Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte 9783787319176, 9783787319961

Im Blick auf die Grenzen und die Möglichkeiten, die die Begriffsgeschichte (eines der bedeutendsten Modelle für die wiss

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Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte
 9783787319176, 9783787319961

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Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7

Archiv für Begriffsgeschichte Begründet von Erich Rothacker herausgegeben von Christian Bermes, Ulrich Dierse und Michael Erler

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Riccardo Pozzo · Marco Sgarbi

Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Im Felix Meiner Verlag erscheinen folgende Zeitschriften und Jahrbücher: – Archiv für Begriffsgeschichte – Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft – Aufklärung. Interdisziplinäre Zeitschrift für die Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte – Zeitschrift für Kulturphilosophie – Hegel-Studien Ausführliche Informationen finden Sie im Internet unter »www.meiner.de«.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1917-6

ISSN 0003-8946 © Felix Meiner Verlag 2010. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Münzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSINorm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/afb

INHALT

Riccardo Pozzo und Marco Sgarbi Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte ...........................................

7

Die Geschichte der Begriffsgeschichte Walter Tinner Das Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie ..........................

9

Matthias Kemper Der Problembegriff der Philosophiegeschichtsschreibung. Zum problemgeschichtlichen Geschichtsverständnis Wilhelm Windelbands .........................

15

Jean Grondin Gadamer und die Metaphysik ..............................................................................

43

Frank Beck Lassen »Metaphorically Speaking« – Begriffsgeschichte and Hans Blumenberg’s Metaphorologie ...................................................................

53

Begriffsgeschichte und die politische Philosophie Merio Scattola Begriffsgeschichte und Geschichte der politischen Lehren .............................

71

Kari Palonen Der Parlamentarismus als Begriff .......................................................................

91

Begriffsgeschichte und Problemgeschichte Carlos Spoerhase Dramatisierungen und Entdramatisierungen der Problemgeschichte ............

107

Ulrich Johannes Schneider Über das Stottern in Gedanken. Gegen die Begriffsgeschichte .......................

125

Maurizio Ferraris Social Ontology and Documentality ...................................................................

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Inhalt

Martin J. Burke Histories of Concepts and Histories of Ideas. Practices and Prospects ...........

149

Massimo Marassi Feld-Begriff und Problemgeschichte ...................................................................

163

Riccardo Pozzo The Studium Generale Program and the Effectiveness of the History of Concepts ............................................................................................................

179

Marco Sgarbi Umriß der Theorie der Problemgeschichte ........................................................

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Riccardo Pozzo und Marco Sgarbi

Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte

Seit gut hundert Jahren gilt die Begriffsgeschichte als eines der bedeutendsten Modelle für die wissenschaftliche Erfassung der Geschichte der Philosophie. Parallel zur Begriffsgeschichte entstanden im 20. Jahrhundert jedoch auch andere konkurrierende Methodologien der Geschichtsbleibschreibung, wie z. B. die Problemgeschichte und die History of Ideas, die eine breite Diskussion über die Bedeutung der Philosophiegeschichtsschreibung ausgelöst haben und eine Beschreibung unter typologischen Aspekten verdienen. Von all diesen Disziplinen bleibt allerdings die Begriffsgeschichte zweifellos die älteste und am besten etablierte. Seit ihrer ersten Definition durch Gustav Teichmüller in den Studien zur Geschichte der Begriffe (1874) und deren Bewährung durch die Erarbeitung des Historischen Wörterbuchs der Philosophie (1971–2007) gilt sie als die Methode zur vollständigen und kritischen Erforschung des Bedeutungswechsels eines Begriffes in der Geschichte, also der mehr oder weniger vollständigen Darstellung aller vorkommender Verwendungen eines Begriffs oder eines Syntagmas, welche von unterschiedlich starker Bedeutung für das Denken eines Autors oder die theoretischen Inhalte einer tradierten Philosophie sein können. Gegen Ende des 19. Jhs. entwickelten Wilhelm Windelband und Nicolai Hartmann in ihren Werken das methodische Modell der Problemgeschichte. In besonderem Maße sieht Hartmann in den Problemen die fundamentalen Bewegungsgründe der Geistesgeschichte, denn für ihn verkörpern sie die transzendentalen Bedingungen des Denkens. Die Problemgeschichte ist in einem idealistisch-platonischen Geschichtsmodell verankert, in dem die Probleme als ewige Ganzheiten verstanden werden, die im Laufe der Zeit verschiedene Ausdrucksformen annehmen. In der angelsächsischen Welt entstand, parallel zur Ausbildung der Problemgeschichte, die History of Ideas, derzufolge die »unit ideas« die Grundsteine der Ideengeschichte sind, die im Laufe der Geschichte grundsätzlich identisch bleiben und nur ihren Ausdruck ändern. Als Gegenbewegung zur Ideengeschichte entwickelte sich in der Mitte des 20. Jhs. die Intellectual History. Diese verlagerte ihre Aufmerksamkeit auf den Kontext, die linguistische Ausführung, die Rezipienten und auf die Art der rhetorischen Beschreibung der historischen Gegenstände. Gegenwärtig verfolgt die Intellectual History vorrangig zwei Gegenstandsbereiche: Einerseits die Sprach- und Diskursgeschichte in ihrer Anbindung an die geschichtlichen Ausformungen menschlichen Handelns, und andererseits die vielfältigen Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Riccardo Pozzo · Marco Sgarbi

Formen der Repräsentation, in denen der Mensch sich und seine Werke darstellt.1 Das Konzept der Intellectual History wurde zum Gegenstand der Kritik von Seiten der Cultural History, die ihr anriet nicht nur die intellektuellen Aspekte, die die Ausbildung einer Idee bewirkt haben, in Betracht zu ziehen, sondern auch den gesamten Kontext der materiellen Faktoren, die sie begleiten. Im Blick auf die Grenzen und die Möglichkeiten, die die Begriffsgeschichte im Laufe der Zeit entwickelt hat, entfalten die in diesem Band vorgelegten Beiträge in drei Teilen eine Analyse ihrer Geschichte, ihrer Entwicklungen und ihrer zukünftigen Perspektive. Der erste Teil behandelt die historische Entwicklung der Begriffsgeschichte und ihre bedeutendsten Leistungen, wie z. B. die Erarbeitung des Historischen Wörterbuchs der Philosophie im Beitrag von Walter Tinner sowie ihre Beziehung zur Problemgeschichte und zur Metapherngeschichte in den Beiträgen von Matthias Kemper und Franz Beck Lassen. Von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des Modells der Begriffsgeschichte war die Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, die in dem Beitrag von Jean Grodin vorgestellt wird. Nach Gadamer kann nur die Begriffsgeschichte die Geschichte der Philosophie auf authentische Weise erfassen: »Es geht nicht darum allein, einzelne Begriffe geschichtlich aufzuklären, sondern die gedankliche Spannung zu erneuern, die sich die Anstrengung des Begriffs verworfen hat. Solche Verwerfungen, in denen das Verhältnis von Wort und Begriff gleichsam aufklafft und alltägliche Worte zu neuen begrifflichen Aussagen künstlich geprägt werden, sind die eigentliche Legitimation der Begriffsgeschichte als Philosophie«.2 Der zweite Teil dieses Bandes behandelt in den Beiträgen von Merio Scattola und Kari Palonen die Beziehungen zwischen Begriffsgeschichte und politischer Philosophie. Letztere war im Laufe des 20. Jhs. eines der vorherrschenden Forschungsobjekte. Der dritte Teil beschäftigt sich mit neuen Horizonten der Begriffsgeschichte. Die Beiträge von Ulrich Johannes Schneider, Carlos Spoerhase und Martin J. Burke behandeln die Grenzen, Perspektiven und praktischen Geltungsbreiche der Begriffsgeschichte, der Problemgeschichte und der Ideengeschichte. Der Beitrag von Massimo Marassi problematisiert das Konzept des »Feldes« und der Rolle, die es in der Problemgeschichte spielte, wohingegen das Essay von Maurizio Ferraris den ontologischen Status der Konzepte erörtert. Die Untersuchung von Riccardo Pozzo zeigt den Nutzen und die Unverzichtbarkeit der Begriffsgeschichte und der Problemgeschichte als Ausformungen propädeutischen Wissens für das Studium generale. Der Band schließt mit meinem Beitrag, einem Versuch der Skizzierung eines neuen, möglichen Modells der Problemgeschichte, das die Mängel der vorangegangenen Methodologien der Geschichtsschreibung nicht wiederholt. Annabel Brett: What is intellectual history now? In: What is History Now?, hg. von David Cannadine (Houndmills 2004) 115. 2 Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke, II (Tübingen 1986) 90. 1

Die Geschichte der Beriffsgeschichte

Walter Tinner

Das Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie

I. Fasziniert von den architektonischen Schätzen Veronas, den Theatern, Kirchen, Toren, Plätzen und Palazzi, liegt die vielleicht etwas naiv scheinende Versuchung nahe, das Unternehmen HWPh mit ihren Palazzi, z.B. mit dem herrlichen Palazzo Bevilacqua, zu vergleichen. Burckhardt könnte vom Renaissance-Palazzo oder vom HWPh sprechen, wenn er schreibt »die Einheit der Fronten und des Grundplans« sei »die Mutter aller Einheit und Baulogik«, »dieser Einheit« hätten sich »auch die einzelnen Zwecke zu fügen, die unter Einem Dache erreicht werden sollen, eben so gut als einer verzettelten Anlage«. Burckhardt hätte – wenn er es gekannt hätte – unser »Wörterbuch« meinen können, wenn er die Bedeutung der neuen Gesetze für »die […] Verhältnisse der einzelnen Binnenräume« betont und feststellt, daß trotz der großen architektonischen Gestaltungskraft oft »ein leerer Raum (ein sogenannter vano)« entstanden sei, »den man häufig den Mäusen und dem Dunkeln« überlassen habe. Das heutige Erscheinungsbild unseres Wörterbuchs, seine (das dürfen wir doch wohl ohne Scham auch sagen) Großartigkeit und seine Schwächen, erklären sich zu einem großen Teil aus der frühen Geschichte des Unternehmens: In den 1950er Jahren, zehn Jahre nach Ende des Krieges, fehlen der deutschen Philosophie die wichtigsten wissenschaftlichen Instrumente: Es fehlt ein gründliches Handbuch der Philosophiegeschichte, ein neuer »Ueberweg«, und es fehlt ein umfassendes Lexikon, ein »neuer Eisler«. Der letzte »Ueberweg« war 1924-28 erschienen, die letzte, die vierte Auflage von Rudolf Eislers »Wörterbuch der philosophischen Begriffe« 1927–30. Schon 1927 hatte Erich Rothacker ein »Handwörterbuch der gesamten geisteswissenschaftlichen und kulturphilosophischen Grundbegriffe« in Angriff genommen; der junge Joachim Ritter arbeitete eine kurze Zeit für dieses Unternehmen; nun, 1950, erneuert Rothacker diese Forderung und die Mainzer Akademie nimmt das Projekt auf. In die Lücke stoßen zwei weitere Projekte: 1. Eine Gruppe um Walter Brugger, der schon 1948 ein philosophisches Wörterbuch publiziert hatte, faßt den Plan, zusammen mit dem Verlag Kösel (später mit Herder) eine deutsche Übersetzung und Bearbeitung der soeben Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Walter Tinner

1957 bei Sansoni erschienenen 4-bändigen »Enciclopedia filosofica« herauszubringen. 2. Bereits 1956 hatten die Erben des Verlags Mittler & Sohn dem SchwabeVerlag in Basel die Verlagsrechte am »Ueberweg« verkauft. Im Juni 1957 bietet Toeche-Mittler dem Schwabe-Verlag auch die Rechte am »Eisler« an. Paul Wilpert und das Thomas-Institut in Köln, die für Schwabe bereits die Bearbeitung des »Ueberweg« in Angriff genommen haben, trauen sich auch die Aktualisierung des dreibändigen »Eisler« zu. Der Verlag ist skeptisch, obwohl das Thomas-Institut den »neuen Eisler« mit »verhältnismässig geringem Honoraraufwand (Fr. 15.000.–)« und »verhältnismässig bescheidenem […] Spesenund Arbeitsaufwand« innerhalb von 5 Jahren glaubt realisieren zu können. Der Verlag Schwabe greift also sofort zu, als ihn im April 1959 der Hinweis erreicht, der Münsteraner Philosoph Joachim Ritter zeige Interesse an einer Neubearbeitung des »Eisler«. Damit beginnt die eigentliche Planungs- und Realisierungsphase des neuen Wörterbuchs; ich skizziere ein paar wichtige Aspekte und Stationen in 9 Schritten: 1. Erste Bedingung für Ritter ist, daß er die Neubearbeitung in enger Zusammenarbeit mit seinen Schülern realisieren kann. Der Verlag verhandelt mit dem ganzen Kreis, am liebsten aber mit Ritter allein, denn es ist »leichter […], mit Prof. Ritter zu verhandeln, wenn er allein statt in Gesellschaft seiner auch geschäftlich sehr tüchtigen Mitarbeiter ist«. Zu diesem Kreis oder, wie Michael Landmann schreibt, zum »Kreis von durchweg forscherlich veranlagten Jüngeren« gehören: Hermann Lübbe, Ludger Oeing-Hanhoff, Robert Spaemann, Karlfried Gründer, Heinrich Schepers, Wilhelm Kambartel und Odo Marquard. Das Verhältnis des Verlags zu Ritter und seinem Kreis ist von Anfang an hervorragend. 2. Eine genauere Analyse des »Eisler« zeigt, daß der »Eisler« nicht »durch eine Art Kleiderbadverfahren« zu renovieren ist; es muß »ein neues Wörterbuch entwickelt werden«, das keine vorangehenden Begriffsdefinitionen gibt und »keine Kanonisierung bestimmter Wortbedeutungen und damit bestimmter Doktrinen« vornimmt. »Das Lexikon« soll »(unter Einbeziehung des Sprachgeschichtlichen) eine Begriffsgeschichte intendieren« (Protokoll der Sitzung vom 13. August 1959). 3. Die institutionelle Basis des Unternehmens soll optimal verstärkt werden: Hans Georg Gadamer, Präsident der Kommission für begriffsgeschichtliche Forschung bei der DFG und neben Walter Brugger als Herausgeber der deutschen Version der »Enciclopedia« vorgesehen, soll als Herausgeber neben Ritter für das neue Wörterbuch gewonnen werden. Der Ritter-Kreis strebt eine Einbindung in die entsprechenden Forschungsvorhaben der DFG und der Mainzer Akademie an und wappnet sich zugleich für den Konkurrenzkampf um Autoren und Marktanteile gegen das Bruggersche Projekt. Die Verhandlungen mit Gadamer dauern vom 5. November 1959 bis zum 10. Januar 1961. Sie schei-

Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie

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tern weniger daran, daß (wie Gadamer schreibt) sich trotz der »modernen Verkehrsmittel« eine vernünftige Zusammenarbeit »über eine derartige Reiseentfernung, wie sie zwischen Münster und Heidelberg besteht«, nicht durchführen läßt, als vielmehr an den Honorarforderungen Gadamers und an seiner Bedingung, daß die vollständigen Rechte am neuen Lexikon und an allen weiteren Auflagen bei den beiden Herausgebern und nicht beim Verlag zu liegen hätten. Gadamer bleibt Herausgeber des 1971 definitiv gescheiterten Brugger-Projekts. 4. Ritter unterzeichnet am 6. Februar 1961 den Vertrag als alleiniger Herausgeber: »[…] ich weiß, daß das Werk, das getan werden soll, notwendig ist, und ich hoffe, daß es […] zu der guten Vollendung gebracht werden kann, die wir wünschen.« 5. Ende 1961 ist die Nomenklaturarbeit abgeschlossen. Das neue Wörterbuch soll 5500 bis 6000 Begriffe enthalten, 2500 Begriffe mehr als der »alte Eisler«. »Diese beträchtliche Erweiterung wird, wie ich glaube, die wissenschaftliche Bedeutung des Wörterbuchs bestimmen«, schreibt Ritter optimistisch. 6. Mitte 1962 steht das Konzept des Wörterbuchs; vorgesehen sind 4 Typen von Artikeln: a) 70 große Artikel behandeln Begriffe mit längerer und verzweigterer Begriffs- und Wortgeschichte (z.B. »Erfahrung«, »Geschichte« etc.) b) 3500 kleinere Artikel behandeln Begriffe, »die einen in der Geschichte weitgehend fixierten Gebrauch haben und nur wenigen, deutlich übersehbaren Bedeutungsveränderungen unterworfen waren (z. B. ›Geschichtsphilosophie‹)« c) 1700 Definitionsartikel beschreiben »Wörter mit fester Bedeutung in der philosophischen Literatur […] (z. B. ›Satz an sich‹, Bolzano)« d) 700 Kleinstartikel bilden Verweise. Richtlinien und Leitgedanken werden ausgearbeitet. Man ist der Meinung, daß es keinen Sinn habe, »durch einen bestimmten Begriff von Begriffsgeschichte Einschränkungen zu präjudizieren«. Das Lexikon steht dem ganzen »Spektrum von einer Problemgeschichte […] bis zur Wortgeschichte, Wortgebrauchsgeschichte« und zentral auch der Metaphorologie offen. Dieses problematische, lose Konzept prägt die ersten Bände des Wörterbuchs. 7. Im November 1964 bewilligt der Verlag dem Münsteraner Redaktionsbüro erstmals die befristete Anstellung einer Schreibkraft, im Bewußtsein, daß, wie er schreibt, »wir die Arbeiten in etwa einem halben Jahr hinter uns haben« werden. Am 15. Mai 1968 erfolgt die Anstellung einer vollamtlichen Sekretärin; die Stelle besteht in Berlin noch heute. 8. Ende 1966 spricht die DFG für das Jahr 1967 die Mittel für die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, weitere Mittel für eine Schreibkraft und studentische Hilfskräfte, Sachmittel für Reisespesen und zur Anschaffung von Diktiergeräten für die Redaktoren. Ritter stellt für das Jahr 1968 einen Verlängerungsantrag und verfaßt einen deutlichen Bericht in der Überzeugung, »daß es

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Walter Tinner

dem Sinn solcher Berichte widerspricht, schönsprecherisch die wirkliche Lage zu verschleiern«. 9. Ende 1966 sieht das Konzept noch immer ein Wörterbuch in drei Bänden vor (1: A–H; 2: I–P; 3: Q–Z); alle Manuskripte sollen Ende 1967 vorliegen. Die Frist wird auf Ende 1968 verlängert; 1969 sind aber erst ein Drittel der Manuskripte in der Redaktion. Um die Kräfte zu konzentrieren, wird der Umfang des ersten Bandes auf die Buchstaben A–F beschränkt; vorgesehen sind damit jetzt insgesamt 4 Bände. Mitte 1970 liegen erst die Artikel der Buchstaben A, B und C mehr oder weniger vollständig vor; in D–F fehlen noch immer wesentliche Artikel. Es zeigt sich zudem, daß der Band A–-F zu umfangreich würde. Man entschließt sich also im Juli 1970 zu einer weiteren Aufteilung des ersten Bandes und entwickelt ein neues Wörterbuch-Konzept in 8 Bänden. Der erste Band A–C erscheint im Januar 1971; der zweite D–F im Herbst 1972. Stärken und Schwächen des Lexikons werden sofort deutlich und von den Rezensenten schonungslos genannt: a) Positiv vermerkt wird die Vielfalt der berücksichtigten philosophischen Disziplinen und der Einbezug für die Philosophie relevanter Grundbegriffe von Wissenschaften wie Theologie, Psychologie, Biologie, Rechts- und Staatwissenschaft etc., kritisiert aber doch eine gewisse Zufälligkeit der Nomenklatur. b) Gelobt wird das hohe Niveau der Artikel, die eigene Forschungsleistungen darstellen; bemängelt werden die Artikel, denen »die Eierschale des Zettelkastens« noch anzuhaften scheint. c) In Band 1 finden sich unerklärliche Fehler, die für die weiteren Bände eine genaue Kontrolle der Zitate nötig machen. d) Die Verweise müssen besser gesichert werden.

II. Hatte man einmal gemeint, 1962/63 mit dem damals dreibändigen Lexikon fertig zu sein, dann 64/65 oder 68/69, so war 1971/72 ein deutlicherer Realismus eingekehrt. Die neuen Strukturen und die Finanzierungsvorgaben waren jetzt auf eine längere Zeit bis zur Vollendung des 8-bändigen, dann des 10-bändigen, schließlich des 12-bändigen Werks angelegt und waren den neuen Gegebenheiten des Herausgeberkreise angepaßt: 1. Das Hauptbüro des HWPh befand sich unter der Hauptherausgeberschaft von Joachim Ritter bis zu seinem Tod 1974 und unter dem Nachfolger Karlfried Gründer bis zu seiner Berufung nach Berlin in Münster. In Berlin befindet es sich seit 1981. Seit 1998 ist Gottfried Gabriel Hauptherausgeber. 2. Die großzügige Finanzierung der wissenschaftlichen Arbeiten unter der Aufsicht der Mainzer Akademie durch Bund und Länder mit zweimaliger Verlängerung bis Ende 2006 hat es erlaubt, zwei hervorragende wissenschaftliche

Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie

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Mitarbeiter mit der Leitung der Hauptredaktion und der Koordination der verstreuten Redaktionen zu betrauen. 3. Hatten die Schüler Ritters zu Beginn den Status von redaktionellen Mitarbeitern in Münster, mußte sich die Struktur der Herausgeberschaft mit der allmählichen Wegberufung der Schüler auf Lehrstühle in Bochum, Stuttgart, Giessen etc. verändern: Aus den Mitarbeitern wurden für ihr Fachgebiet weitgehend selbstverantwortliche Mitherausgeber; Redaktionszentren entstanden neben Berlin in Bochum, Giessen, Konstanz, München, Oldenburg, Tübingen, Bielefeld, Hagen, Basel, Hildesheim, Dresden, Kiel. 4. Beim Verlag in Basel wurde ein vollamtliches Lektorat mit Sekretariat geschaffen. Natürlich konnten alle diese positiven organisatorischen Maßnahmen nicht verhindern, daß das Werk trotzdem mehrmals in Krisen geriet, die seine Existenz und Vollendung tödlich bedrohten. Ich nenne nur drei Beispiele: 1. 1986/88 (bei Band 7 P–Q) waren die Umfänge der Artikel und die Termindisziplin so sehr aus dem Ruder gelaufen, daß der Fortgang des Werks nur noch durch drastische Maßnahmen zu gewährleisten war. Dies gelang durch eine neue »Umfangbewirtschaftung« und durch die Einführung eines strengen Mahn- und Sanktionswesens. 2. 1992 war die 25-jährige Finanzierungsdauer abgelaufen. Das Werk war unseligerweise erst beim Artikel »Seele« angelangt, und die finanzielle Situation der öffentlichen Geldgeber war nicht die beste. Durch das Versprechen, bei den ausstehenden Bänden einen strikten Dreijahresrhythmus einzuhalten und Ende 2004 den letzten, den 12. Band vorzulegen, erreichten wir eine Erstreckung der Finanzierung bis Ende 2004 und schließlich für den Indexband bis Ende 2006. 3. Eine weitere schwere Klippe hat schließlich, wie sich leicht vorstellen läßt, 1998 der Wechsel in der Hauptherausgeberschaft dargestellt. Daß Stolz und Genugtuung heute trotzdem einigermaßen groß sind, vermögen vielleicht die paar Fakten plausibel zu machen, die ich Ihnen jetzt zum Schluß noch kurz geben will: 1. Das 12-bändige Werk behandelt in 17.144 Spalten 3.670 Begriffe; das grösste Lemma (»Philosophie«) umfaßt mit den Komposita 354 Spalten. 2. Am HWPh haben neben den ca. 50 Redakteuren und redaktionellen Mitarbeitern über 1500 Autoren vom Studenten bis zum Bundespräsidenten (Roman Herzog) mitgewirkt. 3. Das Werk hat bisher ca. 15 Millionen Euro verschlungen, die durch die öffentlichen Geldgeber und die Verlage aufgebracht wurden. 4. Die Gesamtauflage beträgt 15.000 Exemplare.

Matthias Kemper

Der Problembegriff in der Philosophiegeschichtsschreibung Zum problemgeschichtlichen Geschichtsverständnis Wilhelm Windelbands

Wie kommt es, daß die Philosophie eine Geschichte hat? G.W. F. Hegel1

I. Der Mensch, so hat es Odo Marquard einmal beschrieben, verfüge über »ein zu Meinungsverschiedenheiten neigendes Wesen. Wo diese Meinungsverschiedenheiten ins Grundsätzliche abgleiten, berühren sie die Philosophie. So will zwar die Philosophie die eine sein. Gleichwohl gibt es viele Philosophien.«2 Dort, wo der philosophisch proklamierte Wahrheitsanspruch durch die Mehrzahl konkurrierender Philosophieauffassungen gebrochen wird, ist ein Thema berührt, von dem die nachfolgenden Überlegungen zu handeln haben. Dieses eigentümliche Spannungsverhältnis trägt der Philosophiegeschichte häufig den Ruf ein, als Grabkammer des philosophischen Gedankens und des lebendigen Philosophierens zu gelten. Dieser Verdacht wird zumeist dann ausgesprochen, wenn der Geltungsanspruch des je eigenen Philosophierens in Abgrenzung oder in Anlehnung zu den bislang erreichten Theoriepositionen herausgestellt werden soll. Dieser Gestus begreift die eigene systematische Leistung entweder aus der Kontrastwirkung des historisch Überholten und Überlebten oder aus der systematisch gerechtfertigten Überhöhung einer historischen Form der Theoriebildung mit dem Ziel, die eigene Theoriebildung in diese Tradition einzustellen. Je nach Haltung wird die Geschichte der Philosophie dann zum Museum überholter Irrtümer oder zum Behälter zahlreicher Repristinationen der hervorgehobenen Tradition. Ein solcher Umgang mit Geschichte liegt nahe, wenn das Verhältnis von begrifflicher Systematik und zeitlicher Bewegung aus der jeweiligen Opposition heraus gedacht wird. »Der philosophische Zeitbezug ist kritisch. Von jeher steht der Wandel der Zeit im Verdacht, der Raum der Gefährdung, nicht der Verwirklichung der Wahrheit zu sein.«3 Der notorischen Abneigung

1 Georg W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. Werke Bd. 18 (Frankfurt a.M. 1986) 15. 2 Odo Marquard: Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie (Frankfurt a.M. 19974) 107. 3 Ralf Konersmann: Kulturelle Tatsachen (Frankfurt a.M. 2006) 35.

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Matthias Kemper

gegenüber der geschichtlichen Veränderlichkeit des eigenen Theorienbestandes korrespondiert jedoch zugleich ein Hang, sich die philosophische Tradition systematisch anzueignen. Dieser Umstand gibt zu einigen Fragestellungen Anlaß: Wie wird der philosophische Gedanke überhaupt geschichtlich? Kann philosophisches Denken sich selbst in einer der Zeit entäußerten Gestalt gegenübertreten und zum Gegenstand der eigenen Reflexion machen? Lassen sich systematisches Interesse und historische Forschung überhaupt sinnvoll voneinander abgrenzen und wie kann diese Abgrenzung zwischen systematischen und historischen Wissensformen theoretisch geleistet und ausgewiesen werden? Die zahlreichen Bemühungen, Antworten auf diese Fragen zu finden, haben in den vergangenen drei Jahrhunderten immer wieder und stets neue Argumentationsanlässe geboten. Unbefangen betrachtet mögen diese Fragestellungen und die dazugehörigen Problemdebatten zunächst Erstaunen hervorrufen, denn von der Historiographie benachbarter Wissenschaftsfelder wird keineswegs verlangt, eine aktive Rolle in dem Fach zu spielen, das sie historisch untersucht. »Von einem Literaturhistoriker erwartet man keine akademischen Abhandlungen, die selbst von literarischem oder poetischem Wert wären […], von einem Historiker […] nicht, daß er auf dem Gebiet, das er bearbeitet, selbst praktisch, d. h. politisch, tätig ist.«4 Letzteres würde wohl zu recht beargwöhnt werden. In der Philosophie jedoch liegen die Sachverhalte anders, der Konnex von fachlicher Systematik und ihrer Geschichte interessiert, ja scheint zunächst gar nicht voneinander separiert zu denken möglich; weder in der propädeutischen Arbeit, im Philosophieren selbst, noch in der literarischen Produktion philosophischer Texte. Das Unternehmen einer distanzierten Geschichtsschreibung des Fachs, das festhält und kommentiert, wie und über was in vergangenen Zeiten philosophiert worden ist, welche Denktraditionen die philosophischen Schulbildungen dominierten, welches Schicksal die Begriffe und Methoden der Disziplin genommen haben, wird immer wieder von der Einrede eines fachbezogenen, d. h. systematisch orientierten Geschichtszugriffs flankiert. Oftmals tarnt sich dabei die philosophische Systematik geradezu im Gewande der Historiographie und so »schlüpft der Partisan ins Biedermeierkostüm.«5 Die Philosophiegeschichtsschreibung hat demnach immer wieder damit zu rechnen, von ihrem eigenen Untersuchungsgegenstand in das Interesse an der Belebung oder Wiederbelebung von Theorietraditionen und Literaturdenkmälern verstrickt zu werden. Sie bezieht hieraus jedoch auch Kristallisationspunkte der eigenen Forschungsanstrengungen, zumal das historische Interesse nicht nur auf systematische Klassifikationen, Periodisierungen und typologische Differenzierungen angewiesen

4 Hans–Martin Sass: Philosophische Positionen in der Philosophiegeschichtsschreibung. Ein Forschungsbericht. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte XLVI (1972) 540. 5 Ebd. 567.

Problembegriff in der Philosophiegeschichtsschreibung

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ist, sondern auch auf deren Legitimation. Die Fachhistorie erscheint unter diesem Gesichtspunkt keineswegs nur als eine »schöne Geste der Wissenschaften gegenüber einem immer neugierigeren und zudringlicheren öffentlichen Interesse, dem der Zugang zum immer esoterischen und voraussetzungsvollen letzten Stand der Wissenschaften verschlossen ist.«6 Aber in welchem Sinne ist das Verhältnis von Systematik und Historie in der Philosophiegeschichtsschreibung bestimmbar? Sind die systematischen Prätentionen als ungerechtfertigte Einflußnahme abzuweisen und der Selbstzweck der historischen Rekonstruktion zu betonen? Oder ist das oft zu beobachtende hagiographische Interesse durchaus berechtigt, weil es den Zweck der philosophischen Reaktualisierung von Klassikern und Philosophietraditionen verfolgt und die Klassikerlektüre eine Einführung in diese Traditionen bietet? Handelt es sich bei der Philosophiegeschichtsschreibung möglicherweise selbst schon um eine systematisch orientierende Konstruktion, der keine empirischen Gegenstände, sondern letztlich gedankliche Konstrukte, eingebettet in textuelle oder kulturelle Überlieferung, gegeben sind? Kann sie möglicherweise als eine ars inveniendi einer ausgehenden Moderne verstanden werden, die andere Formen eines umfassenden dem Menschen vorgeordneten kosmologischen, ontologischen oder teleologischen Zusammenhangs nicht mehr (aner-)kennt? Im letzteren Fall könnte der Fundus der philosophischen Tradition zumindest die Sicherung von philosophischen Argumenten und Themen garantieren, die anhand der historischen Darstellungen aufgesucht und im philosophischen Diskurs durch Argumentationsprozesse geltend gemacht werden können. Die Verbindung zwischen Theorie und Geschichte der Philosophie gestaltet sich komplex und vielschichtig differenziert, bestenfalls so, daß sie der philosophischen und der historisch-methodischen Reflexion präsent ist. Beide Wissensformen verhalten sich keineswegs immer strukturähnlich zueinander, weshalb ihre Beziehungen zueinander theoretische Ausweisungsbedürftigkeit nahelegen. Während diese Schnittstelle von historischem und systematischem Wissen oft problematisch zu bestimmen ist, herrscht auf der anderen Seite Vielfalt in den Möglichkeiten der historiographischen Darstellung des philosophischen Denkens. Diese Pluralität der Zugriffe verbindet sich allerdings oft mit dem Problem, in welcher Weise die verschiedenen Geschichtsverständnisse untereinander koordiniert werden können. Kulturgeschichte, Biographiegeschichte und Sozialgeschichte thematisieren jeweils nach eigenen Typologien die kulturelle, individuelle, soziale, ökonomische, politische und auch lebensbezügliche Zeitlichkeit des philosophischen Gedankens, manchmal auch soweit, daß dieser vollkommen hinter der zur unhintergehbaren Gegebenheit gesteigerLutz Geldsetzer: Die Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiegeschichtsschreibung und -betrachtung (Meisenheim am Glan 1968) 208. 6

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Matthias Kemper

ten Präsenz des Trägers zurücktritt oder bereits als dessen Produkt erscheinen mag. Begriffsgeschichte hingegen vermag als philosophisch ausgerichtetes Unternehmen den »semasiologischen Charakter«7 der Fachbegriffe stärker zu betonen und den Geschicken eines Wortes, der Wandlung seiner Wortbedeutung nachzuspüren, wobei »das Aufkommen bestimmter sprachlicher Signale und semantische Veränderungen in ihrem Gebrauch recht genau zu erkunden sind,« allerdings »das qualitative und quantitative Gewicht im Sprachsystem sowie seine normative Kraft […] nur ungleich schwerer erfahrbar werden.«8 An der Seite der Begriffsgeschichte beteiligen sich deshalb oftmals arbeitsteilig ideen- oder problemgeschichtliche Fragestellungen mit deutlich systematisch orientierten Akzenten und der Betonung des Eigenrechts, zuweilen auch der Exklusivität philosophischer Fragestellungen. Vom problemgeschichtlichen Zugriff soll im Folgenden die Rede sein. In einem ersten Schritt werden entlang einiger Aspekte der begriffsgeschichtlichen Analyse des Problembegriffs seine Verwendungsweisen innerhalb der verschiedenen philosophisch orientierten Geschichtszugriffe untersucht. Daran anschließend soll die Bedeutung der durch Kant geprägten Auffassung des Problembegriffs an einigen Passagen des Frühwerks von Wilhelm Windelband erläutert und im Hinblick auf das Verhältnis von Theorie und Geschichtsverständnis aufgezeigt werden. Schließlich werden die Grundlagen des zugleich Kultur- und Wertfragen berücksichtigenden Konzeptes der Problemgeschichte skizziert, welches als eine Alternative zu den auf reinen Erkenntnisfortschritt ausgerichteten Varianten dieses Geschichtszugriffs herausgestellt werden kann.

II. Wer von historischem Wissen spricht, setzt voraus, daß damit etwas deutlich anderes gemeint ist als eine vorwissenschaftlich qualifizierte Erfahrung und Beschreibung dessen, was einmal gewesen ist. Zu verweisen ist vielmehr auf eine wissenschaftlich kontrollierte, d. h. theoretische Einsichten, Zusammenhänge, Methoden und Urteilsregeln explizierende Forschung, die der Erfahrung der geschichtlichen Wirklichkeit begriffliche und sprachliche Strukturierungen zur Ebd. 171. Die hier angesetzte Strukturierung ist systematischer Natur, nicht historischer. Die unterschiedlichen Geschichtszugriffe sind selbst aus geschichtlichen Differenzierungsprozessen hervorgegangen. Über die Geschichte der Geschichtsauffassungen (hier am Beispiel der Begriffsgeschichte) informiert die genannte Studie von Lutz Geldsetzer. 8 Karl Helmer: Modern-Moderne-Modernität. Begriffsgeschichtliche Analysen und kritische Anmerkungen. In: Revision der Moderne? Beiträge zu einem Gespräch zwischen Pädagogik und Philosophie, hg. von Lutz Koch, Winfried Marotzki und Helmut Peukert (Weinheim 1993) 10. 7

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Einordnung und Klassifikation liefert. Historisches Wissen ist in seiner Entstehung immer angewiesen auf eine reflektierende Urteilskraft, welche die Beurteilungs- und Bedeutungsrelationen zwischen den systematischen Überlegungen und den Artefakten textueller und kultureller Überlieferung zumeist durch spezifische Trägerbegriffe leistet, die eine Hierarchisierung und Gewichtung von Theorie- und Wirklichkeitsaspekten ermöglichen.9 Im Hinblick auf die Theorie der Problemgeschichte interessiert deshalb die Funktion des Trägerbegriffs. Was hat es mit ihm auf sich und was läßt sich aus seinen Verwendungsweisen schließen? Was ist überhaupt ein Problem, zumal ein philosophisches? Bekannt dürften Hans-Georg Gadamers Invektiven gegen das neukantianische Verständnis des Problembegriffs sein, die dazu geführt haben, diesen Begriff selbst stärker begriffsgeschichtlich unter die Lupe zu nehmen.10 Helmut Holzheys Analyse weist den Problembegriff wesentlich in zwei unterschiedlichen Bedeutungsumfeldern des griechisch-antiken Philosophierens nach. 11 Eine geometrische Verwendung ist von einer dialektisch-topischen zu trennen. Jene besteht in der Gegenüberstellung von Problem und Theorem sowie Postulat und Axiom und »folgt dem Abgrenzungskriterium, daß die Formulierung eines Problems es nicht ausschließt, […] dem Untersuchungsgegenstand […] entgegengesetzte Prädikate zuzusprechen, während das Theorem nicht auch das Gegenteil einer gegebenen Eigenschaft zuläßt.«12 Ein Problem im geometrischen Verständnis läßt sich damit als eine lösbare Konstruktionsaufgabe, die zumeist eine Konstruktionsanalyse einschließt, verstehen, wobei die Konstruktion als Probe verstanden wird, das Behauptete herauszufinden und zu einem Grundsatz zu gelangen, der durch sich selbst einsichtig gemacht werden kann. Gelingt dies nicht, ist das Problem gegebenenfalls umzuformulieren oder als falsch gestellte Frage und damit als nicht lösbare Aufgabe abzuweisen. Auf die in der Moderne vollzogene analytische Trennung von Erfahrung und Erforschung im Begriff der Historie macht Reinhart Koselleck aufmerksam: »Erfahrung als Erfahrung der erlebten Wirklichkeit und die geistige Tätigkeit, die früher im Sinne vormoderner historischer Forschung mitgemeint war, treten […] sprachgeschichtlich auseinander.« Jedoch hat der »moderne Begriff Geschichte die alte Erfahrung in sich aufgehoben – und damit auch die griechische Historie als Erkunden und Erforschen.« Reinhart Koselleck: Zeitschichten. Studien zur Historik (Frankfurt a.M. 2003) 28 ff. 10 Vgl. Hans–Georg Gadamer: Wahrheit und Methode (Tübingen 31972) 357 f. Lutz Geldsetzer: [Art.] Problemgeschichte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Darmstadt 1989) 1410–1414. W. Hübener: : [Art.] Problemgeschichte II. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Darmstadt 1989) 1414–1416. 11 Vgl. Helmut Holzhey: [Art.] Problem. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Darmstadt 1989) Sp.1397–1407. Helmut Holzhey: Die Vernunft des Problems. Eine begriffsgeschichtliche Annäherung an das Problem der Vernunft. In: Mathesis rationis. FS Heinrich Schepers, hg. von Albert Heinekamp (Münster 1990) 27–45. 12 Ebd. 31. 9

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Hiervon zu unterscheiden ist das Verständnis eines Problems als eine im dialektischen Sinne zu lösende Aufgabe. Probleme gehören einerseits zur »Untersuchung dialektischer, d. h. aus akzeptierten Prämissen (ex endoxon) gezogener Schlüsse«13, andererseits eignet ihnen das problematische oder rätselhafte erst zu, wenn eine Aporie vorliegt. Charakteristikum ist der auf den Inhalt bezogene Dissens, der formal die Negation und somit alternative Schlüsse aus den gleichen Prämissen ermöglicht. Was offensichtlich beide Verwendungsweisen eint, ist der Mangel an Evidenz, der ein Problem auszeichnet. Der Umgang mit diesem Mangel unterscheidet beide Methoden jedoch deutlich und letztlich auch in einem fundamentalen Sinne voneinander. Historisch bedeutsam ist gleichfalls der Umstand, daß »in der frühen Neuzeit […] die geometrische Tradition des Problembegriffs im Kontext der Analysis ein starkes Übergewicht« gewinnt, »selbst dort, wo ihr eigentlicher methodologischer Sinn zurücktritt.«14 Beide Traditionslinien bleiben letztlich jedoch in unterschiedlichen Gewichtungen erhalten. Will man unter dieser Perspektive die systematische Stellung und theoretische Bedeutung des Problembegriffs innerhalb der philosophiegeschichtlichen Forschung verstehen, ist seine Akzentuierung und Verwendung innerhalb der dialektisch-hermeneutischen, der topisch-rhetorischen und der transzendentalphilosophischen Geschichtszugänge zu analysieren. In der dialektisch-hermeneutischen Tradition ist der Umgang mit dem Problembegriff zurückgebunden an eine grundsätzliche Frage, die die Theorie der Philosophiegeschichte immer wieder gestellt hat. Es ist die Frage Hegels, die diesem Aufsatz vorangestellt wurde. Wie kommt es, daß die Philosophie eine Geschichte hat? Die Fragestellung betrifft also die Koordinierung der theoretischen Ordnung der Begriffe mit ihrer Explikation und Ent-Wicklung in der Zeit. Eine Möglichkeit diesen Hiatus zu überbrücken ist die dialektische Anverwandlung des zeitlichen Geschehens an den philosophischen Gedanken. Hegel hat diesen Weg beschritten: »Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei.« Wichtig erscheint allerdings, Hegels Zusatz nicht zu überlesen: »Diese Überzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher überhaupt; in der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung.«15 Es bedarf einer philosophischen Gesamtauffassung für den Verlauf der Geschichte, damit die zeitliche Struktur begrifflich entziffert werden kann, damit

Ebd. 31. Ebd. 34. 15 Georg W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Werke Bd. 12 (Frankfurt a.M. 1986) 20. 13 14

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der philosophische Gedanke als derselbige in der zeitlichen Veränderung wahrgenommen werden kann. Diese Zirkularität des Voraussetzens und des Wiederfindens der begrifflichen Systematik in der zeitlichen Entwicklung entfaltet einen dialektisch-hermeneutischen Zusammenhang, in dem es um die Klärung und Auslegung des Bewußtseins, um ein Denkendes Sich-Erinnern geht. In diesem Sinne interessiert nicht eigentlich das philosophische Problem selbst, sondern der »Gegensatz der Lösungen« einer Problemstellung als Leitfaden für den geschichtlichen Prozeß, um »spekulativ über ihn hinauszugehen und sie [die Lösungen, M.K.] als Momente in einem umfassenderen Zusammenhang aufzuheben.«16 Die von diesem Verständnis ausgehende Systemgeschichte zielt nicht auf die Differenz des im Problembegriff angesprochenen Evidenzmangels, sondern auf die Gleichheit, bzw. stärker auf die Identität des sich durchhaltenden philosophischen Gedankens, der diese Differenzen dialektisch in einer jeweils höheren philosophischen Systembildung aufzuheben vermag. Der im eigentlichen Sinne problemgeschichtlich verfahrende Geschichtszugriff setzt deshalb an diesem Verständnis der Systemgeschichte an und interessiert sich »für die Fronten der Systeme dort, wo sie zusammenstoßen und wo sie sich in ihrer jeweiligen Sicht zur Sache äußern […] und somit gerade in ihrer Reichhaltigkeit durchleuchtet und ausgebeutet werden müssen.«17 Hier wiederum läßt sich ein rhetorisch-topisches von einem aporetischen Verständnis der philosophischen Probleme unterscheiden. Das Verfahren der traditionellen Topik gruppiert am Leitfaden ungelöster Fragestellungen die unterschiedlichsten Lehrmeinungen und Lösungsansätze der philosophischen Denksysteme und stellt sie einander gegenüber. Dabei verfährt »die topische Einstellung […] problemorientiert, sie sucht neue Probleme und bedient sich der zur Verfügung stehenden philosophischen Systeme als Dogmatiken, um die Probleme von ihnen her anzugehen. Dazu braucht sie die philosophischen Begründungszusammenhänge der Systeme nie oder selten bis zu ihren Grundannahmen, den Axiomen zurückverfolgen […]. Man kann sich […] für die Problembetrachtung auf die nächstliegenden Argumente und Zusammenhänge beschränken, kann Kurzstreckenlogik betreiben und zwingt gerade darin Philosophie zur Konkretheit, zum Farbe-Bekennen hic et nunc.«18 Deutlich wird, daß nicht der Sachzusammenhang von Begriff und Geschehen oder ein erkenntnistheoretisch-methodologischer Zusammenhang vorrangig zu interessieren vermag, sondern der sprachlich arrangierte Konnex, der im Enthymem und im Paradeigma Abkürzungen nehmen darf, die dem logischen Syllogismus verwehrt sind. »Rhetorische Argumentation führt getrennte, fremde Dinge oder Ereignisse […] so zusammen, daß das eine durch das andere plausibel wird. Während so16 17 18

L. Geldsetzer: Philosophiegeschichte, a. a.O. [Anm. 6] 166. Ebd. Ebd. 165

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wohl das dialektisch-logische Argument als auch die epistemische Sachaussage unabhängig von weiteren Zusammenhängen, allein durch Sachbezüglichkeit Richtigkeit oder Wahrheit beanspruchen, ist Geschichte im erläuterten Verständnis von sich aus kein Argument, sie kann zum Argument dienen, sofern sie in den Zusammenhang der Argumentation einbezogen wird. Sie wird dann als Argument ein Faktor eines sprachlichen Plausibilisierungsvorgangs.«19 Dieser Typus der philosophiegeschichtlichen Betrachtung präferiert daher gegenüber dem Denken in Systemen stärker das Fragmentarische im Modus des Wagnishaften. Hiervon abgesetzt werden kann ein Problemverständnis, das sich grundsätzlich als aporetisch beschreiben läßt. Diese Auffassung, welche durch die Diskussionen um die Problemgeschichte in Abgrenzung zur Systemgeschichte im wesentlichen durch Nicolai Hartmann Bekanntheit erlangt hat, geht auf das Begriffsverständnis zurück, das in der Transzendentalphilosophie Kants grundgelegt worden ist. Bei dieser aporetischen Auffassung wird das »Denken als solches […] selbst als Problem thematisch.«20 Kants erster Satz der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft verdeutlicht den Sachverhalt: »Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.«21 Die Ausweglosigkeit der Lage entsteht durch die fragwürdige und nicht aufzulösende Gegebenheitsweise der Vernunftbegriffe selbst, denn »das absolute Ganze aller Erscheinungen ist nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen können, so bleibt es ein Problem ohne alle Auflösung.«22 Schicksalhaft nennt Kant dabei den Umstand, daß die Vernunftideen nach einem Gegenstand verlangen, der empirisch jedoch nicht gegeben werden kann, weil wir »die Ursache in unserer Idee selbst suchen, welche ein Problem ist, das keine Auflösung verstattet, und wovon wir doch hartnäckig annehmen, als entspreche ihr ein wirklicher Gegenstand.«23 Karl Helmer: Zur Geschichtsabstinenz transzendentalkritischer Pädagogik. Herleitungen, Ablösungen und mögliche Neuorientierungen. In: Colloquium Paedagogicum. Studien zur Geschichte und Gegenwart transzendentalkritischer und skeptischer Pädagogik, hg. von Wolfgang Fischer (Sankt Augustin 1994) 100. 20 H. Holzhey: Vernunft des Problems, a. a.O. [Anm. 11] 35. 21 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Werkausgabe Bd. III+IV, hg. von Wilhelm Weischedel (Frankfurt a.M. 1974) [im folgenden: KrV, hier: KrV A VII] 11. 22 Ebd. [KrV B 384] 331. 23 Ebd. [KrV B 510] 454. In der Kritik der Urteilskraft hat Kant darauf hingewiesen, daß wenigstens die in den Vernunftbegriffen zum Ausdruck kommenden Regeln, zwar nicht schematisch wie bei den Verstandesbegriffen, jedoch symbolisch, d. h. in einer figuralen Repräsentation des Regelhaften veranschaulicht werden können. Vgl. hierzu: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Werkausgabe Bd. X, hg. von Wilhelm Weischedel (Frankfurt a.M. 1974) [KU B 254–B 258] 294 ff. 19

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Kant greift hier nicht nur beide Traditionslinien des Problembegriffs auf, sondern radikalisiert diese im Hinblick auf die kritische Frage der Selbstgegebenheit der Vernunft. Da die Vernunftideen beständig einen kongruierenden Gegenstand fordern, der in der empirischen Anschauung nicht gefunden werden kann, ist die Aufgabe, die die Problemstellung zunächst annonciert, nicht erfüllbar und bleibt ohne Lösung. Damit ist das Problem im geometrischen Verständnis unauflösbar und müßte verworfen werden. Dies geht jedoch nicht, weil das Verhältnis von Begriff und Anschauung konstitutiv aufeinander bezogen ist und nur für die Totalität annoncierenden Ideen nicht eingelöst werden kann, weshalb die Problemstellung ein unentwegtes Prozedieren der Vernunft mit sich selbst verlangt. Im dauernden Aufgegebensein des Problems der Selbstsetzung der Vernunftbegriffe liegt eine dialektisch immer wieder neu zu leistende und anzusetzende Aufgabe des Philosophierens, wobei »sich vernünftiges Denken seiner eigenen problematischen Natur«24 nähert. Die »[…] Argumentation ruht auf der Bestimmung der Philosophie als einer ständig zu lösenden Aufgabe. […] Der tiefere Sinn des Aufgegebenseins besteht darin, daß sich die Vernunft selbst zum Problem wird. […] Die Selbstthematisierung ist eine Selbstproblematisierung, in der die Vernunft selbst in Frage steht. Sie hat ihre eigene systematische Verfassung ständig neu zu überdenken und die Einsicht ihrer selbst fortwährend kritisch einzuholen.«25 Im aporetischen Problembegriff ist im Anschluß an Kant die Selbstkritik der philosophischen Vernunft angesprochen und ausgefaltet. Helmut Holzhey hat in seiner Untersuchung darauf hingewiesen, daß dieser zentrale Gedanke im Neukantianismus des Marburger Umfeldes von der Vernunftkritik auf die Erkenntniskritik übertragen worden ist.26 Daß eine ähnliche Struktur für die Südwestdeutsche Schule im Werk Wilhelm Windelbands nachgewiesen werden kann, darüber sollen die anschließenden Ausführungen Auskunft geben.

