Einleitung in das Studium der Statistik. Vorlesungen gehalten an der Universität Göttingen

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Einleitung in das Studium der Statistik. Vorlesungen gehalten an der Universität Göttingen

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9°^

EINLEITUNG IN

DAS

STUDIUM DER STATISTIK. VORLESUNGEN GEHALTEN AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN VON

Professor Dr.

J.

E.

WAPPÄUS.

HERAUSGEGEBEN VON

De.

O.

G AND IL.

LEIPZIG, J.

C.

HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG. 1881.

Druck von Hundertstund

stracten Segriff

von Staat.

Und

sprach.

Namen

unter diesem

sind dann

auch schon

Vorlesungen lange vor Achenwall auf deutschen Universitäten gehalten worden.

Es

ist interessant,

verfolgen.

dies

noch etwas weiter rückwärts zu

Es wird dadurch

die Einsicht

in

die Genesis

unserer Wissenschaft angebahnt; es geht daraus hervor, dass nicht zufällig entstanden, nicht willkürlich gemacht

sie

ist,

sondern mit der Entwickelung der Staatswissenschaften eng

zusammenhängt, dass

wirklich

sie

hervorgegangen

ist

aus

einem wissenschaftlichen Bedürfniss der Zeit Solche akademische statistische Vorlesungen, wie Achenwall sie in Göttingen eingeführt hat, wurden vor ihm nament-

schon in Jena und Halle gehalten.

lich

Aus den

Lections-

katalogen dieser beiden Universitäten geht hervor, dass unmittelbar

vor Achenwall's

Zeit

seiner Zeit

ein

berühmter

Gelehrter, der bereits genannte Prof. Martin Schmeitzel, mit

grossem Eifer ein solches

zwar von seinem

statistisches Colleg gelesen hat

ersten Auftreten in Jena

und

an, im Winter-

semester 1723/24 bis zu seiner Berufung nach Halle im Jahre 1731 und darauf in Halle bis zu seinem Tode 1747.

Siebenbürgener von Geburt, kündigte

ein

Schmeitzel,

das Colleg fast

jedes Semester an, aber unter etwas verschiedenem Titel,

bald einfach

als:

Collegium politico-statisticum, bald

Notitia politico-historica Statuum

Schmeitzel brauchte hier Status ein-

erklärenden Zusätze. fach

für

Staat

als:

Europae, bald mit einem

und

ebenso

das

Adjectiv

statisticus

für

statistisch.

Nun wissen wir,

dass Achenwall in Jena und darauf in Halle

studirt hat

und zwar

dort sein

statistisches Colleg gelesen

Annahme

sehr nahe, dass Achenwall die bei Schmeitzel ge-

in

den Semestern, in welchen Schmeitzel

hörte Disciplin nach Marburg,

wo

hat und da liegt die

er zuerst Statistik gelesen

und darauf nach Göttingen verpflanzt

1)

Siehe hierüber den Exkurs

zum zweiten

Bevölkerungsstatistik von Wappäus.

hat.

Aus dem Mit-

Theile der allgemeinen

-



9

getheilten geht auch mit Sicherheit hervor,

den

Namen

wenigstens

als

;

ist

Dagegen

Adjectivum.

lateinisches

Achenwall allerdings das

Hauptwort zu haben

dass Achenwall

für diese Wissenschaft (Vorlesung) schon vorfand,

deutsche

scheint

populär gewordene

so

für die Wissenschaft zuerst gebraucht

Statistik

er hat es in die deutsche

Sprache eingeführt und

deshalb als der Vater der Statistik angesehen worden.

Uebrigens

ist

hier noch zu bemerken, dass Achenwall

Bildung des lateinischen Wortes

sich der unclassischen ticus

statis-

wohl bewusst war und sich desselben auch niemals

im Lateinischen bedient

hat,

wie Schmeitzel es gethan.

seinen lateinischen Schriften, sowie in der

Ankündigung

In

seiner

Vorlesungen im lateinischen Lectionskataloge nannte Achenwall seine Wissenschaft nicht Statistik, sondern immer: Notitia (oder

notitia

hodicrnarum) und das

Ausdruck als

Reruin

politica)

ist

-

Durch

oder

auch gewiss der richtige lateinische

durch seine Vorlesungen der fügte er

(Europae

Erst in den beiden letzten Semestern,

für Statistik.

geworden,

publicorum

in

Name

Klammer

diese Bezeichnung weist

Statistik sehr populär

hinzu:

vulgo

Statistica.

Achenwall aber auch schon

auf den eigentlichen Gründer der Wissenschaft hin, den er übrigens auch sonst express als solchen bezeichnet, indem er

von ihm

sagt, er sei

academiis tractandae

*)

näher sehen werden,

parens notitiae rerum publicarum in

gewesen.

Das war

aber, wie wir noch

der berühmte Helmstädter Prof. der

Medicin und Politik Hermann Conring, ein Ostfriese, geb. zu Norden 1606, gest. zu Hclmstädt 1681. Dieser berühmte Polyhistor, ein versalität, der

Mann von

seltener

wissenschaftlicher Uni-

auf manchen Gebieten der Wissenschaft eine

balmbroeheiide Thätigkeil entwickelt bat, der jetzt auch als Begründer der deutschen Rechtsgeschichte anerkannt ist 2 ), hat zuerst ein statistisches Colleg zu Hclmstädt gegen das Jahr 1660 gelesen unter dem Titel: Notitia rerum publicarum Siehe Wappäus, Bevölkerungs-Statistik. Bd. II p. 548. Stobbe: Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1870. 8°. 1)

2)

0.

10

(Europae) hodiernarum und

seit

der Zeit

die

ist

Statistik

akademische Disciplin auf deutschen Universitäten heimisch geworden. Achenwall hat sich des Namens Statistik als

eine

auch niemals auf dem Titel seiner Bücher bedient, während er ihn

in seinen

Vorlesungen

druckt findet sich bei ihm der für seine Vorlesungen, welches

unter

dem

erschien.

Achenwall 1790.

Es

von der in:

2.

stets

gebrauchte.

Name

in

Zuerst ge-

seinem Compendium

im Jahre 1749 zu Göttingen

„Abriss der neuesten Staatswissenschaft"

Titel:

Das Compendium erlebte 7 Auflagen: 5 durch selbst, die 6. und 7. durch Schlözer und Sprengel ist

aber auch bemerkenswerth,

dass

Achenwall

Auflage an den Titel dieses Compendiums änderte

„Staatsverfassung der heutigen vornehmsten Europäischen

Es

Reiche und Völker im Grundrisse".

giebt diese Ver-

änderung des Titels uns Aufschluss über die AchenwalPsche Auffassung der Wissenschaft. Staatskunde,

als Verhältnisse,

wichtigsten

Er verstand darunter

einfach

nämlich Staatsverfassung im weiteren Sinne,

Zustände des Staates,

Verhältnisse

des

d. h.

wirklichen

Darstellung der

concreten

Staates

oder des StaatesN wie er in der Gegenwart besteht.

Ob und

wie weit nun diese Auffassung der Wissenschaft

gerecht-

war durch die damaligen Anforderungen der wissenschaftlichen Entwicklung der Staats Wissenschaft, und ob und auf welche Weise daran noch heute anzuknüpfen sein

fertigt

wird,

das

sich über

ist

eine Hauptfrage, die zu beantworten

den gegenwärtigen Streit zu orientiren.

ist,

um

Wir müssen

zu diesem Zwecke in der geschichtlichen Rückschau, in der wir begriffen sind, noch etwas weiter gehen.

Sie wird uns

dann auch zum bestimmteren Erkennen der wahren wissenschaftlichen Anforderungen und Aufgaben sowohl jener wie der heutigen Zeit in Bezug auf die Staatswissenschaft führen.

Von Göttingen

aus

ist

alsbald

der durch Achenwall's

Vorlesungen sehr populär gewordene in

alle

Name

europäischen Sprachen übergegangen.

Statistik rasch

Dieser

aller-

dings nicht übelklingendc, aber eigcntlieh doch schlecht ge*



11

Name

bildete

hat indess auch viel beigetragen zu der Ver-

welche später über den Begriff der Statistik

wirrung, gerissen

ein-

ist.

Der neue Name drang nämlich auch bald nach Frankreich und England und wurde namentlich im ersteren Lande sehr populär.

um

Dort hatte man

diese Zeit

und

Ende

seit

des

17.

Jahrhunderts schon verhältnissmässig viel Schriften zur Belehrung über die staatlichen Einrichtungen und Verhältnisse

Frankreichs,

wo

weiter

deshalb

der

bei

stärkeren Centralisation und der

fortgeschrittenen

Bücher überhaupt schon länger waren.

Man kann

sogenannten

-

Verwaltung solche

ein praktisches Bedürfniss

vergleichen mit unseren gegenwärtigen

politischen

Geographien oder unseren Staats-

Diese Art Bücher führten nicht selten den

liandbüchern. Titel:

sie

Staats

„Etat de

lichen Zustände

Sie belehrten über die staat-

France".

la

des Landes und sind auch gewissermassen

Vorläufer der Statistiker gewesen, wie sich denn auch Achenwall in seiner Habilitationsschrift ausdrücklich auf den Ver'

fasser

eines

Werkes

bezieht; nämlich auf

auf einen Vorgänger

als

den Comte de Boulainvilliers mit seinem

Etat de la France (1727 2

nun gern der neue

Art

dieser

Name

fol.).

Für

Werke wurde

solche

Statistik, statistische

Beschreibungen,

angenommen. Es entstanden dort viele Statistiken, der Name wurde sogar für die politischen Berichte der Intendanten gebraucht,

Jahren eine

wurde

in

es

bildete

statistische

sich in Paris

Gesellschaft.

schon

Genug,

die

vor 100 Statistik

Frankreich schnell ungemein populär. Entsprechend

der nationalen Neigung aller romanischen Völker,

bei

der

Betrachtung und Darstellung der Staatsverhältnisse die so-

genannten

Staatskräfte hervorzuheben, entfernten sich die Franzosen von Anfang an in ihrer Behandlung und Aus-

bildung der Statistik

von der AchenwaH'schcn Auffassung

dieser Wissenschaft.

Sie entfernten

dadurch, dass

sie

sich

davon namentlich

nicht gleichmässig alle Verhältnisse des

Staates, sondern vorzugsweise nur dasjenige berücksichtigten,

— was

sich leicht übersichtlich in

So

lässt.



12

Maass und Zahl ausdrücken

B. die numerischen Verhältnisse der Bevölkerung

z.

nach ihren verschiedenen Kategorien (Zahl,

Alter, Geschlecht,

Ständen); ferner die Production, die Handelsbewegung, die

Staatseinnahmen und Ausgaben, die Stärke der Armee

Auf

Weise kamen

diese

was

dahin, nur dasjenige als statistisch anzusehen,

zugsweise in lässt, als

Dabei geschah

Tableau, Etat.

s.

w.

mehr

sich vor-

Zusammenstellungen behandeln

tabellarischen

die französischen

u.

nach und nach immer

sie

bei

Statistiker

ihrer

es

denn

dass

leicht,

geringen Beachtung

der ausländischen und insbesondere der deutschen Literatur

Bedeutung des Namens aufgenommen hatten, vergassen und nun gradezu Statistik ableiteten von Status in der Bedeutung von Zustand. (Etat, Situation, ConUnd dabei verharren sie der Mehrzahl dition des choses.)

und

den wirklichen Ursprung den

Statistik,

nach noch gar

sie

jetzt in der naivsten

eine

für

um

Statistik

Weise und erklären

Abgeschmacktheit,

zu behaupten,

nach Frankreich gekommen

von da

Moreau de Jonnes,

Statistiker,

einer der namhaftesten französischen

zu nennen, der viele Jahre Chef des französischen

statistischen

Bureaus zu Paris war und

grossen Verdienste hat.

als

solcher

Statistique

in einer ganzen Reihe von Foliobänden, die

nichts als Zahlen

seine

Diese bestehen in der Herausgabe

der ersten Serien der grossen offiziellen

France

.

die

Als Repräsentant dieser französisch- statistischen Schule

sei.

rt»

wohl

es

dass

die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch-

land ausgebildet und

ist

die

zuerst doch aus Deutschland

enthalten.

Er

de

la

freilich

hat auch ein statistisches

Lehrbuch geschrieben unter dem Titel: Elements de Statistique, Paris 1847. In diesem Buche nennt er es eine Prätension

der Deutschen,

zu behaupten,

dass ein gelehrter

Professor zu Göttingen, wie er sich ausdrückt tistik

entdeckt habe (en

sei uralt

zwar

sei

fit

und der Name dafür er

zur Zeit

der

wieder hervorgesucht, aus

p. 10,

die Sta-

Die Wissenschaft neueren Ursprungs und

la decouverte). sei

französischen Revolution

dem

lateinischen

Status,

dafür in

der

— S.



13

12 ausgeführten Bedeutung.

Das

ist allenfalls

begreiflich

bei einem französischen Director der administrativen Statistik.

Zu verwundern

ist

aber gewiss, dass namhafte deutsche

es

über die Theorie der Statistik sich auf diesen

Schriftsteller

Franzosen gegen die Achenwairsche

statistische

Schule be-

rufen haben.

Ebenso wie die Franzosen haben sich die Engländer nach Aufnahme der Statistik von der deutschen Auffassung entfernt. Auch in England hat man vorzugsweise die Zahlenstatistik ausgebildet, wenn auch nicht in so ganz einseitigem Interesse

für

die Darstellung

der sogenannten materiellen

Staatskräfte wie in Frankreich.

man

entsprechend, bildete

des Volkswohles aus, statistischen

man

d. h.

englischen Character

vornehmlich zum Nutzen

suchte vorzugsweise nach

Thatsachen, welche über

den Grad der Pros-

der Bevölkerung Aufschluss

perität

zu geben geeignet erDie Engländer haben von Anfang an mit der

schienen.

Ilerübernahme Statistik

die

Dem

die Statistik

des

Namens

angenommen.

nicht

die

Idee

der deutschen

Praktisch und nüchtern

haben

sie

Bezeichnung „statistisch" nur angenommen für die Be-

trachtung derjenigen Verhältnisse

der Staaten,

die

sich in

Zahlen ausdrücken lassen und über welche somit eineRechnung,

Buchführung angestellt werden kann. So haben die Engländer die Statistik zu einer Buchhaltung der Nation

eine Art

gemacht.

Dass

sie

nicht die deutsche

geht auch daraus hervor,

gebrauchen.

Eine Statistik

Idee erfasst haben,

dass sie Statistik nur im Plural als

besondere Wissenschaft kennen

sie nicht.

Sie haben nur Statistics (St. of commerce, St. of

population

etc.)

Di*'

d. h.

einzelne statistische Uebcrsichten.

Man

England der Statistik als Hauptaufgabe: Darstellung der Zustände der Bevölkerung und die Er-

stellte

darnach

in

forschung der Mittel zur weiteren Verbesserung des materiellen Volkswohlfahrt.

Das

ist

nun

freilich

auch eine der Aufgaben

der Statistik, die Zustände des Volkes in Bezug auf die

all-

gemeine Prosperität darzulegen, wie diese sich ausdrücken





14

Production,

Bewegung der Bevölkerung, im Handel, in der dem Einkommen des Volkes, dem Armen-

wesen

Wenn

z.

B. in der

etc.

aber die Statistik einseitig darauf allein

ausgeht und insbesondere auch darauf, die Mittel zur Ver-

besserung jener Institute zu entdecken, so verliert

sie sich

Untersuchung und käme überdies ebenFrankreich, nur auf anderem Wege, zu einer Uebei

leicht in theoretische

so wie in

-

Schätzung und alleinigen, abgerissenen Fortbildung derjenigen Theile der Statistik, in welchen Zahlen die Hauptrolle spielen,

und dahin

ist

sie

auch vornehmlich treten,

auch

in

England gekommen,

sie

ist

dort

den Dienst der Nationalökonomie ge-

in

gewissermassen nur ein Hülfsmittel derselben geworden.

Die

Ausbildung, welche so

einseitige

Statistik

die

in

Frankreich und England fand, wirkte nun auch auf Deutsch-

Mehr jedoch noch und allgemeiner als diese Rückwirkung der nationalen Tendenzen der Franzosen und der Engländer, hat die Errichtung und Vervielfältigung der land zurück.

Bureaus gewirkt, von der Achenwairschen Idee abzuführen. Nach anderer Richtung ist diese Errichtung und

sog. statist.

Vervielfältigung genannter Bureaus für die Statistik von der

Förderung gewesen. Bureaus sind eigene

allergrössten

Die

statistischen

die ihre Thätigkeit lediglich der

Staates zu keit

Statistik

Staats-Institute,

des betreffenden

widmen haben. Ihre Nützlichkeit und Nothwendig-

stellte

sich

sowie

heraus,

die

Staatsverwaltung

eine

und künstlichere wurde, weshalb sich auch die ersten Anfänge solcher Institute in Frankreich zeigen und zwar schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Keine geordnete Verwaltung kann der Statistik entbehren. centralisirtere

Jeder Verwaltungsbeamte sogar muss sich eine Statistik seines Ressorts bilden,

ordnete seines

d. h.

Uebersicht

er

der

muss

factisch

Verwaltungskreises

macht auch

ein jeder

sich eine Kenntniss, eine ge-

bestehenden

verschaffen.

Beamte

Und

Verhältnisse in

sich seine Statistik,

der

Thaf

nenn auch

-



15

ganz unbewusst, und mehr oder minder oder minder er statistisch geschult

ist

rationell, je

mehr

oder statistisches Talent

Je complicirter, je vollkommener nun die Staatsverwal-

hat.

tung wurde, desto weniger genügte dafür auch die Privatstatistik, desto

für den Staat

mehr entstand

das Bedürfniss

nach Sammlung und Zusammenstellung von Nachrichten über die thatsächlichen Zustände der zu verwaltenden Angelegenheiten; sie konnte nicht mehr nur nebenbei von dem Einzelnen zu

seinem Privatgebrauche

geschehen.

Anfangs sammelte

nun jede Verwaltungsbehörde für ihren besonderen Ressort. Nach und nach häufte sich aber das statistische Material der Art, dass dafür die gewöhnlichen Arbeitskräfte der einzelnen Verwaltungsbehörden nicht

mehr

Da-

ausreichten.

neben entstand auch immer mehr das Bedürfniss nach Ver-

vollkommnung und Ausdehnung der Beobachtungen, und nach einer mehr zweckentsprechenden Bearbeitung des gesammelten Materials. Diese Aufgabe wurde nun besonderen Beamten übertragen, die sich vorzugsweise oder allein damit •

Zunächst hatten diese nur für das

zu beschäftigen hatten.

jedesmalige praktische Bedürfniss der Regierungsbehörden zu arbeiten und zu Anfang wurden solche statistische

lungen allgemein

als

Staatsgeheimniss

der praktischen Staatsmänner

gab

man

indess

diese

Sehr nahe

Staaten.

es

es

— bewahrt.

Scheu

lag



wenigstens

auf,

nun,

solche

Samm-

Arcana Nach und nach

waren

die

in

Arbeiten,

einigen

deren

Wichtigkeit für Jeden, der sich für das Staatsleben interessirte,

auf der

Hand

lag, nicht blos in

den Registraturen der

einzelnen Ministerien, blos zur gelegentlichen Benutzung für einen

bestimmten Zweck der Verwaltung liegen

sondern

sie

durch Vervielfältigung durch

weitere Kreise zugänglich zu machen,

zu lassen,

den Druck für

zunächst für solche,

welche ein besonderes Interesse daran hatten, wie Staats-

behörden und Ständemitglieder, auch wohl für das grössere Publikum.

Angeregt wurde nun

zur

Ausdehnung solcher

Arbeiten und Publikationen auch vorzüglich durch das

gemeine Interesse, welches sich

seit

all-

Achenwalls Vorlesungen

— und die seiner Nachfolger,



16

in Göttingen namentlich Schlözer's,

für Statistik unter den Staatsbeamten vornehmlich in Deutsch-

man denn auch allmählig jedem Ministerium besonders bestehenden statistischen Abtheilungen zu vereinigen, und so entstanden namentlich seit Anfang dieses Jahrhunderts viele land verbreitet hatte.

So ging

dazu über, die bis dahin meist

in

dem Namen

eigene Institute für Landesstatistik meist unter

von

statistischen Bureaus, Centraibureaus etc.

sation,

wie

sie sich in

gebildet hat,

Ihre Organi-

den einzelnen Staaten allmählig heraus-

war verschieden.

gemeinsame Aufgabe aber

Eine

ist die:

die

allen diesen Instituten

gesammelten

statistischen

Thatsachen zusammenzustellen, zu ordnen und mehr oder weniger verarbeitet zu publiciren.

Bureaus

ist

nun

seit

Anfang

Durch

solche statistische

dieses Jahrhunderts

un-

eine

geheure Masse von statistischen Daten und Specialarbeiten

angesammelt worden und solches Material wird noch während gleichsam mit Riesenarmen angehäuft. Es ist ein Schatz,

fort-

dies

der für die Wissenschaft noch lange nicht voll-

ständig verwerthet werden konnte.

Für

dieselbe

ist

diese

üeberfülle von Material sogar keineswegs fördernd gewesen, sie ist ihr

geworden.

gewissermassen zu einem „embarras de richesse"

Der Natur der Sache nach beschränken

sich aber

Bureaus im Wesentlichen auf die verwaltenden Staatsbehörden von

die Arbeiten der statistischen

welche für

solche,

Wichtigkeit sind zur Uebersicht der thatsächlichen Verhältnisse.

Daher beschränkt

operiren, auch ganz

sich

das Material,

mit

überwiegend oder vielmehr

dem

sie

fast einzig

auf solches, welches sich in Zahl und Maass und in tabellarischer

Form ausdrücken und zusammenstellen

nothwendige Folge davon officielle

ist

gewesen,

dass

lässt.

dadurch

Eine die

oder administrative Statistik und zugleich die Zahlen-

grossem Ansehen gelangten. Und dies geschah um mehr, weil auch in den wissenschaftlichen Arbeiten die statistischen Bureaus" dadurch vor den Statistikern von Fach statistik zu

so

den Vorrang erhielten, dass nun zur Bearbeitung und vollen

Verwerthung der

in so reicher Fülle

gesammelten

statistischen

Daten meistentheils Arbeitskräfte erfordert wurden, über das Vermögen des Einzelnen,

die weit

B. eines Universitäts-

z.

professors hinausgingen, die nur einem Direktor eines statistischen Bureaus mit seinen zahlreichen Calculatoren, Hülfs-

arbeitern

etc.

zu Gebote standen.

Und dadurch mit

dass

der

wissenschaftliche

ausgegangen

es

denn auch vorzüglich gekommen,

Statistik,

der

sich

Bureaus

statistischen

wie

immer mehr

ist,

Man gewöhnte blos

ist

Ausbildung

sie

von den

in

den

Hintergrund

trat.

daran, unter Statistik mehr und mehr

administrative Statistik zu verstehen,

die

die

Universitäten

den statistischen Bureaus ausgeht und wie voluminösen Publikationen dieser

sie

wie

sie

von

aus den sehr

Institute, meist

jedoch nur

mehr oder weniger fragmentarisch, in die statistischen Schriften von Privaten, ja man kann sagen von Dilettanten übergeht.

Denn

mit der raschen Entwickelung der offiziellen Statistik

ist die

nicht officielle Statistik

ganz

fast

in

die

Hände von

Dilettanten gerathen.

Daraus erklärt

sich

denn auch, dass je höher die Statistik

dem allgemeinen Ansehen stieg, desto mehr der Geschmack am wirklichen Studium der wissenschaftlichen Statistik ab-

in

nahm, weil eben

und Verarbeitung

in der Mittheilung

eines

wichtigen Theiles des statistischen Materials die Gelehrten

mit den statistischen Bureaus nicht gleichen Schritt halten

Gegenwärtig können

konnten.

mehr

Vorlesungen

über

auf keiner Universität

fast

„Allgemeine

Statistik "

gehalten

werden, während diese Disciplin in ihrer ersten Kindheit zu

den

beliebtesten

akademischen Disciplinen

zur -#eit von Heeren waren die Auditorien klein

für die Vorlesungen

hieb von

den Universitäten, auf denen die

in

statistischen

und mehr bureaukratisch. statistischen

Bureaus die

pflegten,

Göttingen zu

ausgebildet worden,

Bureaus zurück und wurde mehr

Damit entstand dann,

zugleich

weil in den

nur einseitig ausgebildet

Statistik

wurde und sonst nur Dilettanten schäftigen

sie

in

Noch

Die Statistik zog

über Statistik.

ganz

gehörte.

sieh

eine

niii

grosse

ihr

noch zu be-

allgemeine Ver-

— wirrung

in

18

den Ansichten über den Begriff und die Aufgabe

der Statistik als Wissenschaft.

Gegen die bezeichnete einseitige rein bureaukratische Behandlung und Ueberhebung der Statistik erfolgte nun in neuerer Zeit eine mehr wissenschaftliche Reaction, wenn zwar auch wiederum nur eine einseitige. Diese Reaction ging von Belgien aus, dem neuen kleinen der nach seiner Constituirung ganz auf seine innere

Staate,

Entwickelung angewiesen, mit der ganzen Frische der Jugend sich auf seine innere Entwickelung, auf die volkswirthschaft-

und

Arbeit

liche

Dazu waren

Vervollkommnung

die

auch

grosse

Neuerungen nothwendig.

warf.

und

Reformen

Diese konnten aber,

Zwecke entsprechen, nur auf der Basis niss

derselben

administrative

dem

sollten sie

einer genauen Kennt-

der thatsächlichen Verhältnisse des Landes ausgeführt

In

werden.

richtiger

Erkenntniss

dieses

Erfordernisses

wandte nun auch die Regierung des jungen Staates von Anfang an ein Hauptaugenmerk auf die genaueste statistische Erforschung

des

Landes.

