Einführung in die organische Chemie [3. Aufl. Reprint 2018] 9783111507446, 9783111140292

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Einführung in die organische Chemie [3. Aufl. Reprint 2018]
 9783111507446, 9783111140292

Table of contents :
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 2. und 3. Auflage
Inhaltsübersicht
1. Kapitel Die Grundlagen der organischen Chemie
I. Teil: Die Hauptklassen der organischen Verbindungen
2. Kapitel: Die Kohlenwasserstoffe
3. Kapitel: Die organischen Halogenverbindungen
4. Kapitel: Die einfachen organischen Sauerstoffverbindungen
5. Kapitel: Verbindungen mit mehreren Sauerstoff- Funktionen im Molekül
6. Kapitel: Die organischen Stickstoffverbindungen
7. Kapitel: Die organischen Verbindungen der übrigen Heteroelemente
8. Kapitel: Die cyclischen Verbindungen
9. Kapitel: Verbindungen mit anomalen Funktionen
II. Teil: Sondergebiete
10. Kapitel: Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz
11. Kapitel: Die zwischenmolekularen Beziehungen
12. Kapitel: Die Stereo- oder Raumchemie
13. Kapitel: Die organischen Mineralien
14. Kapitel: Die organischen Farbstoffe
15. Kapitel: Die Zucker oder Kohlenhydrate
16. Kapitel: Sonstige stickstofffreie Naturstoffe
17. Kapitel: Die stickstoffhaltigen Naturstoffe
18. Kapitel: Die Wirkstoffe
Autorenregister
Sachregister

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F R I E D R I C H KLAGES E I N F Ü H R U N G IN DIE ORGANISCHE CHEMIE

E I N F Ü H R U N G IN D I E O R G A N I S C H E CHEMIE VON DK. F R I E D R I C H K L A G E S P R O F E S S O R D E R ORGANISCHEN C H E M I E AN D E R U N I V E R S I T Ä T M Ü N C H E N

3. AUFLAGE

MIT 50 A B B I L D U N G E N , 25 T A B E L L E N , i F O R M E L T A F E L N UND 17 R A U M B I L D E R N

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J. G U T T E N T A G , V E R L A G S B U C H H A N D L U N G • GEORG R E I M E R . K A R L J. T R Ü B N E R • V E I T & COMP.

B E R L I N 1969

© Copyright 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. GÖschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit ci3"-p-DichIor-cyclohexan

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/CH«—CH,X

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CH2—CH/

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„trans"-p-DIchlor-cyclohexan

IV. Analyse und Konstitutionsermittlung Eine der interessantesten Aufgaben der organisch-chemischen Forschung besteht in der Aufstellung und dem exakten Beweis der Konstitutionsformeln der zahlreichen Kohlenstoff Verbindungen. Dieses Ziel ist um so schwerer zu erreichen, als man die Moleküle wegen ihrer Kleinheit nicht einzeln ,,in die Hand nehmen" und untersuchen kann, sondern seine Schlüsse stets nur indirekt aus dem chemischen oder physikalischen Verhalten einer sehr großen Zahl von Molekülen ziehen muß. Man glaubte deshalb anfangs vielfach sogar, daß derartige Konstitutionsbestimmungen nicht allgemein durchführbar seien. Dieser Pessimismus war jedoch ungerechtfertigt, und es sollen im folgenden die wichtigsten chemischen Wege zur Ermittlung der Struktur organischer Stoffe kurz erörtert werden. I. Die Aufstellung der Summenformel Jeder Versuch einer Konstitutionsbestimmung setzt die genaue Kenntnis der Zahl und der Art der Atome voraus, die das Molekül zusammensetzen. Man muß also stets mit der Aufstellung der Summenformel beginnen. Hierzu sind erforderlich: a) die Elementaranalyse und b) die Molekulargewichtsbestimmung. a) Die E l e m e n t a r a n a l y s e Zur quantitativen Erfassung der in einer organischen Substanz enthaltenen Elemente ist es notwendig, das Molekül vollständig zu zerstören und die verschiedenen Atomarten einzeln zu bestimmen (Elementaranalyse). Hierzu dienen die folgenden Verfahren, die früher meistens mit 100—300 mg (Makronalyse), heute dagegen mit 20—50 mg (Halbmikroverfahren) oder gar nur 3—5 mg des betreffenden Stoffs (Mikroanalyse) durchgeführt werden. 1. Die Bestimmung von Kohlenstoff und Wasserstoff geschieht seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts stets gemeinsam nach dem Verfahren von J . v. LIEBIG. Dieses beruht auf einer vollständigen Verbrennung der organischen Substanz (mit Kupferoxid oder elementarem Sauerstoff an Platinkontakten) und der quantitativen Erfassung der Verbrennungsprodukte Kohlendioxid und Wasser. 2. Auch bei der Stickstoffbestimmung nach J . B. DUMAS, die ebenfalls aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammt, wird die Substanz vollständig verbrannt. Hierbei liefern alle stickstoffhaltigen Gruppen elementaren Stickstoff, dessen Menge, da sämtliche anderen gasförmigen Verbrennungsprodukte von konzentrierter Kalilauge absorbiert werden, leicht gasometrisch gemessen werden kann. 8. Die Bestimmung von Sauerstoff geschah bis zum ersten Weltkrieg ausschließlich indirekt durch Berechnung aus der Differenz der Summe der Gehalte aller übrigen Elemente gegen 100%. Erst in neuerer Zeit sind auch verschiedene Methoden zur direkten Erfassung des Sauerstoffs 2*

20

Kap. 1, I V : Analyse und Konstitutionsermittlung

entwickelt worden, bei denen er quantitativ in die analytisch leicht bestimmbaren Verbindungen Wasser oder Kohlenoxid übergeführt wird (Näheres vgl. I, Kap. 1, V, l a ) . 4. Zur Bestimmung der übrigen Nichtmetalle wird die Substanz meistens nach L. C A R I U S (im Bombenrohr mit konzentrierter Salpetersäure) oder in der W U R T Z S C H M I T T bombe (mit Natriumperoxid) aufgeschlossen, d. h. wiederum vollständig verbrennt, wobei die betreffenden Elemente in ihre stabilsten, analytisch leicht erfaßbaren Oxydationsstufen übergehen. Die eigentliche Bestimmung der Elemente geschieht dann nach anorganischen Verfahren. 5. Die Metalle werden durch Verglühen der organischen Substanz an der L u f t oder durch Abrauchen mit konzentrierter Schwefelsäure in die Oxide, Carbonate oder Sulfate übergeführt und dann entweder direkt gewogen oder ebenfalls mit Hilfe anorganischer Methoden bestimmt.

Als Ergebnis der Elementaranalyse erhält man zunächst die Gehalte an den einzelnen Elementen in Gewichtsprozenten. Hieraus errechnen sich durch Division der Gewichtsanteile der einzelnen Atomarten durch die betreffenden Atomgewichte die Atomanteile, die man schließlich auf die kleinstmöglichen ganzen Zahlen bringt, um zu der auf S. 11 definierten Verhältnisformel zu gelangen. Beispielsweise besteht die Essigsäure nur aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Sie liefert bei der C,H-Bestimmung einen Kohlenstoffgehalt von 39,98% und einen Wasserstoffgehalt von 6,71%, woraus sich f ü r den Sauerstoff (aus der Differenz gegen 100%) ein Gehalt von 53,31% errechnet. Dividiert man nun diese Zahlen durch die Atomgewichte (C: 12,01, H : 1,008, 0: 16,00), so gelangt man zu den Atomanteilen ^ o ^ t s , , 3 ; t o > die in leicht ersichtlicher Weise der Verhältnisformel C 1 H 2 0 1 entsprechen.

b) Die M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g Wie schon auf S. 12 betont, ist die Summenformel einer Verbindung gleich einem ganzzahligen Vielfachen der Verhältnisformel. Die Zahl, mit der die letztere multipliziert werden muß, erhält man am besten aus dem Molekulargewicht, da dieses definitionsgemäß gleich demselben Vielfachen des Gewichts der in der Verhältnisformel zusammengefaßten Atome ist. Das Molekulargewicht gestattet uns also die Berechnung der aus der Verhältnisformel.

Summenformel

Zur Bestimmung des Molekulargewichts stehen uns die folgenden Methoden zur Verfügung: 1. Die schon von J. B. D U M A S eingeführte Dampfdichtebestimmung, die unter Berücksichtigung des f ü r alle Gase gleichen Molvolumen von 22,4 Litern (reduziert) direkt das Gewicht eines Mols in g, d. h. also das Molekulargewicht liefert. 2. Die verschiedenen osmotischen Methoden (Näheres vgl. physikalisch-chemische Lehrbücher), von denen vor allem das Verfahren der Gefrierpunktserniedrigung eines geeigneten Lösungsmittels (Kryoskopie) von großer praktischer Bedeutung ist. Aber auch die Siedepunktserhöhung (Ebullioskopie) und die direkte Bestimmung des osmotischen Drucks, letztere besonders bei Stoffen mit sehr hohem Molekulargewicht (sog. makromolekularen Substanzen), finden häufig Anwendung. Schließlich ist es in neuerer Zeit gelungen, ein auf der Dampfdruckerniedrigung beruhendes halbautomatisches Verfahren zu entwickeln. 3. Für die Molekulargewichtsbestimmung makromolekularer Stoffe sind weiterhin in Gebrauch: a) die Berechnung aus der Viskosität der Lösungen (III, Kap. 3, I I , 2 b), b) die Berechnung aus der Sedimentationsgeschwindigkeit oder aus dem Sedimentationsgleichgewicht, die man beide am besten nach T H . S V E D B E R G mit Hilfe der Ultrazentrifuge mißt, c) die Berechnung aus der Diffusionsge&chwindigkeit (z. B. durch Membrane) sowie schließlich d) eine Reihe weiterer, mehr physikalischer Verfahren.

21

2 a: Das Gesetz der paaren Atomzahlen

Alle diese Molekulargewichtsbestimmungsmethoden sind relativ ungenau und weisen eine Fehlergrenze zwischen i 5 und zu 10% auf (bei makromolekularen Stoffen u. U. sogar noch mehr). Diese Ungenauigkeit ist aber kein wesentlicher Nachteil, da sich das exakte Molekulargewicht leicht nachträglich aus der Summenformel ( = Summe der Atomgewichte, vgl. S. 12) errechnen läßt. Zur Abschätzung des Multiplikators der Verhältnisformel genügt aber u. U. eine noch gröbere Annäherung. Beispielsweise ergibt sieh bei der oben erwähnten Essigsäure selbst für den Fall, daß das gefundene Molekulargewicht um ± 17% um den wirklichen Wert schwankt, d. h. zwischen 50 und 70 liegen würde, noch mit ziemlicher Sicherheit der Multiplikator 2 für das Gewicht der in der Verhältnisformel zusammengefaßten Atome; denn sowohl für den Paktor 1 als auch für den Faktor 3 wären die Abweichungen viel zu groß. Mit Hilfe des Multiplikators 2 gelangt man dann zu der Summenformel C 2 H 4 0 2 , aus der sich schließlich an Hand von Atomgewichtstabelten das exakte Molekulargewicht zu 60,052 errechnet.

2. Die Ermittlung der Konstitution Die eigentliche Konstitutionsbestimmung, d. h. die Aufgabe, den Plan des Molekülaufbaus aus den in der Summenformel zusammengefaßten Atomen aufzuklären, kann man häufig durch Anwendung einiger allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, die sich aus der Wertigkeit der Elemente ergeben, sowie durch die sog. Gruppenanalysen wesentlich erleichtern. a) Die s i c h a u s d e r W e r t i g k e i t

der E l e m e n t e

ableitenden

Gesetze

Als Gesetz der paaren Atomzahlen bezeichnet man eine Beziehung zwischen der Wertigkeit der das Grundgerüst eines (nicht-ionisierten) Moleküls aufbauenden mehrwertigen Atome und der Zahl der H-Atome, die die nach außen gerichteten Valenzen des Grundgerüstes besetzen. Enthält das Grundgerüst nämlich nur Elemente mit einer geraden Wertigkeitszahl, so ist die Gesamtzahl der Valenzen dieser Elemente zwangsläufig ebenfalls gerade. Von dieser geraden Valenzzahl werden nun für jede Bindung des Grundgerüstets zwei Valenzen, also wieder eine gerade Zahl benötigt, so daß für die nicht im Gerüst verankerten, durch Wasserstoff abgesättigten Valenzen nur eine gerade Zahl übrigbleiben kann. In analoger Weise wird bei Anwesenheit eines Atoms mit ungerader Wertigkeitszahl im Gerüst die Gesamtzahl der Valenzen und damit auch die Wasserstoff zahl ungerade. Die Wasserstoffzahl eines (nicht ionischen) Moleküls, das außer Wasserstoff nur Atome mit einer geraden Wertigkeitszahl enthält, muß also stets gerade und die eines Moleküls, das außerdem ein Atom (oder eine ungerade Anzahl von Atomen) mit ungerader Wertigkeitszahl enthält, muß ungerade sein. Mit Hilfe dieses Gesetzes der paaren Atomzahlen kann man u. a. nachprüfen, ob eine auf Grund der Elementaranalyse errechnete Bruttoformel überhaupt möglich ist. Findet man etwa infolge nicht sehr exakter Wasserstoffbestimmungen die ungefähren Summenformeln C 12 H 23 , 2 0 14 oder C 12 H 23I7 N 3 , so muß im ersten Fall die Wasserstoffzahl auf 24 (statt 23) und im zweiten Fall auf 23 (statt 24) abgerundet werden.

Ähnlich besagt das Gesetz der minimalen Bindungszahl (Näheres vgl. I, Kap. 1, V, ld), daß ein Molekül nicht mehr einwertige Atome oder Atomgruppen enthalten kann, als die Differenz aus der Gesamtzahl der Valenzen der mehrwertigen Atome und der zur Herstellung der Bindungen zwischen ihnen (für n Atome mindestens n-1 Bindungen zu je zwei Valenzen) benötigten Valenzen beträgt.

22

Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung

Z. B. kann man mit Hilfe des Gesetzes der minimalen Bindungszahl die Summentormeln für alle Paraffine berechnen, die, wie wir auf S. 5 gesehen haben, nur aus C—C- und C—H-Bindungen aufgebaut sind. Die n G-Atome eines jeden Paraffins besitzen nämlich 4 n Valenzen, von denen zur Ausbildung der minimalen Zahl der zum Zusammenhalt des Moleküls erforderlichen n—1 C—C-Bindungen 2n—2Valenzen benötigt werden. Es bleiben also 2n+2 Valenzen zur Bindung von Wasserstoff übrig, so daß sich die allgemeine Summenformel CnH2n+2 ergibt.

I

Die Zahl von 2 n + 2 H-Atomen stellt gleichzeitig die Maximalzahl von H-Atomen in einem n C-Atome enthaltenden Kohlenwasserstoff dar. Sie kann auf Grund dieses Gesetzes niemals überschritten werden.

Auch wenn die Wasserstoffzahl geringer ist als die soeben festgelegte Maximalzahl, ergeben sich interessante Schlüsse, denn dann müssen mehr als die Mindestzahl von n—1 Bindungen zwischen den n Gerüstatomen bestehen. D. h. das Molekül muß für jeden Mindergehalt von zwei H-Atomen entweder einen Ring oder eine Doppelbindung enthalten. Hierfür kann als Beispiel wieder die Essigsäure herangezogen werden, deren Summenformel C 2 H 4 0 2 nur vier statt der für zwei C- und zwei O-Atome errechneten Maximalzahl von sechs H-Atomen enthält. Danach muß im Essigsäuremolekül eine Doppelbindung oder ein Ring vorliegen, von denen ersteres auch tatsächlich der Fall ist. b) D i e

Gruppenanalyse

E i n letztes H i l f s m i t t e l der K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g ist d u r c h die Gruppenanalysen gegeben, m i t d e r e n Hilfe — im Gegensatz zu der n u r die E l e m e n t e selbst e r f a s s e n d e n E l e m e n t a r a n a l y s e — bestimmte Atomgruppen bekannter Struktur mit analytischer Genauigkeit e r f a ß t w e r d e n k ö n n e n , so d a ß m a n wenigstens v o n einigen A t o m e n bereits weiß, wie sie z u s a m m e n g e h ö r e n . Die wichtigsten dieser G r u p p e n analysen sind: 1. die acidimetrische T i t r a t i o n organischer Säuren u n d Basen, 2. die B e s t i m m u n g der anorganischen Ionen in d e n Salzen der organischen S ä u r e n und Basen (z.B. von Hai , S O ~ Ba Ag usw.) m i t d e n üblichen anorganischen Analysenmethoden, 3 . die B e s t i m m u n g der Alkoxylgruppen n a c h Z E I S E L u n d v e r w a n d t e M e t h o d e n (z. B. v o n — 0 — C H 3 u n d ^ N — C H 3 , N ä h e r e s vgl. S. 89, 198), 4. die Acylbestimmung ( — 0 — C O — C H 3 und ^ N — C O — R ) , 5. Die B e s t i m m u n g v o n „ a k t i v e m " Wasserstoff n a c h T . vgl. S. 263),

ZEREWITINOFF

(Näheres

6. die Jodzahlbestimmung u n d a n d e r e B e s t i m m u n g s m e t h o d e n f ü r die olefinische Doppelbindung (S. 44), 7. die Jodzahlbestimmung u n d a n d e r e B e s t i m m u n g s m e t h o d e n der A l d e h y d g r u p p e in der Kohlenhydratchemie (S. 427/8). Für unseren speziellen Fall der Essigsäure kann man mit Hilfe dieser Gruppenanalysen die Sonderstellung eines H-Atoms nachweisen; denn dieses gibt sich nicht nur nach Z E R E W I T I N ' O F F als aktiver Wasserstoff zu erkennen, sondern reagiert bereits derart sauer, das man es acidimetrisch titrieren kann. Damit ist aber die Anwesenheit einer Hydroxyl- (wahrscheinlich sogar einer Carboxyl-jgruppe in der Essigsäure sichergestellt. c) D i e e i g e n t l i c h e

Konstitutionsbestimmung

Die Konstitutionsbestimmung selbst wird s t e t s in der Weise d u r c h g e f ü h r t , d a ß m a n die zu u n t e r s u c h e n d e S u b s t a n z so lange chemisch umsetzt (meistens u n t e r Abbau des Kohlenstoffgerüstes), bis m a n zu bekannten Verbindungen k o m m t , u n d d a ß m a n

2 c: Die Konstitutionsbestimmung dann aus der Art der Reaktion und der Reaktionsprodukte bau des ursprünglichen Moleküls zieht.

23 Rückschlüsse auf den Auf-

Alle diese Folgerungen beruhen auf dem Prinzip der geringstmöglichen Strukturänderungen bei chemischen Reaktionen. D. h. man nimmt im Sinne der Ausführungen auf S. 5 an, daß bei jeder Reaktion das Grundgerüst des Moleküls weitmöglichst erhalten bleibt und die Funktionen sich nur insoweit umsetzen, wie es die Reaktionsgleichung angibt. Würde also z. B. beim oxydativen Abbau einer Substanz mit elf G-Atomen die Benzoesäure (S. 141) mit nur sieben G-Atomen als Abbauprodukt entstehen, so kann man mit Sicherheit schließen, daß der Benzolkern der Benzoesäure auch in dem Molekül der ursprünglichen Verbindung enthalten gewesen ist, und daß er genau an der Stelle der COOH-Gruppe eine aus fünf C-Atomen aufgebaute Seitenkette getragen hat: = oder auch eine CH-Oruppe bzw. ein keinen Wasserstoff tragendes C-Atom.

Kap. 2 , 1 : Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine

32

In den vorstehenden rationellen Bezeichnungen wurden die verschiedenen Teile der Namen durch Bindestriche getrennt, nach denen in diesem Fall immer klein weitergeschrieben wird. Diese Einschiebung von Bindestrichen in die Namen organischer Verbindungen erhöht die Übersichtlichkeit und hat sich daher weitgehend eingebürgert. Jedoch liegt keine allgemeine Regelung vor, wann man von ihr Gebrauch machen soll. In vorliegendem Buch sind derartige Bindestriche häufiger als sonst vielleicht üblich angewandt worden, um das Hineindenken in die oft ziemlich komplizierten Namen zu erleichtern. Von den einzelnen C-Atomen der Paraffine geht eine unterschiedliche Zahl von G—G-Bindungen aus, die u. U. für die Eigenschaften des betreffenden Atoms (z. B. die ohne Zerstörung des Kohlenstoffgerüsts erreichbare höchstmögliche Oxydationsstufe) von Bedeutung ist. Man unterteilt die Kohlenstoffatome deshalb vielfach in Abhängigkeit von dieser „Carburierungsstufe" (der Ausdruck wurde in Analogie zum Begriff der Oxydationsstufe geprägt) in die folgenden fünf Gruppen: 1. den miliaren Kohlenstoff der Carburierungsstufe 0. Er ist nur im Methan und anderen Einkohlenstoffverbindungen verwirklicht und kann als einziger ohne Abbau von C—C-Bindungen bis zur Stufe des Kohlendioxids oxydiert werden. 2. den primären Kohlenstoff der Carburierungsstufe 1. Von ihm geht nur eine C—G-Bindung aus, und er steht infolgedessen ausschließlich an den Enden von Kohlenstoffketten (in den Paraffinen als —GH a -Gruppe). Die höchstmögliche erreichbare Oxydationsstufe ist hier die Carboxylgruppe (—COOH). Aber auch die Aldehydgruppe ( — C H = 0 , S. 96) kann nur ein primäres C-Atom enthalten. 3. den sekundären Kohlenstoff der Carburierungsstufe 2. Er trägt bereits zwei C—C-Bindungen und ist das typische C-Atom im Inneren längerer unverzweigter Ketten (z. B. der SyCH2-Oruppe in der Mitte von Paraffinmolekülen). Er kann maximal nur noch bis zur Ketonstufe ( y C = O j oxydiert werden. 4. den tertiären Kohlenstoff der Carburierungsstufe 3. Da von ihm bereits drei C—C-Bindungen ausgehen, kann er sich nur noch an der Verzweigungsstelle einer Kohlenstoffkette befinden und maximal bis zur Alkoholstufe (-)C—OH) oxydiert werden. 5. den quartären Kohlenstoff der Carburierungsstufe 4. Er kommt nur noch in doppelt verzweigten Molekülen (z. B. im 2,2-Dimethyl-propan oder 2,2-Dimethylbutan, S. 31) vor und läßt sich ohne Molekülzerstörung überhaupt nicht mehr oxydieren. r ~ « v > r |[ miliarer

r - P z s V ^ - h primärer

R sekundärer Kohlenstoff

r

V^ tertiärer

r I V J quartärer

2. Darstellung und Eigenschaften der Paraffine Vorkommen. Wegen ihrer Reaktionsträgheit (s. u.) treten die Paraffine als einzige organische Verbindungen in größeren Mengen mineralisch auf (insbesondere im Erdöl [Näheres vgl. S. 390] und in den Erdgasen). Diese Vorkommen dienen als wichtige technische Paraffinquellen, die allerdings mit wenigen Ausnahmen nur Paraffingemische liefern.

2: Die Darstellung von Paraffinen

33

Auch in der belebten Natur wird zuweilen das Auftreten von Paraffinen beobachtet, doch spielen sie hier wegen der gleichen Reaktionsträgheit nur eine untergeordnete Rolle als Nebenprodukte des Stoffwechsels. Erwähnenswert ist lediglich das Auftreten von Methan, das im Rahmen einer Methangärung aus Cellulose entsteht, in den Darm- und Sumpfgasen und die Anwesenheit geringer Mengen von höheren Paraffinen im Bienenwachs als Begleitsubstanz der auf S. 450 beschriebenen Wachsester. F ü r die Darstellung e i n h e i t l i c h e r P a r a f f i n e k o m m e n h a u p t s ä c h l i c h in B e t r a c h t : 1. D i e r e d u k t i v e A b s p a l t u n g negativer Liganden v o m K o h l e n s t o f f , 2. die H y d r o l y s e metallorganischer Verbindungen, 3. die H y d r i e r u n g v o n Olefinen ( N ä h e r e s vgl. S. 44) u n d 4. die S y n t h e s e a u s V e r b i n d u n g e n geringerer Kohlenstoff zahl. Zu 1. D i e Reduktion negativer Substituenten d e s K o h l e n s t o f f s , i n s b e s o n d e r e v o n C—O-Bindungen, g e s c h i e h t a m l e i c h t e s t e n m i t H i l f e v o n Jodwasserstoff. Dieser t a u s c h t m e i s t e n s z u n ä c h s t d e n s a u e r s t o f f h a l t i g e n L i g a n d e n (X) g e g e n J o d a u s , d a s d a n n (in U m k e h r u n g d e r auf S. 67 b e s c h r i e b e n e n H a l o g e n i e r u n g s r e a k t i o n ) r e l a t i v leicht d u r c h Wasserstoff „substituiert" wird: Alk—X + H:—J

~HX .

+ J

Alk:—J

~H »

Alk—H + J — J

Zur Regeneration des teuren Jodwasserstoffs setzt man der Reaktion häufig roten Phosphor zu, der mit dem abgeschiedenen Jod in P J 3 übergeht, das seinerseits durch Hydrolyse den Jodwasserstoff zurückbildet. In diesem Fall kann man direkt von einer durch Jodwasserstoff katalysierten Reduktion mit rotem Phosphor sprechen. Auch der doppelt gebundene Sauerstoff der Ketone kann nach einigen speziellen Verfahren direkt durch zwei H-Atome ersetzt werden (vgl. S. 109). Ein indirekter Ersatz des negativen Liganden X durch Wasserstoff kann schließlich noch durch Abspaltung vonHX zum Olefin (S. 40) mit anschließender Hydrierung der C=C-Doppelbindung (S. 44) oder, falls X ein Halogenatom ist, über die ORlaA"A RD Verbindungen (S. 266) und deren Hydrolyse (vgl. Punkt 2) erreicht werden. Zu 2. D i e w i c h t i g s t e n metallorganischen Verbindungen (S. 263) mit Wasser sofort unter Bildung von CH-Verbindungen: Alk—Me + H — 0 — H



Alk—H +

hydrolysieren

MeOH

In analoger Weise werden alle Leichtmetallcarbide schon durch Wasser sofort zu Kohlenwasserstoffen hydrolysiert, jedoch entstehen hierbei in Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Carbids häufig auch ungesättigte Verbindungen (z. B. Acetylen aus Calciumcarbid, S. 54). Ein einheitliches Paraffin, und zwar speziell Methan, liefert von den bekannteren Carbiden nur das Aluminiumcarbid: C3AI4 + 12 H 2 0 > 3 CH 4 4- 4 Al(OH) 3 Zu 4. D i e Synthese eines Paraffins ist u . a. d u r c h Z u s a m m e n s c h l u ß zweier Alkylr e s t e m ö g l i c h . D a s b e k a n n t e s t e d e r a r t i g e V e r f a h r e n ist die W u r t z s e h e Synthese, die f o r m a l in d e r W e i s e v e r l ä u f t , d a ß m i t H i l f e v o n freien Metallen ( m e i s t e n s Natrium, Zink, Kupfer o d e r Silber) d a s H a l o g e n a u s zwei Alkylhalogenidmolekülen herausg e s p a l t e n w i r d , w o r a u f h i n sich die e n t s t e h e n d e n A l k y l r e s t e z u m Paraffinmolekül v e r e i n i g e n (bez. d e s M e c h a n i s m u s vgl. S. 2 6 3 ) : Alk

Hai -

Alkylhalogenid

2 Me -- Hai

Alk'

Alkylhalogenid



Alk—Alk' + 2 Mo Hai Paraffin

Die präparative Bedeutung der Synthese wird durch zahlreiche Nebenreaktionen stark vermindert. Z. B. entstehen bei Ungleichheit der Reste Alk und Alk' außer Alk—Alk' auch die 3

K1 a g e s , E i n f ü h r u n g org. Chemie

34

Kap. 2 , 1 : Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine

Paraffine Alk—Alk und Alk'—Alk'. Ferner findet häufig eine Disproportionierung der beiden Alkylreste unter Wanderung eines H-Atoms statt. Hierbei wird der eine Alkylrest unter Wasserstoffaufnahme in ein Paraffin gleicher Kohlenstoffzahl und der andere durch Wasserstoffabgabe in ein Olefin (vgl. S. 38f.) ebenfalls gleicher Kohlenstoffzahl umgewandelt: Alk—CHj—CH 2 —Hai

Alk—CH2—CH3

+ 2 Me - 2 MeHal

+ Alk—CII 2 —CH 2 —Hai

Paraffin

+ Alk—CH=CH 2

Olefin

Auf einem ähnlichen Zusammenschluß zweier Alkylreste beruht die K O L B E sehe Synthese, die bei der Elektrolyse der Salze von Garbonsäuren (S. 128) vor sich geht. Vermutlich entsteht bei der Entladung der Anionen zunächst das sauerstoffhaltige freie Radikal I, das sofort Kohlendioxid unter Bildung des freien Allcylradikals I I verliert, und erst dieses dimerisiert dann zu dem Paraffin Alk—Alk: O Alk—C—Ol

0 + e

.

Alk—C—0I

~C0'-

AlkIi



V2 Alk—Alk

Physikalische Eigenschaften. Der Aggregatzustand der organischen Stoffe hängt hauptsächlich von den zwischenmolekularen Kräften ab, die in leicht verständlicher Weise mit der Molekülgröße zunehmen (vgl. auch S. 355). Infolgedessen beobachtet man bei den Paraffinen (und ähnlich auch in anderen homologen Reihen) ein mit zunehmender Molekülgröße stetiges Ansteigen der Siede- und Schmelztemperaturen. Wie Tabelle 1 erkennen läßt, sind die niederen Paraffine bis zum Butan bei Raumtemperatur gasförmig, die mittleren flüssig und die höheren Normalparaffine (von C^Hgj ab) fest. Beim Nonadecan erreicht der Siedepunkt bereits die Zersetzungstemperatur. Höhere Paraffine können deshalb nur im Vakuum oder Hochvakuum destilliert werden. Beim Vergleich mit anderen organischen Verbindungen gilt mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. S. 73) die Regel: Paraffine und andere Kohlenwasserstoffe zeigen von allen organischen Stoffen gleicher Kohlenstoffzahl jeweils die niedrigsten Siedepunkte. Die Schmelzpunkte der Isoparaffine liegen meistens wesentlich tiefer als die der n-Paraffine, weil sich die verzweigten Moleküle im allgemeinen schwieriger in ein Kristallgitter einbauen lassen als die Moleküle mit streng linearer Kohlenstoffkette. Viele Isoparaffine konnten sogar überhaupt noch nicht zur Kristallisation gebracht werden. Nur bei sehr regelmäßiger Molekülgestalt beobachtet man höhere Schmelzpunkte, die u. U. die der isomeren n-Paraffine um mehr als 100° übersteigen. Hierfür seien zwei charakteristische Beispiele angeführt, deren symmetrisches Bauprinzip man durch die eingeklammerten Kurznamen, denen nicht mehr die längste Kohlenstoffkette als Hauptkette zugrunde liegt, treffend zum Ausdruck bringen kann:

2,2-Dlmethylpropan (Tetramethyl-methan) Schmp. — 20'

2,2,3,3-Tetramethylbutan (Hexamethyl-äthan) Schmp. + 104"

Hinsichtlich der Lösungseigenschaften nehmen die Paraffine eine dem Wasser und wasserähnlichen Stoffen extrem entgegengesetzte Stellung ein. Sämtliche C—C-

35

2: Die Paraffineigenschaften Tabelle 1 Die physikalischen Daten einiger Paraffine 1. normale Paraffine Formel CH4 C2H„ C3H8 C4H10 C5H12 C6H14 CSH18 CIOH 2 2

CHH24 C15H32 C2H42 C21H14 C 30 H 62

C5OH102

Name Methan Äthan Propan Butan Pentan Hexan Octan1) Decan 1 ) Undecan2) Pentadecan Eikosan Heneikosan Triakontan Pentakontan Heptakontan

Siedepunkt —164» — 89 — 45 -F 1 36 69 126 173 195 271 205/15 mm 219/15 mm 304/15 mm 200/M. D. 3 ) 300/M. D. 3 )

Schmelzpunkt —184° —172 —190 —135 —131 — 94 — 57 — 30 — 27 10 38 40 66 92 105

Dichte/Temp. (flüssig) 0,415/—164° 0,546/—89 0,584/—45 0,600/0 0,634/15 0,660/20 0,704/18 0,730/20 0,741/20 0,769/20 0,778/38 0,740/100 — — —

') Häufig auch mit k geschrieben, also Oktan und Dekan. ) Streng genommen Hendecan, doch hat sich hier inkonsequenterweise die aus dem lateinischen abgeleitete Bezeichnung Undecan eingebürgert. a ) Molekulardestülation. 2

und C—H-Gruppen werden nämlich von Wasser nicht benetzt (Näheres vgl. S. 359). Infolgedessen lösen sich die Paraffine nicht in Wasser und werden auch von Wasser nicht gelöst. Solche Stoffe nennt man hydrophob (von griech. uScop = Wasser und Alk—C—CH,—Alk' °* y " > Alk—COOH +' HOOC—Alk' ' dation Die Reaktion war im letzten Krieg von Bedeutung f ü r die Seifenherstellung 5. Die auf S. 41 näher beschriebene Dehydrierung.

aus

Hartparaffin.

Einzelverbindungen: M e t h a n C H 4 , d a s A n f a n g s g l i e d d e r P a r a f f i n r e i h e , n i m m t i n m a n c h e r B e z i e h u n g e i n e S o n d e r s t e l l u n g e i n u n d s t e h t d e r atiorganischen Chemie n o c h n a h e . Z. B . i s t seine G e w i n n u n g a u s Aluminiumcarbid (S. 33) d u r c h a u s m i t d e r D a r s t e l l u n g d e r flüchtigen Hydride a n d e r e r E l e m e n t e a u s deren Metalld e r i v a t e n v e r g l e i c h b a r . E b e n s o i s t d e r o b e r h a l b 1000° i n s t ä r k e r e m G r a d e e i n t r e t e n d e Z e r f a l l d e s M e t h a n s i n seine E l e m e n t e e i n e t y p i s c h anorganische Reaktion. Methan k o m m t a l s H a u p t b e s t a n d t e i l d e r Gruben- u n d Erdgase i n g r ö ß e r e n M e n g e n mineralisch v o r . F e r n e r e n t s t e h t es a l s N e b e n p r o d u k t d e r Kohlehydrierung (S. 389). E s ist d a h e r ein leicht zugänglicher Stoff, dessen chemische V e r w e r t u n g , abgesehen v i e l l e i c h t v o n d e r C h l o r i e r u n g z u Methylenchlorid (S. 72), n o c h i n d e n A n f ä n g e n s t e c k t . T e c h n i s c h d i e n t es i n d e r H a u p t s a c h e a l s Brennstoff sowie a l s Wasserstoffquelle f ü r H y d r i e r u n g s r e a k t i o n e n . I n l e t z t e r e m F a l l w i r d es m i t Wasser z u n ä c h s t zu Kohlenoxid u n d Wasserstoff u m g e s e t z t , v o n d e n e n d a s K o h l e n o x i d d u r c h ein z w e i t e s W a s s e r m o l e k ü l w e i t e r z u m Kohlendioxid oxydiert werden kann. I m ganzen e n t s t e h e n auf diese W e i s e a u s e i n e m Mol Methan v i e r Mole elementarer Wasserstoff: CH 4 + 2H a O



C0 2 + 4 H 2

Bemerkenswert ist seine Stabilität bei Temperaturen unter 500°, auf Grund deren es zu den schwerst entzündlichen Kohlenwasserstoffen zählt 1 ). Es ist infolgedessen ein sehr „klopffester" Treibstoff, dessen Anwendbarkeit allerdings durch die mangelnde Komprimierbarkeit zu einem „Flüssiggas" etwas eingeschränkt wird. Äthan C 2 H 6 , das nächst höhere Homologe des Methans, begleitet dieses in geringen Mengen in den Gruben- und Erdgasen sowie als Nebenprodukt der Kohlehydrierung. Seine technische Bedeutung als Einzelverbindung ist jedoch gering. Propan C 3 H 8 , n-Butan C 4 H 10 und Isobutan CH 3 —CH(CH 3 )—CH 3 entstehen hauptsächlich als Nebenprodukte bei den verschiedenen Verfahren der Erdölaufbereitung (S. 391/2). Da sie sich leicht unter Druck verflüssigen lassen, finden sie zusammen mit den Olefinen gleicher Kohlenstoffzahl (S. 47) technische Anwendung als Flüssiggas, d. h. als leicht vergasender, in Druckflaschen jedoch flüssiger und ein nur geringes Volumen beanspruchender Brennstoff. Iso-octan (2,2,4-Trimethyl-pentan) (CH 3 ) 3 C—CH 2 —CH(CH 3 ) 2 besitzt bereits ein stark verzweigtes Molekül und ist als einziges einheitliches höheres Paraffin von Interesse als klopffester Fliegertreibstoff. Seine technische Gewinnung erfolgt u . a . d u r c h „Alkylierung" von Isobutan mit Isobuten (vgl. S. 45). I m G e g e n s a t z zu d e n E i n z e l v e r b i n d u n g e n f i n d e n P a r a f f i n g e m i s c h e , d i e sich wegen der ähnlichen Siedepunkte der K o m p o n e n t e n n u r schwer in ihre Bestandteile Beispielsweise wird ein Methan-Luft-Gemisch im Gegensatz zum Knallgas an einem schwach glühenden Platinkontakt noch nicht entzündet. Auf Grund dieses unterschiedlichen Verhaltens kann man Wasserstoff bei der Gasanalyse neben Methan selektiv verbrennen.

38

Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

zerlegen lassen, eine verbreitete Anwendung in der organischen Chemie (bez. ihrer Verwendung als Brennstoffe vgl. S. 391). Die wichtigsten dieser Paraffingemische sind: 1. die zwischen 30 und 80° übergehenden, hauptsächlich die isomeren Pentane bis Heptane enthaltenden Paraffinfraktionen, die Gasoline oder (in Anlehnung an den ähnlich siedenden Äther) Petroläther genannt werden. Man unterteilt sie weiter in den niedrigsiedenden (Sdp. 30—50°) und den hochsiedenden Petroläther (Sdp. 50—80°), die beide wichtige Lösungsmittel darstellen. 2. die zwischen 60 und 180° siedenden Benzine. Sie zerfallen bei der Feinfraktionierung in Leichtbenzin (Sdp. 60—110°), Schwerbenzin (100—150°) und Ligroin oder Lackbenzin (150—180°). Alle drei Fraktionen dienen ebenfalls als Lösungsmittel. 3. das kristallisierte Hartparaffin. E s besteht zur Hauptsache aus n-Paraffinen mit 24—40 C-Atomen im Molekül und schmilzt zwischen 50 und 60°. Es dient in der Technik zur Kerzenherstellung und als Ausgangsmaterial für die Paraffinoxydation (S. 37). 4. ein Weichparaffin genanntes, etwa tiefer schmelzendes Material, das bereits geringe Mengen von Iaoparaffinen enthält und technische Anwendung als Paraffinwachs findet. 5. das Paraffinöl. Es stellt ein ziemlich dickflüssiges Gemisch zahlreicher Isoparaffine mittlerer Molekülgröße dar (C 20 —C 40 ) und enthält keine kristallisierenden Bestandteile mehr. Auch die mineralischen Schmieröle bestehen zum wesentlichen Teil aus derartigen Isoparaffinen. 6. makromolekulare Paraffine. Sie entstehen bei der Polymerisation von Olefinen und sind z. T. wichtige Kunststoffe. Insbesondere Polyäthylen, einer der häufigsten Kunststoffe überhaupt, gehört diesem Verbindungstypus an. Es verdankt seine wertvollen Eigenschaften u. a. dem Umstand, daß es sich als Paraffin fast allen Chemikalien gegenüber indifferent verhält, und daß es keinen „Weichmacher" benötigt. Makromolekulare Isaparaffine liegen im Polypropylen und Polyisobutylen vor.

II. Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe Sind in einem Kohlenwasserstoff neben einfachen C—C-Bindungen auch ( 7 = 0 Doppel- oder C=C-Dreifachbindungen enthalten, so sinkt auf Grund des Gesetzes der minimalen Bindungszahl (S. 21) die Zahl der H-Atome unter die dort errechnete Maximalzahl von 2n + 2 ab. Derartige Substanzen sind also nicht mehr an Wasser stoff „gesättigt" und werden aus diesem Grunde ungesättigte Kohlenwasserstoffe genannt. Man unterteilt sie in 1. die Olefine oder Alkene mit einer C=C-Doppelbindung, 2. die Poly-olefine mit mehreren C=C-Doppelbindungen und 3. die Acetylene oder Alkine mit einer oder mehreren C=C-Dreifachbindungen im Molekül. 1. Die Olefine Die Olefine (zur Unterscheidung von den Polyolefinen zuweilen auch Monoolefine genannt) sind Kohlenwasserstoffe, die außer C—H- und C—-C-Einfachbindungen eine (und im engeren Sinne auch nur eine)^0=C-Doppelbindung im Molekül enthalten. Sie stellen also typische organische Substanzen gemäß der auf S. 5 gegebenen Definition dar, deren Moleküle neben einem paraffinartigen Bezirk eine reaktionsfähige Stelle enthalten, eben die C=C-Doppelbindung. Sie ist für den chemischen Charakter der ganzen Verbindungsklasse verantwortlich und kann als Funktion im dort angegebenen Sinne betrachtet werden.

Auf S. 22 haben wir gesehen, daß pro Doppelbindung zwei H-Atome weniger vom Kohlenstoffgerüst gebunden werden als beim ausschließlichen Vorliegen von Einfachbindungen. Die Olefine müssen also gegenüber den Paraffinen eine um zwei verminderte Wasserstoffzahl besitzen, d. h. die allgemeine Summenformel CnH2 n aufweisen. Da diese Formel durch die Zahl der

1: Die Olefine, Allgemeines

39

C-Atome n teilbar ist, ergibt sich für sämtliche Olefine unabhängig von ihrer Molekülgröße die gleiche Verhältnisformel CH2. Man vermag deshalb auf Grund der Elementaranalyse allein nicht zwischen einzelnen Olefinen zu unterscheiden. Im übrigen lassen sich die Olefine wie die Paraffine zu einer homologen Reihe zusammenfassen.

Die rationellen Namen der Olefine leiten sich von denen der Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl durch Ersatz der Endung -an durch die neue Endung -en (früher auch -ylen) ab. Dem Äthan entspricht also das Athen H 2 C=CH 2 (meistens Äthylen genannt), dem Propan das Propen (oder Propylen) H 2 C=CH—CH 3 und dem allgemeinen Namen Älkan die Bezeichnung Alken für ein Olefin schlechthin. Vom n-Buten ab muß man mit einer weiteren, durch die Lage der Doppelbindung in der Kette bedingten Isomeriemöglichkeit rechnen. Man kennzeichnet diese Lage, ähnlich wie die Stellung der Paraffinseitenketten, durch Anführung der Nummer desjenigen C-Atoms, von dem aus sieh die Doppelbindung zum nächst höheren C-Atom erstreckt, und zwar steht die Zahl hier am Ende des Namens. Außer dieser Stellungsisomerie beobachtet man die bereits auf S. 17f. beschriebene geometrische Isomerie, so daß sich beispielsweise für das n-Buten drei Isomere ergeben: H

,H

11

C II 3

H 2 C=CH—CH 2 —CH3

H3C Buten-l oder o-Butylen

CH3 eis-

H3C

Buten-2 oder ß-Butylen

H tran9-

Statt der Nummern dienen in der angedeuteten Weise vielfach auch griechische Buchstaben zur Wiedergabe der Lage der Doppelbindung. Die den Alkylresten entsprechenden ungesättigten Kohlen wasserstotlreste werden durch die Endung -enyl benannt. Einige Beispiele sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt:

I —CH=CH2 —CH ( H—CHj —CH2—CH=CH2 CH2=C—CH2—CH3 —CH2—CH=CH—CH3 Äthenyl(Vinyl-)

Propenyl-1 (Propenyl-)

Propenyl-3 (AUyl-)

Buten-l-yl-2

Buten-2-yl-l

In diesen rationellen Radikalnamen muß man sowohl die Nummer des C-Atoms anführen, von dem die Doppelbindung ausgeht, als auch die desjenigen Atoms, durch das die Bindung des Radikals an das restliche Molekül erfolgt. In der Praxis sind für die einfachsten Radikale die eingeklammerten z.T. wesentlich kürzeren Trivialnamen in Gebrauch. Auch zweiwertige Radikale, die durch eine Doppelbindung an die Hauptkette angeschlossen sind, werden zur Benennung von Olefinen verwandt. Sie führen die Endung -yliden (z. B. Äthyliden H a C—CH= oder Benzyliden C 6 H 6 —CH=).

Vorkommen. Die Olefine treten wegen der Reaktionsfähigkeit der C=C-Doppelbindung nur noch in untergeordneten Mengen als Begleiter der Paraffine mineralisch auf. Dagegen trifft man sie in zahlreichen technischen Produkten, die bei höherer Temperatur entstanden sind, als Vercrackungsprodukte (S. 36) anderer organischer Stoffe an (z. B. im Leuchtgas, im Steinkohlenteer, im Crackbenzin usw.). Ferner sind in der belebten Natur einige kompliziertere Olefine (vor allem die Terpene, S. 450f.) und auch Polyolefine (z. B. der Kautschuk, S. 453) aufgefunden worden. Für die Darstellung der Olefine können grundsätzlich alle bei den Paraffinen beschriebenen Methoden verwandt werden, wenn man von analogen Verbindungen ausgeht, die bereits die Doppelbindung im Molekül enthalten. Es muß lediglich die eine Bedingung erfüllt sein, daß diese unter den Reaktionsbedingungen nicht an-

K a p . 2, I I : D i e ungesättigten Kohlenwasserstoffe

40

gegriffen wird. Daneben gibt es noch eine zweite, praktisch viel wichtigere Möglichkeit: die Einführung einer C=C-Doppelbindung in ein nur aus einfachen C—CBindungen aufgebautes Kohlenstoffgerüst. Diese Herstellung einer Doppelbindung geschieht mit Hilfe einer zweiten Grundreaktion der organischen Chemie, der Abspaltung oder Eliminierung. Unter Abspaltungs- oder Eliminierungsreaktion versteht m a n die Lösung der Bindungen zweier an benachbarten Atomen eines Moleküls befindlicher einwertiger Liganden und Neuverknüpfung der hierbei frei werdenden vier Valenzen zu der zweiten Bindung einer Doppelbindung und einer einfachen Bindung zwischen den abgespaltenen Atomgruppen. Beispielsweise wird bei der Abspaltung eines Säuremoleküls H X aus ihren Estern (I) sich das H-Atom als Proton und die X-Gruppe als Anion vom Kohlenstoff lösen, und die vier Elektrovalenzen in den (in Wirklichkeit nicht frei auftretenden) Molekülbruchstücken (II) sättigen sich anschließend unter Ausbildung zweier neuer Atombindungen zu den Reaktionsendprodukten (III) a b : / /

H X "I ^ I Alk—CH—CH—Alk'

>



X© \ \ £ ® \ A l k — CH— C H — A l k ' /

l

H - X , •

Alk—CH=CH—Alk'

Ii

in

Die angeführte Abspaltung von Säuren aus ihren Estern stellt die wichtigste Olefinbildungsreaktion dar. Sie geht um so leichter vor sich, je starker sauer die abgespaltene Verbindung H X ist, ist aber stets endotherm. Sie muß infolgedessen durch hohe Temperaturen oder die Anwesenheit von Alkalien, die die Säuren im Augenblick der Abspaltung neutralisieren, erzwungen werden. Die Reaktion verläuft nicht immer einheitlich, da häufig verschiedene H-Atome des Moleküls mit dem Liganden X zusammen austreten können, so daß ein Isomerengemisch (z. B. IV und V) e n t s t e h t : H CH=CH—CH Alk

Alb'

H
c=c(

H3CX ? ; H

H

9

/C 3 H 7

+ o,

-H,

H

/C3H7

H, C,

/

H

C 3 H, C'=0

+

0=C H

IV

Die praktische Bedeutung der Reaktion liegt in der Möglichkeit einer relativ sicheren Bestimmung der Lage der Doppelbindung im Molekül, da bei der Ozonisierung die geringste Wahrscheinlichkeit einer Doppelbindungsverschiebung besteht. Die Bildung des Methyl-äthyl-ketom (IV) und des Butyr-aldehyds (V) bei der Ozonspaltung läßt z. B . nur ein Olefin der Struktur I zu. Lediglich zwischen eis- und irarus-Koniiguration kann man auf diesem Wege nicht entscheiden. c) Bez. der Olefinoxidbildung vgl. S. 157. d) Während Jod an einfache Olefine nicht addiert wird, erfolgt die Anlagerung von Chlor und Brom im allgemeinen so rasch, daß man die Olefine direkt titrieren kann. Analytisch ge1 ) Nach neueren Versuchen von R. CRIEOEE kann man bei tiefer Temperatur auch ein Primärozonid isolieren, in dem noch eine einfache C—C-Bindung zwischen den ursprünglich doppelt verbundenen C-Atomen erhalten geblieben ist, bei deren Bildung also noch eine normale Addition des Ozonmoleküls stattgefunden hat. Dieses Primäraddukt lagert sich jedoch schon bei Raumtemperatur in das oben formulierte normale Ozonid (II) um.

Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

44

bräuchlich ist vor allem die Addition von Chlorjod, dessen Verbrauch sich leicht jodometrisch durch Rücktitration des nicht umgesetzten Anteils bestimmen läßt.

Das Verfahren dient unter der Bezeichnung Jodzahlbestimmung insbesondere in der Fettchemie zur quantitativen Erfassung der ungesättigten Fettsäuren. e) Die Halogenhydrinbildung geht nur formal im Sinne einer direkten Addition der unterhalogenigen Säuren vor sich. I n Wirklichkeit treten nach einem in II, Kap. 4, II, 3 a a beschriebenen Mechanismus elementares Halogen und Wasser getrennt in Reaktion.

2. Säuren des Typus H X werden unter Bildung ihrer Ester angelagert. Die wichtigsten Anwendungsbeispiele sind wieder zu einem Formelbild zusammengefaßt : CH 3 — c h 2 — o s o 3 h

+ H—OSO.H

CH 2 —CH 2

+ H—OOC—Alk

-OOC—Alk Carbonsäureester

Schwefelsäurehalbester + H—ONO,

+ H—Hai

I

I CH 3 —CHj—Hai

ch3— c h , — o n o 2

CHj—CH 2 —OH

Alkylhalogenid

Salpeteraäureester

Alkohol

Die HX-Addition ist als Umkehrung der auf S. 40f. beschriebenen Abspaltungsreaktionen stets exotherm und erfordert bei genügend starken Säuren keine Katalyse. Z. B. werden einige gasförmige Olefine in 70%iger Schwefelsäure wie Ammoniak absorbiert. Die Addition von Carbonsäuren erfolgt schon wesentlich schwerer, und die Wasseranlagerung kann nur unter ähnlichen Temperatur- und Katalysatorbedingungen durchgeführt werden wie die Wasserabspaltung (S. 40). Der Reaktionsverlauf ist häufig nicht einheitlich, weil die Säureanlagerung in zwei Richtungen geschehen kann, so daß bei unsymmetrischen Olefinen die Bildung der beiden isomeren Addukte VI und V I I möglich ist: R — CHX— ( I I o - R '

+ X—H

R — C H = CH—R'

+ H—X

R—CH2—CHX—R'

vi

VII

Hier gilt die wichtige Regel von M a r k o w m k o w , daß der Wasserstoff nach Möglichkeit an das wasserstoffreichste und das Anion X an das wasserstoffärmste der an der Doppelbindung beteiligten C-Atome tritt. Bez. der theoretischen Begründung dieser Regel und einiger Ausnahmen vgl. II, K a p . 3, I I I , 8 und K a p . 4, I I , 3 a a.

3. Elementarer Wasserstoff kann wegen seiner Reaktionsträgheit nur in Gegenwart von Katalysatoren an die C=C-Doppelbindung angelagert werden. Das Verfahren wird deshalb allgemein katalytische Hydrierung genannt: Alk—CH=CH—Alk'

+ H, (Pt)

Alk— CH 2 —CH 2 —Alk'

Sie ist als Gegenreaktion der Dehydrierung (S. 41) exotherm und verläuft bis etwa 500° freiwillig. Bei höherer Temperatur t r i t t dann die erwähnte Umkehrung in Richtung der Dehydrierung ein. Als Katalysatoren verwendet man hauptsächlich die Metalle der achten Nebengruppe des Periodensystems, von denen Platin, Palladium und Nickel in Form des sehr aktiven RANEY-

1 : Die Olefinreaktionen

45

1

Nickels ) schon bei Raumtemperatur, sonstige Nickelkontakte um etwa 100° wirksam sind. Weitere Katalysatoren, die allerdings erst bei höherer Temperatur arbeiten, sind metallisches Kupfer und Messing sowie Chrom in der Oxydationsstufe von Chromiten (z. B. Kupferchrom.it) und Molybdänsulfid. Soweit es sich um Metalle handelt, dürfte ihre Wirkungsweise auf der Bildung von Oberflächenlegierungen mit dem Wasserstoff (Näheres vgl. anorganische Lehrbücher) beruhen. Bez. des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, II, 5 c.

Die katalytische Hydrierung wurde erstmals von W . N O R M A N N (1902) in die Technik eingeführt als billigste Methode zur Fetthärtung (S. 448). Sie hat sich inzwischen zu einem der wichtigsten technischen Reduktionsverfahren für Substanzen mit C=C-, C = C-, G=0-, C=N-, Ö = N- und N=0Mehrfachbindungen sowie neuerdings auch mit C—Hai- (und im Verlauf der Kohlehydrierung [S. 389] bei sehr hohen Temperaturen sogar mit C—C-, 0—0-, G—N- und C—S-) Einfachbindungen entwickelt. Eigenartigerweise kann die Hydrierung nur mit katalytisch erregtem Wasserstoff durchgeführt werden. Andere auch sehr aktive Reduktionsmittel, wie nascierender Wasserstoff

(z. B . Natrium/Alkohol

minium-hydrid,

oder Zink/Salzsäure)

u n d selbst

Lithium-alu-

lassen die isolierte C=C-Doppelbindung vollkommen intakt.

4. Ahnlich wie das H—H-Molekül kann man mitunter auch C—H-Verbindungen, d. h. Paraffine, an Olefine anlagern, wobei wegen der Aufhebung der Doppelbindung höhermolekulare Paraffine entstehen. Die Reaktion kommt praktisch also auf die Einführung eines Alkylrestes in das Paraffinmolekül hinaus und wird deshalb in der Technik Alkylierung genannt. Zur Anlagerung befähigt sind ausschließlich tertiäre C—H-Oruppen, so daß nur Isoparaffine synthetisiert werden können. Als Katalysatoren dienen konzentrierte Schwefelsäure oder LBWis-Säuren (z. B. Borfluorid). Ein praktisch wichtiges Beispiel stellt die Synthese von Isooctan (S. 37) durch Anlagerung von Isobutan an Isobuten dar. Die Addition verläuft hier entgegen der Regel von MARKO WNIKOW :

CH,

CH,

H3C—C=CH2

-f~

CH,

CH,

H—C—CH 3 CH 3

Isobuten

H,

Iaobutan

Isooctan

5. Ausschließlich von technischem Interesse ist das von W. REPPE aufgefundene Verfahren der Carbonylierung, d. h. die Addition einer Wasserstoffverbindung HX unter gleichzeitigem Einbau eines Kohlenoxidmoleküls, wobei ein Carbonsäurederivat synthetisiert wird. Einige Beispiele sind in folgendem Formelbild zusammengestellt: .0 ;0 + H—OH H 2 C = C H 2 + CO H,C-CH2-C^ H a C—CH 2 —C Y x NR ä OH Propionsäure-amid

Propionsäure + H—SR

+ H—OR

y° H3C—CHg—C\ OR Propionsäure-ester x

H , C—CH«—C\

/C—R xr

gemischtes Propionsäure-carbonsäure-anhydrid

H3C—CH2—Cv

N

SR

Propionsäure-thioester

) RANEY-Nickel wird aus einer Aluminium-Nickel-Legierung durch Herauslösen des Aluminiums mittels Natronlauge bei Raumtemperatur gewonnen. Es besitzt wegen dieser tiefen Bildungstemperatur eine ungewöhnlich große und aktive Nickeloberfläche.

Kap. 2, II: Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

46

Die Reaktion wird durch Nickelcarbonyl und andere Schwermetallderivate des Kohlenoxids katalysiert. Nachteilig wirkt sich aus, daß die Reaktionspartner zusammen mindestens drei C-Atome enthalten. Man kann also allenfalls Propionsäurederivate, nicht aber mehr die viel wichtigeren Essigsäurederivate, auf diesem Wege synthetisieren.

6. Schließlich können sich die C=C-Doppelbindungen auch gegenseitig absättigen. Hier muß man zwei Möglichkeiten unterscheiden: a) Zwei Olefinmoleküle lagern sich unter Bildung eines Vierrings zusammen:

R—CH=f!H a

R—CH—CH 2

CH 2 =CH—R

CH2—CH—R

III Ein derartiger Vorgang wird Dimerisation (von grieeh. Suo = zwei und pepos = Teil) 111 genannt. Er findet im allgemeinen erst bei komplizierteren Olefinen statt (vgl. S. 141).

b) Viele Olefinmoleküle lagern sich unter gegenseitiger Absättigung der Doppelbindungen zu einem längeren Kettenmolekül zusammen: R

I ch=ch2 •

R

+ |

R

ch=ch2

+ |

R

ch=ch2

+ |

R

ch=ch2

+ 1 ch=ch2

R

R

R

R

R

i CH—CH2

i CH—CH2

i CH—CH2

i CH—CH,

i CH—CH2—

Hl Hier spricht man von einer Polymerisation (von griech. ttoAOs = viel). Sie verläuft nicht spontan (sonst wären ja die Olefine nicht beständig), sondern muß durch verschiedenartige Katalysatoren (insbesondere starke Säuren, I/Ewis-Säuren, Luftsauerstoff, organische Peroxide, aluminium-organische Verbindungen und im Falle konjugierter Doppelbindungen [S. 49] auch Alkalimetalle) ausgelöst werden. Hierbei besetzen diese Agenzien die an der Polymerisation selbst nicht beteiligten beiden Enden des gebildeten Kettenmoleküls. Die Reaktion hat hauptsächlich technisches Interesse gefunden. Z. B. geschieht die Herstellung von Polyäthylen (S. 38), der zahlreichen Polyvinylverbindungen (S. 52, 91), des Buna (S. 455) und vieler anderer Kunststoffe auf dem Wege einer derartigen Polymerisation.

Eine nicht auf einer normalen Addition beruhende Reaktion der C=C-Doppelbindung liegt in der Bildung von Komplexen mit Schwermetallsalzen vor. Z. B. bildet Äthylen mit Platin(II)-chlorid ein Addukt, bei dem das Platinatom keinem der beiden C-Atome allein zugeordnet werden kann, so daß es strukturell mit den auf S. 315 beschriebenen Aromatenkomplexen verglichen werden muß: CH2 ch2 ||

+

PtCl2



||

PtCl 2

ch2 ch2 Der paraffinartige Molekülteil der Olefine ist so reaktionsträge, daß er normalerweise nicht unter Erhaltung der Doppelbindung umgesetzt werden kann. Nur der Wasserstoff an einem den eigentlichen Doppelbindungsatomen benachbarten CAtom (sog. Allylstellung, in Formel I durch Fettdruck hervorgehoben) ist durch die Doppelbindung etwas aktiviert und vermag einige spezielle Reaktionen zu geben. Von ihnen hat vor allem die Bromierung mit Bromsuccinimid (S. 68) präparative Bedeutung erlangt, da sie (etwa im Gegensatz zur Verwendung von Brom selbst) die Substitution des allylständigen Wasserstoffs unter Vermeidung jeglicher Additionsreaktion gestattet:

2: Die Polyolefine Br

H

R— CH— C H = C H,2

+ C.H.O.N—Br — C,H,0,N—H

R—¿H—CH=CH. I

47 0—OH R— C H— C H = C H.2 II

Eine andere interessante Reaktion ist die schon bei Raumtemperatur vor sich gehende Einschiebung eines Sauerstoffmoleküls zwischen den allylständigen Kohlenstoff und Wasserstoff zu der Peroxyverbindung II. III ||| III

Eine derartige mit Luftsauerstoff schon bei Raumtemperatur spontan eintretende Oxydationsreaktion nennt man Autoxydation. Olefine sind wegen dieser Autoxydationsmöglichkeit vielfach luftempfindlich (vgl. z. B. den Kautschuk [S.454] und das Leinöl [S. 448]).

Einzelverbindungen. Äthylen {Athen) H 2 C = C H 2 , das Anfangsglied der Olef in reihe, wird präparativ meistens aus Alkohol durch Wasserabspaltung gewonnen. I n der Technik steht es dagegen als B e s t a n d t e i l mehrerer Industriegase (vor allem der Crackgase [S. 392], in denen es zu e t w a 2 % enthalten ist) in derart großen Mengen zur Verfügung, d a ß m a n hier z. T. umgekehrt Alkohol durch Wasseranlagerung an Äthylen gewinnt. E s ist der wichtigste Ausgangsstoff zur Darstellung aliphatischer Verbind u n g e n u n d h a t heute schon das Acetylen a n B e d e u t u n g übertroffen. Seine H a u p t anwendungsgebiete sind: die Herstellung v o n Polyäthylen (S. 38) u n d A c e t a l d e h y d (S. 105), die S y n t h e s e v o n Äthylbenzol (S. 65) u n d darüber hinaus des Styrols (S. 65) sowie die O x y d a t i o n zu Äthylen-oxid. Propen (Propylen) H a C=CH—CH 3 , die drei auf S. 39 formulierten n-Bntene (n-Butylene) und Isobuten (Isobutylen) H 2 C=C(CH 3 ) 3 kommen in ähnlich großen Mengen in den Crackgasen vor wie Äthylen und sind daher ebenfalls wichtige Industrieprodukte. Der größte Teil wird zusammen mit Propan, Butan und Isobutan (S. 37) in Form von Flüssiggas als Brennstoff verwertet. Chemisch interessant ist ihre Überführung in mittlere Alkohole durch Wasseranlagerung. Hierbei entsteht auf Grund der Regel von Markownikow aus Propen das Isopropanol (S. 82), aus allen drei n-Buienen das gleiche n-Butanol-2 CH 3 —CH(OH)—C 2 H 6 und aus Isobuten das tert.-Butanol (CH 3 ) 3 C—OH. Isobuten wird ferner auf Isooctan (S. 37) und den Kunststoff Polyisobutylen (S. 38) verarbeitet. 2. Die Polyolefine E n t h ä l t ein Kohlenwasserstoff mehrere C = C - D o p p e l b i n d u n g e n , so h ä n g e n seine E i g e n s c h a f t e n in charakteristischer Weise v o n deren Stellung zueinander ab. Man unterscheidet drei t y p i s c h e Fälle: a) die kumulierten, b) die konjugierten u n d c) die isolierten Doppelbindungen. Die Benennung der Polyolefine geschieht durch Einschiebung des griechischen Zahlworts für die Zahl der Doppelbindungen zwischen den Grundnamen des Kohlenwasserstoffs und die für die Olefine charakteristische Endung -ere. Außerdem werden wie bei den einfachen Olefinen die Ziffern derjenigen C-Atome an den Ñamen angehängt, von denen die Doppelbindungen ausgehen, so daß Namen wie Buta-dien-1,3 (CH 2 =CH—CH=CH 2 ), Hexa-trien-1,3,5 ( C H 2 = C H — C H = = C H — C H = C H 2 ) usw. entstehen. In letzterem Fall kommen in dem Namen also zwei griechische Zahlworte vor, und zwar die Zahl der C-Atome im Grundnamen und die der Doppelbindungen in der Endung. Als Gruppennamen für die Kohlenwasserstoffe mit mehreren Doppelbindungen haben sich außerdem die Ausdrücke Diene (sprich Di-ene), Triene, Tetraene usw. eingebürgert. a) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k u m u l i e r t e n

Doppelbindungen

S t e h e n mehrere D o p p e l b i n d u n g e n unmittelbar nebeneinander, so nennt m a n sie kumuliert (von lat. cumulus = H a u f e n ) . E n t s p r e c h e n d heißen Kohlenwasserstoffe m i t kumulierten D o p p e l b i n d u n g e n K u m u l e n e bzw. i m einfachsten Fall der K u m u l i e r u n g v o n nur zwei Doppelbindungen auch Aliene.

Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

48

Von allen C-Atomen im Innern einer Kumulenkette gehen zwei Doppelbindungen aus. Diese C-Atome tragen infolgedessen keine sonstigen Liganden mehr und können nicht als Verzweigungsatome des Kohlenstoffgerüsts fungieren. Die Allene und Kumulene sind ohne praktische Bedeutung geblieben, haben aber in der theoretischen organischen Chemie Interesse wegen ihrer nahen Beziehungen zu den Verbindungen mit konjugierten C=C-Dreifachbindungen (vgl. II, Kap. 3, I I I , 3 b ß) sowie wegen ihres sterischen Aufbaus gefunden. Allen, das Anfangsglied der Reihe, wird am besten durch Bromentzug aus '2,3-Dibrom-propen (I) erhalten, da bei anderen Verfahren (z. B. einer zweimaligen Bromwasserstoffabspaltung aus 1,2-Dibrom-propan) leichter die Bildung einer C^C-Dreifachbindung (oder in anderen Fällen auch eines konjugierten Doppelbindungssystems) erfolgt: Br Br I I

+ Zn znBr,

H2C=C—CH2



*

Na

H2C=C=CH2

I

H3C—C=CNa

JQQÖ

Allen

Allylen-natrium

Allen zeigt infolge der Häufung der Doppelbindungen einen relativ hohen Energieinhalt und ist ziemlich instabil. Z. B. verharzt es leicht und geht bei der Einwirkung von Natrium bei 100° in das Natriumderivat des bereits der Acetylenreihe angehörenden isomeren Atlylens über. Höhere Kumulene mit bis zu sieben kumulierten Doppelbindungen sind insbesondere in der aromatischen Reihe dargestellt worden (vgl. I, Kap. 2, I I I , 3 c).

b) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k o n j u g i e r t e n

Doppelbindungen

Zwei oder mehrere Doppelbindungen sind konjugiert, wenn sich zwischen ihnen jeweils eine einfache Bindung befindet. Dieser Begriff der Konjugation umfaßt außer der rein strukturellen Kennzeichnung der gegenseitigen Lage der Doppelbindungen auch eine Reihe physikalischer und chemischer Effekte, denn die Doppelbindungselektronen vermögen sich über die Einfachbindung hinweg gegenseitig zu beeinflussen. Es entsteht dadurch bis zu einem gewissen Grade ein neues Bindungssystem mit eigenen Eigenschaften, das außer den daran beteiligten Doppelbindungen auch die dazwischen liegenden Einfachbindungen mit einschließt (Näheres vgl. S. 336f.). Die Darstellung der Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen kann in viel höherem Maße als die der mit kumulierten Doppelbindungen durch Abspaltungsreaktionen erfolgen, weil von den drei Möglichkeiten der Bildung 1. eines Kumulensystems, 2. einer C = C-Dreifachbindung und 3. zweier konjugierter Doppelbindungen : C H 2 = C = C H — CH 3 kumulierte Doppelb. qjj

Q=C

CH

L^gg-, *

r

— 2 HBr

Br Br l H 4 H _

C H

( 3

C H

C 3

H2=CH-CH=CH.,

, . 2. , „ J konjugierte Doppelbindungen

Acetylen-Bindung

die letztere die geringste Energiezufuhr erfordert und deshalb begünstigt ist. Der physikalische Konjugationseliekt macht sich in zahlreichen Eigenschaften der betreffenden Verbindungen bemerkbar und kann dadurch eindeutig nachgewiesen werden. Die wichtigsten dieser Nachweismöglichkeiten sind: 1. eine Exaltation genannte Erhöhung der Molrefraktion (vgl. II, Kap. 2, I, 4), 2. eine Verschiebung der bei etwa 1800Ä im Ultraviolett liegenden Absorptionsbande der C=C-Doppelbindung in Richtung längerer Wellen (vgl. auch S. 340/1), 3. eine deutliche Verkürzung der Atomabstände bei den zwischen den Doppelbindungen liegenden Einfachbindungen (S. 340) und 4. eine Energieabgabe von 3—4 kcal/Mol bei der Ausbildung der Konjugation zwischen zwei (im übrigen isolierten) Doppelbindungen.

2 b : Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen

49

In ihrem chemischen Verhalten zeigen die konjugierten gegenüber den einfachen C=C-Doppelbindungen die folgenden neuartigen Reaktionen: 1. Die Addition (z. B. von Brom) kann nicht nur an die einzelnen Doppelbindungen sondern auch an das ganze System erfolgen. In letzterem Fall treten die Addenden an die beiden Endatome des Systems, und die nicht beteiligten Doppelbindungen verschieben sich an diejenigen Stellen des Moleküls, an denen sich zuvor die Einfachbindungen befunden haben. Man spricht hier von einer 1,4-Addition, 1,6-Addition usw. an konjugierte Doppelbindungen: Br )

C

=CH-CH=C(

Br

Br

\ L C H = C H - C ( ; ) = - = - = ( ^ ^ ^ ) L 1.4-Addition

Br =

_

=

J /

1,6-Addition

2. Außer der für einfache Olefine charakteristischen Anlagerung von Säuren und Oxydationsmitteln beobachtet man hier erstmals auch die Addition basischer Stoffe, wie z. B. von Ammoniak, metallorganischen Verbindungen und nascierendem Wasserstoff, sowie schließlich auch von freien Alkalimetallen-. Na—CH2—CH=CH—CH2—Na
(

O

—AsCl, —j 2 AsCl -j3As

+ AsCls -HCl

— HCl

-HCl

,

+ '/. S°C'.

HCl

+ l/i Asci, — HCl

^

L

+- '/, AsCI, — HCl

+ SO,

. l /a / /

\

S

S

V-so

2

h

S - S H


- n o

2

e) Eine der F r i e d e l - C k a f t s - R e a k t i o n ähnliche K o n d e n s a t i o n t r i t t bei der Einwirkung von Alkoholen (oder ebenfalls Olef inen) in Gegenwart von etwa 50%iger Schwefelsäure auf Benzol ein. Hier wird der K e r n unter Wasseraustritt (bzw. bei der Verwendung von Olefinen wieder unter Anlagerung a n die C=C-Doppelbindung) alkyliert:

Kap. 2, III: Die aromatischen Kohlenwasserstoffe + H,C = CH,

(H,SO,)

(H,S0,)

H

- HO—CH,—CH, HJO (H|SO|)

-NH,\

—NH—Ac^> —ÖH^> — Ö — — A l k y l ' ) \ —Hall

Demgegenüber zeigen die Substituenten 2. Ordnung als gemeinsame Eigenschaft eine durch sie bewirkte positive Aufladung des Benzolkerns. Die wichtigsten, ebenfalls nach der Stärke des dirigierenden Effekts geordneten Beispiele sind: SO„H^> — CH=0^> — C O — R ^ —COOH

Alle diese zunächst empirisch gefundenen Gesetzmäßigkeiten können heute theoretisch begründet werden (vgl. S. 344/5 und II, Kap. 4, III, 1). ') Die AJkylreste wirken wegen der auf S. 346 beschriebenen Hyperkonjugation so, als ob das C-Atom ein einsames Elektronenpaar hätte.

