Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen [3. rev. Edition] 9783110930436, 9783484250048

Bei der 3. Auflage dieses Arbeitshefts standen folgende Gesichtspunkte im Vordergrund: Historische und gegenwartssprachl

257 121 3MB

German Pages [100] Year 1994

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen [3. rev. Edition]
 9783110930436, 9783484250048

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
0. Einführung
1. Abgrenzungen
2. Wortbildung: Morphologie
3. Wortbildung: Syntax und Semantik
4. Wortbildungstypen
5. Wortbildung und Text
6. Wortbildung und Psycholinguistik
7. Ausblick: Wortbildung in der Sprache der elektronischen Kommunikation
Lösungen der Aufgaben
Bibliographie

Citation preview

Germanistische Arbeitshefte

4

Herausgegeben von Gerd Fritz und Franz Hundsnurscher

Bernd Naumann

Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen 3., neubearbeitete

Auflage

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

1. Auflage 1972 2. Auflage 1986

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Naumann, Bernd: Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen / Bernd Naumann. - 3., neubearb. Aufl.. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Germanistische Arbeitshefte; 44) ISBN 3-484-25004-6

ISSN 0344-6697

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

VII

0

Einführung

1

1

Abgrenzungen

2

1.1 1.2 1.3

Wortbildung und Wortschöpfung Wortbildung und Wortklassen Wortbildung und Sprachgeschichte

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2

Wortbildung: Morphologie Wortkonstitutive Morphemklassen Diskontinuierliche Morpheme und Portmanteau-Allomorphe Nullelemente und der Wortbildungstyp der Konversion Fugenelemente Wortbildung und Flexion Wortbildung als hierarchische Morphemkombinationen Kurzwortbildung Links-und rechtsseitige Kurzwörter Initialwörter/ Abkürzungswörter

11 11 13 14 16 17 20 25 25 26

3 3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4

Wortbildung: Syntax und Semantik Wortbildung als Interaktion zwischen Lexikon und Syntax Usuelle, okkasionelle und potentielle Wortbildungen Wortbildungsrestriktionen Phonotaktische Restriktionen Morphologische Restriktionen .Blockierung' Semantische Restriktionen Gesprächslogische Restriktionen Motiertheit von Wortbildungen: opaque - transparent - self-explanatory

27 27 31 32 32 32 33 34 35 36

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.3 4.3.1

Wortbildungstypen Komposition/Zusammensetzung: Substantive Determinativkomposita Kopulativkomposita Zusammenrückungen Grenze zwischen Komposition und Derivation Derivation/Ableitung: Adjektive Suffixbildungen

42 42 42 46 47 48 51 53

2 "... 5 6

VI

4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3

Präfixbildungen Wortbildung der Verben Präfigierung Partikelkomposition Verben mit Verbzusatz

55 56 57 58 59

5 5.1 5.2 5.3 5.4

Wortbildung und Text Satzpronominalisierung Wortbildung als Mittel von Substitution und Verweisung Textgebundene Akzeptabilität von Wortbildungen Wortbildung als Stilmittel der Variation

60 60 62 64 67

6 6.1 6.2

Wortbildung und Psycholinguistik Wortbildung und Spracherwerb Wortbildung und Sprachverlust

69 69 71

7

Ausblick: Wortbildung in der Sprache der elektronischen Kommunikation

75

Lösungen der Aufgaben

77

Bibliographie

87

Vorwort

Im Jahr 1972 war dieses Arbeitsheft als eines der ersten der damals neu eingerichteten Reihe (Band 4) herausgekommen. Ungefähr zu dieser Zeit begann man auch in Deutschland, Wortbildung nicht mehr primär unter historischen Gesichtspunkten zu betreiben, sondern unter gegenwartssprachlichen: Fleischers zusammenfassende Arbeit war 1969 in erster Auflage erschienen. Im selben Jahr kamen auch Chomskys „Aspects" auf Deutsch heraus, und auch Wortbildung schien damals vor allem unter syntaktischen Gesichtspunkten interessant. Entsprechend war das Arbeitsheft angelegt (wenn auch weniger generativ als paraphrasierend). Dieser im Nachhinein doch etwas einseitige Gesichtspunkt ließ das Heft schnell veralten (wie auch andere syntaktisch angelegte Spezialarbeiten, etwa die Arbeit von Kürschner aus dem Jahr 1974, die mit dem Modell der Fillmoreschen Kasusgrammatik arbeitete). Für die zweite Auflage, sie erschien 1986 mit dem Zusatz „Einfuhrung" im Titel, musste das Heft deshalb völlig umgearbeitet und vor allem sehr erweitert werden; auch sprachgeschichtliche Aspekte wurden jetzt wieder berücksichtigt. Wieder sind vierzehn Jahre verstrichen, und das Heft musste erneut umgearbeitet werden. Allerdings sind die Unterschiede zwischen dieser dritten Fassung und der zweiten von 1986 weit weniger gravierend als die zwischen den beiden ersten Fassungen. Teile, die sich bewährt haben, konnten übernommen werden, inzwischen Veraltetes konnte punktuell gestrichen werden, die Streichung ganzer Kapitel war nun nicht mehr nötig. Aber alle Kapitel der zweiten Auflage wurden für diese dritte Auflage mehr oder weniger stark verändert. Bei der Neubearbeitung standen folgende Gesichtspunkte im Vordergrund: • Historische und gegenwartssprachliche Teile sollten stärker getrennt, und der historische Aspekt insgesamt zurückgenommen werden. Der historischen Wortbildung ist nunmehr eingangs ein eigenes (kurzes) Kapitel gewidmet, in den übrigen Kapiteln werden sprachgeschichtliche Aspekte nur hie und da am Rande angesprochen. Zwar sind in den 90er Jahren mehrere historische Arbeiten erschienen, sogar eine eigene, renommierte Reihe zur historischen Wortbildung wurde begründet (Wortbildung des Nürnberger Frühneuhochdeutsch, hg. von Η. H. Munske, 1993 f f ) , dennoch kann in einer Einfuhrung, in der es eher um grundsätzliche Probleme geht als um die Ausbreitung von (historischem) Material, auf die Darstellung historischer Details verzichtet werden. Das bedeutet allerdings nicht den Verzicht auf alle Diachronie: Auch an der Gegenwartssprache kann gezeigt werden, dass sich Sprache ständig verändert, dass Definitionen und Benennungen von Größen und Bereichen allenfalls Kemzonen treffen, neben denen immer mehr oder minder große Peripheriebereiche existieren, die deutlich machen, dass Sprache ständig in Bewegung ist. Das zeigt sich an vielen Stellen, etwa am Lexikalisierungsgrad von Wortbildungen, wo die Bereiche Syntax und Lexikon ineinandergreifen, oder am Übergangsbereich zwischen Komposition und Derivation, fur den man Zwischentermini vorgeschlagen hat (Halbpäfixe/-suffixe bzw. Päfixoide/Suffixoide), sie z.T. wieder verworfen hat, dann doch wieder verwendet.

VIII •

Die in den 70er und 80er Jahren heftig geführten Theoriedebatten zwischen Lexikalisten und Syntaktikern sind heute nicht mehr aktuell. Zudem ist das Interesse an der Theorie der Wortbildung überwiegend der Praxis gewichen. Die Forschungsbeiträge der 90er Jahre verzichten weitgehend auf die immer neue Erarbeitung grundsätzlicher Positionen, sondern arbeiten in ihrer Mehrzahl auf deskriptiv-funktionaler Grundlage. Vieles, was zur Theoriediskussion noch in der Fassung von 1986 gesagt werden musste, ist heute überholt und kann jetzt wegbleiben • Der exemplarische Charakter dieser Einführung sollte jetzt noch deutlicher sein. Die zentralen Wortbildungstypen Komposition und Derivation werden nur noch an den für sie typischen Hauptwortarten demonstriert, d.h. der Typ der Komposition am Substantiv und der Typ der Derivation am Adjektiv, obgleich natürlich beide Typen bei beiden Wortarten vertreten sind, aber mit unterschiedlicher Produktivität. Es gibt viel mehr usuelle und vor allem okkasionelle Substantivkomposita als Adjektivkomposita. Auch der Übergangsbereich zwischen Komposition und Derivation ließe sich grundsätzlich an beiden Wortarten demonstrieren, aber hier sind offenbar die Adjektivformen produktiver, weil weitaus zahlreicher. Die Wortart Verbum hat an beiden Typen Anteil, durch Präfigierungen am Typ der Derivation und durch Verbzusätze unterschiedlicher Art am Typ der Komposition. (Räumlich ausgedrückt passieren die interessanteren, innovativen Dinge beim Verbum links vom Wortstamm, beim Adjektiv rechts davon.) • Auf Vollständigkeit wurde jetzt noch weniger Wert gelegt als schon 1986. Dafür gibt es ja inzwischen die umfangreiche Arbeit von Fleischer/Barz (1992), die sich gut auch als Nachschlagewerk für Einzelfragen eignet. Diese Einführung soll eher die Rolle der Wortbildung auf den verschiedenen Ebenen der Sprache deutlich machen, auf der morphologischen, syntaktischen und semantischen, Problembereiche diskutieren, und die wichtigsten Wortbildungstypen exemplarisch vorstellen. Das Heft ist jetzt auch anders gegliedert: Nach den einführenden Teilen (bis auf das neue Unterkapitel 1.3 weitgehend übernommen aus der zweiten Auflage) folgen die drei zentralen Großkapitel 1. Morphologie. Hier sind nun auch zwei weniger im Vordergrund stehende Wortbildungstypen integriert, Kurzwortbildung und Konversion. 2. Syntax und Semantik. Dieses Kapitel wurde im Wesentlichen unverändert aus der letzten Auflage übernommen, allerdings im Umfang stark reduziert. Denkbar wäre hier ein neues Unterkapitel über .Wortfamilien' gewesen, das semantische Zusammenhänge von Wortbildungen von einer anderen Seite aus behandeln könnte. 3. Wortbildungstypen. Hier werden Komposition und Derivation nach dem oben skizzierten Prinzip dargestellt. Das Großkapitel wurde weitgehend neu erarbeitet, nur einzelne Abschnitte stimmen mit dem Text von 1986 überein. Die schon 1986 behandelten Aspekte .Wortbildung und Text' und .Wortbildung und Psycholinguistik' stehen jetzt am Ende. In beiden Bereichen ist in Bezug auf die Wortbildung in der Zwischenzeit m.W. nichts wesentlich Neues erschienen, deshalb mussten hier kaum Veränderungen erfolgen. Im Textlinguistik-Kapitel gibt es allerdings einige Zusätze.

IX Als Ausblick stehen am Ende ein paar aphoristische Bemerkungen zu einem Aspekt, der, wenn es jemals dazu kommen sollte, dann in der vierten Auflage (wieder in vierzehn Jahren?) sicher zentralere Bedeutung haben wird: Wortbildung in der elektronischen Kommunikation. Mit dieser Anlage spiegelt das Heft in etwa den mehrmaligen Paradigmenwechsel der vergangenen fünfzig Jahre: Bis zu Beginn der 60er Jahre stand die Wortbildungsforschung unter dem Dominat der historischen Sprachwissenschaft. Oftmals aufgelegtes Standardwerk war das Buch von Henzen (in der Tradition von Wilmanns und Paul). Dann folgte die morphologiezentrierte, strukturalistische Phase (Standardwerk Fleischer), dann in den 70er und 80er Jahren die von der generativen Grammatik angeregte Fundierung auf der Syntax, später auf der Semantik (Lees, Kürschner), nach der .pragmatischen Wende' dominieren angewandte, textbezogene Bereiche. Hier gibt es noch keine Standardwerke, es kann sie auch noch nicht geben, denn zu viel ist hier noch im Fluss. Bei der technischen Herstellung dieser dritten Auflage haben zwei Mitarbeiterinnen entscheidend geholfen: Yvonne Grosch hat die zweite Auflage, die damals noch mit der Schreibmaschine geschrieben wurde, eingescannt, so dass der Text elektronisch bearbeitbar wurde; Ute Szczepaniak hat diese dritte Auflage nach den Vorstellungen des Verlags für den Druck eingerichtet. Beiden möchte ich sehr herzlich danken.

Montecolo, September 1999

Bernd Naumann

0

Einführung

Sprache ist ein äußerst komplexes, auf vielen Ebenen funktionierendes Instrument menschlicher Interaktion. Wir verständigen uns, indem wir konventionalisierte Äußerungsformen gebrauchen, die u.a. durch die Wahlmöglichkeiten zwischen syntaktischen und lexikalischen Ausdrucksmitteln unseren verschiedenen und wechselnden kommunikativen Intentionen entsprechen. Wortbedeutungen gehen mit ihren referierenden, prädizierenden, relativierenden, evaluierenden modifizierenden etc. Komponenten als regelhaft strukturierte Kombinationen in Satzbedeutungen ein und diese in Äußerungsbedeutungen in den verschiedenen Sprechakten, in Mitteilungen, Fragen, Aufforderungen, Hinweisen, Behauptungen, Warnungen, Wünschen, Bitten, Ausrufen, Zweifelsbekundungen etc. Es ist Aufgabe der Semantik, Wort-, Satz- und Äußerungsbedeutung im einzelnen und in ihrem komplexen Zusammenspiel zu beschreiben (einführend dazu etwa Lutzeier 1985 und Schwarz/Chur 1993). In dem Satz Wir sitzen alle in einem Boot

haben alle Wörter Bedeutungen, deren Aspekte in der Grammatik (vor allem die der .Strukturwörter', hier also wir, alle, in, einem) und im Lexikon (vor allem die der .Vollwörter', hier also sitzen, Boot) beschrieben werden. Im Syntagma erhalten diese Wörter zusätzliche Bedeutungen, die sie als Einzelwörter nicht haben. Die Wortbedeutungen gehen zwar in die Satzbedeutung ein, sie verändern sich dabei aber mehr oder minder stark, stärker in idiomatischen Wendungen, wie in dem Beispielsatz, weniger stark in nicht-idiomatischen Syntagmen. Die Satzbedeutung dieses Satzes wäre in etwa synonym mit der eines Satzes wie Wir sind alle in derselben unangenehmen Situation

Die Äußerungsbedeutung hinge von den Faktoren der Sprechsituation ab, sie könnte bei diesem Satz etwa Aufforderung zur Solidarität sein.

Wortbildung ist die regelhafte Synthese verschiedener Ausdrucksmittel, in den allermeisten Fällen Kombination aus einfachen Wörtern {Sommer/tag, Nach/sommer, Hoch/ sommer) bzw. aus einfachen Wörtern und Wortbildungsmorphemen (glaub/haft, un/glaub/lich, Un/glaub/haft/ igkeit); Wortbildung gehört also in den Bereich der Morphologie und der Lexik. Durch Wortbildung entstehen neue Wörter, bzw. sind neue Wörter entstanden, die wie alle Einzelwörter Wortbedeutungen haben, die in Satz- und Äußerungsbedeutungen eingehen. Wortbildung umspannt also alle Fragestellungen der Semantik, Fragestellungen, die sich unter synchronisch-systematischen und unter diachronisch-historischen Gesichtspunkten mit den Beziehungen zwischen differenzierten Ausdrucksmitteln und deren Strukturbedeutung und Gebrauchsbedeutung befassen.

1

Abgrenzungen

1.1.

Wortbildung und Wortschöpfung

In einem (neueren) Lexikon der Sprachwissenschaft werden .Wortbildung' und .Wortschöpfung' so definiert: Wortbildung. Untersuchung und Beschreibung von Verfahren und Gesetzmäßigkeiten bei der Bildung neuer komplexer Wörter auf der Basis vorhandener sprachlicher Mittel (Bußmann 1983: 587).

Und weiter unten: Wortschöpfung. Im Unterschied zur Wortneubildung durch Ableitung und Zusammensetzung (...) mittels vorhandener sprachlicher Elemente beruht Wortschöpfung auf der erstmaligen Verwendung einer Lautfolge als (unmotivierter) Ausdruck für eine bestimmte Bedeutung (Bußmann 1983: 591).

Wortschöpfungen haben gegenüber Wortbildungen stets eine untergeordnete Rolle gespielt; im späten 18. und im 19. Jahrhundert hat man beide Möglichkeiten der Erweiterung des Wortschatzes mit der Ontogenese und der Phylogenese der Sprache in Verbindung gebracht, etwa Johann Christoph Adelung: „Die Erfahrung lehret uns, daß Kinder, wenn sich die Aufmerksamkeit bey ihnen anfängt zu entwickeln, und Menschen, die durch die Cultur noch nicht verfeinert sind, einen natürlichen und unwiderstehlichen Drang haben, alle ihnen vorkommende neue Gegenstände nach dem Tone zu bezeichnen, mit welchem sie sich ihnen das erstemahl darstellen. Das sich selbst überlassene Kind nennt die Kuh Buh, den kleinen Hund Baff, den großen Hau u.s.f. (...) Unter den Landleuten ist der Hang in Onomatopöien zu reden desto gemeiner und dringender, je mehr sie sich noch dem rohen Stande der Natur nähern, daher auch die Wörter dieser Art in den gemeinen Mundarten überaus zahlreich sind" (1782,1: 189). Adelung war noch kein Vertreter der historischen Sprachwissenschaft, dennoch können in diesem Punkt seine Auffassungen als repräsentativ für weite Teile der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts gelten. Sie vertrat überwiegend die Auffassung, dass - Sprache aus der Nachahmung von .Naturlauten', d.h. von Tierstimmen und anderen (natürlichen) Geräuschen entstanden ist, - die gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit vom Urmenschen bis zum gegenwärtigen Menschen in der Sprache gespiegelt erscheint, unterschiedlich in den verschiedenen Sprachgemeinschaften, d.h. dass der Mensch in der Stadt weniger Wortschöpfungen erfindet als der auf dem Lande, der nach Adelung „dem rohen Stande der Natur" noch näher ist, - die Phylogenese der Sprache von der Wortschöpfung zur Wortbildung immer wieder auch in der Ontogenese erscheint, d.h. dass die Sprache des Kindes strukturell vergleichbar mit der des Urmenschen ist. (Dass Kinder heutzutage einen kleinen Hund gewiss nicht Baff und einen großen nicht Hau nennen, tut nichts zur Sache: Entscheidend ist der Vorgang der Wortschöpfung an sich, der natürlich zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten zu anders lautenden Formen fuhren kann, so wie Tiere heute in unterschiedlichen

3 Sprachen lautmalend unterschiedliche Namen haben, siehe etwa die folgende tabellarische Zusammenstellung (aus Erlanger Nachrichten, 14.4.1984):) Hahn

Deutsch Kikeriki

Schwedisch Kukkeliku

Henne Esel Pferd Katze Hund Kuckuck Ferkel Kuh Schaf Frosch

Gack-gack Iah Iaha Miau Wau-wau Kuckuck Quiek Muh Mäh o. bäh Quak

Kakak Iih Ihahaha Mjau vaff-vaff koko nöff-nöff mu bä kvak-kvak

Englisch cook-adoodle-doo quack hee-haw hew-hiw miaow bow-bow cukoo oink moo baa croak

Finnisch Kukkokiekuu

Französisch Cocarico

Japanisch kokkekokko

Kotkotkoo Iahu Huaha Miau hau-hau kukkuu piip muuh määo.bää kva-kva

Cot-cot Nihau Heuheu Miaou Toutou Cou-cou Cuic Meu Be-be Croa-croa

koko -

hinhin nyannyan wanwan kakko bubu momo -

kerokero

Hermann Paul, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in seinem noch heute immer wieder aufgelegten Standardwerk sehr ausführlich mit Wortschöpfung befasst hat, differenzierte Adelungs Anschauungen sprachpsychologisch (unter dem Einfluss Wilhelm Wundts), revidierte sie jedoch nicht. Für Paul beruhen Wortschöpfungen auf dem „sinnlichen Eindruck des Lautes auf den Hörenden und auf der Befriedigung, welche die zur Erzeugung des Lautes erforderliche Tätigkeit der motorischen Nerven dem Sprechenden gewährt" ([1880] 1975: 177). Für ihn ist die Phylogenese der Wortschöpfung in „mystisches Dunkel" ([1880] 1975: 174) gehüllt und heute nur noch in Spuren feststellbar, weil unermesslich viele Wortbildungen fast vollständig die primären Wortschöpfungen verdrängt haben: „Dies massenhafte Material, auf das wir einmal eingeübt sind, läßt nichts Neues neben sich aufkommen, zumal da es sich durch mannigfache Zusammenfügung und durch Bedeutungsübertragung bequem erweitem läßt" ([1880] 1975: 174f.). Auch für Paul steht fest, dass Kinder von sich aus über Wortschöpfungen Sprache erfinden können. Adelung hatte Interjektionen als erste Wortschöpfungen, als Ursprung der Sprache aufgefasst, Paul differenziert zwischen Interjektionen als „Urschöpfungen, durch welche eine schon gebildete Sprache bereichert wird und denjenigen, mit welchen die Sprachschöpfung überhaupt begonnen hat" ([1880] 1975: 183). So sind nach ihm unmittelbare Ausdrücke des Schmerzes, der Freude, der Überraschung etc. möglicherweise Reste von „Sprachschöpfung überhaupt", dagegen Interjektionen wie herrje oder jemine aus „schon gebildeter Sprache" entstanden, in diesem Falle aus Verkürzungen von Herr Jesus bzw. Jesu Domine. Ursprünglich, d.h. „Reaktionen gegen plötzliche Erregungen des Gehörs- oder Gesichtssinns" ([1880] 1975: 180) sind nach Paul möglicherweise auch lautmalende Interjektionen wie plumps, husch, ratsch, schwapp, knacks, bums etc., vielleicht, auch nicht inteijektionelle Verdoppelungen wie Krimskrams, ticktack, ritschratsch, schwippschwapp, p i f f p a f f , bimbam, schnickschnack etc. und Verdoppelungen in der Kindersprache, wie Wauwau, Papa, Mama, Popo etc., (die allerdings seiner Meinung nach nicht von Kindern erfunden, sondern von Erwachsenen aus „pädagogischen" Gründen erst den Kindern vermittelt würden). Andere lautmalende Wörter können nach Paul nur „partielle Urschöpfungen" ([1880] 1975: 183) sein, weil sie sich teilweise an die Morphologie schon bestehender Formen anschließen.

4 Er denkt hier vor allem an Verben auf -ern und -ein, wie z.B. poltern, klimpern, knabbern, kichern, flüstern, wimmern, räuspern, ballern, bollern, bumpern und bimmeln, dudeln, humpeln, munkeln, tätscheln, wabbeln, watscheln, torkeln, zischeln, aber auch an andere Formen, wie platzen, planschen, klatschen, knutschen, knacken, pusten, quieken etc. Anders als viele seiner Vorgänger war Paul davon überzeugt, dass Ur- bzw. Wortschöpfungen als rein phonetisch motivierte Lautketten die Entstehung von Sprache nicht erklären können, denn spontane Lautäußerungen können auch Tiere hervorbringen. Diese Lautäußerungen können auch als „Tiersprache" bezeichnet werden, sie können auch unterschiedliche Funktionen in der tierischen Kommunikation haben, von der Sprache des Menschen unterscheiden sie sich aber nach Paul wesentlich dadurch, dass sie niemals Sätze sein können. Erst die Fähigkeit, Sätze zu äußern, stellt für ihn den entscheidenden Schritt von der spontanen Reaktion zur Reflexion dar: „Erst dadurch wird dem Menschen auch die Möglichkeit gegeben, sich von der unmittelbaren Anschauung loszulösen und über etwas nicht Gegenwärtiges zu berichten" ([1880] 1975: 188). Es ist nun nicht so, dass Wortbildung im Gegensatz zur Wortschöpfung nichts Kreatives an sich hat. Die „Bildung neuer komplexer Wörter auf der Basis vorhandener sprachlicher Mittel", wie Bußmann Wortbildung richtig aber auch sehr allgemein definiert, ist ein diffiziler Vorgang, der durchaus kreative Seiten hat. Diese Kreativität lässt sich schwer skalieren, aber wohl differenzieren. Bildungen wie Honighuhn, Speckflunder, Rotweineier (siehe Kapitel 5.3) sind der sprachliche Ausdruck nicht usueller Zutatenkombinationen in innovativ konzipierten Kochbüchern. Hier liegt die Kreativität eher in der Kochkunst als in der Sprache. Diese nicht usuellen Neologismen sind durch ihre Textgebundenheit eindeutig, sollen es auch sein, denn hier kommt es eher auf die Sache an als auf die Bezeichnung dafür. Anders zu beurteilen sind Bildungen wie Kerbtier, Festland, Stelldichein, Bittsteller, Stickstoff, die heute zum festen Bestand usueller Wörter gehören. Joachim Heinrich Campe hat sie um 1800 als deutsche Entsprechungen für Insekt, Kontinent, Rendezvous, Supplikant, Nitrogen neu gebildet. Der kreative Anteil ist hier nur durch den Rekurs auf die Diachronie ermessbar; er ist sicher höher als in der ersten Beispielgruppe, weil Campe die fremdsprachlichen Ausdrücke nicht ins Deutsche übersetzt hat, sondern völlig neue Bildungen erfunden hat, die sich als so treffend erwiesen haben, dass sie heute Allgemeingut aller Sprachteilnehmer sind und die fremdsprachlichen Ausdrücke z.T. verdrängt haben (Supplikant durch Bittsteller und Nitrogen durch Stickstoff). Wieder anders ist die Kreativität kindersprachlicher Neologismen zu beurteilen (siehe Kapitel 6.1). Kinder erfinden (vor allem im Vorschulalter) eine Fülle okkasioneller Bildungen, die alle möglich, weil im System der Sprache angelegt sind. Bildungen wie zermessern und zuschleifen (mit einer Schleife zubinden) oder Dichtgeschichte und Liebwort sind das Ergebnis experimenteller Ausnutzung der Wortbildungsmöglichkeiten im Deutschen zur Bezeichnung von Sachverhalten aus dem kindlichen Erfahrungsbereich. Vergleichbare Freiheit nimmt sich Hans Jürgen Heringer in seinen Wortbildungsarbeiten. Bildungen wie verbeispielen, reglig, verregeln, zernormen, Normschaft, Laufwissen (siehe 1984b: 1-13) oder glaubwissen, donnerblitzen, raubkassieren, lachweinen, nebenunter, starktrotz (siehe 1984b: 43-53) wollen die wortbildnerische Freiheit des kreativen Sprachteilnehmers

5

gegenüber verkrusteten sprachlichen Nonnvorstellungen bzw. gegenüber sprachpflegerischen Restriktionen evozieren. Die Sprache der Dichter dient seit jeher als Beispiel für das kreative Umgehen mit Sprache, auch für Neologismen. Je mikrostruktureller, .dichter' ein Text konstruiert ist, desto wahrscheinlicher enthält er neue Wortbildungen, d.h. konzentrierte, gewissermaßen eingedickte Äußerungen. Bei allen hier angeführten Beispielen (sie ließen sich beliebig vermehren) spielt Kreativität eine (jeweils andere) Rolle, aber alle gelten nach der allgemein akzeptierten, eingangs zitierten Festlegung als Wortbildungen, nicht als Wortschöpfungen, sie gehören also zur Materialgrundlage dieser Einführung. Bevor mit der systematischen Darstellung der Wortbildung des Deutschen begonnen werden kann, müssen noch zwei weitere Ausgrenzungen vorgenommen werden: Nicht alle Teile von Wörtern gehören zur Wortbildung, und nicht alle Wortklassen sind geeignet für Wortbildungsfragen.

1.2

Wortbildung und Wortklassen

In neueren Arbeiten zur Wortbildung findet man fast ausschließlich die Wortbildung der Klassen Substantiv. Adjektiv. Verb, und am Rande noch die der Klasse Adverb dargestellt, nicht jedoch die der übrigen Klassen. Dies hat seinen guten Grund: Nur die drei (bzw. vier) genannten Klassen verändern sich in ihrem Bestand. Ständig kommt es hier zu einer Fülle neuer Bildungen, die nur zu einem geringen Teil usuell werden, zumeist okkasionell bleiben (siehe unten Kapitel 3.2). (Auch die Klasse der Interjektionen verändert sich, aber eher durch Wortschöpfung als durch Wortbildung). Diese Klassen bilden den offenen Bestand sprachlicher Formen und werden mit ihren usuellen Bildungen in Wörterbüchern aufgelistet. Pronomen. Konjunktionen. Präpositionen und Artikel bilden den geschlossenen Formenbestand, sie werden mit ihren Funktionen in der Grammatik dargestellt und können vollzählig aufgelistet werden, weil ihre Zahl weitestgehend fest ist, bzw. weil Veränderungen sich hier über so lange Zeiträume erstrecken, dass sie dem Sprachteilnehmer als unveränderlich und zahlenmäßig festgelegt erscheinen. Der Sprachhistoriker kann jedoch zeigen, dass es auch bei diesen Wortklassen Wortbildung gegeben hat, Ableitung und Zusammensetzung; dafür je ein Beispiel aus der Klasse der Pronomen: Manche Pronomen sind ursprünglich mit Suffixen gebildet worden, die auch für die Bildung von Adjektiven benutzt worden sind, die aber heute nicht mehr als Suffixe kenntlich sind, etwa das germanische Suffix *-n, das in den got. Possessivpronomina mein(s), peins, seins steckt, Formen, die sich in der Schreibung nur wenig verändert als mein, dein, sein auch in der deutschen Gegenwartssprache finden. Die Veränderungen sind freilich gravierender als die Schreibung erkennen lässt: Im Got. kennzeichnet die Schreibung den Lautwert [i:], deshalb erscheinen diese Pronomina in ahd. und mhd. Zeit als min, din, sin. Erst durch die nhd. Diphthongierung entstand der Lautwert [ai], der in der Schreibung mit wiedergegeben

6 wird, so dass rein äußerlich die nhd. Formen mit den got. (bis auf den Unterschied in den Endungen und dem anlautenden p bei peiri) identisch scheinen. Zusammensetzungen sind bei Pronomina häufiger als Suffixableitungen. Ein Beispiel: Die gegenwartssprachlichen Pronomina etlich und etwas und die veralteten Formen etwelch und etzlich (auch das Modaladverb etwa), gehen zurück auf eine Zusammensetzung aus vorgotisch *aip-pis (got. hat den Lautwert [ε]!) mit Formen des got. Pronominalstamms hwa- bzw. mit got. leiks im Falle von etlich. Im Ahd. erscheint der erste Teil dieser Zusammensetzungen als eddes- oder etesa-, seit dem 9. Jahrhundert auch als edde- und ete-. Die ahd. und mhd. Pronomina lauten ete-wer, ete-waz, ete-wä, ete-lih und ete-welih. Die Form ete-wer verschwindet im 16. Jahrhundert, die anderen Formen haben sich bis heute erhalten. Die gegenwartssprachlichen Pronomina selber und selbst, die wie Komparativ- und Superlativformen aussehen, sind historisch weder Suffixableitungen noch Zusammensetzungen, sondern, wie Wilmanns sagt, „erstarrte" Genitive, die aus Syntagmen entstanden sind, wie z.B. mhd. min selber herza (= ,mein eigenes Herz', die Form selber ist der Genitiv Singular in der femininen Flexion, formgleich mit dem stark flektierten maskulinen Nominativ) . Die Form selbst ist aus dem stark flektierten maskulinen bzw. neutralen Genitiv selber entstanden (Beispielsyntagma: min selber lip = ,mein eigenes Leben'), an das ein .sekundäres' -t angefugt wurde (das auch in gegenwartssprachlichen Wörtern wie jemand, niemand, weiland, allenthalben etc. steckt). Aus diesen wenigen Beispielen ist ersichtlich, dass so gut wie jedes einzelne Pronomen sein eigenes ,Wortbildungsschicksal' gehabt hat, dass man hier kaum allgemeine Regeln formulieren kann wie bei den Klassen der Substantive, Adjektive, Verben und eingeschränkt bei den Adverbien. Diese vielen Sonderentwicklungen erklären sich einmal aus der Gebrauchshäufigkeit dieser Wörter, zum anderen aus ihrem meist sehr kleinen Lautkörper, der durch die sprachgeschichtliche Entwicklung noch geringer wird und deshalb immer wieder durch anderes Lautmaterial aufgefüllt werden muss, um nicht ganz zu verschwinden. Für eine systematische Darstellung der Wortbildung sind Pronomen, Konjunktionen, Präpositionen und Artikel deshalb weniger geeignet, (aus anderem Grund auch Inteijektionen nicht, siehe oben), sie werden deshalb hier nicht weiter berücksichtigt werden. Die beiden folgenden Hauptkapitel werden sich auf die Wortbildung von Substantiven, Adjektiven und Verben beschränken (passim werden auch Adverbien behandelt werden).

1.3

Wortbildung und Sprachgeschichte

Schon im vorhergehenden Kapitel war von Sprachgeschichte die Rede. Hier soll nun noch die Entstehung von Wortbildung und Flexion aus Wörtern dargelegt werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat man in der historischen Sprachwissenschaft kaum einen Unterschied zwischen wortbildenden und flektierenden Suffixen gemacht, da man sich die Entstehung beider auf die gleiche Weise erklärte: Beide wären ursprünglich einmal selbständige Wörter gewesen und seien erst im Laufe der sprachgeschichtlichen Entwicklung zu Suffixen geworden. Ein notwendiges Zwischenstadium sei dabei die Position als 2. Teil einer Komposition gewesen. Schon in sehr früher Zeit konnten danach Wörter mit anderen

7 Wörtern eine Verbindung eingehen, deren Ergebnis eine Komposition, eine Wortzusammensetzung war. Unter ganz bestimmten Bedingungen konnte in manchen Fällen der zweite Teil dieser Zusammensetzung zu einem wortbildenden oder flektierenden Suffix werden. Um zu zeigen, wie so etwas geschehen konnte, fuhrt Hermann Paul ein seitdem in der Wortbildungsliteratur vielzitiertes Beispiel aus dem Bairischen an: Die Form hammer ist entstanden aus einer Zusammensetzung des Verbums hab-en mit der 1. Pers. Plural des enklitisch angelehnten Personalpronomens in seiner bairischen Form mir (= hochsprachlich wir). Aus Akzentgründen kann daraus nun die obige kontrahierte Form hammer entstehen, die nicht mehr als Zusammensetzung erkennbar ist, so dass sie zumeist mit einem zusätzlichen Personalpronomen benutzt wird, also mir hammer oder hammer mir. Paul meinte, dass ein Syntagma wie Vater geht, das in diesem Falle aus zwei Wortstämmen (Vater und geh-) und einem Flexionssuffix (-t) besteht, im Prinzip entstanden sei aus einer Folge ursprünglich selbständiger Wortstämme, also hier etwa Vater+geh+er. Dafür gibt es keine sprachgeschichtlichen Belege, weil uns kein Stadium des Idg. erhalten ist, in dem es weder Flexions- noch Wortbildungssuffixe gab, sondern nur Wortstämme bzw. Wurzeln. Der theoretisch postulierte Prozess von einem Syntagma Vater+geh+er zu einem überlieferten Vater+geh-t wäre eine Entwicklung vom analytischen zum synthetischen Sprachbau, also von einer Sprachstufe, wo verschiedene Funktionen auf verschiedene Wörter verteilt waren, zu einer, wo diese Funktionen durch Suffixe an einem einzigen Wort ausgedrückt werden, (wie es etwa musterhaft im Lateinischen ist: ein Wort, etwa amabimus, enthält hier den Wortstamn ammit dem .stammbildenden' Suffix -a-, die Kategorie Tempus (Futur) -bi- und die Kategorien Numerus und Person -mus). In der Tat stellen Paul und andere historische Sprachwissenschaftler der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Sprachentwicklung nicht mehr als einen geradlinigen Prozess von der Synthese zur Analyse dar, wie noch Jacob Grimm, sondern als einen viel komplizierteren Prozess mit unterschiedlichen Zielrichtungen: Die Entstehung von Wortbildung und Flexion ist per definitionem ein Prozess von der Analyse zur Synthese. Sobald aber Wortbildung und Flexion existieren - und in allen idg. Sprachen gibt es beides schon in den allerältesten überlieferten Sprachstufen voll ausgebildet - entwickeln sich Wortbildung und Flexion in unterschiedliche Richtungen. In den germanischen Sprachen verschwinden aus Akzentgründen immer mehr Flexionssuffixe, so dass Flexion weitgehend nur noch ein Problem der Kongruenz ist, grammatische Kategorien immer mehr analytisch ausgedrückt werden. Kongruenz ist lediglich das formale Übereinstimmen bestimmter Elemente, signalisiert aber keine grammatischen Funktionen. In Syntagmen wie: ich lach-e, du lach-st, er lach-t liegt die primäre Personendistinktion beim Pronomen, in den Flexionssuffixen wird sie nur wiederholt, was an sich nicht notwendig wäre. Die analytische Form der grammatischen Kategorie Person ist hier jedenfalls wichtiger als die synthetische. Bei den Wortbildungsaffixen hat sich dagegen die Tendenz zur Synthese noch verstärkt: Wir haben in der deutschen Gegenwartssprache eine Vielzahl von Wortbildungsaffixen, aber nur noch eine vergleichsweise geringe Zahl von Flexionssuffixen. Ständig können wir das Entstehen neuer Wortbildungsaffixe beobachten, aber kaum das Entstehen neuer Flexionsmorpheme. Wegen dieser geradezu gegensätzlichen Entwicklung von Flexion und Wortbildung ist es also geboten, beide Bereiche stärker zu unter-

8 scheiden, als man dies tun würde, wenn man nur ihre Entstehung im Auge hat, wie die Sprachhistoriker. Noch in einem anderen Aspekt haben sich Flexion und Wortbildung sprachgeschichtlich unterschiedlich entwickelt: Flexionssuffixe sind schon in got. und ahd. Zeit das Ergebnis eines Zusammenfalle von ursprünglich ,stammbildenden' Suffixen und den eigentlichen Flexionssuffixen als Träger der grammatischen Kategorien. (,Stammbildende' Suffixe sind Klassenmerkmale, die bestimmte Verben, Substantive oder Adjektive zu Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen zusammenfassen, wie wir es etwa von der lateinischen Grammatik her kennen. Dort gibt es z.B. Substantive der α-Deklination, der o-Deklination, der {-Deklination etc.). Das got. Substantiv dags, der Tag wird z.B. im Singular dekliniert: Nom. dag - s Gen. dag-is Dat. dag-a Akk. dag - 0

Die Flexionssuffixe -s, -is und -a sind schon Produkte des Zusammenfalls des (unbelegten) vorgotischen stammbildenden Suffixes *-a- mit den Flexionssuffixen *-z bzw. *-s, *-izo bzw. *-ezo und *-oi. Schon im Gotischen war also die Selbständigkeit dieser stamm-bildenden Suffixe verloren, weil sie lautliche Verbindungen mit den Flexionssuffixen einge-gangen waren. Alle Flexionssuffixe haben ihre Lautgestalt durch den Zusammenfall mit stammbildenden Suffixen in sprachgeschichtlicher Zeit stark verändert. Auch Wortbildungs-suffixe unterliegen natürlich lautlichen Veränderungen, aber in geringerem Ausmaß, denn einmal stehen Wortbildungssuffixe dem Hauptakzent des Wortes näher als Flexionssuffixe, sind also stärker betont und deshalb resistenter gegen Veränderungen, zum anderen kann die Funktion wortbildender Suffixe nicht analytisch von anderen Teilen übernommen werden wie bei Flexionssuffixen: In der Wortbildung gibt es auch keine Kongruenz. Diese sprachgeschichtlichen Vorgänge kann man auch an der Gegenwartssprache beobachten. Von Talmy Givon stammt der berühmte und oft zitierte Ausspruch „today's morphology is yesterday's syntax" (1971: 413). Das heißt, synthetische Sprachformen sind in historischer Zeit aus analytischen entstanden. Dass dies kein einmaliger Vorgang ist, sondern sich immer wiederholt und deshalb auch an der Gegenwartssprache gezeigt werden kann, hat etwa Otmar Werner am Beispiel des Ostfränkischen dargelegt. Von ihm stammt das folgenden Beispiel (1988:132): da habisn ksakt da hastesn... dahatersn... dahamersn... da habtersn... da hamsisn...