III. Sofern wissenschaftliche Verfahren oder Entdeckungen an ihren Urhebern festgemacht werden, fallen in aller Regel Namen von Personen. In den Naturwissenschaften ist dies nicht anders als in den Geistes- oder Kulturwissenschaften In der Philosophie verweisen Theorie- und Wissenschaftsentwürfe ganz zentral auf die Urheberschaft und den zugeordneten Personen wird ein Denkmal innerhalb der Tradition gesichert. Diese Verknüpfungsmuster gewährleisten jedoch nicht in jedem Fall ein historische Zuschreibungsgenauigkeit, sondern

H. Holzhey: Vernunft des Problems, a. a.O. [Anm. 11] 35. Roger Hofer: Gegenstand und Methode. Untersuchungen zur frühen Wissenschaftslehre Emil Lasks (Würzburg 1997) 39. 26 Vgl. H. Holzhey: Vernunft des Problems, a. a.O. [Anm. 11] 37 ff. 24 25

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sind manchmal auch nur einem Klassifikationsbedürfnis geschuldet, denn diese Topoi gestatten aphoristische Kurzstrecken im diskursiven Miteinander, beispielsweise dann, wenn man von Platons Ideenlehre oder vom Kantischen Kritizismus spricht. Wird in diesem Sinne nach der Urheberschaft der Problemgeschichte gefragt, fällt schnell der Name des Schulgründers der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus: Wilhelm Windelband.27 Diese Zuordnung ruft mindestens Verwunderung hervor, denn die Wurzeln der Problemgeschichte reichen historisch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und Windelband ist keinesfalls das Verdienst der Urheberschaft des Verfahrens zuzuschreiben.28 Es kann deshalb mit einigem Recht vermutet werden, diese Zuordnung der Urheberschaft leiste dem Bedürfnis nach systematischer Einordnung folge. Zum Ausdruck gebracht wird hiermit, daß Windelband ein spezifisches Verständnis des Problembegriffs auf die Fachgeschichtsschreibung angewendet hat und prägte, welches im Kontext neukantianischer Theoriebildung Geltung und weitere Verbreitung erlangte. Entscheidend scheint zudem seine explizite Bezugnahme auf das von Kant in der Kritik der reinen Vernunft entwickelte Problemverständnis zu sein.29 Windelband weitete dieses Verständnis jedoch auf den gesamten Erkenntnisprozeß aus, wie er in den expandierenden Erfahrungswissenschaften zu beobachten und zu analysieren war. Diese Erweiterung der Themenstellung lag aufgrund des geschichtlichen Standes der wissenschaftlichen Forschungslage nahe, denn sowohl die naturwissenschaftliche als auch die geschichtswissenschaftliche Spezialisierung der akademischen Fächer am Ende des neunzehnten Jahrhunderts verlangte von der akademischen Philosophie eine stark erkenntnistheoretisch und methodologisch ausgerichtete Theoriebildung. Im Zentrum der Fragestellung stand das Erkenntnis- und Wissensproblem, welches jedoch nicht mehr allein als Gegenstand der philosophisch-erkenntnistheoretischen Betrachtung angesehen wurde, sondern in seinen Bezügen zu den jeweilig beteiligten Erfahrungswissenschaften zu klären war. So heißt es in Windelbands Habilitationsschrift von 1873 im Bezug auf den Begriff des Wissens: »Das Wissen ist diejenige subjectiv-objective Gewißheit, welche in der logisch nothwendigen Bearbeitung des in der Nothwendigkeit der Anschauung des äusseren und des inneren Sinnes gegebenen Vorstellungsinhaltes beruht.[…] So weiss sich also die Subjectivität im Wissen in einer lebendigen Beziehung zu etwas ausserhalb ihrer selbst Gegebenen, wenn wir auch daran festhalten müssen, daß sie nicht annehmen darf, Dinge ausserhalb ihrer selbst seien so wie ihre Vorstellungen: nur die Wahrnehmung des inneren Sinnes giebt ihr die Gewiß-

27 28 29

12.

Vgl. Manfred Brelage: Studien zur Transzendentalphilosophie (Berlin 1965) 2 f. Vgl. L. Geldsetzer: Philosophiegeschichte, a. a.O. [Anm. 6] 165 f. Vgl. Herwig Blankertz: Der Begriff der Pädagogik im Neukantianismus (Weinheim 1959)

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heit, daß die Zustände, welche sie als die ihrigen denkt, auch wirklich so, wie sie dieselben vorstellt, die ihrigen sind.«30 Windelbands stark psychologisch anmutende Definition des Wissensbegriffs beruft sich jedoch gar nicht so sehr auf Kant als auf Fichtes Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre. Es ist der Gedanke der Selbsterzeugung der Vernunft, als eines grundlos freien Aktes des Selbstbewußtseins, den Windelband an der Wissenschaftslehre Fichtes besonders hervorzuheben weiß. Die zur Interpretation herangezogene Stelle bei Fichte lautet: »Nun sollen aus dem Handeln dieser Intelligenz abgeleitet werden bestimmte Vorstellungen, die von einer Welt, einer ohne unser Zuthun vorhandenen, materiellen, im Raume befindlichen Welt u.s.w., welche bekanntermaassen im Bewusstseyn vorkommen; aber von einem unbestimmten läßt sich nichts bestimmtes ableiten, die Formel aller Ableitung, der Satz des Grundes, findet da keine Anwendung. Mithin müßte jenes zum Grunde gelegte Handeln der Intelligenz ein bestimmtes Handeln seyn, und zwar, da die Intelligenz selbst der höchste Erklärungsgrund ist, ein durch sie selbst und ihr Wesen, nicht durch etwas ausser ihr, bestimmtes Handeln. Die […] Intelligenz handelt, aber sie kann vermöge ihres eigenen Wesens nur auf eine gewisse Weise handeln. […] Hierdurch ist denn auch zugleich das Gefühl der Nothwendigkeit, welches die bestimmten Vorstellungen begleitet, begreiflich gemacht: die Intelligenz fühlt dann nicht etwa einen Eindruck von aussen, sondern sie fühlt in jenem Handeln die Schranken ihres eigenen Wesens.«31 Die von Fichte beschriebene ursprüngliche jedoch unbegreifliche Handlung der Intelligenz, aus der sich die menschliche Vorstellungswelt konstituiert, darf, so Windelband, jedoch nicht im Sinne Schopenhauers verstanden werden, als ob die vorgestellte Welt eine Erscheinung des Willens als Ding-an-sich sei, »denn nicht als Erscheinung des Willens zeigt sich uns der Vorstellungsverlauf, sondern vielmehr als ein Eigenthümliches, in dessen Bewegung sich nur der Wille als bestimmende Macht bethätigt.«32 Vorstellung und Wille sind zwar aufeinander bezogen, jedoch markiert das Gefühl der Notwendigkeit die Grenzlinie der in der produktiven Einbildungskraft angelegten Struktur von Aufgabe und Tätigkeit. Durch diese Berufung auf das Gefühl als dritte Quelle zwischen den beiden im Prozeß befindlichen Polen von Zwecksetzung und Methode vollzieht sich die Selbstbestimmung der Subjektivität. Das Subjekt ist damit Produkt der selbstsetzenden Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft und der Gedanke der Freiheit wird keineswegs in einem Widerspruchsverhältnis zum psychischen

Wilhelm Windelband: Ueber die Gewissheit der Erkenntniß. Eine psychologisch-erkenntnistheoretische Studie. (Berlin 1873) 90. 31 Johann G. Fichte: Fichtes Werke, hg. von Immanuel H. Fichte. Bd. 1 Zur theoretischen Philosophie (Berlin 1971) 440 f. 32 Wilhelm Windelband: Über den Einfluss des Willens auf das Denken. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 2 (1878) 283. 30

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Bewegungsgefüge gedeutet, sondern dieses scheint als das Ergebnis aus der Tätigkeit der Freiheit erst hervorzugehen.33 Windelband interpretiert im zweiten Band seiner 1878 erschienen Geschichte der neueren Philosophie die Bedeutung der von Fichte proponierten produktiven Einbildungskraft für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß: »Dies ist der wichtigste Schritt, den Fichte über Kant hinaus thut. Es leuchtet ein, daß dieses bewußtlose, grundlos freie Vorstellen als eine Funktion eben derselben überindividuellen Vernunfteinheit gedacht wird, welche Kant als transscendentale Apperception bezeichnete. Während aber Kant auf diese nur die formalen synthetischen Verknüpfungen des Empfindungsmaterials zurückführte, ohne sich um die Begründung des letzteren zu kümmern […], sucht Fichte in der productiven Einbildungskraft in erster Linie den Ursprung der Empfindung. Die Besonderheit der einzelnen Empfindung ist nicht zu begründen: aus dem empirischen Bewußtsein nicht, weil dies nicht weiss, wie es dazu kommt; durch die Dinge an sich nicht, weil diese überhaupt nicht gedacht werden können […]. So bleibt nur übrig, sie […] als das Produkt einer vollkommen freien, grundlosen Handlung anzusehen […]. Diese Lehre Fichtes hat […] eine enorme Tragweite. Ihr tiefster Gehalt ist der, daß alles Bewußtsein sekundärer Natur ist und auf ein Bewußtloses hinweist, welches ihm den Inhalt gibt. […] Das empirische Bewußtsein ist nur möglich, wenn sein Inhalt gegeben ist.«34 Die von Fichte ausgesprochene Hypothese der Selbstsetzung der Vernunft als eines sich selbst denkenden Bewußtseins interpretiert Windelband nun hinsichtlich ihrer Funktion für den Erkenntnisprozeß. Dem empirischen Bewußtsein muß bereits immer eine Vorstellung psychisch gegeben sein, damit die Funktion der Synthesis im Vorstellungsverlauf auf den Vorstellungsinhalt zur Anwendung kommen kann. Beide Momente stammen letztlich jedoch aus der Quelle, die dem menschlichen Denken selbst nicht zugänglich ist, weshalb über ihre Herkunft nichts ausgemacht werden kann. Das einzige, was sich über dieses Verhältnis von Erkenntnisform und Erkenntnisinhalt aussagen läßt, ist die Art ihrer Passung, d. h. die Möglichkeit der Verbindung in den menschlichen Urteilsprozessen. Die Vorstellungsinhalte können unter die Form logischer Annahmen gebracht werden, d. h. sie können unter bestimmten Voraussetzungen als Mittel für die Erkenntniszwecke der menschlichen Existenz dienen, so daß das teleologische Moment in dem Prozeß der Verknüpfung von logischer Form und Vorstellungsinhalt gegeben ist. Diese Erkenntnisprozesse drücken sich in Urteilen aus, die als Produkte der menschlichen Vorstellungsprozesse der wissenschaftlichen Untersuchung als Gegenstände zur Verfügung stehen. Windelbands erkenntnistheoretischer An-

Vgl. W. Windelband: Gewissheit der Erkenntniß, a. a.O. [Anm. 30] 80. Wilhelm Windelband: Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften. Bd. 2 Von Kant bis Hegel und Herbart (Leipzig 1880) 220 f. 33 34

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satzpunkt ist damit nicht begriffsorientiert, sondern urteilstheoretisch fundiert, da er den Prozeß des zusammenfassenden Denkens, der sich in der Urteilstätigkeit Ausdruck verleiht, in den Vordergrund der Untersuchung rückt, während er den Begriff als einen bloßen Behälter des fertigen Wissens, d. h. als eine auswählende und zusammenfassende Konstruktion der bereits in den Urteilen vollzogenen Vorstellungsmomente ansieht. Der Unterschied von Urteil und Begriff liegt psychologisch betrachtet nur in den unterschiedlichen Stadien der gleichen logischen Funktion, weshalb das Untersuchungsfeld der philosophischen Betrachtung auf die menschliche Urteilstätigkeit gerichtet wird. Urteile sind jedoch zunächst an ihre psychisch-physische Organisation gebunden – heute spricht man von ihrer leiblich, sprachlichen Einbindung – und werden dadurch zu Tatsachen des psychischen Bewegungsgefüges des Menschen, die in den Gegenstandsbereich der Psychologie fallen. Ferner gehen von menschlichen Urteilen Geltungsansprüche aus, die den Gegenstandsbereich philosophischer Untersuchungen abgeben. Schließlich kann die Geltungsbewährung der vollzogenen Urteile erwähnt werden, die sich im kulturell-sozialen Raum abspielt und Gegenstand der kulturgeschichtlichen Forschung ist. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß wird in diesem Sinne als eine in ein kulturelles Verhältnis eingebundene Tätigkeit verstanden. Dabei zeichnen sich wissenschaftliche Vorstellungsprozesse gegenüber dem natürlichen Vorstellungsverlauf dadurch aus, daß die willentliche Koordinierung des Erkenntnisganges durch die Anwendung der logischen Regeln auf die Vorstellungstätigkeit den Ablauf, die Verknüpfung und die Reihenfolge der Vorstellungsbewegungen bestimmt. »Den methodisch auf die Erkenntniss einer bestimmten Classe von Objecten gerichteten Process der Vorstellungsbildung aus der Bearbeitung der Wahrnehmungsobjecte durch die logischen Gesetze nennen wir den wissenschaftlichen und die systematisch geordnete Darstellung solcher Erkenntnisse eine Wissenschaft.«35 Die wissenschaftlichen Vorstellungsprozesse können durch die Anwendung der logischen Regeln gesteuert werden, sind jedoch dort, wo es um die Verarbeitung des Erfahrungsmaterials geht, immer auch auf hypothetische Vorgriffe angewiesen, deren Geltungsbereich problematisch ist. »Man würde sich nicht vorenthalten dürfen, daß gerade die allgemeinsten und höchsten Inductionen der Naturwissenschaft, wie jede Induction, aus der etwas Neues erschlossen werden soll, logisch unvollständig sind und daß der hohe Grad von Wahrscheinlichkeit, zu welchen sie durch die Uebereinstimmung mit den mathematischen Deductionen gesteigert werden, immer doch nur für den Umfang der menschlichen Erfahrung giltig.«36

35 36

W. Windelband: Gewissheit der Erkenntniß, a. a.O. [Anm. 30] 92. Ebd. 92 f.

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Dieses Kontingenzmoment mag im Bereich der Anwendung von Naturgesetzen minimal sein, doch auch der Geltungsanspruch dieser »Gattungsbegriffe von Veränderungen«37 liegt darin gegründet, sich hinsichtlich der in ihnen zum Ausdruck kommenden Verhältnisse konstant, d. h. ohne Widersprüche zu erzeugen, auf methodisch bestimmte Inhalte der Vorstellungen anwenden zu lassen. Prozessual kann damit »das Wissen als diejenige Tätigkeit bestimmt werden […], durch welche die Realität bestimmter Vorstellungsmomente zur Gewißheit erhoben und die Unterordnung derselben unter allgemeine Begriffe in sicherer und zweifelloser Weise vollzogen wird.«38 Aus der Explikation des Begriffs des Wissens folgt die des Erklärens, denn dieses ist »überall darauf gerichtet, einen im Wissen gegebenen und festgestellten Inhalt aus einem anderen Vorstellungsinhalt abzuleiten, ihn als ein nothwendiges Product aus einer Zusammenstellung anderen Vorstellungsinhaltes zu begreifen.«39 Erklärungen lassen sich ferner hinsichtlich ihres entweder immanenten oder hypothetischen Charakters unterscheiden: »Solange nun die erklärende Thätigkeit mit lauter Elementen des Wissens operirt, solange sie damit beschäftigt ist, nur Gewußtes aus anderem Gewußten zu begreifen und zu erklären, bezeichnen wir sie als immanente Erklärung oder als positive Erklärung: sobald sie aber einen Inhalt des Wissens aus einem anderen Inhalt abzuleiten sucht, der selbst kein Gegenstand des Wissens, sondern nur durch das Erklärungsbedürfnis unseres Verstandes zu diesem besonderen Zwecke als ein Hilfsbegriff construirt worden ist, so wird die Erklärung transcendent oder hypothetisch. Es ist hieraus klar, daß alle Wissenschaften, die einzelnen wie ihre Gesamtheit, zuletzt immer bei Elementen ankommen müssen, die nicht mehr erklärt und begriffen, sondern nur noch gewußt werden können: es ist ebenso klar, daß, solange die Unvollkommenheit der Wissenschaften es noch nicht erlaubt, diese Elemente zweifellos hinzustellen, das Erklärungsbedürfniss stets ein Recht auf die Construction erklärender Hilfsbegriffe haben wird.«40 Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse kann gemäß der gegebenen Erläuterungen als die durchgängige Anwendung der immanenten Erklärungsart bestimmt werden, wodurch die Gewinnung selbstevidenter Sätze im Vordergrund wissenschaftlicher Anstrengungen steht. Da diese Absicht im Bereich empirischer Erkenntnisgewinnung jedoch nur über heuristische Verfahren erreichbar erscheint, ist der Geltungsanspruch wissenschaftlicher Aussagen, die hierdurch erzielt wurden, als problematisch einzustufen. Diese Erklärungen bedürfen der ständigen Überprüfung ihrer Hypothesen. 37 Wilhelm Windelband: Über den gegenwärtigen Stand der psychologischen Forschung (Leipzig 1876) 8. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd. 8 f.

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An dieser Stelle scheint nicht nur die geometrische Bedeutung des Problembegriffs durch, sondern es zeigt sich ebenfalls deutlich die Nähe und Analogie zur Argumentation Kants. Die Gegenüberstellung von immanent und hypothetisch erinnert stark an die von Kant beschriebene Differenz zwischen dem apodiktischen und dem hypothetischen Gebrauch der Vernunft.41 Jener Gebrauch folgt dem Muster der Deduktion, bei der das Allgemeine als gewiß vorausgesetzt werden kann, während beim hypothetischen Gebrauch nur das Besondere Gewißheit beanspruchen kann, wobei das Allgemeine gesucht wird und bloß problematisch angenommen werden darf. »Der hypothetische Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten Ideen als problematischen Begriffen ist eigentlich nicht constitutiv, nämlich nicht so beschaffen, daß dadurch, wenn man nach aller Strenge urtheilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als Hypothese angenommen worden, folge«42 Aus der beständigen Selbstthematisierung der Vernunft bei Kant ist jetzt allerdings die beständige Selbstthematisierung der Wissenschaft in ihren Grundlagen und in ihrem Verhältnis zur Kultur geworden, denn die Problemlage der erfahrungswissenschaftlichen Wissensproduktion und Erkenntnisgewinnung erfordert eine beständige kritische Kontrolle der aufgestellten Hypothesen hinsichtlich ihres logischen Erklärungswertes. Der Problembegriff markiert damit ein wissenschaftliches Folgeproblem, welches aus dem Erkenntnisprozeß als Differenz zwischen Forschungsziel, Erkenntnisfunktion und wissenschaftlich methodischer Vorgehensweise hervorgeht. Wissenschaftliche Aussagen werden sich selbst zum Problem, wobei nicht das enthaltene Wissen, sondern die darin eingegangenen Hypothesen des wissenschaftlichen Erklärungsbedürfnisses, die sich auf das psychische Bewegungsgefüge der Vorstellungsbildung zurückführen lassen, der kulturellen und damit der konstanten Bewährung ausgesetzt werden müssen. Individuelle Vorstellungsprozesse, wissenschaftliche Geltung und kulturelle Geltungsbewährung bleiben somit aufeinander bezogen. Entscheidend auf dem Weg der Entwicklung von diesem Problembegriff der Gründerzeit zur Problemgeschichte der Jahrhundertwende, wie Windelband sie in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts formuliert hat, ist das Geschichtsverständnis, das sich aus seiner Frühphilosophie ableitet. Die Auseinandersetzung mit Fichte hatte die Erkenntnistheorie und Methodologie in den Vordergrund der Betrachtung gestellt und den Fokus auf den Erkenntnisprozeß gerichtet. Diese Überlegungen werden ebenfalls in der 1878 erschienen Geschichte der neueren Philosophie fruchtbar gemacht. Dabei versteht Windelband die Philosophiegeschichte wesentlich als die Geschichte der Erkenntnistheorie und der Logik. Im Vorwort zur ersten Auflage schreibt er:

41 42

Vgl. I. Kant: KrV B 674 [Anm. 21] 566 f. Ebd. [KrV B 675] 567.

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»Philosophische Systeme wachsen nicht mit logischer, sondern mit psychologischer Notwendigkeit; aber sie erheben den Anspruch auf logische Geltung. Sie wollen daher zugleich pragmatisch und kritisch, zugleich kausal und teleologisch betrachtet sein; zu begreifen und zu erklären sind sie nur aus den Ideenassoziationen, welche in diesem Falle nicht nur individuellen, sondern weltgeschichtlichen Charakters sind; und sie sind zu beurteilen nur nach dem Maße, in welchem diese Assoziationen ich den logischen Gesetzen zu fügen vermocht haben.«43 Die Bedeutung dieses Werks für die Entwicklung des problemgeschichtlichen Verfahrens sollte zur Kenntnis genommen werden, denn es liefert in seiner Grundtendenz bereits systematische Fundamente für das Konzept und wird getragen von der deutlichen Absicht, historische und systematische Forschung aufeinander beziehen zu wollen. Richard Falckenberg hat in seiner Rezension zwei entscheidende Punkte deutlich herausgestrichen, die bereits den Weg zur Problemgeschichte aufzeigen. So sieht er einerseits die originelle Leistung der kulturgeschichtlichen Darstellung Windelbands darin, »daß sie zum beherrschenden Gesichtspunkt den methodologischen wählt. […] Hervorgegangen aus Studien über die philosophischen Methoden und ihren historischen Ursprung, verlegt das Buch den Schwerpunkt in die Erkenntnistheorie […].«44 Andererseits, so streicht Falckenberg in seiner Rezension deutlich heraus, könne das Projekt, die Geschichte der Philosophie aus der Entstehung der einzelnen philosophischen Methoden heraus zu verstehen, letztlich als gescheitert gelten, da der Begriff der Philosophie weder historisch noch systematisch im Begriff der Methode aufgehe. Windelband begriff – offensichtlich durch seine Leipziger Zeit positivistisch orientiert – einerseits den empirischen Ort menschlicher Vorstellungsprozesse in dem individuellen psychischen Bewegungsgefüge, welches als wissenschaftliches Untersuchungsfeld der Psychologie zugeordnet ist, und andererseits die Kultur als den Raum der Geltungsbewährung der Urteile, welcher der Kulturgeschichte, bzw. Völkerpsychologie als Gegenstandsfeld der Erforschung zugerechnet wird. Aus diesen beiden Bereichen geht – folgt man diesen Gedanken – der Gegenstand der Philosophie als ein Drittes erst hervor, wobei der Geschichte der Philosophie die Aufgabe zufällt, verständlich zu machen, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Methoden der Philosophie, die zwar als ein Produkt der Vermittlung von Individualität und Kultur entstanden sind, ihren selbstgestellten Aufgaben gerecht geworden sind, d. h. ihren Wilhelm Windelband: Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der Allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaften. Bd. 1 Von der Renaissance bis Kant (Leipzig 51911) IV. 44 Richard Falckenberg: Rezension: Geschichte der neueren Philosophie. In: Philosophische Monatshefte XIX (1883) 187. Neben Richard Falckenberg rezensieren noch Jürgen Bona Meyer und Hans Vaihinger Windelbands Geschichte der neueren Philosophie. Vgl. Jürgen Bona Meyer: Rezension: Geschichte der neueren Philosophie. In: Deutsche Literaturzeitung 12 (1881) 437– 439, und Hans Vaihinger: Rezension: Geschichte der neueren Philosophie. In: Im Neuen Reich 11 (1881) 188. 43

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selbst formulierten Geltungsanspruch einlösen konnten. Der Geschichtszugriff hat im Grunde als historische Rechenprobe den Nachweis zu erbringen, inwieweit sich die angestrebten wissenschaftlichen Ziele und Aufgaben rational, d. h. durch die richtige Auswahl und Anwendung der jeweils gewählten Methoden erfüllen ließen, inwieweit die wissenschaftliche Vernunft sich durch ihre eigenen Verfahren in Geltung setzen konnte. Ein systematischer Bezugspunkt zwischen Individualität und Kultur, durch den die Philosophie als eine Wissenschaft ausgezeichnet werden könnte, ist in diesem Ansatz allerdings nicht ausfindig zu machen. Den philosophischen Problemen und Fragestellungen fehlt damit jegliches Eigenrecht und es verwundert nicht, wenn Falckenberg in seiner Rezension moniert, »daß Windelband eine[m] psychologischen Pragmatismus huldigt. […] Man braucht kein Heglianer zu sein, um von dieser Seite seiner Leistung unbefriedigt zu sein. […] Für diese Ansicht hat die Philosophie kein Eigenleben, sie ist ein unselbständiges Product aus Cultur und Individualität. Zieht man den Beitrag dieser beiden Factoren ab, so bleibt nichts übrig. […] An Stelle des rationalistischen Dualismus von psychologischer Erklärung und logischer Beurtheilung würden wir lieber einen anderen Gegensatz […] gesehen haben: den zwischen Weltanschauung (notabene philosophischer, nicht culturhistorischer) und System, zwischen Denkstimmung und Denkleistung, zwischen Voraussetzungen, deren Geltung dem Philosophen als selbstverständlich feststeht, und Lehrsätzen, die er zu beweisen unternimmt.«45 Falckenbergs Kritik gibt den entscheidenden Hinweis für die Weiterentwicklung der problemgeschichtlichen Fragestellung, die in den neunziger Jahren des 19 Jahrhunderts erfolgte.

IV. Das 1892 erschienene Lehrbuch Geschichte der Philosophie greift die Überlegungen zum Problembegriff der frühen Schriften auf und gewichtet deren Bedeutung für die Philosophiegeschichtsschreibung deutlich stärker. Die Probleme der Philosophie treten damit in der historischen Darstellung den beiden Trägerbegriffen von Individualität und Kultur bestimmend an die Seite. Zum Zeitpunkt des Erscheinens erregte zunächst jedoch schlicht der Umfang des Werkes starkes Aufsehen. Windelband wagte eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Philosophie in einem auf 500 Seiten begrenzten Buch mit dem knappen Hinweis im Vorwort, den »Schwerpunkt […] auf die Entwicklung desjenigen, was im philosophischen Betracht das Wichtigste ist«, gelegt zu haben, nämlich »auf die Geschichte der Probleme und der Begriffe.«46

45 46

R. Falckenberg: Rezension, a. a.O. [Anm. 44] 199 ff. Wilhelm Windelband: Geschichte der Philosophie (Freiburg 1892). Im Vorwort o. S.

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Heinrich Rickert bemerkte in seinem Nachruf auf Windelband, daß man eine derartige Gesamtdarstellung der Philosophiegeschichte »wahrscheinlich für unmöglich gehalten hätte, ehe es ausgeführt vorlag.«47 Dieser Umstand war jedoch der problemgeschichtlich verfahrenden Methodik zuzuschreiben, die durch die Reduzierung historischer Details auf systematische Problemgehalte eine Gesamtdarstellung der Philosophiegeschichte in einem Buch erlaubte. Bruno Bauch lobte in seinem Nachruf gerade diese Tendenz, denn die Prävalenz des Systematischen gegenüber der historischen Darstellung gestatte es, den systematischen Gehalt einzelner Philosophien hervorzuheben und stehe unter der Idee, die philosophischen Leistungen der unterschiedlichen Theorien an einem Referenzpunkt festmachen und gewichten zu können. Er beschrieb Leistung und Wirkung dieses Lehrbuchs in den Kant-Studien mit folgenden Worten: »Das schlechthin Epochemachende aber für unsere ganze philosophische Geschichtsschreibung leistete Windelband in seiner nach Problemen darstellenden Gesamtgeschichte der Philosophie […]. Mit der vollen und klaren Einsicht, daß auch die Geschichtsforschung auf prinzipiellen, systematischen Grundlagen ruht, wird hier der historische Zusammenhang, losgelöst von blossen Individualund Personalbezügen, systematisch auf die Sache der Philosophie selbst, auf ihre Probleme orientiert. Diese sachliche Orientierung war für die philosophiehistorische Forschung so entscheidend und neu, daß sie keineswegs hätte etwa gleich allenthalben Verständnis oder gar vollen Beifall finden können.«48 Den Problembegriff, den Bauch als die bedeutsame Leistung für die systematische Geschichtsschreibung der Philosophie herausstellt, hatte Windelband allerdings entlang einer kulturphilosophischen Fragestellung entwickelt, die er neben den bereits skizzierten Überlegungen der Frühphase in den achtziger Jahren in seinen Präludien programmatisch vorgetragen hatte.49 Dort, wie in der Einleitung des Lehrbuchs, wies Windelband auf die Unmöglichkeit hin, den Begriff der Philosophie historisch induktiv ableiten oder – und diesen negativen Nachweis hatte er in seinem ersten Geschichtswerk selbst erbracht – geschichtlich von den Methoden aus begreifen zu wollen. Vielmehr müsse auf »die Beziehungen der Philosophie zu den sonstigen Culturthätigkeiten«50 aufmerksam gemacht werden. Der Zusammenhang zwischen Wissenschaft, Individualität und Kultur ist bindend für die Geschichte der Philosophie. Diese sei gekennzeichnet durch den »Process, in welchem die euro-

Heinrich Rickert: Wilhelm Windelband (Tübingen 1915) 9. Bruno Bauch: Wilhelm Windelband. In: Kant–Studien 20 (1915) IX. 49 Hervorzuheben ist vor allem der Aufsatz Was ist Philosophie? (Ueber Begriff und Geschichte der Philosophie) in den Präludien von 1884, der die von Falckenberg angesetzte Kritik inhaltlich aufgreift und programmatisch wendet, ohne diese jedoch namentlich zu erwähnen. Vgl. Wilhelm Windelband: Präludien. Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie. (Tübingen 1884) 1–54. 50 W. Windelband: Geschichte der Philosophie, a. a.O. [Anm. 46] 5. 47 48

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päische Menschheit ihre Weltauffassung und Lebensbeurtheilungen in wissenschaftlichen Begriffen niedergelegt hat.«51 Was ist jedoch der historische Ertrag dieses Geschichtsprozesses und wie kann dieser zum Gegenstand der philosophiegeschichtlichen Betrachtung gemacht werden? Das Lehrbuch gibt in der Einleitung folgende Auskunft: »Jenes Gesamtresultat der Geschichte der Philosophie, wonach in derselben die Grundbegriffe menschlicher Weltauffassung und Lebensbeurtheilung niedergelegt worden sind, ist das Erzeugnis einer großen Mannigfaltigkeit von Einzelbewegungen des Denkens, als deren thatsächliche Motive sowohl bei der Aufstellung der Probleme, als auch bei den Versuchen ihrer begrifflichen Lösung verschieden Factoren zu unterscheiden sind.«52 Die vorgestellte problemgeschichtliche Methodik differenziert im Hinblick auf die Kulturbedeutung des historischen Prozesses, in den die Philosophie als eigenständiges Kulturgut eingebunden ist, zwischen der philosophisch-sachlichen, der kulturell-gegebenen und der biographisch, individuellen Tragweite der philosophischen Probleme und ihrer begrifflichen Lösungen. Der sachlich, pragmatische Faktor wird allerdings als Klassifikationspunkt den beiden anderen Unterscheidungskriterien deutlich vorangestellt. Die Probleme der Philosophie sind zeitlos gegeben, der Versuch ihrer begrifflichen Lösung ist historisch aufgegeben, so könnte man die Formel des problemgeschichtlichen Zugriffs auf den Punkt bringen. »Gegeben aber sind sie durch die Unzulänglichkeit und widerspruchsvolle Unausgeglichenheit des der philosophischen Besinnung zu Grunde liegenden Vorstellungsmaterials.«53 Der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß gerät durch die Aufgabe, den Vorstellungsinhalt in eine begriffliche Form zu bringen, unweigerlich in Aporien, da »das erfahrungsmässig Gegebene niemals den begrifflichen Anforderungen genügt.«54 Diese Problemstellungen werden in den empirischen Erfahrungswissenschaften durch heuristische Verfahren, d. h. durch die problematische Annahme von Hilfsbegriffen und Hypothesen, deren Geltungsbereich auf die Möglichkeit und Grenzen der Verarbeitungsfunktion der Erfahrungsinhalte bezogen bleibt, ausgeglichen. Während diese induktive Methodik in den empirischen Erfahrungswissenschaften, da es ja um die Erkenntnis der Gegenstände und Prozesse geht, sich als angemessen erweist, da ihre Geltungsbezüge entweder im mathematischen Beweis oder durch das Experiment aufgezeigt werden kann, wird in der Philosophie hingegen die problematische Gegebenheitsweise dieser Hilfsbegriffe zum eigentlichen Herd der begrifflichen und methodischen Untersuchung.

51 52 53 54

Ebd. 8. Ebd. 9. Ebd. Ebd.

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Da sich diejenige Philosophieauffassung, die in der Tradition der kantischen Erkenntniskritik steht, nicht so sehr auf die Gegenstände selbst, sondern auf die Erkenntnisart von Gegenständen richtet, wird der logisch nicht einholbare Rest, bzw. die Inkommensurabilität zwischen Erkenntnisform und Erkenntnisinhalt in der systematischen Auseinandersetzung thematisiert. Diese Fassung des Problembegriffs geht damit von ihrer Argumentationsstruktur auf die in den Frühschriften erarbeitete Position zurück, bindet jedoch die Problematik einzelwissenschaftlicher Hypothesenbildung stärker an die Grundlegungsthematik und Erkenntniskritik der Philosophie, »denn die Probleme der Philosophie sind der Hauptsache nach gegeben, und es erweist sich dies darin, daß sie im historischen Verlaufe des Denkens als die ‚uralten Räthsel des Daseins’ immer wieder kommen und gebieterisch immer von Neuem die nie vollständig gelungene Lösung verlangen. […] Eben diese Constanz in allem Wechsel […] beweist doch nur, daß ihre Probleme unentfliehbare Aufgaben für den menschlichen Geist sind.«55 Mit deutlichen Hinweis auf den von Kant in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft herausgestellten Problembegriff wird die historische Kontinuität philosophischer Probleme und das hiermit verbundene zyklische Muster zwischen philosophischem Denken und seiner Geschichtlichkeit gerechtfertigt. Das Verhältnis der Philosophie zu ihrer Fachgeschichte kann nicht mit anderen akademischen Fächern verglichen werden, weil ein Fortschritt in der wissenschaftlichen Entwicklung der Philosophie nicht in gleicher Weise ausgemacht werden kann, wie dies für die Erfahrungswissenschaften gilt. Wolfgang Cramer hat diesen Gedanken eines zyklischen Verständnisses der Philosophie zu ihrer eigen Geschichte in späterer Zeit folgendermaßen gekennzeichnet: »Denn eben dieses macht die philosophische Frage aus, daß es für sie keine Voraussetzung, keinen Tatbestand, kein Gegebenes gibt, das sie nicht selbst zu rechtfertigen hätte. Um vorwärtszukommen und sich in Gang zu bringen, muß die Philosophie ihren Ausgangspunkt befragen und in Frage stellen. […] Weil hier alle Antwort voraussetzt, daß der Ausgang wiederum in Frage steht, beginnt die Philosophie gleichsam immer wieder als Neuschöpfung.«56 Deshalb kann lediglich ein der »inneren Nothwendigkeit der Gedanken«57 folgendes Voranschreiten systematisch gezeigt werden. Die Chronologie der Problemlösungen und Problemdebatten folgt jedoch nicht unbedingt den systematischen Ordnungen der Begriffe, weshalb ein systematischer Fortschritt in der Philosophie historisch kaum kenntlich gemacht werden kann. Windelband erläutert diesen Gedanken an dem Phänomen der Problemverschlingung. Unterschiedliche Fragestellungen, die mit der eigentlichen Problemstellung nichts zu tun haben müssen oder nur in loser Verbindung zu ihr stehen,

Ebd. 9 f. Wolfgang Cramer: Die Philosophie und ihre Geschichte. In: Blätter für Deutsche Philosophie. Zeitschrift der Deutschen Philosophischen Gesellschaft 14 (1940) 350. 57 W. Windelband: Geschichte der Philosophie, a. a.O. [Anm. 46] 10. 55 56

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werden häufig vermischt und die Antworten und Lösungswege voneinander abhängig gemacht, so daß die begrifflichen Ausweisungen, die Antworten auf die Problemstellungen sind, ihre jeweiligen zeitlichen Ausformungen erhalten. Bezogen auf die Aufgaben der Philosophie ist beispielsweise »die Einmischung ethischer und ästhetischer Interessen in die Behandlung theoretischer Probleme«58 ein häufig wiederkehrendes Muster der Problemverschlingung. Die Ursache für diesen Umstand liege, so Windelband, in dem Einfluß der wertbezogenen Beurteilung auf die synthetische Urteilsfunktion innerhalb des Erkenntnisprozesses. Aus diesen Gründen kann auf den kulturgeschichtlichen Faktor letztlich nicht verzichtet werden, denn »aus den Vorstellungen des allgemeinen Zeitbewußtseins und aus den Bedürfnissen der Gesellschaft empfängt die Philosophie ihre Probleme, wie die Materialien zu deren Lösung.«59 Philosophische Probleme lassen sich damit keineswegs nur als exklusive Gegenstände der systematischen Reflexionsbemühungen betrachten, sondern sie können dies erst werden, weil sie durch ihre Eingebundenheit in den kulturellen Zusammenhang einer Zeit, durch ihre Gebrochenheit in Fragestellungen und öffentlichen Diskussionen der philosophischen Auseinandersetzung zugänglich werden. Das kulturhistorische Moment des Kontextes der Problemstellung bedarf deshalb ebenfalls der Gewichtung. Neben diesem kulturgeschichtlichen Faktor hat gleichfalls die Bearbeitung der Probleme durch die Individualität der Philosophen Auswirkungen auf den historischen Verlauf der Problemstellungen und der individuelle Faktor hat ein Eigenrecht auf Berücksichtigung, weil die Philosophen »sich als ausgeprägte, selbständige Persönlichkeiten erweisen, deren eigenartige Natur nicht bloss für die Auswahl und Verknüpfung der Probleme, sondern auch für die Ausschleifung der Lösungsbegriffe in den eigenen Lehren, wie in denjenigen der Nachfolger massgebend gewesen ist.«60 Von welchen Problemen ist jedoch hier genau die Rede und welche dieser Probleme sind überhaupt der philosophiegeschichtlichen Darstellung wert? Wie läßt sich der Trägerbegriff im Hinblick auf die historische Chronologie näher spezifizieren, um eine Hierarchisierung der historischen Tatsachen zu gewährleisten? Die Ausführungen im Lehrbuch differenzieren zum Zwecke des Überblicks und ohne systematische Ambition zwischen theoretischen und praktischen Problemen. Die zuerst genannten lassen sich ihrerseits wieder in metaphysische, naturphilosophische und geschichtsphilosophische, d. h. die Erkenntnis der Wirklichkeit betreffende Problembereiche und in logische, d. h. auf die Untersuchung der Erkenntnis selbst bezogene Problemgruppen unterteilen, die wiederum in ihrer Zugehörigkeit zur Logik, zur Methodologie oder zur Erkenntnistheorie un58 59 60

Ebd. 11. Ebd. Ebd.

