»Einst« und »Jetzt« im Neuen Testament: Beobachtungen zu einem urchristlichen Predigtschema in der neutestamentlichen Briefliteratur und zu seiner Vorgeschichte 9783666532498, 9783525532492

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»Einst« und »Jetzt« im Neuen Testament: Beobachtungen zu einem urchristlichen Predigtschema in der neutestamentlichen Briefliteratur und zu seiner Vorgeschichte
 9783666532498, 9783525532492

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Peter Tachau „Einst" und „Jetzt" im Neuen Testament

P E T E R TACHAU

„Einst" und „Jetzt" im Neuen Testament Beobachtungen zu einem urchristlichen Predigtschema in der neutestamentlichen Briefliteratur und zu seiner Vorgeschichte

GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1972

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ernst Käsernann und Ernst Würthwein 105. Heft der ganzen Reihe

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1972. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto-oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

VORWORT Die vorliegende Arbeit ist im Sommer 1968 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen als Dissertation angenommen worden. Für den Druck wurde sie noch einmal leicht überarbeitet. Seither erschienene Literatur konnte aber nur noch in geringem Maße berücksichtigt werden. Die Untersuchung versteht sich als ein Beitrag zum Geschichtsverständnis im Neuen Testament, besonders in paulinischen und deuteropaulinischen Schriften. Ihre Entstehung verdankt sie vor allem meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor D. Eduard Lohse, der sie mit geduldigem und hilfreichem Rat gefördert und begleitet hat. Ihm gilt mein vornehmlicher Dank. Für die Zeit der Abfassung hat mir die Stiftung Volkswagenwerk ein Stipendium zur Verfügung gestellt, und die Theologische Fakultät der Universität Göttingen hat durch einen beträchtlichen Zuschuß den Druck ermöglicht. Die Herren Professoren D. Ernst Käsemann und D. Ernst Würthwein haben die Arbeit in diese Reihe aufgenommen. Ihnen allen sage ich meinen herzlichen Dank. Silliman University Dumaguete City, Philippines im Oktober 1971

Peter Tachau

INHALT Vorwort

5

I. Die Aufgabe

9

1. Ein Schema ποτέ — νυν als Mittel der Applikation

9

2. Methodische Hinweise

12

3. Das Problem in der Geschichte der Forschung

12

4. Eine Konkretisierung des Problems am 1. Petrusbrief

16

II. Vorformen im Alten Testament und im Judentum 1. Wortstatistik und Bedeutung

21 21

2. Πην als artikuliertes Zeitadverb a) im prophetischen Gerichtswort b) in verschiedenen anderen Gattungen

23 23 26

3. Der Hinweis auf eine zeitlich-sachliche Zweiteilung durch nnv in Sündenbekenntnissen

28

4. Die Funktion des Hfl» im Psalter, insbesondere bei Dank- und Klageliedern des Einzelnen

30

Τ

-

Τ

-

5. Deuterojesajas Argumentation mit Hilfe von Zeitadverbien 6. Exkurse a) 2 Sam 15,34 b) Ps 119,67 7. Die Trennung der Zeiten in der Gerichtsdoxologie des Alten Testaments 8. Eine formelhafte Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart in 'Joseph und Aseneth' 9. Das Thema der Vergangenheit in den Texten von Qumran a) Der wortstatistische Befund b) Die Erwähnung der Vergangenheit in hymnenartigen Lob- und Dankliedern

34 41 41 44 45 52 58 58 59

Inhalt

7

c) Das Sündenbekenntnis in 1QS 1/2 als Gerichtsdoxologie

64

d) Das Verhältnis von ' U m k e h r ' u n d E i n t r i t t in die Sekte e) Zusammenfassung

67 68

10. Zusammenfassung

68

I I I . Die Gegenüberstellung von ποτέ u n d νυν als stilistisches Mittel in der klassischen Antike u n d im Hellenismus . . . .

71

IV. Das Schema ποτέ — νυν im Neuen Testament

79

1. Merkmale geprägten Traditionsgutes im Neuen Testament a) Vorüberlegungen b) Der Ort des Vorkommens u n d die Nennung der Adverbien ποτέ u n d νυν (Rom 5,8-11 ; Gal 4,3 ff. ; l K o r 6,9-11; Kol 2,13) c) Beobachtungen zum Stil (Phlm 11) d) Formale u n d inhaltliche Kriterien zur Abhebung des Schemas von seinem jeweiligen K o n t e x t e) Die personale Ausrichtung des Schemas f) Die Konsequenzen g) Der Vergleich mit dem Material außerhalb des Neuen Testamentes 1. Die alttestamentlichen Belege 2. Die griechischen u n d hellenistischen Belege . . . . h) Die Frage nach einer Entwicklung des Schemas im Neuen Testament 2. Die Charakterisierung der verwendeten Begriffe Vorbemerkung A. Die inhaltlichen Aussagen : die sündige Vergangenheit a) Vokabeln f ü r den Begriff 'Sünde* b) Begriffe, die sich auf die vorchristliche Vergangenheit, insbesondere von Heidenchristen, b e z i e h e n . . . c) Begriffe im übertragenen Gebrauch d) Die genauere Bestimmung der Vergangenheit durch ethische Begriffe e) Die Vergangenheit des Paulus

79 79

80 86 88 91 9Í 92 92 94 94 96 96 97 97 98 100 103 104

8

Inhalt

Β. Die inhaltlichen Aussagen·, die Gegenwart des Heils.. a) Begriffe, die den Heilsstand der Adressaten benennen b) Die christliche Gegenwart im Unterschied zur heidnischen Vergangenheit c) Begriffe im übertragenen Gebrauch d) Die Vergebung der 'Verfehlungen' e) Die Aufgabe des Paulus Folgerungen C. Der inhaltliche Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart als Kontrast (Rom 11,28-32) D. Die Leistung des Schemas 3. Die temporale Bedeutung des νυν und die Bindung an das Christusgeschehen

104 104 105 106 107 108 108 108 112 113

4. Das Schema ποτέ — νυν und die Problematik des Verhältnisses von Indikativ und Imperativ a) Verschiedene Variationen des Schemas als Mittel der gegenseitigen Interpretation (Rom 6,15-23) b) Die paränetische Präzisierung durch einen Imperativ an Stelle des üblichen Indikativs (Kol 3,7f.) c) Die paränetische Präzisierung durch einen nachfolgenden Imperativ einschließlich der Partikel ώς (Eph 5,8) d) Die päranetische Präzisierung durch einen nachfolgenden Konsekutivsatz (Rom 7,4ff.) e) Die paränetische Präzisierung durch eine anschließende Frage (Gal 4,8ff.) f) Zusammenfassung

127 128

5. Die Frage nach dem Sitz im Leben

129

6. Das Schema ποτέ — νυν in Eph 2 a) Die Verklammerung des 2. Kapitels mit dem Kontext b) Analyse des Gedankenganges c) Die Einarbeitung des Schemas in Eph 2 und seine Charakterisierung d) Die Leistung des Schemas

134 134 135

Anhang: Nachneutestamentliche Belege Literaturverzeichnis Autorenregister Begriffe Stellenregister

116 116 123 125 126

138 142 144 148 158 160 162

I. Die Aufgabe 1. Ein Schema ποτέ — vvv als Mittel der Applikation Innerhalb des Neuen Testamentes begegnen des öfteren kurze, knappe Gegenüberstellungen von Vergangenheit und Gegenwart in den Adverbien ποτέ und vüv. Wie ist diese rhetorische Figur zu beurteilen? Als einleitendes Beispiel soll ein Vergleich von l P e t r 2 , 2 5 und Kol 1,21 f. dienen. Der Abschnitt lPetr 2,11-3,12 kann als verhältnismäßig geschlossen und selbständig angesehen werden 1 . Dem allgemeinen Aufruf, den Heiden ein gutes Vorbild zu sein (2,11. 12), folgt in 2,13-17 die Mahnung, sich jeder menschlichen Ordnung einzufügen, woran sich eine Haustafel anschließt, die οίκέτοα, γυναίκες und άνδρες anspricht (2,18-25; 3,1-6; 3,7). Eine allgemeine Zusammenfassung rundet den Abschnitt (3,8-12). An der Sklavenparänese (2,18-25) ist nun auffallend, daß ihr ein Hymnus eingefügt ist — ein im NT einmaliges Phänomen 2 : Christus dient als Vorbild. Doch hat sich der Verfasser des 1 Petr offensichtlich zuviel vorgenommen, denn er vermag die angeschnittene paränetische Thematik am Schluß des Hymnus nicht konsequent durchzuhalten. — Ist man sich über den Anfang des Liedes einig (V. 21)3, so entsteht doch Meinungsverschiedenheit bei V. 234 und bei der Schlußabgrenzung. In V. 25 wechselt das Genus, und nicht nur das: war vorher von Christi heilschaffendem Leiden die Rede, so jetzt von dem Ertrag, von dem Zustand derer, denen das Leiden gilt. Zudem ist lediglich in V. 25 und nicht im Hymnus selbst dieses Ereignis im Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart der Christen ausgedrückt. Ebenso deutet das γάρ auf einen erklärenden und weiterführenden Gedanken hin 5 . Mit Recht hat man daher den Hymnus mit V. 24 enden lassen 6 . 1

Vgl. E. Lohse, ZNW 45, 1954, S. 73; Selwyn, Edward Gordon, The first Epistle of St. Peter, London 1949 (Nachdruck von 19472), S. 168f. 2 Zum Hymnus vgl. R. Bultmann, Bekenntnis- und Liedfragmente, S. 12ff. ; E. Lohse, ZNW 45, 1954, S. 86-88; Schille, S. 45f. 3 ύμων und ύμΐν wird in ήμών und ή μ tv geändert, R. Bultmann, ebd. S. 12. 4 Die Sklaven seien zu direkt angesprochen, es begegnen keine Wendungen aus Jes 53. R. Bultmann, ebd. S. 13f. ; Schille, ebd. S. 46 bestreiten die Ursprünglichkeit, anders E. Lohse, ebd. S. 88. 6 Vgl. Bauer, s.v. γάρ 2.4. s R. Bultmann, ebd. ; Schille, ebd. ; anders E. Lohse, ebd.

10

Die Aufgabe

Lediglich über οδ τώ μώλωπι ίά&ητε herrscht Uneinigkeit. Man änderte in ίά&ημεν, obwohl ohne textliche Bezeugung. Auffallend ist aber, daß auch die Septuaginta (im folgenden: LXX) in 1. PI. redet. Dennoch mutet die Fortführung des Zitates aus Jes 53 in Y. 25 merkwürdig an — wie ist es zu erklären, daß ein Zitat Hymnus und Prosa umgreift? •— Wird bereits V. 24b als Applikation (2. PI.) benutzt, so vollends V. 25. Aber setzen wir hier als Autor den Verfasser des 1 Petr voraus, so vermögen wir nicht zu erklären, in welchem Zusammenhang mit dem Kontext der Vers steht: es gibt nämlich keinen. Die BegrifFlichkeit von V. 25 ist selten für den IPetr (πρόβατον, πλανάομαι, επιστρέφω, ποιμήν, έπίσκοπος των ψυχών)7, und V. 25 wird nicht für die Sklavenparänese fruchtbar gemacht. So liegt in der Tat die Vermutung nahe, V. 25 gehöre doch zum Hymnus. These steht gegen These. — M.E. kann man zu folgender Lösung kommen: Dem Verfasser des 1 Petr ist eine Tradition vorgegeben, der er den Christushymnus entnommen hat ; dieser Hymnus existierte ursprünglich selbständig, doch wurde er bald erweitert, um das Christusgeschehen in seiner Bedeutung für die Hörer aufzuzeigen. Dieser 'Applikation' diente das Schema der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart der Christen. Natürlich lehnt sich die Begrifflichkeit dabei an die vorhergehende an (Zitat- und Stichwortassoziation). Hymnus einschließlich Applikation hat der Verfasser des IPetr vorgefunden und in seine Haustafel eingebaut, ohne daß ersichtlich wäre, inwiefern die Applikation V. 25 noch einen Sinn in diesem Kontext haben kann. — Die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart der Christen scheint traditionell zu sein. Zur Wahrscheinlichkeit wird diese Hypothese jedoch erst im Vergleich mit Kol 1,21 f. In Kol 1 finden wir ähnlich wie in IPetr 2 einen Hymnus 8 , der Christus als Schöpfungsmittler und Erlöser schildert und dem sich — nachdem das Ende des Hymnus eindeutig mit V. 20 erreicht ist —• der Hinweis auf die Erlösung der Leser bzw. Hörer anschließt. Das geschieht durch die formelhaft klingende Gegenüberstellung zweier Zeiten, die durch ποτέ und νυνί gekennzeichnet sind. Deutlich wird die νυνί-Stufe mit dem vom Hymnus ausgedrückten Geschehen parallelisiert (άποκαταλλάσσω, Bezug von σταυρός und θ-άνατος), so daß die Hörer in das Geschehen einbezogen sind. Dem durch ποτέ und νυνί 7

Anklänge sind in 1 Petr 5,1-4 zu spüren. Zu diesem Hymnus vgl. hauptsächlich und aus neuester Zeit : E. Käsemann, Eine urchristliche Taufliturgie ; K . G . E c k a r t , Kol 1,9-20; E.Bammel, Col 1,15-20; Η. Hegermann, Schöpfungsmittler, passim; E. Schweizer, Kirche als Leib Christi; E. Lohse, Christologie und Ethik, S. 160-164; ders., Christusherrschaft und Kirche, S. 204ff.; Fr. Craddock, Col 1,15-20; Η. J. Gabathuler, Jesus Christus, Haupt der Kirche — Haupt der Welt. 8

Ein Schema ποτέ — vüv als Mittel der Applikation

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zweigeteilten Hauptsatz 9 schließt sich ein konsekutiver Infinitivsatz an. Inhaltlich ist zwischen der ποτέ- und der νυνί-Stufe kein wörtlicher Gegensatz ausgedrückt, vielmehr werden vorchristliche Vergangenheit und Christusgeschehen entgegengesetzt. Die inhaltliche Antithese zur ποτέ-Stufe folgt erst im Infinitivsatz. Trotz des Unterschiedes in der Redeweise — der Hymnus spricht in kosmologischen Kategorien, die Verse 21. 22 hingegen in personalen —- sind Hymnus und die folgenden Verse parallel. Deshalb kann die 'Wiederholung' des Hymnus in 21.22 als Interpretation, applicatio, verstanden werden 10 . — Die Ähnlichkeit von Kol 1,21 mit 1 Petr 2,25 ist verblüffend : a) bei beiden handelt es sich um die Gegenüberstellung von vorchristlicher, heidnischer Vergangenheit und christlicher Gegenwart, b) beide haben die gleiche Funktion im Anschluß an einen Christushymnus. Aufgrund dessen können wir als Arbeitshypothese formulieren: Es scheint ein festes Schema gegeben zu haben, das knapp und antithetisch Vergangenheit und Gegenwart in ποτέ und νυνί gegenüberstellt und das mit deutlicher Nennung der Hörer (ύμεΐς — Kol 1,21; ήτε — 1 Petr 2,25) zur Interpretation und Applikation von Hymnen dient. Handelt es sich bei dieser Art der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart tatsächlich um geprägtes Traditionsgut, so daß man von einem tradierten Schema sprechen kann, und wenn diese Frage positiv zu beantworten ist : ist das Schema dann mit einem bestimmten 'Sitz im Leben' verbunden, und wieweit ist dieser bei jedem Beleg mit vorauszusetzen? Des weiteren ist zu prüfen, ob mit ποτέ und vüv jeweils die gleichen Begriffe verbunden sind und was die Antithetik bei den Hörern bzw. im Gedankengang im einzelnen leistet. Schließlich muß die Frage geklärt werden, ob es eine Vorgeschichte und eine Traditionsbildung des Schemas innerhalb des NT gibt. — Das sind die Aufgaben, denen diese Untersuchung nachzugehen versucht. 8 Beachte die Anakoluthie! — Obwohl der von Nestle gebotene Text am besten bezeugt ist, ist mit (ρ4β), B, Ephr. άποκατηλλάγητε zu lesen, da bei diesen Zeugen die größte syntaktische Irregularität besteht; so auch Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon, MeyerK I X , 196112, S. 68 Anm. 2; vgl. auch W. Schmauch, Beiheft, 1964, S. 59f.; Weiterhin C. Cl. Oke, ET 63, 1951/52, der nicht an einen Anakoluth denkt, sondern an semitischen Spracheinfluß. Anders E. Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, MeyerK I X , 2, 1968, S. 106 Anm. 7. 10 Vgl. den instruktiven Aufsatz von E. Schweizer, ThLZ 86, 1961, bes. S. 244-246; ebenso E. Lohse, Christologie und Ethik, S. 164, der ausdrücklich von 'applicatio' spricht; K. G. Eckart, Kol 1,9-20, S. 103 Anm. 83. Es bedarf keiner Betonung, daß Kol 1,21f. vom Verfasser des Kol stammt, im Unterschied zu 1 Petr 2,25, wo die applicatio vom Verfasser bereits vorgefunden ist.

12

Die Aufgabe

2. Methodische Hinweise Zur Erforschung der Vorgeschichte muß auf Material des Alten Testaments, des Judentums, der klassischen Antike und des Hellenismus zurückgegriffen werden. — Innerhalb des neutestamentlichen Raumes stehen nur die Belege im Blickfeld des Interesses, die Vergangenheit und Gegenwart in ποτέ und vöv antithetisch entgegensetzen; dazu gehören: Rom 5,8-11; 6,15-23; 7,5f.; 11,30-32; I K o r 6,9-11; Gal 1,23; 4,3-7; 4,8-10; Eph 2,1-22; 5,8; K o l l , 2 1 f . ; 2,13; 3,7f.; P h l m l l ; l T i m 1,13ff. ; T i t 3 , 3 f f . ; l P e t r 2 , 1 0 ; 2,25. Ähnlich sind 1 Kor 12,2; 2Kor 5,15-17; Gal 1,13; 4,29; Hebr 12,26, ebenso Apg 17,30; E p h 4,17-24; l T h e s s l , 9 f . ; l P e t r l , 1 4 . Nicht alle angeführten Belege bieten die Adverbien ποτέ und vüv, dennoch gehören sie mit zum Gegenstand der Untersuchung. Den Beweis muß die einzelne Exegese liefern. Das Schema ποτέ — vüv ist zu unterscheiden von dem ähnlichen 'Revelationsschema', wie es etwa in der Schlußdoxologie des Römerbriefes begegnet. Desgleichen interessieren im Zusammenhang dieser Arbeit nicht die übrigen Bedeutungen der Worte ποτέ bzw. τότε und vüv (νυνί). — Auch in der nachneutestamentlichen Zeit kann ein Schema beobachtet werden; dieses Material wird in dieser Untersuchung jedoch nur am Rande erwähnt (vgl. den Anhang). — Schließlich muß eine Bemerkung zum Gebrauch des Wortes 'Schema' gemacht werden : die Benutzung dieses Wortes setzt noch nicht voraus, daß mit einer fixierten Formel gerechnet wird. Das Wort 'Schema' bezeichnet vielmehr allein die Form der Gegenüberstellung zweier Zeiten, ohne daß auf formelhaftes Traditionsgut zurückgeschlossen werden kann. Folgende Schritte der Erörterung legen sich nahe: Nach kurzen Bemerkungen zur Forschungsgeschichte soll das Problem am l P e t r weiter konkretisiert werden. Danach wenden wir uns dem AT und der Klassik zu. Im neutestamentlichen Teil soll versucht werden, die Existenz eines tradierten Schemas nachzuweisen und eine Charakterisierung in verschiedenen Punkten zu geben. 3. Das Problem in der Geschichte der Forschung Von einer eigentlichen Forschungsgeschichte wird man bei dem zu untersuchenden Schema kaum sprechen können. Denn einzelne Topoi standen im Zuge der gattungs-, form- und religionsgeschichtlichen Fragestellung verständlicherweise am Rande des Interesses. Obwohl das Schema seit gut vierzig Jahren bekannt ist, ist es in der Folgezeit

Das Problem in der Geschichte der Forschung

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kaum beachtet ; allerdings haben sich in den letzten Jahren die Vorschläge f ü r eine Ableitung und Charakterisierung vermehrt. Rudolf Bultmann war 1929 der erste, der das Schema ποτέ — νΰν als formelhaft erkannt hat 1 1 . Er bestimmte es als eine Form der Predigt des frühen Christentums. Das Schema sei auf spezifisch christlichem Boden gewachsen und nicht aus jüdischen oder hellenistischen Wurzeln und Parellelen zu erklären 12 . Ausdrücklich werden die beiden Schemata: 'einst seid ihr Heiden gewesen — jetzt aber Christen' und "einst ist das Geheimnis verborgen gewesen — jetzt offenbar' (also das ' Revelationsschema' ) voneinander abgesetzt. Eine genauere Klassifizierung wird nicht gegeben; folgende Stellen werden als Beispiel angeführt: Röm6,17ff.; l K o r 6,9-11; K o l 3 , 5 f f . ; E p h 2 , l f f . ; 2,11 ff. ; Tit 3,3ff. Ein Jahr später 1 3 spezifiziert Bultmann: das Motiv gehöre zur homiletischen Paränese ; es trete zuerst bei Paulus auf und bilde in den Pastoralbriefen bereits ein festes Schema. — I n der 'Theologie des Neuen Testaments' 1953 werden diese Erkenntnisse wiederholt 14 . Gustav Stählin hat dann in dem Artikel νΰν (άρτι) 194215 auf breiter Basis die Bedeutungsvariationen des νΰν untersucht und dabei auch jene Stellen mit einbezogen, die einem ποτέ ('damals') gegenübergestellt sind, ohne allerdings auf die formgeschichtlichen Ergebnisse Bultmanns zurückzugreifen. Das aber wirkt sich an einigen Stellen seines Artikels nachteilig aus. Zwar wird das 'Jetzt' im Gegenüber zu einem 'Damals' gesondert hervorgehoben 16 , aber von einem formelhaften Charakter wird dabei nicht gesprochen. Es wird auf die Ähnlichkeit zum Antithesenschema in der Diatribe hingewiesen 17 , aber ein unmittelbares Vorbild f ü r das paulinische 'Einst — Jetzt' wird ausdrücklich abgelehnt: die Vor- und Umwelt kenne nur eine böse Gegenwart gegenüber einer guten alten Zeit 18 . Auf mögliche Vorbilder im alttestamentlichen Raum wird nicht eingegangen 19 . — 11 Artikel 'Literaturgeschichte, Biblische', 1.3, RGG 2 , III, Sp. 1675-1677. 1680-1682; 1681 f. 12 Auf die Parallelität zum beliebten Einst — Jetzt in der Diatribe weist Bultmann merkwürdigerweise nicht hin, obwohl er dort dieses Schema erwähnt, s. seine Dissertation, S. 25; vgl. u. S. 94. 13 Artikel 'Pastoralbriefe', RGG 2 , IV, Sp. 993-997; 995 f. 14 1. Auflage, S .73 und 104; 4. Auflage, S. 76 und 107. Die Zahl der Belegstellen hat sich erweitert: Rom 6,17f.; 7,5; 11,30; Gal 4,3ff.; 1 Kor 6,9ff.; Kol 3,5ff. ; Tit 3,3 ff. ; 1 Petr 4,3f. ; Eph 2,1 ff. und 11 ff. ; 1 Petr 2,25 ; 2 Clem 1,6ff. 15 ThW IV, S. 1099-1117. 16 S. 1110-1112, vgl. auch S. 1114, Zeile 16-31. 17 S. 1110, Zeile 19-21. 18 S. 1110, Zeile 21-25. 19 Wird in diesem Artikel einerseits vorschnell harmonisiert, etwa das Revelations· und das soteriologische Kontrastschema (S. 1111, Zeile 22ff.), so wird