(,da habe ich es ihm gesagt')

Neben dem hochsprachlichen Syntagma existiert also im ostfränkischen Dialekt ein synthetisches Paradigma auf -sn, das die analytischen Formen es ihm enklitisch kontrahiert. Das bedeutet nichts weniger als die Entstehung von (synthetischer) Flexion aus (analytischen) Syn-

9 tagmen. Die normative Kraft des Hochdeutschen verhindert natürlich die Aufnahme derartiger Formen in die allgemeine deutsche Grammatik. In der gesprochenen Sprache, die ja in vieler Hinsicht lebendiger ist als die relativ starre Hochsprache, gehören sie hingegen zum Inventar. Auch Wortbildungsmorpheme sind auf diese Weise entstanden. Das got. Substantiv leik, gesprochen [li:k] bedeutete ,Leib, Körper'. Dazu gab es das Adjektiv leik-eins .leiblich, körperlich'. Die Kurzform leiks wurde schon in got. Zeit für Zusammensetzungen verwendet und änderte dadurch ihre Funktion, waira-leiks, gesprochen [w8rali:ks] ,Mann+körperlich' = .männlich'. In allen westgermanischen Sprachen entwickelte sich daraus ein adjektivierendes Suffix, im Deutschen also -lieh. Die gegenwartssprachlichen Suffixe -tum, -schaft-, -heit -sam, oder -haft waren ebenfalls ursprünglich selbständige Substantive, ihr Funktionswechsel ist ganz ähnlich zu erklären wie der von -lieh. Ob alle Suffixe auf diese Art entstanden sind, wissen wir nicht. Suffixe begegnen jedenfalls schon in den frühest nachweisbaren Sprachstufen. Wenn auch sie aus ehemaligen Vollformen entstanden sind, dann zu einer Zeit, aus der wir keine schriftlichen Belege haben. Es ist aber zu vermuten, dass dies zumindest in den indoeuropäischen Sprachen eine allgemeine Entwicklung ist, denn nach dem Prinzip des Uniformitarianismus wiederholen sich sprachliche Prozesse ständig in immer wiederkehrenden Zyklen. In der Tat kann man diesen Vorgang des Übergangs von Syntax zur Wortbildung auch in der Gegenwartssprache ablesen, am Phänomen der sogenannten .Suffixoide' oder .Halbsuffixe' (siehe Kapitel 4.2). Nehmen wir das Substantiv Zeug. Im Duden wird es beschrieben als „etwas, dem man keinen besonderen Wert zumisst, was man für mehr oder weniger unbrauchbar hält und das man deshalb nicht mit seiner eigentlichen Bezeichnung benennt". Dieses Substantiv geht in der Gegenwartssprache sehr viele Verbindungen ein, rückläufige Wörterbücher listen mehrere hundert auf, etwa Schreibzeug, Badezeug, Feuerzeug, Flugzeug, Werkzeug, Fahrzeug, Bettzeug, Rüstzeug etc. In allen Fällen hat der Wortteil -zeug keine genau umrissene Bedeutung mehr. Jedenfalls ist der im Duden für das Substantiv dargelegte pejorative Aspekt nicht mehr vorhanden. Man könnte also mit einiger Berechtigung sagen, dass -zeug im Gegenwartsdeutschen ein substantivierendes Suffix ist. Nicht alle Suffixe, die in historischer Zeit einmal entstanden sind, gibt es auch in der Gegenwartssprache noch. Das ahd. Substantivsuffix -tago etwa begegnete in Wörtern wie sioh-tago (.Siechtum'), nackot-tago (.Nacktheit'), lam-tago (.Lahmheit'), we-tago (,Schmerz'), süm-tago (.Säumnis'), veic-tago (,Tod') etc. Im Laufe der mhd. Zeit ging dieses Suffix allmählich verloren und wurde durch andere ersetzt (-tum, -heit, -nis) bzw. wurden die entsprechenden Formen durch Vollwörter ohne Suffixe abgelöst (Schmerz, Tod). Manche Suffixe sind zwar im Gegenwartsdeutschen noch erkennbar, aber nicht mehr produktiv, wie das in germanischer Zeit hochproduktive Suffix -t zur Bildung femininer Substantivabstrakta. Wir haben es heute noch in Wörtern wie Schrift, Fahrt, Naht, Flucht, Zucht, Sicht, Schlacht, Tracht, Tat etc. Dagegen ist ein altes indogermanisches Suffix -mo, das zur Bildung von Konkreta benutzt wurde, gegenwartssprachlich nicht mehr erkennbar. Es findet sich in Wörtern wie Saum, Zaum, Blume, Samen, Strom, Rahm, Darm, Baum, Keim, Schaum, Qualm, Atem, Lehm, Schleim, Traum etc.). Z.T. gibt es hier noch entsprechende Verbformen ohne -m, etwa blühen oder säen, z.T. überhaupt keine entsprechenden Verbformen, etwa bei Darm oder Rahm, z.T. sogar auch Verbformen mit -m, etwa zähmen, strömen.

10 Zusammenfassend lassen sich also die folgenden Fälle beobachten: • Ehemalige Suffixe sind heute nicht mehr erkennbar (Beispiel idg. -mo). • Ehemalig produktive Suffixe sind heute noch erkennbar aber nicht mehr produktiv (Beispiel germanisch -/). • Ehemalige Suffixe wurden in historisch beobachtbarer Zeit durch andere ersetzt (Beispiel ahd -tago). • Ehemalige Vollwörter entwickelten sich in historisch beobachtbarer Zeit zu Suffixen (gegenwartssprachliche Beispiele -heit/-keit, -tum, -schaft, -sam, -haft, -lieh etc.).

2

Wortbildung: Morphologie

Die für die Wortbildung relevanten Formelemente, fiir die die historische Sprachwissenschaft Fachausdrücke wie Wurzel, Stamm, Endung, Flexionssilbe, Vorsilbe etc. ausgebildet hat, wurden von den verschiedenen Richtungen des sprachwissenschaftlichen Strukturalismus unter synchronischen Gesichtspunkten systematisiert und präzisiert. Da diese Systematisierungen nur z.T. den von der Sprachwissenschaft beschriebenen Formelementen entsprachen, musste man dafür auch neue Fachausdrücke prägen. Als allgemeinen Oberbegriff für .sprachliches Formelement' übernahm man den Terminus Morphem, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals von dem polnisch-russischen Linguisten Jan Baudouin de Courtenay als sprachwissenschaftlicher Fachterminus benützt worden war. Im französischen Strukturalismus wurde dieser Terminus später eingeschränkt auf die Bezeichnung der .grammatischen' Elemente im Gegensatz zu den .lexikalischen'. In den verschiedenen Richtungen des amerikanischen Strukturalismus behielt Morphem seine umfassende Bedeutung als Bezeichnung formaler und funktionaler Elemente, musste aber dann durch Zusätze terminologisch differenziert werden, um unterschiedliche Arten von Morphemen voneinander zu unterscheiden. Die Methoden, Probleme und Ergebnisse der Morphemanalyse und die Definition der sprachlichen Größe ,Wort' können hier nicht weiter diskutiert werden, sondern müssen vorausgesetzt werden (siehe dazu ausführlich Bergenholtz/Mugdan 1979: 12-28 und speziell für die Wortbildung Fleischer 1982: 29-52, Erben 1983: 24f. und Fleischer/Barz 1992: 21-43).

2.1.

Wortkonstitutive Morphemklassen

Wortbildend sind die folgenden Morphemklassen bzw. Morphemklassen-Kombinationen: • Kernmorpheme und Kombinationen aus Kemmorphemen (auch Grund- oder Basismorpheme genannt), d.h. Morpheme aus der offenen, zahlenmäßig nicht festgelegten Klasse, die ohne andere Morpheme frei auftreten und lexikalische Bedeutung haben: rot, schön, Haus, Frau... und blaurot, bildschön, Haustür, Hausfrau... In Kombinationen mit freien Kernmorphemen können in bestimmten, festgelegten Verbindungen (und in geringer Zahl) auch gebundene Kernmorpheme auftreten, sogenannte unikale Morpheme: Himbeere, Schornstein, Sintflut etc. Die Zahl der freien (oder gebundenen) Kernmorpheme in Wörtern ist prinzipiell unbegrenzt, unterliegt aber der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit, die wiederum an die Textsorte gebunden ist: In geschriebenen Texten ist sie höher als in gesprochenen. • Partikelmorpheme und Partikelmorphemkombinationen, d.h. freie Morpheme aus der geschlossenen Klasse, die in der Grammatik vollständig aufgezählt und beschrieben werden, also etwa bei, auf, nein, doch, sehr, zu und dabei, darauf, jedoch, wozu ... Manche dieser Partikelmorpheme sind für Wortbildungsprozesse wichtig, etwa bei, auf, zu, andere kaum, etwa nein, sehr. Die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten für Partikelmorpheme ist weitaus geringer als die bei Kemmorphemen: Es gibt nur Kombinationen aus zwei Partikelmorphemen, in ganz seltenen Fällen auch aus drei: nichtsdestotrotz, nichtsdestominder. • Kombinationen aus Kernmorphemen und Derivationsmorphemen, d.h. nur gebunden auftretenden Wortbildungsmorphemen, z.B. Freiheit, Altertum, uralt, t/nglück, erwarten, ver-

12 stehen, rechtlich, bergig etc. Die Kombinationsmöglichkeiten sind hier sehr groß, ein oder mehrere Kernmorpheme können links- und rechtsseitig mit bis zu drei Derivationsmorphemen auftreten: Wirtschaft, wirtschaftlich, Wirtschaftlichkeit; Verstand, {/«verstand; unverständlich, Unverständlichkeit; Antwort, verantworten, verantwortlich, Verantwortlichkeit, Unverantwortlichkeit. Ob ant- ein Derivationsmorphem im Gegenwartsdeutschen ist, ist allerdings zweifelhaft. Es begegnet außer in Antwort und Antlitz nur noch in Antarktis, Antagonist, Antonym, Antacid etc. also in Fachwörtern mit fremden Basen. Sehr viel häufiger ist das gleichbedeutende Morphem anti. In diesem Zusammenhang kann noch eine weitere zweifelhafte Morphemkombination diskutiert werden. Fasst man in den Wörtern urtümlich und Urtümlichkeit den Teil tum als Derivationsmorphem auf, dann gibt es im Deutschen nicht nur Kombinationen aus Kern- und Derivationsmorphemen, sondern auch Kombinationen nur aus Derivationsmorphemen, was semantisch unsinnig wäre, da Derivationsmoipheme keine auto-, sondern nur synsemantische Bedeutung haben können, also entweder bedeutungsrelativierend wirken, wie die linksstehenden Derivationsmorpheme urund un-, oder wortartenbestimmend sind, wie zum Beispiel die rechtsstehenden Morpheme -ig, -lieh, -heit, -ung etc. oder beides, wie die rechtsstehenden Morpheme -bar, -sam, -haft etc., die einmal die Wortart Adjektiv bestimmen, zum anderen bei vielen Adjektiven reihenbildende Bedeutung haben. In allen Fällen wird jedoch die lexikalische Bedeutung des Kemmorphems relativiert oder differenziert. Nur Differenzierungen an sich kann es aber nicht geben, deshalb ist es ratsam, ohnehin äußerst seltene Fälle wie diesen als Kombination aus Derivationsmorphemen, in diesem Falle also ur-, -lieh und -keit, und einem gebundenen Kernmorphem tüm zu interpretieren, das nur in Verbindung mit diesen Derivationsmorhemen auftritt, und zusammen mit diesen die Bedeutung .natürlich' bzw. ,sehr alt' hat. Fischer (1985) hat fur derartige gebundene Kernmorpheme die Bezeichnung „Konfix" vorgeschlagen (siehe Kapitel 4.4) •



Kombinationen aus Kern- und bestimmten Partikelmorphemen, etwa Vorteil, Nebensache, anfangen, nachgeben etc. Die Kombinationsmöglichkeiten sind hier weit geringer als bei der vorhergehenden Gruppe, was nicht erstaunlich ist, denn die Kombinationsmöglichkeiten von Partikelmorphemen untereinander sind ebenfalls begrenzt. Üblich sind nur Kombinationen mit bis zu zwei linksstehenden Partikelmorphemen und rechtsstehenden Kernmorphemen: gegenübersitzen, davorstehen, hinuntergehen etc. Vorabdruck, Zwischendurchmahlzeit, Voranzeige etc. Kombinationen aus Kern-, Partikel- und Derivationsmorphemen. Hier kommt es zu ähnlich vielfaltigen Möglichkeiten wie bei der Gruppe drei. Die Skala reicht von der einfachsten Kombinationsmöglichkeit aus je einem Morphem, etwa Vorverkauf bis zu komplexen Wortbildungen aus links- und rechtsstehenden Partikel- und Derivationsmorphemen, etwa Vorruhestandsregelung, Unvorstellbarkeit, Unvoreingenommenheit, Erfahrungsverhinderung etc.

Wörter, die nach diesen fünf Kombinationsmöglichkeiten gebildet sind, können (abgesehen von Wörtern, die nur aus Partikelmorphemen bestehen) mit Flexionsmorphemen kombiniert werden. Flexionsmorpheme selber gehören nicht zur Wortbildung (siehe Kapitel 2.2). Bei der Darstellung von Wortbildungen als hierarchische Konstituentenstruktur (siehe Kapitel 2.3) bilden sie immer den rechten Knoten des obersten Verzweigungsastes. Pronominalmorpheme wie jed-, ein(-), d-, dies- etc. treten ausschließlich und obligatorisch in Verbindung mit Flexionsmorphemen auf. Sie stellen eine Sonderklasse dar, die sich von den Wortbildungsmög-

13 lichkeiten der Gruppen 1-5 unterscheidet. Wie Flexionsmorpheme spielen deshalb auch Pronominalmorpheme bei der systematischen Darstellung der Bildung deutscher Wörter keine Rolle. Zur zusammenfassenden Bezeichnung von Flexions- und Derivationsmorphemen wird auch der Terminus Affixe benützt, linksstehende Derivationsmorpheme heißen Präfixe (z.T. werden in der Wortbildungsliteratur auch Partikelmorpheme noch so bezeichnet), rechtsstehende heißen Suffixe. Üblicherweise werden alle Teile eines Wortes außer den Flexionsmorphemen als Wortstamm bezeichnet. Aufgabe: Erarbeiten Sie eine Morphemanalyse der Wörter des folgenden Satzes: Literaturgeschichten resümieren und ziehen Bilanz.

2.1.1

Diskontinuierliche Morpheme und Portmanteau-Allomorphe

Viele Morphemkombinationen kommen dadurch zustande, dass zwischen Kernmorphem und Flexionsmorphem ein oder auch mehrere Derivationsmorpheme treten. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die wortbildende Funktion ausdrucksseitig auf zwei Formelemente verteilt ist, die links und rechts des Kemmorphems stehen, so dass es zu einem diskontinuierlichen Morphem kommt. Im Gegenwartsdeutschen sind dies vor allem zwei häufig auftretende Typen, Substantive mit ge- + Kernmorphem + -e, also Gelache, Gesinge, Getue etc. und Adjektive in der Form des Partizips Perfekt ge- + Kernmorphem + -t bzw. -en, gedient, gebrannt, geboren, gefangen etc. Dies gilt auch für Substantive, die von derartigen Partizipialadjektiven abgeleitet sind, also etwa Geliebt + er, Gefangen + er etc. Umgekehrt kann ein Formteil, der auf der Ausdrucksseite als unteilbares Ganzes auftritt, auf der Inhaltsseite neben semantischen auch Wortbilungsfunktionen enthalten. Derartige Elemente heißen üblicherweise Portmanteau-Allomorphe. Der Terminus Portmanteau (eigentlich .Kleiderständer') wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg von dem amerikanischen Sprachwissenschaftler Ch.F. Hockett zur Kennzeichnung dieser morphologischen Erscheinung geprägt. Die Bezeichnung Portmanteau-Allomorph ist zutreffender als die ab und zu auch verwendete Portmanteau-Morphem, weil ein Teil der inhaltlichen Funktion, nämlich die lexikalische Bedeutung in unterschiedlichen Ausdrucksformen gleich bleibt. Da ein Morphem, jedenfalls in der hier vorgestellten Interpretation, primär inhaltlich-funktional definiert ist, müssen alle Erscheinungsformen mit derselben inhaltlichen Funktion Allomorphe sein. Es handelt sich vor allem um Substantive, die als .implizite Ableitungen' beschrieben werden (etwa bei Fleischer/Barz 1992 passim, siehe auch Kapitel 3.2), also um Wortbildungen wie Wurf, Schuss, Biss, Trieb, Verdruss, Befand etc. Substantive dieser Art sind Allomoiphe zu anderen mit derselben lexikalischen Bedeutung, also hier zu werflwarf, schieß!schoss, beiß, treib, verdrieß/verdross, befind/befand etc. Die Portmanteau-Funktion besteht darin, dass ein einziges Formelement mehrere Inhaltsfunktionen hat, hier .lexikalische Bedeutung' und .Substantiv'. Gegenwartssprachlich ist der Vokal bzw. die Vokalkombination im Wortstamm derartiger Substantive nicht mehr bei allen identisch mit der Lautung einer der Präteritalformen des entsprechenden Verbums, etwa bei Wurf oder Schuss. Dennoch ist es sinnvoll, auch in diesen Fällen von allomorphen Formen zu sprechen. Der allomorphe Status derartiger Formen wird auch dadurch evident, dass sich Flexion und implizite Ableitung (mit gleichbleibender lexi-

14 kalischer Bedeutung) als „item and process" darstellen lassen (vgl. dazu Bergenholtz/Mugdan 1979: 108-115), etwa am Beispiel der Reihe werfen, warf, Wurf: Flexion

implizite Ableitung

e

Aufgabe: Analysieren Sie die Wortbildung von Binde, Band, Bund, Bündel, Gebinde. Welche davon sind .implizite Ableitungen'?

2.1.2

Nullelemente und der Wortbildungstyp der Konversion

Mit Nullelementen arbeiten verschiedene Richtungen der strukturalistischen Sprachwissenschaft zwar schon lange, sie waren jedoch nie unumstritten. Während man in der älteren Forschungsliteratur (etwa Meier 1961 oder Kastovsky 1969, noch Fleischer 1982: 43) ganz allgemein von Nullmorphemen spricht, differenziert man heute genauer zwischen Nullallomorphen und Nullmoiphemen (etwa Bergenholtz/Mugdan 1979: 67-71). Von Morphemen spricht man nur dann, wenn das Element 0 keine phonisch realisierten Allomorphe hat. Der Unterschied zwischen dem Ansatz eines Nullallomorphs und eines Nullmorphems lässt sich am Beispiel der Substantivflexion darstellen. Mit der Annahme von Nullallomorphen haben einige Formen ein Nullelement, um die Parallelität kasusgleicher Formen deutlich zu machen, etwa im Akkusativ Singular: den Mann + 0 Akk.Sg.

vs: den Mensch + en Akk.Sg.

Mit der Annahme eines Nullmorphems haben dagegen alle Singularformen deutscher Substantive ein zusätzliches Nullelement zur Kennzeichnung des phonisch nicht realisierten Singulars: den Mann + 0 + 0 Akk.Sg.

vs: die Männ + er + 0 Akk.Pl.

Das Element 0 mit der Funktion .Singular' hat in diesem Fall keine phonisch realisierten Allomorphe, ist also Morphem. In der Form den Mann + 0 + 0 ständen zwei Nullelemente mit unterschiedlichem Morphemstatus und mit unterschiedlicher Bedeutung nebeneinander, was als Annahme sicher nicht unproblematisch ist. Nicht weniger problematisch erscheint freilich die von Bergenholtz/Mugdan vorgeschlagene Alternativlösung (1979: 70), anstelle des Nullmorphems ein .Nichts' anzusetzen, das man durch runde Klammern ausdrucken könnte, so dass die obige Form so darstellbar wäre: den Mann + ( ) + 0 . Bei einer derartigen Lösung steht einmal

15 .Etwas' in Opposition zu 0 , wenn 0 eine allomorphische Variante ist, ein anderes Mal in Opposition zu .Nichts', wenn dieses .Nichts' den Status eines Morphems hat. Um derartige Probleme zu vermeiden, spricht man in der gegenwärtigen deutschen Sprachwissenschaft allgemein nur von Nullallomorphen, lehnt also die weitergehende und radikalere Annahme von Nullmorphemen ab. Nullelemente sind für den umstrittenen Wortbildungstyp der Konversion relevant. Der Terminus Konversion wird in der deskriptiven Wortbildungsliteratur unterschiedlich verwendet. Henzen (1957: 245) versteht darunter den „Klassenwechsel von Wörtern in ihrer Normalform". Erben spricht von „syntaktischer Konversion", die dann vorliegt, wenn „auch Flexionsmorpheme der Ausgangsreihe beibehalten sind" (1983: 27). Fleischer/Barz definieren (1992: 48) so: ,3ei der (reinen) Konversion ... handelt es sich um eine syntaktische Transposition von Wörtern oder Wortgruppen bzw. Sätzen (dann Univerbierung) mit potentieller semantischer Eigenentwicklung und Lexikalisierung ohne Stammvokalveränderung oder Affigierung". Das klingt, als hätte es darum schon viel Diskussionen gegeben, was in der Tat zutrifft. Die vielleicht zutreffendste Definition stammt von Peter von Polenz. Er versteht Konversion als Wortartwechsel bei der „Verwendung eines Pierems aus einer Pleremklasse (Wortart), die im Lexikon für eine andere syntaktische Endkategorie vorgesehen ist" (1980: 170). Er gibt die Beispiele Hamster > hamstern, hurra > das Hurra, Werbetext > werbetexten. Erweitert man die Definition von von Polenz dahingehend, dass bei diesem Wortartwechsel keine Derivationsmorpheme auftreten (und dass auch Portmanteau-Allomorphe keine Rolle spielen), ist sie fur die Beschreibung von Konversionen gut zu gebrauchen. Weitere Beispiele wären: schauen lahm Fisch leben Freund

> > > > >

(die) Schau lahmen fischen (das) Leben freund (Adj.)

Auch nichthochsprachliche Wortbildungen gehören hierher, also etwa: zu

>

Klasse

>

ein *zu-es Wirtshaus ein *klasse-s Auto

ab

>

ein *ab-es Bein

Weder der Verzicht auf jede formale Veränderung (wie Henzen argumentiert), noch die Beibehaltung von Flexionsmorphenen (Erben 1983: 27; mit dieser Einschränkung würde die Zahl der möglichen Konversionen rigoros eingeschränkt, es blieben nur substantivierte Infinitive übrig), ist das Entscheidende, sondern in der Tat die besondere Zugehörigkeit bestimmter Kernmorpheme zu bestimmten Wortklassen, die durch den Vorgang der Konversion ohne formale Wortbildungsmittel in Verbindung mit anderen Flexionsmorphemen verändert werden kann. Voraussetzung für diese Beschreibung ist die Auffassung, dass etwa Morpheme wie /lahm/, /hamster/, Ischaul oder Izul nicht nur durch hinzutretende Wortbildungs- und Flexionsmorpheme hinsichtlich ihrer Wortklassenzugehörigkeit festgelegt sind, sondern schon von sich

16 aus aufgrund ihrer Semantik wortartenspezifisch sind. Die Annahme von Nullelementen, als Nullmorpheme oder als Nullallomorphe ist bei dieser Interpretation nicht notwendig. Konversion ist die Verbindung wortartenspezifischer Kernmorpheme mit Flexionsmorphemen, die im Lexikon für diese Kernmorpheme nicht vorgesehen sind; diese Verbindung bewirkt Wortartwechsel ohne Wortbildungslemente. (Nicht als Konversionen sollte man Wortbildungenen wie Dankeschön, Vergissmeinnicht, Vaterunser, Dreikäsehoch etc. bezeichnen, obgleich auch hier Wortbildung ohne Wortbildungselemente stattfindet, siehe dazu 4.1.3). Einen ganz neuen Ansatz zum Problembereich Konversion, Nullableitung und syntaktische Umkategorisierung bietet Vogel (1996). Sie argumentiert nicht formal, sondern funktionaluniversalsprachlich im Rahmen einer morphologischen Natürlichkeitstheorie. Nach ihr sind in „Nomen-Verb-Sprachen", etwa dem Deutschen, Wortarten fest an Lexeme gebunden, dagegen herrscht in „Nominalitäts-Verbalitäts-Sprachen", etwa dem Englischen, Konzeptneutralität und Multifunktionalität. Hier können zumeist einsilbige Lexeme grundsätzlich als Verben oder als Substantive fungieren. In Nomen-Verb-Sprachen ist Konversion nur durch syntaktische Umkategorisierung möglich. Ihr Fazit: „Deshalb können syntaktische Umkategorisierung und Derivation als spezifisch für Nomen-Verb-Sprachen gelten. Konversionen dagegen stellen eine der Multifunktionalität verbundene Erscheinung dar, die auf dem Weg von einer Nomen-Verb- zu einer NominalitätsVerbalitäts-Sprache auftritt." (1996: 274) Danach sollte für das Deutsche der Terminus .Konversion' vermieden werden zugunsten von „syntaktischer Umkategorisierung", da das Deutsche entwicklungsgeschichtlich noch nicht so weit ist wie das Englische. Aufgabe: Welche der folgenden Wortbildungen sind als Konversionen beschreibbar?: erblinden, befreunden, Taugenichts, kurzerhand, flugs, angeln, tischlern.

2.1.3

Fugenelemente

Vor allem bei Substantiven treten in Kompositionen zwischen Kernmorpheme häufig Elemente, die sich diachronisch z.T. als Reste ehemaliger Flexionsmorpheme erklären lassen: Lehrer + s + witwe, Kind + er + wagen, Frau + en + haus etc. Zum größeren Teil sind derartige Fugenelemente jedoch keine Flexionsreste, sondern werden (vielleicht!) aus euphonischen Gründen gesetzt: Arbeit + s + amt, hoffen + t + lieh, Schwein + e + braten etc. Bei Fremdwörtern treten ο und i auf: Kristall + ο + graphie, Strat + i + graphie. Es gibt umgekehrt auch den Wegfall eines Elements in der Fuge: Schule vs. Schulkind, Frieden vs. Friedhof (das Problem der Volksetymologie soll hier unberücksichtigt bleiben). Und es gibt regionale Differenzierungen Schweinebraten (eher im Norden bzw. Hochdeutsch) vs. Schweinsbraten (eher im Süden und in Österreich). Man kann eine Reihe möglicher Funktionen diskutieren (vgl. dazu Matussek 1994:40): • In einigen Wortbildungen haben Fugenelemente eindeutig Pluralfunktion, etwa in Pferdestall, Bilderbuch, Lichterglanz, Nachrichtenmagazin, Frauenhaus. Das pluralische Ver-

17





hältnis muss allerdings nicht ausgedrückt werden, etwa nicht in Bildband, Buchladen, Kuhstall. In anderen Fällen haben pluralisch aussehende Fugenelemente eindeutig Singularfiinktion, etwa in Hühnerei, Eierschale, Gänseleber, Schweinebraten, Kirchenbesuch, Kinderwagen. Dies ist auch bei manchen Analogbildungen so, also bei Wörtern, die an sich nicht oder zumindest nicht in dieser Form pluralfähig sind, etwa bei Sonnenschein, Greisenalter, Schwanenhals. Wieder in anderen Fällen lässt sich beim jeweiligen Gebrauch nicht klar entscheiden, ob ein singularisches oder ein pluralisches Verhältnis vorliegt, etwa in Hundemarke, Kinderschwester, Treppenhaus.

Sehr ähnlich verhält es sich mit den genitivisch aussehenden Fugenelementen. In einem Wort wie Lehrerswitwe liegt eindeutig eine singularische, genitivische Funktion vor, bei Bischofskonferenz kann man dies nicht sagen, hier liegt ein anderes, nämlich ein pluralisches Syntagma zugrunde, etwa Konferenz der Bischöfe. In Wörtern wie Hühnerknochen oder Tageszeitung kann aber muss nicht ein Genitivsyntagma, Plural oder Singular, zugrundeliegen. Manchmal liegt so etwas wie eine poetische Funktion vor, etwa bei Wortpaaren wie Waldrand vs. Waldesrand oder Berghöhen vs. Bergeshöhen. In wenigen Wortpaaren hat ein Fugenelement distinktive Funktion, in Landmann vs. Landsmann, Kindbett vs. Kinderbett, Volkskunde vs. Völkerkunde. Euphonische Funktion ist schwer nachzuweisen, denn Fugenelmente stehen oder stehen nicht in identischen lautlichen Umgebungen: Sporthilfe vs. Arbeitshose, Cordhose vs. Mordshunger, Leibgurt vs. Diebsgesindel. Auch empirische Untersuchungen mit Artefakten fuhren hier kaum zu brauchbaren Ergebnissen. Die Verwendung von Fugenelementen erscheint weitgehend ungeregelt. Lediglich Kompositionen aus Wörtern mit den Ableitungssuffixen -heit, -ung, -schaft, -(l)ing, und -tum als erster Komponente scheinen wegen der reihenbildenden Wirkung Fugenlemente auch bei Artefakten zu provozieren, Kompositionen aus Wörtern auf -ik oder -ur dagegen so gut wie nie. Da eine klar definierbare Funktion derartiger Elemente nicht auszumachen ist - ,Fuge' ist als Funktion nicht hinreichend - spricht man allgemein nicht von .Fugenmoiphemen', sondern neutral von .Fugenelementen'. Aufgabe: Stellen Sie mithilfe von Fleischer/Barz(1992: 136 ff.) alle im Gegenwartsdeutschen gebräuchlichen Fugenelemente zusammen.

2.2

Wortbildung und Flexion

„Die ableitenden Suffixe bilden Wörter, die Flexionen Wortformen" legte Wilmanns (1896: 9) fest und beschrieb damit den zentralen Unterschied zwischen Wortbildung und Flexion. Ableitende und flektierende Suffixe treten in den idg. Sprachen an Wortstämme bzw. Wortwurzeln als die nicht mehr weiter analysierbaren historischen Grundformen von

18 Wortstämmen. Am Beispiel des gegenwartssprachlichen Wortstammes sag- (Wurzel: *seku-) lassen sich mit dieser Unterscheidung u.a. folgende Wörter und Wortformen ermitteln: Wörter sag sag sag sag sag säg Sag An- sag Vorher- sag An- sag Un- sag Un- säg

anvorher(un-) vorherun-

Wortformen (-en) (-en) (-en) -bar -bar -lieh -e -e -e -er -bar-keit -lich-keit

sag sag sag sag sag säg Sag Ansag Vorfaer- sag Ansag Unsag Unsäg

anvorher(un-) vorherun-

-e, -en, -st, -t, -te -e, -en, -st, -t, -te -e, -en, -st, -t, -te -bar -e, -er, -es, -em, -en -e, -er, -es, -em, -en -bar -lieh -e, -er, -es, -em, -en -n -e -n -e -e -n -er -n, -s -bar-keit -en -lich-keit -en

Die Wörter der linken Spalte lassen sich in bestimmte Wortklassen zusammenfassen, hier in Verben, Adjektive und Substantive, die Wortformen der rechten bezeichnen die Flexionskategorien der Grammatik, hier Person, Numerus, Tempus und Modus beim Verbum; Kasus, Numerus und Genus bei den Substantiven und Adjektiven. Aus dieser vergleichenden Gegenüberstellung von Wörtern und Wortformen wird ein weiterer Unterschied deutlich, auf den schon Wilmanns ebenfalls aufmerksam gemacht hat: „Auch in der Stellung unterscheiden sich die Flexionen von anderen Suffixen, indem sie immer, auch nach ganz jungen Suffixen, den letzten Platz behaupten." (1896: 9f.) An den Wortstamm treten also links und/oder rechts zunächst wortbildende Suffixe, eines oder mehrere (etwa bei sag-bar, Un-sag-bar-keit); die rechtsstehenden Suffixe bestimmen, zu welcher Wortklasse ein Wort gehört. Die Flexionskategorie wird dann zusätzlich mit Flexionssuffixen bezeichnet, die immer an der äußersten rechten Seite bzw. am Ende eines Wortes stehen, (weshalb Flexionssuffixe in der historischen Sprachwissenschaft auch Endungen genannt wurden). Mit dieser Festlegung können fast alle Wortformen zutreffend beschrieben werden; nur bei sehr wenigen trifft dies nicht zu, etwa bei einigen Pluralformen, wie z.B. Kind-er-chen/ -lein. Hier steht das Flexionssuffix -er, das die grammatische Kategorie Numerus (Plural) bezeichnet, nicht am Ende, sondern zwischen dem Wortstamm und dem Wortbildungssuffix -chenZ-leirt. (Für den Sprachhistoriker Wilmanns ist dies ein Indiz dafür, dass der Plural auf -er sprachgeschichtlich jünger ist als alle anderen deutschen PluralsufSxe.) Aber die allermeisten Wörter auf -chen/-lein bilden ihre Pluralformen nicht wie Kind, sondern ohne Suffix, auch wenn der Wortstamm allein im Plural ein -er-Suffix hat, etwa Weib: das/die Weibchen; Haus: das/die Häuschen; Mann: das/die Männchen; Wort: das/die Wörtchen etc. Die Kategorie Plural wird hier nur durch die Form des Artikels ausgedrückt. Neben der Form Kind-er-chen, gibt es auch noch das/die Kind-chen in derselben Bedeutung. In Fällen wie Kind-er-chen wird unter synchronischen Gesichtspunkten das Suffix -er- als ,Fugenelement' erklärt, nicht als Flexionssuffix (siehe Kapitel 2.1.3).

19 Die Grenze zwischen Wortbildung und Flexion, die man nach den oben angeführten Kriterien deutlich ziehen kann, erscheint in unseren Grammatiken dennoch z.T. verwischt. So gehören etwa die Bereiche Partizip und Gradation traditionell nicht zur Wortbildung, sondern zur Flexion, obgleich beide nicht Wortformen, sondern Wörter bilden, die zusätzlich zu den Suffixen, die den Status als Partizip oder als graduiertes Adjektiv bewirken, noch Flexionssuffixe haben: Wortstamm Klein

Mach

Gradation -er-st-

Kasus/Numerus

Partizip -endge- + -tWortbildung?

-e, -es. -er, -era, -en

Flexion? oder. Flexion?

Eine derartige formale Analyse scheint klar für eine Klassifizierung von Gradation und Partizip als Wortbildung zu sprechen. Wenn sich Flexion immer nur auf ein Morphem beschränken würde, auf das, das am äußersten rechten Wortrand steht, hätte man wohl auch in der traditionellen Sprachwissenschaft so klassifiziert. Leider ist dies nicht so, wie das folgende Beispiel zeigt: Wortstamm Mach

Tempus -t-

Person/Numerus -e, -est, -et, -en Flexion

Hier gelten seit jeher beide Moiphemklassen als Flexionselemente, die zur Bezeichnung von Tempus und die zur Benennung von Person und Numerus. Bei Nomina agentis und Nomina actionis liegen die formalen Verhältnisse vergleichbar; hier hat man sich aber in der Grammatikschreibung entschieden, zwischen Wortbildung und Flexion zu trennen: Wortstamm

Nomen agentis Nomen actionis

Kasus/Numerus

Lehr Fehl

-er-

-s, - 0 , -n

Wortbildung

Flexion

Strukturanalyse und die Tradition der Grammatikschreibung, die noch heute fortwirkt, führen in dieser Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Grenze zwischen Flexion und Wortbildung erscheint unscharf. Für die Wortbildung werden Flexionssuffixe nach Wilmanns erst und nur dann relevant, wenn „sie aus dem Zusammenhang des Flexionssystems heraustreten und als Mittel der Wortbildung erscheinen" (1896: 9). Er denkt dabei vor allem an Adverbien auf -s, wie z.B. flugs, morgens, winters, anfangs, behufs, betreffs, teils, mittels, zwecks etc. Diese Wörter sind dadurch zu Adverbien geworden, dass die Form des Genitivs nicht mehr als

20 Flexionsform empfunden wird, sondern zu einem Wortbildungselement für die Adverbbildung geworden ist. Otto Jespersen hat deshalb im Gegensatz zu Wilmanns postuliert: „I do not recognize this distinction as fundamental" (1942: 4). Eine dritte Möglichkeit hat 1985 Joan Bybee vorgestellt. Nach ihr besteht zwischen Wortbildung (als Derivation) und Flexion nicht ein Ausschließlichkeits- sondern ein Kontinuumsverhältnis. Danach ist Derivation größeren Irregularitäten unterworfen als Flexion, steht also dem Lexikon näher als der Syntax. Flexionskategorien müssen stets realisiert werden, bei Derivationskategorien bestehen dagegen Wahlmöglichkeiten: In jedem Satz müssen Flexionskategorien wie Kasus, Numerus, Person, Tempus, Modus etc. verwendet werden. Ob man dagegen Wortbildungen oder Syntagmen verwendet, ist fakultativ: Die Frau des Pfarrers spielt auch die Orgel vs. Die Pfarrersfrau spielt auch die Orgel, oder: Diesen Stuhl kann man zusammenklappen vs. Dieser Stuhl ist zusammenklappbar. Grammatische Kategorien, also Flexionskategorien sihd nach Bybee weitgehend universal, Wortbildungsmöglichkeiten dagegen weitgehend einzelsprach- und kulturabhängig. Flexionsmorpheme sind genereller, Derivationsmorpheme für Wortstämme relevanter, d.h. man muss in der Rede jeden formveränderlichen Wortstamm ganz generell mit entsprechenden Flexionsmorphemen verbinden, man kann aber nicht jedes Derivationsmorphem mit jedem Wortstamm verwenden. Ein Verb, ein Substantiv und ein Adjektiv wie beginnen, Held, schlecht muss in der Rede mit entsprechenden verbalen bzw. nominalen Flexionsmorphemen verbunden werden, für die ein Gesamtinventar zur Verfügung steht. Die drei Beispiele können aber mitnichten auch mit dem Gesamtinventar aller Derivationsmorphme verbunden werden: *beginnbar, *Held-chen,*unschlecht. Ordnet man flexivische und derivationelle Phänomene nach grammatischen und lexikalischen Merkmalen, so findet man heraus, dass die Grenze zwischen Flexion und Wortbildung fließend ist, dass in der Tat ein Kontinuum-Verhältnis zwischen beiden besteht und die Grenzziehung letzlich eine Frage des Ermessens darstellt. (Vgl. dazu auch Vogel 1996).