Zu diesem Zwecke wurde

statistisches Institut errichtet, in einer

Vollkommenheit der Organisation,

Ausdehnung und

wie

sie

bis

ein

einer

dahin noch

waren und wodurch das Institut, das statisBureau von Brüssel, in der That zu einer Musteranstalt Möglich wurde aber diese vollkommene seiner Art wurde. Errichtung nur dadurch, dass man dabei von der einseitigen nicht gekannt tische

administrativen Statistik abging, dass allein

man

sich dabei nicht

an die praktischen Verwaltungsbeamten wandte, son-

dern für die Errichtung und Leitung des Instituts von Anfang

an auch der wissenschaftlichen Statistik eine sehr

einfluss-

Stimme gab. Schon bei der ersten wurden Gelehrte zu Rathe gezogen, u. A. vornehmlich auch

Organisation

reiche

ein gelehrter

Mathematiker, der sich bereits durch wissen-

Namen gemacht

hatte.

dies der Director der Sternwarte zu Brüssel,

Adolf

schaftliche statistische Arbeiten einen

Es war

Quetelet,

und ihm

ist

auch nach der Errichtung des

statis-





19

Bureaus die Hauptleitung der Arbeiten dieses Inanvertraut worden. Dadurch erhielten auch die Arbeiten

tischen stituts

des statistischen Bureaus zu Brüssel im Gegensatz

früheren Arbeiten solcher Institute einen Character.

lichen

der belgischen

Durch

diese

Verbindung Quetelets mit

Statistik

officiellen

Methoden zur Erhebung der

wurden nicht allein die Daten und ihre

statistischen

Bearbeitung ausserordentlich vervollkommnet. stand es auch, die ermittelten

ständigen

Werken

vielfach

zu den

mehr wissenschaft-

statistischen

Quetelet ver-

Daten

wissenschaftlich

und zwar mit so grossem Erfolg, dass

in

selb-

zu verwerthen

er bald allgemein als

der Meister in der Statistik anerkannt wurde.

Deshalb haben sich auch allmählig die wissenschaftlich strebsamen Statistiker vorzugsweise an Quetelet angeschlossen

und noch gegenwärtig müssen wir Quetelet, obgleich er in seinen letzten Arbeiten nicht mehr in dem Maasse wie früher die Führung in der Statistik hat behaupten können, noch hoch verehren.

Die gegenwärtige wissenschaftliche

Statistik hat sich mit

Recht der durch Quetelet gestifteten neuen Schule der Statistik

Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die von Quetelet speciell bearbeiteten und durch ihn zu grosser wissenschaftlicher Bedeutung erhobenen Theile angeschlossen.

der Statistik nicht den ganzen Inhalt der von den Universi-

ausgegangenen Wissenschaft begreifen.

täten

sich dessen auch bewusst

dass

die

von

gewesen und

Quetelet

ist

er hat nie behauptet,

ihm vorzugsweise bearbeiteten

Theile

der

ganze Statistik ausmachten.

Statistik die

Als Mathematiker von Fach wendete Quetelet seine Auf-

merksamkeit vorzüglich solchen statistischen Thatsachen die

leicht

Calcül

zu

in

Zahlen auszudrücken

unterwerfen

waren.

Behandlung dieses Theiles der neue Bahn gebrochen.

In

und unmittelbar der

Statistik

hat Quetelet eine

Insbesondere hat er durch

Gesellschaft,

die

dem

wissenschaftlichen

Anwendung

der mathematischen Methode auf solche Erscheinungen

menschlichen

zu,

scheinbar ohne 2*

alle

der

Regel-



20



u\ässigkeit ;

nach blossem Zufall vor sich gehen, wie Tod

und Leben,

ferner

vom

auf die sogenannten willkürlichen oder des Menschen

freien Willen

abhängigen Handlungen

(wie Schliessung und Auflösung von Ehen, die verschiedenartigen sittliche

Uebertretungen der

Handlungen überhaupt)

Gesellschaft

alle

scheinungen,

wenn man

ein für

Gesetze,

diese



zufälligen

Verbrechen

w.,

der

willkürliehen

Er-

die Gesellschaft in

dass

einem Staate

bestehendes Ganzes betrachtet,

sich

s.

in

bewiesen,

und

u.

als

sich mit einer

Regelmässigkeit vollziehen, welche jeden Gedanken an eine Zufälligkeit oder an eine Willkürlichkeit in diesen Erschei-

nungen

ausschliesst.

Quetelet

ist

dadurch der Begründer einer Social- oder

moralischen Statistik geworden, die fortan einen wichtigen Platz in der Statistik einnehmen muss. let

vorzüglich durch die geniale

tischen

Methode

erreichte,

in

die

ist

Erneuerung der

der

Statistik

von ihm

Statistik

Indem aber Q,ueteder mathema-

Anwendung so

glänzende Resultate

ausgegangene wissenschaftliche

doch nur eine einseitige geworden.

Durch Quetelet sind wissenschaftliche Ideen in der Statistik zwar wieder mehr zu Ansehen gebracht, indem durch seine Arbeiten die unberechtigte Ueberhebung der einseitigen administrativen Statistik gebrochen worden ist. Zugleich ist dadurch aber die einseitige Hochschätzung der Zahlenstatibtik wiederum gesteigert worden. Eben weil Quetelet durch Berechnung so überraschende Resultate erreicht hat, wurden nun seine Anhänger und Bewunderer dazu veranlasst, das Operiren mit Zahlen in der Statistik vor Allem als wissenschaftliche statistische

Aufgabe anzusehen.

Das

ist

aber in

solchem Maasse geschehen, dass gegenwärtig viele Statistiker es

geradezu

als

Grundsatz aufgestellt haben,

dass jedes für

Factum von einer exacten Zahlenmüsse und dass deshalb grundsätzlich von der Behandlung in der Statistik alle Thatsachen ausgeschlossen w erden müssen. Mit anderen Worten, diese die Statistik brauchbare

angabe

begleitet sein

r

Statistiker verwerfen

grundsätzlich die

Aufnahme und Vor-



21

wendung jeder andern Mittheilung über Staat und als

solche,

die

sich in

Zahlen ausdrücken lassen.

Grundsatz haben zuerst die Franzosen

haben sich aber auch

mehr zugewandt. Das

Gesellschaft,

die

ist,

Diesen

Darauf Deutschen demselben mehr und

um

aufgestellt.

hier nur die wichtigsten Arbeiten

dieser Art zu nennen ; namentlich geschehen von

dem

genannten Nationalökonomen Knies in Heidelberg

bereits

einer

in

eigenen, übrigens, wie wir noch sehen werden, sehr beachtens-

dem

werthen Schrift unter

Titel

„Die

Statistik als selbstän-

dige Wissenschaft. Zur Lösung des Wirrsals in der Theorie und Praxis dieser Wissenschaft (zugleich ein Beitrag zur

Geschichte

kritischen

Und

Wissenschaft

der

seit

Achenwall).

noch neuerer Zeit von einem sehr geistreichen Publicisten, dem ehemaligen württembergischen Cultus-

Kassel 1850."

minister,

in

dem heutigen Kanzler der

Universität zu Tübingen,

Rümelin, in einem Aufsatze in der (Tübinger) Zeitschrift für die

gesammte Staatswissenschaft

Theorie der Statistik."

)

unter

dem

Factum von

sein muss, ist

„Zur

Titel:

Mit dieser Auffassung:

für die Statistik brauchbare

angabe begleitet

l

dass jedes

einer exacten Zahlen-

nun der wissenschaftlichen

Stati-

von den Universitäten ausgegangen und auch im Wesentlichen, wenn auch mehr oder minder unklar und unbewusst, bis in die neueste Zeit festgehalten ist, und namentlich auch, was wohl zu beachten ist, von den Praktikern, die wie

stik,

wichtige

sie

statistische

Länderbeschreibungen

geliefert

haben,

der wissenschaftlichen Statistik ein ungerechtes Todesurtheil

Es lässt sich dies klar nachweisen. Auf Rümelin, der in einem späteren Aufsatze in derselben

gesprochen.

Zeitschrift 1874 seine

kommen

Behauptung wesentlich modificirt

hat,

wir später zurück.

Der von Knies gegen die Achenwall'sche Statistik erhobene Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit darf hier nicht Erst dann wird es möglich sein, den Weg, ignorirt werden.

1)

sätzen.

Jahrg. 1803.

S.

053— 090. abgedruckt

in seinen

Reden und Auf-



22

den wir für den richtigen erkennen ; genauer zu bezeichnen

und auf demselben mit Zuversicht vorzuschreiten. Knies und seine Nachfolger sagen: Die Statistik im Sinne Achenwall's und seiner Nachfolger sei nichts weiter als ein loses, willkürlich zusammengehäuftes Aggregat von Wissen, welches seinen Haupttheilen nach wissenschaftlich längst vor Achenwall in den Disciplinen ?

behandelt

worden.

zu

welchen

Bestimmter

eigentlich gehöre,

es

formulirt

Knies,

der

am

Bedenken gegen die wissenschaftliche Statistik zusammenfasst und am eingehendsten zu begründen gesucht hat, diesen Vorwurf folgendermassen: Zu der von Achenwall „Statistik" genannten Wissenschaft haben sich von Anfang an zwei wesentlich verschiedene Gruppen oder Richtungen neben einander ausgebildet, die nichts mit einander gemein haben, als den Namen, und haben sich ohne klares Bewusstsein des Unterschiedes mit einander vermischt. Die eine von Achenwall begründete Richtung habe sich aus der Geschichte der neuesten Zeit entwickelt, sie sei von Anfang an eine historische Disciplin gewesen und dies alle Zeit hindurch verblieben. Diese Disciplin schildere mit der Wortschärfsten die

phrase wie die Geschichtsschreibung die staatsmerkwürdigen

Zustände der Gegenwart. Die zweite Richtung sei ausgegangen von der politischen Arithmetik. Sie lässt, sagt Knies, als

Fundament

für alle Operationen nur das

Zahl begleitete exacte Factum zu.

Hier

soll nichts

von der mit der

Wortphrase geschildert und beschrieben, sondern Alles mir der Zahlenangabe gemessen und berechnet werden; es soll ein exactes Facit gewonnen werden. Um nun aus dem Wirrsal, zu welchem diese bisherige Vermischung dieser beiden Richtungen oder Disciplinen geführt hatte,

herauszukommen,

hält Knies

nothwendig — und damit spricht er Zahl namentlich bisher unter

es für

die Ansicht einer

offizieller Statistiker

bestimmter aus

dem gemeinsamen Namen

in

großen



die

der Statistik hervor-

getretenen Disciplinen vollständig zu scheiden.

Knies

unbedingt

Sie sind nac h

zwei Disciplinen zu trennen, von denen die zuletzt





23

geschilderte, d. h. die, welche aus der politischen Arithmetik

hervorgegangen sein Statistik zu belegen

soll

Achenwall-(Schlözer'sche) Richtung

und

verlieren

als

Namen

mit dem

auch fernerhin

,

wogegen

ist,

die andere, die historische ist,

ihren

Namen

Statistik

Staatenkunde oder Gegenwartskunde oder

Staatszustandskunde der Gegenwart bezeichnet werden

Es

soll.

gewiss für die Wissenschaft nur erfreulich, dass

ist

ein sonst scharfsinniger

Kopf und

ein Gelehrter, der mit der

Literatur der Statistik seit Achenwall bekannter

als

ist,

das

die meisten Statistiker zu sein pflegen, in einer scharfsinnigen

Durchmusterung der statistischen Literatur die zahlreichen und grossen Widersprüche und Un-

kritischen allerdings

genauigkeiten

den bisherigen Definitionen

in

schaft einmal zusammengestellt

gegen die Statistik

einzeln

Alles,

was

der Wissen-

bis dahin schon

worden,

vorgebracht

Im

Hauptangriff concentrirt.

und

sinnigen Kritik wird es erst recht ermöglicht, Streit

diesen

sich in

Kern unserer Wissenschaft klar und

zufälligen

Beimischungen zu erkennen.

Kern gegen den Angriff von Knies

man

theidigen, so wird

auf

einen

dem

über die Statistik vollkommen zu orientiren und den

eigentlichen

mehr

in

Lichte dieser wirklich scharf-

dem Nun

als richtig ist

in

um

Zukunft

erkannten

Wege

rein

von

Gelingt es nun, siegreich zu ver-

so

zuversichtlicher

fortschreiten können.

zuerst ohne Weiteres zuzugeben,

dass unsere

Wissenschaft der Statistik nicht erst von Achenwall, der ihr

den Namen gab oder

vielmehr denselben populär

oder auch von Conring,

Sie

wenn

hatte

auch

Moreau de Jonnes schon lange

sieh

nicht

selbständig,

neueren Wissenschaften der Fall dass

die

Disciplinen

der

machte,

Achenwall's, neu-

gemacht oder erfunden worden

gebildet, gleichsam

früher angeführte

dem Vorgänger

ist,

wie der

urtheilte.

Zeit

wie ist.

Geschichte

vorher das

Auch

entwickelt,

ja

mit

ist

es

und der

allen

richtig,

politischen

Arithmetik einen grossen Einfluss auf die Statistik ausgeübt haben, jene auf ihre erste Entwicklung, diese auf ihre neuere Gestaltung.

Dieser Einfluss

ist

doch aber ganz anderer Art





24

angenommen

gewesen,

als

er gewöhnlich

zunächst

die

sogenannte Achenwall'sche

Was nun

wird. Statistik

im Ver-

hältniss zur Geschichte betrifft, so hat darauf allerdings die

Geschichtswissenschaft eingewirkt. Die Achenwall'sche Statistik

ging jedoch keineswegs

vor, wie Knies

annimmt,

aus derselben hervor.

aus der Geschichte allein her-

ging nicht einmal überwiegend

sie

Statistik

ist

vielmehr entstanden mit der Geographie und

weiteren Ausbildung der Politik ;

der

der Geschichte, und sie hat sich von diesen drei Disciplinen

nachdem

allmählig abgelöst,

natürlichste heit der

ist es ;

auch Knies

lich

ist dies

Weise geschehen.

Sache

irre

nach

Gerade die grosse Einfach-

geführt hat ;

dem Chaos

in

der Statistik

mehr selbständigen

auf die einfachste und

die so viele Theoretiker,

besonderem Scharfsinn und wickelungen

einen

sie

Und zwar

Inhalt gewonnen.

in

indem

sie

künstlichen

und namentnämlich

mit

logischen Ent-

der verschiedenen Definitionen

einem philosophischen Begriff für

die

Wissenschaft suchen zu müssen gemeint haben.

Die

Statistik

ist

nicht,

wie gezeigt, durch Achenwall

Im Gegen-

neugebildet oder als etwas ganz Neues hingestellt. theil,

man kann

ihre Bildung

oder ihre Anfänge sehr weil

zurückführen.

Wenn man gethan,

die

auch

Statistik

zurück datiren

will,

nicht,

wie Moreau de Jonnes

u.

A. es

auf die Hebräer oder Aegypter

bis

nämlich auf das

4.

Buch Mosis, Numeri

genannt, wegen der darin enthaltenen Volkszählung, so kann

man

doch, wie dies namentlich von Conring geschehen, die Idee

derselben auf Cicero zurückführen. Schrift de oratore, liber II:

dum

caput est ;

Ad

Cicero

sagt

in

seiner

consilium de Republica dan-

nosse Rempublicam.

führen gern dieses Dictum Cicero's an.

Die

alten

Statistiker

Wir haben

in

dem-

That die Bezeichnung unserer Wissenschaft rerum publicarum, und dieser Satz, der von Cicero

selben in der als notitia

auch durch Ausfüllung dessen, was man von

kennen müsse, noch weiter gefasst

dem

Staate

erläutert wird, enthält richtig auf-

und ausgelegt wirklieh schon den wahren Begriff der

— Statistik

Wir haben

Staatskunde.

als



25

bereits gesehen,

wie

das praktische Bedürfniss einer Erkenntniss der staatlichen

Zustände

so lange bestand, als es Staatsverwaltung

und Staats-

männer gab, und wie dasselbe um so grösser wurde, je comVerwaltung wurde. Gerade darin hat auch immer

plicirter die

zu einem wesentlichen Theile das Genie der hervorragendsten und einflussreichsten Staatsmänner bestanden, dass sie es verdie für

standen,

Regierung nothwendige Kenntniss der

die

factischen Zustände des Staates sich gründlicher

der Staatsmann,

und

syste-

So sehen wir denn auch, dass Sully

matischer anzueignen.

der in vieler Beziehung

der modernen, centralisirteren

als

der Gründer

Verwaltungskunst anzusehen

auch das erste eigentliche statistische Bureau gründete.

ist,

Sully errichtete schon im Jahre 1609 ein sogenanntes Cabinet

welches, wie er es selbst

d'Etat,

was

Alles umfassen sollte ,

schreibt, ferntere

Beziehung haben könnte:

Armee, werke u.

die s.

w.,

kurz auf

blieb,

den

Ruhm

gewesen zu in

Sully's, sein.

starb,

der Gründer der sein

die

die Berg-

Institut nicht zur

eigentlich

IV schon 1610

Denn

Polizei,

Dass das

Entvvickelung kam,

weil Heinrich

die

Theile der Verwaltung, sowohl

alle

der inneren wie der äusseren.

wirklichen

be-

eine nähere oder ent-

auf die Finanzen,

den Handel,

Marine,

Memoiren

seinen

in

nur ein Project schmälert nicht

statistischen

Plan hat den später

in

Bureaus

Frankreich

den einzelnen Ministerien errichteten Cabinets d'Etat zum

Vorbild gedient.

Allmahlig

verbreitete

sich

nun

das

Bedürfniss

einer

genaueren Kenntniss von den bestehenden Staatsverhältnissen auch über weitere Kreise.

Diese Kenntniss wurde wichtig

einmal für die Gelehrten, besonders diejenigen, welche Geschichte

und

Politik trieben,

ausserdem aber für den Kreis

Für das Bedürfniss der Letzteren dem mehr praktischen Frankreich ge-

der Gebildeten überhaupt.

wurde zuerst wieder in sorgt. Dort erschienen zuerst im politischen Geographien,

ähnliche

17.

Jahrhundert die sogen,

Bücher,

wie unsere geo-

graphischen Oompendien und Lehrbücher es bis auf die neuste

— Zeit gewesen



26

nämlich Compilationen geographischen,

sind,

geschichtlichen und politischen Inhalts zu einem praktischen

Zweck, zur Befriedigung des allgemeiner gewordenen Bedürfnisses für den

Gebildeten

überhaupt,

sich

ohne besondere

Fachstudien und auch ausserhalb der Schule des praktischen Staatsdienstes über die staatlichen Zustände eines bestimmten

Das

Landes zu unterrichten. dagegen, sich unterrichten,

wissenschaftliche

über die bestehenden

ward

Bedürfniss

Staatsverhältnisse

zu

und zwar auf den Hauptimpulse zu neuen Rich-

zuerst in Deutschland

Universitäten, von denen die

tungen in der Wissenschaft ausgegangen Wissenschaft fing zuerst

in

sind, erkannt.

Deutschland an,

sich mit

Die den

Kenntnissen zu beschäftigen, die zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten nöthig sind und vorzüglich war

dies

die

Wissenschaft der praktischen Politik und des Staatsrechtes.

Es lag nahe,

den Vorlesungen über Politik,

in

theoretischer Disciplin,

nachdem das Interesse

als

allgemeiner

für die genauere

Kenntniss der bestehenden Staaten allgemeiner erwacht war,

mehr und mehr den Blick auf den concreten Staat zu richten, denselben nach seinen politischen und staatsrechtlichen Verhältnissen zu schildern, gleichsam als Beispiel hinüberzuziehen bei der theoretischen Darstellung.

Zuerst geschah dies mit und neben der Politik und anfangs fasste Seite

man

Auge.

in's

vorzugsweise auch dabei nur die formale Allmählig

durch die vorzüglich

in

und wesentlich mit veranlasst

Frankreich und Italien aufblühende •

Literatur der politischen Geographie, wendete

man denn auch

den materiellen Verhältnissen des Staates mehr Aufmerksamkeit zu. Man nahm genauere Notiz von der Einwohnerzahl des

von

Staates,

seinen

dass,

zu können,

Auf

von seinem

Es wurde mehr und mehr um mit Nutzen Geschichte und Politik treiben

Handel, seiner Production betont,

Finanzverhältnissen,

man

diese

u.

s.

w.

die wirklichen Staaten genauer

Weise fand

kennen müsse.

sich denn allmählig ein

Complex

von Wissen über die concreten Staaten angesammelt, welchen

man nun

anfing,

auch in besonderen Vorlesungen g el rennt

27

von dem über Politik und Staatsrecht, vorzutragen. Dies geschah, wie bereits angeführt, wenn auch vielleicht nicht zu doch zuerst mit Erfolge

allererst,

durch Conring

in

in Helmstädt, unter

publicarum hodiernarum.

Und

akademischen Vorlesungen

dem Namen

Notitia

Rerum-

dass darauf auch vornehmlich

das erwachte regere Interesse für die bestehenden Verhältnisse dafür giebt es noch andere Be-

der Staaten gewirkt habe,

So

weise.

die

damals auf den Universitäten entstehenden

sogen. Zeitungs-Collegien,

Nova

publica,

die sich

noch sehr

Es waren dies Vorlesungen, die ge„Publica" Sonnabends gehalten wurden, in

lange erhalten haben.

wöhnlich

als

welchen über die wichtigsten politischen Ereignisse, welche die

Zeitungen während

der

theilungen gemacht wurden.

wie "

das angeführte von Conring,

gemeiner.

Und

Woche gemeldet

Damals wurden

Mit-

hatten,

Solche Collegia über Statistik,

sie

in

wurden

nach ihm

so hatte sich bereits diese Disciplin als eine

ständige von der Politik, mit der

all-

Jena und Halle gelesen.

zusammen

behandelt worden, abzulösen angefangen.

sie

mehr

selb-

zuerst

war

Sie hatte allmählig

immer reicheren Inhalt erhalten, als nun Achenwall sie nach Inhalt und Zweck bestimmter als eine selbständige Disciplin hinstellte, die ihre Methode aus sich selbst erzeugte. einen

Und

deshalb konnte es einen so grossen Erfolg haben,

als

nun Achenwall dieser Disciplin auch einen eigenen populären Namen beilegte und ihr dadurch ein bestimmtes Bürgerrecht unter den akademischen Disciplinen gab.

So sind wir denn nun endlich wieder auf Achenwall, von dem wir zuerst ausgingen, zurückgekommen, zwar auf einem grossen Umwege, der für uns aber nöthig war,

um

uns auf demselben etwas weiter umzusehen, und nun nach alledem,

was wir dabei gesehen haben,

Auffassung der Statistik Jetzt

die Achenwall'sche

allseitiger beurtheilen

zu können.

werden wir entscheiden können, was von der Achen-

wall'schen Auffassung der Statistik, die wir als eine wissen-

Frucht der Zeit erkannt haben, noch Gültigund ob und wie dieselbe überhaupt noch festzuhalten

schaftliche

keit hat,





28

oder abzuändern, zu modificiren oder

zu erweitern

ist,

um

den wissenschaftlichen Anforderungen der gegenwärtigen Zeit zu entsprechen. Wir müssen nun zuerst noch einen Augen-

AchenwalFschen Auffassung und Definition vernun erst recht verständlich sein wird. Achenwall gebrauchte synonym mit Statistik den Ausdruck Staatsblick bei der

weilen, die

verfassung im weiteren Sinne,

nämlich

als

umfassend

alle

beachtenswerthen Verhältnisse, Zustände des concreten Staates

Deshalb

überhaupt.

Achenwall die

definirt

wickelung dieser Disciplin entsprechend,

Statistik, der

Ent-

die

Lehre von

dann

Achenwall

als

den Staats-Merkwürdigkeiten. Als Alles

Staatsmerkwürdigkeiten

begreift

das im Staate, was seine

Wohlfahrt im merklichen

Grade angeht.

Den

Staat als Gegenstand der Statistik definirt Achen-

von Familien, welche zur Beförderung gemeinsamen Glückseligkeit unter einem Oberhaupte miteinander auf einem bestimmten Bezirke des Erdbodens wall: eine Gesellschaft

ihrer

vereinigt leben.

Zweck wärtigen

der Statistik

ist

ihm darnach:

der Verfassung und

Kenntniss

die systematische

des wirklichen

oder gegen-

Zustandes der einzelnen Staaten, eine Kenntniss,

wie Achenwall hinzusetzt, wie

sie

erfordert wird,

zunächst

von einem Politico oder Staatsmanne, dann aber auch notwendig ist, für Jeden, der auf höhere Bildung Anspruch macht. ist

Diese Auffassung, wie wir

denn auch

in

rechtigte, wie sie

der That

sie bei

Achenwall

durch Entwicklung der Staatswissenschaft

bedingt worden, wie wir gesehen haben, sondern eine

in

finden,

nicht nur eine geschichtlich be-

ihrer Einfachheit

correcte.

völlig

Sie

sie ist

war

auch

völlig

gerechtfertigt durch die damaligen Anforderungen der Staats -

Wissenschaften und

man

muss,

um

der allgemeinen Bildung

der Zeit und

den analogen Anforderungen zu entsprechen,

auch heute noch an jene einfache Auffassung Achenwall's bei der

Bestimmung des

Achenwall starb

am

Begriffes 1.

Mai

der Statistik

anknüpfen.

1772, beträchtliche Zeit vor





29

der grossen französischen Revolution ,

auch

Zu

in

die eine

Umwälzung

der Auffassung des Staates zur Folge gehabt hat.

Aehenwall's Zeit ward, wie auch in der Geschichte, bei

der Betrachtung des

Staates

das Hauptgewicht gelegt auf

die staatsrechtlichen Verhältnisse

man

die Verfassungsverhältnisse;

im engeren Sinne,

also auf

behandelte vornehmlich bei

der Darstellung der sogenannten Staatsmerkwürdigkeiten das

Formale, weniger die materiellen und die socialen Zustände.

Das kann

mehr

natürlich nicht

so fest gehalten werden.

Staates

worden,

viele

Elemente des socialen Lebens hineingezogen

welche früher

sich

in

eigenen,

von

der

Staats-

mehr oder weniger unabhängigen Kreisen

verwaltung wegten, so

Seit

Sphäre des

der grossen französischen Revolution sind in die

z.

B. das ganze

be-

Unterrichtswesen, ferner die sog.

socialen Organisationen.

Andere Verhältnisse, welche früher vom Staate wenig sind jetzt Hauptgegenstand seiner Aufmerksamkeit und Sorge geworden, z. Handel, Industrie, die

beachtet wurden,

Der

numerischen Verhältnisse der Bevölkerung. Staates,

den die Statistik kennen zu lehren geworden.

ein erweiterter Statistik ihr

geworden.

Begriff des

hat,

ist

mithin

Die Gegenstände, auf welche die

Augenmerk zu richten hat, sind mannigfaltiger Damit ist aber das Object der Statistik doch

kein anderes geworden.

