1 1 QDeut = 2.87×10−27 cm2 Q 176 = 8×10−24 cm2 Q 203 = −4×10−25 cm2 . e0 e0 Lu e0 Bi

Höhere Multipolmomente Die aus der Taylorentwicklung folgenden Multipolmomente werden im Allgemeinen nur bis zum Quadrupol verwendet, da die Anzahl der zu summierenden

70

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

Terme viel schneller ansteigt als die der unabhängigen Momente. Man nimmt dann meist die über die Entwicklung nach Ylm definierten Multipolmomente. „Spurfreie“ Oktupolmomente sind kc 1 oijk ∇i ∇j ∇k 3! 5 r  1 xi xj xk kc kc oijk 5xi xj xk − r2 (δij xk + δik xj + δjk xi ) 7 = oijk = 10 r 2 r7 = 5Mijk − (δij ok + δik oj + δjk oi ) (2.5.10) ˆ  = d3 x ρ(x ) 5xi xj xk − r2 (δij xk + δik xj + δjk xi ) ,

φ(3) (x) = −

oijk

  wobei ok = i Miik und i oiik = 0. Das Potential, um den Ursprung nach Multipolmomenten bis zur 2. Ordnung entwickelt, ist φ(x) = kc

q xk xl x 1 + p · 3 + Qkl 5 + . . . r r 2 r

(2.5.11)

Änderung des Raumpunktes, um den entwickelt wird Verlegt man den Bezugspunkt der Entwicklung von ρ(x) nach Multipolmomenten vom Ursprung zu x0 , so wird aus (2.5.1) ˆ q 1 1¯ 1 ρ(x ) −p ¯ ·∇ + Q φ(x) = kc d3 x = kc kl ∇k ∇l + ...  r¯ r¯ 6 r¯ | x−x0 −(x −x0 )|     ¯ x

x

mit den Momenten ˆ p ¯ = d3 x ρ(x ) x = p + q x0 , ˆ ¯ kl = d3 x ρ(x ) (3x x − r2 ) Q k l

= Qkl + 3(pk x0l + pl x0k + qx0k x0l ) − 2p·x0 − qr02 . Verschwindet die gesamte Ladung (q = 0), so ist das Dipolmoment unabhängig ¯ kl = Qkl . Es gilt vom Bezugspunkt (¯ p = p). Ist auch noch p=0, so sind die Q ganz allgemein: Das niedrigste nicht verschwindende Multipolmoment ist unabhängig vom Bezugspunkt. In einer Ladungsverteilung mit q = 0 kann man mit p ¯ = p + q x0 = 0 den Bezugspunkt so legen, dass das Dipolmoment verschwindet. Das ist in Analogie zum Schwerpunkt der Massenverteilung jener der Ladungsverteilung. Bei der Massenverteilung gibt dann das Quadrupolmoment die Abweichung

2.5 Multipolentwicklung

71

von der sphärischen Symmetrie an, was bei einer Ladungsverteilung nur für den Überschuss an positiver (negativer) Ladung gilt. In Ionen (Na+ ) mit einer weitgehend sphärischen Symmetrie werden Ladungs- und Massenschwerpunkt zusammenfallen, in anderen ((OH)− ) nicht. Ist man an den elektrischen Kräften interessiert, die auf ein Atom oder Molekül wirken, so ist der Massenschwerpunkt, der insbesondere bei Molekülen von dem der Ladung abweichen kann, für die Multipolentwicklung eher geeignet. 2.5.2 Energie einer Ladungsverteilung im äußeren Feld Gegeben seien eine räumlich begrenzte Ladungsverteilung ρ(x) und ein äußeres Potential φe (x). Innerhalb der Ladungsverteilung sei die Änderung von φe (x) so moderat, dass eine Taylorentwickung sinnvoll erscheint. Die Energie der Ladungsverteilung im äußeren Feld ist dann ˆ ˆ   1 U = d3 x ρ(x) φe (x) = d3 x ρ(x) φe (0)+x·∇φe (0)+ xi xj ∇i ∇j φe (0) 2 1 e (0) . (2.5.12) = q φe (0) − p · Ee (0) − Qij Ei,j 6 Qij , das zweite Moment der Ladungsverteilung, heißt Quadrupolmoment, das an den Gradienten des äußeren Feldes e e Ei,j = ∇j Eie = Ej,i = −φe,ij = −∇i ∇j φe

koppelt. Wir erhalten für die zweite Ordnung ˆ  e  e (0) = d3 x ρ(x) 3xi xj − δij r2 Ei,j (0) . Qij Ei,j

Den letzten Term, der in (2.5.12) nicht vorkommt, haben wir hinzugefügt. Er bringt keinen Beitrag: e = Δφe = 0 , −δij Ei,j

da im Volumen V keine äußeren Ladungen vorhanden sind, und das Feld so die Laplace-Gleichung erfüllt und die so definierten, spurfreien Quadrupolmomente sind ident zu (2.5.9). Anmerkung: Nach (2.4.2) könnte man meinen, dass in (2.5.12) der Faktor 1/2 fehlt. Nach dortiger Vorschrift wäre jedoch ˆ  1 U= d3 x ρ(x ) φe (x ) + ρe (x ) φ(x ) , 2

was genau (2.5.12) ergibt, da die beiden Beiträge gleich groß sind.

Wenn die um den Ursprung konzentrierte Ladungsverteilung, die wir jetzt mit ρ(x ) bezeichnen, an die Stelle x geschoben wird, wie in Abb. 2.34 skizziert, haben wir bei x die Ladungsverteilung ρ(x −x).

72

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern y x

xM

ρ(x − x)

1x x

ρ(x )

Abb. 2.34. Die Ladungsverteilung ρ(x ) wird um x verschoben, wobei x = x − x

Die Energie dieser Ladungsverteilung im externen Potential ist ˆ 1 e (x), (2.5.13) U (x) = d3 x ρ(x −x) φe (x ) = q φe (x)−p·Ee (x)− Qij Ei,j 6 wobei die Rechnung völlig analog zu (2.5.12) verläuft. Wechselwirkung zweier Dipole Als Beispiel kann die Wechselwirkung zweier Dipole p1 , x1 und p2 , x2 betrachtet werden. Der Dipol 1 erzeugt am Ort x das Feld (2.2.4)   kc 3 p1 ·(x − x1 )(x−x1 ) E(x) = −p1 + . |x − x1 |3 |x−x1 |2 Die Wechselwirkungsenergie eines Dipols im Feld E ist (2.5.13) UDD = −E(x2 )·p2 = kc

 p ·p p1 ·(x2 −x1 ) p2 ·(x2 −x1 )

1 2 . (2.5.14) − 3 |x1 −x2 |3 |x1 −x2 |5

Wie aus Tab. 2.1 ersichtlich, ist die Dipol-Dipol-Energie am kleinsten, wenn die beiden Dipole parallel zueinander und zu x1 −x2 sind. Dies trifft für Bariumtitanat (Ba Ti O3 ) zu, einem Kristall mit Perowskit-Struktur. Substanzen, die parallel ausgerichtete elektrische Dipolmomente haben, werden als Ferroelektrika bezeichnet. Die Kraft, die auf einen Dipol p im Feld E wirkt, ist3 K=−

∂U = ∇(p · E) = (p · ∇)E + p × (∇ × E) , ∂x

(2.5.15)

wobei der letzte Term wegen rot E = 0 verschwindet; alternativ können Sie auch die aus der Vertauschung der Ableitungen folgende Symmetrie Ek,i = Ei,k = −φ,ik für die Umformung von (2.5.15) heranziehen. Das Drehmoment, das auf p wirkt, ist definiert durch   3 p×(∇×E)

i

= ijk pj klm ∇l Em = (δil δjm −δim δjl )pj ∇l Em = pj ∇i Ej −pj ∇j Ei .

Vektoriell geschrieben ist das p × (∇ × E) = ∇(p · E) − (p · ∇) E.

2.5 Multipolentwicklung

73

Tab. 2.1. Dipol-Dipol Energie für ⊥ und  Orientierung der Dipole auf die Verbindungslinie p1

p2

3 x1 − x2 UDD gemessen in Einheiten : Ud = p1 p2 /r12



















→ ↑

← →

→ →

Ud > 0

−Ud < 0

−2Ud < 0

Ferroelektrizit¨ at

+2Ud > 0 0→0

N = p × E.

(2.5.16)

Anmerkung: In der Mechanik ist das Drehmoment N = x×K, wobei K die Kraft ist; ersetzt man p = q d, so hat man mit qE die (Coulomb-)Kraft, die am Hebel d ansetzt.

Kraft auf eine Ladungsverteilung Nach der Bestimmung der Energie U (x) (2.5.13) einer Ladungsverteilung im externen Potential ist der nächste Schritt Berechnung der Kraft auf eben diese Ladungsverteilung ˆ ˆ   K(x) = −∇U = − d3 x ∇ρ(x −x) φ(x ) = d3 x ∇ ρ(x −x) φ(x ) ˆ = − d3 x ρ(x −x) ∇ φ(x ). Bei der partiellen Integration verschwindet der Oberflächenterm. Es ist also ˆ (2.5.17) K(x) = d3 x ρ(x −x) E(x ). Mit der Taylorentwicklung für das Feld E(x + (x − x)) erhält man ˆ  Ki (x) = d3 x ρ(x −x) Ei (x) + (xj −xj )Ei,j (x)

  1  3(xj −xj )(xk −xk ) − δjk (x −x)2 Ei,jk (x) + . . . , 6 1 Ki (x) = q Ei (x) + pj Ei,j + Qjk Ei,jk 6 (2.5.18) 1 = −q φ,i (x) − pj φ,ij − Qjk φ,ijk . 6 Die Kraft auf die Ladung wird vom elektrischen Feld bestimmt und die auf das Dipolmoment von den Feldgradienten. Für die auf das Quadrupolmoment wirkende Kraft sind die zweiten Ableitungen des elektrischen Feldes verantwortlich. +

74

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

Drehmoment Auf eine Ladungsverteilung wirkt naturgemäß auch ein Drehmoment, das in Analogie zur Mechanik steht ˆ N = d3 x ρ(x −x) (x − x) × E(x ). (2.5.19) Die Auswertung ist einfacher für die einzelnen Komponenten mithilfe des Tensors durchzuführen ˆ Ni = d3 x ρ(x − x) ijk (xj − xj )Ek (x ) ˆ  = d3 x ρ(x − x) ijk (xj − xj ) Ek (x) + (xl − xl )El,k +

  1  3(xl − xl )(xm − xm ) − δlm (x − x)2 El,mk (x) + . . . . 6

Der letzte Term ist von 3. Ordnung in (xi − xi ) und wird vernachlässigt; der vorletzte Term kann durch das Quadrupolmoment dargestellt werden, hat aber den Vorfaktor 1/3: Ni = (p × E)i −

1 ijk φ,km Qjm . 3

(2.5.20)

Das Drehmoment, das auf einen Dipol wirkt, ist durch das elektrische Feld gegeben; der Quadrupol spürt die elektrischen Feldgradienten. Explizite Bestimmung der Komponenten des Drehmomentes: Wir gehen von einem in z-Richtung weisenden Feld und einem in der xz-Ebene liegendem Dipol aus: E(0) = E3 e3 ,

p = e1 p sin ϑ + e3 p cos ϑ .

Die z  -Achse wird parallel zum Dipolmoment gewählt, so dass auch diese den Winkel ϑ mit der z-Achse einschließt, wie in Abb. 2.35 gezeigt (ϕ = 0). Das Dipolmoment p liegt in z  -Achse: p = p(sin ϑ, 0, cos ϑ). z

6 z ϑ -x q x

Abb. 2.35. Skizze zur Lage des Quadrupolmoments; die z  -Achse ist so orientiert, dass sie in die Richtung des Dipols zeigt (p = pez  )

Die Situation wird mit der Berücksichtigung des Quadrupolmoments etwas komplexer. Der Tensor der Feldgradienten ist mit  der vereinfachenden Annahme E3 = E3 (x3 ) diagonal und naturgemäß spurfrei ( i φ,ii = 0):

Aufgaben zu Kapitel 2

!

0 0 − 12 φ,33 0 − 21 φ,33 0 0 φ,33

"

75

.

Die Berechnung von N gemäß (2.5.20) ergibt

 1 123 φ,22 Q32 +132 φ,33 Q23 = 0 , 3  1 1 N2 = p3 E1 −p1 E3 + 231 φ,33 Q13 +213 φ,11 Q31 = −pE sin ϑ+ φ,33 Q13 , 3 2  1 N3 = p1 E2 −p2 E1 + 312 φ,11 Q21 +321 φ,22 Q12 = 0. 3 Vom Drehmoment ist nur N2 von null verschieden, d.h., es steht senkrecht auf die xz-Ebene und wir benötigen nur das Moment Q13 . Wir nehmen an, dass die Hauptachse von Q ebenfalls die z  -Achse ist: Q = Q3 3 . Die Berechnung der Momente im ungestrichenen System wird in der folgenden Ne3Q benrechnung gemacht und ergibt Q13 = Q31 = sin ϑ cos ϑ . Damit erhalten wir 2 das Drehmoment   3Q (2.5.21) N = − pE + E3,3 cos ϑ sin ϑ e2 . 4 Dipol- und Quadrupolmoment versuchen sich parallel zu E = (0, 0, E) einzustellen. N1 = p2 E3 −p3 E2 +

Berechnung der Quadrupolmomente: Qik =

=Q Q13 = Q31 =

"⎛

!

cos ϑ 0 sin ϑ 0 1 0 − sin ϑ 0 cos ϑ

!

⎞!

−Q 0 0 2 ⎝ 0 −Q 0⎠ 2 0 0 Q

"

cos ϑ 0 − sin ϑ 0 1 0 sin ϑ 0 cos ϑ

3 − 12 cos2 ϑ + sin2 ϑ 0 sin ϑ cos ϑ 2 1 0 −2 0 3 sin ϑ cos ϑ 0 − 21 sin2 ϑ + cos2 ϑ 2

"

,

3Q Q −Q Q sin 2ϑ, Q11 = (1−3 cos 2ϑ), Q22 = , Q33 = (1+3 cos 2ϑ). 4 4 2 4

Aufgaben zu Kapitel 2 2.1. Einfache Ladungsverteilungen: Drücken Sie folgende Ladungsverteilungen durch Verwendung von δ-, θ-Funktionen und Raum-, Flächen- oder Linienladungsdichten aus (ρ0 , σ0 oder λ), wobei alle Körper die Gesamtladung Q haben sollen. Kugelkoordinaten 1. Homogen geladene Kugel, Radius a. 2. Homogen geladene Kugelschale infinitesimaler Dicke, Radius a. 3. Punktladung. Zylinderkoordinaten 4. Homogen geladener Zylinder, Radius a und Länge 2l. 5. Homogen geladener Hohlzylinder infinitesimaler Dicke, Radius a und Länge 2l. 6. Homogene Linienladung, Länge 2l.

76

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

2.2. Dipollinie: Zeigen Sie, dass das Feld zweier Ladungen ±q an den Orten x1,2 durch das Feld einer Linie von Dipolen dargestellt werden kann, die parallel zur Verbindungslinie ausgerichtet sind. 2.3. Potential einer sphärisch-symmmetrischen Ladungsverteilung: Zeigen Sie, dass das Potential einer Ladungsverteilung ρ(r) dargestellt werden kann als ˆ ∞   ˆr 1 dr  r 2 ρ(r  ) + dr  r  ρ(r  ) . φ(r) = 4π r 0 r

2.4. Potential und Feld des H-Atoms: Die Ladungsdichte des H-Atoms im Grundzustand ist ρ(H) (x) = e0 δ(3) (x) − (e0 /πa3b )e−2r/ab

mit dem Bohr’schen Radius ab ≈ 0.529Å.

1. Berechnen Sie φ(H) , E(H) . 2. Skizzieren Sie den Verlauf qualitativ . 3. Nehmen Sie an, dass der Atomkern den Radius R = 1.5 × 10−13 cm hat. Geben sie die Feldstärken für r = R und r = ab an. 2.5. Feld einer halbunendlichen Doppelschicht: 1. Zu berechnen ist das elektrostatische Feld der Ladungsdichte





ρ(x) = σ θ(a+x) − θ(x) θ(b−|y|)δ(z). 2. Im Grenzwert a, b → ∞ divergiert E, aber die Differenz zu einem (fast) beliebigen ˜ ˜ 0 ) bleibt endlich. Verifizieren Sie: E(x Punkt x0 : E(x, x0 ) = E(x)− ˜ E(x) =σ





− ex ln(x2 +z 2 )+ez π sgn z−2 arctan



x + const. z

(2.5.22)

3. Verifizieren Sie jetzt das Feld der Doppelschicht (2.2.32):

 d d ρ(x) = σθ(−x) δ(z− )−δ(z+ ) . 2 2 ˆ dx 1 bx = √ arctan √ ab (a2 +x2 ) a2 +b2 +x2 a a2 +b2 +x2

(Hilfsintegral).

2.6. Äquipotentialflächen zweier Linienladungen: Gegeben sei die Ladungsdichte  ρ(x) = λδ(y) δ(x − a) − δ(x + a) . 1. Geben Sie das Potential der Linienladungen an. 2. Bestimmen Sie Potentialflächen für ein vorgegebenes φ0 . 3. Skizzieren Sie Äquipotentiallinien in der xy-Ebene.

Anmerkung: Der negativ geladene Draht kann auch als Bildladung verstanden werden, so dass die Äquipotentiallinien mit x > 0 gleich sind mit denen des Drahtes vor einer geerdeten Fläche.

Aufgaben zu Kapitel 2

77

2.7. Potential einer Linienladung vor zwei Metallplatten: y

6

−λ

d

1

d

λ

0

d

-

x

d λ

2

3

−λ

Eine Linienladung λ hat zu zwei aufeinander senkrecht stehenden geerdeten Leitern jeweils den Abstand d, wie in der Skizze angedeutet. Um die Randbedingungen zu erfüllen, werden drei Spiegelladungen verwendet Bestimmen Sie das Potential φ, die Feldstärke E und die auf der Leiteroberfläche induzierte Ladung σ .

2.8. Punktladung vor leitenden Ebenen Die Punktladung q befindet sich jetzt vor zwei im Winkel von α = 60◦ zueinander geneigten, unendlich ausgedehnten Metallplatten (siehe Skizze). q induziert an der Metalloberfläche eine Ladung, q die durch geeignete Platzierung von fünf Spiegelladungen dargestellt ◦ werden kann. Skizzieren Sie die Lagen der (Spiegel-)Ladungen und 60 zeigen Sie, warum die Randbedingung E = 0 auf den Metalloberflächen erfüllt ist. 2.9. Dipol vor leitender Ebene

d Rp

p

d

z

Ein Punktdipol befinde sich im Abstand d vor einer leitenden Ebene. 1. Bestimmen Sie φ und E im Halbraum z ≥ 0 . 2. Bestimmen Sie die induzierte Oberflächenladung. 3. Bestimmen Sie die Konfiguration minimaler Energie.

2.10. Maxwell’scher Spannungstensor: Gegeben sind eine positive (q > 0) und eine negative Ladung im Abstand 2a, wie aus der nebenstehenden Skizze a a hervorgeht. −q q x Berechnen Sie für diese Anordnung den Maxwell’schen Spannungstensor und bestimmen Sie mithilfe des Spannungstensors die Kraft auf die negative Ladung. 2.11. Wechselwirkungsenergie im H-Atom: Bestimmen Sie die Wechselwirkungsenergie zwischen Kern und Elektron im H-Atom mit der Ladungsverteilung e0 ρK (x) = e0 δ(3) (x) , ρe (x) = − 3 e−2r/ab . πab 2.12. Wechselwirkungsenergie zweier Drahtschleifen Bestimmen Sie die Wechselwirkungsenergie und die z 6 Kraft, die zwei konzentrische Kreisringe mit den RaFa→b dien a und b, deren Mittelpunkte sich im Abstand z 6 voneinander befinden (siehe Skizze 2.36), aufeinander 6 λb ausüben. b d y

6

? a

x

λa

y

Abb. 2.36. Zwei Kreisringe mit den Linienladungen λa und λb

78

2 Ruhende elektr. Ladungen u. die Verteilung der Elektrizität auf Leitern

2.13. Zur Energie eines Dipols im äußeren Feld: Ein Dipol befinde sich in einem konstanten äußeren (externen) Feld Ee . Berechnen Sie die (Wechselwirkungs-)Energie des Dipols im Feld Ee . Zeigen Sie, dass ˆ 1 d3 x Ee · Ep U= 4π nicht zum richtigen Ergebnis führt, wobei Ep das Feld des Dipols ist. Gilt das auch für einen Quadrupol? 2.14. Selbstenergie der Kugelschale: Auf einer Kugel vom Radius a ist die Ladung Q gleichmäßig auf der Oberfläche verteilt. Berechnen Sie die elektrostatische Selbstenergie und vergleichen Sie diese mit der der Vollkugel, wenn Q homogen verteilt ist. 2.15. Beweis des Theorems von Thomson: Vorhanden seien n Leiter mit den Volumina Li und den Ladungen Qi , die sich innerhalb eines endlichen Bereiches befinden. Außerhalb der Leiter sei eine, auch auf einen endlichen Bereich beschränkte, Ladungsverteilung ρext . Im Abschnitt 2.4.3 wurde die Ladungsverteilung bei konstanten Qi variiert. In der energetisch günstigsten Konfiguration verschwindet in jedem Leiter Li das Feld E=0. Hier sollen Sie von der Lösung ausgehen für die in den Leitern E=0, wobei " df i · E = 4πQi und div E = 4πρext (*) ∂Li

erfüllt sind. Sie sollen zeigen, dass jedes Feld E , das die Bedingungen (*) erfüllt, zu einer höheren Energie führt, wenn innerhalb der Leiter E = 0 ist. 2.16. Kapazitätsmatrix: Bestimmen Sie die Kapazitätsmatrix der folgenden Konfigurationen 1. Zwei konzentrische Kugeln mit den Radien a < b und den Ladungen Qa und Qb . 2. Zwei Kugeln mit den Radien a und b und den Ladungen Qa und Qb . Deren Mittelpunkte befinden sich im Abstand d voneinander, wobei d a und d b. Betrachten Sie für beide Konfigurationen den Fall Qa = −Qb = Q und bestimmen Sie die zugehörige Kapazität. 2.17. Divergenz und Rotation des Dipolfeldes: Separiert man vom Dipolfeld gemäß (2.5.6) die Singularität Es = −(4π/3)pδ(3) (x) am Sitz des Dipols vom ’Rest’ des Feldes, so sollte man zeigen, dass ∇·E = 4πρ(x) und ∇×E = 0 weiterhin erfüllt sind. Hinweis: lim

a→0

3 θ(a−r)= ' δ(3) (x). 4πa3

(2.5.23)

Literaturverzeichnis

79

Literaturverzeichnis S. Brandt, H.D. Dahmen Elektrodynamik 4. Aufl. Springer Berlin (2004) T. Fließbach Elektrodynamik 5. Aufl. Springer Spektrum (2008) W. Greiner Klassische Elektrodynamik 6. Aufl., Harri Deutsch, Frankfurt (2002) J. D. Jackson Klasssische Elektrodynamik, 4. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin (2006) G. Kirchhoff Vorlesungen über mathematische Physik, Vol. 3 Electricität und Magnetismus, Teubner Verlag, Leipzig (1891) J.C. Maxwell A Treatise on Electricity and Magnetism, Vol. I, 3. ed. Oxford at the Clarendon Press (1892)

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Die Elektrostatik ist eine Potentialtheorie, d.h. eine Theorie für wirbelfreie Vektorfelder (rot E = 0). Innerhalb dieser ist das Vektorfeld E aus einem skalaren Potential φ herleitbar, das der (skalaren) Poisson-Gleichung genügt. Zunächst werden Bedingungen gesucht, die an den Rand des betrachteten Volumens gestellt werden dürfen, damit das Problem eine eindeutige Lösung hat. Bei der Lösung der Laplace- bzw. Poisson-Gleichung verwendet man oft die Kugelsymmetrie. Es wird aber auch auf die doch kompliziertere Zylindersymmetrie eingegangen. In einigen Fällen, wenn die Konfiguration in zwei Dimensionen dargestellt werden kann, bietet sich die Funktionentheorie mit der konformen Abbildung als Lösungsmethode an.

3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung Eine allgemeine Methode zur Lösung der Poisson-Gleichung ist nicht oder nur bedingt vorhanden. Daher ist es umso wichtiger zu wissen, welche Bedingungen an die Randflächen gestellt werden dürfen und, wenn eine Lösung gefunden wurde, dass diese eindeutig ist. 3.1.1 Eindeutigkeit der Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung Wir gehen von einer lokalen Ladungsverteilung auf einem einfach zusammenhängenden Gebiet, wie es in Abb. 3.1 skizziert ist, aus. Um das Potential φ bestimmen zu können, muss die Poisson-Gleichung gelöst werden, wobei auf der Oberfläche ∂V das Potential φ(∂V ) oder das Feld E(∂V ) vorgegeben werden kann. Zuerst wird gezeigt, dass bei Vorgabe entweder des Potentials (oder der Parallelkomponente des Feldes, beides Dirichlet-Randbedingung) oder der Normalkomponente des Feldes (Neumann-Randbedingung) die gefundene Lösung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_3

82

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

V

(x)

Abb. 3.1. Einfach zusammenhängendes Gebiet vom Volumen V , das durch die Oberfläche ∂V begrenzt ist. ρ(x) ist die Ladungsdichte im Inneren des Gebietes

V

eindeutig ist. Damit ist das Problem bei Vorgabe von Potential und Feld im Allgemeinen überbestimmt. Es gibt auch sogenannte gemischte Randbedingungen mit einer Vorgabe von Werten des Potentials und des Feldes; auf diese wird hier nicht eingegangen. Dirichlet-Randbedingung: φ(∂V ) vorgegeben. ∂φ(∂V ) = n · ∇φ vorgegeben. ∂n Für die Elektrostatik typische Dirichlet-Randbedingungen sind Leiter, die auf verschiedenen Potentialen gehalten werden, während vorgegebene Flächenladungsdichten σ = E·n/4π zu den Neumann-Randbedingungen zählen. Eine Sonderstellung nehmen die Randbedingungen im unendlichen R3 ein, wo mit |∇φ(r → ∞)| = 0 alle Komponenten des Feldes verschwinden, was im Helmholtz’schen Zerlegungssatz, Abschnitt 7.1.2 zur Sprache kommt. Neumann-Randbedingung:

Satz: Für Dirichlet- oder Neumann-Randbedingungen ist die Lösung φ(x) der Poisson-Gleichung Δφ = −4πρ eindeutig in diesem Gebiet bestimmt. Beweis der Eindeutigkeit der Lösung Der Beweis der Eindeutigkeit läuft sehr zu dem beim Grundproblem der Elektrostatik, S. 49. Wir gehen von einer der beiden Randbedingungen (Dirichlet oder Neumann) aus und nehmen an, dass es zwei Lösungen φ1 (x) und φ2 (x) gäbe. Dann genügt φd (x) = φ1 (x) − φ2 (x) der Laplace-Gleichung Δφd = 0 mit

φd (∂V ) = 0 für Dirichlet, ∂φd (∂V ) = 0 für Neumann . ∂n

Setzt man im 1. Green’schen Satz (A.4.19) ˆ " 3 2 d x (φ∇ ψ + ∇φ · ∇ψ) = df · φ∇ψ V

(3.1.1)

∂V

φ = ψ = φd , so folgt " ˆ d3 x (φd ∇2 φd +(∇φd )2 ) = df · φd (∇φd ) .     V ∂V =0

=0

(3.1.2)

3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung

83

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einerseits ∇2 φd = 0, andererseits auf der Oberfläche entweder φd = 0 oder n·∇φd = 0 . Daraus folgt ˆ d3 x(∇φd )2 = 0 ⇒ ∇φd = 0 , da (∇φd )2 ≥ 0 und φd = const. V

Dirichlet: φd = const. = 0 auf ∂V → φ1 = φ2 , Neumann: φ1 = φ2 + const. 3.1.2 Lösung des Randwertproblems durch Green’sche Funktionen Die 2. Green’sche Formel (A.4.20) lautet " ˆ  d3 x (ψ∇2 φ − φ∇ 2 ψ) = df  · (ψ∇ φ − φ∇ ψ) . V

∂V

φ ist das elektrostatische Potential des Problems und ψ die Green-Funktion (2.1.6) bzw. (A.4.22): ∇2 φ(x ) = −4πkc ρ(x ), ψ(x, x ) = G(x, x ) =

1 , |x − x |

∇2 ψ = −4πδ(3) (x − x ).

(3.1.3)

Bringt man den 1. Term der Green’schen Formel auf die rechte Seite und dividiert durch 4π, so erhält man ) (  " ˆ   1 1  ∇ φ(x )   3  ρ(x ) φ(x) = kc d x + − φ(x )∇ . (3.1.4) df · |x−x | 4π ∂V |x−x | |x−x | V Hier treten φ(x ) und n · ∇ φ(x ) an der Oberfläche auf. Die unabhängige Vergabe dieser beiden Größen ist nicht erlaubt, da jede die Lösung eindeutig bestimmt. Green’sche Funktion für das Randwertproblem Die Green-Funktion für das Randwertproblem Grd (x, x ) = G(x, x ) + F (x, x ) ,

G(x, x ) =

1 |x − x |

ist eine Erweiterung der Green-Funktion (2.1.6) mit einer Lösung der LaplaceGleichung ΔF (x, x ) = 0 . Hier steht das Subskript rd für D oder N , je nachdem, ob man Dirichlet- oder Neumann-Randbedingungen hat. Erweitert man die Green-Funktion in (3.1.4) mit einer Lösung der Laplace-Gleichung ΔF (x, x ) = 0 , so bleibt φ, das mit Grd (x, x ) = G(x, x ) + F (x, x )

84

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

berechnet wird, weiterhin Lösung des Randwertproblems, wie man durch Anwendung von Δ auf φ in (3.1.4) bemerkt, da nach wie vor ΔGrd (x, x ) = −4πδ(3) (x − x ) unverändert bleibt ˆ d3 x Grd (x, x )ρ(x ) (3.1.5) φ(x) = kc V "   1 + df  · Grd (x, x )∇ φ(x ) − φ(x )∇ Grd (x, x ) . 4π ∂V

Auch hier kommen noch φ und ∇φ an der Oberfläche vor. Es wird nun in (3.1.5) die Green-Funktion so modifiziert, dass einer der beiden Oberflächenterme wegfällt und so das Randwertproblem lösbar ist.

(a) Dirichlet-Randbedingung Mit der Möglichkeit Grd so zu modifizieren, dass Grd (x, x ) = Gd (x, x )|x

=0

auf ∂V 

verschwindet der Randterm mit ∇ φ(x ). Die Konfiguration hat somit eine Lösung, die eindeutig sein muss: " ˆ 1 3    φ(x) = kc d x Gd (x, x )ρ(x ) − df · φ(x )∇ Gd (x, x ). (3.1.6) 4π ∂V V (b) Neumann-Randbedingung Es wäre naheliegend ∇GN = 0 auf ∂V zu wählen. Das ist aber nicht zulässig, da ˆ ˆ  d3 x ∇ 2 GN (x, x ) = − d3 x 4πδ(3) (x − x ) . V

V

Die Anwendung des Gauß’schen Satzes ergibt " df  · ∇ GN (x, x ) = −4π . ∂V

Die nächsteinfache Randbedingung für GN (x, x ), die mit diesem Oberflächenintegral im Einklang ist, ist  4π n · ∇ GN (x, x )x ∈∂V = − , ∂V wo ∂V die Größe der Oberfläche ist. Daraus folgt " ˆ 1 df  ·GN (x, x ) ∇ φ + φ∂V φ(x) = kc d3 x GN (x, x )ρ(x ) + 4π ∂V V " 1   φ∂V = df φ(x ) mit df = df n . (3.1.7) ∂V ∂V φ∂V ist der Mittelwert von φ über alle Randflächen, der als Konstante in die Definition von φ einbezogen werden kann. Für ∂V → ∞ geht φ∂V → 0.

3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung

85

Bemerkungen 1. Die Green’schen Funktionen Grd (x, x ) hängen nicht von der Randbedingung, die an φ oder n·∇φ gestellt ist, ab, sondern nur von der Form der Oberfläche. Hat man die Green’sche Funktion gefunden, so kann man jedes Randwertproblem mit der Oberfläche ∂V durch Integration lösen. 2. Grd (x, x0 ) gibt das Potential am Punkt x an, wenn sich eine Einheitsladung am Ort x0 befindet, und an der Oberfläche das Potential (φ(∂V ) = 0) verschwindet (Dirichlet-Randbedingung): Grd (x, x0 ) =

1 + F (x, x0 ). |x − x0 |

Da F (x, x0 ) die Laplace-Gleichung im Innenraum mit ΔF = 0 erfüllt, rührt dieses Potential von den induzierten Oberflächenladungen oder von äquivalenten Bildladungen her. Beim sogenannten äußeren Problem hat man bei Neumann-Randbedingungen eine Fläche, die im Unendlichen liegt, so ∂V →∞ dass n·∇φ(∂V ) = −4π/∂V −→ 0. 3. Reziprozität: Die Green’sche Funktion für das Dirichlet-Problem ist symmetrisch in Bezug auf den Quellpunkt x0 und den Aufpunkt (Beobachtungspunkt) x: Gd (x, x0 ) = Gd (x0 , x). Beweis: Setze in 2. Green’schen Satz (A.4.20)φ(x ) = Gd (x0 , x ) und ψ(x ) = Gd (x, x ) ein. Zunächst die Oberflächenterme (rechte Seite) von (A.4.20) "   df  · Gd (x0 , x )∇ Gd (x, x ) − Gd (x, x )∇ Gd (x0 , x ) = 0 ∂V   = 0. für Dirichlet gilt : Gd (x0 , x ) = Gd (x, x )  x ∈∂V

Damit verschwindet der Oberflächenterm; zurück bleibt ˆ    d3 x Gd (x0 , x )∇2 Gd (x, x ) − Gd (x, x )∇ 2 Gd (x0 , x ) 0= V ˆ   d3 x Gd (x0 , x )δ(3) (x−x ) − Gd (x, x )δ(3) (x0 −x ) = −4π V   = −4π Gd (x0 , x) − Gd (x, x0 ) = 0 q.e.d.

Punktladung vor leitender Platte Potential und Feld einer Punktladung q vor einer Metallplatte, wie in Abb. 3.2 skizziert, haben wir schon im Abschnitt 2.3.1 mittels einer Bildladung (oder Spiegelladung) −q im gleichen Abstand hinter der leitenden Oberfläche berechnet. Es verschwindet dann φ auf der Metalloberfläche, so dass φ(x, d) die Dirichlet-Bedingung Gd (x, d) = 0 an der Oberfläche ∂V erfüllt.

86

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik d

d

V

⊥ > 6 z 6 - -

x

 :

q

φ∂V = 0

Abb. 3.2. Punktladung vor einer Metallplatte im Halbraum V mit z > 0. Die Spiegelladung q  = −q bewirkt, dass φ(z = 0) = 0; außerdem ist φ(r → ∞) = 0, d.h. φ∂V = 0

d

q

1. Dirichlet-Green-Funktion Nimmt man (siehe Abschnitt 2.3.1) statt der Punktladung q eine Einheitsladung und ersetzt d durch x , so stellt G(x, x ) das Potential der tatsächlichen Ladung dar und das Potential der Spiegelladung den Zusatzterm: ⎞ ⎛ 10 0 −1 −1 F (x, x ) = = mit M = ⎝0 1 0 ⎠ , |x − x + x⊥ | |x − Mx | 0 0 −1

der für z > 0 die Laplace-Gleichung erfüllt. Man hat also Gd (x, x ) =

1 1 − . |x − x − x⊥ | |x − x + x⊥ |

(3.1.8)

Es ist offensichtlich, dass sowohl die Symmetrie Gd (x , x) = Gd (x, x ) als auch die Randbedingung Gd (z = 0, x ) = 0 erfüllt ist. Das Potential ist durch (3.1.6) bestimmt: ˆ  1 1 − , φ(x) = kc d3 x Gd (x, x )ρ(x ) = kc q |x−d −d⊥ | |x−d +d⊥ | V wobei ρ(x ) = q δ(3) (x −d). Die Felder sind wieder durch (2.3.2) gegeben.

2. Konstantes Potential φ0 auf leitender Ebene Jetzt modifizieren wir das Beispiel, indem wir das Potential auf der Leiteroberfläche auf φ(z = 0) = φ0 anheben. Wir erwarten, dass im ganzen Halbraum z ≥ 0 φ(x) → φ(x) + φ0 . Dieser Beitrag kann nur vom Oberflächenterm in (3.1.6) kommen: " ¨ ∂ 1 φ0 dx dy   Gd (x, x ). φ∂V = − df  · φ(x ) ∇ Gd (x, x ) = 4π ∂V 4π ∂z (3.1.9) Da φ∂V (x) nur vom Abstand z von der Ebene abhängen darf, wählen wir x = y = 0 und erhalten nach der Transformation zu ebenen Polarkoordinaten ¨ ˆ ∞ 2z d   φ0   dx dy φ∂V = = zφ 0  3 = φ0 , 4π |x−x |3 0

2 +z 2

3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung

87

wie es sein muss. Somit ist  1 1  − + φ0 . φ(x) = kc q |x − d| |x + d| 3. Unterschiedliche Potentiale auf beiden Halbebenen Die beiden Leiterplatten werden jetzt, wie in Abb. 3.3 skizziert, auf verschiedenenen Potentialen φ1 = φ2 gehalten. Gd und ρ bleiben ungeändert im Vergleich zu den beiden vorausgegangenen Fällen, da sich die räumliche Konfiguration nicht verändert hat. Nur der Oberflächenbeitrag φ∂V muss neu berechnet werden, was in Aufgabe 3.1 behandelt wird. Potential und q

φ2

6z d 6 ? -x φ1 6 d ? q

Abb. 3.3. Ladung q im Abstand d vor einer Metallplatte, die geteilt ist und deren Teile auf den Potentialen φ1 bzw. φ2 gehalten werden

Felder sind φ(x) = kc q



1  φ1 +φ2 φ1 − φ2 x 1 − + + arctan , |x−d| |x+d| 2 π z

z x x  φ1 − φ2 − − , 3 3 2 |x−d| |x+d| π x +z 2  z −d z +d  φ1 − φ2 x + Ez = kc q − , |x−d|3 |x+d|3 π x2 +z 2

Ex = kc q



und die Oberflächenladung ist bestimmt durch σ=

En (z = 0) φ1 − φ2 1  1  −2kc dq . + = √ 3 4π 4π π x x2 +d2

Abb. 3.4a zeigt die von der Ladung q und von den Metalloberflächen φ1 = −φ2 induzierte Oberflächenladung. Die Singularität bei x = 0 wird von φ2 = −φ1 verursacht. Da das Potential der rechten Platte gleich dem der Punktladung ist, ist dort die induzierte Ladung eher klein. Für größere Werte von x schwindet der Einfluss der Punktladung, und die Feldlinien nähern sich Halbkreisen. In Abb. 3.4b sind Feld und Äquipotentiallinien für eine Punktladung q = 1 (d = dez ) vor einer geteilten Metallplatte mit φ1,2 = ±1 eingezeichnet. Das Potential φ1 ist größer als die Punktladung, so dass keine Feldlinien von q auf die Platte mit x > 0 gehen.

88

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik



Σ 0

 4

(a)

3

2

1

0 xd

1

2

3

4

3

2

1

0 xd

1

2

3

4

4 3 z d

2 1

(b)

4

Abb. 3.4. (a) Oberflächenladung, induziert von Punktladung q = 1 und φ1 = −φ2 = 1 (b) Feld- und Äquipotentiallinien einer Punktladung q = 1 vor einer Metallplatte mit φ1 = −φ2 = 1

Inversion an einer Kugel Gegeben sei ρ(x) außerhalb einer Kugel mit dem Radius R, wie in Abb. 2.24, S. 52 für eine Punktladung oder in Abb. 3.5 für einen Punktdipol skizziert. V ist das Volumen außerhalb der Kugel mit der Randfläche ∂V und KR das Kugelvolumen mit den fiktiven Ladungen. 1. Dirichlet-Green-Funktion Mithilfe der Spiegelladungsmethode wurde φ(x) einer Punktladung vor einer leitenden Kugel, wenn φ∂V = 0 an der Oberfläche, bereits berechnet. Setzt man q = 1 und ersetzt d durch x , so hat man im betrachteten Volumen V die Green-Funktion G und mit dem Potential der Bildladung den Zusatzterm F (x, x ), der im Außenraum die Laplace-Gleichung erfüllt. (2.3.5) entnehmen wir F (x, x ) =

−R 1 .  r |x − rR22 x |

(3.1.10)

3.1 Lösung der Poisson-Gleichung mit Randbedingung

Die Green-Funktion des (Dirichlet’schen) Problems ist so ⎧ 1 1 R ⎪ ⎨ −  fu ¨ r r, r > R 2 | |x − x r  |x − R2 x | Gd (x, x ) = r ⎪ ⎩ 0 sonst.

89

(3.1.11)

Wegen der Symmetrie Gd (x, x ) = Gd (x , x) muss auch F (x, x ) symmetrisch unter der Vertauschung von x mit x sein. Man sieht das beim Übergang zu Polarkoordinaten (x·x = rr cos θ): −R −1 F (x, x ) =  = . (3.1.12) 2 2 4 2 r r R R r  2 2  r r + 2 −2  cos θ 2 +R −2rr cos θ r

r

R

Wir wissen, dass ΔF = 0 in V , aber ΔF = 0 im Außenraum KR , was noch verwendet wird. Nun folgt aus (3.1.10)   2 4πR R 1 =  δ(3) x − R2 x Δ 2  R  r r r |x − r2 x | 2 4πR (3)   R  = Δ F (x, x ) = x − 2 x . δ r r

ΔF (x, x ) = −

(3.1.13)

Ausgenützt wurde die Symmetrie x  x .

2. Punktladung vor der Kugel mit φ(∂KR ) = 0 Der Oberflächenterm von (3.1.6) verschwindet. Potential und Feld sind gegeben durch ˆ φ(0) (x) = kc E

(0)

d3 x Gd (x, x ) qδ(3) (x −d) = kc (0)

= −∇φ



qR q d − 2 R |x−d| |x − d2 d| 2

 x−d R x− R d2 d . (x) = kc q − 2 3 |x−d|3 d |x − R d2 d|

(3.1.14)

3. Punktladung vor der Kugel mit φ(∂KR ) = φ0 Der Beitrag der Oberfläche ∂V kommt alleine von der Kugeloberfläche ∂KR , da im Unendlichen φ = 0. Das konstante φ0 kommt vor das Integral und φ(0) ist durch (3.1.14) gegeben: " φ0 (0) φ(x) = φ (x) + df  · ∇ Gd (x, x ) . 4π ∂KR Der Normalenvektor von ∂V ist n = −er , weshalb der Beitrag der Oberfläche ein positives Vorzeichen hat. Mit dem Gauß’schen Satz und (3.1.12) erhält man

90

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik (0)

φ(x) = φ

φ0 (x) + 4π

ˆ d3 x Δ F (x, x ) = φ(0) (x) + KR

φ0 R . r

(3.1.15)

Aus physikalischen Gründen hätten wir bereits erwarten können, dass das Volumenintegral die mit −4π/q multiplizierte Spiegelladung −qR/d ergibt.

4. Punktladung vor isolierter leitender Kugel mit der Gesamtladung Q

Wir starten mit einer geerdeten leitenden Kugel, vor der sich am Ort d (d > R) die Punktladung q befindet. Mit der Bildladung q  am Ort d verschwindet das Potential auf der Kugeloberfläche. Wird nun die Erdung gekappt, so befindet sich auf der Kugeloberfläche die induzierte Ladung q  . Soll nun die Kugeloberfläche die Gesamtladung Q haben, so muss man dieser die Ladung Q − q  zuführen. Für das Potential außerhalb der Kugel kann die Oberflächenladung durch eine Bildladung im Mittelpunkt der Kugel dargestellt werden, die genau der zugeführten Ladung Q − q  entspricht. Demnach bekommen wir φ(x) = φ(0) (x) + kc

Q + qR d r

fu ¨ r r > R,

(3.1.16)

wobei φ(0) durch (3.1.14) gegeben ist. Verwendet haben wir das Superpositionsprinzip. Punktdipol vor leitender Kugel Die nächsteinfache Konfiguration ist die Anbringung eines Punktdipols vor die leitende Kugel, wie in Abb. 3.5 skizziert, und dessen Ladungsverteilung nach (2.2.7) gegeben ist durch R

-q



dR p

p

-I d

Abb. 3.5. Punktdipol p vor leitender Kugel mit dem Radius R. Zum Spiegeldipol p ist noch eine Spiegelladung q  hinzuzufügen, die negativ ist, wenn p nach außen gerichtet ist. Bei Drehung von p gegen den Uhrzeigersinn dreht sich p im Uhrzeigersinn

ρ(x) = −p· ∇δ(3) (x−d). Die Green’sche Funktion für diese topologische Anordnung haben wir bereits mit (3.1.11) bestimmt. Das Potential ist so gegeben durch ˆ φ(x) = kc d3 x Gd (x, x ) ρ(x ) ˆ  1  1 R p·∇ δ(3) (x −d). = −kc d3 x − 2 |x−x | r |x − rR2 x |

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten

91

Dieses Potential gilt nur außerhalb der Kugel. Die partielle Integration ergibt (d = d R2 /d2 ) ˆ d3 x δ(3) (x − d) p · ∇

φ(x) = kc = kc

 p · (x − d) |x − d|3

+

R d3 p · d |x − d |

+



R  1 r − |x − x | |x − rR22 x |

R  d (x − d ) |x − d |3

 p·d R2 · (2 d − p) . d2 d2

Der erste Term ist das Potential des Punktdipols p am Ort d, der zweite das einer Spiegelladung q  = R3 p · d am Ort d . Diese verschwindet, wenn d p senkrecht auf d steht. Ist d parallel zu p, so ist die Ladung positiv, bei antiparalleler Stellung negativ. Der Dipol p =

 R3  p· d 2 2 d−p d3 d 3

hat die Stärke p = R3 p und ist parallel zu p, wenn dieser entlang d orientiert d ist und antiparallel, wenn p senkrecht zu d sist.

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten 3.2.1 Polarkoordinaten und Separationsansatz Die homogene Poisson-Gleichung Δφ = 0 heißt Laplace-Gleichung. Sie hat in kartesischen Koordinaten die Form  2  ∂ ∂2 ∂2 (3.2.1) + 2 + 2 φ(x) = 0 ∂x2 ∂y ∂z und in Polarkoordinaten (siehe (A.3.36))   1 ∂ 2 ∂ 1 ∂ ∂ 1 ∂2 φ(r, ϑ, ϕ) = 0 . (3.2.2) r + sin ϑ + r2 ∂r ∂r r2 sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ r2 sin2 ϑ ∂ϕ2 Der Laplace-Operator kann in einen radialen und einen winkelabhängigen Anteil geteilt werden: 1 ˆ2 L , r2 1 ∂ 2 ∂ (A.3.36’) 1 ∂ 2 r r, = Δr = 2 r ∂r ∂r r ∂r2 ∂2 ˆ 2 = − 1 ∂ sin ϑ ∂ − 1 . L 2 sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin ϑ ∂ϕ2 Δ = Δr −

ˆ 2 ist das Quadrat des (dimensionslosen) Drehimpulsoperators L

(3.2.3)

92

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

ˆ = −ix×∇. L

(3.2.4)

Für die Lösung φ macht man den Produktansatz von einer radialen Funktion R(r) mit einer winkelabhängigen Funktion Y (ϑ, ϕ) φ(r, ϑ, ρ) = R(r) Y (ϑ, ϕ)

(3.2.5)

und erhält die Laplace-Gleichung Y Δr R − R

1 ˆ2 L Y = 0. r2

Der radiale Teil kann vom winkelabhängigen Teils separiert werden, wenn man links mit r2 /(Y R) multipliziert und dann die nur von ϑ, ϕ abhängigen Terme auf die rechte Seite bringt: r2 1 ˆ2 Δr R = L Y = l(l + 1). R Y

(3.2.6)

Die rechte Seite hängt nicht von r ab, die linke nicht von ϑ und ϕ. Somit ˆ 2 als können beide Ausdrücke nur gleich einer Konstanten sein. Da sowohl L auch Δr positiv semidefinite Operatoren sind, kann diese Konstante nur ≥ 0 sein, wobei die Wahl l(l+1) erst bei der Lösung des polaren Teils verständlich wird. Die Anteile werden getrennt ausgewertet. 3.2.2 Radialteil Für den Radialteil erhält man r2 r ∂2 Δr = rR = l(l + 1). R R ∂r2 Mit der weiteren Substitution R =

u ergibt sich für den Radialteil r

d2 u l(l + 1) − u = 0. dr2 r2

(3.2.7)

Die Lösung dieser Differentialgleichung ist u = α rl+1 + β r−l

=⇒

R = α rl + β r−l−1 .

(3.2.8)

Es genügt, sich auf l ≥ 0 zu beschränken, da l < 0 durch l = −l−1 ≥ 0 ersetzt werden kann. Dann ist 



R = α rl + β r−l−1 → α r−l −1 + β rl . Eine Einschränkung der l auf ganze Zahlen kommt erst durch den polaren Anteil. Ist l ≥ 0, so divergiert der zweite Term von R für r → 0, während der erste Term für r → ∞ zumindest nicht verschwindet.

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten

93

3.2.3 Azimutaler Teil In den winkelabhängigen Teil (3.2.6)   ˆ 2 − l(l + 1) Y = 0 L

(3.2.9)

setzt man (3.2.3) ein, wobei die Abhängigkeit von ϕ durch den Differentialoperator ˆ z = −i ∂ L ∂ϕ

(3.2.10)

ausgedrückt wird:   1 ∂ ∂ 1 ˆ2 sin ϑ + l(l + 1) Y (ϑ, ϕ) = L Y (ϑ, ϕ) . sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ z

(3.2.11)

Mittels eines neuerlichen Produktansatzes Y (ϑ, ϕ) = Θ(ϑ) Φ(ϕ)

und der Separationskonstanten m2 erhält man für den Azimutalwinkel die Differentialgleichung   2  2  ˆ z −m2 Φ = − d +m2 Φ = 0 L dϕ2

mit

1 Φ(ϕ) = √ e±imϕ . 2π

(3.2.12)

Aus der Forderung einer eindeutigen Lösung Φ(ϕ + 2π) = Φ(ϕ) folgt e±2πim = 1

mit m = 0, ±1, ±2, . . .

m muss also ganzzahlig sein. Die Lösungsfunktionen 1 Φm (ϕ) = √ e±imϕ , 2π

m

ganz,

(3.2.13)

sind ebene Wellen mit der Basis [0, 2π]. Sie sind orthonormal (Φm , Φm ) =

1 2π

ˆ





dϕ ei(m −m)ϕ = δmm

(3.2.14)

0

und vollständig ∞ 

m=−∞

Φm (ϕ) Φ∗m (ϕ ) =

1  im(ϕ−ϕ ) e = δ(ϕ − ϕ ) . 2π m

(3.2.15)

Die Gültigkeit der Orthonormalität ist evident. Zum Nachweis der Vollständigkeit (3.2.15) entwickeln wir eine Funktion f (ϕ) nach den Φm (ϕ):

94

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik ˆ 2π ˆ 2π  dϕ δ(ϕ−ϕ )f (ϕ ) = Φm (ϕ) dϕ Φ∗m (ϕ ) f (ϕ ) f (ϕ) = 0

=



m

0

Φm (ϕ) (Φm , f ).

ˆ

m



Diese Entwicklung verifizieren wir, indem wir von links mit tiplizieren und die Orthonormalität verwenden (Φn , f ) =



dϕ Φ∗n (ϕ) mul-

0

δnm (Φm , f ) .

m

3.2.4 Polarer Teil Für den Polarwinkel ϑ erhält man die Differentialgleichung (   ) 1 ∂ ∂ m2 sin ϑ − + l(l + 1) Θ(ϑ) = 0 . sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ

(3.2.16)

Das ist die Differentialgleichung für die zugeordneten (assoziierten) LegendrePolynome, die jedoch meist in der Variablen ξ = cos ϑ angegeben wird. Für die Transformation auf ξ = cos ϑ mit −1 ≤ ξ ≤ 1 benötigt man

 dξ = − sin ϑ = − 1−ξ 2 , dϑ   ∂ d d 1 ∂ sin ϑ = (1 − ξ 2 ) . sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ dξ dξ

 d dξ d d = = − 1−ξ 2 , dϑ dϑ dξ dξ

Die Lösungen von (3.2.16) Θ(ϑ) werden mit Plm (ξ) bezeichnet. Somit bekommt man die Differentialgleichung d  d m2 + l(l + 1) Plm (ξ) = 0 , (1 − ξ 2 ) − dξ dξ 1 − ξ2

(3.2.17)

deren Lösung die assoziierten Legendre-Polynome sind. Zur Bestimmung der Lösungen für die Plm geht man vom Fall m = 0 aus. Hat man die Lösungen Pl , so können daraus in einfacher Weise die Plm bestimmt werden, wie später gezeigt wird. Daher wird im Folgenden kurz auf die Legendre-Polynome Pl (ξ) eingegangen. Legendre’sche Differentialgleichung Für m = 0 erhält man aus (3.2.17) die Legendre’sche Differentialgleichung   d2 d (1 − ξ 2 ) 2 − 2ξ + l(l + 1) Pl (ξ) = 0 dξ dξ

(3.2.18)

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten

95

mit dem Grundgebiet [−1, 1]. Reguläre Lösungen sind die Legendre-Polynome Pl (ξ), deren Grad mit l bezeichnet wird. Legendre-Polynome Hier werden die Pl auf „klassischem“ Wege hergeleitet, was einen Potenzreihenansatz mit Rekursionsbedingungen für die Koeffizienten bedeutet. Mit deren Hilfe kann dann das Polynom bestimmt werden. Der Differentialoperator ist invariant unter ξ → −ξ, also sind die Lösungen gerade oder ungerade Funktionen von ξ. Ferner ist der Differentialoperator nicht singulär für |ξ| < 1, weshalb die Lösung als Potenzreihe P (ξ) =

∞ 

an ξ n

n=0

dargestellt werden kann. Man erhält durch Einsetzen in (3.2.18)   n(n − 1)an ξ n−2 − n(n + 1) − l(l + 1) an ξ n = 0 . n≥2

n≥0

Da jede Potenz von ξ gesondert verschwinden muss, ergibt der Koffizientenvergleich  ξ n : (n + 2)(n + 1)an+2 − n(n + 1) − l(l + 1) an = 0 die Rekursionsrelation an+2 =

(l + n + 1)(l − n) n(n + 1) − l(l + 1) an = − an . (n + 1)(n + 2) (n + 1)(n + 2)

(3.2.19)

Die Reihe enthält also nur gerade oder nur ungerade Potenzen in ξ, je nachdem, ob die Lösung eine gerade oder ungerade Funktion in ξ ist. Für große n verhält sich die Reihe wie an+2 /an → n/(n+ 2) und divergiert für ξ = ±1 wie   1+ξ 1 3 1 5 = 2 ξ + ξ + ξ + ··· . ln 1−ξ 3 5 Damit die Lösung auch bei ξ = ±1 endlich ist, muss die Reihe abbrechen, was nach (3.2.19) der Fall ist, wenn n = l. Aus der Abbruchbedingung folgt, dass l eine ganze Zahl ist. Als Lösung hat man demnach Polynome Pl (ξ). Die Pl können unter Verwendung der Rekursionsrelation (3.2.19) berechnet werden (siehe Aufgabe B.1). Man erhält schließlich  l  l−n (l + n)! ξ n n = 0, 2, ..., l für gerades l Pl (ξ) = (−1) 2 l  l+n   l−n  n = 1, 3, ..., l für ungerades l. ! ! n! 2 2 2 n (3.2.20)

96

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik 1

0.5

0

0.5

P1 P2 P3

1

0.5

0

0.5

1

Abb. 3.6. Legendre-Polynome 1. Art: P1 = ξ , P2 = (3ξ 2 −1)/2 , P0 = 1 , P3 = (5ξ 3 −3ξ)/2 . Die geraden Polynome sind symmetrisch, die ungeraden antisymmetrisch

Pl ist also ein Polynom des Grades l im Grundgebiet [−1, 1]. Die einfachsten Polynome P0 bis P3 sind in Abb. 3.6 sowohl definiert als auch abgebildet. Im Anhang B.2.1 wird nicht nur ein eleganterer Weg mithilfe der RodriguesFormel gewählt, um die Legendre-Polynome herzuleiten, sondern es werden auch einige wichtige mit ihnen im Zusammenhang stehende Relationen (die aber über den hier benötigten Umfang hinausgehen) gebracht. Symmetrieeigenschaft Die Pl sind gerade oder ungerade Funktionen: Pl (−ξ) = (−1)l Pl (ξ)

Symmetrieeigenschaft. (3.2.21)

Orthogonalität und Vollständigkeit Die Pl bilden ein vollständiges und orthogonales System. ˆ 1 2 δll dξ Pl (ξ) Pl (ξ) = Orthogonalit¨ atsrelation. (3.2.22) 2l + 1 −1 ∞  2l + 1 l=0

2

Pl (ξ) Pl (ξ  ) = δ(ξ − ξ  )

Vollst¨andigkeitsrelation. (3.2.23)

Die Beweise für die Gültigkeit der beiden Relationen sind im Anhang ((B.2.13) und (B.2.15)). Zugeordnete Legendre-Polynome Es sollen nun die Lösungsfunktionen für den polaren Teil (3.2.17) der LaplaceGleichung, die zugeordneten (assoziierten) Legendre-Polynome Plm , bestimmt werden. Zunächst wird ein Ansatz der Form m

(m)

Plm (ξ) = (1 − ξ 2 ) 2 Pl

(ξ)

m = 0, 1, ..., l (m)

gemacht und die Differentialgleichung für die Pl

(3.2.24) hergeleitet:

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten







97



m m m d d d d (m) (m) = (1−ξ 2 ) 2 Pl − ξm(1−ξ 2 ) 2 + (1−ξ 2 ) 2 +1 P (1−ξ 2 ) dξ dξ dξ dξ l  m m d m = − m(1−ξ 2 ) 2 + ξ 2 m2 (1−ξ 2 ) 2 −1 − ξm(1−ξ 2 ) 2 dξ 2  m +1 d d (m) 2 m 2 − ξ(m+2)(1−ξ ) 2 P + (1−ξ ) 2 dξ dξ 2 l

=



m

m

− m(m+1)(1−ξ 2 ) 2 + m2 (1−ξ 2 ) 2 −1 m

− 2ξ(m+1)(1−ξ 2 ) 2



m d d2 (m) + (1−ξ 2 ) 2 +1 2 Pl . dξ dξ

Dieser Ausdruck in (3.2.17) eingesetzt, ergibt (3.2.25) .

   (m) d2 d (1 − ξ 2 ) 2 − 2ξ(m + 1) + l(l + 1) − m(m + 1) Pl = 0 . (3.2.25) dξ dξ

Der Nutzen des Ansatzes (3.2.24) wird erkennbar, wenn man die Legendre’sche Differentialgleichung (3.2.18) m-mal differenziert:  2 dm  d 2 d + l(l + 1) Pl (ξ) = 0 . (1 − ξ ) − 2ξ dξ m dξ 2 dξ

(3.2.26)

Man erhält  dm d  d2 Pl = 0 . (3.2.27) (1 − ξ 2 ) 2 − 2ξ(m + 1) + l(l + 1) − m(m + 1) dξ dξ dξ m (m)

Das ist genau (3.2.25) für Pl (m)

Pl

(ξ) =

, womit wir zeigen können, dass

dm Pl dξ m

durch die m-te Ableitung der Pl bestimmt sind. Für die Differentiation in (3.2.26) verwenden wir die Hilfsformel

 

dm (f g)  m = k dξ m m

k=0

dk f dm−k g . dξ k dξ m−k

d2 dm+2 dm+1 dm dm (1 − ξ 2 ) 2 = (1 − ξ 2 ) m+2 − 2ξm m+1 − m(m − 1) m . m dξ dξ dξ dξ dξ −

dm d dm dm+1 2ξ − 2m . = −2ξ dξ m dξ dξ m+1 dξ m

98

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik (m)

Damit sind die Pl Polynome:

bestimmt und in Folge auch die assoziierten Legendre-

dm Pl (ξ) dξ m dl+m 1 = l (1 − ξ 2 )m/2 l+m (ξ 2 − 1)l 2 l! dξ

Plm (ξ) = (1 − ξ 2 )m/2

(3.2.28) −l ≤m ≤ l .

Für die Pl wurde die Rodrigues-Formel (B.2.2) eingesetzt. Die so entstandene Formel ist nicht mehr nur auf 0 ≥ m ≥ 0 beschränkt, sondern deckt den gesamten Bereich −l ≤ m ≤ l ab. Gezeigt wird im Anhang B.3 die Identität Pl−m (ξ) = (−1)m

(l − m)! m P (ξ) . (l + m)! l

(3.2.29)

Die einfachsten Polynome sind Pl0 = Pl ,

l

Pll = (2l − 1)!! (1 − ξ 2 ) 2 .

Orthogonalität Die zugeordneten Legendre-Polynome mit gleichem m sind in Bezug auf l orthogonal ˆ 1 2 (l + m)! δll (3.2.30) dξPlm (ξ) Plm  (ξ) = 2l + 1 (l − m)! −1 was hier nicht gezeigt wird. Anmerkung: Die häufig verwendete Definition Plm (ξ) = (−1)m (1 − ξ 2 )m/2

dm Pl (ξ) dξ m

unterscheidet sich von (3.2.28) durch den Faktor (−1)m ; das ist z.B. bei Rekursionsrelationen zu beachten.

Kugelflächenfunktionen Die Lösungsfunktionen des winkelabhängigen Teils Y (ϑ, ϕ) der Laplace-Gleichung sind die Kugelflächenfunktionen Y (ϑ, ϕ) = Θ(ϑ) Φ(ϕ) → Ylm (ϑ, ϕ) = Alm Plm (cos ϑ) Φm (ϕ) . Die zugeordneten Legendre-Polynome Plm sind, anders als die Φm , nicht normiert. Den Normierungsfaktor |Alm | erhält man aus der Orthogonalitätsrelation (3.2.30):

3.2 Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten

Alm = (−1)m

*

2l + 1 (l − m)! , 2 (l + m)!

99

(3.2.31)

so dass Θlm = Alm Plm das normierte zugeordnete Legendre-Polynom ist. Es ist dann )1 ( 2l + 1 (l − m)! 2 m Ylm (ϑ, ϕ) = (−1)m Pl (cos ϑ) eimϕ (3.2.32) 4π (l + m)! ( )1 dl+m sin2l ϑ imϕ (−1)m+l 2l + 1 (l − m)! 2 e . sinm ϑ = l 2 l! 4π (l + m)! d cos ϑl+m Symmetrieeigenschaften Die Ylm erfüllen die Symmetrie Yl −m (ϑ, ϕ) = (−1)m Yl∗m (ϑ, ϕ) ,

(3.2.33)

was aus (3.2.29) und Φ−m = Φ∗m folgt. Bei Inversion (x → −x) gilt (r, ϑ, ϕ) → (r, π−ϑ, π+ϕ) , da cos(π−ϑ) = − cos ϑ und sin(π−ϑ) = sin ϑ . Damit ist gemäß (3.2.32) Ylm (π − ϑ, ϕ + π) = (−1)l Ylm (ϑ, ϕ) .

(3.2.34)

Anmerkung: Die Kugelflächenfunktionen Ylm sind durchwegs einheitlich definiert und ihr Zusammenhang mit den Legendre-Polynomen ist gegeben durch Pl (cos ϑ) =



4π Yl0 (ϑ, ϕ) . 2l + 1

(3.2.35)

Orthogonalität Θlm = Alm Plm sind orthonormal, ebenso Φm , woraus folgt, dass Ylm = Θlm Φm ebenfalls orthormal sein müssen: ˆ 2π ˆ π ∗ dϑ sin ϑ dϕ Ylm (ϑ, ϕ) Yl m (ϑ, ϕ) = δll δmm . (3.2.36) 0

0

Vollständigkeit ∞  l 

l=0 m=−l

∗ Ylm (ϑ, ϕ) Ylm (ϑ , ϕ ) = (sin ϑ)−1 δ(ϑ − ϑ ) δ(ϕ − ϕ ) .

(3.2.37)

100

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

3.2.5 Lösungsfunktion der Laplace-Gleichung Die allgemeine Lösung der Laplacegleichung (3.2.2), die Multiplikation des Radialteiles (3.2.8) mit der des winkelabhängigen Teils (3.2.32) ergibt φ(r, ϑ, ϕ) =

∞  l 

(αlm rl + βlm r−l−1 )Ylm (ϑ, ϕ) .

(3.2.38)

l=0 m=−l

Es ist das die Entwicklung des elektrostatischen Potentials nach Kugelflächenfunktionen1 . Diese Entwicklung setzt ein ladungsfreies Gebiet voraus, in dem das Potential der Laplace-Gleichung genügt. Die Lösung ist nur für endliche r regulär. In einem Gebiet, das r = 0 enthält, müssen alle βlm = 0 verschwinden, und in einem Gebiet, das r = ∞ enthält, sind alle αlm = 0 für l > 1. Berücksichtigt ist dabei ein homogenes Feld, bei dem das Potential φ ∼ r ist. Die Lösungen der Laplace-Gleichung sind harmonische Funktionen. Definition: Eine Funktion φ ist harmonisch in einem Gebiet G, wenn sie dort mindestens 2× stetig differenzierbar ist und die Laplace-Gleichung erfüllt. Eigenschaften harmonischer Funktionen: 1. Mittelwerteigenschaft: Sei K eine ganz in G gelegene Kugel mit dem Radius R, so ist der Funktionswert im Mittelpunkt der Kugel gleich dem (arithmetischen) Mittel der Funktionswerte von φ auf der Kugeloberfläche (siehe Anhang B.1.2, Seite 605) " 1 φ(x) = df  φ(x ) . (3.2.39) 4πR2 ∂K Beweis: In den 2. Green’schen Satz (A.4.20) wird eingesetzt ψ = "





1 . |x − x|

1 1 df  · ∇ φ(x ) − φ(x ) ∇  |x − x| |x − x| ∂K ˆ   1 1 = 4πφ(x) . = d3 x Δ φ(x ) − φ(x )Δ   |x − x| |x − x| K

Im linken Oberflächenintegral wird |x − x| = R eingesetzt und das Oberflächenintegral mit dem Gauß’schen Satz in ein Volumenintegral umgeformt, das wegen Δφ = 0 verschwindet. " ˆ 1 1 df  · ∇ φ(x ) = d3 x Δ φ(x ) = 0 R R K ∂K Zur Berechnung der Oberflächenterme führen wir die weitere Transformation x = x −x durch und berücksichtigen das Oberflächenelement df  = df  er " " 1 er 1    φ(x) = df er ·φ(x +x) 2 = df  φ(x +x) q.e.d. 4π ∂K r 4πR2 ∂K 1

auch Kugelfunktionen

3.3 Kugelsymmetrische Probleme

101

2. Prinzip vom Maximum und Minimum: Eine im Gebiet G harmonische Funktion φ hat ihre Maxima und Minima immer am Rand ∂G des Gebiets. 3. Liegt ein Maximum/Minimum im Inneren von G, so ist φ konstant.

Kann man aufgrund der Symmetrie erwarten, dass φ axialsymmetrisch ist, so kann man die xz-Ebene herausgreifen, wo ϕ = 0 . Von (3.2.38) bleiben nur Summanden mit m = 0, die proportional den Legendre-Polynomen sind φ(r, ϑ) =

∞ 

(al rl + bl r−l−1 )Pl (cos ϑ) .

(3.2.40)

l=0

Diese Entwicklung ist wegen der einfacheren Koeffizienten der Pl leichter handhabbar. Theorem von Earnshaw Das Earnshaw-Theorem besagt, dass kein geladener Körper unter dem alleinigen Einfluss elektrostatischer Kräfte in einem stabilen Gleichgewicht gehalten werden kann. Damit ein Körper in einem stabilen Gleichgewicht gehalten werden kann, muss das Potential ein Minimum haben. Ist x0 der Ort des Minimums, so muss in einer Umgebung Δφ = 0, da dort keine Ladungen sind. Das Prinzip vom Maximum und Minimun besagt, dass es in einer Kugel um das Minimum Funktionswerte von φ gibt, die größer bzw. kleiner sind als φ(x0 ) (es ist eine Eigenschaft harmonischer Funktionen, dass diese keine Maxima/Minima besitzen, sondern nur Sattelpunkte). Anmerkung: Das Theorem gilt auch in der Magnetostatik, aber nur in Gebieten, die ladungs- und stromfrei sind. In diamagnetischen Substanzen werden vom äußeren Magnetfeld B Ströme induziert, deren Magnetfeld dem äußeren Feld entgegengerichtet ist (siehe Abschnitt 7.3.1). Mit sehr starken Feldern können so Körper in Schwebe gehalten werden (diamagnetische Levitation).

3.3 Kugelsymmetrische Probleme 3.3.1 Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen In Randwertproblemen der Elektrostatik mit sphärischer Symmetrie spielen die Kugelflächenfunktionen Ylm eine zentrale Rolle. Es ist daher notwendig auf diese näher einzugehen. Entwicklung nach Kugelflächenfunktionen Da die Ylm vollständig sind, kann jede Funktion f (ϑ, ϕ) nach ihnen entwickelt werden. Man multipliziert die Vollständigkeitsrelation (3.2.37) von links mit ˆ  dϑ sin ϑ dϕ f (ϑ , ϕ ):

102

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

f (ϑ, ϕ) =

∞  l 

ˆ

Ylm (ϑ, ϕ) (Ylm , f ), ˆ

l=0 m=−l

(Ylm , f ) ≡ flm =

π 



dϑ sin ϑ 0

(3.3.1)







∗ Ylm (ϑ , ϕ ) f (ϑ , ϕ )

0

und hat die Entwicklung von f (ϑ, ϕ) nach Kugelflächenfunktionen erhalten. In der Entwicklung von f (ϑ = 0, ϕ) hat man zu berücksichtigen, dass  2l+1 Pl (1) , Ylm (0, ϕ) = δm0 Yl0 (0, ϕ) = δm0 4π wobei Pl (1) = 1. Daraus folgt ∞  ∞   2l + 1 2l + 1 f (ϑ = 0, ϕ) = (Yl0 , f ) = (Pl , f ) , 4π 4π l=0 l=0 ˆ 2π ˆ π (Pl , f ) = dϑ sin ϑ dϕ Pl (cos ϑ ) f (ϑ , ϕ ). 0

(3.3.2)

0

Kugelflächenfunktionen bis 2. Ordnung Im Folgenden sind die niedrigsten Polynome Ylm angeführt, wobei bemerkt werden darf, dass man in vielen Fällen mit den Ordnungen bis l = 2 das auskommt. Die Polynome selbst können mit Rekursionsformeln, die im Anhang B.3 angeführt sind, berechnet werden: 1 Y00 = √ , 4π Y10 =



Y20 =



3 4π

(3.3.3)



cos ϑ z , ⎧r

Y1±1 = ∓

⎨3 cos2 ϑ−1 5 2 2 Y2±1 = ∓ 16π ⎩ 3z −r , 2 r





3 8π



15 32π

e±iϕ sin ϑ x±iy r

,



e±iϕ sin 2ϑ (x ± iy)z Y2±2 = , r2



15 32π



e±2iϕ sin2 ϑ (x ± ix)2 . r2

Additionstheorem für Kugelflächenfunktionen Eine wegen ihres großen Anwendungsgebietes wichtige Beziehung ist das sogenannte Additionstheorem für Kugelflächenfunktionen l 

m=−l

∗ Ylm (ϑ, ϕ) Ylm (ϑ , ϕ ) =

2l + 1 Pl (cos θ). 4π

(3.3.4)

3.3 Kugelsymmetrische Probleme

103

θ ist der von den Vektoren x und x eingeschlossene Winkel, wie in Abb. 3.7 skizziert. Ein Spezialfall des Additionstheorems (3.3.4) für l = 1 ist der sphärische Kosinussatz cos θ = cos ϑ cos ϑ + sin ϑ sin ϑ cos(ϕ−ϕ ) =

(3.3.5)

1 

4π ∗ Y1m (ϑ, ϕ) Y1m (ϑ , ϕ ), 3 m=−1

und ein Beweis des Additionstheorems ist im Anhang B.3. θ

K er

ϑ

ϕ − ϕ

>

ϑ

er 

ez 

Abb. 3.7. Lage der Vektoren x und x in Bezug auf ez -Achse

3.3.2 Entwicklung von |x−x |−1 nach Kugelflächenfunktionen Ausgangspunkt ist die Erzeugende der Legendre-Polynome (B.2.6) 1

(1 − 2ξt + t2 )− 2 =

∞ 

Pl (ξ) tl

|t| < 1 .

l=0

(3.3.6)

Ihre Herleitung ist im Anhang explizit ausgeführt. Die Funktion 1 1 1 = √ =  |x − x | 2  r2 + r2 − 2rr cos θ r 1 + r 2 − 2 rr cos θ r



kann so direkt nach Potenzen von rr entwickelt werden, soweit r < r oder von r , wenn r < r . Es ist also t = r/r bzw. t = r /r, je nachdem, ob r < r r oder r > r in (3.3.6) einzusetzen. Mit θ wird der Winkel zwischen x und x bezeichnet, wobei ξ = cos θ. ⎧  l 1  r ⎪ ⎪ ⎪ Pl (cos θ) r > r ⎨ r r 1 1 l = √ (3.3.7) = 1   r l ⎪ |x−x | r2 −2rr cos θ+r2  ⎪ ⎪ P (cos θ) r < r . l ⎩r r l

Diese Beziehung ist nützlich bei der Berechnung des Potentials in kugelsymmetrischen Problemen. Mit dem Additionstheorem (3.3.4) erhält man

104

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

⎧ ∞   l  l ⎪ r 1  4π ∗ ⎪ ⎪ Ylm (ϑ, ϕ) Ylm (ϑ , ϕ ) ⎪ ⎨r 2l+1 r 1 m=−l l=0 = l ∞  r l   |x−x | ⎪ 1 4π ⎪ ∗ ⎪ ⎪ Ylm (ϑ, ϕ) Ylm (ϑ , ϕ ) ⎩r 2l+1 r

r > r (3.3.8) 

r r und ¯ =E ¯i + E ¯ e besteht also aus zwei Beiträgen, r < r unterschieden werden. E dem von der Dichte ρi (x ) innerhalb der Kugel r < a und dem von ρe (x ) außerhalb der Kugel r > a, wie in Abb. 3.8 skizziert. Beitrag zum mittleren Feld von den Ladungen innerhalb der Kugel In (3.3.13) setzt man (3.3.8) für r < r und df = a2 dΩ er ein: ¯ i = −a2 kc Ka E

 l,m

4π 2l + 1

ˆ

rl d x ρi (x ) l+1 Ylm (Ω  ) a 3 



Nun ist er = sin ϑ(cos ϕ ex + sin ϕ ey ) + cos ϑ ez

" ∗ dΩ Ylm (Ω) er .

106

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

eine Linearkombination der Y1m (Ω). Aufgrund der Orthogonalität erhält man "  ∗ Ylm (Ω ) dΩ Ylm (Ω) Y1m (Ω) = δl1 δmm Y1m (Ω  ) . Die Linearkombination der Y1m bleibt also ungeändert, nur wird Ω durch Ω  ersetzt, d.h. er durch er : ˆ 4πkc 4πkc ¯ K a Ei = − d3 x ρi (x ) r er = − (3.3.14) pi . 3 3 Ka ¯ i (x) trägt also nur das Dipolmoment der um x zentrierten Kugel mit Zu E dem Radius a bei. Für ein Dipolfeld (2.5.6) kommt dieser Beitrag allein vom Sitz x des Dipols (δ-Term) [Jackson, 2006, (4.20)]. Beitrag zum mittleren Feld von den Ladungen außerhalb der Kugel Der Innenraum der Kugel Ka ist jetzt ladungsfrei und somit Lösung der Laplace-Gleichung. Für diese harmonischen Lösungen gilt der Satz vom arithmetischen Mittel nach dem der Mittelwert des Feldes auf jeder Kugeloberfläche r ≤ a gleich dem Wert Ee (x) im Zentrum der Kugel ist. Es ist demnach ¯ e (x) gleich dem (nicht gemittelten) Feld Ee (x) der Ladas mittlere Feld E dungsverteilung ρe (x ). Ist r  > r, so folgt mithilfe von (3.3.8) und zu ρi analoger Vorgehensweise (Anwendung der Orthonormalität der Kugelflächenfunktionen) 3

¯ e = −kc 4πa E 3Ka

ˆ d3 x ρe (x ) r  >a

1 er = −kc ∇ r 2

ˆ d3 x r  >a

3.3.4 Leitende Kugel im homogenen Feld



ρe (x )  = Ee (0). |x−x | x=0

Das Potential zu einem homogenen Feld E0 = (0, 0, E0 ) ist φ(x) = −E0 z = −E0 r cos ϑ = −E0 r P1 (cos ϑ) .

(3.3.15)

Bei x=0 befindet sich eine leitende Kugel mit dem Radius R, wie in Abb. 3.9 skizziert. Sie hat die Gesamtladung Q. Dann gilt (3.3.15) nur mehr im Limes r → ∞. Legt man den Koordinaten-Ursprung in den Mittelpunkt der Kugel, so kann man den für axiale Symmetrie geltenden Ansatz (3.2.40)  φ(x) = (al rl + bl r−l−1 )Pl (cos ϑ) (3.3.16) l

verwenden. Man bekommt aus (3.3.15) für r → ∞ a1 = −E0 ,

al = 0

fu ¨r

l = 1 .

3.3 Kugelsymmetrische Probleme

107

Abb. 3.9. Feldlinien einer leitenden Kugel mit dem Radius R und der Gesamtladung Q = 0

Auf der Kugeloberfläche ist das Potential konstant, d.h. das Potential des äußeren Feldes muss durch induzierte Ladungen kompensiert werden. Daraus ergibt sich der Ansatz für die Kugeloberfläche r = R φ(R) =

∞  l=0

  Pl (cos ϑ) δl1 al R + bl R−l−1 = const.

Das homogene Feld kann an der Kugeloberfläche nur durch einen Term mit der Winkelabhängigkeit P1 (cos ϑ) kompensiert werden. Ein konstantes Potential auf der Oberfläche kann nur durch P0 (cos ϑ) = 1 hinzukommen. Alle anderen Beiträge müssen verschwinden:   P0 b0 R−1 = const, P1 a1 R + b1 R−2 = 0 , Pl bl R−l−1 = 0 fu ¨r l > 1 .

Potential und Feld haben also die Form   1 1 R3  R3  φ(x) = b0 P0 + a1 r − 2 P1 (cos ϑ) = b0 − E0 1 − 3 z , r r r r er E(R) = b0 2 + 3E0 cos ϑ er . R Um die Konstante b0 zu bestimmen, berechnen wir " ˆ 1 π 1 df ·E = b0 + 3E0 R2 dϑ sin ϑ cos ϑ = b0 . kc Q = 4π ∂KR 2 0 Somit ist das Potential bestimmt durch  Q R3  φ(x) = kc − E0 1 − 3 z . r r

Bei verschwindender Gesamtladung Q = 0 (z = r cos ϑ) erhält man  ∂φ R3  = E0 1 + 2 3 cos ϑ , ∂r r  1 ∂φ R3  = −E0 1 − 3 sin ϑ . Eϑ = − r ∂ϑ r Er = −

(3.3.17)

108

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Das sich daraus ergebende Feldlinienbild ist in Abb. 3.9 dargestellt. Auf der Kugeloberfläche sind Eϑ (R) = 0 und Er = 3E0 cos ϑ. Die induzierte Oberflächenladungsdichte ist (E⊥ = Er ) σ=

Er 3 = E0 cos ϑ . 4πkc 4πkc

(3.3.18)

Die auf der Kugel induzierte Ladung hat ein induziertes Dipolmoment p ∝ E0 . Das Potential kann dann auch geschrieben werden als φ(x) = −E0 · x + kc

p·x r3

(3.3.19)

mit dem induzierten Dipolmoment p = R 3 E0 = α E0 . Hier ist α = R3 die Polarisierbarkeit der Kugel.

3.4 Zylindersymmetrische Probleme Die Lösung der Laplace-Gleichung in Zylinderkoordinaten führt uns zu BesselFunktionen, und die Entwicklung der Green-Funktion (2.1.6) nach BesselFunktionen erweist sich als komplizierter als die nach Legendre-Polynomen oder Kugelflächenfunktionen. Der folgende Abschnitt ist somit sehr formal gehalten und nur von Interesse, wenn eine vorliegende elektrostatische Konfiguration eine Entwicklung nach Zylinderfunktionen nahelegt. 3.4.1 Laplace-Gleichung in Zylinderkoordinaten In Zylinderkoordinaten hat die Laplace-Gleichung (siehe (A.3.20)) die Form 1 ∂ ∂ 1 ∂2 ∂2 

+ 2 φ( , ϕ, z) = 0 . +

∂ ∂ ∂ϕ2 ∂z 2

(3.4.1)

φ( , ϕ, z) = R( ) Φ(ϕ) Z(z)

(3.4.2)

Mit dem Separationsansatz

erhält man zunächst, wenn man von links mit 1/φ multipliziert, 1 ∂2Φ 1 ∂2Z 1  ∂ 2 R 1 ∂R  + + + = 0. R ∂ 2



2 Φ ∂ϕ2 Z ∂z 2 Separation des Azimut-Winkels Die Separationskonstante n2 ≥ 0 für den Azimut-Winkel muss positiv sein, um die erforderliche Periodizität Φ(ϕ) = Φ(ϕ+2π) sicherzustellen. Man erhält so

3.4 Zylindersymmetrische Probleme

2 mit

 1  ∂ 2R R ∂ 2

+

109

1 ∂2Φ 1 ∂R  1 ∂ 2 Z  2 + = n = −

∂ Z ∂z 2 Φ ∂ϕ2

  ∂2 + n2 Φ(ϕ) = 0 , Φ(ϕ) = A cos(nϕ) + B sin(nϕ) , 2 ∂ϕ

n ganz . (3.4.3)

Separation der Variablen z Mit der Separationskonstanten c erhält man n2 1  ∂2 1 ∂  1 ∂2Z R( ) − + = c = − . R ∂ 2



2 Z ∂z 2

Man unterscheidet jetzt die folgenden Fälle: 1. Separationskonstante c = −k 2 < 0 Leicht zu lösen ist  ∂2  −k 2 Z = 0 , ∂z 2

Z(z) = αekz +βe−kz .

Zur radialen Funktion merken wir vorerst nur an, dass man aus  ∂2 1 ∂ 2 2 n +k R( ) = 0 R( ) = CJn (k )+DNn (k ) + − ∂ 2 ∂

2

(3.4.4)

(3.4.5)

mittels der Transformation x = k die Bessel’sche Differentialgleichung (B.4.1)  d2 n2  1 d + 1 − 2 R(x) = 0 + 2 dx x dx x

(3.4.6)

erhält, deren Lösungen die Bessel-Funktionen 1. Art Jn (x) und 2.Art, die Neumann-Funktionen Nn (x) sind. 2. Separationskonstante c = 0 ∂2Z = 0, ∂z 2

 ∂2 n2  1 ∂ − 2 R( ) = 0 , + 2 ∂



Z(z) = α + βz , R( ) = C n + D −n .

Die Lösung von Z(z) bedard wieder  keiner Erklärung. Für R machen wir den Potenzreihenansatz R( ) = j aj j , den wir in die Radialgleichung einsetzen: (j(j −1) + j − n2 )aj j−2 = 0



aj = δj ±n

und berücksichtigen, dass die Koeffizienten aller Potenzen von getrennt verschwinden müssen.

110

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

3. Separationskonstante c = k 2 > 0  ∂2  + k2 Z = 0 , ∂z 2  ∂2 1 ∂ n2  2 − k R( ) = 0 , + − ∂ 2



2

Z(z) = α cos(kz) + β sin(kz) , R( ) = CIn (k ) + DKn (k ) .

Geht man wieder zu x = k über, erhält man die modifizierte Bessel’sche Differentialgleichung (B.4.5)  d2 n2  1 d − 1 − R(x) = 0 . + dx2 x dx x2

(3.4.7)

Ersetzt man x → ix, so kommt man wieder zu (3.4.6) und damit zu den Lösungen Jn (ik ) und Nn (ik ) . Man verwendet jedoch anstelle dieser die modifizierten Bessel-Funktionen Iν (x) und Kν (x) (B.4.6). 3.4.2 Fourier-Bessel-Entwicklung Mit den Bessel-Funktionen Jν und ν ≥ −1 kann man auf dem endlichen Intervall [0, a] Funktionen definieren, die orthogonal und vollständig sind. Man kann mit ihnen daher Funktionen f ( ) in eine Reihe entwickeln. Die FourierBessel-Reihe ist eine Verallgemeinerung der (trigonometrischen) Fourierreihe [Oberhettinger, 1973]. In der Potentialtheorie wird sie auf Probleme mit Zylindersymmetrie angewandt, ist aber in der Elektrodynamik mit dem Schwerpunkt Physik eher selten thematisiert [Rebhan, 2007, S. 166–177], [Jackson, 2006, S. 131–139]. Für die Orthogonalität von Funktionen ist es wesentlich, dass jede Funktion fk ( ) = fl ( ) im Inneren des Intervalls eine andere Anzahl an Nullstellen k = l hat, damit das Integral null ergeben kann. Es sei fl−1 ( ) = Jn ( a xnl ), wobei xnl die l-te Nullstelle von Jn (xnl ) = 0 ist. fl−1 hat damit l − 1 Nullstellen im Inneren des Intervalls. w( ) = ist die Gewichtsfunktion dieser Entwicklung2 . Orthogonalität der Bessel-Funktionen 1. Art Seien xnl und xnk Nullstellen von Jn mit Jn (xnl ) = Jn (xnk ) = 0 und 0 ≤ ≤ a, so sind die Jn in Bezug auf verschiedene l und k zu gleichem n ≥ 0 orthogonal: ˆ a a2 2

J d

Jn ( xnk ) Jn ( xnl ) = δlk (xnl ) . (3.4.8) a a 2 n+1 0 Beweis: Wir multiplizieren die Radialgleichung (3.4.5) von links mit und Jn (q ), der Lösung von (3.4.5) für q. Dabei verwenden wir den Differentialoperator in der Form von (3.4.1). Dann vertauschen wir k  q und subtrahieren die beiden Gleichungen: 2

Das ist äquivalent zur Entwicklung mit fl−1 ( ) =

√ Jn ( xnl /a) und w( ) = 1.

3.4 Zylindersymmetrische Probleme Jn (q )

111

d  dJn (k )  d  dJn (q )  − Jn (k ) + (k2 −q 2 ) Jn (q ) Jn (k ) = 0. d d d d

Die beiden ersten Terme können zu einem vollständigen Differential zusammengefasst werden:



dJn (k ) dJn (q ) d Jn (q ) − Jn (k ) d d d



+ (k2 − q 2 ) Jn (q ) Jn (k ) = 0 .

Jetzt integrieren wir über und erhalten ˆ a

a  dJn (q )  dJn (k ) 2 2 (q −k ) d Jn (q ) Jn (k ) = Jn (q ) − Jn (k )  . (3.4.9) d d 0 0

Setzen wir nun für k = xnk /a und für q = xnl /a mit k = l in (3.4.9) ein, so verschwindet die rechte Seite. Dann muss auch das Integral auf der linken Seite verschwinden, womit (3.4.8) für k = l gezeigt ist. Zur Berechnung der Normierung setzen wir für q = k +  in (3.4.9) und entwickeln bis zur 1. Ordnung3 in  ˆ a   2k d Jn ( k) Jn ( k) = aka J n (ka)J n (ka) − Jn (ka) J n (ka) + O(2 ). 0

Setzen wir nun für ka = xnk ein und verwenden die Rekursionsrelation x Jn (x) = 2 n Jn (x) − x Jn+1 (x), so verschwinden alle Terme der rechten Seite auf bis Jn+1 (xnk ), so dass ˆ a a2 2 d Jn2 ( xnk ) = Jn+1 (xnk ) . a 2 0

Fourier-Bessel-Reihe Um nach Bessel-Funktionen mit der Gewichtsfunktion w( ) = entwickeln zu können, verlangen wir noch deren Vollständigkeit. Die Entwicklung einer gegebenen Funktion f ( ) nach Bessel-Funktionen 1. Art ist f ( ) =

∞ 

k=1

cnk =

a2

cnk Jn ( xnk ), a 2

2 Jn+1 (xnk )

(Jnk , f )

(3.4.10) ˆ und

(Jnk , f ) = 0

a

d Jn ( xnk ) f ( ) . a

Vollständigkeit der Bessel-Funktionen 1. Art 

∞  2 Jn ( a xnl ) Jn ( a xnl ) 1 = δ( −  ) . 2 a2 Jn+1 (xnl )

l=1

3

 

J n (ka) = k dJn (k )/d 

=a

(3.4.11)

112

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Die Vollständigkeit der Entwicklung verifiziert man, indem man für die δFunktion (3.4.11) einsetzt: ˆ

ˆ

a

d  δ(  − ) f (  ) =

f ( ) = 0

a

d   0

∞ 

ck Jn ( xnl ). = a



∞  2 Jn ( a xnl ) Jn ( a xnl ) f (  ) 2 a2 Jn+1 (xnl ) l=1

l=1

Fourier-Bessel-Transformation Für k n sind die Nullstellen der Jn gemäß (B.4.9) xnk = kπ +

π nπ − . 2 4

An diesen Werten hat Jn+1 die maximalen oder minimalen Werte: xnk − π (n+ 3 ) = π(k−1) und man kann die asymptotische Näherung für die Bessel2 2 Funktion verwenden (siehe Tab. B.2):  2 Jn+1 (xnk ) = (−1)k−1 . πxnk Für die Fourier-Bessel-Reihe (3.4.10) folgt daraus f ( ) =

∞ 

k=1

Jn (

xnk xnk ) (Jnk , f ) Δk , a a

Δk =

xnk+1 −xnk π = . a a

Für a → ∞ geht man zur kontinuierlichen Variablen k = xnk /a über, wobei man bemerkt, dass der Bereich von k, in dem die asymptotische Näherung nicht gilt, gegen null schrumpft und aus der Summe ein Integral wird: ˆ ∞ f ( ) = dkk cn (k) Jn (k ) , (3.4.12) 0 ˆ ∞ cn (k) = d f ( ) Jn (k ) . 0

Der Übergang von der Fourier-Bessel-Reihe zur Fourier-Bessel-Transformation ist ähnlich dem von der Fourierreihe zur Fouriertransformation. Häufiger wird für (3.4.12) jedoch der Name Hankel-Transformation verwendet. Orthogonalität und Vollständigkeit erhält man aus (3.4.8) und (3.4.11) im Limes a → ∞: ˆ ∞ 1 d

Jn (k ) Jn (q ) = δ(k − q) Orthogonalit¨ at (3.4.13) k ˆ 0∞ 1 Vollst¨andigkeit. (3.4.14) dkk Jn (k ) Jn (k  ) = δ( −  )

0

3.4 Zylindersymmetrische Probleme

113

3.4.3 Entwicklung der Green’schen Funktion nach Zylinderfunktionen Analog der Entwicklung von 1/|x − x | nach Kugelflächenfunktionen (3.3.8) für Randwertprobleme mit sphärischer Symmetrie kann eine solche nach Bessel-Funktionen für Randwertprobleme mit Zylinder-Symmetrie durchgeführt werden, wobei die Green’sche Funktion 1/|x − x | das Potential φ(x) einer Einheits-Punktladung (q = 1) am Ort x ist und im ganzen Raum bis auf den Ort der Punktladung der Laplace-Gleichung genügt. Die Lösungsfunktionen der Laplace-Gleichung haben wir nach der Separationskonstante c unterschieden, wobei diese für c = −k 2 die Bessel-Funktionen 1. und 2. Art und für c = k 2 die modifizierten Bessel-Funktionen waren. Entwicklung nach Bessel-Funktionen 1. Art Für c = −k 2 werden die Partiallösungen (3.4.4) Zk (z) = αekz + βe−kz 

für z → ±∞ singulär. e−k|z−z | mit k > 0 ist eine reguläre Funktion, die nur für z  = z die Laplace-Gleichung nicht erfüllt und die für die Entwicklung von G herangezogen wird. Schließt man noch die im Ursprung singulären Neumann-Funktionen aus, erhält man den Ansatz ˆ ∞ ∞   G(x, x ) = dk e−k|z−z | einϕ Jn (k ) Ank (  , ϕ ) . (3.4.15) 0

n=−∞

Wir bestimmen die Koeffizienten Ank aus der Poisson-Gleichung: ΔG(x, x ) = −∇ · E = −

4π δ(z − z  ) δ(ϕ − ϕ ) δ( −  ) .

Die Diskontinuität von ∂G/∂z = −Ez ist ˆ z + 4π δ(ϕ−ϕ ) δ( −  ) . dz ∇ · E = Ez (z  + ) − Ez (z  − ) = δEz =

z  − Eingegangen ist hier, dass die Komponenten E und Eϕ für z = z  stetig sind. δEz berechnen wir mittels (3.4.15): ˆ ∞ ∞  δEz = 2 dk k einϕ Jn (k ) Ank . 0

n=−∞

Im nächsten Schritt multiplizieren wir mit (1/4π) den die Orthogonalität der ebenen Wellen: ˆ 2π 1 dϕ ei(n−m)ϕ = δn,m , 2π 0

´ 2π 0

dϕ e−imϕ und verwen-

(3.4.16)

114

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

ˆ



1 −imϕ e δ( −  ) .

0 ´∞ Jetzt multiplizieren wir von links mit 0 d Jm (q ) und wenden die Orthogonalitätsrelationen der Fourier-Bessel-Transformation (3.4.13) an: dk k Jm (k ) Amk =



Amq (  , ϕ ) = e−imϕ Jm (q  ) . Eingesetzt in (3.4.15) erhalten wir für die Entwicklung von G nach BesselFunktionen ˆ ∞ ∞   1 −k|z−z  | G(x, x ) = = dk e ein(ϕ−ϕ ) Jn (k ) Jn (k  ). (3.4.17)  |x−x | 0 n=−∞ Entwicklung nach modifizierten Bessel-Funktionen Bei der Entwicklung von 1/|x−x | nach modifizierten Bessel-Funktionen gehen wir jetzt von den Partiallösungen (3.4.7) aus, wobei wir der Einfachheit halber sowohl die Entwicklung nach ebenen Wellen in der z-Richtung (Zk = eikz ) als auch die Entwicklung in eine Fourierreihe (Φn = eiϕn ) komplex anschreiben. Der (3.4.15) entsprechende Ansatz ist ˆ G(x, x ) =



−∞

gnk = αnk

dk eik(z−z





)

∞ 



ein(ϕ−ϕ ) gnk ( ,  ) ,

n=−∞

In (k ) Kn (k  )) für Kn (k ) In (k  ) für

 >

 < .

(3.4.18)

Die Unterscheidung von  > und  < folgt aus dem asymptotischen Verhalten der Bessel-Funktionen 2. Art: In (k ) sind im Ursprung regulär und divergieren für → ∞. Kn (k ) sind im Ursprung singulär und verschwinden für → ∞. Der Ansatz spiegelt auch die Symmetrie x  x wider, da G letztlich reell ist. Die Rechtfertigung des Ansatzes wird in den nächsten Schritten ´ ∞ dzbestätigt: Zunächst wird ΔG = −(4π/ )δ(3) (x − x ) von links mit −∞ 2π e−iqz multipliziert: ∞ 

n=−∞



ein(ϕ−ϕ )

1 ∂ ∂ 2 n2 

− q 2 − 2 gnq ( ,  ) = − δ(ϕ − ϕ ) δ( −  ).

∂ ∂

´ 2π −imϕ Dann wird mit 0 dϕ multipliziert und die Orthogonalität der Fou2π e rierreihe (3.4.16) berücksichtigt: 1 ∂ ∂ m2  1

− q 2 − 2 gmq ( ,  ) = − δ( −  ) .

∂ ∂

π

(3.4.19)

3.4 Zylindersymmetrische Probleme

115

Am Punkt =  sind die Lösungen von (3.4.19) stetig. Wir verifizieren nun noch die Diskontinuität von dgmq /d durch Integration von (3.4.19) um diese: ˆ

 +

d  −

Daraus folgt

d d  n 2  1

− k 2 + 2 g(n, k; ,  ) = − . d d

π

  dgmq ( ,  )  dgmq ( ,  )  −     = d d  +  −    1   = αmq q Km (q ) Im (q ) − Im (q  ) Km (q  ) = −  . π

(3.4.20)

Den Wert der Konstanten αmq = 1/π bestimmt man mit den asymptotischen Darstellungen von I und K (siehe Tab. B.2) . Anmerkung: Der Differentialoperator von (3.4.19) L=

∂ ∂ p(x) + q(x) ∂x ∂x

wird als Sturm-Liouville-Operator bezeichnet. Seien ψ1 und ψ2 Lösungen von Lψ= 0, ψ1 ψ2  so ist (3.4.20) die Wronski-Determinante W =     , die proportional zu 1 ist. p(x) ψ1 ψ2

Somit erhält man für die Green-Funktion 1 1 = |x − x | π

ˆ∞



dk eik(z−z )

∞ 



ein(ϕ−ϕ ) In (k  ) Kn (k ) .

(3.4.21)

n=−∞

−∞

Hier ist angenommen, dass  < . Ist das nicht der Fall, muss   vertauscht werden. Dirichlet-Problem für den Zylindermantel Ist φ(a, ϕ, z) auf einem Zylindermantel vorgegeben und soll das Potential im Inneren desselben bestimmt werden, bestimmt man zuerst die Dirichlet’sche Green-Funktion Gd für den Innenraum des unendlich langen Hohlzylinders mit dem Radius a (siehe Abb. 3.10): Gd (x, x ) = G(x, x ) + F (x, x ) ΔF (x, x ) = 0

und

  F (x, x )

mit  =a

=−

  1  .  |x − x |  =a

(3.4.22)

Für die Entwicklung von F kommen einzig die modifzierten Bessel-Funktionen In in Frage, da wegen der unendlichen Länge des Zylinders die Lösungen (3.4.4): Z(z) = αekz + βe−kz divergieren und die Kn (k ) im Ursprung singulär sind:

116

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik z

6 L 2

a

-

0

y

x − L2

Abb. 3.10. Hohlzylinder mit Radius a und der Länge L → ∞ ; Gd ( , ϕ, z; a, ϕ , z  ) = 0 auf der Mantelfläche

ˆ F (x, x ) =



dkz eik(z−z



∞ 

)

−∞



ein(ϕ−ϕ ) αnk In (k ) In (k  ).

(3.4.23)

n=−∞

Am Zylindermantel ist F (x, x ) = −G(x, x ), wobei G eine der beiden Funktionen (3.4.17) oder (3.4.21) ist. Sind die beiden Funktionen auf dem Zylindermantel (bis auf das Vorzeichen) gleich, so müssen auch alle Fourierkoeffizienten gleich sein. Das ergibt für (3.4.17) ˆ ∞ ˆ ∞   dkz eik(z−z ) αnk In (k ) In (ka) = − dk e−k|z−z | Jn (k ) Jn (ka) . −∞

0

Um die αnk bestimmen zu können, mutliplizieren wir mit ˆ 2π αnq In (q ) In (qa) = − =−



ˆ dk Jn (k ) Jn (ka)

0

ˆ





´∞

−∞



dz e−iq(z−z ) : 

dz e−iq(z−z ) e−k|z−z



|

−∞

dk

0

k2

2k Jn (k ) Jn (ka) . + q2

Damit ist Gd (x, x ) = G(x, x ) + F (x, x ) mit −1 F (x, x ) = π 

ˆ∞ dq e

−∞

iq(z−z  )

∞ 

e

n=−∞

in(ϕ−ϕ )

1 In (qa)

ˆ∞

dk k Jn (k ) Jn (ka). k 2 +q 2

0

(3.4.24)

3.5 Probleme in zwei Dimensionen 3.5.1 Potentialtheorie Potentiale, deren Ladungsverteilungen in der z-Richtung homogen sind, können zweidimensional behandelt werden, wie es etwa bei der unendlich ausgedehnten Linienladung der Fall ist (siehe Abschnitt 2.2.1):

3.5 Probleme in zwei Dimensionen

Δφ(x) ≡

117

 ∂2 ∂2  φ(x, y) = −4πλδ(x)δ(y) . + ∂x2 ∂y 2

Wir gehen hier nicht von einer zweidimensionalen Ladungsverteilung σ(x, y) mit ρ(x) = σ(x, y) δ(z) aus, sondern von einer Ladungsverteilung ρ(x, y), die nicht von z abhängt und Δφ(x, y) = −4πρ(x, y)

(3.5.1)

genügt. Green-Funktion für den zweidimensionalen Laplace-Operator Die Green-Funktion G(x, y) für den zweidimensionalen Laplace-Operator ist definiert durch4 ΔG(x − x ) = 2πδ(x − x )δ(y − y  ) .

(3.5.2)

Wir werden nachweisen, dass G(x − x ) = ln |x − x |

(3.5.3)

(3.5.2) erfüllt. ∂G x − x = ∂x |x − x |2



∂2G 1 (x − x )2 = −2 . 2  2 ∂x |x − x | |x − x |4

Damit ist ΔG = 0

fu ¨r

x = x .

Es ist noch der Beitrag für x = x zu berechnen, wofür, wie in drei Dimensionen, das Divergenztheorem (3.5.4) für die Fläche F herangezogen wird: ¨ ˛ dxdy ΔG(x − x ) = dn · ∇G(x − x ) F ∂F ¨ dxdy δ(x − x )δ(y − y  ) = 2π. = 2π F

x − x und |x − x | |x − x | = 0 . Entlang des Kreises C ist dn = 0 dϕ0 n. Damit ist

F = K0 sei eine Kreisfläche des Radius 0 um x , d.h. n = ˆ

˛



∂K0 4

dn · ∇G(x − x ) =



dϕ0 = 2π . 0

In drei Dimensionen hatten wir ΔG(x) = −4πδ(3) (x − x ).

118

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Das Divergenztheorem in zwei Dimensionen Gesucht wird eine geeignete Formulierung für den Gauß’schen Satz in zwei Dimensionen. Ausgangspunkt ist der Stokes’sche Satz ¨ ˛ df ·(∇×v) = ds·v . F

∂F

Nun sei F eine ebene Fläche in der xy-Ebene und auch v sei ein (zweidimensionaler) Vektor in der xy-Ebene: ¨ ˛  ∂ ∂ vy − vx = dxdy ds · v . ∂x ∂y F ∂F

Der (nach außen gerichtete) Normalenvektor dn steht senkrecht auf ∂F , d.h. senkrecht auf den Vektor ds, der parallel zu ∂F gerichtet ist. dn = dyex − dxey ds = dxex + dyey



dn · ds = dy dx − dxdy = 0 Orthogonalit¨ at.

Mit der Transformation wx = vy und wy = −vx bekommt man ¨ ¨ ˛   ∂ ∂ wx + wy = df div w = dn · w . dxdy ∂x ∂y F ∂F F

(3.5.4)

Somit hat man den Gauß’schen Satz in zwei Dimensionen. Elektrostatisches Potential

Die Lösungsfunktion der zweidimensionalen Poisson-Gleichung (3.5.1), das elektrostatische Potential, ist (in Analogie zu drei Dimensionen) ˆ φ(x) = −2kc d2 x G(x − x ) ρ(x ) mit G(x) = ln . (3.5.5) Multipolentwicklung in zwei Dimensionen Das Potential einer lokalisierten Ladungsverteilung ρ(x, y) kann außerhalb derselben nach den Momenten von ρ entwickelt werden: (c)

φ(x) = −2kc M0 ln + 2kc

∞  1  (c) Mn cos(nϕ) + Mn(s) sin(nϕ) . (3.5.6) n nρ n=1

Die Momente sind ˆ Mn(c) = d2 x ρ(x ) n cos(nϕ ),

ˆ Mn(s) = d2 x ρ(x ) n sin(nϕ ).

(3.5.7)

3.5 Probleme in zwei Dimensionen

119

Herleitung von (3.5.6) und (3.5.7) mittels der Hilfsformel [Gradshteyn, Ryzhik, 1965, Ziff. 1514] ln(1 + t2 − 2t cos α) = −2

∞  tn n=1

n

cos(nα)

|t| < 1 .

Gemäß (3.5.5) gilt ˆ  φ(x, y) = −2 d2 x ρ(x , y  ) ln 2 + 2 − 2 cos(ϕ − ϕ ) ˆ    2  = − d2 x ρ(x ) 2 ln + ln 1 + 2 − 2 cos(ϕ − ϕ ) ∞ ˆ    1 (c) = −2M0 ln + 2 d2 x ρ(x ) n cos n(ϕ − ϕ ) . n n n=1



Setzen wir cos(nϕ − nϕ ) = cos(nϕ) cos(nϕ ) + sin(nϕ) sin(nϕ ) in obige Gleichung ein, so erhalten wir mit den Definitionen (3.5.7) für die Momente die zu beweisende Entwicklung (3.5.6).

3.5.2 Funktionentheoretische Methoden Funktionentheoretische Methoden sind oft bei zweidimensionalen Problemen sehr nützlich. Manche Potentiale, die in einer Dimension gleichförmig unendlich ausgedehnt sind, können als zweidimensionales Problem einfacher behandelt werden als in drei Dimensionen. Das gilt insbesondere für Systeme mit zylindrischer Symmetrie, wie für einen Metallzylinder in einem sonst ladungsfreien Raum. Die z-Koordinate ist parallel zur Zylinderachse, und zu lösen ist die zweidimensionale Laplace-Gleichung Δφ(x1 , x2 ) = 0, wozu man komplexwertige Funktionen f (z) = φ(x, y) + iψ(x, y)

mit

z = x + iy

(3.5.8)

heranzieht. φ und ψ sind reelle Funktionen der reellen Variablen x, y. Ist f (z) in einem offenen Gebiet G ⊂ C differenzierbar, so ist f (z) analytisch. Eigenschaften analytischer (holomorpher) Funktionen sind im Anhang B.1.1, Seite 601, angeführt. Nach dem Satz von Liouville ist eine Funktion f (z), die in der ganzen z-Ebene analytisch, eindeutig und beschränkt ist, eine Konstante. f (z) hat also Pole und diese stellen die Quellen dar; wäre die Laplace-Gleichung in der ganzen Ebene erfüllt, so wäre das zugeordnete Potential konstant (null). Aus den Cauchy-Riemann’schen Differentialgleichungen (B.1.3) folgt ∂φ ∂ψ = , ∂x ∂y

∂φ ∂ψ =− ∂y ∂x



(∇φ) · (∇ψ) =

∂φ ∂ψ ∂φ ∂ψ + = 0. ∂x ∂x ∂y ∂y

120

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Die Gradienten von φ und ψ sind also in jedem Punkt orthogonal aufeinander. Sind φi =const Äquipotentiallinien, so geben die Linien ψi =const den Feldverlauf an, wie in Abb. 3.11 dargestellt. Eine geeignete Funktion f (z) beschreibt

y

ψi

φi

x

Abb. 3.11. Die Feldlinien ψi stehen senkrecht auf den Äquipotentiallinien mit konstantem φi ; aus der Hydrodynamik kommt für ψ(x, y) der Name Stromfunktion

also Äquipotential- und Feldlinien einer Konfiguration. Anwendung der konformen Abbildung in der Potentialtheorie Eine analytische Funktion vermittelt an jeder Stelle, wo ihre Ableitung nicht verschwindet, eine konforme, d.h. eine winkel- und streckentreue Abbildung (siehe Seite 605). 1. Winkeltreue: Der Schnittwinkel α zweier Kurven wird durch die konforme Abbildung z = g(ζ) nicht verändert: z = z0 +δz = z0 +|δz|eiα = g(ζ0 )+g  (ζ0 ) δζ





|δz|eiα = |g  (ζ0 )|eiβ |δζ|eiβ .

Für ein δz gleicher Länge, aber anderer Richtung, δz = |δz|ei(α+γ) , ändert sich in der konformen Abbildung nur der Winkel von β zu β + γ. Der Schnittwinkel α der beiden Linien bleibt also ungeändert. 2. Streckentreue: Sie besagt, dass das Streckungsverhältnis |δz|/|δζ| = |g  (ζ0 )| nur von ζ0 (d.h. z0 ), nicht aber von der Richtung abhängt.

Hat man mit f (z) eine Darstellung, die ein vorgegebenes Problem löst, so kann man durch eine konforme Transformation ζ = g(z), wobei g(z) eine analytische Funktion sein soll, die Randbedingungen für eine andere Konfiguration bestimmen. Man hat so die Möglichkeit komplexere Konfigurationen zu lösen, indem man durch Transformation auf ein bekanntes, meist einfacheres System die Verbindung zum vorgegebenen Problem herstellt. Potential eines homogenen Feldes Man geht hier von einem homogenen Feld aus, dass in die x-Richtung zeigt und durch das Potential φ = −Ex beschrieben wird. Das komplexe Potential sei f = −Ez = −E(x + iy) = φ + iψ . Die Stromlinien (Feldlinien) sind dann durch ψ = const gegeben. Das sind Geraden parallel zur x-Achse.

3.5 Probleme in zwei Dimensionen

121

Linienladung Ein gerader Draht infinitesimaler Dicke mit der Linienladungsdichte λ durchstoße die xy-Ebene im rechten Winkel im Ursprung. Das elektrische Feld E = Ee ist radial und wird mit dem Gauß’schen Gesetz (1.3.2) berechnet, wobei über einen Zylinder der Länge L mit dem Radius integriert wird (q = λL): " df · E = 2π LE = 4πkc λL. Es ist somit E = kc mit =

2λe

 x2 +y 2 . Das zugehörige elektrostatische Potential ist

φ = −2kc λ ln .

(3.5.9)

In zwei Dimensionen fällt das Potential für → ∞ nicht auf null ab, was als Folge der unendlichen Ausdehnung der Linienladung senkrecht zur xy-Ebene zu sehen ist. Legt man nun die Linienladung in den Punkt zλ , so ist der Abstand von der Ladung zu ersetzen durch



→ (x−xλ )2 + (y−yλ )2 = (z −zλ )(z ∗ −zλ∗ ) . (3.5.10) Das legt den Ansatz für das komplexe Potential f (z) = −2kc λ ln(z − zλ )

(3.5.11)

nahe. Man erhält so φ=

f (z) + f ∗ (z) = −2kc λ ln (z − zλ )(z ∗ − zλ∗ ) . 2

Beim Übergang zu ebenen Polarkoordinaten z = eiϕ folgt daraus  φ = −kc λ ln 2 + 2λ − 2

λ cos(ϕ−ϕλ ) und (ln z = ln + iϕ) ψ=

z − zλ y − yλ f (z) − f ∗ (z) = ikc λ ln ∗ = −2kc λ arctan . 2i z − zλ∗ x − xλ

y In ebenen Polarkoordinaten ist ϕ = arctan , d.h., ist ψ = ψ0 konstant, so ist x ϕ = ϕ0 . Die Feldlinien sind so radiale Geraden zu festem ϕ0 ; ist zλ = 0, so gehen die Geraden vom Punkt zλ aus.

122

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Zylinderkondensator Eine mit funktionentheoretischen Methoden einfach zu behandelnde Anordnung ist der Zylinderkondensator. Er besteht aus 2 koaxialen leitenden Kreiszylindern mit den Radien 0 < 1 < 2 mit der Flächenladungsdichte σ1 > 0 für den inneren Zylinder. Die Höhe des Zylinders L sei sehr viel größer als 2 , so dass Randeffekte vernachlässigt werden können. Die Gesamtladung des inneren Zylinders sei q = λL > 0 und die des äußeren −q. Hierbei sind λ die Ladung pro Längeneinheit und L die Länge des Zylinders mit L 2 . Das Feld E = Ee zwischen den beiden Metallplatten ist radial nach außen gerichtet, wie in Abb. 3.12a skizziert. Man erhält aus dem Gauß’schen Gesetz (1.3.2), indem man über y

I  1

6 -

 ϕ

--

-

x d 2

2

(a)

η

2πa

6 6

R ?

(b)

d 2

-

0

d = a ln

2

1

ξ

Abb. 3.12. Konforme Abbildung eines Zylinderkondensators in einen Plattenkondensator gleicher Kapazität (a) Zylinderkondensator: Der innere Zylinder ist positiv geladen, wie aus der Feldrichtung hervorgeht (b) Plattenkondensator: a ist ein Skalenfaktor für die Längen

einen Zylinder mit 1 < < 2 der Länge L integriert: " df · E = 2π LE = 4πkc (σ1 2π 1 L) . Definiert man die Linienladung λ = 2π 1 σ1 = −2π 2 σ2 , so erhält man x E = 2kc λ 2

und daraus das elektrostatische Potential für den Bereich 1 ≤ ≤ 2 φ = −2kc λ(ln − ln m ) . √

m = 1 2 ist so gewählt, dass φ( 2 ) = −φ( 1 ). Am Kondensator liegt die Spannung

3.5 Probleme in zwei Dimensionen

V = φ( 1 ) − φ( 2 ) = −2kc λ ln

123

1 .

2

Die Kapazität C des Kondensators ist bestimmt durch C=

q L = . V 2kc ln( 2 / 1 )

(3.5.12)

ψ ergibt sich aus den Cauchy-Riemann’schen Differentialgleichungen (B.1.3) ∂ψ ∂φ y =− = 2kc λ ∂x ∂y

und

∂ψ ∂φ y = = −2kc λ . ∂y ∂x

Daraus folgt zunächst ψ = −2kc λ arctan

y + const. = −2kc λ(ϕ − ϕm ). x

Das komplexe Potential ist dann gegeben durch f (z) = −2kc λ ln

z . zm

(3.5.13)

Abbildung des Zylinderkondensators auf einen Plattenkondensator Mit der funktionentheoretischen Methode kann die gefundene Lösung durch eine konforme Abbildung z = g(ζ) mit ζ = ξ + iη für eine andere geometrische Anordnung verwendet werden. Zunächst sucht man die Transformation, die den Kreis mit m auf die positive η-Achse abbildet: z = m eζ/a = m eξ/a eiη/a , wobei a > 0 eine reeller Skalierungsfaktor ist. Der Kreis mit z = m eiϕ wird so auf die Gerade mit ξ = 0 und 0 ≤ η < 2πa abgebildet. Analog erhält man für den inneren Zylinder z = 1 eiϕ = m eξ/a eiη/a , woraus ξ = −d/2 = a ln( 1 / m ) und 0 ≤ η < 2πa folgt. Der äußere Zylinder wird auf die Gerade gleicher Länge im Abstand ξ = d/2 von der η-Achse abgebildet, was den in Abb. 3.12b skizzierten Plattenkondensator ergibt. Für das komplexe Potential F (ζ) = Φ(ξ, η) + iΨ (ξ, η) gilt, dass F (ζ) = f (g(ζ)) = f (z) . Damit sind die Potentiale auf den Leiterflächen z1,2 = 1,2 eiϕ ungeändert: d Φ(∓ , η) = φ( 1,2 ) 2

d und Ψ (∓ , η) = ψ(ϕ) . 2

124

3 Randwertprobleme in der Elektrostatik

Da die Ladung q ebenfalls ungeändert bleibt, ist die Kapazität des Plattenkondensators gleich der des Zylinderkondensators (3.5.12). Setzt man noch den Abstand der Platten d = a ln( 2 / 1 ) ein, so bekommt man die vom Plattenkondensator her bekannte Form (2.2.30) C=

L 2aL F = = 2kc ln( 2 / 1 ) kc d 4πkc d

mit F = 2πaL .

Aufgaben zu Kapitel 3 3.1. Punktladung vor geteilter Metallplatte: Eine Punktladung q befinde sich vor einer Metallplatte (z = 0), die entlang der Linie x = 0 geteilt ist, wie in Abb. 3.3 auf Seite 87 skizziert. GD können Sie für diese Konfiguration als bekannt voraussetzen (3.1.8) . Nehmen Sie an, dass der Leiter für x > 0 auf dem konstanten Potential φ1 und für x < 0 auf φ2 gehalten werde. Berechnen Sie φ(x). Bestimmen Sie E für großes r. Hilfsintegrale: (B.5.10) und (B.5.17) 3.2. Kraft zwischen Metallkugel und Punktladung: Vor einer Metallkugel (Radius R, Ladung Q > 0) befinde sich im Abstand d > R eine Punktladung q. Bestimmen Sie die Kraft zwischen der Metallkugel und der Punktladung und geben Sie die Bedingung an, die Sie an q > 0 stellen müssen, damit sich die beiden positiven Ladungen anziehen. 3.3. Sphärischer Kosinussatz: Beweisen Sie den sphärischen Kosinussatz ohne das Additionstheorem für Kugelfächenfunktionen zu verwenden. 3.4. Theorem von Earnshaw: Die Gültigkeit des Theorems von Earnshaw wurde auf der Grundlage des Prinzips vom Maximum/Minimum bzw. des Mittelwertsatzes gezeigt. Leiten Sie hier die Gültigkeit des Theorems mithilfe des Gauß’schen Satzes her. 3.5. Multipolentwicklung in zwei Dimensionen: Leiten Sie die zweidimensionale Multipolentwicklung (3.5.6) mit den Momenten (3.5.7) her, wobei Sie Hilfsformel ln(1 + t2 − 2t cos α) = −2

∞  tn n=1

n

cos(n cos α)

|t| < 1

[Gradshteyn, Ryzhik, 1965, Ziff. 1514] verwenden können. 3.6. Randkorrektur des Plattenkondensators nach Kirchhoff : Zu berechnen ist das Streufeld eines Plattenkondensators, der sich wie in Abb. 3.13 angedeutet, von x = −∞ bis x = 0 erstreckt [Sommerfeld, 1967, S. 308]. Zeigen Sie, dass das Streufeld durch z = g(ζ)

mit

2πiζ  2πiζ d  1+ g(ζ) = +e V 2π V

und



z ζ

= x + iy = ξ + iη

Literaturverzeichnis y

6

d

6

ψ=0 φ=

-

V 2

x φ =− V2

?

125

Abb. 3.13. Plattenkondensator (−∞ < x ≤ 0) mit der Spannungsdifferenz V

beschrieben werden kann, wobei ξ ≡ φ und η ≡ ψ. Zeigen Sie insbesondere, dass die Feldlinie ψ = 0, die die Punkte (0, d/2) mit (0, −d/2) verbindet (und in Abb. 3.13 eingezeichnet ist), eine Zykloide ist: x=

2πφ  d  1 + cos( ) , 2π V

3.7. Randwerte auf Rechteck vorgegeben

y=

d  2πφ 2πφ  + sin( ) . 2π V V

1. Zeigen Sie mithilfe des Separationsansatzes φ(x, y) = f (x)g(y), dass f (x) = a sin(νx) + b cos(νx) ,

g(y) = c sinh(νy) + d cosh(νy)

(3.5.14)

eine Lösung der Laplace-Gleichung darstellt. a bis d sind Integrationskonstanten und ν 2 die Separationskonstante. 2. Das Potential φ eines Rechteckes mit den Seitenlängen lx und ly sei nur auf einer Seite, der oberen Kante φ(x, ly ) = ψ(x) von null verschieden. Bestimmen Sie das Potential φ(x, y).

Literaturverzeichnis I.S. Gradshteyn, I.M. Ryzhik, Table of Integrals, Series, and Products, Academic Press N.Y. (1965) J. D. Jackson Klasssische Elektrodynamik, 4. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin (2006) F. Oberhettinger Fourier Expansions, Academic Press N.Y. (1973) E. Rebhan Theoretische Physik: Elektrodynamik, Spektrum München (2007) A. Sommerfeld Elektrodynamik, 5. Aufl. Akad. Verlagsges. Leipzig (1967)

4 Magnetostatik im Vakuum

Die systemunabhängige Schreibweise führt in der Magnetostatik bereits im Vakuum zu unhandlichen Ausdrücken. In Tab. 4.1 sind daher einige der auftretenden Kombinationen von Konstanten angeführt. Tab. 4.1. Einheitensysteme in der Elektrodynamik; kc ist der Vorfaktor zum Coulomb-Gesetz (1.2.1), kl zur Lorentz-Kraft (1.2.5), km zum magnetostatischen Kraftgesetz (7.1.42) und kr zu rationalen Systemen. 0 und μ0 sind die elektrischen und magnetischen Feldkonstanten (C.2.6) und (C.2.10). System

kc

kl 0 μ0 = 21 kl 0

Gauß

1

1

1

1

1

1 4π

1

1

1

1 4π

HeavisideLorentz SI

1 4π0

c 0 μ0 = 21 c 0

kr = kc 0

1 4π

1

kc ckl 1 c

4πkc ckl 4π c

1 4π μ0 4π

1 4πc μ0 4π

1 c

km =

kc kl2

μ0

4.1 Grundgleichungen der Magnetostatik 4.1.1 Maxwell-Gleichungen Die Grundgleichungen der Magnetostatik betreffen nur das Magnetfeld B. Man hat keine elektrischen Ladungen und keine elektrischen Felder, sondern nur die (elektrische) Stromdichte j, die aber zeitunabhängig ist. Von den Maxwell-Gleichungen (1.3.21) bleibt daher die Ampère-Maxwell-Gleichung, 1 E, aber ohne den von Maxwell hinzugefügten Verschiebungsstrom jd = 4πk c der in zeitunabhängigen Fragestellungen nicht auftritt. Hinzu kommt nur die Divergenzfreiheit des magnetischen Feldes B:

.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_4

128

4 Magnetostatik im Vakuum

∇×B =

4π kc si j = μ0 j, c kl

∇·B = 0.

(4.1.1a–b)

Aus ∇·B = 0 folgt, da ∇·(∇×A) = 0, dass B dargestellt werden kann durch B = rot A.

(4.1.2)

Aus der Ampère-Gleichung folgt mittels (A.2.38) ∇×B = ∇×(∇×A) = ∇(∇·A) − ΔA = −ΔA =

4πkc j ckl

die Vektor-Poisson-Gleichung ΔA = −

4πkc si j = −μ0 j ckl

mit

∇·A = 0.

(4.1.3)

Es sind das (skalare) Poisson-Gleichungen für jede Komponente von A, analog zur Elektrostatik (2.1.8) für das skalare Potential. Man hat für A in (2.1.8) nur ρ durch j/ckl (SI: ρ/ 0 durch μ0 j) zu ersetzen: ˆ ˆ   j(x ) kc 1 3  rot B(x ) A(x) = d d3 x x = . (4.1.4) ckl |x − x | 4π |x − x | Die rechte Seite erhält man durch das Einsetzen der Ampère-Gleichung (4.1.1) in (4.1.4). Eigentlich beinhaltet die rechte Seite von (4.1.4) bereits, dass div A = 0. Wir zeigen es noch explizit: ˆ ˆ 1 1 kc kc d3 x j(x ) · ∇ d3 x j(x ) · ∇ ∇·A = = − ckl |x−x | ckl |x−x | ˆ 1 kc d3 x  = ∇ ·j(x ) = 0, ckl |x−x |

.

woraus aber hervorgeht, dass das im zeitabhängigen Fall ρ = 0 nicht selbstverständlich ist. Man kann jedoch zu A = 0 immer den Gradienten einer skalaren Funktion χ hinzufügen ohne rot A , d.h. ohne das Feld B zu ändern A = A + ∇χ

mit

Δχ = − div A



div A = 0 .

4.1.2 Ampère’sches Gesetz Das Ampère’sche Durchflutungsgesetz ist die integrale Form der AmpèreMaxwell-Gleichung in zeitunabhängiger Form (4.1.1), angewandt auf eine Fläche F mit dem Rand ∂F , wie in Abb. 4.1 skizziert. Man erhält so ¨ ¨ 4πkc df · rot B = df · j ckl F F

4.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

i Ij  1  I F ? 6 R  * ∂F

129

Abb. 4.1. Fluss durch die Fläche F , umrandet von der Kurve ∂F

B

und wendet den Stokes’schen Satz (A.4.13) an, woraus direkt das Ampère’sche Gesetz folgt: ˛ 4πkc si ZB = I = μ0 I . (4.1.5) ds · B = ckl ∂F Um etwas genauer zu sein, sollte (4.1.5) als Ampère’sches Durchflutungsgesetz oder als Ampère’sches Verkettungsgesetz bezeichnet werden. Vor allem in der deutschen Literatur findet man (4.1.5) auch als Ørsted’sches Gesetz. Dabei sind in (4.1.5) ¨ I= df · j (4.1.6) F

der Strom durch die Fläche F und ZB die magnetische Ringspannung. Das Ampère’sche Gesetz ist vor allem bei der Lösung von einfachen symmetrischen Problemen nützlich, ähnlich wie in der Elektrostatik das Gauß’sche Gesetz (1.3.21”). 4.1.3 Biot-Savart-Gesetz Das Magnetfeld B erhält man mittels (4.1.4) aus dem Vektorpotential A: ˆ ˆ   kc kc j(x ) 3  j(x )×(x−x ) B = ∇×A = = d3 x ∇× d (4.1.7) x ckl |x−x | ckl |x−x |3 in einer Form, die man als ein allgemein gehaltenes Biot-Savart-Gesetz bezeichnen kann. Dünne Drähte In vielen Fällen verteilt sich der Strom nicht auf größere Bereiche des Volumens, wie es (4.1.7) vorsieht, sondern fließt nur innerhalb dünner Drähte, wie es in Abb. 4.2 skizziert ist. Die Kurve der Drahtmittelpunkte ist durch x (s) gegeben,

s s+ds

-

z



j(x )

F (s)

Abb. 4.2. Stromdurchflossener Draht mit dem Querschnitt F (s). Die Richtung ˆ s der Linie der Drahtmittelpunkte ist immer parallel zu s j(x (s)) = j(x (s)) ˆ

wobei s die Bogenlänge ist. Zu integrieren sind Ausdrücke der Form

130

4 Magnetostatik im Vakuum ˆ d3 x j(x ) × v(x, x ) , wobei v(x, x ) über den Drahtquerschnitt annähernd konstant sein soll. Wir wechseln zu einem lokalen, kartesischen Koordinatensystem (s⊥ , s) in dem die s-Achse ˆ s parallel zu j(x (s)) ist. Die Funktionaldeterminante (Jacobi ∂(x ) Determinante) der Transformation J = det = 1. Die Stromstärke I ∂(s⊥ , s) erhalten wir so aus ˆ ˆ ˆ d3 x j(x )... = ds d2 s⊥ j(x (s⊥ , s))..., = I ds... (4.1.8) C ˆ I = d2 s⊥ j(x (s⊥ , s)) = j(s) F (s) . j(s) bezeichnet die über den Querschnitt gemittelte Stromdichte. Der Draht wird so durch eine unendlich dünne Linie ersetzt. Etwas salopper schreiben wir d3 x j(x ) = Iδ(2) (s⊥ ) d2 s⊥ ds. Die Vernachlässigung des endlichen Querschnittes des Drahtes wird in einigen Fällen, insbesondere bei der Berechnung von Selbstinduktivitäten, nicht gerechtfertigt sein (siehe Abschnitt 7.2.2).

Hat man einen stromdurchflossenen Draht, der das Feld B gemäß (4.1.7) erzeugt, so erhält man mithilfe von (4.1.8) das Biot-Savart’sche Gesetz   ˆ ds× x−x (s) kc I kc μ0 . (4.1.9) B(x) = SI: , =  3 ckl C |x−x (s)| ckl 4π 4.1.4 Magnetfeld eines unendlich langen Drahtes An diesem einfachen Beispiel werden wir vier verschiedene Methoden erproben, um das Magnetfeld B eines unendlich langen Drahtes zu bestimmen. Der Draht liegt, wie in Abb. 4.3 skizziert, in der z-Achse und damit ist B = B eϕ .

j6 ez s



x 6



O

B

: > x

x−x (s) (a)

6 j

 (b)

Abb. 4.3. (a) j × (x − x (s)) steht ⊥ auf die Papierebene und damit auch B. = |ez × (x − x )| (b) B = B eϕ

1. Bestimmung von Bϕ mittels des Ampère’schen Gesetzes Aus dem Ampère’schen (Durchflutungs-)Gesetz bekommt man die Ringspannung durch Integration über einen Kreis K und daraus B:

4.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

˛ ds·B = K

4πkc I = 2π Bϕ ckl

=⇒

Bϕ =

kc 2I . ckl

131

(4.1.10)

2. Bestimmung von Bϕ mittels des Biot-Savart’schen Gesetzes In das Biot-Savart’sche Gesetz (4.1.9) setzen wir ein   ds× x−x (s) = ds ez ×(+z−sez ) = ds eϕ .  Das ergibt ( = x2 +y 2 ) ˆ ∞ ˆ ∞ ds dv kc v=s−z kc 2Ieϕ B(x) = I eϕ =  √ 3 3 ckl ck

2 2 l −∞ 0 1+v 2

+(z −s) ∞ v  kc 2I (B.5.16) kc 2I eϕ √ eϕ . = (4.1.11) =  2 ckl ck 1+v l 0

Daraus folgt für das Magnetfeld eines unendlich langen Drahtes das gleiche Ergebnis wie in (4.1.10).

3. Berechnung von B mithilfe des Vektorpotentials A Wir bestimmen zunächst mithilfe von (4.1.4) A, d.h. die Lösungsfunktion der Vektor-Poisson-Gleichung für den geraden Draht der Länge 2l: j(x ) = Iδ(x )δ(y  )θ(l−|z  |) ez , ˆ l 1 kc I dz   . A(x) = ez ckl −l

2 + (z −z  )2

Der Ausdruck für Az ist, wenn man I/c durch λ ersetzt, gleich dem skalaren Potential φ (2.2.15) einer Linienladung. Wir orientieren uns an den dort ausgeführten Rechnungen, wobei im Hinblick auf l → ∞ , z = 0 gesetzt werden darf:   l z=0 kc  −l + 2 +l2 kc  2  2  Az = − I ln z −z + + (z −z )  = − I ln ckl ckl −l l + 2 +l2  kc kc

2 =− I lim ln   2I lim ln(2l)−ln . (4.1.12) 2 = ckl l→∞ ckl l→∞ l+ 2 +l2 Die, wenngleich unendliche, Konstante ist für die Felder ohne Relevanz, weshalb sie in A meist nicht berücksichtigt wird. Besser definiert ist das Vektorpotential, wenn es, wie bereits bei der Linienladung (2.2.16) gezeigt, als Differenz zum Potential eines Regularisierungspunktes x0 definiert wird: kc 2I( 0 − )ez ckl kc 2I kc 2I e ×ez = eϕ . B(x) = ∇×A = − ckl ckl

A(x, x0 ) =

(4.1.13)

132

4 Magnetostatik im Vakuum

Einmal mehr haben wir das bekannte Resultat für das B-Feld des unendlichen Drahtes erhalten, aber mit der Option das Feld des endlichen Drahtes anzugeben. 4. Berechnung von B über die zweidimensionale Poisson-Gleichung j weist in die z-Achse, so dass nur die Poisson-Gleichung für Az inhomogen ist. Wegen der unendlichen Länge des Drahtes ist Az = Az (x, y) von z unabhängig (und wegen der axialen Symmetrie auch von ϕ): ΔAz (x, y) =

 ∂2 kc ∂2  Az = − + 2I 2π δ(x) δ(y). 2 2 ∂x ∂y ckl

kc 2I der Poisson-Gleichung (3.5.2) Az genügt bis auf den Faktor − ck l   ∂2 ∂2 (3.5.3) =⇒ G(x, y) = ln + 2 G(x, y) = 2π δ(x) δ(y) 2 ∂x ∂y

der zweidimensionalen Green-Funktion G(x, y). Damit ist Az ( ) = −

kc si μ0 2I ln ρ. 2I ln = ckl 4π

(4.1.14)

kc 2I ln e erhalten wir wiederum Durch Bildung der Rotation von A = − ck z l

kc 2I e . B = ck ϕ l

4.2 Magnetischer Dipol Statt einer systematischen Entwicklung nach magnetischen Multipolen wird den weiteren Ausführungen die Definition des magnetischen Dipolmoments m einer (endlichen) Stromverteilung vorangestellt: ˆ kl m= d3 x x × j(x ). (4.2.1) 2c Im Abschnitt 12.1.1 wird gezeigt, dass die Äquivalenz zweier Inertialsysteme eine universelle Geschwindigkeit, das ist c, nach sich zieht. Geschwindigkeiten treten damit parametrisiert in der Form v/c bzw. j/c auf. Das wird in einigen Systemen durchbrochen und so kommt es zur Abhängigkeit von (kl /c)j in magnetischen Momenten. m ist unabhängig vom Bezugspunkt. Eine Translation um a gibt den Zusatz ˆ a × d3 x j(x ) = a × p = 0 ,

.

der wegen (4.2.3) verschwindet. Bei einer Multipolentwicklung ist immer das niedrigste nicht verschwindende Multipolmoment vom Ort unabhängig. Da keine magnetischen Monopole gefunden wurden, ist es das Dipolmoment.