2.3

Wortbildungen als hierarchische Morphemkombinationen

Wfcrt Schauspiderirmen

l.Kemnrrptem /schau/

ZKemmorphem /spiel/

led

im/

leal

21 Wortbildungen lassen sich wie Sätze als Konstituentenstrukturbaum darstellen, der die Hierarchie der Bildungen zeigt und zugleich deutlich macht, dass Flexionsmorpheme immer nach dem obersten Verzweigungsast stehen, außerhalb der eigentlichen Wortbildung: Dieser Konstituentenstrukturbaum basiert auf der Interpretation, dass das Wort in folgenden Stufen gebildet worden ist: 1. Komposition: Schau + Spiel 2. Derivation: Schauspiel + er 3. Derivation: Schauspieler + in Rein formal wäre hier auch die Umkehrung der Stufen eins und zwei möglich, also die Interpretation nach folgendem Konstituentenstrukturbaum:

Flexion

Konposition

Derivationsrnorphem

Derivation

l.Kemmorphem

2.Kemmorphem

/schau/

NomPl.

/spiel/

Derivationsmorphem

/er/

/in/

/en/

Mit dieser Interpretation wäre das Wort in folgenden Stufen gebildet worden: 1. Derivation: Spiel + er 2. Komposition: Schau + Spieler 3. Derivation: Schauspieler + in

Aus semantischen Gründen ist diese Stufenbildung jedoch unwahrscheinlich, da das Substantiv Spieler andere semantische Merkmale hat als in der Komposition Schauspieler. Man müsste dann eine Bedeutungsveränderung zwischen Spieler als selbständigem Substantiv und als zweiter Komponente in Schauspieler annehmen. Die Stufung 1) Komposition 2) Derivation 3) Derivation erfordert hingegen keine Bedeutungsveränderungen. Hier ist das Substantiv auf -er Nomen agentis zum linksstehenden zusammengesetzten Substantiv, wie in vielen anderen Fällen. (Der historische Befund, der bei einer synchronischen Analyse freilich keine Rolle spielt, bestätigt diese Interpretation: Das Wort Schauspiel gibt es seit dem 15. Jahrhundert, die Ableitung Schauspieler ist erst im 16. Jahrhundert belegt).

22 Unter dem Aspekt ihrer Konstituentenstruktur haben Kompositionen und Derivationen grundsätzlich dieselbe hierarchische Struktur. Dies macht ein Vergleich zwischen Kompositionen und Derivationen aus beliebig vielen Elementen deutlich: 1. Mit zwei Elementen

Wort (Derivation) sachlich

(Flexion)

Derivation Kernmorphem

Derivationsmorphem

/sach/

/lieh/

Wort (Komposition) Haustür

1.Kernmorphem /haus/

2.Kernmorphem /tür/

2. Mit drei Elementen

Wort (Derivation)

Sachlichkeit

(Flexion)

Derivationsmorphem Kernmorphem

/sach/

Derivationsmorphem

/lieh/

/keit/

Wort (Komposition) Haustürschlüssel

(Flexion)

1 .Kernmorphem /haus/

/tür/

/schlüssel/

24 31 Mit vier Elementen

Wort (Derivation) unverkäuflich

(Flexion)

Derivationsmorphem Derivationsmoφhem

/un/

/käuf7

/ver/

/lieh/

Wort (Komposition) Großschiffahrtsstraße

(Flexion)

4.Kernmorphem 1 .Kernmorphem

2.Kemmorphem /groß/

/schiff/

3.Kemmorphem /fahrts/

(Zum Fugenelement -s- in /fahrts/ siehe Kapitel 2.1.3)

/straße/

25 Wegen dieser Gleichheit der Konstituentenstrukturen ist die von der historischen Sprachwissenschaft getroffene Dreiteilung in Präfigierung, Ableitung und Zusammensetzung, oder auch die Zweiteilung in Derivation und Komposition in der strukturalistischen Moiphologie aufgegeben worden zugunsten eines einzigen Wortbildungstyps, dem der .Kombination' unterschiedlicher Morpheme. Aufgabe: Erarbeiten Sie die Konstituentenstrukturen der Wörter Urgroßväter, Verträglichkeiten, Satzpronominalisierungen.

2.4

Kurzwortbildung

Neben die auf vielfältige Weise mögliche und sehr zahlreich auftretende Kombination wortbildender Elemente mit Kernmorphemen (und den weit weniger bedeutenden Typ der Konversion) tritt in der deutschen Gegenwartssprache zunehmend häufig ein weiterer Typ, unterschiedlich gebildete Kurzwörter. Zu Neubildungen kommt es hier allerdings nur am Rande, etwa dann, wenn aus Initialwörtern neue Vollwörter werden und der Abkürzungscharakter verlorengeht. Prominentestes Beispiel ist vielleicht das Wort Aids, das heute die allermeisten Sprachbenutzer nicht mehr als Initialwort (aus .aquired immunity deficiency syndrom') wahrnehmen sondern als Vollwort. Kaum jemand kennt die vier Wörter der Entstehung, aber jeder weiß, was Aids bedeutet. Ähnlich ist es bei Wörtern wie Nato, Edeka, Laser, Radar etc. Wer außer einigen Fachleuten weiß schon, dass Laser entstanden ist aus ,light amplification by stimulated emission of radiation'? Das zu wissen ist auch nicht nötig, denn das ursprüngliche Initialwort, dessen Bedeutung allgemein bekannt ist, hat inzwischen längst eine eigene Existenz als Vollwort erworben. In den Bereich der Morphologie gehören Kurzwörter auch nur bedingt, denn oft sind es nicht Morpheme, die als Wörter abgetrennt werden, sondern Sprechsilben, etwa bei Lok. Die Morphemgrenze der Vollform Lokomotive liegt zwischen Loko- und -motive, d.h. nach morphologischen Prinzipien müsste das Kurzwort eigentlich Loko heißen. Der Sprachbenutzer empfindet hier offenbar die Zäsur der Sprechsilbe stärker als die Morphemgrenze. Ähnlich ist es bei Abkürzungswörtern wie Akku (aus Akkumul-ator) oder Limo (aus Limonade). Die meisten Kurzwörter sind keine Neubildungen, sondern lediglich Kurzformen bestehender Bildungen und gehören insofern nur am Rande zur Wortbildung. Es gibt vor allem links- und rechtsseitige Kurzwörter und Initialwörter bzw. Abkürzungswörter.

2.4.1 Links-und rechtsseitige Kurzwörter Hier ersetzen gewöhnlich entweder links- oder rechtsstehende Elemente die Vollform, die zwar auch noch möglich ist, aber seltener gebraucht wird: Ober (für Oberkellner), Auto

26 (fur Automobil), Foto (fur Fotografie) bzw. Bahn (für Eisenbahn), Schirm (für Regenschirm), Platte (für Schallplatte). Es gibt auch Kombinationen von links- und rechtsstehenden Elementen, etwa das allgemeinsprachlich heutzutage selten gebrauchte Wort Krad, das aus Kraftrad entstanden ist. Im militärischen und polizeilichen Bereich wird das Wort häufiger benutzt. Fast schon als deutsches Wort wird das englische Smog empfunden, jedenfalls wird es im Gegenwartsdeutschen häufig und selbstverständlich gebraucht. Entstanden ist es aus der Kombination smoke + fog. Sehr selten bleibt nur die Mitte eines Wortes als Kurzwort übrig, etwa beim englischen Kurzwort flu, das aus der Vollform influenza entstanden ist.

2.4.2

Initialwörter/Abkürzungswörter

Kurzwörter dieser Art werden mit oder ohne Punkte geschrieben, die sie klar als Abkürzungen kennzeichnen. Die meisten politischen Parteien bevorzugen die Form ohne Punkte: CSU, SPD, CDU, PDS etc. Nur die F.D.P. verwendet Punkte, um die Abkürzung als solche deutlich zu machen. Für das Verständnis kommt es hier sehr auf den Kontext an. Die vielen tausenden von Initialwörtern, die täglich in allen möglichen Textsorten verwendet werden, vor allem in Textsorten der Verwaltung, erfordern entsprechendes Hintergrundwissen. Für einen Studenten bedeutet die Abkürzung UB ganz selbstverständlich Universitätsbibliothek, für jemanden der bei der Firma Siemens angestellt ist, ebenso selbstverständlich Unternehmensbereich. Die Abkürzung BRK bedeutet fur viele Bayerisches Rotes Kreuz, im Verwaltungsbereich der Universitäten dagegen eher Bayerische Rektorenkonferenz. Sehr viele Abkürzungen sind für den Außenstehenden überhaupt nicht verständlich. Wer weiß schon oder besser muss schon wissen, dass ZUV .Zentrale Universitätsverwaltung' bedeutet oder WB in sprachwissenschaftlichen Arbeiten als Abkürzung für .Wortbildung' verwendet werden, MB Mitglied des Bundestages bedeuten kann? Nicht selten kann es hier geradezu zu Abkürzungsmonstern kommen, etwa die nach 1989 im Zuge der Wiedervereinigung in der neuen Bundesrepublik gebrauchte Abkürzung DtVerbkdoSowjSK: .Deutsches Verbindungskommando zu den sowjetischen Streitkräften in Deutschland'. Manche Abkürzungen erscheinen nur in der Schrift als solche, gesprochen werden sie immer als Vollwort, etwa Maß- und Gewichtsangaben: l, m, cm, km, g, kg etc. Auch Titel gehören hierher: Dr., Prof. Bei letzterem kommt es hier unter Studenten allerdings zu einem neuen Vollwort Prof, ohne Punkt, das auch so gesprochen wird, in Analogie zu linksstehenden Kurzwörtern. Die Abkürzung km/h, also .Kilometer pro Stunde' oder .Stundenkilometer', wird seit einiger Zeit auch als Initialwort gesprochen, was manche als professioneller und eleganter empfinden. Aufgabe: Beschreiben Sie die Kurzwörter Hapag, Kino, Taxi, Motel, Big-Mac.

3

Wortbildung: Syntax und Semantik

3.1.

Wortbildung als Interaktion zwischen Lexikon und Syntax

Dass es zwischen Wortbildung und Syntax enge Verbindungen gibt, ist schon im letzten Kapitel deutlich geworden: Wortbildungen sind wie Sätze als hierarchisch gegliederte Strukturen darstellbar. Ob komplexere semantische Einheiten formal durch Wortbildungen oder Syntax realisiert werden, darüber entscheidet die Sprachökonomie bzw. der konventionell geregelte, an unterschiedliche Sprechsituationen gebundene Sprachgebrauch unterschiedlicher Sprechergemeinschaften, der auch die historische Entwicklung des Systems zu beachten hat. In jeder Sprechergemeinschaft ist das Verhältnis zwischen lexikalischen Differenzierungen durch Wortbildung und syntagmatischer Formulierung anders konventionalisiert. Dies gilt auch fur Textsorten: Fachsprachliche Texte weisen einen sehr viel höheren Grad an Wortbildungen, also an lexikalischer Ausdrucksmitteldifferenzierung auf als normalsprachliche Textsorten, weil Fachtermini präziser und kürzer sind als syntagmatische Formulierungen. Jede Wortbildung hat die Funktion der Informationsverdichtung, d.h. das, was syntaktisch auf mehrere Elemente verteilt war, wird in einer einzigen Einheit zusammengefasst, .univerbiert'. Dies ist dann sinnvoll, wenn entsprechende Sachverhalte häufiger sprachlich verbalisiert werden. Der Sachverhalt .Lehrer an einem Gymnasium sein' wird etwa in unserer Gesellschaft so häufig Gegenstand einer Äußerung, dass es sinnvoll ist, dafür verdichtend und verkürzend ein Kompositum zu prägen, Gymnasiallehrer (entsprechend Deutsch-, Mathematik-, Englischste. lehrer und viele andere Zusammensetzungen mit -lehrer). Gäbe es Lehrer, die nur in bestimmten Klassen Unterricht geben, könnte man wortbildend hier weiter differenzieren und Bildungen wie *Zehntklasslehrer oder dergleichen prägen. Auch Lehrer, die ausschließlich an Jungen- oder Mädchenschulen unterrichten, oder an Kloster- oder Privatschulen, an städtischen oder staatlichen Schulen, könnte man terminologisch differenzieren, falls dies gewünscht würde. Kommen allerdings zu viele semantische Differenzierungsmerkmale zusammen, werden entsprechende Wortbildungen zunehmend komplexer und damit schwieriger zu verstehen, was der Informationsvermittlung zuwiderläuft. Außerdem nimmt dann der Bedarf der Sprechergemeinschaft ab, d.h. derartige Prägungen wären dann nur noch für einen kleinen Kreis von Experten relevant. So liegt es z.B. kaum im Interesse einer größeren Sprechergemeinschaft, ein Kompositum zu prägen, sagen wir für einen .Lehrer, der an einer klösterlichen Mädchenschule immer ausschließlich in der 10. Klasse das Fach Deutsch unterrichtet'. Man wird also einen derartigen Sachverhalt (falls es ihn gibt), sollte er Gegenstand sprachlicher Erörterung werden, syntaktisch ausdrücken. Hier geht es zunächst um normalsprachliche Textsorten bzw. um den Sprachgebrauch der Alltagssprache. Bei Hinzutreten eines einzigen semantischen Merkmals kann es zu okkasioneller Wortbildung kommen (siehe Kapitel 3.2). Anstelle der Syntagmen Bein einer Mücke oder weibliche Mücke kann man ohne weiteres die Zusammensetzungen Mückenbein bzw. Mückenweibchen bilden, weil zum Basiswort Mücke nur jeweils eine Prädikation bzw. eine Attribuierung hinzutritt. Bei Hinzutreten mehrerer semantischer Merkmale, also mehrerer Prä-

28 dikationen werden Wortbildungenen schnell zu aufwendig, unübersichtlich und deshalb schwer verständlich, das haben wir oben an dem Lehrerbeispiel gesehen. Diese semantisch komplexeren Gebilde werden gewöhnlich nicht mehr durch Wortbildungen, sondern durch Syntagmen ausgedrückt, weil im Syntagma Prädikationen und Attribuierungen lockerer, auflösbarer und deshalb leichter erkennbar verteilt sind als in Wortbildungen. So ist etwa die okkasionelle Wortbildung *Tausendfiißlerbein möglich und leicht verständlich, weil auch hier nur ein semantisches Merkmal zum zwar komplexen aber lexikalisierten, d.h. konventionalisierten Grundwort Tausendfüßler hinzutritt. Es wäre aber unökonomisch, eine Wortbildung für das hinterste rechte Bein eines ausgewachsenen weiblichen Tausendfüßlers zu erfinden, denn einmal würden die zusätzlichen semantischen Merkmale eine derartige Wortbildung sehr unübersichtlich machen, zum anderen besteht für die überwältigende Zahl von Sprechsituationen oder Textzusammenhängen nicht die Notwendigkeit, die in diesem Syntagma vorliegenden Prädikationen zu einer einzigen Form, zu einer Wortbildung zu verdichten. Syntagmatische Semantik in der Syntax (Satzsemantik) und paradigmatische Semantik in der Wortbildung (Wortsemantik) greifen also in der Sprache ökonomisch ineinander und können vom Sprachbenutzer je nach Erfordernis von Sprachökonomie und Verständlichkeit des Ausdrucks kreativ eingesetzt werden. Die hier vorgestellten Beispiele machen zugleich deutlich, dass Syntax und Lexikon bei der Wortbildung so eng miteinander verbunden sind, dass es wenig Sinn hätte, beide Aspekte voneinander getrennt untersuchen zu wollen, Wortbildung also nur unter syntaktischen oder nur unter lexikalisch-semantischen Gesichtspunkten beschreiben zu wollen. Dennoch hat man in der neueren Geschichte der Sprachwissenschaft immer wieder versucht, genau dies zu tun, etwa Toman (1983). Dass die Grenze zwischen Syntax und Lexikon fließend ist, zeigt sich auch an den sogenannten Wortgruppenlexemen, also Bildungen wie Gelbe Rüben, der Gelbe Fluss, die Gelben Engel (des ADAC), Blauer Montag, der Blaue Planet, der Blaue Reiter, das Blaue Band, die Blaue Grotte, der Blaue Engel (Siegel für umweltschonende Produkte), um jetzt nur Wortgruppenlexeme mit den Farbwörtern gelb und blau zu wählen. Dies sind keine Komposita, denn sonst müssten sie als ein einziges Wort geschrieben werden, und vor allem dürften nicht beide Teile im Syntagma veränderlich sein, was sie ja sind: des Gelben Flusses, die Gelben Engel etc. Aber die beiden beteiligten Elemente gehören semantisch so eng zusammen, dass sie einen Begriff bilden. Dass die Entscheidung Wortbildung oder Wortgruppenlexem, also Syntagma, oft nur an der Schreibung hängt, zeigen Beispiele wie zugrunde vs. zu Grunde, zumute vs. zu Mute, zu statten vs. zu Statten, mithilfe vs. mit Hilfe, zuwege vs. zu Wege etc. Hier bestimmt in der Tat die sich ab und an ändernde Rechtschreibkonvention die grammatische oder lexikalische Zuordnung derartiger Bildungen. Die Erkenntnis, dass viele Wortbildungen verdichtete Sätze sind und deshalb syntaktisch paraphrasiert werden können, ist alt. Systematisch genutzt wurde sie erst in der neueren Wortbildungsforschung, fast ausschließlich zur Erklärung und Beschreibung von Nominalkomposita. Dabei ergaben sich von Anfang an zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten: 1) Syntaktische Paraphrasierungen sind eine mögliche Erklärung von bestimmten Wortbildungen. Eine Zusammensetzung wie Schreibmaschine könnte deshalb für den Sprach-

29 teilnehmer verständlich sein, weil er diese Wortbildung interpretieren und analysieren kann - ob dies bewusst oder unbewusst geschieht, ist dabei zunächst irrelevant - als Maschine, mit der man schreiben kann. 2) Wortbildung ist ein Teilgebiet der Syntax, d.h. Wortbildung und Syntax unterliegen grundsätzlich denselben Prinzipien, komplexe Wörter und Sätze folgen denselben, oder zumindest ähnlichen sprachprozessualen Mechanismen. Hier nimmt Wortbildung einen klar definierten Platz innerhalb eines grammatiktheoretischen, syntaxdominierten Modells ein. Zunächst zu Punkt 1): Intuitiv gefundene Paraphrasierungen von Wortbildungen können syntaktisch unterschiedlich realisiert werden, etwa bei dem oben angeführten Beispiel Schreibmaschine. Hier wären neben der schon genannten Paraphrase noch andere denkbar und möglich: .Maschine zum Schreiben', .Maschine, die dazu da ist/dafür bestimmt ist/den Zweck hat etc., dass man mit ihr schreibt/schreiben kann', .Maschine, die schreibt' etc. Dies sind sicher noch nicht alle Möglichkeiten, aber doch genügend, um deutlich zu machen, dass syntaktische Paraphrasierungen in unterschiedlicher Form möglich sind. Um zu einem einigermaßen einheitlichen Vorgehen zu kommen, kann man die Forderung erheben, dass derartige Paraphrasen formal Minimalparaphrasen bei gleichzeitiger maximaler Explizitheit ihrer Bedeutung sein müssen, d.h. dass sie nur das syntaktische Minimum enthalten dürfen, aber zugleich alles, was für die Bedeutung der Wortbildung relevant ist (siehe etwa Ungeheuer 1968: 195f. oder von Polenz 1972: 403 und 1980: 174). Mit dieser Forderung würden bei dem obigen Beispiel nur die Paraphrasierungen Maschine zum Schreiben und Maschine, die schreibt zugelassen sein, d.h. noch immer zwei Möglichkeiten. Die Schwierigkeit liegt darin, dass bei der Paraphrasierung nicht nur die einzelnen Komponenten einer Wortbildung formal syntaktisch umschrieben werden müssen, sondern dazu das jeweils spezifische syntakto-semantische Verhältnis, in dem diese Komponenten zueinander stehen. Dieses Verhältnis kann sehr unterschiedlich sein. In der Komposition Langstreckenläufer besteht es in der Beziehung zwischen Agens und Objekt: .einer, der (= Agens) eine lange Strecke (= Objekt) läuft'. In der Zusammensetzung Putzfrau ist dagegen das Verhältnis zwischen Agens und einem modalen Element relevant: ,eine Frau, die (Agens) beruflich bzw. zum Gelderwerb bei anderen Leuten bzw. außerhalb ihrer eigenen Wohnung (= im weiteren Sinne modales Element) putzt'. Bei den Zusammensetzungen Schwimmbad und Pflanzzeit sind neben dem Agens lokale und temporale Elemente wichtig. Bei einem Wort wie Schießbefehl schließlich ist das syntakto-semantische Verhältnis der beiden Wortteile zueinander so komplex, dass nur ein sehr ausführliches Syntagma alle relevanten Informationen enthalten könnte. Da hilft es auch nicht weiter, wenn man (wie Laca 1986: 80) eine Maximalbedingung formuliert: Die Bedeutung eines Kompositums sei nur durch „die Gesamtmenge der potentiell mit dem betreffenden Wortbildungsprodukt vereinbaren objektsprachlichen Paraphrasen zu rechtfertigen". Bei einer Komposition wie Rostmesser ist grundsätzlich mehr als eine Paraphrasierung notwendig, weil Wörter wie dieses mehrere .Lesarten' enthalten. Hier gibt es drei Lesarten. 1) .Messer zum Entfernen von Rost', 2) .rostiges Messer', 3) .Instrument zum Messen von Rost'. Der Unterschied zwischen den beiden ersten Interpretationen und der dritten liegt in der Polysemie des Basiswortes Messer, der Unterschied zwischen eins und zwei in der Zuordnung

30 verschiedener Syntagmen zu den beiden Komponenten der Komposition. Parallel zur ersten Lesart wären etwa gebildet Schneeschaufel, Eiskratzer oder Fleckenwasser, parallel zur zweiten etwa Dreckarbeit, Magermilch oder Warmwasser. Die ausdrucksseitig sehr ähnlichen Komposita Rotstift, Schönredner oder Gutschein wären dagegen mit anderen Syntagmen zu paraphrasieren. Zur Erklärung dieser unterschiedlichen Paraphrasen hat man u.a. auf die besonderen Valenzeigenschaften der bei diesen Paraphrasierungen beteiligten Verben hingewiesen (etwa von Polenz 1972: 216f., Wellmann 1975 und Kühnhold/Wellmann 1973 und 1978 passim), was allerdings problematisch ist, wie Günther dargelegt hat (1981: 262f.). Am Beispiel von Milchtasse macht er deutlich, dass die hier nicht zugelassene Paraphrasierung * Tasse, die aus Milch besteht, in Analogie zu Blechteller, Silberlöffel, Holztisch etc., nicht deshalb ausgeschlossen werden muss, weil das Verb bestehen (aus) eine entsprechende Valenzrestriktion hat, sondern weil unsere .allgemeine Kenntnis der Sachen' (1981: 263) dies verbietet. Wenn dies richtig und generalisierbar ist, sind eher semantische als syntaktische Gesichtspunkte für die intuitive Paraphrasierung von Wortbildungen entscheidend, d.h. die genaue syntaktische Form von Paraphrasen ist sekundär. Diese Ansicht hat schon Dokulil 1964 vertreten; nach ihm ist der Satz eine grammatische, Wortbildung dagegen eine lexikalische Kategorie, zwischen beiden besteht also ein grundsätzlicher, kategorialer Unterschied (1964-1981: 82-93, insbesondere 88f.). Paraphrasierungen sind immer auch innersprachliche Übersetzungen und wie jede Übersetzung immer nur z.T. zutreffend, nie vollständig. Dieser Unterschied liegt am Verlust der grammatischen Aktualisatoren in Wortbildungen, ohne die Sätze nicht möglich sind, also Elemente, die Sachverhalte in das Raum-Zeitgefuge einordnen, Tempus, Modus, Person, Numerus etc. In einer Komposition sind die syntaktischen Verhältnisse nicht mehr explizit gekennzeichnet, alle grammatischen Aktualisatoren fehlen. Vergleichen wir die Wortbildungen Bratpfanne und Bratkartoffeln. Rein äußerlich sehen sie sehr ähnlich aus. Dass man aber die erste Wortbildung syntaktisch etwa als .Pfanne zum Braten von etwas' paraphrasieren kann, die zweite dagegen als .etwas das gebraten worden ist, in diesem Fall Kartoffeln', das sieht man den beiden Bildungen, die beide mit Brat- als erster Komponente beginnen, äußerlich nicht an. Nur aus unserem allgemeinen Wissen um die Dinge der Welt wissen wir, dass die erste Bildung instrumenteil verstanden werden muss, die zweite passivisch. In einem Syntagma hat man dafür die entsprechenden Ausdrucksmittel, in jeder Wortbildung entfallen diese. Nehmen wir zwei weitere Beispielreihen: Handtuch Taschentuch Bettuch Frottiertuch Hungertuch Wachstuch Brusttuch Putztuch Schnupftuch

Wörterbuch Volksbuch Weißbuch Textbuch Tagebuch Hauptbuch Gebetbuch Geschichtsbuch Messbuch

31 Alle diese Komposita sind schon auch noch irgendwie syntaktisch auflösbar, wenn auch manche mit relativ großem Aufwand, nämlich all die, deren Lexikalisierung weiter fortgeschritten ist, wie etwa bei Hungertuch oder bei Hauptbuch. Je mehr semantische Merkmale eine Bildung enthält, desto aufwendiger und uneindeutiger ist die syntaktische Paraphrase. Zu Punkt 2): Als Erster, der systematisch die Grundidee der Generativen Grammatik Chomskys auf die Wortbildung angewandt hat, gilt allgemein der Anglist Robert Lees, der in seiner Arbeit von 1960 (also lange vor Chomskys .Aspects" von 1965, die seiner Grammatiktheorie ihre Standardform brachte) englische Nominalkomposita auf dieser Grundlage analysierte. Er versuchte, ein Regelsystem zu formulieren, das mit einer finiten Menge von Regeln alle grammatisch wohlgeformten Wortbildungen erzeugen und ihnen eine Strukturbeschreibung zuordnen sollte. Da die Zahl möglicher Wortbildungen wie die möglicher Sätze infinit ist, die Zahl der Regeln finit, müssen diese im Wortbildungsprozess wie in der Syntax rekursiv, d.h. wiederholt angewendet werden können. (Lees hat acht syntaktische Typen für die Generierung von Nominalkomposita ermittelt.) In den 60er, 70er und z.T. noch in den 80er Jahren wurden sehr viele Wortbildungsarbeiten vor diesem Hintergrund geschrieben (als Beispiel siehe etwa die Arbeit von Olsen 1986). Dieser Ansatz hat sich allerdings letztlich für die adäquate Beschreibung bestehender und potentieller Komposita aus vielen Gründen als unbrauchbar erwiesen. Die z.T. sehr engagierten Argumente pro und contra können hier im einzelnen nicht wiederholt werden.

3.2

Usuelle, okkasionelle und potentielle Wortbildung

Dass längst nicht alle Wörter einer Sprache im Lexikon bzw. in Lexika dieser Sprache stehen, ist evident. Nur durch häufigeren Gebrauch etablierte, usuelle Bildungen finden normalerweise Eingang in Wörterbücher. Was allerdings usuell ist und deshalb im Wörterbuch stehen müsste, darüber gehen die Meinungen der Sprachteilnehmer und die der Wörterbuchschreiber auseinander. Usuelle Wortbildungen müssen einer größeren Gruppe von Sprachbenutzern verfugbar sein. Bei großen individuellen Unterschieden im Sprach- und Sachwissen fallen hier allerdings Urteile über Akzeptabilität und Usualität oft weit auseinander. Okkasionelle Wortbildungen, also Spontanbildungen, sind in unterschiedlichen Textsorten sehr unterschiedlich vertreten. In Zeitungstextsorten (und hier wieder in einigen mehr als in anderen) ist ihr Anteil relativ hoch. Manchmal hat man fast den Eindruck, dass hier so gut wie alles möglich ist. Nicht in allen Textsorten, aber etwa in Werbetexten scheint kaum etwas unmöglich zu sein, weil hier oftmals die Wirkung gerade darin besteht, eigentlich bestehende Restriktionen aufzuheben. Ein Adjektiv wie kaputtbar dürfte es eigentlich nicht geben, weil -Aar-Bildungen nur bei transitiven Verben produktiv sind. Derartige bewusste Normenverstöße machen deutlich, dass sich der Sprachbenutzer bei der Bildung von Neologismen unbewusst auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen an nicht kodifizerte Normen hält, an phonotaktische, morphologische, semantische und gesprächslogische Restriktionen. Man muss unterscheiden zwischen normbedingten und wortschatzbedingten Restriktionen. Letztere sind einfach Wortbildungslücken, die mehr oder minder zufällig entstanden sind aber jeder-

32 zeit gefüllt werden können. So wurde etwa durch die lerndidaktische Forschung vor etwa zwanzig Jahren das deutsche Wort Lerner in Analogie zu Lehrer und als wörtliche Übertragung des englischen learner gebildet. Inzwischen hat das Wort Lexikonwürdigkeit erreicht, in den Allgemeinwortschatz ist es bis heute nicht gedrungen, es gilt noch immer als Fachwort der Sprachwissenschaft. Beispiel für die Lücke einer ganzen Reihe wäre: Verben werden im Deutschen nicht mit ur- präfigiert, sondern nur Substantive und Adjektive; denkbar wären derartige Bildungen aber ohne Schwierigkeiten: Toman 1983: 32f. nennt als Beispiele *uranfangen zu Uranfang, *ursündigen zu Ursünde, *urbedeuten zu Urbedeutung. Systematisch kann man sich nur mit normbedingten, systembedingten Restriktionen befassen, denn Wortbildungslücken („accidental gaps" Kastovsky 1982) entdeckt man allenfalls zufällig, sie sind nicht zu systematisieren. Nicht belegt muss unterschieden werden von nicht belegbar, was nicht unbedingt heißt, dass nicht belegbare, also normabweichende Formen in der Sprachwirklichkeit nicht eben doch gezielt ab und zu eingesetzt werden, wie z.B. die Bildung kaputtbar. Wortbildungen stellen potentielle Lexikoneinträge dar, die realisiert sind, wenn Lexikonschreiber und Sprachteilnehmr sie als usuell werten, als zur Sprachnorm gehörend interpretieren; sie sind nicht realisiert, wenn sie nur okkasionell gewertet werden, als zum Sprachsystem gehörend oder wenn Gründe ihre Realisierung verhindern. Man kann diese Restriktionen systematisieren.

3.3

Wortbildungsrestriktionen

3.3.1 Phonotaktische Restriktionen Ein einfacher Fall ist hier die Verteilung von -chen und -/em-Formen im Deutschen. Es erscheint einleuchtend, dass aus Aussprachegründen -chen nicht an Substantive gefugt werden kann, die auf -ch enden und -lein nicht an Substantive auf -/, also Büchlein, nicht *Büchchen und Spielchen, nicht *Spiellein. Steht allerdings vor dem -/ noch ein -e-, dann geht beides: Vögelchen, Mäntelchen neben Vöglein und Mäntlein, aber auch - mit leicht poetisierender Wirkung - Vögelein und Mäntelein.

3.3.2 Morphologische Restriktionen Fremdaffixe treten gewöhnlich und häufig an fremde Basen, heimische Affixe ebenso gewöhnlich und häufig wiederum an heimische, es gibt aber auch Mischungen: Beispiel für fremd/fremd: Toler-anz, Val-enz, Uniform-ität, Altru-ismus, in-tolerant, dis-proportional, Ko-pilot, de-motivieren. Beispiele für heimisch/heimisch sind so zahlreich, dass man sie sich sparen kann. Beispiele für heimisch/fremd: Super-klug, extra-stark, Mit-autor, spendabel, Fest-ivität.

33 Zuweilen kommt es zu semantischen Differenzierungen, wenn es beide Möglichkeiten gibt: asozial vs. unsozial, superklug vs. überklug. (Allgemein zum Problem der morphologischen Restriktionen siehe Plank 1981). Beispiele aus dem heimischsprachigen Bereich sind Restriktionen bei Substantiven auf -er oder -ig: Bei Wörtern wie Ruderer, Zauberer, Wilderer etc. ist keine Motion auf -in möglich: *Rudererin, *Zaubererin, *Wildererin\ bei Substantiven auf -ig, kommt es aus naheliegenden Gründen nicht auch noch zu Adjektiven auf -ig: Honig - *honigig, oder Essig - *essigig. Relativ fest geregelt ist die Verteilung von -heit, -keit und -igkeit. Einsilbige Adjektive bevorzugen -heit: Freiheit, Krankheit, Adjektive auf -bar, -lieh und -sam bilden Substantive gewöhnlich auf -keif. Machbarkeit, Parteilichkeit, Genügsamkeit. Adjektive auf -haft und -los bevorzugen -igkeit: Regelhaftigkeit, Zügellosigkeit. Eine vollständigere Liste der Distributionen findet sich bei Fleischer/Barz 1992: 162.

3.3.3

.Blockierung'

Aronoff hat 1976 den Terminus .Blockierung' fur eine bestimmte Art von Wortbildungsrestriktionen geprägt. Er versteht darunter „the non occurance of one form due to the simple existance of another" (1976: 43). Damit sind mögliche Bildungen gemeint wie *Missproportion oder *Missharmonie, die prinzipiell natürlich möglich wären, aber einfach dadurch verhindert werden, dass es bereits die Bildungen Disproportion und Disharmonie gibt. Blockierung kann dabei durch die Konkurrenz synonymischer Formen eintreten, das ist der Normalfall. So werden etwa im Gegenwartsdeutschen die möglichen Bildungen *Pferdin, *Stehler, *messern blockiert durch die Konkurrenzformen Stute, Dieb, schneiden. Ein weiterer allgemeiner Hinderungsgrund für Neubildungen ist die Existenz synonymer Bildungen mit anderen Formmitteln, etwa bei den Beispielen löblich, bedrohlich, verwerflich, die entsprechende iar-Ableitungen (also *lobbar, *bedrohbar, *verwerjbar, obwohl sie nicht bedeutungsgleich mit den entsprechenden -ftcA-Ableitungen wären) verhindern, obgleich die syntaktischen Voraussetzungen erfüllt sind. Für das Wort Student wird heute oft Studierender gebraucht, weil der Plural die Studierenden geschlechtsneutral ist und deshalb einfacher als die umständliche Doppelform Studenten und Studentinnen, oder auch als das nur schriftlich brauchbare Studentinnen. (Dass daneben auch ein juristischer Unterschied zwischen Student und Studierender besteht, wissen die allerwenigsten). Sehr selten entstehen dennoch Neuformen für bestehende Formen mit identischer Bedeutung, etwa das seit einigen Jahren gebrauchte Adjektiv zögerlich, das die bedeutungsgleiche Form zögernd zu verdrängen beginnt. Sprachbenutzer beginnen auch bereits, semantische Unterschiede zu empfinden, zögerlich klinge irgendwie deutlicher zögernd als zögernd, kann man auf Befragung hören. Wo es gehäuft synonyme Bildungen gibt, etwa bei Adjektiven auf -bar, -lieh, -sam, -haft und -abel, besteht die Tendenz zur unterschiedlichen Lexikalisierung der verschiedenen Ableitungen. So sind Bildungen auf -lieh häufig stärker lexikalisiert als Bildungen auf -bar, etwa unsäglich/unsagbar, merklich/merkbar, zerbrechlich/zerbrechbar, verkäuflich/verkaufbar,

34 beweglich/bewegbar etc. Echte Synonymie gibt es nur in Fällen, wo heimische und fremde Wortbildungsmorpheme konkurrieren, also etwa bei in-lun-: inakzeptabel/unannehmbar, bei extra-/sonder-: Extraausgabe/Sonderausgabe, bei -abel/-bar. akzeptabel!annehmbar. Häufiger sind allerdings auch hier die Fälle, in denen zwischen fremden und heimischen Affixen keine semantische Parallelität besteht: Antithese ist nicht synonym mit Gegenbehauptung, Kopilot ist nicht *Mitpilot, superklug ist nicht dasselbe wie überklug. Wörter wie Antifaschist, Extraordinarius, Ultraschall, hypermodern etc. können nicht durch heimische Synonyme mit den entsprechenden Präfixen gegen-, sonder-, jenseits- über- ersetzt werden. Blockierung kann aber auch auf Homonymie beruhen. So kann das Adjektiv kostbar nicht in Analogie etwa zu machbar, essbar, trinkbar etc. verstanden werden als .etwas kann gekostet werden', weil kostbar bereits anderweitig lexikalisiert ist. Substantive wie Zuhälter oder Bettvorleger können kaum in Analogie zu anderen deverbalen Ableitungen wie Zubringer, Empfänger, Anhalter, Zusteller, Verstärker etc. verstanden werden, weil die beiden Wörter mit anderer Bedeutung lexikalisiert sind. Ebenso wenig kann einem Wort wie Messer die Lesart zugeordnet werden jemand misst etwas'. Die existierenden Homonyme ordnen diesen Wörtern andere, lexikalisierte Lesarten zu. Die Wortschatzbedeutung verhindert so eine mögliche Wortbildungsbedeutung. Ein Wort wie Vatermörder könnte dagegen gegenwartssprachlich wohl auch als Nomen agentis interpretiert werden, analog zu Kirtdsmörder, Muttermörder etc. obgleich diese Wortbildung mit anderer Bedeutung (.hoher, steifer Kragen') lexikalisiert ist. Diese Bedeutung ist aber aus pragmatischen Gründen inzwischen unwichtig geworden.

3.3.4 Semantische Restriktionen Plank hat sich in seinem oben zitierten Buch (1981) u.a. ausfuhrlich mit restringierten Movierungen befasst, also mit nicht zugelassenen Bildungen wie *Türmin, *Füßin, *Teppichin, *Löwenzahnin etc. Bildungen dieser Art sind systembedingt irregulär, denn „um als Basis dieses Derivationsmusters dienen zu können, müssen Substantive ganz offensichtlich eine semantische Bedingung erfüllen: sie müssen Entitäten bezeichnen, denen ein natürliches Geschlecht zugeschrieben wird, und zwar Exemplare des männlichen Geschlechts, zu denen weibliche Gegenstücke existieren" (1981: 96). Aber auch Bildungen, die an sich diese Grundbedingung erfüllen, sind vielfach nicht möglich: *Goldfischin, *Bienin, * Würmin, * Wieselin etc. Derartige Bildungen weisen „einen höchst niedrigen Akzeptabilitätsgrad a u f ' (Plank 1981: 96). Der Grund dafür ist einleuchtend, schon Jacob Grimm hat ihn formuliert: Movierungen mit -in treten nur dort auf „wo sich das Geschlecht sinnlicher Wahrnehmung nicht verschließt" (1826: 317). Die allgemeine Regel scheint hier zu sein: • Bei Haus- und Zuchttieren, also bei Tieren, die immer eine große Rolle fur den Menschen gespielt haben, gibt es fur männliche und weibliche Exemplare gewöhnlich Suppletivformen: Hahn/Henne, Hengst/Stute, Eber/Sau, Bulle (Stier)/Kuh, Ente/Erpel etc. Auch bei jagdbaren Tieren scheint dies so zu sein: Keiler/Bache, Bock/Ricke etc.