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tergliedert werden. Die praktischen Probleme hingegen differenzieren sich nach ihrer Zugehörigkeit zur Ethik oder Ästhetik. Die Problemgruppen lassen sich selbst einerseits aus den Perspektiven der spezialisierten Wissenschaftsfelder der Philosophie, wobei Windelband neben Logik, Ethik und Ästhetik vor allem Moral-, Rechts-, Religions- und Geschichtsphilosophie auflistet, als auch aus denen der Nachbardisziplinen unter den jeweiligen spezifischen Gesichtspunkten betrachten, von denen Psychologie, Theologie und Soziologie genannt werden. Dieses Klassifikationsraster philosophischer Problembereiche appliziert Windelband auf die geläufige Einteilung von Antike, Mittelalter und Neuzeit und differenziert innerhalb der Epochen der Antike und der Neuzeit noch zwischen der griechischen und der hellenistisch-römischen Philosophie sowie zwischen der Renaissance, der Auflärung, der deutschen Philosophie zwischen Kant, Hegel und Herbart und der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Interessanterweise ist es Paul Natorp, der in seiner Rezension von 1890 gegenüber diesem Verfahren, den Problembegriff als Träger des historischen Verlaufs in den jeweiligen Epochen und Perioden nachzuweisen, und seiner Durchführung einen deutlich skeptischen Einwand formuliert. »Windelband habe die Neuerung gewagt, die Systeme nicht in einfach historischer Folge der Reihe nach darzulegen, sondern innerhalb jeder Periode die einzelnen Hauptprobleme […] zu verfolgen. So denkt er in der Geschichte der Philosophie neben dem Historischen das Philosophische mehr zur Geltung zu bringen […]. Ob eine Behandlung nach diesem Princip überhaupt rein durchführbar […] ist, darüber wird das Urtheil […] wahrscheinlich auseinandergehen. Mir scheint die Gefahr ernster, daß der Lernende zu einem das Quellenstudium überspringenden, schnellfertigen Aburtheilen etwa verleitet werden könnte, als die, welche W. auf seinem Wege zu vermeiden hofft, daß man bei einer schematischen Aufzählung […] sich begnüge.«61 Natorps Einwand bleibt nicht auf seine propädeutisch und didaktisch formulierte Kritik reduziert. Er vermutet wohl nicht zu unrecht, daß die Gesamtdarstellung nur mit Einschränkungen leisten könne, was eigentlich ihre genuine Aufgabe sei, nämlich den historischen Verlauf der Philosophiegeschichte aufzuzeigen. »Auf jeden Fall wird, wer überhaupt ein klares Gesamtbild des geschichtlichen Fortschritts der philosophischen Arbeit gewinnen will, aus einer Darstellung wie die vorliegende sich die historische Folge doch erst reconstruiren müssen. Umgekehrt ist die geforderte Verknüpfung der auf die gleichen Probleme bezüglichen Forschungen bei der gewöhnlichen Darstellungsart durch gehörigen Hinweis auf die sachlichen Beziehungen der Systeme untereinander ganz wohl erreichbar […].«62 Paul Natorp: Literaturbericht: Windelband: Geschichte der Philosophie. In: Philosophische Monatshefte XXVI (1890) 361. 62 Ebd. 61

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Natorp bedient bereits das Argument, das Hans-Georg Gadamer in seiner Auseinandersetzung mit der neukantianischen Problemgeschichte immer wieder ausgespielt hat. Überspitzt formuliert handelt es sich um den Vorwurf, der problemgeschichtliche Zugriff sei gar nicht zu den historischen Darstellungsformen der Philosophiegeschichtsschreibung zu rechnen, da er selbst bereits eine philosophische Systematik enthalte. In diesem Sinne operiert Problemgeschichte als »Dienstleistung mit Selbstaufhebungsgebot«63, denn das historisch Zeithafte verschwindet, wenn der systematische Gedanke entfaltet ist, wobei der »Anspruch, die Kluft zu schließen zwischen dem System und der Geschichte der Wissenschaft, zu Unrecht erhoben wird.«64 Man täte Windelband allerdings unrecht, wenn man ihm unterstellte, das Verhältnis von historischen Tatsachen und sachlich, systematischen Gehalten der Philosophie nicht im Auge gehabt zu haben. Gerade die Problematik dieses Verhältnisses ist immer wieder Gegenstand seiner Überlegungen. Die Abwägungen kreisen um drei Bereiche, die in seiner Philosophiegeschichtsschreibung aufeinander bezogen werden. Das Eigenrecht der historischen Darstellung ist mit dem systematischen Eigeninteresse der philosophischen Betrachtung zu koordinieren und führt letztlich zu der Frage nach der Beurteilung des Geschichtsprozesses insgesamt. Windelband betrachtet die Gesamtproblematik jedoch vom Gesichtspunkt der Differenz aus, denn »der kulturgeschichtliche und der individuelle Faktor bestimmen die Probleme und vielfach auch die Richtung ihrer Lösung. Diese beiden Faktoren aber sind in Hinsicht auf das philosophische System an sich zufällig. […] So ist der geschichtliche Prozeß der Philosophie allen Zufälligkeiten des tatsächlichen Geschehens preisgegeben, und die List der Idee ist nicht stark genug, sich gegen die Macht des Empirischen durchzusetzen.«65 Die Andeutung auf die Geschichtsphilosophie Hegels offenbart die Intention, das Historische letztlich nicht dem Systematischen opfern zu wollen. Verständlich wird diese Haltung aus dem Grund, daß der historischen Pluralität des philosophischen Theoriengefüges »nicht durch eine begriffliche Construction, sondern nur durch eine allseitige, vorurtheilslose Durchforschung der Thatsachen«66 historisch gerecht zu werden ist. Die historische Erklärung stützt sich dabei auf den pragmatischen, den kulturhistorischen oder den psychologischen Zugang, wobei die Frage, »welche dieser drei Erklärungsarten im einzelnen Falle anzuwenden ist, […] lediglich von dem Thatbestande der Ueberlieferung

K. Helmer: Geschichtsabstinenz, a. a.O. [Anm. 19] 97. Wolfgang Ritzel: Zur historischen Pädagogik: Methodenfragen. In: Zur pädagogischen Dimension von Psychologie, Soziologie und Geschichte, hg. von Marian Heitger (Bochum 1969) 51. 65 Wilhelm Windelband: Geschichte der Philosophie. In: Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Festschrift für Kuno Fischer. Bd. 2, hg. von Wilhelm Windelband. (Heidelberg 1905) 189. 66 W. Windelband: Geschichte der Philosophie, a. a.O. [Anm. 46] im Vorwort o. S. 63 64

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ab[hängt]: daher ist es unrichtig, die eine oder die andere zum alleinigen Princip der Behandlung zu machen.«67 Die Aufgabe der historiographischen Arbeit besteht demnach darin, aus dem historischen Wechselspiel und dem wechselseitigen Ineinandergreifen von philosophischen, kulturellen und individuellen Problemverschlingungen und ihren begrifflichen Lösungsversuchen die einzelnen Probleme der Philosophie freizulegen, die sich in philosophischen Problemdebatten, in kulturellen Zeitgeistfragen und an den individuellen Dispositionen der beteiligten Philosophen äußern. »Indem die Geschichte der Philosophie als eine nicht bloß registrierende und reproduzierende, sondern begreifende und erklärende Wissenschaft diese verschiedenen Fäden in der historischen Genesis der Systeme auseinanderlegt, scheiden sich von selbst die zeitlichen Ursachen und die zeitlosen Gründe.«68 Aus der historischen Arbeit ergibt sich als Folge erst die geschichtsphilosophische Fragestellung und deshalb mache es weder Sinn, die Vernunft in der Geschichte zu leugnen, noch sie mit der äußeren, empirisch feststellbaren Entwicklung gleichzusetzen. Die Aufgabe der kritisch-philosophischen Wissenschaft, die aus der historischen Aufbereitung der empirischen Gegebenheiten erwächst, besteht also letztlich darin, »aus der Betrachtung des Ganzen heraus zu beurtheilen, welchen Werth die so festgestellten und ihrem Ursprunge nach erklärten Lehren in Rücksicht auf den Gesamtertrag der Geschichte der Philosophie besitzen.«69 Mit dieser Fassung des problemgeschichtlichen Zugriffs bindet Windelband in gegenseitigem Wechselverhältnis die empirische Erforschung historischer Fakten an die systematische Reflexion philosophischer Probleme und die wertbezogene Beurteilung des Geschichtsverlaufs. Diese Art der Geschichtsverwertung läuft damit nicht einseitig auf eine rein logische Rekonstruktion der philosophischen Erkenntnisbewegung hinaus, sondern analysiert das Verhältnis von empirischer Gegebenheit und der rationalen Verarbeitung des Gegebenen und löst die Spannung zwischen begrifflicher Systematik und den empirischen Bewegungsmomenten nicht dialektisch auf, sondern zeigt ihr korrelatives Verhältnis auf.70 Diesen Zug der Problemgeschichte hat Nicolai Hartmann in seinem berühmten Akademieaufsatz zum Anlaß einer scharfen Kritik genommen, die ihren Angriffspunkt nicht am Problembegriff selbst, sondern an der Umsetzung des problemgeschichtlichen Verfahrens nimmt.

Ebd. 13. W. Windelband: FS Kuno Fischer , a. a.O. [Anm. 65] 189. 69 W. Windelband: Geschichte der Philosophie, a. a.O. [Anm. 46] 12. 70 Vgl. R. Hofer: Gegenstand und Methode, a. a.O. [Anm. 25] 35. Ernst Troeltsch: Über den Begriff einer historischen Dialektik. Windelband–Rickert und Hegel. In: Historische Zeitschrift 119 (1919) 382. 67 68

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»Wilhelm Windelband trat in seiner Zeit mit dem Programm einer Geschichte der Probleme hervor und suchte sie durchzuführen. […] Im Resultat mußte es dabei auf das Vorwärtskommen der Erkenntnis herauslaufen. Statt dessen begnügt sich die Darstellung mit einer Einteilung des Stoffes nach Gebieten oder Disziplinen innerhalb der Epochen. […] Dabei geht die Querverbindung der Problemgruppen teilweise verloren oder wird unübersichtlich; im übrigen aber bleibt es bei Gedanken und Lehrmeinungen, bei Systemen und Ismen. Die Errungenschaften der Einsicht heben sich aus der Masse des Gedankenmaterials nicht mehr heraus als bei geschlossener Darstellung der Systeme. Die wirkliche Problemgeschichte, die auf dem Wiedererkennen der Probleme in der Gedankenarbeit der Denker beruhen müßte, ist ungeschrieben geblieben.«71 Hartmanns Argumentation bezieht ihre Plausibilität aus der starken Gewichtung des platonischen Gedankens des Wiedererkennens und der Teilhabe des Denkens an der Erkenntnis und steht damit in deutlicher Differenz zum problemgeschichtlichen Ansatz von Windelband, dessen Nähe zur Deutschen Historischen Schule sich schon daran zu erkennen gibt, daß er in dem systematischen und in dem historischen Arbeiten zwei gleichberechtigte Forschungszugänge erkennt.72 Aus diesem Grund kann die Antwort auf die Frage, welche von den beiden Auffassungen die Oberhand über die jeweils andere gewinnen darf, nicht generell, sondern im Hinblick auf den Forschungszweck und seine jeweilig gewählten methodischen Zugänge abhängig gemacht werden, wohingegen Nicolai Hartmann der historiographischen und doxographischen Arbeit höchstens eine Hilfsfunktion zutraut. Die scharfe Frontstellung der Kritik jedoch, die entweder in dem Vorwurf gipfelt, daß durch die historische Darstellung der systematische Erkenntnisfortschritt vernachlässigt werde, oder auf der anderen Seite den Anlaß liefert, die Problemgeschichte durch ihren systematischen Fokus erst gar nicht als eine historische Darstellungsform anzuerkennen, scheint die Rezeptionsgeschichte der Überlegungen Windelbands beeinflußt zu haben. Jedenfalls steht die Auflagenstärke seines Lehrbuches in einem interessanten Spannungsverhältnis zur theoretischen Auseinandersetzung um das darin entwickelte Konzept. Im Kontext der Kulturphilosophie des ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sind Bezugnahmen durchaus noch zahlreich.73 Die Nachkriegsdiskussion in der Philosophie

Nicolai Hartmann: Der philosophische Gedanke und seine Geschichte (Berlin 1936) 9. Vgl. Wilhelm Perpeet: Formale Kulturphilosophie (1976). In: Materialien zur Neukantianismus–Diskussion, hg. von Hans–Ludwig Ollig (Darmstadt 1987) 366. 73 Vgl. Josef Dolch: Der Begriff des Logischen und der historischen Kontinuität in der Geschichte der Pädagogik. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 33 (1921) 191–195. Rudolf Eisler: [Art.] Philosophiegeschichte. In: Wörterbuch der philosophischen Begriffe (Berlin 1929) 454–458. Hans-Georg Gadamer: Zur Systemidee in der Philosophie. In: Festschrift für Paul Natorp zum siebzigsten Geburtstag von Schülern und Freunden gewidmet, hg. von Ernst Cassirer und Albert Görland (Berlin Leipzig 1924) 55–75. Nicolai Hartmann: Zur Methode der Philosophiegeschichte. In: Kant–Studien 15 (1910) 459–485. Fritz Kaufmann: Geschichtsphilo71 72

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hingegen, die an Nicolai Hartmanns Auffassung von Problemgeschichte und Hans-Georg Gadamers Kritik anknüpfte, lebte von der Zuspitzung zwischen Problemgeschichte auf der einen Seite und Applikationshermeneutik auf der anderen.74 Klare Frontlinien schaffen durch Provokation oder Konfrontation zwar die Alternative von Feindschaft oder Parteigängerei und bieten willkommene Argumentationskulissen, lassen jedoch auch schnell Zwischentöne überhören. Eines dieser überhörten Themen, das sich bei aller Vorsicht aus dem Erbe der Überlegungen Windelbands herauskristallisieren ließe, kann an einem ganz anderen theoretischen Ort wahrgenommen werden, als es die Diskussionen um die Problemgeschichte zunächst nahelegen. Sofern nach den Diskussionslagen um die verschiedenen Geschichtszugänge in der Philosophiegeschichtsschreibung unterstellt werden darf, daß kein Zugriff ein privilegiertes Recht der historischen Darstellung für sich allein beanspruchen kann und der Streit deshalb nicht um die Exklusivität bestimmter Geschichtsauffassungen geführt werden muß, kann die Frage in den Vordergrund treten, ob – und wenn ja – wie die Koordinierung der vielfältigen und unterschiedlichen Geschichtszugriffe geleistet werden kann und welche Aspekte der Geschichtsschreibung sich durch die Kontrastwirkungen der differenten Geschichtsbilder ergeben können. Diese Problematik hat Windelband in seinen Überlegungen immer wieder berührt. Die problemgeschichtliche Darstellung kennzeichnet in diesem Sinne die Bemühung um die theoretische Zeitlichkeit des philosophischen Gedankens und »die philosophische Bedingung einer solchen philosophiehistorischen Methode ist die These, daß die historische Entfaltung philosophischer Problematik selbst

sophie der Gegenwart (Berlin 1931). Viktor Kraft: Philosophie und Geschichte der Philosophie. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 157 (1915) 4–20. Fritz Medicus: Von der Zeit und vom Ueberzeitlichen in der Philosophie und ihrer Geschichte. In: Logos 12 (1923) 145–165. Robert Reiniger: Geschichte der Philosophie als philosophische Wissenschaft. In: Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien 78 (1928) 277–293. Heinrich Rickert: Notizen zum Lehrbuch der Geschichte der Philosophie von Wilhelm Windelband. In : Die Pädagogische Hochschule III (1931) 89–96. Walther Schulze–Soelde: Geschichte als Wissenschaft (Berlin 1917). Julius Stenzel: Zum Problem der Philosophiegeschichte. Ein methodologischer Versuch. In: Kant–Studien 26 (1921) 416–453. Kurt Sternberg: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Philosophiegeschichte? (Berlin 1926). Ernst Troeltsch: Der Historismus und seine Probleme (Tübingen 1922). 74 Vgl. Manfred Brelage: Die Geschichtlichkeit der Philosophie und die Philosophiegeschichte. In: Zeitschrift für philosophische Forschung XVI (1962) 375–405. Werner Flach: Die Geschichtlichkeit der Philosophie und der Problemcharakter des philosophischen Gegenstandes. In: Kant-Studien 54 (1963) 17–28. Klaus Oehler: Die Geschichtlichkeit der Philosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. XI (1957) 504–526. Klaus Oehler: Der Entwicklungsgedanke als heuristisches Prinzip der Philosophiehistorie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. XVII (1963) 604–613. Helmuth Pleßner: Offene Problemgeschichte. In: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk. Fünfzehn Abhandlungen mit einer Bibliographie, hg. von Heinz Heimsoeth u. Robert Heiss (Göttingen 1952) 97–104. Wolfgang Ritzel: Die Philosophie und ihre Geschichte. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. XI (1957) 235–251.

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Modell analytischer Problemzergliederung und Wahrheitsfindung sein kann […].«75 Nicht das Anliegen dieser Geschichtsauffassung, sondern der mit dem Anliegen oftmals zugleich formulierte Exklusivanspruch auf den Gegenstand ist kritisch einzuschätzen und mag am Ende daran bemessen werden, was mit diesem Zugriff im Konzert der vielfältigen methodischen Bemühungen um die Philosophiegeschichte und im Hinblick auf vorliegende historische Fragestellungen geleistet werden kann.

75

H–M. Sass: Philosophische Positionen, a. a.O. [Anm. 4] 545.

Jean Grondin

Gadamer und die Metaphysik

Es mag verblüffend erscheinen, Gadamers Denken mit der Metaphysik in Verbindung zu bringen. Er genießt ja nicht den Ruf, ein metaphysischer Denker zu sein. Man wird ihn eher mit Gebieten wie Hermeneutik oder Ethik assoziieren. Als Vertreter des hermeneutischen Denkens wird man zudem eher von ihm erwarten, daß er ein »postmetaphysischer Denker« sei. Nicht wenige Denker der Gegenwart identifizieren ja die Hermeneutik mit einem nachmetaphysichen Denken. Man denke hier insbesondere an das sogenannte »schwache Denken« von Gianni Vattimo oder an das pragmatische Denken von Richard Rorty. Ihr Ansatz folgt in etwa dem folgenden, sowohl von Nietzsche als auch von Heidegger inspirierten Gedankengang: unter Metaphysik verstehen sie in der Regel ein Denken, das eine letzte Auskunft über das wirkliche Sein der Welt geben will. Da wir aber in einer durch und durch interpretierten Welt leben, das ist für sie die Grundlehre der Hermeneutik, ist eine solche Metaphysik, die uns eine letzte, verbindliche Auskunft über die Welt an sich vermitteln wollte, hinfällig. Hermeneutik ist also das, was nach der Metaphysik kommt, also ein anderer Name für das nachmetaphysische Denken. Dieses schwache, pragmatische oder oft postmodern genannte Denken beruft sich gern auf Nietzsche, Heidegger, aber auch auf Gadamer. Mir ist indes immer aufgefallen, daß sich Gadamer nie als postmetaphysischer Denker beschrieben hat, geschweige denn als postmoderner Denker,1 obwohl sich bei ihm sehr wohl viele Elemente einer Kritik der Moderne finden lassen. Mir ist eigentlich eher das Gegenteil aufgefallen, nämlich daß sich Gadamer gelegentlich, wenn auch ziemlich leise als »metaphysischer Denker« empfohlen hat. Ich möchte im folgenden einsichtig zu machen versuchen, warum und mit welchem Recht er das tat. Bevor ich zur Sache komme, möchte ich zunächst zwei für meinen Versuch aufschlußreiche Passagen in seinem Werk anführen, die dies auch andeuten. Die erste findet sich an strategisch wichtiger Stelle, nämlich im letzten Teil von Gadamers Hauptwerk Wahrheit und Methode, wo Gadamer vom universalen Aspekt der Hermeneutik spricht. Dort wird bekanntlich Gadamers berühmte These eingeführt: »Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache«. Gadamer betont in diesem Zusammenhang, daß diese These die von ihm entwickelte Hermeneutik »in die Problemdimension der klassischen 1 Über Gadamers Widerstand gegen das postmoderne Denken, siehe Jean Grondin: Vattimo’s Latinization of Hermeneutics. Why Did Gadamer Resist Postmodernism? In: Weakening Philosophy. Essays in Honor of Gianni Vattimo, hg. von Santiago Zabala (Montreal/Kingston 2007) 203–216.

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Jean Grondin

Metaphysik« zurückführt.2 Er sagt also nicht, wohlgemerkt, daß sie uns über die klassische Metaphysik hinausführt, sondern im Gegenteil, daß sie uns in sie wieder zurückbringt. Inwiefern und warum er das behaupten darf, werde ich hier nahezulegen versuchen. Aber die Passage ist als Intentionsanzeige wichtig und sei in Erinnerung behalten. Die zweite Passage, die ich vorweg anführen möchte, findet sich zugegebenermaßen an entlegener Stelle, im letzten, 10. Band seiner Gesammelten Werke. Es handelt sich immerhin um den Schlußsatz (hermeneutisch immer gewichtig und wohl überlegt!) eines Aufsatzes aus dem Jahre 1983, der den schlichten Titel trägt: »Phänomenologie, Hermeneutik, Metaphysik« (mit Metaphysik, wohlgemerkt, an letzter, nicht an erster Stelle). Gadamer beschließt seine Ausführungen mit der folgenden »These«: »Phänomenologie, Hermeneutik und Metaphysik sind nicht drei verschiedene philosophische Standpunkte, sondern Philosophieren selber«.3 Es kann also schwerlich davon die Rede sein, daß Metaphysik etwas sei, das hinter uns läge oder zu überwinden wäre. Sie geht vielmehr mit der Phänomenologie und der Hermeneutik Hand in Hand. Diese Passagen (und mehrere andere natürlich, die hier nicht anzuführen sind) haben meine Aufmerksamkeit stets auf sich gezogen, und nicht nur weil sie eine, sagen wir »entspannte« Auffassung von Metaphysik in Aussicht stellen. Sie deuten auch an, daß die so verbreitete nachmetaphysische Lesart der Hermeneutik Gadamers ihr vielleicht Gewalt antut oder, bescheidener gesagt, nicht die einzig mögliche ist.4 Wie kam denn Gadamer zu dieser Metaphysikauffassung? Eine an sich wichtige Frage, die wir aber kaum beantworten können. Entwicklungsgeschichtlich gesehen bleibt Gadamers Werk etwas unerschlossen. Es fängt an mit beachtenswerten Studien zu Platon (1931) und tritt uns dann massiv entgegen in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode (1960). Das Werk nach der Veröffentlichung von Wahrheit und Methode ist in seinem Reichtum und seiner Vielfalt zwar leichter zu erschließen, aber alles andere als einheitlich; denn es führt meist von Einzelstudie zu Einzelstudie, die oft historischer Natur (über Platon, Aristoteles, Hegels Dialektik, usw.) sind, die aber auch des öfteren das Selbstverständnis der Hermeneutik betreffen, etwa in den Debatten mit Betti, Habermas oder Derrida. Dieses spätere Werk führt aber zu keiner neuen »Synthese«, einem etwas ungadamerschen Wort vielleicht, aber ich meine eine Gesamtkonzeption, die etwa mit der von Wahrheit und Methode vergleichbar wäre. Das hat es bei Ga2

Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. In: Gesammelte Werke. Bd. 1, (Tübingen 1986) 464. 3 Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke. Bd. 10, (Tübingen 1995) 109. 4 Dies sage ich, weil ich anerkenne, daß es sehr wohl möglich ist, »nachmetaphysische« Elemente aus seinem Denken herauszuholen. Es gibt vermutlich viele Tendenzen in Gadamers Denken, die sich miteinander mehr oder weniger vereinbaren lassen. Aber die nachmetaphysischen sind beileibe nicht die einzigen oder die dominierenden. Vgl. Jean Grondin: Gadamers ungewisses Erbe. In Kreativität, hg. von Günter Abel (Hamburg 2006) 205–215.

Gadamer und die Metaphysik

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damer nicht mehr gegeben. Man kann gewiß spannende Gewichtsverlagerungen beobachten, aber hier gibt es keine »Kehren« oder eine Reihe von Hauptwerken, die sich miteinander auf dieselbe Stufe stellen ließen, wie das bei vielen Philosophen der Fall ist (man denke an Platon, Augustinus, Kant, Hegel, Heidegger, Wittgenstein, Ricoeur oder Lévinas, wo sich eine »Entwicklung« studieren läßt und zu erkennen gibt). Ferner bleibt die sicherlich imposante Korrespondenz von Gadamer weitgehend unerschlossen. Entwicklungsgeschichtliche Perspektiven auf Gadamers Werk sind also schwer zu haben (wenn auch im einzelnen nicht unmöglich), und das gilt, glaube ich, auch für die Metaphysik. Ich werde also keine hier umgreifend sein wollende Analyse zur Metaphysik bieten, was mir zur Zeit unmöglich erscheint, und mich bis auf wenige historische Andeutungen auf die Sache der Metaphysik konzentrieren. Soviel weiß man indes: Die Metaphysik als Disziplin hat keinen großen Platz in Gadamers Werdegang eingenommen. Gadamer ist ja von der Dichtung und der Literatur aus in die Philosophie gegangen, wie es aus seiner Biographie bekannt genug ist. Ihn störte wohl zu Beginn seines Studiums das Formelhafte und Regelhafte des Germanistikstudiums, während er sich mehr für das begeisterte, was die Dichtung, und nicht zuletzt die von Stefan George, zu sagen hatte. Auch das mag bei ihm als stillschweigende Vorbereitung für das »Metaphysische« gegolten haben, darf man vielleicht mutmaßen: An der Dichtung ging ihm wohl früh auf, daß es eine andere Wahrheits- und Gedankenwelt als die der reinen Wissenschaft gab, eine These, die Wahrheit und Methode nur weiter spinnen wird. So kam er früh zur Philosophie, wo seine ersten Lehrer Neukantianer waren, Gutmann, Hönigswald und später Natorp und Nicolai Hartmann. Sehr früh soll er Kants Kritik der reinen Vernunft zur Hand genommen haben, das Grundbuch, ja die Bibel des Neukantianismus, aber, wie er in seinen Philosophischen Lehrjahren erzählt, »es schlüpfte nicht der geringste verstandene Gedanke heraus«.5 Nichtsdestoweniger blieb der neukantianische Kontext wichtig für seine erste persönliche Einführung in die Metaphysik. Rührend erzählt er an einer schönen Stelle, wie ihm sehr früh Kant als der stolze Überwinder der sogenannten »dogmatischen Metaphysik« vorgestellt wurde: »Ich war genau achtzehn Jahre alt, als ich in meiner Heimatstadt Breslau noch während des Ersten Weltkrieges die erste Vorlesung eines Professors der Philosophie hörte, der die dogmatische Metaphysik im Sinne Kants verwarf. Das durchzuckte einen bis in die Zehenspitzen, wie das Wort ›dogmatische Metaphysik‹ erklang«.6 Wenn etwas einen bis in die Zehenspitzen durchzuckt, ist man nicht gerade versucht, sich damit zu beschäftigen (oder vielleicht doch?). Es ist aber bezeichnend, daß sich Gadamer nie recht zum Neukantianismus bekannte und zu dessen Auffas5

Hans-Georg Gadamer: Philosophische Lehrjahre (Frankfurt a. M. 1977) 12. Hans-Georg Gadamer: Geschichte des Universums und Geschichtlichkeit des Menschen. In Gesammelte Werke, Bd. 10, (Tübingen 1995) 217. 6

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sung der von Kant überwundenen Metaphysik. Sehr früh interessierte er sich vielmehr für Autoren wie Platon und Aristoteles, von denen sich behaupten läßt, daß sie die Begründer der Metaphysik waren (selbst wenn ihnen das Wort unbekannt war). Es fällt indessen auf, daß sich Gadamer wenig für die sogenannte »Metaphysik« Platons, also die »Zweiweltenlehre« interessierte. Das gilt übrigens auch von seinem späteren Werk über Platon. An Platon faszinierte ihn vielmehr das dialogische Zusammenspiel der Gesprächspartner (eine Einsicht, die ihm Paul Friedländer in Marburg eingeschärft hat), sicherlich dessen großartige Dichtung, aber vor allem Platons Ethik des Guten, der er seine Dissertation von 1922 (über das Wesen der Lust bei Platon) und seine Habilitationsschrift von 1928 (Platos existenzdialektische Ethik) widmete. Sein erster Lehrauftrag in Marburg 1928 galt ja der Ethik und der Ästhetik, und ein Blick auf Gadamers frühe Lehrveranstaltungen lehrt, daß diese Felder den Großteil seiner Lehrtätigkeit in Anspruch nahmen. Er hatte aber wichtige Lehrer, die sich für die Metaphysik interessierten. Bis auf die Neukantianer, die eher eine metaphysikkritische Auffassung vertraten, gilt das insbesondere für Nicolai Hartmann und Martin Heidegger. Was Gadamer an Hartmann immer anzog, war aber weit eher seine Wertethik7 als seine Ontologie. Unter Hartmanns Leitung wollte Gadamer ja, bevor er Heidegger begegnete, seine Studien zur platonischen und aristotelischen Ethik fortführen. 1921 erschienen aber Nicolai Hartmanns »Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis«. Ihnen widmete Gadamer eine seiner zwei ersten Publikationen, eine kritische Rezension, die in der renommierten Zeitschrift Logos erschien.8 Der Artikel ist übrigens betitelt »Metaphysik der Erkenntnis. Zu dem gleichnamigen Buch von Nicolai Hartmann«. Die »Metaphysik« erscheint hier als das erste Wort im Titel von Gadamers erster Publikation. Mit der Metaphysik fing sozusagen sein Denkweg an! Die Bedeutung dieser Tatsache darf vielleicht nicht überschätzt werden, zumal die Rezension ziemlich kritisch ausfällt. Gadamer bemerkt, daß es Hartmann darum geht, in aristotelischer Manier das reale Sein der Gegenstände gegen den neukantianischen Idealismus zu rehabilitieren, aber das erscheint ihm etwas naiv. Die Rezension steht nämlich bereits unter dem Einfluß Heideggers, dem Gadamer soeben in Freiburg begegnet war. Das verrät sich etwa, wenn Gadamer bei Hartmann das Vorhaben »einer kritischen Destruktion der philosophischen Tradition« anmahnt. Gadamer ist damit vermutlich der erste, der in einer öffentlichen Publikation das Wort »Destruktion« im Heideggerschen Sinne verwendet hat, noch vor Heidegger, wie ich vor einiger

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Vgl. Hans-Georg Gadamer: Wertethik und praktische Philosophie, In: Gesammelte Werke. Bd. 4, (Tübingen 1987) 203–215. 8 Hans-Georg Gadamer: Metaphysik der Erkenntnis. Zu dem gleichnamigen Buch von Nicolai Hartmann. In: Logos 12 (1923/24) 340–359. Gadamers andere Veröffentlichung aus diesem Jahr ist sein Beitrag Hans-Georg Gadamer: Zur Systemidee in der Philosophie, In: Festschrift für Paul Natorp zum siebzigsten Geburtstag (Berlin 1924) 55–75.

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Zeit behauptet habe.9 Aber es ist festzuhalten, daß Gadamers frühes Interesse eher der Ethik und der Ästhetik, als der Metaphysik galt. Mit Heidegger eröffnete sich ihm freilich eine ganz andere Welt, die hier auch nur andeutungsweise zu beschreiben den Rahmen meines Aufsatzes sprengen würde. Es springt aber in die Augen, daß die Metaphysik für Heidegger stets eine Brisanz genoß, die sie für Gadamer nie hatte. Auch das Thema »Heidegger und die Metaphysik«10 übersteigt den Rahmen dessen, was sich hier sagen läßt. Erinnert sei daran, daß sich wenigstens drei Etappen in Heideggers Beschäftigung mit der Metaphysik unterscheiden lassen: 1) Es ist offenbar, daß die klassische, aristotelisch-thomistisch-scotistische Metaphysik intim zu Heideggers Bildungsgang und Herkunft gehört, wie das von Gadamer sicherlich nicht gilt. Er hatte sozusagen die Metaphysik in den Knochen von Kindesbeinen an. Wohl bis zu seiner Begegnung mit Husserl fühlte sich Heidegger als Anhänger oder Fortführer dieser Tradition und hat später nie einen Hehl daraus gemacht. Ob hier Herkunft auch Zukunft blieb? 2) Es steht auch außer Zweifel, daß Heidegger in den 20er Jahren eine kritische Position zur Metaphysik bezog, die im Programm einer »Destruktion der Geschichte der abendländischen Ontologie« in Sein und Zeit gipfeln würde. Das hinderte ihn aber nicht, kurz nach Sein und Zeit seinen eigenen Ansatz unter den Titel einer »Metaphysik des Daseins« zu stellen, wie er das etwa in Kant und das Problem der Metaphysik (1929) und seinen Vorlesungen tat. 3) Die dritte Phase in Heideggers Beschäftigung mit der Metaphysik ist die einer immer radikaler werdenden Auseinandersetzung mit dem »metaphysischen Denken« (ja, der Sprache der Metaphysik), dem Heidegger ein neues Denken bzw. einen neuen Anfang entgegenstellen wollte. Heidegger radikalisiert hier sein Vorhaben einer Destruktion der Tradition, aber er würde nicht mehr seinen neuen Ansatz als eine Metaphysik des Daseins beschreiben. Diese Phasen und die Intensität von Heideggers Beschäftigung mit der Metaphysik hat Gadamer aus nächster Nähe verfolgt. Ihm wurde früh klar, daß Heidegger einer metaphysischen Tradition entstammte, die ihm eher fremd war. Das Vorhaben einer Destruktion der Geschichte der Metaphysik hat er sich zwar in der Hartmann-Rezension zu eigen gemacht, aber in seinem eigenen Denken nicht weiter verfolgt, das ja damals weit weniger anspruchsvoll als dasjenige Heideggers sein wollte. Das stimmt so sehr, daß Gadamer unter dem Druck oder Schatten Heideggers Zweifel an seiner philosophischen Begabung bekam, von denen man fast sagen möchte, daß sie ihn nie ganz verlassen haben.11 9

Jean Grondin: Gadamer vor Heidegger. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie 2 (1996) 197–226. 10 Erneut sei ein Selbstverweis gestattet: Jean Grondin: Heidegger et le problème de la métaphysique. In: Dioti 6 (1999) 163–204. 11 Vgl. den neuerdings veröffentlichten Brief von M. Heidegger an H.–G. Gadamer vom 14.2.1925 (Jahresgabe der Martin–Heidegger–Gesellschaft 2005/2006, 28): »Wenn Sie nicht gegen sich selbst hart werden und sich die Arbeit abringen können, dann täuschen Sie sich darüber, was Ihnen in der ernstgenommenen akademischen Laufbahn bevorsteht«. Nach diesem Brief

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Gadamer entschied sich dann für ein Studium der klassischen Philosophie und trat für mehrere Jahre als der Verfasser von Studien zur antiken Philosophie auf, die zwar philosophisch angelegt waren, aber wohl nicht als Bausteine zu einem systematischen Hauptwerk angesehen werden dürfen. Dann kam der Nationalsozialismus, der einen (erst recht einen wie Gadamer) zur Vorsicht mahnte. In dieser Zeit begann Gadamer damit, als Professor in Leipzig (seit 1939) Vorlesungen zur »Einleitung die Geisteswissenschaften« (und bereits seit 1939 unter dem Obertitel »Kunst und Geschichte«) zu halten. Sie wurden wiederholt gehalten, auch nach dem 2. Weltkrieg (etwa in den Sommersemestern von 1951 und 1955 in Heidelberg). Aus ihnen erwuchs das anspruchsvolle Projekt von Wahrheit und Methode. Das Werk hat auf den ersten Anschein wenig mit der Metaphysik zu tun. Der Titel der Hermeneutik und die Fokussierungen auf die Geisteswissenschaften, die in den Vorlesungen bereits evident war, verbinden ihn eher mit der Tradition Diltheys. Es ist aber offenbar, daß Gadamer eine kritische Stellung zur methodologischen Blickrichtung Diltheys einnimmt. Das Verstehen ist nicht ein methodisierbares Verfahren der Geisteswissenschaften, es kennzeichnet vielmehr unser In-der-Welt-Sein. Der Anschluß an Heidegger ist hier evident: Gadamer beruft sich auf Heideggers Lehre vom Zirkel des Verstehens, obwohl er es tut, um die Zugehörigkeit des Verstehens zu einer Wirkungsgeschichte hervorzukehren, die das Bewußtsein des Verstehenden übersteigt (Heidegger hatte seinerseits viel stärker auf die Aufgabe einer kritischen Durchleuchtung seiner Vorurteile insistiert, die Gadamer offenbar mäßigt). Ein Anklang an Heidegger ist ferner unüberhörbar im dritten Teil, der eine Ontologie der Sprachlichkeit bietet. Bereits die Idee einer »ontologischen Wende« der Hermeneutik am Leitfaden der Sprache (so der Titel des letzten Teiles) läßt aufhorchen. Sie stellt eine Universalisierung der Hermeneutik in Aussicht. Was das negativ meint, war immer klar und ist unumstritten: Hermeneutik soll mehr sein als eine Methodologie der Geisteswissenschaften à la Dilthey.12 Was aber positiv unter dieser universal und vielleicht ontologisch veranlagten Hermeneutik zu verstehen ist, leuchtet weit weniger ein. Ich muß selber gestehen, daß mir in meiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit Gadamers Hermeneutik nicht immer sonnenklar war, was hier beabsichtigt war. Handelt es sich um eine regelrechte hermeneutische Ontologie, gar eine Metaphysik? Oder handelt es sich eher um so etwas wie eine universelle Philosophie unseres hermeneutischen, d. h. geschichtlichen, endlichen und sprachlich vermittelten In-der-Welt-Seins?

befielen Gadamer »die tiefsten Zweifel über [s]eine Eignung zur Wissenschaft und zur Philosophie«, wie er später Bultmann schrieb (zitiert in Jean Grondin: Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie (Tübingen 1999) 141). 12 Vgl. etwa am Schluß von Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke. Bd. 2, (Tübingen 1993) 479: »Hermeneutik ist […] insofern ein universaler Aspekt der Philosophie und nicht nur die methodische Basis der sogenannten Geisteswissenschaften«.

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Gadamer macht es uns hier auch nicht so leicht. Er scheut nämlich vor pompösen Titeln wie »Ontologie« und »Metaphysik« zurück, und spricht eher adjektivistisch von »ontologischer Wende«. Was ist darunter zu verstehen? An welche Ontologie oder Metaphysik denkt hier Gadamer, wenn überhaupt? Offenbar ist hier auszugehen von dem federführenden und etwas rätselhaften Diktum: »Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache«. Sicherlich das Grundwort Gadamers. Man weiß, wie es von postmodernen Autoren wie Rorty und Vattimo rezipiert wurde. Für Rorty ist damit ein »Nominalismus« gemeint13 (und damit, wenn man will, eine »metaphysische« These, die aber für einen Autor wie Rorty jede Metaphysik zunichte macht). Er versteht darunter, daß wir es nie mit dem Sein zu tun haben, sondern stets nur mit der Sprache, mit sprachlich vermittelten Konzeptionen, die wir nie transzendieren können. Wir können also der Sprache nicht entrinnen. Der Satz »Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache« meine also, daß wir nur Sprachliches verstehen und somit auf jedwede Ontologie des Seins, wie es ohne Sprache ist, verzichten müssen. Gianni Vattimo geht in eine ähnliche Richtung, spricht aber weniger, wenn ich recht sehe, von einem Nominalismus. Er sieht sehr wohl in Wahrheit und Methode eine Ontologie am Werke, die Gadamer aber nicht näher entfaltet hätte. Es handelt sich in Vattimos Augen um eine »nihilistische Ontologie«, die sein sogenanntes »schwaches Denken« (etwas Positives ist für ihn gemeint) entwikkeln möchte. Es bedeutet in nuce, daß es das Sein an sich nicht gibt. Es gibt nicht so etwas wie ein festes Sein mit »starken« Strukturen, die eine Metaphysik ein für allemal zu erkunden hätte. Dieser Traum sei mit der Hermeneutik ausgeträumt. Mit ihr trete man in ein nachmetaphysisches Zeitalter ein, das Sein als eine Kreation von Sprache bzw. einer bestimmten Kultur ansehe. Trotz kleiner Akzentverschiebungen gehen also die Freunde Vattimo und Rorty in dieselbe Richtung, wenn sie die Hermeneutik Gadamers für ihr postmetaphysisches Denken reklamieren. Werden sie aber dem Denken und der »Metaphysik« Gadamers gerecht? Das ist nicht sicher. Gadamer hat sich nie mit ihrer Lesart identifiziert oder solidarisiert. Viele Indizien in Wahrheit und Methode deuten ferner an, daß sein Denken auch in eine ganz andere Richtung ging. Erinnert sei kurz an zwei. 1. Es muß in Erinnerung gerufen werden, daß Gadamer den Nominalismus einer systematischen und wohl zu wenig beachteten Kritik unterzieht. Diese Kritik findet sich u. a. in dem Kapitel über Platons Sprachauffassung, das erstaunlich kritisch ausfällt. Kritisiert wird da Platons Idee, wonach die sprachlichen Zeichen von unserem Denken erfunden seien, um die Sachen zu bezeichnen, auf die sich das Denken auch ohne Sprache beziehen könnte. Sind die Worte reine Instrumente des Denkens? Nein, behauptet Gadamer. Das Sein der Dinge 13

Vgl. Gianni Vattimo: Weltverstehen – Weltverändern. In: Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache. Hommage an Hans-Georg Gadamer, hg. von Rüdiger Bubner (Frankfurt 2001) 30–60.

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ist bereits sprachlich verfaßt, betont er. Die Welt erscheint uns im Lichte der Sprache, wie sie nun mal ist, d. h. als ein sprechendes Sein, wenn man sich so ausdrücken darf. Vattimo und Rorty sehen das wohl auch ein, aber sie deuten es nominalistisch bzw. antimetaphysisch: Wir haben für sie nur eine sprachliche Welt und nichts außerdem. Gadamer, wie ich ihn verstehe, endlich verstehe, sieht darin eine instrumentelle, nominalistische Sprach- und Weltauffassung. Sie setzt nämlich voraus, daß wir über Sprache wie ein Werkzeug verfügen. Gadamer muß nun dieser Sprach- und Weltauffassung doch eine andere entgegenhalten. Er tut es aber sehr leise und andeutungsweise in Wahrheit und Methode, indem er der Zeichenkonzeption der Sprache eine andere entgegengesellt, die die Sprache eher als »Bild« versteht14. Gadamers diesbezügliche Ausführungen bleiben sehr evokativ, aber das Gemeinte ist klar genug. Um sie richtig zu verstehen, muß man diese Konzeption der Sprache als Bild mit den Lehren der Bildkonzeption zusammensehen, die Gadamer der Kunst im ersten Teil von Wahrheit und Methode gewidmet hatte. Dort hatte Gadamer betont von der »ontologischen Valenz des Bildes« gesprochen. Gemeint war, daß das Bild (einer Person etwa) das wahre Sein des Abgebildeten hervortreten läßt. Es ist zum Beispiel das Descartesbild von Franz Hals, das das wahre, stolze Sein des Begründers der modernen Philosophie hervortreten läßt. Das Bild bleibt aber wesentlich an sein Modell gebunden, ja an dessen Wesen, das aber erst im Bild hervorscheint, wie es ist. So versteht nun Gadamer die Sprache. Sie ist nicht ein dem Denken zur Verfügung stehendes Zeichen. Sie ist durch und durch an das Sein gebunden, das aber allererst in ihr hervortritt. Eine sehr starke und wichtige These: Sprache steht nicht dem Sein gegenüber, sie ist nichts als die Entfaltung dessen, was ist. Die Trennung zwischen dem Sein und dem Denken wird hier aufgehoben. Und so ist Gadamers Grunddiktum zu verstehen (»Sein, das verstanden werden kann…): das Sein, das wir verstehen, ist das in Sprache Entfaltete, aber die Kehrseite ist ebenso wichtig und m. E. noch einschlägiger: das, was wir vermöge der Sprache verstehen, ist nichts als das Sein selbst. Man kann das freilich nominalistisch sehen bzw. mißdeuten. Aber ich meine, eine starke ontologische und metaphysische These wird damit verbunden. Und das ist gerade, was Gadamer dazu bringt, Anschluß an die »klassische Metaphysik« zu gewinnen. Hierin liegt das zweite hier zu nennende Indiz: 14 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a.O. [Anm. 2] 418: »Die berechtigte Frage, ob das Wort nichts anderes als ein ›reines Zeichen‹ ist oder doch etwas vom ›Bild‹ hat, wird durch den ›Kratylos‹ grundsätzlich diskreditiert«. Daß sich Gadamer mit dieser anderen Möglichkeit identifiziert, wird zwei Seiten weiter deutlich (420): »Das Wort ist nicht nur Zeichen. In irgendeinem schwer zu erfassenden Sinne ist es doch so etwas wie ein Abbild. […] Das Wort bekommt auf eine rätselhafte Weise Gebundenheit an das ›Abgebildete‹«. Über die starke These über das Sein (=Sprache) und die Sprache (=Abbild des Seins) siehe Jean Grondin: La thèse de l’herméneutique sur l’être. In: Revue de métaphysique et de morale 4 (2006) 469–481, und Jean Grondin: L’art comme présentation chez Gadamer. Portée et limites d’un concept. In: Études Germaniques 62 (2007) 337–349.

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2. Diese Einsicht in die »Seinsvalenz« der Sprache führt uns nämlich, sagt Gadamer, »in die Problemdimension der klassischen Metaphysik« zurück.15 Das Genie dieser klassischen Metaphysik war es nämlich, die selbstverständliche Seinsgebundenheit des Denkens zu erkennen. Gadamer denkt hier offensichtlich an die Transzendentalienlehre, für die die universellen Prädikate des Denkens (das Sein, das Eine, das Schöne, das Wahre) bereits Prädikate des Seins sind. Das gilt auch für die Sprache. Die »Darstellung« des Seins in der Sprache ist nicht eine zu den Sachen hinzukommende oder eine ihnen aufgepfropfte Präsentation, sondern die wahre Präsentation des Seins selbst. So kann Gadamer in den Schlußseiten von Wahrheit und Methode von der »ontologischen Grundauffassung« sprechen, wonach Sein Sprache, d. h. Sichdarstellen ist«16. Sprache heißt (schönes Wort hier!) also: Sichdarstellen des Seins. Darin liegt m. E. die Metaphysik Gadamers, man könnte auch sagen: die Grundthese seiner Philosophie. Sie ist aber so unzeitgemäß, daß sie sehr wenig verstanden wurde. Die Debatten um Gadamers Hermeneutik haben auch weit von ihr weggeführt, als da die Relativismus- und die Ideologiekritikdebatten hartnäckig im Vordergrund standen. Sie mögen auch die Aufmerksamkeit Gadamers in andere Bahnen gelenkt haben. Zwar hatte er noch auf unmißverständliche Weise in einem Aufsatz von 1960 bekräftigt, daß unsere Sprache bereits die Sprache der Dinge sei,17 aber diese metaphysische Komponente seines Denkens hat er in den Debatten um seine Philosophie eher unterbetont. Dem Zeitgeist war wahrlich nicht danach. Nichtsdestoweniger hat Gadamer m. W. nicht von ihr abgelassen, und es wäre eine lohnende Aufgabe zu zeigen, wie sie sich leise im späteren Werk durchhielt. Vielleicht darf man sich zum Schluß damit begnügen, auf zwei weitere Stadien der Beschäftigung Gadamers mit der Metaphysik aufmerksamzumachen, die andeuten, daß sein Verhältnis zu ihr wohl gesonnen blieb. Als erstes kommt einem Gadamers bekannter Widerstand gegen Heideggers Rede von der Sprache der Metaphysik in den Sinn. Er äußerte sich zunächst in dem Beitrag zur Löwith-Festschrift über »Heidegger und die Sprache der Metaphysik«.18 Ga15

H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a.O. [Anm. 2] 464. Siehe auch Hans-Georg Gadamer: Hermeneutische Entwürfe (Tübingen 2000) 23, wo Gadamer die griechische Konzeption der Vernünftigkeit der Welt als logos folgendermaßen charakterisierte: »Dem entspricht, daß die Vernünftigkeit des Seins, diese große Hypothese griechischer Philosophie, nicht primär eine Auszeichnung des menschlichen Selbstbewußtseins ist, sondern eine des Seins selber, das so das Ganze ist und so als das Ganze erscheint, daß die menschliche Vernunft weit eher als ein Teil dieser Vernünftigkeit zu denken ist und nicht als das Selbstbewußtsein, das sich dem Ganzen gegenüber weiß«. 16 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a.O. [Anm. 2] 490 (Hervorhebung durch Gadamer). 17 Hans-Georg Gadamer: Die Natur der Sache und die Sprache der Dinge, In: Gesammelte Werke, Bd. 2, (Tübingen 1993) 66–76. 18 Erstdruck 1968, zuletzt wieder abgedruckt unter dem schlichten Titel Hans-Georg Gadamer: Die Sprache der Metaphysik. In: Gesammelte Werke. Bd. 3 (Tübingen 1987) 229–237.