14

Die Aufgabe

Erst Nils Alstrup Dahl hat 1954 die Anregungen Bultmanns fruchtbar zu machen und weiterzuführen versucht 20 . Fünf verschiedene Typen urchristlicher Gemeindepredigt stellt er zusammen, wozu auch das 'soteriologische Kontrastschema', wie er die Gegenüberstellung von vorchristlicher Vergangenheit und christlicher Gegenwart in ποτέ und νϋν jetzt nennt, gehört. E r charakterisiert es folgendermaßen: Der Gegensatz sei anthxopologisch-soteriologisch orientiert, der Umschwung sei durch die Taufe markiert, zumindest komme deutlich zum Ausdruck, daß die Wende durch Gottes Tat in Christus ermöglicht und bewirkt sei. Beliebtes Motiv sei ferner der Hinweis auf die Barmherzigkeit Gottes und die Verbindung mit Lasterkatalogen. Nach einer möglichen Vorgeschichte freilich fragt auch Dahl nicht, ebensowenig wie er die Entwicklungslinien innerhalb des NT bestimmt. Zudem ist die Funktion des Schemas im jeweiligen Kontext noch nicht präzise angegeben 21 . — Methodisch gesehen stellt die Arbeit von Georg Braumann (1962)22 einen Neuansatz dar. Auf motivgeschichtlichem Wege soll die vorpaulinische Taufverkündigung eruiert werden. Leider läßt die exegetische Durchführung es dann an der nötigen Klarheit fehlen, so daß die Ergebnisse im einzelnen sehr fragwürdig bleiben 23 . Zu der Paulus vorliegenden Tauftradition gehöre auch der Gegensatz in Einst und Jetzt, wie allgemein anerkannt sei 24 , was aber weder belegt noch bewiesen wird. Die These schließlich, dieser Gegensatz sei bereits in der Johannestaufe angelegt 25 , bleibt völlig ohne Beweis. Die Berufung auf Rom 6,17 (τύπος διδαχής) als Argument, das Einst — Jetzt sei innerhalb einer Lehrform der Taufverkündigung Paulus vorgegeben 26 , vermag nicht das zu leisten, was es leisten soll. Braumann kommt zu dem Ergebnis, das Schema sei mit Texten verankert, die von der Taufe sprechen 27 . — Einen Seitenweg schließlich stellt die Hypothese von Ehrhard Kamiah dar. Seit langem ist die Verbindung des Schemas mit den Laster- und Tugendkatalogen beandererseits unerlaubt getrennt, was zusammengehört, wenn von einem gesonderten „paränetische(n) νϋν" (S. 1115, Zeile 16) geredet wird, S. 1114-1115. 20 Dahl, Beobachtungen, S. 3-8. 21 Vgl. auch Dahl, Die Theologie des Neuen Testaments, S. 38. 22 Vorpaulinische christliche Taufverkündigung bei Paulus. 23 Vgl. auch die Rezension von J. Jeremias, ThLZ 88, 1963, S. 590f. 24 Ebd. S. 72. 25 Ebd. S. 81. 28 Ebd. S. 72 f. 27 Ebd. z.B. S. 74. Den einzelnen Exegesen kann z.T. nicht zugestimmt werden; eine Auseinandersetzung würde hier aber^zu weit führen. Zu der These, IPetr 3,18ff. beinhalte die Verbindung von Schema und Taufe, s.u. S. 130 Anm. 168. Ein entscheidender Nachteil der Arbeit ist schließlich, daß die Behandlung der religionsgeschichtlichen Fragen ausdrücklich abgelehnt wird.

Das Problem in der Geschichte der Forschung

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sonders aufgefallen28. Dieser Beobachtung versucht Kamiah nachzugehen. Sein Buch von 196429 möchte die Eigenart und die religionsgeschichtliche Ableitung der neutestamentlichen Kataloge beschreiben. Unter anderem untersucht er auch eine Katalogart, die im Judentum zur Polemik gegen das Heidentum verwendet wurde30. Dieser Typus •— freilich jetzt mit anderer Intention — habe sich auch ins NT hinein durchgesetzt, wie man an 1 Thess 4,4—7 sehen könne31. Damit verbinde sich dann der Verweis auf die vorchristliche Vergangenheit der Hörer im ποτέ — νΰν-Schema. Nach einiger Zeit sei dieser Typus dann auch auf Judenchristen angewandt worden32. 'Sitz im Leben' der Kataloge im NT sei die Taufe33. Kamiah spezifiziert weiter: Die polemischen Kataloge, die gleichzeitig auf die vorchristliche Vergangenheit verweisen, stammen aus dem Zusammenhang der jüdischen Proselytentaufe34. — Wiederum wird hier wie bei Braumann die Vermutung ausgesprochen, das ποτέ — νΰν-Schema habe bereits eine vorpaulinische, ja vorchristliche Tradition. Aufgrund der häufigen Verbundenheit von Laster- und Tugendkatalogen mit Taufaussagen wird der Ursprung der Verbindung von Schema und Lasterkatalogen in der jüdischen Apologetik bzw. in der jüdischen Proselytentaufe gesucht35. Leider führt Kamiah keinen Beweis für diese Verklammerung von Schema und Katalog im Judentum an, so daß seine These den Charakter der unbewiesenen Hypothese nicht verliert. Inzwischen hat sich die Anerkennung der Existenz eines tradierten Schemas durchgesetzt, so in einigen Kommentaren bei den entsprechenden Stellen36. — In ihrem Artikel über νϋν37 geht I i . Thrall leider nicht auf formgeschichtliche Fragen ein. Sie untersucht nur den nichttemporalen Gebrauch des Adverbs. 28

Vgl. Vögtle, S. 11; Wibbing, S. 124. Die Form der katalogischen Paränese im Neuen Testament. 30 Ebd. S. 172 Anm. 2. 31 Ebd. S. 177f. 32 Ebd. S. 178f. Zum ganzen vgl. S. 177-180, auch S. 38, bes. Anm. 2. 38 Ebd. S. 27. 28. 35ff. 177. Kamiah erkennt S. 38 an, daß verschiedenartige Kataloge mit dem Schema Einst — Jetzt verbunden sein können. 34 „Die Kataloge haben also ursprünglich die heidnische Vergangenheit im Zusammenhang der jüdischen Proselytentaufe beschrieben." Ebd. S. 179. „Es ist also eine Form des beschreibenden Kataloges, der in der Heidenpolemik der jüdischen Apologetik angewandt worden war, dann in der Proselytentaufe seinen Platz fand, von wo er in die Urchristenheit drang." (S. 180). 36 Zur Kritik vgl. u. S. 130ff. 36 Etwa Dibelius-Conzelmann, H N T 13, siehe auch N. Gäumann, Taufe und Ethik, BEvTh 47, 1967, und E.Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, MeyerK. 37 Greek Particles in the New Testament, I Β 4b, S. 30-34. 29

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Die Aufgabe 4. Eine Konkretisierung des Problems am 1. Petrusbrief

Die oben S. 11 gewagte These soll am 1 Petr noch weiter konkretisiert werden. Untersucht man aufgrund dieser These andere Belegstellen aus dem lPetr, so macht man die merkwürdige Beobachtung, daß die gleiche Antithetik auch in gänzlich anderem Zusammenhang begegnen kann. Doch bevor wir uns diesem Material zuwenden, ist ein Exkurs zum Zeitverständnis des lPetr nötig. Exkurs: Zum Zeitverständnis des lPetr Wir müssen uns zunächst in gedrängter Kürze das Verständnis des Lebens der Christen in der Welt bis zur Offenbarung Christi, wie wir es im 1 Petr vorfinden, klarmachen, um auf diesem Hintergrund den Vers lPetr 2,10 beurteilen zu können. Es besteht kein Zweifel daran, daß der lPetr im Angesicht der Naherwartung, des Endes (4,7), der Offenbarung Jesu Christi lebt (1,5.7.13; 2,12; 4,13.17; 5,1.6). Von dorther bestimmt sich die Auffassung vom Leben des Christen in der Welt und damit die Paränese, auch und gerade die Paränese zum Leiden. Dennoch muß betont werden, daß noch mit einer kürzeren oder längeren Zeit bis zum Ende gerechnet wird. Eine längere Zeitstrecke ist noch zu durchgehen (1,5. 13. 17; 2,12), auf die die Paränese abgestimmt ist. Kennzeichnend dafür ist das beliebte Wort άναστροφή, das hier zum ersten Male im lPetr in positivem Sinn verwendet wird 38 (1,15. 17; 2,12; 3,1. 2. 16 — negativ 1,18), das Verb φρουρέομαι (1,5), die Begriffe πίστις und έλπίς, die ihre Bedeutung gerade während der Zeit bis zum καιρός έσχατος (1,5) haben (1,3. 9. 13. 21; 3,15; 5,9). Es ist vom αύξάνειν die Rede, erst am Ende stehen χάρις und σωτηρία (1,3. 5. 9; 2,2; 1,13, auch 5,10); und die Verbindung von άναστροφή mit χρόνος (1,17), die Betonung des έπίλοιπος χρόνος (4,2) machen vollends deutlich, daß das christliche Leben verstanden wird als eine Zeit des Leidens, der Bewährung, die zwar ausgerichtet ist auf ihr Ende, die aber dennoch eine bestimmte Dauer hat. — Auf die vorchristliche Vergangenheit wird in 1,14. 18 zurückgeschaut, um die Paränese anschaulich zu begründen. Auch der Rückblick in 4,2. 3 geschieht (freilich hier anders akzentuiert) um der Paränese willen; hier zeigt sich in besonders deutlicher Weise, daß das Leben eingefaßt ist in einen Zeitablauf: είς το μηκέτι . . . βιώσαι. Beide Lebensabschnitte des Bekehrten, die christliche und die vorchristliche Zeit, sind nicht unter einem Stichwort entgegengesetzt, sondern in ihrer zeithchen Aufeinanderfolge gesehen. — Parallel zu 4,2. 3 und doch unterschieden ist nun die Antithetik von Vergangenheit und Gegenwart in ποτέ — νυν in lPetr 2,10. 38

Positiv auch lTim 4,12; Hebr 13,7; Jak 3,13; 2Petr 3,11.

Eine Konkretisierung des Problems am 1. Petrusbrief

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Ein streng logischer Gedankengang ist für den Abschnitt 2,1-10 nicht einsichtig zu machen 39 . Man wird ihn aber der 'Lehre' zuordnen können, im Gegensatz zur Paränese, die mit 2,11 beginnt 40 . 2,1-3 beginnt mit einer Paränese, der sich Gedanken über Christus als den lebendigen Stein (V. 4) und die Christen als lebendige Steine (V. 5) anschließen. Die Thematik schwenkt um auf die Gegenüberstellung der Ungläubigen mit den ύμεΐς als den Gläubigen, denen alttestamentliche Prädikate beigelegt werden (6-9 a). Den Abschluß bildet ein Hinweis auf ihre Berufung und die Gegenüberstellung des vergangenen mit dem jetzigen Zustand (9b. 10). Der Abschnitt ist mit alttestamentlichen Zitaten verschiedener Herkunft durchsetzt. In den Versen 9 b und 10 werden Hos 1 und 2 benutzt, ohne daß ersichtlich ist, welche Verse im einzelnen aus Hos 1 und 2 gemeint sind. Man wird kaum von einem echten Zitat reden können; wir haben es vielmehr mit einer freien Anlehnung zu tun; zudem sind die Unterschiede zum LXX-Text beträchtlich : Hos 2,25 redet im Futur ; volle Sätze begegnen—hier Ellipsen (keine Kopula), die die Gegenwart charakterisieren. Die Reihenfolge der termini ist vertauscht; das Genus ist umgewandelt, ποτέ und νυν fehlen. Inhaltlich ist Israel gemeint, hier sind Heidenchristen angesprochen. — Die Rolle eines Schriftbeweises kann die Zitierung also nicht spielen. —• Die Zitatenkombination von Jes 8,14 und 28,16 begegnet ebenfalls Rom 9,33, ohne daß literarische Abhängigkeit von Rom zu lPetr vermutet werden könnte 41 , doch ist auffallend, daß Hos 2,1. 25 in Rom 9,25-27 zitiert werden, freilich — ποτέ und νυν begegnen nur in lPetr 2,10. Da das Verb καλέω wie die Gegenüberstellung von ποτέ und νυν die Bekehrung zum Ausdruck bringen und auch Hos 2,25 καλέω bietet, legt sich die Vermutimg nahe, dieses Verb habe in lPetr 2,9b zur Zitierung der Hosea-Stelle veranlaßt, ποτέ und vüv sind jedoch selbständig hinzugesetzt. — Selwyn 43 vermutet für 2,9. 10 im Zusammenhang mit 2,6-8 die Vorlage eines christlichen Hymnus, dem dann auch der Topos ποτέ — νυν angehöre. Doch scheint mir die Argumentationsbasis mit Hilfe hymnischen Gutes zu brüchig zu sein, um geprägtes Gut erschließen zu können. In jedem Fall wird man folgende Charakteristika an lPetr 2,10 feststellen können: 1. Die Gegenüberstellung von ποτέ und vüv ist nicht kongruent mit der im lPetr üblichen Charakterisierung des christlichen Seins, vgl. den Exkurs und die antithetische Begrifflichkeit der Zeiten vor und 38

Vgl. dazu neuerdings Fr. Danker, ZNW 58, 1967, der den Abschnitt aber in einen größeren Rahmen stellt. 40 Vgl. Selwyn, S. 153. 168. 41 Vgl. Chr. Müller, Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk, S. 33 f. 42 S. 277-281.

Die Aufgabe

18

nach der Bekehrung. Die Zustände vor und nach der Bekehrung werden hier nur von einem Gesichtspunkt her akzentuiert ; anders im Kontext 4 3 . 2. Nur hier im l P e t r begegnen die Begriffe λαός und ήλεημένοι. Des weiteren wird der Kontrast von ποτέ und vüv f ü r den Gedankengang des Briefes nicht fruchtbar gemacht. 3. Inhaltlich sind heidnische Vergangenheit und christliche Gegenwart entgegengesetzt. 4. Der Kontrast klingt formelhaft: oí ποτε νΰν δέ C οι νυν δέ

ού λαός λαός ·9·εοΰ ουκ ήλεημένοι, έλεη&έντες

5. Der Topos dient der Heilsvergewisserung, wie ein Vergleich mit den Aussagen in Hos 1.2 ergibt: Ist in Hos 2,1. 3. 25 mit den Heilsaussagen die Zukunft gemeint, so hier die Gegenwart 44 . Formal und inhaltlich entspricht l P e t r 2,10 der 'Applikation' in l P e t r 2,25. Die LXX-Vorlage, die in l P e t r 2 , 1 0 benutzt wird, bietet kein ποτέ •— νυν ; der Verfasser des 1 Petr stellt zudem die aus Hosea entlehnten Gedanken in einen anderen Zusammenhang. Auch die Zitatparallele in Rom 9,25f. kennt kein ποτέ — vüv, so daß ebenfalls bei der Überlieferung der Hosea-Stellen nicht mit dem Aufkommen einer ποτέ — vGv-Tradition gerechnet werden kann, ποτέ — νυν scheint unabhängig von dieser uns bekannten, dem 1 Petr vorliegenden Tradition zu sein. Ebensowenig finden wir ein ποτέ — νΰν-Schema, wenn wir die f ü r l P e t r 2,1-10 möglichen Qumran-Vorlagen untersuchen; im wesentlichen ist es lQS8,5-8 4 5 . Auch die durchaus traditionelle Gegenüberstellung von φως und σκότος, vor allen Dingen in Bekehrungsaussagen 46 , wird im allgemeinen nicht von diesem Schema begleitet. — Die Begriffe φως und σκότος werden im NT gern zur Kennzeichnung des Taufgeschehens benutzt, doch auch bei den entsprechenden Stellen suchen wir im allgemeinen ein ποτέ — νΰν vergeblich. 43

Vgl. zu vüv noch R. Perdelwitz, RYV X I , 3, S. 18. Vgl. C. Westermann, Prophetenzitate, S. 313: „In l.Petr. 2,10 ist eine Heilsankündigung, Hos. 1,6 und 9 und 2,23, zu einer Heilszusage umgewandelt, weil der das Wort Übernehmende sagen will: Dies ist jetzt eingetroffen." 45 Vgl. dazu H.Braun, ThR 30, 1964, S. 94ff.; auch E. Lohse, ZNW 45, 1954, S. 78ÍT. 46 Vgl. H. Conzelmann, Artikel σκότος, ThW VII, insbesondere S. 432, Zeile 6ff. und S. 442, Zeile 20ff. ; auch S. Aalen, Begriffe Licht und Finsternis, passim. 44

Eine Konkretisierung des Problems am 1. Petrusbrief

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Vorläufiges Ergebnis: In dem Material, von dem möglicherweise der lPetr abhängig ist, ist kein ποτέ— νυν-Schema enthalten. Dennoch gibt es zu ποτέ •—νϋν in lPetr 2,10 Parallelen; am überzeugendsten erscheint das sehr formelhaft klingende ήτε γάρ ποτε σκότος νυν δε φως έν κυρίω Eph 5,8, ohne daß man an eine direkte Beeinflussung dieser beiden Stellen denken könnte — dazu ist auch der Kontext zu unterschiedlich47. Zum anderen hat Leaney 48 in anderem Zusammenhang auf die Päsach-Haggada hingewiesen49, die auch ein „. . . aus Finsternis zu hellem Licht . . ." 50 bietet, was auf die Herausführung aus Ägypten in das gelobte Land bezogen ist 51 . Interessant für uns ist die Einleitung zu einem Zitat aus Jos 24 : irniait-s vnΤ mrTT mia» -naia nVnna Τ -J •· ; τ · : · imias?V Dipan im p irásn τ τ τ : τ : - : 1

„Von Anfang an waren unsere Väter Götzendiener — aber jetzt hat der Hohe uns sich nahegebracht zu seinem Dienst." 52 Damit beginnt innerhalb der Haggada die Schilderung der Geschichte Israels. Vor die Erzählung von der Herausführung aus Ägypten ist ein Stück eingefügt, das die ersten Anfänge der Geschichte Israels bietet: die Zeit vor Abrahams Berufung, die hier mit nVnfi» im Blick steht; es ist eine Zeit des Dienstes unter fremden Göttern Π'ΗΠΝ ΟΠ^Ν, wie dem Zitat aus Jos 24 zu entnehmen ist. In der Einleitung des Zitates ist nun diese Zeit dem Dienst an Jahwe entgegengesetzt, also der Gegenwart : ItfDS?. Auffallend daran ist, daß unter Auslassung der Geschichte der Rettung aus Ägypten nur zwei Zeiten genannt werden: Dienst unter fremden Göttern — Dienst an Jahwe. Auch hier liegt der Eindruck der Formelhaftigkeit nahe. Zudem ist das geschilderte Verhältnis 47

Zu Eph 5,8 s.u. S. 125f. NTS 10, 1963/64, S. 238-251. Der 1 Petr soll nach Leaney nach Aufbau einer Passa-Liturgie gebaut sein, wie ihn etwa auch die Päsach-Haggada bietet. L. verweist auf einige interessante Parallelen. 50 Textausgabe von Heidenheim, S. 29f. ; von Goldschmidt, S. 126. 51 Vgl. allgemein zur Päsach-Haggada den Artikel von Rahel WischnitzerBemstein in der Enzyclopädia Judaica, VII, Sp. 788-813. 52 Zur Übersetzung wurden benutzt: Gustaf H. Dalman, Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum Talmud und Midrasch, Göttingen 19383 und J. Levy, Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim, 4 Bde, Wien 19242, Nachdruck: Darmstadt 1963. Der Text ist zu finden bei Heidenheim, S. 12; bei Goldschmidt, S. 117/119. 18

49

20

Die Aufgabe

der Zeiten dem IPetr 2,10 geschilderten inhaltlich parallel: heidnische Vergangenheit, 'israelitische' bzw. christliche Gegenwart. Man wird natürlich nicht an eine literarische Abhängigkeit der beiden Stellen voneinander denken können. Doch ist das Gedanken-Schema ποτέ — νυν in IPetr 2,10 nun doch nicht so singular, wie es zunächst scheinen mochte. Es gibt Parallelen, die inhaltlich die gleiche Aussage bieten und einen ähnlich formelhaften Eindruck machen. Sie können aber kaum als direkte Vor- oder Nachstufen gelten, was die Frage um so dringlicher macht, ob wir tatsächlich bei dem Schema ποτέ — νϋν mit einem vorausgehenden Traditionsstrom, gar mit einer festen Formel rechnen können. Die angestellten Beobachtungen zur Charakterisierung von IPetr 2,10 und die Frage nach einer möglichen Vorgeschichte des Schemas veranlassen uns auch bei IPetr 2,10 zu der Vermutung, daß wir es ähnlich wie in IPetr 2,25 mit formelhaftem Gut zu tun haben. Zusammenfassung

1. Die Begriffe, die mit dem Zeitschema ποτέ — νϋν verbunden sind, haben keine Entsprechungen im Kontext. Das Schema selbst mit seinem punktuellen Zeitverständnis und seiner Antithetik ist nicht kongruent mit der Kennzeichnung christlichen Seins in der Gegenwart, wie sie der 1 Petr gibt. 2. Der Stil klingt formelhaft — das gilt besonders für IPetr 2,10. 3. Kol 1,21 f. und 1 Petr 2,25 sind strukturell und inhaltlich einander verwandt. 4. IPetr 2,10 und IPetr 2,25 sind in folgenden Punkten einander ähnlich : a) beide Stellen bieten die Gegenüberstellung von heidnischer Vergangenheit und christlicher Gegenwart; b) beide Stellen reden unmittelbar Personen an, sind 'personal' formuliert ; c) beide Stellen haben in etwa die gleiche Funktion: nämlich Applikation zu leisten und die Hörer der Gegenwart des Heils zu versichern. 5. Parallelen im neutestamentlichen Raum, aber auch außerhalb des NT, die, vom Kontext her beurteilt, dem 1 Petr relativ fernstehen, weisen inhaltlich und formal eine große Ähnlichkeit zu IPetr 2,10. 25 auf. Die fünf an IPetr 2,10 und 25 herausgestellten Charakteristika geben der These Wahrscheinlichkeit, daß wir in beiden Versen ein festes Schema vor uns haben, das der Verfasser des 1 Petr übernimmt und seinem Gedankengang einbaut.

