Das vorliegende Werk ist die erste deutschsprachige und bisher umfangreichste Einleitung in die Septuaginta, die griechi
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German Pages 718 [720] Year 2016
Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta
Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta
Allgemeine Hinweise
Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Allgemeine Abkürzungen
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
1. Pentateuch
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
2. Geschichtsbücher
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
2.3 Ruth / Das Buch Rut
2.4 Die Bücher der Königtümer
2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel
2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige
2.4.3 Baslieion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia
3. Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher
3.1 Esther / Das Buch Ester
3.2 Judith / Das Buch Judit
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
3.4 Die Bücher der Makkabäer
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer
4. Psalmen und Oden
4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen
4.2 Odai / Das Buch der Oden
4.3 Psalmoi Solomontos / Die Psalmen Salomos
5. Weisheitsbücher
5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos
5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo
5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied
5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob
5.5 Sophia Solomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos
5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach
6. Prophetische Bücher
6.1 Dodekapropheton / Das Zwölfprophetenbuch
6.1.0 Dodekapropheton – Überblick
6.1.1 Osee / Hosea
6.1.2 Amos
6.1.3 Michaias / Micha
6.1.4 Joel
6.1.5 Abdiu / Obadja
6.1.6 Jonas / Jona
6.1.7 Naum / Nahum
6.1.8 Ambakum / Habakuk
6.1.9 Sophonias / Zefanja
6.1.10 Aggaios / Haggai
6.1.11 Zacharias / Sacharja
6.1.12 Malachias / Maleachi
6.2 Esaias / Isaias / Jesaja
6.3 Jeremiaschriften
6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia
6.3.2 Baruch
6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Die Klagelieder
6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistola Ieremiae / Der Brief des Jeremia
6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel
6.5 Danielschriften
6.5.1 Daniel
6.5.2 Susanna
6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache
Septuaginta und Neues Testament
Der Septuaginta-Text im frühen Christentum
Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Textgeschichte
Register
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT
LXX.H Herausgegeben von Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer
HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT
LXX.H
BAND VOLUME
1
Siegfried Kreuzer (Hg.)
Einleitung in die Septuaginta
Gütersloher Verlagshaus
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1. Auflage Copyright © 2023 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München ISBN 978-3-641-31093-6 www.gtvh.de
Inhaltsverzeichnis Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
. . . . . . . . . . . . . . .
17
Allgemeine Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kreuzer
29
Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund
89
Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
1.
Pentateuch
1.0
Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Rösel
97
1.1
Genesis / Das erste Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Kepper
107
1.2
Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Schwagmeier
120
1.3
Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Vahrenhorst
137
1.4
Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gilles Dorival
146
1.5
Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose . . . . . . . . . Melvin K. H. Peters
161
2.
Geschichtsbücher
2.1
Jesus / Josue / Das Buch Josua Cornelis G. den Hertog
2.2
Kritai / Iudices / Das Buch der Richter Natalio Fernández Marcos
2.3
Ruth / Das Buch Rut Eberhard Bons
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
5
Inhaltsverzeichnis
2.4 Die Bücher der Königtümer 2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philippe Hugo
207
.
232
2.4.3 Baslieion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige . Julio Trebolle
241
Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik . . . . . . Adrian Schenker
251
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra . . . . . . . . . . . . Dieter Böhler
260
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia . . . . . . . . . . . . . . Dieter Böhler
265
2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige Martin Meiser
2.5
3.
Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher
3.1
Esther / Das Buch Ester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristin De Troyer
271
3.2
Judith / Das Buch Judit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Engel
279
3.3
Tobit / Das Buch Tobit / Tobias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Hauspie
289
3.4 Die Bücher der Makkabäer 3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Tilly
299
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Nicklas
306
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Orth
314
3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Robert J. V. Hiebert
322
4.
Psalmen und Oden
4.1
Psalmoi / Das Buch der Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons / Ralph Brucker
6
333
Inhaltsverzeichnis
4.2
Odai / Das Buch der Oden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ioan Chirilă / Siegfried Kreuzer
354
4.3
Psalmoi Solomontos / Die Psalmen Salomos . . . . . . . . . . . . . . . . . Felix Albrecht
361
5.
Weisheitsbücher
5.1
Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos . . . . . . . . . . . Hans-Winfried Jüngling
375
5.2
Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter J. Gentry (mit Yun-Yeong Yi)
389
5.3
Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Schulz-Flügel
398
5.4
Job / Das Buch Ijob / Hiob Markus Witte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407
5.5
Sophia Solomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos . . . . . . Helmut Engel
422
5.6
Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer
437
6.
Prophetische Bücher
6.1 Dodekapropheton / Das Zwölfprophetenbuch 6.1.0 Dodekapropheton – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez
461
Osee / Hosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Joosten
474
6.1.2 Amos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons
481
6.1.3 Michaias / Micha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez / Jan Joosten
490
6.1.4 Joel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez
497
6.1.5 Abdiu / Obadja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez
503
6.1.6 Jonas / Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez
507
6.1.7 Naum / Nahum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Josef Fabry
513
6.1.1
7
Inhaltsverzeichnis
6.1.8 Ambakum / Habakuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Josef Fabry
519
6.1.9 Sophonias / Zefanja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jong-Hoon Kim
526
6.1.10 Aggaios / Haggai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Pola
530
6.1.11 Zacharias / Sacharja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Pola
537
6.1.12 Malachias / Maleachi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez
552
Esaias / Isaias / Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arie van der Kooij
559
6.2
6.3 Jeremiaschriften 6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pierre Maurice Bogaert
577
6.3.2 Baruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pierre Maurice Bogaert
596
6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Die Klagelieder . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer
600
6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistola Ieremiae / Der Brief des Jeremia . . . . . . . . . Benjamin Wright
606
Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johan Lust
613
6.4
6.5 Danielschriften 6.5.1 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Settembrini
635
6.5.2 Susanna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Dieter Neef
649
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
655
6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache Heinz-Dieter Neef
8
Inhaltsverzeichnis
Septuaginta und Neues Testament Der Septuaginta-Text im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer
663
Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Textgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kraus
678
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
697
1. Biblische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Altes Testament / Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
697 697 703
2. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Qumran und Wüste Juda . . . . . . . . 2.2 Papyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Handschriften nach »Rahlfs-Nummern« 2.4 Codices . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
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. . . . .
706 706 706 707 707
3. Autoren und Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Griechische und hellenistische Autoren und Texte 3.2 Jüdische Autoren und Texte . . . . . . . . . . . . 3.3 Christliche Autoren und Texte . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
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. . . .
708 708 709 710
. . . . . . . . . . . . . . . . .
713
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
9
Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta Das Handbuch zur Septuaginta dessen erster Band hier vorliegt, will eine umfassende Darstellung der derzeitigen Forschungen zur Septuaginta geben. Es ist damit Hinführung zu den vielfältigen Fragen und Ergebnissen der Septuagintaforschung, Bilanz des aktuellen Standes und Grundlage für die weitere Forschung. Folgende Bände sind vorgesehen: Einleitung in die Septuaginta, Textgeschichte der Septuaginta, Sprache der Septuaginta, der historische Kontext der Septuaginta, Theologie der Septuaginta, Wirkungsgeschichte. Die Planungen für das Handbuch entstanden auf dem Hintergrund von »Septuaginta Deutsch«. Schon die Übersetzung Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, 2009; 2 2010) und die damit verbundenen Bände Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (hg. von Martin Karrer und Wolfgang Kraus, 2011) waren international orientiert. In den Bänden des Handbuches spiegelt sich dieses Anliegen in der internationalen und interdisziplinären Zusammensetzung des Herausgeberkreises und auch der Autorenschaft. Die Septuagintaforschung erlebt in jüngster Zeit eine eindrucksvolle Blüte. Ein Ausdruck dafür sind die zahlreichen Übersetzungsprojekte. Während zuvor nur zwei schon ältere englische Übersetzungen existierten, gibt es nun bzw. sind in Bearbeitung eine neue Übersetzung in Englische, eine französische Übersetzung, die deutsche Übersetzung, aber auch eine Übersetzung ins Rumänische, ins Spanische, ins Italienische, in das Neugriechische und Übersetzungen in das Japanische und Koreanische. Die Übersetzungen erleichtern den Zugang zur Septuaginta und fördern ihre Wahrnehmung nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in anderen Fachgebieten wie etwa der Geschichte, der Sprachwissenschaft oder der Übersetzungs- und der Editionswissenschaft. Zugleich ergeben sich immer wieder neue Fragestellungen als Herausforderung an die Septuagintawissenschaft. Die verschiedenen Teilbände des Handbuchs zur Septuaginta wollen hier die bisherigen Forschungen bündeln, neue Fragestellungen aufnehmen und sowohl Basis als auch Impuls für die weitere Forschung geben. Die Hauptherausgeber danken den Herausgebern der Bände und den zahlreichen Autorinnen und Autoren für ihre engagierte Arbeit und dem Gütersloher Verlagshaus für den Mut, dieses große Projekt auf den Weg zu bringen und zu realisieren. Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer
11
Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta Angaben zur Entstehung, zum Inhalt und zur Intention einer Schrift finden sich schon sehr früh sowohl zu den biblischen Schriften als auch zu anderer Literatur. Sie finden sich in den Überschriften zu den Prophetenbüchern, in den Überschriften der Psalmen, aber auch in gelegentlichen Bemerkungen wie jene am Schluss des Buches Kohelet. In der griechischen Literatur gibt es vielfach Vorreden oder Nachbemerkungen, die zunächst oft in das betreffende Werk eingebettet sind, später aber zunehmend davon abgehoben werden. Ein Beispiel dafür sind die Vorreden zum Lukasevangelium und zur Apostelgeschichte. Die umfangreichste Vorrede und leider auch die einzige dieser Art im Bereich der Septuaginta ist die Vorrede des Enkels von Ben Sira, der darin die Herkunft der Schrift sowie die Beweggründe und Anliegen seiner Übersetzung kundtut. In der jüdischen Tradition bzw. in der rabbinischen Literatur finden sich vereinzelt einschlägige Angaben. Dabei steht die Herleitung von heiligen Personen, meist der Hauptperson der betreffenden Schrift, im Vordergrund. Daneben finden sich aber auch Bemerkungen zur Sprache oder anderen Details wie etwa die interessante, allerdings erst sehr späte Bemerkung über jene Wörter, die in der Septuaginta dem Lagidenkönig Ptolemäus II. zuliebe geändert bzw. vermieden wurden Berühmt für die Gattung Vorrede sind die Vorreden des Hieronymus zu den einzelnen Büchern seiner Bibelrevision, der späteren Vulgata. Daneben gab es auch schon in der Antike Autoren eigenständiger Werke, die sich ganz oder zum Teil mit der Entstehung und Überlieferung der biblischen Schriften befassten, wie Julius Africanus (gest. ca. 240), Augustin (gest. 420) und insbesondere Isidor von Sevilla (gest. 636), der östliche und westliche Traditionen verband und vermittelte. Das wohl älteste bekannte Werk einer Einleitung in die biblischen Schriften ist die »Einleitung in die göttlichen Schriften« (Εἰσαγωγὴ εἰς τὰς θείας γραφάς) des Mönches Arrian (gest. um 440 n. Chr.). Der Titel ist vielleicht ein bewusstes Gegenstück zur Isagoge des Pophyrius zur Logik des Aristoteles aus dem 3. Jh. n. Chr. Isagogé war bereits der Titel der Einführung des Albinos (2. Jh. n. Chr.) in Platons Dialoge und wurde in der Antike und im Mittelalter für die Einführung in verschiedene Wissensgebiete verwendet. In der latinisierten Form Isagoge oder dann Introductio wurde der Begriff schließlich auch für die deutsche Bezeichnung der Thematik maßgebend: 1780 bis 1783 erschien die dreibändige »Historisch-kritische Einleitung in das Alte Testament« von Johann Gottfried Eichhorn, die bis in die Gegenwart namengebend für Werke dieser Thematik wurde (auch wenn daneben manchmal Titel wie »Einführung« oder »Entstehung [des Alten Testamens]« verwendet werden). In der englischen und französischen Bezeichnung »Introduction« lebt demgegenüber »introductio« als die lateinische Version der Isagoge weiter. In der Einleitungswissenschaft geht es vor allem um die Entstehung der einzelnen Schriften, um die Überlieferung des Textes und um den Ort im Kanon bzw. im Kontext der anderen Schriften. Die vorliegende »Einleitung in die Septuaginta« steht in dieser Tradition der Einleitungswissenschaft, wobei sich spezifische Besonderheiten daraus ergeben, 13
Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta
dass ein großer Teil der Septuagintaschriften eine Übersetzung ihrer hebräischen (bzw. teilweise auch aramäischen) Vorlage darstellen. Dementsprechend geht es bei diesen Schriften nicht um deren ursprüngliche Entstehung und Überlieferung, sondern um die griechische Übersetzung, deren Anliegen, Besonderheiten und Überlieferung. Eine wichtige Grundlage der vorliegenden Beiträge sind die Einleitungen zu den einzelnen Schriften, wie sie insbesondere in »Septuaginta Deutsch. Einleitungen und Kommentare« vorhanden sind. Ein Teil der Artikel wurde von denselben Autorinnen und Autoren verfasst. Darüber hinaus wurden für die vorliegende Einleitung bewusst Autoren und Autorinnen aus den französischen (La Bible d’Alexandrie), englischen (New English Translation of the Septuagint) und spanischen (La biblia griega) Septuagintaforschungs- und -übersetzungsprojekten beteiligt. Der vorliegende Band der Einleitung in die Septuaginta ist Teil des Handbuchs zur Septuaginta. In diesem wird es Bände zur Textgeschichte, zur Sprache, zu den historischen Kontexten, zur Theologie der Septuaginta und zur Wirkungsgeschichte geben. Diese Fragen werden in der vorliegenden Einleitung natürlich im Blick auf das jeweilige Buch angesprochen; eine umfangreichere und an zusammenhängenden Themen bzw. wichtigen Autoren orientierte Darstellung wird in den weiteren Bänden des Handbuches zu finden sein. Jedes wissenschaftliche Werk steht an einem bestimmten Punkt in der Forschungsgeschichte. Der Entwicklung der Forschung wird dadurch Rechnung getragen, dass einerseits in den umfangreichen Bibliographien die Breite der bisherigen Forschung dokumentiert wird, dass bei aller individuellen Positionierung der einzelnen Autorinnen und Autoren immer auch die anderen Meinungen erörtert werden, und nicht zuletzt darin, dass unter »Perspektiven der Forschung« auf offene Fragen und zukünftige Perspektiven hingewiesen wird. Wir hoffen, dass diese erste deutschsprachige Einleitung in die Septuaginta Studierenden der Septuaginta einen Zugang zur Septuagintaforschung eröffnet und dass sie für die Fachgelehrten eine solide Grundlage und Orientierung für zukünftige Forschungen bietet. Unser Dank gilt den vielen Autorinnen und Autoren für Ihre Beiträge, dem Gütersloher Verlagshaus für das Engagement, das »Handbuch zur Septuaginta« in Angriff zu nehmen, und Herrn Lektor Diedrich Steen und Frau Lektorin Tanja Scheifele für die gute Betreuung des Werkes. Für die Herausgeber des Handbuchs zur Septuaginta
14
Siegfried Kreuzer
Allgemeine Hinweise Entsprechend den üblichen Strukturen einer Einleitung folgt die Darstellung neben den einleitenden Überblicksbeiträgen und einem Ausblick am Schluss im Wesentlichen den einzelnen Schriften der Septuaginta. Zum Pentateuch und zum Dodekapropheton gibt es darüber hinaus jeweils einen Überblicksartikel. Die einzelnen Artikel sind folgendermaßen gegliedert: 1. Literatur 2. Textüberlieferung und Editionen, 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung, 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil, 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte und 6. Perspektiven der Forschung. Ad 1.: Die Literaturangaben gliedern sich in der Regel in 1.1 Text und Editionen, 1.2 Qumrantexte, 1.3 Übersetzungen und Kommentare, 1.4 Weitere Literatur. Unter Text und Editionen werden die umfassenden Editionen, d. h. die Septuagintaausgaben von Swete und Rahlfs (/ Hanhart) sowie – wenn vorhanden – die Ausgabe von Brooke / McLean / Tackeray und die Göttinger Ausgabe verzeichnet, dazu kommen gegebenenfalls weitere Texteditionen. 1 Unter 1.2 sind die einschlägigen Qumrantexte vermerkt, und zwar sowohl die griechischen als auch alle hebräischen. Damit soll der großen Bedeutung der Qumrantexte nicht nur für die hebräische Textgeschichte sondern auch für die Septuagintaforschung Rechnung getragen werden. Diese Rubrik wurde vom Herausgeber zusammengestellt und von den Autorinnen und Autoren geprüft. Unter 1.3 Übersetzungen und Kommentare sind die entsprechenden Bände bzw. Abschnitte der Bible d’Alexandrie (BdA; soweit vorhanden), der New English Translation of the Septuagint (NETS) und von Septuaginta Deutsch. Das Griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (LXX.D) sowie Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (LXX.E) verzeichnet. Weitere Übersetzungen, die zum Teil noch im Entstehen sind, konnten nicht aufgenommen werden, sollen aber hier pauschal genannt werden: Die spanische Übersetzung »La Biblia Griega« (4 Bände), die rumänische Übersetzung »Septuaginta« (6 Bände). Darüber hinaus gibt es bzw. sind im Entstehen eine italienische, eine japanische, eine koreanische und weitere Übersetzungen, die allerdings in der Regel den Benutzern dieses Bandes kaum zugänglich sein werden. Bei den Büchern, die von Haus aus in Griechisch verfasst wurden, finden sich naturgemäß auch die Angaben zu den entsprechenden Übersetzungen (etwa »Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit«) sowie zu den Kommentaren aus den einschlägigen deutschen und internationalen Kommentarreihen. Unter 1.4 Weitere Literatur finden sich Angaben, die im Umfang weit über das hinausgehen, was üblicher Weise in Einleitungen verzeichnet ist, die aber trotzdem nicht vollständig sein können. Sie geben aber eine wesentliche Auswahl und verzeichnen Werke und Beiträge der verschiedenen Forschungspositionen. Ad 2.: Unter Textüberlieferung und Editionen finden sich, je nach Besonderheit des Buches, Angaben zu spezifischen Problemen des Textes aber auch zu Charakteristika 1.
Für die vollen bibliographischen Angaben der hier und im Weiteren genannten Werke siehe das folgende Verzeichnis häufig zitierter Literatur.
15
Allgemeine Hinweise
der Editionen, etwa die wichtigsten Handschriften, auf denen eine Edition basiert, oder eine Auflistung der seither gefundenen Handschriften. Ad 3.: Unter Übersetzungtechnik, Zeit und Ort der Übersetzung werden die entsprechenden Themen erörtert. Naturgemäß ist bei jenen Schriften, die in griechischer Sprache entstanden, nicht von Übersetzungstechnik zu reden, sondern von sprachlicher Eigenart und von Zeit und Ort der Abfassung. Die Überschriften sind dementsprechend jeweils sachgemäß modifiziert. Ad 4.: Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil. Das sprachliche Profil hängt zwar durchaus eng mit der Übersetzungstechnik zusammen, es bezieht sich aber vor allem auf den Sprachstand im Kontext des Griechischen. Das inhaltliche und theologische Profil bezieht sich bei den übersetzten Büchern vor allem auf die Unterschiede zum hebräischen Text, bei den griechisch entstandenen (oder nur da vollständig erhaltenen) Schriften naturgemäß stärker auf das Gesamtwerk. Ad 5.: Unter Aspekte der Wirkungsgeschichte werden erste, zum Teil auch durchaus umfangreiche Hinweise auf die Wirkungsgeschichte geboten. Zur Wirkungsgeschichte ist ein eigener Band im Handbuch vorgesehen. Die Wirkungsgeschichte wird dort auch im Blick auf thematische Zusammenhänge und im Blick auf einzelne bedeutende Autoren dargestellt. Hier werden die wichtigsten Aspekte für das jeweilige Buch erörtert. Ad 6.: Perspektiven der Forschung. Hier bieten die Autorinnen und Autoren Hinweise auf ihrer Meinung nach wichtige Fragen, die weiterhin oder neu zu bearbeiten sind. Wichtige und häufig zitierte Literatur ist in dem hier anschließenden Verzeichnis häufig zitierter Literatur erfasst. Dieses ist zugleich das Abkürzungsverzeichnis. Die weiteren bibliographischen Abkürzungen für Zeitschriften und Reihen folgen dem Üblichen (siehe dazu die Abkürzungsverzeichnisse in »Theologische Realenzyklopädie« und in »Religion in Geschichte und Gegenwart«), ebenso die Abkürzungen für antike Autoren und deren Schriften. Weniger bekannte Werke sowie seltene Zeitschriften und Reihen werden unabgekürzt genannt. Die allgemeinen Abkürzungen (wie z. B. oder usw.) entsprechen den geläufigen Abkürzungen.
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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie Das folgende Verzeichnis benennt häufig verwendete Literatur, insbesondere Texteditionen, Nachschlagewerke, Hilfsmittel, und wissenschaftliche Reihen der Septuagintaforschung. Darüber hinausgehende Abkürzungen von Zeitschriften, Reihen, Lexica und Quellen erfolgen nach »Religion in Geschichte und Gegenwart«, 4. Auflage, Tübingen, und S. M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 2 1994. Weitere Angaben werden nicht abgekürzt bzw. die Abkürzungen werden innerhalb eines Artikels bei ihrem ersten Vorkommen erklärt. Die verschiedenen Werke und Beiträge werden in der Regel mit Seitenzahl zitiert, Grammatiken nach Paragraphen; Lexikoneinträge mit Seitenzahl oder mit Verweis auf das Stichwort (s. v. = sub voce).
Häufig zitierte Literatur: Basisbibliographie Bauer
BBS BdA
Bauer, W. (ed. Aland, K. / Aland, B.), Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin / New York 61988. Botte, B. / Bogaert, P.-M., Septante et versions grecques, in DBS XII, (1993) 536-693. La Bible d’Alexandrie. Traduction et annotation des livres de la Septante sous la direction de Marguerite Harl, Gilles Dorival et Olivier Munnich, assistés de Cécile Dogniez, Paris 1986 ff. BdA 1 Harl, M., zus. mit Alexandre, M. / Dogniez, C., La Genèse, BdA 1, 21994 BdA 2 Le Boulluec, A. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, 1989 BdA 3 Harlé, P. / Pralon, D., Le Lévitique, BdA 3, 1988 BdA 4 Dorival, G., zus. mit Barc, B. / Favrelle, G. u. a., Les Nombres, BdA 4, 1994 BdA 5 Dogniez, C. / Harl, M., Le Deuteronome, BdA 5, 1992 BdA 6 Moatti-Fine, J., Jésus (Josué), BdA 6, 1996 BdA 7 Harlé, P. / Roqueplo, T., Les Juges, BdA 7, 1999 BdA 8 Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Ruth, BdA 8, 2009 BdA 9/1 Grille, B. / Lestienne, M., zus. mit Massonet, J. / Maesson, A., Premier Livre des Règens, BdA 9/1, 1997 BdA 11/2 Janz, T., Deuxième Livre d’Esdras, BdA 11/2, 2010 BdA 12 Cavalier, C., Esther, BdA 12, 2012 BdA 15/3 Mélèze Modrzejewski, J., Troisième Livre des Maccabées, BdA 15/3, 2008 BdA 17 D’Hammonville, D.-M., zus. mit Épiphane Dumouchet, S., Les Proverbes, BdA 17, 2000
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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Vinel, P., L’Ecclésiaste, BdA 18, 2002 Bons, E. / Joosten, J. / Kessler, S. u. a., Les Douze Prophètes. Osée, BdA 23/1, 2002 BdA 23/4-9Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. u. a., Les Douze Prophètes 4-9. Joël, Abdiou, Jonas, Naoum, Ambakoum, Sophonie, BdA 23/4-9, 1999 BdA 23.10-11 Casevitz, M. / Dogniez, C. / Harl, M., Les douze Prophétes 10-11. Aggée, Zacharie, BdA 23/10-11, 2007 BdA 23/12 Vianès, L., Les Douze Prophétes 12. Malachie, BdA 23/12, 2011 BdA 25/2 Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie, BdA 25/2, 2005 Blass, F. / Debrunner, A. / Rehkopf, F., Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 171990 Brock, S. P. / Fritsch, C. T. / Jellicoe, S., A Classified Bibliography of the Septuagint, ALGHJ 6, Leiden 1973. Ulrich, E., The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VTS 134, Leiden 2010 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 1, hg. von H.-J. Fabry / U. Offerhaus, BWANT 153, Stuttgart 2002 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 2, hg. von S. Kreuzer / J. Lesch, BWANT 161, Stuttgart 2004 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, Band 3, hg. von H.-J. Fabry / D. Böhler, Stuttgart 2007 Barthélemy, D. [Hulst, R. / Ryan, S. D. / Schenker, A.], Critique textuelle de l’Ancien Testament, OBO 50/1-4, Göttingen 1973-2005 Dines, J., The Septuagint, London 2004 Discoveries in the Judaean Desert, Oxford, 1955 ff. DJD 2 Benoit, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R., Les Grottes de Murabbaʿ ât, 1961, Band 1 und 2 DJD 3 Baillet, M. / Milik, J. T. / de Vaux, R., Les »Petites Grottes« de Qumrân, 1962, Band 1 und 2. DJD 4 Sanders, J. A., The Psalms Scroll Of Qumrân Cave 11, 1965 DJD 5 Allegro, J. M. / Anderson, A. A., Qumrân Cave 4.I, 4Q158-4Q186, 1968 DJD 8 Tov, E., zus. mit Kraft, R. A. / Parsons, P. J., The Greek Minor Prophets Scroll from Nahal Hever (8ḤevXIIgr), 1990 DJD 9 Skehan, P. W. / Ulrich, E. / Sanderson, J. E., Qumrân Cave 4.IV, Palaeo-Hebrew and Greek Biblical Manuscripts, 1992 DJD 12 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Davila, J. R., Qumran Cave 4. VII, Genesis to Numbers, 1994 DJD 13 Attridge, H. / Elgvin, T. / Milik, J. u. a., Qumran Cave 4. VIII, Parabiblical Texts Part 1, 1994 DJD 14 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Crawford, S. W. u. a., Qumran Cave 4.IX, Deuteronomy, Joshua, Judges, Kings, 1995
BdA 18 BdA 23/1
BDR BFJ BQS Brennpunkt 1
Brennpunkt 2
Brennpunkt 3
CTAT Dines DJD
18
Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Ulrich, E. / Cross, F. M. / Fuller, R. E. u. a., Qumran Cave 4.X, The Prophets, 1997 DJD 16 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Fitzmyer, J. A. u. a., Qumran Cave 4.XI, Psalms to Chronicles, 2000 DJD 17 Cross, F. M. / Parry, D. W. / Saley, R. J. u. a., Qumran Cave 4.XII, 1-2 Samuel, 2005 DJD 19 Broshi, M. / Eshel, E. / Fitzmyer, J. u. a., Qumran Cave 4. XIV, Parabiblical Texts Part 2, 1995 DJD 22 Brooke, G. / Collins, J. / Elgvin, T. u. a., Qumran Cave 4. XVII, Parabiblical Texts Part 3, 1996 DJD 23 Garciá Martínez, F. / Tigchelaar, E. J. C. / van der Woude, A., Qumran Cave 11.2, 11Q2-18, 11Q20-31, 1998 DJD 28 Gropp, D. M. / Bernstein, M. / Brady, M. u. a., Wadi Daliyeh and Qumran Cave 4.XXVIII, Miscellanea Part 2, 2001 DJD 30 Dimant, D., Qumran Cave 4.XXI, Parabiblical Texts Part 4: Pseudo-Prophetic Texts, 2001 DJD 39 Tov, E., zus. mit Abegg, M. G., Jr / Lange, A., The Texts from the Judaean Desert, Indices and an Introduction to the Discoveries in the Judaean Desert Series, 2002 Dogniez, C., Bibliography of the Septuagint. Bibliographie de la Septante (1970-1993), VTS 60, Leiden / New York / Köln 1995. De Septuaginta Investigationes, Göttingen 2011 ff. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Ökumenischer Text, Stuttgart 1980 Field, F., Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta, 2 Bde., Oxford 1875 Fernández Marcos, N., The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible, Leiden 2000 (= 2009). Gesenius, W., Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearbeitet von Frants Buhl, Berlin / Göttingen / Heidelberg 171915; Nachdruck 1962 u. ö. Gesenius, W. / Donner H. / Rüterswörden, U., Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 181987 ff. Gesenius, W. / Kautzsch, E., Hebräische Grammatik, Leipzig 281909 Gesenius, W., Hebräische Grammatik, völlig umgearb. von Kautzsch, E.; Paradigmen und Register zu Gesenius’ Kautzsch Hebräischer Grammatik; Bergsträsser, G., Hebräische Grammatik, I. Teil: Einleitung, Schrift u. Lautlehre; Bergsträsser, G., Hebräische Grammatik, II. Teil: Verbum, Darmstadt 1985 Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum. Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Göttingen 1931 ff. I Wevers, J. W., Genesis, 1974 II/1 Wevers, J. W., Exodus II/2 Wevers, J. W., Leviticus, 1986 III/1 Wevers, J. W., Numeri, 1982 III/2 Wevers, J. W., Deuteronomium, 1977; 20062 IV/3 Quast, U., Ruth 2006, 20092 VII/2 Hanhart, R., Paralipomenon Liber II, 2014 VIII/1 Hanhart, R., Esdrae Liber I, 1974; 19912 DJD 15
Dogniez DSI EÜ Field
FMI Gesenius
Ges18 GesK GKB
Gö
19
Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Hanhart, R., Esdrae Liber II, 1993 Hanhart, R., Esther, 1966; 19832 Hanhart, R., Iudith, 1979 Hanhart, R., Tobit, 1983 Kappler, W., Maccabaeorum Liber I, 1936 Hanhart, R. / Kappler, W., Maccabaeorum Liber II, 1959 Hanhart, R. / Kappler, W., Maccabaeorum Liber II, 1959 Hanhart, R., Maccabaeorum Liber III, 1960 Rahlfs, A., Psalmi cum Odis, 1931; 19793 Ziegler, J., Iob, 1982 Ziegler, J., Sapientia Salomonis, 1962; 19802 Ziegler, J., Sapientia Iesu Filii Sirach, 1965; 19802 Ziegler, J., Duodecim Prophetae, 1943; 19843 Ziegler, J., Isaias, 1939; 19833 Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, 1957; 20134 XVI/1 Ziegler, J., Ezechiel, 1952; 20063 (mit einem Nachtrag von D. Fraenkel) XVI/2 Ziegler, J. / Munnich, O. / Fraenkel, D. (Hg.), Susanna, Daniel, Bel et Draco, 1954; 19992 Köhler, L. / Baumgartner, W. / Stamm, J. J., Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 5 Bände und 1 Suppl.-Bd., Leiden 1967-1996 = unveränd. und seitengleicher Nachdruck in 2 Bänden, Leiden 2004 Harl, M. / Dorival, G. / Munnich, O., La Bible Grecque des Septante, Paris 21994 Helbing, R., Grammatik der Septuaginta. Laut- und Wortlehre, 1907 = Göttingen 1979 Helbing, R., Die Kasussyntax der Verba bei der Septuaginta. Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Koinê, Göttingen 1928 Hatch, E. / Redpath, H. A., A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament, 1897-1906 = Grand Rapids 1998 Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd. 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009 Jastrow, M., Dictionary of the Targumim, Talmud Babli, Yerushalmi and Midrashic Literature, New York 1971 Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 Joüon, P. / Muraoka, T., A Grammar of Biblical Hebrew, Subsidia Biblica 27, Rom 2006 Kühner, R. / Blass, F., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Teil 1, Elementar- und Formenlehre, Hannover, unveränderter Nachdr. 1998 Kühner, R. / Gerth, B., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Teil 2, Satzlehre, Hannover / Leipzig 18983 / 1904, unveränderter Nachdr. Hannover 1976 u. ö. Lust, J. / Eynikel, E. / Hauspie, K., A Greek English Lexicon of the Septuagint, Stuttgart 20032 VIII/2 VIII/3 VIII/4 VIII/5 IX/1 IX/2 IX/2 IX/3 X XI/4 XII/1 XII/2 XIII XIV XV
HAL
HDM Helbing, Gr Helbing, Ks HR
HTTM
Jastrow Jellicoe JMG KBG
KGG
LEH
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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
LSJ
LuthB LXX.D LXX.E Ma
MMV
MSU Muraoka, Index Muraoka, Lexikon NETS
PG PL QBS Ra RaHa Racj Rahlfs, Verzeichnis Rahlfs / Fraenkel
Siegert
SIG Swete, Intro Swete, OT Thackeray
Liddell, H. G. / Scott, R., A Greek-English Lexicon. Revised and Augmented throughout by H. S. Jones u. a., 19409, with a Supplement, ed. by P. G. W. Glare, Oxford 1996 Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen, Stuttgart 1984 Kraus, W. / Karrer, M. (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009; 20102 Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. I und II, Stuttgart 2011 El texto antioqueno de la Biblia griega I-III, ed. N. Fernández Marcos / J. Ramón Busto Saiz, TECC 50/53/60, Madrid 1989/1992/1996 (Madrider Ausgabe des antiochenischen Textes) Moulton, J. H. / Milligan, G., The Vocabulary of the Greek Testament. Illustrated from the Papyri and other non-literary Sources, 1939 = London 1952 Mitteilungen des Göttinger Septuagintaunternehmens, Berlin 1909 Muraoka, T., Hebrew/Aramaic Index to the Septuagint keyed to the Hatch-Redpath Concordance, Grand Rapids 1998 Muraoka, T., A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Leuven 2010. A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included under that Title, ed. A. Pietersma / B. G. Wright, Oxford / New York 2007 Patrologia Graeca, hg. von J. P. Migne, Paris 1857 ff. Patrologia Latina, hg. von J. P. Migne, Paris 1844 ff. Ulrich, E., The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VT.S 134, Leiden 2010 Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, 2 Bde., hg. von A. Rahlfs, Stuttgart 1935 (zahlreiche Nachdrucke, auch in einem Band) Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes. Duo volumina in uno. Editio altera quam recognovit et emendavit R. Hanhart, Stuttgart 2006 Konjektur bei Ra Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments für das Septuaginta-Unternehmen aufgestellt, MSU 1, Berlin 1914 Rahlfs, A. / Fraenkel, D., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments von A. Rahlfs, Band I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, bearbeitet von D. Fraenkel, Göttingen 2004 Siegert, F., Zwischen hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, zwei Teile (durchgehend paginiert), Münster 2001 und 2003 Sylloge Inscritionum Graecarum, ed. W. Dittenberger, 5 Bde., Leipzig 1915-1924 Swete, H. B., An Introduction to the Old Testament in Greek, Cambridge 1900 = Peabody, MA 1968 Swete, H. B. (Hg.), The Old Testament in Greek according to the Septuagint, vol. 1-3, Cambridge 1887-94, 31901-1907 Thackeray, H. S. J., A Grammar of the Old Testament in Greek according to the Septuagint, vol. 1, 1909 = 1970 = Hildesheim 1987
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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Tov, Use Wevers, N-Gen Wevers, N-Ex Wevers, N-Lev Wevers, N-Num Wevers, N-Dtn Wevers, TH-Gen Wevers, TH-Ex Wevers, TH-Lev Wevers, TH-Num Wevers, TH-Dtn WUNT 219
WUNT 252
WUNT 286
WUNT 325
Ziegler, Sylloge
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Tov, E., The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, JBS 3, Jerusalem 21996 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Genesis, SBL.SCS 35, Atlanta, GA 1993 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Exodus, SBL.SCSt 30, 1990 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Leviticus, SBL.SCSt 44, 1997 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Numbers, SBL.SCSt 46, 1998 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Deuteronomy, SBL.SCSt 39, 1995 Wevers, J. W., Text History of the Greek Genesis, MSU 11, Göttingen 1974 Wevers, J. W., Text History of the Greek Exodus, MSU 21, Göttingen 1992 Wevers, J. W., Text History of the Greek Leviticus, MSU 19, Göttingen 1986 Wevers, J. W., Text History of the Greek Numeeri, MSU 16, Göttingen 1982 Wevers, J. W., Text History of the Greek Genesis, MSU 113, Göttingen 1978 Karrer, M. / Kraus, W. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.-23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008 Kraus, W. / Karrer, M. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse. 2. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 23.-27. 7. 2008, WUNT 252, Tübingen 2010 Kreuzer, S. / Meiser, M. / Sigismund, M. (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte. 3. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 22.-25. Juli 2010, WUNT 286, Tübingen 2012 Kraus, W. / Kreuzer, S. / Meiser, M. / Sigismund, M. (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014 Ziegler, J., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971
Allgemeine Abkürzungen * + > //
ursprüngliche Lesart einer Hs. Zusatz = add. Auslassung, ausgelassen bei (= om.) parallel zu
A add. Adj. Adv. Äg. / äg. Akk. Akt. / akt. alex. allg. antioch. Aor. App. Aq arab. aram. arm. Art. Assim. / assim. ast. AT /atl. äth.
Codex Alexandrinus Zufügung / fügt hinzu Adjektiv Adverb / Ägypten / ägyptisch Akkusativ Aktiv / aktivisch alexandrinisch allgemein antiochenisch Aorist Apparat Aquila arabisch aramäisch armenisch Artikel Assimilation / assimilierend Asteriskos / asterisiert (Origenes) Altes Testament / alttestamentlich äthiopisch
B Bd. / Bde. Bearb. / bearb. betr. byz. bzw.
Codex Vaticanus Band / Bände Bearbeiter / bearbeitet betreffend byzantinisch beziehungsweise
ca. christl. cf. Cj. / cj. Cod. crrp. cstr.
circa christlich confer / vergleiche Konjektur / konjiziert Codex korrupt status constructus
d. h. Dat. ders. det. dies.
das heißt Dativ derselbe determiniert dieselbe
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Allgemeine Abkürzungen
Ditt. dt. Dubl.
Dittographie deutsch Dublette
ebd. ed. (frz. éd.) Ed. Em. / em. etc. Etym. / etym. Euphem. / euphem. Ev./Evv. evtl. Exeg. / exeg.
ebenda herausgegeben Edition(en) Emendation / emendiert et cetera Etymologie / etymologisch Euphemismus / euphemistisch Evangelium / Evangelien eventuell Exegese / exegetisch
Fem. / fem. f. ff. fig. etym. Fn. Frg. Fut. / fut.
Femininum / feminin folgender / folgende fortfolgende figura etymologica Fußnote Fragment Futur / futurisch
Gen. gen. abs. Geogr. / geogr. gnom. got. Gramm. / gramm. griech.
Genitiv genitivus absolutus Geographie / geographisch gnomisch gotisch Grammatik / grammatisch griechisch
Hapl. Hapleg. Harm. / harm. hasm. hebr. Hell. / hell. Hex Hg. / hg. hist. Homark. Homtel. Hs. / Hss. HT
Haplographie Hapaxlegomenon Harmonisierung / harmonisierend hasmonäisch hebräisch Hellenismus / hellenistisch Hexapla Herausgeber / herausgegeben (von) historisch Homoioarkton (gleicher Anfang) Homoioteleuton (gleicher Schluss) Handschrift(en) Hebräischer Text
idiom. Imp. Impf. Ind. / ind. indet.
idiomatisch Imperativ Imperfekt Indikativ / indikativisch indeterminiert
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Allgemeine Abkürzungen
Inf. Inf. abs. inkl. instr. Interj. Interpol. / interpol. Interpr. / interpr. interr. intrans. Jh. Jt. jüd.
Infinitiv Infinitivus absolutus inklusiv instrumental Interjektion Interpolation / Interpolierend Interpretation / interpretierend interrogativ intransitiv Jahrhundert Jahrtausend jüdisch
Kap. Kaus. / kaus. Kj. Kol. Konj. / konj. Kop. kopt. Korr. / korr. KT Kt.
Kapitel Kausativ / kausativ Konjunktion Kolumne(n) Konjunktiv / konjunktivisch Kopula koptisch Korrektur / korrigiert Konsonantentext Ketib
lat. Lex. / lex. Lit. lukian. LXX
lateinisch Lexikon / lexikalisch Literatur lukianisch Septuaginta
m. a. W. Mask. / mask. Med. metaph. mg (hochgestellt) Modern. / modern. Ms. / Mss. MT
mit anderen Worten Maskulinum / maskulin Medium metaphorisch Randlesart Modernisierung / modernisierend Manuskript(e) masoretischer Text
n. Chr. Nbf. Neg. Neol. Neutr. / neutr. Nom. nom. pr. nom. loc. NT / ntl.
nach Christi Geburt Nebenform Negation Neologismus Neutrum / neutrisch Nominativ nomen proprium, Eigenname nomen loci, Ortsname Neues Testament / neutestamentlich
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Allgemeine Abkürzungen
o. ä. Obel. / obel. Obj. Om. / om. Opt. orig. Orth. / orth.
oder ähnlich Obelos / obelisiert Objekt Omission, Auslassung / omittit Optativ original Orthodoxie / orthodox
pal. p123 Par. / par. Paraphr. / paraphr. Part. / part. Pass. / pass. Perf. Pesch phonol. Pl. / pl. Präp. / präp. Präs. / präs. Pron. / pron. ptol.
palästinisch Papyrus Nr. 123 Parallele(n) / parallel Paraphrase / paraphrasierend Partizip / partizipial Passiv / passivisch Perfekt Peschitta phonologisch Plural / pluralisch Präposition / präpositional Präsens / präsentisch Pronomen / pronominal ptolemäisch
Q Qr. rabb. Red. / red. refl. Reg. röm.
Qumran Qere rabbinisch Redaktion / redaktionell reflexiv Register römisch
S S. s. s. o. s. u. s. v. scl. seleuk. sem. Sg. / sg. Smr sog. Subj. Subst. Syh Sym syn. Synt. / synt. syr.
Kodex Sinaiticus Seite / Seiten siehe siehe oben siehe unten sub voce / unter dem Stichwort scilicet seleukidisch semitisch Singular / singularisch Samaritanus sogenannt Subjekt Substantiv Syrohexapla Symmachus synonym Syntax / syntaktisch syrisch
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Allgemeine Abkürzungen
t. t. Tg Th Theol. / theol. trans. Transkr. / transkr. Translit. / translit. txt (hochgestellt)
terminus technicus Targum Theodotion Theologie / theologisch transitiv Transkription / transkribierend Transliteration / transliterierend Textlesart (in Handschriften)
u. a. u. ö. Übs. / übs. urspr. usw.
unter anderem und öfter Übersetzung / übersetzt ursprünglich und so weiter
V. v. Chr. Var. Vb. Vf. Vg vgl. VL Vok. Vokal. / vokal. Wiss. / wiss. wörtl.
Vers vor Christi Geburt Variante Verbum Verfasser Vulgata vergleiche Vetus Latina Vokativ Vokalisation / vokalisiert Wissenschaft / wissenschaftlich wörtlich
z. B. Zit. / zit. z.St. z. T. z. Z.
zum Beispiel Zitat / zitiert zur Stelle zum Teil zur Zeit
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta Siegfried Kreuzer
1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta . . . . . . . 1.1 Politik und Kulturpolitik: Ägypter – Griechen – Ptolemäer 1.2 Museion und Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Judentum in Ägypten und in der westlichen Diaspora . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
30 30 34 38
2. Die Entstehung der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Tradition von einer bibliothekarisch-königlichen Initiative zur »Übersetzung der Siebzig« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten 2.3 Neuere Perspektiven zu Anlass und Verbreitung der Septuaginta . . .
. .
39
. . . . . .
40 44 46
3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek) . . 3.1 Zur Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Frage nach der ältesten Septuaginta . . . . . . . . . 3.3 Kennzeichen der ältesten Septuaginta (Erstübersetzung)
. . . .
. . . .
. . . .
49 49 50 52
4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta (kaige-Rezension, Semi-kaige) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die ältere Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Entdeckung der kaige-Rezension . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Weitere Formen hebraisierend-isomorpher Bearbeitung (semi-kaige)
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6. Christliche Revisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Hexapla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Weitere Revisionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der antiochenische Text und die Diskussion um eine lukianische Rezension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Die Bemerkungen des Hieronymus und die neueren Forschungen zur Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der Spätantike . . . . . 7.1 Zu Umfang und Anordnung des Kanons . . . . . . . 7.2 Zur Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die griechischen Übersetzungen im antiken Judentum
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8. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores) 5.1 Aquila . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Symmachus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Theodotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Eine Samaritanische Übersetzung? . . . . . . . . .
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Die Septuaginta hat – so wie jeder Text – ihre Entstehung in einer bestimmten historischen Situation und ihre Überlieferung, die ebenfalls von verschiedensten geschichtlichen Gegebenheiten geprägt ist. Die religiösen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Umstände und Zusammenhänge sind im Blick auf die einzelnen Schriften zu erörtern, wie es in dieser Einleitung im Folgenden geschieht. Die Schriften der Septuaginta bilden aber auch einen großen Zusammenhang, angefangen von dem Phänomen der Übersetzung der heiligen Schriften des Judentums in die griechische Sprache (wobei auch die jüngeren Schriften ohne hebräische Vorlage von dem gleichen Anliegen der Vermittlung jüdischer Traditionen mit der hellenistischen Welt geprägt sind) bis hin zur gemeinsamen Weitergabe dieser Schriften in großen Codices, die, wenn auch mit einzelnen Abweichungen, den »Kanon« der Septuaginta repräsentieren. Dieser große Zusammenhang begründet und rechtfertigt es, die Entstehung und Überlieferung der Septuaginta auch als Ganzes in den Blick zu nehmen.
1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta Die Septuaginta entstand im Judentum, und sie entstand nicht nur in der Zeit des Hellenismus, sondern sie entstand im Hellenismus. Das gilt nicht nur für die Sprache der Septuaginta sondern auch für die Lebenswelt und die Gemeinschaft, für die sie übersetzt wurde, wobei immer zu beachten ist, dass das Judentum insgesamt in dieser Welt lebte und dass die Septuaginta inmitten dieser Welt verschiedene Bereiche des Judentums repräsentierte und verband. Von da her ist es angebracht, zunächst einen Blick auf die hellenistische Welt, insbesondere in Ägypten, zu werfen. 1
1.1 Politik und Kulturpolitik: Ägypter – Griechen – Ptolemäer Die hellenistische Zeit begann mit dem Siegeszug Alexanders des Großen. Als Beginn der hellenistischen Epoche gilt traditionell das Jahr 333 v. Chr. mit der Schlacht von Issos, die Alexander den Orient öffnete. Es ist aber heute zugleich auch anerkannt, dass der Hellenismus im Sinn hellenistischer Kultur schon zuvor begonnen hatte, den Orient zu beeinflussen. Immerhin war schon Kyros bei seinem Siegeszug um 540 v. Chr. bis in den Westen von Kleinasien vorgestoßen, so dass die Perser in unmittelbaren Kontakt mit griechischen Städten und der griechischen Kultur gekommen waren. Auch die sog. Perserkriege des 5. und des 4. Jh., die aus persischer Sicht Griechenkriege waren, hatten den Orient mit der griechischen Welt in Kontakt gebracht. Daneben gab es seit Jahrhunderten durch den Handel im ganzen östlichen Mittelmeerraum Verbindungen zwischen der griechischen Welt und dem Orient, die sich
1.
Zu Geschichte und Kultur in der Zeit des Hellenismus siehe: Gehrke, Geschichte des Hellenismus; Erskine, Companion; Heinen, Geschichte des Hellenismus. Zu Ägypten siehe insbesondere Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches. Zu einzelnen Themen: Schmitt / Vogt, Lexikon des Hellenismus.
30
1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
keineswegs nur in der Übernahme des Alphabets manifestierte. Nicht lange danach schufen die Griechen, angefangen mit Homer, eine eigene Literatur. Um die Mitte des 1. Jt. v. Chr. kam es zu großen politischen, kulturellen und philosophischen Leistungen der Griechen, die dann auch in anderen Ländern bekannt wurden und Einfluss gewannen. Auch in der überragenden alten Kulturnation Ägypten begann man sich in verschiedener Weise für die griechische Kultur zu interessieren, wobei sich »griechisch« – was oft übersehen wird – nicht nur auf Griechenland, sondern ebenso sehr auf Kleinasien bezieht. Ab dem Ende des 7. Jh. wandte sich Ägypten zunehmend der griechischen Welt zu. Das mag auch mit der zuvor erlebten assyrischen Eroberung und der beginnenden Expansion des neubabylonischen Reiches zusammenhängen, hatte aber mehrere Gründe. Der »große Griechenfreund« (Herodot II, 178) Pharao Amasis (570–526) verlieh der damals schon bestehenden griechischen Ansiedlung Naukratis im Nildelta den Status einer Polis. Griechische Händler und griechische Söldner wurden bereits in dieser Zeit in Ägypten ansässig. Gewiss waren diese nicht die einzigen Fremdstämmigen in Ägypten. Die jüdischen Söldner in Elephantine waren ihre Zeitgenossen, und wir wissen, dass Juden auch in anderen Teilen Ägyptens, insbesondere im Bereich des Deltas lebten. Die Verbindung mit der griechischen Welt behielt aber ihre besondere Bedeutung. Sie war keineswegs passiv; Ägypten dehnte seine Herrschaft auch aktiv aus. Zur Zeit des Pharaos Amasis stand Zypern unter griechischem Einfluss, hatte aber auch für Ägypten Bedeutung. Dessen Eroberung durch die Perser bildete nur einen vorübergehenden Einschnitt. Wechselvoller war der Kontakt mit den Persern. Als Kambyses 525 v. Chr. in Ägypten einmarschierte, gelang es Udjahorresnet, einem Arzt und Priester des Gottes Neith, diesen davon zu überzeugen, die religiöse und politische Rolle eines Pharao zu übernehmen. »Er verfasste eine königliche Titulatur und organisierte einen feierlichen Einzug des Perserkönigs in Sais als Pharao. Damit hatte Udjahorresnet Ägypten nicht nur weitgehend vor Plünderungen geschützt, sondern einfach die ägyptische Kultur und Ordnung bewahrt.« 2 Allerdings vernachlässigte Kambyses die Priesterschaft und die Tempel. Sein Nachfolger Darius lernte daraus. Er suchte den Ausgleich mit den Priesterschaften, unterstützte und erbaute Tempel und ging so als großer und gepriesener Pharao in die ägyptische Geschichte ein. Gegen 400 wurde Ägypten wieder selbständig. Insgesamt vier persische Wiedereroberungsversuche scheiterten, nicht zuletzt weil sich Ägypten auf die Hilfe griechischer Söldner stützen konnte. »Ägypten behauptete sich in dieser Zeit … nur durch dauernde griechische Hilfe und durch eine sehr komplizierte Griechenlandpolitik.« 3 Innere Stabilität erreichten vor allem die beiden letzten einheimischen Pharaonen Nektanebos I. (380–362) und Nektanebos II. (361–343). Beide stützen sich auf die Priesterschaften und förderten Tempelbauten. Nektanebos II. verteidigte Ägypten und konnte einen Sieg über die Perser erringen. 343 jedoch eroberten die Perser ein letztes Mal Ägypten. Als 10 Jahre später Alexander die Perser besiegte, stand er prak-
2. 3.
Hölbl, Ptolemäerreich, 3. Hölbl, Ptolemäerreich, 4. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
tisch in der Tradition des Kampfes gegen und eines Siegers über die Perser; eine Perspektive, die für Griechen und Ägypter gemeinsam galt. Auch wenn diese Ereignisse und Gegebenheiten z. T. lange vor Alexander dem Großen und vor den Ptolemäern liegen, haben sie doch wesentliche Bedeutung für die Zeit der Ptolemäer und des Hellenismus in Ägypten. Mit den Worten von Günther Hölbl: »Es scheint nützlich, sich zu vergegenwärtigen, dass viele Grundzüge des ptolemäischen Ägypten in Politik, Gesellschaft und Religion schon in vorhellenistischer Zeit präsent sind, jedoch später bisweilen in anderer Akzentuierung und mit anderer Intensität fortgeführt werden.« Und weiter: »Bevölkerungsmäßig erhielt Ägypten seit der Saitendynastie immer mehr ein ›Doppelgesicht‹ : Durch die engen Kontakte mit Griechenland, den Zuzug von griechischen Söldnern und Kaufleuten wurde das hellenistische Element im Lande zunehmend stärker; selbst in den Verwaltungsapparat konnten Griechen eindringen. In der Landesverteidigung nahm der Einfluss der griechischen Söldnerführer auf die letzten einheimischen Könige immer mehr zu. Nektanebos I. hatte als eine offizielle Königsgemahlin eine Griechin namens Ptolemais. Auf diese Weise bereitete sich die spätere Dominanz der Griechen als eine Oberschicht im Lande langsam vor. Was die Religion betrifft, so setzten sich die Griechen seit langem mit der ägyptischen Religion auseinander und verehrten auch ägyptische Götter. […] Andererseits standen griechische Tempel in Naukratis, und König Amasis – auch hierbei ein Vorläufer der Ptolemäer – stiftete Votivgaben an griechische Heiligtümer. Es lässt sich somit eine ziemlich klare Linie vom saitischen Ägypten über die letzten einheimischen Dynastien [bis hin] zur Ptolemäerzeit verfolgen.« 4 Die Bedeutung Ägyptens für Alexander den Großen zeigt sich schon in der auffallenden Tatsache, dass er 333 v. Chr. nach dem Sieg von Issos nicht den persischen König nach Osten verfolgte, sondern sich zuerst nach Süden, nach Ägypten wandte. Dabei ging es sicher nicht nur um den berühmten Besuch in der Oase von Siwa, wo sich Alexander seine Eigenschaft als Sohn des Gottes Amun und wohl auch als künftiger Herrscher eines Weltreiches bezeichnen bzw. bestätigen ließ. Wahrscheinlich war es auch deshalb dringend geboten, nach Ägypten zu ziehen, weil sich sonst Ägypten vermutlich wieder als eigenes Reich mit einer eigenen Herrscherdynastie etabliert hätte. Alexander trat in Ägypten in die Rolle des Pharao. Schon bevor er nach Siwa zog, besuchte er die Hauptstadt Memphis sowie Heliopolis, die Stadt des Sonnengottes, und er brachte den Göttern Opfer dar. Das war nicht nur ein Ausdruck der Anerkennung, sondern damit erhob er zugleich den Anspruch, der neue Pharao Ägyptens zu sein, denn nur dem Pharao war die Darbringung dieser Opfer gestattet. Neben der inzwischen schon Jahrhunderte langen Verbindung zwischen Griechenland und Ägypten war es, wie seinerzeit bei Kambyses, nicht so wichtig, ob der Pharao ein Ägypter war, sondern ob und wie er die überkommene Rolle eines Pharao ausfüllte. Alexander tat das offensichtlich zur Zufriedenheit der Priesterschaft, wie es dann auch das Orakel in Siwa bestätigte. Der Gott Amun in seiner Ausprägung von Siwa hatte darüber hinaus noch einen besonderen Aspekt: Als Amun-Zeus wurde er auch in Griechenland an mehreren Kultstätten verehrt. Dieser Amun-Zeus war praktisch ein internationaler Gott mit Heimat in Ägypten; als solcher hatte er die Macht, Alexander die Weltherrschaft zuzusagen. 4.
Hölbl, Ptolemäerreich, 4 f.
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1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Bekanntlich eilte Alexander danach weiter in den Orient und eroberte das Gebiet des Perserreiches bis hinüber an die Grenzen Indiens. Er starb im Jahr 323 v. Chr. überraschend in Babylon, ohne einen Nachfolger bestimmt zu haben. Für einige Zeit wurde noch die Idee eines Gesamtreiches und eines Gesamtherrschers aufrecht erhalten. Im Lauf der folgenden Jahre und im Zuge der sog. Diadochenkriege erwies sich dieses Ziel aber als undurchführbar. Letzten Endes kam es im Jahre 306 v. Chr. dazu, dass mehrere Diadochenherrscher den Königstitel annahmen und einander wechselseitig als Herrscher über Teilgebiete des Alexanderreiches anerkannten. Für die weitere Zukunft am wichtigsten wurden zum einen die Seleukiden, die über Syrien und Mesopotamien, aber auch über Teile Kleinasiens herrschten, und andererseits die Ptolemäer, die keineswegs nur über Ägypten, sondern auch über Zypern, Rhodos und über griechische Städte an der Südküste Kleinasiens herrschten und nicht zuletzt auch als Schutzmacht für Athen fungierten. Alexander der Große hatte keinen Nachfolger bestimmt. Ptolemaios I. brachte seinen Nachfolgeanspruch dadurch zum Ausdruck, dass er sein Krönungsfest auf den Todestag Alexanders legte und seine Regierungsjahre rückwirkend vom Tod Alexanders an zählen ließ (323–283/282 v. Chr.). Ganz in diesem Sinn hatte er auch schon zuvor den Leichenwagen Alexanders nach Ägypten geholt und für die Bestattung zunächst in Memphis, später in Alexandrien, gesorgt. Demgegenüber demonstrierten die Seleukiden ihren Herrschaftsanspruch durch ihre militärische Stärke und dadurch, dass sie ein riesiges Reich mit den Zentralgebieten der Babylonier und Perser beherrschten. Die Ptolemäer profilierten sich durch ein ausgezeichnetes Wirtschaftssystem, mit dem sie nicht nur ihr Militär und einen ungeheuren dynastischen Luxus finanzierten, sondern auch Kunst und Wissenschaft. Sie knüpften damit zum einen an die uralten Traditionen des Königtums und der Weisheit Ägyptens, sozusagen den schon damals bestehenden Mythos Ägypten, an und andererseits an die vergleichsweise junge, dafür aber umso modernere Gelehrsamkeit Griechenlands. Ptolemaios verlegte die Hauptstadt vom alten Memphis in die von Alexander gegründete Stadt Alexandria. Diese neue Hauptstadt zeigt die neuen Perspektiven des Ptolemäischen Reiches. Sie verbindet das Land Ägypten und den Wirtschaftsraum des Mittelmeeres. Alexandria wurde Gegenpol zur altägyptischen Gelehrsamkeit von Memphis und zugleich zu den griechischen Städten, wie etwa Athen; oder positiver ausgedrückt: Alexandria wurde der strahlende Mittelpunkt des ptolemäischen Herrschaftsgebietes mit seiner Verbindung von ägyptischer und griechischer Welt. Kultur und Wissenschaften bekamen ihren eigenen Ort: Das Museion (als Heiligtum und Wirkungsstätte der Musen) samt seiner berühmten Bibliothek. Dieses Museion knüpfte an die Schule des Peripatos in Athen an und wurde die alexandrinische Gelehrtenakademie. Die Ptolemäer versammelten hier die besten und berühmtesten Gelehrten der damaligen Welt: Philosophen, Mathematiker, Geographen, wie etwa Erathostenes, der die Erde als Kugel betrachtete und den Erdumfang berechnete, und viele Dichter. Ein besonderer Schwerpunkt war die Philologie. Bei der Pflege der Literatur spielte offenbar die Homerphilologie eine große Rolle, und zwar sowohl inhaltlich als auch stilbildend. Darüber hinaus war man bestrebt, die Werke der Weltliteratur in Alexandrien zu sammeln. Literatur wurde dabei umfassend verstanden; insbesondere Werke 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
der Geschichte und der Religionsgeschichte gehörten ganz wesentlich mit dazu. Angesichts der großen Menge an Werken bedurfte es nicht nur eines Ordnungssystems, sondern es entstand auch der Gedanke einer kanonischen, normativen Auswahl. In den Zusammenhang der umfassenden Sammlungen gehört auch die von Manetho verfasste Geschichte Ägyptens. Manetho war Priester und Angehöriger der einheimischen Oberschicht. Er gehörte zu den Ratgebern von Ptolemaios I. und beeinflusste dessen Religionspolitik. So war er wesentlich an der Schaffung und Ausdeutung des Serapiskultes beteiligt, der über Ägypten hinaus weite Verbreitung fand. Vor allem aber verfasste er seine berühmte Geschichte Ägyptens. Für diese standen ihm alte Quellen in den Tempeln zur Verfügung. 5 Manetho war es, der die ägyptische Geschichte in 30 Dynastien einteilte, eine Einteilung, die bis heute verwendet wird. Mit seinem Werk vermittelte er die ägyptische Geschichte an seine griechisch sprechenden Zeitgenossen. Die Abfassung dieses Geschichtswerks fällt allerdings dann schon in die Zeit von Ptolemaios II., der ihn ausdrücklich dazu aufgefordert haben soll. Ptolemaios I. war nicht nur Feldherr und Herrscher, sondern auch Gelehrter im Bereich der Geschichtsschreibung. Er verfasste eine Biographie Alexanders, die zwar nur indirekt über die Alexanderbiographie des Lucius Flavius Arrianus von Nikomedien (ca. 90–150 n. Chr.) erhalten blieb, aber doch eine der wichtigsten und besten Quellen über Alexander darstellt.
1.2 Museion und Bibliothek Der konkrete Ort all dieser gelehrten Bemühungen war die mit dem Museion verbundene Bibliothek. Ihre genaue Entstehungsgeschichte ist umstritten. Sie wird in der Tradition des Aristeasbriefes (s. dazu unten, 2.1) mit Ptolemaios II. in Verbindung gebracht. Allerdings wird man sagen können, dass die Planung und die erste Aufbauphase schon in die Zeit von Ptolemaios I. zurückgeht. Hier kommt nun auch der berühmte und umstrittene Demetrios von Phaleron ins Spiel. Demetrios war Schüler des Theophrast, der seinerseits in der Akademie in Athen tätig gewesen war, sich aber auch schon in Ägypten aufgehalten hatte. Demetrios von Phaleron war Staatsmann, Philosoph und Rechtsgelehrter. 307 v. Chr. wurde er aus Athen vertrieben. »297 kam er nach Ägypten, wurde von Ptolemaios freundlich aufgenommen und avancierte zu einem Ratgeber des Königs auf kulturellem Gebiet. Als solcher gehörte er auch der von Ptolemaios eingesetzten Gesetzgebungskommission an (Ail.var. [= Ailianos, varia historia] III,17).« 6 Insofern ist die vom Aristeasbrief dem Demetrios zugeschriebene Rolle für die Bibliothek nicht so falsch, auch wenn Demetrios nicht der eigentliche Bibliothekar war und vor allem nicht mehr unter Ptolemaios II. Damit kommen wir zur politischen Geschichte zurück. Ptolemaios I. starb im Winterhalbjahr 283/82 v. Chr., im Alter von 84 Jahren. Angesichts dieses hohen Alters des Königs wurde natürlich schon längere Zeit die Nachfolgefrage diskutiert. Ptolemaios II. war nicht der einzige mögliche Thronfolger. Immerhin gab es Nachkommen der Eurydike, der zweiten Gattin Ptolemaios I., während der spätere Ptolemaios II.
5. 6.
Helck, Manetho. Hölbl, Ptolemäerreich, 28.
34
1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
von Berenike, der dritten Gattin abstammte. Schließlich aber setzte sich Ptolemaios II. durch: Er wurde ab 285 v. Chr. Mitregent. Ptolemaios II. hat später diese Zeit seiner Mitregentschaft in die Angabe der Regierungsjahre mit einbezogen. Auch er regierte fast vier Jahrzehnte (285–246 v. Chr.). Im Ringen um die Nachfolge war Demetrios von Phaleron für einen anderen Thronanwärter eingetreten. Er wurde dann anscheinend von Ptolemaios aus Alexandria verwiesen – allerdings noch nicht in der Zeit der Koregentschaft – und starb bald danach. Er muss damals über 60, eher gegen 80 Jahre alt gewesen sein. Auch in der Zeit Ptolemaios’ II. gab es eine ganze Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen: in Griechenland, in Makedonien, in Kleinasien und vor allem in Syrien mit den Seleukiden. Zum nicht geringen Teil waren das auch Kriege, in denen sich Mitglieder der weit verzweigten Familie auf verschiedenen Seiten gegenüberstanden. Andererseits wurde der Friede nach dem zweiten syrischen Krieg 253 v. Chr. dadurch besiegelt, dass Berenike, eine Tochter des Ptolemaios, mit Antiochos II. verheiratet wurde. Trotz zeitweiser Verluste behielt das Ptolemäerreich seine Besitzungen an der Südküste Kleinasiens und blieb in engem Kontakt mit Athen und Griechenland. Ptolemaios II. Philadelphos baute die Bibliothek in Alexandria aus und brachte sie zu großer Blüte. Für die Bibliothek wurden große Summen ausgegeben und vielerlei Anstrengungen unternommen, um Bücher und Gelehrte nach Alexandria zu holen. Die im Aristeasbrief gegebene Beschreibung des Aufwandes für die Beschaffung und Übersetzung der Heiligen Schriften des Judentums würde da keineswegs aus dem Rahmen fallen (womit allerdings noch nichts über die Tatsächlichkeit des Vorgangs gesagt ist). In Athen existierte ein Staatsexemplar der Schriften der drei großen Tragiker (Aischylos, Sophokles, Euripides). Dieses wurde gegen 15 Talente Silber zum Zweck einer Abschrift nach Alexandria ausgeliehen. Dort behielt man lieber das Original und ließ das Pfand verfallen. Regelmäßig wurden die Büchermärkte des Reiches beobachtet. Aus der Zeit von Ptolemaios III. wird berichtet, dass im Hafen von Alexandria die Schiffe nach wertvollen Schriften durchsucht wurden. Häufig erhielt man nur eine Abschrift zurück, während das Original in die Bibliothek wanderte. 7 Die Bibliothek soll schon im 3. Jh. v. Chr. 200.000, dann 490.000 und schließlich im 1. Jh. v. Chr. 700.000 Buchrollen umfasst haben. 8 Diese Zahlen mögen übertrieben sein, jedenfalls aber waren Größe und Bedeutung der Bibliothek kaum zu überschätzen. Ein solch großer Schatz musste geordnet und vor allem benutzbar und verwaltbar gemacht werden. Die Bücher waren zunächst nach Herkunft geordnet und verzeichnet. Um 250 schuf Kallimachos von Kyrene (ca. 300–nach 245 v. Chr.), der selbst ein bedeutender Gelehrter und Dichter war, ein großes Verzeichnis der Bestände, die sogenannten Pinakes in 120 Bänden. Dazu gab es Spezialverzeichnisse zu bestimmten Themen und Dichtern. Die Bibliothek war nicht Selbstzweck, sondern sie diente der Arbeit der Gelehrten, die man ebenfalls nach Alexandria holen wollte und auch holte. Sie wirkte aber natürlich auch darüber hinaus in der Hauptstadt und im Reich und war ein wesentlicher Faktor für das Selbstverständnis nicht nur der Oberschicht von Alexandria. Wichtig
7. 8.
So berichtet bei Galenos, In Hippocratis epidemiarum librum tertium commentarius 2,4. Dubielzig, Buchwesen, 214. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
ist, dass die Bibliothek prinzipiell öffentlich zugänglich war; d. h. alle Gebildeten und lesefähigen Bewohner konnten sie aufsuchen. Die große Bibliothek von Alexandria war nicht die einzige in der Stadt. Auf dem Gelände des Serapeums existierte eine weitere öffentliche Bibliothek. Auch in anderen hellenistischen Städten gab es Bibliotheken, z. B. in Pergamon beim Tempel der Athene, im syrischen Antiochien und in vielen anderen hellenistisch geprägten Städten. Es gab auch private Bibliotheken; so hatte z. B. schon Theophrast, der Lehrer des Demetrios, eine beachtliche Bibliothek, die später für die Bibliothek von Alexandria angekauft wurde. Im Umfeld der Bibliothek von Alexandria waren neben all den anderen Wissenschaften auch erhebliche philologische Kompetenzen einschließlich der Textkritik vertreten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Homer-Rezeption. Homer gehörte schon zur Zeit von Sokrates und Plato zum Bildungskanon und war Gegenstand der Diskussion und philologischer Erforschung. Diese Ansätze kamen in Alexandria zur Entfaltung. Die Dichter priesen Homer und orientierten sich für ihre eigenen Dichtungen an ihm, so z. B. Kallimachos, der erwähnte Verfasser des Bibliotheksverzeichnisses. Philologisch wurden z. B. seltene oder nicht mehr vorhandene Wörter aus Homer und anderen alten Dichtern gesammelt und erklärt. Aristarch von Samothrake wurde eine unumstrittene Autorität auf dem Gebiet der Textkritik und der Exegese der homerischen Schriften. Nach ihm sind die aristarchischen Zeichen Asteriskus, Obelos und Metobelos benannt, die später Origenes in seiner Hexapla verwendete. Ähnliche Zeichen hatte schon Zenodot aus Ephesus, der erste Leiter der alexandrinischen Bibliothek, bei seinen textkritischen und editorischen Arbeiten entwickelt. Zenodot erstellte durch Vergleich von Handschriften eine erste kritische (d. h. im Wesentlichen: von Zusätzen befreite) Homerausgabe. Außerdem erschloss er den homerischen Wortschatz durch ein Glossar. Zenodot wie auch die anderen Philologen beschäftigten sich natürlich nicht nur mit Homer, sondern ebenso auch mit anderen Autoren und deren Werken, wie z. B. Hesiod und dessen Theogonie. Die Philologie entwickelte sich in einem unglaublichen Ausmaß und stand im Mittelpunkt; selbst der als Mathematiker und Geograph bekannte Eratostenes verfasste auch philologische Werke. Eine besondere Blüte und auch eine Verselbständigung erreichte die Philologie bei Aristophanes von Byzanz, der um 200 v. Chr. Vorsteher der Bibliothek war. Aristophanes verfasste lexikographische Studien, die sich über verschiedene Literaturgattungen erstreckten, wobei er auch das Alter von Wörtern berücksichtigte. Mit seinem umfangreichen Werk »Lexeis« wurde er der Begründer der Lexikographie. Daneben machte Aristophanes noch einen weiteren interessanten Schritt: Er stellte eine Auswahl von sogenannten mustergültigen Autoren zusammen; eine Art Literatur- und Bildungskanon. Auf diese Weise wurden nicht nur bestimmte Autoren und Werke herausgehoben und ihr Stil und Inhalt als beispielhaft und normativ anerkannt, sondern es wurde auch ganz wesentlich beeinflusst, welche antiken Autoren weiterhin vorrangig und letzten Endes überhaupt überliefert wurden. Der Kanongedanke war schon in der Zusammenstellung der drei großen Tragiker (Aischylos, Sophokles, Eurypides; erstmals bei Aristophanes, 405 v. Chr.) enthalten. Er wurde nun aber explizit fortentwickelt und erhielt in der Literatur und anderen Wissensgebieten eine wichtige Funktion. Im Lauf der Zeit wurden Kanones für die verschiedenen Gebiete zusam36
1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
mengestellt: Für die Dichtung ein Kanon der Epiker (mit Homer an der Spitze), der Lyriker, der Tragiker, der Komödiendichter usw.; für die Prosa ein Kanon der Redner, der Historiker und der Philosophen. 9 Dieser Vorgang ist für das Alte Testament in zweifacher Hinsicht interessant: Einerseits zeigen diese Vorgänge, dass der Gedanke des Kanons in dieser Zeit in der Luft lag. Andererseits wird deutlich, dass die Gruppierung nach Textgattungen ein Phänomen ist, das in der Art der Zusammenstellung der alttestamentlichen Schriften eine gewisse Entsprechung zu haben scheint. Alle diese Entwicklungen sind schon an und für sich sehr interessant und bedeutsam. Hier aber geht es vor allem darum, in welchem geistigen Umfeld die Übersetzer der Septuaginta lebten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Septuaginta-Übersetzer diese kulturellen und insbesondere philologischen Leistungen ihrer Umgebung kannten und an ihnen partizipierten und sie auch ihrerseits anwandten. 10 Dass in dieser Zeit die ersten griechisch schreibenden jüdischen Historiker ihre Werke verfassten, 11 bezeugt jedenfalls, dass man im Judentum die alexandrinische Philologie kannte und berücksichtigte. Nochmals zu Homer: Homer spielte nicht nur in der Philologie eine enorme Rolle, sondern ganz generell im kulturellen Bewusstsein der griechischen und dann eben der hellenistischen Welt. So versuchten z. B. verschiedene Städte, ihre Wurzeln mit der homerischen Welt zu verbinden. Besonders in den griechischen Städten Kleinasiens stellte man gerne eine solche Verbindung her. So existierte z. B. in den Bergen der kleinasiatischen Küstenregion, gegenüber von Zypern, die Stadt Solyma. Ihre Einwohnerschaft setzte sich vermutlich zum Teil aus Einheimischen und zum anderen Teil aus jenen Griechen zusammen, die die Südküste Kleinasiens besiedelt hatten. Sie verbanden aber ihre Herkunft mit den Solymiern, die schon in Ilias (VI 184.204) und Odyssee (V 283) genannt werden. Die stolzen Bewohner von Solyma leiteten damit ihre edle Herkunft aus der altehrwürdigen homerischen Welt ab. Neben diesem Solyma in Kleinasien existierte noch ein weiteres Solyma, das sogar ein heiliges, ein »Hiero-solyma«, war, nämlich Jerusalem. Ab dem 3. Jh. v. Chr. findet sich bei verschiedenen griechischen Autoren (Polybius; Diodorus Siculus; Strabo, Cassian) für Jerusalem diese Bezeichnung, die – wie sich aus dem damit erhobenen Anspruch ergibt – gewiss aus Jerusalem selbst stammt. Sie wird in jüngeren Teilen der Septuaginta sowie im Aristeasbrief und in Jesus Sirach verwendet (und dann häufig im Neuen Testament). Dass dieser Name für Jerusalem überhaupt entstehen konnte, zeigt eine – zumindest aus späterer Sicht – ungewöhnliche und überraschende Offenheit für die griechischhellenistische Kultur sowie das Bestreben, dazu zu gehören und sich einen anerkannten Platz zu verschaffen.
9. Siehe dazu Dubielzig, Kanon. 10. Die auch noch von Siegert, Einführung, 32, vertretene Meinung, dass die jüdische Gemeinde und mit ihr die Septuagintaübersetzer mit der alexandrinischen Kultur und Bildung »zu keiner Zeit einen erkennbaren Kontakt hatte[n]«, ist so nicht mehr haltbar. Zu zahlreich sind die Spuren einschlägiger Kenntnisse. Siehe dazu etwa Usener, Griechisches im Griechisch der LXX, und ders., Zur Sprache der Septuaginta, sowie Maren R. Niehoff, Jewish Exegesis and Homeric Scholarship in Alexandria, Cambridge 2014. 11. Walter, Historiker. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
1.3 Judentum in Ägypten und in der westlichen Diaspora Verbindungen zwischen Israel und Ägypten gab es seit ältester Zeit. Ägypten ist im Alten Testament nicht nur das Land der Sklaverei und des Exodus sondern auch das Land der Zuflucht. Das spiegelt sich nicht nur in Erzählungen wie Gen 12,10-20 und Gen 42–45 sondern auch in den Berichten von der Flucht Hadads, des späteren Königs der Edomiter (1Kön 11,17-21) und Jerobeams, des späteren Königs von Israel (1Kön 11,40). Die politischen und militärischen Kontakte mit Ägypten in der späteren Königszeit gingen auch mit einem gewissen Bevölkerungsaustausch einher, möglicherweise mit der Entsendung von Arbeitern und Soldaten wie es in Dtn 17,16 abgelehnt, aber damit auch vorausgesetzt wird. Die in der schwer zu deutenden Stelle Jes 19,17-25 ausgesprochene Erwartung, dass fünf Städte in Ägypten die Sprache Kanaans sprechen werden, setzt wohl ebenfalls Menschen aus Juda und Israel in Ägypten voraus. Jene Judäer, die nach Jer 44 nach dem Ende Jerusalems nach Ägypten flohen, flohen wohl nicht ins Unbekannte sondern hatten vermutlich bereits Kontakte zu Landsleuten in Ägypten. In den berühmten Papyri der jüdischen Militärkolonie in Elephantine wird gesagt, dass diese Ansiedlung jüdischer Söldner im tiefen Süden Ägyptens bereits existierte bevor der persische König Kambyses 522 v. Chr. nach Ägypten kam. Die Zenon-Papyri bezeugen für das 3. Jh. v. Chr. einen intensiven wirtschaftlichen Austausch mit Ägypten, der gewiss auch mit der Wanderung von Personen einherging. Im Aristeasbrief wird gesagt, dass Ptolemaios (II.) zum Dank für die Übersetzung 100.000 kriegsgefangene judäische Sklaven freigelassen habe. Selbst wenn die Zahl vermutlich übertrieben und das Ereignis vielleicht überhaupt fiktiv ist, zeigt die Notiz, dass man im 2. Jh. v. Chr. von einer großen Zahl jüdischer Immigranten in Ägypten wusste, die vor allem in Unterägypten, aber auch in Mittel- und Oberägypten lebten. Diese Juden gehörten offensichtlich allen sozialen Ebenen an, wie die Papyri von Herakleopolis zeigen und andererseits die Nachricht von dem von Ptolemaios VI. aufgenommenen Hohepriester Onias IV., dem um 170 v. Chr. erlaubt wurde, in Leontopolis ein eigenes Heiligtum zu errichten und zu betreiben. Die genau datierbaren Papyri von Herakleopolis (143–133 v. Chr.) bezeugen, dass die Juden auf dem Land offensichtlich von bäuerlicher und handwerklicher Tätigkeit lebten und in der Form eines Politeuma auch ein gewisses Maß an Selbstverwaltung hatten. 12 Allerdings zeigen diese Papyri auch, dass diese jüdische Gemeinschaft voll die Sprache des Landes, d. h. Griechisch, und auch die wirtschaftlichen Praktiken (einschl. des Zinssatzes von 24 %) übernommen hatte. In den Städten waren die Verhältnisse wohl ähnlich oder noch ausgeprägter. Immerhin berichtet Josephus dass zwei der fünf Stadtbezirke von Alexandrien jüdisch waren. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass es schon vor aber insbesondere in der hellenistischen Zeit einen erheblichen jüdischen Bevölkerungsanteil in den verschiedensten Gebieten Ägyptens gab, wobei die Lebenswelt gewiss von der Religion der Vorfahren, aber auch ganz von der griechischen Sprache und Kultur geprägt war. Zeugnisse über das Judentum in der weiteren Griechisch sprechenden Diaspora sind leider nur spärlich erhalten, weisen aber doch auf eine geographisch wie auch zahlenmäßig große Verbreitung des Judentums hin. Alttestamentliche eschatologische 12. Cowey / Maresch, Urkunden; Cowey, Judentum in hellenistischer Zeit.
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1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Texte sprechen wiederholt von der Heimkehr der Juden aus der Diaspora auch der westlichen Welt. Interessant ist das in Apg 2,9-11 entworfene Bild von der Verbreitung des Judentums im 1. Jh. n. Chr., wo u. a. Juden und Gottesfürchtige aus Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom genannt werden (siehe auch die Aufzählung bei Philo, Legatio ad Gaium 281). Auf Grund der klimatischen Bedingungen und späterer geschichtlicher Entwicklungen sind für die meisten dieser Gebiete kaum oder keine Handschriften sondern lediglich Inschriften an Gebäuden und auf Grabsteinen erhalten, die allerdings einen erheblichen Anteil an jüdischer Bevölkerung und reicher Kultur bezeugen, und in denen griechische Bibeltexte verschiedener Fassung zitiert sind.
2. Die Entstehung der Septuaginta Die Frage nach Anlass und Entstehung der Septuaginta ist von zwei Grundpositionen beherrscht. Auf der einen Seite steht die Auskunft des Aristeasbriefes 13, wonach die Initiative zur Übersetzung auf König Ptolemaios (II. Philadelphos, 283–246 v. Chr.) und dessen Berater und Bibliothekar Demetrios von Phaleron zurückging. Die Übersetzung selbst wurde dann von einer aus Jerusalem entsandten Gruppe von 70 bzw. 72 Übersetzern und auf der Basis von aus Jerusalem mitgebrachten hebräischen Handschriften durchgeführt. Nach dem Aristeasbrief wurde die fertige Übersetzung zwar zunächst auch von der jüdischen Gemeinde gebilligt, aber die eigentliche Approbation wurde – entsprechend der königlichen Beauftragung – vom König ausgesprochen, wobei dieser nicht nur die Qualität der Übersetzung würdigt, sondern auch dem Inhalt der Schrift höchste Bewunderung und Anerkennung zollt. Dieser Abschluss entspricht insofern dem Anfang, als die Initiative zur Übersetzung ja letztlich der Zugänglichkeit des Inhalts der jüdischen heiligen Schriften galt. Demgegenüber wurde seit Beginn der Neuzeit auf den apokryphen Charakter des Briefes (daher häufig auch »Pseudo-Aristeas«) hingewiesen 14 und vor allem vertreten, 13. Griechischer Text u. a. in Swete, Introduction, 531-606. Deutsche Übersetzung mit ausführlicher Einleitung bei Meisner, Aristeasbrief, 35-85); weitere Diskussion und Literatur bei Murray, Aristeasbrief, und Veltri, Aristeasbrief und ders., Tora; sowie jetzt auch Brodersen, Legende, und ders., Der König und die Bibel. Zum literarischen Umfeld des Briefes: Walter, Jewish-Greek Literature, 385-408, sowie zum weiteren Zusammenhang: Verbrugghe / Wickersham, Berossos and Manetho. 14. Erste Zweifel bei Luis Vives (1492–1540) und J. Justus Scaliger (1540–1609). Detaillierte Diskussion und Forschungsgeschichte zum Brief und zu den Theorien der Entstehung der Septuaginta bei Jellicoe, Septuagint and Modern Study, 29-73; Harl / Dorival / Munnich, La Bible Grecque, und Fernandez Marcos, Introduction, 2000, 35-66 [Lit.]). Von Bedeutung für die Analyse und Datierung des Briefes sind vor allem die Untersuchungen von Bickerman, Datierung (1930), 280-296 (= 1976, 109-136), sowie Meisner, Untersuchungen (1972), und W. Schmidt, Untersuchungen (1986). Schmidt klammert die Frage der Entstehung der LXX aus und bezieht sich nur auf die Abfassung des Briefes und der darin (scheinbar) zitierten Dokumente, wobei er mit guten Gründen und weitgehender Zustimmung zu Meisner den Entstehungszeitraum auf 125–114 v. Chr. (oder eventuell kurz danach) einengen kann. 2. Die Entstehung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
dass die Septuaginta nicht auf Grund äußerer Veranlassung sondern auf Grund innerer Notwendigkeiten in der jüdischen Gemeinde entstanden sei. Repräsentativ – vor allem für die Wahrnehmung des Problems in der deutschsprachigen Forschung – sind die knappen Sätze bei Würthwein: »Aber schon das, was der Aristeasbrief selber berichtet, ist in vielem unglaubwürdig. Nicht ein Heide, wie er vorgibt, hat ihn geschrieben, sondern ein Jude, der die Weisheit und das Gesetz seines Volkes durch den Mund eines heidnischen Königs verherrlicht. Dieser Verfasser hat nicht zur Zeit des Ptolemäus Philadelphos gelebt, sondern mehr als hundert Jahre später. Ferner wurde das Gesetz nicht deshalb übersetzt, weil es ein königlicher Förderer der Wissenschaften so wünschte, sondern weil die ägyptischen Juden, die das Hebräische nicht mehr verstanden, ohne eine solche Übersetzung nicht mehr auskamen. Und schließlich geht diese Übersetzung nicht auf palästinische Juden zurück, sondern auf Glieder der alexandrinischen Diaspora, denen Griechisch die Sprache ihres Alltagslebens war.« 15 Bei der Analyse und Bewertung dieser beiden Grundthesen sind verschiedene Ebenen zu unterscheiden. So relativiert zwar der Nachweis der Pseudonymität des Aristeasbriefes den Quellenwert seiner Aussagen, das ist aber für sich genommen noch kein positives Argument für die Gegenthese, denn auch ein pseudonymer Text kann zutreffende Informationen enthalten. 16 Andererseits basiert die These einer rein innerjüdischen Veranlassung auf Plausibilitätsargumenten im Rahmen eines zwar wahrscheinlichen, aber letztlich doch nur erschlossenen Geschichtsbildes. Die Faktoren und Argumente sind somit je für sich zu prüfen und zu bewerten, und nicht zuletzt muss die Möglichkeit für eine gegenüber den bisherigen Thesen differenzierte Antwort offen bleiben.
2.1 Die Tradition von einer bibliothekarisch-königlichen Initiative zur »Übersetzung der Siebzig« Die Tradition der Entstehung der Septuaginta auf Grund einer Initiative des ptolemäischen Königs hat ihr hauptsächliches Zeugnis im Aristeasbrief und in offensichtlich davon abhängigen Darstellungen, wie etwa bei Josephus, Antiquitates XII,2. Ein Zusammenhang mit dem Ptolemäerkönig findet sich aber auch in rabbinischen und talmudischen Zeugnissen, auch wenn dort die Septuaginta bzw. ihre Entstehung kritischer oder später auch negativ gesehen wird und bestimmte Textvarianten als dem König Talmai (= Ptolemäus) zuliebe formuliert erklärt werden. 17 Schließlich berichtet Ein Vergleich der einschlägigen Quellen bestätigt zudem die Annahme, dass die ursprüngliche Form des Namens Aristaios lautete und die Form Aristeas auf Kontexteinfluss und Verwechslung zurückgeht (Schmidt, Untersuchungen, 21 f.). Angesichts der standardmäßigen Verwendung, etwa auch in den neuesten Lexika, bleibe ich hier bei der geläufigen Namensform. 15. Würthwein, Text des Alten Testaments, 53. 16. Methodisch problematisch ist es auch, Aussagen des Briefes gegeneinander auszuspielen, vgl. Orth, Ptolemaios II, 105: »Das Argument, die [im Brief berichtete] Zustimmung der Juden zur Textvorlage spreche dafür, dass diese Übersetzung ganz allein Sache der Juden gewesen sei, ist schon deshalb problematisch, weil hier eine Aussage des Aristaios-Texts (Ptolemaios als Initiator) dadurch widerlegt werden soll, dass man eine andere Aussage (Juden als Genehmigungsgremium) wortwörtlich für korrekt hält.« 17. Vgl. dazu Veltri, Tora. Für die traditionsgeschichtliche Analyse der einschlägigen Stellen und
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2. Die Entstehung der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Philo von Alexandrien noch anfangs des 1. Jh. n. Chr. von einem alljährlichen Freudenfest auf der Insel Pharos zum Gedenken an die Übersetzung der Septuaginta, zu dem auch die nichtjüdischen Mitbewohner eingeladen waren (Philo, Vita Mosis II 41 f.). 18 Die Tradition von der Initiative eines heidnischen Königs für die Übersetzung der heiligen Schrift der jüdischen Gemeinschaft ist überraschend und ungewöhnlich und erschien später problematisch. Gerade wenn man annimmt, dass die Septuaginta aus rein innerjüdischen Gründen und Bedürfnissen entstand und verwendet wurde, ist es kaum erklärbar, warum man eine Initiative des heidnischen Königs erfunden haben soll. 19 – So besteht zunächst die Aufgabe, sich mit den Traditionen des Aristeasbriefes und dem darin gezeichneten Bild auseinander zu setzen, auch wenn der Brief pseudonym ist und mehr als ein Jahrhundert später, d. h. wahrscheinlich um etwa 125 v. Chr. und auf dem Hintergrund der Makkabäerzeit entstand. 20 Durch die Verbindung der Septuaginta mit Ptolemaios II. Philadelphos wird eine zeitliche Einordnung der griechischen Übersetzung der Thora 21 etwa in die Mitte des dritten Jh. v. Chr. behauptet. Diese zeitliche Einordnung der Anfänge der Septuaginta ist zutreffend: Die Nennung der griechischen Übersetzung nicht nur des Gesetzes, sondern auch der Propheten und der Schriften im Prolog von Ben Sira (Prolog 7) wie auch die Funde von Septuaginta-Manuskripten aus dem 2. Jh. v. Chr. 22 bestätigen, dass die Anfänge der Septuaginta in der Tat in der Mitte des 3. Jh. anzusetzen sind. Nach der Darstellung des Aristeasbriefes steht die königliche Initiative zur Über-
18. 19.
20.
21. 22.
zur Unterscheidung ihres Bezugs auf Septuaginta, auf hebräischen Text oder spätere rabbinische Interpretationen siehe besonders K. Müller, Die rabbinischen Nachrichten, 73-93. Vgl. Gehrke, Umfeld. Gerade wenn der rein innerjüdische Bedarf und Gebrauch als ganz selbstverständlich herausgestellt wird, spitzt sich diese Frage zu; vgl. etwa Siegert, Register, 29: »Am evidentesten ist das Interesse der Juden selbst, ihr Gesetz auch in griechischer Sprache lesen zu können; schließlich war die Weitergabe der Tora ein Gebot der Tora (Dtn 6,6). Daneben oder auch bald danach haben Juden der Diaspora die Übersetzung für ihre Synagogen nötig gehabt, sobald denn der Brauch aufkam, bei den Gebetszusammenkünften […] daraus vorzulesen. […] Wahrscheinlich haben beide Dinge einander verstärkt, die Toraübersetzung den Synagogengottesdienst und der Synagogengottesdienst den Gebrauch der Tora […] Jedenfalls ist, von der Rezeption her gesehen, die Septuaginta bis zum Aufkommen des Christentums ein rein jüdische Angelegenheit gewesen.« – Gerade wenn die Septuaginta eine solche rein innerjüdische Angelegenheit war, stellt sich umso mehr die Frage, wie es dann zur Behauptung einer heidnisch-königlichen Initiative für die Übersetzung kommen und wie sich diese Nachricht dann so exklusiv und unbestritten durchsetzen konnte. Vgl. dazu besonders Meisner, Untersuchungen, Schmidt, Untersuchungen, und Murray, Aristeasbrief. Lange, Standardization, datiert den Aristeasbrief auf Grund einer auch im Prolog zu Jesus Sirach vorkommenden Wendung in das 1. Jh. Allerdings könnte die ähnlich auch schon bei Aristophanes von Byzanz um 200 v. Chr. vorkommende Wendung traditionell sein. Faktisch datiert Lange deswegen auf die Mitte des 1. Jh. v. Chr., weil er auch die Standardisierung des masoretischen Textes erst für diese Zeit annimmt. Um diese und noch nicht um das ganze Alte Testament geht es im Aristeasbrief. »Dies stimmt mit der frühen Datierung einiger Papyrus- und Lederfragmente der Tora aus Qumran und Ägypten gegen Mitte oder Ende des 2. Jh. v. Chr. (4QLXXLeva, 4QLXXNum, Pap. Fouad 266, Pap. Rylands Gk 458) überein.« Tov, Text, 114. 2. Die Entstehung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
setzung im Zusammenhang mit dem Aufbau der alexandrinischen Bibliothek, von wo der eigentliche Impuls ausgeht. Zwar ist die Verbindung von Ptolemaios II. Philadelphos mit dem königlichen Bibliothekar Demetrios von Phaleron ziemlich sicher falsch, 23 weil Demetrios in der Nachfolgfrage nach Ptolemaios I. auf die falsche Person gesetzt hatte und er das Land verlassen musste, 24 Demetrios war aber an den Planungen für die Bibliothek beteiligt gewesen, und er selbst wie auch schon sein Lehrer Theophrast hatten Interesse an fremden Traditionen, insbesondere Rechtsordnungen, und deren Sammlung. 25 Abgesehen von der anachronistischen Einordnung des Demetrios ist im Aristeasbrief die Gesamtsituation am ptolemäischen Königshof in dieser Zeit durchaus zutreffend dargestellt: Die verschiedenen Diadochenherrscher versuchten auf je verschiedene Weise sich als die wahren Nachfolger Alexanders zu erweisen, wobei sich die Ptolemäer als Förderer der Künste, der Wissenschaft und der Kultur profilierten. 26 Im Umkreis von Museion und Bibliothek beschäftigte man sich mit berühmten Texten und Traditionen der damaligen Weltkultur wie auch – nicht zuletzt im Sinn der Akzeptanz der ptolemäischen Herrschaft bei den Einheimischen – mit den Traditionen der ägyptischen Geschichte. Dabei wurden nicht nur die Werke Homers und Hesiods ediert und kommentiert, sondern auch orientalische Texte und Traditionen bis hin zum Werk Zoroasters 27 aufgenommen und übersetzt; und nicht zuletzt geht Manethos um 280 v. Chr. verfasste Darstellung der ägyptischen Geschichte ihrerseits auf ägyptische Quellen zurück und basiert damit auch auf einer Form von Übersetzung. 28 Neben dem zeitgenössischen Bildungsinteresse, das auf dem Hintergrund des Völker und Kulturen umspannenden Alexanderreiches bzw. der hellenistischen Oikumene nur allzu verständlich ist, und auch abgesehen von der spezifischen Profilierung der frühen Ptolemäer durch Museion und Bibliothek, stellte sich auch die Aufgabe der Berücksichtigung der einheimischen Kulturen durch die zunächst fremden ptolemäischen Herrscher. Dies galt besonders für die ägyptische Bevölkerung, was sich in der Errichtung zahlreicher Tempel und in der Abfassung der erwähnten Geschichte Ägyptens von Manetho niederschlug. Ähnliche Bemühungen und Interessen sind aber auch gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen – und damit auch gegenüber der großen jüdischen Gemeinschaft – durchaus nicht unwahrscheinlich. Diese Interessen mussten
23. Anders neuerdings wieder N. Collins, Library, die bei ihrer Prüfung aller antiken Nachrichten zum Ergebnis kommt, dass die Nachricht über einen Konflikt zwischen Ptolemaios II. und Demetrios erst am Anfang des 1. Jh. entstanden sei, woraus sich für sie ergibt: »Demetrius of Phalerum was a trusted employee of Ptolemy II« (Überschrift zu Kapitel 3; 58-81). 24. Orth, Ptolemaios II., 108-110; zu Person und Werk des Demetrios siehe jetzt Fortenbaugh / Sutrumpf, Demetrius of Phalerum. 25. Orth, Ptolemaios II.; für Theophrast wird zudem die Beschäftigung mit Palästina und dem Judentum berichtet, ebd. 26. Orth, Ptolemaios II. Siehe auch Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches: »4.3 Alexandrinische Gelehrsamkeit«, und Jacob / Polignac, Alexandrie. 27. Plinius der Ältere berichtet in seiner Naturgeschichte XXX 2,4, dass Hermippos, ein Gelehrter des 3. Jh. v. Chr., Bemerkungen zum Werk des Zoroaster verfasst habe, was deren Übersetzung ins Griechische voraussetzt; vgl. Orth, Ptolemaios II., 107. 28. Wadell, Manetho; Verbrugghe / Wickersham, Berossos and Manetho; Helck, Manetho.
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2. Die Entstehung der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
keineswegs einseitig bleiben. So übte Manetho durch die Ausgestaltung und Verbreitung des Serapiskultes erheblichen Einfluss auf die hellenistische Religion aus. 29 Ein in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes, aber doch eigenes Problem stellt die Übersetzung von Rechtstraditionen dar. Offensichtlich wurden unter den Ptolemäern nicht nur neue Erlasse mehrsprachig publiziert, sondern wurden auch vorhandene Rechtstexte übersetzt. Beleg dafür ist ein demotischer Gesetzescodex aus Hermopolis, der durch einen Papyrus aus dem 3. Jh. v. Chr. bekannt ist. Der 1978 publizierte Papyrus 3285 aus Band 46 der Oxyrhynchuspapyri bietet offensichtlich eine griechische Übersetzung eines Teiles dieses demotischen Codex. Zwar stammt P.Oxy 3285 erst aus der Zeit nach 150 n. Chr., aber der Herausgeber J. R. Rea nimmt an, dass die zugrunde liegende Übersetzung in frühptolemäischer Zeit entstand. 30 Nachdem schon L. Rost 1970 auf Grund der im Aristeasbrief erwähnten doppelten Beglaubigung der Übersetzung auf eine staatliche Anerkennung des jüdischen Gesetzes geschlossen hatte, 31 wurde P.Oxy 3285 vor allem von J. Mélèze-Modrzejewski zur Unterstützung der These, dass die LXX auf Grund königlicher Veranlassung für juristische Zwecke entstanden sei, herangezogen. 32 Auch wenn es eine umfangreichere Übersetzungstätigkeit für juristische Zwecke in frühptolemäischer Zeit gegeben haben mag, so bleibt doch einerseits die Frage, ob eine solche Praxis über die ägyptische Bevölkerung, deren Rechtstraditionen gewiss nicht ignoriert werden konnten, auch auf die jüdische Minderheit ausgedehnt und damit für diese eine eigene Rechtsprechung geschaffen wurde; andererseits stellt sich die Frage, ob der Pentateuch überhaupt für einen solchen Zweck geeignet war. 33 Jedenfalls sind Spuren einer – frühen – entsprechenden Bezugnahme nicht wirklich nachgewiesen, 34 und der Verweis auf ein Gesetz der Väter kann genauso gut auf Gewohnheitsrecht der jüdischen Bevölkerung anspielen, wie auf die Septuaginta als Rechtscodex. Darüber hinaus ist eine eventuelle spätere Bezugnahme auf juristische Passagen der Septuaginta 35 nicht gleichzusetzen mit der Frage, ob die Übersetzung auch schon für diesen Zweck erstellt wurde. Auch wenn man sich in Alexandria sowohl aus Gründen der Rechtspflege wie auch im Zusammenhang des Bildungsanliegens im Umfeld der Bibliothek mit Rechts29. 30. 31. 32. 33.
Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, 93 f.; Wadell, Manetho. Rea, Oxyrhynchus Papyri. Rost, Vermutungen über den Anlass, 39-44. J. Mélèze-Modrzejewski, Justice lagide, 11-44; ders., Juifs d’Egypte; ders., Jewish Law, 75-99. Im Grunde wiederholt sich hier das Problem der These einer persischen Reichsautorisation des Pentateuch, wenn auch mit einem interessanten Unterschied: Bei Esra ist die Verbindung mit dem persischen Königshof unbestritten, aber das Gesetz nicht in der Verwaltungssprache des Reiches abgefasst, während die Septuaginta immerhin eine Übersetzung in die Sprache des Herrscherhauses darstellt. 34. Vgl. die differenzierte Diskussion bei Harl / Dorival / Munnich, La bible grecque, 73-76. 35. Eine solche spätere Bezugnahme könnte in der in Papyrus Herakleopolis P.Polit. Iud. 4 aus der Zeit 143–133 v. Chr. vorliegenden Erwähnung eines Scheidebriefes gegeben sein (siehe dazu die Textedition von Cowey / Maresch, Urkunden). Die dort erwähnte Forderung nach einem »Scheidebrief nach dem Recht der Väter« setzt aber nicht unbedingt einen griechischen Text von Dtn 24,1 voraus, sondern kann sich einfach auf das jüdische Gewohnheitsrecht beziehen. 2. Die Entstehung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
traditionen beschäftigte, 36 so ist damit noch nicht gesagt, dass königliche Interessen und/oder praktische Anforderungen der Rechtsprechung den Anlass zur Übersetzung der Thora gegeben haben. Zudem ist zu beachten, dass die Rede vom Nomos im Aristeasbrief zwar gewiss eine Brücke zu zeitgenössischen juristischen und philosophisch/ weisheitlichen Vorstellungen schlagen will, 37 dass diese Rede vom Nomos aber von der jüdischen Bezeichnung des Pentateuchs als Thora und von den zeitgenössischen Interessen des Briefes am Ende des 2. Jh. geprägt ist. – Eine spezifisch juristische Veranlassung der Septuaginta erscheint somit wenig wahrscheinlich. Dagegen erweist sich das allgemeine geistige und kulturpolitische Klima der Zeit als sehr offen und interessiert an geistigen Traditionen des eigenen wie auch fremder Länder. Insgesamt wird man sagen können, dass trotz aller Färbung durch die Zeit und die Intentionen, und trotz konkreter Fehler des pseudonymen Verfassers im Aristeasbrief wichtige Züge der frühptolemäischen Zeit zutreffend dargestellt sind. Allerdings ist mit der zutreffenden Beschreibung des kulturpolitischen Umfeldes noch kein Nachweis einer persönlichen Initiative des Königs gegeben.
2.2 Die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten Die in der Neuzeit vorherrschend gewordene Sicht der Entstehung der Septuaginta gründet sich auf die Annahme bzw. den Nachweis innerjüdischer Notwendigkeiten. Der oben zitierte Satz von Würthwein ist dafür repräsentativ: »Ferner wurde das Gesetz nicht deshalb übersetzt, weil es ein königlicher Förderer der Wissenschaften so wünschte, sondern weil die ägyptischen Juden, die das Hebräische nicht mehr verstanden, ohne eine solche Übersetzung nicht mehr auskamen.« Dass die Juden Alexandriens bzw. Ägyptens im dritten Jahrhundert das Hebräische nicht mehr verstanden, ist in der Tat anzunehmen. 38 Dieser Sachverhalt galt selbst für die Juden in Palästina, wo in der persischen Zeit das Aramäische zur Umgangssprache geworden war. Schwieriger ist die Klärung des konkreten Bedarfs. Wofür wurde die Übersetzung gebraucht? Paul Kahle 39 zog eine Parallele zu den aramäischen Targumen, die den Eindruck erwecken, dass sie gewissermaßen in mehreren Anläufen im Zusammenhang synagogaler Lesung entstanden. Wenn auch der targumische Charakter im Sinn von Kahle, d. h. die ursprüngliche Existenz mehrerer Übersetzungen, die dann erst vereinheitlicht wurden, nicht wirklich nachzuweisen ist und die entsprechenden Phänomene anders erklärt werden können, 40 so bleibt die Annahme des Bedarfs für synagogale Lesungen durchaus plausibel. Allerdings ist die Frage, ob einzelne Perikopen oder fortlaufende Texte gelesen wurden. Dass die Heiligen Schriften regelmäßig in der 36. In den späteren Inhaltsverzeichnissen der Bibliothek, den Pinakes des Kallimachos, wird eine Abteilung Rechtsbücher genannt. 37. In diesem Zusammenhang ist es interessant, an die im Brief so wichtige Gestalt des Demetrius zu erinnern, der sich durch rechtsvergleichende Studien hervorgetan hatte und diese später in Athen fortsetzte; vgl. dazu Orth, Ptolemaios II., und Fortenbaugh / Sutrumpf Demetrius of Phalerum. 38. Dafür spricht auch, dass selbst die ab dem 3. Jh. v. Chr. belegten Synagogeninschriften aus Ägypten griechisch abgefasst sind; vgl. Siegert, Register, 25. 39. Kahle, Untersuchungen, 399-439; ders., Die Kairoer Genizah. 40. Vgl. Fernandez Marcos, Introduction, 53-57.
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2. Die Entstehung der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Synagoge gelesen wurden, wird in Apg 15,21 als uralter Brauch bezeichnet, wobei allerdings offen bleibt, was diese Aussage vom Ende des 1. Jh. n. Chr. (vgl. Apg 13,15a) für das 3. Jh. v. Chr. bedeutet. Bei aller Plausibilität des Gebrauchs der Heiligen Schriften in den synagogalen Versammlungen bleibt doch das Problem, »daß die Annahme, die Pentateuch-LXX sei primär für den Gebrauch im Gottesdienst übersetzt worden, nicht wirklich zu belegen ist.« 41 Nicht unwichtig ist jedoch, dass im Pentateuch selbst die regelmäßige Verlesung des biblischen Textes in der Gemeinde (Dtn 31,10-13) und andererseits die familiäre Unterweisung (Ex 12,26 f.; Dtn 6,6-9.20-25) gefordert wird. Auch die gottesdienstliche Lesung, erst recht aber die familiäre Unterweisung, machen nur Sinn bzw. sind nur möglich, wenn die Inhalte verstanden werden. Die Aufgabe der familiären und gemeindlichen Unterweisung, die zweifellos gerade in der Diaspora eine große Rolle zur Wahrung der Identität spielte, ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Übersetzung der Heiligen Schriften. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auch die Frage halachischer und haggadischer Studien anzuschließen, für die über kurz oder lang ebenfalls eine Übersetzung notwendig geworden sein muss, und die auch vereinzelt ihre Spuren hinterlassen haben; 42 allerdings bleibt es schwierig zu entscheiden, ob solche Differenzierungen auf die Übersetzung oder nicht doch schon auf die hebräische Vorlage zurückgehen. – Insgesamt gibt es also eine Reihe von Gründen, die auf die Notwendigkeit einer Übersetzung auf Grund interner Notwendigkeiten in der jüdischen Gemeinde hinweisen. Allerdings war dabei nicht alles völlig neu, sondern es zeigt sich auch eine Verbindung mit gottesdienstlichem bzw. allgemeinem jüdisch-religiösem Sprachgebrauch. So etwa darin, dass Begriffe wie »Pascha« oder »Manna« in der aramäischen Form (mit Alef des status emphaticus) verwendet werden oder dass ein hymnisches Wort wie Halleluja nicht übersetzt sondern transkribiert wurde. 43 Dass bei dieser Entstehung der Septuaginta jüdische Übersetzer aus Alexandrien die wesentliche Rolle spielten, ist von der Situation wie von der notwendigen griechischen Sprachkompetenz her eo ipso anzunehmen. Zugleich bedurfte es auch einer gewissen hebräischen Sprachkompetenz und gewiss auch einer Vertrautheit mit den Inhalten. Beides weist auf enge Kontakte mit dem Mutterland, sei es durch eigene Kontakte, d. h. Aufenthalte in Palästina, oder durch Beteiligung von Personen mit entsprechenden 41. Rösel, Übersetzung, 257. Vgl. Fernandez-Marcos, Introduction, 63: »First of all, the Alexandrian Jewish sources as well as the rabbinic sources refer to the translation as a royal initiative and are silent on the motive of the liturgical or cultural needs of the Jewish community. No privately instigated translation is known before the 2nd century BCE, and it would be of the Prophets as a continuation of the Torah.« 42. Etwa Ex 21,22 wo bei der Bestimmung bezüglich des Abgangs eines Fötus anders als im masoretischen Text nach Entwicklungsstadium differenziert wird. Freilich muss auch hier offen bleiben, ob die Textvariante auf die Übersetzer oder auf eine entsprechende hebräische Vorlage zurückgeht. 43. Ein besonders interessantes Beispiel ist die Verwendung des weiblichen Artikels vor dem Namen des Gottes Baal, wie sie sich ab Ri 2,13 vor allem in den Geschichtsbüchern und im Jeremiabuch findet (vgl. im Neuen Testament das Zitat 1Kön 19,18 in Röm 11,4). Sie erklärt sich am wahrscheinlichsten als Hinweis, dass statt Baal ersatzweise αἰσχύνη = Schande gelesen werden soll (analog zu hebr. ;בֶֹשׁתzur Sache siehe die Fn. zu Ri 2,13 in LXX.D). 2. Die Entstehung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Kenntnissen am Übersetzungsprozess. Ähnliches gilt auch für die Textgrundlage. Gewiss besaßen die jüdischen Gemeinden in Ägypten hebräische Schriftrollen, zumindest der Thora, die die Grundlage für die Übersetzung bildeten. Diese Texte mussten letzten Endes aus Palästina, konkret wohl aus Jerusalem bzw. dem Umfeld des Tempels gekommen sein, 44 auch wenn die benutzten Manuskripte vielleicht bereits in Ägypten erstellte Abschriften waren.
2.3 Neuere Perspektiven zu Anlass und Verbreitung der Septuaginta So plausibel die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten ist, so bleibt doch ein gravierendes Problem, nämlich dass alle diesbezüglichen Nachrichten von einer äußeren Veranlassung sprechen. Diese Tradition ist gerade insofern historisch sehr widerständig, als ihre sekundäre Entstehung kaum plausibel zu machen ist. Wie ist es denkbar, dass eine erfundene Geschichte von der Übersetzung der heiligen Schriften auf Grund des Wunsches des heidnischen Königs bzw. seines Bibliothekars sich dermaßen rasch und vollständig verbreiten und akzeptiert werden konnte, zumal es ja auch Informationen über die eigentliche Entstehungsgeschichte gegeben haben musste? Diese Frage gilt auch und erst recht, wenn der Aristeasbrief erst ein Produkt der zweiten Hälfte des 2. Jh. ist. Insofern ist die Aufdeckung der Pseudonymität des Aristeasbriefes kein wirklich entscheidendes Argument für die Frage der Veranlassung und Entstehung der Septuaginta und hat das teilweise und neuerdings verstärkt zu beobachtende Festhalten an der Sicht des Aristeasbriefes 45 durchaus gute Gründe. Andererseits wird es dabei bleiben müssen, dass jedenfalls die großartige Ausschmückung des Geschehens, insbesondere der große Aufwand des Königs für eine Jerusalemer Übersetzerdelegation bis hin zum Gastmahl und wohl auch die königliche Approbation, so gut wie sicher nicht historisch sein können und auf Pseudoaristeas und/oder eine von ihm übernommene jüdische Tradition zurückgehen. 46 Wie aber ist dann die Tradition von der königlichen Initiative für die Übersetzung der heiligen Schriften zu erklären? Für eine Antwort ist zunächst zu unterscheiden zwischen älteren Traditionen und den spezifischen Anliegen und Problemen des Pseudo-Aristeas und seiner Zeit. Betrachtet man den Aristeasbrief in seiner Gesamtheit, so bildet die Geschichte von der Veranlassung und Übersetzung der Septuaginta bis hin zu abschließenden Beglaubigung zwar die Rahmenhandlung des Briefes, aber keineswegs die Hauptmasse des Textes. Der Brief ist vielmehr ganz wesentlich bestimmt vom 44. Durch die Qumranfunde zeigte sich, dass die allermeisten Besonderheiten der (hebräischen Vorlage) der Septuaginta nicht auf alexandrinische Sonderentwicklungen oder Freiheiten der Übersetzer zurückgehen, sondern auf Eigenheiten der Textüberlieferung im Mutterland. Vgl. dazu u. a. Tov, Text, 155 (im Zusammenhang der Diskussion verschiedener Textformen): »Der ältere Text konnte in geographisch oder sozial abseits liegenden Gegenden überleben. So ist es zu erklären, dass solche früheren Editionen in die Hände der griechischen Übersetzer in Ägypten gelangten und auch in den Qumranrollen erhalten blieben.« 45. Siehe etwa Fernandez-Marcos, Introduction, sowie Harl / Dorival / Munnich, La bible grecque, und Bogaert, Septante. 46. Die auf die Spitze getriebene These von N. Collins, Library, dass die Erstellung bzw. Fertigstellung der Septuaginta das krönende und legitimierende Ereignis zum Regierungsantritt von Ptomelaios II. gewesen sei, zeigt in sich, wie unwahrscheinlich eine solche Annahme ist.
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2. Die Entstehung der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Symposion sowie den Reden und Erlässen, in denen die zeitgenössischen Probleme und die Anliegen des Verfassers ihren Ausdruck finden. 47 Dabei geht es keineswegs nur um die Stellung der Juden in Ägypten und um die Anerkennung jüdischer Weisheit, sondern wesentlich auch um die Jerusalemer Perspektiven und Erwartungen an die jüdische Diaspora sowie deren Reaktionen darauf. Diese Fragen bis hin zur Frage, an wen sich der Brief letzten Endes richtet, sind hier nicht zu thematisieren. 48 Die Beobachtung, dass die Rahmenhandlung von der Entstehung der Septuaginta zum Aufhänger der aktuellen Anliegen des Verfassers wird, zeigt, dass die Grundtradition bekannt gewesen sein muss und dadurch zum Transportmittel für die aktuellen Anliegen werden konnte. Als eine dieser älteren Traditionen wird man die oben herausgestellten Erinnerungen an die frühptolemäischen Unternehmungen um Museion und Bibliothek und die damit verbundene kulturpolitische Situation ansehen können. Diese kulturpolitische Situation war eng mit dem persönlichen Interesse des Königs verbunden, wie sich nicht nur aus der Errichtung von Museion und Bibliothek ergibt, sondern auch aus den Einladungen an die berühmtesten Gelehrten der Zeit und der intensiven Erwerbstätigkeit von Handschriften auf den Büchermärkten in Athen und auf Rhodos. 49 In diesem geistigen Klima ging es nicht einfach um abstrakte Gelehrsamkeit, sondern um Prestige und Anerkennung; und zwar einerseits im großen Rahmen der Diadochenreiche nach Alexander, in dem sich die Ptolemäer als die geistigen und kulturellen Erben präsentieren wollten. Daraus resultierte das Bemühen um die Kenntnisnahme und Sammlung der Geschichts-, Kultur- und Rechtstraditionen. Analoges galt andererseits aber auch nach innen hin: Die Wahrnehmung eines Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe vollzog sich wesentlich durch die Wahrnehmung der historischen und kulturellen Traditionen. Dieses Anliegen zeigt sich besonders im bereits erwähnten Werk des Manetho. Durch seine Geschichte Ägyptens wurde die faszinierende aber doch rätselhafte Welt Ägyptens für die griechische Bevölkerungsgruppe zugänglich und erhielt sie Bedeutung und Anerkennung. Darüber hinaus konnte Manetho durch die Form seiner historischen Darstellung nicht nur das hohe Alter der ägyptischen Kultur aufzeigen, sondern im Spiegel der Geschichte konnte er auch aktuelle Probleme und das ägyptische Selbstverständnis dazu andeuten. Letzteres zeigt sich etwa an der Darstellung des Verhältnisses zu ausländischen Eroberern, angefangen von den Hyksos über die Assyrer bis hin zu den Persern. In diesem Zusammenhang stehen nicht zuletzt auch die bekannten negativen Äußerungen über Mose und damit über die Juden und deren zum Teil befremdliche Gebräuche. 50 47. Ähnlich auch Veltri, Aristeasbrief, 727: »Doch nicht die Übers[etzung] ist der Hauptgegenstand der Erzählung des A[risteasbriefes], sondern die ihm [sc. dem König] von den Übersetzern beim Symposium vermittelte ›Lehre‹.« 48. Siehe dazu die Referate und Positionen bei Jellicoe, Septuagint; Meisner, Untersuchungen, Murray, Aristeasbrief und Brodersen, Der König und die Bibel, 2008. 49. Siehe Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, 64 f. Die Nachricht über die Beschlagnahmung von Handschriften bezieht dagegen sich auf Ptolemaios III. Euergetes (ebd.), sie bestätigt aber das auch über Ptolemaios IIßblockakß hinaus anhaltende große Bemühen um den Ausbau der Bibliothek. 50. Fragment 54, zitiert bei Josephus, Contra Apionem, I, 26-31 (Mose/Osarsiph und seine Ge2. Die Entstehung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Auch für die nicht unbeträchtliche und zu allen Schichten gehörende jüdische Bevölkerung Ägyptens und Alexandriens 51 muss diese bildungs- und kulturpolitische Situation eine enorme Herausforderung bedeutet haben – und auch die Juden mussten Interesse daran haben, ihre Geschichte und ihre Traditionen in diesem Umfeld und in eigenständiger, positiver Weise zur Geltung zu bringen. M. E. liegt hier ein entscheidender Punkt wenn nicht für die Entstehung, so jedenfalls für die Publikation der Septuaginta. Zwar ist das Gespräch zwischen Demetrios und Ptolemaios im Aristeasbrief fiktiv, aber es veranschaulicht genau die geistige und kulturpolitische Situation, durch die auch das Judentum in Alexandria herausgefordert war. Dieses gesellschaftliche Milieu verlangte von den Juden, ihre entsprechenden Traditionen zur Geltung zu bringen, und das heißt konkret, ihre heilige Schrift in griechischer Sprache zur Verfügung zu haben und sie möglichst auch in die Bibliothek aufgenommen zu sehen. M. a. W.: Auch wenn es keine unmittelbare bibliothekarisch/ königliche Initiative gegeben haben wird, so bildete doch die vom König und der Bibliothek geschaffene bildungs- und kulturpolitische Situation wahrscheinlich den entscheidenden Impuls für die Bekanntmachung der Septuaginta, und d. h. dann wohl auch für das Bemühen, die Septuaginta in der Bibliothek Aufnahme finden zu lassen. Im Unterschied zur Darstellung des Aristeasbriefes wäre dieses Bemühen nicht auf einen spezifischen Wunsch des Königs zurückgegangen, sondern auf die bildungsund kulturpolitische Situation, auf die man von jüdischer Seite reagierte, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Initiative in der Bibliothek und vielleicht auch vom König durchaus positiv aufgenommen und eventuell auch erwidert wurde. Dass die durch die bildungs- und kulturpolitischen Aktivitäten der frühen Ptolemäer indirekt veranlasste »Publikation« der Septuaginta bald als königliche Initiative und als abschließende königliche Approbation angesehen und dargestellt wurde, ist bei der damals üblichen – und im Orient weithin und bis heute zu beobachtenden – Personalisierung politischer Vorgänge durchaus naheliegend. Auch wenn diese Sicht ein jüdischer Wunschgedanke gewesen sein mag, so drückt sich darin eben der Stolz auf die eigene Tradition aus und ebenso das Bedürfnis nach offizieller Anerkennung. Dass man, zumindest beim Buch Genesis, die Kultur und die Anschauungen in der Umwelt im Blick hatte, ist u. a. auf Grund des – in der Septuaginta verlängerten – chronologischen Systems in der Genesis durchaus wahrscheinlich. 52 Sowohl der Inhalt setze). Auch hier ist bezeichnend, dass Kultur und Religion über das Thema Gesetze und Gesetzgebung zum Ausdruck gebracht werden. 51. Siehe dazu Gehrke, Umfeld. 52. Siehe dazu Rösel, Übersetzung, 129-144, bes. 142-144: »Das chronologische System der GenesisLXX«. Rösel verbindet das bekannte Phänomen der höheren Zahlen in der (Urgeschichte der) Genesis mit der Überlegung, dass zunächst nur die Chronologie der Genesis adaptiert wurde und für den weiteren Verlauf noch die ursprüngliche Chronologie des hebräischen Textes vorausgesetzt ist. Daraus ergibt sich ein annus mundi von 5000 für die Einweihung des Tempels. »Der rekonstruierten LXX-Chronologie zufolge geschah die Flut 2857 Jahre vor dem Tempelbau. Setzt man die Zeit des Übersetzers ca. 280 Jahre nach dem Baubeginn des zweiten Tempels an, so wäre seine alexandrinische Gegenwart ungefähr auf das Jahr 3135–3140 nach der Flut zu datieren, diese Zahl würde den Widerspruch zwischen den ägyptischen und den biblischen Überlieferungen vermeiden.« (144). Die Verlängerung des chronologischen Systems der Genesis wäre damit wahrscheinlich eine
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2. Die Entstehung der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
als auch die besondere Qualität der Übersetzung und die Adaption des chronologischen Systems der Genesis könnten darauf verweisen, dass das Buch Genesis für eine Publikation im Kontext der alexandrinischen Welt überarbeitet wurde. 53 In neuerer Zeit wurde von Adrian Schenker eine etwas anders gelagerte aber doch auch ähnliche These vorgetragen. 54 Schenker bezieht sich auf Dtn 4,2-8, wo es heißt, dass die umliegenden Völker über die guten Gesetze Israels staunen werden. Diese Bewunderung und vielleicht auch Hinwendung ist aber nur möglich, wenn die Menschen aus den Völkern diese Gesetze auch kennen. Dieses Anliegen habe zur Übersetzung der Thora geführt. Zugleich traf dieses Anliegen auf die von zeitgenössischen griechischen Philosophen wiederholt thematisierte Frage nach guten bzw. den besten Gesetzen für die Regierung eines Volkes (so z. B. bei Plato, Brief VII, 326a-b). Auch bei dieser These geht es um ein gewisses Zusammenspiel zwischen innerjüdischem Anliegen und äußerer, kulturpolitischer Situation. Aber anders als bei der These von Kreuzer geht es nicht um eine Unterscheidung zwischen (innerjüdischer) Entstehung und Publikation, sondern das sozusagen missionarische Anliegen sei der Grund für die Entstehung der Übersetzung (jedenfalls des Pentateuch) gewesen.
3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek) 3.1 Zur Begrifflichkeit Septuaginta als die Übersetzung der »Siebzig« bezog sich im Sinn des Aristeasbriefes zunächst auf den Pentateuch. In der Folgezeit erweiterte sich der Begriff auf alle heiligen Schriften, die aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen übersetzt worden waren und in weiterer Folge auch auf jene Schriften, die keine (bekannte) hebräische oder aramäische Grundlage haben, die aber eine gewisse wenn auch unterschiedliche »kanonische« Geltung erlangt hatten. Wesentliche Zeugnisse für die kanonische Geltung der Schriften sind die Zitierungen als normative Texte, wie sie sich in der frühjüdischen und in der christlichen, insbesondere der neutestamentlichen Literatur finden. 55 Weitere wichtige Zeugnisse für die Kanonizität der Schriften sind die einschlägigen Handschriften, insbesondere dann die ältesten erhaltenen Codices. Allerdings ist zu beachten, dass diese Codices Reaktion auf die Chronologie Manethos; vgl. Rösel, Übersetzung, 144: »Möglicherweise ist aber auch mit einem Einfluss der Arbeit Manethos zu rechnen. Den Ägyptiaca zufolge haben die historischen Pharaonen Ägyptens seit ca. 2000 Jahren regiert. Diese Zahl widerspricht aber einer kurzen oder mittleren Chronologie der biblischen Geschichte, nach der Mizraim (Gen 10,6) erst nach der Flut Ägypten gründete«. 53. Für weitere Aspekte diese These siehe Kreuzer, Entstehung und Publikation. 54. Schenker, Tora, und ders., Übersetzung. 55. Für eine Zusammenstellung der Zitate in jüdischen Schriften siehe Lange / Weigold, Quotations; für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament siehe die Liste der »Loci citati vel allegati« in den diversen Ausgaben des Neuen Testament von Nestlé-Aland (zuletzt in Eberhard Nestle / Barbara Aland, Novum Testamentum Graece, 28. rev. Aufl., Stuttgart 2012, 836878). 3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
unterschiedlichen Inhalt haben. So fehlen etwa im Codex Vaticanus die Makkabäerbücher, andererseits enthält der Codex Alexandrinus auch das Buch Henoch. 56 Was zur Septuaginta gerechnet wird, ist heute faktisch durch die sog. Handausgabe von Alfred Rahlfs von 1935 »kanonisiert« und nicht nur in der Fachwelt sondern – wie das griechische Vorwort zeigt – auch in der griechisch-orthodoxen Kirche anerkannt. Dem entspricht, dass auch die modernen Übersetzungen der Septuaginta im Umfang, wenn auch nicht immer in der Anordnung, 57 im Prinzip dieser Ausgabe folgen. Insofern ist bei der Rede von »der Septuaginta« immer zu beachten, in welchem Sinn der Begriff verwendet ist. Die Septuaginta ist uns nur in Abschriften erhalten. Diese zeigen nicht nur Varianten, die sich als Abschreibfehler erklären lassen, sondern die zum Teil auch auf bewusste Gestaltung zurückgehen bzw. manchmal auch auf das Bemühen, einen verderbten oder unklar gewordenen Text wiederherzustellen. Von da her stellt sich die Frage nach der ältesten Textgestalt. Mit den neuzeitlichen Editionen, die eine immer größere werdende Zahl von Handschriften (und damit auch unterschiedlicher Lesarten) verzeichneten, stellte sich die Frage nach der ältesten Textgestalt. Diese wurde früher einfach als Urseptuaginta bezeichnet, heute meistens als älteste Septuaginta oder ältester Septuagintatext. Nicht nur im englischen Sprachbereich hat sich die Bezeichnung als »Old Greek« verbreitet. Allerdings ist auch diese Bezeichnung nicht ganz glücklich, denn es gibt auch viele andere Texte, die »altgriechisch« sind, und andererseits gehören auch die jüngeren Bearbeitungen, insbesondere die sog. kaige-Rezension des 1. Jh. v. Chr., noch in die Phase der altgriechischen Sprache (im Gegensatz zu mittelalterlichem Griechisch und Neugriechisch). 58
3.2 Die Frage nach der ältesten Septuaginta Die großen diplomatischen Editionen der Septuaginta mit ihrer zunehmenden Zahl von Varianten führten zur Frage nach dem ältesten Text, 59 für dessen Erstellung dann jeweils textkritische Entscheidungen notwendig sind. Allerdings hat de facto immer der Obertext der diplomatischen Ausgabe das größte Gewicht. Das liegt allein schon daran, dass der Obertext der einzige zusammenhängend dargebotene Text in einer solchen Ausgabe ist. Da die meisten neuzeitlichen Ausgaben den Text des Codex Va56. Aus diesem Grund sind z. B. in der Ausgabe von Swete, die sich genau an den Codex Vaticanus hält, die Makkabäerbücher nicht in der üblichen Reihenfolge bei den Geschichtsbüchern zu finden, sondern als Ergänzung am Ende, und zwar mit einem aus Codex Alexandrinus übernommenen Text; auf dieser Basis sind dort auch die Psalmen Salomos, Henoch und die Oden zu finden. 57. So hat Septuaginta Deutsch die Psalmen Salomos nach Psalmen und Oden eingeordnet und nicht erst nach den Weisheitsschriften. NETS belässt die Oden nach den Psalmen, gibt aber nur jenen Text wieder, der nicht auch im Alten oder Neuen Testament vorkommt, nämlich das Gebet Manasses. 58. Ganz abgesehen von dem Problem, dass die Septuaginta nicht mehr klassisches Griechisch bietet, sondern grosso modo hellenistisches. 59. Diese Frage spielte faktisch auch schon bei den ersten Drucken im 16. Jh. eine Rolle, damals unter dem Vorzeichen der Suche nach den besten Handschriften als Grundlage für den Druck.