35 Manchmal ist die weibliche Form eine Art Grundform und kann für beide Geschlechter verwendet werden, etwa Kuh oder Ente. • Bei anderen Tieren, auch sie noch häufig im menschlichen Kontext vorkommend, herrscht Movierung vor: Eselin, Bärin, Löwin, Häsin, Füchsin, Wölfin etc. Nur größere Tiere sind davon betroffen. Diese Tiere spielen seit jeher in Märchen, Fabeln und Mythen eine Rolle, sind dem Menschen also noch relativ nahe. • Dem menschlichen Umkreis fernerstehende Tiere werden sprachlich durch Ersatzlösungen unterschieden: Nashornbulle/-kuh, Spinnenweibchen/-männchen, Hirschkäferbockf-weibchen.

3.3.5 Gesprächslogische Restriktionen „Eine Bildung darf nicht derartig polyvalent in Hinsicht auf ihre Bezeichnungsmöglichkeiten sein, dass sie sich als fast informationsleer erwiese" (Laca 1986: 122). Das heißt, zwischen den Wortteilen, also etwa zwischen Basis und Derivationsmorphem muss eine aussagekräftige Beziehung bestehen, die ein gewisses Maß an Information vermittelt. Deshalb sind etwa Bildungen wie *ungelb oder *unsilbern wenig sinnvoll, obgleich sie natürlich systemhaft ohne weiteres möglich wären. Auch eine mögliche Bildung wie *unschwanger fallt darunter. Es gibt gewiss Kontexte, in denen eine derartige Bildung aussagekräftig ist, aber die insgesamt eher seltene sinnvolle Verwendungsmöglichkeit lässt es offenbar geraten sein, hier kein eigenes Adjektiv zu schaffen, sondern sich syntagmatisch auszudrücken: nicht schwanger. (Zu weiteren Restriktionen bei Adjektiven mit un- siehe Kapitel 4.3.2). Potentiell mögliche Wortbildungen werden nicht realisiert, wenn pragmatische Gründe dagegen sprechen, wenn es also keine sprachlichen und außersprachlichen Kontexte gibt, in denen eine Verwendung derartiger Bildungen sinnvoll wäre. Dies wären etwa potentielle Adjektive wie "beglückbar, *enttäuschbar. Dass Bildungen wie *backbar, *nähbar, "stickbar, *strickbar etc. auch nicht in einem größeren deutschen Wörterbuch (hier das sechsbändige Duden-Wörterbuch der deutschen Sprache, 1976-1981) eingetragen sind, liegt wohl daran, dass es nicht genügend geschriebene Texte gibt, in denen diese Wörter belegt sind. In der gesprochenen Sprache, die das Duden-Wörterbuch nicht als Materialgrundlage benützt hat, begegnen diese Adjektive durchaus. Systemlücken und Restriktionen lassen sich mit einer rein syntaktisch ausgerichteten Wortbildungstheorie nur sehr schwer oder überhaupt nicht beschreiben, mit einer lexikalistischen dagegen ohne Schwierigkeiten, weil derartige Erscheinungen zur Struktur des Lexikons gehören. Aufgabe: Ordnen Sie die ungebräuchlichen Artefakte *Bächchen, *Störrischheit, *Gottkeit, *Armheit, *Arbeitung, *Sterbung, *Reiser, *besen, *beginnbar verschiedenen Restriktionstypen zu und geben Sie dafür Begründungen.

36 3.4

Die Motiviertheit von Wortbildungen: opaque - transparent - self-explanatory

Motiviertheit (auch Motivation, Motivierung) ist der Maßstab fur die morphologisch-semantische Transparenz von Wörtern. Monomorphematische Wörter, also Wörter, die nur aus einem einzigen Basismorphem bestehen, wie Haus, Kind, Hase, heute etc. sind nicht motiviert (unmotiviert), weil zwischen der Lautfolge der Morpheme und der damit bezeichneten bzw. der damit gemeinten Sache kein explizieibares Verhältnis besteht. Auf dieser (schon älteren) Erkenntnis basiert de Saussure mit seinem zeichentheoretischen Sprachmodell, das von der Arbitrarität elementarer Sprachzeichen ausgeht. Wörter sind nach de Saussure grundsätzlich nicht motiviert („immotive"). In diesem zeichentheoretischen, universalsprachlichen Sinne wird der von de Saussure in die Sprachwssenschaft eingeführte Terminus Motiviertheit seitdem allgemein verstanden. Bei einer in jeder Sprache sehr kleinen Gruppe von Wörtern besteht zwar keine morphologisch-semantische Transparenz, aber phonologische, bei den sogenannten Onomatopoetika (Wauwau, Gackgack, Kikeriki etc.), von phonologischer Teilmotivierung bzw. von relativer phonologischer Motivierung kann man auch noch bei lautmalenden Wörtern wie knistern, rascheln, zischen, klatschen etc. sprechen. Phonologische Motiviertheit betrifft in allen Sprachen das periphere Morpheminventar, gehört nicht zur Wortbildung, sondern zur Wortschöpfung und war immer eher unter diachronischen Aspekten interessant (im Zusammenhang mit dem phylogenetischen Spracherwerb) als unter synchronischen (siehe Kapitel 1.1). Wortbildungen bestehen in ihrer überwältigenden Mehrzahl aus Morphemkombinationen, Haustür, Schlafzimmer, Lehrer, Kindchen, lesbar, sachlich etc., um jetzt nur Beispiele mit jeweils zwei Morphemen zu wählen. Morphemkombinationen können im Gegensatz zu monomorphematischen Wörtern nach de Saussure relativ motiviert sein, wenn die Bedeutungen der verschiedenen, an einer Morphemkombination beteiligten Morpheme ganz oder zum Teil mit denen der mit ihnen formidentischen Einzelmorpheme übereinstimmen. Wenn zum Beispiel bei der Morphemkombination Haustür die Bedeutung der beiden Kombinationselemente Hausund -tür mit der Bedeutung der monomorphematischen formidentischen Wörter Haus und Tür übereinstimmt, würde de Sausure diese Kombination als relativ motiviert bezeichnet haben. Saussures Nachfolger gingen bei der Beschreibung von Einzelsprachen noch einen Schritt weiter und bezeichneten Wortbildungen, bei denen alle Morpheme motiviert sind als „voll" motiviert (etwa Fleischer 1982: 14, vgl. auch Fleischer/Barz 1992: 13-20 oder Kürschner 1974: 31). In der Sache sehr ähnlich, nur mit anderer Terminologie verfährt Gauger (1971), er nennt derartige Wortbildungen „durchsichtige" Wörter. Alle benutzen anstelle des de Saussureschen Paares unmotiviert/relativ motiviert eine Trias: ,voll motiviert' (oder .durchsichtig'), ,teilmotiviert' (oder ,z.T. durchsichtig'), ,unmotiviert' (oder .undurchsichtig'). (Anstelle von .unmotiviert' begegnet zuweilen auch .demotiviert'). Teilmotivierte Wortbildungen sind solche, bei denen eines der an der Kombination beteiligten Morpheme unmotiviert ist, das andere oder die anderen dagegen motiviert, also z.B. Geizkragen oder Großvater, hier sind die Bedeutungen des zweiten bzw. des ersten Morphems (/-kragen/, /groß-!) mit den formidentischen, monomorphematischen Wörtern Kragen bzw. groß nicht übereinstimmend, die Bedeutungen der Morpheme Igeizl und Ivaterl dagegen schon. Beispiele für unmotivierte Wortbil-

37 düngen wären Hochzeit oder Augenblick. Hier korrespondiert keines der an der Kombination beteiligten Elemente in seiner Bedeutung mit den entsprechenden formidentischen, monomorphematischen Wörtern. Innerhalb dieses Rahmens kann man dann weiter differenzieren, also verschiedene Möglichkeiten ambiger Motiviertheit unterscheiden. Will man etwa mit der Wortbildung Fuchsschwanz tatsächlich den Schwanz eines Fuchses bezeichnen, würde man von einer voll motivierten Bildung sprechen, meint man dagegen mit dieser Wortbildung eine bestimmte Art von Säge, würde man die Bildung als unmotiviert klassifizieren. Andere Möglichkeiten ambiger Motiviertheit liegen bei Wortbildungen mit mehreren Lesarten vor, etwa bei dem oben (Kapitel 3.1.1) in anderem Zusammenhang diskutierten Rostmesser. Alle Lesarten wären hier voll motiviert. Die Spannweite zwischen voll motivierten und unmotivierten Wortbildungen kann man inhalts- und ausdrucksseitig als fließende Skala beschreiben, weil die Verhältnisse fast bei jeder einzelnen Wortbildung etwas anders liegen. Fleischer (1982: 13) illustriert unterschiedliche Arten von Teilmotiviertheit zwischen den Polen der vollen Motiviertheit und der Unmotiviertheit mit den Beispielen Diskussionsbeitrag (voll motiviert) - Morgenhimmel - Jahresdurchschnitt - Nachtarbeit - Großstadt (alle mit abnehmnder Tendenz teilmotiviert) - Augenblick (unmotiviert). Er unterscheidet zwischen morphologischer und semantischer Motiviertheit (Fleischer/Barz 1992: 15 sprechen von „morphosemantischer Motivation"). Man hat auch versucht, die verschiedenen Möglichkeiten von Teilmotiviertheit zu gliedern, etwa Püschel (1978), der seine Ergebnisse in einer Tabelle zusammenfasst (1978: 164). In dieser tabellarischen Zusammenstellung werden zwischen voll motivierten und voll demotivierten Wortbildungen sechs Grade von Teilmotiviertheit unterschieden. Diese Teilmotiviertheit ist, wie man sieht, inhalts- und ausdrucksseitig unterschiedlich. Die Tabelle ist insgesamt einleuchtend, zeigt aber auch die Probleme einer derartigen Skalierung: Die Grenze zwischen lexikalisierten und nicht lexikalisierten Formen ist in dieser Tabelle gestrichelt, d.h. auch Püschel vermag für die Unterscheidung zwischen morphologisch-semantisch transparenten und frei synthetisierbaren Formen keine exakten Kriterien anzugeben. Zum anderen ist die Sechsergliederung und deren primär inhaltsseitige Begründung auf individuellem Sprachempfinden fundiert. Die Beurteilungen der Sprachbenutzer dürften hier häufig divergieren, etwa bei der Grenzziehung zwischen „abgeschwächt motiviert mit idiomatischer komponente" und „teilweise motiviert mit durchscheinender bedeutung":

38 lexikalisierung

kommutierbarkeit

nicht lexikalisiert

voll

kommutierbar

lexikalisiert

nicht bzw. eingeschränkt kommutierbar

grad der durchsichtigkeit ausdrucksinhaltsseitig seitig voll voll motiviert teilweise motiviert = teilweise demotiviert

voll motiviert mit idiomatischer komponente abgeschwächt motiviert mit idiomatischer komponente teilweise motiviert mit durchscheinender bedeutung teilweise motiviert = teilweise demotiviert

voll demotiviert

durchsichtig voll durchsichtig teilweise durchsichtig

beispiel

typ

wortbildungsidiom tischbein großvater

kompositum

Stiefvater drückeberger haustür

voll durchsichtig

wortbildungsidiom 5

eisbrecher

wortbildungsidiom4

großstadt

wortbildungsidiom 3

handtuch kirchspiel himbeere wildbret Junggeselle

wortbildungsidiom 2

voll durchsichtig

voll durchsichtig voll durchsichtig teilweise durchsichtig voll durchsichtig teilweise durchsichtig voll undurchsichtig

wortbildungsidiom 6

hagestolz feldwebel Wiedehopf

wortbildungsidiom 1

lexem

Die Tabelle zeigt auch, dass das objektive Kriterium der Kommutierbarkeit, also der Austausch einer Komponente durch ein anderes Element ohne Verlust der Idiombedeutung, kaum weiterhilft, weil hier nur Ja-Nein-Entscheidungen möglich sind, die Gliederung aber qualitativ gestuft ist. Püschel berücksichtigt semantische, lexikologische und morphologische Gesichtspunkte und erhält damit ein komplexes System. Um die damit verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden, beschränkt sich Shaw (1979) ganz auf die Form. Er klassifiziert teilmotivierte Wortbildungen nach der Motiviertheit der an der Kombination beteiligten Elemente, also z.B. als ,A (I) + Β" oder als ,Λ + Β (I)", d.h. als Gruppen, in denen entweder das erste oder das zweite Kompositionselement nicht motiviert ist, etwa Femgespräch, Freiherr, überglücklich etc. bzw. bibel/es/, zeitraubend, Geizkragen etc. (Insgesamt unterscheidet Shaw vier Gruppen, siehe 1979: 6Iff.). Der Nachteil einer derartigen formbezogenen Klassifizierung ist, dass inhaltsseitig der Grad der Teilmotiviertheit nicht differenziert wird, dass bei Shaw also etwa eine Bildung

39 wie Kirchspiel aus rein formalen Gründen in dieselbe Gruppe gehört wie Eisbrecher, obgleich inhaltsseitig beide Wortbildungen unterschiedliche Plätze in einer Skala der Teilmotiviertheit einnehmen würden. Zur Bezeichnung nicht motivierter Wortbildungen werden auch die Ausdrücke .lexikalisiert' und .idiomatisiert' verwendet, meist synonym (manchmal aber auch differenzierend, etwa bei Günther 1974: 36f., der Idiomatisierung inhaltsbezogen, Demotivierung formbezogen und Lexikalisierung als Verbindung beider Aspekte versteht). Die in der Überschrift zu diesem Kapitel benutzten Termini wurden zuerst von Ullmann (1951: 87) verwendet. Opaque bedeutet bei Ullmann unmotiviert, transparent wäre teilmotiviert, und self-explanatory entsprechend (voll) motiviert. Der letztgenannte Terminus deutet an, dass Ullmann Wortbildungen wie Haustür, Schlafzimer, essbar etc. in vergleichbarer Weise fur „aus sich selbst verständlich" hält wie Sätze, die von allen Sprachteilnehmern dann verstanden werden, wenn diese a) die mit dem Spracherwerb intemalisierten syntaktischen Regeln beherrschen und b) die in den betreffenden Sätzen benutzten Basiselemente, also die Wörter des Lexikons. Zu Beginn der 80erJahre hat sich Herbermann (1981) ausführlich mit der Motiviertheit von Wortbildungen befasst. Er tritt dafür ein, die Gruppe der motivierten Wortbildungen, also in Ullmanns Terminologie Wortbildungeen, die self-explanatory sind und die Herbermann seinerseits ,/egelhaft synthetisierbar" bzw. „regelhaft katalysierbar" nennt, radikal einzuschränken. Beispiele für derartige Bildungen sind bei ihm Mitfahrer, Kanzlerrede, Zahnarztfrau, Verbesserungsvorschlag und Forschungsergebnis. Diese Wortbildungen (siehe 1981: 205-208) sind seiner Meinimg nach regelhaft aus Syntagmen synthetisierbar und - das ist das eigentlich Entscheidende - enthalten kein „typenhaftes Phänomen", das ihrer Bedeutung zusätzliche semantische Merkmale beifügen würde. Der ,normale' Sprachteilnehmer, auf den sich Herbermann immer wieder beruft, empfindet Kanzlerrede nicht als einen besonderen Typ von Rede, wie etwa Festrede oder Leichenrede, und er empfindet eine Zahnarztfrau nicht als einen besonderen Typ von Frau, wie etwa Bauersfrau. „Von der Frau eines Bauern kann man (...) wohl sagen, sie sei keine richtige Bauersfrau; man wird mit Bezug auf die Frau eines Zahnarztes aber kaum in gleicher Weise feststellen können, sie sei keine richtige Zahnarztfrau" (1981: 207), sagt Herbermann. Das ist die Frage! Auch die von Herbermann als „regelhaft synthetisierbar" klassifizierten Wortbildungen besitzen eben doch ein, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägtes typhaftes Element, das sie von Syntagmen unterscheidet. Wortbildung ist immer zugleich auch der Beginn der Lexikalisierung. Herbermann hat Recht, wenn er meint, dass eine Wortbildung wie Putzfrau stärker lexikalisiert ist als etwa Zahnarztfrau, er hat nicht Recht, wenn er den Unterschied zwischen beiden Bildungen als den zwischen Lexikon und Syntax interpretiert: Auch synthetisierbare, auch okkasionelle Wortbildungenen gehören zum Lexikon. Herbermann erweitert seine Argumentation mit dem typhaften Phänomen durch das der „semantischen Dürftigkeit" (1981: 229). Je weniger semantische Merkmale ein Wort habe, desto ungeeigneter sei es, an transparenter Wortbildung teilzuhaben, „semantische Dürftigkeit" führe nur zu regelhaft synthetisierbaren Bildungen. Er illustriert dies an Satzpaaren. Er meint, man könne nicht sagen: *er ist (ein) Esser, Leser, Verlierer, Sieger etc., sondern nur Er ist ein starker Esser, eifriger Leser, schlechter Verlierer, überlegener Sieger etc., weil Wortbildungen wie Esser, Leser, Verlierer, Sieger etc. semantisch dürftig seien. Auch hier muss Herbermanns

40 Beobachtung wohl differenziert werden. Semantische Dürftigkeit ist nicht etwas, das wahllos über alle Wörter des Lexikons verteilt ist, sondern ist wortklassenspezifisch: Verben haben grundsätzlich weniger semantische Merkmale als Substantive und Adjektive, deshalb sind Verben eher syntaktisch interessant (dieser Erkenntnis trägt etwa die Dependenzgrammatik Rechnung), Substantive und Adjektive eher semantisch. Man kann dies leicht nachprüfen, indem man ein beliebiges deutsches Wörterbuch aufschlägt: Bei Substantiven und Adjektiven wird man normalerweise sehr viel detailliertere Beschreibungen finden als bei Verben. Verben werden vor allem syntaktisch charakterisiert, also danach, ob sie mit/ohne Präposition stehen oder welche Kasus sie fordern, ob sie reflexiv/nicht reflexiv gebraucht werden, passivfähig sind etc. Bei Substantiven und Adjektiven hingegen werden semantische Merkmale aufgelistet oder durch Paraphrasierung oder Kontextangaben indiziert. Allein aus diesem Grund sind Nominalisierungen von Verben eher syntaktisch analysierbar als Komposita oder Ableitungen aus Substantiven oder Adjektiven. Der Prozess, der aus einem Verb etwa ein Nomen agentis macht, wie in den von Herbermann gebrauchten Beispielen, ist ja zunächst ein syntaktischer Prozess. Sobald aber dann die nominalisierte Form vorliegt, hat der Prozess der Lexikalisierung begonnen. Qualifizierende Adjektive im Kontext mit Nominalisierungen unterstreichen die syntaktische Bildungsweise, sie sind aber im Gegensatz zu Herbermann nicht notwendig: Man kann selbstverständlich ohne qualifizierendes Adjektiv sagen: Er ist ein Verlierer; in diesem Fall erhält die Nominalisierung ein typhaftes Element, das die Lexikalisierung bestätigt. Auch die übrigen Beispiele Herbermanns lassen sich in entsprechenden Kontexten leicht ohne qualifizierende Adjektive verwenden: Er ist eher ein Esser als ein Trinker, eher Leser als Hörer etc. Herbermann hat mit seiner Argumentation der semantischen Dürftigkeit in einem Punkt allerdings Recht. Dies lässt sich an Verbpaaren zeigen, die jeweils durch ein semantisches Merkmal unterschieden sind, also Paare wie essen/fressen, töten/morden, weinen/heulen etc. Die Verben fressen, morden, heulen haben mehr semantische Merkmale als die Verben essen, töten, weinen, die die Intensität oder die besondere Art der Tätigkeit indizieren. Aus diesem Grund sind die Nominalisierungen Fresser, Mörder, Heuler eher akzeptabel als Esser, Töter, Weiner, obgleich auch sie grundsätzlich möglich sind, am leichtesten im Kontext qualifizierender Adjektive, wie Herbermann ganzrichtigbemerkt hat. Dass Verben sich anders verhalten in Bezug auf ihre Wortbildung, war schon der histoischen Sprachwissenschaft bekannt: Im nominalen Bereich besteht die überwältigende Mehrheit aller Wortbildungen aus Kompositionen und Derivationen, im verbalen Bereich sind die Bildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt: Es gibt Partikel- und Präfixverben und sehr viel weniger denominale Konversionen, wie fischen, werbetexten, lahmen etc. Keines kann man als regelhaft synthetisierbar bezeichnen, sondern alle sind entweder transparent oder noch häufiger opaque. Warum dies so ist, liegt auf der Hand: Partikelverben und denominale Verben bringen semantische Elemente, die die entsprechenden einfachen Verben nicht haben, mit in die Wortbildung ein, reichern also die semantischen Merkmale der Simplizia an und sind somit auf dem Weg der Lexikalisierung; Präfixverben sind ohnehin zumeist voll lexikalisiert. Das Ergebnis dieser Diskussion scheint also zu sein, dass es doch nicht drei Grade der Motiviertheit gibt, unmotiviert, teilmotiviert und (voll)motiviert, sondern nur zwei, nämlich teilmotiviert (mit vielen Zwischengraden, sicher mehr als sechs) und unmotiviert. Will man die Drei-

41

heit aufrechterhalten, dann wäre dies nach den obigen Ausführungen nur in einem Bereich möglich, der dem des Verbums am nächsten ist, also im Bereich der Nominalisierung. Es ist zu fragen, ob es Nominalisierungen gibt, bei denen keine zusätzlichen semantischen Merkmale in die nominalisierte Form eingehen. Die von Herbermam diskutierten Nominalisierungen Esser, Leser, Verlierer, Sieger etc. sind dafür sicher nicht geeignet, denn sie enthalten ja ein zusätzliches semantisches Merkmal, ein typhaftes Element. Nominalisierungen auf -ung erscheinen dagegen eher geeignet. Satzpaare wie Ich meine, wir sollten dies nicht so ernst nehmen/Meiner Meinung nach sollten wir dies nicht so ernst nehmen, Ich fordere die Herausgabe meiner Akten/Ich erhebe die Forderung nach der Herausgabe meiner Akten oder Die Rechnung wird mit Scheck bezahlt/Die Bezahlung der Rechnung erfolgt durch Scheck sind weitestgehend synonym, sieht man vom Stilunterschied ab. Der Unterschied zwischen meinen!Meinung, fordern!Forderung und bezahlen!Bezahlung ist weniger semantisch, als vor allem syntaktisch relevant, denn Funktionsverbgefüge bieten andere syntaktische Möglichkeiten als Konstruktionen mit einfachen Verben. Funktionsverben (in den gebrauchten Beispielen sein, erheben, erfolgen) haben primär morphosyntaktische Aufgaben, kaum semantische. Selbst wenn man die Trias (voll)motiviert, teilmotiviert, unmotiviert im Hinblick auf derartige Nominalisierungen im Bereich der Funktionsverbgefuge beibehalten will, wird die Zahl möglicher (voll)motivierter Wortbildungen sehr klein: Die überwältigende Anzahl aller Kompositionen und Derivationen sind entweder teilmotiviert oder unmotiviert. Aufgabe: Diskutieren Sie die semantische Transparenz der folgenden Wortbildungen. Ordnen Sie diese inhaltssseitig und ausdruckssseitig in eine mögliche Skala graduierter Teilmotiviertheit nach dem Beispiel Püschels: essbar, fehlerhaft, säuberlich, offenbar, peinlich, arbeitsnäßig, urig, schauderhaft, bergig, grünlich.

4

Wortbildungstypen

Für die Bildung deutscher Wörter in verschiedenen Sprachstufen hat die Wortbildungsforschung vor allem zwei Grundtypen erarbeitet, den Typ der Komposition oder Zusammensetzung ursprünglich voneinander unabhängiger Wörter zu einem neuen Wort aus mindestens zwei Teilen und den Typ der Derivation oder Ableitung, d.h. Wortbildung mittels Affixen, also Präfixen, Infixen und Suffixen. Daneben gibt es Typen, die in ihrer Bedeutung weit hinter diesen beiden zurückstehen, vor allem den Typ der Konversion (siehe Kapitel 2.1.2) und den Typ der Kurzwortbildung (siehe Kapitel 2.4). Alle Typen begegnen bei allen drei Hauptwortarten, bei Substantiven, Adjektiven und Verben, allerdings quantitativ und qualitativ unterschiedlich verteilt. Weitaus die meisten Komposita sind Substantiva, lediglich für den sehr viel weniger zahlreich vertretenen Typ der Kopulativkomposita gibt es auch bei Adjektiven Vertreter in nennenswerter Zahl (siehe Kapitel 4.1.2). Deshalb soll der Typ der Komposition nur am Beispiel der Substantiva dargestellt werden. Derivationen begegnen bei Adjektiven und Substantiven gleichermaßen, allerdings kommt es bei Adjektiven durch .Suffixoide' in der Gegenwartssprache zu vielen Neubildungen. Der Wortbildungstyp der Derivation scheint also vor allem fur Adjektive typisch zu sein. Deshalb soll in dieser Einfuhrung exemplarisch die Adjektivderivation dargestellt werden. Viele Verben werden mit Präfixen gebildet, einer Sonderform der Derivation, aber auch mit anderen Elementen, mit Partikeln und Verbzusätzen, die dann auch eine Sonderform der Komposition darstellen. Das Verbkapitel wird Präfixverben und Verbbildungen als unterschiedliche Zusammensetzungen behandeln.

4.1

Komposition/Zusammensetzung: Substantive

Kompositionen entstehen nach dem Prinzip der .Univerbierung', d.h. aus dem in unterschiedlichen Textsorten unterschiedlich intensiv wirksamen Bestreben zur Informationsverdichtung. Aus Syntagmen werden so Wortbildungen. Ob man einen Sachverhalt als Syntagma oder als Wortbildung zum Ausdruck bringt, darüber entscheiden Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Aufwand (siehe Kapitel 3).

4.1.1

Determinativkomposita

Determinativkomposita sind mit Abstand die häufigste Form der Kompositionen. Bei dieser Art der Zusammensetzung wird jeweils das zweite Glied (= .Grundwort') durch das erste (= .Bestimmungswort') näher bestimmt, in seiner Bedeutung determiniert. Determinativkomposita sind also endozentrische Konstruktionen, d.h. Konstruktionen aus Determinans (Bestimmung) und Determinat (Basis) bzw. aus .modifier' und ,head'. Mit der Zusammensetzung Hausfrauen werden Frauen bezeichnet, die nicht berufstätig sind, sondern vor allem Hausarbeit verrichten; bei dem Kompositum Frauenhaus dagegen geht es um eine besondere Art von Haus,

43 dessen Funktion durch den Wortteil Frauen- näher bestimmt wird. Das Grundwort legt stets die Wortart fest, bestimmt beim Substantiv das Genus und trägt Numerus- und Kasusmerkmale: Vertauscht man in dem Adjektiv-Substantiv-Kompositum Hochhaus die beiden Kompositionskomponenten, entsteht eine Substantiv-Adjektiv-Komposition, ein Adjektiv: haushoch. Das Grundwort ist auch semantisch die Basis für die gesamte Konstruktion, eine Kartoffelsuppe ist eine Suppe, eine Brot-, Gemüse-, Nudel-, Leberknödelsuppe ebenfalls. Die Lexikalisierung der ersten Komponente ändert daran nichts, ein Meineid ist deutlich ein Eid, wenn auch ein falscher, und eine Himbeere ist eine bestimmte Art von Beere. Bei Lexikalisierung der zweiten Komponente sind diese klaren Hierarchiebeziehungen weniger deutlich, ein Kindergarten ist kein Garten, und eine Kinderkrippe erst recht keine Krippe. Zwar handelt es sich auch hier noch um endozentrische Determinativkomposita, aber nur dadurch, dass man die metaphorisierten Elemente -garten bzw. -krippe mit nicht metaphorisierten Ausdrücken, etwa ,Bewahranstalt' parallelisieren kann. Die Lexikalisierung beider Komponenten fuhrt zum Verlust der Zuordnung zur Wortbildung überhaupt, jedenfalls semantisch. Wörter wie Junggeselle, Schornstein oder Wiedehopf sind keine Komposita mehr sondern Simplizia, auch wenn sie formal noch als Zusammensetzungen erkennbar sind und auch semantisch noch vage Assoziationsmöglichkeiten bestehen, am ehesten noch bei Junggeselle, am wenigsten bei Wiedehopf. Eine rein formale Analyse macht aber keinen Sinn. Wir haben also bei Determinativkomposita eine formal und semantisch deutlich abgestufte Motivationsskala: • Eindeutige endozentrische Konstruktionen wie Kartoffelsuppe, Hochhaus, Speiseöl etc. • Ebenfalls eindeutige endozentrische Konstruktionen bei Lexikalisierung der ersten Komponente wie Meineid, Himbeere, Heidelbeere etc. • Keine eindeutigen Hierarchiebeziehungen zwischen modifier und head bei Lexikalisierung der zweiten Komponente wie bei Kindergarten, Kinderkrippe, Geizkragen etc. • Übergang von Komposita zu Simplizia bei Lexikalisierung beider Komponenten wie bei Junggeselle, Schornstein, Wiedehopf etc. Neben Determinativkomposita aus zwei Elementen gibt es immer noch zahlreiche Kompositionen aus drei oder vier Teilen. Beispiele für Komposita aus vier Wörtern wären etwa Autobahnraststätte, Krankenhausparkplatz, Lebensmittelgroßmarkt, Hundertkilometertempo etc. Grundsätzlich besteht nach oben hin keine Grenze, aber ab einer gewissen Anzahl von Kompositionsgliedem wird ein Kompositum zu lang und damit unübersichtlich. Als ein besonders langes Kompositum wird in der Wortbildungsliteratur und allgemein gerne die berühmte Donaudampfschiffahrtsgesellschaft zitiert und dann als Spaßformen beliebige Erweiterungen, etwa mit -kapitän, -kapitänswitwe etc. In bestimmten Textsorten begegnen aber durchaus fünfteilige Kompositionen, vor allem in Fachtexten aller Art, denn hier besteht einmal das sachbedingte Bestreben nach vielfacher Untergliederung, zum anderen die Notwendigkeit der Ausdrucksverkürzung, weil sonst die Texte unangemessen umständlich würden. Ein Beispiel aus der Biologie wäre etwa Doppelkammschwanzbeutelmaus, ein Beispiel aus der Sprache der Verwaltung Hochschulstrukturreformgesetz, ein Beipiel aus dem (fast) .täglichen Leben' (Ankündigung einer Versteigerung) Jugendstilspeisezimmerbuffet.

44 Beim Versuch, die vielen Zusammensetzungen in der deutschen Sprache zu ordnen, ist man in der Wortbildungsforschung verschiedene Wege gegangen, einmal hat man nach den bei Zusammensetzungen beteiligten Wortklassen gegliedert, also Substantiva mit den Strukturen (um jetzt nur zweigliedrige zu nennen): Substantiv + Substantiv: Autobahn Adjektiv + Substantiv: Hochhaus Verb + Substantiv: Waschmaschine Zahladjektiv + Substantiv: Dreieck Adverb + Substantiv: Außenverteidiger Pronomen + Substantiv: Dubeziehung (auch Du-Beziehung) Präposition + Substantiv: Zubrot Interjektion + Substantiv: Ahaerlebnis (auch Aha-Erlebnis)

Zum anderen hat man versucht, innerhalb dieser so gefundenen Bildimgsmuster nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu gruppieren. Hier ist natürlich so gut wie alles möglich, je nachdem, wie weit oder eng man die Inhaltsgruppen ansetzt. A u f Beispiele soll deshalb hier verzichtet werden, sie wären allzu beliebig. Aufgabe: Bestimmen Sie die folgenden Komposita nach formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten: Studentenwohnheim, Schulwegkostenerstattung, Kaffeemaschine, Riesenameise, Betonmischmaschine, Wintermantel. Eine besondere Variante der Determinativkomposita sind die sogenannten

,Possesiv-

komposita'. In der Wortbildungsliteratur wird für diese Gruppe zuweilen ein Sanskritname verwendet, ,Bahuvrihi' d.h. ,viel Reis habend', was im Altindischen zur Bezeichnung eines reichen Mannes diente. Es handelt sich um pars-pro-toto Konstruktionen, die überwiegend auf Menschen bezogen sind, und hier wiederum vor allem auf Männer. Ein charakteristischer Körperteil steht für die ganze Person. Im Gegensatz 211 den .normalen' Determinativkomposita liegt bei den Possessivbildungen kein endozentrisches, sondern ein exozentrisches Verhältnis zwischen den beiden Bildungselementen vor, das durch ein haben-Syntagma ausgedrückt werden kann. Die zweite Komponente ist immer ein Substantiv, die erste charakteristischerweise ein Adjektiv, es gibt aber auch Bildungen mit Substantiv als erster Komponente. Besonders häufig sind Bildungen auf -köpf, -bart, -fuß und -maul, aber es begegnen auch andere: Dickkopf Trotzkopf Kahlkopf Graukopf Schlaukopf Dummkopf Querkopf Starrkopf Schafskopf

Rotbart Milchbart Blaubart Ziegenbart Leichtfuß Hasenfuß Stelzfuß

Großmaul/-schnauze Lästermaul/-zunge

Schlappschwanz Rotznase

Lügenmaul

Fettwanst Dickbauch Spitzbauch Grünschnabel Geizhals Geizkragen Schreihals

45 Holzkopf Lockenkopf Glatzkopf Weißkopf

Rothaut Bleichgesicht Freigeist Schöngeist

Durch Lexikalisierungen wird das pars-pro-toto Verhältnis bei der Mehrzahl der Beispiele verwischt. Bei Fettwanst kann man sagen, dass jemand einen fetten Wanst hat' und deshalb als Person insgesamt als Fettwanst bezeichnet wird. Bei Schafskopf muss man bei der Paraphrasierung schon zu einem Vergleich Zuflucht nehmen. Bei Geizkragen muss man wissen, dass ,Kragen4 für ,Hals' steht; warum dieser .geizig' sein kann, ist unerklärt, jedenfalls lässt sich dieses Possessivkompositum nicht mit einem einfachen haben-Syntagma paraphrasieren. Bei Hasenfiiß und Grünschnabel wären ebenfalls komplexe Paraphrasierungen nötig. In diesem Punkt verhalten sich Possessivkomposita analog zu normalen Determinativkomposita, die ja auch alle mehr oder minder lexikalisiert, idiomatisiert, demotiviert sind, so dass Paraphrasierungen nur schwer oder gar nicht möglich sind. Auch hier entscheidet eben das mit der Spracheerworbene Wissen des Sprachbenutzers über die zutreffende Interpretation. Possessivkomposita gibt es auch bei Tierbezeichnungen, etwa Rotkehlchen, Blaukehlchen, Rotschwänzchen, Neunauge etc. Ob man auch Pflanzennamen wie Löwenzahn oder Hahnenfuß dazu rechnen soll, ist umstritten, eher zweifelhaft, denn derartige Bildungen sind eigentlich keine pars-pro-toto Konstruktionen mehr. Dann könnte man überhaupt alle bildhaften, für Personen gebrauchten Ausdrücke zu diesem Typ rechnen, Bildungen wie Schlafmütze, Heißsporn, Blaustrumpf, Spinatwachtel, Zimtziege, Hosenscheißer etc. Hier ist der Rand des Paradigmas klar überschritten. Wir können also auch hier eine Zugehörigkeitsskala mit abnehmender Relevanz aufstellen: • Dickbauch Jemand hat einen dicken Bauch, er ist ein ,Dickbauch' • Dickkopf Jemand hat einen .dicken' Kopf, wobei ,dick' metaphorisch für .hartnäckig' steht, jemand ist ein .Dickkopf • Schafskopf Jemand hat einen Kopf, der aussieht wie der eines Schafes, wobei angenommen wird, dass Schafe dümmlich aussehen, jemand ist ein .Schafskopf • Grünschnabel Jemand hat einen .grünen' Schnabel, wobei ,grün' bildhaft für .unerfahren' steht und das eigentlich auf Tiere bezogene Wort .Schnabel' für .Mund' gebraucht wird, jemand ist ein .Grünschnabel' • Löwenzahn Eine Pflanze hat Blätter, die so ähnlich aussehen wie die Zähne von Löwen, eine Pflanze fuhrt die Bezeichnung .Löwenzahn'.

Die Fälle 1-4 haben bei aller Verschiedenheit im einzelnen doch etwas Gemeinsames, der Fall 5 (Löwenzahn) fällt demgegenüber durch weitaus stärkere Idiomatisierung und eine nicht mehr erkennbare pars-pro-toto Beziehung aus dem Paradigma heraus.

46 Ähnlichkeiten mit Possessivkomposita haben manche Bildungen auf -er, etwa Dickhäuter, Tausendfüßler, Linkshänder, Einhufer etc. Auch sie können auf Tiere und auf Menschen bezogen sein, und auch hier liegt ein haben-Verhältnis zugrunde und eine exozentrische Beziehung zwischen den Bildungselementen. Wegen der abweichenden Bildungsweise als Kompositionen aus Simplex und Derivation werden derartige Fälle üblicherweise allerdings nicht zur Gruppe der Possessivkomposita gerechnet. Aufgabe: Welche der folgenden Wortbildungen wären Possessivkomposita?: Milchbar, Milchbart, Geizhab, Halskrause, Rotkehlchen, Rotfuchs, Rothaut, Rothaargebirge, Dickhäuter, Dickicht, Dickwanst, Dickdarm, Dickkopf, Dickmilch.