II. Vorformen im Alten Testament und im Judentum Wenn es gilt, im alttestamentlichen Bereich nach Vorstufen oder gar Parallelen zu dem neutestamentlichen Schema ποτέ — νυν zu suchen, muß einmal mit Hilfe der Konkordanz der alttestamentliche Bestand der hebräischen Äquivalente von ποτέ und νυν durchmustert werden; hinzutreten muß die Untersuchung der LXX, um jeweils erkennen zu können, ob es sich tatsächlich um ein Äquivalent handelt, und um prüfen zu können, wo der masoretische Text ein „jetzt" bietet, der LXX-Text hingegen nicht, und umgekehrt. — Zum andern muß die form- und gattungsgeschichtliche Fragestellung für unsere Untersuchung nutzbar gemacht werden. Gibt es im AT Formen und Gattungen, deren charakteristischer Inhalt darin besteht, zwei Zeitstufen einander antithetisch entgegenzusetzen? Zu denken wäre etwa an kurze geschichtliche Überblicke, an Dank- und Klagelieder, an Sündenbekenntnisse, an Predigten und Selbstdarstellungen. 1. Wortstatistik und Bedeutung 1

Ca. éôômal begegnet νυν im ins Griechische übersetzten Text des MT, ca. 380mal ist es die Übersetzung von nn» bzw. Π Piai, das sind etwa vier Fünftel. Alle anderen Äquivalente zu vüv sind äußerst selten, so daß νΰν als das Äquivalent zu Π Γι 57 gelten kann. Im großen und ganzen wird umgekehrt für ΠΓΙ» νυν eingesetzt. 425mal2 begegnet nns? im masoretischen Text — dabei sind Π Pia und ΠΠΪ1 nicht diffeT -

τ -

τ-:

renziert 3 . In nahezu sämtlichen Schichten und Zeiten des AT ist die Partikel ΠΓΙ57 zu finden. Schwerpunkte des Vorkommens lassen sich auf den ersten Blick nicht erkennen 3 a . ποτέ mit der hebräischen Entsprechung ΪΝ ist kein so charakteristisches Wort wie vüv; es kann einerseits Vergangenheit, andererseits Zukunft bezeichnen, schließlich hat es noch eine syntaktische Bedeu1

Zählung nach Hatch-Redpath, A Concordance to the Septuagint . . . Zählung nach Mandelkern, vgl. die Angabe bei Köhler-Baumgartner, s.v. 3 Lediglich Ez 23,43 bietet nach MandelkernflS?; der ganze Vers macht aber einen zerstörten Eindruck ; vgl. Zimmerli, Waither, Ezechiel, BK XIII, 1955ff., S. 535. 3a Vgl. Brongers (s. A. 6), S. 298. 2

22

Vorformen im Alten Testament und im J u d e n t u m

tung 4 . Zudem begegnet es bei weitem nicht so häufig wie νυν5. Im Zusammenhang mit ΠΠ» begegnet TS bzw. TN» überhaupt nur Jos 14,11; 2Sam 15,34; 19,7.8; 2Kön 13,19; JesT16,13f.; 48,5-8; Hos 2,9; Mal 3,15f. ; Hi 3,13; 13,19f. Davon hat TN aber nur in Jos 14,11; 2Sam 15,34; Jesl6,13f.; 48,5-8; Hos 2,9 temporalen, präzis die Vergangenheit anvisierenden Sinn. In der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle hat fins ganz parallel zum griechischen νΰν/νυνί eine ähnliche Bedeutung wie das deutsche „nun". Es ist eine unqualifizierte Bindepartikel, die von einem Gedanken zum anderen überleitet. In diesem Sinn begegnet es, um einige wenige Beispiele beliebig herauszugreifen, Gen 31,28 (ΠΜ); E x 3,9 (nnvi); Jes 30,8 (ΠΓΙ57); J e r 2 7 , 6 (finsi); Hos 4,16 (ΠΓΙ5?).

Eine zeitliche Bedeutung liegt völlig fern. Häufig hat es logisch-fortführende Funktion, wobei dann allerdings ein zeitlicher Nebenton mitschwingen kann, so etwa 1 Kön 8,25.26. Ein eindrucksvolles Beispiel für den 'unzeitlichen', rein folgernden Sinn bietet lSam 19,2: ,,mein Vater Saul trachtet danach, dich zu töten", "... np23 Ν2"Ι»$Π nnsn", 'ν

-

Τ

V Τ

'

Τ -

!

(Ü. : deshalb hüte dich morgen früh). •— Doch nicht jedesmal hat ΠΓ® einen so streng konsekutiven Charakter. Es finden sich zahlreiche Übergänge und Überschneidungen der Bedeutungen6. Im Gegensatz zu diesem häufigen Gebrauch steht es als Qualifikation der Gegenwart, indem es zugleich einem Zeitadverb oder -adjektiv 4

Vgl. Bauer, s.v. ποτέ; Köhler-Baumgartner, s.v. TN.

5

ποτέ ca. lOmal, dabei sind alle drei Bedeutungen mitgezählt, τότε ist in der L X X ca. 220mal, TN im MT ca. 130mal zu finden. Τ 8 Es erscheint schwer, ΠΓΙ57 u n d Γ1Ρ571 von der W o r t a r t her zu bestimmen, Τ -

Τ -

ί

da einmal die hebräischen Fachgrammatiken keine eindeutige Auskunft geben irnd sich das W o r t zum andern in seiner Funktion innerhalb des Satzgefüges ändern kann. Selbstverständlich h a t es in allen Bedeutungsvariationen u n t e r den „Partikeln" seinen Platz, doch m u ß die präzise Bedeutung noch genauer angegeben werden können. Folgende Möglichkeiten der Verwendung werden im folgenden voneinander unterschieden : a) Die Verwendung in der Rolle einer Interjektion, ohne daß das Wort selbst eine Interjektion wäre, unserem deutschen Wort 'wohlan !' vergleichbar — vgl. dazu J . Jeremias, Z N W 38, 1939, S. 119f., f ü r den griechischen Sprachbereich auch E. Schwyzer, S. 601, der dort aber vüv nicht als Beispiel erwähnt. Auch die unmittelbare sprachliche Hinwendung zum Hörer k a n n d a m i t ausgedrückt werden. — b) Tritt eine logisch-konsekutive Bedeutung hinzu, so legt es sich nahe, von einer Konjunktion zu reden — so BIDbr § 442, 15, der ΠΓ1571 zu den kopulativen Konjunktionen rechnet (für den griechischen Sprachbereich vgl. Kühner-Gerth, S. 117f.). c) Eindeutig ist des weiteren die Möglichkeit der Verwendung als Temporaladverb, wenn ein zeitlicher Sinn deutlich ist. Vgl. allgemein zu ΠΠ171 den Aufsatz von Η . A. Brongers, VT XV, 1965.

HAS? τ • als artikuliertes Zeitadverb

23

der Vergangenheit zugeordnet ist, außerordentlich selten. Soweit ich sehe, ist das nur Jos 14,11; 2Sam 15,34; Jes 16,13f.; 48,7; Hos 2,9; Hag 2,3; Ps 119,67 der Fall. Dabei ist nt® entgegengesetzt einem TN in Jos 14,11; Hos 2,9, einem TXtt τ ·· in 2Sam 15,34; Jes 16,13f. ; 48,7, verbunden mit einem Qlü zusätzlich einem Verb in Ps 119,67, entgegengesetzt dem Adjektiv JÍEÑn in Hag 2,37. Aber auch dort, wo ein Zeitadverb (oder -adjektiv) der Vergangenheit nicht genannt wird, kann ΠΓ® eine pointiert temporale Bedeutung haben. An diesen Stellen verbindet sich dann mit der Kennzeichnung der Gegenwart eine inhaltliche Charakterisierung der Gegenwart im Unterschied zur ganz anderen qualitas der Vergangenheit; es tritt also eine sachliche Antithetik hinzu. Hier an diesen Stellen scheinen HFiSJund der Gegensatz zurVergangenheit ein wesentlicher Bestandteil der entsprechenden Gattungen zu sein, auch wenn nicht in allen Belegen dieser Gattungen ein ΠΓΙ5? zu finden ist8. Die Stellen sollen im einzelnen jetzt vorgeführt werden — es handelt sich um Jes 47,8; 64,7; Ez 39,25; 43,9; Hos 8,10-13; Am 6,7; Hag 2,4; Ps 12,6; 20,7; Hi 16,19. 2. nrtï τ - als artikuliertes a) im, prophetischen

Zeitadverb

Gerichtswort

Am 6,7: Der Vers gehört in den Am 6,1-7 umfassenden prophetischen Weheruf 9 : οήΰ tfiha ibr nriJ? |dV (Ü.: Darum sollen sie jetzt an der 7 Zur Exegese einzelner Stellen hiervon s.u. Deuterojesaja bedarf einer besonderen Untersuchung, s.u. 34ff. 8 Ps 89 scheint mir die einzige Stelle zu sein, in der zwei Zeiten entgegengesetzt sind — 'gute' Vergangenheit und 'böse' Gegenwart — wobei nur die Vergangenheit durch TN gekennzeichnet ist, die Gegenwart aber durch kein Zeitadverb (V. 20.39). T 9 Weiser, A T D , S. 175-180, zerteilt die Einheit, anders R. Fey, lOff. und Sellin, Ernst, Das Zwölfprophetenbuch 1, Κ Α Τ X I I , 1, 19292·3, S. 240ff. Das Problem spielt für uns keine Rolle, da in jedem Fall ΠFl57 am Beginn eines neuen Abschnittes steht.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Spitze der Gefangenen in die Gefangenschaft ziehen). Ein ÎN oder ein ähnlicher Ausdruck findet sich im Vorhergehenden nicht. Die Rede ist neutral in 3. pl. gehalten. Das ΠΓ)» ist mit verbunden. Die LXX bietet διά τοΰτο νυν. Der Doppelausdruck trennt Anklage 10 und Gerichtsankündigung 11 , die Anklage wegen Sorglosigkeit der Vornehmen und die Ankündigung der Verbannung als Gericht. Die Parallele in Jes 5,11-13 12 bietet hingegen kein ΠΜ, vielmehr nur ein . Die sachliche Antithetik von Sünde und Gericht in Am 6,1-7 ist deutlich, auch eine zeitliche Antithetik schwingt unüberhörbar mit, selbst in Jes 5,11-13 ist solch ein Nebenton zu hören. Doch handelt es sich hierbei strenggenommen nicht um Vergangenheit und Gegenwart, vielmehr spricht der Prophet sein Gerichtswort im Angesicht der noch praktizierten Sünde der Angeredeten. Das, was sachlich und zeitlich vor dem HP» liegt, gehört also noch zur Gegenwart ; mit iW» wird dann die Zukunft, Jahwes Gericht -— allerdings unmittelbar bevorstehend — gemeint sein13. Man wird sagen können, das ΠΓι» ziehe gewissermaßen die Zukunft in die Gegenwart hinein; Jahwes Gericht wird als jetzt anhebend gedacht, was dem prophetischen Wort erst seinen eigentlichen Ernst verleiht. — Schließlich sei daraufhingewiesen, daß in dem Weheruf Am 5,18 ff. kein ΠΠ» bei der Einleitung der Gerichtsankündigung begegnet, ebensowenig wie in Jes 5,13ff. 14 . Hos 8,1-14: Hos 8,1-13 15 wird als Einheit angesehen werden dürfen und gibt sich nach vorn und hinten relativ geschlossen16. 1-3 bilden dabei ein summarisches Präludium. Es folgen Variationen und Konkretionen des angeschnittenen Themas. — Ein streng logischer Gedankengang ist nicht ersichtlich, statt dessen herrschen Gedanken- und Stichwort10

Sofern der Weheruf hier als Anklage verstanden werden darf; doch kann mit Recht angenommen werden, Arnos greife hier einen Weheraf als AnWage auf. 11 Vgl. Sellin, S. 245. 12 Man darf mit R. Fey, S. 9 ff. wohl vermuten, daß es sich um eine Parallele handelt. 13 Beachte das Imperfekt iVr. 14 Die unterschiedliche Anfügung der Gerichtsankündigung in Am 5,18 ff. und 6,1-7 ist für H. W. Wolff, Amos, S. 14, ein Argument, die Gerichtsankündigung nicht genuin mit den Weherufen verbunden sein zu lassen. Wie dem auch sein mag, als spätere Glosse kann ich A m 6,7 nicht verstehen. Es ist doch denkbar, daß Amos bereits an die Weherufe, sie als Anklage interpretierend, eine Gerichtsankündigung angeschlossen hat; so auch H. W. Wolff selbst S. 30. 16 Über V. 14 herrscht Uneinigkeit, vgl. die Kommentare. 18 Ähnlich Rudolph, Wilhelm, Hosea, ΚΑΤ XIII, 1, 1966, S. 161 ; H. W. Wolff, B K XIV, 1, S. 170f.

ΠΓί17 τ - als artikuliertes Zeitadverb

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assoziationen vor 17 . Nur schwer erkennbar ist eine gliedernde Funktion des dreimaligen ΠΓΙ57 (8. 10. 13). Vor allem in V. 8 ist eine Trennung zweier Themen nicht ersichtlich, eher schon in V. 10 und V. 13: 9 und lOaa bieten eine kurze Anklage; in lOaß wird dann, durch nrtS? eingeleitet, die Gerichtsankündigung gegeben, gefolgt vom 'Gerichtszier 18 . Ebenso in V. 13: 13 a α ist die Anklage, 13 a β konstatiert: Jahwe hat kein Gefallen daran, 13b α folgt, wieder durch ΠΓι» eingeleitet, die Gerichtsankündigung mit dem in 13bβ nachfolgenden Gerichtsziel19. Auch hier in Hosea trennt also das nn» Anklage und Strafankündigung, und eine zeitliche Akzentuierung schwingt deutlich mit 20 . Allerdings ist das Gerichtsziel von der Gegenwart zeitlich abgehoben durch ÖS7Ö (vgl. Hos 1,4), dennoch darf OVö sachlich und zeitlich nicht von dem mit ΠΓΙΪ einsetzenden Geschehen getrennt werden —• in V. 8 kennzeichnet ΠΠ τ5-? bereits den Zustand der Strafe. Ebenso wie in Am 6,7 ist aber auch hier der strafbare Zustand der Angeklagten noch gegenwärtig, so daß dem ΠΡιϊ die Funktion zukommt, eine Zeit zu schildern, die in die Gegenwart hineinwirkt, spezieller: Jahwes Gericht als unmittelbar bevorstehend, als eigentlich schon präsentes Geschehen. Die in Anklage und Gerichtsankündigung auftauchenden Verben enthalten inhaltlich gesehen keine Antithetik —hingegen sind die Tempora der Verben unterschiedlich ; nach flflS? folgt jeweils ein Imperfekt, vorhergeht ein Perfekt (V. 12: totfru ; V. 9: iVtf). Jes 47,8 : In dem Kapitel von Babels Schuld und Strafe legt sich ungeachtet der möglichen Aufteilung in fünf Strophen 21 eine inhaltliche Zweiteilung nahe, nämlich die in Anklage und Gerichtsankündigung 22 . Obwohl die Gerichtsankündigung z.T. schon in V. 3 ansetzt und auch wenn in V. 7 in Form von Partizipien noch einmal auf die Anklage zurückgegriffen wird, wird man sagen können, daß die Ankündigung eigentlich erst in V. 8 beginnt. Das nnstt markiert deutlich den Übergang 23, allerdings wird mit ihm nicht unmittelbar der Bericht von der 17

18 So auch die Kommentare. H. W. Wolff, BK, z.St. Ob in 13b die l.s. oder die 3.s. gelesen werden soll, ist strittig. Doch auch wenn der Unterschied der Person von 13aa zu 13 aß. 13b auf verschiedene Einheiten schließen ließe, ist die Zusammenstellung dieser Einheiten wohl das Werk des Hosea. 20 Vgl. H. W. Wolff, BK, S. 174. 186, der aber nicht auf die zeitliche Bedeutung eingeht. 21 Siehe C. Westermann, ATD 19, S. 151 f. 22 C. Westermann, ebd. S. 153. 23 LXX wiederholt in V. 9 nach den Partizipien der Anklage das νϋν. 19

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Strafe Jahwes eingeleitet, sondern ein Imperativ ausgesprochen η κ ΐ - w nnsn (Ü.: und jetzt höre dies!). Daher trägt das πη» hier z.T. den Charakter des Logisch-Konsekutiven. Dennoch sind mit Anklage und Gerichtsankündigung zwei Zeiten einander entgegengesetzt, wobei die Aussagen in 8 ff. durch das "TO nnstt ihren bedrohenden Charakter f ü r die Gegenwart erhalten: „jetzt gilt es zu hören". Zusammenfassung : In allen drei Beispielen, die der Gattung des prophetischen Gerichtswortes angehören 24 , hat sich das ΠΓ)57 als qualifizierte Überleitungspartikel von Anklage zu Gerichtsankündigung herausgestellt 25 . Auch wenn nriy kein notwendiger Bestandteil des prophetischen Gerichtswortes ist, so unterstreicht das Wort in diesen Beispielen doch die sachliche Antithetik durch eine zeitliche Komponente und verleiht so der Strafankündigung ihren bedrohenden Ernst, indem es Sünde und Gericht als zwei Zeiten — Vergangenheit und Gegenwart — entgegensetzt. b) in verschiedenen anderen Gattungen Ganz parallel dazu kann die Funktion des ΠΠ57 in Ez 39,25 verstanden werden. Wieweit man die Rede-Einheit auch faßt 2 e , die mit ΠΓΙ57 anhebende Jahwe-Rede ist deutlich abgesetzt von den Versen vorher, die von Sünde und Vergeltung sprechen, während das Folgende von Jahwes Erbarmen handelt 2 7 . So charakterisiert hier das nn» die Wende von τ-

Sünde/Gericht zum Erbarmen Gottes, zu einer neuen Zeit; es dient also als Interpretament zur Herausarbeitung einer auch zeitlichen Antithetik 2 8 . 24

Dabei ist es sachlich kein Unterschied, daß einmal Israel bzw. Gruppen daraus, das andere Mal Babel angeredet ist. Die Struktur der drei Worte ist die gleiche. Zur Gattung des prophetischen Gerichtswortes vgl. C. Westermann, Grundformen prophetischer Rede, insbes. S. 120ff. ; zur Gerichtsankündigung gegen fremde Völker S. 147f. 25 In allen drei Fällen liegt die Verwendung zwischen Interjektion, Konjunktion und Adverb, vgl. Anm. 6. 26 Zimmerli, BK, S. 968, versteht sie von V. 23-29. Die Einheit sei ein zweiter Nachtrag zu c. 38f., ein 'Element abschließender redaktioneller Abrundung' (S. 968), vgl. auch S. 933. 970f. 27 Auch wenn mit der Botenformel in V. 25 eine selbständige Einheit gekennzeichnet ist, so ist diese Einheit doch in Antithese gesetzt zum Vorhergehenden, deutlich bezieht sich das p 1 ? darauf zurück. 28 In Ez 16,63 hingegen, wo von einem ähnlichen Gegensatz die Rede ist, begegnet es nicht.