2 : Kohlenwasserstoffe mit einem Benzolkern

63

Von einem gewissen Interesse ist schließlich noch der Einfluß des Benzolkerns auf die mit ihm verbundenen aliphatischen Alkylgruppen. E r äußert sich vor allem in einer der Allylaktivierung der Olefine (S. 46) ähnlichen Aktivierung der dem Kern unmittelbar benachbarten GH-Gruppen (sog. Benzylstellung). Z. B . kann man Toluol in Abwesenheit von Aluminiumchlorid unter den Bedingungen der aliphatischen Substitution (Licht und Wärme) ausschließlich in der Seitenkette chlorieren, während im Dunkeln in Gegenwart von Aluminiumchlorid ebenso ausschließlich die Kernsubstitution erfolgt: -CH„— Cl

+ Cl a , —HCl (Licht und W ä r m e )

/

V -CH»

+ Cl„ — HCl (A1C1,)

Cl-

—GH,

Ferner wird der „benzylständige" Kohlenstoff leicht oxydativ angegriffen, so daß es möglich ist, sämtliche Seitenketten unter Erhaltung des Benzolkerns bis zur Stufe der Carbozylgruppe (—COOH) abzuoxydieren. Da die hierbei auftretenden Benzol-carbonsäuren fast alle bekannt sind, hat man in diesem oxydativen Abbau eine einfache Möglichkeit, die gegenseitige Stellung von Alkylresten im Benzolkern nachzuweisen. Als Beispiel seien die drei stellungs-isomeren Cymole angeführt, die bei der Oxydation die drei isomeren Phthalsäuren liefern, und deren Konstitution durch diese Reaktion eindeutig sichergestellt werden konnte:

,CH,

Oxydation

' V

CH3— CH— CHj i

COOH I COOH

y \ / i

"

o-Cyraol

COOH

^/\C00H

CHa

m-Cymol

Phthalsäure

I

Oxydation

Iso-Phthalsäure

COOH Oxydation

COOH p-Cymol

Terephthalaäure

2. Kohlenwasserstoffe mit einem Benzolkern Benzol und seine einfachen Alkylderivate treten als pyrogene Zersetzungsprodukte anderer organischer Substanzen bei allen technischen Prozessen auf, die sich zwischen 1000 und 1400° abspielen. Insbesondere im Steinkohlenteer reichern sie sich an, der für viele von ihnen (vor allem für das Benzol selbst) auch heute noch die wichtigste Gewinnungsquelle ist (vgl. auch S. 387). Die präparative und z. T. auch technische Darstellung der Alkylbenzole geschieht meistens synthetisch durch Alkylierung von Benzol auf dem Wege der FRIEDELGRAFTS-Reaktion oder der Kondensation mit Alkoholen. Als weitere Methode hat sich die von R . FITTIG auf die aromatische Reihe übertragene WuETZsche Synthese (kurz WURTZ-FITTIG sehe Synthese genannt) bewährt, da hier wesentlich weniger Nebenreaktionen eintreten als bei der Synthese rein aliphatischer Kohlenwasserstoffe (vgl. I, Kap. 2, I I I , 2): /

^>—Hal

+

Na +

Na

+

Hai—Alk

-*

^

^-Alk

+

2NaCl

64

K a p . 2, I I I : Die aromatischen Kohlenwasserstoffe

F ü r spezielle Zwecke ist außerdem häufig der Ersatz anderer Substituenten durch Wasserstoff gebräuchlich. Die wichtigsten, im einzelnen erst später behandelten Reaktionen sind: 1. die Reduktion der phenolischen Hydroxylgruppe durch trockene Destillation mit Zinkstaub (S. 93), 2. die in Umkehrung der Sulfonierung verlaufende saure Hydrolyse der Sulfonsäuren (S. 248) und 3. der reduktive Ersatz der Diazogruppe durch Wasserstoff (S. 227/8). Die physikalischen Daten einiger Benzolabkömmlinge sind mit den zugehörigen Trivial namen in Tabelle 4 zusammengestellt. Bemerkenswert sind lediglich die gegenüber den aliphatischen Kohlenwasserstoffen etwas erhöhten Dichten und die bei regelmäßiger Substitution z. T. auffallend hohen Schmelzpunkte. Tabelle 4 Physikalische K o n s t a n t e n einiger einfacher aromatischer Trivialname

Kohlenwasserstoffe Dichte/Temp. (flüssig)

Sdp.

Smp.

Cumol

Benzol Methylbenzol Äthylbenzol Propylbenzol Isopropylbenzol

80° 111 136 159 153

+ 5° — 95 — 94 —101 — 97

0,879/20° 0,872/15 0,867/20 0,862/20 0,862/20

o-Xylol m-Xylol p-Xylol

1.2-Dimethylbenzol 1.3-Dimethylbenzol 1.4-Dimethylbenzol

144 139 138

— 25 — 53 + 13

0,881/20 0,864/20 0,861/20

Mesitylen Hemellithol Pseudocumol

1,3,5-Trimethylbenzol 1.2.3-Trimethylbenzol 1.3.4-Trimethylbenzol

164 175 168

— 53 — 57

0,864/20 0,895/20 0,878/20

Prehnitol Isodurol Durol

1.2.3.4-Tetramethylbenzol 1.2.3.5-Tetramethylbenzol 1,2,4,5-Tetramethylbenzol

204 196 192

— 4 — 24 + 80

0,904/16 0,896/0 0,833/81

Pentamethylbenzol Hexamethylbenzol

231 265

+ 53 + 169

0,847/107

Mellithol

Benzol Toluol

rationeller Name

Einzelverbindungen: Benzol C 6 H 6 k o m m t in erheblichen Mengen im Steinkohlengas u n d Steinkohlenteer vor, aus denen es früher ausschließlich gewonnen wurde (S. 387). Heute reichen jedoch diese beiden Quellen nicht mehr zur Deckung des stark ansteigenden Bedarfs aus, so daß m a n seit 1945 in steigendem Maße daneben Benzol auch aus Erdöl mit Hilfe eines hinsichtlich seines Mechanismus noch etwas undurchsichtigen Umformungsprozesses gewinnt. Das Teerbenzol ist durch etwa 0,15% Thiophen verunreinigt, dessen Entfernung nur auf relativ umständlichem Wege möglich ist (vgl. S. 309) u n d daher meistens unterbleibt. Die Hauptmenge des Benzols findet Verwendung als klopffester Motorentreibstoff, u n d nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil wird chemisch mit Hilfe der geschilderten Substitutionsreaktionen weiterverarbeitet. Trotzdem ist Benzol das Haupteinfallstor f ü r die Herstellung der zahlreichen in der Technik benötigten aromatischen Verbindungen. Die wichtigsten Beispiele sind in Tafel I I zusammengestellt. Toluol (Methyl-benzol) C 6 H 6 —CH 3 tritt als erster Kohlenwasserstoff dieser Reihe in der belebten Natur auf und hat seinen Namen auf Grund seines Vorkommens im Tolubalsam erhalten. Seine technische Gewinnung geschieht ebenfalls aus Steinkohlenteer, doch reichen die auf diesem

65

3: Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkernen

Wege erhaltenen Mengen bei weitem nicht aus, so daß es zusätzlich durch Kondensation von Benzol mit Methanol synthetisiert werden muß. Toluol wird vor allem auf Trinitro-toluol (S. 238), die verschiedenen Benzylverbindungen, Benzaldehyd (S. 106) und Benzoesäure (S. 141) verarbeitet (vgl. auch Tafel II). Ferner dient es als Ausgangsmaterial für die Synthese zahlreicher Zwischenprodukte der Farbenindustrie sowie als hochsiedendes Lösungsmittel. Die drei isomeren Dimethyl-benzole führen die Trivialnamen o-, m-, und p-Xylol. Sie kommen in ausreichender Menge im SteinkoMenteer vor, lassen sich aber nur schwer voneinander trennen (am besten gelingt noch die Abscheidung der relativ hochschmelzenden p- Verbindung durch Ausfrieren), so daß man meistens ihre Mischung direkt weiterverarbeitet, hauptsächlich ebenfalls zu Zwischenprodukten der Farbenindustrie. Äthylbenzol C 6 H 5 —C 2 H 6 ist nur noch zu geringen Anteilen im Steinkohlenteer enthalten, die sich gewöhnlich in der Fraktion der isomeren Xylole anreichern. Technisch ist es ein Zwischenprodukt der Styrolherstellung und wird zu diesem Zweck aus Benzol und Äthylen synthetisiert.

Von den ungesättigsten aromatischen Kohlenwasserstoffen ist das Styrol (Phenyläthylen) C 6 H 6 —CII=CH 2 das bei weitem wichtigste. Es verdankt den Namen seinem natürlichen Vorkommen in dem tropischen Wundbalsam Storax. Obwohl es ein Steinkohlenteerbestandteil ist, geschieht seine Gewinnung ausschließlich durch Dehydrierung von Äthylbenzol. Styrol ist wegen der Konjugation der olefinischen Doppelbindung mit den Doppelbindungen des aromatischen Kerns ziemlich reaktionsfähig und kann z. B. mit Salpetersäure in der Seitenkette nitriert werden. Von technischer Bedeutung ist vor allem die leicht erfolgende Polymerisation zu dem bekannten Kunststoff Polystyrol. Auch in andere Polymerisationskunststoffe werden z. T. erhebliche Anteile von Styrol mit eingebaut (z. B. in Buna, vgl. S. 455). Im Phenyl-acetylen C,H 6 —C=CH liegt der einfachste aromatische Kohlenwasserstoff mit einer Acetylenseitenkette vor. Er ist wie das Acetylen selbst noch zur Bildung charakteristischer Leicht- und Schwermetallderivate befähigt.

3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkernen Die Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkernen haben als Einzelverbindungen nur geringes Interesse gefunden. Von ihnen leiten sich aber häufig wichtige andere organische Substanzen ab, so daß wir an dieser Stelle wenigstens kurz auf die verschiedenen möglichen Verbindungsklassen eingehen müssen. Eine erste Gruppe von Stoffen erhält man durch direkte Verknüpfung der Benzolkerne. Der Grundkörper dieser Reihe wird Biphenyl genannt, während man die höheren Kohlenwasserstoffe durch Vorsetzen der lateinischen Zahlworte vor das allen gemeinsame Stammwort -phenyl kennzeichnet:

Diphenyl

Terphenyl

Quaterphenyl

Derartige Polyphenyle sind bereits mit bis zu 15 aneinandergereihten Benzolkernen synthetisiert worden. Von allgemeiner Bedeutung sind nur die Diphenylderivate, die z. T. wichtige Farbstoffe darstellen (S. 410) und bei geeigneter Substitution eine interessante Molekülasymmetrie aufweisen (S. 369/70).

Sind die Benzolkerne durch ein C-Atom getrennt, so kommt man zu der Reihe der Polyphenylmethane: C H C 6 H 5 —CHj C,H 6 Toluol 5

Diphenylmethan

K l a g e s , Einführung org. Chemie

C:H:>CH Triphenylmethan

OH

C

Tetraphenylmethan

66

Kap. 2, III: Die aromatischen Kohlenwasserstoffe

Beim. Übergang vom Toluol zum Di- und Triphenylmethan erfährt die Reaktionsfähigkeit der aliphatischen GR-Gruppe infolge der Aktivierung durch eine immer größere Anzahl von Phenylresten eine deutliche Steigerung, während Tetraphenylmethan wegen der quartären Natur des zentralen C-Atoms keine Besonderheiten mehr erkennen läßt. Vor allem vom Triphenylmethan leiten sich eine große Zahl theoretisch und praktisch wichtiger Derivate ab, denen wir im Verlauf dieses Buches immer wieder begegnen werden. Man hat daher für die etwas umständlichen Ausdrücke Triphenylmethan, Triphenylmethyl- usw. vielfach die Kurznamen Tritan, Trityl- usw. eingeführt. Von den Phenylderivaten des Äthans hat nur das HexaphenyNäthan (C6H5)3C—C(C6H5)3 ein gewisses Interesse gefunden, weil es eine auffallend große Tendenz zum Zerfall in zwei freie Tritylradikale zeigt (vgl. S. 317).

In der Reihe der Polyphenyl-äthylene beobachtet man eine eigenartige Veränderung der Aktivität der olefinischen Doppelbindung. Styrol (s. oben) und Stilben C 6 H 6 —CH = CH—C 6 H 6 lagern noch in normaler Weise Brom an. Aber schon beim as-Diphenyl-äthylen (C 6 H S ) 2 C=CH 2 findet neben der Bromaddition bereits eine Wasserstoffsubstitution am olefinischen Kohlenstoff statt, und im Tetraphenyläthylen (C 6 H 5 ) 2 C=C(C 6 H 5 ) 2 ist die Neigung zur Bromaddition schließlich vollständig verschwunden. Dafür beobachtet man hier und auch bereits beim as-Diphenyl-äthylen eine starke Tendenz zur Anlagerung von Alkalimetallen und metallorganischen Verbindungen. Die Konjugation der C=C-Doppelbindung mit einer zunehmenden Zahl von Benzolkernen bewirkt also eine vollständige Umkehrung des Reaktionstypus. Das Diphenyl-acetylen C 6 H 5 —C =C—C„H 5 hat den Trivialnamen Tolan erhalten. Es zeichnet sich durch eine streng lineare Stabform des Moleküls (vgl. S. 51) aus und liefert wegen des Fehlens von Acetylenwasserstoff keine Metallderivate der Acetylengruppe mehr.

3. K a p i t e l

Die organischen Halogenverbindungen I. Allgemeines Organische Halogenverbindungen sind Stoffe, die Halogen direkt an Kohlenstoff gebunden enthalten. Daneben kennt man zahlreiche weitere halogenhaltige organische Verbindungen, in denen das Halogen an einem Heteroatom steht (z. B. in dem unten formulierten N-Brom-acetamid) oder gar Ionencharakter aufweist (z. B. in den auf S. 201 f. beschriebenen salzsauren Salzen der organischen Amine). Alle diese Substanzen zählen aber nicht mehr zu den organischen Halogenverbindungen im eigentlichen Sinne, sondern zu den organischen Derivaten derjenigen Elemente, die in ihnen unmittelbar an Kohlenstoff gebunden sind.

Für die Benennung der organischen Halogenverbindungen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man faßt sie als allcyl- (bzw. aryl-)substituierte Halogenwasserstoffe auf und charakterisiert sie wie deren Salze durch die Endung -id (z. B. Methylchlorid CH3—Cl, Isopropyljodid (CH 3 ) 2 CH—J, Phenylbromid C 6 H 5 —Br bzw. allgemein Alkyl- bzw. Aryl-halogenide), oder man definiert sie als halogensubstituierte Kohlenwasserstoffe und kommt dann für die gleichen Verbindungen zu den Namen Chlor-methan, 2-Jod-propan, Brombenzol bzw. allgemein Halogen-alkane oder Halogenbenzole. Beide Nomenklaturprinzipien werden etwa gleich häufig angewandt. Die Eigenschaften der organischen Halogenverbindungen hängen in starkem Maße von dem Bindungszustand desjenigen C-Atoms ab, an dem sich das Halogen befindet. Ihre Einteilung geschieht daher zweckmäßig in die aliphatischen Halogenverbindungen einerseits, die man wieder in die Alkyl-halogenide, Halogen-olefine, Halogen-acetylene sowie die Polyhalogenverbindungen unterteilt, und die aromatischen Halogenverbindungen andererseits. Vorkommen. Die einfachen organischen Halogenverbindungen sind ausschließlich Kunstprodukte, die bisher weder mineralisch noch in der belebten Natur aufgefunden wurden. Bloß einige wenige kompliziertere Substanzen, die neben Halogen auch andere Funktionen im Molekül enthalten, spielen biochemisch eine Rolle. Als wichtigste Beispiele werden wir später das chlorhaltige Chloramphenicol (S. 525), den bromhaltigen Purpurfarbstoff (S.406) und das Thyroxin als jodhaltige Aminosäure (S. 514) kennenlernen.

Von den verschiedenen Einfiihrungsmöglichkeiten des Halogens findet nur der schon kurz gestreifte und Halogenierung genannte Ersatz von organisch gebundenem Wasserstoff durch Halogen (S. 36, 60) sowohl in der aliphatischen als auch in der aromatischen Reihe praktische Anwendung, so daß er hier allgemein behandelt werden soll. Für die freien Halogene selbst als Halogenierungsmittel, die sich stets im Sinne der folgenden summarischen Gleichung umsetzen: R—H + 6*

Hai—Hai

R—Hai +

H—Hai,

68

Kap. 3, I I : Die aliphatischen Halogenverbindungen

beobachtet m a n eine m i t steigendem Atomgewicht des Halogens s t a r k abnehmende Halogenierungstendenz. Elementares Fluor ist so a k t i v , d a ß es den Kohlenwasserstoff selbst bei —180° noch angreift u n d ohne V o r s i c h t s m a ß n a h m e n vollständig verb r e n n t (vgl. a u c h S. 36). Chlor u n d Brom reagieren „ n o r m a l " , u n d f ü r Jod liegen die Verhältnisse schließlich so ungünstig, d a ß hier die auf S. 33 formulierte Gegenreaktion, der reduktive E r s a t z des Jods d u r c h Wasserstoff, überwiegt. Fluorierungen und Jodierungen führt man daher besser mit anderen Halogenierungsmitteln durch. Für erstere eignet sich vor allem Kobalt (III)-fluorid, das eine gewisse Tendenz zur Abspaltung von Fluor besitzt und deshalb wie dieses, jedoch erheblich milder, fluoriert, so daß zumindest die C—C-Bindungen nicht mehr angegriffen werden. Bei Jodierungen kommt es darauf an, den auf Grund obiger Gleichung entstehenden Jodwasserstoff aus dem Reaktionsgemisch zu entfernen und das Gleichgewicht dadurch zugunsten der Halogenierung zu verschieben. Dies geschieht z. B. durch Zusatz von Salpetersäure, die den Jodwasserstoff sofort zu Jod zurückoxydiert. Auch für Chlorierungen und Bromierungen sind außer den freien Halogenen einige weitere Halogenierungsmittel in Gebrauch, von denen vor allem die Hypohalogenite und verschiedene Halogen-Stickstoff-Verbindungen erwähnt werden müssen: + Hai—ONa, — HONa

R

H

+ Hal-N^, -

US

R—Hai

/

Da in beiden Fällen keine Halogenwasserstoffe als weitere Reaktionsprodukte entstehen, kann man mit diesen Mitteln unter strengem Säureausschluß arbeiten. Ferner lassen sich Jodierungen genau so leicht durchführen wie Chlorierungen und Bromierungen. Die wichtigsten stickstoffhaltigen Halogenierungsmittel sind: ,NH—C1 0= c( NH—C1 \ , V - D i c h l o r - h a r n s t off

,0 H3C—C^ NH—Br

HjC—C==0 | Nsr—Br H a C—C - 0

,3 N

rO

— H,0

C=0

(ZnCl,)

Phenolphthalein

Die Reaktion kann bei Verwendung von Formaldehyd in schwach alkalischem (und auch schwach saurem) Medium so gelenkt werden, daß unter Verknüpfung sehr vieler Moleküle makromolekulare Stoffe entstehen, die wichtige Kunststoffe (Bakelite, vgl. S. 104) darstellen.

Einzelverbindungen. Phenol (Garbolsäure) C „ H 5 — O H wurde 1 8 3 4 von F . R U N G E im Steinkohlenteer entdeckt. Es ist ein technisches Großprodukt, dessen Gewinnung heute entweder durch Alkalispaltung von Chlorbenzol (S. 73) oder nach dem bisher nur für die Gewinnung des Phenols selbst gebräuchlichen Cumol-Phenol-Verfahren geschieht. Beim Cumol-Phenol-Verfahren wird zunächst aus Benzol und Propen nach FRIEDEL-CRAFTS das Cumol synthetisiert, das in Gegenwart von Luftsauerstoff Autoxydation zur Peroxyverbindung I erleidet. Diese läßt sich dann mit Schwefelsäure in die Verbindung II umlagern, die unbeständig ist und sofort in Phenol und Aceton zerfällt:

3 +


O

R—d)H—CH2—C—R NH 2 O R—CH—CH 2 —C—R

/)-Amino-keton

KetlfllOTUDg \R.-< I !H - C H = ( L R ) , R-J* Besonders die Bildung von ß-Amino-ketonen hat praktische Bedeutung erlangt. Z. B. dienen die Ammoniak- bzw. Amin-additionaprodukte von Mesityloxyd (CH 3 ) 2 C=CH—CO—CH 3 und Phoron (CH 3 ) 2 C=CH—CO—CH=C(CH a ) s , deren Darstellung wir oben bereits kennengelernt haben, in der Pharmazie a b Zwischenprodukte für die Synthese „künstlicher Alkaloide" (vgl. z . B . S. 211).

Als Beispiel eines ungesättigten Ketons sei das Vinyl-methyl-keton angeführt, das man am besten durch Wasseranlagerung an Vinyl-acetylen (S. 53) gewinnt: H2C=CH—C=CH

+

HsO

"'.so.' - »

H a C=CH—CO—CH 3

Für die aromatischen Ketone liegt eine allgemeine Darstellungsreaktion in der schon auf S. 60 formulierten Friedel-Crafts-Synthese mit Garbonsäurechloriden als Kondensationskomponente vor. Acetophenon C9H6—CO—CH3 enthält noch eine aktive Methylgruppe und ist infolgedessen zu Kondensationsreaktionen befähigt. Sein Chlorderivat, das a-Chlor-acetophenon C,H 6 —CO— CH2—C1 übt auf die Augen eine außerordentlich starke Reizwirkung aus und findet deshalb Anwendung als (im übrigen unschädliches) Tränengas. Benzophenon C,H 6 —CO—C,H 6 , das einfachste rein aromatische Keton, besitzt keine aktive Methylengruppe mehr und kann deshalb weder oxydativ abgebaut noch mit den aktiven COGruppen anderer Carbonylverbindungen kondensiert werden. Ferner zeigt es nur noch stark abgeschwächte Carbcmylreaktionen (z. B. ist keine Bisvlfitverbindung und kein Cyanhydrin mehr bekannt). Es gehört also bereits zu den ausgesprochen reaktionsträgen Stoffen.

112

K a p . 4, I I : Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

3. Die Derivate der Aldehyde und Ketone Derivate der Oxoverbindungen sind alle Substanzen, in denen der Garbonylsauerstoff der Aldehyde und Ketone durch andere negative Atome oder Atomgruppen ersetzt ist. Man unterteilt sie zweckmäßig nach den in ihnen enthaltenen Heteroelementen. a) D i e H a l o g e n d e r i v a t e der A l d e h y d e und K e t o n e Bei den einfachsten Halogenderivaten der Oxoverbindungen ist der Sauerstoff durch zwei Halogenatome substituiert, eine Reaktion, die man durch Umsetzen mit Phosphorhalogeniden auch praktisch verwirklichen kann: R—CH=0

+

PC15

*

R—CHC12 +

POCl 3

Man kommt hierbei zu Dihalogen-paraffinen von der Art des Methylenchlorids (S. 72), die im allgemeinen noch zu den Halogenverbindungen gerechnet werden und nicht als Aldehyd- bzw. Ketonderivate im engeren Sinne gelten. Eine andere Reihe von Halogenderivaten der Oxoverbindungen mit nur einem Halogenatom am Carbonylkohlenstoff sind die a-Halogen-dialkyläther, die bei der Einwirkung von Alkoholen und trockenem Halogenwasserstoff auf Aldehyde bzw. Ketone über die nicht isolierbaren halbacetalartigen Zwischen Verbindungen I (s. auch unten) als Zwischenverbindungen entstehen: OH )C=0

+

.Hai

+ H—Hai

HO—R O—R

- ir.o

c(

/

+

h2o

O—R

Die zweite Teilreaktion verläuft der unten beschriebenen Acetalisierung analog. Das Halogenatom der a-Halogen-dialhyläther ist deutlich reaktionsfähiger als das der Alkylhalogenide. Dem bekanntesten Beispiel werden wir auf S. 428/9 in der Acetobrom-glucose begegnen.

b) D i e S a u e r s t o f f d e r i v a t e der A l d e h y d e und K e t o n e a) Die Hydrate und Halbacetale Wie schon auf S. 100 formuliert sind Aldehyde und Ketone zur Anlagerung von Wasser und Alkoholen unter Bildung von Hydraten und Halbacetalen befähigt: \

/x

c

/

0

\N

H

OH

Hydrat

,

+ H.o

r



/ L — U '

+ HO—Alk

-

,

\

'

/

c

yO—Alk

\N

OH

Halbacetal

Beide Arten von Substanzen sind sehr unbeständig und bilden bei jedem Versuch zu ihrer Isolierung sofort wieder die freien Oxoverbindungen zurück. Wir begegnen hier erstmals der folgenden allgemein gültigen Gesetzmäßigkeit: Verbindungen, die'neben einer Hydroxylgruppe noch einen zweiten negativen Substituenten am gleichen C-Atom enthalten, sind meistens nicht existenzfähig und spalten diesen zweiten Liganden mit dem Hydroxylwasserstoff unter Bildung einer Carbonylgruppe ab (oder bei Stickstoffverbindungen auch die OH-Gruppe als Wasser):

113

3 b / ? : Die Acetale u n d Ketale /OH

\

All

— HX

)C=0

/

C

\

R

— H,0

)C=N—R

OH

Löst man die Aldehyde und Ketone jedoch in Wasser oder Alkoholen, so verschieben diese wegen ihrer hohen Konzentration das Gleichgewicht zugunsten der Hydrate bzw. Halbacetale, und man muß mit deren Bildung in größerem Umfang rechnen. Auf ihre Anwesenheit ist zumindest z. T. die starke Wasserlöslichkeit der niederen Oxoverbindungen zurückzuführen. Stabile Hydrate, Halbacetale usw. bilden n u r wenige Substanzen, die durch eine starke Beladung des der Carbonylgruppe benachbarten C-Atoms mit negativen Liganden ausgezeichnet sind. Beispielsweise ist Chloralhydrat C1 3 C—CH(OH) 2 ein sehr beständiger kristallisierter Körper, der aus Chloral u n d Wasser unter deutlicher Erwärmung entsteht. Bez. weiterer Beispiele vgl. S. 164 u n d S. 189.

ß) Die Acetale und Ketale Ersetzt m a n in den Halbacetalen die Hydroxylgruppe durch einen zweiten Alkoxyrest, was in der Aldehydreihe am besten durch Kochen der freien Oxoverbindung mit überschüssigem Alkohol in saurem Medium geschieht (sog. Acetalisierungsreaktion), so kommt man zu den Acetalen, deren Namen soviel wie ylceialdehyd^likohol-Verbindung bedeutet: x

,0—Alk

x

/C=0

+

HO—Alk

s



• O—H

+

HO-Alk

;c(

/

,0—Alk Yj-Alk

Halbacetal

Acetal

Die sich von den Ketonen ableitenden analogen Verbindungen werden häufig unter dem Namen Ketale oder Keton-acetale von den Aldehyd-acetalen (bzw. Acetalen im engeren Sinne) abgegrenzt. Sie können meistens nicht mit Hilfe der oben beschriebenen Acetalisierungsreaktion gewonnen werden. F ü r ihre Darstellung eignet sich am besten die Übertragung zweier Alkoxygruppen von Verbindungen, die diese Reste unter Energieabgabe gegen ein O-Atom auszutauschen bestrebt sind. Hierfür kommen vor allem die Orthocarbonsäureester (II, S. 131), die Schwefligsäureester (III) und die Kieselsäureester (IV) in Betracht, die sich im Sinne folgender summarischer Gleichungen mit den Aldehyden und Ketonen umsetzen (bez. weiterer Bildungsreaktionen s. unten und I, K a p . 4, I I , 3 c y):

+

>

c

=

o

o—Aik

>C< o

^

+ > = o

III\)—Alk

-

8 0

-

,

+

O—Alk

x

o-Aik

'

In ihren physikalischen Eigenschaften ähneln die Acetale und Ketale den Äthern und Estern gleicher Molekülgröße. Chemisch sind sie vor allem dadurch ausgezeichnet, daß sie im Gegensatz zu den freien Oxoverbindungen eine weitgehende Stabilität gegenüber Alkalien und oxydierenden Agenzien aufweisen. Nur gegenüber Säuren beobachtet man eine gewisse Labilität. 8

K l a g e s , Einführung org. Chemie

lv

114

Kap. 4, I I : Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

Z. B . tritt in loäßrig-saurem Medium eine Hydrolyse zu den freien Oxoverbindungen und Alkoholen (als Gegenreaktion zu der oben formulierten Bildung) und in angesäuerten Alkoholen eine Umacetalisierung genannte Alkoholyse zu anderen Acetalen ein: \ )c=0

\

u n

+ 2 H 0 — A l k c=c=o

O—R

/

)CH—C Na CarbODsäure-chlorld

NH.

/CH— Ci X

x

o nh2

Carbonsäure-amld

yCH—c/

o R

Keton

Man betrachtet die Ketene deshalb trotz der niedrigeren Oxydationsstufe des Carbonylkohlenstoffs vielfach als Carbonsäurederivate, und zwar speziell, weil die Säuren selbst durch Wasseranlagerung aus ihnen entstehen, als deren innermolekulare Anhydride. Carbomethylen H 2 C = C = 0 , der Grundkörper der Reihe, wird meistens Keten schlechthin genannt und heute praktisch ausschließlich durch Wasserabspaltung aus Essigsäure bei 600— 800° gewonnen. Es ist ein unerträglich riechendes Gas, das sich erst bei —56° kondensiert (also um 76° tiefer als der nur um zwei H-Atome reichere Acetaldehyd!). In der Technik dient es als Acetylierungsmittel, z. B. zur Darstellung von Essigsäureanhydrid (S. 139) aus Eisessig. KotalenSübosid 0 = C = C = C = 0 , ein die Augen und Atmungsorgane stark reizendes Gas vom Kondensationspunkt 7°, ist ein Dilceten, und zwar speziell das monomolekulare Dianhydrid der Malonsäure (S. 174). Die Verbindung enthält nur noch Kohlenstoff und Sauerstoff im Molekül und weist somit formal die Zusammensetzung eines Kohlenstoffoxids auf. Doch liegt insofern kein echtes Oxid vor, als nicht alle C-Atome gleichartig an Sauerstoff gebunden sind und damit nicht die sich aus der Verhältnisformel errechnende oxydative Wertigkeit besitzen. Vielmehr handelt es sich um eine komplizierte organische Verbindung, die zufällig nur aus den Elementen Kohlenstoff und Sauerstoff aufgebaut ist. Einem weiteren derartigen „anomalen Kohlenstoffoxid" werden wir auf S. 179 begegnen.

III. Die Carbonsäuren und ihre Derivate 1. Allgemeines Nimmt der Kohlenstoff die Oxydationsstufe 3 an, so kann er nicht mehr mit nur einem O-Atom abgesättigt werden. Er trägt vielmehr im einfachsten Fall ein doppelt gebundenes Carbonylsauerstoffatom und eine Hydroxylgruppe, so daß man zusammenfassend von einer Carboxylgruppe —CO—OH (abgekürzt meistens —COOH geschrieben) spricht.

120

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

Alle Stoffe, die eine derartige Carboxylgruppe enthalten, werden wegen ihrer sauren Natur Carbonsäuren genannt. Sie weisen die allgemeine Formel R—COOH auf, und R kann wieder sowohl gesättigt als auch ungesättigt, aromatisch und halogenhaltig sein. Da der Carboxylkohlenstoff mit drei Valenzen an Sauerstoff gebunden ist, vermag er nur noch eine C—C-Bindung auszubilden. Hl

Er ist also stets primär und steht an einem Kettenende.

Die Benennung der Carbonsäuren geschieht in ungewöhnlich hohem Maße durch Trivialnamen. Daneben gibt es zwei rationelle Bezeichnungsarten: Die Genfer Nomenklatur geht wieder von den Kohlenwasserstoffen gleicher Kohlenstoffzahl aus, an deren Namen die Gruppenbezeichnung -säure gehängt wird. Die Ameisensäure HCOOH heißt danach Methan-säure und die Essigsäure H 3 C—COOH Äthan-säure. Daneben ist es aber auch üblich, die gesamte Carboxylgruppe als Substituent eines um ein G-Atom ärmeren Kohlenwasserstoffs zu betrachten. Danach wäre die Essigsäure eine Methan-carbonsäure und die Benzoesäure C6H6—COOH eine Benzol-carbonsäure. Zwischen beiden Nomenklaturprinzipien muß man scharf unterscheiden, denn Ausdrücke wie Methan-säure und Methan-carbonsäure bezeichnen jeweils zwei verschiedene, in ihrer Zusammensetzung um eine CHi-Gruppe voneinander abweichende Carbonsäuren.

Vorkommen. Die Carbonsäuren treten z. T. in freier Form, z. T. in Form ihrer Derivate in sehr großer Zahl in der Natur auf und sind maßgeblich am Aufbau wichtiger Lebensstoffe (z. B. der Fette) beteiligt. Auch bei biochemischen Abbauprozessen, insbesondere dem Kohlenhydrat- und Eiweißabbau, spielen eine Reihe von Carbonsäuren eine wichtige Rolle als Zwischenprodukte. Für die Darstellung der Carbonsäuren kommen vor allem drei Verfahren in Betracht : 1. die Oxydation von Verbindungen mit einer niedrigeren Oxydationsstufe des Kohlenstoffs, 2. die Einführung der Carboxylgruppe mit Hilfe synthetischer Reaktionen, und 3. die Carbonsäurebildung bei Abbaureaktionen. Zu 1. Primäre Alkohole und Aldehyde lassen sich ohne Schwierigkeit zu Carbonsäuren oxydieren, weil die Carboxylgruppe jeweils die Endstufe der Oxydation darstellt, man also keine Überschreitung der Carbonsäurestufe zu befürchten braucht: R—CH 2 —OH

0xydatlon

-*

R—CH=0

R—COOH

Schwieriger ist die Oxydation endständiger Methylgruppen zu Carboxylgruppen durchzuführen, weil sie erst unter energischeren Bedingungen angegriffen werden, als sie die sekundären oder gar tertiären CH-Gruppen zur Oxydation erfordern. Es treten infolgedessen leicht unerwünschte Nebenreaktionen ein. Nur in besonderen Fällen, wie z. B. bei der oxydativen Umwandlung aromatischer Methylseitenketten in Carboxylgruppen (S. 63), wird daher dieses Verfahren zur Carbonsäuredarstellung herangezogen.

Zu 2. Die älteste bekannte Carbonsäuresynthese ist die KoLBESche Nitrilsynthese, die auf der Alkylierung des Cyanid-Ions mit Alkylhalogeniden beruht. Sie führt primär zu den Garbonsäure-nitrilen (S. 135), die sich dann sekundär leicht zu den Carbonsäuren selbst hydrolysieren lassen: R—Hai

+

Na CN

- -NaHaU

R-feN Carbonsäure-nitril

Hydroly9e

.

R-COOH Carbonsäure

1 : Die Darstellung der Carbonsäuren

121

Die Reaktion hat viele Variationen erfahren. Insbesondere kann man das Cyanid-Ion mit Hilfe der SANDMEYER-Reaktion (S. 227) und der Cyanidschmelze aromatischer Sulfonsäuren (S. 248) auch arylieren und so zu aromatischen Carbonsäuren gelangen. (Bez. weiterer Möglichkeiten vgl. I, Kap. 4, I I I , 1 und Kap. 12, III, 1 a.)

Ein der KoLBEschen Nitrilsynthese ähnlicher Aufbau von Carbonsäuren und ihren Derivaten liegt in der Carbonylierungsreaktion (S. 45, 52) vor. Hier wird das dem Cyanid-Ion nahe verwandte Kohlenoxid (vgl. S. 311/2) mit Hilfe von Olefinen oder Acetylen alkyliert. Weiterhin kann man die erst später behandelten GRiONARDreaktionen zur Carbonsäuresynthese verwenden, indem man metallorganische Verbindungen (meistens G/i/öA'.iiÄBverbindungen des Typus R—MgHal) mit Kohlendioxid umsetzt (S. 264): R—MgHal +

0=C=0



Hydfolyse

R-CT



R_C^

OMgHal

OH

Eine ähnliche Einführung des Carboxylkohlenstoffs ist in der aromatischen Reihe auch mit Hilfe halogenhaltiger Kohlensäurederivate nach dem F R I E D E L - C R A F T S Verfahren möglich. Die Reaktionen verlaufen in voller Analogie zu der bereits formulierten Ketonsynthese (S. 60) und führen zu Carbonsäurederivaten. Die wichtigsten Möglichkeiten sind in folgendem Formelbild zusammengestellt: f

f

\—C=N

= /

>
o " \ = /

=o \ — /

Cyclohexanon

O

c

o

o

H

COOH

Adipinsäure

Physikalisehe Eigenschaften: Wie Tabelle 10 erkennen läßt, zeigt die Carboxylgruppe eine stark siedepunktserhöhende Wirkung, die auf ihre Befähigung zur Ver-

122

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

knüpfung von. zwei Carbonsäuremolekülen durch Wasserstoffbrücken zu einem Doppelmolekül (S. 3 6 3 ) zurückzuführen ist. A u c h die Schmelzpunkte sind aus diesem Grunde höher als bei den bisher beschriebenen Verbindungen. Die flüchtigen Carbonsäuren riechen meistens unangenehm. Der charakteristische Eigengeruch tritt bei den niederen Säuren erst bei größerer Verdünnung in Erscheinung (z. B . der säuerliche Geruch der Essigsäure und der schweißartige Geruch der Buttersäure), weil diese Säuren in hoher Konzentration unerträglich stechend riechen und dadurch die empfindlichen Geruchsnerven lähmen. Hinsichtlich der Lösungseigenschaften können die Carbonsäuren mit den Alkoholen verglichen werden. Die Carboxylgruppe ist jedoch noch stärker hydrophil als die Carbinolgruppe, und man beobachtet infolgedessen bis zur Buttersäure (bei den Alkoholen nur bis zum Propanol) eine unbegrenzte Mischbarkeit mit Wasser. Ferner sind sämtliche Carbonsäuren in organischen Lösungsmitteln gut löslich. Insbesondere Ameisensäure und Essigsäure finden wegen dieser hervorragenden Eigenschaften häufig Anwendung als Lösungsmittel und als Reaktionsmedium. Tabelle 10 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger Carbonsäuren Trivialnamen Genf. Nomenklatur Ameisensäure Essigsäure Propionsäure Buttersäure Valeriansäure Capronsäure Acrylsäure Benzoesäure

Methansäure Äthansäure Propansäure n-Butansäure n-Pentansäure n-Hexansäure Propensäure —

Formel HCOOH CH3—COOH CH 3 —CH 2 —COOH CH 3 —(CH 2 ) 2 —COOH CH 3 —(CH 2 ) 3 —COOH CH 3 —(CH 2 ) 4 —COOH CH 2 =CH—COOH C 6 H 5 —COOH

Sdp.

Smp.

101° 8,4° 16,6 118 141 —20 153 — 5 187 —35 — 4 205 141 + 13 249 + 122

D/T flüssig 1,226/18° 1,049/20 0,999/15 0,960/19 0,940/19 0,930/20 1,062/16 —

PV) 3,75 4,75 4,88 4,81 4,80 4,84 4,25 4,19

Chemische Umsetzungen sind sowohl in der Carboxylgruppe als a u c h im organischen Rest möglich. D o c h t r e t e n sie a n Reichhaltigkeit hinter den Aldehydreaktionen zurück. I m einzelnen müssen hervorgehoben w e r d e n : 1. die R e a k t i o n e n des Carboxylwasserstoffs, 2 . die Substitution der g e s a m t e n Hydroxylgruppe, 3. die R e a k t i o n e n der Carbonylgruppe, 4 . die R e a k t i o n e n der aktiven Methylengruppe, 5 . das Verhalten gegen Oxydations- u n d Reduktionsmittel und 6. Abbaureaktionen. Zu 1. W i e schon der N a m e sagt, sind Carbonsäuren echte Säuren, die Kohlensäure aus ihren Salzen freisetzen u n d m i t Alkalilaugen scharf titriert werden können. I h r e Säurestärke ist jedoch relativ gering. Die p K s - W e r t e der einfachen Carbonsäuren liegen zwischen 4 und 5 , und m a n k a n n infolgedessen die Säuren in Mischung m i t ihren Salzen zur Pufferung der H+-Ionenkonzentration verwenden (vgl. physikochemische L e h r b ü c h e r ) . Statt durch die früher gebräuchliche Dissoziationskonstante charakterisiert man heute die Säurestärke meistens durch den pKg-Wert. Hierunter versteht man (in Analogie zu dem verwandten Begriff des pif-Wertes) den negativen dekadischen Logarithmus der Säuredissoziationskonstante. In analoger Weise stellt der PKb-Wert den negativen Logarithmus der Basendissoziationskonstante basischer Verbindungen dar. Isteiner dieser Werte z. B . gleich 0,00002 ( = 2 - 1 0 ~ 6 ) so errechnet sich der pk 8 - bzw. pK b -Wert zu 4,7. Man vermeidet auf diese Weise die umständliche Wiedergabe der Zehnerpotenzen.

1 : Die Reaktionen der Carbonsäuren

123

Typische Reaktionen des Carboxylwasserstoffs sind die Salzbildung und die Veresterung mit Diazomethan (S. 223) : R-COOMt

., t h,°oH

+CH

R--Vf

R—C^ OH +

H - O -Alk

+

H20

O—Alk

2. die Alkylierung der Carbonsäuren mit Diazomeihan (S. 224) oder der carbonsauren Salze mit den üblichen Alkylierungsmitteln: R—COONa

+

H a l - Alk

NaT al

'

-

R—COO—Alk

3. die Acylierung von Alkoholen mit Carbonsäurechloriden oder -anhydriden: •p

/O r^/y U \ X C1 (bzw. O—Ac)

ß + HO-Alk — HCl (bzw. HO—Ac) '

„ K—W

O—Alk

2 b ß: Die Carbonsäureester

129

Die Säurechloride reagieren mit Alkoholen ohne Katalysatoren unter HCl-Entwicklung, können aber auch nach E I N H O R N oder S C H O T T E N - B A U M A N N ( S . 1 2 8 ) in basischen Medien umgesetzt werden. Die Säureanhydride bedürfen dagegen meistens der Katalyse (s. auch S. 131). Physikalische Eigenschaften. Die Ester sind durchweg angenehm riechende Substanzen, die ähnlich hoch sieden wie die Oxoverbindungen gleicher Kohlenstoffzahl. Ihre Schmelzpunkte liegen ungewöhnlich niedrig, so daß sie überwiegend Flüssigkeiten darstellen. Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften und der Möglichkeit der Verwendung als Lösungsmittel sind sie mit den Ketonen vergleichbar. Die chemischen Umsetzungen der Carbonsäureester lassen sich in 1. die R e a k t i o n e n der Estergruppe u n d 2. die R e a k t i o n e n der aktivierten Methylengruppe unterteilen. Zu 1. V o n d e n Umsetzungen der Estergruppe (Carbalkoxygruppe) haben hauptsächlich die solvolytischen Spaltungsreaktionen größeres Interesse erlangt. Sie n e h m e n , wie schon auf S. 86 e r w ä h n t , s t e t s einen acylierenden Verlauf. Die wichtigsten v o n ihnen s i n d : a) die Esterhydrolyse R—COO—Alk +

H20



R—COOH +

HO—Alk

Sie ist die U m k e h r r e a k t i o n der o b e n f o r m u l i e r t e n Veresterung wie diese n u r bis zu einem Oleichgewicht.

und verläuft

D i e eigentliche H y d r o l y s e e r f o r d e r t Temperaturen um 100° u n d starke Mineralsäuren als K a t a l y s a t o r , k a n n a b e r oberhalb 150° a u c h ohne Katalysatoren durchgeführt werden. Neben der säurekatalysierten Hydrolyse besteht auch die Möglichkeit einer alkalischen Esterspaltung, die nach der alkalischen Fettspaltung zu den Seifen (S. 448) allgemein Verseilung genannt wird. Sie geht schon bei Raumtemperatur relativ rasch vor sich und ist dadurch charakterisiert, daß die bei der Hydrolyse entstehende freie Carbonsäure infolge des alkalischen Reaktionsmediums in neutralisierter Form anfällt: R—CO —O—Alk +

HONa

v

R—COONa +

HO—Alk

Die Wirkung des Alkalis ist also nicht mehr katalytisch, denn es wird ein Mol des Spaltungsmittels verbraucht, und das Reaktionsgleichgewicht verschiebt sich wegen des Abfangens der freien Carbonsäuren bis zur vollständigen Esterverseifung. b) die der Umacetalisierung

(S. 114) analoge Umesterung:

X) R -cf + HO : \p—Alk

,0 R—cf \>

Alk'

+

HO—Alk

Alk'

Sie führt immer zu einem Gleichgewicht und wird sowohl durch Säuren als auch durch Basen (hier durch Alkali-alkoholate) katalysiert. Die Reaktion findet praktische Anwendung zur Freisetzung komplizierterer Alkohole aus ihren Estern mit Hilfe einfacher Alkohole. c) die Aminolyse: R—C "

s

+ H:—NH 2 O - -Alk

>

R—C^

X

+

HO—Alk

NH 2

Sie e r f o r d e r t als einzige R e a k t i o n dieser G r u p p e keine Katalyse u n d d i e n t sowohl zur D a r s t e l l u n g v o n Carbonsäureamiden (S. 133) als a u c h zur F r e i s e t z u n g der alkoholischen Esterkomponente. 9

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

130

Als weitere Reaktion der Estergruppe sei die mit Lithium-aluminium-hydrid eintretende reduzierende Spaltung zu zwei Alkoholmolekülen erwähnt, die hauptsächlich zur Reduktion der Säurekomponente des ursprünglichen Esters Anwendung findet: LiA1H

R—COO—Alk

' > R—CH 2 —OH +

HO—Alk

Ferner ist die Carbonestergruppe zur Umsetzung mit metallorganischen Verbindungen (S. 264) und zu der unten beschriebenen Esterkondensation befähigt.

Zu 2. Die aktive Methylengruppe der Ester kann im Gegensatz zu der der freien Carbonsäuren einige Kondensationsreaktionen eingehen, von denen die wichtigste die in Gegenwart von Natriumalkoholat oder Natriumamid vor sich gehende Ester- oder CLAisENkondensation ist. Bei ihr treten zwei Estermoleküle im Sinne der folgenden summarischen Gleichung zu einem 1,3-Keto-carbonsäureester zusammen: 0

R'

II R— C—0—Alk +

O

0

I II H—CH—C—0—Alk

-HO-Alf

R'

0

II 1 II R—C—CH—C—0—Alk

Eine ähnliche Reaktion ist auch zwischen der aktiven Methylengruppe eines Ketons und der Alkoxygruppe eines Carbonsäureesters möglich und führt dann zu 1,-3-Diketonen: O

R'

O

II.

I

II

R— C— O—Alk +

H—CH—C—Alk

0

-HO-Alk H

R'

II 1

-

O

II

R—0—CH—C—-Alk

Die Esterkondensation eröffnet im Zusammenhang mit den auf S. 165 und 190/1 beschriebenen Spaltungsreaktionen der 1,3-Diketone und 1,3-Keto-carbonsäureester eine wichtige Synthesemöglichkeit zum Aufbau höherer Ketone und Carbonsäuren. Bez. des ziemlich komplizierten Reaktionsmechanismus vgl. I, Kap. 12, III, 2d und II, Kap. 4, III, 2. y) Die Carbonsäure-anhydride Unter Carbonsäure-anhydriden versteht man die aus zwei Carbonsäuremolekülen unter Wasseraustritt entstehenden Verbindungen der allgemeinen Struktur R—CO—0—CO—R'. J e nachdem, ob R und R' gleich oder verschiedenartig sind, unterscheidet man zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Anhydriden. Darstellung. Die direkte Wasserabspaltung aus zwei Molekülen einer Carbonsäure läßt sich mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. 139, 176, 178f.) nur schwierig durchführen. Man gewinnt die Anhydride deshalb meistens durch Acylierung eines carbonsauren Salzes mit einem Carbonsäurechlorid oder Keten als Acylierungsmittel, eine Reaktion, die auch zur Darstellung unsymmetrischer Anhydride geeignet ist: R

(•()—O Na

+

Cl—CO—R'

~NaC'->

R—CO—O— CO—R'

Ferner kann man freie Carbonsäuren durch Kochen mit den Anhydriden anderer Carbonsäuren (meistens mit Essigsäureanhydrid) auf dem Wege einer „Umanhydrisierung" in ihre Anhydride umwandeln. In Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen können hierbei sowohl das gemischte Anhydrid beider Säuren (I) als auch das symmetrische Anhydrid der zu anhydridisierenden Säure (II) entstehen:

2 b y und

n" \

131

R—C0X +

OH

2

Acet-anhydrid — 2 Essigsäure

R—CO N

R—CO7

\

Glelchgewlchts8 elnateUung

H 3 C—CO X/

;o +

H,C—CO

O H,C—CO'

Ii

Die Carbonsäureanhydride sind ziemlich hochsiedende Substanzen, deren flüchtige Vertreter einen ähnlich stechenden Geruch aufweisen wie die zugehörigen Säuren. Sie stellen ebenfalls wichtige Acylierungemitld dar, die wie die Carbonsäurechloride (S. 127) einen Acylrest auf andere Substanzen zu übertragen vermögen: 0 R—Cf

R +

X—

o

• X OH

Da bei diesen Acylierungsreaktionen stets einer der beiden Acylreste als Säure freigesetzt wird, ist günstigenfalls eine 50 °/o ige Ausnutzung der organischen Materie des Anhydrids möglich. Hierdurch wird die praktische Anwendbarkeit, insbesondere der Anhydride der höheren Carbonsäuren, stark eingeschränkt.

Die Carbonsäureanhydride reagieren nur mit stärker basischen Stoffen (Ammoniak, Amine, Alkalien usw.) spontan und bedürfen bei der Acylierung von Alkoholen der Katalyse. Praktisch angewandt werden konzentrierte Schwefelsäure und Zinkchlorid als saure sowie Pyridin und Natriumacetat als basische Katalysatoren. Die aktive Hethylengrnppe der Carbonsäureanhydride läßt sich bereits ohne Schwierigkeiten chlorieren, nitrieren und sulfonieren. Ferner ist sie zu einigen Kondensationsreaktionen befähigt, von denen wir die PERKlNsche Zimtsäuresynthese noch kennenlernen werden (S. 141).

(langsam)

D

n

/y \ OH

Eine praktische Anwendungsmöglichkeit dieser starken Tendenz zur Abgabe von zwei Alkoxyresten haben wir auf S. 113 in der Darstellung von Ketalen durch Umsetzung von Orthocarbonsäureestern mit Ketonen kennengelernt. e) Die Peroxyderivate der Carbonsäuren Da das Hydroperoxid zwei substituierbare H-Atome enthält, liefert es zwei Arten von Acylderivaten: l.die Percarbonsäuren R—CO—O—OH und 2. die Diacyl-peroxide R—CO—O—0 CO—R.

Zu 1. Die Percarbonsäuren erhält man am besten durch partielle Spaltung der leichter darstellbaren Diacyl-peroxide mit Natriumalkoholat: R—CO—0—O—CO—R +

R'—0|Na

-

R—CO—0—ONa +

R'—O—CO—R

Sie sind den Carbonsäuren ähnliche Stoffe mit einer diesen gegenüber deutlich verminderten Acidität. Ferner neigen sie als Peroxyverbindungen leicht zur Verpuffung oder gar zu schweren Explosionen. Per-ameisensäure und Per-essigsäure finden technische, Per-benzoesäure präparative Anwendung als spezielle Oxydationsmittel (z. B. zur Überführung von Olefinen in Olefinoxide, S. 43, 157). Zu 2. Die Diacyl-peroxide werden bei der Acylierung des Hydroperoxids mit den üblichen Acylierungsmitteln als Primärprodukt gewonnen. Sie sind wesentlich beständiger als die Percarbonsäuren, so daß z. B. Dibenzoyl-peroxid auch in freiem Zustand ohne Explosionsgefahr gehandhabt werden kann. Die Diacyl-peroxide neigen bei höherer Temperatur zu einem langsamen Zerfall in zwei Sauerstoffradikale, die zur Auslösung von Radikalkettenreaktionen (S. 353) befähigt sind: R—CO—0—0—CO—R

2 R—CO—O •

Folgeprodukte

Hierauf beruht die wichtigste praktische Anwendung der Diacyl-peroxide als Polymerisationskatalysatoren in der Kunststoffindustrie. c) D i e S t i c k s t o f f d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n tx) Die Carbonsäure-amide Unter Carbonsäure-amiden (abgekürzt häufig auch Carbonamide genannt) versteht man (wie bei den anorganischen Säureamiden) Verbindungen, in denen die Säurehydroxylgruppe durch eine NH2-Oruppe ersetzt ist. Ihnen kommt also die allgemeine Strukturformel R—CO—NH 2 zu. Man kann die Säureamide aber auch als Acylderivate des Ammoniaks auffassen. Hier besteht die Möglichkeit, daß nicht nur ein, sondern auch zwei oder gar alle drei Ammoniak-II-Atome durch einen Acylrest substituiert sind, und man unterscheidet dementsprechend zwischen primären, sekundären und tertiären Säure-amiden:

133

2 c oc: Die Carbonsäureamide

R—C^

O

R-C^

j>NH

isn 2

R



R



c

^

x

sekundäres Carbonsäureamid

Im folgenden werden wir uns nur mit den primären

C—R

v

o primäres Carbonsäureamid

o

R-C^

o

tertiäres Carbonsäureamid

beschäftigen.

Carbonsäure-amiden

Die Amide der einfachen Carbonsäuren kommen nicht natürlich vor. Dagegen trifft man häufig carbonsäureamidartige Bindungen in Naturstoffen an, von denen an dieser Stelle insbesondere auf die Peptidbindungen der Eiweißstoffe (S. 478f.) hingewiesen sei. Für die Darstellung der Carbonsäure-amide gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: 1. die Acylierung des Ammoniaks mit Hilfe der üblichen Acylierungsmittel. Sie erfordert bei der Verwendung von Garbonsäurechloriden oder -anhydriden stets ein zweites Mol Ammoniak zur Neutralisation der entstehenden freien Säure: R—C^-

+ H—NH2

R— c f

X

+ H—X|

XNH

+NH'

,

NH 4 + X"

2

Man aeyliert deshalb häufig mit den Carbonsäureestern, da der hierbei freigesetzte Alkohol nicht mit dem Ammoniak reagieren kann (vgl. die Formulierung auf S. 129). Selbst die freien Carbonsäuren können bei höherer Temperatur als Acylierungsmittel verwandt werden, obgleich hier die primär beim Zusammengeben von Säure und Ammoniak stattfindende Ammoniumsahbildung erheblich stört (Näheres vgl. I, Kap. 4. I I I , 2 da).

2. die Wasseranlagerung an Nitrile, die durch Alkalien oder (seltener) Säuren katalysiert wird und stets vorsichtig durchgeführt werden muß, damit die entstehenden Amide nicht anschließend hydrolytisch gespalten werden (s. unten): R—C=N

+

H20



R—c /

( NH2

+ H'°

>

R—-COOH +

-

NH3] '

Physikalische Eigenschalten. Die Säureamidgruppe übt die stärksten Assoziationskräfte aller bisher beschriebenen Funktionen aus. Infolgedessen sieden sämtliche Carbonsäureamide oberhalb 200° und sind mit Ausnahme des Formamids bei Raumtemperatur fest. Ferner besitzt Formamid bereits ein wasserähnliches Lösungsvermögen für zahlreiche Salze und ist als erste organische Substanz, die wir kennenlernen, ausgesprochen lipophob, d. h. unlöslich in Äther, Chloroform und ähnlichen organischen Solventien.

Chemisches Verhalten Die Carbonsäureamide sind amphotere Substanzen, die sowohl mit starken Säuren als auch mit starken Basen leicht hydrolysierende Salze bilden. Lediglich einige schwerlösliche Schwermetallsalze sind etwas hydrolysebeständiger. Weiterhin zeigen die Carbonsäureamide eine Tautomerie mit einer Carbonsäure-imidForm: X) /OH Tautomerie

T,

XV

1

nNH 2 Orbonsäure-amid

^

T>

-LV

P

NS^

X NH Carbonsäure-imid

>

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

134

bei der das Gleichgewicht allerdings sehr stark zugunsten der Amid-Form verschoben ist. Doch sind zahlreiche beständige Derivate der Imid-Form bekannt (vgl. z. B. S. 136). Von den eigentlichen Umsetzungen der Carbonamidgruppe muß hervorgehoben werden: 1. die hydrolytische Spaltung. Sie erfolgt bereits ziemlich schwer und erfordert selbst beim Zusatz konzentrierter Mineralsäuren oder konzentrierter Alkalien stundenbis tagelanges Kochen. Weder die Säurespaltung noch die Alkalihydrolyse sind lcatalytische Vorgänge, denn in ersterem Falle wird das entstehende Ammoniak, in letzterem Falle die entstehende Carbonsäure durch das Spaltungsmittel neutralisiert: Q

R

—1K

+

H20 +

NH2

+

HCl



R—COOH

+

NaOH



R— COONa +

NH4C1 NH 3

Eine wesentlich mildere Spaltungsmöglichkeit besteht in der Umsetzung der Carbonsäureamide mit salpetriger Säure (Reaktion von Bouveault), die, vermutlich über eine unbeständige Diazoverbindung (I) als Zwischenprodukt, direkt zu der freien Carbonsäure und elementarem Stickstoff führt: R—CO—N H 2 +

0=N—OH

( R—CO:—N=N:—OH) I

R—CO—OH

2. die Reduktion zum primären Amin gleicher Kohlenstoff zahl. Sie kann nur mit Lithium-aluminiumhydrid durchgeführt werden und überspringt wie die entsprechende Reduktion der Carbonsäuren (S. 124) und Garbonsäureester (S. 130) die Aldehydstufe : L1A1H

« >

R—GEL.—NH,

3. die bei der Einwirkung von elementaren Halogenen eintretende Bildung von N-Halogen-carbonsäureamiden: R—CO—NH—H +

Hai—Hai

R—CO—NH—Hai +

HHal

Diese stellen eine neue Verbindungsklasse dar und zeichnen sich vor allem durch ihre Halogenierungstendenz aus, auf Grund deren sie als Halogenierungsmittel verwandt werden können (vgl. N-Brom-acetamid und N-Brom-succinimid, S. 68). Eine weitere interessante Reaktion der N-Halogen-carbonsäureamide ist die in Gegenwart von Alkalien erfolgende Abspaltung von Halogenwasserstoff zu dem instabilen Zwischenprodukt II, einem sog. Azen, das sofort in dem angegebenen Sinn eine Umlagerung zu dem Isocyansäureester (S. 145) I I I erfährt, der unter den Reaktionsbedingungen hydrolytisch in das um ein C-Atom ärmere primäre A min (IV) und Kohlendioxid zerfällt:

H

O II q

w

y /

/H

OH~

- H,0, - Br

/ / „

j\j ,•//

\ \

Br R—N=C=0

Hydroly8e

. R—NH 2 +

C0 2

JJmlagerung

135

2 c ß : Die Nitrile

Die trotz des komplizierten Mechanismus recht glatt verlaufende Reaktion wurde zu Ehren ihres Entdeckers HoFMiNNScher Abbau von Carbonsäureamiden genannt.

Ähnlich wie vom Ammoniak leiten sich auch von anderen organischen und anorganischen Aminoverbindungen säureamidartige Acylverbindungen ab. Die wichtigsten von ihnen sind: ,0 T> Xv

,0

f^"

"D XV

NH—NH 2 Carbonsäure-hydrazid

JO

r\/s

T> XV

X

\\H—OH Hydroxamsäure

JO D XV——

Lv

X

N3

Carbonsäure-azid

NH—R'

N-Alkyl-carbonsäareamid

ß) Die Nitrile In den Nitrilen ist der gesamte Sauerstoff der Carboxylgruppe durch ein N-Atom substituiert. Ihnen kommt somit die allgemeine Strukturformel R — C = N zu. Die Namen der Nitrile schließen sich eng an die der Acylverbindungen an. Nur wird die Endung -yl des Acylnamens durch die Endung -o ersetzt (z. B. Aceto-nitril H 3 C—CN, Butyro-nitril C 3 H,—CN usw.). Daneben ist auch eine Benennung als Alkylderivate der Blausäure gebräuchlich. Danach hieße das Acetonitril Methyl-cyanid und das Butyro-nitril Propyl-cyanid.

Die Nitrile sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. Amygdalin, S. 439) Kunstprodukte. Zu ihrer Darstellung dient außer den bereits beschriebenen Verfahren der KoLBESchen Nitrilsynthese (S. 120) und der Wasserabspaltung aus den Aldoximen (S. 118) vor allem die beim Erhitzen mit Phosphorpentoxid leicht vor sich gehende Wasserabspaltung aus Carbonsäureamiden (oder aus deren noch wasserreicheren Vorstufen, den Ammoniumsalzen der betreffenden Carbonsäuren): R—COO"NH 4 +

.

R—CO—NH S

>

R—C=N

Eigenschaften. Die Nitrile sind tief schmelzende, nicht unangenehm riechende Flüssigkeiten, die in Anbetracht der Tatsache, daß sie keinen assoziierenden Wasserstoff enthalten, ziemlich hoch sieden (Acetonitril z. B. bei 82°). Das ehemische Verhalten der Nitrile ist hauptsächlich durch die C = iV-Dreifachbindung bedingt, die in gewisser Beziehung mit der C=0-Doppelbindung verglichen werden kann. Allerdings ist sie wesentlich reaktionsträqer als diese (z. B. bilden die Nitrile keine Hydrate, Ammoniakate usw.). Direkt lassen sich nur katalytisch erregter Wasserstoff und metaüorganische Verbindungen anlagern: NMgX R—CH 2 —NH a



+ 2 H |

R—C=N

R

+ '~

MgX



R-C-R'

O Hydr

°'

y9e

-

R-C-R'

Ferner gelingt beim Kochen mit starken Alkalien die schon auf S. 133 kurz gestreifte Wasseranlagerung zum Carbonsäureamid, die wahrscheinlich auf einer primären Addition des OH -Ions beruht.

Interessanter ist die Säurekatalyse verschiedener Anlagerungsreaktionen, da hier das Proton zunächst vom Stickstoff unter Bildung eines Nitrilium-Ions R—C=NH +

136

K a p . 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

aufgenommen wird, dessen Dreifachbindung bereits derart aktiv ist, daß die Nitriliumsalze selbst (mit wenigen Ausnahmen) nicht mehr beständig sind (F. K L A G E S 1955). Sie lagern vielmehr sofort ein zweites Mol der Säure an (z. B. Chlorwasserstoff zum Hydrochlorid des Carbonsäure-imidchlorids) oder zugesetzte basische Stoffe zu den entsprechenden Carbonsäureimidderivaten:

R—C=N

+ HC1

NH,

HCl

([R—C=NH]+Cr)

»

er

R—C V

C1

Nitrilium-chiorid (nicht existenzfähig)

s

NH,

+ NH,

+ HO—R

er

R— G

Carbonsäure-imidchloridhydrochlorid

er

R—C NH,

0—R

Carbonsäure-amidinhydrochlorid

Carbonsäure-imidoesterhydrochiorid

Den salzsauren Imido-estern sind wir bereits als Zwischenprodukten bei der Orthocarbonsäureestersynthese begegnet (S. 131). Sie gehen bei der Einwirkung von Basen unter Chlorwasserstoffabspaltung in die neutralen Imido-ester R—C(=NH)—O—Alk über, die wegen des Fehlens der OH-Gruppe nicht mehr zur Tautomerie mit einer Carbonsäureamidform befähigt sind und infolgedessen zu den wenigen stabilen Carbonsäure-imidderivaten gehören. Die den salzsauren Amidinen als Basen zugrunde liegenden freien Amidine R—C( = N H ) — N H 2 zählen mit pK b -Werten < 2,0 (gegenüber einem pK b -Wert des Ammoniaks von 4,75) zu den stärkst basischen Stickstoffverbindungen, die wir kennen (bez. der Ursache dieser starken Basizität vgl. S. 341).

d) Die S c h w e f e l d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n Die wichtigsten Schwefelderivate der Carbonsäuren sind die Thiocarbonsäuren. Sie treten in den beiden tautomeren Formen I (bei weitem überwiegend) und I I auf, von denen sieh zwei Reihen von Ester ableiten, die als Thio- (bzw. Thiol-) und Thion-carbonsäureester bezeichnet werden: t>

Ii

e r

/O

V\

• Veresterung

S—R'

/O

/f

Ii

Thio(i)-carbonsäureester

U I

SH

\

XV

/

/OH

X

Veresterung

S

II

Iv

,0—R'

/ X

S

Thion-carbonsäureester

Die Thio(l)-carbonsäureester stellt man am besten durch Aeylierung von Mercaptanen mit Säurechloriden dar (S. 127, 243). Sie zeigen eine gewisse Acylierungstendenz und können als Acylierungsmittel Verwendung finden. Von dieser Möglichkeit macht u. a. auch die Natur Gebrauch, indem sie ihre Acetylierungsreaktionen mit dem komplizierten Thiolcarbonsäureester Acetyl-coenzym A (S. 528) durchführt. Von weiteren Schwefelderivaten der Carbonsäuren seien nur die Formeln der Dithio-carbonsäuren mit zwei und der Trithio-orthocarbonsäureester mit drei S-Atomen am Carboxylkohlenstoff angeführt: yS R—cf SH Dithio-carbonsäuren

S—R' R— C^-S—R' S—R' Trithio-orthocarbonsäurcester

137

3 a: Die Ameisensäure

3. Einzelne Carbonsäuren a) Die g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e n Die Ameisensäure (Methansäure, Acidum formicicum) H—COOH wurde schon 1670 im Ameisengif t entdeckt (WRAY) und ist auch im Gift der Brennessel enthalten. Ameisensäure nimmt als Anfangsglied der Reihe eine gewisse Sonderstellung ein, die dadurch bedingt ist, daß sie als einzige Carbonsäure ein leicht abspaltbares H-Atom am Garboxylkohlenstoff gebunden enthält und infolgedessen in nahe Beziehungen zu beiden Oxiden des Kohlenstoffs treten kann. Z. B. wird Ameisensäure technisch in Form ihres Natriumsalzes durch Anlagerung von Natriumhydroxid an Kohlenoxid gewonnen und kann mit Hilfe wasserentziehender Mittel (P 2 0 6 , konz. Schwefelsäure) auch rückwärts wieder eine Wasser abspaltung zu Kohlenoxid erfahren: — H,0 (11,804 oder P,0S) I

C=0

111

;

+

12 0 15 tt ~ .°'->

NaOH

6—8 At

+ H

H—COONa

_

*->

Na+

I

H—COOH

Kohlenoxid ist also das monomolekulare Anhydrid der Ameisensäure.

Die Beziehungen zum Kohlendioxid kommen vor allem in der großen Oxydationsempfindlichkeit der Ameisensäure zum Ausdruck. Diese enthält nämlich im Gegensatz zu allen anderen Carbonsäuren noch eine Aldehydgruppe und kann deshalb verhältnismäßig leicht zum Kohlendioxid dehydriert werden (z. B. mit typischen Aldehydreagenzien wie ammoniakalischer Silberoxidlösung)-. ÍH

I

H

~H* >

0=c—Ö:H

0=C=0

Diese Dehydrierungstendenz ist sogar so groß, daß Ameisensäure als einzige bekannte Verbindung bei Raumtemperatur elementaren Wasserstoff abzuspalten vermag. Die Reaktion ist allerdings nur in schwach alkalischen Medien möglich. Physiologisch zeichnet sich Ameisensäure durch eine starke Giftivirlcung, insbesondere gegenüber Kleinlebewesen aus. Sie dient deshalb vielfach als Antiseptikum.

Auch bei den Derivaten der Ameisensäure lassen sich noch gewisse Beziehungen zum Kohlenoxid erkennen. Vor allem zeigen alle Derivate des Typus HCO—X, in denen sich X von einer starken Säure ableitet (z. B. Formylchlorid HCO—C1 oder Ameisensäureanhydrid HCO—0—CHO) eine große Zerfallstendenz in Kohlenoxid und die Säure HX. Derartige Substanzen sind daher nur bei tiefen Temperaturen beständig (z. B. Formyl-chlorid < —30°) oder überhaupt noch nicht dargestellt worden (z. B. Ameisensäureanhydrid). Basische Verbindungen HX, wie etwa Natronlauge, Ammoniak oder auch Alkohole in Gegenwart des stark basiachenAlkoholat-Ions, kann man dagegen leicht an Kohlenoxid unter Bildung recht beständiger Derivate (Natriumformiat [s. oben] Formamid und Ameisensäureester) anlagern: HCO—NH2

.« +

C = 0

+H

°~Alk >

HCO—O—Alk

Das interessanteste Ameisensäurederivat ist die zur anorganischen Chemie zählende Blausäure H—C = N, die das Nitril der Ameisensäure darstellt. Wegen

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

138

ihrer stark endothermen Natur (s. unten) bildet sie sich (ähnlich wie Acetylen, S. 54) relativ leicht bei sehr hohen Temperaturen (z. B. in Sternaimosphären und in einem in stickstoff- und wasserstoffhaltiger Atmosphäre brennenden Kohlelichtbogen). Die Gewinnung der Blausäure geschieht meistens durch Zersetzen ihrer Salze mit Schwefelsäure. Die Salze stellt man im wesentlichen nach anorganischen Methoden dar, z. B. das Blutlaugensalz durch Verglühen stickstoffhaltiger organischer Substanzen mit Eisen und Pottasche und das Natriumcyanid aus Ammoniak, Kohle und metallischem Natrium bei 800°. In letzterem Fall wurdenNatriumamid und Natrium-cyanamid (I, S. 146) als Zwischenprodukte nachgewiesen: ~H' >

2 Na + 2NH 3

2 NaNH 2

° •

NaN=C=NNa I

+ C

-

2 NaC=N

Eine typisch organische Bildungsreaktion ist die Wasserabspaltung aus Formamid, die man mit der Formamidbildung selbst verknüpfen kann, indem man z. B. Kohlenoxid und Ammoniak bei Temperaturen oberhalb 400° über Dehydratisierungskatalysatoren leitet: !C=OI +

500

NH 3

' -

|H—CO—NH 2 j

~~ H »°-

H—C=N

Blausäure siedet bereits bei 26° und ist sehr stark endotherm (die Bildungswärme aus den Elementen beträgt + 31 kcal/Mol). Sie erleidet deshalb leicht Zersetzung oder Polymerisation zu einem Azulminsäure genannten makromolekularen Produkt, so daß sie nur in reinem Zustand oder bei Stabilisierung durch Arsen- (111) -chlorid längere Zeit aufbewahrt werden kann. Physiologisch ist Blausäure ein starkes Gift, das durch Blockierung des Eisens in den Atmungsfermenten die Oxydationsprozesse der Zelle lähmt. Trotzdem tritt sie gelegentlich frei in der belebten Natur auf, z. B. als Spaltprodukt des Amygdalins in den bitteren Mandeln (S. 439). Obgleich sich die Blausäure strukturell von der Ameisensäure ableitet, sind nur wenige Umsetzungen bekannt, durch die sie in Ameisensäure selbst oder andere Ameisensäurederivate umgewandelt wird. Eine praktische Bedeutung hat lediglich ihre Überführung in Form-imidoester und Orthoameisensäureester erlangt, die bei der Einwirkung von alkoholischer Salzsäure wie bei jedem anderen Nitril vor sich geht (vgl. die Formulierung auf S. 136). Ihren eigentlichen Charakter als eine von der Ameisensäure unabhängige Verbindung erhält die Blausäure durch den Umstand, daß sie eine gewisse Tendenz aufweist, in das mit dem Kohlenoxid isostere (vgl. auch S. 311 f.), zu völlig neuartigen Reaktionen befähigte Cyanid-Ion überzugehen. Die Blausäure dissoziiert aus diesem Grunde den Wasserstoff viel leichter als Proton ab als sämtliche anderen Ameisensäurederivate und nimmt den Charakter einer (allerdings sehr schwachen) Säure mit dem pK a -Wert 9,32 (etwa mit den Phenolen vergleichbar) an: H—C=N

.