4.2 Magnetischer Dipol

133

4.2.1 Berechnung von Momenten einer Stromverteilung Wir betrachten eine lokalisierte Stromverteilung j(x ), die nur für r < R 1 endlich ist. Entwickeln wir  in (4.1.4), so erhalten wir kc A(x) = ckl

|x−x |

ˆ 3 



d x j(x )



 1 x · x + 3 + ... . r r

(4.2.2)

Wir lassen im Moment auch zeitabhängige Ströme bzw. Ladungsdichten zu und sehen von den Vorfaktoren der einzelnen Terme ab. Setzt man für j die Identität j ≡ (j · ∇) x in (4.2.2) ein, so ergibt das im 1. Term nach partieller Integration (Gauß’scher Satz) und Anwendung der Kontinuitätsgleichung (1.1.15): ˆ ˆ ˆ ˆ a1 = d3 x j = d3 x (j·∇ )x = − d3 x (∇ ·j)x = d3 x ρ x = p. (4.2.3)

.

.

Etwas aufwendiger ist die Berechnung des 2. Terms von (4.2.2), aber im Prinzip ähnlich, nur dass jetzt noch die Graßmann-Identität (A.1.60) a × (b × c) = (a ·c)b − (a ·b)c und die Definition des dyadischen Produkts (A.1.15) a(b · c) = (a ◦ b)c hinzukommen ˆ ˆ  1 3   a2 = d3 x (x · x ) j + (j · ∇ ) x d x (x · x ) j = 2  ˆ   Gauß 1 a2 − d3 x x (j · ∇ )(x · x ) + (∇ · j) (x · x ) = 2 ˆ  ˆ  (1.1.15) 1 d3 x (x · x ) j − (x · j) x + d3 x ρ x (x · x) = 2 ˆ ˆ 1 1 d3 x x × (j × x ) + d3 x ρ (x ◦ x ) x . = 2 2

.

.

Im ersten Term können wir das magnetische Dipolmoment einsetzen und im anderen Term die elektrischen Momente Mij (2.5.3). Wir erhalten so ˆ c 1 a2 = d3 x (x · x ) j = (4.2.4) m×x + M x. kl 2

.

In späteren Anwendungen, wie etwa bei der Multipolstrahlung, wird man von M zum Quadrupoltensor wechseln. Wir setzen nun (4.2.3) und (4.2.4) in (4.2.2) ein und erhalten das Vektorpotential eines magnetischen Dipols: A(x) =

kc 1 kc  1 1 a1 + 3 a 2 + . . . = 2 3 m × x + . . . . ckl r r kl r

(4.2.5)

134

4 Magnetostatik im Vakuum

Methode zur Berechnung höherer Momente Wir haben A unter Verwendung von a 1 und a2 direkt berechnet. Für höhere Momente wird das Verfahren aufwendiger und es lohnt sich eine allgemeine Formel herzuleiten. Seien f (x) und g(x) nichtsinguläre Funktionen innerhalb eines Volumen V . Ist V ein quellenfreies Gebiet an dessen Oberfläche ∂V kein Strom j(x) fließt, so gilt bei Anwendung der Kontinuitätsgleichung und anschließender partieller Integration: ˆ ˆ ˆ  3 3 d x ρ f g = − d x (∇·j)f g = d3 x (j·∇f )g + f (j·∇g) . (4.2.6)

.

V

V

V

Bei stationärer Stromverteilung ist ∇ · j = 0, was zu ˆ  d3 x (j · ∇f )g + f (j · ∇g) = 0

(4.2.7)

V

führt. Mittels (4.2.7) erhält man mit f = xi und g = 1 für das nullte Moment von j ˆ ˆ 3 d x ji (x) = d3 x ρxi = pi = 0 . (4.2.8)

.

.

Für die nächsteinfachen Terme, die ersten Momente von j, setzt man f = xi und g = xk ein und bekommt die Hilfsformel ˆ ˆ   3 d x ji xk + jk xi = d3 x ρ xi xk = 0 , (4.2.9)

.

die noch mehrfach verwendet wird. Die rechten Seiten von (4.2.8) und (4.2.9) sind elektrische Dipol- und Quadrupolterme, auf die wir bei der Strahlung bewegter Ladungsverteilungen zurückkommen werden. Aus (4.2.9) folgt, dass in Integralen stationärer Stromverteilungen, deren Integranden linear nur von x und j abhängen, die Größen j  −x vertauscht werden können. 4.2.2 Magnetisches Dipolfeld Ausgangspunkt ist das magnetische Dipol-Potential (4.2.5) A=

kc m × x kc 1 = − 2m ×∇ , 2 3 kl r kl r

(4.2.10)

das zur Berechnung des Feldes B = rot A = −

 1  kc   1  1 kc ∇× m×∇ = − 2 m ∇·∇ − m·∇ ∇ 2 kl r kl r r

4.2 Magnetischer Dipol

herangezogen wird. Nun ist Δ 1r = −4πδ(3) (x), so dass man 1 kc  Bi = − 2 mj ∇i ∇j − 4πmi δ(3) (x) kl r

135

(4.2.11)

erhält. Man kann den 1. Term modifizieren, indem man den für r → 0 singulären Beitrag durch Integration über eine Kugel K des Radius berechnet: ˆ ˆ 4π 1 1 1 mi d3 x ∇2 = − d3 x ∇j ∇i = mi mj r 3 r 3 K K und separat angibt m 1 (m · x)x 4π x m δ(3) (x) . = − (m · ∇) ∇ = 3 − 3 + 3 r r r r5 3 Das magnetische Dipolfeld eines lokalisierten Stroms ist demnach  kc   3(m·x)x m  8π (3) + − (x) , (4.2.12) B= 2 P m δ kl r5 r3 3 (m · ∇)

wobei P (Hauptwert) bedeutet, dass bei Integration eine infinitesimale Kugel r ≤ auszuschließen ist. Die Situation ist ähnlich der des elektrischen Dipols (2.2.4) mit Ei = pj ∇j ∇i 1r . Der singuläre Term des magnetischen Dipols trägt zur Hyperfeinstruktur atomarer s-Zustände bei [Jackson, 2006, Kap. 5.7]. Für r > 0 ist das B-Feld (4.2.12) völlig gleich dem des elektrischen Punktdipols (siehe Abb. 2.12). In Tab. 4.2 sind die Eigenschaften der Potentiale und Felder elektrischer und magnetischer Dipole angegeben. Das magnetische Ana-

Tab. 4.2. Elektrische und magnetische Punktdipole. φ = −kc p·∇

p·x 1 = kc 3 r r

E = −∇φ = kc ∇(p·∇) = kc

 3(x·p)x r5



∇·E = kc Δ(p·∇)

p r3

ρ(x) = −p·∇δ(3) (x) SI: kc =

1 4π0

1 r

1 = 4πkc ρ(x) r

∇×E = 0

kc 1 kc m×x m×∇ = 2 kl2 r kl r 3  1 1 kc B = ∇×A = 2 ∇(m·∇) − mΔ kl r r kc  3(x·m)x m (3) = 2 − 3 + 4πmδ (x) kl r5 r

A=−

∇·B = 0

4πkc 1 kc m×∇Δ = j(x) kl2 r ckl c j(x) = − m×∇δ(3) (x) kl 4πkc μ0 kc , = = μ0 SI: kl = c, kl2 4π ckl ∇×B =

logon zum Dipolfeld zweier entgegengesetzter elektrischer Ladungen (siehe Abb. 4.4a) ist das B-Feld des Kreisstroms (siehe Abb. 4.4b), das im Folgenden berechnet wird.

136

4 Magnetostatik im Vakuum

(a)

(b)

Abb. 4.4. (a) Feldlinien eines elektrischen Dipols; sie sind von der positiven (oberen) Ladung zur negativen, unteren Ladung gerichtet (b) Feldlinien eines magnetischen Dipols, erzeugt von einer Stromschleife; der Strom läuft im Gegenuhrzeigersinn, und innerhalb der Schleife sind die Feldlinien so nach oben gerichtet

4.2.3 Dipolmoment einer Stromschleife Das magnetische Moment m (4.2.1) eines geschlossenen, starren Stromkreises mit konstant gehaltener Stromstärke I bezeichnet man auch als magnetisches Dipolmoment. Abb. 4.5 zeigt den Ausschnitt einer Stromschleife bestehend m

6

j s+ds f (s) (a)

j -

ds

x(s) s

6

z (b)

Abb. 4.5. (a) Draht mit Quer-

j

schnitt f (s), woraus sich die K 6 x(s+ds): ds Stromstärke I = j(s) f (s) ergibt 6 (b) Skizze mit ebener Stromschleij

K

x(s)

6

fe in der xy-Ebene, wobei x(s), die Fläche F überstreicht

aus einem Draht mit dem Querschnitt F (s), wobei s ˆden Weg längs ˆ der Schleife parametrisiert. In (4.2.1) setzen wir (4.1.8) ein: erhalten wir ˆ ˛ kl kl d3 x x × j(x) = ds x(s) × j(x(s)) m= 2c 2c ˛ kl I x(s) × ds . = c 2

d3 x j = I

ds. Damit C

(4.2.13)

Ebene Stromschleife Als Spezialfall von (4.2.13) betrachten wir eine ebene Stromschleife. Die Vektoren x(s), ds und x(s+ds) bilden ein Dreieck mit der Fläche

4.2 Magnetischer Dipol

df =

137

1 |x(s) × ds| , 2

wie in Abb. 4.5b skizziert. Legt man gemäß (4.2.13) die ganze geschlossene Kurve entlang des Weges C = ∂F zurück, so erhält man ˛ kl (4.2.14) x(s) × ds = 2F n ⇒ m = I F n. c ∂F Hier sind I der Strom, F die Fläche der Stromschleife und n der Normalenvektor auf die Fläche. 4.2.4 Potential und Feld einer kreisförmigen Schleife Die Felder von Spulen und damit auch die von kreisförmigen Schleifen, aus denen man sich eine Spule zusammengesetzt denken darf, nehmen in der Magnetostatik einen wichtigen Platz ein. Man geht entweder von A (4.1.4) der Lösung der vektoriellen PoissonGleichung, aus und berechnet B = rot A, oder man nimmt die Biot-SavartGleichung (4.1.7) und erhält so B direkt; das geht oft schneller. Für einfache Schleifen oder Spulen kann man B meist in geschlossener Form angeben, was elliptische Integrale 1. bis 3. Art einschließt. Intuitiver sind oft Näherungen, wobei die im Folgenden verwendete Entwicklung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schleife/Spule gut ist, abgesehen von der unmittelbaren Umgebung des Drahtes. Vektorpotential einer kreisförmigen Stromschleife Die kreisförmige Stromschleife in der xy-Ebene, skizziert in Abb. 4.6, ist, was das Magnetfeld betrifft, das Pendant zum elektrischen Feld zweier entgegengesetzter Ladungen in der z-Achse. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch weil die kreisförmige Schleife das Grundelement einer Spule ist, besteht ein prinzipielles Interesse an A und B, obgleich wir die Ausdrücke nicht in einer Form bekommen, die eine einfache Reduktion auf das Potential A (4.2.10) bzw. auf das Feld B (4.2.12) eines magnetischen Dipols zulassen. Ausgehend y Y

a

j

ϕ z j

-

*

x x Abb. 4.6. Kreisförmige Stromschleife vom Radius a; im Draht fließt j(x ) = I δ(a −  ) δ(z  ) eϕ ; das magnetische Moment der Schleife ist m = (I a2 π/c) ez

138

4 Magnetostatik im Vakuum

von der Stromdichte j(x) = Iδ( − a) δ(z) eϕ ist das Vektorpotential (4.1.4) in Zylinderkoordinaten ˆ 2π Iaeϕ kc dϕ  . A= ckl 0 z 2 + 2 + a2 − 2a cos(ϕ −ϕ)

(4.2.15)

(4.2.16)

Um das Integral auswerten zu können, muss eϕ durch einen von ϕ unabhängigen Vektor ersetzt werden, was in zwei Schritten durchgeführt wird, indem ϕ durch ϕ = ϕ −ϕ ersetzt wird und danach eϕ durch eϕ+ϕ = − sin(ϕ +ϕ) ex + cos(ϕ +ϕ) ey = cos ϕ eϕ − sin ϕ e . Im Integranden von (4.2.16) verschwindet der Term mit sin ϕ aus Symmetriegründen, so dass ˆ 2π kc cos ϕ A= . (4.2.17) Iaeϕ K0 (α, β) mit K0 (α, β) = dϕ √ ckl α−β cos ϕ 0 Hierbei sind α = 2 +a2 + z 2 und β = 2a . Die exakte Lösung K0 (α, β) ist ein elliptisches Integral 1. Art (4.2.25) das auf Seite 140 ausgewertet ist. Wir können also das exakte Ergebnis direkt angeben: A = eϕ

kc k2 4  4a (1− ) K(k)−E(k) mit k 2 = Ia √ . (4.2.18) ckl k a 2 (a+ )2 +z 2

K0 divergiert logarithmisch, wenn k  1 ist, was äquivalent zu z = 0 und

= a ist. Dann befindet man sich in unmittelbarer Nähe des Liniendrahtes mit seiner singulären Stromdichte. Näherungsverfahren Besseren Einblick als die exakte Lösung gibt die folgende „Dipol-Näherung“. Sie wird nicht allein auf die Kreisschleife angewandt, sondern auch auf Spulen und überall dort, wo elliptische Integrale auftreten. Es liegt nahe, den Integranden von (4.2.17) nach κ=

β 2 a = 2 2 α r +a

(4.2.19)

zu entwickeln. κ ist symmetrisch in und hat seinen maximalen Wert κ = 1, wenn r = = a; dort, d.h. in der unmittelbaren Umgebung des Drahtes, ist die Näherung am schlechtesten. Auf der z-Achse mit = 0 wird das Resultat exakt. Es ist jetzt

4.2 Magnetischer Dipol

ˆ 2π 1 cos ϕ cos ϕ = √ dϕ √ α 0 1 − κ cos ϕ α − β cos ϕ 0 ˆ 2π 1 1 2π κ ≈√ dϕ cos ϕ 1 + κ cos ϕ + ... = √ . 2 α 0 α 4 ˆ

139



dϕ √

K0 (α, β) =

(4.2.20)

Setzen wir noch m = ez (kl /c)Iπa2 und eϕ = ez × e ein, so ist A=

kc m ×  kc m × x ≈ 2 . √ kl2 r2 + a2 3 kl r3

(4.2.21)

Da x = +zez , konnten wir m ×  durch m × x ersetzen und haben für r a das Vektorpotential (4.2.10) eines Dipols erhalten. Wir konnten mit unserer Näherung für A eine direkte Beziehung zum Dipol-Potential herstellen und sehen auch, dass (4.2.21) eine gute Näherung ist, wenn nicht gerade ≈ a. Der Parameter κ wird auch für die Berechnung des Feldes B der Kreisschleife und für A und B von Spulen verwendet, wobei sich zeigen wird, dass in den meisten Fällen die Entwicklung mit dem linearen Term in κ abgebrochen werden kann. Elliptische Integrale für Schleifen und Spulen Wir beschränken uns auf kreisförmige Schleifen und Spulen vom Radius a und Spulen der Länge 2l. Der Strom ist für die Schleife linienförmig (4.2.15) und für die Spule flächenförmig (4.2.36). Die auftretenden Integrale hängen jeweils von zwei Parametern ab, die gegeben sind als α = 2 + a2 + (l ∓ z)2 ,

0 < α ≤ β.

β = 2a ,

Für die Schleife ist l = 0, und hat man eine Spule, so sind z = ±l die Basisflächen. Wir beginnen mit (cos x = cos(π+2ϕ) = − cos(2ϕ) = 2 sin2 ϕ − 1) ˆ

K1 (α, β) = 0



dx √ α − β cos x

2ϕ=x−π

ˆ

π/2

=

−π/2

2 dϕ  . α + β − 2β sin2 ϕ

Obige Gleichung hat schon die Form eines elliptischen Integrals, wenn wir α+β aus der Wurzel herausziehen: ˆ π/2 ˆ 2π dϕ dx 4 4K(k)  K1 (α, β) = √ =√ . (4.2.22) =√ 2 2 α−β cos x α+β α+β 1−k sin ϕ 0 0 K(k) ist das vollständige elliptische Integral 1. Art (B.5.4) mit dem Modulus k2 =

2a 2β = ≤ 1. 2 α+β (a+ ) + (z ∓l)2

Mittels der gleichen Transformationen erhalten wir

(4.2.23)

140

4 Magnetostatik im Vakuum

ˆ



K2 (α, β) =

dx 0



α−β cos x = 4

 α+β E(k),

(4.2.24)

wobei E(k) das vollständige elliptische Integral 2. Art (B.5.5) ist. Aus K1 und K2 setzt sich ˆ ˆ 2π 1 2π β cos x−α+α 1 cos x K0 (α, β) = αK1 −K2 ) = = dx √ dx √ β 0 β α−β cos x α−β cos x 0 √   k2  4 α+β αK(k) 8  K(k)−E(k) (4.2.25) 1− = −E(k) = √ β α+β 2 k 2β

zusammen. Die bei der Berechnung der Felder auftretenen Integrale sind

ˆ π/2 dϕ 4  = √ √ 3 3 2 2 (1−k sin ϕ) 1−k 2 sin2 ϕ 0 0 α−β cos x α+β 3 4 E(k) (B.5.9) 4k 2 =√ = Π(−k , k) (4.2.26) √ 3 3 1−k 2 . α+β 2β ˆ



dx

K3 (α, β) =

Π(q, k) ist das vollständige elliptische Integral 3. Art (B.5.6). ˆ 1 2π α − α + β cos x dx √ √ 3 3 β 0 0 α − β cos x α − β cos x   1 4 1 4α αK3 − K1 = K(k) Π(−k 2 , k) − √ = √ 3 β β α+β α+β   2 4k αk E(k) (B.5.9) √ = − K(k) . (4.2.27) β 2β 2β 1 − k 2 ˆ



cos x dx

K4 (α, β) =

=

Magnetfeld einer kreisförmigen Stromschleife Wir werden B nicht aus rot A (4.2.17) berechnen, sondern direkt auf das Biot-Savart’sche Gesetz (4.1.7) zurückgreifen: B=

kc Ia ckl

ˆ



dϕ

0

eϕ ×(x−x ) . |x−x |3

(4.2.28)

Mithilfe von (A.3.7) erhalten wir (ϕ = ϕ −ϕ): e  = cos ϕ e + sin ϕ eϕ ,

eϕ = − sin ϕ e + cos ϕ eϕ .

Für Zähler und Nenner des Integranden von (4.2.28) folgt daraus:



eϕ ×(x−x ) = (cos ϕ eϕ −sin ϕ e )× ( −a cos ϕ )e −a sin ϕ eϕ +(z−z  )ez  2





= (a − cos ϕ ) ez + (z−z  ) cos ϕ e + sin ϕ eϕ , 2

2

 2



|x−x | = − 2 ae · e  + a + (z−z ) = α−β cos ϕ .



(4.2.29)

4.2 Magnetischer Dipol

141

Wiederum sind α = 2 +a2 +z 2 und β = 2a , da für die Schleife z  = 0.

Bϕ verschwindet aus Symmetriegründen, so dass kc IazK4(α, β), ckl kc  Ia aK3 (α, β) − K4 (α, β) . Bz = ckl

B =

(4.2.30) (4.2.31)

Das exakte Feld

Die Integrale K3 und K4 sind in (4.2.26) und (4.2.27) durch elliptische Integrale ausgedrückt und können in die Gleichungen für B und Bz , (4.2.30) und (4.2.31) eingesetzt werden: kc Iz k  2−k 2 4a E(k) − K(k) , k2 = , √ 2 ckl 2 a 1−k (a+ )2 + z 2

kc I k  ak 2 E(k)  2−k 2 − E(k) − K(k) . Bz = √ ckl c a 1−k 2 1−k 2 B =

In der z = 0-Ebene verschwindet B und Bz divergiert in der Nähe des Liniendrahtes gemäß ∼ 1/(a− ), was bei einem endlichen Querschnitt des Drahtes nicht der Fall wäre. Näherungsweise Berechnung des Feldes Wenn nun die exakte Rechnung in unmittelbarer Nähe die Feldstärke überschätzt, so liegt es nahe, die bereits für die Berechnung von A angewandte „Dipol-Näherung“ auch für das Feld B heranzuziehen, zumal hierbei keine Singularität auftritt. Wir werden diesmal die nächste Korrektur zum Dipolfeld berücksichtigen und wir haben dazu in der Entwicklung der Integranden von K3 und K4 die nächsten Terme mitzunehmen: 3·5 2 3·5·7 3 1 3 binomische Reihe √ 3 ≈ 1 + 2 + 2 · 4 + 2 · 4 · 6 + ... 1− = κ cos ϕ,

κ=

2a β = 2 . α r + a2

Eingesetzt in K3 und K4 erhält man ˆ 2π ˆ 2π   15 1 1 K3 (α, β) = dϕ 1 + κ2 cos2 ϕ ≈ dϕ √ √ 3 3 8 α 0 0 α − β cos ϕ 15 2  2π  (4.2.32) = √ 3 1+ κ , 16 α ˆ 2π ˆ 2π  3 35 1 cos ϕ dϕ √ dϕ K4 (α, β) = κ cos2 ϕ+ κ3 cos4 ϕ 3≈√ 3 2 16 α 0 0 α−β cos ϕ 35 2 3  2π 3κ  1+ κ . (4.2.33) =√ 3 12 8 α 4

142

4 Magnetostatik im Vakuum

In dieser Näherung unterscheiden sich die Feldlinien qualitativ nicht mehr von den exakt berechneten. Das Dipolfeld in Abb. 4.4 basiert auf (4.2.32). Jetzt nehmen wir nur die führenden Terme mit und setzen m = ez Iπa2 kl /c ein: B =

3πa z kc 3z kc Ia √ = 2m √ 3 5, 2 2 ckl kl r 2 + a2 r + a r 2 + a2

Bz =

 3 2 2π kc 2 kc

. 1− Ia √ − B = 2 m √ 3 3 2 2 ckl z kl 2(r + a ) r 2 + a2 r 2 + a2

In der Näherung r a erhalten wir

r5 B ∝ 3m(r2 − 2 )ez − mr2 ez + 3z e = 3(m·x)zez − r2 m + 3(m·x) e . Das ergibt, wie erwartet, das Dipolfeld für r > 0: B=

kc  (m · x) x m 3 − 3 . kl2 r5 r

Skalares magnetisches Potential einer Stromschleife Vorhanden sei ein geschlossener, lokaler Stromkreis, wo der stationäre Strom nur innerhalb eines kleinen Bereiches, etwa eines Drahtes, fließen soll. Im Raum außerhalb des Stromkreises ist j = 0 und damit auch rot B = 0 (Ampère’sches Durchflutungsgesetz in differentieller Form (4.1.1)). Damit sind die Felder dort durch ein skalares Potential φm [siehe Becker, Sauter, 1973, S. 111] darstellbar, was zugegebenerweise etwas exotisch ist. Nach dem BiotSavart’schen Gesetz (4.1.9) ist ˛ kc 1 B(x) = dx ×∇ I . (4.2.34) ckl ∂F |x−x | Multiplizieren wir (4.2.34) skalar mit einem beliebigen, konstanten Vektor a, vertauschen im Integranden zyklisch und wenden anschließend den Stokes’schen Satz an, so ist ¨ ˛  1 a  = dx ·∇ ×a df  ·∇ × ∇ × a·B ∝  |x−x | |x−x | ∂F F ¨    a a  (A.2.38) − Δ = df  · ∇ ∇ ·  |x−x | |x−x | F

Der 2. Term verschwindet überall außerhalb des Drahtes, so dass nur der 1. Term beiträgt, außer man berechnet B entlang eines Weges C, der den Draht umschließt, so dass dieser F queren muss und so der 2. Term beiträgt. Im 1. Term ersetzt man ein ∇ durch −∇ und erhält so B = −∇φm , ¨ kc x−x r r kc x φm = I df  · = 2 m· 3 ,  |3 ckl |x−x k r F l

m=

kl I c

¨

(4.2.35) df  .

F

4.2 Magnetischer Dipol

143

m ist das magnetische Moment der Schleife und φm ist das skalare Potential eines elektrischen Dipols. Bestimmt man die Zirkulation (Ampère’sches Gesetz) ds · B , so ist diese 4πI/c, wenn der Draht vom Weg eingeschlossen wird, sonst ist sie null. Die Zirkulation eines skalaren Potentials verschwindet immer. 4.2.5 Potentiale und Felder von Spulen Die Magnetfelder B der folgenden Konfigurationen werden durchwegs auf der Basis des Biot-Savart’schen Gesetzes (4.1.7) berechnet. Für das Feld der unendlichen geraden Spule ist das zwar ein unnötiger Aufwand, da dieses am einfachsten mittels des Amp´‘ere’schen Gesetzes (4.1.5) zu bestimmt werden kann, wie der Abb. 7.8, S. 241 zu entnehmen ist. Bereits für die endliche Spule ist es jedoch sinnvoll auf das Biot-Savart-Gesetz zurückzugreifen. Die gerade Spule Bei Anwendungen steht sicherlich die genaue Kenntnis des Feldes B in Spulen endlicher Länge und endlichen Querschnittes im Vordergrund. Wir werden hier nur die Grundlagen für zu machende Näherungen und für eventuelle genauere (numerische) Berechnungen angeben. Angenommen wird, dass die a

6 2l

z

6

x

?

-y Abb. 4.7. Spule (Solenoid) mit dem Radius a und der Länge 2l; die Wicklungen seien so dicht, dass die Ganghöhe einer Wicklung vernachlässigt werden darf und man so von einem Kreisstrom ausgehen kann

Dichte n der Wicklungen genügend hoch ist, so dass der im Draht fließende Strom I durch einen gleichförmigen Kreisstrom In = nI pro Längeneinheit auf einem Zylindermantel dargestellt werden kann: j = In δ( − a) eϕ θ(l − |z|) .

(4.2.36)

Diesen Strom setzen wir in das Biot-Savart-Gesetz (4.1.7) ein, wobei wir beim Vektorprodukt auf (4.2.29) zurückgreifen: ˆ l ˆ 2π eϕ × (x−x ) kc In a dϕ dz  B(x) = ckl |x−x |3 −l ˆ0 2π ˆ l−z  (a− cos ϕ )ez −u(cos ϕ e +sin ϕ eϕ ) u=z −z kc = In a dϕ du .  3 ckl 0 −l−z

2 −2 a cos ϕ +a2 +u2

144

4 Magnetostatik im Vakuum

Die Integration kann mithilfe (B.5.16) durchgeführt werden. Aus Symmetriegründen verschwindet Bϕ ; die Integration nach u ergibt ˆ 2π l−z cos ϕ kc  In a dϕ  , (4.2.37)  ckl ( 2 −2a cos ϕ +a2 ) + u2 −l−z 0 ˆ 2π l−z a− cos ϕ u kc   In a dϕ 2 . Bz (x) =   2 2  2 2 ckl

−2a cos ϕ +a ( −2a cos ϕ +a )+u −l−z 0

B (x) =

Exaktes Feld B kann ohne Näherung mithilfe vollständiger elliptischer Integrale (B.5.4) – (B.5.6) dargestellt werden. So ist B durch K0 (4.2.25) gegeben, wenn wir α und β (4.2.41) einsetzen. Daraus folgt B =

 kj2  4  1  kc K(kj ) − E(kj ) 1− (−1)j+1 In a √ ckl a j=1,2 kj 2

2 mit k1,2 =

(4.2.38)

4a und z1,2 = l ∓ z . 2 (a + )2 + z1,2

Etwas komplizierter ist der Ausdruck (4.2.37) für Bz ; der 1. Term ergibt K1 (4.2.22), und der 2. Term ein vollständiges elliptisches Integral 3. Art: Bz =

ˆ 2π  

2 −a2 kc In  1

zj dϕ 1− 2 2  ckl 2 j=1,2 0

+a −2a cos ϕ 2 2

+a +z 2 −2a cos ϕ j

ˆ  1

−a 1 kc  zj kj π/2  

In dϕ 1 − .(4.2.39) = √ ckl j=1,2 a 0

+a 1+q sin2 ϕ 1−k 2 sin2 ϕ j

Hierbei ist q = −4a /(a + )2 und Π(q, kj ) das elliptische Integral 3. Art (B.5.6): Bz =

   kj kc

−a −4a Π(q, kj ) , q = In . (4.2.40) √ zj K(kj ) − ckl j=1,2 a

+a (a+ )2

Wir haben die „exakten“ Felder (4.2.38) und (4.2.40) zur Berechnung der Feldlinien in Abb. 4.8 herangezogen; Bz kann auf der z-Achse analytisch angeben werden (7.1.33) und ist an den Enden der Spule etwa halb so stark wie in der Mitte. Näherungsweise Berechnung des Feldes Zunächst macht man für (4.2.37) die gleiche Näherung wie bei der Kreisschleife, nur dass jetzt zwei Parameter κ1,2 vorteilhaft sind, die die Beiträge zu B von Basis und Deckfläche der Spule auf der z-Achse verschieden gewichten:

4.2 Magnetischer Dipol

145

Abb. 4.8. Magnetfeld B einer Spule vom Radius a und der Länge 2l = 6a. Die Feldlinien werden vom Rand weg ins Zentrum gedrängt. Vor allem in der Nähe der Enden der Spule hat man ein Streufeld

κ1,2 =

β 2a = 2 2 α1,2

+ a2 + z1,2

mit

z1,2 = l ∓ z .

(4.2.41)

Man muss aber unterscheiden, für welchen Bereich man die Näherung macht, ob im Zentrum der Spule, in der Nähe von Basis- oder Deckfläche der zylinderförmigen Spule oder asymptotisch im Außenraum. Entsprechende Rechnungen sind als Aufgabe 4.3 gestellt. Obige Näherung ergibt in niedrigster Ordnung kc π √ 3 √ 3  B (x) = (4.2.42) κ1 − κ2 , In a √ ckl 2 2a  )  √ ( 2π kc 1 κj −π/ a < . z j κj In a √ Bz (x) = θ(a − ) + ckl 2a j=1,2 a 2 π /a2 a > Das Feld der Spule ist gleich dem eines homogen magnetisierten Stabmagneten, wie in der Magnetostatik in Materie gezeigt wird (siehe (7.1.4)). Auf der z-Achse kann das Feld exakt angegeben werden:   |z|→∞ k 2m kc l−z l+z c B(0, 0, z) = ez = 2πIn  . + ckl kl2 |z|3 a2 +(l−z)2 a2 +(l+z)2

(4.2.43)

Es ist in Abb. 7.6 geplottet. Im asymptotischen Bereich |z| → ∞ hat man das Feld eines Dipols, wie in der Aufgabe 7.5 zu zeigen ist. Die unendlich lange Spule Wir nehmen das aus dem Biot-Savart-Gesetz erhaltene Integral (4.2.37) für B einer Spule des Radius a und der Länge 2l, um mit dem Limes l → ∞ das Feld der unendlich langen Spule zu bestimmen: ˆ 2π a− cos ϕ kc B(x) = 2In aez dϕ 2 ckl

−2a cos ϕ +a2 0 (B.5.21) kc 4πIn θ(a− )ez . (4.2.44) = ckl

146

4 Magnetostatik im Vakuum

Wir sind hier in der Bezeichnung vom Kreisstrom In pro Längeneinheit der Spule wieder zum im Draht fließenden Strom In = In übergegangen, wobei n die Anzahl der Wicklungen pro Längeneinheit ist. Auf dieses Resultat werden wir im Abschnitt 7.1.4 der Magnetostatik in Materie zurückkommen. Die halbunendliche Spule Von besonderem physikalischen Interesse ist die halbunendliche, infinitesimal dünne Spule, skizziert in Abb. 4.9. Das „obere“ Ende der Spule stellt eine Punktquelle dar, von der magnetische Feldlinien B ausgehen, ganz analog zu denen des elektrischen Feldes E einer Punktladung. Dirac [1931, 1948] nahm diese Konfiguration als Grundlage für das Modell eines magnetischen Monopols. Es soll hier nicht auf die physikalischen Implikationen, wie die Quantisierung der Ladung, die Beobachtbarkeit der Dipolkette oder auf Wegunterschiede in verschiedenen Dipolketten eingegangen werden. Es werden hier nur A und B dieser Konfiguration berechnet, samt deren Wirbel und Quellen und es wird auf die Konsistenz mit der klassischen Magnetostatik geachtet.

I y 9

O 

 W

 : z R B

6 6 6 6 -6

Abb. 4.9. Eine dünne Spule (Solenoid), die von z = −∞ bis z = 0 geht, hat am Ursprung ein (Streu-)Feld, das dem einer Punktladung gleichkommt. Die Spule kann durch eine Kette magnetischer Dipole ersetzt werden.

Magnetische Flussdichte einer halbunendlichen Spule Die Stromdichte hat, wie schon bei der endlichen Spule, die Form j(x) = In δ( − a) θ(−z) eϕ . In = nI ist der Strom auf dem Zylindermantel pro Längeneinheit, wenn n die Anzahl der Wicklungen pro Längeneinheit und I der Strom im Draht ist. Wie auch bei der endlichen Spule berechnen wir B direkt mithilfe des Biot-Savart-Gesetzes (4.1.7) (und nicht über A): ˆ 0 ˆ 2π kc eϕ × (x − x ) B(x) = In a dϕ . dz  ckl |x − x |3 0 −∞ Das obige Vektorprodukt (4.2.29) haben wir bereits bei der Drahtschleife berechnet (ϕ = ϕ −ϕ):

4.2 Magnetischer Dipol

147

 eϕ ×(x−x ) = (a− cos ϕ ) ez + (z −z ) cos ϕ e + sin ϕ eϕ , |x−x |2 = 2 − 2 a cos ϕ + a2 + (z −z  )2 .

Eingesetzt in das Biot-Savart-Gesetz, erhält man die bereits von der endlichen Spule bekannten Integrale (4.2.37), wobei nur die Grenzen −l < z  < l zu −∞ < z  < 0 geändert werden müssen. Aus Symmetriegründen verschwindet das Integral von eϕ : B(x)

u=z  −z

=

kc In a ckl

ˆ



ˆ dϕ

0

−z

−u cos ϕ e + (a − cos ϕ )ez du  3 . −∞

2 − 2 a cos ϕ + a2 + u2

Das erste Integral ist trivial und das zweite ist im Anhang (B.5.16) S. 622 angeführt: ˆ dx √

x a2

+

x2

3

= √

−1 , 2 a + x2

ˆ dx √

1 a2

+

x2

3

=

x 1 √ . a2 a2 + x2

ˆ 2π cos ϕ kc , In a dϕ  ckl

2 −2a cos ϕ +a2 + z 2 0 ˆ 2π  (a− cos ϕ )  z kc  . 1− In a dϕ 2 Bz (x) = ckl

−2a cos ϕ +a2

2 −2a cos ϕ +a2 +z 2 0 B (x) =

Letztlich sind wir am Grenzwert von endlichem B ez bei a → 0 interessiert und verfolgen das mit Näherungen, die wir bei der Stromschleife, aber auch bei der endlichen Spule angewandt haben, d.h. wir entwickeln die Wurzel nach κ = 2a /(r2 +a2 ) ˆ 2π   κ kc 1 √ In a dϕ cos ϕ 1 + cos ϕ B ≈ 2 2 ckl 2 r +a 0 1 2a kc 2π = In a √ . ckl r 2 + a2 4 r 2 + a2

(4.2.45)

Der 1. Term von Bz ergibt einen θ-Beitrag (siehe (B.5.21), S. 622) und die Wurzel entwickeln wir wiederum nach κ   ˆ 2π   z a− cos ϕ κ 2π kc   √ Bz = 1+ cos ϕ . Ina dϕ 2 2 θ(a− )− ckl a

+a −2 a cos ϕ r2 +a2 2 0

Das verbleibende Integral ist exakt lösbar (siehe (B.5.22)-Aufgabe 4.5) Bz =

    a2 z z a2 + 2 

kc . 1 − θ(a− ) + √ 2πIn θ(a− ) 1− √ 3 ckl 2 r2 +a2 a2 r2 +a2

bei gleichzeitiger Reduktion des Es soll nun der Fluss Φb durch die Spule √ Radius a → 0 konstant gehalten werden (z/ r2 +a2 → −1):

148

4 Magnetostatik im Vakuum

¨ Φb = Ka

df · B = B a2 π =

4πkc In a2 . ckl

Die Stärke der Punktquelle ist in Anlehnung an Jackson [2006, (6.157)] g=

1 In a2 , ckl 0

SI: g = μ0 In a2 .

(4.2.46)

Setzen wir nun lim θ(a− )/a2 π =δ(x)δ(y), ' so erhalten wir unter Vernachläsa→0

sigung des letzten Terms von Bz

 x B = kc 0 g 4π δ(x) δ(y) θ(−z) ez + 3 = Bs + Bp . r

(4.2.47)

Der 1. Term Bs ist das Feld der Spule und der 2. Term Bp das einer Punktquelle. Wie in der Legende von Abb. 4.9 erwähnt, kann die Spule durch eine Kette magnetischer Dipole ersetzt werden. Die Maxwell-Gleichungen ∇·B = 0,

∇·Bp = −∇·Bs = 4πkc 0 g δ(3) (x), SI: ∇·Bp = g δ(3) (x),

∇×B = ∇×Bs =

4πkc j, ckl

SI: ∇×B = μ0 j(x).

sind erfüllt, was in der Aufgabe 4.6 zu zeigen ist. A wird allein durch die Spule mit Bs bestimmt, da wegen rot Bp = 0 das Feld der Punktquelle nichts beiträgt: ˆ ˆ ˆ  1 ∇ ×B dx ×(x−x ) 1 3  B×(x−x ) A= d3 x d x = k g , = c 0   3 4π |x−x | 4π |x−x | |x−x |3 C wobei C der Weg −∞ < z  ≤ 0 ist. Man erhält (Aufgabe 4.4) A = kc 0

g 1 − cos ϑ eϕ r sin ϑ

allg. Richtung

=⇒

A = kc 0 g

n×x . r(r + n·x)

(4.2.48)

Der rechts stehende Ausdruck ist für einen geraden Weg C (Dirac-string) beliebiger Richtung, die durch den Einheitsvektor n vorgegeben ist.

4.3 Drehimpuls, Kraft und Drehmoment 4.3.1 Drehimpuls und magnetisches Moment Der Drehimpuls von n Teilchen, die sich an den Orten xn mit dem Impuls P n befinden, ist  xn × P n . (4.3.1) L= n

4.3 Drehimpuls, Kraft und Drehmoment

Setzt man in (4.2.13) die Stromdichte j(x) =



149

e vn δ(3) (x−xn ) ein, so erhält

n

man m=

kl 2c

ˆ d3 x x × j(x) =

kl  e xn ×vn . 2c n

Ohne äußeres Feld ist P n = m vn . Somit kann m durch den Bahndrehimpuls ausgedrückt werden m=

kl e L. c 2m

(4.3.2)

Das Verhältnis des magnetischen Moments zum Drehimpuls, hier kl e/2mc, wird als gyromagnetisches Verhältnis bezeichnet. Dazu kann noch der gyromagnetische Faktor g kommen. Für den Spin der Elektronen ms = gkl e/(2mc)S ist g = 2 (nahezu). Falls ein elektromagnetisches Feld vorhanden ist, hängt der kanonische Impuls (siehe (5.4.10)) mit der Geschwindigkeit zusammen: kl eA(xn ) , c kl e k 2 e2  xn × A(xn ) m= L − 2l c 2m c 2m n

P n = m vn +

=

k 2 e2 2 2 kl e L − 2l (x +y )B c 2m c 2m

fu ¨ r B = B ez

und A =

1 B × x. 2

Die natürliche Einheit für den Drehimpuls ist die Planck’sche Konstante . Wir können so m in der Form m=

kl e L ˆ = −μb L, c 2m 

μb =

kl e0  , c 2me

ˆ= L L 

angeben. Vorausgesetzt ist hier, dass das Teilchen ein Elektron mit der Ladung e = −e0 und der Masse m = me ist. μb ist das Bohr’sche Magneton (siehe Tab. C.7, S. 643). 4.3.2 Kraft und Drehmoment auf eine Stromschleife Wir betrachten nun eine Stromschleife in einem Magnetfeld B(x) und wollen die Wirkung dieses Feldes auf die Stromschleife untersuchen. Kraft auf eine Stromschleife Ausgehend von der Lorentz-Kraft Kn =

kl e vn × B(xn ) c

150

4 Magnetostatik im Vakuum

auf ein einzelnes der den Strom bildenden Teilchen finden wir die Gesamtkraft ˆ e kl  vn × B(xn )δ(3) (x − xn ) e vn × B(xn ) = d3 x K= c n c n ˆ kl d3 x j(x) × B(x) . = (4.3.3) c Anmerkung: Wir setzen voraus, dass B(x) nur schwach gegenüber dem Abstand der den Strom tragenden Teilchen variiert. Dann kann man statt des oben eingehenden mikroskopischen Stroms den gemittelten schreiben – und nur für diesen gelten die verwendeten Stationaritätseigenschaften.





B j









 Abb. 4.10. Skizze einer Stromschleife im Feld B(x). Das Feld soll im Bereich um die Schleife nicht zu stark variieren

Für eine geschlossene Stromschleife, wie in Abb. 4.10 skizziert, kann die Kraft durch ihr magnetisches Moment ausgedrückt werden. Wir setzen voraus, dass sich die Stromschleife in der Nähe des Koordinatenursprungs befindet und entwickeln B(x) = B(0) + (x · ∇)B|x=0 + . . . Bk (x) = Bk (0) + xl Bk,l (0) + . . . ´ Der erste Term ergibt wegen d3 x j = 0 . Dann vertauschen wir die Terme solange, bis wir aus (j × (x · ∇)B) etwas mit x × j, d.h. mit m erhalten haben. ˆ ˆ   kl kl d3 x ijk jj (x) xl Bk,l (0) = d3 x ijk jj xl − jl xj Bk,l (0) , Ki = c 2c

wobei wir die Hilfsformel (4.2.9) eingesetzt haben. Im nächsten Schritt ersetzen wir  xl jj − jl xj = (δja δlb − δjb δla ) ja xb = μjl μab ja xb = μjl j × x μ .

Der ganz rechte Term weist bereits auf m hin. Auszuwerten ist jetzt   ijk (jj xl −jl xj )Bk,l = ijk μjl j×x μ Bk,l = (δiμ δkl −δil δkμ ) j×x μ Bk,l   = j × x μ Bk,k − j × x k Bk,i . Nun ist Bk,k = ∇ · B = 0. Somit erhält man ˆ   kl (4.2.13) d3 x x × j k Bk,i = mk Bk,i = ∇i (m·B) Ki = 2c

4.3 Drehimpuls, Kraft und Drehmoment

151

Mittels (A.2.33) erhält man K = ∇(m·B) = (m·∇)B + m×(∇×B).

(4.3.4)

Potentielle Energie eines Dipols im äußeren Feld Es liegt nahe anzunehmen, dass die Energie eines magnetischen Dipols im Feld B ähnlich der des elektrischen Dipols im Feld E (2.5.12) sein muss: Ue = −p · E. Wir können dies direkt aus der Kraft (4.3.4) berechnen, die auf einen Dipol im Feld B wirkt: ˆ x ˆ B U =− dx ·∇ (m·B(x )) = −m · dB = −m·B. (4.3.5) −∞

0

U beinhaltet aber nicht die Energie, die zur Aufrechterhaltung der Stromdichte j notwendig ist, um m konstant zu halten (siehe (7.2.9)). Setzt man für B das Feld eines magnetischen Dipols (4.2.12) ein, so erhält man die Wechselwirkungsenergie zweier magnetischer Dipole an den Orten x1 = x2 :     m1 · (x2 −x1 ) m2 · (x2 −x1 )  1 kc m1 · m2 − 3 . (4.3.6) U= 2 kl |x2 −x1 |3 |x1 − x2 |2 Der Ausdruck ist völlig analog zur elektrischen Dipol-Dipol-Wechselwirkung (2.5.14). Drehmoment Für das Drehmoment sind ähnliche Transformationen wie bei der Kraft auszuführen. Wiederum ist das Vektorprodukt j×B so umzuformen, dass daraus ´ ein Ausdruck mit dem magnetischen Moment (kl /2c) d3 x x×j resultiert:    kl  xn × e vn × B(xn ) x n × Kn = N= c n n ˆ   kl d3 x x × j(x) × B(x) . (4.3.7) = c In erster Näherung ist B(x) = B(0). Dann kann nach (4.2.9) j  −x vertauscht werden: ˆ   

kl N= d3 x x × j(x)×B(0) − j(x) × x×B(0) . 2c

Benützen wir die Jacobi-Identität (A.1.59): x×(j×B) = −j×(B×x)−B×(x×j), so können wir (4.3.7) weiter umformen: ˆ   kl N=− d3 x B × x × j(x) = m × B . (4.3.8) 2c

Die Formeln für die Kraft und das Drehmoment sind analog zu denen der Elektrostatik.

152

4 Magnetostatik im Vakuum

4.3.3 Ampère’sches Kraftgesetz Das Gesetz von Biot-Savart, auf das wir in der Form von (4.1.7) Bezug nehmen, gibt uns Auskunft über das Magnetfeld einer Stromverteilung. Die Kraft, die auf eine Stromschleife wirkt, die sich in einem Magnetfeld befindet, ist in (4.3.3) angegeben. Damit können wir die Kraft bestimmen, die zwei Stromschleifen, wie in Abb. 4.11 skizziert, aufeinander ausüben.

K12 

? j1 (x)

6

? j2 (x)

kc B2 (x1 ) = ckl

6

ˆ d3 x2

Abb. 4.11. Zwei Stromschleifen j1,2 stoßen sich ab, wenn die Ströme antiparallel sind

j2 (x2 ) × (x1 −x2 ) . |x1 −x2 |3

Der Strom j2 (x) der Schleife 2 erzeugt das Feld B2 (x). Aufgrund dieses Feldes wirkt auf die Schleife 1 die Kraft1 ˆ kl d3 x1 j1 (x1 ) × B2 (x1 ) K12 = c  ˆ ˆ ˆ ˆ j1 (x1 ) × j2 (x2 )×(x1 −x2 ) kc kc 3 3 3 d d3 x2 = x = 2 d x1 d x2 1 c |x1 −x2 |3 c2     j1 (x1 )·(x1 −x2 ) j2 (x2 ) − j1 (x1 )·j2 (x2 ) (x1 −x2 ) . |x1 −x2 |3 Der 2. Term hat bereits die erwartete Symmetrie, d.h. nur das Vorzeichen der Kraft wechselt bei Vertauschung der Schleifen 1 und 2. Betrachtet werden muss so nur der 1. Term. Dieser kann in der folgenden Form geschrieben werden: ˆ ˆ   kc 1 − 2 j2 (x2 ) d3 x1 d3 x2 j1 (x1 ) · ∇1 c |x1 − x2 | ˆ ˆ    kc 1 j2 (x2 ) = 0 , d3 x1 d3 x2 ∇1 · j1 (x1 ) = 2 c |x1 − x2 |

da ∇1 · j1 = 0. Damit erhält man die Kraft ˆ ˆ kc (x1 −x2 ) d3 x1 d3 x2 j1 (x1 ) · j2 (x2 ) K12 = − 2 c |x1 −x2 |3 1

a × (b × c) = (a · c)b − (a · b)c

(Graßmann-Identität, (A.1.60))

(4.3.9)

4.3 Drehimpuls, Kraft und Drehmoment

153

in der Form des Ampère’schen Kraftgesetzes für die Kräfte zwischen zwei Stromschleifen, nach dem sich parallele Ströme anziehen, antiparallele abstoßen. Kraft zwischen zwei parallelen Drähten Gegeben sind zwei parallele Drähte der Länge L → ∞, die voneinander einen Abstand d haben (siehe Abb. 4.12). Die Berechnung des Integrals machen wir z

6

I1

6 

x1 (s1 )

I2

d

-

6

-

Abb. 4.12. Skizze mit 2 Drähten im Abstand d und x1,2 (s1,2 ) und parallelen Strömen.

x2 (s2 ) x

analog zum Abschnitt 4.1.3 (Biot-Savart). Die Kurve der Drahtmittelpunkte ist durch xi (si ) = zi ez gegeben. Für parallele Ströme ist j2 (x) = I2 ez δ(x − d)δ(y) .

j1 (x) = I1 ez δ(x)δ(y) ,

Der Drahtquerschnitt ist Fi (si ), so dass Ii = Fi (si ) ji (xi ). x1 (s1 ) = ez s1 ,

x2 (s2 ) = ex d + ez s2 ,

x1 −x2 = −dex + (s1 −s2 )ez . Damit erhält ´ man für die auf die Schleife 1 wirkende Kraft, wenn man s = s1−s2 und L = 2 ds2 einsetzt: ˆ

ˆ

−dex + (s1 −s2 )ez ds2  3 2 1 d2 + (s1 −s2 )2 ˆ ∞ −dex + sez kc ds √ = − 2 I1 I2 L 3 . c −∞ d2 + s2

K1,2 = −

kc I1 I2 c2

ds1

Die Kraft pro Längeneinheit |K1,2 /L|, die der Draht 2 auf den Draht 1 ausübt, hängt, wenn der Draht 2 unendlich lang ist, nicht vom Ort s1 ab. Die Komponente Kz verschwindet aus Symmetriegründen. So bleibt nur Kx , d.h. K1,2 = Kex , wobei es sinnvoll ist nur die Kraft pro Längeneinheit anzugeben: kc K = 2 I1 I2 L c

ˆ



d

−∞

d2 +s2

ds √

3

∞  s kc I1 I2  = kc 2I1 I2 . √ = 2 2 2 c d d +s −∞ c2 d

(4.3.10)

154

4 Magnetostatik im Vakuum

Die Kraft pro Längeneinheit auf den Draht 1 ist so anziehend für parallele Ströme und abstoßend für antiparallele Ströme. Mit (4.3.10) wurde bis 2019 die Einheit der Stromstärke, das Ampere (C.2.9) bestimmt. Man sollte darauf hinweisen, dass K/L nur durch kc , d.h. 0 , festgelegt wurde. jetzt wird μ0 = 1/kl2 0 experimentell, d.h. unabhängig vom Ampere (C.2.8), gemessen.

4.4 Magnetische Multipolentwicklung In der Magnetostatik genügt es fast immer, sich auf das höchste nicht verschwindende Moment, das Dipolmoment, zu beschränken. Die Multipolentwicklung hat hier bei Weitem nicht die Bedeutung, die sie in der Elektrostatik hat, ist aber komplexer; sie wird hier nur formal dargestellt, ohne wirklich angewandt zu werden. 4.4.1 Momente des skalaren Potentials Zunächst berechnet man mithilfe von (4.1.4) das Feld lokaler Ströme: ˆ ˆ  kc ∇ ×j(x )  j(x ) ∇→−∇ −kc j(x )  3  B= − ∇ d3 x ∇× = d x × kl c V |x−x | kl c V |x−x | |x−x | " ˆ    (A.4.5) −kc ∇ ×j(x ) kc j(x ) + . df  × d3 x =  kl c ∂V |x−x | kl c V |x−x | Der erste Term verschwindet, da an der Oberfläche von V keine Ströme sind. Wir sind allein an den Feldern außerhalb der lokalen Stromverteilung interessiert, wo ∇ × B = 0. Dort kann ein skalares Potential φm (siehe S. 142) definiert werden, das die Laplace-Gleichung Δφm = 0 erfüllt. Für dieses gilt x · B = −x · ∇φm = −r

∂ φm . ∂r

Dementsprechend berechnen wir ˆ ˆ   kc kc 3  x · (∇ × j) 3  ∇ · (j × x) = . d x d x x·B= kl c V |x − x | kl c V |x − x |

(4.4.1a)

Das folgende Integral ist null, da jeder der beiden Terme auf der rechten Seite verschwindet: Der erste nach Anwendung des Gauß’schen Satzes, da die Ströme lokal sind und der zweite Term, da das Spatprodukt zwei parallele Vektoren hat:  ˆ ˆ      1

 3  ∇ · j×(x−x ) 3   j×(x−x )  = 0. ∇ d x d x · ) ·∇ = + j×(x−x |x−x | |x−x | |x−x | V V Damit kann im Vektorprodukt von (4.4.1a) x durch x ersetzt werden. Jetzt wird noch 1/|x−x | für r > r entwickelt:

4.4 Magnetische Multipolentwicklung

x·B =

kc kl c

(3.3.8)

=

ˆ d3 x V

∇ · (j × x ) |x − x |

155

(4.4.1b)

ˆ ∞ l  4π 1  kc ∗ Ylm (ϑ, ϕ) d3 x rl Ylm (ϑ , ϕ )∇ ·(j×x ). 2l+1 rl+1 kl c V l=0

m=−l

Mithilfe von r

1 ∂ 1 ∂ 1 =− ∂r rl+1 l + 1 ∂r rl+1

kann (4.4.1b) als Entwicklung von φm in sphärische Multipolmomente dargestellt werden ∞ l 1  kc  4π (M) φm (x) = 2 Ylm (ϑ, ϕ) Qlm , kl 2l + 1 rl+1 l=0 m=−l ˆ kl (M) 3  l ∗ d x r Ylm (ϑ , ϕ ) ∇ · (j × x ) . Qlm = c(l + 1) V

(4.4.2)

Wir formen die Momente um, indem wir partiell integrieren: ˆ −kl (M) ∗ d3 x (j × x ) · ∇ rl Ylm (ϑ , ϕ ) . Qlm = c(l + 1) V Nun ist der (dimensionslose) Drehimpulsoperator definiert durch ˆ = −ix × ∇ = ieϑ L

1 ∂ ∂ − ieϕ . sin ϑ ∂ϕ ∂ϑ

(4.4.3)

Damit erhält man nach zyklischer Vertauschung die sphärischen Multipolmomente ˆ −ikl (M) ∗ ˆ  Ylm d3 x rl j · L (ϑ , ϕ ) , (4.4.4) Qlm = c(l+1) V ˆ keine radiale Komponente hat. Die sphärischen wobei zu bemerken ist, dass L Multipolmomente können mithilfe vektorieller Kugelflächenfunktionen [Hill, 1954] oder [Jackson, 2006, Gl. (9.119)] ausgedrückt werden:  ˆ l kl (M) Qlm = i d3 x rl j·X∗lm (ϑ , ϕ ) , (4.4.5) l+1 c V 1 ˆ lm (ϑ, ϕ). LY Xlm (ϑ, ϕ) =  l(l+1) 4.4.2 Vektorielle Kugelflächenfunktionen

Um ein Vektorfeld nach vektoriellen Funktionen zu entwickeln, konstruiert man drei Vektorfunktionen, die nur von Ω = (ϑ, ϕ) abhängen sollen:

156

4 Magnetostatik im Vakuum

Ylm (Ω) = er Ylm (Ω) , 1 ˆ lm (Ω) =  ir LY ∇ × Ylm (Ω) , Xlm (Ω) =  l(l + 1) l(l+1)

(4.4.6)

Zlm (Ω) = er × Xlm (Ω) .

Die so definierten vektoriellen Kugelflächenfunktionen sind orthonormal: (Yl m , Ylm ) = (Xl m , Xlm ) = (Zl m , Zlm ) = δll δmm , (Yl m , Xlm ) = (Yl m , Zlm ) = (Xl m , Zlm ) = 0 ,

(4.4.7)

wobei die Skalarprodukte Integrale über die Kugeloberfläche dΩ = dϑdϕ sin ϑ sind. Anmerkung: Die Definitionen (4.4.6) sind nicht „kanonisch“, stehen aber in engem Zusammenhang mit den Definitionen von Barrera et al. [1985]: Ylm (Ω) = er Ylm (Ω) ,



Φlm (Ω) = x × ∇Ylm (Ω) = i



Ψlm (Ω) = r∇Ylm (Ω) = −i

l(l+1) Xlm (Ω) ,

(4.4.8)

l(l+1) Zlm (Ω) .

Unterschiede bestehen vor allem in der Normierung, wobei Verifizierung der Orthogonalität Zu zeigen ist, dass die Vektorfunktionen (4.4.6) orthonormal sind, d.h., dass sie die Bedingungen (4.4.7) erfüllen. Man sieht unmittelbar, dass Yl m · Xlm = Yl m · Zlm = 0 , ˆ = 0 bzw. er · (er × Xlm ) = 0. Weniger trivial ist es, die Orthogonalität von da er · L Xl m · Zlm = Xl m · (er × Xlm ) = (Xlm × Xl m ) · er zu zeigen. Hierzu berechnen wir

Wir erhalten so



 



 1 ∂ ∂  1 ∂ ∂  −1  − eϕ − eϕ eϑ Ylm × eϑ Yl m l(l+1) sin ϑ ∂ϕ ∂ϑ sin ϑ ∂ϕ ∂ϑ   1 1 ∂Ylm ∂Yl m ∂Ylm ∂Yl m = (eϑ × eϕ ) . + (eϕ × eϑ ) l(l + 1) sin ϑ ∂ϕ ∂ϑ ∂ϑ ∂ϕ

Xlm ×Xl m =

Xl m · Zlm =





1 1 ∂Ylm ∂Yl m ∂Ylm ∂Yl m . − l(l + 1) sin ϑ ∂ϕ ∂ϑ ∂ϑ ∂ϕ

Für das Skalarprodukt der Vektorfunktionen folgt daraus ˆ ˆ   dΩ ∂Ylm ∂Yl∗ m 1 ∂Ylm ∂Yl∗ m . − (Xl m , Zlm ) = dΩ X∗l m ·Zlm = l(l+1) sin ϑ ∂ϑ ∂ϕ ∂ϕ ∂ϑ

Nun werden der 1. Term bezüglich ϑ und der 2. Term bezüglich ϕ partiell integriert:

4.4 Magnetische Multipolentwicklung (Xl m , Zlm ) =

157

ϑ=π ˆ  ˆ 2π ∂Yl∗ m  ∂ 2 Yl∗ m 1 dΩ dϕ Ylm − Ylm  l(l + 1) ∂ϕ ϑ=0 sin ϑ ∂ϑ∂ϕ 0 ϕ=2π ˆ  ˆ π 2 ∗ ∗ dΩ ∂ Yl m ∂Yl m  + . dϑ Ylm − Ylm  ∂ϑ sin ϑ ∂ϑ∂ϕ 0 ϕ=0

Es bleiben nur die Randterme zurück, wobei der 2. Randterm wegen Ylm (ϑ, ϕ) = Ylm (ϑ, ϕ + 2π) verschwindet. Das gilt auch für den 1. Randterm, wenn das Integral über ϕ ausführt wird: ˆ 2π 2π ∂Yl∗ m (ϑ, ϕ) −m  ∗  dϕ Ylm (ϑ, ϕ) Y (ϑ, ϕ) Y (ϑ, ϕ) =    = 0, m = m . lm l m ∂ϕ m − m 0 0 Für m = m ist der Integrand von ϕ unabhängig, und wir erhalten ˆ 2π   ∂Y ∗ (ϑ, ϕ) ϑ=π ∗ ∗ dϕYlm (ϑ, ϕ) l m  = 2πim Ylm (0, ϕ)Yl m (0, ϕ)−Ylm (π, ϕ)Yl m (π, ϕ) . ∂ϕ ϑ=0 0

Da die Produkte von ϕ unabhängig sind, setzen wir im 1. Term ϕ → ϕ + π und verwenden die Symmetrie Ylm (ϑ−π, ϕ+π) = (−1)l Ylm (ϑ, ϕ). Damit ist gezeigt, dass die drei Vektorfunktionen orthogonal sind (2. Zeile von (4.4.7)). Es bleibt noch zu zeigen, dass die einzelnen Vektoren orthonormiert sind, was für Ylm direkt aus der Orthonormalität (3.2.36) der Ylm folgt: ˆ (Yl m , Ylm ) = dΩ Yl∗ m (Ω) Ylm (Ω) = δll δmm , ˆ −1 ˆ lm , ˆ l∗ m ) · LY dΩ (LY l(l + 1) ˆ   ∂Yl∗ m ∂Ylm 1 ∂Yl∗ m ∂Ylm −1 dΩ + = . l(l + 1) ∂ϕ ∂ϑ ∂ϑ sin2 ϑ ∂ϕ

(Xl m , Xlm ) =

Nach partieller Integration erhält man ˆ π ˆ 2π   ∂Ylm ϕ=2π dϑ ∂Ylm ϑ=π −1 Yl∗ m (Xl m , Xlm ) = + dϕ Yl∗ m   l(l + 1) ∂ϕ ϕ=0 ∂ϑ ϑ=0 0 sin ϑ 0  ˆ ˆ 2 Ylm . − dΩ Yl m L Die beiden Randterme verschwinden aus denselben Gründen, die wir bei der Herˆ2 leitung von (Xl m , Zlm ) angeführt haben. Ylm sind die Eigenfunktionen von L mit den Eigenwerten l(l + 1) (siehe (3.2.9)). Mit diesen erhalten wir die gesuchte Orthonormalitätsbedingung (Xl m , Xlm ) = δll δmm . Die Orthonormalität für Zlm folgt unmittelbar aus Z∗l m · Zlm = (er × X∗l m ) · (er × Xlm ) = X∗l m · Xlm , da Xlm · er = 0. Somit ist (4.4.7) verifiziert.

158

4 Magnetostatik im Vakuum

Die Entwicklung nach vektoriellen Kugelflächenfunktionen Mit den Basisvektoren, den vektoriellen Kugelflächenfunktionen Xlm , Ylm und Zlm kann nun ein beliebiges Vektorfeld v wie das magnetische Vektorpotential A entwickelt werden [Barrera et al., 1985, Gl. (3.22)]: v=

∞  l   l=0 m=−l

Z QYlm Ylm + QX X + Q Z lm lm lm lm .

(4.4.9)

Hierbei sind die Qlm die sphärischen Multipolmomente von v QYlm (r) = (Ylm , v),

QX lm (r) = (Xlm , v),

QZ lm (r) = (Zlm , v)

(4.4.10)

Integrale über die Kugeloberfläche. Der longitudinale Anteil des Feldes, d.h. die zu er parallele Komponente, wird allein durch Ylm beschrieben. Mittels ˆ = −iijk ∇i xj ∇k = 0 ∇· L

und

ˆ L·∇ = −iijk xi ∇j ∇k = 0

(4.4.11)

erhält man ˆ ˆ ˆ ∇·Xlm Q(r) = Ylm L·∇Q(r) + Q(r)L·∇Y lm (Ω) + Q(r)Ylm (Ω)∇· L = 0. Der Anteil des Feldes von Xlm ist quellenfrei. Aufgaben zu Kapitel 4 4.1. Unendlicher gerader Draht: Berechnen Sie das reguläre Potential 1. φ einer Linienladung λ 2. A eines Linienstroms I mithilfe der Green-Funktion G1 (x−x0 , x −x0 ) =

1 1 −  , |x −x| |x − x0 |

wobei der Draht auf der z-Achse liegt und x0 = 0 ein in der xy-Ebene frei zu wählender Konvergenzpunkt ist. 4.2. Magnetfeld einer rotierenden Scheibe: Eine unendlich dünne kreisförmige Scheibe vom Radius a sei homogen geladen (σ). Die Scheibe liege in der xy-Ebene mit ihrem Mittelpunkt im Ursprung und rotiere mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die z-Achse. 1. Berechnen Sie das magnetische Moment m der Scheibe. 2. Berechnen Sie B näherungsweise analog zur Kreisschleife und 3. exakt auf der z-Achse und vergleichen Sie mit dem Dipolfeld für |z| a. 4.3. Feld einer endlichen Spule: Das Feld B einer Spule der Länge 2l (Radius a) soll in erster Ordnung von κ = 2 a/(ρ2 + a2 + (z±l)2 ) berechnet werden. Für r l und r a sollte die Näherung ein Dipolfeld ergeben. Vergleichen Sie die Näherung insbesondere auf der z-Achse mit dem exakten Resultat.

Aufgaben zu Kapitel 4

159

4.4. Vektorpotential einer halbunendlichen Dipollinie. Zu berechnen ist ˆ x − x dx × . A=g |x − x |3 C Der Weg C ist die Gerade: x = sn mit −∞ < s ≤ 0, wobei n ein beliebig orientierter Einheitsvektor ist. 1. Berechnen Sie das Vektorpotential (siehe (4.2.48)). ˆ 1 4ax + 2b 1 √ dx √ = 3 2 2 + bx + c 4ac − b 2 ax ax + bx + c

Hilfsintegral

2. Nehmen Sie an, dass n = ez . Der Weg C, der sogenannte Dirac-string ist dann die negative z-Achse. Geben Sie A in Kugelkoordinaten an (siehe ebenfalls (4.2.48)) und berechnen Sie Bp = rot A in Kugelkoordinaten für 0 ≤ ϑ < π und r > 0. 3.

6 

?



z -



ϑ

x

-

Bestimmen Sie mithilfe von Bp den Fluss Φb durch einen Kreis K des Radius (siehe nebenstehende Skizze). Zeigen ˛ Sie, dass das ¨ Ampère-Gesetz ∂K

dx · A =

K

df · Bp + 2πg(1 − sgn z)

für ϑ > π/2 nicht erfüllt ist, da von Bp der Fluss der Dipollinie (Solenoid) nicht erfasst wird.

4.5. Feld einer halbunendlichen Spule. In einer zylindrischen, halbunendlichen Spule (Solenoid) mit dem Radius a und der Wicklungsdichte n fließe der Strom I. n sei hoch genug, so dass die Steigung pro Windung vernachlässigt werden und der Strom somit als kontinuierlicher Kreisstrom betrachtet werden kann, wie man ihn bei einem geladenen rotierenden Zylinder vor sich hätte. z

yI 9

O 

: z x Abb. 4.13. Halbunendliches Solenoid (Spule) mit dem Radius a → 0; das Feld B, das am Ende des Solenoids austritt, ist das R

 W -

2a

eines Monopols. Die Spule erstreckt sich entlang der z-Achse von −∞ < z ≤ 0

1. Berechnen Sie B innerhalb und außerhalb der Spule (Biot-Savart) und nehmen Sie an, dass die Spule dünn ist: B = Bs + Bp Hinweis: Berechnet man B ohne Näherungen, so erhält man die Lösung in Form von elliptischen Integralen 1., 2. und 3. Art; da dies nicht sehr anschaulich ist, sollten Sie die Näherungen machen, die denen von B der endlichen Spule sehr ähnlich sind (siehe (4.2.41)); Integrale sind im Abschnitt B.5.2 zu finden. 2. Machen Sie den Limes a → 0 und geben Sie B für diesen Fall an: Wie steigt der Strom an und wie ist die Stärke des Monopols definiert? 4.6. Nochmals Monopol: Ausgangspunkt ist wieder das Solenoid Abb. 4.13. Für eine allgemeine Orientierung n gilt (4.2.48) A=g

n×x . r(r + n · x)

160

4 Magnetostatik im Vakuum

1. Verifizieren Sie A = rot a = g

n×x , r(r + n · x)

a = −g ln(r + n · x) n .

2. Diesen Ansatz für A können Sie verwenden, um zu zeigen, dass für n = ez B = rot A = g

x + 4πg ez δ(x)δ(y)θ(−z) r3

gleich dem einer Punktquelle mit einer singulären Linie ist. Hinweis: Mithilfe der Darstellung A = rot a kann das Feld B = rot rot a = grad div a − Δa = Bp + Bs in zwei Teile, die einzeln berechnet werden, zerlegt werden. Um insbesondere den singulären Beitrag von Bs zu bestimmen, integrieren Sie über eine Kugel (Zylinder), die die negative z-Achse einschließt. 3. Verifizieren Sie noch, dass div Bs = − div Bp und div A = 0. 4. Zeigen Sie, dass B das Ampère’sche (Durchflutungs-) Gesetz erfüllt, d.h., berechnen Sie rot B. Hinweis: Gehen Sie davon aus, dass Bs der Grenzfall des Feldes in einer Spule mit endlichem Radius a ist, analog zum endlichen Draht, den wir durch eine Linie ersetzen konnten. 4.7. Magnetfeld einer rotierenden Kugel: Eine homogen geladene Kugel vom Radius R und der Ladungsdichte ρ0 rotiert mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω. 1. Berechnen Sie das magnetische Moment m der Kugel. 2. Berechnen Sie das Vektorpotential außerhalb der Kugel, wobei Sie dieses durch m ausdrücken sollen, und berechnen Sie noch B. 1 Hinweis: Die Integration über ϑ kann mithilfe der Entwicklung von nach |x−x | Legendre-Polynomen (3.3.7) relativ elegant ausgeführt werden. Aus physikalischen Überlegungen wissen Sie, dass B das Feld eines Dipols sein muss. 4.8. Kraft zwischen Stromschleifen: Die Kraft pro Längeneinheit (4.3.10) die zwei unendlich lange und parallele Drähte aufeinander ausüben wird zur Definition des Ampères herangezogen.



j1c

?

j1d



-j1a Lx

F1b 2b =

y

6

- F x j1b 6 j2b 6 -d-

-

Bei endlicher Länge erwarten wir Korrekturen, die hier für zwei gleiche rechteckiL j ?ge Stromschleifen berechnet werden sol2d len. Diese sind, der Skizze entsprechend j2a ? in der xy-Ebene angeordnet. - Zeigen Sie, dass Lx j2c

6

 2I1 I2  2 L + d2 − d e x 2 dc

die Kraft ist, die die beiden Teilströme j1b und j2b aufeinander ausüben. Berechnen Sie darüber hinaus noch die Kraft, die zwischen j1a und j2a und j1c und j2c wirkt. Ist diese anziehend oder abstoßend?

Literaturverzeichnis

161

Resultat: F1a,2a + F1c,2c =

d(d + 2Lx ) 2I1 I2 ln ex . c2 (d + Lx )2

4.9. Wechselwirkungsenergie magnetischer Dipole. Gegeben seien zwei magnetische Momente m1 und m2 . m1 liege im Ursprung und x zeige von m1 zu m2 , das nicht notwendigerweise auf der z-Achse liegt, wie es die Skizze ϑ m2 m1 2   vorgibt. ϑ1 I m1 · m2 = m1 m2 cos θ , m1 · x = m1 r cos ϑ1 und m2 · x = -θ x z m2 r cos ϑ2 Hilfsformel: cos θ = cos ϑ1 cos ϑ2 + sin ϑ1 sin ϑ2 cos(ϕ1 − ϕ2 ). 1. Bestimmen Sie die Wechselwirkungsenergie der beiden Dipole und die Kraft, die die beiden Dipole aufeinander ausüben. 2. Wie stellen sich die Dipole ein, wenn sie frei aufgehängt sind, und welche Kraft üben die beiden Dipole in der Konfiguration minimaler Energie aufeinander aus? 4.10. Magnetfeld der Erde: Dieses kann näherungsweise durch das Feld eines magnetischen Punktdipols im Mittelpunkt der Erdkugel beschrieben werden. Ferner nehmen wir an, dass der geografische Nordpol und der magnetische Südpol zusammenfallen, so dass die südlichen magnetischen Breitengrade (< 0) mit den nördlichen geografischen Breitengraden (> 0) zusammenfallen (keine Deklination). Das Feld ist so am Äquator parallel zur Erdoberfläche und zeigt auf der Nordhalbkugel in die Erde; dieser Winkel wird Inklination genannt. 1. Nehmen Sie an, dass auf dem 48. Breitengrad die horizontale Komponente H = 18 A/m beträgt und berechnen Sie daraus das magnetische Moment der Erde (m = 8.7 Oe cm2 ). 2. Geben Sie noch den Zusammenhang zwischen geografischer Breite und der Inklination an und zeigen Sie, dass dieser auf dem 48. Breitengrad etwa 66 Grad beträgt. Hinweis: Nehmen Sie für den mittleren Radius der Erde R = 6 370 km. 4.11. Summenregel für vektorielle Kugelflächenfunktionen: Zeigen Sie, dass l 

m=−l

|Xlm (ϑ, ϕ)|2 =

l 

m=−l

|Zlm (ϑ, ϕ)|2 =

2l+1 . 4π

Literaturverzeichnis R.G. Barrera, G.A. Estévez and J. Giraldo Vector spherical harmonics and their application to magnetostatics, Eur. J. Phys. 6, 287–294 (1985) R. Becker, F. Sauter Theorie der Elektrizität 1, 21. Aufl. Teubner, Stuttgart (1973) P.A.M Dirac Quantised Singularities in the Electromagnetic Field, Proc. R. Soc. A133, 60-72 (1931) P.A.M Dirac The theory of Magnetic Poles, Phys. Rev. 74, 817 (1948)

162

4 Magnetostatik im Vakuum

E.L. Hill The Theory of Vector Spherical Harmonics, Am. J. Phys. 22, 211–214 (1954) J. D. Jackson Klasssische Elektrodynamik, 4. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin (2006) H. Nowotny Elektrodynamik und Relativitätstheorie, Skriptum an der TU-Wien, http://tph.tuwien.ac.at/ rebhana/ED-Skriptum/ (2006)

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Die Maxwell’schen Gleichungen (1.3.21”) beschreiben die elektromagnetischen Vorgänge in Anwesenheit von elektrischen Ladungen, Strömen und elektromagnetischen Feldern. Alle bisher betrachteten Vorgänge waren zeitunabhängig. Vorgegebene Ladungsverteilungen ρ(x) erzeugen elektrische Felder und vorgegebene Ströme j(x) magnetische Felder. Bestimmt werden konnten die Kräfte und Momente, die die Ladungsverteilungen aufeinander ausüben. Als Randbedingungen sind Flächen konstanten Potentials (Leiter) vorgekommen. Für die Beschreibung haben wir die Poisson-Gleichung mit den entsprechenden (meist Dirichlet’schen) Randbedingungen herangezogen. In Materie (Festkörper) ist die Situation insofern komplexer, als Atome oder Moleküle nicht frei beweglich, sondern an ihre (Gitter-)Plätze gebunden sind. Sie können elektrisch neutral sein, eine Ladung (Ionen) tragen und/oder permanente Dipolmomente (Multipolmomente) haben. Unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes werden sich die Ladungen, etwa von Kern und Elektronenhülle, gegeneinander verschieben, was ein induziertes Dipolmoment ergibt. Natürlich treten auch alle höheren Multipolmomente auf, nur ist deren Einfluss, vor allem bei größeren Distanzen, klein im Vergleich zum Dipol. Bei diesen Ladungen, die an das Molekül und/oder den Kern gebunden und für dielektrische Eigenschaften verantwortlich sind, spricht man von gebundenen Ladungen. Man unterscheidet diese von den freien Ladungen, den Quellen der dielektrischen Verschiebungsdichte D (5.2.17), die in der älteren Literatur wahre Ladungen genannt werden. Dort wiederum werden die Quellen von E als freie Ladungen bezeichnet [Föppl, 1894, §41], [Abraham, Becker, 1930, §32]. Die Unterscheidung von freien und gebundenen Ladungen ist naheliegend, da für die Beschreibung makroskopischer Eigenschaften, wie der Polarisierbarkeit eines Mediums, die Heranziehung der mikroskopischen Felder nicht geeignet ist.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_5

164

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Die Felder, die durch die Maxwell-Gleichungen im Vakuum beschrieben werden, werden in den folgenden Abschnitten als mikroskopische Felder e und b bezeichnet. Es ist für makroskopische Vorgänge weder möglich noch nötig die Felder der gebundenen Ladungen aus den mikroskopischen Maxwell-Gleichungen zu berechnen. Vielmehr führt man mittlere Felder, eine mittlere Ladungsverteilung und eine mittlere Stromverteilung ein.

5.1 Die mikroskopischen Gleichungen Ausgangspunkt sind die Maxwell-Gleichungen im Vakuum (1.3.21), wobei hier die mikroskopischen Felder klein geschrieben werden (E → e und B → b), um eine deutliche Unterscheidung zu den langsam variierenden makroskopischen Feldern zu machen: (a) (c)

div e = 4πkc ρ,

(b)

1 4πkc j, e= c c

(a)

kl rot b −

.

rot e +

.

kl b = 0, c

(5.1.1)

div b = 0 .

Wir teilen Ladungen und Ströme in die Beiträge von freien und gebundenen Ladungen und Strömen: ρ(x, t) = ρf (x, t) + ρb (x, t), j(x, t) = jf (x, t) + jb (x, t).

(5.1.2)

Es wird gezeigt, dass ρb für die Polarisation P des Mediums verantwortlich ist und jb für die Magnetisierung M. Gebundene Ladungen In Materie enthält ρ neben eventuell vorhandenen freien Ladungen, vor allem in Atomen, Ionen oder Molekülen, gebundene Ladungen:   ρb (x, t) = (5.1.3) qn − pn (t) · ∇ δ(3) (x−xn ). ρn (x−xn (t)) ≈ n

n

Hier wird über alle Moleküle summiert; xn = xn (t) ist die momentane Position des Moleküls n. Wir wissen aus dem Abschnitt über die Multipolentwicklung, dass auch eine komplizierte Ladungsverteilung für die Berechnung des Feldes in größerer Entfernung von der Ladungsverteilung durch eine kleine Zahl von Momenten dargestellt werden kann. Eine einfache Abschätzung zeigt, dass es genügt, beim Dipolterm abzubrechen. qn ist die Ladung des Moleküls und pn sein Dipolmoment (das permanent oder induziert sein kann).

5.1 Die mikroskopischen Gleichungen

165

Induziertes Dipolmoment: Das Atom n sei elektrisch neutral. Ist en die positive Kernladung, so hat die Elektronenschale die Ladung −en . Im Feld E bewegt sich vor allem die leichte Schale entgegen der Feldrichtung um d und es entsteht ein elektrischer Dipol (siehe Abb. 5.1):





ρn (x) = en δ(3) (xn −x) − δ(3) (xn− −x) . Im Ladungsschwerpunkt der negativen Schale verschwindet das Dipolmoment der negativen Schale und der Dipol ist (antiparallel zu d) von dort zum Kern hin gerichtet: xn− = xn + dn . ρn (x) ≈ −en dn ·∇n δ(3) (xn −x) = −pn ·∇δ(3) (x−xn ). Die Lage des Kerns xn wird als zeitunabhängig angenommen, so dass die gesamte Zeitabhängigkeit sich auf das Dipolmoment pn (t) beschränkt. Nimmt man nun statt eines neutralen Atoms ein Ion mit der Ladung qn , so kommt man zu (5.1.3) . en

* dn   pn 1 -en

xn xn−

Abb. 5.1. Induziertes Dipolmoment eines neutralen Atoms mit der Kernladung en . xn ist der Ort des Atomkerns und xn− der Ladungsschwerpunkt der elektronischen Schale, die um −dn verschoben ist; es ist pn = −en dn

Aufgrund der Ladungsneutralität erwarten wir, dass nur der Dipolbeitrag  ρp (x, t) = −∇· pn (t) δ(3) (x−xn ) = −∇ · p(x, t) (5.1.4) n

auftritt, wobei die Dipolmomente sowohl induziert als auch permanent sein können. Gebundene Ströme Betrachtet wird das Atom/Molekül n, das sich im Ursprung befinden soll (xn = 0). Seine Ladungsverteilung ρn (x, t) ist verantwortlich für die Polarisierbarkeit und jn (x, t) für das magnetische Moment mn , das induziert oder permanent sein kann. Skalares und Vektorpotential sind gegeben durch ˆ ˆ   kc 3  ρn (x , t) 3  jn (x , t) , A . (5.1.5) φn (x, t) = kc d x d (x, t) = x n |x − x | ckl |x − x | Man nennt diese Potentiale quasistatisch, da sie die statischen Potentiale der Ladungs- und Stromverteilung zur Zeit t sind, d.h. ρn (x , t) bzw. jn (x , t) tragen instantan zu den Potentialen bei. In der Ampère-Maxwell-Gleichung ∇×(∇×An )

(A.2.38)

=

∇(∇·An ) − ΔAn =

.

1 4πkc jn (x, t) − ∇φn ckl ckl

166

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

.

wird der Term ∇ (∇ · An ) durch den Verschiebungsstrom −∇φn /4π kompensiert, was man mithilfe der Kontinuitätsgleichung überprüfen kann. Das bedeutet zugleich, dass die in der Magnetostatik geltende Bedingung ∇ · An = 0 verletzt ist. Wir berücksichtigen in der im atomaren Bereich sehr guten Näherung nur Beiträge der elektrischen und magnetischen Dipolmomente pn und mn , was nach (4.2.3) und (4.2.4) ˆ ˆ

   1 kc  1 3   d3 x jn (x , t) + d x x× x ×j (x , t) + . . . An (x, t) = n kl cr 2cr3 ergibt. Setzen wir nun entsprechend (4.2.8) und (4.2.1) ˆ ˆ ˆ kl 3    3   d3 x x × jn (x , t) pn = d x x ρn (x , t) = d x jn (x , t), mn = 2c

.

.

ein, so erhalten wir

mn × x kc  kl An (x, t) = 2 pn + + . . . kl cr r3

.

(5.1.6)

Aus (5.1.5) und (5.1.6) folgt ˆ j(x , t) kc 4πkc d3 x Δ jn (x, t) ΔAn = =−  ckl |x − x | ckl kc  c 1 1

= 2 pn Δ − Δ mn × ∇ . kl kl r r

.

Der Strom jn = jnp + jnm besteht aus dem Polarisationsanteil jnp und dem magnetischen Anteil jnm :

.

jnp = pn δ(3) (x)

jnm =

kl c 1 Δmn ×∇ = − mn ×∇δ(3) (x). 4πkl r c

Summiert über alle Teilchen n folgt   c jb = jp + jm = pn (t) + ∇×mn (t) δ(3) (x−xn ). k l n

.

(5.1.7)

(5.1.8)

Anmerkung 1 : Bei der Herleitung haben wir die Retardierung vernachlässigt (siehe A in Coulomb-Eichung (8.2.52)). Die quasistatischen Potentiale (5.1.5) sind nur für kleine Distanzen (Nahfeld) gültig und genügen ∇·An =

.

kc k l 1 1 p ·∇ − ∇·(mn ×∇ ) kl2 c n |x−xn | |x−xn |

da auf der rechten Seite nur der 2. Term verschwindet.



= 0 ,

Anmerkung 2 : Die Kerne haben wir als statisch betrachtet xn (t) = xn (0) , da die leichteren Elektronen schneller auf Feldänderungen reagieren; unter dieser Voraussetzung haben wir sowohl ρnp berechnet als auch An , so dass die Kontinuitätsgleichung

.

5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen

.

167

ρn (x, t) = −∇ · jn (x, t) = −∇ · jnp (x, t) mit der Rechnung konsistent ist; dass auch der Kern einen Beitrag zur Stromdichte liefert, ist physikalisch klar. Die das magnetische Moment bildenden Kreisströme jm tragen nichts bei, da





∇ · jnm = −(c/kl )∇· mn e × ∇δ(3) (x−xn ) = 0. Die magnetischen Momente der Atome müssen nicht aus Kreisströmen resultieren, sondern können auch durch die intrinsischen Drehmomente der Elektronen, den Spin S, hervorgerufen werden.

5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen Wir sind anfangs von punktförmigen Ladungsträgern ausgegangen und haben im Abschnitt 1.1 durch Mittelung von ρ und j über ein kleines Volumen ΔV kontinuierliche Ladungs- und Stromdichten ρ¯ und ¯j eingeführt. Zeitliche und räumliche Ableitungen vertauschen mit dem Mittelungsprozess, wie wir bei der Herleitung der Kontinuitätsgleichung für gemittelte Ladungsverteilungen (1.1.15) gezeigt haben. Daher macht es in den physikalischen Gesetzen keinen Unterschied, ob unsere Dichten stetig oder diskret sind, weshalb wir die Unterscheidung zwischen gemittelten und kontinuierlichen Dichten fallen gelassen haben. Hier kommen die in einem Medium vorhandenen gebundenen Ladungen (Ströme) hinzu, deren mittlere Dichte als Divergenz (Rotation) eines Vektorfeldes dargestellt wird, das letztlich dem elektrischen (magnetischen) Feld zugeschlagen wird und so zu einer Änderung der Maxwell-Gleichungen führt. 5.2.1 Die mittlere Ladungsverteilung Die Mittelung der Ladungsdichte haben wir im Abschnitt 1.1 mit einer normierten Verteilung ˆ d3 x f (x−x ) = 1 V

der Reichweite ΔV 1/3 realisiert, wie in Abb. 1.2 skizziert. Wir werden diese Mittelung hier auf ρb anwenden, wobei für den mittleren Abstand a zweier Atome die Ungleichungen a  ΔV 1/3  V 1/3 einzuhalten sind. Für den 1. Term von ρb (5.1.3) gilt wegen der Ladungsneutralität ˆ   1  (3) qn δ (x−xn ) = d3 x f (x−x ) qn δ(3) (x −xn ) = qi = 0. ΔV n n xi ∈ΔV

168

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Den Dipolbeitrag (5.1.4) integriert man partiell und vertauscht ∇  −∇: ˆ  ρ¯p (x, t) = − d3 x f (x−x )∇ · pn δ(3) (x −xn ) n ˆ 3  d x pn f (x−x ) δ(3) (x −xn ) = −∇ · P(x). = −∇· n

Als Polarisation P bezeichnet man das Dipolmoment pro Einheitsvolumen: ˆ   P(x) = pn δ(x−xn ) = pn d3 x f (x−x )δ(3) (x −xn ) n

=

1 ΔV

n



(5.2.1)

pn .

xn ∈ΔV (x)

Die gemittelte Dichte ist damit gegeben durch ρ¯(x, t) = ρf (x, t) + ρp (x, t)

mit

ρp (x, t) = −∇ · P(x, t) .

(5.2.2)

Bei Größen wie der Polarisation, die nach (5.2.1) als Summe atomarer (molekularer) Momente definiert ist, kann immer die Mittelung mit der Ableitung vertauscht werden:   ∇· pn (t) = ∇ · pn = ∇ · P. n

n

Das gilt auch für die Zeitableitung, wie bereits im Abschnitt 1.1 gezeigt wurde. 5.2.2 Die mittlere Stromdichte Nach (1.1.9) ist die mittlere Stromdichte definiert durch ˆ ¯j(x, t) ≡ d3 x f (x−x ) j(x , t) , wobei in j die mikroskopische Stromdichte (5.1.8) einzusetzen ist j(x, t) = jf (x, t) +

.

 c pn (t) + ∇×mn (t) δ(3) (x−xn ) . kl n

Die Mittelung des mikroskopischen Stroms ergibt

.

¯j(x, t) = jf (x, t) + P(x, t) + c ∇×M(x, t) , kl

(5.2.3)

wobei wir (1.1.14) verwendet haben, gemäß der die Mittelung mit dem Nabla Operator vertauscht werden darf:

jp =



5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen

.

.

169

pn δ(3) (x−xn ) = P,

n

 c c c ∇ × mn δ(3) (x−xn ) = ∇× mn δ(3) (x−xn ) = ∇×M. jm = kl n kl k l n Hier sind P die Polarisation (5.2.1) und M die Magnetisierung M=

 n

mn δ(3) (x − xn ) =

1 ΔV



mn

xn ∈ΔV (x)

(5.2.4)

= magnet. Dipolmoment/Volumeneinheit. Da div jm = 0, lautet die Kontinuitätsgleichung   ρp (x, t) = −∇· jp (x, t)+jm (x, t) = −∇ · jp (x, t) .

.

(5.2.5)

.

Wir können nach (5.2.2) −ρp = ∇ · P mit der Divergenz von P identifizieren und nach (5.2.3) jp mit P. Damit ist die Kontinuitätsgleichung erfüllt. Zurückgreifend auf (5.1.6) erfüllt das Vektorpotential A=

.

 1 

kc  kl P − M×∇ kl2 cr r

nicht die Eichbedingung ∇·A = 0. 5.2.3 Mittelung der Felder Das mikroskopische elektrische Feld e setzt sich nach dem Superpositionsprinzip aus der Summe der Felder der einzelnen Ladungen zusammen, so wie sich das Magnetfeld b als Summe der Anteile der einzelnen magnetischen Momente darstellen lässt. Da nun die Ableitungen mit der Mittelung bei den Ladungen und Strömen vertauschen, muss das auch für die Felder gelten: ∇·E= ∇·e ¯ = ∇·e. Die entsprechenden Gleichungen gelten auch für alle übrigen Felder und deren Ableitungen. 5.2.4 Die makroskopischen Maxwell-Gleichungen  (a) Gauß’sches Gesetz ∇ · e = 4πkc ρf +ρp ). Die Mittelung ergibt   ∇·E = 4πkc ρf + ρp , ρp = −∇ · P.

(5.2.6)

Man führt ein neues makroskopisches (Hilfs-)Feld D ein, das die Polarisierbarkeit des Mediums berücksichtigt, die sogenannte elektrische Flussdichte:

170

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

D = 0 E+4πkr P.

(5.2.7)

Das Gauß’sche Gesetz lautet nun (kr = kc 0 ) ∇·D = 4πkr ρf .

.

kl (b) Faraday’sches Induktionsgesetz ∇ × e + b = 0. c Durch die Mittelung werden die homogenen Maxwell-Gleichungen in ihrer Form nicht verändert: ∇×E+

.

kl B = 0. c

.

 1 4πkc  jf + jp + jm . (c) Ampère-Maxwell-Gleichung kl ∇×b − e = c c Die Mittelung ergibt

.

 4πkc  1 kl ∇×B − E = jf + jp + jm . c c

.

.

.

. .

Nun ist jp = P. Dieser Beitrag kommt zu E, aus dem so 0 E+4πkr P = D wird. Der Beitrag der magnetischen Dipole zum Strom ist jm =

c ∇×M. kl

Hier wird ein neues Hilfsfeld H durch B = μ0 (H+4πkr M)

(5.2.8)

eingeführt. Man erhält so die Ampère-Maxwell-Gleichung in der Form ∇×H =

.

 1 kl  4πkr jf + D , 2 μ0 0 kl c

μ0 =

1 . kl2 0

(5.2.8’)

Wir haben hier die noch unbestimmte Konstante μ0 in einer Weise festgelegt, die sinnvoll für die hier in Frage kommenden Systeme ist. Im Anhang, (C.2.7) wird darauf anhand der Feldenergie Bezug genommen. (d) Divergenzfreiheit des Magnetfeldes ∇·b = 0 =⇒ ∇·B = 0. Materialgleichungen Die Maxwell-Gleichungen bilden erst dann ein geschlossenes System, wenn die Materialgleichungen (5.2.7) für D und (5.2.8) für H einbezogen werden. Sie werden daher auch als Verknüpfungsgleichungen oder seltener als konstitutive Gleichungen bezeichnet. Für die Polarisation P gilt, dass – mit Ausnahme ferroelektrischer Dielektrika – in der Abwesenheit eines Feldes E entweder überhaupt keine Dipole

5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen

171

vorhanden sind, oder, wenn es spontane Dipolmomente gibt, so sind diese ungeordnet. In jedem Fall ist P = 0, wenn E = 0. Für nicht zu starke Felder ist P proportional zu E: P = 0 χe E.

(5.2.9)

χe ist die elektrische Suszeptibilität und = 1+4πkr χe

(5.2.10)

ist die (relative) Dielektrizitätskonstante. 0 wird auch Influenzkonstante oder elektrische Feldkonstante genannt; sie definiert das Verschiebungsfeld: D = 0 E = 0 E + 4πkr P.

(5.2.11)

Anmerkungen: 1. Der lineare Zusammenhang D = 0 E gilt abgesehen von Ferroelektrika (Bariumtitanat, Seignette-Salz) bis zu sehr hohen Feldern. Die üblichen im Labor produzierten Felder  20 kV cm−1 sind klein gegen die interatomaren Felder ∼ 106 kV cm−1 .

2. Der skalare Zusammenhang gilt für Gase, Flüssigkeiten, isotrope und kubische Festkörper. In Materialien mit niedrigerer Symmetrie ist  ein Tensor 2. Stufe. 3. Die (statische) elektrische Suszeptibilität χe ≥ 0. Somit ist r ≥ 1.

4. Die Suszeptibilitäten bestimmen die lineare Antwort eines Systems auf eine äußere Störung; χe etwa ist als tensorielle Größe definiert durch χeij =

∂Pi . 0 ∂Ej

Wenn die Anisotropie des Dielektrikums bemerkbar wird, so drückt sich das, wie vorher bemerkt, in der Dielektrizitätskonstanten aus.

Wie in der Elektrostatik brauchen wir eine Materialgleichung, die B und H verknüpft. In Analogie zur Elektrostatik würde sich die Definition der magnetischen Suszeptibilität χb durch den linearen Zusammenhang M=

1 χb B μ0

(5.2.12)

anbieten. Daraus folgt gemäß (5.2.8) H=

 1 1 1 1 − 4πkr χb B = B − 4πkr M = B. μ0 μ0 μμ0

Meist wird aber nicht H durch B ausgedrückt, sondern umgekehrt. Man schreibt also   B = μμ0 H = μ0 H + 4πkr M = μ0 (1 + 4πkr χm )H. (5.2.13)

172

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

μ ist die (magnetische) Permeabilität oder magnetische Feldkonstante und χm , definiert durch χb χm = M = χm H, , (5.2.14) 1 − 4πkr χb ist die magnetische Suszeptibilität in der üblichen Definition, wobei die rechte Gleichung den Zusammenhang mit der vorher definierten Suszeptibilität χb herstellt. Die Verbindung zur Permeabilität ist durch μ=

1 = 1 + 4πkr χm 1 − 4πkr χb

(5.2.15)

gegeben. In der üblichen Formulierung sind magnetostatische Probleme mit jf = 0 direkt mit den elektrostatischen Problemen vergleichbar. Ein Unterschied besteht darin, dass in der Magnetostatik für Materialien, die man diamagnetisch nennt, μ < 1 ist. Für μ > 1 ist das Material paramagnetisch. Die magnetische Suszeptibilität χm ist – analog zu χe – definiert durch χm ij =

∂Mi , ∂Hj

d.h., dass wir es auch hier im allgemeinsten Fall mit einem Tensor zu tun haben. Das trifft auf einige Kristalle nicht kubischer Struktur zu. So sind ein paar diamagnetische (Graphit), paramagnetische (Olivin) und vor allem ferromagnetische Stoffe anisotrop. Bei Ferromagneten kommt hinzu, dass M keine lineare Funktion von H ist. Man muss daher zusätzlich angeben, wie χm bzw. μ definiert ist. Sind die elektrischen (x) und/oder magnetischen Feldkonstanten μ(x) der Materie keine Funktionen von E oder H, so wird die Materie linear genannt (lineares Medium). Maxwell-Gleichungen in Materie Es ist für die makroskopischen Maxwell-Gleichungen unerheblich, ob die freien Ladungen ρf (Ströme jf ) eine kontinuierliche (gemittelte) Ladungsdichte (Stromdichte) darstellen oder diskret sind: (a)

div D = 4πkr ρf ,

(c) rot H −

.

kl kl D = 4πkr jf , c c

(b) rot E + (d)

.

kl B = 0, c

(5.2.16)

div B = 0.

1 ) Im Gauß-System ist kl = kr = 1 einzusetzen und im SI-System (kl = c, kr = 4π

(a) G:

div D = 4πρf ,

.

1 4π (c) rot H − D = jf , c c

.

1 (b) rot E + B = 0, c (d)

div B = 0,

(5.2.16”)

5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen

(a) SI:

.

div D = ρf ,

(c) rot H − D = jf ,

.

(b) rot E + B = 0, (d)

173

(5.2.16’)

div B = 0.

Die Mittelung gilt für gebundene Ladungen (Ströme) in der Materie, wo sie in der Form von Materialgleichungen B = μμ0 H = (1 + 4πkr χm )μ0 H = μ0 (H + 4πkr M), D = 0 E = (1 + 4πkr χe ) 0 E = 0 E + 4πkr P

(5.2.17)

die Verbindung zu den (Hilfs-)Feldern in der Materie herstellen. B = μH = (1+4πχm)H = H+4πM,

G:

D = E = (1+4πχe )E = E+4πP,

SI:

B = μμ0 H = (1+χm)μ0 H = μ0 (H+M), D = 0 E = (1+χe ) 0 E = 0 E+P.

E D P  χe

elektrisches Feld elektrisches Verschiebungsfeld Polarisation Dielektrizitätskonstante elektrische Suszeptibilität

H B M μ χm

(5.2.17”)

(5.2.17’)

Magnetfeld in Materie Magnetfeld/magnetische Flussdichte Magnetisierung Permeabilität magnetische Suszeptibilität (H)

Obwohl in mancher Hinsicht χb (5.2.12) die Entsprechung zu χe wäre, wird im Zusammenhang mit Magnetismus χm verwendet. 5.2.5 Randbedingungen an den Grenzflächen zweier Medien Die integrale Form der Maxwell-Gleichungen erhält man aus (1.3.20), indem man gemäß (5.2.16) in den inhomogenen Gleichungen die Felder E und B durch D und H ersetzt und berücksichtigt, dass nur freie Ladungen und freie Ströme beitragen: " ¨ ˆ ˛ kl 3 (a) df · B, df ·D = 4πkr d x ρf , (b) dx·E = − c F ¨ V ˛ ∂V "∂F   kl (c) dx·H = df · 4πkr jf + D , (d) df ·B = 0 . (5.2.18) c F ∂F ∂V

.

.

Aus der integralen Form (5.2.18) kann man die Stetigkeitsbedingungen für die Felder beim Übergang von einem Medium zum anderen herleiten, wenn man infinitesimale Volumina (Zylinder für die Normalkomponente) oder Flächen (Rechtecke für Tangentialkomponenten) an den Grenzflächen betrachtet. Aus den Maxwell-Gleichungen (a) und (d) folgen die Bedingungen für die Normalkomponenten von D und B und mit den Materialgleichungen die von E und H.

174

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Die Maxwell-Gleichungen (b) und (c) legen die Übergangsbedingungen für die Tangentialkomponenten von E und H fest. Wiederum erhält man die Bedingungen für die fehlenden Felder, diesmal D und B aus den Materialgleichungen. Divergenzfreiheit der magnetischen Flussdichte Ausgangspunkt ist die Maxwell-Gleichung (5.2.18d), wobei das Volumen ΔV ein Zylinder infinitesimaler Höhe dh mit der Basisfläche Δf ist (siehe Abb. 5.2). Die Grundfläche befindet sich im Medium 1, die Deckfläche im Medium 2. Die Situation ist also völlig analog zu den bisher betrachteten Randbedingungen der Normalkomponente En zwischen Vakuum und Leiter oder einer Flächenladung: n

6 dh

K

2 Δf 1

dh

t1 t2

 6 6 ? Δl -n 6 - ?

Abb. 5.2. Randbedingungen zwischen den Medien 1 und 2. Links oben ein Zylinder mit dem Volumen ΔV = Δf dh. Rechts unten ein Rechteck mit der Fläche ΔF = Δl dh. Die Tangentialkomponenten t1 , t2 und der Normalenvektor n bilden ein rechtshändiges KS (Koordinatensystem)

" ∂ΔV

df · B = (B2 − B1 ) · nΔf .

Die Beiträge der Mantelfläche verschwinden in jedem Medium separat. Es bleiben also nur die Normalkomponenten, die, da es keine magnetischen Monopole gibt, stetig sind: Bn1 = Bn2 .

(5.2.19)

In magnetischen Medien hat die Normalkomponente des Magnetfeldes H eine Diskontinuität, die von der Magnetisierung herrührt: μ2 Hn1 = μ1 Hn2 .

(5.2.20)

Gauß’sches Gesetz Die inhomogene Maxwell-Gleichung (5.2.18a) ist das Gauß’sche Gesetz, das auf eine zylinderförmige Scheibe an der Grenzfläche, wie in Abb. 5.2 skizziert, angewandt wird:

5.2 Die Mittelung der mikroskopischen Größen

"

175

ˆ df ·D = 4πkr

∂ΔV

d3 x ρf = 4πkr Q = 4πkr σΔf = (D2 −D1 )·nΔf.

ΔV

Der Beitrag der Mantelfläche verschwindet in beiden Medien separat, so dass nur Basis- und Deckfläche bleiben. Befindet sich auf der Grenzfläche eine Flächenladung, so bleibt Q auch bei kleiner werdender Höhe des Zylinders endlich und die Normalkomponente der dielektrischen Verschiebung ist unstetig: Dn2 − Dn1 = 4πkr σ.

(5.2.21)

Die Normalkomponente des elektrischen Feldes hat jedoch auch beim Fehlen von freien Ladungen an der Grenzfläche einen Sprung, der von den Polarisationsladungen des Dielektrikums herrührt: 2 En2 = 1 En1 + 4πkr σ/ 0 .

(5.2.22)

Faraday’sches Induktionsgesetz ΔF ist ein kleines Rechteck mit einer infinitesimalen Seite dh senkrecht auf die Grenzfläche zwischen beiden Medien, wie in Abb. 5.2 dargestellt. Mit dh → 0 geht auch ΔF → 0. Daraus folgt insbesondere, dass auch ΔF B · t2 → 0, da B (und die zeitliche Ableitung) immer endlich sind und daher ihr Beitrag mit ΔF → 0 ebenfalls verschwindet: ˛ ¨ kl ds·E = − df · B = 0 = t1 ·(E2 − E1 )Δl c ΔF ∂ΔF

.

= (t2 ×n)·(E2 − E1 )Δl = (n×(E2 − E1 ))·t2 Δl . Berücksichtigt ist, dass sich die Beiträge der Normalkomponenten (i = 1, 2) dh  Ei (x) − Ei (x + Δl t1 ) · n = 0 2

gegenseitig aufheben. Obiges Skalarprodukt verschwindet für jeden Vektor der tangentialen Ebene (n × (E2 −E1 )) · (αt1 +βt2 ) = 0. Die Stetigkeit der Tangentialkomponenten wird so dargestellt durch n × (E2 − E1 ) = 0.

(5.2.23)

Für die Tangentialkomponenten der dielektrischen Verschiebung folgt daraus 2 n × D 1 = 1 n × D 2 .

(5.2.24)

176

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Ampère-Maxwell-Gesetz Betrachtet wird wiederum ein Rechteck, das durch die Grenzfläche der beiden Medien geht, wie in Abb. 5.2 dargestellt. Das Ampère-Maxwell-Gesetz lautet für dieses ˛ ¨   kl kl ds · H = df · 4πkr jf + D = 4πkr K·t2 Δl. c ΔF c ∂ΔF

.

mit dem Flächenstrom ˆ   1 K = dh jf + D , 4πkr

.

der entlang der Grenzfläche endlich sein soll: Alle Komponenten, die nicht parallel zur Oberfläche sind, verschwinden mit dh → 0, so dass nur der δAnteil der Oberfläche zurückbleibt. Es ist also ˛ kl ds · H = t1 · (H2 − H1 )Δl = 4πkr K·t2 Δl. c ∂ΔF Die Normalkomponenten von H bringen keinen Beitrag zum Wegintegral. Man substituiert wieder t1 = t2 × n und vertauscht zyklisch: kl 4πkr K = n×μ0 (μ2 B2 −μ1 B1 ), c SI: n×(H2 −H1 ) = K = n×μ0 (μ2 B2 −μ1 B1 ). n×(H2 −H1 ) =

(5.2.25)

Beim Vorhandensein eines Flächenstroms an der Grenze zweier Medien sind also auch die Tangentialkomponenten von H unstetig, was natürlich auch eine Änderung des Sprunges von B nach sich zieht. Zusammenfassung der Randbedingungen 1. Sind die Felder (D, B) an den Randflächen quellenfrei, d.h. ist ∇·D = 0 bzw. ∇ · B = 0, so ist die zugehörige Normalkomponente stetig. Gezeigt wird das mittels eines infinitesimalen Zylinders (’Pillendose’). Der Sprung (D2 −D1 )·n = 4πkr σ tritt auf, wenn sich an der Oberfläche freie Ladungen befinden. 2. Sind die Felder (E, H) an den Randflächen wirbelfrei, d.h. ist ∇×E = 0 bzw. ∇ × H = 0, so sind die zugehörigen Tangentialkomponenten stetig. Gezeigt wird das mittels eines infinitesimalen Rechteckes, das durch die Randfläche geht. Existiert an der Randfläche ein Flächenstrom K, so tritt eine Unstetigkeit von n×(H2 −H1 ) = (kl /c)4πkr K auf.

5.3 Ohm’sches Gesetz

177

5.3 Ohm’sches Gesetz 5.3.1 Drude-Modell der elektrischen Leitung Freie Elektronen genügen der Bewegungsgleichung

.

me v = −e0 E, da bei kleinen Geschwindigkeiten der Einfluss des Magnetfeldes vernachlässigt werden kann. Es ist eine bemerkenswerte Folge der Wellenmechanik, dass das periodische Gitter, skizziert in Abb. 5.3, die Bewegung der Elektronen nicht stört. Der einzige Einfluss ist, dass die Masse me nicht die freie, sondern eine effektive Masse ist. • Abb. 5.3. Elektron im eindimensionalen periodischen Potential

In jedem Gitter gibt es Unregelmäßigkeiten, und die Stöße an solchen Defekten bremsen die Bewegung der Elektronen. Defekte spielen insbesondere bei tiefen Temperaturen eine Rolle. Mit zunehmender Temperatur kommt es jedoch zu Wechselwirkungen mit den Gitterschwingungen, den Phononen. Im sogenannten Drude-Modell für Metalle geht man von freien Elektronen aus, die untereinander nicht wechselwirken, sondern nur mit den Atomen, d.h. den Phononen. Durch einen Stoß wird das Elektron im Mittel auf v0  = 0 abgebremst und erreicht nach einer Zeit t, zu der es wieder am Gitter anstößt, die Geschwindigkeit v(t) = −e0 tE/m. Die Zeiten t seien zufällig, wie in Abb. 5.4 skizziert, und genügen daher einer Poisson-Verteilung mit der Stoßzeit τ . Man erhält so die Driftgeschwindigkeit ˆ e0 Eτ 1 ∞ eEt −t/τ vd = dt e =− . (5.3.1) τ 0 me me Die Stromdichte ist nach (1.1.9) gegeben durch jf = −e0 n vd = (ne20 τ /me ) E = σ E ,

(5.3.2)

wobei n die Dichte der Elektronen angibt. Dieser lineare Zusammenhang ist das bekannte Ohm’sche Gesetz mit der (Gleichstrom-)Leitfähigkeit σ = ne20 τ /me .

(5.3.3)

(5.3.2) hat vielleicht nicht die vertraute Form, die man mit dem Ohm’schen Gesetz verbindet. Nimmt man einen homogenen Leiter (Draht) der Länge l

178

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

v

6 vd

t

Abb. 5.4. Komponente der Geschwindigkeit parallel zu E; zwischen den Stößen werden die Elektronen beschleunigt, woraus eine Driftgeschwindigkeit vd resultiert

mit dem Querschnitt F und legt an diesen eine Spannung V = El an, so fließt ein Strom I = j F , wobei der Widerstand gleich R = l/σF ist: (j F ) = (E l)(σF/l)



I = V /R.

(5.3.2’)

Anmerkung: Alle diese Materialbeziehungen gelten als instantane Relationen nur für langsame zeitliche Veränderungen. Das Ohm’sche Gesetz kann aber in allgemeinerer Form für anisotrope, nicht lokale und zeitabhängige Wechselwirkungen formuliert werden, wobei j auch gebundene Ströme einschließt [Bruus, Flensberg, 2004, (6.15)] ˆ ji (x, t) = d3 x dt σij (x, x , t−t ) Ej (x , t ). (5.3.2”)

5.3.2 Joule’sche Wärme Die Energie, die das Teilchen beim Stoß an das Gitter abgibt, ist der Joule’schen Wärme zuzurechnen. Zu bestimmen ist also die mittlere kinetische Energie, die das Elektron im elektrischen Feld gewinnt und durch Stöße an das Medium abgibt: ˆ 1 ∞ e20 E 2 t2 −t/τ e2 τ 2 E 2 e Ekin (τ ) = dt e = 0 . τ 0 2me me Die pro Zeiteinheit produzierte Wärme ist für n Elektronen pro Volumeneinheit (im Folgenden wird statt jf wieder j verwendet)

.

Ekin =

nEekin = σE 2 = j · E . τ

.

Sie ist der Zuwachs an mechanischer Energie pro Volumeneinheit umech . Somit ist die gesamte Joule’sche Wärme pro Zeiteinheit ˆ Umech = d3 x j(x)·E(x). (5.3.4)

.

Bisher sind wir von isotropen Systemen bzw. von Systemen mit kubischer Symmetrie ausgegangen. In anisotropen Systemen ist σ ein Tensor. In Anwesenheit eines Magnetfeldes gilt die Symmetrierelation σik (B) = σki (−B). Sie folgt aus den Symmetrieeigenschaften der kinetischen Koeffizienten (OnsagerReziprozitäts-Beziehung), auf die hier nicht näher eingegangen wird. Wir zerlegen σ in einen symmetrischen und einen antisymmetrischen Anteil:

5.3 Ohm’sches Gesetz

σik (B) = sik (B) + aik (B)



sik (B) = ski (B) = ski (−B) aik (B) = −aki (B) = aki (−B) .

179

(5.3.5)

Die pro Zeiteinheit erzeugte Joule’sche Wärme

.

umech(x, t) = j · E = sik Ei Ek

(5.3.6)

wird allein durch den symmetrischen Teil des Leitfähigkeitstensors bestimmt, da aik Ei Ek = 0, wie man durch Vertauschung von i mit k sofort sieht. Die sik hängen von B erst in 2. Ordnung ab, so dass hinreichend kleine B nicht zu den „mechanischen“ Energieverlusten beitragen. Diese Beschreibung hat Schwächen. Die mittlere freie Weglänge ist der Messung besser zugänglich. Sie ist definiert durch τ = ¯l/v. Die Geschwindigkeit v setzt sich zusammen aus einer Geschwindigkeit vth und vd . Bei vth denkt man an die thermische Geschwindigkeit, wenn kein Feld vorhanden ist:  vth = 3kb T /me . Im Allgemeinen wird vth vd sein, so dass vd vernachlässigt werden kann. Die Leitfähigkeit ist dann σ = ne20 ¯l/me vth. Messungen zeigen jedoch, dass ¯l größer ist als es nach obiger Formel zu erwarten wäre. Eine Ursache liegt daran, dass vor allem Elektronen in der Nähe  der Fermi-Energie zum Strom beitragen und so vth zu ersetzen ist durch vF = 2EF /me . Bei Metallen liegt man im Bereich von ¯ l ∼ 102 − 103 Å. Alternative Beschreibungen des Energieverlustes

1. Man kann die Bewegung der Ladungsträger in einem Leiter mit der in einem zähen Medium mit großem Reibungswiderstand vergleichen, was für Ionenleiter eher zutrifft als für Metalle. Danach besitzen die Ladungsträger eine der Kraft eE proportionale Geschwindigkeit v = μe eE , wobei μe die Beweglichkeit ist. Zum Strom kommt man durch Multiplikation mit ρ = en: j = σE

mit σ = ne2 μe .

Ersetzt man die Beweglichkeit durch die Stoßzeit τ = μe me , so kommt man wieder auf die Gleichstromleitfähigkeit (5.3.3). 2. Wegen der Stöße kann ein Elektron, über längere Zeit betrachtet, dem Feld nur verzögert folgen. Wir können die Bewegungsgleichung für das Elektron auf die Form bringen: me v(t+dt) = me v(t) + eEdt + O(dt2 ). Der Einfluss der Stöße wird dadurch berücksichtigt, dass im Intervall [t, t + dt] der Bruchteil dt/τ einen Stoß erleidet. Die Bewegungsgleichung muss daher modifiziert werden, wobei Terme der Ordnung O(dt2 ) vernachlässigt werden:

180

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie



me v(t+dt) = 1 − dt/τ

 

me v(t) + eEdt





= me v(t) − (me /τ )v(t) − eE dt .

Das ist eine aus der Mechanik bekannte Bewegungsgleichung me me v = −e0 E − v (5.3.7) τ für Teilchen mit einer durch Reibung verursachten Dämpfung 1/μe . Wir kommen auch hier zum Ohm’schen Gesetz, indem wir (5.3.7) mit v multiplizieren (E(x) = E):

.

.



.



me x2 d me x2 + e0 E · x = − . dt 2 τ Die rechte Seite gibt die Dissipation pro Zeiteinheit an. Im stationären Fall, also bei Mittelung über eine längere Zeit, ist v = 0 und damit

.

n e0 E · x = −j · E = −n

.

.

m e x2 , τ

woraus folgt

j=

ne20 τ E = σE . me

3. Einen anderen, recht allgemeinen Zugang bekommt man durch die zeitliche Änderung der kinetischen Energie der Teilchen. Ausgehend von n Teilchen kann man die Änderung der gesamten kinetischen Energie angeben mit

.

.

. .

.

.

   e d  me x2n xn · eE(xn ) + xn × B me xn · x ¨n = = dt 2 c n n n ˆ ˆ   (3) 3 = xn ·eE(xn ) = d x eδ (x−xn )x·E(xn ) = d3 x j(x)·E(x).

Ekin =

.

n

n

Widerstand eines Drahtes In Abb. 5.5 ist ein Draht der Länge L mit dem Querschnitt F (s), an dessen Enden die Punkte A und B liegen, skizziert. Ausgehend vom Ohm’schen Gesetz j(x) = σ E(x) bestimmen wir die Potentialdifferenz zwischen den Endpunkten A und B: : j

B

A

Abb. 5.5. Skizze mit Draht, Enden A und B, Querschnitt F (s) und Länge L; φA > φB

ˆ φ(xA ) − φ(xB ) =

ˆ

B A

ds · E =

ds ·

jF (s) = IR. σF (s)

I = j F (s) ist der im Draht fließende Strom und R ist der (gesamte) Ohm’sche Widerstand des Drahtes: ˆ B 1 R= . (5.3.8) ds σF (s) A Spezialfall: Sind die Leitfähigkeit σ und der Querschnitt F konstant, so ist R = L/σF , wobei L die Länge des Drahtes ist.

5.3 Ohm’sches Gesetz

181

5.3.3 Hall-Effekt Fließt in einem Leiter ein Strom j und befindet sich der Leiter in einem Magnetfeld B, so wirken auf die Elektronen Coulomb- und Lorentz-Kraft (1.2.5): f c + f l = me

  dv kl = −e0 E + v×B . dt c

Wir erwarten, dass die Elektronen zum Rand hin seitlich abgelenkt werden. Gleichzeitig baut sich so eine zum Draht transversale Spannung auf, wie in Abb. 5.6 skizziert, bis das rücktreibende Feld Eh die Lorentz-Kraft kompensiert. In diesem stationären Zustand bewegen sich die Elektronen wieder entlang des Leiters in z-Richtung Eh = −

kl kl v×B = − j×B. c nec

 b  Uh -−− −

+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + +

x B

z E 6 j

v ?

− − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − −

f l Eh y

a 

Abb. 5.6. Hall-Effekt in einem metallischen Leiter; die Lorentz-Kraft f l treibt die Elektronen an den Rand, wobei die Spannung Uh aufgebaut wird, deren Feld Eh der Kraft fl entgegenwirkt

Der Hall-Koeffizient (für freie Ladungsträger) ist [Ludwig, 1970, (2.98a)] Rh = kl /nec.

(5.3.9)

Für Elektronen mit e = −e0 ist Rh < 0 . Leicht nachgewiesen werden kann Uh , deren Vorzeichen Auskunft über die Ladungsträger gibt. Für eine Sorte an Ladungsträgern (Elektronen) ergibt sich die Hall-Spannung (abj = −Iez ) ˆ

b

Uh = Rh 0

ds·(j×B) = −Rh IB/a.

Nachgewiesen wurde der Effekt 1879 von Hall1 zu einer Zeit, als weder die Existenz von Elektronen gesichert, noch die elektrische Leitung verstanden war. Bei der Herleitung des Hall-Koeffizienten (5.3.9) sind wir von isotropen Systemen (bzw. von Systemen mit kubischer Symmetrie) ausgegangen. In Systemen 1

Edwin Hall, amerikanischer Physiker 1855–1938.

182

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

mit niedrigerer Symmetrie haben wir σ durch einen Tensor ersetzt, dessen Inverse R Rik (B) = Rki (−B) ebenfalls die Symmetrie (5.3.5) erfüllt. Nach B entwickelt2 , erhält man   (0) 1 (2) (1) Ei = Rik + Rik;l Bl + Rik;lm Bl Bm + . . . jk . 2

Hierbei sind (0)

(0)

(1)

(1)

(2)

Rik;l = −Rki;l ,

Rik = Rki ,

(2)

Rik;lm = Rki;lm .

(1)

h können durch die neun Komponenten Die Hall-Koeffizienten Rik;l = ikj Rjl eines Tensors 2. Stufe dargestellt werden: (0)

h Ei = Rik jk + ikj Rjl Bl jk . (0)

h = Rh δjl , woraus In kubischen (isotropen) Systemen sind Rik = R0 und Rjl folgt

E = R0 j + Rh j × B . Thomson-Effekt: Ist B parallel zu j, so verschwindet der (transversale) Hall-Effekt und es gibt nur eine longitudinale Widerstandsänderung in 2. Ordnung in B. Hall-Winkel: Wenn der transversale Strom (jx ) nicht verschwindet, so ist der HallWinkel definiert durch

 Eh  kl e0 Bτ = = ωc τ .

tan ϑh = 

E

me c

E ist, wie in Abb. 5.6 skizziert, parallel zum Strom. Das gesamte Feld ist Etot = E + Eh . ωc = kl e0 B/me c

(5.3.10)

ist die Zyklotronfrequenz des Elektrons. Magnetowiderstand: Widerstandsänderungen R(B) können in vielen Fällen durch die phänomenologische Kohler’sche Regel (R(B) − R(0))/R(0) = f (B/R(0)) beschrieben werden. f ist eine für die Probe charakteristische Funktion und R(0) = R0 der spezifische Widerstand für B = 0. Wenn der transversale Strom jx verschwindet, d.h., wenn Eh die Lorentz-Kraft kompensiert, dann ist der Widerstand R (im Drude-Modell) unabhängig von B.

2

Natürlich gilt auch die Linearität von E und j nicht streng.

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld

183

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld Etwas aus dem Rahmen des Kapitels, d.h. der Elektrodynamik in Materie, fallen die Bewegungsgleichungen für das Elektron im elektromagnetischen Feld im Vakuum. Jedoch nach den folgenden zwei Unterabschnitten sind wir mit den London-Gleichungen wieder in Materie. 5.4.1 Lagrange- und Hamilton-Funktion des Elektrons Prinzip der kleinsten Wirkung oder Hamilton’sches Prinzip Die Wirkung ([erg s]) hat in der klassischen Mechanik die Form ˆ t2 S= dt L(q, q, t) ,

.

.

t1

(5.4.1)

. ...

wobei q und q die verallgemeinerten Koordinaten (Ort: xi , r, ϑ, ϕ, ... und Geschwindigkeit: xi , r, ϑ, ϕ, ...) sind. Die Euler-Lagrange’schen Bewegungsgleichungen erhält man durch Minimierung von S durch Variation von q und q, wobei man die Endpunkte festhält, wie in Abb. 5.7 skizziert: ˆ t2 ˆ t2   ∂L ∂L δS = dt L(q + δq, q + δ q, t) − L(q, q, t) = dt δq + δq = 0 . ∂q ∂q t1 t1

.

. .

.

.

..

Im zweiten Term verwenden wir die Relation δ q = dδq/dt und integrieren q(t) + δq(t)

t2

> 

q(t) Abb. 5.7. Mögliche Wege zwischen dem Anfangspunkt q(t1 ) und dem Endpunkt q(t2 )

t1

partiell, wobei der Randterm wegen δq(t1 ) = δq(t2 ) = 0 nichts beiträgt: t ˆ t2  d  ∂L  ∂L ∂L  2 δq  + − δq = 0 . dt δS = ∂q ∂q dt ∂ q t1 t1

.

.

Das Integral verschwindet für beliebige δq nur, wenn ∂L d  ∂L  = 0. − ∂q dt ∂ q

.

(5.4.2)

Das sind die Euler-Lagrange-Gleichungen, die die Bahnkurve festlegen, die das Teilchen zwischen festgehaltenen Punkten wählt. Der verallgemeinerte Impuls ist definiert durch

184

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

p=

.

∂L . ∂q

(5.4.3)

Jetzt betrachten wir Bahnen, die wieder zur Zeit t1 vom Ort q1 ausgehen und zu einem festen Ort q2 gehen, den sie zu verschiedenen Zeiten t2 erreichen. Ersetzen wir t2 → t, so erhält man die Hamilton-Jacobi’sche Differentialgleichung dS ∂S dq ∂S =L= + dt ∂q dt ∂t

.

∂S = L − p q = −E. ∂t



.

Diese Bahnen erfüllen die Euler-Lagrange-Gleichungen, so dass der Integrand von δS verschwindet, d.h. δS = ∂L = p, was wir in die vorhergeδq oder ∂S ∂q ∂q hende Gleichung eingesetzt haben. Die Lagrange-Funktion für ein Punktteilchen der Masse m im Potential V (x) ist [Schwabl, 2008, S. 266], [Landau, Lifschitz I, 1969, §2] L(x, v) =

mv 2 − V (x) 2

(5.4.4)

mit den Euler-Lagrange’schen Bewegungsgleichungen d  ∂L  ∂L = ∂x dt ∂v



.

p = m¨ x = −∇V (x) .

(5.4.5)

Herleitung der Lagrange-Funktion aus der Lorentz-Gleichung Unter der Lorentz-Gleichung verstehen wir die Bewegungsgleichung eines geladenen Teilchens (Elektrons) unter dem Einfluss der Lorentz-Kraft (1.2.5). Das ist die Euler-Lagrange-Gleichung für ein geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld m

  dv kl =e E+ v×B . dt c

(5.4.6)

Für diese ist die zugehörige Lagrange-Funktion zu bestimmen. Wird B durch ein Vektorfeld A (siehe (4.1.2)) dargestellt B = rot A , so ist div B = 0 automatisch erfüllt. Damit folgt aus dem Induktionsgesetz (1.3.21c)

.

 kl  rot E + A = 0. c

Verschwindet die Rotation eines Vektors, so ist dieser aus einem skalaren Potential herleitbar

E+

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld

.

kl A = −∇φ c



E = −∇φ −

.

kl A. c

185

(5.4.7)

Eingesetzt in (5.4.6) erhält man3

.

d kl e kl e  mvi = −e∇i φ − v·(∇i A) − (v·∇)Ai . Ai + dt c c

Berücksichtigt man noch

.

dAi = Ai + v · ∇Ai , dt so lautet (5.4.6) kl e  kl e d mv + A = −e∇φ + ∇(v·A). dt c c

(5.4.8)

Es ist einfach nachzuprüfen, dass (5.4.8) aus der Lagrange-Funktion L=

m v2 kl e + v· A−eφ 2 c

(5.4.9)

hergeleitet werden kann. Gemäß (5.4.3) ist p=

∂L kl e = mv + A ∂v c

(5.4.10)

der verallgemeinerte Impuls oder kanonische Impuls. mv = p − kl eA/c ist der kinetische Impuls. Die zugehörige Hamilton-Funktion ist definiert durch H(p, x) = p · x − L(x, v) =

mv 2 + eφ. 2

Man ersetzt v durch p und erhält, wenn man wieder V (x, t) mitnimmt: H(p, x, t) =

2 kl e 1  p− A(x, t) + e φ(x, t) + V (x, t) . 2m c

(5.4.11)

Die Berücksichtigung des elektromagnetischen Feldes in der Hamilton-Funktion H = p2 /2m + V (x) geschieht durch Ersetzen von p = mv → p−kl eA/c und H → H + eφ, was Minimal-Substitution genannt wird.

3

Hilfsformel: [a × (∇ × b)]i = a · ∇i b − a · ∇ bi

186

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

5.4.2 Bewegung eines Teilchens im äußeren Feld Homogenes Magnetfeld Die Bewegungsgleichung für ein geladenes Teilchen ist durch die Lorentz-Kraft (5.4.6) gegeben, wobei B das homogene äußere Magnetfeld ist. Ohne elektrisches Feld erhält man dv = v × ωc dt

ωc =

mit

kl e B. mc

(5.4.12)

Zerlegt man v = v + v⊥ in seine Komponenten parallel und senkrecht zu B, so erhält man

.

v⊥ = v⊥ × ωc

.

v = 0 .

und

(5.4.13)

Man legt nun das KS so fest, dass B = Be3 und setzt v⊥ v⊥ (t) = √ (e1 − ie2 )e−iωc t 2

mit

ωc =

kl eB = |ωc | sgn e mc

(5.4.14)

ein, wobei |ωc | die Zyklotronfrequenz (5.3.10) ist, die uns bereits beim HallEffekt begegnet ist. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass (5.4.14) Lösung von (5.4.13) ist:

.

 v⊥  v⊥  v⊥ v⊥ = √ e1 −ie2 )×e3 ωc e−iωc t = √ − e2 −ie1 ωc e−iωc t = −iωc √ . 2 2 2

Das Teilchen bewegt sich so gemäß

v⊥  v(t) = v0 + √ e1 − ie2 )e−iωc t 2

(5.4.15)

mit gleichbleibender Geschwindigkeit v schraubenförmig entlang des Magnetfeldes. Der Drehsinn hängt dabei vom Vorzeichen der Ladung ab und ist für e > 0 im Uhrzeigersinn orientiert. Für den Ortsvektor ergibt sich daraus x(t) = x0 + v0 t − i sgn e

v⊥  √ e1 − ie2 ) e−iωc t . ωc 2

(5.4.16)

Der Radius der Kreisbewegung, der sogenannte Gyroradius oder LarmorRadius, ist a = v⊥ /|ωc |.

(5.4.17)

Die Energie des Teilchens E = mv 2 /2 bleibt konstant, was wir erwarten können, wenn die Kraft immer senkrecht auf die Bewegungsrichtung wirkt:

.

dE = mv · v = 0 . dt

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld

187

Anmerkungen: In (5.4.6) haben wir für den Impuls p = mv eingesetzt, was nur für Geschwindigkeiten mit v  c gilt. Die exakte Relation wäre p = γmv mit  γ = 1/ 1−v 2 /c2 (siehe (14.2.14)). Es wird dann ωc = kl eB/(γmc) kleiner und der Radius der Schraubenbewegung entsprechend größer. In einem systematischeren Lösungsverfahren von (5.4.6) – siehe Aufgabe 5.1 – definiert man

.v = k eB  l

i

mc

ˆ = ωc Rij vj

mit

ijk vj Bk

Rij = ijk Bk /B

den Tensor R und hat mit v(t) = eωc Rt v0 eine Lösung, die die Anfangsbedingung erfüllt, wobei ωc = |ωc | sgn e .

Gekreuztes magnetisches und elektrisches Feld Zum homogenen, statischen Feld B = Bez kommt noch ein ebenfalls homogenes und statisches Feld E = E⊥ ey + E ez . In Komponenten-Schreibweise ist (5.4.6)

. . . v

vx = ωc vy e vy = E⊥ − ωc vx m

=⇒

. .

vx +ivy =

ie E⊥ − iωc (vx +ivy ), m

(5.4.18)

e E . (5.4.19) m Die homogene Lösung, für die E⊥ = 0, haben wir bereits hergeleitet: z

=

vx + ivy = v0⊥ e−iωt+ϕ0 . Für positive Ladungen ist das die in (5.4.15) hergeleitete Kreisbewegung im Uhrzeigersinn. Eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung ist vx + ivy =

eE⊥ cE⊥ = , mωc kl B

woraus die Lösung folgt: vx + ivy = v0⊥ e−iωt+ϕ0 + vz = v0 +

eE t . m

cE⊥ kl B

(5.4.20)

Mit E wird die Schraubenbewegung um B beibehalten, nur die Ganghöhe ändert sich. Betrachtet man viele Teilchen, für die v0⊥ im Mittel am Anfang verschwindet, so sieht man, dass in der zu B senkrechten Ebene zur Kreisbewegung

188

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

eine mittlere Driftgeschwindigkeit vx + ivy  = cE⊥ /kl B in x-Richtung hinzukommt, die noch dazu unabhängig vom Vorzeichen der Ladung ist. Diese Drift ist senkrecht auf E⊥ und B und kann so dargestellt werden als v⊥  =

c E⊥ ˆ × B. kl B

(5.4.21)

Ausgegangen sind wir von der nicht relativistischen Näherung p = mv und müssen daher die Gültigkeit von (5.4.21) auf |v⊥ |  c einschränken, woraus E⊥  B folgt. (a) verlängerte Zykloide: E⊥ /B < v0⊥ (kl /c) (b) gewöhnliche Zykloide: E⊥ /B = v0⊥ (kl /c) (c) verkürzte Zykloide: E⊥ /B > v0⊥ (kl /c) Abb. 5.8. Bahn eines geladenen Teilchens in xy-Ebene

Die nochmalige Integration mit den Anfangsbedinungen x0 = 0 und ϕ = 0 ergibt v0⊥ cE⊥ t , sin(ωc t) + ωc kl B  v0⊥  y= cos(ωc t) − 1 . ωc

x=

(5.4.22) (5.4.23)

Für ein kleines E⊥ wird, solange |v⊥ | = cE⊥ /kl B < v0⊥ , aus der Kreisbewegung, wie in Abb. 5.8a skizziert, eine verlängerte Zykloide. Für E⊥ /B = v0⊥ kl /c ist die Bahn des Teilchens eine gewöhnliche Zykloide4 (Abb. 5.8b) und für E⊥ /B > v0⊥ /c eine verkürzte Zykloide (Abb. 5.8c). Penning-Falle In einem Bereich, in dem Δφ = 0, kann ein Teilchen in keine stabile Gleichgewichtslage gebracht werden, da nach dem Theorem von Earnshaw (siehe S. 101) das Potential φ dort kein Minimum (Maximum) hat. Mit einem zusätzlichen Magnetfeld B kann man jedoch Teilchen einfangen, wie anhand der Penning-Falle gezeigt wird. Brown und Gabrielse [1986] erwähnen in ihrem Review u.a. Präzisionsmessungen des gyromagnetischen Faktors g, die mittels einer solchen Falle durchgeführt wurden [Van Dyck, Schwinberg, Dehmelt, 1984]. 4

x = vτ − a sin τ und y = v − a cos τ ist für a = v die gewöhnliche, für v < a die verlängerte und für v > a die verkürzte Zykloide.