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damer fragt sich dort, ob es wirklich so etwas wie eine geschlossene Sprache der Metaphysik gebe, die das Denken verhängnisvoll gefangen halten würde. Gewiß, führt er aus, gebe es Prädeterminationen des Denkens durch die Tradition, doch er fragt kritisch: »Aber gibt es keine Erhebung über Vorschematisierungen des Denkens?«19 Eine geschlossene Sprache der Metaphysik gibt es für Gadamer nicht, weil man sich immer über sie kraft der Sprache erheben darf. Ja, bereits der Ausdruck »Sprache der Metaphysik« zeugt davon. Die einzige Sprache, die er kennt, ist diejenige des Seins, die ständig imstande ist, objektivistische Verhärtungen der Sprache zu überwinden. Dazu bedarf es nicht einer Überwindung der Metaphysik, sondern eines Fortdenkens dessen, was ist, wie es sich in unserem sprachlichen In-der-Welt-Sein artikuliert. Darin manifestiert sich zweifelsohne ein entspannteres Verhältnis zur Metaphysik als sein Lehrer Heidegger es hatte. Zuletzt sei auf die nicht geringe Rolle hingewiesen, die die Metaphysik in der Debatte mit Derrida spielte, der die besten Denkenergien des späten Gadamer galten. Auch hier ging es im Grunde um die Frage, ob es denn wirklich einen geschlossenen Begriff der Metaphysik gab, den es zu destruieren gelte. Die Frage stellte sich, als Derrida in Gadamers Idee des guten Willens einen Rückfall der Hermeneutik in die Metaphysik vermutete. »Bin ich denn«, mußte sich Gadamer fragen, »mit meinem eigenen Aufgreifen und Fortführen der Hermeneutik als Philosophie das in die verdorrenden Gefilde der Metaphysik verirrte Schaf«?20 Eine reine Metaphysik der puren Präsenz, etwa im Sinne der Vorhandenheit, konnte Gadamer wahrlich bei sich selbst nicht finden. Er konnte sie auch nicht in der Geschichte der Metaphysik sehen, die immer unendliche Möglichkeiten bereithält, das Sichdarstellen des Seins zur Sprache und damit zu sich selbst zu bringen. Dieses Metaphysikbild sei vielmehr eine Selbsterfindung und reine Konstruktion des Denkens, die vielleicht nicht mehr als eine Popanz ist und die das Denken eher verblendet als erhellt. So war Metaphysik für ihn kein Standpunkt, den es zu überwinden gelte. Sie ist nichts anderes als die Fortsetzung des Gesprächs mit sich selbst, das die Philosophie seit jeher ist, wenn sie das Sein denkt. So darf man hier mit Gadamers Worten aus dem Jahre 1983 schließen: »Phänomenologie, Hermeneutik und Metaphysik sind nicht drei verschiedene philosophische Standpunkte, sondern Philosophieren selber.«

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Hans-Georg Gadamer: Die Sprache der Metaphysik. In: Gesammelte Werke. Bd. 3 (Tübingen 1987) 237. 20 H.-G. Gadamer: Gesammelte Werke. Bd. 10, a. a.O. [Anm. 3] 139.

Frank Beck Lassen

»Metaphorically Speaking« – Begriffsgeschichte and Hans Blumenberg’s Metaphorologie

I. Ever since Hans Blumenberg coined the term Metaphorologie (metaphorology) in 1960 to indicate a specific line of historical inquiry, parallel to those undertaken within Begriffsgeschichte (conceptual history), the relationship between the two has been one of tension. In 1992, upon completion of the Geschichtliche Grundbegriffe (GG), Reinhart Koselleck himself remarked that although Blumenberg had dealt »masterfully« with figures of speech, the attempt to integrate his method into GG would have »produced a completely different lexicon«.1 Now, rather than seeing such a statement as discrediting for any relationship between metaphor and concept, one might consider it an invitation to reflect on the differences and similarities between Koselleck’s and Blumenberg’s respective works. Consequently, this paper will regard the differences between the history of metaphors and concepts as a fruitful tension, and one that may contribute to the further development of studies within historical semantics. Before this can take place, I am going to take a look at the preceding years of fruitless tension, first of all in order to explain how it can be claimed that metaphorology should suffer from hostility towards conceptuality, but also to install a background for my present aim: investigating how Koselleck’s thoughts on historical semantics and conceptuality can be received and partly integrated into the metaphorological enterprise. A final aim of this article – and this is going to be a more peripheral one – will be to argue against certain truisms claiming that metaphorology should be unable to consider metaphors from a rhetorical, and therefore political, perspective. When it comes to writing the histories of different metaphors or making room for metaphors within wider semantic studies, the interest in Blumenberg’s metaphorology needs to acquire a more limited scope. This means that my interest is not so much in following Blumenberg as it is in a future-oriented reconstruction of what can be put together from metaphorology with regard to a strategy for working with metaphors in historical texts. If there is to be any future for metaphorology within historical semantics, it is necessary – at least from where I am sitting – to distinguish between a programmatic potential in Blumenberg and a level of concrete studies, even though Blumenberg never really did this himself. Reinhart Koselleck: A Response to Comments on the Geschichtliche Grundbegriffe. In: The Meaning of Historical Terms and Concepts. New Studies on Begriffsgeschichte. ed. by Hartmut Lehmann & Melvin Richter (Washington 1996) 59–70. 1

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Frank Beck Lassen

This has led me to the (perhaps) rather simplified position that, when looking for the potential textual strategy in metaphorology, it is one thing what metaphorology can contribute to the future scientific practice of the humanities and social sciences, and another, what it actually contributed to Hans Blumenberg’s philosophy. Let me further add that the difference between these two approaches is considerable. But this is a tricky discussion, more connected to the growing debate on the »Anschlußfähigkeit« of Blumenberg’s metaphorology than its possible relationships to conceptual history.2 The »Anschlußfähigkeit«debate centers on the question whether it is possible to follow Blumenberg in a systematic way. As such it is part of the ongoing discussion on how to inherit the philosophy of Hans Blumenberg.

II. Koselleck’s remarks from 1992 concerning Blumenberg’s metaphorology – praising his effort while maintaining distance – were not much different from the ones made in his »Richtlinien für das Lexikon Politisch-Sozialer Begriffe der Neuzeit« from 1967. In ’67, the question concerning metaphors in the future lexicon was described as pertaining to the »situationsbedingten Kontext« that endows (verleiht) concepts with their propulsion (Schubkraft)3 – that is, one must assume, how figures of speech can increase the impact and acceptability or contestability of key concepts. As part of investigating the concept of »state«, for instance, one must also be ready to explicate such a concept through the metaphors of »body« or »machinery«, taking into account how these figures of speech are used to promote or denigrate a specific understanding of the state. Although defining metaphors as part of an auxiliary context in the final »Vorwort« to GG in 1992, and never seriously addressing the relationship between concepts and metaphors, Koselleck, ended up lamenting that »die Metaphorik unserer Begriffe […] nicht systematisch erfragt worden ist«, while at the same time admitting that such an enterprise would have put too much of a burden on the entire lexicon (»überfordert«).4 This is looking at metaphoricity as part of the methodology of conceptual history, but at other times, and I say this in order not to give a too limited impression of Koselleck’s important observations re-

2 Ferdinand Fellmann: Ein Dichter und kein Denker. Die Isolierung eines Philosophen: Hans Blumenberg gegen seine Verehrer verteidigt. In Frankfurter Rundschau (3. März 1998) 10. See also Rüdiger Zill: «Substrukturen des Denkens«. Grenzen und Perspektive einer Metapherngeschichte nach Hans Blumenberg. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, hg. von Hans Erich Bödeker (Göttingen 2002) 209–258. 3 Reinhart Koselleck: Richtlinien für das Lexikon Politisch-Sozialer Begriffe der Neuzeit. In: Archiv für Begriffsgeschichte 11 (1967) 81–98. 4 Reinhart Koselleck: Vorwort. In Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 7 [im folgenden GG], hg. von Otto Brunner, Werner Conze & Reinhart Koselleck (Stuttgart 1992) V–VIII.

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garding metaphors, Koselleck actually showed a metaphorological concern paralleling Blumenberg’s – for instance, when pointing out that history as a science is forced to make use of metaphors in order to grasp the totality of »History« as an identifiable object.5 By using the word »überfordern«, Koselleck chose exactly the same word as , employed by Joachim Ritter, 21 years earlier, in his »Vorwort« to Historische Wörterbuch der Philosophie (HWPh),when trying to explain why metaphors had been left out, thus accidentally enforcing what I have chosen to call the stab-inthe-back legend among some proponents of a metaphorology vis a vis Hans Blumenberg. In 1967, in the very pages leading up to Koselleck’s »Richtlinien« in Archiv für Begriffsgeschichte, Ritter presented the future lexicon we now know as HWPh, rallying Hans-Georg Gadamer and – today perhaps surprisingly – Hans Blumenberg as chief inspirations in the fight against a Cartesian ideal of conceptuality.6 But when the first volume of the dictionary was ready in 1971, things had changed. The editors now had »[…] nicht leichten Herzens darauf verzichtet, Metaphern und metaphorische Wendungen in die Nomenklatur des Wörterbuches aufzunehmen […]«. The argument for this »Verzicht« was quite similar to the one Koselleck would give later on, namely that the dictionary »[…] bei dem gegebenen Stand der Forschungen in diesem Felde überfordert würde und daß es besser sei, einen Bereich auszulassen, dem man nicht gerecht werden kann, als sich für ihn mit unzureichender Improvisation zu begnügen«.7 A rather pragmatic and understandable argument one should think – Blumenberg himself actually agreed with Ritters dispositions and felt compelled to acknowledge »[…] das mir der Grund für diesen Verzicht einleuchtet und daß ich gegen ihn keine Kritik vorzubringen habe«.8 Before this, Blumenberg had actively engaged in the debates over Erich Rothackers Archiv für Begriffsgeschichte, commending its methodological openness as well as its skeptical attitude towards the amount of terminological precision concepts could realistically hope to achieve.9 Blumenberg never considered conceptual history and metaphorology, whatever

Reinhart Koselleck: Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft. In Zeitschichten. Studien zur Historik. (Frankfurt a. M. 2000) 298–316. See also Kari Palonen: An Application of Conceptual History to Itself. In Finnish Yearbook of Political Thought 1 (1997), 39–69. 6 Joachim Ritter: Zur Neufassung des »Eisler«. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie. In Zeitschrift für philosophische Forschung 18:4 (1964), 704–708. Repeated in Joachim Ritter: Leitgedanke und Grundsätze des historischen Wörterbuchs der Philosophie. In: AfB 11 (1967), 75–80. 7 Joachim Ritter: Vorwort. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 1. Hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Basel 1971) V–XI. 8 Hans Blumenberg: Beobachtungen an Metaphern. In: AfB 15 (1971) 161–214. 9 Hans Blumenberg: Nachruf auf Erich Rothacker. In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz 1966) 70–76. Further, Hans Blumenberg: Nachbemerkung zum Bericht über das Archiv für Begriffsgeschichte. In: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz (1967) 79–80. 5

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methodological assumptions such enterprises might entail, to be at odds with one another. As it has recently been summed up, »Begriffshistorische und Metaphorologische Arbeit gingen von Anfang an Hand in Hand […]«, and were thought of as »[…] aufeinander verweisende Forschungsprogramme […]«.10 Such interventions made little impression. Today it is easy to see that the era of fruitless tensions between conceptual history and metaphorology took their beginnings with what might be regarded as an unfulfilled promise. And it is a tradition that is still living and breathing. Just recently it has been presented as highly symptomatic for the promise of conceptual history in 1971 that metaphors were no longer being considered11, while some have gone even further, describing Ritter’s decision as an »aggressive reaction« in defence of a project that would otherwise have run the risk of being made superfluous, perhaps even »blown away« as it has so dramatically been put.12 That the omittance of metaphors had not been made »light-heartedly« made little difference – and was perhaps only seen as a touch of hypocrisy among the many anti-Cartesian declarations made by Ritter. Among more radical proponents of metaphorology, HWPh could be viewed as nothing but an unadulterated Hegelianism, picking up on Hegels much older teleological understanding of »Begriffsgeschichte«. Originally, Hegel had coined the term in his Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte and understood »Begriffsgeschichte« to be part of a »reflectierten Geschichte«, a final stage of cognition necessary to the advancement of a truly philosophical history. This stage »[…] ist zwar abstrahierend, bildet aber, weil sie allgemeine Gesichtpunkte (z.B. die Geschichte der Kunst, des Rechts, der Religion) nimmt, einen Übergang zur philosophischen Weltgeschichte«.13 Hegel considered such a stage to be infested with historicism, but also saw in it an attentiveness to the guiding and generative role of general concepts that might achieve full illumination in time.14 As Manfred Sommer has put it, with some suspicion, the very idea of a conceptual dictionary as formulated by Ritter is fundamentally a Hegelian project designed to investigate »the journey from concept to idea to its realisation« through a history of philosophical concepts15, locating the reason why

Carsten Dutt: Keine Frage des Alters. Eine Duplik. In: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft 1/3 [im folgenden ZIG] (2007) 125–127. 11 Hans Ulrich Gumbrecht: Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte (München 2006) 15. 12 Anselm Haverkamp: Die Technik der Rhetorik. Blumenbergs Projekt. In: Hans Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Hg. von Anselm Haverkamp (Frankfurt a.M. 2001) 435–455. 13 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. In: Werke in zwanzig Bänden, Bd. 12. (Frankfurt a. M. 1970) 19. 14 H. G. Meier: Begriffsgeschichte. In: HWPh Bd. 1. Hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Basel 1971) 788–808. 15 Manfred Sommer: Beskrivelse af mennesket. Interview med Manfred Sommer [A Description of Man. Interview with Manfred Sommer]. In Slagmark 47 (2006), 47–59. 10

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metaphors were excluded from the line of sight of conceptual history in Ritter’s emphasis on philosophy as something that «[…] im Wandel ihrer geschichtlichen Positionen und in der Entgegensetzung der Schulen und Richtungen als die eine perennierende Philosophie das ihr immanente Prinzip vernünftigen Begreifens zu immer reicherer Entfaltung bringt«.16 But in order to fully understand how these accusations could be meaningfully directed against HWPh as a Hegelian, conceptual and therefore exclusively philosophical history that as a necessity had to eliminate a disturbing metaphoricity, it is necessary to further clarify the genesis of a philosophically minded conceptual history. Ritter himself saw the idea of HWPh as directed against the neo-Kantian – and by the 1960’s very belated – Wörterbuch der philosophischen Begriffe compiled by Rudolf Eisler. A dictionary described by Ritter as giving »[…] eher das Gefühl zurückzublicken als […] Hoffnung, Rat und Hilfe zu finden«.17 When, for example, the »Eisler« defined »Hoffnung« as »Affekt«, »der mit der Erwartung eines lustbetonten Bewußtseinsinhaltes verbunden ist«, Ritter could only understand the »Eisler« concept of philosophy as a continuing march towards an increasingly purer conceptuality in which »[die] Ausbildung der positiven Wissenschaft zu ihrer Vollendung kommt und alle Methoden, Begriffe und Fragestellungen, die nicht in die Wissenschaft übergehen und übergehen können, dazu bestimmt sind, in die Vergangenheit einer nur historischen Existenz zurückzufallen«.18 Such an understanding of the role of concepts within philosophy was no longer believable, according to Ritter: Eislers dictionary »[…] gehört philosophisch wie wissenschaftlich einer Periode an, die vergangen ist«.19 Especially the worn out dichotomy between a (proper) »systematic« and a »just historical« approach to philosophy was attacked by Ritter, who argued that this unfortunate distinction ultimately derived from Descartes who had »[…] die These aufgestellt, daß fast alle Kontroversen in der Philosophie entfallen würden, wenn sich die Philosophen über die Bedeutung der von ihnen verwendeten Wörter einigen könnten«.20 Philosophy, as a purely systematic enterprise, had taken this to heart to such a degree that the history of concepts, let alone metaphors, was something to be avoided as it would only cause Babylonian confusion. And so, one must imagine, it was for this anti-Cartesian purpose that Blumenberg, who, in his book-long article from 1960, »Paradigmen zu einer Metaphorologie«, explicitly had taken up Descartes in comparison to his own

J. Ritter: Zur Neufassung des »Eisler«. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a.O. [Anm. 6] 707. 17 Ebd. 704. 18 J. Ritter: Vorwort, a. a.O. [Anm. 7] V. 19 J. Ritter: Zur Neufassung des »Eisler«. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a.O. [Anm. 6] 704. 20 J. Ritter: Leitgedanke und Grundsätze des historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a.O. [Anm. 6] 78. 16

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critical concept of »Restbestände«21, was singled out by Ritter. The legitimising conclusion made by Ritter was that »Wo so mit der Vollendung der Terminologie auch das Ideal ›voller Vergegenständlichung‹ erreicht werden soll, muß alles, was nicht in eine exakte Definition einzugehen vermag, als nur ein vorläufiges, sie vorbereitendes Element bedeutungslos werden«.22 To counter this purist view of conceptuality, a new and improved Eisler would no longer suffice. Instead, a genuinely historical dictionary was needed that would accommodate to the fact that »Die Scheidewand zwischen System und Philosophiehistorie […] durchlässig geworden [ist]«.23 Ritter believed Eisler’s understanding of the relationship between philosophy, historicity and conceptuality to be »paralysing« to the historical mission that presented itself in the 1960’s as unavoidable and as an inevitable part of »[…] der inneren Entwicklungsdynamik der Philosophie«.24 Apart from naming Blumenberg, Ritter wholly identified these developments with the philosophy of Hans-Georg Gadamer and his Warheit und Methode, which had been published in 1960, in the same year as Blumenberg’s »Paradigmen zu einer Metaphorologie«. The way in which Ritter made use of Gadamer’s path-breaking studies would prove instrumental to the genesis of what I have already referred to as the Stab-in-the-Back Legend. That Gadamer believed conceptual history to be important is visible right from the beginning of Warheit und Methode. To clear the way for a better understanding of the specific nature of some of the »Humanistische Leitbegriffe« basic to the humanities, he conducted his own conceptual histories of general concepts like »Bildung«, »sensus communis«, »Urteilskraft« and »Geschmack«. Later in his investigations, the same would happen to concepts like »Erlebnis« and »Vorurteil«. Gadamer had had plenty of experience with this sort of work, as head of the Senatskommision für begriffsgeschichtliche Forschung during the 1950’s and as co-editor of Archiv für Begriffsgeschichte along with Erich Rothacker.25 Gadamer understood conceptual history as, above all, part of his own philosophical enterprise connected to the development of a philosophical hermeneutics. As such, it was formulated in opposition to the history of problems identified closely with the neo-Kantianism of the Marburger Schule, which had taken in the history of problems as a methodological approach to the writing of the history of philosophy. Faced with the danger of an atomizing historical relativHans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (Frankfurt am M. 1998) 7–10. J. Ritter: Zur Neufassung des »Eisler«. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a.O. [Anm. 6] 706. 23 J. Ritter: Vorwort, a. a.O. [Anm. 7] VI. 24 Irmline Veit-Brause: Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte als Brücke zwischen den Disziplinen. In: Die Interdisiplinarität der Begriffsgeschichte, hg. von Gunter Scholtz (Hamburg 2000) 15–29. 25 Reiner Wiehl: Gadamers philosophische Hermeneutik und die begriffsgeschichtliche Methode. In: AfB 45 (2003) 9–20. 21 22

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ism, the idea of a history of identical philosophical problems was to serve as a firm methodological basis for the writing of the history of philosophy. Against this, Gadamer argued that concepts like »Freiheit« could never be properly understood when viewed in abstraction from their historical surroundings. If – as large parts of Wahrheit und Methode had argued – the dialectics of interpretation based itself on a »Logik von Frage und Antwort«, the problem involved in a concept such as »Freiheit« could only be grasped through an understanding of the circumstances under which »Freiheit« would beg a particular question. The problem of »freedom« would have to be engaged like »[…] eine nie wirklich gefragte Frage», and this because a »[…] wirklich gefragte Frage ist motiviert«.26 As a matter of historical horizons, the problem was formulated in this way: »Wenn ich frage: Was bedeutet Freiheit in einer Weltauffassung, die von der kausalen Naturwissenschaft beherrscht wird, dann ist die Stellung der Frage und damit alles, was darin etwa unter dem Begriff Kausalität impliziert ist, schon in den Sinn der Frage eingegangen«.27 As Gadamer put it, focusing on the identity and historical sameness of a concept like »Freiheit« would never reveal the specific »Fragestellung« involved in the use of a concept like »Freiheit«. A use that could be very changeable but also easily ignored if attention was not paid. The medicine to safeguard philosophy from the abstract and often anachronistic addressing of its issues would have to be a rediscovery of the »Fragegesichtpunkt« that motivated the use of specific concepts. In this way, conceptual history would help to disclose what could be meant at all, what the intellectual framework could amount to at a specific point in history when employing and addressing the concept of »Freiheit«. This actually placed conceptual history at the very core of hermeneutics as a way of exposing the »allumfassende Vorausgelegtheit der Welt« involved in all language use. Interpreting the implications of Heideggers ontological reflections for the »Handwerk des philosophischen Denkens«, Gadamer concluded that »die Begriffe der Philosophie erhalten ihre Sinnbestimmtheit nicht durch eine willkürliche Bezeichnungswahl, sondern aus der geschichtlichen Herkunft und der Sinngenese der Begriffe selbst, in denen sich das philosophische Denken bewegt, weil es sich immer schon in sprachlicher Gewalt vollzieht«.28 Philosophy, informed by a new-found philosophical hermeneutics, was now forced to acquire »[…] ein neues Verhältnis zu den Begriffen […]«.29 Ritter’s directions for HWPh were very much informed by this necessity, to the point where he could

Hans-Georg Gadamer: Begriffsgeschichte als Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 2, (Tübingen 1986) 77–91. 27 Ebd. 83. 28 Hans-Georg Gadamer: Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 4, (Tübingen 1987) 78–94. 29 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. In: Gesammelte Werke. Bd. 1, (Tübingen 1990) 4. 26

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mix his own words with those of Gadamer, relying on philosophical hermeneutics as a support for his own lexical project. According to Ritter, who quotes Gadamer, »Begriffsgeschichtliche Forschung gehört so philosophisch zu einem ›neuen kritischen Bewußtsein‹, das ›die Sprach- und Denkgewohnheiten vor das Forum der geschichtlichen Tradition stellt, der wir alle gemeinsam zugehören‹: Wer sich ›nicht von der Sprache treiben lassen will, sondern um ein begründetes geschichtliches Selbstverständnis bemüht ist‹, sieht sich ›von einer Frage der Wort- und Begriffsgeschichte in die andere genötigt‹«.30 What is striking today is Ritter’s insistence that Gadamer’s philosophical hermeneutics, including »his conceptual history«, remain part of philosophy as a clarifying device designed to raise the level of consciousness about the concepts involved. He could even find support for such a claim in Gadamer’s own writings – for instance when he would remark that »Begriffsgeschichtliche Reflexion bedeutet vielmehr ein gesteigertes kritisches Bewußtsein gegenüber der geschichtlichen Überlieferung und eine Gewinnung ihres sachlichen Gehalts«.31 Ritter quite clearly believed that conceptual history had to be understood as part of an initial, although indispensable, reflection on the implications of »Wirkungsgeschichte« for the history of philosophy. But this is not what Gadamer had in mind. Rather, Gadamer believed conceptual history to be much more than »[…] eine Ergänzungsarbeit philosophiegeschichtlicher Forschung […]«, and saw it as something belonging to »[…] den Vollzug der Philosophie«.32 While Gadamer saw conceptual history as absorbed into the much wider agenda of creating a philosophical hermeneutics, Ritter took the consequences of Gadamer’s hermeneutics to mean the enlightening of the historicity of concepts fundamental to philosophy as such. I believe it was this interpretation made by Ritter of Gadamer’s relationship to a philosophical history of concepts that gave rise to accusations of an unholy alliance, making conceptual history not only a strictly subsidiary enterprise, but also an enterprise incapable of appreciating the subversive potential in Blumenberg’s metaphorology. This has become, if not a predominant, then at least a persistent description of the troubled relationship between conceptual history and metaphorology. The suspicion ran that conceptual historians centering around the rallying calls of Gadamer and Ritter were partial to an understanding of metaphor similar to that of Otto Neurath, who had compared the epistemological importance of metaphors to that of consuming a cop of coffee: it will give you J. Ritter: Zur Neufassung des »Eisler«. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a.O. [Anm. 6] 707. J. Ritter: Leitgedanke und Grundsätze des historischen Wörterbuchs der Philosophie, a. a. O. [Anm. 6] 79. J. Ritter: Vorwort, a. a.O. [Anm. 7] VII. H.–G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, a. a.O. [Anm. 29] 15. 31 H.-G. Gadamer: Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie, a. a.O [Anm. 28] 80. 32 H.-G. Gadamer: Begriffsgeschichte als Philosophie, a. a.O. [Anm. 26] 81. 30

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a boost, but describing such a caffeine rush as intrinsic to any theoretical process would be overestimating the effect coffee will have on your thoughts.33 From here on, a number of proponents of a historical semantics that »dared« consider metaphors as primordial to linguistic world disclosure could see nothing but an attempt at reducing the nature of metaphor to that of being an heuristic ornament.

III. The perception of metaphors as being primordial, and the suspicion that collaboration with conceptual history a la philosophical hermeneutics and HWPh would entail surrender to an understanding of metaphors as »Restbestände«, could actually find sufficient support in «Paradigmen zu einer Metaphorologie«. As indicated in the title, Blumenberg was actually attempting to work out a paradigmatic approach, a series of examples that could help outline the future of this new »discipline« – in short a kind of methodological program. In 1960, the intention was to present »eine Typologie von Metapherngeschichten« without having a purist typology as a goal.34 In the end, as a conclusion to many sporadic studies, Blumenberg chose to differentiate between two kinds of metaphors. They could be Restbestände or Grundbestände. As Restbestände, metaphors were characterized as »Rudimente auf dem Wege vom Mythos zum Logos«35, as a sort of provisional help for concepts where they had yet to be organized – yet because the subject matter as a principle could be conceptualized at some point in the future. As it happens, the making of this rather simplified distinction – and, as I like to think of it, unfortunately substantialized distinction – became the turning point for any future collaboration between conceptual history and metaphorology, introducing a highly unfortunate rhetoric of the subversive. Metaphorology did not look at metaphors broadly but at absolute metaphors; it did not search for semantic structures, but substructures, always treating the metaphor as a privileged witness to the most basic and existentially urgent aspects of a »lifeworld« formulated in opposition to barren scientism. And these were aspects of meaning and intentionality that could only be grasped in their »Verborgenheit«.36 For a methodological consideration related to the art of writing the history of metaphors the principle of the »Gleichursprünglichkeit« of concept and metaphor must be invoked to counter this rhetoric of the subversive and to establish

Lutz Danneberg: Sinn und Unsinn einer Metapherngeschichte. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, hg. von Hans Erich Bödeker (Göttingen 2002) 259–421. 34 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 111. 35 Ebd. 10. 36 R. Zill: «Substrukturen des Denkens«. Grenzen und Perspektive einer Metapherngeschichte nach Hans Blumenberg, a. a.O [Anm. 2] 257. 33

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some sort of modus vivendi between the two.37 Such an understanding is important if historiographical considerations are to avoid colonization by philosophical disputes that will probably never be resolved – or at least not while this historian of metaphors is alive. As Carsten Dutt has succinctly noted, why »[…] sollte man die Metaphorologie zur Nachfolge- oder Ablösungsdisziplin der Begriffsgeschichte stilisieren und nicht vielmehr beide Spielarten historischer Bedeutungsforschung in einem Verhältnis der Ergänzung und der reziproken Dienstbarkeit sehen?«.38 Instead of forcing us to chose between hopeless phenomena such as »above-surface metaphors« and »below-surface metaphors« – objects that are impossible to identify and distinguish between in actual texts – I am going to argue that it is much more promising to look at how metaphors function in different contexts. At times, they can acquire a degree of independence making them comparable to contested »Grundbegriffe«; at other times, they serve as more local arguments in intellectual disputes; and often they are just persuasive ornaments without noteworthy affinity to the matter at hand. What is important here is the fact that no metaphors can be preconceived as »Grundmetaphern« – this can only be the result of historical research. Disregarding the important differences that remain to be considered between conceptual history and metaphorology, I would say the tables have turned. The initial reaction to the lexicons of HWPh and GG was the disparaging opinion that they would eventually have to learn from metaphorology – that conceptual history, at least on a theoretical level, really ought to be incorporated into metaphorology. Today, such reactions are better replaced by a more pragmatic spirit willing to learn from the many insights made within the many varieties of conceptual history. I believe that to a large extent this is due to the very adaptable reflections promoted by Reinhart Koselleck over the years, and I also believe that, today, we are in a position where we can take a fresh – or at least fresher – look at the relationship between metaphorology and conceptual history. Therefore, I will summarize three areas where one might learn from the other: A. Metaphors and the indicator/factor distinction B. Metaphors and »Grundbegriffe« C. Metaphors and argumentative uses A. So how do the interests of Blumenberg’s metaphorology compare to Reinhart Koselleck’s conceptual history? One thing is certain: although trained as a philosopher and a theologian, Blumenberg can fruitfully be seen as a somewhat 37 Philipp Stoellger: Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont (Tübingen 2000) 102. 38 Carsten Dutt: Postmoderne Zukunftsmüdigkeit. Hans Ulrich Gumbrecht verabschiedet die Begriffsgeschichte. In: ZIG Heft 1/1 (2007), 118–122.

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eccentric inspiration to intellectual history – emphasising, as he did, that his preferred philosophical question was »What was it that we wanted to know?«39 For the philosophically educated, this question may sound wrong, and admittedly it is a reformulation of the famous Kantian background question from Kritik der reinen Vernunft: »What can we know?« None the less: this little twist of Kant’s now famous question is an excellent description of what the metaphorology of Hans Blumenberg is aiming at. To a large extent, metaphorology is about what we wanted to know and how these intellectual desires have presented themselves at times in figurative speech. Such a question can be seen as part of a historiographical tradition that looks upon language and its many individual expressions as possessing a material dimension that will enable us to use linguistic components as historical sources in their own right. Instead of perceiving of language as a neutral medium referring to, and reflecting, an outside reality, it is considered to be a historical and therefore material witness.40 What is meant is that historical texts not only posses direct qualities to be handed down and used for present purposes, but that they also deserve our attention because of their ability to inform us of the linguistic conventions and communicative arrangements used by people in other ages to interpret and create a world of their own. Part of this material can be singular concepts, but also rhetorical patterns, figures of speech and other ways of »dressing up« the words we use. One of the very fruitful additions to metaphorology that can be seen coming from Koselleck is the distinction between concepts and, in this case, metaphors as indicators and factors of semantic change and, as a consequence, of wider and more material changes within society and politics. Taking advantage of Koselleck’s reflections on this set of analytical tools, metaphorology can be seen as an attempt to understand metaphors as being very indicative of how we structure our world in general. Blumenberg has put it this way: »Die Metapher als Thema einer Metaphorologie in dem uns hier beschäftigenden Sinne ist ein wesentlicher historischer Gegenstand, so daß ihr Zeugniswert zur Voraussetzung hat, daß der Aussagende selbst keine Metaphorologie besaß, ja nicht einmal besitzen konnte. Unsere Situation ist daher gekennzeichnet durch das positivistische Programm einer entschlossenen Kritik der Sprache in ihrer ›Leitfunktion‹ für unser Denken […]«.41 One important aspect of Blumenberg’s metaphorology is his insistence on considering metaphors as having a »Zeugniswert«. Metaphors can be understood as historical traces to past horizons of meaning. As histori-

Hans Blumenberg: Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit. In Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher (Frankfurt a. M. 1979) 87. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt (Frankfurt a. M. 1981) I. 40 Ralf Konersmann: Komödien des Geistes. Historische Semantik als philosophische Bedeutungsgeschichte (Frankfurt a. M. 1999) 20. 41 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 24. 39

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cal traces, metaphors are indicators – Blumenberg uses this word himself 42 – of fundamental and principal convictions, certainties and expectations.43 These indications are in an exemplary way registered in different metaphors – let us call them a pictorial accumulation of a number of very complex semantic relations. For instance, in the imagery connected with the description of man as Homo lupus, as a wolf, who under specific circumstances can be a Homo homini lupus, a wolf toward men, we see a condensation of a number of preoccupations. The metaphorological argument is that if we consider the metaphor to be a kind of trace, we will find it capable of »pulling« a set of pre-understandings and intellectual worries »into« itself. The image of the man-wolf, for instance, is a way of directing one’s attention towards a selected reality – in the case of »antisocial wolves« on problems and challenges within diverse areas such as politics, law, morality, theology and natural philosophy. Stigmatizing and explanatory at one and the same time, the metaphor of the wolf addresses a number of characters on the margin of an emerging state. Be it vagrants moving in packs, poor people roaming for food or outlaws, «who act like wolves and are to be treated like wolves« as a 17th-century phrase goes.44 From a historiographical point of view, certain metaphors are to be considered one of many semantic ways of »storing« different worldviews – views established or manipulated by historical agents and intellectuals, who, among other things, use imagery to compensate for the difficulties they might experience when trying to describe and act upon reality.45 As with concepts, the meaning of metaphors is not fixed once and for all but are being shaped while shaping their times and surroundings. B. Another matter on which Koselleck has had a lot to offer is the question how some of the most persistent metaphors (of which some of the more philosophical ones now have their own dictionary46) can be said to function. This has especially been done through his presentation of the »Grundbegriffe« and the clarification of what it is exactly that distinguishes these as objects for historical research. Differentiating between word and concept – the word having a more narrow referential scope that facilitates its definition and the concept having a wider

Ebd. 15. Ebd. 25. 44 Keith Thomas: Man and the Natural World (London 1983) 47. 45 Ralf Konersmann: Figuratives Wissen. Zur Konzeption des Wörterbuchs der philosophischen Metaphern. In Neue Rundschau 116, Heft 2, (2005) 19–35. 46 Wörterbuch der philosophischen Metaphern, hg. von Ralf Konersmann (Darmstadt 2007). 42 43

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scope that cannot be reduced to a single definition – it is the very multiplicity of meaning and reference in concepts that are made the object of study. As such, concepts are contestable »concentrations of meaning«47, semantic instances where »Bedeutung« und »Bedeutetes« become coincident, creating an intellectual object with an ambiguous but productive relationship to reality. Now, I believe that the constitutive nature of a »Grundbegriff« comes very close to what Blumenberg suggested should be the primary interest of metaphorology: the world-disclosing capabilities involved in certain metaphors. Koselleck’s reflections have proven extremely helpful in trying to identify the potential »Grund« in metaphors, thus turning these into »Grundmetaphern«: objects for historical research. Koselleck describes the »Grund« in »Grundbegriffe« as their increasing degree of abstraction, as more and more »modellbezogene Figuren«48, which, due to the lack of lucidity and surplus of ambiguity within the realm of social and political realities, are able to outline and draw up the contours of new possible experiences. As such, world-disclosing metaphors and argumentative metaphors can be described as sort of »sensors« of possible futures, as sort of »pre-conceptions« attaching themselves to »Grundbegriffe«. As the concept of »State« obviously points to something in reality, but in its epistemological capacity as a category also points out something about reality49, assertions such as »the state is a machine« or »the enemy is a Jew« do something similar. In pointing out certain aspects of reality by »throwing a picture at it«, so to speak, metaphors circumscribe a troublesome reality by indicating an »Erwartungshorizont« within which one can begin to imagine ways of thinking and acting.50 But there are differences as well – some would say that metaphors are even more apt at revealing expectations to the world that would now be considered belated. A special feature of metaphors is that they make the world seem coherent, and it is precisely this capacity that is interesting in relation to writing the history of metaphors. It is due to the ability of metaphors to establish likenesses where these might not exist – to postulate connections in the world – that it does such a splendid job indicating intellectual categories of the past. It is the ability of metaphors to »be false«, to be a more or less »calculated absurdity«51, that makes them such a historiographical treat for Blumenberg. It is, as Blumenberg

R. Koselleck: Vorwort, a. a.O. [Anm. 4] XXII. R. Koselleck: Richtlinien für das Lexikon Politisch–Sozialer Begriffe der Neuzeit, a. a.O. [Anm. 3] 93. 49 R. Koselleck: A Response to Comments on the Geschichtliche Grundbegriffe, a. a.O. [Anm. 1] 61. 50 Reinhart Koselleck: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien. In Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt a.M. 1989) 349–375. 51 Cristian Strub: Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie (Freiburg & München 1991) 79. 47 48

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has pointed out himself, basic to the metaphorical understanding »[…] daß sie nie bei der strengen Wahrheit bleiben; daß sie bald zu viel, und bald zu wenig sagen«.52 As a »language of postulates«, metaphors spring from our exaggerated (and, from a metaphorological point of view, necessary) sensibilities regarding how the world can be arranged. In the metaphor we see different expectations about the meaningfulness of the world become manifest. The way that metaphors function makes them very well suited if one wants to pursue former horizons of expectations. These differences between metaphor and concept – with the metaphor being the more extreme postulate of the two – also explain what Blumenberg might have meant when describing absolute metaphors as possessing a very radical historicity, perhaps even more radical than that of many ordinary concepts: »Sie haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb derer Begriffe ihre Modifikationen erfahren. Durch dieses Implikationsverhältnis bestimmt sich das Verhältnis der Metaphorologie zur Begriffsgeschichte (im engeren terminologischen Sinne) als ein solches der Dienstbarkeit: die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auch faßbar machen, mit welchem ›Mut‹ sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft«.53 What Blumenberg is attempting to formulate here is that the historicity of certain metaphors can be described as far more radical than that of an unambiguous conceptuality, and that this is because we can see something more when the meaning of metaphors change through history. We are able to see what Blumenberg chooses to call a certain metacinetic for the establishing of historical horizons of meaning, and it is within such a »space«, within this horizon, that we are able to see concepts achieve meaning and receive further modifications. One such example could be the relationship between the state and the ideal geometrical method combined in the idea of a »political geometry« – a notion that can only be fully understood when we see authors and agents willing to apply the metaphor of »machinery« to the modern state. Such imagery constitutes a somewhat intangible framework outlining some very general directions and conditions for all later attempts at conceptualization. It is as a consequence of this interchanging relationship between concept and metaphor that the further descriptions of metaphors as the nutritional fluid of systematic crystallizations are to be understood. Here Blumenberg is referring to conceptuality as something solid, clear, well defined and capable of resisting influences, whereas metaphors, as some sort of basic fluid, are liquid and 52 53

H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O. [Anm. 21] 23. Ebd. 13.

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undetermined. Very general metaphors (absolute metaphors in Blumenberg’s vocabulary) can help create a horizon of expectations as to what kind of future work has to be done, like Martin Luther’s invocation of the wolf designed to elucidate the contours and argue in favour of a future, well defined, secular power, upholding peace and stability by the sword.54 It is through such metaphorical probes that Blumenberg can aim »[…] faßbar [zu] machen, mit welchem Mut sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft«.55 From a metaphorological point of view, semantic development is something that takes place as a kind of »courage to assume« inherent to metaphors. It is on the basis of reflections like these that I argue that there are fruitful parallels to be made between metaphorological readings and Koselleck’s conceptual history and its search for assumptions layered in the semantics of words. Within the field of historical semantics this ought to be quite interesting as it points towards metaphors as being capable of more than just acting as conceptual »propellers«.56 Metaphors are also capable of setting limits to the horizon of conceptual thinking in an attempt to grasp the preconditions for different kinds of conceptuality, the conditions under which knowledge and action can be offered, and offer themselves. That metaphors are to be given serious consideration at all is due to the fact that they function differently from concepts. Metaphors do something different for us as humans with a need for general orientations and that is why they must be regarded as a historical source in their own right. Blumenberg goes on to discuss metaphors: »Ihre Wahrheit ist, in einem sehr weiten Verstande, pragmatisch. Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierungen ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten«.57 One example of such an »Anhalt von Orientierungen« – comparable to Koselleck’s »Erwartungshorizont«, which therefore becomes an important category for anyone with collaborative aspirations – could be the Danish reformer Johann Friedrich Struensee, who in the 1760’s applied medical analogies to the »body of the state« as a meaningful way of diagnosing the current political and social situation of the state, but in 1771 switched his metaphorical frame-

Martin Luther: Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei. In: Martin Luthers Werke. Bd. 11, (Weimar 1900) 251–252. 55 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 13. 56 R. Koselleck: Richtlinien für das Lexikon Politisch–Sozialer Begriffe der Neuzeit, a. a.O. [Anm. 3] 87. 57 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 25. 54

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work to a much more prescriptive imagery of the mechanical and machinelike, using this to indicate the ideal architecture of the Danish absolutist state and thus pre-structuring a phenomenon that would otherwise have been difficult to act upon.58 The metaphorical staging of assumptions towards a possible approach to the state, the expectations to a possible result, and the demand for action to see them realized, are all »objects« that cannot be investigated in a direct and easily accessible way, since these questions have quite often not been posed explicitly by historical agents. And yet, opportunities do exist to investigate these metaphorical ways of addressing the world: »Trotzdem behaupten wir, daß sich überall in der Sprache der Philosophie Indizien dafür finden, daß in einer untergründigen Schicht des Denkens immer schon Antwort auf diese Fragen gegeben worden war, die zwar in den Systemen nicht formuliert enthalten, wohl aber impliziert durchstimmend, färbend, strukturierend gegenwärtig und wirksam gewesen ist«.59 At this point, I believe it is reasonable, as well as necessary, to disregard Blumenberg’s emphasis on philosophical language as the preferred object of metaphorology, thus extending the thesis to include political and social languages as well. Skeptical voices have been raised against the prospect of writing such a thing as the history of political metaphors, arguing that a Blumenberg-approach »misses the political and politological point« of conceptual history.60 To answer such a critique I would simply ask: Why not? As Herfried Münkler has pointed out in a fine little book on political imagery – one of several books which, willingly or not, contribute to the future of political metaphorology – »Sicherlich sind Bilder und Metaphern auch Mittel der politischen Rhetorik, der Suggestion und Überredung, aber wo sie nur als solche aufgefaßt werden, kommt weder ihre Bedeutung in der Geschichte des politischen Denkens noch ihre Reiz für das Studium der politischen Ideengeschichte in den Blick«.61 That metaphors can and must be taken into account as highly rhetorical and politically potent figures of speech is confirmed by some of the assertions surrounding the fall from power that the above-mentioned Struensee suffered in 1772. The remarkable observation to be made here is that the semantics of machinery turned out not to be reserved for the reformist attempts of Struensee. His opponents also made use of the semantics of machinery, only now as a very negative description of Struensee and his »artificial machine«. Struensee and his entire enterprise was now being described as the building of an elaborate

Frank Beck Lassen: Regular, dependable, mechanical – J. F. Struensee and the mechanical state (1770–1772). Unpublished paper presented at the 12th International Congress on the Enlightenment in Montpellier, 11 July 2007. 59 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 15. 60 Kari Palonen: Ist Begriffsgeschichte altmodisch? In: Neue politische Literatur 48 (2003) 308–310. 61 Herfried Münkler: Politische Bilder, Politik der Metaphern (Frankfurt a. M. 1994) 8. 58

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piece of machinery, designed to attack and usurp the sovereign position of the king.62 C. The opponents of Struensee show us that the semantic struggle to appropriate and define words is by no means reserved for political and social concepts. With their postulatory and persuasive force, metaphors are equally sought targets for semantic struggles63 making it impossible to decode a variety of assertions based on a casual definition of the »Leitfunktion« of any metaphor. The »Leitfunktion« of metaphors is also subject to dispute, making the arguments that Quentin Skinner has directed against conceptual history for underestimating the complexities of language use just as legitimate – if not more so – when directed at a potential history of metaphors.64 If the linguistic games that are played out by specific agents under specific circumstances while making use of metaphors are not investigated with sufficient care, metaphorology is just as likely as any other discipline to enhance the mythologies of a stable and ideal meaning of selected figures of speech. While it is true that Blumenberg never gave the pragmatics of metaphorology much thought, he did have further reflections on how to improve our understanding of metaphors and how they are embedded within more pragmatic agendas. Faced with a strictly ideographical ideal, often carried out in Blumenberg’s own histories of metaphors as »[…] eine Reihe von Punkten […] durch die eine Kurve mag gezogen werden können«65, he suggests that one should also take a nomothetical look »to the side«, so to speak, to make »[…] eine Interpretation aus dem gedanklichen Zusammenhang, innerhalb dessen es steht und fungiert und seine Konturen wie sein Kolorit empfängt«. He continues by urging us that: »[…] wir müssen Querschnitte legen, idealiter in jedem relevanten Abschnitt unseres Längsschnittes, um vollends faßbar zu machen, was die herangezogenen Metaphern jeweils ›bedeuten‹. Solche Querschnitte können, für sich betrachtet, nicht mehr rein metaphorologisch sein, sie müssen Begriff und Metapher, Definition und Bild als Einheit der Ausdruckssphäre eines Denkers oder einer Zeit nehmen«.66 Although Blumenberg never allowed himself to carry through such a »Querschnitt« that would have taken the unity of concept and metaphor seriously (inF. B. Lassen: Regular, dependable, mechanical – J. F. Struensee and the mechanical state (1770–1772), a. a.O. [Anm. 58]. 63 Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte. In: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt a. M. 1989) 107–129. 64 Quentin Skinner: Rhetoric and Conceptual Change. In: Finnish Yearbook of Political Thought 3 (1999) 60–73. 65 H. Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, a. a.O [Anm. 21] 49. 66 Ebd. 49. 62

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stead, he often made »an elegant curve« away from matters when they were about to get »too thick«)67, he none the less exhibited a healthy reservation not unlike the one Max Black has shown. According to Black, it is a misunderstanding to think of metaphors as single words without contexts, as they are always located in a sentence that exists under specific cultural circumstances. Instead, Black emphasises that any relevant sentence contains a metaphorical focus and a frame for this focus at the same time.68 When it comes to Struensee’s use of metaphors, a sentence could be: »The Danish Chancellery must be reformed so that the routines become mechanical and easily learned by everyone working in a chancellery«. Such a sentence contains a metaphorical focus, here the word »mechanical«, which we normally would refer to as »the metaphor«. At the same time, the sentence contains a primary object that another semantic proposition is transferred upon, in this case »The Danish Chancellery«. The point is that any transfer of meaning is always a contextual transfer of meaning. Only the properties that are able to deliver the »right« meaning can be transferred. Understanding why exactly »mechanics«, as one among other principles, can be transferred onto »chancellery« as a primary object would precisely entail a contextual understanding of what a »chancellery«, and in a further perspective, a »state« possibly could amount to in Struensee’s own time. All of a sudden the history of metaphors has become very complex. With the addition of a cross section, it is no longer enough to investigate a single word. In taking this step away from a topological research tradition that is able to content itself with just noting the historical permanence of a theme or a metaphor – and this is something that can be seen in Blumenberg’s writings as well, no matter what enthusiastic followers might say – it is necessary to understand that conceptual investigations are not at all opposed to metaphorology. As pointed out by Ralf Konersmann, it is only concepts that can help present to us, and enlighten us, about the pictorial horizon of expectations, and in some cases it is through the metaphorical horizon of expectations it can be explained why certain concepts become urgent.69 As a strategy for working with historical texts, metaphorology is far from being incompatible with a conceptual history focussing on political and social vocabularies, such as it has been presented by one of the greatest protagonists of the discipline, Reinhart Koselleck. Taking the different functions of metaphors into account, there should be plenty of room for future collaborations between Begriffsgeschichte and Metaphorologie when it comes to tracking down different historical formations of meaning.