4.1.2

Kopulativkomposita

Kopulativkomposita sind gegenüber Determinativkomposita sehr viel seltener. Prototypische Kopulativkomposita sind exozentrische Konstruktionen, d.h. zwischen den Elementen besteht kein hierarchisches Verhältnis, sondern ein additives. Dieses Verhältnis ist prinzipiell umkehrbar, allerdings in den allermeisten Fällen fest konventionalisiert. Beispiele sind Länderund Städtenamen, die der Deutlichkeit halber mit Bindestrich geschrieben werden: Elsaß-Lothringen, Schleswig-Holstein, Österreich-Ungarn etc. Sulzbach-Rosenberg, Castrop-Rauxel, Wanne-Eickel etc. Bei anderen Substantiven ist das kopulative Verhältnis zumindest zweifelhaft, es handelt sich zumeist um Kleidungsstücke für Frauen: Strumpfhose, Hosenrock, Hemdbluse, oder die schon etwas aus der Mode gekommene Hemdhose. Bei einem Kleidungsstück gibt es sogar beide Formen: Schürzenkleid und Kleiderschürze. All diese Wörter werden von denen, die sie gebrauchen, eher als Determinativkomposita verstanden, eben weil die überwältigende Menge dieser Art von Komposita einen sehr starken Analogiezwang ausübt. Auf Befragen wurde immer wieder versichert, dass etwa Kleiderschürze und Schürzenkleid keineswegs das gleiche Kleidungsstück sei, sondern dass eine Kleiderschürze eben eine .Schürze' sei, die wie ein ,Kleid' geschnitten sei, ein Schürzenkleid dagegen eher ein ,Kleid', das man auch als bessere , Schürze' tragen könne. Sachlich mag hier vielleicht gar kein Unterschied vorliegen, psycholinguistisch aber doch. (Bei Adjektiven gibt es viel eindeutigere Kopulativkomposita, was auch Sinn macht, denn Eigenschaften lassen sich besser addieren als Gegenstände oder Sachverhalte. Neben einigen Wörtern wie bittersüß, süßsauer, dummdreist, nasskalt etc. sind dies vor allem Farbkomposita. Weniger Mischbezeichnungen wie gelbrot, blaugrau, graugrün, blauschwarz etc. Formen dieser Art kann man auch als Determinativkomposita interpretieren, denn man kann schon sagen, dass blaugrau eben ,blau' meint, das durch ,grau' determiniert wird, im Gegensatz zu graublau, wo -blau das determinierte Grundwort ist. Eindeutig kopulativ sind etwa Fahnenbezeichnungen schwarzrotgold, blauweiß, blauweißrot etc. oder Zahladjektive einundzwanzig etc. Hier ist das additive, exozentrische Verhältnis besonders augenfällig. Hier wird auch deutlich, dass

47 es prinzipiell egal ist, in welcher Reihenfolge die Elemente konventionalisiert sind, denn im Englischen etwa haben wir die umgekehrte Reihenfolge twentyone etc). Fleischer/Barz (1992: 128 f.) behandeln auch endozentrische Kopulativkomposita. Da dieser Typ aber nicht prototypisch ist, soll er hier unbeachtet bleiben. Aufgabe: Welche der folgenden Wortbildungen könnte man als Kopulativkomposita klassifizieren: Dichter-Komponist, Waisenknabe, Märchenonkel, Kapitänleutnant, Polizeioffizier, Meistersinger?

4.1.3

Zusammenrückungen

Im Lexikon der Sprachwissenschaft von Hadumod Bußmann (1990: 870) werden drei mögliche Auffassungen dieses Wortbildungstyps vorgestellt: 1) Aus phraseologischen Verbindungen hervorgegangene Neubildungen wie wassertriefend, Hoheslied, trotzdem, haushalten, 2) syntaktische Fügungen, bei denen das letzte Glied nicht die Wortart des ganzen Ausdrucks bestimmt, etwa Vaterunser, Nimmersatt, barfuß, Vergissmeinnicht, 3) mehrgliedrige flexionslose Wörter, Verschmelzungen von Adverben oder Präpositionen mit Substantiven, etwa infolge, aufgrund, fortan. Das heißt, man kann unter diesem Typ alles Mögliche verstehen, man kann ihn sogar unreflektiert für jede Art des Zusammentretens von Elementen verwenden, wie dies etwa Wilss (1986) tut. Das ist natürlich nicht sinnvoll. Vielleicht war das der Grund, warum Fleischer/Barz (1992) diesen Typ überhaupt als Typ aufgegeben haben und Bildungen, die Fleischer früher (1982:61-63) zu diesem Typ gerechnet hat, jetzt unter den Typ der Konversion subsummieren. Heinle (1993) hat diesem Wortbildungstyp eine eigene Studie gewidmet. Sie diskutiert zunächst den in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich eng oder weit gebrauchten Terminus und ordnet Zusammenrückungen dann ohne neue terminologische Festlegung in ein Kontinuum-Modell „Syntagma - Zusammenrückung - Zusammensetzung - Ableitung" (78). Beschränkt man den Terminus auf Fälle wie die unter 2) und 3) vorgestellten, kann man daran festhalten. Allerdings ist die oben angeführte Charakterisierung bei Typ 3) wenig hilfreich weil nichtssagend. In beiden Fällen gilt das Prinzip, dass das letzte Element nicht die Wortart der ganzen Konstruktion festlegt, wie dies sonst bei Komposita ist, bei Determinativkomposita und Kopulativkomposita gleichermaßen. Das Festhalten an einem eigenen Typ wird dadurch gerechtfertigt, dass Komposita dieser Art weder durch ein determinatives, endozentrisches Verhältnis der beteiligten Elemente, noch auch im eigentlichen Sinne durch ein kopulatives gekennzeichnet sind (Wellmann 1984: 500 spricht von einer „Art kopulativer Bedeutungsverbindung"). Halten wir also fest: Mit der oben angeführten Definition, dass das letzte Element nicht die Wortart der ganzen Komposition festlegt, können zwei Gruppen von Wortbildungen zum Typ der Zusammenrückung gerechnet werden:

48 •



4.2

Substantive wie Vergissmeinnicht, Magenbitter, Gernegroß, Nimmersatt, Dreikäsehoch, Fußbreit, Handbreit, Guckindiewelt, Taugenichts, Saufaus, Kehraus, Stelldichein, Eisenbeiß, Fingerzeig, Zeitvertreib, Störenfried, Rührmichnichtan, Gänseklein, Garaus, Habenichts Adverbien wie hinauf, hinab, herüber, fortan, kopßber, tagein/-aus, ohnedies, währenddessen, flussauf, vorderhand, kurzum, schlechtweg, schlechterdings, jederzeit, zugrunde (nach neuer Rechtschreibung allerdings auch zu Grunde). Auch eine Präposition wie infolge kann dazu gerechnet werden und eine Konjunktion wie trotzdem.

Grenze zwischen Komposition und Derivation

Wortbildung ist ein Prozess, der in sprachgeschichtlich früher Zeit begann (siehe Kapitel 1.3), lange vor der Zeit, aus der wir schriftliche Quellen haben. Dieser Prozess ist noch wirksam; auch in der deutschen Gegenwartssprache finden Veränderungen statt. Nach dem allgemeinen Wisssenschaftsprinzip des Uniformitarianismus sind historische Entwicklungen denen der Gegenwartssprache strukturell vergleichbar, sie sind strukturell zeitlos: Bestimmte Kompositionsglieder nehmen die Funktion von Affixen ein, d.h. neue prä- und suffigierte Formen entstehen, bei Substantiven, Adjektiven und Verben. Dass sprachwissenschaftliche Ordnungsbegriffe wie Komposition und Derivation nicht geeignet sind, Wortbildungen ein fur allemal in zwei voneinander getrennte Typen zu gliedern, wusste man schon, als man sie prägte. Zwischen beiden herrscht eine unilaterale Beziehung, d.h. aus Kompositionsgliedern können unter bestimmten Umständen im Laufe der sprachgeschichtlichen Entwicklung Affixe werden, nicht jedoch umgekehrt aus Affixen Kompositionsglieder. Zur Bezeichnung von Übergangsstufen zwischen Kompositionsglied und Suffix benützt man in neuerer Zeit die Termini ,Halbaffix' oder ,Affixoid' (in Anlehnung an andere Bildungen auf -oid, die alle ausdrücken, dass etwas ,so ähnlich' ist wie das mit dem Grundwort Bezeichnete: faschistoid, schizoid, paranoid etc.). Fleischer führte in seiner älteren, vielfach aufgelegten Wortbildungsarbeit drei Kriterien zur Feststellung des Suffixcharakters einer Wortbildung an: Die zweite Komponente muss stark reihenbildend sein, die Bedeutung der zweiten Komponente muss gegenüber der Bedeutung des freien Morphems „entkonkretisiert" und verallgemeinert sein, und das semantische Hauptgewicht muss auf der ersten, nicht auf der zweiten Komponente liegen (1982: 69). Kühnhold u.a. (1978) argumentieren ähnlich wie Fleischer, fuhren als weiteres Kriterium die komplementäre Funktion von Suffixen und suffix ähnlichen Formen an, etwa -ig und -artig in breiig/breiartig, teigig/teigartig etc. (1978: 427 und 520-522). Holst (1974) arbeitet mit einem anderen Unterscheidungskriterium, dem der Homonymie und Polysemie. Ein Kompositum liegt nach ihm nur dann vor, wenn die zweite Komponente in einem polysemen Verhältnis zur gleichlautenden freien Form steht, nicht dagegen, wenn dieses Verhältnis als homonym beschrieben werden muss. Da sich homonyme und polyseme Wörter nur durch den Rückgriff auf die Sprachgeschichte voneinander unterscheiden lassen, ist dieses Kriterium für die Beschrei-

49 bung gegenwartssprachlicher Tendenzen allerdings wenig geeignet. Vögeding (1981) und Fandrych (1993) arbeiten ausschließlich mit synchronischen Kriterien. Als Beispiel für den gleitenden Übergang zwischen Kompositionsglied und Suffix kann das Halbsuffix -arm dienen (in Anlehnung an die Ausführungen bei Kühnhold u.a. 1978: 120,442456, 478). Bei 85,9% aller Adjektive auf -arm ist die Bedeutung dieses Wortteils der des frei verwendeten Adjektivs noch nahe, wenn auch damit nicht mehr identisch, denn ,arm an ...' ist etwas anderes als ,notleidend': gefühlsarm, wasserarm, inhaltsarm, humusarm, blutarm etc. Bildungen dieser Art sind also Kompositionen aus substantivischem ersten und adjektivischem zweiten Glied noch sehr nahe. Bei einer zweiten Gruppe, der nach der Zählung von Kühnhold u.a. (1978: 120) nur 6,3% aller Belege angehören, bestehen nur formale Unterschiede zur ersten Gruppe: Die erste Komponente ist hier nicht ein Substantiv, sondern ein Verbum. Es handelt sich um wenige neuere Wortbildungen aus der Werbesprache: knitterarm, ldirrarm, krumpfarm (d.h. ,kaum eingehend' bei Stoffen) etc. Bei 4,7% der Belege liegt eine andere syntaktische Paraphrasierung vor, d.h. die Bildungen haben sich in ihrer Bedeutung schon weiter von entsprechenden Nominalkompositionen entfernt. Kühnhold u.a. (1978: 478) führen hier die beiden Belege bügelarm und pflegearm an, die nicht wie die überwältigende Zahl der übrigen -arm-Bildungen mit ,arm an ...' paraphrasiert werden können, sondern mit einer modalen Komponente ,etwas braucht/muss nur wenig gebügelt/gepflegt (zu) werden'. Außerdem - und dies ist bedeutsam - verbindet sich hier der Wortteil -arm nicht mehr mit der negativen Vorstellung des Mangels, des Fehlenden wie bei den Adjektiven der ersten Gruppe, sondern -arm ist hier durchaus ein Positivum. Auch in der Gruppe eins gibt es Bildungen, in denen -arm positive Wertung impliziert, etwa alkoholarm, nikotinarm, kalorienarm etc. Bei einer kleinen Restgruppe (2 Belege, prozentualer Anteil 3,1) liegt ein substantivisches erstes Glied vor wie bei der großen ersten Gruppe, aber nicht ganz dieselbe syntaktische Paraphrasierung: geräuscharm, schmerzarm als .etwas, das wenig Geräusche entwickelt' bzw. .wenig Schmerzen verursacht'. Zusammenfassend lässt sich also bei diesem Beispiel feststellen, dass die Form -arm stark reihenbildend ist und dass Ansätze zur Bedeutungsdifferenzierung bestehen, -arm negativ oder positiv gewertet werden kann. Dies spricht für die Interpretation von -arm als Suffix. Damit erfüllen Adjektive auf -arm eindeutig die beiden ersten der Fleischer'schen Kriterien. Auch das dritte Kriterium wird zumindest z.T. erfüllt: Bei Adjektiven auf -arm steht die Bedeutung der zweiten Komponente nicht für die Bedeutung der ganzen Wortbildung, wie sonst bei Nominalkompositionen. Eine ,tonnenschwere Last' ist zugleich eine ,schwere Last4, aber ein ,knitterarmes Kleid' ist nicht zugleich ein ,armes Kleid'. Dies Kriterium trifft freilich auch auf viele lexikalisierte, idiomatisierte Wortbildungen zu, die ganz bestimmt weder als Suffixableitungen noch als Ableitungen mit Halbsuffix beschrieben werden können. Auf der anderen Seite ist arm kein gebundenes Wortbildungsmoiphem wie die adjektivierenden Suffixe -ig, -isch, -lieh etc., sondern ein als freie Form auftretendes Kernmorphem aus der Klasse der Adjektive und unterscheidet sich in den allermeisten Kombinationen mit Substantiven in seiner Bedeutung kaum von diesem. Dies spricht für die Interpretation von Adjektiven auf -arm als Determinativkomposita. Zur Bezeichnung dieser Zwischenstellung ist der Terminus .Halbsuffix' bzw. ,Suffixoid' also hier durchaus vertretbar (vgl. auch die detailreiche Analyse dieses Typs bei Fandrych 1993: 165-177).

50 Kühnhold u.a. diskutieren detailliert eine Vielzahl derartiger Halbsuffixe bei Adjektiven, z.B. -aktiv, -echt, -fähig, -müde, -reich, -voll, -haltig,, -betont, -willig, -pflichtig, -gemäß, -dicht, trächtig, -schwach, -leer (siehe die tabellarische Zusammenstellung 1978: 119-173). Gegenüber Halbsuffixen bei Adjektiven treten die bei Substantiven an Zahl zurück. In Wellmanns Belegmaterial fanden sich die Suffixoide: -werk, -zeug, -volk, -weit, -kram, -mann, -gut, -leute, -material, -reich, -kreis, -august, -fritze, -heini, -suse, -trine, -liege (1975: 98-103, genauere Beschreibung 165-174 und 362-368). Was fur Suffixe/Suffixoide gilt, gilt auch fur Präfixe/Präfixoide. In der Umgangssprache und in Textsorten, die an der gesprochenen Sprache orientiert sind, also in vielen Zeitungen und in der Werbung, werden häufig Substantive mit verstärkenden Elementen präfigiert, etwa Affenhitze, Heiden-/Höllenlärm, Riesendurst, Spitzenspaß, Mordskerl, Pfundswetter, Blitzerfolg, Erzhaiunke, Haupteffekt, Bombenstimmung etc. Die semantische Differenzierung zwischen diesen präfixartigen Elementen und den lautgleichen freien Formen ist hier viel stärker als bei Suffixoiden: Alle hier als Beispiel angeführten Elemente haben augmentative, intensivierende Bedeutung, unbeschadet ihres unterschiedlichen Lautwertes und den sehr unterschiedlichen Bedeutungen der entsprechenden lautgleichen freien Formen. Sie sind deshalb auch in stärkerem Maße als Suffixoide austauschbar: Affenhitze, Höllenhitze, Bombenhitze, Mordshitze etc. An sich sind alle hier vorgestellten Elemente mit -hitze verbindbar und ohne weiteres verständlich, nur sind viele Kombinationen nicht üblich. (Eine Tabelle belegter Konkurrenzen bei Wellmann 1975: 148, auf der Seite 149 eine Distributionsmatrix von Kombinationen mit inhaltlich definierten Basen, Personenbezeichnungen, Tierbezeichnungen etc.). Präfixoide mit intensivierender Bedeutung sind zwar am häufigsten, es gibt vereinzelt auch andere, etwa Λ/fbundeskanzler, ßciravorstellung, McAiwissen etc. (siehe Wellmann 1975: 196f. und 201-204). Bei Adjektiven sind grundsätzlich dieselben textlichen Bedingungen relevant wie bei Substantiven, außerdem hat auch hier die überwältigende Anzahl aller Präfixoide augmentative, verstärkende Bedeutung: hochmodern, erzkonservativ, tiefernst, oberprima, vollverantwortlich, überglücklich, grundanständig, todkrank, stocktaub, weltstark, blitzdumm, blutjung, kreuzunglücklich. Nur ganz wenige Präfixoide haben andere Bedeutungen, etwa quasi. Als Halbsuffixe begegnen hier also Adjektive, Präpositionen und Substantive. Wie bei Substantiven gibt es in der Umgangssprache auch hier eine Reihe von Bildungen, die sprachstilistisch einer anderen Stilebene zugerechnet werden: stinkvornehm, scheißkalt, saudumm, rotzfrech etc. (eine zusammenfassende Tabelle bei Kühnhold u.a. 1978:75-99). Der Ansatz von Affixoiden spiegelt aber eher den älteren Forschungsstand wieder. Nach den Arbeiten von u.a. Höhle (1982), Schmidt (1987), Schippan (1987) ist man geneigt, die Termini .Halbaffix' bzw. ,Affixoid' wieder aufzugeben und entsprechende Wortbildungen entweder als Kompositionen oder als Derivationen zu interpretieren. Bei Fleischer/Barz (1992) gelten substantivische Bildungen auf -wesen und -werk und adjektivische Bildungen auf -los und -mäßig, desgleichen Bildungen mit erz- und haupt- als erster Komponente als Derivationen, alle anderen Bildungen, also solche wie die oben angegebenen gelten dagegen als Zusammensetzungen. Freilich ändert dies nichts an der Tatsache, dass es auch gegenwartssprachlich ein Kontinuumsverhältnis zwischen Komposition und Derivation gibt. Das wissen

51 natürlich auch Fleischer/Barz: „Dabei muss allerdings im Blick bleiben, dass beide Klassen, Wörter wie Affixe, aus Zentrum und Peripherie bestehen, d.h. aus Elementen, bei denen die klassenbildenden Eigenschaften in unterschiedlichem Grade ausgeprägt sind. Es gibt einerseits folglich Wörter/Grundmorpheme mit Eigenschaften, die sie zur Klasse der Affixe tendieren lassen und andererseits Affixe, die - aus Grundmorphemen hervorgegangen - noch nicht über alle Affixmerkmale verfügen" (1992: 28). Ob man dieses Zwischenstadium mit einem eigenen Terminus belegt oder nicht, ist letztlich Geschmacksache, man muss dies nicht, das ist richtig, aber man kann dies durchaus, das ist unzweifelhaft ebenso richtig, denn in anderen Bereichen tut man dies in der Sprachwissenschaft ja auch, etwa bei der Benennung von Wortklassen, wo es ebenfalls zu vielen Übergangserscheinungen kommt. Hier werden Ausdrücke wie .Adjektivadverbien', .Pronominaladverbien', .Präpositionaladverbien', .Konjunktionaladverbien',,Satzäquivalente' verwendet, um Polyfiinktionalität auch terminologisch zu fassen. Schon der sehr alte Grammatikterminus .verbum substantivum' war so eine Konstruktion. Terminologischer Purismus ist einerseits zu begrüßen, weil er die Flut der sprachwissenschaftlichen Ausdrücke auf Bezeichnungen fur Kernbereiche eingrenzt - und solange man sich dessen bewusst ist, dass Peripherien, die man damit ausklammert, in der sprachlichen Realität dennoch existieren, ist dies durchaus vertretbar - andererseits kann man damit gerade Übergangserscheinungen, die die Sprachwissenschaft interessant machen, weil hier deutlich wird, dass sich Sprache ständig entwickelt, terminologisch nicht fassen. Außerdem steht die Aufgabe des Terminus Affixoid der Entwicklung der neueren Sprachwissenschaft entgegen, denn diese Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, dass an die Stelle sprachtheoretischer Analysen in den letzten zehn Jahren eher wieder die Hinwendung zu historischen Fragestellungen auf der einen und die Erweiterung des sprachwissenschaftlichen Horizonts durch pragmalinguistische Aspekte auf der anderen Seite getreten ist (siehe dazu Müller 1993: 1 f.). Unter beiden Aspekten sind aber gerade derartige Übergangserscheinungen interessant. Aufgabe: Begründen Sie die Klassifizierung der Konstituente -frei als Halbsuffix. Sammeln Sie aus Lexika der deutschen Gegenwartssprache Belege mit dem Präfixoid haupt- und versuchen Sie eine syntaktische und semantische Beschreibung.

4.3

Derivation/Ableitung: Adjektive

Über die Definition von Derivation war und ist man sich von jeher einig. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts hat Jacob Grimm dies zeitgemäß blumig so ausgedrückt: „ableitung heißt die zwischen wuizel und flexion eingeschaltete, an sich selbst dunkele mehrung des worts, kraft welcher der begriff der wurzel weiter geleitet und bestimmt wird" (1826: 89). Heute legt man eher Wert auf die formalen und distributionellen Eigenschaften und drückt dies zeitgemäß auf Englisch aber in der Sache übereinstimmend so aus: „ Formal classifications refer to the type and place of derivational processes by modyfying the stem with regard to the relation between base and derivation." (Naumann/Vogel 2000). Suffixe wie -ig, -bar, -heit, -erei tragen als iso-

52 lierte Formen keine bestimmte Bedeutung, sind „an sich selbst dunkel", wie Grimm bildhaft formuliert hatte. In Verbindung mit Wortstämmen wird durch diese Suffixe jedoch „der begriff der Wurzel weiter geleitet und bestimmt": in fleiß-ig und in Frei-heit legt das Suffix die Wortklasse fest, in ess-bar und in Sing-erei bestimmt es ebenfalls die Wortklasse, fügt jedoch zusätzlich ein weiteres semantisches Merkmal hinzu, passivische Möglichkeiten beim Adjektiv essbar und ein pejoratives Element beim Substantiv Singerei. Die primäre Funktion von Suffixen ist .Transposition' d.h. Wortartenwechsel, aber immer zumindest Festlegung der Wortklasse. Das Substantiv Fleiß wird durch das Suffix -ig zum Adjektiv transponiert, das Adjektiv frei wird durch -heit zum Substantiv. Nur in selteneren Fällen bleibt die Wortklasse erhalten, etwa bei den Diminutivsuffixen -chen und -lein, Kind-chen, Ring-lein etc. Hier tritt also lediglich .Expansion' ein, nicht aber auch .Transposition'. Das Adjektivierungssuffix -lieh kann, aber muss nicht transpositiv und expansiv zugleich fungieren, bei Bildungen wie weiblich, männ-lich etc. schon, bei Adjektivderivaten wie grün-lich, röt-lich etc. nicht. Im Deutschen wird Derivation in der überwältigenden Mehrheit der Fälle durch Addition realisiert, d.h. an Wortstämme treten an verschiedenen Stellen Affixe, und hier wiederum vor allem an das Ende von Wortstämmen, also Suffixe, bei Substantiven, Adjektiven und in sehr reduzierter Form auch bei Verben. Präfixe spielen bei allen drei Hauptwortarten eine Rolle, am deutlichsten bei Verben. Zirkumfixe haben nur in der Wortbildung der Substantive (relativ geringe) Bedeutung: Ge-sing-e. Infixe gibt es im Gegenwartsdeutschen nicht. Fleischer/Barz (1992: 271) bezeichnen Präfixe, die bei Zusammensetzungen in die Kompositionsfuge geraten, als Infixe, also etwa bei verhandlungs-un-föhig. Das kann man rein formal so sehen, nötig ist es nicht, wohl auch nicht ratsam, weil der Typ der echten Infixe auf diese Art verwässert wird. Echte Infixe gibt es in vielen ostasiatischen Sprachen etwa im Laotischen: ska.t ist ein Adjektiv und bedeutet ,rauh', das davon abgeleitete Verbum ,rauh machen, aufrauhen' lautet s-m-ka:t. Hier wird also mitten ins Wort hinein, also nicht in eine Kompositionsfuge, ein Verbalisierungsinfix -m- eingeschoben (weitere Beispiele bei Naumann/Vogel 2000). Zum Begriff ,Interfix' siehe Kapitel 2.1.3, zu ,Konfix' Kapitel 4.4. Derivation mittels Affixen führt die Sammelbezeichnung .explizite Derivation'. Im Deutschen gibt es aber auch Derivation ohne Affixe, dafür aber mit Änderung des Stammvokals. Diese Form der Ableitung heißt .implizite Derivation'. In selteneren Fällen kann es auch zu einer Reduzierung von Elementen kommen, d.h. Affixe werden nicht hinzugefügt, sondern weggelassen, etwa bei Notland-ung vs. notland-(en). Diese Form der Wortbildung, die hier nicht näher behandelt wird, wird .Rückbildung' genannt (siehe Fleischer/Barz 1992: 51 f.). Adjektive können wieder von Adjektiven abgeleitet werden (Expansion), oder von Substantiven (Expansion und Transposition) und - sehr eingeschränkt - von Verben (ebenfalls Expansion und Transposition). Die meisten Formvarianten zeigen Adjektivableitungen von Substantiven. Die Adjektive, die von anderen Adjektiven abgeleitet sind, fallen in der Gegenwartssprache zahlenmäßig kaum ins Gewicht: Farbadjektive (und auch andere) auf -lieh (röt-lich, grünlich, gelblich etc. und z.B. kleinlich) und einige Adjektive auf -ig(lich) (faulig, elendiglich). Einige Adjektive auf -ig- haben adverbiale Basen (Zeit-, Orts- und Modaladverbien); auch sie sind jedoch insgesamt in der Gegenwartssprache nicht zahlreich: heutig, dortig, etwaig. Da die meisten Adjektiv-Suffixe mit -i- gebildet sind/waren (-ig, -isch, -lieh, -e(r)n), ist

53 der Wortstamm sehr vieler Adjektive umgelautet. Positionsbedingt zu unterscheiden sind Suffix- und Präfixableitungen.

4.3.1 Suffixbildungen 1) Adjektive mit substantivischen Basen Adjektiven mit dem Suffix -en bzw. erweitert als -era liegen nach der Zählung von Kühnhold u.a. (1978: 106) zu 100% Substantive zugrunde. Seit mhd. Zeit beginnt die erweiterte Form -im > nhd. -era die älteren -in-Bildungen z.T. zu verdrängen. Das Suffix -era ist deutlicher als -en, das formal mit vielen Flexionsmorphemen identisch ist, vor allem mit dem Infinitiv beim Verbum, so dass Adjektive auf -en äußerlich wie Verben aussehen. Deshalb wurde aus mhd. hutzln, stahel-in, wahs-in (bzw. wehs-in) im Nhd. hölz-em, stähl-em, wächs-em. Daneben blieben aber auch eine Menge alter Bildungen erhalten: golden, leinen, metallen, papieren, samten, seiden, wollen etc. Häufiger sind freilich in der Gegenwartssprache Bildungen auf-era, neben den schon genannten etwa: blechem, bleiern, gläsern, eisern, kupfern, silbern, steinern, tönern etc. Adjektive wie lüstern oder nüchtern sind idiomatisiert (bzw. lexikalisiert oder demotiviert), weil der Zusammenhang mit der Basis nur noch locker (z.B. bei Lust) oder überhaupt nicht mehr (bei Nacht: das ahd. Mönchswort nuohturn ist eine Entlehnung aus lat. noctumus und bedeutet: ,nach der Nacht noch ohne Essen/Trinken zu sein'). Die Bildungen auf -haft sind heute Adjektivableitungen, die zu 96,3% substantivische Basen haben (Kühnhold u.a. 1978: 107). In der Gegenwartssprache drücken die meisten Adjektive auf -haft nur den Bedeutungskem des Basissubstantivs als Eigenschaft aus: meisterhaft, knabenhaft, heldenhaft, stümperhaft etc. In einigen Fällen werden derartige Bildungen durch -ig erweitert: leibhaftig, teilhaftig, wahrhaftig. Sprachgeschichtlich eines der ältesten Suffixe überhaupt ist das gegenwartssprachliche -isch. Adjektive auf -isch bezeichnen ganz allgemein die Zugehörigkeit zu etwas: chinesisch, englisch, russisch, spanisch bzw. augsburgisch, berlinisch, kölnisch. Sie werden bevorzugt im Zusammenhang mit Personenbezeichnungen und häufig von Nomina agentis auf -er gebildet: platonisch, drakonisch, lutherisch, mozartisch etc. und dichterisch, erfinderisch, mörderisch, malerisch, schöpferisch. Auch Ableitungen von Städtenamen werden heute häufig über Nomina agentis gebildet: augsburgerisch (neben augsburgisch), berlinerisch (neben berlinisch), münchnerisch, wienerisch etc. Nach -ig und -isch bildet der Ableitungstyp -lieh die meisten Adjektivableitungen in der deutschen Gegenwartssprache. In bezug auf die Basiswortart ist der -ßcA-Typ nicht mehr so charakteristisch wie die Adjektive auf -ig und -isch. Die meisten -/i'cA-Bildungen mit substantivischer Basis sind Personenbezeichnungen (Kühnhold u.a. 1978: 263 und Fleischer 1982: 269): väterlich, ftirstlich, feindlich/freundlich, brüderlich, bäuerlich, hausfraulich, menschlich etc. Aber auch Abstrakta bilden häufig die substantivische Basis: wissenschaftlich, kulturgeschichtlich, gegensätzlich, leidenschaftlich, volkstümlich etc. Neben den hier beschriebenen Suffixen sind gegenwartssprachlich eine Reihe von Fremdsuffixen produktiv, die Adjektive fast ausschließlich aus substantivischen Basen ableiten: -oid

54 (faschistoid), -ös (religiös) und - eingeschränkter (spekulativ).

-antl-ent (charmant, eloquent) und -iv

2) Adjektive mit verbalen Basen Die überwältigende Mehrzahl von Adjektiven mit verbaler Basis sind Ableitungen auf -bar und -sam. Dem Suffix -bar (ahd. -bäri, mhd. -baere) liegt historisch ein zu heran (.tragen, gebären') gehöriges Verbal-Adjektiv zugrunde. Ältere -Zrar-Ableitungen lassen sich noch in größerer Zahl mit dieser Grundbedeutung erklären. Heute hat nur noch eine verschwindend kleine Anzahl von -fear-Ableitungen substantivische (dankbar, fruchtbar) oder adjektivische (offenbar, lautbar) Basen. Gegenüber den Ableitungen auf -lieh, die häufig in ähnlicher Bedeutung wie -ftar-Ableitungen gebraucht werden, sind -bar-Ableitungen gewöhnlich weniger idiomatisiert, der verbalen Basis noch näher, etwa deutbar - deutlich, ausfiihrbar - ausßihrlich, erklärbar - erklärlich, lesbar -leserlich, vernehmbar - vernehmlich, verwerfbar - verwerflich. Semantisch ähnlich sind viele Bildungen auf -sam und -haft. Produktiv ist das Suffix heute nur noch mit verbalen Basen (allerdings längst nicht so ausschließlich wie -fozr-Adjektive) und tritt dadurch in eine gewisse Konkurrenz zu -fear-Adjektiven: duldsam, empfindsam, folgsam, leutsam, mitteilsam, strebsam, unaufhaltsam etc. Die Beispiele zeigen auch, dass -sam-Ableitungen häufiger auf aktivisch gebrauchte Verben zurückgehen, bei denen es nicht auf das Objekt der verbalen Tätigkeit, sondern auf das Subjekt ankommt. In weit größerem Umfang konkurrieren Bildungen auf -abel, -ibel mit -fear-Ableitungen, allerdings nicht formal, denn das Suffix -abel, -ibel (aus lat. -abilis, -ibilis über das Französische ins Deutsche gelangt) tritt nur an Fremdwortbasen: diskutabel, akzeptabel, respektabel bzw. explosibel, disponibel, konvertibel etc. Es gibt auch Derivation von Wortgruppen, für die man in der älteren Wortbildungsforschung einen eigenen Terminus hatte .Zusammenbildung'. Damit sind vor allem Formen auf -ig gemeint wie blauäugig, spitznasig, kahlköpfig, kurz-(lang-, mittelfristig, zweisprachig, langstielig, vierstöckig, dreimotorig, rotwangig, vielgliedrig, geringschätzig etc. Es gibt auch einige Formen auf -lieh und -isch: vorgeburtlich, überseeisch etc. Hier wird nicht ein einzelnes Wort deriviert, sondern eine Wortgruppe. In diesem Fall ist Fleischer/Barz (1992: 47) zuzustimmen, wenn sie meinen, dass ein besonderer Terminus dafür wohl nicht notwendig ist. Aufgabe: Beschreiben Sie Form und Funktion gegenwartssprachlicher, deverbaler Adj. auf -fähig. Beschreiben Sie die Funktionen desubstantivischer Adjektive auf -mäßig. Benützen Sie dabei die folgenden Beispiele: botmäßig, gewohnheitsmäßig, zweckmäßig, polizeimäßig, mengen-mäßig.

55 4.3.2 Präfixbildungen Auch hier gilt, dass Präfixe gewissermaßen kommen und gehen. Noch um die Jahrhundertwende war das Präfix aber- in der Bedeutung .entgegengesetzt' relativ verbreitet; es begegnete in Wörtern wie Aberwille (.Widerwille'), Abergunst (.Missgunst'), Aberkaiser (.Gegenkaiser'), Aberweg (.Abweg'), Abergrund (.Gegengrund') etc. In heutigen Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache werden nur noch Aberglaube und Aberwitz (auch dies schon mit dem Zusatz .veraltet') aufgeführt. Produktive gegenwartssprachliche Nominalpräfixe sind vor allem un- und ur-, Beide haben eine feste Bedeutung und können reihenbildend wirken. Das Präfix un- steht vor allem bei Adjektiven als Negationspräfix, aus unterschiedlichen Gründen allerdings längst nicht bei allen: Die Formen *unschwarz, *ungelb, *unrot etc. sind nicht konventionalisiert, weil Farbbezeichnungen skalierende Ausdrücke sind, deren Negierung sinnlose Informationen vermitteln würde. Ahnlich ist es bei Stoffbezeichnungen, obwohl hier keine Skalierung vorliegt, also bei *unsilbern, *unblechern, *ungläsern etc. Die Formen *ungroß/ *unklein, *undick/*undünn, *unlang/*unkurz etc. sind nicht gebräuchlich, weil polarisierbare Adjektive üblicherweise nicht mit un- präfigiert werden; einige polarisierbare Adjektive sind jedoch mit un- präfigierbar, hier aber üblicherweise nur die positiv besetzten Formen, also unschön/* unhässlich, unrichtig/*unfalsch, ungut!*unschlecht bzw. *unböse etc., weil es vom Sprachgebrauch her sinnvoller erscheint, positiv besetzte Formen zu negieren als negativ besetzte durch eine weitere Negation wieder positiv zu machen. Zur Erreichung bestimmter stilistischer Effekte (etwa Ironie) ist dies freilich dennoch möglich. Manchmal sind nur schwer Gründe für die Nichtkonventionalisierung von mit un- präfigierten Formen zu formulieren, etwa bei *unschwanger. Un- steht auch bei Substantiven, die von Adjektiven abgeleitet sind: Unreife, Unfreiheit, Ungerechtigkeit etc., aber auch bei Substantiven, denen kein Adjektiv als primäre Form zugrunde liegt: Unlust, Unkraut, Unmensch etc. Bei Substantiven ist aber die Funktion der Negation nicht mehr konsequent gegeben; in manchen Substantiven wirkt unsteigemd, nicht negierend: Unmenge, Unsumme, Unzahl etc. Ähnlichen, aber fast spiegelbildlichen Bedingungen unterliegt das Substantiv-Präfix ur-. Es bezeichnet .Früheres, Ursprüngliches, längst Vergangenes etc.' etwa in Substantiven wie Urmensch, Ursprache, Urbild, Urgroßvater, Urstoff etc. Ur- kommt daneben vor allem in von Substantiven abgeleiteten Adjektiven vor: ursprachlich, urgroßväterlich, urbildlich, urmenschlich, urstofflich. Auch ur- kann steigernd, verstärkend wirken, etwa in urkomisch, urgemütlich, urplötzlich etc. Beide Präfixe, un- und ur-, haben in vielen Zusammensetzungen keine eigene, reihenbildende Bedeutung, etwa nicht in Wörtern wie Unfall, Unflat, Ungebühr, Unrat bzw. Urteil, Urkunde, Ursache. Neben diesen beiden Präfixen un- und ur- werden in der deutschen Gegenwartssprache eine große Fülle fremdsprachlicher Präfixe, zumeist aus dem Griechischen oder Lateinischen benützt: a-, anti-, in-, miss-, extra-, hyper-, super-, auto-, intern-, mono-, poly- etc. Aufgabe: Stellen Sie aus gegenwartssprachlichen und historischen Wörterbüchern Substantive mit dem Präfix erz- zusammen. Diskutieren Sie die Laut- und Bedeutungsgeschichte dieses Präfixes und seine gegenwartssprachliche Produktivität.

56 4.4

Wortbildung der Verben

Die Wortbildung der Verben unterscheidet sich von der der Substantive und Adjektive. Die Domäne der substantivischen Wortbildung sind Zusammensetzungen, bei der adjektivischen Wortbildung spielen Ableitungen die dominante Rolle. Auch bei Verben kommt es zu Komposition und Derivation, aber anders als bei der nominalen Wortbildung. Einfache Verben können linksseitig durch unterschiedliche Zusätze erweitert werden, die z.T. in bestimmten syntaktischen Stellungen als unabhängige Elemente auftreten. Die dadurch entstehende .Satzklammer' oder , Verbalklammer' kann zu sehr weit gehender Trennung zwischen Finitum und Infinitum fuhren, worüber sich Ausländer oft mokiert haben (am bekanntesten ist vielleicht die Darstellung von Mark Twain in Α Tramp Abroad von 1878) und was man verschiedentlich als typischen Ausdruck deutscher Wesensart gesehen hat. Bei Präfixverben, also bei Verben, die mittels vom Verbstamm untrennbarer Elemente gebildet sind, geht das nicht, deshalb sind Präfixverben vielleicht auch nicht die interessanteste Variante verbaler Wortbildung. Hier gibt es bezeichnenderweise auch kaum Kontroversen in der Forschungsliteratur. Bei den verbleibenden gibt es z.T. sehr unterschiedliche Auffassungen. Im Morphologiekapitel (2.1) wurde unterschieden zwischen Kern-, Derivations- und Partikelmorphemen. Letztere, hatten wir gesagt, sind z.T. fur die Wortbildung relevant, Morpheme wie an, auf, bei, nach, vor, etc., also vor allem Präpositionen, die Teile von Verben (oder Substantiven und Adjektiven) sein können und dann nur noch z.T. syntaktisch bedingt als freie Formen auftreten, nämlich in der Wortstellung des Aussagesatzes: X kam, weckte, pflichtete, holte, stellte ...an, auf, bei, nach, vor. Mit dem Ansatz von Partikelmorphemen ist es nicht sinnvoll, entsprechende Verben, also ankommen, aufwecken, beipflichten, nachholen, vorstellen etc. als Präfixverben zu klassifizieren, denn Präfixe sind wie Suffixe dadurch definiert, dass sie als Morpheme prinzipiell und in allen Positionen unfrei sind. (Nur Fleischer/Barz - 1992: 316-320 - gehen eher von grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der semantischen Funktionen aus als von den Unterschieden der beteiligten Morphemklassen und ordnen auch derartige Verben in die Klasse der Präfigierungen). Man könnte argumentieren, dass Formen wie an-, auf-, bei-, nach-, vor- etc. in der verbalen Wortbildung andere Funktionen übernehmen als die homophonen Präpositionen an, auf, bei, nach, vor etc. im Satz und deshalb auch anders beschrieben werden müssen. In diesem Zusammenhang taucht manchmal der Terminus Konfix auf (erstmalig (?) bei Fischer 1985) als Bezeichnung für wortfähige, gebundene Grundmorpheme aus der Klasse der Synsemantika. Allerdings sind damit eher Elemente gemeint, die Ähnlichkeiten zu unikalen Morphemen besitzen, im Gegensatz zu diesen aber wortbildungsaktiv sind, Elemente wie bio-, geo-, stief- (siehe dazu auch Fleischer/Barz 1992: 25). Die Argumentation mit anderer Bedeutung/Funktion von Präpositionen und homophonen Verbteilen führt nicht notwendig zur Klassifikation derartiger Formen als Präfigierungen (oder Bildungen mit Konfix), sondern erlaubt auch die Zuordnung zur Klasse der Komposita, denn bei jeder Komposition unterscheidet sich die Bedeutung/Funktion der Elemente von den entsprechenden homophonen freien Formen: Wörter wie Haustür, Hausfrau, Haushalt, Hausmädchen etc. sind eben nicht das Resultat einfacher semantischer Additionen (die sich z.T. auch syntaktische formulieren ließen, etwa als Genitivsyntagmen) der Wörter Tür, Frau, Halt, Mädchen mit Haus, sondern haben als

57

Komposita vielfältige, idiosynkratische, lexikalische Merkmale entwickelt. Freilich sind Elemente wie an-, auf-, bei-, nach-, vor etc. in Verbindung mit Verben stärker entkonkretisiert als alle Substantive in den obigen Beispielen, aber nicht annähernd so stark wie Präfixe, die überhaupt keine autosemantische Bedeutung mehr haben. Es spricht also manches dafür, verbale Wortbildungen dieser Art als eine besondere Art der Komposition zu interpretieren, naheliegend als ,Partikelkomposition'. Aber es muss festgehalten werden, dass Partikelkomposita irgendwo zwischen Derivation und Komposition stehen, d.h. auch hier herrscht ein KontinuumVerhältnis, ist eine eindeutige Zuordnung nicht möglich, wie bei so vielen anderen Erscheinungen auch nicht. Nach der kurzen Darstellung der Präfixverben als Derivationen folgt also die (interessantere weil weniger eindeutige) der Partikelverben und der Verben mit Verbzusatz, deren Zugehörigkeit zur Klasse der Kompositionen nicht zweifelhaft ist.