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld

189

Wir nehmen jetzt ein harmonisches Potential, das positive Ionen (Ladung q > 0, Masse M ) in der z-Richtung auf einen kleinen Bereich eingrenzt und in der xy-Ebene abstößt: φ=

V0  2 2  , z − 2d2 2

(5.4.24)

wobei d in Abb. 5.9 erklärt ist. Die Äquipotentialflächen von V sind Rotaφ+

z

B 6

z0 d

φ−



φ+

φ− 0



Abb. 5.9. Die beiden Elektroden mit φ+ sind die Rotationshyperboloide z 2 = z02 + 2 /2, und die Ringelektrode mit φ− ist das Rotationshyperboloid z 2 = ( 2 − 20 )/2. Charakteristische Länge der Falle:  d = 20 /4 + z02 /2

tionshyperboloide, was sich auch in der Form der Elektroden niederschlägt, wie in Abb. 5.9 skizziert. Sie sind Äquipotentialflächen des Potentials (5.4.24), wobei z02 = 20 /2 so gewählt ist, dass φ+ = −φ− . Die resultierenden Felder sind die eines Quadrupols. Haben wir jedoch ein starkes Magnetfeld Bez , so werden die Ionen kreisförmige Bewegungen um B ausführen und können so nicht entweichen. Die Bewegungsgleichungen separieren in die Bewegung parallel und senkrecht auf B: M z¨ = qEz ,

M ¨ = qE⊥ +

.

kl qB  × ez . c 

qV0 . M d2 2 Strebt das Feld e⊥ = ω2z  gegen null, so führt das Ion Kreisbewegungen mit der Zyklotronfrequenz ωc = kl qB/cM aus. Bei einem kleinen Feld E⊥ kommt, wenn dieses konstant ist, noch die Drift (5.4.21) hinzu. Hier äußert sich das in den zwei stark unterschiedlichen Frequenzen   ωc  ω± = ωc ± ωc2 − 2ωz2 2 In z-Richtung ist das eine harmonische Oszillation mit ωz =

in der√zu B senkrechten Ebene. Damit die Teilchen eingefangen werden, muss ωc ≥ 2ωz sein. Die Details zur Rechnung sind Teil der Aufgabe 5.3. Bei genügend starkem Feld können wir, insbesondere bei Elektronen, von ω−  ωz  ω+

190

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

ausgehen. Aus der Driftbewegung bei konstantem Feld ist hier eine langsame Kreisbewegung mit ω− geworden, die von schnellen Kreisen mit ω+ ∼ ωc überlagert wird. 5.4.3 London-Gleichungen Leitungselektronen zeigen gegenüber Feldänderungen eine Massenträgheit, die durch (5.3.7) berücksichtigt werden kann:

.

me v −

me v = eE . τ

τ hat die Bedeutung einer Stoß- bzw. Relaxationszeit. Geht man nun von der Geschwindigkeit zum Strom j über, so erhält man τ

∂j ne2 τ +j= E = σ0 E . ∂t me

(5.4.25)

σ0 ist die Gleichstromleitfähigkeit. Für harmonische Schwingungen von j und E(x, t) = E(x) e−iωt folgt j=σE

σ=

mit

σ0 . 1 − iωτ

(5.4.26)

Das ist eine Modifikation des Ohm’schen Gesetzes, bei der σ0 durch die dynamische Leitfähigkeit σ ersetzt wird. Solange ω  τ −1 , bleibt der Widerstand annähernd gleich (und reell). Der Strom j, der für niedrige Frequenzen phasengleich mit E ist, wird mit zunehmender Frequenz nahezu phasengleich mit ∂j/∂t, was einer imaginären Leitfähigkeit entspricht. Bei Supraleitern verschwindet der Gleichstromwiderstand unterhalb einer Temperatur Tc . Wir können das phänomenologisch durch τ → ∞ beschreiben, so dass (5.4.25) die Form ∂j ns e 2 = E ∂t me

(5.4.27)

annimmt. ns ist dabei die Teilchendichte der an der Supraleitung beteiligten Elektronen. (5.4.27) wird als 1. London-Gleichung bezeichnet. Wir bilden nun die Rotation und setzen für rot E = −kl B/c (Faraday’sches Induktionsgesetz) ein:

.

∂ kl ns e2  rot j + B = 0. ∂t me c

(5.4.28)

Ist die Zeitabhängigkeit von j harmonisch, so vereinfacht sich (5.4.28) zu rot j = −

kl ns e2 B. me c

(5.4.29)

5.4 Das Elektron im elektromagnetischen Feld

191

(5.4.29) wird als 2. London-Gleichung bezeichnet. In einer quasistationären Näherung vernachlässigt man in der Ampère-Maxwell-Gleichung (5.2.16c) den Verschiebungsstrom. Nimmt man noch μ = 1 an, so ist rot B =

4πkc SI j = μ0 j. kl c

(5.4.30)

Anmerkung: Mittels (5.4.30) ist zu jedem B ein Strom j bestimmt. Im statischen Fall ist (5.4.28) für alle B und j erfüllt. Das ist nicht mit dem experimentellen Befund vereinbar. F. und H. London fanden 1935 mit (5.4.30) die notwendige Einschränkung der Lösungen.

Eingesetzt in (5.4.29) erhält man mittels rot rot B = −ΔB ΔB −

4πkc ns e2 B = 0. m e c2

(5.4.31)

Aus (5.4.30) folgt div j = 0. Bildet man noch die Rotation von (5.4.29), so folgt Δj −

4πkc ns e2 j = 0. m e c2

(5.4.32)

Meissner-Ochsenfeld-Effekt Eine Kugel mit μ = 1 aus einem Material, das unterhalb von Tc supraleitend ist, befinde sich in einem homogenen, externen Feld Be . Oberhalb von Tc ist die in Abb. 5.10b dargestellte Kugel normalleitend und B quert die Kugel unbehelligt. Geht man mit der Temperatur herunter, so wird die Kugel für T < Tc supraleitend und B wird von der Kugel abgedrängt, wie in Abb. 5.10a skizziert. Dieser Effekt wird nach seinen Entdeckern Meissner-OchsenfeldEffekt5 bezeichnet. Im Inneren des Supraleiters ist B = 0, und aufgrund von div B = 0 ist die Normalkomponente von B stetig und verschwindet so auch an der Oberfläche des Supraleiters. Der Halbraum mit z < 0 sei supraleitend und befinde sich in einem externen Feld Be = B0 ex . Kleine Abweichungen von μ = 1 werden vernachlässigt, so dass die Tangentialkomponenten von B an der Grenzfläche als stetig betrachtet werden. (5.4.31) hat dann im Supraleiter die Lösung * m e c2 B = B0 e−|z|/Λ ex mit Λ= . (5.4.33) 4πkc ns e2 Λ ist die London’sche Eindringtiefe des Magnetfeldes in den Supraleiter:  3 1 n rs kc e2 Λ = rs und re = mit rs3 = . (5.4.34) 3 ns re 4πn m e c2 5

Walther Meißner, 1882–1974 und Robert Ochsenfeld, 1901–1993

192

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

B 66666 66666

(a)

B 66666 66666

(b)

T < Tc

T > Tc

Abb. 5.10. (a) Ist ein Material unterhalb von Tc supraleitend, so dringt B nicht in den supraleitenden Bereich ein (b) Oberhalb von Tc ist B das Feld ungeändert, da μ = 1

rs ist der Radius des Kugelvolumens, das ein Leitungselektron einnimmt und der in den meisten Metallen Werte zwischen 1 Å und 2 Å hat. re ist der klassische Elektronenradius (2.8×10−5Å, siehe Tab. C.7, S. 643). Somit ist Λ  100 Å (siehe Tab. 5.1). Den supraleitenden Strom erhalten wir aus (5.4.30), dem Tab. 5.1. London’sche Eindringtiefe Λ Substanz Eindringtiefea

Al Sn Pb Nb Cd Λ 160 Å 340 Å 370 Å 390 Å 1100 Å

a

R. Meservey and B. B. Schwartz, in Superconductivity, edited by R. D. Parks Marcel Dekker Inc., New York (1969), S. 174

Ampère’schen Durchflutungsgesetz (z < 0): j=

kl c kl cB0 −|z|/Λ e rot B = ey . 4πkc 4πkc Λ

(5.4.35)

5.5 Dielektrische Eigenschaften 5.5.1 Atomare Polarisierbarkeit Atome und Moleküle werden unter dem Einfluss eines lokalen elektrischen Feldes E polarisiert. Bezeichnen wir mit α die Polarisierbarkeit eines Atoms, so ist sein Dipolmoment pi (ω) = αij (ω) Ej (ω) . Wir werden hier weder auf Frequenzen ω = 0 noch auf eventuelle Anisotropien der Polarisierbarkeit eingehen, so dass P = nαE

mit

n = N/V .

(5.5.1)

5.5 Dielektrische Eigenschaften

193

Man beachte, dass α systemabhängig ist: αsi, h = αg /kc . Wir unterscheiden elektronische, ionische und Orientierungs-Polarisierbarkeit, die im Folgenden erklärt werden sollen [Ashcroft, Mermin, 1976, S. 542]. Elektronische Polarisierbarkeit Bei der atomaren Polarisierbarkeit haben wir ein phänomenologisches Modell vor Augen, bei dem die Elektronen durch harmonische Federkräfte mit dem Atomkern verbunden sind, wie in Abb. 5.11 angedeutet ist. Die Elektronen−

E

?

E

k x

? Abb. 5.11. Die Ladungsverteilung der Elektronen (Elektronenhülle) ist mit einer elastischen Feder k an den Atomkern gebunden. Durch ein konstantes Feld E wird die Elektronenhülle um x verschoben. Die Ladung der Hülle ist −Ze0 und ihre Masse Zme

•+

6

hülle ist mit der Federkraft k an den Kern gebunden, so dass die harmonische Rückstellkraft gegeben ist durch Kh = −me Z ω02 x

mit

ω02 = k/Zme .

Auf die Elektronenhülle wirkt die Coulomb-Kraft des äußeren Feldes Fext = −Ze0 E und wird so durch das elektrische Feld E gegen den Kern verschoben. Damit sind die Coulomb-Kraft Fext und die rücktreibende harmonische Feder Kh parallel zu E, so dass das Problem in einer Dimension behandelt werden kann: Gleichgewicht

mx ¨ = −mω02 x−Ze0 E

=⇒

Kh +Fext = −mω02 x−Ze0 E = 0.

Die Gleichgewichtslage im statischen Grenzfall (ω → 0) ist somit x=−

e0 E, mω02

p = −Ze0 x =

Ze20 E = αE mω02

(5.5.2)

Um Aussagen über die Größenordnung von α machen zu können, müssen Annahmen zu ω0 gemacht werden. Im H-Atom ist das Elektron im Abstand ab = 2 /kc me e20 = 0.53Å (Bohr’scher Radius) im Gleichgewicht, so dass dort die Coulomb-Kraft die Stärke der Feder bestimmt:   e2 x ∂V Fc = − . = −kc 03 = −k x ∂x r r=ab

Daraus folgt k = keit ergibt

me ω02

=

kc e20 /a3b

α = e20 /me ω02 = a3b /kc .

und die Abschätzung für die Polarisierbar-

194

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Ionische Polarisierbarkeit In Substanzen mit ionischer Bindung entstehen durch die Verschiebung der Ionen im elektrischen Feld Dipole, deren Dichte die Verschiebungspolarisation P der induzierten Dipole ist. Dabei sind zwei Ionen mit den Massen M+ und M− durch eine harmonische Kraft K = M ω02 gekoppelt. Deren Bewegungsgleichungen sind bei harmonischer Kraft K = M ω02 M+ u ¨+ = −K(u+ − u− ) + eE,

¨ − = −K(u− − u+ ) − eE. M− u Aus Differenz und Summe folgt Mu ¨ + M ω02 u = eE

mit

M=

M+ M− M+ + M−

und

u = u+ −u− .

u ist die relative Auslenkung der Ionen aus den Gleichgewichtslagen, ±e deren Ladung und E das lokale Feld. Die Frequenz ω0 ist eine typische Mode im Kristall. Bei Frequenzen ω  ωD , der Debye-Frequenz, können die Ionen nicht mehr dem Feld folgen und die Verschiebungspolarisation der Ionen wird klein. Im Grenzfall ω → 0 ist die Gleichgewichtslage u = (e/M ω02 )E. Daraus folgt p = eu = αion E

mit

αion = e2 /M ω02 .

(5.5.3)

Die elektronische Polarisierbarkeit α± el der beiden Ionen ist unterschiedlich, wobei negative Ionen meist stärker polarisierbar sind. Im statischen Grenzfall addiert man die Polarisierbarkeiten − α = α+ el + αel + αion .

(5.5.4)

Ist n die Anzahl der Ionen pro Volumeneinheit, so erhält man aus der Polarisition, dem Dipolmoment pro Volumeneinheit, die Suszeptibilität (siehe (5.2.9)) P = np = χ 0 E,

χ = nα/ 0 .

Die unabhängige Berechnung der einzelnen Anteile der Suszeptibilitäten ist nur gerechtfertigt, wenn man davon ausgehen kann, dass die Bewegung der (starren) Ionen zu keiner Deformation in den Schalen führt. Orientierungs-Polarisierbarkeit Das Molekül habe ein spontanes Dipolmoment p0 . Bei hohen Temperaturen sind die p ungeordnet. Das Feld E orientiert die Momente. Gegeben sei ein Feld E=(0 0 z). Dann sind bei T = 0 alle Dipolmomente parallel zur z Achse ausgerichtet. Mit steigender Temperatur wird das mittlere, in die z-Richtung weisende Moment gemäß der Boltzmann-Statistik kleiner:

5.5 Dielektrische Eigenschaften

195

ˆ p = ˆ

dΩ e−βH p dΩ e−βH

1 p20 E 3 kb T



mit

H = −p · E

und

β=

1 . kb T

H ist die Hamilton-Funktion und kb die Boltzmann-Konstante (siehe Tab. C.7, S. 643). Berechnung des mittleren Dipolmoments: E = E ez ˆ ˆ 2π ˆ π ˆ Z = dΩ eβp·E = dϕ dϑ sin ϑ eβEp0 cos ϑ = 2π 0

=

0

1

dξ eβEp0 ξ

−1

4π sinh(βEp0 ) . βEp0

Durch Differentiation erhält man (p0 = p0 ez ): p =

1 ∂Z Z β∂E



u=βEp0

=

= p0 coth u −

1 u

∂ sinh u u 4π p0 ez = p0 Z ∂u u sinh u



u→0

= p0 L(u) = p0



sinh(u) cosh u − u u2

 1 u u2 1+ − ... − 1 = p0 . u 3 3



L(u) ist die Langevin-Funktion. u → 0 ist der Grenzwert hoher Temperaturen und/oder kleiner Felder.

Die verschiedenen Beiträge zur Polarisierbarkeit, skizziert in Abb. 5.12, können gesondert bestimmt werden, wenn man ein oszillierendes Feld anlegt. Prinzipiell können die Momente leichterer Teilchen dem Feld bei höheren Frequenzen folgen als die Momente schwererer Teilchen. Wenn ω größer wird als die Reorientierungsrate des Dipols p0 , bleiben nur mehr αion und αel bis schließlich auch die Ionenbewegung zu langsam wird. 5.5.2 Dielektrische Funktion Drude-Lorentz-Modell Das für die statische Polarisierbarkeit verwendete Oszillatormodell kann mit Modifikationen auch für die dynamische Polarisierbarkeit herangezogen werden. Es wird manchmal kürzer als Lorentz-Modell bezeichnet. In einem zeitlich veränderlichen lokalen Feld E = E0 e−iωt wird die Elektronenhülle dem Feld instantan folgen, x = x0 e−iωt , wobei aber zu berücksichtigen ist, dass die Elektronen der inneren Schalen weniger stark ausgelenkt werden als die äußeren. Die einzelnen Elektronen bekommen also verschiedene Federn und der Absorption wird mit einem Dämpfungsterm Rechnung getragen. Die Feder k in Abb. 5.11 verbindet den Kern jetzt mit einem einzelnen Elektron:

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie 

 

196









 



Abb. 5.12. Realteil der Polarisierbarkeita separiert in elektronische, ionische und Dipolbeiträge aufgetragen gegen ω. Die Dipole folgen dem Feld bis zu Wellenlängen λ im Millimeterbereich; (Funk = UHF, Mikrowelle). Für Ionen geht der λ-Bereich bis Infrarot (IR) und für Elektronen bis Ultraviolett (UV) a

adaptiert nach C. Kittel Introduction to Solid State Physics John Wiley & Sons, 8. c John Wiley & Sons 2004. ed. (2004), S. 464 mit freundlicher Genehmigung von 

.

  ¨j + γj xj + ωj2 xj = −e0 E0 e−iωt me x

(5.5.5)

und das lokale Feld E ist periodisch in der Zeit. Wir erhalten so den Beitrag des j-ten Elektrons zur Polarisierbarkeit pj = −e0 xj =

1 e20 E = αj (ω) E . me ωj2 − ω 2 − iγj ω

Ein Atom und/oder Molekül habe Z Elektronen, die mit unterschiedlicher Oszillatorstärke f zur Polarisierbarkeit beitragen: αat (ω) =

fj e20  2 me j ωj − ω 2 − iγj ω

mit



fj = Z .

(5.5.6)

j

Die Polarisation, das Dipolmoment pro Volumeneinheit, ist bei n Atomen pro Volumeneinheit gegeben durch P = n αat E = χe 0 E. Der Zusammenhang mit der Dielektrizitätskonstante ist bekanntlich D = 0 E = 0 (E + 4πkc P) = 0 (1 + 4πkc nαat )E . Man erhält so die Dielektrizitätsfunktion im Oszillatormodell, die manchmal auch als Drude’sche Formel bezeichnet wird; die Zuordnung von Namen ist hier nicht einheitlich. Gut charakterisiert ist (5.5.7) als dielektrische Funktion im Oszillatormodell:

5.5 Dielektrische Eigenschaften

(ω) = 1 + 4πkc n

fk e20  . 2 me ωk − ω 2 − iγk ω

197

(5.5.7)

k

Eine analoge Gleichung erhält man auch in der Quantenmechanik, wobei ωk die Energiedifferenzen von Elektronenzuständen sind und fk die zugehörigen Matrixelemente. Näherungen für kleine und große Frequenzen Ist ω weit von den Resonanzfrequenzen ωj entfernt, so ist es sinnvoll, die ωj und γj durch gemittelte Größen zu ersetzen. Für kleine Frequenzen erhalten wir die statische Polarisierbarkeit (5.5.2) und für Frequenzen die weit oberhalb der höchsten Resonanz ωj liegen nähert sich αat → 0, wobei der negative Wert bedingt, dass (ω)  1: αat (0) =

Ze20 me ω02 ,

αat (ω) ≈ −

Ze20  γ 1−i , 2 me ω ω

1 1  fj = 2 ω0 Z j ωj2

ω  ωj ∀j ,

γ=

ω ωj ∀j .

1  fj γj Z j

(5.5.8)

Die Elektronen folgen hier als quasifreie Teilchen dem elektrischen Feld E. Das trifft bei Röntgen-Strahlen zu, deren Energien ∼ 10 keV sehr viel größer sind als die Bindungsenergien ∼ 10 eV. Leitfähigkeit Metalle haben Elektronen, die nicht an Atome gebunden sind und sich so im Medium bewegen können. Nehmen wir an, dass das i-te Elektron des Atoms nicht gebunden ist, so hat dieses im Oszillator-Modell (5.5.7) die Frequenz ωi = 0  e2   fk fi (ω) = 1 + 4πkc n 0 − me ωk2 − ω 2 − iγk ω ω(ω + iγi ) k=i

4πkc iσ = b (ω) + . ω

(5.5.9)

Wir haben (ω) aufgeteilt in b , in dem die Beiträge der an das Atom gebundenen Elektronen aufsummiert sind, und in den Beitrag des freien Elektrons σ=

ne20 fi . me (γi − iω)

(5.5.10)

Wir setzen jetzt (5.5.9) in die Ampère-Maxwell-Gleichung (5.2.16) ein, wobei E = E0 (x)e−iωt und erhalten rot H +

4πkc iωkl si b 0 E = (jf +σE) = jf +σE, c kl cμ0

(5.5.11)

198

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

wobei jf weitere eventuell vorhandene Ladungsträger berücksichtigt. Legt man ein Feld an das Medium, so erzeugen die freien Elektronen den durch σE bestimmten Beitrag zur Stromdichte, was das Ohm’sche Gesetz ist. Wir sehen so, dass der Übergang vom Dielektrikum zum Leiter fließend ist. Den Parameter γ = τ −1 können wir nach (5.3.2) mit der mittleren Stoßzeit identifizieren. Die statische Leitfähigkeit ist (mit den experimentellen Werten für Cu) G: σ(0) =

ne20 = 6 × 1017 s−1 , me γ

γ = 4 × 1013 s−1 .

Kramers-Kronig-Dispersionsrelationen Für Dielektrika mit nur einer Resonanzenergie ω0 gilt (ω) = 1 +

ω02

ωp2 = 1 + 4πkc χe , − ω 2 − iωγ

ωp2 =

4πkc ne20 , me

wobei ωp die sogenannte Plasmafrequenz ist. Abb. 5.13 zeigt die für Suszeptibilitäten χe + iχe typischen Charakteristika. Der Imaginärteil, der für die Absorption (Dissipation) verantwortlich ist, ist nahezu symmetrisch um die Resonanz ω0 . Der Realteil wechselt das Vorzeichen, was bedeutet, dass die Schwingung für ω > ω0 gegenphasig ist. Die Dämpfung γ > 0 ist immer 



Abb. 5.13. Resonanz ω0 in der Suszeptibilität χe bzw. der Polarisierbarkeit. Der Imaginärteil (strichliert) bestimmt die Absorption, der Realteil die Refraktion

positiv. Beide Pole von (ω) liegen mit

iγ ω = − ± ω02 −γ 2 /2 2 in der unteren Halbebene, d.h., ist in der oberen Halbebene analytisch und − 1 fällt für |ω| → ∞ hinreichend schnell ab. Es gelten also die Kramers-Kronig-Dispersionsrelationen (B.1.13), die den Realteil der in der oberen ω-Halbebene analytischen Funktion χe mit dem Imaginärteil verbinden. Statt χ geben wir die Dispersionsrelationen (B.1.13) für =  +i  an:

5.6 Energie- und Impuls-Bilanz

ˆ

199

ˆ

∞ ∞  (ω  ) ω   (ω  ) 2 1 P =1+ P dω   dω  2 , π ω −ω π ω − ω2 −∞ 0 ˆ ∞ ˆ ∞    (ω  ) − 1 −2ω −1  (ω ) − 1  (ω) = P = P . dω  dω π ω − ω π ω 2 − ω 2 −∞ 0

 (ω) = 1 +

(5.5.12) (5.5.13)

P sagt aus, dass der (Cauchy’sche) Hauptwert des Integrals zu nehmen ist. Sowohl der Imaginärteil als auch der Realteil enthalten die ganze Information über die Dielektrizitätskonstante. Es genügt also die Messung der Absorption, um auch alle Information über die Refraktion zu bekommen. Für das Oszillatormodell erhält man ω02 − ω 2 , − ω 2 )2 + γ 2 ω 2 γω  (ω) = ωp2 2 . (ω0 − ω 2 )2 + γ 2 ω 2  (ω) = 1 + ωp2

(5.5.14)

(ω02

(5.5.15)

Es gilt also:  (−ω) =  (ω) und  (−ω) = −  (ω). Diese hier für das LorentzModell gezeigten Symmetrieeigenschaften gelten allgemein.  Die Frequenzen ω1,2 = −γ/2+ ω02 +γ 2 /4 grenzen den Bereich ω1 ≤ ω ≤ ω2 ein, in dem die Steigung des Realteiles von χe negativ ist (und damit des Realteiles des Brechungsindex). Das bedeutet, dass Licht höherer Frequenz weniger stark gebrochen wird. Man spricht dann von anomaler Dispersion. Im Allgemeinen steigt der Brechungsindex mit der Frequenz, was als normale Dispersion bezeichnet wird.

5.6 Energie- und Impuls-Bilanz 5.6.1 Energiebilanz Zuletzt haben wir die pro Zeiteinheit produzierte Joule’sche Wärme berechnet. Was fehlt, ist eine Bilanzgleichung, die die produzierte Wärme, das ist der „mechanische“ Anteil der Energie, in Beziehung zur Feldenergie und dem Energiefluss durch das gegebene Volumen V setzt. Ausgangspunkt ist (5.6.1), d.h. die pro Zeiteinheit und Volumeneinheit erzeugte Joule’sche Wärme umech, in die für jf die Ampère-Maxwell-Gleichung (5.2.16) eingesetzt wird (SI: 4πkr = 1, kl = c):

.

.

.

 1 c ∇×H− D . (5.6.1) 4πkr kl       Mittels ∇ · E × H = H · ∇ × E − E · ∇ × H und dem Induktionsgesetz rot E = −(kl /c) B erhalten wir umech(x, t) = jf (x, t)·E(x, t) = E ·

.

E·(∇×H) = −

.

kl H· B − ∇·(E×H). c

(5.6.2)

200

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Jetzt definieren wir noch den Poynting-Vektor S=

c 1 E×H kl 4πkr



G: S =

c E×H , 4π

SI: S = E×H

(5.6.3)

und erhalten unter der Voraussetzung, dass Permittivität = (x) und Permeabilität μ = μ(x) nicht von der Zeit abhängen:

.

.

.

1  E· D + H· B 4πkr  −1 ∂  H·B + E·D = −u(x, t). = 8πkr ∂t

umech(x, t) + ∇·S = −

.

Die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes ist so gegeben durch u(x, t) ≡ uFeld(x, t) =

 1  E·D+H·B 8πkr

(5.6.4)

und damit bekommt man die Bilanzgleichung für die Energie, die die Form einer Kontinuitätsgleichung für die gesamte Energiedichte ug hat ∂ug (x, t) + ∇ · S = 0, ∂t

ug (x, t) = umech(x, t) + uFeld(x, t)

(5.6.5)

und den Satz von Poynting darstellt. In integraler Form erhalten wir dafür nach Anwendung des Gauß’schen Satzes ˆ "    d Umech + UFeld = d3 x jf · E + uFeld(x, t) = − df ·S. (5.6.6) dt V ∂V

.

Die Terme sind, von links beginnend

1. die Arbeit, die an den freien Ladungen in V geleistet wird (= Joule’sche Wärme), 2. die Änderung der Feldenergie pro Zeiteinheit in V und ganz rechts c 1 3. der Energiestrom durch die Oberfläche S = E × H. kl 4πkr Der Poynting-Vektor beschreibt also die Energiestromdichte durch die Oberfläche. In (5.6.6) wird die Feldenergie ˆ ˆ   1 UFeld = d3 x u(x, t) = d3 x E·D + H·B (5.6.7) 8πkr

verwendet, wobei wir für die Energiedichte meist u statt uFeld verwenden, siehe (5.6.7). Die Energiebilanz (5.6.6) gilt in dieser Form auch für die mikroskopischen Felder.

5.6 Energie- und Impuls-Bilanz

201

5.6.2 Impulsbilanz und Spannungstensor Die Impulserhaltung für die makroskopischen Felder bekommt man, wenn man von der Lorentz-Kraft für ein Teilchen ausgeht:   dp kl =e E+ v×B . dt c Geht man von einem Teilchen zur kontinuierlichen Ladungs- und Stromdichte über, so erhält man ˆ dP mech kl d3 x pmech (x, t) mit pmech = ρf E + = jf × B. (5.6.8) dt c V

.

.

Nun ist nach (5.2.16) ρf =

1 ∇·D, 4πkr

jf =

Man erhält so für (5.6.8)

.

pmech =

.

c 1  kl ∇×H − D . kl 4πkr c

.

kl 1  (∇·D)E + (∇×H) × B − D×B . 4πkr c

(5.6.9)

Die rechte Seite wird in der folgenden Nebenrechnung so umgeformt, dass den einzelnen Termen physikalische Größen (Feldimpuls, Spannungstensor) zugeordnet werden können. Zunächst ersetzen wir im letzten Term von (5.6.9)

.

.

kl kl ∂ kl ∂ kl D×B= (D × B) − D × B = (D × B) + D × (∇ × E) , c c ∂t c c ∂t

.

wobei wir für B = −(c/kl ) rot E (Induktionsgleichung) eingesetzt haben. Damit erhalten wir     1 (∇·D)E − D×(∇×E) + (∇ · B) H − B × (∇ × H) pmech = 4πkr

kl ∂ − (D×B) . c ∂t

.

Wir haben hier noch den Term (∇· B) H = 0 addiert, um die Symmetrie zwischen E  H und D  B herzustellen und berechnen mit der Hilfsformel a×(∇×c) i = a·∇i c−a·∇ci den folgenden Ausdruck, wobei wir die Homogenität  =const und μ =const verwenden



(∇ · D)E − D × (∇ × E)



i

=

Ei (∇j Dj ) − Dj (∇i Ej ) + Dj (∇j Ei )

1 ∇i (Ej Dj ) . 2 Für den magnetische Anteil ergibt sich der entsprechende Term, so dass

.p

mech i =

=const

=

∇j (Ei Dj ) −



kl ∂ 1 1  ∇j (Ei Dj +Hi Bj )− ∇i (E·D+B·H) − (D×B)i . (5.6.10) 4πkr 2 c ∂t

202

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

Definieren wir den Maxwell’schen Spannungstensor mit   1  1 Ei Dj +Hi Bj − E·D+H·B δij , Tij = 4πkr 2

(5.6.11)

so ist sofort zu sehen, dass der Integrand des 1. Terms von (5.6.10) die Form einer Divergenz ∇j Tij = Tij,j hat. Die Bilanzgleichung für die Impulsdichten (differentielle Form der Impulsbilanz) ist so

.

.

pmech i + pFeld i = Tij,j

mit

.

pFeld i =

1 kl ∂ (D×B)i . 4πkr c ∂t

(5.6.12)

Die integrale Form der Impulsbilanz ist demnach [Jackson, 2006, (6.122)] ˆ "   (A.4.6) dfk Tik (x, t), (5.6.13) P mech + P Feld i = d3 x Tij,j =

.

.

V

∂V

wobei der Gauß’sche Satz auf die Volumenkräfte Volumenkräfte Tik,k angewandt wurde. Hier ist ˆ 1 kl P Feld = d3 x D×B (5.6.14) 4πkr c V der Beitrag des elektromagnetischen Feldes zum Impuls. Die in Abb. 5.14 skizzierte Flächenkraft T(n) ist definiert durch " (n) P mech + P Feld = df T(n) mit dfk Tik = df Ti .

.

.

∂V

T(n)



n V

Abb. 5.14. Skizze zu den Spannungen an der Oberfläche ∂V des Volumen V . T(n) df ist die auf das Oberflächenelement df wirkende Kraft

∂V

Auf das Element df der Oberfläche ∂V wirkt parallel zu n die Kraft T(n) ·n = ni Tik nk . Von Interesse ist der Zusammenhang der Feldimpulsdichte mit der Leistungsdichte des elektromagnetischen Feldes: pFeld =

1 kl μ k2 D×B = 2l 0 μμ0 S = 2 S, 4πkr c c c

G: pFeld =

1 D×B, 4πc

SI: pFeld = D×B.

(5.6.15)

(5.6.16)

Es ist einleuchtend, dass die Feldimpulsdichte, wenn sie durch den PoyntingVektor ausgedrückt wird, nicht von elektromagnetischen Einheiten abhängen darf.

Aufgaben zu Kapitel 5

203

Aufgaben zu Kapitel 5 5.1. Elektron im homogenen Magnetfeld: Ein Teilchen der Ladung e und Masse m bewege sich in einem homogenen statischen Magnetfeld B. Zeigen Sie, dass





v = eωc tR v0 = v0 + R sin(ωc t) + cos(ωc t) v0⊥ mit ˆk , Rij = ijk B

ˆ = B/B , B

ωc = eB/mc.

5.2. Versuch von K.H. Nichols: In einer schnell rotierenden Metallscheibe wird die Dichte der Leitungselektronen wegen der Zentrifugalkraft am Rand der Scheibe größer als im Zentrum sein. Dadurch entsteht ein Feld E, das die Zentrifugalkraft (eingeprägtes Feld) kompensiert. Berechnen Sie die Spannung V e zwischen dem Zentrum und dem Rand für eine Scheibe mit dem Radius 5 cm und der Rotationsgeschwindigkeit von 10 000 Umdrehungen pro Minute. 5.3. Penning-Falle: Mit der auf Seite 189, Abb. 5.9 skizzierten Anordnung der Elektroden soll ein elektrisches Feld erzeugt werden, das die Bewegung eines positiv geladenen Ions (Ladung q, Masse M ) in z Richtung einschränkt. Mit dem homogenen Feld B ez wird dann die Bewegung in der xy- eingegrenzt, so dass die Bewegung des Ions auf ein endliches Volumen beschränkt bleibt. Die beiden positiven Endelektroden sind die Rotationshyperboloide z 2 = z02 + 2 /2. Die negative Ringelektrode ist das Rotationshyperboloid z 2 = ( 2 − 20 )/2. 1. Zeigen Sie, dass

φ(x) = a(z 2 − 2 /2) + b das von den Elektroden erzeugte Feld bei geeigneter Wahl der Parameter beschreibt, wobei wir uns auf die beiden Fälle φ+ = −φ− und φ− = 0 beschränken. 2. Lösen Sie die Bewegungsgleichung für das Ion und geben Sie, bei vorgegebenem a, die minimale Stärke von B an. 5.4. Oszillatormodell: (5.5.6) listet die Beiträge einzelner Elektronen zu αat (ω) auf. Hierbei ist die Polarisierbarkeit isotrop, wenn sich das Elektron in einem homogenen Wechselfeld E = E0 e−iωt befindet. Ist die Substanz jedoch einem zusätzlichen homogenen, statischen Magnetfeld B ausgesetzt, so bewirkt die Lorentz-Kraft, dass die Elektronen nicht mehr genau E folgen. Geben Sie den Tensor αij (ω) für ein einzelnes Elektron des Atoms an, das sich in einem Wechselfeld E und einem statischen Feld B befindet. 5.5. Dielektrischer Tensor: In Fortsetzung der Aufgabe 5.4 bestimmen Sie den Tensor der dielektrischen Funktion ij (ω) im Limes hoher Frequenzen (siehe (5.5.8)). 5.6. Rotierender Drahtring: Ein Drahtring habe den Radius a und den Widerstand R. Die ho66 rizontale Komponente eines Magnetfeldes sei B = B ez . Der Ring x rotiere mit ω im Feld B = B ez um eine vertikale Achse (die vertiB  kale Komponente Bx trägt nichts bei und By = 0). y z Wir nehmen nun an, dass der Draht aus Kupfer sei mit einem Querschnitt 1 mm2 . Der Drahtring hat den Radius a = 20 cm und rotiert mit 1000 Umdrehungen pro Minute.

204

5 Elektromagnetische Vorgänge in Materie

1. Bestimmen Sie Stromstärke im Drahtring und 2. die mittlere, pro Sekunde an den Draht abgegebene Joule’sche Wärme. Hinweis: Nehmen Sie für die horizontale Komponente des (Erd-)Magnetfeldes H = 20 A/m . Die Leitfähigkeit des Drahtes (Kupfer) sei 58 × 106 Siemens/m. 5.7. Induzierte Spannung: Ein gerader Draht der Länge l wird mit der Geschwindigkeit v in einem homogenen Magnetfeld B bewegt. Der Stromkreis sei über ein Spannungsmessgerät geschlossen. 1. Zeigen Sie, dass die Spannung (EMK) dargestellt werden kann durch l·(v×B)/c . 2. Nehmen Sie an, dass die Schienen eines Eisenbahngleises isoliert und mit einem Spannungsmessgerät miteinander verbunden sind. Wie hoch ist die Spannung, die zwischen den Schienen entsteht, wenn der Zug mit 120 km/h fährt (Schienenabstand ist 1.435 m); die Stärke des Erdfeldes sei 30 A/m. 5.8. Wirbelstrombremse: Eine ebene Metallplatte, die genügend groß ist, so dass wir sie uns in der xy-Ebene als unendlich ausgedehnt vorstellen können, wird mit der konstanten Geschwindigkeit v = vex bewegt. Die Dicke der Platte sei d (θ(d/2−|z|)). Die Platte kreuzt dabei das Magnetfeld B(x) = B θ( 0 − ) ez , wobei 0 d. 1. Berechnen Sie die (raumfeste) Stromdichte j() in der Platte. Hinweis: Zerlegen Sie E in die Anteile E( > 0 ) und E( < 0 ). 2. Bestimmen Sie die Reibungskraft F, die auf die Platte wirkt und die in der Platte pro Zeiteinheit entwickelte Joule’sche Wärme.

Literaturverzeichnis N. Ashcroft, D. Mermin Solid State Physics, Holt, Rinehart and Winston, N.Y. (1976) M. Abraham, R. Becker Theorie der Elektrizität Bd. 1, 8. Aufl. Teubner Leipzig (1930) L.S. Brown and G. Gabrielse Geonium theory: Physics of a single electron or ion in a Penning trap, Rev. Mod Phys. 58, 233 (1986) H. Bruus, K. Flensberg Many Body Quantum Theory in Condensed Matter Physics: An Introduction, Oxford University Press, Oxford (2004) A. Föppl, Einführung in die Maxwellsche Theorie der Elektrizität, Teubner Leipzig (1894) D. J. Griffiths Elektrodynamik 3. Aufl., Pearson München (2011) J. D. Jackson, Klassische Elektrodynamik, 4. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin (2006) L.D. Landau, E.M. Lifschitz Lehrbuch der Theoretischen Physik Bd. I, 6. Aufl. Akademie-Verlag Berlin (1969) W. Ludwig Festkörperphysik I, Akad. Verlagsges. Frankfurt (1970) W. NoltingGrundkurs Theoretische Physik 3, 8. Aufl., Springer Berlin (2007) F. Schwabl Quantenmechanik für Fortgeschrittene, 5. Aufl. Springer Berlin (2008) R.S. Van Dyck, P.B. Schwinberg, and H.G. Dehmelt in Atomic Physics 9, ed. by R.S. Van Dyck and E.N. Fortson (World Scientific, Singapore) (1984)

6 Elektrostatik in Materie

In einem Dielektrikum werden unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes E durch Verschiebung der Elektronenhüllen gegen die Kerne Dipole induziert oder es werden permanente Dipole in Richtung des Feldes ausgerichtet. Die Polarisationsdichte ist dann proportional zu E und das Dielektrikum ist ein lineares Medium. Näher eingegangen wird hier auf die Elektrostatik solcher linearer Medien.

6.1 Grundgleichungen und Stetigkeitsbedingungen Maxwell- und Materialgleichungen

.

.

Die Maxwell-Gleichungen sind über die Zeitableitungen D und B gekoppelt. Sind die Felder zeitunabhängig, so entkoppeln auch die Maxwell-Gleichungen in Materie (5.2.16) in je zwei unabhängige Gleichungen für die Elektrostatik und die Magnetostatik. Somit bekommen wir aus (5.2.16) die Grundgleichungen der Elektrostatik in Dielektrika (a)

div D = 4πkr ρf (x),

(b)

rot E = 0

zusammen mit den Materialgleichungen div P = −ρp . P = χe 0 E,

(6.1.1) (6.1.2)

Das ergibt D = 0 E = (1+4πkr χe ) 0 E

mit

= 1+4πkr χe .

(6.1.3)

Aus rot E = 0 folgt, dass auch im Dielektrikum E = −∇φ,

div E = 4πkc ρ = 4πkc (ρf +ρp ).

(6.1.4)

Anmerkung: In der älteren Literatur wird ρf als wahre Ladung und ρ = ρf +ρp als freie Ladung bezeichnet. Abraham, Becker [1930, S. 73]: Freie Ladungen sind definiert als die Quellen von E, wahre Ladungen dagegen als die Quellen von D. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_6

206

6 Elektrostatik in Materie

Stetigkeitsbedingungen an Dielektrika Im Vakuum betreffen die Stetigkeitsbedingungen die Grenzflächen zu Leitern und Flächenladungen. Jetzt kommen Grenzflächen zu Dielektrika hinzu, also zu Grenzflächen, wo keine freie Ladungen sind. Trotzdem ist die Situation ähnlich der in der Elektrostatik im Vakuum. 1. rot E = 0: Daraus folgt (unverändert) die Stetigkeit der beiden Tangentialkomponenten (Stokes’scher Satz). 2. div D = kr ρf : An der Oberfläche sind freie Ladungen, induzierte Ladungen an der Metalloberfläche oder Flächenladungen; ρf = σδ(x⊥ ). Der Sprung in der Normalkomponente ist dann Dn = kr σ (siehe (2.2.26)). 3. div D = 0: Eine Grenzfläche zwischen zwei Dielektrika stand im Vakuum nicht zur Disposition. D⊥ ist hier an der Grenzfläche stetig, doch die Normalkomponente von E hat noch immer einen Sprung beim Queren der Grenzfläche, der von der Polarisation an der Oberfläche herrührt (siehe Abb. 6.1): 







  

Abb. 6.1. Stetigkeit der Normalkomponente von D (ρ = 0) und Stetigkeit der Tangentialkomponenten von E

˛ rot E = 0

 "

div D = 0

C

 ∂V

ds · E = 0 =⇒

E = E ,

(1)

(2)

df · D = 0 =⇒

(1) Dn

(2) Dn

(1)

=

(6.1.5)

.

(2)

Die zweite Gleichung kann auch als 1 En = 2 En geschrieben werden. Zur Stetigkeit des elektrostatischen Potentials Bei der Anwendung der Stetigkeitsbedingungen an Grenzflächen wird oft die Stetigkeit des elektrostatischen Potentials herangezogen. Dazu möchten wir anfügen, dass die Stetigkeit von φ an Grenzflächen äquivalent der Stetigkeit der Tangentialkomponenten von E ist. In Abb. 6.2 ist die Grenzfläche S(x)

1 φ(1)

xb

2 φ(2)

x S(x)  a

Abb. 6.2. Die Grenzfläche zweier dielektrischer Medien mit den Permittivitäten (Dielektrizitätskonstanten) 1 und 2 sei S(x)

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

207

zweier Medien durch eine Linie, auf der sich die Punkte xa und xb befinden, skizziert. Integriert man E von xa nach xb entlang eines beliebigen Weges auf S im Medium 1, so erhält man gemäß (2.1.3) ˆ xb (1) (1) (1) φ (xb ) − φ (xa ) = − dx · E . xa

Man integriert nun auf demselben Weg im Medium 2 und bildet die Differenz: ˆ xb  (2) (1) dx · E − E . φ(2) (xb ) − φ(1) (xb ) = φ(2) (xa ) − φ(1) (xa ) − xa

(1)

1. Ist das Potential stetig, d.h. φ(1) (x) = φ(2) (x) ∀ x ∈ S , so muss E (x) = (2)

E (x) gelten, damit das Integral für alle xa und xb verschwindet. (1)

(2)

2. Sind die Tangentialkomponenten stetig, d.h. E (x) = E (x) ∀ x ∈ S,

so können sich φ(1) (x) und φ(2) (x) ∀ x ∈ S bestenfalls um eine Konstante unterscheiden. Ein auf der Grenzfläche S unstetiges Potential hätte dort eine singuläre Normalkomponente und damit eine singuläre Oberflächenladung zur Folge, was in Dielektrika nicht der Fall ist.

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen 6.2.1 Konfigurationen mit Dielektrika, Leitern und Ladungen Es werden hier die grundlegenden Gleichungen der Elektrostatik für recht allgemein gehaltene Konfigurationen angegeben. Zwei dielektrische Halbräume Trennungsfläche der beiden Halbräume ist die xy-Ebene, wie in Abb. 6.3 dargestellt. Die Dielektrika seien homogen und 1 > 2 . Der Feldvektor E = θ(−z) E(1) + θ(z) E(2) liege in der xz-Ebene und unterliegt so den Randbedingungen Tangentialkomponente : Ex(1) = Ex(2) , Normalkomponente :

Ez(1) =

Dx(1) =

1 (2) D > Dx(2) , 2 x

2 (2) E < Ez(2) , Dz(1) = Dz(2) . 1 z

Die Stetigkeitsbedingungen für E bilden ein „Brechungsgesetz“ für die Feldlinien: Beim Übergang zu einem Medium mit größerer Dielektrizitätskonstante wird vom Lot gebrochen; das gilt dann auch für D. Nach dem Gauß’schen Gesetz ist, da ρf = 0,

208

6 Elektrostatik in Materie x 6

1 = 2

2 = 1.5

> D(2) E(2) >

-

E(1) 

1

Abb. 6.3. Die Skizze zeigt die Brechung zwischen zwei Medien mit der xy-Ebene als Trennfläche; da 2 < 1 , werden beide, E und D, zum Lot gebrochen. Die strichlierten Linien sind jeweils gleich lang und deuten so die Stetigkeit an

z

2 2 < 1

D

(1)

div D = 0 (div E + 4πkc div P) = 0 ⇒

div E = −4πkc div P = 4πkc ρp .

Wir erhalten so wegen div D(1) = div D(2) = 0    1  1 1 −1 ∇·E = δ(z) Ez(1) − Ez(2) = − 1 Ez(1) δ(z) . ρp (x) = 4πkc 4πkc 4πkc 2

Daraus folgt die Oberflächenladung an der Grenzfläche der beiden Dielektrika:   ρp (x) = σp2 − σp1 δ(z) = σp δ(z) (2)

mit

(1)

σp =

 1  1 − 1 Ez(1) > 0 . 4πkc 2

4πkc σp = Ez −Ez wird, vor allem in der älteren Literatur, als Flächendivergenz bezeichnet [Becker, Sauter, 1973, (1.4.9)]. In einem elektrischen Feld wirkt auf die positiven elektrischen Ladungen eine Kraft in Richtung des Feldes. Für 1 > 2 werden in einem nach rechts gerichteten Feld Ez > 0 die gebundenen Ladungen so verschoben, dass eine positive Ladungsschicht entsteht. Dieser Sachverhalt kann mikroskopisch so interpretiert werden: Im Medium mit der größeren Dielektrizitätskonstante ist die Polarisation größer, die positiven und negativen Ladungen werden also stärker gegeneinander verschoben, wie in Abb. 6.4 skizziert. Es bleibt daher ein Überschuss von positiver Ladung an der Trennfläche (und negativer Ladung dahinter), die proportional dem angelegten Feld ist. - E0 2 E1  E2  1 - E1 - E2 −+

−+

−+

−+

−+

−+

−+

ρb (z)

ρ¯b (z)

2 < 1

Abb. 6.4. Skizze zur Verschiebung der ± Ladungen im elektrischen Feld; das Medium 1 ist stärker polarisierbar und z - deshalb wird an der Grenzfläche die positive Ladung von 1 nicht ganz von der negativen Ladung von 2 kompensiert.  - E1,2 = 4πP1,2 sind die induzierten Felder

−+

• -• -• -• p1-• -• -• -• p2

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

209

Ladungen in einem homogenen Dielektrikum ρf seien die Ladungen und (x) = die ortsunabhängige Dielektrizitätskonstante. Es gelten die Maxwell-Gleichungen (6.1.1) der Elektrostatik: div E = 4πkc ρf / ,

rot E = 0 .

(6.2.1)

Gegenüber dem Vakuum ist das von ρf erzeugte Feld E um den Faktor 1/ verkleinert. Ladungen und Leiter in einem homogenen Dielektrikum

Q(1)

Q(2)  ρf

Abb. 6.5. Leiter mit den Ladungen Q(i) (Potential φ(i) ), eingebettet in einem homogenen Dielektrikum, in dem sich auch freie Ladungen ρf (Potential φf ) befinden können

Sind, wie in Abb. 6.5 skizziert, Leiter und freie Ladungen in einem Dielektrikum eingebettet, so werden an den Oberflächen der Leiter Ladungen σ ind induziert, wie sie in (2.3.4’) für eine Ladung vor einer geerdeten Kugel berechnet wurden. Oberflächenladungen sind für das Dielektrikum äußere (freie) Ladungen: (i)

Dn(i) = 4πkr σ (i) ,

En(i) = 4πkc σ (i) / .

E = 0,

(6.2.2)

Wir erinnern uns, dass im Leiter φ = const. und E = 0 sind, und die Normalkomponente des Feldes einen Sprung an der Grenzfläche zum Vakuum/Dielektrikum hat. Deren nach außen gerichtete Normalkomponenten seien (i) sn . Das Feld im Dielektrikum wird bestimmt aus    div D = 4πkr ρf + σ (i) δ(s(i) rot E = 0. (6.2.3) n ) , i

Innerhalb des Dielektrikums gilt also div E = 4πkc

ρf ,

E = −∇φ



Δφ = −4πkc

ρf .

(6.2.4)

Denken wir unsere Konfiguration in Abb. 6.5 ohne Dielekrikum, so gilt für isolierte Leiter "  (i) φvac = φfvac + φ(i) , Q = df σ (i) . vac i

1. Ladungen auf den Leitern vorgegeben   1 f φvac (x) + φ(x) = φ(i) vac (x) . i

∂V (i)

210

6 Elektrostatik in Materie

Die Polarisation im Dielektrikum schwächt E = Evac / , wogegen die Q(i) ungeändert bleiben. 2. Potentiale auf den Leitern vorgegeben φ(x) =

 1 f φvac (x) + φ(i) vac (x). i

Halten wir die Potentiale φ(i) auf den Leitern fest, so wird dort die Ladung um den Faktor vergrößert. Damit bleibt E ungeändert, wenn ρf = 0. Die Schwächung trifft jedoch auch die von ρf induzierten (Bild) Ladungen, die hier in φfvac inkludiert sind. 6.2.2 Dielektrikum im Plattenkondensator Im Abschn. 2.2.4 sind die wesentlichen Merkmale des Plattenkondensators, jedoch ohne Dielektrikum, angegeben. Dieses Manko soll hier behoben werden, wobei auch auf den mit einem Dielektrikum nur teilweise gefüllten Kondensator eingegangen wird. Abb. 6.6b zeigt einen im Verhältnis α = a1 /a mit einem Dielektrikum versehenen Kondensator. Steht die Trennfläche senkrecht − − − − − − − − − − − − − + +

+ + + + + + + +

σp



6



− − − − − − − − − − + + + + + + + + + + + + +



−−−−−− − − − − − − − + + + + +

a

-

(a)

σ0

d

?

− − − − −

++++++ + + + + + + +

  a1 -

a

-

(b)

− − − − − − − − − − − − −

6 d1 ?

+ + + +

+ + + + + +



− − − − − − − − − − + + + + + + + + + + + + +



a

-

(c)

Abb. 6.6. (Isolierter) Plattenkondensator der Fläche F und der Ladung Q = σ0 F > 0. (a) Es befindet sich ein Dielektrikum zwischen den Platten. (b) Das Dielektrikum belegt nur einen Teil des Volumens α = a1 /a. (c) Das Dielektrikum ist parallel zu den Platten und belegt den Teil α = d1 /d des Volumens

auf der Kondensatorplatte, so ist das elektrische Feld wegen der Stetigkeit der Tangentialkomponenten im gesamten Kondensator gleich. Nimmt man die Ladung Q > 0 der Kondensatorplatten als gegeben, so wird mit wachsendem α die Spannung V zwischen den Platten kleiner. Um E konstant über die gesamte Fläche zu halten, muss jedoch die Flächenbelegung σ im dielektrischen Teil um den Faktor größer sein als im Rest (Aufgabe 6.1). In Tab. 6.1 sind die in (2.2.30) angegebenen Größen für den Plattenkondensator im Dielektrikum aufgelistet, wobei C⊥ ≥ C . Was die Energie des Kondensators betrifft, so ist (2.2.31) U = CV 2 /2 auch im Dielektrikum gültig (siehe (6.3.1)). Zur dielektrischen Verschiebung merken wir an, dass diese, bei gleicher Ladung Q, im Kondensator mit oder ohne Dielektrikum gleich ist. Wird V konstant gehalten, so ist im dielektrischen Teil D größer.

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

211

Tab. 6.1. Plattenkondensator der Fläche F und dem Abstand d zwischen den Platten, die mit ±Q = ±σ0F belegt sind. α = a1 /a bzw. α = d1 /d gibt den Anteil der Füllung mit dem Dielektrikum an. V = E d Konfiguration des Dielektrikums im Kondensator (a): voll (b): vertikal α = a1/a (c): horizontal α = d1/d  > 1  > 1; α  = 1; 1−α  > 1; α  = 1; 1−α σ0 Flächenσ = σ 0 σ1 = σ 2  σ2 = σ0 ladung α+(1−α) E0 E0 E0 Feldst¨ arke E0 = 4πkc σ0 E = E= E1 = E2 = E0  α+1−α   Q  Kapazit¨ at C0 ≡ C = C0 C⊥ = C0 α+1−α C = C0 V0 α+(1−α) leer =1 Q σ0 = F

6.2.3 Bildladungen in Dielektrika In homogenen Dielektrika kann für Randwertaufgaben die Methode der Bildladungen herangezogen werden. Die klassische Aufgabe ist die Berechnung der Potentiale und Felder für eine Ladung q vor der Grenzfläche zweier Dielektrika, wie es in Abb. 6.7 skizziert ist. An der Grenzfläche z = 0 kommt beim Dielektrikum, verglichen mit dem Metall, die Bedingung der Stetigkeit der Normalkomponente D⊥ hinzu: Metall-Dielektrikum1 : E2 = E1 = 0 ⇒ σ = D1⊥ /4πkr , Dielektrikum2 -Dielektrikum1 : E2 = E1 und D2⊥ = D1⊥ .



E2 6 E1 6

D2⊥



D1⊥ q

q 2

d

d

-z

q  1

Abb. 6.7. Punktladung vor der Grenzfläche zweier homogener Dielektrika; q und die Bildladung q  bestimmen das Potential φ1 im Halbraum mit z > 0 und die Bildladung q  das Potential φ2 im Halbraum z < 0

Das Potential φ1 im Halbraum 1 mit z > 0 ist durch die Ladung q samt einer zu bestimmenden Bildladung q  festgelegt. Anders als in Metallen verschwindet E im Halbraum 2 mit z 1) vom Radius R wird in ein homogones äußeres Feld E0 = E0 ez gebracht. Die Umgebung der Kugel habe die Dielektrizitätskonstante = 1. Da keine Ladungen vorhanden sind, ist Δφ = 0 innerhalb

Abb. 6.8. Feldlinien um eine Kugel mit Radius R und  = 5; das Feld in der Kugel ist schwächer, was in den Feldlinien der Skizze nicht zum Ausdruck kommt, sondern bestenfalls durch den größeren Abstand der strichlierten Äquipotentiallinien im Bereich der Kugel ablesbar ist

(r < R) rund außerhalb (r > R) der Kugel. Wegen der Symmetrie ist φ unabhängig von ϕ, daher der Lösungsansatz (3.2.40) mit Legendrepolynomen: φi =

∞ 

al rl Pl (cos ϑ),

φa =

l=0

∞  αl rl + βl r−l−1 Pl (cos ϑ). l=0

Randbedingung für r → ∞: φa (r → ∞) = −E0 z = −E0 r cos ϑ



αl = −E0 δl1 .

Stetigkeit der Tangentialkomponente Eiϑ (R) = Eaϑ (R) an der Kugeloberfläche: ∞ ∞ ∂φi  l ∂Pl (cos ϑ) ∂P1 (cos ϑ)  βl ∂Pl (cos ϑ) ∂φa al r = , = α1 + , ∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ rl+1 ∂ϑ l=1

∂φi ∂φa = , ∂ϑ ∂ϑ

l=1

al = −E0 δl1 +

βl

R2l+1

.

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

213

Für die Normalkomponente gilt Eir (R) = Ear (R): ∞

 ∂φi = lal rl−1 Pl (cos ϑ), ∂r l=0

∂φi ∂φa = , ∂r ∂r



 ∂φa βl = α1 cos ϑ − (l+1) l+2 Pl (cos ϑ), ∂r r l=0

lal = −E0 δl1 − (l + 1)

βl 2l+1 R

.

Für l = 1 haben die Gleichungen nur die Lösung al = βl = 0. Es bleiben also nur a1 und β1 zu bestimmen: a1 = −

3 E0 , +2

β1 =

−1 3 R E0 . +2

Potential und Feld im Inneren der Kugel sind 3 3 E0 z = − E0 · x , 2+ 2+ 3 −1 Ei = E0 = E0 − E0 . 2+ +2 φi = −

(6.2.5)

Die Polarisation, das Feld im Inneren der Kugel, ausgedrückt durch P und das Dipolmoment der Kugel sind 3 −1 −1 Ei = E0 4πkc 4πkc +2 4πkc Ei = E0 − P 3 1 −1 3 4πR3 P= R E0 . p= 3 kc + 2 P=

r < R,

(6.2.6)

r < R,

(6.2.7) (6.2.8)

Die Polarisation der Kugel ist parallel zum äußeren Feld E0 . Das makroskopische Feld im Inneren der Kugel Ei ist ebenfalls gleichförmig und parallel zu E0 mit Ei < E0 . Im Außenraum setzt sich φa = −E0 z + E0

− 1 3 cos ϑ p·x R = −E0 · x + kc 3 2 +2 r r

(6.2.9)

zusammen aus dem Potential des homogenen Feldes E0 und dem Feld des Dipols p der Kugel; das Potential ist so vergleichbar mit dem der leitenden Kugel (3.3.19), abgesehen vom anderen Dipolmoment Ea = E0 − kc ∇

p·x . r3

(6.2.10)

Das Feld im Außenraum ist E0 und das Feld des induzierten Dipols p. Zum Abschluss berechnen wir die zu P gehörende Ladungsdichte (Oberflächenladung), wobei nach (6.2.6):

214

6 Elektrostatik in Materie

666666666 E0 + + + +

+

+



+

????????? − −

− − −

Abb. 6.9. Die Polarisation erzeugt im Inneren der dielektrischen Kugel ein Feld, das dem äußeren entgegengesetzt gerichtet ist



ρp (x) = −∇·Pθ(R−r) = P·er δ(R−r) =

3 −1 z E0 δ(R−r) . (6.2.11) 4πkc +2 r

Das von ρp erzeugte Feld ist E0 im Inneren der Kugel entgegengerichtet, wie in Abb. 6.9 skizziert. E ist ein Quellenfeld und D ein Wirbelfeld mit den Quellen und Wirbeln auf der Kugeloberfläche: ∇·E = 4πkc ρp , ∇·D = 0,

∇×E = 0. ∇×D = 4πkr P δ(R−r),

(6.2.11’)

Anmerkung: Wir sehen an diesem Beispiel, dass für  → ∞ die Lösung für eine leitende Kugel resultiert. Dies gilt in der Elektrostatik allgemein. Für  → ∞ wird Ein = 0 , also ∂ φi = 0 auf der ganzen Oberfläche des Leiters. Dann ist φi = const. ∂n die einzige Lösung der Laplace-Gleichung und Ei = 0 .

Alternative Berechnung durch Verschiebung zweier homogener geladener Kugeln Für die dielektrische Kugel im homogenen Feld E0 haben wir Polarisation, Potential und Feld berechnet. Die Polarisation (6.2.6) der Kugel ist homogen. Man kann zeigen, dass aus einer kleinen Verschiebung zweier übereinanderliegender und entgegengesetzt geladener Kugeln ebenfalls eine homogene Polarisation resultiert, die gleich der homogenen dielektrischen Kugel ist, wie in Abb. 6.10 skizziert. 666666666666666666666666 Abb. 6.10. (a) Dielektrische Kugel im ho-

E0

E0

+

R

9 +ρ

+

d 6

>1 (a)

+++

(b)



−−−

y −ρ



mogenen Feld: Für r ≤ R ist das Feld homogen, für r > R hat die Kugel das Feld eines Punktdipols (b) Die dielektrische Kugel kann durch zwei um d verschobene Kugeln mit den Ladungsdichten ±ρ dargestellt werden

Das Potential einer homogenen Kugel mit der Ladungsdichte ρ und der Gesamtladung Q = ρ 4πR3 /3 ist

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

215

 Qr2 Q θ(R−r) + θ(r−R) . φ(r) = φi (r) + φa (r) = kc − 3 2R r

Die beiden Kugeln mit ±ρ sind ±d/2 verschoben:   d  ρ(1) (x) = ρ θ R − x −  , 2

  d  ρ(2) (x) = −ρ θ R − x +  . 2

Das Potential ist die Summe der Potentiale beider Kugeln. Im Inneren der Kugeln erhält man in 1. Ordnung d 2  kc Q  d 2  kc Q x + ≈ −E0 · x + − x − 2x · d, 3 2 R 2 2 2 R3 kc Q d·x kc Q φa = −E0 · x + − ≈ −E0 · x + kc Q 3 . (6.2.12) d d r |x − 2 | |x + 2 | φi = −E0 · x +

Im Grenzwert p = lim Q d,

P=

d→0 dQ R.

(6.2.13)

Die Gültigkeit der Lösung Ei = E0 −

4πkc P, 3

Ea = E0 −

4πkc R3  (P·x)x P−3 3 3 r r2

(6.2.14)

wird gezeigt, indem man überprüft, dass die Stetigkeitsbedingungen an der Kugeloberfläche erfüllt sind. Für die Laplace-Gleichung zeigen wir dies nicht extra, da wir von der exakten Lösung (2.4.7) ausgegangen sind. Da sich auf der Kugeloberfläche Ei (R) = E0 −

4πkc P 3

und

Ea (R) = Ei (R) + 4πkc (P·er )er

(6.2.15)

nur in der Normalkomponente unterscheiden, ist die Stetigkeit der Tangentialkomponenten offensichtlich. Zu zeigen ist noch, dass die Normalkomponente von D keinen Sprung an der Kugeloberfläche hat, was aus (6.2.15) unmittelbar folgt:









Da (R) − Di (R) · er = Ea (R) − Ei (R) − 4πkc P · er = 0 .

216

6 Elektrostatik in Materie

Das Feld innerhalb der Kugel kann man auf die Form Ei = E0 + E

mit

E = −

3 1  4πkc P=− Nj Pj 3 0 j=1

(6.2.16)

bringen. E ist das induzierte Feld, das das äußere Feld teilweise abschirmt und Nj sind die Entelektrisierungsfaktoren. Anmerkung zu komplizierteren Körpern Das Potential φi (6.2.12) der homogen geladenen Kugel ist quadratisch in x. Die kleine Verschiebung d zweier entgegengesetzt geladener Kugeln hat zu einem linearen Potential und so zu einem homogenen Feld E geführt. Wir schließen daraus, dass Körper mit φi ∼ x2j ein homogenes induziertes Feld E haben, oder anders gesagt, Körper die komplexer als Ellipsoide sind, werden nicht homogen polarisiert sein. Aus dem Potential eines Ellipsoids (6.3.9) (siehe Aufgaben 6.4 und 6.5) kann ein homogenes Feld E hergeleitet werden, wobei die Entelektrisierungsfaktoren die „Summenregel“ N1 + N2 + N3 = 4πkr



SI: N1 + N2 + N3 = 1

erfüllen. Durch geeignete Grenzwertbildungen können dann die Ni für Kugel, Draht (gestrecktes Rotationsellipsoid) etc. abgeleitet werden: 4πkr 4πkr r Kugel N1 = 4πk 3 , N2 = 3 , N3 = 3 . N2 = 0, N3 = 4πkr . Dünne Platte in xy-Ebene N1 = 0, Langer Zylinder (Draht auf z-Achse) N1 = 2πkr , N2 = 2πkr , N3 = 0.

6.2.5 Die Clausius-Mossotti-Formel Wir wollen versuchen, die atomare Polarisierbarkeit α in einem Kristall mit kubischer Symmetrie in Beziehung zur Dielektrizitätskonstanten zu bringen. Dazu nehmen wir eine Platte des homogenen Festkörpers, die, mikroskopisch betrachtet, aus atomaren Dipolen bestehen soll. Wir greifen jetzt einen dieser Dipole heraus und denken uns um diesen eine kleine Hohlkugel herausgeschnitten. Innerhalb dieser sollen sich auf den Gitterplätzen Dipole befinden, die sich in einem lokalen Feld El bewegen, wie in Abb. 6.11 angedeutet. Zu berechnen ist das lokale Feld El , das der im Mittelpunkt der Hohlkugel sitzende Dipol spürt, wenn an den Festkörper das äußere Feld E0 angelegt wird. Zwischen den Platten ist E = (1/ )E0 homogen. Wären innerhalb der Hohlkugel keine Dipole, so hätten wir das ebenfalls homogene „Fernfeld“

6.2 Anwendung der Stetigkeitsbedingungen

217

6 6 6 6 E0 6 6 6 6 + + + + + + + + + + + + + + + − − −

El

>1

 q            +  + +

E 6

− − − − − − − − − − − − − − −

Ef = E +

Abb. 6.11. Dielektrische Platte mit äußerem Feld und kleiner Hohlkugel mit Dipolen; El = E + (4π/3)P + En , wobei zu zeigen ist, dass das Feld der Dipole En = 0 ist

4πkc P, 3

da die Oberflächenladungsdichte der Hohlkugel das Negative einer Vollkugel ist (6.2.5)–(6.2.11). Das Feld (4πkc /3) P heißt Lorentz-Feld. Der im Mittelpunkt der Hohlkugel gelegene Dipol spürt neben Ef noch das Nahfeld En von den ihn (innerhalb der Hohlkugel) umgebenden Dipolen. Das Feld dieser Dipole wird mithilfe von (2.2.24) berechnet, wobei die Dipole auf einem kubischen Gitter angeordnet sind:  1 p0 · xk  En = kc − p0 + 3xk . 3 rk rk2 k=0

Das Nahfeld En , das der Dipol k = 0 spürt, setzt sich aus den Dipolfeldern aller anderen Dipole zusammen und verschwindet aus Symmetriegründen1 . Wir legen die z-Achse parallel zum Dipol p0 = p ez und erhalten so Enx = kc

 1 3xk zk p = 0, rk5

Eny = kc

k=0

k=0

Enz

 1 3yk zk p = 0, rk5

 1 p z2  − p + 3 2k = 0 , = kc 3 rk rk k=0

woraus folgt, dass das lokale Feld gegeben ist als El = Ef +En = E+

4πkc P, 3

SI: El = E+

1 P. 3 0

Die Isotropie des kubischen Gitters ist eine Voraussetzung für das Verschwinden des Nahfeldes, weshalb diese Formel auch für Flüssigkeiten und Gase gilt. Die Dielektrizitätskonstante, berechnet man aus der Polarisierbarkeit α in einem Medium mit n Teilchen pro cm−3 :   1 Enz verschwindet, weil es in der Summe zu jedem Summanden mit ki = kx ky kz     auch die Summanden nj = kz kx ky dieser drei Terme null ergibt.

und nl = ky kz kx gibt und die Summe

218

6 Elektrostatik in Materie

 4πkc  P = np . P = nαEl = nα E+ 3

Nach P aufgelöst, folgt daraus P=

nαE = χe 0 E. 1−(4πkc /3)nα

(6.2.17)

Die Suszeptibilität ist damit χe =

nα/ 0 . 1 − (4πkc /3)nα

(6.2.18)

Die Dielektrizitätskonstante können wir mit (5.2.10) aus der Suszeptibilität bestimmen als = 1 + 4πkr χe =

1 + (8πkc /3)nα . 1 − (4πkc /3)nα

(6.2.19)

Die Relation zwischen der Suszeptibilität und der atomaren Polarisierbarkeit −1 4πkc = nα, +2 3

SI:

1 −1 = nα +2 3 0

(6.2.20)

√ ist die Clausius-Mossotti-Formel. In der Optik, wo man in (6.2.20) für den Brechungsindex n einsetzt, heißt diese Beziehung Lorenz-Lorentz-Formel [Sommerfeld, 1967, S. 67] Für Gase ist kc nα  1, weshalb gilt = 1+4πkr χe =

1+(8πkc /3)nα ≈ 1+4πkc nα 1−(4πkc /3)nα

=⇒

χe =

nα . 0

Anmerkungen: In Materialien mit komplizierterer Symmetrie gilt die ClausiusMossotti-Formel (6.2.20) nicht in dieser Form; es ist dann das Nahfeld nicht mehr null. Eine weitere Annahme, die nicht immer gerechtfertigt ist, ist die Polarisierbarkeit α der Atome, die dem gasförmigen Zustand entspricht. In Kristallen können die Atome gequetscht werden, was Einfluss auf deren Polarisierbarkeit hat. Die Wahl eines kugelförmigen Hohlraums stellt sicher, dass der Entelektrisierungsfaktor N = 4πkr /3 für alle Richtungen gleich ist, was dann auch für Ef gilt.

6.3 Energie im Dielektrikum 6.3.1 Herleitung der Feldenergie im Dielektrikum Bei der Herleitung der Energie im mikroskopischen Fall sind wir davon ausgegangen, dass wir die Ladungen der Reihe nach aus dem Unendlichen an ihre

6.3 Energie im Dielektrikum

219

Position gebracht haben. Die dazu aufzuwendende Energie konnten wir in die Form ˆ 1 U= d3 x ρ(x) φ(x) (2.4.2’) 2 bringen. Ersetzt man die mikroskopische Ladungsdichte ρ durch ρf , so erhält man mithilfe des Gauß’schen Gesetzes (5.2.16a) den elektrostatischen Anteil der Feldenergie in der bereits bekannten Form von (5.6.7): ˆ ˆ 1 1 part. int. U= d3 x φ(x)∇·D = d3 x E·D. (6.3.1) 24πkr 8πkr Dieser ad hoc Ansatz für lineare Medien wird im Folgenden genauer erklärt. Ergänzung zur Herleitung der Feldenergie Es soll in Anlehnung an die Herleitung der inneren Energie im Vakuum der Aufwand an Energie δU berechnet werden, um zusätzliche Ladung in eine vorgegebene Konfiguration innerhalb eines Dielektrikums zu bringen. Zur vorhandenen Ladungsdichte ρf (x) und dem Potential φ(x) soll jetzt die zusätzliche freie Ladung δρf gebracht werden. Anders als im Abschnitt 2.4, wo von Punktladungen ausgegangen wurde, ist hier δρf kontinuierlich, so dass ˆ δU = d3 x φ(x) δρf (x) . Setzen wir δρf = tion δU =

1 4πkr

∇·δD und E = −∇φ ein, so erhalten wir nach partieller Integra4πkr

ˆ d3 x φ(x) ∇ · (δD) =

Daraus folgt ˆ U δU = U= 0

1 4πkr 0

ˆ d3 x

1 

ˆ

1 4πkr

ˆ d3 x E · δD.

D

δD·D = 0

1 8πkr

(6.3.2)

ˆ d3 x E(x)·D(x).

Dann gilt auch ˆ ˆ 1 1 U= d3 x (−∇φ) · D = d3 x φ ρf . 8πkr 2 Sind im Dielektrikum Leiter der Volumina Vi vorhanden, so ist (6.3.1) zu modifzieren: " ˆ ˆ (A.4.3) −1 −1 1 3 3 d x E·D = d x φ(x)∇·D = φ df ·D U= 8πkr 8πkr 8πkr ∂V  ˆ ˆ  " 1 1 − φi φi qi + df i ·D− d3 x φ(x) ∇·D = d3 x φ ρf . (6.3.1 ) 2 2 ∂Vi i

i

220

6 Elektrostatik in Materie

Kraft auf Ladungsverteilung Die Kraft, die vom elektrischen Feld auf ein Volumenelement im Dielektrikum wirkt, kann bestimmt werden indem man das Medium um δs(x) verschiebt und die Arbeit δA = −δU berechnet, die hierbei geleistet und der Feldenergie entzogen wird: ˆ δA = d3 x δs·f c = −δU, ˆ ˆ ˆ 2 1 1 1 3 D 3 δU = d x E·δD − d3 x E 2 δ , δ d x = 8πkr 0 4πkr 8πkc E·δD = −∇·(φδD) + φ∇·δD = −∇·(φδD) + 4πkr φδρ. Eingesetzt in δU folgt nach Anwendung des Gauß’schen Satzes für ein genügend großes Volumen V: ˆ ˆ 1 3 δU = d x φδρ − d3 x E 2 δ . (6.3.3a) 8πkc V V Wenn nun ρf (x) um δs verschoben wurde, das Volumen aber ungeändert bleibt, so wird über ρf (x) = ρf (x−δs) integriert: δρ = ρf (x−δs)−ρf (x) = −δs·∇ρf (x) = −∇·(δsρf ).

(6.3.3b)

Angenommen wird, dass δs nur schwach variiert. Das gleiche Verfahren kann auch für angewandt werden: δ = −δs·∇ = −∇· δs. Man erhält so nach partieller Integration ˆ ˆ 1 δU = − d3 x E 2 δs·∇ . d3 x δs·ρf E + 8πk c V

(6.3.3c)

Daraus folgt die Kraftdichte [Greiner, 2002, (7.17)] f c (x) = ρf E −

1 E 2 ∇ . 8πkc

(6.3.3d)

Der erste Term ist die Kraft des Feldes auf die freien Ladungen. Der zweite Term liefert auf der Grenzfläche des Dielektrikums zum Vakuum eine Kraft, die dieses in das Vakuum ziehen will. So wird ein Dielektrikum in einen Plattenkondensator hineingezogen, wie später gezeigt wird. Hat man zwei Punktladungen q und q  , die in einem konstanten Dielektrikum eingebettet sind, so erhält man das Punktkraftgesetz Fc = qE = kc

qq  er . r2

6.3 Energie im Dielektrikum

221

Man kann (6.3.3d) verallgemeinern indem man fordert, dass eine eindeutige Funktion der Massendichte ρm der Materie ist [Becker, Sauter, 1973, (3.4.9)]: δ =

d d δρm = − ∇·ρm δs. ρm dρm

Nach den gleichen Schritten wie vorher (partielle Integration) hat das Ergebnis jetzt einen Zusatzterm f c (x) = ρf E −

d 1 1 E 2 ∇ + ∇E 2 ρm . 8πkc 8πkc dρm

Der dritte Term liefert zwar keine Gesamtkraft, wie durch Anwendung des Gauß’schen Satzes (A.4.4) hervorgeht, aber interne Kräfte, die durch Volumenänderung, Druck, etc. ausgeglichen werden können. Dielektrische Flüssigkeiten können mit diesem Modell beschrieben werden [Panofsky & Phillips, 1962, Abschn. 6-7]. 6.3.2 Energie und Kraft bei Änderung der Dielektrizitätskonstante Gegeben ist ein Medium mit vorgegebener Ladungsdichte ρf und der Dielektrizitätskonstanten a . Die elektrostatische Energie des Systems ist dann ˆ 1 Ua = d3 x Ea · Da . 8πkr Änderung der Dielektrizitätskonstante bei konstanter Ladung Nun soll die Dielektrizitätskonstante auf geändert werden, ohne dass ρf geändert wird. Man kann sich dabei vorstellen, dass ein Kondensator in ein Dielektrikum eingeschoben wird, wie es in Abb. 6.12 dargestellt ist. Zu berechnen ist die Energiedifferenz, die sich aus der Änderung der Polarisierbarkeit des Mediums ergibt, wobei man von einem Medium der Dielektrizitätskonstante a und der Energie Ua ausgeht und zuletzt und U vorfindet:  ˆ   Da = a 0 Ea 1 3 d x D · E − Ea · Da mit ΔUq = U − Ua = 8πkr D = 0 E.

Da ρf für beide Medien gleich ist, gilt ∇ · D = ∇ · Da . Durch Addition von Ea ·D erhält man einen Term der Form Ea · (D−Da ). Nun ist Ea = −∇φa , und nach partieller Integration sieht man, dass dieser Beitrag verschwindet. Nach demselben Schema wird noch der Term −E · Da hinzugefügt: ˆ  1 ΔUq = d3 x (E + Ea ) ·(D − Da ) + E · Da − Ea · D   8πkr 1 = 8πkr

ˆ

−∇(φ+φa )

 d3 x (φ + φa )∇ · (D − Da ) + E · Da − Ea · D .

222

6 Elektrostatik in Materie

Setzt man noch D − 0 E = 4πkr P, so ergibt sich im Vakuum ( 0 Ea = Da ) die Energiedifferenz ˆ ˆ    =1 1 1 ΔUq = d3 x P · Ea . d3 x E · Da − Ea · D a= − (6.3.4) 8πkr 2 Wird die Ladung konstant gehalten, so ist das System isoliert und die Arbeit δAq , die vom System geleistet wird, geht auf Kosten der inneren Energie δΔUq + δAq = 0

mit

δAq = Fq · δx.

δx ist eine starre Verschiebung. Die Variation bei konstant gehaltener Ladung ergibt ˆ ˆ ˆ 1 1 part. int. 1 3 3 δΔUq = d x ρf δφ = d3 x ρf (δx · ∇)φ. d x D · δE = 8πkr 2 2 Daraus folgt die Kraft ˆ 1 d3 x ρf E , Fq = 2

(6.3.5)

die auch mittels Fq = −∇ΔUq bestimmt werden könnte. Änderung der Dielektrizitätskonstante bei konstantem Potential Praktisch wichtiger als die oben besprochene Änderung der Dielektrizitätskonstanten bei festen Ladungen ist die bei festem Potential. Hier werden beim Einbringen des Dielektrikums von der Batterie Ladungen auf die Metalle nachgeliefert bzw. davon abgezogen. Es ändert sich so ρf , während das Potential unverändert bleibt E = Ea = −∇φ. Wir gehen vom Vakuum aus, d.h. dass a = 1 und Da = 0 Ea gilt: ˆ ˆ 1 1 d3 x (E · D − Ea · Da ) = d3 x (Ea · D − 0 Ea ·E) ΔUφ = 8πkr 8πkr ˆ ˆ 1 1 3 d3 x Ea · P. d x Ea · (D − 0 E) = (6.3.6) = 8πkr 2 Die Energieänderung ist entgegengesetzt gleich der Änderung bei festgehaltener Ladungsdichte. Wenn wir jetzt die Kraft auf einen Körper mit der Koordinate x berechnen, die auf einen Körper wirkt, so haben wir bei konstantem Potential auch die Energieänderung der Spannungsquelle zu beachten. Die vom System geleistete Arbeit δA ist also nicht mehr allein durch die Abnahme der inneren Energie δU bestimmt, sondern es ist auch die von der Spannungsquelle zugeführte Energie einzubeziehen, so dass ˆ δAφ + δΔUφ = δUb = d3 x φδρf .

Aufgaben zu Kapitel 6

223

Mit Ub > 0 wird die von der Spannungsquelle dem System zugeführte Energie bezeichnet. Anzugeben ist noch ˆ ˆ 1 −1 δΔUφ = d3 x Ea · δ(D − 0 E) = d3 x (∇φ) · δD 8πkr 8πkr ˆ part. int. 1 d3 x φ δρf . = 2 Setzt man δρf = (δx · ∇)ρf ein, so erhält man ˆ ˆ 1 part. int. 1 d3 x φ(δx · ∇)ρf d3 x E · δx ρf . δAφ = δUb − δUφ = = 2 2 Es zeigt also die Kraft, unabhängig davon, ob die Ladung oder das Potential konstant gehalten wird, in die Richtung mit wachsendem , wie es in Abb. 6.12 skizziert ist ˆ 1 Fφ = d3 x Eρf . (6.3.7) 2

Q

-

V

+

−Q

Abb. 6.12. Dielektrikum im Plattenkondensator: Das Dielektrikum wird sowohl bei konstanter Ladung auf den Kondensatorplatten als auch bei konstant gehaltener Spannung V in den Kondensator hineingezogen

Anmerkung: Der leere Plattenkondensator, wie er in Abb. 6.12 dargestellt ist, hat ein homogenes Feld, wenn man von den Randkorrekturen absieht. Befindet sich das Dielektrikum zur Gänze im Kondensator, so wird es polarisiert und hat dann ein Dipolmoment, auf das im homogenen Feld keine Kraft wirkt. Ist jedoch das Dielektrikum nur teilweise eingeschoben, so hat man in dem Bereich des Dielektrikums eine um den Faktor  größere Oberflächenladung. Diese erzeugt im leeren Teil des Randbereiches ein stärkeres und somit inhomogenes Feld, das das Dielektrikum in den Kondensator zieht.

Aufgaben zu Kapitel 6 6.1. Plattenkondensator: Ein Kondensator (Ladung Q) sei teilweise mit einem Dielektrikum gefüllt, wie in Abb. 6.6 skizziert. Verifizieren Sie Tab. 6.1, S. 211, d.h. berechnen Sie σ, E, C samt der Polarisationsladung σp . 6.2. Dielektrische Kugel im homogenen Feld: Eine dielektrische Kugel (Dielektrizitätskonstante , Radius R) befinde sich in einem homogenen Feld E . Potential und Feld für r ≥ R sind gleich dem einer konzentrischen, leitenden Kugel mit dem Radius a, der zu bestimmen ist.

224

6 Elektrostatik in Materie

6.3. Ladung vor dielektrischer Kugel: Die Ladung q befinde sich, wie in Abb. 6.13 skizziert, vor einer dielektrischen Kugel der Permittivität . Abb. 6.13. Ladung q vor dielektrischer Kugel mit dem Radius R im Abstand d = (0, 0, d) vom Zentrum

d q

6 x ϑ

ez

1. Entwickeln Sie die Potentiale φi und φa innerhalb und außerhalb der Kugel nach Legendre-Polynomen und bestimmen Sie die Koeffizienten aus den Randbedingungen. 2. Bilden Sie geeignete Grenzwerte, um die Felder für eine Punktladung im Abstand d0 = R−d vor einer dielektrischen Halbebene und 3. eine dielektrische Kugel im homogenen Feld beschreiben zu können.



6 

R

Hinweis: Ihre Ergebnisse können Sie mit denen der Abschnitte 6.2.3, Seite 211 bzw. 6.2.4, Seite 212 vergleichen. 6.4. Homogen geladenes Ellipsoid: Gegeben ist ein Ellipsoid mit homogener Ladungsdichte ρ; gesucht ist das zugehörige Potential im Innen- und Außenraum (φi und φa ), das nach Dirichlet2 durch den Ansatz ˆ



φi (x) = c0 0

ˆ



φa (x) = c0

λ0

fj (xj , λ) =

dλ  dλ 

1 g(λ) 1 g(λ)



1−



1−

x2j x2j = , 2 aj + λ gj (λ)

3 

fj (xj , λ)

j=1

3 



c0 = ρπa1 a2 a3 ,



fj (xj , λ) ,

j=1

g(λ) =

3 +

gj (λ) ,

(6.3.8)

(6.3.9)

gj (λ) = a2j +λ

(6.3.10)

j=1

bestimmt ist. aj sind die Halbachsen des Ellipsoids und λ0 ist durch



fj (xj , λ0 ) = 1

(6.3.11)

j

definiert. Zu zeigen ist damit in erster Linie, dass φi die Poisson- und φa die LaplaceGleichung im Innen- und Außenraum erfüllen und dass φi (∂V ) = φa (∂V ) stetig auf der Oberfläche sind. 6.5. Ellipsoid im homogenen Feld: Bringt man ein Ellipsoid mit der Permittivität  in ein homogenes äußeres Feld E0 , so wird sich im Inneren das Feld Ei = E0 −



Nj Pj

j

einstellen. Anzugeben sind die Entelektrisierungsfaktoren, wobei Sie insbesondere  Nj = 4π verifizieren sollen. die Relation j 2

siehe Becker-Sauter Theorie der Elektrizität 1, Teubner, Stuttgart (1973), S. 53

Aufgaben zu Kapitel 6

225

Hinweis: P bekommen Sie, wenn Sie zwei Ellipsoide mit den Ladungsdichten ±ρ infinitesimal gegeneinander verschieben; die zugehörigen Potentiale sind in Aufgabe 6.4 angegeben. 6.6. Spontane Polarisation: Feldlinien eines Quaders Abb. 6.14 zeigt die xy-Ebene eines in der z-Richtung unendlich ausgedehnten Quaders. Dieser bestehe aus einem Medium mit der homogenen Polarisation P = P ey . Die Schnittfläche von Abb. 6.14 ist ähnlich der des Stabmagneten in Abb. 7.5. Das y

σp

6 b

6

P

? 6 6 6 6x 6 b

?−σp  a - a -

Abb. 6.14. Schnittfläche z = 0 durch einen unendlich langen Quader von homogener Polarisation P und der Oberflächenladung σp = P > 0  P = P ey θ(y + b) − θ(y − b) θ(x + a) − θ(x − a)   ρp = −∇ · P = −σp δ(y + b) − δ(y − b) θ(x + a) − θ(x − a)

gilt auch für die Feldlinien E  H und D  B, die für den Quader analytisch berechnet werden können. 1. Berechnen Sie die Felder E und D. 2. Bestimmen Sie die Feldlinien in der Nähe der Oberflächenladungen y = b für |x| < a und skizzieren Sie den Verlauf der Feldlinien (E und D). 6.7. Funktionentheoretische Methode: Feldlinien eines Quaders Abb. 6.14 der Aufgabe 6.6 zeigt die xy-Ebene eines in der z-Richtung unendlich ausgedehnten Quaders. Berechnen Sie für diesen mit der Methode der Funktionentheorie, Abschnitt 3.5.2, das Potential φ(x, y) und die elektrischen Feldlinien ψ(x, y) = const. 6.8. Vektorpotential der dielektrischen Verschiebung: Abb. 6.15 zeigt die xy-Ebene σp y 6 P

6 6 6 6-x a −σp

Abb. 6.15. Schnittfläche z = 0 durch einen unendlich langen Kreiszylinder von homogener Polarisation P und der Oberflächenladung σp > 0

eines in der z-Richtung unendlich ausgedehnten, homogen polarisierten Zylinders. D ist ein quellenfreies Feld dessen Vektorpotential A Sie berechnen sollen; daraus bestimmen Sie dann D = rot A. Skizzieren Sie die Feldlinien D und E. Hinweis: Gehen Sie von (4.1.4) aus und berechnen Sie rot D.

226

6 Elektrostatik in Materie d6

−Q 

z

6y -x   x- a

?



Q

-

b

Abb. 6.16. In den Plattenkondensator mit der Ladung Q > 0 wird ein Dielektrikum hineingezogen (hineingeschoben)

6.9. Dielektrikum im Plattenkondensator 1. Auf dem isolierten Plattenkondensator befinde sich die Ladung Q. Berechnen Sie Energiedifferenz ΔUq (x) = U (x) − U0 und Kraft Fq (x) auf das Dielektrikum, wenn dieses um die Strecke x in den Plattenkondensator hineingeschoben wird (siehe Abb. 6.16). Vernachlässigen Sie Streufelder. 2. Jetzt wird der Plattenkondensator auf der Spannung V = Q/d gehalten, während das Dielektrikum eingeschoben wird. Berechnen Sie wiederum Energiedifferenz ΔUv (x) und Kraft Fv (x).

Literaturverzeichnis M. Abraham, R. Becker Theorie der Elektrizität Bd. 1, 8. Aufl. Teubner Leipzig (1930) R. Becker, F. Sauter Theorie der Elektrizität 1, 21. Aufl. Teubner, Stuttgart (1973) W. Greiner Klassische Elektrodynamik, 6. Aufl., Harri Deutsch GmbH Frankfurt (2002) W. Panofsky, M. Phillips Classical Electricity and Magnetism, 2. ed. Addison-Wesley (1962) F. Schwabl Statistische Mechanik, 3. Aufl. Springer Berlin (2006) A. Sommerfeld, Elektrodynamik, 5. Aufl. Akad. Verlagsges. Leipzig (1967)

7 Magnetostatik in Materie

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

. .

Wir haben bereits gesehen, dass für D = B = 0 die Maxwell-Gleichungen (5.2.16) in je zwei Differentialgleichungen für die Elektrostatik und die Magnetotstatik entkoppeln. Für Letztere sind die Grundgleichungen ∇×H =

4πkr kl jf c



SI: ∇×H = jf ,

∇ · B = 0,

(7.1.1)

die zusammen mit der Materialgleichung (5.2.17) B = μμ0 H = μ0 (H + 4πkr M) = μ0 H + 4πkr J

(7.1.2)

die Basis der Magnetostatik bilden. Hier haben wir noch die eher selten verwendete magnetische Polarisation J = μ0 M angegeben. Schreibt man das Durchflutungsgesetz in der Form ∇×B =

 4πkc  jf + jm ckl

mit jm =

c ∇×M, kl

(7.1.3)

kc = μ0 so folgt daraus das Vektorpotential SI: ck 4π l

A(x) =

kc ckl

ˆ d3 x

jf (x ) + jm (x ) |x−x |

mit

∇ · A = 0.

(7.1.4)

Die magnetische Induktion ist gegeben durch B = ∇ × A. In linearen Medien (siehe Seite 172) erhält man ˆ kc jf (x ) A(x) = d3 x μ . (7.1.5) ckl |x − x | Anmerkung: Aus (7.1.1) und (7.1.2) folgen Wirbel- und Quelldichten von H und B:

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_7

228

7 Magnetostatik in Materie 1 ∇×H = 4πkr 1 ∇×B = ωb = 4πkr

ωh =

kl jf , c kl μ0 (jf +jm ), c

ρh =

1 ∇·H ≡ ρm = −∇·M, 4πkr

ρb = 0.

(7.1.6)

Für die magnetische Ladungsdichte wird im Folgenden statt ρh immer die Bezeichnung ρm verwendet. Verschwindet jf = 0, so ist H gegeben durch: ˆ ρm (x ) φm (x) = kr d3 x (7.1.6 ) , H = −∇φm . |x−x |

7.1.1 Übergangsbedingungen an Materialoberflächen Die Randbedingungen für die beiden Grundgleichungen (7.1.1) wurden bereits im Abschnitt 5.2.5 hergeleitet. Aus div B = 0 folgt die Stetigkeit der Normalkomponente Bn und aus dem Ampère’schen Gesetz erhält man aus (5.2.25) bei der gegebenen Abwesenheit von Oberflächenströmen an der Trennfläche die Stetigkeit der Tangentialkomponenten von H. Um es anhand von Abb. 7.1 kurz zu wiederholen, zeigt man bei div B = 0 die Stetigkeit der Normalkomponente mittels des Gauß’schen Satzes durch Integration über einen infinitesimalen Zylinder (Pillendose). Ist rot H = 0, so erhält man die Stetigkeit der Tangentialkomponenten mithilfe des Stokes’schen Satzes durch Integration über ein infinitesimales Rechteck: (1)

(2)

(1)

B⊥ = B⊥ ,

(2)

H = H .

(7.1.7)

Die Verwendung von H ist vielfach zweckmäßig, da es durch die freien Ströme, die experimentell gut kontrollierbar sind, bestimmt wird.

2 1

Abb. 7.1. Trennfläche zwischen Medium 1 und 2. Das Rechteck infinitesimaler Höhe wird zur Bestimmung der Übergangsbedingung für die Tangentialkomponenten von H herangezogen, die zylindrische Scheibe für die Normalkomponente von B

Aus div B = μ0 (div H+4πkr div M) folgt ρm = − div M ,

div H = 4πkr ρm ,

(7.1.8)

was besagt, dass H Quellen und Senken hat. Da rot H = 0, ist H durch ein skalares Potential φm darstellbar. Die in (7.1.8) definierte Ladungsdichte ρm hat in der Elektrostatik ihr Pendant in ρp (5.2.6). Bei einem Permanentmagnet kann man davon ausgehen, dass M(x) an der Oberfläche einen Sprung hat. In Abb. 7.2 betrachtet man einen infinitesimalen Zylinder um z = 0. Dann gilt nach (7.1.8) M = M0 θ(−z) und n = ez : ρm = −∇·M = σm δ(z)

mit

σm = M0 ·n.

(7.1.9)

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik z 6 n

6 Δf

σm

229

Abb. 7.2. Die xy-Ebene sei eine Oberfläche des Permanentmagneten mit der Oberflächenladung σm und dem magnetischen Moment m = σm Δf n. Δf ist die Basisfläche eines infinitesimalen Zylinders um den Ursprung des Koordinatensystems

7.1.2 Helmholtz’scher Zerlegungssatz Ein Vektorfeld kann in ein wirbelfreies und ein quellenfreies Vektorfeld zerlegt werden, wenn gewisse Voraussetzungen, die Stetigkeit und das asymptotische Verhalten betreffend, gegeben sind. Mithilfe der Identitäten (A.2.38) und (2.1.7) Δa = ∇(∇·a) − ∇×(∇×a),

a = v(x )/|x−x |

(7.1.10)

kann ein Vektorfeld v, das asymptotisch mit einer Potenz 1/r mit > 0 abfällt, dargestellt werden als ˆ −1 v(x ) d3 x Δ (7.1.11) v(x) = 4π |x−x | ˆ ˆ   −1 v(x ) v(x ) 1 3  = d3 x ∇ ∇· d x ∇× ∇× + . 4π |x−x | 4π |x−x |     vl (x) = −∇φ(x) vt (x) = ∇×A(x)

Das ist eine Zerlegung von v in ein wirbelfreies Feld vl , da ∇× vl = 0, und ein quellenfreies Feld vt , da ∇ · vt = 0. Diese wird als schwache Form des Zerlegungssatzes bezeichnet, wenn die zugehörigen Potentiale φ(x) und A(x) in den Zerlegungssatz nicht einbezogen werden. Fällt v stärker als 1/r ab, so erhält man diese Potentiale indem man ∇ bzw. ∇× vor das Integral zieht. Zu zeigen ist hierbei, dass das Integral ˆ 1 1 φ(x) = d3 x v(x )·∇ , (7.1.12) 4π |x−x |

das sich über ein einfach zusammenhängendes, unbeschränktes Gebiet G ⊆ R3 mit (stückweise) glatter Randfläche erstreckt, endlich ist. Integriert man über eine Kugel KR vom Radius R, so genügt es zu zeigen, dass der Integrand asymptotisch mit R → ∞ verschwindet, um Konvergenz zu erreichen. Sei φR (x) der Anteil des Potentials der Kugel KR um x, so ist der Anteil φa außerhalb derselben, wobei v(r → ∞) = v∞ x /r2+ eine obere Grenze bildet: ˆ ˆ ∞ dr 1 x v∞ φa (x) = d3 x v(x +x)· 3 ≤ v∞ = → 0. 1+ 4π r >R r r R R Bei schwächerem Abfall definiert man das Potential φv für ein (einfach zusammenhängendes) endliches Volumen V mit glattem Rand

230

7 Magnetostatik in Materie

1 φv (x) = 4π

ˆ d3 x v(x )·∇ V

1 |x−x |

(7.1.13)

und bildet den Grenzwert V → ∞, indem man das (ebenfalls divergierende) Potential eines beliebig gewählten Punktes x0 , an dem |v(x0 )| < ∞ ist, abzieht:  φ(x) → φ(x, x0 ) = φ(x)−φ(x0 ) := lim φv (x)−φv (x0 ) . (7.1.14) V →∞

Das Potential ist hier als Differenz zum Potential des Punktes x0 gegeben. Fällt v stärker als 1/r ab, so wählt man x0 im Unendlichen, wo φ(x0 → ∞) verschwindet. φ(x) ist dann der ’absolute Wert’ des Potentials. Die Vorgehensweise zum Vektorpotential A(x) ist gleich der zum skalaren Potential und die zugrundeliegende Systematik ist im Anhang A.4.7 dargelegt. Zuletzt ist noch zu bemerken, dass (7.1.11) auch für stückweise stetig differenzierbare Vektorfelder mit endlichen Diskontinuitäten gilt, so dass die Ergebnisse folgendermaßen in Form des Helmholtz’schen Zerlegungssatzes zusammengefasst werden: Satz: Sei v(x) ein stückweise stetig differenzierbares Vektorfeld mit dem asymptotischen Verhalten lim v(r)r < ∞ für > 0, r→∞

so gilt die Zerlegung v(x) = vl (x) + vt (x) = − grad φ(x) + rot A(x), wobei die Potentiale ˆ −1 1 d3 x v(x )·∇ φ(x) = , 4π |x−x | ˆ 1 1 d3 x v(x )×∇ mit ∇·A(x) = 0 A(x) = 4π |x−x |

(7.1.15)

(7.1.16)

im Bereich 1 ≥ > 0 zu ersetzen sind durch die Differenz zu den Potentialen an einem frei wählbaren Konvergenzpunkt x0 : φ(x, x0 ) = φ(x)−φ(x0 ),

A(x, x0 ) = A(x)−A(x0 ).

(7.1.17)

Diese Zerlegung ist eindeutig, wenn vl (x) im Unendlichen verschwindet. Anmerkungen 1. Ohne die Annahme, dass vl asymptotisch verschwindet, können wirbelund quellenfreie Vektorfelder vh dem Vektorfeld vl hinzugefügt werden, wenn sie von vt wieder abgezogen werden, ohne v zu ändern. 2. Es genügt, nur das Verschwinden von v im Unendlichen zu verlangen, ohne Hinweis auf eine Potenz [Blumenthal, 1905]:  φ(x, x0 ) = lim φv (x)−φv (x0 ) − (x−x0 )·∇0 φv (x0 ) , V →∞  (7.1.18) A(x, x0 ) = lim Av (x)−Av (x0 ) − (x−x0 )·∇0 Av (x0 ) . V →∞

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

231

Der Preis dafür ist die Aufgabe der strikten Eindeutigkeit; der Satz kann dann auch auf sublinear ansteigende Vektorfelder angewandt werden, wie im Anhang A.4.7 gezeigt wird. Nicht aufrechterhalten werden kann die Bedingung, dass vl asymptotisch verschwinden muss. Die Teilfelder vl,t eines Vektorfeldes v, das asymptotisch logarithmisch verschwindet, können jedes für sich (logarithmisch) divergieren [Blumenthal, 1905; Petrascheck, Folk, 2017]. Eine Konsequenz von 7.1.18 ist die Modifikation von (7.1.15): v(x)−v(x0 ) = −∇φ(x, x0 )+∇×A(x, x0 ).

(7.1.19)

3. Der Satz gilt auch, wenn Singularitäten auftreten, solange die Integrale (7.1.16)–(7.1.18) konvergieren, wie etwa für das Feld einer Punktladung (Aufgabe 7.1). Beweis des Zerlegungssatzes In (7.1.11) wurde die Zerlegung eines Vektorfeldes v in ein Quellenfeld vl und ein Wirbelfeld vt gezeigt, wenn v asymptotisch wenigstens mit einer kleinen Potenz ∼ 1/r verschwindet. Das zugehörige skalare Potential (7.1.12) existiert nur, wenn v ∼ 1/r1+ stärker als linear abfällt. Bei schwächerem Abfall haben wir nur die Konstruktion des Potentials (7.1.14) angegeben und verweisen auf den Anhang A.4.7, wo auch asymptotisch sublinear ansteigende Vektorfelder zur Sprache kommen. Die Existenzbeweise für die Vektorpotentiale sind völlig analog denen für die skalaren Potentiale, so dass eine Wiederholung für jene nicht notwendig ist. Es bleibt also nur der Beweis der Eindeutigkeit der Zerlegung. Eindeutigkeit der Zerlegung des Vektorfeldes in wirbel- und quellenfreien Teil Seien v = vl +vt und v = vl +vt zwei verschiedene Zerlegungen von v in Quellen- und Wirbelfelder zu denselben Quellen und Wirbeln, so ist vd = vl −vl ein quellen- und wirbelfreies Vektorfeld: div vd = rot vd = 0,

vd = −∇φd ,

Δφd = 0.

Die allgemeine Lösung der Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten (3.2.38) ist φd (x) =

∞  l 

(αlm rl + βlm r−l−1 )Ylm (ϑ, ϕ).

l=0 m=−l

Da nach dem Prinzip vom Maximum und Minimum (siehe Anhang A.4.5) die maximalen und minimalen Werte einer harmonischen Funktion auf dem Rand liegen, müssen alle βlm = 0 sein. Das radiale Vektorfeld vd ·er = −

∞  l  ∂φd r→∞ =− αlm lrl−1 Ylm (ϑ, ϕ) = 0 ∂r l=0 m=−l

232

7 Magnetostatik in Materie

muss asymptotisch ebenfalls verschwinden, da vl (r → ∞) = 0. Es verschwinden also alle Koeffizienten αlm = 0 außer α00 , und die Lösung des skalaren Potentials ist demnach eine Konstante √ φd (x) = α00 Y00 = α00 / 4π. Damit ist vd = 0, und die Lösung ist eindeutig. Nicht gezeigt haben wir, dass vl , berechnet mittels (7.1.16), für r → ∞ verschwindet. Alternative Darstellung der Potentiale Die Form der Potentiale φ und A (7.1.16) folgt zwar direkt aus der Zerlegung (7.1.11), wird aber meist durch Darstellungen ersetzt, die aus den partiellen Integrationen von (7.1.16) hervorgehen. Integriert wird hierbei über ein unbeschränktes Gebiet G ⊆ R3 . Um die Rechnungen zu vereinfachen, gehen wir von einer einzigen Unstetigkeitsfläche F aus. Diese teilt das Gebiet G in die zwei Teilvolumina V > und V < . Da v in beiden Teilvolumina stetig ist, kann der Gauß’sche Satz (A.4.3) angewandt werden "  ˆ " <  >  1 ∇ ·v(x ) 1  v (x )  v (x ) . df · df · φ(x) = d3 x − + 4π G\F |x−x | 4π |x−x | |x−x | ∂V> ∂V< Die restlichen Teile der Oberfläche liefern keinen Beitrag, solange v(r → ∞) ∼ 1/r1+ . Bei schwächerem Abfall greift man auf (7.1.17)–(7.1.18) zurück. Die gleichen Umformungen können auch mit dem Vektorpotential gemacht werden, und man erhält, wobei der Randterm wiederum mithilfe des (erweiterten) Gauß’schen Satzes (A.4.5) ausgewertet wird: "  ˆ " >    <  1 1 3  ∇ ×v(x )  v (x )  v (x ) A(x) = . d x df × df × − + 4π G\F |x−x | 4π |x−x | |x−x ∂V < ∂V > Die Oberflächennormalen von V > und V < haben unterschiedliches Vorzeichen, so dass wir an den Unstetigkeitsflächen die Differenz v< −v> erhalten. Zusammengefasst erhalten wir: ˆ "   <  >  1 1 3  ∇ ·v(x )  v (x )−v (x ) φ(x) = d x df · − , 4π G\F |x−x | 4π F |x−x | (7.1.20) ˆ " ∇ ×v(x ) 1 v< (x )−v> (x ) 1  d3 x df × − . A(x) = 4π G\F |x−x | 4π F |x−x | Wie bereits erwähnt, zieht man bei schwächerem Abfall (7.1.17)–(7.1.18) heran und erweitert, wenn nötig, (7.1.20) auf mehrere Diskontinuitäten. Für manche Anwendungen, wie z.B. der Berechnung der Felder von homogen magnetisierten Körpern, wird sich (7.1.20) als günstig erweisen da dort das Volumenintegral verschwindet.

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

233

Helmholtz-Theorem Inhalt des Helmholtz-Theorems ist die eindeutige Bestimmung eines Vektorfeldes v aus seinen Quellen und Wirbeln (div-curl-problem). Ist nun v bekannt, so sind das auch seine Quellen ρ = ∇·v/4π und Wirbel j = ∇ × v/4π, wobei x ∈ / F . Hinzu kommen noch Flächenladungen σv und Flächenwirbel (Flächenströme) Kv , wobei df  = df  n und n von V < nach außen zeigen. σv = n·(v< −v> )/4π,

Kv = n×(v< −v> )/4π.

(7.1.21)

Eingesetzt in (7.1.20) erhält man die Potentiale aus den Quellen und Wirbeln, soweit diese asymptotisch genügend schnell abfallen. Die Beiträge der Flächenladungen/Flächenwirbel sind Folge von Sprungstellen des Vektorfeldes bzw. von Singularitäten der Quellen/Wirbel, die in (7.1.20) aus den Volumenintegralen mittels G\F ausgeschlossen wurden. Diese können aber auch in den Volumenbeiträgen integriert bleiben. So formulieren wir das Helmholtz-Theorem in Anlehnung an Griffiths [2011, S. 685]: Sind Divergenz ρ(x) und Rotation j(x) eines Vektorfeldes v(x) festgelegt, gehen beide für r → ∞ schneller als 1/r2 gegen null, und geht v(x) ebenfalls gegen null, dann ist v eindeutig darstellbar durch v(x) = −∇φ(x) + ∇×A(x), ˆ ρ(x ) φ(x) = d3 x , |x−x |

(7.1.22)

ˆ A(x) =

d3 x



j(x ) . |x−x |

(7.1.23)

Bei einem Abfall der Quell- bzw. Wirbeldichte von 1/r im Bereich 1 < ≤ 2 können die Potentiale mittels (7.1.17) berechnet werden. Bemerkung: Bei dem noch schwächeren Abfall 1/r mit 0 < ≤ 1 können die Potentiale mithilfe von (7.1.18) berechnet werden: v darf dann asymptotisch sublinear divergieren, ist aber nur bis auf eine vektorielle Konstante bestimmt. 7.1.3 Potentiale und Felder in Ferromagneten Vorgegeben ist die Magnetisierung M. Im betrachteten Volumen sind keine freien Ströme (jf = 0), so dass rot H = 0 . Die Materialgleichung (7.1.2) ist dann eine Zerlegung von M in ein wirbelfreies und ein quellenfreies Feld: 4πkr M = −H + B/μ0



v = vl + vt .

(7.1.24)

Man berechnet also entweder H als Gradient von φm oder B als Rotation von A. An den Randflächen des Magneten nimmt M so stark ab, dass, wie in Abb. 7.2 skizziert, eine Diskontinuität die Situation besser beschreibt als eine kontinuierliche Funktion. Der Magnet habe das Volumen V . Im Außenraum verschwinde die Magnetisierung (v> = 0). Dann erhält man aus (7.1.16) unter Berücksichtigung von vl = −H = ∇φm :

234

7 Magnetostatik in Materie

ˆ

1 , d3 x M·∇ | |x−x V ˆ 1 A(x) = kr μ0 d3 x M×∇ . | |x−x V

φm (x) = kr

(7.1.25)

Der Diskontinuität wird jedoch die aus der partiellen Integration folgende Formulierung (7.1.20) besser gerecht: " ˆ df  ·M ∇ ·M φm (x) = −kr d3 x + k , r  |x−x | ∂V |x−x | V  ˆ (7.1.26) " ∇ ×M df  ×M A(x) = kr μ0 . d3 x −  |x−x | V ∂V |x−x | Das sind die grundlegenden Ausdrücke für die Potentiale in der Magnetostatik. In vielen Fällen hat der Magnet eine konstante Magnetisierung; es trägt dann nur die Oberfläche zum Potential und in Folge zu den Feldern bei. Im Permanentmagnet hat man die magnetostatischen Ladungs-/Stromdichten (7.1.8), (7.1.3) und die Flächenladungs-/Flächenstromdichten (7.1.9) ρm (x) = −∇·M, σm (x) = M·n,

jm (x) = (c/kl )∇×M, Km (x) = (c/kl )M×n.

(7.1.27)

Setzt man diese in (7.1.26) ein, so erhält man die dem Helmholtz-Theorem si

entsprechenden Potentiale (kr μ0 kl /c = kc /ckl = μ0 /4π )  "  ρm (x )  σm (x ) + , d x df φm (x) = kr |x−x | |x−x | ∂V   Vˆ "   kc 1 3  jm (x )  Km (x ) A(x) = + . d x df ckl |x−x | c ∂V |x−x | V ˆ

3 

(7.1.28)

7.1.4 Anwendungen Homogen magnetisierte Kugel Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Magnetfeld einer homogen magnetisierten Kugel mit dem Radius R zu berechnen (M = M0θ(R−r)). Wir bestimmen φm unter Verwendung von (7.1.25) und ∇ |x−x |−1 = −∇ |x−x |−1 in Polarkoordinaten (ξ  = cos ϑ ): φm (x) = −kr M0 ·∇φr (x),

(7.1.29)

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

235

ˆ R ˆ 1 ˆ θ(R−r ) 2π r2 dξ   = dr φr (x) = d3 x  |x−x | r2 +r2 −2rr ξ  0 −1 2π =− r

4πR = 3

ˆR

dr r

0 3



1 ˆ   2π R    dr r (r + r ) − |r − r | r2 + r2 − 2rr ξ   = −1 r 0

1/r 3/2R − r2 /2R3

fu ¨r r ≥ R fu ¨ r r < R.

(7.1.30)

Daraus folgt mit m = (4πR3 /3)M0 ⎧ x ⎪ fu ¨r r ≥ R ⎨m · 3 r φm (x) = kr ⎪ ⎩ 1 m·x fu ¨r r < R . R3

(7.1.31)

Für die Felder gilt dann

 (m · x)x m − 3 Ha = −∇φm = kr 3 r5 r 1 4πkr M0 Hi = −kr 3 m = − R 3

r ≥ R, r < R.

(7.1.32)

Daraus folgt unmittelbar  (m · x)x m − 3 Ba = μ0 Ha = kr μ0 3 r5 r 8πkr μ0 M0 Bi = μ0 (Hi +4πkr M0 ) = 3

r ≥ R, r < R.

Statt H mittels φm zu berechnen, kann B mittels ⎧ x ⎪m× fu ¨r r ≥ R kc ⎨ r3 A(x) = 2 kl ⎪ ⎩ 1 m×x fu ¨r r < R R3

(7.1.31’)

berechnet werden (Aufgabe 7.4), oder man kann die Analogie zwischen Elektro- und Magnetostatik ausnützen P  M,

D  μ−1 0 B,

0 E  H,

indem man die Resultate der dielektrischen Kugel, Abschnitt 6.2.4, für E0 = 0, aber mit P = 0 heranzieht: Ei = −

4πkc 4πkr P P=− 3 3 0



Hi = −

4πkr M. 3

(6.2.7’)

Abb. 7.3 zeigt die Feldlinien von H und B einer Kugel. Das H-Feld hat Quellen an der Kugeloberfläche, das B-Feld hat Wirbel.

236

7 Magnetostatik in Materie

(a)

(b)

Abb. 7.3. Kugel mit (a) H-Feld und (b) B-Feld

Homogen magnetisierter Stabmagnet Ausgangspunkt ist ein Zylinder der Länge 2l mit dem Radius a, wie in Abb. 7.4 skizziert. Der Symmetrie des Systems entsprechend werden Zylinderkoordinaten genommen. Die homogene Magnetisierung ist so bestimmt durch M(x) = θ(l2 − z 2 ) θ(a − )M ez . Zunächst bestimmen wir Divergenz und Rotation von M, bzw. Ladung und   

 z 6

-

x  a

-

6 l

?6 y l

?

Abb. 7.4. Zylinder vom Radius a und der Länge 2l. Skizziert sind die magnetischen Momente als kleine Kreisströme, alle mit gleichem Umlaufsinn

Magnetisierungsstrom: ρm = −∇ · M(x) = −

jm =

∂Mz = 2zδ(l2 −z 2) θ(a− )M ∂z  = δ(l−z) − δ(l+z) θ(a− )M,

∂Mz c c c ∇ × M = − eϕ eϕ θ(l2 −z 2 ) δ(a− )M . = kl kl ∂ kl

Es sind also magnetische Ladungen an den beiden Basisflächen und Magnetisierungsströme an der gesamten Mantelfläche. Da jf = 0, ist gemäß (7.1.4)

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

A=

kc ckl

ˆ d3 x

jm (x ) , |x−x |

B=

kc ckl

ˆ d3 x jm (x ) ×

237

x−x . |x−x |3

jm entspricht der Stromdichte (4.2.36) in der endlichen Spule. Wir haben nur den Strom pro Längeneinheit In durch (c/kl )M zu ersetzen. Dann kann das Feld der Spule (4.2.37) übernommen werden. Die Oberflächenstromdichte ist jϕ = (c/kl )θ(l2−z 2) δ(a− )M . Die Ströme im Inneren kompensieren sich, wie es in Abb. 7.4 skizziert ist. Seien Bi und Hi die Felder im Inneren der Spule und Ba und Ha die Felder im Außenraum, so gilt Bi = μ0 (Hi +4πkr M),

Ba = μ0 Ha .

Die Randbedingungen besagen, dass die Normalkomponente Bn und die Tangentialkomponenten Htg stetig sind. An den Basisflächen sind die B-Linien stetig, da M senkrecht auf die Oberfläche steht und damit auch die Tangentialkomponente stetig ist. Komplizierter ist die Situation an der Mantelfläche. Die beiden Komponenten B und Bϕ sind zwar stetig, aber in der z-Richtung tritt wegen Baz = Biz − 4πkr μ0 M eine Richtungsänderung ein, die das Feld in die negative z-Richtung dreht, wie man der Abb. 7.5 entnehmen kann. Die Linien sind mithilfe von (4.2.38) und (4.2.40) gezeichnet worden, da für M = In kl /c das Feld B gleich dem der Spule ist. Nun sind B-Linien immer geschlossen, d.h., dass Linien nahe der Mantelfläche eine wirbelähnliche Struktur bilden, da sie dort nur eine kleine Normalkomponente haben. Skalares Potential Zunächst kennt man H = μ0 (B−4πkr M), da B bekannt ist. Da M = M ez konstant ist, verschwindet das Volumenintegral mit div M = 0 und es bleibt nur der Oberflächenbeitrag und von diesem nur die Integrale über Basis- und Deckfläche " " df  · M x−x  φm = kr ⇒ H = −∇φ df . = k · M m r |x−x | |x−x |3 Es zeigt sich, dass die direkte Berechnung von H schwieriger ist als die von B, so dass hier H nur durch H = B/μ0 − 4πkr M bestimmt ist.

In Abb. 7.5 ist das H-Feld eines Zylinders skizziert. Die Quellen sind an den Basisflächen, und die Analogie zum E-Feld zweier homogen geladener Platten ist offensichtlich; da a  l, besteht, wie im Randbereich eines Kondensators, eine Tendenz der Feldlinein nach außen auszuweichen. An der Mantelfläche treten die H-Linien stetig durch, da dort M parallel zur Oberfläche ist, und an den Basisflächen beginnen (enden) sie in den Quellen (Senken). Ein homogenes Feld hat man im Magnet, analog zur Elektrostatik, im Ellipsoid, d.h. auch in der Kugel Abb. 7.3.

238

7 Magnetostatik in Materie

Anmerkung: In älterer Literatur [Sommerfeld, 1967, S. 10] findet man für das magnetische Hilfsfeld H den Begriff der magnetischen Erregung in Analogie zur elektrischen Erregung für die dielektrische Verschiebung. Die H-Linien in Abb. 7.5 sind also Erregungslinien.

(a)

(b)

H

B

Abb. 7.5. (a) Zylinder mit Quellen (+ bzw. N ) an der oberen und Senken (– bzw. S) an der unteren Basisfläche und dazugehörige H-Feldlinien; diese werden, ausgehend von den Quellen an den Deckflächen, im Zylinder gegen den Rand gedrängt. (b) Die B-Feldlinien sind an den Basisflächen stetig; Wirbel sind am Mantel; die Feldlinien werden ins Innere des Zylinders gedrückt. Im Außenraum sind B- und H-Feldlinien gleich

In der z-Achse, = 0, können die Felder in einfacher Form angegeben werden: B=

z−l z+l 4πkc M   ez , − 2 2 2 2 2 kl 2 a + (z +l) a + (z −l)

SI:

4πkc = μ0 . (7.1.33) kl2

Abb. 7.6 zeigt die Feldstärken von B und H entlang der z-Achse. In einem 1 0.5 0 -2l -0.5

6

B

-l

H

4πM

l

? - z 2l

Abb. 7.6. Zylindrischer Permanentmagnet mit dem Radius a = l/4 und M = M ez . Dargestellt sind die Feldstärken Bz und Hz auf der Zylinderachse = 0

längeren Stabmagnet verschwindet H im Inneren nahezu. Man sagt, dass H „entmagnetisierend“ wirkt. Notieren Sie insbesondere, dass sich bei der HKurve die positiven und negativen Flächen kompensieren, da H wirbelfrei ist. Die magnetische Ringspannung Zb , d.h. die Wirbelstärke des Magnetfeldes B, ist

7.1 Grundgleichungen der Magnetostatik

˛

 a . Daraus folgt, da wir B kennen, ⎧ ⎪

B 4πkr kl nIμ si nIμ ⎪ ⎪ =

=

, ⎪ ⎨ 2 c 2 2 A = eϕ 2 2 2 ⎪ ⎪ si nIμ a ⎪ a B = 4πkr kl nIμ a = ⎪ , ⎩ 2 c 2 2

a.

Magnetfeld eines halbunendlichen Quaders Es wird hier eine eher exotische Konfiguration betrachtet. Ein unendlicher Quader: −∞ < x, z < 0 und −∞ < y < ∞ sei homogen magnetisiert, wie in Abb. 7.9 skizziert: M(x) = M ez θ(−x) θ(−z).

(7.1.38)

Die magnetische Ladungsdichte ρm und die Flächenstromdichte sind: ρm (x) = −∇·M = M δ(z)θ(−x), jm (x) =

c c ∇×M = M δ(x)θ(−z)ey . kl kl

Die der Elektrostatik entsprechende Konfiguration ist die halbunendliche geladene Ebene. Zwei entgegengesetzt geladene Halbebenen wurden in Abb. 2.18 mit dem Plattenkondensator verglichen, und in diesem Zusammenhang sieht die Konfiguration etwas weniger exotisch aus. Hier soll vor allem gezeigt werden, dass ein Vektorfeld (M), das überall endlich ist, ein Quellenfeld (H) und ein Wirbelfeld (B) hat, die logarithmisch divergieren. Die folgende Rechnung führen wir mit dem Helmholtz-Theorem durch, wonach für die Felder gilt: 4πkr M = −H+Bμ0



v = vl +vt .

242

7 Magnetostatik in Materie x Z -M

X

y Y

6 -

Y

z

Abb. 7.9. Quader mit den Seiten (X, Y, Z → ∞): −X < x < 0, −Y < y < Y und −Z < z < 0 sei homogen magnetisiert: M = M ez . Zum Potential φm trägt für Z → ∞ nur die schattierte Fläche bei

Der Notation des Helmholtz-Theorems folgend, ist ˆ ρ(x ) ∇·v = −kr ρm , ρ= φ = d3 x 4π |x−x |

(7.1.26)

=

−φm .

Zunächst muss φ → φv für einen endlichen Quader berechnet werden. Da die Magnetisierung konstant ist, trägt nur die Oberfläche bei, speziell die in Abb. 7.9 schattierte Vorderfläche. Die Rechnung selbst ist mühsam und Teil der Aufgabe 7.6. Wegen der Divergenz von lim φv müssen wir auf (7.1.18) V →∞

zurückgreifen:

φv (x)−φv (x0 )−(x−x0 )·∇0 φv (x0 ) V →∞   x x0  = kr M πz(sgn z −sgn z0 ) − 2z arctan −arctan z z0

  2 2 2 2 − x ln(x +z ) − ln(x0 +z0 ) + 2(x−x0 ) .

φ2 (x, x0 ) = lim

vl (x, x0 ) = −∇φ2 (x, x0 ) = vl (x) − v(x0 ),  x vl (x) = kr M ex ln(x2 +z 2 ) + ez 2 arctan − π sgn z . z

(7.1.39)

(7.1.40)

Zurückkommend auf die Magnetostatik gilt H(x, x0 ) = −vl (x, x0 ). Das Wirbelfeld folgt aus (7.1.19):  B(x, x0 ) = 4πkr μ0 M(x)−M(x0 ) +μ0 H(x, x0 ).

B = μ0 H gilt also nur, wenn neben x auch x0 außerhalb des magnetisierten Raumes liegt; die Felder sind aber nach wie vor von x0 abhängig. Bemerkenswert ist, dass B und H logarithmisch divergieren, obwohl für z → ∞ die Entfernung zum Quader groß wird. 7.1.5 Magnetostatisches Kraftgesetz Bereits zur Zeit von Newton gab es Versuche die Abhängigkeit der Anziehung bzw. Abstoßung von Magnetpolen zu bestimmen. Michell hat 1750 [Michell, 1750, S. 19] die Kraft als invers zum Quadrat des Abstandes angegeben. Neben den Versuchen zur Bestimmung der Abstoßung elektrischer Ladungen

7.2 Induktion

243

mittels der Torsionswaage hat Coulomb [Coulomb, 1780–1789] auch das entsprechende Kraftgesetz für magnetische Pole angewandt. Voraussetzung ist, dass die Magnete lang und dünn sind, so dass die entgegengesetzten Pole nicht wirksam sind [Maxwell, 1883, Art. 373–374]: Zwei magnetische Pole stossen einander in Richtung ihrer Verbindungslinie und mit einer Kraft ab, welche dem Product ihrer Stärken direct, dem Quadrat ihres Abstandes umgekehrt proportional ist. Fm = km pm1 pm2

x1 −x2 . |x1 −x2 |3

(7.1.41)

Ausgehend von Tab. C.2, S. √ 632 kann die Polstärke (7.1.6) unabhängig von den Einheiten mit pm = (kl / kc )pm angegeben werden, wenn pm in GaußEinheiten gegeben ist. Man erhält so die Beziehung km = kc /kl2 .

(7.1.42)

Das magnetostatische Kraftgesetz wurde zur Definition der elektromagnetischen Einheiten (emu) herangezogen und das Coulomb-Gesetz zu der der elektrostatischen (esu), die beide im Abschnitt C.2.1 behandelt werden. Es soll nur nochmals betont werden, dass (7.1.41) sehr begrenzt gültig und nur aus historischer Sicht von Interesse ist.

7.2 Induktion Aus dem Induktionsgesetz wissen wir,fldass bei der zeitlichen Änderung des dΦ =− magnetischen Flusses (kl /c) dt b ∂F ds·E ein elektrisches Wirbelfeld E aufgebaut wird, das seinerseits in einem Metalldraht einen elektrischen Strom bewirkt. Dieser Vorgang wird als elektromagnetische Induktion bezeichnet. Wird Φb von einem stationären Strom I erzeugt, so ist nach dem Biot-SavartGesetz B, d.h. auch Φb , proportional zu I: Φb = (kl /c)IL. L ist dabei ein durch die Geometrie der Anordnung bestimmter Induktionskoeffizient. Dieser Koeffizient ist uns sowohl über die magnetische Energie als auch über den magnetischen Fluss zugänglich. 7.2.1 Energie des Magnetfeldes Wir haben die Energie des Magnetfeldes ˆ 1 U= d3 x B · H 8πkr

(7.2.1)

als Teil der Feldenergie (5.6.7) bei der Erstellung der Energiebilanz des elektromagnetischen Feldes erhalten. In der nochmaligen Bestimmung soll vor allem auf den Unterschied zwischen magnetischer und elektrostatischer Feldenergie eingegangen werden.

244

7 Magnetostatik in Materie

In der Elektrostatik ist die Energie einer Ladungsverteilung dadurch bestimmt, dass die Ladungen aus dem Unendlichen in die gewünschte Konfiguration gebracht werden. Für ein herausgegriffenes Teilchen n muss die Energie ˆ x ˆ t  (n)   Un = −e dt v(t ) · E(n) (x , t ) dx · E (x , t ) = −e −∞

t0

aufgebracht werden, um es an die vorgeschriebene Stelle zu bringen. E(n) ist das Feld der bereits vorhandenen Konfiguration, wobei die Teilchen an ihren Plätzen festgehalten werden. Die Ladung wird im Zeitintervall [t0 , t] an den Ort x gebracht, wobei dx = v dt . Die magnetische Energie kann nicht auf diese Weise verstanden werden, da die Kraft ∼ v × B senkrecht auf v steht und daher keine Arbeit leistet. Der Aufbau des Magnetfeldes kostet aber Energie, die von den Strömen, bzw. vom quellenfreien Anteil des elektrischen Feldes aufgebracht wird. Aus dem Induktionsgesetz (1.3.10) rot E = −

.

.

kl kl B = − rot A c c

.

folgt, dass der quellenfreie Anteil von E durch −(kl /c)A gegeben ist. Wird ein Stromkreis I(t) eingeschaltet, so erzeugt dieser das Magnetfeld B(x, t). Die von E erbrachte Leistung ist dann ˛ ˛ dUm kl E · dx = I(t) dx · A . = −I(t) dt c ∂F ∂F ¸ dx · E ist die Ringspannung ZE , die auf ein Elektron bei einem Umlauf auf dem Kreisstrom wirkt. Nun gehen wir vom Draht zu einer kontinuierlichen Stromverteilung über und setzen jf aus dem Ampère-Maxwell-Gesetz (5.2.16c) ein: ˆ ˆ  dUm c kl  =− d3 x jf ·E = − d3 x (∇ × H) − D ·E . (7.2.2) dt 4πkr kl V c V

.

.

Der letzte Term bestimmt die elektrische Feldenergie ˆ ˆ t 1 d Ue = d3 x D·E(x, t) ⇒ dt Ue (t ) = Ue (t) − Ue (t0 ) = 0 , 8πkr dt V t0

.

die aufgebracht werden muss und die verschwindet, da sowohl im Anfangs- als auch im Endzustand B konstant ist und damit das quellenfreie Feld E = 0 ist. Die weitere Rechnung verläuft völlig analog zu der für die Energiebilanz, Seite 199. Setzt man (5.6.2)

.

  kl 4πkr kl E · ∇×H = H · (∇×E) − ∇ · (E×H) = − H · B − ∇·S c c

7.2 Induktion

245

in (7.2.2) ein, so ergibt sich nach Anwendung des Gauß’schen Satzes " ˆ ˆ dUm 1 1 d V →∞ = df · S − d3 x B·H = d3 x B·H. (7.2.3) dt 4πk 8πk dt r V r ∂V V

.

Der Fluss durch ∂V verschwindet für ein genügend großes V , und zusätzlich sei μ(x, t) = μ(x). Integriert man (7.2.3) mit Um (t0 ) = 0 , so bekommt man für Um (t) (7.2.1). Die magnetische Feldenergie als Funktion der Stromdichte Die zur Elektrostatik analogen Darstellungen der Feldenergie ˆ ˆ ˆ ˆ 1 1 kc ρf (x)ρf (x ) d3 x ρf φ = d3 x d3 x d3 x E·D = Ue = 8πkr 2 2 (x )|x−x | können auch in der Magnetostatik gefunden werden. Ausgehend von (7.2.1) für ein lineares Medium kann Um unter Verwendung von B = rot A wie folgt umgeformt werden: ˆ ˆ  1 1 3 Um = d x H·(∇×A) = d3 x ∇·(A×H)+A·(∇×H) . (7.2.4) 8πkr 8πkr

Der 1. Term auf der rechten Seite ist die Divergenz von A × H und kann mit dem Gauß’schen Satz in ein Oberflächenintegral umgeformt werden, das für r → ∞ unter der Annahme lokaler Ströme verschwindet: " 1 1 1 r→∞ df · (A × H) ∝ r2 → 0. 4π r r2

Nach dem Ampère’schen Gesetz (7.1.1) ist rot H = (4πkr kl /c) jf . Für A setzen wir (7.1.5) ein ˆ ˆ ˆ kl kc jf (x) · jf (x ) 3 3 Um = d x A · jf = 2 d x d3 x μ(x ) . (7.2.5) 2c 2c |x − x | Magnetische Selbst- und Wechselwirkungsenergie Gegeben seien n ≥ 2 räumlich getrennte Stromkreise, die von stationären (zeitunabhängigen) Strömen durchflossen werden. Sie seien in ein Medium homogener Permeabilität μ eingebettet, wie es etwa in Abb. 7.10, Seite 252 für n = 2 Stromkreise skizziert ist. Stromdichten und Vektorpotentiale können für die Stromkreise separat angegeben werden: jf (x) =

n  i=1

ji ,

A(x) =

n 

Ai (x) .

i=1

Die von diesen Strömen erzeugte Feldenergie (7.2.5)

246

7 Magnetostatik in Materie

Um =

n 

Uik ,

Uik =

i,k=1

kl 2c

ˆ d3 x Ai (x) · jk (x)

(7.2.6)

zerfällt in Selbst- und Wechselwirkungsenergie Us und Uw auf analoge Weise wie in der Elektrostatik die Energie der Ladungsverteilungen (siehe Abschnitt 2.4): U = Us + Uw ,

Us =

n 

Uii ,

Uw =

i=1



(Uik + Uki ) .

i0

Abb. 8.1. Integrationswege zur Berechnung der retardierten Green-Funktion G(k, t) in der komplexen ω-Ebene. (a) C < für t < 0 (b) C > für t > 0

t < 0 : Der Integrationsweg C < führt entlang der reellen ω-Achse von −∞ zu ∞ und wird mit einem Halbkreis in der oberen komplexen Halbebene geschlossen. C < darf keinen Pol einschließen, wie in Abb. 8.1 gezeigt, damit D(k, t) = 0 ffi ˆ ∞ ˆ dω −iωt dω −iωt dω −iωt D(k, ω) = D(k, ω) + D(k, ω) = 0. e e e 2π 2π 2π < C −∞  ∩ →0

282

8 Felder von bewegten Ladungen

t > 0 : Der geschlossene Integrationsweg C > führt auf der reellen Achse von −∞ bis ∞ und wird mit dem unendlichen Halbkreis auf der unteren Halbebene geschlossen, so dass beide Pole bei ω = ±ck von C < eingeschlossen sind. (8.2.8) muss ein negatives Vorzeichen vorangestellt werden, da der Weg im Uhrzeigersinn durchlaufen wird. Die Residuen entnehmen wir (8.2.9): fi ˆ ∞ ˆ dω −iωt dω −iωt dω −iωt e e e D(k, ω) = D(k, ω) + D(k, ω) 2π 2π 2π > C −∞  ∪ →0  c  − eickt + e−ickt =i 2k ˆ ∞ c dω −iωt e (8.2.10) D(k, t) = D(k, ω) = θ(t) sin(ckt) . 2π k −∞ Räumliche Fourier-Transformation: Da D(k, t) nur von k abhängt, geht man zu Polarkoordinaten. Die ϕ-Integration ergibt 2π: ˆ ˆ ˆ 1 cθ(t) ∞ cθ(t) ∞ ikrξ D(x, t) = dk k sin(ckt) dξ e = dk sin(ckt) sin(kr) (2π)2 0 2rπ 2 0 −1 =

=

cθ(t) 8rπ 2 cθ(t) 8rπ 2

ˆ



−∞

ˆ



−∞

dk



cos(kr − ckt) − cos(kr + ckt)







dk eik(r−ct) − eik(r+ct) .

Beide Terme ergeben δ-Funktionen (siehe (B.6.14)). Da r + ct für t > 0 nie verschwindet, trägt der 2. Term auch nicht zu D(x, t) bei und man erhält

D(x, t) = θ(t)

c δ(r − ct) . 4πr

(8.2.11)

Das ist die retardierte Green-Funktion, die automatisch kausal ist2 . Allgemeiner formuliert, bekommt man D(x−x , t−t ) = δ(3) (x−x )δ(t−t )

(8.2.12)

mit der retardierten (kausalen) Green-Funktion D(x−x , t−t ) = θ(t−t )

 1 |x−x |  . δ t−t −  4π|x−x | c

2

(8.2.13)

Bei der Berechnung der (akuasalen) avancierten Green-Funktion inkludiert man die beiden Pole bei der Integration über den oberen Halbkreis für t < 0 Da (x, t) = −θ(−t)

c δ(r + ct) . 4πr

8.2 Retardierte Potentiale

283

Liénard-Wiechert-Potentiale Setzen wir nun (8.2.13) in (8.2.3) ein, so folgt ˆ ˆ t  1 |x−x |  1  d3 x q(x , t ) − dt ψ(x, t) = δ t−t 4π |x−x | c −∞ =

1 4π

ˆ

d3 x

q(x , tr ) |x−x |

mit tr = t −

|x−x | . c

(8.2.14)

x , t x, t

a Abb. 8.2. Zum Punkt (x,t) tragen von einem Zeitpunkt t nur Ladungen/Ströme q(x , t ) bei, die auf einer Kugeloberfläche um (x, t) mit dem Radius a = c(t − t ) liegen

Zum Potential an einem Punkt x, t tragen Ladungen und Ströme bei, die sich zu einer früheren Zeit t an einem Punkt x in der Entfernung |x−x | = c(t−t ) befunden haben, wie es in Abb. 8.2 skizziert ist. δ(t−t − |x−x |/c) wählt die Zeit t aus dem Abstand |x−x | aus, den das Licht in der Zeit t−t zurücklegt. Setzen wir nun für die Inhomogenität q(x, t) → 4πkc ρ(x, t) bzw. q(x, t) → 4πkc j(x, t) ein, so erhalten wir die retardierten Potentiale ckl ˆ ˆ 3  dt D(x − x , t − t ) ρ(x , t ) , φ(x, t) = 4πkc d x ˆ (8.2.15) 4πkc d3 x dt D(x − x , t − t ) j(x , t ) . A(x, t) = ckl Durch Auswertung des Integrals über die Zeit erhält man gemäß (8.2.14)    ˆ 3  ρ x , tr φ(x, t) = kc d x , (8.2.16) |x−x |    ˆ kc |x−x | μ0 kc 3  j x , tr A(x, t) = , t , d x = t− = . SI: r ckl |x−x | c ckl 4π Das sind die Liénard-Wiechert-Potentiale. Sie erfüllen die Lorenz-Eichung (8.1.8), da wir ja von den entkoppelten Gleichungen (8.1.9) ausgegangen sind. Bemerkungen: Man kann die Liénard-Wiechert-Potentiale mithilfe der Faltung (B.5.31) kompakter formulieren: φ(x, t) = 4πkc (D ∗ ρ)(x, t) ,

A(x, t) =

4πkc (D ∗ j)(x, t). ckl

(8.2.17)

284

8 Felder von bewegten Ladungen

Führen wir die folgenden vierdimensionalen Vektoren ein G:

j 0 = c ρ, A0 = φ,

j μ = ji , Aμ = Ai ,

für i = 1, 2, 3 ,

(8.2.18)

so können wir die Liénard-Wiechert-Potentiale (8.2.15) in der Form μ μ G: A (x, t) = Ah (x) +

4π c

ˆ d4 x

1 D(x−x )j μ (x ), c

μ = 0, 1, 2, 3 (8.2.19)

angeben. Hierbei haben wir die Integration über t durch eine über x0 = ct , die nullte Komponente des Ereignisvektors, ersetzt und eine Lösung der homogenen Wellengleichung Aμ h (x) hinzugefügt. Man nennt diese Schreibweise kovariant und sie wird in der speziellen Relativitätstheorie (SRT) verwendet. Die retardierten Potentiale, sowohl das skalare als auch das Vektorpotential wurden von Lorenz [1867, S. 247 und S. 249] hergeleitet und es wird auf S. 253 für die Potentiale auch die Lorenz-Eichung angegeben. Die Arbeit ist jedoch wenig beachtet worden [Kragh, 2016]. Bald nach dem Nachweis des Elektrons 1897 berechnen Liénard [1898, (12)–(13)] und Wiechert [1900, (25)–(26)] voneinander unabhängig die retardierten Potentiale für eine Punktladung.