Ebd. 108. Max Black: Metaphor. In: Philosophical Perspectives on Metaphor, hg. von Mark Johnson (Minneapolis 1981) 65. 69 R. Konersmann: Komödien des Geistes. Historische Semantik als philosophische Bedeutungsgeschichte, a. a.O. [Anm. 40] 129. 67 68

Begriffsgeschichte und die politische Philosophie

Merio Scattola

Begriffsgeschichte und Geschichte der politischen Lehren

I. Die Struktur des Begriffs Die Begriffsgeschichte zeichnet sich dadurch aus, daß sie die Geschichtsschreibung in ihren vielen Varianten – als Ideen-, Verfassungs-, Rechts- oder Kulturgeschichte – mit der philosophischen Reflexion, besonders mit der politischen Philosophie, vereinigen kann und dadurch einen hohen Grad an Selbstbewußtsein erzielt; sie spricht gleichsam von sich selbst, indem sie ihre Gegenstände beschreibt. Diese epistemologische Besonderheit, dieser reflexive Charakter, ist schon in ihrem Namen eingeschlossen, der einerseits auf den ›Sinn des Begriffs‹ und andererseits auf den ›Sinn der Geschichte‹ hindeutet. Was ist also ›der Begriff des Begriffs‹ und was ist ›der Begriff der Geschichte‹? Wenn wir diese Frage als Verhältnis zwischen geistiger Form und materialem Gehalt erfassen, scheinen beide Momente aufeinander dynamisch zu wirken, denn offensichtlich verfolgen die begriffsgeschichtlichen Erklärungsversuche weder die selbständige und reine Entfaltung geistiger Kategorien noch die Bestimmung des Idealen durch äußere und materiale Kräfte, sondern gehen davon aus, daß Geschichte und Geschichtsschreibung, die Wirklichkeit und ihre historiographische Wiedergabe eng verbunden sind und »sich gegenseitig begründen, ohne vollständig auseinander ableitbar zu sein«.1

A. Die Frage nach dem Begriff In der Einleitung zum ersten Band der Geschichtlichen Grundbegriffe beschreibt Reinhart Koselleck Bedeutung und Funktion der Begriffsgeschichte und äußert die Überzeugung, daß ihre besondere Leistung, »der spezifisch geschichtswissenschaftliche Beitrag im Lexikon«, in der Reflexion besteht, wenn sie die historischen und politischen Kategorien zum Bewußtsein verhilft, die in der konkreten

1 Reinhart Koselleck: Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historische-anthropologische Skizze. In: Historische Methode, hg. von Christian Meier und Jörn Rüsen (München 1988) 13–61. Nachdr. In: Reinhart Koselleck: Zeitschichten. Studien zur Historik. Mit einem Beitrag von Hans-Georg Gadamer (Frankfurt a.M. 2000) 27–77, hier 33.

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Erforschung unmittelbar wirken und oft unbewußt bleiben.2 Man ist also nicht nur um den historischen Gegenstand bemüht, sondern ebenso wichtig oder noch wichtiger ist es zu wissen, wie sich die Perspektive der historischen Rekonstruktion im »Umwandlungsprozeß zur Moderne« gebildet hat.3 So zieht Koselleck den Schluß, daß »das Lexikon also insofern gegenwartbezogen [ist], als es die sprachliche Erfassung der modernen Welt, ihre Bewußtwerdung und Bewußtmachung durch Begriffe, die auch die unseren sind, zum Thema hat«.4 Will die historische Forschung die wahren Züge ihres Gegenstands erfassen, so soll sie sich ständig gleichsam von außen betrachten, während sie ihren Gegenstand erforscht. Nach diesem Prinzip identifiziert Koselleck drei Hauptmomente in der wissenschaftlichen Leistung des Lexikons: Das erste ist die Aufklärung von den besonderen Schicksalen der einzelnen Begriffe, das zweite ist die schon erwähnte Rekonstruktion des Entstehungsprozesses der Moderne und das dritte ist die strenge Überprüfung des historiographischen und politischen Sprachgebrauchs, nachdem der semasiologische Gehalt der Begriffe bewußt geworden ist.5 B. Die Begriffe und die moderne Welt In dieser Forschungsarbeit, die gleichzeitig eine Selbstbeschreibung ist, kommt aber die Begriffsgeschichte zu einem paradoxen Ergebnis, denn sie entdeckt nicht, wie man leicht erwarten könnte, daß die alten Begriffe durch die neuen ersetzt worden sind, sondern sie muß feststellen, daß die Begriffe nur in der Moderne existieren. Zwischen ihnen und jenem Zusammenhang, den man als ihr antikes Gegenstück denken könnte, findet man keinen Übergang.6 Solch ein

Reinhart Koselleck: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck. Bd. 1 (Stuttgart 1972) XIII–XXVII, hier XIX; Christof Dipper: I Geschichtliche Grundbegriffe dalla storia dei concetti alla teoria delle epoche storiche. In: Società e storia 19 (1996) 385–402, hier 388: »Il merito di Brunner resta quello di aver definitivamente aperto gli occhi della storiografia tedesca sulla tensione storica esistente tra il linguaggio delle fonti e quello contemporaneo allo storico«; Pierangelo Schiera: Considerazioni sulla Begriffsgeschichte, a partire dai Geschichtlichen Grundbegriffe di Brunner, Conze e Koselleck. In: Società e storia 19 (1996) 403–411, hier 403; Luca Scuccimarra: La Begriffsgeschichte e le sue radici intellettuali. In: Storica. Rivista quadrimestrale 4 (1998) 7–99, hier 27–28. 3 Vgl. Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung. In: Gegenstand und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung, hg. von Helmut Quaritsch (Berlin 1983 = Der Staat, Beiheft 6) 7–21, hier 13; Giuseppe Duso: Il potere e la nascita dei concetti politici moderni. In: Sui concetti giuridici e politici della costituzione dell’Europa, a cura di Sandro Chignola e Giuseppe Duso (Milano 2005) 159–193, hier 189. 4 R. Koselleck: Einleitung, a. a.O. [Anm. 2] XIV. Vgl. Alessandro Biral: Koselleck e la concezione della storia. In: Filosofia politica 1 (1987) 431–436. Neudr. In: Alessandro Biral: Storia e critica della filosofia politica moderna, a cura di Giuseppe Duso (Milano 1999) 251–257, hier 254. 5 R. Koselleck: Einleitung, a. a.O. [Anm. 2] XIX. 6 Giuseppe Duso: La logica del potere. Storia concettuale come filosofia politica (Bari 1999) 3–34. 2

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überraschendes Ergebnis ist in den methodischen Voraussetzungen Reinhart Kosellecks mit einbezogen, läßt sich aber mit höchster Deutlichkeit in den Studien auch Otto Brunners zur Sozial- und Verfassungsgeschichte ergreifen, die dem Unternehmen der Geschichtlichen Grundbegriffe vorangingen, und unter denen ein Aufsatz aus dem Jahre 1950, Das ›ganze Haus‹ und die alteuropäische ›Ökonomik‹, wichtige methodische Aussagen bietet.7 Hier zeigt Brunner, daß die Wörter imperium und ›Herrschaft‹, die scheinbar in zwei unterschiedlichen Epochen dieselbe Bedeutung ausdrückten, in Wahrheit zwei derart heterogene Erscheinungen der politischen Erfahrung bezeichnen, daß sie durch keinen gemeinsamen Nenner oder durch keine gemeinsame Klasse umfaßt werden können. Sie sind keine Arten ein und derselben Gattung;8 es gibt keinen Oberbegriff, der die modernen Phänomene mit den antiken vereinigen kann, und wenn er versuchsweise formuliert wird, kann er nichts anderes als eine Rückprojizierung des modernen Gebildes sein. Demzufolge, wenn wir sagen, »Die polis sei eine antike Staatsform« oder »Die arche sei die antike Herrschaft«,9 benutzen wir denselben Namen (Staat, Herrschaft) gleichzeitig als Gattung und als Art in derselben Definition und fallen damit in eine Tautologie.10 Wollen wir aber dieser Schwierigkeit entkommen, dann müssen wir den Begriff auf eine besondere Weise verstehen und definieren. Was heißt denn, daß die Begriffe nur in der Moderne existieren? Daß in der ganzen Antike und im Mittelalter keine Idee erdacht wurde? Die Antwort auf diese Frage ist selbstverständlich, denn es ist einleuchtend, daß die Menschheit in ihrer ganzen Geschichte Ideen gedacht hat. Es ist aber gleichzeitig deutlich, daß sich das Verhältnis zwischen Erfahrung und Erkenntnis im Laufe der Zeit verändert hat, und daß die politische Erfahrung im Laufe der Geschichte im Rahmen eines prozeduralen Denkens rationalisiert wurde. Die Behauptung, daß weder Antike noch Mittelalter Begriffe erkannten, soll daher in dem Sinn verstanden werden, daß »der logische Aufbau (der politischen) Welt« in vergangenen Zeiten unbekannt war und daß er das besondere Unternehmen der modernen Welt ist. Dabei gilt der Terminus ›Begriff‹ als die Bezeichnung für eine Systematisierung der politischen Erfahrung, die Gehorsam durch die rationale Konsequenz der menschlichen und individuellen Natur erzielen will und kann. Der wahre moderne Begriff, was früher wirklich fehlte, ist daher der Staat, dessen Mitte

Otto Brunner: Das ›ganze Haus‹ und die alteuropäische ›Ökonomik‹ [1950]. In: Otto Brunner: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte (Göttingen 21968) 101–127. Vgl. Scuccimarra: La Begriffsgeschichte a. a.O. [Anm. 2] 21–40. 8 Otto Brunner: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter (Darmstadt 51973) 1–11. 9 J. Chr. Papalekas: Herrschaft I. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 3 (Basel 1974) 1084–1087; Melvin Richter: The History of Political and Social Concepts. A Critical Introduction (New York 1995) 71–72. 10 G. Duso: La logica del potere, a. a.O. [Anm. 6] 11–14 und 190. 7

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vom Haupt- oder Erzbegriff der Souveränität besetzt ist.11 Seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts haben Naturrecht und Kontraktualismus tatsächlich einen logischen, sogar logistischen Apparat zur Verfügung gestellt, der juristischen Zwang in erhöhtem Maße gewährleisten konnte. Dieses theoretische Unternehmen ging von der Betrachtung der rationalen Natur des Menschen aus – Pufendorf sprach in diesem Sinn von der sola ratiocinatio –,12 wandte die vernunftmäßigen Instrumente des Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrags an, gestaltete die spekulativen und logischen Gebilde der Souveränität und der politischen Repräsentation und begründete damit das Gesetz als notwendige Folge des individualisierten Willens, dem der Untertan ausnahmslos gehorchen soll, wenn er der eigenen rationalen Natur nicht widersprechen will. Die Rechtfertigung oder die Begründung der politischen Herrschaft durch die logische Konsistenz der Deduktion ist die wahre und kennzeichnende Erscheinung der frühneuzeitlichen Geschichte. Neben dem theoretisch ursprünglichen Kern von Staat und Souveränität entwickelte sich aber auch eine lange Reihe von komplementären Begriffen – wie ›Untertan‹, ›Individuum‹, ›Menschenrechte‹, ›Verfassung‹, ›(bürgerliche) Gesellschaf‹, ›Freiheit‹, ›Gleichheit‹, ›Demokratie‹ –,13 die einen kohärenten theoretischen Zusammenhang bilden und die Behauptung: »Die politischen Begriffe sind eine moderne Erscheinung« nicht nur rechtfertigen, sondern auch historisch exemplifizieren.

II. Die Struktur der Geschichte A. Die Geschichte vor der Geschichte Wenn die Begriffe eine moderne Erscheinung sind, dann muß man den Schluß ziehen, daß nur zwei große geschichtliche Epochen eigentlich existieren: die Epoche vor und die Epoche nach der Erscheinung jenes theoretischen Zusammenhangs zur rationalen Erzeugung des politischen Gehorsams, den wir ›Staat‹ nennen. Der wahrhaft historische Umbruch, das einzige bedeutungsvolle historische Ereignis, das das Schicksal der Menschheit tiefgreifend verändert hat, war Hans J. Morgenthau and Kenneth W. Thompson: Politics among Nations. The Struggle for Power and Peace (New York 61985) 31–34; Mario Stoppino: Potere. In: Dizionario di politica, a cura di Norberto Bobbio, Nicola Matteucci e Gianfranco Pasquino (Torino 21990) 838a–847b, hier 844b–846a; Bertrand de Jouvenel: Du pouvoir. Histoire naturelle de sa croissance (Genève 1945) 147–231; Harold D. Lasswell and Abraham Kaplan: Power and Society. A Framework for Political Inquiry (New Haven 1950), 74–102, hier 75; Carl Joachim Friedrich: Man and his Government. An Empirical Theory of Politics (New York 1963) 159–179; Mario Stoppino: Le forme del potere (Napoli 1974) 1–37. 12 Samuel Pufendorf: De officio [1673], hg. von Gerald Hartung (Berlin 1997) 6. 13 R. Koselleck: Einleitung, a. a.O. [Anm. 2] XVI–XVII; Pierangelo Schiera: Concetti e dottrine politiche negli assetti definitori e categoriali dello Stato moderno. In: Sui concetti giuridici e politici della costituzione dell’Europa a. a.O. [Anm. 3] 239–249. 11

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die Erscheinung der Begriffe, die andererseits auch das einzige Gebilde sind, das einer historischen Veränderung fähig ist und daher jenem von Reinhart Koselleck beschriebenen »Umwandlungsprozeß zur Moderne« entspricht.14 Man kann (und soll) aber die Formulierung auch um einen Grad zuspitzen, denn das, was für die Begriffe gilt – daß sie nämlich eine moderne Erscheinung sind –, muß auch für ihre Geschichte wahr sein, woraus man schließen muß, daß auch die Geschichte eine neuzeitliche Erscheinung ist. In diesem Sinn ist die Neuzeit keineswegs eine weitere Epoche im Laufe einer kontinuierlichen Geschichte, sondern vielmehr eine Zeit von einer neuen Qualität. Und sie bekommt ihre besondere Beschaffenheit, weil sie sich eben als Epoche versteht.15 Die moderne Erfahrung der Welt fällt mit der Entdeckung der geschichtlichen Zeit zusammen und ist gleichzeitig Subjekt und Objekt dieser geschichtlichen Dimension.16 Wenn eine derartige Veränderung stattgefunden hat, wird die gewöhnliche Vorstellung der (Universal-)Geschichte nunmehr unhaltbar, denn man verfügt über keinen allgemeinen und leeren Behälter mehr, über keine »Geschichte an sich«, über keine erste Hypostase, die sich dann in weitere Gattungen und Arten bestimmt, in die antike, mittelalterlich oder moderne Geschichte.17 Gleichfalls wird es nötig, Bezeichnungen wie ›Universal-‹ oder ›Weltgeschichte‹ kritisch zu befragen, die seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein ens generalissimum bieten und beanspruchen, alle Epochen der menschlichen Zeit zu umfassen. Was die Einheit der Arten innerhalb der Gattung eigentlich gewährleistet, kann hier nichts anderes als ein partikulares Moment sein, das auf das Ganze ausgedehnt wird. Will man die Dimension der »Geschichte an sich und für sich« erreichen, die einen sowohl transzendenten als auch transzendentalen Einblick gestattet, muß man – wie Koselleck empfiehlt – zuerst und vor allem »nach den zeitlichen Strukturen […] fragen«, denn die Zeit selbst hat sich gleichsam in ihrem Wesen verändert.18 Wenn aber die alte und die neue Epoche durch kein gemeinsames Medium vereinigt werden, wenn sie schon von ihrer Wurzel herauf getrennt und nur durch einen Namen, einen flatus vocis, verbunden sind, dann kann nur eine von ihnen wahre und wirkliche Geschichte sein. Otto Brunner hat in dieser Hinsicht behauptet, daß die Universalgeschichte eigentlich nur eine Epoche zuläßt, die moderne Epoche;19 Koselleck hat zum wiederholten Mal die Idee geäußert, daß R. Koselleck: Einleitung, a. a.O. [Anm. 2] XIX. Reinhart Koselleck: La storia sociale moderna e i tempi storici. In: La teoria della storiografia oggi, a cura di Pietro Rossi (Milano 1983) 140–158, hier 147. 16 Reinhart Koselleck: Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen [1973]. In: Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt a.M. 1979) 130–144, hier 130–131. 17 A. Biral: Koselleck e la concezione della storia, a. a.O. [Anm. 4] 254–256; G. Duso: La logica del potere, a. a.O. [Anm. 6] 30. 18 R. Koselleck: Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen a. a.O. [Anm. 16] 131. 19 Otto Brunner: Das Zeitalter der Ideologien. Anfang und Ende [1954]. In: O. Brunner: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, a. a.O. [Anm. 7] 45–63, hier 52–54. 14 15

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die Begriffe keine Geschichte haben, weil sie erst die Geschichte ermöglichen und sie gleichsam von außen umfassen.20 Dies bedeutet aber, daß Geschichte nur in der Form des Begriffs möglich ist und daß sie nur die Begriffe als angemessenen Gegenstand betrachtet. Die Geschichte der Epochen, die wissenschaftliche Geschichte, ist mit der Neuzeit und deren Begriffen entstanden; in der Form, die wir kennen, existierte sie in der alten Zeit nicht.

B. Die topologische Geschichte des frühen siebzehnten Jahrhunderts Der Schluß, daß keine Geschichte vor und außer der Neuzeit existierte, scheint freilich eine paradoxe Wahrheit zu sein, denn es gab selbstverständlich auch in der Vergangenheit Könige, Völker, Heere, Ereignisse, politische Gemeinschaften, Kriege, Geschichtsschreiber und Geschichtsbücher. Dies alles bildete aber keine Universalgeschichte in unserem Sinne, weil man weder eine einförmige Ebene für diesen Zusammenhang noch ein allgemeines Prinzip für die Auswahl der zugehörigen Elemente besaß, denn es gab noch keinen einheitlichen Begriff von der Geschichte. »So erklärt sich auch, daß die ältere Geschichtsschreibung an einer Darstellungsweise festhält, die wir pragmatisch nennen, weil sie an den Vordergrundursachen, persönlichen und sachlichen, beharrt (Meinecke), so daß sie vom modernen geschichtlichen Denken her gesehen, als ›ungeschichtlich‹ erscheint.«21 Die alte Erzählung war ein Zusammenhang von Geschichten, die durch keine Theorie vereinigt wurden oder werden konnten. Aufschlußreich ist in diesem Sinn die Analyse von Reinhart Koselleck in seinem Aufsatz Historia magistra vitae, in dem er zeigt, wie die konkreten Singularformen ›das Geschichte‹ und ›die Geschicht‹ zuerst in der Pluralform ›die Geschichte(n)‹ verwendet wurde und dann in das abstrakte Kollektivsingular ›die Geschichte‹ überging.22 Obwohl die 20 R. Koselleck: Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung, a. a.O. [Anm. 3] 14; Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte [1972]. In: Koselleck: Vergangene Zukunft, a. a.O. [Anm. 16] 107–129, hier 120–121 und 124–129. Vgl. G. Duso: La logica del potere, a. a.O. [Anm. 6] 5–8. 21 Otto Brunner: Abendländisches Geschichtsdenken [1954]. In: O. Brunner: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte a. a.O. [Anm. 7] 26–44, hier 32. Zur ›pragmatischen Geschichte‹ vgl. François Baudoin: De institutione historiae universae et eius cum iurisprudentia coniunctione προλεγομéνυν libri duo [1561] (Halae 1726) 48–49; Merio Scattola: L’utopia delle passioni. Ordine della società e controllo degli affetti nell’Isola di Felsenburg (1731–1745) di Johann Gottfried Schnabel (Padova 2002) 28–41; Merio Scattola: Historia literaria als historia pragmatica. Die pragmatische Bedeutung der Geschichtsschreibung im intellektuellen Unternehmen der Gelehrtengeschichte. In: Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, hg. von Frank Grunert und Friedrich Vollhardt (Berlin 2007) 37–63. 22 Reinhart Koselleck, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte [1967]. In: Koselleck: Vergangene Zukunft a. a.O. [Anm. 16] 38–66. hier 50–51; Reinhart Koselleck: Geschichte V–VII. In: Geschichtliche Grundbegriffe a. a.O. [Anm. 2]. Bd. 2 (1979) 647–717, hier 647–652.

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alten ›Geschichte‹ keine theoriemäßige Struktur aufwiesen, waren sie nichtsdestoweniger eine vollständige und artikulierte Erkenntnisform, die gespeichert, verarbeitet und übertragen werden konnte.23 Dies aber in einer eigenen Dimension, in der Sphäre nämlich einer Topologie.24 Die Überlegungen zum historischen Wissen von Bartholomaeus Keckermann (1572–1609) aus dem Jahre 1610 bieten ein gutes Beispiel der alten und topologischen Geschichtsauffassung.25 Wie andere Schriftsteller seiner Zeit äußerte sich Keckermann eher skeptisch darüber, daß man die Geschichte als eine Wissenschaft erfassen konnte, ja er lehnte sogar diese Möglichkeit ab, weil sich die Geschichte nur mit Einzelfällen und Umständen befaßt. Die Geschichte ist nämlich singularis und circumstantialis:26 Sie kann nur Beispiele, aber keine allgemeinen Regeln anbieten.27 Jede historische Begebenheit ist einzig und wiederholt sich nicht, so daß man zwischen verschiedenen Ereignissen nur Ähnlichkeiten finden kann. Diese können aber durch eine geschlossene Reihe von gemeinsamen Bezugspunkten angeordnet werden, und auf diese Weise gewinnt man eine Sammlung von Gemeinplätzen, die alle Argumente gliedern, und eine topologische Verteilung des Wissens zur Verfügung stellen, die in jeder Disziplin wirksam ist. Man muß auch in der Geschichte die geeigneten loci communes anwenden. Da sie aber keine selbständige Disziplin ist, kann sie kein eigenes Schema der Gemeinplätze entwickeln und entbehrt daher einer eigenen ›Form‹ oder ›Methode‹: »Daraus wird es nämlich klar, wie groß der Fehler jener Gelehrten ist, 23 Zum Konzept der Wissensspeicherung vgl. Anette Syndikus: Die Anfänge der Historia literaria im 17. Jahrhundert. Programmatik und gelehrte Praxis. In: Historia literaria a. a.O. [Anm. 20] 3–36. 24 Jean Bodin: Methodus ad facilem historiarum cognitionem [1572]. In: Jean Bodin: Œuvres philosophiques, publ. par Pierre Mesnard (Paris 1951) 119a. Vgl. Julian Franklin: Jean Bodin and the Sixteenth-Century Revolution in the Methodology of Law and History (New York 1963) 83–154; Donald R. Kelley: Historia integra: François Baudouin and his Conception of History. In: Journal of the History of Ideas 25 (1964) 35–57; Marie-Dominique Couzinet: Histoire et méthode à la Renaissance. Une lecture de la Methodus ad facilem historiarum cognitionem de Jean Bodin (Paris 1996) 227–231. 25 Bartholomaeus Keckermann: De natura et proprietatibus historiae commentarius [1610]. In: Bartholomaeus Keckermann: Systema systematum, cur. Johann Heinrich Alsted. To. 2 (Hanoviae 1613) 1818b. Dazu vgl. Wilhelm Voßkamp: Untersuchungen zur Zeit- und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein (Bonn 1967) 29–34; Horst Günther: Geschichte IV. In: Geschichtliche Grundbegriffe, a. a.O. [Anm. 2]. Bd. 2 (1979) 625–647, hier 637. 26 Johann Andreas Bose: De prudentia et eloquentia civili comparanda diatribae isagogicae [1678] (Ienae 1699) 95–96: »Tota enim civilis prudentia circumstantialis, ut sic loquar, ad tempus, locum, conditionem negotiorum accomodata est, neque tam sub locos communes quam sub observationes singulares et subtiles cadit, quas meliores historici summa solertia suggerunt.« Vgl. Merio Scattola: La storia e la prudenza. La funzione della storiografia nell’educazione politica della prima età moderna. In: Storia della storiografia 42 (2002) 42–73. 27 B. Keckermann: De natura et proprietatibus historiae commentarius, a. a.O. [Anm. 25] 1818b. Dazu vgl. Scattola: L’utopia delle passioni, a. a.O. [Anm. 21] 40–60.

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die bemüht sind, die historischen Materien nach einer eigenen und unabhängigen Methode zu verteilen, obwohl die Methode nur in den eigentlichen Disziplinen zu finden ist, denen sie ihre Form gibt. Da aber die Geschichte keine Disziplin ist, muß man schließen, daß sie keine eigene und von den Disziplinen unabhängige Methode oder Form hat.«28 Nichtsdestoweniger erhält auch die Geschichte eine ›Form‹ und eine ›Methode‹, weil sie sie von den anderen Disziplinen der praktischen Philosophie entlehnt. Da sie tatsächlich Beispiele von sittlichen, ökonomischen und politischen Regeln sammelt, können ihre Argumente mit den Schemata der Ethik, der Ökonomik und der Politik angeordnet werden: »Die Geschichte aber ist keine Disziplin und hat daher keine Einteilungen der Methode, das heißt keine besonderen und unabhängigen Gemeinplätze. Die historischen Materien müssen daher auf die Gemeinplätze der eigentlichen Disziplinen zurückgeführt werden, weil die Geschichten nichts anderes als Beispiele von Regeln enthalten. Daraus folgt, daß die Regeln eine eigene Methode haben, die Beispiele aber keine andere Methode als diejenige haben, die in den Regeln enthalten ist.«29 Von denselben Prämissen ausgehend kam Sebastiano Maccio (?–1615) zu dem Schluß, daß man in der Geschichte zwei einander untergeordnete Zwecke unterscheiden muß: den inneren und den äußeren Zweck. Wenn nämlich die Geschichte der sittlichen oder der intellektuellen Vervollkommnung dient, verfolgt sie eine Aufgabe, die keiner Kunst angemessen ist und ihr daher auch fremd bleibt, wenn man sie bloß als Kunst betrachtet. In diesem Fall kann die Geschichte ihre Kategorien nur von den Disziplinen der praktischen Philosophie erhalten. Wenn man aber vom ethischen Ziel der Geschichte absieht, dann bleibt auch ein theoretischer Zweck übrig, der sich als die Erhaltung des Wahren definieren läßt und auch der historischen Erkenntnis die richtige Verfassung einer Kunst geben kann.30 Diese Besonderheit, die Tatsache, daß sich die Geschichte an andere Fächer anlehnen muß, ändert in keinem Punkt die Natur der historischen Arbeit, sowohl des Schriftstellers als auch des Lesers, die in der richtigen Anordnung der Argumente mit Hilfe der Gemeinplätze besteht. Diese Arbeit ist also ein KlassiB. Keckermann: De natura et proprietatibus historiae commentarius, a. a.O. [Anm. 25] 1818b: »Nam primo ex eo apparet quantus sit error eorum, qui historiam conantur disponere propria quadam methodo, non pendente a methodo aliarum doctrinarum, cum tamen methodus nullibi sit nisi in disciplinis, quarum est forma. Cum ergo historia non sit disciplina, evidenter sequitur quod non habeat methodum, seu formam propriam et distinctam a disciplinis.« 29 Ebd. 1818b: »Cum ergo historia non sit disciplina atque adeo non habeat capita methodi, id est locos communes peculiares ac distinctos, sed quod historica debeant reduci ad locos disciplinarum proprie dictarum, cum nihil aliud contineant historiae quam exempla praeceptorum, praecepta ergo habent suam methodum, exempla vero non habent methodum nisi eam quae est in et a praeceptis.« 30 Sebastiano Maccio: De historia libri tres (Venetiis 1613) 147–180. Vgl. auch Francesco Robortello: De historica facultate disputatio (Florentiae 1548) 18–21; Paolo Beni: De historia libri quatuor (Venetiis 1611) 19–23. Vgl. H. Günther: Geschichte IV, a. a.O. [Anm. 25] 641–647. 28

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fizieren der historischen Begebenheiten anhand der moralphilosophischen Tafel der loci communes: »Der dritte Fehler ist sehr verbreitet und für die Jugend sehr gefährlich, die zum Studium der Geschichte von Kurzweil und Genuß angezogen wird und also die Geschichten ohne Zögern zu lesen anfängt, bevor sie die Disziplinen studiert und die Regeln erlernt hat, denn nur in den Disziplinen findet man die Methode und die Gemeinplätze, mit denen man die Geschichte richtig anordnen kann. Dies ist aber ein verkehrter Weg, und man kann den Fehler durch einen Vergleich mit anderen Disziplinen, zum Beispiel mit der Grammatik, der Logik u.s.w., deutlich zeigen. Man handelt nämlich unsinnig, wenn man zuerst die Beispiele der Grammatik, der Logik, der Rhetorik lernen und aufschreiben will, bevor man die Regeln erlernt hat; so wäre es noch unsinniger, wenn man die Geschichten, das heißt die ethischen, ökonomischen und politischen Beispiele, sofort lernen und aufschreiben wollte, bevor man die Regeln der Ethik, Ökonomik und Politik erlernt hat.«31 Die Geschichte Keckermanns oder Maccios ist daher keine theoretisch-orientierte Erkenntnis, sondern hat in erster Linie eine pragmatische Bedeutung. Tatsächlich war sie ein Hilfsmittel zur Entwicklung der eigenen Klugheit, die als die erste Tugend des ethischen und politischen Handelns verstanden wurde. Sie bot nämlich einen Ersatz für die direkte Erfahrung, eine vermittelte Form von Erkenntnis, mit deren Hilfe man die chronologischen Grenzen des individuellen Lebens überschritt und sich eine fast unendliche und sonst unerreichbare Anzahl von menschlichen Fällen aneignete.32 Diese Geschichte, die topologische Geschichte von Keckermann und Maccio, unterscheidet sich offensichtlich von der modernen Geschichte, die als wissenschaftliche Erkenntnisform den politischen Kategorien der neuzeitlichen Politik analog ist. Sie ist nämlich einheitlich und uniform. Sie ist einheitlich, weil sie einen einzigen Bezugspunkt in der Vielfalt der Ereignisse auswählt und ihn systematisch als Ordnungsprinzip anwendet. In der klassischen Historiographie des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts wirkte der Staat als solch ein perspektivischer Fokus. Die moderne Geschichte ist dann uniform, weil sie in einem Kontinuum stattfindet, das völlig säkularisiert und homogen ist und auf B. Keckermann: De natura et proprietatibus historiae commentarius, a. a.O. [Anm. 25] 1818b: »Tertius error est in primis vulgatus et interim valde damnosus iuventuti, quae voluptate et iucunditate studii historici ducta, historias ex professo incipit legere plerunque, antequam disciplinas et praecepta ea cognoverit, quibus methodus inest et loci communes illi, ad quos historiae reduci debent, quod quidem valde est praeposterum et facile intelligi potest ex comparatione aliarum disciplinarum: exempli gratia grammaticae, logicae et c. Sicut enim absurdus fuerit, qui exempla grammaticae, logicae, rhetoricae velit cognoscere et notare antequam didicerit praecepta, ita absurdissimus haberi debet, qui historias, id est exempla ethica, oeconomica, politica, serio et ex professo velit legere et notare, antequam habeat perspectam methodum praeceptorum ethicorum, oeconomicorum, politicorum et c.« 32 Merio Scattola: Dalla virtù alla scienza. La fondazione e la trasformazione della disciplina politica nell’età moderna (Milano 2003) 120–139; M. Scattola: La storia e la prudenza, a. a.O. [Anm. 26] 42–73. 31

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keine Weise unterbrochen werden kann.33 Die Geschichte umfaßt nämlich alles, was in dieser Welt geschieht, weil alles nur in der einzigen Zeit vorkommen kann, die von der Vergangenheit in die Zukunft fließt. Das Wunder, das die Einheit der Zeit unterbricht und eine neue Kausalkette eröffnet, muß hier verbannt werden.34 So ist die wissenschaftliche und einheitliche Geschichte der Neuzeit mit der pragmatischen und vielseitigen Geschichte der Antike unvereinbar und unvergleichbar. Und wenn sie die einzig mögliche Geschichte der neuzeitlichen Welt bleibt, dann müssen ihr (und uns) ganze Bereich der menschlichen Erfahrung unzugänglich bleiben. Zwei Welten stehen hier einander gegenüber.

C. Die Entstehung der Universalgeschichte Die Universalgeschichte, die sich in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts entwickelte, setzte sich bewußt den Zweck, das historische Geschehen unmittelbar aus einem einzigen Gesichtspunkt zu rekonstruieren und die Vielfalt der antiken ›Geschichte‹ zu ersetzen. Johann Friedrich Le Bret, Gottfried Achenwall, Johann Christoph Gatterer und August Ludwig Schlözer schlugen zwischen 1750 und 1780 eine Idee von Universalgeschichte vor, die auf den drei Hauptkriterien des Prinzips, des Systems und der Methode gegründet war.35 Im Vorwort zu seiner achtbändigen Geschichte von Italien beschrieb der Historiker, Statistiker und Theologe Johann Friedrich Le Bret (1732–1807) sein wissenschaftliches Programm und bezog sich bewußt auf den Begriff der ›Methode‹. Wie es in der zeitgenössischen Geschichte üblich war,36 erkannte Le Bret das erste Problem der Geschichtsschreibung im Erkennen des richtigen Plans.37 Die Geschichte von Italien scheint aber dieses Erfordernis zu erschweGabriel Motzkin: On Koselleck’s Intuition of Time in History. In: The Meaning of Historical Terms and Concepts. New Studies on Begriffsgeschichte, ed. by Hartmut Lehmann and Melvin Richter (Washington, D. C. 1996) 41–45, hier 42. 34 Ferdinand Fellmann: Das Ende des Laplaceschen Dämons. In: Geschichte – Ereignis und Erzählung, hg. von Reinhart Koselleck und Wolf-Dieter Stempel (München 1973) 115–138, hier 122–127. 35 Merio Scattola: Johann Friedrich Le Bret. La storia e la statistica d’Italia. In: L’Accademia degli Agiati nel Settecento europeo. Irradiazioni culturali, a cura di Giulia Cantarutti e Stefano Ferrari (Milano 2007) 199–217, hier 200–206. Vgl. Gabriella Valera: Scienza dello Stato e metodo storiografico nella Scuola storica di Gottinga, (Napoli 1980) 47–203. 36 Horst Walter Blanke: Von Chyträus zu Gatterer. Eine Skizze der Historik in Deutschland vom Humanismus bis zur Spätaufklärung. In: Horst Walter Blanke und Dirk Fleischer: Aufklärung und Historik. Aufsätze zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, Kirchengeschichte und Geschichtstheorie in der deutschen Aufklärung (Waltrop 1991) 112–140. Vgl. Johann Christoph Gatterer: Vom historischen Plan, und der darauf sich gründenden Zusammenfügung der Erzählung. In: Allgemeine historische Bibliothek 1 (1767) 15–89. Neudr. in: Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, hg. von Horst Walter Blanke und Dirk Fleischer. Bd. 2 (Stuttgart-Bad Cannstatt 1990) 621–662, hier 628–629. 37 Johann Friedrich Le Bret: Geschichte von Italien. Bd. 1 (Halle 1778) Vorrede a2r–3v, hier 33

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ren, indem sie eine kaum überschaubare Anzahl von Quellen umfaßt, die sie in die richtige Ordnung verteilen soll.38 Wenn man aber ihre richtigen Grundsätze bestimmt, werden sich alle methodischen Fragen von selbst lösen. »So verhält es sich auch mit dem Plane der Geschichte von Italien. Methodologisch betrachtet, kann er nach diesen vorausgeschickten Grundsätzen sehr einfach seyn.«39 In der Geschichtsschreibung kommt es also zuerst darauf an, die richtigen Prämissen festzulegen, aus denen man die richtigen Schlüsse ziehen kann. Kritische Prüfung der Quellen und Einfühlung in den Geist der Epoche sind die zwei unentbehrlichen Hilfsmittel, mit denen man den Zweck der Geschichtsschreibung erreicht,40 welcher darin besteht, daß man das ›Grundgesetz‹ oder das ›System‹ jedes einzelnen Staates anerkennt. Die wahren Subjekte der Geschichte sind nämlich die Staaten, die aber hier eher als Konglomerate statistischer Natur gelten, als heterogene Aggregate von politischen, ethnischen, geographischen Elementen.41 Die erste Aufgabe der Geschichte besteht darin, daß sie alle Einzelheiten aufzählt und das innere Prinzip herausfindet, das sie miteinander verbindet. Dies ist das ›System‹ eines Staates: »Es genügte mir niemal, eine bloß superficielle Kenntniß der Staaten zu erlangen, sondern ich nahm mir allemal so viele Zeit, das Ganze in seinem Zusammenhang zu überdenken. Ich mußte den Charakter der Nation im Großen kennen lernen, hernach konnte ich ausspähen, wie sie regiert werde, wie man Staatssachen verhandle, wie man die Gerechtigkeit verwalte, welche das herrschende System sey, was zufälliger Weise dabey in Betracht komme.«42 Die zweite Aufgabe, besonders der Universalgeschichte, besteht dann darin, daß die besonderen ›Systeme‹ oder ›Verfassungen‹ der einzelnen Staaten durch eine einzige Erklärung verbunden werden sollen, die Le Bret, von der Gegenwart sprechend, als einen »philosophischen Faden« definiert.43 Damit werden zwei schwierige Aufgaben, die Bestimmung des Systems und des Prinzips im Staate, der Geschichte auferlegt, und dies erfordert vom Historiker, daß er mit seinem Blick bis ins Innere des politischen Lebens eindringt. Alle historischen Aufgaben lassen sich aber mühelos lösen, weil der Staat selbst nach gewissen »unveränderlichen Gesetzen« verwaltet wird.44 a2r: »Die Plane der Geschichte sollen also nicht willkührlich seyn, sondern sie müssen sich auf die Folgen der Begebenheiten gründen.« 38 Ebd. a3r. 39 Ebd. a2v. 40 Ebd. a3v. 41 Johann Friedrich Le Bret: Vorlesungen über die Statistik. Erster Theil. Italiänische Staaten. Venedig (Stutgart 1783) 4; Vgl. Horst Walter Blanke und Dirk Fleischer: Einleitung. Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozeß der Historie. Grundzüge der deutschen Aufklärungshistorie und die Aufklärungshistorik. In: Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie. Bd. 1, a. a.O. [Anm. 36] 35–39. 42 Johann Friedrich Le Bret: Vorbericht. In: Magazin zum Gebrauch der Staaten- und Kirchengeschichte 1 (1771) )(2r–8r, hier )(2v. 43 J. F. Le Bret: Geschichte von Italien. Bd. 3, a. a.O. [Anm. 37] 382. 44 Ebd. 383–384.

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Dieselbe Idee, daß man nach dem Systematischen in der Geschichte suchen muß, wurde auch von Gottfried Achenwall (1719–1772) vertreten, der im Vorwort zur Geschichte der heutigen vornehmsten Europäischen Staaten (1754) die entscheidende Leistung des Historikers darin sah, daß er aus der Betrachtung »unzähliger Wahrheiten von allerley Arten […] seine besondere Grundsätze zusammen tragen, und sein eigenes System aufbauen«45 soll. In demselben Sinn betonte Johann Christoph Gatterer (1727–1799) 1767 im ersten Heft seiner Allgemeinen historischen Bibliothek mit Nachdruck, der Geschichtsschreiber solle die ›Grundstützen‹ eines Staates bestimmen und den ganzen Zusammenhang von Begebenheiten auf einige Grundsätze oder auf ein einziges Prinzip zurückführen.46 August Ludwig Schlözer (1735–1809), der Kollege Gatterers und der Nachfolger Achenwalls in Göttingen, unterschied zwei Möglichkeiten der allgemeine Geschichtsschreibung, die man durch die Begriffe ›Aggregat‹ und ›System‹ benennen könne. »Man kann sich die Weltgeschichte aus einem doppelten Gesichtspunkte vorstellen: entweder als ein Aggregat aller Specialhistorien […]; oder als ein System […]. Ein Aggregat der Weltgeschichte entstehet, wenn das ganze menschliche Geschlecht in Theile zerlegt, alle diese Theile vollständig enumeriert, und die von einem jeden einzelnen Theile vorhandene Nachrichten richtig angegeben werden. […]. Ein Bild in Theile zerschnitten, und aufmerksam nach diesen abgesonderten Theilen betrachtet, giebt noch keine lebendige Vorstellung des Ganzen. Noch fehlet der allgemeine Blick, der das Ganze umfasset: dieser mächtiger Blick schafft das Aggregat zum System um, bringt alle Staten des Erdkreises auf eine Einheit, das menschliche Geschlecht, zurück, und schätzet die Völker bloß nach ihrem Verhältnisse zu den grossen Revolutionen der Welt.«47 Die Universalhistorie konstituiert sich also zum ›System‹ der Menschheit durch ein einziges Prinzip oder einen einheitlichen ›Gesichtspunkt‹, und dies ist, was Schlözer als »das Verhältnis zu den grossen Revolutionen der Welt« bezeichnet.

45 Gottfried Achenwall: Geschichte der heutigen vornehmsten Europäischen Staaten im Grundrisse [1754] (Göttingen 1764) Vorrede zur ersten Ausgabe )(3r–6v, hier )(3r. 46 J.C. Gatterer: Vom historischen Plan, a. a.O. [Anm. 36] 659: »Der höchste Grad des Pragmatischen in der Geschichte wäre die Vorstellung des allgemeinen Zusammenhangs der Dinge in der Welt (Nexus rerum universalis). Denn keine Begebenheit in der Welt ist, so zu sagen, insularisch, alles hängt an einander, veranlaßt einander, zeugt einander, wird veranlaßt, wird gezeugt, und veranlaßt und zeugt wieder. Die Begebenheiten der Vornehmen und der Geringen, der einzelnen Menschen und aller zusammen, des Privatlebens und der grossen Welt, ja selbst der unvernünftigen und leblosen Geschöpfe und der Menschen, alle sind in einander verschlungen und verbunden.« 47 August Ludwig Schlözer: Vorstellung seiner Universal-Historie [1772–1773] (Waltrop 1997) 14–19. Vgl. Horst Walter Blanke: Einleitung ebd. IX–XLIV, hier XXIV–XXIX; Gabriella Valera: Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im 18. Jahrhundert. In: Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, hg. von Hans Erich Bödeker u. a. (Göttingen 1986) 119–143, hier 141–142; Gabriella Valera: Introduzione. In: Valera: Scienza dello Stato e metodo storiografico a. a.O. [Anm. 35] IX–CXVIII, hier LXXX–

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Während die antike Geschichte topologisch war, ist die moderne Geschichte systematisch. Die eine speichert die menschliche Erfahrung als eine unendliche Anzahl von Fällen, die durch keine deduktive Kette beherrscht, aber doch in einer topologischen Verteilung angeordnet werden können; die andere geht von der inneren Vernunftmäßigkeit der menschlichen Welt aus und setzt also voraus, daß auch das praktische Handeln zu einer Theorie oder zu einer Wissenschaft zurückgeführt werden kann, die dann die richtige Form des Systems durch das richtige Prinzip erhalten wird.

III. Das alte und das neue Wissen A. Ein epistemischer Umbruch Die grundsätzlichen Ausrichtungen in der historischen Erkenntnis, die wir durch das Wirken, positiv und negativ betrachtet, der Begriffsgeschichte beschreiben können, wirken selbstverständlich in jeweils breiteren Zusammenhängen und bestimmen daher nicht nur zwei große Momente der Geschichte und der Politik, sondern auch zwei Hauptepochen des menschlichen Wissens. Und letztere sind wiederum so divergierend, daß wir auch in diesem Fall denken müssen, daß das menschliche Wissen, besonders das Wissen über das praktische Handeln, im »Umwandlungsprozeß zur Moderne« einen tiefgreifenden Umbruch erlitten hat. B. Ein topologisches und dialektisches Wissen Wir können den Befund aus der Begriffsgeschichte auch wissenstheoretisch oder wissenshistorisch erfassen und sagen, daß eine topologische und dialektische Auffassung der Geschichte und der menschlichen Erkenntnis im allgemeinen durch eine systematische, prozedurale und theoretische ersetzt wurde. Die praktischen Disziplinen des späten sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts gingen nämlich von der Beobachtung aus, daß das menschliche Wissen abgeschlossen und vollständig war: Was man wissen konnte, war schon alles auf die eine oder auf die andere Weise erfahren worden, und folglich konnte man nichts Neues erfinden.48 Da sich die Umstände und die Bedingungen des menschliXCVII; Martin Peters: Altes Reich und Europa. Der Historiker, Statistiker und Publizist August Ludwig Schlözer (Münster 2003) 159–206. 48 Polidoro Vergilio: De rerum inventoribus libri octo [1499] (Lugduni 1586); Philipp Heinrich Pladecius: De novatoribus literarum et morum, dissertatione politica (Wittebergae 1695). Vgl. Reimund Sdzuj: Die Figur des Neuerers und die Funktion von Neuheit in den gelehrten Disziplinen des 17. Und 18. Jahrhunderts. In: Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, hg. von Ulrich Johannes Schneider (Wiesbaden 2005) 155–182.