Wir haben dazu ein Analogon Zu

Aehenwall's Zeiten behandelte

die

politische

sogen,

war

in der

Geschichtsschreibung.

man auch

in

der Geschichte

Entwickelung vorzugsweise oder

grossen

Staats- Actionen

waren

die

politische Geschichte im engeren Sinne.

allein.

Hauptsache,

Die es

Mit der tieferen

Erkenntniss der Wichtigkeit anderer Elemente für das öffentliche Leben, namentlich aller der, welche wir unter der Be-

zeichnung der sogen. Culturzustände zusammenfassen, ist die Aufgabe der Geschichtsschreibung eine viel mannigfaltigere

geworden. irre

An

geworden.

letzterer

selbst

ist

aber Niemand

darüber

Die gegenwärtige Geschichtsschreibung ver-

läugnet, obgleich ihr ein weit höheres Ziel vorschwebt, nämlich

30

wahrhafte Culturgeschichte zu werden, nicht die frühere Geschichte mit ihrer beschränkteren Auffassung;

Continuität

fest.

sie

hält

die

Die neueren, vorzüglich von England (Buckle)

ausgegangenen Versuche, die Darstellung der Culturentwickelung von der Geschichte, wie

früher behandelt worden,

sie

welche eigentlich Staatsgeschichte sie

die Materie zu

ist,

ganz zu trennen und

der Herrschaft des Menschen über

zu einer Geschichte

machen, und dafür dann sogen. Naturgesetze

zu construiren, gleichsam wie die sogen, exacte ihrer

Behandlung

zuleiten,

Geschichte

Zahlen sociale Gesetze

statistischer

sind von

der Wissenschaft zurückgewiesen.

verwerthet

die

Resultate

Wissenschaften und berücksichtigt aber der

von

alle Seiten

vielen

ab-

Die

neueren

des Volkslebens;

alte historische Begriff ist festgehalten.

So müssen wir auch

und

tiefer

der Statistik das Gebiet

jetzt in

für die Erforschung ausdehnen,

abtheilen

Statistik aus

es

verfolgen.

im Einzelnen bestimmter

Zweck und Aufgabe

der

Dabei kann eine gewisse Freiheit eingeräumt werden, wie denn zuletzt der geschärfte

Wissenschaft bleiben dieselben. wissenschaftliche Blick darüber

zu entscheiden

hat,

w ie das T

Ebenso wie das Gebiet gegen früher

Gebiet abzugrenzen

ist.

sich erweitert hat,

sind auch unsere Mittel zur Erreichung

Zweckes mannigfaltiger und vollkommener geworden. Zu Achenwall's Zeit war an statistischen Daten über jene Theile der Statistik, die sich vollkommen nur in Zahl und Maass ausdrücken lassen, im Verhältniss zur Gegenwart äusserst wenig vorhanden und was darüber in den einzelnen Staaten gesammelt war, wurde dem Publikum ängstlich entzogen. Solche Daten wurden damals noch allgemein als Arcana Status von den Staatsmännern betrachtet und sorgsam des

Deshalb konnten diese Theile der Statistik damals auch nicht gebührend berücksichtigt werden in den statisgehütet.

tischen

Compendien

Darstellung aus die

etc.

Sie

mussten

dem Grunde schon

der. staatsrechtlichen

in

der

statistischen

sehr zurücktreten gegen

und politischen Verhältnisse der

Staaten, die wie in der Geschichtsschreibung durch das Ref
;





77

77

77

25 9Q ^°

;?

77

1

*

die letzteren beiden Fälle sind

77

77

77

Q 77

77

46

77 X

77

77

77 1/

2

77

14 1 lb

77

'

nur mit Hülfe starker Ein-

wanderung möglich. Die Angabe der Verdoppelungsperiode

1)

Süssmilch Bd.

II, p.

Verdoppelung

l

6 77

niedrigsten,

286.

für die Bevölke-

— rung eines Staates

ist

186

-

nun wohl geeignet, das Verhältniss der

dermaligen Bewegung der Bevölkerung anschaulich zu machen

und bei Vergleichung verschiedener Staaten der relativen Geschwindigkeit der

Man

rungen zu dienen.

Bewegung

Ausdruck

als

ihrer Bevölke-

darf indess nicht glauben

dass solche

;

Berechnungen irgend etwas Sicheres für die Zukunft aussagten oder gar irgend ein sogenanntes Bevölkerungsgesetz

ausdrückten, wie Malthus es annahm. irrig.

Denn

selbst

angenommen,

Das wäre durchaus

es treten für die

einer Bevölkerung gar keine ausserordentlichen ein,

Vermehrung

Hemmungen

wie verheerende Kriege, Epidemien und andere ausser-

ordentliche Nothstände, so bleibt doch für eine solche Be-

rechnung der Verdoppelungsperiode noch eine Voraussetzung übrig,

die statistisch ganz unzulässig

eine Bevölkerung

in

ist,

nämlich

Folge ihres natürlichen

die,

dass

Zuwachses

in

zunehmen werde, gleichwie ein Capital zunimmt, dessen Zinsen hinzugeschlagen werden und ihrerseits wieder zur Vermehrung von Capital und Zinsen beitragen. Das ist eine rein theoretische Annahme, eine

geometrischer Progression

Voraussetzung, die

man

wenn

bei mathematischen Untersuchungen

Problem nicht allgemein lösen und deshalb die Lösung für specielle Fälle versucht, oft unbekümmert darum, ob diese Fälle eine Realität haben oder nicht. Dies ist der Unterschied zwischen der Behandlung statistischer Daten in der politischen Arithmetik und

häufig macht,

sich ein

lässt,

schieden

angenommene Fall aber entDenn die genaueren UnterBewegung der Bevölkerung unserer

Hier hat

der Statistik.

keine

suchungen über Staaten zeigen,

der

Realität.

die

dass dieselbe nicht in der einfachen Weise

geschieht wie die

Zunahme

eines Capitals mit Zinses-Zinsen,

von einer grossen Mannigfaltigkeit von Factoren sowohl physischer wie sittlicher Natur bedingt ist, und dass diese Factoren mit dem Culturstande wiederum so sehr wechseln, dass die Hoffnung aufgegeben werden muss, das wirkliche Bevölkerungsgesetz in einer mathematischen Formel fassen zu können, Nur so viel zeigt die Beobachtung sondern dass

sie



187



mit Bestimmtheit, dass überall mit

dem Dichterwerden der

um

Bevölkerung die Zuwachs-Rate abnimmt, dass,

den Ver-

gleich festzuhalten, gewissermassen der Zinsfuss mit der An-

sammlung des Capitals

sinkt.

Unter den europäischen Staaten

ist

gegenwärtig keiner,

dessen Bevölkerung nach ihrer gegenwärtigen Zuwachs-Rate sich innerhalb eines halben Jahrhunderts verdoppeln könnte.

Vor etwa 50 Jahren hatten nach der damaligen Bewegung Bevölkerung 2 grössere Staaten, Preussen und Gross-

ihrer

britannien, Aussicht, ihre Bevölkerung in weniger als diesem

Nach dem Durchschnittsverhältnisse der Zunahme von 1817 —1828 betrug in Preussen die mittlere jährliche Zunahme 1,71 % und darnach würde Preussen ungefähr schon in 40 Jahren, etwa im Jahre 1856, die doppelte Bevölkerung vom Ende des Zeitraum

auf

das Doppelte steigen

zu sehen.

Jahres 1816 erreicht haben, nämlich 20,700,000 Seelen, indem die

Zählung Ende 1816 10,349,301 ergeben

ergab aber die Zählung

am Ende

Dagegen

hatte.

des Jahres 1867, also nach

50 Jahren, nur 19,588,221 Seelen und selbst nach der Zählung

von 1871 hatte

in Preussen,

völkerung noch nicht

von 1816

erreicht.

Das

1846

— 55

die

Verdoppelung derjenigen

inclus.

rührt daher, dass die

0,68,

1855—61 1861—67 1867—71 ist

freilich

befindliches

Zunahme-Rate zurück-

sie

,

Wirren von 1848 mit ihren Folgen wieder etwas gestiegen, von

Das

auswärts

nur noch 1,35 °/0 1840—46 die Periode, in welche die politischen

ging; von 1828—1840 betrug 1,27;

ohne die Annexionen, die Be-

Sie betrug nämlich erst 20,181,088 Seelen

Bevölkerung,

(ortsanwesende Militär).

völlig

wenig,

fielen.

Darauf

ist

sie

= 0,73° = = 0,74%. o

0,69°/ 0

muss aber doch für

ein

günstiges

Zeichen angesehen werden.

Ebenso wie

in

Preussen versprach Grrossbjritannien vor

etwa 50 Jahren eine Verdoppelung seiner Bevölkerung innerhalb eines

halben Jahrhunderts.

Dort betrug

die

initiiere

— jährliche Zunahme-Rate von 1821 — 1831 —

Grunde zu

nicht zu

ist

188

legen,

da

in

(eine frühere Periode

Irland erst 1821 die

Zählung ausgeführt ist) l,40°/ 0 und darnach hätte die Verdoppelung in etwa 49 Jahren erfolgen müssen. Dort ist aber die Zunahme-Rate noch viel bedeutender geerste zuverlässige

sunken

Sie betrug von

als in Preussen.

1831—1841 nur noch 1841-1851 „ „ 1851—1861 „ „ 1861—1871 „ „ Deshalb bis

ist

1,07

0,23

0,55 0,83.

dort die Bevölkerung in den Jahren von 1821

1871 auch nur von 21 auf 31,817,108 gestiegen, also in

50 Jahren weit unter

der

Dagegen

man

hat,

wenn

Verdoppelung zurückgeblieben. Grossbritannien

allein

nimmt

(England, Schottland und die Inseln in der britischen See),

ohne Irland, dort allerdings die Bevölkerung in 50 Jahren sich

genau verdoppelt. Sie ist gestiegen von 10,578,956 Seelen im Jahre 1801, auf 20,959,477 im Jahre 1851. Zu dieser Verdoppelung haben England und Schottland in gleichem Ver-

fast

hältniss beigetragen.

Indess

ist dies

doch nur ein Theil des

Staates, der nicht als Beispiel für das Ganze angeführt werden kann, weil das grosse Wachsen in einem Theile in der Regel auf Kosten des anderen stattfindet. In Grossbritannien ist dies ohne Zweifel auch auf Kosten Irlands

geschehen.

Die Zunahme-Rate war nach den neuesten Zählungen

in

den europäischen Staaten:

= = Länder des Reichsraths = Ungarn und Länder der Stephanskrone =

Dänemark 1860—70 1857—69

Oesterreich a)

b)

— 71

1,09 °/0

0,89% 0,85% 0,93

°'

0

England und Wales

=

% 1,24 %

Schottland

===

0,93%

Irland

=—

0,69 °/|

Grossbritannien ohne Irland 1861

0,83





189

Niederlande 1859—69

0,78%

Deutsches Reich 1867

—71

% % 0,25 %

0,65

Preussen 1867—71

0,69

Bayern 1867—71 Sachsen 1867—71 Würtemberg 1867—71 Belgien 1856—66

— —

Schweden 1865 75 Norwegen 1865 75 Frankreich 1866—72

man

Vergleicht

-

dieselben sehr verändert haben. grösste

mit denjenigen, die

diese Verhältnisse

vor 20 Jahren berechnet wurden

Zunahme (1,15%

*),

so rindet

Damals

jährlich),

-

1,20% 0,61% 0,64% 0,63% 0,60% 1,29%

man, dass sich

zeigte

Norwegen

Frankreich

(0,14)

die

die

von Hannover hier abzusehen, das nur 0,022% Man findet bei diesem Vergleich, dass im Allgemeinen

geringste, hatte.

die

Zunahme-Rate

klären

ist,

Nur Dänemark

sich vermindert hat.

eine auffallend grosse

dass nach

Zunahme,

dem

zeigt

die wohl mit daraus zu er-

Verluste von Schleswig -Holstein

aus diesen Theilen eine grosse Einwanderung stattgefunden hat.

Man

hat

angenommen

(Villerme') 2),

dichter bevölkerten Staaten nach treten werde, in

welchem

die

dass für die schon

und nach

Bewegung

ein

Zustand

aufhört, in

ein-

welchem

Schwingungen innerhalb sehr Es wäre dies anzunehmen, wenn

sich nur in Intervallen leichte

genäherter Grenzen zeigen.

es wahrscheinlich wäre, dass eine

Bevölkerung längere Zeit

ruhig beharren könne auf einer gewissen Culturstufe, ohne einen

neuen Aufschwung

selbst oder

oder ohne

durch den Stillstand

von aussen bewirkte Krisen.

Frankreich schien

längere Zeit einem solchen stationären Zustand nahe zu sein.

Ohne Zweifel aber wird das Jahr 1870 hervorgebracht haben.

Allgemein

gilt,

eine grosse Störung

dass mit

dem

werden der Bevölkerung die Bewegung abnimmt. 1)

Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

2) Villerme':

De

(•lopc'diquo) 75 Cah.

la popul.

T XXV.

I,

p.

en France (Extrait de

Dichter-

Es hat

115. la

Revue Ency-

-



bestimmt nachweisbaren, nothwendigen Gründe, angegeben werden sollen.

seine

dies

190

die weiter unten

Die Zunahme der Bevölkerung durch natürlichen Zuwachs hat eine bestimmte Grenze, die ihr durch die Natur der socialen Verhältnisse der civilisirten Gesellschaft gesetzt

Die Grenze

ist.

Wenn man

die

ist

man meinen

beschränkter als

durch die Verhältnisse der

sollte.

civilisirten Staaten-

gesellschaft gegebenen Bedingungen untersucht (siehe Wappäus,

Bevölkerungsstatistik) so findet man,

was

ist,

die

dass

Bevölkerung eines grösseren

das Höchste

3°/ 0

civilisirten Staates

im Durchschnitte und einige Zeit hindurch jährlich durch Zuwachs gewinnen kann und das auch nur in

natürlichen

Die euro-

noch nicht dichter bevölkerten jungen Staaten.

päischen Staaten sind, wie gezeigt worden, unter den günstigsten Verhältnissen hinter diesem als äusserste Grenze anzunehmen-

den Zuwachs von

3°/ 0

noch sehr bedeutend zurückgeblieben.

den

Preussen, welches in

endigung

der

Napoleonischen

ersten Decennien

wohl

Kriege

die

nach Begrössten

Fortschritte gemacht hat, wesentlich auch in Folge der ihm

durch die Wiener Verträge

doch

als grössten jährlichen

zugestandenen Stellung,

Zuwachs nur

l,71°/0

hatte

und Gross-

britannien, welches ebenfalls nach der Wiederherstellung des

Friedens einen ausserordentlichen Aufschwung gewiss

um

diese Zeit nicht

Besonders interessant

nahm,

hat

mehr gehabt.

ist es

aber zu sehen, dass selbst

Entwicklung die allergünstigChancen gehabt hat, die der Vereinigten Staaten von Nord- Amerika, diesen natürlichen Zuwachs nicht einmal in die Bevölkerung, die für ihre

sten

ihrer glücklichsten Periode, in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Freiwerdung,

völlig erreicht hat.

Staaten hat die jährliche



von dieser kann

Zunahme

allein die

Rede

In

den Vereinigten

der weissen Bevölkerung sein,

da für die Sklaven-



durch abnorme Verhältnisse natürlichen Zuwachs betragen von 1790—1800 durchschnittlich 2,89% pro Jahr und seitdem ist diese natürliche Zuwachs-Rate auch dort mit

bevölkerung

stattfanden





191

dem Dichterwerden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt regelmässig Dieselbe betrug von

gesunken.

1800—1810 noch 2,83% 1810—1820 ?? 1820—1830 2,64% 1830—1840 n 2,52% 1840—1850 2,39% 1850—1860 » 2,20% 1860—1870 1,43% 1870—1880 liegen die genauen Publicationen noch nicht vor; mit Sicherheit kann man voraussagen, dass der Census von 1880 wiederum eine Abnahme zeigen wird (d.

auf den

h,

wanderung).

Gebieten

betreffenden

exclusive

der

bildeten Staaten bedingte Sinken der Zuwachs-Rate,

Dichterwerden

das

der

Bevölkerung

Zunahme

Ursachen, welche die

stösst

nothwendig

indem

auf die

hervorbringen, reagiren muss,

hat Malthus noch nicht gekannt.

rung

Ein-

Dieses durch die socialen Verhältnisse der ge-

Diese feststehende Erfah-

nothwendig das sogenannte Bevölkerungsgesetz^

dass eine Bevölkerung von Periode zu Periode in einer geo-

metrischen Progression zunehme, um. geht auch hervor, wie verkehrt

Bevölkerung für die Zukunft oft

So

grossen Prunk z.

B.,

wenn

in

treibt,

dem

alle

sind, mit

selbst

in

offiziellen

Aus dem Gesagten

Vorausberechnungen der denen

man manchmal

offici eilen

Statistiken.

Census der Vereinigten

von 1850 aus der bisherigen Zunahme ihrer Bevölkerung die Behauptung hergeleitet wird, dass in 40 Jahren die Bevölkerung der Vereinigten Staaten diejenige von GrossStaaten

britannien, Frankreich,

der Schweiz

Spanien, Portugal, Schweden und

zusammengenommen

übertreffen werde.

Schon

der nächste Census zeigte, dass daran nicht zu denken war

1

).

Mit Hülfe der Einwanderung kann die Grenze von 3° /0 überschritten werden. Das ist in den Vereinigten Staaten geschehen.

1)

Dort hat

sich die weisse

Bevölkerung innerhalb

Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

I,

p.

142.

— der ersten 50 Jahre nach



192

dem

ersten Census von 1790

— 1840

dem schon 1790 innegehabten Gebiete (ohne Lousiana, 1803 gekauft) nicht allein durch Hülfe der Einwanderung auf

verdoppelt,

mehr

sondern

vervierfacht.

als

Sie

ist

von

3,172,464 auf 14,047,238 Seelen gestiegen. Durchschnittlich hat

aber

jährliche

die

doch nur etwa 3

Zunahme

72°/o

der Einwanderung

inclusive

Nach der gegenwärtigen

betragen.

natürlichen Zunahme-Rate ohne Einwanderung,

1860

— 1870,

wird

in

50—52 Jahren

sich in ungefähr

d. h.

der von

den Vereinigten Staaten die Bevölkerung verdoppeln.

Dass mit Hülfe von Einwanderung die Bevölkerung noch viel über das von Nord- Amerika gezeigte Mass jährlich zunehmen kann, leuchtet ein und wirklich ist die jährliche Zunahme-Rate auch noch viel grösser gewesen in einigen Indess britischen Colonien (Obercanada und Australien). können diese Länder hier nicht in Betracht kommen, da es nicht selbständige Staaten, sondern als Colonien nur Neben-

länder

des Mutterlandes

Ueberflusse abgiebt.

sind,

welches ihnen

Ueberhaupt

völkerung durch Einwanderung

ist

die

immer

von seinem

Zunahme der BeAusnahme an-

als

zusehen.

Die Betrachtung

der

Zunahme

der

Bevölkerung

im

Ganzen, der Bewegung der Bevölkerung im engeren Sinne, führt

von

selbst auf die der

Bewegung der Bevölkerung im

und zunächst auf

weiteren Sinne

burten und Sterbefälle

die Betrachtung der Ge-

bei einer Bevölkerung,

von deren

Zunahme derselben Der Ueberschuss der Geburten über bewirkt die Zunahme der Bevölkerung und

gegenseitigem Verhältniss die natürliche

zunächst abhängt die Sterbefälle

1

).

umgekehrt.

Das

1)

Verhältniss

Siehe hier

Gr.

der Zahl

der

Geburten zu der der

Hopf, Ueber die allgemeine Natur des Geburts- und

Sterblichkeitsverhältnisses, Zeitschrift des preuss. statistischen Bureaus. 9.

Jahrgang, Nr.

1.





193

Lebenden bei einer Bevölkerung nennt man das Geburtenverhältniss oder die Geburtenziffer

Man

).

drückt nun dieses Verhältniss aus entweder durch

Angabe, auf wie

die

1

viel

Lebende eine Geburt oder

kommt,

Todesfall während eines Jahres

ein

also in einer Pro-

oder wie viele Geburten und Todesfälle auf je 100

portion ,

Lebende kommen

,

also in Procenten.

20 Lebende eine Geburt kommt, so hat

Wenn man

jährlich auf

die Proportion

1:20, dasselbe Verhältniss wird ausgedrückt durch 5°/ 0

Beachtenswerth

ist

.

nun zunächst, dass diese Verhältnisse,

die Geburten- und SterblichkeitszifFer, an sich sehr verschieden sein

können

bei gleicher natürlicher

wenn

Zunahme der Bevölkerung.

Bevölkerung jährlich auf 100 Individuen 5 Geborene und 3 Gestorbene kommen, so wird daSo

B.

z.

bei einer

durch die Bevölkerung jährlich

um

2°/0

wachsen.

Derselbe

Zuwachs erfolgt aber auch, wenn jährlich nur 4 Geburten vorkommen, aber auch nur 2 Sterbefälle auf 100. Der natürliche Zuwachs ist also nicht abhängig von der Höhe der Geburten- und der SterblichkeitszifFer an sich. In der Wirklichkeit zeigen sich nun in diesen Ziffern grosse Unterschiede ohne dass ihre wirkliche Zunahme

bei den Bevölkerungen,

Die Höhe der Geburten- oder

erheblich verschieden wäre.

der Sterblichkeitsziffer

ist

der Bevölkerung, dennoch

Denn wenn

Bedeutung.

völkerung ganz gleich 5 Geburten so

ist

und

nicht ist

es

ist,

massgebend für die Bewegung von grosser statistischer

dieselbe

auch für die Zunahme der Beob jährlich auf 100 Einwohner

3 Sterbefälle

kommen, oder resp. 4 und 2, Höhe dieser Ziffern doch

dieser Unterschied in der

von grossem Einfluss auf die Gestaltung der Bevölkerung nach dem Alter, von welchem die Kraft der Bevölkerung

abhängig (4:2)

nach. I)

ist.

Im Allgemeinen

ist

das letztere Verhältniss

das günstigere sowohl seinen Ursachen wie* Wirkungen

Es

gilt

mit Recht für ein Zeichen höherer Cultur.

Auch wohl Nativität oder Natalität (Natalitö) analog wie Mordoch nicht zu billigen, da darunter allgemein etwas

talität aufgefasst,

Anderes verstanden wird.

W

a.

p p üu

s

.

13

— a)

Wenn man das



194

Das Geburtenverhältniss.

Menschen und der Frauen in

blos die physische Natur des

stattfindende

numerische

Verhältniss

unseren Bevölkerungen in Betracht ziehen wollte, so burten

sollte

man

dass sehr wohl jährlich auf 100 Lebende 10 Ge-

meinen,

vorkommen könnten,

dass eine Geburtenziffer

d. h.

1:10 oder 10°/0 etwas sehr Gewöhnliches sein würde. Inder

Wirklichkeit zeigt sich nun aber in keinem Lande dies Ver-

Es schwankt bei grösseren Bevölkerungen zwischen 1:20 und 1:40 oder zwischen 5 und 2 1/2°/o> cL h. 5 Neugeborene kommen auf 100 oder auf 200 hältniss auch nur halb so hoch.

Lebende und sind diese Zahlen als nach oben und unten anzunehmen.

die äussersten

Grenzen

In Oesterreich-Ungarn 1870/75 1:24,10 ohne Todtgeborene,

Rechnung gezogen werden müssen, 100 Geborene auf 2410 Lebende; in Procenten

die eigentlich mit in

d. h.

also

aus-

gedrückt beträgt die Geburtenziffer 4,15%. In

Ungarn

„ Oesterreich

1:23,43

4,27%

1:25,11

3,98%

Im deutschen Reich 1867--71 incl.

Todtgeborener

1

26,91

In Preussen

1

26,06

„ Bayern

1 25,25

„ Sachsen

1

23,93

1

22,91

„ „

Würtemberg England u. Wales

„ Schottland

28,38

1 1

:

28,73

1 41,1 „ Frankreich betrug daselbst das Verhältniss

1801—1869 im

1)

vergl.

Mittel

1

1801 war es noch

1

1869

1

3,72% 3,83% 3,96% 4,71% 4,37% 3,53% 1S67 72 3,48% 2,43%

•37,88

2,640/ 0

30,25

3,34% 2,57% 2,55%

:

38,90

1870

1

1871

1 .44,2

:39,4

2,26%')

Ueber die Ursachen der niedrigen Geburtenziffer in Frankreich, Revue des deux niondes v. 15. März 1S74. Lagneau in der Ab-

— Das



195

Mittelverhältniss bei 3

1

/2

Mill. jährlichen

Geburten be-

trug nach

Wappäus' Berechnung vor 20 Jahren (Bevölkerungs-

statistik

I,

1:29,54

150)

Todtgeborene)

(incl.

=

3,38°/0

.

Es erstreckt sich diese Berechnung auf Europa mit Ausnahme von Russland, Portugal, Spanien, Türkei und den südlichen Theil Italiens.

halb der betrachteten

Selbst die Extreme, welche inner-

10jährigen Periode in den einzelnen

vorgekommen Das höchste war

Staaten in einzelnen Jahren viel weiter auseinander.

in

Sachsen 1849, das niedrigste 1:37,95

reich 1847

=

sind, liegen nicht 1

:

23,09

=

2,63°/ 0 in

4,33°/0

Frank-

,

).

b) "Das Sterblichkeitsverhältniss.

Für

dieselben Staaten nach lOjähriger Periode:

Oesterreich-Ungarn 1870/75 1:26,67 Oesterreich

1867/70 1:31,73

Ungarn

1870/75 1:23,03

Deutsches Reich

1867/71 1:35,34

Preussen

1:34,89

Bayern

1:29,88

Sachsen

1:33,20

Würtemberg

1:29,24

England

u.

Wales

1861/70 1:28,49 1867/72 1:45,25

Frankreich

))

1869

1:42,73

1870

1:35,34

1871

1:28,73

1801/69

1:43,47

handlung der Academie de Medecine

3,75% 3,19% 4,34% 2,83% 2,87% 3,35% 3,01% 3,42% 3,51% 2,21% 2,34% 2,83% 3,48% 2,30%

1874. A. A. Zeitung 1874, No. 80,

p. 1204. 1)

Toner

Siehe für die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Dr. med. Washington: Statistische Tabellen und Karten über die Ge-

in

burten und Todesfalle in den Vereinigten Staaten.