4.4.1 Präfigierung Verben werden traditionell gebildet mittels einer relativ kleinen Garnitur von Präfixen, die untrennbar in jeder syntaktischen Position mit dem Verb verbunden sind, nur als gebundene Morpheme, als Wortbildungsmorpheme auftreten, also die Präfixe be-, er-, ent-, ge-, ver- und zer-. Daneben gibt es eine ebenso begrenzte Zahl von Verbalsuffixen, die Suffixe -ier-, -(e)l-, -r-, -s-, -ig- und -ζ-, Sie spielen in Wortbildung der Verben eine untergeordnete Rolle, weil sie kaum noch produktiv sind. Präfixe haben die Funktion, präfigiertes Verb und das dazugehörende Simplex semantisch zu differenzieren. Es entstehen also Paare wie greifen vs. begreifen, hören vs. erhören oder gehören, tauchen vs. enttäuschen, machen vs. vermachen, reißen vs. zerreißen. Man sieht, dass hier bei den meisten Beispielen die semantische Differenzierung so weit fortgeschritten ist, dass zwischen Simplex und Präfigierung kaum noch ein Zusammenhang gesehen werden kann. Lediglich bei den Beispielen enttäuschen und noch mehr bei zerreißen ist dieser Zusammenhang spürbar. Nur be-, er-, ver- und zer- sind auch noch gegenwartssprachlich eingeschränkt reihenbildend und produktiv: In sehr geringem Umfang be- etwa besteigen, betreten. Hier wirkt be- resultativ. In anderen Bildungen ändert sich lediglich die syntaktische Verwendungsweise, also etwa in glückwünschen vs. beglückwünschen. In geringem Umfang auch er-, in Paaren wie arbeiten vs. erarbeiten, grauen vs. ergrauen, grünen vs. ergrünen etc. Auch hier haben die er-Formen resultative Bedeutung. Schließlich kann auch zerresultative Bedeutung annehmen, hier sind die Formen zahlreicher: zerbersten, zerbomben, zerbrechen, zerbeulen, zerdrücken, zerfasern, zerfetzen, zerfleddern, zerfließen, zerfransen etc., um jetzt nur ein paar Beispiele vom Beginn des Alphabets zu zitieren. Von den Verbsuffixen haben die -(^/-Bildungen diminutive und z.T. pejorative Funktion: deuteln, hüsteln, lächeln, liebeln, schnitzeln, spötteln, tänzeln etc. Das Suffuix -ier- mit seinen allophonischen Varianten -isier und -ifizier- tritt in den allermeisten Fällen nur an Fremdwortbasen und hat keine semantische Funktion. Deshalb ist es umstritten, die Form überhaupt als Suffix zu werten. Der einzige Grund besteht darin, dass es einfach da ist. Fleischer/Barz (1992: 311 f.) nehmen offenbar diese Position ein, denn sie ordnen einerseits -ier- zu den Verbalsuffixen, andererseits interpretieren sie Bildungen auf -ier- als Konversionen, d.h. als Wort-

58 bildungen ohne Wortbildungsmorpheme. Das ist zwar nicht konsequent, aber eine pragmatische Lösung. Korrekter wäre wohl, -ier- eben nicht als Suffix, sondern als mögliche allomorphische Stammerweiterung von Fremdbasen zu interpretieren. Bei den übrigen Verbalsuffixen, die nur in sehr begrenztem Umfang auftreten, ist es ähnlich: quieksen, belobigen, duzen/siezen. Nicht zahlreicher aber vielleicht interessanter als Präfixe und Suffixe in der verbalen Wortbildung sind Partikelkompositionen und Verben mit Verberweiterungen unterschiedlicher Art. Aufgabe: Beschreiben Sie die Bedeutungen des Präfixes ver- in den gegenwartssprachlichen Verben verblühen, verzuckern, verbauen, verkalken, versetzen, versagen, verwerfen, verjähren.

4.4.2

Partikelkomposition

Sehr viele Verben können mit Partikeln verbunden werden, in den meisten Fällen Präpositionen wie ab-, an-, auf-, aus-, bei-, ein-, mit-, nach-, neben-, vor- etc. Die allermeisten werden in den entsprechenden syntaktischen Umgebungen vom Stamm getrennt, nämlich die, die den Wortakzent tragen. Einige davon können in anderer Bedeutung den Akzent an den Wortstamm abgeben und werden dann nicht getrennt, also durch in durchleuchten, über in übersitzen, um in umfahren, unter in unterspülen und wider in widersprechen. Wenn diese Partikel, den Wortakzent tragen, also etwa bei den Verben durchmachen, übersetzen, umfahren, unterkriegen, widerhallen, dann sind sie auch trennbar und werden syntaktisch wie Präfixe behandelt, die nie den Wortakzent tragen. In dieser Verwendung fällt dann auch im Partizip das ge- weg, analog zu den Präfixverben: Ich habe übergesetzt vs. Ich habe übersetzt. Partikel haben vielfältige, oft individuelle und lexikalisierende semantische Funktionen. Es gibt aber auch hier Prägemodelle, also reihenbildende Nischen, wie bei Präfixverben (siehe dazu etwa Hundsnurscher 1968). Diese Prägemodelle ermöglichen analoge Neubildungen, etwa ein Modell für Verben mit aus- in der Bedeutung , einen Wettkampf bis zur Entscheidung austragen': ausschwimmen, auskegeln, ausschießen, ausfechten, ausdiskutieren, aushandeln etc. Eine anderes Prägemodell, ebenfalls mit aus-, wären transitive oder intransitive Partikelverben, in denen aus- die generalisierende Funktion ,leer' oder ,weg' hat: ausbeulen, ausbaggern, ausbluten, ausbrennen, auslöffeln, aussaugen etc. Als eine eher allgemeine Funktion ließe sich nennen: Partikel bestimmen häufig die Aktionsart des Verbums, also durativ vs. punktuell, ingressiv oder resultativ. Als Beispiele kann man hier Reihen anführen wie: aufblühen, verblühen - blühen, schlafen - einschlafen, aufgehen - untergehen, brennen - verbrennen etc. Neben einfachen Partikelverben gibt es auch Verben mit Doppelpartikeln: davonkommen, dazuverdienen, dazwischenfahen, einhergehen, herauskommen, herumgehen, hervortreten, hinaufklettern, hinwegzaubern etc.

59 4.4.3 Verben mit Verbzusatz Verben mit Verbzusätzen sind keine Partikelkompositionen, weil hier keine Partikelmorpheme im Spiel sind, sondern freie Morpheme, Wörter. Es handelt sich also um eine Sonderform der Determinativkomposita. Die erste Komponente kann ein Substantiv sein, etwa in Formen wie bauchreden, danksagen, dauerparken, haushalten, hohnlachen, hohnsprechen, lichthupen, lobpreisen, notleiden, sackhüpfen, schauspielern, schautanzen, schlittenfahen, schritthalten, schutzimpfen, staubsaugen etc. Die neuen Rechtschreibregeln haben mit derartigen Zusammensetzungen ihre besonderen Schwierigkeiten und verfahren alles andere als konsequent: Bei danksagen wird daneben auch die Getrenntschreibimg eingeräumt, also Dank sagen. Bei schritthalten ist nunmehr Getrenntschreibung die allein geltende Norm: Schritt halten. Formen wie dauerparken, lichthupen oder schautanzen sind im neuen Rechtschreibduden überhaupt nicht verzeichnet, darf es sie nicht geben? Die erste Komponente kann auch ein Adjektiv sein: breittreten, besonders viele mit fest-: festhalten, festlegen, festliegen, festmachen, festrennen, festschreiben, festsaugen, festschnallen, festsetzen etc. gesundbeten, gesundschreiben, gesundschrumpfen, gesundstoßen etc. kurzarbeiten, liebäugeln, offenhalten, richtigstellen, schönfärben, steifhalten, trockenlegen, vierteilen, volltanken etc. Auch hier gelten z.T. neue Regeln: Künftig nur noch offen halten, steif halten, richtig stellen und voll tanken. Seltener mit einem Verb als erster Komponente: kennenlernen, mähdreschen, saugbohnern, sitzenbleiben, sitzenlassen, stehenbleiben, stehenlassen, warnstreiken etc. Hier sind die neuen Regelungen besonders weitgehend: Alle Formen werden künftig getrennt geschrieben (mähdreschen, saugbohnern und warnstreiken sind nicht verzeichnet). Die syntaktische Verwendbarkeit derartiger Bildungen ist beschränkt und z.T. sehr unsicher. Da der Wortakzent auf der ersten Komponente liegt, müssen sie an sich behandelt werden wie Partikelverben, d.h. in entsprechenden Kontexten getrennt auftreten bzw. im Partizip mit dazwischengeschobenem -ge-. Das ist jedoch nur sehr eingeschränkt der Fall. Der Duden hält sich hier vornehm zurück: Bei bauchreden heißt es etwa „in den meisten Fällen nur im Infinitiv gebraucht". Das ist gewiss richtig. Was aber ist mit den - zugegeben selteneren übrigen Fällen? Heißt es da er redet bauch oder er bauchredet, er hat bauchgeredet, oder er hat gebauchredetl Bei danksagen und staubsaugen überlässt man es dem individuellen Geschmack des Benutzers, also entweder ich danksage, ich habe gedanksagt, ich staubsauge, ich habe gestaubsaugt oder ich sage Dank, sauge Staub bzw. ich habe Dank (dann groß!) gesagt, Staub (dito!) gesaugt. Bei haushalten wird diachronisch gewertet, ich haushalte gilt als .veraltet', ich halte Haus als zeitgemäß. Der Sprachbenutzer (vor allem der, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, und der deshalb öfters zu einem Wörterbuch greifen muss als der Muttersprachler) ist also hier weitgehend auf sich selbst gestellt, aber das zeigt auch, dass derartige Bildungen grammatisch noch nicht normativ verfestigt sind, dass hier die Sprachentwicklung im Fluss ist, was das Phänomen natürlich interessant macht. Aufgabe: Ordnen Sie die folgenden Verben hier dargestellten verbalen Wortbildungstypen zu und begründen Sie Ihre Entscheidung: durchtrennen, loslassen, recyceln, layouten.

5

Wortbildung und Text

Textlinguistik, verstanden als die systematische Beschreibung genereller Merkmale der Textkonstitution, wird heute allgemein als Oberbegriff von Stilistik aufgefasst, als deren Aufgabe die Beschäftigung mit den individuellen Merkmalen spezifischer Texte und Textsorten gesehen wird. Mit den textlinguistischen Funktionen von Wortbildungen befasst sich die sprachwissenschaftliche Forschung erst seit den 70er Jahren. In den meisten Arbeiten geht es um die textverflechtende, Textkohärenz herstellende Funktion von Wortbildungen, etwa in dem Aufsatz von Schröder (1979; dort auch die Diskussion der bis dahin erschienenen Forschungsbeiträge). Mit weitergespannter Zielsetzung arbeitet Dederding (1982); ihm geht es um alle relevanten Textfunktionen von Wortbildungen, die er eingehend am Beispiel der Neubildungen in deutschen Patentschriften untersucht hat. Mit der Entstehung von Neologismen aus dem Textzusammenhang heraus befasst sich auch Matussek (1994). Wortbildung unter dem Aspekt der Textlinguistik ist besonders interessant, weil es in unterschiedlichen Textsorten zu vielen Neologismen, Wortneubildungen kommt, die Sprache hier also ihre Lebendigkeit, Kreativität und Vitalität besonders ausgeprägt zeigt. Deshalb ist es einigermaßen erstaunlich, dass es (m.W.) noch keine Arbeit gibt, die als Gesamtdarstellung die verschiedenen, voneinander isolierten Ansätze zusammenfassend und integrativ behandelt.

5.1

Satzpronominalisierung

Neben anderen sprachlichen Elementen tragen auch Wortbildungen zur Satzverknüpfung bei, durch Wiederaufnahme von Elementen und durch anaphorische und kataphorische Verweisung. Schon die traditionelle Sprachwissenschaft hat diesen Sachverhalt beschrieben, wenn auch nur andeutungsweise und eher als Nebensache, vor allem mit anderer Terminologie (siehe die Zusammenfassung bei Dederding 1982: 30f.). Nominalisierungen haben in Texten häufig Funktionen, die sich textlinguistisch mit denen anaphorisch gebrauchter Pronomina vergleichen lassen: ( 1 ) Frau Maier geht in die Stadt. Sie will einkaufen. (2a) Hans Schmidt hat die Bronzemedaille errungen. Dies hat in unserem Team allgemeine Freude ausgelöst. (2b) Die Erringung der Bronzemedaille durch Hans Schmidt hat in unserem Team allgemeine Freude ausgelöst.

Die Nominalisierung Erringung in 2b) setzt einen ganzen Satz und dessen Pronominalisierung (2a) voraus, deshalb spricht man hier in Analogie zu Fällen, wo nur einzelne Elemente eines Satzes anaphorisch durch Pronomina wiederaufgenommen werden, von .Satzpronominalisierung'. Nominalisierungen behalten die Valenzeigenschaften der ihnen zugrundeliegenden Verben. Da Nominalisierungen Subjekte oder Objekte von Sätzen sind, verbale in nominale Valenz

61 übergeht, müssen die verbalen Ergänzungen formal entsprechend verändert erscheinen, vergleichbar dem Aktiv-Passiv-Verhältnis von Sätzen: 1) Der Bürgermeister

eröffnet

die Ausstellung.

der Ausstellung

durch den Bürgermeister...

-NOM

Die Eröffnung

Genitivattribut

EAKK

ENOM

~> Präpositionalergänzung

Bei Funktionsverbgefügen und anderen lexikalisierten Verbverbindungen ist das Verhältnis zwischen dem Finitum und den unmittelbar damit verbundenen Teilen so eng, dass bei der Nominalisierung diese Teile in die nominalisierte Form aufgenommen werden, etwa: außer Acht lassen —> in Betrieb nehmen -> zu Stande/zustande kommen —>

die Außerachtlassung die Inbetriebnahme das Zustandekommen

Im Textzusammenhang können bei Nominalisierungen die syntaktisch und semantisch bedingten Ergänzungen nur dann wegfallen, wenn sie im Vordersatz bereits genannt worden sind: 1) Der Bürgermeister

eröffnet

die Ausstellung.

ENOM EAKK

2) Die Eröffnung

findet

um 11:30 Uhr statt.

Ohne Satz eins ist Satz zwei nicht sinnvoll, da das Verb eröffnen ein zweistelliges Prädikat darstellt, d.h. ein Subjekt als Agens, als Handlungsträger und ein Objekt als Gegenstand dieser Handlung fordert, oder dependenzgrammatisch ausgedrückt: Das Verb eröffnen ist zweiwertig und fordert außer einer Ergänzung im Nominativ eine Ergänzung im Akkusativ. Diese obligatorischen Ergänzungen können im Textzusammenhang bei der Nominalisierung transphrastisch verteilt werden, was Satzverknüpfung bewirkt und ein Faktor für die Textkonstitution ist. Bei nominalisierten Funktionsverbgefügen bzw. lexikalisierten Verbverbindungen kann transphrastisch nur die Ergänzung im Nominativ wegfallen, da die übrigen Ergänzungen ja mit in die nominalisierte Form aufgenommen werden: (1) Der Vertrag kommt nun doch zustande. ENOM

(2) Dieses Zustandekommen ist dem Umstand zu verdanken, dass ... Anstelle von 2) ist natürlich auch die Satzpronominalisierung möglich und häufig: Dies ist dem Umstand zu verdanken, dass...

62 Aufgabe: Analysieren Sie das folgende Textstück im Hinblick auf die hier vorliegenden Satzpronominalisierungen: (1) Jede schriftliche Arbeit wird gesondert von zwei Prüfern selbständig unter Verwendung des 6-Noten-Systems bewertet. (2) Die Bewertung ist sowohl vom Erst- als auch vom Zweitprüfer in jedem Einzelfall durch sachbezogene Korrekturanmerkungen an der entsprechenden Stelle der Prüfungsarbeit... ausreichend und schlüssig zu begründen. (3) Die Begründung muss in sich logisch und verständlich sein und folgerichtig zu der abschließenden Bewertung hinfuhren. (4) Die Schlussbemerkung... wird zur Wahrung der Anonymität des Prüfers nicht unterschrieben.

5.2

Wortbildung als Mittel von Substitution und Verweisung

Dederding (1982: 36-41) diskutiert anhand eines Beispiels von Seppänen (1978: 147f.) textkonstitutive Eigenschaften von Wortbildungen, insbesondere von okkasionellen Nominalkomposita. Das Textbeispiel lautet: Der Hund stand aufjener Stelle an dem Teppich dort. Die Teppichstelle ist jetzt eigens markiert.

Das okkasionelle Nominalkompositum Teppichstelle kann lexikalistisch also analog zu anderen Bildungen nicht eindeutig beschrieben werden, sondern nur im Rückgriff auf kontextuelle Merkmale, hier durch die Relation auf die Wörter Teppich und Stelle im vorhergehenden Satz. Für Seppänen und Dederding ergibt sich daraus die weitergehende Forderung, dass okkasionelle Wortbildungen grundsätzlich nur im Rahmen einer textlinguistisch orientierten Sprachbeschreibung analysiert werden können. Das Kompositum Teppichstelle substituiert Elemente des Vordersatzes und bewirkt dadurch Textverflechtung. Interpretiert man bestimmte Wortbildungen als Satzpronominalisierungen, wie im vorhergehenden Kapitel dargestellt, ist die Funktion der Substitution zwingend, denn Pronominalisierung bedeutet ja nichts anderes als die Substitution von Elementen mit referentieller Bedeutung durch entsprechende Pronomina. Wenn ein Element anstelle eines anderen steht, es substituiert, dann muss es auch auf dieses Element verweisen. Pronomina sind von ihrer Wortartzugehörigkeit her nichtreferentielle Verweiselemente und substituieren referentielle Elemente (das Haus > es, der Mann > er, die Frau > sie). Nominalkomposita mit pronominaler Textfiinktion sind dagegen stets referentielle Verweiselemente. Nichtreferentielle Verweiselemente stellen den Konnex zu anderen Elementen her und wirken so textverflechtend, referentielle Verweiselemente enthalten darüberhinaus semantische Merkmale wie die Elemente, auf die sie verweisen. Kallmeyer e.a. (1974: 215) nennen diesen Unterschied „Konnexanweisungen" vs. ,.Referenzanweisungen'1. Dederding (1982: 41) meint, dass bei okkasionellen Nominalkomposita des von ihm behandelten Typs Konnexanweisung und Referenzanweisung stets so verteilt sind, dass das determinierende Element, in seinem Beispiel Teppich-, den Konnex zum Text herstellt, während das determinierte, bei ihm -stelle, text-

63 referentiell funktioniert. Indiz für diese These ist ihm vor allem das Faktum, dass Teppichstelle auch durch ein nichtreferentielles Pronomen (sie, diese etc.) substituiert werden könnte, das hier dieselben textlinguistischen Funktionen hätte. Dies gilt aber nur, wenn alle Elemente des Nominalkompositums im vorhergehenden Satz als Elemente einer Nominalphrase auftreten, wie in Dederdings reichhaltigem Belegmaterial. Bei okkasionellen Komposita mit nur partieller Wiederaufnahme von Elementen des Vordersatzes liegen die semantisch-kontextuellen Verhältnisse anders, wie etwa im folgenden Textbeispiel (aus: Der Spiegel, Juli 1977): Emst Fricke, der Präsident des Bundesligaklubs Eintracht Braunschweig, schlug Günter Mast einen Wildwechsel im Vereinswappen vor: „Für 500 000 Mark schießen wir unseren Löwen ab und tragen deinen Hirschkopf." Mast stimmte zu, doch der gehörnte Verband hetzte seine Schiedsrichter auf den Fußballplatz-Hirsch. Die Fußballbündler mussten schließlich nachgeben.

Die beiden okkasionellen Wortbildunge Fußballplatz-Hirsch und Fußballbündler verhalten sich textlinguistisch anders als das von Dederding herangezogene Beispiel. Die determinierten Elemente -hirsch und -bündler stellen den Konnex zu Hirschkopf bzw. Verband her, während die determinierenden Teile Fußballplatz- und Fußball- Referenzanweisungen sind, die das allgemeine Thema des Textes ,Fußball' referierend wiederaufnehmen. Hier ist die Verteilung von Konnex und Referenz also gerade umgekehrt zu dem von Dederding diskutierten Beispiel, wenn man überhaupt Konnex und Referenz so trennen kann. Die textverflechtende Funktion der Folge Verband - Fußballbündler liegt in der Wiederaufnahme des Wortes in anderer Form mit gleichzeitigem Bezug auf das durchlaufende Thema des Textes, sie ist also viel komplexer als in Dederdings Beispiel. Die okkasionellen Neubildungen Teppichstelle, Fußballplatz-Hirsch und Fußballbündler haben gemeinsam, dass sie nur im Rekurs auf ihre jeweiligen Kontexte semantisch eindeutig sind, bei den beiden letztgenannten kommen aber noch kontextfreie semantische Merkmale hinzu, die Merkmale von Platzhirsch, als dem stärksten Tier seiner Gattung im Revier und die von Geheimbündler, dem bekanntesten Kompositum mit -bündler, das der Leser hier assoziiert. Es ist also oft nicht nur der Kontext, der okkasionelle Wortbildungen disambiguiert, dazu kann die assoziative Evokation ähnlicher usueller Bildungen kommen deren semantische Merkmale dann mit in die okkasionellen Neubildungen eingehen. Derartige Neologismen sind z.T. analoge, partielle Ersetzungen, wie etwa beißbehindert analog zu gehbehindert, oder unüberriechbar analog zu unübersehbar/unüberhörbar, oder Nichtbefassung analog zu Nichteinmischung, oder Demokratur analog zu Diktatur. Dazu sind unterschiedliche Arten von Wissen erforderlich. Die eben genannten Beispiele erfordern sprachliches Wissen. Andere Bildungen sind an das episodische Gedächtnis gebunden, Bildungen wie Waterkantgate, Milchglasnost, Waansinn, die in den 80er Jahren aktuell waren, heute vielleicht nur noch den Älteren präsent sind, Wortneubildungen, die alle im Zusammenhang mit bestimmten politischen Ereignissen und Vorgängen geprägt wurden. Bildungen dieser Art sind präsent, werden verstanden und vielfältig verwendet, solange die entsprechenden Ereignisse aktuell sind und diskutiert und kommentiert werden. Das können Wochen, Monate oder Jahre sein. Jede Zeit hat ihr typisches Neologismen-Vokabular, das charakteristisch für herausragende Ereignisse ist.

64 Kontextbedingte, okkasionelle Neologismen auf empirischer Grundlage behandelt auch Matussek (1994). Sie gliedert dabei in „unauffällige", „auffällige" und „extrem auffällige Wortneubildungen". Alle oben genannten Beispiele würden nach ihrer Klassifikation in diese letztere Gruppe gehören. Aufgabe: Beschreiben Sie die Funktionen .Substitution' und .Verweisung' der Wörter und Wortbildungen des folgenden Textstücks (Süddeutsche Zeitung 26.10.1985): .Alles zu seiner Zeit!" sagte anno dunnemals das Großmütterlein und färbte am Karsamstag mit Zwiebelschalen oder mit dem Pinsel aus dem Malkasten die Ostereier ein. Das Nest zum Fest für die Enkel war pünktlich zur Auferstehungsfeier fertig. Heute ist man mit den speziellen Anlässen nicht mehr so pingelig. „Einmal Ostern - immer Ostern" sagt sich die färbende Eierindustrie und legt ihre bunten Produkte in Supermärkten oder Mehrzweckbäckereien nahezu ganzjährig aus. Das Oster-Ei wird vom gleichnamigen Brauch quasi abgeschält und als Dutzendware verscherbelt...

5.3

Textgebundene Akzeptabilität von Wortbildungen

Okkasionelle Wortbildungen als potentielle Lexikoneinträge sind grundsätzlich an Texte bzw. an Textsorten gebunden, wenn sie vom Sprachteilnehmer akzeptiert werden sollen, sie treten ja auch nie als isolierte Bildungen auf, sondern stets in Kontexten. Die meisten Sprachteilnehmer würden wohl eine Ableitung wie Berentung nicht als Lexikoneintrag akzeptieren, auch wenn man dieses Wort in eine Reihe mit Bebauung, Bepflanzung etc. stellt. Im Textzusammenhang ist diese Wortbildung dagegen ohne weiteres akzeptabel, wie das folgende Beispiel zeigt (aus: Der Spiegel, Juli 1977): Die Zwangspensionierung (...) kann einen Beamten umbringen, wenn sie seinem Leben jeden Sinn nimmt (.Pensionierungstod'). Nicht anders mag eine normale Berentung wirken: Jede Entlassung aus dem Arbeitsprozess vermindert die überlebenswichtige Fähigkeit, sich selbst und andere richtig einzuschätzen.

Neben der Nominalisierung Berentung begegnen hier auch noch die nicht usuellen Bildungen Zwangspensionierung, Pensionierungstod und Arbeitsprozess. Die erste dieser drei Wortbildungen könnte man als (voll)motiviert, als frei synthetisierbar beschreiben (siehe Kapitel 3.4), die auch ohne entsprechenden Kontext verstanden und akzeptiert werden dürfte. Das Kompositum Arbeitsprozess wird durch den Kontext disambiguiert, d.h. als Arbeitsgeschehen oder Arbeitswelt interpretiert, nicht als Gerichtsverhandlung, wie es andere Kontexte erfordern würden: Herr A. fiihrt einen Arbeitsprozess gegen seinen.Arbeitgeber. Das Kompositum Pensionierungstod schließlich, für das es analoge Vorbilder gibt, etwa Erstickungstod, Erjrierungstod etc., ist mit seiner Akzeptabilität an entsprechende Kontexte gebunden wie Berentung, aber nicht so deutlich, weil hier im Gegensatz zu Berentung zwei lexikalische Kernmorpheme

65 auftreten und nur ein Derivationsmorphem, so dass die Wortbildung mehr lexikalische Analogiemöglichkeiten besitzt, weniger syntaktisch fundiert ist. In neuerer Zeit hat sich Müller-Bollhagen (1985) mit dem Problem textgebundener Akzeptabilität von Wortbildungen befasst. Sie hat aus einem neu erschienenen Kochbuch 50 Rezepte ausgewählt und daraus 350 Nominalkomposita zusammengestellt. Etwa die Hälfte davon sind usuelle, in Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache eingetragene Bildungen. Vom verbleibenden Rest sind wieder etwa die Hälfte „Komposita mit der gleichen, zumindest ansatzweise reihenbildenden Erst- bzw. Zweitkonstituente" (1985: 226f.), also leicht interpretierbare Analogiebildungen wie Fischauflauf, Blätterteighörnchen, Käsestreifen, Magerjoghurt etc. Die restlichen 78 Beispiele nicht-usueller Komposita sind alle dadurch charakterisiert, dass das semantische Verhältnis zwischen den Konstituenten auf unterschiedliche Weise normabweichend ist. Dazu ein paar herausgegriffene Beispiele: Bei Honighuhn, Speckflunder, Rotweineier etc. besteht diese Normabweichung in der Kontextualität von Basiswörtern, die der allgemeinen Erfahrung nicht entspricht; bei Blätterteigmantel oder Zucchinitopf in der metaphorischen Verwendung der zweiten Konstituente nach fest eingefügten Mustern; bei Diplomatenimbiss, Überraschungsfrikadelle, Landserbraten etc. darin, dass sich „die .kommunikative Funktion' der ersten Konstituente in der Wortbildung mehr oder weniger ,auf die Vermittlung von... Assoziationswerten' beschränkt" (1985: 233). Die Akzeptabilität derartiger Bildungen, die alle nicht als fachsprachliche Termini zu interpretieren sind, ist (unterschiedlich stark) an bestimmte Textsorten gebunden, an Kochbücher oder Speisekarten. Dass bestimmte Textsorten Neubildungen zugänglicher sind als andere, ist seit langem bekannt. In Handbüchern zur Wortbildung und zur Stilistik wird in diesem Zusammenhang gewöhnlich auf bestimmte literarische Textsorten aus unterschiedlichen Zeiten verwiesen, auf die vielen Neologismen in mystischen Texten, im Expressionismus oder in gegenwartssprachlichen literarischen Texten. Ein häufig gebrauchter Terminus für diese Art von Wortbildung ist „expressive Wortbildung" (etwa bei Fleischer/Michel 1977: 117, Material aus allen Jahrhunderten bei Sowinski 1973; 243-250 oder bei Henzen 1957: 21-26). Ein Zentralbereich für gegenwartssprachliche Wortbildungen dieser Art sind bekanntlich Werbetexte, vor allem Texte aus dem Bereich der Konsumwerbung. Hier begegnen Neubildungen aller möglicher Wortbildungstypen, allerdings in sehr unterschiedlicher Verteilung: Am häufigsten sind substantivische Neubildungen, fast ausschließlich Nominalkomposita, weniger häufig sind Adjektivneubildungen, Verben treten sehr stark zurück (siehe Römer 1968: 78). Zur Illustration der Wortbildungsmöglichkeiten in der Textsorte Werbetexte eine kleine Auswahl aus Illustriertenanzeigen (alle Beispiele aus ,3rigitte", Dezember 1980 bis Mai 1981). • Substantivische Nominalkomposita'. Neubildungen aus zwei Elementen, aus heimischem Wortmaterial bzw. aus Elementen, deren Entlehnung länger zurückliegt. Das zweite Element kann dabei eine Ableitung sein: Duscheschaum, Modespaß, Fruchtvergnügen, Dufterlebnis etc. Neubildungen aus zwei fremden Elementen: Skindew, Software, Autowinder etc. Oft werden die beiden Konstituenten getrennt geschrieben, im Kontext aber dennoch eindeutig als zusammengehörend betrachtet: Beauty Fluid, King Size, Special Line etc. Neubildungen aus heimischen und fremden Konstituenten: Wäschelook, Dehnkomfort, Systempflege, Aktivlösung, Intensivtönung etc. Neubildungen aus drei heimischen Elementen:

66 Duftschaumbad, Datensichtgerät etc. Drei Konstituenten gemischter Zugehörigkeit: Wasserstoptaste, Einzelstrahlsystem, Weichspülerkonzentrat etc. Neubildungen aus drei fremden Elementen werden entweder mit Bindstrich oder getrennt geschrieben, weil die Komposition sonst unübersichtlich bzw. sogar unverständlich würde: Soft-Elastic-System, Super Rieh Cream, Skin-Repair-Control etc. Häufig sind auch Bildungen in Verbindung mit Eigennamen: Miele-Bratautomatik, Elbeo-Beine etc. •

Adjektivbildungen·. Neben Determinativbildungen aus zwei oder drei Konstituenten, aus Substantiven oder Adjektiven begegnen hier auch Kopulativbildungen in größerem Umfang. Determinativbildungen aus unterschiedlichen Elementen: frühlingsfrisch, hautfreundlich, hautverwandt, wirkstoffintensiv, hauttypenunabhängig, schuhverlässig etc. Kopulativkomposita werden zumeist mit Bindestrich geschrieben, um das Nebeneinander der beiden Komponenten auch graphisch zu unterstreichen: erfrischend-weiblich, aufregend-köstlich, schonend-mild, cremig-weich, geschmeidig-zart etc.



Neubildungen von Verben sind, wie gesagt, selten, außerdem gibt es hier offensichtlich überwiegend Bildungen mit fremden Kemmorporphemen: revitalisieren, das sehr häufig vorkommende optimieren (dazu das ebenso häufige Adjektiv optimal), colorieren oder das neuerdings verwendete Computern. Bei Substantiven und Adjektiven gibt es in der Werbesprache eine Fülle von Zusammensetzungen, deren erste Komponente steigernde Bedeutung hat, also Präfixcharakter angenommen hat (siehe Kapitel 4.2.): einzig-, hoch-, super-, ultra-, spitzen-, sonder-, gold-, top-, spezial- etc. In besonderem Maße wortbildungsintensiv sind fachsprachliche Texte; hier begegnen Wortbildungen, die zwar nicht allgemeinsprachlich usuell, aber in den entsprechenden Fachsprachen standardisiert sind. So heißt es z.B. in der Spalte „Nürnberger Fleischmarkt" (in den „Nürnberger Nachrichten" vom 13.4.84): Die Beschickung des Lebendschweinemarktes am Schlachtviehgroßmarkt Nürnberg war wesentlich höher als in der vergangenen Woche. Aufgetrieben wurden 952 Schweine bayerischer Herkunft und somit 148 Tiere mehr. Bei weiterhin schwacher Käufernachfrage kam es zu einem langsamen Marktverlauf, wobei die Preisspitze für beste Qualitäten gehalten werden konnte, während an der unteren Notierungsgrenze bis zu 10 Pfennig weniger erzielt wurde. Der Durchschnittspreis der Handelsklasse C gab 0,6 Pfennig nach. Der Markt wurde geräumt.

Die kursiv gedruckten Wortbildungen stehen nicht im großen Duden-Wörterbuch, weil hier fachsprachliche Ausdrücke nur z.T. aufgelistet sind, etwa die Wortbildungen Beschickung, auftreiben (in der hier verwendeten fachsprachlichen Bedeutung) und Handelsklasse. Welche dieser Bildungen in allgemeinsprachige Wörterbücher aufgenommen werden, ist für ihre Gebundenheit an fachsprachliche Texte irrelevant. In diesen Texten ist die Verwendung derartiger Bildungen nicht nur akzeptabel, sondern wünschenswert, weil Fachtermini in ihrer Bedeutung genauer festgelegt sind als Wörter der Gemeinsprache. Bei fachsprachlichen Wortbildungen entfällt jede Ambiguität, die fachsprachliche Kommunikation wird durch das klare Verhältnis zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem eindeutig. Strukturell unterscheidet sich die Wortbildung in fachsprachlichen Texten nicht von der in der Gemeinsprache. Es begegnen dieselben Bildungmuster.

67 Aufgabe: Sammeln und beschreiben Sie die kontextuell gebundenen fachsprachlichen Wortbildungen des folgenden Textstücks: Die Erfindung betrifft eine Fußkräftigungsanlage mit einer Anzahl verschiedener sogenannter Tretbahnen für eine physikalische Kräftigungsbehandlung der menschlichen Füße in Form eines durchlaufenden Rundganges. Um eine hohe Gesamtwirkung zu erzielen, ist eine Reihe von zum Teil schon bekannten, mit verschiedene Fußreize auslösenden Einrichtungen ausgestatteten Tretbahnen in ein nach dem Grad seiner natürlichen Heilreize geordnetes System zusammengefasst, das durch seine methodische Anordnung, seine zwangsläufige Form der Benutzung und seine gesicherte Durchführung praktisch erst eine geschlossene Kurwirkung gewährleistet.

5.4

Wortbildung als Stilmittel der Variation

In der linguistischen Stilistik wird Stil allgemein als spezifische Auswahl lexikalischer und grammatischer Mittel beschrieben, als Variationsmöglichkeit des sprachlichen Ausdrucks, etwa bei Sowinski: „Stil (ist) eine in sich verhältnismäßig einheitliche, anderen Texten gegenüber jeweils unterschiedliche Form des wiederholten Gebrauchs bestimmter sprachlicher Variationsmöglichkeiten für bestimmte Ausdrucksabsichten" (1973: 27); oder ganz ähnlich bei Fleischer/ Michel: „Stil ist die auf charakteristische Weise strukturierte Gesamtheit der in einem Text gegebenen sprachlichen Erscheinungen, die als Ausdrucksvarianten innerhalb einer Reihe synonymischer Möglichkeiten von einem Sprecher/Schreiber zur Realisierung einer kommunikativen Funktion in einem bestimmten Tätigkeitsbereich ausgewählt worden sind" (1977:41). Die Auswahl mancher Variationsmöglichkeiten erfolgt vom Sprecher/Schreiber nicht bewusst, kann deshalb auch keine intendierten Stilabsichten haben. Dies gilt etwa häufig für Nominalisierungen, die lediglich transphrastisch motiviert sind, aber für sich noch keine besonderen Stilabsichten bekunden: (1) Ostern sind wir nach Oberitalien gefahren. Die Fahrt ging über ... (2) Der unzureichend ausgerüstete Bergtourist konnte gerettet werden. Die Rettung verlief allerdings unter dramatischen Umständen. (3) Ich erinnere mich noch gut an ihn. In meiner Erinnerung war er ein gutaussehender junger Mann.