H

+

I" Q T + L|C=N|J

isoster mit

® ® |C=OI

Die durch diese elektrolytische Dissoziation der Blausäure überhaupt erst ermöglichten Ionenreaktionen des Cyanid-Ions (einschließlich seiner Tendenz zur Bildung von Schwermetallkomplexen) haben nichts mehr mit der Chemie der Ameisensäure zu tun und gehören im wesentlichen zum anorganischen Bereich. Organische Reaktionen des Cyanid-Ions sind einerseits die Cyanhydrinsynthese (S. 99), andererseits die ebenfalls bereits erwähnte KoLBEsche Nitrilsynthese (S. 120). Die letztere nimmt insofern einen etwas komplizierteren Verlauf als dort formuliert, als der Alkylrest nicht nur an den Kohlenstoff des Cyanid-Ions zu den Nitriten, sondern auch an den Stickstoff unter Bildung von Isonitrilen (S. 313) treten kann:

3 a : Die gesättigten Carbonsäuren Alk—C=NI

|C=N|

,

139 •

Nitril

IC=N—Alk Isonltril

Früher glaubte man auf Grund dieser beiden Alkylierungsmöglichkeiten des Cyanid-Ions eine Tautomerie der Blausäure zwischen einer Nitril- und einer Isonürilform annehmen zu können. Doch ist die Beteiligung der letzteren am Gleichgewicht niemals eindeutig nachgewiesen worden: H—C=NI

^

H+ +

Nltrlliorm

r © LIC=N|J

dissoziierte Form (der Blausäure)

±=;

e © I C=N—H Isonltrllform

Die Essigsäure ( Ä t h a n s ä u r e , acidum aceticum) H 3 C — C O O H ist die a m l ä n g s t e n b e k a n n t e u n d a u c h h e u t e n o c h p r a k t i s c h wichtigste C a r b o n s ä u r e . I h r e G e w i n n u n g g e s c h a h f r ü h e r d u r c h mikrobiologische Alkoholoxydation (Weinessig) oder a u s d e n bei der trockenen Destillation von Holz a n f a l l e n d e n P r o d u k t e n (Holzessig). H e u t e g e h t m a n in d e r T e c h n i k e n t w e d e r v o m Acetylen a u s (vgl. T a f e l I ) o d e r s e t z t Kohlenoxid m i t Methanol i m Sinne einer Garbonylierungsreaktion um: H3C-OH

+

CO

J ^ . - *

HaC-COOH

Reine Essigsäure r i e c h t u n e r t r ä g l i c h s t e c h e n d u n d e r s t a r r t bereits bei 16,5° zu eisä h n l i c h e n K r i s t a l l e n , w e s h a l b sie a u c h Eisessig g e n a n n t wird. V o n d e r Ameisensäure u n t e r s c h e i d e t sie sich h a u p t s ä c h l i c h d u r c h ihre a u ß e r o r d e n t l i c h e Oxydationsbeständigkeit, auf die schon f r ü h e r hingewiesen w u r d e (S. 124) u n d d e r sie ihre vielseitige V e r w e n d u n g als Lösungs- u n d Reaktionsmedium v e r d a n k t . F e r n e r d i e n t sie ü b e r ihre D e r i v a t e als A u s g a n g s v e r b i n d u n g f ü r zahlreiche Synthesen. Das wichtigste Essigsäurederivat ist das Anhydrid H3C—CO—0—CO—CHa (meistens kurz Aeetanhydrid genannt). Es wird heute im großen durch Wasserabspaltung aus zwei Molekülen Essigsäure bei 700° oder durch Einleiten von Keten in Eisessig gewonnen und findet hauptsächlich Anwendung als technisches Acetylierungsmittel (z. B. für die Herstellung sämtlicher Acetatfasern). Fernergehen von ihm mehrere Synthesen aus (z.B. die P R RR ts sehe Zimtsäuresynthese, S. 141). Essigsäure-äthylester (Essigester) H 3 C—CO—0—C 2 H 6 wird technisch mit Hilfe der auf S. 101 beschriebenen Disproportionierung von Acetaldehyd in Gegenwart von Aluminium-isopropylat hergestellt. Er besitzt einen angenehmen fruchtartigen Geruch und dient hauptsächlich als Lösungsmittel sowie als Ausgangsmaterial für Synthesen (z. B. für die Acetessigestergewinnung). Aluminiumacetat (essigsaure Tonerde) findet in der Pharmazie Anwendung als Antiseptikum und Adstringens. Während die Propionsäure H3C—CH2—COOH ohne praktische Bedeutung geblieben ist, begegnen wir in der Buttersäure H3C—(CH2)2—COOH der ersten in natürlichen Fetten (vor allem in der Kuhbutter) auftretenden Carbonsäure. Sie kommt auch in freiem Zustand ziemlich häufig in der Natur vor, z. B. als Stoffwechselprodukt im menschlichen und tierischen Schweiß, als Schreckmittel im Drüsensekret einiger Laufkäfer, sowie als Fettspaltungsprodukt in ranziger Butter, deren Geruch sie jedoch nur z. T. bedingt. Ihre Darstellung erfolgt entweder aus Kohlenhydraten auf biochemischem Wege (Buttersäuregärung) oder synthetisch über Butanol oder Butyraldehyd. Buttersäure ist noch mit Wasser unbegrenzt mischbar, wird aber leicht ausgesalzen. Die wäßrigen Lösungen schäumen ähnlich stark wie Seifenlösungen. Buttersäure-äthyl- und -isobutylester dienen in der Riechstoffindustrie zur Erzeugung eines künstlichen Ananasaromas. Isobuttersäure (CH3)2CH—COOH wird durch Oxydation von Isobutanol gewonnen und kommt frei im Johannisbrot vor. Die sich von den verschiedenen Pentanen ableitenden Säuren heißen Valeriansäuren und sind alle vier bekannt:

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

140 COOH I ) (CH 2 3

\

CH3 n-Valeriansäure

COOH i

COOH i

CH2

\

CH 3 —CH—CH 3 Isovaleriansäure

COOH

*CH

/

/ \

! /C x

\ \

CHj CH 2 —CH 3

CH 3 CH3 CH3

Methyläthylessigsäure

Trimethylessigsäure (Pivalinsäure)

Von den höheren gesättigten Carbonsäuren interessieren nur die mit einer unverzweigten geradzahligen Kohlenstoffkette als Bestandteile der Fette. Sie haben der gesamten Gruppe der gesättigten aliphatischen Carbonsäuren den Namen Fettsäuren1) gegeben und werden gemeinsam mit den Fetten auf S. 447 f. besprochen. b) D i e u n g e s ä t t i g t e n

Carbonsäuren

Die wichtigsten ungesättigten Carbonsäuren m i t — NaCl

R—CO -0—CO—Cl I

~

c0

' ,

R-C0-C1

Physiologisch zeichnet sich Phosgen durch eine starke CHftwirkung auf die Atmungsorgane aus, die dadurch bedingt ist, daß es in der Lunge rasch zu Salzsäure hydrolysiert. Es war aus diesem Grunde einer der gefährlichsten Kampfstoffe des ersten Weltkrieges. Das Halbchlorid der Kohlensäure HO—CO—Cl wird Chlor-ameisensäure (oder weniger exakt auch Chlor-kohlensäure) genannt. Es ist frei nicht existenzfähig (Cl und OH am gleichen C-Atom, vgl. S. 112), doch kennt man einige stabile Derivate, von denen wir das Carbamidsäure-chlorid und die Chlorameisensäure-ester oben als partielle Umsetzungsprodukte des Phosgens schon erwähnt haben. Besonders die Chlorameisensänre-ester haben praktische Anwendung zur Übertragung der Kohlensäure-halbestergruppe ROOC— auf andere Moleküle gefunden, z. B. auf Ammoniak für die Urethangewinnung (S. 148).

!

2. Die Sauerstoffderivate der Kohlensäure Kohlendioxid und die freie Kohlensäure gehören im wesentlichen der anorganischen Chemie an.

Für den Organiker von Interesse sind nur einige Anlagerungsreaktionen des Kohlendioxids, durch die es in typisch organische Verbindungen übergeführt werden kann. Erwähnenswert sind hier vor allem die Addition von metallorganischen Verbindungen zu carbonsauren Salzen und die Addition von Ammoniak zu carbamidsaurem Ammonium, die beide an anderer Stelle dieses Buches behandelt werden (S. 264 und 148). Rein organische Derivate der Kohlensäure sind dagegen ihre neutralen Ester der Struktur Alk—O—CO—0—Alk, die in der oben angegebenen Weise aus

Kap. 4, I V : Die Kohlensäurederivate

144

Phosgen oder Chlorameisensäureestern und Alkoholen gewonnen werden können. Sie zeigen dieselben Umsetzungen wie Carbonsäureester, sind aber reaktionsträger und haben nur spezielle Bedeutung erlangt. Z. B . kann man durch Verknüpfung der zweibasigen Kohlensäure mit zweiwertigen Alkoholen makromolekulare Kohlensäureester des Typus I (sog. Polycarbonate) aufbauen, die als Kunststoffe von Interesse sind: CH 3

CH 3

r
u

\

C j. = 0

/¿H2 ^

Die 1,2-Dioxoverbindungen haben wegen ihrer nahen Beziehungen zu den Osazonen den Namen Osone erhalten. Sie sind wegen des Fehlens von assoziierendem Wasserstoff relativ niedrigsiedende, gelbe bis grüne Substanzen, die das normale Verhalten von Oxoverbindungen zeigen. So kennt man etwa Dioxime, Diphenylhydrazone (eben die Osazone) und Dibisulfitverbindungen. An neuartigen Reaktionen sind zu erwähnen: 1. die Bildung cyclischer Derivate und 2. die Spaltung der CO—GOBindung. Zu 1. Kondensiert m a n die 1,2-Dioxoverbindungen mit Substanzen, die zwei aktive Gruppen in einer zum Ringschluß günstigen Stellung enthalten, so reagieren beide Oxogruppen, und es entstehen cyclische Derivate. Als Beispiel sei die Bildung von Chinoxalin bei der Einwirkung von o-Phenylen-diamin (I, Näheres S. 209) auf Glyoxal (II) angeführt: 0 = ( ; H

^ N H ,

+

_2Hi0

()— CH

I

II

Chinoxalin

Weiterhin neigen die wasserstoffhaltigen Derivate der 1,2-Dicarbonylverbindungen, insbesondere die Dioxime, zur Bildung stabiler KomplexverbiriduTigen* mit SchwermetaU- Ionen,, da hier der Fünfring bereits durch ein Metallatom geschlossen werden kann. Die wichtigste dieser Komplexverbindungen ist das rote Nickel-dimethylglyoxim, das wahrscheinlich die nebenstehende Struktur aufweist.

?H

C H

= \

c

i

?

/ \

/ /

CH/ V

N

N

vc/

\

C H

*

A V

1 o Nlckel-dimethylglyoxlm

CH

Zu 2. Infolge der Beladung"j.beider Carbonyl-C-Atome mit negativen Liganden ist die zwischen ihnen befindliche C—C-Bindung in ähnlicher Weise labilifliert wie im Chloral (S. 72, 107). ii»

ICap. 5, I I I : Die Poly-oxo-Verbindungen

164

Sie wird in unserem F a l l besonders leicht oxydativ aufgespalten, z. B . durch Hydroperoxid in Gegenwart von EisenfII)-salzen:

0 0

II II , R—C—C—R'

0

-f- HO—OH — ++ • (Fe )

II R—C—OH

0

+

II , HO—C—R

Auch die oxydative Eetonspaltung (S. 110) dürfte letzten Endes auf dieser Reaktion beruhen, da vermutlich das Oxydationsmittel primär eine der aktiven Methylengruppen des einfachen Ketons zur Oxogruppe oxydiert und erst das hierbei entstehende 1,2-Diketon die eigentliche Spaltung erleidet. Glyoxal 0 = C H — C I I = 0 , das Anfangsglied der Reihe, besitzt stark ungesättigte Carbonylgruppen (wegen der Beladung der benachbarten C-Atome mit dem negativen Sauerstoff, vgl. S. 113) und bildet deshalb ein stabiles Dihydrat. Ferner weist es eine starke Polymerisationsneigung auf, so daß es meistens in Form eines makromolekularen Polymerisats vorliegt, das man nur durch thermische Zersetzung in die bei 51° siedende grüne monomere Verbindung überführen kann. Alkalien wandeln es im Rahmen einer innermolekularen CANNizzAito-Disproportionierung in die Alkalisalze der Olykolsäure (S. 189) um: 0=CH—CH=0 Glyoxal

Na0H^

HO—CH2—COONa Natrium-glykolat

DIacetyl H3C—CO—CO—CHS, das einfachste Diketon, ist eine gelbe, angenehm riechende Flüssigkeit, die als Keton nicht mehr zur Polymerisation neigt und in verschiedenen ätherischen ölen natürlich vorkommt. Ferner ist es in der Kuhbutter als Farbstoff und Geruchsträger enthalten. Ein aromatisches 1,2-Diketon liegt im (ebenfalls intensiv gelben) Benzil C„H5—CO—CO—CeH6 vor, das durch Oxydation von Benzoin (S. 162) leicht dargestellt werden kann. Es erleidet bei der Einwirkung starker Alkalien die interessante Benzilsäure-Umlagerung in das Alkalisalz (IV) der Benzilsäure ( = Diphenylglykolsäure). Bei dieser Umlagerung muß in der durch Anlagerung des Alkalihyclroxids an eine der Ketogruppen entstehenden Zwischenverbindung III ein Phenylrest zum benachbarten C-Atom wandern (Näheres bzgl. des Reaktionsmechanismus vgl. II, Kap. 4, III, 4bj5, yy):

< Z v L o



[

O z


ä

s

.

"

V

OH

\

I

/

H

k.

Um-

N H — \

lagerung '

— N H —

OH Anilino-hydrochinon

o . ^ ) - N H „ - H,

-H,

\_

yf

N H

_/\

-NH-

-NH-

II 0

0

Dianilino-chinon Anilino-chinon

+ 2 H,•

N-\i>'

-2

H==o Dipheno-chinon

.

-

H

°-- Werte beträgt bei den Anfangsgliedern der Reihe mehrere Einheiten und sinkt später auf den annähernd konstanten (in I, Kap. 5, IV, 1 theoretisch begründeten) Wert von 0,8 Einheiten ab. Tabelle 12 D i e p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n u n d pK s -Werte e i n i g e r g e s ä t t i g t e r Dicarbonsäuren Trivialname Oxalsäure Malonsäure Bernsteinsäure Glutarsäure Adipinsäure Pimelinsäure Korksäure Azelainsäure Sebacinsäure

rationeller Name Athan-disäure Propan-disäure Butan-disäure Pentan-disäure Hexan-disäure Heptan-disäure Octan-disäure Nonan-disäure Decan-disäure

Formel HOOC—COOH HOOC—CH2—COOH HOOC—(CH2)2—COOH HOOC—(CH2)3—COOH HOOC—(CH2)4—COOH HOOC—(CH2)6—COOH HOOC—(CH2)9—COOH HOOC—(CH2)7—COOH HOOC—(CH2)8—COOH

Smp.

PKsI

PKS2

189,5° 136 185 98 151 105 140 107 134

1,23 2,85 4,19 4,36 4,41 4,48 4,51 4,55 4,55

4,19 5,36 5,35 5,28 5,28 5,31 5,33 5,34 5,34

Einzelverbindungen. Oxalsäure HOOC—COOH kommt in Form ihrer Salze verschiedentlich in der Natur vor, z . B . als saures Kaliumsalz KH 3 (C 2 0 4 ) 2 -2 H 2 0 (Kleesalz) im Sauerklee (Oxalis) oder als Calciumoxalat, das sich zuweilen auch in den Blasensteinen abscheidet (Oxalatstein), im Harn.

1: Die Oxalsäure und ihre Derivate

173

Ihre Gewinnung erfolgt in der Technik nach einem empirischen, hinsichtlich des Verlaufs undurchsichtigen Verfahren durch Erhitzen von cellulosehaltigen Stoffen (z. B. Sägespänen) mit Alkalilaugen auf 200°. Chemisch interessanter ist einerseits die redulctive Verknüpfung der C-Atome zweier Kohlendioxidmoleküle mittels Natriums bei höherer Temperatur, andererseits die dehydrierende Verknüpfung der C-Atome zweier Formiat-Anionen beim trockenen Erhitzen:

111 111

C0 2

Na

COONa

H—COONa

C0 2

Na

COONa

H—COONa

Oxalsäure zählt bereits zu den starken Säuren (vgl. Tab. 12) und gehört wie die Blausäure dem Grenzgebiet zwischen organischer und anorganischer Chemie an.

Typisch anorganische Reaktionen sind z. B. die CalciumoxalatfäUung und die Bildung zahlreicher Schwermetallkomplexe des Oxalat-Ions, die besonders sterisch von einem gewissen Interesse sind (Vgl. z. B. S. 371/2).

Der organische Charakter der Oxalsäure kommt vor allem in der durch die Belastung des C-Atoms mit negativen Liganden verursachten Labilität der O—G-Bindung zum Ausdruck, die die der 1,2-Dioxoverbindungen (S. 163) noch übertrifft. Eine Aufspaltung kann einerseits wie dort auf oxydativem Wege (z. B. ebenfalls durch Hydroperoxid/Fe++-Ionen oder bei der Manganometrie durch Kaliumpermanganat) zu zwei Molekülen Kohlendioxid, andererseits unter Erhaltung derOesamtoxydationsstufe zu einem Gemisch von Kohlenoxid und Kohlervdioxid erfolgen (letzteres z. B. durch Wasserabspaltung mittels konzentrierter Schwefelsäure): 2CO2

• __+H°;0

0 0

HOOC—COOH

+

COs

Während Oxalylchlorid C1—CO—CO—C1 aus Oxalsäure und Phosphorpentachlorid ohne Schwierigkeit gewonnen und zur Synthese anderer Oxalsäurederivate verwandt werden kann, existieren eigenartiger Weise keine Oxalsäure-anhydride, weil sie im Augenblick ihrer Bildung sofort in ein Gemisch von Kohlendioxid und Kohlenoxid zerfallen. Ein cyclisches Ureid der Oxalsäure ist die a.ua[Harnstoff und Oxalylchlorid erhältliche Parabansäure, die als Abbauprodukt der Harnsäure (S. 491) von Interesse ist und bei der partiellen elektrolytischen Reduktion in das Glycinderivat Hydantoin (S. 215) übergeht: 0 = C —CI

HNH

+ 0 = C —CI Oxalylchlorid

>C=0 H NH

0=C—NH \

C=0

0=C—NH Parabansäure

O—C—NH \

c=o

:—3SfH Hydantoin

Das eigenartigste Oxalsäurederivat ist ohne Zweifel das Dicyan (im älteren Schrifttum häufig auch freies Gyan oder Cyan schlechthin genannt), das als Dinitril zur Oxalsäure in einem ähnlichen Verhältnis steht wie die Blausäure zur Ameisensäure. Es ist ein stark endothermes, sich bei —21° kondensierendes, farbloses Gas, das ebenfalls teils zur organischen, teils zur anorganischen Chemie gerechnet wird. Einige typisch organische Bildungsreaktionen und Umsetzungen, bei denen es sich wie ein Oxalsäurederiva.t verhält, sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt :

Kap. 5, IV: Die Polycarbonsäuren

174

NH COOH COOH

co—nh2

2NH, — 2 H,

co—nh 2

°

C=N

- 2 H,0

r C=N

+ H,3 t < SH

cV/\ N H öH C=N

+ H•s

j

'

SH ,

Oxamid Dicyan

Flaveanwaäserstoff (Thlo-oxamidsäure)

Hydrolyse

Rubeanwaasers to f t (Thio-oxamld)

Bei den typisch anorganischen Umsetzungen weist das Dicyan bis zu einem gewissen Grade den Charakter eines freien Halogens auf, was wesentlich dazu beigetragen hat, die Cyangruppe als Pseudohalogen zu bezeichnen. Die wichtigsten dieser Reaktionen als „freies Pseudohalogen" sind: 1. die der Hypohalogenitbildung entsprechende hydrolytische Spaltung der C—C-Bindung zu Alkalieyaniden und -cyanaten bei der Einwirkung von Alkalilaugen, 2. die Verbrennung von Alkalimetallen in einer Dicyanatmosphäre unter Feuererscheinung zu Alkalieyaniden und 3. die schon mit schwefliger Säure durchführbare reduzierende Spaltung der C—C-Bindung zu zwei Molekülen Blausäure:

NaC^N NaO—C=X

C=N

+ 2K

C= N

^ — •

+ 2 NaOH _ H



|

»

2KfeN 2HfeN

Die nächsthöhere Dicarbonsäure hat den Namen Malonsäure erhalten und kann durch „Carboxylierung" von Essigsäure auf dem Umweg über die Chloressigsaure und Cyanessigsäure synthetisiert werden: NaOOC—CH2—C1 + N a C = N ~

KaC1

> NaOOC—CH 2 —C=N

Hydroly9e

>• HOOC—CHa—COOH

eyanessigsaures Natrium

Malonsäure

In ihr wird die mittelständige Methylengruppe in ähnlicher Weise von zwei Seiten her aktiviert wie in den 1,3-Diketonen (S. 165). Man beobachtet infolgedessen auch eine ähnlich leichte Spaltbarkeit des Moleküls, die hier besonders in der bei etwa 150° erfolgenden Decarboxylierung zur Essigsäure zum Ausdruck kommt: 150

HOOC—CH 2 —COOH

'

>

HOOC—CH3 +

C0 2

Die Aktivierung der Methylengruppe tritt noch deutlicher im Malonsäure-diäthylester (meistens kurz Malonester genannt) zutage, der so stark sauer ist, daß er mit Natriumalkoholat sofort ein Natriumsalz (I) bildet, das (ebenfalls in Analogie zu den 1,3-Diketonen, S. 165) am Kohlenstoff alkyliert und aeyliert werden kann: ROOCv

\

ROOC

P T T

+ XaQR —ROH '

ROOC v ROOC

v Na® e

H

Alkyllerung bzw. Acylierung '

ROOC\

x R(bzw.Ac)

ROOC

X

H

Da sich auch die G-substituierten Malonsäuren leicht decarboxylieren lassen, hat man in dieser Alkylierung des Malonesters einen Weg, aus Essigsäure im Rahmen einer Dreistufenreaktion durch Einführung eines Alkylrestes eine höhere Carbonsäure aufzubauen:

1: Malonaäure, Bernsteinsäure HOOC

ROOC

I

HOOC

I V y-^-ä^

1. Carboiylierung 2. Veresterung

175

1. C-Alkyllerung 2. Esterverseiiung '

)C ROO(

HOOC

II ^y

iiu£

-CO,

L ^ ^ —

HOOC

Das cyclische Ureid der Malonsäure heißt Barbitursäure. Es kann durch Erhitzen der Malonsäure mit Harnstoff gewonnen werden und tritt in zwei tautomeren Formen auf, von denen die aromatische Imidform im Gleichgewicht überwiegt:

co:- -OH HjC^ CO- -OH

+

HO.

H —NHV

— 2H,0

CO H —NH

.CO—NH h2C( )>co X CO—NH

/C=N\

HC

C—OH

HO Amldform

Barbitursäure

Imidform

Während die Imidform mit einem pKs-Wert von 4,02 stärker sauer ist als Essigsäure, zeigt die Amidform, die man durch zweifache Alkylierung der CH¡-Gruppe in nicht mehr aromatisierbare, stabile Derivate überführen kann, bereits eine gewisse Basizität (z. B. ist der px b -Wert des Veroncds [s. unten] = 7,95). Eine Reihe dieser C,C-Dialkyl-barbitursSiireii zeigen hypnotische Eigenschaften und dienen als Schlafmittel. Die wichtigsten Vertreter sind in folgendem Formelbild zusammengestellt:

C2H5s

/CO—NH )>c=o

C6H,, C

Veronal = Dläthyl*barbitursäure

X 2H 5

/

v

)>c=o

Luminal => Phenyl-fithylbarbltursäure

X

C2H6

) c

CO—NH

Phanodorm = Ätbyl-cyclohexenylbarbitursäure

CfiH5v c

CO—NH

/CO—NH

>c=0

/ CO—N—CH3 CO—NH

Promlnal — N-Methyl-lumlnal

=

0

Dial = Dlallyl-barbltursSure

C 6 H 9X ch;

,CO—N—CH3 )>c=o N C0—NNa Evlpan

Bernsteinsäure HOOC—CH 2 —CH 2 —COOH wurde von L i b a v i u s und C b o l l bereits um die Wende des 17. Jahrhunderts als thermisches Zersetzungsprodukt des Bernsteins entdeckt. Sie ist ein Naturprodukt, das in einigen Pflanzen frei auftritt und vor allem als wichtige Zwischenverbindung beim biochemischen Essigsäureabbau im Rahmen des Citronensäurecyclus (vgl. III, Kap. 8, III, 2 d ß) fungiert. Ihre technische Gewinnung geschieht hauptsächlich über das bei der Addition von zwei Molekülen Formaldehyd an Acetylen entstehende Butindiol-1,4 (S. 54) durch Hydrierung der Dreifachbildung und Oxydation der Carbinol- zu Carboxylgruppen (vgl. Tafel I). Von ihren chemischen Umsetzungen sind nur einige Ringschlußreaktionen von Interesse, die zunächst zu cyclisehen Derivaten und von diesen aus durch Reduktion zu einer Reihe von wichtigen Heterocyclen führen:

Kap. 5, I V : Die Polycarbonsäuren

176 CELj—CO

über NH,-Salz

:NH jH 2 —CO

CH — C O — O H

250«

)0

CH,—CO—OH

Succlntmid

Bernstetnsäureanhydrid

J

L

I

i C H = CHV NH

4

C H = C H '/ Pyrrol

Pyrrolidon

C H = CH.

CH=CH.

\ c

NH

o CH=CHX

CH=CH Thiophen

Furan

CH,—CH, Butyrolacton

Bemerkenswert ist vor allem die wegen der Bildung eines Fünfringes auffallend erleichterte Anhydrisierung, die gegenüber der Gewinnung von Acetanhydrid (S. 139) bereits bei einer um 450° niedrigeren Temperatur vor sich geht.

Adipinsäure wurde früher durch oxydative Spaltung des aus Phenol leicht erhältlichen Cyclohexanons hergestellt (vgl. S. 121 und 275). Heute zieht man die billigere Carbonylierung von Tetrahydrofuran (S. 158) vor: C H2

(II

2 CO, + H , 0

CH,—CH,—COOH

Adipinsäure

Adipinsäure wird im Körper wie eine einfache Fettsäure abgebaut und findet deshalb in der Backpulverindustrie als Ersatz für Weinsäure Verwendung. Ferner ist sie ein wichtiges Zwischenprodukt für die Nylonherstellung (S. 489). 2. Die gesättigten Polycarbonsäuren Da sich C-Atome der Oxydationsstufe 3 nur an Kettenenden befinden können, müssen Verbindungen mit mehr als zwei Carboxylgruppen im Molekül stets eine verzweigte Kohlenstoff kette enthalten. Methan-tricarbonsäure HC(-—COOH)3, die einfachste Tricarbonaäure, ist wegen der Häufung der Carboxylgruppen an einem C-Atom von Interesse. Hier ist die Decarboxylierungstendenz schon so groß, daß die freie Säure nicht mehr existenzfähig ist, denn hier tritt auch bei Zimmertemperatur schon Kohlendioxidabspaltung zu Malonsäure ein. Die Säure kann jedoch in Form ihres Esters, den man am besten durch Acylierung von Natriummalonester mit Chlorameisensäureester darstellt: AlkOOC—C1 +

Na CH(—COOAlk) 2

~NaC1-

HC(—COOAlk) 3 ,

stabilisiert werden. In ihm zeigt die Methingruppe bereits einen deutlich sauren Charakter. Diese CH-Acidität steigt in dem Cyanoform genannten Trinitril der Methan-tricarbonsäure HC(C = N ) a sogar bis zur Säurestärke der starken Mineralsäuren an.

3: Die ungesättigten Polycarbonsäuren

177 COOH COOH COOH

Als Beispiel einer Tricarbonsäure, deren Carboxylgruppen sich an verschiedenen C-Atomen befinden, sei die Tricarballylsäure angeführt, die das gleiche Kohlenstoffgerüst wie die Citronensäure (S. 185) besitzt.

¿H,

¿H

CiL

TrlcarballyUäure

3. Die ungesättigten Polycarbonsäuren D i e a m längsten b e k a n n t e n ungesättigten Dicarbonsäuren sind die Maleinsäure und die Fumarsäure. Sie s t e h e n i m Verhältnis der Äthylenisomerie (S. 18) zueinander, u n d a n ihnen wurden auch die Erscheinungen der geometrischen Isomerie erstmals studiert. Insbesondere b o t e n sie schon frühzeitig eine Möglichkeit der Konfigurationsbestimmung, d e n n nur die Maleinsäure vermag ein innermolekulares cyclisches Anhydrid zu bilden. Ihr m u ß m a n daher die cis-Konfiguration m i t räumlich benachbarten Carbo x y l g r u p p e n zuordnen, so daß für die Fumarsäure nur die trans-Konfiguration übrigbleibt: H—C—COOH I! H—C—COOH

-

HOOC—C—H II H—C—COOH

H—C—C0 V Ii / 'O II—C—CO

HjO

Maleinsäure-anhydrid

Maleinsäure

Keine Anhydridbildung

Fumarsäure

Fumarsäure ist etwas energieärmer als Maleinsäure und wird daher aus dieser beim Erhitzen über den Schmelzpunkt (150°) oder bei UV-Bestrahlung spontan gebildet. Eine Rückumlagerung in die Maleinsäure ist erst oberhalb 300° möglich, bei welcher Temperatur Fumarsäure direkt in Maleinsäureanhydrid übergeht, das dann hydrolytisch zu Maleinsäure aufgespalten werden kann. Zwischen beiden Säuren bestehen also folgende Übergänge: CH—COOH CH—COOH

Bei Aktivierung spontan

CH—CO. O II CH—CO'

HOOC—CH II CH—COOH Hydrolyse

Maleinsäure ist ein K u n s t p r o d u k t . Ihre Darstellung erfolgt meistens über das Anhydrid, das u. a. durch o x y d a t i v e R i n g ö f f n u n g des Benzols m i t Luftsauerstoff über Vanadin-pentoxid g e w o n n e n werden kann. Ferner e n t s t e h t Maleinsäure bei der Dehydratisierung v o n Äpfelsäure (S. 184). Auf die dienophilen Eigenschaften des Maleinsäureanhydrids wurde bereits hingewiesen (S. 50). Fumarsäure tritt natürlich im Erdrauch (Fumar officinalie) auf und ist ein weiteres biochemisches Zwischenprodukt des Citronensäurecyclus (vgl. II, Kap. 8, III, 2dß), bei dem sie aus Bernsteinsäure durch Dehydrierung entsteht. Die nächsthöheren Homologen der Malein- und Fumarsäure sind die Citracon- und Mesaconsäure, die ebenfalls im Verhältnis der cis-trans-Isomerie zueinander stehen, und mit denen auch die Itaconsäure isomer ist. Alle drei Säuren hängen genetisch eng mit der Gilronensäure (S. 185) zusammen, aus der sie über die wichtigste ungesättigte Tricarbonsäure, die im Eisenhut (aconitum napellus) natürlich vorkommende Aconitsäure gebildet werden: CH,—COOH HO—C—COOH

CHj—COOH -

H,0

H—CH—COOH

C—COOH I! CH—COOH

Citronensäure

Aconitsäure

12

K l a g e s , Einführung org. Chemie

CH 3 —C—COOH II , H— C—COOH

Konfigur.Umkehr

Citraconsäure

CH*—COOH i CH 2 =C—COOH Itaconsäure

CH,—C—COOH HOOC—C—H Mesaconsäure

Kap. 5, IV: Die Polycarbonsäuren

178

Eine doppelt ungesättigte Dicarbonsäure liegt in der Muconsäure vor. Im ganzen sind drei geometrisch isomere Formen zu erwarten: -,CHV HOOC

CH

^CTT

,CH

^Cff

CHv

/

/COOH

¿g \

\

yy

c i

f

CHK

CH , ¿h

COOH

COOH

S

ein, Irans-Muconsäure (unbekannt)

trans.trans-Muconaäure Smp. 298'Zere.

x

CH

COOH

/COOH

cis.cis-Muconsfiure Smp. 187»

von denen bisher nur die auch hier energieärmere, hochschmelzende trans-trans- Verbindung und die um 112° tiefer schmelzende eis, cis-Verbindung isoliert werden konnten. Als Beispiel einer Dicarbonsäure der Alkinreihe sei die Acetylen-dicarbonsänre angeführt. Sie entsteht bei der Abspaltung von zwei Molekülen|2?romiM4«er«to/f aus a,a.'-D\brombemsteinsäure und zählt mit einem pKs-Wert von 1,73 bereits zu den starken Säuren. Chemisch zeichnet sie sich durch eine gewisse Neigung zur Decarboxylierung aus, die man am besten durch Erhitzen des sauren Kaliumsalzes erreichen kann: Br—CH—COOH

— 2 HBr

C — C O O H

KOH

Br— ¿ H — COOH

c — C O O H

Dibrom-bernstelnsäure

Acetylen-dlc&rbonsäure

C—COOK III

C—COOH

C—COOK

CO, (Erhitzen)

III

C—H proplolaaures Kalium

4. Die aromatischen Polycarbonsäuren

Die drei Benzol-dicarbonsäuren H O O C ^

haben Trivialnamen erhalten:

^ C O O H

^ C O O H

H O O C — H O O C — ^ Phthalsäure Smp. 231* (im geachl. Rohr)

Isophthalsäure Smp. 349*

—COOH

Terephthalsäure Smp. 300«

Die wichtigste von ihnen ist die Phthalsäure, die der ganzen Gruppe den Namen gegeben hat. Sie wird durch oxydative Öffnung eines der Sechsringe des Naphthalins mittels Luftsauerstoff über Vanadin- oder Molybdänoxid bei 400—500° in Form ihres Anhydrids gewonnen, eine Reaktion, die gleichzeitig beweisend für die o-Stellung der Carboxylgruppen ist: i

|i ¡1 Naphthalin

, I|

oxydative itingonnung - * Ringöffnung

^ ||

V

^ || j|

X

s

CO

/>

Phthalaäure-anhydrid

.H, — H,0

+

'

i

i

!!

^ x

/

V /NH

co'

Phthallmld

Phthalsäure neigt infolge dieser o-Stellung der Carboxylgruppen stark zu Ringschlußreaktionen. Z. B . geht sie bei langsamem Erhitzen schon vor dem eigentlichen Schmelzpunkt (ab etwa 190°) in ihr oberhalb der Schmelztemperatur ausschließlich beständiges Anhydrid über, und dieses kann man durch Einleiten von Ammoniak bei höherer Temperatur direkt in das Phthalimid genannte cyclische sekundäre Säureamid überführen. Letzteres ist wegen der zweifachen Acylierung des N-Atoms deutlich sauer und bildet ein stabiles Kaliumsalz, das Phthalimid-kalium.

4 : Die aromatischen Polycarbonsäuren

179

Während Isophthalsäure ohne Bedeutung geblieben ist, hat Terephthalsäure in neuerer Zeit ein erhebliches technisches Interesse gefunden, weil sie mit zweiwertigen Alkoholen makromolekulare Ester zu bilden vermag. Z. B . kondensieren bei der Veresterung von Terephthalsäure mit Qlykol viele Moleküle beider Verbindungen zu einem gestreckten und deswegen leicht kristallisierenden, Makromolekül folgender Struktur: • • OOC-

COO — CH 2 —CH 2 —00

C ^

COO

das die Grundlage der bekannten Terylenlaser bildet. Terephthalsäure wird zu diesem Zweck aus Kalium-phthalat durch Verschiebung einer Carboxylgruppe in die p-Stellung (bei 400° in Gegenwart von Zink- oder Cadmiumoxid), sowie durch direkte Carboxylierung von Benzol mit Kohlendioxid in Gegenwart von Pottasche bei 350°, hergestellt.

Von den verschiedenen möglichen Benzol-tri- und -tetracarbonsäuren seien nur die Strukturformeln und wichtigsten Konstanten angeführt: COOH

COOH

COOH HOOG—r

—COOH -COOH

HOOC

COOH

Trlmesinsäure Smp. 345—350"

Hemimellit(h)säure Smp. 190« unter Anhydridbildung

Trimeilit(h)säuje Smp. 224—350" unter Anhydridbildung

COOH

COOH —COOH

\

-COOH

COOH

HOOC—/V-COOH

!—COOH

HOOC COOH

OOH

COOH

Prehnitsäure Smp. 239—250"

Mellophansäure Smp. 2 4 0 '

Pyromellit(h)säure Smp. 265—268"

Benzol-hexacarbomsäure kommt in Form ihres süß schmeckenden und deshalb Honigstein genannten wasserhaltigen Aluminiumsalzes C 12 0 12 A1 2 • 18 H 2 0 in verschiedenen Kohlelagern mineralisch vor und hat als Säure des Honigsteins den Trivialnamen Mellit(h)säure (von griech. n£Al = Honig und Xiöos = Stein) erhalten. Man gewinnt sie am besten durch oxydativen Abbau von Graphit mit Salpetersäure. Beim vorsichtigen Wasserentzug mit Acetylchlorid geht sie in das interessante Meüit(h)säure-anhydrid über, das nur noch aus Kohlenstoff und Sauerstoff besteht und daher formal ein ähnlich niederes Oxid des Kohlenstoffs darstellt wie das Kohlensuboxid (S. 119). Versucht man, die gleiche Entwässerung durch Erhitzen zu erreichen, so tritt nebenbei Decarboocylierung ein, und man erhält das Anhydrid der um zwei Carboxylgruppen ärmeren Pyromellithsäure (s. oben), die dieser Reaktion ihren Namen verdankt: HOOC v HOOC—/ HOOC^

^COOH %—COOH x

O—OC — 2 H , 0 , — 2 CO, Erhitzen

. i — ?

COOH

s

MeUit(h)säure

OCO—-OC

s

/ X

N

CO -CO CO—O

Meilit(h)säure-anhydrid 12'

CO—O

Pyromellit(h)3äure-aohyclrid

oc — 3H,0 (Acetylchlorid)

-CO

Kap. 5, V: Die Hydroxy-carbonsäuren

180

V . Die H y d r o x y - c a r b o n s ä u r e n 1. Die aliphatischen Monohydroxy-monocarbonsäuren Die Eigenschaften der Verbindungen, die gleichzeitig eine Carboxyl- und eine alkoholische Hydroxylgruppe im Molekül enthalten, hängen wieder in starkem Maße von dem gegenseitigen Abstand der beiden Sauerstoff-Funktionen ab. a) Die 1,2- oder a - H y d r o x y - c a r b o n s ä u r e n Der Gruppe der 1,2- oder et-Hydroxy-carbonsäuren gehören wichtige Naturstoffe an (z. B. die Milchsäure [S. 181], die verschiedenen Weinsäuren [S. 184f.] und die Gitronensäure [S. 185]). Ihre Darstellung erfolgt meistens auf synthetischem Wege, z. B. durch hydrolytische Abspaltung des Halogens der x-Halogen-fettsäuren oder durch Verseifung der auf dem Wege der Gyanhydrinsynthese (S. 99) leicht zugänglichen a-Hydroxy-carbonsäurenitrile (Cyanhydrine): c. i

Hydrolyse

(Na Cüs)

R—CH—COOH

'

R

a-Halogen-earbonsäure

OH |

Hydrolyse

CIJ

( Säuren>

COOH

o. h

R—CH—C=N

a-Hydroxy-carbonsäure

Cyanhydrin

Die einfachen aliphatischen 1,2-Hydroxy-carbonsäuren sind nicht mehr destillierbare, schlecht kristallisierende ölige Flüssigkeiten, die schlecht in reinem Zustand erhalten werden können. Ihre Säurestärke liegt deutlich über der der einfachen Carbonsäuren (z. B. ist der p Ks -Wert der Milchsäure = 3,13). Außer den isolierten Umsetzungen der Sauerstoff-Funktionen müssen die folgenden neuartigen Reaktionen hervorgehoben werden, an denen beide sauerstoffhaltigen Gruppen beteiligt sind: 1. eine bei höherer Temperatur (z. B. bei Destillations versuchen) eintretende cyclische Veresterung zwischen den Carboxyl- und Hydroxylgruppen zweier Säuremoleküle zu den sog. Lactiden: OH

HOiOC—CH—R +

R—CH—COOH

I

_ OTT A

/

.0—CO.

> R_CH

HO

\

CH—R

\:0

-(/

Lactid

2. die bei der Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure auffallend leicht vor sich gehende Kohlenoxidspaltung (S. 124), die hier neben Kohlenoxid den um ein C-Atom ärmeren Aldehyd liefert. Durch Verwendung verdünnter Schwefelsäure kann die Reaktion auch so gelenkt werden, daß das Kohlenoxyd in hydratisierter Form, d. h. als Ameisensäure, anfällt: q

H

R—CH—COOH

Konzentrierte verdünnte n,aU(

>

^

In Gegenwart von Hydroperoxid/Eisen(II)-Ionen

R

_

C H = 0

+

C=0 + H 2 0

R

_CH;=0

+

H

_C00H

ist schließlich die Molekülspaltung auch

auf oxydativem Wege möglich, (wie bei den 1,2-Diketonen [S. 164] und der Oxalsäure [S. 173]). Hier entsteht neben dem um ein C-Atom ärmeren Aldehyd Kohlendioxid

als Spaltprodukt.

l b : Die 1,3- oder /j-Hydroxy-carbonaäuren

181

Einzelverbindungen. Glykolsäure HO—CH 2 —COOH, das Anfangsglied der Reihe, tritt verschiedentlich natürlich auf, z. B. in unreifen Weintrauben, hat aber nur geringes Interesse gefunden.

Dagegen liegt in ihrem nächsthöheren Homologen, der

x-Hydroxy-propionsäure

*

oder Milchsäure (acidum lacticum) H 3 C—CH(OH)—COOH die wichtigste Verbindung der Gruppe vor, die verschiedenen anderen Verbindungsklassen, wie z. B. den oben formulierten Lactiden, den Lactoliden (S. 161), den Lotionen (S. 182 f.) und den Lactamen (S. 216) den Namen gegeben hat. Sie enthält ein asymmetrisches C-Atom und tritt infolgedessen in zwei optischen Antipoden auf, von denen die l(+)-Milchsäure (bez. der Nomenklatur vgl. S. 17) als intermediäres Stoffwechselprodukt im Muskel gebildet wird (Fleischmilchsäure). Dagegen entsteht die Milchsäure bei einigen sauren Gärungsvorgängen, z.B. in der sauren Milch (Name!), im Sauerkraut sowie im sauren Silofutter, in Form des racemischen Gemischs beider Antipoden (Gärungsmilchsäure). Die racemische. Milchsäure ist ein wichtiges technisches Produkt und dient u. a. in der Gerberei zum Entkalken von Leder, in der Färberei als Reduktionsmittel sowie wegen ihrer leichten Verdaulichkeit in der Nahrungsmittelindustrie zum Bereiten von Limonaden, Essenzen usw. Auch ihre Salze finden zuweilen Verwendung. # Die einfachste aromatische Hydroxy-carbonsäure ist die Mandelsäure C6H6—CH(OH)—COOH, die ebenfalls ein asymmetrisches C-Atom enthält. Der D(—)-Antipode ist in Form seines Nitrils eine Bildungskomponente des Blausäureglykosids Amygdalin (S. 439). Die um eine Phenylgruppe reichere Benzilsäure (Diphenyl-glykolsäure) (CaHj)2C(OH)—COOH haben wir auf S. 164 als Reaktionsprodukt der nach ihr benannten Benzilsäureumlagerung kennengelernt.

b) D i e 1,3- o d e r / ? - H y d r o x y - c a r b o n s ä u r e n Steht die Hydroxylgruppe in ß-Stellung zur Carboxylgruppe, so weisen die Säuren einen gänzlich anderen Charakter auf, der durch ihre schon erwähnten (S. 140) nahen Beziehungen zu den x,ß-ungesättigten Garbonsäuren bedingt ist. Z. B. kann man sie aus letzteren (im Gegensatz zu den x-Hydroxy-carbonsäuren) ohne Schwierigkeit durch Wasseranlagerung gewinnen: OH + H , 0 (z. B. durch N a O H - E i n w i r k u n g )

R—CH=CH—COOH

- K , 0 ( z . B . durch Erhitzen)

Ä,^-ungesättigte Cftrbonsäure

I

R-^H-CH2-COOH Hydroxy-carbonsäure

Diese Hydratisierung der C=C-Doppelbindung geht zuweilen sogar derart leicht vor sich, daß man die ß-Hydroxy-carbonsäuren direkt als Hydrate der ungesättigten Garbonsäuren bezeichnet (z. B. Hydracrylsäure, s. u.). Eine weitere allgemeine Darstellungsweise für ß-Hydroxy-carbonsäuren liegt in der Synthese von REFORMATZKY vor, die auf der gleichzeitigen Einwirkung von Zink und Chloressigsäureester auf Aldehyde beruht. Vermutlich reagiert das Zink mit dem Chloressigsäureester intermediär zu der metallorganischen Verbindung I , die sich dann an den Aldehyd im Sinne einer normalen OrionARD-reaktion (S. 264) anlagert: OZnCl R — C H = 0 + ClZn—CH2—COO El I

> R—(i)H—CH2—COOR

OH > R—CH—CH 2 —COOR

Kap. 5, V: Die Hydroxy-carbonsäuren

182

Die wichtigste allgemeine Eigenschaft der ß-Hydroxy-carbonsäuren ist die auffallend leicht (z. B. bei mäßigem Erhitzen) in Umkehrung der oben beschriebenen Bildungsreaktion erfolgende Wiederabspaltung von Wasser zur oc,ß-ungesättigten Carbonsäure. Die ß-Hydroxy-carbonsäuren zu keiner Ringschlußreaktion mehr befähigt sind.

/

—CH—COOH Tropasäure

sind deshalb relativ unbeständige Substanzen, die u.a. im Sinne der Lactid- (S. 180) oder Lactonbildung (s. unten)

Einzelverbindungen. ß-Hydroxy-propionsäure HO—CH 2 —CH a — COOH hat als Hydratisierungsprodukt der Acrylsäure den Namen Hydracrylsäure erhalten. In der Tropasäure begegnen wir einer aromatischen ß-Hydroxycarbomäure, die als saure Esterkomponente am Aufbau des Alkaloids Atropin (S. 503) beteiligt ist.

c) M o n o h y d r o x y - m o n o c a r b o n s ä u r e n m i t g r ö ß e r e m A b s t a n d Hydroxyl- und Carboxylgruppe

zwischen

Stehen die Hydroxyl- und Carboxylgruppe in y- oder d-Stellung zueinander, so erfolgt wieder sehr leicht Ringschluß, der hier unter Wasserabspaltung zur Bildung monomolekularer cyclischer Ester führt, die Lactone heißen und unter 2. beschrieben werden. Bei noch größerem Abstand der Hydroxyl- und Carboxylgruppe voneinander nimmt die Neigung zur Lactonbildung wieder ab und die Säuren werden beständiger. Als Beispiel einer natürlich vorkommenden Hydroxy-carbonaäure mit sehr großem Abstand zwischen Carboxyl- und Hydroxylgruppe sei die Ricinolsänre H 3 C—(CH 2 ) 5 —CH(OH)—CH 2 — CH=CH—(CHj),—COOH genannt, die zu etwa 80% in dem aus Ricinusöl gewonnenen Fettsäuregemisch enthalten ist. Sie dient in der Technik als Grundlage des Türkischrotöls (S. 404).

2. Die Lactone Die den cyclischen Athern und cyclischen Säureanhydriden cyclischen Ester werden Lactone genannt.

entsprechenden

Ihre Darstellung geschieht nach den folgenden drei Methoden: 1. Eine direkte Veresterung von Carboxyl- und Hydroxylgruppe beobachtet man vor allem bei den y- und d-Hydroxy-carbonsäuren. Hier stellt sich schon in wäßriger Lösung ohne jeden Katalysator ein weitgehend zugunsten der Lactone verschobenes Gleichgewicht ein: CH2—CO:—OH

_Hf0

CH2

CO^

ch2—ch2—oh

ch2—ch/

y-Hydroxy-buttersäure

Batyrolacton

Die y- und d-Hydroxy-carbonsäuren kann man aus diesem Grunde nicht frei darstellen. Dagegen gelingt eine Ringöffnung in Umkehrung dieser Bildungsreaktion in basischem Milieu, da hier statt der freien Sfturen ihre nicht mehr zur Lactonbildung befähigten Salze (bzw. bei Verwendung von Ammoniak als Spaltungsmittel die Amide) entstehen:

2: Die Lactone CO—NH2

r

.

(CH2)n

CO

(CH2)„ OH

183

I

^

COONa

r

(¿H 2 ) n

O

OH

2. Eine etwas umfassendere Lactonbildungsreaktion, die auch die Darstellung viergliedriger Ringmoleküle gestattet, liegt in der Halogenwasserstoffabspaltung aus Halogen-carbonsäuren vor, die man entweder direkt durch Erhitzen (y- und d-Lactone) oder durch vorsichtige Einwirkung von Silberoxid (ß-Lactone) erreicht: -COOH

'

2 n

^

Hai

CO

r

(CH2)n

(Ag,0 oder Erhitzer)

I O

3. Schließlich kann man Lactone auch durch oxydative Ringerweiterung cyclischer Eetone mit Sulfo-monopersäure gewinnen. Hierbei wird eine der vom Carbonylkohlenstoff ausgehenden C—C-Bindungen gesprengt, und es schiebt sich unter erneutem Ringschluß ein O-Atom zwischen die ursprünglich miteinander verbundenen C-Atome: ^

CO

(CH2)n CH,

CO

r +

0

(HO—O—SO,H)

(CHa)n

\s )

CH.

v

Die Lactone unterscheiden sich von den Estern vor allem durch ihre unerwartet hohen Siedepunkte (z. B. siedet Butyrolacton mit 205° um 128° höher als Essigester mit einer gleichen Anzahl von C-Atomen), die auf den andersartigen sterischen Aufbau der Estergruppe zurückzuführen sind (Näheres vgl. II, Kap. 7, IV, 2cß). Ihr chemisches Verhalten hängt wie das der cyclischen Äther weitgehend von der Ringweite ab. / ° \ Z. B. sind die den Olefinoxiden entsprechenden a-Lactone der Struktur R—CH—CO derart stark gespannt, daß sie überhaupt noch nicht dargestellt werden konnten (statt ihrer entstehen !

0

stets die dimeren Lactide, S. 180). Auch die ß-Lactone R—CH—CH2—CO sind noch ziemlich labil und erleiden schon in wäßriger Lösung eine irreversible Hydrolyse zu den freien ß-Hydroxycarbonsäuren.

Erst von den y- und S-Lactonen ab beobachtet man ein normales Verhalten. Hier sind außer den schon erwähnten basischen Spaltungsreaktionen der Estergruppe einige weitere Ringsprengungsmöglichkeiten bemerkenswert, bei denen die AlkylSauerstoff-Bindung gespalten wird. So erhält man bei der Einwirkung von konzentrierten Halogenwasserstoffsäuren in Umkehrung zu der oben angeführten Bildungsreaktion die entsprechenden Halogen-carbonsäuren, und bei höherer Temperatur tritt mit Ammoniak statt der ebenfalls oben formulierten Bildung des Hydroxy-carbonsäureamids eine vollständige Substitution des Ringsauerstoffs durch eine NH-Qruppe ein (unter Bildung eines Lactams, S. 216): r

/ppr * ('-'-tyn L

COOH

Hai

" + HHal

r

l V-

CO

I| ö

+ NH„ —H,0 >

r

CO

v

NH

(LH,!. n

Kap. 5, V: Die Hydroxy-carbonsäuren

184

Einzelverbindungen. Das schon auf S. 182 formulierte Butyrolacton ist heute vom Acetylen aus über das Butin- und Butan-diol leicht zugänglich (vgl. Tafel I). Es findet eine beschränkte Anwendung in der Technik als hochsiedendes Lösungsmittel und als Zwischenprodukt für synthetische Reaktionen. Einige höhere Lactone mit 14—17 Ringatomen kommen natürlich vor und stellen wichtige Duftstoffe dar. Von ihnen seien der Ambrettolid genannte Hauptgeruchstoff des Moschuskörneröls und das im Angelikawurzelöl enthaltene Exaltolid, das auch synthetisch gewonnen wird, als Beispiele angeführt: CH—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—COO—CH2 CH—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2

CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CO CH2—CH2—CH2—CH2—C Ii2'—CH2—CH2—o

Ambrettolid

Exaltolid

3. Die Polyhydroxy-polycarbonsäuren U n t e r den Hydroxy-carbonsäuren, die mehrere Hydroxyl- oder Garboxylgruppen Molekül e n t h a l t e n , t r i f f t m a n einige wichtige N a t u r s t o f f e an.

im

Glycerinsäure H O — C H 2 — C H ( O H ) — C O O H u n d Tartronsäure H O O C — C H ( O H ) —COOH leiten sich vom Glycerin d u r c h O x y d a t i o n einer bzw. beider endständiger Carbinolgruppen a b u n d können m i t Hilfe von Salpetersäure auch auf diesem Wege erhalten werden. Glycerinsäure besitzt ein asymmetrisches G-Atom. Der D(—)Antipode t r i t t in F o r m seines Phosphorsäureesters, der 3-Phospho-glycerinsäure, als Zwischenprodukt des biochemischen Kohlenhydrataufu n d -abbaus auf (Näheres vgl. III, K a p . 8, I I I , 2a). Ein interessantes Derivat der Glycerinsäure ist die sich vom Qlycid (S. 157) ableitende Glycid/ ° \ säure H2C—CH—COOH. Sie selbst und ihre höheren Homologen erleiden beim Erhitzen eine Decarboxylierung unter gleichzeitiger Umwandlung des Olefinoxidrings in eine Aldehydgruppe, eine Reaktion, die zuweilen zur Aldehyddarstellung Anwendung findet: / \ R—CH

( ir - COOH

Erhitzen ->

R—CH2—CH=0

+

co2

*

Auch die Äpfelsäure HOOC—CH(OH)—CH2—COOH hat ein asymmetrisches C-Atom. Sie tritt in Form d e r z f — ) -Säure in unreifen Äpfeln (Name!) sowie in anderen Früchten auf. Wichtiger ist ihre Rolle als Zwischenprodukt des Citronensäurecyclus, bei welchem sie durch Wasseranlagerung an Fumarsäure entsteht, eine Reaktion, die man auch technisch zur Darstellung der racemischen Äpfelsäure durchführen kann. * * Die u m eine H y d r o x y l g r u p p e reichere Weinsäure HOOC—CH(OH)—CH(OH)— C O O H k o m m t u. a. in Weintrauben natürlich vor u n d bedingt den sauren Geschmack des Weines. Wegen ihrer hervorragenden Kristallisationsfähigkeit w u r d e sie von K . S C H E E L E schon im 18. J a h r h u n d e r t e n t d e c k t . Sie diente lange Zeit als wichtigstes Beispiel zur U n t e r s u c h u n g der Erscheinung der optischen Aktivität.

I

Wir begegnen in ihr der ersten Verbindung m i t mehreren asymmetrischen C-Atomen u n d stoßen d a m i t erstmals auf die erst später (S. 367 f.) näher beschriebene weitere Isomerieart der Diastereomerie.

Diese wirkt sich im Falle der Weinsäuren dahingehend aus, d a ß neben der rechtsdrehenden D-Weinsäure, in der beide asymmetrische C-Atome die D-Konfiguration

3: Weinsäuren, Citronensäure

185

aufweisen, nicht nur ihr linksdrehener Antipode, die L-Weinsäure mit zwei L-konfigurierten Asymmetriezentren, sondern noch eine dritte Weinsäureart existiert, die ein D- und ein L-konfiguriertes asymmetrisches C-Atom enthält. I n dieser dritten Weinsäure, die den Ñamen Mesoweinsäure erhalten hat, sind die beiden Asymmetriezentren also entgegengesetzt konfiguriert. Da sie im übrigen völlig gleichartig aufgebaut sind, verhalten sich die beiden diese Zentren enthaltenden Molekülhälften wie Bild und Spiegelbild, so daß man wieder eine Symmetrieebene durch das Molekül legen kann. Die Verhältnisse sind im folgenden an den Projektionsformeln der drei Weinsäuren wiedergegeben, die im Falle der Mesoweinsäure eine Symmetrielinie erkennen lassen. Noch besser kann man die Symmetriebedingungen natürlich an den in den Raumbildern 4 und 5 gezeigten Raumformeln erkennen: COOH

COOH

COOH

I

1

1

H—C—OH

HO—C—H |

i —H ¿OOH

D-Weinsäure

H—C—OH ¿OOH

L-Weinsäure

keine Symmetrie, daher beide optisch aktiv

H— C—OH !

Symmetrielinie

H—C—OH COOH Mesoweinsäure symmetrisches Molekül, daher optisch inaktiv

Diese drei Säuren können in vier verschiedenen Formen kristallisieren, da außer den einheitlichen Verbindungen auch das äquimolekulare Gemisch der n- und L-Weinsäure ein eigenes Kristallgitter mit eigenem Schmelzpunkt und eigenen Löslichkeitseigenschaften besitzt, also ein Racemat im Sinne der Definition auf S. 16 darstellt. Dieses Racemat hat den Namen Tranbensäure erhalten. Es verhält sich naturgemäß nur in kristallisiertem Zustand, wie eine selbständige Verbindung, da in der Schmelze oder in Lösung die für seinen Aufhau charakteristische gegenseitige Anordnung der D- und l-Weinsäuremoleküle zerstört wird (vgl. auch S. 364/5).

Von allen vier Weinsäuren tritt nur die D-Weinsäure natürlich auf. Ihre Gewinnung geschieht ausschließlich durch Zersetzung des unten beschriebenen Weinsteins mit Salzsäure. Die freie Säure findet wegen ihres angenehm erfrischenden Geschmacks Verwendung zur Herstellung von Limonaden, Fruchtbonbons usw. sowie als saure Backpulverkomponente. Ihre Salze heißen Tartrate (vgl. Tab. 11, S. 126). Weinstein, das saure Kaliumsalz der l>- Weinsäure, ist ziemlich schwer löslich und scheidet sich daher bei der Weinbereitung am Boden der Fässer ab. Beim Kochen mit Antimon(III)oxid geht er in den altbekannten Brechweinstein (Kalium-antimonyl-tartrat) KOOC—CH(OH)—CH(OH)—COO—SbO über. Das wesentlich besser lösliche H20X O—CH—COONa Kalium-Natrium-tartrat hat den Trivialnamen Seignettesalz * ClK | erhalten. H20 ( O CH COONa Das Weinsäure-Anion vermag in alkalischer Lösung über die alkoholischen Hydroxylgruppen Schwermetalle in ähnlicher Weise komplex zu binden wie die Polyalkohole (S. 155). Insbesondere Kupfer wird auch hier zu tief blauen Lösungen aufgenommen, die vermutlich einen Komplex der Struktur I enthalten und nach ihrem Entdecker F E H L I N G sehe Lösungen genannt werden. III Sie bieten den Vorteil, mit zweiwertigem Kupfer in alkalischer Lösung arbeiten und dessen Hl gerade hier besonders hohes Oxydationspotential auswerten zu können (z. B. bei der Ver||| wendung als Aldehydreagens, S. 101).

Als letzte Verbindung dieser Gruppe sei die Citronensäure angeführt, die ebenfalls eine wichtige Fruchtsäure darstellt und hauptsächlich aus unreifen Citronen gewonnen wird (über das schwerlösliche Calciumsalz). Auch eine oxydative Vergärung

Kap. 5, V: Die Hydroxy-carbonsäuren

186

von Kohlenhydraten mit Schimmelpilzen (Citronensäuregärung) dient zu ihrer technischen Herstellung. Die Citronensäure besitzt einen noch ausgeprägter erfrischenden Geschmack als die Weinsäure und findet deshalb wie diese eine vielseitige Verwendung in der Nahrungsmittelindustrie. Strukturell ist die Citronensäure sowohl eine a- als auch eine ß-Hydroxy-carbonsäure. Als erstere erleidet sie bei der Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure leicht eine Kohlenoxidspaltung (S. 124) und geht in Aceton-dicarbonsäure (S. 192) über, während sie als ß-Hydroxy-carbonsäure zur Aconitsäure (S. 177) dehydratisiert werden kann: CH—COOH II C—COOH I CHj—COOH

— H,0

HOO - COOH CH2—COOH

Aconitsäure

— CO (Kohlenoxydspaltung)

Citronensäure



CH,—COOH I C=0 CH2— COOH Aceton-dlcarbons&ure

Schließlich ist Citronensäure auch ein wichtiges biochemisches Zwischenprodukt des oxydativen Essigsäureabbaus im Rahmen des nach ihr benannten Citronensäurecyclus (Näheres vgl. III, Kap. 8, in, 2dß).

4. Die Phenol-carbonsäuren In den Phenol-carbonsäuren begegnen wir einer Reihe natürlich vorkommender Substanzen, von denen die auf S. 467 f. beschriebenen Gerbstoffe die wichtigsten sind. Für ihre Darstellung kommt außer der Gewinnimg aus Naturstoffen vor allem eine in Umkehr der Decarboxylierungsreaktion vor sich gehende „Carboxylierung" des Benzolkerns von Phenolen in Betracht. Sie geschieht im einfachsten Falle auf dem Wege der „KoLBESchen Salicylsäuresynthese" durch Erhitzen von Nairium-phenolat im Kohlendioxidstrom auf 180—200° (bzw. nach R. SCHMITT mit Kohlendioxid unter Druck auf 160°) und dürfte über das phenylkohlensaure Natrium, (I) als Zwischenverbindung verlaufen. ^CO—ONa ONa +

0=C=0

• /

-CO—ON'a

• V . . . . / * -OH Natrlumsalicylat

Verwendet man Kalium- statt Nairium-phenolat, so entsteht die p-Hydroxy-benzoesäure. Ferner wird die Reaktion bei den Polyphenolen derart erleichtert, daß hier bereits die Erwärmung mit Ammonium-hydrogen-carbonatlösungen auf Temperaturen um 100° ausreicht, um die Carboxylierung durchzuführen.

Als interessanteste gemeinsame Reaktion der Phenol-carbonsäuren sei die beim Erhitzen der freien Säuren eintretende Decarboxylierung zu Phenolen genannt, die um so leichter vor sich geht, je mehr OH-Gruppen im Kern enthalten sind. III Hl

Sowohl die Einführung als auch die Abspaltung der Carboxylgruppe wird also durch die phenolischen Hydroxylgruppen erleichtert.

Einzelverbindungen. Salicylsäure (o-Hydroxy-benzoesäure) HO—o-C e H 4 —COOH kommt sowohl in freier Form als auch in Form einiger Derivate natürlich vor und wird technisch nach dem Verfahren von R. SCHMITT hergestellt. Sie ist als Phenolderivat ein gutes Antiseptikum und dient zur Konservierung von Nahrungsmitteln. Ferner wird sie zu Farbstoffen, Cumarin (S. 187) und den unten beschriebenen Derivaten verarbeitet.

4: Die Phenolcarbonsäuren

187

Als o-Verbindung neigt Salicylsäure zu EingscMußreaktionen. Z. B. bildet sie mit Borsäure das BorsalicylsSnre genanntes Ester-anhydrid, dessen Anion die im Baumbild 15 wiedergegebene Konstitution aufweist, vgl. auch S. 370. Von sonstigen Umsetzungen ist außer der erst oberhalb 200° erfolgenden Decarboxylierung vor allem die bei der Reduktion mit Natrium erfolgende Ringöffnung zur Pimelinsäure bemerkenswert. Die zunächst unerwartete Reaktion findet ihre Erklärung darin, daß als Zwischenprodukt nach der Aufnahme von vier Reduktionsäquivalenten die Cyclohexanon-carbonsäure II entsteht, die als 1,3-Ketocarbonsäure die auf S. 191 beschriebene Säurespaltung erleidet: COOH V-OH

COOH Keti

•Q

'

sierung

q

Säurespaltung

CH, CH,—CH,

/

COOH

Salicylsäure-methylester HO—o-C,H4—COO—CHS ist ein natürlicher Duftstoff des Wintergrünöls lind tritt auch als Phenol-glykosid der Primverose (S. 437) verschiedentlich auf. Salicylsäuie-phenylester HO—o-C„H4—COO—C,HS dient unter der Bezeichnung Salol als Antiseptikum und ist wegen seiner antineuralgischen Eigenschaften von pharmazeutischem Interesse.

o-Hydroxy-zimtsäure existiert in zwei geometrisch, isomeren Formen, der transkonfigurierten Cumarsäure und der cis-konfigurierten Oumarinsäure. Von ihnen kann die letztere nur als Salz isoliert werden, da die freie Säure sofort eine Lactonisierung zum Camarin, dem duftenden Prinzip des Waldmeisters erfährt: H

^\AC/COOH

^CH

!

H

OH Cumarsäure

Lactonisierung

CO ohÌH Cumarinsäure

Cumarinsäure und Cumarin werden künstlich aus Salicylaldehyd PEREIN sehen Zimtsäuresynthese (S. 141) gewonnen. Die wichtigste Dihydroxy-benzoesäure ist die verschiedentlich natürlieh vorkommende Protocatechusäure, deren Decarboxylierung zum D i J . (S. C , ,158). * ^ Umgekehrt TT _ 1 Lkann 1—_ sie_ Brenzcatechin bereits erwähnt wurde aber auch aus Brenzcatechin durch Carboxylierung mit Ammoniumhydrogen-carbonatlösung bei 140° synthetisiert werden.

mit Hilfe der

HO v /. — \ HO—c S—COOH Protocatechusäure

Die 3,4,5-Trihydroxy-benzoesäure hat als Bestandteil zahlreicher Galläpfel den Namen Gallussäure erhalten. Sie ist integrierend am Aufbau der tanninartigen Gerbstoffe (S. 468) beteiligt und wird praktisch durch deren Hydrolyse gewonnen. Sie decarboxyliert noch leichter als Protocatechusäure (zum Pyrogallol), kann aber umgekehrt nur in geringer Ausbeute durch Carboxylieren von Pyrogallol dargestellt werden, weil hierbei überwiegend die isomere Pyrogallolsäure entsteht: HO^ HO-/ HO

\ /

- CO, (Erhitzen) \—COOH /

Oailtus&ure

HOv

+ CO, (in Form H O - - /

von Bicarbonati mir zu wenigen" Prozenten)

HO x \

\ = /

HO Pyrogallol

+ n C < ì'

von Bicarbonati (Hauptmenge)

>

/COOH

HO—/ \

HO

/

\ /

Pyrogallolsäure

Kap. 5, V I : Die Oxo-carbonsäuren

188

Gallussäure dient in der Technik als Ausgangsverbindung für die Herstellung von Pyrogallol (S. 159) und der Eisengallustinte. Das Wesen der Eisengallustinte beruht auf der Befähigung der Gallussäure zur Bildung tief schwarzer, unlöslicher Komplexverbindungen bei der Einwirkung vanEisenf 111 j-salzen in schwach alkalischem Medium. Die Tinte selbst besteht aus einer nahezu farblosen, schwach schwefelsauren Lösung von Eisen(II)sulfat und Gallussäure, die zur Kenntlichmachung der Schriftzüge einen Farbstoff (meistens Indigo) und als Schutzkolloid Gummi-Arabicum oder neuerdings auch Kunststoffe wie Polyvinylalkohol enthält. Auf dem Papier wird die Säure durch die Mineralbestandteile neutralisiert, woraufhin die Oxydation des zweiwertigen Eisens zur dreiwertigen Stufe bereits durch den Luftsauerstoff erfolgt.

VI. Die Oxo-carbonsäuren Die unter der Bezeichnung Oxo-carbonsäuren zusammengefaßten Aldehyd- und Keto-carbonsäuren haben nur in der aliphatischen Reihe größere Bedeutung erlangt und müssen wieder in Abhängigkeit von dem gegenseitigen Abstand der SauerstoffFunktionen unterteilt werden. 1. Die 1,2- oder a-Oxo-carbonsäuren Carbonsäuren mit nachbarständiger Oxogruppe synthetisiert man entweder durch Hydrolyse der leicht zugänglichen ct,oc~Dihalogen-carbonsäuren oder in einer Abart der KoLBESchen Nitrilsynthese (S. 120) durch Umsetzung von Alkalicyaniden mit Garbonsäurechloriden zu Acyl-cyanideri, die sich ihrerseits zu den Säuren selbst verseifen lassen: ^ Ii—CO - (1 + Na:C=N

~~NaC1

. R — CO—C=N Acyl-cyanid

» R

C1

C

COOH

'

C1

R—Ö^-COOH

1,2-Oxo-carbonsäure

Sie sind schlecht kristallisierende sirupöse Verbindungen, die ähnlich wie Chloral (S. 107, 113) und Olyoxal (S. 164) wegen Besetzung des der Oxogruppe benachbarten C-Atoms mit negativen Liganden zur Bildung stabiler Hydrate neigen. III Hl

Vor allem aber ist die Bindung zwischen den mit Sauerstoff beladenen C-Atomen auch hier ziemlich labil und kann leicht auf verschiedene Weise gelöst werden.

Diese Spaltungsmöglichkeiten sind: 1. die in Analogie zu den cc-Diketonen (S. 164) und x-Hydroxy-carbonsäuren (S. 180) mit Hydroperoxid¡Fe(11) - Ionen durchführbare oxydative Spaltung zu Kohlendioxid und der um ein C-Atom ärmeren Carbonsäure, 2. die ebenfalls in Analogie zu den x-Hydroxy-carbonsäuren verlaufende Kohlenoxidspaltung zur gleichen um ein C-Atom ärmeren Carbonsäure und 3. die in Gegenwart von Ammoniak oder Aminen eintretende Decarboxylierung zu dem um ein C-Atom ärmeren Aldehyd: R_CO-OH C0 2

o *

R-C-COOH

H,s°'

' -

R-CO-OH

+

R-CH=0

+

faO C02

Auch die oben als Zwischenprodukte der Synthese formulierten Acyl-cyanide besitzen eine leicht solvolysierbare C—C-Bindung, d. h. sie verhalten sich wie Acylierungsmittd, die den Acyl-

1 : Brenztraubensäure, Mesoxalsäure

189

rest auf andere Verbindungen zu übertragen vermögen. Man kann infolgedessen die oben angeführte Hydrolyse zu 1,2-Oxo-carbonaäuren nur in stark saurem Medium vornehmen, weil in neutraler oder gar alkalischer Lösung sofort eine andere Art der Hydrolyse zu Blausäure und der um ein C-Atom ärmeren Carbonsäure eintritt:

o II

+ h,O (neutral)

R—COOH + HCN

R—C— C=N

+ 2 H,0 + H+ "

O R—C—COOH + NH 4 +

Einzelverbindungen. Die einfachste 1,2-Oxo-carbonsäure und gleichzeitig die einzig mögliche 1,2-Aldehyd-carbonsäure hat den Namen Glyoxylsäure 0=CH—COOH erhalten. Sie tritt zuweilen in unreifen Früchten auf, wird aber während des Reifungsprozesses wieder abgebaut. Ihre Tendenz zur Bildung eines Hydrats ist so groß, daß sie nur schwer in wasserfreiem Zustand gewonnen werden kann. Wegen des Fehlens einer aktiven Methylengruppe gehört sie zu den wenigen aliphatischen Aldehydverbindungen, die in starken Alkalilaugen nach Cannizzaro disproportionieren (zu Glykolsäure und Oxalsäure).

Die bei weitem wichtigste 1,2-Oxo-carbonsäure ist die Brenztraubensäure, die den Namen ihrer Hauptdarstellungsreaktion durch trockene Destillation (Brenzung) von Wein- bzw. Traubensäure verdankt. Hierbei spaltet die Weinsäure als ß-Hydroxycarbonsäure primär Wasser zur Hydroxy-fumarsäure (I) ab, die mit der Oxalessigsäure (II) tautomer ist und als solche leicht decarboxyliert (vgl. S. 192): COOH CH—OH

— H.O

COOH

COOH

I

"I

ch 2

II

¿H—OH

C—OH

I

I

COOH

u

CH

— CO,

I

COOH Ii

COOH i

CH3 ¿=0

¿OOH Brenztraubensäure

Brenztraubensäure ist eine (trotz ihrer sonstigen Labilität) unzersetzt destillierende, sirupöse Flüssigkeit von mittelstarker Acidität (pKg = 2,25). Ihre Salze heißen Pyruvate (vgl. Tab. 11, S. 126). In der Biochemie fungiert sie als Zwischenprodukt beim Auf- und Abbau von Kohlenhydraten (vgl. III, Kap. 8, III, 2). In der Mesoxalsäure HOOC—CO—COOH liegt die höchstmögliche Oxydationsstufe des Propans vor. Sie ist wegen der starken Belastung der C-Atome mit Sauerstoff noch labiler als Oxalsäure und zerfällt leicht sowohl im Sinne einer Decarboxylierung zur Olyoxylsäure als auch im Sinne einer Hydrolyse zu Ameisensäure und Oxalsäure:

H COOK rnn-K yJUA

COOK

COOH , EPH, 150' (Hydrolyse)

I yu

COOH

C02 Kochen mit Wasser (Decarboxylierung)

ptr n yn—U

COOH

Bemerkenswert ist weiterhin die außerordentlich starke Neigung der von zwei Carboxylgruppen flankierten Ketogruppe zur Bildung eines Hydrates. Dieses ist so stabil, daß es vor Erreichung der Beständigkeitsgrenze der Säure nicht mehr entwässert | ; werden kann. Q £ ¿__o Beim Verschmelzen mit Harnstoff geht Mesoxalsäure in das cyclische | | Ureid Alloxan über, das ebenfalls ein stabiles Hydrat bildet und als AbbauJJN C = 0 produkt der Harnsäure (S. 491) von Interesse ist. Alloxan

Kap. 5, VI: Die Oxo-carbonaäuren

190

2. Die 1,3- oder ß-Oxo-carbonsäuren Steht die Oxogruppe in ß-Stellung zu einer Carboxylgruppe, so kommen wir zu Substanzen, die mit den 1,3-Dioxoverbindungen (S. 164f.) und der Malonsäure (S. 174) eine gewisse Verwandtschaft aufweisen. Da die freien Säuren sehr unbeständig sind (s. unten), wurde die Untersuchung dieser Verbindungsklasse hauptsächlich an den Estern vorgenommen, mit denen wir uns im folgenden in erster Linie befassen müssen. Die wichtigste Darstellungsmethode für ß-Keto-carbonsäureester ist die bereits auf S. 130 formulierte CIAISEN-Kondensation. Von ihr sind verschiedene Varianten bekannt. Z. B. kann man eines der Estermoleküle durch das Säureanhydrid ersetzen und mit Borfluorid als Kondensationsmittel arbeiten: R—CO—o—CO—R + HCH2— COOAlk '

~

R

(BF,)

>

R—CO—CH,—COOAlk '

In den physikalischen Eigenschaften und auch im Geruch ähneln die /S-Ketocarbonsäureester den einfachen Estern. Die über die isolierten Umsetzungen der Sauerstoff-Funktionen hinausgehenden neuartigen chemischen Reaktionen lassen sich wie bei den 1,3-Dioxoverbindungen in vier Gruppen unterteilen: 1. Ringschlußreaktionen, 2. die Substitution der aktiven Methylengruppe, 3. Spaltungsreaktionen und 4. die auch hier mögliche Keto-Enol-Tautomerie. Zu 1. Der bekannteste Ringschluß der ß-Keto-carbonsäureester tritt bei der Einwirkung von Phenylhydrazin ein. Er führt zu einem l-Phenyl-3-alkyl-pyrazolon-5 (I) und hat eine große praktische Bedeutung für die Synthese der auf S. 303/4 beschriebenen Pharmazeutika der Pyrazolreihe erlangt. Ähnlich erhält man bei der Kondensation mit Hydroxylamin ein 3-Alkyl-isoxazolon-5 (II), das ein Derivat des auf S. 308 formulierten Isoxazols darstellt:

|l ¿=NX

1 >

H

,C—C=0

+ h>"C'H»

— • -"H^ rrr» A HOAlk

?

ir N

C=0 IM ,0—Alk

+ „> .r —H^o

W CL— CJ= Ö_

R

' \ rrr» A ILHOAlk

.'