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chen Handelns in einer unendlichen Anzahl von Kombinationen wiederholten, war es wahrscheinlich, daß schon alle möglichen Argumente im Laufe der Zeit mindestens einmal vorgekommen waren. Aber die große Sammlung von Argumenten, die die Tradition zur Verfügung stellte, konnte zu einer begrenzten und überschaubaren Anzahl von Elementen, von Gemeinplätzen, zurückgeführt werden, die dann ihrerseits unzählige Kombinationen eingehen konnten49 Durch die Tatsache, daß die Kenntnisse und Erfahrungen abgeschlossen waren, waren die Disziplinen keineswegs überflüssig, sondern erhielten dadurch eine noch wichtigere Aufgabe, denn die Ordnung der Argumente war keineswegs unmittelbar einleuchtend, sondern konnte nur dunkel geahnt werden und mußte bei jeder neuen Kombination festgelegt werden. Alle erhaltenen Erkenntnisse waren durch die lange Auswahl im Laufe der Zeit wahr oder wahrscheinlich, aber gleichzeitig schienen sie auch einander zu widersprechen. Man mußte daher eine Verteilung erfinden, in der alle Argumente widerspruchlos miteinander zusammenwirkten. Dies war eine dialektische Aufgabe im eigentlichen Sinn, denn durch eine Reihe von argumentativen Mitteln sollte man in jedem einzelnen Fall beweisen, daß die Argumente dafür und dagegen miteinander kompatibel waren, und daß der Widerspruch nur scheinbar und oberflächlich war, weil jede Behauptung, wenn sie richtig verstanden wurde, in der Gegenbehauptung eingeschlossen war. Dialektik hieß hier also die Suche nach jener topologischen Ordnung, welche das gleichzeitige Bestehen aller überlieferten Argumente ermöglicht.50 Die Ordnung der Argumente jedes einzelnen Wissensbereichs, dialektisch vermittelt, bildete die Struktur jeder Disziplin, ihre methodus oder ihre dispositio totius disciplinae,51 und die Gesamtheit aller Wissenszweige wurde als ein Zusammenhang organisiert, der alle Disziplinen in der Form einer summa oder eines systema umfaßte.52 Dieser Ideenkomplex – daß die Dialektik die Leitdisziplin des menschlichen Wissens ist, daß sie das gesamte System der Gemeinplätze zur Verfügung

Vgl. Athanasius Kircher: Ars magna sciendi in XII libros digesta (Amstelodami 1669), 5–6. Vgl. Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kircher SJ (Berlin 1993) 161–190; Davide Arecco: Il sogno di Minerva. La scienza fantastica di Athanasius Kircher (Padova 2002) 44–49. Vgl. Daniel Georg Morhof: Polyhistor [1688–1708]. Bd. 1 (Lubecae 1747) 236–258, 258–270, 342–349 und 350–366. 50 Merio Scattola: L’ordine del sapere. La bibliografia politica tedesca del Seicento (Napoli 2003 = Archivio della Ragion di Stato 10–11) 17–20. 51 Bartholomaeus Keckermann: Systema logicae tribus libris adornatum (Hanoviae 1600) 591: »Hic logicae studiosus […] notabit methodum, quatenus ad discursum ordinativum pertinet, […] sumi, pro dispositione videlicet integrae alicuius doctrinae ex multis instrumentis logicis constructae.« Vgl. Merio Scattola: Arnisaeus, Zabarella e Piccolomini. La discussione sul metodo della filosofia pratica alle origini della disciplina politica moderna. In: La presenza dell’aristotelismo padovano nella filosofia della prima modernità, a cura di Gregorio Piaia (Roma 2002) 273–309, hier 284–287. 52 M. Scattola: L’ordine del sapere, a. a.O. [Anm. 50] 13–14. 49

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stellt, daß eine topologische Ordnung in jeder Disziplin und besonders in den praktischen Disziplinen wirkt, daß jede Disziplin anhand der loci communi das gesamte System seiner Kenntnisse ordnungsgemäß verteilen kann, daß die Gesamtzahl der menschlichen Kenntnisse begrenzt ist, daß die Ordnung der Gemeinplätze die Ordnung der Dinge wiederspiegelt und zuletzt mit der göttlichen Ordnung identisch ist – gehörte zur Grundstruktur des frühneuzeitlichen Wissens,53 wurde in den methodologischen Auseinandersetzungen thematisiert, in besonderen epistemologischen und isagogischen Gattungen erörtert und in Anspruch genommen, wenn Ordnung in der Welt der menschlichen Erkenntnisse und Erfahrungen gestiftet werden sollte.54

IV. Politische Lehren und politische Disziplinen A. Der Stil der politischen Kommunikation In diesem dialektischen Diskurs waren aber nicht nur die Argumente – was man sagte, und wozu man es sagte –, sondern auch die Art und Weise der Argumentation – wie man etwas sagte – wichtig. Da es sich hier gerade um eine politische Sprache handelt, ist sogar das Wie notwendiger als das Was, weil eine Sprache eine gewisse Menge von Formen ist, die einen noch zu bestimmenden Gehalt gestalten. In diesem Sinn, in der Art also, wie sie ihre Auseinandersetzungen führten, geben sich einige gesonderte Ausrichtungen in der frühneuzeitlichen Politik und Historie zu erkennen. Wenn man das politische und juristische Denken des späten sechzehnten und des frühen siebzehnten Jahrhunderts vergegenwärtigt, findet man sich mit einer Mehrzahl von Stilrichtungen und Programmen konfrontiert, die stark voneinander divergierten, und dies besonders in den Grundelementen ihrer Pragmatik, also in Ort, Schöpfer und Empfänger des ausgearbeiteten Wissens. Wo wurde die politische Lehre erschaffen? Auf Universitäten, in privilegierten Akademien, auf den königlichen, päpstlichen oder kaiserlichen Kanzleien, in den Kirchenversammlungen, in den Ratsversammlungen der Städte und der Stände oder Merio Scattola: Krieg des Wissens – Wissen des Krieges. Konflikt, Erfahrung und System der literarischen Gattungen am Beginn der Frühen Neuzeit (Padova 2006) 66–70; Merio Scattola: Konflikt und Erfahrung. Über den Kriegsgedanken im Horizont frühneuzeitlichen Wissens. In: Kann Krieg erlaubt sein? Eine Quellensammlung zur politischen Ethik der Spanischen Spätscholastik, hg. von Heinz-Gerhard Justenhoven und Joachim Stüben (Stuttgart 2006) 11–53, hier 23–38. 54 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft (Hamburg 1983) 59–66; Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im Policraticus Johanns von Salisbury (Hildesheim 1988) IX–XLVII und 503–555; Helmut Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta. Das Problem der Ordnung des gelehrten Wissens in der Frühen Neuzeit (Köln 1992) 64–99. 53

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in den Konversationskreisen um die Fürsten? Von wem wurde das politische Wissen geschaffen? Von Professoren der Theologie, der Jurisprudenz oder der Philosophie? Von Juristen, Richtern, Anwälten, wie Jean Bodin und François Hotman? Von Adligen und Standespersonen, wie dem König von Schotland und England Jakob VI. und I.? Von Räten, Geheimräten und Sekretären, wie dem Sekretär schlechthin, Niccolò Machiavelli, aber auch Giovanni Botero und Gabriel Naudé? Für wen schrieb (oder sprach) man über Politik? Für junge Adlige, die sich für das Hofleben vorbereiteten? Für Bürger aus dem dritten Stand, die ein öffentliches Amt anstrebten? Für die Parteianhänger einer Debatte in einem Abgeordnetenhaus? Für andere Räte und Sekretäre oder für einen offenen Kreis von Freunden, die sämtlich der respublica literaria angehörten.55

B. Europäische Traditionen Anhand dieser drei Kriterien – Wo, Von wem und Für wen? – kann man leicht feststellen, daß die Strömungen des politischen Denkens in der frühen Neuzeit einige Konstanten aufwiesen, weil bestimmte Inhalte sehr oft nur in gewissen literarischen Formen vorkamen, als ob ihre Behandlung nach den Regeln eines strengen Stiles erfolgte. Aus dieser statistisch bedeutenden Verbindung zwischen Inhalt und Form ergeben sich getrennte Traditionen des politischen Denkens, die deutlich aus dem historischen Hintergrund hervortreten, durch jeweils spezifische Interpretationsmethoden erschlossen werden können56 und mehr oder weniger mit nationalsprachlichen Gemeinschaften zusammenzufallen. Die französische Auseinandersetzung über die Gewalt des Königs, über die Souveränität und gegebenenfalls auch über deren Einschränkung wurde im späten sechzehnten Jahrhundert vorwiegend von Juristen mit starken historischen Interessen durchgeführt, die oft Ämter in den Parlamenten des Königreichs innehatten oder während der Ständeversammlungen und in den entsprechenden Debatten eine führende Rolle ausübten. Man kann hier beispielhaft die Namen von Philippe de Commynes, Claude de Seyssel, François Hotman, Étienne Pasquier und Jean Bodin erwähnen57 und dabei beobachten, daß diese Tradition des politischen Denkens mit der Welt der Rechtsgelehrten eng verbunden war, weil alle ihre Vertreter eine juristische Ausbildung genossen hatten und juristische Gepflogenheiten in ihren Argumentationen bevorzugten.58 Vgl. M. Scattola: L’ordine del sapere, a. a.O. [Anm. 50] 5–39. Vgl. M. Richter: Un lessico dei concetti politici e giuridici europei. Opzioni e ostacoli. In: Sui concetti giuridici e politici della costituzione dell’Europa a. a.O. [Anm. 3] 15–38, hier 32. 57 Vgl. Corrado Vivanti: Assolutismo e tolleranza nel pensiero politico francese del Cinque e Seicento. In: Storia delle idee politiche, economiche e sociali, a cura di Luigi Firpo. Bd. 4.1 (Torino 1980), 13–93. 58 Vgl. Diego Quaglioni: Autosufficienza e primato del diritto nell’educazione giuridica preumanistica. In: Sapere e/è potere. Discipline, dispute e professioni nell’università medievale 55 56

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Eine völlig andere Perspektive tut sich auf, wenn wir, wenn auch flüchtig, die politischen Schriften des sechzehnten Jahrhunderts in italienischer Sprache betrachten, deren Autoren fast nur auf Höfen und Kanzleien tätig waren. Die Vertreter der politischen Lehre in Italien zur Zeit der Gegenreformation waren Sekretäre, Räte, Geheimräte, Agenten und sogar Spitzel. Niccolò Machiavelli, Francesco Guicciardini, Giovan Francesco Lottini, Giovan Battista Pigna, Scipione Ammirato, Giovanni Botero, Girolamo Frachetta, ein Agent des spanischen Königs in Italien und des Herzogs von Urbin,59 sind einige Beispiele dieser intellektuellen Figur. 60 In demselben Zusammenhang darf man auch daran erinnern, daß die politischen Bibliographien des siebzehnten Jahrhunderts alle diese italienischen Autoren in der literarischen Gattung der discursus verzeichneten und mit solcher Pluralform eine stilistisch ziemlich freie Abhandlung bezeichneten,61 die keiner akademischen Gattung verglichen werden konnte und der Darstellung von heiklen Themen vorbehalten war, wie der Staatsräson, den Staatsgeheimnissen und im allgemeinen jeder Art von Ausnahmelehre.62 Die englischen Auseinandersetzungen zeigen einen unterschiedlichen Verhaltenskodex, weil man eine meist im Parlament geführte Debatte regeln mußte, an der nicht nur die Abgeordneten, sondern auch der Kanzler des Königreichs und sogar der König selbst mit eigenhändigen Schriften teilnahmen, um ihre Ansprüche vor den Vertretern der Stände oder gegen sie zu verteidigen.63 In e moderna. Bd. 3 (Bologna 1990) 125–134; Diego Quaglioni: I limiti della sovranità. Il pensiero di Jean Bodin nella cultura politica e giuridica dell’età moderna (Padova 1992) 1–17. Vgl. auch Vincenzo Piano Mortari: Il pensiero politico dei giuristi del Rinascimento. In: Storia delle idee politiche, economiche e sociali a. a.O. [Anm. 57] Bd. 3 (1987) 411–509. 59 Dazu vgl. Artemio Enzo Baldini: Le guerre di religione francesi nella trattatistica italiana della ragion di stato. Botero e Frachetta. In: Il pensiero politico 22 (1989) 301–324; Artemio Enzo Baldini: Girolamo Frachetta informatore politico al servizio della Spagna. In: Repubblica e virtù. Pensiero politico e Monarchia Cattolica fra XVI e XVII secolo, a cura di Chiara Continisio e Cesare Mozzarelli (Roma 1995) 465–482. 60 Vittor Ivo Comparato: Il pensiero politico della Controriforma e la ragion di Stato. In: Il pensiero politico dell’età moderna, a cura di Alberto Andreatta e Artemio Enzo Baldini (Torino 1999) 127–168, hier S. 133–142. 61 Gianfranco Borrelli: Non far novità. Alle radici della cultura politica italiana della conservazione politica (Napoli 2000) 11. 62 Christophorus Coler: De studio politico ordinando epistola. In: Publius (oder Caius?) Cornelius Tacitus: De situ, moribus et populis Germaniae libellus et in eum Christophori Coleri commentatio. Eiusdem De studio politico ordinando epistola (Hanoviae 1602) 88–117, hier 117; Gabriel Naudè: Bibliographia politica [1633]. In: Kaspar Schoppe und Gabriel Naudé: Gasparis Scioppii Paedia politices et Gabrielis Naudaei Bibliographia politica ut et eiusdem argumenti alia, hg. von Hermann Conring (Helmestadii 1663) 45–116, hier 72; Bose: De prudentia et eloquentia civili comparanda diatribae isagogicae, a. a.O. [Anm. 26] 38–39. Zur Definition der discursus vgl. Jakob Bornitz: Discursus politicus de prudentia politica comparanda (Erphordiae 1602) A4r: »De mediis prudentiae civilis consequendae discursum habes, sed discursum tantum, amicis olim intra privatos parietes propositum […]. Vestigia quaedam sunt et aditus, qui ad adyta prudentiae civilis ducere visi, non ipsa prudentia.« 63 Giuseppe Giarrizzo: Il pensiero inglese nell’età degli Stuart e della Rivoluzione. In: Storia delle idee politiche, economiche e sociali a. a.O. [Anm. 57] Bd. 4.1 (1980) 165–277.

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dieser Tradition bemühte man sich ersichtlich darum, eine gemeinsame politische Sprache in einem öffentlichen Raum zu schaffen, zu bewahren, zu erweitern und womöglich allmählich zu ändern. In solch einem Zusammenhang kann man freilich von ›Diskurs‹ reden und ›diskursive Methoden‹ anwenden, um jene Vorgänge zu erforschen, die eine politische Sprache bewahrten und veränderten.64 Das politische Denken des Heiligen Römischen Reiches hatte in der frühen Neuzeit dagegen einen ausgeprägt akademischen Charakter: Es war ein Wissen, das nicht nur an Universitäten übertragen, sondern auch spezifisch für sie erschaffen wurde. Die Diskussion in den deutschen Territorien war in der Tat eng mit der Einführung und Verbreitung vom akademischen Fach der Politik verbunden, das sich in der Tat ab den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts rasch behauptete. Die Erörterung von politischen Themen in den Vorlesungen war selbstverständlich schon seit langer Zeit üblich: Philipp Melanchthon (1497–1560) hatte zum Beispiel die aristotelische Politik und Ethik als Teil der Philosophie und der Beredsamkeit kommentiert,65 und sein letzter Schüler, Iohannes Caselius (1533–1613), eine führende Figur im deutschen Späthumanismus,66 las nach 1563 über die politischen Werke des Aristoteles vor.67 Er trug aber in Rostock den Titel eines professor Aristotelicus et Platonicus und den eines professor humaniorum litterarum in Helmstedt68 und hatte wahrscheinlich keinen Lehrstuhl der Politik inne. Offensichtlich war die Politik im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert als ein nicht selbständiger Teil der noch innerlich ungeteilten praktischen Philosophie verstanden, die auch rheto-

Quentin Skinner: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: History and Theory 8 (1969) 3–53. Vgl. auch Quentin Skinner: Meaning and understanding in the history of ideas. In: Quentin Skinner: Visions of Politics. Bd. 1 (Cambridge 2002) 57–89 und Quentin Skinner: Motives, intentions and interpretations [1972 und 1996] ebd. 90–102. 65 Marcus Tullius Cicero: Officia Ciceronis multo quam antea castigatiora, cum scholiis Philippi Melanchthonis […]. Item in Aristotelis Ethica et Politica commentarii doctissimi eodem authore (Haganoe 1532). Dieselbe Auffassung der Politik wirkte auch in den Studiengängen der deutschen Universitäten am Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Vgl. Die Statuten der Universität Helmstedt, hg. von Peter Baumgart und Ernst Pitz (Göttingen 1963) 149. 66 Vgl. Merio Scattola: Iohannes Caselius (1533–1613), ein Helmstedter Gelehrter. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 22 (1997) 101–121 und Merio Scattola: Gelehrte Philologie vs. Theologie: Iohannes Caselius im Streit mit den Helmstedter Theologen. In: Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus, hg. von Herbert Jaumann (Wiesbaden 2001) 155–181. 67 Iohannes Caselius: In librorum Aristotelis de vita et moribus interpretationem. Prooemium (Rostochii 1569); Iohannes Caselius: In Ethicorum Aristotelis interpretationem προλεγóμενα (Rostochii 1575); Iohannes Caselius: In libros Aristotelis de optimo statu reipublicae. Ad auditores politices prooemium (Rostochii 1587); Iohannes Caselius: In Aristotelis de vita et moribus librorum interpretationem πρóγραμμα (Helmaestadii 1593). 68 Otto Krabbe: Die Universität Rostock im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert (Rostock 1854) 721; Paul Jakob Bruns: Verdienste der Professoren zu Helmstädt um die Gelehrsamkeit. Ein Fragment. Philologen. Philosophen. Mathematiker (Halle 1810) 47. 64

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rische, poetische, historische, politische und ethische Themen umfaßte.69 Erst zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts wurden die ersten Lehrstühle der Politik begründet, die sich bald in allen evangelischen und reformierten Territorien des Heiligen Römischen Reiches verbreiteten.70 Der Institutionalisierungsprozeß der Politik an den deutschen Universitäten beschränkte sich nicht nur auf die Einführung neuer Lehrstühle, sondern verlangte auch die Erschaffung eines neuen Faches, das durch ein eigenes System literarischer Gattungen und durch besondere stilistische Gepflogenheiten gekennzeichnet war. Man mußte nämlich festlegen, was für ein Fach die Politik war, woran sie sich von ähnlichen und verwandten Disziplinen, wie der Ökonomik oder der Ethik, unterschied, aus welchen Teilen sie zusammengesetzt war, welche Argumente ihr eigentümlich waren, wie diese angeordnet und verteilt werden mußten, wie die Kenntnisse dieser Disziplin übertragen und welche Hilfsmittel dabei angewandt werden sollten. Innerhalb von wenigen Jahren konnte man dank einer beharrlichen methodologischen Debatte, deren Parteien oft mit den konfessionellen Spaltungen zusammenfielen,71 alle Aspekte der neuen Disziplin durch ein umfassendes Normensystem regeln.72

Vgl. Iohannes Caselius: Pro arte poetarum oratio (Rostochii 1569). Vgl. Horst Denzer: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf. Eine geistesund wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der Praktischen Philosophie (München 1972) 300–307. 71 Ein gutes Beispiel dieser Auseinandersetzungen ist die Diskussion über die politische Herrschaft am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Dazu vgl. Merio Scattola: Ordine e imperium: dalle politiche aristoteliche del primo Seicento al diritto naturale di Pufendorf. In: Il potere. Per la storia della filosofia politica moderna, a cura di Giuseppe Duso (Roma 1999) 95–111 und Merio Scattola: Die Frage nach der politischen Ordnung: Imperium, maiestas, summa potestas in der politischen Lehre des frühen siebzehnten Jahrhunderts. In: Souveränitätskonzeptionen. Beiträge zur Analyse politischer Ordnungsvorstellungen im 17. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Martin Peters und Peter Schröder (Berlin 2000) 13–39. Zu einem weiteren Beispiel für diese gelehrten Auseinandersetzungen vgl. Merio Scattola: Controversia de vi in principem. Vertrag, Tyrannis und Widerstand in der Auseinandersetzung zwischen Iohannes Althusius und Henning Arnisaeus. In: Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.–18. Jh.), hg. von Angela De Benedictis und Karl-Heinz Lingens (Frankfurt a.M. 2003) 175–249. 72 Vgl. M. Scattola: Dalla virtù alla scienza, a. a.O. [Anm. 32] 21–32, wo das System der politischen Gattungen rekonstruiert wird. Vgl. auch M. Scattola: L’ordine del sapere, a. a.O. [Anm. 50] 36–39, 337–445, 449–467; Horst Dreitzel: Politische Philosophie. In: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4, hg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann [= Grundriß der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Überweg] (Basel 2001) 607–748; Merio Scattola: Rezension zu Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4, hg. von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann [= Grundriß der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Überweg] (Basel 2001). In: Zeitschrift für historische Forschung 32 (2005) 337–340. 69 70

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C. Geschichte der politischen Lehren als Geschichte der politischen Disziplinen Die Verankerung in die Welt der Universitäten ist das wesentliche Merkmal des politischen Denkens in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches und war so prägend, daß es während der ganzen Neuzeit trotz aller historischen Umbrüche beibehalten wurde. Die wichtigsten Veränderungen im politischen Wissen erfolgten hier nämlich als tiefgreifende Erneuerungen im Rahmen der akademischen Disziplinen, und jeder neue theoretische Vorschlag behauptete sich zuerst durch die Begründung eines neuen akademischen Faches und durch die Umgestaltung des tradierten Wissenssystems. Alles konnte sich verändern, der akademische Bezug blieb aber unverändert, als die besondere Form der politischen Auseinandersetzung in den deutschen Territorien. Daher kann man die Geschichte des deutschen politischen Denkens als eine Geschichte aller jener Fächer und Disziplinen rekonstruieren, die einander vom siebzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert an den deutschen Universitäten abgelöst haben.73 Die Einführung der Politik zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts entspricht der ersten dieser Erneuerungen. Nach der Mitte desselben Jahrhunderts wurde sie durch das Naturrecht, besonders durch das allgemeine Staatsrecht, ersetzt.74 Im achtzehnten Jahrhundert wurden die Statistik und die Policey- und Cameralwissenschaften in den akademischen Lehrbetrieb aufgenommen und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, in die sogenannten Systeme der Staatswissenschaften integriert.75 Das neunzehnte Jahrhundert wurde dagegen durch die Unterscheidung zwischen Staats- und Gesellschaftswissenschaften beherrscht, aus denen sich einerseits die moderne Staatslehre und andererseits die Soziologie entwickelten, die Leitdisziplinen des politischen Diskurses im Zeitalter der nationalen Staatlichkeit und die wahren Werkstätten unserer historischen Begriffe und Kategorien.

Vgl. M. Scattola: Dalla virtù alla scienza, a. a.O. [Anm. 32] 301–306. Ebd. 366–390; Merio Scattola: Von der Politik zum Naturrecht. Die Entwicklung des allgemeinen Staatsrechts aus der politica architectonica. In: Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (XIIIe–XVIIIe siècle), publ. par Jacques Krynen et Michael Stolleis (Frankfurt a.M. 2008) 411–443. 75 Merio Scattola: La nascita delle scienze dello stato. August Ludwig Schlözer e il pensiero politico del Settecento tedesco (Milano 1994) 55–59; Merio Scattola: Die politische Theorie in Deutschland zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus. In: Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit, hg. von Helwig Schmidt-Glintzer (Wiesbaden 1996) 119–133; Scattola: Dalla virtù alla scienza a. a.O. [Anm. 32] 497–507. 73 74

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Der Parlamentarismus als Begriff Die Parlamentarismusforschung zwischen Politikwissenschaft, Rhetorik und Begriffsgeschichte

I. Was ein Parlament ist, kann man nicht lexikalisch definieren. Man kann zwar auf die Etymologie zurückgreifen und das Moment des Redens (it. parlare, frz. parler) als das konstitutive Merkmal des Parlaments aufgreifen. Man kann aber auch begriffsgeschichtlich fragen, ob alle den Namen des Parlaments tragenden Instanzen konzeptionell auch solche sind. Oder umgekehrt: Ob bestimmte Instanzen mit anderen Namen doch zu den Parlamenten gezählt werden sollen? Parlamente können natürlich aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert werden. Mich interessiert hier jedoch der Parlamentarismus als ein politisches Regime, in dem das Parlament – mit Max Weber gesprochen – über entscheidende Machtchancen in einem politischen Verband verfügt. Als Regime ist der Parlamentarismus seit dem 19. Jahrhundert ein Gegenstand detaillierter verfassungsrechtlicher und -historischer Untersuchungen zu den formalen Vollmachten des Parlaments sowie politologischer Analysen zur Nutzung dieser Vollmachten. Wenn in der Literatur Parlamentarismus von anderen Regimes unterschieden wird, wird das Urteil primär auf diese Art der Klassifikation der Regierungsform basiert. Die Bedeutung des Parlamentarismus als Regierungsform kann und darf nicht bestritten werden, sie sollte jedoch mit anderen Begriffsstufen ergänzt werden. Nach Jahrzehnten der Abwesenheit aus den Parlamentsstudien sollten die Rhetorikanalysen des Parlaments – als »government by speaking« (Macaulay1) oder »government by discussion« (Bagehot2) – reaktiviert werden. Auch die Studien zur parlamentarischen Prozedur haben das Parlament als eine paradigmatische Arena des Redens pro et contra als rhetorische Voraussetzung. Die Analysen der parlamentarischen Begriffe tragen dann zur Diskussion der Frage bei, ob mit dem parlamentarischen Regime auch eine Art Parlamentarisierung der Begriffe zusammenhängt. Diese Studien zum Parlamentarismus lassen die Eigenständigkeit des parlamentarischen Regimes deutlich komplexer erscheinen als die bloße Konzentra1 Vgl. Thomas Babington Macaulay: William Pitt. In: The Miscellaneous Writings and Speeches of Lord Macaulay (London 1889), Zit. http://ibiblio.org/gutenberg/etext00/3mwsm10.txt (28.11.2007) 2 Vgl. Walter Bagehot: Physics and Politics (Boston 1956).

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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tion auf die Regierungswahl und -abwahl. Der Parlamentarismus erscheint dann als ein rhetorischer Politikstil bzw. eine Form der politischen Kultur, die einen zivilisierten politischen Kampf mit Wörtern und Worten als Voraussetzung hat.

II. Um den Begriff des Parlamentarismus historisch und konzeptuell zu thematisieren, soll zuerst kurz das heute gängige Bild des Parlamentarismus charakterisiert werden. Was bedarf es über das minimale Prinzip der Abwesenheit des parlamentarischen Mißtrauensvotums gegenüber der Regierung hinaus, um von einer parlamentarischen Regierungsform sprechen zu können? In seinem Lehrbuch3 zum Parlamentarismus faßt Stefan Marschall eine »Arbeitsdefinition« des Parlamentarismus in sechs Kriterien zusammen: »(1) die Kompatibilität von Parlamentsmandat und Regierungsamt, (2) das Kabinett stammt in der Regel aus dem Parlament, (3) parlamentarische Ministerverantwortlichkeit, (4) interpellative (Frage-)Rechte des Parlaments, (5) Parlaments(ab)wahl der Regierung, (6) Parlamentsauflösung durch die Regierung.« Diese Liste, die Klaus von Beymes Interpretation4 des Begriffs in Stichworten wiedergibt, ist mehr als eine Minimaldefinition, die in den Punkten (5) und (3) enthalten ist. Nicht alle heute als »parlamentarisch« geltende Länder entsprechen allen diesen Kriterien: In Norwegen zum Beispiel müssen die Minister ihr Parlamentsmandat niederlegen, und es besteht keine Möglichkeit, das Stortinget inmitten einer Legislaturperiode aufzulösen. Vor allem die beiden ersten Punkte betonen die personelle Abhängigkeit der Regierung vom Parlament, während der letzte Punkt vor allem auf ein cabinet government (s. Bagehot)5 britischen Typus hinweist, in dem die Souveränität des Parlaments durch die Auflösungsvollmacht des Premierministers eingeschränkt wird. Kennzeichnend für diese Listen ist aber gerade die Konzentration auf das Verhältnis von Parlament und Regierung, während die eigenständige Tätigkeit des Parlaments keine besondere Rolle spielt. Das vierte Kriterium verweist zwar auf die Parlamentskontrolle in der bescheidenen Form der Fragerechte. In der Originalformel bei von Beyme heißt es dazu: »Das Parlament hat das Recht, die Regierung durch Interpellationen zu kontrollieren und sich durch Untersuchungsausschüsse und andere Hilfsmittel die Informationen zu verschaffen, welche nötig sind, um eine Entscheidung darüber zu erleichtern, ob der Vertrauensmechanismus als Sanktion in Kraft gesetzt werden soll. 3

Stefan Marshall: Parlamentarismus, Eine Einführung (Baden–Baden 2005) 62. Klaus von Beyme: Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789–1989 (Wiesbaden 1999), 42–44. 5 Vgl. Walter Bagehot, The English Constitution (Cambridge 2001). 4

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In einigen Ländern hat das Budgetrecht des Parlaments als weitere Sanktion gedient«.6 Auch hier dienen also die Kontrollinstrumente des Parlaments bloß zur Messung des Vertrauens der Regierung. Die Diskussion ist nur ein Hilfsmittel dazu, eine erneute Zählung der Stimmen in einer Vertrauensabstimmung zu ermöglichen. In heutigen politologischen Standardwerken zum Parlamentarismus zählt also letztlich nur die Abstimmung. Von Beyme und Marschall behandeln die Debatte nur kurz unter dem Stichwort »Arbeitsweise des Parlaments«, und zwar aus der Sicht der Macht des Plenums und der Ausschüsse und der damit verbundenen öffentlichen Mißverständnisse hinsichtlich von Parlamenten. Die Politik der Parlamente wird in beiden Büchern im Jargon der Soziologen im Hinblick auf ihre »Funktionen« behandelt, die ebenso ausschließlich auf die weitere Spezifizierung der Regierungsform zielen, anstatt die historische Eigenart der Parlamente als Orte der Rede zu thematisieren. Die parlamentarische Deliberation und Debatte erscheint somit in einer rein regierungspolitischen Sicht als bloße Vorbereitung auf das Kräftemessen in Mißtrauensvoten zum parlamentarischen Vertrauen auf die Regierung. Diese Gegenüberstellung basiert auf der alten Opposition zwischen »bloßen Worten« und »realen Taten«. Damit werden die Diskussionen zu parlamentarischen Sachfragen zugleich ganz der Frage der Regierungsmacht untergeordnet. In der politischen Theorie der Gegenwart wird diese Perspektive zum Parlamentarismus am reinsten von Niklas Luhmann7 mit seiner These vom Gegensatz »Regierung vs. Opposition als politischer Kode« des modernen politischen Systems vertreten. Wenn die parlamentarische Politik völlig dem Luhmannschen Kode untergeordnet sein sollte, sind dann die Debatten im Plenum und in den Ausschüssen nur Anachronismen? Wenn die Parlamentarier bloße Abstimmungsmaschinen und nicht individuell deliberierende und entscheidende Personen sind, wäre es dann nicht einfacher, anstatt Parlamentarier zu wählen, den Parteien die Vollmacht zu geben, ihre eigenen Funktionäre entsprechend der in Wahlen ermittelnden Anzahl der Mandate in parlamentarische Gremien zu schicken? Aus einer Luhmannschen Sicht waren die französische Dritte und Vierte Republik besonders anachronistisch. Trotzdem spielen sie eine außerordentliche Rolle in der Geschichte des Parlamentarismus, da sie, wie es bei Nicolas Roussellier8 heißt, den Typus des »parlement d’éloquence« verkörpern. Die häufigen Regierungswechsel zeigten die Rolle der numerischen Mehrheiten, diese wurden aber nicht allein in den Parlamentswahlen »gemessen«, sie konnten sich 6 K. v. Beyme: Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789– 1989, a. a.O. [Anm. 4] 42. 7 Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft (Frankfurt 2000) 96–102. 8 Vgl. Nicolas Roussellier: Le parlement d’éloquence (Paris 1997).

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vielmehr im Laufe der Legislaturperiode von Tag zu Tag verändern. Oder, wie es Eugène Pierre, der langjährige Sekretär des Präsidenten der Assemblée nationale, formulierte: In der Dritten Republik konnte ein Minister am Morgen nie wissen, ob er am Abend noch Minister ist.9 In diesem Sinne kann eine rein regierungsbezogene Sicht auch mit einem extrem eloquenten Parlamentarismus vereinbar sein. Der Fehler dieser Republiken lag eher darin, daß sie die Rhetorik allzu direkt mit der Wahl und Abwahl der Regierung verbanden, anstatt der parlamentarischen Beredsamkeit eine von der Regierungspolitik unabhängige Bedeutung als Grundzug des Regimes zu geben. Die rein regierungspolitische Perspektive zum Parlamentarismus steht also im Widerspruch zur historisch gebildeten parlamentarischen Prozedur, deren Prinzip der Intelligibilität eben nicht die Abstimmung, sondern gerade das Reden pro et contra bildet. Die Regierung hat im Laufe der Jahrhunderte Macht über die parlamentarische Agenda gewonnen, und dies ist insofern verständlich, als der politisch wesentliche Gegensatz eben innerhalb des Parlaments liegt.10 Trotzdem bleibt die parlamentarische Prozedur des Redens pro et contra ein entscheidender Bestandteil der Chancen der Autonomie des Parlaments gegenüber der Regierungspolitik. Die »Sachfragen« können nicht einfach beiseite geschoben werden, sondern die parlamentarische Mehrheit und das damit verbundene Ver- oder Mißtrauen in die Regierung wird konkret gerade in den Streitigkeiten darum rhetorisch vermittelt.

III. Um das Parlament als »Ort der Rede« zu thematisieren, wird der Parlamentarismus als solches durch das rhetorische Prinzip konstituiert. In keiner anderen politischen Arena hat sowohl die Konfrontation von Rede und Widerrede als auch das gegenseitige Überreden der Mitglieder eine so zentrale politische Bedeutung wie im souveränen Parlament. Die Macht in einem parlamentarischen Regime besteht also nicht nur im Messen der Mehrheit einer Regierung. In einem Parlament wäre es höchst unrealistisch, politische Handlungen als »Taten« von bloßen »Worten« zu trennen. Die Abstimmungen finden nach prozedural streng geregelten Formen in bestimmten Situationen des parlamentarischen Prozesses und mit einer bestimmt formulierten Fragestellung statt. Das Ja oder Nein einer Abstimmung ist von allen Seiten an weitere sprachliche Praktiken, Konventionen, Regelungen usw. gebunden.

9

Eugène Pierre: Politique et gouvernement (Paris 1896) 73. Vgl. z. B. Josef Redlich: Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus (Wien 1905). 10

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Die Kritiker des bavardage seit Carlyle11 haben gerade den rhetorischen Charakter des Parlamentarismus gut verstanden. Die oben zitierten Formeln Macaulays und Bagehots verweisen ihrerseits darauf, daß es, wie John Stuart Mill ausdrücklich betont,12 zur Tradition gerade des englischen Parlamentarismus gehört, auf das bavardage stolz zu sein. Dies hat Josef Redlich in seiner klassischen Studie zur parlamentarischen Prozedur deutlich zum Ausdruck gebracht: »Die Rede ist es erst, die die verschiedenen Formen und Institute des parlamentarischen Apparats mit Inhalt und Sinn erfaßt, die sie miteinander organisch verbindet; durch die Rede erst wird die Tätigkeit des Parlaments zweckbewußt gestaltet. Rede und Gegenrede sind erst die Mittel, durch welche die gesamten individuell-psychischen und die politischen Kräfte, wie sie durch den Prozess der Volkswahl im Hause der Abgeordneten«.13 Parlamentarische Mehrheiten sind immer doppelt rhetorisch vermittelt, sowohl durch die Prozeduren als auch durch die Redepraktiken im Parlament. Der rhetorische Charakter der parlamentarischen Politik wurde bis zum Zweiten Weltkrieg in der Literatur zum Parlamentarismus, zumindest in Großbritannien und Frankreich, regelmäßig diskutiert. Seither ist die Rhetorik aus den Studien zum Parlamentarismus beinahe verschwunden. Es ist – wie man es neuerdings teilweise auch schon tut14 – höchste Zeit solche Studien wiederzubeleben. Die breite Diskussion über die parlamentarische Beredsamkeit ab Mitte des achtzehnten Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg war zumeist sehr deskriptiv: Die Reden einzelner Parlamentarier standen im Mittelpunkt und allgemeine Bemerkungen zum Wandel der Rhetorik in den Parlamenten blieben knapp und illustrierend. Eine Diskussion der Bedeutung der sich wandelnden rhetorischen Praktiken für die parlamentarische Politik wurde kaum geführt. Trotzdem sind auch in dieser Literatur Analysen enthalten, die durchaus Stoff für eine Diskussion zum Verhältnis von Rhetorik und Parlamentarismus als Regime anbieten. Die These vom späten achtzehnten Jahrhundert als dem goldenen Zeitalter der parlamentarischen Rhetorik in England ist, bis hin zu wenigen Beiträgen in der Nachkriegszeit,15 weit verbreitet. Die Beredsamkeit der beiden Pitts, Charles Fox, Richard Sheridan, Edmund Burke u. a. ist berühmt.16 Ob sie aber für die parlamentarische Politik eine weder früher noch später übertroffene Rolle

11 12 13

Vgl. Thomas Carlyle: Latter-day Pamphlets (London 1872). John Stuart Mill: Considerations on Representative Government (Buffalo 1991) 117. J. Redlich: Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, a. a.O. [Anm. 10] 586–

587. 14

Neben Roussellier Vgl. Hans-Peter Goldberg: Bismarck und seine Gegner (Düsseldorf 1998); Joseph Meisel: Public Speech and the Culture of Public Life in the Age of Gladstone (New York 2001); Thomas Mergel: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag (Düsseldorf 2002). 15 Vgl. Hildegard Gauger: Die Kunst der politischen Rede in England (Tübingen 1952). 16 Schon bei Dietrich Hermann Hegewisch: Die Geschichte der englischen Parlementsberedsamkeit (Altona 1804).

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gespielt hat, ist eher zweifelhaft. Die These vom Rückzug und Rückgang der parlamentarischen Rede ist höchstens dann glaubhaft, wenn man, wie etwa James Johnston, die Parlamentarier »purely as speakers« behandelt,17 ohne sie mit ihrer politischen Bedeutung in Verbindung zu bringen. In einem Parlament mit wenigen aktiven Rednern und vielen unpolitischen Honoratioren wurden die im Voraus geschriebenen Meisterreden primär anhand der Kriterien der epideiktischen Rhetorik beurteilt. Ihre politische Bedeutung ist aber, wie schon Earl Curzon in Modern Parliamentary Eloquence18 darstellt, gerade vom Honoratiorenparlament abhängig. In Großbritannien hat schon die relative Ausweitung der Wählerschaft und der Auswahl der Abgeordneten nach den Parlamentsreformen von 1832 und 1867 einen neuen Redestil hervorgebracht. Damit hängt auch die Parlamentarisierung der Regierung sowie die damit verbundene Politisierung der Parlamentsmitglieder in der Zeit zwischen den Wahlrechts- und Parlamentsreformen eng zusammen. Das Reden wurde seit der Reform von 1867 von allen Abgeordneten vorausgesetzt. Kann man aber dann die ästhetische Qualität der Reden weniger Meisterredner mit dem Vorhandensein einer relativ hohen rhetorischen Kompetenz unter vielen Parlamentariern gleichsetzen? Im Zeichen der deliberativen Rhetorik hat das in seiner Wahl demokratisierte, als Regime parlamentarisierte und in seiner Mitgliedschaft politisierte Parlament durchaus eine neue Qualität in die Debatte und Diskussion pro et contra eingeführt. Anstelle von vorbereiteten Reden gewannen spontane und improvisierte Meinungswechsel, Repliken und Zwischenrufe für die Plenarsitzungen des britischen Parlaments im 19. Jahrhundert an Gewicht. Dies hat u. a. Gladstone in einem 1838 verfaßten Beitrag zur parlamentarischen Beredsamkeit verstanden,19 in dem the mood of the moment zum Schlüssel des parlamentarischen Redens wird (für eine entsprechende Wende in Frankreich s. Cormenin 1844).20 Das parlamentarische Reden wurde zu einem neuen Paradigma der deliberativen Rhetorik, die Abstimmung wurde zum letzten Schritt der parlamentarischen Deliberation (s. auch das obige Zitat von Redlich). Neben den Überlegungen zur verwandelten Beredsamkeit im Kontext der Parlamentarisierung der Regierung, kann man im Zusammenhang von Rhetorik und Parlament auf ein weiteres Genre hinweisen. Analog zu den Fürstenspiegeln kann man nämlich von Parlamentarierspiegeln sprechen, von Leitfäden für Parlamentsreden, die aus Sammlungen rhetorischer Maximen für die Parlamentarier bestehen und darauf abzielen, deren persuasive Kompetenz zu steigern. Die meisten Schriften zur parlamentarischen Rhetorik enthalten Anleitungen,

17

James Johnston: Westminster Voices (London 1927) 7. Earl Curzon of Kedleston: Modern Parliamentary Eloquence (London 1913) 8–9. 19 William E. Gladstone: Public Speaking. In: The Quarterly Journal of Speech 39 (1953) 266–272. 20 Vgl. Timon (Louis–Marie Lahaye de Cormenin): Le livre des orateurs (Genève 2000). 18

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die die Eigenständigkeit des parlamentarischen Redens gegenüber Versammlungsreden und alltäglichen Redesituationen betonen. Für die entsprechenden Leitfäden um 1900 lag durchaus ein literarischer Markt vor. Der berühmteste Parlamentarierspiegel wurde in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts von William Gerard Hamilton, vierzig Jahre lang Parlamentsmitglied in England, gesammelt. Die Sammlung wurde mit dem Titel Parliamentary Logick 1808 posthum veröffentlicht.21 Konzeptionell sind Hamiltons Maximen explizit mit der antiken Rhetorik verbunden, ohne aber auf die Eigenart des englischen Parlaments hinsichtlich seiner Macht oder in seiner Prozedur einzugehen. Hamilton knüpft an die Praxis der Rhetorikhandbücher der englischen Renaissance an, in denen klassische Autoren wie Zeitgenossen behandelt werden. Die Rhetorik erscheint bei ihm als eine zu parlamentarischen Zwecken modifizierte Sprachtheorie, bei der etwa die Bedeutung der Begriffe in Bezug auf Inhalt bzw. Geltungsbereich in taktischer Absicht verändert werden kann. Bei ihm kann man mehrere Beispiele dazu finden, wie mit dem von Quentin Skinner in die heutige Diskussion neu eingebrachten Schema der Paradiastole22 Begriffe rhetorisch auf- bzw. abwertet werden können.23 Die englische und französische Literatur zur parlamentarischen Beredsamkeit im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert enthält explizite Anleitungen für Parlamentsredner, die als Fragmente24 bzw. einzelne Kapitel25 von Parlamentarierspiegeln verstanden werden können. Das Buch des französischen Journalisten Paul Lombard, A la tribune. Manuel satirique d’éloquence parlementaire à l’usage des électeurs et candidats,26 ist am ehesten mit Parlamentarierspiegeln vergleichbar. Die Satire im Titel verweist auf die Ritualisierung der Praktiken der parlamentarischen Rede, die während der »Krise des Parlamentarismus« unter Kritik geraten waren. Die Schrift wendet sich primär an das Publikum, um die Schachzüge der Parlamentarier durchsichtiger zu machen. Trotzdem verteidigt Lombard mittels einer distanzierenden Ironie zu den rhetorischen Praktiken das parlamentarische Regime als eine rhetorische politische Kultur par

21

Vgl. William Gerard Hamilton: Parliamentary Logic (Cambridge 1927). Quentin Skinner: Reason and Rhetoric in the Philosophy of Hobbes (Cambridge 1996), Kap.4; Quentin Skinner: Rhetoric and Conceptual Change. In: Finnish Yearbook of Political Thought 3 (1999) 60–73; Quentin Skinner: Paradiastole: Redescribing the Vices as Virtues. In: Renaissance Figures of Speech, hg. von Sylvia Adamson, Alexan Gavder and Katrin Ettenhuber (Cambridge 2007) 149–166. 23 Vgl. z. B. W. G. Hamilton: Parliamentary Logic, a. a.O. [Anm. 21], 6, 21, 24, 56 24 Vgl. John O’Connor Power: The Making of an Orator (London 1906); Arthur Ponsonsby: Hints for Platform and Parliamentary Speaking (London 1938). 25 Vgl. z. B. Eugène Pierre, Politique et gouvernement, a. a.O. [Anm. 9]; Louis Barthou: Le Politique (Paris 1923); Ernst Müller-Meiningen: Parlamentarismus. Betrachtungen, Lehren und Erinnerungen aus deutschen Parlamenten (Berlin 1926). 26 Vgl. Paul Lombard: A la tribune. Manuel satirique d’éloquence parlementaire à l’usage des électeurs et candidats (Paris 1928). 22

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excellence. Anders formuliert: Er war davon überzeugt, daß die Verteidigung des rhetorischen Politikstils im Parlamentarismus durch die Satire keineswegs bedroht wird, sondern vielmehr verstärkt werden kann.

IV. Ein Grund dafür, warum die Literatur zur parlamentarischen Beredsamkeit im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts praktisch unterging, liegt in der Verwandlung des Rhetorikstils. Die für die parlamentarische Politik charakteristische deliberative Rhetorik wurde in den Hintergrund der parlamentarischen Praxis verschoben. Anstelle einer Deliberation zwischen Abgeordneten im Parlament Verhandlungen mit vorgegebenen Parteien zu führen, ist eine etwa schon bei Carl Schmitt27 und Jürgen Habermas28 anzutreffende Kritik des Parlamentarismus. Vom rhetorischen Charakter des Parlamentarismus hat weder der eine noch der andere eine Ahnung. Dagegen hat die Parteienforschung der Nachkriegszeit vor allem eine Wandlung von der deliberativen zu der »negotiativen« Rhetorik im Parlament behauptet. Gerhard Leibholz29 hat mit seiner These vom »Parteienstaat« das Paradigma für einen Parlamentarismus der Parteienverhandlungen geliefert. Er schreckt zwar vor dem imperativen Mandat der ständischen Versammlungen zurück, akzeptiert jedoch, daß in den parlamentarischen Geschäftsordnungen zahlreiche Rechte der einzelnen Parlamentarier zugunsten der Fraktionen eingeschränkt werden. Dies verstärkt die Abhängigkeit der Abgeordneten von der Fraktion. Diese parteistaatliche Konzeption hat mehr als alles andere die regierungspolitische Reduktion des Parlamentarismus legitimiert. Das bavardage der dritten und vierten Republik in Frankreich mit häufigen Regierungskrisen diente als abschreckendes Bild des reinen Parlamentarismus, für den nur der gaullistische Semipräsidentialismus der Fünften Republik30 und die parteienstaatlichverhandlungsdemokratische Deutung des Parlamentarismus als Alternativen erschienen. Nicolas Roussellier31 zeigt jedoch, wie auch die dritte Republik ihre eigenständigen Stabilitätsmechanismen hatte, die in die Politik lockerer Fraktionen und ergebnisoffener Rhetorik im Plenum der Assemblée nationale 27

Vgl. Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (Berlin 1979). 28 Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit (Neuwied 1962). 29 Vgl. Gerhard Leibholz: Strukturprobleme der modernen Demokratie (Frankfurt 1974). 30 Dazu Vgl. Gwénoël Le Bradizec, René Capitant und Carl Schmitt: Crise and réforme du parlementarisme (Paris 1998). 31 N. Roussellier: Le parlement d’éloquence, a. a.O. [Anm. 8]. Vgl. Nicolas Roussellier: Deux formes de représentation politique: le citoyen et l‘individu. In: La démocratie en France. hg. von. Marc Saloun (Paris 2000) 243–331.