Auszug daraus

in

der Illinois-Staats-Zeitung, mitgetheilt im preuss. Staats- Anzeiger 1872, 16.

Mai (Nr.

114), p. 2807.

13*





196

Die grösseren Schwankungen ) bei der Mortalität; welche sich auch innerhalb eines und desselben Staates den einzelnen Jahren nach zeigen, können nicht auffallen. Sie kommen l

daher,

dass alle störenden Ereignisse, wie Missernten und

entstehende Theuerung 2 ),

daraus

Störungen

in

der

materiellen

Epidemien und sonstige Entwicklung, z. B. durch

Handelskrisen, politische Stürme, Krieg lichkeit viel als

3 )

etc.

auf die Sterb-

unmittelbarer und intensiver einwirken müssen

auf das Geburtenverhältniss.

Nun

ist

aber erst die Hauptfrage zu beantworten: was

können diese Verhältnisse lehren?

Was

zunächst die Geburtenziffer

statistische

Werth derselben nur

Sie giebt uns keinen

betrifft,

ist

der

passenden Massstab zur Bestimmung

der relativen Prosperität der Bevölkerungen.

zwar kann

so

ein sehr untergeordneter.

Im Allgemeinen

ein hohes Geburtenverhältniss für ein günstiges

Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd. I, p. 160. Siehe hier Dr. Bela Weisz, „Der Einfluss von theueren und billigen Zeiten auf die Sterblichkeit", Supplement IV der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Jena 1880. Die vom Verfasser angestellte Untersuchung über den Zusammenhang der Sterblichkeit mit den Ge1)

2)

treidepreisen erscheint

um

so wahrscheinlicher,

da

sie sich

auf 326 Be-

obachtungsjahre mit 108,106,980 Sterbefällen in 7 Ländern erstreckt. Siehe dagegen v. Scheel, Untersuchungen über den Einfluss der Fruchtpreise auf die Bevölkerungsbewegung (aus Hildebrand's Jahrbüchern für Nationalökonomie u. St. VI, S. 185). Der jedesmalige Stand der Kornpreise übte während der 30 Jahre von 1835—1864 dadurch, dass er die jährlichen Zahlen der Trauungen und der Geburten modificirte, auf die

Schwankungen der Volksvermehrung einen bestimmten Einweit aus, als letztere nicht durch das Sterblichkeitsverhältniss alterirt wurde, auf welches eine jährliche Einwirkung der Kornpreise statistisch nicht nachzuweisen war. Cf. hier auch Anzeige von Laspeyre's

jährlichen fluss so

Wechselbeziehungen zwischen Volksvermehrung und Höhe dos Arbeitslohnes in G. G. Anz. Nr. 165, p. 1641 ff. 1 den 3) Zunahme der Mortalität durch Seuchen bei Kriegen, sieh» Krieg von 1866 und die Seuchenstatistik in der A. A. Zeitung L869, 87 p. 1331, auch Mittheilungen aus dem Gebiet der herausgegeben von der k. k. statistischen Centralcommission. Beil.

gang,

3.

Heft.

Statistik, 15.

Jahr-





197

Zeichen gelten, indem dasselbe ceteris paribus mit der Prosperität einer

Bevölkerung

Wenn

steigt.

Bevölkerung eine günstige

eines

neuen Hauswesens verhältnissmässig

davon

ist,

so ist die

ist,

Lage Gründung

die allgemeine

einer

leicht.

Die Folge

dass von der grossen Masse der Bevölkerung ver-

Ehen

hältnissmässig viele sich verheirathen können und die verhältnissmässig früh geschlossen werden.

Die Folge davon

Zunahme der Geburtenziffer sein und inkann man von einer hohen Geburtenziffer auf die günstige Lage einer Bevölkerung schliessen. Allein von dieser Regel giebt es viele und wichtige Ausnahmen. Das allgemeine Geburtenverhältniss kann auch gesteigert werden wieder wird eine sofern

Umstände,

durch

welche

für

die

völkerung ganz gleichgültig sind,

Prosperität

sogar durch

Es kann

geradezu ungünstige Factorcn.

perität

der der z.

Be-

ProsB. ge-

werden durch leichtsinniges oder zu frühes Heirathen, wie das unter den Fabrikbevölkerungen vielfach der Fall ist, wo schon Unmündige häufig, ökonomisch im gewissen steigert

Grade selbständig, untereinander sich statistisch

nachweisen

lässt,

heirathen.

Das

ist,

wie

unbedingt nachtheilig für die

Bevölkerung und hat namentlich nachtheilige Folgen für die nachhaltige Zunahme oder die Kraft der Bevölkerung. Ueber-

kann das Geburtenverhältniss sogar durch absolut ungünstige Verhältnisse gesteigert werden, durch zunehmenden Leichtsinn und sittliche Verwilderung, wie durch Zunahme der unehelichen Geburten, was ebenfalls sittlich und volksdies

wirthschaftlich für die Bevölkerung nachtheilig

unten gezeigt werden eine

viel

Ausnahmen ziffer

nicht

immer im

wie weiter

ehelich geborenen,

weniger das produetive Alter.

zeigen also schon, dass die

Bevölkerung

Was nisses

viel

ist,

Solche Kinder zeigen allgemein

grössere Sterblichkeit als die

von ihnen erreichen

einer

soll.

Diese

Höhe der Geburten-

directen Verhältniss zur Prosperität

steht.

aber den statistischen Werth des Geburten Verhält-

vorzüglich

unsicher

macht

als

Massstab zur Beur-

teilung der relativen Prosperität der Bevölkerung,

ist

der





198

Umstand, dass das Verhältniss ganz wesentlich mit bedingt und beherrscht wird durch die Natur der volkswirthschaftlichen Arbeit der Bevölkerung. Die Untersuchungen über die bestimmenden Factoren für die Geburtenziffer zeigen nämlich deutlich, dass das Geburtenverhältniss durchgängig

höher

Bevölkerung

industrieller

Nun kann man aber gewiss

bauender. die

bei

ist

Natur der Arbeit an industrielle

acker-

nicht annehmen, dass

die Prosperität der Bevölke-

sich

rung bedinge und vollends widersinnig wäre dass eine

bei

als

es,

anzunehmen,

an sich schon wegen ihrer Arbeits-

verhältnisse glücklicher

wohlhabender,

(d. h.

sittlicher)

wäre

als eine ackerbautreibende.

Zu allem diesen kommt aber noch Eins hinzu, weshalb Höhe der Geburtenziffer statistisch an und für sich wenig Werth haben und nur sehr bedingungsweise als Massstab für die Prosperität dienen kann. Es kommt nämlich für das die

Wohl

einer Bevölkerung, für ihre Erhaltung, sowie für ihre

ganze Culturkraft nicht sowohl darauf an, dass viele geboren werden,

als darauf,

Wenn

werden.

dass viele von den Geborenen erhalten

viele

Kinder geboren werden, von diesen

aber auch viele bald wieder absterben, bevor der Gesellschaft geworden,

Mitglieder in jeder

Beziehung ein

so

sie

ist

productive

das offenbar

viel ungünstigeres Verhältniss,

als

wenn weniger Kinder geboren werden, von diesen aber ebensoviele als in einem anderen Lande bei einer höheren Geburtenziffer erhalten werden und in ein höheres, productives Alter übergehen.

wie

wir

noch

Unterschiede, industriellen

In der Wirklichkeit bestehen nun aber,

sehen werden,

insbesondere

Bevölkerungen.

in

dieser Beziehung grosse

ackerbauenden

und

Aus allem Angeführten

geht

zwischen

nun wohl klar hervor, dass die Geburtenziffer für sich allein ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Mortalität fast gar keinen statistischen Werth hat,

d. h.

zur Vergleichung

Massstab für die Prosperität nicht brauchbar

Ganz anders verhält es Hier kann man behaupten:

sich

als

ist.

aber mit der

Mortalität.

eine niedrige Mortalität

ist

un-

— bedingt und

199

immer günstiger

die Geburtenziffer erhöht



als eine höhere.

Denn während

werden kann durch der Prosperität

gleichgültige, ja sogar ungünstige Factoren, wirkt

Mortalität j ede Art der Factoren

bei der

immer nach derselben Richtung.

Alle Umstände, welche ungünstige, sogar negative Zeichen der

Prosperität sind, wirken materiellen alle

und

sittlichen

erhöhend auf die Mortalität;

alle

Nothstände erhöhen die Mortalität;

wirklichen materiellen und sittlichen Fortschritte dagegen

wirken

Mit einem Worte: die

auf dieselbe.

erniedrigend

dem Grade Bevölkerung. Das

Mortalität wird überwiegend beherrscht von

Wohlstandes und der

Sittlichkeit der

des ist

ein wichtiger Satz; es folgt daraus, dass die Sterblichkeits-

verhältnisse einer Bevölkerung einen sehr viel zuverlässigeren

Massstab für den Grad der Prosperität der Bevölkerung ab-

zugeben im Stande sind

um

mit

J.

(Wohlstand hältnissen

als die Geburtenziffer.

G. Hoffmann zu

und

sprechen,

Sittlichkeit)

sich

niedrigere Mortalität

immer

in

den

So gewiss

zählbar ausspricht.

ein günstigeres

Prosperität der Bevölkerung

ist,

Es folgt daraus,

dass die Gesittung Mortalitätsver-

nun

aber eine

Zeichen für die darf

als eine hohe, so

doch bei Vergleichung verschiedener Bevölkerungen die

meine Mortalität nicht gleichsam allein

als

als einen absoluten Massstab

wenn das

anwenden,

Sterblichkeitsverhältniss

der Prosperität proportional wäre.

nicht etwa sagen: von zwei

Man

man

allge-

für

darf

sich z.

B.

Ländern mit verschiedenem Mor-

talitätsverhältniss ist dasjenige mit der niedrigeren Mortalität

immer unbedingt das glücklichere und in demselben Grade, Die Höhe in welchem seine Mortalität die niedrigere ist. nämlich

auch noch von

einem nothwendigem Causalnexus mit der Prosperität der Bevölkerung steht. Das ist das Geburtenverhältniss und zwar so, dass ein hohes Geburtenverhältniss nothwendig auch das Mortalitätsvcrhältniss der Sterblichkeitsziffer

ist

Umstände abhängig, welcher

im übrigen in ihren die Mortalität beherrschenden materiellen und sittlichen Zuständen gleichstehen, müssen doch in ihrer Mortalitätsziffer erhöht.

Zwei Bevölkerungen,

nicht in

die

— einen Unterschied zeigen,

schieden



200

wenn

ihr Geburtenverhältniss ver-

ist.

Und zwar

hängt das folgendermassen zusammen:

In

Ländern finden wir unter der Gesammtheit der Gestorbenen verhältnissmässig sehr viele Kinder und zwar ist

allen

ihr Verhältniss zu den Gestorbenen überhaupt so hoch, dass

die

allgemeine Mortalität wesentlich abhängig

von der

ist

Zahl der Kinder, welche bei einer Bevölkerung sterben.

Wie

gross das Verhältniss der Kinder unter den Gestorbenen

ist,

geht schon daraus hervor, dass im Durchschnitt in unseren

Staaten allein die vor storbenen Kinder

dem Ablauf

reichlich

74

storbenen ausmachen und wenn

des

man

1.

Lebensjahres ge-

Zahl

der

sämmtlicher Ge-

Kinder

die todtgeborenen

mit zu den Gestorbenen rechnet, so wird die Zahl der unter

Jahr gestorbenen Kinder sogar auf 30 ^/o erhöht ). Diese höhere Kindersterblichkeit hat aber wieder ihren 1

1

Hauptgrund

kommt

so

menschlichen Natur

in der

hülflos auf die Welt,

selbst.

Der Mensch

der Neugeborene und die

kleinen Kinder noch für längere Zeit sind so vielen Gefahren ausgesetzt, dass ihre Erhaltung nur durch wirkliche Pflege

und Sorge möglich ein

grosser Theil

ist

und

selbst bei dieser

derselben doch

nicht

Voraussetzung

am Leben

erhalten

werden kann. Nach Berechnungen, welche 15 europäische Staaten mit einer Geburtenzahl von 35 Millionen umfassen, ist im Durch-

4%

schnitt der Betrag der Todtgeborenen von denLebendgeborenen sterben dann im „ dann übrig gebliebenen im 2. und „

1.

Lebensjahr

3.



und

o.







so dass





,,

1)

2)

4.

stirbt

dem Ablaufe

des

5.

34%

Lebensjahres

2 ).

Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd. I, p. 188, 186. In Leipzig hat nach Knapp, „Mittheilungen des statist Bureaus zu

Leipzig", Heft 8 (1874) die Sterblichkeit der Kinder 1751

7°/0

von sämmtlichen Geborenen im Durchschnitt

oder über ein Drittheil vor

wieder



19°/0

— 1870

sehr

abgenommen und noch

von

0



1

Jahr von

mein- in der Altersciasso von



201



Das ist aber eine sehr viel grössere Sterblichkeit als dem höheren Lebensalter, wie das schon daraus hervor-

die in

geht, dass bei der Gesamratbevölkerung ohne Unterschied

der Altersclassen die mittlere Mortalitätsziffer nur 2,76% De "

Daraus

trägt.

folgt, dass in einer

Bevölkerung nothwendig

um

das allgemeine Mortalitätsverhältniss

unter den Lebenden das Verhältniss der Kinder

je grösser ist.

Nun

hohe

ist,

die der

Von

so höher sein muss,

dass da,

leuchtet ein,

wo

die Geburtenziffer eine

auch dadurch die Zahl der Kinder und insbesondere

ganz kleinen Kinder

in

Bevölkerung

einer solchen

der Bevölkerung gross fällt

grössere Theil auf Kinder und davon

ist.

der verhältnissmässig ist

denn die notwen-

dige Folge, dass schon deshalb das allgemeine Mortalitätsverhältniss höher sein

muss

,

als bei einer

Bevölkerung mit

niedrigerer Geburtenziffer, eben weil bei der ersteren unter

den Lebenden das Verhältniss der Kinder grösser

ist

als

unter der letzteren und weil die Kindersterblichkeit überall so gross

ist,

dass sie vornehmlich das allgemeine Sterblich-

Man

keitsverhältniss bestimmt.

hat den

Zusammenhang von

und Geburtenziffer oder das Nebeneinandersein hoher Sterbe- und Geburtenziffer schon lange gekannt. Man

Mortalität

Der Um-

hat aber ihren Causalnexus unrichtig aufgefasst. stand, dass da,

wo

die Sterblichkeitsziffer gross

Geburtenziffer gross

ist,

hat zu der

Annahme

ist,

auch die

geführt, dass

eine hohe Sterblichkeit auch viele Geburten bewirke, gleich-

sam

als

wenn durch

ein Naturgesetz der Verlust

durch hohe

Mortalität durch Steigung der Natalität erhöht werde.

gerade das Umgekehrte talität

— 10

ist

das Richtige.

Aber

Nicht hohe Mor-

bewirkt hohe Geburtenziffer, sondern hohe GeburtenFerner A. Wolff,

„Untersuchungen über die KinderMit 7 Erläuterungstafeln. M. Hemmer, „Münchens Sanitätskarten", bearbeitet mich 1. der allgemeinen Sterblichkeit, 2. der Sterblichkeit der Kinder im 1. Lebensjahre, 3. der Sterblichkeit der Personen über die 1. Lebensjahre, 4. der Sterblichkeit an zymotischen Krankheiten. München 1877, 8. Mit 2 Karten. 1

Jahren.

sterblichkeit" ete. Erfurt 1874,

8.

ziffer

bewirkt hohe Mortalität.

Durch

die angeführte grosse

Kindersterblichkeit wird bewiesen, dass das allgemeine Mortalitätsverhältniss einer

Bevölkerung auch von dem Geburten-

verhältniss bei derselben abhängt,

so

dass

z.

zwei

B. in

Staaten mit verschiedener Geburtenziffer deshalb schon das allgemeine Mortalitätsverhältniss verschieden sein muss,

auch sonst die Lebenschancen dieselben

wenn

Es geht

sind.

zu-

nächst hieraus hervor, dass auch die allgemeine Mortalitätsziffer

ohne Berücksichtigung der Geburtenziffer nicht

zuverlässiger Massstab

für

als

die relative Prosperität der Be-

völkerung dienen kann.

Genau genommen müsste

bei

solchen Vergleichungen

das Sterblichkeitsverhältniss bei allen verglichenen Staaten

auf ein- und dasselbe Geburtenverhältniss reducirt werden, d. h.

das zu vergleichende Mortalitätsverhältniss dürfte nicht

das allgemeine sein, sondern es müsste die Mortalität un-

abhängig von dem Unterschiede verhältnisses

der

in der

vergleichenden

Höhe

des Geburten-

Staaten sein.

dann

Dieses

so

ohne

Zweifel

einen vorzüglichen Massstab für die Vergleichung.

Leider

reducirte Mortalitätsverhältniss

bildet

aber lässt sich dasselbe in dieser Unabhängigkeit von der Geburtenziffer mit den sehr

vorhandenen Hülfs mittein nur für

wenige Bevölkerungen ermitteln

nur auf Umwegen.

und

für

diese auch

Siebentes Capitel.

Die mittlere Lebensdauer.

Unter mittlerer Lebensdauer einer Bevölkerung versteht man, wie schon weiter oben gezeigt, wo der Unterschied des mittleren Lebensalters von dem der mittleren Lebensdauer hervorgehoben werden sollte, die Zahl von Jahren, welche von einer Bevölkerung im Durchschnitte jedes Individuum von seiner

Geburt

bis

zu seinem Tode zu verleben

hat.

Diese mittlere

Lebensdauer, oder besser die Vitalität der Bevölkerung, bildet einen viel besseren Massstab für

die allgemeine Prosperität

der Bevölkerung, als das allgemeine Mortalitätsverhältniss.

Ja

sie bildet

wohl den zuverlässigsten Massstab dafür.

kommt nur darauf an, sie richtig zu Man fasst noch allgemein den

Begriff der

Lebensdauer der Bevölkerung nicht richtig

'

die

berechnet nämlich noch allgemein dieselbe

gleichmässig vertheilt, also ebenso wie

der Lebenden berechnet nach aller

Mass-

so,

dass

Zahl der Jahre, welche die innerhalb eines Jahres

Gestorbenen zusammen durchlebt haben, auf

Jahr.

ist als

wie wir ihn bedürfen, nicht brauchbar.

Man

man

mittleren

Die mittlere

auf.

Lebensdauer nach der gewöhnlichen Berechnung stab,

Es

berechnen.

Lebenden durch Diese so

nicht brauchbar

man

alle

Gestorbenen

das mittlere Alter

der Ermittelung

des Alters

eine Volkszählung für ein bestimmtes

berechnete

mittlere

Lebensdauer

zur Beurtheilung der

wirklichen

ist

aber

Vitalität

der Bevölkerung und namentlich nicht zur Vergleichung ver-





204

schiedener Länder nach diesem Massstabe, weil

sie

wie das

wesentlich

allgemeine Mortalitätsverhältniss ganz

abhängig

von der Höhe der Geburtenziffer.

ist

leicht einzusehen.

In einer Bevölkerung,

wo

ebenso

Es

ist

das

Neuge-

viele

borene fortwährend zu den Lebenden hinzukommen, muss in

Folge davon auch unter den gleichzeitig Lebenden, welche

zusammen sein, d. h.

die

Bevölkerung bilden, die Zahl der Kinder gross

grösser als bei einer Bevölkerung mit einer niederen

In Folge davon werden auch bei übrigens

Geburtenziffer.

gleichen Lebenschancen bei der Geburtenziffer

unter

den

Jahren Verstorbene sein,

der

von

als

unter

mehr

jüngeren

in

der mit niedriger Ge-

eben weil dort mehr im jugendlichen Alter sich

burtenziffer,

befinden, die

man nun

Bevölkerung mit höherer

Gestorbenen

vom Tode

getroffen

werden können.

das mittlere Alter, indem allen

Gestorbenen

man

die

Berechnet

Gesammtsumme

zusammen durchlebten Jahre

durch die Zahl der Gestorbenen dividirt und nennt dies die mittlere

Lebensdauer der Bevölkerung, so

liegt

auf der Hand,

dass diese sogenannte mittlere Lebensdauer bei der Bevölke-

rung mit hoher Geburtenziffer schon

allein

wegen

höheren Geburtenziffer eine niedrigere sein muss,

dieser als

bei

der Bevölkerung mit niedrigerer Geburtenziffer, ohne dass deshalb die wirkliche mittlere Lebensdauer eine kürzere zu sein braucht.

Man kann

sich die

wirklichen mittleren Lebensdauer

wenn man

sich einen

Wirkung

am

der so berechneten

besten deutlich machen,

äussersten Fall denkt.

Nimmt man

an, dass bei einer Bevölkerung in einem Jahre gar keine

Geburten vorkämen, so wäre die Folge, dass dann

in

dem

darauf folgenden Jahre unter dieser Bevölkerung gar keine

Kinder im Alter unter einem Jahre vorhanden sein würden. Es könnten mithin in diesem Jahre keine Kinder unter einem Jahre

sterben.

Nothwendig müsste alsdann das

mittlere

Alter der Gestorbenen viel höher sich herausstellen, als

im vorhergehenden Jahre Kinder geboren wären.

man nun

wenn

Nennte

dieses so berechnete mittlere Alter der Gestorbenen

die mittlere Lebensdauer, so

würde

diese mit einem

mal sehr



205



gesteigert erscheinen, obgleich die Vitalität der

überhaupt gegen sonst

gar

vielleicht

Bevölkerung

nicht verändert

ist.

Dieser Fall, dass irgendwo in einem Jahre gar keine Kinder

geboren werden, wird allerdings nie vorkommen; es geht aber daraus hervor, dass die

Höhe

der Geburtenziffer wieder

auf die so berechnete mittlere Lebensdauer nothwendig ein-

Das ist so einfach, dass man kaum darauf aufmerksam zu machen brauchte, wenn nicht es doch fortwährend und selbst von namhaften Statistikern übersehen und aus der so berechneten mittleren Lebensdauer sehr irrige Schlüsse gezogen würden. So hat z. B. in dieser Weise ein wirken muss.

sehr angesehener französischer Statistiker de Chateauneuf in

den Memoires de l'Academie des Sciences mor. eine Arbeit

(1850)

et polit.

T.

VI

über die mittlere Lebensdauer in ver-

schiedenen Ländern bekannt gemacht, nach welcher dieselbe in Preussen 29,66 in Frankreich

38,77

Jahre beträgt und

daraus den Schluss gezogen, dass die Bevölkerung in Frankreich

im Ganzen

viel glücklicher sei als in Preussen,

dieser Unterschied burtenziffer beider

Will

man

allein in

Länder seinen Grund die

folglich

während

der grossen Differenz der Gehat.

wirkliche mittlere

Lebensdauer

Bevölkerung ermitteln, so darf man dafür nicht einfach das mittlere Alter aller Gestorbenen nehmen, sondern man muss einer

sie

berechnen unabhängig von der Höhe der Geburtenziffer.

man

Diese wirkliche mittlere Lebensdauer, die die Vitalität der

Bevölkerung nennt,

Ihre Zu- oder

Abnahme

Bevölkerung

bei einer

widerleglichste Zeugniss des Vorin

legt das un-

oder Rückschrittes einer

der Cultur ab.

Bisher statistisches

tistikern so

1) Cf.

besser

der allerzuverlässigste

Massstab für die Prosperität der Bevölkerung.

statistische

Nation

ist

ist

diese

wirkliche

mittlere

Lebensdauer

als

Element sehr wenig beachtet und von den Stagut wie gar nicht ermittelt worden ). Ihre Er1

G.Meyer, Die mittlere Lebensdauer ix Eildebrand's Jahrbüchern und Statistik, Bd. S (IS(J7). knapp, Kriniti.elunLV

für Nationalökonomie

— mittelung

ist

statistischer

206



jedoch möglich unter Voraussetzung gewisser Daten.

Schon La Place hat dafür

rationelle Anleitung gegeben.

aus den Geburtslisten

Diese

ist

folgende:

einer Bevölkerung

eine

ganz

Man nimmt

eine hinreichend

grosse Zahl von gleichzeitig Geborenen

(z. B. die Geborenen und verfolgt diese vermittels der Sterbelisten derselben Bevölkerung in ihrem allmählichen Absterben, indem man notirt, wie viele von ihnen in jedem Jahre successive gestorben und wie viele von ihnen davon

eines bestimmten Jahres)

noch

am Ende

nimmt

jedes Jahres übrig geblieben sind.

Z. B.

man

im Jahre 1800 Geborenen und verfolgt sie in ihrem allmählichen Absterben, indem man aus der Liste der Gestorbenen auszieht im Jahre 1801 die Gestorbenen unter 1 Jahr alt, aus der Sterbeliste von 1802 die Gestorbenen im Alter von 1 2 Jahren, aus der von 1803 die im Alter von 2 3 Jahren, welches jedesmal solche sind, die im Jahre 1800 die





geboren wurden.

Wenn man

das so weiter fortsetzt bis zum Tode der im Jahre 1800 Geborenen, so erhält man für diese, wenn man die Zahl der von ihnen in jedem Jahre Gestorbenen mit der von ihnen in dem Jahre noch vorhanden Gewesenen vergleicht, eine auf wirklicher Beobachtung beruhende wahre letzten der

Absterbeordnung

für

die betrachtete Zahl

im Jahre 1800 Geborenen.

Aus

der gleichzeitig

einer so angefertigten Liste

nun das mittlere Alter der Gestorbenen einfach berechnen, indem man die Gesammtzahl der von allen durchlebten Jahre gleichmässig auf jeden Einzelnen vertheilt und lässt sich

dies ist die wirkliche mittlere Lebensdauer,

der

Höhe

der Geburtenziffer

unabhängig von

1

).

der Sterblichkeit. 1868. (S.72.) C. Brasche, Sterblichkeitsrechnung, Würzburg 1870, besprochen von Knapp in Hildebrand's Jahrbüchern. Bd. 14 (1870), S. 422.

auch Becker, Preuss. Sterbetafeln, in der Zeitschrift des Bureaus 1869 (Nr. 4—6) p. 125 ff. Desgleichen Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik, herausgegeben von dem Statistischen Bureau von Berlin 1870, 4. Jahrgang. Artikel darüber in der A. A. Zeitung 1871, Beilage No. 41, p. 687. 1)

preuss.