In diesen Fällen haben die nominalisierten Formen lediglich die Funktion des Thema-RhemaWechsels: Was im Vordersatz Rhema war, wird zum Thema des nachfolgenden Satzes. Der Wechsel Verb - Nominalisierung dient daneben der Vermeidung von Wiederholung und damit von sprachlicher Eintönigkeit. Stilwirkung entsteht erst, wenn Nominalisierungen gehäuft auftreten, etwa bei gehäuftem Gebrauch von Funktionsverbgefügen anstelle einfacher Verben. Diese charakteristische Wahl sprachlicher Variationsmöglichkeiten hat dann auch einen Namen: .Nominalstil'. Dass bestimmte Wortbildungstypen reihenbildende semantische Merkmale besitzen, ist der Stilistik seit langem bekannt, etwa viele (aber nicht alle) Substantive auf Ge + e oder auf -erei\

68 Gelache!Lacherei, Gesinge/Singerei, Gefrage!Fragerei etc. Wenn die Wahl eines der beiden Substantive eine Frage des Stils ist, gibt es Substantive mit absoluter Stilfärbung. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie weit oder wie eng man Synonyme definiert, also das, was Sowinski „Variationmöglichkeit sprachlicher Ausdrücke" nennt und Fleischer/Michel „synonymische Möglichkeiten". Eine sehr enge Auslegung wäre die Auffassung, dass Variation ausschließlich formbezogen sein darf, alle semantischen Merkmale gleich sein müssen. Bei dieser Auslegung blieben nur Nominalisierungen, und auch hier längst nicht alle, als Stilelement übrig. Der Unterschied zwischen Gesinge/Singerei und Gesang wäre dann keine Stilfrage, sondern eine Frage der Semantik, lediglich die Wahl zwischen Gesinge und Singerei wäre eine stilistisch bedingte Wahl. Die m.E. weiteste Auffassung vertritt auf der anderen Seite Ziff (1972). Nach ihm ist es eine Stilfrage, ob jemand auf die Frage „Spielst du mit mir Tennis?" antwortet: (1) Ich muss arbeiten. (2) Seh ich aus wie ein Athlet? (3) Such dir jemand anderen.

Alle Antworten wären Variationen einer einzigen kommunikativen Sprechhandlung, nämlich Ablehnung, und deshalb synonym (1972: 711, vgl. dazu Sandig 1978: 8). Die meisten Untersuchungen zur linguistischen Stilistik arbeiten explizit oder implizit nach dem Prinzip, dass Unterschiede in der Bezeichnung, im Ausdruck bei gleichbleibendem Denotat als Stilfrage interpretiert werden, während dann, wenn unterschiedliche sprachliche Ausdrücke auch auf Unterschiedliches referieren, nicht mehr von Stilunterschieden gesprochen wird. Danach wäre es in der Tat eine Stilfrage, ob ein Sachverhalt als Gesinge!Singerei oder als Gesang bezeichnet wird. Dagegen wären die oben zitierten Beispiele Ziffs keine Frage des Stils. Ein Argument für diese Auffassung ist auch, dass die Vertauschung derartiger Substantive in ein- und demselben Text zum Stilbruch fuhrt: (1) Aus dem Garten erklang der Gesang der Nachtigall. (2) * Aus dem Garten erklang das Gesinge!die Singerei der Nachtigall.

Stilbruch liegt dann vor, wenn die Stilebene verlassen wird, d.h. wenn Wörter, deren Gebrauch auf bestimmte Funktionalstile begrenzt ist, bewusst oder unbewusst in anderen Textsorten verwendet werden. Damit ist ein Zentralbereich der Sprachstilistik angesprochen, der Bereich, den die klassische Rhetorik ,aptum' nannte, das Prinzip der Angemessenheit.

6

Wortbildung und Psycholinguistik

Psycholinguistik gehört wie Textlinguistik zu den neueren Arbeitsgebieten der Sprachwissenschaft. Zentrale Bereiche sind die Erforschung des ontogenetischen Spracherwerbs und die Patholinguistik, die Erforschung krankheitsbedingten Sprachverlusts. In beiden Bereichen spielen Wortbildungen eine Rolle. Zur Rolle der Wortbildung beim Spracherwerb siehe Uäakowa 1976 und Augst/Bauer/Stein 1977. Zum Sprachverlust siehe Peuser 1978, Stachowiak 1979, Poeck 1982, Friederici 1984.

6.1

Wortbildung und Spracherwerb

In Theorien über den phylogenetischen Spracherwerb spielen eher Wortschöpfungen eine Rolle als Wortbildungenen (siehe Kapitel 1.1), in der Kindersprache sind auf den verschiedenen Stufen des Spracherwerbs charakteristische Wortbildungenen zu beobachten, Wortschöpfungen spielen dagegen eine sehr untergeordnete Rolle. In Augst/Bauer/Steins (1977) Belegmaterial zum Wortschatz eines Vorschulkindes begegnet nur eine einzige Wortschöpfung, das Adjektiv muck (1977: 65). Im Stadium der Holophrase, des Einwort-Satzes, also im Alter von etwa 12-18 Monaten, kommt es noch nicht zu Wortbildung, weil auf dieser Stufe der Sprachentwicklung noch keine Kombinationen von Konstituenten gebildet und vom Kind eingesetzt werden können. Erst im Alter von etwa zwei Jahren treten morphosyntaktische Kombinationen auf, das Flexionssystem wird (zunächst in Ansätzen) internalisiert, Zweiwort-Sätze werden gebildet, Wortbildung beginnt. Es können hier nicht die unterschiedlichen Positionen der Forschung gegenüber der kindlichen Begriffsbildung diskutiert werden, also etwa die Frage, ob die kognitive Begriffsbildung der sprachlichen vorausgeht, oder ob nur Vorformen von Begriffen primär sind und Spracherwerb und Begriffsbildung parallel verlaufen; auch für die unterschiedlichen Forschungsansätze zum Zweiwort-Satz muss hier auf die umfangreiche Spracherwerbsliteratur verwiesen werden. Die Wortbildungen zwei- bis sechsjähriger Kinder sind unterschiedlichen sprachlichen Ebenen zuzuordnen, sie sollen hier versuchsweise in drei charakteristische Gruppen gegliedert werden. Nicht berücksichtigt werden die vielen, rein phonetisch begründeten Neologismen, also Wörter, die Kinder aufgrund ihres noch nicht weit genug fortgeschrittenen Lauterwerbs mit partieller Lautsubstitution artikulieren (Deppenhaus anstelle von Treppenhaus etc.). Zunächst bilden Kinder Komposita, die ähnlich strukturiert und zu interpretieren sind wie Zweiwort-Sätze, die also syntaktisch motiviert sind. Range (21975) gibt dazu einige Beispiele seines zu dieser Zeit 26 Monate alten Sohnes Peter: Mamikleid, Thomasseife, Heiaschal, Petertasche (21975: 93). Die meisten dieser Nominalisierungen stehen fur Syntagmen, die Besitzverhältnisse ausdrücken sollen, also für Sätze wie Das ist Mamis Kleid, oder Die Mami hat ein Kleid, oder Das ist der Mami ihr Kleid etc. Das Kompositum Heiaschal müsste in der Sprache der Erwachsenen durch ein instrumentales Präpositionalsyntagma ausgedrückt werden, etwa

70 Der Schal zum heia Machen, oder Der Schal, mit dem ich heia mache etc. Alle diese Wortbildungen sind noch keine Gattungsnamen, sondern Eigennamen, d.h. jede Wortbildung steht für eine ganz bestimmte Sache. Neben derartigen Wortbildungen, die logisch-syntaktische Relationen reflektieren, gibt es in eingeschränkter Anzahl bei etwas älteren Kindern Substitutionen von für sie unverständlichen Wörtern durch eigene, neugebildete Prägungen. Ein Kind im Grundschulalter kann etwa (authentisches Beispiel) eine Wortverbindimg wie Erzengel Gabriel als Herzengel Capri interpretieren, weil offenbar dieser Neologismus eine eigene Begrifflichkeit besitzt, das .richtige' Vorbild dagegen nicht. Zu dieser Zeit sind ihm normalerweise die Wörter Herz, Engel und auch Capri bekannt, nicht die Konstituente Erz- und nicht der Eigenname Gabriel. Welche Vorstellung es mit dem Neologimus Herzengel und mit dem von ihm phraseologisch gebrauchten Wortgruppenlexem Herzengel Capri verbindet, ist kaum zu ergründen, denn die zu diesem Zeitpunkt noch eigene, individuelle Begrifflichkeit des Kindes ist überindividuell kaum mitteilbar. Strukturell ähnlich funktioniert ein Neologismus wie Pappenstiefel anstelle des für das Kind unverständlichen Kompositums Pappenstiel. Vielleicht sind derartige kindlichen Neologismen ähnlich wie die sogenannte Volksetymologie zu verstehen, wo auch nicht transparente Konstituenten transparent gemacht werden, also der Typ Sintflut > Sündflut. Der weitaus häufigste Fall von Wortbildung im Zusammenhang mit dem ontogenetischen Spracherwerb ist die Systematisierung und Generalisierung von Wortbildungsmustern über den Bereich des Usuellen hinaus, also die Realisierung potentieller Wortbildungen nach bestimmten Mustern. So wie Kinder zwischen zwei und sechs (und auch später noch) die morphologischen Regularitäten zunächst übergeneralisieren (etwa nur wenige Pluralmorpheme für alle Substantive verwenden, oder nur schwache Präteritumformen), verallgemeinern sie auch Wortbildungsmöglichkeiten, etwa im Verbalbereich durch nicht usuelle Kombinationen von Präfixen und Partikeln mit Verben: zermessern oder zuschleifen (mit der Bedeutung ,mit einer Schleife zumachen'). Die dabei entstehenden Neologismen sind für den Erwachsenen ohne Schwierigkeit verständlich, weil ihre analoge Bildungsweise transparent ist, in diesem Fall also zersägen, zerhacken etc. bzw. zuknoten. Heringer (1984b: 52) zitiert die (potentiell!) kindersprachlichen Verben aben und durchen mit den von ihm imaginierten Beispielsätzen Ich hab den gordischen Knoten gedurcht, bzw. Und was hab ich schon alles geabt, Klopapier, Kalenderblätter, Dreck von den Händen etc. Verben stehen allerdings nicht an erster Stelle kindlicher Neologismen, Augst/Bauer/Stein haben bei ihren empirischen Untersuchungen zum Wortschatz eines Schulanfängers (1977) herausgefunden, dass nur etwa 10% des kindlichen Wortschatzes aus derartigen Analogiebildungen nach Wortbildungsmustern besteht: Die weitaus überwiegende Zahl, nämlich 82,2% (siehe 1977: 65), sind Zusammensetzungen, vor allem zusammengesetzte Substantive, wie z.B. Dichtgeschichte, Suchplatz, Vormelodie, Wegschickkarte, Lastetfahrer, Liebwort etc. (In Augst/Bauer/Steins Belegmaterial finden sich insgesamt 407 Substantive; am seltensten kommen Konversionen vor, unter den 495 Neologismen waren nur 12 Konversionen, die Hälfte davon Verben, wie besen, parfiimen, weckern, miezen etc. siehe 1977: 65). 1984 hat Äugst eine wesentlich erweiterte Zusammenstellung des Wortschatzes von Vorschulkindern herausgegeben. Sein Belegmaterial beruht jetzt auf dem Wortschatz von zehn Kindern

71 im Alter zwischen vier und acht Jahren. Mit diesem Material steht eine große Anzahl kindlicher Neologismen für die weitere Forschung zur Verfugung.

6.2

Wortbildung und Sprachverlust

Bei Gehimverletzungen durch Unfall oder Krankheit kommt es häufig zu temporärer oder permanenter Störung des expressiven und rezeptiven Sprachvermögens, vor allem dann, wenn die linke Hirnhemisphäre betroffen ist, in der bei den allermeisten Menschen das Sprachzentrum lokalisiert ist. Sammelbegriff für alle Arten traumatisch bedingter Sprachstörungen ist der Terminus .Aphasie'. (Zum Problem der Klassifizierung der verschiedenen Arten von Aphasie und deren Benennung, siehe Peuser 1978: 69-79, Huber/Poeck/Weniger, in: Poeck 1982: 66-107, Friederici 1984: 37-42; vgl. dazu auch Leiss 1983: 51-97). Fehlleistungen auf der Ebene des Lexikons tragen die Sammelbezeichnung ,Dysglossie'; sie tritt je nach Krankheitsbild als ,Neoglossie' auf (hier kommt es zu Neologismen bei der Sprachproduktion), als .Neographie' (Schreibstörungen), .Neolexie' (Lesestörung) oder als .Neophasie' (hier entstehen künstliche Individualsprachen, die für den Außenstehenden nicht verständlich sind). Wortfindungsschwierigkeiten führen entweder dazu, dass der Patient ein neues Wort prägt anstelle dessen, das ihm nicht sehr zugänglich ist (.Neoglossie4), oder dazu, dass er ein anderes, usuelles stellvertretend in der von ihm intendierten Bedeutung verwendet (,Paraglossie'). Peuser hat diese verschiedenen Möglichkeiten semantischer Dysglossien in einer Tabelle zusammengestellt (1978: 121): Dysglossien

Neoglossie

Phonamatisch Rose-» Hose Rampe-» Lampe Fisch-)· Schiff Minimal

Schuh-> Schuf Brille-»

Semantisch Synonym Polarität: Klasse: Oberbegriff Tai von:

Funkdon:

Maximal

Qas-> Schenedi

Situativ: Eigenschaft:

Fahne - »

Ivfann —> Rau Katze —> Banane—» Fuß -> Stift -> Rücke-» Fahne —» Fenster-»

Mais Obst Zeh z. Schreiben Golden Gate Finnland Btumai sauer

Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass Wortbildung beim Sprachverlust eine ganz andere Rolle spielt als beim Spracherwerb. Die bei Kindern so häufige Realisierung potentieller Wort-

72 bildungen nach bestimmten Wortbildungsmustern spielt hier keine Rolle. Für das Zustandekommen dessen, was in dieser Tabelle als .maximale Neoglossie' bezeichnet wird, gibt es keine sprachliche Begründung, die Artefakte haben in ihrer extremen Form nichts mehr mit usuellen Bildungen gemeinsam. .Minimale Neoglossien' und viele Zwischenstadien lassen sich leichter sprachlich explizieren. Der Patient versucht hier, sich klangspielerisch an ein blockiertes Wort heranzutasten. Die Strategien, die er dabei verwendet, sind denen von Normalsprechern vergleichbar: Er sucht nach ähnlichen Vokal- und Konsonantenverbindungen, ähnlichen Intonationsmustem und ähnlicher Silbenstruktur. Bei Huber/Poeck/Weniger, (in: Poeck 1982: 94) finden sich dafür zwei Beispiele, je eines für eine gelungene und eines für eine misslungene Kette phonomatischer Paraphasie. Beim ersten Experiment soll ein Patient ein Bild benennen, auf dem ein Gefangener mit Fußketten abgebildet ist. Der Patient äußert: Klösen ... Schlase ... Schlage ... Klause ... Giesen ... Kretten ... Kretten gebunden ... eingeschlagene eingeschlossene Kretten ... ein Kräusel... ein Kräusliger ... ein Fänger ... ein Ver ... ein Vergebrachter ... ein Fangener... Gefangener.

Mit der Strategie stufenweiser phonomatischer und semantischer Annäherung kommt hier der Patient am Ende zu einem akzeptablen Ergebnis. Das nächste Experiment zeigt im Gegensatz dazu, dass dieselbe Strategie zu immer weiterem Abdriften fuhren kann. Abgebildet ist diesmal eine Turmspitze: Hier ist ein Türm... Türn... Tümspit... Türmsürze... Tum... die Tümtiischpe... die Kümstücke.

In schweren Krankheitsfällen werden neologistische Wortprogramme in Gang gesetzt, die bewusst und gezielt ablaufen können und dann auch bestimmte Wortbildungsmuster erkennen lassen, in anderen Fällen unbewusst und ungezielt, so dass eine systematische Analyse kaum sinnvoll ist. Dafür ebenfalls je ein Beispiel, das erste ist zitiert bei Peuser (1978: 286f.), es handelt sich um ein Gespräch einer Frau, die an motorisch-amnestischer Aphasie leidet, mit ihrem Freund, der sie im Krankenhaus besucht. Es ist ein längeres Gespräch, hier wird nur ein kleiner Teil wiedergegeben (Anfang), in dem die Patientin durch Einsatz bestimmter Wortbildungselemente, die Formen -eisel, -iesel, -iesen, -eusel, angestrengt versucht, auf einen bestimmten Namen zu kommen: Pat.: Wie heißt die denn?/ Bes.: Wer?/ Pat.: Diese Gieseldiesel/ Bes.: Wer ist Gieseldiesel? Pat.: Na/diese diese Freunde/ gel? diese Brille/von dem Giesel? Bes.: Gisela? Pat.: Ja!/ Bes.: Sprichst du von Gisela?/ Pat.: Nee!/weißt du/da haben die noch Gebreusel da/diesen diesen Dings da? dieser Bieselriesen?/ Bes.: Ich weiß nicht/was du meinst/ Pat.: Nein/da hat es ieseriesen/ und dann hat sie gedreiselgbeiselfan/ Bes.: Wer?/

73 Pat.: Wie heißt die Nieseniesen?/also/der Mann hier!?/ Bes.: Der Mann?/ Pat.: Ja!/

Das zweite Beispiel findet sich bei Linke (1981: 89f.). Es handelt sich um ein Gespräch zwischen einem Jargonaphasiker und einer Untersuchungsperson, die zu dem schwer in seiner Sprachproduktion und -rezeption geschädigten Patienten in Artefakten spricht, ohne dass der Patient dies gewahr wird. Daraus entwickelt sich ein semantisch sinnloser Dialog, der nur durch die Intonation getragen wird und nach Linke den Nachweis erbringt, dass die semantische Dimension von allen anderen Ebenen der Sprache abgekoppelt werden kann, dass „asemantische Stimuli genügen, um einen komplexen Kommunikationsmechanismus in Gang zu setzen" (Linke 1981: 90, vgl. auch Friederici 1984: 63): Unters.: W. L.: Unters.: W. L.:

Unters.: W. L.: Unters.: W. L.: Unters.: W. L.: Unters.: W. L.:

Ja, ein lekiges Dob rezillte die Ditone nicht? Ja, aber trotzdem ist ist Bilden äh zögen und bild-lodend, nicht wahr. Aber die Glege am Kliege wasten ein seping Taf, nicht? Tja, das will nicht zögern, das hat, hat bildend noch immer gesagt äh bil-zögem. Nicht wahr. Aber im Bilden ist äh Zögern toden dabei nicht wahr und darum würde ich sagen Sie Heir Doktor, dass Sie bei bildend regelrecht zögern sagen, mit Bilden zögern dabei. Sie können können das zögern in zögernd sagen und es ist auch so, dass bei bildend äh dieses Zogem äh mitbringend ist, nicht wahr. Ja, das ist wie do blig die um Flutesten. Ja, da komm ich der Meinung, dass dieses Zögernd bildend ist, bildend ist aber sie muss das zögernd bilden können, nicht wahr. TafeintofentlichDiso. Ja, das kann man sagen, ja. Ein lekiger Dob rezillte die Ditone, nicht. Ja, das könnte man sagen, aber wissen Sie, das ist immer noch dieses zögernd und dieses zögernd billemd ist das äh äh zo zögernd äh fooss-foosogen nicht wahr.. Jaja, das ist eben dige seping an. Ja, ich bin aber trotzdem der Meinung, dass dieses Ködern und vogern ist nicht wahr, ganz bestimmt, nicht wahr.

Der Patient (W.L.) reagiert offenbar ausschließlich auf die Fragesatz-Aussagesatz-Intonation der Untersuchungsperson, nicht aber auf die fur jede Sprache essentielle überindividuelle Verbindung zwischen Form und Inhalt, zwischen Laut und Bedeutung. Im schwersten Fall von Jargonaphasie beherrscht der Patient nur noch ein einziges Wort bzw. eine Lautfolge, mit der er in wechselnder Intonation alles ausdrückt, Frage, Ausruf, Behauptung, Trauer, Freude, Schmerz etc. Ein schon älteres Beispiel findet sich bei Lenneberg ([1967] 1972: 237). Er berichtet von einer Frau, deren gesamtes Vokabular nach einem schweren Schlaganfall aus der Lautfolge: Oh, nay, konnossopay bestand, mit der sie ihre gesamte sprachliche Kommunikation bestreiten musste. Man kann zuweilen lesen, dass der Sprachverlust in umgekehrter Stufenfolge zum Spracherwerb verläuft. Für die Wortbildung gilt dies sicher nicht: Die Phänomene sind in beiden Bereichen kaum miteinander zu vergleichen. Beim Spracherwerb und bei Sprachverlust kommt es zu Neologismen, diese Neologismen sind ihrer Struktur nach aber in beiden Bereichen sehr voneinander verschieden. Kinder übergeneralisieren und experimentieren mit sprachlichen

74 Konstituenten und kommen dabei zu Wortbildungenen, die alle möglich sind, nur aus unterschiedlichen Gründen nicht usuell werden. Aphasiker haben mehr oder minder stark, vorübergehend oder permanent, die Möglichkeit verloren, eine von der Sprachgemeinschaft akzeptierte Beziehung herzustellen zwischen dem, was sie sagen wollen und dem, was sie tatsächlich äußern. Ob sich die vielen Neologismen von Aphasikem nach bestimmten Wortbildungsmustern systematisieren lassen, was die Voraussetzung für eine gezielte Sprachtherapie auf dieser Ebene wäre, lässt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht sagen.

7

Ausblick: Wortbildung in der Sprache der elektronischen Kommunikation

Unter dem Sammelbegriff CMC (Computer Mediated Communication) werden seit einiger Zeit unterschiedliche Formen der elektronischen Kommunikation zusammengefasst, Computer Conferencing, Electronic Mail, Electronic Publishing, Computer Interviewing, Interactive Text Reading, Group Decision Support Systems, Idea Generation Support Systems, Human Machine Communication, Multi Media Communication, Hypertext, Hypermedia, Linguistic Games. Diese lockere Aufzählung fungiert als Titel einer zweibändigen Bibliographie, die Arbeiten zu diesen Themen auflistet (Sabourin 1994). Dass sich das Gegenwartsdeutsche unter dem Einfluss elektronischer Kommunikation verändert, ist inzwischen unbestritten, umstritten ist lediglich die Einstellung dazu, Bedauern auf der einen Seite (etwa Zimmer 1995) und kein Grund zur Aufregung auf der anderen (etwa Naumann 1998). Am schnellsten ändert sich immer der Wortschatz einer Sprache, und hier sind es natürlich amerikanische (Fach)wörter, die massenweise in das Gegenwartsdeutsche eindringen und hier oftmals zu Sprachmischungen fuhren, eine fur die Wortbildung durchaus interessante Entwicklung. Auch traditionellere Medien wie Zeitung, Rundfunk und Femsehen haben ja das Deutsche beeinflusst und zu vielen Neologismen gefuhrt (siehe Kapitel 5). Durch bestimmte Formen der elektronischen Kommunikation, etwa durch Internet Relay Chat (IRC) durchdringen sich mündliche und schriftliche Kommunikation in bis dahin unbekanntem Ausmaß (Ong 1987, Wichter 1991, Naumann 1994, 1995, 1998, Schmitz 1995 u.a.), paraverbale und nonverbale Ausdrucksmittel werden auf der Tastatur verschriftlicht und Merkmale gesprochener Sprache, Dialektismen und Kolloquialismen, dringen stark in die morphologische Struktur ein, dazu ein paar Beispiele (gekürzt) aus Naumann 1998: 255 Nachts isses bestimmt besser - oder kamma da ueberhaupt aufhoem - watt willste denn mit dem mal guggen - gern gscheng - moin, moin - hassu schon Zatcat Bilda gesaehn? - koa Account? Tach, hast du oda deine froindin

Dies ist noch keine Wortbildung, durch die schriftliche Fixierung gesprochener Sprache entstehen aber zumindest schriftsprachlich neue Formen und Wörter. Aber natürlich kommt es auch zu Wortbildung im engeren Sinn, durch Sprachmischung. Ein Großteil der elektronischen Kommunikation wird von Studenten gefuhrt, die über Computerprobleme diskutieren. In diesem Zusammenhang fallen eine Menge amerikanische Fachwörter, die im adjektivischen und verbalen Bereich an die deutsche Morphologie angepasst werden müssen, ein paar unzusammenhängende Beipiele aus Originaltexten (1996): •soll ich dich deopen kicken und bannen :))))? •morgen werden wir uns mit #### konnecten *ich hab mich grade eingeloggt *in welchem Netz muss ich mich listen lassen *das is policy-widrig!

76 *nicht unnoetig flamen '"ich fyhle mich genoetigt dich zu replien *das hab ich nich geroutet •das hat du mir schon laengst gepostet *dort gibt es noch keinen Node

Über die ästhetische Qualität der phonologischen und morphologischen Mischformen, die beim Eindringen amerikanischer Fachtermini in diesem Bereich der deutschen Gegenwartssprache entstehen, kann man natürlich streiten, dagegen würde aber wohl kein „loi Toubon"1 helfen, das sich Dieter Zimmer auch fur Deutschland wünscht. Ob und in wieweit derartige Formen in die Alltagssprache eindringen, bleibt abzuwarten. Etwas weniger aufällig sind derartige Sprachmischungen in der am häufigst genutzten Form elektronischer Kommunikation, bei E-mails. Hier sind einmal die Sachverhalte, über die man miteinander kommuniziert, sehr viel weiter gestreut, auch die Teilnehmer sind inzwischen längst nicht mehr nur Studenten, sondern kommen aus nahezu allen Schichten der Bevölkerung. Außerdem kann man den geschriebenen Text vor dem Abschicken in Ruhe noch einmal durchlesen und nach Belieben verbessern und der schriftsprachlichen Norm anpassen. Viele tun das, aber es gibt auch hier Benutzer, die darauf keinen Wert legen und so schreiben wie sie reden. Viele animiert das Medium auch zum kreativen, witzigen Umgang mit Sprache, Wortneubildungen spielen dabei eine herausragende Rolle. Dazu ein letztes authentisches Beispiel (August 1999): Na herdeinbaubeobachter, wie isses gelaufen? Das superkochnumochdraufstelldings schon da? Morgen Muenchen, neue buchregale in auftrag geben, gutbuergerdeutsch: ich fahre Moebel kaufen. Endlich die zwp korrigiert, ein (1) buch gelesen, sentimentale cd gekauft, frauenstimmchen: hallenser Bekannte am fon, so grosszuegig und tolerant diese ossis. Telebesprechen wir alles weitere? Cheerio werktagsendmanfred

Dies ist, wie man sieht, eine E-mail aus dem privaten Bereich, im geschäftlichen Umgang ist man gewöhnlich sehr viel förmlicher. Hier unterscheidet sich eine E-mail oft kaum von einem traditionellen Brief. Im privaten Bereich kommt es dagegen häufig zu strukturell ähnlichen Kommunikationen wie im obigen Beispiel. Nahezu jeder wird dafür mehr oder minder auffällige Beispiele in seinen Mail Foldern haben. Freude am spielerischen Umgang mit der Sprache und sprachliche Kreativität wird durch das neue Medium offensichtlich stimuliert. Und dies ist kein Menetekel für den drohenden Untergang des Deutschen, wie Zimmer orakelt, sondern Ausdruck von Vitalität und lebendiger Entwicklung durch die Möglichkeiten der neuen, elektronischen Medien.

Im Februar 1994 brachte der französiche Minister für Kultur und Frankophonie.Jacqes Toubon, ein Gesetz ein, nach dem alle Wörter aus fremden Sprachen der französichen Lautung, Schreibung und Morphologie angepasst werden müssen, Zuwiderhandlungen sollen mit Geldstrafen geahndet werden. Genützt hat dies auch für Frankreich wenig.

Lösungen der Aufgaben Aufgabe zu Kapitel 2 . 1 /literat/ Zur/ /geschichte/ Μ

freies Kemnuxphem DerivationsnK^hem freies Kemmorphem Flexionsmoφhem (Plural)

Die Moφhemanalyse von Fremdwörtern ist oft schwierig, weil die Ntaphonemik von Fremdwörtern differenzierter und komplexer ist als die von heimischen Wörtern. Eine Segmentierung ist nur dann sinvoll, wenn erstens der ausdrucksseitigen Aufteilung eine inhaltsseitige gegenübersteht, und wenn zweitens die abgeteilten Elemente ausdrucks- und inhaltsseitig auch in anderen Verbindungen vorkommen. Eine beim Wort resümieren formal zunächst als möglich erscheinende Segmentierung in */reJ + /süm/ + /ier/ + /en/ erfüllt die genannten Bedingungen nicht, denn die potentiellen Ntapheme */süm/ und */ier/ haben keine Inhalte. */ier/ (siehe Kapitel 4.4) als Verbalsuffix (oder auch als Stammerweiterung) bei vielen Verben mit fremdsprachlicher Basis hat in keiner Verbindung einen eigenen Inhalt, */süm/ nur in Verbindung mit /re/. Man könnte erwägen, es deshalb in der Terminologie von Fischer (1985) als „Konfix" zu bezeichnen, aber das scheitert wohl an dem Fehlen einer reihenbildenden semantischen Funktion. Auch die Interpretation von */süm/ als unikales Μοφίιβπι wäre zu diskutieren, wie in Himbeere, Schornstein oder Sintflut, aber diese Beispiele machen deutlich, daß unikale Μοφίιβπιε nur in Verbindung mit freien KemnK^hemen sinnvoll sind, nicht jedoch in Verbindung mit Derivationsnu^hemen, wie /re/; die Form /resüm/ ist demnach eine rm^hologische Einheit. Eine sinnvolle Segmentierung des Wortes resümieren wäre also: /resüm/ /ier/ /en/

gebundenes Kernnuxphem Verbalsuffix FlexionsnuKphem (Infinitiv)

Die beiden folgenden Wörter bieten keine Probleme: /und/ /zieh/ /en/

PartikelnKMphem gebundenes KernnuMphem FlexionsnK^hem (Infinitiv)

Auch die fttaphemanalyse des Wortes Bilanz ist nicht auf den ersten Blick eindeutig. Es gibt in der deutschen Gegenwartssprache das Ntaphem /anz/, in Wörtern wie Reson + anz, Domin + anz, Dissen + anz, Toler + anz etc. Eine ähnliche Segmentierung ist jedoch beim Wort Bilanz nicht sinnvoll, weil dem möglichen Ausdruck */bil/ kein Inhalt entspricht und weil es keine anderen Verbindungen gibt, in denen */bil/ inhaltsseitig segmentierbar wäre. In den Wörtern Bilanzbuchhalter, bilanzieren, Bilanzierung, bilanzsicher etc. ist immer nur die Einheit /bilanz/ segmentierbar, es ist deshalb sinnvoll, das Wort Bilanz als ein einziges freies Ntaphem /bilanz/ zu segmentieren und zu klassifizieren.

Aufgabe zu Kapitel 2.1.1 Implizite Ableitungen sind Band und Bund-, die anderen drei sind explizite Ableitungen, weil hier Derivationsnu^heme zur Wortbildung verwendet werden: /e/ bei Binde, /el/ bei Bündel (mit Umlaut, weil -el- historisch auf die Form -il- zurückgeht) und das diskontinuierliche Μοφίιαη /ge + d bei Gebinde.

78 Aufgabe zu Kapitel 2.1.2 Konversionen sind nur die Formen angeln und tischlern aus Angel und Tischler, weil nur hier keine Wortbildungselemente verwendet werden, nur die Flexionselemente sich ändern; erblinden und befreunden sind mit Präfixen gebildete Verben, haben also explizite Wortbildungselemente; Taugenichts und kurzerhand sind Zusammenrückungen; flugs besteht aus dem Kernmorphem /Aug/ und dem Morphem /s/, das in vielen Wörtern zur Adverbialbildung benützt wird, gegenwartssprachlich allerdings nicht mehr produktiv ist.

Aufgabe zu Kapitel 2.1.3 Fugenelemente sind im Deutschen (nach Fleischer/Barz „Interfixe", siehe 1992:136-138): -s-: -es-: -er-. -en-\ -e-: -ens-·. -0-:

Landsmann Landesfarben Länderspiel Breitengrad Tagedieb Herzensangst Chemotherapie

„Die interfixlose Fuge wird mit -0- gekennzeichnet; damit wird nicht der Begriff des .Nullmorphems' ... aufgegriffen, da die Fugenelemente nach unserer Auffassung keine Morpheme sind." (Fleischer/Barz 1992: 138). Auch nach der hier vertretenen Auffassung sind Fugenelemente keine Morpheme, die vorgeschlagene Lösung erscheint allerdings kaum akzeptabel, weil die Größe -0-ja auf diese Weise nicht klassifiziert wird. Was soll das sein? Das erinnert an Vorschläge, wie sie 1979 Bergenhotz/Schaeder gemacht haben, die in ihrem Morphologiebuch unterschieden zwischen „null" und „nichts" (siehe Kapitel 2.1.2). Man muss wohl nicht überall dort, wo nichts ist, dies formal (ob durch -0- oder sonst wie) auch zum Ausdruck bringen. Dadurch wird die sprachwissenschaftliche Beschreibung nur unnötig kompliziert. Man könnte dem Katalog von Fleischer/Barz aber das Fugenelement -i- hinzufugen, das in Fremdwörtern begegnet, etwa in Stratigraphie

Aufgabe zu Kapitel 2.3

W o r t (Derivation) Urgroßväter

Derivatio Komposition 1. K e r n m o r p h e m

/ur/

/groO/

(PI.)

2. K e r n m o r p h e m

/vater/

(Umlaut)

79

Wort (Derivation) Verträglichkeilen

Derivationsmorphem

Kernmorphem

/vertrag, verträg/

/lieh /

/keit/

(en)

Formal wäre eine Segmentierung des Kemmoiphems, bzw. seiner Allomoiphe /vertrag, verträg/ in /ver/ und /trag/ möglich, denn beide Formen kommen ausdrucksseitig in anderen Verbindungen vor. Man würde bei dieser möglichen Segmentierung von den Morphemen /ver/ und /trag/ und von dem Lexem /vertrag/ sprechen, also ausdrucks- und inhaltsseitig unterschiedlich segmentieren. Eine derartige Lösung wird verschiedentlich in der Literatur zur Morphemanalyse vertreten. Eine Segmentierung, die von der Parallelität ausdrucks- und inhaltsseitiger Segmentierung ausgeht, - sie wird hier vertreten - fuhrt zur Interpretation /vertrag, verträg/, da die Form /trag/ ihren hier vorliegenden Inhalt nur in der Verbindung mit /ver/ erhält, in anderen Verbindungen dagegen auch andere Inhalte hat, etwa in austragen, nachtragen, Träger, Traglast etc. Für die Analyse in der Praxis ließe sich auch eine graphische Zwischenlösung denken, aus der deutlich wird, ab wann eine Morphemanalyse nur noch ausdrucksseitig vertretbar ist, etwa so:

Wort (Derivation) VertSglichkeiten

(Flexion) Derivation

Derivation

Derivationsmorphem

/ver/

Kernmorphem

/trag, träg/

Die durch die Einrahmung (oder auch anders) markierte Segmentierung wäre in diesem Falle nur ausdrucksseitig sinnvoll.

80 W o r t (Komposition)

Satzpronom inalisierungen

Komposition

(Flexion)

1. K e r n m o r p h e m

Derivation Derivationsmorphem

Derivation

Derivationsmorpnem /satz/

/pro/

(PI.)

i . Kernmorphem /nominal, nominalisier/

/ung/

(en)

Kemmorpheme von Fremdwörtern können durch das Element -ier- erweitert sein, oder durch die erweiterte Form isier-, darüberhinaus gibt es noch die Erweiterung ifizier-

Aufgabe zu Kapitel 2.4 Hapag ist die Kurzform für ,//amburg-yimerikanische-/>acketfahrt-y4ctiengesellschaft', gehört also zur Gruppe der Initialwörter wie F.D.P., das durch die Punkte explizit auf den Abkürzungscharakter der Bildung hinweist. In Kino und Taxi, entstanden aus tCinematograph und Taxameter, werden die Elemente -ound -i- in Verbindung mit linksstehenden Morphemen zur Kurzwortbildung verwendet. Motel und Smog sind Bildungen aus der Kombination links- und rechtsstehender Wortteile, z.T. mit Verwischung der Morphemgrenze: motor hotel, smoke fog. Big-Mac schließlich besteht aus der Kombination eines Adjektivs big mit einem linksstehenden Kurzwort Mac aus einem Eigennamen, dem Firmennamen McDonalds).

Aufgabe zu Kapitel 3.3 *Bächchen ist nach der oben gegebenen Definition eine phonotaktische Restriktion, * Störrischheit und *Gottkeit sind morphologisch bedingt ungebräuchlich. *Armheit, *Arbeitung, *Reiser und *besen sind blockiert durch die existenten Formen Armut, Arbeit, Reisender und kehren. *Beginnbar ist gesprächslogisch nur schwer vorstellbar, alles hat schließlich Anfang und Ende, das durch eine eigene Wortbildung festzuhalten, ist einigermaßen sinnlos.

Aufgabe zu Kapitel 3.4 Man könnte vielleicht so klassifizieren: voll motiviert: eßbar, grünlich, bergig teilmotiviert: fehlerhaft, säuberlich, arbeitsmäßig, schauderhaft voll demotiviert: urig, peinlich, offenbar Die semantische Transparenz von Adjektiven ist nur z.T. mit der von substantivischen Nominalkomposita zu vergleichen, Abstufungen in der Durchsichtigkeit gibt es auch bei Adjektiven: Die Bildungen eßbar, grünlich und bergig könnte man im Sinne Püschels als voll durchsichtig bzw. als voll motiviert bezeich-

81 nen, da in allen drei Wortbildungen die Bedeutung der Kemmorpheme identisch ist mit der der zugrundeliegenden Wörter, also essen - eßbar, grün - grünlich, Berg - bergig. Bei eßbar und grünlich haben die Derivationsmorpheme /bar/ und /lieh/ reihenbildende Bedeutung, sie fügen dem Kernmorphem ein semantisches Merkmal hinzu: ,kann ... werden' bzw. ,so wie, ähnlich', trinkbar, machbar, lesbar etc. bzw. rötlich, bläulich, gelblich etc. Das Morphem /ig/) dient ohne Hinzufugung neuer semantischer Merkmale der Adjektivbildung, es ist ein rein grammatisches Morphem, /bar/ und /lieh/ sind grammatische Morpheme mit besonderen semantischen Merkmalen. - Die Bildungen arbeitsmäßig, fehlerhaft, säuberlich und schauderhaft sind teilmotiviert, wohl mit abnehmender Skalierung in der hier gewählten Reihenfolge. Säuberlich und schauderhaft sind stärker lexikalisiert als arbeitsmäßig und fehlerhaft, was Paraphrasierungsversuche deutlich machen. - Die Bildungen urig, peinlich und offenbar sind wohl als voll demotiviert zu interpretieren; sie sind ausdrucksseitig durchsichtig, inhaltsseitig jedoch nicht, oder nur zu einem sehr geringen Teil. Insgesamt werden die Schwierigkeiten derartiger Skalierungen auch bei diesen Beispielen deutlich; im einzelnen kann es hier durchaus zu unterschiedlichen Interpretationen kommen.