Fourier-Zerlegung Die Liénard-Wiechert-Potentiale sind Lösungen der inhomogenen Wellengleichung (8.2.1). In vielen Fällen ist eine Zerlegung der Lösung ψ(x, t) in ihre Fourierkomponenten von Vorteil. Sind Strom- und Ladungsverteilungen, repräsentiert durch q(x, t), auf ein endliches Volumen begrenzt, dann gilt q(x, t) = 0 für t → ∞ , was hinreichend für die Fourier-Transformation in Bezug auf x ist. Mehr interessiert man sich für Frequenzen ω eines Systems. Die FourierTransformation ist wiederum möglich, wenn q(x, t = 0) für t → ±∞ verschwindet3 . Die Fourierkomponente von ψ ist nach (8.2.3) dann gegeben durch die Faltung ˆ ψkω = d3 xdt e−ik·x+iωt ψ(x, t) (8.2.20) ˆ

ˆ 3

d xdte

=

−ik·x+iωt

ˆ =



d3 x dt e−ik·x

3 











d x dt D(x−x , t−t )q(x , t ) ˆ

+iωt





x = x−x t = t−t



d3 x dt eik·x −iωt D(x , t)q(x , t )

= D(k, ω) qkω . Ausgehend von (8.2.14) erhalten wir die Fourierkomponenten (t = t−k|x−x |) 3

Auf keinen Fall darf q(x, t) für t → ±∞ anwachsen.

8.2 Retardierte Potentiale

ψω (x) =

1 4π

ˆ

ˆ



dt eiωt



d3 x

1 eik|x−x | q(x , t ) = |x−x | 4π

ˆ

285



d3 x

eik|x−x | qω (x ), |x−x | (8.2.21)

die mit qω (x ) allein durch die Frequenz ω bestimmt sind, wobei q entweder die Ladungsdichte, qω (x) = 4πkc ρω (x), oder eine Komponente der Stromdichte qω (x) = (4πkc /kl c)jω i (x) ist. 8.2.2 Retardierte Potentiale und Felder einer Punktladung Potentiale einer bewegten Punktladung Eine Punktladung q bewegt sich auf einer Bahn s(t ) mit der Geschwindigkeit v(t ). Ladungsverteilung und Stromdichte sind so bestimmt durch   ρ(x , t ) = q δ(3) x − s(t ) , j(x , t ) = ρ(x , t ) v(t ).

Eingesetzt in (8.2.16), folgt zunächst, dass Aq (x, t) =

1 β(tr ) φq (x, t) kl

mit

β(tr ) =

v(tr ) . c

(8.2.22)

Mit der Einführung von β haben wir dem Faktum Rechnung getragen, dass die Geschwindigkeit nur im Verhältnis v/c auftritt, was im SI-System ignoriert wird (kl = c). Die Auswertung der δ-Funktion an der Nullstelle x0 = s(tr ) ergibt      δ(3) (x −x0 ) ∂ xi −si (tr ) (3) δ mit Jij = x −s(tr ) = , | det J| ∂xj

wobei für tr = t − 1c |x − x | und aufgrund δ(3) (x −s) auch x = s einzusetzen sind: Jij = δij −

xj − sj dsi (tr ) ∂tr . = δij − vi dtr ∂xj c|x − s|

Sei X der Vektor von der Punktladung zum Beobachter, skizziert in Abb. 8.3, X(x, tr ) = x−s(tr ),

R(tr ) = |X(tr )|,

er (tr ) =

X(tr ) , R(tr )

(8.2.23)

so lässt sich die Jacobi-Matrix darstellen als J = E − β(tr ) ◦ er (tr ) , wobei ◦ das tensorielle (dyadische) Produkt (A.1.15) der beiden Vektoren bezeichnet. Die Funktionaldeterminante ist dann

286

8 Felder von bewegten Ladungen

J = det J = 1 − β(tr ) · er (tr ) . 

(8.2.24) 

Bemerkung: Die Gültigkeit von det E + a ◦ b = 1 + a · b kann in drei Dimensionen leicht nachgerechnet werden. Die Formel gilt jedoch in n > 1 Dimensionen (siehe Aufgabe A.2).

X(tr )

x Y k

˜ X(t)

O

U

 X(t)

j  s(tr )



s(t)

θ

 ˜s(t)

Abb. 8.3. Trajektorie der Punktladung s, deren Abstand vom Aufpunkt x zu den Zeiten tr und t gegeben ist durch X(tr ) und X(t); ˜ s(t) ist der Ort, an dem sich die Punktladung befinden würde, hätte sie sich mit β(tr ) bis zur Zeit t weiterbewegt

Eingesetzt in die δ-Funktion erhält man     |x−x |  δ(3) x − s(tr ) . =  δ(3) x − s t − c 1 − β(tr ) · er (tr )

Hierbei wird die retardierte Zeit ermittelt aus tr = t −

R(tr ) |x − s(tr )| =t− . c c

(8.2.25)

Die Liénard-Wiechert-Potentiale für eine bewegte Punktladung sind dann φq (x, t) = kc Aq (x, t) =

q q 1 = kc , R(tr ) 1−β(tr )·er (tr ) R(tr ) J(tr )

1 β(tr ) φq (x, t). kl

(8.2.26)

det J ist die Funktionaldeterminante der Koordinatentransformation von x → x − s(tr ), die (| det J| < 1) eine Kontraktion der Länge parallel zu v zur Folge hat. Abb. 8.7 auf Seite 292 zeigt, dass φq bei gegebenem Abstand von der Punktladung in Richtung von v am stärksten ist. Das skalare Potential φq einer sich bewegenden Punktladung ist am Ort x zur Zeit t das Potential der Punktladung, die sich zur Zeit tr am Ort s(tr ) befunden hat, verstärkt um den Faktor 1/ det J, wobei der Abstand zur Punktladung durch R(tr ) = |x − s(tr )| gegeben ist. Felder einer bewegten Punktladung Mit den Potentialen einer Punktladung (8.2.26) haben wir die nötigen Voraussetzungen zur Bestimmung der elektromagnetischen Felder. Wir bemerken, dass

8.2 Retardierte Potentiale

287

 kc q R(x, tr ) X(x, tr ) = x−s(tr ) und tr (x, t) = t− φq (X, β) = mit . R−X·β c β(tr ) = s(tr )/c

.

Die Potentiale sind von der Ordnung 1/R. Die Ableitung nach X führt zu Termen der Ordnung 1/R2 und die nach β zu solchen der Ordnung 1/R. Erstere bilden die sogenannten Nahfelder (En , Bn ) und Letztere die Fernoder Strahlungsfelder (Ef , Bf ) mit β = 0 , woraus wir schließen, dass nur die beschleunigte Ladung strahlt.

.

Die Berechnung der elektrischen Felder: Zunächst sind die Ableitungen von tr = t− R c selbstkonsistent zu bestimmen: ∂tr ∂tr 1 ∂R ∂X ∂tr =1− · = 1 + er ·β , ∂t c ∂X ∂tr ∂t ∂t   ∂tr ∂tr 1 ∂R eri ∂tr =− δij − cβj =− , + er ·β ∂xi c ∂Xj ∂xi c ∂xi

∂tr 1 = , (8.2.27) ∂t J ∂tr e =− r. ∂x Jc

Verwendet wurde ∂R = er und ∂X = −βc. Die Ableitungen nach X sind dem ∂X ∂tr Nahfeld, das mit 1/R2 abfällt, zuzuordnen, während die Ableitungen nach β die Ordnung 1/R ungeändert lassen und so das Fernfeld bilden. Die einzelnen Teile der Felder sind







∂φ ∂φ ∂X ∂tr β ∂tr , − · + ∂X ∂X ∂tr ∂x c ∂t     ∂φ ∂X ∂tr 1 ∂φ ×β + · ×β , Bn = kl ∂X ∂X ∂tr ∂x En = −

.∂t + β ∂t − φ β. ∂t , ∂β ∂x c ∂t c ∂t   . ∂t ∂φ . ∂t 1 ·β ×β + φ ×β . B = Ef = − f

 ∂φ

kl

r

·β

∂β

r

r

r

r

∂x

∂x

Nun berechnen wir die einzelnen Beiträge (X = x−s(tr )) kc q(er −β) ∂φ , =− ∂X (R−X·β)2

(er −β)·β ∂φ ∂X = kc cq , · ∂X ∂tr J 2 R2

.

.

∂tr β ∂tr e −β + =− r , ∂x c ∂t Jc

∂φ e ·β · β = kc q r2 . ∂β J R

∂φ kc q X , = ∂β (R−X·β)2

Die Zusammenfassung der einzelnen Terme ergibt En = Ef = Bn = Bf = =





   kc q kc q (er −β)(1−β·er ) + (er −β)·β er −β = 2 3 (er −β)(1−β 2 ), 2 3 R J R J   −k q   kc q c (e · β)(e −β)− β(1−e ·β) = e ×( β×e )+e ×(β× β) , r r r r r r cRJ 3 cRJ 3     −kc q −kc q er ×β(1−β ·er ) + (er −β)·β er ×β = (1−β 2 )er ×β, kl R 2 J 3 kl R 2 J 3   −kc q (er · β)er ×β + (1−er ·β)er × β 3 kl cRJ    −kc q e × β + e × (e · β)β − (e ·β) β . (8.2.28) r r r r  kl cRJ 3  er ×(β× β)

.

.

. .

Als Resultat haben wir

.

.

.

.

.

.

288

8 Felder von bewegten Ladungen

.

    R (1−β ) (er −β) + er × (er −β)× β  , (8.2.29) c tr      −kc q R 2  e (1−β B(x, t) = ) (e ×β) + × β + e ×(β× β) r r r  kl R2 J 3 c tr kc q E(x, t) = 2 3 R J



2

.

.

erhalten. Die Felder sind in Anteile ohne (En ) und mit Beschleunigung gesplittet (Ef ). Anders gesagt, zerfallen sie in Nahfelder, die mit 1/R2 abfallen und durch gleichförmige Bewegung charakterisiert werden können, und in Strahlungsfelder, die mit 1/R abfallen und mit beschleunigter Bewegung verbunden sind. Anmerkungen: Die Richtung von En kann durch den Vektor



˜ X(t) = X(tr ) − β(tr ) c(t − tr ) = R(tr ) er (tr ) − β(tr )



(8.2.30)

angegeben werden. Nimmt man an, das Teilchen würde sich, wie in Abb. 8.3 skizziert, ˜ s(t). Der Vektor X(t) ist mit β(tr ) bis zur Zeit t weiterbewegen, so erreicht es den Ort ˜ parallel zu En (x, t). Das Nahfeld En (x, t) ist so das Feld einer mit β(tr ) gleichmäßig bewegten Punktladung. B kann aus E bestimmt werden: B(x, t) =

1 er (tr ) × E(x, t). kl

(8.2.31)

Umgekehrt ist jedoch En = kl Bn × er .

Für eine im Zeitmittel ruhende Ladung, die bei einer periodischen Bewegung nur sehr kleine Geschwindigkeiten erreicht, ist En das elektrostatische Feld einer Punktladung und Ef das Strahlungsfeld eines Dipols: E=

.



k c q e r kc q  − er ×(β×er ) , R2 cR tr

B=−

Für die mit 1/R abfallenden Strahlungsfelder gilt Bf =

1 er × Ef kl

Ef = kl Bf × er , = −

.

kc q  er × β  . kl cR tr

.

.

kc q  β−(er · β)er . cR

(8.2.32)

(8.2.33)

Strahlungsleistung Berechnet man den Energiefluss (5.6.3) Sf (x, t) =

 1 c c Ef × Bf = Ef × er (tr ) × Ef kl 4πkr μ0 4πkc

(8.2.34)

durch eine Kugel vom Radius R → ∞, die man zur Zeit tr um das Teilchen legt, so erhält man die in das Winkelelement dΩ in der Zeit dt abgestrahlte Energie dPt dt = R2 (tr ) Sf (x, t) · er (tr )dt . dΩ

8.2 Retardierte Potentiale

289

Es ist jedoch naheliegend die abgestrahlte Leistung auf tr zu beziehen, so dass dPt ∂t dP = dΩ dΩ ∂tr

(8.2.27)

=

c R2 Ef2 J . 4πkc

(8.2.35)

Berücksichtigt ist, dass Ef · er = 0. G:

dP c 2 2 = R Ef J , dΩ 4π

SI:

dP = 0 c R2 Ef2 J . dΩ

(8.2.35)

Setzen wir noch für Ef (8.2.28) in (8.2.35) ein, so ist

.

  2  dP kc q 2 1  e × (e −β)× β =  . r r dΩ 4πc J 5 tr

(8.2.36)

Die Larmor-Formel

Wir gehen hier von Geschwindigkeiten im Limes β → 0 aus, d.h., es sind J = 1 ∂t = 1. (8.2.34) reduziert sich so auf und ∂t r

Sf (x, t) =

. .

  kc q 2  2 c  2 er  . Ef2 er  = β −( β · e ) r 4πkc 4π cR2 tr tr

(8.2.37)

Wir bestimmen die für R → ∞ durch das Oberflächenelement einer Kugel pro Zeiteinheit dringende Energie dP = R2 Sf · er dΩ. Die pro Winkeleinheit abgestrahlte Leistung ist dP = R2 Sf · er = P0 (tr ) sin2 θ dΩ

.

mit

P0 =

.

kc q 2 2 β (tr ) . 4πc

(8.2.38)

θ ist der von er und β eingeschlossene Winkel. Die Winkelintegration über die Kugeloberfläche ergibt die Larmor-Formel ˆ P = P0 (tr )

π

dϑ sin3 ϑ = P0

dϕ 0

G: P =

ˆ



0

.

2q 2 2 v , 3c3

.

2kc q 2 2 8π = β , 3 3c

SI: P =

.

μ0 q 2 2 v . 6πc

(8.2.39)

(8.2.39’)

Strahlungsleistung der bewegten Ladung Die von einer Ladung, die auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt wird, ausgehende Strahlung ist in Teilchenbeschleunigern, ob linear oder kreisförmig, von Relevanz. Während die gesamte abgegebene Strahlungsleistung P nur vom Winkel zwischen β und β abhängt, wie die herzuleitende „Liénard-Formel“

.

290

8 Felder von bewegten Ladungen

.

(8.2.42) zeigt, sind für die in den Raumwinkel Ω abgegebene Strahlungsleistung auch noch die Richtungen von β und β in Bezug auf die z-Achse relevant. Wir geben die Abhängigkeit von Ω nur für zwei einfache Konfigurationen an: dP sin2 ϑ , = P0 dΩ (1−β cos ϑ)5

P0 =

.

.

kc q 2 2 β , 4πc

ββez .

(8.2.40)

.

Für β = 0 ist die Strahlungsstärke gleich der der Larmor-Formel (8.2.38). In diesem Fall ist das Maximum senkrecht zu β. Für β > 0 wird das Maximum mit zunehmender Geschwindigkeit ausgeprägter und wandert in Richtung der z-Achse. Steht β = βex senkrecht auf β = βez , so erhält man  β = βez J 2 −(1−β 2 ) cos2 ϑ dP = P0 (8.2.41) , J = 1−β sin ϑ cos ϕ dΩ J5 β = βex .

. .

. .

Die Intensität steigt für β → 1 um β, das ist die x-Achse, stark an. β=0.0

8

P0=5.0

6

β=0.4

P0=2.0

6

.

4

z

z

.

2

2

0

0

0

-2 -5

-3

-1 x 1

3

5

P0=0.05

.

4

ββ

2

-2

β=0.8

6

4

β

8

ββ

z

8

-2 -5

-3

-1 x 1

3

5

-5

-3

-1 x 1

3

5

˙ P steigt Abb. 8.4. Strahlungsdiagramm für β = 0 , 0.4 und β = 0.8, wobei β β. 2 3 mit 1/(1 − β ) stark an. Im Diagramm ist das durch die Skalierung von dP/dΩ mit P0 = 5 , 2 und 0.05 berücksichtigt

Um die gesamte Strahlungsleistung zu berechnen, hat man (8.2.36) über den gesamten Raumwinkel zu integrieren, eine Rechnung, die in den Aufgaben 8.9 und 8.10 gestellt ist. Die Rechnung ist länger und wir präsentieren hier nur das Ergebnis: P =

.

.

 2 2kc q 2 1 β − (β × β)2 , 2 3 3c (1−β )

.

(8.2.42)

das auf Liénard [1898, S. 13] zurückgeht (siehe auch Heaviside [1902]). Wie in Abb. 8.4 skizziert, steigt für ββ die Abstrahlung für v → c rund um β, d.h. um die Vorwärtsrichtung, stark an. Abb. 8.5 zeigt die Strahlungsleistung in der von β und β aufgespannten xz-Ebene samt der auf diese senkrecht stehende yz-Ebene. Die Intensität wächst in Richtung von β stark an. In der

.

8.2 Retardierte Potentiale β=0.0 , 0.4 , 0.8

P0=5.0

.

β

3

5

β=0.4 β

3

1

P0=2.0

.

1

β=0.8

3

β

-1

-1

-1

-3

-3

-3

-5

-5 -5

-3

-1 y 1

3

5

P0=0.05

.

1 β

z

z

β

5

β

z

5

291

-5 -1

1

3

x

5

7

9

-1

1

3

x

5

7

9

˙ der Abb. 8.5. Strahlungsdiagramm für die Intensitätsverteilung (8.2.41), wo β ⊥ β; steigenden Intensität wird durch die kleiner werdende Skalierung mit P0 Rechnung getragen. Die Maßstäbe der x- und y-Achsen sind beliebig, aber in jedem Diagramm gleich

.

zu β senkrechten yz-Ebene ändert sich die Intensität vergleichsweise wenig, wird aber von der Orientierung β unabhängig. Anmerkung: Die Gesetze der Elektrodynamik sind, wenn sie geeignet dargestellt werden, forminvariant unter der Lorentz-Transformation. In dieser spielt c die Rolle einer Grenzgeschwindigkeit, die nicht überschritten werden darf. Das zeigt sich in der Liénard-Formel (8.2.42), wo β ≤ 1 sein muss. Später werden wir sehen, dass die Liénard-Formel aus der Larmor-Formel auf einfache Art folgt, wenn man verlangt, dass P ein Lorentz-Skalar ist.

Potentiale einer gleichförmig bewegten Punktladung Sowohl die Potentiale (8.2.26) als auch die Felder En und Bn (8.2.28) der gleichmäßig bewegten Punktladung sind bereits gegeben. Es ist nur die Zeit tr durch t zu ersetzen. Der Skizze Abb. 8.6 entnimmt man, wie bereits in (8.2.30) festgehalten, dass X(tr ) − βR(tr ) = X(t) . Hieraus kann Rr ≡ R(tr ) durch X ≡ X(t) bestimmt werden, wenn man obige Beziehung quadriert und mit β multipliziert: Rr2 − 2Xr · β Rr + β 2 Rr2 = R2 ,

Xr · β = X · β + β 2 Rr .

Daraus folgt Rr2 (1−β 2 ) − 2Rr X·β − R2 = 0 mit der Lösung ) (  1 2 2 2 (X · β) ± (X · β) + (1−β )R . Rr = 1−β 2

Nun hat man mit    2 (X · β)2 + 1−β 2 R2 = R2 − β 2 R2 sin2 θ = R2 − X×β

(8.2.43)

eine alternative Darstellung. Für den Nenner von (8.2.26) folgt daraus

292

8 Felder von bewegten Ladungen x • X(t)

X(tr )

-Mk 7

s(tr ) •

θ s(t)1• q

Abb. 8.6. Gleichmäßig bewegte Punktladung s(t); R = |X(t)| ist der Abstand der Punktladung vom Beobachter und θ = β, X(t) und R(tr ) = c(t − tr )

1 1β

JRr = Rr − β · Xr = (1−β 2 )Rr − β · X =

 2 R2 − X×β .

Nach diesen etwas mühsamen Umformungen haben wir die Potentiale kc q kc q φq (x, t) = ,  2 = 2  R (t) 1 − β 2 sin2 θ R2 (t) − β×X(t)

(8.2.44)

Aq (x, t) = (β/kl )φq (x, t),

(8.2.45)

mit X(t) = x−vt erhalten. R(t) ist der Abstand des Beobachters am Ort x von der Ladung, die sich am Ort s = v t befindet und θ ist, wie in Abb. 8.6 zu sehen, der Winkel zwischen v und X. Abb. 8.7 zeigt die Quetschung der Äquipotentiallinien in Bewegungsrichtung, ein Effekt von 2. Ordnung in β.

3

3

3

1

1

1 Y/l

5

Y/l

5

Y/l

5

-1

-1

-1

-3

-3 β=0.0

-5 -5

-3

-1 X/l 1

-3 β=0.4

-5 3

5

-5

-3

-1 X/l 1

β=0.8

-5 3

5

-5

-3

-1 X/l 1

3

5

Abb. 8.7. Äquipotentiallinien einer gleichmäßig bewegten √ Punktladung für v = 0, v = 0.4 c und v = 0.8 c; der Abstand zur Punktladung R = X 2 + Y 2 ist mit einer beliebigen Länge l skaliert

Felder einer gleichförmig bewegten Punktladung Zur Bestimmung der Felder muss nicht der Weg über die Ableitungen der Potentiale gegangen werden. Einfacher ist es die Ausdrücke für JRr und er −β (8.2.30) direkt in En (8.2.28) einzusetzen. Wir erhalten so   1−β 2 X(t) (8.2.46) E(x, t) = kc q 3   2 2 2 1−β R (t) + (X(t) · β)

8.2 Retardierte Potentiale

.

293

und wegen A × A = 0 ist

B(x, t) = ∇ × Aq = kl (∇φq ) × β = kl β × E.

(8.2.47)

In Abb. 8.8 sind für einen Wert E die Linien konstanter Feldstärke zu drei Ge-

3

3

3

1

1

1 Y/l

5

Y/l

5

Y/l

5

-1

-1

-1

β=0.0

-3

β=0.4

-3

-5

-5

-5 -5

-3

-1 X/l 1

3

5

β=0.8

-3

-5

-3

-1 X/l 1

3

5

-5

-3

-1 X/l 1

3

5

Abb. 8.8. Linien konstanter Feldstärke für verschiedene Geschwindigkeiten β = βeX : Feldstärke El2 /qkc = 1, wobei X und Y mit der beliebigen Länge l skaliert sind. Für β > 0.8 bekommt die Linie (Fläche) konstanter Feldstärke eine Einschnürung um die X-Achse

schwindigkeiten eingezeichnet. Da der Effekt von der Ordnung β 2 ist, müssen für merkbare Unterschiede sehr hohe Geschwindigkeiten angenommen werden. Anders als bei φq fällt wegen des Faktors 1−β 2 das Feld in Richtung von β mit größerer Geschwindigkeit schneller ab. Der Poynting-Vektor (5.6.3) ist so S=

ckl k2 E×B = c l E×(β×E). 4πkc 4πkc

S ∝ 1/R4 für R → ∞. Für genügend große V hat man keinen Energiestrom durch die Oberfläche, wie man es erwarten würde, wenn die Ladung strahlt. Daraus folgt, dass eine gleichförmig bewegte Ladungsverteilung nicht strahlt. Elektrische Feldlinien Die Feldlinien selbst sind Geraden, die von s(t) ausgehen und deren Dichte senkrecht auf die Richtung von v zunimmt (θ = π/2, siehe Abb. 8.6):     1 − β 2 R2 (t) + (X(t) · β)2 = R2 (t) 1 − β 2 + β 2 cos2 θ .

Wir legen nun eine Kugel mit dem Radius R0 um die Ladung und nehmen an, dass β = βez . Der elektrische Fluss ˆ ˆ ϑb dϑ sin ϑ dΩ er (t) · E = 2πkc q(1−β 2 ) ΔΦe = R02  3 ΔF ϑa 1−β 2 +β 2 cos2 ϑ ϑa cos ϑ  = 2πkc q   1−β 2 +β 2 cos2 ϑ ϑb

294

8 Felder von bewegten Ladungen

q

(a)

- β = 0.1

q

(b)

q

- β = 0.5

(c)

- β = 0.8

Abb. 8.9. Feldlinien einer bewegten positiven Ladung

durch die Fläche ΔF = 2π(cos ϑa −cos ϑb ) auf der Einheitskugel bestimmt die Feldliniendichte. Man sieht sofort, dass der gesamte Fluss durch die Oberfläche " Φe = df · E = 4πkc q unabhängig von β ist. Skizzieren wir die Feldlinien in der xz-Ebene so, dass insgesamt 2n Linien von der ruhenden Ladung ausgehen, so ist der elektrische Fluss pro Feldlinie gegeben durch qπ/n, was einem Winkelbereich ϑb − ϑa = π/n entspricht. Für die bewegte Ladung ist, ausgehend von ϑa , der Wert von ϑb so zu bestimmen, dass ΔΦe = ΔF (πkc πq/n) . Abb. 8.9 zeigt die Feldlinien mit zunehmender Geschwindigkeit. Da der Effekt quadratisch in v/c ist, wird er erst für Geschwindigkeiten v/c > 0.2 merkbar. 8.2.3 Coulomb-Eichung Neben der Lorenz-Eichung (8.1.8) hat in der Physik, z.B. in der Quantenelektrodynamik, noch die Coulomb-Eichung eine größere Bedeutung. Sie wird auch Strahlungseichung oder transversale Eichung, da div Ac = 0, genannt. Wir werden sehen, dass in dieser das skalare Potential (8.2.49) nicht zur Strahlung beiträgt und so zur Quantisierung des elektromagnetischen Feldes nur Ac herangezogen wird. Ersetzt man die Lorenz-Eichung (8.1.8) durch die Coulomb-Eichung ∇·Ac = 0 , so ergibt sich aus (8.1.4)

(8.2.48)

.

  kl ∇·E = ∇· − ∇φc − Ac = 4πkc ρ , c

die aus der Elektrostatik bekannte Poisson-Gleichung ∇2 φc = −4πkc ρ mit ˆ ρ(x , t) c qs . (8.2.49) φ (x, t) ≡ φ (x, t) = kc d3 x |x−x |

8.2 Retardierte Potentiale

295

Hierbei ist φc das momentane (quasistatische) Coulomb-Potential einer Ladungsverteilung; daher auch Coulomb-Eichung. In der Coulomb-Eichung ist Eqs = −∇φc der Quellen- und E(w) = − kcl Ac der Wirbel-Anteil von E. Hier unterscheidet sich die Coulomb-Eichung von der Lorenz-Eichung. Bei Letzterer enthält zwar −∇φ auch Quellen-Anteile, aber in − kcl A sind neben dem Wirbelfeld weitere Anteile des Quellenfeldes enthalten. Das quasistatische (Quellen-)Feld Eqs verschwindet in großer Entfernung, der sogenannten Fernzone (siehe Abschnitt 8.3.6) und trägt so nur in der Nahzone (siehe Abschnitt 8.3.5) zum Feld bei. Das Strahlungsfeld der Fernzone wird allein durch den quellenfreien Anteil bestimmt. Analog setzt sich die Verschiebungsstromdichte

.

.

.

.

¨c ∇φc kl A E = −jl + jw , jl = , jw = − (8.2.50) 4πkc 4πkc 4πkc c aus dem wirbelfreien −jl und dem quellenfreien jw zusammen. Aus der Ampère-Maxwell-Gleichung (8.1.7) folgt durch Einsetzen von rot B = −ΔAc die Wellengleichung 4πkc 4πkc  si Ac = j − jl ) = jt = μ0 jt . (8.2.51) ckl ckl jd =

Deren retardierte Lösung ist gemäß (8.2.16) ˆ jt (x , tr ) kc . d3 x Ac (x, t) = ckl |x−x |

(8.2.52)

Den Eigenschaften von Ac sehr ähnlich ist das Helmholtz-Potential Abh mit rot Abh = B und div Abh = 0. Wird nun B = rot Ac in Abh eingesetzt, so folgt daraus die Gleichheit beider Potentiale (Aufgabe 8.3) ˆ 1 1 Abh (x, t) = d3 x B(x , t)×∇ = Ac (x , t). (8.2.53) 4π |x−x |

Im Abschnitt 8.3.2 wird gezeigt, dass für periodische Stromdichten Abh durch das quellenfreie elektrische Feld dargestellt werden kann (siehe (8.3.7b)). Von j haben wir den von den Ladungen herrührenden Anteil des Verschiebungsstroms jl abgezogen. Nun ist Δφc = −4πkc ρ, woraus folgt: 1 ∇×jl = ∇× ∇·jt = ∇·j+ ρ = 0, ∇φc = 0. (8.2.54) 4πkc Damit ist die Zerlegung von j = jt + jl in eine Wirbel- und eine QuellenStromdichte gezeigt. Diese Bezeichnung ist eher zutreffend als die einer Aufteilung in eine transversale und eine longitudinale Stromdichte, da jl im Allgemeinen nicht senkrecht auf jt steht. Ac genügt also der inhomogenen Wellengleichung (8.2.51), wobei der wirbelfreie, longitudinale Anteil des Stromvektors (rot jl = 0) nicht zum Vektorfeld beiträgt, sondern nur jt . In der Fernzone ist das Strahlungsfeld allein durch Ac bestimmt (Strahlungseichung).

.

.

.

.

296

8 Felder von bewegten Ladungen

Quasistatische Potentiale Ist ein Potential zur Zeit t durch die Ladungs- oder Stromverteilung zu eben dieser Zeit bestimmt, so wird dieses als quasistatisch bezeichnet, wie φc in (8.2.49). Das entsprechende quasistatische Vektorpotential ˆ j(x , t) kc qs Aqs (x, t) = d3 x (8.2.55) = Aqs t (x, t) + Al (x, t) ckl |x−x | qs kann in die beiden Anteile Aqs t und Al , die mit jt bzw. jl gebildet sind, separiert werden. Für die Divergenz gilt eine der Lorenz-Eichung (8.1.8) ähnliche Bedingung:

qs

∇·A (x, t)

∇→−∇ part.int.

=

kc ckl

ˆ d3 x

.

∇ ·j(x , t) (8.2.54) 1 qs = − φ (x, t). |x−x | ckl

(8.2.56)

Als quasistatisches Potential genügt Aqs der vektoriellen Poisson-Gleichung, wie aus (8.2.55) folgt ΔAqs (x, t) = −

4πkc j(x, t), ckl

Bqs = ∇×Aqs .

(8.2.57)

Mittels der Identität (A.2.38): Δ = grad div−rot rot und (8.2.50) wird j(x, t) in Quellen- und Wirbelstromdichten zerlegt:

.

−1 qs −ckl ∇ ∇·Aqs (x, t) = E (x, t), 4πkc 4πkc   ckl ckl ∇× ∇×Aqs (x, t) = ∇×Bqs (x, t). jt (x, t) = 4πkc 4πkc jl (x, t) =

(8.2.58)

Zunächst erhält man j durch die Summe der beiden Anteile und setzt diese dann in die Ampère-Maxwell-Gleichung (8.1.1c) ein:

.

4πkc 1 qs E (x, t), j(x, t) + ckl ckl (8.2.59)  1  1 qs qs E(x, t)− E (x, t) = Et (x, t). ∇× B(x, t)−B (x, t) = ckl ckl ∇×Bqs (x, t) =

.

.

.

Auf diese Form der Ampère-Maxwell-Gleichung werden wir bei den HelmholtzPotentialen im Abschnitt 8.3.2 zurückkommen. Anmerkung: Geht man von einer räumlich begrenzten Strom- und Ladungsdichte aus, so ist außerhalb dieser j(x, t) = 0, d.h. jt = −jl . 1 p(t) und j ∼ E(p) (siehe Aufgabe 8.4). p ist Für große r erhält man Aqs ∼ rc l das Dipolmoment der Ladungsverteilung und E(p) das Feld des Dipols (2.2.5). Nur die zu den Beiträgen einzelner Fourier-Komponenten eik·x Aqs (k, t) gehörenden Stromanteile jl und jt stehen orthogonal aufeinander.

.

.

8.2 Retardierte Potentiale

297

Eichfunktion und Kausalität in der Coulomb-Eichung Im Abschnitt 8.2 wurden die Liénard-Wiechert-Potentiale (8.2.16) in LorenzEichung bestimmt. (8.1.11) zeigt, dass E und B durch eine Eichtransformation nicht geändert werden. Nun soll die Eichfunktion für die Coulomb-Eichung bestimmt werden, weshalb div Ac = 0 in (8.1.12) eingesetzt wird: χ = −

.

1 c φ , ckl

bzw.

Δχ

(8.1.10)

=

−∇·A,

(8.2.60)

wobei die retardierte Lösung der d’Alembert-Gleichung von den LiénardWiechert-Potentialen (8.2.16) her bekannt ist. Das in Coulomb-Eichung gegebene skalare Potential (8.2.49) ist akausal, da die Beiträge der elektrischen Ladung von verschiedenen Orten keine zeitliche Verzögerung haben. Auch Ac ist wegen des Quellenstroms (8.2.50) 1 ∇φc akausal: jl = 4πk

.

c

Ac = A−Al

Al (x, t) =

mit

kc ckl

ˆ d3 x

jl (x , tr ) |x−x |

(8.2.61)

B ist jedoch kausal, da Al wegen rot jl = 0 nicht zum Feld beiträgt: B = ∇×Ac = ∇×A. Beim elektrischen Feld

. .

 kl  A − Al c

E = −∇φc −

(8.2.62)

kann mittels (8.1.10) gezeigt werden, dass sich – wie es sein muss – die akausalen Beiträge aufheben (siehe Aufgabe 8.5). Ebene elektromagnetische Wellen Wenn keine Quellen vorhanden sind, bekommt man aus (8.2.49) φc = 0. Eine Unterscheidung zwischen Ac und A ist hinfällig. Die homogene Wellengleichung ergibt A = 0

mit

A = e1

E0 i(k·x−ωt) e ikl k

und



ω2 + k2 = 0 . c2

(8.2.63)

Für A folgt aus div A = 0 und der Dispersion ω = ck ∇·A = e3 ·e1

1 E0 eik·x−ikct = 0 kl

mit

e3 =

k . k

Der Wellenvektor k steht senkrecht auf dem Polarisationsvektor e1 (Transversalität). Klar ist, dass es in der Ebene senkrecht auf k nur zwei Polarisationsrichtungen geben kann.

298

8 Felder von bewegten Ladungen

.

kl A = e1 E0 ei(k·x−ckt) , c 1 1 B = ∇×A = e3 ×e1 E0 ei(k·x−ckt) = e2 E0 ei(k·x−ckt) . kl kl E=−

Die Einheitsvektoren e1 , e2 = e3 ×e1 und e3 = k/k bilden ein orthonormales Koordinatensystem, das wegen e2 = e3 ×e1 rechtshändig ist (E, B, k). Bei Lichtwellen sind die Amplituden von elektrischer und magnetischer Welle orthogonal zueinander E ⊥ B (e1 ⊥ e2 ) und zur Fortpflanzungsrichtung k. Der mittlere Energietransport ist durch den Poynting-Vektor (5.6.3) und dieser durch die mittlere Energiedichte (5.6.4) des elektromagnetischen Feldes u = |E0 |2 /8πkc bestimmt S =

|E0 |2 ckl E×B∗ = c e3 = cue3 . 8πkc 8πkc

(8.2.64)

Anmerkung: Man kann den Poynting-Vektor auch in der Form G: S =

c E2 e3 , E×H = 4π Z0

SI: S = E×H =

E2 e3 Z0

(8.2.65)

anschreiben. Z0 = 4πkc /c ist der sogenannte Wellenwiderstand des Vakuums: 4π = 4.19×10−10 statΩ, G: Z0 = c

1 SI: Z0 = = c0



μ0 = 377 Ω. 0

(8.2.65’)

Die Energiestromdichte S ist eine vektorielle Größe der Mechanik und somit unabhängig vom System.

8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung Ausgegangen wird von einer Ladungs- und Stromverteilung, die auf ein Volumen der Größe V ∼ d3 beschränkt ist. Eine Ladungs- und/oder Stromverteilung emittiert bei beschleunigter Bewegung Strahlung, wobei diese Bewegung meist periodisch ist. So ist es zunächst von Interesse Maxwell-Gleichungen und Potentiale für die zeitlichen Fourier-Komponenten herzuleiten. 8.3.1 Maxwell-Gleichungen für die Fourier-Komponenten Die Fourier-Transformierten der Ladungs- und der Stromdichte erhält man aus (8.2.20) und die der Liénard-Wiechert-Potentiale aus (8.2.21) ˆ ˆ ρω (x) = dt eiωt ρ(x, t), jω (x) = dt eiωt j(x, t), (8.3.1) ˆ ˆ  ik|x−x | eik|x−x | kc  3 e d (x ), A (x) = x φω (x) = kc d3 x ρ jω (x ). (8.3.2) ω ω |x−x | ckl |x−x |

8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung

299

Aus der Lorenz-Bedingung (8.1.8) und der Kontinuitätsgleichung folgen nach jeweils partieller Integration des 1. Terms die Fourier-Transformierten ˆ  1 iω dt eiωt φ(x, t)+∇·A(x, t) = 0 ⇒− φω (x)+∇·Aω (x) = 0, (8.3.3) ckl ckl ˆ  dt eiωt ρ(x, t)+∇·j(x, t) = 0 ⇒ −iωρω (x)+∇·jω (x) = 0. (8.3.4)

.

.

Bemerkung: Wird die Dichte für t → ±∞ konstant, d.h. ρ(x, t → ±∞) = ρ(x) , so verschwindet der Randterm der partiellen Integration auch in diesem Fall:

T 

lim eiωt ρ(x, t)

T →∞

−T

= lim ρ(x)2iω T →∞

sin(ωT ) ω

(B.6.13)

=

ρ(x)2πiω δ(ω).

Die zeitlichen Fourier-Komponenten der Felder sind definiert als ˆ ˆ iωt Bω (x) = dt eiωt B(x, t). Eω (x) = dt e E(x, t),

(8.3.5)

Multipliziert man (8.1.1) mit eiωt und integriert über t, so erhält man die Maxwell-Gleichungen für die Fourier-komponenten (a)

∇·Eω = 4πkc ρω ,

(b) ∇×Eω −

(c) ∇×Bω +

iω 4πkc Eω = jω , ckl ckl

(d)

iωkl Bω = 0, c (8.3.6) ∇ · Bω = 0.

8.3.2 Helmholtz-Potentiale für Quellen- und Wirbelfelder Von besonderem Interesse sind die Strahlungsfelder, die bei der periodischen Bewegung von Ladungs- und Stromverteilungen auftreten, wobei uns der Zerlegungssatz in die Lage versetzt, diese in longitudinale Quellen- und transversale Wirbelfelder zu zerlegen. So kann gezeigt werden, dass in der Fernzone nur die transversalen Felder überleben. Vorausgesetzt wird, dass Ladungs- und Stromverteilungen lokal sind. Dann fällt A asymptotisch nicht schwächer als 1/r ab, was auch für die Felder gilt. Im Folgenden wird die Frequenz ω in allen elektromagnetischen Größen weggelassen, d.h. ρ(x) ≡ ρω (x), und ω wird durch ck ersetzt. Helmholtz-Potentiale des Magnetfeldes Das skalare Helmholtz-Potential φbh des Magnetfeldes muss wegen dessen Quellenfreiheit div B = 0 verschwinden:

300

8 Felder von bewegten Ladungen

φbh (x) = 0,

Bl (x) = −∇φbh (x) = 0.

(8.3.7a)

Das vektorielle Helmholtz-Potential Abh des Magnetfeldes erhält man direkt aus der Induktionsgleichung (8.3.6b), wobei das elektrische Feld E = El +Et wegen rot El = 0 durch seinen transversalen Anteil Et ersetzt wird. Da ∇·Et = 0, ist Et das Helmholtz-Potential des Magnetfeldes: Abh (x) = −(i/kl k)Et (x),

rot Abh (x) = B(x),

∇·Abh (x) = 0.

(8.3.7b)

Anmerkung: Die Berechnung von Abh (x) mithilfe des Zerlegungssatzes (7.1.16) ist wegen der Konvergenz der Integrale umständlich, da für r → ∞ nicht nur B ∼ 1/r, sondern wegen der Retardierung auch die Ableitungen von B und E mit 1/r abfallen (Aufgabe 8.6); man setzt B aus der Induktionsgleichung ein.

Helmholtz-Potentiale des elektrischen Feldes Es ist sehr einfach mit dem Helmholtz-Theorem das skalare Potential φeh = φqs aus den Quellen zu bestimmen, da diese durch das Gauß’sche Gesetz (8.3.6a) bekannt sind: ∇·E = 4πkc ρ ˆ ∇·E(x ) 1 d3 x , Eqs (x) = −∇φeh (x), ∇×Eqs (x) = 0. (8.3.8a) φeh (x) = 4π |x−x | Anmerkung: Anspruchsvoller wird das Problem, wenn man versucht, das Potential aus dem Zerlegungssatz zu erhalten ˆ ˆ ∇ ·E(x ) 1 −1 1 ! d3 x E(x )·∇ d3 x  φeh (x) = = ,  4π |x−x | 4π |x−x | da das Verschwinden des Randterms nicht offensichtlich ist (Aufgabe 8.6).

Das Vektorpotential des elektrischen Feldes lässt sich direkt aus der Ampère-Maxwell-Gleichung in der Form von (8.2.59) herleiten  ∇× B(x)−Bqs (x) = −i(k/kl )Et (x), (8.3.8b)  e qs e e Ah (x) = i(kl /k) B(x)−B (x) , rot Ah (x) = Et (x), div Ah (x) = 0.

Bqs = rot Aqs genügt als quasistatisches Feld der Vektor-Poisson-Gleichung (8.2.57) und ist quellen-, aber nicht wirbelfrei und verschwindet in großer Entfernung (Fernzone) von den Stromquellen (∼ 1/r2 ). Anmerkung: Auch bei der Berechnung von Aeh mit dem Zerlegungssatz muss wegen des Randterms ein Umweg in Kauf genommen werden, indem man E aus der Ampère-Maxwell-Gleichung einsetzt (Aufgabe 8.6).

Fassen wir unsere Ergebnisse zusammen, so haben die Felder El = Eqs und B nur eine begrenzte Reichweite (Nahzone), während Et und B − Bqs die langreichweitigen Strahlungsanteile enthalten, wobei Et senkrecht auf B−Bqs steht. Die quasistatischen Potentiale φeh bzw. Aqs sind nur dann ganz sicher qs

8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung

301

konvergent, wenn ρ bzw. j stärker als 1/r2 abfallen. Das Konvergenzverhalten kann jedoch durch die Berechnung mit G1 bzw. G2 , (A.4.28) verbessert werden. Alle Helmholtz-Potentiale konnten direkt aus den Maxwell-Gleichungen bestimmt werden, und man erhält aus den Helmholtz-Potentialen wiederum die Maxwell-Gleichungen, wobei rot Bqs = (4πkc /ckl )j−i(k/kl )El : kl rot E, ik (8.3.9) 4πkc ikl  rot B− (c) rot Aeh = Et = j −El , (d) −Δφbh = div B = 0. k ckl

(a) −Δφeh = div E = 4πkc ρ,

(b) rot Abh = B =

8.3.3 Periodische Bewegung Wir haben gezeigt, dass aufgrund der Linearität der Maxwell-Gleichungen die Felder für jede Frequenz ω separat bestimmt werden können. Es liegt daher nahe, eine Zeitabhängigkeit der Form ρ(x, t) = ρ(x) e−iωt

und

j(x, t) = j(x) e−iωt

(8.3.10)

anzunehmen ohne die Allgemeinheit der Lösung einzuengen. In die Potentiale (8.2.16) geht die retardierte Zeit tr = t −

|x−x | c

(8.3.11)

ein, woraus bei der vorgegebenen Zeitabhängigkeit von (8.3.10) für die Dichte bzw. den Strom folgt, dass (ω/c = k)       ρ x , tr = ρ(x ) e−iω t−|x−x |/c = ρ(x , t) eik|x−x | . (8.3.12) Die Kontinuitätsgleichung lautet

.

ρ(x, t) + ∇ · j(x, t) = 0



i ρ(x) = − ∇ · j(x). ω

(8.3.13)

Potentiale Man erhält für die Liénard-Wiechert-Potentiale (8.2.16) ˆ φ(x, t) = φ(x) e

−iωt

A(x, t) = A(x) e−iωt

mit

φ(x) = kc

mit

kc A(x) = ckl



d3 x ˆ

eik|x−x | ρ(x ), |x−x | 

eik|x−x | d x j(x ). |x−x |

(8.3.14)

3 



Die Retardierung geht so mit dem Faktor eik|x−x | in φ(x) und A(x) ein und berücksichtigt, dass die verschiedenen Teile der Quelle nicht mit der gleichen

302

8 Felder von bewegten Ladungen

Phase zum Potential (Feld) beitragen. Ausgangspunkt waren die entkoppelten Wellengleichungen für φ und A, was die Lorenz-Eichung (8.1.8) voraussetzt. Mit φ = −iωφ erhält man für diese gemäß (8.3.3)

.

.

1 φ(x, t) + ∇ · A(x, t) = 0 ckl



φ(x) = −i

kl ∇ · A(x). k

(8.3.15)

Im Folgenden werden mit einer Multipolentwicklung Näherungen für A gemacht. Dieselben Näherungen können nicht ohne Weiteres auf φ angewandt werden, da die Lorenz-Bedingung verletzt sein kann. Es ist daher sinnvoll φ aus (8.3.15) zu bestimmen oder überhaupt zu umgehen. So kann E über die Ampère-Maxwell-Gleichung aus B berechnet werden, wie nachfolgend gezeigt wird. Damit bleibt die Konsistenz der Näherung von E und B gewahrt. Felder Nach der Ampère-Maxwell-Gleichung (8.3.9) erhält man für E außerhalb der Ladungs- und Stromverteilung, wo j = 0: E(x, t) = (ikl /k) ∇×B.

(8.3.16)

Umgekehrt erhält man aus der Faraday’schen Induktionsgleichung B(x, t) = −(i/kkl ) ∇ × E.

(8.3.17)

Wie bereits erwähnt, vermeidet man bei der Berechnung der Felder das skalare Potential φ. Das erreicht man mittels (8.3.16), da B = ∇×A. Die Liénard-Wiechert-Potentiale fallen für r → ∞ mit 1/r ab. Bildet man die Ableitungen (Gradient, Rotation) der Potentiale für r r , so ist aufgrund der Retardierung 

∇ eik|x−x | = ik

 x−x ik|x−x | ≈ iker eik|x−x | e  |x−x |

der führende Term ebenfalls von der Ordnung 1/r und nicht – wie in der Elektrostatik – von 1/r2 . Wir schließen daraus B(x, t) = iker × A + O(d/r)

E(x, t) = −kl er × B + O(d/r)

Fernzone mit

r d . (8.3.18)

k = ω/c = 2π/λ ist die Wellenzahl und r ∼ d die Ausdehnung der Quelle. 8.3.4 Entwicklung nach Multipolen und Zonen Zur Berechnung der Potentiale (8.3.14) werden Näherungen gemacht. Das nicht nur, weil die Potentiale meist nicht exakt integrierbar sind, sondern weil man sich nicht für alle Spezialfälle gleichermaßen interessiert und oft Näherungen einen besseren Einblick in die physikalischen Vorgänge erlauben.

8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung

303

(8.3.16) zeigt, dass bei periodischer Bewegung E in einem Gebiet, in dem j = 0, aus rot B, d.h. aus A, berechnet werden kann. Unser Interesse gilt solchen Gebieten, so dass eine Kenntnis des skalaren Potentials φ nicht notwendig ist und wir uns daher auf Näherungen für A beschränken. Anmerkung: Wir gehen, wie in der Magnetostatik, von der Entwicklung von A gemäß (4.2.2) aus, nehmen aber an, dass ρ und j zeitabhängig sind ˆ ˆ   

x·x kc p 1 kc c m×x 3    d3 x j 1 + 2 + ... = d + x ρ x (x·x ) + ... . A= + ckl r r ckl r kl r 3 2r 3

.

.

Zum magnetischen Dipolpotential (4.2.10) kommen jetzt noch Beiträge des elektrischen Dipols und des elektrischen Quadrupols gemäß (4.2.8) und (4.2.9), also zwei Beiträge, die in der Magnetostatik nicht vorhanden sind. A ist in dieser Näherung ein quasistatisches Potential. Wir haben in der Multipolentwicklung noch die Re tardierung durch den Faktor eik|x−x | zu berücksichtigen, was zu langreichweitigen Anteilen in den Feldern und so zu einer Aufteilung in Nah-, Zwischen- und Fernzone führt.

Die Entwicklung nach Multipolen ist durch (4.2.2)  d2  1 x · x 1 = 1+ 2 +O 2  |x − x | r r r

vorgegeben. Sodann machen wir die Näherung  x k  2 x r − ( · x )2 + · · · k|x−x | = kr − k · x + r 2r  r O(kd2 /r) 



eik|x−x | ≈ eikr e−ik·x  kd2  ≈ eikr 1 − ik · x + O(k 2 d2 ) + O( ) r

kd  r/d k = ker .

2

Der Term der Ordnung O( kd r ) verschwindet in der Fernzone. In der Nahzone kann die Retardierung überhaupt vernachlässigt werden. Man erhält  d eik|x−x | eikr −ik·x  kd2 1 + O( )+O( ≈ e ) (8.3.19a)  |x−x | r r r x·x d2 kd2

eikr  1+ 2 (1−ikr)+O( 2 )+O(k 2 d2 )+O( ) . (8.3.19b) ≈ r r r r

In beiden Entwicklungen ist der 1. Term der Beitrag des elektrischen Dipol moments zu A, wobei e−ik·x noch der endlichen Ausdehnung d der Strahlungsquelle durch unterschiedliche Phasenfaktoren an den Raumpunkten x Rechnung trägt. Somit enthält e−ik·x die weitreichenden Anteile aller elektrischen und magnetischen Multipole. Der 2. Term von (8.3.19b) bestimmt den Beitrag des magnetischen Dipols und der elektrischen Quadrupolterme, wobei die Fernzone durch den Faktor

304

8 Felder von bewegten Ladungen

(1−ikr) berücksichtigt ist. In der intermediären Zone (Zwischenzone) hat man alle Terme von (8.3.19b) zu berücksichtigen. Man unterscheidet (k ≡ ker ) (a) kd < kr  1

(b) kd  kr ∼ 1

⇔ d d). Die Potentiale φ(x) und A(x) (8.3.14) werden dann die Potentiale der Elektro- und Magnetostatik, was auch als statische Zone bezeichnet wird: ˆ ˆ   kc 3  ρ(x ) 3  j(x ) φ(x) = kc d x d x , A(x) = . |x − x | ckl |x − x | Quasistatische Potentiale, wie die Näherungen φ und A der Nahzone, genügen der Lorenz-Eichung, wie in (8.2.56) gezeigt wurde. Für die hier angenommene harmonische Zeitentwicklung ∼ e−iωt kann die Lorenz-Eichung (8.3.15) unter Verwendung der Kontinuitätsgleichung (8.3.13) für das Nahfeld verifiziert werden. 8.3.6 Fernzone Potentiale und Felder In der Fernzone gilt immer d  r. Eine weitere Einschränkung betrifft die Wellenlänge. Wird diese klein gegenüber d, so verschiebt sich der Abstand, ab dem die Fernzone gilt, weiter nach außen. Wir werden hier die Näherung für die Fernzone (8.3.19a) auf φ und A anwenden und zeigen, dass die LorenzEichung in (8.3.21) nur mehr asymptotisch erfüllt ist (k = ker ): eikr φ(x) = kc r

ˆ



d3 x ρ(x ) e−ik·x = kc

eikr eikr ρ(k) = kc er ·j(k). (8.3.21) r cr

Den Zusammenhang zwischen ρ und j liefert die Kontinuitätsgleichung: ˆ    d3 x e−ik·x − iωρ(x )+∇ ·j(x ) = −iωρ(k)+ik·j(k) = 0, ρ(k) = (1/c) er · j(k).

Für das Vektorpotential erhält man in der Fernzone:

(8.3.21’)

8.3 Strahlung einer bewegten Ladungsverteilung

A(x) =

kc eikr ckl r

ˆ



d3 x j(x ) e−ik·x =

kc eikr j(k). ckl r

305

(8.3.22)

Das zu (8.3.22) gehörende skalare Potential erhält man, indem man ∇·A =

 kc eikr  1 ik − er ·j(k) + ∇·j(k) ckl r r

in die Lorenz-Bedingung (8.3.15) einsetzt. Wird angenommen, dass die Ausdehnung der Stromquelle d  λ erfüllt, so darf der letzte Term vernachlässigt werden und man erhält φ(x) = −i

 kl 1  eikr ∇·A ≈ kc 1 + i er ·j(k). k kr cr

(8.3.23)

Das skalare Potential (8.3.21) erfüllt so, wie bereits erwähnt, die LorenzBedingung nur asymptotisch für r → ∞. ρ(k) ist der aus der Festkörperphysik bekannte Formfaktor einer Ladungsverteilung. Das endliche k berücksichtigt den Phasenunterschied von Wellen, die von verschiedenen Quellpunkten der Ladungs-/Stromverteilung ausgehen; bei Punktladungen (Punktdipolen) ist die Fourier-Transformierte von k unabhängig (ρ(k) = ρ0 ). Die zu den Potentialen gehörigen Felder sind nach (8.3.18) bei Vernachlässigung von Beiträgen der Ordnung 1/r2 B(x, t) = ik E(x, t) = ik

kc eikr−iωt er × j(k), ckl r

(8.3.24)

  kc eikr−iωt er × j(k) × er . c r

(8.3.25)

Hierbei bilden E, B und er ein rechtshändiges Koordinatensystem: E = kl B×er ,

B=

1 er ×E, kl

er =

kl E × B. B2

(8.3.26)

Mittlere Strahlungsleistung Von Interesse ist die von der Quelle abgegebene Strahlungsleistung. Sie wird durch S bestimmt. Wir beschränken uns auf die mittlere Energiestromdichte S in großer Entfernung von der Quelle. Aus den Feldern (8.3.24) und (8.3.25) der Fernzone erhalten wir dann den mittleren Energiestrom (er ·E= 0) c c ckl E×B∗ = E×(er ×E∗ ) = |E|2 er (8.3.27) 8πkc 8πkc 8πkc 2  2 kc k 2   er = kc k |j(k)|2 − |er ·j(k)|2 er . = e ×(j(k)×e ) r r 2 2 8πc r 8πc r

S =

Die mittlere pro Zeiteinheit durch das Flächenelement df tretende Energie ist für eine Kugel mit dem Radius r

306

8 Felder von bewegten Ladungen

dP  = df · S,

df = r2 dΩ er = r2 sin ϑ dϑdϕ er .

Die vom Raumwinkel dΩ abgestrahlte mittlere Leistung ist so  dP  cr2 kc k 2  = r2 er · S = |j(k)|2 − |er ·j(k)|2 . |E|2 = dΩ 8πkc 8πc

(8.3.28)

Die auf die Oberflächennormale er senkrechte Komponente von j bestimmt die abgestrahlte Leistung. Wird hier für den Punktdipol j(k) = −iωp eingesetzt, so erhält man direkt die mittlere Leistung (8.4.15) der Dipolstrahlung.

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole Wir wenden uns nun der Berechnung der Anteile der Strahlung zu, die den Multipolmomenten zuzuordnen sind. Die Strahlung des elektrischen Dipols liefert hierzu den bei Weitem wichtigsten Beitrag. 8.4.1 Elektrische Dipolstrahlung Potentiale des Punktdipols Gegeben ist der am Ursprung ozillierende Punktdipol p(t) = p e−iωt , dessen Ladungsdichte (2.2.2) ist. Die Stromdichte erhält man aus der Kontinuitätsgleichung. Zusammen mit ihren Fourier-Transformierten ergibt das ρp (x) = −p·∇δ(3) (x), jp (x) = −iωpδ(3) (x) (8.4.1) ˆ ˆ ρp (k) = d3 x e−ik·x ρp (x) = −ik·p, jp (k) = d3 x e−ik·x jp (x) = −iωp. Jetzt berechnet man die Liénard-Wiechert-Potentiale. Zunächst setzt man die Dipoldichte in (8.3.14) ein, integriert partiell und verschiebt die Differentiation von ∇ zu −∇: ˆ ˆ ik|x−x | ik|x−x | 3  e  (3)  3  (3)  e φ(x) = −kc d x p·∇ δ (x ) = kc d x δ (x )p·∇ |x−x | |x−x | ikr ikr   e e = −kc p·∇ (8.4.2a) = kc p·er 2 1−ikr r r ˆ (3)  δ (x ) kc p kc p eikr d3 x eik|x−x | A(x) = −ik = −ik . (8.4.2b)  kl |x−x | kl r Der Dipolanteil in der Multipolentwicklung Vom führenden Term der Entwicklung (8.3.19) erhalten wir die Strahlung des elektrischen Dipolmoments der oszillierenden Ladungsverteilung:

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

A(x) =

kc ckl

= −ik

ˆ d3 x j(x ) kc eikr p kl r

307

.

ˆ ˆ  eik|x−x | kc eikr 3  (4.2.8) kc eikr 3  d d x ρ x = x j ≈ |x−x | ckl r ckl r

.

p = −iωp.

mit

(8.4.3a)

Alle weiteren Terme von A enthalten im Integranden mindestens ein zusätzliches xk , was zu höheren Momenten führt. Obige Näherung für A ist daher das exakte Potential für den elektrischen Dipol. Stellen wir der elektrischen Dipolstrahlung die Näherung für die Fernzone (8.3.22) gegenüber, so sehen wir eikr r

eikr −ik·x e r

←→

=⇒

j(0)

←→

j(k).

Die Potentiale der elektrischen Dipolstrahlung folgen aus denen der Fernzone (8.3.22)–(8.3.23), wenn man die Fourier-Transformierte j(k) durch j(0) ersetzt. Die beiden Fälle gehen ineinander über, wenn kd  1, d.h. d  λ, wie z.B. beim von Atomen ausgestrahlten sichtbaren Licht. Atom d ≈ 1 Å, sichtbares Licht λ ≈ 3.6×103 −7.8×103Å Röntgen-Strahlen4 λ ∼ 1.0×10−1 −3.0×101Å .

In der elektrischen Dipolstrahlung, bei der kd  1, ist es üblich die FourierTransformierten von ρ und j durch das Dipolmoment p zu ersetzen ˆ ˆ ˆ 3 3 p = d x x ρ = − d x x ∇·j = d3 x j ⇒ − iω p = j(0). (8.4.3b)

.

.

V

V

V

Wir setzen jetzt den Dipolanteil des Stroms in (8.3.21’) ein ρp (k) = k · j(0)/ω = −ik · p und erhalten damit die Ladungsdichte ρp des Dipolanteils. Die gesamte, dem Dipol zuzuordnende Ladung ρp (0) = 0 verschwindet erwartungsgemäß. Die Ladungsverteilung ρ schwingt mit gleicher Phase, d.h. das Feld der bewegten Ladung wird in der Fernzone als Strahlungsfeld eines Punktdipols wahrgenommen (im allgemeinen Fall sind durch ρ(k) noch Phasenunterschiede durch die endliche Ausdehnung der Quelle zum Tragen gekommen, was einer Beimischung anderer Multipolmomente gleichkommt). Jetzt können wir, ausgehend von (8.3.22) und (8.3.23) die Potentiale der elektrischen Dipolstrahlung in geeigneter Form angeben und erhalten die schon bekannten Potentiale des Punktdipols (8.4.2):  1  eikr−iωt φ(x, t) = −ikkc 1 − er ·p, ikr r kc eikr−iωt kc eikr−iωt A(x, t) = j(0) = −ik p. ckl c kl r 4

(8.4.4) (8.4.5)

Die Grenzen, sowohl zur Gamma- als auch zur UV-Strahlung sind fließend.

308

8 Felder von bewegten Ladungen

In der Coulomb-Eichung ist φc das quasistatische Potential des Dipols, und Ac = Abh ist durch (8.3.7b) bestimmt: φc (x) = kc

p·x , r3

Ac (x) =

1  E(x) + ∇φc (x) . ikl k

(8.4.5 )

Dipolfelder Wir sind an den allgemeiner gültigen Ausdrücken für die Dipolfelder interessiert, die aus den Potentialen (8.4.4) und (8.4.5) folgen, jedoch ohne die Einschränkung auf die Fernzone. Das Magnetfeld erhalten wir aus der Rotation des Vektorpotentials (8.4.5): B(x, t) = ∇×A =

kc 2 eikr−iωt  1  1− er ×p. k kl r ikr

(8.4.6)

.

Etwas mühsamer ist die Berechnung des elektrischen Feldes. Wir gehen von der Ampère-Maxwell-Gleichung rot B = (kl /c)E = −ikl kE aus, da an den in Betracht kommenden Orten x kein Strom fließt (j(x, t) = 0): E(x)

(8.3.16)

(ikl /k)∇×B  eikr     eikr  

1   1  1− × er ×p + 1− ∇× er ×p . = ikc k ∇ r ikr r ikr =

eikr eikr = n+1 (−n + ikr) er , n r r  ikr     e eikr  1  1  eikr eikr ∇ ikr−2 1− 1− = (−1+ikr)+ (2−ikr) e = er , r r ikr r2 ikr 3 r2 ikr   1 ∇× p×er = 2p − er ×(p×er ) . r ∇

Man kann das Feld mittels er ×(p×er ) = p − (er ·p)er in den weitreichenden Strahlungsanteil und das Nahfeld des elektrischen Dipols aufteilen: E(x, t) = kc

 

eikr−iωt  2 1 k er ×(p×er )+ 2 (1−ikr) 3(p·er )er −p . (8.4.7) r r

.

Alternativ kann E = −∇φ − 1c A mit den Potentialen (8.4.4) und (8.4.5) berechnet werden. Vernachlässigt man den Term ∼ 1/r2 in (8.4.4), d.h., rechnet man mit φ in selber Ordnung wie mit A, so ist die Lorenz-Eichung nicht erfüllt und die Konsistenz mit (8.4.7) nur für die Fernzone gegeben.

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

309

Nahzone In der Nahzone gilt kr  1 (und d < r). Nähert man die Felder (8.4.6) und (8.4.7) mit dieser Vorgabe, so erhält man   3 er ·p(t) er − p(t) E(x, t) = kc mit p(t) = p e−iωt , (8.4.8) r3 kc er ×p(t) B(x, t) = i kr . (8.4.9) kl r3 Das elektrische Feld ist das des Dipols p(t) und das Magnetfeld kl B ist um den Faktor kr kleiner als das elektrische Feld E und steht senkrecht auf dieses (B · E = 0). Fernzone Die Felder erhalten wir aus (8.3.24)–(8.3.27), indem wir j(k) durch −iωp ersetzen oder einfacher, aus den exakten Feldern (8.4.6) und (8.4.7) die mit 1/r abfallenden Fernfelder herauszunehmen: B(x, t) =

kc 2 eikr−iωt er × p k kl r

E(x, t) = kl B(x, t)×er = kc k 2

(8.4.10)   eikr−iωt er × p × er . r

(8.4.11)

E und kl B sind Kugelwellen gleicher Stärke, wobei E in der Ebene liegt, die von er und p aufgespannt wird. B steht senkrecht auf dieser Ebene, wie in Abb. 8.10 skizziert. z E

6k )

 er

B

p

6

-y

x

Abb. 8.10. Koordinatensystem für elektrische Dipolstrahlung; E liegt in der von er und p aufgespannten Ebene und B steht senkrecht darauf

Anmerkung: Die Gleichungen für die Strahlung einer mit der Frequenz ω bewegten Ladungsverteilung können umgeformt werden, wenn man in (8.4.10) und (8.4.11) k2 p = −

1 p ¨ c2

einsetzt (tr = t−r/c):

und

p ¨ (tr ) =

∂2 .. p e−iωtr = eikr−iωt p(t) ∂t2





310

8 Felder von bewegten Ladungen y

6

?6?6 x ?

6?6?6 rΛ

r=λ

r2Λ

r = 2λ

(a)

(b) r = 3λ r3Λ Abb. 8.11. (a) Elektrische Feldlinien eines Dipols in der xz-Ebene, wobei p(t) = p(t)ez . Das Nahfeld ist das eines oszillierenden Dipols. Bereits für r > λ/2 bilden sich Strahlungsfelder (Wirbelfelder) aus, deren Intensität senkrecht auf p maximal ist. (b) Äquatorialer Querschnitt der magnetischen Feldlinien eines Dipols

B(x, t) =

kc .. p(tr )×er , kl c2 r

E(x, t) =

..  −kc er × p(tr )×er = kl B×er . (8.4.12) c2 r

In Abb. 8.11 sieht man im inneren Kreis mit r  λ/2 zur Zeit t = 0 ein Dipolfeld. In der Folge wird der Dipol schwächer und verschwindet bei t = π/2ω, wobei sich die Feldlinien vom Ursprung lösen. Dann baut sich ein Dipolfeld in entgegengesetzter Richtung auf, das bei t = 3π/2 verschwindet. Dessen Feldlinien, jetzt wiederum vom Ursprung gelöst, sind zu den vorhergehenden entgegengesetzt orientiert, wie man der Abb. 8.11 entnehmen kann. Das magnetische Feld ist in der xy-Ebene kreisförmig, wie ebenfalls in Abb. 8.11 skizziert (er ×p= −eϕ ). Betrachten wir eine Momentaufnahme von B zu einer Zeit t0 = 2πn/ω = n/ν (n ganz), so ist für r = 2πm/k = mλ das Feld im Uhrzeigersinn und für r = π(2m + 1)/k = (m + 1/2)λ im Gegenuhrzeigersinn gerichtet (m ganz). Für dazwischenliegende Zeiten t0 erhält man in der Fernzone aus cos(kr − ωt0 ) dasselbe Bild wie beim elektrischen Dipol. Strahlungsleistung Mit den Feldern der Fernzone, (8.3.24) und (8.3.25) haben wir die mittlere Strahlungsleistung für eine periodisch bewegte Ladungsverteilung bestimmt. Hier beschränken wir uns auf die elektrische Dipolstrahlung. Wir müssen nur j(k) durch j(0) = −iωp ersetzen, um die Felder und die (mittlere) Strahlungsleistung für den Dipol, (8.4.10) und (8.4.11) zu erhalten. Aus der Energiestromdichte (8.3.27) S(x, t) =

ckl c Re E(x, t) × Re B(x, t) = (Re E)2 er 4πkc 4πkc

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

311

erhält man mittels dP = S · df die durch das Oberflächenelement einer Kugel df = r2 dΩer mit dem Radius r → ∞ durchgehende Strahlung dP ckc 4 2 = k p sin2 θ cos2 (kr−ωt) , dΩ 4π wobei p2 − (er ·p) = p2 sin2 θ. Der Dipol zeigt in eine feste Richtung (z-Achse: θ → ϑ). Die Formel kann insbesondere dann nicht ohne Weiteres übernommen werden, wenn die Richtung des Dipolmoments zeitlich variiert, wie es etwa bei einem kreisenden Elektron der Fall ist. Die integrale Intensität ist ˆ dP 2ck 4 2 P = dΩ = kc p cos2 (kr − ωt). dΩ 3

.

¨(tr ) in die LarmorDiese Formel erhält man auch, wenn man q β(tr ) = 1c p Formel (8.2.39) einsetzt. Ausgedrückt durch die oszillierende Punktladung qx(t) = p cos(ωt) mit p = qx0 ergibt das P = kc

2q 2 2 x ¨ (tr ) 3c3

und

P  = kc

q2 4 2 ω x0 , 3c3

(8.4.13)

was wieder einmal zeigt, dass nur die beschleunigte Ladung strahlt. Die Energie, die pro Periode ausgestrahlt wird (¯ λ = λ/2π = 1/k): ˆ

2π/ω

dt P (t) = kc

E= 0

π q 2  x0 2 π Coulomb-Energie  Amplitude 2 . = × × ¯ 3 λ ¯ λ ¯ 3 beim Abstand λ λ ¯   1

Mittlere abgestrahlte Energie Mittelt man die gerade hergeleiteten Größen wie S und P über eine Periode, so ist jeweils nur cos2 (kr − ωt) durch seinen Mittelwert cos2 (kr − ωt) = 1/2 zu ersetzen. Da jedoch die komplexen Felder den Problemen besser angepasst sind, definieren wir die zeitlich gemittelte Energiestromdichte (8.3.27) mit diesen, wobei wir uns auf die Fernzone (8.4.10) und (8.4.11) bzw. (8.4.12) einschränken; noch einfacher wäre es in den Ausdrücken für die Fernzone (Abschnitt 8.3.6) j(k) durch j(0) = −iωp zu ersetzen: 2 ckl c k 4  c (8.4.11) er ×(p×er ) er E×B∗ = |E|2 er = kc 2 8πkc 8πkc 8π r 2 kc  .. er ×(p(tr )×er ) er . = (8.4.14) 8π c3 r2

S =

In S geht die Zeit, also auch die retardierte Zeit, nicht ein. Mit S können wir wieder die mittlere abgestrahlte Leistung angeben, die ins Raumwinkelelement dΩ abgestrahlt wird, wobei wir wieder von einer Kugel vom Radius r ausgehen:

312

8 Felder von bewegten Ladungen

2 dP  cr2 ckc k 4  = r2 S · er = er × (p × er ) . |E|2 = dΩ 8πkc 8π

(8.4.15)

Nun ist gemäß (A.1.60): er ×(p×er ) = p − (p·er )er , so dass |er ×(p×er )|2 = |p − (er ·p)er |2 = |p|2 − |er ·p|2 = |p|2 sin2 θ, wobei θ der Winkel ist, den er und p einschließen. Ist die z-Achse durch p festgelegt, so gilt θ ≡ ϑ und damit dP  ck 4 2 Z0 k 4 2 2 2 = kc |p| sin2 ϑ = c |p| sin ϑ, dΩ 8π 32π 2

Z0 =

4πkc . c

(8.4.16)

dP  dΩ

1.0 0.8

Abb. 8.12. Die abgestrahlte Energie dP /dΩ ist maximal für ϑ = π/2 (willkürliche Einheit für dP /dΩ)

0.6 0.4 0.2 0.0

0

1

2

3

ϑ

Die Abstrahlung ist am Äquator maximal, wie in Abb. 8.12 skizziert. Für die totale Abstrahlung erhält man ˆ π ˆ dP  ck 4 2 ck 4 2 dϑ sin3 ϑ = kc (8.4.17) P  = dΩ = kc |p| 2π |p| . dΩ 8π 3 0 p ist das Dipolmoment der Ladungsverteilung, die mit ω gemäß p(t) = p e−iωt schwingt, d.h. p ¨(t) = −ω 2 p(t). Dementsprechend ist (siehe (8.2.39)) P  =

Z0 .. 2 Z0 k 4 2 2 c |p| = |p| . 12π 12πc2

(8.4.18)

Bewegt sich das Elektron auf einer Kreisbahn, so hat man ein rotierendes Dipolmoment (siehe Aufgabe 8.12) mit der Strahlungsleistung dP  ck 4 |p|2 = kc (1 + cos2 ϑ), dΩ 8π

P  = kc

2ck 4 |p|2 . 3

(8.4.19)

Anmerkung: P  ∼ k4 erklärt die blaue Farbe des Himmels (Lord Rayleigh): Sonnenstrahlen regen die Luftmoleküle an. Die Aussstrahlung ist am blauen Ende stärker (siehe Rayleigh Streuung). Rotfärbung von Sonne und Mond bei Auf- und Untergang: Das von ihnen ausgesandte blaue Licht wird stärker aus der Bahn gestreut als das rote.

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

313

8.4.2 Dipolstrahlung einer Antenne Es liege eine lineare Antenne vor, deren Länge d klein ist gegen die Wellenlänge, kd  1. Der Antenne wird in der Mitte Strom zugeführt (Koaxialspeisung), wie in Abb. 8.13 skizziert. Somit breitet sich der Strom symmetrisch in der Antenne aus. Diese Konfiguration soll unter der Annahme, dass der Strom bekannt ist und nur längs des dünnen Drahtes fließt, gelöst werden. Sinnvolle Annahmen für die Stromdichte sind die sinusförmige j(x, t) = I sin

 kd  d − k|z| δ(x)δ(y) θ( − |z|) e−iωt ez 2 2

(8.4.20)

oder die lineare Ausbreitung

 d 2|z|  δ(x)δ(y)θ( − |z|) e−iωt ez j =I 1− d 2

(8.4.21)

in den Antennenarmen. Für das Vektorpotential erhält man nach (8.4.3) den d z 2

*x

ϑ ∼

y Abb. 8.13. Linearantenne der Länge d; als ideale Antenne ist sie sehr dünn, so dass j(x, t)=j(z, t) δ(x)δ(y) ez und die Konfiguration somit axialsymmetrisch ist

x d −2

Dipolanteil für kd  1 in der Fernzone A(x, t) =

kc ei(kr−ωt) j(0) ckl r

mit

ˆ j(0) =

d3 x j(x ) = −ikcp.

Im nur für kurze Antennen sinnvollen Fall linearer Ausbreitung (8.4.21) ist die Fourier-Transformierte des Stroms d/2 ˆ d/2  z 2  2|z|  Id = 2Iez z − dz (1− = ez , j(0) = Iez  d d 2 −d/2 0 Id (8.4.22) ez . p=i 2kc Für B und E erhält man so in der Fernzone (∇r = er ) A(x) =

kc Id eikr kc eikr j(0) = ez ckl r ckl 2 r



B = ∇×A ≈ iker ×A, E = kl B×er , E×B∗ = kl |B|2 er .

314

8 Felder von bewegten Ladungen

Daraus folgt der Poynting-Vektor S =

kc k 2 I 2 d2 ckl2 |B|2 er = sin2 ϑ er . 8πkc 8πc 4r2

(8.4.23)

Die Integration über den Raumwinkel ergibt 4π (2/3), so dass die abgestrahlte Energie, berechnet gemäß (8.4.18): P  = kc

I 2 (kd)2 I 2 (kd)2 = Z0 12c 48π

(8.4.24)

ergibt, wobei für den Wellenwiderstand des Vakuums entweder G: Z0 = 4π/c oder SI: Z0 = 1/c 0 = 377 Ω einzusetzen ist: P  = 100(d/λ)2 I 2 [Ω A2 ] = 0.15 W bei λ = 50 m, d = 2 m, I = 1 A, P  = =1 W bei λ = 20 m, d = 2 m, I = 1 A. Mithilfe der Kontinuitätsgleichung iωρ = ∇·j erhalten wir auf den Antennenarmen die konstante Linienladungsdichte ρ(x) = δ(x) δ(y) sgn(z)

2iI d θ( − |z|) . ωd 2

In verlustfreien Antennen kann der Strahlungswiderstand Rs als der Widerstand definiert werden, der die abgestrahlte Leistung erzeugen würde, P =

I2 Rs 2



Rs = Z 0

(kd)2 . 24π

Beiträge höherer Multipole Mit der Einschränkung von kd  1 sind nur die Anteile der elektrischen Dipolstrahlung berücksichtigt. Für diese gilt, dass P ∝ k 2 . Wird kd ∼ 1, so kommen Beiträge höherer Multipole hinzu, und man greift auf (8.3.22) zurück, was bedeutet, dass man j(0) durch j(k) ersetzt. Für den linearen Stromverlauf (8.4.21) erhält man ˆ ˆ d/2   2|z  |  j(k) = d3 x e−ik·x j(x ) = I ez dz  e−ikz z 1− d −d/2 sin2 (kz d ) 4I  kz d 4 . = 2 1−cos ez = j(0) dkz 2 (kz d )2 4

Insbesondere kommt eine Abhängigkeit der Intensitätsverteilung (8.3.28) vom Polarwinkel ϑ durch j(k) hinzu: d k2 dP  dPdipol   sin(kz 4 ) 4 = kc |j(k)|2 sin2 ϑ =   . dΩ 8πc dΩ kz d 4

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

315

Die Strahlungsintensität wird umso schwächer, je größer der Betrag von kz = k cos ϑ ist. Es bleibt also immer ein kleiner Winkelbereich um ϑ = π/2 mit nur geringer Schwächung. Als Strahlungsleistung erhält man (a = kd/4; x = cos ϑ): ˆ P  = 2π

1

d cos ϑ −1

dP  3 = Pdipol  dΩ 2

ˆ 0

1

 sin(ax) 4  (1 − x2 ) dx ax

(8.4.25)

Berechnet man für kd = 2π die Strahlungsleistung, so ist diese auf ∼ 0.75Pdipol zurückgegangen. Zugleich wird jedoch auch die lineare Stromverteilung (8.4.21) unrealistischer. Für die Stabantenne ist ˆ kl m= d3 x x ×j = 0 , 2c so dass nur elektrische Multipole zu P  beitragen.

Anmerkung: Annahmen über den Verlauf des Stroms in einer Antenne, bei gegebener Anregung können nur in einfachen Fällen für sehr dünne und gute Leiter gemacht werden. Das ist ein kompliziertes Randwertproblem.

Zur Anordnung von Antennen Mit mehreren entsprechend angeordneten, synchron betriebenen Antennen kann die Winkelabhängigkeit der Strahlung beeinflusst werden. Hat man mehrere Antennen an den Punkten a j , so ist in der Fernzone der einzige Einfluss der unterschiedlichen Standorte |aj |  r in der Phase der Kugelwelle eik|x−aj | ≈ eikr−ik·aj zu finden. Man erhält so für n gleiche Dipole (8.4.11) n 

n  eikr−iωt er ×(p×er ) Et (x, t) = Ej (x, t) ≈ kc k e−ik·aj r j=1 j=1 2

(8.4.26)

= E(x, t) F (k).

Das Feld Et der gesamten Anordnung ist gleich dem Feld E des einzelnen Dipols, multipliziert mit einem Strukturfaktor F , der die Richtungsabhängigkeit der Strahlung modifiziert. Dieses Verhalten ist äquivalent dem der Streuung von Röntgen-Strahlen in Materie, wo der Strukturfaktor eines Kristallgitters eine Streuung nur in ganz bestimmte Richtungen erlaubt. Sind n Antennen entlang einer Kette angeordnet, wie in Abb. 8.14 skizziert, so wird das als Dipolzeile bezeichnet. Bei regelmäßigen Abständen der Dipole legt man den Ursprung in die Mitte der Kette, um unnötige Phasenfaktoren zu vermeiden. Für n Dipole erhält man für

316 ∼ ∼ ∼

8 Felder von bewegten Ladungen

6 6

a

Abb. 8.14. Dipolzeile: Übereinander angeordnete Dipole (Linearan-

?6 tennen). Der Abstand zwischen den Dipolen wird meist mit a = λ/2 6 festgelegt. Bei einer allgemeineren Anordnung der Dipole, meist nebena ?6 einander, spricht man von einer Dipolgruppe bzw. von einem Dipolfeld

F (k) = eik·a(n+1)/2

n 

geom.

e−ik·aj Reihe =

j=1

sin( nk·a 2 )

(8.4.27)

sin( k·a 2 )

die Form der Beugungsfunktion (Kardinalsinus für k·a  1) mit einem mit n schärfer werdenden Maximum. Dies gilt noch stärker für die Intensität dPt  dP  = |F (k)|2 , dΩ dΩ

(8.4.28)

wobei der erste Faktor die Intensität des einzelnen Dipols ist. Zur Beschreibung der Richtungsabhängigkeit der Strahlung sind einige Definitionen notwendig. So spricht man von einem (isotropen) Kugelstrahler, wenn dP /dΩ = P /4π. Ist nun P die Leistung der betrachteten Antenne, so werden D als Richtfaktor, G als Gewinn und η als Wirkungsgrad bezeichnet: D=

4π dP (Ωmax ) , P  dΩ

G = ηD,

η=

Rs . Rs +Rv

Ωmax ist der Winkel maximaler Abstrahlung (in der Fernzone). Ist die Antenne verlustfrei, d.h. Rv = 0, so ist η = 1 und G = D. Richtfaktor und Gewinn werden im Allgemeinen als Logarithmus (Dezibel) angegeben. Amplituden und Phaseninformation des Fernfeldes (r → ∞) liefert die vektorielle Richtcharakteristik: C(Ω) =

E(r, Ω) e−ikr = Cϑ (Ω) eϑ + Cϕ (Ω) eϕ , |E(r, Ωmax )|

C(Ω) =

|E(r, Ω)| . |E(r, Ωmax )|

Statt des Kugelstrahlers wird auch der Hertz’sche Dipol als Vergleichsobjekt herangezogen. Rahmenantennen In Rahmenantennen umspannt der Draht eine Fläche (Rechteck, Kreis etc.). Wir werden hier nur auf die kreisförmige Stromschleife eingehen, wie sie in Abb. 8.15 skizziert ist. In einem Kreis vom Radius a fließt der Strom j(x , t) = I δ(  − a) δ(z  ) e−iωt eϕ . Das magnetische Moment des Kreisstroms ist m = (I/c)a2 πez , während das

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole z

6

317

x

>

ϑ

ya z R j ϕ x

y

Abb. 8.15. Kreisschleifen bzw. Spulen sind sogenannte Rahmenantennen; ist der gesamte Strom I(t) = I0 e−iωt innerhalb der Schleife gleich, so hat diese kein elektrisches Dipolmoment, und die Antenne wirkt als magnetischer Dipolstrahler

elektrische Dipolmoment p verschwindet. In der Wellenzone ist das Vektorpotential A(x, t) =

kc eikr−iωt kc eikr−iωt j(k) = (−2πia)J1 (ka sin ϑ) eϕ . ckl r ckl r

J1 ist die Bessel-Funktion 1. Ordnung (siehe Abschnitt B.4.2); die genaue Rechnung wird in Aufgabe 8.15 verlangt. Die Richtungsabhängigkeit der Strahlungsleistung dP  k4 c 2 2 Z 0 k 4 c2 m 2 kl = kc m sin ϑ = sin2 ϑ, m = a2 πIez f u ¨ r ka  1 2 dΩ 8πkl 32π 2 kl2 c ist gleich der des elektrischen Dipols (8.4.18), wenn man m/kl durch p ersetzt. Für ka > 1 entstehen zusätzliche Keulen. Diese Auffächerung der Strahlung kann auf den mit wachsendem k steigenden Anteil der höheren Multipole zurückgeführt werden. 8.4.3 Magnetische Dipol- und elektrische Quadrupol-Strahlung Im Vektorpotential einer bewegten Ladungsverteilung (8.3.14) ist nun der 2.  Term in der Entwicklung von eikr|x−x | /|x − x | nach (8.3.19b)   eik|x−x | x · x eikr  1 + 2 (1 − ikr) =  |x − x | r r

zu berücksichtigen (der 1. Term hat ja die elektrische Dipolstrahlung gebracht) ˆ kc eikr Ai (x) = d3 x xk ji (x ) . (1−ikr) x (8.4.29) k ckl r3

.

Das Integral kann analog zu (4.2.10) ausgewertet werden, wobei einmal mehr die Hilfsformel (4.2.9) angewandt werden kann (∇ · j = −ρ = iωρ)5 : ˆ ˆ ˆ  d3 x xi jk (x) + xk ji (x) = − d3 x (∇ · j)xi xk = −iω d3 x ρ(x) xi xk . ˆ

ˆ

5

3

d x xk ji =

xi jk − iωxk xi ρ



∂xi d x xk jl = − ∂xl 3

ˆ

∂jl 1 d x xi jl + xk xi = ∂xl ∂xl 2 3

 ∂xk

ˆ



d3 x xk ji −

318

8 Felder von bewegten Ladungen

Man erhält so Ai (x) =

ˆ

kc eikr xk 3          d x (1−ikr) x j (x )−x j (x )−iωρ(x )x x k i i k i k (8.4.30) ckl r3 2

zwei Beiträge, von denen der erste der magnetischen Dipolstrahlung und der zweite der elektrischen Quadrupolstrahlung zuzuordnen ist. In vektorieller Schreibweise lautet (8.4.30) ˆ 

kc eikr 3       A(x) = j ◦ x . (8.4.31) (1−ikr) d x − x ◦ j e − iωρ(x ) x ◦ x e r r 2ckl r2

Nun wird der erste Term von (8.4.31) umgeformt zu 

 j ◦ x  − x  ◦ j er

(A.1.16)

=

(x ×j)×x

und in das magnetische Dipolmoment (4.2.1) ˆ kl d3 x x ×j(x ) m= 2c eingesetzt. Den letzten Term drücken wir durch das 2. elektrische Moment M (2.5.8) aus: ˆ ˆ M = d3 x ρ(x ) (x ◦ x ) ⇔ Mij = d3 x ρ(x ) xi xj . Wir erhalten so das Vektorpotential (8.4.31) separiert in einen magnetischen Dipol- und einen elektrischen Quadrupolanteil A(x, t) =

  kc eikr−iωt ikl ω Mer . (1−ikr) m×er − kl2 r2 2c

(8.4.32)

Magnetische Dipolstrahlung Der magnetische Dipolanteil ist gemäß (8.4.32) A(m) (x, t) =

kc ei(kr−ωt) (1−ikr)m×er , kl2 r2

SI:

kc μ0 = . kl2 4π

(8.4.33)

Daraus folgt für das elektrische Feld E=−

.

kc 2 eikr−iωt kl 1 A= k (1− ) m×er , c kl r ikr

(8.4.34)

wobei in der Wellenzone (kr 1) nur der 1. Term beiträgt. Das elektrische Feld der magnetischen Dipolstrahlung entspricht so dem magnetischen Feld der elektrischen Dipolstrahlung (8.4.6).

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

319

Man erhält die Lösung für den magnetischen Dipol aus dem elektrischen Dipol, indem man dort E → kl B , B → −E/kl und p → m/kl ersetzt, was aus dem Vergleich von (8.4.6) mit (8.4.34) hervorgeht. In diesem Sinne wird hier das magnetische Feld aus (8.4.7) übernommen B = ∇×A =

 1  kc eikr−iωt  2 k er ×(m×er ) + 3er (er ·m)−m 2 1−ikr . 2 kl r r

Die Ausstrahlung ist wie beim elektrischen Dipol, d.h. hier hat das Nahfeld die Gestalt eines (magnetischen) Dipolfeldes. Die Strahlungsleistung hat für beide Arten die gleiche Form: S =

 ckl kc c k 4  |m|2 − |er ·m|2 er . E×B∗ = 2 2 8πkc kl 8π r

(8.4.35)

Mit S können wir wieder die in das Raumwinkelelement dΩ mittlere abgestrahlte Leistung angeben: dP  kc c k 4 = r2 S·er = 2 |m|2 sin2 θ, dΩ kl 8π

(8.4.36)

wenn θ der von m und er eingeschlossene Winkel ist . Die gesamte (mittlere) Strahlungsleistung ist nach (8.4.24) P  =

kc ck 4 |m|2 kl2 3

Z0 =4πkc /c

=

Z 0 c2 4 k |m|2 . 12π kl2

(8.4.37)

Das elektrische Feld E hat in der Wellenzone, je nach dem Beobachtungspunkt x, eine unterschiedliche Polarisation (siehe Abschnitt 10.1). Gehen wir von der elektrischen Dipolstrahlung aus, so liegt der Polarisationsvektor des elektrischen Feldes  ∼ er × (p × er ) in der von p und er aufgespannten Ebene. Bei der magnetischen Dipolstrahlung steht jedoch der Polarisationsvektor  ∼ m × er senkrecht auf der von m und er aufgespannte Ebene. Die Strahlungsleistung der magnetischen Dipolstrahlung (8.4.37) ist gleich der der elektrischen Dipolstrahlung, wenn man in (8.4.18) das elektrische Dipolmoment p durch das magnetische m ersetzt. Im Allgemeinen ist jedoch die Strahlungsleistung der magnetischen Dipolstrahlung deutlich schwächer als die der elektrischen Dipolstrahlung. Nimmt man als Basis für das magnetische Moment einen Kreisstrom I(t)=Ie−iωt mit dem Durchmesser d, so ist gemäß (4.2.14) m = kl I(t)d2 π/4c . Eine lineare Antenne der Länge d mit dem Strom I hat gemäß (8.4.22) das Dipolmoment p = Id/2kc. Es ist demnach m/kl p = kl (π/2) dk. Solange dω  c ist die elektrische Dipolstrahlung stärker.

Elektrische Quadrupolstrahlung Der letzte Term in (8.4.32) ist der Beitrag des elektrischen Quadrupols einer Ladungsverteilung zur Strahlung:

320

8 Felder von bewegten Ladungen

A(q) (x, t) = −i

kc k eikr−iωt (1−ikr)(Mer ). kl 2 r2

(8.4.38)

Nun geht man zu den in (2.5.9) definierten spurfreien Quadrupolmomenten 3M = Q + M E mit M = Sp M und dem Einheitstensor E über: A(q) (x, t) = −i

  kc k e(ikr−ωt) (1−ikr) Qer + M er . 2 kl 6 r

M trägt nichts zu den Feldern B und E bei, so dass wir diesen Term weglassen A(q) (x) = −i

kc k f (r) Q x kl 6

mit

f (r) =

eikr (1−ikr). r3

(8.4.39)

Für B erhält man unter Berücksichtigung von ∇ × Qx = 0 B(x) = −i

kc k f  (r) (x×Q x) kl 6 r

mit

Für E erhält man (∇·Qx = 0) E(x) =

 f  (r) eikr  = 5 k 2 r2 +3ikr−3 . r r

kc ikl 1 f  (r) 1 ∇×B = kc f˜(r) x × (x × Q x) − Qx, kl k 6 2 r

wobei wir  eikr  1 d f = 7 ik 3 r3 − 6k 2 r2 − 15ikr + 15 f˜(r) = r dr r r

definiert haben. Der räumliche Anteil des Nahfeldes (kr = 0) En (x) = kc

1 1  2 2 5 (x · Q x) x − r Q x + r Q x 2 r7

ist, wenig überraschend, gleich dem elektrostatischen Quadrupolfeld (2.5.9). Quadrupolstrahlung in der Fernzone Es ist hilfreich, das Vektorpotential (8.4.38) für die Fernzone anzuschreiben, da dadurch eine Ähnlichkeit zur elektrischen Dipolstrahlung (8.4.5) sichtbar wird: (q)

Af (x, t) = −

kc k 2 eikr−iωt Q er . kl 6 r

(8.4.40)

Ersetzt man im Dipolpotential den Vektor p durch den Vektor −ik(Qer ), so (q) erhält man Af . Das Fernfeld von B ist durch den 1. Term von f  /r gegeben und das von E durch den 1. Term von f˜(r):

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

kc k 3 eikr (er ×Qer ), kl 6 r k 3 eikr er × (er ×Qer ). Ef (x) = ikc 6 r

Bf (x) = −i

321

(8.4.41) (8.4.42)

Die mit r2 multiplizierte Energiestromdichte S ergibt die Abstrahlung dP ckl 1 2 k 6  = |Qer |2 −|er ·(Qer )|2 kc dΩ 8πkc kl 36 ckc k 6 (Qer )2 sin2 θ . = 8π 36

(8.4.43)

In der 2. Zeile ist ein reeller Tensor Q angenommen. θ ist dann der Winkel zwischen den Vektoren er und Qer . Einfacher werden die Formeln, wenn der Quadrupoltensor in Hauptachsenform vorliegt und axialsymmetrisch ist: Qij =

3 1 Q0 (δiz δjz − δij ) . 2 3

In dieser Definition ist Q0 = Qzz , woraus Q0 eikr er × (er × ez ) cos ϑ, 4 r kc Q0 eikr (er × ez ) cos ϑ Bf (x) = −i k 3 kl 4 r Ef (x) = ikc k 3

(8.4.44) (8.4.45)

folgt. In der Wellenzone hat die zeitlich gemittelte Energiestromdichte S =

ckl2 ckc k 6 Q20 sin2 ϑ cos2 ϑ er |B|2 er = 8πkc 8π r2 16

(8.4.46)

und daraus folgend die Strahlungsleistung dP  ckc k 6 Q20 = r2 S·er = sin2 ϑ cos2 ϑ dΩ 8π 16

(8.4.47)

die für einen Quadrupol typische Winkelverteilung, skizziert in Abb. 8.16. Die gesamte Strahlungsleistung erhält man durch Integration über der Raumwinkel (ξ = cos ϑ): ckc k 6 Q20 P  = 8π 16

ˆ

ˆ 1 c2 Z0 k 6 Q20 ckc k 6 Q20 = . (8.4.48) dϕ dξ(1−ξ 2 )ξ 2 = 4 60 960π 0 −1 2π

In Atomen ist die elektrische Quadrupolstrahlung viel schwächer als die Dipolstrahlung und kann im Allgemeinen vernachlässigt werden. Als einfaches Modell nehmen wir eine Ladung e (Elektron), die sich auf einer Kreisbahn des Radius a mit der Frequenz ω bewegt, wie in Abb. 8.17a skizziert. Im Zentrum ruht die Ladung −e, so dass das Atom elektrisch neutral ist. Wir haben

322

8 Felder von bewegten Ladungen

Abb. 8.16. Winkelverteilung der Quadrupolstrahlung für einen axialsymmetrischen Quadrupol in der xz-Ebene

6

a

?

ω

6

I

a

e

(a)

e 2 R (b) ω 2

?

ω 2 eI 2

Abb. 8.17. (a) Bewegt sich eine Ladung e auf einer Kreisbahn, so hat sie ein rotierendes Dipolmoment. (b) Ist die Ladung auf zwei stets gegenüberliegende Punkte der Kreisbahn aufgeteilt, so hat sie ein rotierendes Quadrupolmoment

demnach ein rotierendes Dipolmoment p(t)=ea(ex+iey )e−iωt und können die dazugehörige mittlere abgestrahlte Energie (8.4.19) angeben P = 2ce2 a2 k 4 /3 . Bewegen sich 2 auf einem Kreis stets gegenüberliegende Ladungen e/2, wie in Abb. 8.17b skizziert, so bilden diese einen Quadrupol der Form Abb. 2.5b, der in der xy-Ebene rotiert. Die Berechnung der Strahlung wird in der Aufgabe 8.19 gestellt. Man erhält dP  ckc e2 a4 k 6 = sin2 ϑ(1+cos2 ϑ), dΩ 8π 16

P  = ckc

e 2 a4 k 6 . 40

(8.4.49)

Das Verhältnis P /P Dipol  = 3a2 k 2 /80 sagt uns, dass in Atomen die Quadrupolstrahlung vernachlässigt werden darf, es sei denn die Wellenlängen λ < 2πa der Strahlung sind von der Größe des Kreisumfanges – und das sind höchstens einige Å. Bei atomaren Übergängen mit Wellenlängen ∼ 102 bis 103 Å ist die Quadrupolstrahlung nur bemerkbar, wenn der entsprechende Dipolübergang verboten ist. 8.4.4 Polarisationspotentiale Abschließend soll noch kurz auf eine alternative Methode zur Berechnung von Strahlungsfeldern eingegangen werden. H. Hertz hat 1889 dafür ein weiteres Vektorpotential, den sogenannten Hertz’schen Vektor eingeführt (siehe etwa Born [1933, § 74] oder Born, Wolf [1986, § 2.2.2]). In der Beschreibung der Ladungen ρ(x, t) und j(x, t) orientieren wir uns an den Materialgleichungen (5.2.17). Ladungs- und Stromdichte (5.2.2) und (5.2.3) stellen wir in formaler

8.4 Die Strahlungsanteile der Multipole

323

Analogie zu den (gebundenen) Strömen und Ladungen im Medium dar durch deren Polarisationsdichten: ρ(x, t) = −∇ · Pe (x, t)

.

j(x, t) = Pe (x, t) + c∇ × Me (x, t).

(8.4.50)

Der Index e bezeichnet die externen Polarisationen, wobei Pe als rotationsfrei angenommen werden darf. Man überzeugt sich leicht, dass (8.4.50) die Kontinuitätsgleichung automatisch erfüllt:

.

.

.

ρ(x, t) + ∇ · j(x, t) = −∇ · Pe (x, t) + ∇ · Pe (x, t) = 0 . Man definiert nun Polarisationspotentiale, die sogenannten Hertz’schen Vektoren ˆ Pe (x , tr ) Zq (x, t) = d3 x , (8.4.51) |x − x | ˆ |x−x | Me (x , tr ) , tr = t − , Zm (x, t) = d3 x  |x − x | c wobei tr die retardierte Zeit (8.2.14) ist. Diese Vektorpotentiale sind kausale Lösungen der Wellengleichungen Zq (x, t) = 4πPe (x, t),

Zm (x, t) = 4πMe (x, t) .

(8.4.52)

Wir verifizieren dass φ und A durch die Zq und Zm gegeben sind: φ(x, t) = −∇·Zq (x, t) ⇒ φ = −4π∇·Pe = 4πρ, (8.4.53)  4π 1 1 A(x, t) = Zq (x, t)+∇×Zm (x, t) ⇒ A = 4π Pe +∇×Me = j c c c

.

.

und mit diesen Definitionen automatisch die Lorenz-Eichung erfüllen:

.

.

.

1 1 1 φ + div A = − div Zq + div Zq = 0 . c c c Die elektrischen und magnetischen Felder sind dann

.

 1 ∇ × Zq (x, t) + ∇ × ∇ × Zm (x, t) , c   1 1¨ 1 E(x, t) = −∇φ − A = ∇ ∇ · Zq − 2 Z q − ∇ × Zm c c c  1 = ∇ × ∇ × Zq (x, t) − 4πPe (x, t) − ∇ × Zm (x, t) . c

B(x, t) = ∇ × A =

.

. .

(8.4.54)

Eichtransformation Wir haben bereits am Anfang dieses Kapitels gelernt, dass es für φ und A verschiedene Eichungen gibt, die zu denselben elektrischen und magnetischen Feldern führen:

324

8 Felder von bewegten Ladungen

.

1 φ = φ − χ, c

A = A + ∇χ,

(8.1.10)

wenn χ der inhomogenen Wellengleichung  χ = −∇ · A −

1 ∂  φ c ∂t

genügt. Selbst wenn auch φ und A die Lorenz-Eichung erfüllen, sind die Potentiale nur bis auf die Lösungen χ = 0 der homogenen Wellengleichung bestimmt. Eine vergleichbare Freiheit in den Hertz’schen Vektorpotentialen ist durch 1 Ze = Ze + χ + ∇ × V, c 1 Zm = Zm − V, c

χ = 0 ,

.

V = 0

gegeben, wobei χ und V Lösungen der homogenen Wellengleichung sind. Elektrischer Dipol Die doch recht unübersichtlichen Gleichungen für B und E werden einfacher, wenn man die Strahlungsfelder für den linearen elektrischen Punktdipol berechnet:   ρ(x, t) = −p(t) · ∇δ(3) x − x0 (t) ⇒ Pe (x, t) = p(t) δ(3) x − x0 (t) , ˆ

Zq (x, t) =

 p(tr ) δ(3) x − x0 (tr ) p(tr ) = . d x |x − x0 (tr )| |x − x0 (tr )| 3

Zm verschwindet in diesem Fall, so dass B(x, t) =

.

1 ∇ × Zq (x, t) c

und

  1¨ E(x, t) = ∇ ∇ · Zq − 2 Z q. c

Da die Hertz’schen Vektoren der Lorenz-Eichung genügen, sind die mit ihnen näherungsweise berechneten Potentiale und Strahlungsfelder in jeder Ordnung konsistent. Magnetischer Dipol  Me (x, t) = m(t) δ(3) x − x0 (t)   ˆ (3) x − x0 (tr ) m(tr ) 3  m(tr ) δ = . Zm (x, t) = d x |x − x | |x − x0 (tr )| Unter Berücksichtigung von Ze (x, t) = 0 sind die Strahlungsfelder  B(x, t) = ∇ × ∇ × Zm (x, t)

.

1 E(x, t) = − ∇ × Zm (x, t) . c

8.5 Strahlungsrückwirkung

325

8.5 Strahlungsrückwirkung Eine beschleunigte Ladung strahlt über die elektromagnetischen Felder Energie ab, was nur auf Kosten seiner mechanischen Energie erfolgen kann. Für ein geladenes Teilchen der Masse m, auf das eine äußere Kraft Fext wirkt, muss in der Newton’schen Bewegungsgleichung noch die Energieabstrahlung durch eine dissipative Kraft Frad berücksichtigt werden:

.

mv = Fext + Frad ,

(8.5.1)

wobei Frad aus der Energiebilanz bestimmt wird. Die Multiplikation mit v ergibt 1 d mv 2 = v · (Fext + Frad ) . 2 dt Die Larmor-Formel (8.2.39) P = kc

.

2e2 2 v = −v · Frad 3c3

gibt die Strahlungsenergie für eine bewegte Punktladung im Limes v → 0 an. (8.4.13) ist die entsprechende Formel für eine oszillierende Ladung. Die Integration ergibt t2 ˆ t2 ˆ t2 ˆ   2e2  2e2 t2 2 v = −kc 3 v · v − dt v ¨·v . dt v · Frad = −kc 3 3c t1 3c t1 t1 t1

.

.

.

Verschwindet der Randterm, wie es der Fall ist, wenn v ⊥ v, so ist die Selbstkraft durch Strahlungsrückwirkung 2e2 v ¨ = mτ0 v ¨, 3c3 2 e2 m=me 2re ≈ 6 × 10−24 sec . = τ0 = kc 3c mc2 3c

Frad = kc

(8.5.2) (8.5.3)

(8.5.2) wird manchmal als Abraham-Lorentz-Gleichung bezeichnet. Sie gilt näherungsweise, wenn, wie bei beschränkter oder gar periodischer Bewegung, der Randterm nur im zeitlichen Mittel verschwindet. τ0 ist die (sehr kurze) Zeit, die das Licht benötigt, um 2/3 des klassischen Elektronenradius re zurückzulegen. Für andere Teilchen als Elektronen ist τ0 dem Masseverhältnis entsprechend kleiner. Setzt man nun (8.5.2) in (8.5.1) ein, so erhält man die Abraham-Lorentz’sche Bewegungsgleichung

.

m v = Fext + τ0 m¨ v,

(8.5.4)

die manchmal, wenn Fext die Lorentz-Kraft (1.2.5) ist, auch als LorentzGleichung [Rohrlich, 1997] bezeichnet wird. Ohne äußere Kraft hat die (homogene) Bewegungsgleichung neben der kräftefreien Bewegung mit konstanter

326

8 Felder von bewegten Ladungen

Geschwindigkeit v = v0 selbst bei v(0) = 0 noch exponentiell anwachsende Lösungen:

. .

v = v0 et/τ0

.

v = τ0 v0 et/τ0 ,



sogenannte „runaway solutions“ (siehe Aufgabe 8.21). Diese Lösungen sind inkompatibel mit der Annahme, dass

.

.

v · v = τ0 v02 e2t/τ0 im zeitlichen Mittel verschwindet und werden daher weggelassen. Betrachten wir nochmals die Energiebilanz der Abraham-Lorentz’schen Bewegungsgleichung (8.5.4), indem wir diese mit v multiplizieren:

. .

 d mv 2 = Fext · v + mτ0 v · v ¨ + v2 − v2 dt 2 d2 mv 2 − P, = Fext · v + τ0 2 dt 2

2

P = kc

.

.

(8.5.5)

2e 2 v = τ0 mv 2 . 3c3

Der zweite Term auf der rechten Seite ist der sogenannte Schott-Term. Dieser berücksichtigt interne Energie-Raten, die sowohl negativ als auch positiv sein können. P (t) ist die Strahlungsleistung (8.2.39) gemäß der Larmor-Formel. Lorentz-Modell für ein im Atom gebundenes Elektron Ein Elektron in einem Atom sei harmonisch gebunden und erfüllt daher die Voraussetzungen für (8.5.2), die zu (8.5.4) führen   ... me x ¨ − τ0 x + ω02 x = Fext (t) . (8.5.6)

Wir untersuchen die Lösungen der homogenen Gleichung. Mit dem Euler’schen Ansatz x = x0 e−αt erhalten wir τ0 α3 = −(α2 + ω02 ) .

Jede kubische Gleichung mit reellen Koeffizienten hat eine reelle Lösung, die hier negativ sein muss. α < 0 bedeutet aber eine exponentiell anwachsende Lösung (Runaway Lösung), die wiederum nicht konsistent mit den Voraussetzungen ist. Die beiden anderen (hier konjugiert komplexen) Lösungen kann man in guter Näherung bestimmen, indem man die Koeffizienten α nach τ0 für ω0 τ0  1 bis zur 1. Ordnung entwickelt α = α0 + τ0 α1



τ0 α30 = −(α20 + ω 2 ) − 2τ0 α0 α1 + O(τ02 ).

8.5 Strahlungsrückwirkung

327

Man erhält mittels Koeffizientenvergleich α0 = ±iω0 und α1 = −α20 /2 und damit die Lösung 2 ... x(t) = x0 e±iω0 t−(τ0 ω0 /2)t ⇒ x = −ω02 x + O(τ0 ). (8.5.7)

.

x(t) ist die Lösung des gedämpften harmonischen Oszillators, dessen Bewe... gungsgleichung man erhält, wenn man für x in (8.5.6) einsetzt   me x ¨ + τ0 ω02 x + ω02 x = Fext (t) . (8.5.8)

.

Die Strahlungsrückwirkung bei einer allgemeinen Bewegung bleibt hier unbeantwortet.

Anmerkung: Wir haben die Strahlungsrückwirkung de facto in einem dissipativen, nicht abgeschlossenen System behandelt. Die produzierte Strahlung verschwindet und kommt nie mehr ins System zurück; die Felder sind keine dynamischen Variabeln dieses Systems, sondern wir haben nur ihre Energie berücksichtigt.

8.5.1 Allgemeinerer Zugang zur Strahlungsrückwirkung im nicht relativistischen Fall Das Scheitern der Berechnung der Strahlungsrückwirkung für eine allgemeine Bewegung ist in erster Linie auf die punktförmige Ladung mit der dazugehörenden divergierenden elektrostatischen Selbstenergie zurückzuführen. Berücksichtigt man die endliche Ladungsverteilung, so treten DifferentialDifferenzen-Gleichungen auf. Wir folgen jetzt Rohrlich [2008] um eine dem 2. Newton’schen Gesetz genügende Differentialgleichung zu erhalten. Soll die Ladungsverteilung für die äußere Kraft wie eine Punktladung wirken, so darf die Kraft über die Ausdehnung der Ladungsverteilung nur schwach variieren:

.

.

|τ0 Fext (t)|  |Fext (t)|.

(8.5.9)

Genügt die äußere Kraft dieser Bedingung, so ist der Strahlungsverlust m¨ v≈ Fext eine kleine Korrektur zur äußeren Kraft. Setzt man nun diesen Ausdruck in die Abraham-Lorentz’sche Bewegungsgleichung (8.5.4) ein, so erhält man in 1. Ordnung in τ0

.

.

mv = Fext (t) + τ0 Fext (t) .

(8.5.10)

Diese Gleichung hat keine Runaway-Lösungen, wenn mit den Kräften, soweit diese (8.5.9) erfüllen, auch die Beschleunigung des Teilchens asymptotisch verschwindet. Wir bestimmen noch die Energiebilanz indem wir (8.5.10) mit v multiplizieren

.

.

d mv 2 d = Fext · v + τ0 Fext · v = Fext · v + τ0 Fext · v − P  , dt 2 dt P  = τ0 Fext · v ≈ mτ0 v · v.

.

.

(8.5.11)

Innerhalb der in τ0 linearen Approximation ist die Strahlungsrückwirkung wiederum durch die Larmor-Formel gegeben.

328

8 Felder von bewegten Ladungen

8.5.2 Endliche Ladungsverteilung Wir gehen jetzt von der Vorstellung aus, dass das Teilchen, ein Elektron, unabhängig von der Ladung eine Masse m0 hat. Außerdem hat das Elektron eine starre Ladungsverteilung ρ von endlicher Ausdehnung mit den Feldern Es und Bs . Fs ist die Lorentz-Kraft, die die Felder Es und Bs auf ρ ausüben. In der Newton’schen Bewegungsgleichung für das Elektron muss nun zur äußeren Kraft Fext auch die Selbstkraft Fs , hinzugefügt werden: ˆ   dv kl v(t) = Fext + d3 x ρ x − s(t) Es (x, t) + × Bs (x, t) . (8.5.12) m0 dt c

.

s(t) ist der Ort des Elektrons und v(t) = s(t) seine Geschwindigkeit. Nimmt man für ρ eine Kugelschale und vernachlässigt alle nicht linearen Terme, so erhält man (Aufgabe 8.22)

.

2a e2  v(t − ) − v(t) 3a2 c c 2a me c2 τ0  (8.5.3) v(t − ) − v(t) . = Fext (t) + 2 2a c

m0 v(t) =

Fext (t) + kc

(8.5.13)

Man macht nun eine Taylorentwicklung von v(t−2a c ) und vernachlässigt dabei die Terme O(a3 ), da diese für a → 0 verschwinden:

.

 me cτ0 m0 + v(t) = Fext (t) + me τ0 v ¨(t) . a

(8.5.14)

Den 2. Term auf der linken Seite bezeichnet man als elektromagnetische Masse mem = me

cτ0 a

(8.5.3)

=

kc

2e2 . 3ac2

(8.5.15)

Die Summe m0 + mem wird als die physikalische Masse (Ruhmasse) me interpretiert; somit ist (8.5.14) die Abraham-Lorentz’sche Bewegungsgleichung (8.5.4). Ersetzt man in (8.5.13) m0 durch m0 = me − mem , so erhält man ohne äußere Kräfte

.

 cτ0  2a τ0 c2  1− v(t − ) − v(t) . v(t) = 2 a 2a c

(8.5.16)

Diese Gleichung hat Runaway-Lösungen nur solange a kleiner als cτ0 = (2/3)re ist. Es ist dann m0 < 0 (und die Hamilton-Funktion ist nicht positiv definit; Moniz, Sharp [1977]). Damit wird deutlich, dass die in punktförmigen Ladungsverteilungen ansteigende elektrostatische Selbstenergie für das akausale Verhalten verantwortlich ist. Mit steigender Konzentration der Ladung erwartet man auch innerhalb des Elektrons stärkere Abstoßungskräfte. Bereits Poincaré hat versucht mithilfe sogenannter Poincaré-Spannungen Stabilität zu

Aufgaben zu Kapitel 8

329

erreichen. Der elektrostatischen Selbstenergie einer Kugelschale (2.4.10) haben wir bereits im Rahmen der Elektrostatik mithilfe der Einstein-Formel (14.1.2) die Masse mes = e2 /2ac2 zugeordnet, die sich von der elektromagnetischen Masse mem = (4/3)mes unterscheidet. Weder auf die Frage wie diese Ungleichheit von elektromagnetischer zu elektrostatischer Masse, das sogenannte (4/3)-Problem, zu lösen ist, noch wie durch innere Bindungskräfte die elektrostatische Abstoßung ausgeglichen werden kann, wird hier eingegangen [Yaghjian, 2006]. Die Strahlungsrückwirkung, die hier nur im Grenzfall kleiner Geschwindigkeiten behandelt wurde, wird nochmals auf S. 529 für endliche Geschwindigkeiten in kovarianter Form aufgegriffen. Aufgaben zu Kapitel 8 8.1. Lorenz-Eichung der Liénard-Wiechert-Potentiale: Zeigen Sie explizit, dass die Liénard-Wiechert-Potentiale (8.2.16) die Lorenz-Bedingung (8.1.8) erfüllen. 8.2. Felder der bewegten Punktladung: Geben Sie, ausgehend von den Potentialen einer bewegten Punktladung A und φ, die Strahlungsfelder in der Fernzone (r s) an. 8.3. Coulomb–Helmholtz: Zeigen Sie, dass das aus dem Zerlegungssatz folgende Helmholtz-Potential (8.2.53) gleich Ac ist unter der Annahme, dass Quellen/Wirbel lokal sind d. h., dass A für r → ∞ nicht schwächer als 1/r abfällt.

.

1 p für r d, 8.4. Zum quasistatischen Potential: Zeigen Sie, dass Aqs (x, t) = rc wenn d den Bereich charakterisiert, auf den Ladungen und Ströme beschränkt sind. Aqs ist das Potential einer Punktladung für das Sie j(x) berechnen sollen. Zeigen Sie dann, dass jt (x) = −jl (x) für r > 0 und jl (k) · jt (k) = 0. 8.5. Kausalität in Coulomb-Eichung: Zeigen Sie direkt, dass sich die akausalen Terme von E in (8.2.62) wegheben. 8.6. Berechnung der Fourierkomponenten Abh (x), φeh (x) und Aeh (x) mithilfe des Zerlegungssatzes: Auszugehen ist von Feldern die nicht schwächer als 1/r abfallen; aber wegen der Retardierung können auch die Ableitungen mit 1/r abfallen.

.

8.7. Elektrisches Dipolfeld: Berechnen Sie das elektrische Dipolfeld (8.4.7) mittels E = −∇φ − A/c. 8.8. Strahlung eines rotierenden Elektrons y kq β Ein Elektron bewegt sich auf einer Kreisbahn in der xy-Ebene ωtr ω mit dem Radius a und der Frequenz ω. Berechnen Sie die Strah* x dP a lungsleistungen   und P , wobei ... die Zeitmittelung bedΩ zeichnet. Vernachlässigen Sie β: β = 0.

.

330

8 Felder von bewegten Ladungen

8.9. Liénard-Formel, Teil 1. Die Berechnung der Strahlungsleistung einer bewegten Punktladung (8.2.42) machen wir in zwei Schritten. Zunächst berechnen wir mit den Feldern Ef und Bf die Strahlungsleistung ∂P/∂ cos ϑ durch Integration von (8.2.36) über den Azimutwinkel ϕ . ˙ Lagen der Vektoren er = X/R, β und β. Wie in der nebenstehenden Abbildung skizziert, liegt β β ez in der z-Achse. Vorgegeben ist der Winkel ϑ0 zwischen β 6 β. und ϕ −ϕ

.7

0

I

β

θ

er

Hinweis: Nach Ausführung der ϕ-Integration sollten Sie erhalten:

.





∂P 1 q2 β 2 −(1−β 2 ) cos2 ϑ0 cos2 ϑ+ sin2 ϑ0 sin2 ϑ = ∂ cos ϑ 2cJ 5 2

ϑ0

ϑ

.



+ 2J cos2 ϑ0 β cos ϑ + J 2 .

(8.5.17)

8.10. Liénard-Formel, Teil 2. Verifizieren Sie nun, ausgehend von ∂P/∂ cos ϑ (8.5.17) die Liénard-Formel (8.2.42). Hinweise: J = 1 − er · β = 1 − βξ . Es treten Integrale der Form auf: ˆ

1

In+1 = −1



n−1

2  dξ 2 = n+1 2 n (1 − βξ) n(1 − β )

. 2q β 2

Sie erhalten P =

3c

2

k=0





n β 2k . 2k + 1

γ 6 (1 − β 2 sin2 ϑ0 ).

8.11. Frequenzspektrum der Punktladung auf einer Kreisbahn: Ein Teilchen mit der Ladung q bewegt sich auf einer Kreisbahn in der xy-Ebene mit dem Radius a und der Frequenz ω. A(t) = A(t + T ) ist eine periodische Funktion mit T = 2π/ω und daher in eine Fourierreihe entwickelbar6 : y



a*

A=

.

kq β ωtr ω

∞ 

(ψn , A) ψn

n=−∞

An = (ψn , A) = x

1 T

ˆ

T

mit

ψn (t) = e−iωnt ,

dt ψn∗ (t) A.

0

Sie erhalten ein Linienspektrum mit den Frequenzen nω, wobei n die Ordnung der harmonischen Frequenz ist.

1. Berechnen Sie die Fourierkoeffizienten An für r → ∞.

Hinweise: A kennen Sie nur als Funktion A(X(tr ), β(tr )), d.h. Sie müssen die zugehörige Transformation von t zu tr machen. Integraldarstellung der ganzzahligen Bessel-Funktion 1. Art und Rekursionsrelationen:

6

siehe W. Panofsky & M. Phillips Classical Electricity and Magnetism, AddisonWesley Publishing Company, Reading, Massachusetts (1975), Abschnitt 20-4

Aufgaben zu Kapitel 8 Jn (nζ) =

1 2π

ˆ

π

dt e−int+inζ sin t ,

ζ = ka sin ϑ

−π

dJn (nζ) 1 Jn−1 (nζ) − Jn+1 (nζ) , = dnζ 2 π

An = qβein(ϕ− 2 )



Jn (nζ) =



einkr 1 d e + ieϕ Jn (nζ) r ζ dnζ

mit k =

331

ω , c

ζ Jn−1 (nζ) + Jn+1 (nζ) , 2 (Resultat) .

2. Berechnen Sie die asymptotischen Felder Bn und (zeitlich gemittelt) 

dP n . dΩ

8.12. Punktdipol: Gegeben ist ein (Hertz’scher) Punktdipol p(t) = p0 e−iωt . 1. Geben Sie ρ(x, t) und j(x, t) für den Punktdipol an. Hinweis: j können Sie mithilfe der Kontinuitätsgleichung bestimmen. 2. Berechnen Sie die retardierten Potentiale φ(x, t) und A(x, t) in Lorenz-Eichung. 3. Berechnen Sie E und B für die Nah- und die Fernzone. dP  und P  für die beiden 4. Bestimmen Sie die mittlere abgestrahlte Leistung dΩ Fälle a) p liegt in der z-Achse b) p rotiert in der xy-Ebene. Anmerkung: Sie können (analog zur zirkularen Polarisation) p komplex definieren; orientieren Sie sich an (10.2.1) 8.13. Vektor-Potential in Coulomb-Eichung: Berechnen Sie das Vektorpotential A(c) (x, t) eines oszillierenden Punktdipols. 8.14. Zerlegung des Vektorfeldes der elektrischen Dipolstrahlung: Gegeben sei das Vektorfeld (8.4.7) v(x) = E(x) =







eikr 1 k2 er ×(p×er )+ 2 (1−ikr) 3(p·er )er −p r r

.

(8.4.7)

Bestimmen Sie mithilfe des Helmholtz’schen Zerlegungssatzes folgende Größen: 1. Berechnen Sie die Quellen ρh und Wirbel jh des Vektorfeldes v und stellen Sie den Zusammenhang zur Dichte ρ und dem magnetischen Feld B her. 2. Berechnen Sie die Potentiale φh (x) und Ah (x). Zeigen Sie, dass φh (x) das quasistatische Potential in Coulomb-Eichung ist und drücken Sie Ah durch B aus. 3. Berechnen Sie jetzt mithilfe der Potentiale vl und vt . Hinweis: Zur Berechnung von Ah finden Sie im Anhang das Integral (B.5.24): 8.15. Magnetische Dipolstrahlung: z 6 x

>

ϑ

ya z R j ϕ x

y

Die Kreisschleife bzw. die Spule sind sogenannte Rahmenantennen. In einem Kreis vom Radius a fließt der Strom j(x , t) = I δ(  − a) δ(z  ) e−iωt eϕ .

332

8 Felder von bewegten Ladungen

1. Berechnen Sie die Fernfelder unter Zuhilfenahme von ˆ π 1 Jn (nζ) = dt e−int+inζ sin t , ζ = ka sin ϑ 2π −π 1 ζ  1, J1 (ζ) ≈ ζ, 2  2π 3π J1 (ζ) ≈ cos(ζ − ), ζ π. ζ 4

mit k =

ω , c

dP  und P . 2. Berechnen Sie  dΩ

Hinweis: Das folgende Integral findet man bei J. Schwinger, Phys. Rev.75, 1912 (1949). ˆ π ˆ 2ka 1 dϑ sin ϑ J12 (ka sin ϑ) = dx J2 (x), ka 0 0 ˆ ∞ x2 dx Jn (x) = 1 , J2 (x) ≈ fu ¨r x  1 . 4 0

3. Zeigen Sie, dass es keine elektrische Multipolstrahlung gibt und geben Sie die dP  und P  der magnetischen Dipolstrahlung an. Beiträge  dΩ 8.16. Rahmenantenne-Kreisschleife: Gegeben ist wiederum die Drahtschleife mit dem Radius a, wie sie in der Aufgabe 8.15 skizziert ist. Zu bestimmen sind die elektrische und die magnetische Dipolstrahlung in der Wellenzone für die folgenden Ströme 1. j(x, t) = I sin ϕ δ( − a) δ(z) e−iωt eϕ , ϕ 2. j(x, t) = I sin δ( − a) δ(z) e−iωt eϕ . 2 Hinweis: Im ersten Fall tritt nur die elektrische Dipolstrahlung auf, im zweiten Fall sowohl elektrische als auch magnetische, wobei sich die Strahlungsleistungen addieren. 8.17. Dipolzeile/Dipolgruppe: n gleiche und synchrone Antennen (Dipole) bilden eine lineare Kette mit der Gitterkonstanten a. Die Dipole zeigen in die z-Richtung. Versuchen Sie zu begründen, warum man meist den Abstand mit a = λ/2 angibt und skizzieren Sie die Strahlungscharakteristik, wobei Sie n = 5 Dipole nehmen. 1. Die lineare Kette sei in die z-Richtung orientiert (Dipolzeile). 2. Nun seien die n = 5 Dipole (ebenfalls in z-Richtung orientiert) entlang der xAchse aufgereiht (Dipolgruppe). 8.18. Strahlung einer rotationssymmetrischen Ladung: Die Ladungs- und Stromverteilung einer Kugel vom Radius R sei rotationssymmetrisch. Zeigen Sie, dass die Kugel nicht strahlt. 8.19. Quadrupolstrahlung zweier rotierender Ladungen: Zwei negative elektrische Ladungen −e0 /2 bewegen sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius a und der Frequenz ω/2 im mathematisch positiven Sinn. Die Punktladungen sind stets gegenüberliegend, d.h., sie bilden mit der positiven Kernladung e eine Gerade. Berechnen Sie

Literaturverzeichnis

333

1. das retardierte Vektorpotential in der Fernzone, 2. die Strahlungsleistung dP/dΩ und die gesamte ausgestrahlte Leistung. 8.20. Hertz’sche Vektoren Zeigen Sie, dass man durch das Einsetzen der Hertz’schen Vektoren Zq und Zm (8.4.51) in (  ) ˆ |x − x | ∇ · Pe (x , t ) φ(x, t) = − d3 x , tr = t − ,  |x−x | c t =tr ( ) ˆ Pe (x , t ) + c∇ × Me (x , t ) 1 d3 x  A(x, t) = c |x − x | t =t

.

.

r

1 Z c q

+ rot Zm erhält, während diese direkt die Gleichungen φ = − div Zq und A = in (8.4.53) durch Anwendung des d’Alembert-Operators verifiziert wurden. 8.21. Runaway-Lösung der Abraham-Lorentz’schen Bewegungsgleichung: Wir beschränken uns auf die Lösung von (8.5.4) in einer Dimension. 1. Bei ungeladenen Teilchen ist die Beschleunigung an einer Unstetigkeitsstelle der Kraft F = F0 θ(t − t0 ) ebenfalls unstetig (aber v stetig). Zeigen Sie, dass für geladene Teilchen auch v stetig ist, soweit die Kraft keine δ-Funktion enthält. 2. Nehmen Sie jetzt an, dass F0 zur Zeit t1 > t0 abgeschaltet wird. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung für v. 3. Wenn Sie die Anfangsbedingung so wählen, dass v(t1 ) = 0, steigt die Beschleunigung nach dem Abschalten der Kraft nicht an. Geben Sie noch v(−∞) = 0 vor und bestimmen Sie v(t) und v(t).

.

.

.

.

8.22. Strahlungsrückwirkung einer Kugelschale: Berechnen Sie die Strahlungsrückwirkung für ein Elektron, wenn v  c und die Ladungsverteilung eine sphärisch symmetrische Kugelschale ist, d.h. gehen Sie von (8.5.12) aus und verifizieren Sie (8.5.13). Hinweis: Vernachlässigen Sie Terme höherer Ordnung in s, s etc., um eine lineare Differentialgleichung zu erhalten.

.

8.23. Impulsänderung durch Abstrahlung: Das Elektron schwingt um einen festen Raumpunkt, d.h. v kann gleich null gesetzt werden. Zeigen Sie dass sich der Impuls (Summe von mechanischem und Feld-Impuls) durch „Abstrahlung“ nicht ändert.

Literaturverzeichnis M. Born Optik, Springer Berlin (1933) M. Born, E. Wolf Principles of Optics, 6. ed. Pergamon Press, Oxford (1986) O. Heaviside The Waste of Energy from a Moving Electron, Nature 6, 6 (1902) H. Kragh Ludvig Lorenz, Electromagnetism, and the Theory of Telephone Currents arXiv:1606.00205v1 [physics.hist-ph], 1–16 (2016) J. A. Liénard Champ Électrique et Magnétique in L’Éclairage Électrique 16, 5–14 (1898) L. V. Lorenz Ueber die Identität der Schwingungen des Lichts mit den elektrischen Strömen, Ann. Phys. Chem. 131, 243–263 (1867)

334

8 Felder von bewegten Ladungen

E. J. Moniz and D. H. Sharp, Phys. Rev. D 15,2850 (1977) W. Rindler Relativitätstheorie: Speziell, Allgemein und Kosmologisch, John Wiley & Sons (2006) F. Rohrlich, Am. J. Phys. 65, 1051 (1997) F. Rohrlich Dynamics of a charged particle, Phys. Rev. E 77, 046609 (2008) U. Sexl, H. Urbantke Relativität, Gruppen, Teilchen Springer Wien (1976) E. Wiechert Elektrodynamische Elementargesetze Archives Néerlandaises, Série II, 5, 549–573 (1900); (Vortrag am 7. 1. 1897) A. D. Yaghjian Relativistic Dynamics of a Charged Sphere, Lecture Notes in Physics m11, 2nd ed. Springer Berlin (2006)

9 Quasistationäre Ströme

9.1 Die quasistationäre Näherung In den Systemen, die hier betrachtet werden, ist die elektrische Leitung auf Drähte beschränkt, die dünn sein sollen, da dann E und j = σE weitgehend homogen sind. Innerhalb einer Leiterstrecke ohne Verzweigung können Widerstände und Induktivitäten zusammengefasst werden. Die leitenden Strecken dürfen auch durch Kondensatoren unterbrochen sein, wie im Weiteren ausgeführt wird. Unser System besteht also aus Widerständen, Induktivitäten, Kondensatoren und Spannungsquellen, den Bauelementen eines elektrischen Netzwerkes und dessen Verzweigungspunkten. Statt der genauen Kenntnis der Geometrie des Systems genügt es, die Topologie des Netzwerkes zu kennen. Die Felder in solchen Netzwerken sind in vielen Anwendungen langsam veränderlich, was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass innerhalb einer für das System charakteristischen Zeit τ cτ l ist, wobei l die Abmessung des Netzwerkes darstellt. Bei periodischen Vorgängen ist τ die Schwingungsdauer. Genügt l dieser Bedingung nicht mehr, wie es bei langen Leitungen der Fall ist, so kann durch Unterteilung des Systems in kleinere Einheiten noch immer die quasistationäre Näherung angewandt werden. Das wird bei der Herleitung der Telegrafengleichung im Abschnitt 9.2.5 benützt. Unter obiger Voraussetzung kann die Retardierung |x − x | l |x − x | ≈t mit ∼ τ c c c vernachlässigt werden. Dieser Teil der quasistatischen Näherung wird durch ¨ c = 0 erdie Vernachlässigung der Ableitung des Wirbelfeldes Ew = − 1c A reicht. Die Coulomb-Eichung, Abschnitt 8.2.3, wird herangezogen, da in dieser Quellen- und Wirbelanteile getrennt sind und das skalare Potential φc tr = t −

.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_9

336

9 Quasistationäre Ströme

bereits quasistatisch ist (siehe (8.2.49)). Die Retardierung und die damit verbundene Abstrahlung ist auf Ac beschränkt. Mit der Vernachlässigung des Wirbelanteils des Verschiebungsstroms (8.2.50) ˆ  ¨ c =0 kc (8.2.54) A 3  jt (x , t) Ac (x, t) −→ Aqs d = 0 (9.1.1) (x, t) = x , ∇·Aqs t t  ckl |x−x | verschwindet die Retardierung. Somit gibt es keine langreichweitigen Felder mehr und keine Abstrahlung. Ab hier ist die quasistatische Näherung für das Leitersystem (Widerstände und Induktivitäten) getrennt von der für Kondensatoren zu betrachten. In quasistationärer (quasistatischer) Näherung wird bei der Behandlung der Kapazität in der Induktionsgleichung B und bei der Induktivität in der Ampère-Maxwell-Gleichung D vernachlässigt.

.

.

9.1.1 Die Näherung für den induktiven Teil eines Netzwerkes

.

In einem Leiter sei innerhalb von Zeitintervallen Δt  τ die Verschiebung 1 ∇φqs von Ladungen, d.h. der Quellenanteil des Verschiebungsstroms jl = 4π (8.2.50), verschwindend klein: ∇·j(x, t) = ∇·jl

(8.2.50)

=

.

−ρ = 0.

j ist dann quellenfrei und die Stromstärke an jeder Stelle eines unverzweigten Leiters gleich. Man bezeichnet j als quasistationären Strom. In (9.1.1) ist so jt = j−jl durch j zu ersetzen, was das quasistatische Vektorpotential (8.2.55) ergibt. Die Vernachlässigung des Verschiebungsstroms macht aus dem AmpèreMaxwell-Gesetz (1.3.15) das Ampère’sche (Durchflutungs-)Gesetz der Magnetostatik (4.1.1a), wobei die Zeit ein Parameter im System ist. Maxwell-Gleichungen Im Allgemeinen wird unter der quasistatischen Näherung allein die Vernachlässigung des Verschiebungsstroms verstanden: (a) div D = 4πkr ρf , kl si (c) rot H = 4πkr j = j , c

(d)

.

kl B = 0, c div B = 0 .

(b) rot E+

(9.1.2)

Wir haben also die Ampère-Maxwell-Gleichung durch das Ampère’sche Durchflutungsgesetz der Magnetostatik ersetzt. Damit können die leitenden Teile, insbesondere die Induktivitäten, angegeben werden. Für homogene und μ sind (8.2.49) und (8.2.55) ˆ ρf (x , t) kc qs φ (x, t) = d3 x , (9.1.3) |x − x | ˆ j(x , t) kc μ d3 x (9.1.4) Aqs (x, t) = mit ∇·Aqs = 0. ckl |x − x |

9.1 Die quasistationäre Näherung

337

Die Abänderung der Ampère-Maxwell-Gleichung impliziert ∇ · j = 0 . Folglich ist der Strom I längs des ganzen Leiters konstant. Eingesetzt in (9.1.3) verifiziert man, dass die Coulomb-Eichung div Aqs = 0 automatisch erfüllt ist. Die Felder haben die übliche Form E = −∇φqs −

.

kl qs A , c

B = ∇ × Aqs .

(9.1.5)

9.1.2 Die Näherung für den kapazitiven Teil des Netzwerkes Beim Auf- und Entladen des Kondensators entsteht nach dem Induktionsgesetz ein Magnetfeld. Die quasistatische Näherung besteht beim Kondensator in der Vernachlässigung des Wirbelanteils Ew oder gleichbedeutend von B im Induktionsgesetz:

.

E(x, t) = −∇φqs (x, t) .



rot E = 0

Der momentane Zustand des Kondensators ist gemäß (2.2.30) Q(t) = CV (t)

(9.1.6)

.

durch die Elektrostatik bestimmt. Aus der Kontinuitätsgleichung ergibt sich der Entladestrom I(t) = −Q(t), wobei hier I(t) der von der Ladung Q > 0 wegfließende Strom ist (siehe Abb. 9.3 auf Seite 340). Maxwell-Gleichungen Die Vernachlässigung der Induktion, d.h. des quellenfreien Anteils des Stroms erhält man (a) div D = 4πkr ρf ,  kl  4πkr j + D , (c) rot H = c

.