Cf.

statistischen





207

nun diese Vorschrift

Allein so richtig

Zweck dienen zu können.

so

ist,

doch nicht so durchführen,

sich leider praktisch

lässt sie

um unserem

Einmal schon deshalb

nicht, weil

wir für keine Bevölkerung Geburten- und Sterbelisten besitzen, welche so weit zurückgehen, dass man die Geborenen eines

bestimmten Jahres darin

zum Tode

bis

in

ihrem

allmählichen Absterben

des letzten von ihnen verfolgen könnte.

Dazu

wären Listen nothwendig, welche mindestens ein Jahrhundert umfassen, denn unter einer grösseren Anzahl gleichzeitig Geborener erreicht immer der eine oder der andere das höchste Ziel des menschlichen Lebens, 100 Jahre und darüber. Auch würde sich so die mittlere Lebensdauer richtig nur für ein

Land berechnen

lassen, das in seinem Territorialbestande

unverändert geblieben und keine oder doch nur sehr geringe

Aus- und Einwanderung während 100 Jahren gehabt t

Dazu kommt aber noch sehr wenig statistischen

hätte.

Eins, weshalb diese Methode an sich

Werth

hat;

nämlich dass

man

da-

durch nur die mittlere Lebensdauer einer schon ganz ausgestorbenen Generation kennen lernte, wogegen es doch für die Statistik vielmehr darauf

Lebenden kennen zu

lernen.

eingeschlagen werden. richtige

La

Und

ankommt, die Dazu muss dieses

ist

Vitalität der jetzt

ein

anderer

Weg

möglich, ohne das

Place'sche Princip aufzugeben.

Dieser

Weg

führt

auch durch einfache Rechnung zu einem geeigneten Resultat unter zwei Voraussetzungen, die eigentlich jede gute Landes-

gewähren sollte. Erforderlich nämlich ist dazu: genaue Kenntniss des Standes der Bevölkerung nach dem Alter von Jahr zu Jahr, wie sie durch genaue statistik 1.

die

Volkszählungen zu ermitteln 2.

dem 1

ist;

genaue Todes- oder Sterbelisten.

Kennt man genau die Vertheilung der Bevölkerung nach Alter, weiss man, wie viele von den Lebenden unter

Jahr,

1

— 2 Jahre, 3 —4 Jahre

u.

s.

w. alt sind, desgleichen

auch das Alter der Gestorbenen, so crgiebt die Vergleichung der Gestorbenen mit der Zahl der Lebenden jeder Altersclasse,

welche Quote der Personen jährlich

stirbt.

Diese

— Quoten lassen



208

Anzahl von Lebenden

sich auf eine bestimmte

jeder Altersciasse,

B. 10,000, reduciren und so erhält

z.

man

durch eine einfache Rechnung eine wirkliche Sterbetabelle für die gegenwärtige Generation,

welche

eine Mortalitätstafel,

d. h.

wie viele in jedem Alter von einer bestimmten

zeigt,

Man

Bevölkerung sterben.

dann leicht benen, indem man

erfährt aus einer solchen Sterbe-

die mittlere

tabelle

die

von

zusammen durchlebten Jahre Jahre durch die Zahl

Der Quotient die Vitalität einer

aller

die

ist

Lebensdauer dieser Gestor-

allen

Gestorbenen jedes Alters

addirt

und

Gestorbenen

Summe

die

dieser

dividirt.

wahre mittlere Lebensdauer oder

Bevölkerung für die Gegenwart unabhängig

von der grösseren oder geringeren Höhe der Geburtenziffer. Leider lässt

nur für wenige Länder berechnen, weil

sie sich

unsere Volkszählungen noch nicht genau den Stand der Be-

dem

völkerung nach

Alter vollständig

und

lehren und daher noch nicht erlauben,

nach directer Methode zu berechnen.

tafeln

eigentlich bis

dies

darnach erhält

jetzt

man

Lebensdauer

mittlere

Wir

allein

für dieses

für

Belgien

Land

Mortalitäts-

Genauer möglich,

38,9 Jahre als

ist

und

wahre

1 ).

sind auf diesen Gegenstand durch die Betrachtung

der Geburten- und Sterlichkeitsziffer geführt worden.

wir noch einmal

auf dieselbe zurück.

Höhe dieser Ziffern an sich Bewegung der Bevölkerung.

dass die für die

kennen

detaillirt

solche

Dagegen

ist

die

Höhe

Wir haben nicht

Kommen gesehen,

massgebend

ist

dieser Proportion in anderer Be-

ziehung für eine Bevölkerung von grosser Wichtigkeit, nämfür

lich

die

Gestaltung der Altersverhältnisse einer Bevöl-

kerung und zwar sowohl der Lebenden wie der Gestorbenen.

Ueber diesen Gegenstand hat Wappäus ausführlicher gehandelt besonderen Abhandlung „über den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren Lebensdauer" im VIII. Bande der Abhand1)

in einer

lungen der Societät der Wissenschaften zu Güttingen aus dem Jahre desgl.

im Bd.

II seiner

Bevölkerungsstatistik.

1860,

— In einer Bevölkerung,



bei der die Geburtenziffer eine

dagegen aber auch

ist,

209

hohe

vorkommen, muss

viele Sterbefälle

sowohl das mittlere Alter der Lebenden, wie auch das der

Gestorbenen kürzer sein

als da,

wo weniger Geburten

vor-

kommen, aber auch weniger dieses Einflusses in ersterer

Sterbefälle. Die Bedeutung Beziehung auf das mittlere Lebens-

Wir haben

einer Nation ist schon angedeutet worden.

alter

gesehen, welche Bedeutung die alters hat,

Zunahme

Höhe

des mittleren Lebens-

wie eine Abnahme desselben einen Verlust, eine

Gewinn für die Cultur anzeigt. nun auch für das mittlere Alter der Ge-

desselben einen

Dasselbe

gilt

Ist dasselbe ein niedriges, so zeigt dies an, dass

storbenen.

das Verhältniss der jüngeren Personen unter den Gestorbenen ein hohes

ist,

also die

Zahl derjenigen unter den Gestorbenen

verhältnissmässig hoch sein muss,

welche in ihrem Leben

entweder noch gar keinen oder nicht hinreichenden Ersatz

haben geben können für

die

während ihrer Jugend auf

sie

durch die Gesellschaft verwandten Opfer. In dieser Beziehung insbesondere

ist

die

von bedeu-

auch

Kindersterblichkeit

tendem volkswirtschaftlichen

Einfluss.

Individuen, welche sterben, bevor sie durch ihre Arbeit

haben Ersatz geben können für die ihnen gewidmete Sorge und Opfer, sind volkswirthschaftlich anzusehen wie Fremde, welche ohne Vermögen ins Land

gekommen

sind,

um

an den

Früchten der Arbeit der Gesellschaft Theil zu nehmen, und wieder geschieden sind, ohne dafür durch ihre Arbeit Ersatz

gegeben und die contrahirte Erziehungsschuld zu haben. licher

Welche grosse Opfer aber

abgetragen

in volkswirtschaft-

Beziehung, worauf hier die Betrachtung beschränkt

werden

soll,

einer Nation durch das Absterben

von Kindern

vor Erreichung des productiven Alters erwachsen und wie wichtig in dieser Beziehung die

Höhe

der Geburtenziffer

ist,

lässt sich leicht zeigen.

In Preussen bei

z.

B. wurden in den 26 Jahren von 1816

einer mittleren Geburtenziffer

von

1

:

24,3

=

— 1841

4,11% im

Ganzen 13,415,574 Kinder geboren. Der grösseren Einfachheit Wappäus.

14

— der Rechnung wegen

210



wollen wir die Todtgeborenen ausser

Betracht lassen, obgleich auch diese schon der Gesellschaft grosse Opfer und Kosten

Rechnen wir

verursachen.

also

Todtgeborenen ab, so reducirt sich jene Zahl auf 12,892,367 Kinder. Wir wollen in runder Zahl nur 12 3 4 Millionen andie

/

Von

nehmen.

diesen lebend Geborenen starben

nun vor dem

vollendeten 14. Lebensjahre durchschnittlich 35

von jenen 12

3 /4

Millionen 4

1

/-

2

des

1.

Lebensjahres gestorben

ist,

also

man

nun,

Rechnet

Millionen.

da ein grosser Theil dieser Kinder, 18° /0

— 36%,

,

vor der Vollendung

im Durchschnitt auf

die

Unterhaltungs- und Erziehungskosten für jedes ganz niedrig,

worauf jedoch für den Beweis nichts ankommt, 200 Thlr., dann beträgt die Ausgabe, welche diese vor dem 14. Lebensjahr gestorbenen Kinder der Gesellschaft während der angegebenen 26jährigen Periode verursacht haben, lionen

Thlr. oder jährlich

ppt.

diese

Summe

ist

Diese

anzusehen.

sind volkswirthschaftlich als ein reiner Verlust

Denn

900 Mil-

35 Millionen Thlr.

wie eine Schuld zu betrachten, welche

jene Kinder bei der Gesellschaft contrahirt hatten und welche

durch ihre Arbeit später wieder abzutragen,

Tod

verhindert wurden

sie

durch ihren

l

).

Hätte Preussen in der genannten Periode seinen natürlichen

Zuwachs der Bevölkerung mit

burtenziffer 1

:

30

=

erreicht,

3,3°/ 0

,

so

z.

B. mit

würden

einer

derjenigen

in denselben 26

kleineren Ge-

von

Norwegen

Jahren nur un-

gefähr 10 V2 Millionen Kinder lebend geboren sein.

man nun

für diese

Nimmt

Kinder dieselbe Sterblichkeit an, so würden

davon nur wenig über 3 2 Millionen unter dem Alter von 14 Jahren gestorben sein. Durch einen solchen Unterschied in der Geburtenziffer würde mithin der Bevölkerung ein Verlust von ungefähr 200 Millionen Thlr. in der angegebenen 1

/

Periode erspart worden sein oder jährlich nahe S Millionen.

Daraus

1)

gestellt

Cf. ist.

folgt

nun

Süssmilch, Bd.

als

I,

allgemeine Regel: dass dasjenige

S. 439,

wo

das schon ganz gründlich daß

— Verhältniss der bei

welchem



211

Bewegung der Bevölkerung das günstigste ist, Zunahme der Bevölkerung mit der

eine gewisse

geringsten Geburtenziffer erreicht wird.

In dieser Beziehung finden wir nun einen durchgreifenden

Gegensatz

zwischen

völkerungen,

die

bei jenen

Das

günstigere.

ackerbauenden und

Be-

allgemein

das

schon deutlich zeigen, wenn

man

das Verhältniss

ist

lässt sich

industriellen

Bevölkerung unserer Staaten nur nach den beiden Haupt-

classen ihrer

Damit

ist

Wohnplätze

betrachtet,

nach Stadt und Land

1

).

zugleich ein Gegensatz der Bevölkerung nach der

vorwiegenden Arbeit ausgedrückt.

noch repräsentirt

in

Wenigstens gegenwärtig

den meisten unserer Staaten die Be-

völkerung des platten Landes die ackerbauende Bevölkerung, die der Städte die der übrigen Berufsclassen die industrielle

und insbesondere

Der geogra-

Bevölkerung im engeren Sinn.

phische oder topographische Gegensatz drückt gegenwärtig

noch zugleich einen volkswirtschaftlichen

Es wird

Arbeit aus.

in der

dies freilich allmählich

vorwiegenden durch die un-

beschränkte Gewerbefreiheit und Freizügigkeit in Verbindung 1)

Siehe hier Brasche, Die Rigaer Volkszählung von 1867 in der

Baltischen Monatsschrift,

19.

Bd. (N. F.

Das Gesetz der Bevölkerung und

Bd.) 1870, p. 532.

1.

die Eisenbahnen.

— G. E. Witt,

Siehe besondere



Beilage Nr. 32 des preuss. Staats-Anzeigers 1872. Berlin und seine Eni wickelung. Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik. Jahrgang 1869, herausgegeben vom statistischen Bureau der Stadt. Desgl. 5. Jahrgang 1871. G. F. Knapp, Leipzig's Bevölkerung 1868. Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. December 18G7, beA. Legoyt, Du progres des arbeitet von H. Schwabe. Berlin 1869. agglomerations urbaines et de l'emigration rurale en Europe et particulierement en France. Marseille 1870. Schwabe, Statistik des preuss. )».









Städtewesens in Hildebrand's Jahrbüchern für Nationalökonomie u. St., Tl. Bd. und im Berliner Stadt- und Gemeindekalender für 1867 „über die Quellen des Wachsthums der grossen Städte im preuss. Staate" und „Stadt

und Land" (Nr.

21).

besonderen Beilage zum preuss. Staats- Anzeiger 1872 Kirchhon, Beiträge zur Bevölkerungsstatistik etc. Engel, Die moderne Wohnungsnoth. Signatur, Ursachen

in der



Erfurt 1871.

A.





und Abhülfe. Leipzig 1873. Statistique internationale publice sur fordre du. congresde statistique. T. 1, 1. Scct. Statistique internationale des graudes villes. Mouvement de la populatioh, redigee par Cörösi. 14*



212



mit der Mobilisirung aller hergebrachten historischen Institutionen anders werden müssen,

gegenwärtig besteht jedoch noch jener allgemeiner Gegensatz:

Land

Stadt Geb.- Sterbeziffer Differenz

Niederlande 3

Geb.- Sterbeziffer Differenz

0,88%

3,45%

2,31»o

1,14%

Schweden

3,24 „

3,45„

0,21,,

3,28,,

2,13,,

1,15,,

Belgien

3,39,,

2,91 „

0,48,,

3,01,,

2,26,,

0,75,,

Frankreich

3,05,,

3,17,,

0,12,,

2,55,,

2,37,,

0,18,,

;

69°/ 0

2,81

°/

0

Aus diesen Zahlen geht zunächst Folgendes hervor: 1. Die Geburten- und Sterblichkeitsziffern sind in den durchgängig höher

Städten

Geburtenziffer

als

dem Lande.

auf

kommen Ausnahmen

Lande, nämlich 3,24%

in ersteren,

3,28°/ 0

Bei der Sterblichkeitsziffer aber keine, in

den Städten und das 2.

ist

die

In Schweden

vor.

den Städten etwas höher

die Geburtenziffer in

ist

Mortalität

auf

als

ohne Ausnahme überall auf dem

in

die

Geburtenziffer

dem Lande, dennoch

Staates

Staaten nach

dem

sein

ist als in

die Erhaltung

vorzüglich

den Städten.

und Zunahme der

auf

der

ländlichen

Betrachten wir die obigen Zahlen noch

etwas mehr im Detail.

fällen in

dass, ob-

grösser zu

hier der Ueberschuss der

Geburten über die Gestorbenen grösser

Daraus geht hervor, dass Bevölkerung beruht.

höher

das Entscheidende;

gleich

Bevölkerung eines

ist

dem

dem Lande.

so bedeutend geringer als in den Städten,

pflegt als auf

auf

sie ist überall

Lande

den Städten

Bei der

Darnach würde

in

den angeführten

Verhältniss der Geburten zu den Sterbe-

den Städten

allein

nur eine sehr geringe Zunahme

der Bevölkerung stattfinden, ja

in zwei dieser Staaten, in sogar zurückBevölkerung Schweden und Frankreich, gehen. Das günstigere Verhältniss auf dem Lande muss

die

das Deficit ersetzen. 3.

Hieraus

folgt:

dass die Bevölkerungen des platten

rascher zunehmen müssen, als die der Städte,

und städtische Bevölkerungen von

Landes überall

wenn

ländliche

einander abgeschlossen



213



wenn nicht die Städte fortwährend vom Lande erhielten. Dass nun ein solcher blieben,

einen Zufluss Zufluss

statt-

Dienstboten, Hand-

findet, zeigt schon das tägliche Leben.

werden den Städten vornehmlich vom Lande dass aber dieser Zuschuss sehr stark sein muss,

arbeiter etc. geliefert;

Zunahme dem Lande,

geht daraus hervor, dass in Wirklichkeit überall die der Bevölkerung

wenn man

in

den Städten grösser

diese wirkliche

Zunahme

ist als

auf

ermittelt durch die Ver-

gleichung der verschiedenen Volkszählungen.

In den hier betrachteten Staaten betrug nämlich für dieselbe Zeit, für welche wir die mittleren Geburten-

jährliche

Zunahme

der Bevölkerungen Stadt

den Niederlanden

in

und Sterb-

angegeben haben, die wirkliche mittlere

lichkeitsverhältnisse

1,81

°/

0

Land 0,74%

„ Schweden „ Belgien

1,50 „

0,81 „

0,78 „

0,31 „

„ Frankreich

1 ; 53

0,35 „ ,, Diese statistischen Ergebnisse sind in mehrfacher Be-

ziehung interessant.

Sie

lehren:

1.

dass

der Beruf

des

Landmanns, wie er denselben dem Städter gegenüber in politischer und socialer Beziehung conservativ zu machen Die ackerbauende pflegt, auch an sich soliderer Art ist. Bevölkerung

stellt

bei sonst

gesunden Zuständen

in politischer

Beziehung das mehr passive, beharrende Element im Staate

Es hängt das mit der Natur ihrer Arbeit innig zusammen. Der Landmann ist damit ganz wesentlich an Mächte dar.

gebunden, liegen,

die

der menschlichen

Willenssphäre

Der Erfolg seiner Arbeit ist ebenfalls wesentlich mit abhängig von solchen allgemeinen höheren Ordnungen. Das ist auf die ganze Lebensanschauung von grossem Dem analog bildet die ackerbauende Bevölkerung Einfluss. auch physisch das beharrende Element der Bevölkerung. Sie bildet somit statistisch den eigentlichen Kern der Bevölkerung und trägt zur Erhaltung und Vermehrung derselben verhältnisse.



ausserhalb

an den Verlauf der Jahreszeiten, an die Witterungs-

— mehr

viel

als

bei,



214

der Städte.

die

Ueberdies bildet die

auch noch dadurch den Kern der Bevölkerung, als ihr die Kraft der Bevölkerung (sowohl die Productions-

erstere in

wic die Wehrkraft) in weit höherem Verhältniss vorhanden als in der städtischen. Das ergiebt sich, wenn man die Zusammensetzung der beiden Kategorien der Bevölkerung nach dem Alter vergleicht. Die Yertheilung der Bevölkerung nach dem Alter ist auf dem Lande günstiger, es braucht das ist,

nicht besonders nachgewiesen zu werden, es folgt schon aus

der grösseren Proportion der Geburten in den Städten zeigen

2.

mitgetheilten

die

Daten,

statistischen

überall ein Zufluss der Bevölkerung

1

);

dass

vom Lande nach den

Es ist das auch in der Ordnung, weil mehr Arbeitskräfte bedürfen, als sie selbst proAus dem viel ungünstigeren Mortalitätsverhältniss

Städten stattfindet. die Städte

duciren.

der Städte geht aber auch hervor, dass dieser Zufluss von

dem Lande

in

die

Städte doch eine gewisse Grenze nicht

wenn dadurch

übersteigen darf,

tingent, welches die ländliche

der Bevölkerung

liefert,

nicht das ganze höhere Con-

Bevölkerung für die Zunahme

absorbirt

werden

soll.

Die Ver-

setzung der ländlichen Bevölkerung in die Städte muss

niedrigend auf die

Zunahme

weil die Mortalität in

Wenn nun

Lande.

ein

er-

der Gesammtbevölkeruug wirken,

den Städten grösser

ist

als

auf

dem

zu grosser Theil der ländlichen Be-

völkerung den ungünstigeren Lebenschancen der Städte ausgesetzt wird,

so wird

dadurch schon

allein

eine

Zunahme

der Gesammtbevölkerung eines Staates aufhören, ja unter Umständen sogar die Zunahme in eine Abnahme umschlagen

können.

Unter den vorher aufgeführten Staaten zeigt Frank-

reich den grössten Zufluss der ländlichen Bevölkerung nach

den Städten.

1)

Die städtische Bevölkerung hat daselbst von

und freiheitsliebend. Siehe W. v. Hum„Wie weit darf die Sorgfalt des Staates Bürger sich erstrecken?" Gesammelte Werke Bd. II,

Der Ackerbauer

ist friedlich

boldt in seiner Abhandlung:

um

das

p. 257.

Wohl

seiner

— 1851

— 56 jährlich



215

um mehr

als l72°/o

Bevölkerung gleichzeitig

die ländliche

zugenommen, während

um

V3°/o

abgenommen mehr

obgleich in den Städten für sich in dieser Zeit

hat,

Menschen gestorben

Das

als

geboren sind.

gewiss ein nicht normales Verhältniss und mit

ist

Recht schreiben einsichtige französische Statistiker die so auffallend geringe

Zunahme

der Gesammtbevölkerung Frank-

dem

reichs in den letzten Decennien ganz wesentlich

neuer-

dings in Frankreich eingetretenen ausserordentlich grossen

Zudrang

der

Städten (Paris) zu.

scheinung

,

Zuständen mit der

Bevölkerung

ländlichen

Es

ist

Frankreich

in

den

grossen

das eine krankhafte sociale Er-

welche übrigens in

nach

mit den

allgemeinen socialen

innigem Zusammenhang

Zunahme der allgemeinen Genusssucht,

steht,

die

sich

namentlich auch in der Sehnsucht nach den Herrlichkeiten der grossen Städte ausspricht.

In Frankreich wurde übrigens dieser Zuzug auch noch aus politischen Gründen befördert.

Indem man nämlich unter

der Kaiserlichen Regierung

auch

u.

a.

in Paris

gesetzlich

den Preis des Brotes regelte, in Zeiten der Theuerung das Brot unter dem Marktpreise des Mehles abgab und indem in Paris

Luxusbauten in den

um

blos

man

den Arbeiter zu beschäftigen ungeheuere

herstellte,

veranlasste

man

eine Entvölkerung

Dörfern und bewirkte dadurch unbewusst eine Ver-

Zunahme der Gesammtbevölkerung ). man freilich in Deutschland nicht vorgegangen, doch fördern auch jetzt bei uns die Regierungen das Wachsen der grossen Städte. Sie freuen sich über die rasche Zunahme ringerung der In der Art

1

ist

der Bevölkerung in den Hauptstädten, über die Annäherung der

Bevölkerungszahl

derselben

Englands und Frankreichs.

Wer

an

die

der Riesenstädte

sich aber mit der Statistik

der grossen Städte, wie diese neuerdings ausgebildet worden ist,

eingehender beschäftigt hat,

Riesenstädten,

1)

in

der weiss,

dass in diesen

der übermässigen Agglomeration der Be-

Büchele, Gewerbe-

und Handelsgeographie Bd.

I,

S.

400 Note.





216

völkerung an einzelnen Punkten (Pariser

Commune

gerade eine Hauptgefahr für unsere Zukunft

Aus den

1871)

liegt.

mitgetheilten statistischen Ergebnissen lässt sich

auch noch eine allgemeine praktische Lehre ziehen, nämlich dass es für eine weise Staatsregierung eine Hauptauf-

die,

gabe sein

sollte,

die

ackerbauende Bevölkerung, diesen eigent-

Kern der Bevölkerung, soviel wie möglich in seiner Kraft und Integrität zu erhalten. Es sollten bei allgemeinen gesetzlichen und administra-

lichen

tiven Massregeln nicht, wie das so häufig geschieht,

z.

B. bei

Einrichtung von Wahlämtern, die Interessen der ländlichen

Bevölkerung denen der Industrie nachgesetzt werden und

am

wenigsten

sollte

der Staat direct dazu beitragen, dass

der Industrialismus, der eigentlich in die Stadt gehört, auch Besitz

vom

platten

Bevölkerung eine

Lande nehme,

so dass der

ackerbauenden

industrielle beigemischt oder dieselbe

wohl

gar angereizt werde, zu fabrikmässig betriebenen Gewerben überzugehen.

Damit würden

Bevölkerung

verloren

alle die

Vorzüge der ländlichen

durch

gehen,

welche

dieselbe

als

ackerbauende Bevölkerung den wahren Kern der Bevölkerung bildet,

indem

sie

zur Erhaltung und Vermehrung der Be-

völkerung mehr beiträgt

und das

ist

Gegensatz, dergl.,

der

wohl

als

die

zu beachten

,

industrielle.

nicht

Denn

es

ist,

der geographische

etwa die grössere Stärkung der Landluft und

dem Lande

Städten gewährt,

die hervorgehobenen

sondern es

ist

der

Vorzüge vor den

volkswirtschaftliche

Gegensatz, die Natur der Arbeit und der damit zusammen-

hängende

sociale Gegensatz.

Auch darüber haben wir schon statistische Erfahrungen. So im Königreich Sachsen, wo in einigen Theilen die Invasion der Industrie auf dem platten Lande soweit gediehen, dass es dort eigentliche Industriedörfer giebt, nicht

der

Ackerbau,

sondern

die

Industrie

in

welchen

(namentlich

Weberei) die überwiegende Arbeit der Bevölkerung

Geman solche ländliche Bevölkerungen und Sterblichkeitsverhältnissen den städtischen gegen-

Stellt

burts-

bildet.

in ihren



217



über, so verschwinden die statistischen Gegensätze, welche sich sonst zwischen

damit auch

und Vorzüge

herausstellen, völlig

hier hervorgehobenen statistischen

alle

der ländlichen

Land und Stadt

Dasselbe

Bevölkerung.

ist

u.

auch der

a.

Fall mit der ländlichen Bevölkerung derjenigen Gegenden, in

welchen

grosse

Runkelrübenzucker- Fabriken

errichtet

worden, womit der bäuerliche Grundbesitzer zum Rentier geworden und der ländliche Arbeiter zum Fabrikarbeiter. Die Geburten- und Mortalitätsverhältnisse solcher ländlichen Bevölkerung

nehmen den ungünstigeren

Dort

Character an.

stellen sich

ebenso Strikes

städtischen

wie bei

ein,

städtisch-industrieller Bevölkerung.

kommt Denn in

Freilich

zu

spät.

diese statistische

unserer

Lehre

Entwickelung

volkswirthschaftlichen

ist

Strömung zu stark,

sation gerichtete

jetzt

wohl schon

gegenwärtigen politischen und

als

die

auf Centrali-

dass an eine Er-

haltung eines besonderen Bauernstandes noch geglaubt werden könnte.