1. Aufgabe zu Kapitel 4.1.1 a) Formale Beschreibung: Eine formale Beschreibung ist eine morphologische Beschreibung der hierarchischen Wortbildungsstruktur, also das, was im Kapitel 2.3 abgehandelt worden ist. Das Determinativkompositum Studentenwohnheim besteht auf der obersten Ebene aus den Komponenten Studenten und Wohnheim. Die erste Komponente besteht aus einem Simplex (freies lexikalisches Morphem) /student/ und ein Fugenelement -en-, das aus einem Pluralflexiv entstanden ist und noch deutlich Pluralfunktion hat. Die zweite Komponente besteht formal wieder aus zwei Elementen, aus /wohn-/, gebundenes lexikalisches Morphem und /heim/, freies lexikalisches Morphem. - Das Determinativkompositum Schulwegkostenerstattung besteht zunächst aus den Einheiten Schulwegkosten und Erstattung. Aus semantischen Gründen ist es sinnvoll, eher so zu analysieren als Schulweg + Kostenerstattung, was grundsätzlich auch möglich wäre. Schulwegkosten wird dann weiter analysiert als Schulweg und Kosten, Schulweg als Kombination des gebundenen lexikalischen Morphems /schul/ und dem freien lexikalischen Morphem Iwegl, /kosten! als nur im Plural auftretendes freies lexikalisches Morphem (ähnlich wie /eitern/). Erstattung schließlich ist eine deverbative Derivation mit Hilfe des Wortbildungsmorphems l-ung/ vom Verb erstatten. Erstatten ist rein formal ein Präfixverb aus /er-/ und dem gebundenen lexikalischen Morphem /*statt-/ (+ /-eni), das auch in ausstatten begegnet, allerdings keine greifbare eigene Semantik besitzt. Deshalb erscheint es sinnvoll, die Analyse aus inhaltlichen Gründen beim Verb /erstatt/ (+ /- eni) zu beenden. - Das Determinativkompositum Riesenameise ist morphologisch einfacher strukturiert, /ameise/ ist das Grundwort und freies lexikalisches Morphem, Riesen- besteht aus dem freien lexikalischen Morphem /riese/ und dem Fugenelement -n-. - Das Determinativkompositum Betonmischmaschine besteht auf der obersten Ebene aus den Teilen Beton und Mischmaschine (nicht aus *Betonmisch- und Maschine), /beton! ist ein Simplex, freies lexikalisches Morphem, Mischmaschine ein Kompositum aus dem gebundenen lexikalischen Morphem !misch-! (Verbstamm) und dem freien lexikalischen Morphem Imaschinel. - Das Determinativkompositum Wintermantel schließlich besteht aus den freien lexikalischen Morphemen /winter/ und /mantel/. b) Inhaltliche Beschreibung: Zur Beschreibung der Wortbildungssemantik gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Hier wird vorgeschlagen, vier Parameter als Beschreibungskriterien zu wählen, 1) die Wortstukturbedeutung, 2) die Paraphrase, 3) den Grad der Motiviertheit und 4) den Gesichtspunkt der Reihenbildung. Man kann diese Analyse auf allen Hierarchieebenen der jeweiligen Wortbildungen durchführen, hier wird nur die oberste Ebene berücksichtigt. Parameter 1): Studentenwohnheim könnte man wortstrukturell beschreiben als: Teil Β (Wohnheim) ist loka-

82 le Bestimmung fiir Teil A (Studenten). - Schulweggkostenerstattung wäre dann etwa: Teil Β (Erstattung) ist Objekt von Teil A (Schulwegkosten). - Riesenameise könnte man wortstmkturell beschreiben als: Teil Α (Riesen-) ist Größenangabe zu Teil Β (Ameise). - Betonmischmaschine wäre etwa: Teil Β (Mischmaschine) ist instrumental zu Teil Α (Beton). - Und Wintermantel: Teil Α (Winter) ist temporale Bestimmung zu Teil Β (Mantel). Parameter 2): Die grundsätzlichen Schwierigkeiten von Paraphrasierungen sind im Kapitel 3.1 dargelegt worden. Studentenwohnheim wäre paraphrasierbar als ,Heim zum Wohnen für (von) Studenten', Schulwegkostenerstattung wäre etwa .Erstattung von Kosten für den Schulweg (des Schulwegs)'. - Riesenameise könnte man paraphrasieren als ,Ameise, die riesengroß ist', Betonmischmaschine als .Maschine zum Mischen von Beton'. Wintermantel schließlich könnte paraphrasiert werden als .Mantel, den man vorzüglich im Winter anzieht'. Parameter 3): Alle Wortbildungen sind auf unterschiedliche Weise teilmotiviert, da bei allen lexikalische Merkmale auftreten, die die Kompositionen nicht als einfache Addition der Bedeutungen der einzelnen Elemente erklärbar machen. - Studentenwohnheim, Schulwegkostenerstattung und Betonmischmaschine sind relativ hochmotiviert, da hier eine syntaktische Paraphrase verhältnismäßig eindeutig gefunden werden kann und die Bedeutung der Einzelelemente weitgehend erhalten ist. - Riesenameise ist wegen der metaphorisch zu interpretierenden Bedeutung der ersten Komponente stärker lexikalisiert, also geringer teilmotiviert als die beiden erstgenannten Beispiele. Auch Wintermantel ist wohl geringer motiviert, weil hier Ding und temporale Angabe zusammenkommen, deren Beziehung durch die sprachliche Sozialisierung zwar bekannt ist, nicht allerdings logisch selbstevident. Ohne unsere .Kenntnis der Dinge' könnte man eine derartige Komposition in mehrere Richtungen interpretieren, etwa als ,Mantel, der im Winter hergestellt wurde' oder als .Mantel, hergestellt von der Firma Winter'. Parameter 4): Studentenwohnheim und Wintermantel sind relativ stark reihenbildend, es gibt eine ganze Reihe von Zusammensetzungen mit Wohnheim und mit Mantel. Das Wort Erstattung begegnet dagegen so gut wie ausschließlich im Zusammenhang mit Kosten, die Komposition ist also in sehr geringem Maße reihenbildend. Bei Riesenameise ist die erste Komponente der reihenbildende Teil, er hat allgemein augmentative Bedeutung und kann deshalb als Halbpräfix bezeichnet werden. Die Reihenbildung von Wörtern wie Betonmischmaschine hält sich aus sachlichen Gründen in Grenzen, im fachsprachlichen Bereich kann es aber durchaus mehrere analoge Bildungen geben.

2. Aufgabe zu Kapitel 4.1.1 .Possessive' Komposita wären Milchbart, Rotkehlchen, Rothaut, Dickwanst und Dickkopf, weil hier Personen bzw. ein Tier nach charakteristischen Körperteilen benannt sind. Die Komposita Rotkehlchen und zu einem geringeren Grad Rothaut sind allerdings stärker lexikalisiert als die übrigen drei. Sie werden in der Gegenwartssprache nicht mehr zur individuellen Charakterisierung verwendet, sondern zur Gattungs- bzw. Rassenbezeichnung. - Man könnte auch erwägen, die Bildung Geizhals als .Possessivkompositum' zu interpretieren. Hier ist die Konstituente -hals jedoch metaphorisch gebraucht, kein .charakteristisches Körperteil'. Auch das Kompositum Milchbart kommt in die Nähe einer derartigen metaphorischen Verwendung, hier ist die erste Konstituente der metaphorisch gebrauchte Teil.

Aufgabe zu Kapitel 4.1.2 Die Wortbildung Dichter-Komponist könnte man als Kopulativkompositum klassifizieren, denn hier handelt es sich um ein additives Verhältnis der Teile, die grundsätzlich auch in umgekehrter Reihenfolge verwendet werden könnten. Auch Kapitänleutnant könnte man so klassifizieren, allerdings nicht zweifelsfrei: Ein Kapitänleutnant ist ein Schiffsführer im militärischen Rang eines Leutnants, es gibt aber auch die Formen Generalleutnant, Reserveleutnant etc., was eher für die Interpretation des Kompositums als Deter-

83 minativkompositum spricht. Waisenknabe, Märchenonkel und Polizeioffizier sind klare Determinativkomposita. Hier besteht kein additives sondern ein determinatives Verhältnis der Teile. Meistersinger weist gewisse Ähnlichkeiten mit Kapitänleutnant auf, ist allerdings stark lexikalisiert, denn kontemporäre Formen würden nicht mit -singer, sondern mit -sänger als zweiter Komponente gebildet werden. Die Wortbildung ist also aus semantischen Gründen gegenwartssprachlich wohl als Simplex zu interpretieren.

Aufgabe zu Kapitel 4.2 Das Hauptkriterium, das fur eine Interpretation von Wortbildungen auf -frei als Nominalkomposita spricht, ist das Faktum, daß frei auch als Adjektiv vorkommt, mit identischer, oder zumindest sehr ähnlicher Bedeutung. Aus diesem Grund kann -frei nicht als Ableitungssuffix interpretiert werden. Es hat jedoch Eigenschaften, die für eine Interpretation zwischen Kompositionsglied und Suffix sprechen: 1) Wortbildungen auf -frei bilden Reihen (siehe die Spezialarbeit von Vögeding 1981 oder die Materialzusammenstellung bei Kühnhold u.a., 1978: 136f.). 2) Wortbildungen auf -frei stehen in Konkurrenz zu ähnlich reihenbildenden Adjektiven auf -los und -leer, ausdruckslos/ausdrucksleer, geruchlos/geruch(s)frei, wasserlos/wasserfrei. 3) In Wortbildungen auf -frei liegt das semantische Gewicht mehr auf der ersten als auf der zweiten Konstituente: knitterfrei, wartungsfrei, kreisfrei, fehlerfrei etc. 4) Bei einigen Bildungen auf -frei ist die Tendenz zur semantischen Differenzierung gegenüber dem Adjektiv frei deutlich ausgeprägt, etwa bei den Adjektiven kreisfrei, markenfrei, rückenfrei, bahnfrei, portofrei etc. Die Komponente Haupt- /haupt- begegnet in Substantiven und in eingeschränktem Umfang in Adjektiven, die von Substantiven abgeleitet worden sind. In Wörterbüchern begegnen etwa (um jetzt nur die ersten Buchstaben des Alphabets zu berücksichtigen): Haupt- + -abnehmen -abteilungsleiter, -altar, -angeklagter, -augenmerk, -bahnhof, -beruf, -beschäftigung, -bestandteil, -buch, -buchhalter, -darsteiler, -eindruck, -eingang etc. In all diesen Bildungen hat die Komponente Haupt- eine von der Semantik des selbständigen Wortes Haupt abweichende Bedeutung. Funktional besteht damit Nähe zu Präfixen oder Verbpartikeln. Bei Fleischer/Barz (1992: 200 f.) wird Haupt- deshalb auch zu den Präfixen gerechnet. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung soll der Terminus Halbpräfix bzw. Präfixoid fur derartige Wortbildungen beibehalten werden, weil er deutlicher als eine feste Zuordnung zu etablierten Einheiten die Zwischenstellung, den Kontinuumscharakter mancher grammatischer Erscheinungen zum Ausdruck bringt.

Aufgabe zu Kapitel 4.3.1 Kühnhold/Putzer/Wellmann u.a. unterscheiden (1978: 130) drei Funktionstypen: 1) explosionsfähig, gehfähig etc., also .etwas, das explodieren bzw. gehen kann'. Die Basen derartiger Bildungen sind Substantive (Explosion) oder Verben (gehen)·, sie stellen 53,2% aller Fälle. 2) transportfähig, streichfähig etc., also .etwas kann transportiert, gestrichen werden'. Auch hier gibt es verbale (streichen) und substantivische Basen (Transport); diese Bildungen machen 42,3% des Innsbrucker Materials aus. Den sehr kleinen Rest, nur 4,1% aller Bildungen, füllen Adjektive wie funktionsfähig und saugßhig, auch hier verbale (saugen) und substantivische Basen (Funktion). Paraphrasierungen sind hier nur schwer generalisierbar. Kühnhold/Putzer/Wellmann u.a. (1978) unterscheiden sechs, allerdings sehr ähnliche funktionale Gruppen von Adjektiven auf -mäßig. Sie werden dort durch „betrifft" (gebietsmäßig), „ist" (behelfsmäßig), „ist wie" (autobahnmäßig), „entspricht" (berufsmäßig) etc. paraphrasiert (siehe 1978: 287,321f., 330, 346, 367, 373). Das Suffix -mäßig gibt also ganz allgemein die Beziehung an, in der der damit beschriebene Sachverhalt zum Basissubstantiv steht. - Zu den Beispielen: botmäßig ist gegenwartssprachlich eine lexikalisierte Form mit der Bedeutung .gefügig, unterwürfig', die nicht mehr als Suffixableitung zu interpretieren ist. In spätmhd. Zeit gab es das noch nicht mit ge- präfigierte Substantiv bot (= .Gebot'). Dazu war das in Rechtsurkunden belegte Adjektiv potmäzzig eine Suffixableitung. Da das Substantiv bot in die-

84 ser Form gegenwartssprachlich nicht mehr existiert, nur in der präfigierten Form Gebot, ist der Ableitungscharakter verlorengegangen, botmäßig ist ein Simplex. Das Adjektiv polizeimäßig gehört zu denen, deren Basis Personenbezeichnungen sind, also etwa schülermäßig, paschamäßig, professorenmäßig etc. : gewohnheitsmäßig stellt nach dem Material von Kühnhold u.a. statistisch den am häufigsten vorkommenden Funktionstyp dar, er wird dort umschrieben mit "entspricht" (siehe 1978: 346): 39,9% aller Adjektive auf -mäßig gehören danach zu diesem Typ. Bei zweckmäßig "drückt die Konstruktion eine obligatorische Entsprechung aus, wie es ... verlangt" (Fleischer 51982: 275). Mengenmäßig schließlich würde zu dem Typ gehören, für den Kühnhold u.a. das Musterbeispiel gebietsmäßig angeben, mit der Paraphrase „betrifft": 11,8% aller -mqöig-Bildungen des Innsbrucker Korpus gehören dazu.

Aufgabe zu Kapitel 4.3.2 Im großen Duden-Wörterbuch (1976:751, Band 2) sind verzeichnet: 1) Erzabbau, Erzader ... Hier ist die Konstituente Erz nicht Präfix, sondern nominaler Bestandteil substantivischer Nominalkomposita. Diese Gruppe ist also für die hier gestellte Frage insgesamt irrelevant. 2)

Erzamt, Erzbannerherr, Erzbischof, Erzbistum, Erzdiakon, Erzdiözese, Erzengel, Erzherzogl-in, /-tum, Erzjägermeister, Erzkämmerer, Erzkanzler, Erzmarschall, Erzpriester, Erzschenk, Erztruchseß, Erzvater.

3)

Erzbösewicht, Erzdemokrat, Erzdummheit, Erzfaschist, Erzfeind/schafi, Erzgauner, Erzhaiunke, Erzkatholik, Erzkommunist, Erzlügner, Erzlump, Erzschelm, Erzschurke, Erzübel.

Vertreter dieser beiden Gruppen, die der Duden beschreibt als „einen hohen Rang bezeichnend" (Gruppe 2) und „eine negative, seltener positive Verstärkung od. Steigerung des folgenden Subst. od. Adj. bezeichnend" (Gruppe 3), sind hier also etwa gleichmäßig verteilt. Dies liegt aber wohl daran, daß der Duden längst nicht alle Vertreter der Gruppe 3 auflistet, denn nur in dieser Gruppe ist das Präfix produktiv, schon seit längerer Zeit, wie ein Blick in das Grimm'sche Wörterbuch zeigt (1862: Sp. 1074-1104, Band 3): In der Gruppe 2 (das Grimm'sche Wörterbuch macht allerdings keinen Unterschied zwischen 2 und 3) stehen dort neben den Bildungen, die auch noch im Duden stehen, 21 weitere (von Erzbanner bis Erzstift)·, in der Gruppe 3 dagegen nicht weniger als 107 Bildungen, die hier verständlicherweise nicht alle aufgelistet werden können. Darunter sind Bildungen, die auch heute ohne weiteres in einem Wörterbuch stehen könnten, etwa Erzfaulenzer, Erzheuchler, Erzsau, Erzspitzbube etc. Andere sind sicher veraltet, wie Erzbuhlerin, Erzkirchendieb, Erzlotterbube, Erzunflat etc. Wieder andere waren wohl schon zur Abfassungszeit des Grimm'schen Wörterbuches nicht mehr usuell, etwa Erzgeisterseher, Erzhurentreiber, Erzstockflsch etc. Bei manchen Belegen ist schwer zu entscheiden, ob sie, nach der Einteilung des Duden in die zweite oder in die dritte Gruppe gehören, etwa bei Erzjungfrau, Erztugend, Erzhofinann etc. Nach der Etymologie des Präfixes ist die Bedeutung .einen hohen Rang bezeichnend' die ältere: gr. archi-, ahd. erzi-, mhd. erze= ,ober-, haupt-'.

Aufgabe zu Kapitel 4.4.1 Verblühen Verzuckern Verbauen Verkalken Versetzen

.abblühen, zu Ende blühen', resultative Aktionsart ,mit Zucker versehen' .durch ein Bauwerk verdecken', bzw. mit anderer Lesart .Geldmittel für Bauten verwenden' Metaphorisch für, senil werden' Auch hier zwei Lesarten: ,νοη einem Ort zu einem anderen bewegen' bzw. .eine Verabredung nicht einhalten'

85 Versagen Verfuhren

.ablehnen, nicht berücksichtigen...' Allgemein ,sich bei jemandem einschmeicheln', speziell jemanden zum Geschlechtsverkehr überreden'

Als Fazit dieser Beschreibungen ergibt sich, daß sich die Bedeutung von ver- nicht generalisieren läßt, alle hier als Beispiel aufgelisteten Verben sind zusammen mit dem Präfix ver- lexikalisiert. Die einzige Generalisierung liegt bei verblühen vor: Auch bei anderen Verben bewirkt ver-resultativeAktionsart.

Aufgabe zu Kapitel 4.4.3 Das Verb durchtrennen ist ein Partikelverb. Da der Wortakzent auf der Stammsilbe liegt, erscheint durchtrennen im syntaktischen Kontaxt nicht getrennt und das Partizip wird normalerweise ohne -ge- gebildet. Allerdings verzeichnet der Duden auch die Nebenform durchgetrennt. Loslassen wird von Fleischer/Barz (1992: 339) als Präfixverb klassifiziert, hier aus den im Kapitel 4.2 dargelegten Gründen wie die Verben recyceln und layouten als Verb mit Verbzusatz. Die beiden letzteren sind in der Gegenwartssprache noch nicht etabliert, deshalb bereitet ihre Verwendung im Kontext noch Schwierigkeiten. Der Duden verzeichnet zwar recyceln als Verb (Layout nur als Substantivum), gibt aber keine Verwendungshinweise. Heißt es es wurde recycelt, regecycelt oder gerecyceltl Intuitiv würde man annehmen, die erste Form wird sich durchsetzen, weil man sie am ehesten in kontemporären Texten findet. Ahnliche Schwierigkeiten bestehen bei layouten.

Aufgabe zu Kapitel 5.1 Satz zwei nimmt durch die Nominalisierung Bewertung Satz eins wieder auf, Satz drei knüpft ebenfalls mit einer nominalisierten Form Begründung an den Vordersatz an. Der letzte Satz (vier) beginnt mit einer Nominalisierung, die die Elemente abschließend und Bewertung des Vordersatzes wiederaufnimmt. Anstelle dieser Nominalisierungen könnten Pronomina stehen, in allen drei Fällen dies bzw. diese. Die Nominalisierungen dieses Textes funktionieren textlinguistisch also ähnlich wie Pronomina, d.h. man kann sie als ,Satzpronominalisierungen' bezeichnen.

Aufgabe zu Kapitel 5.2 Die Wortfolge Nest zum Fest in Satz zwei verweist auf Ostereier in Satz eins: Die determinierende Konstituente des Nominalkompositums (Oster-) wird durch den zweiten Teil des Syntagmas substituiert, die determinierte (-eier) durch den ersten, die Verweisung hat also chiastische Form. Zwischen Oster- und Fest besteht Identitätsrelation, zwischen -eier und Nest eine Teil-Ganzes-Relation. Die Wortbildung Auferstehungsfeier im gleichen Satz substituiert ebenfalls die determinierende Konstituente von Ostereier. Auch hier besteht semantisch-textfunktional Identitätsrelation. Die Verflechtung der folgenden Sätze mit den ersten ist vielfältig und komplex und kann hier nicht bis ins letzte Detail beschrieben werden: färbende Eierindustrie verweist auf Zwiebelschalen und Pinsel aus dem Malkasten in Satz eins, wobei das Nominalkompositum Eierindustrie antithetisch zum Kompositum Großmütterlein gebraucht wird; bunte Produkte substituieren Ostereier, aber mit einem partiellen Verweis auf -indt4Strie. In der Folge Ostereier + Eierindustrie wechselt das determinierte Element (-eier) zum determinierenden (Eier-), das jetzt determinierte Element -Industrie wird dann durch das Wort Produkte wiederaufgenommen. Die Wortbildung Oster-Ei im letzten Satz erzielt ihre besondere Textwirkung durch die Schreibung: Weil das Kompositum jetzt mit Bindestrich geschrieben wird, wird der Inhalt des Satzes visuell unterstrichen, das Ei wird vom Brauch, d.h. Ostern quasi abgeschält, die Wortbildung Osterei damit sprachlich gewissermaßen zurückgenommen, weil auch sachlich Ostern und Ei nach der Meinung des Verfassers nicht mehr viel gemein haben. - Dies ist ein sehr sorgfältig und dicht konstruierter Text mit komplexer Textverflechtung.

86 Aufgabe zu Kapitel 5.3 1) Fußkräftigungsanlage 2) Tretbahn 3) Fußreiz 4) Heilreiz 5) Rundgang 6) Kurwirkung 7) Kräftigungsbehandlung Die Wortbildungen 1) bis 4) sind mit ihrer Verständlichkeit und Akzeptabilität an den fachsprachlichen Text gebunden. Aus dem Textzusammenhang wird deutlich, was mit den Nominalkomposita bezeichnet wird, denn die Konstituenten dieser Komposita kommen z.T. auch als Einzelwörter im Text vor, z.T. werden sie durch entsprechende Attribuierungen explizit als Neologismen ausgewiesen, etwa Tretbahn durch sogenannt. Die auch allgemeinsprachlich übliche Bildung Rundgang hätte in einem anderen Kontext eine andere Lesart, hier wird sie fachsprachlich konkretisiert als Bezeichnung für ein bestimmtes technisches Gerät. Das Kompositum Kurwirkung ist auch als nicht-fachsprachliche Prägung verständlich, es wäre in vielen möglichen Textsorten akzeptabel, ebenso wie das Kompositum Kräftigungsbehandlung. Es handelt sich zwar in beiden Formen um okkasionelle Bildungen, im engeren Sinne fachsprachliche Prägungen sind sie aber nicht.

Bibliographie Adelung, Johann Christoph (1782): Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre fur Schulen, 2 Bde, Leipzig (= Hildesheim/New York 1971). Aronoff, Mark (1976): Word Formation in Generative Grammar, Cambridge/Mass. Äugst, Gerhard (1975): Lexikon zur Wortbildung. Moiphemstruktur, 3 Bde, Tübingen. - (Hg.) (1984): Kinderwort. Der aktive Kinderwortschatz (kurz vor der Einschulung), nach Sachgebieten geordnet, mit einem alphabetischen Register, Frankfurt/Bern/New York/Nancy. Äugst, Gerhard/Bauer, Andrea/Stein, Anette (1977): Grundwortschatz und Ideolekt. Empirische Untersuchungen zur semantischen und lexikalischen Struktur des kindlichen Wortschatzes, Tübingen. Barz, Irmhild (1982): Motivation und Wortbildungsbedeutung. Eine Diskussion sowjetischer Forschungsergebnisse. In: Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 2, S. 5-21. - (1983): Wortbedeutung und Wortbildungsbedeutung. In: Zeitschrift f. Germanistik 4, S. 65-69. Bergenholtz, Henning/Mugdan, Joachim (1979): Einführung in die Morphologie, Stuttgart. Braun, Peter (1982): Bestände und Veränderungen in der deutschen Wortbildung am Beispiel der beVerben. In: Muttersprache 92, S. 216-226. Brückner, Tobias/Sauter, Christa (1984): Rückläufige Wortliste zum heutigen Deutsch, 2 Bde, Mannheim. Bußmann, Hadumod (1983): Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart. Bybee, Joan L. (1985): Morphology. Α study of the relation between meaning and form, Amsterdam. Chomsky, Noam (1965): Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge/Mass. - (1970): Remarks on Nominalization. In: Readings in English Transformational Grammar, hg. von R.A. Jacobs/P.S. Rosenbaum, Waltham/Mass., S. 184-221. Dederding, Hans-Martin (1982): Wortbildung, Syntax, Text. Nominalkomposita und entsprechende syntaktische Strukturen in deutschen Patent- und Auslegeschriften, Erlangen. Dokulil, Milos (1964): Zum wechselseitigen Verhältnis zwischen Wortbildung und Syntax. In: Travaux Linguistiques de Prague 1, S. 215-224 (= Lipka/Günther 1981, S. 82-93). Eichinger, Ludwig M. (1982): Syntaktische Transposition und semantische Derivation: Die Adjektive auf -isch im heutigen Deutsch, Tübingen. - (Hg.) (1982): Tendenzen verbaler Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache, Hamburg. - (1985): Die sprachliche Ausgestaltung von Raum und Zeit, am Beispiel der verbalen Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache, Bayreuth. Erben, Johannes (1975,21983): Einfuhrung in die deutsche Wortbildungslehre, Berlin. Eroms, Hans-Werner (1982): Trennbarkeit und Nichttrennbarkeit bei den deutschen Partikelverben mit durch und um. In: Eichinger, S. 33-50. Fandrych, Christian (1993): Wortart, Wortbildungsart und kommunikative Funktion. Am Beispiel der adjektivischen Privativ- und Possessivbildungen im heutigen Deutsch, Tübingen. Fischer, Emst (1985): Das „gebundene Grundmorphem" in der deutschen Sprache der Gegenwart. In: BES 5, S. 210-224. Fleischer, Wolfgang (1969 bis 51982): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Leipzig (5. Aufl. Tübingen). - (1980): Wortbildungstypen der deutschen Gegenwartssprache in historischer Sicht. In: Zeitschrift für germanistik 1, S. 48-57. - (1983): Zur Geschichte der germanischen Wortbildungsforschung im 19. Jahrhundert: Jacob Grimm und die Junggrammatiker. In: Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsbericht 105, S. 74-100. - (1993): Sprachbau und Wortbildung. In: Wellmann, S. 7-17. Fleischer, Wolfgang/Michel, Georg (1977): Stilistik der deutschen Gegenwartssprache, Leipzig. Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild (1992): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen. Flury, Robert (1964): Struktur und Bedeutungsgeschichte des Adjektiv-Suffixes -bar, Winterthur. Friederici, Angela (1984): Neuropsychologic der Sprache, Stuttgart u.a.

88 Gauger, Hans-Martin (1971): Durchsichtige Wörter. Zur Theorie der Wortbildung, Heidelberg. Givon, Talmy (1971): Historical syntax and synchronic morphology. An archeologist's fieldtrip. In: Papers from the 7th regional meeting of the Chicago Linguistic Society, Chicago, p. 394-415. Grimm, Jacob (1826): Deutsche Grammatik, 2. Theil: Ableitung und Zusammensetzung, Göttingen. Günther, Hartmut (1974): Das System der Verben mit be- in der deutschen Sprache der Gegenwart, Tübingen. Günther, Hartmut (1981): N+N: Untersuchungen zur Produktivität eines deutschen Wortbildungstyps. In: Lipka/Günther, S. 258-280. Habermann, Mechthild (1994): Verbale Wortbildung um 1500. Eine historisch-synchrone Untersuchung anhand von Texten Albrecht Dürers, Heinrich Deichslers und Veit Dietrichs, Berlin u.a. Heinle, Eva-Maria (1993): Die Zusammenrückung. In: Wellmann, S. 65-78. Henzen, Walter (31965): Deutsche Wortbildung, Tübingen. Herbermann, Clemens-Peter (1981): Wort, Basis, Lexem und die Grenze zwischen Lexikon und Grammatik. Eine Untersuchung am Beispiel der Bildung komplexer Substantive, München. Heringer, Hans Jürgen (1984a): Wortbildung: Sinn aus dem Chaos. In: Deutsche Sprache 12, S. 1-13. - (1984b): Gebt endlich die Wortbildung frei! In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 15, S. 43-53. Hinderling, Robert (1982): Konkurrenz und Opposition in der verbalen Wortbildung. In: Eichinger, S. 81106.

Höhle, Tilman N. (1982): Über Komposition und Derivation: Zur Konstituentenstruktur von Wortbildungsprodukten im Deutschen. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 1, S. 76-112. Holly, Werner (1985): Forschungsbericht: Wortbildung im Deutschen. In: ZGL 13, S. 89-108. Holst, Friedrich (1974): Untersuchung zur Wortbildungstheorie mit besonderer Berücksichtigung der Adjektive auf -gerecht im heutigen Deutsch, Hamburg. Hundsnurscher, Franz (1968): Das System der Partikelverben mit AUS in der Gegenwartssprache, Göppingen. (Das 4. Kapitel: Zusammenfassung der Beobachtungen, ist wiederabgedruckt in: Eichinger 1982, S. 1-32) Inghult, Göran (1975): Die semantische Struktur desubstantivischer Bildungen auf -mäßig. Eine synchronisch-diachronische Studie, Stockholm. Jespersen, Otto (1942): Α modern English grammar on historical principles, part VI: Morphology, London. Karius, Ilse (1976): Zur Beziehung zwischen Wortbildung und Alltagswissen. In: Braunmüller/Kürschner, S. 59-68. Kastovsky, Dieter (1969): Wortbildung und Nullmorphem. In: Linguistische Berichte 2, S. 1-13 (= Lipka/Günther 1981, S. 306-323). - (1982): Wortbildung und Semantik, Düsseldorf u.a. Kim, Gyung-Uk (1983): Valenz und Wortbildung. Dargestellt am Beispiel der verbalen Präfixbildung mit be-, ent-, er-, miß-, ver-, zer-, Würzburg. Kühnhold, Ingeburg/Wellmann, Hans (1973): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Das Verb, Düsseldorf. Kühnhold, Ingeburg/Putzer, Oskar/Wellmann, Hans (1978): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Das Adjektiv, Düsseldorf. Kürschner, Wilfried(1974): Zur syntaktischen Beschreibung deutscher Nominalkomposita auf der Grundlage generativer Transformationsgrammatiken, Tübingen. Laca, Brenda (1986): Die Wortbildung als Grammatik des Wortschatzes. Untersuchungen zur Spanischen Subjektnominalisierung, Tübinger Beiträge zur Linguistik, Band 286, Tübingen. Lees, Robert B. (1960,51968): The Grammar of English Nominalizations, Bloomington. Leiss, Elisabeth (1983): Semantische Universalien. Einige „unterspülte" Begriffe der Semantik und ihre Überprüfung durch Ergebnisse aus der Patholinguistik, Göppingen. Lenneberg, Eric H. (1972): Biologische Grundlagen der Sprache, Frankfurt (engl. New York 1967).

89 Linke, Detlef (1981): Ganzheit und Teilbarkeit des Gehirns. Aphasie ist keine Störung des Kommunikationsvermögens. In: Sprache und Gehirn, hg. von H. Schnelle, Frankfurt, S. 81-96. Lipka, Leonhard/Günther, Hartmut (Hg.) (1981): Wortbildung, Darmstadt. Lutzeier, Peter Rolf (1985): Linguistische Semantik, Stuttgart (= Sammlung Metzler, Band 219). Marchand, Hans (1960, 1969): The categories and types of present-day English wordformation: a synchronic-diachronic approach, Wiesbaden. Matussek, Magdalena (1994): Wortneubildung im Text, Hamburg. Meier, Georg F. (1961): Das Zero-Problem in der Linguistik, Berlin. Müller-Bollhagen, Elgin (1985): Überraschungsfrikadelle mit Chicoreegemüse und Folienkartoffel. Zur Frage "Usuelle oder nichtusuelle Wortbildung?", untersucht an Substantivkomposita in Kochrezepten. In: Studien zur deutschen Grammatik, Festschrift J. Eiben, Innsbruck, S. 225-237. Naumann, Bernd (1985): Konversion. In: ZfdA 114, S. 277-288. - (1994): Überlegungen zu einem Dialogbegriff als Handlungsspiel: Gestik und Mimik im Gespräch und in der Gesprächsanalyse. In: Edda Weigand (Hg.), Concepts of Dialogue, Tübingen, S. 1-13. - (1995):Mailbox Chats: Dialogues in Electronic Communication. In: Future Perspectives of Dialogue Analysis, Tübingen, S. 163-184. - (1998): Stirbt die deutsche Sprache? Überlegungen zum Sprachwandel durch IRC (Internet Relay Chat). In: Sv6tla Cmejrkovä/Jana Hoffinannovä/Olga Müllerovä/Jindra Sv6tlä (Hg.), Dialoganalyse VI. Referate der 6.Arbeitstagung, Prag 1996, Tübingen, S. 249-262. Naumaann, Bernd/Vogel, Petra Maria (2000): Derivation. In: G.Booij/Chr.Lehmann/J.Mugdan (ed.), Morphology. A Hand-book, Berlin u.a. Olsen, Susan (1986): Wortbildung im Deutschen, Stuttgart. Ong, Walter (1987): Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, Opladen. Ortner, Hanspeter (1984): Neuere Literatur zur Wortbildung. In: Deutsche Sprache 12, S. 141-158. Ortner, Hanspeter/Ortner, Lorelies (1984): Zur Theorie und Praxis der Kompositaforschung, Tübingen. Paul, Hermann ([1880] 91975): Prinzipien der Sprachgeschichte, Tübingen. - ([1920] 41959): Deutsche Grammatik, Band V: Wortbildungslehre, Halle. Peuser, Günter (1978): Aphasie, München. Poeck, Klaus (Hg.) (1992): Klinische Neuropsychologic, Stuttgart, New York 1982. Plank, Frans (1981): Morphologische (Irregularitäten: Aspekte der Wortstrukturtheorie, Tübingen. Polenz, Peter von (1972): Neue Ziele und Methoden der Wortbildungslehre. In: PBB 94 , S. 204-225 und S. 398-428. - (21980): Wortbildung. In: LGL, S. 169-180. Püschel, Ulrich (1978): Wortbildung und Idiomatik. In: ZGL 6, S. 151-167. Ramge, Hans (21975): Spracherweib. Grundzüge der Sprachentwicklung des Kindes, Tübingen. Römer, Ruth (1968): Die Sprache der Anzeigenwerbung, Düsseldorf. Sabourin, C.-F. (1994): Computer Mediated Communication: Computer Conferencing - Electronic Mail Electrionic Publishing - Computer Interviewing - Interactive Text Reading - Group Decision Support Systems - Idea Generation Support Systems - Human Machine Communication - Multi Media Communication - Hypertext - Hypermedia - Linguistic Games, 2 vols. Montreal. Sandig, Barbara (1978): Stilistik: Sprachpragmatische Grundlegung der Stilbeschreibung, Berlin. Schippan, Thea (21987): Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache, Leipzig. Schlaefer, Michael (1977): Die Adjektive auf -isch in der deutschen Gegenwartssprache, Heidelberg. Schmidt, Gerd (?) Dieter (?) (1987): Das Affixoid. Zur Notwendigkeit und Brauchbarkeit eines beliebten Zwischenbegriffs in der Wortbildung. In: G.Hoppe u.a. (Hg): Deutsche Lehnwortbildung, Tübingen. Schmitz, Ulrich (Hg.) (1995): Neue Medien, Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, Band 50. Schnerrer, Rosemarie (21982): Funktionen des Wortbildungsmorphems un- in der deutschen Gegenwartssprache. In: Beiträge zur Erforschimg der deutschen Sprache, S. 22-51. Schröder, Marianne (1978): Über textverflechtende Wortbildungselemente. In: DaF 15, 85-92. Schwatz, Monika/Chur, Jeannette (1993): Semantik. Ein Arbeitsbuch, Tübingen.

90 Seppänen, L. (1978): Zur Ableitbarkeit der Nominal-Komposita. In: ZGL 6, S. 133-150. Shaw, J. Howard (1979): Motivierte Komposita in der deutschen und englischen Gegenwartssprache, Tübingen. Sowinski, Bernhard (1973): Deutsche Stilistik, Frankfurt. Spycher, P.C. (1955 und 1957): Die Struktur der Adjektive auf -ig und -lieh in der deutschen Schriftsprache der Gegenwart. In: Orbis IV, S. 74-89 und VI, S. 410-426. Stachowiak, Franz-Josef (1979): Zur semantischen Struktur des subjektiven Lexikons, München. Stepanowa, Maria (1979): Norm und System in der Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. In: Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsbericht 63, S. 61-72. Toman, Jindrich (1983): Wortsyntax. Eine Diskussion ausgewählter Probleme deutscher Wortbildung, Tübingen. Ulimann, Stephen (1957): The principles of semantics, Oxford (dt. Grundzüge der Semantik, Berlin 1972). Ulrich, Winfried (1972): Morphologische und semantische Motivation in der deutschen Wortbildung. In: Muttersprache 82, S. 281-290. - (1973): Das Tierreich in der deutschen Wortbildung - Ein Exempel zum Verhältnis von Linguistik und Deutschunterricht. In: DU 25, S. 5-18. Urbaniak, Gertrud (1983): Adjektive auf -voll, Heidelberg. Uäakowa, Tatjana N. (1976): Children's word creation. In: Soviet studies in language and language behavior, hg. von J. Prcha, Amsterdam, S. 165-175. Vögeding, Joachim (1981): Das Halbsuffix -frei. Zur Theorie der Wortbildung, Tübingen. Vogel, Petra Maria (1996): Wortarten und Wortartenwechsel. Zu Konversion und verwandten Erscheinungen im Deutschen und in anderen Sprachen, Berlin u.a. Wellmann, Hans (1975): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Das Substantiv, Düsseldorf. - (Hg) (1993): Synchrone und diachrone Aspekte der Wortbildung im Deutschen, Heidelberg. Werner, Anja (1985): Blockierungsphänomene in der Wortbildung. In: Papiere zur Linguistik 52, S. 4365. Werner, Otmar (1988): Mundartliche Enklisen bei Schindler und heute. In: L.M.Eichinger/ B.Naumann (Hg): Johann Andreas Schmeller und der Beginn der Germanistik, München, S. 127-147. Wichter, Sigurd (1991): Zur Computerwortschatz-Ausbreitung in die Gemeinsprache. Elemente der vertikalen Sprachgeschichte einer Sache, Frankfurt u.a. Wilmanns, Wilhelm (1896): Deutsche Grammatik, Abt.II: Wortbildung, Straßburg. Wilss, Wolfram (1986): Wortbildungstendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Theoretische Grundlagen-Beschreibung-Anwendung, Tübingen. Wladowa, E. W. (1975): Okkasionelle Wortbildungen mit dem gleichen Stamm als Satz- und Textverflechtungsmittel (nachgewiesen an E. Strittmatter "Ole Bienkopp", Aufbau-Verlag Berlin 1963). In: Textlinguistik 4, S. 71-87. Ziff, Paul (1972): What is Said. In: Semantics of natural languages, hg. Von D. Davidson u. G. Harman, Dordrecht, S. 709-721. Zimmer, Dieter (1995): Sonst stirbt die deutsche Sprache. In: Die Zeit Nr. 26 vom 23.6., S.42.