¿=NX

I V/ > H„C L C = 0 •2

II

Zu 2. Die zwischen den beiden Sauerstoff-Funktionen befindliche Methylengruppe wird wie bei den 1,3-Dioxoverbindungen (S. 165) und dem Malonester S. 174) stark aktiviert und kann deswegen in gleicher Weise in Form seiner bereits bei der Einwirkung von Natriumalkoholat entstehenden Metallderivate alkyliert und acyliert werden: ©

R—CO—CHj—COOR

ya

°B

Na > R-CO—CH—COOR

Alk (bzw. Ac)

| > R—CO—CH—COOR

Zu 3. Ebenfalls in Analogie zu den 1,3-Dioxoverbindungen und zur Malonsäure sind die beiden von der aktiven Methylengruppe ausgehenden C—C-Bindungen sehr labil und neigen zu Spaltungsreaktionen. Nur muß man hier wegen des asymmetrischen Molekülaufbaus zwischen zwei derartigen Möglichkeiten unterscheiden: a) der Abspaltung der Ketogruppe. Sie stellt ein Analogon der alkalischen Spaltung der 1,3-Dioxoverbindungen (S. 165) dar und tritt auch in gleicher Weise bei der Einwirkung starker Alkalien (sowie auch von starken Mineralsäuren) ein.

2: Die 1,3- oder /3-Ketocarbonsäureeater

191

Sie führt stets zu zwei Carbonsäuremolekülen und wird deshalb Säurespaltung genannt:

0ii

o

R—C —CH2— C— O—Alk

+ 2 NaOH

^ '

0ii .

0

ii CH 3 —C—ONa

R—C—ONa +

+

HO—Alk

b) der Abspaltung der Carbäthoxygruppe. Sie ist lediglich auf dem Umweg über die freien Säuren möglich, die wie die Malonsäure decarboxylieren. Jedoch erfolgt die C0 2 -Abspaltung hier derart leicht, daß sich die Mehrzahl der ß-Keto-carbonsäuren schon dicht oberhalb Zimmertemperatur zu zersetzen beginnen und in wäßriger Lösung nur als Salze in neutralem Medium , nicht aber im sauren oder alkalischen Gebiet haltbar sind. Man braucht die ß-Ketocarbonsäureester infolgedessen nur mit verdünnten Säuren oder schwachen Alkalien (die beide noch nicht zur oben beschriebenen Säurespaltung ausreichen) zu behandeln, um eine ,,Decarbäthoxylierung" zu bewirken; denn diese Reagenzien katalysieren außer der Esterverseifung auch die Decarboxylierung der dabei entstehenden freien Säuren: R—CO—CH,—CO—OAlk '

III Hl

M1 era

ur e

0

r

° 'f > ,° ,f ^ (r—CO—CH„— schwache Alkallen \ '

COOfl)1

~

C0

' > R—CO—CH3

Als wichtigstes Reaktionsprodukt entsteht hierbei ein Keton, und man spricht deswegen von einer Ketonspaltung.

Die ß-Keto-carbonsäureester weisen auf Grund dieser beiden Spaltungsreaktionen eine Doppelnatur auf. Einerseits sind sie, wie schon der Name Acet-essigester (s. unten) sagt, acylierte Carbonsäureester, deren Acylgruppe man bei ihrer Synthese mit Hilfe der Esterkondensation eingeführt hat und später mit Hilfe der Säurespaltung wieder entfernen kann. Andererseits sind sie aber auch Ketonderivate (speziell die Ester von Keton-carbonsäuren), die sich auf dem Wege der Ketonspaltung in die Ketone zurückverwandeln lassen. Während man also von den ß-Diketonen aus durch Alkylierung und anschließende Spaltung nur höhere Ketone (S. 166) und vom Malonester aus durch Alkylierung und anschließende Decarboxylierung nur höhere Carbonsäuren (S. 174) synthetisieren kann, sind vom Acetessigester aus beide Synthesen möglich: CH 3 —CO—CH 2 —COOAlk Acetylaceton

Malonester

Acetessigester

S5

t Alk

1 Alk

Alk

CH, -CO—¿H—CO—CH 3

CH 3 —CO—¿H—COOAlk

ROOC—CH—COOR

Alkyllerungsprodukt

Alkyllerungaprodukt

Alkyllerungsprodukt

tt o

Alk—CH 2 —COOH alkyllertes Keton

alkyllerte Carbonsäure

>>

g x 2P o o 53 » >o g «3 4> O S > 0

Kap. 5, VI: Die Oxo-carbonsäuren

192

Zu 4. Die 1,3-Keto-carbonsäureester sind wie die 1,3-Diketone zur Keto-EnolTautomerie befähigt, an der jedoch nur die Ketocarbonylgruppe beteiligt ist, so daß man lediglich zwischen den folgenden beiden tautomeren Formen unterscheiden m u ß : 0 0 II II R—C—CH 2 —C—O—Alk



OH 0 I II R—C=CH—C—0—Alk

Ketoform

Enolform

Das Oleichgewicht ist in allen Lösungsmitteln stärker zugunsten der Ketoform verschoben als bei den 1,3-Diketonen. Im übrigen beobachtet man die gleichen Reaktionen der Enolform, insbesondere eine analoge Befähigung zur Bildung cyclischer Schwermetallkomplexe und eine ähnliche Titrierbarkeit mit Bromwasser,die K.H.MEYER sogar amBeispiel dea Acetessigesters entdeckt hat. Einzelverbindungen. Acetessigester ist seit seiner Erstdarstellung durch A. GEUTHER (1863) der Prototyp der gesamten Verbindungsklasse, an dem insbesondere die Erscheinung der Keto-Enol-Tautomerie entdeckt und erforscht wurde. Er dient in der Technik hauptsächlich zur Darstellung von Pyrazolonderivaten und wird zu diesem Zweck entweder aus Essigester mit Hilfe der Esterkondensation oder aus Diketen gewonnen. Letzteres ist ein leicht darstellbares Dimerisationsprodukt des Ketens und weist die Struktur eines Enol-lactons der freien Acetessigsäure auf, dessen ß-Lactonring sehr instabil ist und durch Alkohol sofort unter Bildung von Acetessigester aufgesprengt wird: r

2 CH2=C=0



—0—^

I

I

+ HO—C.H,

CH2=C—CHa—C=0 —

Eeten

0

O

II

II

CH 3 —C—CH a —C—0—C 2 H 5

Diketen

Acetessigester

Der flüssige Ester enthält nur 7,5% Enol. Die Einstellung des Tautomeriegleichgewichts erfolgt bei vollständiger Abwesenheit von Alkali (z. B. in Quarzgefäßen) so langsam, daß man die reine Ketoform durch Ausfrieren isolieren und längere Zeit aufbewahren kann. Ahnlich erhält man die reine Enolform durch rasches Preisetzen aus dem Natriumenolai mit trockenem Chlorwasserstoff. Die freie Acetessigsäure ist außerordentlich labil und deshalb nur schwer darzustellen. Sie wird beim anomalen Fettstoffwechsel Zuckerkranker durch Dehydrierung von ß-Hydroxy-buttersäure gebildet und z. T. durch Decarboxylierung weiter in Aceton übergeführt: H

OH

CH3— C—CH 2 —COOH 0-Hydroxybuttersäure

„ - ' > h

O ii CH3—C—CH2— COOH Acetessigsäure

--

cr oo

'->

O ii CH S —C—CH 3 Aceton

Alle drei Verbindungen treten im Falle der Zuckerkrankheit nebeneinander im Harn auf und werden in diesem Zusammenhang zusammenfassend als Acetonlcörper oder Ketonkörper bezeichnet. Osalessigsäure HOOC—CO—CH2—COOH ist eine wichtige biochemische Zwischenverbindung, die sich bei dem schon mehrfach erwähnten Citronensäurecyclus hinter die Äpfelsäure (S. 184) einreiht, aus der sie durch Dehydrierung der Carbinol- zur Ketogruppe entsteht. Auf Grund ihrer ß-Keto-carbonsäurenatur decarboxyliert sie dann weiter zur Brenztraubensäure, eine Reaktion, die in vitro auch bei'der Brenzreaktion von Weinsäure stattfindet (vgl. S. 189). Aceton-dicarbonsäure HOOC—CH2—CO—CH2—COOH, deren Bildung aus Citronensäure durch Kohlenoxidspaltung schon erwähnt wurde (S. 186), ist für eine ß-Keto-carbonsäure auffallend stabil und decarboxyliert erst oberhalb des Schmelzpunkts (135°). Ihr Ester enthält zwei aktive Methylengruppen und hat deshalb verschiedentlich zur Synthese cyclischer Stoffe Verwendung gefunden (vgl. z. B. III, Kap. 7, I I I 4 a a ) .

3: Die Lävulinsäure

193

3. Sonstige Keto-carbonsäuren Als Beispiel einer Keto-carbonsäure mit größerem, Abstand der Sauerstoff-Funktionen sei die LäTnlinsSnre genannt, die beim Kochen von Hexosen mit konzentrierter Salzsäure entsteht und einer derartigen Bildung aus der Lävulose (S. 432) ihren Namen verdankt. Sie liegt vermutlich in der tautomeren Cyclohalbacetalform I vor und erleidet von dieser aus bei längerem Erhitzen auf Temperaturen dicht unterhalb ihres Siedepunktes eine Wasserabspaltung zu dem Enol-lacton I I . Y OH

Lävulinsäure

13

K l a g e s , Eioführung org. Chemie

;0

CH,—cf

,0

— H.O

I

CH3 II

6. K a p i t e l

Die organischen Stickstofiverbindungen Als organische Stickstofiverbindungen bezeichnet man diejenigen Stoffe, die einen stickstoffhaltigen Rest durch eine einfache 0—N-Bindung an einem mit Iceinen weiteren Heteroatomen besetzten C-Atom gebunden enthalten. Diese Definition schließt bewußt alle Substanzen aus, in denen der Stickstoff doppelt an Kohlenstoff gebunden ist, denn derartige Verbindungen (wie z. B. die SeilIFFachen Basen, S. 117) gehen derart leicht durch Hydrolyse in die entsprechenden Sauerstoffverbindungen über, daß sie zweckmäßig als deren „Derivate" (die ScHIFFschen Basen also als Derivate der Oxoverbindungen) aufgefaßt werden. Ähnlich spricht man auch dann von Derivaten der entsprechenden Sauerstoffverbindungen, wenn Stickstoff und Sauerstoff (oder auch andere Heteroelernente) am gleichen C-Atom stehen (z. B. bei den Säureamiden [S. 132] oder beim Thioharnstoff [S. 153]). Es bleiben somit als eigentliche Stickstoffverbindungen mit neuartigen, selbständigen Eigenschaften nur die oben definierten Stoffe übrig.

Die Zahl der bekannten organischen Stickstoff verbindungen ist nahezu ebenso groß wie die der Sauerstoffverbindungen. Sie zeigen diesen gegenüber jedoch insofern einen grundsätzlichen Unterschied, als die C—N-Bindung ziemlich stabil ist, und der Stickstoff sich unter ihrer Intaktlassung weitgehend chemisch betätigen kann. Während man also bei den organischen Sauerstoffverbindungen im wesentlichen nur Substitutionsprodukte des Wassers kennt, und sich die Mehrzahl der Umsetzungen am Kohlenstoff abspielen (z. B . solvolytische Vorgänge und Änderungen der Oxydationsstufe), leiten sich die organischen Derivate des Stickstoffs von zahlreichen Grundverbindungen (Ammoniak, Hydrazin, Salpetersäure usw.) ab, und man beobachtet in der Hauptsache nur Umsetzungen am Stickstoffatom (z. B. Redoxreaktionen). Die Einteilung erfolgt daher nicht wie bei den Sauerstoffverbindungen nach der Oxydationsstufe des Kohlenstoffs, sondern nach der des Stickstoffs in die folgenden fünf Hauptverbindungsklassen: 1. die Amirioverbindungen, 2. die organischen Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen, 3. die Verbindungen mit ungesättigter Stickstoff kette, 4. die Nitroverbindungen und 5. die Nitrosoverbindungen.

I. Die AminoVerbindungen Unter Aminoverbindungen versteht man die organischen Derivate des Ammoniaks, d. h. alle Substanzen, in denen eines oder mehrere der H- Atome des NH3-Moleküls durch Alkyl- oder Arylgruppen ersetzt sind. Die Benennung der Aminoverbindungen geschieht entweder als Amine durch Vorsetzen der Namen der organischen Reste vor den Gruppennamen (z. B. Methyl-amin, Triäthyl-amin usw.) oder als aminosubstituierte (d. h. durch NKi-Gruppen substituierte) sonstige organische Verbindungen (z. B. Amino-essigsäure). Ferner wird bei

195

1 a : Die aliphatischen Amine, Allgemeines

den zahlreichen Trivialnamen dieser Gruppe angestrebt, die Aminnatur durch die Endung -in zu charakterisieren (z. B. Glycin, Toluidin usw.). Jedoch ist dieses letztere

Nomenklaturprinzip nicht systematisch durchgeführt worden. Die Eigenschaften der Amine (bzw. Aminoverbindungen) hängen in hohem Maße davon ab, wieviel organische Reste sich am Stickstoff befinden. Man unterteilt sie deshalb nach d e m Carburierungsgrad

des Stickstoffs

in die primären, sekundären u n d

tertiären Amine, denen sich, wenn man zum vierbindigen Ammoniumstickstoff

über-

geht, schließlich noch die quartären Ammoniumsalze anschließen. Doch entspricht diesen naturgemäß kein neutrales „quartäres Amin" Rv

N R-7N1 w

:NH

R—ÑH 2 R primäres Amin

sekundäres Amin

mehr:

p /

\ R

quartäres A m m o n i u m - I o n

tertiäres Amin

Während also bei den primären, sekundären und tertiären Alkoholen (S. 76) der Kohlenstoff einen unterschiedlichen Carburierungsgrad aufweist, ist es bei den Aminen der Stickstoff. III III

Eine Verbindung wie tert.-Butyl-amin (CH 3 ) 3 C—NH 2 ist somit trotz des in ihr enthaltenen tertiären Alkylrestes ein primäres Amin.

Eine scharfe gegenseitige Abgrenzung muß man schließlich noch zwischen den Gruppenbezeichnungen -amin, -imin, -amidi und -imid vornehmen. Die heute allgemein anerkannte Definition lautet: Die Endsilbe -in dient zur Kennzeichnung aller vom oxydativ ein- oder zweiwertigen Kohlenstoff sich ableitenden Stickstoffverbindungen (z. B. der primären Amine, der Ket-imine usw.), während die Endung -id ausschließlich für Säurederivate (Carbonsäureamide und -im ide) sowie auch f ü r Metallstickstoff Verbindungen (z. B. Natriumamid) verwandt wird. Weiterhin bezeichnet man mit dem Wortstamm -am- (-amid und -amin) stets einfach, mit dem Wortstamm -im-(imid und -¿min) stets doppelt gebundenen Ammoniak- bzw. Aminostickstoff. Succinimid (S. 176) und Phthalimid (S. 178) sind also streng genommen keine Säureimide, sondern sekundäre Säureamide (S. 132). 1. Die aliphatischen A m i n e

a) A l l g e m e i n e s Die Darstellung der aliphatischen Amine kann nach drei verschiedenen Methoden erfolgen: 1. durch Alkylierung des Ammoniaks (oder anderer Amine), 2. durch Reduktion des Stickstoffs in anderen organischen Stickstoffverbindungen, und 3. durch Reduktion des Kohlenstoffs in den Stickstoffderivaten höher oxydierter organischer Sauerstoffverbindungen. Zu 1. D i e direkte Alkylierung des A m m o n i a k s m i t Alkylhalogeniden

führt auf

Grund der folgenden Gleichung zunächst zu den halogenwasserstoffsauren Salzen der primären Amine, aus denen sich die Amine selbst durch Verdrängung der Base mit

Hilfe von Alkalien gewinnen lassen: Alk—Hai +

INH3

Alk—NH,

I

c r

ATT-

- ci- - H.0 '

Alk-NH2

Die Reaktion verläuft jedoch sehr uneinheitlich, weil das primäre Amin z. T. auch schon durch das nicht umgesetzte Ammoniak freigesetzt wird und dann schneller mit dem Alkylierungsmittel reagiert als das noch vorhandene Ammoniak. Auch aus dem hierbei entstehenden Salz des sekundären Amins wird dieses z. T. durch das Ammoniak freigesetzt und wiederum sehr rasch zum tertiären Amin alkyliert, das schließlich noch durch eine vierte Alkylierung in das quartäre Ammoniumsalz übergehen kann.

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

196

Man erhält deshalb meistens nur ein Gemisch mehrerer höherer Amine bzw. Ammoniumsalze neben unverändertem Ammoniak, so daß die Methode in dieser Form ohne praktischen Wert ist. Erst wenn man zwei H-Atome des Ammoniakmoleküls durch leicht wieder abspaltbare Säurereste ersetzt, ist die Gewinnung einheitlicher Monoalkyl-amine möglich. Am bekanntesten ist das von S. G A B R I E L ausgearbeitete Verfahren der Alkylierung des nur noch einen substituierbaren Liganden am Stickstoff enthaltenden Phthalimid-kaliums (S. 178), doch beruht auch die von A. WTJETZ durchgeführte Alkylierung von Alkali-cyanaten zu Isocyansäureestern (S. 145), die 1848 zur Entdeckung der Amine führte, auf dem gleichen Prinzip:

+

lNx nK

-

gal Alk ~ , I — KEal |

:

" ^ c c /

I! !|

Hydrolyse

\N_Alk

(

. Phthalsäure)

/ N x /

Alle

N J J

Phthalimid-kallum

2 +

0=C=NK

, — KHal

Kallum-cyanat

0=C=N—Alk Iso-cyansäureester

,

olyäe

^ • (— Kohlensaure)

primäres Amin

Ein letztes Alkylierungsverfahren besteht schließlich in der Umsetzung von Ammoniak mit Oxoverbindungen in Gegenwart von Reduktionsmitteln, die vermutlich die intermediär gebildeten Imino-verbindungen (z. B. I) angreifen. Hier ist vor allem die LEUCKART-WALLACH-Reaktion zu nennen, bei der Ameisensäure (bzw. Ameisensäurederivate) als Reduktionsmittel dienen. Z. B. entsteht aus der betreifenden Oxoverbindung und Ammonium-formiat, das bereits den zu alkylierenden Stickstoff enthält, das Amin im Sinne der folgenden Gleichung:

R—CH=0

NIL HCOO

— H,0

4 i R—CH=NTL + H COO"

Redox-

-R—CBL—NH 2 + CO,

Auch hier besteht grundsätzlich die Möglichkeit des Überschreitens der Stufe des primären Amins, doch werden keine quartären Ammoniumsalze mehr gebildet.

Ferner wird die Einführung der Alkylreste mit zunehmendem Alkylierungsgrad erschwert, so daß man die Reaktion auf der gewünschten Stufe abbrechen kann. Zu 2. Sämtliche organischen Derivate der höher oxydierten Stickstoffverbindungen lassen sich ohne Schwierigkeiten am Stickstoff zu primären Aminen reduzieren. Die wichtigsten Beispiele sind in folgendem Formelbild zusammengestellt. Eine praktische Bedeutung hat insbesondere die Reduktion der Nitroverbindungen erlangt: mJ R—CH,—NO» 2 Nltrokörper

Nitrosokörper Azid

+ 3H, -2H.0 \ + 2H, — H,0 + H, — N,

/ T)

/II I

JLI— C H R X

0

ATtr

+ H, -NH, +3H, — NH,

ilH Alg — N \

+ — H,0

R—CHj—NH—NH 2 Hydrazlnokörper QH —®N = N R—C Dlazokörper R— CH2—NH—OH Hydroxylamlnokörper

1 a: Die Eigenschaften der aliphatischen Amine

197

Zu 3. E b e n f a l l s n u r primäre Amine e r h ä l t m a n , w e n n m a n die A m m o n i a k d e r i v a t e der höher oxydierten organischen Sauerstoifverbindungen (Iminoverbindungen, Carbonsäureamide, Nitrile usw.) a m Kohlenstoff reduziert: 2

R—CH=N—OH — H , 0 \

Jb

R—CH=N—NH 2

2

/ - N E ,

Oxini

y + 2 H j

R—C=N Nitril

>R

(]f{

^

R—CH=NH

N J J

Hydrazon

< + ''' H l

72R—CH=N—N=CH—R AZ n

" r





'

C

O



N

Iminokörper

H

2

Carbonsäureamid

Die Reduktion der Carbonsäureamide ist erst in neuerer Zeit mit Hilfe von Lithium-aluminiumhydrid befriedigend gelungen. Für die Nitrilreduktion eignet sich Zinn (oder Zink) und Salzsäure, doch treten hier zuweilen Komplikationen ein, weil die intermediär entstehenden Aldehydimine Sekundärreaktionen eingehen (z. B. zu Aldehyden hydrolysiert werden, S. 97). Will man die säureempfindlichen Aldehydderivate reduzieren, so arbeitet man zweckmäßig in alkalischem Medium (z. B. elektrolytisch oder mit Natrium/Alkohol). In der Technik werden alle angeführten Reduktionsreaktionen schließlich auch mit katalytisch erregtem, Wasserstoff durchgeführt. Physikalische Eigenschaften. Der a m Stickstoff befindliche Wasserstoff zeigt einen ähnlichen, w e n n a u c h b e d e u t e n d geringeren Assoziationseffekt wie d e r Hydroxylwasserstoff. Die primären Amine sieden infolgedessen deutlich h ö h e r als die sekundären Amine u n d diese wieder h ö h e r als die tertiären Amine gleicher K o h l e n stoffzahl. E r s t die l e t z t e r e n k ö n n e n hinsichtlich ihrer Siedeeigenschaften m i t den Äthern gleicher Kohlenstoff zahl verglichen w e r d e n . Tabelle 13 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n u n d pKb-Werte einiger Amine Sdp. Ammoniak (z. Vergleich)

Sdp.

—33,5°

4,75

primäre Amine Methylamin Äthylamin n-Propylamin n-Butylamin n-Amylamin n-Hexylamin Anilin

sekundäre Amine Dimethylamin Diäthylamin

— 6,5 17 48 78 103 129 184

3,36 3,47 3,24 3,31

|

9,42

PK b

Diphenylamin

7° 56 302

3,29 2,90 13,12

tertiäre Amine Trimethylamin Triäthylamin Dimethylanilin Triphenylamin

3,4 89 193 348

4,26 3,25 8,92 > 15

Die Lösllchkcitsverhältnisse der aliphatischen Amine ähneln denen der Alkohole. Die niedrigen Glieder Reihe mit bis zu etwa drei C-Atomen sind auch hier unbegrenzt mit Wasser mischbar, finden jedoch wegen ihres tiefen Siedepunktes keine Verwendung als Lösungsmittel. 111 111

D a s chemische Verhalten der Amine ist in erster Linie d u r c h ihre a u ß e r o r d e n t lieh große Ammoniakähnlichkeit bedingt.

H e r v o r z u h e b e n sind insbesondere die folgenden drei R e a k t i o n s m ö g l i c h k e i t e n :

K a p . 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

198

1. Die Amine sind basisch und bilden wie Ammoniak mit Säuren Salze sowie mit Schwermetallen Komplexe, 2. der NH- Wasserstoff läßt sich in gleicher Weise substituieren wie der des Ammoniaks, und 3. man kann auch hier eine Oxydation des Stickstoffs durchführen. Über die Ammoniakähnlichkeit hinaus beobachtet m a n schließlich 4. eine Reaktion des Aminkohlenstoffs bei den verschiedenen Spaltungsreaktionen der C—N-Bindung. Zu 1. Wie Tabelle 13 erkennen läßt, sind die aliphatischen Amine etwas stärker basisch als Ammoniak. Sie bilden daher mit starken Säuren recht stabile Salze, die sich wie Salmiak erst oberhalb 300° zersetzen. Mit abnehmender Säurestärke werden die Salze jedoch labiler. Beispielsweise enthalten die geschmolzenen Acetate bei 150° schon merkliche Anteile von freien Aminen u n d freier Essigsäure, und mit Phenolen findet schließlich H 2 C—N^ 2 e f f i CHS überhaupt kein Umsatz zu kristallisierten Phenolaten mehr statt. I 1! ' / \ Auch die ebenfalls auf der Basizität dea Stickstoffs JJ

beruhende Tendenz zur Bildung von beobachtet man in der Aminreihe beim Ammoniak. Interessant sind vor allem die den Glykolkomplexen schen Komplexe von 1,2-Diaminen. So bildet Äthylen-diamin mit Kupfer tiges Kation der Struktur I I .

Schwermetallkomplexen in ähnlicher Weise wie (S. 155) analogen cycli(11) - Ionen ein zweiwer-

Zu 2. Die wichtigsten Substitutionsmöglichkeiten der NH-Gruppe sind: a) der Ersatz des Wasserstoffs durch Metall zu den N-Alkyl-metallamiden (S. 200). Man bewirkt ihn im einfachsten Fall durch Erhitzen der Amine mit den freien Alkalimetallen, f ü h r t ihn praktisch jedoch besser auf dem Wege einer ZEREWITINOFFreaktion (S. 263) des Amins mit einer metallorganischen Verbindung durch: R — N H 2 + Mt

>

R—NHMt +

R 2 N — H + R'—Mt



R 2 NMt +

!

/2H2;

R'—H

b) die Alkylierung zu höheren Aminen, die nach den gleichen Methoden geschieht wie die auf S. 196 beschriebene Alkylierung des Ammoniaks. c) die Acylierung des Stickstoffs, die zu am Stickstoff alkylierten Amiden von Carbonsäuren oder anorganischen Säuren (S. 200) f ü h r t und gegenüber der schon erwähnten Acylierung des Ammoniaks (S. 133) nichts wesentlich Neues bietet.

Zu 3. Die Oxydation des Stickstoffs gelingt am einfachsten bei den tertiären Aminen, die keine NH-Gruppen mehr enthalten und infolgedessen bei der Einwirkung von Peroxyverbindungen ohne weitere Komplikationen in die Aminoxide (S. 218) übergeführt werden können: R 3dNI

+

.

(aus Peroxy-Verbindungen)

R3N-0 Aminoxid

Ferner kann man primäre Amine mit tertiärem (und deshalb am Kohlenstoff nicht weiter oxydierbaren) Alkylrest relativ leicht zu Nitroverbindungen oxydieren:

(CH3)3C—NH2

Oxydation

^

(CH3)3C—N02

Zu 4. Die C—N-Bindung ist sehr beständig und k a n n nur oberhalb 300° an Dehydratisierungskatalysatoren hydrolysiert (S. 77) oder durch überkonzentrierte Jodwasserstoffsäure bei etwa 150° acidolytisch aufgespalten werden (letzteres in Analogie zur ZEiSELschen Alkoxylbestimmung der Äther, S. 89):

1 b : Die Derivate der aliphatischen Amine

Alk—NH„

+ HJ

>

Alk—NH3J~

+

>

199

Alk—J +

NH4+J"

Das Verfahren dient unter der Bezeichnung Methylimidbestimmung (exakter wäre Methylaminobestimmung) zum quantitativen Nachweis von N-Alkylgr uppen (S. 22). Um so wichtiger sind verschiedene Möglichkeiten der indirekten Lösung der C—N-Bindung (durch Einführung von Hilfsgruppen), für die in Abhängigkeit vom Alkylierungsrad des Stickstoffs verschiedene Methoden ausgearbeitet wurden: a) Primäre Amine reagieren mit salpetriger Säure unter Bildung von Alkoholen oder Olefinen und elementarem Stickstoff. Vermutlieh bildet sich intermediär das Diazoniumsalz I I I , dessen C—N-Bindung wegen der Bildungstendenz des N'¿-Moleküls dann spontan zerfällt: —OH, + H X

R— CH,—OH,—NH,

( [R—CH2—CH2—N=N] X"

— 2 H,0 H.O \

- I X

R—CH=CH,

b) Die sekundären Amine werden nach J . v. BRAUN ZU N,N-Dialkyl-carbonsäureamiden (IV) acyliert, die nach Überführung in die Carbonsäureamidchloride (V) die Tendenz aufweisen, die beiden Alkylgruppen unter Bildung der Nitrile (VI) in Form von Alkylhalogeniden zu eliminieren :

o Alk. || /N—C—R Alk

_FpCöci ' *

C1 C1 Alkv : / X -( -R Alk

iv



N = C—R + 2 Alk—CI

v

vi

c) Auch das wichtigste Verfahren zum Abbau tertiärer Amine stammt von J . v. BRAUN. Danach werden diese mit Hilfe von Bromcyan zu einem (nicht isolierbaren) quartären Ammoniumsalz des Cyanamids (VII) acyliert, das sofort ein Alkylhalogenidmolekül zum Dialkyl-cyanamid (VIII) abspaltet: Alk. A l k ^ N I -(- B r — C = N Air

;Alk Alk—7N—C=N Alk

vii

Br"

Alk.

)N—C=N + Alk—Br

Alk VIII

d) Die quartären Ammoniumsalze baut man am besten nach A. W. HOFMANN durch thermische Zersetzung der quartären Ammoniumbasen ab (Näheres vgl. S. 202).

b) Die D e r i v a t e der a l i p h a t i s c h e n A m i n e Ähnlich wie von den Alkoholen leiten sich auch von den Aminen durch Ersatz des am Heteroatom gebundenen Wasserstoffs eine Reihe von Derivaten ab. Es sind dies 1. die den Alkoholaten entsprechenden Metallamide und 2. die den Estern entsprechenden Säurederivate der Amine, während die den Äthern entsprechenden höher alkylierten Verbindungen als sekundäre und tertiäre Amine noch zu den Aminen selbst und nicht zu ihren Derivaten gerechnet werden. Alle beiden Gruppen von Derivaten lassen sich naturgemäß nur von den primären und sekundären Aminen gewinnen,

Kap. 6,1: Die Aminoverbindungen

200

die noch NH-Orwppen im Molekül enthalten. Ihnen schließt sich 3. in den Ammoniumsalzen noch eine weitere Gruppe von Derivaten an, die auch v o n den tertiären Aminen gebildet werden. a) Die N-Alkyl-metallamide Die in erster Linie interessierenden Alkalimetallderivate der primfiren und sekundären Amine, deren wichtigste Bildungsreaktionen bereits erwähnt wurden (S. 198), sind dem Natriumamid verwandte, sehr unbeständige Verbindungen, die wie dieses durch Wasser und Alkohole sofort stürmisch unter Freilegung der Amine solvolysiert werden. Gegen Äther sind sie dagegen beständig und die Lithiumderivate der sekundären Amine auch in ihm löslich. Hierauf beruht ihre gelegentliche Verwendung als stark basische Kondensationsmittel anstelle des in Äthern unlöslichen Natriumamids. ß) Die Säurederivate der Amine

I

Die bei der Acylierung der Amine entstehenden Verbindungen des Typus R — N H — A c (bzw. R 2 N — A c ) sind nicht nur Säurederivate von Aminen, sondern gleichzeitig auch N-Alkylderivate von Säureamiden.

Sie werden am besten auch als derartige Säurederivate charakterisiert. Soweit sie sich v o n Carbonsäuren ableiten, unterscheiden sie sich nicht wesentlich v o n den einfachen Carbonsäureamiden (S. 132f.), so daß wir uns hierauf die Beschreibung einiger anorganischer und Sulfonsäurederivate beschränken wollen. Die sich von der salpetrigen Säure ableitenden Dialkyl- (oder auch Diaryl-)nitrosamine bilden sich spontan beim Zusammentreffen von freiem sekundären Amin und freier salpetriger Säure im Sinne einer Nitrosierungsreaktion (vgl. S 238): - H,o

R2NH

+ HO—N=0

+H,0(9äur"^T

Redukti0D

R2N—N=0

Dialkyl-(aryl-)nitrosamin

>

R a N—NH 2

aa-Dialkyl-(aryl-)hydrazin

Sie sind hochsiedende gelbe Substanzen, die durch Kochen mit starken Säuren wieder rückwärts in ihre Bildungskomponenten zerlegt werden können. Ferner gehen sie bei der Reduktion der NO-Gruppe in asymmetrische Dialkyl-hydrazine über. Bei der analogen „Nitrosierung" primärer Amine entstehen vermutlich zunächst ebenfalls Nitrosamine (R—NH—NO). Diese sind jedoch wegen der Nachbarstellung von NH- und NOGruppe sehr unbeständig und lagern sich mit ganz wenigen Ausnahmen (vgl. S. 225) sofort in die auf S. 222 f. beschriebenen Diazoverbindungen um. Die entsprechenden Derivate der Salpetersäure (R—NH—N0 2 und R 2 N—N0 2 ) werden Nitramlne genannt, sind aber ohne praktische Bedeutung geblieben. Eine dritte Gruppe von Verbindungen entsteht bei der Einwirkung von unterhalogenigen Säuren auf Amine. Hier werden stets alle am Stickstoff befindlichen H-Atome durch Halogen ersetzt, und man erhält die N-Halogen-amine: R—NH 2

+ 2HÖ-:CI

,,„>0

.

R—NCI,

;

Alkyl-(aryl-)dlchloramin

R2NH

+HÖ-C1

—rr^cT-

R2N-C1

Dialkyl-(aryl-)chloramln

Sie sind niedrigsiedende Verbindungen, die die Atmungsorgane stark reizen und z. T. leicht explodieren. Das Halogen ist ähnlich reaktionsfähig wie in den elementaren Halogenen. Man kann die Halogenamine daher als Halogenierungsmittel verwenden (S. 68). I n den Amiden der Sulfonsäuren (Sulfonamiden, vgl. auch S.248) schließlich übt der ,,Sulfonylrest" eine derart stark acidifizierende Wirkung aus, daß der am Stick-

1 b y. Die Ammoniumsalze

201

stoff befindliche Wasserstoff noch sauer ist. Die Sulfonylderivate der primären Amine (I) lösen sich deshalb in Natronlauge, während die der sekundären Amine (II), denen die NH-Gruppe fehlt, gegen Alkalilaugen indifferent sind und tertiäre Amine sich überhaupt nicht mehr sulfonieren lassen: D

imtj

+ Cl so, R'

R—NH—S0 2 —R'

HC1

• Cl-SO,—R' — HCl

R 2 NH

+

+ Cl-SO,—R'

+ Ka0H

>

Salzbildung

I R2N—S02—R'

+ Ka0H

Ii

»

keine Salzbildung

keine Sulfonylierung

Man kann auf diese Weise primäre, sekundäre und tertiäre Amine voneinander trennen (GrNSBERG-Trennung). y) Die Ammoniumsalze Die Oniumsalze der organischen Amine schließen sich hinsichtlich ihrer Bildung und auch ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften eng an die Salze des Ammoniaks an (vgl. anorganische Lehrbücher). Es soll deshalb an dieser Stelle nur auf die neuartigen, typisch organischen Eigenschaften hingewiesen werden. Die Benennung der organischen'Ammoniumsalze erfolgt leider etwas unsystematisch. Statt der exakten Bezeichnung als substituierte Ammoniumsalze (z. B. Methyl-ammoniumchlorid H S C—NH 3 +C1 _ ) ist vielfach noch eine veraltete Nomenklatur gebräuchlich, die von der irrigen Vorstellung ausgeht, daß es sich in diesen Salzen um „hydratartige" Additionsverbindungen der Säuren an die Amine handelt. Man findet daher in der Literatur häufig Namen wie Methylaminchlorhydrat oder Methylamin-hydrochlorid für die oben formulierte Verbindung. Die OniumIonen der mit Trivialnamen belegten Amine werden schließlich allgemein durch die die an den Aminnamen gehängte Endung -ium gekennzeichnet. Beispielsweise leiten sich vom Anilin die Anilinium-salze, vom Pyridin die Pyridiniumsalze ab usw.

Für die Darstellung der Ammoniumsalze ist es wichtig, daß ihre Bildung im Gegensatz zu der der Salze der Hydroxylbasen ohne Wasseraustritt direkt aus der Säure und Base erfolgt: RjNI

+

H—X

-

[R3NH]

X"

Man kann die Säure und Base daher auch in hydrophoben Lösungsmitteln (z. B . in Äther) aufeinander einwirken lassen. Die noch eine NH-Gruppe enthaltenden Ammonium-Ionen sind wie das unsubstituierte Ammonium-Ion selbst schwach sauer und spalten infolgedessen das Proton bei der Einwirkung stärkerer Basen sofort ab. Die mit Säuren entstehenden Salze sämtlicher organischen Amine bilden daher bei der Einwirkung von Natronlauge unmeßbar rasch die freien Amine zurück, die als nicht mehr salzartige Verbindungen durch „Ausäthern" aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden können. r

® 1+

LR—NHj

Cl

-

+ OH"

_cl- -

R—NH, +

H20

Ähnlich wie der Wasserstoff spalten sich auch die Alkylreste aus den Ammonium-Ionen leichter ab als aus den neutralen Aminen. Viele Spaltungsreaktionen der C—N-Bindung, wie z.B.

202

Kap. 6, I : Die Aminoverbindungen

die Methylimidbestimmung (S. 199) und die Synthese von Diaryl-aminen wegen in saurem Medium über die Ammoniumsalze durchgeführt.

(S. 206), werden des-

Eine besondere Klasse von Ammonium Verbindungen sind die quartären Ammoniumsalze, die aus den Aminen nicht mehr mit Säuren, sondern nur noch durch Alkylierung mit den üblichen Alkylierungsmitteln dargestellt werden können: Alk I© Alk—N—Alk

Alk Alk—Nl + Alk—X I Alk

X

AgOH — AgX

Alk

Alk 1+ Alk—N—Alk

OH

Alk

Tetraalkyl-ammonlumsalz

Tetraalkyl-ammonium-hydroxyd

Hier ist der Ammoniumstickstoff wasserstofffrei, und es kann infolgedessen bei der Einwirkung von Natronlauge keine Rückbildung der tertiären Amine mehr stattfinden. Die Tetraalkylammonium-Ionen sind daher gegen die OH -Ionen so beständig, daß man die bei den einfachen Ammonium-Ionen nicht existenzfähigen Ammoniumhydroxide sogar in kristallisiertem Zustand gewinnen kann (allerdings nur in Form der Hydrate). Diese Tetraalkyl-ammonium-hydroxide verhalten sich chemisch wie die Alkalihydroxide. Insbesondere sind sie ebenfalls vollständig ionisiert und bilden mit Säuren nur unter Wasserabspaltung Salze. Ihre Stabilität ist jedoch nicht sehr groß. Schon bei mäßig erhöhter Temperatur besteht eine gewisse Tendenz, einen der Alkylreste auf das Hydroxyl-Ion unter Bildung von Alkoholen (oder deren Dehydratisierungsprodukten Olefin und Wasser) zu übertragen: e [R—CHj—CH ,—NAlkJ

OH

Erhitzen

INAlkj + R — C H = C H 2 + H 2 0 !NAlk3 +

R—CH 2 —CH 2 —OH

Die Reaktion wird nach ihrem Entdecker HoFMANNScher Abbau quartärer Ammoniumbasen genannt. Im allgemeinen geht die Olefinhildung etwas leichter vor sich als die Alkoholbildung. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, daß Methylgruppen schwerer als alle anderen Alkylgruppen eliminierbar sind. Es ist deshalb möglich, auf diesem Wege auch aus normalen (allerdings keine Methylgruppen am Stickstoff enthaltenen) Aminen die Alkylreste abzuspalten, indem man sie erst „erschöpfend" bis zu den quartären Ammoniumsalzen methyliert, und dann die längeren Alkylgruppen aus den Ammoniumhasen als Olef in eleminiert (HOFHANN scher Aminabbau durch erschöpfende Methylierung). Bekanntlich verlangt die Elektronentheorie der Valenz, daß der mit vier Liganden besetzte quartäre Stickstoff nicht elektroneutral sein kann, sondern als Ammoniumstickstoff stets eine positive Elementarladung trägt. Diese Forderung steht in einem gewissen Widerspruch zur Abscheidung eines neutralen „freien Tetramethylammoniums" bei der ElekQJJ trolyse von Tetramethylammoniumsalzen an Quecksilberkathoden. Da das + " freie Tetramethylammonium aber nur in metallischer Phase als Amalgam 5 existiert, ist dieser Widerspruch bloß scheinbar; denn in einer metallischen Phase liegen die Metalle ebenfalls in Form ihrer Kationen vor, die von •H,, J einem Elektronengas umgeben sind. Es ist daher gut denkbar, daß bei der Elektrolyse das Quecksilber die Tetramethyl-ammonium-Ionen

1 c: Einzelne aliphatische Amine

203

unverändert aufnimmt und daß zum Ladungsausgleich ein Elektron in das metallische Elektronengas eintritt. Dem freien Tetramethylammonium muß man also die vorstehende „metallische" Struktur I mit einem nicht zum Kationenmolekül gehörenden Einzelelektron zuerteilen. Es liegt hier also einer der wenigen Fälle des Einbaus einer organischen Substanz in eine metallische Phase vor. c) E i n z e l n e a l i p h a t i s c h e

Amine

Die primären Amine, deren wichtigste Darstellungsmöglichkeiten bereits beschrieben w u r d e n , zeigen die folgenden, z. Teil zu ihrem Nachweis geeigneten speziellen Reaktionen, auf die a n a n d e r e n Stellen dieses Buches ausführlich eingegangen w i r d : 1. die beim K o c h e n m i t Chloroform u n d Alkali e i n t r e t e n d e Bildung von Isonitrilen, die a n ihrem intensiven u n d widerwärtigen Geruch bereits in Spuren zu erk e n n e n sind (vgl. S. 313), 2. die Bildung v o n Isocyansäureestern bei der E i n w i r k u n g v o n Phosgen auf ihre Salze (vgl. S. 145), 3. die Senfölbildung bei der E i n w i r k u n g v o n Schwefelkohlenstoff (vgl. S. 152), 4. die Bildung ScmFFScher Basen m i t Oxoverbindungen

(S. 117),

5. die Bildung von Alkoholen bzw. Olefinen bei der E i n w i r k u n g v o n Säure (S. 77, 223), 6. die Bildung alkalilöslicher Sulfonsäureamide (S. 201).

salpetriger

Methylamin H 3 C—NH 2 , das Anfangsglied der Reihe, tritt im Bingelkraut in geringer Menge natürlich auf. Benzylamin C6H5—CH2—NH2 verhält sich trotz der Anwesenheit eines Benzolkerns im organischen Rest wie ein normales aliphatisches Amin. Insbesondere ist es im Gegensatz zu den Anilinbasen (S. 206) mit einem pK b -Wert von 4,62 relativ stark basisch. Benzedrin (ct-Methyl-ß-phenyl-äthylamin) C4H6—CH2—CH(CH3)—NH2 steht konstitutionell bereits dem Alkaloid Ephedrin (S. 500) nahe. Es übt ähnlich wie Coffein eine stark stimulierende Wirkung auf das Nerven- und Kreislaufsystem aus und findet in diesem Sinne pharmazeutische Anwendung (vgl. auch das unten beschriebene Pervitin). Im ß-Chlor- und ß-Brom-äthyl-amin Hai—CH2—CH2—NH2 liegen die einfachsten Halogen-alkyl-amine vor. Sie sind frei nicht existenzfähig, weil die Alkylhalogenidgruppe sofort mit der Aminogruppe unter innermolekularer Alkylierung zu einem cyclischen Amin reagiert: CH,—Hai ] 2: H CH 2 —NH

CH, | > H CH/

0-Halogen-äthylamin

Äthylen-imin

Man kann sie jedoch in Form ihrer nicht mehr cyclisierbaren Ammoniumsalze

stabilisieren.

Spezielle Methoden f ü r die Darstellung sekundärer Amine sind u. a. die Reduktion ( z . B . die katalytische Hydrierung) der ('••• N-Mehrfachbindungen von Isonitrilen (I) oder ScBiFFSchen Basen (II): R—N=CI I

+ 2 H

' > R—NH—CH 3

;

R—CH=N—R' Ii

sowie die auf S. 240 formulierte Alkalispaltung von

+ H

» >

R—CH 2 —NH—R'

p-Nitroso-dialkylanilinen.

Kap. 6,1: Die Aminoverbindungen

204

Die wichtigsten allgemeinen Reaktionen haben wir in der Nitrosaminbildung (S. 200) und dem v. BRAUNschen Abbau von Dialkyl-carbonsäureamiden (S. 199) bereits kennengelernt. Dimethylamin (CH3)2NH, das Anfangsglied der Reihe, kommt in geringen Mengen in der Heringslake vor. Sein salzsaures Salz zeigt eigenartigerweise eine starke Löslichkeit in Chloroform und Methylenchlorid. Diäthylamin (C2H5)2NH ist das niedrigste bei Zimmertemperatur flüssige sekundäre Amin und findet als solches häufig praktische Anwendung anstelle des Dimethylamins. Das gleiche gilt für das cyclische sekundäre Amin Piperidin (S. 205). Pervitin C6H5—CH2—CH(CH3)—NH—CH3 ist das N-Methylderivat des oben erwähnten Benzedrins und dient in ähnlicher Weise in der Pharmazie als Stimulans. Die tertiären Amine werden am besten durch Alkylierung von Ammoniak oder anderen Aminen mit Oxoverbindungen in Gegenwart von Reduktionsmitteln gewonnen (z. B . nach L E U C K A B T , S. 196), da sie hierbei als Endstufe der Alkylierung anfallen. Für tertiäre Aminoderivate des Malonesters und anderer Verbindungen mit ähnlich stark aktivierter CH-Oruppe liegt eine weitere wichtige Bildungsmöglichkeit in der MAXMCHreaktlon vor, die auf der gleichzeitigen Kondensation eines Formaldehydmoleküls mit der aktivierten CH-Gruppe und der NH-Oruppe eines sekundären Amins beruht: (Alk'OOC)2CH—H +

() II CH2

H—NAlk2

H'°

>•

(Alk'OOC)2CH—CH2—NAlkj

Sie stellt eine praktische Anwendung der auf S. 104 formulierten Verknüpfung der Moleküle zweier Wasserstoffverbindungen Formaldehyd dar. (Bez. des Mechanismus vgl. I, Kap. 6, I, 1 c V ) . Die tertiären Amine stehen zu den primären und sekundären Aminen in einem ähnlichen Verhältnis wie die Äther zu den Alkoholen. Insbesondere sind sie wegen des Fehlens einer NH-Gruppe wie die Äther nicht mehr zur Bildung von Metall- und Säurederivaten befähigt. Man verwendet sie wegen dieser Indifferenz als säurebindendes Reaktionsmedium für Acylierungsreaktionen (S. 128) sowie in beschränktem Umfang auch als Lösungsmittel für ÖRiONARDverbindungen (S. 265). Eine Reaktion, die auf der anderen Seite nur bei den tertiären Aminen möglich ist, ist die Oxydation zu Aminoxiden (S. 198 und 218). Lediglich hinsichtlich des Salzbildungsvermögens verhalten sich alle drei Klassen von Aminen gleichartig. Trimethylamiii (CH3)3N kommt neben Dimethylamin in der Heringslake vor und ist der Hauptträger des Fischgeruchs. Von ihm leiten sich einige natürlich vorkommende quartäre Ammoniumverbindungen ab, von^denen wir dem Cholin (S. 210), Neurin (S. 210) und Betain (S. 216) später noch begegnen werden. Trläthylamin (C2HB)3N hat als einfachstes bei Zimmertemperatur flüssiges aliphatisches tertiäres Amin eine beschränkte^präparative Anwendung als säurebindendes Reaktionsmedium (s. oben) gefunden. In Analogie zu den Di- und Polyalkoholen gibt es auch eine Reihe von Di- und Polyaminen, die jedoch nur als Einzelverbindungen von Interesse sind. Äthylen-diamin H2N—CH2—CH2—NH2 ist eine ölige, glycerinartige Flüssigkeit vom Siedepunkt 117°. Es neigt wie Glykol (S. 155) zur Bildung cyclischer Schwermetallkomplexe, von denen der dem Tetrammin-kupfer-Ion entsprechende Kupfer (II)-Komplex bereits formuliert wurde (S. 198). Seine höheren Homologen mit vier und fünf C-Atomen haben die Trivialnamen Pntrescin (= Tetramethylen-diamin) HaN—(CH2)4—NH3 und Cadaverin ( = Pentamethylen-diamin)

2 a: Die Anilinbasen, Allgemeines

205

H 2 N—(CH 2 ) 6 —NH 2 erhalten. Die an sich ungiftigen Basen kommen als Abbauprodukte der Eiweißaminosäuren Arginin und Lysin (S. 474) in faulendem"Eiweiß vor und wurden deshalb früher irrtümlich für Leichengifte gehalten. Das um noch eine CH2-Gruppe reichere Hexamethylen-diamin H 2 N—(CH 2 ) 6 —NH 2 wird durch Reduktion von Adipinsäure-dinitril im großen gewonnen und ist neben Adipinsäure (S. 176) die zweite wichtige Herstellungskomponente für die Nylonfaser (vgl. S. 489). Einige komplizierte Polyamine mit sekundären Aminogruppen treten im menschlichen Sperma auf. Sie haben deshalb die Namen Spermidin und Spermin erhalten: und

H 2 N—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH 2

H 2 N—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH—(CH 2 ) 3 —NH a Spermin

Spermidin

Schließlich k e n n t m a n auch die d e n cyclischen Amine, deren Eigenschaften in Besonderes Interesse beansprucht daher Äthylen-imin, deren Bildung aus den wurde (S. 203).

cyclischen Äthem (S. 156) entsprechenden gleicher Weise v o n der Ringweite abhängen. wiederum die dreigliedrige Ringverbindung ß-Halogenäthylaminen bereits beschrieben

E s zeigt wie die Olefinoxide (S. 157) infolge starker Ringspannung eine gewisse Tendenz, Verbindungen des T y p u s H X unter Ringsprengung anzulagern, w o b e i ß-substituierte Äthylaminverbindungen entstehen:

H

Ä

+ HaO

HO— CHj— CIL,—NH2 Äthanolftmln

+ NH,

CH2-

H 2 N— CHj— CHJ—NH2 Äthylendiamln

CH0

Äthylen-imin

+

Alk—O—CH 2 — CH2—NH2

R—S—CH 2 —CH 2 -NH,

Hai— CH2— CH 2 —NH 2

Amino-thioäther

Amino-fither

Halogenäthyl-amin

Die höheren gesättigten cyclischen Amine verhalten sich (ebenfalls in Analogie zu den entsprechenden cyclischen Äthern) wieder wie normale aliphatische Amine. Von ihnen seien nur das Pyrrolidin und das Piperidin angeführt, die durch Hydrierung der billigen aromatischen Heterocyclen Pyrrol (S. 299f.) und Pyridin (S. 294) leicht zugänglich sind: HC=CH. :NH I HC=CH' Pyrrol

+ 21,

H2C—CH„V // C H = C H X •N I ")NH ; HCxx H,c—ch/ ch=chx Pyrrolidin

• 3 H,

Pyridin

/CH2—CH2N H2(\ /NH CH2—CH2 Piperidin

Pyrrolidin (fälschlicherweise auch Tetramethylen-imin genannt) kommt natürlich als Nebenbase des Nicotins im Tabak vor, während Piperidin (Pentamethylen-imin) in Form seines Piperinsäurederivates das wichtigste Pfefferalkaloid (S. 501) darstellt. Auf seine präparative Bedeutung wurde bereits hingewiesen (S. 204). 2. Die aromatischen A m i n e (Anilinbasen) a) A l l g e m e i n e s I n den aromatischen A m i n e n ist die Aminogruppe stets unmittelbar a n einen aromatischen Kern gebunden.

Kap. 6 , 1 : Die AminoVerbindungen

206

Sie werden nach ihrem einfachsten Vertreter auch Anilinbasen genannt und kommen mit Ausnahme einiger komplizierterer Verbindungen nicht natürlich vor. Dagegen stellen sie wichtige technische Zwischenprodukte dar, vor allem für Farbstoffsynthesen. Die Gewinnung der primären Anilinbasen geschieht fast ausschließlich durch Reduktion der der gerade in der aromatischen Reihe leicht herstellbaren Nitroverbindungen (Näheres vgl. S. 236). Die sekundären und tertiären Basen kann man auf diesem Wege jedoch nicht erhalten, so daß man hier auf die verschiedenen Verfahren zur Alkylierung oder auch Arylierung der primären Amine zurückgreifen muß. Beispielsweise führen vom Anilin die folgenden beiden Arylierungsreaktionen zum Diphenylamin:

/

/

\

\

+ Cl-aCi Die aeylierten aromatischen Amine werden in Analogie zu den Säureamiden Anilide genannt. b) die Isonitrilreaktion der primären Amine. c) die Nitrosaminbildung der sekundären Amine. d) die Aminoxidbildung der tertiären Amine.

2 a : Die Substitution von Anilinbasen

207

Die C—N-Bindung der Anilinbasen ist ähnlich beständig wie die der aliphatischen Amine, kann aber bei der Thermostabilität vieler aromatischer Verbindungen verhältnismäßig leicht durch Erhitzen mit Säuren (vgl. S. 92) oder Zinkchlorid als Katalysatoren auf 280—290° hydrolysiert werden:

I

\

\ — N H 22 /

(H

oder ZnCl,)

>

\

+

/

NH33

Zu 2. Da die Aminogruppe wie die Hydroxylgruppe ein Substituent 1. Ordnung ist (S. 62), wird die Reaktionsfähigkeit des Benzolkerns in den Anilinbasen in ähnlicher Weise erhöht wie in den Phenolen.

Abgesehen von der Mercurierung sind die aromatischen Amine deshalb grundsätzlich zu den gleichen Substitutionsreaktionen befähigt, die früher (S. 93) für die Phenole formuliert wurden, und auch hier treten die Substituenten stes in o- oder p-Stellung zur N H r G r u p p e in den Kern ein. Jedoch gibt es auch einige Unterschiede gegenüber den Phenolen: III Hl

a) Die primären und sekundären aromatischen Amine werden häufig ebenso leicht in der Aminogruppe wie im Kern substituiert.

Man kann daher nicht immer von vornherein entscheiden, wo die Substitution erfolgt. Z. B. erhält man bei der unten formulierten Nitrosierung primär die N-NitrosoVerbindungen ( = Nitrosamine) und bei der Sulfonierung primär die N-Sulfonsäuren (= Sulfamidsäuren). Vielfach werden die Verhältnisse noch dadurch kompliziert, daß ein bereits am Stickstoff befindlicher Ligand nachträglich in den Kern wandert. Z. B. ist das aus Methyl-anilin und salpetriger Säure entstehende Nitrosamin derart labil, daß es als Nitrosierungsmittel gegenüber dem Kern wirkt und schon in Gegenwart geringer Säuremengen in die kernnitrosierte Verbindung, das p-Nitroso-methylanilin, übergeht (Umlagerung von 0 . FISCHER und E. HEPF) :

NCH

- - ' — x

\

i®.

+ HO

X

Methyl-anilin

;N=O: O Methyl-phenyl-nitrosamin

p-Nitroso-methylanilin

Ähnlich verläuft die Sulfonierung des Anilins zur Sulfanilsäure (S. 249) in zwei Stufen über die Phenylsulfamidsäure als Zwischenprodukt: NH 2 + HO—SO a H

I

U —NH—S0 3 H

Phenylsulfamidsäure

180

° » H03S—^

—NH 2

Sulfanilsäure

Eine ausschließliche Kernsubstitution beobachtet man demgegenüber bei den tertiären Anilinbasen, da hier der Stickstoff nur noch zur Aufnahme von Alkylresten zu quartären Ammoniumsalzen befähigt ist.

Z. B. wird Dimethyl-anilin sofort im Kern nitrosiert (S. 240) und liefert bei der Kupplungsreaktion (S. 229) ohne Zwischenverbindung den Azokörper. b) An der Wechselwirkung zwischen Kern und Aminogruppe ist das ungebundene Elektronenpaar des Stickstoffs beteiligt. Wird dieses durch Salzbildung blockiert, so muß also auch die Aktivierung des Benzolkerns verschwinden. In Übereinstimmung mit dieser Forderung beobachtet man in sehr stark saurem Medium keine Kernaktivierung mehr, und die hier vorliegende —NH 3 + -Gruppe ist (im Gegensatz zur

208

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

—NH2-Oruppe) zu einem Substituent 2. Ordnung geworden, der stärker in m-Stellung dirigiert und desaktivierend wirkt als alle anderen Subatituenten 2. Ordnung (vgl. S. 62). Infolge dieser Verhältnisse wird die Substitution der Anilinbasen durch sehr starke Säuren deutlich gehemmt (z. B. die Nitrierung in Gegenwart von zuviel Schwefelsäure). Schon in schwach saurer Lösung ist jedoch bei der geringen Basizität der Anilinbasen immer genügend freies Amin im Dissoziationsgleichgewicht vorhanden, um die Substitution zu ermöglichen. Geht man dann gar zu neutralem oder alkalischem Medium über, wie z. B. bei der sehr milde Bedingungen erfordernden Nitrosierung (S. 238) oder Kupplung mit Diazoverbindungen (S. 229), so verschwinden die Schwierigkeiten gänzlich, und die Substitution geht ähnlich leicht vor sich wie bei den Phenolen. C) Eine neuartige Reaktionsmöglichkeit des Kerns beobachtet man schließlich in der besonders in Gegenwart von Säuren leicht erfolgenden oxydativen Herausspaltung des zur Aminogruppe p-ständigen Wasserstoffs. Diese kann einerseits zwischen dem Kern und einer Aminogruppe unter Bildung sekundärer aromatischer Amine: —R

-H + O + H—NH-

— H,0

H,N~y

v -NH-

R

z. B. mit CrO,/H,SO, andererseits zwischen den p-ständigen G-Atomen zweier Aminmoleküle unter Bildung eines Diphenylderivates erfolgen. Letzteres ist z. B. bei dem bekannten Salpetersäurenachweis mit Hilfe einer Lösung von Diphenyl-amin in konzentrierter Schwefelsäure der Fall. Hier bildet sich aus dem Diphenylammonium-Ion (I) zunächst durch Dehydrierung das Dipkenylderivat II, das anschließend eine nochmalige Dehydrierung zu dem tiefblauen zweiwertigen Ion III eines Diphenochincm-diiminfarbstoffs erfährt: H " V

\ =



-N-

—H

H

H

H

H

H,

A i

I

Ii

w

H

H



>=JV" Iii

b) E i n z e l n e A n i l i n b a s e n Anilin (Phenylamin) C 6 H B —NH 2 ist das einfachste und zugleich wichtigste aromatische Amin. Es wurde früher ausschließlich durch Reduktion von Nitrobenzol (heute daneben auch durch Aminolyse von Chlorbenzol, S. 73) gewonnen und dient in erster Linie als Ausgangsverbindung für Farbstoffsynthesen sowie für die Herstellung seiner Derivate, die ebenfalls vielfach für Farbstoffsynthesen Verwendung finden. Seine Dämpfe sind bei längerem Einatmen giftig. Acetanilid C 6 H 5 —NH—CO—CH 3 entsteht wie ein normales Carbonsäureamid beim Erhitzen von essigsaurem Anilin. Es dient unter dem Decknamen Antifebrin als Antifiebermittel, wurde aber in neuerer Zeit weitgehend durch das harmlosere Phenacetin (S. 211) verdrängt.

3 a: Die Amino-alkohole

209

Phenyl-isoeyanat C 6 H 5 — N = C = 0 und Phenyl-seniöl C , H 5 — N = C = S sind nicht nur Derivate der Iso-cyansäure (S. 145) bzw. Iso-rhodanwasserstoffsäure (S. 152), sondern gleichzeitig auch Kohlensäurederivate des Anilins. Wie dort schon erwähnt, dienen sie als Reagenzien zur Charakterisierung von Alkoholen und Aminen. Während Monomethyl-anilin C 6 H 6 —NH—CH 3 nur von untergeordneter Bedeutung ist, dient Dimethyl-anilin C,H6—N(CH3)2, das man durch Methylierung von Anilin mit MethanolHCl-Oemisehen bei höherer Temperatur gewinnt, wieder a b wichtiges Zwischenprodukt in der Farbenindustrie. Es besitzt als tertiäres Amin den Vorteil, in der oben geschilderten Weise nur noch im Kern substituierbar zu sein. Diphenyl-amin (C6H6)2NH und Triphenyl-amin (C6H5)3N werden beide durch weitere Phenylierung von Anilin gewonnen (vgl. S. 206), die man ohne Schwierigkeit auf der Zwischenstufe des Diphenylamins unterbrechen kann. Ihre interessanteste Eigenschaft ist die bereits erwähnte stark verminderte Basizizät, insbesondere des Triphenylamins. Diphenylamin findet ebenfalls in der Farbenindustrie Anwendung. Die sich vom Toluol und Xylol ableitenden Anilinbasen werden Toluidine und Xylidine genannt. Von den zahlreichen möglichen Isomeren haben die folgenden vier eine gewisse praktische Bedeutung als Ausgangsverbindungen für Farbstoffsynthesen erlangt: /CH3

o-Toluidin

/CH3 HJC-^^-NHJ

H3C-

— 2 H,0

+

I I I %/\NH

H >

— 2 H,0 2

o-Phenylen-dianiin

H Benzlmidazol

Ferner ist o-Phenylen-diamin als o-hydrochinoide Verbindung außerordentlich oxydationsempfindlich. Das wichtigste Derivat der entsprechenden p-Verbindung ist das as-Dimethyl-p-phenyleudiamin (CH3)2N—p-C6H4—NH2. Es wird durch Reduktion von p-Nitroso-dimethylanilin (S. 240) gewonnen und dient wegen dieser leichten Zugänglichkeit ebenfalls in der Farbenindustrie als Zwischenprodukt. Seine Oxydationsempfindlichkeit (als hydrochinoide Verbindung) ist bereits so groß, daß die freie Base schon nach wenigen Minuten an der Luft verharzt. Unter Stickstoff oder in Form seiner Salze kann es jedoch beliebig lange aufbewahrt werden. Ein Diamin des Biphenyls liegt im Benzidin H2N—p-CeH4—p-CaH4—NH2 vor, das als Reaktionsprodukt der Benzidinumlagerung (S. 221) entsteht und als Ausgangsverbindung für die Synthese substantiver Azofarbstoffe (S. 410) dient. 3. Die Aminoderivate der organischen Sauerstoffverbindungen a) D i e A m i n o - a l k o h o l e Verbindungen, die gleichzeitig eine Aminogruppe u n d eine alkoholische Hydroxylgruppe im Molekül enthalten, zeigen keine interessanten neuartigen Eigenschaften, sind jedoch z. T. als Einzelverbindungen von Interesse. Äthanolamin (ß-Amino-äthylalkohol, Colamin) HO—CH 2 —CH 2 —NH 2 k o m m t als D e r i v a t seines Phosphorsäureesters in den Kephalinen (S. 449) vor. Seine Darstellung 14

K l a g e s , E i n f ü h r u n g org. Chemie

Kap. 6, I : Die Aminoverbindungen

210

kann durch Ammonialcanlagerung an Äthylenoxid (S. 157) oder durch Wasseranlagerung an Äthylen-imin (S. 205) erfolgen. In ersterem Fall enststehen als Nebenprodukte die sekundäre und die tertiäre Base, das HO—CH 2 — CH 2 . /NH HO—CH 2 — CHj

und das

HO—CH 2 —CH 2 . ">N— CH 2 — CH — OH HO—CH 2 —CH 2

Diäthanolamin

Triäthanolamin

Alle drei Basen bilden mit höheren Fettsäuren seifenähnliche, jedoch neutral reagierende Salze, die in der Textilindustrie als Wasch- und Netzmittel Verwendung finden. Der p-Amino-benzoesäureester

des

N,N-Diäthylcolaminium-chlorids

[h2N—p-C„H4—COO—CH,—CH2—NH(C2H5)2]+CF dient unter der Bezeichnung Novocain in der Pharmazie als Lokalanästhetikum.

Das wichtigste Äthanolaminderivat ist die Cholin genannte Trimethylammoniumbase des Colamins, die, ebenfalls über die Hydroxylgruppe an Phosphorsäure gebunden, am Aufbau den Phosphatide beteiligt ist. Cholin ist physiologisch stark aktiv und wirkt blutdrucksenkend. Im Verlaufe von Fäulnisprozessen (oder auch beim Kochen mit Barytlauge) geht es unter Wasserabspaltung in die Vinyl-ammoniumbase Neurin über, die ein sehr gefährliches Nervengift darstellt: OH H H2C

CH—N(CH S ),

OH"

[H 2 C = C H — N ( CH 3 ) 3 ] OH

Cholin

Neurin

Acetyl-cholin [h 3 C—CO—O—CH 2 —CH 2 —N(CH 3 )]„OH~ ist eine (in Form ihrer neutralen Salze) in der Natur weit verbreitete Base von außerordentlicher physiologischer Aktivität. Es zeigt außer der blutdrucksenkenden auch eine muskelkontrahierende Wirkung und löst vermutlioh die Darmperistaltik aus. Von den höheren Amino-alkoholen wurden das Sphingosin H 3 C—(CH 2 ) 1 2 —CH=CH— CH(OH)—CH(NH2)—CH2—OH und sein Hydrierungsprodukt, das Dihydro-sphingosin, in Form verschiedener Derivate in der Gehirnsubstanz aufgefunden.

b) D i e A m i n o - p h e n o l e p-Amino-phenol HO—p-C 6 H 4 —NH 2 kann durch Reduktion von Nitrobenzol in stark schwefelsaurer Lösung in einem Reaktionsgang gewonnen werden (S. 236). Als hydrochinoide Verbindung ist es ähnlich oxydationsempfindlich wie Brenzcatechin (S. 158) oder Hydrochinon (S. 159) und dient deswegen in gleicher Weise ah fotografischer Entwickler (unter dem Decknamen Rodinal). Auch das N-Methyl-p-aminophenol HO—p-C g H 4 —NH—CH 3 kann noch zu einer chinoiden Verbindung (und zwar zum N-Methyl-chinon-imin 0 = p - C 6 H 4 = N — C H 3 ) dehydriert werden. Als Entwickler führt es den Namen Metol. Erst die O-Alkylderivaie des p-Aminophenols sind nicht mehr zu Chinonen dehydrierbar und damit wesentlich oxydationsbeständiger. Die wichtigsten von ihnen sind der Anisidin genannte Methyläther und der Phenetidin genannte Äthyläther des p-Amino-phenols. Führt

3 c und d: Aminoderivate der Oxo Verbindungen, Amino-carbonsäuren

211

man in die Aminogruppe des Phenetidina eine Acetylgruppe ein, so kommt man zum Phenacetin C2H5—0—p-C8H4—NH—CO—CH3, das, wie schon kurz erwähnt (S. 208), das um die Äthoxygruppe ärmere Antifebrin als Antifiebermittel verdrängt hat. Ein anderes interessantes Phenetidinderivat ist der bei der Kondensation mit Harnstoff entstehende künstliche Süßstoff Dulcin C2H5—O—p-C,H4—NH—CO—NH2, der die 200fache Süßkraft des Rohrzuckers aufweist. c) D i e A m i n o d e r i v a t e d e r O x o V e r b i n d u n g e n Verbindungen, die gleichzeitig primäre oder sekundäre Aminogruppen und Oxogruppen im Molekül enthalten, sind nur selten existenzfähig, da beide Gruppen unter Bildung von ScHlFFschen Basen oder ähnlichen Verbindungen innermolekular oder auch zwischenmolekular miteinander reagieren. Man kann sie deshalb meistens nur in Form ihrer Salze oder N-Acylderivate mit inaktivierter Aminogruppe oder auch in Form ihrer Acetale mit inaktivierter Oxogruppe herstellen: AlkO

OAlk

0

R—C—(CH2)n—NH2 « + -

2 Alk ° H +

H,0(H

)

0

R—C—(CH2)n—NH2

stabil

' r n — * R—C—(CH 2 ) n —XH 3 + CF

labil

stabil

Erst beim Vorliegen tertiärer Aminogruppen kommen wir zu beständigen Substanzen. Sie können allgemein durch Anlagerung von sekundären Aminen an oc,ß-ungesättigte Oxoverbindungen gewonnen werden und spalten als ß-substituierte Oxokörper die Aminogruppe bei höherer Temperatur wieder ab: O NAlk2 o R—CH=CH— C—CH33 +

HNAlk,

R - i H - C H 2, - C - C H 33

Erhitzen

Die wichtigste Verbindung der Reihe ist das bei der Anlagerung von Ammoniak an Phoron (S. 111) unter Absättigung beider C=C-Doppelbindungen entstehende Triaceton-amin, das trotz der gleichzeitigen Anwesenheit von NH- und CO-Gruppen im Molekül infolge der sterischen Behinderung des N-Atoms durch die vier benachbarten Methylgruppen beständig ist. yCH3 X}H=C—CH 3 0 = C ^ + X!H=C\^CH3 CH3

Hx ^NH H



yCH3 /CH 2 —C^CH 3 0=CC^ ^NH CH2—C^—CH3 X3Hs Triaceton-amin

Triaeeton-amin dient in der Pharmazie als Ausgangsverbindung für die Synthese dem Tropin (S. 503) ähnlicher „künstlicher Alkaloide", die zusammenfassend Tropeine genannt werden. Ein aromatisches Aminoketon ist das aus Kohlendioxid und Dimethyl-anilin im Sinne einer FRIEDEL-CrafTs-Synthese mit Aluminiumchlorid als Kondensationsmittel darstellbare MlCllL E R S Keton, das als Zwischenprodukt in der Farbenindustrie Verwendung findet. (CH3)2N-^~^-CO^~^-N(CH3)ä Michlers

Keton

d) D i e A m i n o - c a r b o n s ä u r e n Die Amino-carbonsäuren (häufig auch kurz Aminosäuren) enthalten neben der Carboxylgruppe eine Aminogruppe im Molekül und zeigen wie die Hydroxy-carbov säuren (S. 180f.) in Abhängigkeit von dem gegenseitigen Abstand beider Funktionen ein sehr unterschiedliches Verhalten, so daß die einzelnen Verbindungsklassen getrennt behandelt werden müssen. 14«

Kap. 6, I : Die Amino Verbindungen

212

a) Die 1,2- oder a-Amino-carbonsäuren Den 1,2- oder ot-Amino-carbonsäuren, in denen sich die NHa-Gruppe in Nachbarstellung zur Carboxylgruppe befindet, gehören wichtige Naturstoffe an, die als Bildungskomponenten der Proteine und Proteide eine integrierende Rolle beim Aufbau der lebenden Materie spielen (Näheres vgl. S. 472f.). Daneben zeigen sie aber auch eine Reihe neuartiger chemischer Eigenschaften, die uns an dieser Stelle in erster Linie interessieren. Für die Darstellung der Aminosäuren sind in Anbetracht ihrer Bedeutung als Naturstoffe sehr viele Synthesen entwickelt worden, die auf den folgenden drei Grundvorgängen beruhen: 1. der Einführung der Aminogruppe in ein Carbonsäuremolekül, 2. der gleichzeitigen Einführung der Amino- und der Carboxylgruppe in ein Aldehydmolekül und 3. der Einführung eines organischen Restes in eine niedrigere Aminocarbonsäure. Zu 1. Die Einführung der Aminogruppe gelingt am einfachsten durch Umsetzung der durch Halogenierung von Fettsäuren leicht zugänglichen x-Halogenfettsäuren (S. 142) mit Ammoniak: H

2

N — H

+

O L - C U R

-COOK

1

NH^ST"*

H

2

N—CHR—COONH

4

Zu 2. Das von A. STRECKER ausgearbeitete wichtigste Verfahren zur gleichzeitigen Einführung von Amino- und Carboxylgruppe in ein Aldehydmolekül beruht auf der schon früher (S. 99) beschriebenen Cyanhydrinsynthe.se in Gegenwart von viel Ammoniak. Man braucht die hierbei entstehenden oc-Amino-carbonsäurenitrile dann nur noch zu den Aminosäuren selbst zu verseifen: NH R — C H = 0

-



HjO

*

NH

2

R — C H — 0 = N

R

H Y D R O L Y S E

a-Amino-carbonsäure-nitril

^

2

R - C H - C O O H a-Amino-carbonsäure

Zu 3. Sämtliche Synthesen dieser Gruppe gehen vom Glycin (S. 215) als einfachster Aminosäure aus, dessen CH2-Gruppe in einigen Derivaten so stark aktiviert ist, daß sie Kondensationsreaktionen eingehen kann. Von den verschiedenen Möglichkeiten (vgl. I , Kap. 6 , 1 , 4 d et) sei an dieser Stelle nur die von E. E R L E N M E Y E R J R . ausgearbeitete Synthese angeführt. Danach verwandelt man das N-Benzoyl-glycin (I = Hippursäure, S. 215) durch Anhydrisierung mit Acetanhydrid in das Azlacton (S. 307) genannte cyclische Säureanhydrid I I , dessen Methylengruppe im Sinne der PBREiNschen Zimtsäuresynthese (S. 141) mit Aldehyden zu dem Zwischenprodukt I I I kondensieren kann. Dieses geht nach Hydrierung der C=C-Doppelbindung schließlich bei der Hydrolyse in die eigentliche Aminosäure (IV) über: C.H.. C

6

H

6

—CO—NH

JE

HOOC—CH,



HjO

0(

(Acetanhydrid)

H,

— H.O

o II

>C=N -

C — C = C H — R

O^ III NH

1. H y d r i e r u n g der C = C - B i n d u n g 2. Hydrolyse

C,H

5

— COOH

+

2

H O O C¡ — ¿ H — ( IV

3 d a: Die Reaktion der Aminosäuren

213

Die Kohlenstoffkette des Aldehyds wird also im Gegensatz zur STRECKERschen Synthese gleich um zwei C-Atome verlängert. Die physikalischen Eigenschaften der Aminosäuren werden entscheidend durch den Umstand beeinflußt, daß eine innermolekulare Salzbildung zwischen der sauren Carboxyl- und der basischen Aminogruppe ohne die Herstellung von Derivaten nicht verhindert werden kann. Hierbei geht das Aminosäuremolekül (V) in ein in summa ebenfalls neutrales Molekül (VI) über, das sowohl eine positiv als auch eine negativ geladene Atomgruppe enthält und deshalb als Zwitterion bezeichnet wird: R

R

H2N— CH— COOH

„.