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3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
ticanus als Obertext haben, erhielt dieser Text das größte Gewicht auch in der Forschung und wird er als Haupttext bezeichnet. Erst am Anfang des 20. Jh. wurde es das Anliegen des Göttinger Septuagintaunternehmens und der sog. Handausgabe von Rahlfs, einen eklektischen Text herzustellen, in dem ein kritisch rekonstruierter, und damit der älteste erreichbare Text den Obertext bilden soll. Da sich Rahlfs vor allem auf die Codices B (Codex Vaticanus), S (Codex Sinaiticus) und A (Codex Alexandrinus) stützte, 60 wobei S unvollständig ist und A oft einen jüngeren Text bietet, blieb das Übergewicht des Codex Vaticanus weithin erhalten. 61 Die Frage nach dem ältesten, ursprünglichen Text wurde aber auch schon in der Antike gestellt. In den Diskussionen im 2. Jh. n. Chr. zwischen Juden und Christen wurde – wenn auch sozusagen unter dogmatischen Voraussetzungen – die Differenz zwischen dem (inzwischen verbindlich gewordenen) hebräisch-masoretischen Text und dem Text der Septuaginta festgestellt und die Frage nach dem ursprünglichen Text diskutiert. 62 Unter anderem Vorzeichen spielte die Frage bei Hieronymus eine Rolle. In der Rechtfertigung seiner Bearbeitung bzw. neuen Übersetzung der Psalmen erwähnt er, dass es zwei Formen des griechischen Textes gibt, den allgemein verbreiteten und den auf die Bearbeitung des Origenes (3. Jh. n. Chr.; siehe dazu unten, 6.1) zurückgehenden. 63 Die Abweichungen seiner neuen Übersetzung erklärte Hieronymus damit, dass er sich nicht an den verbreiteten Septuagintatext gehalten habe, sondern an den Text des Origenes, der dem hebräischen Text näher steht und den er als den besseren betrachtete, weil dieser der hebraica veritas näher stand. Genau genommen geht es damit bei Hieronymus nicht um den ältesten sondern um den besten Text. Das Beispiel zeigt aber, wie die Frage nach dem verbindlichen Text von den Vorentscheidungen und dem Bild von der Entstehung und Überlieferung des Textes abhängig ist. In der modernen historisch orientierten Forschung geht es dagegen um den ältesten Text, zumindest um den ältesten erreichbaren Text. Dieser liegt theoretisch in den kritischen Editionen vor. Allerdings muss man sich dabei immer bewusst sein, dass die textkritischen Entscheidungen von den Voraussetzungen des jeweiligen Bearbeiters abhängen. Diese haben sich im Lauf der Zeit geändert. Während Paul Anton de Lagarde in seinen drei sog. Axiomen im Prinzip jene Lesarten des griechischen Textes als die ältesten betrachtete, die am weitesten vom masoretischen Text entfernt sind, 64 kam es durch 60. Siehe dazu Rahlfs, Septuaginta: Vorwort des Bearbeiters. 61. Eine wichtige Ausnahme stellt des Buch Richter dar, wo Rahlfs (ähnlich wie die große Cambridger Ausgabe, BML) zwei Texte bietet, den älteren Text A, der auf Codex Alexandrinus basiert, der aber von Rahlfs noch textkritisch bearbeitet wurde, und den jüngeren Text B, der mit dem Text von Codex Vaticanus identisch ist. 62. So besonders in Justins Dialog mit dem Juden Tryphon. Siehe dazu u. a. Hengel / Schwemer, Septuaginta. 63. Brief des Hieronymus an die gotischen Bischöfe Sunnia und Fretelia, die ihn wegen der Unterschiede in seiner neuen Übersetzung gefragt hatten. Siehe dazu unten, 6.4. 64. Lagarde, Anmerkungen zur griechischen Übersetzung, 3: Satz I. besagt, dass man eklektisch arbeiten muss. Satz II. und III. nennen die Regeln: »II. wenn ein vers oder verstheil in einer freien und in einer sklavisch treuen übertragung vorliegt, gilt die erstere als die echte. III. wenn sich zwei lesarten nebeneinander finden, von denen die eine den masoretischen text aus3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
das traditionelle Übergewicht des Codex Vaticanus auch in den kritischen Editionen de facto oft zu Entscheidungen, die den rekonstruierten Text näher an den masoretischen Text heranführten. Dies geschah dann insbesondere auch, nachdem seit der dritten Auflage der Biblia Hebraica von 1937 durch den sog. Codex Leningradensis ein besonders guter hebräisch-masoretischer Text zur Verfügung stand, und vielleicht auch in Hochschätzung der Vulgata. Durch die Qumranfunde ergab sich nochmals ein neues Bild, das auch für die Septuaginta von Bedeutung wurde: Einerseits zeigen die Qumrantexte, dass in der frühjüdischen Zeit eine gewisse Mehrgestaltigkeit des hebräischen Textes existierte und dass spezifische Lesarten der ältesten Septuaginta oft nicht erst auf die Übersetzer, sondern bereits auf die hebräische Vorlage zurückgehen. Darüber hinaus zeigte sich auch, dass vermeintlich späte Lesarten, insbesondere des sog. antiochenischen oder lukianischen Textes oft mit Qumrantexten übereinstimmten und insofern hohes Alter und stärkere Berücksichtigung beanspruchen konnten. Diese Beobachtungen stärken auch die Bedeutung der alten Übersetzungen, insbesondere der Vetus Latina und der sahidischen Übersetzung, sowie der alten Zitate, etwa bei Josephus oder auch im Neuen Testament, für die Frage nach der ältesten Septuaginta. 65 Darüber hinaus zeigen die griechischen Texte aus Qumran und der Wüste Juda dass der Septuagintatext – selbst auch des Pentateuch – schon früh, d. h. noch in der frühjüdischen Überlieferung, eine hebraisierende Überarbeitung erfahren hat. 66 Während die Übersetzung des Pentateuch unbestritten in Alexandria lokalisiert wird, werden für einzelne Schriften auch andere Entstehungsorte, sei es in Ägypten, 67 sei es in Palästina, 68 diskutiert.
3.3 Kennzeichen der ältesten Septuaginta (Old Greek) Die Übersetzungstechnik und die sprachlichen Eigenheiten des griechischen Textes sind von Buch zu Buch verschieden und werden in den folgenden Kapiteln jeweils für die einzelnen Bücher erörtert. Es gibt aber auch gewisse allgemeine Kennzeichen und eine allgemeine Entwicklung. Diese Entwicklung verlief von einer natürlich immer eng am hebräischen Ausgangstext, aber doch auch an der Zielsprache orientierten
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66. 67.
68.
drückt, die andre nur aus einer von ihm abweichenden urschrift erklärt werden kann, so ist die letztere für ursprünglich zu halten.« Insbesondere Alfred Rahlfs hatte Übereinstimmungen dieser Texte aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. mit dem von ihm auf ca. 300 n. Chr. datierten lukianischen Text nicht als Hinweis auf höheres Alter des Textes akzeptiert, sondern auf späte Quereinflüsse zwischen den Handschriften zurückgeführt. Bei den Qumrantexten ist ein solcher Quereinfluss nicht möglich. Siehe dazu Himbaza, 4QgrLeva. So argumentiert van der Kooij, Die alten Textzeugen des Jesajabuches, im Anschluss an Seeligman, Septuagint Version of Isaiah, für die Übersetzung des Jesajabuches in Leontopolis (siehe dazu auch die Einführung zu Jesaja in LXX.E). Die Entstehung verschiedener Teile der Septuaginta in Palästina wird vor allem von Emanuel Tov vertreten, wobei er vor allem Esther und Qohelet nennt (Tov, Text, 131, siehe auch Tov, Reflections). Dass die kaige-recension in Palästina entstand, ist weithin Konsens. Das ist aber etwas anderes als die Frage der Erstübersetzung.
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3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Übersetzungsweise hin zu einer auch formal immer enger an das Hebräische zurückgebundenen, isomorphen Übersetzung. Diese Entwicklung wurde bereits von Thackeray festgestellt und ist auch in neueren Lehrbüchern übernommen. 69 Allerdings steht daneben auch die andere, ebenfalls bereits von Thackeray ausgesprochene Beobachtung, dass in der jüngeren Zeit auch eine recht große Freiheit in der Wiedergabe, etwa bei den Büchern Hiob und Sprüche, zu beobachten ist. 70 M. E. hängen diese Differenzen mit dem unterschiedlichen kanonischen Status und dem weniger »historischen« Inhalt dieser Schriften zusammen. Dieser Regel wird man im Großen und Ganzen zustimmen können. Daraus die Entstehungszeit abzuleiten, 71 ist aber nur mit Vorsicht möglich. Denn einerseits bleibt, wie etwa beim Buch Ruth, die Frage, ob uns die ursprüngliche Übersetzung oder nur eine hebraisierende Textform erhalten ist, andererseits bleibt die Frage, welche Rekonstruktionsprinzipien der jeweilige Bearbeiter einer kritischen Edition verwendet hat. 72 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die ursprüngliche Übersetzung der Septuaginta zwar eng der hebräischen Vorlage, d. h. dem jeweils vorhandenen hebräischen Text, folgte, dass die Übersetzung dabei aber weithin ein durchaus gutes, oft idiomatisches und auch griechische Stilmittel verwendendes Griechisch präsentiert. Dabei wurden natürlich auch Verständnisprobleme geklärt (oder zumindest entschieden) und zeitgenössische exegetische Ansichten oder liturgische und andere Usancen berücksichtigt. 73 Eine andere Perspektive wurde in letzter Zeit vor allem in Nordamerika vertreten, nämlich das sogenannte interlinear paradigm. Dieses wurde von Albert Pietersma, dem Initiator und langjährigen Leiter der neuen englischen Übersetzung der Septuaginta, 74 entwickelt, und zwar ausgehend von seinen Psalmenstudien. Die Psalmen sind im Codex Vaticanus und auch in der von Rahlfs edierten Form ziemlich wortwörtlich und auch der hebräischen Wortfolge entsprechend wiedergegeben. Pietersma schloss daraus, dass die Psalmen und die ganze Septuaginta nicht als selbständige Übersetzung gedacht waren, sondern als eine Art Interlinearübersetzung, die zum Studium des hebräischen Textes hinführen soll (»Septuagint as produced«). Erst sekundär und gegen die ursprüngliche 69. Thackeray, Grammar, 6-16; Dorival / Harl / Munnich, La bible grecque, 93-96; Siegert, Einführung in die Septuaginta, 40-43. 70. Ebd. 71. Siehe etwa die Tabelle bei Siegert, Einführung in die Septuaginta, 42 f. 72. So hat sich etwa Josef Ziegler bei seinen Editionen der Prophetenbücher häufig für eine dem masoretischen Text nahe stehende Lesart entschieden, woraus sich eo ipso eine stärker hebraisierende Textform ergibt. 73. Um nur einige Beispiele zu nennen: Bei Gen 2,1 »Gott vollendete sein Werk und ruhte am siebten Tag« kann man fragen, was »vollenden« bedeutet und ob Gott am siebten Tag doch noch etwas getan hat. Die Septuaginta (oder vielleicht schon ihre hebräische Vorlage) klärt hier: »Gott vollendete sein Werk am sechsten Tag und am siebten Tag ruhte er«. Aktuelle religiöse Begrifflichkeit spiegelt sich wohl darin, dass Begriffe wie Manna und Pascha nicht nach ihrer hebräischen sondern nach der aramäischen Form wiedergegeben wurden. Die (oben in Fn. 42 erklärte,) ab Ri 2,13 zu findende Form von Baal mit weiblichem Artikel spiegelt wohl die liturgische Praxis einer Ersatzlesung wieder. 74. Pietersma, NETS. 3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Intention habe sich die Septuaginta sozusagen verselbständigt (»Septuagint as received«). 75 Gegenüber dieser These wurde vielfach darauf hingewiesen, dass die einzelnen Schriften der Septuaginta unterschiedlichen Charakter haben und dass in vielen Teilen und an vielen Stellen durchaus freie Übersetzungen und auch eigenständige Interpretationsleistungen zu erkennen sind und zwar nicht nur im Pentateuch, sondern auch in den Geschichtsbüchern und bei den Propheten und durchaus auch in den Psalmen. 76 Die Argumentation, dass die ursprüngliche Septuaginta interlinear war, uns aber nicht mehr erhalten sei, ist eine schwer nachvollziehbare petitio principii, für die es keine Belege gibt. Die umfangreichste Verteidigung des interlinear paradigm stammt von Cameron Boyd-Taylor, der bezeichnenderweise mit einer Beschreibung der Übersetzung Aquilas (s. u. 5.1) beginnt und von da zur kaige-Rezension (s. u. 4.2) und weiter zu einem Psalm und zu einigen Versen in Gen 1 zurückgeht. 77 De facto gibt es Übersetzungen bzw. Revisionen, die den griechischen Text formal eng an das Hebräische binden und ihm so eine besondere »Hebraizität« verleihen wollen. Aber der kaige-Rezension (s. u., 4.2) ebenso wie der Übersetzung Aquilas (s. u., 5.1) geht es trotzdem um Wirkung und Verbreitung in der Zielsprache. 78 Zudem gibt es auch keine wirklichen Interlineartexte aus der Antike. Auch Boyd-Taylor kann so wie Pietersma nur eine relativ späte Handschrift aus byzantinischer [!] Zeit nennen, in der Passagen aus der Ilias in hellenistischem Griechisch und in volkstümlichem Griechisch (als Übersetzung bzw. vermutlich als Verständnishilfe) nebeneinander stehen. Das ist aber synoptisch angeordnet und nicht interlinear. Eine echte Interlinearität erscheint schon wegen der gegensätzlichen Schreibrichtung von Hebräisch und Griechisch kaum möglich bzw. kaum lesbar. – Pietersma hat denn auch seinen Begriff als metaphorischen Ausdruck für die Nähe des griechischen Textes zur hebräischen Vorlage relativiert, zugleich aber auch immer verteidigt. 79
4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta 4.1 Die ältere Forschung Während lange Zeit die Meinung vorherrschte, dass sich das Judentum im 2. Jh. n. Chr. auf Grund der Verwendung der Septuaginta bei den Christen von der Septuaginta getrennt habe und sich mit den Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion neue griechische Übersetzungen schuf, haben auch hier die Funde von Qumran und der Wüste Juda das Bild erheblich verändert. 75. Pietersma, A New Paradigm. 76. Siehe dazu die Abschnitte über den sprachlichen Charakter der Übersetzung in den in diesem Band folgenden Ausführungen zu den einzelnen Büchern. Für eine der vielen Stellungnahmen zum interlinear paradigm siehe Joosten, Reflections on the ›interlinear paradigm‹. 77. Boyd-Taylor, Reading between the Lines. 78. Dass man eine sehr genaue oder gar wortwörtliche Übersetzung auch verwenden kann, um den Ausgangstext besser zu verstehen, ist selbstverständlich. Aber das ist etwas anderes als wenn eine Übersetzung nur für diesen Zweck geschaffen wäre. 79. Pietersma, Interlinearity revisited.
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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Insbesondere identifizierte Dominique Barthélemy bei seiner Analyse der zwölfPropheten-Rolle aus Naḥal Ḥever die so genannte kaige-Rezension, die er auch in einer Reihe weiterer Schriften, etwa in 2 Samuel, identifizierte. Schon am Anfang des 20. Jh. hatte Thackeray festgestellt, dass in den Büchern der Königtümer (Samuel und Könige) zwei sehr unterschiedliche Übersetzungsstile vorliegen, ein älterer mit vergleichsweise gutem Griechisch und idiomatischen Gegebenheiten wie praesens historicum, und ein jüngerer mit enger isomorpher Anpassung an das Hebräische. In Aufnahme der Zählung von 1–4Königtümer mit griechischen Buchstaben kam er zu folgender Einteilung: Erste Übersetzung
Spätere Ergänzung
α’ für 1Kgt ββ’ für 2Kgt 1,1–11,1 βγ’ für 2Kgt 11,2–3Kgt 2,11 γγ’ für 3Kgt 2,12–21,43 γδ für 3Kgt 22,1–4Kgt 25,30
Thackeray nahm an, dass die Abschnitte α’, ββ’ und γγ’ zuerst übersetzt wurden und dass die Abschnitte βγ’ und γδ’, die in »asiatischem, stark manieriertem Stil« übersetzt wurden, erst später dazu kamen. Dabei identifizierte er bereits im Wesentlichen jene Kennzeichen, die später Barthélemy für die kaige-Rezension benannte (s. u.), u. a.: ἀνήρ für אישauch wo es ἕκαστος (ein jeder) bedeutet und κερατίνη statt σάλπιγξ für hebr. ;שופרκαιγε für ;גםἐγώ εἰμι für אנכיauch bei einer finiten Verbform, sowie Vermeidung des Präsens historicum. 80 Während die von Thackeray angenommen zwei Phasen der Entstehung keine große Akzeptanz fanden und diese Annahme heute hinfällig ist, hat die Unterscheidung der Übersetzungsstile und die Abgrenzung der Abschnitte bleibende Bedeutung erhalten. 81 Zu dieser Abgrenzung ist allerdings festzuhalten, dass sie sich in dieser strengen Form nur im Codex Vaticanus findet (in dem oder in dessen Vorlage offensichtlich Handschriften verschiedenen Typs kombiniert wurden). 82 Ein deutliches Beispiel für die hebraisierende Revision liegt auch im Richterbuch vor. Hier hatte schon 1705 Johannes Ernestus Grabe in seiner »Epistula ad Joannem Millium … in qua ostenditur libri Iudcum genuinam LXX. Interpretum Versionem eam esse, quam MS Codex Alexandrinus exhibet« aufgezeigt, dass im Codex Alexandrinus eine ältere Textform vorliegt als im Codex Vaticanus und anderen Handschriften. Diese Sonderstellung wurde schon im Apparat der großen Cambridge Ausgabe (BML) deutlich gemacht. Rahlfs ging in seiner Septuagintaausgabe noch weiter und 80. Thackeray, Worship, 114 f. 81. Lediglich der Anfang von βγ’ ist umstritten. Shenkel, J. D., Chronology and Recensional Development in the Greek Text of Kings, Cambridge/MA 1968, bes. 117-120, erkannte die Besonderheiten der Übersetzung schon ab 2Kgt 10,1. 82. Sowie, zumindest teilweise ähnlich, im Codex Sinaiticus, der jedoch für Samuel-Könige nicht erhalten ist. Bei den 1975 gefundenen, 2010 publizierten Texten aus dem Richterbuch entspricht der Text im Wesentlichen B und somit auch dem kaige-Text; Karrer, Sinaiticus. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
druckte beide Textformen übereinander ab, wobei der A-Text den von ihm kritisch rekonstruierten ältesten Text bietet, der dem Text des Codex Alexandrinus nahe steht aber nicht damit identisch ist, während der B-Text den jüngeren, hebraisierend bearbeiteten Text des Codex Vaticanus wiedergibt.
4.2 Die Entdeckung der kaige-Rezension Die Entdeckung der Schriften aus Qumran bzw. der Wüste Juda führten auch für die Septuagintaforschung zu völlig neuen Einsichten aber auch zur Bestätigung und Differenzierung älterer Erkenntnisse. In seiner Analyse der Zwölf-Prophetenrolle aus Naḥal Ḥever stellte Dominique Barthélemy 1963 eine den von Thackeray beobachteten Phänomenen entsprechende Bearbeitung des Septuagintatextes fest. 83 Vom Fundort her bezeichnete er diese Textform als palästinische Rezension bzw. – wegen der für ihn besonders wichtigen Wiedergabe von »( גםauch«) mit καιγε (»und auch«) – als die kaige-Rezension. Beim Vergleich mit der entsprechenden Bearbeitung in anderen Büchern beobachtete Barthélemy eine gewisse Bandbreite vor allem in der Wortwahl. Er sprach daher zum Teil auch von einer »groupe kaige«, wobei man sowohl an eine Gruppe von kaige-Handschriften als auch von kaige-Bearbeitern denken kann. Das Stichwort kaige war für Barthélemy deshalb besonders wichtig, weil er dabei das rabbinische Prinzip der augmentation (Erweiterung) erkannte, das in der frühjüdischen Hermeneutik eine gewisse Rolle spielte. Außerdem dachte Barthélemy an das sog. prototheodotionische Problem, d. h. an das Phänomen, dass theodotionische Lesarten, die man eigentlich der Übersetzung des Theodotion im 2. Jh. n. Chr. (siehe dazu auch unten, 5.3) zuordnete, bereits im 1. Jh. zu finden sind (z. B. im Neuen Testament). Barthélemy identifizierte Jonathan ben Uzziel aus dem 1. Jh. mit Theodotion 84 und datierte damit auch die kaige- bzw. kaige-Theodotion-Bearbeitung in das 1. Jh. n. Chr. 85 Gegenüber dieser Zuordnung wird die Naḥal Ḥever Rolle heute aus paläographischen Gründen in das 1. Jh. v. Chr. datiert, 86 womit sich ergibt, dass die kaige-Rezension bereits im 1. Jh. v. Chr. erfolgte bzw. zumindest begonnen hat. Auch schon mit Barthélemys Datierung war klar, dass die kaige-Rezension eine innerjüdische und vorchristliche Bearbeitung der alten Septuaginta darstellt.
83. Die Zwölfprophetenrolle von Naḥal Ḥever hat darüber hinaus noch die Besonderheit, dass mitten im griechischen Text der Gottesname Jhwh nicht wie sonst üblich mit griechisch κύριος übersetzt, sondern mit Buchstaben der althebräischen Schrift wiedergegeben wird. 84. Barthélemy, Devanciers, 148-156. So auch bereits Kahle, P. E., The Cairo Genizah, 19592, 195. 85. Aus dieser Verbindung ergibt sich, dass vor allem in der englischsprachigen Literatur manchmal von kaige-Theodotion gesprochen wird, z. B. Tov, Textual History, wobei allerdings die Verbindung zu einem Theodotion des 2. Jh. n. Chr. (und damit letztlich dessen Existenz) entfällt. Die Rede von kaige-Theodotion erscheint insofern nützlich, als die spätere Tradition diese Textform mit dem Namen Theodotion (wer auch immer das war), und die Textform unter dieser Bezeichnung identifizierte. 86. Cross, F. M. / Parry, D. W. / Saley, Richard, J. u. a., 1–2 Samuel, Qumran Cave 4, XII, Oxford 2005.
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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Was waren die Gründe für diese isomorph-hebraisierende Bearbeitung? Ein erster Grund war die Beobachtung, dass der Text der Septuaginta an manchen Stellen von jener Form des hebräischen Textes abwich, der ab der Hasmonäerzeit, d. h. ab dem ausgehenden 2. Jh. v. Chr. zum normativen Text geworden war. Diese Entwicklung lässt sich an den Qumrantexten beobachten. Während die älteren Texte noch eine Mehrgestaltigkeit bezeugen, wurde im 1. Jh. v. Chr. praktisch nur mehr jener Text abgeschrieben oder zitiert, den wir heute den protomasoretischen Text nennen. Schon bei dem um etwa 125 v. Chr. verfassten Aristeasbrief hat man den Eindruck, dass die herkömmliche Septuaginta gegen Angriffe verteidigt werden soll: Immerhin wird betont, dass die Übersetzung unter Autorisierung des Jerusalemer Hohepriesters erfolgte und auf der Grundlage von Handschriften, die aus dem Jerusalemer Tempel stammten. Auch die im Aristeasbrief erzählte Autorisierung durch die jüdische Gemeinde und durch den ptolemäischen König verliehen der Septuaginta höchste Autorität. Aber: die Differenzen zum masoretischen Text waren unbestreitbar und waren wohl mit ein Grund für die Revision. 87 Ein zweiter Grund, der damit Hand in Hand ging und wohl noch gewichtiger wurde, war ein neues Schriftverständnis, das zu einer neuen Hermeneutik und zur Bearbeitung der alten Übersetzung führte. Prinzipiell ging es dabei nicht nur um den Inhalt sondern auch um die Form des hebräischen Urtextes. Dieser war nicht nur der Sache nach autoritativ, sondern auch nach seiner Form. Das hebräische Original sollte in der griechischen Übersetzung durchschimmern und erkennbar werden; von da her war auch die hebräische Wortfolge wichtig sowie etwa auch die Tempora, d. h. z. B. dass die hebräische Vergangenheitsform auch mit einer griechischen Vergangenheitsform wiedergegeben werden soll, und nicht mit einem praesens historicum. Da der hebräische Text ein heiliger und vollkommener Text ist, sind auch die Details wichtig, gerade auch solche, die scheinbar keinen Unterschied machen, wie etwa die beiden unterschiedlichen Formen des Personalpronomens der 1. Pers. Sing., אניund אנכי. Damit man sie auch im Griechischen erkennen kann, wird אניmit ἐγώ wiedergegeben und אנכיmit ἐγώ εἰμι, auch wenn ein finites Verb folgt. Unter diesem Vorzeichen wird es auch wichtig, ob ein Artikel oder analoges Element 88 vorhanden ist oder nicht; d. h. der Artikel wird im Griechischen nicht nach (hebräischer) Determination oder Indetermination gesetzt, sondern nach dem Vorhandensein eines sichtbaren Artikels oder analogem Element. Ein weiteres Anliegen war die konkordante Wiedergabe, d. h. dass ein bestimmtes hebräisches Wort immer mit dem gleichen griechischen Wort wiedergegeben werden soll. Der hebraisierende Charakter der kaigeRezension ist somit näherhin als isomorphe Bearbeitung zu bestimmen. Einzelheiten lassen erkennen, dass die Bearbeiter durchaus gut Griechisch konnten, aber was ihnen wichtig war, war die isomorphe Entsprechung. Gerade gewisse Befremdlichkeiten 89 wie das erwähnte ἐγώ εἰμι auch bei folgender finiter Verbform oder die genaue An87. Allerdings blieb dieses Bemühen in gewissen Grenzen. So wurde z. B. beim Jeremiabuch keine mit dem längeren (proto)masoretischen Text übereinstimmende Fassung geschaffen. 88. Als solches fungiert vor allem die nota accusativi. Die nota accusativi bewirkt zwar (nach moderner Grammatik) keine Determination, aber sie steht vor determinierten Objekt, d. h. sie zeigt die Determination an und hat damit eine ähnliche Bedeutung wie der Artikel. 89. Rahlfs, Lucians Rezension, bezeichnete den (von ihm noch nicht so benannten) kaige-Text von 2Kön als »oft stumpfsinnig genau übersetzt« (293; ähnlich 223; 233; 263). 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
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passung in der Wortfolge sollten auf den eigentlichen Hintergrund verweisen, nämlich die hebräischen heiligen Schriften. 90 Die Entdeckung der kaige-Rezension ist in der Septuagintaforschung allgemein anerkannt. In der ersten Entdeckerfreude wurde den oben erwähnten Kennzeichen noch eine Reihe weiterer, vor allem semantischer Kennzeichen hinzugefügt. Diese waren aber zum großen Teil zu unspezifisch und nur für einzelne Schriften relevant. Im Wesentlichen bewährten sich die schon von Barthélemy herausgestellten Kennzeichen 91, dazu kamen die verschiedenen Beobachtungen bezüglich der isomorphen Anpassung, insbesondere der Wortfolge und der Artikelsetzung. Für Barthélemy hatte die Entdeckung der kaige-Rezension aber noch eine wichtige zweite Seite. Da die kaige-Texte, etwa in 2Sam und in 2Kön aber auch sonst, per definitionem überarbeitete Texte sind, stellt sich die Frage, ob die ältere Vorlage dieser Rezension noch erhalten ist, oder ob diese verloren sind. Barthélemy identifizierte diese Vorlage in dem sogenannten antiochenischen bzw. lukianischen Text, dessen Textgestalt üblicherweise auf eine Bearbeitung durch den 312 n. Chr. als Märtyrer umgekommenen Theologen Lukian von Antiochien zurückgeführt wird (siehe dazu unten 6. Christliche Revisionen). Entgegen der verbreiteten Meinung einer erst späten Entstehung dieser Textform stellte Barthélemy fest, dass dieser Text und der kaigeText des Codex Vaticanus zusammenhingen und dass der antiochenische Text die ältere Vorlage für den kaige-Text war. Das bedeutet aber, dass der antiochenische Text alt war und der beste Zeuge für den ursprünglichen Text der Septuaginta, wobei natürlich auch dieser Text – so wie alle anderen Textformen – im Lauf seiner Überlieferung einzelne Textverderbnisse erfahren hatte. In den Worten von Barthélemy: Der lukianische / antiochenische Text, »c’est la vieille Septante, plus ou moins abâtardie et corrumpue.« 92 Faktisch ist diese völlig neue Einordnung des lange Zeit vernachlässigten bzw. spät datierten lukianischen Textes die andere Seite der Medaille, d. h. der von Barthélemy identifizierten kaige-Rezension. Allerdings wurde diese zweite Erkenntnis Barthélemys lange Zeit wenig beachtet bzw. mit verschiedenen Argumenten relativiert. Erst in neuerer Zeit wurde die neue Einordnung und damit auch die Bedeutung des lukianischen Textes stärker aufgenommen 93 und durch neue Argumente, vor al90. Als moderne Analogie könnte man auf die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig verweisen, die mit ähnlichen Mitteln wie hebraisierende Wortbildungen und hebraisierende Syntax einen besonders »hebräischen« Eindruck und damit besondere Autorität vermitteln will. 91. Siehe dazu u. a. Barthélemy, Prise de Position. 92. Barthélemy, Devanciers, 127. Angesichts der weiteren Diskussion zur kaige-Rezension und zum lukianischen Text hat Barthélemy in seinem Beitrag »Prise de Position« zwar später im Rahmen eines Rückblick auf die Diskussion zur kaige-Rezension und zum lukianischen Text zugegeben, dass der antiochenische Text nicht nur zufällige Verderbnisse sondern zum Teil auch eine absichtliche Bearbeitung erfahren haben kann, aber diese wäre erheblich geringer als die klassisch angenommene lukianische Rezension. Insofern blieb Barthélemy im Wesentlichen bei seiner früheren Erkenntnis. 93. Neben Diskussionsbeiträgen ist die Edition des lukianischen Textes von 1Sam durch Taylor, The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns, und vor allem die umfangreiche kritische Edition des antiochenischen Textes zu Samuel, Könige und Chronik durch Fernandez Marcos und Busto Saiz, El texto antioqueno, zu nennen.
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
lem durch den Vergleich mit der isomorphen Bearbeitung der kaige-Rezension, klar nachgewiesen.
4.3 Weitere Formen hebraisierend-isormorpher Bearbeitung (semi-kaige) Gab es auch außerhalb der kaige-Texte eine hebraisierende Bearbeitung? Im Blick auf den geistigen Hintergrund der kaige-Rezension und andererseits angesichts der Existenz unterschiedlicher Textformen in der Überlieferung der Septuaginta stellt sich die Frage, ob es auch jenseits der klaren kaige-Texte ähnliche Bearbeitungen gab. Dass es solche Bearbeitungen gab, ist schon impliziert in den oben erwähnten sog. Axiomen von Lagarde. Wenn er jene Textform als die älteste betrachtet, die am weitesten vom masoretischen Text entfernt ist, dann impliziert das die Ansicht, dass die Septuagintatexte an Hand des (proto)masoretischen Textes bearbeitet wurden. In seiner kritischen Handausgabe folgte Rahlfs zwar im Wesentlichen den großen Codices B, S und A (Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus) und darin wiederum vor allem der sog. Hauptüberliefrung des Codex Vaticanus, aber er weicht doch an vielen Stellen davon ab und folgt nicht selten auch dem lukianischen Text. Auch das impliziert, dass der Codex Vaticanus nicht immer den ältesten Text bietet, sondern in einem bestimmten Sinn bearbeitet wurde und zwar offensichtlich im Sinn einer gewissen Anpassung an den masoretischen Text. Ähnliches hat auch Anneli Aejmelaeus im Blick auf 1Sam festgestellt: »One must be ready to accept corruption or correction towards the Hebrew in the main line [= B-text and related manuscripts; SK] of textual transmission«; 94 und: »This kind of recensional development, typical of the so-called καίγε sections is clearly not absent in the non-καίγε sections either, but can be sporadically detected in the B-text«. 95 Das Problem ergibt sich auch aus der oben erwähnten neuen Einordnung des antiochenischen Textes. Wenn dieser der ursprünglichen Septuaginta nahe steht und wenn zugleich auch der Text des Codex Vaticanus in den sog. nicht-kaigeAbschnitten der ursprünglichen Septuaginta sehr nahe ist, dann stellt sich die Frage, wie die Differenzen zwischen den beiden Texten zu interpretieren sind. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sind beide Texte (gegenüber der ursprünglichen Septuaginta) bearbeitet oder einer der beiden ist der ältere und der andere Text ist bearbeitet. Der erste Fall erweist sich am ehesten dadurch, dass manchmal der eine, manchmal der andere Text sekundär ist. Im zweiten Fall sind die Änderungen durchwegs oder zumindest weit überwiegend 96 einem der beiden Texte zuzuschreiben. Die Analyse zahlreicher Texteinheiten aus den nicht-kaige Abschnitten von 2Sam aber auch zahlreiche andere Fälle zeigen, dass in der Tat an vielen Stellen im Codex Vaticanus eine hebraisierende Bearbeitung vorliegt, die nicht nur zufällig und punktuell sondern systematisch erfolgte. 97 Wenn auch diese Bearbeitung wesentlich milder ausfiel, als in der eigentlichen kaige-Rezension, so folgte sie doch denselben Prinzipien einer isomorphen Anpassung an den hebräischen Bezugstext, nämlich Anpassung in 94. Aejmelaeus, 1 Samuel, 127. 95. Aejmelaeus, Reconstructing the Old Greek, 366. 96. De facto wird es auch in der ältesten Textform Textverderbnisse oder einzelne Korrekturen geben. 97. Siehe dazu Kreuzer, B or not B?; ders., Old Greek und Semi-kaige. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
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der Wortfolge, in der Artikelsetzung und zum Teil in der Wortwahl. Siegfried Kreuzer hat daher die Bezeichnung als semi-kaige Bearbeitung vorgeschlagen. 98 Diese Phänomene sind auch im nicht-kaige Text von 1Kön und in anderen Texten zu erkennen. ein illustratives Beispiel ist die Wiedergabe von טוב בעיניך, »gut deinen Augen«. Die älteste Wiedergabe (erhalten im antiochenischen Text und einer Reihe weiterer Textzeugen) ist relativ frei und sachgemäß: τὸ ἀρεστὸν ἐνώπιόν σου. In den kaige-Abschnitten des Codex Vaticanus wird genau wortwörtlich übersetzt: τὸ ἀγαθὸν ἐν ὀφθαλμοῖς σου; in den nicht-kaige Abschnitten wird dagegen nur zu τὸ ἀγαθόν ἐνώπιόν σου angepasst. Ein interessantes Beispiel ist die bereits erwähnte (s. o. 2.2; Fn. 46) Verbindung des Namens des Gottes Baal mit weiblichem Artikel. Diese ist im antiochenischen Text von 1Kön 19,18 (d. h. im nicht-kaige Abschnitt) und im Zitat dieser Stelle in Röm 11,4) noch erhalten, während sie in Codex Vaticanus – so wie sonst im kaigeText – geändert ist. 99 Die vorgestellten Beobachtungen und Sachverhalte gelten nicht nur für das Gegenüber von Codex Vaticanus und antiochenischem Text (das in den Geschichtsbüchern besonders markant ist), sondern generell in der Textüberlieferung. So gibt es z. B. für Psalm 103,4, der in Hebr 1,7 zitiert wird, zwei verschiedene griechische Textformen: Gott macht seine Engel zu Geistern und seine Diener zu πῦρ φλέγον, »brennendem Feuer« (so Rahlfs mit B, S, A), bzw. zur πυρὸς φλόγα, »Flamme des Feuers« (Sa, Bo, L, und Ac), wobei die erste Lesart genau der hebräischen Wortfolge und Grammatik ( )ֵאשׁ ל ֵֹהטentspricht. Da diese hebraisierende Lesart im Griechischen genauso gut möglich ist und keinen Grund zur Beanstandung (und damit zu einer Korrektur) bietet, erklärt sich die Differenz am ehesten aus isomorpher Anpassung, und zwar an die masoretische Vokalisation bzw. Lesetradition (der Konsonantentext erlaubt beide Auffassungen). D. h. die in den großen Codices bezeugte Lesart ist die jüngere, an den masoretischen Text angepasste Lesart, während die im Sahidischen, im Bohairischen, im lukianischen/antiochenischem Text und von Korrektor C des Codex Alexandrinus bezeugte Lesart den ursprünglichen Septuagintatext darstellt, der auch im Hebräerbrief zitiert ist. 100 Insbesondere das letztgenannte Beispiele macht deutlich, dass es bei der Frage nach einer hebraisierend-isomorphen Bearbeitung und der damit eng zusammenhängenden Frage nach der ältesten Septuaginta (»Old Greek«), nicht mehr nur um den Bereich des Entdeckungszusammenhanges (kaige-Rezension zu Dodekapropheton bzw. in Codex Vaticanus und Antiochenischer Text in den Samuelbüchern) geht, sondern generell um den Sachzusammenhang von ältester, ursprünglicher Septuaginta (»Old Greek«) und hebrai98. Ebd. 99. Die Lesart ist leider weder in Rahlfs, Septuaginta, noch in Rahlfs/Hanhart, Septuaginta, angeführt, aber in der Ausgabe von Brooke/McLean nachgewiesen. Interessanterweise hat auch das Zitat dieser Stelle in Röm 11,4 noch den femininen Artikel, woraus sich ergibt, dass Paulus – jedenfalls für diese Stelle – noch den alten Septuagintatext vor sich hatte; siehe dazu Kreuzer, Lukian redivivus, 259-261. 100. Die Bemerkung bei Rahlfs, die Lesart von Sa, Bo, L, und Ac. sei »ex Heb 1,7« ist angesichts der geographisch weiten Streuung der Textzeugen nicht sehr wahrscheinlich, und durch die textinterne textkritische Überlegung hinfällig. Zum Phänomen der Erhaltung alter Lesarten in den Randgebieten der Textüberlieferung siehe auch unten, 6.4.
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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
sierender Bearbeitung (kaige-Rezension, semi-kaige-Bearbeitung). Das wesentliche Kriterium ist die klassische textgeschichtliche Frage: In welcher Richtung lassen sich die Änderungen am einfachsten begründen und erklären? Ergänzend sei erwähnt, dass die hier erörterte Frage nach hebraisierender Überarbeitung für den Pentateuch bisher kaum gestellt wurde. Die Entwicklung scheint aber auch in diesem Bereich zuzutreffen, auch wenn hier die älteste Textform nur sporadisch erhalten zu sein scheint. So scheint 4QLXXLeva eine ältere Textform des Levitikusbuches zu bezeugen, als sie uns in den übrigen Manuskripten erhalten ist. 101 Ein interessantes Beispiel in der anderen Richtung, d. h. einer hebraisierenden Überarbeitung, bietet der schon länger bekannte Papyrus / Ms Strasbourg gr 748 aus dem 5. Jh. n. Chr., der offensichtlich zumindest Genesis und Exodus umfasste und der eine dem B-Text des Richterbuches, modern gesprochen: der kaige-Rezension, entsprechende Textform aufweist. 102 Im Blick auf die Überlieferung und Verbreitung der Septuaginta ergibt sich damit das Bild von zwei Phasen: Die erste Phase ist die erste Übersetzung der »Septuaginta«, wie sie (zumindest in den Anfängen und zum Großteil) in Alexandrien erfolgte, und ihre Verbreitung in der jüdischen Diaspora und wohl auch im Mutterland. Die zweite Phase ist die Revision der Septuaginta in einem hebraisierend-isomorphen Sinn, d. h. die sog. kaige- und die semi-kaige-Bearbeitung. Auch dieser Text verbreitete sich – von Jerusalem oder auch von anderen jüdischen Zentren ausgehend – ebenfalls in der jüdischen Welt. Offensichtlich überlagerte diese zweite Welle der Ausbreitung sukzessive die erste, d. h. die hebraisierende Textform wurde intensiver abgeschrieben und verbreitet. 103 Diese zweite Textform, die sich zum Teil auch mit der ersten mischte, dominiert auch die uns erhaltene Überlieferung, d. h. vor allem die großen Codices. Die ältere Textform ist eher fragmentarisch in einzelnen Papyri und in Fragmenten aus Qumran erhalten, offensichtlich aber auch in den Randzonen der Verbreitung: Im Norden in Syrien/Antiochien, im Westen durch die Übersetzung der Vetus Latina, im Süden durch die sahidische (d. h. die ältere koptische) Übersetzung. Es ist interessant, dass die Septuagintazitate im Neuen Testament zum Teil die ältere Septuaginta, zum Teil die hebraisierende Bearbeitung wiederspiegeln. 104
101. Himbaza, What are the consequences if 4QLXXLeva contains the earliest formulation of the Septuagint? 102. Siehe dazu Plasberg, Strasburger Anecdoten, und Bülow-Jacobsen / Strange, Fragment, sowie / Bogaert/ Botte, Septante, 565. 103. Wie die erste Übersetzung der »Septuaginta« dauerte wohl auch die Phase der hebraisierenden Bearbeitung eine gewisse Zeit. Die Verbreitung der Handschriften erfolgte wohl unterschiedlich rasch, je nach Bedarf und Bedeutung des jeweiligen Buches. Ein schönes Beispiel, wie man sich die Verbreitung von Handschriften im 1. Jh. und wohl nicht nur für private Bedürfnisse vorstellen kann, bietet die Erzählung in Apg 8. 104. Die neutestamentlichen Zitate gehören damit zugleich zu den ältesten Quellen für den Text der Septuaginta; siehe dazu etwa Kreuzer, Bedeutung, aber auch einschlägige Untersuchungen zum Neuen Testament, z. B. Docherty, S., The Text Form of the OT citations in Hebrews chapter 1 and the Implications for the Study of the Septuagint, NTS 55(2009), 355-365. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta
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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores) Im Lauf des 2. Jh. n. Chr. entstanden neue Übersetzungen der hebräischen heiligen Schriften. Diese jüngeren (recentiores) Übersetzungen werden traditionell mit den Namen Aquila, Symmachus, Theodotion verbunden. Lange Zeit wurden diese neuen Übersetzungen als jüdische Alternativen zur Septuaginta verstanden, weil die Septuaginta von den Christen verwendet wurde. Spätestens mit der Entdeckung der kaigeRezension wurde jedoch klar, dass die Revisionstätigkeit an der Septuaginta schon in vorchristlicher Zeit und als innerjüdischer Prozess begonnen hatte. Die Recentiores setzen im Grunde diesen Revisionsprozess fort, sofern nicht Theodotion, wie oben dargelegt, als kaige-Theodotion mit der kaige-Rezension zu identifizieren und damit wesentlich früher einzuordnen ist. Allerdings wird man den Gegensatz zum Christentum und dessen Verwendung der Septuaginta auch nicht ganz negieren können. Dass Aquila für »salben« und »Gesalbter« nicht χρίειν und χριστός verwendete, sondern Formen von ἀλείφειν und in Jes 7,14 nicht παρθένος sondern νεᾶνις, wird wohl nicht unabhängig von der christlichen Rezeption erfolgt sein. Diese Differenzen an theologisch wichtigen Stellen und auch andere Unterschiede im Wortlaut spielten im 2. Jh. eine Rolle in den Diskussionen zwischen Juden und Christen, insbesondere bei Justin dem Märtyrer (Dialog mit dem Juden Tryphon) und bei Irenäus von Lyon. 105 Allerdings ist auch zu beobachten, dass dieser Gegensatz in der folgenden Zeit eher zu einem Nebeneinander und einer Ergänzung wurde. Im 3. Jh. setzte Origenes in seiner Hexapla die Recentiores neben die Septuaginta und benutzte sie zum Vergleich und zur Ergänzung; und spätere christliche Autoren zogen diese jüdischen Übersetzungen oft zur Ergänzung und zum Vergleich heran, weil sie auf ihre Art eine genaue Übersetzung des Hebräischen boten. Auf diesem positiven Hintergrund erklärt sich auch, dass die leider sehr fragmentarische Überlieferung dieser Texte zu einem großen Teil durch die christliche Tradition durch Zitate und durch die Bemerkungen in Bibelhandschriften erfolgte. 106 auch die Nachrichten über die Person dieser Übersetzer entstammen zum guten Teil christlichen Quellen, die allerdings untereinander divergieren. Die Recentiores werden traditionell als neue Übersetzungen bezeichnet. Freilich muss man sich bewusst machen, dass auch damals eine neue Übersetzung nicht ohne Kenntnis und ohne Vergleich mit vorliegenden Übersetzungen erfolgte und dass diese gelehrten Übersetzer gewiss die vorhandenen Übersetzungen zur Verfügung hatten. Von da her und weil man sie als eine Fortsetzung der bereits begonnenen Revisionstätigkeit betrachten kann, werden die jüngeren »Übersetzungen« von manchen Autoren unter der Rubrik »Revision« angeführt. 107 105. Siehe dazu etwa Hengel / Schwemer, Septuaginta. Der damalige wechselseitige Vorwurf der Schriftverfälschung, der auf den in der Tat unterschiedlichen Textformen beruhte, ist jedoch weniger ein Problem der Übersetzungen, sondern ergab sich, wie wir heute auf Grund Entdeckung der frühjüdischen Mehrgestaltigkeit der hebräischen Texte wissen, aus den unterschiedlichen hebräischen Bezugstexten der alten Septuaginta und der späteren Revisionen. 106. Siehe dazu Salvesen, Aquila, Symmachus. 107. So Tov, Text und ders., Textual Criticism; ebenso Fischer, Text.
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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)
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Die jüngeren jüdischen Übersetzungen sind nur in Fragmenten erhalten, und zwar in einzelnen Zitaten sowie durch die allerdings auch nur fragmentarische Überlieferung der Hexapla und entsprechende Randnotizen in Handschriften sowie vereinzelt durch Inschriften. Eine Zusammenstellung der bis dahin bekannten Fragmente findet sich in der Hexaplaausgabe von Field und im Apparat der Göttinger Septuagintaausgabe sowie in verschiedenen Einzeluntersuchungen.
5.1 Aquila Die bekannteste, am meisten verbreitete und zugleich merkwürdigste Übersetzung ist die Übersetzung Aquilas. Aquila soll aus Sinope am Schwarzen Meer stammen und Schüler von Rabbi Akiba gewesen sein. Seine Übersetzung entstand um 125 n. Chr., was sich auch daraus ergibt, dass sie in den oben erwähnten Kontroversen in der Mitte des 2. Jh. bereits eine Rolle spielte und somit bekannt und verbreitet war. Aquila verfolgte eine besonders wortwörtliche und auch konkordante Übersetzung. Das markanteste Beispiel seiner Übersetzungstechnik ist die einheitliche Wiedergabe von ֶאתdurch σύν. ֶאתkann sowohl als nota accusativi den Akkusativ anzeigen als auch als Präposition die Bedeutung »mit« oder »bei« haben. Durch die einheitliche Wiedergabe mit σύν wurde in Gen 1,1 aus »Gott schuf den Himmel und die Erde« »Gott schuf mit Himmel und Erde«. Aquila versuchte auch, etymologisch zusammengehörende Wörter im Griechischen ebenfalls möglichst einheitlich und möglichst etymologisierend wiederzugeben. Hebräisch ר ֹאשׁbedeutet Kopf, Haupt (griechisch: κεφαλή). Das mit ר ֹאשׁzusammenhängende Nomen ֵראִשׁתbedeutet »Anfang«. Aquila versuchte, einen analogen Zusammenhang auch im Griechischen herauszustellen und übersetzte ֵראִשׁתmit κεφάλαιον, was aber nicht Anfang heißt sondern Hauptsache. Somit erhielt Gen 1,1 in der Übersetzung von Aquila die Bedeutung »In der Hauptsache schuf Gott mit Himmel und Erde«. Dieser extrem isomorphen Übersetzungsweise lag ein ähnliches Schriftverständnis zugrunde wie der kaige-Rezension. Barthélemy hatte im Titel seines Buches die kaigeRezension zu Recht als Vorläufer Aquilas (»Les Devanciers d’Aquila«) bezeichnet. Umgekehrt kann man die Übersetzung Aquilas als die kaum mehr überbietbare Fortsetzung der mit der kaige-Rezension begonnenen Tendenz betrachten. Wie bei den anderen Recentiores ist auch der Text Aquilas nur fragmentarisch erhalten. 108 Er war aber bekannt und verbreitet und trotz der Verständnisschwierigkeiten wegen ihres hebräischen Flairs die im spätantiken Judentum am meisten verwendete Übersetzung, was insbesondere durch Synagogen- und andere Inschriften aus Kleinasien und anderen Bereichen bezeugt ist. 109
5.2 Symmachus Auch die Frage »Wer ist Symmachus?« 110 ist nicht leicht zu beantworten. Symmachus wirkte in der 2. Hälfte des 2. Jh. In der Überlieferung wird er als Jude oder als Jude, der 108. Neben den oben erwähnten Ausgaben sei auf Reider / Turner, Index to Aquila, hingewiesen. 109. Siehe dazu Boyd-Taylor, Echoes of the Septuagint, und van der Horst, Saxa judaica. 110. Vgl. Barthélemy, Qui est Symmaque?. 5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)
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Samaritaner wurde (so bei Epiphanius, De mensuris et ponderibus), oder als Ebionit (Judenchrist; so bei Eusebius und Hieronymus) bezeichnet. Die Übersetzung des Symmachus zeigt ein gepflegtes Griechisch und erweist ihn als guten Kenner der griechischen Sprache aber auch rabbinischer Tradition. Das wäre auch für einen zum Christen gewordenen Juden denkbar. Es fällt auf, dass Symmachus für »salben« und »Gesalbter« anders als Aquila Formen von χρίειν und χριστός verwendet, allerdings übersetzt er Jes 7,14 mit νεᾶνις. 111 Symmachus wird aber auch mit einem in rabbinischen Quellen erwähnten Somchos gleichgesetzt und als Schüler von Rabbi Meir gesehen. 112 Unabhängig von der Frage seiner Herkunft besteht überwiegend die Meinung, dass Symmachus seine Übersetzung als Jude gemacht hat. 113 Die Übersetzung des Symmachus stellt einen gewissen Mittelweg zwischen, besser gesagt: eine gute Verbindung von Orientierung an der Ausgangssprache und an der Zielsprache dar. 114 Der hebräische Bezugstext stand wohl, wie für das 2. Jh. n. Chr. anzunehmen, dem proto-masoretischen Text nahe. Symmachus kannte vermutlich sowohl die Septuaginta als auch kaige-Texte und auch Aquila. Der offensichtlich weit verbreitete und auch von den Christen geschätzte Text wurde von Origenes in der Hexapla aufgenommen und insbesondere auch von Hieronymus für die Arbeit an der Vulgata herangezogen. 115 Leider ist auch der Text von Symmachus nur fragmentarisch erhalten. Eine erwähnenswerte Einzelheit ist, dass manchmal ein Wort bei Symmachus und im antiochenischen Text exklusiv übereinstimmen. Traditionell wird diese Gemeinsamkeit auf Übernahme aus der Hexapla durch Lukian interpretiert. Allerdings ist es ebenso möglich, dass solche Übereinstimmungen auf die ursprüngliche Septuaginta zurückgehen und die Lesart in den revidierten Textformen nicht erhalten geblieben ist. Nicht zuletzt stellt sich auch bei Symmachus das Problem von Symmachus-Lesarten vor Symmachus. Solche finden sich im Neuen Testament und auch schon bei Jesus Sirach. Besonders Fernandez Marcos weist darauf hin, dass sich damit in gewisser Analogie zu Proto-Theodotion ein Problem von Proto-Symmachus stellt. 116 Eventuell ist auch hier die Perspektive, dass Symmachus (so wie frühjüdische und neutes111. Zur Diskussion des Hintergrundes von Symmachus siehe Fernandez Marcos, Introduction, 124 f. 133 f. 112. So Barthélemy, Symmaque. 113. Eine interessante Beobachtung ist, dass Symmachus bestimmte Stellen anscheinend unpolitisch oder unmessianisch übersetzt, was man als eine Reaktion auf die Aufstände (Bar Kochba) und die Verschlechterung des Verhältnisses zu den Römern verstehen könnte (so Mulder, Symmachus’ depoliticising translation, im Anschluss an Arie van der Kooij und Michael van der Meer). 114. Vgl. Tov, Textual Criticism, 145: »On the one hand he was very precise …, while on the other hand, he very often translated ad sensum«. 115. Abraham Geiger bezeichnete Symmachus sogar als den »Großvater der Vulgata«; Geiger, Einleitung, 92. 116. Fernandez Marcos, Introduction, 136-139: »To some extent these indications tell us that not only Aquila but also Symmachus had his predecessors« (138); aber auch: »Even so, this dependence on earlier revisions should not be exaggerated, and Symmachus should continue to remain as a new, independent translation« (ebd.).
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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)
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tamentliche Autoren) noch Lesarten und Sätze (bzw. Handschriften) der alten Septuaginta kannte, die in der übrigen Überlieferung von den Revisionen überdeckt wurden.
5.3 Theodotion Traditionell wird die Übersetzung des Theodotion als die dritte der Recentiores betrachtet. Nach Irenäus von Lyon (Adversus haereses III, 23) soll er aus Ephesus stammen und zur Zeit des Kaisers Commodus, d. h. um 190, gewirkt haben. 117 Er soll von der Gnosis zum Judentum gekommen sein. Oben wurde bereits das sog. proto-theodotionische Problem erwähnt, nämlich die Beobachtung, dass es Theodotion-Lesarten auch schon in älteren Texten, etwa im Neuen Testament gibt. Durch die Identifikation der kaige-Rezension ist dieses Problem im Prinzip gelöst: Die theodotionischen Texte entsprechen im Prinzip der kaige-Rezension. Oft wird daher einfach von kaige-Theodotion gesprochen; so etwa bei Emanuel Tov, der nur mehr Aquila und Symmachus nennt und sonst von kaige-Theodotion spricht: »Consequently, the revision as a whole is now named kaige-Th, although its various attestations are not uniform in character and accordingly different individuals may have been involved.« 118. Damit entfällt jeder Bezug zu einer Person des späten 2. Jh. 119 Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass in der späteren Tradition von Theodotion die Rede ist. Insofern ist die Bezeichnung kaige-Theodotion eine Erinnerung an diese Zuordnung. Woher kommt aber dann die Nennung Theodotions? Denkbar erscheint mir, dass die kaige-Textform in der Überlieferung mit einem historischen Theodotion verbunden wurde, ähnlich wie in der rabbinischen Überlieferung bestimmte schon länger existierende Traditionen mit bestimmten Autoritäten verbunden wurden. 120
5.4 Eine Samaritanische Übersetzung? In einigen Handschriften der Septuaginta finden sich griechische Zitate aus einem sogenannten Samareitikon (τὸ Σαμαρειτικόν), das auch von Origenes an einer Stelle erwähnt wird. Es besteht allerdings heute weitgehend Konsens darüber, dass es sich um keine durchgehende und selbständige Übersetzung handelt, sondern um punktuelle Bezugnahmen auf samaritanische Texte. Darüber hinaus scheinen bestimmte scheinbar samaritanische Texte, insbesondere aus den leider zerstörten Giessener Pa117. Ob diese zeitliche Einordnung zutrifft, ist umstritten. Möglicherweise geht die traditionelle Reihenfolge Aquila – Symmachus – Theodotion auf die Reihenfolge in der Hexapla zurück. 118. Tov, Textual Criticism, 143. 119. Ein spezielles Problem ist der sogenannte Theodotion-Text des Danielbuches. Dieser Text wurde traditionell mit dem Namen Theodotions verbunden und verdrängte fast vollständig den alten Septuagintatext. Allerdings wird dieser Text schon von neutestamentlichen Autoren vorausgesetzt. Am ehesten wird man auch diesen Text als eine Rezension im Bereich der kaige-Gruppe betrachten können (für Weiteres siehe den Artikel zum Danielbuch). 120. Ein ähnlicher Fall scheint im christlichen Bereich bei der Benennung des lukianischen Textes vorzuliegen, wenn Hieronymus davon berichtet, dass der allgemein verbreitete Septuagintatext von den meisten jetzt als lukianisch bezeichnet wird: »… et a plerisque nunc λουκιάνειος dicitur.« Hieronymus, Brief 106 § 2 (Brief an Sunnia und Fretela). 5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)
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pyri nicht auf spezifisch samaratanische Lesarten zurückzugehen, sondern vormasoretische Septuagintalesarten zu bezeugen, so insbesondere die Lesung »Garizim« in Dtn 27,4. 121 Für diese Erklärung spricht, dass diese Lesart auch in der Vetus Latina bezeugt ist, was eher für eine Abhängigkeit von der Septuaginta spricht. Andererseits stimmen die ca. 40 Verweise auf samaritanische Lesarten mit dem samaritanischen Targum überein. Außerdem wurde an einer samaritanischen Synagoge in Thessaloniki eine Inschrift mit dem griechischen Text von Num 6,22-27 gefunden, der der spezifisch samaritanischen Lesart dieses Textes entspricht. 122 Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass die durchaus zahlreichen samaritanischen Gemeinden im Mittelmeerraum so wie die Juden ihre heilige Schrift (den Pentateuch) in Griechisch zur Verfügung hatten und verwendeten, sei es als originale Übersetzung oder als revidierte Fassung der Septuaginta.
6. Christliche Revisionen 6.1 Die Hexapla Die wichtigste und auch klar bezeugte Revision im christlichen Bereich ist die Hexapla des Origenes (ca. 185–245 n. Chr.), die wohl um 230 und wahrscheinlich in Caesarea entstand. Origenes will dieses enorme Projekt unternommen haben, um für die Diskussion mit Juden eine verlässliche Textgrundlage zu haben (Epistula ad Africanum 5). Darüber hinaus darf man wohl auch gelehrtes Interesse, besonders als Grundlage für die Exegese, annehmen. Die Hexapla umfasste in der Regel wie ihr Name sagt, sechs Spalten, und zwar den hebräischen Text in (damals noch unvokalisierter!) hebräischer Schrift und den hebräischen Text in griechischer Umschrift sowie vier griechische Textformen: Aquila, Symmachus, Septuaginta und Theodotion. In manchen Büchern wurden noch weitere Textformen hinzugefügt, die als Quinta, Sexta 123 und Septima bezeichnet werden, wobei sich diese Zählung nur auf die griechischen Spalten bezieht. 124 Diese Übersetzungen bzw. Textformen sind leider nicht namentlich bekannt; man weiß auch nicht, ob sie jüdischen oder christlichen Ursprungs sind. Auch die ersten vier Spalten sind nicht immer mit dem gleichen Text(typ) belegt. Die sechste Spalte enthält im Zwölfprophetenbuch eine unbekannte Übersetzung und in Teilen von 1–4Kgt einen Text, der dem antiochenischen Text nahe steht. 125 121. Zum Samareitikon siehe Tov, Bibelübersetzungen, 185 f.; zu Dtn 27,4 ders., Textual Criticism, 88. Fn. 140 (Lit.). 122. Für die Annahme einer samaritanischen griechischen Übersetzung bzw. ein Samareitikon siehe Fernandez Marcos, Introduction, 167-169. Zur Synagogeninschrift siehe B. Lifshitz / J. Schiby, Une synagogue samaritaine à Thessalonique, RB 75 (1968), 368–378. 123. Über Eusebius berichtet Epiphanius dazu, dass dieser Text in der Nähe von Jericho in Gefäßen (Tonkrügen) gefunden wurde. Es könnte sich dabei um einen frühen »Qumranfund« handeln. 124. Die Zählung der Übersetzungen unterscheidet sich somit von der Zählung der Spalten. Insofern ist z. B. die Quinta (ε’) nicht identisch mit der 5. Spalte des Gesamtwerkes, die den Septuagintatext enthält (und somit die dritte griechische Textform ist). 125. Barthélemy, Textual Criticism, 145, Fn. 244; nach Kim, Textformen, 54 f., verwendete Origenes
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Das wesentliche Anliegen von Origenes war es offensichtlich, einen Text herzustellen, der dem zeitgenössische autoritativen Text (mehr oder weniger der protomasoretische Text), gut entsprach. Er verwendete dabei die textkritischen Zeichen des Aristarch (s. o.): Dort, wo der hebräische Text gegenüber seinem Septuagintatext ein Plus hatte, setzte er eine entsprechende Ergänzung in den Text, die durch Asteriskus eröffnet und mit Metobelos beschlossen wurde. Wo sein griechischer Text ein Plus hatte, kennzeichnete er dieses durch Obelos und Metobelos als zu löschen. Interessanter Weise tilgte aber Origenes – jedenfalls in der Regel – die Überschüsse nicht einfach und er machte auch keine eigene Übersetzung sondern er füllte die »Lücken« aus den anderen Übersetzungen. Mit diesem Verfahren stellte Origenes einen Text her, der im Rahmen der Tradition blieb und dem hebräischen Text sehr nahe stand. Im Grunde ist auch dieser hexaplarische Text der Septuaginta eine Revision auf den zu seiner Zeit gültigen Text hin. Der von Origenes erstellte Septuagintatext gewann bald hohes Ansehen und weite Verbreitung. Er wurde separat abgeschrieben, zum Teil noch mit den aristarchischen Zeichen, die aber zunehmend fehlerhaft oder gar nicht mehr tradiert wurden. Leider ist die Überlieferung fragmentarisch, hexaplarische Zeichen und einschlägige Lesarten finden sich in diversen Handschriften. Etwas umfangreicher ist die Überlieferung in der durch Bischof Paul von Tella 616/617 geschaffenen Syrophexapla, die nicht nur eine sehr genaue Übersetzung der Septuagintaspalte darstellt, sondern wo auch die hexaplarischen Zeichen recht sorgfältig wiedergegeben sind. Mit dem hexaplarischen Septuagintatext liegen eigentlich zwei Textformen vor: Einerseits der von Origenes geschaffene Text, andererseits, wenn man die asterisierten Zusätze weglässt und die obelisierten Passagen belässt, die von Origenes verwendete Grundlage, die faktisch ein vor-origeneischer Text ist. Der Umfang des Werkes wird auf ca. 6.000 Seiten bzw. 50 Bände geschätzt. Die Hexapla wurde in der Bibliothek in Caesarea aufbewahrt, wo sie z. B. noch von Hieronymus eingesehen wurde. Der enorme Umfang (und die damit verbundenen Kosten für eine Abschrift) verhinderten wohl eine Verbreitung dieses Werkes in seiner Gesamtheit. Leider ist die Hexapla nur sehr fragmentarisch erhalten. Eine Vorstellung von der Hexapla vermitteln die 1895 gefundenen Mailänder oder Mercati-Fragmente (nach Bischof Giovanni Mercati, 1866-1957). Beim Bericht über Origenes und seine Hexapla erwähnt Eusebius (VI, 16) beiläufig und knapp auch eine Tetrapla, also eine Ausgabe ohne die beiden hebräischen Spalten. Ob diese eine Vorarbeit oder ein Exzerpt darstellte, ist umstritten. Unklar ist auch, ob sie alle oder nur einzelne Bücher der Septuaginta enthielt. Wichtiger ist, dass die hexaplarische Textform in die Septuagintaüberlieferung eingegangen ist und dass in einigen Handschriften, vor allem im Codex Colberto-Savarrianus (G), im Codex Coislianus (M) und Marchalianus (Q), die hexaplarischen Zeichen und Zitate der Recentiores erhalten sind. im βγ-Abschnitt von Samuel/Könige den kaige-Text für die Septuagintaspalte, während die sechste Spalte eine dem antiochenischen Text nahe stehende Version enthält. Jellicoe, Prolegomenon, XXXIIf., nennt noch weitere Beispiele bzw. Vermutungen und vertritt dazu die Meinung, dass es Origenes nicht um die genaue Zuordnung zu Übersetzern ging, sondern um die möglichst umfangreiche Materialsammlung für seine Bearbeitung der Septuaginta. 6. Christliche Revisionen
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Die erhaltenenen hexaplarischen Texte werden in der großen Cambrigder Ausgabe von Brooke / McLean / Thackeray und in der Göttinger Ausgabe verzeichnet. Darüber hinaus ist die Ausgabe von Frederic Field, Origenis Hexaplorum quae supersunt; sive, Veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum fragmenta, Oxford 1875 nach wie vor unentbehrlich. 126 Die Bedeutung der Hexapla ist neuerdings umstritten. Folker Siegert bezeichnet sie sogar als »größten anzunehmenden Unfall« in der Textgeschichte der Septuaginta. 127 In der Tat bildet die Hexapla ein Sammelbecken, in dem Verschiedenes zusammenkam, was später oft nur ungenau oder nicht mehr zu unterscheiden war, wodurch sich die Analyse erschwert. Andererseits wäre uns wohl ohne die Arbeit des Origenes die Existenz der jüngeren jüdischen Übersetzungen gar nicht bekannt. Das eigentliche Problem liegt m. E. nicht in der Hexapla sondern in deren fragmentarischer Überlieferung. Hätten wir die Hexapla oder wenigstens umfangreiche und zusammenhängende Teile, dann hätten wir ausgezeichnete Belege für die Recentiores (auch wenn die genaue Zuordnung wegen der teilweise wechselnden Belegung der Spalten schwierig bliebe) und für die Septuaginta einen gut erschließbaren vororigeneischen Text. Darüber hinaus ist zu sagen, dass durch die Qumranfunde und durch die Erkenntnisse über die frühen Rezensionen sich die Diskussion zeitlich zurück verlagert hat. Für die Frage nach dem ältesten Septuagintatext hat die Hexapla nicht mehr die Bedeutung, die sie früher hatte. Sie ist aber nach wie vor ein wichtiges Zeugnis für die Überlieferung der Septuaginta und auch für die jüngeren (jüdischen) Rezensionen.
6.2 Weitere Revisionen? Traditionell werden an dieser Stelle weitere christliche Rezensionen genannt, nämlich die Rezension des Lukian und des Hesychius. Diese Vorstellung geht auf die berühmte Bemerkung des Hieronymus in der Vorrede zur Übersetzung der Chronik zurück, derzufolge der Text des Hesychius in Alexandrien und Ägypten, der des Lukian in den Kirchengebieten von Antiochien bis Konstantinopel, und der Text des Origenes in den Gebieten dazwischen, also in Palästina verbreitet und anerkannt seien: »Alexandria et Aegyptus in Septuaginta suis Hesychium laudat auctorem, Constantinopolis usque Antiochiam Luciani martyris exemplaria probat, mediae inter has provinciae palestinos codices legunt, quos ab Origene elaboratos Eusebius et Pamphilius vulgaverunt, – totusque orbis hac inter se trifaria varietate conpugnat.« 128 Ausgehend von diesem Statement wollte Paul Anton de Lagarde zunächst diese drei Textformen herstellen und von da zum Urtext der Septuaginta zurückkommen. Allerdings stellten sich diesem Ansatz eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen, die hier nicht weiter zu erörtern sind.
126. Eine neue elektronische Edition des heute verfügbaren Materials ist in Vorbereitung. 127. Siegert, Einführung Bd. 2, 369; Fischer, Text des Alten Testaments, 138, Fn. 37, verweist auf eine ähnliche aber vorsichtigere Bemerkung von Julius Wellhausen. 128. Hieronymus, Vorwort zur Chronik, in: Weber / Gryson, Biblia Sacra, 546-547.
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Von den drei erwähnten Textformen ist der Text des Origenes der bekannteste und seinen hexaplarischen Text kann man in der Tat als Rezension bezeichnen. Wesentlich schwieriger ist es mit Hesychius, bei dem schon unklar ist, wer überhaupt damit gemeint ist. Im Allgemeinen nimmt man an, dass es sich um einen ägyptischen Bischof aus etwa gleicher Zeit wie Lukian, d. h. um etwa 300 n. Chr. handelt. Zudem ist es nicht überzeugend gelungen, bestimmte Handschriften für diese Textform aufzuzeigen. Die Annahme einer hesychianischen Rezension bzw. Textform ist daher heute in der Forschung praktisch aufgegeben. Auch in den Göttinger Editionen wird höchstens von ägyptischen Handschriftengruppen gesprochen, die ggf. bestimmte Textformen haben. 129
6.3 Der antiochenische Text und die Diskussion um eine lukianische Rezension Anders verhält es sich mit der lukianischen Textform bzw. Rezension. Der Presbyter Lukian von Antiochien 130 war in seiner kirchlichen Karriere offensichtlich nicht unumstritten, hatte aber erhebliche Bedeutung und Bekanntheit als (ein) Gründer der antiochenischen Exegetenschule. Er starb in der Verfolgung unter Maximian 312 n. Chr. Nach seinem Martyrium wurde die über seinem Grab erbaute Kirche zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte, die insbesondere durch die Verbindung über Eusebius auch für das Kaiserhaus wichtig wurde. Neben der Erwähnung bei Hieronymus gibt es für den lukianischen Text Randnotizen in Handschriften, die mit ολ (Lambda mit darunter stehendem Omikron) offensichtlich auf lukianischen Text verweisen (allerdings kann das Zeichen auch οἱ λοιποί bedeuten). 131 Die lukianische bzw. antiochenische Textform war natürlich bei den antiochenischen Autoren bekannt und ist vor allem in den Kommentaren von Theodoret greifbar. Eine neue Situation entstand, als an Hand der Edition von Holmes-Parsons Manuskripte des Lukianischen Textes greifbar und identifizierbar wurden. Offensichtlich war Antonio Ceriani der erste, der 1863 diese Entdeckung machte indem er die Übereinstimmung der Handschriften 19, 82, 93 und 108 (später kam 127 hinzu) untereinander und mit dem Text der antiochenischen Autoren Johannes Chrysostomus (344/349–407 n. Chr.) und Theodoret von Cyrrhos (ca. 393–466 n. Chr.) feststellte. 132 Julius Wellhausen ging 129. Für eine ausführliche Diskussion siehe Fernandez Marcos, Introduction, 239-246, der allerdings auf dem Weg über eine alexandrinische Textform versucht, eine hesychianische Textform festzuhalten. Dagegen stellte schon Würthwein, Text, 61, fest: Gegenüber den anderen Rezensionen »hören wir von der hesychianischen an keiner anderen Stelle: Sie ist für uns zu blaß und kaum greifbar, auch zeitlich nicht einreihbar.« 130. Zu unterscheiden von dem Literaten und Satiriker Lukian von Samosata, ca. 120–180 n. Chr. Nach der vita (siehe dazu Brennecke, Lukian) scheint auch der Märtyrer Lukian aus Samosata zu stammen. 131. Field, Fragmenta, kam erst bei 2Kön 9,9 auf diese Identifikation. Siehe dazu die Erörterungen bei Fernandez Marcos, Introduction, 224-226; faktisch steht das Siglum nur teilweise für Lukian. 132. Zur Forschungsgeschichte siehe Kim, Textformen, 4-31. 6. Christliche Revisionen
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am Ende seiner Studie zum Text der Samuelbücher auf diese Textgruppe ein. Er stellte fest, dass sie häufig seine textkritischen Entscheidungen und sogar einige seiner Konjekturen bestätigten und schlug vor, diese Textgruppe separat zu edieren, um sie besser studieren zu können. Nach den übereilten Anfängen bei Lagarde liegt nun zu 1Sam eine Mehrheitsausgabe des lukianischen Textes vor 133 und insbesondere eine kritische Ausgabe zu Samuel, Könige und Chronik, in der der auch die relevanten Zitate, insbesondere von Josephus, aus dem Neuen Testament und aus der Vetus Latina, verzeichnet sind. 134 Die lukianischen Texte sind aber auch in der Handausgabe von Rahlfs (allerdings dort nur in begrenzter Auswahl) und in der Göttinger Ausgabe verzeichnet. Die von Lagarde und Wellhausen ausgesprochene hohe Erwartung an die Bedeutung dieses Textes wurde durch die Untersuchung von Adam Mez noch unterstrichen, der feststellte, dass der Text des Josephus in den Antiquitates weithin mit den lukianischen Text übereinstimmte. 135 Auch Übereinstimmungen des lukianischen Textes mit neutestamentlichen Zitaten und mit der Vetus Latina waren deutlich geworden. Diese Beobachtungen an Texten des 1. und 2. Jh. führten zur Annahme eines erheblichen protolukianischen Textanteils. Alfred Rahlfs analysierte in zwei großen Untersuchungen den lukianischen Text der Psalmen und der Königebücher. 136 Dabei erklärte er die Übereinstimmungen mit den vorlukianischen Zeugen des 1. und 2. Jh. durchwegs als spätere Quereinflüsse zwischen den Handschriften (d. h. vom lukianischen Text zu Josephus und zur Vetus Latina und aus dem Neuen Testament auf die lukianischen Handschriften) und schob sie damit beiseite, auch wenn er einzelne protolukianische Elemente vor allem bei den Namen akzeptierte. 137 Diese Einordnung des lukianischen Textes als spät, d. h. um 300 n. Chr. und damit als jüngste Revision, blieb lange Zeit erhalten und bestimmte für lange Zeit die Auswahlkriterien nicht zuletzt für die kritischen Editionen des Septuagintatextes. Mit dieser Datierung waren offensichtlich auch alle Besonderheiten dieses Textes gegenüber der sogenannten Haupttradition, insbesondere gegenüber Codex Vaticanus, sekundär und das Ergebnis der Bearbeitung Lukians. Was waren nun die Charakteristika dieser lukianischen Rezension? Rahlfs nannte vor allem die Hinzufügung erklärender Wörter (etwa zur Identifikation der sprechenden Personen), die Ergänzung des Artikels, andere Wortwahl und gelegentlich auch Attizismen. Nun stellte aber auch Rahlfs schon ein großes Problem fest: Alles diese Charakteristika waren jedoch nicht einheitlich. Wörter oder der Artikel wurden nicht nur ergänzt sondern auch gestrichen. Ebenso verhält es sich mit den anderen Kennzeichen. Rahlfs sah darin aber kein Problem der Analysen, sondern er erklärte diese Widersprüchlichkeiten als ein weiteres bzw. sogar als ein Hauptkennzeichen der Arbeit Lukians: »Auch aus dem Gesamtcharakter L’s läßt sich kein Kriterium gewinnen. 133. Taylor, The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns. 134. Fernandez Marcos / Busto Saiz, El texto Antioqueno. 135. Mez, Bibel des Josephus. Die Ergebnisse von Mez wurde später durch Thackeray, Josephus, bestätigt. 136. Rahlfs, Psalmen, 1907; ders., Lucians Rezension, 1911. 137. Zu letzterem siehe auch die wiederholt vorkommende Bemerkung »ex [und neutestamentliche Stelle] in seiner Handausgabe.
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Denn der Hauptcharakterzug[!] dieser Rezension ist das Fehlen eines klaren Prinzips.« 138 Die Arbeit von Rahlfs und seine Charakterisierung Lukians wurden bestimmend für die folgende Forschung und auch für die textkritischen Kriterien der kritischen Editionen. So sagt Ziegler in seiner Untersuchung zum Jeremiabuch, bei der der Artikelgebrauch eine wichtige Rolle spielt, über Lukian kurz und bündig: »Die Beispiele zeigen deutlich, daß Lukian gern den Artikel beifügt. Jedoch hat er dies nicht immer getan; Konsequenz war nicht seine Stärke.« 139 Durch das Bekanntwerden der Qumrantexte änderte sich die Situation. Insbesondere zeigte sich, dass der Text der Samuelrolle 4QSama vielfach und in vielen Details mit dem lukianischen Text übereinstimmte. 140 Diese Übereinstimmungen konnte man nicht, wie es Rahlfs getan hatte, als spätere Quereinflüsse zwischen den Handschriften wegschieben, sondern man musste anerkennen, dass wohl auch die Lesarten des antiochenischen Textes zu einem großen Teil alt waren und schon eine hebräische Grundlage hatten. Durch diese neuen Textzeugen änderte sich aber auch das Gewicht der lukianischen Lesarten bei Josephus, im Neuen Testament und in der Vetus Latina. Ein weiterer wichtiger Schritt war die oben dargestellte Entdeckung der kaige-Rezension. Wie oben (4.) bei der kaige-Rezension bereits erwähnt, stellte Barthélemy auch die Frage, nach dem Vorläufer des kaige-Textes und ob dieser noch erhalten sei. Er stellte fest, dass der lukianische Text und der kaige-Text nicht voneinander unabhängig sind und dass der lukianische Text nicht aus dem kaige-Text entstanden sein kann, sondern dass es sich umgekehrt verhält, d. h. dass der antiochenische Text alt ist und der ursprünglichen Septuaginta nahe steht bzw. dieser entspricht, wobei es natürlich – wie bei allen Textformen – im Zuge der Überlieferung auch Textverderbnisse gab. 141 Damit ist der antiochenische Text nicht das Produkt einer späten lukianischen – und uneinheitlichen – Redaktion, sondern praktisch der alte Septuagintatext, sprachlich mit den bisher Lukian zugeschriebenen Eigenheiten, nämlich mit Nähe
138. Rahlfs, Lukians Rezension, 293. 139. Ziegler, Jeremias-Septuaginta, 162. 140. 4QSama steht zweifellos in vielen Lesarten dem antiochenischen Text nahe. Gegenüber einer sehr großen Nähe wird neuerdings verstärkt auch auf die Unterschiede hingewiesen. Das Wesentliche ist aber nicht das genaue Ausmaß der Übereinstimmung, sondern dass durch diesen und andere Qumrantexte viele Lesarten des antiochenischen Textes als alt erwiesen werden. 141. Der Gang der Untersuchung zeigt sich sehr schön an den einzelnen Kapitelüberschriften: »Relations entre la Septante et la recension kaige pour la section βγ des Règnes«; 91. Identische Grundlage: »Identité de base entre la forme antiochienne et la forme palestinienne du texte grec«; 92-102). Nähe des palästinischen Textes zum hebräischen (proto-masoretischen; 102110). Aus der weiteren Untersuchung folgt die entscheidende Erkenntnis: Der Antiochenische Text kann nicht durch Textverderbnis aus dem palästinischen hervorgegangen sein: »La forme antiochienne ne peut être issue de la forme palestinienne par abâtardissement«; 110-113). Nach der Untersuchung wechselseitiger Einflüsse, 113-126, und der Feststellung, dass die lukianische Rezension nur ein fälschliche Annahme ist: »La prétendue ›recension lucianique‹«; 126-128, folgt schließlich die Aussage: Der antiochenische Text ist im Wesentlichen die alte Septuaginta, mit mehr oder weniger Textverderbnissen: »C’est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue.«; 127. 6. Christliche Revisionen
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zur hebräischen Vorlage aber auch mit Freiheiten der Übersetzung und mit der Beachtung der Besonderheiten der griechischen Sprache. 142 Während die Entdeckung der kaige-Rezension in der Forschung voll übernommen wurde, verlief die Rezeption der Neubewertung des Antiochenischen Textes, die für Barthélemy die andere Seite der Medaille war, wesentlich anders. Neben weiteren Faktoren 143 spielte es vor allem eine Rolle, dass es (anders als beim hesychianischen Text) zu den meisten Büchern (außer dem Pentateuch?) Handschriften gab, die man als lukianisch identifizieren konnte, 144 dass man vor allem auf Basis der Arbeiten von Rahlfs und Ziegler der Meinung war, die Charakteristika der lukianischen Rezension zu kennen, 145 und wohl nicht zuletzt auch auf Grund der Vertrautheit mit dieser Vorstellung. Vor allem jene Autoren, die die Qumrantexte mit heranzogen, räumten einen erheblichen Anteil an protolukianischem Text ein, sofern sie nicht, wie Emanuel Tov den lukianischen bzw. antiochenischen Text als »die oder eine Old Greek« 146 betrachteten. Vielfach wurden und werden gewisse Kompromisslösungen vorgetragen, dass dort, wo ein Qumrantext oder ein Zitat bei Josephus oder aus der Vetus Latina vorliegt, protolukianischer Text zugestanden wird, während man an den anderen Stellen an der lukianischen Rezension festhält. Allerdings führt das zur wenig wahrscheinlichen Implikation, dass der Charakter des lukianischen Textes dort wechselt, wo zufällig ein Qumranfragment oder ein altes Zitat vorliegt. Einen neuen Zugang zum Problem fand Siegfried Kreuzer, und zwar, wie oben dargestellt, bei der Untersuchung der kaige-Rezension. Er stellte fest, dass die angenommenen Unregelmäßigkeiten der lukianischen Rezension verschwinden, wenn man das höhere Alter des lukianischen/antiochenischen Textes akzeptiert. D. h. anstelle der Unregelmäßigkeit und Gegenläufigkeit in der Hinzufügung und Streichung des Artikels, erklärender Wörter oder auch bei semantischen Änderungen tritt eine konsistente Erklärung der Differenzen. Mit dieser neuen Perspektive, bei der es letztlich nur darum geht, die Varianten ohne Vorentscheidung über ihr Alter und ihr vermeintlichen Cha142. In einer »Stellungnahme« (Barthélemy, Prise de position) von 1972 bezog sich Barthélemy auf die Diskussionen zur kaige-Rezension und auch auf die Kritik an der Aufgabe der lukianischen Rezension. Darin akzeptierte er den Gedanken, dass auch der lukianische Text in der Antike nicht nur unabsichtliche sondern auch ein gewisses Maß an absichtlichen Änderungen erfahren haben könnte. Das ist aber weit entfernt von den klassischen Vorstellungen über die lukanische Redaktion. 143. Siehe dazu Kreuzer, Lukian redivivus. 144. Siehe dazu etwa die Angaben zu den einzelnen Büchern in der Handausgabe von Rahlfs und in den Einleitungen der Bände der Göttinger Septuaginta. 145. So schreibt Udo Quast noch 2000 in seiner »Einführung in die Editionsarbeit«: »… Lediglich von dem Vorkommen der zwei großen christlichen Rezensionen des Origenes und Lukian kann von vornherein – oder wenigstens in den meisten Büchern – ausgegangen werden. Für sie stehen die Rezensionsmerkmale außerdem weitestgehend fest.« Quast, Editionsarbeit, 394 f. 146. Allerdings mit Unterscheidung zwischen lukianischem und protolukianischem Text: Tov, Lucian and Proto-Lucian, 103: Der vorlukianische Text »contained either the Old Greek translation or any Old Greek translation.«
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rakteristika zu beurteilen, haben sich Barthélemys Erkenntnisse im Wesentlichen bestätigt. Gewiss ist die Möglichkeit offen zu halten, dass im Zuge der Überlieferung nicht nur Textverderbnisse sondern da und dort auch bewusste Veränderungen erfolgt sind. Da sich aber der weit überwiegende Teil der Varianten als Veränderung durch die isomorph-hebraisierenden Bearbeitungen (kaige- und semi-kaige-Rezension) erklären lässt, bleibt schon rein quantitativ nur mehr ein relativ kleiner Bestandteil an Varianten, die für eine um 300 erfolgte Rezension in Anspruch genommen werden können. Somit stehen sich in der Frage nach einer lukianischen Rezension zwei Positionen gegenüber: Eine Position, die die Annahme eine lukianischen Rezension als hinfällig betrachtet, weil sich die fraglichen Differenzen im Wesentlichen und zum größten Teil – und nicht zuletzt konsistent – aus dem Wirken der isomorph-hebraisierenden Rezensionen des 1. Jh. v. Chr. und des 1. Jh. n. Chr. erklären lassen, und eine Position, die an der Annahme einer lukianischen Rezension festhält und nur dort, wo es vorlukianische Belege gibt (Texte aus Qumran, Zitate bei Josephus oder im Neuen Testament, Fragmente der Vetus Latina) einen vorlukianischen Text annimmt. Allerdings ist in den konkreten Ergebnissen der Abstand zwischen den beiden Positionen insofern geringer geworden, als bei den Vertretern der zweiten Position der Anteil des sog. protolukianischen Textes zunehmend höher eingeschätzt wird, wodurch sich de facto die lukianische Rezension relativiert. 147
6.4 Die Bemerkungen des Hieronymus und die neueren Forschungen zur Septuaginta Lässt sich der Verzicht auf die lukianische (sowie auf die hesychianische) Rezension mit den Aussagen des Hieronymus in Einklang bringen? Dazu ist zu beachten, dass es von Hieronymus zum lukianischen Text zwei Aussagen gibt, 148 die bekanntere Aussage im Prolog zur Chronik und die Aussage im Brief an Sunnia und Fretela, in dem Hieronymus die von den beiden gotischen Geistlichen monierten Abweichungen im 147. Siehe dazu etwa die Darstellung bei Fernandez Marcos, The Antiochene Edition, und bei Diez Caro, The Status of the Antiochene Text in the first century A.D., sowie die Textanalysen in Hugo, Die antiochenische Mischung, und bei Piquer Otero, The Secondary Versions of Kings. 148. Darüber hinaus gibt es noch eine Äußerung des Hieronymus in einer an Papst Damasus gerichteten Einführung in die Evangelien (In euangelistas ad Damasum praefatio). Darin erklärt er, dass er die Handschriften des lukianischen und des hesychianischen Textes nicht berücksichtigt und emendiert habe, weil sie fehlerhaft sind und falsche Hinzufügungen haben: »Praetermitto eos codices quos a Luciano et Hesychio nuncupatos, paucorum hominum asserit perversa contentio: quibus utique nec in toto Veteri instrumento emendare quid licuit, nec in Novo profuit emendasse: cum multarum gentium linguis scriptura ante translata, doceat falsa esse quae addita sunt« (PL 29, 527; siehe Fernandez Marcos, Introduction, 224. Faktisch ist das (gegenüber seinem Auftraggeber für die Vulgata!) eine Begründung, warum er sich an den dem Hebräischen näher stehenden und von ihm bevorzugten Origenes-Text gehalten hat. Dieser Text zeigt noch mehr als bei der Klage über die textlichen Verschiedenheiten in der Vorrede zur Chronik, dass bei Hieronymus nicht nur die Begründung sondern auch die Rechtfertigung seines Tuns mitschwingt. 6. Christliche Revisionen
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Psalterium Gallicanum vom verbreiteten Septuagintatext begründet. Hieronymus schreibt darin von zwei Textformen, dem hexaplarischen Text des Origenes, den er für den besten hielt und der die Grundlage seiner Revision der Psalmen war, und den allgemeinen (κοινή) Text der Septuaginta, der jetzt, d. h. in der Zeit des Hieronymus, von den meisten als der lukianische bezeichnet wird: »… iliud breviter admoneo, ut sciatis aliam esse editionem, quam Origenes et Caesariensis Eusebius omnesque Graeciae tractatores κοινήν, id est communem, appellant atque vulgatam et a plerisque nunc λουκιάνειος dicitur, aliam LXX interpretum, quae et in ἑξαπλοῖς codicibus invenitur et a nobis in Latinum sermonem fideliter versa est et Hierosolymae atque in orientis ecclesiis decantatur.« (Letter 106, § 2, 2) »Das schreibe ich, damit ihr wisst, dass es verschiedene Ausgaben gibt, die Ausgabe, die Origenes und Eusebius von Caesarea und andere Autoren als koine, das ist die allgemeine, bezeichnen und die jetzt die lukianische genannt wird, und (andererseits) die Septuaginta, die in den Hexapla-Codices gefunden wird und die von uns treu ins Lateinische übertragen wurde und in Jerusalem und in den Kirchen des Ostens rezitiert (wörtlich: gesungen) wird.«
Anders als das Statement im Vorwort der Chronik spricht dieses nur von zwei Textformen und, besonders interessant, dass der lukianische Text der allgemein verbreitete ist und dass er jetzt (»nunc«), d. h.: noch nicht lange, so genannt wird. Dieses Statement tritt in ein neues Licht, wenn man sich nicht nur damit beschäftigt, dass Lukian Gründer der exegetischen Schule in Antiochien aber zu seinen Lebzeiten doch auch theologisch umstritten war, sondern die Nachgeschichte berücksichtigt: 149 Lukian erlitt das Martyrium in Nikomedien. Sein Leichnam wurde in einen See geworfen, gelangte aber wunderbarerweise auf die andere Seite und wurde dort bestattet, und zwar in Drepanon, von wo die Kaisermutter Helena stammen soll und das ihr zu Ehren in Helenopolis umbenannt wurde. Bald entstand in Drepanon/Helenopolis ein Märtyrerkult durch den dieser Ort zu einem wichtigen Wallfahrtszentrum wurde, das vom Kaiserhaus gefördert und auch aufgesucht wurde. Die hagiographische Tradition zeigt ab etwa der Mitte des 4. Jh. die Verehrung Lukians in der gesamten orthodoxen Reichskirche. Helenopolis und damit Lukian der Märtyrer erhielten höchste Anerkennung. In diesem Kontext lag es nahe, die verbreitete Version der Septuaginta mit dem Exegeten und Märtyrer Lukian zu verbinden und ihr so gewissermaßen sowohl gelehrte als auch kaiserliche Approbation zu verleihen. Möglicherweise geschah dies als Reaktion auf Ansprüche, wie sie dann auch Hieronymus selbst verkörpert, nämlich dass der dem hebräischen näher stehenden Hexaplatext der bessere Septuagintatext sei. Jedenfalls erklärt die hagiographische Entwicklung die Inanspruchnahme Lukians für den Septuagintatext und das nunc des Hieronymus. Zugleich sagt Hieronymus ausdrücklich, dass es sich beim lukianischen Text nicht um einen neuen Text handelt, sondern um die verbreitete Septuaginta. Das von Hieronymus gebotene Bild lässt sich durchaus vereinbaren mit dem aktuellen Bild der Entstehung und Überlieferung der Septuaginta in zwei Phasen, nämlich einerseits die ursprüngliche Septuaginta bzw. Old Greek und andererseits die hebraisierend 149. Siehe dazu Brennecke, Lukian.
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6. Christliche Revisionen
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isomorphe Bearbeitung im Sinn der kaige bzw. semi-kaige-Rezension. Diese zweite Phase und Form des Textes wurde für Hieronymus durch die hexaplarischen Texte greifbar (»in ἑξαπλοῖς codicibus invenitur«). Auch das Statement des Hieronymus in der Vorrede zur Chronik lässt sich grosso modo mit der heute erkennbaren Überlieferung der Septuaginta in zwei Hauptphasen in Verbindung bringen. 150 Wie oben dargestellt, verbreitete sich die Septuginta in zwei Phasen, zunächst die ursprüngliche Septuaginta, im Wesentlichen von Alexandria ausgehend, dann die revidierten Textformen, im Wesentlichen wohl von Jerusalem bzw. Palästina ausgehend. Die zweite Phase überlagerte allmählich die erste, und zwar vor allem dadurch, dass die neuen, dem hebräischen Standardtext angenäherten Textformen verstärkt abgeschrieben und verbreitet wurden. In den »Randzonen« blieben die alten Textformen am längsten erhalten. Das passt dazu, dass die besten Zeugen für die ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) im Norden zu finden sind, in Form des antiochenischen Textes, im Westen indirekt bezeugt durch die Vetus Latina und im Süden durch den ägyptischen griechischen Text bzw. durch die sahidische Übersetzung. 151 Mit der trifaria varietas hatte Hieronymus offensichtlich diese Unterschiede zwischen Ägypten, Syrien und Palästina vor Augen. – Wieweit er diese Textformen wirklich kannte, oder ob ihm die Zuschreibungen an Lukian und Hesychius nur aus der Tradition bekannt waren, muss allerdings offen bleiben. Hieronymus kannte sicher einerseits mehr an Nachrichten und auch an Handschriften und andererseits weniger als der Forschung heute zugänglich ist. 152
7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike Bei den bisher dargestellten Themen ging es immer auch schon um die Überlieferung der Septuaginta in der Antike, wie sie sich einerseits in den erhaltenen Handschriften spiegelt und andererseits in den vielfältigen Formen der Verwendung der Septuaginta in der jüdischen und der christlichen Überlieferung, wie sie sich in Exegese, Predigt, Liturgie theologischer Diskussion etc. wiederspiegelt. Diese Themen werden im Rahmen des Handbuchs zur Septuaginta in den Bänden zur Textgeschichte und zur Wir150. Siehe dazu Kreuzer, trifaria varietas. 151. Diese Sicht wird jetzt offensichtlich auch von Piquer Otero, The Secondary Versions of Kings, geteilt. Er verweist auf eine Reihe auffallender Übereinstimmungen zwischen nicht voneinander abhängigen Traditionen (»agreement[s] between unrelated translations«), insbesondere Vetus Latina, Syro-Hexapla und koptische Übersetzung, aber auch weiter entfernter Bereiche wie georgisch, armenisch oder äthiopisch. Passend zu dem hier vorgestellten Bild von Phasen der Ausbreitung schreibt er: »This ›remoteness from the center‹ in time or space is highly relevant for textual criticism, as innovation irradiated from the center does take longer to reach areas in the periphery, which may preserve for a longer time (thus increasing chances of survival in textual witnesses) earlier forms of text, liturgy and so on.« Diese Beobachtung ist nicht nur für die textkritische Bewertung der Lesarten relevant, sondern für das Bild der Ausbreitung der Septuaginta an sich. Siehe dazu auch oben, 4.3, das Beispiel mit Ps 103,4. 152. Zur Arbeit, zu den Voraussetzungen und zu den Intentionen von Hieronymus siehe u. a. Schulz-Flügel, Hieronymus. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike
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kungsgeschichte dargestellt. Hier kann es zunächst nur um einige allgemeine Bemerkungen zur Überlieferung und zum Gebrauch der Septuaginta gehen.
7.1 Zu Umfang und Anordnung des Kanons Eine der interessanten Fragen ist die Frage nach dem Kanon der Septuaginta. Diese hängt naturgemäß auch mit der Frage nach dem Kanon des hebräischen Alten Testaments zusammen. Beim Kanon geht es um die Autorität bestimmter Schriften bzw. der Zusammenstellung dieser Schriften. Dabei gibt es schon von alters her eine gewisse Abstufung. Bekanntlich haben die Samaritaner nur den Pentateuch als autoritative heilige Schrift akzeptiert, während im Jerusalemer Judentum eine große Anzahl weiterer Schriften dazukam, von denen allerdings viele auf Jerusalem, auf das Davidshaus oder auf den Tempel bezogen sind. Die Kanonfrage hat aber nicht nur eine theologisch-inhaltliche sondern auch eine praktische Seite: Solange die Texte nur in Form einzelner Rollen existieren, bleiben die Grenzen fließend. Nicht jede Synagoge wird gleich die Mittel gehabt haben, alle Schriftrollen anzuschaffen, sondern man wird den Bestand sukzessive über den Pentateuch hinaus vergrößert haben. (Private Anschaffungen werden noch bescheidener gewesen sein; vgl. die Erzählung in Apg 8). Insofern ist die Kanonfrage zunächst einerseits eine Frage nach einem grundlegenden Minimum und dann des allmählichen Anwachsens. Damit verbindet sich natürlich die Frage der Gruppierung und der Anordnung der Schriften. Zu den ältesten Belegen für eine Bezeichnung der Kanonteile gehören bekanntlich die Nennung von Gesetz, Propheten und Schriften im Prolog zu Jesus Sirach. Ähnlich ist auch die Bezeichnung am Ende des Lukasevangeliums und auch in 4QMMT. Allerdings gibt es auch schon im alten Text des Sirachbuches eine Zusammenstellung, die man als Zusammenfassung zu den heiligen Schriften sehen kann (Sirach 38,34–39,1). Ben Sira spricht dort über verschiedene Berufe und lobt den (Schrift-)gelehrten, der sich mit Gesetz des Höchsten, der Weisheit aller Vorfahren und mit Prophezeiungen beschäftigen kann. Wohl zu Recht wird darin eine Anspielung auf die heiligen Schriften gesehen. Es fällt auf, dass diese Zusammenstellung der späteren Anordnung der Septuaginta entspricht. Offensichtlich gab es in Jerusalem um 180 v. Chr. schon eine Benennung bzw. Anordnung der Kanonteile, die der Reihenfolge der Septuaginta entspricht; und vielleicht daneben auch schon jene, die später als die typisch hebräische galt und die dann auch dem Enkel des Ben Sira selbstverständlich war. Mit der Entwicklung des Codex wird die Sammlung der kanonischen Schriften fixiert. Sie können nicht mehr unterschiedlich angeordnet und gegebenenfalls ergänzt werden, sondern es müssen Entscheidungen getroffen werden. Es ist allerdings interessant, dass die Dinge trotzdem im Fluss bleiben und auch ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis besteht. So hat bekanntlich keine der mittelalterlichen hebräischen Handschriften die in der rabbinischen Überlieferung geforderte Anordnung mit der Chronik am Ende. 153 Ebenso divergieren auch die griechischen Codices hinsichtlich der Reihenfolge der Schriften untereinander und auch gegenüber Kanonlisten. Eines der ältesten Zeug153. Trotz der sonstigen Nähe zum Codex Leningradensis weichen die Ausgaben der Biblia Hebraica (BHK3, BHS und voraussichtlich auch BHQ) in dieser Hinsicht von ihrer Vorlage ab.
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nisse für Umfang und Anordnung des Septuagintakanons ist Papyrus 967. Dieser entstand um 200 n. Chr. und umfasst Ezechiel, Daniel und Esther. Er war offensichtlich der letzte Band einer mehrbändigen Ausgabe des Alten Testaments (oder vielleicht des alttestamentlichen Teiles einer Gesamtbibel). Das Interessante ist, dass sich am Ende von Daniel (bzw. Susanna) nicht nur die subscriptio »Daniel« findet, sondern auch ein Segenswunsch des Schreibers (»Friede, dem der geschrieben hat und den Lesenden«), obwohl derselbe Schreiber dann auch noch Esther geschrieben hat. Offensichtlich spiegelt sich darin noch eine alte Kanongrenze, nach der dann noch Esther angefügt wurde. Dies entspricht dem Lehrgedicht des Amphilochios aus dem 4. Jh. Dort werden die Schriften des Alten Testaments aufgezählt, und zwar in der Anordnung der Septuaginta aber im Umfang des hebräischen Kanons, wobei Esther offensichtlich noch immer fraglich ist: Nach schönen Formulierungen zu Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel heißt dann: »Manche rechnen auch noch Esther hinzu«. 154 Auch die ältesten Codices divergieren: Codex Vaticanus hat die Makkabäerbücher nicht, dagegen enhält Codex Alexandrinus auch 3 und 4Makk, und – erstmals – die 14 Oden. Weitere Septuagintacodices enthalten ebenfalls jeweils ihre Besonderheiten.
7.2 Zur Textüberlieferung Die Septuagintaforschung kennt heute Manuskripte ab dem 2. Jh. v. Chr., d. h. aus der vorchristlichen und aus der vorkonstantinischen Zeit. Sowohl jüdische als auch christliche Quellen setzen voraus, dass die heiligen Schriften an vielen Orten zur Verfügung standen und auch in vielfältiger Weise verwendet wurden. Auch wenn die biblischen Schriften zu den am besten erhaltenen und bezeugten Schriften der Antike gehören, würde man angesichts der großen Verbreitung doch eine höhere Zahl an Handschriften erwarten, die erhalten geblieben sind. Dass nicht mehr erhalten blieb, liegt einerseits an den klimatischen Bedingungen: Ein großer Teil der Überlieferung sind Papyri, die im trockenen Klima Ägyptens oder in klimatisch ähnlichen Gebieten wie etwa der Wüste Juda erhalten blieben, während in anderen Gebieten die organischen Schreibmaterialien verdorben sind, sofern sie nicht in Gebäuden, im Prinzip in Synagogen oder Kirchen bzw. Klöstern geschützt aufbewahrt wurden. Sofern sie nicht an einem klimatisch geeigneten Ort versteckt oder vergraben waren, waren die Schriften damit Plünderungen und Zerstörungen ausgesetzt. Das war leider auch das Schicksal der antiken Bibliotheken, bei denen nicht nur an die großen Bibliotheken wie in Alexandrien, Antiochien, Pergamon und Cäsarea zu denken ist, sondern auch an die kleinen Bibliotheken und Sammlungen bei Synagogen und Kirchen. Als Ursache für die Verluste älteren jüdischen Schrifttums in Ägypten wird man an Zerstörungen insbesondere im Zuge des Pogroms von 38 n. Chr. und bei der Niederwerfung des jüdischen Aufstandes von 115–117 n. Chr. zu denken haben. Ein gravierendes Geschehen im christlichen Bereich war wohl die diokletianische 154. Kreuzer, Papyrus 967, 79 f. Dass hier eine Handschrift und noch für das 4. Jh. ein Lehrgedicht mit dem Umfang des hebräischen Kanons aber in der Anordnung der Septuaginta vorliegen, ist bisher wenig beachtet und relativiert die schematische Einteilung in hebräischen und griechischen Kanon. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike
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Verfolgung ab 303 n. Chr. Offensichtlich hatte der römische Staat, der sich in dieser Verfolgung nicht mehr nur gegen einzelne Christen sondern gegen die Kirche insgesamt wandte, die große Bedeutung der heiligen Schriften für die Kirchen erkannt. So wurden in dieser Verfolgung nicht nur Menschen verfolgt, sondern auch Bücher aufgespürt und vernichtet. Das Geschehen spiegelt sich in der nachfolgenden Diskussion über den Umgang mit den traditores, jenen Personen, die unter dem Druck der Verfolgung die heiligen Schriften herausgegeben hatten. Leider ist auch von den 50 Codices, die Konstantin für die neuen Kirchen in der Hauptstadt in Auftrag gegeben haben soll (Eusebius, Vita Constantini, IV,36 f.), nichts erhalten. 155 Aber es gab jedenfalls wieder Skriptorien und Zentren der textlichen Überlieferung auf die die großen Codices mit ihren zum Teil traditionellen, zum Teil neuen Gliederungs- und anderen Textauszeichnungen zurückgehen, deren Erforschung erst in den Anfängen steht. 156 Eine wichtige Widerspiegelung der griechischen Textüberlieferung ist durch die sogenannten Tochterübersetzungen gegeben. Hier ist vor allem die sog. alte lateinische Übersetzung zu nennen, aber auch die sahidische Übersetzung, die syrische und die gotische. Diese Übersetzungen sind oft eine Pionierleistung für den entsprechenden Sprach- und Kulturraum. Sie sind aber auch von Bedeutung für die Textgeschichte der Septuaginta, weil sie schon früh »abgezweigt« sind. Insbesondere die in das 2. Jh. zurückgehende Vetus Latina ist hier von großer Bedeutung, zumal sie sehr genau übersetzt ist. Leider ist der Erhaltungszustand dieser Übersetzungen teilweise sehr fragmentarisch. In methodischer Hinsicht ist zu bedenken, dass die Bezeugung einer bestimmten Lesart durch eine Übersetzung in der Regel das entsprechende Alter dieser Lesart bezeugt. Allerdings darf daraus nicht auch ein negativer Schluss für andere Lesarten gezogen werden: Wenn z. B. Lesart A in einer Tochterübersetzung bezeugt ist, bedeutet das nicht, dass es Lesart B oder C noch nicht gegeben hätte. 157 Die Beschreibung der Tochterübersetzungen und ihrer Bedeutung für die Textgeschichte der Septuaginta ist im Band zur Textgeschichte zu finden.
155. Ob, wie manchmal vermutet, Codex Vaticanus und Codex Sinaiticus dazu gehören, bleibt sehr fraglich. 156. Siehe etwa: U. Schmid, Diplé, und Karrer / deVries, Schriftzitate. Eine der interessanten neuen Erkenntnisse ist, dass, entgegen der bisher in der Forschung verbreiteten Annahme, die Zitate zwischen Septuaginta und Neuem Testament innerhalb der Codices nicht harmonisiert wurden, selbst dort nicht, wo die Zitate durch Diplé markiert waren; d. h. man ließ die Divergenzen bewusst stehen. Diese Erkenntnis erhöht den textgeschichtlichen Wert sowohl der betreffenden Lesarten im Septuagintatext als auch der neutestamentlichen Zitate. Siehe dazu: D. Müller, Zitatmarkierungen, und Karrer / deVries, Septuagintatext. 157. Z. B. gab es zur Zeit der Vetus Latina (ab dem 2. Jh.) sowohl die oft durch den antiochenischen Text bezeugte ursprüngliche Septuaginta als auch die kaige-Rezension. Wenn z. B. durch VL die Lesart des antiochenischen Textes bestätigt wird, bedeutet das nicht, dass es die kaige Lesart noch nicht gegeben hätte, bzw. auch umgekehrt: Wenn die kaige-Lesart bestätigt wird, ist das nur eine Aussage über diese Lesart, aber nicht über das Fehlen oder Vorhandensein der anderen Lesart.
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7.3 Die griechischen Übersetzungen im antiken Judentum Für das Judentum in der hellenistischen Welt gelangte die Septuaginta schon bald zu grundlegender Bedeutung. Das zeigt sich bei den jüdisch-hellenistischen Schriftstellern, die die griechische Form der heiligen Schriften als Grundlage und Bezugspunkt ihrer Werke verwendeten, bis zu jenen jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit, welche dann noch in die Septuaginta im weiteren Sinn aufgenommen wurden. Die Verbreitung nicht nur in der Diaspora sondern auch im Mutterland ist darüber hinaus durch die Funde biblischer Texte in griechischer Sprache in Qumran belegt. Auch die schon im 1. Jh. v. Chr. einsetzende Revisionstätigkeit zeigt, dass die griechische Form der heiligen Schriften in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wurde, andernfalls hätte man sie nicht revidieren müssen. Dass das sich ausbreitende Christentum offensichtlich jeweils vor Ort auf die Septuaginta zurückgreifen und sich für die Verkündigung auf die heiligen Schriften in griechischer Sprache beziehen konnte und für die theologische Diskussion darauf beziehen musste, zeigt ebenfalls die weite Verbreitung der griechischen Bibel. Dass dabei nicht alle Schriften im gleichen Maß herangezogen wurden, sondern vor allem Genesis, Deuteronomium, Jesaja und Psalmen, entspricht ungefähr dem, was auch für die hebräische Tradition etwa in Qumran festgestellt werden kann. Wie oben dargestellt, setzte mit der kaige-Rezension schon in vorchristlicher Zeit eine Revision der Septuaginta ein, die sie auf den inzwischen vorherrschend gewordenen protomasoretischen Text hin adaptierte und darüber hinaus dem neuen Schriftverständnis anpasste, in dem auch formal-hebräische Aspekte größere Bedeutung erhielten. Die neuen jüdischen Übersetzungen des 2. Jh. n. Chr. (die man auf Grund der faktischen Identifikation der angeblichen Theodotion-Übersetzung mit der kaige-Rezension auf Aquila und Symmachus reduzieren muss) führten die Revisionstätigkeit weiter und versuchten, in unterschiedlicher Weise den neuen Vorstellungen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Ihr Anlass für diese neuen Übersetzungen war wohl nicht wie früher angenommen, dass die Christen die Septuaginta verwendeten; aber zumindest bestimmte sprachliche Einzelheiten bei Aquila sind wohl doch aus einer gewissen Distanzierung, weniger von der Septuaginta an sich, sondern von den Interpretationsmöglichkeiten, die sie bot, zu erklären. Trotz ihrer Besonderheiten und der Beschwerlichkeiten, die sie für Griechisch sprechende Menschen zweifellos bot, avancierte die Übersetzung Aquilas zu großer Beliebtheit. Vermutlich vermittelte sie gerade in ihrer Fremdartigkeit den Eindruck der besonderen Nähe zum Geist des hebräischen Originals und damit ihrer »Hebraizität«. 158 Interessanterweise spielten im 2. Jh. n. Chr. offensichtlich die Diskussionen zwischen Juden und Christen um den Wortlaut der griechischen Bibel eine große Rolle, jedenfalls 158. In gewisser Weise könnte man als Analogon auf die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig verweisen, die in ihrer sprachlichen Form deutschsprachigen Leserinnen und Lesern erhebliche Schwierigkeiten macht, die aber gerade mit ihrer oft gekünstelten Hebraizität den Anspruch einer besonderen Nähe zum Original erhebt. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike
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soweit es aus bestimmten Schriften, insbesondere aus Justins Schrift »Dialog mit dem Juden Tryphon« bekannt ist. Wir wissen heute, dass die Differenzen, die dort zu den wechselseitig erhobenen Vorwürfen der Schriftverfälschung führten, letzten Endes auf die Revisionsgeschichte der Septuaginta zurückgehen. Die Konfrontation scheint aber – jedenfalls für die Beschäftigung mit den heiligen Schriften – mit der Zeit dem Respekt und der ernsthaften Bezugnahme auf die verschiedenen Traditionen gewichen zu sein. Markantestes Beispiel ist Origenes, der in seiner Hexapla auch die jüngeren jüdischen Übersetzungen heranzog. Ohne dieses Werk des christlichen Gelehrten wären noch weniger Informationen über und Texte von diesen jüdischen Übersetzungen erhalten. Auch in weiterer Folge zeigt sich diese Offenheit, die jüngeren jüdischen Übersetzungen zur Ergänzung der Septuaginta heranzuziehen, wobei offensichtlich deren Genauigkeit und ihre Hilfe zum Verständnis schwieriger Texte besonders geschätzt wurden. 159 Während früher die Meinung vorherrschte, dass nur christliche Handschriften der Septuaginta erhalten seien, ist dies heute durch verschiedene Textfunde praktisch widerlegt. So ist im Oxyrhynchus-Papyrus 1007 der Gen 2–3 enthält, das Tetragramm mit althebräischen Buchstaben geschrieben, was ihn ziemlich sicher als jüdischen Text ausweist. Zugleich findet sich darin ΘΕΟΣ abgekürzt, was der späteren nomina-sacra-Schreibung entspricht, die offensichtlich jüdische Wurzeln hat. 160 Auch der kürzlich publizierte P. Oxy 5101, der wahrscheinlich der älteste erhaltene Papyrus mit Psalmen ist und aus der Zeit um 100 n. Chr. stammt, enthält das Tetragramm in althebräischer Schrift. 161 Ob der um 200 n. Chr. entstandene Papyrus 967 jüdischer Herkunft ist, ist fraglich, aber er enthält jedenfalls inhaltliche und formale Elemente, die wahrscheinlich auf unmittelbar vorausgehende jüdische Tradition zurückgehen. 162 Nach Robert Kraft ist P.Oxy 656, ein Papyruscodex von Ende des 2. oder Anfang des 3. Jh. n. Chr. so gut wie sicher jüdisch, was bedeutet, dass auch die Codexform nicht automatisch die christliche Herkunft einer Handschrift anzeigt. 163 Spätere jüdische Handschriften der Septuaginta oder der Recentiores sind schwer zu identifizieren. Möglicherweise geht der Mangel an erhaltenen jüdischen Handschriften auf eine ähnliche Praxis wie bei den hebräischen Handschriften zurück, nämlich dass sie vernichtet wurden, wenn sie nicht mehr den Anforderungen entsprachen. Allerdings hat sich sehr interessantes Material aus der Kairoer Genizah erhalten, das griechische Bibeltexte indirekt bezeugt. Es handelt sich um zum Teil schon länger bekannte, zum Teil neu identifizierte frühmittelalterliche Texte aus der Kairoer Genizah, in denen sich griechische Randnotizen finden, die zum Teil Aquila, zum Teil aber auch die Septuaginta voraussetzen. Das bedeutet, dass zumindest Teile sowohl von Aquila als auch der Sep-
159. Siehe dazu Salvesen, Proof-texts. 160. Siehe dazu Kraft, Textual Mechanics. 161. Jannes Smith, The Text-Critical Significance of Oxyrhynchus Papyrus 5101 (Ra 2227) for the Old Greek Psalter, JSCS 45 (2012), 5-22. 162. Kreuzer, Papyrus 967. 163. Kraft, Textual Mechanics.
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tuaginta noch in der Spätantike und im frühen Mittelalter im Umlauf und bekannt waren. 164 Dass die Septuaginta auch in der späteren Antike im Judentum in Gebrauch war, ergibt sich auch daraus, dass christliche Autoren verschiedentlich darauf hinweisen, dass die Septuaginta (bzw. allgemeiner: die Bibel in griechischer Sprache) auch bei den Juden vorhanden ist und öffentlich gelesen wird. Gewissermaßen im Sinn des Altersbeweises und der allgemeinen Verbreitung und Zugänglichkeit der Heiligen Schriften beruft sich Tertullian (ca. 150–nach 220 n. Chr.) in seinem Apologeticum XVIII, 7 und 8 einerseits auf die bekannte Entstehungslegende der Septuaginta und andererseits darauf, dass sie (nicht nur bei den Christen sondern auch bei den Juden) vorhanden sei und gelesen werde. 165 Dass natürlich auch die Recentiores in Gebrauch waren, ergibt sich etwa aus dem Bemühen des Irenäus zu erweisen, dass die Apostel (mit ihren Schriftzitaten) älter sind als die neuen jüdischen Übersetzungen, womit auch der höhere Rang der Septuaginta (der die neutestamentlichen Autoren folgen), erwiesen ist. Im jüdischen Bereich zeigen diverse Zitate aus Aquila in der rabbinischen Literatur, dass zumindest diese griechische Übersetzung auch im rabbinischen Bereich anerkannt wurde. 166 Neben den außer im Wüstenklima sehr vergänglichen organischen Schreibmaterialien (Papyrus, Leder, Pergament) gibt es auch die Inschriften. Zwar bieten die Inschriften in der Regel eher kurze Texte, die zudem oft sehr standardisiert sind (z. B. Grabinschriften), aber sie sind dauerhaft und dadurch für die Überlieferung der Septuaginta und auch der Recentiores von großer Bedeutung. 167 Neben vielen anderen Aspekten der Lebenswelt lassen diese vor allem aus dem griechisch sprechenden Osten des römischen Reiches stammenden Inschriften Bezüge zur Septuaginta aber auch zu den jüngeren jüdischen Übersetzungen, die sukzessive die Mehrheit darstellen, erkennen. Für viele Bereiche sind die epigraphischen Belege nicht nur die Hauptquellen der Information, sondern zum Teil die einzigen. Die Inschriften zeigen, dass es eine große jüdische Bevölkerung in der (von Jerusalem aus gesehen) westlichen Diaspora gab, die nicht von den Rabbinen beherrscht war, die eine blühende Kultur hatten und die ihre Bibel in einer der griechischen Versionen lasen und natürlich auch im Gottesdienst verwendeten. 168
164. Boyd-Taylor, Echos of the Septuagint, 282-287. 165. Boyd-Taylor, Echos of the Septuagint, 166. Eine Erörterung der Schriftzitate in der rabbinischen Literatur, die Aquila zugeschrieben werden, bietet Veltri, Gegenwart der Tradition, 83-92. 167. Siehe dazu u. a. Kant, Jewish Inscriptions in Greek and Latin, und van der Horst, Saxa judaica loquuntur. 168. Siehe dazu van der Horst, Saxa judaica loquuntur, 65: »What we learn from ancient Jewish inscriptions is, inter multa alia, that there was a huge, mainly Greek-speaking diaspora in the West, not dominated by rabbis, with a flourishing culture, reading their Bible in one of the available Greek versions, in varying degrees of acculturation but often quite well integrated in Graeco-Roman society …«. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike
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Dies blieb allerdings nicht immer so. Gegen Ende der Antike kam es zu einem verstärkten Ausgreifen der Rabbiner und der rabbinischen Tradition auch in die westliche Diaspora. In Verbindung damit wurde versucht, das Hebräische verstärkt als Identifikationsmerkmal des Judentums auch in der westlichen Diaspora herauszustellen. Da dies im Alltagsleben weniger möglich war, wurde dies vor allem in Gottesdienstgestaltung und Liturgie betont. Diese Intentionen führten zur Spannung gegenüber der bis dahin offensichtlich nicht angefochtenen Verwendung griechischer Bibeltexte. Eine mögliche Strategie war dabei die Historisierung der Septuaginta: Sie war eine Übersetzung für den König Talmai (= Ptolemäus II.). D. h. sie hatte ihr historisches Recht und ihren historischen Platz. Aber das könnte Vergangenheit sein. In diesen Kontext gehört auch das vielzitierte aber keineswegs repräsentative Wort aus dem nachtalmudischen Traktat Soferim 1,7 aus dem 8. Jh., demzufolge der Tag der Übersetzung der Septuaginta ein ähnlich großes Unheil war wie der Tag an dem das goldene Kalb angefertigt wurde. Solche delegitimierenden Äußerungen standen wohl im Kontext des größeren kulturgeschichtlichen Phänomens der sukzessiven Auflösung der engen Verbindung zwischen Judentum und griechischer Kultur bzw. zumindest der Bemühungen in dieser Richtung. Diese mögen wohl von den anwachsenden Separationstendenzen der verschiedenen Regionen gegenüber Byzanz in der Spätantike und für das Judentum wohl auch von dem verstärkten Gewicht des babylonischen Judentums beeinflusst gewesen sein. Diese Tendenzen standen möglicherweise hinter den Konflikten, auf die Justinian mit seinem Erlass von 553 n. Chr. (Novella 146) reagierte. Eine Partei wollte den exklusiven Gebrauch des Hebräischen in der Liturgie, während andere an der (begleitenden?) Lesung der heiligen Schrift in Griechisch festhalten wollten. Justinian entschied zugunsten der Lesung in griechischer Sprache, wobei er die Septuaginta empfahl, aber auch Aquila akzeptierte. Dass er die Septuaginta empfahl, ist aus der Perspektive des christlichen Kaisers verständlich, setzt aber wohl doch auch voraus, dass prinzipiell beide Formen der griechischen Bibel zur Verfügung standen. Auch wenn Griechisch sukzessive aus der Liturgie verdrängt wurde, so wurden, wie ein Text aus der Kairoer Genizah aus dem 6. Jh. zeigt, weiterhin griechische Bibeltexte abgeschrieben (in diesem Fall Aquila) und waren, wie die oben erwähnten mittelalterlichen Glossen zeigen, weiterhin die Septuaginta und die Recentiores im Judentum bekannt und wurden sie, wenn auch auslaufend, weiterhin im Judentum tradiert.
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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Biblical Interpretation Series (BiInS) 134, Leiden / Boston 2015 — van der Kooj, Arie, Die alten Textzeugen des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Textgeschichte des Alten Testaments, OBO 35, Fribourg / Göttingen 1981 — van der Kooj, Arie, The Old Greek of Isaiah and other prophecies Published in Ptolemaic Egypt, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 72-84 — Veltri, G., Aristeasbrief, RGG4 I, Tübingen 1998, 726 f. — Veltri, G., Eine Tora für den König Talmai. Texte und Studien zum antiken Judentum 41, Tübingen 1994 — Veltri, G., Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Kulturgeschichte, Leiden 2002 — Verbrugghe, G. P. / Wickersham, J. M., Berossos and Manetho, introduced and translated: Native Traditions in Ancient Mesopotamia and Egypt, Ann Arbor/MI 1996 — Wadell, W. G., Manetho, The Loeb Classical Library 350 Cambridge/ London 1940 = 1980 — Walter, N., Jewish-Greek Literature of the Greek Period, Cambridge History of Judaism 2, Cambridge 1989, 385-408 — Walter, N., Jüdisch-hellenistischer Literatur vor Philon von Alexandrien (unter Ausschluß der Historiker), ANRW II. 20.1, Berlin 1987, 67-120 — Walter, N., Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, in: Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit 1, Gütersloh 19802, 89-163 — Walter, N., Fragmente jüdischhellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas JSHRZ 3, Gütersloh 19802, 257-299 — Walters (Katz), P., The Text of the Septuagint, Cambridge 1973 — Weber, R. / Gryson, R., Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 20075 — Wright, B. G., The Textual-Linguistic Character and Sociocultural Context of the Septuagint, in: R. J. V. Hiebert (Hg.), »Translation is required«. The Septuagint in retrospect and prospect, SBL.SCS 56, Atlanta/GA 2010, 235238 — Würthwein, E., Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica, Stuttgart 19885.
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8. Literatur
Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund
Die folgende Übersicht soll einen ersten Eindruck über die Textzeugen vermitteln, die für die Überlieferung der Septuaginta von Bedeutung sind. Der Überblick ist chronologisch strukturiert. Dabei werden nicht nur die griechischen Textzeugen einschließlich der Zitate genannt, sondern auch die hebräischen, insbesondere aus Qumran, und die verschiedenen Übersetzungen, die je auf ihre Art auf den zugrunde liegenden Text zurückschließen lassen und die angesichts der Entstehungszeit dieser Übersetzungen wichtige Seitenreferenten für die Geschichte der Überlieferung des Septuagintatextes darstellen. Angesichts der Fülle an Manuskripten ist vor allem für die späteren Jahrhunderte nur eine Auswahl genannt. Die Einteilung nach Jahrhunderten dient nur der groben Orientierung. Bei manchen Manuskripten müsste man 2./1. Jh. oder 4./5. Jahrhundert schreiben. Soweit möglich entspricht die Reihenfolge innerhalb des Feldes der wahrscheinlichen Reihenfolge. Bei den Handschriften geht es um das wahrscheinliche Alter der Handschrift bzw. der entsprechenden Quelle (z. B. Korrektor C des Alexandrinus) nicht um das Alter der darin bezeugten Textform. Bei den meisten Handschriften ist die sog. »Rahlfs-Nummer« (nach dem von Robert Holmes und Jacob Parsons begonnenen, von Alfred Rahlfs etablierten und in Verbindung mit der Göttinger Edition fortgeführten System) hinzugefügt. Für weitere Informationen siehe die unten genannte Literatur. Die ausführliche Darstellung und Erörterung der hier nur kurz genannten Textzeugen und der damit verbundenen Textgeschichte ist für den Band »Textgeschichte« im »Handbuch zur Septuaginta« vorgesehen. 3.–2. Jh. v. Chr.: Zeit der Entstehung und der ältesten Überlieferung der Septuaginta Hebräisch/aramäisch
Griechisch
Zitate und Übersetzungen
Übersetzung der Septuaginta Qumrantexte (ab Mitte 3. Jh.): Vielfalt der Textformen mit bestimmten Grundtypen. PRylGr 458 = Ra 957 4QLXXDeut = 4Q122 = Ra 819 Ende des 2. Jh.: beginnende Revision im Sinn einer Standardi- 7QLXXExPapyrus = 7Q1 = Ra 805 sierung des Textes; Heraus4QLXXLeva = 4Q119 = Ra 801 bildung/Schaffung des protomasoretischen Textes. 7QLXXEpJer = 7Q2 = Ra 804
Erste Bezugnahmen auf die Septuaginta bei jüdischen Schriftstellern: Demetrios (noch 3. Jh.?) Eupolemos Philo der Ältere Ezechiel der Dramatiker Aristobul Jason von Kyrene Prolog zu Jesus Sirach
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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
1. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.: Dominanz des protomasoretischen Textes; Revisionen des Septuagintatextes in Richtung des protomasoretischen Textes und im Sinn des neuen, protorabbinischen Schriftverständnisses: kaige bzw. kaige-Theodotion sowie semi-kaige Textformen. Sukzessive Verbreitung der isomorph-hebraisierenden Textformen Hebräisch/aramäisch
Griechisch
Qumrandfunde mit deutlicher Dominanz des protomasoreti- PFouad 266a = Ra 942 schen Textes in den Kommen- PFouad 266b = Ra 848 tar-Handschriften (Pescharim) 4QpapLXXLevb = 4Q120 = Ra 802 8ḤevXIIGr = Ra 943 PFouad 266c = Ra 847 4Qpap ParaExod gr = 4Q127 4QLXXNum = 4Q121 = Ra 803 POxy 3522 = Ra 857 POxy 5101 = Ra 2227
Zitate und Übersetzungen Zitate und Anspielungen in jüngeren Septuagintaschriften
Zitate und Anspielungen bei Josephus, bei Philo von Alexandrien und im Neuen Testament.