ÌIflJ? als artikuliertes Zeitadverb

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Ähnlich ist Ez43,9 zu beurteilen. Auch hier kennzeichnet nns? τ - den 29 Umschwung , und zwar stehen Vergangenheit und Gegenwart in dem Sinne als Kontrast gegenüber, daß die früheren Vergehen (V. 8) der neuen Zeit — mit ΠΠ57 gekennzeichnet und unter paränetischem Aspekt betrachtet — antithetisch zugeordnet werden. Dabei stellt der Jussiv 9 a 3 0 gewissermaßen die Konsequenz, die Entsprechung zu der neuen Zeit, nämlich der Verheißung der Gegenwart Jahwes in der Mitte der Israeliten (7a. 9b), dar. Bei Ezechiel dient ΠΠ5? also hin und wieder zur Herausarbeitung einer zeitlichen Antithetik, die die sachliche Antithetik von Sünde und Gnade unterstützt. ΠΠ1? τ "" kennzeichnet das bevorstehende und bereits anbrechende gnädige Handeln Gottes, von dem aus betrachtet die Sünde als zur Vergangenheit gehörig angesehen wird. Doch begegnet im Text lediglich ΠΠ1?, ein IN oder ein entsprechendes Adverb fehlen. Hingegen muß hervorgehoben werden, daß beidemal in direkter Jahwe-Rede gesprochen wird. Ähnlich ist das ΠΡΙΪ7 in Ps 20,7 zu beurteilen, auch wenn es sich hierbei um eine andere Gattung als in den bisher besprochenen Stellen handelt 31 . Der Anfang von V. 7 markiert die Wende von Bitte um Hilfe für den König zur Gewißheit der Erhörung. Man wird wegen der nicht genauer bestimmbaren Gattung auch für unser Problem keine genaueren Ergebnisse erzielen können ; doch so viel ist deutlich : wieder kennzeichnet das ΠΠΪ den Einbruch von etwas Neuem. Zwei τZeiten werden dadurch entgegengesetzt. Auch hier wird die sachliche Antithetik gestützt durch die zeitliche, ohne daß jedoch ein Temporaladverb der Vergangenheit genannt ist. Auf weitere Vorkommen eines solch qualifizierten niW sei nur noch andeutend hingewiesen: Jes 64,7 32 ; Hag 2,4; Hi 16,19 33 und Ps 12,6 mit der parallelen Wendung in Jes 33,10. Zusammenfassung von Nr. 2: In verschiedenartigen Gattungen begegnet das ΠΓΙ» als eine die Antithese artikulierende Partikel ; dabei klingt ein temporaler Nebenton an, so daß HPiS in den Verwendungsbereich des Adverbs hinüber 29 Ob ΠΓΙ571 oder ΠΓΙ57 gelesen werden muß, dazu vgl. Zimmerli, Anm. a zu 43,9, S. 1072. 30 Parallel zu 7b, vgl. Zimmerli, S. 1083. 31 Die Gattung des Psalms ist bisher nicht eindeutig bestimmbar, vgl. die Kommentare. 32 Siehe dazu u. 34. 33 Doch ist das Verständnis dieser Stelle umstritten.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

tendiert. Mit keiner dieser Gattungen (der Bittpsalmen, Klagelieder, prophetischen Gerichtsworte) ist sie jedoch von Haus aus notwendig verbunden. Im allgemeinen — vom prophetischen Gerichtswort abgesehen — wird durch ΠΡίϊ angezeigt, daß die Zeit der Sünde bzw. des Gerichts abgeschlossen ist ; Gnade und Erbarmen Gottes kennzeichnen die neue Zeit. Nur in Ps 20 und Hag 2 werden Klage und Zuversicht bzw. Trost getrennt. — Die Rede geschieht meistens neutral in 3. Person. Ein TK fehlt als entgegengesetzter Begriff, deutlich aber ist die Entgegensetzung durch die sachliche Antithetik. Schließlich: es handelt sich immer um Antithetik; niemals ist von einer allmählichen Entwicklung von einem zum anderen Zustand die Rede 33 a . 3. Der Hinweis auf eine zeitlich-sachliche Zweiteilung durch nnv in Sündenbekenntnissen τDie hervorgehobene Bedeutung des ΠΓ157 und der in ihm angezeigten Gegenwart ist in ganz charakteristischer Weise bei Sündenbekenntnissen zu verifizieren. Diese können entweder vor Jahwe oder vor Menschen gesprochen sein. Es handelt sich um folgende Stellen: Gen 50,17; E x l 0 , 1 6 f . ; 32,30-34; Num 22,34; Jos 9,6-25; lSam 12,10; lSam 15,25. 30; 2Sam24,10; Jes 64,7; 2Sam 15,34. Dabei soll im folgenden auf Ex 10,16f.; 1 Sam 12,10; 15,24.30 genauer eingegangen werden 34 . Besonders deutlich wird die kurze antithetische Gegenüberstellung in dem Sündenbekenntnis 1 Sam 15,24 f . 30 : Da Saul sich beim Sieg über die Amalekiter gegen Jahwes Gebot vergangen hat, wird ihm von Samuel die Sünde vorgehalten und Jahwes Verwerfung ausgesprochen. Unmittelbar daran schließt sich das Sündenbekenntnis des Saul an 35 : . . . "'S ΤίΚΟΠ, und dann wird die Sünde konkret genannt. Es folgt die Bitte um Vergebung mit HD» eingeleitet : ,ηΚΒΠ-ΠΧ S3 Kfc nnsn (Ü. : und jetzt vergib mir meine Sünde !), dann ein Gelübde, den Herrn anzubeten. Eine parallele Wendung findet sich in V. 30 ; dort ist lediglich das XÍM durch ein 13D pi ersetzt 36 . Die Sünde wird im Perfekt 33 a

Hier sei noch einmal auf den Aufsatz von Brongers verwiesen, der zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Insbesondere ist beachtenswert, daß Br. dem nnS71 die „Funktion eines Wendepunktes" [292] zuschreibt. 34 2 Sam 15,34 und Jes 64,7 werden in anderem Zusammenhang behandelt, s. u. 41 ff. und S. 34. 35 Der ganze Passus 24-30 wird u.a. von Seebass, S. l ö l f . , für interpoliert gehalten, doch hat das Problem für unsere Fragestellung keine Konsequenzen. 36 Nur in V. 25 bietet die L X X für flDST ein vüv.

HAS? in Sündenbekenntnissen Τ *·

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genannt, ein Imperativ schließt sich an das Ϊ1ΡΪ an. Zunächst dient das ΠΠ571 der Entgegensetzung — so versteht es auch die LXX (s. V. 30 : άλλά statt νυν), dann aber hat es auch temporale Bedeutung, da eindeutig die Zeit der Sünde als vorübergegangen betrachtet wird und nun eine neue Zeit in Gottes Gnade mit einem entsprechenden Gehorsam anheben soll. Zwar ist die Gegenwart der Vergebung noch nicht realiter da, aber der Beter will sie durch sein Bekenntnis und die Bitte um Vergebung gewissermaßen eröffnen, indem er gleichsam distanzierend auf die Zeit seiner Sünde zurückblickt. — Als fast wörtliche Parallele mutet das Sündenbekenntnis des Pharao in Ex 10,16f. an 37 : . · · mrrV vuwn τ · ττ τινβπ xaτ Nfe π τrun τ τ - : (Ü. : ich habe gesündigt vor Jahwe, und jetzt vergib mir meine Sünde !) Auch hier sind wieder zwei Zustände summarisch entgegengesetzt, durch Π na werden sie sachlich und zeitlich voneinander getrennt. Ebenso klar tritt die Zweiteilung der Zustände und Zeiten im Sündenbekenntnis zutage, das Samuel bei seiner Abschiedsrede zitiert, 1 Sam 12,10: . . . , 3 IJNüH so sprachen die Väter Israels uV'Sn ΠΓ)»1, es folgt dann noch ein Gelübde ï|"7as»l. Allerdings ist hier die Bitte um Vergebung durch die Bitte um Errettung ersetzt, was aber keinen Unterschied bedeuten dürfte 38 . Das gleiche Grundschema hält sich mit leichten Abwandlungen durch bei Gen 50,17; Ex 32,30-34; Num 22,34; Jos 9,6. 11. 25; 2 Sam 24,10. Zusammenfassung : In allen angeführten Fällen wird — mit geringen Modifikationen — durch das ΠΠ57 eigentliches Sündenbekenntnis und Bitte um Sündenvergebung getrennt, sachlich wie zeitlich. Häufig tritt zum Sündenbekenntnis noch ein indirekter Verweis auf die Vergangenheit hinzu. Deutlich soll mit dem Π Γι 57 eine neue Zeit eingeleitet werden, die im Gegensatz zur sündigen Vergangenheit steht. Wir haben es also jeweils mit einem Rückblick zu tun. — Da die Begrifflichkeit für die termini der Sünden stereotyp klingt — äußerst zahlreich findet sich das Verb stsn, dem erst danach die Konkretion folgt — wird man fast von einer genuinen Verbindung von Sündenbekenntnis mit ΠΓΙ5? reden können, 37 Zu vergleichen ist noch ein gleichlautendes Sündenbekenntnis in Ex 9,27, wo aber kein ΠΠ57 begegnet. 38 Zu vergleichen ist Ri 10,10. 15, wo kein ΠΠ5? begegnet.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

auch wenn es nicht in allen Belegen erscheint. In jedem Fall bestehen die genannten Bekenntnisse aus zwei deutlich erkennbaren Teilen (ein dritter Teil wäre das Gelübde) : dem eigentlichen Sündenbekenntnis und der Bitte um Vergebung. Es hat sich gezeigt, daß sich mit dieser inhaltlichen Zweiteilung eine zeitliche verbindet, die durch das ΠΠ1? artikuliert wird.

4. Die Funktion des ΠΓ)ϊ im Psalter, insbesondere bei Dank- und Klageliedern des Einzelnen Fragt man nach einer Gattung im AT, einer Redeform, die sich die Antithetik von Vergangenheit und Gegenwart als Ausdrucksmittel zunutze macht, so ist in besonderer Weise an die Danklieder des Einzelnen (DE) im Psalter zu denken. Der Psalmist blickt zurück auf die Not der Vergangenheit, zitiert bisweilen das damals gesungene Klagelied und singt dann einen Lobpreis auf Gott seinen Retter, der ihm jetzt in der Gegenwart das Heil gewährt. Dieser Gattung wollen wir uns im folgenden zuwenden. Es gilt dabei, zu versuchen, ihren Aufbau an typischen Vertretern zu analysieren und den Befund mit dem Konkordanzmaterial (TN bzw. TX» ; HAS?) zu vergleichen. Im Zuge der form- und gattungsgeschichtlichen Fragestellung ist Gunkel 39 der erste gewesen, der auch dem DE eine präzise Stellung innerhalb der Gattungen des Psalters zugewiesen und es in ausführlicher Weise beschrieben hat 4 0 . Hauptsächliches Charakteristikum ist neben vielen einzelnen Stilelementen „die Erzählung des Dankenden von seinem Geschick" 41 , inhaltlich der 'Umschwung' 4 2 von der Not zum Heil, also die Gegenüberstellung des einen mit dem anderen Zustand 4 3 . Doch soll dieser Tatbestand als Charakteristikum des DE gelten, so hat man Mühe, das Danklied vom Klagelied des Einzelnen (KE) 4 4 abzugrenzen, insofern als auch dort eine ähnliche Wende zu konstatieren ist: also von der (so scheint es: gegenwärtigen) Notsituation hin zu dem Lobpreis des gnädigen Gottes, der das Heil in der (gleichsam vorweggenommenen) Gegenwart gewährt. I n beiden Fällen taucht sogar das typische 1 -adversativum auf. So ist denn alsbald auch diese Schwäche der strikten Trennung von K E und DE gesehen 39

H. Gunkel-J. Begrich, Einleitung in die Psalmen, 1933. Ebd. § 7. 41 Ebd. S. 268. 42 Ebd. S. 269. 43 Gunkel-Begrich sagen selbst : „einst in tiefstem Herzeleid, jetzt in jauchzendem Frohlocken." Ebd. § 7, 8, S. 275; vgl. auch S. 269. 44 Ebd. § 6. 40

Π Π S? im Psalter Τ

"

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worden45, und häufig schwanken die Kommentare in der Beurteilung, ob der entsprechende Psalm ein Dank- oder ein Klagelied sei. —· Nachdem Westermann zunächst das Spezifikum der Gattung im Vergleich zum Hymnus46 präzisiert47 und als Wesentliches die rückblickende Gegenüberstellung von Klage und Lob herausgestellt hat 48 , unterscheidet er zwar noch Klagelied und Lob: die eine Gattung sei vor, die andere nach der Rettung gesprochen, aber die Berührungspunkte sind so mannigfaltig, daß bei zahlreichen Beispielen eine Differenzierung nicht möglich ist49. Als feststehendes Charakteristikum des Lobliedes freilich kann der Rückblick auf die erwiesene Hilfe Gottes, die 'Erzählung' 50 und das Gegenüber von Flehen und Lob gelten51. Häufig sind, wie gesagt, beide Teile durch ein 1-adversativum getrennt 52 . Wird dieser sachliche Gegensatz nun auch in zeitlichem Sinne fruchtbar gemacht ? ·— Wir haben im folgenden beide Gattungen zu berücksichtigen (DE und KE). Aus der Fülle des Belegmaterials können wir freilich nur einige Beispiele herausgreifen. Ps30 ist allgemein als DE anerkannt 53 . Die Verse 2-6 preisen Gott wegen der geschehenen Rettung; wird dann in 7. 8 die Not geschildert, in 9-11 die Klage, so folgt in 12 und 13 a noch einmal ein Bericht von der Errettung, dem sich in 13b ein Lobgelübde anschließt54. Ebenso gilt Ps 41 als DE: während 5-11 auf die Not zurückblicken, sprechen 12-13 von der Gegenwart der Hilfe Gottes. Auch der Psalm 45

Etwa J. J. Stamm, ThR 1955, S. 37. Ebd. § 2. 47 Westermann unterscheidet nun beschreibendes und berichtendes Lob, letzteres nehme auf die rettende Tat Gottes Bezug, ersteres beschreibe Gott in seinem Sein; C. Westermann, Das Loben Gottes in den Psalmen, S. 11-28. 48 Ebd. S. 19. 25 u.ö.; zum Rückblick vgl. S. 80f. 49 Vgl. ebd. S. 27f.; häufig sind Bittpsalmen bereits erhörte Bitte, S. 59f., S. 76-79. Jüngst hat W. Beyerlin, ZAW 1967, auf eine Gattung hingewiesen, in der ebenfalls die Antithetik von Flehen und Lob begegnet, aber in vorausschauender, nicht rückblickender Weise. 50 „Das Eingreifen Gottes ist der Ursprung des berichtenden Lobes", Westermann, S. 76. Zur „Erzählung" vgl. Mand, ZAW 1958. 51 Da auch das D E „auf ein aktuelles Geschehen Bezug" nimmt (G. v. Rad I, S. 356), sieht v. Rad es parallel mit der Gerichtsdoxologie (s.u.) — „das lichte Gegenstück" (v. Rad, ebd.), doch sind folgende Unterschiede zu konstatieren: 1. es finden sich hier selten Rückblicke auf die sündige Vergangenheit, D E / K E sind selten Sündenbekenntnisse. Ausnahmen s.u. S. 33f. 2. Der Machterweis Gottes wird dementsprechend nicht als Strafe verstanden. 52 Vgl. Westermann, Loben Gottes, S. 53-56. 53 Vgl. die Kommentare. 54 Kraus legt eine Zeitantithetik nahe, vgl. seine Übersetzung V. 7 und S. 241 unter Ort', S. 244 unter 'Ziel'. Vgl. außerdem Gunkels Übersetzung in Gunkel, Hermann; Die Psalmen, H K II, 2, 19264, S. 126. 46

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des Jona, Jon 2, wird als Danklied angesehen, bei dem sich eine Zweiteilung in Vergangenheit des Lebens in der 'Tiefe' und Gegenwart der geschehenen Rettung nahelegt. V. 3 setzt mit einem Rettungsbericht ein; 4-7a schildern die durchlittene Not, 7b und 8 die Rettung. 9 und 10 sind Treuebekenntnis und Lobgelübde. Besonders auffallend ist die Zweiteilung von Notbericht und Rettung bzw. Gegenwart im sog. Psalm der Hiskia, Jes 38,10-2055. Der Psalm kann unabhängig von seinem Kontext betrachtet werden. — Deutlich ist sein Charakter als DE (V. 9), obwohl er gleich mit dem Notbericht (10-14) in Y. 10 einsetzt. Mit V. 15 beginnt der Rettungsbericht, dem sich ein Lob anschließt, 17-20. 10-14 schildern die Situation der Vergangenheit, 15-20 die der Gegenwart, so daß sich wieder die Zweiteilung in Vergangenheit und Gegenwart ergibt 56 . Das Danklied Ps 107 mit seinen einzelnen Strophen kann als weitere Parallele angesehen werden. An Klageliedern seien angeführt Ps 63: 2 und 3 enthalten Elemente der Klage, die Verse 4ff. Äußerungen des Dankes 57 . Ps56: mit V. 13 ist deutlich die Rettung geschehen, sonst aber ist keine strikte Trennung zwischen Klage und rückblickendem Dank vorgenommen 58 . Das Bisherige zusammenfassend, können wir sagen : Wir beobachten sowohl bei eigentlichen Dank- als auch bei eigentlichen Klageliedern die sachliche Antithetik von Not und Rettung, die auch zeitliche Trennung nahelegt. Doch finden sich temporale Begriffe nur äußerst spärlich. Zwar begegnet häufiger ein 1 -adversativum, aber ein nnsi ist merkwürdigerweise nicht charakteristisch; das gilt für Dank- und Klagelieder innerhalb und außerhalb des Psalters. Diesem Ergebnis wollen wir jetzt die Frage gegenüberstellen, in welchem Zusammenhang ein ΠΓΙΪ im Psalter begegnet. Im Psalter findet sich ein ΠΠΪ7 auffallend selten. Von den sieben Vorkommen sind Ps 2,10 und 17,11 nicht im charakteristischen Sinne gebraucht. — Ps 27,1-6 — ein individuelles Vertrauenslied — enthält Τ

-

e i n nriV, d a s die G e g e n w a r t k e n n z e i c h n e t "ΊΡΐό DIT Π Pis'] ( Ü . : u n d

jetzt erhebt sich mein Haupt), ohne allerdings in ausdrücklicher Antithese zur Vergangenheit zu stehen. Die Rettung aus der Not liegt 55

Vgl. dazu J. Begrich, Der Psalm des Hiskia, 1926. Vgl. auch J. Begrich, ebd. S. 63, der sogar von einem 'einet — jetzt' spricht. A. Weiser, ATD, setzt S. 309 ein 'einst — jetzt' sachlich voraus, hält aber den Psalm für ein Danklied. 58 Vgl. Westermann, Loben Gottes, S. 59f. 69 57

HAB τ - im Psalter

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aber deutlich zurück 59 . ΠΡιϊ hat keinerlei trennende und gliedernde Funktion. — Hingegen leitet ΠΓΙΪΊ in Ps39,8 die Vertrauensäußerung ein80. Der Satz steht innerhalb einer Klage, hat also keine zeitlich differenzierende Bedeutung. Zu Ps 12,6 und 20,7 vgl. S. 27; zu Ps 119,67 vgl. S. 44f. Man kann also dem ΠΜ1 im Psalter keine charakteristische Bedeutung zuschreiben; es hat "wie im übrigen AT verschiedene Bedeutungsnuancen. Auffallend ist, daß es im Psalter besonders selten begegnet. Mit keiner Gattung scheint es notwendig verbunden zu sein, im Danklied des Einzelnen begegnet es überhaupt nicht, oder nur sehr unspezifisch (Ps 27,6). Ps 12,6; 39,8 weisen auf eine Verwendung im Klagelied, doch sind Verarbeitung und Gattung zu unklar, als daß bestimmte Schlüsse gezogen werden könnten. Ergebnis : Als entscheidendes Formelement der DE und KE hat sich die sachliche Antithese von Not und Heil herausgestellt, doch findet sich nur selten ein wörtlicher Bezug zwischen beiden Teilen. Auffallend ist, daß die Geschichte von Not zu Heil streng in zwei Abschnitte geteilt ist, die häufig durch ein Ί-adversativum getrennt werden. Vergangenheit und Gegenwart stehen sich blockartig gegenüber. — Die Dank- und Klagelieder haben diese Gegenüberstellung merkwürdigerweise fast gar nicht mit Zeitadverbien unterstützt. Zu einer Ausbildung einer 'einst — jetzt'-BegrifFlichkeit ist es noch nicht gekommen, obwohl sich gerade hier eine solche nahegelegt hätte. Vergleichen wir die untersuchten Dank- und Klagelieder mit den vorher behandelten Sündenbekenntnissen, so stellen wir zwar eine Ähnlichkeit in der Struktur des Aufbaues fest (die Zweiteilung), doch ist ein sachlicher Unterschied nicht zu übersehen : In den Dank- und Klageliedern ist hauptsächlich von äußerer und innerer Not die Rede, ein Bekenntnis zur Sünde findet sich fast gar nicht. Die Sünde in der Vergangenheit aber ist gerade bei den Sündenbekenntnissen der Anlaß der Wendung zu Jahwe. Als Ausnahmen dürfen gelten : Ps 30,7 ; 41,5 ; 107,11. 19; 119,67 (s.u.), wo von der Sünde der Vergangenheit gesprochen wird61. Aber dieses Thema steht doch eigentlich mehr am Rande der Dank- und Klagelieder, wie ja auch dort die Sünde mehr als 'causa', weniger als der eigentlich beklagenswerte Zustand hinge6e Kraus, Hans Joachim; Psalmen 1.2, BK XV, 1/2, 1960, S. 222f., hält die Verse wegen der Zusammengehörigkeit mit 7 ff. für einen Bestandteil des Klageliedes, doch haben 27,1-6 betont den Charakter des berichtenden Lobes, auch wenn die äußere Notsituation noch bestehen mag. Vgl. Westermann, Loben Gottes, S. 59 f. 60 Vgl. auch Kraus, Psalmen, S. 302. 61 Gunkel-Begrich, Einleitung, verweisen auf diesen Topos, § 7,4. 12.

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Vorformen im Alten Testament und im J u d e n t u m

stellt wird. Od Sal 15 hingegen — um einen wesentlich späteren Text zu nennen — ist ein DE, in dem auch von der früheren Sünde die Rede ist. Es begegnet aber weder ein ausführlicher Zustandsbericht der Vergangenheit noch ein Zeitadverb. Es liegt hier offensichtlich eine weiterentwickelte Form des DE vor. — Ein außerhalb des Psalters befindliches Klagelied stellt die einzige größere Ausnahme dar: Jes 63,15-64,11 : es ist ein Klagelied des Volkes und deshalb von vornherein schon vom D E / K E zu trennen. In dem Klagelied, in dem verschiedene Elemente wahrgenommen werden können, begegnet ein ausführliches Sündenbekenntnis (4,4b-6), dem sich die Bitte um Vergebung anschließt (7 und 8). Vorhergeht eine Klage und die Bitte um Eingreifen (63,15-64,3), es folgt in 64,9-11 noch einmal eine Klage über das verwüstete Jerusalem. — Nach der Schilderung der Sünde wird die Bitte um Vergebung eingeleitet mit einem 1-adversativum, verbunden mit einem ΠΠ57 und dem Bekenntnis der Zuversicht (V. 7) : ΠΓΙΝ VOX ΓΠΓΡ nfiStt®2 (Ü.: aber jetzt, Jahwe, bist du unser Vater!). Das ist in der Tat neu gegenüber dem Psalter 63 . Die Trennung zwischen Sünde und Sündenvergebung erhält eine zusätzliche zeitliche Komponente. Sündenbekenntnis und Bitte stehen sich in Vergangenheit und Gegenwart gegenüber. Durch den Vergleich der Dank- und Klagelieder des Einzelnen mit den behandelten Sündenbekenntnissen wird man zu dem Ergebnis kommen können, daß die Partikel HFIS7 bei Sündenbekenntnissen besonders beliebt ist, hingegen dort weniger, wo von äußerer oder innerer Not die Rede ist e4 . Die Dank- und Klagelieder betonen im allgemeinen weniger die Schuld, die den Beter unter Umständen in die Not geführt hat. Sie bieten kein ΠΓΙ5> als Stilelement. Jes 63,15-64,11 kann als Beweis f ü r diese These gelten, da der Passus ein Klagelied des Volkes ist und explizit von dem Vergehen der Beter spricht. 5. Deuterojesajas Argumentation mit Hilfe von Zeitadverbien Deuterojesaja nimmt in der Betrachtung des alttestamentlichen Materials eine Sonderstellung ein, denn der bei ihm verifizierbare Befund läßt sich weder in die Entwicklungsgeschichte des Dank- oder 62

Westermann, ATD, S. 315 weist auf das 1 hin als Stilelement der Klagepsalmen. Besonderheit dieses Klageliedes ist es aber gerade, daß dem 1 ein Π1ΊΪ7 hinzugefügt wird. 63 Es verdient besondere Beachtung, daß auch das Verb ΧΒΠ a u f t a u c h t , 64,4. Brongers, S. 295. 298 weist auf dieses ΠΠ571 hin u n d interpretiert es als 'dennoch', 'trotzdem'. 64 Damit wird die Auffassung von der kausalen Verbindung von Sünde u n d N o t im A T nicht bestritten.