H,N— ¿H— COO

V (Aminosäureform)

VI (Zwitterionenform)

Da die Salzbildung reversibel ist, stellt sich ein Gleichgewicht zwischen den Formen V und VI ein, d. h. es liegt ein neuer Tautomeriefall vor. Die Lage des Tautomeriegleichgewichts kann man mit Hilfe der bekannten Dissoziationskonstanten vergleichbarer Garbonsäuren und Aminoverbindungen abschätzen (Näheres vgl. II, Kap. 5, II, 1). Danach liegen etwa 99,96% der Substanz in der Zwitterionenform vor, so daß es eigentliche Amino-carbonsäuren (im Sinne der Aminosäureform) überhaupt nicht gibt, sondern praktisch ausschließlich deren innermolekulare Salze. Jedoch ist für diese noch keine Nomenklatur entwickelt worden, und man behält den (an sich irreführenden) Namen Aminosäuren vorläufig bei. Wegen dieser Zwitterionenstruktur weisen die Aminosäuren den Charakter von Salzen auf. D. h. sie können wie die Salze anderer organischer Verbindungen meistens nicht mehr vor Erreichung des Zersetzungspunktes geschmolzen und in keinem Fall unzersetzt destilliert werden. Auch sind sie wie normale Salze durchweg in Wasser gut, in Alkoholen mäßig und in sonstigen organischen Solventien überhaupt nicht mehr löslich.

Das chemische Verhalten der Aminosäuren wird ebenfalls z. T. durch ihre Tendenz zur Zwitterionenbildung bestimmt. Im folgenden sollen die Umsetzungen und Derivate beider Formen getrennt behandelt werden. 1. Das Zwitterion kann durch Behandeln mit Säuren oder Basen teilweise entladen werden. Erstere legen die Carboxylgruppe frei, und es entsteht ein Ammoniumsalz der Aminosäureform (VII), während im zweiten Fall eine freie Aminogruppe gebildet wird, und das carbonsaure Salz der Aminosäureform anfällt (VIII): R

R

5 I H3N— vT—CH—C CH— COOH

+ HX

®

I

R + NaOH — H„0

'

VII

Die Aminosäuren sind danach amphotere Verbindungen, die sowohl mit Säuren als auch mit Basen Salze bilden können. Hierbei muß man sich jedoch vor Augen halten, daß ihre saure Natur nicht auf die Acidität einer Carboxylgruppe, sondern auf die einer —NH 3 + -Oruppe (der Zwitterionenform) zurückzuführen ist. Ähnlich beruht ihre basische Natur nicht auf derBasizität einer Aminogruppe, sondern auf der einer —COO -Gruppe (ebenfalls der Zwitterionenform). Aminosäuren sind infolgedessen mit px s -Werten um 10 und px b -Werten um 11,6 sehr viel schwächere Säuren und Basen, als man es für die Aminosäureform erwarten sollte.

214

K a p . 6, I : Die A m i n o v e r b i n d u n g e n

Als Folge ihrer amphoteren Natur wandern die Aminosäuren in saurem Medium, wenn sie als Kationen vorliegen, mit dem elektrischen Strom zur Kathode und in alkalischem, Medium, wenn sie als Anionen vorliegen, zur Anode. Zwischen beiden Bereichen liegt ein scharf definierter p H -Wert, bei dem praktisch die gesamte Aminosäure in die Zwitterionen übergegangen ist, die im elektrischen Feld nach beiden Seiten gleich stark gezogen werden. Hier findet naturgemäß kein Aminosäuretransport durch den Strom mehr statt. Dieser ausgezeichnete Punkt nimmt für jede amphotere Substanz einen anderen charakteristischen p H -Wert an und wird isoelektrischer Punkt genannt. Als Derivate der Zwitterionenform der Aminosäuren k a n n m a n die Betaine betrachten, in denen der Aminostickstoff bis zur Stufe der quartären Ammoniumsalze alkyliert worden iat. Sie können n u r noch d u r c h Säuren zu carboxylhaltigen quartären Ammoniumsalzen (IX), nicht aber mehr durch Basen teilentladen werden: R keine E n t l a d u n g der —NAlk 3 + -Gruppe

c

+ OH~

¿H—-COO

+

HX

CH—COOH

3

Betain

IX

2. Die Aminosäureform läßt sich nur in Form von Derivaten stabilisieren. Beispielsweise lassen sich die Aminosäuren in saurem Medium (d. h. in Form ihrer eine freie Carboxylgruppe enthaltenden Salze des Typus VII) mit Alkoholen ohne Schwierigkeit zu den Estersalzen (X) verestern, aus denen sich dann leicht die nicht mehr mit einer Zwitterionenform tautomeren Aminosäure-ester selbst durch Basenzusatz freisetzen lassen: R e | H„N—CH—COO—Alk

R B

1 vT—CH—COOH

+ HO—Alk

— H,0

X~

VII

R HX

-—^

I

H,N—CH—COO—Alk Amino-carbonsäureester

Auch die Säurechioride der Aminosäuren sind b e k a n n t . Hier reagiert jedoch die —COClGruppe bereits d e r a r t leicht m i t der Aminogruppe, daß sie n u r in der V I I entsprechenden F o r m ihrer Ammoniumsalze C1—CO—CHR—NH3CI a u f b e w a h r t werden können. Eine andere Möglichkeit, die Zwitterionenbildung zu verhindern, besteht in der Besetzung der Aminogruppe mit Acylresten, durch die ihre Basizität so s t a r k herabgesetzt wird, d a ß sie nicht mehr zur A u f n a h m e des Carboxylprotons ausreicht: R

R -COOH

^

^

Aminosäureforni

¿ HH— -COÖ C H , X —- C Zwitterionenform

R Ac—NH—¿H—COOH N-Acyl-aminosäure

t

^

keine merkliche Tautomerie mehr

3 d a : Das Glycin und seine Derivate

215

Die wichtigste Reaktion zahlreicher Derivate der Aminosäureform ist die Ausbildung einer säureamidartigen Verknüpfung zwischen den Garboxyl- und Aminogruppen verschiedener Aminosäuremoleküle. Sie findet u. a. beim Erhitzen der Ester statt und führt entweder unter Aufbau nur einer CO—N-Bindung zu kettenartigen Substanzen: R

R

R

HjN—CH—CO:—OR'

H—NH—CH—COOR'

R

— HO—R'

oder in Analogie zur Lactidbildung der ct-Hydroxycarbonsäuren (S. 180) zu cyclischen, zwei Carbonamidgruppen enthaltenden Stoffen, die Diketo-piperazine genannt werden: R—CH—NH—H

AlkO— CO

R—CH—NH—CO — 2 HO—Alk

+ C O — 0 Alk

H—NH—CH—R

CO—NH—CH—R Diketo-piperazin

Die im ersten Fall entstehenden kettenförmigen Verbindungen heißen Peptide und die in ihnen enthaltenen säureamidartige Bindungen Peptidbindungen. Diese sind von großer Bedeutung für den Aufbau der Eiweißkörper und werden einschl. der verschiedenen Methoden zu ihrer Synthese auf S. 478f. näher behandelt. Schließlich neigen die a-Amino-carbonsäuren wie die entsprechenden Sauerstoffverbindungen mit nachbarständigen Funktionen zur Bildung stabiler cyclischer Schwermetallkomplese. Als Beispiel sei nebenstehend der wiederum tief blaue Kupferkomplex des Glycins angeführt.

H 2 C—N H A

CH2

Cu

OC—o o—co Einzelverbindungen. Amino-essigsäure H 2 N—CH 2 —COOH, das Anfangsglied der Reihe, wurde 1819 von M. H. BRACONNOT als Spaltprodukt des Leims entdeckt und wegen seines süßen Geschmacks Glykokoll ( = Leimsüß) genannt. Der Name wurde später in Anlehnung an die Nomenklatur der übrigen natürlichen Aminosäuren — sie führen alle Trivialnamen mit der Endung -in (vgl. S. 195) — in Glycin abgewandelt. Seine Darstellung erfolgt hauptsächlich nach dem ersten der oben genannten Verfahren aus Ghloressigsäure und Ammoniak. Von den Glycinderivaten haben wir die Hippnrsäure (N-Benzoyl-glycin) C a H 5 —CO—NH— CH2—COOH bereits als Ausgangsverbindung für die ERLENMEVEiische Aminosäuresynthese kennengelernt (S. 212). Sie wird vom Säugetierorganismus nach Einspritzen von Benzoesäure als deren Entgiftungsprodukt gebildet und dann im Harn abgeschieden. Ein weiteres interessantes Glycinderivat ist das beim Erhitzen von Glycin mit Kaliumcyanat im Sinne einer WöiiLEiischen Harnstoffsynthese über die Hydantoinsäure als Zwischenprodukt entstehende cyclische Ureid Hydantoin, dem wir schon früher (S. 173) als Reduktions-produkt der Parabansäure begegnet sind: NH,

+ KN=C=0 (Erhitzen, Ansäuern) Glycin

NH—CO—NH

II

HJ—CO—OH: Hydantoinsäure

— H,0 (Kochen mit Salzsäure)

NH

COX ;NH

CH 2 —CO' Hydantoin

Von der Hydantoinsäure und dem Hydantoin leiten sich sekundär durch N-Methylierung und Ersatz eines O-Atoms durch die Imirwgruppe das Kroatin und das Kreatinin ab, die man aus dem Sarkosin genannten N-Methylglycin durch analoge Addition von Carbo-diimid synthetisieren kann:

Kap. 6,1: Die Aminoverbindungen

216 CH3

CH« + c: X-H

NH

N-— o /

NH II

CH2— COOH

CIL

NH

N

— H,0

>NH :

C

;nh CH,,—CO

Sarkosin

Kreatinin

Alle drei Verbindungen kommen natürlich vor. Am wichtigsten ist Kreatin, dessen N-Phosphor-

säurederivat (Kreatin-phosphorsäure) als biochemischer Phosphorsäureüberträger fungiert. D a s sehr

giftige Sarkosin tritt bei Fäulnisprozessen als Zersetzungsprodukt des Kreatins auf. Über die biochemische Rolle des Kreatinins ist noch nichts Näheres bekannt. ®

©

Trimethyl-glycin (CH3)3N—CH2—COO ist das Betain schlechthin. Es hat seinen Namen wegen seines Vorkommens in der Zuckerrübe (Beta vulgaris) erhalten und stellt vermutlich ein biochemisches Oxydationsprodukt des Gholins (S. 210) dar. Seine Synthese geschieht am besten durch Alkylierung von Trimethylamin mit Chloressigsäure zum quartären Salz. Bez. der höheren Eiweißaminosäuren vgl. S. 472f.

ß) Sonstige Amino-carbonsäuren Die 1,3- oder ß-Amino-carbonsäuren unterscheiden sich von den a-Aminocarbonsäuren hauptsächlich durch die relativ labile Bindung der NH2-Qruppe. Insbesondere können sie (in Analogie zu den ß-Hydroxy-carbonsäuren, S. 181) leicht durch Anlagerung von Ammoniak an a,ß-ungesättigte Carbonsäuren gewonnen werden und bilden schon beim mäßigen Erhitzen unter Ammoniakabspaltung die ungesättigten Säuren zurück: NHS R—CH=CH— COOH

, ...

+

— NH,(Erhitzen)

R—CH—CH 2 —COOH

ß-Aminopropionsäure (ß-Alanin) ¿H2N—CH2—CH2—COOH ist die einzige natürlich vorkommende ß-Aminosäure und als integrierender Bestandteil der Pantothensäure (S. 521) von biochemischer Bedeutung. Auch die y- und 8-Amino-carbonsäuren zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den entsprechenden Hydroxy-carbonsäuren (S. 182), die hier in einer analogen Ringschlußtendenz zum Ausdruck kommt. Als Cyclisierungsprodukte erhält man ringförmige Säureamide, die in Anlehnung an die Lactone Lactame genannt werden: H.C—CO—OH I : H ^

H,,C—CO v | > H ; H H 2 c—CH/ y-ButvroIactam (Pyrrolidon)

III Hl

/CH 2 —CO—OH 2

< X

h

CH 2 —CH,—NH

Ä H

2

C
NH X!H2—CH2

¿-Valerolactara (Piperidon)

Die Lactambildungstendenz ist meistens so groß, daß man die freien y- und ö-Amino-carbonsäuren (bzw. ihre Zwitterionenformen) nicht isolieren kann.

Ein siebengliedriges Lactam liegt im Caprolactam vor. Seine technische Gewinnung geschieht aus Cyclohexanon (S. 275) über dessen Oxim mit Hilfe der auf S. 118 beschriebenen BECK.VAX.Xschen Umlagerung:

Kap. 6, I I : Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen Q

x

+ H,N-OK - H,0

/

\

' Cyclohexanon

Umlagerung

/

'

\ H

'

Cyclohexanon-oxlm

217

N)

Caprolactam

E s findet praktische Anwendung zur Herstellung der Perlonfaser

(vgl. S. 490).

Die wichtigste aromatische Amino-carbonsäure ist die Anthranilsäure (o-Aminobenzoesäure), die aus Phthalimid auf dem Wege des HOFMA NNsehen Säureamidabbaus (S. 134) leicht hergestellt werden kann: ^X/CO-NH-Br NJ^JJ

XaOBr

|

|f

^/^cOONa Phthalimid

Hofmannscher

./\/NH,

Abbau N

COOH

Anthranilsäure

Sie erleidet, ähnlich wie die analog konstituierte Salicylsäure (S. 186), beim Erhitzen auf etwa 200° eine Decarboxylierung (zu Anilin). In der Technik diente sie eine Zeit lang als wichtigstes Ausgangsmaterial für die Synthese des Indigos (S. 405) und findet auch heute noch in der Farbenindustrie Verwendung. Die isomere p-Amino-benzoesäure H a N—p-C 6 H 4 —COOH ist ein Vitamin (vgl. S. 521) und daher weit in der Natur verbreitet (allerdings stets nur in geringen Mengen). Auch zahlreiche seiner Derivate, wie z. B . das Novocain (S. 210), sind physiologisch aktiv und deswegen wichtige Arzneimittel.

II. Die organischen Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen 1. Die organischen Derivate des Hydroxylamins (Hydroxylamino-Verbindungen) J e nachdem, ob der Wasserstoff der Hydroxyl- oder der der Aminogruppe durch organische Reste ersetzt ist, unterscheidet man zwei Reihen von organischen Hydroxylaminderivaten: die 0- oder a- und die N- oder ß-Alkyl-(aryl-)hydroxylamine. Von ihnen gehören streng genommen nur die letzteren zu den organischen StickstoffVerbindungen, da in den a-substituierten Derivaten der organische Rest am Sauerstoff steht. Doch ordnet man diese als charakteristische Abkömmlinge des Hydroxylamins zweckmäßig an dieser Stelle ein, ähnlich wie man ja auch das Hydroxylamin selbst allgemein als Stickstoff- und nicht als Sauerstoffverbindung betrachtet. Die aliphatischen Hydroxylaminoverbindungen sind ähnlich schwache Aminbasen wie das Hydroxylamin selbst. Die a-Verbindungen Alk—O—NH 2 sieden wegen des Pehlens der stark assoziierenden Hydroxylgruppe wesentlich tiefer als die isomeren ß-Verbindungen R—NH—OH — z. B . beträgt der Siedepunkt des a-Methyl-hydroxylamins 50°/760 Torr gegenüber einem Wert von 63°/15 Torr für ß-Methyl-hydroxylamin — und zeigen auch nicht mehr die bekannte reduzierende Wirkung des Hydroxylamins, die ebenfalls auf die freie Hydroxylgruppe zurückzuführen ist. Die ß-Verbindungen sind dagegen in allen ihren Eigenschaften, insbesondere auch hinsichtlich ihrer leichten Oxydierbarkeit, dem nicht-substituierten Hydroxylamin sehr ähnlich. Sie gehen bei der erschöpfenden Alkylierung in Trialkyl-hydroxylammoniumsalze über, deren Kationen im Gegensatz zu denen der Tetraalkyl-ammoniumsalze noch ein Proton abgeben können (und zwar das der Hydroxylgruppe). Hierbei wird der Stickstoff nicht, wie sonst bei der Entladung von Ammonium-Ionen, neutralisiert, sondern das benachbarte O-Atom nimmt eine negative Ladung auf, so daß ein Trialkyl-aminoxid mit einer semipolaren N-+0-Bindung entsteht:

218

Kap. 6, I I : Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen Alk x ,N—OH

Alkylierung



Air

Alk. Alk^N-OH

+

ffl

.

Air

N,N-Dialkyl-hydroxylamin

+

A

N.X.N-Trialkyl-hydroxylammonium-Ion

A l k x ffi Q AiAn-ÖI

i

r

Trialkyl-aminoxid

Bei dieser neuen Darstellungsweise für Aminoxide kann man deutlich die Herstellung der semipolaren Bindung durch nacheinander erfolgende entgegengesetzte Aufladung des N- und des 0-Atorn-s verfolgen. Die Trialkyl-aminoxide, die wir danach als Hydroxylaminderivate betrachten müssen, sind schwach basisch, denn sie können in Umkehrung der oben formulierten Bildungsreaktion wieder ein Proton an das semipolar gebundene O-Atom anlagern, wobei die Trialkyl-hydroxylammoniumsalze zurückgebildet werden. Ihre Basizität entspricht mit p K l ) -Werten zwischen 9 und 10 etwa der der Anilinbasen. Von weiteren Eigenschaften der Trialkyl-aminoxide sei ihre Oxydationswirkung angeführt, die sie ebenfalls mit dem Hydroxylamin gemeinsam haben. Z. B. können sie mit Zinkstaub und Eisessig zu den tertiären Aminen reduziert werden. Die reduzierende Wirkung des Hydroxylamins ist dagegen in ihnen verschwunden. Die Aminoxide gehören zu den wenigen Hydroxylaminderivaten, die in der belebten Natur vorkommen. Z. B. wurde Trimethyl-aminoxid im Fleisch verschiedener Seetiere nachgewiesen. Ferner nimmt man bei einigen Alkaloiden an, daß sie in Form von Aminoxiden in der Pflanze auftreten.

ß-PhenylVon den aromatischen Hydroxylamino Verbindungen hat nur das hydroxylamin (meistens kurz Phenyl-hydroxyl-amin genannt) größere Bedeutung erlangt. E s t r i t t bei den verschiedenen Reduktionsmöglichkeiten des Nitrobenzols zumindest intermediär als Zwischenprodukt auf und ist dank seiner außerordentlichen Reaktionsfähigkeit die Hauptursache dafür, daß die Nitrobenzolreduktion einen so komplizierten Verlauf nimmt (vgl. S. 236). Phenylhydroxylamin stellt eine sich schon nach wenigen Stunden zersetzende kristalline Substanz dar, die zu den folgenden Reaktionen befähigt ist: 1. Mit Luftsauerstoff t r i t t Autoxydation zu Nitrosobenzol ein, das mit einem zweiten Molekül Phenylhydroxylamin Kondensation zu Azoxybenzol (S. 231) erleidet : 0 + '/ O Phenylhydroxylamin

//

V

+ HO-NH~

/

Nitrosobenzol

x

1

/

Azoxybenzol

In saurem Medium, z. B. bei Verwendung von Bichromat-Schwefelsäure bleibt die Reaktion auf der Stufe des Nitrosobenzols stehen.

als Oxydationsmittel,

2. Durch schwach saure Reduktionsmittel läßt sich Phenylhydroxylamin zu Anilin reduzieren (vgl. S. 236). 3. I n stark saurem Medium wandert die Hydroxylgruppe (wie auch andere Liganden, vgl. S. 207) vom Stickstoff in den Kern, und man erhält p-Aminophenol (S. 210) : /

V-NH-OH:

k0DZ

-

H S0

'

' ,

HO HO—? /

V-NR

4. I n alkalischem Medium treten verschiedene Kondensationsreaktionen ein, von denen die oben bereits formulierte Kondensation mit Nitrosobenzol zu Azoxybenzol

219

2: Die organischen Derivate des Hydrazins

die wichtigste ist. Ähnlich kondensieren zwei Moleküle Phenylhydroxylamin zu Azobenzol (S. 230): y

/

>

H

\ (

\ = /

HOv

+ OH

/ H

\

~2g'°->

\ = /

5. Phenylhydroxylamin reagiert als sekundäres Amin mit salpetriger Säure unter Bildung eines Nitrosamins, des N-Nitrosophenylhydroxylamins C„H 6 —N(OH)—NO. Dieses ist stärker sauer als Essigsäure und bildet mit Eisen(III)und Kupfer(II)-Ionen sehr stabile cyclische Komplexverbindungen, von denen der Kupferkomplex die nebenstehende Konstitution I aufweist. N-Nitroso-phenylhydroxylamin dient daher unter dem Namen Cupterron zum Nachweis dieser Metalle.

/

V-n=N-V \ = /

Azobenzol

Q \

Q

Q JJ ' 5

/

| jj c '

\

| ^yN 0

O 1

2. Die organischen Derivate des Hydrazins (Hydrazinoverbindungen) Die aliphatischen Derivate des Hydrazins sind den entsprechenden Aminoverbindungen -ehr ähnlich und bieten — abgesehen von ihrer Oxydierbarkeit als Hydrazinderivate — wenig neuartige Reaktionen. Sie können daher an dieser Stelle übergangen werden (Näheres vgl. I, Kap. 6, II, 4).

Erst bei den aromatischen Hydrazinoverbindungen begegnen wir interessanteren Substanzen, deren Eigenschaften stark von der Zahl der Arylreste am Hydrazinsystem abhängen. Die Monoaryl-hydrazine A r — N H — N H 2 sind als Reduktionsprodukte aromatischer Diazoverbindungen (Näheres vgl. S. 229/30) leicht zugängliche Stoffe, die in ihrem äußeren Habitus eine gewisse Ähnlichkeit mit den Anilinbasen aufweisen, jedoch beim Stehen an der L u f t etwas leichter verharzen und nur noch im Vakuum unzersetzt destilliert werden können. Sie sind zu den folgenden fünf Reaktionen befähigt : 1. Mit Säuren erfolgt Salzbildung an dem stärker basischen nicht arylierten N-Atorn (vgl. die umstehend formulierte Struktur I des Ions). Doch ist auch dessen Basizität mit einem p K b - W e r t von 8,8 f ü r Phenylhydrazin deutlich geringer als die des unsubstituierten Hydrazins ( p K b = 5,85). 2. Mit Oxoverbindungen kondensiert die nicht-arylierte Aminogruppe zu den bereits erwähnten (S. 117) Aryl-hydrazonen. 3. Mit 1, 3-Keto-carbonsäureestern kondensieren beide Aminogruppen zu den auf S. 303/4 beschriebenen Pyrazolonderivaten.

4. Die Aryl-hydrazine sind wie das freie Hydrazin gegen Oxydationsmittel sehr empfindlich. Bei der Einwirkung von KupferfII)salzen in schwach saurem Medium beobachtet man die Bildung von elementarem Stickstoff und dem entsprechenden aromatischen Kohlenwasserstoff. Vermutlich tritt intermediär eine Dehydrierung zum Aryl-diimin ein, das dann spontan unter Stickstoffabgahe zerfällt: H Ar -X

H MI

Aryl-hydrazin

Ar—N=N-!-H

Ar—H

+

N=N

Arvl-diimln

In stark saurem Medium, d. h. bei der Reduktion der Hydrazinium-Ionen (I), die vermutlich zum kleinen Teil auch in der tautomeren Form I I vorliegen, k a n n die

220

Kap. 6, I I : Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen

Stufe des Aryl-diimins umgangen werden, und man gelangt direkt zu den Ionen: H H® H H e Ar—N—NH , Ar—N—N Ar—N=N H ii H (ir) I

II

Diazonium-

Diazonium-Ion

5. Schließlich können die Arylhydrazine auch reduziert werden. Hierbei wird die N—N-Bindung unter Bildung von Ammoniak und der entsprechenden Anilinbase hydrierend gespalten. Am bekanntesten ist die Koppelung der Hydrierungs- und Dehydrierungsreaktion im Sinne einer Disproportionierung, die beim Phenylhydrazin zu einem Gemisch von Benzol und Stickstoff einerseits (als Zersetzungsprodukte des primär bei der Dehydrierung entstehenden Phenyl-diimids III) sowie Anilin und Ammoniak andererseits (als Hydrierungsprodukte) führt und u. a. durch Platinkontakte ausgelöst wird : ^

N—NH H

^

N=NHj

H



H + N=N

+

H2N-;NH-/

^

\

=

)

>

-

N H

>

+

NH

3

Auch die Osazonreaktion der 1,2-Hydroxyoxoverbindungen (S. 160) ist mit einer reduzierenden Spaltung des Arylhydrazinmoleküls verbunden. Phenyl-hydrazin C 6 H 6 — N H — N H 2 wird technisch durch Reduktion von Benzoldiazoniumsalzen mit Natriumbisulfit gewonnen (S. 230) und dient in der pharmazeutischen Industrie als Ausgangsverbindung für die Herstellung von Antipyrin und Pyramidon (S. 303/4). Ferner ist es ein wichtiges Reagenz für Oxoverbindungen (S. 117) und Kohlenhydrate (S. 427). Im 2,4-Dinitro-phenylhydrazin liegt ein weiteres Aldehyd- und Kelonreagens vor, das häufig an Stelle des Phenylhydrazins angewandt wird, weil es besser kristallisierende Derivate liefert. Die bekanntesten Diaryl-hydrazine sind die Hydrazoverbindungen genannten symmetrischen Disubstitutionsprodukte des Hydrazins. Die wichtigste Verbindung der Reihe, das Hydrazo-benzol, kann durch Reduktion von Nitrobenzol in alkalischem Medium in einem Reaktionsgang gewonnen werden (vgl. auch S. 236) und entsteht hierbei als Hydrierungsprodukt des Azobenzols (daher der Name Hydr-azobenzol, der nur zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit der Bezeichnung Hydrazin aufweist): NO

m.o , { / /

+H. , ^

Nitrobenzol

\_NH_NH—^

Azobenzol

Hydrazobeozol

Hydrazobenzol ist in gleicher Weise wie Phenylhydrazin zur Hydrierung und Dehydrierung befähigt und disproportioniert daher ebenfalls an Platinkontaleten oder beim Erhitzen: /

\—N—N

\ = /

|

II /

+

/

\

A

% _ N H -N

+ H—y


-NH

2

H

2

N-


Die Dehydrierungstendenz ist hier sogar so groß, daß Hydrazobenzol beim längeren Stehen an der Luft in Azobenzol zurückverwandelt wird.

^

2: Die Benzidin-Umlagerung

III 111

221

Die wichtigste Reaktion des Hydrazobenzols ist die in Gegenwart von Säuren erfolgende Benzidin-Umlagerung.

Sie geht so leicht vor sich, daß es nicht möglich ist, normale Salze der Hydrazoverbindungen mit Säuren herzustellen. Die Benzidin-Umlagerung beruht letzten Endes ebenfalls auf einer p-Wanderung von am Stickstoff befindlichen Substituenten. Nur tritt diese p-Wanderung hier bei beiden Benzolkernen gleichzeitig ein. I n summa drehen sich infolgedessen beide Hälften des Moleküls nach Trennung der N—N-Bindung um 180° und treten unter Bildung einer 0—C-Bindung zwischen den p-ständigen C-Atomen erneut zusammen: Ir

H— f

(Hf

" V - /

V-NH —NH-V

HjN-

•NH,

Hydrazobenzol

Benzidin

Diese Benzidin-Umlagerung wird zuweilen durch andere Reaktionen kompliziert. Ist z. B. die p-Stellung eines der Reste besetzt, so kann der erneute Zusammenschluß der Moleküle auf einer Seite auch in o-Stellung erfolgen. Hier spricht man von einer Diphenylin-Cmlagernng, die häufig auch die Benzidinuirdagerung als Nebenreaktion begleitet. Ferner ist es möglich, daß nur für eines der Molekülbruchstücke eine p-Wanderung stattfindet und daß der zweite Benzolkern nicht um 180° gedreht wird. I n diesem Falle entsteht ein Diphenylaminderivat, und die Umlagerung heißt, weil sie nur zur Hälfte erfolgt, Semidln-Umlagerung (bez. weiterer Nebenreaktionen vgl. I, Kap. 6, I I , 5b): RN

R_R-CH

Dlazoniumsalz

2

+

X-

. R—CH 2 —X

III

Ester

D i e R e a k t i o n l ä u f t i n s u m m a also auf e i n e Alkylierung der Säure HX h i n a u s . A l i p h a t i s c h e D i a z o v e r b i n d u n g e n s i n d s o m i t Alkylierungsmittel für saure Verbindungen (bis h e r a b e t w a z u r S ä u r e s t ä r k e d e s Phenols). I n ähnlicher Weise reagieren die aliphatischen Diazoverbindungen mit den elementaren Halogenen unter Stickstoffabspaltung. Hierbei bilden sieh die Alkyliden-dihalogenide: Hai I -©

-+-21*I'.

R - Ö H J L N

Hai"'

R—CH—N=N

N

- ' Anlagerung des Anlons

Dlazoniumsalz

Alkyllden-dlhalogenld

Ferner tritt bei der Einwirkung von Diazomethan auf Oxoverbindungen eine sofortige Anlagerungsreaktion zu dem „Diazonium-beiain" IV ein, das sich nach der Stickstoffabspaltung entweder durch Wanderung eines Restes oder durch Ringbildung zum Olefinoxid stabilisiert: O R

Q

/R. CH2ÜLN\ • ( ) < \R'X xO® /

e

/ C = 0 + ICHJ—N=N

R'X

\

Wanderun« ' R - C - C H 2 - R ' + N 2 R. /CH2 5 > \ / | N

'

IV

OlefinoxydbUdung

R'

/

\

X

Q

+

2

Im ersteren Fall wird der wandernde Rest in summa um eine Methylengruppe verlängert, und man sprioht deshalb von einer indirekten Methylierung. Eine letzte unter Stickstoffabspaltung verlaufende Reaktion beobachtet man nach G. W I T T I O und K . SCHWARZENBACH bei der Einwirkung von Schwermetallhalogeniden. Hier tritt die Methylengruppe im Sinne der folgenden Formulierung jeweils zwischen das Metall- und das Halogenatom: ZnJ

,

,

J—CH„—ZnJ

Zu 2. Wie auf S. 302 erörtert, vermögen sich aliphatische Diazoverbindungen an Acetylene und an Blausäure unter Bildung von Heterocyclen anzulagern. Zu 3. Durch milde Reduktionsmittel kann die aliphatische[Diazogruppe unter Erhaltung der N - N-Bindung bis zur Stufe der Hydrazongruppe reduziert werden: ®

©

ROOC—CH—N=N

.,.

,TT1+ H '

,

M

.

ROOC—CH=N—NH 2 £

(Eisen[II]-oxydhydrat) Blazo-esslgester

Stärkere Mittel spalten die Hydrazinbindung, liegende Aminoverbindung zurück.

Glyoxylester-hydrazon

und man erhält die dem Diazokörper zugrunde

Einzelyerbindungen. Diazomethan, d a s A n f a n g s g l i e d d e r R e i h e , w i r d m e i s t e n s n a c h d e m v . PECHMANN-Verfahren (S. 223) a u s Nitrosomethylharnstoff o d e r Nitrosomethyl-p-toluolsulfamid gewonnen. E s f i n d e t in F o r m seiner ätherischen präparatives Methylierungsmittel.

Lösungen

eine vielseitige A n w e n d u n g als

1 b: Die aromatischen Diazoverbindungen ©

225

©

Diazo-essigester C 2 H 6 —OOC—CH—NsK ist wegen seiner leichten Darstellbarkeit durch Diazotierung von Glycinester (s. oben) die älteste bekannte aliphatische Diazoverbindung. An ihm wurden deshalb viele Reaktionen dieser Verbindungsklasse studiert. Bei der Umsetzung mit Sauerstoffsäuren (HO—Ac) entstehen die O-Acylderivate des Olykolsäure-äthylesters (C2H5—OOC—CH2—O—AC).

b) D i e a r o m a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n In der aromatischen Reihe liegen die Verhältnisse etwas komplizierter, weil hier verschiedene Arten von Diazoverbindungen existieren, zwischen denen die folgenden Beziehungen und Übergänge bestehen: Bei der Diazotierung der primären Anilinbasen werden zunächst wie in der aliphatischen Reihe (vermutlich ebenfalls über die Stufe der Nitrosamine hinweg) die Diazoniumsalze gebildet. Diese sind hier existenzfähig und stellen gleichzeitig die einzige in saurem Gebiet stabile Form der Diazoverbindungen dar. Bei der Einwirkung von Alkalien wird das Diazonium-Ion dann durch Anlagerung des Hydroxyl-Ions zum sauren syn-Diazo-hydroxid entladen, das sofort durch ein zweites HydroxylIon zum syn-Diazotat-Anion „neutralisiert" wird, frei also nicht existenzfähig ist. Es hat also eine Umladung der Diazogruppe stattgefunden. Auch das syn-Diazotat ist in der Mehrzahl der Fälle nur metastabil und erfährt mehr oder weniger rasch eine Umlagerung in das geometrisch isomere anti-Diazotat, in dem die alkalistabile Form der aromatischen Diazoverbindungen vorliegt. Beim vorsichtigen Ansäuern der anti-Diazotate entsteht zunächst das anti-Diazo-hydroxid, das man zuweilen in Form des mit ihm tautomeren Nitrosamins in freier Form isolieren kann. Letzteres bildet schließlich in Gegenwart von Mineralsäuren das Diazonium-Ion zurück. Alle diese Reaktionen sind in folgendem Formelbild am Beispiel des Diazotierungsproduktes des Anilins zusammengestellt. Gleichzeitig lassen die beigefügten Namen die gebräuchlichen Nomenklaturprinzipien erkennen: + HNO,, + HCl, — 2 H , 0 (wahrscheinlich Ober Phenyl-nltroaamin als nicht faßbares Zwischenprodukt) + HCl, — H , 0

Anilin

^

—NsN

Benzol-diazonium-chlorid I + OH-, -

Tautomerie

\

f

%—NH—N=0 Phenyl-nitrosamin

H + J|_NaOH

/

%—N N—ONa

Natrlum-benzol-antl-diazotat

f

er

V-N HO—N/

N—OH;

Benzol-anti-dlazohydroxid

er

Benzol-syn-diazo-hydroxld I NaOH

Umlagerung

NaO—N Natrlum-benzol-syn-dlazotat

Die Konstitution der angeführten verschiedenen Formen der aromatischen Diazoverbindungen ist bis auf die Unterschiede zwischen syn- und anti-Diazotaten sichergestellt (Näheres vgl. I, Kap. 6, III, lb). Für diese wird auch heute noch neben der geometrischen Isomerie eine Strukturisomerie diskutiert, und zwar soll auf Grund dieser Vorstellung das syn-Diazotat eine von der oben angegebenen Konstitution abweichende Struktur mit dem Sauerstoff am kernständigen NAtom aufweisen. Von diesem Standpunkt aus verlieren natürlich die Namen syn- und anli15 E l ages, Einführung org. Chemie

Kap. 6, III: Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette

226

Diazotat ihren Sinn, und man hat deshalb die gleichwertigen Bezeichnungen normales oder n-Diazotat (statt syn-Diazotat) und Iso- oder i-Diazotat (statt anti-Diazotat) eingeführt: ONa

/ -

- y i

= N

= /

e

)

N=N—ONa Natrlum-benzol-i-diazotat

Natrium-benzol-n-dlazotat

Die Darstellung der aromatischen Diazoverbindungen erfolgt praktisch ausschließlieh durch Diazotierung primärer Anilinbasen. Hierbei erhält man in der bereits formulierten Weise primär stets die Diazoniumsalze und kann die verschiedenen Diazotate erst sekundär durch Einwirkung von Alkalien bez. die freien Nitrosamine sogar erst tertiär durch vorsichtigen Säurezusatz zu den anti-Diazotaten gewinnen. Für die Durchführung der Diazotierungsreaktion ist es wesentlich, daß man in stark saurem Medium arbeitet, denn die H + -Ionen sind nicht nur rein stöchiometrisch für die Bildung der Diazonium-Ionen erforderlich, sondern haben auch die wichtige Funktion, die nur schwach basischen Anilinbasen einigermaßen vollständig in die Onium-Ionen überzuführen. Die bei zu geringer H + -Ionenkonzentration im Gleichgewicht mit diesen vorliegenden freien Amine vermögen nämlich mit den schon gebildeten Diazonium-Ionen zu „kuppeln" (Näheres vgl. S. 229), so daß man bei zu hohem pn-Wert (z. B. in essigsaurer Lösung) statt der Diazoniumsalze deren Kupplungsprodukte erhält: Ar-NH2

^

¡

^

(Ar-NH-N0)

-t-gL

Ar—N=N

X

(Diazotierung)

(nicht faßbar)

Ar—NH 2

+

Ar—N=N

in summa 2 Ar—NH a +

HN02



Ar—NH—N=N—Ar

+

HX

Ar—NH—N=N—Ar

+

2H20

(Kupplung)

Biazoaminobenzol (vgl. auch 3. 229)

Bez. weiterer in Spezialfällen eintretender Nebenreaktionen vgl. I, Kap. 6, III, l b .

Physikalische Eigenschaften. Sowohl die Diazoniumsalze als auch die Diazotate sind als Salze gut kristallisierende, in Wasser und Alkoholen leicht sowie in hydroxylfreien organischen Lösungsmitteln schwer lösliche Substanzen. Die Diazoniumsalze neigen in lösungsmittelfreiem Zustand zu schweren Explosionen und werden deshalb meistens in Form der bei ihrer Darstellung anfallenden Lösungen weiter verarbeitet. Aber auch in Lösung erleiden sie schon dicht oberhalb Zimmertemperatur die unten beschriebene Zersetzung zu Phenolen und müssen deshalb zweckmäßig bei Temperaturen < 5° aufbewahrt werden. Erst die syn- und besonders die anti-Diazotate sind leidlich stabil und z. T. sogar in Substanz lagerungsbeständig. Die chemischen Reaktionen der aromatischen Diazoverbindungen sind sehr vielseitig und von erheblicher praktischer Bedeutung, da sie es gestatten, die Diazogruppe in eine große Zahl sonst nur schwer zugänglicher anderer Funktionen umzuwandeln. Im einzelnen muß man zwischen den folgenden drei grundsätzlich verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten unterscheiden: 1. den unter Stickstoffabgabe verlaufenden Reaktionen, 2. den Kupplungsreaktionen und 3. der Umwandlung der N¡-Gruppe in andere stickstoffhaltige Reste.

227

1 b : Die SANDMEYER-Reaktion

Zu 1. Die Diazonium-Ionen enthalten auch in der aromatischen Reihe das Ng-Molekül bereits vorgebildet. Sie zeigen daher eine gewisse Tendenz zur Abspaltung von elementarem Stickstoff. Dieser findet besonders in Gegenwart schwach basischer Reagenzien statt, die an Stelle der N2-Gruppe an den Arylrest treten. Es gibt fünf derartige Reaktionsformen: a) In Gegenwart der Anionen starker Säuren verdrängt das Lösungsmittel den Stickstoff, und es entsteht in dem weitaus häufigsten Fall der Verwendung wäßriger Lösungen ein Phenol: Ar—N=N

>

Ar—OH 2

+ H »°

Ar—OH

+

0H3+

Die Reaktion ist immer mit der Entwicklung von einem Mol Säure verbunden und setzt schon dicht oberhalb Zimmertemperatur ein. In der Praxis wird sie meistens bei etwa 50° durchgeführt und hat wegen der starken Gasentwicklung den Namen Phenolverkochung erhalten. Sie ist die Hauptursache der oben beschriebenen thermischen Instabilität der Diazoniumsalzlösungen. In alkoholischem Medium tritt in analoger Weise eine OR-Oruppe an den Benzolkern, und man erhält die Phenoläther. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, daß der Arylrest ein H-Atom der Carbinolgruppe übernimmt, d. h. daß er unter gleichzeitiger Dehydrierung der Carbinol- zur Aldehydgruppe in den entsprechenden aromatischen Kohlenwasserstoff übergeht: Ar—NjCl"

+

HO—CH 2 —R

>

Ar—H +

0 = C H — R + N2 +

HCl

Bei Verwendung von Methanol überwiegt die Phenolätherbildung, bei höheren Alkoholen dagegen meistens die Reduktion zum Kohlenwasserstoff.

b) Eine Reihe besonders aktiver Anionen vermag noch vor der Einwirkung des Walsers den Stickstoff zu verdrängen. Hier beobachtet man infolgedessen eine ausschließliche Substitution der N¡-Gruppe durch das Anion X ohne Beteiligung des Lösungsmittels. Die wichtigsten Reaktionen dieses Typus, die häufig bereits beim Zusammengeben der Ionen vor sich gehen, sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt : < ( ~ ) - J

+ N2

Jodbenzol

r

• '

+ J

"

< ( 3 ~ N = N

~

'

^ " ^ A s ^ O H + Na OH Benzol-arsonsäure

+ Nr

V-N=N=N

r

+v,s

• SbOsHa-

+ R O —C S S "

1 S—CS- -OR

Phenyl-azid

Diphenyl-sulfid

Dithio-kohlenaäureester

+ n2

+ n2

+ n2

/—v

*

/ _ _ ) - S b ( o H OTT Benzol-stibonsäure + n2

c) Die meisten Anionen reagieren jedoch langsamer als Wasser und setzen sich deshalb in wäßriger Lösung nicht mehr ohne weiteres mit Diazonium-Ionen um. Hier gelingt die gewünschte Übertragung des Arylrestes auf diese Anionen vielfach durch Verwendung von deren Kupfer (I)-salzen oder in Gegenwart von Kupferpulver. Die wichtigsten dieser nach ihrem Entdecker SiNDMEVER-Reaktionen genannten Verfahren sind: 15«

Kap. 6, III: Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette

228

Benzol-aulfonaÄure

Benzonitrtl

Zusammen mit den unter a) und b) beschriebenen Reaktionen ist es auf diese Weise möglich, fast alle bekannten Anionen in den Benzolkern einzuführen. d) Grundsätzlich nach dem gleichen Schema kann man den Arylrest auch auf organische Moleküle, und zwar speziell auf andere aromatische Kerne unter Bildung von Diphenylderivaten übertragen. Die von M. G O M B E R G entdeckte Reaktion führt man heute zweckmäßig von den Nitrosaminen acetanilidartiger Verbindungen (I) aus durch. Diese lagern sich unter den Reaktionsbedingungen in die frei nicht existenzfähigen Diazo-acetate (II) um, die sofort unter Einbeziehung eines Moleküls der zu substituierenden aromatischen Verbindung (die man zur Erzielung eines genügenden Überschusses zweckmäßig als Lösungsmittel wählt) zu Stickstoff, Essigsäure und einem Diphenylderivat weiterreagieren (vgl. auch S. 354): Ac Ar—N—N=0

UmlageruDg



(Ar—N=N—O-Ac)

I

-

Ar-Ar' +

HO-Ac

II

e) In Gegenwart stark alkalischer Stannitlösungen wird der Stickstoff schließlich durch Wasserstoff ersetzt [wie bei der unter a) beschriebenen Reaktion mit höheren Alkoholen]. Die Reduktion verläuft jedoch nach einem anderen Mechanismus. Vermutlich bildet sich das gleiche Aryl-diimin als Zwischenstufe, das wir schon als Dehydrierungsprodukt der Monoarylhydrazine kennengelernt haben (S. 219/20):

Ar—N=N

.,

+

„ | H " ( f / d r i , " ° P ) r*

k (alkalische Stannltlösung)

Ar--N=N-H

A r - H + N^a

Aryl-diimin

Bei allen in a) bis e) beschriebenen Reaktionen wird der Arylrest auf andere Atome bzw. Atomgruppen übertragen, d. h. es liegen typische Arylierungsreaktionen vor. Die aromatischen Diazoverbindungen sind danach wichtige Arylierungsmittel, denen insbesondere im Hinblick auf die Reaktionsträgheit der Arylhalogenide (S. 73) eine erhebliche praktische Bedeutung zur Durchführung von Arylierungsreaktionen bei niedriger Temperatur zukommt. Zu 2. Als Kupplungsreaktion (im weitesten Sinne) bezeichnet man die Addition basischer Reagenzien an das äußere N-Atom von Diazonium-Ionen. Hierbei wird ® stets die —N=N-Gruppe entladen und geht in eine aus neutralen Atomen aufgebaute — N = N — B r ü c k e über. Die wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen sind: a) die Anlagerung von Anionen. Das einfachste Beispiel stellt die bei der Einwirkung von OH~-Ionen eintretende Bildung von syn- und anti-Diazotaten dar (S. 225). Aber auch Gyanid-Ionen und Sulfit-Ionen lagern sich zu stabilen Verbindungen an, die in analoger Weise als Diazo-cyanide und Diazo-sulfonate bezeichnet werden und ebenfalls in syn- und Antiformen auftreten:

1 b: Die Kupplungsreaktion

©

—NsN

+

IC=N~

o

-

1

229

•N

X

N=C—N Benzol-syn-dlazo-cyanld

—N=N +

V-N

IS0 3 Na"

=

/

II

N— C = N

Beozol-antl-diazo-cyanld

V-N

-

N—S0 3 Na Benzol-ayn-diazosulfonat

Benzol-anti-diazosulionat

b) Die Anlagerung primärer oder sekundärer Amine, die zunächst zu den Onium-Ionen (III) von Triazenderivaten (IV) führt: Ar—N=NI + INHR2

-

Ar—N=N—NR,

Ar—N=N—NHR, (bzw. NH a R) HI

(bzw. NH 2 R)

(bzw. NHR) IV Trlazen-derlvat ( = Diazo-amlnoverblndung)

Insbesondere die Anlagerung von Anilinbasen, tritt leicht ein und vermag u. U. die Diazotierung zu stören (S. 226). Die entstehenden Triazene werden auf Grund dieser Reaktion in Analogie zu den Diazo-cyaniden, Diazo-hydroxiden usw. häufig Diazo-aminoverbindungen genannt.

c) Die Anlagerung des Benzolkerns aktivierter aromatischer Verbindungen (vor allem von Phenolat-Ionen [bzw. Phenolen in alkalischem Medium] und tertiären Anilinbasen) zu Azokörpern (S. 230): A r — N = N — y ~ COH

Ar—N=N

p-Hydroxy-azoverblndung

+ H—^

/—NR,

Ar—N=N—^

NR2

p-Dlalkylamlno-azoverblndung

Dieser Vorgang, der für die auf das Diazonium-Ion einwirkende Kupplungskomponente eine normale aromatische Substitution darstellt (vgl. S. 93, 207), ist die Kupplungsreaktion im ursprünglichen Sinn und dient hauptsächlich zur Darstellung von Azofarbstoffen (S. 408f.). Bei der Einwirkung primärer und sekundärer Anilinbasen findet zwar meistens die unter b) beschriebene Bildung von Diazoaminoverbindungen statt, doch ist es in Analogie zur Umlagerung von 0 . FISCHER und HEPP (S. 207) möglich, die am gesättigten N-Atom der Triazenkette befindliche Diazogruppe in den Kern wandern zu lassen unter Bildung von p-Amino-azoverbindunge.n: Ar—N=N—NH-^ Dlazo-aminoverbindung

Erhitzen mit schwachen Säuren

N — N = N — A r p-Amtno-azo Verbindung

Auf diesem indirekten Wege kann man also auch hier eine Kernkupplung durchführen.

Zu 3. Die wichtigste Umwandlung der Diazogruppe in eine andere stickstoffhaltige Funktion ist die schon erwähnte (S. 219) Reduktion zur Hydrazinogruppe, die man nach V. MEYER mit Zinn(II)-chlorid in stark saurem Medium vornehmen

Kap. 6, I I I : Verbindungen mit ungesättigter Stiekatoffkette

230

kann. Praktisch wichtiger ist die von Natriumsulfit als Reduktionsmittel.

E . FISCHER

vorgeschlagene Verwendung von

Dieses wirkt nur indirekt reduzierend, denn es lagert sich zunächst lediglich in Form eines Sulfit- und eines Hydrogensulfit-Ions in zwei Stufen an die N sN-Dreifachbindung an. Erst bei der säurekatalysierten Hydrolyse des hierbei entstehenden arylhydrazin-N ,N'-disulfonsauren Natriums (IV) findet der Wechsel der Oxydationsstufen statt, d. h. der Schwefel wird nunmehr in Form von Schwefelsäure abgespalten und die N 2 -Gruppe in Form der Hydrazinogruppe freigesetzt :

indung zurück. Im wesentlichen kennt man nur die schon beschriebene Hydrierung zu den Hydrazokörpern. Auch die Basizität der Azoverbindungen ist im Gegensatz zu der der Anilinbasen nur noch sehr schwach ausgeprägt, so daß selbst mit starken Mineralsäuren keine wasserbeständigen Salze mehr gebildet werden. Dagegen vermögen die Azoverbindungen wie die tertiären Amine Sauerstoff zu den den Aminoxiden entsprechenden Azoxyverbindungen anzulagern: 0 Azobenzol

Azoxybenzol

Die Azoxyverbindungen entstehen weiterhin als Kondensationsprodukte von Arylhydroxylaminen und Nitrosoverbindungen (S. 218) und können als solche bei der alkalischen Reduktion von Nitroverbindungen abgefangen werden (S. 236). Sie sind ebenfalls zur cis-trans-Isomerie befähigt, haben aber keine praktische Bedeutung erlangt. 3. Verbindungen mit längerer Stickstoffkette Wie schon kurz angedeutet (S. 222), sind mit organischen Resten besetzte ungesättigte Stickstoffketten (insbesondere bei Konjugation der N=N-Doppelbindungen mit aromatischen Kernen) wesentlich beständiger als die bei Verknüpfung der Heteroatomen durch Einfachbindungen entstehenden Ketten in den Hydrazin- und Hydroxylaminderivaten. Man kennt infolgedessen nur in der ungesättigten Reihe Verbindungen mit wesentlich längeren (bisher maximal zehn N-Atome enthaltenden) Stickstoffketten. Die Benennung derartiger Substanzen mit mehr als zwei aneinander gereihten N-Atomen geschieht nach den gleichen Prinzipien wie die der Paraffine und Olefine. D. h. man kennzeichnet die Zahl der N-Atome durch das betreffende griechische Zahlwort und die gesättigte bzw. ungesättigte Natur der Kette durch die Endungen -an bzw. -en. Ferner wird zur Hervorhebung des Stickstoffs als Bauelement das Stammwort az- oder aza- eingeschoben, und die Stellungen der Doppelbindungen und organischen Reste werden wie üblich durch Bezifferung markiert. Die hypothetischen Stammverbindungen HN=N—NH 2 und H N = N — N H — N = N — N H — N = N H der unten angeführten Substanzen heißen also Triazen und Okt-aza-trien-1,4,7. Die einfachsten Verbindungen dieses Typus sind die schon früher (S. 229) unter dem Namen Diazoaminoverbindungen beschriebenen Kupplungsprodukte der primären und sekundären Amine, die 1,3-Di- bzw. 1,3,3-Trisubstitutionsprodukte des Triazens darstellen. Die analoge zweifache Kupplung des Hydrazinmoleküls mit Diazoniumsalzen führt bereits zu einem 1,6-Diaryl-hexazadien-1,5 mit einer Kette von sechs N - A t o m e n :

232

Kap. 6, IV: Die Nitroverbindungen

Ar—NsN +

H 2 N—NH 2

+

N=N—Ar

Ar—X=N—NH—NH—N=N—Ar l,6-Diaryl-hexaza-dien-l,5

Als bisherige Endglieder der Reihe seien weiterhin das 1,3,6,8-Tetraphenyl-oktaza-trien1,4,7 mit der längsten bisher dargestellten offenen Stickstoffkette und das 1,1-Azo-tetrazol mit einer sogar zehngliedrigen Kette von N-Atomen angeführt. In letzterem Fall gelang deren Stabilisierung jedoch nur durch den weitgehenden Einbau in zwei aromalische heterocyclische Ringsysteme: C8H5 C,H5 C8H6 C,H5 I I I I N=N—N—N=N—N—N=N

N=N X=N | )N-N=X-N( | X N=(T C=N H H 1,1-Azo-tetrazol

;

l,3,6,8-Tctraphf'liyl-f)kta7a-trleTi-l ,4,7

IV. Die Nitroverbindungen 1. Allgemeines Als Nitroverbindungen bezeichnet man alle Stoffe, die den Rest — N 0 2 (Nitrogruppe) über das N-Atom an Kohlenstoff gebunden enthalten. Die Nitroverbindungen weisen die allgemeine Struktur I mit semipolarer N^>-0Bindung auf und sind isomer mit den auf S. 87 beschriebenen (nur in der aliphatischen Reihe bekannten) Salpetrigsäureestern (II), in denen die N0 2 -Gruppe über ein O-Atom an den organischen Rest gebunden ist: R—N^

I

0 Nitroverbindung

Alk—0—N=0

Ii

X

Salpetrigsäureeater

Die Benennung der Nitroverbindungen erfolgt ausschließlich als Nitrosubstitutionsprodukte anderer organischer Substanzen (z. B. Nitro-methan H 3 C—N0 2 oder p-Nitro-benzoesäure 0 2 N — p-C8H4—COOH). Eine entgegengesetzte Bezeichnung als alkyl- oder arylsubstituierte Stickstoffverbindung (etwa dem Namen Alkyl-nitrite für die Salpetrigsäureester entsprechend) ist trotz eines gewissen Bedürfnisses nicht entwickelt worden. Die Darstellung der Nitroverbindungen geschieht nach zwei Verfahren: 1. durch Substitution von GH- Wasserstoff durch die Nitrogruppe (sog. Nitrierung) und 2. durch Alkylierung bzw. Arylierung des Nitrit-Ions. Zu 1. Die Nitrierung von CH-Verbindungen kann im einfachsten Falle mit konzentrierter Salpetersäure durchgeführt werden und verläuft dann nach der summarischen Gleichung (bez. des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, I I , 3 b a): R—H

+

HO—N0 2



R—N0 2 +

H20

Da das als Nebenprodukt entstehende Wasser die Salpetersäure verdünnt und unwirksam macht, muß man entweder mit einem großen Säureüberschuß arbeiten oder aber konzentrierte Schwefelsäure als wasserbindendes Reagenz zusetzen. In der Praxis nitriert man meistens mit einer Salpetersäure-Schwefelsäure-Mischung im Verhältnis 1:3, die den Namen Nitriersäure erhalten hat und wesentlich stärker wirkt als reine Salpetersäure.

1: Die Einführung der Nitrogruppe

233

Eine nochmalige Steigerung der Nitrierwirkung erzielt man durch Verwendung eines Gemisches von rauchender Salpetersäure und rauchender Schwefelsäure. Außerdem sind Distickstofftetroxid und einige Anhydride der Salpetersäure mit Carbonsäuren als Nitrierungsmittel in Gebrauch, die den Vorteil bieten, auch in nicht mit Nitriersäure mischbaren organischen Solvenzen anwendbar zu sein: Ii—H +

A
1V



\ h - N = 0 I

TJmlagerung ^

\

C = N

-OH II

Die Reaktionen der Nitrosogruppe

239

Zu 2. Am leichtesten läßt sich die Hydroxylamino- in die Nitrosogruppe überführen, da hierzu nur eine einfache Dehydrierung erforderlich ist (S. 218). Ferner gelingt zuweilen die direkte Oxydation von primären Aminen zu Nitrosoverbindungen mit Hilfe von Sulfomonopersäure. Sie verläuft vermutlich ebenfalls über das Hydroxylamin als Zwischenstufe: R—NH 2 +

H—O—0—S0 3 H

~

HlS0
Nitrosoverbindung

R—CH=N—OH Isonitroaoverbindung ( = Oxim)

Kap. 6, V : Die Nitrosoverbindungen

240

Diese Umlagerung erfolgt hier jedoch nicht im Rahmen einer Tautomerie, sondern ist irreversibel (Verschwinden einer Isomeriemöglichkeit, vgl. S. 13). Aliphatische Nitrosoverbindungen sind daher mit wenigen Ausnahmen nur dann existenzfähig, wenn der nitrosierte Kohlenstoff Iceinen Wasserstoff mehr trägt. Die bekanntesten Beispiele sind die auf S. 235 formulierten Pseudonitrole. Aromatische Nitrosoverbindungen sind beständiger. Als wichtigstes Beispiel sei das durch Nitrosierung von Dimethyl-anilin (S. 209) leicht erhältliche tief grüne p-Nitroso-dimethylanilin angeführt, dem wir bereits als Zwischenprodukt zur Darstellung von as-Dimethyl-p-phenylen-diamin (S. 209) begegnet sind. In ihm ist die Aminogruppe durch die Nitrosogruppe derart stark aktiviert, daß sie durch Kochen mit Alkalien hydrolytisch abgespalten werden kann: Q=N—^

—N (CH 3 ) 2

' "Hya

,

0=N—^

p-Nltroso-dimethylantlln

—ONa

+

p-Nitroso-phenolat

HN(CH 3 ) 2 Dimethylamict

Die Reaktion findet zuweilen präparative Anwendung zur Darstellung von Dimethylamin sowie bei Verwendung von anderen p-Nitroso-dialkylanilinen auch von anderen sekundären aliphatischen Aminen (S. 203). p-Nitroso-phenol wird besser durch direkte Nitrosierung von Phenol gewonnen. E s ist wie die aliphatischen Nitrosokörper zur Umlagerung in ein Oxim, und zwar speziell das Chinon-monoxim (S. 172), befähigt. Diese Umlagerung führt hier, weil die an sich unbeständige „NitrosoF o r m " durch Aromatisierung stabilisiert wird, sogar zu einer echten Tautomerie: H

O



N

=

p-Nitrosophenol

0

"

0==N—OH

Chinonmonoxim

7. K a p i t e l

Die organischen Verbindungen der übrigen Heteroelemente I. Die organischen Schwefelverbindungen Unter organischen Schwefelverbindungen (im engeren Sinne dieses Kapitels) versteht man alle Substanzen, in denen (ähnlich wie bei den Stickstoff Verbindungen) ein schwefelhaltiger Ligand durch eine einfache C—S-Bindung an ein kein anderes Heteroatom tragendes C-Atom gebunden ist. Der allgemeine Charakter der organischen Schwefelverbindungen ähnelt auch in anderer Beziehung dem der Stickstoff Verbindungen. Insbesondere existieren in analoger Weise von allen Oxydationsstufen des Schwefels organische Derivate, deren Umsetzungen sich infolge der Reaktionsträgheit der C—S-Bindung fast ausschließlich am Schwefelatom abspielen. Man unterteilt die organischen Schwefelverbindungen deshalb am besten ebenfalls nach der Oxydationsstufe des Heteroelements. 1. Die organischen Derivate des zweiwertigen Schwefels Die wichtigsten organischen Derivate des zweiwertigen Schwefels leiten sich vom Schwefelwasserstoff durch Ersatz eines oder beider H-Atome durch organische Reste ab. Sie zeigen infolgedessen eine gewisse formale Ähnlichkeit mit den sich vom Wasser ableitenden Sauerstoffverbindungen. Z. B . entsprechen den Alkoholen

Alk—0—II

den Phenolen Ar—0—H den Äthern R—O—R den Dialkylperoxiden R—0—0—R

die Thio-alkohole oder Mercaptane Alk—S—H die Thiophenole Ar—S—H die Thioäther R — S — R die Dialkyldisulfide R—S—S—R

Doch beschränkt sich diese Ähnlichkeit im wesentlichen auf die analoge Konstitution, und sowohl hinsichtlich der Darstellung als auch hinsichtlich des chemischen Verhaltens ergeben sich tiefergehende Unterschiede. Neben den Schwefelwasserstoffabkömmlingen mit negativ zweiwertigem Schwefel kennt man in den Sulfensäurederivaten der Struktur R — S — X auch einige Verbindungen, die sich von der unterschwefligen Säure S(OH)2 mit positiv zweiwertigem Schwefel durch Ersatz einer OH-Gru-ppe durch organische Reste ableiten. 16

Klages,

E i n f ü h r u n g org. Chemie

Kap. 7, I : Die organischen Schwefelverbindungen

242

a) D i e M e r c a p t a n e u n d

Thiophenole

Nomenklatur. Verbindungen, die die —SH-Qruppe an einen organischen Rest gebunden enthalten, heißen allgemein Mercaptane (vonlat. mercurium captans = das Quecksilber einfangend), weil sie als Schwefelverbindungen eine besondere Affinität zum Quecksilber (und einigen anderen SchwermetaUen) aufweisen. In der aromatischen Reihe ist daneben auch der Name Thiophenole in Gebrauch. D i e Darstellung der Mercaptane u n d Thiophenole geschieht h a u p t s ä c h l i c h d u r c h Älkylierung bzw. Arylierung v o n Alkali-hydrogen-sulfiden sowie a u c h d u r c h R e d u k t i o n der Sulfochloride (S. 2 4 7 ) : R —Hai

+

R—SH

NaHal

NaiSH

R—S0 2 C1

D a s Alkylierungsverfahren besitzt den N a c h t e i l , d a ß (ähnlich wie bei der Arnmoniakalkylierung, S . 195) d a s e n t s t e h e n d e Mercaptan z. T . den Schwefelwasserstoff aus seinen Salzen verdrängt u n d d a n n weiter z u m Thioäther a l k y l i e r t wird, d. h., d a ß m a n Mercaptane u n d Thioäther nebeneinander erhält. Zur Vermeidung dieser Nebenreaktion alkyliert man häufig die Natriumsalza von Verbindungen mit nur noch einem substituierbaren K-Atom am Schwefel, die nach der Einführung des organischen Restes bei der hydrolytischen oder auch hydrierenden Zersetzung die freien Mercaptane liefern. Die wichtigsten Beispiele sind in folgendem Formelbild zusammengestellt: +

NaS—S0 3 Na

+

NaS—CS—O—R'

-

NaHal

R—S—SOjNa

Natrium-thioaulfat

J |

J J ^ J

NaHal

R—S—CS—O—R'

Natrium-xanthogenat

+

/ NaS—SNa

1 2

NaHal

V2R—s—S—R

Allsäuern ( - H„SO,) " Ansäuern ( — COS, — R'—OH) + H,

R-SH

Natrium-disulfid

Die Arylierung geschieht am besten durch analoge Umsetzung von Natriumdisulfid oder -xanthogenat mit Diazoniumsalzen (S. 227). Schließlich kann man auch durch Reduktion höher oxydierter Schwefelverbindungen (insbesondere von Sulfonsäure-chloriden, S. 247) zu Mercaptanen und Thiophenolen gelangen. Physikalische Eigenschaften. D i e S H - zeigt im G e g e n s a t z zur O H - G r u p p e keine assoziierenden Eigenschaften m e h r . D i e M e r c a p t a n e sieden infolgedessen viel tiefer als die HydroxyVerbindungen (vgl. T a b e l l e 6, S . 7 8 ) u n d n a h e z u gleich h o c h wie die Thioäther gleicher Kohlenstoffzahl. Die physikalischen Mercaptane Methyl-mercaptan Äthyl-mercaptan Butyl-mercaptan Thiophenol

Sdp.

Tabelle 15 E i g e n s c h a f t e n einiger M e r c a p t a n e und Smp.

D/T.

6® —121° 0,896/0° 35 —147 0,845/26 98 0,858/0 168



1,078/24

Thioäther gleicher Kohlenstoffzahl

Dimethyl-sulfid Diäthyl-sulfid —

Sdp.

Thioäther Smp.

D/T.

38° — 83° 0,846/21° 92 —102 0,836/21 —





Die auffallendste Eigenschaft ist ohne Zweifel ihr äußerst intensiver und widerwärtiger Geruch, der z. B . die Wahrnehmung von noch 3 • 1 0 _ 1 4 Mol Äthylmercaptan gestattet.

1 a: Die Mercaptane und Thioäther

243

I

Die chemischen Umsetzungen der Mercaptane lassen sich unterteilen in 1. die Reaktionen der SH-Gruppe und 2. die verschiedenen Oxydationsmöglichkeiten der Schwefelfunktion.

Zu 1. Die SH-Gruppe ist ähnlich schwach sauer wie im Schwefelwasserstoff. Die aliphatischen Mercaptane lösen sich infolgedessen in Natronlauge und werden schon durch Kohlendioxid aus den entstandenen Lösungen wieder ausgefällt. Die etwas stärker sauren aromatischen Mercaptane (Thiophenole) setzen dagegen umgekehrt aus Carbonatlösung Kohlendioxid frei. Besonders charakteristisch sind die meist gelben Schwermetallsalze. Sie fallen wegen der Bildung nicht-ionisierter S—Mt-Bindungen bereits beim Zusammengeben der Ionen unlöslich aus und haben den Mercaptanen den Namen gegeben (S. 242). Ihre Bildungstendenz ist so groß, daß man mit Quecksilberchlorid organische Schwefelverbindungen vom Typus der Mercaptale (S. 114) unter Schonung sonstiger hydrolysierbarer Bindungen spalten kann: R — CH(—S —Alk),' +

Hg: Clj +

2 110 -Alk'

Mercaptal

-

R—CH(—O—Alk') 2

+

H g ( S —Alk)a +

2 HCl

Acetal

Weiterhin läßt sich der Mercaptanwasserstoff leicht durch andere organische Reste substituieren. Am bekanntesten ist die Alkylierung und Arylierung (über die Diazoniumsalze, S. 227) zu Thioäthern (s. unten), die Mercaptalbildung (S. 114) sowie die Acylierung zu Thiocarbonsäureestern (S. 136) und Rhodanwasserstoffsäureestern (S. 152). Zu 2. Die wichtigste Oxydationsreaktion der SH-Gruppe ist die schon unter milden Bedingungen (z. B. beim Stehen an der Luft) eintretende Dehydrierung der Mercaptane zu Dialkyl-disulfiden, die der auf S. 153 beschriebenen Bildung von Dipseudothioharnstoff analog verläuft und auch biochemisch von Bedeutung ist (vgl. S. 474, 482, 483, 486 u. a.): R—S- H +

11

S -R

+

'-•

H,

R—S—S—R Dialkyl-disulfld

Die Dialkyl-disulfide können leicht wieder rückwärts zu den Mercaptanen reduziert werden, doch hat diese Reaktion nur dann für deren Gewinnung einen praktischen Wert, wenn die Disulfide auf anderem Wege (z. B. wie auf S. 242 durch Alkylierung von Natrium-disulfid) hergestellt werden. Stärkere Oxydationsmittel führen die Mercaptane ohne weitere Zwischenstufe in Sulfonsäuren (S. 246) über. Äthyl-mercaptan C 2 H 6 —SH hat als einziges der niederen Mercaptane eine gewisse Bedeutung erlangt als Ausgangsverbindung für die Herstellung von Aceton-diäthyl-mercaptal und Prodie als Zwischenprodukte für die Gewinnung der Schlafmittel pionaldehyd-diäthyl-mercaptal, Sulfonal (S. 114), Trional und Tetronal (S. 250) Verwendung finden.

b) Die T h i o ä t h e r Die Thioäther werden in Analogie zu den Halogenverbindungen als Sulfide bezeichnet (z. B . Dimethyl-sulfid H 3 C—S—CH 3 ). Ihre Darstellung geschieht meistens durch zweifache Alkylierung bzw. Arylierung (über die Diazoniumsalze, S. 227) von Natrium-sulfid oder durch einfache Alkylierung bzw. Arylierung der Salze von Mercaptanen bzw. Thiophenolen. In letzterem Falle kann man auch ,,gemischte Thioäther" mit verschiedenen organischen Resten am S-Atom gewinnen: 16«

Kap. 7,1: Die organischen Schwefelverbindungen

244

R—SNa +

Hai—R'

~

Kaga

'->

R—S—R'

Hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften ähneln die Thioäther den Mercaptanen (vgl. Tabelle 15, S. 242). Sie riechen jedoch nicht ganz so unangenehm und auch weniger intensiv. Chemisch sind sie reaktionsträge wie die normalen Äther. Nur am S-Atom können die folgenden Umsetzungen vorgenommen werden: 1. die Anlagerung von Alkylhalogeniden zu Trialkyl-sulfoniumsalzen: AlkS 2

+Alk

~Hal , [ a ^ J J V i

[Alk 3 ®] + OH-

Trlalkylsulfonium-halogenid

Abbau

> Alk 2 S + A l k - O H

Trlalkylsulfonlum-hydroxld (nur In Lösung beständig)

Die Trialkylsulfoniumsalze sind den Tetraalkylammoniumsalzen (S. 202) ähnliche, wasserbeständige Verbindungen, die sich in Analogie zu den letzteren in die stark basischen Hydroxylverbindungen [R 3 S]+OH - überführen lassen. Die Hydroxylbasen zerfallen jedoch schon beim Versuch der Isolierung aus den Lösungen im Sinne des HofmanNachen Abbaus quartärer Ammoniumbasen (S. 202) in Thioäther und Alkohol (bzw. Olefin und Wasser). 2. Die Bildung von Schwermetallkomplexen, z . B . (CH 3 ) 2 S • 2CuCl, (CH 3 ) 2 S • HgClj, [(CH 3 ) 2 S] 2 • PtCl 4 usw. 3. Die Oxydation zu den Sulfoxiden (S. 251) und Sulfonen (S. 250). Dichlor-diäthyl-sulfid (C1—CH2—CH2—)2S wirkt auf der Haut blasenziehend und ruft äußerst unangenehme, nur langsam verheilende Wunden hervor. Es diente deshalb im ersten Weltkrieg unter den Decknamen Lost, Senfgas oder Oelbkreuz als chemischer Kampfstoff. c) D i e S u l f e n s ä u r e d e r i v a t e Die Sallensäuren weisen die Struktur R—S—OH auf, sind aber nur in Ausnahmefällen beständig. Von ihren Derivaten kann man am leichtesten die allgemein Alkyl- bzw. Aryl-schwefelhalogenide genannten Sulfensäure-hatogenide durch Umsetzen von Mercaptanen oder Dialkyldisulfiden mit den elementarem Halogenen gewinnen: V2lt-S -S-Il

+

7 2 Hal 2



R—S—Hai

< ~

HHa

'

R—S—H +

Hai—:Hal

Alkyl(aryl)-schwefel-halogenid

Sie lassen sich wie normale Säurehalogenide durch Umsetzen^mit Alkoholen oder Aminen in andere Säurederivate überführen: R-S-NH,

R - S - H a l

R-S-O-Alk

Sulfensäure-amid

Alkyl(aryl)-schwefel-halogen

Sulfensäureester

Eine natürlich auftretenden Sulfensäure liegt im Tränenreizstoff der Zwiebel vor. Ihm kommt vermutlich die Struktur einer Propen-1-sulfensäure CH 3 —CH=CH—S—OH zu. 2. Die organischen Derivate der höheren Oxydationsstufen des Schwefels Die organischen Derivate der höheren Wertigkeitsstufen die folgenden vier Verbindungsklassen:

des Schwefels umfassen

245

2 a : Die Sulfonsäuren 1. die Sulfonsäuren und ihre Derivate

UH

m i t sechswertigem Schwefel

2. die Sulfone

(bzgl. der Natur der S=Ö-Doppelbindung vgl. S. 336).