2. Jh. n. Chr.: Weitere Fixierung des masoretischen Textes; Fortsetzung der jüdischen Revisionen bzw. neue jüdische Übersetzungen ins Griechische (Aquila, Symmachus). Beginn der Übersetzung ins Lateinische (Vetus Latina; vielleicht noch mit jüdischen Anfängen); christlich-jüdische Diskussion um den ursprünglichen/richtigen Septuagintatext; Zitate bei christlichen Autoren Hebräisch/aramäisch
Griechisch
POxy 4443 = Ra 996 Weitere Bearbeitung und Fixierung des (proto)masoretischen PYale 1 = Ra 814 Textes P. Chester Beatty VI = Ra 963 Heidelberg, Pap.Gr. 8 = Ra 970 PSchøyen 2648 = Ra 816 PSchøyen 2649 = Ra 830 PBodl5 = Ra 2082
Zitate und Übersetzungen Übersetzung des Aquila Zitate in christlichen Schriften Justin, Dialog mit Tryphon Übersetzung ins Lateinische: Vetus Latina (mit jüdischen Anfängen?) Übersetzung des Symmachus
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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
3. Jh. n. Chr.: Entwicklung und Verbreitung der Codexform; Aufnahme des biblischen Textes in Predigt, Unterricht und in exegetischen Werken; Schaffung eines an den hebräischen Text adaptierten Septuagintatextes durch Origenes; Übersetzung der Septuaginta in das Koptische (Sahidisch) Hebräisch/aramäisch Griechisch
Zitate und Übersetzungen
P967 (PChester Beatty9 und PKöln. Theol. sowie PBarc inv 2 = Montserrat II und andere Orte) = Ra 967 Tertullian von Karthago PChBeat 8 = Ra 966 POxy 656 = Ra 905 PLeipzig 170 = Ra 2014 PBerlin 6772 = Ra 902 POxy 4442 = Ra 993 POy 1075 = Ra 909 PVind/Wien 26035B = 2094 PAnt 8 = Ra 928 PBodmer XXIV = Ra 2110 PVindob/Wien Rainer 8024 = Ra 948 PBerlin fol 66 I/II = Ra 911 Chester Beatty V = Ra 962 Chester Beatty VII = Ra 965 Washington, Freer Ms V = W
Anfänge der Sahidischen Übersetzung
Exegetische Schulen in Alexandrien, Antiochien und anderen Zentren Clemens von Alexandrien;
Hexapla des Origenes
4. Jh. n. Chr.: Am Anfang des Jahrhunderts Vernichtung zahlreichen Handschriften in der Diokletianischen Verfolgung; nach der Konstantinischen Wende neue Möglichkeiten zur Produktion von Handschriften bzw. Codices (nur vereinzelt noch Rollen); Existenz von Bibliotheken und Skriptorien in verschiedenen christlichen Zentren. Tochterübersetzungen aus der Septuaginta in Gebieten jenseits des römischen Reiches
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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta Hebräisch/aramäisch
Griechisch
PAmherst 1.3 = Ra 912 Alexandria Gr.röm. Museum p 203 (Rolle!) = Ra 850 Florenz P. Vitelli = Ra 828 Rylands P 460 = Ra 958 Der von Hieronymus verwen- New York P Feinberg 1. = Ra 842 dete hebräische Bezugstext ent- Wien P.Vindob G 2312 = Ra 2031 spricht im Wesentlichen dem masoretischen Text, aber mit Archetyp (?) des Antiochenischen einigen Differenzen. Textes (1./4. Jh.) 1
Zitate und Übersetzungen Lukian von Antiochien Hesychius von Alexandrien (?) Zitate in zahlreichen Werken verschiedener Theologen
Kommentare des Theodoret von Kyrrhus mit dem Antiochenischen Text
Rom Bibl.Vat. Gr 1209 = Codex Vaticanus = B Gotische Übersetzung (Wulfila) London Br.Lib. Add 43725 / Leipzig / Sinai, Katharinenkloster / St. Peters- Äthiopische Übersetzung burg = Codex Sinaiticus = S Vulgata
5. Jh. n. Chr.: Zahlreiche Fragmente von Handschriften zu allen Schriften der Septuaginta; Verbreitung großer Codices; weitere Tochterübersetzungen Hebräisch/aramäisch
Griechisch
Zitate und Übersetzungen
Leiden, Voss. gr. 8 = Codex Colberto-Sarravianus = G Prag Nat. Bibl. Gr. II 301 = o-S 53 Armenische Übersetzung (Mesrob)
1.
London, Royal I D.V-VIII = Codex Alexandrinus = A
Koptische Übersetzungen (Fajjumisch, Bohairisch)
Mailand, Bibl. Ambros A 147 = Codex Ambrosianus … = F Paris Bibl. nat. Gr 9 = Codex Ephraimi rescriptus … = C Washington, SIL Nr. 06.273 = Ra 1219 Washington, SIL Nr. 06.292 = WI Wien, PVindob 39.775 = Ra 2039 Codex Purpureus Vindobonensis = Wiener Genesis (illuminiert!) = L
Georgische Übersetzung aus dem armenischen mit Revision nach dem Griechischen Griech. Bibeltexte in jüdischen und christlichen Inschriften
Siehe das Stemma in Fernandez Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El texto antioqueno de la Biblia Griega I (TECC 50), Madrid 1989, XXXIII; II (TECC 53), Madrid 1992, XXVIII; III (TECC 60), Madrid 1996, XXVI.
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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
6.–8. Jh. n. Chr.: Zahlreiche Fragmente von Handschriften zu allen Schriften der Septuaginta; Verbreitung großer Codices (die Großen Codices, auch schon B, S und A sind durchwegs codices mixti, weil sie entweder auf Schriftrollen unterschiedlicher Prägung zurückgehen oder später verschiedene Texttradition aufgenommen haben); Übersetzungen die ganz oder zum Teil auf die Septuaginta zurückgehen. Hebräisch/aramäisch
Griechisch
Zitate und Übersetzungen Syrohexapla
Giessen, Univ.Bibl. 13.19.22.26 = Ra 884 Cambridge, Taylor-Schechter 12.182 = Ra 2015 Wien, P.Vindob. K 9907 = Ra 1220 Berlin, Äg. Mus P. 11763 = Ra 2063
Ansätze zur Vokalisation des Textes
Codex Marchalianus = Q
Arabische Übersetzung (zumindest teilweise auch aus dem Griechischen) Schriftzitate in zahlreichen exegetischen und anderen Werken Griech. Bibeltexte in jüdischen und christlichen Inschriften
Codex Veronensis = R Älteste Fragmente aus der Kairoer Genizah
Codex Turicensis = T Codex Venetus = V
Verlust von Handschriften in Folge der Zerstörungen durch die persischen Kriegszüge und die islamische Eroberung Abnehmende Verwendung des Griechischen im jüdischen Gottesdienst Erlass des Kaisers Justinian bezüglich Verwendung von Septuaginta und Aquila im jüdischen Gottesdienst.
9.–10. Jh. n. Chr.: Hebräisch: Entwicklung des tiberiensischen Vokalisationssystems; Fixierung des masoretischen Textes und der masoretischen Tradition in den ältesten masoretischen Codices; auffallende Übereinstimmungen zwischen Ketib/Qere-Lesarten und Septuaginta-Lesarten; Auffallende Übereinstimmungen zwischen Lesarten in einzelnen mittelalterlichen hebräischen Codices und Septuaginta-Lesarten (alte Tradition oder Quereinflüsse?). Übergang zur Minuskelschrift; Überarbeitung und teilweise Korrekturen (z. B. Anpassung des sog. beweglichen Ny an die byzantinische Schulregel durch den Instaurator in Codex Vaticanus); Nachwirkung der Gestaltung der Majuskelcodices in den Minuskeln (z. B. Ra 127). Nach dem Ende des Bildersturms auch illuminierte Handschriften, vor allem Psalterhandschriften (Chludov-Psalter, aus Konstantinopel, Mitte 9. Jh. = Ra 1101; Pariser Psalter, aus Konstantinopel, 10. Jh. = Ra 1133). Slawische Übersetzung aus dem Griechischen (Kyrill und Method).
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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
Literatur van Haelst, J., Catalogue des Papyrus littéraires Juifs et Chrétien, Papyrologie 1, Paris 1976 — Rahlfs, A., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments für das Septuaginta-Unternehmen, MSU II, Göttingen 1914 — Rahlfs, A. / Fraenkel, D. Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, Bd. I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, Göttingen 2004 — Kraft, R. A., The ›textual mechanics‹ of Early Jewish LXX/OG papyri and fragments, in: S. McKendrick / O. A. O’Sullivan (Hg.), The Bible as Book: The Transmission of the Greek Text, London 2003, 51-72 — Kraft, R. A. Chronological List of Early Papyri and MSS for LXX/OG Study, http://ccat.sas.upenn.edu/rak//earlylxx/earlypaplist.html, 1999/ 2001/2004 (abgerufen 24. 8. 2015) — Tov, E, The Greek biblical texts from the Judean desert, in: S. McKendrick / O. A. O’Sullivan, The Bible as Book: The Transmission of the Greek Text, London 2003, 97-122 — Tov, E, Scribal Features of Early Witnesses of Greek Scripture, in: R. J. V. Hiebert / C. E. Cox (Hg.), The Old Greek Psalter: Studies in Honour of Albert Pietersma, JSOT.S 332, Sheffield 2001, 127-135.
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1. Pentateuch
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch Martin Rösel
1. Literatur Aristeas, Der König und die Bibel. Griechisch / Deutsch. Übs. und hg. von K. Brodersen, Stuttgart 2008 — Barr, J., Did the Greek Pentateuch really serve as a Dictionary for the Translation of the Later Books, in: M. F. J. Baasten (Hg.), Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 523-543 — Beck, J. A., Translators as Storytellers. A Study in Septuagint Translation Technique, Studies in Biblical Literature 25, Leiden 2000 — Bons, E., Der Septuaginta-Psalter. Übersetzung, Interpretation, Korrektur, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 450-470 — Boulluec, A. L. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, Paris 1989 — Collins, N. L., 281 BCE: The Year of the Translation of the Pentateuch into Greek under Ptolemy II. in: G. J. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls, and Cognate Writings, SCS 33, Atlanta/GA 1992, 403-503 — Cowey, J. M. S., Das ägyptische Judentum in hellenistischer Zeit, in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 24-43 — den Hertog, C. G. Einführung zu: Deuteronomion, LXX. E I, Stuttgart 2011, 523-530 — den Hertog, C. G. Erwägungen zur relativen Chronologie der Bücher Levitikus und Deuteronomium innerhalb der Pentateuchübersetzung. in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, Stuttgart 2004, 216-228 — Dines, J. M., The Septuagint, London / New York 2004 — Dogniez, C. / Harl, M., Le Deutéronome, BdA 5, Paris 1992 — Dorival, G., Les Nombres, BdA 4, Paris 1994 — Dorival, G., Les phénomènes d’intertextualité dans le livre grec des Nombres, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 261-285 — Dorival, G., New Light about the Origins of the Septuagint? in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Stuttgart 2010, 36-47 — Honigman, S., A Study in the Narrative of the Letter of Aristeas, London / New York 2003 — Joosten, J., To See God. Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Stuttgart 2008, 287-299 — Kooij, A. v. d., The Septuagint and Alexandrinian Scholarship, BiOr 68 (2011), 492-509 — Kooij, A. v. d., The Septuagint of the Pentateuch and Ptolemaic Rule, in: G. N. Knoppers (Hg.), The Pentateuch as Torah. New Models for Understanding its Promulgation and Acceptance, Winona Lake/IN 2007, 289-300 — Kreuzer, S., Entstehung und Publikation der Septuaginta im Horizont frühptolemäischer Bildungs- und Kulturpolitik, in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, Stuttgart 2004, 61-75 — Kreuzer, S., Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit. Wie kam es zur Vorherrschaft des masoretischen Textes?, in: G. Fischer / A. Vonach (Hg.), Horizonte biblischer Texte (FS J. M. Oesch), OBO 196, Fribourg / Göttingen 2003, 117-129 — Kreuzer, S., Papyrus 967. Beobachtungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 64-82 — Lange, A., »They confirmed the Reading A« (y. Taʿ an. 4.68a). The Textual Standardization of Jewish Scriptures in the Second Temple Period, in: ders. / M. Weigold / J. Zsengellér (Hg.), 1. Literatur
97
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
From Qumran to Aleppo, FRLANT 230, Göttingen 2009, 29-80 — Lee, J. A. L., A Lexical Study of the Septuagint Version of the Pentateuch; SCS 14, Atlanta/GA 1983 — Orth, W., Ptolemaios II. und die Septuaginta-Übersetzung, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 97-114 — Pietersma, A., A New Paradigm for Addressing Old Questions. The Relevance of the Interlinear Model for the Study of the Septuagint, in: J. Cook (Hg.), Bible and Computer. The Stellenbosch AIBI-6 Conference proceedings of the Association internationale Bible et informatique, Leiden / Boston 2002, 337-364 — Pietersma, A., Text-Production and Text-Reception: Psalm 8 in Greek, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 487-501 — Rösel, M., Schreiber, Übersetzer, Theologen. Die Septuaginta als Dokument der Schrift-, Lese- und Übersetzungskultur des Judentums, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 83-102 — Rösel, M., Der Brief des Aristeas an Philokrates, der Tempel in Leontopolis und die Bedeutung der Religionsgeschichte Israels in hellenistischer Zeit, in: F. Hartenstein / M. Pietsch (Hg.), »Sieben Augen auf einem Stein« (Sach 3,9) (FS I. Willi-Plein), Neukirchen-Vluyn 2007, 327-344 — Rösel, M., Jakob, Bileam und der Messias. Messianische Erwartungen in Gen 49 und Num 22-24, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 151-175 — Rösel, M., Theo-Logie der griechischen Bibel. Zur Wiedergabe der Gottesaussagen im LXX-Pentateuch, VT 48 (1998), 49-62 — Rösel, M., Translators as Interpreters: Scriptural Interpretation in the Septuagint, in: M. Henze (Hg.), A Companion to Biblical Interpretation in Early Judaism, Grand Rapids / Cambridge 2011, 64-91 — Rösel, M., Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin 1994 — Schenker, A., Was führte zur Übersetzung der Tora ins Griechische? Dtn 4,2-8 und Platon (Brief VII,326a-b), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 23-35 — Troxel, R. L., LXX-Isaiah as translation and interpretation. The strategies of the translator of the Septuagint of Isaiah, Leiden / Boston 2008 — Utzschneider, H., Die LXX als »Erzählerin«: Beobachtungen an der LXX-Fassung der Geburts- und Kindheitsgeschichte des Mose (Ex 2,110), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 462-477 — Walter, N., Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten, Aristobul, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III,2, Gütersloh 1980 — Ziegert, C., Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell für eine integrative Übersetzungstechnik, Bib 89 (2008), 221-251.
2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch 2.1 Pentateuch und Septuaginta Im strengen Sinne sind nur die Bücher des griechischen Pentateuch mit dem Terminus »Septuaginta« zu bezeichnen, da auf diese der pseudepigraphe Bericht des Aristeas zielt, wonach sie von 72 Übersetzern in 72 Tagen aus dem Hebräischen ins Griechische übertragen wurden. Diese Bücher wurden schon in später entstandenen Teilen der hebräischen Bibel (z. B. Neh 8,1) als » ֵסֶפר תּוֹ ַרת מ ֶֹשׁהBuch der Tora« bezeichnet; über die Übersetzung ins Griechische durch βιβλίον νόμου Μωυσῆ bürgerte sich schließlich die Bezeichnung nomos für den griechischen Pentateuch ein, vgl. Sirach-Prolog 8 oder im NT etwa Lk 24,44, wo mit πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προφήταις καὶ ψαλμοῖς die drei Teile des hebräischen Kanons genannt werden. Singulär ist in Dan 9,13LXX die Verwendung von διαθήκη Μωσῆ »Bund des 98
2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
Mose« für die Schriften der Tora, die den besonderen Charakter dieser Schriftensammlung als Grundurkunde des Judentums deutlich werden lässt. Mit der Übersetzung der Tora Israels in die griechische Sprache verbindet sich eine ganze Reihe von Forschungsproblemen, die beim gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht eindeutig zu lösen sind. Aufgabe dieses Abschnitts ist daher, ergänzend zu den Darstellungen der einzelnen Bücher Genesis bis Deuteronomium, auf einige übergreifende Fragestellungen hinzuweisen, die für die weitere Forschung von Bedeutung sein sollten.
2.2 Pentateuch und einzelne Bücher Untersuchungen zu den einzelnen Büchern haben darin ihr Recht, dass – anders als es der Aristeasbrief suggeriert – der Pentateuch sicher nicht als eine Einheit übersetzt wurde. Offenkundig sind die Bücher nacheinander von unterschiedlichen Übersetzern ins Griechische übertragen worden, was sich an deutlich divergenten Sprachstilen erkennen lässt. Auch die Frage, wie wörtlich der hebräische Text wiederzugeben ist, wurde von den jeweiligen Übersetzern verschieden beantwortet; so ist die ExodusÜbersetzung deutlich freier und sprachlich eleganter als die des Numeribuches. Zugleich ist zu beobachten, dass es in der Regel auch innerhalb eines Buches unterschiedliche Übersetzungsweisen gibt. So ist die Treue zum Ausgangstext offenbar auch von der zu übersetzenden Textgattung abhängig, denn Vorschriften und Gesetze werden meist ausgangstextgetreuer übersetzt als Erzählungen, bei denen stilistische Überlegungen eine Rolle spielen konnten, 1 oder gar bei Texten, die als aktualisierbare Prophezeiungen gesehen wurden, z. B. Gen 49; Num 23–24. 2 Durchaus vergleichbare Phänomene lassen sich auch in anderer, ungefähr zeitgenössischer Literatur wie etwa den rewritten Bibles, dem Genesis-Apokryphon oder dem Jubiläenbuch feststellen, in denen Leerstellen der Erzählung aufgefüllt werden konnten. So richtig es also ist, dass die einzelnen Bücher der LXX je für sich untersucht werden, so notwendig sind auch Untersuchungen, die größere Textkomplexe im Blick haben und vergleichend auf ihre Übersetzungsweise hin befragen. 3 Allerdings ist in der gegenwärtigen Forschung eher der Trend zur intensiven Bearbeitung immer kleinerer Textabschnitte festzustellen, deren Ergebnisse zu leicht verallgemeinert werden. 4
1. 2. 3.
4.
Vgl. etwa den Ansatz von Beck, Translators as storytellers. Besonders eindrücklich dokumentiert diesen Ansatz Utzschneider, Die LXX als »Erzählerin«. Rösel, Bileam. Ein möglicher Ansatzpunkt ist auch die Skopos-Theorie nach Reiß / Vermeer, vgl. dazu etwa Reiß, K. / Vermeer, H. J., Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen, 1984 und Ziegert, Buch Ruth. Vgl. als jüngst erschienene Beispiele aus dem Bereich der Psalmen Smith, J., Translated Hallelujahs. A linguistic and exegetical commentary on select Septuagint Psalms, Leuven 2011; hier werden fünf Psalmen bearbeitet (104, 105, 110-112), oder Olofsson, S., As a deer longs for flowing streams. A study of the Septuagint version of Psalm 42-43 in its relation to the Hebrew text, DSI 1, Göttingen 2011. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
99
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
2.3 Die Anfänge der Übersetzung Zum Blick auf den Pentateuch als Einheit gehört untrennbar die Frage, wie es zu diesem in der Geistesgeschichte bis dahin offenbar vorbildlosen Werk einer Übersetzung eines so umfangreichen religiösen Textes gekommen ist. Zur Erklärung stehen in einer fast nicht mehr zu überschaubaren Fülle von Einzelstudien verschiedene Grundmuster bereit, die Gilles Dorival sehr übersichtlich aufgearbeitet hat: 5 Entweder wird die Grundintention des Aristeasbriefes 6 für zuverlässig gehalten, wonach es eine ptolemäische Initiative für die Übersetzung gegeben habe, oder es wird für interne Gründe der jüdischen Gemeinde plädiert, seien es erzieherische, liturgische oder wissenschaftlichapologetische. Besonders ausführlich ist dabei die Arbeit von Sylvie Honigman, The Septuagint and Homeric scholarship in Alexandria. 7 Hier wird als Hintergrund ein »Homeric Paradigm« angenommen: die Entstehung der LXX sei parallel zu Entwicklungen der alexandrinischen Homer-Wissenschaft zu verstehen, der es um einen standardisierten Homer-Text gegangen sei. Die LXX ist demnach letztlich nicht aus konkreten Anforderungen der jüdischen Gemeinde heraus entstanden, sondern im Umfeld des alexandrinischen Wissenschaftsbetriebes eher aus Prestigegründen: die Juden Alexandrias wollten sich mit ihrer griechischen Version der Gesetze als gleichbefähigt und -berechtigt darstellen. Demgegenüber hat Arie van der Kooij jüngst in einer sehr ausführlichen Rezension deutlich gemacht, dass die Idee eines »Homeric Paradigm« der Darstellung des Aristeasbriefes nicht angemessen ist; viel eher ginge es um ein »philosophisches Paradigma« 8. Aus der positiven Darstellung des Judentums bei Philosophen wie Theophrast und Hekataios von Abdera schließt er dann im Gefolge von Wolfgang Orth, 9 dass die im Aristeasbrief erzählte Beteiligung des Demetrius von Phaleron am Übersetzungswerk der LXX als Ideengeber für Ptolemaios I. durchaus plausibel sei (S. 509). Die Argumentationslinie, dass entgegen der Mehrheitsmeinung der Forschung doch mit einem ptolemäischen Impuls für die Übersetzung zu rechnen ist, wird aktuell wieder häufiger vertreten, auch z. B. bei G. Dorival mit Hinweis auf die seit kurzem zugänglichen Papyri aus Herakleopolis 10 und der Vermutung, dass die Übersetzung von rechtlichen Regelungen als ein wesentlicher Grund für die Entstehung der LXX anzusehen ist. Entgegen der wieder stärker gewordenen Tendenz, dem Aristeasbrief hohe Glaubwürdigkeit einzuräumen, ist m. E. daran festzuhalten, dass die Schrift auf weite Strecken hin einen apologetischen Charakter hat. Ihre konkreten Hinweise auf frühere und ungenaue Übersetzungen (§ 30 f. + 314) sind am besten als Reflex einer innerjüdischen Diskussion zu verstehen, bei der es entweder um die Frage des Kanons geht 11 oder, wenn man den Brief später als sonst üblich datiert, um die Frage nach der Standardisierung einer proto-masoretischen Textform. 12 Hinzu kommt eine wei5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Dorival, New Light. Text und Übersetzung in: Aristeas, Der König und die Bibel. Honigman, Narrative of the Letter of Aristeas. V. d. Kooij, Alexandrinian Scholarship. Orth, Ptolemaios II. Cowey, Judentum. So Rösel, Brief des Aristeas. Lange, Reading.
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tere Überlegung. Auch Adrian Schenker hat sich gegen eine königlich-kulturelle oder juridische Veranlassung der Übersetzung ausgesprochen und im Gegenzug dafür votiert, dass der Anlass zur Übersetzung mit innerer Notwendigkeit aus Dtn 4,2-8 entstanden sei. 13 Damit kommen also die Frage nach den Entstehungsanlässen und die Auslegung konkreter Texte des Pentateuch zusammen. Diese Fragerichtung scheint mir erfolgversprechend zu sein. Wenn man mit Jennifer Dines davon ausgeht, dass die in Alexandria neu entstehende Übersetzung sich nicht einem einzigen Zweck verdankt, sondern verschiedene Aspekte – Legislatives, Exegetisches, Paraphrasierendes – abzudecken versucht, 14 wäre es Aufgabe der LXX-Exegese, konkret festgestellte Charakteristika entsprechend zuzuordnen und zur Überprüfung auszuwerten: Ist es etwa sinnvoll anzunehmen, dass Priester an der Übersetzung mitgewirkt haben, 15 wenn sich ausgerechnet bei der Beschreibung der Stiftshütte gewichtige Diskrepanzen zwischen Vorlage und Übersetzung feststellen lassen? Lässt sich der Übersetzungshintergrund in der Schule verorten, auch wenn sich die Kenntnis entwickelter philosophischer Terminologie wie z. B. in Gen 1+2 zeigen lässt? 16 In dieser Fragehinsicht bekäme auch das zeitweise intensiver diskutierte Paradigma der Interlinearität seinen Platz, 17 das sicher nicht dazu taugt, die gesamte LXX zu erklären, bei einigen Schriften aber seinen heuristischen Wert besitzt. 18 Eine differenzierte Sicht vertritt Siegfried Kreuzer, 19 der davon ausgeht, dass die Übersetzung – vielleicht auf Grund nicht nur eines, sondern unterschiedlicher Bedürfnisse – zunächst innerjüdisch entstand, dass aber die im Aristeasbrief im Wesentlichen zutreffend beschriebene kulturpolitische Situation (vgl. auch die Werke von Manetho und Berossos) dazu führte, dass man auch von jüdischer Seite die eigene Ursprungsgeschichte bekannt machen wollte, wofür die Genesis besonders geeignet war.
2.4 Datierungen Ein weiterer offener Punkt, der in der Regel nicht hinreichend diskutiert wird, ist die Frage, von wann an der Pentateuch übersetzt wurde. Dem Aristeasbrief und seiner Nennung der bekannten Protagonisten Demetrius von Phaleron und Ptolemaios II. folgend, wird üblicherweise die erste Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts angenommen; 20 die Herkunft aus Ägypten / Alexandria wird m. W. für den griechischen nomos nicht bestritten. Diese Datierung lässt sich durch sprachliche Untersuchungen ergänzen; hier war vor allem die Studie von James Lee wegweisend. 21 Exaktere Datierungsvorschläge sind kaum möglich. Der Terminus ad quem ist durch das Werk des 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
Schenker, Übersetzung. Dines, Septuagint, 61. So v. d. Kooij, Ptolemaic Rule. S. dazu Rösel, Vollendung. Pietersma, Paradigm. S. dazu meine Anmerkungen in: Rösel, Translators as Interpreters, 71-74. Kreuzer, Entstehung und Publikation. Besonders exakt, aber wegen ihrer strikten Orientierung am Aristeasbrief nicht überzeugend: Collins, 281 BCE. Die Einleitungen zu den Büchern des Pentateuch in BdA oder auch die Artikel in diesem Handbuch votieren jedoch alle in eine ähnliche Richtung. 21. Lee, Lexical Study. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
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Exegeten Demetrios gegeben, das unter Ptolemaios IV. (221–204 v. Chr.) entstand und eindeutig die Genesis- und Exodus-Septuaginta voraussetzt. 22 Es ist unklar, ob es Vorläuferübersetzungen gegeben hat. Im Aristeasbrief werden sie zwar erwähnt (§ 314), doch weitere Belege gibt es dafür nicht. Jedenfalls wird es eine parallele, wohl mündliche Überlieferung über die Geschichte Israels gegeben haben, da sich anders die (z. T. entstellten) Kenntnisse bei Manetho und Hekataios von Abdera nicht erklären lassen (worauf möglicherweise in der Exodus-LXX angespielt wird, vgl. die Einleitung zu Exodus in diesem Band). Hinzu kommt, dass schon die ersten Übersetzungen in sich sehr einheitlich sind, besonders in lexikographischer Hinsicht. Leider ist nicht bekannt, ob es Hilfsmittel und Erfahrungen für ein solches Projekt gab. Die oft zum Vergleich genannten großen Geschichtswerke von Berossos oder Manetho sind keine Übersetzungen und taugen daher nur dazu, das allgemeine Interesse jener Zeit an umfassenden Volksgeschichten zu belegen. Man kann aber annehmen, dass vorab Vokabellisten angefertigt wurden, da solche pinakes aus Alexandria bekannt sind, ähnlich wie es im syrisch-mesopotamischen Raum seit dem 2. Jt. mehrsprachige Wortlisten gegeben hat. Mit Hilfe solcher Listen konnte man ein großes Maß an Einheitlichkeit erreichen, was besonders bei den Fachbegriffen für Opfer und Kult wichtig war. In der Kairoer Geniza sind vergleichbare Hilfsmittel erhalten geblieben, allerdings aus deutlich späterer Zeit. 23 Jedenfalls ist anzunehmen, dass eine Reihe wichtiger Äquivalente bereits in der Gemeinde in Alexandria oder in der weiteren griechischsprachigen Diaspora geprägt waren, dafür spricht etwa die Verwendung des Neologismus θυσιαστήριον für einen rechtmäßigen Altar von Gen 8,20 an oder auch die Übersetzung von ְבּ ִריתmit διαθήκη »Verfügung / Bund« ab Gen 6,18. Es lässt sich spekulieren, ob es vor der umfassenden Übersetzung ganzer Bücher Versuche gegeben hat, einzelne Teile ins Griechische zu übertragen, die zu konkreten Zwecken gebraucht wurden. So ließe sich erklären, dass in einem der jüdischen Papyri von Herakleopolis auf den nomos verwiesen wird (P. Polit. Iud 4, Zeile 14 f.: Ausstellung eines Scheidebriefes »nach dem Gesetz der Väter«), wenn man nicht annehmen will, dass hier die LXX als Ganze gemeint ist 24 (oder bezieht sich der Appell an das »Gesetz der Väter« nur auf das traditionelle jüdische Gewohnheitsrecht?). Wenigstens für die Erweiterung des Schema Israel in Dtn 6,4 ist wahrscheinlich, dass hier der Übersetzer auf eine vorauslaufende Tradition Rücksicht nehmen und daher auch die Anspielung an den Dekalog aufnehmen musste; das gleiche Phänomen ist ebenfalls im Papyrus Nash belegt. 25 Ein eigenes Problem ist die Frage der relativen Chronologie der Pentateuch-Übersetzungen untereinander. Theoretisch ist natürlich denkbar, dass ähnlich der im Aristeasbrief beschriebenen Weise zeitgleich an den einzelnen Büchern gearbeitet wurde. Doch gibt es deutliche Hinweise, dass das Buch Genesis als erstes und unabhängig von den anderen Schriften übersetzt wurde. Dazu zählt zum einen die besondere Weltchronologie in Gen 5 und 10, die offenkundig mit den Zahlen des hebräischen, noch nicht übersetzten Exodusbuches rechnet, zum anderen die Übersetzung von Gen 26,5, 22. 23. 24. 25.
Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten, 281 f. Rösel, Schreiber, Übersetzer, Theologen, 96. Dorival, Origins, 44. Vgl. dazu d. Hertog, Einführung zu Deuteronomion, 525 und ad loc.
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wo die Reihung ִמְשַׁמ ְרִתּי ִמְצוַֹתי ֻחקּוַֹתי ְותוֹר ָֹתיdurch τὰ προστάγματά μου καὶ τὰς ἐντολάς μου καὶ τὰ δικαιώματά μου καὶ τὰ νόμιμά μου übersetzt wurde, wobei keines der späteren Standardäquivalente für die Gebotstermini verwendet wurde; ähnliches gilt für die Opferterminologie in 8,20. 26 Diese Alleinstellung der Genesis lässt sich sehr gut nachvollziehen, denn im Buchganzen begründet sie, wie Israeliten in Ägypten sesshaft wurden und wie ihr Vorvater Josef an Ägyptens Reichtum mitarbeitete; 27 sie ist also gut als Ursprungslegende der jüdischen Gemeinde Alexandrias vorstellbar. Offensichtlich wurde danach das Exodus-Buch übersetzt, in eine vergleichbare historische Situation hinein, wie Peter Schwagmeier deutlich gemacht hat (siehe die Einleitung zu Exodus), wobei sich auch Hinweise finden, dass Ex deutlich nach Gen übersetzt wurde, die anderen Bücher dann aber die Exodus-LXX voraussetzen. Eine Diskussion gibt es allerdings um die Frage, ob sich klären lässt, welches Buch danach übersetzt wurde. Cornelis den Hertog hat die These geäußert, dass das Deuteronomium nicht in der üblicherweise zu erwartenden Reihenfolge als letztes Buch, sondern nach Exodus und vor Levitikus übersetzt wurde. 28 Er geht von der Grundüberlegung aus, dass die Kultverordnungen der Bücher Lev und Num in der Diaspora nicht von besonderer Bedeutung waren, daher sei es plausibel, wenn das Deuteronomium vorher übersetzt wurde. Dies begründet er dann mit einer Reihe von Textstellen, an denen er wahrscheinlich zu machen sucht, dass die Levitikus-Übersetzung sich auf das griechische Deuteronomium zurückbezieht bzw. dessen Übersetzung sogar korrigiert. Die beigebrachten Beispiele sind von unterschiedlicher Überzeugungskraft, 29 und die konstatierten Parallelen lassen sich auch anders erklären, etwa, wie oben angenommen, mit vorab erstellten Vokabellisten, für die gerade bei kultischen Termini ein Bedarf bestanden haben sollte. Eine umfassende Überprüfung der Argumente den Hertogs ist hier nicht möglich. Allerdings sind bereits an anderen Stellen Beobachtungen zusammengestellt worden, die seiner These nicht günstig sind. Hier wäre auf die Exegese von Num 27,12-14 zu verweisen, die Gilles Dorival vorgetragen hat (siehe die Einleitung zu Numeri in diesem Band), wonach es in diesem Abschnitt zwar Anspielungen auf Dtn 32,49-51 gibt, diese aber auf den hebräischen Text zielen und nicht die griechische Übersetzung schon voraussetzen. 30 Hinzu kommt das Phänomen der Intertextualität zwischen den Büchern des griechischen Pentateuch, auf das ebenfalls Dorival hingewiesen hat. Er konnte für das Buch Numeri zeigen, dass an einer Fülle von Stellen Texte aus den Büchern Gen–Lev im Hintergrund der Übersetzung stehen; für eine Beeinflussung vom Dtn her fand er keine Hinweise. 31 Ähnlich ist das Ergebnis von Cécile Dogniez und Marguerite Harl, die bei einer Reihe von Lexemen aus dem griechischen Dtn 26. 27. 28. 29.
Rösel, Vollendung, 139-144. 191 und 228-230. S. dazu Kreuzer, Entstehung und Publikation, 72. Den Hertog, Erwägungen zur relativen Chronologie. So leuchtet nicht unmittelbar ein, warum die Verwendung von ἐξόδιον in Dtn 16,8 früher sein soll als die in Lev 23,36 und Num 29,35, nur weil sich hier die Ergänzung ἑορτή findet, bei den anderen Stellen aber nicht. 30. Dorival, Intertextualité, 285, lehnt ausdrücklich die Annahme einer älteren Dtn-Übersetzung ab; siehe auch die Einleitung zu Numeri in diesem Band. 31. Dorival, Nombres, 66-72. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
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zeigen konnten, dass sie auch in den anderen Büchern verwendet wurden. Demgegenüber weist das Dtn eine Fülle von spezifisch nur hier genutzten Neologismen auf, 32 so dass eher anzunehmen ist, dass das fünfte Buch der Tora den Übersetzern des Levund Num-Buches nicht vorgelegen hat. Letztlich ist aber auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Bücher nachträglich überarbeitet und einander angeglichen wurden. So zeigt sich auch hier der Bedarf für buchübergreifende Forschungen, um die relative Chronologie der Pentateuch-Übersetzungen zu erhellen. Dies gilt umso mehr, wenn man einen Einwurf von James Barr berücksichtigt, der nicht nur die übliche These in Frage stellt, dass der Pentateuch als »Wörterbuch« für die folgenden Übersetzungen gedient habe, sondern auch die These äußert, dass nicht die Tora, sondern andere, weniger bekannte Bücher zuerst übersetzt worden seien. 33 Dies erschließt er zum einen aus der Tatsache, dass bereits in Qumran ein Hiob-Targum erhalten ist, zum anderen aus dem Sprachstand des griechischen Jesaja-Buches, der dem Pentateuch nahe steht, aber, so Barr, stilistisch deutlich weniger ausgearbeitet ist als der nomos. Auch wenn man diesen Überlegungen nicht zustimmt, 34 zeigt sich doch, dass bei der Frage nach der relativen und absoluten Chronologie der Übersetzungen und den Arbeitstechniken der ersten Übersetzer noch Forschungsbedarf besteht.
2.5 Aktualisierungen und Theologie In den bisherigen Ausführungen war davon ausgegangen worden, dass die einzelnen Übersetzer willens und in der Lage waren, in bestimmten Grenzen den Aussagegehalt ihrer Vorlage zu modifizieren, um ihn der geänderten historischen oder hermeneutischen Situation ihrer Umgebung anzupassen. In den Beiträgen für dieses Handbuch finden sich eine ganze Reihe von sehr instruktiven Beispielen dafür, von nicht abweisbaren Veränderungen wie der Aufnahme des Ibis in die Liste unreiner Vögel in Lev 11,17 bis zu möglichen Anspielungen wie in Ex 4,6, wo Manethos antijüdische Polemik, die Israeliten seien aussätzig, im Hintergrund stehen kann. 35 In der Forschungsdiskussion gibt es demgegenüber auch Ansätze, die einen eigenen Aussagewillen der Übersetzer strikt zurückweisen und im Zweifelsfall eher eine nicht erhaltene, abweichende Vorlage annehmen; in diesem Handbuch vertritt der Beitrag von Melvin Peters zum Deuteronomium diese Position. Allerdings räumt er bei zwei Themenfeldern doch die Möglichkeit ein, dass auch Interpretationen des Übersetzers greifbar sein können, nämlich bei der Wiedergabe der Wurzel » בערentfernen« und bei der Übersetzung von » ֶמֶלְךKönig« mit ἄρχων »Anführer« (siehe die Einleitung zu Dtn in diesem Band). Peters konzediert die Möglichkeit einer theologisch motivierten Wiedergabe, weil im Übersetzungstext die abweichende Wiedergabe von üblicherweise gleich übersetzten Lexemen festzustellen ist. Der Übersetzer ist also von seinen eigenen Standard-Äquivalenten abgewichen, weshalb nun die Frage nach dem Anlass dieses Verfahrens zulässig ist. Dies ist insofern interessant, als damit ein methodisches Kriterium zur Verfügung steht, das auch von Anhängern des Inter32. 33. 34. 35.
Dogniez / Harl, Deutéronome, 64 f. Barr, Dictionary. Troxel, LXX-Isaiah, 24; er datiert die Gen-LXX auf ca. 140 v. Chr. Boulluec / Sandevoir, Exode, 97.
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linear-Paradigmas (s. o.) akzeptiert werden kann. Interessanterweise lassen sich damit nicht nur semantische Differenzen zwischen Vorlage und Übersetzung erkennen, sondern auch stilistisch-syntaktische, wenn man etwa die differenzierende Wiedergabe der im Hebräischen überaus häufigen Copula waw mit καὶ einerseits und δὲ andererseits beachtet, die etwa in Gen 4 deutliche Sinnakzente zu setzen vermag. Meines Erachtens lässt sich jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Die Anwendung des Kriteriums, dass Abweichungen vom üblichen Standard hermeneutische Rückschlüsse zulassen, ist auch für das Gottesbild von Bedeutung. So ist interessant zu sehen, dass die Übersetzer kontextsensitiv den Singular ὁ θεός oder Plural οἱ θεοὶ für ֱאל ִֹהיםverwendet haben, je nachdem, ob der eigene Gott oder andere Götter gemeint waren; dies auch dann, wenn im Kontext der Plural nicht eindeutig ist, so Gen 31,30-32; 35,2 oder sehr instruktiv in Dtn 32,31. Im Buch Genesis führen vergleichbare Beobachtungen zu der Erkenntnis, dass der Übersetzer inhaltlich zwischen den Gottesbezeichnungen κύριος einerseits und ὁ θεός andererseits unterschieden hat, dies auch gegen die Vorlage, wie etwa in Gen 6,6 oder besonders instruktiv in 38,7 zu sehen ist: nicht der den Menschen zugewandte κύριος führt Strafen aus, sondern Gott, ὁ θεός. Mit minimalen Eingriffen in den Text und unter Beibehaltung der Wort-für-Wort-Übersetzungsweise wird demnach das Gottesbild Israels vereindeutigt. 36 Ein weiteres Beispiel ist die oben (2.4) erwähnte Differenzierung in der Wiedergabe des Wortes für Altar. Offenkundig lassen sich vergleichbare Phänomene nicht nur im Pentateuch, sondern z. B. auch in den Psalmen beobachten. 37 Damit ist deutlich, dass eigene Sinnakzente bereits bei der Produktion der griechischen Texte gesetzt wurden, nicht erst in der späteren Rezeption eingetragen wurden. 38 Es wird künftig eine wichtige Aufgabe der Forschung sein, solche übergreifenden Tendenzen deutlich werden zu lassen und diese Erkenntnisse methodisch gegen Projektionsvorwürfe abzusichern. Dass diese Perspektive eine lohnende ist, zeigt sich z. B. daran, dass inzwischen in wichtigen Psalmenkommentaren (HKAT, BKAT) die LXX nicht mehr nur als Element der Textkritik, sondern als eigenständiger Aspekt der Rezeptionsgeschichte der hebräischen Textfassung gesehen wird, die Entscheidendes zum Verständnis dieser Texte in Judentum und Christentum beiträgt.
2.6 Konkrete Handschriftenüberlieferungen Die unterschiedlichen Projekte zur Übersetzung der LXX haben sich – soweit vorhanden – auf die Ausgaben der Göttinger Septuaginta gestützt. Doch natürlich sind die textkritischen Entscheidungen der jeweiligen Herausgeber nicht über alle Zweifel erhaben, wie etwa am bekannten Vers Dan 7,13 zu sehen ist, wo die Rahlfs-Ausgabe sicher den besseren Text als die Göttinger LXX bietet. J. W. Wevers hat daher seinen Göttinger Editionen in späteren Publikationen Corrigenda-Listen beigegeben, die nun 36. Dazu s. Rösel, Theo-Logie. 37. So etwa Bons, Septuaginta-Psalter; auch Joosten, To See God. 38. Pietersma, Text-Production, der aber letztlich zu dem etwas unbefriedigenden Ergebnis kommt, theologische Modifikationen im Zuge der Textproduktion seien im Wesentlichen Projektionen oder methodische Unsauberkeiten moderner Exegeten. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
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auch in LXX.E mitgeteilt werden und daher leicht zugänglich sind. Schließlich führt Melvin Peters in diesem Handbuch vor, dass in konkreten Einzelfällen neue textkritische Entscheidungen zu treffen sind (Einleitung in das Deuteronomium). Parallel dazu ist an der virtuellen Zusammenführung des Codex Sinaiticus (www.codexsinai ticus.org) deutlich geworden, wie ertragreich und faszinierend die Arbeit mit konkreten Handschriften ist. Das gilt auch für andere Handschriften, etwa Papyrus 967, der für das Ezechiel- und Danielbuch eine eminente Bedeutung hat. 39 Durch das Studium solcher Handschriften wird erkennbar, dass diese Manuskripte ebenfalls eigene Charakteristika auch inhaltlicher Art haben, die wahrzunehmen sich lohnt. Insofern ist das Projekt der bei Brill erscheinenden »Septuagint Commentary Series« durchaus lohnend, den Text einer konkreten Handschrift zu kommentieren; im Falle des bisher einzigen zum Pentateuch erschienenen Kommentars ist das der Codex Alexandrinus. 40 Allerdings ist die Durchführung des Programms bei den bisher erschienenen Bänden der Reihe wenig überzeugend, da in methodischer Hinsicht nicht genügend zwischen Kommentaren zum übersetzten und zu übersetzenden Text einerseits und zwischen Übersetzungsproblem und Überlieferungsproblem auf der Ebene der Handschriften andererseits differenziert wird. 41 Auch hier besteht also noch Forschungsund Klärungsbedarf, der sicher zum anhaltenden Boom der Septuaginta-Forschung beitragen wird.
39. Kreuzer, Papyrus 967. 40. Brayford, Genesis. 41. Vgl. etwa die Rezensionen von J. Joosten in RBL 11/2008 (www.bookreviews.org) oder M. Rösel, ZAW 120 (2008), 290 f.
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2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose Martina Kepper
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/1, 1906 — RaHa 1935/2006 — Rahlfs 1926 — Wevers, J. W., Genesis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum I, Göttingen 1974 (für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Gen).
1.2 Qumran 1QGen = 1Q1 (DJD I) — 2QGen = 2Q1 (DJD III) — 4QGen-Exa = 4Q1 — 4QGenb.c.d.e.f.g.h.h1.h2.j.k = 4Q.2.3.4.5.6.7.8.8(a).8(b).9.10 (DJD XII) — 4QpalaeoGen-Exl = 4Q11 — 4QpalaeoGenm = 4Q12 (DJD IX) — 4QpalaeoGeno = 4Q483 (DJD XII) — 4QGenn = 4Q576 (DJD XXV) — 6QpalaeoGen = 6Q1 — 8QGen = 8Q1 (DJD III) — MurGen(a) = Mur 1 (DJD II) — Mur(?)Gen(b) = Mur(?) (Puech) — SdeirGen = Sdeir 1 (DJD XXXVIII) — MasGen = Mas 1 (Masada VI).
BQS 1-26 — HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M., La Genèse, BdA 1, Paris 19942 — Dogniez, C. / Harl, M. (Hg.), Le Pentateuque d’Alexandrie. Texte grec et traduction, Paris 2001 — Brayford, S., Genesis, Septuagint Commentary Series, Leiden 2007 — Hiebert, R. J. V., Genesis, NETS, Oxford/New York 2007, 1-42 — Prestel, P. / Schorch, S., Genesis. Das erste Buch Mose, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 3-55 — Prestel, P. / Schorch, S., Genesis. Das erste Buch Mose, LXX.E, Stuttgart 2011, 145-257.
1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Parataxis in the Septuagint. A Study of the Renderings of the Hebrew Coordinate Clauses in the Greek Pentateuch, AASF B Diss 31, Helsinki 1982 — Barr, J., Did the Greek Pentateuch Really Serve as a Dictionary for the Translation of the Later Books?, in: M. F. J. Baasten / W. T. v. Peursen (Hg.), Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 523-543 — Dafni, G., Genesis 1-11 und Platos Symposion, OTE 19 (2006), 584-632 — Evans, T. V., Verbal Syntax in the Greek Pentateuch: Natural Greek Usage and Hebrew Interference, Oxford 2001 — Evans, T. V., Approaches to the Language of the Septuagint, JJS 56 (2005), 25-33 — Görg, M., Die Septuaginta im Kontext spätägyptischer Kultur. Beispiele lokaler Inspiration bei der Übersetzungsarbeit am Pentateuch, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 1, BWANT 153, Stuttgart 2001, 115-130 — Hendel, R. S., On the text-critical Value of Septuagint Genesis: A Reply to Rösel, BIOSCS 32 (1999), 31-34 — Hertog, C. G. den, Erwägungen zur relativen Chronologie der Pentateuchübersetzung, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, 1. Literatur
107
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
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2. Textüberlieferung und Editionen Für die Septuaginta liegt die vollständig neu bearbeitete Textausgabe im Rahmen des Göttinger Septuaginta-Unternehmens durch W. J. Wevers vor. Wevers hat den dort gebotenen Text durch einen umfangreichen Kommentarband 1993 nochmals an mehr als 60 Stellen geändert, 1 Die Änderungen betreffen neben wenigen Veränderungen der Lesarten vor allem die Interpunktion. Die von R. Hanhart besorgte editio altera des Rahlfs-Textes greift in der Genesis abgesehen von kleinen Korrekturen bei der Akzentsetzung nicht substantiell ein. Damit gilt für die Genesis-Septuaginta der in der Göttinger Ausgabe dargestellte Textbestand als mutmaßlich älteste Fassung. Erwähnt sei, dass Wevers keine Konjekturen in den Text aufnahm, während Rahlfs beginnend mit 1,30 acht Konjekturen im Text hat. 2 Die Überlieferung der alten Codices Sinaiticus (S, 4. Jh.) und Vaticanus (B, 4. Jh., nur ab 46,28) ist zwar nur mehr fragmentarisch erhalten, doch liegt ein fast vollständiger Text im Codex Alexandrinus (A, 5. Jh., mit zahlreichen Rasuren von erster Hand) vor. Er zeigt leider oftmals revisionsartige eigentümliche Lesarten und ist daher kein sicherer Zeuge für den ursprünglichen LXX-Text. 3 Umfangreich ist die Überlieferung des Textes in den Minuskelhandschriften ab dem 9. Jh. Die erhaltenen, z. T. sehr fragmentarischen Papyri sichern den Text, so stammt z. B. der mutmaßlich älteste Textzeuge Pap 942, der Teile aus Gen 7 und 38 bietet, noch aus dem 1. Jh. v. Chr., oder Pap 814 mit Teilen aus Gen 14 aus dem 1. Jh. n. Chr. Aus Qumran stammen mehr als ein Dutzend Handschriften, von denen einige sich 1. 2. 3.
Vgl. Wevers, Notes, Appendix, 855 f. Siehe dazu Kreuzer in LXX.E I, 108 f. Vgl. Dines, 7. 2. Textüberlieferung und Editionen
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über die Genesis hinaus erstreckten (Gen–Ex bzw. Pentateuch), die jedoch durchwegs nur sehr fragmentarisch erhalten sind. 4 In den erhaltenen Passagen fehlen Hinweise auf eine gezielte Rezensions- bzw. Revisionstätigkeit. Die in Oxyrhynchus gefundenen Pap 905 und 907 (2./3. bzw. 3. Jh.) könnten jüdischen Ursprungs sein. 5 In der Ausgabe von Wevers noch nicht ausgewertet sind die Zitate, wobei vor allem die Schriften Philos (1. Jh.) und des Theophil von Antiochia (2. Jh.) relevant sein werden (s. u. 6.). Für die Tochterübersetzungen gilt nach Wevers folgender Befund: Der höchste textkritische Wert kommt schon allein aufgrund des Alters der altlateinischen Übersetzung (Siglum La, greifbar in der Beuroner Vetus Latina Ausgabe) zu. Dabei wäre zwischen der vornehmlich von Cyprian benutzten und ab dem 3. Jh. nachweisbaren Tradition aus Karthago (Siglum LaK) und der durch etwa Augustin ab der Mitte des 4. Jh.s benutzten Tradition (Siglum LaC) zu unterscheiden. Der spätere »europäisierte« Mischtext (Siglum Lae) glättet in Richtung der hebräischen Textform. Der Charakter der anderen Tochterübersetzungen ist gegenüber der altlateinischen von untergeordnetem Rang: Die syrischen Texttypen liefern eine verglichen mit dem Masoretischen Text sehr wortgetreue Übersetzung. Das Äthiopische ist durch den Codex P als ältestem Textzeugen aus dem 13. Jh., sowie den Codex F repräsentiert und zeigt eine sehr freie Wiedergabe einer griechischen Vorlage mit dem Hang zum Pleonasmus. Die armenischen und die koptischen Texte wurden z. T. durch Wevers nicht kollationiert, da vor allem das Armenische stark von Origenes beeinflusst sei und zudem zahlreiche Sonderlesarten und eine überaus freie Wortstellung zeige. Schließlich ließe sich noch auf eine arabische Version verweisen, die durch sechs Handschriften aus dem 13. Jh. n. Chr. repräsentiert wird. Wevers kollationiert sie mit, da sie eine direkt aus dem Griechischen erstellte Übersetzung zu sein scheint. Sie ist textkritisch jedoch eher mit Vorsicht einzubeziehen, da sie eine freie Wiedergabe mit häufiger Textauslassung durch Parablepse zeigt. Anders als bei manchen anderen biblischen Büchern gehen die meisten Forscher davon aus, dass es in der Genesis im Wesentlichen nur eine Texttradition gibt. Das bedeutet, dass die Vorlage des MT und die (zu rekonstruierende) Vorlage der LXX (»Old Greek«) im Wesentlichen übereinstimmten. 6 Die größten Unterschiede beider Textarten bestehen neben einigen Versen, die mal im MT, mal in der Gen-LXX einen Langtext bieten, vor allem in der unterschiedlichen Textsegmentierung: Es gibt Textumstellungen und -änderungen auf kleinstem Raum 7 sowie abweichende Kapitel- und 4. 5. 6.
7.
S. o. 1.2. Zu den sog. Reworked Pentateuch-Handschriften HTTM 36-43. Grund für die Annahme sind Sonderlesarten und die Schreibung des Gottesnamens; siehe dazu Rahlfs / Fraenkel, Verzeichnis, 291-294 und die dort genannte Literatur. Siehe auch Dines, 5 f. So erstmals E. Ulrich, dann auch Hanhart, Skehan und Wevers. Harl, BdA 1, urteilt skeptischer und rechnet mit größeren Unterschieden in der jeweiligen Vorlage. Ähnlich auch Prestel / Schorch in LXX.D, 47, die neben einer anderen Vorlage auch unterschiedliche Vokalisationen als mögliche Gründe für unterschiedliche Lesarten ins Spiel bringen. Hingewiesen sei auch auf den Versuch einer Rückübersetzung durch Zipor, Notes. Vgl. z. B. die bereits von Origenes erkannte Inkonsistenz (διαφωνία) in 1,9 (fr. D 5 Metzler) oder die gegenüber der Tetrapla erkannte Umstellung der Verse 47,5 f. / 4 f., (fr. E 152 Metzler). Das LXX-Plus in 4,8 mit der Aufforderung Kains an Abel, mit ihm zu kommen, wird bereits von Aquila mit Hinweis auf οι Εβραιοι (vgl. Origenes fr. D 24 Metzler) als sekundär ausgeschieden.
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2. Textüberlieferung und Editionen
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
Abschnittsgrenzen. Am auffälligsten dürfte die Abgrenzung in der Urgeschichte sein, wo anders als im MT eine Zäsur zwischen 5,32 und 6,1 erfolgt. Damit markiert für die Gen-LXX Noah den Beginn einer neuen Epoche, während er aufgrund der formalen Struktur des MT den Abschluss der alten darstellt. Die griechischen Handschriften aus Qumran zeigen dem gegenüber entweder gar keine Abschnittsmarkierungen oder dann ab etwa der mischnischen Zeit eine Gliederung, die die synagogale Vorlesetradition sichern sollte. 8 Die Annahme einer den Old Greek Text der LXX in Richtung auf den MT hin korrigierenden Rezension ist für den Pentateuch insgesamt und damit auch speziell für die Gen-LXX umstritten. 9 Aufgrund dieses textgeschichtlichen Befundes ergeben sich bei unterschiedlichen Lesarten von MT einerseits und LXX andererseits nun aber größere Spielräume in der Frage nach den theologischen Änderungen und Akzentsetzungen aufgrund der Übersetzungsarbeit.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Nach den Überlegungen zur Textgeschichte, die im Wesentlichen von einem Texttyp ausgehen, muss daher folgerichtig nach den speziellen Übersetzungstechniken gefragt werden, um den Charakter der Gen-LXX zu skizzieren. Da sie nach dem derzeitigen Stand der Forschung als erste hebräische Schrift ins Griechische übertragen worden ist, kommt ihr besonderes Augenmerk bei der Frage nach der Übersetzungstechnik zu. Der Stil der Übersetzung lässt sich als ambivalent beschreiben: Es wechseln sich sehr wortgetreue, fast sklavisch am hebräischen Text orientierende Wiedergaben mit durchaus freieren, idiomatischen Passagen ab. 10 Der vielleicht treffendste Begriff für eine derart ambivalente Sprachgestalt dürfte die »sub-language« sein. 11 Einige Standards in der Übersetzungstechnik werden in der Gen-LXX entwickelt. Lange erkannt ist bereits der Hebraismus προστίθημι mit Infinitv für hebräisches יסף mit Infinitiv 12 oder die Wiedergabe des hebräischen pleonastischen Infinitivus absolutus mit einem Nomen oder Partizip. 13 Während das hebräische Verbalsystem durch die Wiedergabe der Narrativformen im gr. Aorist und der kontextuell variablen Wiedergabe der übrigen Verbformen offenbar verstanden worden ist, 14 zeigen sich ebenfalls eine Reihe von für griechische Ohren hart klingenden Formulierungen bis hin zu Soloecismen. 15 8. Vgl. b.Sabb 103b; y.Meg.1.9 und dazu Oesch, Gliederungshermeneutik, 81. 9. Rahlfs, Genesis (1926), 28, sieht in Hs. 75 eine immerhin noch schwach erhebbare lukianische Rezension vorliegen. Negativ urteilt Wevers, Genesis. Hanhart bezieht auch die Hs. 458 mit ein und plädiert sachgemäß für eine qualitative, nicht rein quantitative Beurteilung der jeweiligen Lesarten, vgl. Hanhart, Vierzig Jahre Septuagintaforschung I, ThR 73 (2008), 247-281: 254. 10. Vgl. Schorch / Prestel, LXX.D, 41. 11. So FMI, 24. 12. Vgl. z. B. 4,7 und dazu Soisalon-Soininen, Infinitive, 44 f. 13. Vgl. z. B. 2,16 und dazu Tov, Renderings, 60. 14. Vgl. Voitila, Présent, 223; Aejmelaeus, Translation Technique, 70 f. sowie Barr, Greek Pentateuch, 537 f. 15. Vgl. Siegert, 142 f. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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Die u. a. 1981 in der Barthélémy-Festschrift vertretene These von E. Tov, die GenLXX habe dabei als eine Art Wörterbuch für die Übersetzung der anderen biblischen Bücher fungiert, liegt zwar aufgrund der relativen Chronologie nahe, doch konnten von J. Barr 16 gewichtige Gründe gegen die Annahme vorgebracht werden, dass die GenLXX stil- und begriffsprägend für die nachfolgenden Bücher gewesen ist. Unbenommen davon ist natürlich die Feststellung, dass in der Gen-LXX tatsächlich erstmals theologisch wirksame Begriffsbildung vorgenommen worden ist, wie z. B. die Wiedergabe des 6,18 erstmals auftretenden hebr. Begriffes בריתmit dem aus der griechischen Rechtssprache stammenden Begriff διαθήκη, der dann schließlich über das Lateinische prägend für den christlichen Sammelbegriff Altes Testament geworden ist. 17 Bei der Frage nach der Datierung der Gen-LXX werden in der Forschung überwiegend relative Chronologien ins Feld geführt. Dabei zeigen die Datierungsversuche seit der Antike eine gewisse Unschärfe, die u. U. auf die Benutzung unterschiedlicher Kalendersysteme zurückzuführen sein könnte. 18 Unter der Voraussetzung, dass die Genesis als erste Schrift ins Griechische übertragen worden ist, und dass die Konstellation des Aristeasbriefes, wonach die Übersetzungsarbeit in der Zeit von Demetrios von Phaleron als Bibliothekar des Museions und Ptolemaios II. Philadelphos begonnen wurde, zutrifft, kommt man zu einer Ansetzung in der 1. Hälfte des 3. Jh.s v. Chr. Eine Reihe von griechischen Schriften nehmen Bezug auf die Gen-LXX. Die älteste dürfte das Werk Über die Könige von Juda des Chronographen Demetrios sein. Vor allem seine Mosegenealogie in dessen über Alexander Polyhistor in der Praeparatio Evangelica des Eusebios überliefertem Fragment 3 dürfte Gen 25,1-4 LXX benutzen. 19 Damit läge – bei aller Vorsicht – möglicherweise eine externe Bezeugung aus der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. vor. Seit Ende des 3. Jh.s v. Chr. nehmen eine Reihe hellenistischer Autoren Bezug auf die Gen-LXX und den Pentateuch als Ganzen. 20 Sicher ist, dass bereits Philo die GenLXX kennt und als Heilige Schrift benutzt. 21 Auch die von der Gen-LXX benutzte Sprache deutet auf eine Übersetzung im Laufe des 3. Jh.s v. Chr. Das Vokabular wurde dabei von Lee untersucht, die Syntax von Evans. Beide Untersuchungen sehen aufgrund des verwendeten Griechisch den Zeitraum der Übersetzung zwischen dem Beginn des 3. Jh.s und der Mitte des 2. Jh.s als wahrscheinlich an. Damit bleibt eine Spanne von ca. 150 Jahren für die mögliche Entstehungszeit, wobei der Aristeasbrief letztlich die Waage in Richtung des 3. Jh.s v. Chr. ausschlagen lässt. 16. Vgl. Barr, Greek Pentateuch, spez. 537ff. zu den Neologismen. 17. Vgl. hierzu den Exkurs von Rösel in LXX.E, 170 sowie bereits Rösel, Übersetzung, 82. 18. So Dorival, in: Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 34, der die Zählung der Jahre nach den Olympiaden, nach dem makedonischen bzw. ägyptischen Kalender sowie schließlich der christlichen Rechnung nach Christi Geburt anführt. Er votiert selbst ebd. mit N. Collins (The library in Alexandria and the Bible in Greek, VT.S 82, Leiden 2000) unter Rückgriff auf Megillat Taanit für die Ansetzung des Beginns der Übersetzungsarbeit am 28./29. Dezember 281 v. Chr. und der Verlesungszeremonie im Frühjahr 280 v. Chr. 19. Text in Übersetzung bei Charlesworth, Old Testament Pseudepigrapha II, London 1985, 853. Vgl. auch Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 33 (Dorival) und 46 (Hadas-Lebel). 20. Eine Liste (einschl. Zitate des griech. Textes) findet sich bereits bei Swete, Introduction, 369 f. 21. Vgl. de vita Mosis 2, 37 und dazu Dines, 67 f., sowie Steyn, Quotations.
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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Der Ort, an dem die Übersetzungsarbeit stattgefunden haben soll, ist wiederum nach dem Aristeasbrief Alexandria. Auch wenn diese legendenhafte Schilderung nicht unkritisch übernommen werden darf, so spricht einiges dafür, die Gen-LXX in dieser hellenistischen Metropole anzusiedeln. Hinweise auf diesen Abfassungsort können vorliegen in der Übersetzung des Landes Goschen (Gen 46,28 f.) mit Ηρώων πόλις, wohinter sich der Tell el-mashuta verbergen dürfte. 22 Die Wiedergabe der hebräischen Heilkundigen ( ) ְרָפִאיםmit den ägyptischen Bestattungsspezialisten, den Einbalsamierern (ἐντάφισται), in 50,2 liefert ebenfalls ein stichhaltiges Argument. Weitere griechische Begriffe zeigen ägyptisches, vielleicht sogar speziell alexandrinisches Kolorit. Es überrascht nicht, dass diese Begriffe – vornehmlich Verwaltungstermini und Beamtentitel sowie Realia – gehäuft in der Josephsnovelle vorkommen, die ohnehin in Ägypten spielt. 23 Sind somit Ort und Zeit der Gen-LXX recht gut einzugrenzen, so fällt es schwer, die Übersetzungstechnik mit einheitlichen Kriterien zu beschreiben, zumal methodologisch überhaupt geklärt werden muss, was man unter diesem Terminus verstehen will: Fragen nach der hebräischen Vorlage sind dabei genauso von Bedeutung wie die Klärung von Idiomatik und Semantik der jeweiligen griechischen Übersetzungstermini. 24 In diesem Bereich gibt es eine reiche und durchaus kontroverse Methodendiskussion, die sich an den Polen »Historizität« einerseits und »Linguistik« andererseits festmachen ließe. 25 Auf der einen Seite stehen z. B. die Übersetzer der »New English Translation of the Septuagint«, die anhand ihrer Übersetzungsarbeit sehr ausführlich fünf grundlegende Übersetzungsprinzipien 26 in der LXX ausmachen und zu einem in allen Schriften mehr oder minder deutlich fassbaren Modell der sog. Interlinearität ausbauen. Demnach zeige die Sprache der LXX deutlich entweder (1) den nicht überraschenden Befund, dass die benutzten griechischen Begriffe im Wesentlichen dem Gebrauch in der übrigen Gräzität entsprechen. Jedoch lege innerhalb dieses Spektrums (2) der jeweilige Kontext die genaue Bedeutung fest. D. h. in der überwiegenden Zahl der Fälle bemühen sich die LXX-Übersetzer um ein gutes, verständliches Griechisch, u. U. zulasten einer konkordanten Übersetzung. Interessant wird es jedoch an den Stellen, an denen von diesem Grundprinzip abgewichen und entweder (3) doch zugunsten einer konkordanten Übersetzung nach griechischem Gebrauch aber ohne Beachtung des Kontextes übersetzt wird (»stereotypes«), oder (4) das Hebräische ganz literalistisch ohne Rücksicht auf griechischen Sprachgebrauch wiedergegeben wird 22. Vgl. Rösel, Genesis, 241. 23. Als Beispiele ließe sich auf den Gefängnisoberaufseher (Archidesmophylax) in 39,21 oder die Distriktsgouverneure (Toparchai) in 41,34 verweisen, vgl. dazu Tov, Compound Words, 201.208; Rösel, Übersetzung, 243; Prestel / Schorch, Erläuterungsband z.St. Eindrücklich ist auch die von Wevers, Notes, 626, als Anpassung an das alexandrinische Preisniveau angesprochene Übersetzung des Kaufpreises für Josef (37,28, vgl. ähnlich 45,22), der im hebr. Text 20 Silber- im gr. Text jedoch 20 Goldstücke beträgt. Allerdings muss man bedenken, dass die Begriffe nicht eindeutig auf Alexandria weisen, sondern ggf. »ägyptisieren« sollen. Vgl. dazu Kepper, Kontextualisierende Übersetzungspraxis. 24. Vgl. grundlegend Aejmelaeus, Translating a Translation, in: Trail, 257. 25. Vgl. besonders die Definitionen von wörtlichen gegenüber freien Übersetzungen bei Tov, Textcritical Use, 17-29. 26. Vgl. NETS, XVII (Pietersma). 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
(»isolates«). Besonderes theologisches Gefälle zeigen schließlich (5) die Stellen, an denen die LXX-Übersetzer einen geläufigen griechischen Begriff ganz gegen seinen Gebrauch in der übrigen Gräzität gleichsam inhaltlich neu prägen (»calques«). Die Gen-LXX zeige nun in besonderem Maße alle Arten dieser Übersetzungstechnik in sinnfälliger Weise. Viele der »calques« (Lehnübersetzungen), also der neugeprägten Begriffe, finden sich in der Gen-LXX erstmals. 27 Ebenso lassen sich in der Gen-LXX eine Reihe von Standardäquivalenten (»stereotypes«) nennen. Prominente Beispiele dafür wären etwa die Altersangabe in 11,10 mit ὑιὸς ἑκατὸν έτων und natürlich die beinahe kontinuierliche Wiedergabe des Tetragramms mit dem Begriff κύριος. Die Untersuchung der translation technique ist aber mit größter methodologischer Vorsicht durchzuführen, besonders, wenn statistische Aussagen gemacht werden sollten. 28 Eine ganz andere Erklärung für das Gegenüber von fast sklavisch wortgetreuer Übersetzung und eher freieren Wiedergaben in gutem Griechisch liefern Prestel / Schorch in der Septuaginta deutsch (LXX.D). Arbeitshypothese dieser Übersetzung ist, dass die LXX-Übersetzer im Prinzip ein gutes Griechisch herstellen wollten. Die Inkonsistenzen erklären sie damit, dass nur dort eine sklavisch wortgetreue Übersetzung angefertigt wurde, wo die Übersetzer mit dem Inhalt des Ausgangstextes nicht vertraut waren. An Stellen, deren Inhalt bekannt war, wagten sie gleichsam eine freiere, sensus de senso Übersetzung. 29 Wiewohl diese Argumentation beim ersten Eindruck psychologisierend klingen mag, so hat sie doch eine ganze Reihe von Befunden für sich. Vor allem kann positiv in Anschlag gebracht werden, dass sich die meisten freien Wiedergaben und Zusätze in der Josefsnovelle (Kap. 37–50) befinden. Da nahezu übereinstimmend angenommen wird, dass die Übersetzung in Alexandria, also einem ägyptischen Milieu entstanden ist, hat die These einiges für sich: Das ägyptische Sujet spräche eben für eine Vertrautheit in ägyptischem Umfeld, während etwa die Verhältnisse in Mesopotamien im Abraham-Zyklus eher wortgetreu übersetzt sind, weil die Inhalte durch die räumliche und zeitliche Entfernung weniger bekannt waren. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die Gen-LXX einen sehr ambivalenten Charakter zeigt: Passagen mit fast sklavisch wortgetreuer Wiedergabe bis hin zu reinen Transkriptionen der hebräischen Vorlage wechseln sich ab mit eher freien, den (hebräischen) Sinn in ein gefälliges Griechisch übertragenden Stellen. Beide Pole der Stilistik ließen sich mit Hiebert als »translationese« und »idiomatic« beschreiben. 30 Ebenfalls unstrittig ist die Charakterisierung der Sprache der Septuaginta insgesamt und der Genesis im Speziellen als eine Vertreterin der Koine ihrer Zeit, jedoch als einer »idiosyncratic, purpose-built version«. 31 Eine einleuchtende Erklärung für diesen ambivalenten Stil könnte sein, dass der Übersetzer als Pionier, der er war, ganz unterschiedliche Strategien benutzt, gleichsam ausprobiert hat, 32 wobei stellenweise durchaus ein eleganter, auch für griechische Ohren ästhetisch ansprechender Stil gelingt. 33 27. 28. 29. 30. 31. 32.
Vgl. Hiebert, NETS, 3. Vgl. die gute Zusammenstellung der Probleme bei Dines, 118 f. Vgl. Prestel / Schorch, LXX.D, 41. Vgl. Hiebert, Hermeneutics of Translation, 91. Rajak, Translation, 125. Ähnlich argumentieren anhand einer Analyse von Gen 4,1-8 Jobes / da Silva, Septuagint, 206215. 33. So kommt Rösel, Übersetzung, 63, sogar zu der These, dass die Gen-LXX als jüdischer Beitrag
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
Bereits auf dem Feld der Grammatik fällt auf, dass die Übersetzung deutlich mehr ihren Ausgangstext im Blick hat als die Zielsprache. Seit langem bekannt ist die signifikant geringere Zahl von Partizipialkonstruktionen in der Septuaginta und speziell auch in der Genesis gegenüber der Koine. 34 Ebenso lassen sich viele Beispiele für den »un«-griechischen Gebrauch des pleonastischen Infinitives beibringen oder für einen eher am Hebräischen orientierten Artikelgebrauch. 35 Der hebräische parataktische Stil wird gegen die griechische Hypotaxe beibehalten. Der Gebrauch des Optativs ist eher als gering einzuschätzen. 36 Das participium coniunctum 37 findet überdurchschnittlich oft Verwendung. In der Summe zeigt die Gen-LXX damit ein Doppelgesicht. Es wird weiteren Studien vorbehalten sein müssen, den divergenten Befund zu deuten. Leitend sollte m. E. bei der Bewertung sein, positiv einzukalkulieren, dass diese Übersetzung tatsächlich etwas Neues geschaffen hat: Nicht nur ein Hilfsmittel für das Lesen des Hebräischen, keine reine Werbeschrift für den jüdischen Glauben mittels des Altersbeweises, auch keine midraschartige Fortschreibung, sondern ein kongenial Neues, das alle diese verschiedenen Anliegen und Techniken in sich zu vereinen vermag. 38
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Was für die Sprache der LXX insgesamt gilt, gilt auch für die Gen-LXX: Das verwendete Griechisch ist weder deckungsgleich mit der zeitgenössischen Koine, noch zeigt es größere Nähe zum klassischen Griechisch, noch ist es ein reines Übersetzungsgriechisch. Kurzum: die Gen-LXX zeigt ein »grec insolite« 39, das – nach dem Diktum von A. Momigliano – eigentlich nicht geeignet gewesen sein dürfte, in einer griechisch sprechenden Umwelt nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. 40 Eine einheitliche Beschreibung des sprachlichen Profils ist daher für die Gen-LXX nur schwerlich möglich. Drei grundlegende Strategien, eine Übersetzung zu gestalten, sind durchgeführt: Es gibt Begriffe, die nach dem Prinzip der Kohärenz stets ein Äquivalent für einen Begriff benutzen (ἴερ- usw. für die Wurzel )כהן, sodann gibt es kontextuelle Übersetzungen, die ein und denselben hebräischen Begriff je nach Zusammenhang unterschiedlich wiedergeben, sowie schließlich auch interpretierende
34. 35. 36.
37. 38. 39. 40.
für die wissenschaftliche Beschäftigung im Museion von Alexandria konzipiert worden ist. Vgl. dagegen Siegert, 32 f.; s. jedoch auch Kreuzer, Kontext. Vgl. Conybeare / Stock, Grammar, § 79; Thackeray, Grammar, 24. Vgl. Schenker, Infinitiv, 158. Es finden sich nur 18 reine Optativformen, hautsächlich das aus der Gebetssprache stammende δῴη. Zum Vergleich: Das ebenfalls überwiegend erzählende 4. Makkabäerbuch weist weit mehr als doppelt so viele Belege auf. Ähnlich häufig wird der Optativ nur mehr in den Psalmen verwendet, dort aber noch deutlicher formelhaft und nicht in freier Formulierung. Vgl. Aejmelaeus, Parataxis, 88-109. Ähnlich Dines, 61; siehe auch Kreuzer, Kontext, 2007. Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 74 (Moatti-Fine). Vgl. Momogliano, Sagesses barbares, Paris 1979, 103 und dazu Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 44 (Hadas-Lebel). 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
Reformulierungen (z. B. θυσιασθήριον für ִמ ְזֵבַּחstatt des üblichen βωμός in 8,20). 41 Unter Umständen könnte das Nebeneinander von freieren und wortgetreueren Abschnitten in direkter Folge ein Hinweis auf alexandrinische Übersetzungstechnik sein. 42 In ähnlicher Weise wie bei der Übersetzungstechnik fällt es auch in der Frage nach dem spezifischen theologischen Profil der Gen-LXX schwer, eine einheitliche Ziesetzung zu formulieren. Bereits durch die in den verschiedenen Handschriften angefügten inscriptiones bzw. superscriptiones wird die Gen-LXX theologisch gedeutet. Erstmals im Codex Alexandrinus erscheint die Überschrift γένεσις κόσμου, so dass abweichend von der jüdischen Tradition nicht mehr der erste Begriff den Namen für das Buch liefert, sondern ein den Inhalt zusammenfassender Begriff gewählt wird. Zum anderen findet sich spätestens ab dem 11./12. Jh. in den Überschriften auch der Bezug auf Mose (z. B. Minuskeln 25, 82, 408, 615, 761 und im jungen, ergänzten Teil von Codex B). Diese theologische Deutung des Buchganzen ist durch die Verwendung des Begriffes γένεσις innerhalb der Übersetzung vorbereitet: Von den 15 Vorkommen im ersten Buch der Bibel wird der Singular pointiert nur in 2,4 und 5,1 gebraucht, 43 und gewinnt so zu Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes beim Stammbaum Adams theologische Gliederungsfunktion. An den übrigen Stellen fungiert der Plural als Wiedergabe von hebr. תולדותals Stereotyp für die Generationenfolge. Vor allem ist bei der Benutzung der Ortsnamen und Realien eine »Rekontextualisierung« 44 zu beobachten. Augenfällig ist die Angleichung der Himmelsrichtungen an das ägyptische Umfeld 45 oder die Ersetzung des Winters durch den (ägyptischen) Frühling in 8,22. 46 Durch die Wahl der Übersetzungsbegriffe erfolgt in der Gen-LXX durchaus eine stärkere Periodisierung der Geschichte: Während nämlich nach der LXX in der Generation vor dem Sinai – also ohne göttliches Gebot – der hebr. Opferterminus ֹעָלהstets mit ὁλοκάρπωσις wiedergegeben wird, wird er danach durchgängig mit ὁλοκαύτωμα bzw. ὁλοκαύτωσις übersetzt. 47 Besonderes Augenmerk muss in der Frage der Übersetzungstechnik neben der Grammatik auch auf die Semantik der Wörter gelegt werden. Interessant ist dabei vor allem die Frage nach der Wiedergabe von sog. idiomatischen, d. h. einer bestimmten Sprache eigentümlichen Wendungen In der Gen-LXX kommen eine Reihe von derlei idiomatischen Wendungen vor, wie z. B. »(aus der) Nase brennen« für »zornig werden«. Der Befund entspricht dabei den schon bei der Wiedergabe der grammatischen Phänomene gemachten Beobachtungen: Der Übersetzer hat verschiedene Stra41. Vgl. hierzu zusammenfassend Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 68 (Moatti-Fine). βωμός wird dann ab Ex 34,13 für illegitime Altäre verwendet. Diese Unterscheidung wird bis Jos 22 und zum Teil in den weiteren Büchern durchgehalten. 42. Vgl. Dines, 63. 43. Vgl. aber die Singularformen in 31,13; 32,10 und 40,20, dort im Sinne der persönlichen Abstammung als Übersetzung von מולדה. 44. Schorch / Prestel, LXX.D, 42. Vgl. aber auch die allgemeinen Prinzipien zur Wiedergabe oder Transliteration hebräischer Namen bei Krasovec, Transformation, 89-94. 45. Vgl. Harl, BdA I, 64 f. 46. Vgl. Rösel, Übersetzung, 194. 47. Vgl. Schorch / Prestel, LXX.E zu 8,20.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
tegien benutzt, um diese besonderen sprachlichen Probleme zu meistern. Es finden sich nämlich sowohl sehr wörtliche, literalistische Übersetzungen (vgl. 39,19) als auch sich eher von der genauen Nachbildung trennende Wiedergaben. (vgl. 30,2; 44,18). Eine bedeutsame Entscheidung des Übersetzers dürfte die Wiedergabe des hebräischen Tetragrammes sein. Es ist entgegen der sonst oft angewandten Praxis, Ortsnamen zu transkribieren, Personennamen indes etymologisch zu interpretieren, 48 nie transkribiert, sondern mit dem Begriff κύριος wiedergegeben. Der Übersetzer folgt dabei vermutlich der Praxis der Ersatzlesung mit ’adonaj, Herr. 49 (Möglicherweise wurde schon zeitgenössisch in der hellenistischen Diaspora κύριος gesagt, wenn man über Gott sprach oder zu ihm betete.) Der Übersetzer arbeitet mit diesem Begriff durchaus theologisch: Im MT tritt das Tetragramm bekanntlich das erste Mal in 2,4b und dann fortlaufend (2,5b.7a) auf, also zu Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes. In der Gen-LXX steht das Äquivalent κύριος jedoch erstmals in 2,8 und d. h. nach der Menschenschöpfung. Damit ist das Tetragramm in einen Relationsbegriff überführt: JHWH heißt HERR erst dann, als ein menschliches Gegenüber da ist. 50 Theologische Deutung liegt in der Verwendung des Wortes κιβωτός (Truhe/Lade) für die Arche Noahs, Gen 6,14 ff., vor, das ab Ex 25 die Bundeslade bezeichnet, während – abweichend vom Hebräischen – für den Sarg Josefs (Gen 50,26) ein anderer Begriff verwendet wird. Gleichwohl ist die Frage, ob der Übersetzer der Gen-LXX theologisch gearbeitet hat oder nicht vielmehr treu seinen Urtext wiedergeben wollte, in der Forschung umstritten: Während z. B. Rösel und Wevers den Übersetzer als Theologen ansehen, votiert z. B. Hanhart anders und sieht mögliche Varianten primär als durch die jeweiligen Vorlagen verursacht an. 51
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Bezugnahme auf die griechische Fassung der Genesis dürfte schon recht früh eingesetzt haben. Bereits der im 2. Jh. v. Chr. schreibende und über Alexander Polyhistor
48. Vgl. die Übersetzungen für Kusch mit Ἀιθιόπια in 2,3, Aram mit Μεσοποταμία in 28,2 oder der Stadt On mit Ηλὶου πόλις in 48,20 einerseits mit den Etymologien für z. B. Josef in 30,23 f., für Issachar in 30,18 oder Moab in 19,37 f. andererseits. Vgl. dazu mit weiteren Beispielen Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 73 (Moatti-Fine). 49. Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 73 (Moatti-Fine), wertet die Wahl dieses Äquivalentes als Hinweis auf den mündlichen Ursprung der Übersetzungspraxis. Dazu ließe sich allerdings anmerken, dass nach E. Bickerman noch im 2. Jh. v. Chr. und das bedeutet knapp ein Jh. nach Entstehung der Gen-LXX in liturgischen Zusammenhängen nur einzelne Verse verlesen wurden und keine lectio continua gepflegt wurde; zitiert nach Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 43 (Hadas-Lebel). Der Gebrauch des Gottesnamens ist hängt aber nicht an der Frage liturgischer Schriftlesung in der Synagoge, sondern stellt sich auch für die Gebetssprache sowie für Unterricht und Verkündigung. Grundlegend hierzu Rösel, Adonaj. 50. Vgl. zu den weiteren Übersetzungsäquivalenten des Tetragrammes Krasovec, Transmission, 55 f. 51. Vgl. zusammenfassend Dines, 126. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
in Eusebs praeparatio evangelica erhaltene Pseudo-Eupolemos nutzt die Genesis als Basis, von der aus er seine Reformulierung der jüdischen Geschichte entwickelt. 52 Der Index loci citati vel allegati des Nestle/Aland27 verzeichnet ferner ca. 200 Verse der Gen-LXX, auf die im NT Bezug genommen wird, wobei sich nur etwa ein Achtel der Belege (ca. 25) als echte Zitate mit keiner oder nur geringen Abweichungen im Text ansprechen lassen, während die übrigen Anspielungen sind. Damit gehört das Buch zusammen mit dem Exodus und nach den Psalmen und Jesaja zu den einflussreichsten alttestamentlichen Schriften im Neuen Testament. Als echte und wirkungsgeschichtlich bedeutsame Zitate ließen sich folgende ansprechen: In Mt 19,4 f. par Mk 10,7 (vgl. 1Kor 6,16) wird Gen 1,27LXX mit 2,24LXX kombiniert: Die Schaffung des Menschen als Mann und Frau aus dem ersten Schöpfungsbericht wird mit dem »Ein-Fleisch-Sein« des zweiten Schöpfungsberichtes so zur Begründung neutestamentlicher Eheethik. Das Zitat von Gen 15,6 in Röm 4,3 und Gal 3,6 dürfte nicht zuletzt wegen der Bedeutung für die reformatorische Erkenntnis der Rechtfertigung aus dem Glauben mit zu den wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Texten gehören. 53 Innerjüdisch hat es vereinzelt Bezugnahmen auf die griechische Genesis gegeben. So wird der in Gen 36,31-33 erwähnte Iobab im Hiob-Kolophon aufgenommen und mit der Hiob-Figur identifiziert. Damit läge ein Beispiel für griechische Intertextualität vor. Der Hinweis in Gen 41,45, dass Joseph die Ägypterin Aseneth (hebr. Asnat) zur Frau genommen hat, findet eine midraschartige Fortschreibung im Roman Joseph und Aseneth. 54 Vor allem hat die Urgeschichte eine breite Wirkungsgeschichte aus sich heraus gesetzt. In Alexandria dürfte es die ersten 11 Kapitel der Genesis auf einer eigenen Megillah gegeben haben, da sie möglicherweise zur Kindererziehung benutzt wurde. 55 Verschiedene Begriffe der Weltschöpfung haben ihren Weg in die christlich-philosophische Diskussion gefunden, so vor allem die Wiedergabe des hebräischen Tohowabohu mit den beiden Adjektiven ἀόρατος und ακατασκεύατος.
6. Perspektiven der Forschung Die unterschiedlichen Tendenzen, die die Forschung an der Genesis-Septuaginta beschäftigen, lassen sich in mehrere Bereiche gliedern. Zunächst interessiert nach wie vor die Frage nach der Textkritik und Textgeschichte. Hier steht vor allem die Auswertung der Zitate an, die in der Göttinger Ausgabe noch nicht berücksichtigt sind und die älter als die ältesten Handschriften sind. 56 Sodann versuchen die Untersuchungen vor allem, die Sprache und Übersetzungstechnik zu beschreiben. Ein dritter Bereich beschäftigt sich mit der Frage nach der Bedeutung des LXX als theologisches Zeugnis der Auslegungstradition im hellenistischen Judentum sowie im jungen Christentum. 52. 53. 54. 55. 56.
Vgl. dazu ausführlich, Gruen, Heritage, 146-150. Vgl. dazu Köckert, Glaube, 441-444. Vgl. Rajak, Translation, 224 mit Literatur in Anm. 48. Vgl. J Mg 74 a und dazu Rajak, Translation, 91. Siehe dazu Steyn, Quotations, und Prostmeier, Autolykos.
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6. Perspektiven der Forschung
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
Hierher gehört auch die Frage nach einer möglichen Theologie der Septuaginta. So formuliert z. B. Rösel neuerdings die Bedingungen für eine Theologie der Septuaginta. 57 Viele Einzelstudien zur Gen-LXX bemühen sich, dem Charakter dieser ersten griechischen Übersetzung der heiligen Schrift des Judentums nachzuspüren, ohne dass sich im Moment bereits ein Gesamtbild zeichnen ließe. Sinnvoll wären demnach Studien, die z. B. die intertextuellen Bezüge des MT einerseits mit der der Gen-LXX andererseits vergleichen. Im MT wird beispielsweise das göttliche Machtwort, das Abram aus seinen gesamten verwandtschaftlichen Bezügen herausruft und das – theologisch anstößige – fordernde Wort, mit dem JHWH den einzigen Sohn Abrahams fordert, intertextuell aufeinander bezogen, da innerhalb der Genesis nur in 12,1 und 22,2 der Imperativ von הלךmit Dativus ethicus auftritt. In der LXX-Fassung dieser beiden Textstellen wird ein intertextueller Bezug durch Verwendung der unterschiedlichen Verben ἐξελθεῖν und πορεύεσθαι unmöglich. Ein anders gelagerter, nämlich nicht durch den hebräischen Text nahe gelegter intertextueller Bezug der Gen-LXX entsteht indes in der Urgeschichte zwischen 1,2 und 7,18: Die Bewegung des göttlichen »Geistes« über dem Wasser (hebr. רחףpi) und die Bewegung der Arche auf der Flut (hebr. )הלךwerden durch die gleiche griechische Verbform ἐπεφέρετο aufeinander bezogen. Die griechische Wurzel, die im Medium eine schnelle, unkontrollierte Bewegung bezeichnen kann, greift sehr elegant die durch den ähnlichen Kontext geforderte Bedeutung auf. Zudem werden durch semantisches Leveling die Wassermassen parallelisiert: Während das Hebräische durch den mythologischen ( )תהוםund den gewöhnlichen Begriff ( )מיםAnfangssituation und geschichtliche Situation differenziert, steht in der Gen-LXX beidesmal ὕδωρ. Dadurch wird die Chaosschilderung der Schöpfung auch für die Sintflut gebraucht. Der Mensch Noah sieht sich nach der Gen-LXX in der Sintflut demnach dem widergöttlichen Chaos ausgesetzt, nicht einer durch Gott herbeigeführten »Strafe« und Bewahrung. 58 Derlei neue kontextuelle Bezüge oder gar Eingriffe in den Text umspannen u. U. sogar mehrere Bücher. So konnte Kreuzer zeigen, dass die Jakobgeschichte (Gen 3032) hinter der Übersetzung von Dtn 26,5 steht: Im berühmten kleinen heilsgeschichtlichen Credo ist nach MT der Erzvater ein »umherirrender Aramäer«, während er nach der LXX »Syrien verlassen« hat; das passt zur Jakoberzählung der Genesis. 59 Lässt sich der Befund durch das Paradigma der Interlinearität erklären oder steckt eine planvolle Übersetzungstechnik dahinter, die den heilvollen Auszug Abrams nicht mit dem möglicherweise als anstößig empfundenen Ruf nach dem Opfer des einzigen Sohnes zu parallelisieren möchte? Wenn man in Betracht zieht, dass sich durchaus eine Tendenz innerhalb der Gen-LXX nachweisen lässt, das Thema Recht und Gerechtigkeit der Menschen wie Gottes zu unterstreichen, wird man hoffen dürfen, dass weitere Studien dazu beitragen, das eigenständige theologische Profil der Gen-LXX und ihren stilbildenden Charakter für die anderen Schriften der LXX, die man wohl als die erste Bibel der Christen ansprechen darf, herauszuarbeiten. 57. Vgl. Rösel, Die graphe, 650-652. 58. Vgl. zu weiteren exegetischen Implikationen auch Harl, BdA 1, 87; 135. 59. Vgl. Kreuzer, Kontext, 49. 6. Perspektiven der Forschung
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1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose Peter Schwagmeier
1
Wichtige Literatur
1.1 Text und Editionen Swete, OT I 1887 — BML I/2, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Exodus, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum II/1, Göttingen 1991 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Ex).
1.2 Qumran-Texte 1QEx = 1Q2 (DJD I) — 2QExa.b.c = 2Q2.3.4 (DJD III) — 4QGen-Exa = 4Q1 (DJD XII) — 4QpaleoGen-Exl = 4Q11 (DJD IX) — 4QExb.c.d.e 4QEx-Levf 4QExg.h.j.k = 4Q13.14.15.16.17.18.19.20.21 (DJD XII) — 4QpaleoExm = 4Q22 (DJD IX) — 4QDtnj cols. IX-X (Ex 12,13) = 4Q37 (DJD XIV) — 7QpapLXXEx = 7Q1 (DJD III). MurGen-Ex.Numa = Mur 1 (DJD II). BQS 27-107 — HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten werden künftig in BHQ vermerkt sein.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Gurtner, D. M., Exodus. A Commentary on the Greek Text of Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series, Leiden / Boston 2013 — LeBoulluec, A. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, Paris 1989 (überarbeitet in: Dogniez, C. / Harl, M., Le Pentateuque, BdA, Paris 2001, 312-461) — Perkins, L. J., Exodus, NETS, New York / Oxford 2007, 43-81 — Roloff, J. / Weber, E. / Schaper, J., Exodos. Das Zweite Buch Mose, LXX.D, Stuttgart 20102, 56-98 — Salvesen, A., Exodus, in: The J. K. Aitken (Hg.), T&T Clark Companion to the Septuagint, London / New Delhi / New York / Sydney 2015, 29-42 — Schaper, J., Exodos. Das Zweite Buch Mose, LXX.E, Stuttgart 2011, 325-430.
1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Parataxis in the Septuagint. A Study of the Rendering of the Hebrew Coordinate Clauses in the Greek Pentateuch, AASF 31, Helsinki 1982 — Aejmelaeus, A., What Can We Know about the Hebrew Vorlage of the Septuagint?, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 71-106 — Aejmelaeus, A., Participium Coniunctum as a Criterion of Translation Technique, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 1-10 — Aejmelaeus, A., Septuagintal Translation Techniques — A Solution to the Problem of the Tabernacle Account?, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 107-121 — Aejmelaeus, A., Translation Technique and the Intention of the Translator, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 59-69 — Ausloos, H., The Septuagint Version of Exod 23:20-33. A »Deuteronomist« at Work?, JNWSL 22 (1996), 89-106 — Ausloos, H. / Lemmelijn, B., Faithful Creativity Torn Between Freedom and Literalness in the Septuagint’s Translations, JNWSL 40 (2014), 53-69 — Barthélemy, D., Les
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1 Wichtige Literatur
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
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121
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1 Wichtige Literatur
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
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2. Textüberlieferung und Editionen Von den Unzialhandschriften bezeugen die Codices B (4. Jh.), G (Sarravianus-Colbertinus, 4./5. Jh.), A (5. Jh.), F (Ambrosianus, 5. Jh.) und M (Coislinianus, 7. Jh.) das griech. Buch Ex (ExLXX). 1 Vollständig überliefert ist der Buchtext nur in B, A und M sowie in etlichen der aus der Zeit zwischen dem 9./10. und dem 15. Jh. stammenden 91 Minuskeln mit Ex-Text. 2 Die meisten älteren griech. Manuskripte bieten lediglich Teile einzelner Verse. Dies gilt auch für eine ganze Reihe Papyri aus der Zeit von ca. 100 v. Chr. bis ins 6. Jh. n. Chr. 14 dieser Texte konnte J. W. Wevers für seine 1991 erschienene ExLXX-Edition auswerten (805, 808, 835, 836, 843, 908, 909, 914, 960, 970, 972, 978, 1000, Gr. bibl. F.4). 3 805 (7Q1, um 100 v. Chr.) ist nicht nur der älteste Zeuge des griechischen Ex, Wevers konnte an den zwei erhaltenen Fragmenten mit Text aus Ex 28,4-7 auch sehr frühe Revisionstätigkeit nachweisen. 4 1. 2. 3.
4.
Rahlfs, Verzeichnis, 337-344[B].221-226[A].229-231[F].184-187[G].307-308[M]. Gö II,1, 7-14. Gö II,1, 14-15. Beschreibung: Rahlfs, Verzeichnis, 29[835].31-32[960.836].35-36[978].139-141 [970].154[805].232-233[972].264-265[914].280 f.[Gr. bibl. F. 4, bei Wevers Oxf 4].282[843].294 [908].295[909].312-322[1000].422[808].473 f.533 f. Wevers, Scrolls, 1-2; ders., Activity, 122-123. Edition: DJD 3, Oxford 1962, 142 f. + plate 30 (Baillet, M.). Ob es sich bei 4Q127 (1. Jh. v. Chr. / frühes 1. Jh. n. Chr.) um eine griech. Ex-Paraphrase han2. Textüberlieferung und Editionen
123
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
Die folgenden Papyri sind seit 1991 bekannt geworden und konnten von Wevers noch nicht berücksichtigt werden: 865 (3. Jh., Text aus Ex 4,2-6.14-17); 877 (5. Jh., Text aus 21,27-28.36); 896 (3. Jh., Text aus 22,27.31-23,2; 23,14-15.16); 993 (3. Jh., Text aus 20,1017.18-22), P. Alex. Inv. 95 (Datierung ungeklärt, Text aus 2,19-20 [recto]; 2,9.10 [verso]) sowie 866 (Schøyen-Sammlung, Ms 187). Bei 866 handelt es sich um die Reste eines Codex aus dem 4./5. Jh., von dem sechs Blätter mit Text aus Ex 4.5.6.7 sowie weitere Blätter mit Text aus Ex 31.32.34.35 erhalten sind. 5 Zu dieser Hs. gehören möglicherweise auch Fragmente, die erst nach der Überarbeitung des »Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments« (2004) publiziert wurden: 2006 veröffentlichten D. A. Desilva und M. P. Adams die Überreste einer Unzialhandschrift (Mitte 4. bis Mitte 5. Jh.) mit Text aus Ex 10,3-5.8-9 (Frg. 1), 10,12-15.17-22 (Frg. 2), 10,24-28; 11,2-5 (Frg. 3), 12,9-12.15-18 (Frg. 4), 30,18-21; 26,21-25; 26,30-33; 30,11-15 (Frg. 5), 34,12-15.20-24 (Frg. 6) und 35,9-17.22-25 (Frg. 7). 2007 präsentierte Desilva weitere Fragmente der Hs. mit Text aus Ex 3,16-18; 3,21-4,3 (Frg. 1), 11,7-10; 12,3-6 (Frg. 2), 12,19-22.25-29 (Frg. 3), 12,30-34.37-41 (Frg. 4) und 12,45-51; 13,3-7 (Frg. 5). Die Fragmente stehen für eine bislang unbekannte, nichtrezensionale Texttradition. 6
Die Arbeit mit Ex-Zitaten der griech. Kirchenväter wird erleichtert durch Bd. 1 der »Biblia patristica«. 7 Die »Quaestiones in Octateuchum« Theodorets von Cyrrhus (5. Jh.) 8 zeigen nicht nur eine besonders hohe Dichte an Ex-Bezügen; Theodoret wird als Bischof von Cyrrhus (Antiochia) mit dem dort üblichen Bibeltext gearbeitet haben, so dass die »Quaestiones« auch für die Frage nach dem antiochenischen bzw. lukianischen Text im Pentateuch von Bedeutung sind. Ein entsprechender Nachweis ist für diesen Textbereich bislang nicht gelungen; 9 das gilt auch für die ohnehin unsichere hesychianische Rezension.
5.
6.
7.
8.
9.
delt, wie man gemeint hat, ist äußerst unsicher (s. DJD 9, Oxford 1992, 12 f.222 ff. + plate XLVII [P. W. Skehan]). Rahlfs, Verzeichnis, 47-48[865].114[877].305[993].44[896].1[P. Alex Inv. 95].271-272.323[866], ferner 162[929, Palimpsest, in der Zweitbeschriftung des 13. Jh.s auch Ex 21,22-22,15]. Die Publikation von p866 ist geplant in: »Manuscripts in the Schøyen-Collection« (s. http://www. schoyencollection.com unter »Bible«). Desilva, D. A., Five Papyrus Fragments of Greek Exodus, BIOSCS 40 (2007), 1-29; Desilva, D. A. / Adams, M. P., Seven Papyrus Fragments of a Greek Manuscript of Exodus, VT 56 (2006), 143-170. Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique. Bd. 1: De origines à Clément d’Alexandrie et Tertullien, hg. v. Centre d’analyse et de documentation patristique, Paris 1975, 88-103. Internetzugriff: https://www.biblindex.mom.fr. Ferner Petit, F., La chaîne sur l’Exode. I: Fragments de Sévère d’Antioche, Tradition Exegetica Graeca 9, Leuven 1999; Petit, F., La chaîne sur l’Exode. Édition intégrale. II: Collectio Coisliniana. III: Fonds caténique ancien (Exode 1,1-15,21), Tradition Exegetica Graeca 10, Leiden u. a. 2000; Petit, F., La chaîne sur l’Exode. Édition intégrale. IV: Fonds caténique ancien (Exode 15,22-40,32), Tradition Exegetica Graeca 11, Leiden u. a. 2001. Hill, R. C., Theodoret of Cyrus. The Questions on the Octateuch. Vol. 1: On Genesis and Exodus. Greek Text rev. by J. F. Petruccione, The Library of Early Christianity 1, Washington, D.C. 2007, bes. 222-345; ferner der Bd. Tradition Exegetica Graeca 10 (s. Fn. 8). Ältere Ed.: Fernández Marcos, N. / Saenz-Badillos, A., Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Octateuchum. Editio critica, TECC 17, Madrid 1979. Hill, Theodoret, xxii-xxvi; Hill, R. C., Reading the Old Testament in Antioch, Bible in Ancient
124
2. Textüberlieferung und Editionen
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
Gut erforscht sind für Ex die Rezensionen aus der Zeit vor Origenes (s. auch oben zu 805); 10 umstritten bleibt der Charakter des von den Herausgebern als möglicherweise vorhexaplarisch eingestuften pGr. bibl. F. 4. 11 K. O’Connell konnte nachweisen, dass die Theodotion-Lesarten (θ’) in Ex der kaige-Rezension zuzuordnen sind und auf der alten LXX aufbauen und dass Aquila (α’) auf dem kaige-Text fußt. 12 Einfluss von Theodotion wiederum zeigt sich in den Randnotizen der Kap. 36-39 in F (Fh). 13 A. Salvesen hat für die Symmachus-Lesarten (σ’) plausibel gemacht, dass α und wohl auch θ bekannt waren und dass Sym die alte LXX voraussetzt. 14 Sie hat auch die Bedeutung der für Wevers’ Edition wichtigen Randglossen in F (Fb) für die Geschichte der Rezensionen aufgezeigt. 15 Wevers’ Edition beruht auf einem Verfahren, das rezensionale Elemente ausscheidet, um so zu einem möglichst frühen Textstadium zu gelangen. Im Folgenden werden daher die für diese Arbeitsweise wichtigsten Gruppen der griechischen Textzeugen sowie die wichtigsten Tochterübersetzungen thematisiert. Besondere Bedeutung hat einerseits B als ältester vollständiger Textzeuge, der zudem – anders als A – kaum vorhexaplarisch-rezensionalen Einfluss zeigt und dabei zahlreiche Sonderlesarten bietet. 16 Andererseits erhalten die Handschriften, die HexText bieten, erhebliches Gewicht. Zu dieser Gruppe O gehören G und die Minuskelgruppen oI und oII, von denen 64, 135, 707 und 708 hexaplarische Zeichen bieten. 17 Diese finden sich auch in M, 85, 108, 127, 128, 130 (ab 16,28), 321, 343, 344, 346, 416, 458, 646, 730, die alle nicht zu O zu rechnen sind. Der Byzantinische Text, repräsentiert in den Minuskelgruppen d, t und n, ist »expansionist«, war »the object of a great deal of carelessness« und ist erheblich von Hex beeinflusst, ohne selbst »independently recensional« zu sein. 18 Die Gruppe der späten Catenen-Texte C ist ebenfalls stark von Hex beeinflusst und weist stilistische Besonderheiten und fehlerhafte Auslassungen auf. 19 Die altlateinische Bezeugung 20 ist uneinheitlich, nicht nur im Blick auf das Verhältnis der Handschriften zueinander. So treffen sich im Cod. Monacensis ein afrikanischer Text in Ex 31–40 und ein europäischer in 9–20, wobei in 36–40 die älteste Fassung der LXX erhalten blieb, die sich in diesem Buchteil erheblich von der späteren LXX unterschieden haben muss. 21 Nicht zuletzt der Befund in 36 ff. illustriert die im-
10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
Christianity 5, Leiden / Boston 2005, 54-57.57-61; Fernández Marcos, N., Theodoret’s Biblical Text in the Octateuch, BIOSCS 11 (1978), 27-43, bes. 28 f.37 ff. Zur Übersetzungstechnik s. Salvesen, Midrash in Greek? Edition: Spottorno, V. / Fernández Marcos, N., Nuevos fragmentos del Exodo griego (Ms. Gr. Bibl. F. 4 [P]), EM 44 (1976), 385-395. Dazu: Gö II,1, 16; Rahlfs, Verzeichnis, 280 f. O’Connell, Theodotionic Revision; ferner Fraenkel, Quellen. Wevers, Secondary Text. Salvesen, Symmachus, 63-111.182-183.189.192 f.199 ff. Salvesen, Relationship; Gö II,1, 43 f.; Fraenkel, Quellen, 144.174 f. Gurtner, Exodus, 5-11.12 ff.; Wevers, TH-Ex, 81-103.40; Schäfer, Benutzerhandbuch, 98-100. Wevers, TH-Ex, 9-40; Schäfer, Handbuch, 101 f. Wevers, TH-Ex, 41-63 (Zitat: 59); Schäfer, Handbuch, 104 f. Wevers, TH-Ex, 64-80; Schäfer, Handbuch, 102 f. S. den Überblick bei Dietzfelbinger, Vetus Latina, 8-21.108-111.112-114. Bogaert, L’importance; ders., Construction; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 64-74. 2. Textüberlieferung und Editionen
125
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
mense Bedeutung dieses Überlieferungszweigs, der seine griechischen Vorlagen in der Regel treu wiedergibt. 22 Da eine kritische Edition nur für Ex 1 vorliegt, 23 müssen die ausnahmslos fragmentarischen Zeugen einzeln eingesehen werden: Ms. 100 (Ludgunensis, 6. Jh., Text aus Ex 1–7.21.25–26.27–40), 24 der Palimpsest Ms. 101 (Vindobonensis, 5. Jh., Text aus Ex 3–4.10–12), 25 Ms. 102, eine Mischhandschrift mit Vulgata und Vetus Latina-Text (Ottobonianus, Cervinianus, 7./8. Jh., Text aus Ex 10.11.16–17.23– 27), 26 der Palimpsest Ms. 103 (Wirceburgensis, 5. Jh., überschrieben ca. 700, Erstbeschriftung: Text aus Ex 22.25–26.32.33–34.35–36.39–40), 27 der Palimpsest Ms. 104 (Monacensis, 5. Jh., überschrieben im 9. Jh., Erstbeschriftung: Text aus Ex 9–10.12– 14.16–20.31–33.36–40) 28 und Ms. 106 (5. Jh., Text aus Ex 8–9). 29 Ex 15,1-19 wuchs als Canticum zunehmend liturgische Bedeutung zu; die altlateinischen Fassungen waren auch nach Einführung der Vulgata noch länger in Gebrauch (Mss. 7, 109, 250, 251, 254, 255, 257, 263, 300, 306, 325, 330, 331, 341, 373, 434, 441, 456, 460). 30 Zu berücksichtigen sind ferner die Lesungstexte in den Mss. 108 (11. Jh., Text aus Ex 14; 20; 34–35) und 111 (9. Jh., Text aus Ex 14–15), 31 die Glossen in den Bibeln 91, 92, 93, 94, 95, 96, 175 (10. bis 16. Jh.) 32 sowie die Zitate der lateinischen Kirchenväter. 33 Die freie, von Hex aber unbeeinflusste äthiopische Übersetzung liegt in Form der 22. S. dazu Everson, Vetus Latina. 23. Dietzfelbinger, Vetus Latina, 116-146. 24. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 159-160; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 33-43; Billen, Texts, 7-16.140 ff.172 ff. Ed.: Robert, U., Pentateuchi versio latina antiquissima e codice Lugdunensi, Paris 1881, 49-98.165-201. 25. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 161; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 4348. Ed.: Fischer, B., Palimpsestus Vindobonensis, in: ders., Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, VL 12, Freiburg 1986, 308-438: 382 ff.419-426. 26. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 162; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 4854. Ed.: Vercellone, C., Variae lectiones Vulgatae latinae Bibliorum editionis. Bd. 1, Rom 1860, LXXXVIf.307-310 (dort: Codex E). 27. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 163; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 5461; Billen, Texts, 35-40.140 ff.172 ff. Ed.: Ranke, E., Par Palimpsestorum Wirceburgensium. Antiquissimae Veteris Testamenti versionis latinae fragmenta, Wien 1871. 28. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 164-165; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 61-74; Billen, Texts, 23-35.140 ff.172 ff. Ed.: Ziegler, L., Bruchstücke einer vorhieronymianischen Übersetzung des Pentateuch aus einem Palimpsteste der k. Hof- und Staatsbibliothek zu München, München 1883; Burkitt, F. C., The Text of Exodus XL 17-19 in the Munich Palimpsest, JThS 29 (1928), 146-147; Dold, A., Versuchte Neu- und Erstergänzungen zu den altlateinischen Texten im Cod. CLM 6225 der Bayer. Staatsbibliothek, Bib. 37 (1956), 39-58. 29. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 167; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 7475. Ed.: Vaccari, P. A., Frammenti Biblici Latini dall’Egitto in Parte Palinsesti, Bib 22 (1941), 112. 30. Gryson, Handschriften I, 28-30.170-173.349-350.351-353.356-357.358.360.369; ders., Handschriften II, 29-31.37.72-73.81-83.84-85.99-100.144-145.255-256.267-268.290.296-300; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 25.77-78.83.84-87.88-89.89-90.90-91.92-93.93 sowie 91-92 zu MS 327; Gö II,1, 31-33. 31. S. dazu Gryson, Handschriften I, 169.175-177; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 75-76.79-81. S. ferner Dietzfelbinger, Vetus Latina, 25 f.26 f.87 f. zu Ms. 32 (Ex 14,29), Ms. 57 (Ex 12,1-14) und Ms. 262. 32. S. dazu Gryson, Handschriften I, 147-155.267-269; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 27-33.81-83. 33. S. Fn. 7. Biblia Patristica, Bd. 2, Paris 1977, 99-112; Bd. 3, 1980, 59-75; Bd. 4, 1987, 51-60; Bd. 5, 1991, 151-165; Bd. 6, 1995, 49-58; Bd. 7, hg. v. Antiquité Romain et Chrétienne, Paris 2000, 56-58.
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2. Textüberlieferung und Editionen
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
Edition des Cod. Paris (Y, 13./14. Jh.) vor, die einen Apparat mit Lesarten fünf weiterer Handschriften bietet. 34 Die ältesten koptischen Textzeugen stammen aus dem 4. Jh., der umfangreichste unter ihnen ist pBodmer XVI (sa 7) mit Ex 1,1–15,21 in Sahidisch. 35 Allerdings ist Ex in Sahidisch, Achmimisch und Fajumisch nur fragmentarisch erhalten. 36 Die beiden erhaltenen achmimischen Handschriften (4. Jh.) zeigen, dass dieser Zweig eine Tochterübersetzung des Sahidischen ist. 37 Für den bohairischen Text liegt die Edition von M. K. H. Peters vor, die aus Handschriften aus der Zeit vom 9. bis zum 19. Jh. schöpft; zusätzlich sollten die von O. H. E. Burmester edierten frühen Lektionarstexte eingesehen werden. 38 Der auf prähexplarischer Grundlage beruhende syro-palästinische Text ist in der Ausgabe von M. H. Goshen-Gottstein zugänglich. 39 Von Ex sind lückenhaft erhalten: 4,14-18; 8,18-28; 9,1-35; 10,1-29; 11,1-10; 12,28-51; 14,18-27; 15,1-19 (V. 7 ff. in zwei Fassungen); 16,2-10.32-36; 17,1-6; 19,7-17; 26,3-36; 28,1-12; 38LXX,4-18.20-23; 39,11.14; 40,4-17. In der Überlieferung der Syrohexaplaris ist Ex als einziges Buch des Pentateuch in 34. Boyd, J. O., The Octateuch in Ethiopic. Pt. II: Exodus and Leviticus. According to the Text auf the Paris Codex, With the Variants of Five other Manuscripts, Bibliotheca Abessinica 4, Leiden / Princeton 1911, 1-137 (zu den Hss. s. ders., Octateuch. Pt. I, Bibliotheca Abessinica 3, Leiden / Princeton 1909, XIII-XX). Wevers konnte auch den nicht revidierten Cod. M (14. Jh.) beiziehen, der aber nicht in Buchform zugänglich ist. 35. Ed.: Kasser, R., Papyrus Bodmer XVI. Exode I-XV, 21 en sahidique, Cologny / Genf 1961. 36. Belegt sind (auch Versteile) in Sahidisch: 1,1-6.19-22; 2,4-6.17-19.23-24; 3,12-13.15-16; 4,6-7.10.2325.29-30; 5,11-13.17-18; 6,13?; 7,20?.24-25? (sa 5); 1,1-15,21 (sa 7); 16,6-19,11 (sa 8.1); 19,24-24,18; 31,1234,32 (sa 8.2); 26,24-36 (sa 8.3); 23,15.20 (sa 9.1); 3,9-14 (sa 10.1); 28,35.39 (sa 10.2); ? (sa 10.3); 1,1 (sa 86ex); 12,1-14; 15,19.21; 15,22-16,3; 17,1-7; 19,1-11 (sa 108L); 17,7-12 (sa 145.2); 19,10-16 (sa 148L.1); 15,1-3.4b.6.7b.8b.9-12.13b.15-18.19b (sa 177lit); 21,17-35; 23,5-21 (sa 181); 4,10-18 (sa 212L.11); 16,27-36 (sa 212L.1); 29,1-9 (sa 212L.8); 34,18-26 (sa 212L.13); 27,21; 28,1-2.5-6.8-9 (sa 235); ferner 15? (sa 16lit). Zu den Handschriften und Ed.: Biblia Coptica. Die koptischen Bibeltexte 1,1, hg. v. K. Schüssler, Wiesbaden 1995, 43 ff.48.49 ff.52 ff.62 f.89 f.; Biblia Coptica 1,3, 1986, 86; Biblia Coptica 1,4, 2000, 49 ff.; Biblia Coptica 2,1, 2012, 72 ff.79 f.129 f.134 f.; Biblia Coptica 2,2, 2015, 68 ff.121. Die hier in Klammern angegebenen Nummerierungen der Handschriften entsprechen den in Biblia Coptica verwendeten; die Nummerierungen bei Wevers, Gö II,1, 35 f. weichen ab. Zum Achmimischen: Ed.: Lacau, M. P., Textes coptes en dialectes akhmimique et sahidique, BIFAO 7 (1911), 43-109: 43.45-64.82 ff. mit plate I (Ex 1,1-12.14-15.16–2,19; 4,2-9.10-13.14-25; 5,22.23; 6,112.13–7,4, auch Nagel, Papyrus Bodmer [s. Fn. 36], 107-141); Leefort, L. T., Fragments bibliques en dialecte akhmîmique, Muséon 66 (1953), 1-30: 1-15 mit 2 plates (Ex 15,14-22.24-26; 16,1-19; 23,20-32; 24,2-3). Fajumisch belegt sind mit der liturgischen Hs. Brit. Mus. Or. 4717 (11) Teile von Ex 15,1.2.4.6.8.11.12.15.16.17-19, s. Vaschalde, A., Ce qui a été publié des versions coptes de la Bible, Muséon 46 (1933), 300-313: 301. Zu Brit. Mus. Or. 5299 (Text aus Ex 15) s. Gö II,1, 35. 37. S. Nagel, P., Papyrus Bodmer XVI und die achmimische Version des Buches Exodus, in: M. Görg (Hg.), Religion im Erbe Ägyptens (FS A. Böhlig), ÄAT 14, Wiesbaden 1988, 94-152, bes. 94-106.143-152. 38. Peters, M. K. H. (Hg.), A Critical Edition of the Coptic (Bohairic) Pentateuch. Vol. 2: Exodus, SBL.SCSt 22, Atlanta/GA 1986 (Hss.: S. ix). Zu den entsprechenden Publikationen Burmesters s. den Überblick bei Nagel, P., Editionen koptischer Bibeltexte seit Till 1960, APF 35 (1989), 43100: 43-44.71-72. 39. Goshen-Gottstein, M. H., The Bible in the Syropalestinian Version. Pt. I: Pentateuch and Prophets, Jerusalem 1973, 17-31. 2. Textüberlieferung und Editionen
127
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
einem – zudem sehr alten – Manuskript. vollständig belegt (London, British Museum, MS. Add. 12.134, Ende 7. Jh.). 40 Zudem ist es mit nur kleinen Lücken (22,31–23,25; 29,41– 30,17) in der als Faksimile publizierten Handschrift Tur Abdin (11./12. Jh.) erhalten. 41 Als Ausgabe des armenischen Texts dient vor allem die Bibelausgabe von H. Zohrapian (Venedig 1805). 42 C. E. Cox hat für Ex zudem die hexaplarischen Zeichen in neun armenischen Handschriften. (13. bis 17. Jh.) ausgewertet. 43 Nach den Editionen des B-Texts durch H. B. Swete und A. E. Brooke / N. McLean, je mit einem selektiven Apparat, hatte A. Rahlfs zwar einen eklektischen Text erstellt, dieser beruhte aber im Wesentlichen auf einem Abgleich von B und A. Erst Wevers’ Edition bezieht die Fülle der Überlieferung ein und erlaubt eine textgeschichtliche Verortung der Zeugen. Gegenüber der Ausgabe von Rahlfs, auch in Form der Editio altera, ist Wevers’ Text häufig kürzer (z. B. 1,12; 2,3.16.19; 4,6.28; 6,23; 7,19; 8,4.5.16; 9,4.7; 10,4.5), selten länger (z. B. 3,22; 4,11; 5,5; 6,16.22; 7,7), bietet verschiedentlich andere Wortfolgen (z. B. 2,8; 3,17; 12,14; 16,19.20), gibt der Partikel ἄν den Vorzug vor ἐάν, καὶ ἐγώ (»und ich«) vor κἀγώ und unterscheidet sich in Namensschreibungen. 44 Wevers hat die Vg-Zählung übernommen (z. B. 8,1-32 par. 7,26–8,28MT; 22,1-31 par. 21,37–22,30MT; 25,6-34 par. 25,7-35MT; 32,9 par. 32,8MT; 35,8-19 par. 35,9-19MT). Das Hex-Material 36 ff. 45 (bei Brooke / McLean als Appendix) bietet er in Petit in MT-Zählung hinter 37,2, 38,11 und 38,17. 28,23-28MT46 fügt er nach 28,22LXX ein.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Auf der formalen Ebene zeigt ExLXX das Bemühen, die Vorlage genau abzubilden, dies in der Regel aber in Orientierung an der Zielsprache und nicht auf deren Kosten. Der damit verbundenen Absicht, eine inhaltlich verständliche Übersetzung zu erstellen, wird höherer Rang eingeräumt als der formalen Entsprechung. Es ist somit keine Übersetzungstechnik im mechanischen Sinn zu erwarten. 47 40. Ed. bis Ex 33,2: Ceriani, A. M., Pentateuchi syro-hexaplaris quae supersunt cum notis accedunt nunnulla alia fragmenta Syriaca, MSP 2, Mailand 1863. Edition: ab Ex 33,2: De Lagarde, P., Bibliothecae Syriacae quae ad philologiam sacram pertinent, hg. v. A. Rahlfs, Göttingen 1892. 41. Ed.: Vööbus, A., The Pentateuch in the version of the Syro-hexapla. A fac-simile Edition of a Midyat MS. Discovered 1964, CSCO 369. Subsidia 45, Leuven 1975, fol. 19-fol. 65. 42. Nachdruck: Cox, C. E., Astuatsashunchʾ Matean Hin ew Nor Ktakaranatsʾ . The Zohrab Bible. Introduction by C. E. Cox, Delmar/NY 1985 (beruhend auf MS 57 [14. Jh.] und acht weiteren Hss., meist aus dem 17. Jh.). Zur von A. Zeytunian erstellten Exodus-Ed. Girk’ Elits’. K’nnaken Bnagir, Yerevan 1992 s. Cox, C. E., The Armenian Bible: Status Quaestionis, in: V. Calzolari (Hg.), Armenian Philology in the Modern Era. From Manuscript to Digital Text, HdO 23/1, Leiden / Boston 2014, 231-246: 233. 43. Cox, C. E., Hexaplaric Materials Preserved in the Armenian Version, SBL.SCSt 21, Atlanta/GA 1986, 5 ff. (Hss.) 39-77.221-223 (Auswertung). 44. Wevers, TH-Ex, 147 ff. 45. S. dazu Fraenkel, Quellen. 46. Wevers, N-Ex, 455 f. 47. Vgl. Lemmelijn, Plague, 104 f. mit Fn. 42, grundlegend: 96-107.126-136; Aejmelaeus, Vorlage. Zum Problem der Charakterisierung von Übersetzungen s. Ausloos / Lemmelijn, Faithful
128
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
Das Bemühen um formale Abbildung der Vorlage zeigt sich im Umgang mit im Griechischen unüblichen, durch die Vorlage bedingten Konstruktionen wie diesen: 1) Suffixe an koordinierten Nominalpaaren, 2) anaphorische Suffixe in präpositionalem Gefüge im Relativsatz, 3) anaphorisches »dort« im Relativsatz, 4) die für hebräische Erzähltexte typische Parataxe. Der Befund ähnelt sich in allen Fällen: Die Konstruktionen können vermieden werden – der Übersetzer weiß um gutes Griechisch. Überwiegend werden sie aber übertragen – der Übersetzer bemüht sich um Abbildung der Vorlage (zu 1: 14,23. 26/9,14; zu 2: 17,5/4,17; zu 3: 18,5; 20,21/8,22). 48 Auch die Parataxe wird in der Regel wiedergegeben, allerdings in stilistischer Vielfalt – ein Zugeständnis an das Griechische (s. unten, 4). Abgebildet wird auch Stil: In Ex 15LXX gelingt eine bis zu einem gewissen Grad auch nach griech. Maßstäben poetische Wiedergabe der Vorlage. 49 Eine enge formale Bindung an die Vorlage erklärt auch manche agrammatische oder missverständliche Wiedergabe wie den Relativsatz in 6,5. 50 Die Überordnung der inhaltlichen Verständlichkeit zeigt sich in der ausgeprägten Tendenz zu semantisch verdeutlichenden Übertragungen, die man als »context sensitive« charakterisieren kann und die häufig Vertrautheit mit idiomatischem Griechisch erkennen lassen. 51 In 3,2.3 übersetzt ExLXX »( בערbrennen«, MT: Qal) in V. 2 als καίω (»brennen«), in V. 3 aber sachlich bedingt als κατακαίω (»verbrennen«). κατακαίω und nicht zu erwartendes κατεσθίω (»essen«, vgl. Lev 10,2) steht in 3,2 auch für »( אכלessen«). Semantisch klärend verfährt der Übersetzer auch bei Calques: In Ex 12 führt er πάσχα (»Passa«) als terminus technicus ein. Dessen Bedeutung erläutert er narrativ, indem er verbales פסחeinerseits mit σκεπάζω (»beschützen«, V. 13.27) und andererseits mit παρέρχομαι (»vorübergehen«, V. 23) wiedergibt (wie עברim selben Vers). 52 Der Übersetzer fügt auch Klärendes hinzu: Beim ersten Vorkommen von σάββατον (»Sabbat«, 16,23) erläutert er dessen Bedeutung durch die Zusätze ανάπαυσις (»Ausruhen«, vgl. 35,2) und ἡμέρα (»Tag«, 16,29). Wie weit er bereit ist, um der Verständlichkeit willen zu gehen, zeigt 6,30, wo »( אני ערל שפטיםich bin unbeschnitten an den Lippen«) als ἐγὼ ἰσχνόφωνός εἰμι (»ich bin stimmschwach«) wiedergegeben wird (vgl. Dtn 10,16LXX). Eine mutige Umschreibung ist die Wiedergabe des in seiner Bedeutung nicht eindeutigen האבניםin 1,16 durch τίκτω (»gebären«). 53
ExLXX ist auch theologisch gesteuert. 54 So zeigt 4,6.7 mit der Nichtübersetzung von »( מצרעתAussatz«) und dem Zusatz εἰς τὴν χρόαν (»zur Farbe«): Mose soll nicht mit Aussatz in Verbindung gebracht werden, nur die Farbe seiner Haut hatte sich verändert. 55 Auch Differenzen gegenüber MT in halachischen Passagen wie 21,22 f. wer-
48. 49. 50. 51. 52.
53. 54. 55.
Creativity. Auch von der Vorlage abweichende Wortstellungen erklären sich verschiedentlich durch spezifische Aussageabsichten des Übersetzers, s. Perkins, Order. Sollamo, Repetition, 1-6.7-18.30-44.81-94.95-103; Soisalon-Soininen, Auslassung, 92-95; ders., Rendering, 58-60. Levine Gera, Translating. Sollamo, Pleonastic Use, 44-47. S. unten, Fn 88 mit Lit. zu zahlreichen Beispielen. BdA 2, 48-51; Wevers, N-Ex, 175.181; Büchner, Relationship, 406 f.; Lee, Study, 50. Inwieweit dieses Verfahren ohne Kenntnis des hebräischen Texts nachvollziehbar war, bleibt eine offene Frage. Vgl. Aejmelaeus, Vorlage, 94. Frankel, Einfluss, 82-101; Prijs, Tradition, 1-14.21.38.41 ff.65 f.89-92.95 f.102; Popper, Bericht, 144 ff.162 ff.; Wevers, Translation. Entweder ExLXX bekämpft antijüdische Polemik, die eine Verbreitung von Krankheiten unter3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
129
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
den vor dem Hintergrund differierender theologischer Traditionen plausibel. 56 D. Büchner konnte traditionsgeschichtliche Linien zur MekhJ aufzeigen; 57 seine Versuche, den Befund auch für die Vorlagenfrage von ExLXX und MekhJ auszuwerten, sind methodologisch bedenkenswert. 58 Zur Veranschaulichung theologischer Übersetzungen: 1) Für das Tetragramm steht in der Regel artikelloses κύριος (»Herr«), in Strafzusammenhängen wie 16,7 kann aber gegen MT das unspezifischere θεός (»Gott«) stehen: κύριος soll nicht mit dem Negativen verbunden werden. 59 Im Kontext mit dem Pharao findet sich θεός oder κύριος mit Artikel: Der Pharao hat den Gott Israels nicht erkannt (s. unten, 4). 60 2) In ExLXX fehlen Aussagen über das »Wohnen« Gottes: Für »( משכןWohnung«) steht mit σκηνή (»Zelt«) dasselbe Wort wie für »( אהלZelt«), 61 statt verbalem »wohnen« mit Subj. Gott bietet 24,16 »herabsteigen«, 25,7LXX/V. 8MT »erscheinen«, 29,45 f. »angerufen werden« und 40, 29LXX/ V. 35MT »beschatten«. Grund dafür ist nach M. Rösel nicht eine Vermeidung von Anthropomorphismen, sondern das Konzept eines kontingenten Erscheinens Gottes im Heiligtum (s. unten, 4). 62 Theologisch gelenkt ist in ExLXX auch die Rede vom »Gott Sehen«: In 24,10.11 wird sie gegen MT vermieden, sie findet sich mit MT in 3,16; 4,1.5; 6,3 und gegen MT in 25,7LXX; 33,13. Die Diskussion muss zeigen, ob dies a) durch textinterne Spannungen bedingt ist (33,11.20), b) von ägyptischen Vorstellungen beeinflusst ist, die die Schau Gottes kultisch einbinden, c) betonen soll, dass Menschen Gott nicht sehen können, d) auf ein kontingentes Erscheinen Gottes abzielt, oder e) ob es vorlagenbedingt ist. 63
Es ist wohl platonischer Einfluss, der sich in 3,14 im ἐγώ εἰμι ὁ ὤν (»ich bin der Seiende«) für »( אהיה אשר אהיהich werde sein, der ich sein werde«) 64 und vielleicht auch in 25,8.40LXX mit παράδειγμα und τύπος (Urbild, mit implizitem Abbild) zeigt. 65 So werden die Umrisse einer Vorlage erkennbar, die dem späteren MT nahe kommt. Mit ihm identisch war sie nicht, das zeigt schon 1,5, wo LXX mit »75« die
56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63.
64.