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eingebaut worden waren und von häufigen Regierungswechseln nicht zerstört wurden. Die Forschung der Nachkriegsjahrzehnte hat diese Bedingungen nicht mehr verstanden. Die These vom Parteienstaat behandelt Parteien, als ob sie ebenso einheitlich wie die Staaten in der Diplomatie des europäischen Gleichgewichts oder Partner auf dem Arbeitsmarkt seien. Dies wäre der Fall, wenn die Parteien dem Anspruch nach von einem als objektiv geltenden Interesse geleitet würden und diese bloß interpretierten, anstatt in offener Deliberation frei über ihr politisches Programm zu entscheiden. Dagegen steht jedoch der Einwand Max Webers, daß die an den Parlamentswahlen teilnehmenden Parteien auf »freie Werbung« basiert sind.32 Wenn ein Prozess der Deliberation über offene Fragen innerhalb der Fraktionen stattfindet, würde dies die Parteien analog etwa zu den alten schwedischen Ständen machen, die zuerst intern deliberierten, der Beschluß des riksdag aber erst als ein Kopromiß zwischen den Ständen entstand. In den Parlamentsausschüssen findet jedoch – unter Ausschluß der Öffentlichkeit – die Deliberation weitgehend unabhängig von Parteilinien statt. Wenn der finale Beschluß im Ausschuss ebenso wie im Plenum in der Regel der Gegenüberstellung von Regierung und Opposition entspricht, soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Standpunkte beider Seiten schon Resultate von Deliberationen in verschiedenen Stadien des parlamentarischen Prozesses sind. Die Abstimmungen können in diesem Sinne als letzte Sprechakte der parlamentarischen Beredsamkeit verstanden werden. Somit behält die deliberative Rhetorik konzeptuell die Oberhand über die Parteienverhandlungen. Dies verweist auf einen weiteren Typus rhetorischer Studien, nämlich auf die zur parlamentarischen Prozedur. Diese Studien enthalten Analysen einzelner prozeduraler Streitfragen im Parlament, etwa der Einführung der Diäten33 oder des geschichtlichen Verhältnisses des freien zum imperativen Mandat34, das für den Begriff des Parlamentarismus unmittelbar bedeutungsvoll ist. Die parlamentarische Prozedur selbst wird in Handbüchern und heute auch auf parlamentarischen Webseiten beschrieben. Das vielleicht berühmteste Handbuch dieser Art ist das des amerikanischen Generals Henry M. Robert aus dem Jahr 1876, Robert’s Rules of Order.35 Es gibt aber, angefangen mit Thomas Jefferson,36 zahlreiche andere Versionen, die nach den spezifischen Geschäfts-

32

Max Weber: Wahlrecht und Demokratie in Deutschland. In: Max–Weber–Studienausgabe. Bd. 1, (Tübingen 1988) 167. 33 Die deutsche Debatte dazu zusammenfassend vgl. Nikolaus Urban: Die Diätenfrage, (Tübingen 2003). 34 Vgl. Christoph Müller: Das imperative and freie Mandat (Leiden 1966). 35 Für die 1915 Edition von Robert’s Rules of Order, vgl. http://www.bartleby.com/176/ [28.11.2007]. 36 Thomas Jefferson: A Manual of Parliamentary Practice for the Use of the Senate of the United States und andere, primär US–bezogene Prozedurdokumente bzw. Handbücher sind

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ordnungen der jeweiligen Parlamente angewendet werden sollen. Diese Arten der Regelsammlungen dienen auch als Grundlage für die Redewettbewerbe im Genre »Parlamentarische Debatte«.37 Dazu kommen die klassischen Traktate zur Parlamentsprozedur. Das berühmteste unter ihnen ist der Kommentarband eines Clerks in Westminster, Thomas Erskine May, das 1844 erstmals veröffentlichte Treatise on the Law, Privileges, Proceedings and Usage of the Parliament. Es wird bis heute auf den aktuellen Stand der Prozedur gebracht38 und ist als ein öffentliches Dokument des britischen Parlaments zugäglich.39 In Frankreich hat das Werk Eugène Pierres, Traité de droit politique, électoral et parlementaire, mit einem dicken Supplement40 einen fast ähnlichen kanonisierten Status und wird ebenfalls regelmäßig aktualisiert41. Aus der Sicht der politischen Rolle der Prozedur für eine parlamentarische Regierungsform sind ältere Monographien wie Jeremy Bentham’s Political Tactics42 und Pierres De la procédure parlementaire43 noch durchaus lesenswert. Gerade dort erscheint das rhetorische Ideal des Redens pro et contra deutlicher als in den juristischen Handbüchern, aus denen man mit detaillierter Lektüre jedoch auch die konstitutive Rolle der deliberativen Rhetorik für Parlamente entnehmen kann. Schriften zur Geschichte der Prozeduren des Parlaments sind ein weiteres Genre, das sowohl die rhetorischen Ursprünge und den Wandel ihrer Formen aus der Sicht des Parlamentarismus beleuchtet. Hier ist das Opus magnum immer noch Josef Redlichs Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus.44 In seiner Betrachtung des Parlamentarismus spricht er nirgends von der Rhetorik oder Beredsamkeit. Trotzdem sind die prozeduralen Prinzipien des Parlamentarismus, wie Redlich sie in ihren Ursprüngen und Verwandlungen analysiert, eng mit dem rhetorischen Prinzip der Rede und Widerrede verbunden. Dadurch wird zugleich verständlich, daß etwa die Verkürzung der Redezeit und andere prozedurale Reformen des neunzehnten Jahrhunderts die Rechte einzelner Abgeordneten reduzierten, und nicht bloß Mittel gegen die irische Obstruk-

auf der Webseite http://www.rulesonline.com/start.html#parliamentary_procedure_websites. htm (28.11.2007) enthalten. 37 Deutschsprachige Debattenregeln und -wettbewerbe findet man z. B. auf der Webseite des Streitkultur e.V., http://www.streitkultur.net/content/view/21/42/ (28.11.2007). 38 Vgl. Donald Limon und W.R. McKay (Hg.): Erskine May’s Treatise on the Law, Privileges, Proceedings and Usage of the Parliament (London 1997). 39 Vgl. http://www.parliament.uk/glossary/glossary.cfm?ref=parliam_892 40 Vgl. Eugène Pierre: Traité de droit politique, électoral et parlementaire (Paris 1902); Eugène Pierre: Traité de droit politique, électoral et parlementaire, Supplément (Paris 1924). 41 Eugène Pierre: Traité de droit politique, électoral et parlementaire, a. a.O. [Anm. 40] 1–2; Vgl. Eugène Pierre: Nouveaux suppléments au Traité de droit politique, électoral et parlementaire d’Eugène Pierre (Paris 1990). 42 Vgl. Jeremy Bentham, Political Tactics (Oxford 1999). 43 Eugène Pierre: De la procédure parlementaire (Paris 1887). 44 Vgl. J. Redlich: Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, a. a.O. [Anm. 10];

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tion waren. Vielmehr sind sie, wie Redlich ausführt, auch politische Schachzüge zur Stützung der Rechte der Parlamentarier, der Opposition und des Parlaments im Zeitalter ihrer Demokratisierung und der Verwandlung der Rede zum zentralen politischen Instrument jedes Parlamentariers.45 Ein faires Spiel setzt die relative Gleichheit der Chancen zur parlamentarischen Intervention unter Abgeordneten voraus. Die prozeduralen Prinzipien der Parlamente wurden, unter Hinweis auf Jürgen Habermas, auch aus der Sicht der »Öffentlichkeit«, des »räsonierenden Publikums« und der Konsensbildung analysiert.46 Dabei wird der rhetorische, auf den Streit pro et contra bezogene Charakter der parlamentarischen Prozedur verkannt. Erst neuerdings haben im Anschluß an Quentin Skinners Umwertung der rhetorischen Kultur der Renaissance entstandene Studien zu parlamentarischen Praktiken und Prozeduren im frühneuzeitlichen England47 die Verbindung der parlamentarischen Prozedur zu zeitgenössischen rhetorischen Handbüchern wiederhergestellt. Der von J.H. Hexter herausgegebene Band Parliament and Liberty48 verweist auf die Rolle des Freiheitsbegriffs für das Verständnis der politischen Bedeutung des Parlaments. Freie Wahlen, Redefreiheit und Immunität der Abgeordneten erscheinen, wie schon bei Redlich, als entscheidend für die Macht des Parlaments und die damit verbundene prozedurale Autonomie. Das freie Mandat war in England schon im Mittelalter selbstverständlich geworden, und gerade dadurch unterschied sich das Parlament von ständischen Versammlungen.49 Die Bedeutung des Freiheitsbegriffs in der Unterscheidung von deliberativen Parlamenten und auf Verhandlungen basierten ständischen oder korporativen Versammlungen ist für den Parlamentarismus entscheidend. Das freie Mandat der Abgeordneten verweist auf die individuelle Basis der parlamentarischen Deliberationen und Abstimmungen.50 Die Abgeordneten treten in Debatten wie auch in Abstimmungen primär als Individuen auf: Verhandlungen zwischen Parteien sind ein Hilfsmittel, um die Anwendung der Prozedur auf politisch wesentliche Punkte zu konzentrieren. Die Parlamentarier entscheiden letztlich individuell über Fragen wie oder ob sie in einer aktuellen Frage mit der Fraktion stimmen, ob sie in der Debatte gegen die Mehrheitsmeinung reden, ihr aber in

45

J. Redlich: Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, a. a.O. [Anm. 10] 93–

251. 46

Vgl. z. B. Wilhelm Hofmann: Repräsentative Diskurse (Baden–Baden 1995). Vgl. Peter Mack: Elizabethan Rhetoric. Theory and Practice (Cambridge 2002); David Colglough: Freedom of Speech in Early Stuart England (Cambridge 2005). 48 Vgl. Jack H. Hexter (Hg.): Parliament and Liberty (Princeton 1992). 49 Vgl. C. Müller: Das imperative and freie Mandat, a. a.O. [Anm. 34]; Gaines Post: Plena potestas and Consent in Medieval Assemblies. In: Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung, hg. von Helmut Rausch (Darmstadt 1974). 50 Max Weber hebt dies beim Wahlakt hervor, vgl. Max Weber: Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, a. a.O. [Anm. 32] 167. 47

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der Abstimmung folgen, oder ob sie diese, gegebenenfalls einen Bruch mit der Fraktion in Kauf nehmend, bis zur Abstimmung ablehnen. Der »Individualismus« des freien Mandats und der deliberativen Rhetorik sind für den parlamentarischen Politikstil unverzichtbar. Gerade hier lagen die zentrale Angriffspunkte antiparlamentarischer »Bewegungen« von rechts und links,51 und auch die modernen Parteiapparate sehen in der freien Deliberation der Abgeordneten oft einen Störfaktor für das reibungslose Funktionieren des »parlamentarischen Systems«. Gerade deswegen ist die Erweiterung des Begriffs Parlamentarismus zu einer rhetorischen Politik und die Aufwertung des Parlamentarismus als Politikstil von entscheidender Bedeutung.

V. Die Begriffsgeschichte des Parlamentarismus zu untersuchen und sie mit der Regierungsform, den rhetorischen Praktiken und prozeduralen Prinzipien zu verbinden, ist eine weitere Schicht des Begriffs, die nicht nur in den gängigen politologisch-juristischen Studien zum Parlamentarismus, sondern auch in den Geschichtlichen Grundbegriffen fast vernachlässigt wurde.52 Die begriffsgeschichtliche Erweiterung des Parlamentarismus verweist auf das begriffliche Selbstverständnis der Eigenart des Parlamentarismus, das sowohl einen historischen Wandel als auch eine beachtenswerte Kontinuität zeigt. Die Historiographie des englischen Parlamentarismus hat begriffsgeschichtliche Dimensionen des Ursprungs des Parlamentarismus studiert.53 Darüber hinaus kann man den Parlamentarismus mit der Dimension des historisch begrifflichen Selbstverständnisses der Akteure verbinden. Neben dem Parlamentarismus kann man nach anderen »parlamentarischen Begriffen« fragen und über die Möglichkeit einer »Parlamentarisierung der Begriffe« spekulieren. Wer den Ausdruck Parlamentarismus geprägt hat, und wie sich die europäischen Sprachen in dieser Beziehung unterscheiden, hat niemand im Detail untersucht. Wie bei vielen anderen Begriffen, scheint es so zu sein, daß auch der 51

Zum Antiparlamentarismus der französischen Rechten von Boulanger bis LePen vgl. Tuula Vaarakallio: Rotten to the Core. Variations of French Nationalist Anti–System Rhetoric (Diss. Universität Jyväskylä, 2004); zum Weimarer Antiparlamentarismus vgl. Thomas Mergel: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, a. a.O. [Anm. 14]. 52 Hans Boldt’s Beitrag: Parlament, parlamentarische Regierung. Parlamentarismus. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 4, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Stuttgart 1984) 649–676 bleibt fast völlig auf der Regierungsebene. 53 Vgl. für England die unterschiedlichen Perspektiven bei Kurt Kluxen: Geschichte und Problematik des Parlamentarismus (Frankfurt 1983); Denis Baranger: Parlementarisme des origines: essai sur les conditions de formation d’un exécutif responsable en Angleterre, des années 1740 au début de l’âge victorien (Paris 1999); Tapani Turkka: The Origins of Parliamentarism. A Study of Sandys’ Motion (Baden–Baden 2007).

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Parlamentarismus zuerst als Schimpfwort benutzt, schon bald nach seiner Prägung aber rhetorisch aufgewertet wurde. Victor Hugo hat einen prominenten Kandidaten für den Erfinder von parlementarisme, und zwar als Schimpfwort für allzu viel bavardage vorgeschlagen, nämlich Louis Bonaparte, den Präsidenten der zweiten französischen Republik. In dem nach dem Staatsstreich im Exil geschriebenen Buch Napoléon le Petit wertet Hugo den Parlamentarismus auf, indem er für Louis Bonaparte wegen dieser Begriffsprägung eine Mitgliedschaft in der Académie française vorschlägt.54 Die Absonderung zuerst des englischen Parlaments von ständischen und städtischen Versammlungen schlug sich in einem eigenständigen Vokabular nieder, das sich auf die Praktiken und Techniken der parlamentarischen Prozedur bezieht.55 Schon früh sind termini technici wie etwa petition, bill, motion, plenum, committee, session, sitting oder speaker entstanden, durch die das Parlament seine Singularität auszeichnete. Später sind für spezifische parlamentarische Zwecke weitere Ausdrücke entstanden, im neunzehnten Jahrhundert etwa die obstruction und die gegen sie eingeführten Prozeduren der clotûre und guillotine. Die Neologismen der parlamentarischen Sprache sind nie in einer komparativen, sowohl Sprachen als auch Parlamente vergleichenden Perspektive analysiert worden. Politisch bedeutsamer ist das Verhältnis parlamentarischer Begriffe – und Parlamentsnamen – zur politischen Theorie der Repräsentation und Deliberation. Neben diesen beiden kann man etwa Begriffe wie Versammlung, Wahl(en), Wahlrecht, Abstimmung, Mandat, Debatte oder Mißtrauensvotum in ihrem Verhältnis zum Parlamentarismus behandeln. Gerade mit diesen Begriffen könnte man anhand innerparlamentarischer Debatten langfristige und vergleichende Studien unternehmen. Außer Repräsentation56 und Parlament haben diese Begriffe in den Geschichtlichen Grundbegriffen keinen eigenen Artikel erhalten. Im Kontext des Parlamentarismus zeigt – gerade im Zusammenhang mit Mandat, Wahlen, Reden und parlamentarischer Immunität – das schon erwähnte Freiheitsvokabular eine erstrangige begriffsgeschichtliche Kontinuität. Man kann jedoch zugleich die Wandlungen in der Interpretation und Bewertung dieser Begriffe, Angriffe auf sie sowie unterschiedliche Urteile über ihre Bedeutung für den Parlamentarismus im Detail analysieren. Das parlamentarische Paradigma zur Behandlung der Streitigkeiten besteht darin, jedem im Parlament zu behandelnden Vorschlag die Chance zu geben, in der Diskussion ernst genommen und dementsprechend mit Gegenvorschlägen

54

Victor Hugo: Napoléon le Petit (Arles 2007) 273–278 Vgl. J. Redlich: Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus, a. a.O. [Anm. 10]; Donald Limon und W.R. McKay (hg.): Erskine May’s Treatise on the Law, Privileges, Proceedings and Usage of the Parliament, a. a.O. [Anm. 36]. 56 Adalbert Podlech: Repräsentation. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 5, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Stuttgart 1984) 509–548. 55

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konfrontiert zu werden, damit eine faire Beurteilung von und eine Entscheidung zwischen Alternativen möglich wird. Dem parlamentarischen Paradigma einer deliberativ-rhetorischen Erkenntnistheorie gemäß ist eine faire und gründliche Beurteilung eines Vorschlags nur durch die Gegenüberstellung mit denkbaren Alternativen möglich. Max Weber hat dieses parlamentarische Paradigma in seinem Objektivitätsaufsatz57 auf akademische Streitigkeiten angewendet. Man kann das parlamentarische Paradigma auch mit Reinhart Kosellecks Distinktion zwischen asymmetrischen und symmetrischen Gegenbegriffen thematisieren. Kosellecks Pointe liegt in der Formalisierung der Gegensätze zu einem »Raster möglicher Antithesen, ohne diese selbst zu benennen«, um »rein symmetrische Gegenbegriffe« zu ermöglichen, die von beiden Seiten gegenläufig verwendbar sind.58 Dies entspricht dem parlamentarischen Paradigma in der Begriffsbildung. Mit anderen Worten, die parlamentarische Prozedur des Redens pro et contra enthält eine Chance, die in der parlamentarischen Debatte enthaltenen Begriffe zu formalisieren. Dadurch werden Begriffe gleichzeitig für ihre Befürworter und Gegner verwendbar, und die Kontroversen verschieben sich auf die Interpretationen dieser Begriffe. Die politischen Streitigkeiten um die Interpretationen sollen durch die Prozedur der Anwendung derselben Begriffe bzw. der symmetrischen Gegenbegriffe nicht vermindert werden. Die »Parlamentarisierung der Begriffe« besteht in dem Vorgang, die im Parlament zu behandelnden Begriffe soweit zu formalisieren, daß sie das parlamentarische Prinzip der gegenseitigen Überredungschancen respektieren und durch die normative Färbung der Ausdrücke nicht als verletzend oder diskriminierend empfunden werden. Die Parlamentarisierung der Begriffe besteht also in der Chance, asymmetrische in symmetrische Gegenbegriffe zu verwandeln. Darauf kann das Verbot der »unparlamentarischen Sprache« zurückgeführt werden: Alle Ausdrücke, die das Parlament und die Parlamentarier verhöhnen, können vom Parlamentspräsidenten sanktioniert werden.59 Die Parlamentarier können aber Umwege benutzen, und eine provokative Verwendung von asymmetrischen Gegenbegriffen kann auch als denkbarer Versuch gedeutet werden, etwa implizit vorliegende

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Max Weber: Die Objektivität der sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen Erkenntnis. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1 (1904) 23–87. Zu Webers parlamentarischer Erkenntnistheorie vgl. Kari Palonen: Max Weber, Parliamentarism and the Rhetorical Culture of Politics. In: Max Weber Studies 4 (2004) 273–292. 58 Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft (Frankfurt 1979) 258. Daß Koselleck dies gerade auf Carl Schmitts berühmt-berüchtigte Freund-Feind-Unterscheidung in Der Begriff des Politischen (Berlin 1932) zurückführt, ist in diesem Kontext, gerade für die Thematisierung des Parlamentarismus, irreführend. 59 Zur Diskussion der »unparlamentarischen Sprache« vgl. z. B. Cornelia Ilie: Unparliamentary language: Insults as cognitive forms of confrontation. In: Language and ideology, Vol. II: Descriptive cognitive approaches, hg. von. René Dirven, Roslyn M. Frank, and Cornelia Ilie (Amsterdam 2001) 235–263.

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Asymmetrien offen zu legen oder mit einem asymmetrisch verwendeten Begriff ein neues Thema in die Agenda zu setzen. Erst im Laufe der Zeit lassen sich solche Begriffsverwendungen formalisieren und parlamentarisieren. Von einer Parlamentarisierung der Begriffe kann man jedoch auch außerhalb des Parlaments sprechen. Das Parlament bildet das Paradigma eines fairen Spiels der Begriffe, und insofern kann man in jedem Versuch, asymmetrische Begriffe durch eine Formalisierung insoweit zu neutralisieren, daß die jeweiligen Gegenbegriffe für beide Seiten anwendbar sind, eine Parlamentarisierung der Begriffe entdecken. Dazu gehört eben die Möglichkeit, über den Inhalt der Begriffe zu streiten.

VI. Meine Erweiterung und Historisierung des Begriffs Parlamentarismus verweist darauf, daß für die Bestimmung der Eigenart eines parlamentarischen Politikstils und einer parlamentarischen politischen Kultur die Regierungsform nicht genügt. Eine Regierungsform, in der die deliberative Prozedur und die rhetorischen Praktiken im Parlament auf ein Minimum reduziert werden, entspricht keiner parlamentarischen politischen Kultur. Ebensowenig bieten präsidentiale oder konstitutionalistische Regierungsformen eine echte Chance für eine parlamentarische politische Kultur, da die Oberhand der Regierung über das Parlament bis in die Prozedur reicht. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die Prozedur in parlamentarischer Richtung zu verändern, wie dies bis zu einem gewissen Grade in Finnland zwischen 1982 und 2000 geschah. Eine strikt deliberative parlamentarische Prozedur und eine parlamentarische Regierungsform reichen auch nicht, wenn keine breitere rhetorische politische Kultur vorliegt. Das Problem der dritten französischen Republik bestand eben darin, daß die rhetorische Kultur nicht über die Regierungsbildung hinaus erweitert wurde. Der napoleonische Zentralismus des Beamtenstaats lag unter keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. Vielmehr ermöglichten kurzlebige Regierungen es dem Beamtenapparat, die Fäden des Staatsapparats in der Hand zu behalten und sein Wissensmonopol – Sachwissen, Dienstwissen und Geheimwissen im Sinne Max Webers60 – gegen die Kontrollversuche sowohl des Parlaments als auch der Regierung durchzusetzen. Die parlamentarische Kontrolle des Beamtentums ist somit unter Umständen noch wichtiger für die politische Kultur als die formale Abhängigkeit der Regierung von der Parlamentsmehrheit. Trotzdem bildet eine im Detail ausgeformte parlamentarische Prozedur des Redens pro et contra in allen Stadien des parlamentarischen Prozesses eine not60

Max Weber: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. In: Max–Weber– Studienausgabe. Bd. 1, (Tübingen 1988) 236–238.

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wendige Voraussetzung für eine deliberative politische Kultur. Ohne eine derartige Prozedur kann auch eine aktive rhetorische politische Kultur leicht eine politisch zahnlose Schönrederei bleiben. Die parlamentarische Prozedur allein garantiert zwar keine aktive rhetorische politische Kultur, aber diese kann sie als Modell für die politische Praxis in Vereinigungen und Gremien außerhalb des Parlaments nehmen. Ohne eine Verbindung zu einer Prozedur des Redens pro et contra können sowohl die technischen als auch die politischen Begriffe des Parlamentarismus leere Instrumente bleiben. Nur mit dem prozeduralen Paradigma der deliberativen Rhetorik gibt es Chancen für eine Parlamentarisierung der Begriffe. Die Schlüsselstellung der parlamentarischen Prozedur des Redens pro et contra liefert die sowohl konzeptuelle als auch die historische Verbindung zwischen Rhetorik und Parlamentarismus. Ohne das rhetorisches Prinzip, alle Fragen aus entgegengesetzten Standpunkten zu beurteilen, gibt es keinen parlamentarischen Politikstil. Diese kann aber seinerseits ein gegenüber den antiken Sophisten neues, neuzeitliches Paradigma für eine rhetorische Erkenntnistheorie liefern. In diesem Sinne liefert der parlamentarische Politikstil ein Modell für eine rhetorische politische Kultur, in der Streit und Kontroverse aufgewertet werden.

Begriffsgeschichte und Problemgeschichte

Carlos Spoerhase

Dramatisierungen und Entdramatisierungen der Problemgeschichte

I. Der bereits vollzogene oder doch nahende Abschluß der voluminösen begriffshistorischen Lexikonprojekte wie die Geschichtlichen Grundbegriffe, das Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich, das Historische Wörterbuch der Philosophie oder das Historische Wörterbuch der Rhetorik hat erste elegische Rückblicke auf sich gezogen; die großen lexikographischen Vorhaben werden als Monumente der Geisteswissenschaften mit den ägyptischen Pyramiden verglichen, die nur noch steinern und erratisch von einer kaum mehr verständlichen Vorzeit Zeugnis ablegen.1 Dieser Abgesang, der den Abschluß auch als Ende wahrnehmen will, verkennt, daß die Begriffsgeschichte ein dynamisches Forschungsfeld geblieben ist, das sich mittlerweile in divergierende Forschungsstränge diversifiziert hat.2 In jüngerer Zeit werden neben der reflektierten Fortführung der Begriffsgeschichte als einer eigenständigen kulturhistorischen Methode3 u. a. folgende Forschungslinien verfolgt: die wissenschaftshistorische Aufarbeitung der Begriffsgeschichte4 und die Erweiterung und Umgestaltung

Hans-Ulrich Gumbrecht: Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte (Paderborn 2006). Vgl. Carsten Dutt: Postmoderne Zukunftsmüdigkeit. Hans Ulrich Gumbrecht verabschiedet die Begriffsgeschichte. In: Zeitschrift für Ideengeschichte [ZfI] 1:1 (2007) 118–122. Hans Ulrich Gumbrecht: (Un)dankbare Generationen. Eine Replik auf Carsten Dutt. In: ZfI 1:3 (2007) 122–124. Carsten Dutt: Keine Frage des Alters. Eine Duplik. In: ZfI 1:3 (2007) 125–127. 2 Vgl. für einen ersten Überblick Iain Hampsher-Monk, Karin Tilmans und Frank van Vree (Hg.): History of Concepts. Comparative Perspectives (Amsterdam 1998); Gunter Scholtz (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte. AfB, Sonderheft (Hamburg 2000); Hans Erich Bödecker (Hg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 14 (Göttingen 2002); Carsten Dutt (Hg.): Herausforderungen der Begriffsgeschichte (Heidelberg 2003); Ernst Müller (Hg.): Begriffsgeschichte im Umbruch (AfB, Sonderheft (Hamburg 2004). 3 Helmut C. Jacobs und Gisela Schlüter (Hg.): Beiträge zur Begriffsgeschichte der italienischen Aufklärung im europäischen Kontext (Frankfurt a. M. 2000). 4 Winfried Schröder: Was heißt »Geschichte eines philosophischen Begriffs«? In: G. Scholtz (Hg.): Die Interdisziplinarität, a. a.O. [Anm. 2] 159–172. Helmut Hühn: Unterscheidungswissen. Begriffsexplikation und Begriffsgeschichte. In: Begriffe, Metaphern und kontrafaktische 1

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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der Begriffsgeschichte in Auseinandersetzung mit komplementären und konkurrierenden Programmen, wie der Diskursgeschichte,5 der Metapherngeschichte,6 der Historischen Semantik7 oder dem Explikationsprogramm.8 Auch die Problemgeschichte wird immer wieder als eine kulturhistorische Perspektive genannt, die komplementär oder konkurrierend zur Begriffsgeschichte verfolgt werden kann.9 Im Rahmen dieser kurzen Überlegungen möchte ich untersuchen, inwiefern sich die Berücksichtigung der Problemgeschichte für programmatische Erweiterungen bzw. Umgestaltungen der Begriffsgeschichte als hilfreich erweist. Dazu möchte ich in einem ersten Schritt einige prominente problemhistorische Ansätze vorstellen, die in Diskussionen zur Philosophiegeschichte und Literaturhistorie immer wieder herangezogen werden. In einem zweiten Schritt möchte ich präzisieren, welche Formen von Problemgeschichte ich in der Gegenwart für erfolgversprechend halte – vor allem aus der Perspektive der Philologie.

Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, hg. von Lutz Danneberg, Carlos Spoerhase, Dirk Werle (Wiesbaden 2008, in Vorbereitung). 5 Dietrich Busse, Fritz Hermanns und Wolfgang Teubert: Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik (Opladen 1994). Vgl. auch Ingo H. Warnke (Hg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände (Berlin und New York 2007). 6 Ralf Konersmann (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern (Darmstadt 2007); Anselm Haverkamp, Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs. (München 2007). Anselm Haverkamp und Dirk Mende (Hg.): Zur Praxis von Theorie. Hans Blumenbergs Metaphorologie (Frankfurt a. M. 2008, in Vorbereitung). 7 Gerd Fritz: Historische Semantik. 2. Aufl. (Stuttgart und Weimar 2006). Vgl. auch Christian Kiening: Gegenwärtigkeit. Historische Semantik und mittelalterliche Literatur. In: Scientia Poetica 10 (2006) 19–46. Manuel Braun: Historische Semantik als textanalytisches Mehrebenenmodell. Ein Konzept und seine Erprobung an der mittelalterlichen Erzählung Frauentreue. In: Scientia Poetica 10 (2006) 47–65. Dominik Brückner: Zum Begriffsbegriff der Begriffsgeschichte. Fragen eines Lexikologen an die Begriffsgeschichte. In: Scientia Poetica 10 (2006) 66–100. Dietrich Busse: Text – Sprache – Wissen. Perspektiven einer linguistischen Epistemologie als Beitrag zur historischen Semantik. In: Scientia Poetica 10 (2006) 101–137. Franz Lebsanft: Linguistische Begriffsgeschichte als Rephilologisierung der historischen Semantik. In: Scientia Poetica 10 (2006) 138–168. 8 Tom Kindt, Hans-Harald Müller: The implied author: concept and controversy. Narratologia, Bd. 9 (Berlin, New York 2006). 9 Dirk Werle: Modelle einer literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 50 (2006) 478–498. Clemens Knobloch: Problemgeschichte und Begriffsgeschichte. In: A Science in the Making, hg. von Herbert E. Brekle, Edeltraud DobnigJülich, Helmut Weiß (Münster 1996) 259–273.

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II. Innerhalb der historischen Forschung lassen sich unterschiedliche Stränge problemgeschichtlichen Fragens unterscheiden.10 Häufig wurde bisher eine philosophische Problemgeschichte von einer literaturwissenschaftlichen unterschieden. Als profilierteste Formen problemhistorischen Forschens wurden für den deutschsprachigen Raum eine in der Tradition des Neukantianismus stehende Philosophiehistorie benannt,11 die ausgehend von den philosophiehistorischen Arbeiten vor allem Wilhelm Windelbands12 und in steter Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Historismus die Philosophiegeschichte als historische Abfolge von Lösungsversuchen begreift, die alle auf ahistorische philosophische Probleme reagieren.13 Am versiertesten wurde diese problemhistorische Perspektive vermutlich von Nicolai Hartmann expliziert.14 Laut

Vgl. historische Darstellungen der Problemgeschichte bei Lutz Geldsetzer, Wolfgang Hübener und Simone Haubold: Problemgeschichte [Art.]. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Bd. 7 (Basel 1989) Sp. 1410–1417; Helmut Holzhey: Problem [Art.]. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Bd. 7 (Basel 1989) Sp. 1397–1408. Vgl. auch Problem [Art.]. In: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 2 (Berlin 41929), 498–500. Michael Hänel: Problemgeschichte als Forschung: Die Erbschaft des Neukantianismus. In: Das Problem der Problemgeschichte 1880-1932, hg. von Otto Gerhard Oexle (Göttingen 2001) 85–127. Rainer A. Bast: Problem, Geschichte, Form. Das Verhältnis von Philosophie und Geschichte bei Ernst Cassirer im historischen Kontext (Berlin 2000) 135–200 (vgl. auch ebd. die Überlegungen zu Verbindungslinien zwischen Problemgeschichte und Konstellationsforschung, 457–462). Roger Hofer: Gegenstand und Methode. Untersuchungen zur frühen Wissenschaftslehre Emil Lasks (Würzburg 1997) 28–62. Vgl. systematische Darstellungen zur Problemgeschichte bei Jorge J. E. Gracia: Philosophy and its History. Issues in Philosophical Historiography (Albany 1992) 268–273. 11 Vgl. zu alternativen problemhistorischen Ansätzen, unter anderem von Hermann Cohen, Paul Natorp, Heinrich Rickert, Richard Hönigswald, Max Weber, Ernst Cassirer, Otto Gerhard Oexle: Max Weber – Geschichte als Problemgeschichte. In: Das Problem der Problemgeschichte 1880-1932, hg. von Otto Gerhard Oexle (Göttingen 2001) 9–37. M. Hänel: Problemgeschichte als Forschung, a. a.O. [Anm. 10]. 12 Vgl. zu Wilhelm Windelband Matthias Kemper: Geltung und Problem. Theorie und Geschichte im Kontext des Bildungsgedankens bei Wilhelm Windelband (Würzburg 2006) 120– 125. 13 Kurt Flasch, der einen radikalen Historismus vertritt, kann der Problemgeschichte deshalb nichts abgewinnen; vgl. Kurt Flasch: Wahrheit und philosophiehistorische Methode im Blick auf Hans-Georg Gadamer In: ders: Historische Philosophie. Beschreibung einer Denkart (Frankfurt a. M. 2003) 274–285, hier 282–285. 14 Nicolai Hartmann: Zur Methode der Philosophiegeschichte (1909). In: ders.: Kleinere Schriften, Bd. 3, (Berlin 1958) 1–22. Nicolai Hartmann: Der philosophische Gedanke und seine Geschichte (1936). In: Kleinere Schriften, Bd. 2 (Berlin 1957) 1–48. Vgl. zu Nicolai Hartmann: Sümeh Huang: Problemgeschichte der Philosophie im Sinne Nicolai Hartmanns. Diss. Phil. Fak. Bonn 1977 (Bonn 1979). Vgl. eine Fortführung der Problemgeschichte bei Alois Wenzel: Problemgeschichte als Einführung in die Philosophie. Nach Vorlesungen von Alois Wenzel bearbeitet und zusammengefaßt von Josef Hanslmeier. München 1950 (wobei für Wenzel die Problemkreise der Problemgeschichte fast deckungsgleich mit den philosophischen Teildisziplinen 10

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Hartmann sind die unterschiedlichen philosophischen Positionen im Rahmen einer problemorientierten Philosophiegeschichtsschreibung als Versuche einer Lösung von etablierten philosophischen Problemen zu rekonstruieren.15 Dem Historiker gehe es um die Rekonstruktion der »Problemgehalte« philosophischer Entwürfe, wobei die »Problemgehalte« den Schöpfern dieser Entwürfe nicht als solche gegenwärtig gewesen sein müssen.16 Hartmanns Konzeption einer Philosophiegeschichte, die nicht an »Systemen«, sondern an »Problemen« ausgerichtet ist, gewinnt ihre spezifische Plausibilität nicht nur als eine gegen den Historismus gerichtete historiographische Methodologie; ihre Plausibilität bezieht sie, darauf hat bereits Helmuth Plessner hingewiesen,17 gerade auch aus der allgemeinen Hintergrundannahme, daß ein Denken in Systemen keine erfolgversprechende Form des Philosophierens ist.18 Die Ablehnung »der Systemform philosophischen Denkens«,19 die Position, daß philosophisches Denken sich vielmehr an Problemen zu orientieren und abzuarbeiten habe, gewinnt gerade in dem Moment, als Hartmann seinen ersten Aufsatz über Problemgeschichte schreibt, nicht nur in Deutschland (etwa bei Ernst Cassirer oder Georg Simmel)20 deutlich an Konjunktur: Ähnliches ließe sich für den englischsprachigen Raum bei G. E. Moore,21 William James22 und Bertrand Russell23 verzeichnen24

Metaphysik, Philosophie des Geistes bzw. philosophische Psychologie, Erkenntnistheorie, Religionsphilosophie und Ethik sind). 15 N. Hartmann: Zur Methode, a. a.O. [Anm. 14] 16. 16 N. Hartmann: Der philosophische Gedanke, a. a.O. [Anm. 14] 5. 17 Helmuth Pleßner [sic]: Offene Problemgeschichte. In: Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, hg. von Heinz Heimsoeth und Robert Heiß (Göttingen 1952), 97-104, hier 100-101. 18 N. Hartmann: Der philosophische Gedanke, a. a.O. [Anm. 14] 3. Diese Perspektive, die »Problem« und »System« entgegensetzt, findet sich z. B. bei Teichmüller nicht, für den Probleme nicht »aus dem ganzen der Systeme« herausgelöst werden dürfen; vgl. Gustav Teichmüller: Studien zur Geschichte der Begriffe (Berlin 1874) IV. 19 H. Pleßner: Offene Problemgeschichte, a. a.O [Anm. 17] 100. 20 Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 1 (Berlin 1906). Georg Simmel: Die Probleme der Geschichtsphilosophie (Leipzig 1892, 1905, 1907), Georg Simmel: Hauptprobleme der Philosophie (Leipzig 1910). Vgl. auch die Verwendung der Problembegriffs in Ernst Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (z.T. 1908-1910) (Tübingen 1912). 21 G. E. Moore: Some Main Problems of Philosophy (1910–1911) (London 1953). 22 William James: Some Problems of Philosophy. A beginning of an introduction to philosophy (London 1911). 23 Bertrand Russell: The Problems of Philosophy (London 1912). 24 Vgl. erste allgemeine Überlegungen dazu bei Ian Hacking: Five Parables (1984). In: ders.: Historical Ontology (Cambridge, Mass. 2002), 27–50. Ian Hacking: Two Kinds of New Historicism (1989/1990). In: ders.: Historical Ontology (Cambridge, Mass. 2002) 51–72. Vgl. auch die (das Vorangehende aufnehmenden) Überlegungen zum Verhältnis von Begriffsgeschichte und Problemgeschichte bei Ian Hacking: Vom Gedächtnis der Begriffe. In: Was ist ein ›philosophisches‹ Problem?, hg. von Joachim Schulte und Uwe Justus Wenzel (Frankfurt a. M. 2001) 72–86.

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und für Frankreich, wo Henri Bergson oder Gaston Bachelard früh als programmatische Problemdenker wahrgenommen wurden.25 Die Hintergrundannahme, daß ein Denken in Systemen nicht fruchtbar sei, wird auch von R. G. Collingwood geteilt, der für den englischsprachigen Raum als der profilierteste Vertreter problemhistorischen Forschens zu nennen ist;26 Hans-Georg Gadamers Hinweisen ist es sicherlich zu verdanken, daß Collingwoods Position auch immer wieder in der deutschsprachigen Diskussion erwähnt wurde.27 Collingwood, der zunächst in der Tradition des britischen und italienischen Idealismus stand,28 entwickelt eine autonome historiographische Methodenlehre, die von den Methodenlehren der Naturwissenschaften vollkommen unabhängig sein will. Bekannt geworden ist diese Methodenlehre unter dem von Collingwood selbst geprägten Stichwort einer Frage-und-Antwort-Logik (»logic of question and answer«),29 die sich der Untersuchung von historischen Frageund-Antwort-Zusammenhängen (»question-and-answer complex«)30 widmet. Collingwood hatte anfangs in seiner Methodenlehre postuliert, daß es so etwas wie objektive historische »Daten« nicht gebe, und gegen eine empiristische

25 Vgl. Elie During: ›A History of Problems‹: Bergson and the French Epistemological Tradition. In: Journal of the British Society for Phenomenology 35: 1 (2004), 4–23. Vgl. für den französischen Kontext auch Émile Bréhier: La notion de problème en philosophie (1948). In: ders.: Études des philosophie antique (Paris 1955) 10–16. Bréhier unterscheidet »problème« und »métaproblématique«, wobei die »métaproblématique« als die epistemische Situation beschrieben wird, die erst dafür sorgt, daß sich ein bestimmtes Problem in seiner Spezifik stellt. Interessant wäre aus dieser Perspektive nicht in erster Linie die Geschichte der Probleme selbst, sondern eine Geschichte, die erklärt, welche historischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit etwas als ein Problem wahrgenommen wird. 26 Vgl. die neueren Studien von Guiseppina D’Oro: Collingwood and the Metaphysics of Experience. (London 2002) und James Connelly: Metaphysics, Method, and Politics: The Political Philosophy of R. G. Collingwood (Exeter 2003). 27 Die Methodenlehre des späten Collingwood läßt sich also durchaus, wie Gadamer vorschlägt, als Kritik der Problemgeschichte verstehen; vgl. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960). In: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 1 (Tübingen 1990) 357–359. Allerdings dürfte sich die methodologische Position des Historismus, von der aus Collingwood diese Kritik formuliert, kaum mit der hermeneutischen Position Gadamers vereinbaren lassen. Vgl. auch Gadamers Kritik der Problemgeschichte bei HansGeorg Gadamer: Zur Systemidee in der Philosophie. In: Festschrift für Paul Natorp zum siebzigsten Geburtstage von Schülern und Freunden gewidmet (Berlin und Leipzig 1924) 55–75. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a.O. 375–384. Hans-Georg Gadamer: Begriffsgeschichte als Philosophie (1970). In: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 2 (Tübingen 1986) 77–91. Vgl. zu Gadamers Auseinandersetzung mit der Problemgeschichte R. Bast: Problem, a. a.O. [Anm. 10] 169–200. Vgl. Überlegungen zum Verhältnis von Gadamer und Collingwood bei John P. Hogan: Hermeneutics and the Logic of Question and Answer: Collingwood and Gadamer. In: Heythrop Journal 28 (1987) 263–284. 28 R. G. Collingwood: An Autobiography (Oxford 1939), R. G. Collingwood: The Idea of History, hg. von T. M. Knox (Oxford 1946) 269–282. 29 R. G. Collingwood: An Autobiography, a. a.O. [Anm. 28] 66. 30 Ebd. 38.

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Methodologie der historischen Wissenschaften hervorgehoben, daß die Daten der historischen Forschung erst im Rahmen eines hypothesenförmigen Frageund-Antwort-Zusammenhangs ihre spezifischen Umrisse und Relevanzen erlangen. Der Hinweis darauf, daß Historiker die Daten immer aus der Perspektive eines bestimmten »Geistes« konstituieren, dieser »Geist« aber kein subjektiver, sondern ein objektiver, sei (nämlich »the historian’s mind, as the mind of the present day«),31 rückt seine »frühe« Methodenlehre der Historiographie in die Nähe eines objektiven Idealismus. In seinen späten Schriften, vor allem seiner Autobiographie, reformuliert Collingwood seine historiographische Forschungslogik als dezidiert historistische Position, die eine Anbindung an »Vorläufer« aus dem Bereich der Methodenlehre der »Naturwissenschaften« nicht mehr scheut.32 Collingwood versteht seine Position dann auch als Gegenprogramm zu einem problemhistorischen Ansatz, der davon ausgeht, daß es ahistorische Probleme (»eternal problems«)33 gebe,34 die in der Philosophiegeschichte von unterschiedlichen Denkern alternativen Lösungsansätzen zugeführt werden.35 Collingwood vertritt in seinen späten Schriften damit einen Historismus, der sich auch gegen die problemgeschichtliche Annahme von weitreichenden Problemkontinuitäten wendet: »the history of political theory is not the history of different answers given to one and the same question, but the history of a problem more or less constantly changing, whose solutions are changing with it.«36 Die Philosophiegeschichte stellt sich als eine Geschichte von Problemverschiebungen dar. Seine historistische Position, die von einem konstanten historischen Umbau der Problemlagen ausgeht, läßt Collingwood auch die Notwendigkeit einer Begriffsgeschichte erkennen.37 Die Frage-und-Antwort-Logik, der Collingwood in seinen Spätschriften eine historistische Wendung gibt,38 ist allerdings keineswegs R. G. Collingwood: The Idea of History, a. a.O. [Anm. 28] 169 (hier in kritischer Auseinandersetzung mit der Methodenlehre Rickerts). 32 Vgl. R. G. Collingwood: An Autobiography, a. a.O. [Anm. 28] 25, 30, 35, 37, 81, 124, 133 für die affirmativen Bezüge auf Bacon und Descartes. 33 Ebd. 67. 34 Vgl. auch die in jüngerer Zeit von Collingwood ausgehende Diskussion, ob es zeitübergreifende bzw. zeitunabhängige Problemhorizonte gibt bei Mark Bevir: Are there Perennial Problems in Political Theory? In: Political Studies (1994) 42, 662–675. Guido Vanheeswijck: Robin George Collingwood on Eternal Philosophical Problems. In: Dialogue 40 (2001) 555– 569. Giuseppina D’Oro: Collingwood on Philosophical Knowledge and the Enduring Nature of Philosophical Problems. In: British Journal for the History of Philosophy 12 (2004) 93–109. Vgl. auch die älteren Studien von David Boucher: The Denial of Perennial Problems: The Negative Side of Quentin Skinners Theory. In: Interpretation 12 (1984) 287–300. Eugene F. Bertoldi: Collingwood and Eternal Philosophical Problems. In: Dialogue 24 (1985) 387-397. Errol E. Harris: Collingwood on Eternal Problems. In: Philosophical Quarterly 1 (1951) 228–241. 35 R. G. Collingwood: An Autobiography, a. a.O. [Anm. 28], 58–69. 36 Ebd. 62. 37 Ebd. 63–64. 38 Robert Burns hat in jüngerer Zeit wieder auf die äußerst problematische Textkonstitu31

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auf diese Interpretation festgelegt. Je nachdem, ob die Fragen, die innerhalb des Frage-und-Antwort-Modells maßgeblich sind, die Fragen des Historikers oder die Fragen der historischen Autoren bzw. Akteure sind, kann das Frageund-Antwort-Modell entweder im Sinne eines präsentistischen Perspektivismus oder eines szientifischen Historismus ausbuchstabiert werden.39 Wie sich an den skizzierten problemgeschichtlichen Ansätzen von Hartmann und Collingwood nachvollziehen läßt, ist eine historiographische Perspektive, die ihre Gegenstände wesentlich als Problemlösungsversuche versteht, noch nicht schon von alleine auf eine historistische oder eine ahistoristische Position festgelegt: Diese Festlegung wird erst getroffen, wenn Auskunft gegeben wird über die Historizität der philosophischen Probleme und darüber, wessen Probleme für die problemhistorische Perspektive eigentlich maßgeblich sind. Man kann diesem Problem der Zuschreibbarkeit von Problemen auch ausweichen, indem man postuliert, daß das menschliche Denken im Allgemeinen und das philosophische im Besonderen immer mit den gleichen Grundproblemen, mit dem gleichen unveränderlichen Problemhorizont befaßt sei.40 Leo Strauss hat diese problemhistorisch ausgerichtete Perspektive auf die Geschichte der politischen Philosophie geworfen, und in seiner Rezension von Collingwoods The Idea of History darauf bestanden, daß sich die ideenhistorische Forschung an permanenten Fundamentalproblemen ausrichten müsse, die von dem na-

tion von The Idea of History, Collingwoods posthum veröffentlichtem Grundlagenwerk zur Geschichtstheorie, aufmerksam gemacht; Robert M. Burns: Collingwood, Bradley, and Historical Knowledge. In: History and Theory 45 (2006), 178–203. Burns weist darauf hin, daß The Idea of History theoretisch inkonsistentes Material aus Collingwoods Arbeiten zu einer Methodenlehre der Geschichtswissenschaften enthält, die im Laufe der dreißiger Jahre konzipiert wurden. Im Laufe der dreißiger Jahre verschiebe sich aber auch die Position Collingwoods merklich vom objektiven Idealismus der »critical history« zu einem Historismus der »scientific history«. In dem posthumen Werk werden jedoch beide Positionen, die sich theoretisch nicht miteinander vereinbaren lassen, nebeneinaner präsentiert. Leo Strauss hat das in seiner Rezension von The Idea of History deutlich gesehen und scharf kritisiert – allerdings ohne zu wissen, daß diese Inkonsistenzen nicht nur intrinsischen Schwierigkeiten der Collingwood’schen Position, sondern auch der problematischen Textkonstitution geschuldet sind; vgl. Leo Strauss: On Collingwood’s Philosophy of History. In: Review of Metaphysics 5 (1951/1952), 559–586). 39 Laut Burns (vgl. R. M. Burns: Collingwood, a. a.O. [Anm. 38]) läßt sich für den Zeitraum von 1935 bis 1939 für Collingwood diesbezüglich keine konsistente Position zuschreiben. Bereits Strauss hatte in seiner Rezension analysiert, daß sich Collingwood in The Idea of History darum bemüht, einen radikalen historiographischen Szientismus mit einem radikalen präsentistischen Perspektivismus zu vereinbaren (L. Strauss: On Collingwood’s Philosophy, a. a.O. [Anm. 38] 561–562); laut Strauss gelinge dies Collingwood durch einen objektiven Idealismus, der darauf hinauslaufe, daß der Historiker seine Gegenstände immer aus der Perspektive eines bestimmten »Geistes« interpretiere; dieser sei aber kein subjektiver, sondern ein objektiver, nämlich »the mind of the present day« (ebd. 565). 40 Leo Strauss: Natural Right and History (Chicago 1953) 23–24: »that all human thought, and certainly all philosophic thought is concerned with the same fundamental problems, and therefore that there exists an unchanging framework which persists in all changes of human knowledge of both facts and principles«.