3. die Sulfinsäuren und ihre Derivate

OH

mit vierwertigem Schwefel

4. die Sulfoxide R'

a) D i e S u l f o n s ä u r e n u n d i h r e D e r i v a t e Wie die obenstehende Formel erkennen läßt, stehen die Sulfonsäuren in einer ähnlichen Beziehung zur Schwefelsäure wie die Nitroverbindungen zur Salpetersäure, d. h. sie leiten sich von ihr durch Ersatz einer Hydroxylgruppe durch organische Reste ab. Gleichzeitig stellen sie aber auch S0 3 H-Substitutionsprodukte organischer Wasserstoff Verbindungen dar. Ihre Benennung geschieht in Analogie zu der der Carbonsäuren (S. 120) durch Anhängung der Gruppenbezeichnung -sulfonsäure an den Namen desjenigen Kohlenwasserstoffs, dessen H-Atom durch die —SO a H-Oruppe substituiert ist (z. B. Benzol-sulfonsäure C 6 H 6 —S0 3 H, MethandisulfonsäureH2C(S0aH)2 usw.). Bei komplizierteren Säuren wird die —S0 3 H-Gruppe auch Sulfogruppe genannt, und man kommt dann zu Namen wie Sulfo-essigsäure HOOC—CH 2 —S0 3 H usw.

Für die Darstellung der Sulfonsäuren sind drei Methoden gebräuchlich: 1. die Sulfonierung von Kohlenwasserstoffen, 2. die Alkylierung bzw. Arylierung von SulfitIonen und 3. die Oxydation von Schwefelverbindungen niedrigerer Oxydationsstufe. Zu 1. Die Sulfonierung (früher häufig auch Sulfurierung genannt) beruht wie die Nitrierung auf der Substitution eines organisch gebundenen H-Atoms durch den Acylrest einer starken Mineralsäure und verläuft bei der Verwendung von Schwefelsäure als Sulfonierungsmittel nach der folgenden summarischen Gleichung: R—H +

HO—S0 3 H

R—S0 3 H +

H20

Sie erfordert im allgemeinen höhere Temperaturen als die Nitrierung — sonst könnte man die Schwefelsäure nicht als wasserbindendes Mittel bei dieser verwenden — und wird entweder mit konzentrierter Schwefelsäure bei Temperaturen um 100° oder mit Oleum bei 0—30° durchgeführt. In letzterem Fall dürfte jedoch bereits das Schwefeltrioxid das eigentliche Sulfonierungsmittel sein, das ohne Herausspaltung von Wasser (und damit ohne Verwässerung des Sulfonierungsmittels) vom Kohlenwasserstoff zur Sulfonsäure aufgenommen wird: R—H +

SO.3

R—S0 3 H

246

K a p . 7, I : Die organischen Schwefelverbindungen

Weitere sehr wirksame Sultonierungsmittel sind die Addukte des Schwefeltrioxids an Pyridin / e / \© e (Anhydro-pyridin-schwefelsäure, S. 292) N — S 0 3 oder Dioxan O O—S0 3 sowie Chhrsulfonsäure. Die letztere liefert jedoch unter Verbrauch von zwei Mol des Sulfonierungsmittels direkt die Sulfonsäurechloride-. R—H

+ 2 C1-S0,H^

R—S0 2 —C1 +

HCl +

H2S04

Sie bietet andererseits den Vorteil, schon bei —10 bis —20° wirksam zu sein. Schließlich kann man noch durch Temperaturerhöhung (bis etwa 300°) die Sulfonierungswirkung steigern.

Ähnlich wie die Nitrierung verläuft auch die Sulfonierung in der aromatischen Reihe besonders glatt und ist deshalb das Hauptdarstellungsverfahren für aromatische Sulfonsäuren. Grundsätzlich ist sie aber auch bei aktivierten aliphatischen Methyl- (bzw. Methylen-) gruben möglich. Z. B. geht Essigsäure beim längeren Erwärmen mit konzentrierter Schwefelsäure auf 50° in die auf S. 245 formulierte Sulfo-essigsäure über, was man bei Verwendung von Schwefelsäure als Katalysator für Acylierungsreaktionen mit Essigsäureanhydrid (S. 131) beachten muß. Eine formal nach einem ähnlichen Schema, in Wirklichkeit aber nach einem gänzlich anderen Mechanismus (Näheres vgl. II, Kap. 4, I, l b ) vor sich gehende Sulfonierungsmöglichkeit liegt schließlich in der Siilfochloriernng (S. 36) sowie in der ihr nahe verwandten Sulloxydation von Paraffinen vor. Beide Reaktionen werden durch UV-Bestrahlung ausgelöst und beruhen auf der gleichzeitigen Einwirkung von Chlor und Schwefeldioxid bzw. von Sauerstoff und Schwefeldioxid auf aliphatische Kohlenwasserstoffe, wobei im ersten Fall die Sulfonsäurechloride und im letzteren Fall die Sulfonsäuren selbst als Reaktionsprodukte anfallen: H—Alk -j- SO, I- C1--C1

Alk—S0 2 —C1 +

HCl

Sulfochlorierung Alk—H +

2S02

+

02

+

HjO

*

Alk—S03H +

H2S04

Sulfoxydation Zu 2. Die Alkylierung bzw. Arylierung von Alkali-sulfiten zu Sulfonsäuren entspricht der Darstellung von Nitroverbindungen nach V. M E Y E R ( S . 233) bzw. T. S A N D M E Y E R (S. 237), besitzt aber diesen Reaktionen gegenüber den Vorteil, daß hier der Alkyl- bzw. Arylrest ausschließlich an den Schwefel tritt und keine isomeren Schwefligsäureester entstehen: Hai—R

+

Ar—N=NI

+

IS0 3 Na _ +

IS0 3 H~

~

Ha

'~ »

~

R—S03Na ; >

Ar—S03H

Das Verfahren dient hauptsächlich zur Darstellung aliphatischer Sulfonsäuren Sinne der ersten Gleichung.

im

Zu 3. Sämtliche Schwetelverblndungen niedrigerer Oxydationsstule mit nur einem organischen Best am S-Atom (vor allem Mercaptane [S. 243] und Sulfinsäuren [S. 250]) können ohne Schwierigkeit zu Sulfonsäuren oxydiert werden. Physikalische Eigenschaften. Die niederen aliphatischen und auch aromatischen Sulfonsäuren sind nicht kristallisierende, im Hochvakuum destillierbare Flüssigkeiten, die man nur schwer rein darstellen kann. Sie neigen jedoch zur Bildung stabiler Hydrate (insbesondere in der aromatischen

2 a: Die Sulfonsäurederivate

247

Reihe, z. B. p-Toluolsulfonsäure), die gut kristallisieren. Die Hydrate, lösen sich nur in Wasser und Alkoholen, die wasserfreien, Säuren dagegen auch in Kohlenwasserstoffen der Benzolreihe. Die chemischen Umsetzungen der Sulfonsäuren lassen sich folgendermaßen unterteilen: 1. die R e a k t i o n e n als Säuren, 2. die Gewinnung von Sulfonsäurederivaten, 3. die R e a k t i o n e n des organischen Molekülteils u n d 4. die Abspaltungsmöglichkeiten der Sulfogruppe. II | | I I

Zu 1. Die Sulfonsäuren sind wesentlich stärker sauer als die Carbonsäuren u n d zählen m i t p K a - W e r t e n von etwa 0,7 (Benzol-sulfonsäure) bereits zu den starken Säuren.

Sie stehen aber ihrerseits wieder hinter den vollständig dissoziierten starken Mineralsäuren (HCl, HC10 4 u n d H 2 S 0 4 , letztere hinsichtlich der ersten Dissoziationsstufe) merklich zurück. Als Folge dieser starken Acidität reagieren die Alkalisalze der Sulfonsäuren in wäßriger Lösung neutral. Die Salze der höheren Säuren finden deswegen zuweilen an Stelle der alkalisch, reagierenden Fettseifen Verwendung in der Textilindustrie als neutrale Wasch- und Netzmittel. Die Erdalkalisalze sind im Gegensatz zu den Erdalkalisulfaten wasserlöslich, so daß man die von der Darstellung her noch anhaftende Schwefelsäure als Bariumsulfat abtrennen kann, ohne eine Mitfällung der Sulfonsäuren befürchten zu müssen. Zu 2. Die Hydroxylgruppe der Sulfonsäuren ist schwerer beweglich als die der Carbonsäuren u n d k a n n hinsichtlich der Substituierbarkeit etwa m i t der der Alkohole verglichen werden. Man stellt die verschiedenen Sulfonsäurederivate daher meistens über die Sulfonsäure-chloride dar, die ihrerseits aus den Sulfonsäuren (bzw. ihren Salzen) d u r c h U m setzen m i t Phosphorpentachlorid oder Thionylchlorid (letzteres in Dimethylformamid) gewonnen werden k ö n n e n : H?drolyse

R—SO,,

Sulfon(s&ure)-amide

OH



Hydr

°' y 8 e

R—S0 2 —0—Alk Sulfonsäure-ester

fs -f N H , (bzw. Amine) •HCl

R—S0 2 —NH—OH 2

Sulfhydroxamaäuren

+ Alk—OH • HCl

«+

+ Na

R—S02—C1 — HCl

' Sulfo(nsäure)-chloride

° „f'° >

— NaCl

|

R—SO,—0—Ac ' Sulfonsäure-anhydride

Ü b e r die verschiedenen Sulfonsäurederivate ist folgendes n a c h z u t r a g e n : a) Die Sulionsäure-chloride (häufig kurz Sulfochloride genannt) werden in der aromatischen Reihe auch durch Sulfonierung mit Chlorsulfonsäure (S. 246) und in der aliphatischen Reihe durch Sulfochlorierung (S. 246) ohne den Umweg über die Sulfonsäuren hergestellt. Sie dienen in ähnlicher Weise wie die Carbonsäurechloride (S. 127) als Acylierungsmittel zur Gewinnung anderer Sulfonsäurederivate (vgl. das Formelbüd), sind aber wesentlich reaktionsträger als die Carbonsäurechloride (z. B. sind sie z. T. mit Wasserdampf destillierbar) und hinsichtlich ihrer Aktivität etwa mit den Alkylhalogeniden vergleichbar. Im übrigen können die Sulfochloride leicht am Schwefel reduziert werden. Hierbei entstehen in Abhängigkeit vom Reduktionsmittel entweder Sulfinsäuren oder Mercaptane (bez. Thiophenole): R—SO a H

«- Z p / H '°

R

S02

C1 — Sn,HCI •

R—S—H

b) Die Sullonsäureester entstehen bei der Umsetzung von Sulfonsäurechloriden mit Alkoholen in Pyridin. Sie erleiden als Ester starker Säuren (S. 86) eine alhjlierende SvdUunq und dienen

Kap. 7, I : Die organischen Schwefelverbindungen

248

deshalb in der Praxis häufig als Alkylierungsmittd. Z. B. tritt bei der Einwirkung eines anderen Alkohols nicht Umesterung (wie bei den Carbonsäureestern), sondern Ätherbildung ein: R—S02—0—Alk

_+ HO-Alk-

>

R

_S02_0H

+

Alk—O—Alk'

Auch eine hydrierende Spaltung der Ester durch katalytiach erregten Wasserstoff oder Lithiumaluminiumhydrid ist möglich. Hierbei erhält man, wiederum unter Freisetzung der Sulfonsäure, den der Alkoholkomponente entsprechenden Kohlenwasserstoff, so daß man auf diesem Wege indirekt die Carbinol- zu CH-Oruppen reduzieren kann: R—S0 2 —O—Alk

+

H2

R—S02—OH

+

H—Alk

c) Die Sulfonsäure-amide (Sulfonamide) der Struktur R—S0 2 —NH—R' mit Wasserstoff am N-Atom sind noch so stark sauer, daß sie von Natronlauge gelöst werden. Auf die Verwendung dieser Reaktion zur Trennung von Aminen wurde bereits eingegangen (S. 201). Führt man zwei Sulfonylreste in das Ammoniakmolekül ein, so entstehen die stark sauren sekundären Sulfonamide (oder Disullonylamide) der Struktur (R—S0 2 ) 2 NH, deren Alkalisalze in Wasser neutral reagieren und wie die einfachen Alkalimetallsulf onate (S.247) in der Textilindustrie als Wasch- und Netzmittel dienen. (Bez. Sulfonamid-Therapie vgl. S. 250). Zu 3. Auf d e n organischen Molekülteil wirkt die Sulfogruppe nicht ganz so stark ein wie die Nitrogruppe. Z. B ist erst im Methan-disulfonsäureester (I) die CH-Acidität so groß, daß er v o n Natronlauge unter Salzbildung gelöst oder m i t Hilfe v o n Diazomethan a m Kohlenstoff methyliert werden k a n n : A l k — 0 — S 0 2 Vx / Alk—0—SO/

/CH, q/ \ x CH 2

+ 2CH.N, - N,

Alk—O—SO,. Alk—O—SO/

/

CH + NaOH 'i _ H 0

Alk—0—S02. Q

Na +

I n der aromatischen Reihe fungiert die Sulfogruppe als Substituent 2. Ordnung (S. 62), d. h. sie erschwert die weitere Substitution des Benzolkerns u n d dirigiert neu eintretende Liganden bevorzugt in m-Stellung. Zu 4. D i e Abspaltung der Sulfogruppe h a t nur in der aromatischen R e i h e praktische B e d e u t u n g erlangt. Sie k a n n unter Freisetzung sowohl v o n o x y d a t i v sechswertigem als auch v o n o x y d a t i v vierwertigem Schwefel erfolgen. Ersteres ist z. B. bei der mit überhitztem Wasserdampf in Umkehrung der Sulfonierung vor sich gehenden Hydrolyse zum Kohlenwasserstoff und Schwefelsäure sowie beim Austausch der Sutfo- gegen die Nitrogruppe bei der Einwirkung konzentrierter Salpetersäure (S. 233) der Fall. Dagegen findet beim Zusammenschmelzen der Alkalisulfonate mit Ätzalkalien bei etwa 350° die Hydrolyse in der Weise statt, daß Phenolat neben Natriumsulfit entsteht. Ferner kann man durch Verschmelzen der sulfonsauren Salze mit Natriumcyanid die Nitrilgruppe, mit Natriumamid die Aminogruppe und mit Natrium-hydrogensulfid die Mercaptogruppe in den Benzolring einführen. B e i allen diesen Reaktionen, die in folgendem Formelbild kurz zusammengestellt sind, wird der aromatische Kern auf andere A t o m g r u p p e n übertragen: \

/

/

\_SH 7

O

"

"

1

^

— Na,S0, + 2 — Na,SO„ - H,S

(7

\

~

>

X /

SOjH(Na)

— H.SO, ^

H H+ so - ° l f t 0

« «(

(350«)

\ ')

^

yf \ ^

/

W U

\ _ H

2

2 a : Einzelne Sulfonsäuren

249

D i e aromatischen Sulfonsäuren stellen danach n e b e n d e n Arylhalogeniden (S. 73) u n d Diazoniumsalzen (S. 228) eine dritte Gruppe v o n praktisch wichtigen Arylierungsmitteln dar. Allerdinga k ö n n e n die m e i s t e n dieser Arylierungsreaktionen nur bei höherer Temperatur durchgeführt werden. Einzelverbindungen. Methan-disulfonsäure oder Methionsäure H 2 C(S0 3 H) 2 ist die am leichtesten zugängliche aliphatische Sulfonsäure. Sie entsteht bei der Sulfonierung von Essigsäure mit Oleum über die Sulfo-essigsäure (S. 245/6) und die sofort decarboxylierende Disulfo-essigsäure HOOC—CH(S0 3 H) 2 als Zwischenprodukte. Im Taurin H 2 N—CH 2 —CH a —S0 3 H begegnen wir einer den Aminocarbonsäuren (S. 212f.) entsprechenden Amino-sulfonsäure, die ebenfalls praktisch ausschließlich in der Zwitterionenform + H 3 N—CH 2 —CH 2 —S0 3 auftritt. Sie ist ein Naturprodukt und u. a. am Aufbau der Gallensäuren (S. 463) beteiligt. Stehen die Amino- und die Sulfogruppe (sowie bei den Hydroxy-sulfonsäuren die Hydroxylund die Sulfogruppe) etwas weiter auseinander in einer zum Ringschluß günstigen Stellung, so erleiden die Amino- bzw. Hydroxy-sulfonsäuren Cyclisierung zu den den Lactamen und Laetonen der Carbonsäurereihe entsprechenden ringförmigen inneren Sulfonamiden und Sulfonsäureestern, die hier Sultame und Sultone genannt werden: CH 2 —CH 2 —OH | CH 2 —S0 2 —OH y-Hydroxy-aulfoiwäure

— H.O

CH 2 —(II) yO CH 2 —S0 2 y-Sulton

:

| CH 2 —S0 2 —OH

>, | )NH CH 2 —S0 2

y-Amino-siiifonsäure

y-Suitam

W e g e n der relativ schlechten Kristallisierbarkeit der Benzol-sulfonsäure stellt erst die bei der Sulfonierung v o n Toluol bei höherer Temperatur überwiegend entstehende p-Toluol-sulfonsäure H 3 C — p - C 6 H 4 — S 0 3 H die wichtigste aromatische Sulfonsäure dar. Ihre über das p-Toluol-sulfochlorid leicht gewinnbaren Ester werden abgekürzt vielfach Tosylate genannt. Sie dienen insbesondere in der Kohlenhydratchemie als häufig v e r w a n d t e Zwischenverbindungen, u m die OH-Gruppe i m Sinne einer Alkylierungsreaktion gegen andere R e s t e auszutauschen. o-Toluol-sulfansäure kann in Form ihres Chlorids durch Sulfonieren von" Toluol bei —10 bis —20° mit Chlorsulfonsäure in 70%iger Ausbeute erhalten werden und ist die Muttersubstanz des Saccharins. Letzteres stellt das Natriumsalz des cyclischen sekundären Amids der o-Sulfobenzoesäure dar und entsteht bei der Oxydation des aus dem Chlorid und Ammoniak leicht herstellbaren o-Tolual-sulfonamids in drei Reaktionsstufen: CO, 1. Oxydation (KMuO,)

I * I

II Ii

2. Erhitzen ( — H , 0 ) 3. Salzbildung

^/\so2—nh2 o-Toluol-sulfonaniid

o-Sulfonamido-benzoesäure

j * L

jl II

^ /

JSENa x

/

s o /

Saccharin

Saccharin besitzt etwa die 400fache Süßkraft des Rohrzuckers und ist auch heute noch der wichtigste künstliche Süßstoff. D i e bei der Sulfonierung des Anilins (S. 207) anfallende Sulfanilsäure ( = p-Anilinsulfonsäure H 2 N — p - C 8 H 4 — S 0 3 H ) tritt wie das Taurin frei nur in F o r m der Zwitterionen auf. D o c h läßt sich die Aminogruppe in normaler Weise diazotieren z u m betainartigen inneren Diazoniumsalz N 2 — p - C 8 H 4 — S 0 3 , das als Zwischenprodukt zur Herstellung v o n Azofarbstoffen Verwendung findet. Eine weitere Gruppe interessanter Sulfanilsäurederivate sind die Amidierungsprodukte der Sulfogruppe mit Ammoniak oder organischen Aminen, die auf Grund ihrer bakteriostatischen Wirkung in der

Kap. 7 , 1 : Die organischen Schwefelverbindungen

250

Pharmazie zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten dienen (Sullonamid-Therapie). Das einfachste derartige „Sulfonamid" ist das Sulfanilsäure-amid H2N—p-C6H4— S 0 2 — N H 2 , das den Decknamen Prontosil album (Prontalbin) erhalten hat. Bez. weiterer Beispiele vgl. S. 295, 297 und S. 310. b) D i e S u l f o n e E r s e t z t man in der Schwefelsäure auch die zweite Hydroxylgruppe durch einen organischen R e s t , so gelangt m a n zu den Sulfonen. Die aromatischen Sulfone können im Sinne dieser Ableitung durch eine der Sulfonierung ähnliche Umsetzung von aromatischen Sulfonsäuren mit aromatischen Kohlenwasserstoffen dargestellt werden: O Ar—H +

HO—:S0 2 —Ar'

H,0

KMnO,

Ar— S—Ar'

Ar—S—Ar'

O Diaryl-sulfon

Sie entstehen deshalb als Nebenprodukte der Sulfonierung aus der bereits gebildeten Sulfonsäure beim Arbeiten in zu stark verdünnter Schwefelsäure. Praktisch wichtiger für ihre Gewinnung ist jedoch die Oxydation von Thioäthern, die auch in der aliphatischen Reihe sowie zur Überfuhrung von Mercaptalen in Verbindungen mit zwei Sulfongruppen an einem C-Atom Anwendung findet (s. unten und S. 114). Die Sulfone besitzen wegen des Vorliegens zweier stark polarisierter S=0-Doppelbindungen ein großes elektrisches Dipolmoment und sind infolgedessen sehr hoch siedende (z. B. Diäthylsulfon bei 248°), gut kristallisierende Verbindungen. Ihre chemische Reaktionsfähigkeit ist sehr gering. Insbesondere am S-Atom sind keine Umsetzungen mehr möglich. Lediglich die unmittelbar am Schwefel stehenden Methylengruppen werden in ähnlicher Weise acidijiziert wie in den Sulfonsäureestern (S. 331) und Nitroverbindungen (S. 234/5). Z. B. kann man das aus Propionaldehyddiäthlmercaptal durch Oxydation erhältlicheDisuljon in dieC- Metallverbindungen überführen und dann am Kohlenstoff alkylieren. Hierbei werden die dem Sulfomal (S. 114) verwandten Schlafmittel Trional und Tetronal erhalten: ~ i

I/8-

-CoIL

0,—C,H«

Oxydation

H

2

D

z

8

H

+ NaOH - H,0

| /SO,—C 2 H 5

+ E—Hai

NaHaf

S0 2 —C 2 H 5 Na

^O, / Sulfolan

I R

S0 2 —C 2 H 5

Trional ( R = CH a ) Tetronal ( R = C,H,)

Proplonftldehyddlgthylmercaptal

I I

E

Ein einfaches cyclisches Sulfon mit hervorragenden Lösungseigenschaften liegt im nebenstehend formulierten Sulfolan vor. c) D i e

Sulfinsäuren

Die Sulfinsäuren stehen zu der schwefligen Säure in einem ähnlichen Verhältnis wie die Sulfonsäuren zur Schwefelsäure. Sie zeigen auch eine ähnliche Tautomerie wie die schweflige Säure zwischen einer HydroxylForm und einer Hydrosulfid-Form, von denen die erstere im Gleichgewicht weit überwiegt: OH R—SI O Hydroxyl-Form der Sulfinaaureo

0 R—S—H O Hydrosulfid-Form der Sulfinsäuren

2 c und d : Sulfinsäuren und Sulfoxide

251

Die wichtigsten Bildungsreaktionen für Sulfinsäuren sind: 1. die der Sulfonierung mit S 0 3 (S. 245) formal analoge, jedoch nur unter FRIEDELCRAFTS-Bedingungen durch führbare Snlfinierung aromatischer Kohlenwasserstoffe mit Schwefeldioxid: R—H +

—A1C1' »

S0 2

Auch mit ThionylcMorid und Aluminiumchlorid

kann man den Benzolkern sulfinieren.

2. die Umsetzung von Schwefeldioxid mit metallorganischen Verbindungen (S. 265) und 3. die partielle Redaktion von Sulfonsäurechloriden (S. 247). Die Sulfinsäuren ähneln in ihrem physikalischen Verhalten den Sulfonsäuren, besitzen jedoch eine deutlich schwächere Acidität, die etwa mit der der Carbonsäuren vergleichbar ist. Wegen der mittleren Oxydationsstufe des S-Atoms sind sie wie die Aldehyde ziemlich labil und werden leicht zu Sulfonsäuren oxydiert (z. B. schon durch Luftsauerstoff) oder zu Mercaptanen reduziert. Von den chemischen Reaktionen ist lediglich das Verhalten der Alkalisalze bei der Alkylierung von Interesse, denn hierbei tritt der organische Rest (wieder in Analogie zum Verhalten der schwefligen Säure) ausschließlich an den Schwefel, so daß statt der erwarteten Ester die Sulfone entstehen: 0 R—SINa II : O

+

Hai— Alk

— NaHal

0 — Alk:

O II R—S—Alk II O

NaJ (Umlagerung)

Sulfon

Natrium-sulfinat

J

RII o

Sulfinsäureester

Die Bildungstendenz der Sulfone ist sogar so groß, daß sich auch die anderweitig hergestellten Sulfinsäureester in Gegenwart von Natriumjodid oder ähnlichen Katalysatoren in sie umlagern.

d) D i e S u l f o x i d e Besetzt man in den Thioäthern nur eines der ungebundenen Elektronenpaare des Schwefels mit Sauerstoff, was z. B. bei der vorsichtigen Einwirkung von Hydroperoxid oder verdünnter Salpetersäure geschieht, so gelangt man zu den Sulfoxiden, die sich leicht weiter zu den Sulfonen oxydieren lassen:

r R—S—R

KMnO,

H,0,

0 II R—S— R

Thloäther

KMn04

Sulfoxid

Die Sulfoxide sieden infolge der in ihnen enthaltenen stark polarisierten S=0-Doppelbindung ähnlich hoch wie die Sulfone, sind jedoch etwa reaktionsfähiger als diese und können z. B. noch leicht zu den Thioäthern reduziert werden. Ferner ist der Sauerstoff wie der der Aminoxide (S. 218) schwach basisch. Man erhält daher mit starken Säuren Salze der Struktur I, die zu den Sulfoniumsalzen (S. 244) gerechnet werden müssen, weil der Schwefel die positive Ladung trägt: 0 II R—S—R

HX

OH I® R—S—R

Dimethyl-sulfoxid (CH3)2S ^ O (Sdp. 189°) findet neuerdings Verwendung als stark polares lipophilea Lösungsmittel.

252

Kap. 7, II: Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

II. Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen Die organischen Derivate der übrigen Nichtmetalle sind mit Ausnahme einiger Arsenverbindungen und der Silicone nur von geringer praktischer Bedeutung. Wir können uns deshalb mit einem kurzen Überblick über die wichtigsten Verbindungsarten begnügen. Ihre Systematik wird dadurch wesentlich erleichtert, daß sich, ähnlich wie wir es schon beim Stickstoff und beim Schwefel gesehen haben, stets von sämtlichen Oxydationsstufen eines Elements organische Derivate durch Ersatz von H-Atomen oder auch Hydroxylgruppen durch Kohlenstoffreste ableiten. Man kann die möglichen Substanzklassen infolgedessen auf Grund der bekannten anorganischen Verbindungen des betreffenden Elements direkt voraussagen und beobachtet insbesondere innerhalb der einzelnen Gruppen des Periodensystems eine sehr große Ähnlichkeit gleichartig gebauter Verbindungen.

1. Die organischen Derivate des Selens nnd Tellurs Am leichtesten zugänglich sind die den Thioäthern analog konstituierten Dialkyl-selenide und Dialkyl-telluride, die man auch in ähnlicher Weise durch Alkylierung der Alkali-selenide und -tdluride erhält: Alk—Hai

Na se _ J L ™

+

Alk—Hai

Na

-

Alk. )Se Alk

Alk—Hai ;

Na +

Alk—Hai

Alk ~2NaHal >

Te Na

^Te Air

Dialkyl-selenid

Dialkyl-tellurid

Sie können wie die Thioäther weiter alkyliert werden zu den Trialkyl-selenonium-halogeniden AlkjSe + Hal _ und Trialkyl-telluronium-halogeniden Alk 3 Te + Har . Steht nur ein organischer Rest am Heteroatom, so spricht man von Selen- bzw. Tellnr-mercaptanen (z. B. Äthyl-selen-mercaptan CJH 6 —SeH und Äthyl-tellur-mercaptan C 2 H 6 —TeH). Von den Sauerstoffverbindungen der Reihe sind die Selenonsäuren am interessantesten. Sie entsprechen in jeder Beziehung den Sulfonsäuren und können auch in analoger Weise durch Selenonierung aromatischer Kohlenwasserstoffe mit der der konzentrierten Schwefelsäure sehr ähnlichen wasserfreien Selensäure dargestellt werden:

O C,H6-

+

HO—Se—OH : ll

O

0 ~H,° •

C e H 6 —Se—OH II

0

Benzol-selenonsäure

0 ;

Alk—Se—Alk II

0

Dialkyl-aelenon

Ferner sind die den Sulfonen entsprechenden Selenone bekannt. Man gewinnt sie zweckmäßig — ebenfalls in Analogie zur Schwefelreihe — durch Oxydation der Dialkyl-selenide.

2. Die organischen Derivate des Phosphors, Arsens und Antimons Die organischen Derivate der höheren Elemente der fünften Gruppe des Periodensystems zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Stickstoff Verbindungen, die allerdings bei den höheren Oxydationsstufen lediglich formaler Natur ist, da nur der Stickstoff

2 a: Die organischen Phosphorverbindungen

253

zur Ausbildung normaler Doppelbindungen zum Sauerstoff befähigt ist. Dagegen sind die organischen Phosphor-, Arsen- und Antimonverbindungen untereinander auch hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer chemischen Eigenschaften vergleichbar. Man unterteilt die Verbindungen dieser Gruppe am besten in 1. die Derivate der dreiwertigen und 2. die der fünfwertigen Heteroelemente. In beiden Reihen können die nicht an Kohlenstoff gebundenen Valenzen der Heteroelemente sowohl mit elektropositivem Wasserstoff als auch mit elektronegativen Atomen bzw. Atomgruppen besetzt sein. a) D i e o r g a n i s c h e n P h o s p h o r v e r b i n d u n g e n 1. Zu den Derivaten des dreiwertigen Phosphors gehören vor allem die den Aminen der Stickstoffreihe (S. 195 f.) analog konstituierten Phosphine, die sich vom Phosphorwasserstoff durch Ersatz eines oder mehrerer H-Atome durch organische Reste ableiten. Man kann auch hier zwischen primären (RPH 2 ), sekundären (R 2 PH) und tertiären Verbindungen (R 3 P) unterscheiden. Die wichtigste Darstellungsreaktion für tertiäre Phosphine ist die Umsetzung von Phosphortrichlorid mit metallorganischen Verbindungen: P lJal3 +

3 Me—R

*

PR 3 +

3 MeHal

Die einfachen aliphatischen Phosphine sind niedrigsiedende, mit organischen Solventien mischbare Flüssigkeiten, die wie der Phosphorwasserstoff autoxydabel (z. T. sogar selbstentzündlich) sind. Sie zeigen eine merkliche Basizität, die gegenüber der der Amine zwar stark vermindert ist, aber zur Lösung in konzentrierten Mineralsäuren unter Salzbildung ausreicht. Ferner können die tertiären Phosphine wie die tertiären Amine mit Alkylhalogeniden zu quartären Phosphoniumsalzen alkyliert sowie zu den den Aminoxiden (S. 218) entsprechenden Phosphinoxiden (S. 254) oxydiert werden: *3P-0

RSP|

Trlalkyl(aryl)-phosphlnoxid

[R|]+Har Tetraalkyl(aryl)-phosphonlum-halogenid

Die quartären Phosphoniumsalze gehen nach G. W I T T I G (1956) mit Lithiumphenyl unter Abspaltung eines zum Phosphor x-ständigen H-Atoms in eigenartige Verbindungen mit doppelter P = C-Bindung (unter Oktettüberschreitung am P-Atom) über, die Ylene genannt werden und sich ihrerseits wieder mit Oxokörpern über die Zwischen Verbindung I zu Olefinen und Phosphinoxiden umsetzen können: H T P—CI RSP—CH—R' B

+

Li—C6H3

R a P=CH—R'

+

o-CH-R"

Ylen

)—CH—R" I 5 —CH—R

>-

O t R,P

+

CH—R" || CH—R'

Besonders die Olefinierung oder WITTIO-Reaktion genannte zweite Umsetzung hat praktische Bedeutung zur Olefinsynthese erlangt.

254

Kap. 7, I I : Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

Eine weitere Gruppe von organischen Derivaten des dreiwertigen Phosphors liegt in den Phosphinsäuren vor, die sich von der phosphorigen Säure mit oxydativ + 3-wertigem Phosphor durch Ersatz einer OH.-Gru.ppe durch einen organischen Rest ableiten. Sie entsprechen hinsichtlich der Oxydationsstufe des Heteroatoms den Nitrosoverbindungen, weichen aber konstitutionell von diesen in gleicher Weise ab wie die phosphorige Säure von der salpetrigen Säure, da in beiden Fällen die —N=0-Gruppe der Stickstoffverbindungen durch die um ein Molekül Wasser ^OH reichere Gruppe — P = 0 der Phosphorverbindungen ersetzt wird. Die Darstellung der bisher nur in der aromatischen Reihe bekannten Phosphinsäuren Aryl-phosphin-dichloride, auf folgendem Wege:

Ar—Zn—Br

+

Cl—PCI, — ZnBrCl

Aryl-zinkbromid

Ar—PCL

erfolgt über ihre Säurechloride,

die

/OH Ar—P^O H

Hydrolyse

Aryl-phosphin-dichlorid

Aryl-phosphinsfiure

2. Die bekanntesten Verbindungen mit fiinfwertigem Phosphor sind die Phosphonsäurcn und Phosphinoxide. Sie enthalten am P-Atom nur Sauerstoff neben den organischen Resten und werden am einfachsten durch Oxydation der primären, sekundären und tertiären Phosphine gewonnen: R—PH,

Oxydation

R—Pr^-OH

(Mono)alkyl(aryl)-phosphonsäuren

\)H N yPH

R

Oxydation

R

W R \ R-/PI

\

p

y °

R R^P=0

Oxydation

Dialkyl(aryl)-phosphonsäuren

OH Trialkyl(aryl)-phosphinoxide

Die Monoalkyl(aryl)-phosphonsäuren entsprechen hinsichtlich der Oxydationsstufe den Nitroverbindungen, unterscheiden sich aber von diesen — wiederum infolge des Mehrgehaltes von einem Molekül Wasser — durch die Anwesenheit von zwei Hydroxylgruppen im Molekül. Sie sind dementsprechend zweibasige mittelstarke Säuren. Während für die Dialkyl(aryl)-phosphonsäuren überhaupt kein Analogon in der Stickstoffreihe existiert, liegen in den Trialkyl(aryl)phosphinoxiden schließlich Verbindungen vor, die nicht nur formal mit den Aminoxiden (S. 218) verglichen werden können, sondern auch sehr ähnliche chemische Eigenschaften (z. B. ebenfalls eine schwache Basizität) aufweisen. Ein Derivat des fünfwertigen Phosphors mit fünf organischen Resten am P-Atom ist der erst relativ spät von G. WITTIG (1949) entdeckte Pentaphenyl-phosphor, der bei der Umsetzung von Tetraphenyl-phosphoniumjodid mit Lithium-phenyl entsteht:

\=X®X=.

J"

+

Li-

\=

Y3

2 b a: Die organischen Arsenverbindungen, Allgemeines

255

Er ist von einem gewissen theoretischen Interesse, III III

weil er die erste bekannte Verbindung eines Heteroelements der zweiten Periode mit fünf Kohlenstoffresten an einem Zentralatom darstellt.

Da das Auftreten einer ionisierten P—C-Bindung äußerst unwahrscheinlich ist, war somit erstmals die Möglichkeit der Oktettiiberschreitung für diese Elemente bewiesen.

b) D i e o r g a n i s c h e n

Arsenverbindungen

a) Allgemeines Die organischen Arsenverbindungen sind den Phosphorverbindungen weitgehend analog konstituiert, jedoch bedeutend besser erforscht, weil sie als Arsenderivate vielfach physiologisch aktiv sind und interessante Giftstoffe oder auch wertvolle Heilmittel darstellen. 1. Die den Phosphinen entsprechenden Derivate des dreiwertigen Arsens heißen Arsine. Man unterscheidet ebenfalls zwischen primären (R—AsH 2 ), sekundären (R 2 AsH) und tertiären Arsinen (R 3 As), von denen die letzteren (ähnlich wie die tertiären Phosphine) durch Umsetzung von Arsen-trichlorid mit metallorganischen Verbindungen gewonnen und weiter zu quartären Arsoniumsalzen umgesetzt werden können: ,

...

.

As;C13 +

out

t>

— 3MeCl

3MeR

,



AsR 3

+ R—X

>

r ©

i+

L A s r J X"

Obgleich die Arsine im Gegensatz zu den Phosphinen gegen Säuren keine merkliche Basizität mehr aufweisen, lassen sie sich in analoger Weise zu quartären Arsoniumsalzen alkylieren und zu Arsinoxiden (S. 256) oxydieren. Weitere interessante Derivate des dreiwertigen Arsens sind die formal den Azoverbindunqen entsprechenden Arsenoverbindungen, die bei der alkalischen Reduktion von Aryl-arsonsäuren (S. 256) entstehen: / X

=

/

V-As^OH OH

V2 Ar—As==As—Ar

Phenvl-arsonsäure

Arseno-benzol

Vermutlich handelt es sich um keine echten Analoga der Azoverbindungen, sondern um deren Dibzw. Trimerisierungsprodukte mit einfachen As—As-Bindungen. Sie sind von einer gewissen praktischen Bedeutung, weil ihnen die wichtigen Heilmittel der Salvarsanreihe angehören (S. 257).

Eine letzte Gruppe von Verbindungen mit dreiwertigem Arsen, in denen sich neben den organischen Resten negative Liganden am As-Atom befinden, sind die Alkyl-arsin-dichloride und Dialkyl-arsin-chloride, die man bei der Umsetzung von Arsen-trichlorid mit weniger als drei Mol einer metallorganischen Verbindung erhält: •d

> n, R,As—C1 Dialkylarstn-chlorid

+ 2 MtR

NaS02—CS./

c) Die o r g a n i s c h e n A n t i m o n v e r b i n d u n g e n 1. Die den Phosphinen und Arsinen entsprechenden Alkylierungsprodukte des Antimonwasserstoffs heißen Stibine. Die bisher ausschließlich bekannten tertiären Stibine R s Sb werden wie die tertiären Arsine durch Umsetzung von Antimon-trichlorid mit metallorganischen Verbindungen gewonnen und sind ebenfalls nicht mehr basisch, jedoch noch zur Bildung quartärer Stiboniumsalze und zur Oxydation zu Triallcyl(aryl) -stibinoxiden befähigt. 2. Von den sauerstoffhaltigen Derivaten des fünfwertigen Antimons kennt man nur die den Monoaryl-phosphonsäuren und -arsonsäuren entsprechenden Monoaryl-stibonsäuren Ar—Sb0 3 H 2 , die man in Analogie zu den Arsonsäuren durch Arylierung von Antimonit-Ionen mit Diazonium17

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 7, I I : Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

258

Ionen gewinnt (S. 227). Sie haben bisher trotz einer gewissen physiologischen Aktivität ein nur geringes pharmazeutisches Interesse gefunden. Ähnlich wie den Pentaphenyl-phosphor und das Pentaphenyl-arsen gibt es auch ein Pentaphenyl-antimon, das sich als die stabilste Verbindung dieser Raihe erwies. Von seinen Reaktionen ist die Addition von einem Molekül Lithiumphenyl zu dem komplexen Lithium-hexaphenylo-antimonat (I) von Interesse, weil in dessen Anion sogar sechs G-Atome kovalent an ein Zentralatom gebunden sind, hier die Oktettschale also bereits bis zur Dodezettschale erweitert wurde: CalL. C6Hs CaHs

CoHs^©/C.H,

CkHs—Li

CBHe

CeH5

Li

C„H5

8. Die organischen Derivate des Siliciums und Germaniums Silicium und Germanium, treten wie der Kohlenstoff nur vierwertig auf, so daß ihre organischen Derivate mit den entsprechenden Kohlenstoffverbindungen eine gewisse, häufig sogar mehr als nur formale Ähnlichkeit aufweisen. Eine erste Gruppe von organischen Silicium- und Germaniumverbindungen sind die Tetraalkyl-silane und Tetraalkyl-germane, die am besten in Analogie zu den Phosphinen, Arsinen und Stibinen (S. 253 f.) durch Umsetzung von Silicium- bzw. Germanium-tetrachlorid mit metallorganischen Verbindungen dargestellt werden: Ck \ er/

ö l

/C1 / \NC1

+ * MeAlk —4MeCl

Alk. ,Alk \ „ . / ö l \ Alk • Alk 7 / Tetraalkyl-sllan

CL er /

yCl / \ Gl

+ 4MeAIk —4MeCl

Alk. .Alk \ / x\ Alk / Alk Tetraalkyl-german

Die Tetraalkyl-silane und -germane sind physikalisch und auch chemisch den Kohlenwasserstoffen gleicher Molekülgröße ähnliche, sehr stabile Substanzen. Während also die Silicium• und Germaniumwasserstoffe im Gegensatz zu den Kohlenwasserstoffen schon in der Kälte mit Wasser hydrolysieren und an der Luft sofort autoxydieren (vgl. anorganische Lehrbücher), verschwindet bei der vollständigen Besetzung mit Kohlenstoffresten die sonstige Reaktionsfähigkeit des vierbindigen Siliciums bzw. Germaniums vollständig, und es tritt selbst beim Kochen mit Wasser oder bei der Einwirkung starker Mineralsäuren (einschl. der oxydierend wirkenden Salpetersäure) noch keine Reaktion ein. Neben diesen reinen Tetraalkylverbindungen kennt man in der Siliciumreihe auch einige tetrasubstituierte Silane, in denen sich in den organischen Resten weitere Funktionen (z. B. Gl-Atome, Hydroxyl-, Amino- oder Carboxylgruppen usw.) befinden. Auch hier übt das Si-Atom keinen merklichen Einfluß auf die Reaktionsfähigkeit des organischen Molekülteils aus.

Wir beobachten also die folgende Gesetzmäßigkeit: In allen organischen Verbindungen können quartäre (d. h. hier mit vier anderen C-Atomen besetzte) Kohlenstoffatome durch Silicium- oder Germaniumatome ersetzt werden, ohne daß eine wesentliche Änderung der Substanzeigenschaften eintritt. Auch bei Besetzung des Si- Atoms mit drei organischen Resten und einem negativen Liganden zeigen die siliciumorganischen Verbindungen noch eine große Ähnlichkeit mit den entsprechenden Kohlenstoffverbindungen. Beispielsweise entsteht bei der Umsetzung von Silicium-telrachlorid mit nur drei Molekülen einer metallorganischen Verbindung ein Trialkyl-chlor-sllan (I), dessen Chloratom wie bei den Alhylhalogeniden gegen OH-, NH 2 - oder SH-Gruppen ausgetauscht werden

259

3: Die Silicone

kann. Ähnlich zeigen die Trialkyl-silanole genannten Hydroxylverbindungen (III) mit den Alkoholen eine gewisse Ähnlichkeit und lassen sich wie diese zu esterartigen Verbindungen (IV) acylieren oder (über die alkoholatartigen Metallderivate VI) zu ätherartigen Stoff tri (VII) alkylieren. Ferner kann man sie mit Ammoniak zu Trialkylsilylaminen (II) und mit Natriumhydrosulfid zu Trialkylsilan-thiolenen (V) umsetzen: AlkV3Si—NH22 •• , Alk3Si—OH III Alk-Si-Cl

^


Als Hydrolysenprodukte der Dialkyl-dichlor-silane sollte man die den Oxoverbindungen entsprechenden Silanone der Struktur VI erwarten. Diese polymerisieren jedoch wegen der Nichtexistenz der Si=0-Doppelbindung sofort unter Ausbildung von Si—0—Si-Brücken zu Verbindungen des Typus VII, die den Namen Silicone ( = Silico-ketone) erhalten haben: Alk n

CI—Si—C1 I Alk

/ +

— 2nHCl

>

Alk

\

n Si=0 ^ \ Alk / VI

Alk -

Polymerisation

,

Si Alk

Alk Alk I I O—Si - o—Si—0 Alk n - 2 Alk VII

Die Silicone stehen auf der Grenze zwischen organischer und anorganischer Chemie und vereinigen das hitzebeständige Aufbauprinzip der anorganischen Gesteine mit der Geschmeidigkeit der organischen Werkstoffe. Sie stellen daher sehr wertvolle Kunststoffe dar, die seit etwa : 20 Jahren eine immer noch zunehmende Verbreitung Alk Ö Alk gefunden haben. I I I Schließlich kann man auch Monoalkyl-trichlor-silane AlkSiClj mit nur noch einem organischen Beat am Si-Atom herstellen (z.B. durch Umsetzen von Silicium-teirachlorid mit einem Mole einer metaUorganischen Verbindung). Sie liefern bei der Hydrolyse statt der erwarteten, den Carbonsäuren analog konstituierten Stoffe E—SiOOH stark kondensierte Verbindüngen der nebenstehend formulierten Struktur VIII, in denen die Kettenmolehüle des Typus VII durch weitere Si—0—Si-Brücken miteinander „vernetat" sind. Läßt man schließlich Gemische von Dialkyl-dichlor-silan und Monoalkyl-trichlor-silan hydrolysieren, so erhält man MischkunstStoffe, in denen beide Bauprinzipien verwirklicht sind. Ihre physikalischen Eigenschaften können in Abhängigkeit von dem Mengenverhältnis beider Kondensationskomponenten innerhalb weiter Grenzen variiert werden. 17*

...

'

Si—O—Si—O—Si—O • • • | j | O Q I . I gj q gj Q gj q . . . | l | Alk ^ Alk Alk Y Alk I I_ I ® Si O • • • ^ ^^ ^ , < . ! ' viii

Kap. 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen

260

4. Die organischen Borverbindungen Die wichtigsten organischen Borverbindungen sind die Bortrialkyle (oder Trialkyl-borane), die durch Einwirkung von Zinkdialkylen auf Borchlorid oder Borsäureester, sowie auch aus ORIONARDverbindungen und Borfluorid, gewonnen werden: /F XMg —Alk B; - F + XMg —Alk V F XMg —Alk

• 3 MgXF

Alk B f Alk x Alk

— 3 Alk—ZnOAlk'(Cl)

Alk—Zn -Alk •OAlk'(Cl) / B ^-OAlk'(Cl) + Alk—Zn -Alk OAlk'(Cl) Alk—Zn -Alk

Die Bortrialkyle sind im Gegensatz zu den Borwasserstoffen (vgl. anorganische Lehrbücher) monomer und besitzen eine Oktettlücke am Boratom. Sie sind deshalb wesentlich reaktionsfähiger als die Tetraalleyl-silane und -germane und werden leicht zu Verbindungen abgebaut, die neben einem Alkylrest noch Sauerstoff am B-Atom enthalten. Z. B. entstehen bei der Einwirkung von Luftsauerstoff die Alkylboroxide und beim Kochen mit Wasser die um ein H 2 0-Molekül reicheren Alkyl-borsäuren, die sich durch Wasserabspaltung ebenfalls in die Alkyl-boroxide umwandeln lassen: I I

Hydratisierung

/OH Alk—B^ OH

- i m

Alkyl-boraäure

/Alk TK A l k—- B :X Alk

Luft —O,

Alk—B=0 Alkyl-boroxid

Bor-trialkyl

L

J

Dehydratisierung

Weiterhin kann man nach R. KÖSTER die Alkylborsäureester durch Konproportionierung von Bortrialkylen und Borsäureestern gewinnen: B(Alk) 3

+

2B(OAlk) 3

3 Alk—B(OAlk) 2

I m Bor-triphenyl (oder Triphenylbor) liegt ein aromatisches Borderivat vor, das wegen der Oktettlücke am B-Atom wie das Pentaphenyl-antimon (S. 258) zur Anlagerung eines Mols Lithiumphenyl zum komplexen Tetraphenyl-bor-lithium (Lithiurn-tetraphenylboranat) befähigt ist (G. WITTIG 1949):

/C6H5

C8H5

X

C„H, 6 " 5 \ o / ^ e!»H i i ; 5; +

C 6 H 5 —Li

C,H, /

B

Lf

\ C H 6 5J

Lithiurn-tetraphenylboranat

Das Tetraphenylboranat-Ion ist wasserbeständig und zeichnet sich durch die Bildung schwerlöslicher Kalium-, Rubidium,- und Cäsiumsalze aus. Sein Natriumsalz dient deswegen unter dem Decknamen Kalignost zur gravimetrischen Bestimmung dieser Elemente.

III. Die metallorganischen Verbindungen 1. Allgemeines Metallorganische Verbindungen sind Stoffe, in denen ein Metallatom an den Kohlenstoff organischer Reste gebunden ist. Wegen des stetigen Ubergangs zwischen den Metallen und Nichtmetallen läßt sich keine scharfe Grenze zwischen metallorganischen und nichtmetallorganischen Verbindungen ziehen. So sind z. B. die sich vom Zinn ableitenden „metallorganischen" Tetra-alkyl-stannane SnAlk 4 und die sich vom Blei ableitenden, ebenfalls „metallorganischen" Tetraalkyl-plumbane PbAlk 4 den typisch „nichtmetallorganischen" Tetraalkyl-silanen und -germanen (S. 258)

1: Metallorganische Verbindungen, Allgemeines

261

noch sehr ähnlich, so daß kein Bedürfnis besteht, sie verschiedenen Verbindungsklassen zuzuordnen. Ebenso können die Trialkyl-stannole Alk 3 Sn—OH und die Trialkylblei-hydroxide Alk 3 Pb—OH mit den Trialkyl-silanolen (S. 259) verglichen werden. Sie spalten nur die Hydroxylgruppe leichter als Anion ab und reagieren deshalb im Gegensatz zu den neutralen Silanolen deutlich basisch. Als einzige größere (aber auch nicht grundsätzliche) Unterschiede gegenüber den Silicium- und Germaniumverbindungen beobachtet man beim Zinn und Blei mehrere. Wertigkeitsstufen, so daß wir neben den Tetraalkylverbindungen auch Zinn-dialkyle (und -aryle) R 2 Sn und Blei-diphenyl (C„H 5 ) a Pb mit zweiwertigem sowie Blei-trialkyle Alk 3 Pb mit dreiwertigem Metall unterscheiden müssen. Von allen diesen Blei- und Zinnverbindungen hat nur das Blei-tetraäthyl eine gewisse praktische Bedeutung als Antiklopfmittel erlangt. E r s t w e n n m a n zur zweiten u n d ersten Gruppe des Periodenaystema übergeht, nimmt, der metallische Charakter der E l e m e n t e stärker zu, u n d ihre organischen Deriv a t e werden wieder reaktionsfähiger. D i e b e o b a c h t e t e n U m s e t z u n g e n verlaufen aber d e n e n der Verbindungen m i t den m e i s t e n s elektronegativen N i c h t m e t a l l e n gerade entgegengesetzt, weil es n u n m e h r elektropositive E l e m e n t e sind, die a m Kohlenstoff stehen. I n diesen organischen D e r i v a t e n der Alkali- u n d Erdalkalimetalle, auf die wir uns i m folgenden i m wesentlichen beschränken wollen, liegen daher erst die eigentlichen charakteristischen metallorganischen Verbindungen vor. Die Benennung der metallorganischen Verbindungen erfolgt abweichend von den sonstigen Gepflogenheiten nicht als Metall-alkane, sondern als Metall-alhyle und -aryle (z. B. Lithiummethyl oder Natrium-phenyl). Daneben sind die Namen auch in umgekehrter Reihenfolge (Methyllithium, Phenyl-natrium) gebräuchlich. Diese zweite Benennunsart ist besonders bei den Derivaten mehrwertiger Metalle von Vorteil, in denen am Metallatom neben dem Kohlenstoffrest noch ein anorganischer Ligand steht (z. B. Methyl-magnesiwmbromid H 3 C—MgBr). F ü r die Darstellung der alkali- und erdalkalimetallorganischen Verbindungen sind zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren gebräuchlich: 1. die Neuherstellung einer Metall-Kohlenstoff-Bindung u n d 2. die Einführung des Metalls m i t Hilfe anderer metallorganischer Stoffe. Zu 1. D i e bei w e i t e m wichtigste Methode zur Neuherstellung einer metallorganischen Verbindung beruht auf der U m s e t z u n g v o n Alkyl- oder Arylhalogeniden mit d e n freien Metallen, die stets unter B i n d u n g v o n zwei Metalläquivalenten i m Sinne folgender Gleichung vor sich g e h t (bez. der als N e b e n r e a k t i o n erfolgenden WvRrzschen Synthese vgl. S. 264): R—Hai +

2Mt

R—Mt +

MtHal

D a n a c h ist die Herstellung der metallorganischen Verbindung eng m i t der eines Metallsalzes verknüpft, dessen Bildungstendenz a l s die treibende K r a f t für d e n A u f b a u der energiereichen Metall-Kohlenstoff-Bindung angesehen werden muß. Im Falle der Verwendung zweiwertiger Metalle (z. B. bei der praktisch wichtigen Darstellung von magnesiumorganischen Verbindungen) spielt sich die Salzbildung und die Ausbildung der C—Me-Bindung am gleichen Atom ab, und man erhält gemischte Verbindungen des Typus R—Me(II)Hal (bez. weiterer Variationen der Methode vgl. I, Kap. 9, I): R—Hai +

Mt

R—MtHal

Eine weitere Möglichkeit der „Metallierung" organischer Verbindungen liegt in der bereits formulierten (S. 94) Mercurierung von Phenolen mit Quecksilber-acetat vor. Das Verfahren ist ferner beim Tiophen (S. 309) sowie unter etwas energischeren Bedingungen auch beim Benzol anwendbar.

Kap. 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen

262

Zu 2. Die Darstellung metallorganischer Verbindungen mit Hilfe bereits vorhandener „Organometalle" gelingt am einfachsten durch Verdrängung des Metalls aus diesen bei der Einwirkung von Verbindungen mit aktiven CH-Gruppen (vgl. auch S. 263): H—C=C—H

+ —

ü — ü

Mt—C=C—H

+ —

it—H

>

Mt—C=C—Mt

Auf diesem Wege lassen sich insbesondere die Metallderivate des Acetylens (wie formuliert) und Fluorens (S. 290) gewinnen. Auch das für die Erzeugung der Phosphine, Arsine usw. (S. 253, 255, 258) gebräuchlich« Verfahren der Umsetzung der Halogenderivate eines Elements mit metallorganischen Verbindungen läßt sich für die Darstellung von Organometallen selbst verwenden, wenn man die wenig polaren Schwermetallverbindungen gewinnen will und die stark polaren alkalimetall-organischen Verbindungen als Reagenz einsetzt: Hg:Cl2

+

2 Xu Alk

HgAlk2

+

2 NaCl

Umgekehrt erhält man die leichtmetallorganischen Verbindungen häufig durch Verdrängung eines wenig elektropositiven Schwermetalls aus seinen organischen Derivaten durch das elektropositivere Leichtmetall: HgAlk2 +

2 Na

Hg +

2 NaAlk

Die physikalischen Eigenschaften und die Beständigkeit der metallorganischen Substanzen variieren in Abhängigkeit von der Polarität der G—Mt-Bindung. Die stark polaren Alkali- und Erdalkalimetallderivate sind kristallisierte, nicht vor Erreichung des Zersetzungspunktes schmelzende Stoffe, die durch Wasser und Luftsauerstoff sofort zersetzt und daher meistens nur in Lösung dargestellt und umgesetzt werden. Die Schwermetallderivate mit weniger polaren C—Mt-Bindungen sind dagegen meistens flüssig, z. T. sogar destiUierbar, und vielfach ausgesprochen reaktionsträge, so daß sie Wasser und Luftsauerstoff gegenüber beständig werden. Sie gehen schließlich, wie schon erwähnt, ohne erkennbare Grenze in die nichtmetall-organischen Verbindungen über. Die chemische Reaktionsfähigkeit der metallorganischen Verbindungen ist durch die Polarität der Kohlenstoff-Metall-Bindung bedingt. Während der Kohlenstoff bei den Halogen- und Sauerstoffverbindungen positiv polarisiert ist und infolgedessen bei der Umsetzung stets auf die negativierten Atome des Reaktionspartners übergeht (z. B . bei der Alkylierung von OH- und NH-Verbindungen auf den Sauerstoff bzw. Stickstoff), lädt er sich bei der Verknüpfung mit den stark elektropositiven Metallen negativ auf und tritt bei den Umsetzungen an die positivierten Atome, des Reaktionspartners, insbesondere an Wasserstoff oder Kohlenstoff. Beispielsweise wird bei der Reaktion eines Alkohols mit Methyljodid der elektronegative Sauerstoff unter Ätherbildung methyliert, während die Methylgruppe bei der Umsetzung mit Lithium-methyl an den elektropositiven Wasserstoff unter Methanbildung wandert: Alk—O—H

+

J—:CH•3;

Alk—0—CH 3

+

H—J

Alk—0—!H

+

H 3 C— Mt

Alk—OMt

+

H—CH,-3

1: Die Reaktionen der metallorganischen Verbindungen

263

Besonders die unten unter 2. und 3. beschriebenen Möglichkeiten der Alkylierung von C-Atomen sind von großer praktischer Bedeutung, weil sie wichtige neue synthetische Verfahren zum Aufbau von G—C-Bindungen darstellen. Im einzelnen können die Reaktionen der metallorganischen Verbindungen unterteilt werden in: 1. die Substitution des Metalls durch Wasserstoff, 2. die Umsetzungen mit Halogenverbindungen, 3. die Umsetzungen mit polarisierten Doppelbindungen, 4. die Oxydationsreaktionen und 5. die Bildung von Komplexen. Zu 1. Wie oben schon für die Reaktion mit Alkoholen formuliert, setzen sich metallorganische Verbindungen mit Stoffen, die reaktionsfähigen Wasserstoff enthalten, unter Alkylierung des Wasserstoffs zum Kohlenwasserstoff und Bildung des Metallderivats der aktiven Wasserstoff Verbindung um: R—Mt +

I

X—H

R—H +

MtX

Die Reaktion kann direkt mit der Verdrängung einer schwachen ihren Salzen durch eine stärkere Säure verglichen werden.

Säure

aus

Sie bedeutet also praktisch die Freisetzung der Kohlenwasserstoffe aus ihren Metallderivaten (die keine eigentlichen Salze mehr darstellen) durch alle Verbindungen, die stärker sauer sind als die Kohlenwasserstoffe. Hierher gehören außer den eigentlichen Säuren auch zahlreiche Substanzen, die gegenüber Wasser bereits nicht mehr sauer reagieren, vor allem Wasser selbst und alle sonstigen OH-Verbindungen, Ammoniak und alle sonstigen NH-Verbindungen und einige aktive CH-Verbindungen (z. B. Acetylen und Fluoren, vgl. S. 54, 290).

Diese Umsetzung der Organometalle mit aktiven Wasserstoffverbindungen ist in dreierlei Richtung von praktischer Bedeutung: a) In ihr liegt eine bequeme Darstellungsmöglichkeit für die zuweilen schwer zugänglichen Metallderivate der Wasserstoff Verbindungen vor. Z. B. erhält man aus Alkoholen die Alkoholate (S. 84), aus Aminen die MetaMamide (S. 198) und aus aktiven CH-Verbindungen neue metallorganische Stoffe (S. 262).

b) Befindet sich am Metallatom ein. Methylrest (z.B. im Methyl-magnesiumjodid), so entsteht bei der Reaktion mit dem aktiven Wasserstoff das gasförmige Methan, das leicht volumeirisch gemessen werden kann. Die Reaktion wurde von T. Z E R E W I T I NOFF zu einem Verfahren zur quantitativen Bestimmung sämtlicher oben angeführten Verbindungen mit aktivem Wasserstoff ausgearbeitet. c) Wegen der Reaktion mit aktivem Wasserstoff können niemals Wasser, Alkohole oder nicht-tertiäre Amine als Lösungsmittel für metallorganische Verbindungen verwandt werden. Als indifferente Solventien kommen praktisch nur Äther und tertiäre Amine in Betracht (vgl. auch Punkt 5, S. 265). Zu 2. Bei der Reaktion von metallorgallischen Verbindungen mit Alkyl- oder auch Arylhalogeniden treten die beiden Kohlenstoffreste zusammen, und es wird ein höhermolekularer Kohlenwasserstoff synthetisiert: R—Mt +

Hai—:Alk

R—Alk +

MtHal

Die Reaktion ist der wesentliche Teilvorgang bei der auf S. 33 beschriebenen WURTZSChen Synthese, die nur scheinbar auf dem direkten Halogenentzug aus zwei Alkyl(aryl)halogenidmolekülen beruht. In Wirklichkeit bildet nach H. H. S C H L U B A C H das erste Alkyl (aryl)halogenidmolekül mit dem freien Metall eine metallorganische Verbindung, die dann erst sekundär mit dem zweiten Alkylfaryl)halogenidmolekul die eigentliche Synthese eingeht:

K a p . 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen

264 1. Stufe: 2. Stufe:

E—Hai + 2 M t R—Hai + Mt—R

in summa:

2 R—Hai + 2 Mt



R—Me + R—R +



R—R

MtHal MtHal

+ 2 MtHal

Da es sich nicht vermeiden läßt, daß bei der Gewinnung von metallorganischen Verbindungen aus Alkyl(aryl)halogeniden und freiem Metall (S. 261) die noch nicht umgesetzten Alkyl(aryl)halogenidmoleküle mit bereits fertigen Organometällmolekülen zusammentreffen, ist die W U R T Z sche Synthese eine bei diesem Darstellungsverfahren stets in mehr oder weniger großem Umfang eintretende Nebenreaktion.

Setzt man die metallorganischen Verbindungen mit den Halogenderivaten anderer Elemente um, so wird der organische Rest in analoger Weise auf diese übertragen. Als Reaktionen dieses Typus haben wir auf S. 253 f. die Bildung der Phosphine, Arsine, Stibine, Silane, Germane und Borane sowie auch die von Schwermetallalkylen (S. 262) kennengelernt. Zu 3. Metallorganische Verbindungen lagern sich an polarisierte Doppelbindungen stets in der Weise an, daß der organische Rest an den elektropositiven und das Metall an den elektronegativen Bindungspartner

tritt (sog. GRIGNABD-Reaktion).

Z. B. wird bei der Reaktion mit einer 0=0-Doppelbindung eine C—G-Bindung neu geknüpft und eine OMt-Oruppe gebildet, die bei der anschließenden Hydrolyse in eine Hydroxylgruppe übergeht: R > = 0

X

+

R-Mt



R

—C—OMt I

Hydr

°'

yse

->

-¿-OH I

Es findet also eine Reduktion des 0-Atoms um eine Oxydationsstufe und eine gleichzeitige Erhöhung seines Carburierungsgrades um ebenfalls eine Stufe statt, ein Vorgang, den man als aufbauende Reduktion oder aufbauende Hydrierung bezeichnet. Hierbei kommt man naturgemäß stets von nullären zu primären Kohlenstoffverbindungen bzw. von der primären in die sekundäre bzw. von der sekundären in die tertiäre Reihe. Beispielsweise addiert das Kohlendioxid mit miliarem Kohlenstoff die metallorganische Verbindung zu dem Salz einer zur primären Reihe gehörenden Carbonsäure. Ahnlieh geht der nulläre Formaldehyd in einen primären Alkohol über: 0=C=0

+

R—Mt

,

R—COOMt ;

H2C=0

+

R - M t

2. Hydrolyse

Ferner liefern die der primären Reihe angehörenden sonstigen Aldehyde sekundäre und die der sekundären Reihe angehörenden Ketone tertiäre Alkohole: R—CH=0

o2. ' Hydrolyse tB;'~Mt •

RR'CH—OH

;

R 1, C = 0

± ^'T"*-

2. Hydrolyse

R,R'C—OH z

Etwas komplizierter liegen die Verhältnisse bei der Umsetzung metallorganischer Verbindungen mit Carbonsäuren und ihren Derivaten. Die freien Säuren selbst enthalten aktiven Wasserstoff und bilden daher im Sinne der unter 1. beschriebenen Reaktionen (S. 263) nur die Salze. Erst bei den Estern oder Säurechloriden tritt Addition an die C=0-Doppelbindung ein, die zunächst zu den Ketonen als sekundären Verbindungen führt. Doch reagieren diese meistens sofort weiter zu den tertiären Alkoholen, so daß die Ketonstufe im allgemeinen nicht faßbar ist (vgl. auch S. 267):

2 a : Die alkalimetallorganischen Verbindungen C1(0—Alk)\ R' I MtCl ¿ y R'_C—0:Mt ~ ""T' > C| == Q0 • (bzw. MeOAlk) R

/

265 R

+ B'-Mt (Hydrolyse)

>

> R — C—OH |

R

R

Geht man schließlich zu den Nitrilen über, so kann die Reaktion auch auf der Ketonstufe unterbrochen werden, weil hier das zunächst gebildete Metallderivat des Ketimins (I) unlöslich ausfällt und sich dadurch der Weiterreaktion entzieht:

R—C=N

+ R

'~Mt ,

R

yC=NMt R'X i

Hydrolyae

,

R

> = 0

R

Von den Reaktionen anorganischer Doppelbindungen sei nur die Addition an die NO-Gruppe von Nitrosoverbindungen zu N ,N-Diaryl-hydroxylaminen (II) und an die S=0-Doppelbindung des Schwefeldioxids zu Sulfinsäuren (III, vgl. S. 251) angeführt:

Ar—N=0

ArX

(Hydrolyse)

Ar'

;XN ~ O H

;

0

=S=0

- (Hydrolyse) + ,

R - S < "\ ° OH

Ii

Iii

Zu 4. Die aktiveren metallorganischen Verbindungen zeigen ein bis zur Selbstentzündlichkeit gesteigertes Bestreben, ein O-Atom zwischen den Kohlenstoff und das Metall unter Bildung von Alkoholaten einzulagern: + ,(z. ^B. aus °Luft-O,) „. , >

R—Mt

R—OMt

Man muß sie daher sorgfältig vor dem Luftsauerstoff schützen. Die Reaktion verläuft nach H . H O C K über die Peroxyverbindungen (R—0—OMt) als Zwischenprodukte. Zu 5. Die präparativ wichtigen magnesiumorganischen Verbindungen vermögen zwei Äthermoleküle oder zwei Moleküle eines tertiären Amins zu ziemlich stabilen, sich selbst bei 100° im Vakuum nur langsam zersetzenden Komplexen der Struktur IV bzw. V anzulagern: R\ /0(C 2 H 5 ) 2 >ig;x X Halx 0(C 2 H 6 ) 2

R

IV

/NRJ >Mgf Har NR!, x

v

Diese Komplexbildung ist von entscheidender Bedeutung für die auffallend gute Löslichkeit der magnesiumorganischen (sowie in analoger Weise auch der lithiumorganischen) Verbindungen in den verschiedenen Äthern und tertiären Aminen.

2. Einzelverbindungen a) Die a l k a l i m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n Die Darstellung der Natrium- und Kalium-alkyle ist nicht auf dem üblichen Wege der Umsetzung der freien Metalle mit Alkylhalogeniden möglich, weil hier die parallel verlaufende WüRTZsche Synthese (S. 263) zur Hauptreaktion wird (d. h. die gebildete metallorganische Verbindung wird sofort von nicht umgesetztem Alkylhalogenid im Sinne der WüRTZschen Reaktion zerstört). Die Darstellung gelingt am besten durch Umsetzung der Alkalimetalle mit Quecksilberdialkylen (S. 262).

266

Kap. 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen

Die Natrium- und KaMum-alkyle sind sehr empfindliche, mit Wasser und Luftsauerstoff fast

explosionsartig reagierende, pulverförmige Substanzen, die in keinem Solvens gelöst werden können und wegen ihrer umständlichen Handhabung eine nur geringe praktische Bedeutung erlangt haben. Dagegen findet das wesentlich stabilere Phenyl-natrium eine vielfache praktische Anwendung.

Interessanter sind die etwas komplizierter aufgebauten Verbindungen Benzylnatrium C6HB—CH2Na und Tritylnatrium {Natrium-trityl[at]) (C6H5)3CNa, da ihre Lösungen in flüssigem Schwefeldioxid den elektrischen Strom leiten. Diese metallorganischen Verbindungen sind also bis zu einem gewissen Grade salzartig und zumindest in Lösung z. T. in die Ionen zerfallen. Sie stellen somit die ersten bekannten Verbindungen dar, in denen der Kohlenstoff eine negative Elementarladung trägt (sog. Carbanionen). Ahnlich wie bei den übrigen Alkalimetallsalzen kann man auch in diesen ionisierten metallorganischen Verbindungen das Natrium-Ion durch ein Tetraallcylammonium-Ion ersetzen. So entsteht z. B . bei der Umsetzung von Trityl-natrium mit Tetramethyl-ammoniumchlorid das ebenfalls Balzartige und in flüssigem Schwefeldioxid den Strom leitende Tetramethylammoninm-tritylat, in dem der Ammoniumstickstoff von fünf organischen Resten (wenn auch in verschiedenen „Schalen") umgeben ist:

[(CH 3 ) 1 N] + Cr +

Na+ [lC(C,H 5 ) A ]

~KAC' •

[ ( C H 3 ) 4 N ] + [|C(C„H 6 ) 3 ] Tetramethylammoniumtrltylat

Die wichtigsten alkali-metallorganischen Verbindungen sind die Lithium-alkyle und Lithium-aryle, die 1930 von K. Ziegleb in die organische Praxis eingeführt wurden. Ihre Handhabimg wird dadurch sehr erleichtert, daß sie einerseits aus Alkyl- bzw. Aryl-halogeniden und freiem Lithium ohne allzustarke Beeinträchtigung durch die als Nebenreaktion ablaufende WuRTZsche Synthese (S. 264) gewonnen werden können, andererseits mit Äthern Komplexe bilden und dadurch in diesen löslich sind sowie sich in Lösung umsetzen lassen. Im übrigen zeigen sie noch nahezu die gleiche Reaktionsfähigkeit wie die Natrium- und Kalium-alkyle und finden infolgedessen immer dann praktische Anwendung, wenn die Aktivität der unten beschriebenen ORIONARDverbindungen zur geplanten Reaktion nicht ausreicht. Z. B. kann man nur lithium- (und andere alkalimetall-)organische Verbindungen mit den relativ reaktionsträgen C=N-Doppelbindungen des Pyridinkerns

dihydropyridinen (I) umsetzen:

(S. 293) zu den

yR +

R-Li

>

a-Alkyl(aryl)-

/R ^

i

—H

b) Die magnesium- und a l u m i n i u m o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n Von den organischen Derivaten der Erdalkalimetalle haben nur die magnesiumorganischen Verbindungen des Typus R—MgHal (sog. Alkyl- bzw. Aryl-magnesiumhalogenide), die bei der Einwirkung von Alkyl- bzw. Arylhalogeniden auf freies Magnesium entstehen (S. 261), praktische Bedeutung erlangt. Sie wurden von P. Barbiee 1898 entdeckt und in den folgenden Jahren von seinem Schüler V. Grignabd, dem zu Ehren sie den Namen GBiGNARD-Verbindungen erhalten haben, als am leichtesten zugängliche Organometalle in die präparative Praxis eingeführt. III Hl

Sie sind mit wenigen Ausnahmen zu allen im allgemeinen Teil beschriebenen Reaktionen befähigt und werden meistens in ätherischer Lösung angewandt.

2 c: Die schwermetallorganischen Verbindungen

267

Nach Untersuchungen von W. S C H L E N K (1929) weisen die 0 Rra v i RD- Verbindungen zwar die durchschnittliche Zusammensetzung RMgHal auf, sind jedoch keine einheitlichen Substanzen, sondern bestehen aus einem Gemisch der drei Verbindungen R—Mg—R, R—MgHal und MgHal^. Von ihnen können die beiden letzteren mit Dioxan ausgefällt werden, so daß man auf diesem Umweg Lösungen der halogenfreien Magnesium-dialkyle herstellen kann. Für die Umsetzungen der ÖRiGNARDverbindungen ist die Gemischnatur belanglos, da nur die C—Mg-Bindungen in Reaktion treten, deren Zahl bei der Disproportionierung der EMgHal-Molekiile in die Magnesiumdialkyle und -dihalogenide nicht verändert wird.