Gleichwohl

ist

gewiss nothwendig,

es

die

Wirkungen

solcher Veränderungen, wie die Statistik sie in Zahlen dar-

zulegen vermag, sich klar zu machen, damit nicht

unbewusst

schleunigt licher lässt,

und

dieselben

und gedankenlos noch fortwährend beDie Nebenwirkung neuer gesetz-

verstärkt.

man

unbeachtet

sind oft von grösserer Bedeutung als die,

auf welche

und administrativer Massregeln,

es zunächst dabei

weittragenden

abgesehen

Wirkung

schiedes von Stadt und

durch die Revolution

1 )

man

ist.

Das

die

hat sich auch in der

der Aufhebung des politischen Unter-

Land

gezeigt, welche in Frankreich

von 1789 decretirt worden

Die Eintheilung in Departements

ist

ist

1

).

ebenso eine revolutionäre

Massregel, welche gleichwohl die alte historische Eintheilung noch nicht

wegwischen können. „Das Departement ist nicht ein wirkund eigenthüniliches Wesen wie die Gemeinde: diese abstractcn, von der Verwaltung gezogenen Grenzen sprechen nicht zum Herzen. Noch heute hört man wohl sagen: Ich bin Provence, ich bin Burgunder oder Normanne (eine Stimme; oder Gaseonger! [Heiterkeit]), aber niemand völlig hat

liches

In Frankreich



218

kennt

man

— seitdem

officiell

noch

nur

Gemeinden (Commimes) ohne Unterschied von Dorf, Flecken, Stadt. Die französische Statistik kennt deshalb nicht den Unterschied von städtischer und ländlicher Bevölkerung in unserem Sinne nach dem politischen Unterschiede von städtischer und ländlicher Verfassung, sie unterpolitische

scheidet nur, da eine Unterscheidung der Bevölkerung nach

Stadt und

Land doch

statistisch nicht entbehrt

werden kann,

populations agglomerees und populations rurales, je

nachdem mehr oder weniger zusammengehäuft wohnt. Alle Gemeinden unter 2000 Seelen rechnet sie zur population rurale 1). Diese Aufhebung des politischen Unterschiedes zwischen Stadt und Land ist auch sonst von grossem die

Bevölkerung

örtlich

Einfluss geworden.

Darnach

ist

es

B. leicht möglich, je nach

z.

dürfniss der Regierung bei politischen lative

Versammlung

die

Wahlbezirke

Wahlen so

dem Be-

für die legis-

einzurichten, dass

entweder die städtische oder die ackerbauende Bevölkerung in

ihrem durch den politischen Gegensatz bedingten Einfluss

auf die in

Wahl ganz

paralysirt wird.

Bei den letzten Wahlen

Frankreich unter dem Kaiserreich

worden,

dass mehrfach

Städte, die theilt

die

ist

dadurch erreicht

Bevölkerung selbst grösserer

überwiegend republikanisch gesinnt war, so

und mit der ackerbauenden Bevölkerung,

listisch

zer-

die imperia-

war, vermischt wurde, dass in den meisten einzelnen

Wahldistricten die imperialistische Partei die Majorität

er-

und der Regierungscandidat gewählt wurde 2 ). Es ist auf diese Weise gelungen, die Bevölkerung grosser Städte, wie z. B.Bordeaux mit seinen 160 —170,000 Einwohnern, als hielt

ich bin aus dem Departement Ille- et- Vilaine oder aus dem Departement de TAin". (Rede von L. Blanc in der französischen Nationalsagt:

versammlung am

31. Juli

1871.



Siehe A. A. Zeitung

vom

5.

Nr. 217, p. 3862.) 1)

Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

II,

2) Historisch-politische Blätter Bd. 63 (1S69 Bd.

p. I),

513. p, 1005.

August.



219



städtische d. h. als überwiegend republikanische Bevölkerung in

den Wahlen ganz verschwinden zu

lassen.

Solche weittragende Beeinflussung der politischen

durch die Regierung, geübt wird

;

wo der

die überall

mehr oder weniger

politische Unterschied

Landbevölkerung nicht festgehalten

Wahlen

ist,

aus-

von Stadt- und

wodurch dann grosse

Minoritäten ganz todt gemacht werden und wodurch schliesslich

das Volk

demoralisirt

kann

wird,

nicht

vorkommen,

wo man den politischen Unterschied zwischen Stadt und Land festgehalten hat, wo, wie z. B. im ehemaligen Königreich Hannover, für die Wahlen zur IL Kammer eine gewisse Anzahl von Deputirten von den Städten für sich und ebenso

von den ländlichen Gemeinden gewählt wurden und für diese

Wahlen

die

städtischen,

Wahlbezirke auf der einen Seite nur von der auf der anderen nur

von der ländlichen Be-

völkerung gebildet werden konnten.

Und man

gewiss

gesetzen für die die

ist

es ein grosser

politischer Fehler,

wenn

neuerdings mehr und mehr in Verfassungen und Wahl-

Wahlen zu den

einzige noch festzuhaltende

Gesellschaft, der

städtischen

legislativen

Versammlungen

organische Gliederung der

und ländlichen Bevölkerung,

aufgiebt und dafür allein eine neue Eintheilung des Terri-

toriums nach der Einwohnerzahl an die Stelle setzt. Allgemein wird dadurch das ländliche Element benachtheiligt, da die ländliche Bevölkerung,

Vermischung mit der

als

politisch

die mehr passive, in ihrer mehr rührigen städischen Be-

völkerung überstimmt zu werden

pflegt.

Achtes Capitel.

Numerisches Verhältniss der beiden Geschlechter bei den Geborenen. Wir haben kerungen

schon bei der Betrachtung des numerischen

der

Verhältnisses

177

(S.

beiden

— 178)

Geschlechter

numerische

Verhältniss

man

Süssmilch hat zuerst das

Geschlechter unter

der

Er

geborenen genauer beachtet. auf 100 Mädchen 104

unseren Bevöl-

gesehen, dass überall mehr Knaben

Mädchen geboren werden.

als

in

— 105 Knaben

geboren werden und dass

das Verhältniss von 20 Mädchen zu 21

den Neugeborenen

als

ein

Man

Knaben

dem wahren Gesetze

kommendes annehmen könne

den Neu-

fand, dass durchschnittlich

unter

sehr nahe

1

).

hat in neuerer Zeit sich viel damit beschäftigt, das

Wappäus

Zahlenverhältniss noch genauer zu ermitteln. als Mittelverhältniss für

Rechnung gründet 58 Vi Millionen

sich

hat

Europa 100 106,31 gefunden. Diese auf die Beobachtung einer Zahl von

Geborenen

:

in

den

grösseren

europäischen

Ländern, in welchen hinlänglich genaue Geburtenlisten geführt werden, so dass das Verhältniss als ziemlich feststehend

anzusehen

Das

chen. als die

1)

ist.

ist

Das wären

also

nahe 17 Knaben auf 16 Mäd-

eine etwas grössere Proportion der

von Süssmilch gefundene.

Doch

Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

Knaben

erscheint seine Be-

II,

p.

150,



221

rechnung sehr genau, wenn

Kinder

in

Kechnung



man nur die lebendgeborenen ist kaum noch nöthig, hierbei

Es

zieht.

zu bemerken, dass diese Regel sich nur bei grösseren Be-

völkerungen herausstellen kann.

Bei einzelnen Familien zeigt

davon bekanntlich keine Spur. Auch bei kleinen Bevölkerungen, z. B. der einer massigen Stadt, zeigen sich in sich

den einzelnen Jahren unter den Geborenen die grössten Un-

Je weiter man aber die Beobachtung der und dem Räume nach ausdehnt, desto bestimmter tritt

regelmässigkeiten. Zeit

das gesetzliche Verhältniss hervor.

Z. B. in

Göttingen in

den einzelnen Kirchspielen.

Die bisherigen genaueren Untersuchungen beziehen

sich

auf die europäischen Staaten, also auf Bevölkerungen

alle

der gemässigten Zone und ein- und derselben Racö.

Es

fragt sich noch, ob dies Verhältniss für alle Menschen-

racen und sich

auch für

alle

Klimate

gilt.

noch nicht so sicher beantworten.

Diese Frage lässt Indess

ist

nach den

bisherigen Untersuchungen wohl schon mit grösster scheinlichkeit anzunehmen, dass auch in tropischen

mehr Knaben

überall

als

auch die Regel bei allen

Die Resultate,

die

statistik mitgetheilt hat,

Ländern

Mädchen geboren werden und das Racen ist 1 ).

Wappäus

in

seiner Bevölkerungs-

sind durch die neueren Daten be-

welche seitdem publicirt worden sind.

stätigt,

Das angegebene

Verhältniss

ist

ein allgemeines Mittel-

Die genauen Untersuchungen haben ergeben,

verhältniss.

1)

Wahr-

Laplacc, Theorie des propabilites (Oeuvres T. VII, introduction



Heureusement Humboldt n'a point neglige cet objet dans Timmensite des choses nouvelles qu'il a observees et recueillies en Amerique avee tant de sagacite, de constance et de courage. II a retrouve p.

LV.

entre les tropiques le

meme

rapport des naissances des garcons et celles

que Ton observe a Paris, ce que doit faire regarder la superiorite des naissances masculines comme une loi generale de Fespece Siehe Anzeige von Keferstein von M. Thury, Ueber humaine. das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter bei den Pflanzen, den Thieren und den Menschen etc. Leipzig 1864, 8. in G. G. Anzeigen des

filles



L864, S.

269

ff.



222



und auch nicht demselben und Staate ganz constant in einem ist, dass aber die Abweichungen von dem Mittelverhältniss sich innerhalb sehr enger Grenzen halten. Am höchsten hat es sich nun dass das Verhältniss nicht in allen Staaten

nach Durchschnitten von 20 Jahren ergeben in Hannover, nämlich 107,18 100, am niedrigsten in England 105,5 100. Ebenso schwankt es in einem und demselben Lande in :

:

verschiedenen Perioden. Trotz dieser Schwankungen behalten

doch die einzelnen Länder ihren besonderen, mehr duellen Character.

Lande

kleine

Ferner

constante

kommen

in

indivi-

einem und demselben

Abweichungen

verschiedenen

in

Kategorien der Geburten vor, bei ackerbauender und in-

Bevölkerung, bei ehelichen und unehelichen Ge-

dustrieller

burten.

Bei der ackerbauenden Bevölkerung

hältniss

der

Knaben

durchschnittlich

grösser

ist

als

das Verbei

der

und ebenso findet sich allgemein unter den ehelich Geborenen das Verhältniss der Knaben durchschnittlich Die merkwürdige Ergrösser als unter den unehelichen. scheinung, dass überall mehr Knaben als Mädchen geboren werden, hat, seitdem dieselbe als vollkommen sicher festgestellt worden, viele Untersuchungen und Hypothesen über Durch die die Ursachen dieses Verhältnisses hervorgerufen. Beobachtung, dass in England in Gegenden mit niedriger Heirathsfrequenz d. h. wo im Verhältniss zur Bevölkerung industriellen

,

wenig Heirathen geschlossen werden, das Verhältniss der

Knaben unter den Geborenen grösser sich stelle als in Gegenden mit höherer Heirathsfrequenz, wurde der Engländer Sadler auf die Vermuthung geführt, dass der Unterschied in

dem

relativen Alter der Eltern

bestimmend

schlecht der erzeugten Kinder sein könne.

nämlich so

:

da,

wo

die Heirathsfrequenz niedrig

seinen

Grund vornehmlich

wird.

Die Verspätung der Heirath

geheirathet weil

die

geschieht

zur Ernährung

Ge-

ist,

hat dies

darin, dass dort später geheirathet trifft

wiegend nur den Mann, nicht die Frau. wird,

für das

Sadler schloss

einer

dies

aber ganz über-

Denn wo

hauptsächlich

Familie

später

darum,

nothwendigen

Be-





223

dingungen und Mittel schwer zu erlangen

sind.

Die Ver-

spätung der Verheirathung der Frau wird durch dieselbe

Ursache nicht bei solchen

bewirkt wie beim

so

Manne und

folglich wird

Bevölkerungen mit geringer Heirathsfrequenz die

Differenz im Alter zwischen den beiden Ehegatten grösser sein

als

Wenn

da,

wo

durchschnittlich früher

geheirathet

Knaben

geringer Heirathsfrequenz das Verhältniss der

den Geborenen grösser seinen

wird.

nun, schloss Sadler weiter, bei einer Bevölkerung mit

ist,

so könnte das

unter

wohl eben darin

Grund haben, dass dort in der Ehe der Mann durchan Alter die Frau übertrifft. Um diesen Einfluss

schnittlich

des relativen Alters der Eltern auf das Geschlecht der er-

zeugten Kinder näher zu untersuchen,

stellte

Sadler nach

den Geschlechtsregistern der Peerage des britischen Reiches

von 381 Ehen zusammen, bei welchen sich

das Ergebniss

das Alter der Ehegatten angegeben fand und aus welchen

2068

Kinder

population.

hervorgegangen

London

1830).

waren

The law

(vergl.

of

Diese Untersuchung ergab, dass

Mann jünger war als Knaben und 141 Mädchen geboren wurden,

auf 54 dieser Ehen, in welchen der die Frau,

auf

122

18 Ehen,

in

welchen die Eheleute

gleich

alt

waren,

54 Knaben und 57 Mädchen und auf 309 Ehen, in denen der

Mann

Frau an Es zeigte

die

765 Mädchen. das

Geschlecht

Geschlecht der

Das

Resultat

einstimmte

des

Alter übertraf,

929 Knaben und

sich also in der

That darnach, dass

älteren Theils

erzeugten Kinder

war um

mit einer

der Ehegatten in

dem

das Uebergewicht hatte.

so interessanter,

als

es

ähnlichen Untersuchung,

ganz überwelche

um

dieselbe Zeit Prof. Hofacker in Tübingen, ganz unabhängig

von der Untersuchung Sadlers nacli den Familienregistern Tübingens angestellt hatte („Ueber Eigenschaften, welche sich bei

Menschen und Thieren vererben." Tübingen 1828). Indess war gegen das übereinstimmende Ergebniss dieser

Untersuchungen noch einzuwenden, dass

sie

beide doch nur

eine zu kleine Zahl von Koobachtungen umfassten, eine allgemeine Regel

festzustellen.

um

darnach

Deshalb nahm Göhlert

— in

Wien



224

diese Untersuchung wieder auf.

Er unterzog

sich

der mühevollen Arbeit, aus 25 Jahrgängen des Gothaischen

953 Ehen aus

genealogischen Kalenders das Resultat von

den fürstlichen Familien der europäischen zustellen ,

Und

in

Länder zusammen-

welchen 4584 Kinder geboren worden waren.

Untersuchung,

den

Sitzungs-

berichten der historisch-philosophischen Classe der

Akademie

diese

zu Wien,

12.

Band

veröffentlicht

1854, stimmte

von Sadler und Hofacker

in

In vergleichender Darstellung

in

dann auch wieder mit der zusammen.

ihrem Ergebniss

ist

das Ergebniss dieser Unter-

suchung folgendes:

Auf 100 Mädchen wurden geboren: Hofacker

Sadler

Mittel nach allen beobach-

Gölilert

teten Fällen

Mann jünger als Frau 90,6% Mann und Frau gleich alt 92,0 „ Mann älter als Frau 117,8,, Später hat Göhlert in

86,5

%

82,6

0 0

88,2

°/

0

94,8 „

93,9 „

93,5 „

121,4,,

108,2,,

113,0,,

dieser Beziehung

noch

nahezu

2300 Ehen aus der Landbevölkerung in Oesterreich nach

Kirchenbüchern untersucht und diese Regel wieder bestätigt gefunden. Siehe kleine Broschüre: Statistische Untersuchungen

über die Ehen.

Nach diesen

Wien

1870.

in wirklich überraschender Weise so sehr über-

einstimmenden Ergebnissen dieser Untersuchungen dürfte man als

höchstwahrscheinlich annehmen: dass die Altersdifferenz

der Eltern in der Art auf das Sexual- Verhältniss unter den

erzeugten Kindern einwirkt, dass unter diesen das Geschlecht

Ehegatten das Uebergewicht

des

älteren Theiles

Man

hat dies das Sadler-Hofacker'sche Gesetz genannt. Dar-

der

hat.

nach würde das allgemeine Uebergewicht der Knaben unter den Neugeborenen überhaupt dadurch zu erklären sein, dass allgemein in unseren Staaten der die Frau.

Dies

ist

Mann

später heirathet als

wiederum begründet einmal

in der

phy-

sischen Natur des Menschen, indem das männliche Geschlecht

später zur Reife gelangt als das weibliche, vorzüglich aber.

— oder praktisch eigentlich



225

allein, in

den socialen Verhältnissen in

Staatsgesellschaften,

der civilisirten

Mann

welchen der

wegen der zur Ausbildung für einen bestimmten Lebensberuf erforderlichen Zeit und wegen der zur Ernährung einer Familie nothwendigen Ansammlung von Mitteln und Kenntnissen durchschnittlich

erst

viel

später

zur Verheirathung

gelangt, als das weibliche Geschlecht.

Es

soll

aber nun nicht behauptet werden, dass hiermit

das sogenannte Sadler-Hofacker'sche Gesetz schon wirklich

Beobachtungen des Prof. Breslau, Directors

bewiesen wäre.

Dank

der Entbindungsanstalt zu Zürich, die sehr den Statistiker verdienen,

ten Beobachtungen

haben,

eröffnet

weil

über

sind

für

sie

den

diesen

Weg

der

zu ferneren direc-

Gegenstand

interessanten

ungünstig

obiges Resultat

aus-

gefallen.

Auf Veranlassung

Breslaues wurden nämlich, als im Jahre

1860 im Canton Zürich neue Tabellen für die Berichte sämmtlicher

Hebammen

schoben,

ausgefertigt wurden, zwei

betreffend

das Geburtsjahr

Mutter der Geborenen.

des

Rubriken einge-

und der

Vaters

Auf Grund der durch

diese Tabellen

erhobenen Daten unterwarf Breslau die im Jahre 1861 im

Canton Zürich vorgekommenen Geburten einer Untersuchung in Betreff des Einflusses der Altersverschiedenheit der Eltern

auf das Geschlecht der Kinder. Diese mit einer allgemeinen Revision

des

sogenannten

Sadler-Hofacker'schen

verbundene gründliche Untersuchung von Breslau

abge-

vom Jahre Band XXI, Supplementheft, herausgegeben von Crede

druckt 1863,

Gesetzes ist

der Monatsschrift für Geburtskunde

in

Die Zahl sämmtlicher Geburten war 8084 und der Mädchen zu den Knaben wie 100:106,6, also ganz normal. Die Zahl der geborenen Kinder, von deren Eltern der Vater älter war als etc. Berlin.

bei diesen das allgemeine Verhältniss

die Mutter, betrug 5797

100:103,9.

und dabei war das Verhältniss wie

Die dagegen, deren Vater und Mutter gleich

alt,

wo

der

585, das Verhältniss 100:103,1

Vater jünger

Wapp

il

u

s

als

die

Mütter,

und

die derjenigen,

1702

und

das 15

Verhältniss





226

Diese Untersuchung bestätigte nicht das soge-

100:i 17,6.

nannte Sadler-Hofacker'sche Gesetz, es zeigte vielmehr gerade

Es

das Gegentheil.

Hofacker'sche

fragt sich nun, ist dadurch das Sadler-

Gesetz

Das

widerlegt?

ist

durchaus nicht

der Fall; es folgt höchstens daraus, dass noch weitere Beob-'

achtungen

nöthig

sind,

um

Frage nach dem Einfluss

die

des relativen Alters der Eltern auf das Geschlecht der Kin-

Die

der zu entscheiden.

bis jetzt der

Beobachtung unter-

worfenen Zahlen sind jedenfalls noch zu klein, eine allgemeine Regel als bewiesen abzuleiten.

daraus

und Göhlert beobachteten Fälle umfassen

ler-Hofacker

sammen

um

Die von Sadzu-

8648, mit Hinzurechnung der 1870er Untersuchung

von Göhlert 23,000, die von Breslau 8084. Die ersten sind zahlreicher, überdies beziehen sich die von Breslau nur auf ein einzelnes Jahr.

kann die

Wie

sich aber auch bei

bei den

dem

Geborenen überhaupt,

Regel wohl in einzelnen Jahren verbergen.

fortgesetzte Beobachtung,

so

hier untersuchten Verhältniss

Erst eine

die Operation mit viel grösseren

Zahlen, kann hier entscheiden.

Schliesslich

muss das Sad-

ler-Hofacker'sche Gesetz für höchst wahrscheinlich gehalten

Einmal weil

werden.

wo

es dafür

auch indirecte Bestätigungen

nämlich durch die Erscheinung, dass in den Ländern,

giebt,

der

Mann

durchschnittlich spät heirathet, die allgemeine

Proportion der Knaben unter den Geborenen grösser

ist, als

den Ländern, wo die Männer durchschnittlich früh heirathen

Zum tigkeit

ist.

in 1

).

andern, weil das Gesetz teleologisch von Wiclftig-

Dasselbe giebt uns einen deutlichen Fingerzeig

über den eigentlichen Zweck der Ueberzahl der männlichen Geburten, wie wir noch sehen werden. Hier möge des allgemeinen Interesses wegen beiläufig die physiologische Seite

Frage berührt werden, nämlich die, ob physische Factoren und welche bestimmenden Einfluss haben auf das numerische Sexualverhältniss der Geburten. Es ist dies freilich eine Aufgabe der Naturwissenschaften und nicht der dieser

1)

Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

II,

p.

306. 307.



227



Die Statistik kann aber die darüber aufgestellten

Statistik.

Wappäus

Lehren der Naturforscher prüfen.

hat dies mit

Hypothese des Physiologen Ploss ausgeführt, welche

einer

letzterer

über die Factoren aufgestellt

hat, die das

Geschlecht

Embryo bestimmen. Erschienen in der angeführten Monatsschrift Band XH, 1858, und daraus in einer besonderen Abhandlung unter dem Titel: Ueber die das Gedes erzeugten

schlechtsverhältniss der Kinder bedingenden Ursachen. Berlin

1859.

Ploss

nimmt

an, dass

auf die Bestimmung des Geschlechts

mehr Einfluss sei als wiederum bedingt würde

des erzeugten Kindes die Mutter von

der Vater und dass dieser Einfluss

durch die Ernährung während der Schwangerschaft.

Nach Beobachtungen an Thieren glaubt Ploss

schliessen

zu müssen, dass auch beim Menschen die besonders gute Ernährung, welche die Mutter ihrer Frucht gewährt, mehr Aussicht auf ein Mädchen, minder gute aber auf einen Kna-

ben

Da

giebt.

vorzüglich auch

genommen, zu prüfen.

Ploss

zur Untersuchung dieser Hypothese

bevölkerungsstatistische Beweise

so hatte

auch die Statistik die Aufgabe,

Dazu fand

sich völlig

zu Hülfe sie

näher

genügendes Material

in

den Publicationen über die schwedische Bevölkerungsstatistik.

Wir haben nämlich

ein volles Jahrhundert umfassende jährDaten über die Geburten und über die Ernteergebnisse in Schweden, von welchen letzteren die Ernährung eines grossen Theils der Bevölkerung unmittelbar abhängig ist und zwar in Schweden viel mehr als bei uns. liche

Wappäus hat nun durch Vergleichung für eine Periode von 20 Jahren (1770 90), in welchen Schweden wirklich durch Hungersnoth heimgesucht worden, als Ergebniss ge-



Zusammenhang zwischen der ErnähProportion der Knaben zu entdecken ist, ob-

funden, dass gar kein

rung und der

gleich er Einflusjgjftuf die Geburtenzahl zeigt.

Darnach sie

ist

ist'

diese

Hypothese

durchaus

nicht

haltbar;

übrigens später auch von physiologischer Seite zu-

rückgewiesen, namentlich in einer interessanten Abhandlung 15*





228

von Breslau in der von Öesterlen in Zürich herausgegebenen Zeitschrift Hygieine Bd. I

und

ist jetzt

auch von Ploss auf-

gegeben.

Es

sei hier

dass noch andere

darauf hingewiesen,

pothesen über die Erzeugung

der Geschlechter

Hy-

aufgestellt

worden sind. So in einer Schrift von Thury, Professor an der Akademie zu Genf. Die Schrift ist von Professor Pagenstecher (Heidelberg) unter dem Titel herausgegeben: „Ueber das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter bei den Pflanzen, Thieren und den Menschen". Leipzig 1864. Die hierin aufgestellte Hypothese weicht total von der von Ploss ab, sie ist fast das Umgekehrte. Sie ist u. A. von Keferstein widerlegt in einer Anzeige in den Göttinger Gelehrten Anzeigen, Jahrgang 1864, die auch für den Statistiker sehr lesenswerth

Diese

ist

der

1 ).

Statistik

eigentlich

fern

liegenden

physio-

logischen Hypothesen oder Lehren über die Entstehung der

Geschlechter Statistik

sind

hier

erwähnt worden,

von der grössten Wichtigkeit

ist,

weil

es

für

die

daran festzuhalten,

dass das numerische Verhältniss der beiden Geschlechter bei der Geburt

durch ein Gesetz geregelt wird, über welches

der Mensch direct keine Macht hat.

Nach den angeführten

Hypothesen sowie nach den älteren physiologischen Lehren

würde

es

dem Menschen möglich

sein, einen Einfluss

geschlechtsbedingenden Factoren auszuüben. die

ganze

welche

zukommt,

in sich zusammenfallen.

Seit

haben Naturforscher wie Philosophen über die

Aristoteles

Gründe und

Verhältnisse, welche das Geschlecht des

bestimmen, vergeblich geforscht.

Mag nun

in

Embryo

Zukunft die

immer tiefer eindringen, so dürfte doch festdass das Problem niemals in der Weise gelöst werden

Forschung

1)

Bedeutung,

Verhältniss der Geschlechter bei der Geburt, wie

es sich ergeben hat,

stehen,

Damit würde

statistische oder vielmehr teleologische

dem

auf die

Siehe

hier

hier

auch

die

überwiegend physiologische Schrift von Entwicklung des männlichen und

E. Banst: Die Ursachen, welche die

weiblichen Geschlechts bedingen.

Stuttgart 1871.