Deuterojesajas Argumentation mit Hilfe von Zeitadverbien

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Klageliedes des Einzelnen oder der Sündenbekenntnisse einfügen, noch ist die durch die Zeitadverbien ausgedrückte Zeitanschauung vergleichbar mit dem, was uns vorher beschäftigte. In welchem Sinn sind die Partikel ΠΓ1Ϊ und TN verwendet, mit welchen Begriffen und Gattungen sind sie verbunden? — das ist die uns leitende Fragestellung. Gleich zu Beginn muß darauf hingewiesen werden, daß der deuterojesajanische Befund einen inhomogenen Eindruck macht. Vom Wortbestand sowohl des MT als auch der LXX ist mit dem ersten Bück nicht auf einen spezifischen Sprachgebrauch von ΠΡΙ5? bzw. νυν zu schließen. Einige Stellen scheiden wegen literarkritischer Schwierigkeiten aus der Betrachtung aus, so 48,16 und 52,5 65 . Beachtenswert ist, daß die LXX häufiger ein νυν liest, als der MT ein ΠΓιν bietet ββ . Wir setzen bei der Betrachtung der sog. 'Heilzusage' 67 ein. 44,1 : 3piT Ή® finsi ; ΠΓΙ57 gehört hier zur Anrede an den Hörer und ist von der eigentlichen Rede durch den Imperativ und die sog. Botenformel getrennt. ΠΓΙ» wird demnach nicht einer ursprünglichen Form eines Heilsorakels zugerechnet werden können, wie es auch in allen bekannten Heilsorakeln bis auf 43,Iff. nicht begegnet. Es macht an dieser Stelle eher den Eindruck redaktioneller Verklammerung mit dem Vorherigen, 43,22-28 und 44,1-5 verbindend und entgegensetzend 88 . Voraus geht in 43,22-28 eine Gerichtsrede Jahwes mit seinem Volk69, die die Schuld Israels aufdeckt und die Strafe Gottes begründet (V. 25 fällt aus dem Zusammenhang heraus und weist bereits auf das Nachfolgende hin 70 ). Dem wird dann in 44,1-5 Gottes Heilshandeln entgegengestellt 71 . Inhaltlich nehmen die beiden Abschnitte nur wenig Bezug aufeinander, so daß kaum mit einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit gerechnet werden kann. In beiden Teilen jedoch wird Jakob-Israel angesprochen (vergleiche 43,22 mit 44,1), in beiden ist 65

ββ Vgl. die Kommentare. Siehe dazu gleich. Die Bezeichnung stammt von Westermann, Sprache und Struktur, S. 117 ff. Die Heilszusage führt W. zurück auf das von Begrich herausgestellte Heilsorakel (ZAW 1934; Studien, 1938). Zu den Heilszusagen, den Heilsorakeln im engeren Sinn, die ein „Fürchte dich nicht . . ." bieten, rechnet W. 41,8-13. 14-16; 4 3 , 1 - 4 . 5 - 7 ; 44,1-5; 54,4-6. Sprache und Struktur, S. 118. An diese halten wir uns im folgenden. 68 v. Waldow, Anlaß und Hintergrund, S. 107 will es mit dem „Sprechen Jahve's" verbunden wissen, das dann im Gegensatz steht zu einem Klagelied des Volkes, das an unserer Stelle aber merkwürdigerweise nicht erhalten ist. 69 Vgl. Westermann, Sprache und Struktur, S. 141 ff. 70 So auch Westermann, ATD, S. 109f. 71 Westermann, Sprache und Struktur, S. 142ff. weist auf die Zusammengehörigkeit von 43,22-28 und 44,1-5 hin. 67

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

vom Verhältnis Israel-Jahwe die Rede. Der Unterschied liegt a) in Heils- und Gerichtsaussagen, b) in der Zeit, die im Blick steht: 43, 22-28 ptftqn TJ3N, also die Vergangenheit — 4 4 , 1 - 5 T|5nt, also die Zukunft. Eine Eignung zur Gegenüberstellung ist so auch unabhängig von HRJJI vorhanden. Doch die eigentliche Verklammerung geschieht gerade durch nJWl, sowohl im sachlichen wie im zeitlichen Sinn: Das Handeln Jahwes in Vergangenheit und Gegenwart wird als das Handeln des gleichen Jahwe herausgestellt — fernere Vergangenheit und fernere Zukunft werden zusammengerückt auf die Zeit unmittelbar vor und nach dem ΠΓΙΪ1 — bis jetzt war Gerichtszeit. Mit der Gegenwart aber setzt bereits etwas Neues ein 72 . Ähnlich ist 43,1-4 73 : Wieder gehört das nnsn nicht zur eigentlichen Jahwerede und damit nicht direkt zum Heilsorakel. Doch auch hier muß das Heilswort 43, Iff. als Antithese zu 42,18-25 gesehen werden, selbst wenn auch hier die Zusammengehörigkeit nicht ursprünglich ist. Auch hier findet sich eine Gerichtsrede Jahwes gegen das Volk 74 , auch hier rechtfertigt Jahwe vor Israel sein strafendes Handeln, dem mit 43,1 ff. das jetzt gültige Heilshandeln Gottes entgegensteht. HPiVI leistet wiederum die Verklammerung, damit zugleich die zeitliche Antithetik: das Gericht hat ein Ende an der Grenze zur Gegenwart, mit der Gegenwart hebt etwas Neues an. Die übrigen Heilsaussagen sind nicht ein in solches Geschichtsschema (möchte man fast sagen), den zweiten Teil der Antithetik bildend, eingebettet. Ein ΠΓΐϊΊ benötigen sie daher nicht. In 4 1 , 8 - 1 3 . 75 14^-16 geht eine Polemik gegen die Götzenbilder voraus , 5 4 , 4 - 6 ist eingefügt in eine 5 4 , 1 - 1 0 umfassende Aufforderung zum Jubel. Vorausgeht das letzte der Gottesknechtslieder, also ist auch hier kein ΠΓΙΒ1 nötig 76 . 4 3 , 5 - 7 ist ebenfalls kein ΠΠΪ1 erforderlich, da vorher schon eine Heilszusage steht 77 . 72 Volz, Paul, Jesaia II, ΚΑΤ IX, 1932, S. 36 spricht von 'eschatologische(r) Wende'; Duhm, Bernhard, Das Buch Jesaia, H K III, 1, 19224, S. 321 erkennt die adversative Bedeutung des HDS, aber nicht die zeitliehe. 7S Die Aufteilung ist strittig. Westermann trennt 43,1-4 von 43,5-7. Wir schließen uns dem an. 74 Wenn auch nicht in reiner Ausprägung, vgl. Westermann, Sprache und Struktur, S. 143f. 75 Von einem 1-adversativum kann man daher in diesem Fall nicht reden, gegen Westermann, ATD, S. 59. 76 Auch bei Annahme der späteren Einfügung der Gottesknechtslieder wäre ein nJWl nicht nötig, da in 52,11.12 eine Aufforderung zum neuen Exodus zu

finden ist. 77 Falls es als gesondertes Heilsorakel anzusehen ist.

Deuterojesajae Argumentation mit Hilfe von Zeitadverbien

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Als Zusammenfassung können wir festhalten, daß die Heilszusagen gern in ein zeitliches Schema eingefügt werden, aber nicht notwendig und ursprünglich mit einem solchen verbunden sind. Dabei besteht dann der erste Teil des Schemas aus einer Gerichtsrede Jahwes mit Israel; die Wende ist durch ΠΓΙ5?1 gekennzeichnet. Dieses ΠΓ)5?1 dient formal gleichzeitig als Verklammerung. Ja, man wird weiter folgern können, überall dort, wo Gerichtsreden Jahwes mit Israel mit Heilszusagen verbunden sind, steht ΠΠΪ178. Damit werden beide Teile, die Gerichtsrede und die Heilszusage, zu einer Geschichte verbunden, die Israel mit seinem Gott widerfährt. Für sich allein haben sie diesen Bezug zur Zeit und zur Geschichte nicht. Nur im Miteinander, besser Nacheinander der Teile, erhalten sie dann auch ihren besonderen Akzent: das Gericht ist mit der Vergangenheit abgetan, mit der Gegenwart beginnt Heil, was nun auch tatsächlich, in Antithetik zur Vergangenheit, als Novum empfunden werden kann 7 9 . Die Zeitantithetik begegnet nicht nur im Zusammenhang mit der Heilszusage. Der Anwendungsradius bei Deuterojesaja ist relativ groß. Die Antithetik kann auch zwischen Anklage und Gerichtsankündigung auftreten (47,8 80 ). Anders verhält es sich in 49,5 innerhalb des zweiten Gottesknechtsliedes. ΠΓιϊΊ trennt hier den Rückblick auf das Verzagen des Gottesknechtes (einschließlich eines Vertrauensbekenntnisses) und den neuen Auftrag Jahwes. Die deutlich erkennbare sachliche Entgegensetzung ist wiederum unterstützt durch die zeitliche mit Hilfe des 1 -adversativum zusätzlich Zeitadverb 81 . Hingegen hat ΠΓΐϊ 49,19 innerhalb von 49,14-26 keine literarischadversative Bedeutung; dennoch ist auch hier gerade die Bedeutung der Zeit im Blick, ΠΠΪ ist ausschließlich Zeitadverb. Damit soll 78

Auf die Gerichtsrede 50,1-3 — vgl. dazu Westermann, Sprache und Struktur, S. 143 — folgt ein Gottesknechtslied; ein ΠΓ)5?1 findet sich nicht. 79 Vgl. zur Zusammenordnung der beiden Themen auch Westermann, Sprache und Struktur, S. 144; v. Waldow, S. 107 hält das ΠΓ)1?1 für ursprünglich mit dem Heilsorakel verbunden, was aber fraglich ist. Er verweist dafür auf Jes 49,5 und 33,10, bei denen ein Klagelied vorangeht. Für 49,5 und 33,10 ist das richtig. Aber die Frage ist doch, ob wir diese Belege mit 43,1 ff. und 44,1 ff. vergleichen dürfen. M.E. zeigt gerade die Verwendung des ΠΠ571 in verschiedenartigen Gattungen, daß wir mit einer stärkeren redaktionellen Arbeit zu rechnen haben, die sich ein ΠίίΒΙ in verschiedenen Bereichen zur Verwendung heranzieht. (Damit soll aber keineswegs behauptet werden, ein Π1Ί5Μ sei in jedem Fall T : redaktionell.) 80 Siehe o. S. 25f. 81 Vgl. C. Westermann, ATD, S. 167. 170, der ausdrücklich auf Vergangenheit und Gegenwart hinweist, vgl. auch O. Kaiser, Königlicher Knecht, S. 61.

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Vorformen im Alten Testament und im J u d e n t u m

die Klage Zions als im Grunde schon der Vergangenheit angehörig gekennzeichnet werden. Von den Stellen, die die LXX über den MT hinaus bietet, ist neben 40,25; 43,22; 47,12; 48,19; 51,3; wo vüv im Sinne von ουν verwendet wird, noch besonders interessant 40,28: Die LXX schiebt hier vor Beginn des Verses ein και νΰν ein, das zwischen Klage des Volkes und Antwort des Propheten steht; obwohl dem νΰν hier innerhalb von 40,12-31 keine gliedernde Funktion zukommt, ist seine Aufgabe ähnlich dem ΠΓΐϊ zwischen Klage und Trostzuspruch, Gerichtsrede und Heilszusage, nämlich eine neue Zeit zu eröffnen. Das bisher gesichtete Material macht keinen einheitlichen Eindruck zumal keine Gattung gefunden werden konnte, in der ein antithetisches Zeitdenken notwendig seinen Platz hat. Vielmehr begegnet es in den verschiedenartigsten Formen, häufig dann aber präzis auf Vergangenheit und Gegenwart angewendet. In besonderem Maße ist das aber der Fall, wo von nütfm und von ΠΕ ΗΠ die Rede ist. TT-: Sechsmal im Buche Deuterojesaja wird dieser Topos erwähnt: 41,21-29 ; 42,8-9 ; 43,9 ; 43,16-19 ; 46,9-11 ; 48,1-11 ; (vgl. auch 44,6-8 ; 45,20-21). Man wird die Sprüche kaum einer gleichen Gattung zuordnen können ; ebenso ist der Kontext nicht durchgängig der gleiche ; hauptsächlich sind sie mit einer Götzenpolemik verbunden, wobei der Weissagungsbeweis als Argument für die einzigartige Macht Jahwes dient. Doch haben etwa 43,16-19; 48,1-11 eine andere Funktion, auch in 46,9-11 ist Götzenpolemik nur am Rande zu spüren82. Ebenfalls ist es schwierig, eindeutig und für alle Belege übereinstimmend den Inhalt 83 von niiifrn und ΠΒΠΠ anzugeben . und ΠΕΗΠ scheinen Formal σ T τ -:

·

TT-:

82 S. Herrmann, S. 298ff. subsumiert fälschlicherweise alles unter das Thema ' Götzenpolemik'. 83 Es ist bisher nicht gelungen, diese Aufgabe befriedigend zu lösen. Die Vorschläge reichen von 'allgemein die Vergangenheit u n d Z u k u n f t bezeichnend' über die 'früheren Weissagungen der Propheten — die neuen Weissagungen' bis zu 'die jüngsten Heilsereignisse durch Kyros — die endgültige Erlösung'. Neben Feldmann, Festschrift Sachau, haben sich North, Studies in Old Testament Prophecy, u n d v. Waldow, S. 239-244, mit dem Problem beschäftigt. Uns soll es hier nicht d a r u m gehen, die bisherigen Lösungsvorschläge u m einen weiteren zu vermehren. Doch m u ß m a n m . E . an Folgendem festhalten: es handelt sich bei dem 'Früheren' u n d dem 'Neuen' u m ein Begriffspaar (vgl. v. Waldow, S. 239), es handelt sich f ü r Deuterojesaja dabei u m termini technici (v. Waldow, ebd.), andererseits wird m a n mit verschiedenen Inhalten der Begriffe rechnen müssen (North, S. 123f. erkennt das ausdrücklich an). D a s verbietet, alle Belege einheitlich zu interpretieren, u n d unter dem 'Früheren' etwa die früheren Gerichtsankündigungen zu verstehen (gegen v. Waldow, S. 240). Man wird die Begriffe auch nicht mit der Heilszusage, die in 43,16-19 gesehen werden könnte, zusammenbringen können (gegen v.Waldow, S. 240), so daß auch der Bezug auf Kyros immer nur ein mittelbarer sein k a n n (gegen v. Waldow,

Deuterojesajas Argumentation mit Hilfe von Zeitadverbien

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begriffe zu sein, die jeweils mit verschiedenem Inhalt gefüllt sein können und je nachdem dann auch eine größere oder kleinere Zeitstrecke umschließen 84 . Verhältnismäßig selten wird nach der Verbindung der Begriffe mit den Zeitadverbien nns?/TX gefragt und danach, was diese Verbindung austrägt. Nur um dieses Teilproblem geht es uns im folgenden : Nur in 4 3 , 1 6 - 1 9 und 4 8 , 1 - 1 1 tauchen niitfin — riBhn und ΠΓ)» — W zusammen auf. 43,16-19: Gattungsmäßig handelt es sich um eine Heilsankündigung 86 . Die Verheißung eines neuen Exodus ist das Thema. V. 18 erlaubt, die Situation zu erkennen, die der Abschnitt treffen will 86 : Der Prophet spricht: denkt nicht an das Alte . . . siehe, ich schaffe Neues. Der Blick soll von der Vergangenheit ab- und der Gegenwart zugewandt werden. Es mag sein, daß der Prophet damit die Resignation und Kapitulation des Volkes vor der Gegenwart zerstören will, das sich im Angesicht der Deportation in eine ferne Vergangenheit flüchtet und nicht mehr fähig ist, von Jahwe in der Gegenwart und in der Zukunft etwas zu erhoffen. Es mag aber auch sein — und das ist mir wahrscheinlicher —, daß tatsächlich nach dem Heilshandeln Jahwes in der Gegenwart gefragt wird, insbesondere unter dem Hinweis auf seine Taten in der Vergangenheit — und damit ist der 1. Exodus gemeint: das tat er einst — was aber jetzt 87 ? Dem stellt der Prophet in n a s n nriSJ ΠΕΗΠ nfeto ^ Π ( Ü . : siehe, ich schaffe Neues, jetzt sproßt es!) eine doppelte Antwort entgegen: was Jahwe tun wird, überbietet völlig die bisherige Heilsgeschichte. Jahwe schafft Hiftn. Am Beispiel der Herausführung aus Ägypten wird das jetzt zu S. 242f.). — Vgl. weiter E. Vogt, Bibl 48, 1967. Vogt meint, ΠΓΙΪ» (48,6) und TN» (44,8; 45,21; 48,3. 5. 7. 8) seien für Deuterojesaja termini technici im Zusammenhang mit dem Begriff: „zum voraus verkünden", Vogt, S. 58f. Er verstellt nnVtt nicht im Sinne von „von jetzt an", sondern im Sinne von „auf der Seite des Jetzt", in bezug auf ein künftiges Ereignis „jetzt zum voraus", Vogt, S. 60 Anm. 1. Parallel dazu interpretiert er ΓΠΙΙΡΝΙΠ als die „früheren Voraussagen", S. 60, was m.E. fraglich ist. 84 North versucht, Γϊί2©Ν")Π temporal genauer zu bestimmen und bezieht es S. 116ff. z.T. auf die jüngste Vergangenheit; er beruft sieh dafür auf 2Sam 15,34, was m.E. jedoch gerade dafür den Beweis erbringt, daß mit den Begriffen ganz allgemein Vergangenheit und Gegenwart getrennt werden, soweit sie im Augenblick interessieren. An weiterer Literatur ist zu verweisen auf v. Rad, Theologie II, S. 260-262, Bentzen, StTh 1, Schoors, EThL, 1964, die das Problem aber nur flüchtig berühren. 85 Westermann, ATD, S. 104. 86 v. Waldow trennt die Einheit (S. 240), doch scheinen mir alle Verse zusammenzugehören . 87 Westermann, ATD, S. 105.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

erwartende Handeln Gottes beschrieben, so daß man mit Recht von einem zweiten Exodus sprechen kann: Jahwe wird sein Volk durch die Wüste führen. Doch ist das nur der eine Teil der Antwort. Ihren Realitätsgehalt gewinnt die Verheißung erst durch die Verbindung mit der Gegenwart: HFiS gilt es, 43,18; ΠΓΙ» 'sproßt' es88. Zeitlich gesehen sind Π Γ)» und fitthn parallel gesetzt. Die durch ÌIFitf bezeichnete Gegenwart erhält durch Π ahn Heilscharakter, und zwar gerade und nur als Antithese zur Vergangenheit. Ein TN oder ein ähnlicher Ausdruck findet sich aber nicht 89 . Eine Parallele dazu bietet 48,1-1190 : Wiederum sind Hiftn TT-: und HfiS? τaufeinander bezogen. TN» und iJJW sind einander entgegengesetzt (V. 7), tXö und nijtfxnn sind zeitlich parallel. Eine inhaltliche Antithetik ist mit niitftnn und ntzhn jedoch nicht verbunden. — Im Vergleich zu 43,16-19 ist es hier ungleich schwerer, inhaltlich Πϋ^ΝΊΠ und Htthn zu bestimmen. Doch kann von einer Präzisierung der Begriffe abgesehen werden, wenn der Abschnitt als Versuch verstanden wird, Jahwe als Lenker der Geschichte zu erweisen, der frühere Heils- und Unheilstaten angekündigt und erfüllt hat und daher auch Neues zu schaffen vermag. Das Frühere ließ Jahwe hören, bevor es eintraf (5a), auch das Neue läßt Jahwe hören(6b). Die Verwirklichung — so könnte man denken — steht also noch aus. Doch ist es schon 'geschaffen' (7). Zudem hat das Neue gerade darin seine Gültigkeit, daß das Alte in der Gegenwart nicht mehr gilt. Von der Zukunft ist in 48,1-11 explizit nicht die Rede. •— Das Neue gilt also, wie der Ausdruck ΠΓΙΪΟ präzise sagt, von der Gegenwart bis in die Zukunft, soweit sie im Blick des Interesses steht. Umgekehrt gilt das Alte von der Vergangenheit bis an die Gegenwart heran. Der Umschlagspunkt der Geschichte liegt also in der Gegenwart 91 . 88 Das Verb Π05Ϊ deutet selbst auf diese Gegenwart hin. fittX kann geradezu im Gegensatz zum Nicht-vorhanden-Sein gebraucht werden (42,9, auch 45,8 bezeichnet es eine Gegenwart, ebenso 44,4 und 55,10). Natürlich bezeichnet es an sich ein Werden und Wachsen, das zwischen Gegenwart und Zukunft eingefaßt ist. Es kann aber auch als ein Gegenüber zur Vergangenheit aufgefaßt werden. 89 Zu 43,16-21 vgl. auch Begrich, Studien, S. 88. 90 Recht schwierig ist der Abschnitt 48,1-11 in literarkritischer Hinsicht zu beurteilen, vgl. die Kommentare. Im allgemeinen trennt man eine spätere Bearbeitung von einer ursprünglichen Fassung. Nach der Aufteilung von Westermann, ATD, S. 157ff., gehören die Begriffe 'alt' und 'neu', 'einst' und 'jetzt' zum ersten Entwurf. Die spätere Bearbeitung bietet unsere Begrifflichkeit nicht. Vgl. weiter C. Westermann: Jes 48 und die 'Bezeugung gegen Israel'. 91 Vgl. auch v. Waldow, S. 244, der die 'große Wende' jedoch nicht mit der Gegenwart identifiziert.