(b) rot E = 0 , (d) div B = 0 .

(9.1.7)

Wir können die Ampère-Maxwell-Gleichung umformen, indem wir für den Verschiebungsstrom einsetzen: jd =

.

1 D = −jl 4πkr

(8.2.50)

=



.

∇φc , 4πkc

wobei φc = φqs . Das Vektorpotential genügt also der Vektor-Poisson-Gleichung (siehe Abschnitt 8.2.3) ΔAqs t = −

kl kl si 4πkr μ0 μ(j−jl ) = 4πkr μ0 μ jt = −μμ0 jt c c

Wir erhalten also die Potentiale

mit ∇·jt = 0.

338

9 Quasistationäre Ströme

ˆ ρ(x , t) kc d3 x , φ (x, t) = |x − x | ˆ  μkc 3  jt (x , t) Aqs d x (x, t) = t ckl |x − x | qs

(9.1.8) mit ∇·At = 0.

Für die Felder folgt daraus, da wir nur ein Quellenfeld haben E = −∇φqs ,

B = ∇ × Aqs .

(9.1.9)

9.1.3 Kirchoff’sche Regeln In der 2. Kirchoff’schen Regel wird die Ringspannung eines geschlossenen Stromkreises betrachtet, zu dem naturgemäß auch eine Spannungsquelle gehört, eines der Bauelemente aus denen ein Netzwerk besteht. Spannungsquelle In einer galvanischen Zelle (Batterie) geht man von elektrochemischen Vorgängen aus, die den Transport von Ladungsträgern q bewirken und so ein elektrostatisches Feld E erzeugen, das dem Transport entgegenwirkt, wie es in Abb. 9.1 skizziert ist. Die Kraft auf die Ladungsträger wird durch das eingeprägte Feld Ee beschrieben. Dieses ist typischerweise nur in einem kleinen Bereich der Batterie von null verschieden. Fließt kein Strom, so ist in der Batterie Ee + E = 0. Als Folge der eingeprägten Spannung V e hat man eine gleich große, dieser aber entgegengesetzt gerichtete, elektrische Spannung. Die φA e

-

+

I

E

6

V ??

E φB



e

 

σ

Abb. 9.1. Spannungsquelle (Batterie) und Widerstand bilden einen Stromkreis mit der Klemmenspannung V e (t)

elektromotorische Kraft, die sogenannte EMK, ist definiert als Ringspannung ˛ ˛ ˆ B e e e ds · (E + E) = ds · E = ds · Ee . (9.1.10) V = C

C

A

Der Weg C wird über die Anschlusspole A und B der Batterie geschlossen. Solange kein Strom fließt, ist ˆ B ˆ B Ve = ds · E = φB − φA . (9.1.11) ds · Ee = − A

A

Die Spannungsquelle habe den inneren Widerstand Ri . Fließt jetzt der Strom I in der Batterie, so ist

9.1 Die quasistationäre Näherung

ˆ

339

B

A

ds · (Ee + E) = Ri I = V e − φB + φA .

An den Polen hat man so die Spannung V e − Ri I = φB − φA . Das quellenfreie eingeprägte Feld Ee kann durchaus anderer als elektrochemischer Natur sein. Temperaturgradienten können ein elektrisches Feld verursachen, der Druck in piezoelektrischen Kristallen oder der lichtelektrische Effekt in der Fotovoltaik etc. Das bei Weitem wichtigste Beispiel ist jedoch das induzierte Feld im Wechselstromgenerator. 1. Kirchhoff’sche Regel In quasistationärer Näherung ist ∇ · j = 0, woraus folgt, dass der Strom, auch wenn er sich mit der Zeit ändert, in einem unverzweigten Netzwerk zu jedem Zeitpunkt überall gleich ist. Wir beschränken uns auf Netzwerke in denen der Strom nur innerhalb von Drähten fließt, wie in Abb. 9.2 skizziert, und in denen um die betrachteten Bereiche nur Ohm’sche Widerstände eine Rolle spielen.

I

j4

I5

1

 I3 *I

2

IR 1

Abb. 9.2. Verzweigungspunkt (Knoten) in einem Netzwerk; nach der 1. Kirchhoff’schen Regel, auch als Knotenregel oder 1. Kirchhoff’scher Verzweigungssatz bezeichnet, ist I1 +I2 +I3 = I4 + I5

Eine direkte Folge von div j = 0 ist die 1. Kirchhoff’sche Regel, die besagt, dass in einem Knotenpunkt eines elektrischen Netzwerkes die Summe der zufließenden Ströme gleich der der abfließenden ist:   Ij = Ij . (9.1.12) j,zufließend

j,abfließend

In einer Zeit t  τ hat im Leiter j die Ladung Qj = Ij t eine Messstelle passiert. Es muss dann   Qj = Qj j,zufließend

j,abfließend

sein, was einer Erhaltung der Ladung gleichkommt. Anmerkung: Die (Netzwerk-)Knoten müssen nicht, so wie in Abb. 9.2 skizziert, einfache Verzweigungspunkte sein, sondern können einzelne Bauelemente, Stromkreise oder auch Teile eines Netzwerkes umfassen. In jedem Fall muss die Summe der in den Netzwerkknoten hineinfließenden Ströme gleich der der abfließenden sein.

340

9 Quasistationäre Ströme

2. Kirchhoff’sche Regel Grundlage der 2. Kirchhoff’schen Regel ist das Induktionsgesetz in der integralen Form ˛ kl ds · E = − Φb . (9.1.13) c C

.

C ist ein geschlossener Weg im Netzwerk, wie in Abb. 9.3 skizziert. Man in-VC

-

A QA

?

QB

I

VR R

C



B

Abb. 9.3. Stromkreis mit Kondensator und Widerstand. Der Umlaufsinn ergibt sich aus der Annahme ? QA = Q > 0, woraus QB = −Q folgt. Es sind dann VR > 0 und VC = −VR < 0 .

.

tegriert nun (9.1.13) beginnend am Punkt A und berücksichtigt, dass Φb = 0 QB = 0. (9.1.14) C Die Spannung am Kondensator ist, wie der Pfeil anzeigt, der am Wirkwiderstand entgegengerichtet. Angenommen ist, dass QA = −QB > 0, so dass I(t) die in Abb. 9.3 angezeigte Richtung hat. Man erhält I(t) aus der Kontinuitätsgleichung, wobei über das in Abb. 9.3 strichlierte Volumen VA integriert wird: ˆ " 3 df · j = −I(t) ⇒ QB = I . (9.1.15) d x ρA (x, t) = QA = − VR + VC = IR +

.

.

.

VA

∂VA

Den Entladestrom bestimmt man durch Differenzieren von (9.1.14)

.

IR + IC = 0

mit

I(t) ∝ e−RCt .

(9.1.16)

Mit einem längeren Draht in Abb. 9.3 ist auch eine Induktivität L verbunden und damit ist in (9.1.13) für Φb = cLI (7.2.17) einzusetzen. Für den Stromkreis mit Kondensator, Wirkwiderstand und Induktivität ergibt sich

.

LI + RI +

QB = 0. C

(9.1.17)

.

Anmerkung: Die Ladung der Platte, der Strom zugeführt wird (hier QB ), wird zur Festlegung der Spannung VC herangezogen. Der Strom ist dann durch I = QB gegeben, statt I = −Q, wie man es aus der Kontinuitätsgleichung gewohnt ist. Es ist dies die in der Elektrotechnik übliche Schreibweise.

.

Für einen Stromkreis mit Spannungsquelle, Widerstand, Induktivität und Kondensator (siehe Abb. 9.5, Seite 341) gilt

9.2 Schwingungsgleichung

VL (t) + VR (t) + VC (t) = V e (t) .

341

(9.1.18)

Eine Gleichung dieser Art kann man in einem Netzwerk für jeden geschlossenen Weg, d.h. für jede Masche, aufstellen. Sie besagt, dass sich die Spannungen auf einem geschlossenen Weg zu null addieren. Abb. 9.4 zeigt sogenannte Maschen mit Widerständen und einer Gleichstromquelle. Für jede Masche i gilt ? I2

V2

V3

2

?

? I1

6

V1 1

?

V4

+

Ve



Abb. 9.4. Stromkreis mit zwei Teilstromkreisen (also insgesamt drei Maschen) und zwei Knoten

6

die 2. Kirchhoff’sche Regel (Maschenregel)  (i) Vj = 0 , j

(i)

wobei die Vorzeichen von Vj

der Stromrichtung entsprechend zu wählen sind.

9.2 Schwingungsgleichung Wir betrachten einen Stromkreis, der aus einem Widerstand R, einer Induktivität L, einer Kapazität C und einer elektromotorischen Kraft (EMK) V e besteht (siehe Abb. 9.5). Alle Bauelemente dieses RLC-Schwingkreises sind in Serie geschaltet; sie werden also vom selben Strom I(t) durchflossen. Wir werden auf der Grundlage des Ohm’schen Gesetzes die Spannungen, die an den einzelnen Elementen abfallen, bestimmen. In Gegenwart einer Batterie, eines Generators etc. geht in das Ohm’sche Gesetz auch die von diesen erzeugte Stromdichte σEe ein: j = σ(E + Ee ).

(9.2.1)

Wir integrieren über den gesamten Leiter, d.h. von A nach B (siehe Abb. 9.5)  Ve

A B

R

C

Abb. 9.5. Stromkreis mit EMK, Widerstand, Spule und Kondensator

L

 ˆ

ˆ

B

A

ds · E +

ˆ

B

B

e

A

ds · E =

A

ds ·

jF = RI . σF

342

9 Quasistationäre Ströme

ˆ

B

1 , σF A eingeprägtes elektrisches Feld: Ee , ˆ B ds · Ee . Elektromotorische Kraft1 : V e = Widerstand: R =

ds

.

A

kl Aus E = −∇φ − A folgt c ˆ ˆ B  kl B  ds · E = − φB − φA − ds · A c A A ˆ B ˆ j(x , t) kc μ ∂ = −φB + φA − 2 ds · d3 x c ∂t A |x − x |

.

.

Q −LI . C Hier ist Q = (φB − φA )C, wobei Q die Ladung von B ist und C die Kapazität. Wie früher setzen wir =−

d3 x j = F ds j = I F ds

j = I ds . Fj

Die Selbstinduktivität ist so gegeben durch L=

kc μ c2

ˆ

ˆ

B

d3 x A

ds ·

j(x , t) kc μ = 2  I|x − x | c

¨

B

A

ds · ds . |x(s) − x (s )|

Man erhält dann mithilfe von

.

LI + RI +

Q =Ve C

(9.2.2)

.

die an Spule, Widerstand und Kondensator auftretenden (Klemmen-)Spannungen. Differenzieren wir nach t und setzen I = Q ein, so folgt daraus

.

..

LI + R I +

.

I = Ve. C

(9.2.3)

.

Wir finden also die Bewegungsgleichung eines gedämpften harmonischen Oszillators2 , wobei V e der Kraft, L der Masse, R der Dämpfung, C −1 der Federkonstante und I der Auslenkung entsprechen.

1

.

auch eingeprägte elektrische Spannung oder Klemmenspannung m¨ x + γ x + kx = F mit ω02 = k/m m ist die Masse, γ die Dämpfung, k die Federkonstante des Oszillators, auf den die äußere Kraft F einwirkt.

2

9.2 Schwingungsgleichung

343

9.2.1 Freie Schwingungen Wir suchen Lösungen von (9.2.3). Bei freien Schwingungen ist die Kraft V e = 0. Man macht den Ansatz I = I0 e−iω0 t

und erhält

−Lω02 − iω0 R +

1 = 0. C

Daraus folgt R ± ω0 = −i 2L



1 R2 − . CL 4L2

(9.2.4)

Zunächst untersuchen wir den dämpfungsfreien Fall, in dem R = 0. Es ist dann 1 ω0 = √ CL

√ τ = 2π CL .

und damit

(9.2.5)

(9.2.5) wird als Kirchhoff-Thomson-Formel bezeichnet, ein Spezialfall von (9.2.4). Für R 1 ≥√ 2L CL ist die Diskriminante von (9.2.4) kleiner als null und damit ist ω0 imaginär und die Schwingung ist aperiodisch, wie in Abb. 9.6a skizziert. Andernfalls haben wir es mit einer gedämpften periodischen Bewegung (siehe Abb. 9.6b) zu tun. R 1 Für eine kleine Dämpfung ist ω0 = −i . ±√ 2L CL I6

I6

(a)

t

(b)

t

Abb. 9.6. Strom I versus t: (a) aperiodischer Fall (b) gedämpfte Schwingung

9.2.2 Erzwungene Schwingungen Wir setzen nun in (9.2.3) die Wechselstromquelle V e (t) = V0e e−iωt mit der Kreisfrequenz ω ein. Mit dem Ansatz I(t) = I0 e−iωt

344

9 Quasistationäre Ströme

erhält man aus (9.2.3)  1 − Lω 2 − iωR + I = −iωV e . C Wir definieren mit  1  = |Z| e−iϕ (9.2.6) Z = R − i ωL − ωC die Impedanz, d.h. den Wechselstromwiderstand und erhalten so das Ohm’sche Gesetz für den Wechselstrom Ve = ZI.

(9.2.7)

Die Impedanz hat zwei Anteile, den Wirkwiderstand R und die Reaktanz, auch Blindwiderstand genannt, ωL − 1/ωC . Die Beziehung zwischen Strom und Spannung hat eine zusätzliche Phase 1 1  Im Z = ωL − , (9.2.8) tan ϕ = − Re Z R ωC wenn im Stromkreis Kondensatoren und/oder Spulen vorhanden sind. Der Betrag der Impedanz   1 2 |Z| = R2 + ωL − ωC ist der sogenannte Scheinwiderstand. Wir legen nun die reelle Spannung Vre (t) = Re V e (t) = V0e cos(ωt) an den Stromkreis und erhalten den reellen Strom   V e cos(ωt − ϕ) Ir (t) = Re |Z|−1 eiϕ V0e e−iωt = 0   . 1 2 R2 + ωL − ωC

(9.2.9)

√ Die Phasenverschiebung ist ϕ = 0, wenn ω = ω0 = 1/ LC. Zugleich hat |Z| = R an der Thomson-Frequenz ω0 seinen minimalen Wert und gemäß (9.2.9) hat der Strom sein Maximum, wie in Abb. 9.7 skizziert. 2 2

1.5 1

1.5

Phase φ

1/|Z|

0.5

1

0

-0.5 -1

0.5

-1.5 -2

0 0

0.5

1

ω

1.5

2

0

0.5

1

Frequenz ω

1.5

2

1 1 (b) ϕ (in Skizze φ) gegen ω Abb. 9.7. (a) |Z| versus ω: Maximum bei ω = √LC 1 mit Nullstelle bei ω = √LC ; verwendet wurde R = 1/2 und L = C = 2

9.2 Schwingungsgleichung

Für ω ω ω ω

< ω0 und ϕ < > ω0 und ϕ > →0: ϕ= →∞: ϕ=

0 Strom eilt voraus, 0 Strom hinkt nach, −π/2, π/2.

345

.

Zum Verständnis der Phasenverschiebung muss man I = Q beachten:    I = Z −1 V e =−iω Q ⇒ V e = −iωQZ =−iωQ R − i ωL−1/ωC   = (Q/C) − iωRC − iω 2 LC + 1 = Z I .

(a) ω  ω0 : Bei kleinen Frequenzen wird der Term mit ωL vernachlässigt

 Q Q 1 1 − iωRC ≈ e−iωRC für ω  . C C RC Wie in Abb. 9.8 dargestellt, haben wir zunächst die von der Stromquelle Ve =

e

V (t) Re Q(t) Re I(t)

1

Ve, Q und I

0.5

0

-0.5

-1

0

5

10

15

20

Abb. 9.8. V e , Q und I gegen t für kleine Frequenzen (ω  1/(RC); V0e = C = 1; ω = 0.4 und R = 0.5)

t

vorgegebene Schwingung cos(ωt). Die Spannung an der Stromquelle ist bei Aufladung des Kondensators etwas höher als am Kondensator. Der Strom fließt also zum Kondensator. Mit einer Verzögerung von ωRC folgt die Ladung des Kondensators dieser Schwingung. Der Strom I wiederum wird minimal, wenn Q den maximalen Wert erreicht hat, dreht seine Richtung und wird mit der Entladung des Kondensators maximal, wenn sich bei Q das Vorzeichen der Ladung ändert. Q ≈ V e CeiωRC = V0e C eiω(RC−t) , Re Q = V0e C cos(ωt − ωRC), Re I = −ωV0e C sin(ωt − ωRC).

(b) Bei hohen Frequenzen ω ω0 oder ωL 1/ωC dominiert der ωL-Term und die Phasenverschiebung wird positiv; das ist insofern eine Konsequenz der Lenz’schen Regel, als durch die angelegte Spannung der Strom geändert (verstärkt) wird. Das beeinflusst das Magnetfeld, wobei durch die Änderung des Magnetfeldes eine Spannung induziert wird, die der angelegten entgegengerichtet ist.

346

9 Quasistationäre Ströme

Tab. 9.1. Widerstand, Kapazität und Induktivität Symbol(e) Z |Z| Re Z = R 1 Im Z = ωL − ωC ωL 1/(ωC)

= = = = = =

Bezeichnung   Impedanz R + i(ωL − 1/ωC) Scheinwiderstand Wirkwiderstand (Ohm’scher Widerstand) Reaktanz (Blindwiderstand) Induktanz (positive Reaktanz) Kapazitanz (negative Reaktanz)

9.2.3 Energetische Verhältnisse Multipliziert man (9.2.2) mit I, so erhält man L d 2 1 d 2 I + RI 2 + Q = IV e . 2 dt 2C dt Die Integration über eine Periode τ = 2π/ω ergibt ˆ ˆ 1 τ 1 τ dt RI 2 = dt IV e ⇐⇒ τ 0 τ 0

RI 2 = IV e .

Eingeführt wird hier der effektive Strom3 * ˆ  1 τ Ieff = I 2 = dt I 2 (t) . τ 0 Die mittlere Leistung 2 IV e = R Ieff ,

die von der EMK bereitgestellt werden muss, hängt nur vom Wirkwiderstand R ab. Definiert ist die Leistung als ˆ ˆ d3 x j(x) · Ee (x) = ds · Ee I = IV e . Sie unterscheidet sich von (7.2.2) im Vorzeichen und kompensiert die in den Widerständen entstehenden Verluste. Man setzt in die Joule’sche Wärme das Ohm’sche Gesetz (9.2.1) ein und erhält ˆ ˆ   j2 (x) WJoule = d3 x j(x) · E(x) + Ee (x) = d3 x σ ˆ F 2 j = I 2R . = dsF σF 3

auch RM S-Wert nach root mean square

9.2 Schwingungsgleichung

347

Der Blindwiderstand geht in die Joule’sche Wärme nicht ein. Der Strom ist gegenüber des Spannung um ϕ verschoben, was keinen Einfluss auf ˆ 1 τ 1 2 I = dt I02 cos2 (ωt − ϕ) = I02 τ 0 2 hat, so dass der effektive Strom und die effektive Spannung gegeben sind durch 1 Ieff = √ I0 2

1 Veff = √ V e . 2

und

Zur Bestimmung des Winkels ϕ, wie im Zeigerdiagramm Abb. 9.9 skizziert, ist die mittlere Leistung zu bestimmen: ˆ 1 τ V eI = dt V0e I0 cos(ωt) cos(ωt − ϕ) τ 0 ˆ τ ˆ τ

1 = V e I0 dt cos2 (ωt) cos(ϕ) + dt cos(ωt) sin(ωt) sin(ϕ) τ 0 0 1 e 2 = V I0 cos ϕ = Ieff Veff cos ϕ = RIeff . 2 Daraus folgt RV e RIeff = Veff cos ϕ = √  2 R2 + ωL −

 1 2 ωC

1 R cos ϕ =  =  2 1 + tan ϕ R2 + ωL −

,

 1 2 ωC

.

(9.2.10)

Im V e

6

I Y ϕ

^ 1

Ve

-

Re V e

Abb. 9.9. I läuft der EMK nach

Zeigerdiagramm: Für positives ϕ bleibt der Strom I um den Winkel ϕ hinter der EMK zurück. Beide „Zeiger“ rotieren mit der Frequenz ω im angezeigten Sinn (e−iωt ). Tatsächlicher Strom und EMK findet man durch Projektion auf die reelle Achse. Verwendet wird diese Darstellung vor allem in der Elektrotechnik.

348

9 Quasistationäre Ströme

9.2.4 Gekoppelte Stromkreise Die 2. Kirchhoff’sche Regel (9.1.18) können wir für einen beliebig zusammengesetzten Stromkreis (Masche) in der Form    Qj kl (± ) − (±Rk Ik ) + (±Vle ) = − Φb C c j j

.

k

l

angeben. Die Vorzeichen berücksichtigen, dass Ströme und Ladungen positiv sind. Abb. 9.10 zeigt zwei induktiv gekoppelte Stromkreise, wobei an-

L11 C1



 V1e



R

R2 V2e 

L22 C2

L12 = L21

Abb. 9.10. Induktive Kopplung zweier Stromkreise mit EMK, Widerstand, Spule und Kondensator; die Gegeninduktivitäten L12 = L21 werden mit einem Eisenkern (schattierte Fläche) entsprechend stärker

genommen ist, dass die Kopplung schwach ist, d.h. kein Eisenkern die beiden Spulen verbindet. Der Fluss durch die Schleife i ist gemäß (7.2.21): ΦBi = c(I1 Li1 + I2 Li2 ). Daraus folgt

. . . . I +L I +R I

Q1 = V1e C1 Q2 = V2e . 2+ C2

L11 I1 + L12 I2 + R1 I1 + L12

1

22 2

2

(9.2.11)

In einem Transformator – und dieser Fall wird betrachtet – sind V2e = 0 und V1e = V0 e−iωt . Des Weiteren werden die Kapazitäten in beiden Kreisen vernachlässigt. Man macht den Ansatz Ik = I0k e−iωt+iϕk für k = 1, 2 und erhält (R1 − iωL11 )I01 eiϕ1 − iωL12 I02 eiϕ2 = V0

−iωL12 I01 eiϕ1 + (R2 − iωL22 )I02 eiϕ2 = 0 . Für die Ströme ergibt sich

R2 − iωL22 (R1 − iωL11 )(R2 − iωL22 ) + ω 2 L212 iωL12 = V0 . (R1 − iωL11 )(R2 − iωL22 ) + ω 2 L212

I01 eiϕ1 = V0 I02 eiϕ2

Man erhält für das Verhältnis der beiden Ströme I01 i(ϕ1 −ϕ2 ) R2 − iωL22 e = . I02 iωL12

(9.2.12)

Wir stellen hier vor allem fest, dass I02 linear mit der Stärke L12 der Kopplung zunimmt.

9.2 Schwingungsgleichung

349

Die Wheatstone-Brücke Zu Messung von Widerständen, Kapazitäten und Induktivitäten kann die Messbrücke von Wheatstone herangezogen werden. Die in Abb. 9.11 skizzierte Maxwell-Wien-Brücke ist eine speziell für die Messung von Induktivitäten ausgelegte Variante einer Wheatstone-Brücke. Bei einer Spule hat man neben der Induktivität L immer den Ohm’schen Widerstand R des Drahtes, was durch das Ersatzschaltbild der Reihenschaltung von R und L angedeutet ist. Man gleicht den Widerstand Rd und die Kapazität Cd , beide sind genau

Ve



Zc = Rc Ic

 Rd

G 

Ia



Cd

Zd

Id Ib

Za L

Zb = Rb

R



Abb. 9.11. Messbrücke nach Maxwell-Wien zur Messung von R und L. Rd und Cd werden so lange verändert, bis das Galvonometer keinen Strom mehr anzeigt

messbar, so ab, dass kein Strom durch das Galvanometer fließt. Es sind dann Ia = Ib ,

Ic = Id ,

Ia Za = Ic Zc

und

Ib Zb = Id Zd ,

woraus folgt, dass Za Zb Ic = = . Ia Zc Zd

(9.2.13)

Zd ist die Impedanz einer Parallelschaltung. Bezeichnet man mit Id und Id die Teilströme für die Id = Id + Id gilt, so ist gemäß (9.2.7) Zd Id = Zd Id = Zd Id . Daraus leiten wir ab: 1 1 1 1 =  +  = − iωCd . Zd Zd Zd Rd

(9.2.14)

L und R haben gemäß (9.2.6) in Serienschaltung die Impedanz Za = R − iωL . Somit erhält man aus (9.2.13)   R = Rb Rc /Rd Rb Rc  Za = (9.2.15) 1 − iωRd Cd ⇒ Rd L = Rb Rc Cd .

Anmerkung: Für rein Ohm’sche Widerstände genügt Gleichstrom. Sind Kapazität und Induktivität diagonal angeordnet, wie in Abb. 9.11, so hängt die Messung nicht von der Frequenz ab. Dasselbe gilt für zwei Induktivitäten, wenn sie sich nebeneinander befinden. In einer allgemeinen Konfiguration geht jedoch die Frequenz in die Messung ein.

350

9 Quasistationäre Ströme

9.2.5 Telegrafengleichung Sehr lange Doppelleitungen und/oder Koaxialleitungen erfüllen sicher nicht die für die Gültigkeit der quasistationären Näherung notwendige Bedingung, dass ihre Länge l kleiner ist als cτ , wobei τ eine charakteristische Schwingungsdauer ist. Das trifft insbesondere bei Seekabeln für die Signalübertragung (Telegrafie) zu, mit deren Verlegung man um 1850 begonnen hat. Auf W. Thomson4 gehen die ersten Berechnungen, noch vor Maxwell, zurück [Thomson, 1855]. I

2 1 (a)

I

-

I

(b)

- I

Abb. 9.12. (a) Doppelleitung und (b) Koaxialkabel

In Abb. 9.12 ist ein Ausschnitt einer Doppelleitung skizziert, die als Ganzes die Bedingung cτ > l keineswegs erfüllt. Dennoch können wir die im vorigen Abschnitt durchgeführten Überlegungen, wenngleich in differentieller Form, verwenden. Wir betrachten daher, wie in Abb. 9.13 skizziert, einen klei(x2 , z) 2 1 (x1 , z)

x

(x2 , z + dz) 6  -z I

(x1 , z + dz)

Abb. 9.13. Teilstück [z , z +dz] einer Doppelleitung; entlang des strichlierten Weges wird integriert

nen Ausschnitt einer Doppelleitung und integrieren entlang des strichlierten Weges, beginnend bei (x1 , z) unter Anwendung des Induktionsgesetzes und der Neumann-Formel (7.2.19): ˛  j dx · E = dz + φ1 (x1 , z + dz) − φ2 (x2 , z + dz) σ   j + dz + φ2 (x2 , z) − φ1 (x1 , z) σ 1 = − Φb = −LI dz . c

.

.

Bei der Integration über die leitenden Strecken haben wir E = j/σ eingesetzt. Es sind L Selbstinduktivität pro Längeneinheit, R = 2/(σF ) Widerstand beider Drähte pro Längeneinheit und V (z) = φ1 (x1 , z)−φ2 (x2 , z) Potentialdifferenz zwischen den Drähten. 4

William Thomson, geadelt Lord Kelvin, 1824–1907

9.2 Schwingungsgleichung

351

Wir erhalten so nach der Taylorentwicklung von φ1,2 RI +

.

∂V +LI = 0. ∂z

(9.2.16)

Die zweite Gleichung ergibt sich aus der Quellenfreiheit des Gesamtstroms: div rot H = 0 = div

.

 kl 1  4πkr j + 0 E . 2 c kl

Innerhalb des Leiters 1 erhält man

.

∂I ∂ F ∂ =− div E = −F ρ(x) = −C V (x) . ∂z 4πkc ∂t ∂t Hierbei sind λ = F ρ(z, t) Ladung pro Längeneinheit (Linienladung) und C = λ/V Kapazität pro Längeneinheit .

∂I ∂ + C V + GV = 0 . (9.2.17) ∂z ∂t Hinzugefügt wurde hier ein Verlustterm G, der von den Strömen durch das Isoliermaterial kommt und proportional zur Potentialdifferenz V ist. Aus der Ableitung von (9.2.17) nach z und dem Einsetzen von ∂V ∂z aus (9.2.16) ergibt sich die Telegrafengleichung  ∂2 ∂ ∂2

LC 2 + (RC + LG) + RG − 2 I = 0 . ∂t ∂t ∂z

Für R = G = 0 erhält man mit  ∂2 ∂2 LC 2 − 2 I = 0 ∂t ∂z

(9.2.18)

(9.2.19)

die Wellengleichung mit der Geschwindigkeit v=√

1 . LC

(9.2.20)

Anmerkung: Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass (9.2.20) eine Geschwindigkeit, nämlich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit v des Signals, definiert, während die (formal gleiche) Kirchhoff-Thomson-Formel (9.2.5) die Eigenfrequenz ω0 des ungedämpften Schwingkreises bestimmt. Wir erinnern hier nur daran, dass bei der Doppelleitung, anders als beim Schwingkreis, die angegebenen Größen (R, L, C, G) alle pro Längeneinheit definiert sind, so dass v in (9.2.20) die Dimension einer Geschwindigkeit hat. (9.2.16) entspricht der für den Schwingkreis hergeleiteten Gleichung (9.2.2), wobei aber, allein aus Dimensionsgründen, in (9.2.16) die Spannung (V e ) durch die Spannungsänderung entlang des Kabels ersetzt ist.

352

9 Quasistationäre Ströme

Lösungen der Wellengleichung sind von der Form I = f (z −vt), wobei der zugehörige Wert von V in diesem Fall  L V = Lvf (z −vt) = I C

(9.2.21)

ist. Spannung und Strom stehen also im Verhältnis  ZW = L/C ,

(9.2.22)

was als Wellenwiderstand bezeichnet wird, der unabhängig von z und t ist. Für endliche Doppelleitungen ergibt sich aus (9.2.21), dass, wenn diese am Ende durch einen Ohm’schen Widerstand der Größe des Wellenwiderstandes abgeschlossen werden, keine Unstetigkeiten von Strom und Spannung und somit auch keine Reflexionen auftreten . Strom und Spannung pflanzen sich in der Leitung unverzerrt fort. Mit R und dem Verlustterm G (9.2.18) tritt zusätzlich Dämpfung auf. Dabei fragt man, ob sich dann Strom und Spannung ebenfalls unverzerrt, aber gedämpft durch das Kabel bewegen können. I muss also dem Ansatz I = e−αz f (z − vt)

(9.2.23)

genügen. Setzt man in (9.2.18) ein, so erhält man  C R α=R , = L ZW wobei aber die Bedingung RC = LG erfüllt sein muss. (9.2.23) in (9.2.18) eingesetzt, ergibt

 

2













2





LC v − 1 f + 2α − v(RC + LG) f + RG − α f e−αz = 0 .

Der Vorfaktor von f  verschwindet identisch, während der Vorfaktor von f für √ α = RG gleich null ist. Man überzeugt sich, dass dann der Vorfaktor von f  √

 √   2 √ −1 √ 1 2 RGLC − RC − LG = √ RC − LG LC LC

nur für RC = LG verschwindet.

9.3 Magnetohydrodynamik

353

9.3 Magnetohydrodynamik In der Magnetohydrodynamik (MHD) wird die Hydrodynamik von Plasmen, das sind ionisierte Fluide (Gase, Flüssigkeiten), beschrieben. Es mag die Frage aufkommen, warum die MHD hier, in der Nähe elektrischer Netzwerke, angesiedelt ist. Die Ähnlichkeiten mit den Netzwerken der vorhergehenden Abschnitte sind nicht allzu augenfällig: In Netzwerken sind die Ströme auf Drähte beschränkt, hier existieren sie im gesamten Plasma, was keinen großen Unterschied macht. Vor allem aber sind die zeitlichen Veränderungen in beiden Systemen langsam, verglichen mit deren Ausdehnung. Das ermöglicht in beiden die Anwendung der quasistationären Näherung und das ist der Grund für die Platzierung der MHD in diesem Kapitel. 9.3.1 Die Grundgleichungen Hydrodynamik: Ein Fluid, dessen Geschwindigkeitsfeld v(x, t) sei, habe die Massendichte ρm (x, t), die Scherviskosität ζ und die Dehnviskosität η. Zur Beschreibung der Dynamik zieht man die Kontinuitätsgleichung ∂ρm + ∇ · (v ρm ) = 0 ∂t

inkompressibles Fluid

=⇒

∇·v = 0

(9.3.1)

und die Navier-Stokes-Gleichung [Landau, Lifschitz VI, 1981, §15] heran ρm

  ∂v η dv = ρm + (v ·∇) v = −∇p+ ηΔv+ ζ + ∇ (∇ ·v)+ f . (9.3.2) dt ∂t 3

p ist der Druck des Fluids für den es eine hier nicht näher definierte thermische Zustandsgleichung5 p = p(ρm , T ) gibt, und f ist eine Volumenkraft wie die Schwerkraft und/oder die Lorentz-Kraft, wobei hier nur Letztere mitgenommen wird. Vernachlässigt man die innere Reibung im Fluid, d.h. die Viskositäten η = ζ = 0, so resultiert daraus die Euler’sche Gleichung ρm

 ∂v kl + (v · ∇) v = −∇p + ρE + j × B, ∂t c

(9.3.3)

wo E und B die Felder der bewegten Ladungen sind. Elektrodynamik: Bestimmt wird das Magnetfeld mithilfe der Induktionsgleichung (1.3.10), wofür einige Annahmen getroffen werden: 1. Elektrische Neutralität: Es seien gleich viele positive wie negative Ladungen vorhanden. Dann verschwinden Ladungsdichte ρ und elektrisches Feld E im Ruhsystem des Fluids; vereinfachend wird = μ = 1 angenommen. 2. Nicht relativistische Näherung: Es sei immer β = v/c  1, woraus folgt,  dass γ = 1/ 1 − β 2 ≈ 1. 5

Für das ideale Gas ist p = nkb T = ρm kb T /m.

354

9 Quasistationäre Ströme

3. Quasistationäre Näherung: Sei τ eine für die Entwicklung des Systems charakteristische Zeit und l die Ausdehnung des Systems, so gilt l  cτ . Man hat dann keine Retardierung und der Verschiebungsstrom jd = E/4πkc verschwindet (siehe Abschnitt 9.1, Seite 335). 4. Angenommen wird die Gültigkeit des Ohm’schen Gesetzes j = σE im Ruhsystem des Fluids, oder j = σ(E+kl β×B).

.

Im Ruhsystem S  des Plasmas, das sich relativ zum Laborsystem S mit v bewegt, ist aufgrund der Ladungsneutralität die gemittelte Ladungsdichte ρ = 0. Man hat so nur ein magnetisches Feld B , aber kein elektrisches Feld E . Um die Felder in S zu berechnen, ziehen wir die entsprechenden Ergebnisse der SRT (13.1.29) und (13.1.30) für β  1 heran: E = E − kl β×B ,

B = B + kl β×E ≈ B .

(9.3.4)

Ferner soll im Plasma das Ohm’sche Gesetz gelten. Geht man vom Ruhsystem des Fluids S  ins Laborsystem S, so folgt (9.3.4)

j = σ E

=⇒

  j = σ E + kl β×B .

(9.3.5)

Bei der angenommenen hohen Leitfähigkeit des Plasmas (σ → ∞: ideale MHD) folgt daraus E = −kl β × B. Eingesetzt in die Induktionsgleichung erhält man durch Elimination von E j ∂B c c = − ∇×E = − ∇× − kl β×B . ∂t kl kl σ

j entnimmt man der Ampère-Gleichung (4.1.1) ∇×j =

ckl ckl ∇×(∇×B) = − ΔB, 4πkc 4πkc

woraus sich für das Magnetfeld des Plasmas c2 ∂B = ΔB + rot(v×B), ∂t 4πkc σ

SI:

1 c2 = 4πkc μ0

(9.3.6)

ergibt. Ist das Plasma inkompressibel (div v = 0), ∇×(β×B)

(A.2.35)

=

(B·∇)β − (β·∇)B ,

so ist das Magnetfeld durch die Induktionsgleichung in der Form ∂B c2 = ΔB + (B·∇)v − (v·∇)B ∂t 4πkc σ

(9.3.7)

9.3 Magnetohydrodynamik

355

bestimmt. Auszuwerten ist noch 1 −ckl  −ckl j×B i = B×(∇×B) i = ijk Bj klm ∇l Bm c 4πkc 4πkc −ckl −ckl  1 ∇i B 2 − (B·∇)Bi . = (δil δjm − δim δjl )Bj ∇l Bm = 4πkc 4πkc 2

Da |E|  kl |B| wird der Term ρE in der Euler-Gleichung (9.3.3) vernachlässigt und man erhält für v die Euler-Gleichung ρm

   ∂v k2 k2 + (v · ∇) v = −∇ p + l B 2 + l (B · ∇)B . ∂t 8πkc 4πkc

(9.3.8)

Der Beitrag kl2 B 2 /8πkc , der die magnetische Energiedichte angibt, wird hier als magnetischer Druck bezeichnet. 9.3.2 Magnetische Diffusion Nimmt man ein ruhendes Plasma, v = 0, so reduzieren sich die hydrodynamischen Gleichungen auf die der Hydrostatik, die an die Induktionsgleichung (9.3.6) koppelt. So entsteht für das Magnetfeld eine Diffusionsgleichung mit Dm als Diffusionskoeffizient: ∂B = Dm ΔB, ∂t

Dm =

c2 . 4πkc σ

(9.3.9)

Ein vorhandenes Magnetfeld zerfällt in einer Zeit τ = l/Dm , wobei l eine für das System charakteristische Länge ist. Dies definiert für B eine Zeitskala, in der für die Erde üblicherweise eine Zeit von τ ∼ 104 Jahre und für die Sonne τ ∼ 1010 Jahre angegeben wird. Für Zeiten t  τ oder für σ → ∞ kann im bewegten Plasma (9.3.7) der Diffusionsterm vernachlässigt werden und man erhält ∂B = (B · ∇)v − (v · ∇)B ∂t



dB = (B · ∇)v . dt

(9.3.10)

In diesem Fall bewegt sich das Magnetfeld mit der Flüssigkeit, es klebt sozusagen an dieser, was in der Hydrodynamik als Advektion bezeichnet wird. 9.3.3 Magnetohydrodynamische Wellen Wir vernachlässigen wiederum wie in (9.3.10) den Diffusionsterm, berücksichtigen aber jetzt, dass das Plasma fließt, also die Euler-Gleichung (9.3.8) für v. Entwickelt man B um einen Gleichgewichtswert B = B0 + δB und linearisiert für B und v, so erhält man ∂δB = (B0 · ∇)v − (v · ∇)δB, ∂t

(9.3.11)

356

9 Quasistationäre Ströme

ρm

dv ∂v k2 k2 = ρm = − l ∇ (B0 · δB) + l (B0 · ∇)δB. dt ∂t 4πkc 4πkc

(9.3.12)

Angenommen ist, dass der Druck p verschwindet. Jetzt differenziert man die Euler-Gleichung nach t: ρm

 kl2 ∂2v 1 ∂δB  ∂δB + (B0 · ∇) . = −∇ B0 · 2 ∂t 4πkc ∂t 4π ∂t

Legt man eine Koordinatenachse parallel zu B0, teilt v in seine Komponenten parallel und senkrecht auf B0 und setzt für ∂δB/∂t aus der ersten Gleichung ein, so erhält man: ∂δB = B0 ∇ (v + v⊥ ), ∂t   ∂2v 1   2 ∇ B0 ∇ v − (B0 ∇ ) B0 ∇ (v + v⊥ ) . ρm 2 = − ∂t 4π

So erhält man für die zu B0 senkrechten Komponenten die Wellengleichung 1 ∂ 2 v⊥ = ∇2 v⊥ , c2a ∂t2

ca = √

kl B0 . 4πkc m

Deren Lösungen sind die Alfvén-Wellen. Das sind transversale Wellen, die sich im Plasma mit der Geschwindigkeit ca ausbreiten, wobei diese meist kleiner ist als die Schallgeschwindigkeit des Fluids, es sei denn, man hat Systeme mit sehr kleinen Dichten ρm , wie sie in astrophysikalischen Zusammenhängen auftreten können. Aufgaben zu Kapitel 9 9.1. Widerstandsberechnung: Zeigen Sie, dass das in Abb. 9.14 skizzierte Netzwerk bei der Frequenz ω2 =

Cb − RL2 >0 LCb (Ca + Cb )

nur einen Wirkwiderstand hat und berechnen Sie diesen.

Ca

L



Cb

R

Abb. 9.14. LC-Kreis und RC-Kreis in Serie

9.2. Wheatstone’sche Brücke: Skizzieren Sie eine Wheatstone’sche Brücke zum Messen einer Induktivität samt deren Ohm’schen Widerstand, wobei Sie statt des Kondensators in Abb. 9.11 eine Spule bekannter Induktivität verwenden; R und L sollen unabhängig von der Frequenz der Wechselspannung sein.

Literaturverzeichnis

357

9.3. Telegrafengleichung: Zeigen Sie, dass die Telegrafengleichung (9.2.18) bei einem „Verlustterm“ G = RC/L Lösungen hat, die eine verzerrungsfreie, aber gedämpfte Wellenfortpflanzung I(t) = e−αz f (z − vt) darstellen.

Literaturverzeichnis L. D. Landau, E. M. Lifschitz Lehrbuch der Theoretischen Physik, Bd. VI, AkademieVerlag Berlin, 4. Aufl. (1981) W. Thomson On the theory of the electric telegraph, Proc. Roy. Soc. 7, 382–399 (1855) und W. Thomson On peristaltic induction of electric currents in submarine telegraph wires, BA Report, 21–22 (1855)

10 Elektromagnetische Wellen

10.1 Ebene Wellen in einem homogenen Medium Wir gehen davon aus, dass weder Ladungen noch Ströme vorhanden und und μ konstant sind. Dann ersetzen wir in den Maxwell-Gleichungen D durch E und H durch μ−1 B:

.

(a) div E = 0 μ E (c) rot B = ckl

.

kl B c (d) div B = 0 . (b) rot E = −

(10.1.1)

Zunächst merken wir an, dass die in Frage kommenden Medien ladungsneutral sind (ρ = 0) und dass wir uns auf Isolatoren (j = σE = 0) beschränkt haben. ¨ 2, Aus der Induktionsgleichung folgt, dass rot rot E = −kl rot B/c = − μE/c wobei wir rechts die Ampère-Maxwell-Gleichung eingesetzt haben. Nun ist rot rot E = grad div E−ΔE, und man erhält    1 ∂2 E c ¯ E =0 (10.1.2) − Δ ≡  mit c¯ = √ . c¯2 ∂t2 μ B B

.

¯ ist der d’Alembert-Operator mit c¯ = c/n, der Lichtgeschwindigkeit in ei √ nem Medium mit n = μ ≥ 1 . n ist der dimensionslose Brechungsindex (auch Brechungszahl) des Mediums zum Vakuum. Der Einfluss des homogenen Mediums ist nur in der Phasengeschwindigkeit c¯ bemerkbar, und zu (10.1.1) gelangt man vom Vakuum, indem man c durch c¯ und E durch nE ersetzt. Die Wellengleichung (10.1.2) hat als (partikuläre) Lösung ebene Wellen mit der Dispersion √ ω = c¯k = ck/n, n = μ (10.1.3) und dem Brechungsindex n. Skalares Potential ist keines vorhanden, so dass das elektrische Feld nur aus dem quellenfreien Anteil besteht: © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_10

360

10 Elektromagnetische Wellen

.

kl A und B = ∇×A mit ∇·A = 0 . (10.1.4) c Setzt man (10.1.4) in die Ampère-Maxwell-Gleichung ein, so erhält man wieder die Wellengleichung   1 ∂2 ¯ − Δ A(x, t) = A(x, t) = 0 , (10.1.5) c¯2 ∂t2 E=−

deren partikuläre Lösungen die ebenen Wellen c  E0 ei(k·x−ωt) mit A = −i kl ω

·k = 0

(10.1.6)

sind. Wegen der transversalen Eichung (∇·A = 0) ist  ⊥ k . Die Polarisation ist durch den Einheitsvektor  bestimmt. Man erhält aus (10.1.4) und (10.1.3) E =  E0 ei(k·x−ωt) , ˆ × (n/kl )E0 ei(k·x−ωt) B=k

ˆ = k/k . mit k

(10.1.7)

E und B sind beide transversale Wellen und E, B und k bilden ein rechtshändiges Koordinatensystem. Die Amplitude E0 ist komplex, jedoch sind E √ und B in Phase und kl B0 = μE0 . Die Fortpflanzungsrichtung der ebenen Wellen ist k . Der zeitlich gemittelte Poynting-Vektor (5.6.3) ist  c 2ˆ c 0 E k = u¯ S = E×H∗ = cˆ k. (10.1.8) 8πkr kl 8πkr μ 0 Hierbei wurde H aus (10.1.7) berechnet und 0 = 1/kl2 μ eingesetzt. Als gemittelte Energiedichte ist erhält man  1  0 2 1 u = 0 E·E∗ + B·B∗ = E . (10.1.9) 16πkr μμ0 8πkr 0 Aus (10.1.7) geht hervor, dass auch im Medium magnetische und elektrische Energiedichte der ebenen Wellen gleich sind.

10.2 Polarisation elektromagnetischer Wellen 10.2.1 Lineare und zirkulare Polarisation Die bisher besprochenen ebenen Wellen sind linear polarisiert, d.h., E zeigt in eine feste Richtung. Eine allgemein polarisierte Welle erhalten wir durch Superposition zweier linear polarisierter Wellen gleicher Frequenz: E1 = 1 E1 ei(k·x−ωt) , E2 = 2 E2 ei(k·x−ωt) , √ ˆ kl Bi = μ k × Ei ,   E = 1 E1 + 2 E2 ei(k·x−ωt) .

ˆ × 1 , 2 = k i = 1, 2 ,

ˆ = k/k , k

10.2 Polarisation elektromagnetischer Wellen

361

Lineare Polarisation Haben E1 und E2 dieselbe Phase, so ist die resultierende Welle E ebenfalls linear polarisiert und schwingt in der von E und k aufgespannten Ebene. Diese ist, wie in Abb. 10.1 skizziert, um ϕ = arctan(E2 /E1 ) gegen 1 gedreht. 2

3

E2 2 6

E

ϕ

ˆ k • (b)

-

E1  1

(a)

Abb. 10.1. (a) Lineare Polarisation

6

1 +i2

Ilinks 3 rechts U −i -

1

2

1

(b) Zirkular polarisiertes Licht

Anmerkung: Der Begriff Polarisationsebene wird nicht immer gleich verwendet. Nach Born, Wolf [1986, S. 28] bzw. Born [1933, S. 24] ist – aus historischen Gründen – ˆ × E. Die von B und k die Richtung des Vektors der Polarisation gleich B = k aufgespannte Ebene wird dann als Polarisationsebene bezeichnet.

Zirkulare Polarisation π

Erfüllen die Amplituden E2 = E1 e±i 2 , so ergibt sich für E = (1 ± i2 )E1 ei(k·x−ωt) ,  Re E = E1 1 cos(k·x − ωt) ∓ 2 sin(k·x − ωt) .

(10.2.1)

Bewegt sich die Welle in z-Richtung auf den Beobachter zu, so spricht man bei Drehung im Gegenuhrzeigersinn von linkspolarisiertem Licht oder von Licht positiver Helizität (siehe Abb. 10.1)    cos k·x cos ωt ∓ sin ωt . Re E = E1 ∓ sin k·x ± sin ωt cos ωt E dreht sich auf Kreis:

+ links positive polarisiert = Helizität. − rechts negative

Allgemeine (elliptische) Polarisation Wir können auch die beiden zirkular polarisierten ebenen Wellen als Basislösungen verwenden:

362

10 Elektromagnetische Wellen



1 ± = √ (1 ± i2 ) 2

1 i2

√ = (+ + − )/ 2 √ = (+ − − )/ 2 .

(10.2.2)

Diese komplexen Einheitsvektoren haben die Eigenschaften ∗± · ∓ = 0 ,

 ± · ez = 0 ,

∗± · ± = 1 .

Eine ebene Welle hat dann die Form   E = E+ + + E− − ei(k·x−ωt) .

(10.2.3)

Im Allgemeinen sind E± komplexe Amplituden. Haben sie jedoch die gleiche Phase, E− = r E+ , so ist (10.2.3) eine elliptisch polarisierte Welle 

1 E = √ E+ (1+r)1 + i(1−r)2 ei(k·x−ωt) , 2 

1 Re E = √ E+ (1+r)1 cos(k·x−ωt) − (1−r)2 sin(k·x−ωt) . 2

Das Hauptachsenverhältnis ist (1 + r)/(1 − r) . Im Grenzfall r = ±1 hat man lineare Polarisation. Falls E− = E+ reiα , ist die ebene Welle ebenfalls elliptisch polarisiert, die Ellipse ist jedoch um den Winkel α/2 gedreht, wie in Abb. 10.2 skizziert. y

y

6 α 2

B

*

6 E *

α 2

-

-

x

x

(b)

(a)

Abb. 10.2. Orientierung der Ellipse von E und B für α

10.2.2 Stokes’sche Parameter Meist ist nicht die Lichtwelle samt ihrem Polarisationsszustand vorgegeben, sondern man hat von irgendeiner Welle die Polarisation zu bestimmen. Wir gehen dabei von den Basisvektoren 1 und 2 der linearen Polarisation aus, wobei k senkrecht auf die von 1 und 2 aufgespannte Ebene steht: E = (a1 eiα1 1 + a2 eiα2 2 )eik·x−iωt .

(10.2.4)

10.2 Polarisation elektromagnetischer Wellen

363

a1,2 sind die reellen Amplituden der Welle und α1,2 deren Phasen in Richtung der orthogonalen Achsen 1,2 . Die Stokes’schen Parameter sind nach Born, Wolf [1986, S. 30] s0 s1 s2 s3

= |1 · E|2 + |2 · E|2 = a21 + a22 , 2 2 2 2 = |1 · E| − |2∗· E| = a 1 − a2 , = 2 Re (1 · E) (2 · E) = 2a1 a2 cos(α2 −α1 ) , = 2 Im (1 · E)∗ (2 · E) = 2a1 a2 sin(α2 −α1 ) .

(10.2.5)

Hierbei gilt für die ebene Welle, dass es nur drei unabhängige Parameter gibt: s20 = s21 + s22 + s23 .

(10.2.6)

In der Basis der linearen Polarisationsvektoren ist P = E2 /E1 = (a2 /a1 ) ei(α2 −α1 )

(10.2.7)

die Polarisation. Sie kann durch Messung der Stokes’schen Parameter bestimmt werden, wobei die lineare und die zirkulare Polarisation charakterisiert sind durch lineare Polarisation : α1 = α2 , s3 = 0 , zirkulare Polarisation : a1 = a2 und α2 −α1 = ±π/2 s1 = 0 und s2 = 0 . Wir können mit den Stokes’schen Parametern auch eine Kohärenzmatrix (manchmal auch Polarisationsmatrix genannt) angeben, deren Matrixelemente Jik = Ei Ek∗ sind:     1 s0 + s1 s2 − is3 a1 a2 e−i(α2 −α1 ) a21 = J= a1 a2 ei(α2 −α1 ) a22 2 s2 + is3 s0 − s1  1 = s0 E + s1 σz + s2 σx + s3 σy . (10.2.8) 2

Hier ist E die Einheitsmatrix, σi sind die Pauli-Matrizen1 und det J = 0 . Es verschwindet also ein Eigenwert und E = ei(α2 +α1 )/2 I 1 eik·x−iωt

(10.2.9)

kann durch einen einzigen Eigenvektor einer komplexen orthonormalen Basis ( 1,2 ) angegeben werden, was Ausdruck der vollständigen Polarisation ist. Der Eigenwert, die Intensität I = Sp J = a21 + a22

(10.2.10)

ist durch die Invarianz der Spur Sp J bestimmt. Die Berechnung der Basisvektoren ist Übungsaufgabe 10.2.      

1

σx =

01 , 10

σy =

0 −i , i 0

σz =

1 0 0 −1

364

10 Elektromagnetische Wellen

Quasimonochromatisches Licht Unter quasimonochromatischem Licht der Frequenz ω ¯ versteht man eine Lichtwelle E1 (x, t) = a1 (t) eiα1 (t)+ik·x−i¯ωt

E2 (x, t) = a2 (t) eiα2 (t)+ik·x−i¯ωt , (10.2.11)

bei der die Amplituden und Phasen langsam veränderlich sind, aber deren Unterschiede zu allen Zeiten klein bleiben. Die Kohärenzmatrix (10.2.8) wird in diesem Fall durch zeitliche Mittelwerte Ek El∗ → Ek El∗  bestimmt, bleibt aber sonst gleich   a21  a1 a2 e−i(α2 −α1 )  J= . (10.2.12) a22  a1 a2 ei(α2 −α1 )  Für die Mittelwerte gilt jetzt statt des Gleichheitszeichens die Schwarz’sche Ungleichung   J11 J22 ≥ |J12 | ⇒ det J ≥ 0 , (10.2.13) was besagt, dass E nicht mehr vollständig polarisiert ist. Durch die Stokes’schen Parameter ausgedrückt, erhält man s20 ≥ s21 + s22 + s23 . Bei unpolarisiertem (inkohärentem) Licht besteht keine feste Phasenbeziehung zwischen E1 und E2 , d.h., J12 = J21 = 0 und die Intensität ist richtungsunabhängig J11 = J22 . Man kann J in eindeutiger Weise in einen unpolarisierten und einen polarisierten Anteil zerlegen:     1 I1 0 J12 J11 − I1 /2 mit det J2 = 0 . J = J1 + J2 = + ∗ J12 J22 − I1 /2 2 0 I1 Wir erhalten so unter Berücksichtigung von I = Sp J = J11 +J22 aus det J2 = 0: det J −

I2 I I1 + 1 =0 2 4



I1 = I −

 I 2 − 4 det J .

Die andere Lösung der quadratischen Gleichung kommt nicht in Frage, da dann I1 > I wäre. Der polarisierte Anteil der Welle ist I2 = I − I1 und das Verhältnis * I2 4 det J P= (10.2.14) = 1− I (J11 + J22 )2 gibt den Polarisationsgrad der Welle E an.

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

365

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren 10.3.1 Brechungsgesetz von Snellius Eine skalare ebene Welle der Form ψ = ψ0 eik·x−iωt treffe auf die Grenzfläche zweier Medien mit den Brechungsindizes n und n . Die Einfallsebene ist nach Abb. 10.3 die von k und n aufgespannte Ebene. Damit verschwindet die Tangentialkomponente ks = k · es = 0 senkrecht auf die Einfallsebene. n

ϑ ϑ

k ϑ

x k^• es et ϑ z? n

n

k U

Abb. 10.3. Brechung und Reflexion einer skalaren Welle ψ(x, t) = ψ0 eik·x−iωt in der xz-Ebene. Es ist k/k = n/n , √ wobei√ für elektromagnetische Wellen n = μ und    n =  μ gilt. Die Vektoren et , es , n spannen ein rechtshändiges Koordinatensystem auf

Forderung: Die einfallende und die gestreute Welle sind an der Grenzfläche stetig. Mit dem Ansatz einer gebrochenen ψ  und/oder einer reflektierten Welle ψ  kann die Stetigkeit an einer ebenen Grenzfläche erreicht werden:   ik·x−iωt  ik ·x−iωt  ik ·x−iωt  = ψ0 e + ψ0 e , (10.3.1) ψ0 e  n·x=0

die skalare Welle ist dadurch allerdings noch nicht eindeutig bestimmt:

1. Die Stetigkeit ist unabhängig von der Zeit t, daher ist ω für alle Wellen gleich. 2. Die Stetigkeit der Welle auf der gesamten Grenzfläche ist nur möglich, wenn die Tangentialkomponenten kt = et · k aller Wellen gleich sind (siehe Abb. 10.3) k sin ϑ = k  sin ϑ = k sin ϑ . Daraus folgen das Brechungsgesetz von Snellius sin ϑ k n = = sin ϑ k n

und

ϑ = π − ϑ .

(10.3.2)

366

10 Elektromagnetische Wellen

Eingeführt haben wir den Brechungsindex n einer Welle gegenüber dem Vakuum durch k = n k0 , wenn k0 die Wellenzahl im Vakuum ist. Für die Amplituden an der Oberfläche erhält man ψ0 = ψ0 + ψ0 , was besagt, dass die Brechung einer skalaren Welle durch die Stetigkeit von ψ noch nicht festgelegt ist. (10.3.2) gilt für alle Wellen, seien es vektorielle elektromagnetische oder elastische Wellen oder auch Wellenfunktionen in der Quantentheorie 2 . 10.3.2 Übergangsbedingungen für elektromagnetische Wellen Die bisherigen Überlegungen waren kinematischer Natur, weshalb diese auch für verschiedene Arten von Wellen Gültigkeit haben. Im Folgenden schränken wir uns auf elektromagnetische Felder ein und ziehen auch dynamische Eigenschaften, d.h. Bedingungen, die aus den MaxwellGleichungen folgen, heran: √ 1. Dispersionsrelation ω = ck und n = μ, 2. Stetigkeit der Tangentialkomponenten E und H , Stetigkeit der Normalkomponente D⊥ und B⊥ , 3. homogenes Medium: = const. und μ = const., ˆ 4. ebene elektromagnetische Wellen genügen (10.1.7) kl B = nk×E. Diese Bedingungen sind insoweit vollständig, als sie auch die kinematischen Bedingungen, d.h. das Snellius’sche Brechungsgesetz beinhalten. Stetigkeitsbedingungen Wir verwenden die Stetigkeitsbedingungen für E(x, t) = −

.

kl A = E0 (x) eik·x−iωt c

mit

k·A = 0 .

Die Vektoren k und n spannen die Einfallsebene auf. Die beiden Tangentialkomponenten werden festgelegt durch den Einheitsvektor et in der Einfallsebene und es senkrecht darauf. (et , es , n) bilden ein rechtshändiges KS. Für ˆ = k/k gilt: k ˆ · et = sin ϑ , k

2

ˆ · es = 0 , k

ˆ · n = cos ϑ . k

Aus der Stetigkeit der Ableitung der Welle folgt, dass neben der gebrochenen Welle auch eine reflektierte auftritt.

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

367

Der Vektor a×n liegt auf der Grenzfläche und hat die tangentialen Komponenten zykl.

(a × n) · et = (n × et ) · a = es · a = as , zykl.

(a × n) · es = (n × es ) · a = −et · a = −at .

Da alle Felder gleiche Frequenz ω und gleiche Tangentialkomponenten k haben, gelten die Bedingungen für die Amplituden E0 (x) etc. Wie üblich, ist ˆ = k/k k   E0 + E0 − E0 × n = 0,   (E0 + E0 ) −  E0 · n = 0, 2. D⊥= 0 E⊥ :   (10.3.3) n ˆ    ˆ ˆ × E) : n (k ˆ 3. H = n (k μ × E0 + k × E0 ) − μ k × E0 × n = 0, μkl μ0   ˆ × E)⊥ : ˆ × E0 + k ˆ × E0 ) − n k ˆ × E0 · n = 0. n(k 4. B⊥ = (n/kl )(k

1. E :

10.3.3 Fresnel’sche Formeln Bei der Brechung einer elektromagnetischen Welle an der Grenzfläche zweier homogener Medien liegen in der von k und n aufgespannten Einfallsebene, auch Reflexionsebene R genannt, noch k und und k . Die Stetigkeitsbedingungen der Felder werden jetzt auf die beiden Fälle, Eπ in der Einfallsebene (Eπ ∈ R) und senkrecht auf diese (Eσ ⊥ R), angewandt. Durch Superposition dieser beiden Fälle kann die allgemeine Lage von E konstruiert werden. Die Gesetze für die Brechung des elektrischen Feldes an der Grenzfläche homogener Medien sind die Fresnel’schen Formeln. Da die Brechung von einer Reihe von Parametern abhängt, ϑ, , μ, n für die einfallende Welle und ϑ ,  , μ , n für die gebrochene Welle, und die Parameter untereinander nicht (ganz) unabhängig sind, können die Fresnel’schen Formeln in unterschiedlicher Weise dargestellt werden. Brechung mit elektrischem Feld senkrecht auf die Einfallsebene Wir werden jetzt nicht die eben abgeleitete allgemeine Darstellung der Stetigkeitsbedingungen für die Tangentialkomponenten verwenden, sondern diese direkt mit et und es gemäß Abb. 10.4 bestimmen: E = Eσ ⊥ R

⇐⇒

E0 = E0 es

=⇒

B ∈ R.

Die Bestimmung von E0 und E0 aus den Stetigkeitsbedingungen ist einfach und muss nicht in allen Details verfolgt werden. Einige dieser Bedingungen enthalten keine (neue) Information, so dass letztlich nur drei Gleichungen übrig bleiben, aus denen E0 , E0 und das Snellius’sche Brechungsgesetz hervorgehen.

368

10 Elektromagnetische Wellen n=





k

E

+

E

 k^ ϑ ϑ

B



s B x et

es

Abb. 10.4. Transmission und Reflexion, wenn E ⊥ Einfallsebene. An der Grenzfläche gibt es den Einheitsvektor et in der Einfallsebene und es senkrecht auf diese (σ-Polarisation): et , es , n bilden ein rechtshändiges KS. In der Skizze ist E0 = E0 es , d.h., E ist senkrecht zur Papierebene und nach vorne (oben) gerichtet

ϑ

z? n



E



B 

n =



U k

 μ

ˆ = et sin ϑ + n cos ϑ mit 0 < ϑ < π/2 und E = E0 es . Daraus Vorgegeben sind k folgt B0 =

  n   n n ˆ E0 k×es = E0 et ×es sin ϑ+n×es cos ϑ = E0 n sin ϑ−et cos ϑ . kl kl kl

ˆ = et sin ϑ+n cos ϑ ⇒ k ˆ = et sin ϑ +n cos ϑ , k ˆ 0 = es , ˆ 0 = E0 es ⇒E E ˆ 0 = −et cos ϑ +n sin ϑ , ˆ 0 = −et cos ϑ+n sin ϑ ⇒ B B

ˆ  = et sin ϑ−n cos ϑ, k ˆ 0 = es , E ˆ 0 = et cos ϑ+n sin ϑ. B

Daraus ergeben sich die Stetigkeitsbedingungen 1. 2.

(E0 + E0 ) · et = E0 · et (E0 + E0 ) · es = E0 · es

(E0 + E0 ) · n =  E0 · n

⇒ wegen E · et = 0 automatisch erfüllt, ⇒ (E0 + E0 ) = E0 . ⇒ wegen E · n = 0 automatisch erfüllt.

1 (B + B ) · e = 1 B · e ⇒ n (−E + E  ) cos ϑ = − n E  cos ϑ , 3. μ 0 t 0 0 0 μ μ 0 t μ 0 1 (B + B ) · e = 1 B · e ⇒ wegen B · e = 0 automatisch erfüllt. 0 s s s 0 μ μ 0 4. (B0 + B0 ) · n = B0 · n ⇒ n(E0 + E0 ) sin ϑ = n E0 sin ϑ .

Es sind also die Stetigkeitsbedingungen (a) E0 + E0 = E0  (b) μ n(E0 −E0 ) cos ϑ = μn E0 cos ϑ (c) n sin ϑ(E0 +E0 ) = n sin ϑ E0 auszuwerten. Aus (a) und (c) folgt das Brechungsgesetz (10.3.2) n sin ϑ = n sin ϑ



n cos ϑ cot ϑ tan ϑ . = = n cos ϑ cot ϑ tan ϑ

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

369

(a) in (b) eingesetzt, bringt μ n(E0 −E0 ) cos ϑ = μn (E0 + E0 ) cos ϑ . Der Rest sind einfache Umformungen, indem man den Brechungsindex eliminiert, um die gewünschte Darstellung zu erreichen: E0 μ tan ϑ − μ tan ϑ μ n cos ϑ − μn cos ϑ = . = E0 μn cos ϑ + μ n cos ϑ μ tan ϑ + μ tan ϑ

(10.3.4)

Multipliziert man (a) mit μ n cos ϑ und addiert (b), so erhält man 2μ nE0 cos ϑ = E0 (μ n cos ϑ + μn cos ϑ ) . Wiederum eliminiert man n und erhält 2μ n cos ϑ 2μ tan ϑ E0 =  =  .   E0 μ n cos ϑ + μn cos ϑ μ tan ϑ + μ tan ϑ

(10.3.5)

(10.3.4) und (10.3.5) sind allgemein gehaltene Ausdrücke für die Fresnel’schen Formeln. In der (Licht-)Optik ist fast immer μ = μ [= 1]. Setzt man in (10.3.4) und (10.3.5) μ = μ , so erhält man die Fresnel’schen Formeln für E ⊥ R: 2 cos ϑ sin ϑ E0 , = E0 sin(ϑ + ϑ )

E0 sin(ϑ − ϑ) . = E0 sin(ϑ + ϑ)

(10.3.6)

Senkrechter Einfall Statt n kann man in den Fresnel’schen Formeln ϑ eliminieren. Das wird vor allem bei senkrechtem Einfall (ϑ = 0) gemacht, wo man auf (10.3.4) und (10.3.5) zurückzugreift, da cos ϑ = cos ϑ = 1. Mit μ = μ erhält man E0 =

n − n E0 , n + n

E0 =

2n E0 . n + n

(10.3.7)

Brechung mit elektrischem Feld in der Einfallsebene Liegt E in der (Reflexions-)Einfallsebene, so ist das elektrische Feld πpolarisiert: B⊥R

⇐⇒

B0 = es B0

=⇒

E = Eπ ∈ R .

Entsprechend der Skizze Abb. 10.5 ist B parallel zu es . Dann ist   kl ˆ = E0 es × k ˆ = E0 es × n cos ϑ + es × et sin ϑ B0 × k n  = E0 et cos ϑ − n sin ϑ mit kl B0 = nE0 .

E0 =

Wiederum sind die Stetigkeitsbedingungen auszwerten, was eher mühsam ist und daher als Nebenrechnung ausgeführt wird.

370

10 Elektromagnetische Wellen

Vorgegeben sind die Vektoren k mit 0 < ϑ < π/2 und kl B = nE0 es . Für deren Einheitsvektoren gilt ˆ = et sin ϑ + n cos ϑ ⇒ k ˆ  = et sin ϑ + n cos ϑ , k ˆ ˆ E0 = et cos ϑ − n sin ϑ ⇒ E0 = et cos ϑ − n sin ϑ , ˆ 0 = es , ˆ 0 = es ⇒B B

ˆ  = et sin ϑ − n cos ϑ, k ˆ E0 = −et cos ϑ − n sin ϑ, ˆ 0 = es . B

Für die Stetigkeitsbedingungen lässt sich daraus ablesen: E n=

3

E

k

B

^ ϑ ϑ k





 B x -

es

et E

ϑ

z? n



n =

1. 2.



k

* B

Uk



 μ

Abb. 10.5. Brechung und Reflexion, wenn E ∈ Einfallsebene (π-Polarisation)

(E0 + E0 ) · et = E0 · et (E0 + E0 ) · es = E0 · es

(E0 + E0 ) · n =  E0 · n

⇒ (E0 − E0 ) cos ϑ = E0 cos ϑ , ⇒ wegen E · es = 0 automatisch erfüllt. ⇒ (E0 + E0 ) sin ϑ =  E0 sin ϑ .

1 (B + B ) · e = 1 B · e ⇒ wegen B · e = 0 automatisch erfüllt, 3. μ 0 t t t 0 μ 0 n (E + E  ) = n E  . 1 (B + B ) · e = 1 B · e ⇒ s 0 0 μ 0 μ 0 μ 0 s μ 0    4. n(B0 + B0 ) · n =  B0 · n ⇒ wegen B · n = 0 automatisch erfüllt.

Die drei Stetigkeitsbedingungen sind (a) (E0 − E0 ) cos ϑ = E0 cos ϑ , (b) (E0 + E0 ) sin ϑ =  E0 sin ϑ , (c) nμ (E0 + E0 ) = n μE0 . Von diesen drei Gleichungen werden nur zwei benötigt, um E0 und E0 durch E0 auszudrücken. Setzt man (E0 + E0 ) aus der (c) in (b) ein, so reproduziert man – wie schon im vorigen Fall – das Brechungsgesetz. Zunächst multipliziert man (a) mit n μ und (c) mit − cos ϑ und addiert n μ(E0 − E0 ) cos ϑ − nμ (E0 + E0 ) cos ϑ = 0 .

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

371

Ersetzt man den Brechungsindex durch die Winkel, so erhält man E0 n μ cos ϑ − nμ cos ϑ μ sin(2ϑ) − μ sin(2ϑ ) . =  = E0 n μ cos ϑ + nμ cos ϑ μ sin(2ϑ) + μ sin(2ϑ )

(10.3.8)

Zur Berechnung von E0 multipliziert man (a) mit nμ und (c) mit cos ϑ und addiert 2nμ E0 cos ϑ = E0 (nμ cos ϑ + n μ cos ϑ) . Wiederum wird der Brechungsindex durch den Winkel ersetzt: 2nμ cos ϑ 4μ cos ϑ sin ϑ E0 . =  = E0 n μ cos ϑ + nμ cos ϑ μ sin(2ϑ) + μ sin(2ϑ )

(10.3.9)

Die Fresnel’schen Formeln für E ∈ R sind der Grenzfall μ = μ von (10.3.9) und (10.3.8): E0 2 cos ϑ sin ϑ , = E0 sin(ϑ+ϑ ) cos(ϑ−ϑ )

E0 tan(ϑ−ϑ ) = . E0 tan(ϑ+ϑ )

(10.3.10)

Senkrechter Einfall Es gilt dann ϑ = 0 ⇒ ϑ = 0. Aus (10.3.9) und (10.3.8) folgt für μ = μ unmittelbar E0 2n E0 n − n = , = . (10.3.11) E0 n + n E0 n + n Anmerkungen: Bei senkrechtem Einfall ist die Reflexionsebene nicht mehr gut definiert und wir erwarten, dass E0 und E0 in den beiden Fällen E ⊥ R und E ∈ R gleich sind, bemerken aber, dass E0 in (10.3.7) und (10.3.11) unterschiedliches Vorzeichen haben. Das ist auf die Definition von E0 zurückzuführen, da für E ⊥ R gilt, dass E0  E0 ist, während im anderen Fall E0  −E0 ist. Bei der Reflexion an einem optisch dichteren Medium n > n sind, wie aus (10.3.7) hervorgeht, E0 und E0 entgegengesetzt gerichtet, d.h., es tritt ein Phasensprung von π/2 auf. H2 O :

4 n= 3

E  1 n = 1, 0 = E0 7 



  2 E  Reflexionsverm¨ ogen :  0  = 2% . E0

Für Wellen niedriger Frequenz könnte man erwarten, dass aus den Fresnel’schen Formeln die aus der Elektrostatik bekannte Brechung von E an Grenzflächen herausgelesen werden kann, was de facto nicht möglich ist. Ein grundlegender Unterschied zur Elektrostatik liegt darin, dass sich Wellen gegebener Frequenz, egal ob skalar oder vektoriell, in einem Medium mit einer für dieses charakteristischen Wellenlänge ausbreiten und ein stetiger Übergang an der Grenzfläche nur zusammen mit einer reflektierten Welle möglich ist (Brechungsgesetz von Snellius) und diese für endliche Frequenzen nicht verschwindet. Die Stetigkeitsbedingungen für E und D sind zwar für alle Frequenzen eingehalten, gelten aber nur für alle drei Wellen zusammen (siehe S. 366). Verschwindet jedoch in speziellen Fällen (Brewster-Winkel, (10.3.12)) die reflektierte Welle, so gelten für alle Frequenzen die aus der Statik bekannten Stetigkeitsˆ · n zu E ˆ · n wechseln. bedingungen; man sollte nur von den Winkeln k

372

10 Elektromagnetische Wellen

10.3.4 Brewster-Winkel Es gibt bei parallel zur Einfallsebene liegendem Polarisationsvektor einen Einfallswinkel, bei dem keine Reflexion auftritt. Der Einfachheit halber beschränken wir uns auf μ = μ . Die reflektierte, parallel polarisierte Welle verschwindet (E0 = 0) für tan(ϑ + ϑ ) → ∞, wie aus (10.3.10) zu sehen ist. ϑ + ϑ =

π . 2

Aus dem Brechungsgesetz folgt π n sin ϑ = n sin( − ϑ) = n cos ϑ, 2 ϑB = arctan

n , n

Brewster-Winkel.

(10.3.12)

Für diesen Einfallswinkel ist die reflektierte Welle vollkommen polarisiert mit dem Polarisationsvektor  senkrecht zur Einfallsebene. Auch für andere Winkel ist die „Normalkomponente“ stärker als die parallele im reflektierten Licht. Luft/Glas mit n /n = 1.5 hat einen Brewster-Winkel von 56 Grad. Der reflektierte Strahl ist vollständig linear polarisiert mit  senkrecht zur Einfallsebene. 10.3.5 Totalreflexion Beim Übergang zu einem optisch weniger dichten Medium (n → n mit n > n ) wird der Strahl vom Lot gebrochen (ϑ < ϑ ), wie in Abb. 10.6 skizziert. Vergröπ erreicht. Der Strahl ßert man ϑ, so wird bei ϑ0 der Brechungswinkel ϑ = 2 wird total reflektiert.

n > n n

ϑ

-x

R

n

ϑ



j

? z

Abb. 10.6. Brechung vom Lot

Die Stetigkeit der Tangentialkomponenten lautet k sin ϑ = k  sin ϑ sin ϑ0 =





k n = k n

ϑ =π/2

=⇒

bzw.

k sin ϑ0 = k  , ϑ0 = arcsin

n . n

(10.3.13)

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

373

n sin ϑ > 1. und daraus folgt n *    sin2 ϑ n 2 2  2  sin ϑ − 1 = i − 1. cos ϑ = 1 − sin ϑ = i  n sin2 ϑ0

Es sei ϑ > ϑ0 : Dann ist sin ϑ =

Für die in das Medium eindringende Welle gilt √     2 2 eik ·x = eik (x sin ϑ +z cos ϑ ) = eikx sin ϑ−kz sin ϑ−sin ϑ0 / sin ϑ0 . Die gebrochene Welle fällt exponentiell ins Innere des optisch dünneren Mediums ab. Die Eindringtiefe δ definieren wir als den Wert, bei dem die Amplitude auf den Wert e−1 abgefallen ist: δ=

1 sin ϑ0  . 2 k sin ϑ − sin2 ϑ0

Das Eindringen der Welle in das Medium bewirkt eine seitliche Verschiebung des reflektierten Strahls um d = 2δ tan ϑ. Diese seitliche Verschiebung des totalreflektierten Strahls wird als Goos-Hänchen-Effekt bezeichnet. Zuletzt soll noch bemerkt werden, dass der Energiefluss S · n ins Medium verschwindet. 10.3.6 Geometrische Optik Die geometrische Optik wird anwendbar, wenn die λ  l, wobei l eine charakteristische Länge für das System ist. Monochromatisches Licht kann durch das skalare Wellenfeld ψ(x, t) = A(x) ei[S(x)−ωt]

(10.3.14a)

beschrieben werden. Die Amplitude A(x) ist eine räumlich nur langsam variierende Funktion, und die Phase S(x) sollte eine von der Linearität nicht zu stark abweichende Funktion sein. S wird dann als Eikonal bezeichnet. Einsetzen von ψ in die Wellengleichung 

 1 ∂2 2 ψ(x, t) = 0 − ∇ c¯2 (x) ∂t2

mit

c¯(x) =

c n(x)

  ergibt mithilfe von ∇ψ = eiS(x)−iωt ∇A + iA∇S     2 ∇S · ∇A) ∇2 A ω2 − 2 + ∇S − iΔS + 2i + = 0. c¯ (x) A A

Diese Gleichung kann man in Real- und Imaginärteil zerlegen:     2 ∇2 A ∇S · ∇A) ω2 + ∇S + = 0, −ΔS + = 0. − 2 c¯ (x) A A

374

10 Elektromagnetische Wellen

Unter der Bedingung, dass  2  ∇ A ω2 ω2 2    A   c¯2 (x) = c2 n (x)

kann die Variation der Amplitude gegenüber der Phase vernachlässigt werden: −

 2 ω2 2 n (x) + ∇S = 0 . 2 c

Definiert man φ durch S(x) =

ω φ(x) , c

so erhält man die Eikonalgleichung  2 ∇φ(x) = n2 (x).

(10.3.14b)

φ = const A

B

qn

Abb. 10.7. Wellenfront oder Wellenfläche ist die Fläche konstanter Phase φ(x) =const. und der Strahl ist die Linie normal auf die Wellenfläche (Gradient)

Der Gradient hat so den Betrag des Brechungsindex n und steht senkrecht auf die Wellenfront ∇φ = n(x) n , wie in Abb. 10.7 skizziert φ=const. ist die Fläche konstanter Phase, und −(i ω/c) ∇φ der lokale Wellenvektor (∼Impuls). Das Integral ˆ B ˆ B ˆ B s= dl · ∇φ(x) = dl n(x) = dφ = φ(B) − φ(A) A

A

A

gibt den optischen Weg für den Strahl an. Für den aus der Eikonalgleichung berechneten Strahl ist n(x) n aus dem skalaren Potential φ herleitbar und daher vom Weg unabhängig. Die Wellenfläche ist eine Fläche konstanter Phase und der Strahl ist die Linie, die auf die Wellenfläche normal ist, d.h. der Gradient. Fermat’sches Prinzip Die Ausbreitung von Strahlen im stationären Fall kann auch aus dem Fermat’schen Prinzip hergeleitet werden. Nach diesem hat das Linienintegral

10.3 Reflexions- und Brechungsgesetz für Isolatoren

ˆ

375

B

s=

dl n(x) = Extremum A

für den Weg des Strahls zwischen den Raumpunkten A und B ein Minimum. Für den auf die Fläche konstanter Phase senkrechten Strahl gilt dl n = dl · ∇φ = dφ . Wenn dl nicht senkrecht auf die Wellenfläche ist, so ist ˆ ⇒

dl n > dφ

B

A

dl n > φ(B) − φ(A)

für jeden anderen Weg. Anmerkung: Das Fermat’sche Prinzip ist das Analogon zu dem aus der Mechanik bekannten Prinzip der kleinsten Wirkung ˆ B δ dl · p = 0 , A

wobei p der Impuls des Teilchens ist. Die Variation des optischen Weges bei festgehaltenen Endpunkten führt zu ˆ B ˆ B  dl n(x)δs = dl δn + n δdl . δs = δ A

A

Ist δx die Verschiebung der Bahn, so ist δdl = ˆl · dδx

und

δn = δx · ∇n .

ˆl ist der zum Strahl parallele (tangentiale) Einheitsvektor. Der zweite Term wird umgeformt (partiell integriert) in





 

n δdl = n ˆl · dδx = d n ˆl · δx − d n ˆl · δx , wobei der Randterm verschwindet, da δx = 0 an den Randpunkten. Somit hat man ˆ B ˆ B    d(n ˆl) ˆ δs = δx = 0 . dl ∇n − d(n l) δxδs = dl ∇n − dl A A

Damit das Integral für alle δx verschwindet, muss d(n ˆl) = ∇n dl

oder

dˆl 1 1 dn = ∇n − ˆl . dl n n dl

Die Auswertung dieser Gleichung [Landau, Lifschitz VIII, 1990, S. 85] ergibt, dass der Strahl in Richtung des wachsenden Brechungsindex gekrümmt wird.

376

10 Elektromagnetische Wellen

10.4 Wellen in Leitern Die Dielektrizitätskonstante von Metallen  divergiert mit ω → 0. Damit wird die Wellenlänge im Metall mit δ ∼ 2πc/(ω | |) klein im Vergleich zur Vakuumwellenlänge von 2πc/ω. Wenn δ auch noch klein gegen die Krümmung der Metalloberfläche ist, so vereinfacht das die Reflexion an einer Metalloberfläche wesentlich. 10.4.1 Die Gleichungen für die Wellenausbreitung in Metallen Zur Beschreibung von Wellen in (homogenen) Leitern muss in den MaxwellGleichungen (10.1.1) zunächst j in der Ampère-Maxwell-Gleichung (5.2.16)   ∇×H = (kl /c) 4πkr j + D

.

mitgenommen werden, wobei nach dem Ohm’schen Gesetz j = σE   ∇×B = μμ0 (kl /c) 4πkr σE + 0 E

.

ist. Hierbei gibt der letzte Term den sogenannten Verschiebungsstrom an. Differenziert man die Ampère-Maxwell-Gleichung nach t, so erhält man   ¨ . ∇× B = (1/ckl ) 4πkc μσ E + μ E

.

.

.

.

Nun setzt man für B aus dem Induktionsgesetz B = −(c/kl ) rot E ein und berücksichtigt, dass div E = 0: ΔE =

.

 1 ¨ . 4πkc μσ E + μ E 2 c

(10.4.0)

Betrachtet wird eine senkrecht auf das Metall einfallende Welle, wie in Abb. 10.8 skizziert: einfallende Welle : reflektierte Welle : eindringende Welle :

E = E0 et eikz−iωt , Er = E0r et e−ikz−iωt , Ed = E0d et eiqz−iωt .

- et ? k Vakuum Metall

Abb. 10.8. Ein elektrisches Feld trifft senkrecht auf die Grenzfläche Vakuum-Metall

Mit dem obigen Ansatz für Ed in Metallen erhält man −q 2 = −iω

 μω  4πkc μσ μ 2 − 2 ω = − 2 ω + i 4πkc σ . 2 c c c

10.4 Wellen in Leitern

377

Von Interesse ist das Größenverhältnis der beiden Terme auf der rechten Seite. Geringe Leitfähigkeit: ω 4πkc σ Der Beitrag von σE kann vernachlässigt werden und man erhält die übliche Wellengleichung 

Δ−

μ ∂ 2  E = 0. c2 ∂t2

Das Medium verhält sich wie ein Dielektrikum. Hohe Leitfähigkeit: ω  4πkc σ Ist die Leitfähigkeit groß und die Frequenz nicht zu hoch, so kann der Beitrag des Verschiebungsstroms vernachlässigt werden (quasistationäre Näherung) ω  4πkc

σ

 4πkc μσ ∂  Δ− E = 0. c2 ∂t



(10.4.1)

In diesem Bereich verhält sich das Medium wie ein guter Leiter. Aus (10.4.1) folgt √ 1 + i 4πkc μσω 4πkc μσ 2 . ⇒ q= √ q = +iω c2 c 2 Eingesetzt in Ed = E0d e

iqz

= E0d e

(i−1)



2πkc μσω z c

erhält man die Eindringtiefe c , δ=√ 2πkc μσω

SI: δ =



2 μμ0 σω

(10.4.2)

als den Wert, bei dem die Amplitude von Ed auf den Wert 1/e abgesunken ist. Für das Magnetfeld B bekommt man denselben Wert für die Eindringtiefe. In Kupfer ist die Eindringtiefe δ bei einer Frequenz von 50 Hz ca. δ = 9.4 mm, so dass bei „normalen“ Querschnitten (4 mm2 ↔ 1.28 mm Durchmesser) der Strom homogen im Draht verteilt ist; bei 500 kHz, dem unteren Ende der Mittelwelle, ist δ = 0.1 mm. (10.4.1) kann auf die Form  2 ∂ Δ− 2 E=0 δ ω ∂t

mit

4πkc μσω 2 = 2 c2 δ

gebracht werden und die Ungleichung ω  4πkc σ reich des metallischen Verhaltens ist dann

(10.4.3)

für den Gültigkeitsbe-

378

10 Elektromagnetische Wellen

μω μω 2 ω 2 = k 2 μ  4πkc σ 2 = 2 c c δ

√ n = μ 



√ 2 . kδ

Wir haben dabei die Ungleichung mit (ωμ/c2 ) erweitert und k = ω/c, die √ Wellenzahl im Vakuum, eingesetzt. μ ist der Brechungsindex bei kleinem σ und δ die Eindringtiefe. Mittlere Leitfähigkeit: ω  4πkc σ In Medien mit schlechterer Leitfähigkeit kann (bei geringer Eindringtiefe) der Verschiebungsstrom nicht vernachlässigt werden und wegen der hohen Fre¨ zu berücksichtigen: quenzen ist auch der Term mit E   μ  1 2i  ∂ 2  2i  ∂ 2  Δ− 2 + 2 2 E = Δ − μ + E = 0. c δ ω ∂t2 c2 δ 2 k 2 ∂t2

(10.4.4)

.

¨ ersetzt werden. Unter der Annahme, dass E ∼ e−iωt kann E durch (i/ω) E Das ergibt eine Wellengleichung mit einem komplexen, frequenzabhängigen Brechungsindex. Die Wurzel einer komplexen Zahl3 nähern wir gemäß √

⎧√   ⎨ a 1+i b a b≥0 2a a + ib = 1 + i √   a ⎩ √ b a ≥ 0. b 1−i 2b

2

Für den komplexen Brechungsindex erhalten wir so  2i n + iκ = μ + 2 2 k δ  i √  fu ¨r ≈ μ 1 + 2 2 k δ μ μk 2 δ 2  i  μk 2 δ 2  1 1+ + 1− fu ¨r ≈ kδ 4 kδ 4

2

μ

k2 δ2

μ 

k2 δ2

2

.

Im zweiten Fall, dem guten Leiter, gilt n≈κ≈

1 1 kδ

fu ¨r 1 ≤



μ 



2 . δk

(10.4.5)

Senkrechter Einfall Wir nehmen die Fresnel’schen Formeln (10.3.11) für den senkrechten Einfall mit n = 1 und n = n + iκ. Damit berechnen wir die Intensitäten

3

exakt:



a + ib =





 1  2 a + b2 + a + i 2

 1  2 a + b2 − a 2

10.4 Wellen in Leitern

Er =

n + iκ − 1 E0 1 + n + iκ

und

Ed =

379

2 E0 , n + iκ + 1

 2 2 2  Er  4n   = (n − 1) + κ = 1 − ,  E0  2 2 (n + 1) + κ (n + 1)2 + κ2    d Für gute Leiter ist daher gemäß (10.4.5)  E E0  → 0. Fast die gesamte Welle wird reflektiert und wir haben einen Metallspiegel vor uns: eiq·x = eik(n+iκ)z ≈ e(i−1)z/δ .

10.4.2 Zylinderförmiger Draht (Skineffekt) Betrachtet wird die Verteilung der Stromdichte in einem Leiter (Draht), in dem ein Strom fließt. Die bisherigen Ergebnisse lassen erwarten, dass sich der Strom nicht gleichmäßig auf den Querschnitt verteilen wird, sondern mehr oder weniger auf die Oberfläche, da aufgrund der Eindringtiefe δ des elektrischen Feldes dieses im Inneren schwächer sein wird. Dieser Effekt wird als Skineffekt bezeichnet. Für das elektrische Feld in einem Leiter können wir (10.4.1) heranziehen  4πkc μσ ∂  (10.4.3)  2 ∂ Δ− E E = 0. = Δ − c2 ∂t δ 2 ω ∂t

Der Querschnitt des Drahtes (siehe Abb. 10.9) ist kreisförmig und aus Symmetriegründen ist E=const. an der Oberfläche. Dazu ist im Außenraum div E = 0 und rot E = 0. Wir nehmen Zylinderkoordinaten, wobei der Symmetrie des Systems entsprechend E = E( )e−iωt ez und differenzieren nach t  2  ∂ 2i 1 ∂ + E( ) = 0 . (10.4.6) + ∂ 2

∂ δ 2

z E

6

Abb. 10.9. Stück eines geraden Drahtes vom Radius a; Drahtachse und E zeigen in z-Richtung.

a

E = E( ) e−iωt ez

6 a

2i 1+i , und setzen in (10.4.6) = z/κ ein. Wir definieren κ2 = 2 , d.h. κ = δ δ Damit erhalten wir  d2  z 1 d + + 1 E( ) = 0 . dz 2 z dz κ

380

10 Elektromagnetische Wellen

Das ist die Bessel’sche Differentialgleichung (B.4.1) mit den Bessel-Funktionen Zν (z) für ν = 0. Es ist also E( κz ) = Z0 (z) oder E( ) = Z0 (κ ), und für Z0 kann die am Ursprung reguläre Funktion J0 eingesetzt werden: E( ) = C J0 (κ ) . C wird aus dem Gesamtstrom I bestimmt: ¨ ˆ a ˆ aκ 1 I=σ df E( ) = σ2πC du u J0 (u) d J0 (κ ) = 2πσC 2 κ 0 0 aκ 1 1  = 2πσC 2 u J1 (u) = 2πaσC J1 (aκ). κ κ 0 d n (z Jn (z)) = z n Jn−1 (z) herAus (B.4.8) kann die hier verwendete Formel dz geleitet werden. Damit sind C und E bestimmt (und die Stromdichte): C=

Iκ 1 , 2πaσ J1 (κa)

E( ) =

Iκ J0 (κ ) . 2πaσ J1 (κa)

(10.4.7)

Im größten Bereich des Drahtes ist κa 1, so dass wir die asymptotischen Entwicklungen für die Bessel-Funktionen einsetzen:      π 2 2 −i κ− νπ νπ π 1 2 −4 , Jν (κ ) = cos κ − − ∼ e πκ 2 4 2 πκ

wobei berücksichtigt ist, dass eiκ = ei(1+i)/δ → 0 . Das ergibt für   a −i π iκ(a−) a −1+i (a−) J0 (κ ) = e 2e e δ = (−i) . J1 (aκ)

In dieser asymptotischen Form für das elektrische Feld  a − a− +i a− Iκ δ E( ) = −i e δ 2πaσ

(10.4.8)

ist der bereits angekündigte Effekt, dass das Feld nach außen gedrängt wird, zu sehen. Nun geben wir noch den Widerstand für = a an: E(a) κ J0 (κa) κ = = (−i) I 2πaσ J1 (κa) 2πaσ κa a = R0 (1 − i). = (−i)R0 2 2δ Gegenüber dem Gleichstromwiderstand R=

R0 =

(10.4.9)

1 E(a) = I πa2 σ

haben wir in (10.4.9) einen etwa um δ/a kleineren Querschnitt. Wirksam wird der Effekt vor allem bei höheren Frequenzen; in Haushalten, bei einer Frequenz von 50 Hz und Drähten mit einem Querschnitt von ≤ 10 mm2 ist die Stromdichte noch homogen.

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

381

Vereinfachte Rechnung: Wir nehmen die asymptotische Form von (10.4.6):

 d2



− κ∗2 E( ) = 0 ,

d 2

¨

I=σ

κ∗ = ˆ

df E( ) = 2πσ

a

1−i , δ ∗

d eκ



= 2πσ

0

Das ergibt R=



E( ) = E0 eκ



κ∗ 1−i 1−i a E(a) = = = R0 I 2πaσ 2πaσδ 2 δ



= E0 e(1−i) /δ ,



∗ a 1 2πaσ κ∗ a − ∗2 eκ a ≈ e κ∗ κ κ∗

mit

R0 =

1 . πa2 σ

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern Innerhalb eines Hohlraums oder eines Rohres mit gut leitenden Wänden seien jf = 0 und f = 0. Wir halten uns offen, dass der Raum mit einem homogenen Dielektrikum gefüllt ist. Es gelten also die Maxwell-Gleichungen in der Form von (10.1.1) und die Wellengleichungen (10.1.2) - (10.1.5). √ σ→∞ Die Eindringtiefe elektromagnetischer Wellen δ = c/ 2πkc σμω −→ 0 in einem Metall nimmt mit zunehmender Leitfähigkeit und Frequenz ab. Wir gehen also von einem idealen Leiter mit δ = 0 aus, dessen Wände spiegelnd sind. Aus den allgemeinen Randbedingungen folgt, dass an der Metalloberfläche die Tangentialkomponenten von E und die Normalkomponente von B verschwinden: E×n=0

B· n = 0,

und

(10.5.1)

wobei n der Normalenvektor auf die Metalloberfläche sein soll. 10.5.1 Stehende Wellen in einem Hohlraumresonator Der Hohlraum sei ein Parallelepiped (Würfel) aus leitendem, d.h. spiegelndem Material. Vereinfachend nehmen wir an, dass im Hohlraum kein Dielektrikum ist (¯ c = c). Im Inneren müssen die Felder E und B der homogene Wellengleichung genügen: E = 0

B = 0 ,

wie es im Abschnitt 10.1 ausgeführt ist. Die Randbedingungen (10.5.1) erfordern, dass die Tangentialkomponenten von E und die Normalkomponente von B an der Wand verschwinden. Das wird im Hohlraum zu stehenden (transveralen) Wellen mit diskreten Frequenzen führen.

382

10 Elektromagnetische Wellen

Rechteck mit spiegelnden Wänden Abb. 10.10 zeigt ein Rechteck mit ideal leitenden Seiten. Die Felder E und B sind so zu bestimmen, dass sie den Randbedingungen genügen. Wir beschränken uns hier auf die Berechnung des elektrischen Feldes. Das Magnetfeld B kann dann mithilfe der Induktionsgleichung (10.1.1) ermittelt werden: E(x, t) = E(x) cos(ωt) Ex (x, 0) = Ex (x, Ly ) = 0

Ey (0, y) = Ey (Lx , y) = 0.

y Ly 6

- Ex 0 0

x Lx

Abb. 10.10. Hohlraumstrahlung: Rechteck mit reflektierenden Seiten der Länge Lx und Ly

Diese Stetigkeitsbedingungen werden offensichtlich vom Ansatz Ex (x, y) = Ax (k) cos(kx x) sin(ky y)

kx Lx = nx π

Ey (x, y) = Ay (k) sin(kx x) cos(ky y)

ky Ly = ny π

(10.5.2)

erfüllt – wie auch die Wellengleichung selbst. Das sind stehende Wellen die aus

Abb. 10.11. Intensität des elektrischen Feldes (10.5.2), das in einem Quadrat stehende Wellen bildet. Berechnet wurde |E| mit den Amplituden Ax,y = ±kx,y /k für nx = 0 und 3 bei ny = 5; mit steigender Intensität von |E| wird das Bild heller.

der Superposition hin- und herlaufender Wellen entstehen und ein regelmäßiges Interferenzmuster bilden, wie in Abb. 10.11 abgebildet. Dieses Muster oszilliert mit cos(ωt).

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

383

Wir zeigen hier explizit, dass das mit cos(ωt) oszillierende Muster der Abb. 10.11 aus hin- und herlaufenden transversalen elektrischen Wellen besteht. Zunächst zerlegen wir mithilfe des Additionstheorems für trigonometrische Funktionen











k = (kx , ky ) 1 sin(k·x) − sin(k ·x) 2 k = (kx , −ky )  1  = Ax (k, t) sin(k·x + ωt) + sin(k·x − ωt) 4   − sin(k ·x + ωt) + sin(k ·x − ωt) ,

Ex (x, y, t) = Ax (k, t)

1 sin(k·x) + sin(k ·x) 2  1  sin(k·x + ωt) + sin(k·x − ωt) = Ay (k, t) 4   + sin(k ·x + ωt) + sin(k ·x − ωt) .

Ey (x, y, t) = Ay (k, t)

Man stellt nun das elektrische Feld als Summe von zwei vorwärts (in x-Richtung: E1,2 ) und zwei rückwärts laufende Wellen dar E1,3 (x, t) =

4

E=



mit

Ei

E2,4 (x, t) =

i=1

1 4 1 4



Ax Ay





−Ax Ay

sin(k · x ∓ ωt),



sin(k · x ∓ ωt) .

Die Amplituden sind nun so zu bestimmen, dass die Wellen transversal sind: k · E1 = 0



k x A x + ky A y = 0



Ax =

A ky k

und

Ay = −

A kx . k

Man sieht, dass k·E2 = 0 erfüllt ist. Die beiden Wellen E1,2 sind also transversal und damit auch E3,4 . Für jede Mode k ist E (bis auf A) eindeutig bestimmt, da es in zwei Dimensionen nur eine transversale Polarisationsrichtung gibt. Die partikuläre Lösung der Wellengleichung mit (nx , ny ) Knoten ist demnach eine stehende Welle, die in Partialwellen zerlegt werden kann, die im Hohlraum hin- und herlaufen und dabei an den Wänden reflektiert werden.

Stehende Wellen in einem Quader Die Randbedingungen für die Tangentialkomponente Ex an den Randflächen y = 0, Ly und z = 0, Lz lauten: Ex (x, 0, z) = Ex (x, Ly , z) = 0

Ex (x, y, 0) = Ex (x, y, Lz ) = 0 .

und

Für (y, z) gelten die entsprechenden Gleichungen. Das (reelle) elektrische Feld E(x, t) = E(x) cos(ωt), Ei (x) = Ai cos(ki xi )

+ j=i

sin(kj xj )



k · e i L i = ni π k·A=0

ni ≥ 0

(10.5.3)

384

10 Elektromagnetische Wellen

hat jetzt zwei (transversale) Polarisationsrichtungen. Das Magnetfeld wird mit der Induktionsgleichung berechnet:

.

kl Bi = −ijl ∇j El = − cos(ωt) ijl kj Al sin(ki xi ) cos(kj xj ) cos(kl xl ) . c Aus B(x, t) = B(x) sin(ωt) folgt Bi (x, t) = −

kj Al 1 sin(ki xi ) cos(kj xj ) cos(kl xl ). sin(ωt) ijl kl k

(10.5.4)

Die Normalkomponenten von B verschwinden am Rand und div B = 0 . 10.5.2 Elektromagnetische Wellen in Hohlleitern Die Maxwell-Gleichungen für den Hohlleiter Innerhalb achsensymmetrischer, gut leitender Rohre, erwartet man in Richtung der zum Rohr parallelen Achse, die immer die z-Achse sein soll, eine fortlaufende Welle, was den Ansatz   E(x, t) = E⊥ + Ez = E0⊥ (x, y) + E0z (x, y) ψ(z, t), ψ(z, t) = eikz z−iωt ,

(10.5.5)

  B(x, t) = B⊥ + Bz = B0⊥ (x, y) + B0z (x, y) ψ(z, t)

nahelegt. Dieser Ansatz muss den Maxwell-Gleichungen (10.1.1) für die Ausbreitung von Wellen in einem homogenen Medium genügen: (a) div E = 0 iω √ (c) rot B = − μ E c¯kl

iω kl (b) rot E = √ B μ c¯

(10.5.6)

(d) div B = 0.

(10.5.6) sind invariant unter der Vertauschung von kl B  −nE. Vor allem aber kann man in (10.5.6) vom Vakuum zum Dielektrikum wechseln, wenn man in den für das Vakuum hergeleiteten Formeln durch c → c¯ =

c , n

E → nE

mit

n=



μ

(10.5.6’)

ersetzt. Es genügt also, die Wellenausbreitung im Vakuum anzugeben. Diese wird durch durch die homogenen Wellengleichungen (10.1.2)  E = 0 und  B = 0 bestimmt. Bei den Feldern in Hohlleitern ist man vor allem an den longitudinalen Komponenten Ez bzw. Bz interessiert, für die gilt Ez =

 1 ∂2 − Δ Ez (x, y)ψ(z, t) = 0. 2 2 c ∂t

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

385

Wir verwenden nun die Produktregel für ΔE0z ψ = ψΔE0z + 2(ikz ez ψ) · (∇E0z ) − E0z kz2 = (Δ⊥ − kz2 )Ez und erhalten (Δ⊥ = ∇2x + ∇2y )   ω2 Δ⊥ + 2 − kz2 Ez (x, t) = 0 . c

(10.5.7)

Dieselbe Gleichung gilt auch für Bz . Die transversalen Komponenten erhält man unter Verwendung von (10.5.9) aus den longitudinalen. Die folgende Nebenrechnung stellt E⊥ und B⊥ als Funktion von Ez und Bz dar. Die Felder sind in (10.5.5) bereits in einen longitudinalen und einen transversalen Teil zerlegt, was auch für die Operatoren gelten soll ∇ = ∇⊥ + ∇z . ∇⊥ ·E⊥ = −∇z ·Ez

(a) (c)

(b)

∇⊥ ×E⊥ = (ikl ω/c)Bz ∇⊥ ×Ez +∇z ×E⊥ = (ikl ω/c)B⊥

∇⊥ ×B⊥ = −(iω/ckl )Ez (d) ∇⊥ ×Bz + ∇z ×B⊥ = −(iω/ckl )E⊥ .

∇⊥ ·B⊥ = −∇z ·Bz (10.5.8)

Wir multiplizieren den transversalen Teil der Induktionsgleichung (b) von links vektoriell mit ∇z ×









∇z × (∇⊥ × Ez ) = ∇⊥ ∇z · Ez − ∇z · ∇⊥ Ez = ikz ∇⊥ Ez ,









∇z × (∇z × E⊥ ) = ∇z ∇z · E⊥ − ∇z · ∇z E⊥ = kz2 E⊥ , ∇z × B⊥ = −(iω/ckl ) E⊥ − ∇⊥ × Bz ,

wobei wir in der letzten Zeile aus der Ampère-Maxwell-Gleichung (c) eingesetzt haben. Das ergibt, wenn wir die Terme mit E⊥ auf die linke Seite bringen,

 ω2

 ikl ω  ∇ ⊥ × Bz , c  ω2   iω  2 − kz B⊥ = −ikz ∇⊥ Bz − ∇⊥ × Ez . 2 c ckl c2



− kz2 E⊥ = −ikz ∇⊥ Ez +

(10.5.9)

Mithilfe dieser Gleichungen können die transversalen Komponenten aus den longitudinalen bestimmt werden.

Randbedingungen für TE- und TM-Wellen Setzt man Ez = 0, so ist das elektrische Feld rein transversal. Diese Wellen sind die sogenannten TE-Wellen, für die die Randbedingungen zu bestimmen sind, wobei natürlich (10.5.1) einzuhalten ist. Multipliziert man die 2. Zeile

386

10 Elektromagnetische Wellen

von (10.5.9) skalar mit dem Normalenvektor der Oberfläche n und berücksich∂Bz  tigt, dass n · B = 0, so erhält man  = 0; S bezeichnet die Oberfläche ∂n S des Hohlleiters. Im anderen Fall setzt man Bz = 0 und erhält so ein rein transversales magnetisches Feld. Die zugehörigen Wellen sind die TM-Wellen. Aus (10.5.1) folgt,   dass Ez  = 0 , da Ez eine Tangentialkomponente von E ist. S

Rechteckige Hohlleiter

Für einen Hohlleiter mit rechteckigem Querschnitt (siehe Abb. 10.10) mit den Seiten Lx und Ly gelten am Rand die Bedingungen Bx = 0,

Ey = 0,

Ez = 0,

fu ¨r x = 0

und x = Lx ,

By = 0,

Ez = 0,

Ex = 0,

fu ¨r y = 0

und

y = Ly .

Wir greifen auf den Lösungsansatz für E im Rechteck (10.5.2) zurück und nehmen für die z-Richtung eine fortlaufende, komplexe Welle: Ex (x, t) = Ax eikz z−iωt cos(kx x) sin(ky y), ikz z−iωt

sin(kx x) cos(ky y),

ikz z−iωt

sin(kx x) sin(ky y) .

Ey (x, t) = Ay e Ez (x, t) = Az e

kx = nx π/Lx , ky = ny π/Ly ,

(10.5.10)

Das Gauß’sche Gesetz   ∇ · E = ikz Az − (kx Ax + ky Ay ) eikz z−iωt sin(kx x) sin(ky y) = 0 (10.5.11)

reduziert die Zahl der unabhängigen Amplituden (Polarisationsrichtungen) auf zwei. Aus der Induktionsgleichung kl B = − ki rot E folgt Bx (x, t) = − ki (kˆy Az − ikˆz Ay ) eikz z−iωt sin(kx x) cos(ky y), l

By (x, t) = − ki (ikˆz Ax − kˆx Az ) eikz z−iωt cos(kx x) sin(ky y),

kˆi = ki /k, (10.5.12)

l

Bz (x, t) = − ki (kˆx Ay − kˆy Ax ) eikz z−iωt cos(kx x) cos(ky y), l

mit der Dispersionsrelation n2y π 2 n2x π 2 ω2 2 + + k = . z L2x L2y c2 Einteilung der Lösung Wir unterscheiden die Lösungen

(10.5.13)

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

387

1. TE-Wellen: Die transversale elektrische Welle hat Ez = 0 und Bz = 0 ; sie genügt der zweidimensionalen Laplace-Gleichung Δ⊥ E = 0 . Am Rand S ∂Bz = 0. ist ∂n 2. TM-Wellen: Die transversale magnetische Welle hat Bz = 0 und Ez = 0 und erfüllt Δ⊥ B = 0 . Am Rand ist Ez = 0. 3. TEM-Wellen: Es gibt im Hohlleiter keine Wellen mit Ez = Bz = 0 (wohl aber im Koaxialleiter) . Die allgemeine Lösung ist eine Superposition von TE- und TM-Wellen. Zunächst stellen wir fest, dass für die transversalen Wellenzahlen kx = ky = 0 die Felder E = B = 0 verschwinden. Es gibt also eine niedrigste kritische Frequenz ωcte = c

π Lmax

Lmax = max(Lx , Ly ) ,

(10.5.14)

wobei aus (10.5.10) und (10.5.12) ersichtlich ist, dass die Lösung eine TE-Welle ist. Ist nun nx = ny = 1, so können wir mit Az = 0 erreichen, dass Ez = 0 und die Lösung ist die TM-Welle mit der niedrigsten, d.h. der kritischen Frequenz * π2 π2 tm ωc = c + 2. (10.5.15) 2 Lx Ly Unterhalb dieser existieren keine Wellen des entsprechenden Typs im Hohlleiter. Schnittgeschwindigkeit Zu jeder Mode (nx , ny ) gibt es eine minimale Frequenz als Funktion von nx und ny : *

n2y π 2 n2x π 2 1 2 , ω⊥ = + ⇒ k = ω 2 − ω⊥ z L2x L2y c ω c c vp = = = ≥ c. (10.5.16) 2 ω kz sin 1 − ω⊥2 vp ist die Laufgeschwindigkeit der Welle (Phasengeschwindigkeit) in z-Richtung. Zum besseren Verständnis betrachten wir die TE-Welle mit nx = 1, ny = 0. Die einzige nicht verschwindende Komponente von E, Ey =

Ay  ik·x ik ·x  −iωt e −e e 2i

mit k = (

π π , 0, kz ) u. k = (− , 0, kz ), Lx Lx

besteht aus der Superposition zweier Wellen in der xz-Ebene mit dem Winkel zur x-Achse, wie in Abb. 10.12 skizziert (cos = ±ω⊥ /ω). Wir können uns Ey entstanden denken aus der fortlaufenden Reflexion der Wellen an den

388

10 Elektromagnetische Wellen

z 6 k

K

vp

6 k  

x -

Abb. 10.12. Im Hohlleiter bewegt sich die Wellenfront mit c entlang k = (kx , 0, kz ) bzw. k = (−kx , 0, kz ) und die Phasengeschwindigkeit in z-Richtung ist dann vp = c/ sin 

Grenzflächen, wobei die Laufgeschwindigkeit vp gleich der Schnittgeschwindigkeit der Wellenebene mit den Flächen x = 0 und x = Lx ist. Wellenpaket und Gruppengeschwindigkeit Superponiert man ebene Wellen, so ergibt das ein Wellenpaket ˆ d3 k Ψ (x, t) = F (k) eik·x−iωt , (2π)3 das dem Gewicht der Amplituden F (k) der ebenen Partialwelle eik·x−iωt und der Dispersion ω = ω(k) entsprechend lokalisiert ist. Eine breite k-Verteilung führt zu einem auf einen engen Raum begrenzten Wellenpaket. Umgekehrt hat ein Wellenpaket mit einer schmalen k-Verteilung eine große Ausdehnung im Ortsraum. Unter der Annahme, dass f (k) nur in einem kleinen Bereich um k0 nicht verschwindet, erhält man aus der Taylorentwicklung ω(k) ≈ ω(k0 ) + vg · (k−k0 ),

vg =

∂ω(k0 ) , ∂k

(10.5.17)

wobei vg die Gruppengeschwindigkeit des Wellenpaketes ist. Setzt man für k = k0 +k ein und führt eine um k = 0 zentrierte Verteilung f (k ) = F (k0 +k ) ein, so ergibt sich ˆ  d3 k  ik0 ·x−iω0 t Ψ (x, t) = e f (k ) eik ·(x−vg t) . ψ(x, t), ψ(x, t) = (2π)3 ψ(x, t), die Einhüllende des Wellenpaketes, bewegt sich mit der Gruppengeschwindigkeit vg . Dieser Bewegung überlagert ist eine ebene Welle, die sogenannte Führungswelle, mit der Phasengeschwindigkeit vp = ω0 /k0 . Auf den Hohlleiter zurückkommend, ist das Wellenpaket eindimensional (kz ) mit der Gruppengeschwindigkeit * ω2 dω  vg =  = c 1 − ⊥2 , dkz ω0 ω0 die, wie es sein muss, stets kleiner als c ist.

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

389

Hohlleiter mit kreisförmigem Querschnitt Wir unterscheiden jetzt von vornherein TM-Wellen und TE-Wellen und untersuchen diese getrennt. y

6 -

z

x



2a

-

Abb. 10.13. Hohlleiter mit Kreisquerschnitt vom Radius a

TM-Wellen Für TM-Wellen ist Bz = 0, so dass in erster Linie die Komponente Ez von Interesse ist, für die in z-Richtung eine fortlaufende ebene Welle angesetzt wird Ez (x, t) = Ez ( , ϕ) eikz z−iωt .

(10.5.18)

Der Symmetrie der Konfiguration angepasst, nimmt man für die Wellengleichung E = 0 den Laplace-Operator in Zylinderkoordinaten (3.4.1) und separiert z-Komponente ab: 



 ω2 1 ∂2 1 ∂ ∂ 2

− Ez ( , ϕ) = 0 . − + k z c2

∂ ∂ 2 ∂ϕ2

(10.5.19)

Wie im Abschnitt 3.4.1 vorgeführt, machen wir für Ez ( , ϕ) = R( ) Φ(ϕ)

mit

einen Produktansatz und erhalten 1 ∂ ∂ n2  2

+ k⊥ − 2 R( ) = 0

∂ ∂

Φ(ϕ) = An cos(nϕ) + Bn sin(nϕ)

mit

2 k⊥ = k 2 − kz2 .

(10.5.20)

Mit k⊥ > 0 ist (10.5.20) die Bessel’sche Differentialgleichung mit den im Ursprung regulären Lösungen Jn (k⊥ ) . Legen wir noch das Koordinatensystem so, dass Bn = 0, so ist Ez ( , ϕ) = An Jn (k⊥ ) cos(nϕ)

mit

Jn (k⊥ a) = 0 .

(10.5.21)

Sei xnl die l-te Nullstelle Jn (xnl ) = 0, so ist knl = xnl /a die zugehörige Wellenzahl mit n ≥ 0 und l ≥ 1. Wir haben wiederum diskrete, transversale Wellenzahlen. Die kritische (niedrigste) Frequenz der TM-Welle ist bestimmt durch n = 0 und l = 1

390

10 Elektromagnetische Wellen

ωctm = c k01 .

(10.5.22)

Einige Werte für xnl sind in der Tab. B.3, S. 620 angeführt. Für die Phasengeschwindigkeit in z-Richtung gilt

ω kz ω dω 2 , vp = = =c , , ω = c kz2 + knl vg = 2 2 kz dkz k k − knl  2 . da ω = c kz2 + knl 2 Anmerkung: Lösungen mit k⊥ < 0 sind die modifizierten Bessel-Funktionen, von denen nur In im Ursprung regulär sind. Diese haben jedoch keine Nullstellen, so dass Ez (a) = 0 nicht auf dem ganzen Kreis erfüllt werden kann. Für TM/TE-Wellen stehen E⊥ und B⊥ orthogonal aufeinander.

TE-Wellen In TE-Wellen ist Ez = 0. Bei Berechnung von Bz kann direkt auf die Ergebnisse der TM-Wellen zurückgegriffen werden. Mit dem Ansatz (10.5.18) Bz (x, t) = Bz ( , ϕ) eikz z−iωt

(10.5.23)

erhält man Bz ( , ϕ) = An Jn (k⊥ ) cos(nϕ)

mit

dJn (k⊥ a) = 0. d

(10.5.24)

Aus (10.5.9) folgt, dass in TE-Wellen  ω2  − kz2 B⊥ = −ikz ∇⊥ Bz . c2

Daraus folgt für die Randbedingung n·B= 0



∂Bz = 0. ∂

Die transversalen Frequenzen sind jetzt durch die Maxima und Minima ξnl und k⊥ = ξnl /a bestimmt. Die kritische Frequenz ist ω = cξ11 /a. Koaxialleiter In Abb. 10.14 ist der Querschnitt durch ein Koaxialkabel skizziert. Anders als in Hohlleitern sind hier neben TE- und TM-Wellen auch TEM-Wellen möglich. Der Koaxialleiter kann TEM-Wellen „beliebiger“ Frequenz mit c bzw. c¯, wenn sich im Koaxialkabel ein Medium befindet, übertragen, d.h., es eignet sich zur Übertragung breiter Frequenzbänder.

10.5 Wellen in Hohlraumresonatoren und Hohlleitern

391

y

6

φb φa

-

x

- 2a  

-

2b

Abb. 10.14. Querschnitt durch ein Koaxialkabel

TEM-Wellen Wir gehen von den in transversale und longitudinale Anteile zerlegten Maxwell-Gleichungen (10.5.8) aus und setzen, gemäß der Definition von TEMWellen Ez = Bz = 0 (a) ∇⊥ · E⊥ = 0

(b) ∇⊥ × E⊥ = 0 ∇z × E⊥ = (iωkl /c) B⊥

(10.5.25)

(c) ∇⊥ × B⊥ = 0 (d) ∇⊥ · B⊥ = 0 ∇z × B⊥ = −(iω/ckl) E⊥ . Setzen wir in (10.5.9) Ez = Bz = 0, so erhält man für TEM-Wellen die Dispersion  ω2  − kz2 E⊥ = 0 2 c

 ω2  − kz2 = 0 . 2 c



(10.5.26)

Ferner folgt aus E = 0 mit (10.5.26), dass Δ⊥ E⊥ = 0. Es genügen demgemäß E⊥ und B⊥ der zweidimensionalen Laplace-Gleichung. Nach (10.5.25) (0) ist rot E⊥ = 0, weshalb (0)

E⊥ = −∇φ(x, y). (0)

Aus ∇⊥ · E⊥ = 0 folgt Δ⊥ φ = 0 . Das Potential ist auf einem idealen Leiter konstant, d.h. φa = φ(a) und φb = φ(b), weshalb φ nur von abhängt: Δ⊥ φ( ) =

1 ∂ 1 ∂ φ( ) = 0

∂ ∂

φa = A ln a+C



φb = A ln b+C ⇒ A =

φ = A ln + C

φb −φa ln b−ln a

Für die TEM-Felder erhält man mittels (10.5.25)

C=

(10.5.27)

φa ln b−φb ln a . ln b−ln a

392

10 Elektromagnetische Wellen

a φa − φb 1 ikz z−iωt e e = E0 eikz z−iωt e , ln b − ln a

c ckz a B⊥ (x, t) = ∇z × E⊥ = E0 eikz z−iωt eϕ , ikl ω kl ω φa − φb 1 (0) E0 = E⊥ (a) = . ln b − ln a a E⊥ (x, t) =

(10.5.28) (10.5.29)

E0 ist die Stärke des elektrischen Feldes auf der Oberfläche des Innenleiters. Nun ist ckz /ω = 1 . In einem Medium wäre die rechte Seite noch mit n zu multiplizieren. Ohne Metalldraht wäre φ für = 0 singulär und es gäbe, wie im Hohlleiter, keine TEM-Lösung. Aufgaben zu Kapitel 10 10.1. Lineare, zirkulare und elliptische Polarisation: Zwei linear polarisierte monochromatische Wellen Ea,b (x, t) = E0a,0b eik·x−iωt mit k = k ez , von denen die erste in x- , die zweite in y-Richtung polarisiert sei, haben unterschiedliche Amplituden und Phasen. Bestimmen Sie die verschiedenen Möglichkeiten der Polarisation von E = Ea + Eb , die sich aus der Phasendifferenz und den Amplituden ergeben, insbesondere auch im Fall mit Ea = Eb . 10.2. Basis einer monochromatischen Welle: Geben Sie für die monochromatische Welle





E = a1 eiα1 1 + a2 eiα2 2 eik·x−iωt = I 1 eik·x−iωt die orthogonale Basis 1 und 2 an . 10.3. Kohärenzmatrix: Zeigen Sie, dass die Kohärenzmatrix von unabhängigen Lichtwellen E (n) die Summe der Kohärenzmatrizen der einzelnen Lichtwellen ist. 10.4. Eigenschwingungen im Inneren einer leitenden Hohlkugel Bestimmen Sie mithilfe des Hertz’schen Vektors die elektrischen und magnetischen Felder im Inneren einer Hohlkugel. Für die Eigenschwingungen erhalten Sie eine transzendente Gleichung. Hinweis: Zq soll auch im Mittelpunkt der Kugel regulär sein, d.h., man überlagert die auslaufende Kugelwelle mit einer einfallenden (∝ sin(kr)/r).

Literaturverzeichnis M. Born Optik, Springer Berlin (1933) M. Born & E. Wolf Principles of Optics, 6. ed. Pergamon Press, Oxford (1986) L. D. Landau & E. M. Lifschitz, Bd. 8 Elektrodynamik der Kontinua, 5. Aufl. Akademie-Verlag Berlin (1990)

11 Röntgen-Streuung

Zur Streuung elektromagnetischer Wellen Thomson-Streuung Ein freies Elektron schwingt mit dem elektrischen Feld der Licht-/RöntgenWelle und erzeugt so eine Dipolstrahlung gleicher Frequenz. Die Streuwelle ist eine sphärische Welle mit der für Dipolfelder typischen Winkelverteilung. Die Stärke der Wechselwirkung ist durch den klassischen Elektronenradius re bestimmt. Streuung an einer Ladungsverteilung Bei der Streuung an einem Atom (Molekül) gehen die Streuwellen von verschiedenen Raumpunkten aus und haben daher verschiedene Phasen. Die Streuwellen interferieren, wobei die Phasendifferenzen von der Richtung abhängen unter der man das Atom beobachtet. Einfallende und gestreute Welle haben gleiche Frequenz. Streuung an einem Kristallgitter Trifft die elektromagnetische Welle auf ein Kristallgitter, haben die asymptotischen Streuwellen der einzelnen Atome in Vorwärtsrichtung keine Phasenunterschiede und ihre Intensität ist dort maximal. Schon bei kleinen Abweichungen von der Vorwärtsrichtung interferieren die Wellen destruktiv, so dass wir dort keine Strahlung beobachten. Man kann jedoch den Wellenvektor k der einfallenden Welle so wählen, dass in einer weiteren Richtung die Interferenz wieder konstruktiv wird. Dann tritt neben dem durchgehenden Strahl auch ein gebeugter Strahl auf. Das ist der Fall, wenn die Differenz von einfallendem Strahl k und gebeugtem Strahl k gleich einem Vektor g aus dem reziproken Gitter ist, wobei jedoch, da die Streuung elastisch ist, |k | = |k|. Dann ist die Bragg-Bedingung erfüllt. Grafisch kann das mittels einer Kugel vom Radius k, der sogenannten Ewald-Kugel, dargestellt werden. k, dessen Richtung und Länge ja vorgegeben sind, zeige vom Mittelpunkt der Kugel zu einem Punkt © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_11

394

11 Röntgen-Streuung

des reziproken Gitters. Liegt auf der Oberfläche der Ewald-Kugel ein weiterer Gitterpunkt, so ist die Bragg-Bedingung erfüllt, da beide Vektoren gleich lang sind und die Differenz ein Vektor aus dem reziproken Gitter ist. Bei dieser Beschreibung der Streuung wird angenommen, dass weder die einfallende Welle durch die Streuung geschwächt wird, noch die Streuwellen an weiteren Gitteratomen gestreut werden. Die Streuung ist kinematisch. Dynamische Beugung Jetzt nehmen wir an, dass sich sowohl die einfallende Welle als auch die Streuwelle in einem Medium mit periodischer dielektrischer Funktion befinden, wobei für Röntgen-Strahlung die mittlere Dielektrizitätskonstante nahezu 1 ist (|1 − |  10−5 ). Wir suchen jetzt Lösungen für die Maxwell-Gleichungen im Medium, einem Einkristall, wenn auf diesen eine einfallende ebene Welle trifft. Ist man weit von einer Bragg-Bedingung entfernt, so geht die Welle (fast) ungestört durch den Kristall. Nahe der Bragg-Bedingung besteht die (näherungsweise) Lösung aus zwei Wellenfeldern mit leicht unterschiedlichen Wellenvektoren, die interferieren und so Intensitätsoszillationen bilden (Pendellösungen). Charakteristisch ist auch eine anomale Absorption, da die beiden Wellenfelder im Kristall unterschiedlich stark gedämpft werden: Ein Wellenfeld hat die Maxima zwischen den Atomen, eines bei den Atomen; Letzteres wird stärker geschwächt. Jedes dieser Wellenfelder setzt sich aus einer transmittierten und einer reflektierten Welle zusammen, die einzeln keine Lösungen der Maxwell-Gleichungen sind. An der Rückfläche des Kristalls trennen sich die austretenden Wellen in einen transmittierten und einen reflektierten Strahl. In sehr dünnen Kristallen, deutlich unter 100 μm, steigt die Intensität der gestreuten Welle gleich wie in der kinematischen Streuung mit der Dicke an. Darüber hinaus macht sich die Erhaltung des Energiestroms bemerkbar nach der bei Abwesenheit von Absorption die Gesamtintensität von transmittiertem und reflektiertem Strahl gleich der des einfallenden Strahls sein muss. Da jedoch die transmittierten und die reflektierten Wellen im Kristall kohärent sind, kommt es zu Oszillationen zwischen transmittierter und reflektierter Intensität. Die dynamische Theorie der Elektronen- und insbesondere der Neutronenbeugung ist der von Röntgen-Strahlung sehr ähnlich. In Teilchenstrahlen ist jedoch, statt der Maxwell-Gleichungen, die Schrödinger-Gleichung für die Dynamik verantwortlich. Die Lösungsmethode selbst hat Analogien zu schwach gebundenen Elektronen im Festkörper1 .

1 Die Energie-Eigenwerte schwach gebundener Teilchen sind nahe der Zonengrenze (Bragg-Ebene) durch ein zwei-Niveau-System (2 × 2-Matrix) mit geringer Aufspaltung gegeben. Bei der Streuung hat man dasselbe Gleichungssystem, nur sucht man die Wellenvektoren zu vorgegebener Energie.

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

395

Die Teilchen haben im Kristall nahe einer Bragg-Ebene eine sehr geringe effektive Masse, d.h., es genügt ein sehr kleiner Impuls, um die Richtung der Teilchen drastisch zu ändern.

11.1 Streuung von Licht an Elektronen 11.1.1 Streuung an freien Elektronen Der grundlegende Mechanismus für die Streuung von Licht an ruhenden Elektronen geht auf J. J. Thomson [1893] zurück. Die Elektronen folgen dem elektrischen Feldvektor des Lichtes und werden so zu Schwingungen angeregt. Man hat dann oszillierende Dipole, die eine Hertz’sche Dipolstrahlung aussenden. Soweit die Frequenz der einfallenden Strahlung nicht zu hoch ist, hat die Dipolstrahlung dieselbe Frequenz wie die einfallende Welle. Wird die Frequenz zu hoch, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Elektron von der Lichtwelle, d.h. vom Photon, einen Stoß bekommt und wegfliegt; die gestreute Strahlung hat dann eine entsprechende geringere Frequenz. Das ist der Compton-Effekt, auf den im Abschnitt 14.3.2 näher eingegangen wird. Für unsere Zwecke genügt es, im Auge zu behalten, dass die folgenden Überlegungen nur für Wellenlängen gelten, die deutlich über der ComptonWellenlänge (siehe Tab. C.7, S. 643) λc = 2.43 × 10−10 cm liegen. Licht mit λ < λc stößt das Elektron mit hoher Wahrscheinlichkeit weg. Man spricht dann besser von Teilchen (Photonen) als von Lichtwellen. Bei den einfallenden elektromagnetischen Wellen hat man es meist mit Röntgen-Strahlen zu tun, deren Wellenlängen im Ångström-Bereich liegen. Die Elektronen der Elektronhülle von Atomen mit Bindungsenergien in der Größe von Elektronenvolt können, verglichen mit der Energie von 10 keV des Röntgen-Strahls, als frei betrachtet werden. Bei dieser Energie hat man, wie in der Einleitung dargelegt, eine Wellenlänge von 1.24 Å und eine Frequenz von ν = c/λ = 2.41 · 1018 Hz. Die Potentiale einer einfallenden ebenen Welle sind φ(x, t) = 0

A(x, t) = A0 ei(k·x−ωt) .

und

(11.1.1)

Daraus ergeben sich die Felder ω kl ∂A kl ∂A − ∇φ = − = ikl A c ∂t c ∂t c ˆ B(x, t) = ∇×A = ik×A = (1/kl ) k×E. E(x, t) = −

(11.1.2) (11.1.3)

ˆ = k/k . Der mittlere Energiefluss des einfallenden Hier sind ω = k c und k Strahls ist durch den Poynting-Vektor (8.2.64) gegeben: S =

ckl E×B∗ 8πkc

(11.1.3)

=

c ˆ = 1 |E0 |2 k. ˆ |E0 |2 k 8πkc 2Z0

(11.1.4)

396

11 Röntgen-Streuung

c Hierbei sind Z0 = 4πk c der Vakuumwellenwiderstand (8.2.65’) und

E(x, t) = E0 ei(k·x−ωt) .

(11.1.5)

Auf das anfänglich im Ursprung ruhende Elektron wirkt die Coulomb-Kraft s = eE(s, t) ≈ eE0 e−iωt me¨

(11.1.6)

und zwingt dem Elektron oszillatorische Bewegungen auf. Die Situation ist der Abb. 11.1 zu entnehmen. Wir gehen davon aus, dass das Elektron nur Geschwindigkeiten v0  c erreicht. Der Lorentz-Anteil e(kl /c) v × B darf dann vernachlässigt werden. Für (11.1.6) führt der Ansatz s = s0 e−iωt zu

.

|s0 | = v0 =

e0 E0 me ω

s0 =

und

e0 E0 v0 . = 2 me ω ck

(11.1.7)

Das rechfertigt die Annahme E(s, t) = E0 (0, t), da mit v0 /c  1 auch ks0 = v0 /c  1. Für Röntgen-Strahlung von ω = 10 keV (λ = 1.24 Å) wären Feldstärken von E0 ≈ 8.7×109 statV cm−1 = ' 2.6×1014 V m−1 notwendig, damit v0 /c=0.01. Mit dieser Feldstärke ist s0 = 2×10−11 cm. Man sieht nicht nur, dass alle Voraussetzungen für die klassische Behandlung eingehalten sind, sondern auch, dass für ein Atom/Molekül die Phasenunterschiede zwischen den Streuwellen der einzelnen Elektronen relevant sind. Durch die Bewegung der Ladung ϕ0 x

y





  



ik·x−iωt



E = E0 e





  











s

θ



*x ϑ

0

z

Abb. 11.1. Das elektrische Feld E der einfallenden Strahlung regt das Elektron zu Hertz’schen Dipolschwingungen mit der Auslenkung s(t) an, wobei die maximale Auslenkung s0  λ

entsteht das oszillierende Dipolmoment p(t) = e s(t) =

e20 E0 e−iωt . me ω 2

(11.1.8)

Die Strahlungsfelder dieses Dipolmoments sind nach (8.4.12) re ikr−iωt kc p ¨ (tr )×er = e E0 ×er , kl c2 r kl r     re kc ¨(tr )×er = − er × eikr−iωt E0 ×er . Es (x, t) = − 2 er × p c r r

Bs (x, t) =

(11.1.9)

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

397

tr = t−r/c ist die retardierte Zeit und re = kc e2 /me c2 der klassische Elektronenradius. Die Streuwellen sind Kugelwellen mit re als Vorfaktor. Intensität und Polarisation Bei der Streuung betrachtet man die ins Raumwinkelelement dΩ abgestrahlte Energie. Bei dem durch das elektrische Feld bewegten Elektron haben wir in der Fernzone eine elektrische Dipolstrahlung, für die wir in (8.4.14) und (8.4.15) die Intensitäten hergeleitet haben: kl 1 re2 Es ×B∗s = |E0 |2 er . (11.1.10) 2Z0 2Z0 r2 Daraus bekommt man für die ins Raumwinkelelement dΩ gestreute Strahlung, dividiert durch den Fluss der einfallenden Strahlung (11.1.4) Ss  =

dσ |Ss | 2 |Es0 |2 = r = = re2 sin2 θ . (11.1.11) dΩ |S| |E0 |2 Nach Abb. 11.1 ist die Fortpflanzungsrichtung der ebenen Welle k = kez . Die transversale Schwingungsebene des elektrischen Feldes ist in der xy-Ebene durch ϕ0 festgelegt: E0 = E0 (cos ϕ0 ex + sin ϕ0 ey ) . Parallel zu E schwingt p. θ ist bestimmt durch das Skalarprodukt E0 ·er = E0 cos θ = cos ϕ0 ex · er + sin ϕ0 ex · er   = E0 sin ϑ cos ϕ0 cos ϕ + sin ϕ0 sin ϕ = E0 sin ϑ cos(ϕ−ϕ0 ).

Bei unpolarisierten X-Strahlen sind die ϕ0 statistisch verteilt und mitteln sich heraus: sin2 ϑ cos2 θ = sin2 ϑ cos2 (ϕ0 −ϕ) = . 2 Für den differentiellen Streuquerschnitt unpolarisierter Röntgen-Strahlung an einem freien Elektron erhält man die in Abb. 11.2 dargestellte Thomson’sche Streuformel dσ 1  = re2 (1+cos2 ϑ) . (11.1.12)  dΩ 2 re2 ≈ 8 × 10−26 cm2 = 0.08 barn ist die für den differentiellen Streuquerschnitt charakteristische Fläche. Die gleiche Winkelabhängigkeit erhält man für ein in der xy-Ebene kreisendes Elektron. Die Intensität selbst ist zwar axialsymmetrisch, doch gilt das nicht für die einzelnen einfallenden linear polarisierten Wellen. Eine unter ϕ0 einfallende Welle wird mit sin2 θ = 1 − sin2 ϑ cos2 (ϕ−ϕ0 )

(11.1.13)

bevorzugt in die auf ϕ0 senkrecht stehende Richtung ϕ = ϕ0 ± π/2 gestreut. Die Streustrahlung der unpolarisiert einfallenden Röntgen-Strahlen ist somit teilweise polarisiert.

398

11 Röntgen-Streuung

Totaler Wirkungsquerschnitt Die Winkelintegration ergibt den totalen Thomson-Streuquerschnitt ˆ ˆ π   8πre2 r2 2π = 0.665×10−24 cm2 . (11.1.14) dϕ sin ϑdϑ 1+cos2 ϑ = σt = e 2 0 3 0

Die Thomson-Streuung ist elastisch, d.h., das Elektron schwingt genau mit der Frequenz der einfallenden Strahlung. Das gilt nur für „große“ Wellenlängen. Bei hinreichend kleiner Wellenlänge λ ∼ λc ≈ 2.4 × 10−2 Å, der Compton-Wellenlänge des Elektrons (Tab. C.7, S. 643), versetzt das Photon dem Elektron einen (elastischen) Stoß. Mittels der Energie-Impulserhaltung wird im Abschnitt 14.3.2 die Frequenz der Streustrahlung berechnet. 1 dσ re2 dΩ 6 1

1 2

0

π 2

0

-

π ϑ

Abb. 11.2. Der (mittlere) differentielle Streuquerschnitt der Thomson-Streuung in Abhängigkeit vom Streuwinkel ϑ

Die Thomson-Formel gilt also nur für Wellenlängen λ λc . Für RöntgenStrahlen mit λ > 0.5 Å ist diese Bedingung erfüllt. Die in der Röntgen-Streuung verwendeten charakteristischen Strahlungen liegen zwischen 0.55 Å (Ag) und 2.3 Å (Cr). 11.1.2 Streuung an schwach gebundenen Elektronen Einen phänomenologischen Ansatz zur Polarisierbarkeit von Atomen gibt das Lorentz-Drude- oder Oszillator-Modell (5.5.5). Die Elektronen j sind je nach Stärke der Bindungskräfte mit Federn kj = me ωj2 an den Kern gebunden und unterliegen einer Dämpfung γj , in der alle Prozesse inkludiert sind, durch die das Elektron Energie verliert   me x ¨j + γj xj + ωj2 xj = −e0 E0 e−iωt .