Aluminiumalkyle gewinnt man am besten durch Umsetzen von Aluminiumchlorid mit ORION ARD-Verbindungen. Ihre praktisch wichtigste Reaktion ist die von K . Z I E G L E R aufgefundene Einlagerung von Äthylenmolekülen zwischen das AI-Atom und die Alkylreste: .Alk A1C1

4 3

3

-

A1

^

A,k





A l f Alk

Alk

Alk

Da sich der Schritt beliebig oft an allen drei Alkylresten wiederholen läßt, findet bei dieser Reaktion letzten Endes eine Äthylenpolymerisation statt, der die Aluminiumtrialkyle ihre Verwendung als Polymerisationskatalysatoren verdanken. Der aus Diäthylaluminiumchhrid (C2H6)2A1C1 durch Reduktion leicht zugängliche Diäthylaluminiumwasserstoff (C2H5)2A1H ist ein mildes Reduktionsmittel.

c) D i e o r g a n i s c h e n Zink-, Cadmium- und Quecksilber Verbindungen Bei der Umsetzung von Alkylhalogeniden mit Zinkstaub entstehen zunächst wieder Verbindungen des Typus R—ZnHal (sog. Alkyl-zinkhalogenide), die in der Hitze in die abdestillierenden flüssigen Zinkdialkyle und die nicht mehr flüchtigen Zinkdihalogenide disproportionieren: Alk—Hai +

Zn

>

Alk—ZnHal

Erhitzen

>

l

/ 2 ZnAlk2 +

7 2 ZnHal 2

Alkyl-zinkhalogenide

Die Zinkdialkyle sind die ältesten bekannten metallorganischen Verbindungen (E. F R A N K L A N D 1849). Sie können auf dem oben formulierten Wege zwar leicht in lösungsmittelfreiem Zustand gewonnen werden, lassen sich aber wegen ihrer Selbstentzündlichkeit nur bei strengem Luftausschluß in geschlossenen Apparaturen verarbeiten. Ihre praktische Anwendung ging daher nach Einführung der ORIONARD Verbindungen stark zurück. Zu den im allgemeinen Teil beschriebenen Reaktionen sind sie in der Mehrzahl der Fälle noch befähigt. Jedoch tritt ihre Aktivität hinter der der ORION ARDverbindungen und insbesondere der Lithium-alkyle merklich zurück. Die organischen Derivate des Cadmiums werden durch Umsetzung von ORION ARD-Verbindungen mit wasserfreiem Cadmiumchlorid gewonnen. Die ebenfalls flüssigen und destillierbaren Cadmium-dialkyle sind nicht mehr selbstentzündlich und reagieren auch sonst langsamer als die Zinkdialkyle. Daneben haben weiterhin die Alkyl-cadmiumhalogenide R—CdHal eine gewisse präparative Bedeutung als milde wirkende Organometalle erlangt. Z. B. werden bei der Umsetzung mit Carbonsäurechloriden nicht mehr die tertiären Alkohole gebildet, sondern die Reaktion bleibt hier auf der Stufe der Ketone stehen (vgl. S. 264/5). In den Qnecksilber-dialkylen, für deren Darstellung zahlreiche Methoden entwickelt worden sind (vgl. S. 262 und I, Kap. 9, III, 1), begegnen wir ebenfalls leicht destillierbaren flüssigen Substanzen, die wie alle Quecksilberverbindungen stark giftig sind. Insbesondere stellen sie wegen ihrer Geruchlosigkeit und großen Flüchtigkeit sehr gefährliche Atemgifte dar. Ihre chemische Aktivität ist bereits so weit zurückgegangen, daß sie mit Wasserdampf destilliert werden können. Erst durch starke Säuren werden sie unter Freisetzung des Kohlenwasserstoffs zerstört. Eine neuartige Reaktion haben wir bereits auf S. 262 in der Übertragung der Alkylreste auf unedlere Metalle (insbesondere auf die Alkalimetalle) kennengelernt.

8. K a p i t e l

Die cyclischen Verbindungen Neben den bisher beschriebenen Stoffen, denen in erster Linie die verschiedenen Funktionen der Heteroatome und des Kohlenstoffs ihr Gepräge verleihen, gibt es auch zahlreiche Substanzen, für die vor allem das Kohlenstoffgerüst charakteristisch ist. Hierher gehören insbesondere die einen oder mehrere Ringe im Molekül enthaltenden cyclischen Verbindungen, von denen wir die Benzolverbindungen schon kennengelernt haben. Man unterteilt die cyclischen Verbindungen allgemein in die carbocyclischen Verbindungen einerseits und die heterocyclischen Verbindungen andererseits in Abhängigkeit davon, ob der Ring nur aus Kohlenstoffatomen besteht, oder neben C-Atomen auch ein oder mehrere Heteroatome enthält. Diese Einteilung lediglich auf Grund der formalen Zusammensetzung läßt jedoch die wirklichen Zusammenhänge nur schwer erkennen; denn die Eigenschaften der cyclischen Verbindungen hängen weitgehend davon ab, ob die Ringsysteme gesättigt sind bzw. nur isolierte Doppelbindungen aufweisen oder ob in ihnen ein geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem enthalten ist. Dieses ruft nämlich einen mehr oder weniger stark ausgeprägten aromatischen Charakter hervor und ist auch die Ursache dafür, daß die Ring-Heteroatome (z. B. der Stickstoff des Pyrrols oder der Schwefel des Thiophens) neuartige Reaktionen zeigen. Wir kommen somit zu folgender Unterteilung in: 1. die alicyclische Verbindungen genannten Stoffe ohne geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem. Mit Ausnahme der starkgespannten Drei- und Vierringe weichen sie in ihren Eigenschaften noch nicht wesentlich von den Substanzen mit Kettenmolekülen ab, die in diesem Zusammenhang auch acydisch genannt werden. 2. die Verbindungen vom Benzoltypus mit mindestens einem, drei geschlossen konjugierte Doppelbindungen enthaltendem Sechsring. Von ihnen wurden das Benzol selbst und seine Derivate wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung bereits allgemein behandelt. Als weitere Verbindungen dieses Typus werden wir kennenlernen einerseits die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe Naphthalin, Anthracen usw. mit mehreren ,,kondensierten" Sechsringen, andererseits das Pyridin und einige verwandte Heterocyclen, die ein benzolähnliches Doppelbindungssystem in einem heterocyclischen Sechsring enthalten. 3. Heterocyclische Fünfringe vom Typus des Furans, Pyrrols und Thiophens, in deren Ringe zwei konjugierte Doppelbindungen und ein Heteroatom mit mindestens einem einsamen Elektronenpaar eingebaut sind. Sie weisen aus den auf S. 343 diskutierten Gründen ebenfalls einen aromatischen Charakter auf.

Kap. 8 , 1 : Die alicyclischen Verbindungen

269

Die Benennung der Ringverbindungen erfolgt in großem Umfang durch Trivialnamen. Daneben sind ähnliche rationelle Namen gebräuchlich wie in der acyclischen Reihe, die auch nach den gleichen Regeln gebildet werden. Hierbei charakterisiert man die cyclische Natur der Verbindungen allgemein durch Vorsetzen des Wortstammes Cyclo- vor den eigentlichen Namen (z. B. Cyclo-hexan gegenüber dem acyclischen Hexan). Ferner verwendet man zur Unterscheidung von seitenketten- und kernständigen Substituenten oder Doppelbindungen, zuweilen auch die Ausdrücke endocyclisch und exocyclisch. So ist z. B. I ein endocyclischer, II ein exocyclischer Alkohol des Cyclobutans, während III eine endocyclische und zwei exocyclische Doppelbindungen enthält, von denen die vom Ring ausgehende häufig auch als semicyclische Doppelbindung bezeichnet wird. Die exocyclische Doppelbindung im Bis-diphenylen-äthylen (IV) nennt man schließlich intercyclisch:

H, HJ

H oh H2

H,

Ho

Ii

I. Die alicyclischen Verbindungen Soweit die alicyclischen Verbindungen Heteroatome im Ring enthalten, haben wir sie bereits früher in den cyclischen Äthern (S. 156), Halbacetalen (S. 161), Aminen (S. 205) und Säureanhydriden (S. 176, 178) sowie in den Lackmen (S. 182) und Lactamen (S. 216) ausführlich abgehandelt. Wir brauchen daher an dieser Stelle nur auf die carbocyclischen Verbindungen der Reihe näher einzugehen. Man unterteilt sie nach der Zahl der einzelnen Ringe, die durch gemeinsame Atome zu einem größeren Ringsystem zusammengeschlossen werden in 1. die monocyclischen Substanzen mit nur einem Ring und 2. die bi-, tri- bzw. allgemein polycyclischen Stoffe mit zwei, drei bzw. vielen in das Molekül eingebauten Ringen. 1. Die monocyclischen Ringsysteme Bildet man aus n C-Atomen einen nur C—0-Einfachbindungen enthaltenden Ring und besetzt die beiden freien Valenzen an jedem C-Atom mit Wasserstoff, so kommt man zu paraffinartigen Kohlenwasserstoffen, die Cyclo-paraffine genannt werden. Da ihre Moleküle aus n GH2-Oruppen aufgebaut sind, weisen sie die gleiche Summenformel CnH2n auf wie die Olef ine (S. 39) und besitzen ebenfalls unabhängig von der Molekülgröße die stets gleiche Verhältnisformel GH2. Hl

Die Cyclo-paraffine und die Monoolefine sind also isomer.

In ihrem physikalischen Verhalten zeigen die alicyclischen Verbindungen interessante Unterschiede gegenüber den acyclischen Substanzen gleicher Kohlenstoffzahl. Wie Tabelle 16 erkennen läßt, sind bei den Ringkohlenwasserstoffen die Siedepunkte um 10—20° und die Schmelzpunkte sogar um 40—80° erhöht, was im Falle der Schmelzpunkte in erster Linie auf die höhere Molekülsymmetrie der cyclischen Verbindungen und die dadurch bedingte erleichterte Einordnung in ein Kristallgitter zurückzuführen sein dürfte:

270

Kap. 8 , 1 : Die alicyclischen Verbindungen Tabelle 16

Vergleich der physikalischen K o n s t a n t e n von Ring- und gleicher Kohlenstoffzahl Cyclische Verbindung

Sdp.

Smp.

D/T. flüssig

Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Cyclohexan Cycloheptan

—34° 12° 50° 81° 118°

—127° — 80° — 93° 6,4° — 12°

0,720/—79° 0,703/0° 0,754/20° 0,779/20° 0,810/20°

Propan n-Butan n-Pentan n-Hexan n-Heptan

24° — 53° — 26°

0,940/21° 0,937/34° 0,942/22° 0,947/20°

n-Pentanol-2 n-Hexanol-2 n-Pentanon-2 n-Hexanon-2

Cyclopentanol Cyclohexanol Cyclopentanon Cyclohexanon

140° 161° 131" 155°

Kettenverbdg. analog. S t r u k t u r

Kettenverbindungen

D/T. flüssig

Sdp.

Smp.

—45° 1° 30° 69° 98°

—190° —135° —131° — 94° — 90°

0,584/45° 0,600/0° 0,634/150° 0,660/20° 0,684/20°

— 84° — 57°

0,807/25° 0,816/20° 0,811/15° 0,830/0°

119° 140° 102° 127°

Ahnlich wie bei den cyclischen Äthern (S. 156) u n d Aminen (S. 205) beobachtet m a n auch bei den Cycloparaffinen u n d ihren Derivaten eine starke Abhängigkeit der chemischen Eigenschaften von der Ringweite, auf die wir im Zusammenhang mit der Spannungstheorie (S. 379) näher eingehen werden. Besonders die stark gespannten Ringsysteme des Cyclopropans u n d Cyclobutans verhalten sich aus diesem Grund vielfach „anomal".

a) D a s C y c l o p r o p a n u n d s e i n e D e r i v a t e Cyclopropan kann man verhältnismäßig leicht auf dem Wege einer innermolekularen WURTZ sehen Synthese durch Halogenentzug aus 1,3-Dibrompropan synthetisieren : /CH2—Br H C " ^

,CH 2 + Zn — ZnBr,

CHj—Br

]

H C

I

Pt < Ion« oder Rotglut

OHg Cyclopropan

Propen

Es zeigt eine große Ringspannung und besitzt deswegen eine gewisse Tendenz zur Umlagerung in das acyclische Propen. Die Isomerisierung kann an Platinkontakten schon unter 100° durchgeführt werden, findet jedoch ohne Katalysator erst bei Rotglut statt. Eine ähnliche Isomerisierung erleidetdasCyclopropanon-hydrat(I), das m a n eigenartigerweise bisher nicht zum eigentlichen Keton, dem Cyclopropanon, entwässern konnte, zur acyclischen Propionsäure (II): ch2N^ i

| GH/

y ( m

j,o

* X

OH

CH 3 —CH 2 -—c. X

OH

II

Als weitere Folge der Ringspannung ist es möglich, den Cyclopropanring (im Gegensatz zu den unter den Bedingungen der katalytischen Hydrierung sehr beständigen normalen C—G-Bindungen) an Nickelkontakten schon bei 80° hydrierend zu spalten. Ferner werden im Sonnenlicht Brom oder Jod unter Ringöffnung angelagert:

271

1 b: Das Cyclobutan und seine Derivate

,ch3

y C H 2 — Hai H2C

, + X

Hal

HX

-

+ H,

\ CH,

CH,—Hai

(Nickel 80»)

V

CH,

Das Cyclopropan zeigt also bis zu einem gewissen Grade ein olefinartiges Verhalten. Die Mehrzahl der bisher dargestellten Cyclo-propanderivate ist nur von theoretischem Interesse im Hinblick auf die Untersuchung der Ringspannung und der durch sie bedingten Ausweichrealctionen. Daneben sind aber auch einige kompliziertere Verbindungen der Cyclopropanreihe in der Natur aufgefunden worden (vgl. S. 457).

b) D a s C y c l o b u t a n u n d s e i n e D e r i v a t e Eine erste Bildungsweise für den Cyclobutanring haben wir auf S. 46 und 141 in der Dimerisierung von Olef inen kennengelernt. Sie eignet sich allerdings nur für die Gewinnung komplizierterer Cyclobutanderivate. Ein Einfallstor für die Darstellung einfacher Cyclobutanverbindungen stellt der 1,1-Cyclobutan-dicarbonsäureester (III) dar, der bei der Umsetzung von 1,3-Dibrom-propan (I) mit Dinairium-malonester1) (II) entsteht und durch partielle Decarboxylierung der freien Dicarbonsäure (als substituierte Malonsäure, S. 174) in die Cyclobutan-carbonsäure (IY) übergeführt werden kann: /CH,

-Br

H,C

,CH 2 ,

,-COOAlk +

H.iC

Na, COOAlk

N

CH. —Br

^COOAlk

c s

CH,

COOAlk

in

Ii

CH, 1. Esterhydrolyse 2. Decarboxylierung

H,

CH—COOH

Von der Cyclobutan-carbonsäure aus sind dann das Cydo-butan selbst (vgl. I, Kap. 11, I, 2b) und einige andere Cyclobutanderivate verhältnismäßig leicht zugänglich. Der Cyclobutanring ist nicht mehr ganz so stark gespannt wie der Cyclopropan ring. Cyclo-butan erleidet daher keine Isomerisierung mehr zu einem Olefin, lagert keine freien Halogene mehr unter Ringöffnung an und wird an Nickelkontakten erst bei 180° hydrierend gespalten: CH 2 —CH 3 I

I

CH 2 —CH 2

CH2—-CH3 (Ni, 180°)

I

CH 2 —CH 3

Immerhin ist der Kohlenstoff vierring noch wesentlich labiler als die praktisch hydrierungsbeständigen acyclischen Paraffine. Insbesondere zeigt er als weitere Folge der Ringspannung eine gewisse Tendenz zur Wiederaufspaltung in zwei Olefinmoleküle in Umkehrung der oben erwähnten Olefindimerisierung : *) Exakter einem Gemisch von Malonester mit zwei Mol

Natriumalkoholat.

272

K a p . 8 , 1 : Die alicyclischen Verbindungen /

V-CH—CH—COOH | |

^

\—GH—CH—COOH

—Erhitzen—^

2

/

\

C

Isotruxillsäure

H=CH-COOH

Zimtsäure

Schließlich macht sich die Spannung des Vierrings auch darin bemerkbar, daß es bisher nicht gelungen ist, das nebenstehend formulierte Cyclobuta-dien oder einfache Derivate von ihm zu synthetisieren. Dagegen ist es möglich, dieses hauptsächlich aus theoretischen HC—CH Gründen interessierende Ringsystem durch Einbau in einen iSchwermetallkomplex

ttII

Htt

(S. 315) zu stabilisieren.

HC—CH

Cyclobutanderivate treten ebenfalls des öfteren in der belebten Natur auf. Z. B . trifft man die auf S. 141 beschriebenen Truxillsäuren, die auch biochemisch durch Dimerisierung von Zimtsäure entstanden sein dürften, als Säurekomponente einiger Alkaloide in verschiedenen Pflanzen an (S. 504). Ferner begegnen wir in den Terpenen der Pinanreihe (S. 457) praktisch wichtigen natürlichen Cy clobutanabkömmlingen. Cyciobutadien

c) D a s C y c l o p e n t a n und seine D e r i v a t e

I

lm Cyclopentan liegt das erste Ringsystem vor, das keine nennenswerte Ringspannung aufweist. Die Darstellung und Reaktionen seiner Derivate zeigen infolgedessen mit wenigen Ausnahmen keine Besonderheiten mehr.

Z. B . kann man das Cyclo-pentanon (als einfachstes Keton der Reihe) mit Hilfe des bekannten Verfahrens der Kalksalzdestillation (S. 108), die hier lediglich innermolekular zwischen zwei Carboxylgruppen des gleichen Moleküls im Sinne einer Ringschlußreaktion erfolgt, aus Adipinsäure gewinnen und über die in folgendem Formelbild zusammengestellten, ebenfalls meistens bekannten Reaktionen in Cyclopentan selbst und zahlreiche seiner Derivate überführen: C H 2 — C H 2 — COOH ¿ H 2 — C H 2 — COOH

Kalksalz-

c h

2

— c h

2

c = o

destiil&tlon

+ H,

!I

CH2—CH/

C H «2 — C H

Cyclopentanol

CyclopeDtanon

Adipinsäure

— H,0

PHal,

O
— « o

+

V

Einzelverbindungen. Cyclohexan wird durch Hydrierung von Benzol im großen gewonnen. Ferner lohnt sich die direkte Gewinnung aus amerikanischen Erdölen, deren zwischen 36 und 138° übergehende Fraktionen im Durchschnitt 7—15% Cyclohexan sowie nahezu die gleiche Menge des leicht in Cyclohexan umwandelbaren Methylcyclopentans enthalten. Cyclohexan dient als eine der wenigen einheitlichen Paraffinsubstanzen vielfach als Lösungsmittel und zur Untersuchung von Paraffinreaktionen. Für den letzteren Zweck eignet es sich auch aus dem Grunde gut, weil es jeweils nur ein Monosubstitutionsprodukt liefert (s. oben) und somit die Bildung von Isomerengemischen vermieden wird. Bez. der Konformationsprobleme vgl. S. 381. Von dem bei der Addition von drei Molekülen Chlor an Benzol (S.59) entstehenden Hexachlor-cyclohexan existieren bereits achtgeometrischisomereFormen. Von ihnen erwies sich das sog. y-Hexachlor-cyclohexan, das unter den Decknamen Oammexan, 666, HCH usw. in den Handel kommt, als außerordentlich stark toxisch für Insekten jeder Art, so daß es neben dem DDT (S. 74) Verwendung als Kontaktinsekticid findet. 8-Hexachlor-cyclohexan (Dexan) zeigt demgegenüber eine mehr baktericide Wirkung. Cyclohexanol ist als Endstufe der Hydrierung von Phenol ein technisches Großprodukt und der am leichtesten zugängliche cyclische Alkohol. In der Praxis wird es vor allem zum Monoketon der Cyclohexanreihe, dem Cyclohexanon, zurück dehydriert, dessen Oxim wir bereits als Ausgangsverbindung für die Gewinnung des Caprolactams (S. 216) und der Adipinsäure (S. 176) kennengelernt haben:

/ ^ ^ N T T

/

+ H a O(NaOH)

V

> - s

- NH,

Man macht von dieser Reaktion sowohl für die Gewinnung von a-Naphthol aus a-Naphthylamin als auch in der umgekehrten Richtung von ß-Naphthyl-amin aus ß-Naphthol praktischen Gebrauch. Die Umwandlung der Naphthole in Naphthylamine kann durch Verwendung von Ammonium-hydrogen-sulfit als Aminierungsmittel (bez. des Mechanismus vgl. I. Kap .11, II, l b ) wesentlich erleichtert werden (BUCHERER-Reaktion).

Sowohl die Naphthole als auch die Naphthylamine gehen bei der Sulfonierung in eine große Zahl von Naphthol- bzw. Naphthylamin-mono- und -disulfonsäuren über, die als Kupplungskomponenten für Azofarbstoffe eine verbreitete Anwendung finden (vgl. S. 409). Auch die Naphthole und Naphthylamine selbst sind zur Kupplung mit Diazoniumsalzen befähigt. Vom Naphthalin kennt man bereits drei verschiedene Chinone: O

1,2- oder o-Naphthochinon

O

|| o

1,4- oder p-Naphthochinon

ü

HO

2,6- oder amphi-Naphthochtnon

amphi-Naphthohydrochinon

o- und p-Naphtho-chinon sind den entsprechenden Benzochinonen (S. 168) analog konstituiert und unterscheiden sich von ihnen nur durch den Einbau einer der G=G-Doppelbindungen in den anellierten Benzolring. Hierdurch wird ihre Reaktionsfähigkeit merklich herabgesetzt. Im amphi-Naphtho-chinon ist dagegen kein Benzolring mehr vorhanden. Es ist deshalb ähnlich reaktionsfähig wie die einfachen Benzochinone. Bemerkenswert ist auch, daß bei der oben formulierten Hydrierung zum amphi-Naphtho-hydrochinon die Anlagerung von nur zwei H-Atomen mit der Aromatisierung von zwei Sechsringen verbunden ist. Die Naphthalin-monocarbonsäuren heißen in Analogie zur Benzoesäure OL- und ß-Naphthoesäure. Von den Dicarbonsäuren ist vor allem die vom Acenaphthylen aus leicht zugängliche (S. 290) Naphthalsäure ( = Naphthalin-l,8-dicarbonsäure) von Interesse, weil hier die Carboxylgruppen wie bei der Phthalsäure (S. 178) genügend eng beieinander stehen, um die Bildung eines cyclischen Anhydrids zu ermöglichen: — H.0 (Erhitzen) Naphthalsäure

Naphthalsäure-anhydrid

286

Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus

c) D a s A n t h r a c e n u n d s e i n e D e r i v a t e Gliedert man an das Naphthalin in 2,3-Stellung einen weiteren Sechsring an — man spricht in diesem Fall nach E . C l a b von einer linearen Anellierung —, so gelangt man zum 2,3-Benzo-naphthalin (bzw. 1,2,4,5-Dibenzo-benzol) oder Anthracen, dessen sieben Doppelbindungen u. a. zwischen den folgenden vier Anordnungen inesomer sind:

Die Isomeriemöglichkeiten sind naturgemäß noch etwas komplizierter als in der Naphthalinreihe. Z. B. kennt man bereits drei verschiedenartige svbstituierbare C-Atome und muß infolgedessen zwischen jeweils drei Monosubstitutionsprodukten unterscheiden. Die C-Atome der äußeren Ringe entsprechen denen des Naphthalinkerns und werden durch die gleichen griechischen Buchstaben a und ß charakterisiert, während man mit dem Buchstaben y die neuartigen C-Atome des mittleren Rings erfaßt, dessen Substituenten auch als ß mesoständig bezeichnet werden. Ferner numeriert man für die Benennung komplizierterer Derivate die C-Atome wieder durch. Dies geschieht jedoch nicht in der natürlichen Reihenfolge der Atome, sondern Kennzeichnung der aubstituierbaren C-Atome man zählt zunächst alle in den äußeren Ringen enthaltenen a- und Zudes Anthracenkerns ständigen Atome und gibt den beiden y-Stellungen die Nummern 9 und 10.

In seinem chemischen Verhalten weicht das Anthracen noch stärker vom Benzol ab als das Naphthalin. Besonders aktiviert sind die C-Atome 9 und 10 des mittleren Ringes, leicht eine 1,4-Addition erfolgt.

an die

Wie die folgenden, beim Benzol und Naphthalin noch nicht durchführbaren Anlagerungsreaktionen zeigen, reagieren hierbei die durch Fettdruck hervorgehobenen Ringdoppelbindungen wie ein konjugiertes aliphatisches Doppelbindungssystem, was offensichtlich dadurch erleichtert wird, daß die beiden äußeren Sechsringe im Verlaufe dieser 1,4-Addition benzolaromatisch und damit besonders energiearm werden: „Na

Einzelvcrbindungcn: Anthracen ist zwar nur noch zu durchschnittlich 1 % im Steinkohlenteer enthalten, kann aber wegen seiner hervorragenden Kristallisationsfähigkeit — der Schmelzpunkt ist mit 217° für einen Kohlenwasserstoff außerordentlich hoch — relativ leicht aus der Anthracerwlfraktion (S. 387) abgetrennt werden. Es dient in der Technik als wichtiges Ausgangsmaterial für die Darstellung verschiedener Anthracenderivate (insbesondere für Anthrachinon, s. unten). Von den Phenolen der Anthracenreihe sind das 9-Hydroxy-anthracen ( = Anthranol) und das meistens kurz Anthra-hydrochinon genannte 9,10-Dihydroxy-anthracen am interessantesten,

1 c und d: Anthracen und Phenanthren

287

weil die oben beschriebene Tendenz zur Entaromatisierung des mittleren Ringes unter Übergang der äußeren Ringe in den benzolaromatischen Zustand hier in einer Tautomerie zwischen einer Hydroxy- und einer Ketoform zum Ausdruck kommt:

H, 9-IIydroxy-anthracen (Antliranol)

9-Keto-dihydroanthracen (Anthron)

)H

Anthra-hydrochinon

Im ersteren Fall ist das Tautomeriegleichgewicht zugunsten der Oxoform verschoben, im letzteren zugunsten der Hydrochinonform. Doch ist es möglich, alle vier „Formen" in kristallisiertem Zustand rein darzustellen. Erst in Lösung findet die Gleichgewichtseinstellung statt (Näheres vgl. I, Kap. 11, II, lc).

Das wichtigste Anthracenderivat ist das meistens Anthrachinon schlechthin genannte 9,10-Chinon des Anthracens. Es entsteht bei der Einwirkung verschiedener Oxydationsmittel auf Anthracen — z. B. von Salpetersäure, ohne daß die an sich zu erwartende Nitrierung einsetzt — und wird heute allgemein mit Luftsauerstoff bei 280° über Silbervanadatkontakten hergestellt:

AAA

+

^n

II I

II

II

i

+

h2Q

ii o

Anthrachinon

Anthrachinon leitet sich vom Benzochinon durch Einbau beider C=C-Doppelbindungen in Benzolkerne ab und zeigt deshalb keine wesentlichen Ghinoneigenschaften mehr. Z. B. läßt es sich nur noch schwer zum Anthra-hydrochinon (s. oben) reduzieren, bildet kein Chinhydron und ist nahezu farblos. Kurz, es verhält sich chemisch wie ein aromatisches Diketon und ist am ehesten mit dem Benzophenon vergleichbar. Antrachinon selbst ist ebenfalls nur ein technisches Zwischenprodukt. Seine Weiterverarbeitung zu den auf S. 404, 406f. beschriebenen Farbstoffen geschieht meistens über die Sulfonsäuren, die man durch direkte Sulfonierung des Anthrachinons gewinnt. Normalerweise tritt (bzw. treten) die Sulfogruppe(n) in die ß-Stellung, doch kann man in Gegenwart von Quecksilber als Katalysator auch eine ausschließliche u-Sulfonierung des Anthrachinons bewirken: 0 11

o SO H

i ' Y Y Y

¡ ^ Y Y ^ .

II

O

"

H,so. (Hg)

II

Anthrachinon-0-sulfonsäure (Natriumsalz = „Silbersalz")

0

0

Anthrachinon-a-sulfonsäure

d) Das P h e n a n t h r e n und seine D e r i v a t e Die Angliederung des dritten Sechsrings an das Naphthalinmolekül kann nicht nur geradlinig zum Anthracen, sondern auch gewinkelt zum isomeren 1,2-Benzo-

288

K a p . 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus

naphthalin (bzw. 1,2,3,4-Dibenzo-bensol) oder Phenanthren erfolgen. Hier liegt nach E. GLAU eine angulare Anellierung vor: lineare Annellierung

k Ä / '

AA I I W\

angulare Anellierung

I V

Phenanthren

Auch beim Phenanthrensystem zeigen die beiden äußeren Ringe eine gewisse Tendenz, einen benzolaromatischen Charakter anzunehmen. Die nicht in diese Ringe eingebaute C=C-Doppelbindung des mittleren Ringes (Fettdruck) zeigt deshalb bei manchen Umsetzungen das Verhalten einer olefinischen Doppelbindung: H O O C COOH

Br Br

Besonders die Bildung von Diphensäure, die man auch aus Phenanthrenchinon durch oxydative Öffnung des mittleren Ringes erhalten kann, ist f ü r die Struktur des Phenanthrenkerns beweisend. I m übrigen zeigt Phenanthrenchinon wie Anthrachinon keine Chinoneigenschaften mehr und verhält sich wie ein aromatisches Diketon vom Typus des Benzils (S. 164).

Phenanthren ist zu etwa 3,5% im Steinkohlenteer enthalten und kann neben Anthracen aus der Anthracenölfraktion isoliert werden. Jedoch bereitet seine Reingewinnung wegen der geringeren Kristallisationsneigung (Smp. 100°) trotz des höheren Anteils größere Schwierigkeiten als die des Anthracens. Eine praktische Anwendung hat es bisher nicht gefunden. Dagegen trifft man einige kompliziertere Derivate mit einem mehr oder weniger weitgehend hydrierten Phenanthrensystem in verschiedenen Naturstoffen an (vgl. S. 461 f. und 507/8). e) H ö h e r k o n d e n s i e r t e r e i n a r o m a t i s c h e R i n g s y s t e m e Die lineare Anellierung von Benzolkernen liefert die Acene und ist über das Anthracen hinaus bis zum Heptacen mit sieben aneinander kondensierten Sechsringen durchgeführt worden:

Tetracen (Naphthacen) (rot)

Pentacen (blauviloett)

vwww Heptacen (schwarzgrün)

v

A

A

^

y

v

w

1 e und f : Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe

289

Die Verbindungen werden in der angegebenen Reihenfolge ,,tiefer farbig" (vgl. S. 394) und zeigen eine derartig starke Tendenz zu Anlagerungsreaktionen in meso-Stellung (in Analogie zum Anthracen, S. 286), daß Substitutionsreaktionen nicM mehr durchgeführt werden können. Vom Pentacen ab sind sie bereits luftempfindlich und bilden Endo-peroxide vom Typus I (hier auch Photooxide genannt). Sie können deswegen nur noch unter strengem Sauerstoffausschluß gehandhabt werden. Die entsprechende angulare Verknüpfung einer größeren Zahl von Sechsringen f ü h r t zu farblosen und wesentlich beständigeren Verbindungen. Beispielsweise konnten die folgenden drei Kohlenwasserstoffe aus dem Steinkohlen- oder Braunkohlenteer bzw. -pech isoliert werden:

Chrysen Smp. 251° Sdp. 448°

Eine noch engere Kondensation zu Flächenmolekülen im Steinkohlenteer auftretenden Verbindungen:

Pyren Smp. 150« Sdp. 360»

Pentaphen Smp. 257»

Picen Smp. 364» Sdp. 519»

ßym-Tetrabenzo-benzol oder Perylen Smp. 273« Sdp. 350—400°

beobachtet man bei den z. T. ebenfalls

Terrylen Smp. 510—511°

Ihnen schließen sich im Coronen, Ovalen und Circum-anthracen drei synthetisch erhaltene Kohlenwasserstoffe an, die einen von weiteren Bingen vollständig eingeschlossenen Benzol- bzw. Naphthalin- bzw. Anthracenkern enthalten:

Hexabenzo-benzol oder Coronen Smp. 435® Sdp. 550®

Ovalen Smp. 473°

Circum-anthracen Sinter-P. 480°

In diesen polycyclischen Verbindungen zeigen sämtliche inneren C-Atome und Ringsysteme den gleichen Bindungszustand wie im Graphit. Sie können also als Übergangsverbindungen vom Benzol zum Graphit aufgefaßt werden. f) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k o n d e n s i e r t e m B e n z o l t e n - bzw. C y c l o p e n t a d i e n r i n g

und

Cyclopen-

Baut man die C=C-Doppelbindungen des Cyclopentadiens ganz oder teilweise in Benzolkerne ein, so gelangt man ebenfalls zu interessanten Ringverbindungen. Das Monobenzo-cyclopentadien oder Inden kommt im Steinkohlenteer vor. Es besitzt noch eine alicyclische Doppelbindung und ist deshalb ähnlich reaktionsfähig wie das Gyclopentadien selbst. So neigt es z. B. trotz der nicht-endständigen Lage der Doppelbindung zur Polymerisation. Ferner wird die Aktivität der CH2-Gruppe durch den Einbau der einen Doppelbindung in einen Benzolkern nicht wesentlich lfl

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus

290

beeinflußt, und man kann daher wie vom Cyclopentadien (S. 273) Fulvene (I) und Alkalimetallderivate

(II) darstellen: (CH,),CO

+ Na

— H.O

- V. H.

H2

HNa

Inden

Ii

Das im Fünfring gesättigte Dihydro-inden hat den Namen Indan erhalten. Bs zeigt keine besonderen Reaktionen der dem Benzolring benachbarten Methylengruppen mehr und ist die Muttersubstanz des interessanten Ninhydrins (= Triketo-indan-hydrat), das eine wichtige Farbreaktion mit natürlichen Aminosäuren gibt (S. 476): + H,

ir o

Indan

Inden

Ninhydrin

Anelliert man an beide Doppelbindungen des Cyclopentadienringes je einen Benzol-

kern, so kommt man zum Fluoren, das ebenfalls einen wichtigen Bestandteil des Steinkohlenteers darstellt (etwa 1,5%, vgl. S. 387). In ihm sind sämtliche Doppelbindungen aromatisiert, so daß als besonders reaktionsfähige Gruppe des Cyclopentadienringes nur mehr die Methylengruppe übrigbleibt, deren H-Atome ebenfalls relativ leicht durch Metall ersetzt werden (S. 263) und Kondensationsreaktionen zu Fulvenen eingehen können: •H Mt

/

Fluorenyl-Ömagnesiumhalogenld

+ E—Mt — RH

Fluoren

Fluorenon

Bia-diphenylen-äthylen

Eine letzte Kondensationsmöglichkeit des Cyclopentadiensystems mit zwei Sechsringen liegt im Acenaphthylen vor, das neben seinem Hydrierungsprodukt, dem Acenaphthen im Steinkohlenteer vorkommt (letzteres zu etwa 1%) und trotz der Kombination von Fünf- und Sechsring ein geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem im Molekül enthält. Von seinen Reaktionen sind die Oxydation zum Acenaphthenchinon1) (das ebenfalls nur die Eigenschaften eines aromatischen Diketons aufweist) sowie dessen oxydative Ringöffnung zur Naphthalsäure (S. 285) als Strukturbeweis von Interesse. Letztere stellt gleichzeitig die wichtigste Darstellungsweise für die Naphthalsäure dar: HOOC Oxydation

Acenaphthen x

Acenaphthylen

Oxydation

Acenaphthenchinon

) Exakter wäre Acenaphthylen-chinon oder Diketo-acenaphthen.

COOH

Vi Naphthalsäure

2 a : Die HANTZscHsche Collidinsynthese

291

2. Das Pyridin und seine Derivate a) E i n f a c h e

Pyridinverbindungen

Ersetzt man im Benzol eine der CH-Oruppen durch ein N-Atom, so kommt man zum Pyridin, das das gleiche cyclisch konjugierte, Doppelbindungssystem enthält wie das Benzol und infolgedessen ebenfalls ein ausgesprochen aromatisches Verhalten zeigt: ILH

H_H

H/

V

H/

w

H

Benzol

=/ H

N

Pyridin

Verbindungen, die sich in dieser Weise von einer zweiten durch Ersatz einer CH-Oruppe durch ein N-Atom ableiten, nennt man deren Azaderivate. Pyridin ist also ein Aza-benzol. Ähnlich spricht man beim Ersatz einer GHi-Gruppe durch ein O-Atom häufig von Oxa- und duroh ein S-Atom von Thiaderivaten einer Verbindung. Z. B. kann man Tetrahydro-furan als Oxa-cyclopentan auffassen. Alle derartigen Bezeichnungen haben aber nur dann einen praktischen Wert, wenn das Aza-, Oxa- oder Thia-derivat auch eine gewisse Verwandtschaft mit der Grundverbindung aufweist, von der es abgeleitet wird. So wäre es etwa sinnlos, die aliphatischen Amine (S. 195 f.) als Am-parafjine zu bezeichnen, da es sich bei den Aminen um eine von den Paraffinen weitgehend abweichende Substanzklasse handelt.

Trotz der Einfachheit des Pyridinmoleküls ist bisher keine praktisch brauchbare Methode zu seiner Synthese entwickelt worden, sondern man begnügt sich mit seiner Gewinnung aus dem Steinkohlenteer. Dagegen werden Pyridinderivate des öfteren synthetisiert. Als Beispiel sei die ÜANTZSCHsche Collidinsynthese angeführt, die wegen der Möglichkeit der Variation der Reaktionspartner zur Darstellung vieler Pyridinabkömmlinge geeignet ist. Im einzelnen beruht die Reaktion auf einer Verknüpfung der aktiven Methylengruppen zweier Acetessigestermoleküle durch die Carbonylgruppe eines Acetaldehydmoleküls unter gleichzeitigem Einbau des als Kondensationsmittel dienenden Ammoniaks in den entstehenden Ring. Dieser setzt sich also aus v i e r e i n z e l n e n T e i l s t ü c k e n zusammen: COOAlk CH

. h

3

/

H

H

c — c h = o : H

H

+

:YO

COOAlk CH, Hn )NH

HoC—CH

O H

NH

\ c = — < /

^C

COOAlk ¿ H 3 Dihydrocollidin-dicarbonsäureester

COOAlk ¿ H , COOAlk CH, H, (N.O.)

r

N

c h 1. Esterverseifung 2. — 2 CO,

DOOAlk CH 3 Collidin-dicarbonsäureester 19«

3

I

//—^ N

H,C! — ^

Íh3 Collidin

Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus

292

Infolge der Störung der Ringsymmetrie durch das N-Atom sind nicht mehr alle CAtome des Pyridins gleichwertig. Man unterscheidet drei verschiedene Stellungen der Substituenten zum N-Atom (und damit jeweils drei verschiedene M onosubstitutionsprodukte), die in der üblichen Weise durch griechische Buchstaben oder durch Abzählen der Ringatome charakterisiert werden. Bei der Numerierung zählt man hier und bei allen folgenden Heterocyclen immer in der Weise, daß die Heteroatome mögP ß\ lichst niedrige Nummern erhalten. i Kennzeichnung der Ringatome dea Pyridins

D i e physikalischen E i g e n s c h a f t e n e i n i g e r P y r i d i n a b k ö m m l i n g e s i n d i n T a b e l l e 17 z u s a m m e n g e s t e l l t . D e r g e g e n ü b e r d e n e n t s p r e c h e n d e n B e n z o l v e r b i n d u n g e n u m 2 0 — 4 0 ° gesteigerte Siedepunkt dürfte haupts ä c h l i c h auf d a a z i e m l i c h h o h e elektrische Dipolmoment der Pyridin Verbindungen z u r ü c k z u f ü h r e n sein.

Tabelle 17 Trivialnamen und physikalische K o n s t a n t e n einiger P y r i d i n d e r i v a t e Trivialnamen

rat. Benennung

Sdp.

Smp.

Pyridin a-Picolin /¡-Picolin y-Picolin a,-/-Lutidin sym-C(K)ollidin

2-Methyl-pyridin 3-Methyl-pyridin 4-Methyl-pyridin 2,4-Dimethyl-pyridin 2,4,6-Trimethyl-pyridin

116° 128° 143° 143° 159° 171°

—42° —70°



0,977/20° 0,950/15° 0,961/15° 0,957/15° 0,938/14° 0,917/20°

Chinolin Chinaldin Lepidin Isochinolin

2,3-Benzo-pyridin 2-Methyl-chinolin 4-Methyl-chinolin 3,4-Benzo-pyridin

238° 247° 259° 241°

— 15° — 1° 10° 25°

1,093/20° 1,059/20° 1,086/20° 1,098/20°

Acridin

2,3,5,6-Dibenzo-pyridin

346°

110°



— —



D/T. fl.

Pyridin zeigt ein sehr gutes Lösungsvermögen, da es nicht nur lipophil ist wie Benzol, sondern auch ausgesprochen hydrophil (vgl. S. 359). Z. B. kann es mit Wasser in jedem Verhältnis gemischt werden und vermag auch einige Salze aufzunehmen. I

Pyridin e i g n e t sich d e s h a l b v o r a l l e m a l s M e d i u m f ü r R e a k t i o n e n , d i e m i t d e m A u f t r e t e n v o n Säuren v e r b u n d e n s i n d (z. B . f ü r Acylierungen, S. 128), d a d i e s e u n t e r B i l d u n g v o n Salzen a b g e f a n g e n w e r d e n .

D i e c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n des Pyridins l a s s e n sich u n t e r t e i l e n i n 1. d i e U m s e t z u n g e n d e s Stickstoffs, 2. d i e aromatischen Reaktionen d e s P y r i d i n k e r n s u n d 3. d i e Ringöffnungsmöglichkeiten. Z u 1. D e r Pyridinstickstoff r e a g i e r t d e u t l i c h basisch. J e d o c h ist d i e B a s i z i t ä t relativ gering g e g e n ü b e r a l i p h a t i s c h e n A m i n e n u n d e n t s p r i c h t m i t e i n e m p ! v - b -Wert v o n 8,77 f ü r Pyridin ( b z w . 9,20 f ü r Chinolin) e t w a d e r d e r Anilinbasen (S. 206). F e r n e r k a n n d a s Pyridin wie a n d e r e tertiäre Amine a m S t i c k s t o f f zu Pyridiniumo x y d i e r t w e r d e n . N e u a r t i g ist a u ß e r d e m d i e salzen a l k y l i e r t u n d z u m Pyridin-oxid A d d i t i o n v o n Säurederivaten, z. B . v o n Schwefeltrioxid zu d e m S u l f o n i e r u n g s m i t t e l Anhydro-pyridin-schwcfelsäure (S. 246) o d e r v o n d e m sich wie e i n S ä u r e c h l o r i d v e r h a l t e n d e n 2,4-Dinitro-chlorbenzol z u m N-[2,4-Dinitrophenyl]-pyridinum-chlorid:

293

2 a : Die Reaktionen des Pyridinkerns

/

JJ—^

/ C1-

^—NOa

N-i-0

R-COOH

N-Alkyl-pyridlnium-halogenld

^

+ R—CO—OOH

+ Alk-Hal

Hal"

N—Alk

t

Pyridin-oxid

N I

+ (NQ,),-C,H.-01 |

+ so,

r

n—so.

Anhydio-pyridinflchwefelaäure

N-[2,4-Dlnltrophenyl]-pyrl

N

II

II

™ N

HC

;•

C , H

e#N 5

— ++

303

"NI® |j



C

6

0N=N®

H

H

/N=N 5

— |

X=N

H

Stickstoffwasserstoffsäure

Tetrazol

Azid-Ion

Phenyl-pentazol

a) Das Pyrazol und seine Derivate Im Pyrazol zeigen die beiden N-Atome einen verschiedenartigen Bindungszustand : Das N-Atorn 1 ist als typischer Pyrrolstickstoff nicht basisch und zur Bildung von Metallderivaten befähigt, während das N-Atom 2 dem Pyridinstickstoff entspricht und dem Pyrazol eine schwache Basizität (p Kb = 11,51) verleiht. Beide N-Atome vermögen durch Wanderung des Wasserstoffs unter gleichzeitiger Verschiebung der Doppelbindungen ihre Funktionen auszutauschen. Infolgedessen bildet sich zwischen den 3- und den 5-Substitutionsprodukten des Pyrazols eine Tautomerie aus, und man kann nicht zwischen ihnen unterscheiden : CH, 5

¡3

2X

iNH

VTN/T

S / H

3-Methyl-pyrazol

5-Methyl-pyrazol

Der Pyrazolring enthält kein konjugiertes C—C-Doppelbindungssystem mehr und ist daher wesentlich beständiger als der Pyrrolring. Insbesondere fallen alle olefinischen Doppelbindungsreaktionen einschließlich der Säurelabilität fort. Hinsichtlich des phenolaromatischen Charakters ähnelt das Pyrazol dem Pyrrol.

Die wichtigste Darstellungsreaktion für Pyrazolabkömmlinge ist die schon auf S. 190 formulierte Kondensation von Acetessigester mit Phenylhydrazin zum l-Phenyl-3-methyl-pyrazolon-5. Dieses dient als Zwischenprodukt für die Gewinnung zahlreicher pharmazeutisch wichtiger Pyrazolderivate. Es hat seinen Namen als cyclisches „Keton"1) (I) eines Dihydro-pyrazols ( = Pyrazolins, vgl. S. 301) erhalten, ist aber mit einer einen echten Pyrazolring enthaltenden Enolform (II) sowie einer zweiten Ketoform (III) tautomer: rCH3

N

O^N7 I

C6H5

^ ^

ii

¡~j cjh3

!|

N

HO^N7 I

I

C,H 6

O" II

N

N

/

CH, NH

C«H.

in

Die technische Weiterverarbeitung geschieht meistens durch Methylierung am N-Atom 2, die man am besten von der tautomeren Form I I I aus formuliert, zum l-Phenyl-2,3-dimethyl-5-pyrazolon (L. K N O R R 1884), das wegen seiner fiebersenkenden Wirkung Antipyrin genannt wird. Später wurde es durch das stärker fiebersenkend l

) Streng genommen handelt es sich um eine Säureamidgruppe

und nicht um eine Ketogruppe.

304

Kap. 8, III: Die aromatischen Fünfringe

und gleichzeitig antineuralgisch wirkende Pyramidon ersetzt, das ein 4-Dimethylamino-antipyrin darstellt und aus Antipyrin durch Einführung der Dimethylaminogruppe auf dem folgenden Wege synthetisiert wird: —|

^

3

\f»thvll»rnr,,r Methylierung

II

I1 CH. ^"3 N

NH

nHNO, m

ON

I

O ^ N ^ C H , I CeH6

I, III

Antipyrin

+ 2H, H2N i =j CH 3 -H,0 " | N O^N^CHa

MethyUerung

i

-i

CHt

tt

O ^ N ^ C H , I C6H5 4-Nitroso-antipyrin

-

(CH3)2N—j=|—CH3 I N O^N^CHs

¿«H 6

C6H5

4-Amino-antipyrin

Pyramidon

ß) Imidazol und die höheren Azole Imidazol kann durch Kondensation von Olyoxal mit Ammoniak und Formaldehyd gewonnen werden. Es führte deswegen früher auch den Namen Glyoxalin: HC—O

+

HC Ö

H?N H

— 3 H,0

HC=

HCH

0 = CH,

H, N H

-N

HC

/

CH

HCII HC

-NH i H

H tautomere Formen des Imidazois

Der zwischen den N-Atomen eingeschlossene Ringkohlenstoff weist einen ähnlichen Bindungszustand auf wie der Amidinkohlenstoff (S. 136). Hierauf ist vermutlich die gegenüber dem Pyrazol wesentlich erhöhte Basizität de Imidazois (PK b = 6,83) zurückzuführen. Imidazol selbst ist ohne Bedeutung geblieben, doch kommen -N zahlreiche seiner Derivate (z. B. Histidin [S. 474], Kreatinin [S. 215] II / C A usw.) natürlich vor. Auch in das Purinsystem, (S. 490) ist ein ImidazolH V V ' ' kern eingebaut. Ein pharmazeutisch wichtiges Imidazolderivat stellt das nebenstehend formulierte Antihistaminpräparat Antistin dar. Antistin 1,2,8-Triazol und 1,2,4-Triazol (bez. der Formulierung vgl. S. 302) sind trotz der Häufung der N-Atome recht beständige Verbindungen, die bisher jedoch keine praktische Anwendung gefunden haben. Erwähnenswert ist lediglich das zwitterionenartige Kondensationsprodukt aus Triphenylamino-guanidin und Ameisensäure: N-

+

\ •NiH

Ii OCH—OH

Triphenyl-amlnoguanidin

— 2 H,0

Nitron

Es reagiert wegen der Anwesenheit des negativ geladenen N-Atoms relativ stark basisch und gehört zu den wenigen Basen, die mit Salpetersäure ein schwerlösliches Salz bilden.

305

2 a : Das Furan und seine Derivate

Die Verbindung findet aus diesem Grunde in der analytischen Chemie unter dem Decknamen Nitron Anwendung als Reagenz auf Salpetersäure sowie in neuerer Zeit auch auf Tetrafluoroborat-Ionen.

Das Tetrazol ist trotz der Aneinanderreihung von vier N-Atomen ebenfalls eine recht beständige Verbindung, die man sowohl aus Form-hydrazidin (I) und salpetriger Säure mit Hilfe einer Kondensationsreaktion als auch aus Stickstoffwasserstoffsäure und Blausäure mit Hilfe einer Additionsreaktion synthetisieren kann: N-

N — N

- N II« O

HC \ ' H H

:± n

— 2 H,0

HC

N

N

l+lll

N

HC N® eiN7 H

HO/

H Tetrazol

Die Häufung der N-Atome bewirkt einerseits eine Herabsetzung der Basizität der Aza-N-Atome (z. B. wird nur noch mit Perchlorsäure ein wasserunbeständiges Salz gebildet), andererseits eine Erhöhung der Acidität der NH-Gfruppe auf annähernd die Stufe der Essigsäure. Im übrigen ist der Tetrazolkern aromatisch, und man kann beispielsweise die C-Aminoverbindung wie Anilin zum Diazoniumsalz diazotieren. Von den Derivaten des Tetrazols sind wir dem 1,1-Azo-tetrazol bereits früher begegnet (S. 232). Es gehört mit einem Verhältnis von zehn N- zu zwei C-Atomen zu den stickstoffreichsten organischen Verbindungen, die wir kennen. Ein pharmazeutisch wichtiges Tetrazolderivat ist das Herzanregungsmittel Cardiazol. Ferner leiten sich vom Tetrazol einige Tetrazoliumsalze ab, die auffallend leicht eine reduzierende Ringöffnung zu den (als Azoverbindungen roten) Formazanen erleiden und umgekehrt aus den Formazanen durch dehydrierenden Ringschluß synthetisiert werden können: N=X.

; N—NH—Ar

V

+ HCl, — h , (Pb[OAc] ( )

N=C(

X

Cardiazol

N=N—Ar

+ H „ - HCl

A r — Cyv

Triaryl-formazan

•N—N—Ar N=N—Ar

er

Trlaryl-tetrazolium-chlorid

Die reduzierende Spaltung der Tetrazoliumsalze zu den intensiv roten Formazanen erfolgt auch innerhalb biochemischer Redoxsysteme bei genügend hohem Reduktionspotential. Man verwendet die Tetrazoliumsalze deswegen zuweilen als Indikatoren für die Sichtbarmachung von biochemischen Reduktionsprozessen. Das Pentazol mit ausschließlich N-Atomen im Ring galt lange Zeit als nicht existenzfähig. I m J a h r e 1957 stellten jedoch R . Huisoen und K . Clusius nahezu gleichzeitig fest, daß 1-Arylpentazole bei der Umsetzung von Diazonium-Ionen mit Azid-Ionen zu Aryl-aziden (S. 227) wenigstens zum Teil (bis 35% des Gesamtumsatzes) als Zwischenprodukt entstehen (vgl. die Formulierung auf S. 303). Sie können bei tiefen Temperaturen auch in Substanz isoliert werden.

2. Die Verbindungen vom Furantypus a) Das Furan und seine D e r i v a t e Ähnlich wie für das Pyrrol geht auch für das Furan eine praktisch brauchbare Darstellungsweise von der Schleimsäure aus, die, wenn man die freie Säure statt des Ammoniumsalzes mit Mineralsäuren erhitzt, eine ähnliche Kondensation unter Wasseraustritt erleidet. Nur ist es hier möglich, die Kondensation und die Decarboxylierung getrennt durchzuführen, so daß man die zunächst entstehenden Furancarbonsäuren I und II isolieren kann: 20

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 8, I I I : Die aromatischen Fünfringe

306 OH

H I./'



\ )

L

1 OH

:

0 0

"

X'OOH \

-3H.0

H

,('0011 — CO,

O

V\ L. COOH H

!

\

I

COOH ,

Schleimsäure

— CO,

0

^

(

i

\

O

iT

Dehydroschleimsäure

Brenzschleimsäure

Furan

Nomenklatur. Der Name Furan leitet sich von dem seines wichtigsten Derivates, des unten beschriebenen Furfurols, ab. Man muß daher streng zwischen den mit Für- und den mit Für für beginnenden Namen der Furanverbindungen unterscheiden. Wie die folgende Zusammenstellung der Trivialnamen einiger Radikale der Furanreihe zeigt, dient die Vorsilbe Für- immer zur Kennzeichnung einfacher Furanabkömmlinge, während mit Furfur-Verbindungen bezeichnet werden, die in oc-Stellung einen ein C-Atorn enthaltenden Rest tragen: Hn—rrH H

V

H|—-,-,H

H

Furan

Hn—r,H H

\ Ä

Furyl-

H

| r i

H

II. H

C H = 0

Furfurol

Furfuryl-

H

^o^coFurfuroyl-

Der Furankern ist ebenfalls aromatisch, jedoch bereits merklich schwächer. als der Pyrrolkern. Man beobachtet infolgedessen neben typischen Substitutionsreaktionen auch typische Dienreaktionen. Z. B. werden Furan und seine Alkylderivate wie Pyrrol durch elementares Brom ohne Halogenüberträger bromiert, während Maleinsäureanhydrid eine normale Dien-Addition erleidet:

/ co \ w/O-MI

/vco\ >



C)

>

Auch Brom wird bei einigen Furanderivaten (wie etwa der oben formulierten Brenzschleimsäure) an die Doppelbindungen angelagert. Der Furanring nimmt also eine Mittelstellung zwischen rein olefinischen und rein aromatischen Verbindungen ein. Konzentrierte Mineralsäuren heben wie beim Pyrrol den aromatischen Zustand auf und bewirken eine Verharzung. Ferner geben Furan und seine Derivate ebenfalls eine Fichtenspanreaktion, die jedoch hier meistens mit einer Orünfärbung verbunden ist. Alkalien bleiben schließlich, da die Möglichkeit der Salzbildung entfällt, ohne jeden Einfluß auf den Für ankern. Einzelverbindungen. Furan ist im Gegensatz zum Pyrrol eine auffallend tiefsiedende Substanz (Sdp. 32°), die in dieser Beziehung mit dem Äther gleicher Kohlenstoffzahl, dem Diäthyläther (S. 89), verglichen werden kann. Weiterhin ist es, ebenfalls im Gegensatz zum Pyrrol, luft- und lagerungsbeständig. Eine praktische Verwendung hat es bisher nicht gefunden. Das wichtigste Furanderivat ist der Furfurol genannte ot-Aldehyd des Furans. Er entsteht in Analogie zur Furanbildung (s. oben) beim Kochen von Pentosen (S. 433) oder pentosehaltigen Stoffen (z. B. Buchenholz oder Kleie [lat. furfur]) mit verdünnter Schwefelsäure auf Grund der folgenden Gleichung:

2 b : Die Oxazole und Furazane OH

H

CH

C\

CHO

C H — C, H ' 'H

307 / C

C | H = C . sQ

-3H.0 ^

Q H

HO

OH

CH=CH „Furfurol , ,

H

Furfurol ist ein typischer tertiärer Aldehyd und wieder Benzaldehyd (S. 107) zur CANNIZZARODisproportümierung und zur Acyloinkondensation befähigt. Ferner sind einige Farbreaktionen und die Bildung eines dunkelgrünen Niederschlags mit Phlorogluzin für den qualitativen und quantitativen Nachweis von Pentosen von Interesse.

Das 1.2-Benzo-furan hat den Namen Cumaron erhalten, weil es im Rahmen einer komplizierten Ringverengerungsreaktion aus Cumarin (S. 187) dargestellt werden kann (vgl. I, Kap. 11. III, 2 b). Technisch wird es aus SteinkoMenteer gewonnen. Mit Schwefelsäure polymerisiert es zu einem Cumaronharz noch unbekannter Struktur, das praktische Anwendung als Kunststoff gefunden hat. .

^

y\. x A o ' ^

Cumaron

Diphenylenoxld

Auch das Dibenzo-furan oder Diphenylenoxld ist im Steinlcohlenteer Gegensatz zum Cumaron keine praktische Bedeutung erlangt.

enthalten, hat aber im

b) Die O x a z o l e und F u r a z a n e Ersetzt man im Furan eine oder mehrere GH-Gruppen durch Stickstoff, so kommt man zu den Azafuranen, die im einfachsten Falle Oxazole genannt werden. Als Oxazol schlechthin bezeichnet man das 3-Aza-furan, dessen y.,ce.'-Dialkyl(aryl)derivate durch Wasserabspaltung aus acylierten cc-Amino-ketonen gewonnen werden: X R'

0

( /

Tautomerie

Ii

N-Acyl-a-amlno-keton

//

\

n| R

/

N ,, ()H

ll(/

\\ R

j

_

H

,,

,0

R

A

IIX

0

/

X

r

Dialkyl(aryl)-oxazol

Eine weitere zu einem ,,Keton" eines Dihydro-oxazols, dem sog. 5-Oxazolon oder Azlacton, führende Bildungsmöglichkeit des Oxazolrings haben wir auf S. 212 als Teilreaktion der ERLEXMEYERschen Aminosäuresynthese kennengelernt.

M

in Wirklichkeit stellen diese Azlactone natürlich keine echten Ketone dar, sondern sind cyclische Anhydride zwischen einer Carboxyl- und einer Carbonsäureimidgruppe (vgl. die Formel I I auf S. 212).

Oxazol ist eine schwache, pyridinartig riechende Base. Es besitzt ebenfalls einen aromatischen Charakter. Im übrigen ist die Stabilität des Ringsystems jedoch viel geringer als bei den nur Stickstoff enthaltenden Azolbasen (S.302f). Z . B . kann man durch Kochen mit Salzsäure den Ring hydrolytisch aufspalten oder durch Behandeln mit Formamid in saurem Medium den Ringsauerstoff durch eine NH-Gruppe unter Imidazolbildung ersetzen. Von einigen anderen Aza-furanen seien nur die Formeln und Trivialnamen angeführt: 20*

K a p . 8, I I I : Die aromatischen Fünfringe

308

V

N

N

N

N

Xo/

1,2-Oxazol oder Isoxazol

2,5-Diaza-furan oder FurazaD

Bez. der Darstellung eines Isoxazolderivats

N-^O

Furoxan( = Furazan-oxid)

vgl. S. 190.

3. Die Verbindungen vom Thiophentypus a) D a s T h i o p h e n u n d s e i n e D e r i v a t e Hl

Thiophen ist das beste „Benzolmodell",

das wir kennen.

Das S-Atom ersetzt die CIICHBrücke des Benzolkerns (und auch anderer aromatischer Ringsystems) so vollkommen, daß nicht nur die chemischen Eigenschaften, sondern vielfach auch der Geruch und sogar die Siedepunkte des Thiophens sowie seiner Homologen und Benzologen eine verblüffende Ähnlichkeit mit den entsprechenden Eigenschaften des Benzols sowie seiner Homologen und Benzologen aufweisen: Tabelle 18 Vergleich der physikalischen K o n s t a n t e n einiger Thiophen- und Benzolderivate Thiophenderivat Substanz

Sdp.

Thiophen a-Thiotolen /?-Thiotolen 3,4-Thioxen 2.3-Thioxen 2.4-Thioxen 2.5-Thioxen

84° 113 114 145 137 138 136

Thionaphthen Thiophthen Thiazol

221 226 117

Smp. —40° (C 6 H 5 ) 3 C—Na

5. Weiterhin vermögen die freien Triarylmethylradikale mit 1,3-Dienen in Reaktion zu treten, die in 1,4-Stellung abgesättigt werden (J. B. Conant 1931/33): Ar 3 C- +

CH2=CH—CH=CH3

+

-CAr 3

-

Ar 3 C—CH 2 —CH=CH—CH 2 -—CAr 3

318

K a p . 9, I I I : Die freien Radikale

W ä h r e n d das Hexaphenyl-äthan bei Zimmertemperatur in einprozentiger benzolischer Lösung n u r zu 2 — 3 % in Radikale gespalten ist, liegt im Tridiphenylyl-methyl (abgekürzt auch Trixenyl-methyl) Tridiphenylyl-methyl ein freies Radikal vor, das umgekehrt keine erkennbare Neigung zur Dimerisierung zu einem Äthanderivat besitzt. E s k a n n in F o r m violetter Kristalle isoliert werden und zeigt n a t u r g e m ä ß keine Farbintensivierung beim Verdünnen seiner Lösungen mehr. Ebensowenig beobachtet m a n hier das SCHMlDLlNsche Phänomen, weil keine Nachlieferung des freien Radikals durch Dissoziation mehr erfolgen kann.

3. Sonstige freie Radikale Die auf S. 109 als Zwischenprodukte der Pinakonreduktion angenommenen radikalartigen Metallketyie treten in der aromatischen Reihe häufig frei auf. Z. B. zeigt das aus Benzophenon u n d einem Atom Kalium entstehende Kalium-diphenylketyl (Benzophenon-kalium) n u r eine relativ geringe Tendenz, zum Dikaliumsalz des Tetraphenyl-pinakons zu dimerisieren, so daß selbst die kristallisierte Substanz zu 7 7 % in der Radikalform vorliegt:

C«h5v ^ C = 0

c.H5

-

+ K

' >

C6H6X _ yC—OK

c6h5

Benzophenon

KaUum-dlphenylketyl

C6H6s



c6h5

OK i

OK j /CäH5

/ C —

c

\

c6h6

Dikalium-tetraphenyl-pinakonat

Wegen der ionogenen Bindung des Metalls befindet sich das R a d i k a l a t o m hier in einem Ionenmolekül, u n d m a n spricht deshalb von Ionenradikalen bzw. in diesem speziellen Fall von einem Anionenradikal. Ein anderes Anionenradikal erhält m a n beim Zusammengeben von je einem Molekül eines Chinons u n d des zugehörigen Dinatrium-hydrochinons in stark alkalischem. Medium. Hier findet eine Konproportionierung (Gegenreaktion der Disproportionierung) zu einem Semichinon gen a n n t e n , intensiv roten, radikalartigen Natriumsalz s t a t t , das die gleiche mittlere Oxydationsstufe aufweist wie die auf S. 171 beschriebenen Chinhydrone: -Ii 0 — /

>=0 + X

B/ Chinon

R

J Vv NaO-< R/

y

Ii

R

.R Na

S>—ONa X

R

Dinatrium-hydrochinon

R/

\R J

Semichinon

Die Semichinone sind n u r in der Salzform beständig und zerfallen beim Ansäuern umgekehrt im Sinne einer Disproportionierung in je ein Molekül Chinon u n d Hydrochinon (bzw. in das aus beiden gebildete Chinhydron). III Hl III

Die Semichinone sind also die in alkalischem und die Chinhydrone die in saurem Medium beständigen oxydativen Zwischenstufen zwischen chinoiden u n d hydrochinoiden Verbindungen (vgl. auch S. 345/6).

Wegen der Alkalilabilität mancher Chinone konnten bisher einige Semichinone (z. B. das sich vom Benzochinon ableitende Anfangsglied der Reihe) noch nicht dargestellt werden. Als Beispiel eines Kationenradikals sei schließlich der ebenfalls zu den Semichinonen zählende Farbstoff Wursters Rot a n g e f ü h r t , der eine oxydative Zwischenstufe zwischen dem chlorwasserstoffsauren Salz des as-Dimethyl-chinon-diimins (I) u n d dem as-Dimethyl-p-phenylen-diamin (II) (als zugehöriger hydrochinoider Verbindung) darstellt u n d beim Zusammengeben dieser beiden Stoffe e n t s t e h t :

319

Kap. 9, I V : Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie ©N(CH 3 ) 2

©N(CH 3 ) 2

N(CH3)2

2 er

+

A 1

er

Ii

NH,

©NH,

NH, Wursters Rot

Neben den Kohlenstoffradikalen gibt es auch Stickstoff- und Sauerstoffradikale. Beispielsweise liegen nach H. WIELAND die Tetraarylhydrazine (S. 221) mit den Diarylstickstoffradikalen in einem ähnlichen (für die Radikalbildung jedoch bedeutend ungünstigeren) Dissoziationsgleichgewicht wie Hexaphenyl-äthan mit den Triphenylmethylradikalen: (CaH6)2N-N(C6H5)2

2(C 6 H 6 )N.

Tetraphenyl-hydrazin

Diphenyl-stickstoff

Als Beispiele von Stickstoffradikalen, die keine Dimerisierungstendenz mehr aufweisen, seien 1. das von ST. GOLDSCHMIDT (1922) aufgefundene N-Trinitrophenyl-N',N'-diphenyl-hydrazyl (III), 2. das mit dem Triphenylmethyl isostere Kation des Triphenyl-ammenium-perchlorats (IV) ( E . WEITZ 1926/27) u n d 3. d a s Diphenyl-stickstoffoxyd (V) ( H . WIELAND 1 9 1 4 — 2 2 ) a n g e f ü h r t :

c,H5X

c,h 5 /

0,N\ N—N—« i

-KT/

C6H6v

0

C8H6^N-

cio;

/

C.h/

N->-0

IV

Die beständigsten Sauerstoffradikale erhält man nach E. MÜLLER (1954) durch vorsichtige Dehydrierung von mit tert.-Butylresten besetzten Phenolen: /C(CH3)3

—0—H

- H- ( P b O „ Ag,0, H , F e [ C N ] , usw.) + H - (katal., Hydrierung) S

^C(CH3)3

C(CH 3 ) 3

2,4,6-Tri-tert.-butyl-phenoxyl

Hier erfolgt die Radikalstabilisierung durch die Abschirmung durch die stark raumbeanspruchenden tert.-Butylreste.

des

Radikalatoms

IV. Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie In allen vorbesprochenen organischen Verbindungen kann man grundsätzlich anstelle der natürlichen Isotopen bzw. Isotopengemische, aus denen die verschiedenen Elemente bestehen, auch künstlich hergestellte reine Isotope bzw. Isotopengemische einbauen. Wie unten anhand einiger Beispiele gezeigt wird, hat sich diese zunächst nur als Spielerei anmutende Möglichkeit sehr rasch zu einer wichtigen Methode zur Aufklärung des Mechanismus chemischer Reaktionen sowie in einigen Fällen auch zur Konstitutionsaufklärung von Verbindungen entwickelt.

320

Kap. 9, I V : Künstliche Isotopengemisehe in der organischen Chemie

Die in der Praxis am häufigsten angewandten stabilen künstlichen Isotopen sind: 1. der Deuterium (mit dem Symbol D) genannte schwere Wasserstoff ä H, 2. der schwere Sauerstoff , 8 0 und 3. der schwere Stickstoff l5 N. Die diese Isotopen enthaltenden Verbindungen zeigen gegenüber den normalen Stoffen eine sehr exakt bestimmbare Dichteerhöhung, auf Grund deren sie qualitativ und quantitativ nachgewiesen werden können. Z. B . eignet sich zur Bestimmung von Deuterium in organischen Substanzen die Messung der Dichte des bei ihrer Verbrennung entstehenden Wassers. Neben diesen schweren Isotopen werden in neuerer Zeit in steigendem Ausmaß auch die bei der Uranspaltung anfallenden radioaktiven Isotopen eingesetzt. Sie bieten den Vorteil, einerseits selbst beim Vorliegen sehr geringer Konzentrationen mit Hilfe ihrer radioaktiven Strählung genau bestimmt werden zu können, andererseits die umständlichen Dichtemessungen, die noch dazu nur bei extrem gereinigten Substanzen von Wert sind, zu umgehen. Die wichtigsten der in der organischen Chemie gebräuchlichen radioaktiven Isotopen sind: 1. der Tritium genannte überschwere Wasserstoff 3H, 2. der Kohlenstoff H C sowie 3. die radioaktiven Heteroatome 3ÄP, 35 S, l 2 8 J und , 3 I J . Der Kohlenstoff 14 C bildet sich bei den durch die Höhenstrahlung ausgelösten Kernprozessen in den höheren Schichten der Atmosphäre aus Stickstoff. E r ist infolgedessen im atmosphärischen Kohlendioxid in geringem Umfang enthalten, verschwindet aber wegen der relativ kurzen Halbwertszeit von „nur" 5800 Jahren bei der mineralischen Lagerung von Kohlenstoffverbindungen verhältnismäßig rasch. Das Erdöl und sämtliche Kohlearten sind deswegen frei von " C . Bei allen frühgeschichtlichen, bis etwa 60000 Jahre alten organischen Mineralien ist dagegen ein gewisser uC-Gehalt noch nachweisbar, aus dessen Größe man auf den Zeitpunkt der Bildung dieser Stoffe (durch Assimilation aus atmosphärischem Kohlendioxid) schließen kann.

Will man nun mit Hilfe eines dieser künstlichen Isotopen ein chemisches Problem lösen, so geht man meistens in der Weise vor, daß man das betreffende Isotop in eine bestimmte Stelle des Moleküls einführt, diese also gewissermaßen ,,markiert" (bez. der zu diesem Zweck geeigneten Methoden vgl. I, Kap. 10, IV). Wegen der chemischen Oleichwertigkeit der verschiedenen Isotopen eines Elements (vgl. anorganische Lehrbücher) reagieren bei einer anschließenden chemischen Umsetzung die markierten Moleküle in gleicher Weise wie die nicht markierten, so daß man aus dem Auftreten der eingeführten Isotopen in bestimmten Reaktionsprodukten exakte Schlüsse auf den Reaktionsverlauf ziehen kann (sog. Tracermethode). Hierfür seien zwei charakteristische Beispiele angeführt: 1. Auf S. 86 haben wir gesehen, daß die Esterhyilroiyse bei äthylierender und aeylierender Spaltung zu den gleichen Produkten führt. Man kann also auf Grund der Reaktionsprodukte nicht entscheiden, ob bei der Hydrolyse eines Carbonsäureesters (sowie auch umgekehrt bei seiner Bildung aus Säure und Alkohol) tatsächlich im Sinne der auf S. 86 entwickelten Theorie jeweils die Ac—0-Bindung gelöst wird. Verestert man nun eine normale, 160 enthaltende Carbonsäure mit einem schweren, lsO enthaltenden Alkohol, so entsteht ausschließlich der schwere, lsO-haltige Ester, und bei dessen Hydrolyse mit normalem Wasser wird der schwere Alkohol zurückgebildet: R—C0—Alk

y

,0

+ H—'80—Alk

R—C:

le

0H

Für beide Reaktionen ist damit eindeutig bewiesen, daß im Sinne unserer Theorie stets nur die Bindung zwischen dem O-Atom und dem Carbonsäurerest gelöst wird und daß die Bindung zum Alkylrest intakt bleibt.

Die Konstitution des Diazoessigesters

321

2. Für die Konstitution aliphatischer Diazoverbindungen (z. B. des Diazo-essigesters) standen früher die beiden I und II entsprechenden Formeln (mit jeweils zwei liN-Atomen) zur Diskussion, zwischen denen man auf rein chemischem Wege nicht entscheiden konnte. Stellt man jedoch nach K. CLUSIUS (1952) durch Diazotierung von normalem Olycinester mit schwerer salpetriger Säure einen Diazoessigester her, in dem je ein 14N- und ein lsN-Atom enthalten ist, so müßte diesem entweder die symmetrische Struktur I oder die Struktur II mit verschiedenartig gebundenen N-Atomen zukommen: C2H5OOC—CH l

^"N

l 4© 1 5 ® C 2 H 6 OOC—CH— N= N

Ii

Spaltet man nun das eine N-Atom unter Rückbildung von Glycin wieder ab (vgl. S. 224), so sollte man aus I, da beide N-Atome gleichartig gebunden sind, ein Glycin erwarten, in dem je eine Hälfte der N-Atome die Atomgewichte 14 und 15 aufweist, während aus einer Verbindung der Konstitution II nur ein normales Glycin mit ausschließlich 14N-Atomen entstehen kann. Da letzteres tatsächlich gebildet wird, liegt somit ein eindeutiger chemischer Beweis für die Formel II des Diazoessigesters vor.