Exkurse

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Zusammenfassung : Deuterojesaja ist der erste, der ΠΓΙ» in einem explizit temporalen Sinn benutzt. ΠΠ57 dient zur Kennzeichnung einer neuen Zeit in der Geschichte Jahwes mit seinem Volk. Ja, es scheint so, als bestehe diese Geschichte lediglich aus den beiden Abschnitten des „Früheren' und des 'Neuen' 92 . Diese beiden Abschnitte werden mit den beiden Zeitadverbien Wtt und Π Γι 57 gekoppelt und so auf Vergangenheit und die Zeit, die mit der Gegenwart beginnt, bezogen. Eine Differenzierung in einzelne Teile und Entwicklungsstadien der Vergangenheit wird nicht vorgenommen, wie es auch keine Entwicklung von der Vergangenheit zur Gegenwart hin gibt. Vielmehr geschieht jetzt eine Wende, ein Umschlag, etwas ganz Neues setzt ein. Freilich — es ist die Geschichte Jahwes mit seinem Volk, die vor wie nach der Wende geschieht. — Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Beobachtung daß einige Heilsaussagen in ein ähnliches Schema der Zeit und der Geschichte eingefügt sind, wobei allerdings hier ein deutlicher Dualismus zwischen Sünde bzw. Strafe und Heil vorliegt, von dem man bei den Sprüchen vom Früheren und Neuen nicht sprechen kann. 6. Exkurse

a) 2Sam 15,34 Als besonders beachtenswert darf 2Sam 15,34 gelten; diese Stelle ist auf den ersten Blick nicht mit den bisher behandelten Gattungen vergleichbar und nimmt deshalb eine Sonderstellung ein. Der Zusammenhang: Innerhalb der Erzählung von Absaloms Aufstand (2Sam 13-19), als die Krise um die Auseinandersetzung von David und Absalom ihren Höhepunkt erreicht, wird ausführlich berichtet, welche Anstalten David trifft, um den Aufstand Absaloms zum Scheitern zu bringen : Mit einem kleinen Gefolge flieht David aus Jerusalem auf den ölberg und überläßt Palast und Harem seinem Kontrahenten (15,13ff.). Auf der Höhe des Berges begegnet ihm Husai, ein ΎΠ iisn, ein willkommener Spion (15,32ff.). David gibt ihm Befehle für sein Verhalten, legt ihm sogar die Worte in den Mund, die er Absalom gegenüber gebrauchen soll (15,34-36). Husai befolgt Davids Befehl, stellt sich Absalom als Überläufer vor (16,15ff.) und vermag schließlich den Rat Ahithophels durch einen dem Absalom einleuchtenderen zu ersetzen (17,1-14). Er bringt damit Absaloms Plan zum Scheitern (17,15-18,32). 92 Vgl. G. v. Rad, Theologie II, S. 260: das Heilshandeln Gottes zerfalle in 'zwei Phasen,

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Aus der Rede Davids an Husai der Text: ÎK» '»g ïpas 73» rrnx i ^ a n

η^η» '»η πηϊΐ

Die Übersetzung: „Dein Knecht bin ich, dem König werde ich gehören; seither bin ich deines Vaters Knecht gewesen, aber jetzt bin ich dein Knecht." 9 3 Die L X X bietet einen etwas anderen Text : Διεληλύθασιν oí αδελφοί σου, και ó βασιλεύς κατόπισθέν μου διελήλυ&εν ό πατήρ σου, και νυν παις σού είμι, βασιλεϋ, εασόν με ζησαι, παις του πατρός σου ή μην τότε και άρτίως, καί νυν έγώ δούλος σός. Das Unterstrichene wird von der L X X über den MT hinaus geboten. Die einzelnen Zusätze präzisieren die Situation. Besonders hervorzuheben ist das zusätzliche καί νυν vor παις σου und die Interpretation des ΠΓιϊΙ durch τότε καί άρτίως 94 . Der formelhafte Charakter der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart wird besonders am chiastischen Wortbau deutlich : TKÖ ΠΧ anstatt "UN, so Hertzberg, A T D ; Kittel, B H ; Tiktin; anders u.a. Caspari, Wilhelm, Die Sammelbücher, ΚΑΤ VII, 1926. — Wir lesen mit B H gegen Kittel das waw apodosis, wodurch die zeitliche Antithetik noch stärker akzentuiert wird, vgl. Gesenius-Kautzsch, § 143d. Dem ersten "UNI

scheint das zweite angeglichen zu sein. Vgl. im übrigen zum Text J. Wellhausen, Text, S. 198. 94 Siehe gleich. Zur Bedeutung der L X X für den hebräischen Text vgl. F. Maaß und J. Hempel. Texte aus Qumran zu 2 Sam 15,34 und 16,16ff. sind meines Wissens noch nicht bekannt. 95 In 16,16ff., wo Husai auf Absalom trifft, gibt dieser nicht wortwörtlich die ihm befohlene Rede wieder. Es findet sich ein anderer Wortlaut, der auch nicht die Antithetik von Vergangenheit und Gegenwart bringt. Dennoch darf und muß diese Rede als Interpretation zu 15,34 herangezogen werden.

Exkurse

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drücklich erkennt Husai die Wahl von Absalom als König an, und das bedeutet für ihn Dienst unter dem neuen Herrn. Das neue Recht verpflichtet ihn zu Unterwerfung und Gefolgschaft 96 . Auch in den Worten Davids 15,34 kommt diese Unterwerfung zum Ausdruck: ΠΝ t|"73S7. Die LXX verstärkt das Kolorit der Schilderung treffend durch έ'ασόν με ζήσαι. Anerkennung und Unterwerfung unter den neuen König werden ausgedrückt, indem von einem Herrschaftswechsel gesprochen wird. Die zeitliche Antithetik, der Rückblick auf eine nun nicht mehr gültige Vergangenheit ist die Form der Huldigung, stärker noch in 15,34 als in 16,16ff., wo mehr von der unauflöslichen Bindung des *T357 an den jeweiligen filN gesprochen wird (|3 . . . *TOX3) : „bisher war David König, jetzt bist du König, das heißt für mich, bisher Davids Gefolgsmann, jetzt der deine." Dabei kommt es hauptsächlich auf die Betonung der Antithetik von Vergangenheit und Gegenwart an. Ein längeres Verweilen bei der Betrachtung des Überganges von einer Zeit in die andere oder der Zukunft interessiert nicht. Die LXX macht das deutlich an dem doppelten και νυν und dem präzisen τότε καί άρτίως, was den Bereich der Vergangenheit in toto zusammenfaßt. Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Antithese der Zeiten nicht dazu dient, eine Gesinnungsänderung zu verdeutlichen ; es hat vielmehr eine Veränderung der Rechtssituation stattgefunden. Doch ist in dem in Frage stehenden Text 15,34 und 16,19 nur mittelbar davon die Rede. Unmittelbar ist nur die Auswirkung der Veränderung der Rechtssituation im Blick: „ich war deines Vaters Knecht, jetzt bin ich dein Knecht." Es kann hier also auch nicht von einer sündigen Vergangenheit gesprochen werden, weil das vorherige Rechtsverhältnis rechtens war. Nur von der neuen Situation her geurteilt, wäre es verfehlt, an der Vergangenheit festzuhalten. — Während bei prophetischen Unheilsworten und Sündenbekenntnissen der Unterschied der Zeiten immer direkt, d.h. neutral in 3. p. mit ΠΡΙ57Ί ausgesprochen wird, werden hier dessen Folgen an der betreffenden Person aufgezeigt. — Eine ursprüngliche Zuordnung einer in Adverbien ausgedrückten Zeitantithetik zu einer bestimmten Gattung kann von 2 Sam 15,34 her freilich nicht behauptet werden. 96

Die Formel "jVan •ΊΤ" begegnet häufig als terminus technicus für Bestätigung

und Akklamation des Volkes, wenn ein König gewählt ist, vgl. l S a m 10,24; l K ö n 1,25. 31. 34. 39; 2Kön 11,12; vgl. Hertzberg, A T D 10, S. 287f. Auch der Ausdruck 1ΓΠ ΠΙΠ1 dürfte auf dieses Recht hinweisen. Zu "QS? als terminus für ein Rechtsverhältnis vgl. Zimmerli, Art. im ThW V, 8. 655-676, insbes. 655-657.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

b) Ps 119,67 In den bisherigen Gang der Untersuchung ist ebensowenig Ps 119,67 einzuordnen. vnatf ïim»K nnsn mir ·-: mas tn» • : τ τ ' : τ : · τ - : " ντ: ν (Ü. : ehe ich gedemütigt wurde, irrte ich, aber jetzt höre ich auf dein Wort.) Die L X X übersetzt: προ του με ταπεινωθ-ηναι εγώ έπλημμέλησα διά τοϋτο το λόγιόν σου έφύλαξα. Zur formalen Bestimmung des Verses ist die Frage nach der Einordnung in den Kontext relativ unergiebig. Wie dem ganzen Psalm kein logischer Aufbau zugrunde liegt, so auch nicht der ö-Strophe 97 . Der Vers hat keine besondere Funktion innerhalb eines größeren Ganzen, obwohl er der einzige Vers in Ps 119 ist, der auf das Leben des Beters vor der Wende zurückblickt 98 . Man wird in ihm Motive des Dankliedes des Einzelnen erblicken können, wie man auch V. 65 dem Danklied des Einzelnen zugeordnet hat β β . Als Motiv des Dankliedes könnte der Rückblick auf die Vergangenheit und der in der Beschreibung der Gegenwart implizierte Dank gelten. Wegen mangelnder Ausführlichkeit wird man den Vers selbst aber nicht als Danklied bezeichnen können. Gegen die Gattung des Dankliedes des Einzelnen spricht zudem der Rückblick auf die sündige Vergangenheit, der äußerst selten ist 100 , und der Gebrauch des nnsp, das sich ebenfalls fast nie im Danklied findet. Doch wird man Ps 119 als Spätwerk bezeichnen können 101 , was sich u.a. bei V. 67 an den festgestellten Unterschieden, die als Weiterentwicklung aufgefaßt werden können, zeigt. Während die Wurzel Ό!ύ außerordentlich selten belegt und auch in Ps 119 hapax legomenon ist (Bedeutung: 'sich unwissentlich verfehlen' 102 ), ist lai? Lieblingswort des Psalms (21 mal) und steht f ü r das Handeln des Frommen. Π357 beschreibt hier das Leiden und Elend-Sein 103 . Wie V. 71 und 75 deutlich machen, kennzeichnet das JUS? aber bereits die Zeit der Gegenwart Gottes. Π3Ϊ und "lötf sind also in V. 67 zeitlich 87

Vgl. zum ersteren Kraus, BK, S. 819f., zur Ö-Strophe ders. S. 826. Zum literarischen Charakter von Ps 119 vgl. A. Deißler, Ps 119, S.265ff. »9 Siehe Kraus, BK, S. 826. 100 Siehe o. S. 33 f. 101 Vgl. Kraus, BK, S. 820f.; Deißler, S. 281-291. 102 Köhler-Baumgartner, s.v. 108 Anders B. Heyne, ZAW 1933, der hier an Π157 I (antworten) denkt. Die LXX und V. 71 läßt H. aus der Argumentation heraus. 68

Die Gerichtsdoxologie im Alten Testament

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auf der gleichen Stufe zu sehen und gegen Utf gesetzt. Die Gegenüberstellung wirkt kurz und antithetisch. — Die sachliche Antithetik von und Π3Vhnti aber wird durch eine zeitliche unterstützt: betontes nnvi und die Konjunktion 0"iü artikulieren den Gegensatz. Obwohl die Ausmalung einer Entwicklung von tttf über Π357 zu "lötf nahegelegen hätte, sind nur zwei Zeiten betont : entscheidend ist der Kontrast. — Schließlich sei hervorgehoben, daß wir es auch hier mit einer Art Sündenbekenntnis, von einem Einzelnen gesprochen, zu tun haben. Eine Präzisierung der Gattung, damit eine genauere Lokalisierung der Zeitantithetik, ist aber aufgrund der späten Entstehungszeit des Psalms nicht möglich. Man wird auch damit rechnen müssen, daß sich hier bereits eine gewisse Freude am Formulieren, an der Rhetorik bemerkbar macht, der es zuzuschreiben ist, wenn der Stil formelhaft klingt 104 . 7. Die Trennung der Zeiten in der des Alten

Gerichtsdoxologie

Testaments

Die behandelten Sündenbekenntnisse haben in Aufbau und Funktion Ähnlichkeit mit jenen Bekenntnissen, die in weitschweifiger Form die Sünde vor Gott ausbreiten, dem aber gleichzeitig Gottes Macht und Herrlichkeit entgegenhalten und des weiteren meist auf eine ergangene Strafe Gottes zurückblicken (was aber kein Hinderungsgrund ist, daß in einzelnen Fällen dennoch die Bitte um Vergebung ausgesprochen werden kann). Diese Art von Bekenntnissen, die z.T. mit Hilfe der Betonung der eigenen Sünde zugleich Gottes Macht preisen und wie sie etwa Neh 9; Dan 9; Esr 9/10; Bar l,15ff. vorliegen, hat man 105 als 'Gerichtsdoxologie' oder 'Gerichtsexhomologese' bezeichnet. Was ist damit gemeint? Der klassische108 Beleg der Gerichtsdoxologie sind maionische Inschriften aus Lydien des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts, die aber noch eine etwas andere Form aufweisen und die dennoch deutlich mit bestimmten Bekenntnissen im AT verwandt scheinen. Mit diesen wiederum haben die von uns ins Auge gefaßten Sündenbekenntnisse Neh 9; Dan 9; Esr 9/10; Bar l,15ff. Ähnlichkeit. — Steinleitner hat 104

C. Westermann, Loben Gottes, S. 52 verweist auf diese Stelle, ohne sie sich aber in ihrer Eigenart deutlich zu machen. Es handelt sich nicht um ein Klagelied des Einzelnen, wie W. ebd. vermuten läßt, und wohl auch nicht um ein Danklied des Einzelnen, s.o.; v. Bad, Theologie I, S. 400 denkt an eine weiterentwickelte Form der Gerichtsdoxologie. 105 v.Rad, Theologie I, S. 355; G. Bornkamm, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer, S. 61; J. Becker, Heil Gottes, S. 135. 106 Der Begriff 'klassisch' ist hier forschungsgeschichtlich gemeint.

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Vorformen im Alten Testament und im J u d e n t u m

die lydischen Sühneinschriften 1913 zum erstenmal systematisch gesammelt und publiziert107. Es handelt sich um Stelographien, auf denen der Fromme die Geschichte seiner Verfehlung und seiner Bestrafung bzw. Begnadigung aufzeichnete. Im allgemeinen haben diese Inschriften etwa folgenden Aufbau 108 :

und

Akklamation der Gottheit, Bericht der sündigen Tat, Bericht von der Strafe der Gottheit, Bericht vom Aufrichten der Stele, Bezeugung der Kraft der Gottheit άπο νϋν εΰλογοΰμεν109.

Maßgeblich und charakteristisch für das Aufrichten der Säule und für ihre Inschrift ist nach Steinleitner der öffentliche Abschluß eines Kultaktes, in dem ein Sündenbekenntnis abgelegt wird, die Gottheit gepriesen und ihr gedankt wird für die vollzogene Strafe und die damit verbundene Vergebung. Gleichzeitig soll die Stele als Warnung und Abschreckung dienen110. Religionsgeschichtlicher Hintergrund ist die antike sakrale Rechtspflege. Kennzeichnend ist auch — das ist von Steinleitner nicht hervorgehoben — der betonte Abschluß der Vergangenheit durch άπο νϋν. Damit aber wird die Zeit der erzählten Geschichte in zwei Teile geteilt : in die Vergangenheit und in die Zeit, 107

F . Steinleitner, Die Beicht im Zusammenhange mit der sakralen Rechtspflege in der Antike, Leipzig 1913. An dieser Stelle ist auch zu verweisen auf die Passagen von Martin P. Nilsson: Geschichte der griechischen Religion I I , S. 552-555, der im Anschluß an Steinleitner die Beicht- u n d Sühneinschriften aus dem 2. u n d 3. nachchristlichen J a h r h u n d e r t im Inneren Kleinasiens beschreibt. Allerdings findet sich bei Nilsson keine besondere Hervorhebung des mit den Sündenbekenntnissen verbundenen Zeitaspektes. — Zu erwähnen ist außerdem eine Reihe von Arbeiten von Raffaele Pettazzoni: a) La confessione dei peccati, I I I ; b) der Aufsatzband 'Essays on t h e history of religion', dort der Aufsatz: confession of sins a n d t h e classics, S. 55-67, der auch in H T h R 30, 1937, S. 1-14 erschienen ist. Das Problem des Verhältnisses von Vergangenheit u n d Gegenwart, wie es uns interessiert, wird hier ebenfalls nicht sichtbar. ·— Die Sündenbekenntnisse, die in Monumenta Asiae Minoris Antiqua I V unter den N u m m e r n 279-281 u n d 287-290 abgedruckt sind, enthalten im Gegensatz zu denen von Steinleitner publizierten kein νϋν. Die Gegenwart wird zum Teil durch eine Warnung an Leser u n d Hörer ausgedrückt (παραγγέλλω), etwa μεδίνα καταφρονεί των θεών, vgl. Nr. 279. 280. Beachtenswert ist, daß einige Bekenntnisse ein ομολογώ (Nr. 279) oder εξομολογούμαι (Nr. 289) bieten. 108 Vgl. die Inschriften Nr. 3 — S. 21 f.; Nr. 5 — S. 26-28; Nr. 6 — S. 28; Nr. 7 — S. 28f.; Nr. 8 — S. 29-33; Nr. 10 — S. 34-36. 109 Oder ähnliches Verb, mit dem gekennzeichnet wird, daß die Zeit des Lobes einsetzt. no Vgl. Steinleitner, ebd., passim bes. die Zusammenfassung S. 121-123, auch S. 113.

Die Gerichtsdoxologie im Alten Testament

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die mit der Gegenwart anhebt 111 . — Fr. Horst hat 1929112 auf parallele Texte im AT hingewiesen, insbesondere auf die Doxologien im Amosbuch und auf den 'locus classicus' im AT, auf Jos 7,19 ff. Auch wenn die Texte durch mehrere Jahrhunderte getrennt sind und eine unmittelbare Verwandtschaft kaum vorliegen dürfte, so ist die Parallelität doch so überzeugend, daß mit dem gleichen Vorstellungshintergrund zu rechnen ist. — Josua spricht zu Achan nach dessen Diebstahl : 1 min fa-mi VNife·' Tii®?K mrr ? Tiasτ to-o-w 1 τ ν: " τ : · ·· ν: τ τ

... nτ w π»ν · τ

·

xτ r uνm - :

(Ü. : Gib Jahwe, dem Gott Israels, Ehre und lege ihm ein Bekenntnis ab und erzähle mir doch, was du getan hast), und Achan antwortet : ΤΊΧΒΠ ΌΪΝ niDX TT * τ τ:τ V^nfer;

rivr1?

(Ü. : Wahrlich, ich habe gesündigt an Jahwe, dem Gott Israels), und dann wird die Sünde im einzelnen aufgeführt. Charakteristisch an diesem Bekenntnis im Vergleich zu den oben aufgeführten Sündenbekenntnissen scheint mir zu sein, daß die Sünde mit dem Terminus ΧΟΠ bezeichnet wird 113 , daß, wie auf den Stelen aus Lydien, die sündige Tat konkret genannt wird, daß ein Machterweis Gottes vorausgegangen ist, wie in den lydischen Inschriften in Form der Strafe, so hier in Jos 7 in Form der Auslosung des Schuldigen, daß wie in Lydien schließlich eine Anerkennung der Strafe gefordert ist. Das Bekenntnis im ganzen wird ausdrücklich als Π "lin bezeichnet, damit ist beides gemeint: a) Preis der Ehre und Macht Gottes und b) Bekenntnis der eigenen Sünde. Auffallend an Jos 7 im Unterschied zu den Inschriften aus Lydien ist aber, daß eine Charakterisierung der Gegenwart nicht gegeben wird, von der aus die Vergangenheit rückblickend geschaut wird 114 . 111

S. 28 rechnet Steinleitner, ebd., sogar mit einer Formel άπό νυν. ZAW 1929. 113 άμαρτάνω und ähnliche Formen sind in lydischen Inschriften stereotyp, vgl. Steinleitner, S. 83ff. 111 Vgl. d a s formelhafte άπό νυν s. Anm. 111. 112

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Diese Gattung, wie sie hier in Jos 7 vorliegt und wie sie von Steinleitner beschrieben worden ist, bezeichnen wir im folgenden als 'Gerichtsdoxologie' U5 . Solche Arten von Gebeten, die Gott unter anderem dadurch preisen, daß die Sünde und Niedrigkeit des Beters bekannt wird, und die sich von der herausgestellten Gerichtsdoxologie herleiten lassen, begegnen bis in die späteste Zeit des AT hinein. Auch für die Zeit und den Raum des Qumran-Frommen hat man den starken Einfluß der Gerichtsdoxologie betont 116 . Man wird allerdings im Laufe der Geschichte mit einer allmählichen Auflösung der Gattung in verschiedene Variationen rechnen müssen: die Akzente werden verschoben, der sakralrechtliche Hintergrund verschwindet zum Teil, der Gebetsteil wird ausgeweitet. Hingegen ist auch in späteren Texten eine zeitliche Zweiteilung von eigentlichem Sündenbekenntnis und Bitte bzw. Lob, also von Vergangenheit und Gegenwart zu verifizieren, die darum ein mehr oder weniger konstitutives Element der Gattimg zu sein scheint. Auffallend konstant ist auch die kennzeichnende Begrifflichkeit min bzw. έξομολόγησις. Einige Texte, die die zuletzt hervorgehobenen Momente besonders deutlich zeigen, sollen nun näher beleuchtet werden: In Verbindung mit einer zeithchen Antithetik begegnet am anschaulichsten in Dan 9,4-20 — einem allerdings relativ späten Text — die Gattung der Gerichtsdoxologie117. Es handelt sich um das Bußgebet Daniels im Angesicht des zerstörten Jerusalem. Motiv für das Gebet ist die Frage nach der Dauer der Zerstörung (1-3), die Antwort wird Daniel in 20 ff. zuteil. Das Gebet selbst kann wegen seiner typischen Züge unabhängig vom Kontext betrachtet werden. Es kennzeichnet sich selbst mit dem Verb Π Τ (allerdings im hitp), (V. 4. 20), womit schon rein äußerlich wiederum beide Aspekte des Sündenbekenntnisses und der Doxologie im Blick stehen. Und in der Tat wird diese doppelte Thematik bei genauerer Analyse deutlich: Anrede, Lobpreis und eine Prädikation stehen zu Beginn (4b). Es folgt ein eigentliches Sündenbekenntnis (5. 6) mit allgemeiner und konkreter Nennung der Sünde (5 und 6). Der gerechte Gott und das sündige Volk werden einander entgegengesetzt (7-9). Es folgt erneut 116 Auf G. Bornkamm, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer, ist besonders zu verweisen, der im weiteren Rahmen die Zusammenhänge von Sündenbekenntnis und Doxologie für das AT untersucht. Uns interessiert im folgenden lediglich der mit den Sündenbekenntnissen verbundene Zeitaapekt. 118 S. J. Becker, Heil Gottes, bes. S. 135ff.; zu Qumran s.u. S. 68ff. 117 Für interpoliert halten die Verse 4-20 A. Bentzen, Daniel, HAT I, 19, 2 1952 , S. 75; A.Weiser, Einleitung, S. 277; Eißfeldt, Einleitung, S. 718; anders Plöger, Otto, Das Buch Daniel, ΚΑΤ XVIII, 1965, S. 135 und Porteous, ATD, S. l l l f .