.

Wiederum ist das elektrische Feld E periodisch in der Zeit, was dann auch für das Dipolment des Elektrons, das mit E schwingt, gilt: pj = −e0 xj =

1 e20 E = αj (ω) E. me ωj2 − ω 2 − iγj ω

(11.1.15)

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

399

Der Beitrag des j-ten Elektrons zur Polarisierbarkeit (5.5.6) ist somit αj (ω) =

1 e20 . 2 2 me ωj −ω −iγj ω

(11.1.16)

Wir setzen nun p (11.1.15) in das Streufeld (11.1.9) ein: Es = re αj (ω) er × (E0 × er )

eikr−iωt . r

(11.1.17)

In Hinsicht auf das Streufeld (11.1.9) hat sich nur die Polarisierbarkeit des Elektrons geändert, indem wir α = −e2 /me ω 2 durch (11.1.16) ersetzt haben. Dementsprechend unterscheiden sich die Streuwellen der freien und der schwach gebundenen Elektronen nur durch den Faktor −αj ω 2 , weshalb der differentielle Streuquerschnitt (11.1.12) für die schwach gebundenen Elektronen nur mit |ω 2 αj |2 multipliziert werden muss:    dσ 1 dσ ω4 = |ω 2 αj (ω)|2 = re2 1 + cos2 ϑ . (11.1.18) dΩ dΩ t 2 (ω 2 − ωj2 )2 + γj2 ω 2 Die rechte Seite setzt wiederum einfallendes unpolarisiertes Licht voraus. Das gestreute Licht ist jedoch in Bezug auf seine Polarisation gemäß (11.1.13) nicht axialsymmetrisch. Rayleigh-Streuung Für Frequenzen die kleiner sind als die Anregungsfrequenzen ωj , ω  ωj , vereinfacht sich (11.1.18) zu   4 dσ ω dσ = . (11.1.19) dΩ dΩ t ωj4 Die hier in Frage kommenden Frequenzen sind im sichtbaren Bereich und darunter. Sonnenstrahlen, die auf Partikel der Luft treffen, erzeugen in diesen mitschwingende elektrische Momente, die ihrerseits Licht ausstrahlen. Kürzere Wellenlängen werden stärker gestreut, so dass sichtbares Licht eine Frequenzverschiebung zur blauen Farbe hin erfährt. Die Rayleigh-Streuung wird sowohl zur Erklärung der blauen Farbe des Himmels, als auch der Rotfärbung der untergehenden Sonne herangezogen. Im letzteren Fall wird auf dem längeren Weg durch die Atmosphäre der kurzwellige Anteil vermehrt weggestreut, so dass der langwellige Anteil überwiegt. Resonanzstreuung Für Frequenzen ω ≈ ωj hat der differentielle Streuquerschnitt (11.1.18) eine Resonanz, deren Breite von der Stärke der Dämpfung γj abhängt. Gibt ein gebundenes Elektron Streustrahlung ab, so muss in der Bewegungsgleichung

400

11 Röntgen-Streuung

neben der externen Kraft noch die dissipative Kraft Frad (8.5.2) berücksichtigt werden, die durch die Abraham-Lorentz-Gleichung gegeben ist: Frad = kc

2e2 ωj2 2e2 (8.5.7) v ¨ v = −me γj v = −k c 3c3 3c3

(den Index j des betrachteten Elektrons haben wir in Kraft und Geschwindigkeit unterschlagen). Verwendet wurde, dass bei gebundener Bewegung v ¨ = −ωj2 v (siehe (8.5.7)). Jetzt setzen wir in die Abraham-Lorentz’sche Bewegungsgleichung (8.5.4) ein und erhalten die Bewegungsgleichung (8.5.8) des gedämpften harmonischen Oszillators

.

me v = Fext − me γj v .

(11.1.20)

Die aus der alleinigen Strahlungsrückwirkung resultierende Dämpfung ist sehr klein, so dass die Resonanz in (11.1.18) sehr scharf wird. In Abb. 11.3 ist der

σ σt



10 γj /ωj = 0.25

σt ωr

2

4 → ω/ωj

Abb. 11.3. Resonanzstreuung an einem Elektron; σt ist der Thomson-Streuquerschnitt, ωj ist die Frequenz des Oszillators und γj seine Dämpfung

Verlauf des totalen Streuquerschnittes σ(ω) = σt

ω4 (ω 2 −ωj2 )2 +γj2 ω 2

σr = σ(ωr ) = σt

ωj2 1 γj2 1−γj2/4ωj2



ωr2 ≈

ωj2 , 1−γj2/2ωj2 (11.1.21)

als Funktion von ω skizziert, wobei die Frequenz der Resonanz ωr für stärkere Dämpfung γj geringfügig zu höheren Frequenzen verschoben wird, die Schärfe der Resonanz aber drastisch abnimmt. Die Linienbreite der Resonanz ist durch γj bestimmt. Wir versuchen eine Abschätzung, wobei wir das H-Atom heranziehen. ωj sei durch den Übergang vom Grundzustand mit n = 1 in den Zustand n = 2 bestimmt (Lyman-Serie), dessen Energie gemäß (C.2.14) gegeben ist durch

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

kc2

me e 4  1 = ω0 1− 2 2 4



ω0 =

3 me c2 α2f 8

und αf = kc

401

e2 1 ≈ . c 137

αf ist die Feinstrukturkonstante. ωj = ω0 ist jetzt die für das Modell relevante Oszillatorfrequenz. Hat man keine weitere Dämpfung als die Strahlungsrückwirkung, so ist γ0 = kc

2e2 2 2 ω0 1 ω0 = αf ω0 = α3f . 3 2 3me c 3 me c 4

Der dimensionslose Faktor für die Dämpfung und die Höhe der Resonanz sind γ0 1 8π 2 16 2π  8 ab 2 = α3f und σr = . (11.1.22) re 6 σr = ω0 4 3 αf 3 αf Man spricht in diesem Fall bei γ0 von der natürlichen Linienbreite. Gibt man den Streuquerschnitt mit σr = π R2 an, so ist R ∼ 900 ab , wobei ab = 0.529 Å der Bohr’sche Radius ist. Eine Verbreiterung der Linien, verbunden mit einer Frequenzverschiebung, ist unter anderem auf die Bewegung der Atome (Doppler-Verbreiterung) oder auf den Rückstoß, den das emittierte (absorbierte) Photon (γ-Quant) auf das Atom überträgt, zurückzuführen. In manchen Kristallen kann der Rückstoß jedoch vom Kristallgitter aufgenommen worden, wie von 57 Fe bei ω0 = 14.4 keV. Das ist der Mößbauer-Effekt. Man erreicht Linien, die so scharf sind (γ0 /ω0 ∼ 10−13 ), dass an ihnen der Energieverlust des Photons im Gravitationsfeld der Erde nachgewiesen werden kann. 11.1.3 Streuung an einer Ladungsverteilung Nach dem Beitrag eines einzelnen Elektrons zur Streuung wird nun der Beitrag eines Atoms, d.h. einer Ladungsverteilung, berechnet, indem die Streuwellen der einzelnen Elektronen aufsummiert werden. Dazu benötigt man den Ausdruck für die gestreute Welle (11.1.9), wenn sich das Elektron nicht im Ursprung, sondern am Ort x befindet, wie in Abb. 11.4 skizziert.

O

x

k

* q

O

-W

k

Abb. 11.4. Die Streuung an einer Ladungsverteilung; um O sieht man die Phasenverschiebung q · x zwischen O und x , sie ist hier gering; q ist der Streuvektor

Die einfallende Welle, die am Ursprung den Wert E0 hatte, hat am Ort x  mit E0 eik·x einen zusätzlichen Phasenfaktor bekommen. Äußerdem ersetzt x−x x : man er = durch r |x−x |

402

11 Röntgen-Streuung

Es (x, x , t) = −re



 −iωt+ik|x−x |  x−x e x−x ik·x e × × E . 0 |x−x | |x−x | |x−x |

Die Differenz |x − x | von r muss nur im Exponenten berücksichtigt werden, was der Fernzone der Multipolstrahlung einer Ladungsverteilung entspricht: k|x − x | ≈ kr − k

x · x = kr − k ·x r

mit

k = k

x = ker . r

Die Aufsummation der Streuwellen ergibt so ˆ   n(x )    eikr−ik ·x −iωt . Es (x, t) = −re d3 x er × (E0 eik·x × er ) r

ρ(x) = e n(x) ist die Ladungsdichte der Elektronen des Atoms (Moleküls). Der atomare Formfaktor ˆ  f0 (q) = d3 x n(x ) e−iq·x mit dem Streuvektor q = k −k (11.1.23) ist definiert als Fouriertransformierte der Elektronendichte. Er berücksichtigt die endliche Ausdehnung des Systems durch die unterschiedlichen Phasen mit denen die einzelnen Bereiche zur Streuwelle beitragen. Anmerkung: Berechnungen der atomaren Formfaktoren sind in den internationalen Tabellen für Kristallografie zu finden. Die folgende Summe von Exponentialfunktionen ist eine Näherung für den Formfaktor von Silizium (siehe Tab. 10.5.9, S. 385): 4

f(

 2 sin θ ai e−bi (sin θ/λ) + c . )= λ i=1

Abb. 11.5 zeigt den mit obiger Näherung berechneten Formfaktor für Silizium. Tab. 11.1. Atomarer Formfaktor; Koeffizienten für Silizium a1 = 6.2915 a2 = 3.0353 a3 = 1.9891 a4 = 1.5410 b1 = 2.4386 b2 = 32.3337 b3 = 0.6785 b4 = 81.6937 c = 1.1407

Die atomare Streuwelle ist nun bestimmt als 1 (11.1.24) Es (x, t) = −re f0 (q) (er × (E0 × er )) eikr−iωt . r Der differentielle Wirkungsquerschnitt für das Atom ist so gegeben als     dσ dσ = |f0 (q)|2 . (11.1.25) dΩ a dΩ e

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

403

Dispersionskorrekturen In (11.1.23)–(11.1.25) sind die Elektronen freie Teilchen, was berechtigt ist, wenn man die ∼ 10 keV der Röntgen-Strahlung mit ∼eV Bindungsenergien der Elektronen vergleicht. In einer genaueren Studie wird man jedoch den Einfluss der Bindungskräfte der Elektronen an den Kern mitberücksichtigen, was zu sogenannten Dispersionskorrekturen führt. Gerade von den inneren Schalen, wo die Elektronen stärker lokalisiert sind, erwarten wir Beiträge zu f0 (q), die mit q schwächer abfallen als (11.1.23): f (q) = f0 (q) + Δf  − iΔf  .

(11.1.26)

Δf  (q) und Δf  (q) sind Dispersions- oder Hönl-Korrekturen. Sie hängen natürlich von ω ab, werden aber meist für eine konkrete X-Strahlung, wie CuKα1 , d.h. für ein bestimmtes ω angegeben, so dass die ω-Abhängigkeit nicht separat angeführt wird. Im Lorentz-Modell (5.5.7) ist die Bindung der Elektronen durch harmonische Kräfte zwischen Elektronen-Schalen und Kern gegeben. Die Schalen sind durch ihren Ladungsschwerpunkt als punktförmige Teilchen repräsentiert. Kombinieren wir nun die kontinuierliche Dichteverteilung nk (x) des kten Elektrons mit dem Oszillator-Modell (5.5.6), so erhalten wir eine verallgemeinerte Elektronendichte n ˜ (x) =



gk nk (x)

k

mit

gk =

 ωk2 γk  fk ω 2 ≈ f , 1 + −i k 2 2 2 ω − ωk + iγk ω ω ω

in der die gk die Resonanzen der Elektron-Photon-Wechselwirkung beinhalten. Anhand der gk ist ersichtlich, dass die Absorption über Δf  mit 1/ω abfällt f (q) =

 k

ˆ fk

 ω2 ω2 γk  γ = f0 (q) + 2 − i . d3 x e−ix·q nk (x) 1 + k2 − i ω ω ω ω

Für quantitative Aussagen greifen solche phänomenologischen Ansätze zu kurz. Die Röntgen-Streuung gibt also Auskunft über die Ladungsverteilung in Festkörpern. Die hier betrachtete Streuung ist kohärent, weil man die Amplituden der Streuwellen der einzelnen Ladungen superponiert. Werden jedoch die Intensitäten überlagert, so wird die Streuung als inkohärent bezeichnet. Interferenzeffekte treten nur in der kohärenten Strahlung auf. Die Erweiterung des Streuquerschnittes auf die (kohärente) Streuung an mehreren Atomen (Flüssigkeit, Kristall) ist evident. Sie wird später behandelt. Die entsprechende Theorie ist aus der Elektrodynamik und der Festkörperphysik bekannt. Die Streuung am Atom kann als Summe der Streuamplituden der einzelnen Elektronen aufgefasst werden. Weit vom Atom entfernt kann die Streuwelle

404

11 Röntgen-Streuung

15 fx ↑

k Iq

10



:

k

5

1/2λ 1/λ → (sin θ)/λ

Abb. 11.5. Atomformfaktor von Si (Z=14). θ ist der halbe Streuwinkel; die Kurve wurde für Mo-Kα Strahlung mit λ = 0.7107 Å gezeichnet

des Atoms als Kugelwelle betrachtet werden. Die Überlagerung der Kugelwellen von regelmäßig angeordneten Atomen führt zu Interferenzen, die ihren Ausdruck in der Bragg-Bedingung finden. Es ist dies eine rein geometrische Beziehung zwischen der Wellenlänge des einfallenden Strahls und dem starren Kristallgitter des Festkörpers. Der nächste Schritt, der über die Geometrie des Streuprozesses, die Kinematik, hinausführt wurde unabhängig von Ewald [1916] und von Laue (1917) gemacht. Diese dynamische Theorie bildet noch heute den wesentlichen Bestandteil der Röntgen-Beugung. Sie ist die Grundlage für die Kristalloptik mit X-Strahlen. Soviel zur elastischen Streuung. In der letzten Zeit jedoch ist die inelastische, d.h. die diffuse Streuung mehr in den Vordergrund gerückt. Obwohl die Anregungsenergien im Festkörper (Phononen, etc.) mit 0.01–0.1 eV um fünf Größenordnungen kleiner sind als die Energie des einfallenden Strahls, ermöglichen die immer weiter entwickelten Messmethoden eine immer bessere Auswertung der inelastischen Streuung. Um den klassischen nicht relativistischen Zugang zu rechtfertigen, sollte man auch die Geschwindigkeit abschätzen mit der sich Elektronen um den Kern bewegen. Ausgangspunkt sei ein wasserstoffartiges Atom mit der Kernladungszahl Z und dem Potential V = −Ze2 /r. Nach dem Virialtheorem gilt für die Erwartungswerte 2T  = x · ∇V  = −V 



E = T + V  = −T .

Die Energieeigenwerte sind bekanntlich [Schwabl, 2007, S. 131] En = −kc2

me Z 2 e 4 22 n2

n = 1, 2, . . .

(C.2.14)

Auf Kreisbahnen hat man eine konstante Geschwindigkeit v des Elektrons, die gegeben ist durch T  = me v 2 /2 , woraus folgt v = kc

Z e2 Z = cαf n  n

mit

αf = kc

e2 1 ≈ . c 137

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

405

Daraus wird ersichtlich, dass die Geschwindigkeiten der Elektronen in schwereren Kernen relativistisch zu behandeln sind. 11.1.4 Streuung am Gitter Nachdem wir die Streuung am Atom durch die Addition der Beiträge der einzelnen Elektronen angeben konnten, bestimmen wir nun die Streuung einer Lichtwelle an einem Kristall durch die Aufsummierung der Beiträge der einzelnen, regelmäßig angeordneten Atome zur Streuwelle. Analog zur Streuung am Atom, wo wir die Phasen der einfallenden Welle an den Orten der Elektronen zu berücksichtigen hatten, haben wir jetzt noch die Phasen der einfallende Welle an den Gitterpunkten hinzuzufügen. Lineare Kette Wir gehen jetzt von der atomaren Streuwelle (11.1.24) aus, wobei die Atome eine lineare Kette aus N = 2M + 1 Atomen bilden sollen. Die Kette mit der Gitterkonstante a liege auf der x-Achse. Es (x, t) = −re f0 (q)

M 

n=−M

 1 ikr−iωt  e er × E0 e−iq·anex × er . r

(11.1.27)

Nun ist (q = k − k) S(qx ) =

M 

e

−iqx an

=e

n=−M   sin qx2a N m ganz = = sin qx2a

2M 

e−iqx a(2M+1) −1 e−iqx a −1 n=0 a  qx a sin 2 (qx − 2πm sin ( 2 −mπ)N a )N  = . sin( qx2a −πm) sin a2 (qx − 2πm a )

iqx aM

e−iqx an = eiqx aM

Solange (im Limes N → ∞) der Nenner endlich ist, verschwindet aufgrund der raschen Variation des Zählers jedes Integral in diesem Bereich. Für Werte qx ≈ 2πm/a kann der Sinus im Nenner durch sein Argument genähert werden, und wir haben die übliche Darstellung für eine δ-Funktion (siehe Tab. B.4, S. 626). Für den Strukturfaktor erhalten wir so  ∞ ∞   sin a2 (qx − 2πm 2π  2πm  a )N δ qx − . (11.1.28) = S(qx ) = lim a 2πm N →∞ a a 2 (qx − a ) m=−∞ m=−∞ 2π/a ist die Gitterkonstante der zur linearen Kette reziproken Kette und g = 2πm/a ist ein Gitterpunkt dieser Kette. Obiger Strukturfaktor wird auch als Gitterdeltafunktion bezeichnet, da deren Beiträge in Form von δ-Funktionen nur von Punkten des reziproken Gitters kommen.

406

11 Röntgen-Streuung

Dreidimensionales Bravais-Gitter Ein Bravais-Gitter ist ein Punktgitter in dem alle Gitterpunkte die gleiche Umgebung haben. Es gibt drei Basisvektoren ai mit deren Hilfe man jeden Gitterpunkt erreichen kann: an =

3 

ni a i

ni = 0, ±1, ±2, . . .

mit

i=1

Eine primitive Einheitszelle enthält genau einen Gitterpunkt, wie das Parallelepiped, das von den drei Basisvektoren aufgespannt wird. Erweitert man der Strukturfaktor (11.1.28) auf drei Dimensionen, so erhält man S(q) =

(2π)3  (3) δ (q − g) . vc g

(11.1.29)

vc ist das Volumen der Einheitszelle, die von den Basisvektoren a i mit i = 1, 2, 3 gebildet wird: vc = a 1·(a2×a3 ). Die Basisvektoren des reziproken Gitters sind 2π a2 ×a3 , vc π gi = ijk aj ×ak . vc

g1 =

g2 =

2π a3 ×a1 , vc

g3 =

2π a1 ×a2 , d.h. vc (11.1.30)

Die Reziprozität zeigt sich in gi · aj = 2πδij .

(11.1.31)

Zurückkommend auf die Streuwelle, haben wir für diese 1 Es (x, t) = −re f0 (q) S(q) er × (E0 × er ) eikr−iωt r erhalten. Der differentielle Streuquerschnitt ergibt sich daraus als     r2 |Es |2 dσ dσ = = |S(q)|2 . dΩ N |E0 |2 dΩ a

(11.1.32)

(11.1.33)

Der erste Term ist der differentielle Streuquerschnitt des Atoms (11.1.25). Multipliziert man (11.1.33) mit 1/N , so erhält man mit (11.1.29) (|S(q)|2 = N S(q)) für den differentiellen Streuquerschnitt eines einzelnen Atoms:   dσ (2π)3  (3) dσ δ (q − g) . (11.1.34) = dΩ dΩ a vc g

11.1 Streuung von Licht an Elektronen

407

Es ist das die bekannte Bragg-Streuung an Kristallen, bei der man nur Beiträge erhält, wenn der Impulsübertrag zwischen einfallender und gestreuter Welle die Bragg-Bedingung q = k − k = g

(11.1.35)

erfüllt. Die Intensität steigt dabei linear mit dem vom Röntgen-Strahl erfassten Volumen des Kristalls. Die Zunahme der Intensität ist jedoch in größeren Einkristallen schwächer als linear, was als primäre Extinktion bezeichnet wird. Da die gesamte Intensität von durchgehender und gebeugter Welle erhalten ist, kann die Intensität der gebeugten Welle nicht beliebig ansteigen. Es muss jedoch angefügt werden, dass bei vorgegebener Wellenlänge der Bereich, in dem Beugung auftritt, nur die Breite von Winkelsekunden hat. Ein Realkristall (Mosaikkristall) besteht jedoch aus vielen kleinen Kristalliten, deren Orientierung sich um  1◦ unterscheidet. Die primäre Extinktion hängt dann vor allem von der Größe dieser Kristallite ab. Da die einzelnen Kristallite untereinander inkohärent streuen, ist die gesamte Intensität wiederum proportional dem Volumen. Sind in dem Kristall mehrere Kristallite genau parallel ausgerichtet, so trifft die weiter hinten liegenden Kristallite ein schwächerer Strahl, was ebenfalls zu einer Abweichung von der Linearität führt. Man nennt das sekundäre Extinktion. In einem guten Mosaikkristall spielt auch die sekundäre Extinktion nur eine untergeordnete Rolle. Hingegen ist die Röntgen-Streuung immer von einer mehr oder minder starken Absorption betroffen. Grafisch stellt man die Bragg-Bedingung (11.1.35) mithilfe der EwaldKugel, Abb. 11.6, dar .

 k o

q

:O M

k

Abb. 11.6. Elastische Streuung. Die Streuoberfläche ist die Ewald-Kugel; wenn neben dem Ursprung noch ein weiterer reziproker Gitterpunkt auf der Ewald-Kugel liegt, ist q = k −k ein Vektor aus dem reziproken Gitter und es tritt Bragg-Streuung auf

Laue-Bedingungen: Wir gehen von den (Miller-)Indizes (h, k, l) aus, die den für die Streuung verantwortlichen reziproken Gitterpunkt festlegen

408

11 Röntgen-Streuung g = hg1 + kg2 + lg3 . Die Laue-Bedingungen sind dann a1 ·q = 2πh ,

a2 ·q = 2πk

und

a3 ·q = 2πl .

Nicht primitives Gitter Hat man zwei verschiedene Atomsorten, wie es bei NaCl der Fall ist, so ist es evident, dass die Na+ -Ionen eine andere Umgebung haben als die Cl− Ionen. Aber auch mit nur einer Atomsorte kann es sein, dass das Kristallgitter kein Bravais-Gitter ist, wie beim Diamantgitter eines Si-Kristalls, wo benachbarte Atome ihre jeweiligen Nachbarn unter unterschiedlicher Orientierung sehen. Im Kristallgitter gehen wir von einer Einheitszelle aus, wo sich die insgesamt r Atome auf den Lagen bs relativ zum Ursprung der Zelle befinden. In der Streuwelle (11.1.27) sind nur die Atome innerhalb der Einheitszelle einzufügen: Es (x, t) = −re

M 

e−iq·an

n=−M

r 

 1 e−iq·bs fs (q)er × E0 e−iq·an ×er eikr−iωt . r s=1

Wir haben den atomaren Formfaktor f0 durch den Strukturfaktor der Einheitszelle ˆ r  f0 (q) → F (q) = e−iq·bs fs (q) fs (q) = d3 x n(x) e−iq·x (11.1.36) s=1

zu ersetzen. Das ergibt   dσ = re2 |F (q)|2 |S(q)|2 . dΩ N

(11.1.37)

Mit den Dispersionskorrekturen (11.1.26) erhält man auch hier r   F (q) = e−iq·bs f0s (q)+Δfs (q)−iΔfs (q) s=1

= F0 (q)+ΔF  (q)−iΔF  (q).

(11.1.38)

Wiederum ist die Abhängigkeit von ω in ΔF  und ΔF  nicht angeführt. Anmerkung: Wir haben nur die Streuung an starren Gittern behandelt. Berücksichtigt man die Wechselwirkung der Röntgen-Strahlen mit den Phononen der Probe, so muss diese im thermischen Gleichgewicht betrachtet werden e−iq·xn (t) = e−iq·(an +bs ) e−iq·uns (t)  , wobei uns(t) die Auslenkung des Atoms ns aus der Gleichgewichtslage ist. Der Debye-Waller Faktor Ws (q) kann für harmonische Kristalle exakt berechnet werden und hat für kubische Symmetrie die Form

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung e−Ws (q) = e−iq·uns  ≈ e−

q2 6

u2 s

mit

409

u2s  ∝ T .

e−2Ws (g) gibt die Abschwächung der Intensität der gestreuten Strahlung durch ihre Wechselwirkung mit den Phononen der Probe an.

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung Im letzten Abschnitt sind wir davon ausgegangen, dass einfallende ebene Wellen eine eher kleine Probe durchdringen und dabei die Elektronen der Atome zu Schwingungen und damit zur Ausstrahlung von Streuwellen anregen. Von den Streuwellen selbst haben wir angenommen, dass sie sich ungehindert ausbreiten, ohne Elektronen zur Strahlung anzuregen oder mit der einfallenden Welle zu interferieren. Bei der angenommenen regelmäßigen Anordnung der Atome kommt es bei der Superposition der Streuwellen nur in den durch die Bragg-Bedingung (11.1.35) gekennzeichneten Richtungen zu endlicher Intensität. In großen Idealkristallen müssen jedoch die Röntgen-Strahlen, ob einfallend oder gebeugt, Lösungen der Maxwell-Gleichungen in einer periodischen Ladungsverteilung sein. Es sind also die Bewegungsgleichungen für die elektromagnetische Strahlung, die Maxwell-Gleichungen, im Kristall zu lösen. Wie bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnt, spielt die dynamische Theorie in der Kristalloptik eine zentrale Rolle, wobei die Unterschiede zwischen Röntgen-, Neutronen- und Elektronenstrahlen gering sind. Gemeinsam ist ihnen die schwache Wechselwirkung mit den Atomen eines (versetzungfreien) Kristallgitters. Angeführt wurde dort auch die Nähe der fundamentalen Gleichungen der dynamischen Theorie zur Theorie schwach gebundener Elektronen in einem periodischen Potential. 11.2.1 Elektromagnetische Wellen im Kristall Bei der Ausbreitung von Röntgen-Strahlen geht man von den MaxwellGleichungen (5.2.16) aus, wobei keine freien Ladungen ρf und keine freien Ströme jf vorhanden sind: ∇·D = 0 kl D (c) ∇×H = c (a)

.

(d)

.

−kl B c ∇·B = 0 .

(b) ∇×E =

(11.2.1)

Die Wechselwirkung kann mittels der Polarisation des Mediums (5.2.3) durch das elektrische Feld beschrieben werden, wobei μ = 1, d. h. H = B angenommen wird. Die relevante Materialgleichung (5.2.17) ist D = 0 E + 4πkr P = (1+4πkr χe ) 0 E.

(11.2.2)

410

11 Röntgen-Streuung

χe (x) ist hier eine skalare, aber gitterperiodische Funktion, über die nicht gemittelt wird, da die Wellenlängen der Röntgen-Strahlen vergleichbar mit den Atomabständen sind (Cu-Kα1 = 1.54056 Å). Die Ausbreitung der Röntgen-Strahlen in Materie wird meist mittels D, das quellenfrei ist, beschrieben, wobei verwendet wird, dass die Wechselwirkung sehr schwach ist (∼ 10−5 ), so dass 0 E ≈ (1−4πkr χe )D. Wir setzen jetzt D in die Induktionsgleichung ein, bilden die Rotation und verwenden anschließend die Ampère-Maxwell-Gleichung:  1−4πkr χe kl ∂ k 2 μ0 ∂ 2 D ∇× ∇× ∇×μ0 H = − l 2 D =− . 0 c ∂t c ∂t2

(11.2.3)

Daraus folgt mithilfe (A.2.38) ∇×(∇×D) = −ΔD: −ΔD +

1 ∂2D = 4πkr ∇ × (∇×χe D). c2 ∂t2

(11.2.4)

Der einzige Unterschied in den verschiedenen Systemen besteht hier im Vorfaktor der Suszeptibilität χe , der mithilfe der Definition ⇒

χ(x) = 4πkr χe (x)

G: χ = 4πχe ,

SI: χ = χe

(11.2.2’)

beseitigt werden kann. Jetzt machen wir noch den Ansatz D(x, t) = D(x) e−iωt und erhalten (k = ω/c) (Δ + k 2 )D = −∇ × (∇ × χ D).

(11.2.5)

Wir entwickeln χ in eine Fourierreihe  χ(x) = χg eig·x

(11.2.6)

und machen für D einen Bloch-Ansatz:  dg eig·x . D(x) = eiK·x d(x) = eiK·x

(11.2.7)

g

g

wobei d(x) gitterperiodisch ist. Für die linke Seite von (11.2.5) erhält man  (Kg2 −k 2 ) eiKg ·x dg , Kg = K+g. (11.2.8) (Δ+k 2 )D(x) = − g

Etwas komplexer gestaltet sich die Auswertung der rechten Seite von (11.2.5) . Zuerst werden die folgenden Ausdrücke ausgewertet (g = g−g ):      χg eig ·x dg eiKg ·x = eiKg ·x χg−g dg , (11.2.9) χD(x) = g

g

g

g

   iKg ·x  e χg−g iKg × iKg ×dg . ∇× ∇×χD(x) = g

g

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung

411

Auf die rechte Seite von (11.2.5) gebracht, erhält man     

 eiKg ·x Kg2 −k 2 dg − χg−g Kg × dg ×Kg = 0. g

g

Wenn diese Gleichung für alle x gelten soll, muss jeder einzelne Summand getrennt verschwinden. Man hat somit ein homogenes lineares Gleichungssystem für die Fourier-Koeffizienten, das durch die Definition2   ˆ g = Kg /Kg , ˆ g × dg × K ˆg , K dg [g] = K dg = dg[g] (11.2.10) die folgende Form annimmt:   2 χg−g dg [g] = 0. Kg − k 2 dg − Kg2

(11.2.11)

g

Das sind die fundamentalen Gleichungen der dynamischen Theorie. Die in (11.2.10) rechts stehende Bedingung erhält man aus dem Gauß’schen Gesetz:  eiKg ·x Kg · dg = 0 ⇒ Kg · dg = 0. ∇·D = i g

  ˆ g× dg×K ˆ g = dg . Die Partialwellen des VerschiebungsfelDamit ist dg[g] = K des (11.2.7) sind also alle transversal, und sie haben (jeweils) zwei Polarisationsrichtungen. Einfache Aussagen zur Polarisation sind möglich, wenn in (11.2.12) nur ein Summand mit g = 0 beiträgt (Zweistrahlnäherung). Dann existiert nur eine von K und Kg aufgespannte Streuebene R und man kann wie bei der Brechung von E im homogenen Feld vorgehen (Fresnel’sche Formeln, Abschnitt 10.3.3, S. 367), bei der die Reflexion am homogenen Medium für ein linear polarisiertes elektrisches Feld senkrecht auf die Streuebene (Eσ ) und in der Streuebene (Eπ ) separat behandelt wurde. Das allgemeine Feld ist eine Superposition der beiden Felder. Man legt so die Polarisationsrichtungen für dg einmal senkrecht (σ) und einmal parallel (π) zur Streuebene fest und setzt diese in die fundamentalen Gleichungen (11.2.11) ein. Es genügt dann jeweils, die Stärke der Amplitude |dg | zu berechnen.  ˆ g ·dg )K ˆ g ·dg = dg ·dg = Cg g dg dg , dg ·dg[g] = d2g , dg [g] ·dg[g] = dg −(K wobei |Cg g | ≤ 1 ’Polarisationsfaktoren’ sind. Die fundamentalen Gleichungen für dg erhält man durch die skalare Multiplikation von (11.2.11) mit dg [g] :  (Kg2 −k 2 ) dg − Kg2 χg−g Cg g dg = 0 . (11.2.12) g

2

Zu dg [g] siehe: Authier [2002, §5.1–5.3]; üblich ist auch [dg ]g .

412

11 Röntgen-Streuung

Das ist ein lineares homogenes Gleichungssystem zur Berechnung der Fourierkoeffizienten dg . Nicht triviale Lösungen erhält man nur, wenn die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwindet. Das legt K, wenn auch nicht zur Gänze, fest. Zusätzlich ist noch zu beachten, dass die einfallende Welle die Randbedingungen an der Kristalloberfläche erfüllen muss. Vernachlässigt man in (11.2.12) alle Summanden außer g = 0, g, so reduziert sich das Gleichungssystem auf eine 2×2-Matrix (Zweistrahlnäherung) und man hat nur je zwei Partialwellen, die in den Richtungen K1,2 und K1,2+g propagieren, wobei sich K1 und K2 nur wenig vom Wellenvektor k der einfallenden Welle unterscheiden. Dann ist auch nur eine Streuebene R vorhanden und die Polarisationsfaktoren C sind dg und d0 ⊥ R dg und d0  R

=⇒ C = 1, =⇒ C = | cos 2θb |,

σ − P olarisation, π − P olarisation.

2θb ist der Winkel, den K und Kg einschließen. In der dynamischen Theorie ist es üblich, C ≥ 0 zu definieren; das ist möglich, da in der Zweistrahlnäherung (11.2.19) nur C 2 auftritt. Polarisierbarkeit Der überwiegende Anteil der Wechselwirkung des elektrischen Feldes mit Materie ist auf die Thomson-Streuung zurückzuführen, wobei die Frequenzen ω weit über den Anregungsenergien ωj der (äußeren) Elektronen (11.1.16) liegen. In einem Medium mit der Ladungsdichte ρ(x) = e n(x) erhält man für die Polarisation in einem zeitlich veränderlichen Feld E = E0 e−iωt P = ρ(x) x = −

e20 n(x) e20 n(x) E = χ E ⇒ χ = 4πk χ = −4πk . e 0 r e c me ω 2 me ω 2

Für freie Elektronen ist x = (e0 /me ω 2 ) E . Die Suszeptibilität χe haben wir für sichtbares Licht als eine über viele Atome gemittelte Größe definiert, die für die meisten Substanzen isotrop ist. Röntgen-Strahlen haben Wellenlängen, die mit dem atomaren Abstand vergleichbar sind, so dass in χ die Periodizität des Kristallgitters berücksichtigt werden muss:  ρ(x) = ρs (x−an −bs ). n,s

Die Entwicklung (11.2.6) von χ in eine Fourierreihe hat die Koeffizienten ˆ ˆ 1 e20 3 −ig·x d3 x e−ig·x ns (x) d xe χ(x) = −4πkc χ(g) = V V vc me ω 2 s re = −4π F (g). (11.2.13) vc k 2

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung

413

Hierbei sind ρs (x) = −e0 ns (x) die Ladungsdichte der Atomsorte s, re = kc e20 /me c2 (klassischer Elektronenradius), k = ω/c, vc das Volumen der Einheitszelle und F (g) der Strukturfaktor der Einheitszelle (11.1.38). Bei diesem darf die Dispersionskorrektur ΔF  wegen der Absorption in großen Kristallen nicht vernachlässigt werden: χ(x) = 4πkr χe (x) = χr (x) + iχi (x).

(11.2.14)

Mit der Trennung von χ(x) in einen Real- und einen (absorptiven) Imaginärteil sind die Fouriertransformierten χg = χ(g) = χr (g) + iχi (g)

(11.2.15)

bei Reflexen ohne Inversionssymmetrie χr (g) und χi (g) ebenfalls komplex. In der Tab. 11.2 sind Werte für χg angegeben. Tab. 11.2. Experimentelle Werte für die Streuung von Cu-Kα1 Strahlung in Silizium und Germaniuma . Die Pendellösungslängen Δ0 (11.2.34) sind an symmetrischer Reflexion(γi = γg ) gemessen; die angegebenen Werte beziehen sich auf Cu-Kα1 Strahlung (λ = 1.54 Å) und Mo-Kα1 -Strahlung (λ = 0.71 Å) λ [Å] χr0 × 106 χi0 × 106 |χr 220 | × 106 χi 220 × 106 Δ0 (220) [μm] μ0 [mm−1 ]

Si 1.54 Ge 1.54

-15.1 -28.7

0.35 0.86

9.13 20.3

0.34 0.83

15.4 7.0

14.4 35.3

Si 0.71 Ge 0.71

-3.16 -6.40

0.0165 0.36

1.90 4.60

0.159 0.35

36.6 15.2

1.46 31.9

a

Die Werte sind aus Z.G. Pinsker, Dynamical Scattering of X-Rays in Crystals, Solid State Sciences 3, Springer (1978), Seiten 84, 95 und 97. Anmerkung: Manchmal wird die Leitfähigkeit σp in die Wechselwirkung einbezogen [Vartanyants, Kovalchuk, 2001]: Ohm’sches Gesetz (5.3.2”) und isotrope lokale Kopplung (σ(x, x ) = δ(3) (x−x )σ(x)) ergeben ˆ jp (x, t) = dt σp (x, t−t )E(x, t ) ⇒ jp (x, ω) = σp (x, ω)E(x, ω). Das elektrische Feld polarisiert das Medium gemäß (5.2.3) mit der Stromdichte

.

jp (x, t) = P(x, t)



jp (x, ω) = −iωP(x, ω) = −iωχe (x, ω)0 E(x, ω).

Man erhält also σp (x, ω) = −i0 ωχe (x, ω).

11.2.2 Verfahren zur Lösung der fundamentalen Gleichungen Die dynamischen Grundgleichungen (11.2.12) bilden ein homogenes lineares Gleichungssystem

414

11 Röntgen-Streuung

   2 Kg 1 − χ0 − k 2 dg − Kg2 χg−g Cg g dg = 0 .

(11.2.16)

g =g

Für nicht triviale Lösungen muss die Säkulardeterminante (Determinante der Koeffizientenmatrix) verschwinden. Die Wechselwirkung ist von der Größenordnung |χg | ∼ 10−5  1, wie der Tab. 11.2 für Silizium und Germanium entnommen werden kann, d.h., die nicht diagonalen Matrix-Elemente sind um diese Größenordnung kleiner als die diagonalen. Der (mittlere) Brechungsindex √ von Röntgen-Strahlen vom Vakuum zum Kristall ist gemäß (11.2.2) n = ≈ 1 + χ0 /2 nahezu 1, weshalb die durchgehende Welle mit K nur minimal von der einfallenden Welle mit k abweichen sollte, d.h. K ≈ k. Für Partialwellen Kg , die im Kristall angeregt sind, d.h. eine endliche Amplitude dg haben, gilt |Kg2 − k 2 | ∼ k 2 |χ0 |. Alle Punkte g des reziproken Gitters, die diese Bedingung erfüllen, liegen auf (nahe) der Ewald-Kugel (11.6). 1. K kann immer so gewählt werden, dass K 2 (1 − χ0 ) − k 2 = 0 . Ist kein weiteres Diagonalelement klein, so reduziert sich die Säkulardeterminante von (11.2.16) auf K 2 −K02 = 0

mit

K02 = k 2 /(1 − χ0 ) .

(11.2.17)

2. Liegt neben dem Nullpunkt noch ein weiterer Punkt (g) nahe der EwaldKugel, wie es bei Bragg-Streuung der Fall ist, so reduziert sich (11.2.16) auf die 2×2-Matrix K2 Cχ−g dg = 0 , 1 − χ0 2   −Kg Cχg d0 + Kg2 − K02 dg = 0 . 1 − χ0



 K 2 − K02 d0 −

(11.2.18)

Wir ersetzen in den Nichtdiagonalelementen K 2 /(1−χ0 ) bzw. Kg2 /(1−χ0 ) durch k 2 und erhalten so die Säkulardeterminante  2   K − K02 Kg2 − K02 − k 4 C 2 χg χ−g = 0 . (11.2.19)

Anmerkung: Für (photonische) Kristalle hätte man dieselbe Säkulargleichung für ein vorgegebenes K, das dann jedoch periodischen Randbedingungen genügt. Zu berechnen wäre daraus die Dispersion (Bandstruktur) im Kristall (ω = kc).

3. An speziellen Punkten hoher Symmetrie können mehr als zwei Punkte des reziproken Gitters nahe der Ewald-Kugel Abb. 11.6 liegen. Man spricht dann von Mehrstrahl-Fällen und hat eine entsprechend kompliziertere Säkulardeterminante zu lösen. Wir gehen auf solche Lösungen nicht ein.

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung

415

11.2.3 Brechung im Einstrahl-Fall Befindet sich nur der Nullpunkt nahe der Ewald-Kugel, wie es durch (11.2.17) beschrieben wird: K 2 = K02 = k 2 (1 + χ0 ) = k 2 = k 2 n2 ,

(11.2.20)

so liegt der Einstrahl-Fall vor. Im Medium spürt der Röntgen-Strahl das√ mittlere „Potential“ χ0 . Der Brechungsindex des Mediums ist mit n = ≈ 1 + χ0 /2 < 1. Der Strahl wird also vom Lot gebrochen, aber n unterscheidet sich nur unmerklich von 1. Aus der Stetigkeit der Tangentialkomponente folgt zunächst 2 2 K0⊥ = k⊥ + (K02 − k 2 )

und hieraus, wie aus Abb. 11.7 hervorgeht, K0 ≈ k +

kχ0r μ0 kχ0 n=k+ n+i n 2γ 2γ 2γ

mit

μ0

= kχ0i .

(11.2.21)

Hierbei sind γ = cos ϑ = k · n/k der Kosinus des Einfallswinkels und μ0 der lineare Absorptionskoeffizient, den wir aus der komplexen Suszeptibilität χ0 = χ0r + iχ0i erhalten. (11.2.21) folgt aus dem Brechungsgesetz von Snellius, (10.3.2) sin ϑ = √ 1+χ0r sin ϑ in Medien mit Absorption. Wir haben bisher nur K0 im Medium berechnet. Die Amplituden sind aus den Stetigkeitsbedingungen (10.3.3) zu berechnen, wobei wir auf die Fresnel’schen Formeln (10.3.9) und (10.3.5) für die σ- bzw. π-Polarisation zurückgreifen. Wie in Abb. 11.7 skizziert, tritt neben der durchgehenden Welle auch eine reflektierte Welle mit k = k − k⊥ auf, deren Amplitude aber in beiden Fällen (σ- und π-Polarisation) von der Größe ∼ χ0 ist und damit vernachlässigt werden kann, soweit kein streifender Einfall vorliegt. k



ϑ ϑ kN ϑ n?

U

K0

Abb. 11.7. Streuung an einem Kristall, weit von jeder Bragg-Bedingung (ϑ ≈ ϑ ). k = (k , −k⊥ ) ist der Wellenvektor der reflektierten Welle, die aber wegen ihrer im Vergleich zur einfallenden Welle kleinen Amplitude D0 /D0 ∼ χ0 vernachlässigt werden kann

416

11 Röntgen-Streuung

11.2.4 Der Zweistrahlfall Neben dem Ursprung liegt jetzt ein weiterer Punkt des reziproken Gitters auf der Ewald-Kugel. Somit haben wir die 2 × 2-Matrix (11.2.18) vor uns, deren Säkulardeterminante (11.2.19) zu berechnen ist. Wiederum schließen wir streifenden Einfall aus. In der Zweistrahlnäherung tritt die Polarisation C nur zusammen mit χ±g auf: χ ˜g = C χg ,

(11.2.22)

so dass die Säkulargleichung (11.2.19) jetzt    2 ˜g χ ˜−g = 0 . K − K02 Kg2 − K02 − k 4 χ

(11.2.23)

lautet. Voraussetzung für die Gültigkeit der Säkulargleichung ist, dass k eine Bragg-Bedingung nahezu erfüllt, d.h. |K 2 −K02 |  k 2 und |Kg2 −K02 |  k 2 . Das reduziert die Anzahl der Lösungen auf zwei. Wir erwarten somit im Kristall eine Aufspaltung der einfallenden Welle k → K1,2 , die durch Cχg bestimmt ist. Man hat also zwei Wellenfelder deren Superposition zu den Interferenzphänomenen der dynamischen Theorie führt. Innere Winkel: Wir versuchen zunächst (11.2.23) ohne Einbeziehung der Oberfläche des Kristalls zu lösen. Dazu formen wir um: Kg2 − K02 = K 2 − K02 + 2(K−k)·g + (2k+g)·g.

(11.2.24)

Wenn k der Wellenvektor der einfallenden Welle ist, so parametrisiert der letzte Term die Winkelabweichung der einfallenden Welle vom Bragg-Winkel. Wir orientieren uns an Abb. 11.8, wobei kb die Bragg-Bedingung für |kb | = k exakt erfüllen soll,      π  π = kg sin θb −sin θ−θb +θb (k−kb )·g = kg cos θ+ −cos(θb + 2 2 ≈ kg cos θb (θb −θ) = k 2 sin(2θb ) (θb −θ) . (11.2.25)

k

θ θb kb +g

)g

θb

q θ−θb j kb

Abb. 11.8. Die inneren Winkel θ und θb werden von g, k und kb bestimmt. k und kb mit |kb | = k sind der einfallenden Welle zugeordnet

In Anlehnung an Max von Laue [1960, (28.8)] definieren wir den Abweichungsparameter αl =

(k−kb )·g g 1 k+ ·g = ≈ sin(2θb ) (θb −θ). 2 k 2 k2

(11.2.26)

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung

417

Für Rückstreuung (θb = π/2) ist der Winkelbereich, in dem die Wellen reflektiert werden (Akzeptanzbereich), wesentlich größer: αl = (θb − θ)2 . Die Einbeziehung der Oberfläche Die Säkulargleichung (11.2.23) kann ohne Bezugnahme auf die Oberfläche(n) des Kristalls nicht gelöst werden. n ist der Normalenvektor der ebenen Vorderfläche des Kristalls, der in den Kristall zeigt, wie in Abb. 11.9 dargestellt. Die einfallende Welle hat im Außenraum den Wellenvektor k, und die Tangentialkomponenten der Wellenvektoren sind an der Eintrittsfläche stetig: k = K0 = K . K0 ist der durch Brechung im Medium entstandene Wellenvektor (11.2.21). Die Vektoren K bzw. K0 können sich also nur in der Normalkomponente von k unterscheiden. Aus rechentechnischen Gründen ist es zweckmäßig, in (11.2.24) den Vektor der einfallenden Welle k durch K0 zu ersetzen. Wir definieren dann mittels K − K0 = k n

(11.2.27)

den dimensionslosen Parameter , der die Aufspaltung von K1,2 in Bezug auf K0 parallel zum Normalenvektor n der Eintrittsfläche festlegt. l = (K −k)/k wird von Max von Laue als Anregungsfehler bezeichnet. Wird nun noch der Parameter der Winkelabweichung αl durch  k 2 χ0 g  (11.2.21) 2 · g = k αl + n·g k 2 α = K0 + 2 4n·k

(11.2.28)

ersetzt, so erhält man für (11.2.24)

(K+g)2 = K 2 −K02 + 2k n·g + 2k 2 α. Externe Winkel: Exerimentell direkt zugänglich sind der Winkel ϑi des einfallenden und der Winkel ϑg des gebeugten Strahls in Bezug auf die Oberflächennormale. Dabei kommt es zu Fallunterscheidungen, je nachdem, ob der gebeugte Strahl in den Kristall eintritt (Laue-Fall), siehe Abb. 11.9, oder von diesem reflektiert wird (Bragg-Fall). Der Einfallswinkel ϑi sei auf 0 ≤ ϑi < π/2 eingeschränkt. Während θ und θb immer positiv sind, werden ϑi und ϑg im Gegenuhrzeigersinn, ausgehend von der Oberflächennormale, angegeben. ϑg hat so den Bereich −π/2 < ϑg < 3π/2 . In Abb. 11.9 sind für den gebeugten Strahl vier unterschiedliche Konfigurationen skizziert. Die Fälle (b) und (d) unterscheiden sich von (a) und (c) in einem Wechsel des Vorzeichens beim Übergang von den inneren Winkeln θb − θ zu den äußeren Winkeln ϑ−ϑi , was zwar von untergeordneter Bedeutung ist aber, um Unklarheiten zu vermeiden, ist im Folgenden, wenn vom Laue-Fall gesprochen wird, nur der Fall (a) gemeint, während der Bragg-Fall sich nur auf den Fall (c) bezieht. In diesen beiden Fällen ist (γg = cos ϑg )

418

11 Röntgen-Streuung ex -

ϑg kb +g  gi

ex -

ϑg

? n

θ

? n

θb

(a)

ϑ ϑi

k U^ k kb +g *g  ex -

ϑg

(c)

ϑ ϑi

ϑ ϑi

(b)

b

kb +g

θb j θ g k U^ k b

kb +g

Y I g

ex -

θb θ

? n

θ

ϑg

θb

? n

ϑ ϑi

k U^ k b

k U^ k b

(d)

Abb. 11.9. ϑi , ϑg und θb werden vom Vektor kb bestimmt, der exakt in BraggRichtung einfällt (kb = k). Laue-Fall γg > 0: (a) −π/2 < ϑg < ϑi und (b) ϑi < ϑg < π/2 Bragg-Fall γg < 0: (c) π/2 < ϑg < 3π/2 − ϑi und (d) 3π/2 − ϑi < ϑg < 3π/2

ϑi −ϑ = sgn γg (θb −θ)

(11.2.26)

=

α sgn γg , 2θb = sgn γg (ϑi −ϑg ). (11.2.29) sin(2θb )

Nun sind einige geometrische Beziehungen festzuhalten, wobei man sich an Abb. 11.9 orientieren kann: γi = cos ϑi n·kb = k γi ,

und n·(kb +g) = k γg ,

γg = cos ϑg , n·g = k(γg −γi ).

(11.2.30)

Diese Relationen können meistens im Rahmen der erforderlichen Genauigkeit auch für k, K0 oder K verwendet werden; so ist k·n = kγi . Wellenvektoren im Zweistrahlfall Nun kann aus (11.2.23) bestimmt werden, wobei die Säkulargleichung (11.2.23) nur gilt, wenn die Diagonalelemente klein sind, d.h., wenn  1 ist: K 2 − K02 = (K − K0 )·(K + K0 ) ≈ 2k 2 γi ,

Kg2 − K02 ≈ 2k 2 γi + 2k 2 α + 2k 2 (γg −γi ) . Daraus ergibt sich die charakteristische Gleichung (11.2.23)

(11.2.31)

11.2 Dynamische Theorie der Röntgen-Beugung

4γi ( γg +α) − χ ˜g χ ˜−g = 0



2 +

|χ ˜g χ ˜−g | α − ν2 = 0. γg 4γi γg

Der absorptive Anteil von χg wird in (11.2.32) durch  √ ν = 1 − κ2 + iκ χ χ g −g 2 ⇒ ν = χg =χ−g |χg χ−g | κ = Im ν ≈ χgi /χgr

419

(11.2.32)

(11.2.33)

berücksichtigt. Wir definieren noch eine charakteristische Länge, die Pendellösungslänge  |γi γg | 2π  (11.2.34) Δ0 = k |χ ˜g χ ˜−g |

und erhalten so die Lösung *  νπ 2 α2 α ± + sgn γ 1,2 = − g 2γg 4γg2 kΔ0

  π −ζ ± ζ 2 + ν 2 sgn γg . = kΔ0

(11.2.35)

Die Streuintensität misst man durch Drehung der Probe durch den BraggReflex (Rockingkurve), wobei man beim Drehwinkel von der Abweichung zur exakten Bragg-Lage ausgehen kann, um dann den Winkel geeignet zu parametrisieren. (11.2.35) entnehmen wir die Definition ζ=

kΔ0 α π 2γg

(11.2.28)

=

 kΔ0  αl χ0 + n·g = y + iη. π 2γg 4kγi γg

(11.2.36)

Die Zerlegung von ζ in Realteil und Imaginärteil ergibt kΔ0  sin(2θb )(θb −θ) γg − γi  , + χ0r π 2γg 4γi γg kΔ0 γ g − γi γg − γi χ0i  η= = sgn γg  . χ0i π 4γi γg |χ ˜g χ ˜−g | 2 γi |γg | y=

(11.2.37) (11.2.38)

y ist der relevante Winkel und η hat nur einen Einfluss auf die Absorption. Δ0 ist die bereits angesprochene Pendellösungslänge, die die charakteristische Länge der Theorie ist. Die Lösung ergibt für die Wellenzahlen im Kristall

 π  − ζ ± ζ 2 +ν 2 sgn γg n, K1,2 = K0 + k 1,2 n = K0 + Δ0 (11.2.39) K0 = k + kχ0 /(2γi ) n. Anmerkungen:

420

11 Röntgen-Streuung



1. Die Differenz K1 −K2 = (2π/Δ0 ) ζ 2 + sgn γg ν 2 n führt zu Interferenzen, d.h. zu Intensitätsoszillationen der charakteristischen Länge Δ0 . Diese hängt jedoch nicht nur vom Reflex g ab, sondern auch von k und der Orientierung der Oberfläche. Λ=

k2



g

(11.2.13)

|χg χ−g |

=

vc 1  4πre |F (g) F (−g)|

(11.2.40)

ist eine charakteristische Länge, die nur von g und der Stärke der Wechselwirkung (re ) abhängt. Für die Abweichung k − kb ist nur die Komponente parallel zu g relevant – und deren Größenordnung ist durch Λ bestimmt: ζ = sgn γg



γi |γg |

.

g γg −γi χ  0 Λ(k−kb )· + g 2|γi γg | |χ ˜g χ ˜−g |

/

.

(11.2.41)

Zur Pendellösungslänge besteht der Zusammenhang Λ=

g C  Δ0 . 2πk |γi γg |

(11.2.42)

2. Für θb = π/4 ist C = 0, und es gibt keine gebrochene π-Welle. Trifft eine Welle unter dem Winkel ϑi auf eine Oberfläche und ist ϑg der Winkel der gebrochenen Welle (siehe Abb. 11.9(a)), so hat man im Laue-Fall für ϑi + |ϑg | = 2θb = π/2 eine gewisse Ähnlichkeit zum Brewster-Winkel, wo ebenfalls bei π-Polarisation für ϑ + ϑ = π/2 die reflektierte Welle verschwindet. 3. Man kann die Parametrisierung des Winkels (11.2.37) umschreiben in y=

θb −θ Δϑ0 + , δ0 δ0

δ0 =

λ γg , Δ0 sin(2θb )

Δθ0 =

χ0r (γg −γi ) . 2γg sin(2θb )

(11.2.43)

Die Halbwertsbreite der gemittelten Reflexionskurve (11.3.13) für den Laue-Fall, gegeben durch y = ±1, kann durch δ0 ausgedrückt werden: |θ(y = 1) − θ(y = −1)| = | − 2δ0 |. Das ist zugleich auch die Breite des Plateaus im Bragg-Fall (Darwin-Breite) (11.3.8), die ebenfalls durch y = ±1 bestimmt ist. Die Verschiebung des Maximums der Reflexion vom Bragg-Winkel ist θ−θb = Δθ0 . 4. Die dynamische Theorie hat leider keine einheitliche Notation. Überall gleich bezeichnet werden die Suszeptibilitäten χ0 und χg oder die Bragg-Winkel θb , aber schon bei den reziproken Gittervektoren beginnen die Unterschiede (g ⇔ 2πh). Die Winkelabweichung y und die Pendellösungslänge Δ0 werden von „allen“ Autoren, ob Zachariasen [1945]; Kato [1974] oder Authier [2002] verschieden parametrisiert. Wir halten uns hier im Wesentlichen an die Notation von Rauch, Petrascheck [1978], die sich ihrerseits an Zachariasen orientiert und stellen einen Bezug zu den Definitionen η und Λ0 von Authier her: η = ζ/ν und Λ0 = Δ0 /ν .

Amplitudenverhältnisse Für die Berechnung der Felder verwendet man die Amplitudenverhältnisse, die man aus den fundamentalen Gleichungen (11.2.18) erhält:

11.3 Laue- und Bragg-Fall

X=

421

K 2 −K02 2γi dg = 2 ≈ . d0 K Cχ−g Cχ−g

Dabei haben wir K 2−K02 mittels (11.2.31) durch den Anregungsfehler → 1,2 (11.2.35) ersetzt. Den Vorfaktor π/(kΔ0 ) von 1,2 formen wir unter Verwendung von (11.2.34) um, so dass  

 |χg χ−g | γi  d1,2 (g) X1,2 = = − ζ ± ζ 2 +ν 2 sgn γg , (11.2.44) d1,2 (0) χ−g |γg | X1 X2 = −

χg γi . χ−g γg

(11.2.45)

Wir haben jetzt aus der Säkulargleichung (11.2.19) die Wellenvektoren K1,2 (11.2.39) für den Zweistrahlfall berechnet, wenn die Welle unter dem Winkel ϑ auf die Kristalloberfläche trifft (siehe Abb. 11.9, S. 418). Die Welle kann dabei, je nach der Lage der Bragg-Ebenen, in den Kristall eindringen (γg > 0) oder reflektiert werden (γg < 0). Wegen der kleinen Differenz von K1 zu K2 wird man mit Interferenzen auf der Skala der Pendellösungslänge Δ0  100 μm rechnen müssen. Wir kennen jetzt zwar die Amplitudenverhältnisse X1,2 , (11.2.44), nicht aber die Amplituden d1,2 (0) und d1,2 (g), die erst mit den Stetigkeitsbedingungen an der Austrittsfläche bestimmt sind, was Aufgabe des nächsten Abschnitts ist.

11.3 Laue- und Bragg-Fall Klassisches Anwendungsgebiet der dynamischen Theorie ist die Beugung eines einfallenden Strahls an einer planparallelen Platte, wie in Abb. 11.10 skizziert. Die einfallende Welle soll linear polarisiert (σ oder π) und normiert (Amplitude = 1) sein Di (x) = σ,π eik·x = σ,π ψi (x) . Die allgemeine dielektrische Verschiebung ist dann eine Superposition dieser beiden Polarisationen, senkrecht auf die Reflexionsebene (σ) und in der Reflexionsebene (π). Für unsere weiteren Überlegungen ist der Vektorcharakter nicht von Relevanz; die beiden Polarisationen werden getrennt behandelt. Wir definieren Kristallwellen für die Richtungen kb und kb + g Ψ0 (x) = d1 (0)eiK1 ·x + d2 (0)eiK2 ·x , Ψg (x) = d1 (g) e

i(K1 +g)·x

+ d2 (g) e

i(K2 +g)·x

(11.3.1) .

422

11 Röntgen-Streuung

 kg k

k

ϑ

j jK j 1,2

ϑ

j K1,2 +g   D

ϑg

jK j 1,2

K1,2 +g



(a)

n ϑg ?

j

k

kg

? n (b)

j

k

Abb. 11.10. Beugung an Kristallplatte: (a) Laue-Fall: γg = cos ϑg > 0. Der gebeugte Strahl tritt an der Rückseite heraus (b) Bragg-Fall: γg < 0. Der gebeugte Strahl tritt an der Eintrittsfläche heraus

An der Eintrittsfläche folgt aus der Stetigkeit Ψ0 = ψi . Für Ψg gilt, dass es entweder an der Eintrittsfläche (Abb. 11.10a) oder an der Rückfläche (Abb. 11.10b) verschwindet. Mit diesen beiden Randbedingungen ist das Problem bestimmt. Obwohl im Folgenden jeweils Ψ0,g bestimmt werden, sind doch die Lösungen der fundamentalen Gleichungen die Wellenfelder Ψ1,2 . 11.3.1 Beugung in einer Dimension Es ist sinnvoll die Streuung an einem eindimensionalen Modell zu studieren, da hier manche Mechanismen besonders einfach sind. Es ist in einer Dimension offensichtlich, dass der gebeugte Strahl nur auf der Vorderseite herauskommen kann und damit nach Abb. 11.10 der BraggGeometrie zuzuordnen ist. Wir werden dabei auch nur den absorptionsfreien Fall beschreiben, möchten aber gleich darauf hinweisen, dass die für den eindimensionalen Fall erhaltenen Intensitäten unverändert für drei Dimensionen gelten, nur dass der Parameter y in drei Dimensionen die Winkelabweichung von der Bragg-Lage (statt der Energie) charakterisiert. Ist die Energie des einfallenden Strahls weit von jeder Bragg-Bedingung entfernt, so wird der Strahl mit leicht geändertem Wellenvektor |K0 | in das Medium eindringen. Abb. 11.11 zeigt das periodische Zonenschema für ein Teilchen (Photon) mit linearer Dispersion im eindimensionalen reziproken Gitter. Aufgrund der schwachen Wechselwirkung mit dem Gitter wird die lineare Dispersion nur nahe der Zonengrenze geändert; die Krümmung wird dort sehr stark, und es entsteht eine verbotene Zone. Die Bandlücke besagt, dass sich in diesem Energiebereich keine Strahlung aufhalten kann, was für einfallende Strahlung Totalreflexion bedeutet. Jetzt wird versucht, diese qualitativen Aussagen mathematisch zu fassen. Wir gehen von einer einfallenden Welle ψ(x) = eik·x mit linearer Dispersion c|k| = ω aus. Im Kristall breiten sich dann die Strahlen

11.3 Laue- und Bragg-Fall

423

k+g 2ω gc

6

 -

 K1,2 + g

k

− πa

--

 g

K1,2

-k

π a

|χg |

-

k |χ0 |

Abb. 11.11. Erweitertes Zonenschema einer eindimensionalen Struktur mit linearer Dispersion. Innerhalb der Bandlücke können sich keine Wellen ausbreiten und man hat Totalreflexion; knapp oberhalb und unterhalb treten Interferenzen von K1,2 im reflektierten und transmittierten Strahl auf; in weiterer Entfernung von der Bandlücke wird (fast) nichts reflektiert

Ψ0 = d1 (0) eiK1 ·x + d2 (0) eiK2 ·x , Ψg = d1 (g) ei(K1 +g)·x + d2 (g) ei(K2 +g)·x aus. Setzen wir γi = 1 und γg = −1 in (11.2.42), (11.2.36) und (11.2.39) ein, so erhalten wir    π K1,2 = K0 + (−ζ ± ζ 2 − ν 2 ) ex . Δ0 |g| χ0 ζ = y + iη = −Λ(k − )− . 2 |χg | Gemäß (11.2.21) ist K0 = k + χ0 /2 < k, bedingt durch das mittlere Potential des Mediums. Wir bemerken, dass Wellen mit k = kb im Kristall Wellenvektoren haben, die mit y ≥ 1 außerhalb des Bereiches der Totalreflexion (Bandlücke) liegen. An der Vorderfläche x = 0 ist die durchgehende Welle kontinuierlich: d1 (0) + d2 (0) = 1 und an der Rückfläche mit x = D verschwindet Ψg : d1 (g) ei(K1 +g)D + d2 (g) ei(K2 +g)D = 0 . Wir beschränken uns hier jedoch auf den absorptionsfreien Fall und berechnen mit den X1,2 aus (11.2.44) und X1 X2 = 1 die Wellenfunktionen explizit. 



X1 d1 (0) eiK1 D + X2 1 − d1 (0) eiK2 D = 0 .

(11.3.2)

Zweckmäßig ist es, die parametrisierte Kristalldicke A=

D πD = Λ Δ0

(11.3.3)

424

11 Röntgen-Streuung

einzuführen. Die Amplituden lauten dann √  2 (±y + y2 −1)e∓iA y −1 ∓X2,1 eiK2,1 D 1    = , d1,2 (0) = X1 eiK1 D −X2 eiK2 D 2 y2 −1 cos (A y2 −1)−iy sin (A y2 −1) d1,2 (g) =

iK2,1 D



∓iA

(11.3.4)

y2 −1

∓e ∓X1 X2 e 1   =  . X1 eiK1 D −X2 eiK2 D 2 y2 −1 cos (A y2 −1)−iy sin (A y2 −1)

Die in direkter Richtung fortschreitende Wellenfunktion erhält man durch die Addition der entsprechenden Amplituden (d1,2 (0)) an der Rückseite:



y2 −1   eiK0 D−iAy . Ψ0 (D) =  y2 −1 cos (A y2 −1) − iy sin (A y2 −1)

(11.3.5)

Die Intensität ist das Absolutquadrat der Wellenfunktion: P0 = |Ψ0 (D)|2 =

y2 − 1  . y2 − cos2 (A y2 −1)

(11.3.6)

Völlig analog ist die Berechnung des abgebeugten Strahls, nur dass hier die Wellenfunktion an der Vorderfläche zu nehmen ist:  i sin A y2 − 1    Ψg (0) = . (11.3.7) y2 − 1 cos (A y2 − 1) − iy sin (A y2 − 1)

Angegeben wird hier die Strahlstärke, bei der die Intensität der einfallenden und gebrochenen Welle auf den gleichen Querschnitt bezogen wird (Pg = |Φg |2 γg /γi ):  sin2 (A y2 − 1) 2  Pg = |Ψg (0)| = . (11.3.8) y2 − cos2 (A y2 − 1) Die Erhaltung des Energiestroms drückt sich in P0 (y) + Pg (y) = 1

(11.3.9)

aus. Die Intensitätsverteilung Pg (y) ist in Abb. 11.12 abgebildet. A ist ein Parameter für die Dicke des Kristalls. Um die Intensitätsoszillationen, die von der Interferenz der beiden Wellenfelder herrühren, auflösen zu können, sollte der Kristall nicht zu dick sein. y ist ein Parameter für den Abstand von K0 von der Bragg-Bedingung. Ist −1 ≤ y ≤ 1 , wird der Strahl total reflektiert. Die K1,2 sind imaginär, und der Strahl dringt nur in eine Tiefe der Größenordnung Δ0 ein. Die relativen Abweichungen y von der Bragg-Bedingung sind gering, d.h. von der Größe χ0 . In einer Dimension tastet y die Energie im Bereich um die Bandlücke bei k ≈ |g|/2 ab. In drei Dimensionen erhält man das gleiche Intensitätsprofil, wenn der gebeugte Strahl den Kristall wieder an der Vorderfläche verlässt. Man nennt das den Bragg-Fall.

11.3 Laue- und Bragg-Fall

425

Es ist dann jedoch die Frequenz des einfallenden Strahls fest vorgegeben, und man bekommt Abb. 11.12 mittels Drehung durch die Bragg-Stellung. Die Breite des Reflexes wird wieder durch y bestimmt, das jetzt ein Maß für die Abweichung in Winkelsekunden ist. Im Kristall hat man als Lösungen für D a

3

Pg D2.50 0.5

2 Rg 1

3

1

y 1

3

b

2

4 D0

Abb. 11.12. (a) Intensitätsoszillationen im Rückstrahlungsfall (Bragg-Fall) für einen Kristall der Dicke D = 2.5Δ0 im Vergleich zu der über die Oszillationen gemittelten Rockingkurve (strichliert). (b) Integrierte Intensität in Abhängigkeit von der Dicke

stehende Wellen (11.2.7), die Bloch-Wellen Dj (x) für jedes Wellenfeld j = 1, 2. Hat ein Wellenfeld seine Knoten an den Orten a n der Atome, so kann erwartet werden, dass die Wechselwirkung von Dj mit dem Kristall gering ist, d.h. die Absorption eher schwach ist. Dieser Gedanke wurde von Borrmann [1950] aufgegriffen, der gezeigt hat, dass |D1 (an )|2 an den Gitterpunkten (cos an ·g = 1) minimal ist und |D2 (a n )|2 maximal. Das gilt in dieser Form nur für den Laue-Fall, was in Übungsaufgabe 11.4 zu zeigen ist. Integrale Reflektivitäten Auch im Bragg-Fall ist die integrale Reflektivität exakt berechenbar. Im absorptionsfreien Fall erhält man √ ˆ ∞ sin2 (A y2 − 1) y √ Rg = = π tanh A . (11.3.10) dy 2 y − cos2 (A y2 − 1) −∞ Die Berechnung des Integrals wurde von Laue3 vorgenommen (siehe Aufgabe 11.2). Wiederum hat man die für die kinematische Theorie gültige Linearität in kleinen (dünnen) Kristallen (siehe Abb. 11.12). Man erreicht jedoch sehr bald eine Sättigung ab der die Intensität unverändert bleibt. 11.3.2 Laue-Geometrie Dieser Fall (siehe Abb. 11.10a) hat keine Entsprechung in einer Dimension, da dort nicht durch seitliche Ablenkung des Strahls erreicht werden kann, dass 3

Max von Laue, 1879–1960, Nobelpreis 1914, [Max von Laue, 1960]

426

11 Röntgen-Streuung

die Bragg-Bedingung erfüllt ist. Der Feldvektor D0 des einfallenden Strahls steht entweder senkrecht auf die Streuebene (σ-) oder liegt in der Streuebene (π-Polarisation). Die einfallende Welle und die durchgehende Kristallwelle (11.3.1) sind an der Vorderfläche (z = 0) stetig, während die gebeugte Kristallwelle dort verschwindet: d1 (0) + d2 (0) = 1 , d1 (g) + d2 (g) = X1 d1 (0) + X2 d2 (0) = 0. Für γg > 0 (Laue-Fall, siehe Abb. 11.10) folgt aus (11.2.44) und (11.2.45)  ∓X2,1 ζ ± ζ2 + ν2  d1,2 (0) = , = X1 − X2 2 ζ2 + ν2  ∓X1 X2 ±1 γi χg  . =  d1,2 (g) = X1 − X2 γ |χg χ−g | g 2 ζ2 + ν2 Die Wellenfunktionen (11.3.1) erhält man mittels (11.2.39) und (11.2.36):        iz sin A ζ 2 +ν 2 eiK0 ·x−iAζ , Ψ0 (ζ, D) = cos A ζ 2 +ν 2 +  ζ 2 +ν 2   γi i sin(A ζ 2 +ν 2 ) i(K0 +g)·x−iAζ χg  e . (11.3.11) Ψg (ζ, D) =  |χg χ−g | γg ζ2 + ν2

Das Absolutquadrat der Wellenfunktion ergibt die Intensität, wobei hier die Absorption (ζ → y) vernachlässigt werden soll. Wir haben aber immer statt der Intensität die Strahlstärke Pg = |Ψg |2 γg /γi angegeben, da diese die Intensität auf den Querschnitt des einfallenden Strahls bezieht, was nur für den gebeugten Strahl (γi = γg ) von Relevanz ist: √ sin2 (A 1 + y2 ) . (11.3.12) P0 (y, D) = 1 − 1 + y2 Aus der Erhaltung des Energiestroms P0 (y, D)+ Pg (y, D) = 1 folgt sofort dass √ 1 sin(A 1 + y2 ) . (11.3.13) Pg = =⇒ Pg (y) = 1 + y2 2(1 + y2 )

Insbesondere ist die Rockingkurve Pg (y) für die abgebeugte Richtung experimentell zugänglich. Sie ist in Abb. 11.13 für eine dünne Kristallplatte dargestellt. In „dicken“ Kristallen werden die Oszillationen sehr eng und können experimentell nicht aufgelöst werden. Die gemittelte Verteilung ist eine LorentzKurve.

11.3 Laue- und Bragg-Fall 1

a

Pg

Rg 2 D2.550

0.5

3

1

427

Π2 1

y 1

3

b

2.5

D0

5

Abb. 11.13. (a) Rockingkurve im Laue-Fall bei einer Kristalldicke von D/Δ0 = 2.55 . Die gemittelte Kurve ist strichliert (b) Integrierte Intensität

Reflexionskurven bei schwacher Absorption Die Bedeutung der Pendellösungsoszillationen nimmt bei merklicher Absorption schnell ab, da eines der beiden Wellenfelder sehr viel stärker abgeschwächt wird, so dass die Interferenzen (Oszillationen) verschwinden. Man spricht dann von anomaler Absorption. Der Imaginärteil von K0 ·x−Aζ in (11.3.11) wird an der Rückfläche berechnet. Das ergibt   De 1 D 1 mit De = . (11.3.14) Im(K0 · x − Aζ) = μ0 + 2 γi γg 2 Die effektive Dicke De gibt die Wegstrecke an, die der Strahl im Kristall zurücklegt, um zur Rückfläche zu gelangen, wenn er dabei einen Zick-Zack-Weg in den beiden Richtungen kb und kb + g wählt. Die normale Schwächung des Strahls ergibt sich so aus der im Kristall zurückgelegten effektiven Wegstrecke. In Abb. 11.14 sind die Rockingkurven für unterschiedliche Absorption dargestellt. Bei normaler Schwächung würde im Falle μ0 De = 5 weder im abgebeugten noch im durchgehenden Strahl merkbare Intensität vorhanden sein. Dass trotzdem merkliche Intensität durchkommt, wie aus Abb. 11.14 ersichtlich, geht auf die anomale Absorption, die unterschiedliche Dämpfung der beiden Wellenfelder zurück   μ0 D πD  K1,2 · x|n·x=D = K0r · x + i −ζ ± ζ 2 + ν 2 . + 2γi Δ0

Daraus folgt unter Bezugnahme auf (11.2.36)   Im (K1,2 · x)

= n·x=D

μ0 D κA . ∓√ 2 2γi y +1

(11.3.15)

Hieraus ist unmittelbar ersichtlich, dass, wenn 2κA = μ0 De (d.h. χ0 = χg ), die Dämpfung für das Wellenfeld 1 für kleine y (fast) verschwindet. Zugleich stellt man fest, dass die Pendellösungsoszillationen mit zunehmender Absorption rasch an Bedeutung verlieren. Die gemittelten Strahlstärken sind

428

11 Röntgen-Streuung

2κA e−μ0 De cosh √ , (11.3.16) 2 2(1 + y ) 1 + y2  e−μ0 De  2κA 2κA  2 2 sinh √ √ (1 + 2y . ) cosh + 2y 1 + y P0 (y) = 2(1 + y2 ) 1 + y2 1 + y2

Pg (y) =

P0

0.5 Pg

1

0 1 2

4

2

0

2

4

(a)

4

2

0

2

4

5

(b)

Abb. 11.14. Gemittelte Intensitäten im Laue-Fall bei steigender Absorption μ0 De . Die Skalen richten sich nach den in (11.3.16) angegebenen reduzierten Strahlstärken. Die angegeben Kurven haben die normale Schwächung Na = e−μDe von 0, 0.5 und 5. (a) Reflexionskurven (b) Transmissionskurven: Die strichlierte Linie gibt die für Na zu erwartende (normale) Schwächung an

Integrale Reflektivitäten Integriert man die Rockingkurven, so erhält man die integralen Reflektivitäten  ˆ 2A ˆ ∞ 1 fu ¨r A → ∞ π π Rgy = (11.3.17) dy Pg (y) = dx J0 (x) ≈ 2 2 2A f u ¨r A → 0 . −∞ 0 J0 (x) ist eine Bessel-Funktion, Wallers Formel, die im Anhang B.4 genauer behandelt wird; für kleine Argumente hat man die Entwicklung J0 (z) =

∞ 

k=0

(−1)k

z 2k z2 , ≈ 1 − 22k (k!)2 2

|arg z| < π .

Diese Resultate sind experimentell sehr gut gestützt. Der nach (11.3.17) berechnete Verlauf ist in Abb. 11.13b aufgezeichnet. Bis zu Dicken D < Δ0 /2 steigt die Intensität linear an. In diesem Bereich ist die kinematische Theorie gültig. Die Abweichung von der Linearität wird als primäre Extinktion bezeichnet. Im Experiment wird der Kristall durch den Braggwinkel gedreht und die Intensität als Funktion des Glanzwinkels θ bzw. θ−θb gemessen:

11.3 Laue- und Bragg-Fall

    ˆ ˆ    dθ  θ y  dθ    Rg = d(θ−θb )Pg = dy Pg (y)   = Rg   . dy dy

429

(11.3.18)

Die integralen Reflektivitäten Rgy haben wir sowohl für den Laue-Fall (11.3.17) als auch für den Bragg-Fall (11.3.10) angegeben. 11.3.3 Die Bragg-Geometrie Die bereits im eindimensionalen Fall hergeleiteten Ergebnisse gelten weitgehend auch in drei Dimensionen. Eine Erweiterung ist nur durch die Berücksichtigung der Absorption notwendig. Die Randbedingungen lauten analog zum eindimensionalen Fall: 1. Stetigkeit der Wellenfunktion an der Vorderfläche (z=0): 1 = d1 (0) + d2 (0) . 2. Verschwinden der abgebeugten Welle an der Rückfläche (z=D): 0 = d1 (g) eik1 D + d2 (g) eik2 D . Die Rechnungen sind völlig analog dem eindimensionalen Fall, und man erhält (siehe Aufgabe 11.3) für die Amplituden: √ 2 2    ± ζ + ζ 2 − ν 2 e∓iA ζ −ν √2 2  d1,2 (0) =      √ 2 2, ζ + ζ 2 − ν 2 e−iA ζ −ν − − ζ + ζ 2 − ν 2 eiA ζ −ν  γi χg (11.3.19) d1,2 (g) =  |χg χ−g | |γg | √ 2 2 ±e∓iA ζ −ν √ 2 2  ×     √ 2 2. ζ + ζ 2 −ν 2 e−iA ζ −ν − − ζ + ζ 2 −ν 2 eiA ζ −ν Die Wellen an Vorder- (n·x = 0) und Rückfläche (n · x = D) sind Ψ0 (ζ, D) = d1 (0) eiK1 ·x + d2 (0) eiK2 ·x ,  Ψg (ζ, 0) = d1 (g) + d2 (g) ei(k+g)·x .

(11.3.20)

Mehr noch als im Laue-Fall ist im Bragg-Fall nur die reflektierte Welle von Interesse. Wie man es bei der Reflexion von der Oberfläche erwartet, fehlt in Ψg der Term mit der normalen Schwächung. Es ist etwas mühsam, die komplexen Winkelfunktionen in Real- und Imaginärteil zu zerlegen, weshalb hier auf eine weitere Auswertung verzichtet wird 2     2 −ν 2  χg   sin A ζ      Pg (y) =   . (11.3.21) χ−g   ζ 2 −ν 2 cos A ζ 2 −ν 2 − iζ sin A ζ 2 −ν 2 

430

11 Röntgen-Streuung

Bei verschwindender Absorption erhält man die Ergebnisse der Reflexion am eindimensionalen Gitter (11.3.8) dargestellt in Abb. 11.12, Seite 425. Die Pendellösungen spielen im Bragg-Fall im Allgemeinen eine geringere Rolle als im Laue-Fall, da von ihnen nur etwa 15% der Intensität betroffen sind, die in den Kristall eindringen und nicht gleich nahe der Oberfläche reflektiert werden. Auch die Berechnung der gemittelten Verteilung (siehe Aufgabe 11.1) ist etwas mühsamer. Für die über die Pendellösungen gemittelten Intensitäten erhält man so  1 für |y| ≤ 1 Pg (y) = (11.3.22) √ 1 − 1 − y−2 für |y| > 1 . Abb. 11.12 zeigt die mittlere Intensität. Die Reflexionskurven bei schwacher Absorption Die Absorption hat bei der Bragg-Reflexion eine etwas andere Bedeutung als im Laue-Fall. So wird bei jener der überwiegende Teil an der Oberfläche reflektiert, wobei die Eindringtiefe proprtional zu Δ0 ist. Bei geringer Absorption wird dieser Beitrag kaum geschwächt. Von der Rückfläche kommt ein weiterer Beitrag – etwa 15% – der stärker absorbiert wird. Das trifft aber nur Beiträge mit |y| > 1 , d.h., die Halbwertsbreite der Rockingkurve wird ein wenig schmäler. Um zu genaueren Aussagen zu kommen, betrachten wir eine einfachere geometrische Anordnung, den sogenannten symmetrischen Bragg-Fall. Bei diesem sind die Netzebenen parallel zur Oberfläche, so dass für den zugehörigen Gittervektor ˆ g = g/g = −n gilt, wobei wir uns auf Abb. 11.10 beziehen. Es ist dann γg = −γi . Darüberhinaus soll der betrachtete Reflex Inversionssymmetrie haben, woraus χ−g = χg folgt. Für die Suszeptibilität gilt immer |χg | ≤ |χ0 |. In der hier betrachteten Situation nehmen wir χg = χ0 mit der Polarisation C = 1. Wir bekommen dann unter Bezugnahme auf (11.2.37)  g + χ0r /|χg| y = −Λ (k − kb ) · ˆ (11.3.23) ζ = y + iη η = χ0i /|χg |. Mit diesen Annahmen wird die Absorption bestimmt durch μ0 De = 2ηA und κ = η (siehe (11.2.33)). Zunächst ein Faktum, das wir bisher nicht erwähnt haben: Die exakt in Bragg-Richtung einfallenden Wellen k ≡ kb liegen, ausgenommen beim symmetrischen Laue-Fall, alle asymmetrisch in Bezug auf die Reflexionskurven. Hier hat kb den Wert y = 1, liegt also am Rande des Plateaus. Wir kommen nun nochmals auf die Feldstärken |Dj (an )|2 an den Gitterpunkten a n zurück (siehe Aufgabe 11.4). Im Bereich |y| < 1 ist

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen 1 Pg

1 Pg

Pg

0.5

y 1

1

3

3

y 1

1

3

3

3

1

3

D30 Η0.10

D30 Η0.05 0.5

0.5

y 1

y 1

1 1 Pg

D30 Η0 0.5

1

3

1 Pg

Pg

3

D30 Η0.10

D30 Η0.05

D30 Η0 0.5

3

431

y 1

3

3

1

y 1

3

Abb. 11.15. Bragg-Reflexion an einem absorbierenden Kristall mit Inversionssymmetrie. Angenommen ist, dass χg = χ0 . Die Absorption wird durch η = χ0i /|χg | beschrieben. Die obere Zeile beschreibt den symmetrischen  Bragg-Fall, während die zweite Zeile eine asymmetrische Situation mit (γi − γg )/(2 γi |γg |) = 2 angibt

|D1 (an )|2 = |D2 (an )|2 , d.h., beide Intensitäten sind gleich, aber man beobachtet im Bereich −1 < y < 1, beginnend bei y = −1, eine Abnahme der Intensität und damit eine Zunahme der Absorption, wie man es auch Abb. 11.15 entnehmen kann.

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen Ausgangspunkt für die sphärische Theorie sollte die Kugelwelle sein. Die genaue Form ist hier jedoch nicht wesentlich, denn die dynamischen Gleichungen wählen aus dem angebotenen breiten Strahl ein sehr schmales Bragg-Fenster aus, in dem Beugung auftritt. Der Rest geht ungehindert durch. Man nimmt an, dass innerhalb dieses schmalen Fensters die Amplituden der Partialwellen konstant sind. Die „sphärischen“ Wellen in der gebeugten bzw. durchgehenden Richtung werden durch Superposition der ebenen Partialwellen aus dem Bereich des Bragg-Fensters gebildet: ˆ ∞ Φ0,g (x) = dy Ψ0,g (y) , (11.4.1) −∞

wobei für Ψ0,g (y) die Wellenfunktionen des Laue- bzw. Bragg-Falls einzusetzen sind. Die einfallende Welle Die mit (11.4.1) zu berechnenden Kristallwellen können von einer einfallenden Welle der Form

432

11 Röntgen-Streuung

ˆ Φi =

ˆ



∞+iη

dy eik·x =

−∞

dζ eik·x

(11.4.2)

−∞+iη

hervorgerufen werden. Für beide, (11.4.1) und (11.4.2), ist k als Funktion von y zu bestimmen. Wir orientieren uns an der Skizze Abb. 11.16 und entwickeln bis zur 1. Ordnung in ϑ − ϑi :   k = k cos ϑ n + sin ϑ ex ≈ kb + k(ϑ−ϑi ) cos ϑi ex −tan ϑi n . (11.4.3)  kb +g ϑi

ϑi

R kb +g ϑg

-

ex k ? n Rb

xm xg  −1 −→ Γl  b (a)

6

6 -

ex

? n

D

D

xi 1

j 0-

-

jkb -

xi

?

?

ϑg

2

−→ Γ



b

-

xg

-

(b)

Abb. 11.16. Γl bzw. Γ parametrisieren die Breite b des Borrmann-Fächers. (a) Laue-Fall: b = xi−xg und Γl = 2(x−xm)/b (b) Bragg-Fall: b = xi+xg und Γ = 2x/b

Wir ersetzen nun mittels (11.2.29) α → y : ϑ−ϑi = − sgn γg

α sin(2θb )

(11.2.36)

=

− sgn γg

γg −γi  2γg  πy − χ0r sin(2θb ) kΔ0 4γi γg

und erhalten k = kb −

 2|γ |γ yπ  γg −γi  g i ex −tan ϑi n . − sgn γg kχ0r sin(2θb ) Δ0 2 sin(2θb )

(11.4.4)

Anhand von Abb. 11.16 können wir den Ausdruck D

sin(ϑi − ϑg ) sin(2θb ) =D = D tan ϑi − D tan ϑg = xi − sgn γg xg = b |γi γg | γi γg

umformen. Damit definieren wir den Parameter Γ =

2x 2γi |γg | x = sin(2θb ) D b

(11.4.5)

und erhalten  kχ0r γg − γi   2z k·x = kb · x − Ay Γ − tan ϑi + x−z tan ϑi ). b 2b γi γg

Man erhält so für die einfallende Welle

(11.4.6)

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

ˆ

y0

φi (x) = lim

y0 →∞

dy eik·x = eikb ·x 2π

−y0

b δ(x−z tan ϑi ). 2A

433

(11.4.7)

Es ist dies ein Wellenbündel, das entlang der Bragg-Richtung lokalisiert ist und genau in einem Punkt (Linie) auf den Kristall auftritt. Dort breitet sich das Bündel innerhalb des Borrmann-Fächers, dem Winkelbereich von 2θb , der von den Vektoren kb und kb +g begrenzt wird, fächerartig aus. Es wird so die Ausbreitung von einer punktförmigen (linienförmigen) Quelle an der Kristallvorderfläche behandelt. Die Intensität der einfallenden Welle normieren wir auf ˆ ∞ bΔ0 1 Ii = . (11.4.8) dx |φi (x)|2 = 2y0 −∞ D Phasenfaktor Die Phase der einfallenden Welle ist zwar in (11.4.6) gegeben, doch kann man sie auf eine anschaulichere Form bringen. Man geht davon aus, dass der Strahl im Kristall einen Zick-Zack-Weg in den Richtungen von kb und kb + g zurücklegt, um zu einem Punkt x auf der Oberfläche zu kommen. In Abb. 11.17 ist diese im Kristall zurückgelegte Wegstrecke zusammengefasst zu s = s0 + s g =

D tan ϑi − x dg D D − dg (γg − γi ) . + = − sgn γg γi γg γi sin(2θb )

Die analoge Überlegung kann auch für den Bragg-Fall gemacht werden und man erhält für den Weg im Kristall s=

z x − z tan ϑi + sgn γg (γg − γi ) γi sin(2θb )

z=0

oder

z = D.

(11.4.9)

Daraus folgt  kχ0r   z 2z tan ϑi + s− , k · x = kb · x − Ay Γ − b 2 γi   kχ0 2z K0 · x = kb · x − Aζ Γ − tan ϑi + s. b 2

(11.4.10)

11.4.1 Laue-Fall Hat man einen divergenten einfallenden Strahl, der wie in Abb. 11.17 dargestellt durch einen schmalen Schlitz einfällt, so breitet sich dieser innerhalb der beiden Richtungen kb und kg aus. Dieser Borrmann-Fächer hat einen Öffnungswinkel von 2θb und an der Rückfläche eine Breite b. Man erhält also in diesem Bereich ein räumliches Intensitätsprofil. Wir gehen davon aus, dass unser Strahl monochromatisch ist und alle ebenen Partialwellen kohärent sind. Läßt man die Normierung beiseite, so kann die Kristallwelle (11.4.1) durch

434

11 Röntgen-Streuung ϑi

-ex I  6 lg n ?s0 l0

D

? xg  

sg

ϑg

Ig

x b −→ Γl

6 g R d? xi R I0

Abb. 11.17. Im Laue-Fall breitet sich der Strahl bei punkt- bzw. linienförmigem Eintritt innerhalb der Borrmann-Fächers aus. Um zu x zu kommen, legt der Strahl die Strecke s0 in der Richtung von kb und sg in der von kb + g zurück. Laue-Fall: b=xi−xg , Γl =2(x−xm )/b , l0,g =D/γ0,g

einfache Superposition der Lösungen der ebenen Partialwellen der dynamischen Theorie (11.3.11) gebildet werden:  ˆ ∞+iη sin (A ζ 2 +ν 2 ) −iAΓl ζ  Φg (x) = cg dζ e (11.4.11) ζ 2 +ν 2 −∞+iη ) ˆ ∞+iη (   iζ sin (A ζ 2 +ν 2 ) e−iAΓl ζ dζ cos (A ζ 2 +ν 2 ) +  Φ0 (x) = c0 ζ 2 +ν 2 −∞+iη   1 + Γl ∂ ∂ c0 − Φg (x). = (11.4.12) cg ∂A A ∂Γl Die Vorfaktoren und Γl sind gegeben durch χg ei(kb +g)·x+ikχ0 s/2 , cg =  |χg χ−g |

c0 = eikb ·x+ikχ0 s/2 ,

2(x − xm ) 2(x − xi ) + b = = Γ − Γi + 1 . b b Das Integral (11.4.11) hat einerseits keinen Schnitt in der ζ-Ebene, komplexen n da in den Potenzreihenentwicklungen des Integranden ζ 2 + ν 2 nur in geraden Potenzen auftritt und der Weg C in Abb. 11.18 keinen Pol einschließt, so dass nach dem Cauchy’schen Integralsatz ‰ ˆ ∞+iη ˆ ∞ dζ Ψg . dζ Ψg = 0 ⇒ dζ Ψg = Γl =

−∞+iη

C

−∞

Dieses Fourierintegral ist exakt lösbar und kann in Integraltafeln [Gradshteyn, Im ζ

?

C 

-

ζ

 -

η 66 ? y

Abb. 11.18. Integrationsweg C in der komplexen ζ-Ebene

Ryzhik, 1965, Ziff. 3.876-1] nachgesehen werden:

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

 Φg (x) = cg π J0 (νA 1 − Γl2 ) θ(1 − |Γl |) .

435

(11.4.13)

J0 und J1 sind Bessel-Funktionen. Für die durchgehende Wellenfunktion erhält man . /  J1 (νA 1−Γl2) 2π 2  δ(1−Γl) − πν (1+Γl) Φ0 (x) = c0 θ(1−|Γl |) . (11.4.14) A νA 1−Γl2

Da aus dem Bereich −∞ < y < ∞ nur ein sehr kleiner Teil gebeugt wird, geht fast alles ungestört durch, wenn man von der Phasenverschiebung durch das mittlere Kristallpotential absieht. Die δ-Funktion ist Ausdruck dafür, dass fast alles ungestreut durchgeht. Intensitätsprofile

Im Limes A → ∞ können die asymptotischen Entwicklungen der BesselFunktionen eingesetzt werden: Φg (k0 , x) ≈ cg

(

2π √ νA 1−Γ 2

) 12

 π sin (νA 1−Γ 2 + ) θ(1−|Γ |). 4

Unter Vernachlässigung der Absorption erhalten wir    (1 + Γl ) cos2 A 1−Γl2 + π4  P0 (Γ ) = , (1−Γl) 1−Γl2    sin2 A 1 − Γl2 + π4  . Pg (Γ ) = 1 − Γl2

(11.4.15)

(11.4.16)

(11.4.17)

Für den absorptionsfreien Fall zeigt Abb. 11.19 das Intensitätsprofil für den abgebeugten Strahl gebildet aus (11.4.13) und (11.4.8): Pg (Γl ) =

Aπ 2  J (A 1 − Γl2 ) . 2 0

Die Kristallplatte ist mit D/Δ0 = 5.6 dünn. Die asymptotische Entwicklung von J0 für dicke Kristalle führt zum Ergebnis der Strahlenbetrachtungen des vorhergehenden Abschnitts. Die Bedeutung der Pendellösungsoszillationen nimmt mit steigender Absorption rasch ab, d.h. die gemittelten Intensitätsprofile sind die physikalisch relevanteren Größen. Eine Ausnahme bilden Neutronen, die in vielen Kristallen nur sehr geringe Verluste durch Absorption haben.

436

11 Röntgen-Streuung Pg 2

1

0

1

1

L

Abb. 11.19. Räumliches Intensitätsprofil für dicke Kristalle (D/Δ0 = 5.6) und gemittelte Intensität (strichlierte Linie)

Näherungsweise Berechnung der Intensitätsprofile Methode der stationären Phase Einen etwas besseren Einblick bekommt man durch die approximative Lösung der Gleichungen mit der Methode der stationären Phase. Diese wird zur Auswertung von Integralen herangezogen, deren Integranden stark oszillieren. Sie findet demnach ihre Anwendung vor allem in der Optik. Gegeben sei das Integral ˆ b I= du A(u)eif (u) . a

In dieser Schreibweise sei A(u) eine langsam variierende Funktion verglichen mit den raschen Oszillationen des Faktors eif (u) . Die Integrationsgrenzen seien so gewählt, dass das Minimum von f (u) im Integrationsbereich liegt und durch die Grenzen keine Cutoff-Effekte auftreten. Entwickelt man um das Minimum (f  (u0 ) > 0) bei u0 , so folgt ˆ ∞  2 if (u0 ) I ∼ A(u0 ) e du e(i/2)f (u0 )(u−u0 ) −∞   = A(u0 ) 2π/f (u0 ) eif (u0 )+iπ/4 . (11.4.18) Das hier auftretende Integral ist ein vollständiges Fresnel-Integral ˆ ∞  π (iπ/4) sgn α iα u2 e . du e = |α| −∞

Der Beitrag zum Integral kommt von einem schmalen Bereich um die stationäre Phase u0 . Der Integrand von (11.4.11) wird mit zunehmender Dicke A eine sehr schnell variierende Funktion. Zerlegt man den Sinus in seine beiden exponentiellen Anteile ˆ ∞  √   √  dy iA y2 +ν 2 −Γ y iA − y2 +ν 2 −Γ y √ Φg (x) = cg e , −e 2 2 −∞ 2i y + ν

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

437

so bietet sich Φg für die Berechnung mit der Methode der stationären Phase an:  ∂   2 ±y A ± ν + y2 − Γ y = 0 ⇒ Γ =  0 . (11.4.19) ∂y y20 + ν 2

Wertet man nun das Integral mit der stationären Phase y0 aus, so erhält man die asymptotische Wellenfunktion (11.4.15). Berechnung des Intensitätsprofils mit ebenen Wellen

±y0 gibt nicht nur den Wert der stationären Phase, sondern auch die Richtung des Energietransports (Poynting-Vektor) jeweils eines Wellenfeldes zum Punkt Γ an. Summiert man die Partialwellen, die zum einem fixen Wert Γ gehören, so erhält man wiederum  2      2  dy  d(−y) dy  1   1    2 2 P0,g (Γ )= Ψ0,g (−y) (y) (y)  + Ψ0,g  = Ψ0,g (−y) i + Ψ0,g    dΓ dΓ dΓ

für die Wellenfunktion das schon bekannte Resultat (11.4.15) und für die Intentsität (11.4.17). Es gibt so keine Diskrepanz zwischen der sphärischen Theorie und der Theorie ebener Wellen [Shull, Oberteuffer, 1972] 11.4.2 Die Intensitätsprofile im Bragg-Fall Die Intensitätsprofile im Bragg Fall sind von geringerer Bedeutung als die im Laue-Fall, da der Hauptbeitrag nahezu unabhängig von der Dicke der Kristallplatte unmittelbar am Eintrittspunkt reflektiert wird und keine deutliche Interferenzstruktur aufweist. Die folgende Berechnung der sphärischen Welle [Kato, 1974] ist relativ lang und enthält technische Details, die nur für einige Leser von Interesse sind. Wir empfehlen, mit dem Abschnitt 11.4.4 weiterzumachen, bzw. sich auf die Endresultate (11.4.47) und (11.4.48) zu konzentrieren.

Die Amplituden im Bragg-Fall Im Bragg-Fall können die Integrale nicht wie im Laue-Fall durch Integration der Wellenfunktion Ψg (ζ) direkt berechnet werden (siehe (11.4.11)). Mit der Entwicklung der Amplituden (11.3.19) in eine Potenzreihe trägt man, wie später deutlich wird, der Tatsache Rechnung, dass an der Rückseite der Kristallplatte Wellen reflektiert werden, die räumlich getrennt von dem an der Vorderfläche reflektierten Anteil sind (siehe Abb. 11.22). Zunächst bemerkt man, dass  1 ζ − ζ2 − ν2  = . ν2 ζ + ζ2 − ν2

438

11 Röntgen-Streuung

Diese Relation ist für die Entwicklung von (11.3.19) in eine geometrische Reihe nützlich:  1 ζ − ζ2 − ν2 ˆ d1 (g) = dg , (11.4.20)  √ 2 2 2 √ 2 ζ −ν ζ− ν 2iA ζ 2 −ν 2 e 1− ν √ 2 2  2iA ζ −ν ζ − ζ2 − ν2 e ˆ √ d2 (g) = −dg ,   √ ζ− ζ 2 −ν 2 2 2iA ζ 2 −ν 2 ν2 e 1− ν

wobei wir die Abkürzung  γi χg dˆg =  |χg χ−g | |γg |

(11.4.21)

eingeführt haben:

 ∞  √  ζ − ζ 2 −ν 2 2n+1 2iAn√ζ 2 −ν 2 dˆg  2iA ζ 2 −ν 2 1−e d1 (g) + d2 (g) = e . ν ν n=0

(11.4.22)

Die Wellenfunktion Die ebene Welle im Kristall ist   Ψ (x) = d1 (g) eiK1 ·x + d2 (g) eiK2 ·x eig·x .

(11.4.23)

Wir benötigen die Wellenvektoren (11.4.10) an der Vorderfläche x = (x, 0) für die gilt

kχ0r s. 2 Die sphärische Welle an der Vorderfläche ist dann ˆ ∞   kχ0r Φg (x) = ei(kb +g)·x+ 2 s dy e−iAΓ y d1 (g) + d2 (g) . K1,2 · x = k · x = kb · x − AyΓ +

(11.4.24)

(11.4.25)

−∞

s ist wiederum der Zick-Zack-Weg zum Punkt x. Wir gehen nun von y zu ζ. Γ haben wir in (11.4.5) bereits bestimmt, wobei D die Dicke der Kristallplatte ist. Wir definieren nun d˜g = dˆg ei(kb +g)·x+iskχ0 /2 und erhalten für die Wellenfunktion ˆ √ 2 2  d˜g ∞+iη Φg (x) = dζ e−iAΓ ζ 1 − e2iA ζ −ν ν −∞+iη  ∞   ζ − ζ 2 −ν 2 2n+1 2iAn√ζ 2 −ν 2 . e × ν n=0

(11.4.26)

(11.4.27)

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

Zur Berechnung von Φg hat man Integrale der Form ˆ √ 2 2  ζ − pζ 2 −ν 2 m 1 ∞+iη Rm (s1 , s2 ) = e−is2 ζ eis1 ζ −ν dζ ν −∞+iη ν

439

(11.4.28)

zu berechnen, da Φg (x) = d˜g

∞ h i X R2n+1 (2nA, AΓ ) − R2n+1 (2(n+1)A, AΓ )

(11.4.29)

n=0

 ∞ h i X R2n+1 (2nA, AΓ ) − R2n−1 (2nA, AΓ ) . = d˜g R1 (0, AΓ ) + n=1

11.4.3 Auswertung des Integrals Rm Die folgende Berechnung des Integrals Rm wird nur für wenige von Interesse sein. Trotzdem zeigen wir die Herleitung detailliert, da diese nur selten zu finden ist und aufgrund der uneinheitlichen Bezeichnungen das Nachvollziehen der Rechnung in anderen Büchern noch mühsamer ist: ˆ  ζ − pζ 2 −ν 2 m √ 2 2 1 ∞+iη Rm (s1 , s2 ) = e−is2 ζ+is1 ζ −ν dζ ν −∞+iη ν p  √ 2 2  ζ − ζ 2 −ν 2 m 1 (11.4.30) e−is2 ζ+is1 ζ −ν . dζ = ν C′ ν

Nun ist sowohl s1 = 2nA > 0 als auch s2 = AΓ > 0. Nach Abb. 11.20 ist das Integral über den unteren Halbkreis C− zu schließen, wenn

(11.4.31)

s2 −s1 = A(Γ −2n) > 0,

da dann C− nichts beiträgt. Der Integrand hat im eingeschlossenen Bereich keine Pole, so dass nach dem Cauchy’schen Integralsatz4 der Weg auf C ′ zusammengezogen werden kann. Im nächsten Schritt machen wir die Transformation w = ζ/ν:   m p √ 2 Rm (s1 , s2 ) = dw w − w2 −1 e−is2 νw+is1 ν w −1 . (11.4.32) C ′′

Die Koordinatentransformation ̺e



p = w + w2 −1

mit

̺=

r

s2 +s1 s2 −s1

(11.4.33)

macht aus dem im Uhrzeigersinn verlaufenden Weg C ′′ einen Kreis mit dem Radius ̺, der im Gegenuhrzeigersinn durchlaufen wird. Es ist 4

˛

dz f (z) = 0, wenn die f (z) analytisch in F ist. ∂F

440

11 Röntgen-Streuung

w

ζ C+ O −ν

C

(a)

C− 

j 

6 η ?

ν

−1 (b)

C

1



Abb. 11.20. (a) η > |κ| > 0; in der Skizze ist Im ν < 0; für s2 − s1 trägt C− nicht bei und der Weg kann auf C  zusammengezogen werden. (b) C  ist der Weg C  in der w-Ebene

s2 w−s1

    s2 −s1   s 2 + s1  w − w2 −1 + w + w2 −1 w2 −1 = 2 2 s2 +s1 1 −iϕ s2 −s1 iϕ e

e = s22 −s21 cos ϕ, + = 2

2

Rm (s1 , s2 ) =

i 2



√2 2  1  dϕ eiϕ − iϕ −m e−iϕm e−iν s2 −s1 cos ϕ . (11.4.34)

e

Hier greift man auf eine Integraldarstellung der Bessel-Funktionen [Gradshteyn, Ryzhik, 1965, Ziff. 8.411] zurück: ˆ π inπ/2 ˆ π    1 −inφ+iz sin φ φ=φ −π/2 e Jn (z) = dφ e = dφ e−inφ −iz cos φ . 2π −π 2π −π (11.4.35) Danach ist m−1 s2 −s1 Rm (s1 , s2 ) = iπ (−i) (11.4.36) s2 +s1



   s2 −s1   Jm+1 ν s22 −s21 θ(s2 −s1 ). × Jm−1 ν s22 −s21 + s2 +s1 m−1



Die θ-Funktion berücksichtigt, dass für s2 < s1 das Integral (11.4.28) über den Halbkreis C+ ausgewertet wird, wo es verschwindet. 11.4.4 Die gesamte Wellenfunktion

Wir fassen die einzelnen Summanden zusammen:  ∞    . R2n+1 (2nA, AΓ ) − R2n−1 (2nA, AΓ ) Φg (x) = d˜g R1 (0, AΓ ) +  n=1  Iπ Φgn (11.4.37)

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

441

Wir ziehen noch den Faktor iπ heraus und erhalten ∞ 

 Φg (x) = iπ d˜g Φg0 (Γ ) + Φgn (Γ ) .

(11.4.38)

n=1

Der Vorfaktor χg d˜g =  |χg χ−g |



γi ikb ·x+iskχ0 /2 e |γg |

(11.4.39)

wurde bereits in (11.4.26) festgelegt. Die Wegstrecke s, die ein Strahl zurücklegen muss, um zum Punkt x zu kommen ist in Abb. 11.21 skizziert. Die Φgn -Funktionen sind die Beiträge der an der Rückseite n-fach reflektierten Wellen, wie man der Skizze 11.21 oder Abb. 11.22 entnehmen kann.

 kb +g 2θb

ϑi

6 D

?

j0 - −→ Γ xi 2 ex Y ϑg jkb n? 

s0 b

x

 sg

- j

Abb. 11.21. Länge s = s0 + sg des ZickZack-Weges (strichliert) zum Punkt x; anders als in der Skizze geht man davon aus, dass der Strahl jeweils nur kurze Wege in den Richtungen kb und kb +g innerhalb des Kristalls zurücklegt; man sieht unmittelbar, dass die normale Dämpfung bei der an der Vorderfläche gebeugten Welle Φg0 nur eine untergeordnete Rolle spielt; Γ = 2x/b

Reflexion an der Vorderfläche Der bei Weitem überwiegende Beitrag kommt von n = 0:      Φg0 (x) = d˜g R1 (0, AΓ ) = d˜g iπ J0 νAΓ + J2 νAΓ θ(Γ )

(11.4.40)

J0 (x) + J2 (x) = 2J1 (x)/x.

2πi J1 (νAΓ ) θ(Γ ), Φg0 (x) = d˜g νAΓ  χg γi ikb ·x+iskχ0 /2 ˜ dg =  . e |γ |χg χ−g | g|

(11.4.41)

Das ist der direkt an der Vorderfläche reflektierte Anteil, der gemäß (11.4.20) der 1. Term in der Entwicklung von d1 (g) ist. Trägt jedoch nur ein Wellenfeld zur Intensität bei, so kann man keine den Pendellösungslängen entsprechende Interferenzstruktur erwarten.

442

11 Röntgen-Streuung

Die Halbwertsbreite der Amplitude von Φ0g ist von der Dicke D der Platte unabhängig und beträgt ungefähr AΓ ≈ 2.2, was einer Breite x = (2.2 b/2πD)Δ0 ∼ Δ0 entspricht. d˜g enthält die durch μ0 = kχ0i gegebene normale Schwächung, die proportional der Länge s des Zick-Zack-Weges zum Punkt x ist. In Abb. 11.21 ist s als strichlierte Linie eingezeichnet. Beiträge von der Rückfläche Wir gehen hier von der Vorstellung aus, dass diese Teile der sphärischen Welle in den Kristall eintreten und an der Rückfläche (teilweise) reflektiert werden. Verfolgt man den Weg analog der Strahlenoptik, so beginnen die Beiträge mit Γ = 2 oder x = b:   Γ −2n n−1    n−1 ˜ Φgn (x) = dg (−iπ) (−1) J2n−2 νA Γ 2 −4n2 Γ +2n n     Γ −2n J2n νA Γ 2 −4n2 +2 Γ +2n n+1     Γ −2n + (11.4.42) J2n+2 νA Γ 2 −4n2 θ(Γ −2n). Γ +2n Das Intensitätsprofil Die Vorgehensweise zur Berechnung der Intensität ist einfach, da man nur das Absolutquadrat der Wellenfunktion Φg anzugeben hat. Φg erhält man, indem man in (11.4.38) die einzelnen Summanden (11.4.42) einfügt. Unser Interesse gilt weniger der auf die x-Komponente bezogenen Intensität als der mit der Intensität Ii (11.4.8) der einfallenden Welle normierten und auf mit Γ (11.4.5) parametrisierten: Strahlstärke ∞ 2  2  |γg | D b ˜ 2 2  |γg | Φg  dx  Pg (Γ ) = = |dg | π  Φgn (Γ ) . (11.4.43)   γi Ii dΓ γi bΔ0 2 n=0

In dickeren Kristallen, D/Δ0 1, fällt die Wellenfunktion Φg0 (11.4.41) als Funktion von Γ stark ab, und es gibt praktisch keine Überlappung mit Φgn für n ≥ 1. Es gilt auch für nicht zu große n, dass Φgn mit n ≥ 1 keine Überschneidung mit Φgn für n ≥ n hat. Zudem nehmen Beiträge mit wachsendem n zur Gesamtintensität rasch ab. Die gesamte Intensität kann daher mit der Summe der Intensitäten |Φgn |2 genähert werden:   ∞ ∞  2 2   χg  −μ s πA    n   n −μ0 s πA e 0  Φ Φ (Γ ) ≈ e (Γ ) Pg (Γ ) =      . (11.4.44) g g g χ−g  2 n=0 2 n=0 μ0 = kχ0i ist der lineare Schwächungskoeffizient und s die in Abb. 11.21 strichliert dargestellte Wegstrecke, die der Strahl zum Punkt x an der Vorderfläche zurücklegt:

11.4 Dynamische Beugung sphärischer Wellen

s=

x (γi − γg ) . sin(2θb )

443

(11.4.45)

Γ = 2x/b ist auch in Abb. 11.22 eingezeichnet. Der Hauptbeitrag zur Intensität kommt von  2 J (AΓ ) 2 2 πA    1 Pg0 (Γ ) = Φg0 (Γ ) θ(Γ ) =  (11.4.46)  θ(Γ ) . 2 AΓ Die Halbwertsbreite liegt bei AΓ ≈ 1.6, wobei AΓ = 2π (x/Δ0 ) (D/b) mit D/b = |γi γg |/ sin(2θb ). Pg0 (x) ist somit von D unabhängig. Die Breite der Reflexionskurve in Abb. 11.22 ist ∼ Δ0 . Die Beträge mit n ≥ 1 haben eine Pendellösungsstruktur über die gemittelt werden kann. Die strichlierte Linie in Abb. 11.22 deutet diese Mittelung an. Mit ihr ist es auch möglich, die Größe der einzelnen Beiträge zur gesamten Intensität anzugeben: 4 2n−2 ∞   πA  2J1 (AΓ ) 2 θ(Γ −2n) 2n Γ −2n √ P g (Γ ) = .   θ(Γ ) + 8 2 AΓ Γ +2n Γ +2n Γ 2 −4n2 n=1

(11.4.47)

Integriert man die Intensitäten, so erhält man (wie es sein muss) ∞

3 · 16 8  = π. Rg = + 3 n=1 (16 n2 − 9)(16 n2 − 1)

(11.4.48)

Die gesamte Reflektivität muss natürlich gleich der der ebenen Wellen sein, aber man sieht, dass – keine Absorption vorausgesetzt – ungefähr 15% der Intensität aus dem Bereich Γ > 2 kommen, aber nur 4 aus dem Γ > 4 . Die

Pg 10

0W

W

5

1

2



−→ Γ

2 4  W

3

4

Abb. 11.22. Intensitätsprofil im Bragg-Fall. Bemerkenswert ist der Anteil der Strahlung von der Rückfläche, der, da räumlich getrennt vom Hauptanteil, nicht immer den Rockingkurven und integralen Intensitäten zugerechnet wird

Gleichungen (11.4.47) und (11.4.48) legen nahe, dass die durchgehenden Welle im Kristall mehrfach hin und her reflektiert wird und an Orten, die räumlich

444

11 Röntgen-Streuung

weit getrennt sind, austritt (siehe Abb. 11.22). Die einzelnen Anteile interferieren kaum, so dass die Intensität als eine Summe von n-fach reflektierten Wellen interpretiert werden kann. Es soll damit nicht gesagt sein, dass die Teilstrahlen Φgn inkohärent zueinander sind; es ist nur sicher, dass sie wegen der räumlichen Trennung nicht interferieren. Daher ist in Spektrometern, die mehrere Bragg-Reflexe verwenden, wie z.B. die Bonse-Hart-Kamera [Villa et al., 2003] zu achten, dass die Beiträge von der Rückfläche nicht störend eingreifen.

11.5 Takagi-Taupin-Gleichungen Im Abschnitt 11.2 wurde die Wellengleichung (11.2.5) mithilfe des BlochAnsatzes (11.2.7) in ein lineares, homogenes Gleichungssystem transformiert, das nahe einer Bragg-Bedingung auf die 2×2-Matrix (11.2.18) reduziert und gelöst werden konnte. Während beim Eintritt in den Kristall die Tangentialkomponente des Wellenvektors ungeändert bleibt, tritt in der Normalkomponente eine Aufspaltung in zwei sehr nahe beieinanderliegende Vektoren Ki auf, die zu Interferenzen (Pendellösungen) führen. Die Röntgenstrahlen breiten sich im Kristall mit den für sie typischen Wellenlängen von ∼ 1 Å = 10−4 μm aus, denen Pendellösungsoszillationen von ∼ 10 μm überlagert sind. Liegen nun leicht veränderte Bedingungen vor, wie sie z.B. durch ein verformtes Kristallgitter gegeben sind, so muss der Bloch-Ansatz modifiziert werden, damit eine Separation der beiden Oszillationen erreicht wird. Takagi [1969] hat in seinem Ansatz für die nahe beeinanderliegenden Werte von Ki einen in der Nähe der Bragg-Bedingung liegenden, aber ’frei’ zu wählenden Wert von K0 vorgegeben. Die Bloch-Amplituden sind dann zwar ortsabhängig, variieren aber innerhalb einiger Einheitszellen nur wenig, was einer Eikonalnäherung (10.3.14a) für die einzelnen Strahlrichtungen gleichkommt. 11.5.1 Idealkristalle Es wird hier die Beugung einer ebenen Welle an einer Kristallplatte mittels der Eikonalnäherung Takagis hergeleitet:  eiSg (x) Dg (x), Sg (x) = Kg ·x, Kg = K0 +g. (11.5.1) D(x) = g

Hierbei ist K0 der Wellenvektor, mit dem sich die Röntgen-Strahlen in einem homogenen Medium oder, was gleichwertig ist, in einem Kristall fern von jeder Bragg-Bedingung ausbreiten: K0 = nk = (1+χ0 /2)k,

K0 = k .

(11.5.2)

(11.5.1) entspricht dem Ansatz (10.3.14a) für jeden Strahl der Richtung Kg . Dg (x) ist die langsam variierende Amplitude,x nicht-korrigiert.txt deren 2. Ableitung vernachlässigt wird. Nun wird der Ansatz (11.5.1) in (11.2.5)

11.5 Takagi-Taupin-Gleichungen

445

eingesetzt. Man erhält unter Verwendung von (11.2.9) die Takagi-TaupinGleichungen in der (11.2.11) entsprechenden Form, wobei in der Summe Kg durch k ersetzt wurde:   2iK0 ·∇ Dg (x) = Kg2 −k 2 −k2 χ0 Dg (x) − k 2 χg−g Dg [g] (x). (11.5.3) g =g

Für das Wirbelfeld D gilt, da |∇·Dg |  |Kg ·Dg |:  ∇ · Dg = eiKg ·x (iKg +∇) · Dg = 0 ⇒ g

Kg · Dg = 0.

(11.5.4)

Jetzt wird, analog zur Vorgangsweise für (11.2.12) mit Dg skalar multipliziert (Dg [g] ·Dg = Dg Dg Cg g ):  ˆ g ·∇ Dg (x) = −ikβg Dg (x) + ik χg−g Cg g Dg (x), K 2  g =g

1  βg = 2 Kg2 −k 2 (1+χ0 ) . 2k

(11.5.5)

Die Bezeichnung βg folgt Authier [2002, (11.6)] und ist gleich α (11.2.28). Der Zweistrahlfall Erfüllt die einfallende Welle eine Bragg-Bedingung nur für g, so reduziert sich die Summe in (11.5.5) auf einen Summanden, und es ist Cg0 = C0g = C, d.h. χ ˜±g = Cχ±g , und β0 = 0. Zugleich wechseln wir zu den schiefwinkeligen ˆ 0 , und ˆ ˆ g , die entlang der Strahlrichtungen orienKoordinaten ˆ s0 = K sg = K tiert sind, wie Abb. 11.23 zu entnehmen ist. Die Takagi-Taupin-Gleichungen (TT-Gleichungen) sind nun ∂ k D0 (x) = − χ ˜−g Dg (x), ∂s0 2 k ∂ ˜g D0 (x). Dg (x) = kβg Dg (x) − χ i ∂sg 2 i

(11.5.6)

Der Skizze Abb. 11.23 folgend ist (γg = cos ϑg ) ˆ 0 = ex sin ϑi + ez γi , ˆ s0 ≡ K

ˆ g = ex sin ϑg + ez γg . ˆ sg ≡ K

Im Laue-Fall ist γg > 0, aber meist sin ϑg < 0. P (x, z) hat die Koordinaten: x = s0 sin ϑi +sg sin ϑg ,

z = s0 cos ϑi +sg cos ϑg .

(11.5.7)

Es ist sg < 0, d. h. sg sin ϑg > 0. Die Stetigkeit an der Eintrittsfläche xe ist gewährleistet, wenn D0 (xe ) nicht von x abhängt. Das legt den Ansatz nahe:

446

11 Röntgen-Streuung

ϑ i sg

R ˆ sg z ϑg

-

x

ex ˆ s ? n R0

θb

P

θb s 0

Abb. 11.23. Laue-Fall: P (x, z) ist Punkt im Kristall. Hier ist ϑi = ϑ0 > 0 und ϑg < 0. s0 und sg sind sg Wege entlang der Richtungen ˆ s0 und ˆ

D0 (x) = D0 (z) = eik(γi s0 +γg sg )



Dg (z) =

2 γi D0 (z). χ ˜−g

(11.5.8)

Eingesetzt in (11.5.6) folgt −k γi D0 +

k χ ˜−g Dg = 0, 2

(11.5.9)

k χg D0 − k( γg +βg )Dg = 0. 2 Damit die homogene Gleichung nicht triviale Lösungen hat, muss die Säkulardeterminante verschwinden: γi ( γg +βg )−|χ ˜g |2 /4 = 0.

(11.5.10)

Das ist die Säkulargleichung (11.2.32), da βg = α. Es kann demnach das Resultat (11.2.35) übernommen werden, wobei festzuhalten ist, dass hier der Bragg-Fall noch enthalten ist, da als Randbedingung nur die Stetigkeit der Tangentialkomponente an der Eintrittsfläche eingegangen ist. Das ergibt zwei Lösungen (Wellenfelder) D01 und D02 , wobei in (11.2.39) gegeben ist:

πz  − y ± y2 +sgn γg . k 1,2 z = Δ0

Im nächsten Schritt sind die Randbedingungen (Stetigkeit der durchgehenden Welle; keine abgebeugte Welle an der Eintrittsfläche) zu berücksichtigen, wobei die Gesamtlösung eine Superposition der beiden Wellenfelder ist: a1 D01 (0)+a2 D02 (0) = a1 +a2 = 1, a1 Dg1 (0)+a2 Dg2 (0) = (a1 1 +a2 2 )/χ−g = 0.

(11.5.11)

Setzt man die Lösungen a1 = 2 /( 2 − 1 ),

a2 = 1 /( 1 − 2 )

in die Amplituden D0 (z) und Dg (z) ein, so erhält man die bereits bekannten Wellenfunktionen (11.3.11). Dasselbe Verfahren kann naturgemäß auch für den Bragg-Fall angewandt werden. Die Vorteile der Eikonalnäherung werden jedoch erst bei komplizierteren Randbedingungen evident.

11.5 Takagi-Taupin-Gleichungen

447

11.5.2 Leicht verzerrtes Kristallgitter Ausgehend vom Raumpunkt x0 wird eine Verzerrung u(x0 ) des Kristallgitters angenommen, so dass x = x0 +u(x0 ). Eingesetzt in die gitterperiodische Wechselwirkung (11.2.6) erhält man  χ (x) = χ(x−u(x0 )) = χg eig·(x−u) , (11.5.12) g

wobei sich der Verschiebungsvektor u über mikroskopische Distanzen nur wenig ändert, so dass in (11.5.12) u(x0 ) durch u(x) ersetzt werden kann. Das verzerrte Gitter wird im Verschiebungsfeld durch den Ansatz  D(x) = eiKg ·(x−u) Dg (x) (11.5.13) g

berücksichtigt. Für den Basisvektor des verzerrten Gitters gilt (Aufgabe 11.5) in 1. Ordnung ai (x) = ai +ai ·∇u(x),

i = 1, 2, 3,

wobei ai der Basisvektor des unverzerrten Gitters ist. Die Basisvektoren bi des verzerrten reziproken Gitters erfüllen in 1. Ordnung in u ai ·bj = 2πδij ,

bi = bi −bi ·∇ u,

vc = vc (1+∇·u).

(11.5.14)

vc = a1 ·(a 2 ×a3 ) bzw. vc ist das Volumen der Einheitszelle des idealen bzw. des verzerrten Gitters. Der (allgemeine) reziproke Gittervektor des verzerrten Gitters ist dann gemäß (11.5.14) g (x) = g − ∇g·u(x).

(11.5.15)

Aus der Quellenfreiheit von D (11.5.4) folgt (Kg = K0 +g (x)): i(Kg +∇)·Dg = 0,

|∇·Dg |  |Kg ·Dg |.

(11.5.16)

Da sich die Richtung von Kg nur wenig von Kg und damit von sg unterscheidet, können die TT-Gleichungen (11.5.5) nahezu unverändert übernommen werden: ∂ ik  Dg (x) = −ikβg Dg (x) + χg−g Cg g Dg  (x), ∂sg 2  g =g  2  2 βg = Kg −k (1+χ0 ) /2k 2 .

(11.5.17)

Der relevante Unterschied zu (11.5.5) besteht in der Ortsabhängigkeit der Koeffizienten βg . Eingeschränkt auf den Zweistrahlfall erhält man

448

11 Röntgen-Streuung

k ∂  D = −ikβ0 D0 + i χ−g C Dg , ∂s0 0 2 k ∂ Dg = −ikβg Dg + i χ0 C D0 . ∂sg 2

(11.5.18)

Randbedingungen für den Zweistrahlfall Die Eintrittsfläche xe , die bislang unendlich ausgedehnt und eben war, sei nun ’quasi-eben’, d.h., in dem Bereich, in dem die einfallende Welle nicht verschwindet, kann xe als eben angesehen werden Di (x) = ψi (x) eik·x .

(11.5.19)

Es handelt sich dabei im Allgemeinen um eine sphärische Welle bzw. ein Wellenbündel endlicher Breite. Die Kontinuität auf der Eingangsfläche kann geschrieben werden als ψi (xe ) eik·xe = D0 (xe )eiK0 ·xe + Dg (xe ) eiKg ·xe −ig·u .

(11.5.20)

Mithilfe der Definition φi (x) = ψi (x) ei(k−K0 )·x kann die Randbedingung (11.5.20) umgeschrieben werden:    D0 (xe ) = φi (xe )  ig·(xe −u) D0 (xe )−φi (xe ) +Dg (xe )e (11.5.21) =0 ⇒ Dg (xe ) = 0. Eingesetzt in die TT-Gleichungen erhält man die Randbedingungen für die Ableitungen, wenn β0 = 0 ∂D0 (xe ) = 0, ∂s0

∂Dg (xe ) ik  = χ ˜ φi (xe ). ∂sg 2 g

(11.5.22)

Aufgaben zu Kapitel 11 11.1. Mittelung der Rockingkurve im Bragg-Fall: Berechnen Sie die gemittelte Intensität P¯g (11.3.22) ausgehend von (11.3.8). Hinweis: Bilden Sie den Mittelwert für y > 1 durch Integration über ein DickeIntervall ΔA. 11.2. Integrale Reflektivität im Bragg-Fall: Verifizieren Sie die integrale Intensität (11.3.10) durch Integration von Pg . Anleitung: Zunächst formen Sie das Integral um: ˆ ∞ 1 1 . R = −i dy     y −∞ y 2 − 1 cot A y 2 − 1 − iy

Literaturverzeichnis

449

Dann zeigen Sie, dass der Integrand auf der reellen Achse nur einen Pol bei y = 0 und auf der oberen Hälfte der komplexen Ebene (Im y > 0) regulär ist. Das geht etwa mit der Transformation u = i sinh y = ξ + iη



Im y = sinh ξ cos η > 0 .

Dann können Sie mit dem Residuensatz das Integral auswerten. 11.3. Berechnung der Wellenfunktion für den Bragg-Fall: ϑi kU

kg

3

ϑg g

UU K

1,2

ϑi k U

z=0

z=D

Nebenstehende Skizze zeigt eine Kristallplatte an der der einfallende Strahl ψi (x) = eik·x gemäß dem Bragg-Fall reflektiert wird. Verifizieren Sie mit den im Abschnitt 11.3.3 angegebenen Stetigkeitsbedingungen die Amplituden der reflektierten und der durchgehenden Welle (11.3.19) und geben Sie die zugehörigen Wellenfunktionen an.

11.4. Anomale Absorption: Zeigen Sie, dass im Laue-Fall das Wellenfeld 1 seine Knoten nahe den Atomlagen hat, während die Knoten des Wellenfeldes 2 zwischen den Atomen liegen. Analysieren Sie die Situation auch für den Bragg-Fall, wo eine solch einfache Unterscheidung nicht mehr zielführend ist. Hinweis: Berechnen Sie die Intensität |D(x)|2 für die Bloch-Wellen (11.2.7) von inversionssymmetrischen Reflexen. 11.5. Schwach verzerrtes reziprokes Gitter: Ein Bravaisgitter mit den Basisvektoren ai und den zugehörigen reziproken Basisvektoren bi , i = 1, 2, 3 werde verzerrt: x = x+u(x). Bestimmen Sie die Basisvektoren des verzerrten Gitters ai , bi und das Volumen vc der verzerrten Einheitszelle in erster Ordnung in u.

Literaturverzeichnis A. Authier Dynamical Theory of X-Ray Diffraction, Oxford University Press (2002) G. Borrmann, Z. Physik 127, 297 (1950) P.P. Ewald, Ann. Physik 49,1 (1916) I.S. Gradshteyn and I.M. Ryzhik, Table of Integrals, Series, and Products, Academic Press N.Y.(1965) N. Kato Dynamical Theory for perfect crystals in L. Azaroff et al. X-Ray Diffraction, McGraw-Hill (1974) Max von Laue Röntgenstrahlinterferenzen, 3. Aufl. Akadem. Verlagsges. Frankfurt (1960) H. Rauch und D. Petrascheck in Neutron Diffraction, Topics of Current Physics 6, Springer (1978) F. Schwabl Quantenmechanik, 7. Aufl. Springer Berlin (2007) C.G. Shull and J. Oberteuffer, Phys.Rev.Lett. 29, 871 (1972)

450

11 Röntgen-Streuung

S. Takagi A Dynamical Theory of Diffraction for a Distorted Crystal J. Phys. Soc. Japan 26, 1239–1253 (1969) J. J. Thomson Notes on recent researches in electricity and magnetism, Clarendon Press, Oxford (1893) I A Vartanyants and M V Kovalchuk, Theory and applications of x-ray standing waves in real crystals, Rep. Prog. Phys. 64, 1009–1084 (2001) M. Villa et al., J. Appl. Cryst. 36, 769 (2003) W.H. Zachariasen Theory of X-Ray Diffraction in Crystals, John Wiley & Sons, London (1945)

12 Spezielle Relativitätstheorie

Die Vorstellung von der Fortpflanzung von Licht bzw. elektromagnetischen Wellen war mit einem Medium verbunden, dem sogenannten (Licht-)Äther. Daher war es anfangs nicht sehr störend, dass die Maxwell-Gleichungen nicht invariant waren unter mit verschiedener Geschwindigkeit bewegten Inertialsystemen. Es gab ja ein Koordinatensystem (KS), das ausgezeichnet war, da in diesem der Äther ruhte. Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen waren, die Bewegung gegen den Äther festzustellen, hat das Auffinden der Lorentz-Transformation (LT), unter der die Maxwell-Gleichungen invariant bleiben, an Bedeutung gewonnen. Es hat einiger Anläufe bedurft bis die LT feststand. Die Gleichwertigkeit aller gegeneinander gleichförmig bewegten Systeme erforderte eine Revision der Begriffe von Raum und Zeit, deren Akzeptanz auch bei Physikern eine längere Zeit in Anspruch nahm. Das ist ein Grund, warum der LT sehr viel, vielleicht zu viel, Platz eingeräumt wurde. Die Elektrodynamik und die Galilei-Transformation Die Gesetze der klassischen Mechanik sind invariant unter der Translation, Drehung (Drehmatrix R) und Relativgeschwindigkeit zweier KS. Diese allgemeine Transformation heißt Galilei-Transformation, eine Bezeichnung die oft für die alleinige Transformation der Geschwindigkeit verwendet wird. Für Letztere verwenden wir den aus dem Englischen kommenden Begriff Boost und haben damit auch die Bezeichnung Lorentz-Transformation nicht allein mit der Geschwindigkeitstransformation besetzt. Die allgemeine (homogene) Galilei-Transformation lautet t = t x = Rx − vt

Boost

=⇒

t = t x = x − vt.

(12.0.1)

Es soll nun untersucht werden, ob auch die Gesetze der Elektrodynamik unter der Galilei-Transformation invariant sind. Dazu betrachten wir die Wellengleichung © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_12

452

12 Spezielle Relativitätstheorie

φ =

  1 ∂2 2 φ = 0. − ∇ c2 ∂t2

(12.0.2)

Für den Boost (12.0.1) erhalten wir ∂ ∂x ∂ ∂t ∂ + i =  ∂t ∂t ∂t ∂t ∂xi

=

∂ ∂ − vi  , ∂t ∂xi

∂ ∂t ∂ ∂x ∂ ∂ = + k = ,  ∂xi ∂xi ∂t ∂xi ∂xk ∂xi woraus folgt, dass der d’Alembert-Operator nicht invariant bleibt  =  +

1 ∂ − 2v · ∇  + (v · ∇ )2 . 2 c ∂t

Wenn die Galilei-Transformation die richtige Transformation zwischen zwei Bezugssystemen wäre, die sich mit v relativ zueinander bewegen, so wären die Gesetze der Elektrodynamik in verschiedenen Inertialsystemen verschieden. Die Galilei-Transformation ist bereits die allgemeinste lineare Transformation in drei Raum-Dimensionen, woraus folgt, dass eine Transformation, die die Gesetze der Elektrodynamik invariant läßt, die Zeit miteinbeziehen muss.

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip Zur Beschreibung der Naturvorgänge brauchen wir ein Bezugssystem, in dem wir die Lagen der Teilchen zu gegebenen Zeiten bestimmen. Unter den verschiedenen Bezugssystemen nehmen die Inertialsysteme eine ausgezeichnete Stellung ein: Ein Bezugssystem heißt Inertialsystem, wenn sich in ihm kräftefreie Teilchen gleichförmig bewegen. Dazu ist erforderlich, dass 1. Raum und Zeit homogen sind und 2. der Raum isotrop ist. Es dürfen also kein Raum-Zeitpunkt (Ereignis) und keine Richtung ausgezeichnet sein. Aus dem ersten Punkt folgt, dass eine Transformation zwischen zwei Inertialsystemen S und S  linear sein muss. Jede andere Potenz, abgesehen von Konstanten, zeichnet einen Raum-Zeitpunkt aus. Die Isotropie stellt sicher, dass die Orientierung des Koordinatensystems (KS) beliebig sein darf. Wir haben keine Möglichkeit, die absolute Geschwindigkeit eines KS festzustellen, sondern können nur Relativgeschwindigkeiten zwischen verschiedenen KS bestimmen. Inertialsysteme sind völlig gleichwertig, was im Relativitätsprinzip Ausdruck findet:

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip

453

1. Universelles Relativitätsprinzip: Es beruht einzig auf der Äquivalenz zweier Inertialsysteme. Zwei Inertialsysteme unterscheiden sich nur in der Relativgeschwindigkeit (v  −v). Anmerkung: Die nicht oft zu findende Bezeichnung „universelles Relativitätsprinzip“ [Schröder, 2014, S. 17] scheint berechtigt, da das „allgemeine Relativitätsprinzip“ auch Nicht-Inertialsysteme einbezieht [Einstein, 1916, S. 776].

2. Galilei’sches Relativitätsprinzip oder Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik: Es gelten die Gesetze der klassischen Mechanik. In diesen sind die Zeitdifferenzen in allen Inertialsystemen gleich und daraus folgend auch die räumlichen Abstände gleichzeitiger Ereignisse (Raum-Zeitpunkte). Das universelle Relativitätsprinzip wird so eingeschränkt. 3. Einstein’sches Relativitätsprinzip: Das universelle Relativitätsprinzip wird hier von den Gesetzen der Elektrodynamik, z.B. der Wellengleichung, eingeschränkt. Anmerkung: Das Galilei’sche und das Einstein’sche Relativitätsprinzip sind nur bei kleinen Geschwindigkeiten miteinander verträglich. Für größere Geschwindigkeiten sind die Gesetze der Mechanik für das Einstein’sche Relativitätsprinzip zu adaptieren.