65.
stellte (BdA 2, 97; Hata, Beginning, 85), oder im Blick war, dass Aussatz unrein macht und zudem Strafe Gottes sein konnte (Num 12,10). Isser, Traditions, bes. 30-40; s. schon Prijs, Tradition, 10-11. Büchner, Relationship zu Ex 12,13.16.21; 13,12; 20,23; 21,6b.13; 22,12.17; 23,8; ders., Variants, bes. 38.46.49-51 zu 21,15 f.LXX.22; s. auch Frankel, Einfluss, 91 f.; Prijs, Tradition, 21.65-66. Büchner, Variants, 39-42.45-47.49.53 f. zu Ex 12,21; 13,5.6; 14,10; 21,17LXX.22; 23,8. Die Änderung kann auf die Übersetzer oder auf die hebräische Vorlage zurückgehen. Rösel, Reading, 420-424; grundlegend Perkins, ΚΥΡΙΟΣ, 21 ff. (zur Artikelsetzung bes. 28.33). Vgl. MT/LXX in 26,1.7.12.13.15.17.18.22.23.26.27.30.35; 27,9; 33,7. S. schon Frankel, Einfluss, 84 ff. Rösel, Tempel, 452 ff. Zur Vermeidung von Anthropomorphismen Frankel, Einfluss, 85. Anders als etwa Tg Onqelos vermeidet ExLXX auch nicht die Rede von der »Hand« Gottes. Vgl. die Positionen bei Sommer, Translation, 53-56; Joosten, See God; NETS, 47-49; Himbaza, Voir Dieu, 103 ff.108 ff.; Gurtner, Exodus, 108.410 f.; Wevers, Translation, 302; Rösel, Tempel; zur Interpretation des »Orts« in 24,10LXX als Vorschau des Tempelbergs s. Wyckoff, When Does Translation Become Exegesis? Dass mit ὁ ὤν (der Seiende) der personale Aspekt erhalten blieb, ist schon früh wahrgenommen worden, s. Elowsky, J. C., Exodus in the Fathers, in: T. B. Dozeman / C. A. Evans / J. N. Lohr (Hg.), The Book of Exodus. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 164, Leiden / Boston 2014, 511-534: 516 f. Zu Ex 25,9(8LXX).40 s. Rösel, Tempel, 454 f.461. Platonischen Einfluss in 3,14 verneint Wevers, N-Ex, 33-34; ders., Reflections, 31.
130
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
ursprüngliche Zahl der Jakobskinder behalten hat. 66 Die entscheidende Frage ist, ob man die Differenzen zwischen LXX und MT, etwa den »expansionistischen Charakter« von ExLXX, wesentlich der Vorlage zuschreibt oder dem Übersetzer. 67 Scheinen die skizzierten Übersetzungstendenzen auch für eine Lösung im zweiten Sinn zu sprechen, so machen neuere Arbeiten deutlich, dass die Antwort so einfach nicht ist. J. E. Sanderson hat die Bedeutung hebräischer expansionistischer Ex-Texte herausgearbeitet, zu denen auch die Vorlage von ExLXX gehört haben könnte. 68 Damit kommt den in LXX gegenüber MT kürzeren Passagen besondere Bedeutung zu. 69 In diesem Rahmen hat B. Lemmelijn Ex 7–11 einer methodisch differenzierten textvergleichenden Analyse unterzogen und dabei auch die Bedeutung der Unterschüsse in LXX bestätigt. 70 H. Ausloos wiederum konnte gegenüber MT längere Texte auf eine entsprechende Vorlage zurückführen. 71 Ein Problem bleiben die Textfolgen im Dekalog und im Textblock um das Zeltheiligtum. Im Vergleich der Verbotsfolgen Ehebruch – Diebstahl – Mord in Ex 20,13-15LXX mit Ehebruch – Mord – Diebstahl (DtnLXX, pNash) und Mord – Ehebruch – Diebstahl (ExMT, DtnMT) zeigt ExLXX Eigenständigkeit und keine Harmonisierungstendenz: ExLXX könnte eine ältere Textform bewahrt haben. 72 In Ex 25–40 ist der Text ab 35 kürzer und anders organisiert als MT (s. unten, 4). 73 Zwischen den Blöcken 25 ff. und 35 ff. besteht weder Symmetrie 74 noch Konkordanz, 75 der Bau des bronzenen Altars (27,1-8) wird nicht erwähnt, und das Zelt ist in 26,18 ff.; 37,7 aus palästinischer, in 27,9 aber aus alexandrinischer Perspektive ausgerichtet. 76 Die Frage, ob mit einem Wechsel der Übersetzungstechnik, einem anderen Übersetzer oder einer von MT abweichenden Vorlage zu rechnen ist, stellt vor eine falsche Alternative, 77 zumal Konkordanz auch innerhalb der Blöcke fehlt. 78 Auffällige Unterschiede in den Wiedergaben sprechen nach M. L. Wade für einen Übersetzerwechsel, zugleich schlägt sie vor, z. B. 38,13 ff.LXX/37,17 ff.MT als Klärung von 25,31 ff. zu verstehen. 79 Dass dieser neue Übersetzer dann die Symmetrie des Blocks aufgebrochen haben soll, ist unplausibel. Die »Übersetzungsinkongruenz« ist somit zu trennen von der Vorlagenfrage. Es ist mit einer 66. Barthélemy, Tiqquné Sopherim, 296 ff. »75« auch in 4QExodb und 4QGen-Exoda. 67. Im zweiten Sinn Wevers, TH-Ex, 148; ders., Reflections und NETS, 44. 68. Sanderson, Exodus Scroll, z. B. 243 ff.264 ff.; dies., Old Greek, bes. 101.103; sowie zu Ex 12,40 Kreuzer, Zur Priorität. 69. Inventarisiert bei Polak, F. / Marquis, G., A Classified Index of the Minuses of the Septuagint. Part II: The Pentateuch, CATSS.Basic Tools 5, Stellenbosch 2002, 101-181.406-408. 70. Lemmelijn, Plague, z. B. 165 f.172 f.174.176.190, zusammenfassend: 212 f.216 f. 71. Ausloos, Version, 91-101; ähnlich Perkins, Name, 456-458 mit Fn. 44. 72. Vgl. Himbaza, Décalogue, 292 f.152 ff.197 f.; zur Reihenfolge auch Greenspoon, Textual and Translation Issues, 342. Zur Ex-Überlieferung s. Wevers, N-Ex, 314. 73. S. Wevers, TH-Ex, 117-146; Salvesen, Exodus, 33-35; Forschungsüberblick bei Salvesen, Textual and Literary Criticism. 74. Wevers, TH-Ex, 117 f.; Aejmelaeus, Solution, 109 (auch zum Gegenüber MT/LXX). 75. Vgl. die Wiedergaben von תרומהin 25,2/35,5, לחם הפניםin 25,29LXX(V. 30MT)/39,18, מכברin 27,4/ 38,24LXX(V. 4MT); weitere Beispiele bei Gooding, Account, 32 ff. 76. Bogaert, L’orientation; Fraenkel, Übersetzungsnorm, 77 ff. 77. S. Wade, Consistency, 4-9; Gooding, Account, 3-9; Aejmelaeus, Parataxis, 175. 78. στῦλοι: קרשיםund ( מודים36,30; 38,10); κλίτος: פאה, ( צלע26,27; 27,9); weitere Beispiele bei Gooding, Account, 20 ff.; Wade, Consistency, 68 ff.114 ff. 79. Wade, Consistency, 215-222.227 ff.235 f.239 f.243 ff. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
131
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
von MT abweichenden Vorlage zu rechnen, die in einer von 1-34 abweichenden Übersetzungsweise übertragen wurde. 80 Ein Vergleich von Cod. Monacensis (s. oben, 2.), LXX und MT macht deutlich, dass an den Zelttexten lange und intensiv gearbeitet wurde. Wie komplex die Situation ist, zeigt sich im Fehlen von 28,23-28MT in LXX, also einer Passage im vorderen Block (vgl. 28,24 f. LXX ), es zeigt sich im Plus in 38,4LXX/37,5MT, das Sam und LXX gegen MT teilen, und es zeigt sich in kontextorientierten Überschüssen des MT gegenüber Sam und LXX: 30,6b (Präzisierung von V. 6a mit Blick auf 25,21 f.); 35,14a (Vervollständigung mit Blick auf 39,37); 38,25b (Maßangabe mit Blick auf V. 26; 39,37); 35,13 (mit Blick auf 39,36; 25,30). Bei allen offenen Problemen: Es muss zu gezielten Eingriffen in die Texte gekommen sein, und der symmetrische MT ist als relativer Endpunkt einer Entwicklung zu charakterisieren. Die in ExLXX fehlende Symmetrie wird zum Problem erst aus dieser Perspektive (s. unten, 4.). Die Handschriften spiegeln Stadien einer nichtlinearen Textgenese, in der Redaktions- und Textgeschichte sich gegenseitig beeinflusst haben. Zu bedenken sind deshalb auch verwandte Phänomene in Ez 40 ff., 1Kön 6 ff. und 2Chr 3 ff., da die Heiligtumstexte als Sachzusammenhang verstanden wurden. 81
ExLXX wurde in erster Linie für Juden im nichtjüdischen Ägypten erstellt, dafür spricht etwa die Differenzierung zwischen Ägyptern als ἔθνος und Israel als γένος (»Volksstamm« und »Geschlecht«, 1,9, vgl. 5,14; MT jeweils »[ עםVolk«]). Auch ägyptenfreundliche Züge, die dem hebr. Text abgehen (s. unten, 4.), erklären sich als Antwort auf die Herausforderung, Ex im ägyptischen Kontext präsentieren zu müssen. Und es sind diese Züge, die zeigen, dass bei der Übersetzung auch an nichtjüdische Leser gedacht wurde. 82 LevLXX und NumLXX übernehmen kultische Terminologie aus ExLXX; DtnLxx setzt in 9,13 Ex 33,3.5LXX voraus. 83 ExLXX seinerseits übernimmt in 25,9.13 κιβωτός für ארון (»Kasten, Lade«) aus Gen 6 ff.LXX und schlägt mit 23,31 und 1,11 Bögen zu Gen 15,18 bzw. 41,45.50; 46,20LXX. 84 Ex wurde somit als zweites Buch des Pentateuch, nach Gen, übersetzt. Im Nebeneinander von Abbildung und gezielter Deutung der Vorlage wie auch in der Tendenz, anstößige Formulierungen der Vorlage zu vermeiden, trifft sich ExLXX mit den Targumim, deren ältestes erhaltenes Gattungsfragment 4Q156 noch aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt. 85 Vergleichbare Tendenzen zeigen sich außerbiblisch erstmals bei Aristobul, ebenfalls im 2. Jh. v. Chr. 86 Da dieser Befund nicht gegen die traditionelle Datierung der Übersetzung ins 3. Jh. v. Chr. spricht und diese Ansetzung durch sprachgeschichtliche Beobachtungen bestätigt wird, 87 könnte mit ExLXX der älteste Beleg für diese Tradition(en) vorliegen.
80. 81. 82. 83. 84.
Mit Aejmelaeus, Solution. S. auch Bogaert, Construction, bes. 75. Vgl. auch Hata, Beginning. S. BdA 3, 36-43; BdA 4, 42 f.49 ff.52-54.59 f.66-72; Wevers, N-Ex, 156 f. Zu κιβωτός: BdA 2, 253 f. (zu M. Harl). Zu Ex/GenLXX: Perkins, Name, 461-462.451.454.458.467. 471. 85. S. die Targumim zu Ex 4,24, Pseudo-Jonatan zu 4,6 f., Pseudo-Jonatan und Onqelos zu 19,4. 86. Bloch, Moses, 149 f. mit Fn. 192. 87. Evans, Syntax, 263(f.); Lee, Study, 145.148.
132
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Der Übersetzer ist mit der zeitgenössischen Koine gut vertraut. Das zeigt sich in seiner Verbalsyntax, in der bewussten Gestaltung narrativer Abläufe, in stilistischen Variationen und in den vielen Fällen, in denen er auf eine Element für Element-Wiedergabe zugunsten eines idiomatischen Griechisch verzichtet. 88 Er hat eine Vorliebe für das Präsens historicum, das er gezielt einsetzt. 89 Die Parataxe der Vorlage gibt ExLXX variantenreich wieder: vor allem durch καί (»und«), besonders bei Themenwechseln durch δέ (wie »aber«), durch temporale Konstruktionen oder durch Participium conjunctum, 90 was nur vereinzelt zu grammatisch inkorrekten Konstruktionen führt. 91 Damit ist ExLXX deutlicher an der Zielsprache orientiert als LevLXX und NumLXX. Literarisch erstmals greifbar sind etwa ἱλαστήριον (»Sühnestätte«, 25,16LXX), ἱεράτευμα (»Priestergemeinwesen«, 19,6), 92 ῥοΐσκος (»Granatapfel«, 28,29LXX), πολυέλεος (»voller Mitleid«, 34,6) und φαρμακός (»als Magier«, 7,11) sowie die Lehnwörter πάσχα, σάββατον und μάν (16,31, »Manna«). Mit πάσχα und ϑῖβις (tibis) (2,3.5.6) zeigen sich Einflüsse aus dem Aramäischen bzw. dem Ägyptischen. 93 In der Makrostruktur entspricht ExLXX dem MT (1,1-15,21: Befreiung aus Ägypten; ab 15,22: Israel in der Wüste; ab 25: das Zeltheiligtum); Unterschiede bestehen im Detail. So zeugt »Götter (θεούς) sollst du nicht lästern« (22,28) als Wiedergabe des hebräischen »Gott ( )אלהיםsollst du nicht lästern«, von einer vorsichtigeren und damit toleranteren Haltung der Umwelt gegenüber. 94 H. Utzschneider hat gezeigt, dass die Tochter des Pharao in Ex 2LXX positiver gezeichnet wird als im MT, was er als »Verbeugung der Übersetzer vor [dem] Gastland und dessen herrschender Schicht« versteht. 95 Tatsächlich finden sich ägyptenfreundliche Züge auch sonst. Die Frage Pharaos in 5,2MT wird meist – grammatikalisch keineswegs zwingend – als Provokation verstanden: »Wer ist JHWH, dass ich auf seine Stimme hören soll(te)?!« In ExLXX bittet Pharao um Auskunft: »Wer ist es, auf dessen Stimme ich hören soll?« Er weiß nicht, mit wem er es zu tun hat, also gebraucht er κύριος mit Artikel (5,2: »den Herrn«) und geht davon aus, dass Mose Israel als sein (Pharaos!) Volk aus Ägypten führen will (5,4LXX: »mein Volk« / MT: »das Volk«). Dass Israel nicht sein Volk ist, wird ihm spät klar
88. Exemplarisch zur Verbalsyntax: Evans, Syntax, 98-104; zur narrativen Gestaltung: Wevers, Reflections, 21-26; Utzschneider, LXX; zum Stil: Lee, Study, 123 f. (Gottesrede 9,18 mit altehrwürdigem ὕω, Erzählerperspektive 9,23 mit »modernem« βρέχω); zu idiomatischen Wiedergaben: Lee, Study, 25(4,18; 18,7).28(21,18).35(22,8).36(23,7).39 f.(29,17).49(9,24).57(9,31).89-91 (28,43; 24,14; 36,2).150 f.(17,14; 32,15; 34,10.27; 21,5.7 u. a.); Aejmelaeus, Intention, 61-64; dies., Vorlage, 85 ff.; Wade, Evaluating, 65-73. 89. Evans, Syntax, 98-104.119 f.263.271; Voitila, Présent, 92.100-106-236. 90. Aejmelaeus, Parataxis, bes. 13.36.40.88 ff.122 ff.145 ff.155.164.166.170 ff.176; dies., Participium, 1 f.6 ff. 91. Voitila, Remarks, 33-36. 92. Dazu den Hertog, Übersetzung; vgl. auch van der Kooij, LXX Exodus 23. 93. Joosten, J., Language as Symptom. Linguistic Clues to the Social Background of the Seventy, in: ders., Collected Studies on the Septuagint. From Language to Interpretation and Beyond, FAT 83, Tübingen 2012, 185-194: 188-191; Lee, Lexical Study, 16.115. 94. BdA 2, 230-231; Wevers, Reflections, 35; Hata, Beginning, 85 f.; Salvesen, Exodus, 36. 95. Utzschneider, LXX (Zitat: 473); kritisch dazu: van der Louw, Narratological Approach. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
133
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
(8,8LXX/4MT). Mit der Charakterisierung der Gerichtstaten Gottes als »Vergeltung« (7,4) lautet die Botschaft an Ägypten: Es war dieser Pharao der Vergangenheit, der die Katastrophe gebracht hat. Das hätte verhindert werden können, zumal Mose als Untertan gezeichnet wird, der vom Pharao Befehle annimmt (vgl. 8,9.12LXX mit 8,5.8MT).
Differenzen bestehen auch im Zusammenhang mit dem Heiligtum: In ExLXX »wohnt« Gott nicht im Heiligtum, er erscheint dort kontingent, was konzeptionell auffallend zur Einführung des »Gott Sehens« im Kontext des Heiligtums (25,7LXX) gegen MT passt (s. oben, 3.). 96 Wie MT lässt auch ExLXX in 25–40 der Beauftragung zum Bau des Zelts (25–31) die Episode mit »goldenem Kalb« und Bundesschluss folgen (32–34), bevor dann die Bauausführung geschildert wird (35–40). In 35 ff. rahmen 35,35; 37,21ExLXX die Verarbeitung der Textilien und zeigen, dass dieser Text nicht an einer Ausführungssymmetrie zu 25 ff. interessiert ist, sondern an den verarbeiteten Materialien 97 und daran, was mit ihnen geschieht. Im Anschluss an die Textilverarbeitung beginnt mit Ex 38 die Metallverarbeitung, denn der Schwerpunkt aller folgenden Arbeiten liegt auf dem Gold. Zweck der Verarbeitung ist die Ermöglichung des Priesterdiensts (36,34; 37,19; 39,12). 39,12 ff. stellen abschließend die Verwendung des gesamten, auch des bislang nicht verarbeiteten Materials sicher. Hintergrund könnte die Herstellung des goldenen Kalbs sein – ein Fall illegitimer Materialverarbeitung. Tatsächlich sollen die Israeliten in 33,5.6 nicht nur den Schmuck (MT), sondern auch die Gewänder ablegen, und auch 39,12 f. erwähnt ausdrücklich Gold(!) und Stoffe. Das Heiligtum darf mit keinem Material aus der Zeit des Kalbkults belastet werden; vor diesem Hintergrund könnten auch 38,8.22 eine Erklärung finden. Der Block zeigt ein ureigenes priesterliches Interesse: Die Reinheit all dessen, das mit dem Heiligen Kontakt hat. 98
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Im Umfeld »biblischer« Texte hatte ExLXX zunächst Einfluss auf die Übersetzung anderer Bücher der LXX: Vor allem die erstmals literarisch greifbare kultische Terminologie wurde in LevLXX und NumLXX rezipiert (s. oben 3.). Seit langem gesehen hat man die Bedeutung des Texts für JesLXX. 99 Weish greift bes. in 10,15 ff. und in Kap. 19 auf Ex 96. Joosten, See God, vermutet Einfluss eines ägyptischen Konzepts, in dem die Schau Gottes an den Tempel gebunden ist. 97. Grundlegend Wevers, Building, 123.126.137.130-131. 98. S. in diesem Kontext auch van der Kooij, LXX Exodus 23. Ob die Übersetzer einen palästinischen (van der Kooij, 548) oder einen ägyptischen Hintergrund haben (s. Joosten, Language, 189, s. Fn. 93), ist gesondert zu diskutieren. 99. Vgl. (je LXX) Jes 5,10/Ex 16,36; Jes 14,1/Ex 12,19; Jes 19,6/Ex 7,19; Jes 58,4/Ex 21,18; Jes 43,16-17/Ex 14,23; Jes 48,21/Ex 17,6; Jes 48,17/Ex 18,20; Jes 58,4/Ex 21,15.18; Jes 56,3.6/Ex 12,49 in Ms. A. S. Thackeray, H. S. J., The Greek Translators of the Prophetical Books, JThS 4 (1903), 578-585: 583; Seeligman, I. L., The Septuagint Version of Isaiah, in: ders., The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, hg. v. R. Hanhart / H. Spieckermann, FAT 40, Tübingen 2004, 119-294: 187-190 (mit Fn. 13); Ziegler, J., Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, ATA 12,3, Münster 1934, 103.121.112.124-125.129; Le Moigne, P., »C’est moi qui établis la lumière
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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
zurück. 100 Im NT fußen auf ExLXX sicher Mt 27,10 (Ex 9,12); Apg 7,14.18 (Ex 1,5.8); 12,11 (Ex 18,4); Röm 9,15 (Ex 33,19); 13,9 (Ex 20,13-17); 1Kor 10,7 (Ex 32,6); Gal 3,17 (Ex 12,40); Eph 6,2-3 (Ex 20,12) und 1Petr 2,9 (Ex 23,22). Die ntl. Autoren teilen mit ExLXX auch die meisten Namensformen. 101 Die frühste »außerbiblische« Rezeption findet sich im 3. Jh. v. Chr., bei Demetrius (»dem Historiker«), der Ex 15,22 ff.LXX und wohl auch Ex 13,18LXX kennt. 102 Die Bezugnahmen auf ExLXX in der Tragödie »Exagoge« von Ezechiel Tragicus (2. Jh. v. Chr.) hat P. Lanfranchi detailliert aufgezeigt. 103 D. Barthélemys Annahme, der »70« Nachkommen Jakobs in Frg. 1, Z. 2 wegen habe dem Vf. ein revidierter früher griech. Ex-Text vorgelegen, ist angesichts von p866 (7Q1) keineswegs abwegig (s. oben, 2.). 104 In den Schriften Philos von Alexandrien ist ExLXX bis hin zu Namensformen greifbar (z. B. Ex 20,13 ff. in decal. 25.26; Ex 24,10 in somn. I,61-63; Ex 3,14 in Mos. I,75.88; im Fall der Quaestiones in Exodum setzen zumal die griech. Fragmente ExLXX voraus); in De vita Mosis II,25-44 stellt er die Entstehung der LXX in den Kontext der Gesetzesverkündigung des Mose, wie er sie aus ExLXX kennt. 105 Eine Sichtung der Ex-Bezüge in den
100.
101. 102.
103.
104. 105.
et fis l’obscurité, qui fais la paix et fonde les malheurs«: Théologie du choix des thèmes verbaux des participes (présent vs aoriste) se rapportant à Dieu, dans la Septante d’Ésaïe, in: A. van der Kooij / N. van der Meer (Hg.), The Old Greek of Isaiah: Issues and Perspectives. Papers Read at the Conference on the Septuagint of Isaiah, held in Leiden 10-11 April 2008, CBET 55, Leuven u. a. 2010, 71-106: 92-95; Perkins, Greek Exodus. Zur Frage der Textform vgl. Cheon, S., The Exodus Story in the Wisdom of Solomon. A Study in Biblical Interpretation, JSPS.S 23, Sheffield 1997; Enns, P., Exodus Retold. Ancient Exegesis of the Departure from Egypt in Wis 10:15-21 and 19,1-9, Harvard Semitic Museum Monographs 57, Atlanta/GA 1997. Zum Befund s. Fichtner, J., Der AT-Text der Sapientia Salomonis, ZAW 57 (1939), 155-192: 187 (Weish 16,22/Ex 9,24).188 (18,1/Ex 10,23; 18,5/Ex 15,10). 188 (18,13/Ex 7,11.22; 8,3.14; Weish 18,14/Ex 12,29).189 (18,25/Ex 12,23; 19,10/Ex 7,28).190.192; Larcher, C.: Le livre de la sagesse ou La sagesse de Salomon Bd. II, EtB 5, Paris 1984, 640 (10,16/Ex 4,10; 14,31).642 (10,17/ Ex 13,17).643 ff.; Bd. III (1985), 1059 (19,7/Ex 14,21 f.).1064 (19,10/Ex 8,14) u. ö. Perkins, Name, 455 f. mit Fn. 40. Holladay, C. R., Fragments from Hellenistic Jewish Authors. Vol. I: Historians, SBL.TT 20, Pseudepigrapha 10, Chico/CA 1983, 51-91: 75 ff.89 f.; zu 13,18 auch Salvesen, Midrash in Greek?, 528f. Lanfranchi, P., L’Exagoge d’Ezéchiel le Tragique. Introduction, texte, traduction et commentaire, SVTP 21, Leiden / Boston 2006, 7.10.116-128.149.174.205-212.221-233.237 ff.252-255.260263.276 u. ö., zu Ezechiel Tragicus s. Bloch, Moses, 141-147 (ff.). Zur Rezeption im Aristeasbrief s. Salvesen, Tabernacle Accounts, 562-565. Barthélemy, D., Pourquoi la Torah a-t-elle été traduite en Grec?, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 322-340: 333-334 Fn. 29. Sterling, G. E., The People of the Covenant or the People of God. Exodus in Philo of Alexandria, in: T. B. Dozeman / C. A. Evans / J. N. Lohr (Hg.), The Book of Exodus. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 164, Leiden / Boston 2014, 404-439; Feldman, L. H., Philo’s Portrayal of Moses in the Context of Ancient Judaism, Christianity and Judaism in Antiquity Series 15, Notre Dame/IN 2007, 13 f.23 f.100.274.347.360; Steyn, G. J., Reflections on the Reception of the LXX Pentateuch in Philo’s De Vita Mosis, in: W. Kraus / S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014, 363-380: 370-378; Salvesen, Exodus, 37f.; dies., Tabernacle Accounts, 566 f.568-570. Zu den Namen: Perkins, Name, 455. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
Werken des mit jüdischer Auslegungsliteratur und hellenistischer Historiographie vertrauten Flavius Josephus erlaubt häufig keine klare Quellenzuweisung. 106 Da sich in den ersten Büchern der Antiquitates aber konzeptioneller Einfluss von ExLXX aufzeigen lässt, muss er griechisches Material benutzt haben. 107 Auf wirkungsgeschichtliche Spuren in der rabbinischen Überlieferung hat jüngst wieder M. Vahrenhorst hingewiesen. 108 Konzeptionell hat besonders ἐγώ εἰμι ὁ ὤν (Ex 3,14) Spuren in der Literatur von Judentum und Christentum hinterlassen, von Weish 13,1 über Philo (opif. 172; Mos. I,75; det. 160) bis zu Eusebius (Catenenfragmente 3,15; Or.comm Joh 2,13; princ. I,3.5), um nur die Anfänge zu nennen. 109
6. Perspektiven der Forschung Der unter 3. skizzierte Charakter der Übersetzung macht die konkrete Vorlagenrekonstruktion in vielen Fällen unmöglich. Damit bleiben textgeschichtliche Urteile häufig der Subjektivität des Forschers überlassen. Vor diesem Hintergrund besteht einerseits die Gefahr, ExLXX als reines Rezeptionsdokument misszuverstehen. Andererseits droht vergessen zu werden, dass es auch im Bereich des hebräischen Textes zu späten Eingriffen gekommen ist, dass somit auch MT Züge eines Rezeptionsdokuments trägt. Ein Schlüssel zur Textgeschichte könnte aber gerade in konzeptionell gesteuerten Umarbeitungen liegen, wie sie sich in den Texten um das Zeltheiligtum zeigen – auf welcher textlichen Seite auch immer. Ein Schwerpunkt der Forschung muss deshalb die Herausarbeitung konzeptioneller Differenzen zwischen MT und LXX sein. Eine große Herausforderung bleibt dabei die Arbeit an der Entwicklung der Texte um das heilige Zelt. 106. Feldman, L. H., Josephus’s Interpretation of the Bible, Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley u. a. 1998, 3-13.14-23.23-36.37-50.56-61.62 ff.65-73.374 ff.; ders., Studies in Josephus’ Rewritten Bible, JSJ.Suppl. 58, Leiden u. a. 1998, 55 ff.74 ff.539 ff.; Bloch, Moses, 35 f. mit Fn. 80; HadasLebel, M., À propos des récits de la Genèse et de l’Exode dans les Antiquités, Livres I à III, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), KATA TOYS Oʾ selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 409-422; Nodet, É., Le Pentateuque de Josèphe, La Bible de Josèphe I, Paris 1996, 195.13-17.2123.29-33. 107. S. Feldman, L. H., Judean Antiquities 1-4, Translation and Commentary, Flavius Josephus. Translation and Commentary Bd. 3, Leiden u. a. 2000, 18 7 (2,203/Ex 1,11).217 (2,293/Ex 7,20).273 (3,156/Ex 28,28).449 (4,279/Ex 22,17; 7,11). 108. Vahrenhorst, M., Zwischen Alexandria und Tiberias – Berührungen zwischen dem Text der LXX und rabbinischen Traditionen, in: W. Kraus / S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014, 483-500: 487 f.495 f.497-499; s. auch schon Gooding, Possible Examples, 39-41 (zu Ex 27,14-16 und bEr 2b); die von Büchner (s. oben 3.) aufgewiesenen Berührungen mit der Mekh können natürlich auch wirkungsgeschichtlich ausgewertet werden. 109. Heither, T., Schriftauslegung – Das Buch Exodus bei den Kirchenvätern, NSKAT 33/4, Stuttgart 2003, 68-73; Elowsky, Exodus in the Fathers (s. Fn. 64), bes. 516 f.; Kobusch, T., Sein, Seiendes II., HWP 9 (1995), 180-186; BdA 2, 92 (Lit.); Martin, J. P., La primera exegesis ontologica de »Yo soy el que es« (Exodo 3,14-LXX), Strom. 49 (1983), 93-115.
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6. Perspektiven der Forschung
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose Martin Vahrenhorst
1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/2, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Leviticus, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum II/2, Göttingen 1986 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Lev).
1.2 Qumran-Texte 1QpaleoLev = 1Q3 frg. 1-7.22-24 (DJD I) — 2QpaleoLev = 2Q5 (DJD III) — 4QEx-Levf = 4Q17 — 4QLev-Numa = 4Q23 — 4QLevb.c.d.e.g = 4Q24.25.26.26a.26b (DJD XII) — 4Qpap cryptA Levh = 4Q249j (DJD XXXIV) — 6QpaleoLev = 6Q2 (DJD III) — 11QpaleoLeva = 11Q1 (Freedman, D. N. / Mathews, K. A.,The Paelao-Hebrew Leviticus Scroll, Winona Lake 1985) — 11QLevb = 11Q2 (DJD XXIII) — 4QtgLev = 4Q156(DJD VI) — MasLeva.b = Mas 1a.b (Masada VI).
BQS 108-137 — HTTM 35-183. Wichtige Varianten sind auch in BHS und (künftig) in BHQ vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Harlé, P. / Pralon, D., Le Levitique, BdA 3, Paris 1988 — Büchner, D. L., Leuitikon, NETS, Oxford/New York 2007, 82-106 — Vahrenhorst, M., Levitikon, LXX.D, Stuttgart 20102, 98-132 — Vahrenhorst, M., Levitikon, LXX.E, Stuttgart 2011, 325-430.
1.4 Weitere Literatur Casabona, J., Recherches sur le vocabulaire des sacrifices en grec: des origines à la fin de l’époque classique, AFL 56, Paris 1966 — Cerutti, M. A., La terminologia religiosa e cultuale nel Pentateucho greco, AScRel 6 (2001), 191-214 — Daniel, S., Recherches sur le vocabulaire du culte dans la Septante, EeC 61, Paris 1966 — Den Hertog, C. G. den, Erwägungen zur relativen Chronologie der Bücher Levitikus und Deuteronomium innerhalb der Pentateuchübersetzung, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 216-228 — Dorival, G., »Dire en grec les choses juives«. Quelques choix lexicaux du pentateuque de la septante, REG 109 (1996), 527-547 — Dorival, G., Le sacrifice dans la traduction grecque de la Septante, AnnSE 18/1 (2001), 61-79 — Fabry, H.-J., Das Buch Levitikus in den Qumrantexten, in: ders. / H.-W. Jüngling (Hg.), Levitikus als Buch, BBB 119, Berlin / Bodenheim 1999, 309-341 — Frankel, Z., Über den Einfluss der palästinischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik, Leipzig 1851, Nachdruck Westmead 1972 — Gerstenberger, E. S., Das 3. Buch Mose. Leviticus, ATD 6, Göttingen 1993 — Goldenberg, R., The Septuagint Ban on Cursing the Gods, JSJ 28 (1997), 381-389 — Haacker, K., Ehrfurcht vor dem Wort, in: M. Haarmann / J. von Lüpke / A. Menn (Hg.), Momente der Begegnung (FS B. Klappert), Neukirchen-Vluyn 2004, 30-33 — Himmelfarb, M., 1. Wichtige Literatur
137
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
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2. Textüberlieferung und Editionen Die Textüberlieferung des Buches Levitikus ist ausgesprochen einheitlich. Von geringen Varianten abgesehen (vgl. dazu unter 3.1.2) entsprechen sich der hebräische und der griechische Text weitgehend. Am griechischen Text selbst sind keine Rezensionsspuren auszumachen. Auch die Tochterübersetzungen lassen keine Rückschlüsse auf eine längere Textgeschichte des griechischen Levitikusbuches zu. In manchen Fällen weichen die LXX und der samaritanische Pentateuch gemeinsam vom masoretischen Text ab. Das lässt darauf schließen, dass beiden gemeinsam Texttraditionen vorlagen, die von der des masoretischen Textes abweichen. 1 Solche Abweichungen lassen aber auch vermuten, dass auch in Fällen, wo es keine weitere Bezeugung gibt, Differenzen gegenüber dem MT nicht nur auf die Übersetzer, sondern teilweise auch auf eine unterschiedliche hebräische Vorlage zurückgehen können. Das Buch Levitikus liegt neben den Editionen von Swete und Rahlfs (/Hanhart 1935[/2006]) in der großen diplomatischen Ausgabe von Brooke / McLean sowie in der kritischen Ausgabe der Göttinger Septuaginta vor.
1.
Solche Abweichungen werden von Wevers, N-Lev und auch in LXX.E vermerkt.
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2. Textüberlieferung und Editionen
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik 3.1.1 Treue Wiedergabe des hebräischen Textes in Inhalt und Form Der Übersetzer orientiert sich bei seiner Arbeit in aller Regel an der syntaktischen Struktur seiner Vorlage und nicht an den Konventionen seiner Zielsprache. Daraus ergibt sich eine Treue zum hebräischen Text in Inhalt und Form. Das zeigt sich in syntaktischer Hinsicht daran, dass der griechische Satzbau bzw. die Reihenfolge der Wörter meistens mit dem hebräischen identisch ist. Da das Griechische hinsichtlich der Wortstellung recht tolerant ist, bleiben die Sätze, selbst wenn sie zunächst unübersichtlich scheinen (vgl. Lev 15,2), sprachlich korrekt und verständlich (vgl. aber Wevers, N-Lev, IX). Das ändert nichts daran, dass ein griechischer Leser, der mit der Sprache der Bibel nicht vertraut war, bestimmte Hebraismen kaum verstanden haben dürfte (vgl. 15,2.16.17; 20.2). J. W. Wevers hat zudem mit Recht darauf hingewiesen, dass man zum Verständnis bestimmter Begriffe eigentlich kein griechisches, sondern ein hebräisches Wörterbuch benutzen müsste (vgl. Wevers, N-Lev, X). Der Kontext macht es aber in jedem Fall möglich, auch an sich unverständliche Wendungen, angemessen zu verstehen.
Die Übersetzung macht von den reichen Möglichkeiten, die die griechische Sprache zur Verbindung von Haupt- und Nebensätzen bereitstellt, nur selten Gebrauch. In der Regel wird die hebräische Konjunktion וmit καὶ, wiedergegeben. Hebräische Konditionalsätze (» )ו … אםwenn … dann«) werden meist wörtlich ins Griechische übertragen (ἐὰν … καὶ / »wenn … und«), obwohl der Folgesatz im Griechischen üblicherweise ohne καί eingeleitet wird (vgl. BDR § 442,5a). Die Treue zum hebräischen Text führt zu weiteren Auffälligkeiten. Lev 2,1 hat z. B. im Hebräischen ein feminines Subjekt ()נפש, verweist jedoch im gleichen Satz auf ein maskulines Subjekt zurück (קרבנו/ »seine Gabe«). Dieses Phänomen ahmt die griechische Übersetzung nach, indem sie auf das feminine ψυχή, ein maskulines Possessivpronomen (αὐτοῦ / »sein«) folgen lässt. Schon die Wahl des Äquivalentes ψυχή, für נפשkann als Beispiel für die Treue zum Hebräischen dienen. ( נפשoft mit »Seele« übersetzt) bezeichnet allgemein die Lebenskraft eines Menschen und kann daher auch eine unbestimmte Person meinen (»man / jemand«). Dafür kennt das Griechische das Wörtchen τις. Für dieses entscheiden sich die Übersetzer aber nicht, sie wählen statt dessen das ungewöhnliche ψυχή, da dieses auch Leben, Lebenskraft bzw. Seele bedeutet. Auf der gleichen Linie liegt die Übersetzung des Syntagmas איש – איש, das im Hebräischen schlicht »jeder Mensch« bedeutet, mit ἀνδρὶ άνδρί, (15,2 [»einem Mann, einem Mann«]) oder mit ἄνθρωπος ἄνθρωπος (17,3 u. ö. [»ein Mensch, ein Mensch«]). Aufgrund der exakten formalen Entsprechung zum hebräischen Text entsteht ein im Griechischen ungewöhnlicher, aber doch noch verständlicher Text, der freilich wegen dieser sprachlichen Eigenheiten immer als Übersetzung erkennbar ist. Diese Besonderheiten stechen besonders dadurch hervor, dass der Übersetzer zuweilen zielsprachlich einwandfreie Sätze produziert, obwohl er das gleiche hebräische Phänomen sonst wörtlich übersetzt. So wählt er manchmal das Aorist-Partizip, statt 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
wie üblich mit καί zu übersetzen und schafft so hypotaktische Satzverbindungen (Lev 1,6; 2,8; 3,10; 5,12 u. ö.). In Lev 20,2 gibt er איש – אישausnahmsweise mit τις wieder. Ebenso verzichtet er in einigen Fällen auf das καί, in Konditionalsätzen (z. B. Lev 5,7; 13,56; 14,21; 20,6) und schafft so Sätze, die dem, was im Griechischen üblich ist, entsprechen. Die hebräische Wendung ואםwird manchmal wörtlich mit καὶ ἐὰν übersetzt (vgl. Lev 13,56; 26,18.21). An manchen Stellen findet sich das elegantere ἐὰν δέ (Lev 1,10.14; 2,1). Man könnte erwägen, dass hier ein Redaktor tätig war. Doch sind die Glättungen zu inkonsequent, um eine solche zweite Hand am Text zu sichern.
3.1.2 Differenzen zwischen dem griechischen und dem hebräischen Text Bei aller Treue zur hebräischen Vorlage nimmt die Übersetzung behutsame »Verbesserungen« vor, indem sie ähnliche Verse harmonisierend aneinander angleicht (1,10; 3,2; 4,34; 5,18; 6,9; 11,26 u. ö.) und formelhafte Wendungen ergänzt (6,17.29; 12,6; 21,7). Da diese Varianten nicht immer Parallelen in anderen Textzeugen haben, darf man vermuten, dass der Übersetzer in vielen Fällen selbst eingegriffen hat. In manchen Fällen präzisiert die Übersetzung Sachverhalte, die im hebräischen Text unklarer formuliert sind (vgl. 2,13; 3,3; 5,3.8; 6,4.18; 10,1; 12,4 u. ö.). Exemplarisch seien einige Präzisierungen genannt: Im hebräischen Text von 8,15 soll der Priester »das Blut« an die Hörner des Altars streichen. Die LXX stellt klar, dass nur ein Teil des Blutes dafür bestimmt ist, denn ein anderer Teil soll an den Sockel des Altars gegossen werden. Lev 13,5 schreibt in der hebräischen Fassung vor, dass der Priester »ihn« d. h. den Aussätzigen untersuchen soll. Die LXX präzisiert dahingehend, dass nicht die Person an sich, sondern die befallene Haut der Untersuchung bedarf. 2 Es bleibt aber in jedem Fall zu erwägen, ob solche Präzisierungen nicht schon in der hebr. Vorlage gestanden haben könnten. Sehr häufig findet sich die Wendung ( הקטיר … המזבחהetwas in Richtung des Altars in Rauch aufgehen lassen [z. B. Ex 29,13; Lev 1,9]; vgl. dazu Rendtorff, Leviticus, 60 f.). Die LXX übersetzt das Verb zumeist entweder mit ἀναφέρω ([auf die Opferstätte] hinaufbringen) oder etwas seltener mit ἐπιτίθημι ([auf die Opferstätte] legen). Alternativ begegnen noch προσφέρω (darbringen), ἐπιτελέω (opfern), oder in passenden Kontexten (Ex 30,7.8; 40,27) θυμιάω (räuchern). Abgesehen vom letzten Begriff liegen alle etymologisch weit von der hebräischen Vorlage entfernt. Es hat den Anschein, als hätte die LXX lieber allgemeine Termini der Opferdarbringung gewählt, weil »in Rauch aufgehen lassen« ihr in vielen Fällen nicht passend erschien. Es zeigt sich, dass der Übersetzer alles andere als mechanisch vorgegangen ist. Er hat seinen Ausgangstext verstanden und behutsam nach Möglichkeiten gesucht, dessen Gehalt in der Zielsprache auszudrücken. Manche Differenzen zwischen dem hebräischen Text und der LXX weisen Entsprechungen zu frührabbinischen Diskussionen auf. So präzisiert die LXX in 4,3 ebenso wie die rabbinische Tradition, dass dieser Vers vom Hohenpriester spricht, und stellt in 4,6 – analog zur rabbinischen Exegese – klar, dass das Opferblut nicht an, sondern nur in die Richtung des Tempelvorhangs gesprengt werden soll. Einige Unterschiede zwischen dem MT und der LXX hinsichtlich des Numerus lassen sich vor dem Hintergrund von Diskussionen über die Frage, ob bestimmte rituelle Vollzüge 2.
Weitere Beispiele bei Wevers, N-Lev, XII-XVI.
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
allein den Priestern vorbehalten sind, oder ob sie jeder Israelit ausführen kann (z. B. 1,3), erklären. Bisweilen entspricht der Text der LXX einer Position, die in halachischen Diskussionen vertreten und von der Mehrheit abgelehnt wird (vgl. zu 15,2), oder er lässt sich als Ausdruck eines Textverständnisses lesen, das die rabbinische Auslegung ebenfalls kennt (z. B. 21,9.20). Diese Indizien lassen darauf schließen, dass rabbinische Kreise mit einigen Texttraditionen der LXX selbst oder solchen, die sie repräsentiert, gut vertraut gewesen sein dürften (vgl. MekhY zu Ex 12,40). Die geläufige These, die LXX sei im Judentum nach 70 rasch ganz verloren gegangen, ist insofern zu differenzieren. Außerdem zeigen die Berührungen zwischen LXX und rabbinischen Texten, dass rabbinische Diskussionen durchaus auf ältere Auslegungstraditionen zurückgreifen können. Grundsätzlich wird man sagen können, dass die Übersetzung des Lev-Buches sich sehr eng an ihre hebräische Vorlage hält und nur sehr behutsam Änderungen vornimmt, wobei sie in vielen Fällen vom Willen zu einheitlicher Formulierung geleitet zu sein scheint. Daneben finden sich aber auch immer wieder Variationen, die das Prinzip der Konkordanz durchbrechen. 3 Wenn man das nicht dem Zufall zuschreiben oder sich jeder Erklärung enthalten möchte, so könnte man dies als Indiz dafür werten, dass der Übersetzer signalisieren wollte, dass der hebräische Text sich nicht einfach in eine andere Sprache übertragen lässt, »dass keine Übersetzung ein Ersatz für die Bibel selbst ist«. 4 Nur in der Vielfalt der Ausdrucksweise kann sein Gehalt transportiert werden (vgl. Dorival, Dire en grec, 530 f.).
3.2 Ort und Zeit der Übersetzung Die genannten formalen und inhaltlichen Tendenzen durchziehen das ganze Buch, so dass nichts dazu nötigt, das Buch auf mehrere Übersetzer aufzuteilen. Verschiedene Indizien spiegeln die Lebenswelt Ägyptens und lassen darauf schließen, dass die Übersetzung dort entstanden ist. In der Liste der unreinen Tiere findet sich z. B. der Ibis, ein Vogel, der nicht nur im Nildelta lebte, sondern auch eine kultische Bedeutung als Tier des Gottes Thot hatte (Lev 11,17). Lev 19,31MT warnt vor der Befragung von Totengeistern ([ תואבvgl. 1Sam 28,7]). Die LXX kontextualisiert die Übersetzung so, dass sie auf Praktiken Bezug nimmt, die in Alexandrien offenbar bekannt waren. Sie spricht von ἐγγαστρίμυθοι (Bauchrednern). Plutarch und der Alexanderroman nennen so genannte Bauchredner neben anderen ägyptischen Wahrsagern (Plut., Hist. Alex. 1.4.12 [zur Sache vgl. auch Plut., mor. 414E]). Als ein weiteres Beispiel solcher Kontextualisierung darf Lev 19,27 gelten. Dort heißt es hebräisch ()לא תקפו פאת ראשכם, man solle den »Rand seines Haupthaares nicht rundscheren« (ElbB). Die LXX übersetzt: »Ihr sollt keinen Zopf aus eurem Haupthaar machen« (οὐ ποιήσετε σισόην ἐκ τῆς κόμης τῆς κεφαλῆς ὑμῶν). Das Wort für »Zopf« (σισόη) ist ein griechisches Hapaxlegomenon, seine Bedeutung kann
3. 4.
Wevers spricht zuweilen von der »love of variation« des Übersetzers (Wevers, N-Lev, 28 u. ö.). Haacker, Ehrfurcht, 32. Was Haacker im Blick auf die Übersetzung von Buber und Rosenzweig gesagt hat, scheint mir in gewisser Weise auch für die LXX zu gelten. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
man aber sicher bestimmen, weil es im Ägyptischen ein gleichlautendes Wort gibt, das eindeutig »Zopf« bedeutet. 5
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Das Levitikusbuch ordnet alles Leben in konzentrischen Kreisen um Gottes Gegenwart im Heiligtum herum an und sucht nach Wegen, wie Gottes Gegenwart in einer für die Menschen heilvollen Weise erhalten bleiben kann. Dabei ist Gott an der Gemeinschaft mit seinem Volk interessiert und stellt Mittel zur Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft bereit. Dazu dienen die verschiedenen Opferarten, die in Lev 1–7 vorgestellt werden, die Einsetzung des Kultpersonals (8–9) und Handlungsanweisungen, die ihm gelten (10). Dazu dient ferner die Beachtung der Fundamentalunterscheidung von Rein und Unrein (Lev 10,10; 11,43 ff. u. ö.) und die Reinigung des Heiligtums nebst der Sühne für Priester und Volk am Sühnetag (Lev 16). Im Erzählduktus des Pentateuch ist diese Akzentuierung dadurch vorbereitet, dass ab Ex 25 von den Vorbereitungen zur Aufnahme des Kultes am Fuße des Sinai (von dort bricht das Volk erst in Num 10,11 auf), die in Lev 9,24 abgeschlossen ist, erzählt wird. Die besondere Herausforderung für den Übersetzer des Lev-Buches lag sicher in der Übertragung der kultischen Begrifflichkeit. Dabei ist zuerst festzuhalten, dass der Übersetzer grundsätzlich keine Scheu hat, Termini aus der hellenistischen Kultsprache zu übernehmen. Das häufig zu findende σφάζω (schlachten) ist auch in paganen Kulten geläufiger Terminus technicus (Vgl. Casabona, Recherches, 155). Libationen kennen pagane Kulte ebenso wie schon die hebräische Bibel, wo es vor allem das Blut der Opfertiere ist, das an die Seite des Altars oder seinen Sockel gegossen wird (Lev 1,5; 4,7). Für das hebräische קזר ausschütten, ausgießen, sprengen) verwendet die LXX προσχέω (ab Ex 24,6), das ein etwas engeres Bedeutungsspektrum hat (»an etwas heran gießen«; vgl. Wevers, N-Lev, 4). Die Vokabel χέω bezeichnet im Griechischen sehr oft das Ausgießen von Trankspenden (Homer, Odyssee 10,518; Herodot 7,43; vgl. Casabona, Recherches, 279 ff.). Besprengungsriten (hebr. [ נזהhi.] gr. [προσ / περι]ῥαίνω) [Lev 4,6; 14,7; 4,17]), die an Altären vollzogen wurden (Aristophanes, Lysistrate 1130) oder zur Reinigung dienten (SIG 982,8; Plutarch, Lykurg 2), werden in paganen Quellen mit den gleichen Worten beschrieben, die auch die LXX wählt. Die oben genannten Äquivalente für die Wendung הקטיר המזבחהsind alle auch in der paganen Sprache kultisch konnotiert (vgl. GDI 3537; Anklänge an den heidnischen Opferherd bzw. Altar haben die Übersetzer nicht davon abgehalten das hebräische ( מרחשתBackpfanne; vgl. Rendtorff, Leviticus, 105) mit έσχάρα zu übersetzen (Sophokles, Antigone 1016; Aischylos, Persae 205; Xenophon, Kyropaedie 8.3.12) [vgl. dazu Stengel, Kultusheiligtümer, 15 f.], wobei sie durch Buchstabenvertauschung das Wort der hebr. Vorlage wahrscheinlich nachgeahmt haben.
Eine Differenz zu den Kulten der griechischsprachigen Umwelt ergibt sich auch im Levitikusbuch aus der Verwendung des schon in Gen 8,20 gebildeten Neologismus 5.
Die politischen Verhältnisse im ptolemäischen Alexandrien könnte die Anwendung des Terminus ἔθνος auf Israel in 19,16 spiegeln, galten doch die Juden im Ptolemäerreich als Ethnos unter anderen.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
θυσιαστήριον. Die klassische Bezeichnung für den griechischen Altar βώμος behalten die Übersetzer nichtisraelitischen Altären vor (Ex 34,13; Num 23,1; Dtn 7,5) – und zwar auch da, wo der hebräische Text ohne zu differenzieren von מזבחAltar) spricht. Dass hier eine solche begriffliche Differenzierung vorgenommen wurde, erklärt sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein Altar nicht einfach als neutraler Gegenstand gilt, sondern dass er einer bestimmten Gottheit geweiht ist. Von dem einer Gottheit geweihten Altar her bestimmt sich, welcher Kult dort vollzogen wird. Bei aller Ähnlichkeit, die zwischen einzelnen rituellen Vollzügen paganer Kulte und dem Kult Israels bestehen, bleibt die Unverwechselbarkeit des Kultes Israels also dadurch gewahrt, dass er am Altar des Gottes Israels vollzogen wird. Eine Unterscheidung von den Kulten der Umwelt schafft zudem die Bildung neuer Opferbezeichnungen (ὁλοκαύτωμα, περὶ ἁμαρτίας u. a.). Als leitendes Interesse ist dabei allerdings weniger das Bedürfnis nach Abgrenzung von den Kulten der Umwelt auszumachen, als vielmehr der Wille, den Lesern das Wesen eines Rituals nahezubringen: Bei der עולהhandelt es sich um ein Opfer, das Gott ganz übereignet wird. Da das durch Verbrennen vollzogen wird, übersetzt man dies mit ὁλοκαύτωμα (»Ganzbrandopfer«), so dass deutlich wird, was bei dem Opfer wesentlich geschieht. Gleiches gilt für das so genannte Schwingopfer (z. B. 7,30). Sein genauer Vollzug liegt im Dunkeln, die unterschiedlichen Übersetzungen haben gemeinsam, dass sie das Ritual als Abgabe verstehen, die von einer bestimmten Größe separiert wird, um dann Gott oder den Priestern übereignet zu werden. 6 Wie unter 3.1.2 bemerkt handelt es sich bei der Übersetzung um ein durchdachtes Werk. Dass dies auch in theologischer Hinsicht gilt, wird unter anderem an der Art und Weise erkennbar, wie die Übersetzung mit Dämonen und Götzen umgeht. Spezielle Dämonen werden auf das reduziert, was sie in den Augen der Übersetzer sind: »Nichtigkeiten« (vgl. zu 17,7). Auch der עזאזלaus Lev 16 wird »entpersönlicht«. Indem man in 16,8.10.26 verschiedene Übersetzungen für das gleiche Wort wählt, verschwindet der Gedanke an eine personale Gestalt. In gleicher Weise wird der Moloch, bei dem es sich im hebräischen Text (wahrscheinlich) um eine Gottheit handelt, der man Kinder geopfert (oder geweiht?) hat, »entdämonisiert«. Er wird zum ἄρχων (Herrscher [18,21; 20,2 ff.]), wohl weil man den Namen nach dem hebräischen Konsonantenbestand deutete, so dass das Wort wie »König« zu lesen war. Ob man darin eine vorsichtige Kritik am ptolemäischen Herrscherkult sehen darf, ist jedoch fraglich. Bringt man aber die genannten Phänomene in einen Zusammenhang, so wird man sie als Versuch verstehen können, ältere Texte an die inzwischen selbstverständliche Vorstellung vom Monotheismus anzupassen bzw. als Bekundung des für die Übersetzer selbstverständlichen Monotheismus werten dürfen. Wichtiges Pendant dessen bildet die Zuspitzung von Lev 24,16: Schon das Aussprechen und nicht nur das Verfluchen des Namens des einen Gottes wird verboten. Diese Zuspitzung begegnet in keiner Quelle vor der LXX. Sie spiegelt auf jeden Fall die Entwicklung hin zu den Ersatzlesungen für den Gottesnamen, wie sie im sog. elohistischen Psalter (Ps 42–83; Verwendung von Elohim = Gott an Stelle des Gottesnamens) und im Gebrauch von ’ אדוניadonaj = Herr bzw. κύριος sichtbar wird. Darüber hinaus könnte die 6.
Vgl. Rendtorff, Leviticus, 255 f. Weiteres zur Kultsprache bei Vahrenhorst, Terminology, 117135 und im Exkurs zur Opferterminologie in LXX.E, 335-346. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
Verschärfung eine Stellungnahme gegen magische Verwendung des Gottesnamens sein, d. h. gegen die gerade in Ägypten (auch) unter Nichtjuden sich ausbreitende Neigung, den Gottesnamen in der Form IAO in magischen Formeln und auf magischen Plättchen zu verwenden. Der Schritt von der Kenntnis des Gottesnamens zu seinem magischen Geund Missbrauch war klein. Das Verbot, den Namen überhaupt auszusprechen, war ein möglicher Schutz dagegen (selbst die Einschärfung des Verbots durch die Todesstrafe könnte dazu passen, denn die Todesstrafe passt zu Bedenken gegen die Magie).
Erwähnenswert sind weiterhin folgende theologische Akzente: Schon im hebräischen Text ist Mose Empfänger und Übermittler der Gebote. Zuweilen erscheint er aber auch selbst als Urheber eines bestimmten Gebotes (Lev 8,31; 9,21). Die LXX eliminiert diese Lektüremöglichkeit des hebräischen Textes und macht ausschließlich Gott zum Urheber und Mose ganz zum Empfänger der Gebote (vgl. auch 8,36). Ähnlich wie andere Bücher der LXX minimiert die Übersetzung des Lev-Buches Anthropomorphismen: Das Wort »( לחםBrot / Speise«) wird in Opferzusammenhängen oft weggelassen (3,11.17; 21,6.8.17.21.22; 22,25) oder beispielsweise mit δῶρα (»Gaben«) übersetzt (21,8; 17,21 f.; 22,25). So vermeidet der Übersetzer den Eindruck, dass Gott sich von den Opfern ernähre. Auch stellt man durch die Übersetzung klar, dass Gott auch da, wo er erscheint, nicht direkt zu sehen ist (Lev 9,4.6). Ein schönes Beispiel für die Tendenz, Gott zu transzendentalisieren ist die Übersetzung von 26,33. Nach dem hebräischen Text kündigt Gott an, er wolle ein Schwert ziehen. In der griechischen Fassung wird daraus »ein Schwert wird gezogen werden«. Nimmt man alle genannten Charakteristika zusammen, so wird man sagen können, dass dem Übersetzer des Levitikusbuches bei aller Orientierung am hebräischen Text mehr gelungen ist als eine Interlinearübersetzung. Er schafft ein Werk, das eine Übersetzung ist und bleibt, aber eine bewusst gestaltete mit eigenen theologischen Akzenten.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Levitikusbuch hat, wie gesagt, einen eindeutigen Schwerpunkt in der Welt des Kultes. Die ersten 17 Kapitel sind allein ihm gewidmet. Und auch der zweite Teil, der Heiligkeit stärker ethisch definiert (vgl. 19,2 ff.), ist immer wieder von Passagen durchzogen, die kultische Angelegenheiten betreffen (vgl. z. B. 21,1–24,9). Die Übersetzung der kultischen Sprache ins Griechische stellte für das gesamte griechischsprachige Judentum der Antike (einschließlich der jüngeren Bücher der LXX; vgl. Vahrenhorst, Wörterbuch, 52-63) den Wortschatz bereit, mit dem über kultische Dinge kommuniziert werden konnte. Das gilt auch für neutestamentliche Texte, die sich auf die Welt des Kultes beziehen. Sie arbeiten weitgehend mit dem Vokabular, das die Übersetzung des Levitikusbuchs bereitstellte. In der christlichen Tradition ist kein Vers des Levitikusbuchs so präsent wie Lev 19,18b. Die Übersetzung trifft eine Entscheidung, die eine Verbindung von Selbst- und Nächstenliebe herstellt. Den hebräischen Text kann man mit Buber-Rosenzweig auch mit »er ist wie du« übersetzen, durch die Wahl des Akkusativs »ὡς σεαυτόν« ist das im Griechischen nicht möglich. Den Nächsten soll man so lieben, wie man sich selbst liebt. 144
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
6. Perspektiven der Forschung Auch wenn die Übersetzungstechnik, die dem griechischen Levitikusbuch ihre Gestalt gegeben hat, recht klar zu beschreiben ist, stellt sich doch die Frage, inwieweit man sie einer bewussten Entscheidung des Übersetzers zuschreiben darf. Wollte er kenntlich machen, dass es sich bei seinem Werk um eine Übersetzung handelte, die dem Original niemals gerecht werden kann, oder hatte er einfach keine Alternative? Es wäre lohnend die Übersetzung der LXX mit der anderer Texte der Antike hinsichtlich ihres Umgangs mit der Wortstellung und dem Wortschatz der Ausgangssprache zu vergleichen (so schmal die Textbasis dafür auch sein mag), um auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Übersetzungskonventionen genaueres über die Vorgehensweise des Übersetzers sagen zu können. Weiterer Überprüfung bedarf die Vermutung, dass das Lev-Buch nach dem Dtn übersetzt wurde (vgl. dazu den Hertog, Chronologie, 216-228). Viele Berührungen zwischen den beiden Büchern lassen sich so leichter erklären, als wenn man die kanonische Reihenfolge auch für die chronologische hält (vgl. zu 11,4.13 ff.; 19,10.19; 23,36). Von Interesse sind weiterhin die Beziehungen zwischen der LXX und den im hebräisch/aramäischen Bereich des antiken Judentums überlieferten Auslegungstraditionen.
6. Perspektiven der Forschung
145
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose Gilles Dorival
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete I, 1887 — BML I/3, 1911 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Numeri. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum III/1, Göttingen, 1982.
1.2 Qumrantexte u.ä 4QLXXNum = 4Q121 (DJD IX) — 1QpalNum = 1Q3 (DJD I) — 2QNuma.b.c.d? = 2Q6.7.8.9 (DJD III) — 4QLev-Numa = 4Q23 — 4QNumb = 4Q27 (DJD XII) — 4QLXXNum = 4Q121 (DJD IX) — MurNum = Mur 1 (DJD II) — 5/6ḤevNuma = 5/6Ḥev 1a — XḤev/SeNumb = XḤev/Se 2 — 34SeNum = 34Se 2 (DJD XXXVIII). BQS 138-174 – HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Dorival, G., Les Nombres, BdA 4, Paris 1994 — Flint, P. W., Numbers, NETS, Oxford / New York 2007, 107-140 — Morahu, M., Numerii, in: C. Badilita / F. Baltaceanu / M. Brosteanu / D. Slusanschi, Septuaginta 1, Bukarest 2004, 419-518 — Mortari, L., Il Pentateuco, Rom 1999, 535-721 — Rösel, M. / Schlund, C., Numeri, LXX.D, Stuttgart 20102, 133-175 — Rösel, M. / Schlund, C., Numeri, LXX.E, Stuttgart 2011, 431-522.
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1. Literatur
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
tion for Septuagint and Cognate Studies, Paris 1992, SCSt 41, Atlanta/GA 1995, 233-257 — Quast, U., Der rezensionelle Charakter einiger Wortvarianten im Buche Numeri, in: D. Fraenkel / U. Quast / J. W. Wevers (Hg.), Studien zur Septuaginta (FS R. Hanhart), Göttingen 1990, 230252 — Rösel, M., Die Septuaginta und der Kult. Interpretationen und Aktualisierungen im Buch Numeri, in: C. Uehlinger / Y. Goldman (Hg.), La double transmission du texte biblique (FS A. Schenker), Göttingen 2001, 25-40 — Rösel, M., Die Textüberlieferung des Buches Numeri am Beispiel der Bileamerzählung, in: Y. Goldman / A. van der Koij / R. D. Weis (Hg.), Sôfer Mahîr (FS A. Schenker), Leiden / Boston, 2006, 207-226 — Rösel, M., Jakob, Bileam und der Messias. Messianische Erwartungen in Gen 49 und Num 22-24, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, Leuven / Paris / Dudley/MA 2006, 151-175 — Sollamo, R., The Pleonastic Use of the Pronoun in Connection with the Relative Pronoun in the Greek Pentateuch, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 75-85 — Tov, E., The Rabbinic Tradition Concerning the »Alterations« Inserted into the Greek Pentateuch and their Relation to the Original Text of the LXX, JSJ 15 (1984), 65-89 — Tov, E. / Wright, B. G., Computer-Assisted Study of the Criteria for Assessing the Literalness of Translation Units in the LXX, Textus 12 (1985), 131-187 — Ulrich, E., The Septuagint Manuscripts from Qumran: a Reappraisal of their Value, in: G. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls and Cognate Studies, Papers Presented to the International Symposium on the Septuagint and Its Relation to the Dead Sea Scrolls and Other Writings (Manchester 1990), SCSt 33, Atlanta/GA 1992, 49-80 — Wevers, J. W., Text History of the Greek Numbers, Göttingen 1982 — Wevers, J. W., An Early Revision of the Septuagint of Numbers, in: Eretz-Israel 16 (1982), 235*-239* — Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Numbers, Atlanta/GA 1998 — Wevers, J. W., The Balaam Narrative according to the Septuagint, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), Leuven 1999, 133-144 — Wright, B. G., The Quantitative Representation of Elements: Evaluating »Literalism« in the LXX, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCS 23, Atlanta/GA 1987, 310-335.
2. Textüberlieferung und Editionen Die editio minor von A. Rahlfs (1935) gibt dem Vaticanus (B) zu Ungunsten des Alexandrinus (A) den Vorzug. Die kritische Edition von J. W. Wevers (1982) weist einhundertfünfzig Abweichungen gegenüber jener von Rahlfs auf. All diese Lesarten müssen festgehalten werden. Die Zahl einhundertfünfzig mag bedeutend erscheinen, doch haben die Entscheidungen von Wevers in den allermeisten Fällen keine Folgen für die Bedeutung. Tatsächlich handelt es sich um orthographische Varianten (sie betreffen insbesondere die Eigennamen), um Elisionen, um Varianten der Reihenfolge der Wörter (die Ziffer der Einerstelle vor der Ziffer der Zehnerstelle anstelle der umgekehrten Reihenfolge in 29,13 und 29), um die Verwendung eines Substantivs anstelle eines anderen, synomymen (4,25 und fünf weitere Beispiele) oder mit nahe verwandter Bedeutung (11,5 und vier weitere Beispiele), um den Gebrauch eines Verbes anstelle eines synonymen Verbes (15,1 und 21,32), um die Benutzung einer Wendung anstelle einer anderen mit gleicher Bedeutung (7,85 und sieben weitere Beispiele), um dieVerwendung einer Präposition anstelle einer Wendung mit gleicher Bedeutung (11,33 und sechs weitere Beispiele), um die Verwendung des Singulars anstelle des Plurals bei den Nomina und Pronomina (7,3 und sieben weitere Beispiele) und bei den Verben (1,44 und drei weitere Beispiele), um die Benutzung des Artikels vor θεός im Nominativ (Rahlfs lässt ihn in 2. Textüberlieferung und Editionen
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
23,22 und 24,8 weg), um das Fehlen des Artikels vor κυριός (Rahlfs nimmt ihn in 21,7 und in zwei anderen Fällen auf), um das Vorhandensein oder Fehlen des Artikels vor den Eigennamen (36,10 und drei weitere Beispiele) und Gattungsnamen (3,10 und zwölf andere Beispiele), um die Verwendung eines Casus anstelle eines anderen (6,15 und fünf weitere Beispiele), um das Vorhandensein des anaphorischen αὐτός (2,22 und drei weitere Fälle) oder des Personalpronomens (18,3), um die Verwendung von ὁσος anstelle von ὁς in Entsprechung zu πάς (1,54 und zwei weitere Beispiele), um das Vorhandensein oder Fehlen der Verbindungspartikel καί (4,3 und sieben andere Beispiele) oder ἠ (15,16), um die Verwendung des zweiten Aorist anstelle von anderen Formen (12,5 und vier weitere Beispiele), um eine kontrahierte anstelle einer nicht kontrahierten Form (10,3 und 30,13), um Variationen in der Zeitform (32,6 und fünf weitere Beispiele), um die Auslassung eines Wortes oder einer Wortgruppe, die für den Kontext nicht unverzichtbar sind (4,14 und sieben weitere Beispiele), um die Hinzufügung eines Wortes oder einer Wortgruppe von geringem Nutzen (2,31 und acht weitere Beispiele), um die Unterteilung bestimmter Verse (6,24).
Insgesamt sind unter den für Wevers eigentümlichen Lesarten nur etwa 20 zu finden, die einen Einfluss auf die Bedeutung haben: der Nominativ φυλή anstelle des Genitivs in 2,5 und sechs weitere Beispiele; 4,19.31.32; 9,21-22; 11,8; 13,1; 14,28; 16–17; 18,32; 20,27; 26,44; 31,54; 33,6-7. Doch die interessantesten Fälle betreffen die Unterteilung des Textes: Der Vers 1 des 13. Kapitels bei Wevers bildet den Vers 16 des 12. Kapitels bei Rahlfs, der dem masoretischen Text folgt. Anstatt das 12. Kapitel mit der Erwähnung eines Ortswechsels zu beschließen, beinhaltet der Septuaginta-Text von Wevers (dem auch die Einteilung in der Vulgata entspricht) einen Abschluss mit einem »guten Ende«, der Reinigung Mirjams. Ein ähnliches gutes Ende wird von der Septuaginta für die Kapitel 16 und 17 geboten: 16,36-50 entspricht 17,1-15 des masoretischen Textes. Letzterer schließt mit der Bestrafung der zweihundertfünfzig aufrührerischen Männer. An diese Bestrafung fügt die Septuaginta die Erinnerung an die Bestrafung (16,36-40), die Vernichtung von 14.700 Hebräern (16,41-49) und die Besänftigung des Zornes Gottes durch Mose und Aaron (16,50) an. Hat Wevers das Ziel, das er sich gesetzt hat, nämlich den ältestmöglichen griechischen Text zu edieren, tatsächlich erreicht? Auf der Grundlage des Studiums der 17 Varianten, die sich in der sehr lückenhafen Schriftrolle 4QLXXNum finden, behauptet E. Ulrich (Septuagint Manuscripts from Qumran) das Gegenteil. Ihm zufolge bezeugen diese Varianten den ältesten griechischen Text von Numeri. Letzterer biete das Verb ἀριθμεῖν, »zählen«, und nicht ἐπισκέπτεσθαι, »mustern«, um פקדzu übersetzen; ἀρτήρ, und nicht ἀναφορεύς zur Bezeichnung der Stangen, mit deren Hilfe die Bundeslade emporgehoben wurde; ὑακίνθινος, und nicht ὁλοπόρφυρος, zur Bezeichnung der Farbe des Stoffes über dem ausgestellten Tisch; τὰ σπονδεῖα, »die Trankopferschalen«, und nicht ὁ καλυπτήρ, »der Deckel«, um das zu bezeichnen, womit die Opferstätte ausgerüstet ist. Muss man Ulrich folgen und zum Beispiel systematisch ἐπισκέπτεσθαι, ἐπισκοπή und ἐπίσκεψις durch ἀριθμεῖν und ἀριθμός ersetzen? Etwa hundert solcher Ersetzungen müssten vorgenommen werden. Sie hätten den Vorteil, dass sie dem Titel des Buches Numeri selbst besser entsprächen. Doch Ulrichs Vorschlag ist einem starken Einwand ausgesetzt. In den anderen Büchern des Pentateuch entspricht ἀριθμεῖν / ἀριθμός normalerweise der Wurzel ספר (20 Belege); und im Buch Numeri selbst ist diese Entsprechung 34 Mal bezeugt. Tat148
2. Textüberlieferung und Editionen
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sächlich ist in diesem Buch פקדmit ἀριθμεῖν / ἀριθμός nur im Alexandrinus (zwölf Beispiele) wiedergegeben. Es gibt also eine Beziehung zwischen 4QLXXNum und dem Alexandrinus, die noch genauer zu bestimmen wäre. Von daher gälte: Wenn die Qumranrolle das Zeugnis des ältesten griechischen Textes ist, dann gälte dies konsequenterweise auch für den Alexandrinus. Dies ist in dem Maße eine paradoxe Behauptung, als die Abhängigkeit des Numeri-Textes im Alexandrinus im Hinblick auf den origenischen Septuaginta-Text von Wevers (TH-Num, 73-76) überzeugend herausgearbeitet wurde. Tatsächlich weist 4QLXXNum die Merkmale eines rezensierten Textes auf, wie dies J. W. Wevers (TH-Num) selbst und U. Quast (Wortvarianten) aufgezeigt haben. So ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand über die Handschriften von Numeri die kritische Edition von J. W. Wevers diejenige, die dem ursprünglichen Septuaginta-Text am nächsten kommen kann. 1 Worin bestand die hebräische Vorlage des ursprünglichen Septuaginta-Textes? Unterschied sie sich vom aktuellen masoretischen Text? Sofern man den Forschern hierin Glauben schenkt, hat der Septuaginta-Text von Numeri lediglich eine einzige Änderung gegenüber dem hebräischen Text vorgenommen, nämlich in 16,15, wo der Esel durch ἐπιθύμημα, »Objekt der Begierde« ersetzt wurde (vgl. dazu Tov, Alterations, und Dorival, Intertextualité, 91-92). Doch die rabbinischen Auflistungen erheben nicht den Anspruch, vollständig zu sein, und man kann vermuten, dass die Abweichungen zahlreicher sind. Sie betreffen vor allem die Unterteilung der großen Texteinheiten von Numeri: Die LXX ist mit dem masoretischen Text identisch, abgesehen von drei Ausnahmen: Die ersten beiden wurden weiter oben bereits angedeutet und gehen auf die Absicht zurück, mit einem guten Ende zu schließen (13,1LXX = 12,16MT und 16,13-50LXX = 17,1-15MT); die dritte betrifft 25,19 (»Und es geschah nach der Plage«, ohne dass im masoretischen Text gesagt wird, was geschehen war, der Satz also in der Luft hängt); dieser Vers bildet den Vers 26,1 der Septuaginta (»Und es geschah nach der Plage, dass der Herr sprach«). Der Targum Neofiti ist mit dem masoretischen Text identisch, Targum Jonathan und Targum Onkelos sind dagegen der LXX ähnlich: Beide Textunterteilungen können gut und gerne sehr alt sein. Die Abweichungen betreffen sodann die Anordnung der Verse. Die LXX ist mit dem masoretischen Text identisch, bis auf vier Fälle: Die Verse 1,24-25 des masoretischen Textes werden 1,36-37 in der Septuaginta, und zwar aus einem Grund, der weiter unten erläutert wird; dieser Fall muss zusammen mit den Versumstellungen im Kapitel 26 behandelt werden. Im priesterlichen Segen von 6,22-27 wird der V. 27 des masoretischen Textes, wo Gott seinen dreifachen Segen aus den Versen 24-26 bestätigt, zu Vers 24 der Septuaginta-Version gezogen, wo er schlecht platziert erscheint. Diese Versumstellung ist vermutlich absichtlich vorgenommen worden und mit dem Verbot 1.
Diese Argumentation beruht auf traditionellen aber problematischen Annahmen sowohl bezüglich des masoretischen wie auch des griechischen Textes: Auch wenn 4QLXXNum (gegenüber MT und Codex Vaticanus?) als überarbeiteter Text erscheint, so bleibt das Faktum, dass dieser Text der älteste griechische Textzeuge ist. Die Annahme einer davon verschiedenen älteren und ursprünglicheren Septuaginta beruht auf der Hochschätzung des Codex Vaticanus und bleibt hypothetisch. Alternativ könnte man annehmen, dass die Gemeinsamkeiten von 4QLXXNum und Codex Alexandrinus (und ähnlicher Texte) auf ihre gemeinsame Grundlage in der ursprünglichen Septuaginta zurückgehen und die anderen Textformen auf eine (frühe) Rezension. [SK] 2. Textüberlieferung und Editionen
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
in Verbindung zu bringen, den Segen zu übersetzen, wie es die Mischna Megillah 4,1 formuliert hat (vgl. Dorival, Intertextualité, 251). Schließlich ist in 10,33-36 die Reihenfolge in der Septuaginta 33, 35, 36, 34; im masoretischen Text enden die Verse 34 und 36 jeweils mit einem umgekehrten Nun (nun inversum), das Anlass für vielfältige Erklärungsversuche zu allen Zeiten gewesen ist. Man kann sich die Frage stellen, ob dies nicht anzeigt, dass die beiden Verse zu vertauschen sind, wie es die LXX auch genau getan hat. Damit ginge auch diese Besonderheit der LXX auf die hebräische Textvorlage bzw. Tradition zurück. Die bei weitem zahlreichsten Abweichungen bestehen in den »Mehr« bzw. »Plus« und den »Weniger« bzw. »Minus« der Septuaginta im Vergleich zum masoretischen Text. Dorival, Intertextualité, 41-44 zufolge handelt es sich um mehr als zweihundert »Plus« und etwa fünfzig »Minus«. Oft können sie als Harmonisierung erklärt werden: Der Übersetzer harmonisiert mit vorhergehenden Versen aus den Büchern Genesis, Exodus, Levitikus und Numeri selbst. In anderen Fällen sind die »Plus« und die »Minus« redaktionelle Varianten, die aus einer der LXX eigentümlichen Exegese entspringen oder das Verständnis erleichtern sollen. Schließlich können bestimmte »Plus« oder »Minus« auf eine vom masoretischen Text verschiedene hebräische Vorlage zurückgehen. In ungefähr einhundertvierzig Fällen stimmt die LXX mit dem samaritanischen Text und nicht mit dem masoretischen Text überein. Doch es kommt vor, dass die LXX dem masoretischen Text näher kommt als dem samaritanischen (dafür gibt es mindestens sechs Beispiele). Es gibt auch Übereinstimmungen der LXX mit einigen (mittelalterlichen) Handschriften des masoretischen Textes, die vom Codex Leningradensis abweichen (sie sind im textkritischen Apparat der Biblia Hebraica 2 verzeichnet). Es kommt auch vor, dass die LXX gegen den masoretischen Text (in Gestalt des Codex Leningradensis) mit der Peshitta übereinstimmt, und zwar in fast einhundert Fällen. Die Peshitta kann dann mit dem samaritanischen Text und bestimmten hebräischen Handschriften übereinstimmen (siehe den textkritischen Apparat der Biblia Hebraica (s. dazu Dorival, Intertextualité, 45-47). Es ist nicht leicht, diese Tatsachen zu deuten. So bedeuten zum Beispiel die Überschneidungen mit der Peshitta möglicherweise nichts anderes, als dass diese im Lauf der Jahrhunderte auf der Grundlage der LXX überarbeitet worden ist. Insgesamt scheint es so zu sein, dass höchstens 70 der der LXX eigentümlichen Lesarten auf eine hebräische Vorlage zurückgehen können, die sich leicht vom masoretischen Text, vom samaritanischen Text und von der Vorlage der Peshitta unterscheidet. Doch der Großteil dieser Fälle scheint nicht dem Bereich der Textkritik, sondern der Redaktionskritik zuzuordnen zu sein und seine Erklärung in exegetischen Motiven zu finden, wie wir weiter unten sehen werden. Es ist zuweilen schwierig, zwischen Textvarianten und redaktionellen Varianten klar zu unterscheiden. So fügt die LXX in 33,36 eine zusätzliche Wegstrecke in der Wüste hinzu. Wollte sie den masoretischen Text korrigieren, der zu Unrecht die Wüste Zin mit der Wüste Kadesch gleichsetzt? Oder ist die LXX hier von einer hebräischen Vorlage abhängig, die den Irrtum nicht enthielt und die sich leicht rekonstruieren lässt (vgl. Barthélemy, CTAT 3, CCXXXIX, und Dorival, Intertextualité, 152-153)? 2.
Die ältere Biblia Hebraica, hg. von R. Kittel (BHK) verzeichnet mehr solcher Varianten als BHS.
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2. Textüberlieferung und Editionen
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
Dennoch sieht es so aus, dass die LXX es zuweilen ermöglicht, zum älteren hebräischen Text vorzudringen, wie zum Beispiel in 26,59, wo der masoretische Text aus moralischen Gründen das ursprüngliche Wort אתםin אתהabgeändert haben könnte. 3
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzungstechniken sind im Fall des Buches Numeri dieselben wie im Fall der anderen Bücher des Pentateuch. Der Septuaginta-Text von Numeri hält sich treu an die Entscheidungen der Übersetzer der voraufgehenden Bücher, was das Vokabular aus den Bereichen Kult, Sünde und Farben betrifft. Er legt denselben Geschmack für die Variation an den Tag: Ein und dasselbe hebräische Wort kann auf mehrfache Weise übersetzt werden. Dieses Phänomen findet seine Erklärung nicht darin, dass es unterschiedliche Übersetzer gab, sondern in einem Bemühen um Abwechslung. Eine solche Übersetzungstechnik hat den großen Nachteil, tatsächlich Verwirrung zu stiften. So wird mit dem Wort σκηνή, »Zelt«, sowohl אהל, »Zelt«, als auch משכן, »Wohnstatt«, übersetzt, und mit dem Wort μαρτύριον,»Zeugnis«, einerseits עדות, »Zeugnis«, und andererseits מועד, »Verabredung«. Daraus ergibt sich, dass die Septuaginta nicht zwischen dem Zelt der Begegnung und der Wohnstatt der Bundesurkunde unterscheidet. מלאך, Bote, wird mit ἄγγελος übersetzt, wenn es um einen Engel Gottes geht, und mit πρέσβυς, wenn es sich um einen Gesandten des Königs handelt. Dies ermöglicht es auch, die Bedeutung eines Wortes klarer zu erfassen, das keine griechische Entsprechung hat. Das Wort מגרשim Kapitel 35, das den Bereich unmittelbar vor der Stadt bezeichnet, wo die Bewohner ihre Herden auf die Weide führen, wird auf vier verschiedene Arten wiedergegeben, die zusammengenommen eine gute Annäherung an die mit dem hebräischen Wort zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit darstellen. Diesem Sinn für Variation steht der Sinn für Vereinheitlichung gegenüber: Ein und dasselbe griechische Wort dient als Übersetzung für mehrere hebräische Wörter. So steht ἄρτος zugleich für חלה, »Pfannkuchen«, und לחם, »Brot«. Die Kombination von Variation und Vereinheitlichung führt zu einem komplexen Geflecht von Entsprechungen zwischen hebräischen und griechischen Lexemen. So steht zum Beispiel in Numeri, aber auch in den Büchern Exodus und Levitikus νόμος, »Gesetz«, für חקה, »(schriftlicher Befehl«, und תורה, »Gesetz«, während חקהauch mit δικαίωμα, νόμιμος und πρόσταγμα übersetzt wird. Wie in den anderen Büchern des Pentateuch wählt der Septuaginta-Text von Numeri manchmal ein griechisches Wort, das phonetisch an seine hebräische Entsprechung erinnert σειρομάστης, »Lanze, Sonde, Siloprüfstock«, gibt רמח, »Pfahl, Schwert, Lanze« wieder (25,7). Er bewahrt manchmal, aber nicht immer, Anklänge und etymologische Wortspiele des Hebräischen: עמדwird durch παρίστασθαι (16,9) dann ἱστάναι(16,18) übersetzt. Umgekehrt schafft der Septuaginta-Text eigene Zusammenhänge: So ist zum Beispiel in 7,14 die etymologische Beziehung zwischen θυίσκη und θυμίαμα eine Besonderheit des griechischen Textes. Es gibt einige Beispiele für eine zweifache Übersetzung: In 14,21 wird חי אניdurch 3.
Dorival, Intertextualité, 82-83, und ders., Moses, 107. Zum Problem und den Lösungsvorschlägen s. auch LXX.E I, 498. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
ζῶ έγώ, »so wahr ich lebe«, und durch ζῶν τὸ ὄνομά μου, »so wahr mein Name lebt« übersetzt; diese Verdoppelung verleiht Gottes Schwur mehr Feierlichkeit (vgl. auch 3, 15; 13,29; 15,19; 21,4; 25,15; 34,28) und erleichtert zugleich die schwierige Aussage, dass Gott bei sich selbst schwört. Einige Vorgehensweisen der Übersetzung, wie Variationen, Vereinheitlichungen und Doppelübersetzungen gehen in die Richtung einer »relativ freien« SeptuagintaVersion von Numeri, was der Einschätzung von E. Tov / B. G. Wright, Literalness, entspricht, die sich vor allem in die Frage vertieften, ob die Übersetzung von בund כיsowie des männlichen Pronomens der dritten Person systematisch sind oder nicht, sowie in die Frage der Hinzufügung bzw. Nichthinzufügung von Präpositionen. Doch B. G. Wright, Representation, verfeinerte diese Kriterien und kam zu einer anderen Einschätzung: Die Septuaginta-Version des Buches Numeri sei »relativ wörtlich«. Die Studien von A. Aejmelaeus und R. Sollamo weisen in dieselbe Richtung. Tatsächlich ist es, wie J. Bajard und R.-F. Poswick gezeigt haben, eine heikle Angelegenheit, stichhaltige Indikatoren für die Wörtlichkeit einer Übersetzung zu finden. 4 Darüberhinaus hat auch die wörtlichste Übersetzung nicht-wörtliche Teile. In gewisser Hinsicht erscheint die Septuaginta-Version von Numeri allzu wörtlich: Insbesondere versucht sie die Wortfolge des Hebräischen nachzuahmen. Doch wenn man die Aufmerksamkeit den lexikalischen Phänomenen zuwendet, dann muss man von einer relativ freien Übersetzung sprechen. Numeri wurde etwa zur selben Zeit und am selben Ort wie die anderen vier Bücher des Pentateuch übersetzt. Die alten Quellen bringen die Übersetzung entweder mit Ptolemäus I. Lagos (323–282) oder mit Ptolemäus II. Philadelphos (285–246) in Verbindung. Sie erwähnen auch den Bibliothekar Demetrois von Phaleron. Da Letzterer sich mit Philadelphos überworfen hatte, hält man im Allgemeinen den Zeiraum 285-282 fest, welcher von der Ko-Regentschaft der beiden Ptolemäer geprägt ist. Doch das Zerwürfnis ist vielleicht weniger erwiesen, als es den Anschein hat, und auf der Grundlage von Megillat Taanit 13 hält N. Collins, Library, Ende Dezember 281 v. Chr. als Zeitpunkt für die Verlesung vor den Juden fest. Die Lesung vor dem König datiert sie auf Anfang 280 oder auf den Frühling oder Sommer desselben Jahres. Doch wird diese Argumentation von vielen in Zweifel gezogen. In diesem Fall kann die Übersetzung irgendwann im Lauf des 3. Jahrhunderts gemacht worden sein, doch es spricht alles dafür, dass es vor 220 war: Demetrios der Chronograph, der um diese Zeit seine Abhandlung Über die Könige Judas geschrieben hat, benutzt den Text der Septuaginta. Was den Ort der Übersetzung betrifft, stimmen die Quellen – mit Ausnahme von Michael dem Syrer, der von der Insel Zypern spricht – überein: Die Insel des Pharos vor Alexandrien. Die modernen Forscher haben diese Lokalisierung nicht in Frage gestellt, außer Gaster, der in seinem Buch über die Samaritaner behauptet, dass nur ein judäischer Ursprung der Septuaginta diese in der Diaspora mit der erforderlichen Legitimität ausgestattet hätte. 5 Das Buch Numeri ist nach den Büchern Genesis, Exodus und Levitikus übersetzt worden. Dies geht aus der Tatsache hervor, dass es den lexikalischen Entscheidungen 4. 5.
Aejmelaeus, Parataxis, 1982; Sollamo, Pleonastic use, 1991; Bajard / Poswick, Aspects statistiques, 1991. M. Gaster, The Samaritans, London 1925 (Chapter III).
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
dieser Bücher treu folgt. Es wurde vor dem Deuteronomium übersetzt, selbst wenn der Septuaginta-Text von Num 27,12-14 auf Dtn 32,49-51 anspielt. Mose erhält den Befehl, auf den Berg zu steigen, wo er sterben wird. Im Vers 12 sagt ihm Gott dem masoretischen Text zufolge: »Steig auf diesen Berg der עבריםund schau auf das Land, das ich den Söhnen Israels gegeben habe.« Die LXX gibt dies folgendermaßen wieder: »Steig auf den Berg auf der anderen Seite – es ist der Berg Nebo – und schau auf das Land Kanaan, das ich den Söhnen Israels zum Besitz gebe.« Die LXX fügt also zwei geographische Details hinzu, die im masoretischen Text fehlen: den Berg Nebo und Kanaan. Sie enthält einige Worte mehr: »ich« (ἐγώ) und »zum Besitz« (ἐν κατασχέσει). Darüber hinaus spricht sie im Präsens »ich gebe« (δίδωμι). All diese Elemente sind auch in Dtn 32,49 vorhanden, und zwar sowohl im masoretischen Text als auch in der Septuaginta. In gleicher Weise bietet der Vers 13 in der Septuaginta eine Präzisierung, die im masoretischen Text fehlt: Aaron wird mit seinen Vorfahren »auf dem Berg Hor« vereint. Dieses geographische Detail findet man in Dtn 32,50. Schließlich fügt der Vers 14 der LXX über den masoretischen Text hinaus hinzu: »Ihr habt nicht meine Heiligkeit verkündet«. Diese Worte finden sich in Dtn 32,51. Heißt das, dass Numeri hier eine bereits existierende Übersetzung von Deuteronomium zitiert? Dagegen spricht, dass Numeri für »( לאחזהzum Besitz«) ἐν κατασχέσει (Num 27,12; 32,5.22.29) sagt, wohingegen dies im Deuteronomium εἰς κατάσχεσιν (Dtn 32,49) lautet. In diesem Beispiel veranschaulicht die LXX eine Exegese, derzufolge es unmöglich ist, Num 27,12-14 ohne Bezug auf Dtn 32,49-51 zu lesen. Die Übersetzer haben einfach die Übersetzung dieser Verse des Buches Deuteronomium vorweggenommen.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Das Griechisch des Buches Numeri entspricht dem der anderen Bücher des Pentateuch. Einige bemerkenswerte, die Syntax betreffende Charakteristika wurden von Dorival, Intertextualité, herausgearbeitet. Sie beziehen sich auf die Übereinstimmung in Geschlecht und Zahl (18,21; 19,2; 19,15), die Angleichung des Kasus des Subjekts an den Kasus des Relativpronomens, dem es vorangeht (13,33; 1922; 35,6 und 7), den präpositionellen Gebrauch von ἐχόμενον (34,3) und ὁδὸν (14,25; 21,), die Präposition πλὴν, die normalerweise vor einem Genitiv, doch manchmal vor dem Nominativ (26,65; 29,6 und 11) oder dem Akkusativ (29,39) steht, den adverbiellen Gebrauch der Partizipien im Neutrum τὸ ἐξέχον (21,13), τὸ βλέπον (21,20), τὸ παρατεῖνον (23,28), auf den absoluten Nominativ (22,2; 23,27; 33,40) sowie auf die Nominalsätze (12,9; 16,22; 32,17). Numeri weist vier hapax legomena auf: das Adjektiv λαμπηνικός (7,3) und die Verben ἐπαξονεῖν (1,18), καταρρεμβεύειν oder καταρρομβεύειν (32,13), συγκατακληρονομεῖσθαι (32,30); ihnen kann man noch zwei »quasi« hapax legomena hinzufügen: ἀκουσιάζεσθαι (15,28) und ἐκσπερματίζω (5,28). Acht Wörter werden im Buch Numeri zum ersten Mal benutzt: αἰνιγματιστής (21,27), ἀναθεματίζω (18,14; 21,2.3), πορνεύειν (25,1), ἐπικαταλαμβάνεσθαι (15,23), κατακληρονομεῖν (13,30), καταπρονομεύειν (21,1), ὀπτάζεσθαι (14,14) und προσοχθίζειν (21,5). Das Vokabular von Numeri ist weitgehend den Entscheidungen verpflichtet, wel4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
che die Übersetzer der Bücher Genesis, Exodus und Levitikus hinsichtlich der Vokabel getroffen haben, die sich auf die Gottheit, auf die göttlichen Gebote, die Landverheißung, den Kult, die Opfer, das Priestertum, die Heiligkeit, die Feste und den gesellschaftlichen Status beziehen. Doch enthält Numeri auch lexikalische Neuerungen. So teilt zum Beispiel das Buch Numeri, was die politische und gesellschaftliche Organisation betrifft, die Gemeinschaft in »Stämme«, φυλαί, dann in »Sippen«, συγγενείαι, dann in δῆμοι, »Volksgruppen«, dann in »Häuser väterlicher Abstammung«, οἶκοι πατριῶν ein. Der Ausdruck δῆμος ist Numeri eigentümlich, wo er mehr als einhundertfünfzigmal verwendet wird. Er gibt das משפחהdes masoretischen Textes wieder, welches die alten und modernen Übersetzer mit »Clan«, »Familie« oder »Sippe« übersetzen. Dieses Wort kommt zwölf Mal in den Büchern Genesis und Levitikus vor, wo es mit φυλή übersetzt ist. Die Neuerung im Buch Numeri besteht also in der Unterscheidung zwischen dem Stamm und dem δῆμος. Diese Unterscheidung verweist auf eine ganz bestimmte griechische politische Realität: Mehrere Städte der klassischen oder hellenistischen Epoche sind in Stämmen oder Volksgruppen organisiert, so etwa Athen seit der Zeit des Kleisthenes, Rhodos und Alexandrien. Durch die Verwendung der Wörter φυλή und δῆμος, haben die Übersetzer von Numeri das Organisationsmodell der Sesshaftigkeit der Bürger, wie es in einigen berühmten Städten üblich war, für die Beschreibung übernommen, welche die Bibel von einer nomadischen, in der Wüste umherirrenden Bevölkerung bietet. Letztere wird als eine wahrhaftige Stadt gesehen, die sich auf Wanderschaft befindet. Hier ist also eine besonders interessante Auslegung eingeflossen.
4.2 Inhaltliches und theologisches Profil Einige der sehr zahlreichen Unterschiede zwischen der LXX und dem masoretischen Text finden ihre Erklärung in der Tatsache, dass die LXX von einem hebräischen Text abhängt, der sich leicht vom masoretischen Text unterscheidet. Doch in der Regel entspringen diese Abweichungen einer spezifischen Exegese der Bibel, der ältesten, die uns zugänglich ist. Diese Exegese steht zuweilen der der Targumim und der Weisheitsliteratur nahe. Sie betrifft die Personen, welche in Numeri eine Rolle spielen: Gott, Mose, Aaron (den die LXX öfter mit den Taten des Mose in Verbindung bringt als der masoretische Text), Mirjam, Josua, Kaleb, Eleasar, die Ältesten, Eldad und Modad, Korach, Datan und Abiram, Pinchas, das Volk der Hebräer, die Fremden, Bileam (von dem die LXX deutlicher als der masoretische Text sagt, dass er kein Prophet für Gott ist). Die LXX bietet ebenso eine spezifische Exegese der Aufgaben der Priester und Leviten. Sie betrifft gleichermaßen Kultgegenstände, Riten, Gelübde, Orakel (insbesondere die Bileams), Orte, Wüstenwanderungen, das verheißene Land. Zuweilen sind auch die Anthropomorphismen der LXX originell: In 20,24 tilgt die LXX den »Mund« Gottes, doch sie schreibt Gott Gereiztheit zu. 6 Auf der inhaltlichen Ebene ist ein charakteristischer Zug der Septuaginta-Version des Buches Numeri ihre historisierende Tendenz: Alle Verse des masoretischen Textes, welche Bezugnahmen auf frühere Passagen der Tora enthalten, sind in der LXX vorhanden, doch diese bietet etwa 40 zusätzliche Verse oder Versgruppen, die sich auf 6.
Vgl. Dorival, Intertextualité, 78-157.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
frühere Passagen der Tora beziehen und im masoretischen Text entweder fehlen oder in weniger häufigen Fällen vom masoretischen Text abweichen. Bereits der masoretische Text bemüht sich darum, die Ereignisse von Numeri in die vergangene Geschichte Israels einzufügen, die LXX akzentuiert diese Tendenz jedoch stärker. Dieselbe historisierende Tendenz bezeugen die Targumim, doch auf weniger entwickelte Weise als die LXX. Dieses Phänomen der Intertextualität entspringt dem exegetischen Grundsatz, demzufolge die Bibel die Bibel erklärt, und sie kann als ein Sonderfall der Harmonisierung betrachtet werden. In dem Maße, in dem sich der Text, auf den Bezug genommen wird, nicht außerhalb der Bibel befindet, sondern im Pentateuch, kann die Intertextualität als eine interne verstanden und Intratextualität genannt werden. Der spektakulärste Fall von Intratextualität ist der der Söhne Jakobs und der Stämme. Im masoretischen Text gibt es 15 Textabschnitte, in denen die Söhne Jakobs oder die Stämme, die von ihnen ihre Namen beziehen, aufgezählt werden: Gen 29,21–30,24 + 35,16-18; 35,22-26; 46,8-26; 49; Ex 1,2-4; Num 1,5-15; 1,20-43; 2,3-31; 7,12-83; 10,14-28; 13,415; 26,5-50; 34,18-28 und Dtn 27,12-13; 33. In 13 dieser 15 Listen zählt die Septuaginta die gleichen Namen auf wie der masoretische Text, und auch in der gleichen Reihenfolge. Doch einzig im Buch Numeri unterscheiden sich zwei Listen in der LXX von den im masoretischen Text enthaltenen. In Num 1,20-43 zählen Mose und die Stammesoberhäupter die Stämme durch. Im masoretischen Text steht Gad an dritter Stelle, in der LXX hingegen an der neunten. Im weiteren Verlauf lehnt sich der masoretische Text sehr nahe an die Liste von 2,3-31, welche das Heer im Lager und auf dem Marsch beschreibt, und an die Liste in 10,14-28, welche das Heer beim Aufbruch schildert. Die Septuaginta lehnt sich sehr nahe an die Liste in Num 1,5-15 und vor allem in Gen 35,2226 und 49 an. Was die Liste in Num 26,5-50 betrifft, wo Mose und Eleasar eine Generation später im moabitischen Aravot wieder die Zahl der Israeliten ermitteln, so ist die Reihenfolge des masoretischen Textes identisch mit der von Gen 41,51-52, während die Reihenfolge der LXX der Liste in Gen 46,8-26 ähnlich ist. Mit anderen Worten: Im masoretischen Text, der sich auf das Heer im Lager und während des Marsches konzentriert, ist die Zählung des Mose vor allem ein militärischer Akt. In anderer Weise will die Septuaginta daran erinnern, dass es zwischen den Söhnen Jakobs und dem Heer in der Wüste eine historische Kontinuität gibt: Das Durchzählen erfolgt nicht nur militärisch, sondern diese Handlung macht aus Mose einen neuen Jakob und aus den Stämmen Israels neue Söhne Jakobs. Unter den 38 weiteren Beispielen der Intratextualität des Buches Numeri ist ein Abschnitt, der sich auf Bileam bezieht, besonders interessant. Allgemein gesprochen ist die Septuaginta Bileam gegenüber weniger wohlwollend als der masoretische Text (Wevers, Balaam). Sie sieht in ihm einen Inspirierten und nicht einen Propheten Gottes (Dorival, Intertextualité). In 23,18-24 verkündet Bileam seine zweite Prophezeiung oder sein zweites »Gleichnis«. Im Vers 21a heißt es im masoretischen Text: »Er bemerkte kein Unrecht in Jakob, er sah keinen Aufruhr in Israel.« Im Allgemeinen nehmen die modernen Kommentatoren an, dass mit »er« Gott gemeint ist. Doch die Targumim haben eine andere Auffassung: Das Subjekt der Verben ist Bileam, der behauptet, dass er in Jakob und Israel keine Götzendiener sieht. Die Septuaginta bietet folgenden Text: »Es wird keine Qual in Jakob geben, und man wird keine Bedrückung in Israel sehen.« Es ist klar, dass die LXX nicht die hebräischen Substantive übersetzt, sondern sie deutet: μόχθος, »Qual«, verweist auf Ex 18,8 und Num 20,14, wo dieses 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
155
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
Wort die Qualen der Hebräer in Ägypten bezeichnet. Was πόνος, »Bedrückung«, betrifft, so erinnert dieses Wort an Ex 2,11, wo es die Bedrückung des Volkes in Ägypten beschreibt. Folgerichtig kümmert sich die LXX nicht um die Götzen, wie es die Targumim tun. Sie macht aus Bileam einen Inspirierten, der vorhersagt, dass die Hebräer, sobald sie sich im verheißenen Land niedergelassen haben werden, weder Qual noch Bedrückung kennen werden, so wie sie sie in Ägypten durchgemacht haben. Von da an wird das Leben das Gegenteil des Lebens in Ägypten sein. Die Unterschiede in der Vorstellung des Messianismus zwischen dem masoretischen Text und der LXX haben die Aufmerksamkeit von J. Lust (Oracles), G. Dorival (Intertextualité), J. Collins (Messianism), W. Horbury (Messianism) und M. Rösel (Interpretationen) auf sich gezogen. Sie analysieren unter anderem die Weissagungen Bileams. Zum Beispiel bietet der masoretische Text für die dritte Weissagung des Bileam (24,3-9) folgende Variante: »Wasser werden wie Bäche aus seinen Gefäßen fließen, und seine Nachkommenschaft wird in zahlreichen Wassern sein, und sein König wird höher gepriesen als Agag, und sein Reich wird erhoben werden.« Die messianische Perspektive des masoretischen Textes, wie sie in den Targumim wieder aufgenommen wird, ist ein Reich nach dem Modell des davidischen, wie dies die Bezugnahme auf Agag deutlich macht: Dieser König von Amalek wird von Saul besiegt, der ihn aber entgegen dem Befehl Gottes verschont (1Sam 15,7-33). Gott bereut es, Saul zum König Israels gemacht zu haben, und beschließt, ihn durch David zu ersetzen. Letzterer ist Sieger über die Amalekiter, die er bis zum letzten Mann tötet (1Sam 30,120). So erfüllt David durch seine militärischen Siege die Weissagung Bileams. Nichts davon findet sich in der Septuaginta, die nicht das Wort »König« verwendet, sondern wo die Rede von einem Menschen ist, der Herr der Völker sein wird und ein Reich bekommen wird: »Ein Mensch wird aus seiner Nachkommenschaft hervorgehen, und er wird Herr zahlreicher Völker sein, und sein Reich wird höher gepriesen als Gog und sein Reich wird sich mehren.« Die Erwähnung Gogs verweist auf die Weissagungen aus Ezechiel 38 und 39. Dieselbe Bezugnahme auf Gog findet sich im samaritanischen Text, der also eine Auffassung vom Messianismus bezeugt, welcher die Rolle Davids beschränkt. Doch die Septuaginta geht noch weiter, denn bei ihr ist das Wort Mensch geeigneter als das Wort König, um vom Messias zu sprechen. So wertet die Septuaginta gegenüber einem Messiaskönig des masoretischen Textes und der Targumim einen Menschen / Herren auf, dessen genaue Bedeutung allerdings umstritten bleibt.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 5.1 Die Buchüberschriften Wie die anderen Bezeichnungen der Bücher des Pentateuch in der Septuaginta (Genesis, Exodus, Levitikus und Deuteronomium) nimmt auch die Buchüberschrift Arithmoi, lat. Numeri, deutsch Zahlen bzw. Zählungen, Bezug auf den Inhalt, auch wenn die Zählungen nur einen Teil des Inhalts bieten. Dagegen zitieren die hebräischen / masoretischen Bezeichnungen nur formal aus den Anfangsworten: Genesis heißt Berêšît, »Am Anfang«; Exodus = Šemôt, »Namen«; Levitikus = Wayyiqrâ’, »Er rief«; 156
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
Numeri = Bemidbar, »In der Wüste«; Deuteronomium = Debârîm, »Worte«. Dabei ergeben sich nur eher zufällige Beziehungen zum Inhalt. Allerdings sind die Buchtitel der Septuaginta nicht erst Schöpfungen des griechischen Bereichs, sondern kannte auch die rabbinische Tradition 7 entsprechende Buchtitel: Sêfär yeṣirat ha’ôlâm, »Buch der Erschaffung der Welt«; Sêfär yeṣi’at Miṣrayim, »Buch des Auszugs aus Ägypten«, Sêfär tôrat hakkôhanîm, »Buch der Priestergesetze« (faktisch gleichbedeutend wie Levitikus, weil die Priester Nachkommen Levis sind), Ḥômêš happiqqûdîm, »Fünfter Teil [= Buch] der Zählungen« und Sêfär mišnäh tôrâh, »Buch des zweiten Gesetzes«. Die Bezeichnung happiqqûdîm ist von der Wurzel pâqad, gebildet, die in der Septuaginta normalerweise mit episkepthesthai, »mustern« wiedergegeben wird. Somit würde man Episkepseis, »Musterungen«, oder Epeskemmenoi, »Gemusterte« erwarten. Trotz dieser kleinen Differenz spiegelt auch diese Bezeichnung deutlich die rabbinische Tradition. Allerdings bezieht sich diese Bezeichnung nicht auf den ganzen (vielfältigen) Inhalt des Buches, sondern nur auf die Musterungen und Zahlen in Kap. 1 und 26 (speziell 1,45-46 und 26,51).
5.2 Philo von Alexandrien Philo kommentiert fast ausschließlich den Pentateuch. Im Zentrum seiner Werke steht das Buch Genesis, das nach J. Allenbach et al., Biblia Patristica. Supplément. Philon d’Alexandrie, Paris 1982, 77-82 über 4.000 Mal zitiert wird. Danach folgt das Buch Exodus mit 1.600 Zitierungen, während Levitikus, Numeri und Deuteronomium in etwa gleich jeweils zwischen 600 und 700 Mal zitiert werden. Allerdings haben die beiden ersten Kapitel nicht die Aufmerksamkeit von Philo erlangt. Philo legt die Texte sowohl wörtlich als auch – häufiger – allegorisch aus. Manchmal spiegeln sich auch zeitgenössische Auslegungen oder juristische Regelungen. Markante Beispiele sind folgende: 3,11-13 (Die Leviten, die als der »Zehnte« gelten, den Gott an Stelle der Erstgebornen annimmt, symbolisieren den besten Teil der menschlichen Seele, der Gott zugewandt ist; Congr. 98, Her. 124, Sacrif. 118-134); 5,11-31 (Das Wasserordal für die des Ehebruchs verdächtigte Frau: In Spec. III 52-62, fügt Philo Details hinzu, die in der Septuaginta nicht vorhanden oder davon verschieden sind, etwa, dass vor dem Ordal der Mann und die verdächtigte Frau zuerst dem Gericht vorgeführt werden, so wie es auch in Mishna Sota I 4 geregelt ist); 6,1-8 (Philo kommentiert wiederholt das große Reinheitsgelübde, z. B. in Deus 87 et Spec. I, 247-254, wobei das große Gelübde darin besteht, alles Gute, das der Mensch erfährt, als Gabe Gottes zu erkennen, und Gott nicht irgendwelche materiellen Dinge zu opfern, sondern sich selbst Gott hinzugeben); 9,1-5 (nach Decal. 159, Mos. II 224-225 et Spec. II 145, unterscheidet sich das Passa von allen anderen Festen dadurch, dass hier dem Volk die Ehre und Würde des Priestertums zuteil wird, während bei den anderen Festen nur die Priester Opfer darbringen); 10,29-32 (In Ebr. 36-40 identifiziert Philo implizit Hobab mit Iothor / Jethro, wie es manchmal in der rabbinischen Literatur geschieht, wobei für Philo Iothor der Prototyp des Weisen ist, während er für die Rabbinen der Prototyp des Proselyten ist); 13,1825 (In Somn. II 170-171, ist Kanaan das Gebiet der Tugend; die Wüste ist die Philoso7.
S. die Belege bei Orlinsky, H. M., Essays in Biblical Culture and Bible Translation, New York 1974, 368. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
phie, das Land bezeichnet den Unterricht und die Lehre; die Städte sind die Taten, das Volk die Stärke und Macht, die Weinrebe und die Trauben sind Knospen und die Frucht der moralischen Vollkommenheit); 15,17-21 (in Sacrif. 107-111, kommentiert Philo die Erwähnung des Teiges und die Erstlingsgabe vom Brot allegorisch: Der Teig ist die Gesamtheit des Menschen, die Erstlingsgabe sind die gesunden, guten Äußerungen der Seele und des Körpers, etc.); 20,14-21 (in Mos. I 240-249, verwandelt Philo die Geschichte vom Misserfolg des Mose in eine Geschichte des Sieges der Gutmütigkkeit des Mose über die Eifersucht der Edomiter); 22-25 (Philo kommentierte wiederholt die Balaam-Episode und die Ereignisse um Beelphegôr, sei es wörtlich wie in Deter. 71; Migr. 113-115 und Mos. I 263-318, wo er die Schlechtigkeit Balaams anspricht, sei es allegorisch wie in Cher. 32-38 und Confus. 55-57, 64-66, 159, wo Balaam für nichtige Menschen steht; diese Sicht von Bileam steht im Gegensatz zum Liber Antiquitatum Biblicarum XVIII 2-14, wo er viel positiver gezeichnet wird); 27,1-11 (in Mos. II 233-245, gibt Philo eine wörtliche Auslegung der Erzählung vom Erbe der Töchter des Salpaad; in Migr. 205 macht er daraus eine moralische Allegorie: Die fünf Töchter sind die fünf Sinne, die vom Vergessen geprägt sind und nicht von der Erinnerung); 27,12-23 (in Virt. 55-71, zeigt sich die Menschenfreundlichkeit des Mose darin, dass er alles Gott überlässt, auch die Frage seiner Nachfolge); 28,1-8 (in Spec. II 39-214, gibt es zehn Feste und nicht nur neun, weil Philo zwischen Passa und Mazzenfest ein fünftes Fest einführt, nämlich das Fest der Erstlinge der Gerste, das er das »Garbenfest« nennt.); 28,910 (in Spec. II 56-64, zitiert Philo weitere Namen des Sabbat: »die Jungfrau« [wegen seiner Reinheit], »der Mutterlose [Tag]« [weil der Sabbat alleine von Gott, dem Vater, gegeben ist), »die Zeit« [weil der Sabbat die Grundstruktur der Zeit angibt]; diese Bezeichnungen beziehen sich auf den griech. Text und auf Zahlenspekulationen nach Plato und Pythagoras).
5.3 Josephus Flavius Josephus paraphrasiert das Buch Numeri in den Büchern III und IV der Antiquitates; der Text, den er kommentiert, steht dem MT nahe; spezifische Linien der LXX sind nicht zu erkennen. Es fällt auf, dass er so wie Philo zahlreiche, im biblischen Text noch nicht enthaltene Präzisierungen bietet, die wahrscheinlich auf alte Auslegungstraditionen zurückgehen. Vor allem ist die chronologische Abfolge der in Num erzählten Episoden interessant. Bekanntlich entspricht die Reihenfolge der Kapitel nicht immer der chronologisch plausiblen Abfolge der Ereignisse, die sich im Wesentlichen auf den ersten Monat des zweiten Jahres und dann auf die Zeit zwischen dem ersten Tag des zweiten Monats und dem letzten Tag des letzten Monats des 40. Jahres verteilen. In AJ III 286-287, sagt Josephus, dass Mose zuerst die Fragen der Gesetzgebung regelte, und dass er sich den militärischen Angelegenheiten erst in einem zweiten Schritt zuwandte, was allerdings mit den Erzählungen ebenfalls schwer in Einlang zu bringen ist. (Für Einzelheiten s. Dorival, Nombres, 178-182).
5.4 Das Neue Testament Das Neue Testament bietet kein explizites Zitat, aber es gibt klare Anspielungen: Auf Num 12,7 in Hebr 3,2 (Treue des Mose im Haus Gottes); auf Num 14 in Hebr 3,16-18 158
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
(die Revolte des Volkes in der Wüste); auf Num 14,3 in Apg 7,39 (der Wunsch des Volkes, nach Ägypen zurückzukehren); auf Num 16 und 22,7 in Judas 11 (»der Aufstand Korachs« und »der falsche Lohn Bileams«); auf Num 16,5 in 2Tim 2,19 (»der Herr kennt die Seinen«); auf Num 16,22 und 27,16 in Hebr 12,9 (»Gott / Vater der Geister«); auf Num 17,8 in Hebr 9,4 (der blühende Stab Aarons); auf Num 18,21 in Hebr 7,5 (der Zehnte für die Priester); auf Num 19 in Hebr 9,13 (die Asche der jungen Kuh); auf Num 21,9 in Joh 3,14 (die von Mose erhöhte Schlange in der Wüste); auf Num 22,28 in 2Petr 2,16 (die sprechende Eselin Balaams); auf Num 24,17 in Mt 2,2 (der Stern der Magier; s. G. Dorival, L’astre de Balaam et l’étoile des mages, Res Orientales XII. La science des cieux. Sages, mages et astrologues, Leuven 1999, 93-111); auf Num 25,1-2 und 31,16 in Offb 2,14 (Balaam, Balak und die Hebräer, die die Götzen verehren); auf Num 27,17 in Mt 9,36 und Mk 6,34 (die verlassene Menge, verglichen mit den Schafen, die keinen Hirten haben); auf Num 28,9-10 in Mt 12,1-8 (s. BdA, 494). In 1Kor 10,1-10 wird auf mehrere Episoden des Numeribuches angespielt: V. 5 bezieht sich auf 14,16 (mit dem gleichen Verb καταστρώννυμι); V. 6 bezieht sich auf 11,4 (der Wunsch nach Nahrung); V. 8 bezieht sich auf 25,1-9 (die Prostitution mit den Moabitern); V. 9 bezieht sich auf 21,5-6 (der Tod durch die Schlangen); V. 10 auf 14,26-37 (das Murren der Hebräer und ihr Tod). Lk 1,15; Apg 18,18 und 21,23-26 könnten sich auf Num 6,1-8 (der große Reinigungseid) beziehen. Die Aufnahmen von Num 23,19cd in Hebr 6,18 (Gott kann nicht lügen) und 24,6c in Hebr 8,2 (das Zelt, das der Herr gestiftet hat) sind weniger sicher. Die Gebote in Mt 5,33 sind ein Echo auf Num 30,2, wie auch auf andere Verse des Pentateuch. Weitere Anspielungen wurden vermutet, bleiben aber fraglich: Z. B. spricht 2Petr 2,15 von einem »ungerechten Lohn« des Balaam; dabei ist der Ausgangspunkt sicher Num 22,7 (»der ungerechte Lohn der Prophezeiung«), aber das Thema Ungerechtigkeit spielt in der Septuaginta keine Rolle. 2Petr schwärzt die Rolle des Balaam so wie es Philo (s. o.) und andere jüdische und christliche Autoren machten. Ein schwieriger Fall ist Joh 19,36, wo die Formel »das geschah, damit die Schrift erfüllt würde« ein Schriftzitat einführt, das an Num 9,12, aber auch an Ex 12,45 und an Ps 33 (34),21 erinnert.
5.5 Kirchenväter und pagane Autoren Vor Origenes gibt es keinen fortlaufenden Kommentar zu Numeri. Aber das Buch wurde in den ersten zwei Jahrhunderten häufig zitiert. So ist zum Beispiel nach Barnabas 8-12 die junge Kuh von Num 18 ein Typos für Jesus, und die bronzene Schlange von Num 21,4-9 ist die Figuration für das Heil durch Jesus am Kreuz (vgl. Joh 3,14). Irenäus sieht in Nadab und Abioud, die in Num 3,1-4 fremdes Feuer ins Lager bringen, als Figuration der Häretiker, die fremde Lehren einführen (Contra heireseis IV 26, 2). Er interpetiert die Personen von Num 12 allegorisch: Mose steht für den Logos; die Äthiopierin, die er heiratet, ist die Kirche aus den Heidenvölkern; Mariam, die aus dem Lager gejagt wird, stellt die Häretiker dar, die aus der Kirche vertrieben werden (Contra heireseis IV 20, 12). Origenes hat dem Buch Numeri 28 Homilien gewidmet. Er vermischt die historisch-wörtliche und die allegorische Auslegung. Z. B. sind die 42 Etappen der Wüstenwanderung die Figuration der geistlichen Fortschritte (Homilie 1, 1-2), sei es in diesem Leben oder nach der Auferstehung (Homilie 27); die (Ordnung der) Stämme 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
veranschaulicht die Ordnung der Auferstandenen nach der Auferstehung (Homilie 1, 3); die Wolke und das Feuer von Num 9,15-23 sind der Sohn Gottes und der Heilige Geist (Homilie 27, 5). In Num 12 ist Mose das geistliche Gesetz Gottes, die Äthiopierin ist die Kirche, Mariam und Aaron, die sich über deren Heirat empören, stellen die Synagoge und die Pharisäer dar. Ihre Strafe präfiguriert die tragische Situation der Juden zur Zeit des Origenes. Der Aussatz, der Mariam befällt, ist die Sünde, die am jüdischen Volk hängt; ihre Heilung vom Aussatz kündigt die künftige Bekehrung des jüdischen Volkes an (Homilie 6, 4 und Homilie 7, 1-5); in Num 16 sind Korach und seine Parteigänger die Figuration der Häretiker; die Kohlebecken sind die Schrift, das fremde Feuer ist der fremde Sinn, den die Häretiker in die Schrift hineinlegen. Eleazar und die Priester stehen für die Kirche (Homilie 9). Auch nach Origines wird Numeri häufig von den Vätern zitiert; s. dazu BdA. Die Schwierigkeiten des Buches bilden den Gegenstand der Fragen und Antworten bei Theodoret von Cyrrhus im 5. Jh. und bei Maximus dem Bekenner im 7. Jh. Nur selten wird Numeri bei heidnischen Autoren zitiert: Der Kaiser Julian kritisiert Num 12,8 weil sich dieser Vers zu körperlich ausdrückt (»von Mund zu Mund werde ich mit ihm reden«), um von der Gottheit sprechen zu können (Contra Galilaeos I, zitiert bei Kyrill, Contra Julianum II 18). Julian zitiert auch Num 25,11, wo Gott von seinem Zorn und von seiner Eifersucht spricht, um zu zeigen, dass der Gott des Mose weit davon entfernt ist, gerecht zu sein, und dass er Böses mit Bösem vergilt (Contra Galilaeos I bis = Kyrill von Alexandrien, Contra Julianum V bis).
6. Perspektiven der Forschung [SK] Die Forschung an der Septuaginta der Buches Numeri partizipiert an den Fragen der Pentateuch-Septuaginta ingesamt. Speziell genannt werden können: 6.1 Die Frage der Textgrundlage. Wie unter 2. angesprochen, scheint es sinnvoll, die Frage der Bedeutung der Qumranfunde, und zwar sowohl der griechischen (4QLXXNum) als auch der hebräischen, für die Rekonstruktion der ältesten Textgestalt (Old Greek) und das Problem früher Bearbeitungen neu zu prüfen. Dabei sind auch die Zitate bei Philo und Josephus zu beachten. 6.2 Die in jüngerer Zeit wieder aufgenomme Frage der Reihenfolge der Übersetzungen der Bücher des Pentateuch. Reichen die vorgelegten Argumente für eine Abweichung der Reihenfolge der Übersetzungen von der erzählerischen und kanonischen Reihenfolge der Bücher? Andererseits: Wie tragfähig ist z. B. die Annahme einer vorweggenommenen Übersetzung von Dtn 32,49-51 für Num 27,12-14 (und wie verhalten sich diese Stellen zu Lev 25,45 sowie Ez 45,5.8 und zu Lev 14,34)? 6.3 Einzelexegetische Fragen wie etwa die Formulierungen und die Deutung der Bileamsprüche (Num 23 f.), die Wiedergabe der kultischen Terminologie oder realienkundliche Aspekte wie etwa die Erwähnung eines Siloprüfstocks (25,7).
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6. Perspektiven der Forschung [SK]
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose Melvin K. H. Peters
1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/3, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Deuteronomium. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum III/2, Göttingen 1977 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Dtn).
1.2 Qumran-Texte 1QDtna.b = 1Q4.5 (DJD I) — 2QDtna.b.c = 2Q10.11.12 (DJD III) — 4QDtna-k1.k2.k3-q = 4Q2838.38a.38b-44 (DJD XIV) — 4QpalDtnr.s = 4Q45.46 (DJD IX) — 5QDtn = 5Q1 — 6QpapDtn = 6Q3 — 6QDtn = 6Q20 (DJD III) — 11QDtn = 11Q 3 (DJD XXIII) — 4QLXXDtn = 4Q122 (DJD IX) — MurDtn = Mur 2 (DJD II) — XḤevSeDtn = XḤev/Se3 (DJD XXXVIII) — MasDtn = Mas 1c (Masada 6). BQS 175-246 – HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und BHQ vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Dogniez, C. / Harl, M., La Bible d’Alexandrie: Le Deutéronome. Traduction du texte grec de la Septante, Introduction et Notes, Paris 1992 — Peters, M. K. H., Deuteronomy, NETS, Oxford / New York 2007, 141-173 — den Hertog, C. G. / Labahn, M. / Pola, T., Deuteronomium, LXX. D, Stuttgart 20102, 175-215 — den Hertog, C. G. / Labahn, M. / Pola, T., Deuteronomium, LXX.E, Stuttgart 2011, 523-601.
1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Die Septuaginta des Deuteronomiums, in: T. Veijola (Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SFEG 62, Göttingen 1996, 1-22 — Ausloos, H., LXX’s Rendering of the Numeruswechsel in the Book of Deuteronomy. Deuteronomy 12 as a Test Case, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 303-314 — Dion, P-E., Early Evidence for the Ritual Significance of the ›Base of the Altar‹ around Deut. 12:27 LXX, JBL 106 (1987), 487-492 — Dion, P-E., The Greek Version of Deut 21:1-9 and its Variants: A Record of Early Exegesis, in: A. Pietersma / C. E. Cox (Hg.), De Septuaginta (FS J. W. Wevers), Mississauga, ON 1984, 151-160 — Dion, P-E., Deuteronomy 19:3 Prepare the Way, or Estimate the Distance?, ET 25 (1994), 333-341 — Feldman, L. H. Use, Authority and Exegesis of Mikra in the Writings of Josephus, in: M. J. Mulder / H. Sysling (Hg.), Mikra, Assen / Maastricht 1988, 455-518 — Harl, M., La Péché irrémissible de l’idolâtre arrogant: Dt 29,19-20 dans la Septante et chez d’autres témoins, in: G. Norton / S. Pisano (Hg.), Tradition of the Text (FS D. Barthélemy), OBO 109, Fribourg / 1. Wichtige Literatur
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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
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2. Textüberlieferung und Editionen Die Textgeschichte des griechischen Dtn wurde in Wevers, TH-Dtn, ausführlich behandelt und in Wevers N-Dtn weiter vertieft. Die Standardausgaben des griechischen Pentateuchs, Dtn natürlich eingeschlossen, sind oben unter 1.1. genannt. In den letzten Jahrzehnten gab es hauptsächlich zwei große Projekte, die sich mit der Edition der LXX befasst haben, eines in Cambridge und eines in Göttingen. Das erstgenannte stellt eine diplomatische Ausgabe des Codex Vaticanus (B) dar, wobei die anderen Textzeugen in einem umfangreichen Apparat aufgeführt werden. Die Göttinger Septuaginta (Gö), die noch nicht vollständig vorliegt, druckt als Obertext einen kritisch rekonstru162
2. Textüberlieferung und Editionen
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
ierten Text. Alle weiteren Zeugen, einschließlich Zitate und Tochterübersetzungen werden umfassend im Apparat aufgeführt. Die weiterhin am häufigsten benutzte Ausgabe der LXX ist die von A. Rahlfs herausgegebene Handausgabe, die von Hanhart durchgesehen wurde (RaHa 1935/2006). Diese populäre Ausgabe basiert im Wesentlichen auf den drei Hauptunizialen B, S und A. Weil für Dtn S nicht vorhanden ist, nennt Rahlfs am Anfang von Dtn nur B und A als laufende Zeugen; allerdings finden sich auch einzelne Hinweise auf andere Kodices (V und F) und mit dem Siglum O auch auf hexaplarische Lesarten.