Die Gerichtsdoxologie im Alten Testament

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ein Sündenbekenntnis (10-1 la), dem sich sofort der Bericht von der erfolgten Strafe als des gerechten Gerichtes anschließt (11 b—13). V. 14 stellt eine Art Zusammenfassung dieses ersten Teiles dar: Noch einmal werden die Strafe, der gerechte Gott und die Sünde des Volkes erwähnt. —• Der zweite Teil, mit HFiVI (15) einsetzend, bringt wiederum eine Prädikation, der die knappe Wiederholung des Sündenbekenntnisses aus dem 1. Teil folgt (15), dann aber beginnt das eigentliche Thema: die Bitte um Abwendung des Zornes (16). 17-19, noch einmal mit ΠΓΙΪΊ anhebend, bringen die Bitte um Vergebung und Gnade. Hierbei ist keine genauere Untergliederung möglich. — Wiederholen sich auch einige Formen im 1. und 2. Teil (Anerkennung des gerechten Gerichtes, Prädikationen, Sündenbekenntnisse), so dürften doch der 1. und 2. Teil thematisch unterschieden sein. Sündenbekenntnis und Bitte um Vergebung sind ihrem Schwergewicht nach eindeutig verteilt. Dem Π FISI kommt dabei die Funktion der Gliederung und des Neueinsatzes zu118. Der sachlichen Gliederung durch ΠΓΙΪ7Ί entspricht eine zeitliche Aufteilung. Die Verben zur Bezeichnung des Sündigen werden durchweg im Perfekt gegeben, die Bitten erfolgen im Imperativ. Die Zeit der Zerstörung Jerusalems als Form des gerechten Gerichtes über die Sünde soll ein Ende haben; eine neue Zeit der Vergebung und Gnade soll anheben. Obwohl in der Form des Volksklageliedes119 enthält Dan 9,4-20 deutlich die Merkmale einer Gerichtsdoxologie : das Sündenbekenntnis, den Lobpreis des gnädigen Gottes, die Zusammenordnung dieser beiden Themen in der Anerkennung des gerechten Gerichtes, das einerseits die Folge der Sünde ist, andererseits zur Ehre Gottes gereicht; die stereotypen Verben des Sündigens, ΧϋΠ etc. Schließlich ist hervorzuheben, daß dies Gebet wie die erwähnten lydischen Inschriften auf einen Machterweis Gottes zurückblickt, hier auf die in diesem Sinn interpretierte Zerstörung Jerusalems. Charakteristisch an dem Gebet ist die ausdrückliche Betonung der Gegenwart und damit die sachliche und zeitliche Zweiteilung. Im Unterschied zu den Sühneinschriften aus Lydien hat hier die Gegenwart weniger den Akzent des Lobens als den der Bitte120. — Wiederum wie bei den oben behandelten 118

Das Sündenbekenntnis nach dem ersten Π1Ί571 in V. 15 ist lediglich in

Form eines gedanklichen Anakoluthes die kurze Wiederholung aus Υ. δ. 6 um des Kontrastes: Sündenbekenntnis — Bitte um Vergebung willen. Deshalb wird in V. 17 das HDSl erneut genannt. 119

Gunkel-Begrich," Einleitung, §4, S. 117. 137. In den Zusammenhang der Gerichtsdoxologie ordnen Dan 9 ebenfalls ein : v. Rad, Theologie I, S.355; Zimmerli, B K XIII, S. 439. Plöger, ΚΑΤ, S. 137 verweist noch auf Ps 44, 74, 79, 80, welche sich aber kaum als Parallelen zu 120

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Sündenbekenntnissen gilt aber, daß die Sünde in ihrer Auswirkung in der Form des Gerichtes noch gegenwärtig ist und der mit ΠΠ57 bezeichnete Zustand nur zur 'erwünschten' Gegenwart gehört, was jedoch nichts an der zeitlichen Zweiteilung ändert. — Eine genaue Lokalisierung des Textes und seine zeitliche Einordnung erscheinen mir nicht möglich. Auch wenn wir es mit einer späteren Interpolation in den Bestand des Danielbuches zu t u n haben sollten, ist es gut denkbar, sogar wahrscheinlich, daß die Gattung, wie sie hier vorliegt, ihre Entstehung nicht erst der Formulierung dieses Gebetes verdankt. Auf die nachfolgende Zeit geblickt hat der Text jedoch eine Nachgeschichte in Bar 1,15 ff. Bar 1,15ff. : Man hat das Bußgebet des Baruch als „erweiterte Rezension" von Dan 9,4-19 bezeichnet 121 . Wie in Dan 9 findet sich auch hier eine Zweiteilung des Klagegebetes in Sündenbekenntnis, 1,15-2,10, und Bitte um Vergebung, 2, l l f f . Beide Teile sind wie D a n 9 mit Doxologien und Gottesprädikationen vermischt. Der neue Abschnitt 2,11 beginnt betont mit καΐ νΰν (allerdings erfolgt auch hier die erneute kurze Rezitation des Sündenbekenntnisses). Natürlich ist das Gebet aus einer gegenwärtigen Notsituation heraus gesprochen, so daß das νΰν noch nicht die reale Wende beschreibt, sondern wie in Dan 9 diese Wende im Gehorsam der Beter vorwegnimmt. Ganz ähnlich strukturiertes Material liefert das große Bußgebet des Volkes in Neh 9, dessen erster Teil in einem ausführlichen Rückblick auf die Geschichte die Verfehlung des Volkes und Gottes Zuwendung schildert. Auch hier steht am Beginn eine Doxologie, und ebenso begegnet die Anerkennung des Gerichtes als gerechter Strafe. Wir haben es also wieder mit einer typischen Gerichtsdoxologie zu tun. Auch hier ist eine Zweiteilung wie in Dan 9 zu finden. Mit nriSl setzt der zweite Teil ein (V. 32) und lenkt damit den Blick auf die Gegenwart und die Not der Beter. Damit ist eine sachliche Antithetik verbunden, denn nun setzt die Bitte um Rettung ein. ΠΓΙΪ1 trennt also Bekenntnis und Bitte ; denn die Geschichte des sündigen Volkes dient gleichzeitig als Sündenbekenntnis; und wird im 2. Teil (32ff.) noch auf die eigene Sünde hingewiesen, so nur um des Kontrastes willen und um die Bitte stärker zu artikulieren 122 . Das ganze Gebet wird wieder indirekt als ΓΠίη bezeichnet, s. das Verb ΠΤ hitp. in 9,2. Dan 9 zu erkennen geben, da sie keine Sündenbekenntnisse enthalten; siehe etwa die ausdrückliche Ablehnimg Ps 44,18. M.Weise, S. 81 f. erkennt nicht die Zweiteilung des Gebetes in Dan 9. 121 Eißfeldt, Einleitung, S. 803. 122 Vgl. Galling, ATD, S. 240 und Braumann, Taufverkündigung, S. 74 Anm. 194, der auf diese Stelle hinweist, ohne daß jedoch Braumanns angegebene inhaltliche Übereinstimmung zu Rom 5,8 f. richtig wäre. — Kellermann,

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Die Geriehtsdoxologie im Alten Testament

Auch das Bußgebet des Volkes EsrlO heißt ΓΠΪΠ (10,11). Nachdem Esra bereits ein Bußgebet (ohne Bitte) gesprochen hatte (Esr 9), spricht Schechanja stellvertretend für das Volk eine vorläufige ΓΠΪη (10,2a-3), die ebenfalls zweigeteilt ist, nämlich in Sündenbekenntnis und — nun nicht Bitte um Vergebung, sondern Vertrauensäußerung und Bundesgelöbnis. Deutlich wird die Trennung durch HPiSJI markiert. 2a

Sündenbekenntnis:

2b. 3 Vertrauensäußerung und Bundesgelöbnis:

131?»» 13Π3Χ nnvi

Deutlich werden die Zeiten geteilt ; die Vergangenheit war beherrscht von der Sünde, die Gegenwart aber wird gekennzeichnet durch die Bereitschaft zum Bund. Ähnlich ist das Gebet des Eleasar in 3Makk 6 123 zu verstehen, obwohl dort die Gliederung nicht so exakt zutage tritt. Zusammenfassung : Die Entwicklungsgeschichte der Geriehtsdoxologie von Jos 7 bis zu den späten Texten in Qumran und den Oden Salomos ist für uns im ganzen noch dunkel und nicht überschaubar; obwohl man sagen muß, daß sich der Kontrast zwischen der Macht Gottes, die anerkennend gepriesen wird, und dem Bekenntnis der Sünde des Beters als relativ konstantes Moment durchhält, ebenso im allgemeinen der Rückblick auf eine ergangene Strafe, ist die Gattung im Laufe der Entwicklungsgeschichte recht starken Änderungen erlegen gewesen. So kann auch nicht behauptet werden, in jeder Geriehtsdoxologie finde sich die sachliche und zeitliche Teilung, gar charakterisiert durch ein nnsi. Besonders die späteren Formen in den Psalmen und Oden Salomos und die Lieder in Qumran zeigen, daß ein zeitliches Moment, ein Blick auf die Vergangenheit, nicht notwendig impliziert ist. Andererseits legt die Geriehtsdoxologie eine zeitliche Zweiteilung nahe, da sie die Vergangenheit durch das Bekenntnis der Sünde betont abschließen will. Eben das läßt das ΠΠ5? bzw. das νυν und die damit verbundene τ-

Aufteilung der Zeit als ein zwar nicht konstitutives, aber charakteristisches Moment der Geriehtsdoxologie erscheinen. Dieses Moment ist in den Gerichtsdoxologien aus dem lydischen wie aus dem alttestamentlichen Bereich zu verifizieren, wenn auch die inhaltliche EntgegenNehemia, S. 34 sieht durch ΠΠ571 nur die Trennung von Sünden in der Vergangenheit und Sünden in der Gegenwart vollzogen. Doch ist der Unterschied noch qualifizierter artikuliert. 123 G. Bornkamm, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer, S. 62 weist darauf hin.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

Setzung strenggenommen in beiden Fällen nicht die gleiche ist (einmal : Sündenbekenntnis — Lob ; das andere Mal : Sündenbekenntnis — Bitte um Vergebung). Doch muß noch einmal hervorgehoben werden, daß a) die Vergangenheit stets eine Vergangenheit der Sünde ist und daß b) die neue Zeit der Gegenwart häufig durch νΰν bzw. ΠΠ5? eingeleitet und akzentuiert wird. (A. Strobel, Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde, behandelt insbesondere Esra9,6ff. ; Neh 1,15ff.; Dan 9,4-19; und das apokryphe Gebet Manasses und nennt S. 16 Anm. 24 noch folgende Bußgebete: Tob 3,1-6. 11-15; J u d 9,2-14; Z u s E s t h U I , 1-10; IV, 14-30; 3Makk 1,2-20; 6,2-15 und ein weiteres aus den Zusätzen zu Daniel.)

8. Eine formelhafte Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart in „Joseph und Aseneth" Gerichtsdoxologien finden sich, wie die lydischen Beispiele zeigen, nicht nur im Raum des AT; die Gattung hat ihre zahlreiche Nachkommenschaft unter anderem auch in jüdisch-hellenistischen Schriften. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang eine Untersuchung der jüdisch-hellenistischen Schrift „Joseph und Aseneth": Der Text ist zugänglich bei Batiffol 124 und in deutscher Übersetzung bei Riessler 125 . Doch muß die Ausgabe von Batiffol als nicht mehr hinreichend bezeichnet werden 128 . Eine streng wissenschaftliche Ausgabe des Textes mit dem nötigen Apparat gibt es bislang nicht. In wenigen Ausnahmefällen kann das Buch von Chr. Burchard 127 eine Hilfe bieten 128 . (Jüngst erschien eine neue Ausgabe zu 'Joseph und Aseneth' : Marc Philonenko, Joseph et Aséneth Introduction Texte critique Traduction et notes, Studia Post-Biblica XIII, Leiden 1968. — Philonenko bietet z.T. einen erheblich von Batiffol abweichenden Text. Die Abweichungen von Batiffol sind im folgenden stets vermerkt.)

124

P. Batiffol, Studia patristica, 1 . 2 ; 1889/90. Riessler, Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, 1928. 126 Chr. Burchard, Untersuchungen zu Joseph und Aseneth, 1965, S. 23. 127 Siehe Anm. 126. 128 Ich halte mich im folgenden an den griechischen Text von Batiffol, nach dessen Seiten und Zeilen zitiert wird. Der lateinische Text ist nur bei starker Abweichung zitiert, zum lateinischen Text vgl. Burchard, S. 35ff. Der Angabe des Fundortes bei Batiffol folgt die Angabe des Fundortes bei Riessler (R) nach Kapiteln und Abschnitten. (Zu einzelnen Analysen verdanke ich die textkritische Hilfe von Chr. Burchard, Göttingen.) 125

Vergangenheit und Gegenwart in 'Joseph und Aseneth'

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Jene fromm-erbauliche Schrift, heute meist 'Joseph und Aseneth' genannt, gehört höchstwahrscheinlich in die Zeit des 1. vorchristlichen Jahrhunderts 129 und ist als jüdisch-hellenistische Missionsschrift zu charakterisieren 130 . Einiges zum Inhalt sei vorangestellt: Aseneth, Tochter des Pentephres, des Priesters in Heliopolis und Satrapen des Pharao, ist jedem Heiratsgedanken abhold, und auch als Joseph, Wesir des Pharao, seinen Besuch ankündigt und Pentephres seine Tochter ihm zur Frau zu geben gedenkt, lehnt sie brüsk ab. Doch bei seinem Anblick bereut sie zutiefst, überwältigt davon, einen υιός θεου zu sehen, wie sie sagt (46,20-47,1 = R 6,6). In stark bewegten Worten beschreibt Aseneth ihr Unglück 131 . Sie hat schlechte Worte über Joseph gesagt (46,15 = R 6,4; 46,20 = R 6,6; 47,2f. = R 6,7). Wohin soll sie jetzt vor ihm fliehen? (46,10 = R6,2). In der Erkenntnis, daß mit Joseph das Licht in ihr Haus gekommen ist, vermag sie nur noch um Gnade zu bitten: δότω με, ώ πατέρ μου, τω 'Ιωσήφ εις παιδίσκην (Ü. : gib mich, mein Vater, Joseph zur Sklavin) (47,3f. = R 6,8). In diesem kurzen Abschnitt der Schilderung der Reue wird auffallend oft die Partikel νΰν benutzt (fünfmal, davon einmal textlich nicht gesichert; den gleichen Text bietet jeweils auch Philonenko, lediglich das unsichere νΰν 46,9f. = R6,2 liest Ph. nicht). Joseph gilt als Heilsbringer : jetzt kommt er wie die Sonne vom Himmel (νυν οδν) (46,17 = R 6,5), heute kommt er in unser Haus (σήμερον) (46,18 = R6,5). Die Konsequenz für Aseneth: 1. was sehe ich jetzt, ich Elende? 132 (46,15f. = R 6,4f.); 2. wehe, wohin soll ich jetzt fliehen? (46,9f. = R 6,2, unsicher); 3. jetzt sei mir Gott gnädig (46,14 = R 6,4); 4. jetzt gib mich, Vater, ihm zur Sklavin (νυν οδν, 47,3f. = R 6,8). Man wird dem νΰν hier nicht nur die Bedeutung von οδν, auch nicht nur den Sinn logischer Antithese zubilligen können, νυν ist hier auch Zeitpartikel. — Gattungsmäßig wird man das Gebet als Klagelied eines Einzelnen 133 bezeichnen können. Gleichzeitig ist es aber ein Sündenbekenntnis, denn die Not, aus der der Beter spricht, ist durch die Sünde verursacht. Doxologische Momente treten hinzu (46,12-14. 17-19 = R 6,3. 5; 46,20-47,2 = R6,6f.). Am Schluß steht eine Art Gelöbnis (47,4f. = R 6,8). So liegt der Akzent des Gebetes auf der Verherrlichung Josephs und seines Gottes, dem die Sünden- und Niedrigkeitsaussagen der Aseneth entgegengestellt werden. Sie dienen 129

Vgl. Burchard, ebd., S. 143-151. Zur genaueren religionsgeschichtlichen Einordnung vgl. Burchard, ebd., S. 91 ff. 131 46,9-15 = R 6,2. 3 stellt Burchard hinter 47,3 = R 6,7; S. 22. 46. 132 Vgl. Burchard, S. 22 Anm. 4. 133 Gunkel-Begrich, Einleitung § 6. 130

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

im Munde der Aseneth zur Argumentation ihrer Bitte: Der Gott Josephs sei mir gnädig! (46,14f. = ß 6,4), — An der Zusammengehörigkeit von Doxologie und Sündenbekenntnis läßt sich erkennen, daß hier eine Art von Gerichtsdoxologie vorliegt, wenn auch in abgeschwächter Form, da eine eigentliche Strafe, ein Gericht nicht vorangeht. Hinzu tritt die Beobachtung der auffälligen Pointierung der Gegenwart. Und zwar ist hier die Gegenwart nicht nur die Zeit der Möglichkeit zur Bitte — wie in den Sündenbekenntnissen — sie ist vielmehr in ihrer Bedeutung als Heilszeit qualifiziert. Darum freilich ist sie für die sündige Aseneth Unheilszeit — ihre Rettung, sprich: ihre Hochzeit mit Joseph, steht ja noch aus. Dennoch: ihr Heil ist schon angedeutet, angebrochen durch die Erkenntnisfähigkeit der Sünde. Die Gegenwart des Heils wird besonders deutlich in νΰν οδν ώς ήλιος . . . είσήλθεν εις τήν οίκίαν ήμών σήμερον (46,17f. = R 6,5) (Ü. : jetzt wie die Sonne . . . kommt er heute in miser Haus). Der für uns interessanteste Text ist etwas später zu finden, 54,2156,23 = R 12,1-15 134 . Der Zusammenhang: Da Aseneth vorher in tiefer Reue ihr Urteil über Joseph geändert hatte, begrüßt sie ihn nun freundlich. Den Wunsch ihres Vaters um einen Kuß lehnt Joseph freilich ab, doch fleht er um den Segen Gottes für sie. Das wiederum hat die sofortige Buße Aseneths zur Folge: sie wendet sich von ihren Göttern ab. Ausführlich werden Selbstgespräch (53,14-54,17 = R 11, 3-14) — die eigentliche Bekehrung — und Gebet (54,21-58,11 = R 12,1-13,15) beschrieben. Dieses Gebet läßt sich folgendermaßen gliedern: Eine Doxologie steht zu Beginn — der Preis Gottes des Schöpfers (54,21-55,4 = R 12,1. 2), es folgt eine Ankündigung des Sündenbekenntnisses (55,4-7 = R 12,3), das eigentliche Sündenbekenntnis (55,7-12 = R 12,4f.) (mit Selbstbeschreibung 55,13-16 = R 12,5), die Bitte um Errettung (Errettung vor den Verfolgern: Götter der Ägypter, Teufel) (55,16-56,23 = R 12,6-15) und Vergebung (57,1-58,11 = R 13). Deutlich ist eine Zweiteilung des Gebetes von Sündenbekenntnis und Bitte um Errettung/Vergebung zu erkennen. Eine Doxologie nimmt die einleitende Stellung ein. Schließlich wird dieses Bekenntnis u. a. mit den Worten έξομολογήσομαι τάς άμαρτίας μου (55,5f. = R 12,3)

131 Zur Textbezeugung: da uns hier hauptsächlich der Aufbau des Bekenntnisses interessiert, können kleinere Textvarianten außer Betracht bleiben. Bei der genauer zu besprechenden Stelle 55,13ff. = R 12,5 kann der Text von Batiffol als zuverlässig betrachtet werden. (Allerdings geht hier Philonenko anders vor. Ph. bietet nur einen stark verkürzten Text, der kein ποτέ und vüv enthält.) Lediglich das άπό τοϋ νυν in 55,5 = R 12,3 dürfte, da unsicher bezeugt, exegetisch nicht verwendbar sein.