12.1.1 Konstruktion der Lorentz-Transformation Es soll nun die Transformation, die sogenannte Lorentz-Transformation, bestimmt werden, unter der die Gesetze der Elektrodynamik, wie sie durch die Wellengleichung repräsentiert sind, forminvariant bleiben. Wie bereits ausgeführt, muss die Transformation vierdimensional sein. Wir beschränken uns auf einen Boost, bei dem sich das Inertialsystem S  gegen S mit v = vex bewegt und die Koordinatenachsen zueinander parallel sind. Kein Raum-Zeit-Punkt ist ausgezeichnet, weshalb die Transformation linear ist. Zur Zeit t = t = 0 soll der Ursprung von S  mit S zusammenfallen, und wir berücksichtigen mit dem folgenden Ansatz nur Homogenität und Isotropie: t = α0 t+α1 x+α2 y+α3 z, x = γ(−vt+x), y  = d21 x+d22 y+d23 z, z  = d31 x+d32 y+d33 z. Die Koeffizienten α2 = α3 = 0 verschwinden, da diese bei gegebenem Abstand von der x-Achse zu richtungsabhängigen Zeiten t führen würden. Die Achsen sind parallel, also sind für i = j: dij = 0. Weiter gilt d22 = d33 = d⊥ . Der Koffizient α1 wechselt mit v das Vorzeichen, da t für v → −v und x → −x ungeändert bleiben muss. Wir setzen daher α1 = −vα. Die Koeffizienten γ, α0 , α und d⊥ hängen nur von |v| ab.

454

12 Spezielle Relativitätstheorie

t = α0 t−vαx,

y  = d⊥ y,



(12.1.1)



x = γ(−vt+x),

z = d⊥ z.

Wir leiten im Folgenden die Lorentz-Tranformation (LT) auf mehrere Arten her, wobei wir die Voraussetzungen schrittweise einschränken. Relativitätsprinzip und Konstanz der Lichtgeschwindigkeit Zunächst wird eine elegante und einfache Herleitung skizziert, die auf Einstein [1905] zurückgeht und der hier(im Wesentlichen) gefolgt wird. Das Inertialsysy

6

y  6- v

 vt - L S  vt S  x

x

P -

Abb. 12.1. S  bewegt sich mit v = vex relativ zu S. Zur Zeit t = t = 0 geht von x = x = 0 ein Lichtblitz L aus, der in S  am Punkt P (x , t ) beobachtet wird. Die Achsen von S und S  sind parallel

tem S  bewege sich mit v = vex gegen S, wie es in Abb. 12.1 angedeutet ist. Die Koordinatenachsen der beiden Systeme sind parallel, es kann also bestenfalls y  = d⊥ y sein. Nach dem Relativitätsprinzip muss jedoch auch y = d⊥ y  sein, woraus d⊥ = 1 folgt. Zur Zeit t = t = 0 geht von x = x = 0 ein Lichtblitz L aus. Beobachtet wird der Lichtblitz von einem Punkt P (x , t ) in S  zur Zeit t . In dieser Zeit hat sich S um −vt wegbewegt. Für den Beobachter in S  ist also der Abstand in S gegeben durch Relativitätsprinzip

x = γ(x + vt )

x = γ(x − vt) .

=⇒

Im speziellen Fall eines Lichtsignals gilt nach Anwendung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit x = ct und x = ct , was in die vorhergehenden Formeln eingesetzt wird: ct = γ(c + v)t ,

ct = γ(c − v)t.

Man multipliziert die beiden Gleichungen miteinander und erhält 1 , γ=  1−β 2

β=

v . c

(12.1.2)

Es fehlt noch das Transformationsverhalten der Zeit. Ausgangspunkt ist die Umkehrtransformation x = γ(x +vt )



t =

x−γx x − γ 2 (x−vt) γv = = −x 2 + γt. γv γv c

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip

455

2 −1 Benützt haben wir, dass γ γv = γv2 . Die LT (Boost) lautet somit: c

ct x y z

= γ(ct − β x), = γ(x − β ct), = y, = z,

1 γ= , 1−β 2

β=

v . c

(12.1.3)

Die Umkehrtransformation unterscheidet sich nur durch v → −v. Vor Einstein haben Larmor [1900, Abschn. XI], Lorentz [1904, S. 812] und Poincaré [1905, S. 1505], der die Transformation nach Lorentz benannt hat, die LT hergeleitet. Einstein’sches Relativitätsprinzip Jetzt wird die Lorentz-Transformation mithilfe der Forminvarianz der Wellengleichung in Inertialsystemen S und S  , die sich mit v = vex gegeneinander bewegen, hergeleitet. Die Forderung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist nicht notwendig. Diese folgt automatisch, wenn das Relativitätsprinzip auf die Wellengleichung angewandt wird. Wiederum seien der Raum isotrop und die Zeit homogen. Somit ist die Transformation linear, und da zur Zeit t = t = 0 die Ursprünge von S und S  zusammenfallen, ist die Transformation auch homogen. Die Koordinatenachsen von S und S  seien parallel, und S  bewege sich mit v = vex entlang der x-Achse. Wir können damit von (12.1.1) bzw. (12.1.8) ausgehen und uns auf x und t beschränken: x = γ(x−vt),

Umkehrtransformation

=⇒

x = γ(x +vt ).

(12.1.4)

Löst man die zweite Gleichung nach t auf und eliminiert x , so erhält man t =

 1 − γ2 1  x − γx = x + γt. γv γv

(12.1.5)

Das ist eine lineare Transformation, in der der Parameter γ noch frei ist. γ =1 stellt die Galilei-Transformation dar. Mittels der Forderung der Invarianz der Wellengleichung unter der Transformation wird γ bestimmt. Dazu werden zunächst ∂ ∂t ∂ ∂x ∂ ∂ ∂ + = γ  − γv  , =  ∂t ∂t ∂t ∂t ∂x ∂t ∂x ∂x ∂ 1 − γ2 ∂ ∂ ∂ ∂t ∂ + = +γ  = ∂x ∂x ∂t ∂x ∂x γv ∂t ∂x berechnet und in den d’Alembert-Operator eingesetzt. Der Term mit den gemischten Ableitungen wird null gesetzt, woraus der Rest folgt:

456

12 Spezielle Relativitätstheorie

∂2 1 ∂ ∂ 2  1 − γ 2 ∂ ∂ 2 1 ∂2 γ − = − γv − +γ  2 2 2 2    c ∂t ∂x c ∂t ∂x γv ∂t ∂x  2  γ 2 (1−γ 2)2  ∂ 2  γγv γ(1−γ 2)  ∂ 2  γ 2v2 2 ∂ = 2− −2 + + −γ . c γ 2 v2 ∂t2 c2 γv ∂t ∂x  c2  ∂x2    

=

−1

0

1/c2

Die Auswertung ergibt 1 γ=  1−v 2 /c2



∂2 1 ∂2 ∂2 1 ∂2 − = − . c2 ∂t2 ∂x2 c2 ∂t2 ∂x2

(12.1.6)

Setzt man γ in (12.1.5) ein, so erhält man für die LT t = γ(t−vx/c2 ),

x = γ(−vt+x).

(12.1.7)

Wir sehen, dass das Licht in S  wiederum die Geschwindigkeit c hat, was wir nicht explizit gefordert haben. Zudem setzt die Transformation Geschwindigkeiten |v| ≤ c voraus. Die Abweichungen (γ>1) von der Galilei-Transformation (γ =1) sind von der Ordnung v 2 /c2 , weshalb die klassische Mechanik für nicht zu hohe Geschwindigkeiten gültig bleibt. γ ist der sogenannte Lorentz-Faktor.

Äquivalenz der Inertialsysteme Es stellt sich die Frage, wie die Transformation zwischen Inertialsystemen auf der alleinigen Basis des universellen Relativitätsprinzips ohne Bezugnahme auf physikalische Gesetze aussieht. Man kann diese Transformation bis auf eine universelle Geschwindigkeit festlegen, was von Ignatowsky [1910], Frank und Rothe [1911] schon früh bemerkt wurde. Die diesbezügliche Rechnung ist aufwendiger als die Herleitung der LT auf der Basis der Postulate des Einstein’schen Relativitätsprinzips und der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit [Einstein, 1905], aber von prinzipiellem Interesse. In den meisten Lehrbüchern der Elektrodynamik wird darauf nicht eingegangen, eher in in denen über die Relativitätstheorie, wie z.B. Sexl, Urbantke [1976, Abschn. 1.3] oder Schröder [2014, Abschn. 3.4.1]. S und S  unterscheiden sich nur in der Relativgeschwindigkeit. Daher erhält man aus der Umkehrtransformation d⊥ = 1: Die zu v senkrechten Komponenten bleiben ungeändert. Wir setzen nun α = γη in (12.1.1) ein:       α0 −vαη t t , L= . (12.1.8) = L(v) x −γv γ x Da die inverse Transformation L−1 (v) gleich L(−v) sein muss, erhält man   1 γ vα = L(−v). (12.1.9) L−1 (v) = det L vγ α0

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip

457

Aus dem Vergleich folgt, dass α0 = γ und det L = 1. Setzt man noch α = γη, so erhält man   1 −vη , det L = γ 2 (1−v 2 η) = 1. L(v) = γ (12.1.10) −v 1 Für η = 0 ist das die Galilei-Transformation. Addition paralleler Geschwindigkeiten Führt man zwei Transformationen hintereinander durch, so muss man wiederum eine Transformation des Typs (12.1.8) erhalten:     1 −v3 η3 1+v1 v2 η2 −v1 η1 −v2 η2 . (12.1.11) = L3 = γ3 L2 L1 = γ1 γ2 −v3 1 −v1 −v2 1+v1v2 η1 Die rechte Seite stellt nur dann eine Transformation (12.1.8) dar, wenn η1 = η2 = η3 , d.h., η ist eine universelle Konstante. Es gilt dann v3 =

v1 +v2 , 1+ηv1 v2

1+ηv1 v2 1 γ3 =  . =  2 2 (1−ηv1 )(1−ηv2 ) 1−ηv32

(12.1.12)

Setzt man hier η = 1/c2 ein, so hat man das bekannte Additionstheorem für parallele Geschwindigkeiten (12.4.16) vor sich. Die Transformationen L bilden eine (kommutative) Gruppe mit der Multiplikation als Verknüpfung. Einheitselement L(0) und inverses Element L(−v), (12.1.9) existieren, und es gilt das assoziative Gesetz1 .  Definiert man mit V = 1/ |η| eine universelle Geschwindigkeit, so bekommt die Transformation die Gestalt vx t = γ(t−sgn η 2 ), 1 V . (12.1.13) γ=  1−sgn η v 2 /V 2 x = γ(−vt+x), Das Skalarprodukt des Vierervektors (V t, x): s2 = V 2 t2 − sgn η r2



s2 = s2

(12.1.14)

ist eine Invariante der Transformation. Für sgn η = −1 ist die Geometrie der Raum-Zeit euklidisch, die Addition hat aber für v1 v2 = V 2 eine (unendliche) Diskontinuität; ist also nicht eindeutig. Dort wird v3 singulär und wechselt das Vorzeichen. Dieser Fall wird ausgeklammert. η = 0 wurde bereits der Galilei-Transformation zugeordnet, so dass nur sgn η = 1 bleibt. Die zugehörige Geometrie nennt man pseudoeuklidisch, und deren Eigenschaften werden im Abschnitt 12.2 noch ausführlich besprochen, wobei dort die LT aus der Invarianz des Skalarproduktes (12.1.14) hergeleitet wird. Hier haben wir die „Lorentz-Transformation“ aus der Gleichwertigkeit der Inertialsysteme erhalten. 1

(L1 L2 )L3 = L1 (L2 L3 ).

458

12 Spezielle Relativitätstheorie

Zur allgemeinen Lorentz-Transformation Um die allgemeine lineare und homogene Transformation zwischen zwei Inertialsystemen herzuleiten, scheint es sinnvoll, zunächst die Transformation für eine allgemeine Richtung von β = v/c, d.h. Λ(β, 0) zu konstruieren und dann für eine räumliche Rotation Λ(0, α). Die Kombination beider Transformationen ergibt die allgemeine Lorentz-Transformation, wie im Abschnitt 12.4 gezeigt wird. Bemerkung: Komplizierter wird die Bestimmung der LT, wenn man von der allgemeinen Transformation mit x0 = ct ausgeht, wobei c nicht unbedingt die Lichtgeschwindigkeit sein muss. Man hat dann 16 Parameter. Nun bewegt sich der Nullpunkt von S  mit β = v c relativ zu S, woraus folgt, dass b = Dx/x0 :

  x0 x



  x0 x

,

Λ=



γ −at −b D



=



γ −at −Dβ D



.

(12.1.15)

Sechs Parameter (β und Drehwinkel α) sind vorzugegeben, die restlichen können mithilfe der Invarianz des d’Alembert-Operators bestimmt werden, was Gegenstand der Aufgaben 12.1 und 12.2 ist. Voigt [1887] hat die Bedingungen untersucht unter denen die Wellengleichung invariant bleibt und so die Lorentz-Transformation lange vor Larmor und Lorentz gefunden und das gleich in allgemeiner Form, jedoch mit dem Schönheitsfehler, dass er γ = 1 gesetzt hat. Somit müssen die Variablen mit einem Skalenfaktor multipliziert werden.

12.1.2 Zur Äthertheorie Es war zunächst Huygens 2 , der um 1690 eine Wellentheorie des Lichts präsentierte (Traité de la lumière). Eine Welle benötigt – analog zur Schallwelle – ein Medium, in dem sie sich ausbreiten kann, was nach damaliger Vorstellung ein feines, nicht sichtbares inponderables Fluid sein sollte. Die Wellentheorie konnte sich jedoch im 18. Jahrhundert nicht gegen die Newton 3 zugesprochene Korpuskulartheorie durchsetzen. Für die Korpuskulartheorie sprach u.a. die einfache Erklärung der von Bradley um 1728 beobachteten Aberration: Beobachtet man Licht, das von einem Stern kommt, so muss man, da man sich mit der Erde um die Sonne mit v bewegt, das Fernrohr um den Winkel α ≈ v/c schräg stellen, um den Stern beobachten zu können. Die Entdeckung der Aberration war so zugleich ein wichtiges Indiz für die Bewegung der Erde um die Sonne. In Abb. 12.2a sind die Strahlwege einer Lichtquelle L, die sich mit v relativ zu einem Beobachtungspunkt F bewegt, skizziert. Das letzte Stück des Weges geht durch ein Teleskop, wobei sich in der Zeit t, die ein Lichtteilchen für die Strecke innerhalb des Teleskops benötigt, F um vt verschiebt. 2 3

Christiaan Huygens, 1629–1695 Sir Isaac Newton, 1643–1727

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip

L

L

L

v -

v -

α

α

(a)

F

(b) F

v (c)



F

459

Abb. 12.2. Zur Aberration: L ist die Lichtquelle (Stern) und F der Beobachtungspunkt; da man im Teleskop, egal ob das Licht Welle oder Teilchen ist, die geometrische Optik anwenden kann, sind auch unter (b) und (c) nur Strahlen skizziert. (a) Licht besteht aus Korpuskeln und F bewegt sich gegen L mit v: Schrägstellung um α ≈ v/c auszugleichen (b) F ruht im Äther: Die Bewegung von L hat keinen Einfluss (c) F bewegt sich mit v relativ zum Äther: Die geometrische Optik zeigt die gleiche Aberration wie unter (a)

Durch den Äther ist in einer Wellentheorie zunächst die Gleichwertigkeit der Inertialsysteme von Lichtquelle und Beobachter aufgehoben, da das System, in dem der Äther ruht, eine bevorzugte Stellung hat: Ruht der Beobachter gegenüber dem Äther, so wird er immer die Geschwindigkeit c messen, egal ob sich die Lichtquelle bewegt oder nicht. Bewegt sich aber der Beobachter gegen den Äther, so sollte er eine geänderte Geschwindigkeit messen. Wie in Abb. 12.2b dargelegt, wird man im Ruhsystem des Äthers überhaupt keine Aberration bemerken können, da sich die Wellen im Äther konzentrisch von L ausbreiten und so das Fernrohr senkrecht auf die Wellenfront gerichtet sein muss; eine Bewegung von L spielt da keine Rolle (außer dass man mit dem Teleskop der Bewegung von L folgen muss). Erst bei einer Bewegung mit v gegen den Äther wird man das Fernrohr um den gleichen Winkel α schräg stellen müssen, damit sich die Wellen im Brennpunkt treffen. In Abb. 12.2c ist vor dem Teleksop die von L ausgehende Wellenfront durch horizontale Linien skizziert. Das Teleskop bewegt sich jedoch in der Zeit, in der die Wellen das Teleskop durchlaufen, weiter. Für die Skizzierung der Bewegung der Lichtwellen im Teleskop wurde jedoch auf die geometrische Optik zurückgegriffen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verhalf Young4 durch seine Beugungsexperimente am Doppelspalt der Auffassung, dass es sich bei Licht um ein Wellenphänomen handelt, zum Durchbruch. Fresnel stellte durch Experimente mit polarisiertem Licht fest, dass Lichtwellen rein transversal, ohne longitudinale Komponente sind. Wegen der Transversalität mussten dem Äther jetzt eher Eigenschaften eines festen Körpers, wie Elastizität, zugeordnet werden. Das ist nicht leicht vereinbar mit einer Bewegung der Erde relativ zum Äther und dem Eindringen des Äthers in Materie. Maxwell erkannte, dass Lichtwellen elektromagnetische Wellen sind, und so wurde aus dem Lichtäther ein elektromagnetischer Äther. Maxwell selbst 4

Thomas Young, 1773–1829

460

12 Spezielle Relativitätstheorie

konstruierte komplizierte mechanische Modelle5 . Erwähnt sei noch, dass gemäß Kragh [2016] Lorenz zu den wenigen Ausnahmen zählte, die nicht an die Existenz des Äthers glaubten. Grundlegend war jedoch die Auffassung, dass die Elektrodynamik nur im Ruhsystem des Äthers gilt. Im Rahmen dieser klassischen Vorstellung würde man erwarten, dass die Lichtgeschwindigkeit von der Geschwindigkeit des Beobachters abhängt. Im absolut ruhenden System S werde eine Lichtwelle ausgesandt, die sich mit der Geschwindigkeit c ausbreitet. Die Koordinaten der Wellenfront auf der x-Achse sind ±ct. y



y 6 6 ct-ct-

S

S

-v x

-

x

Abb. 12.3. Bewegtes System S  im (ruhenden) Äther: x = x−vt. x = ct−vt = (c−v)t, rechte Wellenfront, x = −ct−vt = −(c+v)t, linke Wellenfront

Das System S  bewege sich mit der Geschwindigkeit v nach rechts, wie in Abb. 12.3 skizziert. Man glaubte auf Grund dieser Überlegungen, dass man durch Messung der Lichtgeschwindigkeit in verschiedenen Richtungen, die Bewegungen gegen den absoluten Äther feststellen könne. 12.1.3 Michelson-Morley-Experiment Das Ruhsystem des Lichtäthers ist nach den vorangegangenen Überlegungen ausgezeichnet, da nur in diesem die Gesetze der Elektrodynamik unverändert gültig wären. Michelson6 versuchte mit der in Abb. 12.4 skizzierten Anordnung, die Geschwindigkeit v der Erde gegenüber dem Äther festzustellen. Das nachfolgend beschriebene Experiment wurde 1887 von Morley7 mit höherer Genauigkeit wiederholt. Annahme: Wie in Abb. 12.4 skizziert, bewegt sich das Labor mit v nach rechts. Die Zeit t1 , die der Lichtstrahl von P → S1 → P benötigt und die Zeit t2 für den Weg von P → S2 → P werden vom System des ruhenden Äthers aus betrachtet. In diesem hat das Licht die Geschwindigkeit c, aber in der Zeit, die das Licht zum Passieren der Strecke l1 benötigt, hat sich der Spiegel S1 wegbewegt; dafür kommt beim Rückweg P dem Strahl entgegen. Hin- und Rückweg zu S2 dauern gleich lang, wobei sich aber P um die Strecke 2δ = vt2 weiterbewegt hat: 5 Für B waren rotierende Wirbelelemente vorgesehen, zwischen denen sich für E kleine polarisierbare Kügelchen („Molekeln“) befanden [Schöpf, 1982] 6 Albert Abraham Michelson, 1852–1932, Nobelpreis 1907 7 Edward Morley, 1838–1923

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip S2

6 ? 



L

-

6

6

S2



N

l22 + δ 2

l2

-

l1

S1

P



l2

 δ - δ ?

-

?

-

461

P (0)

(c)

P (t2 )

v

? (a)

Detektor

P (0)  (b)

-l1



 - vt1 S1 (t1 )

vt1 P (t1 )

Abb. 12.4. (a) Experimentelle Anordnung für das Michelson-Morley-Experiment; L ist die (kohärente) Lichtquelle, P der halbdurchlässige Spiegel (b) Weg P → S1 → P vom ruhenden Äther aus gesehen: t1 = t1 + t1 (c) Weg P → S2 → P vom ruhenden Äther aus gesehen

P → S1 : ct1 = l1 +vt1 S1 → P : ct1 =  l1 −vt1 P → S2 : ct2 = l22 +(vt2 )2

⇒ t1 = l1 /(c−v), ⇒ t1 = l1 /(c+v), √ ⇒ t2 = l2 / c2 −v 2 .

P → S1 → P : t1 = t1 +t2 = 2l1 c/(c2 −v 2 ), √ P → S2 → P : t2 = 2t2 = 2l2 / c2 −v 2 .

Das ergibt einen Laufzeitunterschied 2l 2l1 −  2 . Δt = t1 − t2 =  c 1 − v 2 /c2 c 1 − v 2 /c2

(12.1.16)

Dreht man das Interferometer um 90◦ im Uhrzeigersinn, so ist die Zeitdifferenz zwischen t¯1 für den zum Spiegel S1 gehenden Strahl und t¯2 für den zu S2 gehenden Strahl gegeben durch 2l2 2l1 . −  Δt = t¯1 − t¯2 =  c 1 − v 2 /c2 c 1 − v 2 /c2

Bei Drehung des Apparates um 90◦ ist der gesamte Zeitunterschied Δt − Δt =

 1 1 2(l1 + l2 )   − . c 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2

462

12 Spezielle Relativitätstheorie

Für l1 = l2 = l erhält man den Zeitunterschied Δt =

 2 2l  1 1 vc v  − . = l c 1 − v 2 /c2 c3 1 − v 2 /c2

Zwischen den beiden Strahlen ist also eine Zeitdifferenz, die von der Geschwindigkeit abhängt, aber nur von 2. Ordnung ist. Da die Strahlen, die von verschiedenen Punkten der Lichtquelle kommen, nicht genau parallel sind, ergibt sich bei diesem Interferometer in jedem Fall ein Interferenzbild; maximale Verstärkung für ω(t1 − t2 ) = 2nπ und Auslöschung für ω(t1 − t2 ) = (2n + 1)π. Bei einer Drehung des Interferometers um 90◦ ändert sich das Vorzeichen von Δt, und die gesamte Verschiebung wird für l = l1 = l2 doppelt so groß. Das Interferenzbild müsste sich verschieben, wenn sich v ändert. Nimmt man an, dass der ruhende Äther durch das Sonnensystem bestimmt ist, so bewegt sich die Erde mit ca. 30 km/s gegenüber dem Äther. Das entspricht einer Wegdifferenz Δs = c(t1−t2 ) = l×10−8 . Das Michelson-Interferometer hatte l = 11 m, was bei Mitberücksichtigung einer Drehung der Apparatur um 90◦ eine Wegdifferenz von Δs = 220 nm ergibt, die im sichtbaren Licht (λ ∼ 500 nm) wahrnehmbar wäre.

Es konnte keine Wegdifferenz festgestellt werden, woraus folgt, dass die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Richtung ist. Eigentlich sollte die Forderung der Gültigkeit der Elektrodynamik (Relativitätsprinzip) in allen Inertialsystemen ausreichend sein, um die Ätherhypothese fallen zu lassen; mit der experimentellen Feststellung der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Orientierung und damit auch von der Bewegung der Erde kann die Lorentz-Transformation (LT) als Transformation zwischen Inertialsystemen hergeleitet werden. Die Ätherhypothese war jedoch im 19. Jahrhundert fest verankert, weshalb in der folgenden Anmerkung die Gründe ausführlicher dargestellt werden. Bemerkung: Im Rahmen der Ätherhypothese gab es nun drei Möglichkeiten 1. Es gibt keinen ruhenden Äther, sondern dieser bewegt sich mit der Erde. Man muss dann davon ausgehen, dass der Äther von der Erde, d.h. der Luft, mitgeführt wird. Das ist jedoch nur schwer vereinbar mit dem Versuch von Fizeau (siehe S. 464), da nach (12.1.17) der Äther von der Materie nur teilweise mitgeführt wird u=





1 c + v 1− 2 . n n

Insbesondere wäre der Fresnel’sche Mitführungskoeffizient f = 1−1/n2 bei einer Substanz wie Luft mit n  1 sehr klein. Im System, in dem der Äther ruht, würde man keine Aberration des Lichts beobachten. Zusatzbemerkung: Kann man nirgends eine Bewegung zum Äther feststellen, so misst man als Lichtgeschwindigkeit überall c. Das muss Konsequenzen für die Addition von Geschwindigkeiten haben. Mit der korrekten Additionsformel (12.4.16) können dann der Fresnel’sche Mitführungskoeffizient und die Aberration erklärt werden.

12.1 Invarianzeigenschaften und das Relativitätsprinzip

463

2. Von W. Ritz kommt die Hypothese, dass die Lichtgeschwindigkeit vom Bewegungszustand der emittierenden Quelle derart abhängt, dass zur „Vakuumlichtgeschwindigkeit“ die Geschwindigkeit der Lichtquelle vektoriell zu addieren ist. Innerhalb des Michelson-Interferometers hat man dann bei mitbewegter Lichtquelle in alle Richtungen c und damit keine Laufzeitunterschiede. Solche müssten auftreten, wenn man einen Stern als Lichtquelle verwendet. Ein diesbezügliches Experiment von Tomaschek [1926] hat keine Zeitdifferenz ergeben. Auch durch Beobachtung von Licht, das von Sternen, die sich mit verschiedener Geschwindigkeit bewegen (Doppelsterne), ausgesandt wurde, hat man keine Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Geschwindigkeit der Lichtquelle beobachtet; das schließt Modifikationsversuche der Elektrodynamik aus, bei denen die Lichtgeschwindigkeit als c + vEm angenommen wird, wobei vEm die Geschwindigkeit des Emitters ist. 3. Es gibt einen ruhenden  Äther, aber alle Körper werden in Bewegungsrichtung kontrahiert gemäß l1 →l1 1 − v 2 /c2 . FitzGerald [1889] und etwas später Lorentz haben dieses Verhalten postuliert [Lorentz, 1892b, 1904]. Danach ergibt sich die Zeitdifferenz (12.1.16) 2(l1 − l2 ) Δt = Δt =  c 1 − v 2 /c2



Δt − Δt = 0.

Bei Drehung um π/2 ergibt sich so keine Änderung, aber da sich im Laufe eines Jahres oder auch nur eines Tages die Geschwindigkeit der Erde ändert, würde man eine Verschiebung der Interferenzmaxima erwarten; beobachtet hat man diese nicht. Die Genauigkeit der Experimente ist jedoch groß genug, um auch kleine Geschwindigkeiten gegenüber einem hypothetischen Äther festzustellen. Die Anwendung der LT (12.1.3) sollte im System des Interferometers Δt = 2(l1 − l2 )/c ergeben und im zum Interferometer bewegten System S 



(Δt) = Δt/

1 − v 2 /c2 .



Da aber die Lichtfrequenz um den Faktor 1 − v 2 /c2 verkleinert ist, bleibt letztlich das Produkt Δtω gleich, es kommt also auch vom Standpunkt des zum Interferometer relativ bewegten Beobachters zu keiner Verschiebung der Interferenzringe. Daraus folgt, da das Experiment keine Bewegung der Quelle und des Beobachters gegen den Lichtäther feststellen kann: Die Lichtgeschwindigkeit ist unabhängig vom Bewegungszustand des Beobachters. Schluss: Die Ätherhypothese kann nicht aufrecht erhalten werden, da kein absolutes Bezugssystem (Ruhsystem des Äthers) festgestellt werden kann. An ihre Stelle treten das (Einstein’sche) Relativitätsprinzip und die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.

1. Relativitätsprinzip: Die Naturgesetze sind in allen Inertialsystemen gleich. 2. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Lichtgeschwindigkeit ist von der Bewegung der Lichtquelle und des Beobachters unabhängig.

464

12 Spezielle Relativitätstheorie

12.1.4 Versuch von Fizeau Es wird der Einfluss der Bewegung einer transparenten Flüssigkeit (Wasser) auf die Lichtgeschwindigkeit untersucht, indem in einem Interferometer, wie in Abb. 12.5 skizziert, Strahlen zur Interferenz gebracht werden, die den gleichen Weg mit und gegen die Strömung der Flüssigkeit durchlaufen haben. Dieser Versuch wurde von Fizeau8 1851 gemacht.

-

6

6 P

L 6

v

I

-

- 6

--

6 - 6

l

Abb. 12.5. L ist die Lichtquelle, P ein halbdurchlässiger Spiegel und I ein Interferometer

6

Das experimentelle Ergebnis ergab für den unteren Weg eine Geschwindigkeit w, wobei c¯ = c/n die Lichtgeschwindigkeit in der ruhenden Flüssigkeit ist, mit w = c¯ + vf

und

f =1−

1 . n2

(12.1.17)

f ist der Fresnel’sche Mitführungskoeffizient. Die Erklärung einer teilweisen Mitführung des Äthers in der bewegten Flüssigkeit durch f scheint nicht besonders elegant, aber die Formel selbst wird durch die Geschwindigkeitsaddition (12.4.16) der SRT bestätigt, wenn man c¯ v annimmt: w=

c¯ + v 1 c¯ + v v = ≈ (¯ c + v)(1 − 2 ) ≈ c¯ + v(1 − 2 ) . 1 + nv2 c¯ n c¯ n 1 + c¯c2v

Im Rahmen der SRT hat man also die (volle) Mitführung des Lichtes durch bewegte Körper, wobei diese naturgemäß dem Additionstheorem für Geschwindigkeiten genügen muss.

12.2 Die Lorentz-Transformation Wir haben die Lorentz-Transformation (LT) bereits aus mehreren Blickwinkeln hergeleitet, indem wir die Bedingungen bestimmt haben, unter denen die Wellengleichung invariant bleibt oder mithilfe eines Lichtblitzes, der in den Systemen S und S  beobachtet wird. Vor allem aber konnte die LT allein aus der Gleichwertigkeit der Inertialsysteme bis auf eine Geschwindigkeit V → c 8

Hippolyte Fizeau, 1819–1896

12.2 Die Lorentz-Transformation

465

festgelegt werden, wobei gemäß (12.1.14) die quadratische Form s2 = c2 t2−x2 invariant unter LT ist und zu einer pseudoeuklidischen Geometrie führt. Hier gehen wir direkt von Invarianzüberlegungen aus. Wie bisher fallen zum Zeitpunkt t = t = 0 die Systeme S und S  zusammen. Wegen des Einstein’schen Relativitätsprinzips muss die Transformation die Wellengleichung, d.h. den d’Alembert-Operator, invariant lassen: ∂2 ∂2 2 − ∇ = − ∇2 . c2 ∂t2 c2 ∂t2 Dieser ist eine quadratische Form des vierdimensionalen Gradientenvektors. Die unter linearen Transformationen invariante quadratische Form ist das Skalarprodukt. Der d’Alembert-Operator ist demnach das Skalarprodukt des Gradientenvektors in der pseudoeuklidischen Geometrie. In der Vektorrechnung unterscheidet man bei schiefwinkeligen Koordinaten im euklidischen Raum zwischen ko- und kontravarianten Vektoren. In nicht euklidischen Geometrien tut man das immer. Der Leser, der mit dieser Art der Vektorrechnung nicht genügend vertraut ist, findet im Anhang A.1 eine ausführliche Darstellung. Der Vierervektor eines Ereignisses ist definiert durch die Koordinaten x0 = ct, x1 = x,

x2 = y,

x3 = z,

⇔ (xμ ) = (x0 , x)

kontravariant,

x0 = ct, x1 = −x, x2 = −y, x3 = −z, ⇔ (xμ ) = (x0 , −x) kovariant, (12.2.1) wobei griechische Indizes μ immer die Werte 0 bis 3 durchlaufen. Indizes in lateinischer Schrift, wie k oder l gehen wie bisher von 1 bis 3. Das unterschiedliche Vorzeichen von Zeit- und Raumkomponenten wird offensichtlich vom metrischen Tensor ⎞ ⎛ 1 0 0 0     ⎜0 −1 0 0 ⎟ ⎟ (12.2.2) g = gμν = g μν = ⎜ ⎝0 0 −1 0 ⎠ 0 0 0 −1

erfüllt. Nur die Diagonalelemente g00 = 1 und g11 = g22 = g33 = −1 verschwinden nicht. Sie haben die Vorzeichen (+, −, −, −). Als Signatur einer Matrix wird manchmal die Gesamtheit der Vorzeichen der Diagonalelemente bezeichnet [Landau, Lifschitz II, 1997, S. 270], manchmal die Differenz der Anzahl von positiven und negativen Elementen, d.h. (1,3)→–2 [Jänich, 1979, S. 190]; der Rang der Matrix ist die Summe 1+3 = 4. Es gilt xμ = gμν xν ,

xμ = g μν xν .

(12.2.3)

Die Koordinaten zweier gleichförmig bewegter Bezugssysteme müssen durch eine lineare Transformation zusammenhängen: xμ = Λμ ν xν + aμ .

(12.2.4)

466

12 Spezielle Relativitätstheorie

Für die kovarianten Komponenten folgt daraus die Transformation xμ = Λμ ν xν + aμ



Λμ ν = gμμ Λμ

mit



ν

gν ν .

(12.2.5)

Mit dem Vierervektor des Gradienten ∂μ =

∂ ∂xμ

und

∂μ =

∂ ∂xμ

(12.2.6)

kann der d’Alembert-Operator dargestellt werden als  = g μν ∂μ ∂ν = ∂μ ∂ μ .

(12.2.7)

Aus (12.2.4) und (12.2.5) erhält man die Umkehrtransformationen ∂λ =

∂xμ ∂ = Λμ λ ∂μ ∂xλ ∂xμ

∂λ =

und

∂xμ ∂ = Λμ λ ∂ μ , ∂xλ ∂xμ

(12.2.8)

wobei auf die Sonderstellung der Vorzeichen beim Gradientenvektor hingewiesen werden soll: (∂ μ ) = (∂ 0 , −∇) und (∂μ ) = (∂0 , ∇). Nach dem Relativitätsprinzip soll die Wellengleichung in allen Inertialsystemen gleich sein, d.h. ∂λ ∂ λ = Λμ λ ∂μ Λν λ ∂ ν = ∂μ ∂ μ =

∂μ

Λ

μ

λ

(12.2.9) λρ

g Λ

σ

 ρ ∂σ

=

∂μ

g

μσ

∂σ

invariant unter der Lorentz-Transformation sein. Aus der 1. Zeile folgt, dass  λ  1 fu ¨r μ = ν λ μ μ Λ λ Λν = δ ν = ⇒ Λν λ = Λ−1 ν . (12.2.10) 0 sonst Λν μ ist kontragredient (invers und transponiert) zu Λμ ν . Der 2. Zeile von (12.2.9) entnehmen wir, dass für die Invarianz der Wellengleichung Λμ λ g λρ Λσ ρ = g μσ .

(12.2.11)

erfüllt sein muss. Diese Bedingung definiert die LT. Die Transformationseigenschaften eines beliebigen Vierervektors u sind gemäß (12.2.4)–(12.2.8): 



uμ = Λμ ν uν ,

uμ = Λν μ uν = g μμ Λν μ gν  ν uν = (Λ−1 )μ ν uν,

uμ = Λν μ uν ,

uμ = Λμ ν uν = gμμ Λμ ν  g ν ν uν = (Λ−1 )ν μ uν .





(12.2.4’)

Wegen der Invarianz des Skalarprodukts unter einer LT uμ uμ = uμ gμν uν = Λμ λ uλ gμν Λν ρ uρ = uλ gλρ uρ = uλ uλ

(12.2.12)

muss jetzt an die LT die Forderung Λμ λ gμν Λν ρ = gλρ

(12.2.11’)

12.2 Die Lorentz-Transformation

467

gestellt werden. (12.2.11) und (12.2.11’) sind gleichwertig, nur sind wir in (12.2.11) von der Umkehrtransformation ausgegangen. Matrix-Notation Man legt dem Minkowski-Raum zwar eine orthonormierte Basis ({!e λ }) zugrunde, verwendet aber die Vektorschreibweise in der Form ! x = xμ!e μ = xν eν nur selten, sondern reduziert die Notation auf Komponenten: !a ·!b

a μ bμ .

⇐⇒

Beginnen wir mit den Vektoren. Wir haben in (8.2.18) bereits vorweggenommen, dass die Liénard-Wiechert-Potentiale φ(x, t) , A(x, t) Komponenten eines vierdimensionalen Vektorfeldes (Aμ (x)) sind. Ob x = (xν ) oder x = (xν ) hängt von der Anwendung ab, wobei (xν ) überwiegen wird. Für Tensoren 2. Stufe wird neben der Schreibweise in Komponenten auch eine in Matrix-Symbolik [Sexl, Urbantke, 1976, Kap. 3] verwendet. In dieser sind manche Gleichungen übersichtlicher, wobei wir gleich einschränkend feststellen, dass die Hoch- und Tiefstellung der Indizes aus der gemischten Matrix Λ = (Λμ ν ) und der Einstein-Summenkonvention hervorgehen sollte: Λ ≡ (Λα β )

E = (δα β ).

=⇒

(12.2.13)

Es ist damit bereits gesagt, dass diese Symbolik nur im Zusammenhang mit der LT verwendet wird. Die Bezeichnung g = (g μν ) (12.2.2) steht meist sowohl für den kontravarianten als auch den kovarianten (g−1 = (gμν )) metrischen Tensor, die ja beide gleich sind. Die Indexstellung sollte durch Λ vorgegeben sein. In Matrixschreibweise lautet (12.2.5) 

Λμ ν = gμμ Λμ

ν





ν

(Λ−1 )t = g Λ g .



(12.2.14)

Dass auf der linken Seite der Matrixgleichung wirklich die kontragrediente Matrix (siehe S. 557) steht, wird mithilfe von (12.2.10) klar: 



Λλ ν Λμ ν = Λλ ν g νν Λμ

ν

gμ μ = δλ μ



Λ Λ−1 = Λ g Λt g = E.

(12.2.15)

Mit den Definitionen (12.2.13) erhält man die Definition der LT (12.2.11) bzw. (12.2.11’) in tensorieller Form: Λ g Λt = g

bzw.

Λt g Λ = g.

(12.2.16)

Beide Definitionen sind gleichwertig und lassen sich ineinander überführen. Jetzt führen wir noch eine abgekürzte Notation für die inhomogene LT ein xμ = Λμ ν xν + aμ



x = Λx + a



x = (Λ, a)x .

(12.2.17)

Die inhomogenen Lorentz-Transformationen, auch Poincaré-Transformationen genannt, bilden eine Gruppe, d.h., sie erfüllen die folgenden vier für die Bildung einer Gruppe notwendigen Eigenschaften.

468

12 Spezielle Relativitätstheorie

¯ a 1. Verknüpfung: Die Multiplikation zweier Lorentz-Transformationen (Λ, ¯) und (Λ, a) ergibt   ¯ Λx + a + a ¯ +a ¯ + Λa ¯ +a x = Λx ¯=Λ ¯ = ΛΛx ¯.

¯¯ = ΛΛ ¯ die Eigenschaft (12.2.16) einer LorentzSomit ist zu zeigen, dass Λ Transformation hat: ¯¯ g Λ ¯¯ t = Λ ¯ Λ g Λt Λ ¯gΛ ¯ t = g, ¯t = Λ Λ ¯ +a ¯ a ¯ Λa (Λ, ¯) (Λ, a) = (ΛΛ, ¯).

(12.2.18)

2. Assoziatives Gesetz:     ¯a ¯a ¯a ¯a ¯) (Λ, ¯)(Λ, (Λ, ¯)(Λ, a) = (Λ, ¯) (Λ, a),     ¯¯ a ¯¯ Λ, ¯¯ a + a ¯ Λa ¯ +a ¯ Λ¯ ¯¯) ΛΛ, ¯¯ (Λ, a) . (Λ, ¯ = Λ

3. Einheitselement: Λ=E

und a = 0

⇐⇒

(E, 0) .

4. Inverses Element: Die inverse Transformation muss   ¯ Λx + a + a ¯=x x = Λ erfüllen. Daraus folgt für das inverse Element ¯ = Λ−1 Λ

und a ¯ = −Λ−1 a

⇐⇒

(Λ, a)−1 = (Λ−1 , −Λ−1 a).

Naturgemäß bilden dann auch die homogenen LT eine Untergruppe der Poincaré Gruppe. Das inverse Element berechnen wir aus ΛgΛt g = g2 = E



Λ−1 = gΛt g .

Aus x = Λx + a folgt x = Λ−1 x − Λ−1 a

oder xμ = Λν μ xν − Λν μ aν .

(12.2.19)

Es ist evident, dass die Translationen (E, a) eine Untergruppe, die Translationsgruppe, bilden. Eine weitere Untergruppe der inhomogenen Lorentzgruppe ist die Drehgruppe (Λ, 0) mit  t 10 Λ= . 0 R Für Drehungen (R−1 = Rt ) gilt die Bedingung   t    10 1 0t 1 0t = g. = ΛgΛt = 0 −R 0 Rt 0 −E

12.2 Die Lorentz-Transformation

469

12.2.1 Klassifikation der Lorentz-Gruppe Die homogene Lorentz-Transformation ist nach (12.2.16) durch ΛgΛt = g definiert. Daraus folgt für die Determinanten, dass |Λ| · |g| · |Λt | = |g| und daraus, dass |Λ| = ±1 . Für das Matrixelement Λ00 gilt 2   0 2  Λk =1, Λ0 μ g μν Λ0 ν = Λ0 0 − k

weshalb |Λ0 0 | ≥ 1 und sgn Λ0 0 = ±1. Diese Unterscheidung ist wesentlich, weil eine Transformation mit Λ00 ≤ −1 eine Zeitspiegelung T beinhaltet. Ist außerdem det Λ = 1, so ist auch eine Raumspiegelung P vorhanden9 . Tab. 12.1. Einteilung der Lorentz-Transformationen in Klassen und Gruppen sgn Λ0 0 det Λ Darstellung durch L↑+

Lorentz-Transformation eigentliche orthochrone LT

1

1

uneigentliche orthochrone LT (Raumspiegelung) Raum-Zeit-Spiegelungen

1

−1

−1

1

−1

−1

Zeitspiegelungen Lorentz-Gruppe

L↑+ L↑− = P · L↑+ L↓+ = P·T · L↑+ L↓− = T · L↑+

Darstellung durch Lorentz-Klassen

eigentliche orthochrone Lorentz-Gruppe

L↑+

eigentliche Lorentz-Gruppe

L+ = L↑+ ∪ L↓+

L↑ = L↑+ ∪ L↑−

orthochrone Lorentz-Gruppe

L0 = L↑+ ∪ L↓−

orthochore Lorentz-Gruppe

LT, die eine Raumspiegelung, aber keine Zeitspiegelung enthalten (L↑− ), bilden keine Gruppe, sondern gehören zu einer (Neben-)Klasse der Lorentz-Gruppe L. Es können alle Elemente der Klassen L↑± , L↓± Produkte von L↑+ mit P und 9

Die Darstellungen von Zeit- und Raumspiegelung sind

⎛ ⎜

T=⎝

−1

1

⎞ ⎟

, 1 ⎠ 1



⎜ −1

P= ⎝



1 −1

−1

⎟ ⎠



P·T = −1 .

470

12 Spezielle Relativitätstheorie

T dargestellt werden, wie aus Tab. 12.1 hervorgeht. In dieser Notation stehen der Pfeil für die Zeitrichtung und ∓ für (un)eigentliche Drehung. Nicht alle dieser Klassen bilden Gruppen; diese werden durch Vereinigung von Klassen gebildet, die ebenfalls in Tab. 12.1 aufgelistet sind. Die volle Lorentz-Gruppe L enthält alle Transformationen inklusive Raumund Zeitspiegelungen. Läßt man keine Raumspiegelungen zu, so erhält man als Untergruppe die eigentliche Lorentz-Gruppe L+ . Klammert man noch die Zeitspiegelungen aus, so bilden die verbleibenden Lorentz-Transformationen die eigentliche orthochrone (auch eingeschränkte) Lorentz-Gruppe L↑+ . 12.2.2 Die eigentliche orthochrone Lorentz-Gruppe Diese Gruppe besteht aus den Elementen det Λ = 1 und Λ0 0 ≥ 1 und beinhaltet a) Drehungen, b) Lorentz-Transformationen im engeren Sinne. Betrachtet wird eine eigentliche orthochrone Lorentz-Transformation (det Λ = 1, Λ0 0 ≥ 1), bei der die y- und die z- Achse ungeändert bleiben. Die allgemeine Form ist ⎞ ⎞ ⎛ 0 0 ⎛ 1 L 0L 100 L 1 −L01 0 0 ⎜L1 0 L1 1 0 0⎟ ⎜−L10 L00 0 0⎟ det Λ=1 −1 ⎟ ⎟. ⎜ (12.2.20) Λ=⎜ =⇒ Λ = ⎝ 0 0 1 0⎠ ⎝ 0 0 1 0⎠ 0 0 01 0 0 01

Aus Λ−1 = gΛt g folgt, dass  −1 0 Λ = g 00 L0 0 g00 = L0 0 ,  −1 1 0 Λ = g 11 L0 1 g00 = −L0 1 0

und daraus in Verbindung mit der obigen Darstellung der Inversen, dass L0 0 = L1 1

L0 1 = L1 0 .

und

Die reelle 2×2-Matrix L mit L0 0 ≥ 1 und det L = 1 ist dann      γ = cosh η γ −βγ cosh η − sinh η mit = L= −βγ γ − sinh η cosh η β = tanh η

(12.2.21)

und 1

1

γ = cosh η =  =  1 − β2 1 − tanh2 η

mit



−∞ < η < ∞ −1 < β < 1 .

Ein Boost kann so formal als „Drehung“ dargestellt werden, wobei als Folge der pseudoeuklidischen Metrik der Drehwinkel imaginär ist (cos(iη) = cosh η). Die Transformation lautet nun

12.2 Die Lorentz-Transformation

⎞ ⎛ 0⎞ ⎛ 0 ⎞ ⎛ x γ −βγ 0 0 x ⎜x1 ⎟ ⎜−βγ γ 0 0⎟ ⎜x1 ⎟ ⎟⎜ ⎟ ⎜ 3 ⎟ = ⎜ ⎝x ⎠ ⎝ 0 0 1 0⎠ ⎝x2 ⎠ 0 0 01 x3 x4

x0 x1 x2 x3

=⇒

471

= γ(x0 − βx1 ), = γ(−βx0 + x1 ), = x2 , = x3 .

Wir haben nun die Größen β und γ in Relation zu v und c zu bringen. Im Limes c → ∞ muss die LT in die Galilei-Transformation übergehen, was bedeutet, dass βγ →t c x = xγ − γβct → x − vt

t = tγ − x

=⇒ γ = 1 und

β = 0, c

=⇒ βc = v .

Wir haben also identifiziert β=

v = tanh η, c

Daraus folgt

1 = cosh η. γ=  1 − β2

ct = γ(ct − β x) ,

(12.2.22)

x = γ(x − β ct) .

(12.2.23)

Für die Umkehrtransformation gLt g (v → −v) gilt   0   0  x γ βγ x = , βγ γ x1 x1 ct = γ(ct + β x ) ,

x = γ(x + β ct ) .

(12.2.24)

Physikalische Bedeutung des Boosts Das System S  bewege sich gegen S mit v = v ex . a) Für kleine Geschwindigkeiten v  c erhält man die Galilei-Transformation v ct = ct + O( ), c

x = x − vt + O(

v2 ). c2

b) Im allgemeinen Fall gibt die LT an, wie sich Ortskoordinaten und Zeit in den Systemen S und S  transformieren: ct = γ ct ,

x = γβ ct = v t .

Die Zeit wird also beim Übergang zu einem relativ bewegten Bezugssystem ebenfalls transformiert, d.h. es gibt keine absolute Zeit mehr. Ein Ereignis das im System S im Punkt (x, t) stattfindet, findet im System S  im Punkt (x , t ) statt, Für den Beobachter im System S  findet so das Ereignis im Allgemeinen nicht nur an einem anderen Ort, sondern auch zu einer anderen Zeit statt.

472

12 Spezielle Relativitätstheorie

12.3 Raum-Zeit-Begriff Bewegter Zug und Zeitbegriff Das Relativitätsprinzip zusammen mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat zur Folge, dass wir unseren Zeitbegriff ändern müssen. Das können wir uns an einem einfachen Beispiel klarmachen [Einstein, 2009, S. 16]. Gegeben sei ein Zug der Länge 2l0 , der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt (siehe Abb. 12.6). 

l0

-

" th

S

th

•S

l0

tv" v tv

Abb. 12.6. Die Beobachter im Zug (S  ) und am Bahnsteig (S) beobachten beide zur Zeit t = t = 0 die Lichtblitze.

Ein Signal vom hinteren Ende des Zuges und eines vom vorderen Ende trifft genau zur Zeit t = 0 in der Mitte des Zuges ein. Beobachter im Zug: Die Lichtgeschwindigkeit in meinem System ist c, also wurde das Signal zur gleichen Zeit tv = th = −l0 /c von den beiden Enden abgesandt.

Beobachter am Bahnsteig: Die Lichtgeschwindigkeit in meinem System ist c; das Signal vom vorderen Ende hatte einen kürzeren Weg  als das vom hinteren Ende, also wurde es später abgesandt: (β = v/c und l = l0 1 − β 2 ) l l 1 l0 vth + = = th = c c c 1−β c



1+β , 1−β

l l 1 l0 −vtv tv = + = = c c c 1+β c



1−β . 1+β

12.3.1 Synchronisation von Uhren Nach dem im vorangehenden Abschnitt zuletzt gebrachten Beispiel verliert der Begriff der Gleichzeitigkeit seinen vom Bewegungszustand unabhängigen Charakter, weshalb wir Uhren innerhalb eines Systems nicht einfach durch Transport von einem Ort zu einem anderen synchronisieren können. Einstein [1905] hat daher der Herleitung der LT die Definition der Gleichzeitigkeit samt der Synchronisation von Uhren vorangestellt. ct 6

I ctb

Δt

 Δt



cta



A

2 B

Abb. 12.7. Raum-Zeit-Diagramm zur Synchronisation der Uhr B mit der Uhr A. Der Lichtblitz (strichlierte Linie) bewegt sich in der Zeitspanne Δt/2 = tb −ta (unter 45◦ ) von A nach B, wird dort das erste Mal gespiegelt und gelangt nach einer weiteren Spiegelung bei A wieder nach B. Der Beobachter bei B kann die Zeit Δt = t − tb messen, die das Licht gebraucht hat, um wieder nach B zu gelangen; wenn dem Beobachter bei B noch der Zeitpunkt ta bekannt ist, - zu dem der Lichtblitz ausgesandt wurde, kann er die Uhr x auf die Zeit t = ta + 3Δt/2 einstellen.

12.3 Raum-Zeit-Begriff

473

Um eine Uhr am Ort B mit einer Uhr am Ort A zu synchronisieren, sendet man, wie in Abb. 12.7 skizziert, zur Zeit ta ein Lichtsignal von A aus; dieses trifft nach der Zeit Δt/2 = (xb − xa )/c in B ein. Man stellt die Uhr in B dann auf tb = (ta + tb )/2 ein und hat synchrone Uhren. Für dieses nicht sehr elegante Verfahren wird sowohl die Kenntnis des Abstandes als auch die der Lichtgeschwindigkeit vorausgesetzt. Will man ohne genaue Kenntnis des Abstandes und der Lichtgeschwindigkeit eine sich am Ort B befindende Uhr mit der in A synchronisieren, so genügt es, dem Beobachter in B mitzuteilen, dass zur Zeit ta ein Lichtblitz ausgesandt wird. In B kann dann nach Reflexionen des Strahls in B und nachfolgend in A gemäß Abb. 12.7 die einzustellende Zeit berechnet werden. Gleichzeitigkeit: Zwei an den Orten A und B stattfindende Ereignisse sind gleichzeitig, wenn die sich an diesen Orten befindlichen synchronisierten Uhren die gleiche Zeit anzeigen. Die Forderung, dass zwei Signale zur gleichen Zeit in der Mitte (xb − xa )/2 eintreffen, kann sowohl zur Synchronisation als auch zur Feststellung der Gleichzeitigkeit verwendet werden. Es liegt also der Definition der Gleichzeitigkeit die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zugrunde. 12.3.2 Raum-Zeit-Diagramm Zur grafischen Darstellung von Ereignissen (Raum-Zeit-Punkt) in der SRT hat Minkowski10 Diagramme entwickelt, die ein Ereignis in zwei gegeneinander bewegten Inertialsystemen S und S  in eindeutiger Weise abbilden. Man beschränkt sich dabei auf die Raumkomponente x, die parallel zu v gewählt wird. Das gegen das „ruhende“ System S bewegte System S  ist nicht nur schiefwinkelig, sondern es sind auch seine Einheitsmaßstäbe, die aufgrund der pseudoeuklidischen Geometrie auf Hyperbeln liegen, länger als im System S, das orthonormale Achsen hat. Galilei-Transformation Beschreibt man den Raum nur durch die Komponente x, so wird ein Ereignis, das im ruhenden Inertialsystem S zur Raum-Zeit (x, t) stattfindet, im mit v bewegten Inertialsystem S  die Koordinaten P (x−vt, t) haben. Linien gleicher Zeiten t = t sind in Abb. 12.8 horizontal, d.h. die Länge der Zeiteinheit auf der t -Achse ist größer als die auf der t-Achse. ct ct 6 α  t

O 10



Abb. 12.8. Raum-Zeit-Diagramm für die Galilei-Transformation; die t -Achse gibt den Ort des Ursprungs (x = 0) des Systems S  zur Zeit t in S an; aus Dimensionsgründen sind t • P die t- und t -Achsen mit irgendeiner Geschwindigkeit, hier c, skaliert: tan α = v/c, wobei v > c durchaus möglich ist. S  : t = t, x = x − vt x x x, x

Hermann Minkowski, 1864–1909

474

12 Spezielle Relativitätstheorie

Lorentz-Transformation Der Neigungswinkel α der t -Achse ist in Abb. 12.8 und Abb. 12.9 gleich. Bei der LT kommt jedoch hinzu, dass die x1 -Achse, gegeben durch x0 = 0, ebenfalls mit α gegenüber der x1 -Achse geneigt ist. Unterschiedlich in den beiden Skizzen sind auch die Längen im bewegten System S  , was im Folgenden noch behandelt wird. 0

x 6

α

x

0

ct

Abb. 12.9. Raum-Zeit-Diagramm Transformation. •



x0 = γ(x0 − βx1 ),

P

x

O

die

Lorentz-

x1 = γ(−βx0 + x1 ),

11 x0 -Achse : x1 = 0 x

ct



A• 

für

α •

x

→ x1 = β x0 , x -Achse : x = 0 → x0 = β x1 , -1 x Steigung = tan α = β = v/c 1

0

In S  hat A die Koordinaten (x , 0), woraus ersichtlich ist, dass dort O und A gleichzeitig sind. In S hat A die Zeit x0 = βx (t = xv/c2 ), was zugleich die Zeitdifferenz zwischen O und A ausmacht. Einheitsmaßstäbe In euklidischen Systemen ist der Einheitsmaßstab der Einheitskreis (die Einheitskugel), der aus der Invarianz des Skalarprodukts folgt. In der nicht euklidischen Geometrie der SRT werden daraus Hyperbeläste (Hyperboloide), wie in Abb. 12.10 skizziert. 0

x x 6



0



• •

O

P

P

11 x

-1 x

Abb. 12.10. Raum-Zeit-Diagramm für Einheitslängen. Hyperbel um Zeit-Achse (x0 ), wobei y = z = 0: (x0 )2 − (x1 )2 = (x0 )2 − (x1 )2 = 1 . Hyperbel um Raum-Achse (x1 ), wobei y = z = 0: (x0 )2 − (x1 )2 = (x0 )2 − (x1 )2 = −1

Aus der Invarianz des Skalarprodukts (12.2.12) folgt für die Einheitslänge xμ xμ = xν xν = ±1 . Die Einheitslängen in den Systemen S und S  sind unterschiedlich. In S schneidet die Hyperbel die x1 -Achse in P  = (γ, βγ). Die Länge der Einheit OP   ist in S γ 1 + β 2 . Lorentz-Kontraktion

Gegeben sind die Systeme S und S  . Ein Maßstab bewege sich mit S  , seine Anfangs- und Endkoordinaten seien xa und xb und seine Länge ist damit l0 = xb −xa .

12.3 Raum-Zeit-Begriff

475

Messung der Länge des Maßstabes in S: Die Positionen von Anfangs- und Endpunkt xa und xb werden zu ein und derselben Zeit t festgestellt, wobei l = xb − xa , wie in Abb. 12.11 eingezeichnet. Drückt man xb − xa durch die 0

x 6

x

) l0 xa

0

Abb. 12.11. Raum-Zeit-Diagramm für einen Maßstab der Länge l0 . Gemessen werden xa und xb zur Zeit t. Die Koordinaten des Maßstabs in S  sind:

1• •

xb

xb

11

x α

-1 x

xa = γ(xa −vt),

xb = γ(xb −vt).

Die Differenz ergibt l = xb −xa = (xb −xa )/γ = l0 /γ

Koordinaten in S  aus, erhält man die Lorentz-Kontraktion  l = l0 /γ = l0 1 − β 2 ,

(12.3.1)

wie in Abb. 12.11 explizit vorgerechnet. Die Kontraktion misst man, indem man die Positionen xa und xb des bewegten Maßstabes im System S gleichzeitig feststellt. Vom Standpunkt des Beobachters in S  erfolgt die Markierung des Anfangspunktes xa zur Zeit t = 0 und die Markierung des Endpunktes xb zu einer früheren Zeit t < 0; daher die Verkürzung. Die Lorentz-Kontraktion ist reziprok. Ein in S ruhender Maßstab sieht in S  kontrahiert aus. Maßzeiten von S  aus gesehen: cta = γ(ct − β xa )

und

ctb = γ(ct − β xb ).

Das ergibt ctb − cta = −γβ(xb − xa ). Vergleicht man in Abb. 12.11 die Länge xb − xa mit l0 , so erhält man mit dem Sinussatz11 sin( π2 −2α) xb −xa 1 cos 2α cos α , = =  = = l0 sin( π2 +α) cos α γ2 γ 2 1+β 2

tan α = β .

Bei den Einheitsmaßstäben  haben wir gesehen, dass in Abb. 12.10 die Einheit OP  in S um den Faktor γ 1 + β 2 länger erscheint als die Einheit OP . Daher folgt erst durch Multiplikation mit diesem Faktor die korrekte LorentzKontraktion xb − xa = l0 /γ . Diese Raum-Zeit-Diagramme verzerren also die Längenverhältnisse etwas.

11

In einem Dreieck mit den Seiten a, b, c und den den Seiten gegenüberliegenden Winkeln α, β, γ gilt: sin α/a = sin β/b = sin γ/c.

476

12 Spezielle Relativitätstheorie

Zeitdilatation Zwei Ereignisse ta und tb finden in S  am gleichen Ort x statt. Für die Zeiten in S gilt  v  ta = γ ta + 2 x c

und

Die Differenz ergibt   Δt = γ tb − ta = γτ .

 v  tb = γ tb + 2 x . c

Während in S  die Zeit τ vergeht, vergeht in S die längere Zeit Δt = γ τ (siehe Abb. 12.12): Bewegte Uhren gehen langsamer. Auch dieser Effekt ist reziprok.

0

x 6 tb



x •

0

tb



11

τ ta

x

α

-1 x

Abb. 12.12. Raum-Zeit-Diagramm zur Beobachtung zweier Ereignisse in S zu den Zeiten ta und tb , die in S  am selben Ort x = 0 zu den Zeiten ta = 0 und tb stattgefunden haben. Man  erhält in S für Δt = tb − ta : Δt = τ γ 1+β 2 cos α = γτ.  τ γ 1+β 2 ist, wegen der Verzerrung der Maßstäbe, die  Länge von τ in Einheiten von S und cos α = 1/ 1+β 2

Man kann die Zeitdilation an der Lebensdauer von Elementarteilchen sehen: π + − Mesonen τ = 1.5

τ0 = 2.56 × 10−8 s (in Ruhe) τ0 ≈ 3.8 × 10−8 s (f u ¨ r v = 0.75 c)

μ− Mesonen τ0 = 2.2 × 10−6 s Reichweite λ0 = cτ0 = 6.6 × 104 cm = 0.66 km Da v  c ist die Reichweite tatsächlich größer: λ ≈ 10 − 20 km12 . Gegenwart-Zukunft Längen und Zeitdifferenzen ändern sich bei einer Lorentz-Transformation; es gibt so keine absolute Gleichzeitigkeit. Invariant ist aber s2 = Δxμ Δxμ

mit Δxμ = xμb − xμa .

Die Bereiche mit s2 > 0 (zeitartig) und s2 < 0 (raumartig) sind in Abb. 12.13 eingezeichnet. Eine LT bewegt sich also nur innerhalb des von s2 vorgegebenen Bereichs: s2 > 0: zeitartiger Vektor; es gibt ein System, in dem die beiden Ereignisse am gleichen Ort zu verschiedenen Zeiten stattfinden 12

μ-Mesonen entstehen in 10–20 km Höhe und gelangen auf die Erdoberfläche.

12.3 Raum-Zeit-Begriff

)

Lichtkegel

q

zeitartig s2 > 0 •P1

Zuk unft (a)

Gegenwart

477



P2

s2 < 0 O• (b)

raumartig

Vergan genheit

Abb. 12.13. (a) Raum-Zeit-Diagramm mit Lichtkegeln. (b) Die Ereignisse in O und P1 finden im strichlierten KS am gleichen Ort zu verschiedenen Zeiten statt, während die Ereignisse in O und P2 im punktierten KS gleichzeitig, aber an verschiedenen Orten stattfinden

s2 = 0: lichtartiger Vektor s2 < 0: raumartiger Vektor; hier gibt es ein System in dem die beiden Ereignisse zwar zur gleichen Zeit stattfinden, aber räumlich getrennt bleiben Ereignisse im Zukunftskegel sind von O beeinflussbar. Ereignisse im Vergangenheitskegel können das Geschehen in O beeinflussen. Ereignisse im Gegenwartsbereich sind unabhängig von O. Eigenzeit Die Zeitdifferenz und der räumliche Abstand hängen vom KS ab. Invariant ist nur s2 = (xμb − xμa )gμν (xνb − xνa ). Sind die Ereignisse infinitesimal benachbart, dxμ = xμb − xμa , so ergibt das Skalarprodukt das invariante Linienelement ds2 = dxμ dxμ . Wir setzen voraus, dass dxμ zeitartig (ds2 > 0) ist. In dem KS, in dem die Komponenten beider Ereignisse gleich sind, also im momentanen Ruhsystem des Teilchens, ist die Zeitdifferenz ds = cdτ ≡ Zeitdifferenz auf mitbewegter Uhr. Aus der Definition des Linienelements   dx 2  (ds)2 = (dx0 )2 1 − dx0

folgt für zeitartige Ereignisse  ds = dx0 1−β 2 = cdt/γ

⇐⇒

dτ = dt/γ .

(12.3.2)

Definition: Die Eigenzeit τ ist die Zeit, die eine mitbewegte Uhr anzeigt:

478

12 Spezielle Relativitätstheorie

ˆ

t

dt

τ= 0

 1 − β2 ≤ t .

(12.3.3)

Den Minkowski-Diagrammen und vielen anderen Fällen besser angepasst ist es, die Eigenzeit τ durch den Weg s anzugeben: ˆ s ˆ t  s= ds = c dt 1 − β 2 = cτ ≤ ct . (12.3.4) 0

0

Bewegte Uhren gehen langsamer; hierin ist keine Beschränkung auf gleichförmige Bewegung gemacht. Wir haben die Zeitdifferenz dt in einem fixen System mit der Differenz im jeweiligen momentanen Ruhsystem der Uhr in Beziehung gesetzt. x0

6 z (s) 0

S

z 2 (s) 1

z (s)

x1

-

x2 Abb. 12.14. Raum-Zeit-Diagramm einer Weltlinie und des Lichtkegels

Bewegte Uhren hat man in Satelliten. Die Gangunterschiede zu den auf der Erde positionierten Uhren hat man in Navigationssystemen wie GPS einzurechnen [Campbell, 2006]. Die Effekte der Relativgeschwindigkeit des Satelliten von ca. 4 km/s sind von der Größe ∼ 10−10 ; hinzu kommen noch verschiedene Korrekturen durch das Gravitationspotential, so dass die Borduhren um ca. 40 μs pro Tag zurückbleiben. Die Bahn x(t) eines Teilchens wird als Weltlinie bezeichnet (siehe Abb. 12.14). Für sie gilt dxμ dxμ > 0. Wenn wir x(t) kennen, können wir aus (12.3.3) die Eigenzeit berechnen. Es ist zweckmäßig die Weltlinie eines Teilchens nicht durch x = x(t), sondern als Funktion der Eigenzeit bzw. des Weges s = cτ anzugeben: t = t(s) und x = x(t(s)).   z μ (s) = xμ (t(s)) = c t(s), x(t(s)) Vierervektor der Weltlinie. (12.3.5) Uhrenparadoxon Im Uhrenparadoxon wird die Zeit einer Uhr, die sich von der Erde mit einer

12.3 Raum-Zeit-Begriff

479

Geschwindigkeit β wegbewegt und dann wieder auf die Erde zurückkehrt, verglichen mit der auf der Erde verbliebenen Uhr, wie es in Abb. 12.15a skizziert ist. Aus (12.3.3) ˆ 1 s(B)  tB − t A = ds 1 − β 2 (s) c s(A)

schließen wir, dass bewegte Uhren langsamer gehen, wobei sich aber die schnellere Bewegung auch in einer (in der Zeichenebene) längeren Weltlinie manifestiert. Anders ausgedrückt – als sogenanntes Zwillingsparadoxon – wird der Zwilling, der bei A auf die Reise geht, am Punkt B feststellen, dass der in S ruhende Zwilling älter geworden ist als er selbst. Nimmt man keinen Zwilling (da dieser nicht beliebig große Beschleunigungen aushält), sondern gleicht im Inertialsystem S  die Uhren im Startpunkt A ab und macht dasselbe von S  aus am Umkehrpunkt P , so wird man Vergleich  der Zeiten am Endpunkt  bei B den Zeitunterschied t1 − t2 = t1 1 − 1 − β 2 /c feststellen, der ohne Beschleunigungsphasen zustande gekommen ist. t1 ist der in S ruhenden Uhr zuzuordnen. Das scheinbare Paradoxon besteht nun darin, dass vom Inertialsystem S  aus betrachtet, die Zeit im System S langsamer vergeht und der reisende Zwilling seinen zurückbleibenden Bruder langsamer altern weiß; um ihn zu treffen, muss er zu S  wechseln und kann so seine Reise nicht als in einem Inertialsystem ruhend beschreiben. Zieht man nun, wie in Abb. 12.15b skizziert, das System S  als Ruhsystem des reisenden Zwillings heran, so muss sich dieser in P nach dem Additionstheorem für Geschwindigkeiten mit −2β/(1 + β 2 ) auf den Weg machen, um den ruhenden Zwilling zu erreichen. Wieder ist die Weltlinie des reisenden Zwillings „länger“ und damit die vergangene Zeit kürzer. Den im Zwillingsparadoxon angesprochenen starken Beschleunigungen kann man ausweichen, indem man sich auf die komfortable Form einer Reise mit gleichmäßiger Beschleunigung/Verzögerung in der Stärke der Erdbeschleunigung (g = 981 cm/s2) festlegt (siehe Aufgabe 12.4). Vierergeschwindigkeit Die Geschwindigkeit ist definiert durch dxμ dxμ v (τ ) = =γ dτ dt μ



  c , (v ) = γ v μ

(12.3.6)

wobei wir gemäß (12.3.2) für dt/dτ = γ eingesetzt haben. Sowohl für Diagramme als auch für die Notation ist oft (analog zu β) die dimensionslose Vierergeschwindigkeit   dxμ dt vμ 1 uμ (s) = z μ (s) = (12.3.7) = ⇔ (uμ ) = γ β dt ds c

.

480

12 Spezielle Relativitätstheorie x0

S: (x0 , x1 ) S  : (x0 , x1 )

0

B

B

x 6

0

S  : (x0 , x1 )

1

2

o 1

x1

P

x0

x0

x1

x0

]

x 6

x

1

2



x1

P

6 (a)

A

(b)

- x1

A

- x1

Abb. 12.15. Uhrenparadoxon; die strichlierten Linien sind Lichtkegel, und die Punkte sind Zeiteinheiten des jeweils ruhenden Systems: in (a) S; in (b) S  (a) Die Uhr 1 ruht in S, während sich Uhr 2 mit β = 0.6 bis P wegbewegt und dann mit β  = −0.6 zu B zurückkehrt; die dicke Linie deutet denselben Weg mit Beschleunigungsphasen bei A, P und B an (b) Die Uhr 2 ruht anfangs in S  , während sich Uhr 1 mit β = −0.6 entfernt. Ab dem Umkehrpunkt P nähert sich die Uhr 2 mit β ≈ −0.882 der Uhr 1

geeigneter. Wie in Abb. 12.16 gezeigt, ist die momentane Geschwindigkeit eines Teilchens gegenüber einem Inertialsystem S aus der Steigung der Weltlinie ablesbar: (uμ ) ist ein Einheitsvektor, der die Weltlinie tangiert. Aus dem Skax0

6

(γ,βγ)

7

1 0

x1

1

Abb. 12.16. Vierergeschwindigkeit in einem Punkt einer Weltlinie: Die Tangente an den Punkt wird parallel in den Ursprung verschoben und ergibt dort das momentane bewegte System S  . Die Einheitslänge der Zeitachse von S  , d.h. der Punkt (γ, βγ) bestimmt die Vierergeschwindigkeit u (hier ist β = 0.75)

larprodukt folgt uμ uμ = 1 (v μ vμ = c2 ), was man der Abb. 12.16 entnehmen kann, wo u die Länge des Einheitsmaßstabes im (lokalen) bewegten System hat.

.

.

.

Anmerkung: Im Folgenden wird bei den Ableitungen xμ (t), xμ (τ ) bzw. xμ (s) durch das Argument angegeben, ob nach t, der Eigenzeit τ oder dem Weg s abgeleitet wird. Es gilt somit

.

xμ (t) =

dxμ , dt

.

xμ (τ ) =

.

dxμ = v μ = γ xμ (t), dτ

.

xμ (s) =

.

dxμ γ = uμ = xμ (t). (12.3.8) ds c

12.3 Raum-Zeit-Begriff

481

Diese Regel ist naturgemäß nicht allein auf xμ beschränkt.

12.3.3 Beobachtung schnell bewegter Körper Die Lorentz-Kontraktion von Körpern längs ihrer Bewegungsrichtung, schon vor der Aufstellung der Relativitätstheorie von FitzGerald [1889] postuliert, wurde lange Zeit als ohne Weiteres direkt beobachtbar angenommen. Die endliche Geschwindigkeit des Lichts bewirkt, dass Licht, das zu einer bestimmten Zeit beim Beobachter (Kamera) eintrifft, von verschiedenen Stellen eines sich schnell bewegenden Körpers, zu verschiedenen Zeiten, d.h. von verschiedenen Positionen des Körpers, ausgegangen ist. Das hat, mit oder ohne Lorentz-Kontraktion, ein verändertes Erscheinungsbild zur Folge, und die Auswirkungen der Laufzeitunterschiede sind meist größer als die der LorentzKontraktion, da sie von 1. Ordnung in β sind. In dem Artikel Wie erscheint nach der Relativitätstheorie ein bewegter Stab einem ruhenden Beobachter hat dies Lampa [1924] diskutiert. Erstaunlicherweise wurde die Arbeit nicht wahrgenommen, so dass Gamow [1940] eine nicht zutreffende Darstellung bewegter Körper machen konnte. Das Bild wurde erst mit Artikeln von Terrell [1959] und Penrose [1959] korrigiert, die zeigten, dass eine vorbeifliegende Kugel dem Beobachter bzw. der Kamera immer als Kugel erscheint, wenngleich verdreht. In der Folge wurden zahlreiche Artikel zu diesem Thema verfasst und es fand Eingang in Lehrbücher [Ruder, 1993] Man unterscheidet zwischen Effekten, die die Gestalt und solchen, die Helligkeit und Farbe betreffen, wobei hier nur die zuerst genannten behandelt werden. Da das Erscheinungsbild schnell bewegter Körper die Relativitätstheorie und vor allem die Elektrodynamik nicht direkt betrifft, werden wir uns auf die Skizzierung der einfachsten Effekte beschränken. z

6 P S



 x /γ -

P



βd

 S



y βct0

ez

6

x(t0 )

0

ey

-

ex

Abb. 12.17. Eine Lichtquelle bewegt sich mit β = βex gegen S; Vom System S  aus betrachtet ist sie immer am Punkt P  ; von S aus betrachtet, ist sie zur Zeit t0 am Ort P . d ist die Distanz, die das Licht zum Punkt S, wo die Kamera ist, zurücklegen muss

In Abb. 12.17 wird eine punktförmige Lichtquelle P  (x ) dargestellt, die sich mit β gegen S bewegt und deren Lichtstrahl die Kamera bei S zur Zeit t1 erreicht. Zu bestimmen ist der Ort x(t0 ) der Lichtquelle, wenn zur Zeit t1 fotografiert wird:

482

12 Spezielle Relativitätstheorie

x(t0 ) =

x + β ct0 , γ

y(t0 ) = y  ,

z(t0 ) = z  .

t0 ist hier negativ, da S  auf S zufliegt. Zur Zeit t1 erreicht das zu t0 ausgesandte Licht den Punkt S:  x ct1 = ct0 + d ⇒ x(t1 ) = βct1 + = x(t0 ) + β x2 (t0 ) + y 2 + z 2 . γ Man bestimmt x(t0 ) als Funktion von t1 bzw. x(t1 ) und kann so den Ort der Lichtquelle zur Zeit t1 angeben: x(t0 ) = γ 2 x(t1 ) − βγ



γ 2 x2 (t1 ) + y 2 + z 2

mit

x(t1 ) = βct1 +

x . γ

Das Vorzeichen der Wurzel ergibt sich aus x(t0 ) < x(t1 ). Damit kann zu jedem in S  vorgegebenen Körper zu jeder Zeit t1 sein Aussehen in S bestimmt werden [Kern et. al., 1997]. Heranfliegender Stab Ein heranfliegender, leuchtender Stab, wie in Abb. 12.18a dargestellt, wird von einem Punkt P aus beobachtet (gefilmt). Das Licht von den weiter außen liegenden Punkten hat einen längeren Weg zu P und kommt daher von früheren Zeiten, zu denen der Stab weiter von P entfernt war. So sieht man in P eine Hyperbel der Form * (x−x0 )2 1−β y2 − 0

0 β + 2 = 1, x0 = , a= , b = 0 . 2 a b 1+β 1+β 1+β Bewegt sich der Stab nicht zentral auf P zu, sondern fliegt er vorbei (y > 0), so sieht man ihn in größerer Entfernung gedreht. In Längsrichtung, wie in Abb. 12.18b skizziert, wirkt der auf P zufliegende Stab verlängert/verkürzt, gemäß   l = l0 1 ± β/ 1 ∓ β . Das gilt so nur, wenn P in der Stabachse liegt und nicht, wie in Abb. 12.18b, etwas daneben, was notwendig ist, wenn man die Verlängerung (Verkürzung) beobachten will.

Anmerkung: Der auf den Beobachter zufliegende Stab scheint diesem schneller als der sich entfernende. Wir betrachten ein Raster der Länge s = cΔt. Legt das Licht also die Strecke s zurück, so hat der Stab sβ zurückgelegt. Für den Beobachter in P bedeutet das, dass der heranfliegende Stab nach (1 − β)c Δt die nächste Marke des Rasters passiert hat, oder dass sich der Stab scheinbar mit der Geschwindigkeit s/Δt = 1/(1−β) dem Punkt P nähert. Das kann zu scheinbaren Überlichtgeschwindigkeiten führen, wie man sie bei Quasaren beobachtet hat [Kraus, 2005, S. 40]. Umgekehrt scheint sich der entfernende Stab langsamer zu bewegen.

12.3 Raum-Zeit-Begriff β = 0.8

6

t0

β-

y

6

β -

l0

x0 0

P

t3

t2

t1

t0

P

-

x l0 /γ

?

483

l0 (a)

l0 /γ β = 0.8

l0 (b)

Abb. 12.18. (a) Dem Beobachter fliegt ein querliegender Stab der Länge l0 mit β = 0.8 entgegen und wird in P als Hyperbel gesehen. Die von den jeweils zwei Punkten des Stabes zu den Zeiten ti ausgehenden Lichtstrahlen treffen alle zur Zeit t0 auf den Kreis und kommen so gleichzeitig in P an; die punktierte Linie ist die Asymptote, außerhalb der sich der zu P gerichtete Lichtstrahl parallel zu β langsamer fortbewegt als der Stab. Zur Zeit der Beobachtung der Hyperbel ist der Stab bereits sehr nahe an P (schwarze Linie) (b) Der längsgerichtete Stab erscheint verlängert, wenn er auf P zufliegt und verkürzt, wenn er sich entfernt; l0 ist die Ruhelänge und l0 /γ die gemessene, Lorentzkontrahierte Länge Bemerkt werden sollte auch, dass eine schnell bewegte Kamera auch rückwärts „sehen“ kann. Lichtstrahlen, deren Geschwindigkeit parallel zur Kamera kleiner als ˆ < β), werden von der Kamera eingeholt und so auf den Film die der Kamera ist (c·β gebracht.

Terrell Rotation Wir haben bereits am Beispiel des Stabes gesehen, dass sich nähernde/entfernende Körper in Momentaufnahmen größer/kleiner erscheinen, auch verdreht, wenn sie seitlich vorbeifliegen und verzerrt, wenn sie nahe sind. Der seitlich vorbeifliegende Stab wird, wenn die Kamera senkrecht auf die Bewegungsrichtung steht, die Lorentz-Kontraktion zeigen. Wie sich das Bild ändert, wenn ein dreidimensionaler Körper, ein Würfel, vorbeifliegt, wird in Abb. 12.19 skizziert. Angenommen ist, dass alle Lichtstrahlen, die vom Würfel ausgehen und zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Beobachter P kommen, als parallel betrachtet werden können. Die Körper sind dann eher klein und weit genug entfernt. Zur Zeit t1 befindet sich der Eckpunkt D in der Position D1 . Licht, das von dort ausgestrahlt wird erreicht nach c(t2 − t1 ) = l0 die Vorderseite des Kubus. Damit treffen alle Strahlen, die von D1 A2 A2 B2 ausgehen, zur selben Zeit beim (unendlich entfernten) Beobachter P ein. In Abb. 12.19c ist dargestellt, dass das beobachtete Bild dem eines um den Winkel α gedrehten Kubus entspricht: sin α = β und cos α = γ −1 .

484

12 Spezielle Relativitätstheorie

d

c

d1

c1





t2

t1

t1

t2

α α a

b



a1

-

l0

b1

 l0 γ

a2

b1

a2

b2

 βl0 - l0 γ

γ

? (b) P ?? P

(a)

a1

b2

 l0 ?

(c) P ?? P ?

?

Abb. 12.19. Würfel der Länge l0 ; Die Kamera P ist weit genug entfernt, so dass alle Strahlen parallel sind. Der Würfel bewegt sich mit β = 0.8; sichtbar sind jeweils Rück- und Unterfläche; die Vorderfläche ist verdeckt. (a) Seitenfläche eines Würfels der Länge l0 im Ruhsystem (b) Die Lichtstrahlen, die von der durchgezogenen Linie im Intervall [t1 , t2 ] von der Rückfläche ausgehen, kommen alle gleichzeitig mit den Strahlen von der Unterfläche in P an (c) Das Bild auf dem Film lässt sich als gedrehter Würfel interpretieren: tan α = βγ

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen 12.4.1 Lorentz-Transformation für beliebige Orientierung der Relativgeschwindigkeit Die eingeschränkte LT (Λ0 0 = 1 und det Λ = 1) setzt sich aus einer Drehung und einer Geschwindigkeitstransformation, dem Boost, zusammen. Sie ist durch die Geschwindigkeit β = v/c und die Drehung α charakterisiert: Λ = Λ(β, α) ≡ Λ(0, α) Λ(β, 0) .

(12.4.1)

Boost Die Bewegung von S  zu S sei mehr auf die x-Richtung beschränkt, wie in Abb. 12.20 skizziert. Die Koordinaten x werden in die Komponente x , die parallel zu v ist, und in die dazu senkrechten Komponenten x⊥ aufgeteilt. 6

6 Abb. 12.20. Mit der Geschwindigkeit v gegeneinander beweg-

S



 v S *



-

- te KS.



t = γ t −

v·x  , c2





x = γ x − vt ,

x⊥ = x⊥

ˆ parallel zu v ein: Dazu führen wir β = v/c und den Einheitsvektor β

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen

ˆ · x) β ˆ x = (β

ˆ = β/β , β

485

x⊥ = x − x ,  und erhalten die LT für beliebige Orientierung von v (γ = 1/ 1−β 2 ):   ct = γ ct − x · β , (12.4.2)   ˆ β. ˆ x = −γβ ct + x + γ −1 (x · β) und

Matrixdarstellung: Mittels (12.4.2) erhalten wir aus (xμ ) = Λ (xμ ): " ! γ −γβt (12.4.3) Λ(β, 0) = ˆ◦β ˆ . −γβ E + (γ −1)β

Das Symbol ◦ bezeichnet das tensorielle (dyadische) Produkt (A.1.15). Für kleine Werte von β ist γ − 1 ≈ β 2 /2. Drehung Die Drehung ist hier eine Operation, die nur auf die räumlichen Dimensionen der LT wirkt: x = Rx. Sie kann aufgefasst werden als 1. abstrakte Operation, die das Skalarprodukt x·x = x ·x invariant lässt, als 2. Matrixoperation, bei der ein Punkt P gegenüber einer festen Basis gedreht wird (aktive Drehung), oder als 3. Matrixoperation, bei der die Basis gegenüber einem raumfesten Punkt verdreht wird (passive Drehung) . In der hier verwendeten Notation wird nicht zwischen aktiver und passiver Drehung13 unterschieden. Sind α die beliebig orientierte Drehachse und α der im mathematisch positiven Sinn (Rechtsschraubenregel) gegebene Drehwinkel, so ist [Abschn. 1.3, Sexl, Urbantke, 1976; Iro, 2002, (8.13)] x = x cos α + (ˆ α ·x) α ˆ (1−cos α) + α ˆ ×x sin α,

α ˆ = α/α.

Die Matrix einer Drehung ist  t 10 mit Rk l = δk l cos α + α ˆkα ˆ l (1−cos α) + kjl α ˆj sin α. 0 R

(12.4.4)

(12.4.5)

Da β und α Vektoren aus dem dreidimensionalen euklidischen Raum sind, unterscheiden wir bei diesen nicht zwischen ko- und kontravarianten Komponenten. Drehmatrizen sind orthogonal, d.h. Rt = R−1 . Zur Bestimmung des Drehwinkels kann die Invarianz der Spur herangezogen werden: cos α =

 1  k R k −1 , 2

(12.4.6)

k

13

Man kann zwischen der Drehung des Vektors xk → xk und der Drehung des KS: ek → ek ⇔ xk → xk unterscheiden.

486

12 Spezielle Relativitätstheorie

wobei der Drehwinkel zwischen 0 ≤ α ≤ π variiert. Drehungen mit α > π beschreibt man mit α = 2π − α. Die Drehachse wechselt dabei die Richtung: α = −α. Damit ist die Drehung eindeutig beschrieben, ausgenommen für α = π, wo Λ(β, α) = Λ(β, −α) . Die Drehachse wird aus der Differenz Rk l − Rl k bestimmt:   1 α ˆ i sin α = − ikl Rk l − Rl k . 4

(12.4.7)

Boost und Drehung Die allgemeine LT (12.4.1) setzt sich aus Boost und Drehung zusammen   0  0  t  γ −γβt 10 x x ¯ = ˆ β ˆ x ¯ 0 R x −γβ E + (γ −1)β◦     γ −γβt x0 . (12.4.8) = ˆ ˆ x −γRβ R + (γ −1)(Rβ)◦ β Von Interesse ist vor allem der umgekehrte Weg, d.h. aus den Elementen einer gegebenen LT auf Geschwindigkeit und Drehung rückzuschließen. Wir gehen davon aus, dass Λ keine Zeit- oder Raumspiegelungen enthält14 :  2 βk = −Λ0 k /γ , Λ0 k = β 2 γ 2 . (12.4.9) γ = Λ0 0 , k

R=Λ−

γ−1 (Rβ) ◦ β β2



R k l = Λk l −

1 Λk 0 Λ0 l . γ+1

(12.4.10)

Auf der rechten Seite haben wir (γ − 1)/β 2 = γ 2 /(γ + 1)

(12.4.11)

eingesetzt. Die detaillierte Rechnung ist Übungsaufgabe (12.5). Drehwinkel und Drehachse sind mittels (12.4.6) bzw. (12.4.7) zu bestimmen. 12.4.2 Addition von Geschwindigkeiten Allgemeines Geschwindigkeitsadditionstheorem Im Inertialsystem S  bewegt sich ein Teilchen mit β = v /c, wie in Abb. 12.21 skizziert. S  wiederum bewegt sich mit β = v/c gegenüber S. Gesucht ist die Geschwindigkeit β = dx/dx0 , mit der sich das Teilchen in S bewegt. Zunächst benötigt man die Umkehrtransformation von (12.4.2), die durch Ersetzung von v → −v aus (12.4.2) hervorgeht: 14

Für L0 0 < 0 ist zuvor eine Zeitspiegelung T auszuführen; Analoges gilt für die Raumspiegelung.

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen

6

6

v

 > 7v

-

v 1

 S-

S





487

Abb. 12.21. In S  bewegt sich ein Teilchen mit v , wobei S  gegenüber S die Geschwindigkeit v hat. Zu berechnen ist die Geschwindigkeit v = dx/dt des Teilchens in S. Nicht skizziert ist die Verkürzung der von S aus gesehenen Achsen von S  (und umgekehrt); so wäre das Teilchen auch bei Vertauschung von v  v an einem anderen Ort

  x0 = γ x0 + β · x ,

(12.4.12)

ˆ · x )β ˆ. x = γβx + x + (γ − 1)(β 0





Zur Zeit t = 0 befand sich das Teilchen am Ursprung von S  , so dass x = β x0 :   x0 = γ x0 + β · β  x0 , (12.4.13) ˆ · β )β ˆ x0 . x = γβx0 + β  x0 + (γ − 1)(β Aus der ersten Gleichung erhält man als Folge der Zeitdilatation dx0 dt 1 = = . 0 dx dt γ(1 + β · β )

(12.4.14)

0 Mit der Kettenregel β  = dx0 = dx0 dx 0 ergibt sich aus (12.4.13) dx dx dx

β =

ˆ · β  )β ˆ β + β + β ⊥ /γ γβ + β  + (γ − 1)(β   = . 1 + β · β γ 1 + β · β

(12.4.15)

(12.4.15) ist das allgemeine Geschwindigkeitsadditionstheorem für die Addition beliebig gerichteter Geschwindigkeiten. Der rechte Ausdruck ist einfacher ˆ β ˆ zu β nach dem „üblichen“ Additionszu merken, da zuerst β  = (β  · β) ˆ × (β  × β) ˆ hinzukommt, wobei der theorem addiert wird und dann β⊥ = β −1 Faktor γ der Zeitdilatation zuzuschreiben ist, wie im Folgenden erwähnt wird. Vertauscht man in Abb. 12.21 v  v , so bleibt zwar |β  | ungeändert, aber die Richtung von β ist eine andere. Wir werden darauf bei der Multiplikation zweier Lorentz-Transformationen, Seite 490, eingehen. Addition paralleler Geschwindigkeiten Ist nun β  parallel zu β, so vereinfacht sich (12.4.15) zum Geschwindigkeitsadditionstheorem β =

β + β ˆ β 1 + ββ 



v  =

v + v , 1 + vv  /c2

(12.4.16)

488

12 Spezielle Relativitätstheorie

wobei v und v  bei antiparalleler Bewegung entgegengesetzte Vorzeichen haben. Sei v/c = β = tanh η, so lautet die Geschwindigkeitsaddition β  = tanh η  = tanh(η + η  ) . Da | tanh η| ≤ 1, ist die Aussage dieser Gleichung, dass die Addition von zwei Geschwindigkeiten, die jeweils kleiner oder gleich der Lichtgeschwindigkeit sind, eine Geschwindigkeit v  ≤ c ergibt. Die Lichtgeschwindigkeit ist also eine Grenzgeschwindigkeit. Es gilt fu ¨r

v, v   c

fu ¨r

v



und/oder v  = c ⇒

v  = v + v  , v + v v  = = c. 1 + vv  /c2

Addition orthogonaler Geschwindigkeiten Wenn β  ⊥ β, so vereinfacht sich (12.4.15) zu β = β + β  /γ .

(12.4.17)

Da in S die zu β senkrechten Komponenten unverkürzt sind, ist einzusehen, dass die Verlangsamung der zu β senkrechten Komponente der Geschwindigkeit der Zeitdilatation zuzuschreiben ist: dx /dt = dx /(γdt). 

Unerreichbarkeit der Lichtgeschwindigkeit Eine Folge aus der Geschwindigkeitsaddition (12.4.16) war, dass c eine Grenzgeschwindigkeit ist, die durch Addition zweier Geschwindigkeiten β = v/c = 1 − und β  = v  /c = 1 −  nicht erreicht werden kann: β  =

β + β 2 − −  = < 1. 1 + ββ  2 − −  + 

In einer eher umständlichen Rechnung erhält man aus (12.4.15) 1 = γγ  (1 + β · β  ) γ  =  1 − β  2

(der einfachere Weg wäre die Multiplikation zweier Boosts (12.4.21)). Man sieht unmittelbar, dass β  seinen maximalen Wert hat, wenn ββ und seinen minimalen, wenn β und β antiparallel sind. Für parallele Geschwindigkeiten haben wir bereits gezeigt, dass c eine Grenzgeschwindigkeit ist. Wir können noch verifizieren, dass γ  ≥ 1, unabhängig von den Richtungen der Geschwindigkeiten: 2

γ  min =

(1 − ββ  )2 ≥ 1. (1 − β 2 )(1 − β 2 )

Eine Überlichtgeschwindigkeit wird daher nicht erreicht. Diese hätte ein akausales Verhalten zur Folge, da ein Signal, das zur Zeit t = t = 0 ausgesandt wird, zur Zeit t (P ) < 0 in x (P ) einlangen würde.

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen

489

Geschwindigkeit eines Teilchens in verschiedenen Inertialsystemen Ein Teilchen bewege sich in S mit der Geschwindigkeit w = dx . In dem gegen dt 

S mit v bewegten System S  habe das Teilchen die Geschwindigkeit w = dx . dt Das ist genau die Situation, die wir bei der Geschwindigkeitsaddition (siehe Abb. 12.21, Seite 487) hatten: w=v '  und w =v '  . Mithilfe des allgemeinen Additionstheorem für Geschwindigkeiten (12.4.15) können wir w = v + w angeben, wobei daran erinnert werden soll, dass diese Addition im Allgemeinen nicht kommutativ ist: w =

w + v

w /c2

,

1+v· w − v , w = 1 − v · w/c2

w⊥ , γ(1 + v · w /c2 ) w⊥ w⊥ = . γ(1 − v · w/c2 ) w⊥ =

(12.4.18) (12.4.19)

Bei Vertauschung von w  w ist nur v durch −v zu ersetzen. Aberration des Lichtes Von einem Körper wird Licht in der Richtung w mit w = c ausgesandt. Dieser Körper bewegt sich mit v = vex gegen einen Beobachter, für den das Licht aus der Richtung w (w = c) zu kommen scheint. Soweit v nicht parallel (oder antiparallel) zu w ist, wird das Licht abgelenkt, was bedeutet, dass w und w nicht parallel sind. Diese Ablenkung von w nach w wird als Aberration bezeichnet. Gegeben seien also zwei Bezugssysteme, S und S  , wobei sich S  gegen S mit v bewegt. Ein Teilchen bewege sich mit w gegenüber dem System S  ; in S hat es dann die Geschwindigkeit w = v + w . Der Zusammenhang von w mit w ist durch (12.4.18) gegeben. Von Interesse sind hier die unterschiedlichen Winkel, die w und w mit der x-Achse einschließen. Abb. 12.22 skizziert den Spezialfall mit α = 90◦ . Es gilt ⎧ ⎧    ⎪ ⎪ wx = w cos α ⎨ ⎨wx = w cos α  w wz , tan α = , tan α = z wy = 0 wy = 0 wx ⎪ wx ⎪ ⎩ ⎩  wz = w sin α wz = w sin α wz w sin α  wz = = 1 − β2 , wx γ(wx + v) w cos α + v w sin α  wz w = 1 − β2 . tan α = z = wx γ(wx − v) w cos α − v tan α =

Betrachtet wird ein in S senkrecht einfallender Lichtstrahl  π v2 c  tan α = − w = c, α= , 1− 2 . 2 v c

490

12 Spezielle Relativitätstheorie

w w 6 v 6 6 M δ α S

S

α -



-

Abb. 12.22. S  bewege sich gegen S mit v = vex . Ein Teilchen, das sich mit w in der xz-Ebene in S  bewegt, hat in S die Geschwindigkeit w. Angenommen ist hier, dass das Teilchen ein Lichtstrahl ist, der in S unter α = 90◦ beobachtet wird; er erscheint um δ  gedreht

Im System S  fällt der Strahl nicht mehr senkrecht ein, sondern ist um den Winkel δ  = α − π2 gedreht, was als Aberration bezeichnet wird. sin α cos π2 − cos α sin π2 π −1 )= π = π   2 cos α cos 2 + sin α sin 2 tan α v/c v =  ≈ ≈ 10−4 . 2 2 c 1 − v /c

tan δ  = tan(α −

Scheinwerfereffekt

Bewegt sich ein Beobachter sehr schnell, so wird er die Umgebung vor sich in einem kleinen Winkelbereich um die Richtung von v heller sehen als die seitlichen Bereiche. Die hinter ihm liegenden Teile erscheinen dagegen dunkler. Es ist so, wie wenn man die Umgebung in Richtung der Bewegung mit einem Scheinwerfer ausleuchtet (headlight effect). Wir betrachten hier ein sehr schnell, nahe vorbeifliegendes Objekt. Seine Geschwindigkeit sei v = v ex und das von ihm unter dem Winkel α ausgesandte Licht w hat in S die Richtung w und wird dort, wie in Abb. 12.22 skizziert, unter dem Winkel α beobachtet (β = v/c) α 1 1  c sin α  wz 1−β 2 ≈ tan α 1−β 2 = tan α = tan α =  wx c cos α +v 1+β





1−β . 1+β

(1 − β)/(1 + β) kleiDer Winkelbereich [−α , α ] von S  wird also in einen um neren Bereich abgebildet und daher dementsprechend heller. Umgekehrt wird das wegfliegende Objekt (v → −v) um denselben Faktor dunkler gesehen. Erwähnt werden sollte, dass der zusätzlich auftretende Doppler-Effekt das Licht heranfliegender Objekte zu höheren Frequenzen verschiebt und das der wegfliegenden zu niedrigeren.

12.4.3 Multiplikation zweier Boosts Es werden hier nochmals das allgemeine Geschwindigkeitsadditionstheorem (12.4.15) aus der Multiplikation zweier Boosts hergeleitet (siehe Abb. 12.23) und insbesondere die mit der Addition verbundene Drehung berechnet:       γ −γ  β t γ −γβt γ −at = ˆ ◦ β ˆ ˆ◦β ˆ −b D −γ  β 1+(γ  −1)β −γβ 1+(γ −1)β   −γ  βt γ  = (12.4.20)    ˆ  ) ◦ β ˆ  . −γ Rβ R + (γ −1)(Rβ

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen

491

6 6

6

S

-



v S > 7v

v  1 S-

-





Abb. 12.23. S  bewegt sich relativ zu S mit v und S  relativ zu S  mit v ; von S aus gesehen sind die Achsen von S  nicht nur verkürzt, sondern auch verdreht, was nicht eingezeichnet ist

Die Multiplikation der beiden Boosts ergibt für die erste Zeile γ  = γ  γ(1 + β  · β) ,   1 a   ˆ · β )β ˆ . γ γβ + β + (γ −1)( β β =  = γ γγ  (1 + β · β  )

(12.4.21)

Damit haben wir auf einfache Art das allgemeine Geschwindigkeitsadditionstheorem hergeleitet und zugleich gezeigt, dass β  nicht von der Reihenfolge der Boosts abhängt. Die Berechnung der restlichen Zeilen, insbesondere von D ist etwas mühsam15 :   ˆ  )β ˆ , (12.4.22) b = γ β + γ  β  + (γ  −1)(β · β   γ ˆ ◦ β) ˆ + (γ  −1)(β ˆ ◦ β ˆ  ) + γγ  1 + γ D = 1 + (γ −1)(β β·β β  ◦ β.  γ +1 γ +1 Die Drehung ist durch ˆ  ) ◦ β ˆ  = D − R = D − (γ  −1)(Rβ

1 b◦a γ  +1

(12.4.23)

gegeben. Die Drehachse kann aus dem antisymmetrischen Teil der Drehmatrix (12.4.5) bestimmt werden. Es müssen das Terme der Form    β ◦ β − β  ◦ β = ijk β × β  k ij

sein. α ∝ ±β × β  gibt die Drehachse an, wobei das Vorzeichen aus dem Drehwinkel 0 ≤ α ≤ π folgt. Von Interesse ist der Fall, in dem β   1, so dass in Λ(β  , α) nur Terme linear in β zu berücksichtigen sind. Die entsprechende Entwicklung von (12.4.23) – Aufgabe 12.7 – ergibt die infinitesimale Drehung α: Ri j = δi j + 15

 γ ijk β × β  k = δi j − ijk αk . γ +1

(v ◦ v)(w ◦ w) = (v · w)(v ◦ w)

(12.4.24)

492

12 Spezielle Relativitätstheorie

Die (infinitesimale) Drehung ist gemäß (12.4.4)   γ −1 β  γ β  ×β, α = sin β  , β . (12.4.25) γ +1 γ β

x = x+α×x ⇒ α = Thomas-Präzession

Wir gehen nun von der Vorstellung aus, dass S  kein Inertialsystem ist, sondern eine konstante kreisförmige Rotation in Bezug auf S ausführt. In S hat S  dann nach kurzer Zeit Δt die Geschwindigkeit in 1. Ordnung von Δt: β = β(t) + Δβ ≈ β +

dβ β (12.4.17) Δt = β + . dt γ

Damit kann die in der Zeit Δt erfolgte Drehung (12.4.25) samt der zugehörigen Winkelgeschwindigkeit lim Δα/Δt angegeben werden: Δ→0

Δα =

γ2 Δβ×β γ +1



ωt = −

γ2 dβ β× . γ +1 dt

(12.4.26)

ω t ist die sogenannte Thomas-Präzession; sie ist eine Folge der durch die Raum-Zeit-Kopplung der LT auftretende Drehung bei der Multiplikation zweier Boosts. Die Thomas-Präzession ist damit ein kinematischer, relativistischer Effekt; dass es sich um einen relativistischen Effekt handelt, wird auch aus lim ωt = 0 deutlich. Wir kommen auf die Thomas-Präzession im Abschnitt c→∞ 14.3.3 zurück, um die Spin-Bahn-Kopplung eines Elektrons zu berechnen. Anmerkung: Ohne die Beschränkung auf eine kreisförmige Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit β erhält man mithilfe des Additionstheorems (12.4.15) die zu β  linearen Beiträge β β·β  = Δβ + β, γ 1+γ wobei der Zusatzterm proportional β ist und somit zu ωt beiträgt.

12.4.4 Doppler-Effekt Wenn eine bewegte Lichtquelle Strahlung der Frequenz ω0 aussendet, so sieht der ruhende Beobachter die Strahlung mit der Frequenz ω. Es ist das der analoge Effekt zu den Schallwellen, bei dem wir das Pfeifsignal eines herannahenden Zuges in einem höheren Ton hören als das des sich entfernenden. Die Lichtquelle bewege sich in x-Richtung, wie in Abb. 12.24 skizziert, mit der Geschwindigkeit v = v ex und sende Licht der Frequenz ω0 aus. Der vierdimensionale Wellenvektor hat die Form   (k μ ) = ω/c, k mit kμ k μ = 0 . (12.4.27)

12.4 Zusammensetzung von Lorentz-Transformationen

493

y 6

M

y 6

k

k

* ϕ

-v S ϕ

S



x

- x

Abb. 12.24. Eine Lichtquelle S  bewegt sich mit v gegen S und sendet Licht der Frequenz ω  = ω0 aus. Licht, das von S  in Richtung ϕ ausgeht, wird in S unter ϕ beobachtet

(k μ ) ist ein lichtartiger Vektor mit der Dispersionsrelation ω = kc als Invariante. Um die Frequenzverschiebung im System S allgemein zu beschreiben, genügt es, sich im System S  auf die x y  -Ebene zu beschränken. Wir gehen von einer Frequenz ω und einem Winkel ϕ aus unter denen wir die Quelle S  beobachten, und können so auf ω  = k  c und k = k  cos ϕ ex + sin ϕ ey rückschließen: ⎞ ⎛ ⎞ ⎞ ⎛ ⎛ γ(1 − β cos ϕ) 1 γ −βγ 0 0 ⎟ ⎜ ⎜−βγ γ 0 0⎟ ⎜cos ϕ⎟ ⎟ = k ⎜γ(−β + cos ϕ)⎟ . ⎟k⎜ (12.4.28) (k μ ) = ⎜ ⎠ ⎝ ⎝ 0 sin ϕ 0 1 0⎠ ⎝ sin ϕ ⎠ 0 0 0 0 01 Im Detail ergibt das

  ω  ≡ ω0 = ωγ 1 − β cos ϕ ,  −β + cos ϕ kγ  cos ϕ =  − β + cos ϕ = , k 1 − β cos ϕ k sin ϕ . sin ϕ =  sin ϕ =  k γ 1 − β cos ϕ

(12.4.29) (12.4.30) (12.4.31)

Im ruhenden System S ist die Frequenz der Lichtquelle gemäß (12.4.29) ω0 . ω=  γ 1 − β cos ϕ

(12.4.32)

Die Ablenkung, die das von S  unter ϕ ausgehende Signal erfährt, die Aberration, ist durch (12.4.30) und (12.4.31) bestimmt. Wir unterscheiden: 1. Longitudinaler Doppler-Effekt Die Lichtquelle bewege sich in x-Richtung mit der Geschwindigkeit v = v ex auf einen Beobachter in S zu. Beobachtet wird unter ϕ = 0, d.h. (k μ ) = k k 0 0 . In S beobachtet man somit * 1+β und cos ϕ = 1, d.h. ϕ = 0 . ω = ω0 1−β Entfernt sich die Lichtquelle unter ϕ = π, so ist ϕ = π und ω = ω0 γ(1−β) .

494

12 Spezielle Relativitätstheorie

2. Transversaler Doppler-Effekt Die Lichtquelle bewege sich weiterhin mit v = vex , nur wird das von S  ausgesandte Licht   unter dem Winkel ϕ = π/2 beobachtet. Man hat so (k μ ) = k 0 k 0 und es ist k ⊥ v . Aus (12.4.32) folgt  ω = ω0 1 − β 2 . (12.4.33)

Aus cos ϕ = −β folgt, dass in S  die Wellen „rückwärts“ ausgestrahlt werden und erst durch die Aberration vom ruhenden Beobachter unter π/2 gesehen werden. Die Frequenz ω ≈ ω0 (1 − v 2 /(2c2 )) ist also niedriger, unabhängig vom Vorzeichen von v und wir haben einen Effekt von 2. Ordnung in β = v/c vor uns. In nicht relativistischer Näherung tritt im transversalen Fall keine Frequenzverschiebung auf. Zum transversalen Doppler-Effekt tragen nur Signale bei, die in S  im Bereich π/2 < ϕ < π ausgestrahlt werden, also „rückwärts“ gerichtet sind und durch die Aberration unter ϕ = π/2 beobachtet werden. Die Abnahme der Frequenz beim transversalen Doppler-Effekt ist auf Zeitdilatation zurückzuführen und war daher von prinzipiellem Interesse. Das Experiment von Ives-Stilwell [1938] war der erste Nachweis des transversalen Doppler-Effekts, wobei Kanalstrahlen (H-Ionen) mit Geschwindigkeiten von ∼ 106 m s−1 verwendet wurden.  Der auf die Zeitdilatation zurückzuführende Faktor von 1 − β 2 in (12.4.29) ist isotrop und daher auch in longitudinaler Richtung messbar. Der erste direkte Nachweis in transversaler Richtung wurde von Hasselkamp, Mondry, Scharmann [1979] durchgeführt.

3. Allgemeiner Doppler-Effekt Für die sich entfernende Lichtquelle ist cos ϕ < 0, was nach (12.4.32) eine Absenkung der Frequenz zur Folge hat. Bewegt sich die Lichtquelle auf den Beobachter zu, so ist, wenn γ(1 − β cos ϕ) = 1 , keine Frequenzverschiebung (ω = ω0 ) zu erwarten. Beim klassischen nicht relativistischen Doppler-Effekt ist das stets bei ϕ0 = π/2. Die Verschiebung ϕ0 < π/2 ist Folge der SRT, und für ein vorgegebenes β0 ist " !  1 − 1 − β02 ϕ0 = arccos . β0 Abb. 12.25 zeigt diese Kurve, die den Fall ω > ω0 von ω < ω0 trennt. In S  werden die unter ϕ0 ohne Frequenzverschiebung einfallenden Wellen im Winkel ϕ0 = π − ϕ0 ausgestrahlt (kx = −kx und ky = ky ). Wir gehen jetzt von der Lichtquelle S  aus und bestimmen (k μ ) aus der zu (12.4.28) inversen LT

Aufgaben zu Kapitel 12

495

ϕ0 π 2

6

ω < ω0

ω > ω0

π 4

-

0 0

0.5

1

β0

Abb. 12.25. Winkel ϕ0 unter dem ein Objekt der Geschwindigkeit β0 < 1 ohne Frequenzverschiebung beobachtet werden kann - inklusive des trivialen Falls β0 = 0. Das Signal wird unter ϕ0 = π − ϕ0 ausgesandt

  ω = ω0 γ 1 + β cos ϕ

cos ϕ =

und

β + cos ϕ . 1 + β cos ϕ

Der Zusammenhang zwischen ω  ω0 und ϕ  ϕ ist durch die Ersetzung von v durch −v gegeben, wie es nach dem Relativitätsprinzip sein muss. Das trifft beim nicht relativistischen Doppler-Effekt nicht zu, wo man unterscheiden muss, ob sich der Beobachter oder die Quelle gegenüber dem Medium (Gas) bewegt. Bei Quellen mit sehr hohen Geschwindigkeiten werden fast alle von S  ausgehenden Signale in einem kleinen Bereich ϕ ≈ 0 beobachtet. Die empfangenen Frequenzen ω hängen aber von ϕ ab, so dass um die Vorwärtsrichtung eine Verschiebung von blau nach rot einsetzt. Bei einem schnell vorbeifliegenden Objekt wird man so zusätzlich zur Verzerrung und Verdrehung durch die Terrell-Rotation, zur Helligkeitsänderung durch den Scheinwerfer-Effekt, noch Farbänderungen durch den Doppler-Effekt beobachten können. In nicht relativistischer Näherung ist x = x − vt . Man erhält die Frequenzverschiebung aus 







ψ  = ei(k ·x −ω0 t) = ei(k ·(x−tv)−ω0 t) = ei(k ·x−ωt) , was die Frequenzverschiebung von ω = ω0 + k  · v ergibt. Der in der nicht relativistischen Physik auftretende Doppler-Effekt wird ebenfalls durch (12.4.32) beschrieben, aber mit γ = 1 und ist so die Näherung 1. Ordnung in β. Aufgaben zu Kapitel 12 12.1. Invarianz der Wellengleichung: Bedingungen an die Transformation. In Anlehnung an eine Arbeit von W. Voigt (1887) versuchen wir die Transformation Λ (12.1.15) soweit einzugrenzen, dass der d’Alembert-Operator (x0 = ct) invariant bleibt:

496

12 Spezielle Relativitätstheorie =



x0 x

∂2 ∂2 ∂2 ∂2 − =  = − 2 2 2  ∂x0 ∂x ∂x2 ∂x0

= γx0 − a · x = −Dβ x0 + D x .

Zeigen Sie, dass a = γβ und die Koffizienten von D zusätzlich die sechs Bedingungen γ 2 (1 − β 2 ) = q2i − (qi · β)2

(qi · β)(qj · β) = qi · qj



für

i = 1, 2, 3 ,

für

i 0 folgt, dass (j μ ) zeitartig ist. Im mitbewegten System ist j=0. Ladungsdichte einer Punktladung Ein Punktteilchen xq hat im Ruhsystem S  die Dichte ˆ n (x , t ) = δ(3) (x −xq ) = ds δ(4) (Λ(x−xq )) ˆ

=

ds

(13.1.8)

δ(3) (x−xq )δ(x0 −x0q (s)) δ(3) (x−xq ) n(x, t) = = . | det Λ| γ γ

Wir haben uns dabei am Beweis der Kovarianz von (j μ ) (13.1.5) orientiert. Für die Ladungsdichte folgt aus ρ(x, t) = e n(x, t): ρ = ρ/γ; die Ladungsdichte erscheint durch die Lorentz-Kontraktion im Vergleich zum Ruhsystem erhöht. Ladungsinvarianz Berechnet man aus der im mitbewegten System S  vorhandendenen Ladungsdichte ρ die im Laborsystem S, so hat man beim Volumenelement die LorentzKontraktion zu berücksichtigen: d3 x = γd3 x. Daraus folgt ρ d3 x = ρ d3 x ,

(13.1.9)

was Ausdruck der Ladungsinvarianz ist. Wir werden etwas später im Abschnitt 13.2.3 nochmals darauf zurückkommen. Vektorpotential Wir haben bereits erwähnt, siehe (8.2.18), dass nicht nur Ladungs- und Stromdichte zu einem Vierervektor zusammengefasst werden können, sondern auch das skalare und das Vektorpotential   φ μ (A ) = , (13.1.10) A wobei wir auf (8.2.19) ˆ 1 4π Aμ (x, t) = d4 x D(x − x ) j μ (x ) c c zurückgreifen. D(x−x ) ist Lösung der inhomogenen Wellengleichung (8.2.12)

504

13 Kovariante Elektrodynamik

D(x) = c δ(4) (x) . Unter LT ist  invariant und δ(4) (x) ein Skalar, woraus zu schließen ist, dass auch D(x) ein skalares Feld ist. Da wir gezeigt haben, dass j μ ein Vierervektor ist, muss auch Aμ einer sein. Direkt ablesen können wir dies der Wellengleichung ∂ ν ∂ν Aμ = Aμ =

4π μ j . c

(13.1.11)

Lorenz-Eichung Eine Eichtransformation lässt die Wellengleichung ungeändert: Aμ → A¯μ = Aμ + ∂ μ χ

Lorenz-Eichung

−→

∂μ ∂ μ χ = χ = 0.

(8.1.8) ist die Viererdivergenz von (Aμ ) und so invariant unter LT: 1 ∂ φ+∇·A= 0 c ∂t



∂μ Aμ ≡ Aμ ,μ = 0 .

(13.1.12)

Skalarprodukt und Punktteilchen Das Liénard-Wiechert-Potential für eine bewegte Punktladung (8.2.26) hat die Form (φq , βφq ), woraus folgt, dass (Aμq ) ein zeitartiger Vektor ist: Aμq Aq μ = φ2q γ −2 > 0 .

(13.1.13)

13.1.3 Feldstärketensor Wie in diesem Abschnitt eingangs erwähnt, sind E und B sicher nicht als Vierervektoren darzustellen, da etwa durch die Bewegung einer Ladung ein Magnetfeld entsteht und so unter einer LT E und B gemeinsam transformiert werden müssen. Das richtet unsere Aufmerksamkeit auf Tensoren 2. Stufe. Die Elemente des Feldstärketensors F μν = ∂ μ Aν − ∂ ν Aμ = Aν,μ − Aμ,ν

(13.1.14)

sind Komponenten der Felder E und B ∂Ak ∂φ = Ek , − (13.1.15) ∂xk c∂t k l l k a b a b = ∂ A − ∂ A = (δka δlb − δkb δla )∂ A = klj abj ∂ A = −klj Bj .

F k0 = ∂ k A0 − ∂ 0 Ak = − F kl

Den (lateinischen) Indizes wie k, l sind die Werte 1 bis 3 zugeordnet. Eine Unterscheidung von ko- und kontravarianten Komponenten ist für Ek und Bk , aber auch für ijk obsolet, da diese keine Vierervektoren (Tensoren) im pseudoeuklidischen Raum sind. Aus (13.1.15) ergibt sich

13.1 Maxwell-Gleichungen in kovarianter Form

 μν  F =





0 −Et . E −mnk Bk

505

(13.1.16)

F μν = −F νμ ist ein kontravarianter antisymmetrischer 4 × 4-Tensor und hat so sechs unabhängige Elemente, die Felder E und B. Für den kovarianten Feldstärketensor gilt Fμν = gμρ gνσ F ρσ

=⇒

Fk0 = −F k0

Fkl = F kl .

(13.1.17)

Nun können wir diese beiden Feldstärketensoren direkt angeben: ⎛ ⎛ ⎞ ⎞ 0 −Ex −Ey −Ez 0 Ex Ey Ez  ⎜−Ex 0 −Bz By ⎟  μν  ⎜Ex 0 −Bz By ⎟  ⎜ ⎟ ⎟ =⎜ F ⎝Ey Bz 0 −Bx ⎠, Fμν = ⎝−Ey Bz 0 −Bx ⎠. (13.1.18) Ez −By Bx 0 −Ez −By Bx 0

Für weitere Rechnungen benötigt man die Felder E und B als Funktionen der F μν : Ek = F k0 ,

1 Bk = −klm ∂ l Am = − klm F lm . 2

(13.1.19)

Der duale Feldstärkentensor Mittels des total antisymmetrischen Tensors definiert man den zu F μν dualen Tensor 1 F˜ μν = μνρσ Fρσ , 2

1 F μν = − μνρσ F˜ρσ . 2

(13.1.20)

Im Anhang A.1.3, S. 559 sind die Eigenschaften des total antisymmetrischen Tensors (Levi-Civita-Symbol) angeführt: ⎧ ⎪ ⎨1 für alle geraden Permutationen (0123) (13.1.21) μνρσ = −μνρσ = −1 für ungerade Permutationen ⎪ ⎩ 0 sonst.

Der Vorzeichenunterschied kommt von det g = −1. In der folgenden detaillierten Rechnung wird gezeigt, dass F˜ μν aus F μν hervorgeht, indem man E → −B und B → E ersetzt    μν  0 Bt ˜ F . (13.1.22) = −B −mnk Ek Die nicht diagonalen Elemente sind 1 1 F˜ 0k = 0klm Flm = − klm F lm = Bk , 2 2  1 1  klm0  Fm0 + kl0n F0n = klm0 Fm0 = −klm Em . F˜ kl = klμν Fμν = 2 2

506

13 Kovariante Elektrodynamik In der 2. Zeile muss entweder μ = 0 oder ν = 0 sein, da sonst der Index 0 nicht im -Tensor vorkommt und daher mindestens zwei Indizes gleich sind. Die beiden verbleibenden Terme sind gleich. Verwendet wurden (13.1.15), (13.1.17) und (13.1.21), insbesondere klm0 = −0klm = klm .

Analog zu den Relationen (13.1.19) für (F lk ) gelten für den dualen Tensor Bk = −F˜ k0 = F˜k0 , 1 Ek = − klm F˜ lm , 2 F˜0l = −F˜ 0l ,

F˜ k0 = −Bk , F˜ ij = −ijk Ek ,

(13.1.23)

F˜kl = F˜ kl .

Anmerkung: Während (F μν ) weitgehend einheitlich definiert ist, gibt es Differenzen beim dualen Tensor, die auf eine unterschiedliche Definition des antisymmetrischen Tensors zurückzuführen sind. Hier wird gemäß Sexl, Urbantke [1976, Gl. (5.50)] bzw. Scheck [2016, Gl. (2.50)] die Definition 0 1 2 3 = 1



0 1 2 3 = −1

verwendet, während in den Büchern von Landau, Lifschitz II [1997, (6.8)] oder Jackson [2006, (11.139)] 0 1 2 3 = 1 definiert ist. Auf die (homogenen) MaxwellGleichungen (13.1.25) hat das keinen Einfluss.

13.1.4 Maxwell-Gleichungen Wir werden nun analog zur bisherigen Vorgehensweise in die Maxwell-Gleichungen Vierervektoren und Feldtensoren einsetzen, um zu einer geeigneten kovarianten Notation zu kommen. Die vier inhomogenen Maxwell-Gleichungen sind ∇·E = 4πρ



1 4π j ∇×B− E = c c



.

∂k F k0 =

4π 0 j , c

1 − ijk ∂j klm F lm − ∂0 F i0 = ∂j F ji + ∂0 F 0i 2 4π i = j . c

Das ergibt die kovarianten Gleichungen F νμ ,ν =

4π μ j . c

(13.1.24)

Die vier homogenen Maxwell-Gleichungen können so geschrieben werden als ∇·B = 0 ⇒ −∂k F˜ k0 = 0, 1 1 ∇×E + B = 0 ⇒ − ijk ∂j klm F˜ lm − ∂0 F˜ i0 = −∂j F˜ ij −∂0 F˜ i0 = 0. c 2

.

Daraus folgen die homogenen Maxwell-Gleichungen in kovarianter Form

13.1 Maxwell-Gleichungen in kovarianter Form

F˜ νμ ,ν = 0.

507

(13.1.25)

Diese können auch dargestellt werden durch Fλμ,ν + Fνλ,μ + Fμν,λ = 0.

(13.1.26)

Obige Gleichung ist antisymmetrisch bezüglich der Vertauschung zweier Indizes. Die linke Seite verschwindet damit identisch, wenn zwei Indizes gleich sind. Nichttriviale Bedingungen erhält man so nur, wenn alle drei Indizes verschieden sind. Das sind die vier homogenen Maxwell-Gleichungen.

Die Kovarianz der Maxwell-Gleichungen Gezeigt haben wir, dass die Stromdichte ein Vierervektor ist. Nach dem Reμ lativitätsprinzip muss die inhomogene Wellengleichung Aμ = 4π c j in allen μ Inertialsystemen die gleiche Form haben, das bedeutet, dass A ein Vierervektor sein muss, da  invariant ist. Damit muss F μν = ∂ μ Aν − ∂ ν Aμ ein Tensor 2. Stufe sein. Es gilt also F νμ ,ν = Λν λ ∂λ Λν ν¯ Λμ μ¯ F ν¯μ¯ = ∂ν¯ Λμ μ¯ F ν¯μ¯ =

4π μ μ¯ 4π μ Λ μ¯ j = j , (13.1.27) c c

was die Kovarianz der inhomogenen Maxwellgleichungen belegt. 13.1.5 Transformation des elektromagnetischen Feldes Um das Transformationsverhalten der elektromagnetischen Felder zu bestimmen, geht man vom Feldtensor aus: F μν = Λμ μ¯ Λν ν¯ F μ¯ν¯ . Betrachtet wirddie LT (12.2.21), bei der sich S  mit v in der x-Richtung bewegt (γ = 1/ 1−β 2 ). Wir verwenden hier die Tensorschreibweise, wobei 1 der Einheitstensor E ist. Wir wollen damit jede Verwechslungsmöglichkeit mit dem elektrischen Feld ausschließen:      ν   μ  L 0 γ −βγ Λ ν¯ = mit L ν = . 0 1 −βγ γ Zerlegt man F nach dem gleichen Schema in 2×2-Blockmatrizen    μν  Fa Fb F , = −Ftb Fc

so kann man die Transformation auf die Form       t    LFa Lt LFb Fa Fb Fa Fb L0 L 0 = = 0 1 01 −F b t Fc −Ftb Fc −Fb t Lt Fc

508

13 Kovariante Elektrodynamik

bringen und erhält für die Komponenten des elektrischen und magnetischen Feldes 01 01 Fa = LFa Lt = Fa =⇒ F  =F , F 0k = L0 0 F 0k + L0 1 F 1k =⇒ Fb = LFb F 1k = L1 0 F 0k + L1 1 F 1k =⇒ F 23 = F 23 . Fc = Fc

fu ¨r

k = 2, 3 ,

Der Tensor   00 01   0 −Ex F F = Fa = F 10 F 11 Ex 0 hat nur ein unabhängiges Element (Ex ) und ist so invariant gegenüber dieser Lorentz-Transformation2, weshalb F 01 = F 01 . Die erste Zeile der Blockmatrix Fb transformiert sich wie x0 , die zweite Zeile wie x1 . Fc bleibt gleich (Bx = Bx ), da die Komponenten 2 und 3 nicht geändert werden. Es ist also F 01 : Ex = Ex , F 02 : Ey = γ(Ey −βBz ), F 03 : Ez = γ(Ez +βBy ), (13.1.28) F 23 : Bx = Bx , F 12 : Bz = γ(Bz −βEy ), F 31 : By = γ(By +βEz ). Das kann in die folgende Form gebracht werden:       E = Ex , γEy + γ β×B y , γEz + γ β×B z ,       B = Bx , γBy − γ β×E y , γBz − γ β×E z . Für beliebige Richtungen von v erhält man E = E + γ(E⊥ + β × B), B = B + γ(B⊥ − β × E).

(13.1.29) (13.1.30)

Die Zerlegung in zu v ˆ = v/v parallele und senkrechte Komponenten ist ˆ) v ˆ+v ˆ × (E × v ˆ) . E = E + E⊥ = (E · v Da die Spur eines antisymmetrischen Tensors verschwindet, bleibt nur die 2. ˜ t }: Stufe mit den beiden Invarianten Sp{FFt } und Sp{FF F μν Fμν = 2F 0k F0k +F lm Flm = −2E 2 +lmi Bi lmj Bj

= −2(E 2 −B 2 ), (13.1.31) μν 0k lm ˜ ˜ ˜ F Fμν = 2F F0k + F Flm = 2Bk Ek +lmi Ei lmj Bj = 4E·B. (13.1.32)      

cosh η − sinh η 0 1 cosh η − sinh η 0 1 = . − sinh η cosh η −1 0 − sinh η cosh η −1 0  Das ist verständlich, da F ebenfalls antisymmetrisch sein muss, und es so nur ein Element Ex = Ex geben kann, wenn det Λ = 1. 2

13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien

509

Anmerkungen: Ist B = 0 und E = 0 in S, so ist |E | > |B | in S  . Ist E ⊥ B in S, so ist auch E ⊥ B in S  . (αβγδ ) ist ein Pseudotensor, woraus folgt, dass (13.1.32) ein Lorentz-Pseudoskalar ist.

13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien 13.2.1 Maxwell-Gleichungen in Materie In Materie bleiben die homogenen Maxwell-Gleichungen unverändert, verglichen mit dem Vakuum und in den inhomogenen Gleichungen sind E durch D und B durch H zu ersetzen. Das legt die Einführung eines Feldstärketensors H μν nahe, der sich von F μν nur durch das Ersetzen von E durch D und B durch H unterscheidet:    μν  0 −Dt H . (13.2.1) = D −ijk Hk

Daraus folgen unmittelbar die inhomogenen Gleichungen H νμ ,ν =

4π μ j . c

(13.2.2)

Die homogenen Gleichungen (13.1.26) sind unverändert Fλμ,ν + Fνλ,μ + Fμν,λ = 0 . Die Felder D und H sind aber mit der dielektrischen Verschiebung D = E und dem Magnetfeld H = μB nur identisch, wenn wir im Ruhsystem der ˆ = β/β) Materie sind. So transformieren die Felder (β     ˆ ˆ + γ D+β×H , D = D + γ D⊥ +β×H = (1−γ)(β·D) β     ˆ ˆ + γ H−β×D H = H + γ H⊥ −β×D = (1−γ)(β·H) β

(13.2.3)

für D und H analog denen zu E und B, (13.1.29) und (13.1.30), aber die Materialgleichungen (5.2.17) gelten nur für Felder im Ruhsystem der Materie. Der duale Tensor ˜ μν = 1 μνρσ Hρσ H 2 geht aus (H μν ) hervor, indem D → −H und H → D ersetzt werden. Unter den für die Felder D und H geltenden Einschränkungen erhält man die den Invarianten (13.1.31) und (13.1.32) entsprechenden Gleichungen durch Substitution von E → D und B → H.

510

13 Kovariante Elektrodynamik

13.2.2 Materialgleichungen Wir gehen nun von der Annahme aus, dass die (homogene) Materie im System S  ruht, d.h. D = E und B = μH , und erhalten damit aus der LT (13.2.3) D = D = E H = H = μB

(13.1.29)

=

(13.1.30)

=

E , μB .

Für die Normalkomponenten geht man von   + β × B⊥ ,  1. D⊥ + β × H⊥ = E⊥  2. H⊥ − β × D⊥ = μ−1 B⊥ − β × E⊥

aus und multipliziert beide Gleichungen von links vektoriell mit β×  3. β × D⊥ − β 2 H⊥ = β × E⊥ + β × (β × B⊥ ) , 4. β × H⊥ + β 2 D⊥ = μ−1 β × B⊥ − β × (β × E⊥ ) .

Verwendet haben wir noch β × (β × H) = −β 2 H⊥ . Subtrahiert man die 4. Gleichung von der 1. (bzw. addiert die 3. zur 2.) und erweitert die rechte Seite mit − (β 2 E⊥ +β×(β×E⊥ )), so erhält man  D⊥ (1−β 2 ) = E⊥ (1−β 2 ) + ( −μ−1 ) β×B⊥ − β×(β×E⊥ )  H⊥ (1−β 2 ) = μ−1 B⊥ (1−β 2 ) + ( −μ−1 ) β×E⊥ + β×(β×B⊥ ) .

Zusammengefasst ergibt das die Materialgleichungen [Becker, Sauter, 1973, (11.1.23)]   D = E + γ 2 ( − μ−1 ) β × B − β × E ,   (13.2.4) H = μ−1 B + γ 2 ( − μ−1 ) β × E + β × B . Momententensor

Für manche Anwendungen lassen sich die Felder im Ruhsystem der Materie besser durch die Materialgleichungen (5.2.17) D = E + 4πP

und

H = B − 4πM

als durch Permittivität und Permeabilität μ beschreiben. Man macht das mittels eines Polarisations- bzw. Momententensors. Definiert man den Momententensor3   0 −Pt μν , (13.2.5) (M ) = P mnk Mk 3

Bei Becker, Sauter [1973, (11.3.3)] und Panofsky, Phillips [1962, (18-65)] hat M das entgegengesetzte Vorzeichen.

13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien

511

so folgen daraus die Materialgleichungen H = F + 4πM . Ruht die Materie im System S  , das sich mit β relativ zu S bewegt, so sind   P = P + γ P⊥ + β×M ,   (13.2.6) M = M + γ M⊥ − β×P .

Diese Verknüpfung ist insofern bemerkenswert, als im Ruhsystem ein polarisierter, jedoch nicht magnetisierter Körper (M = 0) durch die Bewegung eine endliche Magnetisierung bekommt. Andererseits erscheint ein nicht polarisierter Körper, wie etwa ein Permanentmagnet, der sich relativ zu S bewegt, in S polarisiert. Randbedingungen In S  , dem System, in dem die Materie ruht, gelten die üblichen Stetigkeitsbedingungen: Stetigkeit der Tangentialkomponenten Et und Ht und der Normalkomponenten Dn und Bn . Da jedoch div D = 0 und div B = 0 auch in S gelten, bleibt die Stetigkeit der Normalkomponenten Dn und Bn ungeändert. Stetig sind dann die Tangentialkomponenten der Felder (13.1.29) und (13.1.30), die linear in β gegeben sind durch E + β×B

H − βe × D.

und

In dieser Näherung sind die Randbedingungen an der Grenzfläche der Medien 1 und 2 bestimmt durch n × (E1 − E2 ) = (β · n)(B1 − B2 ) ,

(13.2.7)

n × (H1 − H2 ) = −(β · n)(D1 − D2 ) .

(13.2.8)

Für die Felder D und H kann (13.2.4) herangezogen werden. 13.2.3 Ladungstransport in bewegten Leitern Ladung und Strom bilden einen Vektor (j μ ) = (cρ, j), der sich gemäß cρ = γ(cρ − β · j) ,

j = γ(j − ρv) + j⊥

(13.2.9)

transformiert, wenn S  sich mit v relativ zu S bewegt. Hierbei genügt (j μ ) stets der Kontinuitätsgleichung ∂μ j μ = 0, und j ist parallel zu v.

512

13 Kovariante Elektrodynamik

Ladungserhaltung Die Erhaltung und die Gleichheit des Betrages der Ladung von Proton und Elektron sind experimentell gut gesicherte Fakten. Die Geschwindigkeiten von Elektronen und Atomkernen sind in Materie unterschiedlich, so dass eine durch die LT hervorgerufene Ladungsänderung beobachtet worden wäre. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass in einem System S mit ρ = 0 bei vorhandenem Strom j = 0 in einem gegenüber S mit vex bewegten System S  die Ladungsdichte ρ = 0 wird. Andererseits wird eine sich in Ruhe befindliche Ladung ρ in einem sonst materiefreien Raum von einem bewegten System S  aus als Strom wahrgenommen: j 0 = cρ,

j 1 = 0,

j 0 = γj 0 ,

j 1 = −γβj 0 .

(13.2.10)

Die Ladungsdichte j 0 ist von S  aus betrachtet zwar größer, doch ist aufgrund der Lorentz-Kontraktion auch das Volumen, auf das die Ladung verteilt ist, um denselben Faktor kleiner: ˆ ˆ ˆ Q = d3 x ρ , Q = d3 x γρ = d3 x ρ . Die Gesamtladung Q ist somit eine relativistische Invariante. Das gilt für die Gesamtladung jedes abgeschlossenen Systems, wie man durch Integration der Kontinuitätsgleichung über das Systemvolumen zeigen kann. Strom von Elektronen in einem Leiter In einem Draht, skizziert in Abb. 13.2, fließt ein Strom j, hervorgerufen durch sich im Draht bewegende Elektronen. Das System ist ladungsneutral (positive y

6

-

x

- v • ¯ e− j 

v ¯ : Geschwindigkeit der Elektronen ¯ : Stromdichte. j = −ne0 v Abb. 13.2. Strom von Elektronen in einem Leiter

Ionen). Teilen wir das System in Elektronen und Ionen, so ist im Ruhsystem des Drahtes 0 1 0 1 (j 0 , j 1 ) = (jion , jion ) + (jel , jel ) = ne0 (c , 0) − ne0 (c , v¯) = −ne0 (0 , v¯) , 1 = −ne0 v¯ der Leitungsstrom der Elektronen ist. Vom mit v bewegten wobei jel 1 System S  aus erhalten wir von j 0 = cρion den Konvektionsstrom jion (siehe (13.2.10)): 0 jion = γcne0 ,

1 jel = −γcβne0 .

Der elektronische Leitungsstrom ändert sich gemäß (13.2.9)

13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien 0 jel = −ne0 γ(c − β¯ v ),

513

1 jel = −ne0 γ(¯ v − βc).

Die Summe ergibt den gesamten Strom j 0 = ne0 γβ¯ v = −γβj 1 ,

j 1 = −ne0 γ¯ v = γj 1 .