3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Sprachliches Profil Die Analyse einer Übersetzung der Septuaginta und der Übersetzungstechniken beruht auf Vorannahmen über die noch erhaltenen hebräischen und griechischen Texte, die nicht immer explizit dargelegt und auch nicht immer ausreichend hinterfragt werden. Bei den meisten Büchern der LXX, speziell bei solchen, die ein »Übersetzungsgriechisch« wiedergeben, ist es akzeptierte Praxis, das Hebräische des sog. Masoretischen Textes – auf der Basis des vom Anfang des 11. Jh. n. Chr. stammenden Codex Leningradensis, der in St. Petersburg aufbewahrt wird – als Vorlage anzunehmen. Dies gilt, auch wenn allgemein akzeptiert wird, dass auf der einen Seite die Septuagintaübersetzungen mehrere Jahrhunderte vor dem Kopieren dieses Textes fertiggestellt wurden, auf der anderen Seite viele Bücher der LXX deutlich Vorlagen mit erheblichen Abweichungen gegenüber dem Codex Leningradensis darstellen. Hinzu kommt, dass die meisten Forschenden der heutigen Zeit den Text der Göttinger kritischen Ausgaben als Basis verwenden, obwohl im Apparat noch eine riesige Zahl von Lesarten aus den Handschriften attestiert ist. Bei allem Respekt gegenüber den Bearbeitern der großen kritischen Ausgaben sind daher immer wieder auch die im Apparat bezeugten alternativen Lesarten zu beachten. Wie kann man demgegenüber verantwortungsvoll die Übersetzungstechniken eines bestimmten LXX-Buches kommentieren, wenn weder seine hebräische Vorlage noch auch seine originale griechische Form mit absoluter Sicherheit bestimmt werden können (und noch nicht bestimmt wurden)? Die Antwort ist meiner Auffassung nach folgende: Jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin sollte, noch vor Beginn irgendeiner Diskussion der Übersetzungstechnik, seine Voraussetzungen bezüglich des verwendeten Textes sowohl der Ausgangs- wie auch der Zielsprache, darlegen. Im Folgenden setze ich daher voraus, dass der Übersetzer des griechischen Dtn eine unvokalisierte hebräische Quelle verwendete, die dem masoretischen Text des Codex Leningradensis zwar ähnlich, aber nicht mit ihm identisch ist. Ich nehme zudem an, dass der Übersetzer allein arbeitete, ohne Kontakt zu Übersetzern irgendeines anderen Buches der LXX, zudem ehrlich, kompetent und gewissenhaft seine Aufgabe ausführte, sich eng an die Vorlage hielt und sich nur gelegentlich auf eine Interpretation oder Erklärung einließ. D. h., während die Wortwahl der Übersetzung des Dtn die Übersetzer folgender Bücher beeinflusst haben könnte, ist das Gegenteil nicht voraus3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
gesetzt. Dies bedeutet zudem, dass Varianten gegenüber dem Codex Leningradensis nicht automatisch als Werk des Übersetzers erklärt werden können, sondern eher als Beleg für abweichende Formen des hebräischen Textes der Vorlage des Übersetzers zu verstehen sind. Es ist beinahe unmöglich, stets sicher zwischen Varianten, die das Ergebnis von Exegese und von innergriechischen Entwicklungen sind, und solchen, die auf einer anderen hebräischen Vorlage basieren, zu unterscheiden. Viele Befunde aus Qumran haben jetzt gezeigt, dass Dinge die zuvor als »auslegende Interpretationen« der LXXÜbersetzer angesehen wurden, in Wirklichkeit Lesarten der hebräischen Vorlage waren. Es ist meine Überzeugung, dass das auch für Varianten gilt, für die keine konkrete hebräische Quelle, etwa in Form eines Qumrantextes, vorhanden ist. Für die Seite des griechischen Textes wird im Folgenden vom Text der Göttinger Septuaginta (Gö) als Repräsentant des ältesten erreichbaren griechischen Texts ausgegangen und für den hebräischen Text der MT nach der BHS bzw. der BHQ. Dass der griechische Text des Dtn aus dem Hebräischen übersetzt wurde, ist unstrittig. Das zeigen neben den gewöhnlichen Merkmalen wie Lehnübersetzungen, Stereotype u. a. die strenge Bindung an die hebräische Wortstellung auf Kosten der griechischen Standardausdrucksweise bis hin zu Entsprechungen in der Anzahl der Wörter. Hebraismen, beispielsweise Infinitive vor oder nach verwandten finiten Verben oder pleonastische Ausdrücke, die im Dtn sehr häufig vorkommen, belegen sehr deutlich die Dominanz des Hebräischen in den Gedanken des Übersetzers. Das »literarische Profil« von LXX-Dtn und die »Techniken« seines Übersetzers können hier nicht umfassend dargestellt werden. Die folgende Skizze der beobachteten Tendenzen dieses Buches verwendet daher exemplarisch Stellen, an denen zweifelsfrei davon ausgegangen werden kann, dass die hebräische Vorlage dem MT ähnlich oder sogar mit ihm identisch ist, und andererseits werden Beispiele der verschiedenen linguistischen Elemente wie Verben und Nomen als ein repräsentativer Querschnitt ausgewählt. Das Verb » שחתbeschädigen, zerstören« kommt innerhalb des Buches zehn Mal vor. Der Übersetzer scheint in seiner Auswahl der Entsprechungen kontextsensitiv vorzugehen. Bei den ersten beiden Vorkommen (in 4,16 und 4,25) hat er eine Form gewählt, die seine Standardwiedergabe dieses hebräischen Wortes zu sein scheint, nämlich ἀνομέω, »gesetzlos handeln«. Sicherlich hatte er den ganzen Vers gelesen, der die Herstellung von Bildern behandelt, bevor er ἀνομέω als Wiedergabe von שחת festlegte. Er wählte dieses Wort auch in zwei weiteren Zusammenhängen (9,12 und 31,29) an denen der Kontext gleichermaßen auf die Übertretung mosaischer Gesetze hinweist, an der einen Stelle deutlicher als an der anderen. Die erste behandelt die Gesetzlosigkeit der Herstellung des goldenen Kalbs, die letztere befasst sich mit der Anordnung Moses an die Leviten, in der er die Sorge ausdrückt, dass sie nach seinem Tod gesetzwidrig handeln und sich von dem Weg, den er befohlen hatte, abwenden würden. Der griechische Übersetzer betont die »Übertretung« durch die Wortwahl an diesen Stellen. An einer Stelle (32,5) wählte er in einem poetischen Zusammenhang ein nahe stehendes Synonym, ἁμαρτάνω, und unter Beibehaltung eines Kontexts, der sich mit dem Kollektiv »Kinder« befasst, übersetzte er die Form Pi‘el 3. Pers. Singular mit einer Form der 3. Pers. Plural. Dennoch wählte er in einem anderen Zusammenhang 164
3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
(4,31), wo das Hebräische ausdrücklich in die Richtung von »Zerstörung« zielt, angemessenerweise ἐκτρίβω »ausrotten«. Neben diesen sechs Belegen gibt es vier (9,26; 10,10; 20,19; 20,20), in denen einheitlich ἐξολεθρεύω »vollständig zerstören, ausrotten« verwendet ist. In den ersten beiden Fällen ist der aktiv Handelnde der Gott Israels, die Objekte des Handelns sind die Israeliten; in den letzten beiden Fällen sind die aktiv Handelnden die Israeliten und die Objekte des Handelns Bäume. Bei 9,26 ist es darüber hinaus bemerkenswert, dass gegenüber dem MT alle Textzeugen der Septuaginta βασιλεῦ τῶν θεῶν »O König der Götter!« als eine zusätzliche Beschreibung für JHWH bezeugen. Als Argument kann angeführt werden, dass die hebräische Vorlage der LXX zeitlich gesehen vor derjenigen lag, die sich im MT spiegelt und zwar aus folgenden Gründen: Es erscheint wahrscheinlicher, dass eine polytheistische Lesart durch eine theologisch sensible Gemeinschaft aus einem vorliegenden Text gestrichen würde, als dass sie später hinzugefügt wurde, um die Macht und die Autorität des Gottes Israels zu verstärken. Das Gegenteil kann natürlich genauso so engagiert vorgetragen werden, in jedem Fall aber ist dieses Beispiel eines von vielen Merkmalen für die Unabhängigkeit der LXX-Vorlage gegenüber der Tradition des MT. 1
Diese zehn Vorkommen derselben Verbalwurzel mit vier unterschiedlichen griechischen Äquivalenten, die jeweils eine große Sensibilität sowohl gegenüber der hebräischen Bedeutung des Verbes haben, als auch mit einiger Freiheit seinen Sinn interpretieren, eröffnen einen ersten Zugang zu der Methode des Übersetzers. Er geht nicht sklavisch Wort für Wort vor, ist aber auch nicht radikal in seinem Übersetzungsansatz. Die häufig vorkommende Wurzel ירשׁ, »in Besitz nehmen«, kann den Eindruck vertiefen. Sie kommt innerhalb des Dtn etwa 71mal vor und wird bis auf acht Male durch κληρονομέω oder dazugehörige Komposita wiedergegeben. Die Grundbedeutung der hebräischen Wurzel ist »berauben, übernehmen, besetzen, erben«. Da im Verlauf der Besetzung eine Person oder Gruppe notwendigerweise ihrer vorherigen Besitztümer »beraubt« wurde, könnte dieser Raubzug offenkundige Gewalt oder Zerstörung beinhalten. Diesen Aspekt des hebräischen Verbs hat der Übersetzer des Dtn an acht Stellen (2,12; 4,38; 7,17; 11,23; 9,4; 9,5; 18,12; 28,42) aufgegriffen und verstärkt, indem er für ירשׁVerben verwendete, die Gewalt in jeglicher Form darstellen. Das erste Kompositum zur Standardwiedergabe begegnet in 2,12. An dieser Stelle sind die Söhne Esaus das Subjekt, der im Hebräischen verwendete Verbstamm ist der einfache Impf. im Qal. Ausschließlich hier hat der Übersetzer das Verb ἀπόλλυμι, »vernichten« als Wiedergabe von ירשׁgewählt; das er normalerweise für אבדverwendet. Zwei Mal, in 4,38 und 7,17, wurde der kausative Aspekt des Hiph’il Inf. להורישׁ wiedergegeben und vielleicht erweitert durch den Aorist Aktiv Inf. von ἐξολεθρεύω, »ausrotten, vernichten«. An einer dritten Stelle, in 11,23, wurde Hiph’il Perf.cons mit Futur Aktiv ἐκβαλεῖ als Ausdruck der Zerstörung wiedergegeben; innerhalb desselben Verses wird jedoch auch Qal Perf.cons. durch eine Verbform von κληρονομέω im Indikativ Futur angemessen wiedergegeben. Die Wurzel ירשׁkommt in Dtn 9, 4 und 5 je zweimal vor, zunächst im Infinitiv לרשׁת, der durch Infinitive im Aorist Aktiv von κληρονομέω wiedergegeben wird. In 1.
Siehe dazu die Diskussion in BdA 5, 179 und LXX.E, 558 mit Belegen für die Entwicklung dieser Gottesbezeichnung. 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
den anderen Fällen jedoch handelt es sich – wie beispielsweise auch in 18,12 – um Partizipien mit Suffix im Hiph’il, (» מורישׁםihr) raubt sie aus«. Diese werden als Indikative des Futur Aktiv von ἐξολεθρεύω »wird sie ausrotten« übersetzt. Der letzte Fall von »Interpretation« liegt in 28,42 vor. Hier steht das Verb im Pi’el, das Subjekt ist ein הצלצל, vermutlich ein Insekt, das der Übersetzer als ἐρυσίβη »(Getreide-)Rost«, eine Pilzart, auffasst, der Übersetzer gibt das Verb hier mit einem Kompositum von ἀναλίσκω »verzehren oder zerstören« wieder. Es zeigt sich, dass der Übersetzer sowohl Hebräisch als auch Griechisch gut beherrschte und in der Regel angemessene und nuancierte Wortbedeutungen auswählte. Die vier griechischen Verben ἀπόλλυμι, ἀναλίσκω, ἐκβάλλω und ἐξολεθρεύω werden in speziellen Kontexten zusätzlich zum Standardwort κληρονομέω verwendet, um eine singuläre, allgemeine hebräische Wurzel anzuzeigen. Dennoch ist nicht immer ganz klar, ob und wann der Übersetzer sinnerhaltend interpretierte oder sich einer anderen Vorlage bediente. Der Umgang mit dem pleonastischen Ausdruck ((» )באים שמה לרשתהsie kamen) dorthin, um es einzunehmen« ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Insgesamt taucht die Wendung im Dtn 15 Mal auf (4,5.14.26; 6,1; 7,1; 11,8.10.11.29; 23,21; 28,63; 30,16.18; 31,13; 32,47), meistens nach Verben der Bewegung wie gehen, durchqueren, eintreten etc. Die durch das Suffix = הαὐτήν angezeigte dritte Person wird im Griechischen nur an einer Stelle (7,1) nicht genau wiedergegeben. Hier entschieden sich Rahlfs und Wevers, der Lesart von B zu folgen (Wevers vermerkt weitere Hss. sowie das augenscheinliche Zeugnis von P 963), wo αὐτήν fehlt. Gleichzeitig wiesen sie alle Unzialen zurück, die dieses bezeugen könnten. Angesichts der sonst konsistenten Wiedergabe dieser Phrase kann sicherlich plausibel gezeigt werden, dass die zurückgewiesene Lesart in den Majuskeln A, F und M belegt ist. Wenn Rahlfs und Wevers im Recht wären, hätte entweder untypischerweise die hebräische Vorlage eher לרשׁתals לרשׁתהenthalten. Alternativ könnte der Übersetzer einzig in diesem Fall entschieden haben, über das Suffix hinwegzusehen. Etwas mehr Klarheit kann man durch die Untersuchung der Übersetzung von ( לרשׁתהund anderer verwandter Suffixformen) erreichen, wenn sie in Dtn nicht nach שׁמהstehen. Das ist mindestens 16 Mal der Fall. Ungefähr bei der Hälfte (7) wird das Suffix akkurat wiedergegeben, während es fünfmal entweder übersehen oder ignoriert wird. Das bereits behandelte Beispiel in 7,1 ist also kein Einzelfall. In fünf Fällen jedoch wird לרישׁתהnicht als κληρονομῆσαι (αὐτήν), sondern als ἐν κλήρῳ übersetzt. Dies scheint eine relativ große Abweichung von der Norm zu sein. Wollte der Übersetzer an dieser Stelle eine Interpretation seines Quellentextes vornehmen oder gab es eine Berechtigung für diese Entscheidung aufgrund der Vorlage? Ein Schlüssel zu dieser Frage scheint in 25,19 sowie in 26,1 zu liegen, hier stehen ἐν κλήρῳ und κληρονομῆσαι nebeneinander. Die Vorlage, repräsentiert im MT, hat in diesen Versen – נחלהein Nomen welches in beiden Fällen mit ἐν κλήρῳ übersetzt wird, gefolgt von einer Form von ירשׁmit Suffix, also beispielsweise לרישׁתהin 25,19 und וירשׁתהin 26,1. Im ersten genannten Vers ist das Suffix αὐτήν nicht abgebildet, im zweiten schon; in einem Vers wird die einfache Form κληρονομῆσαι verwendet, in dem anderen die komplexe Form κατακληρονομῆσῃς. Diese Verse sind aufschlussreich und könnten auf verschiedenen Ebenen befragt werden. Könnten die untypischen Übersetzungen in 3,18; 5,31; 12,1 und 19,14 auf ein ( נחלהoder ein ähnliches Nomen) in der Vorlage hindeuten oder handelt es sich ein166
3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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fach um stilistische Varianten des Übersetzenden? Würde ein Übersetzer, der so sorgfältig jedes Suffix in einem Buch wie Dtn, das viele Wiederholungen hat, wiedergibt, an fünf wahllosen Punkten ohne offensichtlichen Grund von der Standardübersetzung abweichen? Ich denke nicht. Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass ἐν κλήρῳ auf eine nominale hebräische Form im Quellentext hinweisen könnte, gibt es, wenn man jedes Vorkommen dieser Phrase in Dtn näher untersucht. Schnell wird dann klar, dass die Wortverbindung ἐν κλήρῳ in der großen Mehrheit der Fälle ein Nomen übersetzt, nämlich meistens נחלה, da נחלהim Dtn in der Regel als κλήρος übersetzt wird. Von den 18 Vorkommen von ἐν κλήρῳ in Dtn, haben drei (11,31; 17,14; 25,15) keine Entsprechung im MT; in 11,31 enthält Dtn den hinzugefügten Teilsatz πάσας τὰς ἡμέρας, der keine Entsprechung im MT hat. Von den 15 verbliebenen Vorkommen des Verbs beziehen sich elf auf abstrakte Nomina – נחלה 8 Mal (4,21; 15,4; 19,10; 21,23; 24,4; 25,19; 26,1; 29,7) und ירשׁה3 Mal (s. u.). Damit bleiben nur vier Stellen übrig (s. o.), an denen לרישׁתהals ἐν κλήρῳ wiedergegeben ist. Es erscheint als eine plausible Annahme, dass der Übersetzer durch die fehlende Vokalisation eine Form von רישׁתהgelesen haben könnte, in diesem Fall ein abstraktes Nomen im Sinne von ירשׁהund נחלה. Dies könnte die Übersetzung von ἐν κλήρῳ in diesen Fällen erklären. Das Nomen ירשׁהvon der Wurzel ירשׁkommt in Dtn nur fünf Mal vor (2,5; 2,9 [2�]; 2,19 [2�]). Drei Mal ist es als ἐν κλήρῳ wiedergegeben, einmal als ἐν κληρονομία und einmal mit dem Infinitiv κληρονομεῖν, wobei der Sinn der Passage beibehalten wird. Dies scheint die Annahme zu bestätigen, dass nach Ansicht des Übersetzers ἐν κλήρῳ eine hebräische nominale Form wiedergibt. An jenen Stellen, wo eine Verbform vorausgesetzt zu sein scheint, ist es daher sinnvoll, eine andere hebr. Vorlage anzunehmen. Zwei letzte Beispiele legen die Genauigkeit des Übersetzers in der Ausführung seiner Aufgabe nahe. Am Ende von 19,2 endet MT mit לרישׁתהnach נתן לך, d. h. »er gibt dir, es zu besitzen«. Kein vorhexaplarischer Zeuge unterstützt an dieser Stelle לרישׁתה. Falls der Übersetzer von einem dem MT entsprechenden Text ausgegangen wäre, könnte von ihm erwartet werden, diese populäre Bezeichnung aus einer Parallelpassage übernommen oder aus dem Gedächtnis eingefügt zu haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auf gleiche Weise stellt sich die Wiedergabe von » אותםsie« (Objekt) als τὴν γὴν αὐτῶν »ihr Land« in 12,29 (2x) dar. Dies könnte als eine »Interpretation« des Übersetzers gesehen werden, aber aufgrund seiner im Allgemeinen recht großen Genauigkeit könnte es sich um eine Spiegelung des dem Übersetzer vorliegenden Textes handeln. Dieses close reading eines begrenzten Ausdrucks zeigt die Unsicherheiten, die bestehen, wenn letztgültige Lösungsansätze zur Übersetzungstechnik beim gegenwärtigen Wissensstand vertreten werden. Auch die Art, wie der Übersetzer mit dem Verb אבדumgegangen ist, illustriert seine Methode. Seine Standardwiedergabe dieses Verbs ist sicherlich ἀπολλύω, das er in 16 von 20 Fällen gewählt hat. Nur in vier Fällen hat er sich für eine andere Wiedergabe entschieden. Am meisten zitiert wird 26,5, hier wird »gab auf« gewählt. Zwei Mal (7,10 und 28,63) wählt er ἐξολεθρεύω und einmal (7,20) ἐκτρίβω. Sein Umgang mit der Wurzel חרם, die nur neun Mal im Buch vorkommt, zeigt ein ähnlich kontextsensibles Muster. Die Verbalform kommt sechs Mal vor, in drei dieser Fälle begleitet ein verwandter freier Infinitiv die Verbalwurzel. In den ersten drei Fällen (2,34; 3,6 [2�]) 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
wählt er ἐξολεθρεύω als neutrales Lieblingsäquivalent. Wäre er sich der konsequenten Wahl des Übersetzers von Num zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, hätte er dessen Spur folgen und ἀναθεματίζω auswählen können. Seine Entscheidung ἐξολεθρεύω zu wählen, scheint bedacht zu sein und spricht für seine Unabhängigkeit. Um die vierte erwähnte Stelle, 7,2, zu übersetzen (eine der Formen mit einem verwandten Infinitiv), wählt er ἀφανίσμω »völlig vernichten« als präzisere Wiedergabe. Die verbleibenden zwei Fälle 13,16 und 20,17, beide mit verwandten Infinitiven, sind mit ἀναθεματίζω wiedergegeben. Die drei verbliebenen Stellen, an denen diese Wurzel auftritt (7,26 [2�] und 13,18) sind Nominalformen und werden gleichermaßen mit ἀνάθεμα (bzw. ἀνάθημα) wiedergegeben. Alle diese Wiedergaben spiegeln Nuancen der hebräischen Wurzel und geben Grund zu der Annahme, dass der Übersetzer in seinem Ansatz kompetent, sensibel und zurückhaltend vorgegangen ist. In Dtn tauchen mehrere neue Wörter auf. Einige dieser Neologismen 2 sind durch praktische Probleme veranlasst. Beispielsweise kann eine hebräische Wurzel, die sowohl über eine Nominal- als auch eine Verbalform verfügt, im Griechischen nur in Form des Nomens auftreten. Wenn der Übersetzer dann die hebräische Verbalform der Wurzel antrifft, würde er eine neue Verbform des bereits als Nomen oder Adjektiv im Griechischen bekannten Wortes schaffen. Die Verben μακροχρονίζω, μακροημερέω und πολυχρονίζω als Übersetzungen des hebräischen Idioms יאריך ימיםsind Beispiele für diese Art von Neologismen. Außerdem kreierte er neue Wörter durch das Zusammenfügen zweier bereits existerender – der griechische Titel des Buches Δευτερονόμιον, eine Kombination von δεύτερος, νόμος und -ιον ist eine Interpretation, nicht bloß eine Übersetzung des hebräischen Ausdrucks משנה התורהund ein Beispiel dieser Art von Neologismen. So wie es bei vielen Übersetzungen, auch bei den als wortwörtlich bezeichneten, der Fall ist, kann das Dtn unterschiedlich auf der semantischen Ebene eingreifen: Vereinheitlichend durch die Benutzung eines einzelnen Wortes, um mehrere hebräische Wörter zu übersetzen, und differenzierend durch die Verwendung von mehreren griechischen Wörtern zur Wiedergabe eines einzelnen hebräischen Wortes. Ein Beispiel für die erste Art dieses Eingreifens ist das Verb ἐξολεθρεύω, »zerstören«, das nicht weniger als sechs verschiedene hebräische Verben übersetzt; für die zweite Art das hebräische Nomen » גרFremder«, welches in Dtn sowohl als προσήλυτος als auch als πάροικος übersetzt ist. Ein weiteres spannendes Merkmal des dtn. Übersetzers im Bezug auf Nomen ist das Verhältnis von Übersetzung und Transliteration. Schon im ersten Vers des Buches transliteriert er die Ortsnamen Pharan, Tophol und Lobon, übersetzt חצרתjedoch als Αὐλῶν »Höfe« und די זהבals καταχρύσεα »Goldenes«. » בגיim Tal« wird in 3,29 und 4,46 mit zwei verschiedenen Wörtern übersetzt und in 34,6 als Eigenname gelesen und als ἐν Γαι transliteriert. Insgesamt gibt es eine Reihe weiterer Vorkommen von Transliteration und Übersetzung, die kein einheitliches Muster ergeben. Andere Nominalformen werden im weiteren Verlauf in Abschnitt 5 behandelt.
2.
Zur Diskussion einiger dieser vgl. NETS, 142-143. Eine komplette Liste der Neologismen, sowohl der nur in Dtn vorkommenden als auch der, die auch in anderen Büchern des Pentateuch vorkommen, findet sich bei BdA 5, 64-65; vgl. auch Schröder, Neologismen.
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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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3.2 Zeit und Ort der Übersetzung In Übereinstimmung mit den bestehenden Übersetzungen des griechischen Pentateuchs gibt es keinen Zweifel daran, dass die Übersetzung des Dtn aus dem 3. Jh. v. Chr. stammt und in Ägypten hergestellt wurde. Sollte jemand anderer Auffassung sein, liegt die Beweislast bei ihm. In neuerer Zeit wurde die Frage der Reihenfolge der Übersetzung der einzelnen Bücher diskutiert. Die einzelnen Bücher des Pentateuch müssen nicht notwendiger Weise in der kanonischen Reihenfolge übersetzt worden sein. Es ist durchaus möglich, dass das Buch Dtn wegen seines Inhalts vor dem Buch Numeri oder auch vor Levitikus übersetzt wurde. Sprachliche Beziehungen etwa zwischen Dtn 32,49-51 und Num 27,1214 könnten darauf hinweisen. Allerdings ist die Frage umstritten (s. dazu in 1.4, Numeri, und in 1.0, Einleitung, 2.4 Datierungen).
4. Inhaltliches und theologisches Profil Die Frage der theologischen Interpretation durch einen Übersetzer ist direkt mit zwei bereits genannten Themen verknüpft. Zum einen, dass Übersetzer mehr taten als einfach nur Texte zu übersetzen – eine Sichtweise die hier bestritten wird – und zum anderen, dass wir einen sicheren Zugang zum Ursprungstext haben, von dem aus der Übersetzer arbeitete. Die Diskussion um die Theologie innerhalb einer Übersetzung setzt in der Regel voraus, dass die Vorlage der Septuaginta-Übersetzer MT war. Daher war bei offensichtlicher theologischer Abweichung zwischen dem Text der Septuaginta und dem MT meistens die erste Frage, in welchem Text sich eine »theologische« Interpretation befände. Die Antwort hängt von den Voraussetzungen ab. In der Regel wird angenommen, dass die Interpretation auf der griechischen Seite zu finden ist. Das beste Beispiel, um dies zu zeigen, ist Dtn 32,4.15.18.30 und die Reihe der entsprechenden Belege im Rest der hebräischen Bibel. MT benutzt die Metapher צור, Fels, während LXX mit θεός durchgehend den expliziten Namen אלהיםvoraussetzt. In der Regel wird argumentiert, dass der LXX-Übersetzer an der groben Metapher für das Göttliche Anstoß nahm und versuchte, sie durch die Verwendung des konkreten Namens zu vermeiden. Das heißt, dass der Übersetzer der LXX eine »Interpretation« aus theologischen Gründen vorgenommen haben soll. An anderer Stelle 3 habe ich für das Gegenteil plädiert, nämlich dass der LXX-Übersetzer einen älteren hebräischen Text als Vorlage hatte, der später durch die Tradenten des MT aus theologischen Gründen verändert wurde. Von daher gibt es hier keine theologische Interpretation durch die Übersetzer des Dtn, sondern nur eine genaue Wiedergabe eines anderen, eventuell früheren Ursprungstextes, der von dem in MT gezeigten Textbestand abweicht. Als Argument dafür kann angeführt werden, dass die Tendenz, den göttlichen Namens zu vermeiden und das Tetragramm durch die allgemeine Bezeichnung אלהים zu ersetzen, vielfach beobachtet werden kann. Der sogenannte »elohistische« Psalter 3.
»Translating a Translation. Some Final Reflections on the Production of the New English Translation of Greek Deuteronomy«, in: R. Hiebert (Hg.), »Translation is Required«: The Septuagint in Retrospect and Prospect, SCS 56, Atlanta/GA 2010, 119-134. 4. Inhaltliches und theologisches Profil
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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
(Ps 42-83) zeigt dieses Phänomen innerhalb der hebräischen Bibel, wie dann später die gut bekannten Ersatz-Epitheta für den Gott Israels in der rabbinischen Literatur. Angenommen wird, dass die Veränderung von אלהיםzu צורdieser Art ist. Ein besonderes Indiz dafür scheint Dtn 32,30 zu sein. Dort steht in der LXX θεός parallel zu κύριος. Demgegenüber hat MT צורם, ihr Fels, womit sich nicht nur das Wort sondern auch die Aussage ändert, indem betont wird, dass es ihr eigener Gott ist, der sie verkauft hat. Damit lassen sie die mögliche Bedeutung zu, dass es der Gott der Verfolgten ist, der sie an die Verfolger verkauft hatte. Es ist darüber hinaus nicht unwahrscheinlich, dass das finale Mem von אלהיםdas Suffix an צורםausmacht, d. h. dass bei der Ersetzung von אלהיםdurch צורnur die Konstruktusform אלהיersetzt wurde und das ם stehen blieb. 4 Auch die Differenzen in 32, 37 und 42 sowie das bekannte Problem in 32,8 führen zu der Annahme, dass eine theologische Veränderung in der Vorlage des griechischen Textes nicht so offensichtlich ist, wie weithin angenommen. Solche Veränderungen sind deutlich besser im Hebräischen des MT zu zeigen. Es gibt aber doch auch einige schwache Anhaltspunkte für eine (theologische) Interpretation in Dtn an Stellen, an denen der Quellentext mit MT identisch zu sein scheint. Einige kurze Beispiele müssen genügen. Bei הרעin 13,6; 17,7.12; 19,19; 21,22; 22,22.24; 24,7) bleibt offen, ob »der Böse« oder »das Böse« aus dem Volk Israel entfernt werden solle, der Übersetzer konkretisiert aufgrund der Möglichkeit bzw. Notwendigkeit des Griechischen, dass die böse Person τὸν πονηρόν, nicht das Böse als Abstraktum τὸ πονηρόν, entfernt werden solle. Die hebräische Wurzel für »entfernen« in jedem dieser Fälle ist בערund in allen Fällen außer dem ersten (13,6) wählte der Übersetzer ἐξαίρω »komplett fortnehmen, entfernen«. Als er zum ersten Mal בערim Bezug auf böse Person begegnete, wählte er zunächst das »weichere« Verb ἀφανίζω »aus dem Weg schaffen, verstecken«, überdachte jedoch dann seine Entscheidung und behielt im Folgenden eine härtere Linie bei. Ein anderes mögliches Beispiel für Interpretation betrifft die Übersetzung von מלך. Die Könige der benachbarten Völker werden entsprechend der Standardwiedergabe als βασιλεύς bezeichnet (1,4; 2,24 … 29,6). Aber in 17,14.15 (2x) und 28,26, wo מלך auf einen König Israels verweist, wählt der Übersetzer ἄρχων. Der Sinn könnte sein, dass aus dem Blickwinkel des Übersetzers Israel nur einen βασιλεύς hatte, nämlich κύριος, seinen Gott. (Ähnlich begründet ist wohl auch die Wiedergabe von מלךmit ἄρχων in Num 23,21.) Auf der anderen Seite können wir nicht sicher sein, dass an diesen Stellen der Unterschied nicht schon in der Vorlage lag und er diese gewissenhaft wiedergab. In 33,5 verwendet der Übersetzer einheitlich ἄρχων um das wiederzugeben, was im MT an einer Stelle מלךist und an anderer Stelle ראש. Anderswo im Dtn ist ἄρχων auch die Wiedergabe von ( פרעות20,9), ( שר32,42) und sogar ( קדקד33,20). In 28,36 wird der Singular מלךdes MT als der Plural ἄρχοντες wiedergegeben. In 33,21 scheint ἄρχοντες ( מחקקoder )?ספוןwiederzugeben. – Die Beobachtungen zeigen, dass die Behaup-
4.
Vergleiche unter diesem Gesichtspunkt Ps 80,5: Dort scheint צבות אלהים יהוהeine spätere, hastige Ersetzung von אלהיםfür אלהיzu sein, selbst wenn das Ergebnis ein grammatisch nicht korrektes Hebräisch ist.
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4. Inhaltliches und theologisches Profil
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
tung theologischer Interpretation auf der Seite des Übersetzers von Dtn (und anderer) zwar aufgestellt, jedoch nicht immer mit Sicherheit belegt werden kann.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte [SK] Die in einem der Papyri von Herakleopolis (P.Polit. Iud. 4) 5 geforderte Ausstellung eines Scheidebriefes (vgl. Dtn 24,1-4) ist vielleicht nicht nur ein Appell an das Gewohnheitsrecht, sondern setzt wohl die Bekanntheit der Regelung auch in griechischer Form voraus. Sie ist aber schwerlich ein Beleg dafür, dass das Buch Deuteronomium bzw. der ganze Pentateuch für juristische Zwecke und auf Veranlassung des Königs in Griechische übersetzt wurde. Philo nimmt über 600 Mal auf Dtn Bezug, d. h. ähnlich häufig wie auf Lev und Num. In der Regel interpretiert er die Texte allegorisch, so wie es schon im Aristeasbrief für die Gebote bezeugt ist. Philo bezieht sich zwar auf den griechischen Text und er entfaltet die allegorische Auslegung, er steht aber zugleich in der frühjüdischen Auslegungstradition. In den vier Büchern de legibus specialibus geht er auf praktisch alle Bestimmungen des Dtn. ein, wobei er in der Darstellung der Themen der Reihenfolge der Gebote des Dekalogs folgt. 6 Philo unterstreicht natürlich die monotheistischen Forderungen des Dtn. Er hebt auch die prophetische Rolle des Mose hervor, aber der künftige (»messianische«) Prophet (vgl. Dtn 18,15) spielt keine Rolle bei ihm. Philo preist die Menschenfreundlichkeit der Gesetze des Mose und die Zuwendung und die Liebe Gottes zu den Menschen. Der Satz von Dtn 1,17 »das Urteil ist Sache Gottes« wird in Somn II, 17-30 zugespitzt: »Das Urteil gehört allein Gott.« Wiederholt greift Philo die Aussage »Gott ist nahe« (Dtn 4,7) auf und ebenso die Aussage, dass das Gesetz nahe ist (Dtn 30,11-14). Weiteres zu Philo s. BdA 5, 69 f. und zu den genannten Stellen. Josephus paraphrasiert die biblischen Bücher als Historiker aber auch als Verteidiger des Judentums. Zum Dtn bzw. zum Gesetz insgesamt betont er so wie Philo die Menschenfreundlichkeit der Gebote. Josephus bezieht sich auch auf Gebote des Dtn, aber nicht als Zitate sondern in allgemeiner Hinsicht. Eine Besonderheit ist, dass er die Bedeutung der grundsätzlich allgemeinen Verständlichkeit und Zugänglichkeit der Gebote für das Judentum hervorhebt. Weiteres siehe BdA 5, 79 f. sowie Feldman, Josephus. Das Lied des Mose in Dtn 32 wurde als zweite in die Sammlung der Oden aufgenommen. Ob das bereits in einer früheren jüdischen Sammlung geschah oder ob die Oden erst und nur eine christliche Sammlung sind, ist umstritten (siehe 4.2 Oden). In den christlichen Bezugnahmen auf die Schrift spielt Deuteronomium eine wichtige Rolle. Zu nennen sind Dtn 21,23 (»Verflucht der am Holz hängt«) und die 5. 6.
Cowey, J. M. S. / Maresch, K. (Hg.), Urkunden des Politeum a der Juden von Herakleopolis (144/3–33/2 v. Chr.) (P. Polit. Iud.), Papyrologica Coloniensia 29, Wiesbaden 2001, 56-71. Dieser Gedanke taucht in der Neuzeit wieder auf, z. B. bei Martin Luther, demzufolge Mose ab Dtn 6 den Dekalog auslegt. In der neueren Exegese z. B. bei Georg Braulik, der die Parallele auf das deuteronomische Gesetz, d. h. auf Dtn 12–26 bezieht. Vgl. dazu Kreuzer, S., Dekalog und Deuteronomium in der Auslegung Martin Luthers, in: Altes Testament und Moderne 15, Münster 2004, 67-82. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte [SK]
171
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
schon im Judentum (besonders bei den Samaritanern) wichtige, an Dtn 18,15 anknüpfende prophetisch-messianische Erwartung, die in der Rede des Petrus (Apg 3,22 f.) sowie in Joh 1,45; 6,14; 7,40 auf Jesus bezogen wird. In Mt 22,37; Mk 12,29 f. und wohl auch in Lk 11,28 wird Dtn 6,4 f. zitiert bzw. darauf angespielt. Sowohl die theologische Argumentation wie auch die Aufnahme zahlreicher sozialer und ethischer Mahnungen zeigen die Bedeutung, die das Deuteronomium wohl auch in seiner griechischen Form und in der Diaspora hatte: Dtn 8,3 (»der Mensch lebt nicht vom Brot allein«) wird in Mt 4,4 zitiert. Mt 26,11 zitiert das Wort bezüglich der Armen aus Dtn 15,11. Das Verbot der Auslieferung eines Sklaven von Dtn 23,17 wird in Phil 8–10 aufgenommen. In Hebr 12 wird die Forderung von Dtn 29,17, in der Gemeinschaft »keine bittere Wurzel« 7 aufwachsen zu lassen, aufgenommen. Röm 2,29 nimmt die Metapher von der Beschneidung des Herzens aus Dtn 30,6 auf. Wichtig ist auch die Argumentation, dass das Wort (Gottes) den Menschen nahe ist (Dtn 30,11-14, vgl. Röm 10,6-8). Dtn 32,35, dass sich Gott die Rache vorbehält, wird in Hebr 10,30 aufgenommen. Hebr 12,29 spricht wie Dtn 4,24 von Gott als einem verzehrenden Feuer. Hebr 4,811 deutet die in Dtn 12,9 f. angekündigte Ruhe im verheißenen Land eschatologisch. In Offb 22,18 f. wird auf die sog. Kanonsformel (»du sollst nichts hinzutun und nichts wegnehmen«) von Dtn 4,2 und 13,1 angespielt. Während bei Philo und später ähnlich bei Hesychius von Jerusalem Dtn 28,66 »dein Leben wird vor deinen Augen hängen« im Sinn der Unsicherheit bzw. (bei Hesychius) als Drohung (gegen die Juden) gedeutet wird, wurde der Vers spätestens ab Irenäus von Lyon (Adv. haer. 4, 10,2 und 5 und 5, 18,3) in Verbindung mit Joh 14,16 und teilweise auch Ps 95,10 auf das Heil durch Christus am Kreuz bezogen (Barn 8,5; Justin, 1. Apologie 41,4 und Dialog 73,1). 8 Die Verheißung für Juda in Dtn 33,7 ist bei Origenes (zusammen mit Gen 49,8-10 und Num 24,7-9) eine der prophetischen Ankündigungen des Kommens Jesu aus dem Stamm Juda. (com Jo XIII, 154-159); ähnlich bei Theodoret von Cyrrhus, Questiones in Deuteronomium 44).
6. Perspektiven der Forschung Es bleiben viele Punkte offen, an denen eine genauere Untersuchung erfolgen könnte. Diese Arbeit ist zum einen in Form von Kommentaren zu erwarten, die sich speziell auf die griechische Form des Textes beziehen. Ein Anfang in dieser Richtung ist ge-
7.
8.
Die in den Codizes A und F (gegenüber B) bezeugte Lesart stammt wohl nicht »ex Hebr 12,15« (so Wevers, Dtn, 321), sondern bezeugt wohl, wie auch andere Belege im Hebräerbrief (vgl. Kreuzer, S., Die Bedeutung des Antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta [Old Greek] und für das Neue Testament, in: M. Karrer / S. Kreuzer, Von der Septuaginta zum Neuen Testament: Textgeschichtliche Erörterungen, ANTF 43, Berlin 2010, 13-38: 33 f. zu Hebr 1,7) die ältere, noch nicht formal an den hebräischen Text angepasste Lesart. Zum Thema s. Daniélou, J., »La Vie suspendue au bois« (Deut., 28,66), in: ders., Études d’exégèse judéo-chrétienne (les Testimonia), Paris 1966, 53-75.
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6. Perspektiven der Forschung
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
macht und liegt in LXX.E vor. Weitere Kommentierungen sind im Rahm der geplanten Kommentarreihen zur LXX zu erwarten. Ein wichtiger Forschungsbereich wird die Frage der Textgeschichte und der ältesten Textformen sein. Bisher wird dazu in der Regel von einer Priorität der Lesarten des MT ausgegangen. Die Beziehungen zwischen den Funden aus Qumran, LXX-Lesarten, Targumen und dem samaritanischen Pentateuch bedürfen genauerer und systematischerer Erforschung. In Verbindung damit kann es notwendig werden, die textkritischen Entscheidungen zu überprüfen und die Rekonstruktion der Original-Septuaginta für Dtn und andere Bücher auf der Basis dieser zusätzlichen Befunde zu revidieren. Bei dieser auch gegenüber bestehenden Ausgaben kritischen Arbeit, bei der auch die editorischen Grundannahmen zu überprüfen sind, handelt es sich gewiss um eine gewaltige Aufgabe. Mit Hilfe moderner technischer Möglichkeiten sowohl zur Untersuchung als auch zur Archivierung historischer Manuskripte könnten diese Aufgaben vielleicht dennoch einfacher durchgeführt werden als bisher.
6. Perspektiven der Forschung
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2. Geschichtsbücher
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua Cornelis G. den Hertog
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006 — Margolis, M. L., The Book of Joshua in Greek According to the Critically Restored Text Containing the Variants of the Principal Recensions of the Individual Witnesses, Publications of the Alexander Kohut Memorial Foundation in Trust at the American Academy for Jewish Research, Paris 1931-1938; Philadelphia 1992.
1.2 Qumran-Texte 4QJosa.b = 4Q47.48 (DJD XIV) — XJos = XJos1 = Schoyen MS 2713 (DJD XXXVIII) — 4QpaläoParaJosua 0 4Q123 (DJD IX) — Mird APHM 100 (Arabic Papyri from Hirbet el Mird; Jos 22,67.9-10, christl. paläst. aramäisch). BQS 247-253 — HTTM 187-201. Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Moatti-Fine, J. (mit Roqueplo, T), Jésus / Josué, BdA 6, Paris 19992 — Auld, A. G., Joshua. Jesus son of Nauē in Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series 1, Leiden 2005 — Greenspoon, L., Iesous, NETS, Oxford / New York 20092, 174-194 — Hertog, C. G. den / Kreuzer, S., Jesus / Das Buch Josua, LXX.D, Stuttgart 20102, 218-242 — Hertog, C. G. den / Kreuzer, S., Jesus / Josue / Das Buch Josua, LXX.E, Stuttgart 2011, 605-656.
1.4 Weitere Literatur Barthélemy, D., Critique Textuelle de l’Ancien Testament. 1. Josué, Juges, Ruth, Samuel, Rois, Chroniques, Esdras, Néhémie, Esther, OBO 50/1, Fribourg / Göttingen 1982 (= CTAT I) — Benjamin, C. D., Variations Between the Hebrew and Greek Texts of Joshua: Chapters 1-12, (Diss. Philadelphia), Leipzig 1921 — Bieberstein, K., Lukian und Theodotion im Josuabuch. Mit einem Beitrag zu den Josuarollen von Hirbet Qumran, BN.B 7, München 1994 — Greenspoon, L. J., Textual Studies in the Book of Joshua (Diss. Harvard), HSM 28, Chico/CA 1983 — Gooding, D. W., Tradition and Interpretation of the Circumcision at Gilgal, in: A. Shinan (Hg.), Proceedings of the Sixth World Congress of Jewish Studies (Jerusalem 1973), 1977, 149-164 — den Hertog, C. G., The Geographical Shape of the Unconquered Land in Joshua 13:2-5 MT and LXX, in: J. van Ruiten / J. C. de Vos (Hg.), The Land of Israel in Bible, History, and Theology, VT.S 124, Leiden 2009, 51-60 — Karrer, M., The New Leaves of Sinaiticus Judges, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta. Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 600-617 — Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser, Die Septuaginta. Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116 — Orlinsky, H. M., The Hebrew Vorlage of the Septuagint of the Book of Joshua, VT.S 17, Leiden 1969, 1871. Literatur
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2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
195 — Rofé, A., The End of the Book of Joshua According to the Septuagint, Henoch 4 (1982), 17–36 — Rösel, M., Die Septuaginta-Version des Josuabuches, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 1, BWANT 153, Stuttgart 2001, 197-211 — Sigismund, M., Der Text des Buches JosuaLXXVg zwischen מדנחאיund מערבאי, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 315-332 — Sipilä, S., Between Literalness and Freedom. Translation Technique in the Septuagint of Joshua and Judges Regarding the Clause Connections introduced by וand כי, Publications of the Finnish Exegetical Society 75, Helsinki 1999 — Troyer, K. de, Joshua, in: R. Pintaudi (Hg.), Papyri Graecae Schøyen, PSchøyen I, Papyrologica Florentina, XXXV / Manuscripts in the Schøyen Collection, V, Florenz 2005, 79-145 und Plates XVI-XXVII — van der Louw, Th. A. W., Translator’s Competence and Intention in LXX-Joshua 2, in: J. van Ruiten / J. C. de Vos (Hg.), The Land of Israel in Bible, History, and Theology, VT.S 124, Leiden 2009, 3-18 — van der Meer, M. N., Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses, VT.S 102, Leiden 2004 — van der Meer, M. N., Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, in: M. K. H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden 2004, SCSt 54, Atlanta/GA 2006, 55-80.
2. Textüberlieferung und Editionen 2.1 Textüberlieferung Dank seiner Stellung nach dem Pentateuch (und somit weder am Buchanfang, noch am Buchende, wo leichter Beschädigungen auftreten) ist der griechische Text dieses Buches in nahezu allen großen Codizes überliefert. Außerdem stehen einige Dutzend Minuskelhandschriften zur Verfügung, allerdings nur zwei Papyruszeugen von geringem Umfang. Von den Majuskelhandschriften ist ein Blatt des Codex K (11,17–12,2) in den bisherigen Textausgaben durch ein Versehen nicht berücksichtigt worden. Der relativ alte (2. Jh. n. Chr.) Papyrus Schøyen (9,27[33]–11,3) ist erst kürzlich veröffentlicht worden (De Troyer, Joshua) und für die Textausgaben daher ebenfalls noch nicht ausgewertet worden. In den bedeutenden Tochterübersetzungen ist das Josuabuch relativ gut bezeugt. Die sahidische Übersetzung liegt in zwei, voneinander anscheinend unabhängigen Fassungen vor (davon eine nur fragmentarisch bezeugt). Die Syrohexapla und die altlateinische Übersetzung sind jeweils fragmentarisch erhalten. Der griechische Text ist im Allgemeinen gut überliefert. Eine Ausnahme stellen die Ortsnamen dar, die in einigen Kapiteln in extremer Häufung vorkommen. Anders als in der hebräischen Textüberlieferung waren diese Namen in ihrer griechischen Transkriptionsform etymologisch nicht mehr durchsichtig. Sie erlitten daher in der griechischen Textüberlieferung teilweise sehr starke Verstümmelungen, besonders dann wenn sie in (sinnarmen) Listen und Grenzbeschreibungen und nicht in erzählerischen Zusammenhängen vorkamen (siehe 15,21b-62a und 18,21–19,45).
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2. Textüberlieferung und Editionen
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
2.2 Editionen Für das Josuabuch liegen drei Textausgaben mit kritischem Apparat vor: eine diplomatische (Brooke / McLean / Thackeray 1917) und zwei eklektische (Margolis 19311992 und Rahlfs-Hanhart 2006).
2.2.1 Die diplomatische Ausgabe Die diplomatische Ausgabe erschien im Rahmen des Cambridger Editionsprojektes. Sie berücksichtigt eine beträchtliche Anzahl von Minuskelhandschriften. Da der Text des Codex Vaticanus integral abgedruckt wird und die Varianten im ersten Apparat zusammengestellt sind (der zweite Apparat enthält hexaplarisches Material), werden durch regelmäßig wiederkehrende Bezeugungsmuster einzelne Handschriftengruppen rasch sichtbar. 2.2.2 Die eklektischen Ausgaben Die von Hanhart revidierte Handausgabe von Rahlfs verzichtet naturgemäß auf einen ausführlichen Apparat, bietet aber einen gut begründeten eklektischen Text. In den Kapiteln 15, 18 und 19 wird der Text der beiden für das Josuabuch wichtigsten Zeugen (d. h. A und B) zum Teil parallel abgedruckt. Damit sollte nicht behauptet werden, dass für diese Abschnitte zwei selbständige Übersetzungen vorliegen, wie etwa im Danielbuch. Vielmehr ist in diesen Abschnitten das allgemeine Ziel dieser Ausgabe, möglichst nah an den ursprünglichen Text der Übersetzung heranzukommen, auf Grund der extremen Divergenzen im vorhandenen Handschriftenmaterial nicht zu erreichen. Es war sinnvoll, den Text des Codex Alexandrinus zusätzlich abzudrucken, weil diese Handschrift (zusammen mit ihren zahlreichen Satelliten) regelmäßig eine (z. T. prähexaplarische) Rezensionstätigkeit bezeugt, die den griechischen Text einem hebräischen Text protomasoretischer Prägung angleicht. Die 1975 im Katharinenkloster am Sinai gefundenen Teile des Codex Sinaiticus enthalten Jos 12,2–13,10 und 13,11–14,1 und wurden 2009 unter www.sinaiticus.org zugänglich gemacht. Der Text stimmt eng mit dem Text des Codex Vaticanus überein, enthält aber auch eigene Lesarten. 1 Die eklektische und größtenteils posthum erschienene Textausgabe von Max L. Margolis ordnet und bewertet das Überlieferungsgut nach dem Göttinger Editionsprinzip, das in der Nachfolge de Lagardes von einer Aufspaltung der Textüberlieferung in drei von Hieronymus bezeugte Rezensionsstränge (verbunden mit den Namen des Origenes, Hesychius und Lukian) ausgeht. Margolis hat in seiner Ausgabe diesem hypothetischen Modell ein größeres Gewicht eingeräumt als dem tatsächlichen Befund der sehr disparaten Textüberlieferung. Er war dadurch gezwungen, mit einem komplizierten System von Apparaten zu arbeiten; ein sinnvoller Gebrauch seiner Textausgabe ist für einen gelegentlichen bzw. mit der Septuagintaforschung weniger vertrauten Benutzer dadurch eigentlich nicht möglich. Eine weitere gravierende Unzulänglichkeit bezieht sich auf die Zuordnung des Handschriftenmaterials. Es liegt seiner Textrekonstruktion hinsichtlich der Bewertung der Handschriftengruppen eine Entscheidung zugrunde, die eher einer vorgefassten Meinung entstammt als einer am Handschriftenmaterial selbst erarbeiteten Einsicht in die Abhängigkeiten und Zusam1.
Siehe Karrer, Sinaiticus. 2. Textüberlieferung und Editionen
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2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
menhänge der verschiedenen Gruppen. Konkret geht es darum, dass die hexaplarische Handschriftengruppe (von Margolis als ›P‹ bezeichnet, weil sie von Origenes in Palästina erstellt wurde) von Margolis als Basis für die Textform seiner Gruppe ›C‹ (so bezeichnet, weil sie im konstantinopolitanischen Raum zu Hause gewesen sein soll) angesehen wurde und nicht umgekehrt. K. Bieberstein 2 gebührt die Anerkennung dafür, dass er als erster auf dieses Problem hingewiesen und die Rekonstruktion von Margolis falsifiziert hat. Vor allem aus diesen beiden Gründen wurde die von Margolis erarbeitete Ausgabe wohl nicht in die Göttinger Editionsreihe aufgenommen. 3 (Die wichtigsten Lesarten aus der Ausgabe von Margolis sind in LXX.D in den Fußnoten referiert).
3. Zeit und Ort der Übersetzung und eventueller Revisionen 3.1 Die Zeit der Übersetzung Die Frage der Datierung der griechischen Übersetzung des Josuabuches wurde zuletzt von van der Meer, Provenance, eingehend diskutiert. Er setzt sie im späten 3. oder frühen 2. Jh. v. Chr. an und führt dafür verschiedene Gründe an. Zum einen argumentiert er mit einer – allerdings recht unsicheren – Abhängigkeit Aristobuls vom griechischen Josua. Zum anderen bezieht er sich auf diverse Hinweise im griechischen Text, die eher zu der Zeit ptolemäischer Oberhoheit in Palästina als zu den Verhältnissen nach der seleukidischen Machtübernahme passen, wie sie durch den Siegeszug Antiochos’ III. in Jahre 198 v. Chr. entstanden. Diese Hinweise entstammen dem Bereich der historischen Geographie und gehören eng mit der nunmehr zu behandelnden Frage nach dem Ort der Übersetzung zusammen.
3.2 Der Ort der Übersetzung Van der Meer, Provenance, hat sich auch mit den Fragen der Lokalisierung gründlich auseinandergesetzt. Im Großen und Ganzen können wir seiner Argumentation folgen. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Wiedergabe geographischer Angaben eine auch nur oberflächliche Vertrautheit mit den Verhältnissen in etlichen Teilen des Landes vermissen lässt. Es wurde beispielsweise in der Forschung bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die drei vom Übersetzer verwendeten typisch ptolemäischen -ῖτις -Bildungen zur Bezeichnung von mittleren Verwaltungseinheiten gegen eine genauere Kenntnis des Landes sprechen. Zwei von ihnen stehen unter dem Verdacht, reine Phantasieprodukte zu sein. Zwar sollte man vorsichtig sein mit einer solchen Argumentation, denn der im Josuabuch figurierende Teil Palästinas ist recht umfangreich, und auch ein in Palästina arbeitender Übersetzer konnte über die geographischen Verhältnisse in weiter entfernten Landesteilen weniger gut informiert sein. Für den international relevanten 2. 3.
Bieberstein, Lukian und Theodotion, 32 ff. Vgl. hierzu auch den Hertog, C. G., Einige Briefe von Max Leopold Margolis an K. Marti und A. Rahlfs, ZAW 111 (1999), 234-252, hier 251 f.
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3. Zeit und Ort der Übersetzung und eventueller Revisionen
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
Küstenbereich 4 und auch für Judäa und seine nächste Umgebung sollten allerdings genauere Kenntnisse vorausgesetzt werden dürfen. Wenn nun für das judäische Bergland mit Μαδβαρῖτις eine Phantasiebezeichnung verwendet wird, spricht das gegen eine palästinische Herkunft der Übersetzung. Haben wir den Übersetzer somit außerhalb Palästinas zu suchen, so gibt es einige Hinweise darauf, dass er im ägyptisch-ptolemäischen Bereich zu Hause war. Dazu zählen erneut die -ῖτις-Bildungen, aber auch einige andere Einzelheiten. Van der Meer hat nun aber versucht, noch einen Schritt weiter zu gehen. Der Sprachgebrauch des Übersetzers ist besonders sorgfältig gewählt in den Bereichen des Militärs, der Verwaltung und der Landvergabe. Diese Beobachtung führt ihn zu der ansprechenden Vermutung, dass der Übersetzer möglicherweise der Gruppe der (relativ wohlhabenden) jüdischen Söldner angehörte, die nach Beendigung ihrer militärischen Laufbahn Landbesitz (κλῆροι, ein vom Übersetzer wiederholt verwendeter Begriff) erlangten (van der Meer, Provenance, 74).
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Wenn wir versuchen, das sprachliche Profil des griechischen Josuabuches zu bestimmen, müssen wir klar zwischen dem lexikalischen und dem syntaktischen Aspekt der Übersetzung unterscheiden. In lexikalischer Hinsicht vermag der Übersetzer höheren Ansprüchen zu genügen als in syntaktischer Hinsicht.
4.1.1 Das lexikalische Profil Seine Wortwahl ist differenziert und dem Kontext bzw. der Sache angepasst. Sein griechischer Wortschatz ist sehr groß. So verwendet er in 1,6 etwa das äußerst seltene ἀποδιαστέλλω für die Zuteilung des verheißenen Landes (für נחלhif.); es ist ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben, ebenso wie das in der Septuaginta seltene μερισμός, 11,23 – vgl. καταμερισμός (hapax legomenon) 13,14 –, σχοινισμός 17,5 und ἐμβατεύω 19,49. In 2,15 bildet er ein bisher nur hier in der gesamten Gräzität belegtes, gut passendes καταχαλάω (für ירדhif.); weitere zu vermutende Neologismen sind 9,5 καταπελματόω, 11,13 χωματίζω, 18,8 χωροβατέω, περισπόρια 21,2 und κληρωτί 21,4. In 3,12 verwendet er für das blasse לקחsehr passend das in der Septuaginta seltene προχειρίζομαι ›vorher auswählen‹. In 4,3 und 8 wird עברhif. mit dem nur hier in den übersetzten Teilen der Septuaginta belegten διακομίζω ›hinüberbringen‹ wiedergegeben und auch στρατοπεδεία für מלוןin 4,3 ist einzigartig (vgl. καταστρατοπεδεύω für חנהin 4,19). In 4,12 erscheint ein Partizip von διασκευάζομαι für › חמושיםin Fünfzigschaften geordnet‹ (HALAT, 317b). In 6,8 ff. werden mit σημαίνω (8), οὐραγέω (9) und ἀλαλάζω (20) offenbar mit Bedacht verschiedene militärische Begriffe verwendet; ebenso ἐκπολιορκέω in 7,3, 10,5 (vgl. 10,29.31.34), αὐτομολέω 10,1 und ἐπιπαραγί(γ)νομαι in 10,9. In 7,1 verwendet der Übersetzer das in der Septuaginta äußerst seltene, aber sehr passende νοσφίζομαι ›für sich auf die Seite schaffen‹, ›ent4.
Vgl. in diesem Zusammenhang den Hertog, Geographical Shape, 51-60. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
wenden‹, in 24,32.33a das ebenfalls sehr seltene κατορύσσω. Das in 8,6 verwendete ἀποσπάω kommt nur wenige Male in der Septuaginta vor, fast jedesmal für ein anderes hebräisches Verb, ebenso ἀμύνομαι in 10,13, στενοχωρέω in 17,15, εὐλαβεία in 22,24, ἀπαλλοτριόω in 22,25 und ἐπιγαμία ποιέω in 23,12. Mit der Äquivalenz ערמה// πανουργία in 9,4 hat der Übersetzer innerhalb der Septuaginta offenbar Schule gemacht. Die Beherrschung der griechischen Sprache zeigt sich auch darin, dass der Übersetzer seine Übersetzungsäquivalente oft vielfältig abgewechselt und bisweilen sehr frei gewählt hat. So hat er 13 Äquivalente für נכהhif.: ἀναιρέω (11,12.17; 12,1.7), ἀποκτείνω (7,5; 10,26; 11,11), ἐκκόπτω (15,16), ἐκπολεμέω (10,4), ἐκπολιορκέω (7,3), ἐξολεθρεύω (11,14), κατακόπτω (11,8), κόπτω (10,20; 11,8), μάχομαι (9,18), παίω (20,9), πατάσσω (8,21.24; 10,33.37.39.40; 12,6; 13,12.21; 19,47; 20,3), συντρίβω (7,5, 10,10), φονεύω (10,28.30.32.35). Für עברhat er 16 verschiedene Äquivalente: ἀπέρχομαι (10,29.31.34), διαβαίνω (1,2.11.14; 3,1.11.14.17; 4,1.7.10.11.12.13.22.23; 5,1; 24,11), διεκβάλλω (15,7), διέρχομαι (3,2; 18,13.18), εἰσέρχομαι (1,11), ἐκπεριπορεύομαι (15,3), ἐκπορεύομαι (15,3), ἵστημι (3,16; 18,5), παραβαίνω (7,11.15; 23,16), παραπορεύομαι (6,7; 15,6), παρέρχομαι (15,10.11; 16,2.6; 24,17), περιέρχομαι (6,7; 19,13), πορεύομαι (3,4; 15,4), προάγω (4,5 [+)]לפני, προπορεύομαι (3,6 [+)]לפני, χωροβατέω (18,9). Für עמדhat er 6 verschiedene Äquivalente: ἀνθίστημι (23,9), ἵστημι (3,8.13.16.17; 4,10; 5,13.15; 10,13.19), καθίστημι (20,9), παραπορεύομαι (9,2d), ὑπολείπομαι (10,8), vgl. עמד על תלם// χωματίζω Pass. (11,13). In 14,7-8 hat er die Wiedergabe von לבidiomatisch variiert: einmal νοῦς, einmal διάνοια. In wenigen Fällen war der Übersetzer offenbar von seinen hebräischen Sprachkenntnissen her seiner Vorlage nicht gewachsen, so etwa in der Wiedergabe von ערבה. 5 In Jos 17,5 war der Text seiner Vorlage womöglich unleserlich.
4.1.2 Das syntaktische Profil Im Bereich der Syntax weist der Übersetzer nach heutiger Einschätzung eine sehr viel geringere Kompetenz auf. Auf vielfältige Weise verstößt er gegen die Regeln der griechischen Syntax und des (gehobenen) griechischen Sprachstils. 6 Hier seien nur das starke Vorherrschen der Parataxis und die häufige (fehlerhafte) Verwendung des apodotischen καί genannt. Dieser Befund erklärt sich daraus, dass der Übersetzer den äußeren Aufbau der hebräischen Sprache beibehalten hat. Für einige andere Erscheinungen müssen hingegen andere Gründe vorliegen. In den geographischen Abschnitten findet sich nämlich wiederholt ein Übergang in den Akkusativ, wo dieser syntaktisch nicht angezeigt war (so in 12,3: 13,5.16 f.21.27.30; 16,3.5, aber auch in 22,8). Einige Male wechselte er wohl auch in einen unzulässigen Genitiv (so in 16,7 und 18,13). 4.1.3 Die sprachliche Kompetenz des Verfassers Auf Grund seines Wortschatzes müssen wir dem Übersetzer eine erhebliche griechische Sprachkompetenz einräumen, auf Grund seiner Syntax und seines Stils eine 5.
6.
Vgl. Wevers, J. W., The Attitude of the Greek Translator of Deuteronomy Towards His Parent Text, in: H. Donner u. a. (Hg.), Studien zur Theologie der alttestamentlichen Überlieferungen (FS W. Zimmerli), Göttingen 1977, (498-506) 499 f. Beispiele bei van der Louw, Competence.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
ebenso geringe. Angesichts seiner differenzierten und feinfühligen Wortwahl dürfen wir getrost die Möglichkeit ausschließen, dass er zu besserem Griechisch nicht fähig gewesen sei. Van der Louw, Competence, 17 f., vermutet, dass die mangelhafte Syntax dadurch zustandekam, dass der Übersetzer seinen griechischen Text auf Grund eines Diktats verfasst habe. Dagegen spricht aber die lexikalische Vielfalt des von ihm produzierten Textes. Dann bleibt nur die Schlussfolgerung, dass er sich entweder bewusst für einen hebraisierenden Sprachbau entschieden hat (mit welcher Absicht oder Begründung?) oder dass er den Fragen der Syntax und des Stils eine so geringe Bedeutung beigemessen hat, dass er auf ihre korrekte Handhabung keine Mühe verwandt hat. Beim derzeitigen Stand der Forschung kann über diese Alternative keine begründete Entscheidung getroffen werden.
4.2 Inhaltliches und theologisches Profil 4.2.1 Das inhaltliche Profil der Übersetzung Die – für einzelne Bereiche – differenzierte Wortwahl zeigt, wo die eigenen Interessen des Übersetzers liegen. Moatti-Finé (BdA, insbes. 53-66) hat als erste der Frage nach der Eigenheit des Übersetzers Beachtung geschenkt. Sie beobachtet eine besondere Aufmerksamkeit für militärische und administrative Angelegenheiten. Van der Meer, Provenance, hat zudem die mit der Verteilung des Landes zusammenhängenden Begriffe als einen gesonderten Bereich herausgelöst (s. o. 3.2 Schluss). An verschiedenen Stellen im Josuabuch finden sich Ergänzungen aus den späteren Büchern des deuteronomistischen Geschichtswerkes, auf die im hebräischen Text lediglich vorbereitet wird. Diese Hinzufügungen verleihen dem griechischen Josuabuch eine größere Geschlossenheit, so dass es leichter als ein abgerundetes Werk gelesen werden kann. Gleichzeitig verweisen sie aber auf einen übergeordneten geschichtlich-erzählerischen Zusammenhang. Soweit das Sondergut des griechischen Josuabuches nicht aus den späteren Büchern geschöpft ist, zeigt es ein besonderes Interesse an den steinernen Messern, mit denen Josua die Beschneidung der Israeliten vorgenommen hat. Es kann kein Zufall sein, dass das Verhältnis des hebräischen und des griechischen Textes zueinander gerade in dem von dieser Beschneidung handelnden Kapitel 5 eine Vielzahl schwieriger Fragen aufwirft. Die Beschneidung muss für den Übersetzer ein besonderes Gewicht gehabt haben. Der Schluss des hebräischen Josuabuches berichtet, dass die Israeliten nach dem Tode Josuas dem Herrn so lange treu blieben, wie die Generation Josuas noch am Leben war. In der Umkehrung heißt das: danach wurden sie ihm untreu. Das griechische Josuabuch macht diese Umkehrung explizit, indem es den nachmaligen Abfall ausdrücklich erwähnt. Aus dem offenen Ende des hebräischen Josuabuches ist dadurch ein spannungsgeladener Ausklang geworden. 4.2.2 Das theologische Profil der Übersetzung Es ist hinlänglich bekannt, dass die Septuaginta-Übersetzer ihre Übersetzungsäquivalente in den Bereichen des Kultes, der Ethik und der Frömmigkeit mit besonderer Sorgfalt gewählt haben. Für eine ganze Reihe von Begriffen kann man geradezu von standardisierten Wiedergaben sprechen. Auch der Übersetzer des Josuabuches hat sich dieser Tradition angeschlossen, wie die sorgfältige Differenzierung zwischen der 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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legitimen Opferstätte θυσιαστήριον und dem illegitimen Altar βωμός in Kap. 22 zeigt (vgl. Rösel, Septuaginta-Version, 208 f.). Aus diesem Befund allein kann man allerdings kein besonderes theologisches Interesse des Übersetzers ableiten und da es sich um geprägte Übersetzungsäquivalente handelt, sagt er auch über sein individuelles theologisches Profil nicht notwendig etwas aus. Dennoch gibt es (gegen van der Meer, Provenance, 73) einige Hinweise darauf, dass der Übersetzer auch eine eigenständige theologische Prägung vornahm. Das Buch Josua enthält die ersten biblischen Belege für den Namen Jerusalems; im Pentateuch kommt zwar der Name Salem (Σαλημ Gen 14), nicht aber Jerusalem vor. Die hellenistische Namensform Jerusalems war offenbar Ἱεροσόλυμα (anscheinend mit spiritus asper, nicht spiritus lenis). Diese Prägung zeugt von einer gewissen – auch heute noch nachvollziehbaren – Tiefsinnigkeit. Sie gibt den Klang des hebräischen Namens in griechischen Buchstaben einigermaßen zutreffend wieder. Gleichzeitig berücksichtigt sie (gewissermaßen ›volksetymologisch‹), dass die Stadt durch das in ihr vorhandene Heiligtum eine besondere Bedeutung hat. 7 Bei Josephus ist Ἱεροσόλυμα die gängige Namensform, ebenso wie in den deuterokanonischen Büchern. ›Heiligkeit‹ ist ein kultischer Begriff. Ähnlich wie in anderen Fällen haben die Septuaginta-Übersetzer den Wortstamm ›heilig‹ bewusst nicht mit dem gängigen griechischen ἱερός wiedergegeben, sondern mit dem viel selteneren ἅγιος, um damit anzuzeigen, dass die Art und Weise wie der Gott Israels ›heilig‹ ist, sich von der Heiligkeitsqualität aller anderen Götter unterscheidet. Deshalb konnte die von der Prägung Ἱεροσόλυμα hervorgerufene Assoziation ihnen nicht recht sein. So findet sich denn auch als Standardwiedergabe die Transkription Ιερουσαλημ (vermutlich mit spiritus lenis). Sie macht die innergriechische Assoziation mit ἱερός zwar nicht unmöglich, aber doch weniger naheliegend. Ob der Übersetzer des Josuabuches als erster den Namen Ιερουσαλημ (faktisch die Transkription des hebräischen Namens) verwendet hat, wissen wir nicht. Der Psalmenübersetzer könnte ihm vorangegangen sein, weil die vermutete Zeit beider Übersetzungen annähernd gleich ist. Auch so ist es aber bemerkenswert und einer Erklärung bedürftig, dass der Übersetzer des Josuabuches im Zusammenhang mit der Eroberung Jerichos von ›geweihten‹ (ἱερός) Posaunen spricht. In dem gleichen Kapitel wird gesagt, dass die Mauern der Stadt Jericho ›von selbst‹ (αὐτόματος) fallen werden. Auld (Joshua, xxiv und 134) hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine subtile Verknüpfung mit Lev 25,5.11 stattfindet. Auch Rösel (Septuaginta-Version, 208 ff.) hat auf einige theologisch motivierte Übersetzungen hingewiesen. Ein schönes Beispiel ist die Umdeutung des zukünftigen Abfalls der Israeliten in einen endzeitlichen Abfall in der Übersetzung von 24,27.
7.
Darüber hinaus ist ein Anklang an den Namen der Stadt Solyma denkbar, die ihren Ursprung auf die bei Homer genannten Solymier zurückführte. Hierosolyma wäre dem gegenüber ein heiliges Solyma. Dazu: Kreuzer, S., Die Septuaginta im Kontext alexandrinischer Kultur und Bildung, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zu Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 174, Stuttgart 2007, 28-56: 37; vgl. Kreuzer in LXX.E, 11.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Josuabuch als Ganzes steht für die Schenkung des verheißenen Landes und somit für den Aspekt der Treue Gottes. Darauf wird – pauschal – sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Tradition vielfach Bezug genommen. Die einzelnen Themen und Erzählstoffe des Buches haben dagegen eine eher geringe Wirkung gezeitigt. Das liegt auch daran, dass sich die geographischen Ausführungen, die einen beträchtlichen Teil des Gesamtbuches ausmachen, weder für die gläubige Reflexion noch für den vor Gott verantworteten Lebensvollzug als sehr fruchtbar erwiesen haben. Im Einzelnen hat das fünfte Kapitel des Josuabuches, das von einer neuerlichen (?) Beschneidung und der Feier des Passafestes spricht, in der jüdischen Tradition besondere Aufmerksamkeit gefunden. Dies zeigt sich bereits auf der Ebene des griechischen Josuabuches, in dem – über den hebräischen Text hinausgehend – die steinernen Messer, mit denen Josua die Israeliten beschnitten haben soll, noch zweimal erwähnt werden: 21,42d und 24,31a. Die Bedeutung, die dem fünften Kapitel beigemessen wird, zeigt sich aber auch darin, dass es in der späteren jüdischen Tradition die HaphtaraLesung für keinen geringeren Tag als den ersten Tag des Passah-Festes wurde. 8 In der christlichen Tradition hat die Geschichte Rahabs und Jerichos (Jos 2 und 6) besondere Beachtung gefunden. Auf sie wird bereits in der frühesten Tradition – Hebr 11,31, Jak 2,25 sowie 1Clem 12,1.4-6 – Βezug genommen. Die griech. Namensform der Hauptperson, Jesus, und das Gesamtthema des Buches hatten offensichtlich auch eine Auswirkung auf die Darstellung des Wirkens Jesu im Hebräerbrief: So wie Josua die Israeliten ins verheißene Land führte, führt Jesus die Seinen in die himmlische Heimat Weiteres zur Wirkungsgeschichte ist zu finden bei Moatti-Finé, BdA, 27 ff.
6. Perspektiven der Forschung 6.1 Die Beschreibung der Textgeschichte und die Erstellung eines kritischen Textes Die kritische Edition des griechischen Josuabuches im Rahmen der Göttinger Ausgabe steht noch aus. 9 Zwar werden in ihr nicht alle verfügbaren Textzeugen aufgeführt werden, wohl aber ihre übergroße Mehrheit. Dadurch wird die Einteilung des Handschriftenmaterials weiter verfeinert werden können. Auf dieser Grundlage lässt sich dann auch die Textgeschichte noch detaillierter beschreiben als es heute möglich ist. Auch im Bereich der Tochterübersetzungen können noch erhebliche Fortschritte erzielt werden. So hat die Zahl der bekannten Textzeugen für die koptische / sahidi8. 9.
Vgl. zu diesem Textabschnitt und seiner Bedeutung auch Gooding, Circumcision, 149-164. Das Josuabuch sollte von Udo Quast herausgegeben werden, der intensiv an der Herausgabe des griechischen Pentateuchs durch J. W. Wevers mitgearbeitet hat. Als Pilotprojekt hat er die vorbildliche Ausgabe des Buches Ruth besorgt. Leider ist er jedoch verstorben, bevor er die Edition des Josuabuches auf den Weg bringen konnte, vgl. Wevers, J. W., U. Quast, Ruth: An Appreciation, BIOSCS 39 (2006), (147-148) 147. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
sche Tochterübersetzung in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Auch auf dem Gebiet der koptischen Sprachwissenschaft sind seit dem Erscheinen der beiden großen wissenschaftlichen Ausgaben erhebliche Fortschritte erzielt. Dadurch sind wir heute besser in der Lage, den der koptischen Übersetzung zugrundeliegenden griechischen Text zu rekonstruieren.
6.2 Das Verhältnis zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text Aus verständlichen Gründen hat sich die Erforschung der Beziehung zwischen dem hebräischen und dem griechischen Josuabuch bisher vor allem auf Abschnitte konzentriert, in denen quantitative Abweichungen zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text vorliegen. Wo in der einen textlichen Überlieferung gegenüber der anderen eine Lücke vorlag, versuchte man zu ermitteln, ob eine bewusste Kürzung in der einen oder Erweiterung in der anderen Textform oder eine unbewusste Dublette oder ein unbewusster Textverlust durch Homoioarkton bzw. Homoioteleuton vorlag. Daraus wurden Rückschlüsse abgeleitet hinsichtlich des relativen Wertes der jeweiligen Texttradition. Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text bleibt damit allerdings ein erheblicher Teil des Textmaterials ungenutzt. In diesem Bereich bietet eine von dem finnischen Textforscher SoisalonSoininen und seinen Schülern entwickelte Forschungsrichtung ganz neue Perspektiven. Sie haben in vielen kleinen Studien den (unbewussten) Gesetzmäßigkeiten in der Arbeit der einzelnen Übersetzer (ihrer ›Übersetzungstechnik‹) nachgespürt. Soisalon-Soininen und seine Schüler richteten ihr Augenmerk vor allem auf den Pentateuch. Vor einigen Jahren hat ein Forscher der dritten Generation einen Anfang gemacht für das Buch Josua (Sipilä, Between Literalness and Freedom). Es handelt sich dabei einstweilen um nicht mehr als einen bescheidenen Ansatz. Weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet werden helfen, die Beziehungen der hebräischen und griechischen Texttraditionen genauer zu beschreiben. Dabei wird, mehr als dies in der Vergangenheit geschehen ist, auch die Tatsache berücksichtigt werden müssen, dass die Übersetzung des Josuabuches nicht einheitlich ist. In dem außerordentlich schwierigen Abschnitt 5,4-6 beispielsweise liegt der Anteil der auffällig freien Übersetzungen in Vergleich zum restlichen Buch besonders hoch. Diese Erscheinung kennen wir auch aus anderen Bibelbüchern (etwa die poetischen Kapitel 32-33 im griechischen Deuteronomium). Sie sollte nicht dazu verführen, mit mehr als einem Übersetzer zu rechnen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der griechische Übersetzer bei einer – in welcher Hinsicht auch immer – schwierigen Vorlage gezwungen war, mit mehr Bedacht vorzugehen als sonst. Dadurch hatte er mehr Gelegenheit, die Wahl seiner Übersetzungsäquivalente genau abzuwägen. Auf diese Weise gelangte er zu Übersetzungen, die weniger naheliegend waren, dafür aber oft sehr treffend. Auf jeden Fall ist es erforderlich, mehr als bisher üblich auf die Verteilung freierer Übersetzungen über das Buch zu achten. Für diese Untersuchungen wird es auch wichtig sein, die Unterschiede zwischen der ursprünglichen Septuaginta und dem Text der kaige-Bearbeitung zu berücksichtigen.
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6. Perspektiven der Forschung
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6.3 Die historische Geographie Palästinas in hellenistischer Zeit Die vermutete Zeit der Abfassung der griechischen Übersetzung des Josuabuches fällt leider in eine Epoche, für die uns nur wenige und dürftige Quellen zur Verfügung stehen. Dadurch wissen wir zwar, dass der Übersetzer nur über begrenzte Kenntnisse der Geographie Palästinas verfügte, aber wir sind einstweilen nicht in der Lage, zu bestimmen, wie begrenzt seine Kenntnisse waren. Allerdings darf vermutet werden, dass seine Vertrautheit mit der Geographie des Binnenlandes geringer gewesen ist als mit derjenigen des Küstengebietes. Dort verliefen ja die internationalen Verkehrswege. In der bisherigen Forschung am griechischen Josuabuch ist der historischen Geographie nicht sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Es ist durchaus zu erwarten, dass in diesem Bereich noch manche Fortschritte erzielt werden können.
6. Perspektiven der Forschung
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter Natalio Fernández Marcos
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006.
1.2 Qumran-Texte 1QRi = 1Q6 (DJD I) — 4QRia.b = 4Q49.50 (DJD XIV) — XRi = X6 DJD XXVIII. BQS 254-258 — HTTM 203-211. Siehe auch die in BHS (Richter in BHQ) vermerkten Varianten.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Harlé, P., Les Juges, BdA 7, Paris 1999 — Satterthwaite, P. E., Judges, NETS, Oxford / New York 20092 — Kabiersch, J. / Kreuzer, S. / Schmeller, T. / Weber, E., Das Buch Josua, LXX. D, Stuttgart 20102, 243-294 — Kabiersch, J. / Kreuzer, S. / Schmeller, T., Kritai / Judices / Das Buch der Richter, LXX.E 1, Stuttgart 2011, 657-700.
1.4 Weitere Literatur Auner, T., Septuagint Illustrations of the Book of Judges in Manuscripts of the Court School of Saint Louis, BF 13 (1988), 297-317, pl. XXV-XLI — Billen, A. V., The Old Latin Texts of the Heptateuch, Cambridge, 1927 — Billen, A. V., The Old Latin Version of Judges, JTS 43 (1942), 140-149 — Billen, A. V., The Hexaplaric Element in the LXX Version of Judges, JTS 43 (1942), 12-19 — Bodine, W. R., The Greek Text of Judges. Recensional Developments, HSM 23, Chico/ CA 1980 — Bodine, W. R., Kaige and Other Recensional Developments in the Greek Text of Judges, BIOSCS 13 (1980), 49-50 — Feldman, L. H., Josephus’ Version of Samson, in: World Union of Jewish Studies (Hg.), Proceedings of the ninth world congress of Jewish studies, Jerusalem 1986, 231-238 — Feldman, L. H., Josephus’ Portrait of Deborah, in: A. Caquot (Hg.), Hellenica et Judaica (FS V. Nikiprowetzky), Paris 1986, 115-127 — Fernández Marcos, N., Theodoret’s Biblical Text in the Octateuch, BIOSCS 11 (1978), 27-43 — Fernández Marcos, N., The Use of the Septuagint in the Criticism of the Hebrew Bible, Sefarad 47 (1987), 59-72 — Fernández Marcos, N., The Hebrew and Greek Texts of Judges, in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible. The Relationship between the Masoretic Text and the Hebrew Base of the Septuagint Reconsidered, SCS 52, Atlanta/GA 2003, 1-16 — Fernández Marcos, N., Héros et victime: Samson dans la LXX, in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, Paris 2005, 119-133 — Fernández Marcos, N., L’histoire textuelle: les livres historiques (Juges), in: A. Schenker / P. Hugo (Hg.), L’enfance de la bible hébraïque. Histoire du texte de l’Ancien Testament, Genève 2005, 148-169 — Fernández Marcos, N., Jephthah’s Daughter in the Old Greek (Judges 11:29-40), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 478-488 — Harlé, P., Flavius Josèphe et la Septante des Juges, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Selon les Sep-
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1. Literatur
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
tante (FS M. Harl), Paris 1995, 129-132 — Karrer, M., The New Leaves of Sinaiticus Judges, in: S. Kreuzer / M. Meiser / S. Sigismund, Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 268, Tübingen 2012, 600-617 – Kreuzer, S., Eine Schrift, zwei Fassungen: Das Beispiel des Richterbuches, Bibel und Kirche 50 (2001), 88-91 — Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta — Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116 — Lee, J. A. L., A Lexical Study of the Septuagint Version of the Pentateuch, SCS 14, Chico/CA, 1983 — Lindars, B., Some Septuagint Readings in Judges, JTS 22 (1971), 1-14 — Lindars, B., A Commentary on the Greek Judges?, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCS 23, Atlanta/GA 1987, 167-200 — Mez, A., Die Bibel des Josephus untersucht für Buch V-VIII der Archäologie, Basel 1895 — Pretzl, O., Septuaginta Probleme im Buch der Richter, Bib 7 (1926), 233269.353-383 — Robert, U., Heptateuchi partis posterioris versio latina antiquissima e codice Lugdunensi. Version latine du Deutéronome, de Josué et de Juges, Lyon 1900 — Rørdam, T. S., Libri Judicum et Ruth secundum versionem syriaco-hexaplarem, Hauniae [= Kopenhagen] 1861 — Sáenz-Badillos, A., Tradición griega y texto hebreo del Canto de Débora (Jue 5), Sefarad 33 (1973), 245-257 — Satterthwaite, P. E., Some Septuagintal Pluses in Judges 20 and 21, BIOSCS 24 (1991), 25-35 — Schreiner, J., Septuaginta-Massora des Buches der Richter, AB 7, Rom 1957 — Schreiner, J., Zum B-Text des griechischen Canticum Deborae, Bib 42 (1961), 333-358 — Soisalon-Soininen, I., Die Textformen der Septuaginta-Übersetzung des Richterbuches, Helsinki 1951 — Stichel, R., Die Inschriften des Samson-Mosaiks in Mopsuestia und ihre Beziehung zum biblischen Text, BZ 71 (1978), 50-61, pl. 9-10 (Ri 16,1-4) — Targarona, J., Le texte grec du livre de Juges presenté par les manuscrits (d)ptv, in: P. Casseti / O. Keel / A. Schenker (Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy. Études bibliques offertes à l’occasion de son 60e anniversaire, OBO 38, Fribourg / Göttingen 1981, 531-552 — Targarona, J., Historia del texto griego del libro de los Jueces, Diss., Madrid: Universidad Complutense, 1983 — Tov, E., The Textual History of the Song of Deborah in the A Text of the LXX, VT 28 (1978), 224-233 — Wevers, John W., The Use of Versions for Text Criticism: The Septuagint, in: N. Fernández Marcos (Hg.), La Septuaginta en la investigación contemporánea, TECC 34, Madrid 1985, 15-24.
2. Text und Editionen Obwohl die Kollation der griechischen Handschriften des Richterbuches im Göttinger Septuaginta-Unternehmen bereits fertiggestellt wurde, gibt es bis dato keine kritische Edition. Die Handausgabe von Rahlfs (Stuttgart 1935 mit wiederholten Nachdrucken bis Hanharts Editio altera, Stuttgart 2006 1) druckte den A-Text (ein kritischer Text, basierend auf den Codex Alexandrinus und Gruppen von Handschriften bzw. Rezensionen: O, d. h. hexaplarisch, und L, Lukianisch bzw. Antiochenisch) und den B-Text (faktisch identisch mit Codex Vaticanus) in den jeweils oberen bzw. unteren Bereich der Seite, offensichtlich in der de Lagarde’sche Überzeugung, dass sie zwei unterschiedliche Übersetzungen darstellten. 2 Vor Rahlfs wurden die Unterschiede der bei1. 2.
Der einzige Unterschied zwischen den Editionen von Rahlfs und Hanhart im ganzen Buch befindet sich in 9,11A: ἄρχειν ἐπὶ ξύλων (Rahlfs); ἄρχειν ξύλων (Hanhart). Diese Ansicht bzw. die Meinung, dass der Codex Alexandrinus den ältesten Text bietet, geht vermutlich auf J. E. Grabe, Epistola Ad Clarissimum Virum, Dn. Joannem Millium … Quâ ostenditur, Libri Iudicum Genuinam LXX. Interpretum Versionem eam esse, quam MS. 2. Text und Editionen
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
den Texttraditionen betont, doch heutzutage betont man den großen Umfang der Gemeinsamkeiten; viele Passagen von A und B sind sich sehr ähnlich. Wahrscheinlich steht A der Old Greek näher, jedoch enthält auch er Beispiele der kaige-rezension und des hexaplarischen Einflusses. Auf Grund des Vokabulars kam Lee, Lexical Study, zur Überzeugung, dass der von Ms. A bezeugte Text älter als der von B bezeugte Text sei. Zu erwähnen ist, dass die im Jahre 1975 im St. Katharinen-Kloster auf dem Sinai neugefundenen Fragmente des Codex Sinaiticus, die aus dem Richterbuch Ri 2,20; 4,6 sowie 4,7–11,12 umfassen, seit Juli 2009 online zur Verfügung stehen (www.codexsinaiticus.org). Trotz einiger spezifischer Lesarten kann gesagt werden, dass Sinaiticus im Richterbuch deutlich ein Mitglied der Vatikanusgruppe darstellt. 3 Eine Reihe von Studien von Pretzl; Billen, The Old Latin; Soisalon-Soininen; Schreiner; Bodine, The Greek Text; Targarona, Historia, und Lindars, A Commentary, haben demonstriert, dass, obwohl die Textgeschichte des Buches extrem kompliziert ist, es auf eine einfache bzw. einmalige Übersetzung zurückgeführt werden kann. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die kritische Edition des griechischen Richterbuches als ein Haupttext erscheinen, der weder mit dem A- noch mit dem B-Text identisch sein wird, sondern das Ergebnis einer Stratifikation und eklektischen Rekonstruktion der gesamten Evidenz. Auf Grund der oben genannten Studien und der umfangreichen Edition von Brooke / McLean mit ihrem ausführlicheren Apparat ist es möglich die folgenden Textgruppen, mit einem hohen Konsensgrad in der Forschung, zu etablieren 4: L = K Z 54 59 75 (82) 314 (= L1) + (44) 106 134 344 (= L2) O = (A) G 15 19 (58) 108 376 426 Syh M = M N 29 (55) 121 B = B S 52 53 56 57 (72) 85 120 129 130 407 509 5 Es bleibt unklar, in welchem Verhältnis diese Gruppen zu den von Hieronymus in seinem Vorwort zur Chronik erwähnten Textformen 6 stehen. Bekanntlich wurde die Textform des Hesychius bis heute nicht identifiziert. Die lukianische Textform kann im Pentateuch nicht identifiziert werden, zumindest nicht mit den von den historischen und prophetischen Büchern bekannten Charakteristika dieser Textform. Im Richterbuch jedoch wurde die hexaplarische Rezension in manchen Handschriften mit Hilfe der Syrohexapla, die die aristarchischen Zeichen enthält (s. Rørdam), identifiziert. Der antiochenische bzw. lukianische Text wurde anhand der Übereinstimmung mancher Handschriften mit den biblischen Zitaten Theodorets identifiziert (s. Fernández Marcos, Theodoret’s Biblical Text).
3. 4.
5. 6.
Codex Alexandrinus exhibit, London 1705, zurück, die auch in BML durch Präsentation des Alexandrinus-Textes in Fettdruck berücksichtigt ist. [SK] Siehe dazu jetzt auch Karrer, New Leaves. Die Siglen der Minuskeln wurden von Buchstaben aus der Liste von Brooke / McLean zu den Nummern der Göttinger Edition konvertiert. Für die Äquivalenzen, s. die Konversionstabellen in Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968, 362-369, sowie in LXX.E, 660. Fragmente von Ms. G existieren nur für Kap. 9–10 und 15–21; Fragmente von Ms. K gibt es nur für Kap. 10; 11 und 18; Fragmente für MS. Z existieren für Kapitel 16–21. Gemeint sind die von Hieronymus in der Vulgata in seiner Vorrede zur Chronik erwähnten drei Textformen: Hesychianischer Text in Ägypten, Lukianischer Text in Antiochien bzw. Syrien und der [hexaplarische] Text des Origenes in Palästina. [SK]
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2. Text und Editionen
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
Im Richterbuch ist es äußerst schwierig, die Old Greek zu rekonstruieren. Die Textgeschichte wurde zuerst durch die Kaige-Rezension und zweitens durch starken Einfluss der origenischen bzw. hexaplarischen Rezension beeinflusst. Es kann gesagt werden, dass keine Gruppe der Handschriften von dem Einfluss der letzteren Gruppe frei blieb. Doch mit einer detaillierten Studie der Textgeschichte erscheint es möglich, auf einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit in der Rekonstruktion des ursprünglichen Textes zu kommen. Heute wird meistens angenommen, dass dieser für das Richterbuch im lukianischen bzw. antiochenischen Text (L1) zu finden ist. Diese Gruppe, vor allem wenn sie von der Vetus Latina gestützt wird, kann sehr alte Lesarten überliefern und zeigt weniger Einfluss der Kaige-Rezension und weniger hexaplarische Kontamination (s. Soisalon-Soininen, Textformen, 112-114; Bodine, The Greek Text, 134-136, und Lindars, A Commentary, 173). Die Übereinstimmungen zwischen dem antiochenischen Text und Josephus (s. Harlé, Flavius Josèphe) und der Vetus Latina (s. Billen, The Old Latin Version) führen uns zurück zur Old Greek bevor sie von hexaplarischen Lesarten kontaminiert wurde. Darüber hinaus mag an manchen Stellen die Vetus Latina die Old Greek besser bezeugen als alle griechischen Handschriften. Doch auch mit dieser Gruppe muss man vorsichtig sein, denn sie erfuhr eine innergriechische Revision mit Veränderungen des Stils (z. B. Attizismus), erklärenden Additionen und Doppelungen, sowie Umtauschen von Synonymen. Trotz der buchstäblichen Art der Übersetzung des Richterbuches fügt oft diese Gruppe ein Subjekt, komplimentierende Informationen oder einen kurzen Satz – wenn einer in der Zielsprache im Gegensatz zum Hebräischen benötigt wird – hinzu (s. 8,16.18.19.29.35 und passim in der Edition von Brooke / McLean). Diese Eigenschaften beeinträchtigen seinen Wert als Zeuge der Old Greek. Traditionellerweise wurde in der Wissenschaft diese Gruppe mit der lukianischen bzw. antiochenischen Rezension identifiziert. Tatsächlich wenn sie für sich genommen wird, vor allem in den Lesarten die sie gemeinsam mit L2 bietet, hat sie manche Eigenschaften die als lukianisch in den anderen Büchern der Septuaginta bezeichnet werden (Targarona, Texte grec) und sie ist am nächsten zu Theodorets Text bezüglich seiner spezifischen Lesarten. Aber die letzte Entscheidung, ob es sich bei diesen Charakteristika um die Auswirkung einer lukianischen Bearbeitung handelt, oder ob sie bereits zur Old Greek gehörten, kann nur getroffen werden, wenn die gesamte griechische Evidenz in der kritischen Edition des Göttinger Septuatinta-Unternehmens stratifiziert wird und die Klassifizierungskriterien überprüft sind. O repräsentiert die hexaplarische Rezension, wie durch seine häufige Übereinstimmung mit der Syrohexapla gesehen werden kann, wo auch die Asterisken und Obelisken tradiert sind. Obwohl MS A stark von der origenischen Rezension beeinflusst wurde, ist es die Gruppe als Ganzes, und nicht bloß diese Handschrift, die den besten Zeugen dieser Rezension darstellt. Codex M kann als Mischtext bezeichnet werden, der von der Kaige-Rezension beeinflusst wurde, der aber gelegentlich manche alte Lesarten bieten mag. Letztendlich ist es klar, dass B einen revidierten Text, der dem Hebräischen sehr nahe steht, überliefert. In dieser Gruppe sieht die griechische Übersetzung des Richterbuches sehr wörtlich aus. Aber, wie vorher schon erwähnt wurde, war die ursprüngliche griechische Version, die in vielen Fällen von L1 bezeugt wird, nicht so wortwörtlich. Bodine (The Greek Text) stellte fest, dass die Gruppe B viele Kaige-Eigenschaften 2. Text und Editionen
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
aufweist, d. h. der alte Text wurde einer bewussten Revision unterzogen, durch die er in nähere Übereinstimmung mit dem Hebräischen gebracht wurde (ein Prozess, der seinen Höhepunkt im extremen Literalismus des Aquila im zweiten nachchristlichen Jahrhundert erreichte). Obwohl einzelne Phänomene der Kaige nicht nur im B-Text, sondern auch im A-Text vorkommen, enthält nur B ἐγώ εἰμι plus finites Verb als Übersetzung für hebräisches אנכיplus finites Verb (5,3; 6,18; 11,27.35). Die Old Greek des Richterbuches ist, mit Ausnahme des Deboraliedes, die Wiedergabe eines dem masoretischen Text nahe stehenden, jedoch nicht mit ihm identischen hebräischen Textes. Aber die ursprüngliche griechische Version war nicht so wörtlich wie ältere Studien, die auf dem (kaige-) Text des Codex Vaticanus (B) basiert waren, angenommen haben. Eine Reihe von kleineren Zusätzen, unterschiedlichem Hyperbaton und stilistischen Unterschieden, Subordination anstatt Koordination, usw. wurde der ursprünglichen Übersetzung hinzugefügt, oft um die grammatikalischen und syntaktischen Notwendigkeiten der Zielsprache zu erfüllen. Andere griechische Varianten können als (gegenüber MT) unterschiedliche Auffassung desselben Konsonantentextes oder durch spätere innergriechische Textverderbnis erklärt werden, ohne eine andere Vorlage postulieren zu müssen. Für den A-Text und den B-Text stellt die Rahlfs / Hanhart Edition das beste Referenzwerk dar. Für die gesamte Evidenz, vor allem bezüglich der antiochenischen und hexaplarischen Textform, ist die beste verfügbare Edition die von Brooke / McLean mit ihrem reichhaltigen Apparat.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik In der Analyse des Übersetzungsprofils muss man zwischen dem A-Text und antiochenischem Text einerseits und dem B-Text andererseits unterscheiden. Im Allgemeinen wurde der hebräische Text des Richterbuches – mit der Ausnahme der archaischen Dichtung des 5. Kapitels – sorgfältig überliefert. Das Minus des hebräischen Textes in 16,13-14 und 19,30 ist wahrscheinlich als Ausfall auf Grund von Homoioteleuton zu erklären (s. dazu LXX.E I, z.St.). Man kann bei der Übersetzung von einem Wort-für-Wort-Muster sprechen, welches die Struktur des Hebräischen ins Griechische überträgt, z. B. den Gebrauch des Infinitivus Absolutus um eine Tätigkeit zu bestärken, den hebräischen Gebrauch von Partikeln und Präpositionen, die häufige Wiederholung des Personalpronomens, den Gebrauch von Parataxis anstatt Hypotaxis, die konstante Nutzung von προστίθημι plus finites Verb um das hebräische יסףplus finites Verb wiederzugeben und den Gebrauch von ἀνήρ als Kollektiv und Distributiv. Der griechische Übersetzer entschied sich, dass seine Übersetzung möglichst nahe an seiner Vorlage sein soll. Jedoch beschreibt dieser Literalismus besser den B-Text, als Beispiel der Kaige-Rezension, als den A-Text und den antiochenischen Text. Wie an manchen theologischen (s. u.) und an anderen kreativen Änderungen – vor allem im Simsonzyklus – gesehen werden kann, kann der ursprüngliche Überset192
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
zer als kreativer Schreiber verstanden werden, der ein reiches Vokabular mit einem hohen Grad an hapax legomena verwendete. Auf jedem Fall ist es schwierig, eine pauschale Beschreibung der Übersetzungstechnik des Richterbuches zu geben. Es bleibt nötig, die unterschiedlichen Texttypen zu unterscheiden. Der L-Text, wenn er von der Vetus Latina und Josephus unterstützt wird, mag das Old Greek darstellen, aber in seiner überlieferten Form hat er die Mehrheit der Doppelübersetzungen aufgenommen (39), manche von ihnen aus der hexaplarischen Rezension, vierzehn von ihnen gemeinsam mit dem A-Text und eine hat er gemeinsam mit dem B-Text. Diese Doppelungen sind besonders häufig im Deboralied (14), ein Zeichen der schwierigen Deutung eines obskuren hebräischen Textes. Ein weiterer Charakterzug des griechischen Textes des Richterbuches ist die große Anzahl der Transliterationen über die Transliterationen der Eigennamen hinaus. Diese stehen nicht nur anstelle von hapax legomena oder anderen schwierigen Wörtern, sondern können als bewusstes Stilmittel der Übersetzungstechnik gesehen werden: Βααλίμ wird in beiden Texttypen transliteriert, A und B in 2,11; 3,7; 8,33; μοσφαθάιμ in 5,16A, ἀμαδαρώθ in 5,22A; βαρκοννίμ in 8,7A (ἀβαρκηνίν in 8,7B); ἐφούδ in 8,27A (ἐφωθ in 8,27B); θεραφίν in beiden Texttypen, A und B in 17,5; 18,14.17.18.20. Häufig werden Toponyme, die im Hebräischen aus zwei Elementen bestehen, im B-Text transliteriert, während die hexaplarische Rezension und L den ersten Teil des Kompositums übersetzen, wie man in 9,6.37; 11,33; 16,4 und 20,33 sehen kann. Alle drei Texttypen stimmen in der Übersetzung von 15,17 überein: Ἀναίρεσις σιαγόνος für den Ort Ramat-Lehi, aber öfter unterscheiden sich die Übersetzungen: 1,17A: Ἐξολέθρευσις (B: Ἀνάθεμα); 2,5A: Κλαυθμών (B: Κλαυθμῶνες); 4,11A: ἀναπαυομένων (B: πλεονεκτούντων); 15,19: Πηγὴ ἐπίκλητος (B: Πηγὴ τοῦ ἐπικαλουμένου). Bezüglich des Vokabulars folgt der B-Text den spezifischen Optionen der KaigeRezension, aber die drei Texttypen haben viele Wörter gemeinsam, eine Tatsache die nur erklärt werden kann, wenn alle Texte von einem gemeinsamen Urtext stammen. Dieser stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Ägypten des frühen 2. Jh.s v. Chr. Wenn man alle drei Texttypen wahrnimmt, kann man ca. 50 hapax legomena der LXX im Richterbuch entdecken, von denen 15 im Deboralied zu finden sind. 7 Für eine konkrete Analyse der hapax legomena, Neologismen und lexikalische Innovationen, s. Harlé, Les Juges, 53-58. Eine interessante Variante in den Realien bietet die Wiedergabe des Mühlsteines in 9,53: Während MT den Oberstein einer Handmühle meint, hat der griechische Übersetzer den großen Mühlstein einer Mühle der hellenistischen Zeit vor Augen und spricht daher von einem Bruchstück eines Mühlsteines. Diese Lesart ist auch in B beibehalten. 8 [SK] Zuletzt sollte man auch die innergriechischen Textverderbnisse wahrnehmen, die entweder in einem Teil oder in der gesamten Tradition vorhanden sind: 2,15A: ἐπόρνευον »würden sich prostituieren« für ἐπορεύοντο »würde gehen« (dagegen B: ἐξε7.
8.
Für die Interpretation dieses Sachverhalts ist zu berücksichtigen, dass auch von den 30 hapax legomena in der hebräischen Fassung des Richterbuches fünfzehn im Deboralied zu finden sind. Kreuzer, Übersetzung, 110 f. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
πορεύοντο); 5,15B: ἐξικνούμενοι, »reichen« für ἐξιχνευόμενοι, »aussuchen« (dagegen A: ἀκριβασμοί); 6,34B: ἐφοβήθη, »wurde von Angst begriffen« für ἐβόησεν, »rief aus« (A); 9,7B: ἔκλαυσεν, »er weinte« für ἐκάλεσεν, »er rief aus« (A).
3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Für die Eingrenzung der Zeit und des Ortes der Übersetzung ist es nochmal nötig die ursprüngliche Übersetzung von den späteren Revisionen zu scheiden. Im Falle des Richterbuches wird der wiederherzustellende älteste Text (Old Greek) aus einem vor allem aus dem A-Text und L rekonstruierten eklektischen Text bestehen. Der B-Text ist ein Beispiel der Kaige-Rezension, welche aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Ende des 1. Jh.s v. Chr. geschah. Bezüglich der ursprünglichen Übersetzung haben wir keine externe Evidenz für die Zeit oder den Ort; beide müssen durch eine Reihe von inneren und äußeren Kriterien erschlossen werden. An Hand der Sprache hat Lee, Lexical Study festgestellt, dass das Vokabular des A-Textes älter ist als das des B-Textes. Aus dem Vergleich mit dem Griechisch der anderen Bücher der Septuaginta erschloss Barthélemy, dass die Übersetzung des Richterbuches in dieselbe Periode gehört wie die Old Greek des Königebuches. In meiner Studie »Héros et victime« erschloss ich aus dem griechischen Zyklus der Simsonerzählung, dass die subtilen Änderungen, die vom Übersetzer eingebracht wurden, wahrscheinlich die Interessen und Ängste der jüdischen Bevölkerung während der Verfolgung durch die Seleukiden widerspiegeln. Deshalb ist es meiner Meinung nach plausibel, die ursprüngliche Übersetzung des Richterbuches im ersten Teil des 2. Jh.s v. Chr. in Alexandrien zu verorten. Dagegen erfolgte die Revision des B-Textes im Sinn der Kaige-Tradition wahrscheinlich in Palästina zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. Doch ist zu beachten, dass wir dabei von plausiblen Wahrscheinlichkeiten sprechen und nicht von Sicherheiten. 9 An einigen Stellen ist zu erkennen, dass der hebräische Text bezüglich der geographischen, sozioreligiösen und politischen Gegebenheiten der Zeit des Übersetzers aktualisiert wurde. Ein paar Beispiele sollte reichen: In 1,27 transliterieren beide Texte, sowohl A als auch B, den Namen von Beth-Schean als Βαιθσάν und fügen die erklärende Glosse ἥ ἐστιν Σκυθῶν πόλις, den Name der Stadt in hellenistischer-römischer Zeit, hinzu; in 5,3 übersetzen beide Texte, A und B, das hebräische רזנים, »Prinzen«, mit σατράπαι, dem Titel der Gouverneure persischer Provinzen. Es soll betont werden, dass in 1,1, die Lesart »und lies sich bei dem Amalekiter nieder« nur in der Vetus Latina (cum eo Amalec) erhalten ist, während der masoretische Text und mit ihm alle bekannten Versionen »mit dem Volk« lesen. Vermutlich handelt es sich dabei um eine theologische Korrektur im masoretischen Text, um den Namen Amaleks, des Feindes Israels, aus einem Satz zu tilgen, in dem es mit dem Namen Juda verbunden wurde. 9.
Freilich ist zu beachten, dass schon die sog. syrischen Kriege ab der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. auch Palästina und die Juden betrafen. Harlé, Juges, 35, ist der Meinung, dass aus Gründen des Sprachgebrauchs und der Übersetzungsweise gegenüber dem Pentateuch und Josua ein Abstand von mindestens zwei Generationen besteht, was an das Ende des 3. Jh.s führen würde. [SK]
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
Es gibt noch einen Indikator, dass die Übersetzung des A-Textes und L älter ist also die des B-Textes. In 2,13; 3,7 und 10,6.10 AL wird der Name des Gottes Baal mit dem femininen Artikel versehen (τῇ Βάαλ, ταῖς Βααλίμ), wahrscheinlich um – in Analogie zur hebräischen Ersetzung von Baal durch בשת, »Schande« – auch im Griechischen eine solche Ersatzlesung, nämlich durch αἰσχύνη, Schande, anzuzeigen. 10. Der B-Text bietet in allen diesen Fällen den eigentlich zu Baal passenden maskulinen Artikel (τῷ Βάαλ, τοῖς Βααλίμ). In 18,30 bewahren der A-Text und L die alte Lesart Μωυσῆ, die im B-Text zu Μανασσή nach dem Nun-Suspensum des masoretischen Textes korrigiert wurde, und zwar als eine bewusste Veränderung des Namen Moses um eine Verbindung des Namen Moses mit dem abgöttischen Priester der Daniter zu meiden und weil Manasseh ein ungehorsamer König von Juda war. Die ursprüngliche Septuaginta bezeugt hier einen vormasoretischen Text, während kaige an den (proto-) masoretischen Text anpasste.
4. Inhaltliches und theologisches Profil Jenseits der Kompositionsgeschichte des Richterbuches auf Hebräisch 11 bearbeitet der griechische Übersetzer eine letzte Redaktion des Buches, welche eine strukturierten und einheitlichen Text präsentiert, ein komplettes literarisches Werk, das sich um manche sich wiederholende Probleme dreht. A) Die förmliche Sprache: »Die Israeliten taten das Böse in den Augen des Herrn« (2,11; 3,7.12; 6,1) oder »die Israeliten taten wiederum das Böse in den Augen des Herrn« (4,1; 10,6 und 13,1); B) Die Interventionen des Herrn durch einen Richter, der Israel rettet (2,16.18; 3,9.15; 5,12); und C) die häufige Deklaration, dass Gott Menschen mit der Formel »Ich werde dich nicht mehr erlösen« ablehnt (2,3.21 und 10,13). In den letzten Kapiteln kommt eine neue Formel hervor, die die gegenwärtige Situation Israels in den Zeiten der Richter als Vorbereitung und Einleitung der Bücher der Könige mit der Formel »in jenen Tagen gab es keinen König in Israel« (18,1; 19,1 und 21,25) beschreibt. Die griechischen Texte folgen der Struktur des masoretischen Hebräisch sehr eng. Jedoch bezeugt eine Reihe subtilerer Änderungen in der Übersetzung das theologische Profil des Übersetzers: In der Erzählung um Gideon (6,11-24) spricht der masoretische Text manchmal vom »Engel des Herrn / Gottes« (V. 11.12.20-22) und manchmal von »dem Herrn« (V. 14.16.23), während die LXX immer –mit der einen Ausnahme in V. 23 – »Engel des Herrn« liest, was die Transzendenz Gottes mehr betont als im hebräischen Text. 12 10. So bereits Dillmann, A., Über Baal mit dem weiblichen Artikel. Monatsberichte der Kön. preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1881, 601-620; siehe jetzt Kreuzer, Eine Schrift, und ders. Entstehung, 108-110; sowie LXX.D, 248, Fn. zu Ri 2,13. 11. S. Mayes, A. D. H., Judges, Sheffield 1985, 19892. 12. Die Septugintafassung setzt darüber hinaus eine entwickeltere Engellehre mit einer größeren Zahl von Engeln voraus: In allen drei Engelerzählungen wird sowohl im A- wie im B-Text zunächst (ohne Artikel) von einem Engel (des Herrn) gesprochen (2,1; 6,11; 13,3), während danach (mit Artikel) von dem (zuvor erschienen) Engel gesprochen wird; siehe dazu LXX.E, 671: Exkurs Engel im Richterbuch. [SK] 4. Inhaltliches und theologisches Profil
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
In der Jotamsfabel in 9,13 lehnt der Weinstock die Herrschaft der Bäume mit folgender rhetorischen Frage ab: »Sollte ich aufhören, meinen Wein zu erzeugen, der Götter sowie Sterbliche erfreut … ?« Der B-Text liest wörtlich nach dem hebräischen Text: … τὸν εὐφραίνοντα θεὸν καὶ ἀνθρώπους. Aber der ursprüngliche Text von L tilgt θεόν und liest einfach καὶ τὴν εὐφροσύνην τῶν ἀνθρώπων, während der A-Text paraphrasiert: τὴν εὐφροσύνην τὴν παρὰ τοῦ θεοῦ τῶν ἀνθρώπων, »die Freude des Menschen, die von Gott kommt«. Die Intention der letzten beiden Übersetzungen ist, jegliche Spuren des Anthropomorphismus im biblischen Text, insbesondere die Vorstellung, dass Wein Gott fröhlich machen kann, zu vermeiden. Im Simson-Zyklus wurde das Hebräische, soweit es die griechische Sprache erlaubt, treu übersetzt. Doch in Kap. 16 wird der Übersetzer zu einem Erzähler bzw. einem kreativen Schreiber und verwandelt die Gesprächsszene des masoretischen Textes zu einer spöttischen Szene. Der Held Simson wird als Opfer und Spielzeug der Philister dargestellt (Fernández Marcos, Héros et victime). Die Erforschung der Theologie steckt tatsächlich noch in den Kinderschuhen, aber die nähere Betrachtung einer Reihe von kleineren Änderungen ermöglicht die Entdeckung der theologischen Gedanken der ersten Übersetzung und zugleich der ersten Interpretation der hebräischen Bibel.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Rezeptionsgeschichte des Richterbuches ist gering. Im Alten Testament gibt es einige Echos des Buches in Form eines expliziten Zitates oder einer Anspielung im Königebuch, in Jesaja und in den Psalmen. Gideons Sieg über die Midianiter wird in Jes 9,3 (τῇ ἠμέρᾳ τῇ ἐπὶ Μαδιάμ) und 10,26 (τὴν πλήγην τὴν Μαδιάμ) erwähnt. In Ps 82,10-13 LXX gibt es eine Anspielung auf den Sieg Balaks über Sisera und Jabin: ἐν τῷ χειμάρρῳ Κισών (Ri 4,13) und Gideons Sieg über die zwei Anführer (Ri 7,25) und die beiden Könige von Midian (Ri 8,21). In Sir 46,11-12 gibt es einen allgemeinen Hinweis auf die Richter, und die Aussage, dass die, »deren Herzen nicht in Abgötterei gefallen sind«, besonders gesegnet werden. Im Neuen Testament werden Gideon, Barak, Simson und Jiphtach ohne weiteren Kommentar und zusammen mit Samuel, David und den Propheten in Hebr 11,32 als Paradigmen des Glaubens genannt. In Ant. V bietet Josephus eine Paraphrase des Buches, die die Tapferen und heroischen Taten der Richter betont, wobei er jene Dinge tilgt, welche die glänzende Erscheinung dieser Personen beeinträchtigen könnten, z. B. die Erzählung von Ri 19-21. Ri 4 ist bei Josephus neu gestaltet, wobei er offensichtlich das Deboralied ignoriert. Simson präsentiert er als Prophet und tapferen Held. Das Opfer von Jiphtachs Tochter missbilligt er als konträr zum Gesetz bzw. als von Gott abgelehnt. Neben dem hebräischen Text kennt und zitiert Josephus den antiochenischen Text, was von erheblicher Bedeutung für das Alter dieser Textform ist. Etwa gleichzeitig mit Josephus ist der Liber Antiquitatum Biblicarum von PseudoPhilo, welcher das Richterbuch praktisch neu schreibt, und zwar mit besonderem Nachdruck auf den schwierigen Passagen, die der Autor im Anklang an rabbinische Interpretationen zu lösen versucht. Weil er sich auf die Exegese der Tora konzentrier196
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
te, zitiert Philon nur einmal das Richterbuch (Ri. 8,8-9), und zwar in De confusione linguarum 128, wo er den Turm Phanuel nennt, um ihn mit dem Turm von Babel zu vergleichen. Unter den Kirchenvätern wird Richter selten zitiert oder kommentiert, vielleicht weil sie das Buch nicht besonders geeignet für die Frömmigkeit ihrer christlichen Gemeinden hielten. Von Origenes sind (in der lateinischen Übersetzung von Rufinus) neun Predigten erhalten, in denen Origenes seine allegorischen und typologischen Interpretationen anwendet; offensichtlich benutzt er dabei den alexandrinischen Texttyp vor den hexaplarischen Korrekturen. Theodoret von Kyrrhos kommentiert das ganze Buch in seinen Fragen zum Oktateuch. Er verwendet einen antiochenischen Texttyp und folgt der historischen und typologischen Exegese im Sinn der antiochenischen Schule. Simson als Typos für Jesus ist bei den Vätern nicht häufig belegt. Wenige isolierte Passagen des Zyklus werden seit Origenes allegorisch interpretiert. Jedoch wird Simson gebunden und auf wundersamer Weise befreit, wie in Ri 15,14, was von Arias Montano als Typos für Jesu Tod und Auferstehung gedeutet wurde. 13 Die oben in 3.1 erwähnte Wiedergabe des Mühlsteins als Bruchstück eines Mühlsteins (9,53) wurde von Hieronymus in der Vulgata beibehalten (fragmen[tum] molae). Sie findet sich auch noch in der Lutherbibel von 1545 sowie in der King James Version und beeinflusste auch künstlerische Darstellungen dieser Szene. 14 [SK]
6. Perspektiven der Forschung 6.1 Das erste Desideratum ist eine Fertigstellung der kritischen Edition des Buches für die Editio maior von Göttingen. Da alle Kollationen der Varianten in den Handschriften vom Septuaginta-Unternehmen abgeschlossen wurden, bleibt nun die Frage nach dem richtigen Herausgeber. Nur diese kritische Edition kann alle Evidenzen stratifizieren, den ursprünglichen Text erstellen und eine Textgeschichte des Buches nachzeichnen, die wesentlich anders sein wird, als das Bild, das von Rahlfs in seiner Handausgabe mit seinem doppeltem Text vermittelt wird. 6.2 Wegen der Komplexität der Textüberlieferung sind weitere Studien zur Geschichte des Textes, konkret zum proto-lukianischen Text (identifiziert anhand der Übereinstimmungen des antiochenischen Textes mit der Vetus Latina und mit Zitaten bei Josephus), zur Kaige-Rezensionen, zu den christlichen Rezensionen des Origenes und (umstritten) Lukians aus Antiochen, sowie zu den jüngeren Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion (erhalten in den hexaplarischen Materialien) dringend notwendig. 6.3 Die Analyse der Übersetzungstechnik des Buches muss anhand des ursprünglichen Textes revidiert werden, da die Mehrheit der bisherigen Studien auf dem B-Text basie13. B. Arias Montano, De Varia Republica sive Commentaria in Librum Judicum, Antverpiae: Ex officina Plantiniana, 1592, 540. 14. Kreuzer, S., κλάσμα μύλου – Fragmentum molae (Ri 9,53). Ein realienkundliches Detail in der Septuaginta und seine Rezeption (im Druck). 6. Perspektiven der Forschung
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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
ren, der eine revidierte und spätere Phase des Textes, und nicht die ursprüngliche Übersetzung darstellt. 6.4 Schließlich verspricht die Erforschung der Sprache des Buches wichtige Ergebnisse. Das Buch ist voll mit hapax legomena und Neologismen. Es ist nötig, diesen Wortschatz innerhalb des Rahmens der ganzen Septuaginta sowie der Geschichte der griechischen Sprache erforschen.
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6. Perspektiven der Forschung
2.3 Ruth / Das Buch Rut Eberhard Bons
1. Literatur 1.1 Textausgaben Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006 — Rahlfs, A., Das Buch Ruth griechisch, als Probe einer kritischen Handausgabe der Septuaginta, Stuttgart 1922 — Quast, U., Ruth, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum IV,3, Göttingen 2006.
1.2 Qumran-Texte 2QRutha.b = 2Q16.17 (DJD III) — 4Q Rutha.b = 4Q104.105 (DJD XVI). BQS 735-738 — HTTM 473-476
1.3 Übersetzungen und Kommentare Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Ruth, BdA 8, Paris 2009 — Knobloch, F. W., Routh, NETS, Oxford / New York 20092, 239-243 — Bons, E., Ruth. Das Buch Rut, LXX.D, Stuttgart 20102, 294-299 — Bons, E., Ruth. Das Buch Rut, LXX.E, I, Stuttgart 2011, 701-713.
1.4 Weitere Literatur Beattie, D. R. G., Jewish Exegesis of the Book of Ruth, JSOT.S 2, Sheffield 1977 — Bons, E., Die Septuaginta-Version des Buches Ruth, BZ 42 (1998), 202-224 — Bons, E., Le vocabulaire de la servitude dans la Septante du livre de Ruth, JSJ 33 (2002), 153-163 — LaMontagne, N., LXX Ruth: Translation, Interpretation, Characterization, in: M. K. H. Peters (Hg.), XIV Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Helsinki 2010, SBL.SCS 59, Atlanta/GA 2013, 59-71 — Rahlfs, A., Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, MSU 3,2, Berlin 1922 — Thornhill, R., The Greek Text of the Book of Ruth: A Grouping of Manuscripts According to Origin’s Hexapla, VT 3 (1953), 236-249 — Turner, K.-J., A Study of Articulation in the Greek Ruth, BIOSCS 34 (2001), 95-114 — Waard, J. de, Translation Techniques Used by the Greek Translators of Ruth, Biblica 54 (1973), 499-515 — Ziegert, C., Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell einer integrativen Übersetzungstechnik, Biblica 89 (2008), 221-251.
2. Text und Editionen Im Vergleich zu anderen Büchern der LXX sind die Handschriften und Papyri, die den griechischen Text des Buches Rut teilweise oder vollständig enthalten, relativ jungen Datums. Unter den Handschriften aus Qumran und Umgebung finden sich keine griechischen, sondern nur vier hebräische Fragmente (2QRutha = 2Q16, 2Q Ruthb = 2Q17, 4Q Rutha = 4Q104; 4QRuthb = 4Q105), die jedoch wohl keinen Text überliefern, 1. Literatur
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Ruth / Das Buch Rut
der mit der LXX gegen den MT übereinstimmt. 1 Die ältesten derzeit bekannten Textzeugen sind Fragmente aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai (4. Jh. n. Chr.) 2 sowie die Codices B (4. Jh. n. Chr.) und A (5. Jh. n. Chr.), die den Text des Buches vollständig überliefern. Dabei gilt B als »Hauptzeuge für den alten LXX-Text« 3; denn diese Handschrift erweist sich als unbeeinflusst von den späteren Rezensionen und lässt die für letztere typischen Angleichungen an den MT noch nicht erkennen (vgl. ebd., 19). Unter den Rezensionen unterscheidet Rahlfs (1922, 15-18) die hexaplarische, die antiochenische sowie eine, die er mit dem Buchstaben R bezeichnete. Der griechische Text des Buches Rut wurde in der Antike schon in andere Sprachen des Mittemeerraums übersetzt (Lateinisch, Koptisch, Syrisch usw.). Seit der Sixtina (1587), die den Codex B zugrunde legt, ist das Buch Rut in den kritischen LXX-Ausgaben enthalten. In seiner Textausgabe von 1922 orientiert Rahlfs sich im Allgemeinen am Codex B (vgl. 18-19), ebenso in der Handausgabe der LXX von 1935. Quast (2006) bietet einen kritischen Text, der dem von Rahlfs weitgehend entspricht. Die wenigen Abweichungen (ebd., 132-136) haben keine Auswirkungen auf das Verständnis des Textes (Ausnahme: 4,11 ποίησαι).
3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Sprachliches Profil Die griechische Übersetzung des Buches Rut folgt in der Regel ihrer hebräischen Vorlage. Dies gilt besonders für die Bereiche der Syntax, der Wortfolge und des Präpositionsgebrauchs. Das für die Rut-LXX typische Übersetzungsgriechisch 4 ist gekennzeichnet durch zahlreiche Parataxen, wenige konjunktivische Nebensätze (1,13.16; 2,9; 3,11), das Fehlen des genitivus absolutus sowie des accusativus cum infinitivo, weiterhin durch den sehr sparsamen Gebrauch des participium coniunctum an den Stellen, wo der hebräische Text finite Verben hat (1,18; 2,18; 4,15), sowie den weitgehenden Verzicht auf Partikeln (Ausnahmen: δέ vor allem bei Kasuswechsel [s. u.], δή nach Aufforderungen [1,8.11 u. ö.] und γέ [s. u. 4.]). Zu notieren sind außerdem die Übernahme von Nominalsätzen aus dem Hebräischen (1,16; anders 2,6.10; 3,11), die Konstruktion ἐγένετο (+ fakultative Satzglieder) + καί + finites Verb (1,1; 3,8), die Wiedergabe des hebräischen Verbs mit inf. abs. durch ein griechisches Verb mit Partizip (2,16; ähnlich 2,11), der Gebrauch von εἰς nach Formen von εἶναι (statt Nominativ, 4,15), pleonastisches ἐκεῖ im Relativsatz (1,7), der Komparativ mit ὑπέρ (3,12 [in der LXX steht trotzdem eine Komparativform!]; 4,15) sowie der possessive Dativ (z. B. 1,2; 2,1). Für das
1. 2. 3. 4.
Vgl. Bons, Septuaginta-Version, 2006; BdA 8, 34 f.; anders Lange, HTTM, 475. Vgl. Quast, Ruth, 11. So Quast, Ruth, 19. Vgl. Hierzu Mussies, G., Greek in Palestine and the Diaspora, in: S. Safrai / M. Stern (Hg.), The Jewish People in the First Century, Bd. 2, CRI I/2, Assen / Amsterdam 1976, 1040-1064, hier 1048 f. Zum Buch Rut vgl. Bons, Septuaginta-Version, 206-207; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 223-224.
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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
Ruth / Das Buch Rut
biblische Griechisch ist ferner die Formel καὶ ἰδού für hebräisches והנהcharakteristisch 2,4.13; 3,2; 4,1). Die Tendenz, den hebräischen Text – der wohl mit dem Konsonantentext dem späteren MT im wesentlichen entsprach – möglichst wortgetreu zu übersetzen, zeigt sich nicht zuletzt an der wörtlichen Wiedergabe von Wendungen wie כה יעשה יהוה לי וכה יסיף, »so soll mir YHWH tun und so hinzufügen« (1,17). Ein hebräisches Vorbild haben auch die Ausdrücke ποιέω ἔλεος μετά + gen. (1,8), ἐπαίρω τὴν φωνήν + gen. (1,9.14), εὑρίσκω χάριν ἐν ὀφθαλμοῖς + gen. (2,2.10.13) und ἀποκαλύπτω τὸ οὗς + gen. (4,1). Trotzdem ist die Rut-LXX keine konkordante Übersetzung ihres Originals, sondern weicht in mehrfacher Hinsicht vom hebräischen Text ab. Offenbar versuchte der Übersetzer, dem Text in der Zielsprache eine größtmögliche Klarheit und Verständlichkeit zu verleihen, und ging dazu sehr systematisch vor. 5 Zwei Beispiele seien zitiert: 1. Gerade bei einem Subjektswechsel ergänzt er einen Eigennamen, um deutlich zu machen, von welcher Person die Rede ist (1,15.18; 2,14.18 u. ö.). Dabei markiert er mehrfach den Subjektswechsel durch die Partikel δέ (1,16.18 u. ö.), während der hebräische Text ein waw einsetzt. Außerdem wird hier und da in Redeeinleitungen der Adressat ergänzt (z. B. 1,15; 3,15; 4,1). 6 Kleinere Zusätze finden sich noch in 1,14 (καὶ ἐπέστρεψεν εἱς τὸν λαὸν αὐτῆς); 4,7 (καὶ τοῦτο δικαίωμα); 4,8 (τὴν ἀγχιστείαν μου). Alle diese Maßnahmen dienen dazu, Eindeutigkeit herzustellen und Verständnisschwierigkeiten zu beseitigen. Dabei ist es jedoch schwer zu entscheiden, ob der Übersetzer selbst die Ergänzungen vorgenommen oder ob er sie in einer vom späteren MT abweichenden Vorlage vorgefunden hat. 7 Entsprechendes gilt auch für einige kleinere Auslassungen. So fehlen in der LXX Übersetzungen für »und es geschah, als sie in Betlehem ankamen« (1,19) sowie für »halte sie [sc. die Schürze] her« (3,15). Diese Formulierungen hat der Übersetzer vielleicht als redundant empfunden – oder sie waren schon nicht mehr in seiner Vorlage enthalten. 8 2. Wenn von Personen, ihren Funktionen und Eigenschaften die Rede ist, neigt die LXX dazu, Differenzierungen einzuführen, die dem hebräischen Text fremd sind. So besitzt Rut δύναμις (3,11; 4,11), Boas dagegen ἰσχύς (2,1), während der MT dasselbe Substantiv ( )כחverwendet. Auffällig ist auch das Vokabular aus dem Wortfeld des Dienstes und der Knechtschaft, das in Kap. 2–3 zur Bezeichnung der Bediensteten des Boas dient. 9 Der MT verwendet insgesamt sechs verschiedene Substantive, ohne dass in ihrem Gebrauch eine bestimmte Logik erkennbar wäre. Die LXX übersetzt diese Termini keineswegs konkordant. In der Wahl ihrer Begriffe legt sie vielmehr großen Wert darauf, exakt zwischen Rut und den übrigen Frauen zu differenzieren: Die auf dem Feld des Boas arbeitenden Mägde werden als κοράσια dargestellt (2,8.22.23; 3,2). Rut dagegen wird als νεᾶνις (2,5) oder als παῖς (2,6) bezeichnet, benennt jedoch sich selbst als Boas’ δούλη (2,13; 3,9 [2x]); ja sie kündigt an, wie eine von 5. 6. 7. 8. 9.
Vgl. Bons, Septuaginta-Version, 221; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 234.248 Vollständige Übersichten bei Bons, Septuaginta-Version, 208-209; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 227.230-234. Vgl. Quast, Ruth, 125. So Quast, Ruth, 125; oder sie wurden erst im Proto-MT ergänzt. Vgl. hierzu Bons, Le vocabulaire de la servitude. 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
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Ruth / Das Buch Rut
Boas’ παιδίσκαι zu sein (2,13). Diese Bezeichnung ist keineswegs bedeutungslos, wenn man 2,13 im Licht von 4,12 liest (s. u. zu 5.). Was das Rechtsvokabular angeht, führt 4,7 den Begriff δικαίωμα ein, der im MT keine Entsprechung hat (s. o.). Dieser terminus technicus bezeichnet in den Papyri Dokumente, die als rechtsgültiges Beweismittel dienen, vor allem Urkunden, Verträge und Rechtsvorschriften. 10 Die LXX verwendet δικαίωμα meist für Vorschriften des göttlichen Gesetzes (Ex 15,25 u. ö.), seltener auch – ähnlich wie im Buch Rut – für Vorschriften oder Gebräuche menschlichen Ursprungs (vgl. auch 1Kgt 8,11).
3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Die Rut-LXX weist einige stilistische Besonderheiten auf, auf die sich die neueren Versuche der Datierung des Textes stützen 11: 1. אישim Sinne von »jemand« wird zu ἀνήρ (3,14; 4,7), 2. )ו(גםwird zu καί γε (1,5; 2,15.21; 3,12; 4,10) und 3. )ו(אנכיzu (καὶ) ἐγώ (bzw. κἀγώ) εἰμι (2,10; 3,9.12; 4,4; anders 2,13; 3,13); dabei kommt in 4,4 die ungewöhnliche Konstruktion Ἐγώ εἰμι ἀγχιστεύσω zustande. Derartige hebraisierende Tendenzen gelten als Indizien für die sogenannte καί γε-Rezension, d. h. eine Übersetzungs- bzw. Rezensionsaktivität, für die man jüdische Schriftgelehrte Palästinas verantwortlich glaubt. Diese hätten im 1. Jh. n. Chr. vorhandene griechische Bibeltexte stärker an hebräische Vorbilder angeglichen. Entsprechendes gelte auch für neue Übersetzungen wie die Rut-LXX, die in diesem Kontext entstanden sei. Doch inzwischen werden Zweifel an einer solchen Theorie geäußert. Zunächst sind beim derzeitigen Erkenntnisstand genauere Aussagen über den Entstehungsort der Rut-LXX (Palästina? Alexandrien?) schwierig. 12 Ebenso erwägt man eine frühere Datierung der καί γε-Rezension, da diese – wenigstens im Zwölfprophetenbuch – schon für das 1. Jh. v. Chr. bezeugt ist. 13 Zuletzt ist fraglich, ob der der καί γε-Rezension zugeordnete Text die erste griechische Übersetzung des Buches Rut darstellt 14 oder ob zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schon eine ältere griechische Version des Buches bekannt war.