— wird, dass der die dabei



229

Mensch dadurch irgend

niss der beiden Geschlechter bei steht,

eine Herrschaft über

Denn

wirkenden Factoren erlangt.

das Verhält-

den Geburten, wie

dem muss. Es

hat offenbar einen bestimmten Zweck, der

des einzelnen Menschen entzogen bleiben

es be-

Einfluss

hat den

Zweck

der Erhaltung des menschlichen Geschlechts und ein

solcher

Zweck kann

Individuums

nicht

wiederum

gegeben

selbst

in die

Machtsphäre des

Es herrscht

werden.

Sexualverhältniss der Geburten ein höheres Gesetz, es

nun

ein Naturgesetz

Der Zweck

in

dem

mag man

oder ein göttliches Gesetz nennen.

aber, der durch die Proportion der Geschlechter

unter den Geborenen zunächst erreicht Avird,

Herstellung

ist:

und Erhaltung des numerischen Gleichgewichtes zwischen den beiden Geschlechtern innerhalb der wichtigsten Altersclassen.

Es

ist

schon früher bei der Betrachtung des Standes

der Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht, dass bei der

Gesammtbevölkerung das weibliche Geschlecht etwas überimmer nur wenige Procente beträgt. leicht einzusehen, von welchem Es ist wiegt, dass aber das Uebergewicht doch

Nachtheil es physisch

wie

sittlich

sein

würde,

wenn das

numerische Gleichgewicht der beiden Geschlechter dauernd sehr

würde und besonders wenn

erheblich gestört werden

diese Störung diejenigen Altersclassen träfe, welche physisch

und

social die wichtigsten sind,

nämlich die mittleren.

Um

in diesen Altersclassen das Gleichgewicht zu erhalten ist es

nothwendig, dass mehr Knaben als Mädchen geboren werden

und zwar deshalb, grösser

ist

weil die Sterblichkeit unter den

als unter

Knaben

den Mädchen, was seinen bestimmten

physischen Grund zu haben scheint, auf den hier nicht weiter

eingegangen werden kann. der

Knaben

statistischen

grösser

ist

Dass aber überall die Mortalität als die der Mädchen, zeigen die

Untersuchungen

Bestimmteste.

auf das

Uebergewicht der Mortalität der Knaben

Geburt und nimmt

ist

am

Das

grössten vor

Dass

und

bei der

dies

der Fall, zeigt schon die sehr grosse Proportion der

erst

Knaben unter den Todtgeborenen.

allmählich ab.

Von den todtgeborenen

— Kindern 140

:

ist



Knaben zu den Mädchen wie

die Proportion der

während

100,

230

den Geborenen über-

die Proportion unter

haupt nur wie 106,31

100

:

Diese grössere Sterblichkeit

ist.

dauert auch unter den lebend Geborenen längere Zeit

fort,

das Missverhältniss nimmt aber fortwährend von Monat zu

Monat ab. Durch diese grössere Sterblichkeit unter den Knaben in den ersten Lebensjahren wird das Missverhältniss Die

allmählich ausgeglichen.

Zeit,

zu welcher

somit

ein

dem

wirkliches numerisches Gleichgewicht dadurch zwischen

männlichen und weiblichen Geschlecht in

gewiss,

dass

der Altersperiode

in

physischen Reife Verhältniss

man

der beiden

aber

nach

der

unmittelbar

das numerische

Geschlechter

dem Gleichgewicht am nächsten kommt, so dass Zweck des in diesen Verhältnissen

diese Periode.

ist:

Auch

Herstellung des Gleichgewichtes für

den nächsten Jahren nach Ein-

ist in

der Pubertät die Sterblichkeit eine gleiche bei beiden

Geschlechtern und 20.

viel scheint

sagen kann, der

waltenden Gesetzes

tritt

So

dabei

eine

sehr

Etwa vom

niedrige.

Jahre an wird die Sterblichkeit wieder grösser, vornehm-

lich

aber beim männlichen

Es

Geschlecht.

diese Altersperiode diejenige, welche für den

bedeutende Rolle schaftlichkeit,

sich

spielt.

Es

es ist die

ist

sich

und selbständig

Es

ist die Zeit,

Tendenz zu Verbrechen, oder besser

ausgedrückt, die Gefahr, Verbrechen zu begehen,

Physische und

ge-

wie wir noch sehen werden,

in der Moralstatistik auszeichnet.

in der die sogenannte

eine sehr

Sturm- und Drangperiode, in der

der Character erst durcharbeiten

auch

überhaupt

ist

Mann

das Alter der grössten Leiden-

stalten soll; ein Alter, welches,

ist.

wohl

variirt

eintritt,

den einzelnen Bevölkerungen etwas.

Factoren wirken

sittliche

diese Altersperiode für das

am

grössten

zusammen,

männliche Geschlecht zu einer

der gefährlichsten zu machen.

Nach dem

24.

Jahre wird dagegen die Sterblichkeit beim

weiblichen Geschlecht wieder ungünstiger

und das dauert der Wochenbetten in

lichen

fort bis

dieser

als

beim männ-

etwa zum

45.

Periode.

Dadurch wird der

Jahre

als

Folge

231



Unterschied in der numerischen Vertheilung der beiden Geschlechter,

der durch die grössere Sterblichkeit des männ-

lichen Geschlechts in den bezeichneten vorhergehenden Alters-

stufen hervorgebracht wurde, wieder ausgeglichen,

im Ganzen

in

so

dass

den Altersclassen zwischen 17 und 45 Jahren,

also in der wichtigsten Periode in

Bezug auf das Zusammen-

leben beider Geschlechter, nahezu numerisches Gleichgewicht unter ihnen zu herrschen pflegt.

Das

ist

freilich nicht so

zu verstehen, dass in jedem Alter vollkommene Gleichheit der Zahl zwischen beiden Geschlechtern stattfindet, das

ist

unmöglich wegen der störenden Factoren, deren Wirkung

werden kann, das wäre auch zwecklos für das, was durch das Gleichgewicht im Allgemeinen erreicht werden soll. Das ist aber gewiss, dass während dieser wichtigsten Altersperiode, als ein Ganzes genicht unmittelbar wieder aufgehoben

nommen, grössere

Gleichheit stattfindet,

lichen Gleichheit viel in

d. h.

ein der wirk-

mehr genährtes Verhältniss besteht als Das bestätigen

den höheren und niedrigen Altersclassen.

Volkszählungen überall, wo nicht ausserordentliche Stö-

die

rungen stattgefunden haben, und das Verhältniss zu erreichen

muss eben

als

das Hauptwerk der ganzen, das Sexualver-

Geborenen und den Sterbenden regulirenden Ordnung hervorgehoben werden. Wir haben schon früher gesehen, dass bei der Gesammt-

hältniss unter den

bevölkerung mit wenigen

als

Ganzes betrachtet das weibliche Geschlecht in der Mehrzahl zu sein pflegt,

Ausnahmen

obgleich überall weniger den.

Das kommt

Mädchen

als

Knaben geboren wer-

daher, dass, weil in unseren Bevölkerungen

der Beruf der Männer im Ganzen aufreibender der Frauen, nach

dem

45.

ist,

als

der

Lebensjahre sich das Sterblich-

keitsverhältniss überall wieder zu Gunsten der

Frauen wendet

und das dauernd bleibt. Die mitgetheilte Regel oder das Gesetz über die Vertheilung der beiden Geschlechter in unseren Bevölkerungen ist einfach ein Resultat der Beobachtungen und als solches feststehend,

unabhängig von Hypothesen.

Können wir nun



232



noch die Hypothese über die Ursachen des Uebergewichtes der

Knaben

unter

den Geborenen, das sogenannte Sadler-

für mehr als eine blose Hypothese annehmen, so würden wir dadurch auch Aufschluss über die

Hofacker'sche Gesetz,

Mittel erhalten, welcher die sich bedient,

da,

worden, dasselbe

Natur oder die höhere Ordnung

wo das Gleichgewicht erheblich gestört wieder herzustellen. Denken wir uns nun

eine bedeutende Störung des natürlichen numerischen Gleich-

gewichtes, viele

z.

B. in Folge langer verheerender Kriege, die

Männer weggerafft haben.

Davon

ist

die Folge, dass,

abgesehen von der Minderzahl der Männer, diese auch durchschnittlich

bedeutend

später

heirathen

werden

als

die

Die Auswahl ist für die Männer grösser als für Mädchen, es werden deshalb viel mehr ältere Männer auf junge Frauen Anspruch machen können als in gewöhnlichen Zeiten. Es werden deshalb mehr Ehen geschlossen werden, in welchen der Mann die Frau mehr an Alter übertrifft als sonst und die Folge muss sein, dass das Verhältniss der Knaben unter den Geborenen grösser wird. Nach den Napoleonischen Kriegen war in Frankreich und Deutschland in der Gesammtbevölkerung die Ueberzahl des weib-

Mädchen. die

lichen Geschlechts

Missverhältniss

sehr gestiegen

mehr und mehr

1

).

Ueberall hat sich das

ausgeglichen.

Wodurch

geschehen, könnten wir uns nach unserer Hypothese

kommen

das voll-

wenn wir annehmen, dass mehr ältere Männer junge Mädchen geheirathet haben, als dies sonst der erklären,

Fall zu sein pflegt.

Durch das Sadler-Hofacker'sche Gesetz würde sich auch noch die merkwürdige Erscheinung erklären, dass in Ländern, wo Vielweiberei im grösseren Umfange herrscht, wo also vielfach der Vater

1)

viel

älter

als die

Mutter sein wird,

Nach verheerenden Kriegen soll die Fruchtbarkeit des weiblichen und vermehrte Fälle von Zwillingsgeburten

Geschlechts grösser werden

Das wird als ein Beweis des Unbewussten (oder des lnangeführt in einer interessanten Anzeige von Hartmann's Philosophie des Unbewussten im Neuen Reich 1871, Nr. 3$, S. 44.

eintreten. stinctes)

— unter

-

233

der Gesammtbevölkerung

das

männliche Geschlecht

wenn nach der Präsidentschaft Agrae im bri-

das weibliche sehr zu übertreffen pflegt. einer Volkszählung

in

tischen Indien das Verhältniss

zur weiblichen wie 100

Das die

:

88

80

z.

B.

der männlichen Bevölkerung

ist.

zeigt aber auch wieder, wie die Vielweiberei

Natur

ist,

denn

durch diese

weiblichen Geschlechts verletzt.

gegen

wird die Proportion des

Neuntes Capitel.

Verhältniss der Heirathen zur

Gesammt

bevölkerung.

Bei der

noch

ist

Man

Bewegung der Bevölkerung im weiteren Sinne

das

nennt

Verhältniss

der Heirathen

das Verhältniss

der

zu betrachten

1

).

Heirathen zur Gesamnit-

bevölkerung die Trauungsziffer oder die Heirathsfrequenz, (Matrimonialite der neuen

französischen

Verhältniss wird in derselben

ausgedrückt. pflegt

man

Den

Weise Werth

statistischen

sehr hoch anzuschlagen.

sehr genau aus, indem

geschlossenen

Ehen

immer

Das

wie die Geburtenziffer

die Heirathsfrequenz drücke

lich,

Statistiker).

die

dieses Verhältnisses

Man

behauptet gewöhn-

den Grad der Prosperität Zahl der in einer Periode

die Wahrscheinlichkeit ausdrücke, welche

Bezug auf das Gedeihen einer neuen (Vergl. v. Hermann, Ueber die Bewegung der Bevölkerung im Königreich Bayern. München 1863.) Im Allgemeinen ist das zwar richtig. Im Ganzen wird sich die Zahl der Trauungen vornehmlich richten nach

zu

dieser Zeit

in

Familie im Lande bestehe.

der grösseren oder geringeren Leichtigkeit, mit welcher die

zur Unterhaltung mittel

1)

zu

einer Familie

beschaffen

sind."

nothwendigen Subsistenz-

Demzufolge

zeigt

ein

grosses

Siehe hier: Die Eheschliessungen in Elsass - Lothringen in den 1876. Ein Beitrag zur vergleichenden Statistik der Ehe-

Jahren 1872



schliessungen in Europa von Wilhelm Stieda.

Strassburg 1879.





235

Verhältniss der jährlichen Trauungen allerdings einen gün-

volkswirthschaftlichen Zustand

stigen

man

an und insofern hat

nicht ganz mit Unrecht die Heirathsfrequenz ein sicheres

Barometer für die

in

Bezug auf das Gedeihen

Familie bestehenden Hoffnungen genannt.

einer neuen

Allein ganz ab-

gesehen davon, dass es auch leichtsinnige Hoffnungen giebt, ist

das Verhältniss der Trauungen doch auch wieder von

Factoren abhängig, welche allgemeine Prosperität

theils

gleichgültig sind für

einer Bevölkerung,

theils

die

sogar als

negative Zeichen derselben angesehen werden müssen. Erstens

nämlich zeigen die Untersuchungen, dass die Heirathsfrequenz unter

die

allen

Bewegung der Bevölkerung

Verhältnissen

am

Nationalität.

So zeigt

in

Europa

in

meisten es

abhängig sich,

dass

ist

die

betreffenden

von Klima, Race, Heirathsfrequenz

den südlichen wärmeren Ländern mit Bevöl-

kerungen romanischen Stammes durchgängig grösser ist als Es ist dies bei nördlichen germanischen Bevölkerungen. zu erklären. Einmal gehört in jenen Ländern und Bevölkerungen des südlichen Europas in Wirklichkeit nicht so viel dazu, um eine neue Familie zu gründen und zu erleicht

Die nothwendigsten Lebensbedürfnisse sind dort und weniger und schon deshalb kann dort die Heirathsfrequenz grösser sein, ohne das deshalb die allgemeine Prosperität grösser ist. Ueberdies wird aber auch wohl dort nähren.

einfacher

allgemein leichter, mit weniger Ueberlegung die eines

neuen Hausstandes unternommen,

wo

wäre, die Verheirathung aufzuschieben oder

es

Gründung gerathener

ganz

unver-

heirathet zu bleiben.

Es

und unberechtigte Gründe für die Es lässt sich nicht verkennen, dass die Ehelosigkeit im Ganzen zunimmt. Dies geschieht auch zum Theil wohl aus unberechtigten Motiven. Es kommt immer mehr vor, dass Männer nicht heirathen, um, wie sie zu sagen pflegen, so das Leben besser gemessen zu können, bequemer giebt berechtigte

Ehelosigkeit.

leben zu können, der Sorge überhoben zu sein, welche die

Familie fordert und so ihr Leben zu verlängern.

Dazu

ist

i



236



bemerken, dass solche egoistische Rechnung eine Rechnung ist. Statistische Untersuchungen, sowohl ältere wie von Caspar in Berlin, wie neuere von William Farr in London ergeben, dass die Sterblichkeit der Hagebeiläufig zu

falsche

stolzen

grösser

als

ist

die

der Familienväter,

trotz

ihrer

vollkommen berechtigte und

selbst

grösseren Sorgen und Lasten. Indess, es giebt auch

gebieterische, in den socialen Verhältnissen tive

für den

Mann,

die

gegründete Mo-

Verheirathung aufzuschieben oder

Dazu berechtigt und verpflichtet Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, bei den immer steigenden Ansprüchen des Lebens eine Familie zu ernähren. Auch aus solchen Gründen nimmt die Ehelosigkeit zu und solchen Motiven wird in nördlichen Ländern mit germanischer Bevölkerung gewiss viel öfter das gebührende Recht gegeben, ganz darauf zu verzichten. die

als in südlichen

mit romanischer Bevölkerung, was die Hei-

rathsfrequenz in diesen, jenen gegenüber, steigern muss.

Endlich

ist

eine grössere Heirathsfrequenz in den süd-

Ländern auch mit dadurch bedingt, dass dort überhaupt etwas früher geheirathet wird wegen der früher ent-

lichen

wickelten physischen Reife.

Aus allem diesem

folgt

schon,

dass die Heirathsfrequenz nicht als gleichnamiger Massstab

von Ländern mit wesentlich verschiedenem klimatischen und nationalen Character dienen kann. Zu diesem kommt nun aber noch ein Umstand hinzu, weshalb die Trauungsziffer überhaupt nicht geradezu der ProsEs ist dies perität proportional angesehen werden darf. der Umstand, dass die Trauungsziffer auch von der Morta-

für die Vergleichung

lität

abhängig

ist

und zwar

in der

Weise, dass eine ver-

grösser te Mortalität geradezu eine Steigerung der Heiraths-

frequenz bewirken kann, somit also eine

Zunahme

der

letz-

teren geradezu durch einen negativen Factor der Prosperität

bewirkt wird.

Die Untersuchungen über

die

Veränderungen

in

der

Heirathsfrequenz ergeben nämlich, dass unmittelbar nach ver-

heerenden Epidemien und wenn dieselben länger andauern



237



schon während der Herrschaft derselben die Heirathsfrequeriz

wächst und her,

oft sehr

bedeutend.

Das

rührt vornehmlich da-

dass durch die gesteigerte Mortalität auch viele

Ehen

werden durch den Tod des einen der beiden Ehegatten, wodurch dann viele Wiederverheirathungen des verwittweten Theiles bewirkt werden, was eine Steigerung Eine bewirkte Steigeder Heirathsfrequenz zur Folge hat. frühzeitig

aufgelöst

rung der

Heirathsfrequenz

ist

aber

unbedingt

nicht

ein

günstiges, sondern ein negatives Zeichen der allgemeinen Prosperität.

Zusammenhang der Heirathsfrequenz

Dieser Mortalität,

mit

der

wie wir ihn hier sehen, macht auch darauf auf-

merksam, dass die Heirathsfrequenz mit der mittleren Lebensdauer einer Bevölkerung im Zusammenhang stehen muss. In

dem

hier betrachteten Fall wird eine Steigerung der

Heirathsfrequenz verursacht durch ungewöhnlich viele Wiederverheirathungen.

Diese Wiederverheirathungen sind die

Folge davon, dass durch die allgemeine gesteigerte Mortalität viele

zeitige

der

Ehen

frühzeitig aufgelöst werden; durch diese früh-

Auflösung der Ehen wird aber die mittlere Dauer

Ehen überhaupt verkürzt und

gleichzeitig natürlich die

wirkliche mittlere Lebensdauer der Bevölkerung überhaupt.

Und

so sehen wir hier eine Steigerung der Heirathsfrequenz

im umgekehrten Verhältniss der mittleren Lebensdauer stehen und das ist ein klarer Beweis, dass die Heirathsfrequenz nicht als zuverlässiger Massstab der Prosperität dienen kann.

Endlich

ist

noch zu bemerken, dass

eigentlich der Heirathsfrequenz nicht

um

man doch auch

ihrer selbst willen,

sondern nur wegen ihrer Wirkung so grosse Bedeutung beizulegen pflegt und dass

Nicht darauf,

man

über diese Wirkung sich täuscht.

dass viele neue Trauungen

vorkommen und

Hochzeiten gefeiert werden, kann es ankommen,

sondern

dass durch diese neuen Trauungen die Proportion der Verheiratheten

unter

der Bevölkerung

erhöht

werde,

Grund der Werthschätzung hoher Heirathsfrequenz.

ist

der

Wer

nun aus einer hohen Heirathsfrequenz auf eine hohe Propor-

— tion der

Verheiratheten

frequenz

für

allerdings

ein

ein

238

schliesst,

hohe Heiraths-

hält eine

Zeichen der Prosperität,

günstiges

hohes



Verhältniss

der Bevölkerung jedenfalls

etwas

weil

der Verheiratheten unter

Wünschenswerthes

und

Günstiges ist. Nun geht aber aus dem vorhin Mitgetheilten auch schon hervor, dass das Verhältniss der stehenden Ehen keineswegs allein abhängig ist von den Trauungen oder

Wenn

Dauer der Ehen ist, werden weniger neue Trauungen erforderlich sein, um eine grössere Proportion der stehenden Ehen zu bewirken und diese auf derselben Höhe zu erhalten. Wenn die mittlere Dauer der Ehen zunimmt, so kann die Heirathsfrequenz sogar abnehmen, ohne dass deshalb das Verhältniss der stehenden Ehen ungünstiger wird, und somit kann unter Umständen eine niedrige Heirathsfrequenz der Heirathsfrequenz.

die mittlere

eine längere

sogar

günstiges

ein

Zeichen der Prosperität

längere mittlere Dauer

eine

derselben

ist

Prosperität,

überhaupt.

der

Ehen und

Denn Zunahme

sein.

eine

ebenso unbedingt ein günstiges Zeichen für die

wie eine Zunahme der mittleren Lebensdauer

Ja

sie ist dies

wohl noch

in

erhöhterem Masse.

Was, wie wir gesehen haben, von dem mittleren Lebensalter gilt, dass es nämlich eine gewisse Höhe haben muss, damit die Cultur nur erhalten werde und dass seine Zunahme einen Fortschritt in der Cultur anzeigt, das

gilt

eben so für

die mittlere Dauer der Ehen.

Sie muss lang genug sein, um die vollständige Erziehung und Ausstattung der darin erzeugten Kinder zu ermöglichen. Ist sie dazu nicht hinreichend, so ist das ein im höchsten Grade nachtheiliges Verhältniss.

Aus allem diesem geht ziffer

also hervor, dass die

Trauungs-

oder Heirathsfrequenz nur einen sehr untergeordneten

statistischen sicht als

Werth hat und namentlich nur mit grosser Vordarf, wenn man durch

Massstab angewendet werden

Vergleichung verschiedene Länder in ihrer relativen Prosperität

beurtheilen will.

die Specialstatistik.

Grösseren Werth hat

sie

nur für

— man

239



Die Heirathsfrequenz ist statistisch sehr interessant, wenn die Trauungen in ihrer Vertheilung auf das Alter der

Getrauten betrachtet und nach trauten Paare

Nur

dem

relativen Alter der ge-

1

).

in einer

Beziehung

erwähnt werden, weil

sie

soll

dem Einzelnen

lungen, die bei

diese Vertheilung hier noch

geeignet

ist,

zu zeigen, wie Hand-

(ganz oder wenigstens über-

wiegend) das Resultat freier Willensentschliessungen

dennoch, wenn

man

völkerung betrachtet,

zeigen und der Willensfreiheit entzogen

Das

ist

zu sein scheinen.

aber deshalb besonders interessant, weil es die Be-

rechtigung der moralischen Statistik beweist, lässigkeit, solche

Gesellschaft bei

dem

)

d.

h. die

Zu-

Erscheinungen im Leben der menschlichen statistischen Calcül

dem Einzelnen auf freier 1

sind,

Handlungen bei einer Staatsbeeine ganz bestimmte Regelmässigkeit

solche

sittlicher

zu unterwerfen, welche Entschliessung beruhen.

Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.

II,

S.

269

u.

ff.

Zehntes Capitel.

Die Moralstatistik.

Die moralische Statistik wird gegenwärtig viel besprochen.

Darüber

aber,

was unter derselben zu verstehen

vielfach noch grosse Unsicherheit. für die Statistik zieht

Niemand

sei,

herrscht

Ihre grosse Wichtigkeit

in Zweifel.

Die Betrachtung der Heirathsfrequenz und insbesondere die des Verhältnisses der Verheirathungen in den verschiedenen Altern zur Zahl der Heirath sfähigen in den betreffenden Altern zeigt

am

Es möge

Statistik.

Besten die Möglichkeit der moralischen hier

dafür nur ein Beispiel aus einem

Lande angeführt werden, .welches Quetelet zum Ausgangspunkt bei seiner Begründung der moralischen Statistik gedient hat und welches sich leicht auch für alle Bevölkerungen nachweisen

lässt.

In den Städten Belgiens betrug nach

der 5 Jahre

1841—45 nach Quetelet

den Männer im Alter von 25

dem Durchschnitt

die Zahl der heirathen-

— 30 Jahren

jährlich im Durchund von diesem Durchschnitt entfernten sich die Extreme nur wenig. Dabei war zu derselben Zeit die durchschnittliche Zahl sämmtlicher unverheiratheter Männer schnitt 2642

in

dem

Alter von 25

Daraus jährlich

2642

— 30

Jahren ungefähr 30,000. von 30,000 Männern dieses Alters heirathen, oder mit anderen Worten, die

folgt,

dass

Heirathsfrequenz oder Trauungsziffer für die Männer dieser



241



oder 0,088 und das

Altersclasse beträgt

scheinlichkeit sich zu verheirathen für einen

von 25

— 30

Jahren.

Wenn

=

wäre diese Zahl qa'aÜa

ist die

Wahr-

Mann im

Alter

alle sich verheirathet hätten, 1

gewesen,

so

Wahrschein-

d. h. die

wäre gleich Gewissheit. Ebenso fand Quetelet für die folgende Altersclasse, für die Männer von 30 35 Jahren, durchschnittlich bei einer Gesammtzahl von 16,708 1554 Heirathen und darnach war lichkeit



die Heirathswahrscheinlichkeit für einen

1554 „

„ „, n

16,708

=

25—30

also

0,093,

etwas grösser

Mann

dieses Alters

für

Männer von

als

Jahren.

Diese Zahlen, welche die Heirathswahrscheinlichkeit aus-

nun

die einzelnen Jahre

drücken,

sind

constant,

dass nach Quetelet's Untersuchungen die jährlich

geschlossenen theilung

in Belgien

für

Ehen der Zahl nach und auch nach

auf die verschiedenen Alter

so

ihrer Ver-

sogar mit grösserer

Regelmässigkeit erfolgen als die Zahl und die Vertheilung der Todesfälle.

Man kann die Zahl und die Vertheilung der dem Einzelnen doch auf dem freien

Verheirathungen, die bei

Willen beruhen, mit grösserer Sicherheit voraussagen,

als die

Zahl und die Vertheilung der Todesfälle, auf die doch der menschliche Wille unmittelbar ohne allen Einfluss

Ausnahme heit

des Selbstmordes, der aber gegen die

der Todesfälle in

seiner

Wirkung auf

ist,

mit

Gesammt-

die allgemeine

Mortalität verhältnissmässig ganz verschwindet.

Diese Regel-

mässigkeit findet sich nun auch bei anderen Bevölkerungen 1).

Hieraus geht nun hervor, dass bei einer grösseren Masse

von zusammenlebenden Menschen Handlungen, welche bei

Am ausführlichsten 1) Siehe hier Wappäus, Bevölkerungsstatistik. hat Quetelet diese Untersuchung behandelt in einer Abhandlung: Sur l'äge et

du T.

l'etat civil

des maries en Belgique pendant

siecle: Extrait des Bullet,

XXV,

No.

Wappäus.