Wir bemerken, dass in S  die Ladungsdichte nicht mehr verschwindet und so das System nicht länger elektrisch neutral ist, sondern eine positive Ladungsdichte aufweist. 0 Von jel rührt ebenfalls ein Konvektionsstrom her, der den der Ionen kompensiert. Es verbleibt ein um γ verstärkter Leitungsstrom. Ab jetzt nehmen wir an, dass v ¯=v . In Abb. 13.3 ist dann S  das Ruhsystem der Elektronen. Eingezeichnet sind die Weltlinien von Elektronen und Ionen. Man erkennt, dass die x1 -Achse (zur Zeit t = 0) weniger Weltlinien von Elektronen als von Ionen schneidet. Daraus resultiert als Folge der LorentzKontraktion eine erhöhte Ladungsdichte der Ionen. Aus der in S  vorhandenen x0  x0 6

+ + + + + + + + − − − − − − − −

:1 x

-1 x

Abb. 13.3. Von S  , hier das Ruhsystem der e− , da v ¯= v, aus betrachtet ist j 0 > 0, d.h., das System ist nicht neutral

Ladungsdichte könnte man schließen, dass auf eine ins System eingebrachte Testladung q, die in S ruht (vq = 0), eine Kraft wirkt. In Abb. 13.4a ist skizziert, dass die Stromdichte j = −Iδ(y)δ(z) ex ein Feld B erzeugt, das nach dem Biot-Savart’schen Gesetz (4.1.11) gegeben ist durch B=

2I z y (0 , , − ) c



=

mit

 y2 + z 2 .

Wegen der Ladungsneutralität gibt es kein elektrisches Feld (E=0) und da die Testladung ruht vq = 0, wirkt in S keine Kraft auf das Teilchen. In Abb. 13.4b ist S  das System, in dem die Elektronen ruhen. Man hat jetzt einen Strom von den bewegten Ionen und auch das Testteilchen hat die Geschwindigkeit −v. Gesucht ist die Kraft, die auf die Testladung wirkt. S: Kraft auf Test-Teilchen verschwindet, da E = 0 und vq = 0:   F = q E + β q ×B = 0. S  : Auf q wirken E = 0 und B = 0, aber die Kräfte kompensieren sich E

(13.1.29)

=

γβ×B,

B

(13.1.30)

=

B + γB⊥



Auf das Testteilchen wirkt auch in S  keine Kraft.

F = E −β×B = 0.

514

13 Kovariante Elektrodynamik

B





S (a)

j

- v

q



+

 B + +

S (b)



 Fcz



6 •q

+ + + + +



j

−v

By > 0

?

 Flz

Abb. 13.4. Kraft auf eine Testladung q (a) S: Elektronen bewegen sich mit v, q ruht (b) S  : Elektronen ruhen, Ionen und q bewegen sich mit –v

Bewegte Stromschleife Eine Stromschleife, skizziert in Abb. 13.5, bewege sich mit der Geschwindigkeit v in die positive x-Richtung (konstanter Querschnitt F0 ). 6

II

-v



LII

I : j ⊥ v, II : jv ,

?

j

I

-

LI

?

Abb. 13.5. Stromschleife, die sich mit  v bewegt. Im mitbewegten System S  ist j μ = 0 j .

Die Schleife teilen wir in zwei Abschnitte, wobei im ersten j senkrecht auf v steht (I) und im zweiten j parallel zu v ist (II)

  j μ = 0 0 −j 0 ,   j μ = 0 j 0 0 ,

  j μ = 0 0 −j 0 ,   j μ = γβj γj 0 0 .

Die Stromschleife hat also im System S das elektrische Dipolmoment p = vjF0 LII LI und nach (4.2.14) das magnetische Dipolmoment m = jF0 LII LI /c. Man kann zeigen, dass mit jedem magnetischen Moment m ein elektrischer Dipol verbunden ist: p = β ×m.

(13.2.11)

Jetzt soll sich die Stromschleife, wie in Abb. 13.6 angedeutet, mit vec v bewegen.

13.2 Kovariante Elektrodynamik in Medien

515

++++++++++

II

Abb. 13.6. Dipolmoment einer Stromschleife, die sich mit v

-v

? bewegt

j

Wegen der Lorentz-Kontraktion sind die Ströme (I = F j):

I



I : j ⊥ v,

F = F0

II : jv ,

F = F0 ,

1 − β2 ,

II = F0



1−β 2 j ,

III = γ F0 j

−−−−−−−−−−

Das scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zur Ladungserhaltung zu stehen. Tatsächlich folgt aber bei Integration über ein raumfestes Volumen V , dass ˆ " d d3 x ρ(x, t) = − df · j . dt V Es ist " df · j = F0 j



 1 − β 2 − γ = −F0 jγβ 2

und (j 0 = cρ) ˆ d v d3 x ρ(x, t) = F0 γβj . dt V c

Also sind linke und rechte Seite gleich. Der Strom muss dafür sorgen, dass die Ladung an den Orten aufgebaut wird, wo sich die Schleife hinbewegt. Die Ladungsdichte ist also zeitlich nicht konstant. 13.2.4 Maxwell-Gleichungen für nicht magnetische Materie Es ist instruktiv die Maxwell-Gleichungen in ’langsam’ bewegter (linear in v), nicht magnetischer Materie (μ = 1) herzuleiten. In den homogenen Gleichungen tritt die Materie nicht direkt in Erscheinung und die Induktionsgleichung (1.3.10) sowie die Quellenfreiheit von B (1.3.19) sind unverändert in bewegter Materie gültig. Die Ladungsdichte ρf ist erst in höherer Ordnung von v betroffen, d.h. das Gauß’sche Gesetz bleibt ebenfalls unverändert. Es gilt also nur die durch die Bewegung hinzukommenden Ströme in der AmpèreMaxwell-Gleichung zu berücksichtigen [Panofsky, Phillips, 1962, (9-18)]. Zur Stromdichte jf kommt der Konvektionsstrom v(ρf + ρp ) hinzu und zur Verschiebungsstromdichte jd der durch die Änderung der Polarisation hervorgerufene Strom (konvektive Ableitung):

.

dP = P+∇×(P×v)+v (∇·P). dt Daraus folgt, da sich ρp = −∇·P herauskürzt: 4π  1 ∇×B = jf +v ρf + D+∇×(P×v) . c 4π

.

516

13 Kovariante Elektrodynamik

13.3 Unipolarinduktion Das Barlow’sche Rad Barlow [1822] hat mithilfe der in Abb. 13.7 dargestellten Anordnung gezeigt, dass ein Zahnrad, dessen Spitzen in Quecksilber tauchen, zu rotieren beginnt, wenn sich dieses in einem Magnetfeld befindet, das parallel zur Drehachse ist und ein Strom von der Radnabe (W) zur Spitze fließt. In diesem Teil des Stromkreises wirkt auf die Leitungselektronen die Lorentz-Kraft und setzt das Rad in tangentialer Richtung in Bewegung. Diese Vorrichtung kann als der erste (unipolare) Elektromotor angesehen werden. Zur gleichen Zeit hat Faraday [1822] die Bewegung eines stromführenden Drahtes um einen Magnetpol beobachtet.

Abb. 13.7. Versuchsanordnung nach Barlow [1822]: Um das Quecksilberbecken (f,g,i) befindet sich ein Hufeisenmagnet (H,M). Das Cu-Zahnrad (W) ist auf einem Rahmen aus Kupfer (a,b,c,d) befestigt, so dass es frei rotieren kann. Wird nun eine Gleichspannung an die Radachse und das HgBecken (D und i) angelegt, so beginnt sich das Rad zu drehen

Etwas später hat Arago [1824] eine Magnetnadel knapp oberhalb einer Kupferscheibe, getrennt durch Glas, frei aufgehängt. Das Magnetfeld der Nadel erzeugt in der sich drehenden Scheibe Wirbelströme, deren Feld bewirkt, dass die Nadel der Scheibe folgt (siehe Wirbelstrombremse, Aufgabe 5.8). Das Experiment wurde bald nachgestellt [Babbage, Herschel, 1825] und nur für gute Leiter bestätigt4 . Faraday [1832, §4] hat es mithilfe der Induktion erklärt. Die Kupferscheibe wird bisweilen als Arago-Scheibe bezeichnet. 13.3.1 Induktion und EMK

.

Stationäre Ströme können nicht von konservativen elektrostatischen Feldern aufrechterhalten werden, da die Energierate (5.3.6) umech =j·E nicht von diesen geliefert werden kann. Zerlegt man das elektrische Feld in einen konservativen Quellenanteil Eq und einen nicht-konservativen (Wirbel-)Anteil Ew , so ist die elektromotorische Kraft (1.3.1) gegeben durch ˛ ˛ E= dx·(Eq +Ew ) = dx·Ew , (13.3.1) C 4

C

Arago experimentierte mit verschiedenen Materialien

13.3 Unipolarinduktion

517

wobei die Kurve C teilweise innerhalb eines Mediums, eines Drahtes oder im Vakuum liegen kann. Auf dem geschlossenen Weg C soll nur ein Teil des Weges zur EMK beitragen. Das entspricht bei dem in Abb. 13.8 skizzierten Unipolargenerator dem Weg von der Achse zum Rand des Zylinders (A → B). Des Weiteren soll der Strom verschwinden: ˆ b ˆ b q w (5.3.2) dx·j/σ = 0. dx·(E +E ) = a

a

Damit erhält man ˛ ˆ ˆ b dx·Ew = dx·Ew = E = − a

a

b

dx·Eq = φb −φa .

(13.3.2)

Daraus folgt, dass in einem offenen Stromkreis die Spannung zwischen zwei Punkten gleich der EMK ist. Es folgt daraus ebenfalls, dass in einem Medium, wenn kein Strom fließt, für nicht-konservative Kräfte Ew = −Eq . Die nicht-konservativen Felder (hervorgerufen z.B. durch chemische Potentiale) sind dann gleich den elektrostatischen Feldern, die von diesen hervorgerufen werden [Panofsky, Phillips, 1962, Abschn. 9-1]. 13.3.2 Der Unipolargenerator Der Unipolargenerator geht auf ein Experiment von Faraday [1832] zurück; siehe etwa Montgomery [1999]. Hierbei wurde ein magnetisierter Zylinder in ein Quecksilberbad getaucht und in Rotation versetzt. Ersetzt man das Quecksilberbad durch Schleifkontakte, so entspricht das der in Abb. 13.8 skizzierten Konfiguration5. Der sich in Ruhe befindliche Magnet sei nicht polarisiert

c

d

E

M

 a - 6 v b a * dt

Abb. 13.8. Der Unipolargenerator besteht aus einem zylindrischem Permanentmagneten (M = M ez ) vom Radius a und der Dicke (Länge) d mit Schleifkontakten an Scheibe und Welle. Der Magnet dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω = ω ez , so dass v = ω×x = ω eϕ . In der Zeit dt dreht sich mit dem Zylinder auch der Integrationsweg, und man hat einen Zuwachs des magnetischen Flusses gemäß dϕ = ωdt

(P = 0) und parallel zur Drehachse magnetisiert: Bei Bewegung erscheint die magnetisierte Scheibe im Laborsystem S jedoch gemäß (13.2.6) polarisiert:  M = γM = M ez θ(a− ) θ(z)−θ(z −d) ,  P = γβ×M = β×M = (M ω/c)θ(a− ) θ(z)−θ(z −d) .

5

Der magnetisierte Zylinder kann durch eine Kupferscheibe (Faraday-Scheibe) ersetzt werden, die sich in einem (homogenen) äußeren Magnetfeld B dreht.

518

13 Kovariante Elektrodynamik

Da β = v/c  1, sind γ = 1 und M = M  . Für das Magnetfeld erhält man dementsprechend ˆ β ˆ + γB γ=1 B = (1−γ)β·B = B ,

ˆ = v/v. β

(13.3.3)

Wir orientieren uns an Becker, Sauter [1973, Abschn. 11.3] und Panofsky, Phillips [1962, Abschn. 9-5]. Das Induktionsgesetz in integraler Form (1.3.4) lautet, wenn man für die konvektive Ableitung (1.3.6) einsetzt ˛ ¨ ¨  1 d 1 E= dx · E = − df · B = − df · B − ∇×(v×B) c dt F c F ∂F ˛ ˆ 1 ω a ω Φb (a), = (13.3.4) dx·(v×B) = d B·ez = c ∂F c 0 2πc

.

wobei wir den Radius der Welle vernachlässigt haben. Eine Berechnung von B aus dem vorgegebenen M wird hier nicht vorgenommen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass in der Mitte eines langen Zylinders das Feld nahezu konstant ist und Φb = 4πM a2 π. Die Polarisationsladung ρp = −∇·P =

 Mω  − 2θ(a− ) + δ(a− ) θ(z)−θ(z −d) c

ist innerhalb des Zylinders negativ, begleitet von einer positiven Oberflächenladung auf dem Zylindermantel. Somit ist auch die Ladungsneutralität hergestellt. Folgerung aus der Lorentz-Kraft Die Elektronen bewegen sich mit dem Permanentmagnet. Somit wirkt auf diese die Lorentz-Kraft Fl . Durch die Verschiebung der Elektronen, hier ins Zentrum der Scheibe, entsteht ein rücktreibendes elektrisches Feld E. Im Gleichgewicht darf jedoch keine Kraft F auf die Elektronen wirken: 1 F = e(E + v×B) = 0 c



1 ω E = − v×B = − B. c c

Die am Zylinder (Radius a) entstehende Spannung ist demnach ˆ a ω Φb . φb − φa = − ds·E = 2πc 0

(13.3.5)

(13.3.6)

In üblicher Betrachtung verbindet man mit der Lorentz-Kraft ein elektrisches Teilchen, das die magnetischen Feldlinien schneidet, was schwierig scheint, wenn man sich das Magnetfeld als auf dem Zylinder befestigt vorstellt, so dass es sich mit dem Elektron dreht. Nun ist B = B zeitlich konstant und nur das Elektron bewegt sich.

13.3 Unipolarinduktion

519

Die rotierende Kugel In Anlehnung an Landau, Lifschitz [Bd. VIII, 1985, §63] wird noch die in Abb. 13.9 skizzierte, homogen magnetisierte Kugel betrachtet. Das Magnetfeld Bi = (8π/3)M ist innerhalb der Kugel homogen. Außerhalb der Kugel haben wir ein Dipolfeld. Die Drehachse ist parallel zur Magnetisierung M angeordnet, so dass Ei = Bi ×v/c =

8πM ω 8π M×β = −  3 3c

r < a.

(13.3.7)

Durch die Rotation erscheint die Kugel polarisiert mit der Ladungsdichte ρp : d 6

c

M b  a -a 6

-

v

P = β×M,

Abb. 13.9. Die Drehachse der homogen magnetisierten Kugel ist parallel zur Magnetisierung. v = ω×x. fu ¨r r a. r5

Das Potential auf der Drehachse ist negativ.

13.3.3 Bewegung eines unendlich langen Quaders Die Unipolarinduktion haben wir zunächst mittels (13.3.4) als Induktionsphänomen beschrieben und dann mithilfe von (13.3.5) die Lorentz-Kraft als Verursacher von E festgemacht. Darüber hinaus haben wir in (13.3.7) die Felder Ei

520

13 Kovariante Elektrodynamik

und P mithilfe der aus der Lorentz-Transformation folgenden Formeln angegeben. In der nun zu besprechenden Konfiguration soll die Unipolarinduktion nur auf der Grundlage der LT, d.h. der SRT behandelt werden. Wir gehen jetzt von einem gleichmäßig bewegtem und langem Permanentmagneten aus. Die Magnetisierungsrichtung sei, wie in Abb. 13.10 eingezeichnet, die z-Richtung. Der Grund für dieses Beispiel ist, dass wir zwei Inertialsysteme haben für die die Lorentz-Transformation sicherlich gilt. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf Becker, Sauter [1973, Abschn. 11.3]. Ausgangspunkt ist der in Abb. 13.10 skizzierte Permanentmagnet. Im Ruhsysa φ b n c

6

b s

M

P

- β = v/c

+

−  z6y x

Abb. 13.10. Polarisation eines langen, magnetisierten und geradlinig bewegten Quaders: M =M  ez , β=βex und P=γβ×M =−γβM  ey . Die Polarisationsladungen befinden sich an den Seitenflächen. Der ruhende Leiterbügel ist mit Schleifkontakten zum bewegten Magnet versehen

tem des Magneten seien die Magnetisierung M = M  ez und die Polarisation P = 0. Bewegt sich der Magnet mit v = vex , so erscheint dieser gemäß (13.2.6) dem ruhenden Beobachter polarisiert: ˆβ ˆ + γM = γM  ez , M = (1−γ)M · β P = γβ×M = β×M = −γβM  ey .

(13.3.9)

Für die Felder (E = 0) bedeutet dies ˆ + γB ≡ B + γB⊥ , ˆ β B = (1−γ)β·B 

E = −γβ×B = −β×B = −β×(H+4πM).

(13.3.10)

Zu E trägt der zu β parallele Anteil nicht bei. Es gilt also in den folgenden Formeln: B ≡ γB⊥ . Definiert man   ψ(y, z) = θ(y)−θ(y −b) θ(z)−θ(z −c) , ⇒ M = M0 ψ,

so erhält man für P und die Polarisationsladungen

P = β×M = −β M ψ ey ,   ρp = −∇·P = β M δ(y)−δ(y−b) θ(z)−θ(z −c) .

(13.3.11)

P ist parallel zu den Deckflächen (unten und oben), weshalb dort ∇·P verschwindet. Innerhalb des Quaders gibt es keine Polarisationsladungen, aber

Literaturverzeichnis

521

an den Seitenflächen sind Oberflächenladungen. Die nächste Frage gilt der (gesamten) Ladungsdichte ρ = ρf +ρp : ρ=

∇·(B×β) β·(∇×B) ∇·E = = 4π 4π 4π

rot H=0

=

β·(∇×M) = ρp .

(13.3.12)

Das ergibt nicht unerwartet ρf = 0, d.h. ∇·E = −4π∇·P. Nun fragen wir noch nach den Wirbeldichten: ∇×P= −βM (∇ψ)×ey = βM ez ·∇ψ = β(∇·M), ∇×E = ∇×(B×β)

(A.2.35)

=

(13.3.13)

(β·∇)B−β∇·B = (β·∇)B.

Die Polarisation hat Wirbel an den Deckflächen. Teilt man P in einen Wirbelanteil Pw und einen Quellenanteil Pq , so sind innerhalb des Balken E = −4πPq und D = 4πPw und außerhalb des Balken D = E. Das elektrische Feld E ist aufgrund der unendlichen Länge des Balkens wirbelfrei und der Sprung von E in der Normalkomponente ist durch den Sprung der Tangentialkomponente von B (multipliziert mit β) bestimmt. Die Spannung berechnen wir gemäß ˆ b ˆ ˆ 1 b v yb φ=− ds·E = dy Bz . (13.3.14) ds·(v×B) = − c a c ya a

Aufgaben zu Kapitel 13 13.1. Bewegte Punktladung: Im Ursprung des Inertialsystems S  ruht eine Punktladung q. S  bewegt sich mit v gegenüber S, wobei zur Zeit t = t = 0 auch x = x = 0 zusammenfallen. Berechnen Sie mithilfe von Λ das Feld E der Punktladung in S und vergleichen Sie dieses mit dem aus den Liénard-Wiechert-Potentialen folgenden Feld (8.2.46): E(x, t) = q







1 − β 2 X(t)



1 − β 2 R2 (t) + (X(t) · β)2

3

,

X(t) = x − βct .

13.2. Potential und Feld einer rotierenden magnetisierten Kugel: Eine homogen magnetisierte Kugel (Radius a), wie in Abb. 13.8 dargestellt, drehe sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω, wobei die Magnetisierung M parallel zur Drehachse ist. Berechnen Sie die elektrischen Felder innerhalb und außerhalb der Kugel samt den zugehörigen Potentialen.

Literaturverzeichnis M. Arago, Notiz zu einem Vortrag vom 22. 11. 1824 in der Académie royale des Schiences, Ann. chim. phys. 27, 363 (1824), publiziert als Sur la découverte d’une novelle action magnétique in Nouveau Bulletin des Sciences, 5–6 (1825)

522

13 Kovariante Elektrodynamik

C. Babbage, J. Herschel Account of the Repetition of M. Arago’s Experiments on the Magnetism Manifested by Various Substances during the Act of Rotation, Phil. Trans. R. Soc. London 115, 467–496 (1825) Author(s): P. Barlow A curious electro-magnetic Experiment, Phil. Mag. 59, 241–242 (1822) R. Becker, F. Sauter Theorie der Elektrizität 1, 21. Aufl. Teubner, Stuttgart (1973) M. Faraday On some new Electro-Magnetical Motions, and on the Theory of Magnetism, Quaterly Journal of Science 12, 74–96 (1822) und weitere Artikel hierin. M. Faraday Experimental Researches in Electricity, Phil. Trans. R. Soc. Lond. 122, 125–162 (1832) J. D. Jackson Klassische Elektrodynamik, 4. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin (2006) L. D. Landau und E. M. Lifschitz Lehrbuch der theoretischen Physik II, Klassische Feldtheorie, 12. Aufl. Harri Deutsch, Frankfurt (1997) L.D. Landau, E.M. Lifschitz Elektrodynamik der Kontinua, Bd. 8, 5. Aufl. AkademieVerlag Berlin (1985) J. Larmor in Aether and Matter, Cambridge University Press (1900) H. Montgomery Unipolar induction: a neglected topic in the teaching of electromagnetism, Eur. J. Phys. 20, 271–280 (1999) W. Panofsky, M. Phillips Classical electricity and magnetism, 2. Aufl. Addison – Wesley, Reading (1962) F. Scheck Theoretische Physik 3 4. Aufl., Springer Spektrum (2017) R.U. Sexl und H.K. Urbantke Relativität, Gruppen, Teilchen Springer Wien (1976)

14 Relativistische Mechanik

14.1 Newtons Lex Secunda Gemäß Ernst Mach1 , [Mach, 1933, S. 240] lautet das 2. Newton’sche Gesetz das unverändert in der relativistischen Mechanik gilt: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt. Wir suchen die kovariante Form für dieses (und andere) Gesetze der klassischen Mechanik. Zunächst werden, ausgehend von der Geschwindigkeit (v μ ), die kovarianten Vektoren für Impuls, Beschleunigung und (Lorentz-)Kraft definiert. 14.1.1 Geschwindigkeit, Impuls und Beschleunigung Vierergeschwindigkeit und Viererimpuls In der relativistischen Mechanik geht man von der Annahme aus, dass im mitbewegten System, in dem ein Körper ruht, die Gesetze der klassischen Mechanik unverändert gelten. Die Zeit in diesem System (12.3.2), die sogenannte Eigenzeit τ bzw. s = cτ , definiert die Geschwindigkeit (v μ ) (12.3.6) bzw. (uμ ) = (v μ )/c (12.3.7) als Ableitung der Weltline (xμ ) nach τ bzw. s      dxμ   dxμ  c 1 und (uμ ) = . (14.1.1’) (v μ ) = =γ =γ v β dτ ds Wir haben somit die Vierergeschwindigkeit unmittelbar in kovarianter Form erhalten. Der Vektor ist zeitartig, v μ vμ = c2 , d.h., seine nullte Komponente

1

Ernst Mach (1838–1916)

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_14

524

14 Relativistische Mechanik

ist größer als der räumliche Anteil, der damit durch eine geeignete LorentzTransformation zum Verschwinden gebracht werden kann, was eben im mitbewegten System der Fall ist. Multipliziert man (v μ ) mit m, so erhält man den Viererimpuls    0 p c = . (14.1.1) pμ = mv μ = mcuμ ⇔ (pμ ) = mγ v p m ist die Ruhmasse, oft auch mit m(0) oder m0 bezeichnet. Für die Energie E gilt die als Einstein-Formel bekannte Beziehung E = γmc2 = m(v) c2

mit m(v) = γm .

(14.1.2)

Die relativistische Masse mγ, die als träge Masse in die Bewegungsgleichungen eingeht, ist geschwindigkeitsabhängig. Wächst die kinetische Energie eines Teilchens, so wird es schwerer, d.h. träger gegen eine Beschleunigung. Mittels (14.1.2) ist p = γmv .

p0 = p0 = γmc = E/c ,

(14.1.3)

Durch Kontraktion2 erhält man unter Verwendung von uμ uμ = 1 die Invariante pμ pμ = (p0 )2 − p2 = m2 c2 = E2 /c2 − p2 .

(14.1.4)

Wie aus (14.1.4) hervorgeht, ist die Energie als Funktion von p bzw. von v   E = m2 c4 + c2 p2 = mc2 / 1 − β 2

in Abb. 14.1 skizziert. Nahe der Lichtgeschwindigkeit, d.h., wenn p mc, ist E ≈ pc. E

E

mc2

mc2 p

c

v

Abb. 14.1. Energie als Funktion von p und v; E(p) ist ein Hyperboloid, die sogenannte Massenschale

Der Viererimpuls des Photons Der Vierervektor (12.4.27) der Wellenzahl ist uns bereits beim Doppler-Effekt begegnet. Nun hat das Photon die Geschwindigkeit |v| = c, was nur in Verbindung mit der Ruhmasse m = 0 möglich ist. Daraus folgt 2

Summation über ko- und kontravarianten Index.

14.1 Newtons Lex Secunda

  (pμ ) = |p| p

525

E = c|p|.

mit

p und E = c|p| sind Impuls und Energie des Photons, wobei für masselose Teilchen pμ pμ = 0 gilt. Die Energie des Photons ist nach der Quantentheorie bestimmt durch E = ω. Somit ist   p0 = ω/c = k ⇒ p = k und (pμ ) =  k k . Viererbeschleunigung Die Ableitung der Geschwindigkeit nach der Eigenzeit

.

bμ = v μ (τ ) = aμ c2

(14.1.5)

definiert die Beschleunigung, wobei

.

.

.

.

aμ = uμ (s) = (γ(s) , γ(s) β + γ β)

(14.1.6)

die Ableitung nach s der dimensionslosen Geschwindigkeit (uμ ) ist. Aus d μ u uμ = 0 ds

aμ u μ = 0 .

folgt

Vierergeschwindigkeit und Viererbeschleunigung sind also orthogonal zueinander. Für das Skalarprodukt gilt

.

.

aμ aμ = −γ −2 γ 2 − γ 2 β 2 ≤ 0 , d.h., die Beschleunigung ist raumartig. Dieses Resultat war bereits aufgrund der Orthogonalität uμ aμ = 0 zu erwarten, da (uμ ) zeitartig ist. Mit einer LT kann man also in kein Inertialsystem wechseln, in dem die räumliche Komponente der Beschleunigung verschwindet. Mithilfe von γ(s) = γ 3 β · β(s) kann

.

.

.

.

.

.

  aμ aμ = −γ 4 (1 − β 2 )β 2 (s) + (β · β)2 = −γ 4 β 2 (s) − (β × β)2 (14.1.7)

in eine Form gebracht werden, die uns bei der Strahlungsleistung (8.2.42) begegnet ist. Bewegungsgleichung In der einfachsten Form sagt das zweite Newton’sche Gesetz, dass Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist3

.

mc2 aμ = cpμ (s) = K μ 3

.

⇔ mbν = pν (τ ) = K ν

.

.

⇒ p(t) = K/γ.

(14.1.8)

Die rechts stehende Gleichung ist das 2. Newton’sche Axiom in der eingangs zitierten Formulierung von Mach: p(t) beschreibt die Änderung der Bewegung und K/γ ist proportional der einwirkenden Kraft.

526

14 Relativistische Mechanik

Je nach Fragestellung ist es günstiger die Bewegungsgleichung durch den Weg s, die Eigenzeit τ oder die Zeit t auszudrücken. Freies Teilchen Bevor man die Einwirkung einer Kraft auf das Teilchen berücksichtigt, vergewissert man sich über die kräftefreie Bewegung:

.

mc uμ = 0



pμ = mcuμ = const.

xμ (s) = xμ (0)+uμ s.



(14.1.9)

Die Weltlinie ist eine Gerade. (14.1.9) ist Ausdruck des 1. Newton’schen Gesetzes oder auch Trägheitsprinzip, hier in der Formulierung von Mach [1933, S. 240]: Ein Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern. Bewegung unter dem Einfluss einer Kraft mc2 x ¨μ (s) = mc2 aμ (s) = K μ . Die Bedeutung der nullten Komponente der Kraft:

.

uμ uμ = 0



.

mc2 uμ uμ = K μ uμ = 0 .

Daraus folgt, dass K0 gleich der von K am Teilchen geleisteten Arbeit ist, dividiert durch c: K 0 = K · β = mc2

1 dE dγ = . ds c dτ

(14.1.10)

Gleichmäßig beschleunigtes Bezugssystem Ist im Ruhsystem S  eines Teilchens seine Beschleunigung (hier in der x1 Richtung) konstant, (bμ ) = (0 , b , 0 , 0), so wird das Teilchen gleichmäßig beschleunigt. Wir fragen uns, wie sich die Zeit im „unbewegten Laborsystem“ zur Eigenzeit im gleichmäßig beschleunigten System verhält, wenn sich dieses zur Zeit t = 0 mit der Anfangsgeschwindigkeit v = 0 wegbewegt. Zunächst transformieren wir gemäß (13.1.2) die Beschleunigung vom mitbewegten System ins Laborsystem, wo sie durch (14.1.5) gegeben ist: bμ = (c

dγ dγv , , 0 , 0) = (γβb , γb , 0 , 0) . dτ dτ

Daraus ergibt sich für den räumlichen Anteil durch Integration unter Verwendung von γdτ = dt (12.3.2) ˆ t v(t) dγv 1 dγv dt  =  = bt . (14.1.11) =b ⇒ γ dτ dt 1 − v(t)2 /c2 0

14.1 Newtons Lex Secunda

527

Solange v  c haben wir das klassische Ergebnis v = bt, ein Ergebnis, das für t → ∞ wenig überraschend in v = c übergeht. Die Auflösung nach v und eine nochmalige Integration ergibt ! " ˆ t bt b 2 t2 c2   v= 1+ 2 −1 . ⇒ x= dt v(t ) = b 2 b c 1 + b2 t2 /c2 0 Wiederum haben wir für kurze Zeiten (oder kleine Geschwindigkeiten) das klassische Ergebnis x = b t2 /s, das für t → ∞ in x = ct übergeht. Die Eigenzeit erhält man mittels4 : (12.3.3) ˆ t  1 1 − β2 = dt   /c)2 1 + (bt 0 0     bt 2 bt c + 1+ . = ln b c c ˆ

t

τ=

dt

(14.1.12)

Für kurze Zeiten oder kleine Geschwindigkeiten, bt  c, ist die Eigenzeit τ  t wie es klassisch zu erwarten ist, während für t → ∞ die Eigenzeit nur logarithmisch zunimmt: τ ∼ (c/b) ln(2bt/c) . In diesem Grenzfall ist zwar v ≈ c, aber erreicht trotzdem nie c, da dann τ nicht weiter zunehmen dürfte. 14.1.2 Strahlungsleistung und Strahlungsrückwirkung Zur Strahlungsleistung der Punktladung Man kann erwarten, dass die Strahlungsleistung P der bewegten Ladung invariant gegenüber der LT ist. Geht man von der Larmor-Formel (8.2.39) aus, so ist aμ (τ )aμ (τ ) = −β 2 (τ ), wenn β = 0. Daraus folgt

.

P =−

2e2 μ a (τ )aμ (τ ) . 3c

Da P ein Skalar ist, muss seine Form unter Lorentz-Transformationen, d.h. für endliche β erhalten bleiben. aμ aμ wurde für endliche β in (14.1.7) berechnet. Ersetzt man τ durch dτ = γdt, so folgt daraus Liénards Resultat (8.2.42): P =−

2e2 duμ duμ 2e2 dpμ dpμ =− 2 3 . 3c dτ dτ 3m c dτ dτ

(14.1.13)

Die Abstrahlung im relativistischen Fall ist vor allem in Teilchenbeschleunigern von Interesse, wobei man zwischen linearen und kreisförmigen Beschleunigern unterscheidet. ˆ 4

Hilfsformel (B.5.15):



dx 1/



1 + a2 x2 = (1/a) ln ax +



1 + a2 x2



a > 0.

528

14 Relativistische Mechanik

.

Lineare Beschleunigung

Bei der linearen Bewegung sind β und β parallel, so dass sich (14.1.7) entsprechend vereinfacht:  1 dγβ 2  dβ 2 dγβ = γ 3 β · ββ + γ β = γ 3 β ⇒ aμ aμ = − γ 2 =− . dt ds c dt

.

.

.

Geschwindigkeit und Impuls sind uμ (γ, βγ) und pμ = mcuμ , woraus folgt: P =

.

2e2  dp 2 2e2  du(t) 2 = . 3c dt 3m2 c3 dt

Von Interesse ist das Verhältnis der Strahlungsleistung zur Leistung der äußeren Kräfte [Schwinger, 1949], wozu wir einige Zwischenrechnungen machen:

.

dE dγ dβ = mc2 = mc2 γ 3 β · = mc2 γ 3 β β , dt dt dt dγβ dp β dE = mc = mcγ 3 β = 2 . dt dt β c dt

.

Wir nehmen jetzt an, dass m die Elektronenmasse ist, so dass re der klassische Elektronenradius und E0 = mc2 ≈ 0.511 MeV die Ruhenergie des Elektrons sind: P 1 dE P 2e2 2re 1 dE = = . dE/dt 3m2 c3 β 2 c2 dt dE/dt 3E0 β 2 c dt

(14.1.14)

In einem weiteren Schritt messen wir das Verhältnis von P zu dE/dt mit der Energieänderung pro Längeneinheit dx = βcdt: P 2re 1 dE = . dE/dt 3E0 β dx

(14.1.15)

Der Energiezuwachs ist aber auf einer Strecke re sehr viel kleiner als E0 , so dass die Abstrahlung im Linear-Beschleuniger kaum eine Rolle spielen sollte. Synchroton

.

Wird das Elektron auf einer Kreisbahn gehalten, so nimmt man an, dass trotz der Energieänderung in Bewegungsrichtung β ⊥ β. Für P erhält man dann unter Verwendung von (14.1.7) und γ = 0 P =

.

.

.

3e2 2 3e2 4 γ β(t)2 = γ u(t)2 . 2c 2c

(14.1.16)

Sind R der Radius der Kreisbahn und ω die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich Elektron bewegt, so sind

.

|u(t)| = γ β ω = γ β (cβ/R)

und

γ = E/E0 .

14.1 Newtons Lex Secunda

529

Daraus ergibt sich P =

2 e2 3 ω β 3 R



E E0

4

.

(14.1.17)

Bei einem vollen Umlauf wird so die Energie ΔE 4π re = E0 3 R



E E0

4

(14.1.18)

abgestrahlt. Man sieht daraus, dass zum Erreichen hoher Energien große Radien R notwendig sind. In einem Synchroton, wo man höhere Strahlungsleistungen erreichen will, wird man der Kreisbahn Wellenlinien, die von Undulatoren erzeugt werden, überlagern. Strahlungsrückwirkung Im Abschnitt 8.5 wurde die Rückwirkung der Strahlung auf das Elektron für den Grenzwert |v| → 0 behandelt. Jetzt soll der allgemeinere Fall endlicher Geschwindigkeiten behandelt werden, wobei versucht wird, aus Überlegungen zur Kovarianz die Verallgemeinerung der Abraham-Lorentz’schen Bewegungsgleichung (8.5.4), die relativistische Lorentz-Abraham-Dirac-Gleichung, die sogenannte LAD-Gleichung, zu erhalten. Wir orientieren uns wiederum an der Arbeit von Rohrlich [2008]. Wir erinnern uns, dass die abgestrahlte Energie für ein schnell bewegtes Elektron nicht durch die Larmor-Formel, sondern durch die Liénard-Formel (8.2.42) bzw. (14.1.13) P =−

. .

..

2e2 μ (8.5.3) .. v (τ ) vμ (τ ) = −mτ0 v μ vμ = mτ0 v μ vμ 3c3

(14.1.19)

.

gegeben ist. Die Punkte bezeichnen hier durchwegs Ableitungen nach τ . Rechts haben wir ausgenützt, dass v μ (τ )vμ (τ ) = 0, d.h.

.

..

d μ v vμ = v μ vμ + v¨μ vμ . dτ Eine Bewegungsgleichung der Form

.

..

mv μ = mτ0 v μ ist nicht kovariant, da bei Multiplikation mit vμ nur die linke Seite verschwindet. Man kann das „reparieren“, indem man den bei der Multiplikation mit vμ entstehenden Beitrag abzieht:

.

..

.. 1 mv μ = mτ0 v μ + 2 v ν vν v μ . c

530

14 Relativistische Mechanik

Die nullte Komponente dieser Gleichung multipliziert mit c muss die Energiebilanz, zumindest für v → 0, wiedergeben: dE d2 E v0 = τ0 2 − P (τ ) . dτ dτ c Wir haben hier die relativistische Energie E = mc2 γ eingesetzt. Der Vergleich mit (8.5.5) zeigt unmittelbar, dass der 1. Term auf der rechten Seite der Schott-Term ist und der 2. Term den Energieverlust nach der Liénard-Formel μ angibt. Jetzt fügen wir noch eine äußere Kraft Fext hinzu und erhalten die LAD-Gleichung

.

..

..  1 μ mv μ = Fext + mτ0 v μ + 2 v ν vν v μ . c

(14.1.20)

Zu bemerken wäre noch, dass die LAD-Gleichung auch die Impulsänderungen des Elektrons durch die Abstrahlung einbezieht. Wie im nicht relativistischen Fall gibt es auch hier Lösungen mit akausalem Verhalten. Es wird auf gleiche Art versucht, diese durch Anforderungen an die äußeren Kräfte zu eliminieren. Um die Notation etwas zu vereinfachen, führen wir einen Projektionstensor ein: 1 .. μ P μν = g μν − 2 v μ v ν ⇒ mv μ = Fext + mτ0 P μν vν . c

.

..

Wir differenzieren die LAD-Gleichung, um vμ wieder in diese einzusetzen, wobei wir die Beiträge der Ordnung O(τ02 ) vernachlässigen:

.

.

μ + τ0 P μν Fext ν mv μ = Fext

mit

.

μ |τ0 P μν Fext ν |  |Fext |.

(14.1.21)

Die rechts stehende Bedingung ist die von Rohrlich angegebene relativistische Formulierung von (8.5.9), die eine zu schnelle Variation der äußeren Kraft verhindern soll. 14.1.3 Lorentz-Kraft Nach der Elektronentheorie von Lorentz ist die Kraft pro Volumeneinheit auf eine räumlich begrenzte Ladungsverteilung (Punktladung, siehe Abschnitt 5.1)   1  f (x, t) = ρ E + β × B = j 0 E + j × B . c

(14.1.22)

E und B sind äußere Felder. Setzt man für Ei und Bk die Komponenten des Feldstärketensors (13.1.19) ein und berücksichtigt, dass jj = −j j die kovariante Komponente ist, so erhält man  1  1 1 Ei j0 − ijk jj Bk = F i0 j0 + ijk klm jj F lm c c 2  1 iλ 1  i0 ij = F j0 + F jj = F jλ . c c

fi =

(14.1.23)

14.1 Newtons Lex Secunda

531

Das ist offensichtlich der räumliche Anteil eines Vierervektors der Kraftdichte, dessen nullte Komponente f0 =

1 0l 1 F jl = E · j c c

(14.1.24)

.

die mit 1/c multiplizierte Leistungsdichte des Stroms ist (siehe (5.3.6): umech = j·E): fμ =

1 μν F jν . c

(14.1.25)

Kraft auf eine Punktladung Für eine Punktladung gilt (13.1.4)   (j μ ) = ρq (x) c v = ρq cγ −1 (uμ ),

ρq (x) = δ(3) (x − xq (s(t))),

woraus für den räumlichen Anteil die Kraftdichte   (f μ ) = ρq γ −1 (F μν uν ) = ρq E · β , E + β × B

folgt. Die gesamte Kraft auf die Punktladung, die Lorentz-Kraft (1.2.5) ˆ F = d3 x f = q(E + β × B), (14.1.26)

´ ist jedoch wegen des Integrals d3 x nicht kovariant. Ist S  das Ruhsystem der Ladung, so ist das Volumenelement durch die Lorentz-Kontraktion verkleinert d3 x = γ −1 d3 x . Kovarianz kann durch Multiplikation von F mit γ erreicht werden:     F¯ μ = γ β · F , F = γq β · E , E + β × B . (14.1.27)

Um die Transformationseigenschaften der Lorentz-Kraft zu bestimmen, gehen wir ins Ruhsystem der Ladung S  und erhalten mittels (13.1.3) in S (f μ ) = ρq (0 , E )







(f μ ) = ρq γE · β , γE + E⊥ .

Für die letzte Zeile haben wir die Transformationseigenschaften des elektrischen Feldes (13.1.29) vorweggenommen. Die Integration über d3 x ergibt die LorentzKraft im Ruhsystem F = q E . Im „Laborsystem“ ist dann ˆ 3   d x  ρq γE + E⊥ ) = F + F⊥ /γ . (14.1.28) F= γ

Lorentz-Gleichung Die Bewegungsgleichung für ein Elektron im elektromagnetischen Feld

532

14 Relativistische Mechanik

  dp =F=e E+β×B , dt

(14.1.29)

die Lorentz-Gleichung, ist der räumliche Anteil einer kovarianten Bewegungsgleichung, obwohl sowohl die linke als auch die rechte Seite nicht kovariant formuliert sind. Multipliziert man (14.1.29) mit γ und erweitert gemäß (14.1.25) mit der vom Feld erbrachten Leistung v · E, so erhält man die kovariante Lorentz-Gleichung   (14.1.23) e μν dpμ = F¯ μ = γe β · E , E + β × B F vν . = dτ c

(14.1.30)

¯ = γF ist der räumliche Anteil der kovarianten Kraft; zuletzt sind naturgeF mäß die Felder E und B durch den Feldstärketensor ersetzt worden. Wird in die Bewegungsgleichung auch die Strahlungsrückwirkung einbezogen, so erhalten wir im nicht relativistischen Fall die Abraham-Lorentz’sche Bewegungsgleichung (8.5.4) und kovariant formuliert die Lorentz-AbrahamDirac-Gleichung (14.1.20). 14.1.4 Energie-Impulstensor Im Abschnitt 5.6 zur Energie und Impulsbilanz wurde in (5.6.12) gezeigt, dass die gesamte Kraftdichte, d.h. die „mechanische“ Lorentz-Kraftdichte plus der Kraftdichte des Feldes durch die Divergenz des Energie-Impulstensors Tij (5.6.11) gegeben ist. Es wird nun versucht, den zu Tij analogen kovarianten Tensor (T μν ) zu finden, dessen Divergenz gegeben ist durch f μ = T νμ ,ν .

(14.1.31)

.

Von der nullten Komponente erwarten wir eine Aussage zur Energiebilanz und von T 0m ,0 die Kraftdichte pFeld m (t) . Wir gehen von der Lorentz-Kraftdichte (14.1.25) aus und setzen den Viererstrom aus der inhomogenen Maxwell-Gleichung (13.1.24) ein:   1 1 μν 1   μν f μ = F μν jν = F gνρ F σρ ,σ = ∂σ F gνρ F σρ − F μν ,σ gνρ F σρ . c 4π 4π

Umzuformen ist der 2. Term, wobei wir (13.1.26) (Fλρ ,σ +Fσλ ,ρ = Fσρ ,λ ) anwenden:  g μλ σρ  F Fλρ ,σ − Fλσ ,ρ 2 g μλ ∂λ F σρ Fσρ . = 4

σρ

F μν ,σ gνρ F σρ = g μλ Fλρ ,σ F σρ = =

g μλ σρ F Fσρ ,λ 2

Der gesuchte Tensor, der (14.1.31) erfüllt, hat so die Form

14.1 Newtons Lex Secunda

T μν =

 g μν λρ 1  μλ F gλρ F νρ − F Fλρ . 4π 4

533

(14.1.32)

Die Darstellung der T μν durch E und B ist etwas mühsam. Wir beginnen hier mit dem 1. Term (T1μν ) von (14.1.32): 4π T100 = −F 0l F 0l = −E 2 ,

4π T1m0 = −F ml F 0l = El mlk Bk ,

4π T10n = −F 0l F nl = El nlk Bk ,

4π T1mn = F m0 F n0 − F ml F nl

= Em En − mlr nls Br Bs





= Em En − δmn B 2 − Bm Bn .

Im letzten Term setzen wir für die Invariante (13.1.31) ein: F σρ Fσρ = 2(B 2 − E 2 ). Zusammengefasst ergibt das den Tensor (T

μν

1 )= 4π





−(E 2 + B 2 )/2 E×B . (14.1.33) E×B (Em En + Bm Bn ) − δmn (E 2 + B 2 )/2

Der Maxwell’sche nicht relativistische Spannungstensor Tkl (5.6.11) ist identisch mit dem räumlichen Anteil von (14.1.33): nr T kl = Tkl =

1  E2 + B2 (Ek El + Bk Bl ) − δkl . 4π 2

(14.1.34)

Die zum dreidimensionalen Tensor hinzugekommene Zeile bzw. Spalte sind die Feldenergiedichte (5.6.4) und die Energiestromdichte (5.6.3): 1 (E 2 + B 2 ) , 8π  1  1 E×B k. = Sk = c 4π

T 00 = −uFeld = − T k0 = T 0k

(14.1.35)

Die nullte Komponente der Viererdivergenz des Energie-Impulstensors c∂λ T 0λ = cf 0



.

.

−uFeld(t) + ∇ · S = j · E = umech(t)

(14.1.36)

ergibt die Energiebilanz (5.6.5). c f 0 = j · E ist die von E erbrachte Leistungsdichte (siehe (14.1.24) bzw. (5.3.6)). Die räumlichen Komponenten der Viererdivergenz von T κλ ∂ν T kν = f k



.

1 ∇·S+∇l T kl = ρEk +(j×B)k = pk mech (t) c

(14.1.37)

stellen die Bilanzgleichung für die Impulsdichten (5.6.12) dar. Aus allen bisherigen Darstellungen zur Elektrodynamik war zu erkennen, dass die Kovarianz in die Gesetze „eingebaut“ ist, und alle Gleichungen und Erhaltungsgrößen in einfacher und eleganter Art aus den Tensoren (j μ ), (Aμ ) und (F μν ) hergeleitet werden können.

534

14 Relativistische Mechanik

14.2 Lagrange-Formalismus 14.2.1 Relativistische Lagrange-Funktion Es ist notwendig, die Dynamik der Relativitätstheorie anzupassen, was hier mittels des bereits im Abschnitt 5.4 verwendeten Prinzips der kleinsten Wirkung mit einer für die Relativitätstheorie geeigneten Lagrange-Funktion geschehen soll. Unverändert gehen wir vom Wirkungsintegral (5.4.1) aus. In einer relativistischen Theorie muss S ein Lorentz-Skalar sein: ˆ t2 ˆ 1 s2 S= dt L(x, v) = ds Lr mit Lr = γ L . (14.2.1) c s1 t1 √ Das Wegelement ds = xμ xμ der Weltlinie ist ein Lorentz-Skalar. Daraus folgt, dass Lr = γ L ebenfalls ein solcher ist. Wir nützen hier nicht die Gelegenheit, mittels Lr durch Variation von xμ und uμ die Weltlinie des Teilchens zu minimalisieren, sondern gehen zum Integral über dt L zurück und erhalten durch Variation δS=0 von x und v die schon bekannten Euler-Lagrange-Gleichungen (5.4.2): ∂L d  ∂L  − = 0. ∂x dt ∂v

(14.2.2)

Lagrange-Funktion für ein freies Teilchen L darf für freie Teilchen nicht vom Ort, sondern nur von der Geschwindigkeit abhängen. Die einzige Invariante, die man mit der Geschwindigkeit (12.3.7) bilden kann, ist uμ uμ = 1. Demgemäß muss Lr eine Konstante von der Dimension einer Energie sein: Lr = −αmc2 . L muss noch für v  c mit der nicht relativistische Form Lnr = mv 2 /2 kompatibel sein, was für α = 1 der Fall ist: L=−

mc2 γ

vc

= −mc2 +

mv 2 . 2

(14.2.3)

Die Ruhenergie m c2 hat keinen Einfluss auf die Variation der Wirkung. Anmerkung: Als kinetisches Potential K bezeichnet man in der Lagrange-Funktion L = K−V den Anteil für das freie Teilchen [Sommerfeld, 1967, §32]. Die Ableitungen pi = ∂K/∂vi sind die Impulse. In der klassischen, nichtrelativistischen Mechanik ist K die kinetische Energie T. Diese verschwindet mit v → 0 . Die Definition



Lfrei = K =mc2 1 − 1/γ



wäre in mancher Hinsicht adäquater, da K(v  c) ≈ T = mv 2 /2 .

Verwendet wurde hier wiederum die Abkürzung

(14.2.4)

14.2 Lagrange-Formalismus

 γ = 1/ 1 − β 2

mit β = v/c .

535

(14.2.5)

Für den Impuls erhält man aus den Euler-Lagrange-Gleichungen (14.2.2) p=

∂L = mγv , ∂v

(14.2.6)

ein Resultat, das wir bereits verwendet haben. Aus der Euler-LagrangeGleichung d ∂L dp ∂L = = =0 dt ∂v dt ∂x folgt, dass das freie Teilchen keine Beschleunigung erfährt, so dass seine Geschwindigkeit konstant bleibt. Die Energie E des Teilchens folgt aus E = p · v − L = mγv 2 +

β→0 mc2 mv 2 = mc2 γ ≈ mc2 + . γ 2

(14.2.7)

Der erste Term ist die Ruhenergie des Teilchens. Setzt man (14.2.6) in (14.2.5) ein, so erhält man  γ = m2 c2 + p2 /mc (14.2.8)

und die Energie als Funktion des Impulses  H = c m 2 c2 + p 2 .

(14.2.9)

Teilchen im elektromagnetischen Feld Die Lorentz-Transformation ist unter der Voraussetzung hergeleitet worden, dass die Gesetze der Elektrodynamik in allen Inertialsystemen gelten. Wir konnten daher den Anteil des elektromagnetischen Feldes der LagrangeFunktion direkt (5.4.9) entnehmen:   Lel = −e φ − β·A = −eγ −1 uμ Aμ . (14.2.10) Wie zu erwarten war, ist γ Lel ein Lorentz-Skalar. Einen direkteren Zugang zum Wirkungsintegral bekommen wir über das elektromagnetische Potential: Sel = −

e c

ˆ 1

2

dxμ Aμ = −

e c

ˆ

s2

ds s1

dxμ Aμ ds



e Lel = − uμ Aμ . (14.2.11) γ

Das Vorzeichen ist durch L = T − V bestimmt, wobei V hier das elektromagnetische Potential ist. Damit ist L=−

 mc2 e e mc2  − uμ Aμ = − − eφ − A·v . γ γ γ c

(14.2.12)

536

14 Relativistische Mechanik

Das ergibt den verallgemeinerten (kanonischen) Impuls P =

e ∂L =p+ A ∂v c

(14.2.13)

mit p = mγv, den räumlichen Komponenten des kinetischen Viererimpulses. Die Euler-Lagrange-Gleichung (14.2.2) ist

.

.

Pi (t) = pi + e

  1 ∂  Ai + β · ∇Ai = −e ∇i φ − ∇i (β · A) . c ∂t

Die einzelnen Terme können in die kompaktere Form5 der Lorentz-Gleichung   p(t) = e E + β × B = F = K/γ (14.2.14)

.

gebracht werden, wobei anders als in (5.4.6) der Impuls relativistisch ist. Eine Multiplikation beider Seiten mit β = p/p0 ergibt (Übungsaufgabe 13.1)

.

.

β · p(t) = p0 (t) = K 0 /γ = β · E



dE = v ·E. dt

(14.2.15)

Kovariant wird (14.2.14) erst, wenn beide Seiten mit γ multipliziert werden:  μ   μ   p (τ ) = K = eγ β·E, E+β×B .

.

Für die Hamilton-Funktion (siehe Abschnitt 5.4) erhält man H = P ·v − L = mc2 γ + eφ.

14.2.2 Kovariante Formulierung des Hamilton-Prinzips Wir haben uns bisher von der Idee leiten lassen, dass die klassischen Gesetze im Ruhsystem des Teilchens gelten, weshalb wir annehmen, dass im Wirkungsintegral (14.2.1) t durch die Eigenzeit τ (bzw. s = cτ ) zu ersetzen ist, um die Weltlinie durch Variation von xμ (s) und uμ (s) zu bestimmen, weshalb in (14.2.1) ˆ 1 s2 S= ds Lr (x, u) (14.2.16) c s1 jetzt direkt nach dem Minimum gefragt  wird. In dieser Notation sind S, ds = dxμ dxμ und Lr (x, u) alle Skalare. Eine Variation nach xμ und sμ führt so direkt zu kovarianten Gleichungen, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Variation der Geschwindigkeit der Bedingung uμ uμ = 1 unterliegt. Prinzip des kürzesten Weges Die Variation der Bahn des freien Teilchens 5

Hilfsformel: b · ∇i a − b · ∇ ai = [b × (∇ × a)]i

14.2 Lagrange-Formalismus

ˆ

t2

δ t1

dt =δ γ

ˆ

537

τ2

dτ τ1

ist von Sommerfeld [1967, §32] als Prinzip der kürzesten Eigenzeit bezeichnet worden. Wir werden jedoch von dτ zu ds = cdτ wechseln, so dass ˆ s2 ˆ s2 δ ds = δds (14.2.17) s1

s1

nach Sommerfeld das Prinzip des kürzesten Weges oder das Prinzip der geodätischen Bahn darstellt. In der SRT mit konstanten metrischen Koeffizienten gik ist die Geodäte eine Gerade und beschreibt auch die Bahn des freien Teilchens, worauf wir im Folgenden zurückkommen. Prinzip der kleinsten Wirkung Wir wenden uns nun der Variation des Wirkungsintegrals (14.2.16) zu: ˆ  1 s2  δS = (14.2.18) δ ds Lr . c s1 Hier ist, wie bereits in (14.2.17), das Wegelement mitzuvariieren. Die Identität   (14.2.19) ds = dxμ dxμ = uμ uμ ds

zeigt, dass ohne die Einschränkung uμ uμ = 1 die Variation bei konstantem Wegelement durchgeführt werden könnte. Zu diesem Zweck gehen wir von s zu einer Variablen λ über, die wie s monoton wachsend sein soll   ds dxμ ds = wμ wμ dλ mit wμ (λ) = = uλ = uλ wμ wμ . (14.2.20) dλ dλ Die Geschwindigkeit wμ (λ) unterliegt jetzt keiner Zwangsbedingung mehr, und S ist ein Funktional der Weltlinie xμ (λ) und der Geschwindigkeit wμ (λ): ˆ  1 λ2 ˜ ˜ r (x, w) = wμ wμ Lr (x, √ w ). (14.2.21) dλ Lr (x, w) mit L S= c λ1 wμ wμ Die Variation wird nun in der üblichen Weise ˆ ˆ λ2  ˜  ˜r ∂ Lr μ ∂L 1 λ2 μ ˜ r (x, w) = 1 =0 dλδ L dλ δx + δw δS = c λ1 c λ1 ∂xμ ∂wμ durchgeführt. Man integriert den Term mit δwμ partiell: λ2 ˆ  ∂L ˜r ˜r  ˜r  1 λ2 d ∂L 1 ∂L μ δxμ = 0 δx + dλ − δS =  c ∂wμ c λ1 ∂xμ dλ ∂wμ λ1

(14.2.22)

(14.2.23)

und berücksichtigt, dass die Variation am Rand δxμ (λ1 ) = δxμ (λ2 ) = 0 ist, weshalb der Randterm verschwindet. Man erhält die kovarianten EulerLagrange-Gleichungen ˜r ˜r ∂L d ∂L = . μ ∂x dλ ∂wμ

(14.2.24)

538

14 Relativistische Mechanik

Lagrange-Funktion für ein freies Teilchen Für ein freies Teilchen ist Lr ein Skalar, da die einzige Invariante uμ uμ = 1 ein Skalar ist und Lr nicht von xμ abhängen darf. Lr muss negativ sein, damit die wahre Bahn ein Minimum wird; die Gerade zwischen s1 und s2 ist der maximale Weg. Darüberhinaus muss Lr die Dimension einer Energie haben, so dass Lr ∝ −mc2 . Den genauen Zusammenhang bekommen wir für das freie Teilchen mittels (14.2.1) und (14.2.3): Lr = γ L = −mc2 .

(14.2.25)

Damit bestimmen wir mithilfe der Euler-Lagrange-Gleichungen (14.2.24)  ˜ r = −mc2 wμ wμ (14.2.26) L die Bewegungsgleichung für das freie Teilchen: −mc2

 d d ∂ √ d wμ ν = −mc2 √ w = −mc2 wλ wλ uμ (s) = 0 w ν μ ν dλ ∂w dλ wν w ds

und erhalten mit uμ (s) =const eine geradlinige Bewegung Lr = −mc2

und

.

m cuμ (s) = pμ (s) = 0 .

(14.2.27)

Lagrange-Funktion für ein Teilchen im elektromagnetischen Feld Die Lagrange-Funktion, die als Euler-Lagrange-Gleichung die Lorentz-Gleichung hat, ist nach (5.4.9) L=

m v2 e m v2 + v· A−eφ = − eγ −1 uμ Aμ . 2 c 2

(14.2.28)

Wir wissen, dass Lr = γ L, woraus für das Elektron im elektromagnetischen Feld:  ˜ r = −mc2 wμ wμ − ewμ Aμ . Lr = −mc2 − euμ Aμ , L (14.2.29) folgt. Eingesetzt in (14.2.24) erhalten wir  d  2 wμ mc  + Aμ . −ewλ ∂ μ Aλ = − dλ wλ wλ

λ λ Wir  gehen hier zur Variablen s zurück, wobei wir w durch u ersetzen λ ( wλ w = 1):  d 2 μ mc u + Aμ . −euλ ∂ μ Aλ = − ds

Jetzt verwenden wir noch, dass

dAμ ∂Aμ dxν = und erhalten ds ∂xν ds

14.2 Lagrange-Formalismus

mc

539

e  ∂Aν ∂Aμ  duμ = uν . − ds c ∂xμ ∂xν

Das ist die Lorentz-Gleichung (14.1.30) in kovarianter Form für ein Teilchen der Ladung e im elektromagnetischen Feld dpμ e = F μν uν . ds c

(14.2.30)

Anmerkung: Variiert man (siehe Aufgabe 13.3)







δ ds Lr = uμ δdxμ Lr + ds

  ∂Lr μ ∂Lr  μ δx + δ ν − uμ uν δdxν μ μ ∂x ∂u

(14.2.31)

direkt, so erhält man modifizierte Euler-Lagrange-Gleichungen





 d ∂Lr  ν ∂Lr = δ μ − uν uμ + Lr uμ . ∂xμ ds ∂uν

(14.2.32)

Setzt man für Lr (14.2.29) ein, so erhält man wiederum die kovarianten LorentzGleichungen.

14.2.3 Elektromagnetische Feldgleichungen Das Wirkungsintegral eines Teilchens in einem vorgegebenem Feld (siehe (14.2.16) und (14.2.29)) kann durch Superposition auf ein System von Teilchen erweitert werden: ˆ  1 s2   S=− (14.2.33) mn c2 + en uμn Aμ . ds c s1 n Wir wollen nun zum Wirkungsintegral den Beitrag des elektromagnetischen Feldes hinzufügen. Dieser muss ein Lorentz-Skalar von der Dimension einer Energiedichte sein. Damit kommt nur die Invariante F μν Fμν (13.1.31) in Frage, da die andere Invariante F˜ μν Fμν (13.1.32) ein Pseudoskalar ist. Für eine ruhende Ladungsverteilung, d.h. B=0, sollte die Lagrange-Dichte des Feldes LFeld gleich der elektrostatischen Energiedichte sein: αF μν Fμν = −α2E 2 =

1 2 E . 8π

Mit dem korrekten Vorfaktor α = −1/16π erhält man ˆ 1 1 d4 x LFeld mit LFeld = − SFeld = F μν Fμν . c 16π

(14.2.34)

Die Frage gilt nicht mehr der Bewegung von Teilchen in einem vorgegebenen Feld, sondern betrifft die Bestimmung des Feldes bei vorgegebener Ladungsund Stromverteilung. Der erste Term von (14.2.33) die freien Teilchen betreffend ist daher nicht mehr von Relevanz und wird weggelassen. Im zweiten

540

14 Relativistische Mechanik

Term werden wir jetzt von den Punktladungen en zu ρ wechseln, wobei wir auf die Stromdichte (13.1.4) zurückgreifen: ˆ ˆ   en uμn = d3 x en δ(3) (x − xn (s)) uμn = γ d3 x j μ . n

n

Setzen wir für ds → dx0 /γ ein, so erhalten wir zusammen mit SFeld ˆ   1 1 d4 x j μ Aμ + (14.2.35) S=− F μν Fμν . c 16π

Variiert wird L nach den Feldern Aμ und den Feldableitungen Aμ,ν : ˆ ˆ   ∂L 1 1 ∂L d4 x δL = d4 x δS = δAμ,ν + δAμ c c ∂Aμ,ν ∂Aμ ˚ ˆ  Gauss ∂L ∂L 1 ∂L  1 Satz d4 x ∂ν δAμ = 0 .  dOν δAμ − − = c ∂Aμ,ν c ∂Aμ,ν ∂Aμ

Die räumlichen Integrationsgrenzen liegen im Unendlichen, wo keine Ströme und Felder sind und so keinen Beitrag zum Oberflächenterm bringen. Gemäß dem Prinzip der kleinsten Wirkung verschwindet die Variation der Potentiale an den Grenzen der Zeitintegration, so dass insgesamt der Oberflächenterm nichts beiträgt. Die Euler-Lagrange-Gleichungen des Variationsproblems, die Feldgleichungen ∂ν

∂L ∂L = ∂Aμ,ν ∂Aμ

(14.2.36)

sind für die Lagrange-Dichte L = −jμ Aμ −

1 F μν Fμν 16π

(14.2.37)

die inhomogenen Maxwell-Gleichungen (13.1.24) F νμ ,ν =

4π μ j . c

(14.2.38)

Zur Variation des Feldterms: ∂Fμν ∂Aν,μ − ∂Aν,μ ∂F μν Fμν = 2 F μν = 2 F μν = 4 F βα . ∂Aα,β ∂Aα,β ∂Aα,β

14.3 Kinematische Effekte 14.3.1 Energie-Impuls-Erhaltungssatz Zwei Teilchen treten zueinander in Wechselwirkung, wie in Abb. 14.2 skizziert:

14.3 Kinematische Effekte

541

Abb. 14.2. Wechselwirkungs (Stoß-)Prozess, bei der ein Teilchen (Photon, Gluon etc.) ausgetauscht wird

1 − → 2

..

c2 m1 xμ1 (s1 ) = f1μ (s1 )

und

..

c2 m2 xμ2 (s2 ) = f2μ (s2 ) .

Das Teilchen 1 erfährt dabei vom „Austauschteilchen“ (Photon,..) den Rückstoß bevor das Teilchen 2 den Stoß verspürt. Das Prinzip actio=reactio, das dritte Newton’sche Gesetz, lautet in der Formulierung von Mach [1933] Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung, was in dieser einfachen Form nur bei instantaner Wechselwirkung gelten kann. Das verallgemeinerte Prinzip lautet ˆ ∞ ˆ ∞ ds1 f1μ (s1 ) + ds2 f2μ (s2 ) = 0 . (14.3.1) −∞

−∞

Energie- und Impulserhaltung Aus (14.3.1) folgt für die Impulserhaltung pμ1 (∞) + pμ2 (∞) = pμ1 (−∞) + pμ2 (−∞) .

(14.3.2)

Die nullte Komponente des Viererimpulses gibt die Energie E/c eines Teilchens an, so dass mit (pμ ) Energie- und Impulserhaltung gegeben sind. Stoßprozess mi pi (t) = Ki (t)

i = 1, 2 .

(14.3.3)

Die Kräfte sind ungleich null nur im Zeitpunkt des Stoßes t0 , und dann gilt K1 (t0 ) + K2 (t0 ) = 0 . Die Impulserhaltung ist durch (14.3.2) sichergestellt, wobei die Zeiten unmittelbar vor und nach dem Stoß bei t0 herangezogen werden können. 14.3.2 Compton-Streuung Das bekannteste und sicherlich eines der einfachsten Beispiele zur relativistischen Kinematik ist der Compton-Effekt, der die Streuung von Licht an Elektronen allein mittels der Energie-Impulserhaltung erklärt. Im Abschnitt 11.1.1 wurde die Streuung elektrischer Wellen an freien Elektronen, die sogenannte Thomson-Streuung, hergeleitet. Bei dieser wird das Elektron vom elektrischen Feld zu Schwingungen angeregt, so dass es eine Streustrahlung gleicher

542

14 Relativistische Mechanik

Frequenz aussendet. In Versuchen zeigte sich, dass daneben auch RöntgenStrahlung niedrigerer Frequenz auftrat, für die ein anderer Mechanismus verantwortlich sein musste. Als Compton-Streuung bezeichnet man den Stoßprozess eines Elektrons mit einem Photon, dessen Kinematik hier untersucht wird. Anders als bei der Thomson-Streuung, wo das Elektron von E zu Schwingungen angeregt wurde, wird es hier weggestoßen. Wie in Abb. 14.3 skizziert, wird ein Photon mit dem Impuls ("q ≡ (q μ )) an einem Elektron p" ≡ (pμ ) gestreut. Nach dem Stoß haben das Photon den Impuls "q  und das Elektron den Impuls p"  . e−

p !

*p!  e−

- !q

θ

s

q !

Abb. 14.3. Stoßprozess eines Photons q = (ω/c, k) mit einem ruhenden Elek! tron ! p = (me c, 0)



Energie- und Impulserhaltung ergeben "p + "q = "p  + "q  + "q 

=⇒

p" + "q − " q  = p"  .

Daraus erhält man durch Quadrieren (" p · "q ≡ pμ qμ = qμ pμ und p" 2 ≡ pμ pμ ) p · ("q − "q  ) − 2" q ·" q+" q 2 = " p 2 . (" p + "q − "q  )2 = p" 2 + "q 2 + 2" Setzt man die Invarianten p2 = p2 = m2 c2 und q 2 = q 2 = 0 ein: "p · ("q − "q  ) = "q · "q  , so hat man die Koordinaten des gestreuten Elektrons, das ja meist nicht gemessen wird, eliminiert. Nun geht man ins Ruhsystem des Elektrons mit p" = (me c, 0), "q = (ω/c, k), |k| = ω/c und erhält me (ω − ω  ) =

 ωω  2   ωω − c2 k · k = 2 (1 − cos θ) . 2 c c

Setzt man nun die Compton-Frequenz (siehe Tab. C.7, S. 643) ωc = me c2 / in die Gleichung ein, so ist ωc (ω − ω  ) = ωω  (1 − cos θ) , oder anders ausgedrückt: ω . ω = 1 + 2 ωωc sin2 2θ

(14.3.4)

Charakterisiert man die Photonen durch ihre Wellenlängen, so lautet die Compton-Streuformel:

14.3 Kinematische Effekte

λ − λ = 4πλc sin2 (θ/2)

543

(14.3.5)

mit der Compton-Wellenlänge (siehe Tab. C.7, S. 643) λc = h/me c. Die Intensität kann nicht aus den Erhaltungssätzen berechnet werden. Man kann jedoch erwarten, dass für niedrige Energien und kleinem Frequenzunterschied der Thomson-Streuquerschnitt (11.1.14) näherungsweise gelten muss, was man Abb. 14.4 entnehmen kann. Die Berechnung der ComptonStreuung in 2. Ordnung Störungstheorie geht auf Klein, Nishina [1929] zurück: dσ r2 = e dΩ 2



ω ω

2 

 ω ω 2 +  − sin θ , ω ω

(14.3.6)

wobei für ω  /ω die Compton-Formel (14.3.4) einzusetzen ist. Die Herleitung der Klein-Nishina-Formel ist in Lehrbüchern über relativistische Quantenmechanik zu finden [Bjørken, Drell, 1964, (7.74)]. Wie bereits bei der Thomson’schen Streuformel angesprochen, ist bei höheren Energie die Vorwärtsstreuung stärker ausgeprägt als bei der Thomson-Streuung. Für ω = ω  erhält man den differentiellen Streuquerschnitt (11.1.12) . 1 dσ re2 dΩ 6 1

0

0.1ωc

1 2 0.5ωc ωc

0

-

5ωc

π 2

0

π θ

Abb. 14.4. Compton-Streuung (14.3.6): Für ω = 0 erhält man die Thomson-Formel; die Abweichungen von dieser sind bereits bei ω = 0.1ωc beträchtlich

Die Versuche wurden 1923 von Compton durchgeführt. Ihre Bedeutung lag in der Bestätigung von q = k. Vom inversen Compton-Effekt spricht man bei der Streuung eines hochenergetischen Elektrons an einem niederenergetischen Photon, wodurch dieses Energie gewinnt. Der Effekt tritt bei der Streuung hochenergetischer Elektronen an der kosmischen Hintergrundstrahlung auf. 14.3.3 Die Bewegung des Elektrons um den Kern Uhlenbeck und Goudsmit konnten 1925 den anomalen Zeeman-Effekt erklären indem sie dem Elektron einen Eigendrehimpuls μ=

ge s, 2mc

(14.3.7)

544

14 Relativistische Mechanik

gaben, wobei der gyromagnetische Faktor (auch Landé-Faktor) den Wert g = 2 hatte6 . Nicht erklärt werden konnte damit jedoch die Feinstrukturaufspaltung, deren theoretischer Wert um den Faktor 2 größer war als im Experiment gemessen wurde. Thomas zeigte 1927, dass bei relativistischer Bewegung eines Drehimpulses auf einer Kreisbahn eine Präzession ωt auftritt, die den Einfluss der Aufspaltung reduziert7 . Die Thomas-Präzession (12.4.26) ist ein kinematischer Effekt. Das Elektron erfährt bei seiner Umdrehung um den Kern dauernd eine Beschleunigung senkrecht zu seiner Bewegung. Damit das Elektron in einem momentanen Ruhsystem verbleibt, müssen dauernd Lorentz-Transformationen um zueinander senkrechte Achsen durchgeführt werden. Zwei Geschwindigkeitstransformationen (Boost) mit nicht kollinearen v und w ergeben eine LT, die kein reiner Boost ist, sondern auch eine Drehung um die Achse v × w enthält. Betrachtet wird die Bewegung eines Elektrons, das sich auf einer Umlaufbahn um den Atomkern befindet, wie in Abb. 14.5 skizziert. Die Energie (4.3.5) eines magnetischen Moments μ in einem Magnetfeld ist U = −μ · B = −

ge s·B. 2mc

Nach (13.1.30) „spürt“ der Spin des bewegten Elektrons das elektrostatische Feld des Kerns als ein schwaches Magnetfeld, was eine Spin-Bahnwechselwirkung bewirkt. y

6 -

+

?

E e



x

δv

-6 v

Abb. 14.5. Gemäß der Skizze bewegt sich das Elektron zur Zeit t mit v = vex . Nach der Zeitspanne δt hat das Elektron eine Geschwindigkeit auf v + δv geändert, wobei δv = δvey . Aus U folgt die Bewegungsgleichung für ein magnetisches Moment (Spin): ds/dt = N = μ × B

Anmerkung: Die Bewegungsgleichung für den Spin kann in Analogie zum Bahndrehimpuls L der klassischen Mechanik gesehen werden: dL/dt = N oder aus der Heisenberg-Gleichung [Schwabl, 2007, (8.56)] 6

g = 2.00232 mit Korrekturen aus der Quantenelektrodynamik. Die 1928 von Dirac gefundene Dirac-Gleichung, beziehungsweise deren nicht relativistische Näherung, die Pauli-Gleichung, führen jedoch automatisch zu den korrekten Ergebnissen, sowohl was den Faktor g = 2 als auch was die Spin-BahnWechselwirkung betrifft.

7

14.3 Kinematische Effekte dS i = [H, S] dt 

mit

H = −μ · B = −

545

eg S·B 2mc

und den Vertauschungsregeln [Schwabl, 2007, (9.9)] [Si , Sj ] = iijk Sk

  dSi ige ge ige =− [Sj , Si ]Bj = − jikiSkBj = ikjSkBj = μ×B i = Ni dt 2mc 2mc 2mc verstanden werden. Angenommen wird, dass sich das Elektron zur Zeit t mit der Geschwindigkeit v = v ex bewegt. Im Ruhsystem des Elektrons, d.h. im körperfesten System, haben wir somit die Bewegungsgleichung ds = N  = μ × B . dt

(14.3.8)

Die Felder E und B können mit einer LT x = Λ1 (β) x aus den Feldern im Laborsystem bestimmt werden, wobei für unsere Zwecke B (13.1.30) genügt:   γ2 (β · B) β ≈ B − β × E . B = γ B − β × E − γ+1

Nur befindet sich das Elektron nicht in einem Inertialsystem, sondern erfährt auf seiner Bahn um den Atomkern eine Beschleunigung senkrecht auf seine Bewegungsrichtung, was einer Rotation um den Kern entspricht. Diese baut man gleich wie in der klassischen Mechanik in die Bewegungsgleichung ein. Es ist das der analoge Effekt zu einem Vektor a, der eine Rotationsbewegung ausführt:



da dt



Labor

=



da dt



körperfest

+ω×a.

.

Der letzte Term kommt von der Rotation des körperfesten KS [Iro, 2003, Abschn. 8.5] (ei ); ai (t) = ai (t) ei (t) und man bekommt ei = ω × ei .

Für eine Bewegungsgleichung der Form     ds ge ds s × B − s × ω t = +ω×s= dt Labor dt körperfest 2mc können wir die innere Energie unmittelbar angeben:

546

14 Relativistische Mechanik

  U = U  + s · ω t = −μ · B − β × E + s · ωt .

(14.3.9)

In atomarer Umgebung ist E aus den Potentialen der Kerne herleitbar, wobei wir φ = φ(r) annehmen:   dφ E = −∇φ = − er . (14.3.10) dr Damit ist U =−

ge 1 dφ ge s·B− s · (β × x) + ω t · s . 2mc r dr 2mc

(14.3.11)

Nun führen wir noch den Bahndrehimpuls des Elektrons L = x × me β c ein und erhalten U =−

ge 1 dφ ge s · L + ωt · s . ·B + 2mc r dr 2m2 c2

(14.3.12)

Der zweite und dritte Term bestimmen die Wechselwirkung des Spins mit der Bahn. Die Frequenz ωt , die die Rotation des Spins (Elektrons) um den Kern angibt, haben wir bereits in (12.4.26) bestimmt: ωt = −

dβ γ2 β× . γ+1 dt

.

.

Die Beschleunigung β ⊥ v ist gegeben durch das elektrische Feld E vom Atomkern (14.3.10), um den sich das Elektron bewegt β = eE/mc . Daraus folgt ωt = −

e e 1 dφ(r) γ2 v×E=− L. 2 γ + 1 mc r dr 2m2 c2

(14.3.13)

Eingesetzt in (14.3.12) erhält man U =−

ge e dφ g − 1 s · L. s·B+ 2mc r dr 2m2 c2

(14.3.14)

Die Stärke der Spin-Bahnkopplung wird durch den in der Thomas-Präzession auftretenden Faktor γ 2 /(γ + 1) = 1/2 „halbiert“ (g → g − 1). Aufgaben zu Kapitel 13 13.1. Lorentz-Gleichung: Berechnen Sie die nullte Komponente dp0 /dt aus dem räumlichen Anteil dp/dt um (14.2.15) zu verifizieren.

Literaturverzeichnis

547

13.2. Lagrange-Funktion: In (14.2.26) ist die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens gegeben durch ˜ r = −mc2 L



wμ wμ .

Zeigen Sie, dass jede Lagrange-Funktion Lw = −mc2

α 1  wμ wμ − ewμ Aμ 2α

mit α = 0

das Variationsproblem löst.

13.3. Euler-Lagrange-Gleichung: Lösen Sie das Variationsproblem ˆ  1 s2  δS = δ ds Lr c s1

direkt durch Berechnung von δds und δLr als Funktionen von δuμ (oder δdxμ ) und δxμ ; d.h., verifizieren Sie (14.2.32) und berechnen Sie damit die Bewegungsgleichung. Hinweis: Zeigen Sie zunächst δds = uμ dδxμ ,



δuμ = δμ ν − uμ uν

 dδxν ds

.

13.4. Inverse Compton-Streuung: Ein hochenergetisches Elektron und ein langwelliges Photon bewegen sich in x-Richtung, wobei das Photon beim „frontalen“ Zusammenstoß reflektiert wird (seine Bewegungsrichtung umkehrt). Zeigen Sie, dass das gestreute Photon näherungsweise die Frequenz ω =

4ωγ 2 1 + 4ωγ/me c2

hat.

Literaturverzeichnis J. Bjørken und S. Drell Relativistische Quantenmachanik, Bibliographisches Institut, Mannheim (1964) H. Iro, A Modern Approach to Classical Mechanics, World Scientific, Singapore (2003) O. Klein und Y. Nishina Über die Streuung von Strahlung durch freie Elektronen nach der neuen relativistischen Quantendynamik von Dirac, Z. Physik 52, 853– 868 (1929) Ernst Mach Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 9. Aufl. Brockhaus Leipzig (1933) Fritz Rohrlich Dynamics of a charged particle Phys. Rev. E 77, 046609 (2008) Franz Schwabl Quantenmechanik, 7. Aufl. Springer Berlin (2007) A. Sommerfeld Elektrodynamik, 5. Aufl. Akad. Verlagsges. Leipzig (1967) Julian Schwinger On the Classical Radiation of accelerated Electrons, Phys. Rev. 75, 1912–1925 (1949)

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Die mathematische Beschreibung physikalischer Vorgänge muss unabhängig vom Bezugssystem sein. Sie muss also durch Begriffe darstellbar sein, die invariant gegenüber linearen Koordinatentransformationen im euklidischen Raum Rn sind. Beispiele sind die Länge einer Strecke, der Flächeninhalt einer Plangröße (Drehmoment) oder das Volumen. Alle genannten Objekte sind Skalare (Tensoren 0. Stufe). Kommt zur Länge noch die Richtung, so sprechen wir von einem Vektor, einem Tensor 1. Stufe. Wechselt man mit einer linearen Koordinatentransformation von einem Bezugssystem in ein anderes, so bilden die Koeffizienten, mit denen die Koordinaten des neuen Bezugssystems durch die des alten festgelegt werden, einen Tensor 2. Stufe. Wir werden hier nicht ganz systematisch vorgehen und alle Größen und Rechenoperationen definieren, sondern etwa Matrizen und Matrixmultiplikation nur streifen.

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum A.1.1 Vektoren (Euklidische) Vektoren sind definiert durch ihre Länge, ihre Richtung (siehe Abb. A.1) und die folgenden Rechenoperationen:

)

|a|

1 1 1 a

1 b

Abb. A.1. Länge und Richtung definieren einen Vektor; damit ist a = b. Der Pfeil gibt die Richtung an und der Skalar a = |a| die Länge

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Petrascheck und F. Schwabl, Elektrodynamik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59787-3_15

550

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze a c : * b

b



Abb. A.2. Vektoraddition: c = a + b, zugleich das kommutative Gesetz zeigend: c = b + a

:a

1. Vektoraddition: c = a + b . 2. Multiplikation mit einem Skalar: b = α a . :a

:

b = αa

Abb. A.3. Multiplikation von a mit einer reellen Zahl (α = 1.5)

3. Skalarprodukt: α = a · b = ab cos θ. b θ



:a

Abb. A.4. Skalarprodukt:

a · b = ab cos θ

Das innere Produkt zweier Vektoren, das Skalarprodukt, ist ein Skalar, der sich aus der Multiplikation der Länge von a mit der Länge der Projektion von b auf a (b cos θ) zusammensetzt: α = ab cos θ. Diese Rechenoperationen erfüllen die folgenden Regeln: 1. Addition a) a + b = b + a b) a + (b + c) = (a + b) + c c) a + 0 = a d) a + (−a) = 0 2. Multiplikation mit einem Skalar a) 1 a = a b) α(βa) = (αβ)a c) (α + β)a = αa + βa d) α(a + b) = αa + αb 3. Skalarprodukt a) a · b = b · a b) (αa) · b = a · (αb) c) a · (b + c) = a · b + a · c d) a · b = 0 ∀b  a = 0 Vektorraum

kommutatives Gesetz assoziatatives Gesetz Nullvektor (neutrales Element) inverses Element der Addition Einselement assoziatatives Gesetz distributives Gesetz für skalare Addition distributives Gesetz für Vektoraddition kommutatives Gesetz assoziatatives Gesetz distributives Gesetz Nullvektor

V

1. Erfüllen alle Vektoren die oben genannten Bedingungen, so sind diese euklidische Vektoren, und V ist ein euklidischer Vektorraum. 2. Erfüllen die Vektoren nur die ersten 8 Rechenoperationen, d.h., ist kein Skalarprodukt definiert, so sind diese affine Vektoren, und V ist ein affiner Vektorraum.

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

551

Beispiel: Einzeilige (einspaltige) Matrizen sind affine Vektoren. Dem Vektorraum ist eine Basis zugeordnet, mit der jeder Vektor durch eindeutige Koordinaten beschrieben werden kann. Die Anzahl der Basisvektoren ist die Dimension des Vektorraums.

Punktraum Der n-dimensionale Punktraum Rn ist die Menge aller n-Tupel reeller Zahlen P (x1 , ..., xn ) = P (x). Jedem Paar von Punkten (P1 , P2 ) aus Rn soll ein Vektor des Vektorraums V zugeordnet werden mit den folgenden Eigenschaften: −−−→ −−−→ 1. P1 P2 = −P2 P1 , −−−→ −−−→ −−−→ 2. P1 P2 = P1 P3 + P3 P2 , 3. ist O ∈ Rn , so gibt es zu jedem Vektor x ∈ V genau einen Punkt X ∈ Rn , so −−→ dass x = O X .

Der Punktraum Rn ist ein 1. euklidischer Punktraum, wenn er dem euklidischen Vektorraum zugeordnet ist, oder ein 2. affiner Punktraum, wenn er dem affinen Vektorraum zugeordnet ist. Lineare Abhängigkeit a und b sind linear abhängig, wenn sie (anti-)parallel zueinander sind: b = αa. Allgemeiner gefasst, sind a1 , ..., an linear abhängig, wenn es reelle Zahlen α1 , ...., αn gibt, so dass n 

αk ak = 0,

k=1

wobei nicht alle αk = 0 sein dürfen. Die Hochstellung der Indizes der reellen Zahlen αk hat hier keine tiefere Bedeutung. Dimension und Basis Ein Vektorrraum V ist n-dimensional, wenn es n linear unabhängige Vektoren an gibt und alle n+1-Vektoren linear abhängig sind n 

αk ak = x .

k=1

Die ak mit k = 1, ..., n bilden eine Basis des Vektorraums, und αk sind die Koordinaten. Wir verwenden für (nicht orthogonale) Basisvektoren die Bezeichnungen hk und für die Koordinaten xk

552

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

x=

n 

xk hk = xk hk .

(A.1.1)

k=1

Über doppelt vorkommende Indizes wird summiert (Einstein’sche Summenkonvention). Die (holonomen) Basisvektoren hk bilden ein schiefwinkeliges Koordinatensystem. A.1.2 n-dimensionale Vektoren Skalarprodukt und Metrik Das Skalarprodukt zweier Vektoren ist gegeben durch x · y = xi hi · y j hj = xi y j gij

mit gij = hi · hj .

(A.1.2)

Anmerkung: Mit a wird ein Spaltenvektor bezeichnet. Das Skalarprodukt ist dann

⎛ ⎞

b1  ⎜ ⎟ a · b ≡ a1 . . . an ⎝ ... ⎠ = at b . bn

(A.1.3)

Abstand Der Abstand von zwei Punkten wird dargestellt durch −−→ d = |A B|



−−→ −−→ d2 = A B · A B .

−−→ −−→ Mit a = O A und b = O B erhält man −−→ −−→ −−→ A B = A O + O B = b − a := c . Daraus ergibt sich d2 = c · c = ci cj gij . Der Abstand d ≥ 0 zweier Punkte ist positiv und verschwindet nur, wenn die Punkte zusammenfallen (c=0). Nun ist a · b = ab cos θ, wobei, wie aus Abb. A.4 hervorgeht, θ = a, b : cos θ =

a·b gij ai bj  = . ab gij ai aj gij bi bj

Das ist die Cauchy-Schwarz’sche Ungleichung, aus der die Dreiecksungleichung folgt: |a · b| ≤ |a| |b|



|a + b| ≤ |a| + |b| .

(A.1.4)

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

553

Kovariante und kontravariante Basis Wir definieren jetzt kontravariante Basisvektoren (dualen) hi durch  1 i=j j j j hi · h = g i = δi = (A.1.5) 0 i = j . Zunächst bemerken wir, dass aus x = xk hk folgt hi · x = xk hi · hk = xk δi k = xi . Wir können also x darstellen durch x = (x · hi ) hi = (x · hi ) hi .

(A.1.6)

Die kontravarianten Basisvektoren hi sind demnach in der kovarianten Basis hi = (hi · hj ) hj = g ij hj

mit

g ij = hi · hj .

(A.1.7)

Die kontravarianten Basisvektoren sind also durch den (kontravarianten) metrischen Tensor g bestimmt. Aus der Multiplikation von (A.1.7) von rechts mit hk folgt hi · hk = δi k = g ij hj · hk = g ij gjk .

(A.1.8)

(g ij ) ist also die Inverse von (gij ). Wir multiplizieren jetzt noch (A.1.7) mit gki : gki hi = gki g ij hj = δk j hj = hk . Analog erhalten wir mit (A.1.6) gik xk = gik hk · x = hi · x = xi . Der metrische Tensor (gij ) kann so zum „Herunterziehen“ und (g ij ) zum „Hinaufziehen“ der Indizes der Basisvektoren verwendet werden, wobei das Verfahren nicht nur für vektorielle Größen, sondern auch für Tensoren gilt. Mit einer kovarianten Basis wird ein Kristallgitter beschrieben. Die Basisvektoren haben so die Dimension einer Länge [l]. Die zugehörige kontravariante Basis ist das reziproke Gitter, deren Basisvektoren die Dimension [l−1 ] haben und Wellenzahlen beschreiben. Mit der kontravarianten Basis ist der duale Vektorraum V∗ verbunden. Die (g ij ) sind invers zu den (gij ). Man benötigt also zur Berechnung der (g ij ) die Determinante g des kovarianten metrischen Tensors (gij ):    g11 ........ g1n     ... ........ ...  1 .  (A.1.9) g = g = = det g =   (g ij )  ... ........ ...  gn1 ........ gnn 

554

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Zweidimensionale schiefwinkelige Basis im euklidischen Raum. Die bisherigen Überlegungen können im einfachsten System, dem zweidimensionalen euklidischen Raum, anschaulich dargelegt werden. Vektoren aus dem zweidimensionalen euklidischen Vektorraum, dargestellt mittels kovarianter Basis bzw. aus dem dualen (reziproken) Vektorraum, dargestellt mittels kontravarianter Basis: kovariante Basisvektoren: kontravariante Basisvektoren:

h1 und h2 mit |h1 | = |h2 | = 1,

h1 und h2 mit |h1 | = |h2 | = 1/ sin θ,

x = (x · h1 ) h1 + (x · h2 ) h2 ,

Vektor in kovarianter Basis:

1 2 1 2 Vektor in kontravarianter Basis: x = (x · h1 ) h + (x · h1 ) h = x h1 + x h2 .

Für die Länge der Basisvektoren gilt gemäß Abb. A.5: h1 · h1 = h1 h1 cos( π2 − θ) = 1, woraus h1 = 1(h1 sin θ) und h2 = 1/(h1 h2 sin θ)) folgen. h2

6



g = F = h1 h2 sin θ h2

7 √

θ

g

1 - h1 √ g

~ h1

Abb. A.5. Zweidimensionales, schiefwinkeliges Gitter. Kontra- und kovariante Basis samt Einheitszellen (Parallelogramme); hi = 1/(hi sin θ)

Der metrische Tensor ist gegeben durch     h1 h2 cos θ h21 h1 ·h1 h1 ·h2 (gik ) = = mit h1 h2 cos θ h22 h2 ·h1 h2 ·h2

g = h21 h22 sin2 θ.

Verallgemeinertes Kreuzprodukt Eine weitere Verknüpfung ist das verallgemeinerte Kreuzprodukt. Wir definieren es durch c = a(2) ×a(3) ×...×a(n) =    h1 . . . . . . hn   (2) (2)  1  a1 . . . . . . an  = √  . . . g  .. . . . . . . ..    a(n) . . . . . . a(n)  n 1

√ j1 ....jn (2) (n) g hj1 aj2 ....ajn

(A.1.10)

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

555

Hierbei ist (j1 , ..., jn ) = g j1 ,....jn der total antisymmetrische Tensor (das Levi-Civita-Symbol (A.1.36)). Es ist (A.1.10) eine Verallgemeinerung des Vektorprodukts c = a (2) ×a(3) aus drei Dimensionen, jedoch ist diese Schreibweise für zwei Dimensionen nicht geeignet. Verallgemeinertes Spatprodukt Zum verallgemeinerten Kreuzprodukt kann man noch ein verallgemeinertes Spatprodukt angegeben, indem man das äußere Produkt mit einem weiteren Vektor skalar multipliziert: √  (2) (n) [a(1) . . . a(n) ] = a(1) · a(2) ×. . . × a(n) = g j1 ...jn (a(1) ·hj1 ) aj2 ....ajn   (1)   (1)  a1 . . . . . . an   1  (A.1.11) = √  ... . . . . . . ...  , g  (n) (n) a1 . . . . . . an  (1)

wobei wir aj1 =hj1·a(1) eingesetzt haben. w verschwindet nur dann nicht, wenn alle a(i) linear unabhängig sind und es keinen weiteren linear unabhängigen (i) Vektor gibt. Sind a(i) die Basisvektoren hi , so sind die aj = (hj · hi ) = δj i , und man erhält:   1 0 . . . . . . 0    0 1 . . . . . . 0   1 1   w = [h1 . . . hn ] = h1 · h2 × . . . × hn = √  . . .  = √ . (A.1.12) g  .. .. . . . . . . ..  g   0 0 . . . . . . 1 (i)

Für die kovarianten Basisvektoren a (i) = hi sind die Matrixelemente aj = (hj · hi ) = gji und damit ist das Spatprodukt    g11 . . . g1n   √  1   v = [h1 . . . hn ] = √  ... · · · ...  = g . (A.1.13)  g  gn1 . . . gnn  Kreuzprodukt in zwei Dimensionen √ Der Faktor g = F = h1 h2 | sin θ| ist in zwei Dimensionen die Fläche des von den Basisvektoren h1 und h2 aufgespannten Parallelogramms, wie in Abb. A.5 dargestellt. Das Kreuzprodukt von a ist gegeben durch 1 b= √ g

  h1 h2  1    a1 a2  = √g (h1 a2 − h2 a1 ),

|b|2 = (h1 a2 − h2 a1 ) · (h1 a2 − h2 a1 ) = |a|2 . Das Spatprodukt der hi ergibt die von diesen aufgespannte Fläche √ 1 1 [h1 h2 ] = h1 · √ (h1 g22 − h2 g21 ) = √ (g11 g22 − g12 g21 ) = g . g g

556

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Dyadisches Produkt Das dyadische oder tensorielle Produkt zweier Vektoren ⎛ ⎛ ⎞ ⎞ a1 b1 . . . a1 bn a1  ⎜ . ⎜ .. ⎟  . ⎟ ⇔ a ◦ b = a bt ⎝ . ⎠ b1 . . . bn = ⎝ .. . . . .. ⎠ an a n b 1 . . . an b n

(A.1.14)

ist definiert durch die lineare Transformation in der Form1 (a ◦ b)x = a(b · x) .

(A.1.15)

Aus der Definition folgt unmittelbar, dass das dyadische Produkt nicht kommutativ ist. Es gilt vielmehr, wie in der Aufgabe A.1 zu zeigen ist, dass  (a ◦ b) − (b ◦ a) x = (b × a) × x . (A.1.16)

In (A.1.14) ist das dyadische Produkt als Matrix dargestellt. Deren Elemente hängen von der Basis ab. Das kann sowohl ein kartesisches KS ei sein, als auch eine schiefwinkeliges KS mit a = ak hk und bt = bl ht l : (a ◦ b)ij = eti (a ◦ b)ej = (ei · a)(b · ej ) = ai bj , t

(a ◦ b)i j = hi (a ◦ b)hj = (hi · a)(b · hj ) = ai bj .

(A.1.17)

Die Bedeutung des dyadischen Produkts liegt auch in seiner Verwendung als Projektionsoperator. Sei  ein Vektor der Länge || = 1, so ist ( ◦ )a =  ( · a)

(A.1.18)

ein Vektor in der Richtung von  mit der Länge der Projektion von a auf die Richtung von . Der Operator P = (E −  ◦ ) projiziert a in die Ebene senkrecht auf .  Mit dem Einheitstensor k (ek ◦ ek ) kann a = Ta in seine Komponenten zerlegt werden:  ai = eti a = eti T (ek ◦ ek )a = (eti Tek )(ek · a) = Tik ak . (A.1.19) k

Die Determinante des dyadischen Produkts zweier Vektoren verschwindet immer, da ihre Zeilen bzw. Spalten proportional zueinander sind:     det a ◦ b = 0 und det E + a ◦ b = 1 + a · b . (A.1.20) Der Beweis der zweiten Relation, die für die Berechnung des Potentials einer bewegten Punktladung (8.2.24) benötigt wird, ist die Aufgabe A.2.

1

Analog zum Skalarprodukt a · b = at b ist das Tensorprodukt a ◦ b = a bt ; häufig verwendet wird auch die Schreibweise a ⊗ b.

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

557

Wechsel der Basis In einer linearen, homogenen Koordinatentransformation bleibt der Vektor unverändert, aber man geht zu einer neuen Basis über. Man bezeichnet das als passive Transformation, die hier definiert ist durch ¯ i = ai j hj h

¯i hk = (a−1 )k i h



(A.1.21)

und eine neue kontravariante Basis festlegt. Rechts steht die Umkehrtransformation, die aus der linken Gleichung durch Multiplikation mit (a−1 )k i hervorgeht. Die Transformation (A.1.21) muss, wie auch die ursprüngliche Basis, der Bedingung ¯i · h ¯ j = δi j h

(A.1.22)

genügen, wobei wir für die kovariante Basis ¯ i = bi j h j h

¯i hk = (b−1 )k i h



(A.1.23)

ansetzen und die bi j mittels (A.1.22) bestimmen. Da die kontravariante Basis dual zur kovarianten ist, können wir erwarten, dass das in ähnlicher Form für die Matrizen a und b gilt. Für (A.1.22) erhalten wir ¯j · h ¯ i = hl (bt )l j · ai k hk = (bt )k j ai k = δi j , h woraus folgt (bt )k j = (a−1 )k j

bt = a−1 .



(A.1.24)

Es ist b kontragredient zu a. Damit lauten die Transformationen (A.1.23) ¯ i = (a−1 )j i hj h

¯i . hk = ai k h



(A.1.25)

¯ i sind Die metrischen Koeffizienten zur Basis h ¯i · h ¯ j = ai k g kl aj l g¯ij = h

¯ g = a g at ,



(A.1.26)

wobei a = (aj i ) und g = (g kl ). Analog gilt für die kontravariante Basis ¯i · h ¯ j = (a−1 )k i gkl (a−1 )l j g¯ij = h



t

¯g−1 = a−1 g−1 a−1

(A.1.27)

mit g−1 = (gkl ). Diese Relation war zu erwarten, da g¯ij invers zu g¯ij sein muss. Transformationsverhalten der KomponentenBei der passiven Transformation bleibt der Vektor ungeändert, so dass nach (A.1.21) ¯i x ¯ i ai j xj x=h ¯i = hj xj = h gilt. Es transformieren sich die kontravarianten Komponenten

558

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

x ¯i = ai j xj

(A.1.28)

gleich wie die kontravarianten Basisvektoren, was entsprechend für die kovarianten Komponenten gilt: ¯i x ¯ i (a−1 )j i xj , x=h ¯i = hj xj = h x ¯i = (a−1 t )i j xj .

(A.1.29)

xi transformieren durch Multiplikation mit a und xi mit der kontragredienten Matrix a−1 t . Die Transformation der kovarianten Komponenten ist kontragredient zur Transformation der kontravarianten Komponenten. Wir zeigen noch explizit die Invarianz des Skalarprodukts: t

x ¯i x ¯i = ai j xj (a−1 )i k xk = (a−1 )k i ai j xj xk = xk xk . Drehungen Bei Drehungen (Drehspiegelungen) bleibt die Länge der Basisvektoren unver¯ i | = |hi |. Also gilt gemäß (A.1.27) für die Determinanten ändert |h det ¯g = (det a)2 det g



det a = ±1 .

Ergänzung zur Matrixsymbolik Wir haben die Transformationsmatrix a als Matrix in der Form a = (ai k )

(A.1.30)

definiert; die Matrix b ist als „gemischte“ Matrix (ko- und kontravariante Indizes) gleich definiert wie a, aber sie wird als Hilfskonstruktion nicht weiter verwendet, d.h., dass a die einzige „gemischte“ Matrix ist. Sie ist aber selbst kein Tensor 2. Stufe im Vektorraum. Tensorobjekte n-ter Stufe sind durch die Transformationseigenschaften ¯ ¯ ¯ ¯ T¯i1 ,...¯ir ... ...in = ai1 i1 ...a¯ir ir ...ain in T i1 ,... ir ... ...in

(A.1.31)

definiert. Für Tensoren n > 2 ist die Matrixsymbolik nicht anwendbar. Die Indexstellung (ko- oder kontravariant) geht letztlich aus a und der Summenkonvention hervor. Wir haben hier g = (g kl ) als kontravarianten Tensor definiert. Rechenregeln: Die transponierten Matrixelemente, auch von gemischten Matrizen, sind nach dem üblichen Schema der Vertauschung der Indizes bestimmt: ctij = (aik bkj )t ≡ (ab)tij = (bt at )ij = btik atkj = ajk bki = cji ,

(ci j )t = (ai k bk j )t ≡ (ab)ti j = (bt at )i j = bti k atk j = aj k bk i = cj i , (di )t = (ai k bk )t = (a b)

t

i

= (bt at )i = b

(ak l )t = (akm g ml )t = g lm amk = al k .

t

k

at k i = ai k b

t

k

= di ,

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

559

Orthonormale Basis und kartesische Koordinaten Im kartesischen Koordinatensystem (KS) stehen die Basisvektoren senkrecht aufeinander und haben die Länge 1. Wir bezeichnen solche Vektoren mit ei und wissen damit, dass ihnen ein orthonormales KS zugrunde liegt2 :  1 fu ¨r i = j hi · hj → gij = ei · ej = δij = (A.1.32) 0 sonst . Damit ist auch g ij ein Einheitstensor, und es gilt für alle Basisvektoren ei = ei . Für die Koordinaten folgt ebenfalls xi = gij xj = xi . Die Unterscheidung von ko- und kontravarianten Indizes ist so in orthogonalen Koordinatensystemen nicht notwendig und wird auch nicht gemacht. Der Vektor ist dann gegeben durch i

x = x ei = xi ei =

n 

xi ei .

(A.1.33)

i=1

Damit ergeben die Länge eines Vektors

r = gij xi xj = xj xj = (xj )2 ,

das Wegelement

dx = ei dxi =

n 

dxi ei ,

(A.1.34)

i=1

und das Abstandsquadrat dx2 = dxi dxi =

n 

dx2i .

(A.1.35)

i=1

A.1.3 Levi-Civita-Symbol Das Levi-Civita-Symbol, Permutationssymbol, -Tensor oder total antisymmetrischer Tensor genannt, ist definiert durch ⎧ ⎪ ⎨−1 P (i1 , ..., in ) ungerade Permutation (i1 , ..., in ) ≡ i1 ...in = 1 (A.1.36) P (i1 , ..., in ) gerade Permutation ⎪ ⎩ 0 sonst.

Eine äquivalente Definition ist die Festlegung der folgenden Eigenschaften 2

δij bezeichnet man als Kronecker-Symbol.

560

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

1. (1, 2, ...., n) = 1 , (A.1.37) 2. unter Vertauschung zweier Indizes ändert sich das Vorzeichen. Aus der 2. Eigenschaft folgt, dass i1 ...in = 0, wenn zwei Indizes gleich sind. Nun ist die Determinante der Einheitsmatrix det E = 1 (Matrixelemente δij ). Vertauscht man zwei Zeilen, so ändert sich wie bei der 2. Eigenschaft von (A.1.37) nur das Vorzeichen. Sind zwei Zeilen gleich, so verschwindet die Determinante. Es gilt also, wenn ej der j-te Einheitsvektor ist:      δi1 1 ..... δi1 n   δ1i1 ..... δ1in       ... ..... ...   ... ..... ...  =  . (A.1.38) (i1 , ..., in ) = det(ei1 , ..., eij ) =      ... ..... ...   ... ..... ...  δi1 n ..... δin n  δni1 ..... δnin 

Die Determinante einer Matrix a ist gegeben durch    a11 ..... a1n     ... ..... ...    = (j1 .....jn ) a1j1 a2j2 ... anjn . det a =    ... ..... ...  an1 ..... ann 

(A.1.39)

Die Berechnung der Determinante einer 3×3-Matrix mit dem Levi-Civita-Symbol:

  a1 a2 a3     b1 b2 b3  = (i, j, k) ai bj ck = a1 (b2 c3 −b3 c2 ) + a2 (−b1 c3 +b3 c1 ) + a3 (b1 c2 −b2 c1 ) c c c  1 2 3        b2 b3   b1 b3   b1 b2       . + a2  + a3  = a1  c2 c3  c1 c3  c1 c2 

Das Schema zur Berechnung der Determinante mithilfe der Unterdeterminanten (Laplace’scher Entwicklungssatz) lässt sich auf höhere Dimensionen ausdehnen.

Nimmt man in (A.1.39) eine andere Anordnung der Zeilenvektoren: akjk → aik jk , so kann sich nur das Vorzeichen der Determinante entsprechend der Permutation der ik ändern, oder die Determinante verschwindet, falls zwei Indizes (ik = il ) gleich sind. Somit gilt die Relation (j1 , ..., jn ) ai1 j1 ... ain jn = (i1 , ..., in ) det a .

(A.1.40)

In (A.1.36) wurde der kovariante -Tensor mit dem Levi-Civita-Symbol gleichgesetzt. Zu bestimmen ist noch der kontravariante -Tensor, was mit (A.1.40) geschieht:  i1   g 1 ..... g i1 n      i1 ...in = g i1 j1 ...g in jn j1 ...jn =  ... ... ... ...  = det(g ij )(i1 , ..., in ). (A.1.41)   g in 1 ..... g in n 

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

561

Wir erhalten so i1 ...in k1 ...kn

Rechenregeln

 i  δ 1 k1 1  . =  .. g  i δ n k 1

 ..... δi1 kn  .. .. ..  . . .  ..... δin kn 

mit

g = det(gij ) .

(A.1.42)

Gebraucht werden Überschiebungen und da vor allem für den dreidimensionalen euklidischen Raum und den vierdimensionalen (pseudoeuklidischen) Minkowski-Raum der SRT. Im 1. Fall gilt:    1  δj l δj m  1  j k ijk  ilm =  k k  = δ l δ m − δj m δk l , g δ lδ m g 1 ijk ijm = 2 δk m , (A.1.43) g 1 ijk ijk = 3! . g In vier Dimensionen ist zu beachten, dass im Minkowski-Raum g = −1.  β β β  δ ν δ  δ σ    1 αβγδ ανσ = δγ ν δγ  δγ σ  ,  g δ δ δ  δ ν δ  δ σ   1 δγ  δγ σ  αβγδ  αβσ = 2!  δ δ  , δ  δ σ g αβγδ αβγσ =

1 3! δδ σ , g

αβγδ αβγδ =

1 4! . g

(A.1.44)

A.1.4 Determinanten Eine Bilinearform f (x, y), d.h. eine Funktion von zwei Vektoren, hat folgende Eigenschaften: f (x+y, z) = f (x, z) + f (y, z), f (ax, y) = f (x, y)a,

f (x, y+z) = f (x, y) + f (x, z), (A.1.45) f (x, by) = f (x, y)b .

Setzt man nun für x = xi hi und y = y j hj ein, so erhält man f (x, y) = xi y j f (hi , hj ) = cij xi y j , wobei über doppelt vorkommende Indizes summiert wird.

(A.1.46)

562

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Eine antisymmetrische Bilinearform hat die zusätzliche Eigenschaft f (x + y, x + y) = 0



f (y, x) = −f (x, y) .

(A.1.47)

Für antisymmetrische Multilinearformen gilt entsprechend, dass diese verschwinden, wenn zwei Spalten gleich sind f (.., x, .., x, ..) = 0. Gehen wir von c1..i..j..n = c aus und vertauschen zwei beliebige Indizes, so ändert sich nur das Vorzeichen c1..j..i..n = −c. Sind hingegen mindestens zwei Indizes gleich, so verschwindet der zugehörige Koeffizient. Wir können c = 1 wählen und erhalten dann als Multilinearform die sogenannte Leibniz-Formel  D(x, y, z, ...) = (−1)σ(i) xi1 y i2 z i3 ..., (A.1.48) i=(i1 ,...,in )

wobei über alle Permutationen i summiert wird und σ(i) die Anzahl der notwendigen Vertauschungen ist, um die Permutation i auf die Reihenfolge 1, 2, .., n zu bringen. Für die Basisvektoren ist gemäß (A.1.46) D(h1 , ..., hn ) = 1. Man kann das in folgendem Satz [van der Waerden, 1966, S. 79] ausdrücken: Es gibt eine einzige antisymmetrische Multilinearform D, die für die Basisvektoren h1 , ..., hn den Wert 1 hat. Jede antisymmetrische Bilinearform f entsteht aus D durch Multiplikation mit c = f (h1 , ..., hn ): f (x, y, ...) = xi y j ... f (hi , hj , ...) = f (h1 , h2 , ...) D(x, y, ...) .

(A.1.49)

D(x, y, ...) heißt Determinante der n Vektoren x, y, ... zur Basis hi . Sei x = b1 , y = b2 , ..., so ist  1   b 1 ... b1 n      D(b1 , ..., bn ) = ijk... bi 1 bj 2 bk 3 ... =  ... . . . ...  .   bn 1 ... bn n 

Von Relevanz ist der Multiplikationssatz für Determinanten. Gegeben seien zwei quadratische n × n-Matrizen A und B. Für deren Determinanten gilt det(A B) = det(A) det(B) .

(A.1.50)

Zum Beweis merken wir an, dass nach (A.1.49) ⎛1⎞ a k ⎜a2 k⎟ i D(Ab1 ,..., Abn ) = D(Ah1 ,..., Ahn )D(b1 ,..., bn ) mit Ahk = hi a k =⎝ ⎠. .. .

Ein Verfahren zur Berechnung der Determinante ist der Laplace’sche Entwicklungssatz det(A) =

n 

(−1)i+k ai k det(Aik ) ,

(A.1.51)

k=1

wobei Aik die Untermatrix von A ist, die entsteht, wenn man die i−te Zeile und die k-te Spalte ausstreicht. (A.1.51) ist für größere Determinanten aufgrund der Anzahl an Rechenoperationen aufwändig und (numerisch) ungenau.

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

563

A.1.5 Dreidimensionale Vektoren Aufgrund der Bedeutung des dreidimensionalen Raums für die Physik ist es gerechtfertigt diesen Fall separat zu behandeln und so einige Wiederholungen, wie Kreuz- und Spatprodukt, in Kauf zu nehmen. Das ist in Folge sinnvoll für die krummlinigen Koordinaten, die nur in drei Dimensionen behandelt werden. Vektorprodukt Im dreidimensionalen Raum ist das Kreuzprodukt (Vektorprodukt oder äußeres Produkt) (A.1.10) gegeben durch   h h h  √ ijk 1  1 2 3  c = a × b = g hi aj bk = √  a1 a2 a3  (A.1.52) g b1 b2 b3   1 2 3 h h h    √ √ i j k = gijk h a b = g  a1 a2 a3  ,  b1 b2 b3 

was einen auf a und b senkrecht stehenden Vektor darstellt. Man sieht das aus (A.1.52), wenn man mit a oder b skalar multipliziert: √ a · c = a · (a × b) = g ijk ai aj bk = 0 . Den Betrag c bekommen wir unter Zuhilfenahme von (A.1.43) aus c2 = g ijk hi aj bk lmn hl am bn = g ijk imn aj bk am bn   = δj m δj n − δj m δj n aj bk am bn = a2 b2 − (a·b)2 = a2 b2 sin2 θ .

c hat so als Betrag (c = ab sin ϑ) die Fläche des in Abb. A.6 eingezeichneten Parallelogramms. Zugleich haben wir die Gültigkeit der Lagrange-Identität (a × b) · (c × d) = (a · c)(b · d) − (a · d)(b · c)

(A.1.53)

für c=a und b=d gezeigt. Die Richtung von c ist so festgelegt, dass a, b und c ein rechtshändiges KS bilden (siehe Abb. A.6).

O

c b  θ

: a

Abb. A.6. Vektorprodukt (Kreuzprodukt): |c| = ab sin θ und c steht senkrecht auf der von a und b aufgespannten Fläche

564

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Rechenregeln für das Vektorprodukt a) b) c) d)

a × b = −b × a (aα) × b = a × (bα) a × (b + c) = a × b + a × c a×b=0

anti-kommutatives Gesetz assoziatatives Gesetz distributives Gesetz Kollinearitätsbedingung, wenn a, b = 0.

Polare und axiale Vektoren Unter einer Inversion transformieren polare Vektoren gemäß x → −x, während axiale Vektoren ihr Vorzeichen beibehalten c → c. Beispiel für einen axialen Vektor ist das Vektorprodukt zweier polarer Vektoren c=a×b

Inversion

−→

(−a) × (−b) = c ,

wie es das Magnetfeld B = ∇ × A ist. Spatprodukt Als Spatprodukt wird die skalare Multiplikation √ √ [abc] = a · (b × c) = g ijk ai bj ck = g ijk ai bj ck   a a a  1  1 2 3  = √  b1 b2 b3  g c1 c2 c3 

(A.1.54)

bezeichnet. Aus der Definition geht die Invarianz des Spatprodukts gegenüber zyklischer Vertauschung unmittelbar hervor: a · (b × c) = b · (c × a) = c · (a × b) = −a · (c × b).

(A.1.55)

a × b ist ein Vektor, der senkrecht auf das von a und b gebildete Parallelogramm steht und den Betrag der Fläche dieses Parallelogramms hat. Multipliziert man ihn skalar mit c, so erhält man das Volumen des von a, b und c aufgespannten Parallelepipeds:   h h h  1  11 12 13  √ v = h1 × h2 · h3 = √ h21 h22 h23  = g , (A.1.56) g h31 h32 h33  da hi = hik hk mit hik = hk · hi = gki .

Kovariante und kontravariante Basis Die kontravarianten Basisvektoren bekommt man aus den kovarianten durch die Bedingungen hi · hj = δi j . Aus c = h1 ×h2

folgen c·h1 = c·h2 = 0 und

c · h3 = α ⇒

c=

1 3 h . α

A.1 Vektorrechnung im euklidischen Raum

565

Die kontravarianten Basisvektoren sind so gegeben durch 1 hi ijk = √ hj × hk . g

(A.1.57)

Daraus folgt √ g ijk i  hj × hk . h = 2 Umgekehrt gilt ebenso 1 hi ijk = √ hj × hk . g

(A.1.58)

Mithilfe der angegebenen Definitionen für das Vektorprodukt (A.1.52) lassen sich die folgenden Relationen verifizieren: a × (b × c) + b × (c × a) + c × (a × b) = 0 a × (b × c) = (a · c) b − (a · b) c

Jacobi-Identität, (A.1.59) Graßmann-Identität, (A.1.60)

(a × b) · (c × d) = (a · c)(b · d) − (a · d)(b · c) Lagrange-Identität. (A.1.61) Metrischer Tensor Zwei Spatprodukte (gemischte Produkte) können nach folgender Regel multipliziert werden:    a·d a·e a·f    [a b c][d e f ] =  b·d b·e b·f  .  c·d c·e c·f 

Bildet man das Quadrat eines gemischten Produkts, so erhält man die Gram’sche Determinante   a·a a·b a·c   D(a, b, c) = [abc]2 =  b·a b·b b·c ≥ 0 . (A.1.62)  c·a c·b c·c 

D ist das Quadrat des Volumens des Parallelepipeds, das nicht mehr von der Reihenfolge der Vektoren abhängt und positiv semidefinit ist. Verschwindet die Gram’sche Determinate, so sind die Vektoren linear abhängig. Das gilt auch für den metrischen Tensor   h1 ·h1 h1 ·h2 h1 ·h3    det g = [h1 h2 h3 ]2 = h2 ·h1 h2 ·h2 h2 ·h3  ≥ 0 , h3 ·h1 h3 ·h2 h3 ·h3  der für die euklidische Geometrie nicht negativ ist.

566

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

A.2 Vektoranalysis und lokale Koordinaten Vektoren, wie a, waren bisher vom Raumpunkt unabhängig. Fällt diese Einschränkung, ist also a = a(x), so wird es in vielen Fällen auch sinnvoll sein, zu Basisvektoren hi = hi (x) überzugehen, die ebenfalls von x abhängen. A.2.1 Krummlinige Koordinaten Die Basisvektoren, die das KS bilden, mussten zwar nicht orthogonal sein, waren aber vom Raumpunkt unabhängig. Abb. A.7 zeigt für den zweidimensionalen Raum die Kurvenscharen ξ i (x)=const. mit i = 1, 2. Die Tangenten zu den Kurven im Punkt P (x) geben die Richtungen der lokalen kovarianten Basisvektoren an. Im dreidimensionalen Raum stellen die ξ i =const. Flächen dar. Die Schnittlinien der Flächen bestimmen die Richtungen der Basisvektoren. Voraussetzung ist, dass die ξ i (x) in einem Gebiet G umkehrbar eindeutig sind. Kovariante Basisvektoren: h1 , h2 , h3 . Kontravariante Koordinaten: ξ 1 , ξ 2 , ξ 3 mit ξ i = ξ i (x) . Wegelement :

dx = h1 dξ 1 + h2 dξ 2 + h3 dξ 3 .

(A.2.1)

ξ 2 =const h2 =

∂x ∂ξ2

 P (x)

ξ 1 =const

1 h1 =

∂x ∂ξ1

Abb. A.7. Krummlinige, kontravariante Koordinaten ξ 1,2 (x) = const. mit den kovarianten Basisvektoren h1,2 (x)

Basisvektoren Im Punkt P (x) schneiden sich die Flächen ξ i =const. Die kovarianten Basisvektoren hi (x) sind definiert als Tangenten an die Schnittlinien der Flächen ξj=i =const: hi =

∂x ∂xα α = e = hiα eα ∂ξ i ∂ξ i

mit

x = xα eα .

(A.2.2)

Die eα = eα bilden ein kartesisches KS in dem die kontra- und kovarianten ∂xα i Basisvektoren zusammenfallen. Außerdem ist dxα = dξ . Das Abstands∂ξ i quadrat wird so berechnet als

A.2 Vektoranalysis und lokale Koordinaten

dx2 = hi · hj dξ i dξ j = gij dξ i dξ j

mit gij = hi · hj .

567

(A.2.3)

Hat man mit (A.2.2) die lokalen Basisvektoren hi (x), so gelten für diese alle Rechenoperationen und Relationen, die für die schiefwinkeligen Systeme hergeleitet wurden. Ein krummliniges Koordinatensystem heißt orthogonal, wenn die hi in jedem Punkt P (x) orthogonal sind. Der metrische Tensor g ist dann diagonal, und es ist zweckmäßig, die hi als Einheitsvektoren eα = eα zu definieren. Da die hi nicht alle die gleiche Dimension haben müssen, ist g nicht die Einheitsmatrix. Für die kontravarianten Basisvektoren gilt (A.1.57) hi =

v ijk  hj × hk 2

mit

v = [h1 h2 h3 ] ,

(A.2.4)

wobei auch hier v das von den Basisvektoren aufgespannte Volumen (Spatprodukt [h1 h2 h3 ]) ist. Mithilfe von dx erhält man dx = hj dξ j



hi · dx = hi · hj dξ j = δi j dξ j = dξ i , hi · dx = hi · hj dξ j = gij dξ j = dξi .

Im Allgemeinen ist diese Differentialrelation nicht integrabel, d.h., es gibt keine Funktion ξi = ξi (ξ j ) . Das Spatprodukt [h1 h2 h3 ] wird mit den kartesischen Komponenten von hi berechnet, (hiα = ∂xα /∂ξ i ), wobei g¯ = 1:    ∂x ∂x ∂x    1  ∂ξ ∂ξ 2 ∂ξ 3     √  ∂y ∂y ∂y  (A.2.5) v = g = [h1 h2 h3 ] = g¯  1 . 2 3  ∂ξ ∂ξ ∂ξ   ∂z ∂z ∂z     ∂ξ 1 ∂ξ 2 ∂ξ 3 

√ v = g ist die Determinante der Jacobi-Matrix J, die sogenannte Funktionaldeterminante der Transformation von kartesischen zu krummlinigen Koordinaten    ∂(x, y, z)   . det J =  (A.2.6) ∂(ξ 1 , ξ 2 , ξ 3 ) 

Für das Volumenelement erhält man so √ d3 x = g dξ 1 dξ 2 dξ 3 .

(A.2.7)

Ein Oberflächenelement ist gegeben durch df 1 = h2 × h3 dξ 2 dξ 3 . Daraus folgt mit (A.1.57) √ g df = hi dfi |ijk |dξ j dξ k . (A.2.8) mit dfi = 2

568

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Anmerkung: Das Vorzeichen eines Flächenelements kann unterschiedlich gewählt werden und richtet sich nach den (physikalischen) Gegebenheiten. So zeigt die Normale auf der Oberfläche eines geschlossenen Volumens in den Außenraum.

Da die hi vom Ort abhängig sind, treten bei Differentialoperationen Ausdrücke der Form ∂hi /∂ξj auf. Aus (A.2.2) folgt ∂2x ∂hj ∂hi = = . j j i ∂ξ ∂ξ ∂ξ ∂ξ i

(A.2.9)

A.2.2 Differentialoperationen Nabla-Operator Der Differentialoperator ∇ = eα ∇α = eα ∂α = eα

∂ ∂ = eα α ∂x ∂xα

(A.2.10)

wird als Nabla-Operator bezeichnet. eα = eα sind die Einheitsvektoren eines kartesischen KS. Bei der Koordinatentransformation (A.1.21) einer schiefwinkeligen Basis transformieren die Komponenten gemäß (A.1.29) x ¯i = ai j xj

mit

xj = (a−1 )j k x ¯k

und man erhält ∂ ¯k ∂ ∂ ∂xj ∂ −1 j ∂ x = = (a ) = (a−1t )i j j . k i i j i j ∂x ¯ ∂x ¯ ∂x ∂x ¯ ∂x ∂x

(A.2.11)

Der Nabla-Operator transformiert sich also wie ein Vektor oder genauer: Die Ableitungen nach den kontravarianten Koordinaten sind die kovarianten Kom∂ ponenten des Nabla-Operators, was durch ∂i = beschrieben wird. ∂xi In krummlinigen Koordinaten (A.2.2) ist der Nabla-Operator gegeben durch ∇ = hk (hk · eα )

∂ ∂ ∂xα ∂ ∂ = hk hkα = hk = hk k . ∂xα ∂xα ∂ξ k ∂xα ∂ξ

(A.2.12)

Gradient Die Anwendung des Nabla-Operators auf eine skalare Funktion φ(x) ist der Gradient dieser Funktion: grad φ = ∇φ = eα

∂φ ∂φ = hk k . ∂xα ∂ξ

Bedeutung des Gradienten:

(A.2.13)

A.2 Vektoranalysis und lokale Koordinaten

569

dx

 ∇φ I x 7 φ = ai- :

1

Abb. A.8. Flächen φ(x)=const und Gradient

1. Flächenschar φ(x) = a φ(x + dx) = φ(x) + dx · ∇φ. Liegt x+dx ebenfalls auf der Fläche, so ist dx · ∇φ = 0, woraus folgt, dass ∇φ senkrecht auf die Fläche steht. 2. Aus dφ = grad φ · dx sieht man, dass die Änderung von φ, dφ, am größten ist, wenn dx parallel zu ∇φ ist. Also gibt grad φ die Richtung der stärksten Änderung von φ(x) an, wie in Abb. A.8 skizziert. 3. Schichtliniendiagramm in Kartografie. Die Normallinien geben die Falllinien an, längs derer sich h = φ(x, y) am stärksten ändert. Vektorgradient Die Ortsänderung einer vektorwertigen Funktion   v(x + dx) − v(x) = dv(x) = dx · ∇ v(x)

ist in kartesischen Koordinaten dv = dxβ

∂vα ∂ eα vα = eα dxβ = eα Tαβ dxβ . ∂xβ ∂xβ

(A.2.14)

T wird als Vektorgradient oder Ableitungstensor bezeichnet und ist in kartesischen Koordinaten gleich der Jacobi-Matrix: Tαβ =

∂vα = vα,β . ∂xβ

(A.2.15)

Die Notation ∂vα /∂xβ = vα,β für die Ableitung eines Vektors, Skalars oder Tensors wird fallweise verwendet. Bei nicht kartesischen Koordinaten ist zusätzlich die Tief- und Hochstellung der Indizes für ko- und kontravariante Ableitungen einzuhalten. In krummlinigen Koordinaten erhält man einen zusätzlichen Beitrag durch die Ortsabhängigkeit der hi : dv = dξ k

 i  ∂ i k ∂v i ∂hi . h v = dξ h + v i i ∂ξ k ∂ξ k ∂ξ k

Im 2. Beitrag wird i durch j ersetzt und umgeformt zu

570

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

∂hj ∂hj = hi (hi · k ) = hi Γi|jk = hi g il Γl|jk = hi Γi jk , ∂ξ k ∂ξ

(A.2.16)

woraus folgt: dv = dξ k

 ∂v i

∂ξ k

 + v j Γi jk hi = hi T i k dξ k .

(A.2.17)

Der Vektorgradient ist demgemäß in krummlinigen Koordinaten T ik =

∂v i + v j Γi jk . ∂ξ k

(A.2.18)

Eingeführt wurden die Christoffel-Symbole 1. (3-IndizesSymbol) und 2. Art Γi|jk = hi ·

∂hj = Γi|kj , ∂ξ k

Γi jk = hi · hj,k = g il Γl|jk .

(A.2.19)

Eigenschaften der Christoffel-Symbole Setzt man in (A.2.19) hj = ∂x/∂ξ j ein, so folgt die Symmetrie j  k direkt aus der Vertauschung der Ableitungen: Γi|jk = hi ·

∂hj ∂2x = hi · k j = Γi|kj . k ∂ξ ∂ξ ∂ξ

(A.2.20)

Anmerkung: In der hier verwendeten Notation für die Christoffel-Symbole wird durch den senkrechten Strich angedeutet, dass Γ in den Indizes j und k symmetrisch ist: Γjk|i = hj,k · hi = Γi|jk = hi · hj,k .

Bildet man die Ableitung des metrischen Tensors und setzt (A.2.19) ein, so folgt gij,k = hi,k · hj + hi · hj,k = Γj|ik + Γi|jk . Summiert man zu gij,k noch die Ableitungen gik,j und gjk,i und nützt die Symmetrie hi,j = hj,i , so erhält man Γi|jk =

 1 gij,k + gik,j − gjk,i . 2

(A.2.21)

In orthogonalen Systemen, wie den Zylinderkoordinaten oder den Polarkoordinaten, verschwindet Γi|jk immer, wenn alle drei Indizes verschieden sind, da die gij diagonal sind. Zurückkommend auf (A.2.5) und (A.1.57) berechnen wir in einem Zwischenschritt √   ∂h  ∂ g ∂  ∂h2 ∂h3 1 1 2 3 √ h = g. = · h × h · h + · h + · h 1 2 3 ∂ξ k ∂ξ k ∂ξ k ∂ξ k ∂ξ k

A.2 Vektoranalysis und lokale Koordinaten

Daraus folgt die gesuchte Beziehung √ 1 ∂ g i ∂hi h · k = √ = Γi ik . ∂ξ g ∂ξ k

571

(A.2.22)

Zu der (A.2.16) entsprechenden Ableitung der kontravarianten Basisvektoren kommt man durch hi · hk = δi k



hi,j · hk + hi · hk ,j = 0

∂hk ∂hk i = h (h · ) = −hi (hi,j · hk ) = −hi Γk ij . i ∂ξ j ∂ξ j

(A.2.23)

Divergenz Auf die Bedeutung der Divergenz – wie auch der Rotation – wird später bei den Integralsätzen eingegangen. Hier werden nur die Definitionen in kartesischen und krummlinigen Koordinaten dargelegt, wobei wiederum mit kartesischen Koordinaten angefangen wird: div v = ∇ · v = div v = hk ·

∂vα = vα,α , ∂xα

(A.2.24)

∂ ∂v j ∂v j ∂hk j j k ∂hj j h v = + h · v = + hk · v . j ∂ξ k ∂ξ j ∂ξ k ∂ξ j ∂ξ j

Benützt wurde hk,j = hj,k . Mit (A.2.22) erhält man für die Divergenz √ √ ∂v j 1 ∂ g j 1 ∂ g vj v =√ . div v = j + √ ∂ξ g ∂ξ j g ∂ξ j

(A.2.25)

Rotation Ersetzen wir im Vektorprodukt (A.1.52) den ersten Vektor durch den NablaOperator, so erhalten wir für kartesische Koordinaten mit g¯ = 1:   e e e   αβγ 1  ∂1 ∂2 ∂3  ∂ (A.2.26) eα β vγ = √  ∂x1 ∂x2 ∂x3  . rot v = ∇ × v = g¯ ∂x g¯  v1 v2 v3 

In krummlinigen Koordinaten setzen wir für den Nabla-Operator (A.2.12) ein und erhalten rot v = hj

∂ ∂vk ∂hk × hk vk = hj × hk j + vk hj × . j ∂ξ ∂ξ ∂ξ j

Der Beitrag von der Differentiation der Basisvektoren, der zweite Term auf der rechten Seite, verschwindet, da nach (A.2.23) bei Vertauschung von i  j Γk ij symmetrisch und das Vektorprodukt antisymmetrisch ist:

572

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

∂hk = −hj × hi Γk ij = 0 . ∂ξ j Mit (A.1.58) erhält man hj ×

   h1 h2 h3    ∂v ∂v √ 1 k k rot v = hj × hk j = g ijk hi j = √  ∂ξ∂ 1 ∂ξ∂ 2 ∂ξ∂ 3  . ∂ξ ∂ξ g v1 v2 v3 

(A.2.27)

Laplace-Operator, angewandt auf skalare Funktion

Der Laplace-Operator, angewandt auf eine skalare Funktion φ, ist gegeben durch Δφ = ∇ · ∇φ = div grad φ . In kartesischen Koordinaten erhält man ∂ ∂ ∂2 Δ= = ∂xα ∂xα ∂x2α

(A.2.28)

(A.2.29)

und in krummlinigen Koordinaten mithilfe von (A.2.22) und (A.2.9)   1 ∂ √g ∂hj ∂  ∂ ∂  ∂ ∂ ∂ = hi · + = + . Δ = hi i · hj √ ∂ξ ∂ξj ∂ξ i ∂ξ j ∂ξj g ∂ξ j ∂ξ j ∂ξj

Somit ist der Laplace-Operator gegeben durch 1 √ ji  ∂ ∂2 1 ∂ √ ji ∂ ij g g g g = + g . Δ= √ √ ,j ∂ξ i g ∂ξ j ∂ξ i g ∂ξ i ∂ξ j Angewandt auf eine skalare Funktion φ erhält man 1 ∂ √ ij ∂φ . gg Δφ = √ g ∂ξ j ∂ξ i

(A.2.30)

(A.2.31)

Laplace-Operator, angewandt auf vektorwertige Funktion Um es vorwegzunehmen: Die Berechnung von Δv ist mit Δv = grad div v − rot rot v (A.2.38) handlicher als mit der hier hergeleiteten Formel Δv = Δv k hk = hk Δv k + v k Δhk + 2g ij v k ,i hk,j . Im letzten Term setzt man (A.2.16) hk,j = hl Γljk ein. Um eine komponentenweise Berechnung zu ermöglichen, muss noch der 2. Term umgeformt werden:  1 √   ∂ v k (Δhk ) = v k √ gg ij ,j hk,i + g ij j hk,i g ∂ξ  1 ∂ √gg ij   = √ hl Γl ik + g ij hm Γm jl Γl ik + hl Γl ik,j v k . j g ∂ξ Zusammengefasst ergibt das den Ausdruck √    l  k 1 ∂ gg ij l ij m l ij l k . Γ v Γ + g Γ + Γ + 2g Γ v Δv = hl Δv l + √ ik jm ik ik,j ,i jk g ∂ξ j (A.2.32)

A.3 Orthogonale krummlinige Koordinatensysteme

573

Vektoridentitäten ∇(a · b) = (a · ∇)b + a × (∇ × b) + (b · ∇)a + b × (∇ × a), (A.2.33) ∇ · (a × b) = b · (∇ × a) − a · (∇ × b), (A.2.34)

∇ × (a × b) = a(∇ · b) − (a · ∇) b − b (∇ · a) + (b · ∇) a, ∇ × ∇φ = 0 ,

(A.2.35)

(A.2.36)

∇ · (∇ × a) = 0 ,

(A.2.37)

∇ × (∇ × a) = ∇(∇ · a) − ∇2 a.

(A.2.38)

Anmerkung: Die Beweise dieser Identitäten sind durchwegs einfach, wenn man ihnen ein kartesisches Koordinatensystem zugrunde legt (g = 1) (siehe Aufgabe A.3):



∇ × ∇φ



α

= αβγ ∇β ∇γ φ = 0 ,

da bei Vertauschung von β  γ der -Tensor das Vorzeichen wechselt, der gesamte Ausdruck aber unverändert bleibt. Aus dem gleichen Grund gilt auch





∇ · (∇ × a)

∇ × (∇ × a)





α

= αβγ ∇α ∇β aγ = 0 ,

= αβγ ∇β γδλ ∇δ aλ = (δαδ δβλ − δαλ δβδ ) ∇β ∇δ aλ = ∇α (∇ · a) − ∇ · ∇ aα .

Spezialfälle (p ist konstant):  ∇(p · er ) = (1/r) p − (p · er )er ,  ∇(p · x/r3 ) = (1/r3 ) p − 3(p · er )er , ∇ × (p × x) = 2p.

(A.2.39) (A.2.40) (A.2.41)

A.3 Orthogonale krummlinige Koordinatensysteme In wichtigen Fällen hat man bei krummlinigen Koordinatensystemen orthogonale Basisvektoren, wie bei Zylinder- und Polarkoordinaten. In solchen Fällen vereinfachen sich einige der Vektoroperationen etwas, worauf jetzt Bezug genommen wird. In orthogonalen KS ist der metrische Tensor diagonal: √ gij = hi · hj = δij h2i , g = h1 h2 h3 , hi = |hi |. (A.3.1) Bestimmt man die kartesischen Koordinaten aα aus den ai der holonomen Basis, so ist die Transformation durch die Jacobi-Matrix bestimmt aα = (eα · hi )ai = Jαi ai ,

Jαi = eα ·

∂x ∂xα = . ∂ξ i ∂ξ i

Nicht allein auf orthogonale Koordinatensysteme beschränkt ist

574

A Vektoren, Vektoranalysis und Integralsätze

Jiα Jαj = hi · hj = gij

Jt J = g .



In orthogonalen KS wird statt der holonomen Basis hi die (lokale) orthonormale Basis ei verwendet. Für diese gilt gleichermaßen ei = ei wie für die kartesische eα = eα : a = a i h i = aξ i e i ,

hi = hi ei ,

aξ i = a i h i .

(A.3.2)

Die Transformation zu den kartesischen Koordinaten ist jetzt durch die Drehung S gegeben: aα = (eα · ei ) aξi = Sαi aξi ,

Jαi = hi Sαi .

(A.3.3)

Für Zylinderkoordinaten sind aξi = a , aϕ und az . A.3.1 Zylinderkoordinaten Ausgangspunkt ist ein kartesisches Koordinatensystem mit dem die Zylinderkoordinaten (siehe Abb. A.9) die z-Achse gemeinsam haben:  0≤