21

E t a g e s , Einführung org. Chemie

II. Teil

Sondergebiete

10. K a p i t e l

Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz Während man in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das unterschiedliche chemische Verhalten der organischen Verbindungen im wesentlichen als gegeben hinnahm und sich mit seiner beschreibenden Darstellung begnügte, mehren sich seit etwa 1900 die Versuche, die Vielzahl der Erscheinungen auch theoretisch zu deuten. Insbesondere die 1916 von G. N. L E W I S eingeführte Elektronentheorie der Valenz hat sich zu einer wertvollen Hilfe in dieser Richtung entwickelt, ohne die die Erkenntnis selbst einfacher Zusammenhänge nicht mehr möglich wäre. Es ist deshalb auch für das beginnende Studium unserer Wissenschaft unbedingt erforderlich, sich wenigstens mit den Grundlagen dieser Theorie vertraut zu machen.

I. Der Bau des Kohlenstoffatoms Ursprünglich lag der Verbindungsbildung fachende Hypothese zugrunde:

des Kohlenstoffs die folgende verein-

Das C-Atom besitzt in seiner äußersten Elektronenschale vier Elektronenbahnen, die, seiner Stellung im Periodensystem (S. 4) entsprechend, im freien Atom mit nur vier Elektronen besetzt sind. Um diese Viererschale (Quartett) zur stabilen Achterschale (Oktett, Edelgasschale) zu ergänzen, müssen durch Verbindungsbildung mit vier anderen Atomen vier weitere Elektronen aufgenommen werden. Diese bilden zusammen mit den vier ursprünglichen Elektronen des Kohlenstoffs vier Elektronenpaare (Dubletts), die jeweils eine der Elektronenbahnen des C-Atoms besetzen und dem Kohlenstoff und seinem Bindungspartner gemeinsam angehören, so daß sie beide Elektronenschalen zum Oktett (beim Bindungspartner des Kohlenstoffs zuweilen auch zu einer anderen stabilen Elektronenanordnung, z . B . beim Wasserstoß zum Dublett) vervollständigen. Diese erste Theorie der Valenzbetätigung des Kohlenstoffs vermag befriedigend seine Vierwertigkeit und die Ausbildung fester Atombindungen zu den mit ihm liierten Elementen zu erklären. Sie versagt aber bei dem Versuch der Deutung der C---CMehrfachbindungen und -bindungssysteme. Hierzu müssen wir noch etwas tiefer in die Physik des C-Atoms eindringen. Zunächst einmal darf man den Begriff der Elektronenbahnen (auch der englische Ausdruck orbital ist vielfach im deutschen Schrifttum gebräuchlich) nicht wörtlich im Sinne einer ,,Planetenbahn'' nehmen. Vielmehr muß man die den Atomkern „umkreisenden" Elektronen auf Grund der modernen WeUenmechanih, die dem Elektron bis zu einem gewissen Grade eine Wellennatur zuerteilt, als schwingende negative Elektrizität auffassen, deren verschiedene Schwingungsformen

326

Kap. 10, I : Der Bau des Kohlcnstoffatoms

mit denen einer Barmsaite vergleichbar sind. Nur handelt es sich hier nicht mehr um einfache Schwingungen eines linearen Oscillators, sondern um komplizierte räumliche Schwingungsformen, die häufig wenig anschaulich und nur mathematisch erfaßbar sind. Den Schwingungsbäuchen dieser Schwingungsformen entsprechen Flächen oder auch Räume, in denen die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons relativ groß ist. Ihnen stehen die Schwingungsknoten gegenüber, durch die die Elektrizität zwar „hindurchschwingt", für die jedoch die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Elektron tatsächlich in ihnen aufhält, auf 0 absinkt. Die durch die Schwingungsbäuche umrissenen Aufenthaltsräume der Elektronen bezeichnet man auch als Elektronenwolken, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, daß sie im Zeitmittel nur in geringer Dichte und ohne scharfe Umgrenzung, eben wie eine „Wolke", mit negativer Elektrizität gefüllt sind.

Gehen wir nun wieder zur Außenschale des C-Atoms über. Hier zeigt die quantenmechanische Rechnung, daß nur eine energieärmste Elektronenbahn (bzw. Schwingungsform) möglich ist, die s-Bahn (s-orbital) genannt wird und die Grundschwingung des Systems (mit nur einem Schwingungsbauch) darstellt. Dementsprechend heißen die auf ihr befindlichen (maximal zwei) Elektronen s-Elektronen. Wie aus Abb. 8 hervorgeht, ordnen sich diese s-Elektronen auf einer Kugelschale mit dem C-Atomkern als Zentrum an. Sie zeigen infolgedessen in keiner Richtung des Raumes eine bevorzugte Orientierung bzw. Bindekraft.

Abb. 8 Die s-Bahn (s-orbital) ( = Schwingungsform der reinen s-Elektronen) Abb. 9 Die p-Bahn (p-orbital) ( = Schwingungsform der reinen p-Elektronen) Abb. 10 Die sp-Bastardbahn

III Hl

(Schwingungsform der sp-Bastardelektronen des organischen Chemikers)

Weitere Elektronen können nur in energiereicheren Bahnen werden, die den Namen p-Bahnen (p-orbitals) führen.

=

d-Elektronen

untergebracht

Sie besitzen als erste Oberschwingung des Systems zwei durch eine Knotenebene getrennte Schwingungsbäuche und weisen etwa die in Abb. 9 wiedergegebene Gestalt auf, die durch zwei annähernd kugelförmige Elektronenwolken auf beiden Seiten des sich in der Knotenebene befindlichen C-Atoms charakterisiert ist. Die eine derartige pBahn besetzenden „p-Elektronen" sind also bevorzugt in Richtung der X-Achse (bzw. Y- bzw. Z-Achse), und zwar rotationssymmetrisch um diese, angeordnet, und man sollte infolgedessen in diesen Richtungen eine besonders große Bindefähigkeit erwarten. Da es drei untereinander gleichwertige p-Bahnen gibt, drängen sich deren Elektronenwolken wegen der Abstoßungskräfte der negativen Elektrizität in einem größtmöglichen Abstand voneinander, d. h. sie ordnen sich auf den drei Koordinatenachsen des Raumes an. Wir kommen somit zu der in Abb. 11 wiedergegebenen räumlichen Anordnung der vier energieärmsten Elektronenbahnen. Danach sollte man zwei unterschiedliche Bindungsarten des Kohlenstoffs (eine sund drei p-Bindungen) erwarten, von denen die erstere keine besondere Orientierung besitzt und die letzteren in die Richtungen der drei Koordinatenachsen weisen.

327

Die s, p-Bastardbahnen

Demgegenüber stellt der Chemiker eindeutig eine Gleichwertigkeit aller vier Bindungen und eine tetraedrische Anordnung der Substituenten fest. Hier klafft also zwischen Theorie und Praxis noch eine wesentliche Lücke. Zur Beseitigung dieser Diskrepanz mußte der Physiker nach anderen Schwingungsformen der Elektronen Ausschau halten, die es gestatten, daß sich vier gleichwertige Elektronenbahnen tetraedrisch um den Atomkern gruppieren. Solche Elektronenbahnen existieren tatsächlich. Sie zeigen die in Abb. 10 wiedergegebene Schwingungsform, bei der sich die Elektronen im wesentlichen nur auf einer Seite des C-Atoms aufhalten und rotationssymmetrisch um eine Achse anordnen. Hier führt Y-Achse Bindangsachse

Abb. 11 Räumliche Anordnung der s- und p-Bahnen im freien C-Atom

Abb. 12 Tetraedrische Anordnung der vier sp 8 -Bastardbahnen um das C-Atom

die gegenseitige Abstoßung der vier Elektronenbahnen in leicht ersichtlicher Weise zur tetraedrischen Anordnung (größtmöglicher Abstand voneinander!) als energieärmstem Zustand. Diese neuartigen Elektronenbahnen gehen durch eine Art Resonanzeffekt aus den ursprünglichen s- und p-Bahnen hervor und werden deshalb sp-Bastardbahnen (engl, hybrid bond Orbitals) genannt. In diesem speziellen Fall liegen sog. sp 3 -Bastardbahnen vor, weil neben der einen s-Bahn drei p-Bahnen an ihnen beteiligt sind. Derartige Bastardbahnen bilden sich jedoch im freien C-Atom nicht aus, weil sie wesentlich energiereicher sind als die reinen s- und p-Bahnen in der in Abb. 11 gezeigten Anordnung. Der Chemiker hat es jedoch nicht mit freien, sondern mit in Bindung befindlichen C-Atomen zu tun. Hier liegen die Verhältnisse insofern anders, als die an einer Bindung beteiligten Atome gemeinsame Elektronen besitzen. Dies ist aber nur möglich, wenn die Elektronenwolken beider Atome sich gegenseitig durchdringen (man spricht auch von einer Überlappung); denn nur dann können sich die Elektronen gleichzeitig in den Bahnen beider Atome aufhalten und ohne Überschreitung einer Energieschwelle beideKerne „umkreisen". J e größer hierbei die Überlappung der Elektroncnwolken ist, um so größer ist im allgemeinen die Bindungsenergie. Der Orad der Überschneidung der Elektronenbahnen bei gleichem Atomabstand ist nun aber für die s-Bahn am kleinsten und für die im wesentlichen nach einer Seite des Atoms gerichteten sp-Bastard-

328

K a p . 10,1: Der Bau des Kohlenstoffatoms

bahnen am größten. Im einzelnen verhalten sich die Bindungsenergien der reinen szu denen der reinen p-Bindungen und der sp-Bastardbindungen wie 1 : j/3 : 2. Beim Übergang von reinen s- und p-Bindungen zu sp-Bastardbindungen wird also ein erheblicher Energiebetrag frei, der die zur ,,Bastardisierung" (auch „Hybridisierung" genannt) der s- und p-Bahnen erforderliche Energiezufuhr übertrifft. Nur beim freien G-Atom repräsentieren infolgedessen die reinen s- und pBahnen den energieärmsten Zustand, während für das gebundene G-Atom mit den sp-Bastardbahnen das niedrigste Energieniveau erreicht wird. Wegen der Hybridisierung von s- und p-Bahnen kommen reine s-Bahnen bzw. reine s-Elektronen in den Verbindungen des Kohlenstoffs überhaupt nicht vor. Dagegen h a t es sich im chemischen Schrifttum eingebürgert, die Elektronen der sp-Bastardbahnen, die bei der Hybridisierung wenigstens zum Teil aus s-Bahnen hervorgegangen sind, nach diesen mit dem entsprechenden griechischen Buchstaben als C-Elektronen zu benennen.

Durch diese Einführung des Begriffs der Bastardisierung der Elektronenbahnen des G-Atoms konnten endlich die Beobachtungen des Chemikers mit den theoretischen Vorstellungen des Physikers in Einklang gebracht werden, und es ergibt sich für den mit vier Liganden besetzten Kohlenstoff die folgende Gesetzmäßigkeit : Die Bindungselektronen zwischen dem C-Atom und den vier mit ihm verbundenen Liganden befinden sich auf der Seite des Kohlenstoffs auf vier gleichwertigen sp3-Bastardbahnen, die infolge der elektrostatischen Abstoßungskräfte in die vier Ecken eines regulären Tetraeders weisen. Alle Elektronen dieses Typus heißen kurz a-Elektronen und die aus ihnen aufgebauten Atombindungen a-Bindungen. Außer den sp3-Bastardbahnen gibt es noch zwei andere Möglichkeiten der Elektronenanordnung um das C-Atom, die bei besonderen Bindungsverhältnissen den energieärmsten Zustand darstellen. So kann die s-Bahn beispielsweise zuweilen mit nur zwei der p-Bahnen bastardisieren (hybridisieren) zu drei gleichartigen Elektronenbahnen, die man dann sp^-Bastardbahnen nennt, und die vierte Elektronenbahn bleibt eine reine p-Bahn. Wie Abb. 13 zeigt, ordnen sich in diesem Y-Achse Z-Achss

•X-Achse

Abb. 13 Räumliche Anordnung von drei sp 2 -Bastardbahnen und einer p-Bahn um ein C-Atom

Abb. 14 Räumliche Anordnung von zwei sp 1 -Bastardbahnen und zwei p-Bahnen um ein C-Atom

Die a-Elektronenwoiken sind zur Vereinfachung der Verhältnisse nur durch Striche symbolisiert

K a p . 10, I I : Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie

329

Fall die drei a-Elektronenwolken der Bastardbahnen in größtmöglichem Abstand voneinander an, d . h . nunmehr in einer Ebene mit einem „Valenzwinkel" von 120°, und die p-Bahn, deren Elektronen in Analogie zu den a-Elektronen ebenfalls durch den entsprechenden griechischen Buchstaben als ji-EIektronen bezeichnet werden, stellt sich (wiederum auf Grund von Abstoßungskräften) senkrecht zu dieser Ebene ein. Dieser Elektronengruppierung werden wir später bei den Doppelbindungen begegnen (S. 333). Schließlich kann die s-Bahn auch mit nur noch einer p-Bahn zu zwei sp'-Bastardbahnen hybridisieren, und daneben liegen zwei reine p-Bahnen vor. I n diesem bei den Dreifachbindungen (S. 333), sowie auch bei den kumulierten Doppelbindungen, verwirklichten Fall bewirken die Abstoßungskräfte eine geradlinige Anordnung der a-Elektronen, und die p-Bahnen stellen sich auf Grund der Abstoßungskräfte senkrecht zu dieser Oeraden und auch senkrecht zueinander ein (Abb. 14).

II. Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie 1. Die einfache Atombindung a) A l l g e m e i n e s Die einfachen Atombindungen (früher auch homöopolare Bindungen genannt), deren Elektronen, wie wir oben gesehen haben, das C-Atom immer in sp-Bastardbahnen „umlaufen", lassen sieh in zwei Untergruppen einteilen: 1. die unpolarisierten und 2. die polarisierten Atombindungen. Zu 1. Im Falle einer unpolarisierten Atombindung werden auf das Bindungselektronenpaar von beiden Seiten exakt die gleichen Anziehungskräfte ausgeübt, so daß sich seine Bahn symmetrisch zu den miteinander verbundenen Atomkernen einstellt. Es ergibt sich somit das folgende Bild: Bei der unpolarisierten Bindung fallen die Schwerpunkte der negativen Ladungen der Bindungselektronen und der positiven Ladungen der von den Bindungselektronen befreiten Atomrümpfe zusammen, so daß keine nach außen erkennbaren elektrostatischen Effekte (insbesondere keine elektrischen Dipolmomente) auftreten. Streng unpolarisierte Bindungen liegen nur bei der Verknüpfung gleichartiger Atome bzw. Atomgruppen vor, z. B. in H—H, H 3 C—CH 3 , H 2 N—NH 2 , HO—OH oder C1—Cl. Nahezu unpolar ist weiterhin die für den Organiker wichtige C—IiBindung. Die vom Kohlenstoff ausgehenden unpolarisierten Atombindungen (vor allem die C—C- und die G—II-Bindung) sind im allgemeinen sehr reaktionsträge und gestatten aus diesem Grunde den auf S. 5 beschriebenen charakteristischen Aufbau der organischen Moleküle aus einem chemisch nahezu indifferenten Qrundgerüst mit wenigen reaktionsfähigen Atomgruppen, die unter Erhaltung des Orundgerüsts umgesetzt werden können. Zu 2. Die polarisierte Atombindung ist dadurch charakterisiert, daß verschiedenartige Atome miteinander verbunden sind (z. B. C und O), deren Atomrümpfe eine ungleiche Anziehungskraft auf das Bindungselektronenpaar ausüben. Dieses beschreibt deswegen eine unsymmetrische Bahn zwischen den Atomkernen, und sein Schwerpunkt wird etwas zu dem Bindungspartner mit stärker positiv geladenem Atomrumpf hin verschoben (im Falle der C—O-Bindung also zum Sauerstoff).

330

Kap. 10, II: Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie

Bei der polarisierten Atombindung fallen danach die Schwerpunkte der negativen Ladungen der Bindungselektronen und der positiven Ladungen der von den Bindungselektronen befreiten Atomrümpfe nicht mehr zusammen. Als Folge davon weist das Molekül ein elektrisches Dipolmoment auf, das experimentell bestimmt werden kann und, soweit es sich auf das Molekül als Ganzes bezieht, Moleküldipolmoment bzw., soweit es sich auf die Bindung allein bezieht, Bindungsdipolmoment genannt wird. Die Formulierung der polarisierten Atombindung geschieht im allgemeinen wie die der unpolarisierten Bindung durch einen Bindestrich. Nur wenn man die polare N a t u r besonders hervorheben will, kennzeichnet man das positiv aufgeladene Atom durch ein (5+ und das negativ geladene Atom durch ein 6—. Hierbei soll durch den griechischen Buchstaben ij CH 3 ! = C H — C H 2 ;

e =CH—Ol

lj CH 3 j — C H = 0

Hyperkonjugation des Propens

Hyperkonjugation des Acetaldehyds

Von den zahlreichen Effekten, die man mit ihrer Hilfe erklären kann, sei nur kurz auf zwei charakteristische Beispiele eingegangen: a) Am Benzolkern befindliche Methylgruppen wirken in Analogie zu den Aminogruppen wie Substituenten 1. Ordnung, d. h. sie erleichtern die weitere Substitution und dirigieren den neu eintretenden Liganden in die o- und p-Stellung. b) Am Carbonylkohlenstoff befindliche Methylgruppen erschweren aus den gleichen Gründen wie die Aminogruppe (S. 342) die typischen Reaktionen der C=0-Doppelbindung. Die Tendenz der Oxoverbindungen zu Additionsreaktionen (z. B . zur Hydratbildung) geht daher in der Reihe H

\

v

v

Vj=0) H Formaldehyd

)

C

=

0

H Acetaldehyd

H

3°\

/

/

\ C = 0

/

H3C Aceton

merklich zurück. Nur im Formaldehyd beobachten wir die durch keinerlei schwächte Aktivität der Carbonylgruppe.

Mesomerieeffekt

ge-

Kap. 10, I I I : Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie

347

III. Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie 1. Allgemeines Im Gegensatz zu den zahlreichen unmeßbar rasch vor sich gehenden Ionenreaktionen, der anorganischen Chemie beobachtet man in der organischen Chemie fast ausschließlich Zeitreaktionen. III Hl

D.h. die Umsetzungen laufen relativ langsam innerhalb eines mehr oder weniger ausgedehnten Zeitraumes ab.

Diese Erscheinung der Zeitreaktion ist dadurch bedingt, daß bei nahezu allen organischen Umsetzungen erst irgendwelche Bindungen gelöst werden müssen, ehe sich die Umgruppierung der Atome vollziehen kann. Das Lösen der Bindungen erfordert jedoch die Zufuhr eines bestimmten Energiebetrages, der allgemein Aktivierungsenergie genannt und normalerweise der thermischen Bewegungsenergie der Moleküle entnommen wird. Diese Aktivierungsenergie steht nun aber nicht immer sofort zur Verfügung, so daß die Moleküle u. U. eine gewisse Zeit „warten" müssen, ehe sie durch einen besonders energiereichen Stoß zur Reaktion gelangen. (Näheres über die hierbei beobachteten physikochemischen Gesetzmäßigkeiten vgl. I, Kap. 1, IV, 1 und II, Kap. 4, I, 2). Über die Grüßenordnung der für die üblichen Reaktionen erforderlichen Aktivierungsenergien kann man die folgenden allgemeinen Angaben machen: Unterhalb einer Aktivierungawärme von 10—15 kcal/Mol reicht die Wärmebewegung der Moleküle aus, um den Bindungswechsel bei Zimmertemperatur innerhalb sehr kurzer Zeit zu ermöglichen. Hier liegen also keine Zeitreaktionen mehr vor, und die Umsetzungen erfolgen unmeßbar rasch. Eine Aktivierungswärme von 15—30kcal/ Mol wird bei der thermischen Bewegung der Moleküle in dem für organische Reaktionen wichtigsten Temperaturbereich von Zimmertemperatur bis etwa 300° nur noch relativ selten aufgebracht, und man beobachtet infolgedessen Zeitreaktionen. Oberhalb einer Aktivierungsenergie von 30—40 kcal/Mol verlaufen die Reaktionen in dem genannten Temperaturbereich bereits unmeßbar langsam. Sie können auch bei höherer Temperatur nicht immer durchgeführt werden, weil die Beständigkeitsgrenze der Moleküle erreicht oder gar überschritten wird, d. h. die nicht mehr kontrollierbaren Zersetzungsreaktionen auch keine wesentlich höheren Aktivierungswärmen erfordern.

Für die organisch-chemische Praxis ergibt sich aus dem Überwiegen der Zeitreaktionen und ihrer Abhängigkeit von der Bewegungsenergie der Moleküle das folgende wichtige Oesetz:

I

Alle organischen Reaktionen können durch Temperatursteigerung (Erhöhung der kinetischen Energie der Moleküle) beschleunigt und durch Temperatursenkung (Erniedrigung der kinetischen Energie) verzögert werden.

Die Geschwindigkeit erhöht sich in der Nähe der Zimmertemperatur pro 10° Temperatursteigerung auf etwa das 2—4fache. Bei der Temperatur der flüssigen Luft sind daher alle normalen ehemischen Umsetzungen vollständig eingefroren.

Aus hier nicht zu erörternden Gründen (Näheres vgl. II, Kap. 4, I, 2) werden Reaktionen, die eine höhere Aktivierungsenergie erfordern, durch Temperatursteigerung stärker beschleunigt als solche mit niedriger Aktivierungsenergie. Infolgedessen nimmt die Geschwindigkeit von Nebenreaktionen, die meistens gerade wegen ihrer höheren Aktivierungsenergie langsamer ablaufen als die Hauptreaktionen und deshalb nur ,,Nebenreaktionen" sind, bei Temperatursteigerung schneller zu als die der Hauptumsetzungen.

348

Kap. 10, I I I : Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie

Nebenreaktionen werden also durch Temperatursteigerung begünstigt! Man muß deshalb häufig zur Erzielung eines einheitlichen Reaktionsverlaufs bei möglichst tiefer Temperatur arbeiten. U. U. kann die Nebenreaktion bei hoher Temperatur sogar zur Hauptreaktion werden, d. h. man beobachtet bei verschiedenen Temperaturen einen unterschiedlichen Reaktionsverlauf. Ein Beispiel hierfür haben wir auf S. 284 in der Sulfonierung des Naphthalins kennengelernt, die bei 80° vorwiegend in a- und bei 180° vorwiegend in ß-Stellung erfolgt.

Die in der Mehrzahl der Fälle beobachteten Aktivierungsenergien von 10—30 kcal/ Mol sind wesentlich kleiner als die zur vollständigen Trennung der Bindungspartner aufzubringenden Bindungsenergien, die bei den in organischen Molekülen auftretenden Bindungsarten zwischen etwa 60 (C—J-Bindung) und 110 kcal/Mol (O—H-Bindung) betragen (vgl. II, Kap. 2, I, 6). Die Umgruppierung der Atome kann also bereits vor der endgültigen Molekülspaltung vor sieh gehen, was man am besten durch eine „gleitende Umsetzung" erklärt an. D. h. man nimmt an, daß sich beispielsweise im Falle der Hydrolyse von Alkylchloriden mit Hydroxyl-Ionen im Sinne der folgenden Formelreihe die neuen Bindungen bereits auszubilden beginnen, ehe die alten Bindungen vollständig gelöst sind. In dem energiereichsten Übergangszustand (etwa in I) ist der organische Rest also gleich stark (mit zusammen etwa 3/4 der ursprünglichen Bindungsenergie) an beide Bindungspartner gebunden: OH

R(

RC

Cl

X C1

/OH

/OH

..OH

VC1

I

.OH R

ci

+

er

Eine derartige Zusammenballung der Reaktionsteilnehmer im Augenblick der Umsetzung durch starke „Restvalenzen" nennt man Reaktionsknäuel. Erst die Vorstellung einer gleitenden Umsetzung der Atome in einem solchen Reaktionsknäuel vermag die in Anbetracht der hohen Bindungsenergien verhältnismäßig niedrigen Aktivierungswärmen der organischen Reaktionen zu erklären.

Eine weitere für die Deutung des Verlaufs organischer Reaktionen wichtige Frage ist die nach dem Mechanismus der Trennung und Neuknüpfung der Bindungen. Hier gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, zwischen denen wegen der Unteilbarkeit der Elektronen keine Übergänge bestehen: 1. Das Bindungselektronenpaar bleibt als Einheit erhalten und geht bei der Lösung der Bindung zu einem der ursprünglichen Bindungspartner als einsames Elektronenpaar über unter Hinterlassung einer Elektronenlücke bei dem anderen Partner. Hierbei entstehen, sofern zwei elektrisch neutrale Atome aneinander gebunden waren, zwei entgegengesetzt geladene Ionen. Die Neubildung einer Bindung nach diesem Mechanismus besteht umgekehrt in einer Vereinigung zweier Ionen, bei der das einsame Elektronenpaar des Anions „anteilig" wird, d. h. unter Umwandlung in ein Bindungselektronenpaar, das nunmehr beiden Atomen angehört, die Elektronenlücke des Kations auffüllt: A—B

,

lonenspaltung Ionenvereinigung

©

A

+

©

IB

2. Das Bindungselektronenpaar wird „entkoppelt", und es hinterbleibt jedem der beiden ursprünglichen Bindungspartner unter Übergang in den Radikalzustand (oder den Zustand eines freien Atoms) ein Einzelelektron.

2 : Der polare Mechanismus oder Ionenmechanismus

349

Nach diesem Mechanismus erfolgt die Neubildung der Bindung in Umkehrung dieses Vorgangs durch eine einfache Radikalrekombination, d. h. durch eine erneute Kopplung der Einzelelektronen von zwei freien Radikalen (bzw. freien Atomen): „

A—B

Radlkalspaltung



Radikalverelnigung

A- +

-B

Ist die erste Möglichkeit verwirklicht, so spricht man von einem polaren oder Ionenmechanismus, andernfalls von einem atomaren oder Radikalmechanismus. Beide spielen in der organischen Chemie eine große Rolle, gehorchen aber meistens ganz verschiedenen Gesetzen. 2. Der polare Mechanismus oder Ionenmechanismus Wenn eine nach dem polaren Mechanismus vor sich gehende Umsetzung im oben geschilderten Sinn gleitend verläuft, sind die als Spaltprodukte der zu lösenden Bindungen zu erwartenden Ionen auch im Reaktionsknäuel noch relativ fest aneinander gebunden und treten niemals frei auf. Derartige Reaktionen nennt man deswegen Kryptoionenreaktionen (von griech. '/Qujirog = verborgen) und will damit zum Ausdruck bringen, daß die Ionen gewissermaßen nur „im Verborgenen" an der Umsetzung beteiligt sind. Erst diese Einführung des Begriffs der Kryptoionenreaktionen macht es verständlich, daß die äußerlich so verschiedenartigen echten Ionenreaktionen der anorganischen Chemie und die meisten Zeitreaktionen der organischen Chemie nach einem ähnlichen Ionenmechanismus ablaufen können. Der kryptoionische Mechanismus ist bei der weit überwiegenden Mehrzahl der organischen Reaktionen verwirklicht. Nur in verhältnismäßig wenigen Fällen gibt es daneben echte Ionenreaktionen oder Radikalreaktionen (vgl. z. B. S. 317). Als einfachste nach dem Ionenmechanismus verlaufende Umsetzungen haben wir oben 1. die Lösung einer Atombindung durch Ionisation (unter Auftreten je eines Atoms mit Elektronenlücke und einsamen Elektronenpaar) und 2. die Neubildung einer Atombindung durch Ionenvereinigung (unter Auffüllung einer Elektronenlücke und „Anteiligwerden" eines bisher einsamen Elektronenpaares) kennengelernt. Jede Kryptoionenreaktion kann man formal in eine Reihe derartiger miteinander kombinierter Elementarakte zerlegen, die man deshalb als Grundvorgänge des Ionenmechanismus ansehen kann. Wegen des stets gleichen Typus der Elementarakte sind an dem interessanteren Teilvorgang der Neubildung einer Atombindung immer zwei Reagenzien beteiligt, die den folgenden beiden, einander gegenüberstehenden Gruppen angehören: 1. ein ein einsames Elektronenpaar enthaltender Elektronendonator oder nucleophiler Stof! (von lat. nucleus = Kern und griech. (piXoc, — Freund), dessen Elektronenpaar mit „dem Atomkern" des eine Elektronenlücke aufweisenden Reaktionspartners in Wechselwirkung tritt, und 2. ein eben diese Elektronenlücke enthaltender Elektronenacceptor oder elektrophiler Stoff, dessen Lücke durch das einsame Elektronenpaar des anderen Reaktionspartners aufgefüllt wird. Die als Elektronendonatoren fungierenden nucleophilen Reagenzien enthalten häufig das einsame Elektronenpaar bereits in freiem Zustand, z. B. in den basischen Neutralverbindungen |NH3, H 2 Oy, R—OH usw., oder in den stets eine mehr oder weniger starke Basizität aufweisenden Anionen IOH , NH^, ICssNl . Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, daß das einsame Elektronenpaar erst in einer Vorstufe der Reaktion durch Ionisation einer Atombindung freigelegt

350

K a p . 10, I I I : Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie

wird. Solche Substanzen, die bei einem vorgeschalteten Elementarakt ein an einem C-Atom befindliches einsames Elektronenpaar ausbilden oder, wie man sich auch ausdrückt, einen Kohlenstoffrest in Forin eines Carbanions auf elektrophile Stoffe zu übertragen vermögen, sind vor allem die metallorganischen Verbindungen, die immer so reagieren, als ob sie negativ ionisierten Kohlen Stoff enthielten. Ferner gehören hierher die unter dem Begriff des nascierenden Wasserstoffs zusammengefaßten Reduktionsmittel, die in analoger Weise ein Hydrid-Ion (|H~) auf die zu reduzierenden Verbindungen übertragen. Schließlich rechnet man auch die G=C-Doppelbindungen der Olefine und Aromaten zu den nucleophilen Atomgruppen, da sie, wie auf S. 335 gezeigt, primär mit den einsamen Elektronenpaaren der aktiven Grenzstrukturen in Reaktion treten. Elektronenacceptoren mit freier Elektronenlücke gibt es nur wenige (insbesondere die anorganischen Komplexbildner BF 3 , A1C13, SbCl 6 usw.). Wichtiger sind dagegen diejenigen elektrophilen Agenzien, die die Elektronenlücke erst im Verlaufe eines vorgeschalteten Elementaraktes ausbilden, d. h. eine Atomgruppe mit Elektronenlücke auf einen Elektronendonator übertragen. Derartige Stoffe sind: 1. Säuren, die das Proton an eine Base abgeben, 2. Oxydations- und Halogenierungsmittel, die ein freies fO-Atom oder ein R—O -Kation bzw. ein ¡Hol -Kation auf Elektronendonatoren übertragen, 3. Nitrierungs- und Sulfonierungsmittel, die die in der reagierenden Form eine Elektronenlüclce am Zentralatom aufweisenden Kationen 0 2 N + bzw. H 0 3 S + abspalten. Zu den elektrophilen Kohlenstoffverbindungen, die den organischen Rest als Kation übertragen, gehören vor allem 4. die üblichen Alkylierungs- und Acylierungsmittel und 5. alle Carbonylverbindungen, deren aktive Grenzstrukturen, wie schon auf S. 335 erwähnt, primär mit einem positiv geladenen Carbonium-C-Atom in Reaktion treten.

Die Zerlegung der Kryptoionenreaktionen in mehrere Elementarakte sei an den folgenden drei, schon früher formulierten Reaktionen gezeigt: 1. Lediglich einen Elementarakt und damit keine gleitende Umsetzung und keine wesentliche Aktivierungsenergie benötigen nur wenige Reaktionen wie etwa die Addition von Aminen an Borfluorid oder andere Komplexbildner. Diese f ü r den Organiker weniger interessanten Umsetzungen verlaufen infolgedessen stets unmeßbar rasch. 2. F ü r die Alkylierung des Hydroxyl-Ions durch ein Alkylhalogenid sind bereits zwei Elementarakte erforderlich: 1. die Ionisation der C—Hai-Bindung des Alkylhalogenidmoleküls und 2. die Vereinigung des Alkylkations und des Hydroxyl-Anions zum Alkoholmolekül. Beide Teilvorgänge laufen bei gleitender Umsetzung zeitlich nebeneinander ab (vgl. die Formulierung auf S. 348), ohne daß von vornherein Aussagen darüber möglich sind, welcher Akt die Reaktion einleitet (Näheres über dieses Problem vgl. II, Kap. 4, II, 2 a a). 3. Bei der Addition von Säuren des Typus H — X an C=C-Doppelbindungen sind sogar vier Elementarakte miteinander kombiniert: 1. die Aufrichtung der Doppelbindung zur aktiven Grenz struktur V (S. 335), 2. die Dissoziation der Säure in die Ionen H und |X~, 3. Vereinigung des Carbanions mit dem Proton zu dem Zwischenprodukt VI (S. 335) und 4. die Vereinigung des Carbonium-C-Atoms in diesem Zwischenprodukt mit dem IX~-Ion zu dem stabilen Endprodukt V I I (S. 335). Auch hier verlaufen alle Teilvorgänge mehr oder weniger gleichzeitig, und man kann auf Grund der Teilreaktionen allein nicht ohne weiteres aussagen, durch welchen die Umsetzung ausgelöst wird.

Eine derartige Zerlegung der verschiedenen Reaktionen in eine Reihe von Elementarakte bietet zwar den Vorteil, die Elektronenbewegungen bei der Umgruppierung der Atome im Verlauf der Kryptoionenreaktionen zu erklären. Sie sagt aber, wie wir gesehen haben, noch nichts über die Triebkraft der Reaktionen aus und damit über die Wirkungsweise der Katalysatoren sowie über das Auftreten von Zwischenprodukten und ähnliche Faktoren, ohne die man nicht zu einem tieferen Verständnis der Vorgänge gelangen kann. Eine moderne elektronentheoretische Erklärung des Reaktionsgeschehens geht daher schon weit über diese einfache Beschreibung der Grundvorgänge hinaus. Doch würde eine eingehende Behandlung dieser Probleme den Aufgabenbereich eines einführenden Lehrbuchs überschreiten, so daß wir uns im folgenden auf das eine Beispiel der Deutung der Chlorierung von Benzol in Gegenwart

3: Der atomare Mechanismus oder Radikalmechanismus v o n Aluminiumchlorid K a p . 4, I I und I I I ) .

(S. 6 0 ) b e s c h r ä n k e n wollen

351

(bez. weiterer Beispiele vgl. II,

Das Chlormolekül zeigt an sich zwar nur eine geringe Tendenz zur Dissoziation in Cl+- und Cl -Ionen. Sie ist jedoch genügend groß, um in Gegenwart genügend stark nucleophiler Reagenzien, die die Cl+-Ionen aufnehmen können, die Cl—Cl-Bindung zu lösen. Eine derartige Übertragung des Cl + -Ions vom Chlor zum Kohlenstoff findet z. B . bei der Chloraddition an Olefine statt. Die Aktivität der C=C-Doppelbindungen des Benzols reicht jedoch nicht mehr zur Spaltung des Cl2-Moleküls aus, da zur Bildung des Zwischenproduktes I das aromatische System aufgehoben werden muß. Darum setzt man Aluminiumchlorid als Katalysator zu, das eine große Tendenz aufweist, das Cl~-Ion komplex zum AICI4 -Ion zu binden. Die hierbei freigesetzte Energie tritt als zusätzliche Reaktionswärme bei der Übertragung des Cl+-Ions auf, so daß nunmehr die Bildung von I möglich ist. Das Chlormolekül wird also von zwei Seiten gleichzeitig angegriffen, und die beiden sich ablösenden Chlor-Ionen wandern im Augenblick ihrer Bildung in gleitender Umsetzung zu den Reaktionspartnern hinüber: CLjAl +

Cl—Cl

+

aktive Grenzstruktui des Benzols

I

Das Zwischenprodukt I ist jedoch sehr energiereich und besitzt u. a. eine außerordentlich große Acidität des eingezeichneten H-Atoms, weil nach dessen Abdissoziation als Proton das zurückbleibende Bindungselektronenpaar (in II) mit den 71-Elektronen der Doppelbindungen das aromatische System regenerieren kann (zu III). Das Proton wird deshalb sogar von dem nur sehr schwach basischen AICI4 -Ion unter gleichzeitiger Lösung einer AI—Cl-Bindung übernommen, d. h. es entsteht Chlorwasserstoff, und Aluminiumchlorid wird zurückgebildet, das dann zu einer erneuten Katalyse zur Verfügung steht:

N e b e n den a n der U m s e t z u n g beteiligten Stoffen b e z e i c h n e t m a n häufig a u c h die Reaktionen s e l b s t als nucleophil oder elektrophil. I n diesem F a l l ist n a t ü r l i c h eine e x a k t e Definition notwendig, welche der beiden reagierenden S t o f f e m a n der Benennung zugrunde legen will. N a c h einer h e u t e allgemein a n e r k a n n t e n R e g e l u n g g e s c h i e h t dies n i c h t n a c h d e m C h a r a k t e r der V e r b i n d u n g , die die in B e t r a c h t k o m m e n d e R e a k t i o n erleidet, s o n d e r n s t e t s n a c h d e m R e a g e n z , m i t d e m sie sich umsetzt. S o s p r i c h t m a n z. B . bei der Allcylierungsrealction v o n einer nucleophilen Substitution am Kohlenstoff, weil das Allcyl-Kation, das zwar s e l b s t elektrophil ist, m i t e i n e m nucleophilen Stoff ( z . B . d e m O H - I o n ) r e a g i e r t . Ä h n l i c h werden die o b e n b e s c h r i e b e n e Chlorierung u n d alle a n d e r e n a u f S . 6 0 f. a n g e f ü h r t e n S u b s t i t u t i o n e n des Benzolkerns als elektrophile Substitutionsreaktionen b e z e i c h n e t , weil sich die (an sich zwar nucleophilen) B e n z o l d o p p e l b i n d u n g e n m i t elektrophilen Reagenzien (z. B . d e m C l + - I o n ) umsetzen. 3 . Der a t o m a r e Mechanismus oder Radikalmechanismus N a c h d e m atomaren Mechanismus verlaufende U m s e t z u n g e n , a n d e n e n n u r freie Radikale oder freie Atome beteiligt sind, finden z. B . bei der Dimerisierung des Triphenylmethylradikals z u m Hexaphenyl-äthan und ähnlichen Radikalvereinigungen s t a t t . I h r e allgemeine B e d e u t u n g für die organische Chemie i s t r e l a t i v gering, weil die

352

Kap. 10, I I I : Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie

Bildung der meisten freien Atome und Radikale zu hohe Aktivierungsenergien erfordert. Es taucht deshalb die Frage auf, ob auch Radikalreaktionen in gleitender Umsetzung nach einer Art „Kryptoradikalmechanismus" vor sich gehen können. Eine derartige Möglichkeit, bei der nur einer der Reaktionspartner ein freies Radikal ist, basiert auf dem folgenden, stets gleichen Elementarakt:

I

Ein freies Radikal (oder Atom) greift das Bindungselektronenpaar einer Atombindung unter Ausbildung einer neuen Atombindung und eines neuen freien Radikals (oder Atoms) an: A-

+

B—C

>•

A—B

+

-C

Hier erleidet also eine Bindung eine Radikalspaltung, und eine zweite Bindung wird in gleitender Umsetzung neu geknüpft. Beide Teilvorgänge verlaufen stets unmeßbar rasch, benötigen also keine wesentliche Aktivierungsenergie. Dieser wichtigste Typus der Kryptoradikalreaktionen bietet den großen praktischen Vorteil, daß für jedes verschwindende freie Radikal (oder Atom) sofort ein neues entsteht, das zu einer ähnlichen Reaktion befähigt ist. Man kann auf diese Weise mit wenigen freien Radikalen als Ausgangsreagenz große Umsätze erzielen, wie am Beispiel der durch blaues Licht ausgelösten Paraffinchlorierung mit elementarem Chlor (S. 36) gezeigt sei: Blaues Licht vermag das Chlormolekül in zwei Chloratome aufzuspalten. Diese zersetzen dann in einem ersten derartigen Elementarakt eine der C—H-Bindungen eines Paraffinmoleküls unter Bildung von Chlorwasserstoff und einem freien Alkylradikal (Alk-), das seinerseits wieder ein Chlormolekül unter Bildung von Alkylchlorid und einem freien Chloratom angreift:

Cl- + H—Alk

in summa:

Cl—H + Alk-

Alk- + Cl—Cl



H—Alk + Cl—Cl

>

Alk—Cl +

Cl-

Cl—H + Alk—Cl

In summa hat in den beiden Radikalreaktionen also die Umsetzung von einem Paraffinmolekül mit einem Chlormolekül zu einem Alkylchloridmolekül und einem Chlorwasserstoffmolekül stattgefunden, und das eingesetzte Chloratom wird zurückgeliefert, so daß es in beliebig häufiger Wiederholung dieser beiden Elementarakte sehr viele Paraffinmoleküle umsetzen kann.

Derartige durch ein aktives Teilchen (nicht nur durch freie Radikale, vgl. S. 353 Anm.) ausgelöste Reaktionsfolgen nennt man Kettenreaktionen und die Zahl der an ihr beteiligten Einzelschritte die Länge der Reaktionskette. Sie kann im Falle der Paraffinchlorierung bis zu 40000 betragen. Freie Radikale oder Atome sind auf Grund dieses Mechanismus in besonderem Maße dazu befähigt, Kettenreaktionen auszulösen. Dies ist von großer praktischer Bedeutung, denn wenn man jedes reagierende Chlormolekül durch die teure Lichtenergie in die freien Atome spalten müßte, wäre das Verfahren kaum wirtschaftlich, und es würden bei der großen Zahl freier Chloratome zweifellos auch unerwünschte Nebenreaktionen (z. B. die Rückbildung von Chlormolekülen) eintreten. So aber liegen die freien Radikale und Atome immer in verschwindend geringer Menge vor, so daß sie im wesentlichen nur mit den genannten Molekülen reagieren können und mit Nebenreaktionen nicht zu rechnen ist.

353

3: Die Olefinpolymerisation

Die Zahl der nach diesem Kryptoradikalmechanismus verlaufenden Kettenreaktionen ist zwar bei weitem nicht so groß wie die der Kryptoionenreaktionen, jedoch trifft man ihn verhältnismäßig häufig bei den Umsetzungen der Paraffine (S. 36 f) an, die sich, wie ja schon deren Name sagt (S. 29), nach dem normalen Ionenmechanismus kaum zur Reaktion bringen lassen. Ferner ist eine praktisch wichtige, nach dem Radikalmechanismus verlaufende Kettenreaktion die durch freie Radikale oder Atome ausgelöste Olefinpolymerisation. Bei der Olefinpolymerisation tritt das die „Kette" startende freie Radikal R- in einem grundsätzlich gleichartigen Elementarakt mit dem n-Elektronenpaar des Olefins in Reaktion. Dies hat zur Folge, daß das neugebildete Radikalatom durch die an der Umsetzung nicht beteiligte o-Bindung mit dem restlichen Molekül verbunden bleibt. Das gleiche ist bei allen folgenden Reaktionen dieser neugebildeten Radikalatome mit weiteren Olefinmolehülen der Fall, so daß sich sämtliche Reaktionsprodukte im gleichen Molekülverband befinden. Jedes einzelne Glied der Reaktionskette trägt somit zur Verlängerung des Moleküls bei, und die Molekülgröße des Polymerisats ist direkt der Länge der Reaktionskette proportional:

1. Schritt: R .

+

X I

CH,=CH X

2. Schritt: R—CH 2 —CH + X

R—CH 2 —CH X

X

CH2=CH X

X

—* R—CH 2 —CH—CH 2 —OH

X

X

3. Schritt: R—CH 2 —CH—CH 2 —CH + C H 2 = C H — usw.

X

X

R—CH 2 —CH—CH 2 —CH—CH 2 —CH

Insbesondere verlaufen die durch Peroxide katalysierten Polymerisationsreaktionen nach diesem Schema 1 ). Die startenden Radikale entstehen hier beim spontanen Zerfall der meistens angewandten Diacyl-peroxide, der zunächst zu dem Acoxyradikal I und unter Umständen von diesem aus weiter durch CO2-Abspaltung zu dem noch aktiveren Alkyl- bzw. Arylradikal II f ü h r t : R—CO—0—0—CO—R



2R—CO—O1

~

2 co

'- >

2 R. 11

Zum Schluß sei noch kurz auf die Frage eingegangen, woran man erkennen kann, ob eine Reaktion nach dem Kryptoionen- oder Kryptoradikalmechanismus verläuft, denn die summarische Gleichung läßt häufig beide Mechanismen zu. Trotzdem ist meistens eine eindeutige Zuordnung auf Grund der die Reaktion auslösenden oder beschleunigenden Faktoren möglich. III ll |

So ist ein untrügliches Merkmal aller Kryptoionenreaktionen, daß ihre Geschwindigkeit durch Säuren oder Basen beeinflußt wird.

Die Säurekatalyse (sowie die analoge Katalyse durch LEwis-Säuren vom Typus des AlClj) beruht nämlich auf der intermediären Bildung von Komplexen und der dadurch *) Grundsätzlich kann die Olefinpolymerisation auch nach dem Ionenmechanismus vor sich gehen, z. B. wenn sie durch starke Säuren oder (im Falle des Vorliegens konjugierter Doppelbindungen) auch durch Alkalimetalle oder metallorganische Verbindungen ausgelöst wird. Hier finden ähnliche Kettenreaktionen statt, bei denen jedes Kettenglied in der Addition eines KohlenstoffIons an die Doppelbindung unter Ausbildung eines neuen ionischen C-Atoms besteht (Näheres vgl. II, Kap. 4, I I , 3 a a und ß). 23

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 10, I I I :

354

Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie

erhöhten Polarität der Bindungen (vgl. S. 332), die nur die Neigung zur ionogenen Spaltung, nicht aber die zur Radikalspaltung verändern kann. Ähnlich bedeutet eine Basenkatalyse die Erhöhung der nucleophilen Aktivität eines Elektronendonators (etwa durch Abdissoziation eines Protons zu dessen stark basischem Anion). Ein charakteristisches Beispiel für eine derartige Zuordnung zum lonenmechanismus stellt die oben diskutierte Benzolchlorierung (S. 351) dar. Hier kann aus dem Umstand, daß die Reaktion durch Aluminiumchlorid beschleunigt bzw. überhaupt erst ermöglicht wird, mit Sicherheit geschlossen werden, daß die Spaltung des Chlormoleküls und damit auch alle anderen Teilvorgänge kryptoionisch verlauien. Ähnlich geht die Hydrolyse der C—Cl-Bindung der Chloressigsäure in Gegenwart des nur schwach basischen Wassers viel langsamer vor sich als bei Anwesenheit der stark basischen Hydroxyl-Ionen. Hieraus folgt, daß die basischen Eigenschaften des Spaltungsmittels und damit seine nucleophile Natur für den Ablauf der Reaktion entscheidend sind, was wiederum für den Kryptoionenmechanismus spricht.

Auf einen Radikalmechanismus kann man dagegen bei allen Reaktionen schließen, die durch Reagenzien gestartet werden, die zum Zerfall in freie Radikale oder Atome neigen. Ferner sind alle Radikalreaktionen dadurch ausgezeichnet, daß sie nicht mehr den für die Kryptoionenreaktionen geltenden Gesetzen, wie etwa der Regel von MAR. KOWNIKOW (S. 44) oder den HOLLEMAS sehen Substitutionsregeln (S. 62) gehorchen. Typische Substanzen, die leicht freie Atome oder Radikale liefern und dadurch nach dem Radikalmechanismus verlaufende Kettenreaktionen auslösen, sind : 1. die freien Halogene bei Belichtung (vgl. S. 352), 2. zahlreiche Peroxyverbindungen, die stets im Sinne der auf S. 353 formulierten Gleichung in der Molekülmitte zerfallen, 3. elementarer Sauerstoff (der zwar selbst kein freies Radikal darstellt aber häufig wie ein solches reagiert) bei vielen Autoxydationsreaktionen, und 4. verschiedene zur Abspaltung von elementarem Stickstoff neigende aliphatische Azoverbindungen, die hierbei die beiden an die Azogruppe gebundenen Reste in Form der freien Radikale freisetzen: Alk--N=N-:-Alk'

Zersetzung^

Alk-

+

|N=N! +

'Alk'

Der letztere Vorgang spielt u. a. bei der (¡OMBERfi-Reaktion (S. 228) eine Rolle. Hier zerfällt das Zwischenprodukt IV in Stickstoff, ein Aryl- und ein Acoxy-Radikal, und diese beiden Radikale setzen sich in einer Kryptoradikalreaktion mit einem Molekül des Lösungsmittels H—Ar' zu einem Diaryl- und einem Carbonsäuremolekül um: Ar- -N==N- - 0 — A c

>

Ar-

+

Ac—O-

+ H-Ar'^

A c

_

0 H

+

Ar—Ar'

IV

Infolge dieses Radikalmechanismus gelten für die GoMBERG-Reaktion nicht mehr die HOLLEMANsehen Svbstitutionsregeln, und es entstehen die o-, m- und p-Verbindungen nach annähernd statistischen Gesetzen nebeneinander.

11. K a p i t e l

Die zwischenmolekularen Beziehungen Neben den den Molekülzusammenhalt bewirkenden zwischenatomaren Kräften sind für den Organiker auch die zwischenmolekularen Kräfte von Interesse; denn auf sie ist in erster Linie der ganze äußere Habitus seiner Substanzen (Schmelz- und Siedepunkt, Lösungseigenschaften usw.) zurückzuführen. Ferner können die zwischenmolekularen Beziehungen zur Bildung neuer Verbindungen führen.

I. Die Natur der zwischenmolekularen Kräfte Unter zwischenmolekularen Kräften oder Assoziationskräften versteht man alle Anziehungskräfte, die zwischen nicht durch Atombindungen unmittelbar miteinander verbundenen Atomen auftreten, also sowohl zwischen den Atomen verschiedener Moleküle als auch zwischen entfernten Atomen des gleichen Moleküls. Die Assoziationskräfte sind die eigentliche Ursache für die Zusammenballung der Moleküle in den flüssigen und festen Phasen. Sie treten bei allen bekannten Verbindungen auf, sind also unlösbar mit der Materie verbunden, wie aus der Tatsache, daß jedes Gas bei genügend tiefer Temperatur verflüssigt werden kann, unmittelbar folgt. Es gibt vier verschiedene Arten von zwischenmolekularen Kräften: 1. die allgemeine Assoziation oder die VAN DER WAALSsehen Kräfte, 2. die elektrostatischen Anziehungskräfte, 3. die Wasserstoffbrücke und 4. die n-Elektronenbrücke. 1. Die allgemeine Assoziation oder die VAN

DER W A A L S S C H E N

Kräfte

Die allgemeinen Assoziationskräfte, die zu Ehren ihres ersten Bearbeiters auch VAN DER WAALSSche Kräfte genannt werden, gehen von jeder Art von Materie aus. Sie beruhen letzten Endes auf einer gegenseitigen elektrischen Induktionswirkung der sich bewegenden Elektronen der verschiedenen Atome (Näheres vergl. II, Kap. 6. I, 2) und nehmen infolgedessen mit der Zahl der Elektronen in einem Molekül zu. Hierin ist die Hauptursache dafür zu suchen, daß die Siede- und auch Schmelzpunkte in allen homologen Reihen mit dem Molekulargewicht ansteigen. Die VAN DER W AALS sehen Kräfte sind relativ klein (wenn auch immer noch um viele Zehnerpotenzen größer als die mit ihnen in mancher Beziehung vergleichbaren Gravitationskräfte), so daß die Trennung zweier durch Assoziation verknüpfter Atome im Durchschnitt weniger als 1% der zur Spaltung einer Atombindung erforderlichen Energie benötigt. Kleinere und mittlere Moleküle können daher leicht aus einer flüssigen oder festen Phase entweichen, d. h. die Substanzen 23»

356

Kap. 1 1 , 1 : Die Natur der zwischenmolekularen Kräfte

lassen sich ohne Zersetzung verdampfen bzw. sublimieren. Mit der Molekülgröße nimmt aber die Zahl der pro Molekül betätigten einzelnen Assoziationseffekte (jeweils zwischen zwei Atomen) immer mehr zu, so daß früher oder später ein Punkt erreicht wird, an dem die Summe dieser Assoziationskräfte die Bindekraft einer einzelnen Atombindung erreicht oder gar übertrifft. Dann aber wird bei der thermischen Beanspruchung eher eine Atombindung gespalten, als daß ein Molekül sich von den Nachbarmolekülen ablöst und in die Dampfphase übergeht. Von einer gewissen Molekülgröße ab sind deshalb alle organischen Stoffe nicht mehr unzersetzt destillierbar.

Die VAN DER WAALS sehen Kräfte wirken nach allen Richtungen des Raumes und werden nicht abgesättigt. Ihr unterliegen infolgedessen sämtliche im Anziehungsbereich eines Moleküls befindlichen anderen Moleküle in gleicher Stärke unabhängig davon, wie viele Assoziationsbeziehungen bereits geknüpft sind. Als Folge davon gibt es keine Zusammenballung einer kleinen Zahl von Molekülen zu einem „Gebilde höherer Ordnung", das sich als eine Art „Übermolekül" durch besondere innere Bindekräfte von der Umgebung abgrenzt. Vielmehr beobachtet man stets durch die ganze Phase hindurch von Molekül zu Molekül die gleichen Assoziationskräfte. Die VAN DER WA AT.S sehen Kräfte führen daher nur zur Verflüssigung oder Kristallisation von Substanzen, und es tritt keine Bildung von Molekülverbindungen im Sinne der auf S. 362 gegebenen Definition ein. 2. Die elektrostatischen Anziehungskräfte Elektrostatische Anziehungskräfte, die dem CouLOMBschen Gesetz gehorchen, beobachtet man vor allem zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen. Sie sind von ähnlicher Größenordnung wie die Atombindungskräfte, weshalb man früher vielfach die Beziehungen zwischen den Ionen eines Salzes als „Hauptvalenzen" beschrieben hat. In Wirklichkeit handelt es sich aber auch hier nur um zwischenmolekulare Kräfte, denn die beiden Ionen eines Salzes sind selbständige Moleküle, die ohne Valenzbetätigung voneinander getrennt werden können (z. B . durch Auflösen in einem Lösungsmittel). Etwas schwächer sind bereits die Anziehungskräfte zwischen Ionen und Dipolmolekülen, die ebenfalls dem CouLOMBschen Gesetz gehorchen (vgl. II, Kap. 6, I, 3b) und vor allem bei der Solvatation der Ionen eine Rolle spielen. Für den Organiker sind sie nur von geringem Interesse.

Schließlich treten auch zwischen zwei Dipolen Co ULOMB-Kräfte auf, die sich bei einer gewissen gegenseitigen Stellung, in die sich die Dipole (ebenfalls auf Grund elektrostatischer Kräfte) hineinzudrehen bestrebt sind, im Sinne einer Anziehung auswirken (vgl. II, Kap. 6, I, 3c).

I

Dipolmoleküle üben daher gewisse Assoziationskräfte aufeinander aus, die sich stets den VAN D E R W A A L S sehen Kräften überlagern und infolgedessen zu Siedepunktserhöhungen führen.

Die Stärke dieser Interdipolkrätte ist zwar wesentlich geringer als die der interionischen Kräfte, übertrifft aber bei den relativ starken Dipolen der semipolaren Bindungen die allgemeine Assoziation noch erheblich (vgl. z. B . die für die Molekülgröße außerordentlich hohen Siedepunkte der Nitroverbindungen [S. 234], Sulfoxide [S. 251] und Sulfone [S. 250]). Bei den polarisierten Atombindungen sind die Dipolmomente schon wesentlich schwächer, und die Siedepunktserhöhungen gehen dementsprechend merklich zurück. Doch sieden Acetaldehyd und Dimethyläther immer noch um 65° bzw. 19° höher als das hinsichtlich der Molekülgröße mit ihnen vergleichbare Propan. Erst beim Diäthyläther und den tertiären aliphatischen Aminen wird der Einfluß des Dipolmoments auf den Siedepunkt nahezu unmerklich.

3: Die Wasserstoffbrüeke

357

Die elektrostatischen Anziehungskräfte werden ebenfalls nicht ahgesäitigt, so daß sich wieder beliebig viele Moleküle zu einem größeren Aggregat zusammenballen können. Man beobachtet deswegen auch auf Grund von Dipolanziehungen noch keine von Molekülverbindungen (S. 363).

Bildung

3. Die Wasserstoffbrücke Schon frühzeitig fiel auf, daß zahlreiche WasserstoffVerbindungen, (vor allem Wasser, Fluorwasserstoff, die Alkohole und auch Ammoniak) für ihre Molekülgröße anomal hoch sieden. Dieser Effekt kann nicht allein auf elektrische Dipolmomente zurückgeführt werden, weil die Äther trotz ihres in erster Näherung vergleichbaren Dipolmoments viel tiefer sieden als die Alkohole gleichen Molekulargewichts. Wesentlich ist dagegen das Vorhandensein von Wasserstoff, der, wie das Nichtauftreten des Effekts bei den Äthern, Kohlenwasserstoffen usw. mit nur GH-Oruppen beweist, eine gewisse Acidität besitzen muß. Ferner ist die Anwesenheit eines Atoms mit einem basisch reagierenden einsamen Elelctronenpaar erforderlich. Beispielsweise sieden weder Chlorwasserstoff, der nur ein saures H-Atom, noch Äther, der nur basische Elektronenpaare (am Sauerstoff) enthält, für sich allein anomal hoch. Bei Mischungen von beiden steigt der Siedepunkt jedoch bis auf etwa 100° an, weü nunmehr beide zum Zustandekommen des Effekts erforderlichen Atomgruppen vorhanden sind, wenn auch in verschiedenen Molekülen.

Die Messung von Atomabständen hat ergeben, daß sich in den Assoziaten derartiger WasserstoffVerbindungen das den Wasserstoff tragende Atom dem Atom mit dem einsamen Elektronenpaar ungewöhnlich stark (auf 2,7—2,9 Ä) nähert, so daß für den Abstand des zwischen diesen Atomen noch befindlichen H-Atoms zu dem Assoziationspartner nur noch 1,75—1,9 Ä übrigbleiben (gegenüber einem normalen zwischenmolekularen Atomabstand von 3,5—4,0 Ä): 0—H

10

0;MAT76A 2,71 A Abstandsverhältnisse der O — H - - 0 - B r ü c k e im Doppelmolekül der Carbonsäuren (S. 363)

N—H 10 maTSA 2.85A Abstandsverhältnisse der V — H - - 0 - B r ü c k e in kristallisierten Carbonsäureamiden

Es besteht also eine besonders enge Beziehung zwischen den beiden Atomen, für die, um einer Verwechslung mit echten Atombindungen vorzubeugen, der Name Wasserstoffbrücke1) (abgekürzt H-Brücke) eingeführt wurde. Die physikalische Natur der Wasserstoftbriicke ist noch nicht restlos geklärt (vgl. die Diskussion in II, Kap. 6, I, 4). Energetisch nimmt sie mit einer Bildungsenergie von 5—10 kcal/Mol großenordnungsmäßig etwa die geometrische Mitte zwischen der schwachen VAN DER WAALS sehen Anziehung und der echten Atombindung ein, so daß die durch sie bewirkten starken Siedepunktserhöhungen (Wasser siedet z. B. um 264° höher als das etwa gleich schwere Methan!) durchaus verständlich erscheinen.

Auf der anderen Seite kann man die H-Brücke aber auch bis zu einem gewissen Grade als eine schwache Bindung zwischen den beteiligten Atomen ansehen. 1 ) Zum Unterschied von der in der Borchemie häufig auftretenden Hydridionen-Brücke Protonenbrücke genannt.

auch

Kap. 1 1 , 1 : Die Natur der zwischenmolekularen Kräfte

358

Insbesondere werden die Bindungskräfte wie bei einer echten Atombindung nur in Richtung der Brücke betätigt und bei deren Ausbildung vollständig abgesättigt, so daß gegenüber der Umgebung nur noch die normalen vAN DER WAALS sehen Kräfte (und evtl. Dipolkräfte) in Erscheinung treten. Die WasserStoffbrücke ist daher in besonderem Maße dazu geeignet, mehrere Moleküle zu einem nach außen abgegrenzten ,,Übermolekül" zu vereinigen, das dann als kleinste Einheit einer Molekülverbindung (S. 363) fungieren kann. Ferner stabilisieren H-Brücken zwischen Atomen des gleichen Moleküls dieses häufig in einer bestimmten Gestalt (z. B. Eiweißmoleküle in der auf S. 484 beschriebenen Schraubenstruktur). 4. Die n-Elektronenbrücke Einen letzten interessanten Assoziationseffekt beobachtet man schließlich bei zahlreichen zwischenmolekularen Verbindungen vom Typus des Chinhydrons und der Pikrinsäureaddukte aromatischer Kohlenwasserstoffe und aromatischer Basen (vgl. S. 363/4). Er tritt niemals zwischen zwei gleichartigen Molekülen auf und übt infolgedessen keine siedepunktserhöhende Wirkung aus. Dagegen vermag er in noch stärkerem Ausmaß als die Wasserstoffbrücke verschiedenartige Moleküle zu einer Art „Übermolekül" zu verknüpfen, so daß man in erster Näherung den Eindruck gewinnt, es mit einer schwachen Atombindung und nicht mit einer Assoziationserscheinung zu tun zu haben. Diesen neuartigen Effekt beobachtet man immer nur dann, wenn zwei mesomeriefähige Sechsringverbindungen vorliegen, von denen die eine bestrebt ist, im Rahmen dieser Mesomerie Elektronen aus dem Sechsring abzugeben, und die andere, in analoger Weise Elektronen im Sechsring aufzunehmen. Z. B . würde der Hyirochinonarde.il (I) des Chinhydrons bei Abgabe von zwei n-Elektronen aus dem Kern die chinoide Grenzstruktur III ausbilden können und der Chinonanteil (II) durch Übernahme dieser Elektronen die aromatische Struktur IV. Diese Resonanz könnte man etwa durch die folgenden Grenzstrukturen des Chinhydronkomplexes zu Ausdruck bringen: IOH Meaomerieartiger, Übergang von einem n-Kiek trollt: n paar zwischen beiden Molekülen

Ein derartiger mesomerieartiger Ubergang von JT-Elektronen zwischen zwei verschiedenen Molekülen scheint auf den ersten Blick zwar unmöglich zu sein (vgl. z. B. S. 344). Die Tatsache, daß 1. sämtliche Verbindungen dieses Typus aus zwei zu einer ähnlichen Mesomerie befähigten Komponenten bestehen, und daß 2. ihre Bildung immer mit einer starken Farbvertiefung verbunden ist, spricht aber mit ziemlicher Sicherheit dafür, daß sich n-Elektronen am Zustandekommen dieses Effekts beteiligen, und daß speziell eine mesomerieartige Kopplung zweier rt-Elektronensysteme stattgefunden hat. Vermutlich können sich die ji-Elektronenwolken beider Moleküle beim (experimentell nachgewiesenen) Aufeinanderlegen der Ringsysteme so weit nähern, daß sie sich etwas überlappen. Dem geringen gegenseitigen

Kap. 11, II: Die Assoziationserscheinungen ohne Verbindungsbildung

359

Durchdringungsgrad der Wolken entsprechend ist die Mesomerieenergie so klein, daß die Molekülverknüpfung nur den Charakter einer zwischenmolekularen Beziehung annimmt. Man spricht deshalb wiederum besser nur von einer 7t-Elektronenbrücke statt von einer n-Elektronenbindung.

II. Die Assoziationserscheinungen ohne Verbindungsbildung Die wichtigsten der auf die vorstehend beschriebenen Kräfte zurückzuführenden Assoziationserscheinungen (ohne Verbindungsbildung) sind 1. die in dem Faktor a der V A N D E R W A A L S sehen Gleichung zum Ausdruck kommende Anziehung zwischen Oasmolekülen, 2. die Kondensation der Gase zu Flüssigkeiten, 3. die Kristallbildung und 4. sämtliche Löslichkeitserscheinungen. Alle diese Vorgänge werden in den verschiedenen Lehrbüchern der physikalischen Chemie ausführlich besprochen, so daß wir uns an dieser Stelle auf einige speziell den Organiker interessierende Randprobleme beschränken können. 1. Die Löslichkeit Im ersten Teil dieses Buches haben wir für das Lösungsverhalten der organischen Stoffe die folgenden vier Möglichkeiten kennengelernt: 1. Sie sind hydrophil (d. h. sie werden von Wasser gelöst bzw. zumindest benetzt), 2. sie sind hydrophob (d. h. sie werden von Wasser weder gelöst noch benetzt), 3. sie sind lipophil (d. h. sie werden von fettartigen Stoffen [insbesondere von Kohlenwasserstoffen] gelöst bzw. zumindest benetzt) und 4. sie sind lipophob (d. h. sie werden von Kohlenwasserstoffen weder gelöst noch benetzt). Meistens sind mehrere dieser Möglichkeiten miteinander kombiniert. So gibt es z. B. neben Substanzen, die gleichzeitig einen hydrophilen und lipophoben (bzw. umgekehrt einen lipophilen und hydrophoben) Charakter aufweisen, auch solche, die gleichzeitig hydrophil und lipophil sind. Um zu einem besseren Verständnis dieser Verhältnisse zu gelangen, ist es erforderlich, sich zunächst einmal über diejenigen Lösungserscheinungen Klarheit zu verschaffen, bei denen jeweils nur einer der Effekte wirksam ist. Hier muß man drei Arten von Substanzen (bzw. exakter von Atomgruppen, die in den Molekülen dieser Substanzen überwiegend enthalten sind) unterscheiden: 1. Die Moleküle aller Verbindungen, die keinen Sauerstoff, Stickstoff und H-Brücken-aktiven Wasserstoff enthalten, also vor allem die der Kohlenwasserstoffe, unterliegen (abgesehen von den meistens zu vernachlässigenden Dipolkräften) nur der schwachen VAN DER W AALS sehen Anziehung und beteiligen sich niemals an einer H-Brücke. Sie vermögen die durch derartige Wasserstoff brücken fest miteinander verknüpften Moleküle von flüssigem Wasser (sowie auch der kondensierten Phasen der unter 3. beschriebenen aktiv hydrophilen Verbindungen) nicht auseinander zu drängen, weil dieses nur unter Verringerung der Zahl der H-Brücken möglich wäre. Es findet daher keine Auflösung in Wasser statt, und umgekehrt kann Wasser auch nicht gelöst werden. Geht man dagegen zu einem Kohlenwasserstoff als Solvens über, so tritt ohne Schwierigkeit eine gegenseitige Lösung ein, weil hier beim Auseinanderdrängen der Lösungsmittelmoleküle nur schwache VAN DER WAALSsche Beziehungen gesprengt werden, an deren Stelle neue VAN DER WAALSsche Beziehungen treten.

Hl

Stoffe dieses ersten Typus sind also stets lipophil und hydrophob.

2. Als passiv hydrophile Substanzen bezeichnet man diejenigen Stoffe, die nur die zum Aufbau einer H-Brücke erforderlichen einsamen Elektronenpaare, nicht aber den brückenaktiven Wasserstoff enthalten (z. B. Äther, Pyridin usw.). Hier werden in Abwesenheit von aktiven Wasserstoffverbindungen im wesentlichen nur VAN DER WAALSsche Kräfte auf die Umgebung ausgeübt,

360

K a p . 11, I I : Die Assoziationserscheinungen ohne Verbindungsbildung

so daß die Verbindungen dieser Gruppe ebenso wie die der ersten in Kohlenwasserstoffen löslich sind. Erst gegenüber Wasser treten größere Unterschiede zutage, denn dessen aktive H-Atome können zu den passiv hydrophilen Atomgruppen H-Brücken schlagen. Dann ist aber eine Auflösung in Wasser möglich, weil nunmehr f ü r die beim Auseinanderdrängen der Wassermoleküle gespaltenen H-Brücken neue zum gelösten Stoff gebildet werden.

Hl

Substanzen dieses zweiten Typus sind also sowohl lipophil als auch hydrophil.

Enthalten Verbindungen schließlich beide zur H-Brückenbildung benötigten Komponenten (brückenaktives H-Atorn und einsames Elektronenpaar) im Molekül, so nennt man sie aktiv hydrophil (z.B. Wasser, Hydrazin usw.), weil hier zwischenmolekulare H-Brücken geknüpft werden können. Eine flüssige oder feste Phase dieser Stoffe zeigt infolgedessen einen ähnlich starken Molekülzusammenhalt wie flüssiges Wasser und vermag aus den schon in P u n k t 1 dargelegten Gründen kohlenwasserstoffhaltige Substanzen nicht mehr zu lösen bzw. nicht mehr in ihnen gelöst zu werden. Zu Wassermolekülen ist dagegen wie bei den Stoffen des zweiten Typus die Ausbildung von H-Brücken möglich, so daß man hier wieder eine gegenseitige Löslichkeit beobachtet.

Hl

Stoffe dieser dritten Art sind infolgedessen stets hydrophil und lipophob. Während zahlreiche organische Substanzen existieren, in denen der erste Typus ideal verwirklicht ist (z. B. die Kohlenwasserstoffe, Halogenverbindungen, Mercaptane, Thioäther usw.), enthalten die Moleküle der organischen Verbindungen des zweiten und dritten Typus neben den aktiv bzw. passiv hydrophilen Atomgruppen immer gleichzeitig die zum ersten Typus gehörenden Alkyl- bzw. Arylreste, so daß Übergangserscheinungen auftreten. Z. B. sind die niederen Alkohole, obgleich sie die aktiv hydrophile Hydroxylgruppe besitzen, noch nicht lipophob, sondern auf Grund der Solvatationskräfte der lipophilen Alkylgruppen auch in Kohlenwasserstoffen löslich (vgl. S. 78). Erst bei Häufung der OH-Gruppen (z. B. im Glycerin [S. 154/5] und in den Kohlenhydraten [S. 424]) tritt der lipophobe Charakter stärker hervor. Bei den höheren Alkoholen wirkt umgekehrt der Alkylrest so dominierend, daß die Substanzen wie reine Kohlenwasserstoffe hydrophob und lipophil werden. Ähnlich vermag der AthersauerStoff als passiv hydrophile Gruppe die beiden an ihm befindlichen Alkylreste nur bis zu einer gewissen Größe in Wasser mit in Lösung zu nehmen. I m allgemeinen beobachtet man bis zu etwa zwei 0-Atomen pro O-Atom (z. B. Dimethyläther, Glycerin-trimethyläther usw.) vollständige Mischbarkeit mit Wasser, bei der Ringverbindung Tytrahydrofuran sogar bis zu vier CHz-Gruppen pro O-Atom. Bez. der Sonderstellung der Carbonsäuren vgl. S. 363.

Besonders interessante Verhältnisse beobachtet man schließlich bei den wäßrigen Seifenlösungen, da hier in den Anionen der Fettsäuren Teilchen gelöst werden, die aus zwei einander extrem gegenüberstehenden Gruppen bestehen, nämlich 1. der sehr stark hydrophilen —G00~-Gruppe, die mit großer Kraft in Lösung zu gehen bestrebt ist, und 2. dem streng hydrophoben Alkylrest von 15—17 C-Atomen Länge, dessen Eindringen in die wäßrige Phase wegen des dazu erforderlichen Auseinanderreißens von Wassermolekülen sehr erschwert bzw. praktisch unmöglich gemacht wird. Es bildet sich infolgedessen keine normale Lösung mehr aus, sondern das Wasser benetzt, wie in Abb. 16 schematisch angedeutet, ausschließlich die anionischen Gruppen, und die Alkylgruppen ragen entweder an der Phasengrenze aus dem Wasser heraus oder bilden im Innern der Phase ,,igelartige" Kolloidteilchen, die nur indirekt über die —COO -Gruppen mit dem Wasser in Berührung stehen. Dieser charakteristische Aufbau der Seifenlösungen hat zwei für ihre Waschwirkung wichtige Folgen: 1. Die gesamte Oberfläche ist fettartig, und bei ihrer Vergrößerung brauchen nur die fettartigen Alkylreste voneinander getrennt zu werden, z. B. durch Einbau eines Kolloidteilchens in die Oberfläche (vgl. Abb. 16, linke Seite). Die Oberflächenspannung sinkt deswegen von 72 Dyn/cm f ü r reines Wasser auf etwa 30 Dyn/cm f ü r Seifenlösungen (etwa der Oberflächenspannung mittlerer Paraffine entsprechend) ab, was insbesondere in der starken Schaumwirkung zum Ausdruck kommt. 2. Wie in Abb. 17 angedeutet, können Fett-Teilchen von der lipophilen Oberfläche benetzt

2: Die Mischkristallbildung

361

und dadurch als Emulsion in das Innere der Flüssigkeit genommen werden. Seifenlösungen eignen sich deshalb besonders zum Herauswaschen fettartiger, durch reines Wasser nickt benetzbarer Stoffe (Näheres vgl. II, Kap. 6, II, 2).

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