10. Vgl. Cadell, H., Vocabulaire de la législation ptolémaïque. Problème du sens de dikaiôma dans le Pentateuque, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), ΚΑΤΑ ΤΟΥΣ Οʾ Selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 207-221, bes. 214; Montevecchi, O., La lingua dei papiri e quella della versione dei LXX: due realtà che si illuminano a vicenda, Annali di scienze religiose 1 (1996), 71-80, bes. 80. 11. Vgl. zu der folgenden Theorie Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963, 34.47.49.69; BdA 8, 29-32. 12. Vgl. Fernández Marcos, N., The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible, Leiden 2000, 152; Bons, Le vocabulaire de la servitude, 163. 13. Vgl. Fernández Marcos, Septuagint, 152; Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116, bes. 112. 14. Harl, M. / Dorival, G. / Munnich, O., La Bible grecque des Septante, Paris 1988, 159.
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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung
Ruth / Das Buch Rut
4. Inhaltliches und theologisches Profil Die Gliederung der Rut-LXX weicht nicht von derjenigen ab, die der MT überliefert. Unverändert bleibt auch die Abfolge der Szenen sowie der Passagen, in denen der Erzähler das Wort ergreift. Dennoch setzt der Übersetzer eigene Akzente: Nach 1,15 sind die Götter, zu denen Orpa zurückkehrt, eindeutig im Plural (πρὸς τοὺς θεοὺς αὐτῆς). Im Gegensatz zu ihrer polytheistischen Schwägerin schließt Rut sich dem Gott ihrer Schwiegermutter an (»dein Gott ist mein Gott«); vgl. auch 2,12. Den Gott Israels bezeichnet sie zwar nicht explizit als den einzigen, sondern – so die seltene Übersetzung des hebräischen Gottestitels Schaddaj – als »den Genügenden« (ὁ ἱκανός, 1,20.21). Dieser Gottestitel, der noch in Ijob 21,15; 31,2; sowie in ParJer 6,3 15 vorkommt, beruht auf der Ableitung des hebräischen Wortes von aramäischem די+ ש »der genügend [ist]«. Drei kleinere Auslassungen sollen wohl den Text von Elementen zu befreien, die vielleicht als anstößig empfunden werden konnten. 16 So fehlt in 1,12 ein Äquivalent für [» הלילהnoch] in [dieser] Nacht«, d. h. die Nacht, in der Noomi mit einem beliebigen Mann Söhne zeugen könnte. In 3,7 wird nicht gesagt, Boas habe getrunken, damit auf ihn nicht der Verdacht fallen soll, infolge des Alkoholgenusses unbesonnen zu handeln. Weiterhin verschweigt 3,7, dass Rut sich »hinlegte«; d. h. ihr soll nicht unterstellt werden, eine sexuelle Begegnung mit Boas zu provozieren. Durch die Wahl des Substantivs παιδίσκη »junge Frau« (auch im Sinne von Ehefrau) in 2,13 nimmt Rut proleptisch eine Bezeichnung vorweg, die sie erst in 4,12 nach der Heirat mit Boas erhält. Als eine solche Frau soll sie die Hoffnung erfüllen, die seit Kap. 1 unerfüllt geblieben ist: einen Nachkommen zu gebären. 17
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 18 Eine ausführliche, zugleich sehr freie Nacherzählung des Buches Rut liefert Flavius Josephus (AJ V, §§ 318-337). Dieser streicht einen großen Teil der Dialoge, betont den Gehorsam Ruts gegenüber ihrer Schwiegermutter (§ 329) und erklärt, er habe die Geschichte erzählt, da sich in ihr die Fähigkeit Gottes zeige, gewöhnlichen Menschen großes Ansehen zu verschaffen (§ 337) 19 – denn die Genealogie 4,18-22 macht sie ja zur Ahnfrau Davids. Diese Information wird von Mt 1,5; Lk 3,32 im Zusammenhang des Stammbaums Jesu aufgenommen. Die patristische Rezeption – so schon Hippolyt von Rom – hebt Aspekte wie die nichtjüdische Herkunft Ruts hervor und sieht hierin einen Typos für die aus Juden und Heiden bestehende Kirche. Die nichtjüdische Her-
15. Paralipomena Jeremiae bzw. 4. Baruch, eine jüdische Schrift aus der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. 16. Vgl. hierzu ausführlich de Waard, Translation Techniques, 511-512; Bons, Septuaginta-Version, 213-215. 17. Vgl. Bons, Le vocabulaire de la servitude, 161-162. 18. Ausführliche Darstellungen und Nachweise bei Fischer, I., Rut. Übersetzt und ausgelegt, HThKAT, Freiburg i. Br. 2001, 95-111; Scaiola, D., Rut. Nuova versione, introduzione e commento, Mailand 2009, 229-240. 19. Zu weiteren Einzelheiten vgl. auch BdA 8, 54-56. 4. Inhaltliches und theologisches Profil
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Ruth / Das Buch Rut
kunft Ruts und ihre freiwillige Unterwerfung unter das Gesetz (vgl. die Paraphrase von 1,16 im Targum) ist ebenfalls ein wichtiges Element der rabbinischen Rut-Interpretation.
6. Perspektiven der Forschung Seit 2006 liegt eine kritische Textausgabe der Rut-LXX vor, die für die weitere Forschung ein unverzichtbares Hilfsmittel ist. Zu den Fragen, die diese aufgreifen sollte, zählt das Problem der Datierung und der Herkunft der Übersetzung. Dabei lassen sich drei Teilfragen unterscheiden: Lässt sich hinter der Terminologie der Rut-LXX, etwa hinter den Begriffen aus dem Wortfeld des Dienstes und der Knechtschaft, ein ägyptisches Milieu erkennen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Beantwortung dieser Frage für die Datierung der Übersetzung sowie für deren Stellung in der Geschichte der Entstehung der LXX? Lassen sich die wenigen neuen theologischen Akzente, die die Rut-LXX kennzeichnen, in den größeren Kontext zeitgenössischer jüdischer Theologie einordnen?
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6. Perspektiven der Forschung
2.4 Die Bücher der Königtümer
2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel Philippe Hugo
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML II/1, 1927 — RaHa 1935/2006 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El Texto Antioqueno de la Biblia Griega, I 1-2 Samuel, TECC 50, Madrid 1989 — Taylor B. A., The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns, Vol. 1, Majority Text, HSM 50, Atlanta/GA 1992.
1.2 Qumrantexte 1QSam = 1Q7 (DJD I) – 4QSama.b.c = 4QSam 51.52.53 (DJD XVIII).
BQS 259-322 — HTTM 213-247. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Grillet, B. / Lestienne, M., Premier livre des Règnes. Traduction, introduction et notes, BdA 9.1, Paris 1997 — Taylor, B. A., 1 Reigns, NETS, Oxford / New York 20092, 244-270 — Taylor, B. A., 2 Reigns (Old Greek), NETS, Oxford / New York 20092, 271-283 — McLean, P. D., 2 Reigns (Kaige), NETS, Oxford / New York 20092, 283-296 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion I / Das erste Buch der Königtümer / Das erste Buch Samuel, LXX.D, Stuttgart 20102, 301334 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion II / Das zweite Buch der Königtümer / Das zweite Buch Samuel, LXX.D, Stuttgart 20102, 335-383 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion I / Das erste Buch der Königtümer / Das erste Buch Samuel, LXX.E I, Stuttgart 2011, 745-807 — Kreuzer, S. / Meiser, M., M., Basileion II / Das zweite Buch der Königtümer / Das zweite Buch Samuel (Antiochenischer Text und Rahlfs-Text), LXX.E I, Stuttgart 2011, 808-897.
1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Zitate und Tochterübersetzungen, andere Texteditionen Ambroise de Milan, Apologie de David. Introduction, texte latin, notes et index par P. Hardot. Traduction par M. Cordier, SC 239, Paris 1977 — Augustin, Cité de Dieu. Livres XV-XVIII, hg. v. G. Bardy / G. Combès, BA 36, Paris 1960 — Baars, W., New Syro-Hexaplaric Texts, Leiden 1968 — Dillmann, A., Veteris Testamenti Aethiopici. Tomus Secundus sive Libri Regum, Paralipomenon, Esdrae, Esther, Leipzig 1861 — Degering, H. / Boeckler A., Die Quedlinburger Italafragmente, Berlin 1932 — Drescher, J. (Hg.), The Coptic (Sahidic) Version of Kingdoms I-II (Samuel I-II), Vol. 1 (Critical Edition), Vol. 2 (Translation), CSCO 313-314, Leuven 1970 — Eusèbe de Césarée, Histoire Ecclésiastique, Vol. 1 / Vol. 2, hg. v. G. Bardy, SC 31/41,
1. Literatur
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
Paris 1952/1955 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R. (Hg.), Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Reges et Paralipomena, TECC 32, Madrid 1984 — Fischer, B. (Hg.), Palimpsestus Vindobonensis, in: Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, AGLB 12, Freiburg i. Br. 1986, 308-438 — Garitte, G. (Hg.), Traités d’Hippolyte sur David et Goliath, sur le Cantique des cantiques et sur l’Antéchrist, Vol. I Edition, Vol. II Traduction, CSCO 263-264, Leuven 1965 — Haupt, M., Veteris antehieronymianae versionis libri II Regum sive Samuelis fragmenta Vindobonensia, Wien 1877 — Iohannis Chrysostomi, De Dauide et Saule: homiliae tres, hg. v. F. P. Barone, CCSG 70, Turnhout 2008 — Lagarde, P. de, Bibliothecae Syriacae quad ad philologiam sacram pertinent, Göttingen 1892 — Lagarde, P. de, Bruckstücke der koptischen Übersetzung des Alten Testaments, in: Orientalia, 1. Bd., Berlin 1879, 63-104 — Levin, I., The Quedlinburg Itala. The Oldest Illustrated Biblical Manuscript, Leiden 1985 — Morano Rodríguez, C. (Hg.), Glosas marginales de Vetus Latina en las Biblias Vulgatas españolas, 1-2 Samuel, TECC 48, Madrid 1989 — Origene, Eustazio, Gregorio di Nissa, La Maga di Endor, a cura di M. Simonetti, Biblioteca patristica 15, Florenz 1989 — Origène, Homélies sur Samuel. Edition critique, introduction, traduction et notes par P. et M.-T. Nautin, SC 328, Paris 1986 — Petit, F. (Hg.), Autour de Théodoret de Cyr. La Collectio coisliniana sur les derniers livres de l’Octateuque et sur les Règnes. Le commentaire sur les Règnes de Procope de Gaza, TEG 13, Leuven 2003 — Petit, F. / Rompay, L. van (Hg.), Sévère d’Antioche. Fragments grecs tirés des chaines sur les derniers livres de l’Octateuque et sur les Règnes, TEG 14, Leuven 2006 — Pseudo-Philo, Les Antiqutiés Bibliques. Tome I, Introduction et texte critique éd. par D. J. Harrington, Traduction par J. Cazeaux. Tome II, Introduction littéraire, commentaire et index par Ch. Perrot / P.-M. Bogaert avec la collaboration de D. J. Harrington, SC 229-230, Paris 1976 — Salvesen, A., The books of Samuel in the Syriac version of Jacob of Edessa, MPIL 10, Leiden 1999 — Vercellone, C., Variae lectiones vulgatae latinae Bibliorum editionis, vol. 2, Rom 1864 — Weber, R. / Gryson, R. (Hg.), Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, Stuttgart 20075.
1.4.2 Übrige Literatur Aejmelaeus, A., A Kingdom at Stake: Reconstructing the Old Greek — Deconstructing the Textus Receptus, in: A. Voitila / J. Jokiranta (Hg.), Scripture in Transition. Essays on Septuagint, Hebrew Bible, and Dead Sea Scrolls in Honour of Raija Sollamo, JSJ.S 126, Leiden 2008, 353-366 — Aejmelaeus, A., David’s Return to Ziklag: A Problem of Textual History in 1 Sam 30:1, in: M. K. H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden 2004, SBL.SCS 54, Atlanta/GA 2006, 95-104 — Aejmelaeus, A., Lost in Reconstruction? On Hebrew and Greek Reconstructions in 2 Sam 24, BIOSCS 40 (2007), 89106 — Aejmelaeus, A., The Septuagint of 1 Samuel, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators, CBET 50, Leuven 20072, 123-141 — Auld, G. / Ho, C. Y. S., The Making of David and Goliath, JSOT 56 (1992), 19-39 — Auld, G., The Story of David and Goliath: A Text Case for Synchrony Plus Diachrony, in: W. Dietrich (Hg.), David und Saul im Widerstreit — Diachronie und Synchronie im Wettstreit. Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuchs, OBO 206, Fribourg / Göttingen 2004, 118-228 — Avalos, H., δεῦρω – δεῦτε and the Imperatives of הלך. New Criteria for the Kaige Recension of Reigns, EstBib 47 (1989), 165-176 — Barthélemy, D. / Gooding, D. W. / Lust, J. / Tov, E., The Story of David and Goliath. Textual and Literary Criticism, OBO 73, Fribourg 1986 — Barthélemy, D., Redécouverte d’un chaînon manquant de l’histoire de la Septante, RB 60 (1953), 18-29 (= in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 38-50) — Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélemy, D., Les problèmes textuels de 2 Sam 11,2-1 Rois 2,11 reconsidérés à la lumière de certaines critiques des »Devanciers d’Aquila«, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 218-242 — Barthélemy, D., Origène et le texte de l’Ancien Testament, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 203-221 — Barthélemy, D., La qualité du Texte Massorétique de
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1. Literatur
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
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212
1. Literatur
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
2. Überlieferung des Textes 2.1 Titel und Einteilung der Bücher Der Titel der »(Bücher der) Königtümer«, βασιλειῶν, wie er von der gesamten Handschriftenüberlieferung bezeugt wird, taucht seit dem 2. Jh. n. Chr. in den Listen des biblischen Kanons des Meliton von Sardes (βασιλειῶν τέσσερα) und des Origenes (βασιλειῶν α’–δ’) auf. 1 Dieser Titel ist möglicherweise alexandrinischen Ursprungs und vorchristlich, denn Philon (ca. 20 v. Chr.–50 n. Chr.) benutzt bereits dieselbe Bezeichnung im Nominativ, Βασιλεῖαι. 2 Unter diesem Titel werden also vier Bücher der LXX zusammengefasst, die zwei Büchern des hebräischen Kanons, Samuel und Könige, entsprechen. Diese Einteilung in vier Bücher (I–IV Regnum) wird sich auch in der Vulgata durchsetzen, obwohl Hieronymus auch die zwei Bezeichnungen Samuel–Könige (Samuhel–Malachim) und Königtümer (Regnorum) erwähnt. 3 1–2Königtümer gibt also ein einziges hebräisches Buch wieder 4, woran Origenes (zitiert bei Eusebius) erinnert: Βασιλειῶν α’ β’, παρ’ αὐτοῖς ἕν, Σαμουὴλ, »ὁ θεόκλητος«, »(die Bücher) der Königtümer 1, 2, sind bei ihnen [den Hebräern] ein einziges, Samuel, ›der Auserwählte Gottes‹«. 5 Wenn die Einteilung in zwei (bzw. vier) Bücher auch alt ist, so ist sie wahrscheinlich nicht ursprünglich. 6 Man muss deren Ursprung offensichtlich in der Größe der Schriftrollen suchen. 7 1Kgt endet mit dem Tod und der Bestattung des Königs Saul (1Kgt 31,13). 2Kgt handelt von der gesamten 1. 2. 3.
4.
5.
6. 7.
Vgl. Swete, 203: Eusebius, Hist. eccl., IV, 26 und VI, 25. Swete, 215. Tatsächlich liest man in seinem Prolog in Libro Regum (Weber, Biblia sacra, 364-365): »Tertius [nach Josua und Richter] sequitur Samuhel, quem nos Regnorum primum et secundum dicimus. Quartus Malachim, id est Regum, qui tertio et quarto Regnorum volumine continetur.« Es folgt eine Bemerkung darüber, dass die Bezeichnung Königtümer oder Könige wohlbegründet ist, was offensichtlich der Grund dafür ist, dass sich die Bezeichnung Regum schließlich in der Vulgata durchgesetzt hat: »Meliusque multo est Malachim, id est Regum, quam Malachoth, id est Regnorum dicere, non enim multarum gentium regna describit, sed unius israhelitici popolu qui tribubus duodecim continetur.« In der hebräischen Bibel tauchte die Einteilung in zwei Samuelbücher und zwei Bücher Könige spät unter dem Einfluss der griechischen Bibel und der Vulgata auf. Sie ist zum ersten Mal in der in Venedig im Jahr 1517 veröffentlichten Bibel des Felix de Prato bezeugt. Eusebius, Hist. eccl., VI, 25. In der Hexapla findet man am Ende von 1Königtümer ebenfalls eine Anmerkung, die erwähnt, dass die Hebräer die beiden Bücher nicht voneinander trennten, worin ihnen Aquila folgte: Τέλος σὺν θεῷ τῆς πρώτης τῶν Βασιλειῶν ὁ δὲ Ἀκύλας, Ἑβραίοις ἑπόμενος, οὐ διεῖλεν, ἀλλὰ μίαν τὰς δύο τετοίηκεν (Field, Origenis Hexaplorum, Vol. I, 554). Bogaert, Septante, 591. Auch wenn Sam–Kön bzw. 1–4Kgt einen erzählerischen Zusammenhang bilden, war ihr Text vermutlich nie auf einer einzigen riesigen Rolle enthalten sondern auf mehrere Rollen verteilt. Leider sind bei den Samuel- und Könige-Rollen aus Qumran die entsprechenden Passagen nicht erhalten, so dass nicht erkennbar ist, ob die Übergänge innerhalb von Samuel und Könige bereits irgendwie markiert waren. Dazu und zur Frage, ob sich durch das hellenistische Kleinrollensystem die Abgrenzung der kaige-Abschnitte und die Probleme in 1Sam 17 f. erklären lassen, siehe jetzt Kim, Kleinrollensystem. [SK] 2. Überlieferung des Textes
213
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
Herrschaft Davids über Juda und Israel. Die große Mehrzahl der Textzeugen schließt 2Kgt am Ende des Kapitels 24 ab, welches das Ende des Buches Samuel in der hebräischen Bibel ist. 8 Dagegen findet sich im antiochenischen Text (L, vgl. weiter unten 2.3) das Ende von 2Kgt nach dem Tode Davids, in 1Kön 2,11. 9 Dies entspricht gleichermaßen dem Ende des Abschnittes βγ der Königtümer (2Kgt 10,2–3Kgt 2,11; s. u. 2.3 zum καίγε-Text) im Codex Vaticanus, was bedeutet, dass dem Codex Vaticanus (bzw. dessen Vorläufer) Schriftrollen zugrunde lagen, die ebenfalls diese Abgrenzung hatten. Diese Indizien könnten auf eine alte Einteilung hinweisen. 10
2.2 Handschriftenüberlieferung, moderne Editionen und Problematik des Textes Etwas mehr als sechzig Handschriften enthalten 1–2Königtümer, darunter vier UnzialCodices: Codex Vaticanus (B, 4. Jh.), Codex Alexandrinus (A, 5. Jh.), Codex Coislianus (M, 7. Jh.) und Codex Venetus (V [N in Ra], 8. Jh.). 11 Man zählt einige seltene PapyrusFragmente des 4. Jh.s (842) bzw. 5. Jh.s (860 934) und einige Pergament-Fragmente des 4.–5. Jh.s (845 846), aber die Mehrheit der handschriftlichen Zeugen erstreckt sich zeitlich vom 9. bis ins 16. Jh. Unsere Bücher werden ebenso durch die altlateinische, 12 äthiopische, 13 armenische, 14 koptische (bzw. sahidische), 15 georgische 16 Übersetzungen und durch die Syrohexapla 17 bezeugt wie durch Zitate der griechischen und lateinischen Kirchenväter (siehe unten 5.). Es gibt zurzeit keine Edition von 1–2Königtümer oder von 3–4Königtümer, die den Erfordernissen der jüngsten Forschungsergebnisse gerecht würde. In der Tat sind die hauptsächlichen modernen Editionen (20. Jh.) zeitlich den letzten Entdeckungen vorgelagert – insbesondere den Entdeckungen der Manuskripte in der Wüste Juda, die 8. Der masoretische Text fügt hier die Zahl der Verse des Buches ein. 9. Flavius Josephus schließt ebenfalls mit dieser Episode das Buch VII der Antiquitates Judaicae ab. 10. Thackeray, Greek Translation, 265-267. Dagegen Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 188-189. 11. Zur Beschreibung der Handschriften bis zum 8. Jh. vgl. Rahlfs / Fraenkel, Verzeichnis, 477-478 (Verzeichnis der Handschriften der Königtümer); für den Rest vgl. Rahlfs, Verzeichnis, 374385 (Verzeichnis der Handschriften des Oktateuch und der Königtümer); zur Beschreibung der bei Brooke / McLean / Thackeray verwendeten Textzeugen siehe die gute Darstellung von Kim, Textformen, 37-69. Siehe auch die Einleitung in diesem Band. 12. Für die Zeugen der Vetus latina siehe die folgenden Editionen: Lat 91-95: Morano Rodríguez, Glosas marginales; Lat 115: Fischer, Palimpsestus Vindobonensis; Lat 116: Degering / Boeckler, Die Quedlinburger Italafragmente, und Levin, The Quedlingurg Itala; Lat 117: Haupt, Veteris antehieronymianae versionis. 13. Dillmann, Libri Regum. 14. Der Text der armenischen Version von 1–2Königtümer wurde von S. P. Cowe in der Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz, Texto Antioqueno, kollationiert. Man kann davon ausgehen, dass diese Arbeit vollständiger ist als die bis dahin verfügbaren Editionen; vgl. die Einleitung dieser Edition: Cowe, Armenian Version. 15. Drescher, Coptic Versions. Es gibt nur einige bohairische Fragmente: Lagarde, Bruchstücke. 16. Vgl. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 259-261. 17. Lagarde, Bibliothecae Syriacae; Brock, Recensions, 5-13; Baars, New Syro-Hexaplaric, 104-114; Liljeström, Fragments.
214
2. Überlieferung des Textes
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
unser Verständnis der Geschichte dieses Textes revolutioniert haben (vgl. weiter unten 2.3), oder sie beschränken sich auf eine besondere Texttradition. Die Edition Brooke / McLean / Thackeray (1927) ist eine diplomatische Edition von B. Der derzeitige Forschungsstand zeigt auf, dass sie nicht immer der ältesten Fassung der Königtümer von LXX entspricht. Dennoch bleibt diese Edition bis heute die beste insofern, als sie die größte Anzahl von Informationen über Textvarianten bietet: Ihr textkritischer Apparat umfasst, wenn auch nicht alle sechzig heute verfügbaren Handschriften, so wenigstens die bedeutendsten unter ihnen sowie die Lesarten der Übersetzungen und einer großen Zahl von Zitaten der Kirchenväter. 18 Die Edition von Rahlfs (Ra 1935 und RaHa 2006) stellt sich selbst als Vorbereitung der kritischen Ausgabe dar, 19 Allerdings hat sie hauptsächlich die Unziale A und B zur Grundlage. Zwar notiert Rahlfs auch die Textzeugen der Rezension von Origenes (O: A 247 [x] und 376 [c]) 20 und des antiochenischen (oder »lukianischen«) Textes (L: 19 82 93 108 127 [in der Reihenfolge b’ o e2 b c2]) 21, aber diese Heranziehung bleibt unsystematisch und folglich nicht repräsentativ. Darüber hinaus hatte Rahlfs seinerzeit die Tendenz, den Wert von L zu unterschätzen und den Lesarten den Vorzug zu geben, die dem MT entsprechen, was heute zu einem hauptsächlichen Hindernis für die Rekonstruktion des ältesten Textes geworden ist. Die Textüberlieferung von L wurde für sich selbstständig zuerst in Gestalt der kritischen Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz (1989) und dann in Gestalt der Edition des »Mehrheits-Textes« von 1Königtümer durch Taylor (1992) herausgegeben. Die Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz fügt abgesehen von der handschriftlichen Überlieferung wichtige Daten der indirekten antiochenischen Tradition hinzu – Zitate der antiochenischen Kirchenväter, die Vetus Latina, die armenische Übersetzung – und stellt dieses gesamte Material anderen, möglicherweise verwandten Zeugen, wie Josephus und den Qumran-Handschriften, gegenüber. Die Frage, die im Fokus der aktuellen Forschung steht, lautet: Wo innerhalb der Textvielfalt, die von den verschiedenen Strängen der griechischen Überlieferung bezeugt wird, findet sich die älteste Textform?
2.3 Geschichte des Textes Der Text von 1–2Königtümer hat eine komplexe und bewegte Geschichte durchgemacht. 22 Seine ursprüngliche Gestalt wurde nach und nach Rezensionen und Revisionen unterzogen, deren Ziel es nicht nur war, Irrtümner zu korrigieren und grammatikalische sowie stilistische Verbesserungen vorzunehmen, sondern den griechischen Text an die hebräische Vorlage anzugleichen, die sich durchzusetzen begann (seit dem 18. Als Vorarbeit für ein Forschungsprojekt zum Septuagintatext der Samuelbücher wurde von S. Kreuzer / M. Sigismund und Mitarbeitenden der Text mit dem gesamten Apparat in das aktuelle Rahlfs-Göttinger Siglensystem transponiert. Der Text steht elektronisch auf http:// www.kiho-wb.de/ISBTF/brooke-mclean_elektronisch zur Verfügung und ist zudem auf einzelne Handschriftennummern durchsuchbar. [SK] 19. RaHa, XVII-XVIII. 20. Die Nummerierung der Handschriften entspricht Rahlfs, Verzeichnis, die Sigeln in eckigen Klammern sind diejenigen von BML. 21. RaHa, 502. 22. Für eine detailliertere Zusammenfassung vgl. Hugo, Le grec ancien. 2. Überlieferung des Textes
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
1. Jh. v. Chr.), nämlich an den protomasoretischen (oder rabbinischen) Text. 23 Diese Überarbeitungen hatten eine Distanzierung des Textes von der ursprünglichen Übersetzung zur Folge. Zu diesem Phänomen muss man das der wechselseitigen Verderbnis der Textüberlieferungen hinzunehmen. Die allgemeine Perspektive der jüngsten Forschung ist es, die unterschiedlichen Rezensionen und Revisionen zu identifizieren, denen die ursprüngliche Übersetzung unterzogen wurde, um so weit wie möglich zur nicht überarbeiteten und nicht verdorbenen Fassung der ursprünglichen Überlieferung vorzudringen. Die jüngsten Forschungsergebnisse ermöglichen es, drei hauptsächliche Überarbeitungen der Königtümer herauszustellen: 1. Die Rezension (bzw. Revision) καίγε (zweite Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts), 2. die Rezension des Origenes oder der Hexapla (Anfang 3. Jh. n. Chr.) und 3. die sogenannte lukianische Rezension oder der antiochenische Text (4. Jh. n. Chr.). 1. Die Rezension, oder genauer die Revision καίγε, wurde von Dominique Barthélemy im Jahr 1953 24 herausgearbeitet und 1963 im Detail beschrieben. 25 Das Studium des Dodekapropheton, das in Naḥal Ḥever im Jahr 1952 entdeckt worden war (8ḤevXIIgr, auf das Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts datiert 26), hat es ihm in der Tat möglich gemacht, eine alte jüdische Überarbeitung zu identifizieren, die vor der von Aquila anzusiedeln ist und in ihren Merkmalen der Fassung Theodotion gleicht; er bezeichnete sie als »Gruppe καίγε«. Tatsächlich weist der Text linguistische Merkmale auf, wie sie auch in anderen Büchern oder Textzeugen der griechischen Bibel gefunden werden, unter anderem in bestimmten Abschnitten der Bücher der Königtümer. 27 Bereits im Jahr 1907 hatte Thackeray im Text des Codex Vaticanus zwei unterschiedliche Übersetzungsweisen festgestellt und so die Bücher der Königtümer in fünf Abschnitte gegliedert. 28 Er nahm an, dass die Abschnitte 2Kgt 11,2–3Kgt 2,11 (genannt βγ) und 3Kgt 22–4Kgt 25,30 (genannt γδ) das Werk eines späteren Übersetzers seien. Barthélemy wies nach, dass es sich nicht um eine vom Rest des Buches abweichende Übersetzung, sondern um eine hebraisierende Revision derselben Art wie im Dodekapropheton handelt, welche von dem sorgfältigen Bemühen um 23. Vgl. Kreuzer, From »Old Greek«. 24. Barthélemy, Redécouverte d’un chaînon manquant de l’histoire de la Septante. 25. Barthélemy, Devanciers d’Aquila. Siehe die Synthese durch McLean, The Kaige Text of Reigns, NETS, 271-276. Für eine Einführung in den aktuellen Forschungsstand zur Revision καίγε vgl. Fernández Marcos, Septuagint, 142-154; Bogaert, Septante, 560-562; Dines, Septuagint, 81-84; Greenspoon, Recensions; Greenspoon, The Kaige Recension. 26. Datierung vorgeschlagen von Peter J. Parsons, The Scripts and their Date, in: E. Tov (Hg.), DJD VIII, 19-26. 27. Außer diesen Abschnitten der Königtümer konnte Barthélemy dieser Gruppe die Übersetzung der Klagelieder, des Hohenliedes und des Buches Rut, die Rezension des Buches der Richter (Mss i r u a2 und B e f s z), die Rezension des Theodotion zu Daniel, die Hinzufügungen des Theodotion zum Ijob-Text der Septuaginta und die oftmals anonymen Hinzufügungen zur Septuaginta-Fassung des Buches Jeremia, die Spalte Theodotion der Hexapla und die Quinta (fünfte Spalte) der Psalmen zuordnen: Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 47. 28. Abschnitte α = 1Reg; ββ = 2Reg 1,1–11,1; βγ = 2Reg 11,2–3Reg 2,11; γγ = 3Reg 2,12–21,43; γδ = 3Reg 22–4Reg: Thackeray, Greek Translation. Siehe auch seine Schweich Lectures im Jahr 1923: Thackeray, The Septuagint and Jewish Worship, 16-281.114-115.
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2. Überlieferung des Textes
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
größtmögliche, insbesondere formale Treue zum MT geprägt ist. 29 Auf diese Weise arbeitete er eine bestimmte Anzahl von Charakteristika heraus, die in Verbindung zur rabbinischen und palästinischen Hermeneutik stehen 30 und von denen hier die wichtigsten benannt werden können: das Ersetzen des historischen Präsens durch den Aorist, die Übersetungen von גםmit καίγε, אנכיmit ἐγώ εἰμι, אישmit ἀνήρ (und zwar auch dort, wo es »jeder« bedeutet, ebenso wie איןmit οὐκ ἔστι, von מעלdurch ἐπάνωθεν und שופרmit κερατίνη. 31 Das Studium der Revision καίγε im Abschnitt βγ ließ Barthélemy also zur Schlussfolgerung gelangen, dass L nicht von dieser Überarbeitung betroffen war und daher ein Stadium präsentiere, das der alten LXX näher steht bzw. sie faktisch repräsentiert (vgl. weiter unten). 32 Die Beobachtungen von Barthélemy über die Königtümer wurden von James Donald Shenkel weiterentwickelt und verfeinert. 33 Abgesehen davon, dass er einige zusätzliche Charakteristika der Gruppe καίγε herausarbeitete, zeigte er auf, dass der überarbeitete Abschnitt βγ mit 2Kön 10,1 begann. In der Folge wurden andere Merkmale der Revision in den Königtümern herausgearbeitet. 34 Nicht zuletzt hat Siegfried Kreuzer die Hypothese formuliert, dass die καίγε Rezension die Verwendung des Artikels korrigiert hat – meistens getilgt, aber manchmal ergänzt –, um zu einer isomorphen Wiedergabe des protomasoretischen Textes zu kommen. 35 2. Die zweite Rezension des Textes der Königtümer ist diejenige, die wir Origenes (185–253/4) verdanken. 36 Die Rezension des Origenes – auch hexaplarische Rezension genannt – ist seit Langem bekannt und war Anlass mehrerer Studien, von denen man hinsichtlich von 1–2Königtümer die von Bo Johnson (1963) und Sebastian Brock (1966) erwähnen kann. 37 Das Prinzip der Rezension des Origenes bestand darin, die Unterschiede zwischen MT (bzw. dem Origenes zugänglichen hebräischen Text) und der LXX hervorzuheben. Ein Plus der LXX wurde durch Obeli gekennzeichnet, wohingegen das Minus der LXX entsprechend dem MT – im Allgemeinen unter Zuhilfenahme des Textes von Theodotion – ergänzt und durch Asterisken gekennzeichnet
29. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, bes. 91-143; siehe auch die Ergänzungen in: Barthélemy, Les problèmes textuels, 218-254. 30. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 3-30. Der Einfluss des palästinischen Rabbinats auf die Revision καίγε und insbesondere die hergestellte Verbindung zwischen Aquila und der Hermeneutik des Rabbi Akiba haben eine Debatte hervorgerufen, die zusammengefasst wird von: Greenspoon, Recensions, und Fernández Marcos, Septuagint, 148-153. Vgl. auch Munnich, Première révision de la Septante, der den Einfluss des griechischen Psalters stärker betont als den des Rabbinats. 31. Vgl. die Studie zu diesen und noch weiteren Besonderheiten Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 31-80. 32. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 139-143 sowie 127: »… c’est la vielle septante, plus ou moins abatardie« 33. Shenkel, Chronology, 113-120. 34. Z. B. Avalos, New Crieteria; Talshir, Divine Epithet; McLean, The Greek Kaige Version. 35. Z. B. Kreuzer, Towards the Old Greek; Kreuzer, Das frühjüdische Textverständnis; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen; LXX.E I, 718. 36. Vgl. Neuschäfer, Origenes als Philologe, 85-138; Bogaert, Septante, 572-573; Dines, Septuagint, 95-103. 37. Johnson, Hexaplarische Rezension; Brock, Recensions. 2. Überlieferung des Textes
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
wurde. 38 Die Autorität des Origenes hat Kopisten und Korrektoren dazu verleitet, von seiner Rezension, die heute in der griechischen Fassung verlorengegangen ist, reichlich Gebrauch zu machen, um die LXX dem hebräischen Text anzugleichen. Allerdings hat das Weglassen bzw. der schlechte Umgang mit seinen textkritischen Zeichen in der späteren Übertragung eine fortschreitende Verderbnis der gesamten Textüberlieferung bewirkt, die auf diese Weise einen zutiefst eklektischen Charakter bekam. 39 Was die Königtümer betrifft, sind die am meisten betroffenen Textzeugen A 247 [x] und 376 [c], die zusammen die sogenannte Origenische Gruppe, O, bilden. 40 Andere Gruppen, wie 106 107 120 134 370 554 [in der Reihenfolge p d q t l z], zu der man heute noch 44 74 610 hinzufügen kann, und die Gruppen der patristischen Kommentarketten sind gleichfalls betroffen. 41 Was L betrifft, so beinhaltet der Text mehrere Angleichungen an den MT, die auch von den origenischen Textzeugen bestätigt werden. 42 Er stellt allerdings keinen eigenständigen Textzeugen der Hexaplarischen Rezension dar. Doch er weist gleichermaßen Angleichungen anderer Art auf, die sich entweder aus anderen Spalten der Hexapla – hauptsächlich aus dem Text des Symmachus – ergeben oder ihren Ursprung in anderen Rezensionsaktivitäten haben. Die Eigenart von L muss aber genauer analysiert werden (vgl. weiter unten). Schließlich haben B und die auf ihn folgenden Minuskeln 121 509 [y a2] der origenischen Verderbnis besser standgehalten 43 und erschließen einen Zugang zu einem vorhexaplarischen Text, der der alten LXX nahekommt, wenigstens abgesehen von den Abschnitten καίγε. B steht dem Basistext, auf dessen Grundlage Origenes seine Rezension vorgenommen hat, nahe. 44 Man muss noch einen weiteren Zugang zur Rezension des Origenes erwähnen: die syro-hexaplarische Version, die dafür letztlich den direktesten Textzeugen darstellt. 45 Wenn auch, was die Königtümer betrifft, relativ wenige Fragmente erhalten sind, 46 so scheint doch die Identifikation neuer, d. h. bisher noch nicht bekannter, Lesarten noch möglich zu sein. 47 3. Die dritte Rezension ist die, die man traditionellerweise dem Märtyrer Lukian von Antiochien (ca. 250–311/12) zuschreibt, die »lukianische Rezension« (L), die heute allgemein als antiochenischer Text bezeichnet wird. 48 Was die Königtümer betrifft, 38. Man kann vernünftigerweise annehmen, dass die fünfte Spalte (Quinta) der Hexapla die origenische Rezension mit Obeli und Asterisken enthielt. Vgl. die Diskussion bei Brock, Recensions, 39-43; Munnich, Les Hexaples, 174-177. 39. Vgl. Barthélemy, Origène et le texte de l’Ancien Testament, 203. 40. Für 1Kgt vgl. die Analyse von Johnson, Hexaplarische Rezension, 88 und 89-106. 41. Vgl. Johnson, Hexaplarische Rezension, 107-110. 42. Brock, Recensions, 171. 43. Vgl. die Schlussfolgerungen von Johnson, Hexaplarische Rezension, 53-54 und Brock, Recensions, 171. 44. Taylor, Lucianic Manuscripts, Vol. 2, 127. 45. Vgl. Jellicoe, 124-127, und den hervorragenden Beitrag von Law, La version syro-hexaplaire. Law zeichnet ein differenziertes Bild, was die Vorstellung der absoluten Treue des syro-hexaplarischen Textes gegenüber der origenischen Rezension betrifft, doch er betont den Einfluss, den er auf die lukianische Rezension ausgeübt hat. 46. Vgl. Brock, Recensions, 5-13 (mit Bibliografie); Baars, New Syro-Hexaplaric, 104-114. 47. Vgl. Liljeström, Fragments. 48. Vgl. die Einführungen von Metzger, The Lucianic Recension, in: Chapters in the History of
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2. Überlieferung des Textes
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
wird dieser Text von den Handschriften 19 82 93 108 127 [in der Reihenfolge b’ o e2 b c2] und durch die Zitate der antiochenischen Kirchenväter, insbesondere von Theodoret von Kyrrhos, bezeugt. 49 Die Bewertung dieser Texttradition in den Königtümern ist und bleibt eine der schwierigsten Fragen der Septuaginta-Forschung, die keinen Konsens gefunden hat. Die zeitgenössische Forschung bewegt sich zwischen zwei gegensätzlichen Positionen: Einerseits die Tendenz L als eine umfangreiche und erklärende innergriechische Überarbeitung – mit anderen Worten weitgehend sekundär – zu betrachten, und andererseits diejenige L insgesamt als die ursprüngliche LXX zu erwägen. Obwohl beide Positionen gute Argumente für sich haben, wird dennoch jede Vereinfachung oder Generalisierung der Komplexität der Daten nicht gerecht. Wenn L im 4. Jh. angesiedelt wird, beruht er in Wahrheit auf einer sehr alten Textbasis – protolukianischer Text genannt –, die möglicherweise im 1. Jh. n. Chr. von der Mehrheits-LXX herausgelöst wurde. 50 L weist in der Tat zahlreiche Verwandtschaften zur Vetus Latina (Ende des 2. Jh.) auf 51, wie aus den Randglossen der spanischen Vulgata-Ausgaben (Lat 91–94) 52, dem Palimpsest Vindobonensis (Lat 115) 53 und den Zitaten der Kirchenväter 54 ersichtlich wird. Ebenso scheint es, dass Flavius Josephus im 1. Jh. – wahrscheinlich neben anderen Quellen – einen Text benutzt hat, der spezifische Merkmale von L aufweist (siehe unten 5.). 55 Die armenische und georgische Version weisen gleichfalls bestimmte Ähnlichkeiten mit L auf. 56 Die Hinweise auf das Vorhandensein eines Textes L vor dem 4. Jh. werden zusätzlich durch die Fragmente von Samuel aus den Qmran-Texten bes. 4QSama (ca. 50–25 v. Chr.) bestätigt: 57 Tatsächlich findet man nicht selten darin Lesarten, die mit L, der Vetus Latina, den Büchern der Chronik und 4QSama im Gegensatz zum MT und der rezensierten LXX übereinstimmen. 58 Diese Ergebnisse bestätigen sowohl die Existenz der Rezension καίγε als auch das hohe Alter vom L Texttyp, 59 in den Abschnitten, in denen B rezensiert wird. Die Verwandtschaft zwischen L und 4QSama hat Frank Moore Cross dazu veranlasst, den protolukianischen Text als eine Rezension der alten LXX nach einer
49. 50. 51.
52. 53. 54. 55.
56. 57. 58. 59.
New Testament Textual Criticis, NTTS 4, Leiden 1963, 1-41; Fernández Marcos, Septuagint, 223-238; Fernández Marcos, Der antiochenische Text. Theodoret, Quaestiones in Reges et Paralipomena (hg. v. Fernández Marcos / Busto Saiz). Brock, Recensions, 299. Eine Einführung in die Vetus Latina (Lat) und ihre Bedeutung für die LXX bietet: Bogaert, Les bibles d’Augustin, 514-517; Bogaert, La Bible latine, 143-156. Zu den Königtümern insbesondere: Fischer, Lukian-Lesarten; Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions. Vgl. auch die viel zurückhaltendere Position von Fernández Marcos, Scribes and translators, 53-70. Zuerst identifiziert von Vercellone, Variae lectiones, bes. XXI-XXII, dann ediert von Morano Rodríguez, Glosas marginales. Fischer, Palimpsestus Vindobonensis. Vgl. Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 138-161; Fischer, Lukian-Lesarten. Mez, Die Bibel des Josephus, bes. 79-84. Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 471, nimmt an, dass Josephus hauptsächlich den hebräischen masoretischen Text und nur wenig einen Text von der Art der lukianischen Tradition bezeugt. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions. Cross, DJD XVII, 4-5.25-27. Cross, History, 292-297; Ulrich, Qumran Text, 257-259; Ulrich, Old Latin Translation, 270. Vgl. Herbert, Kaige Recension. 2. Überlieferung des Textes
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
hebräischen Textvorlage analog zu 4QSama zu erklären. 60 Laut Dominique Barthélemy hingegen weist L nicht die Spezifität einer Rezension auf, die auf eine größere Übereinstimmung mit der hebräischen Vorlage abzielt, obwohl man anerkennen muss, dass L sehr früh hebraisierenden und gräzisierenden protolukanischen, vorhexaplarischen Rezensionen unterzogen wurde, die nicht καίγε entsprechen. 61 Es scheint so, also sollte man es vorziehen, den protolukianischen Text als eine Textform zu betrachten, die der alten LXX nahekommt. 62 Im Gegensatz dazu denken andere Autoren, dass diese alte Überlieferung im 4. Jh. in Antiochia einer redaktionellen oder editorischen Arbeit unterzogen wurde. Für diese antiochenische Ausgabe waren grammatikalische und lexikografische Korrekturen im Sinne einer Anpassung ans attische Griechisch ebenso kennzeichnend wie die Harmonisierung und Anpassung des Textes – sowohl Ergänzungen als auch Streichungen – für eine öffentliche Lesung. 63 Gemäß diesen Autoren ist L weitgehend als sekundär zu betrachten. Ohne so extrem zu sein, haben allerdings neueste Forschungen den etablierten Zusammenhang von L mit proto-lucianischen Zeugen nuanciert: Zunächst bezeugt L zweifellos hexaplarisches Material, obwohl meistens indirekt und durch Interpolationen. 64 Dann haben jüngste Forschungsarbeiten die Tendenz, die Übereinstimmung sowohl zwischen L und der Vetus Latina 65 als auch zwischen L und 4QSama66 als relativ begrenzt zu bewerten. Die Diskussion bleibt aber offen. Allerdings scheinen mir diese Beobachtungen nicht in der Lage zu sein, die Hypothese von Barthélemy als ungültig zu erklären, sondern führen dazu, Lesarten von L mit großer Achtsamkeit zu überprüfen. In neuerer Zeit hat Siegfried Kreuzer in mehreren Studien 67 dieselben spezifischen Merkmalen der antiochenischen Tradition – z. B. Ergänzungen und Streichungen der Artikel – überprüft, und kommt zu der Schlussfolgerung, dass sie sich »konsistent erklären lassen, wenn man von der Priorität des Ant [= L] ausgeht und die von der kaige-Rezension vorgenommenen Änderungen auf dem Hintergrund der frühjüdischen Hermeneutik versteht.« 68 Er kommt dadurch auf anderem Weg zu einem 60. Vgl. insbesondere Cross, History, 295-296; Ulrich, Qumran Text, 258. Diese Hypothese stützt sich in Wahrheit auf die Theorie lokaler alexandrinischer, palästinischer und babylonischer Texte. 61. Barthélemy, Les problèmes textuels, 220-225. 62. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 139-143; so auch Tov, Lucian and Proto-Lucian, 110. 63. Brock, Recensions, 297-299; Brock, Lucian redivivus, 180; Fernández Marcos, Scribes and translators, 27-37; Fernández Marcos, Lucianic Text, 172-174; Fernández Marcos, Septuagint, 235-236; Taylor, Lucianic Manuscripts, Vol. 2, 127-128. 64. Brock, Recensions, 297; Law, Symmachus in Antioch; Hugo, Antiochenische »Mischung«. Kreuzer in LXX.E I, 719 Fn. 6 vertritt als alternative Erklärung die Annahme: »Symmachus hat in diesen Fällen (so wie Ant) Wörter aus der Old Greek bewart«. Siehe auch Kim, Textformen, 409. 65. Kauhanen, Proto-Lucianic Problem. 66. Saley, Greek Lucianic Doublets; Saley, Proto-Lucian. 67. Kreuzer, S., Das frühjüdische Textverständnis; Kreuzer, From »Old Greek« to the Recension; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen; Kreuzer, Towards the Old Greek; Kreuzer, Übersetzung – Revision – Überlieferung; Kreuzer ›Lukian redivivus‹; Kreuzer, Der Antiochenische Text. 68. Kreuzer, in: LXX.E I, 718.
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2. Überlieferung des Textes
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ähnlichen Ergebnis wie Barthélemy, nämlich dass der Vorläufer des antiochenischen Textes (bzw. der sog. proto-lukianische Text) der Bezugstext für die kaige-Rezension war und dass dieser Text der ursprünglichen Septuaginta am nächsten steht, wenn auch natürlich mit im Zuge der Überlieferung eingetretenen Textverderbnissen und gelegentlichen Korrekturen oder Revisionen. 69 Die zwei Gegenpositionen der Textgeschichte scheinen unvereinbar. 70 Allerdings liegen sie faktisch nicht so weit auseinander, als auch die Vertreter der lukianischen Rezension insbesondere auf Grund der Qumrantexte von einem großen Anteil an vorlukianischem Text ausgehen. Der entscheidende Unterschied ist, ob man prinzipiell an der Annahme einer lukianischen Rezension um 300 n. Chr. festhält. Letzten Endes muss man sowohl das hohe Alter der antiochenischen Überlieferung betonen, als auch die Möglichkeit gewisser Bearbeitungen in Betracht ziehen. In anderen Worten besteht die antiochenische Tradition aus zwei textlichen Schichten: der sog. »proto-lukianische« Text, der sehr nahe bei der ursprünglichen LXX liegt, und eine antiochenische Überabeitung. 71 Die zentrale Frage ist infolgedessen, den Umfang dieser Bearbeitung zu bestimmen. Die Unterscheidung zwischen diesen Schichten kann allerdings nur mit der Erforschung und Gewichtung jeder einzelnen Lesart durchgeführt werden. 72 Abschließend kann festgehalten werden: Die textgeschichtliche Hypothese Barthélemys bleibt die stichhaltigste Erläuterung der Daten. Die besseren Zeugen der ursprünglichen LXX sind B und L, jedoch keiner von ihnen in reiner Form. Wenn B (mit 121 509 [y a2]) ein vor-hexaplarischer Zeuge ist, wird er in gewissen Sektionen der καίγε Rezension unterzogen. Selbst ausserhalb dieser Sektionen kann er ebenfalls alte Korrekturen bezeugen. 73 L ist durchgehend ein einziger Texttyp. Nicht nur innerhalb der sog. καίγε Sektionen sondern auch außerhalb bietet L ursprüngliches Material in dem Maße, als man diesen Text aus seiner Hülle von innergriechischen Revisionen herauszulösen vermag. Um diese alte Schicht freizulegen, muss man die Bedeutung der abgeleiteten Übersetzungen, insbesondere die Vetus Latina, die armenische 74 und die geor69. Barthélemy, les Devanciers, hatte festgestellt, dass die καίγε-Rezension eng mit dem antiochenischen Text zusammenhängt und dass dieser die Basis für die καίγε-Rezension darstellt. Barthélemy gab die Annahme einer lukianischen Rezension auf (er spricht 126 f. von »La pretendue Recension Lucianique«), er wusste aber natürlich auch, dass der Text nicht unverändert erhalten blieb, sondern im Lauf der Überlieferung Fehler erlitt oder Veränderungen erfuhr (vgl. 117: Der antiochenische Text »est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue.«). Diese Stellungnahme hat Barthélemy 1972 nuanciert, wenn er eine gräzisierende Rezension dieses Textes annahm, siehe unten Fn. 71. 70. Vgl. Law / Kauhanen, Methodological Remarks, und Kreuzer, A Reply to M. Law and T. Kauhanen. 71. Selbst Barthélemy geht von dieser Tatsache aus: »Nous devons nous attendre à trouver dans la section βγ une situation textuelle beaucoup plus complexe que celle que j’avais envisagée en DA [Devanciers d’Aquila]: L’élément secondaire le plus notable demeure, comme je l’avais énergiquement souligné, la révision hébraïsante καίγε subie par le texte de B et de ses alliés. Mais il faut ajouter vraisemblablement à cela une recension grécisante assez étendue subie par le texte de boc2e2 [L]« (Barthélemy, Les problèmes textuels, 224). 72. Hugo, Antiochenische »Mischung«. 73. Aejemlaeus, Kingdom; Kreuzer, Old Greek und Semi-kaige; ders., Books of Samuel. 74. Vgl. Cowe, Armenian Version: Der aktuelle Zustand der armenischen Version (Arm 2) ist ein 2. Überlieferung des Textes
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gische 75 Version betonen. 76 Die Verwandtschaft zwischen L und deren unterschiedlichen Versionen könnte wohl den Königsweg zur alten LXX erschließen. 77
3. Übersetzung (alte LXX) 3.1 Übersetzungstechnik Die alte Textgestalt der Königtümer ist eine sehr wörtliche Übersetzung, 78 wahrscheinlich eine der wörtlichsten Übersetzungen der LXX. 79 Die Treue zur hebräischen Vorlage wird nicht nur an der Regelmäßigkeit lexikalischer Äquivalente, sondern mehr noch an der skrupulösen Beachtung der syntaktischen Satzordnung deutlich. 80 So ist der Gebrauch von Partikeln von diesem Willen bestimmt, der Anordnung der Worte im Hebräischen zu folgen: 81 Z. B. wird כיallgemein mit καί oder ὅτι und nicht mit γάρ übersetzt; ebenso wird וnormalerweise mit καί und nicht δέ wiedergegeben; man stellt auch fest, dass die Partikel δή immer נאübersetzt. Darüber hinaus enteckt man mehrere grammatikalische Charakteristika wie etwa den schwachen Gebrauch des participium coniunctivum, um der hebräischen Syntax besser zu entsprechen, 82 hingegen die große Häufigkeit des genitivus absolutus. 83 Was die Konjugation betrifft, so weist die alte Schicht (nicht-καίγε) einen häufigen Gebrauch des historischen Präsens
75.
76.
77.
78. 79.
80.
81. 82. 83.
Text hexaplarischer Art, doch er ist die Revision einer älteren Fassung (Arm 1), die ins Griechische übersetzt wurde und viele Lesarten von L teilt. Vgl. auch Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 258. Nach Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 259-261, ist die georgische Version ein hervorragender Textzeuge für L; in vielen Fällen kann sie einen antiochenischen Text bewahren, selbst wenn die Gruppe der griechischen Handschriften dem Einfluss des Mehrheitstextes ausgesetzt war. Einige Experten vertreten die Hypothese, dass diese Version eine Übersetzung der armenischen Version ist. Die koptische und äthiopische Version haben ihre Grundlage in einem Text, der B nahekommt, doch sie wurden gleichermaßen späteren Rezensionen hexaplarischer Art unterzogen. Aber sie scheinen auch protolukianische Lesarten zu enthalten. Johnson, Aramäische Bibelübersetzungen, 96: Er stellt tatsächlich Verwandtschaften zwischen L, der Vetus Latina und den armenischen, äthiopischen und koptischen Versionen fest. Desgleichen in 3–4Königtümer: Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 261-270. Siehe die gute Synthese von Meiser, M., Übersetzungstechnik, in: LXX.E I, 728-731. Vgl. Aejmelaeus, Septuagint, 124. Man muss anmerken, dass ein großer Teil der Studien zur Übersetzung B oder die Edition von Rahlfs zur Grundlage hat, was nicht immer für die alte LXX repräsentativ ist, auch wenn man die textkritischen Apparate in Betracht zieht (vgl. Aejmelaeus, Septuagint, 127-128). Vgl. Marquis, G., Word Order as a Criterion for the Evaluation of Translation Technique in the LXX and the Evaluation of Word Order Variants as Exemplified in LXX-Ezechiel, Textus 13 (1986), 59-84, vgl. insbesondere seine Tabellen auf den Seiten 64-65, die die Annahmen zu 1Samuel und 2Königtümer enthalten. Aejmelaeus, Septuagint, 128-133; Lestienne, Règnes, 42-44, mit der sehr nützlichen Tabelle auf Seite 42. Soisalon-Soininen, I., Infinitive in der Septuaginta, AASF B 132,1, Helsinki 1965, 177-178; Aejmelaeus, Septuagint, 133-134. Soisalon-Soininen, Infinitive, 178-179; Aejmelaeus, Septuagint, 135.
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3. Übersetzung (alte LXX)
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
und des Indikativs auf, während die Revisionen zur Benutzung des Aorist tendieren. 84 Das Studium der Übersetzung der Halb-Präpositionen ordnet auch die Königtümer den Büchern zu, die ihrer hebräischen Vorlage so treu wie möglich folgen. 85 Es scheint so, als würde 1Königtümer (Abschnitt α) – unabhängig von den Revisionen oder Rezensionen – diese Charakteristika in größerer Regelmäßigkeit aufweisen als die anderen Bücher. Dies hat bestimmte Autoren zur Frage veranlasst, ob dieser Abschnitt nicht aus einer anderen Hand stamme als die Übersetzung der darauf folgenden Bücher. 86 Diese Hypothese wird durch die Regelmäßigkeit der lexikalischen Äquivalente in 1Kön gestützt, die sich innerhalb der Gesamtheit der vier Bücher nicht fortsetzt. 87 Im Übrigen weist L linguistische Eigenheiten auf, die wahrscheinlich nicht aus der lukianischen Revision herrühren, sondern die möglichwerweise die alte Schicht bezeugen. Man kann einen spezifischen Gebrauch der Verbzeiten (z. B. historisches Präsens und Perfekt) 88 ebenso wie einen bestimmten Gebrauch von Artikeln und bestimmter »erläuternder« Wörter feststellen (siehe oben 2.3). 89 In der alten LXX zählt man einige Neologismen: ἐπακρόασις (1Kgt 15,22), αὐλάρχης (2Kgt 8,18), κολλυρίζω (2Kgt 13,6.8), παραζώνη (2Kgt 18,11), ἐξηλιάζω (2Kgt 21,6.9.13). 90 Andere Neologismen müssen vermutlich dem καίγε Revisor zugeteilt werden: παραβιβάζω (2Kgt 12,13; 24,10), επιστήριγμα (2Kgt 22,19), μονόζωνος (2Kgt 22,30) et ἐξέλευσις (2Kgt 15,20). 91
3.2 Übersetzung und Frage der hebräischen Vorlage bzw. Vorlagen Aus der sehr wörtlichen Weise der Übersetzung folgt, dass sie in den Fällen, in denen die älteste LXX vom MT abweicht, im Allgemeinen von einer anderen hebräischen Quelle als vom protomasoretischen Text (vgl. weiter unten, 4.) abhängt. Die Autoren, die von einer bedeutsamen interpretativen Rolle des Übersetzers ausgehen, unterschätzen tendenziell den Wert der Vorlage. 92 84. Thackeray, Septuagint, 20-22; Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 63-65; Aejmelaeus, Septuagint, 136; Voitila, Use of tenses. 85. Sollamo, R., Rendering of Hebrew Semipropositions in the Septuagint, AASF B Diss. 19, Helsinki 1979, bes. 280-289: Die Abschnitte καίγε sind klarerweise noch viel wörtlicher. 86. Vgl. Lestienne, Règnes, 44. Vgl. auch Kelly, Septuagint Translators: Er vertritt auf einer im Wesentlichen lexikografischen Grundlage die Meinung, dass man 1Sam 1,1–2Sam 3,5 und 2Sam 3,6–11,1 zwei Übersetzern derselben »Schule« zuordnen müsse (235). Muraoka, Greek Texts, nimmt an, dass man die These von den zwei Übersetzern mit der These verbinden müsse, dass einer dieser beiden Übersetzer die Revision (καίγε) vorgenommen habe. 87. Siehe die Liste der Beispiele, die zwischen 1Königtümer und 2–4Königtümer vergleicht, von Lestienne, Règnes, 44-50. 88. Aejmelaeus, Septuagint, bes. 136.138.141. 89. Kreuzer, Towards the Old Greek, 252; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen, 105-110; Kreuzer, Frühjüdisches Textverständnis, 27-28. 90. Taylor und McLean in: NETS, 246 und 272: McLean teilt einige Neologismen der καίγε Rezension zu, die in Wahrheit zur alten LXX gehören. 91. McLean in: NETS, 272. 92. Vgl. Gehman, H. S., Exegetical Methods Employed by the Greek Translator of I Samuel, JAOS 70 (1950), 292-296; Wevers, Exegetical Principles. 3. Übersetzung (alte LXX)
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
Die Problemstellung ist aber komplexer, weil die Fragmente aus Qumran (1QSam, 4QSama.b.c) die Vielfältigkeit des Samuel-Textes in der hellenistischen Zeit beweisen. Die Frage besteht darin zu wissen, inwiefern die interne Vielfalt der griechischen Überlieferung (alte LXX, L, καίγε, usw.) auf verschiedene hebräische Vorlagen zurückgeht. Der springende Punkt ist das Verhältnis zwischen 4QSama und der griechischen Überlieferung bzw. L. Muss man denken, dass 4QSama und die ursprüngliche LXX einem gleichen Texttyp gehören, 93 oder dass die Qumran-Fragmente das Muster oder die Vorlage einer proto-lukianischen Rezension der ursprünglichen LXX sind? 94 Anders gesagt: Man kann entweder zwei textliche Haupttypen vermuten, nämlich die Vorlage der ursprünglichen LXX (mit 4QSam, Josephus, Chronik und der Vetus Latina verwandt) und der proto-MT, Muster der sukzessiven Rezensionen (bes. καίγε und der hexhaplarischen Rezension), oder von drei parallelen Texttypen ausgehen: die Vorlage der LXX, 4QSama-L und der proto-MT, 95 oder eine Vielfalt von verschiedenen hebräischen Texten annehmen, die sich auf die Geschichte der griechischen Überlieferung ausgewirkt haben. Die Studie von Jong-Hoon Kim 96 vertritt eine nuancierte Auffassung einer Vielfältigkeit des biblischen Textes. Wenn er drei hebräische Haupttraditionen feststellt, 97 erkennt er bis zu fünf verschiedene Texte: die hebräische Vorlage der ursprünglichen LXX, der protomasoretische Text und die mit ihm verwandte Vorlage der καίγε Rezension, die Texttradtion aus Qumran und die mit ihr verwandte Vorlage des proto-lukianischen Textes. Die erwähnten Positionen sind allerdings nicht zwingend widersprüchlich, aber die Frage der Vorlage(n) – und der Vielfältigkeit des biblischen Textes – bedarf noch weiterer Erforschung, um – wenn möglich – eine endgültige Lösung zu finden. Eine weitere Fragestellung, die damit verknüpft ist, betrifft das genetische Verhältnis zwischen diesen Textformen. Für viele Autoren ist die Entwicklung der Textgeschichte bis zum proto-MT ein zufälliger Prozess der Vielfalt von parallelen Formen ohne erkennbare literarische Absicht. 98 Andere denken im Gegensatz dazu, dass es möglich ist, eine Chronologie zwischen den Textgestalten zu rekonstruieren, bes. zwischen der Vorlage der LXX und der proto-MT, und die literarischen bzw. theologischen Grundzüge der Umgestaltung zu identifizieren (siehe unten 4.). 99 Die Frage bleibt allerdings umstritten.
93. Cross / Parry / Saley / Ulrich, DJD XVII, 25: »The Study of the full manuscript has reinforced our early conclusion that 4QSama stands in the same general tradition as the Hebrew text upon which the Old Greek translation was based«; Ulrich, Qualitative Assessment, 161: »4QSama and the Old Greek are close members of one text tradition of Samuel, a tradition that was used by the Chronicler and by Josephus«. 94. Cross, History, 295-296. 95. Lange, 1 Samuel–2 Könige, HTTM, 244. 96. Kim, Textformen, bes. 414-416. 97. Kim nimmt an, dass diese Vielfalt auf eine einzige Vorlage (oder Urtext) zurückgeht. 98. Vgl. Ulrich, Qualitative Assessment, 159-160; Kreuzer, Zeit und Ort der Übersetzung, in: LXX. E I, 735. 99. Vgl. Schenker, Ursprung des massoretischen Textes; Hugo, Text History.
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3. Übersetzung (alte LXX)
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
3.3 Zeit und Ort der Übersetzung Wir sind recht spärlich über Zeit und Ort der Übersetzung von 1–2Königtümer unterrichtet. 100 Man muss einen terminus a quo mit der Übersetzung des Pentateuch (Anfang des 3. Jh.s v. Chr.) und einen terminus ante quem mit dem Auftauchen der Rezension καίγε (2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr.) setzen. Einige äußere Indizien ermöglichen eine etwas präzisere Datierung, denn Jesus Sirach (übersetzt zwischen 132 und 117 v. Chr. 101) scheint 1Königtümer zu zitieren, aber die Übersetzung von 2–3Königtümer nicht zu kennen. 102 Einige lexikografische Kriterien scheinen darauf hinzuweisen, dass die Übersetzung des Psalters (wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr.) die καίγε Rezension beeinflusst hat. 103 Man muss also wahrscheinlich die Übersetzung von 1–2Königtümer vor dem Beginn des 2. Jh.s v. Chr. datieren. Übrigens muss man aller Wahrscheinlichkeit nach die Übersetzung in Alexandrien verorten. 104
4. Inhalt und theologisches Profil 1–2Königtümer 105 weisen eine große Zahl von Besonderheiten im Vergleich zum MT auf. 106 Die Mehrzahl der jüngsten Forschungen vertreten diesbezüglich die Meinung, dass sie im Allgemeinen auf der Ebene der hebräischen Vorlage (vgl. weiter oben 3.2) anzusiedeln sind. 107 Wenn auch einige dieser Besonderheiten auf Fehler bei der handschriftlichen Überlieferung zurückzuführen sind, so ist ein guter Teil von ihnen bewusste Veränderung des literarischen und theologischen Gehalts der Erzählung. 108 Ein erster Erzählabschnitt, der wegen seiner Unterschiede zum MT berühmt ist, ist die Erzählung von Hanna in 1Kgt 1–2, für die 4QSama gleichfalls eine andere Textgestalt bietet. Das von Hanna entworfene Bild, ihre Einbeziehung in den Kult, ihre prophetischen Züge und ihr Gelübde an den Herrn, die mehr oder weniger aktive Rolle, die ihr Mann Elkana in der Erzählung spielt, und das Urteil gegen den Sohn Elis 100. Vgl. die hervorragende Zusammenfassung von Dorival, L’achèvement de la Septante, in: Harl / Dorival / Munnich, Bible grecque, 83-125; siehe auch die Synthese von Kreuzer, Zeit und Ort der Übersetzung, in: LXX.E I, 735. 101. Dorival, L’achèvement, 88. 102. Caird, Ben Sira, 100. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Übersetzungen nicht existierten. In der Tat kannte Eupolemos, der zur selben Zeit lebte, 3Kgt, das er in seinem Werk »Über die Könige Judas« mit 2Paralipomena zu harmonisieren versuchte (vgl. Dorival, L’achèvement, 90). 103. Munnich, O., Etude lexicographique du Psautier des Septante, Diss., Paris-Sorbonne 1982, 465469; vgl. Munnich, Première révision de la Septante, 200-205. 104. Vgl. Thackeray, Septuagint, 9-28. 105. Wir sprechen hier immer von der ältesten Gestalt. 106. Siehe dazu die gute Synthese von Meiser, in: LXX.E I: Differenzen in Umfang und Anordnung, 719-721, und Differenzen im Wortlaut, 721-726. 107. Zu 1Kgt vgl. die Zusammenfassung von Lestienne, Règnes, 51-69; vgl. auch Bogaert, Septante, 594-596; Munnich, Le texte de la LXX, in: Harl / Dorival / Munnich, Bible grecque, 175-176. 108. Vgl. Hugo, Text History, 7-13. Eine Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze hinsichtlich der Besonderheiten der verschiedenen Textüberlieferungen bieten die Beiträge in: Hugo / Schenker, Archaeology. 4. Inhalt und theologisches Profil
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
sind auf unterschiedliche Weise formuliert. Die drei Textzeugen (mit 4QSama) stünden für drei Editionen der Erzählung, die nach und nach ihre gemeinsame Quelle verändert hätten. 109 Die Geschichte von David und Goliat (1Kgt 17–18) hat die Aufmerksamkeit der Forschung ebenfalls auf sich gezogen, denn der MT bietet einen um etwa 45 % längeren Text im Vergleich zur alten LXX 110, ganz abgesehen von den Variationen in den gmeinsamen Erzählteilen. Die Frage, die sich stellt, ist, ob die LXX eine verkürzte Version bietet, die einige Spannungen oder Wiederholungen vermeidet (Barthélemy, Gooding, van der Kooij, Pisano 1), oder ob der MT die Kombination zweier vorher existierender Erzählungen darstellt (Hendel, Lust, Pisano 2, Tov, Trebolle), oder aber ob die masoretische Textgestalt das Ergebnis einer literarischen Entwicklung ist, die von der kurzen Version ihren Ausgang nahm (Auld / Ho, Auld). 111 Wie dem auch sei: Die beiden Textvarianten weisen jeweils besondere Züge auf, was das Bild Davids als jungen Hirten und tapferen Krieger, das Bild Sauls und die Konfrontation beider betrifft. Neben diesen beiden berühmten Erzählabschnitten weist die LXX eine große Zahl von einzelnen Varianten, Plus, Minus, und Doubletten, auf. Insgesamt sind 1–2Königtümer ein längerer Text als der MT, doch Letzterer enthält auch Elemente, die in der LXX fehlen. Es stellt sich die Frage nach der Identifikation des Ursprungs dieser Unterschiede. Einige vertreten die Meinung, dass der MT, teilweise verdorben, viele Haplographien erfahren hat, 112 während andere annehmen, dass die Vorlage der LXX (oder in Einzelfällen der Übersetzer) eher die Tendenz hatte, zu erläutern, zu harmonisieren und Schwieirgkeiten ihres Quellentextes zu unterdrücken. 113 Bei den in 1–2Königtümer enthaltenen Plus stellt man viele Doubletten fest. Entweder ist deren Ursprung das Ergebnis von Revisionen und Rezensionen (z. B. in L), die die alte LXX der revidierten Lesart des MT gegenüberstellen, oder sie gehören bereits der alten LXX, ja bereits deren hebräischem Substrat an. 114 All diese Phänomene (Hinzufügungen, Auslassungen, Harmonisierungen oder Fehler) können wechselseitig für die LXX oder für den MT belegt werden, und es ist eine Analyse jedes einzelnen Falles nötig, um die Geschichte des Textes zu rekonstruieren. Dennoch tendiert in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Richtung der Forschung dazu, dass eine große Zahl der Unterschiede zwischen dem MT und der hebräischen Quelle der LXX willentlich herbeigeführt ist und dass sie ein literarisches und theologisches Vorhaben zum Ausdruck bringen. Die Texte 1Sam 1–2 und 17–18 wären demnach keine isolierten Fälle einer 109. Vgl. Hutzli, Erzählung von Hanna; Tov, Different Editions; Walters, Hanna. Was 4QSama betrifft, vgl. die Beiträge von Aejmelaeus und Parry in: Hugo / Schenker, Archaeology. 110. Die in der Kurzform fehlenden Verse sind: 1Sam 17,12-31.41.50.55-58 und 18,1-5.10-11.17-19.30. 111. Auld / Ho, The Making; Auld, Story of David and Goliath; Barthélemy / Gooding / Lust / Tov, David and Goliath; Pisano, Additions or Omissions, 78-86; Pisano, Alcune osservazioni; Hendel Plural Texts; van der Kooij, David and Goliath; Trebolle, David and Goliath. 112. Gordon, R. P., The Problem of Haplography in 1 and 2 Samuel, in: G. J. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings, SBLSCS 33, Atlanta/GA 1992, 131-158. 113. Barthélemy, La qualité du Texte; Pisano, Additions or Omissions, 284-285. 114. Vgl. Barthélemy, Les problèmes textuels, 221-223; Brock Recensions, 158-166; Lestienne, Règnes, 53-57; Pisano, Additions or Omissions, 119-156. Kim, Textformen, bietet einige Beispiele unterschiedlicher Art; siehe auch die verschiedenen Beiträge von Kreuzer.
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4. Inhalt und theologisches Profil
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
doppelten Tradition oder Edition. Diese Problematik zeigt, dass die Besonderheiten der Vorlage der LXX und des protomasoretischen Textes an der Schnittstelle zwischen Literargeschichte (Komposition) und Textgeschichte (Transmission) der Samuelbücher anzusiedeln sind. Ein erstes Indiz für unterschiedliche Editions-Vorhaben kommt mit den Unterschieden in der Einteilung von Perikopen und Abschnitten zum Vorschein, z. B. mit dem Ende von 2Königtümer gemäß L nach dem Tod Davids (3Kgt 2,11), das dem Ende der Revision καίγε entspricht, oder mit der Verbindungen zwischen den Perikopen in 1Kgt 1–4. 115 Dann scheint die LXX in der Erzählung von der Bundeslade (2Sam 6) eine ältere literarische Form zu bieten (die teilweise mit 1Chr 13 übereinstimmt), und der MT eine editoriale Revision. 116 Im Gesamttext des Buches stellt man auch bedeutende Unterschiede im Bild, das von David gezeichnet wird, fest: In vielen Fällen scheint der MT eine ideologische Korrektur zugunsten des Königs zu bezeugen. 117 Schließlich taucht ein letztes Bündel von wichtigen Unterschieden im Zusammenhang der religiösen Thematik des Monotheismus, der Kultpraktiken und der zentralen Rolle des Tempels auf: Wenn man hier vielleicht auch punktuelle Korrekturen vonseiten der LXX erkennt, 118 so scheinen umfangreiche theologische Revisionen den protomasoretischen Text zu betreffen. 119 Abschließend lässt sich sagen, dass gemäß dieser Forschungsströmung 1–2Königtümer wahrscheinlich in vieler Hinsicht den Zugang zu einer älteren literarischen Gestalt als der protomasoretische Text von 1–2Samuel erschließen.
5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte 120 Die textliche Vielgestaltigkeit der Samuelbücher um die Zeitenwende spiegelt sich auch in der Rezeption der Bücher. Dabei ist es nicht immer leicht, die genaue Textgestalt zu bestimmen, derer sich die antiken jüdischen Autoren bedienten. Die Antiquitates Biblicarum 121 in denen die biblische Geschichte von der Genesis bis zum Ende von 1Sam berichtet wird, sind ein im 1. Jh. v. Chr. auf Hebräisch verfasstes Werk, das gegen Ende des 1. Jh.s ins Griechische übersetzt wurde, das aber nur in der lateinischen Version des 2. oder 3. Jh.s n. Chr. erhalten ist. 122 In seiner dem Inhalt von 1Sam entsprechenden Darstellung bezeugt das Buch einen Text, der der
115. Trebolle, Samuel/King, bes. 99-100; Trebolle, Textual Criticism. 116. Rezetko, Source and Revision. Siehe auch Hugo, Septuaginta; Hutzli, Theologische Textänderungen, 230-234. 117. Hugo, Retour; Hugo, Abner; Hugo, The King’s Return; Hugo, Dreißig Jahre war David alt; Hugo, Unique Messiah; Hutzli, Mögliche Retuschen; Lust, David; Schenker, Die Verheissung Natans; Walters, Childless. 118. Hutzli, Theologische Textänderungen; Schniedewind, Textual Criticism. 119. Hugo, L’archéologie textuelle; Hutzli, Theologische Textänderungen; Lust, David; Schenker, Die Verheissung Natans; Schenker, Textverderbnis. 120. Siehe die Synthese von Meiser, Hinweise zur Rezeptionsgeschichte, in: LXX.E I, 735-737. 121. Pseudo-Philon, Antiquitates Biblicarum. 122. Harrington, The Biblical Text of Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum. 5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
hebräischen Vorlage von 1Kgt entspricht; die griech. Übersetzung scheint dagegen Kennzeichen der καίγε-Théodotion-Tradition zu enthalten. 123 Die Frage der biblischen Quellen betrifft besonders die Werke des Historikers Flavius Josephus (37–ca. 100). In den Büchern VI und VII der Antiquitates, die den Inhalt von 1–2Samuel wiedergeben, bezeugt Josephus häufig Lesarten die in der Septuaginta (besonders L bzw. Ant), in 4QSama, in der Chronik und selbst in den Antiquitates Biblicarum vorkommen. Während bereits A. Mez 124 und H. St. J. Thackeray 125 der Meinung waren, dass die wichtigste – wenn auch nicht einzige – Quelle des Josephus der antiochenische (bzw. L-) Text war, vertrat Ulrich 126 die Meinung, dass Josephus »continuously and predominantly« einen griechischen – und keinen hebräischen Text – verwendete, und zwar vom gleichen Texttyp wie 4QSama, d. h. einen protolukianischen Text. 127 In umgekehrtem Sinn vertrat E. Nodet in jüngster Zeit die erstaunliche – und aleine schon aus chronologischen Gründen wenig wahrscheinliche – These, dass der Bericht des Josephus die erste griechische Version von 1–2Sam gewesen sei (auf Basis eines offfiziellen hebräischen Textes, der 4QSama nahe stand) und dass dieser Text damit älter als die Septuagintaübersetzung von 1–2Kgt sei. 128 Demgegenüber ist es wahrscheinlicher, 129 dass Josephus verschiedene Quellen zur Verfügung hatte und verwendete (mehrere hebräische Texte – der proto-MT, die Vorlage der LXX oder einen Text, der 4QSama nahe stand –, die alte griechische Übersetzung und die aramäische Targumtradition). Das Neue Testament macht (gegenüber Pentateuch, Psalmen und Propheten) von 1–2Kgt wenig Gebrauch. Neben einigen Anspielungen, die nicht immer leicht zu identifizieren sind, gibt es einige klare Zitate: Z. B. bei der Rede des Paulus in Antiochien, wo er an die Anfänge des Königtums (Apg 13,21) und an die Erwählung Davids (V. 22) erinnert. Der Autor der Apg zitiert dabei explizit 1Kgt 13,14 in Verbindung mit Ps 89,21. Im folgenden V. 23, wo es um die Abstammung Davids geht, aus der auch Jesus, der Retter Israels, hervorgehen wird, nimmt Bezug auf 2Kgt 7,12 und 22,51. Die Fortsetzung über die göttliche Erwählung des Sohnes Davids in 2Kgt 7,14 wird in Hebr 1,5 zitiert, und in Offb 21,7 in allgemeiner Hinsicht für jene, die »überwinden«. In Röm 15,9 zitiert Paulus im Rahmen der Ermahnung zur wechselseitigen Annahme den Lopreis von 2Kgt 22,50 (oder Ps 18[17],49). Die patristische Tradition rezipierte 1–2Kgt in Kommentaren, Homilien und theologischen Abhandlungen. Neben Hanna, Samuel oder Nathan findet vor allem David großes Echo bei den Kirchenvätern, die die Gestalt Davids als Typos für Christus ent-
123. Bogaert, P.-M., Luc et les Écritures dans l’Évangile de l’enfance à la lumière des Antiquités bibliques, in: C. M. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 243-270, bes. 247-248. 124. Mez, Die Bibel des Josephus. 125. Vgl. BML, ix. 126. Ulrich, Qumran Text; Ulrich, Josephus’ Biblical Text for the Books of Samuel. 127. Ulrich, in der Nachfolge von Cross, nimmt an, dass der protolukianische Text eine Rezension der alten Septuaginta ist die dem hebr. Texttyp von 4QSama folgt; siehe dazu oben 2.3 und 3.2. 128. Nodet, Josephus and the Books of Samuel. 129. Vgl. Brock, Recensions, 210; Feldman, Josephus’s Interpretation, 32-34.
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5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
wickeln. 130 Jenseits punktueller Bezugnahmen, die sich in der ganzen patristischen Literatur finden, gibt es eine Reihe von Werken, die bestimmte Passagen unserer Bücher aufgreifen. Hippolyt von Rom (170–235) ist der Autor einer Abhandlung über David und Goliath, die jedoch nur in einigen armenischen Fragmenten sowie in einer georgischen Fassung erhalten ist. 131 David, der Priester, Prophet und König ist, erscheint hier als Präfiguration Christi in seinem Sieg über das Böse (Goliath). Von Origenes (185–253/4) kennt man mehrere Homilien über Texte aus dem Samuelbuch. 132 Eine davon, die Erzählung von Anna in 1Kgt 1–2 ist nur in lateinisch erhalten, und eine andere, berühmtere, nämlich die über die Totenbeschwörerin von Endor (1Kgt 28,225) ist die einzige griechische, die vollständig erhalten ist. Dieser biblische Text, der die Frage nach Magie, Dämonen und Prophetie sowie nach dem Schicksal der Seelen der Verstorbenen in der Zeit vor Jesus Christus stellt, hat eine gewisse Bekanntheit in der patristischen Literatur erreicht, 133 nicht zuletzt auch, weil die Position des Origenes von Eustatius von Antiochia (Ende 3. Jh. bis 338) und Gregor von Nyssa (ca. 331/340– ca. 395) bestritten wurde. 134 Von Johannes Chrysostomus (344/349/354–407), gibt es drei Homilien über David und Saul 135 und fünf Homilien über Anna (PG 54,675-708). Diese Homilien sind Aufforderungen, dem tugendhaften und tüchtigen Leben dieser biblischen Personen nachzueifern. Theodor von Mopsuestia (ca. 352–428) schrieb einen Kommentar über Samuel, den man für ganz verloren hielt bevor dann doch einige Fragmente in den Katenen identifiziert wurden. 136 Einer anderen Art von Kommentar begegnet man in den Quaestiones in Reges et Paralipomena des Theodoret von Cyrrhus (ca. 393–ca. 460), 137 weil es sich um eine Abhandlung in Form von Fragen und Antworten zu einer Auswahl von schwierigen Stellen handelt, wobei sowohl textliche Fragen als auch wörtliche, allegorische und typologische Auslegung erörtert werden. Weil dabei der biblische Text in Form des antiochenischen Textes zitiert wird, handelt es sich um eine sehr wichtige Quelle für die Textgeschichte der Königtümer. Mit dem 6. Jh. setzt eine neue Art der Schriftauslegung ein, nämlich in Form der Zusammenstellung ausgewählter Zitate der Väter, die in Reihenfolge des biblischen Textes Vers für Vers zusammengestellt werden und die man als Katenen bezeichnet. In den Katenen zu den Königtümern finden sich die Fragmente zahlreicher Kommentare durch die Kirchenschriftsteller wie etwa Diodoros von Tarsos (330–393/394), Theodor von Mopsuestia (ca. 352–428) oder Severus von Antiochia (ca. 465–538). 138 130. Vgl. Meloni, P., David, in: A. Di Bernardino (Hg.), Encyclopedia of the Early Church, Vol. 1, Cambridge 1992, 220-221. 131. Garitte, Traités d’Hippolyte, CSCO 263-264. 132. Origenes, Homélien sur Samuel, SC 328. 133. Ähnlich in der rabbinischen Literatur und bei mehreren christlichen Autoren wie Justin, Tertullian, Ambrosius, Augustin und andere; siehe Smelik, K. A. D., The Witch of Endor. I Samuel 28 in Rabbinic and Christian Exegesis Till 800 A.D., Vigiliae Christianae 33 (1977), 160-179. 134. Vgl. Origene, Eustazio, Gregorio di Nissa, La Maga di Endor, hg. v. Simonetti. 135. Iohannis Chrysostomi, CCSG 70. 136. Vgl. Petit, Autour de Théodoret de Cyr, xix. 137. Theodoreti Cyrensis, Quaestiones in Reges et Paralipomena hg. v. Fernández Marcos / Busto Saiz. 138. Devresse, Les anciens commentateurs grecs; Petit, Autour de Théodoret de Cyr; Petit /van Rompay, Sévère d’Antioche. 5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte
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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
Auch die lateinischen Väter bezeugen – über Vermittlung der Vetus Latina 139 – die Rezeption der Bücher der Königtümer. Ambrosius (340–397) ist der Autor einer Apologie für David, 140 die im Wesentlichen ein Kommentar von Ps 50LXX ist. Der Bischof von Mailand bemüht sich, die Sünde des Königs zu entschuldigen, indem er sein Buße (2Kgt 11–12) unterstreicht und aus der Geschichte ein Beispiel über die Erlangung des Heils in Jesus Christus macht. Augustinus (354–430) zitiert die Bücher der Königtümer vor allem in den Büchern XVII und XVIII des Gottesstaates. 141 In der syrischen Tradition ist das Buch über Samuel des Jakob von Edessa (ca. 633– 708) 142 zugleich ein interessanter Zeuge für den Einfluss des Textes der (griechischen) Königtümer: Es basiert zwar auf dem Text der Peschitta, Jakob führt aber zugleich viele Varianten der Septuaginta, insbesondere nach dem antiochenischen Text, ein und präsentiert auch einen leicht hexaplarischen Einfluss, der direkt aus der griechischen Tradition oder aus der Syro-Hexapla kommt. 143 Er ist damit zugleich ein Zeuge des Eklektizismus, der für die (weitere) Überlieferung der griechischen Bibel typisch ist.
6. Perspektiven der Forschung Die Bücher der Königtümer haben noch nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. Bedeutende Forschungen sind insbesondere über die literarischen und theologischen Besonderheiten ihrer hebräischen Quelle im Vergleich zum protomasoretischen Text zu erwarten. Diese Forschungen an der Schnittstelle von Literar- und Textgeschichte sind in der Lage, unsere Kenntnisse der ältesten Geschichte des Textes der hebräischen Bibel tiefgehend zu erneuern. Sie könnten dazu beitragen, ein neues Licht auf die endgültige kanonische Gestalt der Samuelbücher – den protomasoretischen Text –, auf die Durchsetzung dieses Textes in seinem historisch-theologischen Kontext sowie auf die Verbindungslinien zwischen den innerbiblischen literarischen Bearbeitungen und der außerbiblischen Literatur der Zeit des Zweiten Tempels zu werfen. Der Vergleich mit dem MT kann nur auf der Grundlage der kritischen Rekonstruktion der ältesten LXX der Königtümer erfolgen. Im Hinblick auf eine künftige kritische Edition sind noch Studien in diesem Bereich erforderlich. Man kann auf Forschungen über die Besonderheiten des antiochenischen Textes, über die Revisionen, die er bezeugt, und vor allem über die Identifikation seiner alten Quelle hoffen. Ebenso sind die Beziehungen von L zu 4QSama nicht geklärt: Handelt es sich um die alte LXX, um eine Rezension oder um andere Phänomene? Der Beitrag der Tochterübersetzungen zur Wiederherstellung des Originals ist ebenfalls verheißungsvoll. Schließlich verlangt der gesamte Prozess aufeinanderfolgender Rezensionen ebenfalls 139. Vgl. Bogaert, Les bibles d’Augustin, 513-531. 140. Ambroise de Milan, Apologie de David, SC 239. 141. Augustin, Cité de Dieu. Livres XV-XVIII. Vgl. La Bannardière, A.-M., Les livres de Samuel et des Rois, les livres des Chroniques et d’Esdras dans l’œuvre de saint Augustin, Études Augustiniennes 2 (1956), 335-364. 142. Salvesen, The books of Samuel in the Syriac version of Jacob of Edessa. 143. Vgl. Saley, The Samuel Manuscript of Jacob of Edessa.
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6. Perspektiven der Forschung
2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel
nach einer Vertiefung, ob es sich nun um die ersten (vorhexaplarischen und vor-καίγε) oder um spätere Harmonisierungen handelt. Schließlich: Während die linguistischen Besonderheiten der Revision καίγε bereits gut bearbeitet worden sind, wurde bis heute noch keine systematische Studie zur Übersetzungstechnik der ältesten Schicht unternommen.
6. Perspektiven der Forschung
231
2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige Martin Meiser
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2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
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1. Literatur
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
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2. Textüberlieferung und Editionen Neueren Forschungen zufolge repräsentiert häufig der antiochenische Text (= Ant) den ältesten erreichbaren griechischen Text (Kreuzer, Old Greek, 252), gefolgt von der Fassung des Vaticanus, die in den nicht-kaige-Abschnitten, also in 3Kgt 2,12–21,43 den prähexaplarischen Text widerspiegelt, während die Textfassung des Codex Alexandrinus in den Königebüchern oft bereits von hexaplarischen Lesarten beeinflusst ist (letzteres bereits Šanda, Könige, XIII). Die Wiederentdeckung des hohen Alters vieler antiochenischer Lesarten greift ältere Einsichten (Wellhausen, J., Der Text der Bücher Samuelis, Göttingen 1871, 221-224; Driver, S. R., Notes on the Hebrew Text of the Books of Samuel, Edinburgh 19132, xxx-xxxi) auf, die durch den Einfluss der Septuagintastudien von Alfred Rahlfs an den Rand gedrängt waren (Kreuzer, Old Greek, 241 f.; Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Versions, 251 f.). Josephus (Mez, Josephus, passim; Spottorno, Josephus’ Text, passim) und die Vetus Latina (Fischer, Lukianlesarten) bezeugen die vorhexaplarische Präsenz vieler Lesarten des antiochenischen Textes. 1 Da die Vetus Latina aber nicht durchgehend dieser Texttradition folgt, kann sie nicht generell zu dessen Rekonstruktion herangezogen werden (Kraus, Hebraisms, 488 Fn. 10); auch ist sie keine unmittelbare Übersetzung einer hebräischen Vorlage (Fernández Marcos, Scribes, 84-87). Neuerdings werden auch die armenische sowie die georgische Version stärker beachtet, die gerade in den kaige-Abschnitten oft mit protolukianischen Lesarten koinzidieren (vgl. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Versions, 260-270), ebenso die gotische Übersetzung (Sigismund, passim). Der antiochenische Text ist in der Ausgabe von Natalio Fernández Marcos und José Ramon Busto Saiz (Fernández Marcos / Busto Saiz, Texto Antioqeno) erschlossen, der Codex Vaticanus in der Ausgabe von Aland E. Brooke / Norman McLean (BML, 1906-1940); Alfred Rahlfs folgt ihm in der Handausgabe (= Ra) weithin, wenn auch nicht durchgehend (Mulder, 1 Kings, 4). Im dritten Buch der Königtümer divergieren MT und Ra an mehreren Stellen 1.
Die Beobachtung, dass die Samueltexte von Qumran, insbesondere 4QSama, häufig den Lesarten des antiochenischen Textes entsprechen, widerlegt die durch Rahlfs, Lucians Text, vertretene Abwertung dieser Textzeugen und bestätigt das hohe Alter dieser Textform. Entsprechendes kann man für die Königebücher annehmen, auch wenn hier die Qumrantexte sehr fragmentarisch sind. 2. Textüberlieferung und Editionen
235
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
hinsichtlich der Textfolge; auch lassen beide Textformen größere Abschnitte erkennen, die im Hinblick auf ihre Gesamtkomposition als Sondergut gelten müssen. Divergenzen der Textfolge betreffen vor allem die Stellung des Berichtes über den Palastbau Salomos 1Kön 7,1-12 MT inmitten (MT) oder am Ende (LXX; Josephus) des Tempelbauberichtes (in 2Chr 2 fehlt ein Palastbaubericht völlig) sowie die Stellung von 1Kön 20 und 21 (sie erscheinen in LXX in umgekehrter Reihenfolge). Der Tempelweihspruch 8,12 f. ist in der LXX nach dem Tempelweihgebet eingeordnet (8,53). Zu 1Kön 9,15-25 MT finden sich im griechischen Text, zu 3Kgt 2,35a-o; 2,46a-l; 3Kgt 12,24az (»Miscellanies«) im hebräischen teilweise an anderen Stellen Parallelen, während andere Motive jener Texte in der Parallelversion unberücksichtigt bleiben. Umstellungen sind ferner in den Abschnitten 1Kön 4,20–5,9 und 1Kön 11,1-8 festzustellen. Nach 16,28 wird in LXX 1Kön 22,41-51 MT vorausgenommen, ohne dass die LXX den Text an dieser Stelle insgesamt auslässt; es fehlen nur V. 47-50. Doch auch im MT finden sich Texte, die in LXX nicht geboten werden, so vor allem 1Kön 6,11-14.17b.18.21a.22b-d.37 f. und 1Kön 11,38b.39. Unterschiedlich wird die Geschichte der Textkomposition rekonstruiert. Einem Teil der Forschung zufolge ist die älteste Anordnung diejenige des MT; unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob die Textumstellungen bereits im hebräischen (Tov, Miscellanies, 568; Talshir, Alternate Tradition, passim) oder erst im griechischen Traditionsbereich (Wevers, Principles; van Keulen, Two versions, 303) erfolgt ist. Einem anderen Teil der Forschung zufolge liegt die älteste Anordnung in der hebräischen Vorlage der Septuaginta vor (Trebolle Barrera, Redaction, passim; Polak, Solomon’s Reign, 141-143; Schenker, Älteste Textgeschichte, passim). Auld, Kings, passim, erklärt die Divergenzen zwischen 1Kön / 3Kgt und Chronik durch die Annahme eines vorausliegenden Textes, der das allen drei Büchern gemeinsame Material enthalten habe und in jedem der drei Bücher in hellenistischer Zeit sukzessiv ergänzt worden sei. Turkanik, Kings, 7 f., zufolge lässt sich zwischen der Aktivität des Übersetzers und redaktionellen Prozessen in der Vorlage nicht wirklich unterscheiden. Zu den Texten im Einzelnen: Die Sondergutpassagen haben wohl eine hebräische Vorlage (s. u.). Bei 4,20–5,8 rechnen Montgomery-Gehman, Kings, 126 f.; Noth, Könige, 61, van Keulen, Two versions, 85 mit der Ursprünglichkeit des MT, während Gray, I & II Kings, 140, die Ursprünglichkeit des LXX-Textes erwägt (weitere Vertreter bei van Keulen, Two versions, 84, Fn. 4). Für die ursprüngliche Stellung des Palastbauberichtes an der in MT sichtbaren Stelle votieren Noth, Könige, 145; Gray, I & II Kings, 158 f.; van Keulen, Two versions, 142, während Mulder, 1 Kings, 285, mit dem Umlauf mehrerer, unterschiedlich strukturierter Erzählungen rechnet. 1Kön 9,15-25 MT ist in der LXX auf verschiedene Stellen verteilt, vgl. 3Kgt 2,35r-k; 2,46d; 5,14b; 9,9a und 10,22a-c. Nach Polak, Solomon’s Reign, 161, ist die MT-Anordnung sekundär; sie soll wohl Salomo als nicht in allem von Hiram abhängig erscheinen lassen. Als spätere Ergänzungen gelten zumeist 3Kgt 16,28a-h sowie 3Kgt 12,24a-z (für Letzteres vgl. z. B. Talshir, Alternative Story, passim, anders Schenker, Jérobeam et la division, 171 sowie Schenker, Jeroboam and the Division, 214-257; siehe jetzt auch Ueberschaer, Gründungsmythos). Über die ursprüngliche Anordnung von 1Kön 20–21 hat sich kein Konsens gebildet (zur Forschungslage vgl. Schenker, Älteste Textgeschichte, 86 f., der mit einer Umstellung im MT rechnet). Die im MT, aber nicht in LXX gebotenen Texte 1Kön 6,11-14; 11,28b.39 gelten häu236
2. Textüberlieferung und Editionen
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
fig als sekundär vgl. Polak, Solomon’s Reign, 145, für 6,11-14; Würthwein, 1. Könige 1-16, 140 mit Anm. 4 und Mulder, 1 Kings, 597, für 11,38.39b. Für die Differenz der chronologischen Systeme über lange Strecken hinweg hat sich bisher noch keine Erklärung als konsensfähig erwiesen.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzung von 3Kgt ist an der Ausgangssprache orientiert; auch die Sondergutstücke 3Kgt 2,35a-o; 2,46a-k; 12,24a-z werden daher zumeist als Übersetzungen aus dem Hebräischen beurteilt (Krautwurst, Studien, 311 f.; Talshir, Nature of the Edition, 257267; Tov, Miscellanies, 568, Polak, Solomon’s Reign, 145; anders nur Gooding, Miscellanies, 111). Typisch ist der parataktische Stil: δέ findet sich nur selten (3Kgt 9,6Ant+Ra; 3Kgt 2,13; 12,11Ra gegen 3Kgt 1,2; 12,11Ant καί), ebenso selten ist der Genitivus absolutus (3Kgt 12,6; 14,20Ant = 13,20Ra (man beachte aber die Fortsetzung in 13,20 mit καί als Beginn der Apodosis!); immerhin steht ἕκαστος 4,21 f.Ant = 5,1Ra (2x); 8,66Ant+Ra (ohne Pendent im MT); 22,36Ant+Ra für איש, wo in anderen Teilen (d. h. in den kaige-Abschnitten) von 1–4Kgt ἀνήρ steht. Die Apodosis wird mit καί eingeleitet nach einem Fragesatz 3Kgt 22,20Ant+Ra, nach einem Imperativ 17,10Ant+Ra, nach einem Konditionalsatz 3,14Ant+Ra; 8,39Ant+Ra; 9,5.7Ant+Ra; typisch sind auch die Konstruktionen ἐν ᾧ αὐτὸς ἐκεῖ 17,19Ant+Ra und ἐν τῷ ταφῷ τούτῳ, οὗ ὁ ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ τέθαπται ἐν αὐτῷ 3Kgt 14,31Ant = 13,31Ra (vgl. 3Kgt 14,9Ant = 13,17Ra); typisch ist die wörtliche Wiedergabe hebräischer Idiomatik: die Wendungen ἐν ἐμοί 3,17.26Ant+Ra, υἱὸς … ἐτῶν in 3Kgt 12,26; 13,3Ant = 3Kgt 12,24a.hRa; 3Kgt 14,35Ant = 3Kgt 14,21Ra und δώσω ὑετὸν ἐπὶ πρόσωπον τῆς γῆς 18,1Ant+Ra sind dem Hebräischen nachgebildet; εἰ dient als Einleitung eines Schwursatzes 17,1Ant+Ra; λαμβάνειν hat in 3Kgt 3,24Ant+Ra Anteil am erweiterten Bedeutungsumfang von ;לקחhäufiger noch begegnet χεῖρ wie ידin der Wendung ἐν χειρί für »durch«, so in 1,14Ant = 2,25Ra; 8,56Ant+Ra; 16,1Ra.7Ant+Ra; 17,16Ant+Ra; 20(21),28Ant+Ra. Transkriptionen finden sich im Bereich der Baubeschreibung für den Tempel und den Königspalast, aber auch darüber hinaus, nämlich σαταν 11,14Ant+Ra als persönlichen Widersacher (nicht als Teufel) – auch die Übersetzung ἐπίβουλος ist bekannt, vgl. 5,7Ant = 5,18Ra – und die Pflanzensorte ῥαθμ in 3Kgt 19,4Ant+Ra. Gelegentlich finden sich in Ant stilistisch bessere Sätze, die in Ra an MT angeglichen sind; so wird 3Kgt 12,6Ant ἵνα durch 3Kgt 12,6Ra καί ersetzt, ebenso in 11,34; statt 3Kgt 22,10Ant ἕκαστος steht in 3Kgt 22,10Ra ἀνὴρ (typisches Kennzeichen der kaige-Rezension). Zeit und Ort der Übersetzung lassen sich nicht genau festlegen. Die Datierung ins 2. vorchristliche Jh. ist dadurch bedingt, dass im 3. Jh. v. Chr. zuerst der Pentateuch übersetzt wurde, während die übrigen Bücher erst später folgten. Ob sich die Spätdatierung von 3Kgt 12,24a-z in die Zeit des Alexander Jannäus durch Sweeney, Reassessment, passim, durchsetzen wird, bleibt abzuwarten, aber auch Frühdatierungen dieses Textes (Debus, Sünde Jerobeams, 90) haben Kritik erfahren (Talshir, Alternate Tradition, passim). Auch zur Lokalisierung der Übersetzung ergeben sich keine Evidenzen aus dem Text. Die für LXX bisher geltend gemachten Ägyptizismen sind meist im Pentateuch anzutreffen, so dass die Frage für den Ort der Übersetzung für die Septuaginta-Bücher 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
237
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
jenseits des Pentateuchs jeweils gesondert gestellt werden muss (Tov, Reflections, 715). Immerhin ist in 3Kgt 21,11 statt des wohl hebräischen Sprichwortes »Wer die Rüstung anlegt, soll sich noch nicht des Sieges rühmen« ein vielleicht in Ägypten geläufiges Sprichwort aufgenommen: »Der Bucklige rühme sich nicht wie der Aufrechte« (Bösenecker / Kreuzer, 3Kgt, LXX.D 418), wie auch für 4Kgt Ägyptizismen festzustellen sind.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Das Griechisch von 3Kgt ist ein Koine-Griechisch mit gelegentlichen Vulgarismen (ἀνάμεσον in 5,15Ant; 15,7.16.19; 18,42; 22,1.34Ant; ἀνὰ μέσον in 5,26Ra etc.; μεταξύ begegnet erst in den von Origenes aus dem Hebräischen ergänzten und mit Asterikos versehenen Zusätzen 15,6 [2x].32 [2x]). Hinweise auf diesen Koine-Charakter sind der neue Akk. Pl. νήες statt ναῦς in 3Kgt 22,49 (wird nur von LXXA geboten), die Bevorzugung der Dreiendigkeit von Adjektiven bei φρόνιμος 3Kgt 3,12Ant+Ra (Helbing, Grammatik, 57), ferner gewisse Besonderheiten der Konjugation: δεδώκειν steht statt ἐδεδώκειν als Plusquamperfekt in 3Kgt 10,13Ra (Helbing, Grammatik, 70); ἀνέκραξα ist Beispiel für den vordringenden sigmatischen Aorist in 3Kgt 13,27Ant = 12,24tRa; 22,32 (Helbing, Grammatik, 90). μηθείς 18,40Ra bzw. οὐθέν 18,43Ant+Ra sind die jüngeren Formen gegenüber μηδείς bzw. οὐδέν (3Kgt 18,40Ant: μηδείς). Gelegentlich werden in Ant noch die klassischen, in Ra bereits die koine-griechischen Formen verwendet (so begegnen in 3Kgt 3,6; 8,23Ant der alte Akkusativ ἔλεον μέγαν, in 3Kgt 3,6; 8,23Ra der koine-griechische Akkusativ ἔλεος μέγα [weitere Beispiele bei Helbing, Grammatik, 78.95]), aber die Tendenz ist nicht einlinig: so begegnen der alte Imperativ ἀνάστηθι 13,2.4Ant = 12,24g.hRa; 17,9Ant+Ra; 19,5Ant+Ra 19,7Ant neben dem neuen Imperativ ἀνάστα 19,7Ra; 20,15Ant+Ra (Helbing, Grammatik, 104). Rückschlüsse auf sprachliche Veränderungen lassen sich aber kaum ziehen; alte Schreibweisen können sich auch attizistischen Gewohnheiten späterer Schreiber verdanken.
4.2 Inhaltliches Profil Angesichts der unentschiedenen Prioritätsfragen ist mit Verschiebungen sowohl vom MT zur (hebräischen Vorlage der) LXX als auch in umgekehrter Richtung zu rechnen. Zunächst seien Beispiele im ersten Sinne angeführt; die meisten davon sind bereits im hebräischen Traditionsbereich denkbar: In manchen Zusätzen wird das angesprochene (3Kgt 3,23) bzw. von einer Handlung betroffene (3Kgt 11,20aAnt+Ra) Subjekt geklärt. Daneben treten Korrekturen aufgrund des Erzählverlaufes. 1Kön 12,20 bietet die Wendung »über ganz Israel«, 3Kgt 12,20 die Worte »über Israel«, wohl mit Rücksicht darauf, dass Jerobeam nur über die zehn Nordreichsstämme König geworden ist. Erzählerische Widersprüche werden vermieden: Die Bemerkung »und Salomo vollendete sein ganzes Haus« ist von der Stelle 7,38 an das Ende des Abschnittes in 7,50 gerückt, um nicht danach doch noch von dem Bau zu erzählen. In den Sondergutstücken zeigt sich die Tendenz zur Verherrlichung Salomos und zur Perhorreszierung Jerobeams, 238
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
ähnlich wie nach Tov, 3 Kingdoms, 357 f. in 3Kgt 11 die Sünde Salomos etwas gemildert wird; der Bericht über den Palastbau Salomos wurde an das Ende von 3Kgt 7 gerückt, um Salomo vor allem als Erbauer des Tempels zu Ehren kommen zu lassen. Umgekehrt legt sich in anderen Fällen der Schluss nahe, dass eine der Textformen der Septuaginta dem ursprünglichen Text am nächsten kommt, weil im MT Widersprüche zu Toravorschriften und andere theologische Anstößigkeiten vermieden werden. Schenker, Altar, 107 f. zufolge handelt Elia in 3Kgt 18,29-33 im Widerspruch zu Dtn 12: Er fordert die Baalspriester zum Altarbau für Baal auf und errichtet abseits von Jerusalem einen Altar für den Gott Israels; beides ist in MT vermieden. Die von LXX differierende Chronologie des Krieges mit Josaphat in 1Kön 22 MT ist, so Schenker, Tiqqûn Sôferîm, 124, von der Absicht bestimmt, Ahabs Tod entgegen dem göttlichen Strafaufschub 1Kön 21,29 als noch nicht während seiner eigenen alleinigen Regierungszeit eintreten zu lassen
4.3 Theologisches Profil Manchmal werden die Namen fremder Götter vermieden. So ist in 3Kgt 11,5.33Ra (τῷ βασιλεῖ αὐτῶν) die Konsonantenfolge מלכםnicht wie in Ant als Hinweis auf den fremden Gott Melchom, sondern als מלך+ Suffix der 3. Pl. ( )םinterpretiert worden. Auch der Name Baal wird gelegentlich durch ἡ αἰσχύνη umschrieben (3Kgt 18,19.25), was auf die hebräische Vorlage בשתoder – wahrscheinlicher – auf die entsprechende »Ersatzlesung« zur Vermeidung des Baalnamens zurückweisen kann; 2 doch wird diese Tendenz nicht konsequent durchgehalten: Neben αἰσχύνη stehen die βααλειμ (3Kgt 18,18 etc.).
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Inwieweit 3Kgt die Übersetzung der Chronikbücher beeinflusst hat, kann man fragen, immerhin ist dort in manchen Bereichen der Einfluss des Pentateuch-Vokabulars größer als bei den Parallelen in 3Kgt (Meynadier, Eléments de lexicographie comparée, passim). Für Ez 40 f. zeigt die dortige größere Variationsbreite der Transkriptionen αιλαμ, αιλευ etc., dass 3Kgt 6–7 nicht stilbildend waren. Von Bedeutung ist das Zitat von 19,10.14.18 in Röm 11,3 f. und zwar auch als Nachweis, dass Paulus hier noch die ursprüngliche Septuaginta (mit dem weiblichen Artikel bei Baal) verwendete (zur ursprünglichen Lesart siehe die Angaben in BML).
2.
Ein Hinweis auf eine solche Lesepraxis ist der feminine Artikel vor Baal in 19,18, der offensichtlich darauf hinweist, dass statt des Baalnamens ἡ αἰσχύνη gelesen werden soll. Das Phänomen findet sich im ursprünglichen Text der Septuaginta ab Ri 2,13 und häufig im Jeremiabuch. Die der kaige-Rezension ähnliche Bearbeitung (»semi-kaige«) hat zur wörtlichen Widergabe mit maskulinem Artikel geändert. Die ältere Lesart mit femininem Artikel in 3Kgt 19,18 ist in Ra nicht vermerkt, siehe BML zur Stelle. Im Zitat in Röm 11,4 ist die Stelle mit femininem Artikel für Baal wiedergegeben. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
239
2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige
6. Perspektiven der Forschung Die Divergenzen in der Beschreibung der Textentwicklung verweisen auf Klärungsbedarf hinsichtlich der Kriterien der Rekonstruktion. In der Diskussion um linguistische und narratologische Kriterien (Polak, Solomon’s Reign, 145) ist umstritten, ob die größere Harmonie einer Darstellung eher Ursprünglichkeit anzeigt (Schenker, Jérobeam et la division, 175) oder das Ergebnis sekundärer Überarbeitung ist (Talshir, Literary Design, 47; Trebolle, Kings and Chronicles, 497). Ansatzpunkte einer historisch plausiblen Kriteriologie werden sich am ehesten unter Beachtung schriftgelehrter Arbeit im frühen Judentum entwickeln lassen (Talshir, Literary Design, 47 f.; Tov, 3 Kingdoms, passim), bei der theologische Kriterien (Anpassung an Vorschriften der Thora, vgl. Schenker, zwei Erzählungen, 28 f.; ders., Altar, 109-111; Beseitigung theologischer Anstößigkeiten, vgl. Schenker, Tiqqûn Sôferîm, 123-125; unter Umständen Abmilderungen wie beim chronistischen Salomo-Bild) und Tendenzen der innerbiblischen Verknüpfung (Tov, 3 Kingdoms, 362; Meynadier, Eléments de lexicographie comparée, passim; Kreuzer, Übersetzung, 103 f.) und Harmonisierung vermutlich wichtiger sind als narrative Neuorganisation als solche. Doch sind auch dann noch Korrekturen in beiden Richtungen denkbar: 3Kgt 6,1Ra legt den Beginn des Tempelbaus auf das 440. Jahr nach dem Exodus fest, 1Kön 6,1MT+Ant auf das 480. Jahr. Die Lesart von LXXRa könnte sich dem Interesse verdanken, jeder der in 1Chr 5,29-34 genannten elf Priestergenerationen von Aaron bis Zadok I. (vgl. 2Sam 8,17; 1Chr 27,17) eine Amtsdauer von 40 Jahren zukommen zu lassen, so dass MT den ursprünglichen Text bietet (Cogan, 1 Kings, 236; van Keulen, Two versions, 127); aber auch die Zahl 480 (MT) ist als Symbolzahl denkbar und kann daher sekundär sein (Mulder, 1 Kings, 231). In 1Kön 11,7 / 3Kgt 11,6Ant / 11,5 f.Ra wird davon berichtet, dass Salomo Kultstätten für fremde Gottheiten errichtet habe; im MT werden diese durch den Vermerk »bei dem Berg in der Nähe Jerusalems« lokalisiert. Hat LXX diesen Vermerk ausgelassen, um den Gedanken der Nähe dieser Kultstätten zu Jerusalem zu vermeiden (Noth, Könige, 241), oder wurde in MT sekundär an 4Kgt 23,13 angeglichen (Bösenecker, 1 Könige 1-11, 238)? In 3Kgt 18,45; 20,16.25.27 wird Ahab in einem günstigeren Licht dargestellt als in MT; ist deshalb LXX sekundär (Gooding, Miscellanies, 107) oder wurde das Bild in MT nachträglich verdunkelt? In 3Kgt 19,12 bietet Ra gegenüber Ant und MT am Ende die Worte κἀκεῖ κύριος. Wurden sie hinzugesetzt, um eine erzählerische Lücke zu füllen, oder wurden sie in MT aus Scheu vor der Transzendenz Gottes getilgt? Die Gefahr der Eintragung allzu moderner Erwägungen ist zu beachten.
240
6. Perspektiven der Forschung
2.4.3 Basileion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige Julio Trebolle
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 19013 — BML II/2, 1930 — RaHa 1935/2006 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El Texto Antioqueno de la Biblia Griega, Bd. II, 1-2 Reyes, TECC 53, Madrid 1992.
1.2 Qumran 6QpapKön = 6Q4 (DJD III). BQS 328-329 — HTTM I, 224-247. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare McLean, P. D., 4Reigns, NETS, Oxford / New York 2007, 320-341 — Werlitz, J. / Winter, F., Basileion IV. 4 Königtümer, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 424-489 — Kreuzer, S. / Meiser, M. / Winter, F., Basileion I-IV. Die Bücher der Königtümer, Einleitung, LXX.E, Stuttgart 2011, 714-744 — Werlitz, J. (/ Kreuzer, S.), IV (antiochenischer Text), LXX.E, Stuttgart 2011, 946-977 — Winter, F. / Kreuzer, S., Basileion IV (Rahlfs-Text), LXX.E, Stuttgart 2011, 978-1037.
1.4 Weitere Literatur Abate, E., La fine del regno di Sedecia, TECC 76, Madrid 2008 — Burkitt, F. C., Fragments of the Books of Kings According to the Translation of Aquila, Cambridge 1897 — Catastini, A., Isaia ed Ezechia. Studio di storia della tradizione di II Re 18-20/Is 36-39, SS.N.S. 6, Rom 1989 — Deboys, D. G., Recensional Criteria in the Greek Text of II Kings, JSSt 31 (1986), 135-139 — Diercks, D. F., Luciferi Calaritani Opera quae supersunt, CChr.SL VII/7, Turnhout 1978 — Fernández Marcos, N., Scribes and Translators: Septuagint and Old Latin in the Books of Kings, VT.S 54, Leiden 1994 — Eynikel, E., The Reform of King Josiah 2 Kings 23:1-24. Textual Criticism, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 394-425 — Fischer, B. / Ulrich, E. / Sanderson, J. E., Palimpsestus Vindobonensis. A Revised Edition of L 115 for Samuel-Kings, in: B. Fischer, Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, Freiburg i. Br. 1986, 308-438 — Kreuzer, S., Translation and Recensions: Old Greek, Kaige, and Antiochene Text in Samuel and Reigns, BIOSCS 42 (2009), 34-51 — Kreuzer, S., B or not B? The Place of Codex Vaticanus in textual history and in Septuagint research, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Text-critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 69-96 — Moreno Hernández, A., Las glosas marginales de Vetus Latina en las Biblias vulgatas españolas: 1-2 Reyes, Madrid 1992 — Piquer, A., / Tori1. Literatur
241
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
jano, P. / Trebolle Barrera, J., Septuagint Versions, Greek Recensions and Hebrew Editions. The Text-Critical Evaluation of the Old Latin, Armenian and Georgian Versions in III-IV Regnorum, in: H. Ausloos / J. Cook / F. García Martínez / B. Lemmelijn / M. Vervenne (Hg.), Translating a Translation. The LXX and its Modern Translations in the Context of Early Judaism, BEThL 213, Leuven 2008, 251-281 — Rahlfs, A., Lucians Rezension der Königsbücher, Septuaginta-Studien III, Göttingen 1911 (Nachdruck Göttingen 19652) — Robker, J. M., Elements of Lucianic Recension in 2 Kings?, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 367-384 — Schenker, A., Älteste Textgeschichte der Königsbücher. Die hebräische Vorlage der ursprünglichen Septuaginta als älteste Textform der Königsbücher, OBO 199, Fribourg / Göttingen 2004 — Shenkel, J. D., Chronology and Recensional Development in the Greek Text of Kings, HSM 1, Cambridge/MA 1968 — Thackeray, H. S. J., The Greek Translators of the Four Books of Kings, JThS 8 (1907), 262-278 — Tov, E., Three Strange Books of the LXX: 1 Kings, Esther, and Daniel Compared with Similar Rewritten Compositions from Qumran and Elsewhere, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebeswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 369-393 — Trebolle Barrera, J., From the Old Latin, through the Old Greek to the Old Hebrew (2 Kings 10:23-25), Textus 11 (1984), 17-36 — Trebolle Barrera, J., The Text-Critical use of the Septuagint in the Books of Kings, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 285-299 — Ulrich, E., Characteristics and Limitations of the Old Latin Translation of the Septuagint, in: N. Fernández Marcos (Hg.), La Septuaginta en la investigación contemporánea, TECC 34, Madrid 1985, 67-80 — Wevers, J. W., A Study in the Textual History of Codex Vaticanus in the Books of Kings, ZAW 64 (1952), 178-189 — Wevers, J. W., Principles of Interpretation Guiding the Fourth Translator of the Books of the Kingdoms (3 K. 22:1 – 4 K. 25:30), CBQ 14 (1952), 40-56.
2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen 2.1 Die Geschichte der Textüberlieferung von 4Kgt ist die Geschichte einer ersten Übersetzung, die einer Reihe von Revisionen unterworfen war: Der sog. kaige-Revision, den Revisionen von Theodotion, Aquila und Symmachus, der hexaplarischen Rezension des Origines sowie – vielleicht – der Lukian zugeordneten Revision. Der Text von 4Kgt gehört zur Gruppe der Bücher, deren Text im ersten Jh. v. Chr. in den rabbinischen Kreisen Palästinas revidiert wurde, um sie an den proto-masoretischen hebräischen Text anzupassen, der zunehmend als Standardtext angesehen wurde. Den Text dieser kaige- bzw. proto-theodotionischen Revision ist der B-Text, der v. a. durch den Codex Vaticanus (B) aus dem 4. Jh. n. Chr., sowie durch die Hss. 121, 509 und die äthiopische Übersetzung repräsentiert wird. Die hexaplarische Rezension des Origines fügte die hexaplarischen Ergänzungen in den Text der alten Übersetzung ein. Dazu übernahm er aus den Übersetzungen Theodotions, Aquilas und Symmachus’ Textbestandteile für jene Passagen, die nicht der alten Übersetzung entsprachen. Dieser Text (A) wird durch eine Textgruppe repräsentiert, die sich aus dem Codex Alexandrinus aus dem 5. Jh. n. Chr., den Hss. 247 und 376, sowie der Armenischen Übersetzung und der Syrohexapla zusammensetzt. Der Lukianische Text, der dem Märtyrer Lukian (ca. 240–311/2 n. Chr.) zugeordnet wurde, wird durch die Hss. 19, 108, 82, 127, 93 (LXXL) aus dem 10.–14. Jh. n. Chr. repräsentiert, die offensichtlich auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen (siehe 242
2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
das Stemma bei Fernández Marcos, El texto antioqueno, XXVIII). Dieser Text ist außerdem durch die Zitate bei den antiochenischen Kirchenschriftstellern (Theodoret von Kyrrhos u. a.) bekannt und wird daher in neuerer Zeit häufig neutral (d. h. ohne Bezug auf Lukian und eine lukianische Rezension) nach seinem Verbreitungsgebiet als antiochenischer Text bezeichnet. Nach der traditionellen Theorie nahm Lukian (bzw. ein Bearbeiter um ca. 300 n. Chr.) Elemente der hexaplarischen Rezension auf und führte, um einen korrekteren und einheitlicheren griechischen Text zu erhalten, eine stilistische Revision durch. Der Wert von LXXL besteht darin, dass hinter den hexaplarischen Korrekturen und den lukianischen Elementen ein Text verborgen ist, der einer alten Textstufe noch vor der ersten kaige-Rezension entspricht. Daher ist innerhalb dieses kaige-Bereichs 1 der Antiochenische Text der einzige erhaltene Text, der einen Zugang zur ursprünglichen Septuaginta (Old Greek) erlaubt. Die Texte aus Qumran, insbesondere 4QSama, machen eine erneute Auseinandersetzung mit Alfred Rahlfs’ Studie zum Lukianischen Text der Königebücher notwendig. Obwohl Rahlfs die Nähe von LXXL zur Vetus Latina und zu Josephus erkannte, ging er davon aus, dass LXXL hauptsächlich von LXXB abhängig ist. Demgegenüber zeigte Barthélemy, Devanciers, dass der kaige-Text von 2Sam den antiochenischen Text voraussetzt, was wohl auch für 2Kön zutrifft (siehe dazu Kreuzer, Translation). Die heutige Septuagintaforschung ist gekoppelt an die Erforschung der biblischen Handschriften von Qumran. Die Lesarten von 6Q4 (6QpapKön) in 2Kön 7,20–8,5, die teilweise mit LXX, Syr und Vulg übereinstimmen, sind daher durchaus bedeutsam. In 2Kön 7,8 entspricht die Lesart משאםdem von LXXL bezeugten ἄρσιν αὐτῶν gegen משם in MT, LXXB, Syr, Vulg und Targ. Die in Naḥal Ḥever gefundene Zwölfprophetenrolle war ebenso entscheidend für die Forschung zur kaige-Rezension, wie es 4QSama für die Forschung zum proto-Lukanischen und zum Old Greek-Text und 1QJesa für den Vergleich der parallelen Passagen 2Kön 18–20 // Jes 36–39 war. Der Vergleich der verschiedenen Texttraditionen, von denen diese Handschriften zeugen, zeigt, dass das proto-Lukianische Stratum von 4Kgt die älteste Textstufe darstellt, die wir erreichen können, wobei diese dem Text von 1QJesa und dem OG Text von Jesaja sehr nahe kommt. In 2Kön 20,11 // Jes 38,8 entwickelte sich die Textüberlieferung in folgenden Schritten: 1QJesa עלית אחז את השמש, LXX Jes τοῦ ὄικου τοῦ πατρός σου ἀποστρέψω τὸν ἥλιον, MT Jes במעלות אחז בשמש, VL 2Kön in gradus et detenta est in sole, LXXB 2Kön καὶ ἐπέστρεψεν ἡ σκιά, bis schließlich die abschließende Form von MT 2Kön במעלות אחזerreicht war. Der verbale Ausdruck אחז, ἀποστρέψω / ἐπέστρεψεν, detenta est und das »Innehalten« des Schattens wurden umgeformt in den Namen Ahaz und in die »Stufen« bzw. in die »Sonnenuhr des Ahaz«. Die parallelen Texte von Könige und Jeremia in 2Kön 24,18–25,30 // Jer 52 machen es möglich, auch in diesem Fall die Entwicklung der Textüberlieferung zu erkennen. Der LXX-Text von Jeremia stellt die älteste erkennbare Textschicht dar, die MT Jer 52,2 f.15 und Teile der Verse 52,7.18 f.27 nicht kannte. Auch wenn sich in LXXB, LXXL und MT in 2Kön 24,18–25,30 nicht viele Varianten finden, bietet L einige, die in mittel-
1.
Nach der alten Bezeichnungsweise von Thackeray, Translators, der Abschnitt γδ, das ist 3Kgt 22 bis 4Kgt 25. 2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen
243
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
alterlichen hebräischen Handschriften (Kennicott) 2 bezeugt werden und die eine nichtmasoretische Vorlage voraussetzen, wie 25,6 τὸν βασιλέα = 25,8, המלךοὗτος = הוא, und 25,16 ἐν οἴκῳ = בבית. MT Jer 52 bildet die letzte und am stärksten entwickelte Textform. Sie stellt Lesarten von 2Kön neben andere, die für die Texttradition des Jeremiabuchs charakteristisch sind (vgl. MT Jer 18–23). 2.2 Die lateinischen, armenischen und georgischen Tochterübersetzungen spiegeln die griechische Textgeschichte wieder. In jeder dieser Sprachen wurde die erste Übersetzung auf Grundlage des vorhexaplarischen Textes angefertigt, der im Nachhinein dem hexaplarischen Modell entsprechend korrigiert wurde. Die Vetus Latina ist die wortgetreue Übersetzung eines vorhexaplarischen griechischen Textes, der demjenigen ähnelte, der der lukianischen Textform zugrunde liegt. Auch wenn nur isolierte Lesarten und einige bedeutendere Abschnitte erhalten sind, ist der textkritische Wert der Vetus Latina ziemlich groß, da sie vorlukianische Lesarten bewahrt, die auf den ursprünglichen Text der Septuaginta zurückgehen und die im griechischen Mehrheitstext nicht bezeugt werden. Die Erforschung der Texttradition der Vetus Latina erfordert in einem vorangehenden Schritt die Unterscheidung zwischen »kaige-ähnlichen« Lesarten, die mit Varianten des B-Textes korrespondieren, und solchen Lesarten, die einen protolukianischen Text widerspiegeln, der auf den ursprünglichen griechischen Text zurückgeht. So korrespondiert in 17,2 die Lesart non sicut reges Israel qui fuerant (so in Codex Legionensis) mit der kaigeLesart οὐχ ὡς οἱ βασιλεῖς Ἰσραηλ οἳ ἦσαν (LXXAB), wohingegen prae omnes qui fuerant ante eum (Codex palimpsestus Vindobonensis) das protolukianische παρὰ πάντας τοὺς γενομένους widerspiegelt und die ursprüngliche Lesart der Vetus Latina darstellt. 3 Das Vindobonensis-Palimpsest, sowie unter den Kirchenvätern Lucifer von Cagliari, sind bedeutende Zeugen, ebenso die Randlesarten der Vulgatacodizes von León. Der Wortwörtlichkeit der Vetus Latina bezüglich des griechischen Textes und die Verwendung von Vulgarismen boten Anlass für Hieronymus’ neue Übersetzung des hebräischen Textes, deren Stil stärker mit dem der lateinischen literarischen Tradition übereinstimmte. Der verbreitete Text der armenischen Version folgt meist der hexaplarischen Tradition, die Erstübersetzung hingegen wurde anhand von griechischen Handschriften angefertigt, die viele Lesarten mit der lukianischen Tradition gemeinsam hatten; daher bewahrt die alte armenische Übersetzung vorlukianische Lesarten von hohem textkritischen Wert. Ebenso zeigt die georgische Übersetzung, die entweder anhand des armenischen oder direkt eines griechischen Textes angefertigt wurde, Spuren eines lukianischen Textes, wo dies im armenischen Text nicht der Fall ist, und bezeugt manchmal eine prälukianische Lesart, insbesondere, wenn sie mit der alten lateinischen Übersetzung übereinstimmt. Übereinstimmungen der Tochterübersetzungen 2.
3.
Kennicott, B., Vetus Testamentum Hebraicum cum variis lectionibus, Oxford 1776-1780. Die Varianten dieser und der analogen Sammlung von J. B. de Rossi, Variae lectiones Veteris Testamenti, Parma 1786 sind zum Teil in den verschiedenen Ausgaben der Biblia Hebraica verzeichnet. Als weiteres Beispiel für die Bedeutung des Vetus-Latina-Textes siehe die Analyse von 6,8-19 in Kreuzer, Translation.