Vergangenheit und Gegenwart in 'Joseph und Aseneth'

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gekennzeichnet 135 . Diese Argumente bestärken den Exegeten in der Ansicht, auch hier die Gattung der Gerichtsdoxologie vorzufinden. Eine temporale Präzisierung der Zeit der Bitte findet sich an exponierter Stelle nicht 136 . Statt dessen ist eine andere auffällige Beobachtung zu machen : An der Stelle zwischen Bekenntnis und Bitte um Errettung wird folgendes berichtet (55,13if. = R 12,5): ή παρθένος και βασίλισσα, ή ποτε σοβαρά και υπερήφανος και εύθηνοϋσα έν τω πλούτω μου τω γονικω ύπερ πάντας ανθρώπους, νυνί δέ ορφανή και έρημος και έγκαταλελειμμένη άπο πάντων των ανθρώπων (Ü. : Ich, die Jungfrau und Königin, die einst stolz und hochmütig und durch meinen elterlichen Reichtum glücklicher als alle Menschen, jetzt aber verwaist und einsam und verlassen von allen Menschen . . .). Die Zeilen scheinen zusammenfassende und überleitende Funktion zu haben. Kurz und antithetisch werden Vergangenheit und Gegenwart entgegengestellt. Dabei beschreibt die erwähnte Vergangenheit die Zeit der Sünde, die Gegenwart die Zeit der Bitte um Vergebung und Hoffnung auf den κύριος, wie aus der Parallele (in 56,14ff. = R 12,13; auch Ph. liest hier ein καΐ νϋν) hervorgeht: και νϋν ειμί ορφανή και έρημος, και ουκ εστί. μοι άλλη έλπίς πλήν σου, κύριε, ούδε έτέρα καταφυγή πλήν του έλέους σου (Ü. : und jetzt bin ich verwaist und einsam und habe keine andere Hoffnung als dich, Herr, und keine andere Zuflucht als dein Erbarmen). Die erwähnten Zeiten entsprechen also den Zeiten von Sündenbekenntnis und Bitte um Vergebung, wie wir sie aus der Gerichtsdoxologie kennen 137 . Deutlich ist auch ein inhaltlicher Gegensatz. Es stehen sich gegenüber: σοβαρά und ορφανή, υπερήφανος und έρημος, εύθηνοϋσα und έγκαταλελειμμένη. Daß es sich bei ορφανή, έρημος, εγκαταλελειμμένη tatsächlich um positiv gefüllte Begriffe handelt, verdeutlicht die schon hervorgehobene Stelle im Gebet (56,14ff. = R 12,13). Die Zeit des Waise- und Einsam-Seins ist Heilszeit, denn die Verlassenheit beruht darauf, daß Aseneth die ägyptischen Götter verlassen hat und ihre Verwandten sich deshalb

las Vgl. die Kennzeichnung des Gebetes als έξομολόγησις, 54,21 = R 12,1; außerdem 54,11 = R 11,11 (gut bezeugt): καΐ έξομολογήσομαι . . . τάς αμαρτίας (sic) μου. 136 Zu 57,9ff. = R 13,6 und 57,21ff. = R 13,11 s.u. S. 56f. 137 Vgl. 55,16f. = R 12,6 — die unmittelbare Fortsetzung, s. Anm. 138.

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Vorformen im Alten Testament und im Judentum

von ihr getrennt haben. Diese Zeit bietet die Möglichkeit der Hoffnung allein auf Gott 138 · 139 . An exponierter Stelle einer Gerichtsdoxologie steht also auch hier ein Zeitadverb, das die Zeit bezeichnet, in der die Bitte möglich wird. Es ist die Gegenwart. Gleichzeitig ist dem eine Beschreibung der Vergangenheit entgegengestellt. Zum erstenmal in der Geschichte der Gerichtsdoxologie begegnet hier die formelhaft anmutende Antithetik zweier Zeitadverbien. Zum erstenmal ist hier auch mit den Zeitadverbien nicht mehr neutral die Zeit der Bitte beschrieben: ,,ΠΠΒΙ flehen wir zu Dir . . ."; mit den Zeitadverbien wird vielmehr, hier in 1. bzw. 3. pers. sing., der Zustand des Beters selbst hervorgehoben. Aus dem Zeitadverb ist durch die attributive Stellung ein Zeitattribut geworden. Der gedanklich-logische Nebensiim ist also ganz verlassen. Innerhalb der Bitte um Vergebung (57,1-58,11 = R 13,1-15) kann die zeitliche und sachliche Antithetik von Vergangenheit und Gegenwart noch an zwei Beispielen verdeutlicht werden 140 : 'Ιδού οδν τους θεούς πάντας ους έσεβόμην το πρότερον αγνοούσα, νϋν εγνων ότι ήσαν εΐδωλα κωφά και νεκρά . . . (Ü. : jetzt habe ich erkannt, daß alle Götter, die ich einst unwissend verehrte, stumme, tote Götzenbilder waren ...) (57,21f. = II 13,11). Die Antithetik ist wieder äußerst knapp; statt ποτέ steht diesmal το πρότερον; der Gegensatz liegt sachlich zwischen άγνοεΐν und γιγνώσκειν. Eine exponierte Stellung dieses Passus im Kontext ist allerdings nicht wahrzunehmen 141 . Das andere Beispiel (57,9-12 = R 13,6) 142 : der Kontext ist wieder Aseneths Bitte um Erbarmen ; sie beschreibt dabei in vielfältiger Weise ihre Buße, wobei sie auch den Fußboden ihres Zimmers erwähnt: δ ήν το πρότερον καταρραινόμενον μύροις καί έξεμάσσετο όθ-ονίοις λαμπροΐς, νυνί καταρραίνεται τοις δάκρυσί μου καί ήτιμάσθη κατεσποδωμένον ον (Ü. : der einst feucht war von Ölen und abgerieben war mit hellen Leinen, ist jetzt feucht geworden von meinen Tränen, ist verschandet las Vgl. auch die Fortführung in 55, 16f. = R 12,6: Σοι προσφέρω, κύριε, κ αϊ σοΙ προσφέρω την δέησίν μου. 139 Allerdings muß zugegeben werden, daß das νϋν im Erzählungsablauf hier nur eine Art Zwischenstufe bedeutet, vgl. o. S. 54. Von der vollen Gegenwart des Heils ist ja noch nicht die Rede. Dieses erreicht Aseneth erst nach Zuspruch der Vergebimg, nach Einnahme der Honigwabe und nach der Eheschließung; doch geht es auch hier schon um die neue qualitas der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit. no D e r T e x t ist gut bezeugt (57,21 f. = R 13,11 ist von Ph. ganz gestrichen). 141 Die scheinbare Parallele in 54, Iff. = R 11,9 dürfte aufgrund der ganz anderen Lesart von 171 nicht verwendbar sein. Statt έφυγον νϋν ist ^φαγον zu lesen. Auch der lateinische Text bei Batiffol liest: 'comedi ex'. 142 Der Text ist ebenfalls gut bezeugt (Ph. bietet nur einen ähnlichen Text, der Relativsatz δ ήν τό πρότερον ist fortgelassen).

Vergangenheit und Gegenwart in 'Joseph und Aseneth'

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und zunichte gemacht). Hochmut und Buße stehen sich hier in Vergangenheit und Gegenwart gegenüber, die Beschreibung gilt allerdings dem Fußboden, nicht Aseneth selbst. Wiederum ist statt ποτέ το πρότερον gebraucht. Schließlich der Schlußpsalm 143 : Pormal gesehen ist dieser Schlußpsalm ein Anhängsel. Er steht nicht organisch im Aufbau der Erzählung. Trotzdem gibt er die Intention von 'Joseph und Aseneth* treffend wieder. Man kann den Schlußpsalm daher als eine Art Zusammenfassung der Erzählung betrachten. Zu beachten sind dabei besonders die fast wörtlichen Parallelen zum Erzählungstext 144 . Aseneth wiederholt in dem Psalm ihr Sündenbekenntnis und den Bericht ihrer Rettung. Die Sünde in der Vergangenheit wird hervorgehoben, von ihr handeln die ersten zehn Strophen in fast monotoner Wiederholung, Strophe 11 beschreibt dann die Wende durch εως ου. An dieser Stelle endet auch der Kehrreim. Joseph tritt als Retter hervor, und abschließend heißt es: και εγενομην αυτου νύμφη εις τους αιώνας (Ü.: und ich wurde sein Braut für alle Zeit). Es liegt in diesem Psalm trotz der konkreten Angaben über Aseneths Rettung ein stark stilisierter Bekehrungsbericht vor. Sündige Vergangenheit und Rettung sind einander entgegengesetzt. Zeitadverbien tauchen allerdings nicht auf. Man wird diesen Schlußpsalm wieder als Gerichtsdoxologie bezeichnen können. Die starke Betonung der Sünde zielt auf die Größe der Gnade Gottes ab, und ebenso dient die Schilderung der Rettung der Verherrlichung des Erlösers, seiner Schönheit, seiner Weisheit, seines Geistes und seiner Kraft 145 . Zusammenfassung : Die Gattung der Gerichtsdoxologie ist mit der hellenistisch-jüdischen Erzählung 'Joseph und Aseneth' in ein entscheidendes Stadium getreten. Daß wir es tatsächlich mit Gerichtsdoxologien zu tun haben, zeigt die wiederholt anzutreffende Zuordnung von Sündenaussagen 143 Zur textlichen Bezeugung vgl. ausführlich Burchard, S. 76-90; zur Frage der Ursprünglichkeit, Burchard, S. 106f., bes. 106 Anm. 3. Batiffol und Riessler bringen den Text nicht. 144 pjjj. m l s sind besonders interessant in Strophe 2 υπερήφανος und εύθηνοΰσα (εύθυνοϋσα), die an 55,14 = R 12,5 anspielen. Ebenso ist auf die Überschrift von 'Joseph und Aseneth' zu verweisen: die Erzählung gibt sich als eine έξομολόγησις, vgl. Burchard, S. 50-54. 145 y g i . Burchard, S. 106f., der auf Gattungsparallelen verweist, ohne den Namen 'Gerichtsdoxologie' zu benutzen, nämlich auf Jdt 9,2-14; 16,1-17; Tob 13,2-18; 3 , 2 - 6 . 1 1 - 1 5 ; ZusEst 4 , 1 7 b - h ; 4,171-z. Auch G. Bornkamm, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer, S. 63 Anm. 45 hält die Tob und Est-Stellen für solche Gerichtsdoxologien; bei ihnen finden sich die typischen Merkmale, z.T. auch eine gliederungsmäßige und zeitliche Zweiteilung.

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und Doxologien, schließlich der häufig gebrauchte terminus technicus έξομολόγησις und das Verb έξομολογέω. In diesen Gerichtsdoxologien begegnet auffallenderweise wie in den obengenannten Sündenbekenntnissen eine sachliche Zweiteilung, die durch die Adverbien vöv und ποτέ als zeitliche Zweiteilung charakterisiert wird. Die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart ist dabei so kurz und antithetisch, wie wir es in der bisherigen Geschichte der Bekenntnisse nicht haben beobachten können. Allerdings steht die fast formelhaft anmutende Antithetik der Zeitadverbien nicht im Mittelpunkt des Erzählungsablaufes von 'Joseph und Aseneth'. Das aber bestärkt uns in der Meinung, in Gerichtsdoxologien und Zeitschemata tradiertes Gut vorzufinden. Ja, man wird sagen können, Zeitschema und Gerichtsdoxologie tauchen nicht nur zufällig zusammen auf, und man wird die These wagen dürfen, das Zeitschema entstamme diesen Gerichtsdoxologien, habe seinen ursprünglichen Platz in ihnen. — Inhaltlich gesehen bezeichnet vGv die neue Situation, die die alte Lage als vergangen bewußt macht. Es bezeichnet, von der Gattung her geurteilt, die Möglichkeit der Bitte; wie ja auch für den Erzählungsablauf gilt, daß die mit νΰν bezeichnete Zeit noch nicht die volle Heilszeit ist. 9. Das Thema der Vergangenheit in den Texten von Qumran

Das Schrifttum von Qumran soll als ein selbständiger Komplex in misere Untersuchung einbezogen werden. Zwar legen sich naturgemäß auch 'Längsschnitte' nahe, die die einzelnen Topoi in die Geschichte der jeweiligen Gattungen einordnen ; doch scheint es in diesem Fall geboten, die Qumran-Schriften als Ganzes und zusammenhängend zu behandeln; denn in diesem Abschnitt soll untersucht werden, ob und in welcher Weise die Qumrangemeinde — ganz allgemein gesagt — die Thematik der Vergangenheit im Kontrast zur Gegenwart reflektiert 146 . a) Der wortstatistische

Befund

Es ist auffallend, daß die Zeitadverbien HflSJ und TN außerordentlich Τ -

Τ

selten begegnen. — Bisher sind lediglich sieben Belege für ΠΓΐϊ bekannt 147 . In CD 1,1; 2,2. 14 ist HFiSn Partikel im Sinne einer 'Inter 146 Dabei spielt der Kontrast eine wesentliche Rolle. Es kann also nicht darum gehen, allgemein das Thema der Vergangenheit zum Gegenstand der Untersuchung zu machen, wie es sich etwa in der Frage nach der Entstehung, Herkunft und Geschichte der Gemeinde konkretisiert. 147 M 18,12; 40 6,3; 4QM a 8; CD 1,1; 2,2; 2,14; 4QDib Ham 6,4. — Die Abkürzungen der Qumrantexte richten sich nach denen der „Konkordanz zu den Qumrantexten" bzw. denen der „Nachträge zur 'Konkordanz zu den

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jektion' und hat keine explizit temporale Bedeutung. In 4QM a 8 -wird man zwar einen zeitlichen Sinn erkennen können, doch ist er nicht adversativ zur Vergangenheit; wie auch die Parallele 1QM 14,10 statt πη»1 ΠΠΧΊ bietet 148 . 40 6,3 dürfte zu fragmentarisch sein. Durch ΠΪΠ DVD nimmt ΠΠ5?Ί in 4 Q Dib Ham 6,4 zwar auf die Gegenwart Bezug, aber nicht in Antithese zur Vergangenheit 149 . Schließlich bleibt 1QM 18,12, wo die eigentlich präsentische Bedeutung durch DTT11 hervortritt (Zeile 10) und nnsn mehr gedanklich fortführenden Sinn hat (Zeile 12). An dieser Stelle wird das Präsens besonders durch die Gegenüberstellung zum TKö in Zeile 10 akzentuiert ('seitdem ist nichts mehr geschehen wie dieses': ΠΠΙΚΟ ΠΓΓΠ3 Ni1? ttWl). Der Tag des Kampfes zwischen den Kindern der Finsternis und den Kindern des Lichtes und deren Sieg wird als einmaliges Ereignis in der Zeit betont. Der Ausdruck tXö umfaßt dabei den gesamten Bereich der Vergangenheit, in deren Gegenüber der Sieg heute (ΟΥΤΙ) seine einzigartige Stellung erhält. — Ergebnis : ΠΠΪ1 dient in den Schriften von Qumran nicht zur Akzentuierung einer Gegenwart. TS hat in Qumran keine Vergangenheits-, sondern nur Zukunftsbedeutung 160 . ΤΝΏ taucht nur in der Kriegsrolle auf (1,10; 10,2; 11,6. 11; 13,10. 14; 16,15; 18,7. 10; außerdem noch H f 47,3) und bezieht sich hauptsächlich auf die vorherige Bestimmung (îNS) des Kampftages durch Jahwe (1,10; 11,6. 11; 13,14; vgl. auch 10,2; 18,10; in ähnlichen Sinnzusammenhang lassen sich auch — bis auf 13,10 — die übrigen Stellen einordnen, 16,15; 18,7). TNö hat also eine recht spezielle Bedeutung. Die Zeitdauer des TK8 bleibt unbestimmt; es soll nur allgemein die Länge der Vergangenheit hervorgehoben werden. b) Die Erwähnung der Vergangenheit in hymnenartigen Lob- und, DanJcliedern151 Die Hodajot kann man im wesentlichen differenzieren nach Gemeindepsalmen und Psalmen des Lehrers der Gerechtigkeit, zum andern nach individuellen Dank- und hymnischen Bekenntnisliedern. Dabei sind im allgemeinen die Psalmen des Lehrers der Gerechtigkeit Qumrantexten'" von K. G. Kuhn; vgl. die Konkordanz S. V-VII und RQ 4, 1963/64, S. 175f. In einzelnen Fällen ist die Angabe 'IQ' vorgesetzt. 148 Vgl. C. H. Hunzinger, ZAW 1957, S. 147, φ: „auch der Wechsel zwischen ΠΓΙΧΊ und ΠΠ171 in φ bedeutet nur eine kleine Sinnverschiebung." 149 Vgl. dazu M. Baillet, R B LXVIII, 1961, S. 230. 150 1QS 3,11; 4,19. 20; 1QH 6,29; 11,22; CD 2 0 , 1 7 . - 19 7,1 ist zu fragmentarisch. Vgl. G. Jeremias, Lehrer der Gerechtigkeit, S. 236 Anm. 12. 151 Es sind berücksichtigt die Lieder der Hodajot-Rolle, 1QS 10,19-11,22 und die hymnischen Einschübe in 1QM. Als Grundlage für das Folgende ist im wesentlichen auf die Arbeiten von Morawe und J . Becker zurückgegriffen.

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individuelle Danklieder und umgekehrt 152 . Während vornehmlich die hymnischen Bekenntnislieder in breiter Weise das Lob Gottes entfalten 153 und in Verbindung damit das Verhältnis der Niedrigkeit des Menschen zur Herrlichkeit Gottes reflektieren154, ist die Vergangenheit als Kontrast zur Gegenwart eigentlich nur in den individuellen Dankliedern — und dort in den sogenannten Notberichten 155 — thematisch 15e. Dabei stehen Not- und Rettungsbericht in enger Verbindung zueinander, so daß man wie im Psalter fast von einer Antithetik der Vergangenheit und der Gegenwart reden könnte. So stellt etwa Kol 2,1-19 die beiden Zeiten — Not und Rettung— in ein mehrfaches Gegeneinander357, ebenso Kol 5,5-19 158 . Antithetisch sind auch Notbericht Kol 6,22E-25a und Rettungsbericht 25b-29A gesetzt, ebenfalls Kol 9,2-7 a als Notbericht und 7b-13 als Rettungsbericht. Morawe159 verweist des weiteren auf das schöne Beispiel Kol 2,20-30, wo allerdings Not- und Rettungsbericht gliederungsmäßig kaum voneinander zu trennen sind. — Doch wie im Psalter ist auffallend, daß die Gegenwart der Rettung niemals durch ein WIS? akzentuiert wird. Zudem bedarf der Inhalt des Notberichtes einer Hervorhebung: im allgemeinen ist äußere Not und die Verfolgung durch Feinde das Thema der Vergangenheit; nur außerordentlich selten (3,24bf.; 4,33b-35a) ist von einer sündhaften Vergangenheit die Rede. So ist denn der Passus Kol 4,33b-38 der einzige Beleg innerhalb der individuellen Danklieder, wo in Vergangenheit und Gegenwart Schuld und Vergebimg zum Thema erhoben werden 160 . Doch darf mit Recht bezweifelt werden, ob hier tatsächlich von Vergangenheit und Gegenwart die Rede ist, ob hier wie in den oben aufgeführten Beispielen von Not und Rettung gehandelt wird. Das Verb IDT Zeile 35 weist darauf hin, daß sich die Antithetik von Sünde und Erbarmen nur auf einer Zeitebene abspielt, nämlich der Vergangenheit. Der Tenor des Passus liegt hier eindeutig auf "ΤΟΠ, D'ioni und nplS Jahwes 181 , ohne daß diese nur 162

Vgl. Morawe, S. 107f. 168ff. ; Becker, S. 55. Morawe, S. 68-78. 154 Morawe, S. 92-95. 99-101. 155 Morawe, S. 37ff. 156 Dabei handelt es sich tatsächlich nur um Danklieder. Niemals nimmt der Notbericht den beherrschenden Raum ein. Eine Bitte um Wendimg der Not fehlt im allgemeinen. Die Situation der Rettung ist jeweils vorausgesetzt, vgl. Morawe, S. 38. 66f. 157 5 - 1 0 a Rettungsbericht, 10b-13a Notbericht, 13b-15 Rettungsbericht, 16-17 Notbericht. — Aufteilung nach Morawe, S. 38f. 54f. 126-128. 158 Vgl. Morawe, S. 57f. 41 f. 58. 59. l l l f . 158 S. 108f. 160 Vgl. Morawe, S. 41. 47. 57. 161 Vgl. auch ähnlich Jeremias, Lehrer der Gerechtigkeit, S. 217. 153

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der Zeit der Gegenwart vorbehalten wären 162 . — Wir können die These formulieren: Vergangenheit und Gegenwart werden hauptsächlich innerhalb der individuellen Danklieder zum Thema erhoben; dort sind sie in das Gegenüber von Notbericht und Rettungsbericht eingefaßt. Inhaltlich werden damit vorwiegend eine äußere Not, etwa die Verfolgung durch Feinde, und die Rettung aus dieser Notsituation beschrieben, weniger der Weg von Sünde zum Erbarmen Gottes. Die Kennzeichnung der Zeiten durch Zeitadverbien findet sich in keinem Fall. Die Aussagen über Sünde und Frevel des Menschen werden fast ausschließlich im Zusammenhang mit hymnischen Partien innerhalb der Gemeindepsalmen gemacht. Die enge Verbindung der Doxologien mit den Elendsmotiven ist bereits erkannt 163 , auch das Motiv der Sünde und des Frevels spielt dabei eine Rolle164. Becker findet in diesen Psalmen wohl mit Recht die modifizierte Gattung der Gerichtsdoxologie165 wieder, denn die Niedrigkeits- und Sündenaussagen dienen wie in der Gerichtsdoxologie dem Herausstellen der Größe der Gnade Gottes 166 . Das Gegenüber von Sünden- und Gnadenaussagen wird nun jedoch nicht mit dem Gegensatz der Zeiten gekoppelt, vielmehr gilt es — wenn überhaupt das Thema der Vergangenheit anklingt — Gottes Barmherzigkeit in Vergangenheit und Gegenwart zu preisen. Morawe stellt nun noch eine weitere Motivgruppe heraus, die sogenannten 'Reflexionen' 167 , „die katechismusartig den Heilsweg des Sünders explizieren" 168 und daher von vornherein eine Zweiteilung auch im zeitlichen Sinne nahelegen. Doch ist die Verwandtschaft zum Hymnus recht groß 16e , so daß nicht immer unbedingt an das einmalige Gegenüber von Vergangenheit und Gegenwart gedacht zu werden braucht. Lediglich Kol3,20b-23a ist der Weg von der VlN® zur nVw Dil besonders akzentuiert. Von dem 21 SHPB ist die Rede (3,21) und von dem Eintreten in die Gemeinschaft ("ΙΓΡ3 ΝΊ3, 3,22)170, so daß hier beim Eintritt in die Sekte eine sündige Vergangenheit von einer neuen Zeit getrennt wird. Doch ist in den Reflexionen das Thema der Vergebung und der Reinigung von den Sünden eigentlich nur 162 Vgl. auch, das Verb |5JtP, Zeile 36, das eine zeitliche Differenzierung von Schuld und Erbarmen nicht zuläßt. 163 Vgl. Morawe, S. 76-78. Í01 f. 105. 184 Vgl. etwa 1QH l,21bff. oder 13,14f. Besonders krass 1QS 11,9f. 165 S. 13