2,

Mars

le

dernier quart

de l'Academie Roy. de Belgique.

1868.



2.

Serie.

— dem Einzelnen von in ihrer

242



der freien Willensentschliessung abhängen,

Gesammtheit

bis

zu einem gewissen Grade der freien

Willensentschliessung des Menschen entzogen und auf ganz

bestimmte

Weise

noch

von

Anderem bedingt

etwas

er-

scheinen.

Um

bei

ganz gewiss oder etwa

von 25

— 30

unserem Beispiel stehen zu bleiben, so hegen in den belgischen Städten weit mehr als 0,088 der dort lebenden unverheiratheten Männer

Jahren den Wunsch, sich zu verheirathen, aber

Der Wunsch oder

die Verhältnisse erlauben es ihnen nicht.

der Wille, sich zu verheirathen und die in den socialen Verhältnissen liegenden

sind i

es,

Hemmungen

zusammen mehr und Gegen diese

des Heirathens

welche bewirken, dass gerade

\

x

,

nicht

Männer jährlich heirathen. Erklärung dürfte wohl Niemand etwas einzuwenden haben. Betrachten wir nun auf dieselbe Weise rein sittliche Handlungen, gute und böse Thaten, so finden wir darin ganz nicht weniger, dieser

dieselbe Regelmässigkeit. statistik

Bis jetzt

noch eine beschränkte.

Wir können

der Statistik allgemeiner nur böse,

die Moral-

indess

ist

bis jetzt in

widerrechtliche

Hand-

lungen, welche in der Gesellschaft erscheinen, so betrachten,

nämlich

diejenigen,

welche

durch

das

Gesetz

controlirt

werden, die Uebertretungen der Gesetze, die Vergehen und die Verbrechen, weil nur darüber vollständigere statistische

Daten gesammelt werden. Deshalb ist unsere moralische Statistik bis jetzt der Hauptsache nach nur Criminalstatistik. Diese Beschränkung ist jedoch keineswegs eine nothwendige. Man kann auch eine Statistik der guten Handlungen sich denken und ist damit auch schon der Anfang gemacht, z. B. mit einer Statistik der Beiträge zu wohlthätigen Anstalten,

zu milden Zwecken, zur Armenunterstützung, testamentarische

Verfügungen für milde Stiftungen

etc.

In der Bevölkerungsstatistik kann nur kurz auf diesen

Gegenstand eingegangen werden.

Es

ist

dies

aber noth-

wendig, weil er in innigster Verbindung mit der Bevölkerungsstatistik steht, obgleich er

neuerdings auch für sich vielfach





243

behandelt worden und eine grosse Bedeutung erlangt hat.

Es

ist

darüber schon viel geschrieben, auch

viel

ganz Miss-

Deshalb mögen hier einige der wichtigsten Schriften folgen, aus denen man sich über den gegenwärtigen Stand dieses Zweiges der Statistik und die dadurch ange-

verständliches.

regten wichtigen Fragen und Probleme vollkommen unterrichten kann.

Die

erste

bedeutende Schrift

A. M. Guerry, Essai

ist:

sur la statistique morale de la France.

Guerry

sam

ist

die Moralstatistik nur ein Hülfsmittel,

statistique

Jahrbüchern 1872,

morale

4.

um

Nach gleich-

bestimmen (Knapp

die culturhistorischen Constanten zu

in Hildebrand's

la

Paris 1833.

p. 99).

Quetelet:

Sur la

qui doivent en former

et sur les principes,

base (Memoires de l'Academie Roy. des sciences

etc.

de

XXI. 1848.) In demselben Bande 2 Abhandlungen von de Decker und van Meeren: De Tinfluence du libre arbitre de Thomme sur Belgique.

T.

les faits sociaux.

Auf Grund

dieser Arbeiten

und

die statistischen Unter-

suchungen weiter führend hat Wappäus im

II.

Bande der

Bevölkerungsstatistik in einem Excurs eine allgemeine Uebersicht über

die Criminalstatistik gegeben.

Seitdem

ist

viel

darüber geschrieben und hat sich seitdem bei uns namentlich

auch die periodische Presse dieses Gegenstandes bemächtigt.

Das Wichtigste beschränkt sich auf folgende Schriften: A. Wagner: Die Gesetzmässigkeit in den scheinbar

will-

vom Standpunkt

der

kürlichen

menschlichen Handlungen

Statistik.

Hamburg

eine

allgemeine

1864, in 2 Theilen.

statistische

1.

Theil enthält

anthropologische Untersuchung

über die Gesetzmässigkeit in den menschlichen Handlungen.

Der

Der

2.

scheinbar Theil

soll

willkürlichen eine Statistik

der willkürlichen Handlungen bringen, beschränkt sich aber

auf die vergleichende Selbstmordstatistik Europas und einen Abriss der Statistik der Trauungen. sind wie alle Arbeiten

Wagners

Diese Untersuchungen

sehr fleissig und interessant.

Die aufgeworfene Frage über das Verhältniss der Gesetz16*

— mässigkeit

244



diesen socialen Erscheinungen

in

zur Willens-

Menschen wird aber darin nicht gelöst. Drobisch: Die moralische Statistik und die menschliche Willensfreiheit. Leipzig 1867, 8. Es ist dies eine kleine freiheit des

vortreffliche Schrift.

Deutschland

zuerst

Moralstatistik

immer in

Drobisch hat auch das Verdienst, in auf die Arbeiten von Quetelet über

aufmerksam gemacht zu haben

den Abhandlungen der Brüsseler Akademie in Oersdorfs

Leipziger Repertorium im Alex. für

in einer noch

sehr lesenswerthen Recension von Quetelet's Schrift

v.

7.

Jahrgang 1849, Heft

eine christliche Socialethik.

2.

neu bearbeitete Auflage

(Erlangen 1874) der 1868/73 erschienenen Moralstatistik

und die

1.

christliche Sittenlehre.

Socialethik auf empirischer Grundlage: Sittenlehre.

1.

Oettingen: Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung

2.

Theil.

Auflage.

Die

Versuch einer

Die

christliche

Erlangen 1874.

Es können

hier nur

einige

Andeutungen über

die bis-

herigen Ergebnisse der Criminalstatistik gegeben werden und einige Erläuterungen zur

Aufklärung über

die Irrthümer

und

Missverständnisse, welche darüber noch herrschen.

Was betrifft,

nun das Resultat der bisherigen Untersuchungen lässt sich dasselbe folgendermassen zusammen-

so

fassen:

So lange der Gang der Justiz bei Verfolgung der Verbrechen in einem Staate sich nicht ändert, wiederholen sich

und Bestrafung kommenden Verbrechen Bevölkerung mit der grössten Regelmässigkeit,

die zur Verfolgung

bei

dieser

sowohl nach ihrer Zahl und Art, sowie nach ihrer Vertheilung auf die beiden Geschlechter und auf die verschiedenen Altersclassen der Bevölkerung.

Quetelet hat nun diese verschiedene Wahrscheinlichkeit für die verschiedenen Lebensalter,

Verbrechen zu begehen,

den Hang zum Verbrechen (le penchant au crime) genannt. Das kann leicht zu Missverständnissen Anlass geben, man gebraucht deshalb dafür wohl besser den Ausdruck Zugänglichkeit für Verbrechen.

Die Gesetzmässigkeit

für die

Verbrechen

— ersten

Das

die Mortalität.

grösser als für

ist



245

erscheint auf den

Blick als ein erschreckliches Resultat dieser Unter-

suchungen;

es

wenn das nothwendig zur Anunabänderlichen Fatums führen müsste. Es

scheint , als

erkennung eines

das allgemein so aufgefasst worden und dass man diese Untersuchungen theils als einen directen Beweis gegen die menschliche Willensfreiheit aufgeführt hat, theils, weil man eine solche Consequenz nicht

zu bedauern, dass

ist

ist,

ziehen wollte, die Richtigkeit der Beobachtungen, auf welche sich diese

Untersuchungen gründen, angezweifelt

solcher Auffassung

Bei

ganz

statistischen Gesetzes

Gesetz im Sinne eines

wie

gesetzes,

B.

z.

falsch.

des ein

allgemeinen unabänderlichen Naturphysikalischen

des

Das

ziehenden und abstossenden Kraft. ist

hat.

man den Begriff Man denkt dabei an

versteht

Gesetzes

der

an-

Gesetz

statistische

aber nicht ein Gesetz in diesem Sinne, sondern ein Gesetz

der Wahrscheinlichkeit,

die Voraussetzung eines be-

d. h.

welcher unter allen scheinbar möglichen

stimmten Falles,

Fällen eintreten wird.

Es

fragt sich nun,

ob

man

eine solche mathematische

Wahrscheinlichkeit, in unserem Falle die Gesetzmässigkeit der menschlichen Handlungen,

nennen

darf.

Dies kann

lichkeit, die sich

setz

immer wieder

genannt werden.

La

für uns.

analytique

auch wirklich

man wohl

Eine Wahrschein-

bestätigt,

darf wohl ein Ge-

Wir haben

dafür eine grosse Autorität

Place behandelt in seiner berühmten Theorie

des probabilites (Paris 1812, p. 363

Ereignisse

nach

beobachteten

dem

in

ff.)

Capitel über die Wahrscheinlichkeit der Ursachen

zukünftigen

Gesetz

ein

thun.

und der

Erscheinungen

auch die Erscheinung der männlichen Mehrgeburten unter

den Neugeborenen.

Beobachtungen sich scheinlichkeit

des

Und da

findet

ergebende

er,

Resultat

Uebergewichtes

der

dass das aus

den

die

Wahr-

männlichen

Mehr-

(d.

h.

geburten für die Zukunft) sich zur Gewissheit verhält, wie 1

— 1/m

ist

:

eine

1,

wobei

m

unendlich

eine

72stellige

kleine

Grösse,

Zahl also

bildet. 1

— 1/m

Dieses 1/m fast

=

1,

— d.

Worauf

Gewissheit.

i.

er

dann

donc etre une

resultat parait



246

Ce doch

schliesslich hinzufügt:

generale.

loi

Indess

ist

das Gesetz wohl zu unterscheiden von einem Naturgesetz. In diesem Sinne sind

Es

Statistik aufstellt. sie

alle

Gesetze zu verstehen, die die

sind Wahrscheinlichkeiten, die,

wenn

auf eine hinlängliche Zahl von Beobachtungen gegründet

sind,

sich

der Gewissheit so sehr nähern,

genannt werden

immer

so gut

können,

wie gewiss

weil

dass sie Gesetz

Voraussagungen denn

ihre

So verhält es sich

eintreffen.

z.

B.

mit den sogenannten Mortalitätsgesetzen.

Aus den Beobachtungen über fälle leitet

man

die sogenannte

die Vertheilung der Sterbe-

Absterbeordnung ab, welche

nachweist, wie viele von einer gewissen Anzahl von Personen gleichen Alters in

jedem folgenden Jahre

sterben werden.

Die Zahl dieser Personen ist bestimmt anzugeben; damit ist aber keineswegs gesagt, dass dieses oder jenes bestimmte Individuum in dem und dem Alter sterben werde. GleichWahrscheinlichkeit, dass Menschen in

dem und

wohl

ist die

dem

Alter nur noch so und so viele Jahre zu leben haben,

so gross, dass sich auf diese Voraussetzung der

Lebensdauer

für die verschiedenen Alter zuverlässige Versicherungspläne

für das menschliche

Zahl der an

Leben gründen

lassen;

nur muss die

solchen Versicherungen Theilnehmenden

hin-

länglich gross sein, damit sich dabei die Regel herausstellen lässt, die für

den Einzelnen gar nicht

gilt

und

für eine kleine

Anzahl von Personen sehr unsicher ist, ebenso wie dies der Fall ist mit dem Uebergewicht der Knaben und Mädchen unter den Geborenen.

Es

sind Gesetze, welche

nen, das concrete Individuum,

sammtheit von Individuen,

nicht gelten für den Einzel-

sondern allein für eine Ge-

als ein

Ganzes betrachtet,

für den

sogenannten mittleren Menschen.

Und

so

kann auch nur

eine oberflächliche Betrachtung

der Moralstatistik zu der Furcht führen, dass die darin aufgestellten Gesetze,

wonach man

z.

B. voraussagen kann, dass

unter dieser oder jener Bevölkerung in

dem nächsten Jahre



247



werden begangen werden, für den einzelnen Menschen eine Läugnung Sodann ist aber menschlicher Willensfreiheit involvirten. so viel Verbrechen, Diebstähle, Mordthaten etc.

noch ein anderes Missverständniss hervorzuheben, was noch mehr zu beachten ist, indem, wenn man sich darüber erst klar

die Moralstatistik sogar

ist,

zu einem Beweise für die

Es wird nämlich gewöhnlich

Willensfreiheit dienen kann.

übersehen, dass das statistische, in Zahlen ausgedrückte Ge-

immer nur

setz

wird, für

Es

die,

für eine bestimmte

Bevölkerung

aufgestellt

auf welche sich die Beobachtungen beziehen.

mithin nur für eine Gesellschaft auf einer bestimm-

gilt

ten Culturstufe, es gilt nicht für die Gesellschaft überhaupt,

das

festzuhalten für alle Untersuchungen der moralischen

ist

Statistik.

Das Gesetz

hat

immer einen nationalen Character.

Die weitergehenden Untersuchungen ergeben bestimmt, dass z. B. das Gesetz über die Vertheilung der Verbrechen nicht dasselbe

ist

für jedes

Land.

Jedes Land hat vielmehr sein

besonderes Gesetz und ferner auch innerhalb der Bevölke-

rung eines und desselben Landes zeigt sich das Gesetz wieder modificirt, es zeigt constante Abweichungen von

dem

all-

gemeinen Gesetz nach verschiedenen Kategorien der Bevölkerung, nämlich nach Vermögensclassen, Ständen, Berufs-

und namentlich nach der Religion und der Confession. Gruppe der ist für jede besondere

arten

Die Regelmässigkeit

menschlichen Gesellschaft eine andere; das weist schon darauf hin, dass wir es hier nicht mit einem allgemeinen Gesetz

sondern dass dies sogenannte Gesetz auch

zu thun haben,

bedingt wird durch Factoren, die veränderlich sind.

man

dieser

Weisung

wir Zugänglichkeit anderes

ist als

weiter,

Folgt

so ergiebt sich, dass das,

zum Verbrechen genannt haben,

was

nichts

Es drückt nur ein VerhältMenschen zu den Verlockungen

ein Verhältniss.

niss der moralischen Kraft des

zum Verbrechen aus, welche theils bei ihm, in seiner unvollkommenen Natur, seinem Egoismus, theils in den zu der Zeit in der

Das

Bevölkerung bestehenden socialen Zuständen

Verhältniss,

die Zugänglichkeitszitfer,

ist

liegen.

das Product





248

und diese Factoren sind nicht abAuf der einen Seite haben wir Unvollkommenheit der socialen Zustände und die eigene

dieser beiden Factoren solut

die

unveränderliche.

moralische Unvollkommenheit, auf der anderen

die relative

Fähigkeit des Menschen, den darinliegenden Versuchungen

zu widerstehen.

Der Mensch kann innerhalb der Sphäre

seiner freien Willenskraft

um

falten,

lehrt,

Kräfte seiner Vernunft ent-

der Versuchung zu widerstehen, er kann sie

gedacht

ideal

alle



wirklich

Aber

besiegen.

dass während der Eine den Sieg

Andere

die

davon



Erfahrung trägt,

der

So zeigt das von uns gefundene Gesetz, dass in der Gesammtheit dieselben Wirkungen sich periounterliegt.

disch und constant wiederholen, so

lange die socialen Zu-

stände und das Verhältniss der moralischen Kraft des Men-

schen zu den auf ihn verlockend einwirkenden socialen Zu-

Und dadurch

ständen dieselben bleiben.

ist die

Moral- und

Socialstatistik für die Statistik so wichtig, nämlich als

Aus-

druck der zu der Zeit bestehenden

einer

sittlichen Cultur

Bevölkerung.

Vor solchen Thatsachen, wie

die Criminalstatistik sie in

der Gesetzmässigkeit der moralischen Handlungen bei einer

Gesammtheit darlegt,

fällt

luten

der

Willensfreiheit

allerdings die Theorie der abso-

Menschen,

eine Theorie,

welche

consequent zur Negation aller sittlichen Entwicklung führen muss.

Denn

die

Willensfreiheit ist

keine Willkür.

Jede

Freiheit folgt wieder einem sich selbst gegebenen, aus sich selbst herausentwickelten Gesetze.

Das erkennt auch im

täglichen

Leben

eigentlich ein

So z. B. beim Creditgeben, sowohl beim materiellen, wie beim moralischen. Einem als ordentlich, fleissig und sparsam bekannten Menschen giebt ein Jeder mehr Credit, als einem unordentlichen und leichtsinnigen Schwindler. Man vertraut seine Kinder zur Erziehung mit Jeder fortwährend an.

Zuversicht nur einem

Manne von

bisher unbescholtenem,

lichem Lebenswandel an, nicht einem

sitt-

leichtfertigen, frivolen

Lebemann oder einem Phantasten. Warum? Kraft

der Frei-

— heit des

249



Willens könnte jeder Solide jeden Augenblick ein

Verschwender werden und umgekehrt.

Ist die Freiheit des

Handelns eine absolute, an kein Gesetz gebundene, so giebt es gar keine Garantie für das Vertrauen, welches man einem

Menschen schenkt. Das nimmt aber kein vernünftiger Mensch an, weil man einen jeden Menschen in. seiner vollkommenen Willensfreiheit doch zugleich wieder mehr oder weniger ge-

bunden weiss durch Entwickelungsgang.

seine ganze Vergangenheit, durch seinen

Es

besteht dadurch für jeden

Menschen

wieder eine gewisse nothwendige Gebundenheit (Determinis-

mus) für seine Handlungen. Ohne solchen Determinismus wäre gar kein Character möglich. Dieser Determinismus ist aber weit verschieden von der Wirkung eines Fatums, denn er wird für Jeden durch die Freiheit des Willens selbst gebildet. Dem analog ist der Mensch der Gesellschaft in den äusseren Verhältnissen, in welchen er steht, in Bezug auf seinen Character im Allgemeinen von der Cultur der Gesellschaft abhängig, er ist, wie man mit Recht sagt, ein Kind seiner Zeit und seines Volkes. Dennoch aber hängt es von dem Einzelnen ab, sich in sich unabhängig von seiner Zeit zu gestalten. Darin besteht seine selbständige Persönlichkeit, sein

Character.

Indem aber der Character der absoluten Willensfreiheit, in jedem Augenblick ganz voraussehungslos zu handeln, vor fällt,

den Thatsachen, wie die Criminalstatistik

sie lehrt,

führen dieselben keineswegs zur Läugnung der Ein-

wirkung der Willensfreiheit auch auf diese Thatsachen. Denn, und das ist sehr wichtig festzuhalten, die beiden Factoren, von deren Product die in Zahlen ausgedrückte Wahrscheinlichkeit der Verbrechen, die Verbrechensziffer

abhängt,

lie-

gen wiederum innerhalb der Machtsphäre des menschlichen Willens, sie können durch den Menschen verändert, verbessert

werden.

Der Mensch hat

Gesetz zu beherrschen.

es

dadurch

Denn ändern

Hand,

in seiner

dies

sich die Factoren, oder

auch nur einer von ihnen, so ändert sich damit auch das Gesetz,

Dafür nur

ein Beispiel. *



250



Unter den Verlockungen zu Verbrechen bei einer Bevölkerung bildet eine der allgemeinsten und wirksamsten: materielle Noth. In der ganzen Periode, für welche seiner Bevölkerungsstatistik die

in

Wappäus

Zahl und den Gang der

Verbrechen in Frankreich betrachtet hat, in der 32jährigen Periode von 1826 57, fällt die grösste Zahl der Verbrechen auf das Jahr 1847, nicht, wie man erwarten sollte, auf die



Revolutionsjahre 1830 und 1848.

Verbrechen

als

Periode vor.

in

Es

haupt auszeichnet

Im Jahre

1847

kamen mehr

irgend einem anderen Jahre der ganzen ist

das dasselbe Jahr, welches sich über-

als

ein ungünstiges Jahr, nämlich durch

Erhöhung der Mortalität und grosse Erniedrigung der Geburtsziffer und der Heirathsfrequenz und zwar nicht allein in Frankreich, sondern in allen Staaten Europas und namentlich auch Deutschlands. Es war dies die Folge der allgemeinen Missernte von 1846 und der dadurch über alle Länder Europas herbeigeführten grossen Theuerung der Lebensmittel. So viel für einen Factor, den der Versuchung. Die Wirkung der Veränderungen in dem anderen, dem moralischen Factor, können wir bis jetzt nicht so einfach statistisch nachweisen, weil diese Wirkung sich mehr verbürgt, d. h. nicht unmittelbar in Zahlen zu fassen ausserordentliche

ist.

Doch

ist

auch diese Wirkung nicht

zunehmen, sondern auch durch

allein

statistische

wohl nachzuweisen, wobei man aber muss, was hier zu weit führen würde.

in

a priori an-

Untersuchungen

Details

eingehen

Im Allgemeinen

be-

darf es auch keines weiteren Beweises, dass beide Hauptfactoren,

von welchen

die Criminalitätsziffer abhängt, nicht

absolut unveränderliche sind,

sondern innerhalb der Macht-

sphäre des Menschen liegen und deshalb haben die Menschen

auch wieder eine Herrschaft über dies Gesetz. Es kann durch die Menschen verbessert und verschlimmert werden. Verbessert kann es einmal werden durch die Gesammtheit,

wenn

fehlerhafte,

den socialen Zuständen schädliche Ein-

richtungen in Staat, Kirche und Schule verbessert werden

und damit der Factor der Versuchung von aussen gemindert

V

-

251



Somit steht namentlich auch der Gesetzgebung ein grosser Einfluss zu. Die Gesetzgebung soll aber eine weise wird.

sein, nicht eine blos

augenblicklich utilitarische.

Anderenfalls aber muss

werden,

um

Wir haben

den.

sittlich

der Versuchung gegenüber wahrhaft zweierlei Mittel zur

also

Wegräumung

allgemeinen Zustände:

von dem

die Besserung auch

Einzelnen ausgehen, es muss der Einzelne

gekräftigt

frei

zu wer-

Aenderung der

der Versuchung, Kräf-

tigung des sittlichen Willens, sowohl durch bessere Erziehung

Verstärkung der

der Jugend wie durch

sittlichen

des Einzelnen.

Und

sphäre des Menschen.

somit erhält, tiefer aufgefasst,

sondern im Gegentheil die

nicht die Lehre des Fatalismus,

durch

der

menschlichen Perfectibilität

eine

neue und zwar sehr beachtenswerthe

Wie

Energie

Beide Mittel liegen innerhalb der Willens-

die

Moralstatistik

Stütze.

weit diese Perfectibilität der menschlichen Gesell-

schaft möglich,

das

ist

freilich

eine

andere grosse Frage,

deren Beantwortung aber nicht in das Gebiet der Statistik

Wir werden

Probleme geführt, an deren Lösung zu arbeiten immer die Aufgabe des Menschengeschlechts bleiben wird. Wir werden vor die Frage von der Wirklichkeit der Sünde geführt. Doch die Statistik hat es nur mit der Moralstatistik zu thun, nicht mit der Ethik. Die Statistik hat die Facta darzulegen und die in Zahlen ausgedrückten Verhältnisse richtig lösen zu lehren. Nur noch andeutend möge hinzugefügt werden, dass statistisch sich auch nachweisen lässt, dass unter den beiden gehört.

hier auf die grossen

angedeuteten Mitteln die wichtigste

ist.

Förderung der

Ueberall

sittliche

Kräftigung des Willens das

ist die Sitte

stärker als das Gesetz. Die

intellectuellen Bildung hat

zwar einigen Einfluss

auf die Verbrechensstatistik, jedoch einen nur sehr geringen.

Es

zeigt sich

dadurch nur mehr eine Verschiebung

Zahlenverhältnissen als

Durch

statistische

eine

wirkliche

Untersuchungen hat sich bereits so

geben, dass viele Arten von Verbrechen von intellectuellen

Bildung nicht abhängig

in

positive Besserung. viel er-

dem Grade

sind. **

der

— Am folgt in

252



eingehendsten sind diese Beziehungen bis jetzt ver-

den Untersuchungen über den Selbstmord.

dem berühmten französischen zu dem Resultate gekommen ist, dass

mentlich von

der

nicht

im umgekehrten Verhältniss

Grade der Volksbildung,

d.

h.

steht

So na-

Irrenarzt Lisle,

der Selbstmord

mit

dem höheren Er

des Unterrichtswesens.

spricht es aus, dass der Selbstmord noch relativ selten

ist

in

Ländern, welche ihren religiösen Glauben unberührt erhalten,

und wo die modernen Neigungen zur religiösen Gleichgülund zur vollständigen Emancipation des Gedankens noch wenig Fortschritte gemacht haben. Und damit stimmt

tigkeit

auch Ad. Wagner

(II,

198),

der sich

am

eingehendsten mit

Selbstmordstatistik beschäftigt hat, überein.

Man muss

allgemein sagen und auch der Statistiker wird

man

darauf geführt: das blose Wissen, wie

rung lange Zeit

allein

dessen Erweite-

durch die sogenannte Hebung des

Volksunterrichts erstrebt hat, macht

für

sich

allein

nicht

Das Wissen ist nur ein Mittel, es kann zum Guten wie zum Schlechten angewendet werden. Es muss hinzukommen die sittliche Erziehung, die Erweckung und

nothwendig besser.

Ausbildung der

durch die Religiosität möglich durchaus ein

welche allgemein nur

sittlichen Willenskraft,

religiös-sittlicher!

ist.

Es

Der ist

sittliche

Factor

ist

der Factor des Ge-

wissens nach christlichem Begriffe, im innigsten Zusammenhange mit der Gottesbezogenheit des Menschen gedacht. Eine weise Gesetzgebung kann durch Hinwegräumung offenbarer Schäden in der socialen Organisation, durch Be-

förderung der Bildung und durch

Hebung

der materiellen

Wohlfahrt mannigfach die Versuchungen zu Verbrechen

mil-

dern; dadurch kann aber lange nicht wirklich geholfen werden.

Es muss vielmehr der

aussprechende Gesammtwille

in Sitte

und

Religiosität

sich

des Volkes das Beste thun.

Druck von Hundertstund & Pries

in Leipzig.