244
2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
(VL, Arm, Georg, Aeth, Sahidisch und Koptisch) mit einem Old Greek-Text gegenüber einem rezensionellen Text (d. h. gegenüber dem kaige-Text) treten relativ häufig auf. 2.3 Die Ausgabe von H. B. Swete (1887, 19013) ist eine diplomatische Ausgabe, ebenso die Ausgabe in der Cambridge Septuaginta von Brooke / McLean / Thackeray (Bd. 2; Teil 2, 1930). Letztere bietet einen Apparat, der jede damals bekannte Variante der ca. 30 wichtigsten Handschriften und einige Lesarten der Übersetzungen auflistet. In einem gesonderten Apparat bietet sie die Lesarten, die Aquila, Symmachus und Theodotion zugeordnet werden. Rahlfs Ausgabe (1935, durchgesehen 2006) basiert ebenfalls auf dem Codex Vaticanus, korrigiert aber den Text mithilfe von Lesarten der Gruppen A und L. Die kritische Ausgabe in der Göttinger Reihe wird durch Pablo Torijano und Julio Trebolle besorgt. Die Hauptschwierigkeit einer kritischen Edition von 4Kgt ist, wie schon oft festgestellt wurde, den Text der protolukianischen und der OG Schicht herauszuarbeiten und gleichzeitig die Textkohärenz zu wahren, wie sie durch den Codex Vaticanus und die Mehrheit der Texttradition überliefert ist.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Charakteristika der rabbinischen kaige-Revision sind eine Tendenz, den griechischen Text an die semitische Syntax und die Wortfolge des hebräischen Textes anzupassen, häufige Transliteration hebräischer Begriffe (26 Mal unter Auslassung von Onomastiken und Toponymen), die Ergänzung von Begriffen ohne Entsprechung in LXX, die Meidung des historischen Präsens zur Wiedergabe des hebräischen Imperfekt consecutivum und der Gebrauch einer Reihe von spezifischen Ausdrücken, die an die Stelle der in der alten Übersetzung ursprünglich verwendeten treten: So wird בעיניnun mit ἐν ὀφθαλμοῖς anstelle von ἐνώπιον wiedergegeben. Entgegen der Tendenz der kaigeRevision, einige hebräische Wörter – insbesondere Fachbegriffe – zu transkribieren, behält der protolukianische Text meist die griechische, auf OG zurückgehende Formulierung bei. So bietet in 2Kön 15,10 der B-Text die Transkription Κεβλααμ als einen Personennamen an (MT קבלעם, »vor dem Volk«), wohingegen L die Formulierung von OG beibehält und die Ortsbezeichung ἐν Ιεβλααμ ( )ביבלעםeinsetzt. In gleicher Weise transkribiert in 23,10 B das hebräische Kunstwort Μóλοχ, eine deutlich abwertende Bezeichnung des ammonitischen Gottes Milkom, wohingegen L die Lesart der ursprünglichen Septuaginta, nämlich Μελχομ bewahrt. In ähnlicher Weise steht der Transkription μαναα des kaige-Textes in L die OG Übersetzung δῶρα (vgl. VL munera) gegenüber, wobei in der weiteren Überlieferung manchmal beides zusammen als Dublette vorkommt. Die Varianten von LXXB im Vergleich zu MT sind meist morphologisch, nur sehr selten inhaltlich oder erweiternd. LXXB lässt MT 25,10 aus, L hingegen bietet den Text in einer von der hexaplarischen abweichenden Wiedergabe. Typisch für den antiochenischen Text ist die tendenziell größere stilistische Sorgfalt, die sich in der Bevorzugung von lexikalen und morphologischen Formen des Attischen gegenüber hellenistischen oder semitisierenden Ausdrücken, die gegenüber der semitischen Syntax freiere Wiedergabe der Sätze, die Vorliebe für zusammenge3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
245
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
setzte Formen oder die Abwechslung im Gebrauch von Synonymen. Er bemüht sich um größere Verständlichkeit des Textes für den Leser, wie der Gebrauch des Artikels, die Ersetzung von Pronomen durch die jeweiligen Namen und die Ergänzung von anderen Elementen deutlich zeigen. Ein wichtiges Charakteristikum der Textüberlieferung ist das Vorhandensein von Dubletten, bestehend aus der alten bzw. ursprünglichen Lesart und der rezensionellen kaige-Lesart. So überliefert die Dublette οὐχ ούτως διὰ τοῦτο die kaige-Lesart οὐχ ούτως und die ursprüngliche Lesart διὰ τοῦτο, die sich im ideo oder propter hoc der VL, im Armenischen Վասն այսորիկ [vasn aysorik] und dem Georgischen ამის თჳს [amis t’vis] widerspiegelt (vgl. 1Kön 22,17.19; 2Kön 1,16; 19,32; 21,12; 22,20). Der Stil der ursprünglichen griechischen Übersetzung lässt vermuten, dass der Übersetzer sich eng an den Text seiner Quelle hielt, jedoch mit einem anderen hebräischen Text als MT arbeitete. Wevers hatte den Anspruch, die Übersetzungstechnik von 4Kgt zu untersuchen, tatsächlich untersuchte er jedoch die hauptsächlich theologischen Motive, die seiner Meinung nach hinter den Varianten der griechischen Version gegenüber MT stehen. Er erklärte diese Divergenzen als die hermeneutischen Prinzipien des Übersetzers, während die Wissenschaft heute zu der Ansicht tendiert, diese Divergenzen seien eher auf die gegenüber dem masoretischen Text unterschiedliche hebräische Vorlage der griechischen Übersetzung zurückzuführen. Die ursprüngliche griechische Übersetzung selbst könnte in der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. entstanden sein, bevor sich die neue proto-masoretische hebräische Ausgabe herausgebildet hatte (Schenker, Älteste Textgeschichte, 9). Aber es wäre auch möglich, dass sie bereits auf das 3. Jh. zurückgeht und in Alexandria entstand, da die Geschichtsschreiber Demetrius und Eupolemus den Text von 3/4Kgt offenbar kannten. Die kaige-Rezension wurde im 1. Jh. v. Chr. durchgeführt, wahrscheinlich in Palästina, auch wenn es dafür bislang keinen eindeutigen Nachweis gibt.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Der kaige-Text ist in koine-Griechisch verfasst (das sich von der literarischen Sprache unterscheidet). Er enthält Neologismen, wie μονόζωνος, »ein Leichtbewaffneter«, das an die Stelle der vermuteten alten Lesart πειρατής/πειρατήριον, OL piratae tritt (5,2; 6,23; 13,20.21; 24,2). Der kaige-Text nimmt hebräische Ausdrücke wie τῶν δυνάμεων wieder auf, anstelle der Bezeichnung παντοκράτωρ in OG. Der antiochenische / proto-Lukianische Text bewahrt alte Texteigenschaften wie den Gebrauch des historischen Präsens zur Übersetzung des hebräischen Waw-Imperfekts. Der Text von 4Kgt weist scheinbar weniger weitreichende und bedeutsame Unterschiede zum MT auf als 3Kgt, insbesondere in den Kapiteln 2-14, wo man vermuten könnte, dass der protomasoretische Text und die hebräische Vorlage der LXX zwei unterschiedlichen Ausgaben von 1Kön bzw. 3Kgt darstellen. Allerdings ist dieser Eindruck davon bestimmt, dass in 4Kgt, anders als in 3Kgt, der Codex Vaticanus und die Mehrheit der Texttradition einen Text überliefern, der (durch die kaige-Rezension) bereits auf einen proto-masoretischen Text hin revidiert wurde. Nur in 4Kgt 1,18a-d bewahren sie einen OG Text, der von MT (3,3-1) abweicht. Gleichermaßen war der Text von 3Kgt 22,41-51 in dem kaige γδ-Abschnitt nicht Teil von OG, wie das Fehlen 246
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
dieser Verse in L belegt. Ursprünglich war dieser Abschnitt in 16,28a-h in dem γγAbschnitt angesiedelt, wie sowohl der B- als auch der L-Text bezeugen. Der proto-lukianische Text und die Vetus Latina bewahren Textabschnitte und -varianten der ursprünglichen Septuaginta, die einer anderen als der von MT überlieferten Textform des Buches entsprechen. So bewahren sie im Plus von 10,36 die Geschichte von Jehus Verschwörung in ihrer typischen und ursprünglichen Struktur, während der Text dieser Einheit in B (= MT) offenbar auf verschiedene Stellen in den Kapiteln 8–9 verstreut ist. Gleichermaßen überliefern der antiochenische Text und die Vetus Latina in 10,23-25 eine ältere Textform als die vom MT bezeugte. In Kapitel 13 tragen sie zur Rekonstruktion einer anderen Anordnung der literarischen Einheiten bei. Die Geschichte von Elischas Tod ist in Kapitel 10 angesiedelt, zwischen den Versen 30 und 31, sodass sie während der Herrschaft Jehus stattfindet und nicht während der des Joas wie in B (= MT). Auch in 17,1-23 ermöglichen es der antiochenische Text und die Vetus Latina, den Text der ursprünglichen Septuaginta und damit eine mögliche andere Anordnung der Bestandteile des Kapitels zu rekonstruieren. Der theologische Charakter des griechischen Textes wird im Vergleich zu dem des MT ersichtlich: Der (jüngere) masoretische Text legt verstärktes Gewicht auf theologische Motive, die in der hebräischen Vorlage der Septuaginta nur angedeutet waren, wie die anti-samaritanische Polemik in Kapitel 17. Außerdem bemüht sich der masoretische Text um eine größere theologische Kohärenz im Gottesbild (Schenker, Älteste Textgeschichte, 191). Die Septuaginta spiegelt somit einen weniger pointierten aber auch weniger polemischen Text.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die erste Rezeption von 4Kgt ist die, deren Spuren wir in den Schriften jüdischer Autoren wie Demetrius dem Geschichtsschreiber, Eupolemus und Josephus finden. Weitere Bezüge finden sich in 2Baruch (Baruch-Apokalypse) Abschnitt 62 mit dem Verweis auf den Fluch der Isebel sowie in der Erwähnung Salomos, Elijas, Elischas und Hiskias in den Hellenistischen Synagogalgebeten und im Testament des Salomo. Im Neuen Testament gibt es keine Zitate aus 4Kgt, im Gegensatz zu 3Kgt. Allerdings scheint der Ausdruck von 1,10 καταβήσεται πῦρ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καὶ καταφάγεταί in Lk 9,54 πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ καὶ ἀναλῶσαι nachzuhallen, ebenso in Offb 20,9 καὶ κατέβη πῦρ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καὶ κατέφαγεν. Die griechischen, lateinischen und syrischen Kirchenväter neigen dazu, sich auf bestimmte Teile des Buchs, die für eine wörtliche, typologische oder moralische Auslegung geeignet waren, zu konzentrieren. In 2Kön boten sich für eine typologische Interpretation vor allem die Episoden über Elischa, Jehu und Josia an. Der einzige umfassende griechische Kommentar ist derjenige von Theodoret von Kyrrhos, De Quaestionibus Ambiguis in Libros Regnorum et Paralipomenon, der vor alle jene Stellen berücksichtigt, die für den Leser undurchsichtig und problematisch waren. Theodoret bevorzugt, entsprechend der vorherrschenden Tendenz der Antiochenischen Schule, eine Auslegung des wörtlichen Sinnes des Textes. Die Katenen, die man Procopius von Gaza und Nikephoros Hieromonachos Theotokis zugeschrieben hat, bilden eine Sammlung von exegetischen Passagen vieler verschiedener Autoren. In Kommentaren 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
zu anderen Bibelbüchern oder in lehrhaften Werken oder in Predigten kann man verschiedene interessante Interpretationen entdecken: Typologische Auslegung bei Justin dem Märtyrer, der in seinem Dialog mit Tryphon bekräftigt, dass das Stück Holz, das Elischa in den Fluss wirft, das Kreuz symbolisiert, während das Wasser die Erlösung durch die Taufe schattenhaft vorzeichnet; allegorische Auslegung, besonders bei Origines und auch bei Methodius, für den der Feigenbaum und seine Früchte in 20,7-11 Symbole für den Heiligen Geist und dessen Liebe für die Menschheit sind; oder moralische Auslegung, wie bei Kyrill von Jerusalem, der in den Ereignissen um 25,1-11 ein Beispiel für das Leben neuer Christen entdeckt, nämlich in der Hinsicht, dass Gott sogar gegenüber Nebukadnezar gnädig war. 4 Die lateinischen Kirchenväter zeigen größeres Interesse an den Königebüchern als die griechischen, sicherlich aufgrund der Bedeutung der politischen Dikussionen um die Macht von Königen und Kaisern. Unter ihnen sind Tertullian, Cyprian, Novation, Ambrosius, Hieronymus, Prudentius, Augustin, Johannes Cassian, Gregor der Große, Beda Venerabilis, und im Frühmittelalter Rabanus Maurus und sein Schüler Walafrid Strabo zu erwähnen. Ein umfassender Kommentar, der Ephraim dem Syrer zugeschrieben wurde und ungefähr auf die Wende vom fünften zum sechsten Jahrhundert datiert wird, entwickelt ausgiebig die Figuren Elijas und Elischas. Der Kommentar von Ischodad von Merw Mitte des 9. Jh.s ist dem Kommentar des Theodoret von Kyrrhos sehr ähnlich, da auch dieser schwerpunktmäßig diejenigen Passagen behandelt, die besonders unverständlich oder grammatisch schwierig erscheinen. Entsprechend der vorherrschenden Tendenz der syrischen Auslegung bevorzugt er eine wörtliche Auslegung. Andere syrische Autoren, die die Königebücher erwähnen, sind Aphrahat, Sahdona und Isaak von Ninive.
6. Perspektiven der Forschung 6.1 Seit der Entdeckung und Erforschung der biblischen Handschriften von Qumran ist die Septuagintaforschung offener geworden für die Einsicht, dass der Septuagintatext der Königebücher eine Textform vertritt, die nicht nur von der im MT überlieferten abweicht und kürzer ist, sondern die älter und ursprünglicher ist als der (proto-) masoretische Text. Das ergibt sich vor allem daraus, dass die Übereinstimmungen vor allem des antiochenischen Textes mit den Qumrantexten nicht als sekundäre Beeinflussungen beiseite geschoben werden können. Das hat auch die Einschätzung der Zitate bei Josephus sowie der Vetus Latina und anderer Tochterübersetzungen verändert. Dass der älteste Septuagintatext von 4Kgt kürzer war als MT, zeigen auch die hexaplarischen Ergänzungen, die in den Old Greek-Text jene Passagen einarbeiten, die – im Vergleich mit dem MT – im ursprünglichen Septuagintatext fehlten. Auch diese Kürze könnte auf ein höheres Alter hinweisen. Entsprechend diesen Erkenntnissen der Forschung wird die Göttinger Ausgabe proto-lukianischen Lesarten, die
4.
Conti, M. (Hg.), 1-2 Kings, 1-2 Chronicles, Ezra, Nehemiah, Esther, ACCS.OT 5, Downers Grove/IL 2008, z.St.
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6. Perspektiven der Forschung
2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
auf den Old Greek-Text oder jedenfalls auf eine Entwicklungsstufe vor dem kaige-Text zurückgehen, die angemessene Beachtung zukommen lassen müssen. (Dagegen hatte Rahlfs in seine Handausgabe keine lukianischen Lesarten aufgenommen, die er für unabhängig von der Mehrheitsüberlieferung hielt, und von denen er vermutete, dass sie einen anderen hebräischen Text als den masoretischen widerspiegelten.) 6.2 Bei der Untersuchung der Textgeschichte muss den Tochterübersetzungen der Septuaginta verstärkt Bedeutung beigemessen werden, da diese einen hohen kritischen Wert für die Rekonstruktion der Old Greek und ihrer Rezensionen besitzen. Außerdem sind sie von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung der Versionen selbst aus linguistischer und exegetischer Sicht wie auch bezüglich der von ihnen bezeugten religiösen Traditionen. Auch die armenische und syrische Übersetzung sowie die Vulgata und die abweichenden Lesarten mittelalterlicher hebräischer Handschriften müssen stärker berücksichtigt werden. Die Übereinstimmungen zwischen diesen Texten und mit protolukianischen Lesarten sind in 4Kgt proportional häufiger als im nicht-kaige-(γγ)-Abschnitt der Königebücher. 6.3 In Verbindung mit diesen Beobachtungen ist im Anschluss an D. Barthélemy und dessen Entdeckung der kaige-Rezension auch die Frage zu stellen, ob nicht nur der antiochenische Text der beste Zeuge für die ursprüngliche Septuaginta ist, sondern ob damit tatsächlich auch die Annahme einer lukianischen Rezension um 300 n. Chr. aufzugeben ist, weil sich die Differenzen zwischen Old Greek und kaige-Text aus den Bearbeitungsprinzipien der kaige-Rezension erklären lassen und darüber hinaus nur Textverderbnisse und kleinere Änderungen (z. B. die oben erwähnten scheinbaren Doppelübersetzungen durch Kombination der unterschiedlichen Überlieferungen) erkennbar sind, die nicht die Annahme einer weitreichenden Bearbeitung rechtfertigen. 5 [S. K.] 6.4 Eine Verbindung der Textkritik mit der Literarkritik kann zu einem besseren Verständnis der Entstehungsprozesse der Texte beitragen, insbesondere in Passagen, die Parallelen in den Chronikbüchern, Jesaja und Jeremia haben. In diesen Passagen geht es nicht nur um textgeschichtliche Entwicklungen, sondern zum Teil auch um bewusste literarische Gestaltung, so dass sich hier Textkritik und Literarkritik überschneiden. Durch einen solchen Vergleich lässt sich z. B. beobachten, wie Verweise auf Mose und Jeremia sowie auf die Tora als »Buch der Weisungen« in einer späten Stufe des literarischen Prozesses in den Text eingeführt wurden. Diese Verweise werfen Licht auf das zunehmende Bewusstsein für die Autorität des Buches. 6.5 Detaillierte Studien zum griechischen Vokabular, sowohl theologisch als auch bezüglich der Realien, fehlen bislang. Ebenso existiert noch keine gut fundierte Analyse der 5.
So Barthélemy, Les Devanciers, 126 f.: »La prétendue recension lucianique« und 127: Der antiochensiche Text »C’est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue«. Sie dazu in neuerer Zeit auch die Untersuchungen von S. Kreuzer, z. B. Kreuzer, Translation and Rezensions. Die Frage verbindet sich mit dem Problem, ob und inwiefern die erkennbaren späteren Änderungen punktuell sind oder auf eine durchgehende Bearbeitung zurückgehen und ab wann von einer Rezension zu sprechen ist. 6. Perspektiven der Forschung
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2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige
Interpretation der hebräischen Vorlage in der griechischen Übersetzung. Bislang wurden die meisten Untersuchungen unter der Annahme durchgeführt, dass das Griechische einen proto-masoretischen Text übersetzte und deutete, der in Wirklichkeit eine andere textliche und exegetische Tradition vertritt.
250
6. Perspektiven der Forschung
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik Adrian Schenker
1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1930 — BML II/3,1932 — RaHa 1935/2006 — Vannutelli, P., Libri synoptici Veteris Testamenti s. librorum Regum et Chronicorum loci paralleli, Rom 1931 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El texto antioqueno de la Biblia griega III, 1-2 Crónicas, Madrid 1996 — Hanhart, R., Paralipomenon Liber II, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum VII,2, Göttingen 2014.
1.2 Qumran-Texte 4QChr = 4Q118 (DJD XVI). BQS 778 — HTTM 527-529. Die drei Abweichungen gegenüber MT sind in BHS nicht vermerkt.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Jager, J. N., Vetus Testamentum Graecum cum Latina translatione, t. 1, Paris s.d. — Cowe, S. P., 1 and 2 Supplements, NETS, Oxford/New York 2007, 342-391 — Labahn, A., Paralipomenon I / 1 Chronik, LXX.D, Stuttgart 20102, 489-518 — Sänger, D., Paralipomenon II / 2 Chronik, LXX. D, Stuttgart 20102, 518-550 — Labahn, A. / Sänger, D., Paralipomenon I und II / Die Bücher der Chronik. Einleitung, LXX.D, Stuttgart 2011, 1038-1050 — Labahn, A., Paralipomenon I / Das erste Buch der Chronik, LXX.D, Stuttgart 2011, 1051-1104 — Sänger, D., Paralipomenon II / Das zweite Buch der Chronik, LXX.D, Stuttgart 2011, 1105-1164 — Cañas Reillo, J. M., 1-2 Paraleipómena, La Biblia griega Septuaginta, II Libros históricos, Salamanca 2011, 431-454.
1.4 Weitere Literatur Allen, L. C., The Greek Chronicles I. The Translator’s Craft, VT.S 25, Leiden 1974 — Allen, L. C., Textual Criticism, VT.S 27, Leiden 1974 — Barr, J., The Typology of Literalism in Ancient Biblical Translations, MSU 15, Göttingen 1979 — Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélmy, D., CTAT – Biblia Sacra iuxta Latinam vulgatam versionem VII: Verba dierum, Rom 1948 — (Botte, B. /) Bogaert, P.-M., Septante et versions grecques, I-II Paralipomènes, DBS XII, 601-603 — Brunet, A., Paralipomènes (Livres des) ou des Chroniques, DBS VI, 1220-1261 — Carmignac, J., Les devanciers de S. Jérôme: Une traduction latine de la recension καιγε dans le second Livre des Chroniques, in: Keel, O. / Schenker, A. (Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy, OBO 38, Fribourg / Göttingen 1981, 31-50 — Gerleman, G., Studies in the Septuagint II. Chronicles, Lund 1946 — Goettsberger, J., Die Bücher der Chronik oder Paralipomenon, HSAT 4,1, Bonn 1939 — Grotius, H., Annotata ad Lib. II Paralipomenon, in: Critici sacri, t. II, Frankfurt a. M. 1695 — Hognesius, K., The Text of 2 Chronicles, 1-10. 1. Wichtige Literatur
251
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
A Textual Critical Edition with Textual Commentary, CB.OTS 51, Lund 2003 — Himbaza, I., Le roi Manassé (Essais bibl. 40), Genf 2006 — Howorth, H., Some Unconventional Views on the Bible, I-IV, PSBA 23, London 1901, 147-159 u. 305-330; 24, London 1902, 147-172 u. 332-340; 25, London 1903, 15-22 u. 90-98 — Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 — Kalimi, I., Das Chronikbuch und seine Chronik. Zur Entstehung und Rezeption eines biblischen Buches, Fuldaer Studien 17, Freiburg i. Br. 2013, 11-131 — Klein, R. W., New Evidence for an Old Recension of Reigns, HThR 60 (1967), 93-105 — Japhet, S., I-II Chronicles, OTL, London 1993 — Japhet, S., 1 Chronik, HThK.AT, Freiburg i. Br. 2002 — Labahn, A., Gab es unterschiedliche Übersetzer der Paralipomena? ASR 1 (2008), 45-76 — Léonas, A., Recherches sur la langue de la Septante, OBO 211, Fribourg / Göttingen 2005 — Léonas, A., L’aube des traducteurs. De l’hébreu au grec: traducteurs et lecteurs de la Bible des Septante (IIIe s. av. J.-Chr.– IVe s. apr. J.-Chr.), Paris 2007 — Marquis, G., Word Order as a Criterion for the Evaluation of Translation Technique in the LXX and the Evaluation of Word-Order Variants as Exemplified in LXX-Ezechiel, Textus 13 (1986), 59-84 — Meynadier, B., Eléments de lexicographie comparée des Règnes et des Paralipomènes, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 37-51 — Movers, F. C., Kritische Untersuchungen über die biblische Chronik, Bonn 1834, 91-94 — Nestle, E., Zum Gebet Manasses, Septuaginta-Studien III, Stuttgart 1899, 3-22 u. 28-35 — Nestle, E., Zum Gebet Manasses, Septuaginta-Studien IV, Stuttgart 1903, 5-9 u. 23 — Passoni dell’Acqua, A., La prière de Manassé. Une fantaisie linguistique pour chanter la miséricorde de Dieu, in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, LeDiv 203, Paris 2005, 221-228 — Rahlfs, A., Studien zu den Königsbüchern, SeptSt 1, Göttingen 1904 — Rahlfs, A., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, MSU 2, Berlin 1914 — Rahlfs, A. / Fraenkel, D., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, Bd. 1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, Göttingen 2004 — Rahlfs, A., Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, MSU 3,2, Berlin 1922 — Rahlfs, A., Das Buch Ruth griechisch, Stuttgart 1922 — Rehm, M., Textkritische Untersuchungen zu den Parallelstellen der Samuel-Königsbücher und der Chronik, ATA 13,3, Münster 1937 — Richard, J., 2 Par 34,29-33: L’Alliance du roi Josias: nature et protagonistes, ASR 1 (2008), 77-99 — Rudolph, W., Chronikbücher, HAT 21, Tübingen 1955 — Schenker, A., Die Verheissung Natans in 2 Sam 7 in der Septuaginta, in: M. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 177-192 — Schenker, A., Est-ce que le livre de Jérémie fut publié dans une édition refondue au 2e siècle? La multiplicité textuelle peut-elle coexister avec l’édition unique d’un livre biblique?, in: I. Himbaza / A. Schenker (Hg.), Un carrefour dans l’histoire de la Bible, OBO 233, Fribourg / Göttingen 2007, 58-74 — Schenker, A., Der Ursprung des massoretischen Textes im Licht der literarischen Varianten im Bibeltext, Textus 23 (2007), 51-67 — Schenker, A., Hebraica veritas bei den Siebzig? Die Septuaginta als älteste greifbare Ausgabe der hebräischen Bibel (erörtert am Beispiel von 2 Chr 1,13), in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 426-438 — Schenker, A., Le psautier – livre de la prière chrétienne, in: M. Klöckener / B. Bürki / A. Join-Lambert (Hg.), Présence et rôle de la Bible en Liturgie, Fribourg 2006, 125-136 — Schenker, A., Pourquoi donc tenir compte de la Bible grecque? Les deux formes de la dissimulation du roi d’Israël dans 1 Rois 22 et 2 Chroniques 18, in: O. Artus / J. Ferry (Hg.), L’identité dans l’Ecriture (FS J. Briend), LeDiv 228, Paris 2009, 297-309 — Schenker, A., Salomon, Gibeon und Jerusalem, in: ders., Anfänge der Textgeschichte des Alten Testaments, BWANT 194, Stuttgart 2012, 75-97 — Schwemer, A., Eupolemos, New Pauly 5, 2004, 192 — Shenkel, J. D., A Comparative Study of the Synoptic Parallels in I Paralipomena and I-II Reigns, HThR 12 (1969), 63-85 — Thackeray, H. St. J., The Greek Translators of the Four Books of Kings, JThS 8 (1906-1907), 262-278 — Torrey, C. C., The Greek Versions of Chronicles, Ezra and Nehemia, PSBA 25, London 1903, 139-140 — Torrey, C. C., The apparatus for the Textual Criticism of Chronicles, Ezra, Nehemia, in: Old Testament and Semitic Studies in Memory of W. R. Harper, Chicago 1908, 55-111 — Tov, E., Approaches towards Scrip-
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1. Wichtige Literatur
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
ture Embraced by the Ancient Greek Translators, in: U. Mittmann-Richert u. a. (Hg.), Der Mensch vor Gott (FS H. Lichtenberger), Neukirchen-Vluyn 2003, 213-228 = Tov, E., Hebrew Bible, Greek Bible, and Qumran. Collected Essays, FAT 121, Tübingen 2008, 325-338 — Vahrenhorst, M., Mehr als ein Wörterbuch, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 52-63 — Walter, N., Eupolemos, JSHRZ 1,2, Gütersloh 1976, 93-108 — Weber, R., Les versions latines du deuxième livre des Paralipomènes, CBLa 8, Rom 1945 — Weber, R. / Gryson, R., Biblia Sacra, Stuttgart 20075, 546-637 — Zipor, M., The Greek Chronicles, Bib 61 (1980), 561571.
2. Textüberlieferung und Editionen 2.1 Namen, Bucheinteilung Der Name Paralipomena (das in den Büchern Samuel und Könige Ausgelassene, Übergangene) oder Paralipomenon (Genitiv Plural: Bücher der Paralipomena) ist schon bei Melito von Sardes (2. Hälfte 2. Jh.) und Origenes (185–253) belegt. 1 Swete nimmt zu recht für den Titel alexandrinischen, vorchristlichen Ursprung an. 2 Der Name ist auch in der lateinischen Bibel (Vetus Latina, Vulgata) 3 neben dem aus dem Hebräischen übersetzten Titel Verba dierum übernommen worden. Die Einteilung in zwei Bücher wird von Anfang an immer erwähnt, wobei Origenes jedoch die Einheit des hebräischen Werkes speziell hervorhebt. 4 Die Teilung der hebr. Chronik in zwei Bücher geschah unter dem Einfluss der LXX am Anfang der neuzeitlichen Bibeldrucke.
2.2 Kritische Textausgabe Hieronymus beklagte schon die zahllosen Verderbnisse des griech. Textes, besonders in den vielen Eigennamen, welche der Chronist zitiert. 5 Die besten Textzeugen für die Paralipomena sind die Unzialen B und S und die Minuskel 127 (Moskau, Synodalbibliothek, Gr 31, 10. Jh.) 6, die dem ursprünglichen Text am nächsten kommen. 7 Eine moderne vollständige kritische Textausgabe ist bis jetzt in der Göttinger LXX nur für 2Par erschienen. 1.
2. 3.
4. 5. 6. 7.
Swete, Introduction, 203; seine Quelle: Eusebius, Kirchengeschichte 4, 26, 14 (Ausgabe Bardy I, 211); 6, 25, 2 (Ausgabe Bardy II, 126). Zu verschiedenen Deutungen des Namens: Brunet, Paralipomènes, 1222; Bogaert, I-II Paralipomènes, 601. Swete, Introduction, 215. Titel des Prologs: Prol. S. Hieronymi in Libro Paralipomenon; Titel des Buches: Liber Dabreiamin id est Verba dierum qui graece dicitur Paralipomenon: Biblia Sacra iuxta Latinam vulgatam versionem, 3 u. 27; Weber-Gryson, Biblia Sacra, 546. Eusebius, Kirchengeschichte, 6, 25, 2 (Ausgabe Bardy II, 126). Hieronymus, Prologus in libro Paralipomenon, Biblia Sacra VII, 6-7; Weber / Gryson, Biblia, 547. Rahlfs, Verzeichnis, 144. Bei Brooke-McLean ist die Sigel der Hs c2. Bogaert, I-II Paralipomènes, 602; Rehm, Untersuchungen, 13; Goettsberger, Chronik, 19; Barthélemy, Devanciers, 42 u. 62. 2. Textüberlieferung und Editionen
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2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
2.3 Textgeschichte B S 127 stellen zwar nach allgemeiner Auffassung die älteste Gestalt des Textes dar, sind aber auch nicht frei von Fehlern, Überarbeitungen und Veränderungen. 8 Drei Rezensionen des Textes lassen sich unterscheiden: die hexaplarische Edition (A N und Minuskeln sowie die armenische Übersetzung), die antiochenische oder lukianische Bearbeitung (die Minuskeln 19 108 93 121 9 sowie eine dritte Rezension, welche die charakteristischen Züge der beiden von Rahlfs im Buche Ruth identifizierten Rezensionen, nämlich der Catenen- und der R-Rezension, aufweist. 10 Ihre Zeugen sind in den Paralipomena Minuskelhandschriften. 11 Die drei Bearbeitungen sind an ihren typischen Merkmalen erkenntlich und revidieren den Text von B S 127. 12 In der lateinischen Vulgata-Handschrift der sog. ersten Bibel von Alcalá, dem cod. Latinus Complutensis 1 ist 2Par nicht der Vulgata des Hieronymus entnommen, sondern entspricht der VL. 13 2Par entspricht hier ebenfalls einer rezensierten griechischen Vorlage. 14
2.4 Hebräische Vorlage, ihr textkritischer Wert für die hebräische Bibel Der älteste griechische Text unterscheidet sich an zahlreichen Stellen von MT. Die Unterschiede können textlichen oder literarischen Ursprungs sein. Textlich sind sie, wenn sie Fehlern der Schreiber in der hebr. Vorlage der Paralipomena oder der griechischen Übersetzer und Kopisten entspringen. Literarische Unterschiede sind das Ergebnis von redaktionellen Eingriffen im hebr. Vorläufertext des MT (prämasoretischer Text) oder in der hebr. Vorlage der Septuaginta. 15 Solche literarischen Veränderungen sollten nicht als das Werk von Schreibern, sondern als die Initiative der autorisierten Buchherausgeber oder Editoren angesehen werden. 16 Der Text der Paralipomena weist sowohl textliche Varianten (Fehler, Verderbnisse auf den beiden Ebenen der hebr. Vorlage und jener des griechischen Wortlauts) als auch solche literarische Lesarten auf, die ursprünglicher sind als die entsprechenden Lemmata des MT. 17 Auf die literarischen Unterschiede, die eine andere hebr. Vorlage für die Septuaginta voraussetzen, haben Movers, 18 Allen 19 und entschiedener noch Zipor 20 aufmerksam 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
Bogaert, I-II Paralipomènes, 602; Goettsberger, Chronik, 19. Fernández Marcos / Busto Saiz, 1-2 Crónicas, LXII. Rahlfs, Text des Buches Ruth, 103-119; Rahlfs, Ruth griechisch, 14, 17-20. Bogaert, I-II Paralipomènes, 602. Es sind für die Catenen-Rezension: 74 144 236 346 243 und für die Rezension »R«: 107 106 120 134 554. Allen, Chronicles, I, 142-172. Weber, Versions. Weber ediert hier diesen complutensischen Text der VL, der für 2Par vollständig ist. (In der complutensischen Polyglotte hingegen ist 2Par aus der Vulg übernommen.) Weber, Versions, XLVIII, und in anderer Weise Carmignac, Devanciers; Rudolph, Chronikbücher, VI. Schenker, Ursprung. Schenker, Livre de Jérémie. Japhet, Chronicles, 30; Japhet, 1 Chronik, 56-57; Rudolph, Chronikbücher, VI. Movers, Biblische Chronik, 93. Allen, Chronicles II, 81-168. Zipor, Chronicles.
254
2. Textüberlieferung und Editionen
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
gemacht. Die Forschung beginnt erst, diese Kategorie von Differenzen wahrzunehmen, die für die älteste Textgeschichte besonders wichtig sind, weil sie zur Identifizierung von zwei hebräische Rezensionen (oder Editionen) führen können, von denen die eine im MT bewahrt ist, während die andere der hebräische Vorlage der Paralipomena entspricht. Die Textgeschichte und Textkritik muss dann das Verhältnis dieser beiden hebräischen Rezensionen bestimmen. Diese Aufgabe erheischt die Einzeluntersuchung der Lesarten, wo MT und hebr. Vorlage der Paralipomena nicht wegen Textverderbnissen auf der Ebene des hebräischen oder des griechischen Textes, sondern wegen literarischer Veränderungen des hebräischen Textes auseinandergehen. Solche Unterschiede sind sehr zahlreich! Sie betreffen meistens quantitativ kleine Einzelheiten des Textes, die aber für das literarische Profil folgenreich sein können. Untersuchungen solcher literarischer Differenzen sind unentbehrlich, um das Verhältnis zwischen dem MT und der hebr. Vorlage der Paralipomena zu bestimmen. Derartige Einzeluntersuchungen gibt es zu bestimmten Stellen in den Paralipomena: zur Natanverheissung in 1Chr 17,10, 21 zu den Sängern als Propheten, 1Chr 25, 22 zum Ort des Traumgesichtes Salomos mit der Theophanie in 2Chr 1,13, 23 zur Schlacht von Ramot in Gilead, 2Chr 18, 24 zum Bund des Königs Joschija in 2Chr 34,29-33. 25 Da in allen diesen Beispielen die literarische Fassung der Paralipomena ursprünglicher zu sein scheint als jene des MT, entsteht die begründete Vermutung, dass die hebr. Vorlage der Paralipomena eine ältere Textgestalt darstellt, die später in einer Rezension bearbeitet wurde, welche in den MT eingegangen und jetzt in ihm erhalten ist. Daher entspricht der Text der Paralipomena möglicherweise an vielen Stellen der literarisch ursprünglicheren Fassung der Chronikbücher, wie das in andern Büchern und Teilen der hebräischen Bibel der Fall ist. Das bekannteste und von vielen Forschern anerkannte Beispiel ist das Buch Jeremia. Die Paralipomena erlangen dadurch Bedeutung für die hebr. Textgeschichte und Textkritik der Chronikbücher. 26
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungsstil Die Übersetzung der Paralipomena kann und muss unter semantischer und unter syntaktischer Hinsicht beurteilt werden. Die Untersuchung der semantischen Seite zeigt Eigentümlichkeiten der griechischen Wiedergabe von hebräischen Wörtern (Lexemen). Man darf jedoch nie die mögliche Beeinflussung des Textes der Paralipomena durch die Parallelstellen der grie21. 22. 23. 24. 25. 26.
Schenker, Verheissung Natans. Schenker, Psautier, 127-129. Schenker, Hebraica veritas bei den Siebzig; Schenker, Salomo, Gibeon und Jerusalem. Schenker, Deux formes. Richard, L’alliance du roi Josias. Es ist daher unverständlich, dass die Textgeschichte von 1–2Chr ohne ausdrückliche Untersuchung des Verhältnisses der hebr. Vorlage der Paralipomena zum MT von 1–2Chronik gezeichnet wird wie z. B. bei Hognesius, Text of 2 Chronicles. Die wenigsten Kommentare der Chronikbücher sind sich dieser textgeschichtlichen Sachlage bewusst. Sie wird selten erwähnt. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
255
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
chischen Samuel- und Königsbücher (1–4Kgt) aus den Augen verlieren. Die Partien der Paralipomena ohne Seitenstücke in 1–4Kgt eignen sich daher am besten für die Untersuchung des spezifischen griechischen Vokabulars der Paralipomena. 27 Der Einfluss der griechischen Übertragung des Pentateuch ist in den Paralipomena greifbar, aber nicht im Sinn eines Glossars von hebr. Ausdrücken mit gleichen griechischen Wiedergaben, sondern als Modell oder Inspiration für die eigenständige literarische Gestaltung der griechischen Übertragung. 28 Nach dem Vorgang von Thackeray hat Gerlemann auf die ägyptische Herkunft bestimmter griechischer Wendungen hingewiesen. 29 In syntaktischer Hinsicht gehört die Übersetzung der Chronikbücher zu jener großen Gruppe von Übertragungen der sog. geschichtlichen und prophetischen Bücher sowie von 2Esdr, Ruth, Hld, Klgl, welche die hebr. Wortfolge im Griechischen genau reproduzieren. 30 Ebenso werden die hebr. Verbalformen und Partizipien nach genauen Regeln wiedergegeben. Diese Eigentümlichkeit der Übersetzung erklärt sich aus der Auffassung von Sprache, heiliger Schrift und Übersetzung in der hellenistischen und jüdischen Welt des 3. und 2. Jh. v. Chr. 31 Dieser Aspekt der Übersetzung ist viel strenger durchgeführt als die semantische Gleichmäßigkeit von griechischen Äquivalenten für hebr. Ausdrücke, wo die Variationsbreite bedeutend grösser ist. Daher ist es v. a. diese linguistische Methodik der Übersetzer, welche es erlaubt, eine abweichende hebr. Vorlage für die griechische Übersetzung zu diagnostizieren. In diesem Sinne ist die Übersetzungsweise der Paralipomena nicht »frei«. 32
3.2 Einheit der Übersetzung von 1–2Chr Die Übersetzung der Paralipomena ist einheitlich. Hinweise, die für mehrere Übersetzer sprechen sollen, und die in der Forschung vorgebracht wurden, beruhen auf dem semantischen Argument von wechselnden Übertragungen bestimmter Ausdrücke. 33 Gerade diese genügen aber nicht, um mehrere Übersetzer wahrscheinlich zu machen, weil die Übersetzung von 1–2Chr hier zu variieren liebt. 34 Wie überall in der LXX mit Ausnahme von Jesus Sirach ist die Identität des Übersetzers unbekannt. Man vermutet manchmal in einer generellen Annahme, es seien in den verschiedenen Büchern jeweils mehrere Übersetzer gleichzeitig am Werk gewesen. 35 Für 1–2Chr gibt es keine Anzeichen dafür. Wechselnde Wiedergaben von gleichen hebräischen Termini genügen nicht als Beweis für verschiedene Übersetzer. Die Konstanz der Übersetzung unter syntaktischer und linguistischer Hinsicht (Wort27. 28. 29. 30. 31. 32.
Meynadier, Eléments. Gerleman, Studies, 22-29; Meynadier, Eléments; Vahrenhorst, Wörterbuch. Gerleman, Studies, 14-21; Thackeray, Greek Translators, 276-277. Marquis, Word Order. Léonas, Recherches; Léonas, L’aube. Barr, Typology, geht erstaunlicherweise nicht auf die Abbildungen der hebräischen Wortfolge in der griechischen Übertragung ein. 33. Labahn, Unterschiedliche Übersetzer (die Untersuchung geschieht auf einer zu schmalen Basis: 1Chr 26,29-32; 28,14-17: insgesamt nur 8 Verse! Ferner ist sie nur unter Hinsicht der semantischen hebr.-griech. Äquivalente durchgeführt). 34. Gerleman, Studies, 22-29; Meynadier, Eléments; Vahrenhorst, Wörterbuch. 35. Tov, Approaches, 327-328.
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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
folge, Verbalformen, Tempora, Partizipien, Relativsätze und dgl. mehr) in 1–2Chr deutet eher auf einen einzigen Übersetzer hin. Die Übertragung von 1–2Chr kann daher bis auf weiteres einem einzigen Übersetzer zugeschrieben werden. Für 2Chr 35–36 gibt es jedoch eine zweite Übersetzung in 1Esdr 1–2,5. Diese Übertragung entspricht in ihrem Stil der Übertragung von 1Esdr. Es wurde daher vermutet, dies sei der übriggebliebene Rest einer alten verlorengegangenen Übersetzung von 1–2Chr, die durch eine zweite, im Gefolge von LXX-Rezensionen wie z. B. jener Theodotions, neu geschaffene Übertragung ersetzt worden wäre. 36 Diese Hypothese hat sich nicht bewährt. 37 Ferner stehen in 2Par 35 und 36 Überschüsse, die in MT fehlen. Die Differenz wird entweder als Übernahme der Stücke durch den Übersetzer von 1–2Chr aus 1–2Kön erklärt, 38 oder aber als eine gegenseitige Assimilierung von 1–2Chr und 1–2Kön im Laufe der Textüberlieferung. 39 In einigen gedruckten Ausgaben der LXX steht am Ende der Paralipomena das apokryphe Gebet Manasses wegen 2Chr 33,18. 40
3.3 Ort und Zeit Thackeray, Gerleman und andere haben die zahlreichen sprachlichen Berührungen zwischen den griechischen Chronikbüchern und dem Griechischen des ptolemäischen Ägypten hervorgehoben. 41 Diese machen es nach allgemeiner Ansicht wahrscheinlich, dass 1–2Chr in Ägypten übertragen wurde. Gerleman hat neu auf eine Stelle beim jüdischen Historiker Eupolemos 42 aufmerksam gemacht, welche die griech. Übersetzung von 2Chr 4,13 voraussetzt, dergemäß Schellen oder Glöckchen, κώδωνες, an einem Netz über den Säulen im Tempel hingen. 43 Das ist die einzige Stelle in der Bibel, wo solche Schellen in der Tempelarchitektur vorkommen. Eupolemos’ Schrift kann auf das Jahr 158 v. Chr. datiert werden 44. Gerleman folgt in dieser Argumentation Jakob Freudenthal, Hellenistische Studien, Breslau 1875. 45 Die Übertragung stammt demnach aus der 1. Hälfte des 2. oder aus 36. Howorth, Chronicles; Torrey, Chronicles, Ezra and Nehemia; Torrey, Apparatus; Jellicoe, 290294. Der erste Vertreter dieser Hypothese scheint Hugo Grotius gewesen zu sein, der zu 2Chr 35,6 bemerkt, dass 1–2Par der Übertragung Theodotions entspreche, Critici sacri II, 278. 37. Gerleman, Studies, 3-13; Rudolph, Chronikbücher, VI; Japhet, I & II Chronicles, 30; Japhet, 1 Chronik, 57. Jellicoe hingegen hält diese Hypothese für wohlbegründet. 38. Rehm, Parallelstellen, 48-52; Shenkel, Synoptic Parallels; Klein, New Evidence. 39. Gerleman, Studies, 30-43, aber Gerleman behandelt die Assimilationen in 1-2Paralipomena nicht nur hier, sondern generell; Allen, Chronicles I, 175-184 u. 214-216; Übersicht in Bogaert, I-II Paralipomènes, 603. 40. Nestle, Gebet Manasses; Himbaza, Le roi Manassé; Passoni dell’Acqua, Prière de Manassé. 41. Siehe Anm. 29; HDM, 101-106; Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 431. 42. Schwemer, Eupolemos. 43. Gerleman, Studies, 11-12. Die Stelle bei Eupolemos ist aus Eusebius, Praeparatio evangelica 9,34,11 (Ausgabe Des Places, 320-321), bekannt. 44. Walter, Eupolemos, 95. 45. S. 119-120 u. 185 (mir unzugänglich); Meynadier, Eléments, 45. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
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2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
dem 3. vorchristlichen Jahrhundert, denn es gibt kein triftiges Argument dafür, dass nur das 2. Jh. für die Übersetzung der Chronik in Frage kommen kann. 46
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die griechische Übersetzung folgt dem hebräischen Text in größter Treue. Sie bildet ihre hebräische Vorlage im Griechischen ab. Daher ist ihr inhaltliches und theologisches Profil auf weiteste Strecken dasselbe wie jenes der hebräischen Chronikbücher. Das spezifische Profil der Paralipomena im Gegensatz zu der hebräischen Chronik tritt in den literarischen Differenzen zwischen der hebräischen Vorlage des Übersetzers der Paralipomena und dem proto-masoretischen/ masoretischen Text von 1–2Chr zutage. Da sich der griechische Übersetzer aber nicht von seiner Vorlage entfernen will (das folgt aus seinem extrem literalistischen Übersetzungsstil, der syntaktische Deckungsgleichheit zwischen hebräischem Ausgangs- und griechischem Zieltext anstrebt), sind die literarischen Unterschiede nicht das Werk dieses griechischen Übersetzers. Sie spiegeln vielmehr die Unterschiede zwischen zwei hebräischen Fassungen wider, nämlich jener des proto-masoretischen/masoretischen Textes und jener der hebräischen Vorlage der griechischen Wiedergabe. Die Eigenart dieser Vorlage wird ihre Konturen jedoch erst gewinnen, wenn alle literarischen Unterschiede der beiden Fassungen untersucht und in ihrem gegenseitigen zeitlichen Verhältnis bestimmt sind. Denn erst der Vergleich der Fassungen und die Prüfung ihres Verhältnisses zueinander (will eine Fassung die andere korrigieren, oder sind sie unabhängig voneinander entstanden?) erlaubt es, die für jede der beiden spezifischen Merkmale herauszuarbeiten. Auf diesem Gebiet ist noch fast alles zu tun. Bisher hat sich die Textkritik praktisch seit Hieronymus den zahlreichen Textverderbnissen in den Paralipomena zugewandt. 47 Das ist eine ganz notwendige textkritische Aufgabe, weil insbesondere die zahlreichen Eigennamen zu Verderbnissen des Textes geführt haben. An ihrer Behebung war Hieronymus verzweifelt. 48 Doch gibt es Variationen, welchen keine Textverderbnisse zugrundeliegen, sondern absichtliche Bearbeitungen im Dienste einer neuen literarischen Gestalt der Chronik-Bücher. Schon Movers hat 1834 festgestellt, dass die Paralipomena ältere und daher vielleicht ursprünglichere Textformen enthalten als 1–2Chronik im MT. 49 Ein herausragendes Beispiel eines literarischen Unterschiedes ist Gestalt und Schicksal von König Manasse. 50 Diese Differenzen sind indessen wie gesagt Unterschiede zwischen zwei hebräischen Fassungen. Sie sind nicht das Werk des griechischen Übersetzers von 1–2Chr. Dieser wollte kein eigenes inhaltliches und theologisches Profil schaffen, sondern dasjenige seiner hebräischen Vorlage in griechischem Gewand reproduzieren. Es sind die semantischen Entscheide, welche griechischen Ausdrücke er für hebräische Wörter und Wendungen wählt, die in einem gewissen beschränkten Ausmaß seinen Horizont 46. 47. 48. 49. 50.
Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 431. Repräsentativ dafür ist Allen, The Greek Chronicles. Verba dierum, Prologus S. Hieronymi, 3-7. Movers, Biblische Chronik, 93. Himbaza, Le roi Manassé.
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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
enthüllen. Seine Übertragung ist von besonderer Qualität des Griechischen gekennzeichnet 51. Sein griechischer Stil ist gut und sein Wortschatz reich. Er schöpft aus dem griechischen Pentateuch mehr als es 1–4Kgt tun. Das offenbart einen Verfasser, dem gleichzeitig größte Nähe zum hebräischen Original und eine schöne griechische Sprache wichtig sind, und der den Bezug zur Pentateuch-Übersetzung herstellt. Damit unterstreicht er die Zusammengehörigkeit von Tora und 1–2Chronik: Sie sollen eine gemeinsame literarische und theologische Welt bilden, deren hebräischer Charakter deutlich werden muss (wie die zahlreichen Transkriptionen hebräischer Wörter zeigen) 52 und dennoch auf die griechischsprachige Leserschaft anziehend wirken soll. Darin zeigt sich das doppelte Bestreben des Übersetzers, die besondere, für Griechen fremde Welt der hebräischen Bibel zur vollen Geltung zu bringen und sie ihnen dennoch mit Hilfe einer subtil verwendeten griechischen Sprache zu vermitteln, zwischen schönem Griechisch und hebraisierendem Sprachkolorit hin- und hergehend.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Paralipomena wurden wie die Chronik in der ganzen Rezeptionsgeschichte mit 1–2Sam und 1–2Kön zusammen gelesen. Diese synoptische Verwendung der Chronikbücher ist nicht spezifisch für die Paralipomena, sondern wurde in der hebr. wie in der griech. Form des Werkes gleichermaßen geübt. Einige der Chr eigene Stellen haben eine besondere Wirkungsgeschichte entfaltet, wie König Manasses Reue und die Ermordung des Priesters Sacharja, 2Par 24,20-22 und Mt 23,35. 53 Diese Rezeption lief hauptsächlich über die griechischen und dann über die altlateinischen Paralipomena.
6. Perspektiven der Forschung Die wichtigsten Perspektiven der Forschung sind 1) die Erstellung einer kritischen Gesamtausgabe im Sinn der Göttinger Septuaginta, sowie in Verbindung damit und als wichtige Voraussetzung 2) die oben dargelegte weitere Erforschung des Verhältnisses des Chroniktextes zum Text in Samuel–Könige bzw. 1–4Kgt und 3) die Differenzierung zwischen textkritischen und literarischen Varianten.
51. Movers, Biblische Chronik, 93; Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 436. In Movers’, eines Kenners der Materie, eigenen Worten: »die sorgfältig und mit vielem Geschick bearbeitete, streng wörtliche Übersetzung der Chr in den LXX (ist) eine der besten Arbeiten dieser Übersetzer, und bei weitem die von einem andern Verf. herrührende der Bücher Sam. und der Kön. übertreffend«, 93. 52. Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 435. 53. Kalimi, Chronikbuch, 55-76 und 97-100. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
259
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra Dieter Böhler
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 19073 — BML II/4, 1935 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R. (Hg.), Esdrae Liber I, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum VIII/1, Göttingen 19912.
1.2 Qumran-Texte Die aramäischen Fragmente 4Q550 wurden gelegentlich mit 1Esdras in Verbindung gebracht, sind aber ein selbständiger Text (4QTales of the Persian court).
1.3 Übersetzungen und Kommentare Pohlmann, K.-F., 3. Esra-Buch, JSHRZ I 5, Gütersloh 1980 — Wooden, R. G., 1Esdras, NETS, Oxford / New York 2007, 392-404 — Böhler, D., I. Esdras, LXX.D, Stuttgart 20102, 551-566 — Böhler, D., 1Esdras / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra, LXX.E, Stuttgart 2011, 11651197 — Bird, M., 1Esdras, SCS, Leiden 2012 — Böhler, D., 1Esdras, IEKAT, Stuttgart 2015.
1.4 Weitere Literatur Baars, W. / Lebram, J. C. H., I (III) Ezrae, OTSy IV/6, The Peshitta Institute Leiden, Leiden 1972 — Bayer, E., Das dritte Buch Esdras und sein Verhältnis zu den Büchern Esra-Nehemia, BSt (F) 16/1, Freiburg i. Br. 1911 — Böhler, D., Die heilige Stadt in Esdras A und Esra-Nehemia, OBO 158, Fribourg / Göttingen 1997 — Böhler, D., On the Relationship between Textual and Literary Criticism. The Two Recensions of the Book of Ezra: Ezr-Neh (MT) and 1Esdras (LXX), in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible. The relationship between the Masoretic text and the Hebrew base of the Septuagint reconsidered, SCSt 52, Atlanta/GA 2003, 35-50 — Böhler, D., »Treu und schön« oder nur »treu«? Sprachästhetik in den Esrabüchern, in: ders. / H.-J. Fabry (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 174, Tübingen 2007, 97-105 — Böhler, D., Literarischer Machtkampf. Drei Ausgaben des Esrabuches im Streit um das wahre Israel und die Legitimation von Herrschaft, in: U. Dahmen / J. Schnocks (Hg.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit (FS H.-J. Fabry), BBB 159, Göttingen 2010, 125-145 — Böhler, D., Übersetzungstechnik und Textkritik in den Esdrasbüchern: Hendiadyoin, Doppelübersetzungen und Wiederholungsvariationen in 1 Esdr, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 97-125 — Cross, F. M., A Reconstruction of the Judean Restoration, JBL 94 (1975), 4-18 — Denter, T., Die Stellung der Bücher Esdras im Kanon des Alten Testamentes, Marienstatt 1962 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des 1. Esrabuches, MSU 12, Göttingen 1974 — Hanhart, R., Ein unbekannter Text zur griechischen
260
1. Literatur
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
Esra-Überlieferung, MSU 22, Göttingen 1995 — Hilhorst, A., The Speech on Truth in 1 Esdras 4,34-41, in: F. García Martínez / A. Hilhorst / C. J. Labuschange (Hg.), The Scriptures and the Scrolls (FS A. S. van der Woude), VT.S 49, Leiden 1992, 135-151 — Jahn, G., Die Bücher Esra (A und B) und Nehemja textkritisch und historisch untersucht, Leiden 1909 — Kaiser, O., Die alttestamentlichen Apokryphen, Gütersloh 2000 — Klein, R. W., Studies in the Greek Texts of the Chronicler, unveröffentlichte Diss., Harvard Univ., Cambridge/MA 1966 — Mittmann-Richert, U., 3. Esra-Buch, in: dies., Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ VI/1, Gütersloh 2000, 4-19 — Mittmann-Richert, U., Theologie als Schüssel zur Historie. Neue Wege zur Datierung frühjüdischer Schriften, in: H. Lichtenberger / G. S. Oegema (Hg.), Jüdische Schriften in ihrem antikjüdischen und urchristlichen Kontext, Studien zu den jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit 1, Gütersloh 2002, 75-101 — Mowinckel, S., Studien zu dem Buche Ezra-Nehemia I-III, SNVAO.HF 3/5/7, Oslo 1964/65 — Myers, J. M., I & II Esdras, AB 42, New York 1974 [Achtung: II Esdr ist hier die Apokalypse 4Esdr!] — Pohlmann, K.-F., Studien zum dritten Esra, FRLANT 104, Göttingen 1970 — Rudolph,W., Esra und Nehemia samt 3. Esra, HAT I 20, Tübingen 1949 — Sabatier, P. (Hg.), Bibliorum Sacrorum Latinae Versiones Antiquae seu Vetus Italica, Bd. III, Paris 1751, 1041-1067 (= LaC) — Schenker, A., La relation d’Esdras A’ au texte massorétique d’Esdras-Néhémie, in: P. J. Norton / S. Pisano (Hg.), Tradition of the Text (FS D. Barthélemy), OBO 109, Fribourg / Göttingen 1991, 218-249 — Talshir, Z. / Talshir, D., The Story of the Three Youths (1 Esdras 3-4), Textus 18 (1995), 135-155 — Talshir, Z., The Milieu of IEsdras in the Light of its Vocabulary in: De Septuaginta, Studies in Honour of J. W. Wevers, Mississauga 1984, 129-147 — Talshir, Z., 1 Esdras. From Origin to Translation, SCSt 47, Atlanta/GA 1999 — Talshir, Z., 1 Esdras. A Text Critical Commentary, SCSt 50, Atlanta/GA 2001 — Torrey, C. C., Ezra Studies, Chicago 1910, repr. New York 1970 — van der Kooij, A., Zur Frage des Anfangs des 1. Esrabuches, ZAW 103 (1991), 239-252 — van der Kooij, A., On the Ending of the Book of 1 Esdras, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 37-49 — Walde, B., Die Esdrasbücher der Septuaginta, ihr gegenseitiges Verhältnis untersucht, BSt (F) 18/4, Freiburg i. Br. 1913 — Weber, R., Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 19833, 1910-1930 — Williamson, H. G. M., The Problem with First Esdras, in: J. Barton / D. J. Reimer (Hg.), After the Exile (FS R. Mason), Macon/GA 1996, 201-216.
2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 1Esdr findet sich in den großen Unzialen Codex Vaticanus (4. Jh., Rom), Alexandrinus (5. Jh., London), Venetus (8. Jh., Rom). Im Sinaiticus ist 1Esdr nicht erhalten (auch 2Esdr nur ab 9,9), aber wohl doch Teil gewesen, da 2Esdr Ἔσδρας β’ heißt, woraus folgt, dass dem Ἔσδρας α’ vorausging. Die Unzialen bezeugen »einen alten, von rezensionellen Überarbeitungen verhältnismäßig noch wenig berührten Text« (Hanhart, Textgeschichte, 18). Origenes hat nur 2Esdr, nicht 1Esdr bearbeitet. Die Minuskeln überliefern den Text in drei Rezensionen bzw. Textformen: der »lukianischen«, deren Text dem MT nahe steht, und den beiden Rezensionen »a« und »b«, die jeweils in eigener Weise vor allem stilistische Glättungen vornehmen. Diese beiden Textformen sind auch im Esterbuch bekannt. Einige Minuskeln bezeugen einen Mischtext (Hanhart, Textgeschichte, 18.28-32). Die lateinische Textüberlieferung liegt in zwei Übersetzungen vor: die ältere »Versio Vulgata« (LaV), die Hieronymus nicht angetastet hat, wird seit Cyprian zitiert gefunden (Hanhart, Esdrae Liber I, 15). Sie enthält immer wieder »lukian.« Lesarten. Die andere, im Codex Colbertinus 2. Textüberlieferung und Editionen
261
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
(9. Jh., Paris) enthaltene (Sabatier, Vetus Italica, 1041-1067), Version LaC ist ein treuer Zeuge der »lukian.« Textform (Hanhart, Textgeschichte, 19; Hanhart, Esdrae Liber I, 32). Die syrische Übersetzung ist »Lukian« verwandt, die äthiopische bezeugt den B-Text. Außerdem gibt es eine armenische Version. Unter den indirekten Zeugen ist Josephus, der in Ant. 11,1-158 eine Paraphrase von 1Esdr 2–9 bietet (den Chronikstoff von 1Esdr 1 bringt er nicht, da er die Königszeit ohnehin an anderer Stelle referiert), sehr bedeutend, da er einen vorrezensionellen Text hatte (Hanhart, Textgeschichte, 18). Die griechischen und lateinischen Kirchenväter bieten immer wieder Zitate und Anspielungen auf 1Esdr (meist die Pagenerzählung!) (Denter, Kanon, 1-13.53-67), aber doch so knapp, dass auf Textformen nicht zurückgeschlossen werden kann (Hanhart, Textgeschichte, 19).
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die griechische Fassung von 1Esdr gehört (ebenso wie 2Esdr) zur Welt der Septuaginta. Kultische Fachausdrücke entstammen dem griechischen Pentateuch (Böhler, »Sprachästhetik«, 98). Die Technik des griechischen Übersetzers von 1Esdr unterscheidet sich aber wesentlich von der der meisten anderen LXX-Übersetzer. Der Übersetzer von 1Esdr pflegt ganze Satzgefüge zu übertragen, nicht einzelne Wörter (Talshir, Origin, 181-247; Böhler, Sprachästhetik, 99-103). Die Übertragung ist elegant, und doch auf ihre Weise wörtlich und genau. Wo sie kann, ersetzt sie Parataxen durch Hypotaxen, oft aktive durch passive Konstruktionen. In der Äquivalentenwahl zeigt sie bei manchen (öfter technischen) Ausdrücken Konsistenz, aber gewöhnlich kann sie für dieselbe hebräische (oder aramäische) Vokabel verschiedene griechische Äquivalente einsetzen, und umgekehrt kann dasselbe griechische Wort für mehrere Vorlagevokabeln stehen. So erlaubt die Genauigkeit der Übersetzung und die teilweise Konsistenz der Wortwahl meist ziemlich genau zu erkennen, ob der Vorlagetext dem heutigen MT gleich war oder nicht. Talshir, Commentary, bietet eine durchgängige Rückübersetzung ins Hebräische und Aramäische. Die beiden Übersetzungen 1Esdr und 2Esdr sind unabhängig voneinander entstanden, wobei die »sklavischere« Übertragung von 2Esdr jedenfalls die jüngere ist (vgl. Hanhart, Textgeschichte, 17; Pohlmann, Studien, 379). 1 Der terminus ante quem der Abfassung und Übersetzung von 1Esdr (einschließlich der interpolierten Pagenerzählung) ist Flavius Josephus. Vieles deutet jedoch auf eine wesentlich frühere Übersetzung. Torrey, Studies, 83-85, datierte sie um 150 v. Chr. und lokalisierte sie in Ägypten. Wegen auffälliger Berührungen mit DanLXX (vgl. 1Esdr 2,7 mit Dan 1,2; 6,31 mit Dan 2,5 und 3,29; 3,14 mit Dan 3,2) identifizierte er die beiden Übersetzer (ebenso denselben Theodotion für DanTh und 2Esdr: Ezra Studies, 66). En1.
Die Beobachtung von J. Kabiersch, dass in 2Esdr 9,9 αὐτῆς (»… wieder aufzurichten aus ihrer Verwüstung«) ein feminines Bezugswort voraussetzt, das dort fehlt, aber in 1Esdr 8,78 mit Σιων (»… aufzurichten die verwüstete [Stadt] Sion«) vorhanden ist (s. dazu Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 115 f.), bestätigt die zeitliche Reihenfolge bzw. kann auf eine Bezugnahme von 2Esdras auf 1Esdras verweisen, wenn nicht die Vorlage von 2Esdras ein fem. Suffix gelesen hat.
262
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
ge Berührungen bestehen auch mit Esther und den Makkabäerbüchern (vgl. Talshir, Origin, 250 f. und Talshir, Milieu, 132 f.). All das weist in das 2. Jh. v. Chr. Indizien für ptolemäischen Sprachgebrauch (Talshir, Origin, 254. 258) könnten an Ägypten als Ort der Übersetzung denken lassen, aber ein Ausdruck wie »Cölesyrien und Phönizien« (2,16; 4,48) für עבר נהרהweist in die seleukidische Zeit für die Übersetzung (Talshir, Origin, 268: »second century«) und nach Palästina als den Ort derselben. Auch für die Entstehung des hebräisch-aramäischen Buches 1Esdr (vor der Interpolation der aramäischen Pagenerzählung) dürfte wegen der Unkenntnis über die genaue Abfolge der Perserkönige nicht mehr die Perserzeit, sondern die ptolemäische Zeit (3. Jh.) in Frage kommen. Entsprechend erfolgte die Einfügung der Pagenerzählung später, aber noch auf der hebräisch-aramäischen Sprachebene (Z. und D. Talshir, Story, 152-155). So dürften die Abfassung des hebräisch-aramäischen Buches 1Esdr (ohne Pagenerzählung) um 250/200, die Einfügung der aramäischen Pagenerzählung (nebst Vorschaltung von 1Esdr 1) um 130 und schließlich die Übersetzung ins Griechische bald nach 130 v. Chr. erfolgt sein.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Hinter der griechischen Übersetzung von 1Esdr steht eine Übersetzungsphilosophie, die das hebräisch-aramäische Original in die Strukturen der Zielsprache übertragen will. So kommt ein eleganter Text zustande, den man für ein original griechisches Werk halten könnte. Zum theologischen Profil von 1Esdr gehört, dass diese Restaurationserzählung den Tempel, die davidische Dynastie und eine Lebensordnung nach der Tora für israelkonstitutiv hält. Esra–Nehemia MT (2Esdr) vertritt eine prohasmonäische Konzeption und hält den Tempel, die Tora und ein unabhängiges Gemeinwesen für konstitutiv, nicht aber die davidische Dynastie. 1Esdr ist durch die Interpolation der Pagenerzählung (1Esdr 3,1–5,6) und die Vorschaltung von Joschijas Pascha (1Esdr 1 = 2Chr 35–36) zu einer antihasmonäischen Buchfassung geworden. Sie spricht der hasmonäischen als einer nichtdavidischen Dynastie jede Legitimität ab und erwartet von ihr insbesondere nicht die Wiederherstellung des legitimen Kults und eines gerechten Königreichs. 1Esdr legt bereits in der hebräisch-aramäischen Fassung durch die Interpolation der Pagenerzählung und weitere damit zusammenhängende Textanpassungen Serubbabel die Titel »Statthalter« und »Knecht des Herrn« bei, die ihm 2Esdr (Esr–Neh MT) konstant verweigert, die ihm aber Haggai zuspricht. Die Pagenerzählung bringt als aramäischer Midrasch auf Sach 8 (»Jerusalem als Stadt der Wahrheit«) auch das Serubbabel-Bild des Propheten Sacharja in die Konzeption von 1Esdr ein. Auf der griechischen Sprachebene scheint das (vom Übersetzer unterstellte) Hohepriestertum Esras hervorgehoben zu werden, da der Übersetzer für כהנא/ »( הכהןder Priester«) bisweilen ὁ ἀρχιερεύς schreibt (1Esdr 9,40.49), aber keineswegs immer (1Esdr 8,8.19; 9,16). Insbesondere macht er aus Jeschua, dem Gefährten Serubbabels, keinen Hohenpriester. Für eine königlich-hohepriesterliche Doppelspitze tritt er nicht ein (Böhler, Machtkampf). Die griechische Übersetzung verfolgt keine andere Tendenz als die hebräisch-aramäische Vorlage.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
263
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Flavius Josephus benutzt in Ant. XI 1-158 1Esdr für seine Erzählung von der nachexilischen Restauration. Im Neuen Testament verweist Nestle-Aland bei Mt 6,29 und 1Kor 13,13 auf bestenfalls entfernte Anspielungen auf 1Esdr 1,4 und 4,38. Im Josippon, einer mittelalterlichen jüdischen Chronik aus dem 10. Jh., die stark auf Josephus zurückgreift, erscheint in VI 129-134 die Erzählung vom Pagenwettstreit 1Esdr 3–5, freilich in anderer Anordnung der Reden: König, Wein, Frauen, Wahrheit. Die griechischen und lateinischen Kirchenväter spielen seit dem 2. Jh. n. Chr. immer wieder auf 1Esdr an, meist auf die philosophische Pagenerzählung (Denter, Kanon, 1-13; 53-67). Kommentare zu 1Esdr gibt es jedoch nicht, nur kurze Bezugnahmen. So zitiert etwa Augustinus in De Civitate Dei XVIII 36 die Pagenerzählung und deutet Serubbbabels Rede auf die Wahrheit als Christusprophetie. Im Mittelalter hat Thomas von Aquin eine seiner Quaestiones quodlibetales (XII q 14 a 20) der Frage aus der Pagenerzählung gewidmet, »Utrum veritas sit fortior inter vinum et regem et mulierem«. In der Westkirche verliert 1Esdr nach Hieronymus an Autorität und ist spätestens seit dem Tridentinum nicht mehr im Kanon. Die Ostkirche (ohne die Russische) liest 1Esdr in ihrem Kanon. Die letzte Spur liturgischer Verwendung von 1Esdr in der lateinischen Kirche fand sich im Tridentinischen Messbuch: In der Missa pro eligendo summo pontifice stammte der Offertoriumsvers aus 1Esdr 5,40.
6. Perspektiven der Forschung Was die hebräischen/aramäischen Vorlagen von 1Esdr und 2Esdr (2Esdr = Esr–Neh) angeht, die beide Kompilationen (von Joschija-Serubbabel-Esra- bzw. Serubbabel-Esra-Nehemia-Erzählungen) sind, ist nach wie vor umstritten, wie diese Kompilationen entstehungsgeschichtlich zueinander stehen. Die Frage nach einem eigenen literarischen und theologischen Profil der heute vorliegenden Gesamterzählung 1Esdr, auf semitischer wie auf griechischer Sprachebene, die lange gar nicht ernstgenommen wurde (so noch bei Talshir, Origin, 270), wird jüngst erst aufgeworfen und in unterschiedlicher Weise angegangen (Mittmann-Richert, Theologie; Böhler, Machtkampf).
264
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia Dieter Böhler
1. Literatur 1.1 Text und Editionen BML II/4, 1935 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R. (Hg.), Esdrae Liber II, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum VIII/2, Göttingen 1993.
1.2 Qumran-Texte 4QEzra = 4Q117 (DSD 16). BQS 776 f. — HTTM 523-526.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Wooden, R. G., 2Esdras, NETS, Oxford / New York 2007, 405-423 — Kabiersch, J., Esdras II, LXX.D, Stuttgart 20102, 567-590 — Kabiersch, J., Esdras II, LXX.E, Stuttgart 2011, 1198-1252 — Janz, T., Deuxième livre d’Esdras, BdA 11.2, Paris 2010.
1.4 Weitere Literatur Vgl oben zu 1Esdr. Dazu: Hanhart, R., Ursprünglicher Septuagintatext und lukianische Rezension des 2. Esrabuches im Verhältnis zur Textform der Vetus Latina, in: R. Gryson (Hg.), Philologia Sacra (FS H. J. Frede / W. Thiele), AGLB 24/1 u. 2, Freiburg i. Br. 1993, 90-115 — Hanhart, R., Zur griechischen und altlateinischen Textgeschichte des 1. und 2. Esrabuches in ihrem Verhältnis zueinander, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS M. Bogaert), BEThL CXLIV, Leuven 1999, 145-164 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des 2. Esrabuches, MSU 25, Göttingen 2003 — Janz, T., The Second Book of Ezra and the »Καίγε Group«, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SCSt 45, Atlanta/GA 1997, 153-170 — Janz, T., Le deuxième livre d’Esdras: Traduction et réception, Paris (Masch. Diss.) 1998 — Janz, T., Le deuxième livre d’Esdras: clef de l’histoire textuelle de la Septante?, in: ASR 1 NF (2008), 101-117 — Sigismund, M., Die gotischen Nehemia-Fragmente, in: S. Kreuzer / M. Sigismund (Hg.), Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung, DSI 4, Göttingen 2013, 211-265 — Wooden, G., Interlinearity in 2 Esdras: a test case, in: W. Kraus / G. Wooden (Hg.), Septuagint Research. Issues And Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SCSt 53, Atlanta/GA 2006, 119-144.
1. Literatur
265
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia
2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 2Esdr findet sich (wie 1Esdr) in den großen Unzialen Codex Vaticanus, Alexandrinus, Venetus und – anders als 1Esdr – ab 2Esdr 9,9 auch im Sinaiticus. Die Unzialen bezeugen »einen alten, von rezensionellen Überarbeitungen noch relativ unberührten« Text (Hanhart, Textgeschichte, 13). Dieselben Minuskeln, die den Text von 1Esdr in drei Rezensionen/Textformen: überliefern, der »lukianischen« und den beiden Rezensionen »a« und »b«, sowie einen Mischtext, tun dies auch für 2Esdr (Hanhart, Textgeschichte, 13 f.). Die äthiopische Übersetzung bezeugt den B-Text. Die lateinische Textüberlieferung liegt in zwei Zeugen vor: La123 (Vercelli, 11. Jh.). Die Hs überliefert den ganzen Text von 2Esdr, lässt nur die Wiederholung der Heimkehrerliste 2Esdr 17 (= Neh 7) aus und weist eine (mechanische) Textumstellung auf (1,1-4,5; 7,11-10,2; 4,6-7,11; 10,2-Ende). La125 (St. Gallen, 8. Jh.) enthält nur Fragmente (Hanhart, Esdrae Liber II, 12 f.). La123 steht zu La125 wie bei 1Esdr LaC zu LaV: La123 bezeugt (wie LaC) den lukianischen Text, La125 enthält (wie LaV) immer wieder »lukianische« Lesarten (vgl. Hanhart, Textgeschichte, 220 f. und 256 f.). »Lukianischen« Text bezeugen für 2Esdr auch Fragmente einer gotischen Übersetzung (Hanhart, Esdrae Liber II, 31; Sigismund, Nehemia-Fragmente). »Die eigentliche Sonderstellung der Textgeschichte von Esdr II im Verhältnis zu Esdr I besteht aber darin, dass die hexaplarische Herkunft von zweien ihrer Zeugen, dem Korrektor des codex Sinaiticus (= Sc bzw. Smg) und den Syrohexaplarischen Fragmenten (= Syh), eigens überliefert ist« (Hanhart, Textgeschichte, 14). Auf der Ebene der »lukianischen« Rezensionen von 1Esdr und 2Esdr kommt es dadurch mehrfach zu Textberührungen zwischen den beiden, dass meist der MT-konforme Text von 2Esdr in 1Esdr eingetragen wurde (Hanhart, Textgeschichte, 7 und 11). Die sekundäre Textüberlieferung bei Josephus und den Kirchenvätern spielt keine Rolle, da sie 2Esdr so gut wie nicht benutzen.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Während 1Esdr das beste Griechisch der ganzen LXX bietet, steht 2Esdr am anderen Ende der Skala als die bei weitem pedantischste Übertragung. Der Übersetzer war ein unmittelbarer Vorgänger von Aquila. Der Text, der dem Übersetzer vorlag, entsprach weitestgehend dem (Proto-) MT, nur in 2Esdr 14,6; 21,12-35; 22,2-9.25.29 weist MT Textüberschüsse auf (Wooden, NETS, 405-407). Die Übertragung gleicht einer Interlinearübersetzung (Wooden, Interlinearity, 143), die selbst die Wortstellung des Originals sklavisch nachahmt, möglichst standardisierte Äquivalente wählt, fast ausnahmslos jedes וdurch καί übersetzt und Hebraismen bis zur Unverständlichkeit produziert. Ungewöhnlich oft hat der Übersetzer gar nicht übersetzt, sondern transkribiert (Wooden, Interlinearity, 125-129; Wooden, NETS, 406; Janz, clef de l’histoire, 101-105). Zwar wird καίγε für וגםnur einmal in 2Esdr 1,1 (Esr 1,1) gesetzt, normalerweise aber nicht (Neh 5,8.10.16; 6,7.14; 12,43). Dennoch zeigt die Übersetzungstechnik von 2Esdr so viele charakteristische Kennzeichen der καίγε-Rezension, dass Janz den Übersetzer späten Kreisen im 1. Jh. n. Chr. um jene Revisoren zuschreibt (Janz, Traduction, 167; Janz, clef de l’histoire, 110; kritisch: Wooden, Interlinearity, 123 f.). Anders als etwa bei den Bü266
2. Textüberlieferung und Editionen
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia
chern der Königtümer, wo der Mehrheitstext der καίγε-Rezension unterzogen wurde, die »lukianischen« Zeugen aber gerade nicht, liegt bei 2Esdr in gewisser Weise ein umgekehrter Fall vor: die »lukianischen« Textzeugen (Mss 19, 93, 108) zeigen noch mehr καίγε-Charakteristiken als der Mehrheitstext. Der »lukianische« Text macht hier den Eindruck eines »textkritischen Apparats«, der jede Variante aufbewahrt (Janz, Second Book of Ezra, 156; Janz, Clef de l’histoire, 113-117). Da der Übersetzer sich in Jerusalem offenbar nicht auskennt und hie und da Ausdrücke benutzt, die besser zum ptolemäischen und römischen Ägypten passen, denkt man eher an Alexandrien als Palästina (Kabiersch, LXX.D).
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Wort-für-Wort-Übersetzung 2Esdr prägt inhaltlich kein eigenes Profil aus, sondern deckt sich völlig mit Esr-Neh MT (Janz, Clef de l’histoire, 102): Sie erzählt die nachexilische Restauration als Wiederaufbau des Tempels durch Serubbabel, Ordnung der Verhältnisse gemäß der Tora durch Esra und Wiederaufbau Jerusalems durch Nehemia. 2Esdr gibt Esr-Neh MT sklavisch wieder. Theologisch ist in dieser »Übersetzungsphilosophie« die Überzeugung von der Mysterienhaltigkeit des hebräisch-aramäischen Textes mit seiner »Hebraica veritas« impliziert, den die Übersetzung nicht ersetzt, sondern auf den sie, wie eine Interlinearübersetzung bleibend verweist (Böhler, Sprachästhetik, 103-105; Wooden, Interlinearity, 143). Zu Einzelheiten der Wiedergabe, u. a. zu semantischen Problemen und zum Phänomen, dass homophone Wurzeln homonym übersetzt werden, siehe Kabiersch, LXX.D, 1199-1201.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 2Esdr wird von Josephus nicht benutzt und vom NT nie und auch von den Vätern praktisch nie zitiert (Janz, Clef de l’histoire, 101). Insofern steht diese Version im Schatten von 1Esdr. Origenes zitiert 2Esdr 11,11 in seinem Matthäuskommentar (in Mt 15,5; PG 13, 1264).
6. Perspektiven der Forschung Da 2Esdr den Schlusspunkt der LXX-Übersetzungen darstellt (vor Aquila) und dabei in den beiden zentralen Fragenkomplexen, was ist die καίγε-Gruppe und was ist der »lukianische« Text, charakteristische Eigenheiten aufweist (Janz, clef de l’histoire, 116117) bis hin zu Spuren von Aquila (Janz, Second Book of Ezra, 168), könnte diese Übersetzung einen »Schlüssel zur Textgeschichte der LXX« bieten (Janz). Die Frage, ob es ein Zufall ist (Janz, Clef de l’histoire, 108), dass jene beiden Bücher, von denen es alte, in sehr gutem Griechisch gehaltene Fassungen gibt (DanLXX und 1Esdr), sehr viel später komplette Neuübersetzungen erfuhren, die ebenso wie jene eng miteinander verwandt sind (DanTh, 2Esdr), bietet noch Stoff für weitere Untersuchungen (Böhler, Sprachästhetik, 97 f. und 103-105). 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
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3. Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher
3.1 Esther / Das Buch Ester Kristin De Troyer
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Fritsche, O. F., ΕΣΘΗΡ. Duplicem libri textum ad optimos codices emendavit et cum selecta lectionis varietate edidit, Zürich 1848 — Swete, OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — BML III/1, 1940 — Hanhart, R., Esther, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,3, Göttingen 1966; 19832.
1.2 Qumran 4QPrEsthera-f ar = 4Q550, 550a-e (DJD XXXVII) [Es handelt sich um Königshoferzählungen. Ein konkreter Esthertext aus Qumran oder der Wüste Juda ist nicht identifiziert. Aus Anspielungen ergibt sich jedoch, dass das hebräische Buch in Qumran wahrscheinlich bekannt war; s. De Troyer, Once more.] HTTM 497-502.
1.3 Übersetzungen und Kommentare Bardtke, E., Zusätze zu Esther, JSHRZ I, Gütersloh 19772 — Kottsieper, I., Zusätze zu Esther, ATD Apokryphen 5, Göttingen 1998, 109-207 — Jobes, K. H., Esther, NETS, Oxford / New York 2007, 424-440 — De Troyer, K. / Wacker, M.-Th, Esther, LXX.D, Stuttgart 20102, 593-618 — De Troyer, K./Wacker, M.-Th, Esther (LXX und A-Text), LXX.E I, Stuttgart 2011, 1253-1296.
1.4 Weitere Literatur Bickermann, E., Notes on the Greek Book of Esther, PAAJR 20 (1950), 101-133 — Boyd-Taylor, C., Esther’s Great Adventure: Reading the LXX Version of the Book of Esther in Light of Its Assimilation to the Conventions of the Greek Romantic Novel, BIOSCS 30 (1997), 81-113 — Candido, D., I Testi del libro di Ester. Il caso dell’introitus TM 1,1-22, Rom 2006 — LXX A 1-17; 1,1-22 — Tα A 1-19; 1,1-21, AnBib 160, Rom 2005 — Cavalier, C., Le »colophone« d’Esther, RB 110 (2003), 167-177 — Clines, D. J. A., The Esther Scroll: The Story of the Story, JSOT.S 30, Sheffield 1984 — Cook, H., The A Text of the Greek Version of the Book of Esther, ZAW 81 (1969), 369-376 — Day, L., Three Faces of a Queen. Characterization in the Books of Esther, JSOT.S 186, Sheffield 1995 — De Troyer, K., An Oriental Beauty Parlour: An Analysis of Esther 2.8-18 in the Hebrew, the Septuagint and the Second Greek Text, in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to Esther, Judith and Susanna, Sheffield 1995, 47-70 — De Troyer, K., Once More the So-called Esther Fragments of Cave 4, RdQ 75/19 (2000), 401-422 — De Troyer, K., The End of the Alpha-Text of Esther. Translation and Narrative Technique in MT 8:1-17; LXX 8:1-17, and AT 7:14-41, SCS 48, Atlanta/GA 2000 — De Troyer, K., The Letter of the King and the Letter of Mordecai. An Analysis of MT & LXX 8.9-13 and AT 7.33-38, in: Textus 21, Jerusalem 2002, 175-207 — De Troyer, K., Esther in Text- and Literary-Critical Paradise, in: L. Greenspoon / S. White Crawford (Hg.), The Book of Esther in Modern Research, JSOT.S 380, Shef1. Literatur
271
3.1 Esther / Das Buch Ester
field 2003, 31-49 — De Troyer, K., Der lukianische Text. Mit einem Beitrag zum sogenannten lukianischen Text des Estherbuches, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Die Septuaginta: Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 161, Stuttgart 2004, 229246 — De Troyer, K., Die Septuaginta und die Endgestalt des Alten Testaments, UTB 2599, Göttingen 2005 — De Troyer, K. / Rediger Schulte, L., Is God Absent or Present in the Book of Esther? An Old Problem Revisited, in: I. D. Dalferth (Hg.), The Presence and Absence of God, RPT 42, Tübingen 2009, 35-40 — Dorothy, C. V., The Books of Esther. Structure, Genre and Textual Integrity, JSOT.S 187, Sheffield 1997 — Ego, B., Die Theologie der Estererzählung in der Septuaginta. Eine narratologische Annäherung, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 225-244 — Fox, M., The Redaction of The Books of Esther: On Reading Composite Texts. SBL. MS 40, Atlanta/GA 1991 — Greenspoon, L. / White Crawford, S. (Hg.), The Book of Esther in Modern Research, JSOT.S 380, Sheffield 2003 — Haelewyck, J.-C., Le texte dit »lucianique« du livre d’Esther. Son étendu et sa cohérence, Le Muséon 68 (1985), 5-44 — Harvey, C. D. (Hg.), Finding morality in the Diaspora? Moral Ambiguity and Transformed Morality in the Books of Esther, BZAW 328, Berlin 2003 — Jacob, B., Das Buch Esther bei den LXX, ZAW 10 (1890), 241298 — Jobes, K., The Alpha-Text of Esther. Its Character and Relationship to the Masoretic Text, SBL.DS 153, Atlanta/GA 1996 — Kossmann, R., Die Esthernovelle. Vom Erzählten zur Erzählung, VT.S 79, Leiden 2000 — Kreuzer, S., Papyrus 967 – Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Stuttgart 2008, 65-81 — Martin, R. A., Syntax-Criticism of the LXX Additions to the Book of Esther, JBL 94 (1975), 65-72 (auch in: Moore, 1982, 595–602) — Mittmann-Richert, U., Zusätze zu Esther, in: dies., Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI, 1,1, Gütersloh 2000, 97–113 — Moore, C. A. (Hg.), Studies in the Book of Esther, New York 1982 — Moore, C. A., A Greek Witness to a Different Hebrew Text of Esther, ZAW 79 (1967), 351-358 (auch in: ders. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 521-528) — Moore, C. A., On the Origins of the LXX Additions to the Book of Esther, JBL 92 (1973), 382393 (auch in: ders. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 583-594) — Moore, C. A., Daniel, Esther, and Jeremiah: The Additions, AB 44, Garden City/NY 1977 — Moore, C. A., The Greek Text of Esther, Baltimore 1965 — Schmitz, B., »am Ende ihres Weges Den zu schauen, an dem man stirbt, wenn man ihm naht« (Rainer Maria Rilke). Die Rede von Gott in den Estererzählungrn, in: R. Egger-Wenzel / K. Schöpflin / J. F. Diehl (Hg.), Weisheit als Lebensgrundlage (FS F. V. Reiterer), DCLS 15, Berlin / Boston 2013, 275-296 — Torrey, C. C., The Older Book of Esther, HThR 37 (1944), 1-40 (auch in: Moore, C. A. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 448-487) — Torrey, C. C., Review of A. E. Brooke / N. McLean / H. St. J. Thackeray, Esther, Judith, Tobit (The Old Testament in Greek III/1, Cambridge 1940), JBL 61 (1942), 130-136 — Tov, E., The »Lucianic« Text of the Canonical and the Apocryphal Sections of Esther. A Rewritten, Biblical Book, Textus 10 (1982), 1-25 — Van Henten, J. W., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People, JSJ.S 57, Leiden / New York / Köln 1997 — Vialle, C., Une analyse comparée d’Esther TM et LXX. Regard sur deux récits d’une meme histoire, BEThL 233, Leuven 2010 — Wacker, M.-T., »Three Faces of a Story«. Septuagintagriechisches und pseudolukianisches Estherbuch als Refigurationen der Esther-Erzählung, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 64-89 — Wacker, M.-T., Mit Tora und Todesmut dem einen Gott anhangen. Zum Estherbild der Septuaginta, in: F. Crüsemann u. a. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel (FS L. Schottroff), Gütersloh 2004, 312-332 — Wacker, M.-T., Tödliche Gewalt des Antisemitismus – mit tödlicher Gewalt gegen Antisemitismus? Bibelhermeneutische Überlegungen zu Est 9, in: F.-L. Hossfeld u. a. (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger), HBS 44, Freiburg i. Br. 2004, 609-
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1. Literatur
3.1 Esther / Das Buch Ester
637 — Wechsler, M. G., The Appellation ΒΟΥΓΑΙΟΣ and Ethnic Contextualization in the Greek Text of Esther, VT 51 (2001), 109-112.
Bei der Erforschung des Estherbuches gibt es zwei Hauptbereiche: Im ersten geht es um die Beziehung zwischen dem Masoretischen Text, der Old Greek (manchmal, aber nicht ganz genau als die Septuaginta bezeichnet) und dem sogenannten Alpha-Text (oder AText) 1. Seit C. C. Torrey vermutete, dass hinter dem zweiten griechischen Text eine ältere hebräische Fassung des Estherbuches liegen könnte, hat sich die Forschung mit dem Verhältnis zwischen den verschiedenen Fassungen beschäftigt. Dabei gibt es zwei hauptsächliche Richtungen: Die eine verteidigt die Ursprünglichkeit und das höhere Alter des kürzeren hebräischen Estherbuches, das hinter dem zweiten griechischen Text von Esther liegt (so z. B. Torrey, Moore, Clines und, wenn auch mit Differenzen im Einzelnen, Fox, Jobes, Haelewyck; ähnlich aber mit Fokus auf der Vetus Latina, Dorothy, Kossman, Candido, und Kahana). Die andere Forschungsrichtung betrachtet den Septuagintatext als Übersetzung des MT und den A-Text als Bearbeitung der Septuaginta (so Hanhart, wobei dieser einige Lesarten vermerkt, wo der zweite Text dem Text des Josephus und der Vetus Latina entspricht; so auch De Troyer sowie Tov, der allerdings auch Einflüsse einer etwas anderen hebräischen Vorlage annimmt). Ein zweiter großer Forschungsbereich untersucht den Septuagintatext (und auch den A-Text) als Literatur. Diese Forschungen wurde vor allem durch Linda Day, Three Faces of a Queen, in Gang gesetzt. Inspiriert von Clines und seiner Unterscheidung der verschiedenen Formen des Estherbuches, untersuchte sie die Darstellung der Hauptpersonen des Buches und stellte fest, dass jede Form des Estherbuches ein spezifisches Bild von Esther und den anderen Hauptpersonen präsentiert. Markante Untersuchungen in diesem Bereich sind die Beiträge von Boyd-Taylor (1997), der die Entsprechungen zwischen den Zusätzen zu Esther und hellenistischen Erzählungen herausstellte, sowie die vergleichende Analyse der Charaktere in Esther und der abschließenden Ereignisse im Estherbuch durch M.-T. Wacker (2004a und b). Die erwähnten Arbeiten sind jedoch keine Kommentare zum griechischen Estherbuch (LXX oder A-Text) im Ganzen. Bisher gibt es nur einen solchen Kommentar, nämlich jenen von Fritzsche von 1871. Ein kurzer Kommentar von Reinhartz erschien 2001 im Oxford Bible Commentary. De Troyer widmete in ihrem Kommentar von 2001 ein Kapitel dem Estherbuch der Septuaginta. Einen kurzen Kommentar von De Troyer und Wacker enthält LXX.E. Derzeit sind vier Kommentare zum griechischen Text von Esther in Vorbereitung: De Troyer im Septuaginta-Kommentar von Brill, Jobes für den NETS-Kommentar, Uehlinger für Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament und Cavalier für La Bible d’Alexandrie. Für die Zusätze zu Esther gibt es bereits vier Kommentare: von H. Bardtke (1973), C. A. Moore (1977), I. Kottsieper (1998) und U. Mittmann-Richter.
1.
Die im Englischen übliche Abkürzung »AT« ist im Deutschen nicht brauchbar, weil sie zur Verwechslung mit »Altes Testament« führen würde. Daher wird hier wie auch in LXX.D und LXX.E »A-Text« verwendet. 1. Literatur
273
3.1 Esther / Das Buch Ester
2. Textüberlieferung und Editionen Neben der Handausgabe von Rahlfs(/ Hanhart) gibt es zwei große kritische Ausgaben. Einerseits die diplomatische Ausgabe von Brooke / McLean / Thackeray, Cambridge 1940, basierend auf dem Codex Vaticanus mit umfangreichem textkritischen Apparat, andererseits die Ausgabe von Hanhart im Rahmen der Göttinger Septuaginta von 1966 (19832). Die Einleitung zu diesem Band enthält eine umfangreiche Beschreibung der Textzeugen und der Textgeschichte. Die Textgeschichte des griechischen Estherbuches unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Septuagintabüchern. Der alte griechische Text ist in den großen Kodizes (Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus und Venetus), in Minuskeln und im berühmten Chester Beatty Papyrus 967 (der der älteste Textzeuge ist) überliefert. Zudem sind die alten Übersetzungen von Bedeutung: Die Vetus Latina, die koptisch-sahidische, die äthiopische und die georgische Übersetzung. Es gibt auch eine slawische Übersetzung, die allerdings bei Hanhart nicht berücksichtigt ist. Wichtig ist auch der Text des Josephus (Buch 11 der Antiquitates) und Zitate der Kirchenväter (allerdings nur von Hippolyt und Origenes). Der zweite griechische Text ist in den Minuskeln 19, 93, 108 und 319 erhalten. Die ersten drei sind normalerweise Zeugen des Antiochenischen Textes, daher wurde diese Textform oft als lukianischer bzw. jetzt: antiochenischer Text bezeichnet. Allerdings bieten die Ms. 93 und 108 nicht nur den zweiten Esthertext, sondern auch den ersten (Old Greek). Beide haben zuerst den Old Greek Text und dann den A-Text, und zwar in 108 unmittelbar anschließend, in 93 durch 44 Seiten getrennt. (Ob die Reihenfolge die Bedeutung ausdrückt oder ob die Schreiber nach dem ersten Esthertext dann doch noch den »richtigen« Text bringen wollten, wird man kaum entscheiden können). Darüber hinaus hat Ms 93 ca. neun Lacunen, die mit Text aus der Septuaginta-Version gefüllt wurden. Der älteste griechische Zeuge des A-Textes ist Ms. 319, das auf 1021 n. Chr. datiert wird und sich im Vatopedi-Kloster auf dem Berg Athos befindet – ein älteres Georgisches Manuskript ist jetzt auch bekannt, leider noch nicht ediert. Zu erwähnen ist, dass die in das 10. Jh. datierte Minuskel 392 einen »Mischtext« enthält, d. h. einen Text, der Lesarten aus beiden Textformen enthält. Das ist ein Beleg dafür, dass beide Textformen spätestens im 10. Jh. existierten, bevor sie dann J. Ussher 1655 wieder entdeckte. Die ursprüngliche griechische Übersetzung erfuhr die folgenden Bearbeitungen: Die Rezension des Origenes und eine weitere Rezension, die in der älteren Literatur oft als Lukianische Rezension bezeichnet wurde (s. u.). Die Rezension des Origenes ist ab dem Codex Alexandrinus in vielen Handschriften überliefert. Dass es eine zweite Textform gab, ist durch die o. g. vier Manuskripte bezeugt. Die Identifikation bzw. Zuordnung dieser Rezension ist umstritten. Zuerst wurde sie als lukianisch bezeichnet. Diese Bezeichnung wurde in Frage gestellt, weil sich kaum Spuren dieses Textes bei den antiochenischen Kirchenvätern fanden. Im Anschluss an die von N. Fernandez Marcos bei Samuel, Könige und Chronik verwendete Bezeichnung wird auch vom Antiochenischen Text gesprochen. Andere Bezeichnungen sind Alpha-Text, A-Text (im Englischen oft abgekürzt »AT«) oder Agrippa274
2. Textüberlieferung und Editionen
3.1 Esther / Das Buch Ester
Text 2. – Wie immer bei Rezensionen stellt sich die Frage der Vorlage und wieweit sich die Vorlage vom masoretischen Text unterschied. Da die Mehrheit der Forscher den ursprünglichen Esther-Text als Übersetzung aus dem Hebräischen betrachtet, stellt sich die Frage nach Differenzen zwischen dem (proto)masoretischen Text und dem etwas älteren hebräischen Text der Vorlage. Der zweite griechische Esther-Text ist vielleicht eine Rezension (bzw. nur eine Revision) des griechischen Textes. Andernfalls müsste man ihn als rewritten text bzw. als literarische Bearbeitung verstehen. Eine in der Praxis wichtige Frage ist die Kapitel- und Verszählung des griechischen Esther-Textes. In der Göttinger Ausgabe folgt beides eng der Zählweise im Masoretischen Text. Es gibt jedoch sechs (in den römisch-katholischen Ausgaben sieben) Abschnitte, die im hebräischen Text fehlen. Hieronymus fügte diese Abschnitte als Ergänzungen seiner Übersetzung hinzu. Daher beginnt in der Vulgata die Zählung dieser Zusätze mit Kap. 11, nach Kap. 10 des hebräischen Textes. Das Hinzufügen der zusätzlichen Passagen am Ende des Buches machte deutlich, dass diese Verse nicht zu dem ursprünglichen hebräischen Text gehörten. Doch die neue Abfolge unterbrach nun die Logik der griechischen Erzählung. Eine Auflistung der Zusätze mag die Situation erhellen: 3 Hanhart
Vulgata
Position im Verhältnis zur Erzählung in MT
Inhalt
A
11,2-12 12,1-8
vor 1,1
Traum des Mordechai
B
13,1-7 15,1-3
nach 3,13, vor 3,14 nach 4,8, vor 4,9
Erlass des Haman Ergänzung zu Mordechais Alarm
C
13,8-18 14,1-19
nach 4,17, vor Zus. D
Gebet des Mordechai Gebet der Esther
D
15,4-19
nach Zus. C, ›vor‹ 5,1
Esthers Audienz beim König
E
16,1-24
nach 8,12, vor 8,13
Erlass von Esther und Mordechai
F
10,4-13 11,1
Traumdeutung Unterschrift
Die Unterteilung der Zusätze selbst wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt. In der Cambridge Edition (BML) sind die Hinzufügungen als Kapitel behandelt und nummeriert, nicht als Zusätze. Dagegen bezieht sich Clines auf die Hinzufügungen als Zusätze, unterbricht aber nicht die Nummerierung innerhalb des Textes. Auch die Nummerierung des zweiten griechischen Textes wird mindestens auf zwei unterschiedliche Weisen geboten. Hanhart hat sich bemüht, so weit wie möglich den zweiten griechischen Text parallel zum ersten zu nummerieren. Wo immer der zweite griechische Text eigene Unterteilungen aufweist, fügt Hanhart die parallele Position der LXX in Klammern hinzu. Erwähnenswert ist, dass im zweiten griechischen Text bestimmte Verse fehlen, z. B. 1,17.18; 2,3; 6,10-13.15-16; 3,12. Außerdem stehen 3,7 2. 3.
Diese Bezeichnung basiert auf der von De Troyer, Ende, 400-403 vorgeschlagenen Einordnung dieses Textes in die römische Zeit bzw. Zeit des Herodes Agrippa. Der folgende Abschnitt ist aus De Troyer / Wacker, LXX.E, übernommen. 2. Textüberlieferung und Editionen
275
3.1 Esther / Das Buch Ester
nach 3,10, und 3,11 vor 3,10. Darüber hinaus »fehlen« dem zweiten griechischen Text zahlreiche »Enden« von Kapiteln und Zusätzen: 2,19-23; Zusatz C 30. Vor allem aber ist bedeutsam, dass der zweite griechische Text sich von LXX 7,9 (10) an fortsetzt. Nach Hanhart entspricht LXX 7,9 dem AT 7,12(b), und der Text setzt sich von 7,12 an bis 21 fort. Die Verse 7,22-32 bilden den Zusatz E. Der Rest des zweiten griechischen Textes findet sich in 7,33 (par. LXX 8,14) bis 7,59. Hanhart (Gö) zufolge schließt der zweite griechische Text auch Zusatz B als die 3,13 folgenden Verse ein, nämlich 3,14-18 (par. Zus. B,1-7). AT 3,19 ist dann parallel zu LXX 3,14. Dasselbe passiert mit Zusatz C, im AT 4,12b.13.29. Zusatz D ist bekannt als AT 5,1-12. Danach fährt AT mit 5,13, parallel zu LXX 5,3, fort. Kapitel 5 vom AT hat 24 Verse (Gö und BML). Von Kapitel 6 an geht der AT wieder parallel mit der LXX, obgleich nicht sehr lange. Kapitel 6 hat 23 Verse im AT, aber nur 14 in der LXX. LXX 8,1 ist AT 7,12b (Gö). So viel zur Textnummerierung des zweiten griechischen Textes im Vergleich zum ersten. Von Bedeutung ist hier die Nummerierung der Zusätze. Wie bereits bemerkt, halten Clines und BML Zusatz A für Kapitel 1. LXX 1,1 ist parallel zu A-Text 2,1. Nach 4,13 (par. zu LXX 3,13) stellt Zusatz B den Abschnitt 4,14-19 dar; Zusatz C ist 5,13-29; A-Text 6,1-12 besteht aus LXX Zusatz D; Zusatz E ist 8,22-32 und steht nach 8,21 (8,12 in LXX); und Zusatz F besteht aus 8,53-59 (nach 10,3 LXX). Darüber hinaus benutzt BML römische Zahlen für Kapiteleinteilungen, Clines aber arabische. Fox benutzt dagegen römische Zahlen für die Einteilungen des A-Textes, und arabische Zahlen für den MT und die LXX. Gleichzeitig aber übernimmt Fox Hanharts (Gö) in Klammern gesetzte Nummerierung. Mit anderen Worten: Der Text von MT und LXX 8 ist parallel zu A-Text VIII und nicht zu VII, wie in der Cambridge Edition. Nicht zuletzt sind auch noch die Zusätze in Verse unterteilt, und diese wiederum auf zwei verschiedene Weisen bezeichnet: entweder mit Buchstaben (z. B. bei Rahlfs von 8,12a bis 8,12x) oder mit Zahlen (z. B. bei Hanhart von E,1 bis E,24; BML: E,1 bis E,24; Clines: E,22 bis E,32). Genauer: Nach Hanhart ist MT 8,13 auch 8,13 in der LXX, aber 7,33 im A-Text; nach BML ist hier der A-Text jedoch VIII,33 und nach Clines 8,33. Darüber hinaus ist MT 5,3 nach Hanhart 5,3 auch in der LXX und im AT; nach Cambridge aber ist der A-Text hier VI,13, und nach Clines 6,13. Solch ein Durcheinander hat zur Folge, dass man bei der Erforschung der Literatur jeden Verweis in jeder der Texteditionen gesondert auffinden muss, um dann zu ermitteln, auf welche Passage sich der Verweis des jeweiligen Verfassers bezieht.
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Frage nach dem Ursprung der Zusätze und die damit verbundene Frage, ob diese auf Griechisch entstanden oder aus dem Hebräischen übersetzt wurden, führte zu einer Reihe Untersuchungen zur Übersetzungstechnik des LXX- und des A-Textes. Während Untersuchungen zur Übersetzungstechnik erst in neuerer Zeit in Mode kamen, wurden sie für das Buch Esther und die Frage, ob die kürzere hebräische Textform die ältere ist (so Eichhorn, Leipzig 1795) oder die längere Griechische mit ihren Zusätzen (so De Rossi, Rom 1782), schon seit langem durchgeführt. Darüber hinaus 276
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
3.1 Esther / Das Buch Ester
verwendete Martin 1974 das Estherbuch als Testfall für die Frage nach syntaktischen Kennzeichen für semitische Vorlagen griechischer Texte. Sehr wahrscheinlich ist die Septuaginta des Estherbuches (abgesehen von den Zusätzen) eine Übersetzung eines hebräischen Textes, der ziemlich genau dem masoretischen Text entsprach. Diese Übersetzung entspricht auch in ihrer Abfolge jener des hebräischen Textes, wenn auch mit einzelnen Auslassungen (4,6; 9,5; 9,30) und kleineren Umstellungen (3,10-12, und auch 8,11-12). Ein Kennzeichen in der Syntax ist, dass der griechische Text mehr Hypotaxen verwendet als der hebräische Text. Ein inhaltliches Kennzeichen ist, dass die eher unpersönliche Beziehung des Königs zu seinen Untertanen in der griechischen Übersetzung mehr zu einer Ich-Du-Beziehung wird, insbesondere im Blick auf Esther. Bezüglich der Datierung der griechischen Übersetzung des Estherbuches ist festzuhalten, dass es das einzige biblische Buch mit einem richtigen Kolophon ist. Dort wird gesagt, wo das Buch übersetzt wurde und wer es an einen bestimmten Platz brachte: Im vierten Jahr der Regierung des Ptolemaios und der Kleopatra überbrachten Dositheos, der behauptete, ein Priester und Levit zu sein, und Ptolemaios, sein Sohn, den vorliegenden Phrurai-Brief. Sie sagten von ihm, er sei (echt) und Lysimachos, (Sohn des) Ptolemaios, von denen in Jerusalem, habe ihn übersetzt. (LXX.D, 618)
Das Buch wurde also in Jerusalem übersetzt und nach Ägypten gebracht. In der Diskussion, um welche Ptolemäer es sich handelt, folgen die meisten der Meinung von Bickermann, dass sich die Datierung auf das 4. Jahr von Ptolemäus XII. Auletos und Kleopatra V. bezieht, d. h. auf das Jahr 78/77 v. Chr. Bezüglich des zweiten griechischen Textes stellt sich die Frage, ob er in Griechisch verfasst ist oder die Überarbeitung des LXX-Textes oder die Übersetzung einer bislang unbekannten hebräischen Vorlage. Die Nähe des zweiten Textes zum LXX-Text spricht jedenfalls für eine enge Beziehung zwischen beiden. Allerdings gibt es einige Ausdrücke, die näher am Semitischen liegen, was auf eine hebräische Vorlage hinweisen könnte. Zu beachten ist auch, dass manchmal Material des LXX-Textes an anderer Stelle auftaucht. Der Ort der Übersetzung des zweiten Textes hängt davon ab, ob man ihn als eine originale Übersetzung oder als Revision betrachtet. Beachtenswert ist, dass es einige Parallelen zur Vetus Latina gibt und auch zur Darstellung der Esthergeschichte bei Josephus. Der zweite griechische Text existierte also spätestens im 1. Jh. n. Chr. De Troyer hat auf einen möglichen Kontext in der römischen Zeit hingewiesen.
4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Auch hier haben die Zusätze wesentliches Gewicht für die Bewertung. Die beiden Zusätze B und E sind in beinahe klassischem Griechisch verfasst und haben zudem Anklänge an Edikte von Antiochus IV. Epiphanes aus dem 2. Jh. v. Chr. Die anderen Zusätze haben eine mehr semitische Färbung und können als Übersetzungsgriechisch bezeichnet werden. Von der Übersetzerin wurden bestimmte Züge der Darstellung leicht aber doch 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil
277
3.1 Esther / Das Buch Ester
deutlich verändert. So ist Haman in der griechischen Fassung nicht mehr (nur) der Feind Mardochais, sondern er wird zum Prototyp der Judenfeindes. In der Übersetzung wird auch unterstrichen, dass es für die Juden auch um die Erlaubnis geht, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, und nicht nur um die Verteidigung gegenüber den Feinden (s. besonders LXX 8,11-13). Es gibt auch eine Betonung des Patriotischen, die im hebräischen Text fehlt. Auch die Charaktere ändern sich: Der König wahrt Distanz gegenüber Hamans Plan und unterstützt Esther und Mardochais bei der Umkehrung der Ereignisse. Der König hat hier auch eine engere Beziehung zu Esther als in der hebräischen Erzählung und Mardochai wird schließlich der »Nachfolger« des Königs, d. h. wohl: der zweite Mann im Staat. Die LXX-Version des Estherbuches unterscheidet sich von der masoretischen Vorlage vor allem durch die Präsenz religiöser Elemente, wie die Gebete Esthers und Mardochais im Zusatz C. Im zweiten griechischen Text finden sich dieselben griechischen religiösen Elemente, allerdings ist dort das Bild Gottes auf den Aspekt des Richters konzentriert, während im LXX-Text Gott König und Richter ist (De Troyer / Rediger Schulte, God absent or present). Interessant ist die (sekundäre?) Stellung des Estherbuches im Papyrus 967 und im Kanongedicht des Amphilochios (Kreuzer, Papyrus 967).
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Der hebräische und auch der griechische Text enthalten die blutigen Szenen am Ende der Erzählung, in denen eine große Zahl an Menschen getötet wird. Diese Szenen haben zur negativen Meinung über das Buch bzw. die Kanonizität des Buches Esther geführt. Der alte griechische Text des Estherbuches, wie er besonders in der orthodoxen Kirche tradiert wurde, hat ein Nachleben sowohl in der Liturgie wie auch in der Kunst. So findet sich die Szene des Zusatzes D, wo Esther vor dem König erscheint, von der Darstellung in der Synagoge von Dura Europos bis hinein in die moderne Literatur. 4
6. Perspektiven der Forschung Zum Estherbuch gibt es zwei große offene Forschungsbereiche: Zum einen das weite Problemfeld der Beziehung zwischen dem masoretischen Text und den beiden griechischen Versionen, zum anderen die Analyse und Interpretation der griechischen Fassung in ihrer jeweiligen literarischen und theologischen Eigengestalt. 5
4. 5.
Siehe Dalley, S., Esther’s Revenge at Susa. From Sennacherib to Ahasuerus, Oxford 2007. Siehe dazu zuletzt Schmitz, Gott, und Ego, Theologie.
278
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
3.2 Judith / Das Buch Judit Helmut Engel SJ
1
Literatur
1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R., Iudith, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,4, Göttingen 1979.
1.2 Übersetzungen und Kommentare Zenger, E., Das Buch Judit, JSHRZ I,6, Gütersloh 1981 — Boyd-Taylor, C., Ioudith, NETS, Oxford / New York 20092, 441-455 — Engel, H., Judit / Das Buch Judith, LXX.D, Stuttgart 20102, 618-635 — Engel, H., Judith / Das Buch Judit, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1297-1315. Miller, A., Das Buch Judith, HSAT IV,3, Bonn 1940 — Enslin, M. S. / Zeitlin, S., The Book of Judith, JAL 7, Leiden 1972 — Gera, D. L., Judith, CEJL, Berlin / Boston 2014 — Moore, C. A., Judith, AncB 40, Garden City/NY 1985 — Schmitz, B. / Engel, H., Judit, HThK 40, Freiburg 2014 (Lit!).
1.3 Weitere Literatur 1.3.1 Aufsätze und Monographien zum Text der Erzählung Bogaert, P.-M., Le calendrier du livre de Judith et la Fête de Hanukka, RTL 15 (1984), 67-72 — Craven, T., Artistry and Faith in the Book of Judith, SBL.DS 70, Chico/CA 1983 — Day, L., Faith, Character and Perspective in Judith, JSOT 95 (2001), 71-93 — Delcor, M., Le livre de Judith et l’époque grecque, Klio 49 (1967), 151-179 — Dubarle, A. M., Judith: Formes et senses des diverses traditions, AnBib 24/1-2, Rom 1966 — Dubarle, A. M., Les textes hébreux de Judith et les étapes de la formation du livre, Bib 70 (1989), 255-266 — Engel, H., Der Herr ist ein Gott, der Kriege zerschlägt. Zur Frage der griechischen Originalsprache und der Struktur des Buches Judit, in: K.-D. Schunck / M. Augustin (Hg.), Goldene Äpfel in silbernen Schalen, BEATAJ 20, Frankfurt 1992, 155-168 — Engel, H., Das Buch Judit, in: E. Zenger u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 362-375 — Gardner, A. E., The Song of Praise in Judith 16:2-17 (LXX 16:117), HeyJ 29 (1988), 413-422 — Grintz, Y. M., Judith, Book of, EJ 10 (1971), 451-459 — Haag, E., Studien zum Buche Judith. Seine theologische Bedeutung und literarische Eigenart, TThSt 16, Trier 1963 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des Buches Judith, MSU 14, Göttingen 1979 — Milne, P. J., What Shall We Do With Judith? A Feminist Reassessment of a Biblical »Heroine«, Semeia 61 (1993), 38-48 — Mittmann-Richert, U., Einführung zum Buch Judith, JSHRZ VI/1, Gütersloh 2000, 82-96 — Rakel, C., Judit – über Schönheit, Macht und Widerstand im Krieg. Eine feministisch-intertextuelle Lektüre, BZAW 334, Berlin 2003 — Schmitz, B., Männlichkeit im Mückennetz. Gendering und Crossgendering der Holofernesfigur in der Juditerzählung, Forschungsforum Bamberg 11 (2003), 21-26 — Schmitz, B., Zwischen Achikar und Demaratos. Die Bedeutung Achiors in der Juditerzählung, BZ NF 48 (2004), 19-38 — Schmitz, B., Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBS 40, Freiburg i. Br. u. a. 2004 — Skehan, P. W., The Hand of Judith, CBQ 25 (1963), 94-110 — Stummer, F., Geographie des Buches Judith, Stuttgart 1947 — VanderKam, J. C. (Hg.), »No One Spoke Ill of Her.« Essays on 1 Literatur
279
3.2 Judith / Das Buch Judit
Judith, SBL.Early Judaism and Its Literature 2, Leiden u. a. 1992 — van Henten, J. W., Judith as Alternative Leader: A Rereading of Judith 7-13, in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to Esther, Judith and Susanna, Sheffield 1995, 224–252 — Zenger, E., »Wir erkennen keinen anderen als Gott an …« (Jdt 8,20). Programm und Relevanz des Buches Judit, rhs 39 (1996), 17-30.
1.3.2 Darstellungen in Kunst und Literatur Bayer, B., Judith in the Arts, EJ 10, Jerusalem 1971, 459-461 — Efthimiadis-Keith, H., Text and Interpretation: Gender and violence in the Book of Judith, scholarly commentary and the visual arts from the Renaissance onward, OTEssays 15 (2002), 64-84 — Friedman, M., The Metamorphosis of Judith, Jewish Art 12/13 (1986/87), 225-246 — Hellmann, M., Judit – eine Frau im Spannungsfeld von Autonomie und göttlicher Führung, EHS.T 444, Frankfurt a. M. 1992, 166206 — Purdie, E., The Story of Judith in German and English Literature, Bibl.RLC 39, Paris 1927 — Seibert, J., Judith, LCI II, Freiburg i. Br. u. a. 1970, 454-458 — Stocker, M., Judith. Sexual Warrior. Women and Power in Western Culture, New Haven / London 1998 — Stone, N., Judith and Holofernes: Some Observations on the Development of the Scene in Art, in: J. C. VanderKam (Hg.), »No one spoke Ill of her«. Essays on Judith, SBL. Early Judaism and its Literature 2, Atlanta/GA 1992, 73-93 — Lempges, A., Bilder Judits nach dem biblischen Buch und in der darstellenden Kunst (unveröff. Diplomarbeit, Frankfurt Sankt Georgen 1999).
2. Textüberlieferung Robert Hanhart hat den gut bezeugten griechischen Text des Buches Judit 1979 vorzüglich kritisch ediert und dabei die alten Übersetzungen berücksichtigt, die sich an den griechischen Text anschließen (VL, Syr, Sa, Aeth, Arm). Nach Hanharts Analyse bieten die Majuskeln B (Vaticanus, 4. Jh.; nah verwandt ist die Hs. 55 und die äthiopische Übersetzung), A (Alexandrinus, 5. Jh.; verwandt ist die Hs. 542), V (Venetus, 8. Jh.) und in geringerem Maße S (Sinaiticus, 4. Jh.; von dem Blatt mit dem Text 11,13– 13,9 ist nur ein Bruchstück erhalten) einen von rezensionellen Überarbeitungen noch wenig beeinflussten Text. Die übrigen griechischen Handschriften, 35 Minuskeln und zwei Majuskelfragmente, ordnet Hanhart vier Gruppen zu. Dabei schließen sich die altlateinische und die syrische Übersetzung weithin an die »hexaplarisch« genannte Rezension (58.583) an. Eine fünfte Gruppe, codices mixti, enthält je in verschiedenem Umfang unterschiedliche rezensionelle Elemente. Meistens ist Jdt in den Handschriften zusammen mit Ester und Tobit an zweiter oder an dritter Stelle überliefert. In Ganzbibelhandschriften hat diese Dreiergruppe aber keinen festen Platz, z. B. steht sie in B hinter den Liedern und Weisheitsschriften (Ps-Spr-Koh-Hld-Ijob-Weish-Sir) und vor den Prophetenbüchern, in S dagegen hinter 1.2Chr–Esdr und vor 1–4Makk, in V hinwiederum befindet sich Est hinter Chronik und vor Esdras (im vatikanischen Teil der Handschrift) und Tob-Jdt (im venezianischen Teil der Handschrift) hinter den Weisheits- und den Prophetenbüchern (12+4) und vor 1–4Makk. Ein eigenes Problem stellt der Text der Vulgata dar, der lateinischen Übersetzung des Hieronymus (um 398), die nicht nur um ca. ein Fünftel kürzer ist als die griechische Textfassung, sondern auch Erweiterungen enthält und insgesamt nur zur Hälfte mit dem griechischen Text genauer übereinstimmt. Hieronymus schreibt in seiner Vorrede, das Buch Judit sei auf Aramäisch verfasst und werde bei den Juden 280
2. Textüberlieferung
3.2 Judith / Das Buch Judit
unter den hagiographa (Erbauungsschriften) gelesen. Er habe nur eine einzige kleine Nachtschicht (unam lucubratiunculam) auf seine Übertragung verwendet und mehr sinngemäß als wortwörtlich übersetzt. Die »äußerst fehlervolle Verschiedenheit der vielen Handschriften« (gemeint sind wohl die altlateinischen) habe er beschnitten und nur, was er in verbis chaldaeis voll verständlich vorgefunden habe, lateinisch ausgedrückt. Ein aramäischer Text, der Hieronymus vorgelegen haben könnte, ist jedoch nicht einmal in einem Fragment erhalten. Um 245 hatte Origenes in seinem Antwortbrief an Julius Africanus zwar geschrieben, die »Hebräer« hätten die Bücher Tobit und Judit nicht in Gebrauch und besäßen sie auch nicht unter den Apokryphen auf Hebräisch; daraus lässt sich aber wohl nicht zweifelsfrei folgern (obwohl es denkbar ist), dass der aramäische (»chaldäische«) Text, der Hieronymus 150 Jahre später vorlag und der ihm als zu den nichtkanonischen Hagiographen zählend bezeichnet wurde, erst ein »nachorigenisches Produkt« sei (A. Miller; so auch M. S. Enslin). Den Gewährsleuten des Origenes mögen Schätze der Überlieferung unzugänglich gewesen sein, die rabbinischen Lehrern zur Zeit des Hieronymus bekannt waren. A. M. Dubarle hat in mehreren Veröffentlichungen seine Auffassung dargelegt, die mittelalterlichen hebräischen Langfassungen der Juditerzählung (Texte nach Handschriften aus dem 11.–14. Jh.) seien weder Übersetzung der Vulgata noch freie Umformung des griechischen Textes, sondern Übersetzung oder Bearbeitung des aramäischen Textes, der Hieronymus vorlag. Angesichts der durchgehenden Übereinstimmung mit der Vulgata bei nur wenigen Abweichungen, die z. T. griechischer Sekundärüberlieferung entsprechen (R. Hanhart), hat diese These wenig Zustimmung gefunden. Erst recht ist über die Midraschim, die A. M. Dubarle übersichtlich aufgeführt hat, kein Zugang zur Vorlage des Hieronymus mehr zu gewinnen.
3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches 3.1 Aramäische oder hebräische Vorformen? Griechische Neugestaltung Der griechische Text enthält einerseits, besonders in den narrativen Abschnitten, zahlreiche Elemente in Syntax und Wortwahl, die ihn als Übersetzung aus einem semitischen Original zu kennzeichnen scheinen. E. Zenger hatte 1981 als »Indizien für einen hebräischen Urtext« im Anschluss an L. Soubigou und Y. M. Grintz aufgezählt: Die häufige Parataxe von Sätzen mit καί statt einer Zuordnung durch Konjunktionen; die häufige Satzstellung Verb–Subjekt–Objekt; die Verwendungsvielfalt von ὅτι (wie hebräisches ;)כיκαὶ νῦν in Entsprechung zu ;ועתהHebraismen im Gebrauch von σφόδρα (πολύ,), πᾶς, ἐν μέσῳ, υἱός (zur Bezeichnung der Zugehörigkeit), πρόσωπον in Verbindung mit einer Präposition für hebräisches מלפני, לפני, wo im Griechischen die Präposition allein genügen würde; die Gottesbezeichnung κύριος θεός für ;יהוה אלהים Fehlen der im Griechischen häufigen Partikeln ἄρα, γε, τε, οὖν; u. a. Andererseits ist aber der griechische Text, besonders in den Reden und Gebeten, von der Septuaginta und nicht vom hebräischen Text des AT her formuliert und verwendet Stilfiguren, die Original- und nicht Übersetzungsgriechisch sind (ausführlich dazu Engel, Originalsprache). Da die Reden, die Gebete und der Schlusshymnus je3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches
281
3.2 Judith / Das Buch Judit
doch den Buchaufbau und die theologische Leitidee der Erzählung entscheidend bestimmen, ist als Originalsprache des vorliegenden Juditbuches das Griechische anzunehmen. Falls aramäische oder hebräische Vorformen des Erzählstoffes existierten, ist zu beobachten, dass der Verfasser des griechischen Juditbuches sie noch viel tiefgreifender umgestaltete, als es durch die griechischen Erweiterungen beim Buch Ester geschah.
3.2 Verwendete Überlieferungen und literarische Form Schon von den ersten Worten des Buches an werden die Leser darauf aufmerksam gemacht, dass im Folgenden nicht in der Art der Königs-, Chronik- oder Makkabäerbücher erzählt wird, sondern eher wie z. B. im Jona- oder im Danielbuch: Aus verschiedenen Epochen stammende historische und geographische Überlieferungen werden in einer neuen paradigmatischen Erzählung zusammengeführt. Nebukadnezzar, König des Neubabylonischen Reiches (605–562 v. Chr.) – in der LXX wird er immer mit der Namensform »Nabuchodonosor« genannt – ist in der jüdischen Tradition der Inbegriff eines Feindes und Unterdrückers, der Zerstörer Jerusalems und des Tempels und der Verantwortliche für die Verschleppung der Bevölkerung nach Babylonien. Durch die Lokalisierung Nabuchodonosors in Ninive (diese Hauptstadt des Neuassyrischen Reiches war 612 v. Chr., noch vor dem Regierungsantritt Nebukadnezzars, unter seinem Vorgänger zerstört worden) und seine Bezeichnung als »König der Assyrer« werden mit dieser Gestalt im Juditbuch auch die Erinnerungen an das Neuassyrische Reich verbunden, die brutalste Kriegsmacht des Alten Orients, die 722 v. Chr. den Staat Israel und seine Hauptstadt Samaria zerstört und unter Sanherib 701 v. Chr. Juda verwüstet und Jerusalem eingekesselt hatte (2Kön 18– 19; Jes 36–37). Die Erfahrungen mit diesen Großmächten erzählt das Juditbuch so, dass der König Nabuchodonosor für sich unbedingten Gehorsam (2,5-13) beansprucht und sein Repräsentant Holofernes diesen Anspruch noch zur Behauptung der Göttlichkeit (6,2) steigert. Die persischen Namen des Feldherrn Holofernes und des Eunuchen Bagoas, die Bezeichnung von Gouverneuren als Satrapen u. a. verknüpfen zudem noch die Ereignisse während der persischen Oberherrschaft (z. B. den großen Feldzug des Artaxerxes III. Ochos über Syrien, Phönizien bis nach Ägypten in der Mitte des 4. Jh. v. Chr.) mit Nabuchodonosor, dem großen Feind. Aus dieser Perspektive werden innerhalb des Schlusshymnus die in der voraufgehenden Erzählung und in 16,3 »Assur/Assyrer« Genannten in 16,10 als »Perser und Meder« bezeichnet. Zugleich aber ist die im Juditbuch beschriebene Situation transparent auf den Alexanderzug (vgl. in 1,6 die Erwähnung des Hydaspes) und die Not in der seleukidischen Zeit unter den syrischen Königen Antiochos IV. Epiphanes und Demetrios I. – bei »Assyrien« soll wohl auch Syrien anklingen. Das Auftreten und das Schicksal des Holofernes wird in Entsprechung nicht nur zu Sisera, dem Heerführer des Kanaanäer-Königs Jabin von Hazor in der fernen Richterzeit (Ri 4–5), und zum Philistervorkämpfer Goliat, der die »Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnte« und dem der kleine David mit dessen eigenen Schwert den Kopf abschlug (1Sam 17), sondern auch und besonders zum seleukidischen General Nikanor erzählt, dessen Kopf und rechte Hand als Siegestrophäen in Jerusalem aufgehängt worden waren (1Makk 7; 2Makk 15). 282
3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches
3.2 Judith / Das Buch Judit
Wie der Erzähler in Nabuchodonosor und seinem Repräsentanten Holofernes Überlieferungen von militärisch weit überlegenen Eroberern und Unterdrückern aus vielen Jahrhunderten verdichtet, so stattet er auch die beiden anderen Hauptfiguren seines Werkes, den Ammoniterführer Achior und die schöne, kluge und gottesfürchtige Witwe Judit, mit Zügen von großen Gestalten der biblischen Überlieferung und der griechischen Literatur aus, jedoch mit bezeichnenden Veränderungen. Durch seine von der Rettungsmacht des Gottes Israels überzeugte Rede erscheint Achior dem Holofernes wie ein (abzulehnender) Prophet (6,2), so wie einst Bileam dem Balak (Num 23–24). Zugleich leuchtet in diesem zum festen Glauben an den Gott Israels gelangten Nichtjuden, der so vorzüglich die Geschichte Israels als Spiegel der Treue des Volkes zu seinem Gott erkannt hat, das Proselytenideal in der hellenistischen Zeit durch. Nach Vollzug der Beschneidung wurde er »dem Haus Israel hinzugefügt« (14,10). Angesichts des Verbotes in Dtn 23,4, jemals einen Ammoniter oder Moabiter aufzunehmen, ist das eine pointierte Aussage. In der Achior-Rede im Abschnitt über die Vorfahren Israels (5,6-9) wird deren Abstammung von Chaldäern und ihre Vertreibung aus Chaldäa wegen ihres Religionswechsels wohl deshalb so ausführlich dargestellt, um die »richtige« Auslegung der Torabestimmung in Dtn 23,4 zu zeigen: Ein Proselyt, selbst einer von ammonitischer Herkunft, ist kein »Ammoniter« mehr, wie Abraham kein »Chaldäer« mehr war. Schon in seinem Namen klingt Achior an den weisen Achikar an, den Berater und Siegelbewahrer der assyrischen Könige Sanherib und Asarhaddon. Die Rolle Achiors im Buch Judit zeigt mehrere Parallelen zur Achikar-Gestalt sowohl in der außerbiblischen Überlieferung als auch im Tobitbuch. Über die Strukturverwandtschaft der Juditerzählung im Ganzen mit der Bedrohung Griechenlands durch den Perserkönig Xerxes in der Darstellung Herodots (Hist. VII-IX) hinaus hat insbesondere das Gespräch, das Xerxes gleich nach der Überquerung des Hellesponts mit dem ihn begleitenden abgesetzten Spartanerkönig Demaratos führt (Herodot, Hist. VII,101-104), eine ähnliche Funktion wie die Rede Achiors vor Holofernes in Jdt 5 (zu den Bezugnahmen auf die Achikar-Überlieferung und auf den Xerxes-Zug bei Herodot s. Schmitz, Achikar). In Judit, der herausragenden Gestalt des Buches, verdichtet der Erzähler Züge großer Frauengestalten der biblischen Überlieferung: Wie einst Mirjam (Ex 15) nach der Rettung am Meer, so führt Judit die Frauen bei der Sieges- und Dankprozession an, dazu noch die Männer (15,14), und ist Vorsängerin. Wie die Prophetin und Richterin Debora, die den Kampf gegen die Kanaanäer durch Barak leitete und mit ihm das Siegeslied anstimmte (Ri 4–5), gibt Judit dem Heer Anweisungen, wie vorzugehen ist; und wie Jaël ist sie es, die den Feldherrn ganz unmilitärisch im Zelt tötet. Über diese biblischen Frauenbilder hinaus jedoch ist Judit als persönlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich unabhängige, selbständig und klug handelnde Frau, als überzeugend argumentierende Weisheitslehrerin und als ermutigende Theologin gezeichnet, die sich in Schrift und Tradition Israels hervorragend auskennt. Wie eine wahre Prophetin zeigt sie die Schuld und das Versagen der politisch und religiös verantwortlichen Männer auf (8,11; vgl. Mi 3,8). In ihren Gebeten wird sie als vorbildlich Glaubende und auf Gott Vertrauende erkennbar, die von ihm alle Hilfe für sein Volk erhofft. Ihre staunenswerte körperliche Schönheit wird in 10,10.14. 18 f.23; 11,21.23 wie die der Helena in einer Weise dargestellt, die der griechischen Welt seit Homer geläufig ist, nämlich 3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches
283
3.2 Judith / Das Buch Judit
im Spiegel der sie erblickenden Männer (vgl. die Teichoskopie in der Ilias III, 146-160). Die Freilassung ihrer Leibmagd vor Judits Lebensende zeigt ein in hellenistischer Zeit ideales Verhalten. Die Darstellungstechnik, eine umfassende Geschichtserfahrung und -deutung in individuellen Begebenheiten und in einer Vielfalt von literarischen Formen, im Zusammenspiel kontrastierender Gestalten und Szenen auszudrücken, entspricht der des antiken Romans (E. Zenger). Zugleich geben aber die zahlreichen Reden und Gebete, die für das Gesamtgefüge des vorliegenden Juditbuches tragende Bedeutung haben, der Erzählung ein lehrhaftes Gepräge. Von daher kann bezüglich seiner literarischen Form das Juditbuch als romanhafte theologische Lehrerzählung bezeichnet werden.
3.3 Aufbau, Erzählfaden und theologische Anliegen des Buches 3.3.1 Der Gang der Erzählung Der erste Abschnitt (Kap. 1–3) des ersten Buchteils (Kap. 1–7) umschreibt in großen Zügen den Herrschaftsanspruch des »Nabuchodonosor, Königs der Assyrer in der großen Stadt Ninive« und seine Forderung gottgleicher Verehrung gegenüber der gesamten bewohnten Welt (in den Ausmaßen, wie sie sich im 2. Jh. v. Chr. ein palästinischer Erzähler und seine Leser vorstellten). Den Auftakt bildet eine militärische Machtdemonstration im Osten gegen König Arphaxad von Medien. Da die Völker im Westen ihn »nur als einen Menschen« (1,11) betrachten und ihm bei seinem willkürlichen Vorhaben die Gefolgschaft verweigern, plant Nabuchodonosor einen grausamen Unterwerfungszug, den sein Feldherr Holofernes, angefangen von Obermesopotamien über Kleinasien und Syrien bis hin nach Ägypten und Äthiopien, führen soll. Ziel ist die Anerkennung Nabuchodonors als einzige Macht und als »Gott« (3,8). Mit der Errichtung eines Lagers für das Riesenheer am Gebirgsabhang von Juda ist die Situation gegeben, von der aus dann im Folgenden erzählt wird. Der zweite Abschnitt des ersten Buchteils (Kap. 4–7) entfaltet das Problem der Erzählung: Werden auch die Israeliten, ebenso wie die anderen Völker ringsum, nach anfänglichem Widerstand in der äußersten Not durch Unterwerfung schließlich doch Nabuchodonosors Anspruch anerkennen, oder werden sie trotz allem ihrem Gott, dem Herrn, die Treue halten und sich auf die Macht des Herrn, sie zu retten, verlassen? Umrahmt von Ausmalungen der furchtbaren Notsituation der Israeliten (Kap. 4 und 7) beantwortet ein Nichtjude, der Ammoniter Achior, die Frage des Holofernes: »Wer ist dieses Volk?« (5,3) durch einen dreiteiligen Geschichtsrückblick auf die Rettungstaten ihres Gottes: Nur wenn die Israeliten sich von ihm abwendeten, könnten sie bezwungen werden. Holofernes und sein Heer weisen diese Sichtweise als mit dem Anspruch Nabuchodonosors unvereinbar zurück; der Erfolg werde entscheiden. Der zweite Buchteil (Kap. 8–16) ist in seinen drei Großabschnitten ganz bestimmt durch die überragende Gestalt der Judit, ihre Reden, Bitt- und Dankgebete. Zu Beginn des ersten Abschnitts (Kap. 8–9) wird Judit »biographisch« vorgestellt, dann tadelt sie in einer prophetisch-theologischen Lehrrede die Verantwortlichen und bewegt sie zum Umdenken. Ihr großes Gebet lässt die Leser ihre auf die Überlieferungen des Volkes Israel gegründete Hoffnung und ihr Vertrauen auf den Israel errettenden Gott 284
3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches
3.2 Judith / Das Buch Judit
erkennen, der durch ihre Hand auch jetzt Hilfe schenken wird. Im zweiten Abschnitt (10,1–13,10) wird das Gelingen des Vorhabens der schönen, klugen und gottesfürchtigen Frau erzählt: Holofernes, der Repräsentant des Gewalt und Tod verbreitenden »Gottes« Nabuchodonosor verliert seinen Kopf – im doppelten Sinn. Der Schlussabschnitt (13,11–16,25) schildert Freude und Dank über die Rettung bei den Israeliten, Verwirrung und Flucht bei den Feinden, und gipfelt im Gesang Judits und des Volkes während der Prozession nach Jerusalem zum Dankfest. Mit einigen Notizen über das lange Leben der hochgeachteten, heldenhaften Witwe und das ihren Tod weit überdauernde Unbehelligtbleiben der Israeliten endet die Erzählung.
3.3.2 Theologische Themen Das Anliegen des Buches ist es, erzählend darzulegen, wer und wie Gott ist, wie die Menschen sich im Reden und Handeln »richtig« (8,11) gegenüber dem Herrn, dem Gott Israels, verhalten und welche Beziehung zwischen menschlichem Einsatz und der Rettung durch Gott besteht. Gegenüber einem »Gottheitserweis« durch unwiderstehliche Macht, verkörpert in Holofernes mit seinem Heer, verbunden mit Furcht und Schrecken, Gewalt, Versklavung, Verwüstung und Tod bezeugt Judit eine völlig andere Gottesvorstellung in Gebet und Lied und Verhalten: »Deine Macht stützt sich nicht auf große Zahl und deine Herrschaft nicht auf Starke; sondern der Erniedrigten Gott bist du, der Unterlegenen Helfer bist du, Beistand der Schwachen, der Verachteten Beschützer, der Verzweifelten Retter« (9,11). An zwei hervorgehobenen Stellen, in 9,7 im großen Gebet Judits und in 16,2 im Schlusshymnus, zitiert sie Ex 15,3 nach der Septuaginta: Dort ist die Aussage »Jhwh ist ein Kriegsmann/-held« (so der hebräische Text) ersetzt durch κύριος συντρίβων πολέμους: »Der Herr ist einer, der Kriege zerschlägt« (eine ähnliche antimilitärische Umdeutung des hebräischen יהוה איש מלחמהgeschieht in Jes 42,13LXX). Von solchen Bekenntnisaussagen her ist die zweite Buchhälfte konzipiert: Gott kämpft nicht, er lässt auch nicht die Israeliten die besseren Soldaten oder überlegen bewaffnet sein, seine Hilfe und rettende Macht passt überhaupt nicht in militärische Kategorien, ironisiert diese vielmehr: Er rettet »durch die Hand einer Frau« (9,10; 13,15; 16,5-9; unverkennbar wird mit dieser Wendung auf die Ur-Rettungstat beim Exodus »durch die Hand des Mose« bzw. durch die »Hand Gottes« zurückverwiesen, vgl. P. W. Skehan). Durch das nach militärischen Maßstäben Schwächste und zu Angriff oder Verteidigung Ungeeignetste kann Gott einer verheerenden Weltmacht Einhalt gebieten. Der Anspruch des gewalttätigen Nabuchodonosor und seines »Propheten« Holofernes ist damit als Selbstüberhebung (ὑπερηφανία) aufgedeckt (6,19; 9,9). Die Tat Judits ist in vorbereitendes, begleitendes und dankendes Gebet eingebettet und wird Gott als Rettungstat mit Preis und Dank zugeschrieben (9,10; 13,14 f.; 14,10; 15,8; 16,2.5). Nirgends im Buch steht diese Zuschreibung jedoch in Konkurrenz dazu, dass die wohlhabende, kluge, schöne und gottesfürchtige Frau in eigener Initiative mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln handelt und persönlich voll das Risiko ihrer Unternehmung trägt (so ausdrücklich: 13,20; 15,10; vgl. 8,24.32 f.). Die Erzählung verzichtet auf jedes »Wunder«, d. h. Gott wird nicht als ein Faktor neben anderen, die die Ereignisfolge beeinflussen, benannt. Der Verfasser verkörpert in Judit, was »gottesfürchtig leben« bedeutet, nämlich: in grenzenlosem Vertrauen auf den Gott Israels eigenverantwortlich, klug abwägend und mutig handeln. Die Niederlegung ihres ge3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches
285
3.2 Judith / Das Buch Judit
samten Beuteanteils als Weihegabe im Jerusalemer Tempel (16,19) drückt die Überzeugung aus, dass das Gelingen der Rettung im Letzten jedoch nicht dem hohen persönlichen Einsatz, der ganz unverzichtbar ist, sondern Gott allein verdankt wird. Zu der Beurteilung des Fehlverhaltens der Ältesten und der Einwohner Betulias in Judits theologischer Lehrrede (8,11-27), zu den Umkehrungen der Gender-Erwartungen in der zweiten Buchhälfte, zu den ständigen und verschiedenartigen Bezugnahmen auf Figuren, Episoden, Motive und Texte aus den älteren biblischen Büchern und deren kreative Umgestaltung zu einer Erzählung, in der die gegenwärtigen Verhältnisse und Ereignisse der Hasmonäerzeit theologisch-kritisch gespiegelt und nach den der Heiligen Schrift entnommenen Maßstäben beurteilt werden, und zur ambivalenten Rezeption des Buches s. den Kommentar Schmitz / Engel, Judit.
4. Zeit und Ort der Entstehung Der Hinweis auf die Juditgestalt mit Wendungen, die nur in Jdt 9,11 vorkommen, im Brief des Clemens von Rom (1Clem 55,3-5; um 96 n. Chr.) bietet einen sicheren terminus ad quem. Eine Reihe von Angaben innerhalb der »erzählten Welt« des Buches lassen aber auch den historischen Standort des Erzählers und einen terminus a quo erschließen, wann frühestens das vorliegende griechische Juditbuch verfasst wurde. Durch den Abriss der Geschichte Israels, mit dem Achior die Holofernesfrage beantwortet, wer dieses Volk sei, das im Bergland wohnt (5,3), werden die Leser in die Zeit geführt, von der die Erzählung handelt: Nach vielen Kriegen, Deportation, Zerstörung des Tempels und Fremdherrschaft über ihre Städte sind sie aus der Diaspora zurückgekommen, haben Jerusalem mit dem Tempel wieder in Besitz genommen und sich im »öden Bergland« angesiedelt (5,18-19; vgl. dazu die Verheißung in Ez 36,33-38 und grundlegend: Ex 15,17). Dass aber nicht nur die Perserzeit im Blick ist, wird aus der Einführungsbeschreibung der »Israeliten« deutlich: Sie waren vor kurzem von der Deportation zurückgekommen, das ganze Volk hatte sich versammelt, und die entweihten Geräte, Altar und (Tempel-) Haus waren geheiligt worden (4,3). Im Esrabuch (Esra 1–6) ist zwar vom Zurückbringen der Geräte aus Babylon, wohin Nebukadnezzar sie 587 mitgenommen hatte, von einer Versammlung des ganzen Volkes und vom Wiederaufbau des Altars und des Tempels die Rede, nicht aber von einer Heiligung, weil sie entweiht gewesen seien. Die Erzählung nimmt also Bezug auf die Vorgänge im Jahre 516 v. Chr., um auf die Ereignisse des Jahres 164 v. Chr. zurückzuschauen: Einnahme des Tempelbezirks und der Stadt durch Judas Makkabäus, Reinigung des Tempels und Einführung des »ḥanukkā-Festes (1Makk 4,36-59; 2Makk 10,1-10). Die Handlung in Kap. 4–16 lokalisiert die »Israeliten, die in Judäa wohnen«, im Bergland, das sich von Jerusalem bis an den Abhang zur Jesreel-Ebene erstreckt. Die Provinz Jehud, der Jerusalemer Tempelstaat, hatte in der Perserzeit noch nicht diese Ausdehnung. An der Meeresküste (erwähnt werden Sidon, Tyrus, Akko, Jamnia, Aschdod, Aschkelon und deren Hinterland) wohnen Nichtjuden (2,28–3,8). Damit ist vielmehr die politische Lage am Ende des 2. Jh. v. Chr. gekennzeichnet, nachdem Johannes Hyrkan (135–104) Sichem mit dem Garizim erobert (nach 129 v. Chr.) und Samaria annektiert hatte (um 107 v. Chr.) und bevor Judas Aristobulos 104/103 Galiläa judaisierte und Alexander Jannaios die Küstenregion mit Gaza hinzugewann (um 96 v. Chr.). 286
4. Zeit und Ort der Entstehung
3.2 Judith / Das Buch Judit
Die Angabe, dass der Hohepriester die administrative und militärische Leitung hatte und ihm in Jerusalem ein Senat (γερουσία) zur Seite stand (4,8; 11,14; 15,8), weist auf die Hasmonäerzeit nach Judas Makkabäus und Jonatan als Standort des Erzählers. Der Name der Hauptfigur Ιουδειθ bzw. Ιουδηθ (Itazismus) dürfte als Kontrast zu Ιουδας Μακκαβαῖος gewählt sein. Auch die Frage nach der Identität von Βαιτυλουα ist von der programmatischen Fiktionalität her zu klären. Die Lage Betulias an der Passstraße von der Jesreelebene hinauf ins Bergland von Samaria und Judäa ist wohl angeregt durch die Jaël-Geschichte (Ri 4–5) und die Nikanorerzählung (2Makk 15). Es ist ein Programmname, vielleicht gräzisiert aus בית אלוהbēt ’ælóah »Gotthausen«. Der Verfasser hält eine kritische Distanz zum amtierenden Hohenpriester und seinen Tätigkeiten, auch wenn der Jerusalemer Tempel mehrfach als zentrales Heiligtum der Verehrung des Gottes Israels bezeichnet wird, dorthin am Ende die Dankprozession führt und dort die Weihgeschenke Judits niedergelegt werden. Über den Entstehungsort der Erzählung (nördlich von Juda?) lässt sich jedoch nichts Sicheres ausmachen.
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Eine einschneidende Veränderung durch Kürzungen, Einfügungen und Umformulierungen erfuhr die Juditerzählung durch die Bearbeitung des Hieronymus (s. oben 2.), der offenbar ein besonderes Problem mit den Frauenrollen in der Erzählung hatte. Schon im Prolog verengt die Vulgata-Fassung die Bedeutung der Judit-Figur auf ein exemplum castitatis. »Diese hat nämlich nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern derjenige zur Nachahmung gegeben, der ihr als Belohner ihrer Keuschheit solche Stärke zuteilte, dass sie den von allen Menschen Unbesiegten besiegte, den Unüberwindlichen überwand.« Dieser einschränkenden Deutung entstammen auch die Zusätze durch Hieronymus z. B. in 10,4Vg und 16,25Vg. Er errichtete aus freien Stücken für die von ihm gezeichnete Iudith in 8,5 statt eines Zeltes auf dem Flachdach ein cubiculum und gibt ihr dahinein puellas »Mägde« mit, weil er das wohl für »schicklicher« hielt. Auch dass der ἅβρα »Obermagd« des griechischen Textes die gesamte Güterverwaltung, die vorher der Mann der jetzt reichen Witwe Judit innehatte, als einer Art Geschäftsführerin übertragen und sie damit auch die Dienstvorgesetzte der Knechte und Mägde war, findet in IdtVg keine Erwähnung (Hieronymus »übersieht« Jdt 8,10LXX oder »schneidet es weg« amputavi). Dass die Stadtältesten nach 8,10LXX einer Vorladung Judits folgen, wird in 8,9Vg entschärft, und während in 15,9LXX der Hohepriester und die Gerusia Judit in ihrem Hause aufsuchen, lässt Hieronymus sie zu diesen Männern in die Stadt Betulia herausgehen. Da das Buch Judit in der westlichen Kirche in der Vulgatafassung gelesen wurde, blieben viele Charakteristika der griechischen Originalfassung unbekannt. Auch die Umsetzungen in Theaterdramen, z. B. in und nach der Barockzeit, hatten die Vulgata als Grundlage. Die literarischen Neugestaltungen wählten oft nur die eine Szene der Tyrannentötung durch die Hand einer Frau als Vorlage für freie Änderungen und Weiterführungen. In der darstellenden Kunst (Gemälde und Skulpturen) wird ebenfalls in der Regel diese Szene zu unterschiedlichen Zwecken verschieden gestaltet, z. B. Judit als Personi5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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3.2 Judith / Das Buch Judit
fikation der humilitas, die die superbia besiegt, oder unter den Rettergestalten als weibliche Entsprechung zu David, der Goliat erschlug, oder als Symbol städtischer Freiheit (Bronzegruppe Donatellos), oder als demütige Siegerin und Friedensbotin (Botticelli), oder säkularisiert als Aktfigur der siegreichen Heldin (Hans Baldung, gen. Grien; Lucas Cranach d. Ä.), als Manntöterin (Caravaggio; Artemisia Gentileschi; Cristofano Allori) oder auch als Femme fatale (Gustav Klimt), s. dazu A. Lempges.
6. Perspektiven der Forschung Gegenüber vielen früheren Auslegungen werden künftige Kommentare zum einen die ausdrückliche und programmatische Fiktionalität der Erzählung und zum anderen Griechisch als Originalsprache des vorliegenden Juditbuches zum Ausgangspunkt der Auslegung machen (so bereits Schmitz / Engel, Judit). Die Bezugnahmen auf Ereignisse, einzelne große Figuren und Wendungen in den älteren biblischen Büchern und ihre kreative Umgestaltung sind dabei ständig zu beachten. Große Aufmerksamkeit beanspruchen werden außer der Septuaginta als Bezugstext auch jüdische Auslegungstraditionen, die sich teilweise noch in den erhaltenen nichtbiblischen Texten erkennen lassen. Es wird noch eingehender zu erforschen sein, inwieweit zur Zeit der Abfassung verbreitete hellenistische Literatur Einfluss auf die Struktur des Buches, Motive und Darstellungsweisen hatte, und wodurch die in der zweiten Buchhälfte beobachtbaren Umkehrungen der Gender-Erwartungen angeregt wurden. Eine all dies einbeziehende Auslegung wird das Profil der Theologie des Buches, die besonders in den in die Erzählung eingeflochtenen Reden und Gebeten zu erkennen ist, noch klarer und umfassender darstellen können. Bei der Untersuchung der Rezeptionsgeschichte müssten die Einzelheiten der Veränderungen, die die Vulgata-Fassung gegenüber JdtLXX zeigt, systematisch erfasst werden. Im Anschluss daran könnten die Auffassungen von A. M. Dubarle, der auch die mittelalterlichen hebräischen Fassungen des Juditstoffes zusammengestellt hat, nochmals gründlich geprüft werden.
288
6. Perspektiven der Forschung
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias Katrin Hauspie
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — BML III/1, 1940 — Hanhart, R., Tobit, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,5, Göttingen 1983.
1.2 Qumran 4QpapToba aram = 4Q196 — 4QTobb-d aram = 4Q 197-199 — 4QTobe = 4Q200 (DJD 19)
1.3 Übersetzungen und Kommentare Ego, B., Tobit, JSHRZ II/6, Gütersloh 1999, 873-1007 — Di Lella, A. A., Tobit, NETS, Oxford / New York 2007, 456-477 — Ego, B., Das Buch Tobit (Tobias), LXX.D, Stuttgart 20102, 635-663 — Das Buch Tobit (Tobias), LXX.E I, Stuttgart 2011, 1316-1352.
1.4 Weitere Literatur Auwers, J.-M., La tradition vieille latine du livre de Tobie: un état de la question, in: G. G. Xeravits / J. Zsengellér (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005, 1-21 — Deselaers, P., Das Buch Tobit, OBO 43, Fribourg / Göttingen 1982 — Di Lella, A. A., The Deuteronomic Background of the Farewell Discourse in Tob 14:3-11, CBQ 41 (1979), 380-389 — Engel, H., Das Buch Tobit, in: E. Zenger, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 350-361 — Ewald, H., Geschichte des Volkes Israel bis Christus, Anhang zum zweiten und dritten Teil, Göttingen 18542 — Farmer, W. R. (Hg.), The International Bible Commentary, Collegeville/PA 1998. — Fitzmyer, J. A., The Aramaic and Hebrew Fragments of Tobit from Cave 4, CBQ 57 (1995), 655-675 — Fitzmyer, J. A., Tobit, DJD 19, Oxford 1995 — Fitzmyer, J. A., Tobit, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin / New York 2003 — Fritzsche, O. F., Die Bücher Tobia und Judith erklärt, Leipzig 1853 — Gamberoni, J., Die Auslegung des Buches Tobias in der griechisch-lateinischen Kirche der Antike und der Christenheit des Westens bis um 1600, SANT 21, München 1969 — Gross, H., Tobit. Judit, NEB 19, Würzburg 1987 — Hallermayer, M., Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin 2008 — Hartmann, M., Unterwegs mit dem Engel: Das Buch Tobias nach der Übersetzung Martin Luthers mit Illustrationen vom Rembrandt, Stuttgart 1992 — Levine, A.-J., Tobit: Teaching Jews How to Live in the Diaspora, Bible Review 8 (1992), 42-51, 64 — Littman, R. J., Tobit: The Book of Tobit in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2008 — Miller, G. D., Marriage in the Book of Tobit, DCLS 10, Berlin 2011 — Moore, C. A., Tobit. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 40A, Garden City/NY 1996 — Nowell, I., Tobit: Attitude toward the Nations, TBT 25 (1987), 283-288 — Poehlmann, W., Book of Tobit, Dictionary of Biblical Interpretation (1989), 577-581 — Reischert, A., Kompendium des musikalischen Sujets. Ein Werkkatalog, Kassel / Basel 2001 — Simpson, D. C., The Book of Tobit, APOT 1, Oxford 1913 — Skemp, V. T. M., The Vulgate of Tobit Compared with other Ancient Witnesses, SBL.DS 180, 1. Literatur
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3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
Atlanta/GA 2000 — Spencer, R. A., The Book of Tobit in Recent Research, Currents in Research: Biblical Studies 7 (1999), 147-180 — Stuckenbruck, L. T., The »Fagius« Hebrew Version of Tobit: An English Translation Based on the Constantinople Text of 1519, in: G. G. Xeravits / J. Zsengellér (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005, 189-219 — Thomas, J. D., The Greek Text of Tobit, JBL 91 (1972), 463-471 — Toloni, G., L’originale del libro di Tobia. Studio filologico-linguistico, Madrid 2004 — Wagner, C. J., Polyglotte TobitSynopse. Griechisch – Lateinisch – Syrisch – Hebräisch – Aramäisch, Göttingen 2003 — Weeks, S. / Gathercole, S. / Stuckenbruck, L. (Hg.), The Book of Tobit. Texts from the Principal Ancient and Medieval Traditions, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 3, Berlin 2004 — Weigl, M., Die rettende Macht der Barmherzigkeit. Achikar im Buch Tobit, BZ 50 (2006), 212-243 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005.
2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text des Buches Tobit ist uns in mehr als nur einer Form überliefert. Die beiden wichtigsten Formen sind bekannt als GI und GII. 1 Eine dritte Textform, GIII, ist weniger verbreitet und ist nur in wenigen Kapiteln erhalten. Das griechische Tobitbuch ist in einer längeren und in einer kürzeren Form erhalten. Der kürzere Text GI, offensichtlich eine frühe Revision und gekürzte Adaption von GII, liegt in den Unzialen B, A und V und in einer großen Zahl von Minuskeln, sowie im OxyrhynchusPapyrus 1594, und in jenen Versionen, die auf der Septuaginta basieren (Syrisch, Koptisch-Sahidisch, Äthiopisch, Armenisch), vor. 2 GII bzw. der längere Text, wird von vier Textzeugen repräsentiert: S, 319, 910 sowie die Vetus Latina. S enthält zwei Lakunen (4,7 δικαιοσύνη – 19 δώσει und 13,6 αἰώνων – 10 καὶ πάλιν). Ms 319 (von 1021 n. Chr.) enthält nicht mehr als drei Kapitel: 3,6–6,16; Die übrigen Verse (1,1–3,5 und 6,16–14,15) bieten den Text von GI. Ms 910, der aus dem 6. Jh. stammende Papyrus 1076 aus Oxyrhynchus, bewahrt den kleinen Teil 2,2–5,8. Die Vetus Latina ist ein wichtiger indirekter Zeuge für die längere Textform: Sie umfasst den ganzen Text des Buches und bietet oft einen besseren Text als S. Moderne Übersetzer legen S zu Grunde und ergänzen die Lakunen aus B und A. Auwers vertritt dagegen die Meinung, dass zur Ergänzung der Lakunen in S die Vetus Latina und die Fragmente aus Qumran herangezogen werden sollen, weil beide den langen Text repräsentieren. 3 GIII, nimmt eine Mittelstellung ein und ist am besten von Ms 106 repräsentiert, zudem auch von Ms 107, das allerdings einige signifikante Kürzungen aufweist, sowie von der syrischen Übersetzung. Im Vergleich zu GI und GII ist GIII eine sekundäre Textform, die vor allem von GII (und der in Vetus Latina vorausgesetzten Textform) abhängt. 4 Die Minuskeln 106-107 enthalten nur einige Kapitel des Textes von GIII (6,9– 12,22), die übrigen Verse (1,1–6,8 und 14,15) reproduzieren den Text von GI. 5 1. 2. 3. 4. 5.
Diese Siglen stammen aus der Göttinger Edition. Für eine diplomatische Edition von V, S, 106 und die Papyri siehe Weeks, Book. Auwers, Tradition, 17. Hanhart, Tobit, 33-34. NETS, Tobit, 457.
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2. Textüberlieferung und Editionen
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
Zwischen GI und GII besteht eine klare Abhängigkeit. Trotz einiger Entsprechungen zwischen den beiden Texten gibt es auch deutliche Divergenzen. Die beiden Textformen können nicht auf eine Form zurückgeführt werden, sondern sie sind selbständige (d. h. literarisch gestaltete) Textformen. 6 Aus diesem Grund werden in den neueren Editionen die Texte GI and GII als separate Texte gedruckt, von denen jeder seine eigene textkritische Rekonstruktion braucht. 7 Die ersten Ausgaben des griechischen Tobitbuches reproduzierten den Text von GI (S wurde erst später entdeckt). 8 So verfahren die Aldina, die Complutensis und die Sixtina, die jeweils eine Handschrift zu Grunde legten. Holmes / Parsons (1827), Fritzsche (1871), Swete (1891) und Brooke / McLean / Thackeray (1940) legen B zu Grunde. Seit der Entdeckung des Codex Sinaiticus (S) durch Tischendorf im Jahr 1844 reflektieren die meisten Editionen die Pluriformität des griechischen Tobitbuches auch in ihrem Layout. BMT drucken zuerst den Text von B (S. 85-110), gefolgt vom Text von S (S. 111-122). Rahlfs (1935) druckt den kürzeren Text TobBA, der aus B und A rekonstruiert ist, oben und den kürzeren Text nach S als TobS darunter. Damit lag hier die erste textkritische Edition des Textes von Tobit vor. Im Prinzip ebenso verfuhr Hanhart in seiner Göttinger Edition von 1983: Oben steht der Text GI, und zwar als eklektischer Text mit kritischem Apparat auf Basis der oben genannten Textzeugen, darunter steht GII (im Wesentlichen der Text von S) mit dessem kritischen Apparat, der die Ms 319 und 910 sowie die Vetus Latina und GIII umfasst. 9
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik Vor der Entdeckung der Tobit-Fragmente in Qumran war die Forschung– mit einer Bandbreite von sicher bis wahrscheinlich – der Meinung, dass Tobit von Haus aus auf Griechisch verfasst wurde. 10 Durch die Qumranfunde ist die Frage eindeutig zugunsten einer semitischen Vorlage entschieden. 11 Allerdings vertritt Deselaers nach wie vor einen original griechischen Ursprung. 12 Ebenfalls entgegen der allgemeinen Meinung betrachtet er GI gegenüber GII als ursprünglich. 13 Nach seiner Sicht ist GI die ursprüngliche Form der Tobiterzählung und GII eine Überarbeitung auf Basis von GI, verfasst für eine neue Hörergruppe, und zwar eventuell zuerst auf Aramäisch. Zur Begründung werden sowohl inhaltliche als auch literarische und linguistische Argumente ange6. 7. 8. 9. 10.
Hanhart, Tobit, 31-36. Hanhart, Tobit, 34. Hanhart, Tobit, 29. GIII ist herausgegeben von Wagner, Polyglotte. Für bibliographische Angaben siehe Moore, Tobit, 56, Fn. 144. Fritzsche, Bücher, 7-8, argumentierte für ein Griechisches Original, aber zu seiner Zeit waren die semitischen Belege aus Qumran noch nicht bekannt. 11. Moore, Tobit, 34. 12. Deselaers, Buch, 19-20. So auch Gross, Tobit. 13. Deselaers, Buch, 19-20. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
291
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
führt. 14 GII steht dem Original aller Texte, die wir haben, am nächsten und hatte eine semitische Vorlage. 15 Die Qumrantexte von Tobit, ein hebräisches und vier aramäische Fragmente, zeigen tatsächlich Übereinstimmungen mit GII. 16 Alle Tobitfragmente aus Qumran wurden erstmals von J. T. Milik in den Jahren 1953 bis 1960 identifiziert und zusammengefügt; publiziert wurden sie 1995 von Fitzmyer. 17 Die semitische Vorlage von GII steht zwar den Qumrantexten nahe, ist aber nicht identisch mit ihnen. Daher gibt es nach wie vor die Diskussion, ob die Vorlage ein hebräischer oder ein aramäischer Text war. 18 Ebenso bleibt es offen, ob die allererste Form der Tobitgeschichte in aramäischer oder hebräischer Sprache verfasst war. Die meisten Forscher sprechen sich für einen aramäischen Urtext aus, 19 während andere die Priorität des Hebräischen vertreten. 20 Allgemein angenommen wird, dass GI die Revision eines schriftlich vorhandenen griechischen Textes darstellt. 21 Der semitisierende Charakter von GII ist manifest: Typisch semitische Wiederholungen, ausführliche Dialoge, 22 parataktischer Stil, semitische Idiome. 23 Andererseits ist GI gekennzeichnet durch stilistisch elegantes Griechisch, geschrieben für ein gebildetes griechisch sprechendes Publikum. 24 Wegen seiner besseren sprachlichen Qualität wurde es die populärere Fassung gegenüber der älteren GII-Fassung 25; dagegen erlangte GI Popularität bei den Bibelwissenschaftlern, und zwar auf Grund der Qumranfunde. Es gibt mittelalterliche aramäische (Neubauer 1878) und hebräische (Münster 1516, Fagius 1517 und Gaster 1896–1897) Versionen von Tobit. Diese sind jedoch sekundäre Übertragungen aus den griechischen (und lateinischen) Fassungen. 26
3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Es gibt nur wenige Studien, die sich auf Zeit und Ort der Übersetzung beziehen. Die meisten Erörterungen von Zeit und Herkunft des Buches Tobit basieren auf der griechischen Version. Nur die griechische Version umfasst den ganzen Text des Buches. Fitzmyer zeigte, dass alle Qumran-Fragmente nicht mehr als ein Fünftel der Tobiterzählung abdecken und dass sie fast kein Material enthalten, das nicht durch den Text von S und Vetus Latina vorhanden wäre. 27 Daher sind Inhalt und literarische Eigen14. Moore, Tobit, 56; NETS, Tob, 457. Für die Textgeschichte siehe Fitzmyer, Tobit CEJL. 15. Thomas, Greek, 470. 16. Für einen sorgfältigen Vergleich von GI und GII mit den aramäischen und hebräischen Fragmenten siehe Hallermayer, Text. 17. Fitzmyer, Tobit, DJD 1. 18. Moore, Tobit, 57-58. 19. Thomas, Greek, 471. Siehe auch Toloni, L’originale. 20. Moore, Tobit, 60. 21. Thomas, Greek, 467. 470. 22. NETS, Tobit, 457. 23. Thomas, Greek, 471. 24. NETS, Tob, 457. 25. Dines, 19; HDM, 178. 26. Stuckenbruck, »Fagius«, 189-219. 27. Fitzmyer, Aramaic, 675.
292
3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
heiten des griechischen Textes stichhaltige Kriterien, um Zeit und Herkunft zu bestimmen 28. Die Tobiterzählung wird zwischen 250 und 175 v. Chr. datiert. 29 Die Diskussion um die Herkunft hält weiterhin an, wobei eine Herkunft aus Ägypten, aus Palästina oder aus der östlichen (mesopotamischen) Diaspora vertreten werden. 30 Datum und Herkunft des semitischen Originals und der griechischen Übersetzung müssen deutlich unterschieden werden. 31 Ewald datierte die griechische Übersetzung in das 1. Jh. v. Chr. oder etwas später. 32 Andere Forscher datieren sie in das 2. Jh. v. Chr., und zwar auf Grund des ptolemäischen Vokabulars, 33 was zugleich eine ägyptische Herkunft der griechischen Version unterstützt. 34
4. Inhalt und Theologie In diesem Buch erzählt Tobit seine Lebensgeschichte. Tobit, ein frommer Israelit aus dem Stamm Naphtali in Obergaliläa, lebt mit seiner Frau Hannah und ihrem Sohn Tobias im Exil in Ninive, wohin sie von den Assyrern deportiert worden waren. Auch in Ninive folgt er den Geboten Gottes und hilft er weiterhin den mit ihm deportierten Israeliten. Zunächst führt er ein wohlhabendes Leben als für den König reisender Kaufmann, aber später fällt er in Ungnade, weil er ein königliches Edikt ignorierte, das nur Begräbnisse gestattete, die offiziell von der Krone erlaubt waren. Um sein Leben zu retten, musste er fliehen und sein Besitz wurde beschlagnahmt. Mit der Einsetzung seines Neffen Achiqar als Finanzminister des Königs kam auch Tobit wieder in seine Stellung. Abermals rettete Tobit den Leichnam eines Juden vom Marktplatz. Nachdem er ihn begraben hatte, musste Tobit außerhalb der Stadtmauern übernachten. Dabei fiel der Kot eines Vogels auf sein Auge, wodurch er erblindete. Er erfährt Leiden und Beleidigungen, so sehr, dass er um seinen Tod betet. Zur gleichen Zeit betet auch Sarah, die Tochter Raguels, eine Jüdin, die in Ekbatana in Medien lebt, um ihren Tod, denn sie war siebenmal verheiratet und jedes Mal verlor sie ihren Bräutigam, weil der Dämon Asmodeus ihn während der Hochzeitsnacht tötete. Gott hört die Gebete von Tobit und Sarah und sendet den Engel Raphael, um ihnen zu helfen. Überzeugt, dass er bald sterben werde, schickt Tobit seinen Sohn Tobias nach Rages in Medien, um Geld abzuholen, das er dort bei einer seiner Reisen deponiert hatte. Tobias macht sich in Begleitung des Engels Raphael, der sich als ein gewisser Azariah ausgab, auf die Reise. Unterwegs fängt er einen Fisch, dessen Herz, Leber und Galle er auf den Rat Azariahs hin aufbewahrt. Vor ihrer Ankunft in Ekbatana schlägt Azariah Tobias vor, Sarah zu heiraten. Im Wissen um das, was den früheren Ehemännern der Sarah wie28. 29. 30. 31.
Für einen Überblick siehe Moore, Tobit, 40-42. Moore, Tobit, 40-42. Moore, Tobit, 42-43. Z. B. ergeben die Erwähnung des Engels Raphael und das etwa gleichzeitige Buch 1Henoch keinen Anhaltspunkt für die Datierung des griechischen Tobitbuches ins 2. Jh. v. Chr. (HDM, 97. 111). 32. Ewald, Geschichte, 237. 33. HDM, 97. 34. HDM, 102. 105. 4. Inhalt und Theologie
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3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
derfuhr, lehnt er zunächst ab, geht aber dann doch darauf ein, wobei ihn Azariah instruiert, im Brautgemach das Herz und die Leber des Fisches zu verbrennen. Der Geruch vertrieb den bösen Dämon, und das junge Paar war in Sicherheit. Während Tobias mit den vierzehntägigen Hochzeitsfeierlichkeiten beschäftigt war, zog Azariah weiter nach Rages um das Geld zu holen. Nach seiner Rückkehr kehrten Azariah und die frisch vermählten Tobias und Sarah gemeinsam nach Ninive zurück. Nach der freudigen Wiederbegegnung mit seinen Eltern behandelt Tobias die Augen seines Vaters mit der Fischgalle und Tobit kann wieder perfekt sehen. Als Azariah für seine Dienste entlohnt werden sollte, enthüllt dieser seine wahre Identität als Engel Raphael. Tobit dankt und preist Gott, den Herrn, für seine Gnade und Güte. Er singt einen Hymnus auf Jerusalem, in dem er bekennt, dass Gott treu zu seinen Verheißungen steht und dass er nach Strafe Vergebung und Wiederherstellung schenkt. Die grundlegende Perspektive des Buches ist die Theologie der Vergeltung, wie sie vom Buch Deuteronomium hergeleitet wird: Belohnung für den Gerechten und Strafe für den Bösen. 35 Darüber hinaus zeigt das Buch die Probleme der jüdischen Diaspora im 2. Jh. v. Chr. 36 Das Buch Tobit ist ein Beispiel für frommes Leben in der Diaspora, für Bewahrung des Glaubens und der jüdischen Identität in einer heidnischen Umgebung (siehe z. B. Tobits Anweisung an seinen Sohn, innerhalb seines Stammes zu heiraten, worin sich die Befürchtung spiegelt, dass sich andernfalls die Gemeinschaft auflösen könnte). 37 Evident sind Einflüsse biblischer Elemente aus der Genesis (die Erschaffung von Mann und Frau, die Brautwerbungs- und Verlobungsszene bei Isaak und Jakob sowie die Josefgeschichte), weiterhin Einflüsse aus den prophetischen Büchern und der Weisheitsliteratur. 38 Neben diesen biblischen Themen und Elementen verwendete der Autor auch weltliche Erzählungen, die in der antiken Welt gut bekannt waren, die Geschichte vom dankbaren Toten, vom Monster im Brautgemach, die AchiqarGeschichte und den Traktat des Chons. 39
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Buch Tobit wird im Neuen Testament nicht zitiert, aber einige seiner Vorstellungen könnten die neutestamentlichen Autoren beeinflusst haben. 40 Zum Tobitbuch wurden keine Kommentare verfasst, aber die Kirchenväter verwendeten es als Quelle für die christliche Lehre von den Engeln und als Beispiel für ein Gott wohlgefälliges Leben. 41 Das Buch spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Hochzeitsliturgie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart wurde Raguels Segen über Tobias und
35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Di Lella, Deuteronomic; Moore, Tobit, 20-21. Nowell, Tobit, 283-288. Levine, Tobit, 44-46. Moore, Tobit, 20-21. Moore, Tobit, 11-14. Moore, Tobit, 46. Farmer, Commentary, 742. Zur christlichen Rezeption des Buches Tobit siehe Poehlmann, Tobit, 578-579, und – ausführlicher – Gamberoni, Auslegung.
294
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
Sarah als Teil des Hochzeitssegens verwendet und er klingt noch immer in der heutigen Segensformel für Neuvermählte an (8,15-17). 42 Die Geschichte von der Hochzeit von Tobias und Sarah (7,9-15) und das Gebet des Tobias in der Hochzeitsnacht (8,57) sind Teil der Lektionare für Hochzeiten. 43 Viele Künstler wurden von der Tobitgeschichte inspiriert. Verschiedene Szenen aus dem Buch wurden von Rembrandt und anderen Malern dargestellt 44 oder wurden zu Motiven in der Musik, z. B., Il ritorno di Tobia von Haydn. 45
6. Pespektiven der Forschung 6.1 Entgegen einer viel verbreiteten Meinung spielte das Tobitbuch wie auch andere der sog. Apokryphen auch in der protestantischen Frömmigkeit und Theologie lange Zeit durchaus eine wichtige Rolle. Zu einer Änderung, im Wesentlichen bei den Bibelausgaben, kam es erst durch den sog. Apokryphenstreit um 1820. In der exegetischen Forschung standen allerdings die Apokryphen und damit auch das Tobitbuch eher im Hintergrund und wurden vor allem von römisch-katholischen Gelehrten kommentiert. Die Entdeckung des Codex Sinaiticus durch Tischendorf (1844), die Veröffentlichung mittelalterlicher semitischsprachiger Textfassungen des Buches am Ende des 19. Jh.s und die Publikation des aramäischen Achiqartextes (1911) weckten das Interesse am Tobitbuch bei protestantischen wie bei katholischen Gelehrten (z. B. Simpson). 46 6.2 Insbesondere die textkritische Arbeit von Hanhart für die Göttinger Edition führte zu verstärktem Interesse am Buch Tobit und lieferte zugleich eine gute Grundlage für vielfältige weitere Untersuchungen. 47 Es entstanden mehrere neue Kommentare zu Tobit (z. B. Deselaers, Moore, Littman) und Studien zum zeitgeschichtlichen Hintergrund und zu bestimmten Themen (z. B. Hochzeit im Frühjudentum). 48 Von besonderer Bedeutung für die Entstehung und Übersetzung des Buches wurden nicht zuletzt die aramäischen und hebräischen Fragmente aus Qumran. 6.3 Das entstehungsgeschichtliche Problem, das textgeschichtliche und literarische Verhältnis der verschiedenen Textformen wie auch deren individuelles Profil werden weiterhin Themen der Forschung sein.
42. Farmer, Commentary, 742. 43. Farmer: Commentary, 742. 44. Hartmann, Unterwegs; siehe auch: Weskott, H., Tobias, Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i. Br. 1972, 320-326. 45. Für eine Übersicht zu den von Tobith / Tobias inspirierten Kompositionen siehe Reischert, Kompendium, 951-953. 46. Moore, Tobit, 15-16. 47. Für einen Überblick siehe Spencer, Tobit. 48. Xeravits / Zsengellér, Tobit. 6. Pespektiven der Forschung
295
3.4 Die Bücher der Makkabäer
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer Michael Tilly
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935/2006 — Kappler, W., Maccabaeorum liber I, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX,1, Göttingen 1936; 19672.
1.2 Übersetzungen und Kommentare Schunck, K. D., 1. Makkabäerbuch, JSHRZ I/6, Gütersloh 1980, 288-373 — Zervos, G. T., 1Maccabees, NETS, Oxford / New York 20092, 478-502 — Tilly, M., Makkabaion I. Das erste Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 664-694 — Tilly, M., Makkabaion I. Das erste Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1353-1375. Bévenot, H., Die beiden Makkabäerbücher, HSAT IV, 4, Bonn 1931 — Abel, F.-M., Les livres des Maccabeés, Paris 19613 — Goldstein, J. A., I Maccabees, AncB 41, New York u. a. 1976 — Dommershausen, W., 1 Makkabäer, NEB.AT 12, Würzburg 19952 — Tilly, M., 1 Makkabäer, HThKAT, Freiburg i. Br. u. a. 2015.
1.3 Weitere Literatur Bar-Kochva, B., Judas Maccabeus. The Jewish Struggle Against the Seleucids, Cambridge 1989 — Bickermann, E., Der Gott der Makkabäer, Berlin 1937 — Bringmann, K., Hellenistische Reform und Religionsverfolgung in Judäa, AAWG.PH 132, Göttingen 1983 — Engel, H., Die Bücher der Makkabäer, in: E. Zenger / C. Frevel (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 387-404 — Fischer, Th., Seleukiden und Makkabäer, Bochum 1980 — Martola, N., Capture and Liberation. A Study in the Composition of the First Book of Maccabees, AAAbo.H 63,1, Åbo 1984 — Mittmann-Richert, U., Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI,1,1, Gütersloh 2000, 20-39 — Neuhaus, G. O., Studien zu den poetischen Stücken im 1. Makkabäerbuch, FzB 14, Würzburg 1974 — Schunck, K.-D., Die Quellen des I. und II. Makkabäerbuches, Halle 1954 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Books of the Maccabees: History, Theology, Ideology, JSJ.S 118, Leiden u. a. 2007 — Williams, D. S., The Structure of 1 Maccabees, CBQ.MS 31, Washington, D.C. 1999 — Williams, D. S., Recent Research in 1 Maccabees, in: Currents in Research: Biblical Studies 9 (2001), 169-184.
2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 1Makk 1 wurde allein im christlichen Traditionsbereich überliefert. Er ist enthalten in den Majuskelcodices ( אSinaiticus; 4. Jh.), A (Alexandrinus; 1.
Berkowitz, L. / Squitier, K. A., Thesaurus Linguae Graecae, New York 31990, zählen in 1Makk 19535 Wörter. 1. Literatur
299
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
5. Jh.) 2 und V (Venetus; 8. Jh.) sowie in insgesamt 37 Minuskeln bzw. Minuskelfragmenten. 3 Zumindest die (in ihrem Text nur gering voneinander abweichenden) Großhandschriften basieren auf einer gemeinsamen griechischen Vorlage. Im Codex B (Vaticanus, 4. Jh.) fehlt 1Makk. 4 Den Erstdruck enthält die Complutensische Polyglotte (1514–1517). Die lateinische Übersetzung von 1Makk 5 zeichnet sich gegenüber den erhaltenen griechischen Manuskripten durch eine gewisse Eigenständigkeit aus. Die erhaltenen lateinischen Zeugen unterscheiden sich an zahlreichen Stellen durch kleinere Abweichungen, Auslassungen und Zusätze voneinander, scheinen aber eine gemeinsame griechische Textform wiederzugeben. Zitate aus 1Makk bei Cyprian (ca. 200–258) und Lucifer von Calaris (gest. vor 375) deuten darauf hin, dass die (alt-)lateinische Übersetzung von 1Makk in der Vulgata nicht von Hieronymus selbst stammt, sondern (möglicherweise unter Verwendung auch eines hebräischen Textes [s. u.]) bereits im 2. Jh. entstanden ist. 6 Die syrische Übersetzung von 1Makk aus dem Griechischen liegt in zwei unterschiedlichen Textformen vor. Die in der Peschitta enthaltene Form (Sy I) beruht auf einer Vorlage, die Charakteristika des lukianischen Textes aufweist (Glättung des Textes und sinngemäße Ergänzungen zur Verdeutlichung des Textsinns). 7 Die vom Codex Ambrosianus Syrohexaplaris repräsentierte Form (Sy II; erhalten bis 1Makk 14,25) hat Sy I als Grundlage genommen und nach dem Griechischen verbessert; sie entspricht deshalb eher dem Text der griechischen Majuskeln. 8 Eine in zahlreichen 2. 3.
4.
5.
6. 7.
8.
Vgl. Gryglewicz, F., Le codex alexandrinus du premier livre des Machabées, Teologiszno-Kanoniczne 8 (1961), 23-37. Für die Herstellung des Textes bei Kappler benutzt wurden die Minuskelhandschriften 19, 29, 46, 55, 56, 58, 62, 64, 71, 74, 93, 98, 106, 107, 120, 130, 134, 236, 243, 311, 340, 381, 534, 542, 728, 731. Nicht durchgehend herangezogen oder ausgeschieden wurden die Minuskeln 44, 52, 68, 122, 125, 332, 379, 442, 610, 631, 671. Den Unzialen entsprechen insbesondere die Minuskeln 52, 56, 62, 106 und 107, während 19, 64, 93 der lukianischen Textform entsprechen. Dass die Makkabäerbucher im Codex Vaticanus fehlen, ist der Grund dafür, dass sie in der Ausgabe von Swete, OT, die konsequent dem Codex Vaticanus folgt, als Nachtrag in Band III am Ende stehen. Der lateinische Text von 1Makk ist erhalten in den Handschriften Lyon 356 (L; 9. Jh.), Madrid Univ. 31 (X; 9. Jh.), Paris Bibl. Nat. 11553 (G; 9. Jh. [bis 1Makk 14,1]), Bologna Univ. 2571/ 628 (11.–12. Jh.) sowie im pseudo-augustinischen Speculum peccatoris (Migne PL 49, 983-992 [1Makk 2,49-64]). Eine kritische Ausgabe des lateinischen Textes von 1Makk bieten de Bruyne, D. / Sodar, B. (Hg.), Les anciennes traductions latines des Machabées (Anecdota Maredsolana 4), Maredsous 1932. Vgl. de Bruyne, D., Le texte grec des deux premiers livres des Machabées, in: RBen 31 (1922), 31-54; Stummer, F., Einführung in die lateinische Bibel, Paderborn 1928, 42. Vgl. Bogaert, P. M., Les livres des Maccabées dans la Bible latine: contribution à l’histoire de la Vulgate, in: RBen 118 (2008), 201-238. Kritische Ausgabe bei de Lagarde, P. A. (Hg.), Libri Veteris Testamenti Apocryphi Syriace, Leipzig 1861, 162-213. Vgl. Schmidt, G., Die beiden Syrischen Übersetzungen des I. Maccabäerbuches, ZAW 17 (1897), 1-47. 233-262. Fotographische Reproduktion der Mailänder Peschittahandschrift B 21 inf. (7. Jh.) bei Ceriani, A. M., Translatio Syra Pescitta Veteris Testamenti ex codice Ambrosiano, Mailand 1876. Vgl. Schmidt, Übersetzungen, 234 f.
300
2. Textüberlieferung und Editionen
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
Handschriften erhaltene armenische Übersetzung aus dem 5. Jh. 9 geht wohl ebenfalls auf eine griechische Textvorlage zurück. Die neuzeitliche arabische Übersetzung ist ohne textkritischen Wert.
3. Sprache, Stil und theologisches Profil 3.1. Sprache und Stil und die Frage einer hebräischen Vorlage Obwohl es keine erhaltenen hebräischen Textzeugen oder direkten Zitate in der rabbinischen Traditionsliteratur gibt, wird die Existenz eines verschollenen hebräischen (oder aramäischen) Originals von 1Makk nahegelegt durch das Zeugnis des Hieronymus (Prologus galeatus in libro Regum: »Machabeorum primum librum hebraicum repperi«). 10 Dem entsprechen sowohl der Hinweis des Origenes in der Kirchengeschichte des Eusebius auf eine ursprüngliche hebräische Bezeichnung der Schrift 11 als auch sprachliche Gründe. Nicht selten verstößt das Griechische in 1Makk gegen Regeln der »klassischen« literarischen griechischen Sprache (häufige Verwendung parataktischer Konnektoren, Rückgang hypotaktischer Periodenbildung, gelockerte Bindung der narrativen Tempora an den Aspekt). Ebenso weicht es in einigen Punkten vom zeitgenössischen literarischen Sprachgebrauch der levantinischen Koine ab. Zuweilen wurde dabei die hebräische Phraseologie und Diktion ohne Rücksicht auf das Griechische nachgeahmt (z. B. 1Makk 1,5 f.16.19.28 f.44.61; 2,29.42; 3,3.6.15.27; 4,19.24.31; 5,45.62; 7,2; 8,1; 9,7.72; 10,8.33.60; 12,10.42; 14,27; 16,16). Dies betrifft nicht nur die erzählenden und hymnischen Partien der Schrift (parataktischer Satzbau bzw. Parallelismus membrorum), sondern auch die in 1Makk überlieferten, für die hebräische Erstfassung des Buches ins Hebräische übersetzten Urkunden (Briefe, Bündnisverträge, Dekrete). 12 Der Grund hierfür ist sicher nicht in der mangelnden zielsprachlichen Kompetenz des Übersetzers zu suchen. Ebensowenig ist die Sprache von 1Makk ein Beleg für die Existenz eines besonderen »judengriechischen« Dialektes. 13 Vielmehr zeigt die Schrift das Streben ihres Übersetzers nach Treue gegenüber der literarischen Vorlage und zugleich eine gesuchte Affinität zur – ihrerseits semitisch beeinflussten – Sprache der 9. Text bei Zohrapean (Zohrab), Y., Venedig 1805 (Repr. Delmar/NY 1986). Vgl. Amalyan, H. M., The Critical Text of 1-3 Maccabees, in: Saint Nersess Theological Review 2 (1997), 33-38. 10. Migne, PSL 28, 602 f. 11. Hist. Eccl. VI 25,2: »ἐστὶ τὰ Μακκαβαϊκὰ, ἃπερ ἐπιγέγραπται Σαρβηθσαβαναιελ«. Die Transkription Σαρβηθσαβαναιελ könnte auf hebräisches ספר בית ישראל, ספד בית חשמונאים oder ( שרבת שר־בני אלvgl. Sy I) zurückgehen. Allerdings werden die Hasmonäer (vgl. Josephus, Bell. 1, 3; Ant. 12, 265) in 1Makk an keiner Stelle namentlich erwähnt. Vgl. Schunck, 1. Makkabäerbuch, 289. 12. Vgl. z. B. 1Makk 8,25. Hier begegnet im Kontext des von Rom nach Jerusalem gesandten Staatsvertrags (8,23-32) die Wendung καρδίᾳ πλήρει als Wiedergabe von hebräischem בלבב שלם (vgl. 2Kön 20,3; 1Chr 29,9; 2Chr 16,9 u. ö.). 13. Vgl. Walser, G., The Greek of the Ancient Synagogue. An Investigation on the Greek of the Septuagint, Pseudepigrapha and the New Testament, Studia Graeca et Latina Lundensia 8, 2001. 3. Sprache, Stil und theologisches Profil
301
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
älteren Übersetzung von Tora, Propheten und Geschichtsbüchern. 14 Gerade hierdurch sollte der Gegenstand der eigenen Darstellung in eine bestimmte geistesgeschichtliche bzw. theologische Tradition eingeordnet und ihm dadurch zugleich ein besonderes Gewicht gegeben werden, um der eigenen Legitimation und Selbstvergewisserung mittels der Betonung der Traditionsgebundenheit und der kulturellen und religiösen Eigenständigkeit zu dienen.
3.2 Inhalt und theologisches Profil In Form einer Aneinanderreihung von einzelnen Geschichten schildert 1Makk den lang andauernden Konflikt zwischen den judäischen Juden und den hellenistischen Herrschern, den heldenhaften und siegreichen Kampf der drei Makkabäerbrüder Judas, Jonathan und Simon um die Befreiung des jüdischen Volkes von der seleukidischen Vorherrschaft und den Aufstieg des hasmonäischen Herrscherhauses bis zur Ermordung Simons (175–135 v. Chr.). Im Mittelpunkt des erzählten Geschehens steht der Versuch eines prohellenistischen Teils der Jerusalemer Tempelaristokratie, den Tempelstaat mit Unterstützung des syrischen Herrschers Antiochus IV. Epiphanes unter Außerkraftsetzung der Tora als Verfassung in eine hellenistische Polis zu verwandeln, um so die eigene Machtposition zu festigen. 1Makk stellt diesen gescheiterten Umsturzversuch einer Minderheit als eine allgemeine Religionsverfolgung dar und setzt zugleich die Ziele der Hasmonäer denen des ganzen Volkes gleich. Der Verfasser der propagandistischen Geschichtserzählung sieht den eigentlichen Ausgangspunkt der Verwicklungen in den ausufernden Assimilationsbestrebungen eines Teils seiner Landsleute, die er als bedrohliches Anzeichen einer religiösen und kulturellen Erosion begreift und deshalb als widergesetzlich brandmarkt (vgl. 1Makk 1,11). 15 In seiner hasmonäerfreundlichen zusammenhängenden Darstellung der militärischen und diplomatischen Ereignisse will er zeigen, wie es den Makkabäerbrüdern gelang, eine antihellenistische Sammelbewegung zu führen und die gewaltsamen kulturellen und religiösen Modernisierungsbestrebungen innerhalb der Jerusalemer Oberschicht abzuwehren. 16 Er betont dabei insbesondere die politisch-nationale Seite des Geschehens und zitiert zu diesem Zweck auch eine Reihe von Briefen, Bündnisverträgen und Dekreten, deren historischer Wert von der Mehrheit der Ausleger nicht bestritten wird. 17 Eine wesentliche Funktion des Buches besteht in der Legitimation der Hasmonäerdynastie, die sich weder auf davidische (königliche) noch auf zadokidische (priesterliche) Abstammung als Begründung ihrer gesellschaftlichen Machtposition berufen 14. Das Vokabular von 1Makk ist deutlich umfangreicher als das der Geschichtsbücher (1–4Kgt; 1– 2Chr). 15. Vgl. Volgger, D., 1 Makk 1: der Konflikt zwischen Hellenen und Juden – die makkabäische Reichspropaganda, in: Ant. 73 (1998), 459-481. 16. In 1Makk werden direkte Beschreibungen des Wesens und des Handelns Gottes durchweg vermieden (vgl. 1Makk 3,18 f.; 4,10 u. ö.). Vgl. Tilly, M., Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, 75 f. 17. Vgl. Bickermann, E., Der seleukidische Freibrief für Jerusalem (1935), in: A. Schalit (Hg.), Zur Josephus-Forschung, WdF 84, Darmstadt 1973, 205-240; ders., Ein Dokument zur Verfolgung Antiochus IV. Epiphanes (1937), ebd., 241-277; Schunck, Quellen.
302
3. Sprache, Stil und theologisches Profil
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
konnte. In 1Makk wird das (nicht unumstrittene) jüdische Herrscherhaus deshalb durchweg als den väterlichen Gesetzen verpflichteter religiöser Streiter für Tora, Tempel und Kult dargestellt. So wird die Machterhebung Simons (1Makk 13,1-9) in idealisierender Weise als Erfüllung der Hoffnungen der »altgläubigen« Frommen und Rebellen gezeichnet, obwohl sie tatsächlich die demonstrative Selbständigkeitserklärung eines hellenistischen Fürsten war. Die bei Josephus (Ant. 13, 288-292) dargestellten Konflikte zwischen Johannes Hyrkan I. und Anhängern der pharisäischen Bewegung, die seine Amtsführung offen kritisierten, lassen 1Makk als Versuch einer literarischen Bewältigung des Auseinanderbrechens der antihellenistischen Gefolgschaft der Makkabäerbrüder erscheinen.
4. Zeit und Ort der Abfassung und Übersetzung Der unbekannte Verfasser von 1Makk ist, obgleich kein direkter Augenzeuge der Geschehnisse, ein der überkommenen jüdischen Tradition verpflichteter gebildeter Parteigänger der Hasmonäerfürsten mit weitreichenden und detaillierten geographischen und historischen Kenntnissen. Als terminus a quo der Abfassung der Schrift kann der Regierungsantritt Johannes Hyrkans I. (135 v. Chr.) gelten, wobei der (den Abschlussformeln der biblischen Geschichtsbücher nachgebildete) 18 Buchschluss in 1Makk 16,23 f. nahelegt, dass dieser bereits eine längere Zeit herrschte. Das erkennbare Bemühen um eine legitimierende Verankerung der Hasmonäerherrschaft (s. u.) in der biblischen Tradition spricht für die Zeit vor oder kurz nach seinem Tod (104 v. Chr.). Der terminus ante quem ist aufgrund der durchgängig positiven Darstellung Roms (vgl. insb. 1Makk 8; 14–16) 19 die römische Eroberung Jerusalems durch Pompeius Magnus (63 v. Chr.). Die griechische Übersetzung entstand wohl bald nach der Fertigstellung des Originals. 20
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Überliefert wurde 1Makk fast ausschließlich in kirchlichen Bibelhandschriften und Drucken. Wegen seiner relativ späten Entstehung und wegen seiner griechischen Sprache wurde es niemals dauerhafter Bestandteil eines jüdischen Kanons (selbst der Name »Makkabäer« taucht in der rabbinischen Literatur an keiner Stelle auf); zu keiner Zeit fand es Eingang in die verbindlichen rabbinischen Sammlungen Heiliger Schriften oder wurde hier explizit zitiert, obgleich die in 1Makk erzählte Geschichte im Zusammenhang mit der jüdischen Identität durchaus relevant ist, was sich bereits bei Josephus, in traditionellen jüdischen Festkalendern, im Talmud und insbesondere in der Liturgie widerspiegelt. 21 In Ant. 12, 242-13, 212 (vgl. Bell. 1, 31-54) findet sich eine 18. Vgl. 3Kgt 11,41; 14,19.29; 1Chr 29,29 f.; 2Chr 9,29; 12,15 u. ö. 19. Vgl. Hidal, S., Rombilden i 1 Mackabeerboken 8, in: SEÅ 70 (2005), 101-105. 20. Vgl. Steiner, R., On the Dating of Hebrew Sound Changes (*H > Ḥ and *Ġ >῾ ) and Greek Translations (2 Esdras and Judith), JBL 124 (2005), 229-267 (hier: 256). 21. Vgl. Stemberger, G., The Maccabees in Rabbinic Tradition, in: F. García Martínez (Hg.), The 4. Zeit und Ort der Abfassung und Übersetzung
303
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
vielfach erweiterte Paraphrase von 1Makk, wobei der antike Historiker (vor allem ab Ant. 13, 230) in seiner Darstellung der Geschehnisse auch anderen Quellen (Polybios, Nikolaus von Damaskus) zu folgen scheint. Die von den Rabbinen ausgestalteten Festlegenden gründen in der in 1Makk 4,3659 geschilderten und mit einem jährlichen Fest verbundenen Reinigung des von den Syrern durch Opfer an den Zeus Olympios entweihten Jerusalemer Tempels durch Judas Makkabäus, der den heidnischen Altar entfernte und auf dem neuen Altar wieder toragemäße Brandopfer darbringen ließ. 22 Im synagogalen Gottesdienst des aschkenasischen, jemenitischen und sefardischen Ritus preist man bis heute am Chanukkafest (25. Kislew bis 2. Tevet) Gott für diese wunderbare Errettung des jüdischen Volkes. 1Makk ging bereits früh vom jüdischen Traditionsbereich in die christliche Literatur über. Zwar finden sich keine direkten Zitate im Neuen Testament, 23 doch wurde die Schrift in den Kirchen des Ostens und des Westens aufgrund ihres praktischen Wertes für die Gestaltung der christlichen Frömmigkeit als Zeugnis der unerschütterlichen Glaubenshaltung und des unbedingten Gottvertrauens geschätzt, gelesen und zitiert (vgl. z. B. Eusebius, Hist. Eccl. V 1; Tertullian, Adversus Judaeos IV 10; Augustinus, Civ. Dei XVIII; Contra Gaudent. I 31,38). Die Vulgata, die lateinische Bibelübersetzung des Hieronymus (347–429), die seit dem 9. Jahrhundert im ganzen lateinischen Christentum des Westens in Gebrauch war, übernahm das erste und zweite Makkabäerbuch, wenn auch auffallenderweise nicht bei den Geschichtsbüchern sondern wie ein Anhang ganz am Ende des Alten Testaments, nach den prophetischen Büchern. Dass die faktische Bedeutung der Makkabäerbücher abgestuft war, zeigt das Fehlen im Codex Vaticanus und im Lehrgedicht des Amphilochios von Ikonium vom Ende des 4. Jh.s. 24 Martin Luther ordnete das Buch wie die anderen Schriften, von denen (zu seiner Zeit) kein hebräischer Text bekannt war, bei den sog. Apokryphen ein. Allerdings hielt er 1Makk (im Unterschied zu 2Makk) für sehr bedeutsam, weil es einerseits hilft, das 11. Kap. des Danielbuches zu verstehen, und andererseits ein wichtiges Beispiel und Zeugnis für die göttliche Bewahrung und Rettung gegenüber allen Anfeindungen des Glaubens darstellt. 25
22. 23.
24. 25.
Scriptures and the Scrolls (FS A. S. van der Woude), VT.S 49, 1992, 193.203; Mayer, R. / Rühle, I., Die makkabäische Bewegung im Talmud und im jüdischen Gebetbuch, BiKi 57 (2002), 8992. Vgl. VanderKam, J. C., Hanukkah: Its Timing and Significance According to 1 and 2 Maccabees, JSPE 1 (1987), 23-40. Das Novum Testamentum Graece27, 800 f. listet insgesamt 22 inhaltliche Bezugnahmen auf: Mt 4,15 (1Makk 5,15); 6,10 (1Makk 3,60); 9,38 (1Makk 12,17); 16,22 (1Makk 2,21); 24,15 (1Makk 1,54); 24,16 (1Makk 2,28); Lk 13,27 (1Makk 3,6); 15,12; (1Makk 10,29[30]); Joh 3,29 (1Makk 9,39); 10,22 (1Makk 4,59); Apg 5,21 (1Makk 12,6) 9,2 (1Makk 15,21); 10,22 (1Makk 10,25; 11,30.33 etc.); 12,23 (1Makk 7,41); 21,26 (1Makk 3,49); Röm 15,4 (1Makk 12,9); 2Thess 4,17 (1Makk 2,60); Hebr 5,6 (1Makk 14,41); 11,17 (1Makk 2,52); 12,21 (1Makk 13,2); Jak 4,2 (1Makk 8,16). Vgl. Bedenbender, A., Simon, Johannes und Alexander – drei Hasmonäer im Neuen Testament, in: Texte und Kontexte 24 (2001), 171-175. Oberg, E., Das Lehrgedicht des Amphilochios von Ikonion, JAC 16 (1973), 67-97 [Amphilochios nennt allerdings generell die Schriften des hebräischen Kanons. SK]. Siehe dazu die »Vorrede auff das erste Buch Maccabeorum«.
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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
Gegenüber diesen Abstufungen der Kanonizität erklärte bekanntlich das erste Konzil von Trient (Tridentinum) alle Bücher der Vulgata zur authentischen, hinsichtlich ihres Umfangs genau feststehenden und für alle dogmatischen Lehraussagen maßgeblichen Bibel der römisch-katholischen Kirche, wozu somit auch 1Makk gehörte. In heutigen katholischen Bibelausgaben begegnet 1Makk unter den alttestamentlichen Geschichtsbüchern. Von den Kirchen des Ostens wurde die Kanonliste des Konzils von Karthago mitsamt 1Makk auf dem ökumenischen Konzil von Konstantinopel (692 n. Chr.) übernommen, aber das Konzil erkannte neben dieser nordafrikanischen Liste auch noch verschiedene andere Listen an. 26 In den Kanonverzeichnissen der armenischen, koptischen, äthiopischen und ostsyrischen Kirchen ist das Buch generell erhalten. Die griechisch-orthodoxe Kirche neigt bis heute dazu, es als kanonisch anzusehen. Hingegen hat die russisch-orthodoxe Kirche 1Makk im 19. Jahrhundert aus ihrem Kanon entfernt.
6. Perspektiven der Forschung Die religionsgeschichtliche Bedeutung der Entwicklungen und Ereignisse, von denen in 1Makk die Rede ist, ist gewaltig, denn durch den gescheiterten Versuch der hellenistischen Reformer, verschiedene grundlegende Bestimmungen der Tora mit Gewalt zu korrigieren, konzentrierte sich die weitere geistige Entwicklung des Judentums gegenläufig auf die Tora. 27 Impulse für die weitere Forschung ergeben sich zudem aus der Beobachtung, dass der griechische Text von 1Makk zum einen von dem durchgehenden Bemühen um zielsprachliche Verdeutlichung der jüdischen Traditionsbindung und zum anderen von der kulturellen Prägung seines Übersetzers geprägt ist. Schließlich bedeutet diese besondere Form der Übertragung des hebräischen Textes von 1Makk in die allgemeine Verkehrs- und Standardsprache des östlichen Mittelmeerraums während der hellenistisch-römischen Zeit auch eine besondere Wahrnehmung der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk bis in die Gegenwart des Übersetzers hinein.
26. Vgl. Schneider, A. B., Jüdisches Erbe in christlicher Tradition. Eine kanongeschichtliche Untersuchung zur Bedeutung und Rezeption der Makkabäerbücher in der Alten Kirche des Ostens, Diss. Heidelberg 2000. 27. Vgl. Hengel, M., Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 31988, 565-570. 6. Perspektiven der Forschung
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3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer Tobias Nicklas
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935/2006 — Kappler, W. / Hanhart, R., Maccabaeorum liber II, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX,2, Göttingen 1959; 19762.
1.2 Übersetzungen und Kommentare Habicht, C., 2. Makkabäerbuch, JSHRZ I/3, Gütersloh 1976 (mit Bibliographie zur älteren Literatur, 288-373) — Schaper, J., 2 Makkabees, NETS, Oxford / New York 20092, 503-520 — Brodersen, K. / Nicklas, T., Makkabaion II. Das zweite Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 694-717 — Nicklas, T., Makkabaion II. Das zweite Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1376-1416. Bévenot, H., Die beiden Makkabäerbücher, HSAT IV, 4, Bonn 1931 — Abel, F.-M., Les livres des Maccabeés, Paris 19613 — Goldstein, J. A., II Maccabees, AncB 41A, Garden City/NY 1983 — Dommershausen, W., 1 und 2 Makkabäer, NEB.AT 12, Würzburg 19952.
1.3 Weitere Literatur Abel, F.-M., Les livres des Maccabees, ÉtB, Paris 1949 — Bar-Kochva, B., Judas Maccabaeus: The Jewish Struggle Against the Seleucids, Cambridge 1989 — Doran, R., Temple Propaganda: The Purpose and Character of 2 Maccabees, CBQ.MS 12, Washington, D.C. 1981 — Engel, H., Die Bücher der Makkabäer, in: E. Zenger / C. Frevel (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 387-404 — Hanhart, R., Zum Text des 2. und 3. Makkabäerbuches. Probleme der Überlieferung, der Auslegung und der Ausgabe, NAW 1961, no. 13, Göttingen 1961 — Kellermann, U., Auferstanden in den Himmel: 2 Makkabäer 7 und die Auferstehung der Märtyrer, Stuttgart 1979 — Nicklas, T., Aus erzählter Geschichte »lernen«. Eine narrative Analyse von 2 Makk 8, JSJ 32 (2001), 25-41 — Nicklas, T., Der Historiker als Erzähler. Zur Zeichnung des Seleukidenkönigs Antiochus in 2 Makk. ix, VT 51 (2002), 80-92 — Schmitz, B., Auferstehung und Epiphanie: Jenseits- und Körperkonzepte im Zweiten Makkabäerbuch, in: T. Nicklas / F. V. Reiterer / J. Verheyden (Hg.), The Human Body in Death and Resurrection, DCLY 2009, Berlin / New York 2009, 105-142 — Schmitz, B., Geschaffen aus dem Nichts? Die Funktion der Rede von der Schöpfung im Zweiten Makkabäerbuch, in: T. Nicklas / K. Zamfir (Hg.), Theologies of Creation in Early Judaism and Ancient Christianity, DCLS 6, Berlin / New York 2010, 61-79 — Schwartz, D. R., 2 Maccabees, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin / New York 2008 (ausführliche Bibliographie mit v. a. englischsprachiger Literatur) — Van Henten, J. W., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ. Supp 57, Leiden u. a. 1997 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Books of the Maccabees: History, Theology, Ideology. Papers of the Second International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 9-11 June, 2005, JSJ.Supp 118, Leiden u. a. 2007 — Ziadé, R.,
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1. Literatur
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
Les martyrs Maccabées: de l’histoire juive au culte chrétien: Les homélies de Grégoire de Nazianze et de Jean Chrysostome, VigChr.S 80, Leiden / Boston 2007.
2. Textüberlieferung In seinem griechischen Original ist das zweite Makkabäerbuch in zwei großen Majuskelhandschriften überliefert, dem Codex Alexandrinus (A) des 5. Jh.s sowie dem Codex Venetus (V) des 8. Jh.s, in anderen bedeutenden Majuskeln wie Codex Sinaiticus des 4. Jh.s fehlt es. Darüber hinaus bieten, beginnend mit dem 9. Jh., einunddreißig griechische Minuskeln, die sich verschiedenen Textformen zuordnen lassen, den Text des 2Makk oder Ausschnitte davon. 1 Unter den alten Versionen des Textes kommt am ehesten der erstmals im Jahr 1932 von D. De Bruyne publizierten Vetus Latina eine gewisse Bedeutung zu, 2 bietet sie doch an vielen Stellen offensichtlich einen vorlukianischen Text; allerdings macht die Tatsache, dass wir es hier mit einer Übersetzung zu tun haben, die textkritische Argumentation manchmal schwierig. Weitere Versionen ins Syrische, Armenische – und zumindest fragmentarisch erhalten – ins achmimische Koptisch sind bisher wenig untersucht und vor allem im Hinblick auf die Rezeptionsgeschichte des Buches interessant. Für die Rekonstruktion des Originals sind sie jedoch von geringer Bedeutung. Die bis heute entscheidende, erstmals im Jahr 1959 erschienene und in folgenden Ausgaben nur leicht veränderte kritische Edition des Texts von 2Makk von Robert Hanhart basiert auf Vorarbeiten des im Jahre 1944 im 2. Weltkrieg gefallenen Werner Kappler und stützt sich in erster Linie auf A sowie die Minuskeln 55, 347 und 771. Diese bis heute unverzichtbare Ausgabe wurde aber mehrfach, vor allem von Christian Habicht, 3 scharf kritisiert, entscheidet sie sich doch an einer Reihe von Stellen (z. B. 2Makk 4,34; 6,29; 7,30; 8,33) für sicherlich schwierige, wohl auch alte, gleichwohl aber kaum verstehbare Lesarten, die in Einzelfällen selbst die Möglichkeit von Konjekturen nahe legen.
3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil 3.1 Sprachliches Profil Abgesehen von den beiden dem Text vorangestellten Festbriefen 2Makk 1,1–2,18, welche wohl aus dem Aramäischen oder Hebräischen übersetzt sind, ist der Text in literarischem Koine-Griechisch verfasst, dessen Qualität sich etwa mit der eines Polybios vergleichen lässt. 4 Dass die Sprache des Textes sich damit deutlich von jener in Schriften der Septuaginta, die aus einem hebräischen Original übersetzt wurden, unterscheidet, ist somit klar. Dies zeigt sich ganz deutlich bereits in der ungleich komplexeren Syntax des 2Makk. 1. 2. 3. 4.
Genaue Angaben bei Kappler / Hanhart, Maccabaeorum liber II, 7-9. Edition: De Bruyne, D., Les anciennes traductions latines des Machabées, Maredsous 1932. Vgl. Habicht, 2 Makk, 191-194. Vgl. Schwartz, 2 Macc, 67. 2. Textüberlieferung
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3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
Der reiche Wortschatz des 2Makk bietet eine Vielzahl von LXX-Hapaxlegomena und Wörtern, die in der LXX neben 2Makk nur in 3 und / oder 4Makk begegnen. Darunter sind auch viele im gesamten antiken Griechisch selten sowie mehr als fünfundzwanzig bisher nur einmal belegte Wörter. Dies verdankt sich der Tendenz des Autors zur Variation in der Darstellung, die wohl bis hin zur Spontanbildung von Begriffen geht. Besonders gerne variiert er bei Ausdrücken des Kämpfens, Sterbens, Folterns oder Tötens, bei der Differenzierung von Waffengattungen, bei der Beschreibung der Tapferkeit der jüdischen Krieger und dem Edelmut der Märtyrer, dem Hochmut ihrer Gegner, aber auch bei den Hoheitstiteln, die im Zusammenhang mit Gott verwendet werden. 5 Gerade bei Präfixbildungen geht der Text immer wieder so weit, dass der Übersetzer an die Grenzen semantischer Differenzierungsmöglichkeiten stößt.
3.2 Inhalt Im Zentrum der Erzählung des zweiten Makkabäerbuchs stehen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen glaubenstreu-konservativen Juden unter der Führung der makkabäischen Bewegung und der seleukidischen Oberherrschaft in der Zeit der Könige Antiochos IV. Epiphanes (175–164 v. Chr.) bis Demetrios I. Soter (162–150 v. Chr.). Protagonist des Buches ist Judas Makkabäus, nach dem Tode seines Vaters Mattatias der erste wichtige Anführer des bewaffneten jüdischen Widerstandes gegen das Verbot, gemäß der Gebote der Tora zu leben. Im Zentrum der Erzählung steht die Entweihung, die Rückeroberung und Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem sowie anschließende kriegerische Auseinandersetzungen, die in der siegreichen Schlacht des Judas gegen die seleukidische Armee unter Nikanor (2Makk 15) gipfeln. Das zweite Buch der Makkabäer setzt, wie bereits angedeutet, mit zwei wohl aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzten Briefen (2Makk 1,1-10a // 2Makk 1,10b–2,18) ein. In beiden fordern Jerusalemer Juden die Mitglieder der ägyptischen Diaspora dazu auf, mit ihnen das Tempelweihfest zu begehen. Das Interesse der Briefe an diesem Fest, dessen Einführung ja in 2Makk selbst beschrieben wird (vgl. 2Makk 10,1-9; s. u.), zeigt wohl auch, in welcher Perspektive 2Makk im Judentum seiner Zeit eine Rolle gespielt haben mag. Der mit einer Vorrede des Epitomators (2Makk 2,19-32) einsetzende Auszug (ἐπιτομή = Auszug 2,26.28 vgl. auch 2,23.32) aus dem Geschichtswerk Jasons lässt sich, je nachdem, welche Kriterien angewandt werden, auf unterschiedliche Weisen gliedern. (1) Der Text beschreibt einerseits eine als Abfall von Gott verstandene Bewegung zur Hellenisierung zumindest einiger Teile des Judentums, die im Zusammenhang mit der seleukidischen Oberherrschaft zu sehen ist. Diese findet in den in Kapitel 6–7 beschriebenen Ereignissen um die Entweihung des Tempels wie dem Verbot der Ausübung jüdischen Glaubenslebens (6,1-17) und den damit verbundenen Verfolgungen und Martyrien des Eleasar (6,18-31) sowie der »sieben Brüder und ihrer Mutter« (Kap. 7) ihren Höhepunkt. Dieser führt zu einer Wende, die in 2Makk 8,5 explizit thematisiert ist: Der Text spricht nun davon, dass »der Zorn des Herrn sich in Erbarmen gewandelt hat«. Mit Kapitel 8 beginnt in diesem Verständnis des Buches die Erzählung vom Aufstieg des Judas Makkabäus und seiner erfolgreichen Feldzüge, deren 5.
Beispiele bei Schwartz, 2 Macc, 69-71.
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3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
erster Höhepunkt in der Rückeroberung Jerusalems und Wiedereinweihung des Tempels besteht (2Makk 10,1-9). Ein zweiter Höhepunkt ist dann im Sieg des Judas über Nikanor (2Makk 15) zu sehen. Für eine derartige Leseweise des Buches spricht auch die Inklusion zwischen Kapitel 8 und 15 – in beiden, auch aufeinander verweisenden Texten ist von erfolgreichen Kämpfen des Judas gegen Nikanor die Rede. (2) Aber auch eine andere Möglichkeit der Gliederung unseres Textes ist nicht von der Hand zu weisen. Der Text der Kapitel 3–15 lässt sich auch als eine Art doppelter Festätiologie lesen. In einem derartigen Verständnis legt sich eine Gliederung in zwei Teile nahe. Der erste Abschnitt, die Kapitel 3–10, befassen sich in diesem Verständnis mit einem Ringen um den von den seleukidischen Ansprüchen bedrohten Tempel. Sie gipfeln dann in der Erzählung von der Wiedereinweihung des Tempels am 25. Kislev (2Makk 10,5), die zur Einführung des jährlich zu begehenden Tempelweihfestes führt. Der zweite, dann sicherlich weniger organisch zusammenhängende Teil könnte als Kampf des Judas um die heilige Stadt und das Land gegen Bedrohungen von außen angesehen werden. Auch dieser zweite Teil fände dann seinen Gipfel in einer Festätiologie, der Einführung des Nikanortags am 13. Adar (vgl. 2Makk 15,36). Ein Epilog des Epitomators (2Makk 15,37-39) rundet das Buch ab.
3.3 Theologisches Profil Obwohl wir es beim zweiten Makkabäerbuch mit einem historiographischen Text zu tun haben, sollte sein theologisches Gewicht nicht unterschätzt werden. Immer wieder wird dabei die Rolle des Tempels und das Ringen um ihn als zentralem Ort der Gottesverehrung als zentral angesehen. 6 Demgegenüber kann aber auf 2Makk 6,19 als Schlüsselpassage für das Verständnis unseres Textes hingewiesen werden: Entscheidend ist nicht der Tempel als Ort der Verehrung Gottes an sich, sondern im Fokus des Buches steht, auch wenn Überlegungen zur Tora eher zurücktreten oder auch der Begriff »Bund« kaum einmal begegnet, das Verhältnis Gottes zu seinem Volk, das als Erwählung bezeichnet werden kann. Dieses Verhältnis kann von Zorn bestimmt sein, wenn sich das Volk nicht als treu erweist, dies kann aber alleine schon aufgrund des Glaubenszeugnisses einiger, in diesem Falle der Märtyrer der Kapitel 6–7, von Gottes Gnade und Erbarmen bestimmt sein. Alleine auf Gottes Erbarmen sind für 2Makk letztlich auch die militärischen Erfolge des Judas zurückzuführen. Wie sehr dies der Fall ist, machen nicht nur die regelmäßigen Gebete der jüdischen Kämpfer vor und nach der Schlacht deutlich. Es zeigt sich auch in einer kurzen Episode nach der Schlacht gegen Gorgias, in der einige jüdische Kämpfer fallen und sich zeigt, dass diese alle auf Amulette fremder Götzen vertraut hatten (2Makk 12,40). Dieses Fehlverhalten einiger führt dazu, dass das ganze Volk, das offensichtlich als Einheit im Gegenüber zu Gott stehend verstanden ist, entsühnt werden muss (12,42-45). Das Gottesbild des zweiten Makkabäerbuchs lässt sich einerseits anhand einer Vielfalt von ansonsten wenig verwendeten Hoheitstiteln bestimmen, von denen einige wie »Pantokrator« in 5,20; 6,26 u. a., »allmächtiger Herr« in 3,26 oder »großer Fürst« in 5,20 durchaus auch aus politischen Gründen bewusst gewählt sein dürften: Deutlich gemacht wird in ihnen, dass trotz aller Ansprüche der seleukidischen Herrscher der Gott Israels als eigentlicher Hand6.
Vgl. hierzu v. a. Doran, Temple Propaganda. 3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil
309
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
lungssouverän der Weltgeschichte zu sehen ist. Ob hierin aus späterer Perspektive vielleicht auch versteckte Hasmonäerkritik zu erkennen ist, wäre der Untersuchung wert. Wichtig ist zudem vor allem das Bild des gerechten Gottes, der Untaten in einer Weise vergilt, die häufig bis ins Detail dem begangenen Vergehen entspricht. Das vielleicht deutlichste Beispiel dafür zeigt sich in der Beschreibung der Qualen, die Antiochus IV., welcher die sieben Brüder und ihre Mutter aufs Grausigste foltern ließ (Kap. 7), laut Kap. 9 bei seinem Sterben am eigenen Leibe erfährt. 7 Der gerechte und souveräne Gott Israels steht Israel im Moment seines Erbarmens auch als Bundesgenosse im Kampf bei, wie der Text in Schilderungen von Epiphanien im Zusammenhang mit den Kampfeshandlungen zeigt. In diesem Zusammenhang spielen auch Engelsgestalten immer wieder eine Rolle. Gottes Gerechtigkeit macht für 2Makk auch an den Grenzen des Todes nicht halt: So bezeugt der Text zwei Aspekte frühjüdischer Auferstehungsvorstellungen: die Idee einer endzeitlichen Erhöhung der Toten zum Himmel und (vor allem im Zusammenhang mit der Zerstörung des Körpers der Märtyrer) die Vorstellung ihrer körperlichen Restitution nach dem Tode. 8 Der Gedanke der Auferstehung der Toten in Verbindung mit der Idee, dass Israel als Kollektiv Gott gegenüber steht, führt auch zur Möglichkeit des fürbittenden Gebets bzw. der Sühne für die Toten, wie er in 2Makk 12,42-45 begegnet. Daneben bezeugt eine in 2Makk 15,12-16 erzählte Vision des Judas auch den Gedanken, dass besondere Tote wie der Hohepriester Onias oder der Prophet Jeremia die Möglichkeit haben, bei Gott Fürbitte für das Volk einzulegen. Auferstehungstheologie verbindet sich in 2Makk aber auch mit Schöpfungstheologie (vgl. 2Makk 7,28-29). Vor allem im Zusammenhang mit 2Makk 7,28 wurde diskutiert, ob hier bereits der in Schriften mancher altkirchlicher Autoren entwickelte Gedanke einer Creatio ex nihilo zu erkennen sei. 9
4. Zeit und Ort der Abfassung Die Frage nach Zeit und Ort der Abfassung der Schrift ist schwerer zu beantworten, als dies auf den ersten Blick der Fall scheint, ist der vorliegende Text doch sicherlich nicht in einem Guss entstanden. Differenziert werden muss zumindest zwischen drei Ebenen, (1) der Entstehung des dem Text zugrunde liegenden Geschichtswerks des Jason von Kyrene, (2) der Entstehung der Epitome unseres unbekannten Autors sowie (3) der Kombination dieses Textes mit den beiden vorangestellten Festbriefen. Wie der Verfasser in seiner Vorrede (2Makk 2,19-32) ausdrücklich zu erkennen gibt, versteht sich das ab Kapitel 3 vorliegende Werk als erbaulicher Auszug eines ursprünglich fünfbändigen Geschichtswerks des ansonsten unbekannten Jason von Kyrene (2Makk 2,23). Obwohl der Epitomator zurückweist, einen allzu genauen Bericht der historischen Zusammenhänge vorlegen zu wollen (2Makk 2,28), übernimmt er in seiner Zu7. 8. 9.
Vgl. ausführlicher auch Nicklas, Historiker. Zu den Gedanken im Zusammenhang mit »Epiphanie« und »Auferstehung« vgl. v. a. Schmitz, Auferstehung. Weiterführend zur Schöpfungstheologie im 2Makk vgl. Schmitz, Geschaffen aus dem Nichts.
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4. Zeit und Ort der Abfassung
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
sammenfassung etwa in Kapitel 11 ältere, offensichtlich bereits dem Jason vorliegende historische Dokumente. Umstritten ist zudem die Frage, ob Kapitel 7, die Erzählung vom Martyrium der sieben Söhne und ihrer Mutter, dem Text des Jason von Kyrene angehört hat oder erst vom Epitomator in einen bestehenden Kontext eingefügt wurde: 10 Vor allem aber die Tatsache, dass Kapitel 9 regelmäßig Bezug auf Kapitel 7 zu nehmen scheint, spricht dafür, dass beide Texte schon im Jason’schen Werk vorlagen. Recht wahrscheinlich auf den Epitomator gehen zudem Abschnitte wie 2Makk 4,17; 5,17-20 und vor allem 6,12-17 zurück, wo – in Kapitel 6 gar in der Ich-Form – zusammenfassende Erzählerkommentare geboten sind. Umfangreichere literar- und quellenkritische Überlegungen zu der Frage, welches Material aus 2Makk 3–15 zusätzlich vom Epitomator in Jasons Text eingefügt wurde und mit welchen späteren Redaktionen zu rechnen ist, legte zuletzt D. R. Schwartz vor. 11 Trotz vieler Hinweise auf eine komplexe Entstehungsgeschichte des Textes ist hier allerdings kaum Sicherheit zu gewinnen. So scheint es sinnvoll, die historische Einordnung des Textes anhand des eingangs beschriebenen Dreischritts zu bestimmen: (1) Das Werk des Jason von Kyrene, das ja im Sieg des Judas über Nikanor (2Makk 15) gipfelt, einem Sieg, der durch den Fortgang der Ereignisse schnell überholt wurde (Tod des Judas in der Schlacht gegen Bakchides), macht sicherlich am besten Sinn, wenn es noch kurz vor dem Tode des Judas Makkabäus (160 v. Chr.) verfasst wurde. (2) Die Epitome wiederum kann wegen der Bedeutung des erfolgreichen jüdischen Ringens um den Tempel für den Text keinesfalls mehr nach 70 n. Chr., der Zerstörung des Zweiten Tempels, verfasst sein. Sie bietet auch, anders als etwa die Psalmen Salomos, keine Spuren, die an den Einmarsch des Pompejus in Jerusalem (63 v. Chr.) und die damit verbundene Schändung des Heiligtums denken lassen. Die im Text mehrfach erkennbare Tendenz, Judas als Vorbild herauszuheben, gegenüber seinen Brüdern (und damit den Hasmonäern) jedoch eine kritische Haltung einzunehmen, lässt eine Entstehung des Textes in hasmonäischer Zeit, eventuell im Zusammenhang mit der Expansionspolitik Johannes Hyrkans (134–104 v. Chr.) wahrscheinlich erscheinen. 12 Letzte Sicherheit ist dabei allerdings nicht mehr zu gewinnen. (3) Die beiden dem Text vorangestellten Briefe wiederum lassen sich genauer datieren: Der erste der beiden Texte (2Makk 1,1-10a) ist auf das Jahr 188 seleukidischer Herrschaft datiert (2Makk 1,10a), also das Jahr 124 v. Chr. unserer Zeitrechnung. Der zweite der beiden Briefe wiederum erwähnt Judas als Absender (2Makk 1,10b) und blickt bereits auf den Tod Antiochus’ IV. Epiphanes im Jahre 164 v. Chr. zurück. Sollten diese Angaben echt sein, muss dieser Text zwischen 164 und 160 v. Chr. entstanden sein. Das Gesamtwerk des 2. Makkabäerbuchs kann damit frühestens im Jahr 124 v. Chr. vorgelegen haben; wahrscheinlich ist die tatsächliche Entstehungszeit nur wenig später anzusetzen.
10. Vgl. z. B. die unterschiedlichen Statements bei Habicht, 2 Makk, 171, und Engel, 2 Makk, 325, der allerdings ebenfalls die Sonderstellung des Textes erkennt. 11. Vgl. Schwartz, 2 Macc, 16-37. 12. Ähnlich auch das Fazit von Engel, 2 Makk, 327. 4. Zeit und Ort der Abfassung
311
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Zeichen jüdischer Rezeption des Textes sind dünn gesät. Dass dem Text des Epitomators zu einem bestimmten Punkt die beiden Festbriefe der ersten Kapitel zugefügt wurden, ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass beim offiziellen Jerusalemer Judentum wohl aufgrund seiner Aussagen zur Entstehung des Tempelweihfestes ein gewisses Interesse an der Verbreitung des 2Makk bestand. Eine eindeutige nichtchristlich-jüdische Rezeption des Textes in der Antike ist allerdings nur durch das 4. Makkabäerbuch bezeugt, welches eine Fortschreibung der Märtyrererzählungen aus 2Makk 6–7 bietet. Dass der Text trotzdem einen gewissen Bekanntheitsgrad genoss, zeigt die Tatsache, dass der Text im frühen Christentum immer wieder angespielt oder zitiert wird. 13 Als frühestes und wohl einziges neutestamentliches Zeugnis ist wohl an Hebr 11,35-36.38 zu denken, wo mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Motive der Märtyrererzählungen des 2Makk angespielt ist (2Makk 6,19.28; 7,7.29; vgl. aber auch 10,6 in Hebr 11,38). In der außerkanonischen Literatur ist zunächst an den Hirten des Hermas (Herm. 26,1 in Anlehnung an 2Makk 7,28) zu denken. In antiken Kanonlisten wird das Buch häufig ausgeschlossen: so scheinen etwa Origenes, Hieronymus und Augustinus das Buch als nicht-kanonisch betrachtet zu haben, alle drei Autoren ziehen es in ihren Argumentationen aber doch immer wieder heran. Das Interesse der meisten antikchristlichen Autoren richtete sich vor allem auf die in 2Makk erhaltenen Märtyrererzählungen und hier wiederum besonders auf das Martyrium der sieben Brüder und ihrer Mutter (2Makk 7), dem Autoren wie Gregor von Nazianz oder Johannes Chrysostomus (im Antiochien des 4. Jahrhunderts!) mehrere Homilien widmeten. 14 Von Luther und Calvin wurde das zweite Makkabäerbuch wegen seiner aus 2Makk 12,42 ff. zu entnehmenden Lehre von der Fürbitte für die Toten und der möglichen Auswirkungen auf die Lehre eines Fegefeuers abgelehnt, das Konzil von Trient (1541) bestätigte den deuterokanonischen Status des Buches in der katholischen Kirche. 15
6. Perspektiven der Forschung Dem zweiten Makkabäerbuch wurde in den vergangenen Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, vor allem der große Kommentar von D. R. Schwartz hat in jüngster Zeit (2008) den Stand der Forschung auf den Punkt gebracht. Trotzdem fehlen weiterhin auf einigen Gebieten grundlegende Untersuchungen. Von besonderer Wichtigkeit wären Arbeiten, die genauer als bisher das sprachliche und stilistische Profil des Textes bearbeiten und in Bezug zu vergleichbaren Texten der Zeit – aus der LXX etwa 3 und 4Makk, aber auch Polybios – setzen. Vor diesem Hintergrund könnte wohl auch die bis heute umstrittene Frage nach Quellen und Redaktionstendenzen des Textes klarer als bisher beantwortet werden. 13. Eine ausführliche Übersicht bietet Abel, Maccabees, viii-xi, sowie Schwartz, 2 Macc, 85-90. 14. Ausführlich hierzu Ziadé, Les martyrs Maccabées. 15. Ausführlichere Hinweise bei Schwartz, 2 Macc, 60.
312
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
In Untersuchungen zur Geschichte der Zeit hat das zweite Makkabäerbuch, das gegenüber 1Makk häufig eher ein Schattendasein führte, in den vergangenen Jahrzehnten eine Aufwertung erfahren; vor allem wurde die Bedeutung des 2Makk für das Verständnis der Vorgeschichte der Konflikte, die zur makkabäischen Erhebung führten, hervorgehoben. Daneben aber könnte in den kommenden Jahren durchaus auch das theologische Profil des Textes stärker ins Blickfeld rücken. Von großem Interesse wäre es, noch klarer als bisher das Profil des Judentums, das hinter der Entstehung dieses Textes steht, vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes herauszuarbeiten und dieses als Aspekt der Vielfalt jüdischen Denkens seiner Zeit zu verstehen. Noch weiter zu klären wäre zudem, inwiefern Darstellungstendenzen des Buches sich der Auseinandersetzung mit hellenistischen Idealen oder politischen Gegebenheiten seiner Zeit verdanken. Es fehlt zudem eine zusammenfassende Untersuchung der Rezeptionsgeschichte des Textes. Die wenigen bisher vorliegenden Studien konzentrieren in erster Linie auf Aspekte der Rezeption von 2Makk 7, zum Teil auch auf die Diskussion um die Fürbitte für die Toten in 2Makk 12,42-44.
6. Perspektiven der Forschung
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3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer Wolfgang Orth
1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1930 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R., Maccabaeorum liber III, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX / 3,2, Göttingen 19802.
1.2 Übersetzungen und Kommentare Boyd-Taylor, C., 3 Maccabees, NETS, Oxford / New York 20092, 521-529 — Mélèze Modrzejewski, J., Troisième livre des Maccabées, BdA 15,3, Paris 2008 (Lit.) — Knöppler, T., Makkabaion III. Das dritte Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 717-729 — Knöppler, T., Makkabaion III. Das dritte Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1417-1444. Kautzsch, E., Das sogenannte dritte Buch der Makkabäer, in: E. Kautzsch (Hg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments I, Tübingen 1900, Nachdruck Hildesheim 2002, 119-135 — Emmet, C. W., The Third Book of Maccabees, in: R. H. Charles (Hg.), The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament in English with Introductions and Critical and Explanatory Notes to the Several Books, Vol. I: Apocrypha, Oxford 1913, Nachdruck 1978 u. ö., 155-173 — Hadas, M., The Third and Fourth Books of Maccabees, New York 1953 — Anderson, H., 3 Maccabees. A New Translation and Introduction, in: J. H. Charlesworth (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha, Vol. 2, New York 1985, 509-529 — Passoni dell’Acqua, A., Terzo libro dei Maccabei, in: P. Sacchi (Hg.), Apocrifi dell’Antico Testamento, IV, Brescia 2000, 571-664 (Lit.) — Croy, N. C., 3 Maccabees, Septuagint Commentary Series, Leiden 2006.
1.3 Weitere Literatur Alexander, Ph. / Alexander, L., The Image of the Oriental Monarch in the Third Book of Maccabees, in: T. Rajak / S. Pearce / J. Aitken / J. Dines (Hg.), Jewish Perspectives on Hellenistic Rulers, Berkeley/CA 2007, 92-109 — Denis, A.-M., Le Livre 3 des Machabées, in: A.-M. Denis (Hg.), Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique I, Pseudépigraphes de l’Ancien Testament, Turnhout 2000, 547-559 — Grimm, C. L. W., Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testamentes, Vierte Lieferung. Das zweite, dritte und vierte Buch der Maccabäer, Leipzig 1857, 211-282 — Gruen, E. S., Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley/CA u. a. 1998, 222-236 — Johnson, S. R., Historical Fictions and Hellenistic Jewish Identity: Third Maccabees in Its Cultural Context, Berkeley/CA 2004 — Mélèze Modrzejewski, J., The Jews of Egypt, Princeton/NJ 1997, 141-153 — Motzo, R. B., Esame storico-critico del III libro dei Maccabei, in: Entaphia. In memoria di E. Pozzi, Turin 1913, 209251 — Motzo, R. B., Il rifacimento Greco di »Ester« e il »III Macc.«, in: Saggi di Storia e Letteratura Giudeo-Ellenistica, Florenz 1924, 272-290 — Parente, F., The Third Book of Maccabees as Ideological Document and Historical Source, Henoch 10 (1988), 143-182 — Passoni dell’Acqua, A., Elementi sociali e politici nel III libro dei Maccabei, in: Timai (FS. J. Trianta-
314
1. Literatur
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
phyllopoulos), Athen / Komotini 2000, 223-237 — Rajak, T., The Angry Tyrant, in: T. Rajak / S. Pearce / J. Aitken / J. Dines (Hg.), Jewish Perspectives on Hellenistic Rulers, Berkeley/CA 2007, 110-127 — Tromp, J., The Formation of the Third Book of Maccabees, Henoch 17 (1995), 311-328.
2. Textüberlieferung und Editionen Grundlage der Textüberlieferung des dritten Makkabäerbuchs, auf dessen Existenz bereits in der Chronik des Eusebios hingewiesen wird, 1 sind die Handschriften des Codex Alexandrinus (A; 5. Jh.) und des Codex Venetus (V; 8.–9. Jh.); demgegenüber tritt an Bedeutung zurück die Minuskeltradition, in der im Besonderen die Ergebnisse zweier untereinander unabhängiger Textformen ihren Niederschlag gefunden haben: der lukianischen und einer weiteren (mit q bezeichneten), deren Provenienz nicht zu bestimmen ist. Die Konstitution des griechischen Textes bietet vom handschriftlichen Befund her nirgendwo außerordentliche Probleme. 2 Am Anfang freilich fehlt eine Partie, 3 Indizien dafür sind der abrupte Beginn des Werks (1,1) und ins Leere gehende Rückbezüge (1,2 und 2,25). Eine lateinische Übersetzung scheint im Altertum nicht erarbeitet worden zu sein, in der Vulgata ist das Buch nicht enthalten. Hingegen gibt es alte Übersetzungen ins Syrische und ins Armenische; beide erlauben sich relativ viele Freiheiten. 4
3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Abfassung Im Rahmen der LXX stellt 3Makk eine Ausnahme dar, da es sich bei dem Text nicht um eine Übersetzung handelt. Nichts spricht dafür, dass hier jemals ein hebräisches Original existiert hätte; uns liegt hier vielmehr ein auf Griechisch verfasster Text vor, gestaltet von einem Autor, der eine sehr gute Bildung, wie sie nur einer Elite unter der jüdischen Bevölkerung zugänglich gewesen sein kann, genossen hatte; er war mit den Regeln der Rhetorik vertraut und hatte auch zahlreiche Werke der griechischen Lite-
1. 2.
3.
4.
Eusebius Werke, VII: Die Chronik des Hieronymus, hg. von R. Helm, Berlin 1984, p. 134, Z. 916. Dazu Hanhart, Liber und ders., Zum Text des 2. und 3. Makkabäerbuches. Probleme der Überlieferung, der Auslegung und der Ausgabe, Nachr. der Akad. d. Wissenschaften in Göttingen, I. Philolog.-Historische Klasse, Jg. 1961, Nr. 13, Göttingen 1961. Dazu Grimm, Handbuch, 219 f.; Reuss, E., Das dritte Buch der Makkabäer, in: Das Alte Testament VII: Die politische und polemische Litteratur der Hebräer, Braunschweig 1891, 249-268, speziell 254; Büchler, A., Die Tobiaden und die Oniaden im II. Makkabäerbuche und in der verwandten jüdisch-hellenistischen Litteratur, Wien 1899 (Nachdruck Hildesheim 1975), 201; Torrey, Ch. C., in: Encyclopaedia Biblica III, London 1902, 2879; Parente, Book, 145; Croy, Maccabees, XVIIf. Syrische Übersetzung: Libri Veteris Testamenti Apocryphi Syriace, ed. P. A. de Lagarde, Leipzig 1861, Nachdruck Osnabrück 1972, XXXVII-XXXIX und 255-273. Zur armenischen Übersetzung siehe die kurzen Hinweise bei Passoni dell’Acqua, Libro, 578 und 618. 2. Textüberlieferung und Editionen
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3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
ratur kennengelernt. 5 Stilistisch weist das Werk eine ganze Reihe von Besonderheiten auf, ungewöhnliche Wortbildungen und elaborierte Wendungen sind zahlreich. 6 Die Abfassungszeit des Textes lässt sich nur ungefähr eingrenzen. Historische, literaturwissenschaftliche und sprachliche Gesichtspunkte spielen bei der Festlegung eines terminus post quem und eines terminus ante quem eine Rolle. 7 Das Buch ist nach der Regierungszeit Ptolemaios’ IV. (222/1–205/4 v. Chr.), von der es handelt, und vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. entstanden: die Vorstellung, dass der Tempel in Jerusalem nicht mehr existiere, ist ausgeschlossen (5,43). Innerhalb dieses Zeitraums von fast 300 Jahren ist aber noch genauere Eingrenzung möglich. Der Autor kennt Texte der Septuaginta-Überlieferung, vor allem das zweite Makkabäerbuch (vgl. 2,21-24 mit 2Makk 3,9 ff. [Heliodor-Geschichte]; auffallend sind auch Übereinstimmungen im Sprachgebrauch) und die griechischen Zusätze zu Daniel (vgl. 6,6 mit Dan 3,46-50). Demzufolge kann 3Makk nicht vor dem Ende des 2. Jh.s v. Chr. geschrieben worden sein. Nichts deutet darauf hin, dass das Imperium Romanum in der Gegenwart des Autors den historischen Rahmen bilde. Von daher ist die früher häufig vertretene Ansicht, das Buch spiegele die antijüdischen Tendenzen der Zeit des Kaisers Caligula, 8 nicht haltbar; es gibt dafür nicht den mindesten Anhaltspunkt, zumal auch von der in römischer Zeit aufbrechenden Spannung zwischen Griechen und Juden in Ägypten hier noch keine Rede ist. Aber auch die Steuergesetzgebung des Augustus muss noch nicht existiert haben, als das Buch geschrieben wurde. 9 Wenn man sich die Frage stellt, mit welchem geistig-gesellschaftlichen Umfeld die in der Schrift erkennbaren Tendenzen am ehesten in Einklang stehen, dann spricht besonders viel für die Zeit um 100 v. Chr. oder bald danach: zu berücksichtigen sind 5. 6.
7.
8.
9.
Vgl. allgemein zum Bildungsprofil des Autors Modrzejewski, Livre, 113-115. Emmet, Book, 161; Passoni dell’Acqua, Libro, 578-581 und 629-664 (Anmerkungsapparat); Modrzejewski, Livre, 115-118 (dort auch Liste von unüblichen Wörtern bzw. von hapax legomena). Siehe etwa Bickermann, E., RECA XIV(1928), Sp. 797-800, s. v. Makkabäerbücher (III), speziell 798; Passoni dell’Acqua, Elementi, 232, Fn. 25. Zur Sprache als Datierungskriterium Emmet, Book, 156-158. So Ewald, H., Geschichte des Volkes Israel bis Christus, Bd. III 2, Göttingen 1852, 520-539; ihm folgten u. a. Reuss, Buch (s. o. Fn. 3), 252-254; Willrich H., Der historische Kern des III. Makkabaeerbuches, Hermes 39 (1904), 244-258, speziell 255 f.; Graetz, H., Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. III, Leipzig 19055 (Nachdruck Berlin 1996), 615 f. Bedenken gegenüber der These formulierte bereits Grimm, Handbuch, 219. Die Ansicht, es habe vor der Einrichtung eines Census für die Provinz Ägypten im Jahre 24/23 v. Chr. im Nilland keine λογογραφία gegeben und man könne deshalb aus der Erwähnung einer solchen in 2,28 einen terminus post quem für die Abfassung der Schrift gewinnen (so Hadas, Books, 3 und 18-21; Tcherikover, V., The Third Book of Maccabees as a Historical Source of Augustus Time, in: A. Fuks / I. Halpern [Hg.], Studies in History, Jerusalem 1961, 1-26; Parente, Book, 175-177; Barclay, J. M. G., Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan [323 BCE-117 CE], Edinburgh 1996, 448), kann als widerlegt gelten (vgl. etwa Huß, W., Untersuchungen zur Außenpolitik Ptolemaios’ IV. [Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, H. 69], München 1976, 54; Gruen, E. S., Diaspora. Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge/MA / London 2002, 76 f.).
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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Abfassung
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
dabei die Bewertung der ptolemäischen Herrschaft, die Situation der jüdischen Diaspora in Alexandreia und ihre Haltung gegenüber der hasmonäischen Politik. 10 Ein zeitlicher Ansatz dieser Art harmoniert gut mit der Tatsache, dass 3Makk deutliche Parallelen oder Korrespondenzen zu zwei anderen Schriften aufweist: zum Buch Esther und zum Aristeas-Brief. 11 Dass gewisse formelhafte Wendungen in den in 3Makk wiedergegebenen königlichen Verlautbarungen dem Sprachgebrauch gerade dieser Zeit entsprechen, kommt als stützendes Argument hinzu. 12 Alles spricht dafür, Ägypten als das Gebiet anzunehmen, in dem der Text entstand. Die Hauptstadt Alexandreia hat als Abfassungsort die größte Wahrscheinlichkeit. 13
4. Inhaltliches und theologisches Profil Thema des Buches ist die Geschichte der Errettung ägyptischer Juden vor gefährlicher Verfolgung. Der Titel ist irreführend: Mit der Erhebung der Makkabäer haben die hier berichteten Ereignisse nichts zu tun; sie haben sich ca. 50 Jahre früher zugetragen als das, was im Ersten und Zweiten Makkabäerbuch geschildert wird. Der junge König Ptolemaios IV., allem, was Religion und Kult betrifft, sehr zugetan, ist im Vierten Syrischen Krieg bestrebt, nach seinem überraschenden Sieg über den Seleukidenherrscher Antiochos III. in der Schlacht bei Raphia (217 v. Chr.) Städten und Heiligtümern in Koilesyrien Wohltaten zu erweisen. Als er in Jerusalem nach Darbringung von Opfern im Tempelbereich das Allerheiligste betreten will, stößt er auf schroffe Ablehnung. Für die Demütigung, die ihm dadurch widerfahren ist, möchte er sich in der Folgezeit an den Juden im Nilland rächen. Da sich die jüdischen Untertanen in Alexandreia mehrheitlich der königlichen Anweisung widersetzen, am Staatskult, insbesondere an der von Ptolemaios favorisierten Dionysos-Verehrung, teilzunehmen, beschließt er die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in ganz Ägypten. Die Juden sollen als Staatsfeinde in grausamer Weise zu Tode kommen, dadurch, dass sie der Attacke wildgewordener Elephanten im Hippodrom in Alexandreia ausgesetzt werden. Die Durchführung des Plans stößt allerdings auf verschiedene Schwierigkeiten und erweist sich schließlich als unmöglich. Am Ende werden die Juden durch göttliches Eingreifen in wunderbarer Weise errettet, die aggressiven Elephanten wenden sich um und greifen königliche Militärabteilungen an. Der König sieht ein, dass er sich 10. Für eine solche Datierung Emmet, Book, 155; Motzo, Rifacimento, 274; Bickermann, Makkabäerbücher (s. o. Fn. 7), 798; Cohen, J., Judaica et Aegyptiaca. De Maccabaeorum libro III quaestiones historicae, Diss. Groningen 1941, 23-25; Anderson, Maccabees, 510-512; Passoni dell’Acqua, Libro, 613; Alexander, Image, 92; Modrzejewski, Livre, 119 f. und 123. 11. Dazu Motzo, Rifacimento, 274-282; Hadas, Books, 6-10; Passoni dell’Acqua, Libro, 592-596 und 598-601; Hacham, N., 3Maccabees and Esther: Parallels, Intertextuality, and Diaspora Identity, JBL 126 (2007), 765-785; Modrzejewski, Livre, 36 f. und 118 f. Zurückhaltendes Urteil bei Anderson, Maccabees, 515 f. 12. Siehe Modrzejewski, Livre, 119. 13. Vgl. Grimm, Handbuch, 220; Hadas, Books, 22 f.; Anderson, Maccabees, 512; Alexander, Image, 92; Modrzejewski, Livre, 113-115. Entstehung im Fajjum-Gebiet nimmt hingegen Knöppler, Erläuterungen, 1419 an. 4. Inhaltliches und theologisches Profil
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3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
– unter dem Einfluss schlechter Ratgeber – falsch verhalten hat; in großzügiger Wiedergutmachung lässt er die Juden in ihre Heimat in den arsinoitischen Gau (Fajjum) zurückkehren und sichert dort die Grundlagen einer zukünftigen friedlichen Existenz. Die aus Todesgefahr wunderbar Geretteten beschließen – einer königlichen Anregung folgend – die Einrichtung eines Dankfestes. So sehr man selbst Gnade erfahren hat, so streng verhält man sich gegenüber denjenigen unter den Juden, die sich in der vorhergehenden Zeit hinsichtlich der königlichen Politik als zu kompromissbereit gezeigt haben: Sie werden einem erbarmungslosen Strafgericht unterworfen. Wie eine ganze Reihe vergleichbarer Schriften thematisiert 3Makk den Konflikt zwischen Judentum und hellenistischer Herrschaft. Der Autor erhebt den Anspruch, ein Geschichtswerk vorgelegt zu haben, dem soll auch durch die Einfügung ›amtlicher Dokumente‹ Rechnung getragen werden, denen formale Korrektheit 14 nicht abzusprechen ist; in ihrem Hauptteil (ab 2,25) freilich nähert sich die Darstellung der literarischen Gattung des Romans an. Erzählerische Wirkung, die ohne Zweifel angestrebt ist, ist dem Ziel untergeordnet, Aussagen zu vermitteln, die Glaubensüberzeugungen ebenso betreffen wie politisches Verhalten. Es ist nicht immer leicht zu unterscheiden zwischen Absichten, die vom Autor bewusst verfolgt wurden, und Wirkungen, die sich – auch ohne dass sie intendiert waren – im Blick auf verschiedene Adressaten ergeben konnten. Den Kern des Ganzen bildet die rühmende Schilderung göttlicher Hilfe in auswegloser Situation. In ihren Gebeten (2,1-20; 6,2-15) kreisen die Priester der Juden immer wieder um das Thema der Macht Gottes. Gott, der Herr der ganzen Schöpfung, δεσπότης πάσης κτίσεως (2,2), wird mit einer Vielzahl von Beinamen belegt. Unter ihnen finden sich auch solche, die sonst in der LXX nirgends vorkommen wie »Alleinherrscher« (μόναρχος 2,2), »Vorvater« (προπάτωρ 2,21), »Großherrscher« (μεγαλοκράτωρ 6,2), »Hochberühmter« (μεγαλόδοξος 6,18 und 6,39), »Heiliger unter Heiligen« (ἅγιος ἐν ἁγίοις 2,2 und 2,21) oder »der die Überheblichkeit Hassende« (μίσυβρις 6,9). 15 Das auserwählte Volk Israel kann die Gewissheit haben, dass es von Gott geschützt und gerettet wird. Die göttliche Vorsehung (πρόνοια 4,21 und 5,30) ist es, die den Juden immerwährende Bewahrung verheißt, mag sich die Bedrohung auch noch so extrem darstellen. 16 Daraus ergibt sich für alle Juden die fundamentale Bedeutung der Treue zu Gott und seinem Gesetz. 17 Die Gesetzestreue hat ihre Hauptelemente in der Ablehnung der Götzenverehrung und in der Brandmarkung von Apostasie. Die Kompromisslosigkeit, mit der der Autor, der selbst griechische Bildung mit Schwerpunkten in Literatur, Phi-
14. Siehe dazu Modrzejewski, Livre, 47 und 62 f. 15. Zu diesen und weiteren Beinamen Modrzejewski, Livre, 88. 16. Mit dem Begriff πρόνοια greift der Autor einen zentralen Terminus der zeitgenössischen stoischen Philosophie auf (vgl. dazu Modrzejewski, Livre, 89). Während verschiedene Erzählungen des Alten Testaments Gottes vorausplanendes Handeln in der Geschichte thematisieren (insbesondere Gen 45,7; 50,20), wird hier nun die Sache auf den Begriff gebracht. 17. Dazu Cousland, J. R. C., Reversal, Recidivism and Reward in 3 Maccabees: Structure and Purpose, Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period 34 (2003), 39-51; Schimanowski, G., Juden und Nichtjuden in Alexandrien. Koexistenz und Konflikte bis zum Pogrom unter Trajan (117 n. Chr.), Münster 2006, 92 f.; Knöppler, Erläuterungen, 1419.
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4. Inhaltliches und theologisches Profil
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
losophie und Rhetorik genossen hatte, synkretistische oder auf stärkere Assimilation hinauslaufende Tendenzen ablehnt, darf als erstaunlich bezeichnet werden. 18 Abgesehen von dieser zentralen Botschaft, die Trost und Stärkung schaffen wollte, konnten Lesern von 3Makk in späthellenistischer Zeit weitere Einsichten vermittelt werden: Das Buch bot eine Erklärung des historischen Hintergrunds einer Festesfeier im Fajjum; damit wurde einem aitiologischen Anliegen Rechnung getragen. Wenn im übrigen Juden in Jerusalem den Text lasen, dann konnten sie zu der Erkenntnis gelangen, dass man es in Ägypten an Glaubensmut und Leidensbereitschaft nicht habe fehlen lassen – auch schon Jahrzehnte vor den Auseinandersetzungen der Makkabäer mit den seleukidischen Herrschern. 19 Und schließlich sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen, wie es die Forschung gelegentlich getan hat, 20 dass der Verf. von 3Makk auch an griechische Leser seines Textes gedacht haben könnte. An mehreren Stellen wird jedenfalls das im Grunde gute Verhältnis zwischen Juden und Griechen betont. 21 Das ptolemäische Königshaus hat sich gegenüber den Juden keineswegs immer richtig verhalten; der Staatsform der Monarchie steht der Autor von daher eher kritisch gegenüber; 22 das soll aber nichts ändern an der Haltung grundsätzlicher Loyalität gegenüber den Herrschern. 23 So enthält der Text durchaus auch eine politische Botschaft. 24 Beachtung verdient schließlich auch der Aspekt, welche Themenkreise in 3Makk ausgespart werden: Fragen apokalyptischer Literatur (Leben nach dem Tod, Endgericht, messianische Hoffnungen) werden hier gänzlich ausgeklammert. 25
5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Erstaunlicherweise wird 3Makk in der späteren jüdischen Tradition nicht rezipiert, im Gegensatz zu anderen Texten, die die standhafte Verteidigung jüdischer Werte gegenüber fremden Machthabern und die Erfahrung, dass Gott auch in größter Not Rettung gewähren kann, zum Inhalt haben. Auch in der christlichen Überlieferung spielt das dritte Makkabäerbuch nur eine ganz periphere Rolle. Zwar hat es als biblische Schrift Anerkennung gefunden in weiten Teilen der östlichen Kirchentradition, 26 doch haben ihm weder die Lutherbibel noch das Konzil von Trient kanonischen Rang zugestanden.
18. So Modrzejewski, Livre, 87 und 106-109. 19. Als Motiv des Verf. herausgearbeitet vor allem von Alexander, Image, 92-94; ferner Schimanowski, Juden (s. o. Fn. 17), 105 f. 20. Zuletzt etwa Williams, D. S., 3 Maccabees: A Defense of Diaspora Judaism?, Journal for the Study of the Pseudepigrapha 13 (1995), 17-29; de Silva, D. A., 3 and 4 Maccabees, in: Dictionary of New Testament Background, Downers Grove/IL 2000, 661-666, speziell 663. 21. Siehe Tromp, Formation, 324-326. 22. Dazu Alexander, Image, 92 und 95-100; 104; Rajak, Tyrant. 23. Vgl. dazu Gruen, Diaspora (s. o. Fn. 9), 70 und 218-220. 24. Dazu auch Tromp, Formation; Passoni dell’Acqua, Elementi. 25. Dazu Anderson, Maccabees, 514. 26. Kanonizität, wenn auch nie ganz unangefochten, in der griechisch-orthodoxen und der russisch-orthodoxen Tradition. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte
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3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
Ins Lateinische ist der Text erst zu Beginn der Neuzeit übersetzt worden: erstmals erscheint eine lateinische Version von 3Makk 1517 im vierten Band der spanischen Complutensischen Polyglotte; 27 Beachtung findet das Buch in der Folgezeit dann beispielsweise bei Hugo Grotius; er hat einen sprachlich-sachlichen Kommentar zu 3Makk ausgearbeitet. 28
6. Perspektiven der Forschung Der Wert des dritten Makkabäerbuches wurde in der älteren Forschung fast ausnahmslos extrem negativ beurteilt. 29 Ausschlaggebend war dafür eine Sichtweise, die nur danach fragte, ob die vom Autor geschilderten »Fakten« stimmten. Dass es eine von Ptolemaios IV. angeordnete allgemeine Judenverfolgung gegeben haben könnte, ist praktisch einhellig abgelehnt worden. Und auch die Vorstellung, man könne Elephanten dazu bewegen, eine riesige Menschenmenge totzutrampeln, ist nirgendwo akzeptiert worden. Dass von Massakern dieser Art auch in ganz anderen Kontexten erzählt wurde, 30 hat zur Stärkung der Glaubwürdigkeit von 3Makk nicht beigetragen, im Gegenteil: Man warf dem Autor vor, er habe in phantasiereicher Weise den Inhalt von in seiner Zeit umlaufenden Horrorgeschichten auf die Herrschaft Ptolemaios’ IV. zurückprojiziert. Heute hat sich eine andere Einschätzung durchgesetzt: Mehr und mehr hat man das erfolgreiche Bemühen des Autors anerkannt, seine fiktive Erzählung durch sorgfältig recherchierte historische Elemente zu bereichern. 31 Als Beispiele sind etwa zu nennen, wie der Verlauf der Schlacht bei Raphia geschildert wird, wie Ptolemaios IV. als Mensch und Herrscher charakterisiert wird, welche Bedeutung der Förderung des
27. Dazu Parente, Book, 148; Passoni dell’Acqua, Libro, 576. Eine Zusammenstellung der in der Zeit von 1517 bis 1977 gedruckten Textausgaben und Übersetzungen (in 14 Sprachen) findet sich bei Metzger, B. M., An Early Protestant Bible Containing the Third Book of Maccabees. in: M. Brecht (Hg.), Text-Wort-Glaube. Studien zur Überlieferung, Interpretation und Autorisierung biblischer Texte. Kurt Aland gewidmet, Berlin / New York 1980, 123-133, speziell 128133. 28. Hugo Grotius, Annotata ad Vetus Testamentum, III, Lutetiae Parisiorum 1644, 469-488. 29. Vgl. etwa Grimm, Handbuch, 215; Reuss, Buch (s. o. Fn. 3), 250 f.; Niese, B., Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chaeronea, II, Gotha 1899, 407, Fn. 4; Kautzsch, Buch, 120 f.; Torrey (s. o. Fn. 3), 2879 f.; Willrich, Kern (s. o. Fn. 8), 244 (»das am tiefsten stehende Erzeugnis der hellenistisch-jüdischen Literatur«); Schürer, E., Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, III, Leipzig 19094, 489; Meyer, E., Ursprung und Anfänge des Christentums, II, Stuttgart / Berlin 19255, 138, Fn. 1 (»ein ganz armseliges Machwerk«); Tcherikover, Book (s. o. Fn. 9), 74; Eißfeldt, O., Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 19643, 789. Die nicht immer glückliche Gegenargumentation von Abrahams, I., The Third Book of Maccabees, Jewish Quarterly Review 9/Oct. 1896 (1897), 39-58, konnte sich dagegen nicht durchsetzen. 30. Etwa für Ptolemaios VIII. (vgl. diesbezügliche Überlieferung bei Ios. c. Ap. 2,53-55). 31. Versuche, in 3Makk einen historischen Kern zu finden, haben nach Abrahams (s. oben Fn. 29) vor allem Büchler, Tobiaden (s. o. Fn. 3), 173-179, Motzo, Esame, 222-249 und Kasher, A., The Jews in Hellenistic and Roman Egypt, Tübingen 1985, 211-232 unternommen.
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6. Perspektiven der Forschung
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Dionysos-Kults im damaligen Ägypten 32 beigemessen wird und wie auf Besonderheiten der Urkundensprache geachtet wird. Sachliche Zusammenhänge und terminologische Details haben durch Vergleich mit außerbiblischen Quellentexten Bestätigung erfahren, wobei vor allem durch die Auswertung des Papyrusmaterials Fortschritte erzielt werden konnten. 33 Aufgrund solcher Befunde ist man heute mehr als früher auch geneigt, Angaben des Autors ernst zu nehmen, für die es keine ausdrückliche Beglaubigung von außen gibt; ein Besuch Ptolemaios’ IV. in Jerusalem beispielsweise, den die ältere Forschung in der Regel als Erfindung abgetan hat, wird heute überwiegend als historisch möglich angesehen. 34 Im Gegensatz zu einer älteren Forschung, die hier nur Unglaubwürdiges und Unwahrscheinliches feststellen zu können glaubte, ist man in neuerer Zeit mit Erfolg um den Nachweis bemüht gewesen, dass es in der fiktiven Erzählung von 3Makk kaum eine Aussage gibt, die nicht doch als plausibles Echo auf historische Realität aufgefasst werden könnte. 35 Einen wirklichen Umbruch bedeutete es allerdings, dass sich die einschlägige Forschung vor etwa 20 Jahren intensiv mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen zuwandte. 36 3Makk wurde als sehr wertvolles Quellenzeugnis für das Thema ›Jüdische Identität in der Diaspora‹ erkannt. 37 Der Text vermittelt Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt des Judentums im ptolemäischen Ägypten; das Zusammenleben mit Ägyptern und Griechen wird in facettenreicher Darstellung gespiegelt. Die vom Autor deutlich zum Ausdruck gebrachte Überzeugung, dass strengste Bewahrung eigener Tradition nicht im Widerspruch stehen müsse zum friedlichen Miteinander verschiedener Völker und Religionen auf engem Raum, 38 hat dem viel geschmähten dritten Makkabäerbuch in jüngerer Zeit verstärkte Wertschätzung zuteil werden lassen. 39
32. Dazu Hacham, N., 3 Maccabeees: An Anti-Dionysian Polemic, in: J.-A. A. Brant / Ch. W. Hedrick / C. Shea (Hg.), Ancient Fiction: The Matrix of Early Christian and Jewish Narrative, Atlanta/GA 2005, 167-183; Renaut, L., Ptolémée Philopator et le stigmate de Dionysos, Mètis N. S. 4 (2006), 211-238, speziell 220-224 und 228-238; Modrzejewski, Livre, 93-96. 33. Siehe dazu im einzelnen Passoni dell’Acqua, Libro, 588-605 (mit Liste der parallelen epigraphischen und papyrologischen Überlieferung: 601-604; vgl. dazu dies., Il III libro dei Maccabei e l’amministrazione tolemaica, in: Akt