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türlichen Horizont des menschlichen Denkens (»the natural horizon of human thought«) abgesteckt seien; die Frage, wer ein Problem hat, tritt hier zurück hinter die Frage, welche Probleme es gibt.41 Aus der Perspektive einer wissenschaftshistorischen Rekonstruktion der Problemgeschichte präsentiert sich hier die Klärung des Verhältnisses von Mikro- und Makrogeschichte als eine große Herausforderung. Eine Rekonstruktion dieses Verhältnisses wäre auch für die Begriffsgeschichte wichtig. Für die Problem- und Begriffsgeschichte ist nämlich häufig charakteristisch, daß sie die detaillierte historische Rekonstruktion von minimalen Transformationen auf Problem- und Begriffsebene in die historische Rekonstruktion von übergreifenden historischen Spannungsbögen (»Sattelzeit«, »Modernisierung«, »Säkularisierung«, »Nachleben«) einbettet, die von einem hohen Bedarf an historischer Kontinuität oder Diskontinuität zeugen.42 Die Frage, inwiefern Problem- und Begriffsgeschichte herangezogen werden, um historische Kontinuität oder Diskontinuität herzustellen, wäre hier ebenso zu beantworten wie die von Strauss aufgeworfene Frage, inwiefern die Plausibilität der historiographischen Methodologie der Problem- und Begriffsgeschichte auf Mikroebene abhängig von der Plausibilität der von ihr vorausgesetzten makrohistorischen Hintergrundannahmen ist.43

III. Literaturgeschichte als Problemgeschichte läßt sich rekonstruieren als die Position, »daß die künstlerischen Erscheinungen Dokumente von Bewußtsein sind, das sich in der Auseinandersetzung mit bestimmten Problemlagen konfiguriert«.44 Rudolf Unger hat die Problemgeschichte als ein eigenes literaturwissenschaftliches Forschungsprogramm begründet.45 Wie Hartmann geht Unger

41 L. Strauss: On Collingwood’s Philosophy, a. a.O. [Anm. 38] 585–586. Postulate dieser Allgemeinheit lassen sich möglicherweise aufgrund bestimmter anthropologischer oder geschichtsphilosophischer Hintergrundannahmen plausibilisieren, lassen sich dann aber unter Rückgriff auf die Untersuchungsgegenstände nicht mehr ohne weiteres widerlegen. 42 Ebd. 585–586. 43 Vgl. dazu Carlos Spoerhase: Kontinuität und Diskontinuität in der Wissensgeschichte. In: Scientia Poetica 10 (2006) 225–230. 44 Ulf Schramm: Skizze einer Literaturwissenschaft als Problemgeschichte. In: Literaturwissenschaft und Geschichtsphilosophie. Festschrift für Wilhelm Emrich, hg. von Helmut Arntzen, Bernd Balzer, Karl Pestalozzi und Rainer Wagner (Berlin und New York 1975) 59–82, hier 59. Schramms problemhistorische Perspektive ist in eine marxistische Literaturgeschichte eingebettet, die sich u. a. an Christopher Caudwell: Illusion and Reality. A Study of the Sources of Poetry (London 1937) orientiert. 45 Rudolf Unger: Literaturgeschichte und Geistesgeschichte. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 4 (1926) 177–192. Rudolf Unger: Philosophische Probleme in der neueren Literaturwissenschaft (1908). In: Gesammelte Studien, Bd. 1 (Darmstadt 1966) 1–32. Rudolf Unger: Literaturgeschichte als Problemgeschichte. Zur Frage

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von überzeitlichen und unveränderlichen Problemen aus, mit denen der Dichter als psychologisches Individuum konfrontiert werde. Literatur sei im weitesten Sinne als Lösungsversuch zu rekonstruieren, der Probleme wie das Todesproblem oder das Liebesproblem bearbeite.46 Bei den von Unger genannten Problemen handelt es sich ausdrücklich nicht um solche Probleme, die einer wissenschaftlichen oder auch nur intellektuellen Lösung zugeführt werden können, vielmehr handelt es sich um »die großen, ewigen Rätsel- und Schicksalsfragen des Daseins«.47 Die Probleme, »deren gestaltende Deutung den Kerngehalt alles Dichtens bildet«,48 sind also weitgehend Residualphänomene: Im Medium der Literatur bearbeitet der Dichter gestalterisch die metaphysischen »Problemreste«, die von den Wissenschaften als unlösbar zurückgelassen werden.49 Der Dichtung wird damit eine spezifische Kompetenz für die prinzipiell unlösbaren »elementare[n] Probleme des Menschenlebens« zugeschrieben.50 Diese Kompetenzzuweisung wurde auch in späteren problemhistorischen Ansätzen weitgehend beibehalten. So schreibt Ulf Schramm: »Kunst handelt, so sagt ein Gemeinplatz, von den ›allgemeinen Menschheitsproblemen‹: man denkt an Liebe, Tod, die Deutung des Daseins im ganzen, an Probleme des Verhaltens des Menschen zu sich selbst, zur Natur, den Mitmenschen, der Gesellschaft.«51 Noch in der ambitioniertesten Fortsetzung der literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte bei Karl Eibl wird an dieser Kompetenzzuweisung festgehalten.52 Im Unterschied zu den meist anthropologisch fundierten Annahmen seiner Vorgänger wird die literaturspezifische Funktion, ungelöste Probleme zu bearbeiten, von Eibl aber sozialhistorisch eingebettet: In Die Entstehung der Poesie führt Eibl aus, daß sich die Dichtung erst im 18. Jahrhundert bei einem bestimmten Stand gesellschaftlicher Ausdifferenzierung »als selbständiges Organon der Reflexion ungelöster Probleme« etabliere.53 Wie Dirk Werle in seiner Darstellung der literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte gezeigt hat, unterscheidet Eibl hier »poesiespezifische von poesieunspezifischen Problemen geisteshistorischer Synthese, mit besonderer Beziehung auf Wilhelm Dilthey (1924). In: Gesammelte Studien, Bd. 1 (Darmstadt 1966) 137–170. Vgl. Ralf Klausnitzer: Institutionalisierung und Modernisierung der Literaturwissenschaft seit dem 19. Jahrhundert. In: Handbuch Literaturwissenschaft, hg. von Thomas Anz. Bd. 3 (Stuttgart und Weimar 2007) 70–147, hier 91–99. 46 Vgl. den Katalog der »Menschheitsprobleme«, die in Dichtung thematisiert werden, in R. Unger: Literaturgeschichte als Problemgeschichte, a. a.O [Anm 45] 155–167. 47 Ebd. 155. 48 Ebd. 155. 49 Nicolai Hartmann: Einführung in die Philosophie. Vorlesungsnachschrift (1949). 3. Auflage (Osnabrück 1954) 206–209. 50 R. Unger: Literaturgeschichte als Problemgeschichte, a. a.O. [Anm. 45] 155. 51 U. Schramm: Skizze, a. a.O. [Anm 44] 60. 52 Vgl. Karl Eibl: Literaturgeschichte, Ideengeschichte, Gesellschaftsgeschichte – und ›Das Warum der Entwicklung‹. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 21: 2 (1996) 1–26. 53 Karl Eibl: Die Entstehung der Poesie (Frankfurt a. M. und Leipzig 1995) 30–33, 125–133, hier 126.

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und zielt mit seiner eigenen Theorie auf eine Problemgeschichte der Literatur ab, die auf literaturspezifische Probleme rekurriert, in der mithin der Literatur als Problemlösungsinstanz in einem bestimmten Zusammenhang Exklusivität zukommt.«54 Als poesiespezifische Problemdomänen werden von Eibl »Liebe«, »Tod« und »Gesellschaft« identifiziert;55 mit allen drei Domänen werden Problemlagen angesprochen, die grundsätzlich »unlösbar« sind und deshalb von Literatur bearbeitet werden. Während ein philosophisches Problem sich dadurch auszeichnet, daß es nicht gelöst ist, aber für lösbar gehalten wird, sollen das proprium der Literatur nun aber genau die Probleme sein, die sich grundsätzlich nicht lösen lassen, nämlich die »ewigen« Probleme.56 Indem literarische Texte die »ungelösten Probleme« der Welt bearbeiten, erweist sich die Poesie als Problemlösungsaktivität.57 Ohne die deutschsprachige Diskussion wahrzunehmen, haben sich Peter Lamarque und Stein Haugom Olsen in jüngerer Zeit darum bemüht, in ähnlicher Weise den Literaturbegriff an den Problembegriff zu koppeln. Für sie handelt Literatur von universellen menschlichen Belangen, vor allem von solchen, die als problematisch empfunden werden.58 Lamarque und Olsen haben diese Position detailliert ausgearbeitet. Dort, wo ein Interpretationsgegenstand als Literatur wahrgenommen werde, erwarte man von ihm die Behandlung eines Problems oder »Themas«.59 Der Interpret eines literarischen Textes unternehme deshalb immer hermeneutische Anstrengungen, das Thema eines literarischen Gegenstandes zu bestimmen.60 Wenn für literarische Werke überhaupt bereits ein Themenbezug charakteristisch sei, so hänge der spezifische Wert des literarischen Artefakts davon ab, ob dieser thematische Bezug ein »universaler« und »zeitenthobener« (perennial) oder »partikularer« und »zeitgebundener« (topical) ist.61 Die »universale Bedeutsamkeit« (universal significance) des literarischen Artefakts werde von einem universalen Themenbezug gewährleistet.62 Die »ewigen« Themen seien unausweichliche Themen,63 weil sie universale menschliche Probleme und Interessen betreffen.64

D. Werle: Modelle, a. a.O. [Anm. 9] 492; Werle macht darauf aufmerksam, daß Eibl an dem Problemkonzept seines Vorläufers vor allem kritisiert, daß Unger die poesiespezifischen von den poesieunspezifischen Problemen nicht deutlich genug scheide und deshalb einige der von ihm genannten Probleme nicht zur »Domäne der Poesie« gehörten (ebd.). 55 K. Eibl: Die Entstehung, a. a.O. [Anm. 53] 125–133. 56 Ebd. 32, 195. 57 Ebd. 30–34. 58 Peter Lamarque und Stein Haugom Olsen, Truth, Fiction, and Literature. A Philosophical Perspective (Oxford 1994) 266. 59 Ebd. 415. 60 Ebd. 426–427. 61 Ebd. 437. 62 Ebd. 24. 63 Ebd. 406. 64 Ebd. 265–266. 54

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Wie Skilleås, der den Ansatz von Lamarque und Olsen aufgreift, zusammenfaßt, betreffen diese permanenten Themen unlösbare «existenzielle und metaphysische Probleme« (existential and metaphysical problems).65 Lamarque und Olsen bieten, wie bereits Unger, einen Katalog derartiger Probleme auf: Freiheit, Determinismus, Verantwortung, Willensschwäche, Unmäßigkeit, Mitleid, Schuld, Leid, Ordnung, Reinheit, Vergebung, Wohltätigkeit, Versöhnung.66 Andere Autoren, die auf Lamarque und Olsen reagieren, nennen dagegen unter anderem Exklusion, Liebe, Tod, Kummer, Rache, Mitleid, Freiheit.67 Ein literarisches Werk als literarisches Werk beziehe sich auf »ewige« Themen,68 auf die zentralen menschlichen Belange, auf wichtige Ausschnitte der condition humaine.69 Ein literarisches Artefakt, das auf keine »ewigen«, sondern nur auf zeitgebundene Themen Bezug nehme, sei ästhetisch schwach;70 bei einem Artefakt, das sich nicht einmal auf zeitgebundene Themen beziehe, stelle sich dagegen sogar die Frage, ob es sich überhaupt um Literatur handle.71 Einen Interpretationsgegenstand als ein literarisches Artefakt zu identifizieren, sei im Grunde nichts anderes, als zu erkennen, daß er sich auf ein »Menschheitsthema« beziehe.72 Deutlich wird hier, daß Lamarque und Olsen eine inhaltsorientierte Ästhetik vertreten, die das literarische Werk als ein Artefakt begreift, das universale Probleme im Medium der imaginativen Rede bearbeitet. Literatur bearbeitet das sujet noble.73 Daß die Unterscheidung von »zeitenthobenen« und »zeitgebundenen« Themen, die für Lamarques und Olsens problemzentrierte Literaturkonzeption maßgeblich ist, möglicherweise aufgrund der Historizität auch der »zeitenthobenen« Themen nicht plausibel sein könnte, wird von Lamarque und Olsen durch eine stipulativ anmutende Definition von »Problem«

Ole Martin Skilleås: Anachronistic Themes and Literary Value. The Tempest. In: British Journal of Aesthetics 31 (1991) 122–133, hier 128–129. Kritik an dieser Konzeption unter anderem bei David Novitz: The Trouble with Truth. In: Philosophy & Literature 19 (1995) 350–359, hier 356–357; Olivier Simonin: Communication and Levels of Meaning. In: Journal of Literary Semantics 33 (2004) 41–69, hier 62–63. 66 P. Lamarque und S. H. Olsen: Truth, Fiction, and Literature, a. a.O. [Anm. 58] 402. 67 O. Simonin: Communication, a. a.O. [Anm. 65] 62. 68 Lamarque und Olsen leiten aus dieser Bestimmung des Literaturbegriffs auch hermeneutische Maximen ab, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. P. Lamarque und S. H. Olsen: Truth, Fiction, and Literature, a. a.O. [Anm. 58] 408–409, 411–412, 427, 450. 69 P. Lamarque und S. H. Olsen: Truth, Fiction, and Literature, a. a.O. [Anm. 58] 410. 70 Ebd. 429. 71 Ebd. 413–414. 72 Ebd. 266; vgl. auch John Gibson: Between Truth and Triviality. In: British Journal of Aesthetics 43 (2003) 224–237, hier 224. 73 Roland Barthes: La préparation du roman I et II. Cours et séminaires au Collège de France, 1978-1979 et 1979-1980, hg. von N. Léger (Paris 2003) 238–239. Aus der Perspektive einer problemzentrierten und inhaltsorientierten Ästhetik mag es dann auch plausibel scheinen, einem Gedicht Ezra Pounds abzusprechen, überhaupt ein literarisches Artefakt zu sein (P. Lamarque und S. H. Olsen: Truth, Fiction, and Literature, a. a.O. [Anm. 58] 414–416). 65

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zurückgewiesen: bei Problemen gebe es immer einen »Kern«, der sich nicht historisieren lasse.74

IV. Je nachdem, welche Form der Problemgeschichte verfolgt wird, kann mit »Problem« ganz Unterschiedliches gemeint sein; der Verwendungsspielraum reicht von disziplinintern präzisierten und grundsätzlich für lösbar erachteten Forschungsproblemen bis zu unlösbaren existenziellen »Lebensproblemen«; er kann sehr nah an erkenntnistheoretischen Gebrauchsweisen, wie »Hypothese« oder »(Erkenntnis)Interesse«, an gegenstandsorientierten Gebrauchsweisen, wie »Forschungsthema« oder »(Streit)Frage«, oder an rhetorischen Gebrauchsweisen wie »Stoff« und »Motiv« liegen. Für die Problemgeschichte wurde zu Recht ein Verhältnis »von überzeitlicher Problemvorgabe und ihrer kontingenten jeweiligen Ausführung« konstatiert;75 problemhistorische Ansätze versuchen, Überzeitlichkeit und Historizität miteinander zu verknüpfen, um eine Geistesgeschichte konzipieren zu können, die historisch ist, ohne historistisch zu werden. Der Problembegriff erlaubt in einer bestimmten Fassung zudem, historische und systematische Fragestellungen, d. h. Fragen der Genese und der Geltung miteinander zu verknüpfen.76 Weiterhin rückt eine problemgeschichtliche Perspektive von der Rekonstruktion der historischen Abfolge von Systemen ab und bezieht stattdessen unterschiedliche philosophische Positionen als Lösungsvorschläge auf einen Bestand disziplinspezifischer Probleme. Gerade das soll erlauben, die Philosophiegeschichte nicht als Abfolge von ebenso allgemeinen wie »totalen« Weltanschauungen, sondern als »wissenschaftliches« Fortschreiten in der Bearbeitung von partikularen Problemen zu bestimmen. Das Verhältnis von Problemgeschichte und Begriffsgeschichte läßt sich vor diesem Hintergrund derart bestimmen, daß Begriffe von Philosophen hergestellt oder bearbeitet werden, um bestimmte philosophische (d. h. begriffliche) Probleme zu lösen; Begriffsgeschichte erweist sich, wenn sie in dieser Art auf Probleme bezogen ist, also als eine Geschichte von Lösungsversuchen im Medium philosophischer Terminologie. Dabei bringt der Problembegriff aufgrund der Tatsache, daß es sich bei Problemen um keine sprachlichen Einheiten handelt, den Vorteil mit sich, daß er erstens übergreifende Kontinuitätskonstruktionen erlaubt, die vom Begriffswandel unabhängig sind, und zweitens grundsätzlich die Zuschreibung von Problemen auch dort ermöglicht, wo diese Probleme noch nicht begrifflich artikuliert wurden. Aus philosophischer

74 P. Lamarque und S. H. Olsen: Truth, Fiction, and Literature, a. a.O. [Anm. 58] 407. Vgl. auch die Kritik in Carlos Spoerhase: Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik (Berlin und New York 2007) Kap. 2.4. 75 M. Hänel: Problemgeschichte als Forschung, a. a.O. [Anm. 10] 117. 76 Vgl. R. Bast: Problem, a. a.O [Anm. 10].

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Perspektive kann vielleicht gerade deshalb die Dynamik der Begriffsentwicklung (d. h. das konstante Umarbeiten des begrifflichen Instrumentariums und das Entstehen neuer Begriffe und Begriffskonstellationen) erst aus problemhistorischer Perspektive angemessen erfaßt werden. Eine Literaturgeschichte, die erstens eine radikale Historisierung ihrer Gegenstände praktiziert und deshalb nicht mit den epistemologischen Problemen konfrontiert ist, die für die Historismus-Debatte konstitutiv sind, und die zweitens aus der Geschichte ihres Untersuchungsgegenstandes kein gegenstandsspezifisches Problemrepertoire zu generieren beansprucht, wird sich schwer tun, in der philosophischen Auseinandersetzung mit der Problemgeschichte Orientierungspunkte auszumachen. Wie die Problemkataloge von Unger oder Lamarque und Olsen zeigen, handelt es sich bei den Problemen einer literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte nicht um literaturspezifische Probleme, sondern um »existenzielle« Probleme, die aufgrund ihrer Unlösbarkeit entweder der Religion oder (dort wo Literatur die Kompetenz der Transzendenzthematisierung zugeschrieben wird)77 auch der Literatur zur »Bearbeitung« weitergereicht werden. Zu unterscheiden sind für eine literaturwissenschaftliche Problemgeschichte erstens literaturintrinsische Probleme wie Formprobleme oder Gattungsprobleme; diese Probleme werden nur sehr selten im Rahmen von ausdrücklich problemhistorischen Untersuchungen analysiert.78 Wenn literaturwissenschaftliche Problemgeschichte betrieben wird, sind zweitens meistens literaturextrinsische Probleme gemeint, die innerhalb von literarischen Texten mehr oder weniger direkt thematisiert werden und sich dann auf der Ebene von Themen, Motiven, Stoffen, Topoi wiederfinden lassen; die literaturwissenschaftliche Problemgeschichte rückt hier sehr nah an die philologische »Thematologie«.79 Probleme müssen in einem literarischen Text aber nicht thematisiert werden, damit der Interpret ein literaturextrinsisches Problem heranziehen

77 Eibl, der Literatur diese Transzendenzkompetenz zuschreibt, spricht deshalb in einem systemtheoretischen Vokabular davon, daß Literatur die »Strukturierung von Nichtwelt« vermöge; K. Eibl: Die Entstehung, a. a.O. [Anm. 53], 12–30. 78 Vgl. als wichtige Ausnahme Dieter Burdorf: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte (Stuttgart und Weimar 2001). 79 Vgl. zur literaturwissenschaftlichen Themenforschung die Überblicksdarstellungen von Christine Lubkoll: Stoff, literarischer [Art.] und Stoff- und Motivgeschichte/Thematologie [Art.]. In: Metzer-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hg. von Ansgar Nünning (Stuttgart 2004) 630–633. Vgl. zur aktuelleren Themenforschung Werner Sollors (Hg.): The Return of thematic criticism (Cambridge, Mass 1993); Claude Bremond, Joshua Landy und Thomas Pavel (Hg.): Thematics. New Approaches (New York 1995); Frank Trommler (Hg.): Thematics reconsidered. Essays in Honor of Horst S. Daemmrich. (Amsterdam 1995); Max Louwerse und Willie van Peer (Hg.): Thematics. Intersdisciplinary studies. (Amsterdam 2002). Wichtige Überblicksdarstellungen zur Wissenschaftgeschichte der Themenforschung sind Manfred Beller: Von der Stoffgeschichte zur Thematologie. In: arcadia 5 (1970) 1–38. Elisabeth Frenzel: Neuansätze zu einem alten Forschungszweig. Zwei Jahrzehnte Stoff-, Motiv-, und Themenforschung. In: Anglia 111 (1993) 97–117.

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kann, um es zur Erklärung bestimmter Texteigenschaften zu verwenden und als explikativen Kontext für relevante Texteigenschaften zu modellieren.80 Der Begriff des Problems dient dazu, einen Bezug zwischen Text und Welt herzustellen, indem der Text als »Reaktion« auf Probleme in der »Welt« wahrgenommen wird und der Rekurs auf die Probleme in der »Welt« erlaubt, relevante Texteigenschaften zu erklären.81 So untersucht beispielsweise Werle in seiner Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken, wie sich das Problem des information overload um 1600 in unterschiedlichen Literaturgattungen niederschlägt; dabei zieht er nicht nur Quellen heran, die das Problem im Text thematisieren; in vielen Fällen »reagieren« die von ihm untersuchten Quellen auf die »Problemlage« der copia librorum, ohne daß diese selbst im Text näher erwähnt würde. Damit wird eine plausible Variante problemhistorischen Forschens formuliert; dies aber um den Preis, daß eine Isolierung von spezifisch literarischen Problemen aus dem Blickfeld rückt. Literatur ist dann nicht auf die »Bearbeitung« bestimmter, schon gar nicht auf die Thematisierung zeitübergreifender Probleme festgelegt; vielmehr kann alles, was in der »Welt« als problematisch wahrgenommen wird, in Literatur »bearbeitet« werden: Eine apriorische Privilegierung bestimmter Problemdomänen, deren literatur- und kulturhistorische Syntheseleistung von vornherein feststehen würde, scheint aus dieser problemhistorischen Perspektive nicht mehr sinnvoll. Wer diese Perspektive teilt, wird problemhistorisch forschen können, ohne sich mit weitreichenden Hintergrundannahmen darüber, was genau elementare Menschheitsprobleme sind, belasten zu müssen. Die »neue« literaturwissenschaftliche Problemgeschichte zeichnet sich also dadurch aus, daß sie sich die Probleme, für die die »alte« Problemgeschichte Lösungsansätze suchte, gar nicht mehr stellt. Wie Werle deutlich sagt, führt sein Ansatz zum einem »problemhistorisch reflektierten Historismus« zurück;82 also zu genau der Position, deren Überwindung im Zentrum einer »alten« philosophischen und philologischen Problemgeschichte gestanden hatte, die den Fortschritt der Vernunft oder die Sinnstiftung durch »Schicksalsfragen« nicht historistisch aufgelöst sehen wollte.83 Die Versprechen, die anfangs an die Problemgeschichte geknüpft wurden, werden von der »neuen« Problemgeschichte nicht eingelöst, sondern vielmehr aufgelöst. Die Fragen, deren Beantwortung

80 Eine Kombination dieser unterschiedlichen Typen literaturwissenschaftlicher Problemgeschichte ist nicht ausgeschlossen; vgl. z. B. Manfred Frank: Kaltes Herz. Unendliche Fahrt. Neue Mythologie (Frankfurt a. M. 1989). 81 Vgl. Dirk Werle: Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken, 1580– 1630 (Tübingen 2007). Vgl. auch Ulrich Port: »Die Schönheit der Natur erbeuten«. Problemgeschichtliche Untersuchungen zu Hölderlins »Hyperion« (Würzburg 1996). 82 D. Werle: Modelle, a. a.O. [Anm. 9] 496. 83 Vgl. dazu auch Rudolf Unger: Zur Entwicklung des Problems der historischen Objektivität bis Hegel. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1 (1923) 104–138.

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die Problemgeschichte zunächst gegolten hatte, werden von der »neuen« Problemgeschichte nicht beantwortet, sondern entdramatisiert. Der entdramatisierte Problembegriff übernimmt innerhalb ihres historistischen Theorierahmens vor allem zwei Funktionen: »Problem« ist erstens eine Kategorie, die eine bestimmte Form der Kontextmodellierung bezeichnet; für diese »Strategie« der Kontextbildung gilt: »Der Primärkontext für in Texten aufgefundene Ideen sind die ›realweltlichen‹ Probleme, auf die sie reagieren.«84 »Problem« erweist sich zweitens als eine (nicht notwendig privilegierte) explikative Kategorie; der Hinweis auf bestimmte »weltliche« Probleme kann in bestimmten Konstellationen erklären helfen, warum literarische Texte bestimmte inhaltliche oder formale Eigenschaften aufweisen: warum sie genau so »beschaffen sind, wie sie sind«.85 Die Modellierung von Kontexten und die Explikation von Texteigenschaften: diese Leistungen des Problembegriffs sind möglicherweise dort, wo alles »Problem« sein kann – wo der Problembegriff also keine starke vorstrukturierende hermeneutische Funktion mehr haben kann, weil es keine überschaubare Liste an vorgegebenen Problemen bzw. Problemtypen gibt, deren Auftreten in einem Text wahrscheinlich ist – nicht »charakteristisch« genug, um das Problem als Grundlage eines eigenen Ansatzes literaturwissenschaftlichen Forschens auszuweisen. Aber gerade dies erweist sich als unproblematisch: Die Tragfähigkeit problemhistorisch interessierten Fragens hängt nicht davon ab, ob mit Problemgeschichte ein eigenständiger methodischer Ansatz philologischen Forschens ausgezeichnet ist. Vielmehr erweist sich das problemhistorische Fragen in dieser entdramatisierten Form als Herangehensweise, auf die weitgehend unabhängig von weitreichenden methodischen Vorentscheidungen in divergierenden theoretischen Kontexten zurückgegriffen werden kann. Diejenigen, die sich von der Problemgeschichte eine Lösung der Historismusproblematik oder eine Bestimmung literaturspezifischer Problemdomänen versprechen, werden diese Entdramatisierung der Problemgeschichte möglicherweise als unbefriedigende Banalisierung wahrnehmen; wer die Problemgeschichte für leistungsstärker hält, sollte sich aufgefordert sehen, weiterführende Vorschläge zu machen, wie eine eigenständige Problemgeschichte zu konzipieren wäre – wenigstens im Moment sind derartige Vorschläge noch nicht in Sicht.

V. Die vorangehenden Überlegungen zu Phänomenen der Dramatisierung und Entdramatisierung verweisen auf eine problemhistorische Fragestellung, die bisher noch nicht umfassend genug gewürdigt wurde: die Fragestellung, wie sich die »Dramatisierung« oder Pathetisierung des Denkens rekonstruieren las84 85

D. Werle: Modelle, a. a.O. [Anm. 9] 481. Ebd. 498.

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sen.86 Wie kommt es, daß bestimmte Fragestellungen derart pathetisiert werden, daß ein Wissenschaftler, der sich mit ihnen befaßt, glauben kann, daß von ihrer Beantwortung schlechthin alles abhängt? Wie kommt es, daß bei bestimmten Fragestellungen ein derart hoher Problemdruck verspürt wird, daß der Mangel an einer Lösung den fragenden Wissenschaftler in eine Krise zu stürzen vermag, die möglicherweise sogar »existentielle« Dimensionen annimmt? Die Frage nach der Pathetisierung des Denkens hat eine doppelte Stoßrichtung: Einerseits betrifft sie die relevanzmäßige Aufladung von Problemstellungen, die sich in der Eindringlichkeit Ausdruck verschafft, mit der bestimmte Fragen, Begriffe, Differenzen untersucht werden; andererseits bezieht sie sich auf die lebensweltliche Anbindung von wissenschaftlichen Problemstellungen,87 genauer: auf eine (wenigstens aus der Perspektive des epistemischen Subjekts rekonstruierbare) »Existenzialisierung« und Emotionalisierung – eine problemhistorische Parallele aus dem Bereich der Literaturgeschichte wäre etwa Kleist, für den bestimmte theoretische Probleme der kantischen Philosophie zu lebensgeschichtlichen Problemen werden. Max Weber hatte seine Überlegungen zur Methodenlehre der Problemgeschichte bereits an eine Geschichte der epistemischen Pathetisierung geknüpft, als er am Ende seines Objektivitätsaufsatzes mit großer Emphase auf das »Licht der großen Kulturprobleme« zu sprechen kam, dessen Weiterziehen unvermeidlich sei.88 Es besteht aber kein Anlass, bei der problemhistorisch geschulten Beobachtung Webers stehen zu bleiben, daß auch das von Wissenschaftlern jeweils als problematisch oder fragwürdig Empfundene sich nicht der Historizität des Denkens zu entziehen vermag. Die wichtige Einsicht Webers bedürfte der Überführung in ein »positives« wissenshistorisches Rekonstruktionsprogramm, das die Geschichte der epistemischen Problemstellungen mit einer Geschichte der epistemischen Leidenschaften verbinden würde. Fragen, die innerhalb dieses Rekonstruktionsprogramms gestellt werden müßten, wären unter anderem Folgende: (1) Gewinnen bestimmte epistemische Positionen ihre Plausibilität auch über ihre spezifischen Formen der Pathetisierung? (2) Bedürfen Forschungsvorhaben spezifischer Formen der Pathetisierung, um ihr Projekt, das anfangs nur in der Form eines Erkenntnisversprechens vorliegt, plausibel zu machen? (3) In welchem Verhältnis stehen Pathetisierungstypen und Formen der wissenschaftlichen Gruppenbildung: Sind wissenschaftliche Forschungszusammenhänge wie z. B. Schulen auch »Pathoskohorten«? (4) Inwiefern knüpfen sich PathetisieVgl. zum Konzept der »Dramatisierung« vor allem Gilles Deleuze: Nietzsche et la philosophie (Paris 1962). 87 In diesem Zusammenhang wäre auch das Konzept der »Scharnierbegriffe« zu nennen; vgl. Semantischer Umbau der Geisteswissenschaften nach 1933 und 1945, hg. von Georg Bollenbeck, Clemens Knobloch (Heidelberg 2001). 88 Max Weber: Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904). In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann. 7. Aufl. (Tübingen 1988) 146–214, hier 214. 86

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rungsstrategien an bestimmte (privilegierte) Untersuchungsgegenstände, die dann zu Schlüsselgegenständen einer Disziplin befördert werden? (5) Lassen sich in unterschiedlichen Forschungsprogrammen divergierende Pathetisierungstypen unterscheiden: Gibt es, metaphorisch gesprochen, z. B. »heiße« und »kalte« Pathetisierungstypen? Eine Beantwortung dieser Fragen im Rahmen einer Untersuchung der historischen Transformationen wissenschaftlicher Pathetisierungsstrategien könnte weitere Einblicke nicht nur in die affektive Dimension wissenschaftlichen Arbeitens, sondern auch in die »Metakinetik«89 wissenschaftlicher Problemhorizonte gewähren.

89

Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie (Frankfurt a. M. 1998) 13.

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Über das Stottern in Gedanken. Gegen die Begriffsgeschichte

I. Es heißt, man schreibe Begriffsgeschichte: Im Grunde jedoch ist es eine Bewegung des Lesens, die uns von Begriffen sprechen läßt. Begriffe gibt es nicht, sie müssen aus Texten herausoperiert werden, was seit dem Mittelalter durch entsprechende Lektüretechniken bewerkstelligt wird. Man unterstreicht, man wiederholt am Rand, man trägt in ein Register oder eine gesonderte Liste Wörter ein, die des Nachdenkens Wert erscheinen. So transformiert sich der durchgeschriebene Text in eine Liste von Wörtern, von denen einige eigene Kommentare nach sich ziehen und so zu Begriffen werden. Diese Bewegung der Lektüre ist eine Bewegung der Aneignung: Der ursprüngliche Text ist das Opfer solcher Operationen, die einen rhetorischen oder logischen Zusammenhang des Autors durch einen terminologischen Zusammenhang des Lesers ersetzt. Man mag einwenden, daß schon der Autor einer philosophischen Schrift die Begriffe übernommen hat, daß er sie bringt, weil er sie zuvor gelesen hat und also als Begriffe versteht. Gleichwohl geht ein philosophischer Text anders mit Begriffen um als ein begriffshistorischer Text. Die Operation der Begriffsgeschichte unterbricht den Fluß der philosophischen Rede, sie behauptet ihren eigenen Text als etwas Eigenes und tilgt zugleich das, was die Philosophen untereinander unterscheiden mag. Die Zuspitzung dieser Überschreibung der Philosophie besteht darin – wie besonders an historischen Begriffslexika zu beobachten –, daß die spezifische Lektüre, welche Begriffe bei unterschiedlichen Autoren als unterschiedliche Definitionen derselben Sache belegt, einen poietisch-hervorbringenden, nicht einen rezeptiv-verstehenden Akt konstituiert. Begriffsgeschichte wird so geschrieben, daß die philosophischen Texte in ihrer eigensprachlichen Macht depotenziert und ihre Begriffe gewissermaßen bloßgestellt und damit faßbar werden. Es wird suggeriert, daß unterschiedliche Autoren dieselben Begriffe unterschiedlich definiert hätten und daß eben das der Zweck ihres Schreibens gewesen sei. Begriffsgeschichte befreit auf diese Weise die Sprache der Denker zu einer kontinuierlichen Rede, einer Rede allerdings als Textur, nicht als Aussage. Es ist eine Rede ohne Stottern, und eine gelungene Begriffsgeschichte ist gerade dadurch ausgezeichnet, daß sie noch den marginalsten Belegen eine Sprachmächtigkeit verleiht, die der Arbeit mit Begriffen durchweg abgeht. Wenn Aristoteles am Ende des ersten Buchs seiner Metaphysik schreibt, frühere Philosophen hätten gestammelt oder gestottert, wo er selbst eine zusamArchiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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menhängende Rede zu bringen verspreche, hat er diese Hoffnung auf bruchlose Rede prominent und einflußreich artikuliert. Zugleich hat er die Vorzüge der Präzision im Vokabular und der Flüssigkeit in der Rede für sein eigenes Schreiben reserviert. Aristoteles war damit der erste Autor einer jahrhundertelangen Reihe von europäischen Denkern, die zwar anerkennen, daß Begriffe bereits vor ihnen existieren und auch zirkulieren, die jedoch zugleich verlangen, daß sie aber umdefiniert werden müssen und nur in dieser transformierenden Aneignung gültigen Sinn erhalten. Das ist in derjenigen Literatur, die wir als philosophische schätzen, eine häufig vorkommende Figur, und gerade der Blick in die Geschichte zeigt: Das Privileg der eigenen Denkkraft wird eben damit beglaubigt, daß durch – nicht selten radikale – Umdeutung vorliegender Rede sich neue Wahrheit konstituiert. Anders gesagt: Die in der Umdeutung eingeschlossene Abwertung früheren oder alternativen philosophischen Ausdrucks trennt die Texte der Philosophen scharf voneinander. Kaum je hat sich ein Philosoph anders als durch die Abweisung anderer Denker präsentiert, durch Behauptung der Inkonsistenz anderer Rede, ja der Stigmatisierung fremder Rede überhaupt. Und noch Kant, der in Begriffen wie »Apriori« oder »transzendental« den Anschluß an Traditionen philosophischer Terminologie suchte und Innovation zu vermeiden suchte, hat eben darin seinen Jargon bis hin zur Unverwechselbarkeit geprägt. Begriffe sind wie Steine in der Mauer der Denkgebäude, sie sind gerade als appropriierte – als eigens zurechtgehauene – besonders fest implantierte Stücke geistigen Eigentums, bis hin zur eigensinnigen, ja geradezu privatsprachlichen Definitionen etwa bei Heidegger und seinem Begriff des »Denkens« oder bei Foucault und dessen Begriff der »Rede« (discours). Die begriffsgeschichtliche Operation der zusammenziehenden Lektüre übergeht alle Formen und Formationen des Schreibens und lenkt den individuell artikulierten Redefluß in eigene Kanäle um. Das Verfahren hat man oft mit dem Hinweis zu rechtfertigen versucht, Begriffe machten uns denken und erschlössen die Welt. Wer »logisch« argumentiert, wird geschichtlich konstituierte Verschiedenheit immer perhorreszieren. Gewiß sind Begriffe Kategorien des allgemeinen Begreifens oder weithin benutzte welthaltige Namen, und gewiß meinen sie in jedem Fall erheblich mehr, als in irgendeinem Text ausgesagt werden kann. Der Einsatzpunkt der Begriffsgeschichte ist dieser Überschuß an Bedeutung, am einfachsten dadurch belegt, daß Begriffe nicht auf einzelne Texte beschränkt werden können, sondern sozusagen zwischen ihnen lebendig bleiben. Die Operation der Begriffsgeschichte aber besteht im exklusiv identifizierenden Zugriff auf die Begriffe, der so tut, als ob sie zwischen den Texten eine stabilere Existenz als in diesen selbst besäßen. Aber wer eigentlich sagt uns, daß es sich so verhält? Woher wissen wir, daß Begriffe aus ihren Texten in solcher Weise herausragen, daß sie sich der pflükkenden Hand des Historikers gleichmäßig anbieten? Begriffe sind Teile eines Vokabulars, das zuerst ein Vokabular eines Sprechers ist, der durch Neu- oder

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Umdefinitionen sich bemüht, gerade nicht seiner Lektüre zu verfallen, nicht zu wiederholen, sondern sich zu differenzieren, durch Differenzierungsakte abzusetzen. Diese Akte der selbst-identifizierenden Distanzierung werden in der Begriffsgeschichte unsichtbar gemacht, sie werden überlesen, oder genauer: überschrieben. Es ist ein schöner Schein, der uns bei der Lektüre des Historischen Wörterbuches der Philosophie den Eindruck vermittelt, philosophische Begriffe hätten jahrhundertelang darauf gewartet, in einen Text zu gelangen, der jede störende Eigenart der ursprünglichen Autorrede abgestreift und die wahre Selbständigkeit der Begriffe endlich zur Sprache bringt.

II. Stellen wir uns vor, wir seien ein einzelnes Wort, das nicht selten ist und das von gelehrten Menschen benutzt wird. Wir befinden uns im grammatischen Zusammenhang einer Schrift, die vielleicht den logischen Zusammenhang einer Argumentation abbildet, der wiederum vielleicht den psychischen Zusammenhang einer gewonnenen Einsicht ausdrücken soll. Wir sind aber durch diese Zusammenhänge, in die wir eingebettet sind, nicht davor geschützt, von Lesern aufgegriffen und der Schrift gewissermaßen entfremdet zu werden. Was kann uns geschehen? Die Techniken der Buchdruckkunst und des akademischen Unterrichts wirken zusammen, um verschiedene Verfahren zu gestalten, Textzusammenhänge aufzulösen. Zwei grundsätzliche Weisen existieren, solche Auflösung zu bewerkstelligen, einmal das systematische Verständnis und zum anderen ein eher historisches Verständnis. Das sind natürlich Verfahren, die nicht zu allen Zeiten in Anwendung waren, sie können hier aber plastisch illustrieren, worin Skylla und Charybdis der modernen europäischen Lektüretechniken bestehen. Gehen wir beispielsweise an den Anfang des 16. Jahrhunderts zurück und vergleichen wir Gregor Reisch und Nanus Dominicus Mirabellius. Der eine veröffentlicht ein enzyklopädisches Werk der Wissensgliederung und nennt es Margarita Philosophica. Der andere schreibt ein Lexikon und nennt es Polyanthea. Die Begriffe im systematischen Verständnis von Reisch, wie man es abgekürzt und modernistisch benennen kann, gehorchen einer disziplinären Logik: Der Grammatiker macht dieses, der Mathematiker jenes. Der Dialektiker kennt andere gedankliche Operationen als der Musiker etc. Begriffe werden zum Funktionselement von Operationen, die mehr oder weniger methodisch genannt werden können. Auf der anderen Seite das Lexikon von Mirabellius, welches die Begriffe als Wörter einer Sprache nimmt und sie in einen Zusammenhang mit anderen Wörtern setzt. Hier gibt es keine unschuldigen Begriffe: Alles wurde schon einmal gesagt, es gibt viel zu zitieren. Wir sind also als ein philosophischer Begriff vor die Wahl gestellt, entweder in einem systematischen Verständnis zu überleben oder in einem philologischen

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aufzugehen. Wir dürfen wählen zwischen der methodischen Funktionalisierung und der rhetorischen Historisierung. Wir werden einmal in ein Denken eingebaut und zum anderen in ein Meinen, und wir stellen so die Antwort auf die Fragen dar: Was bedeutet das bzw. wie ist es definiert? Und andererseits: Wer sagt etwas wie und wo? Diese grobe Vereinfachung übersieht absichtlich, daß beide Interpretationsrichtungen selten rein und getrennt voneinander auftreten. So sollte man genauer sagen, die These, nach der die Begriffsgeschichte eine Operation nicht der Lektüre darstellt sondern des Schreibens, mit einer zweiten These verbunden werden muß, die besagt, daß die Operationen begrifflicher Rekonstruktion schon früh, und nicht erst seit dem 18. oder 19. Jahrhundert, in doppelter Form wirksam werden, nämlich einmal als Funktionalisierung und zum anderen als Historisierung. Man kann im 17. Jahrhundert Bayle und im 18. Jahrhundert Brucker lesen, und wird feststellen, daß schon damals Mißverständnisse vielfach abgewehrt werden mußten, die ganz offenbar mit starken Interpretationen des philosophischen Vokabulars verbunden waren. Autoren wie Bayle oder Brucker, die daran arbeiteten, Philosophen so zu rekonstruieren, wie sie sich selber ausdrückten, stehen zwar ganz offensichtlich auf der Seite der Historisierer, beweisen aber durch ihre Argumentationen selbst die Existenz von Funktionalisierern, die damals noch weitgehend aus dem theologischen Bereich kamen. Heute wird man in den Operationen der Begriffsgeschichtsschreibung sowohl das funktionalistische wie das historistische Moment in einem gewissen Gleichgewicht antreffen. Ein Begriffshistoriker, der sowohl literarisch gebildet wie logisch begabt ist, wird immer einerseits darauf achten, daß Begriffe über den Text hinaus eine gewisse gedankliche Relevanz besitzen, die sie im Lichte aktueller Philosophie interessant erscheinen läßt. Er wird andererseits darauf achten, nur solche Begriffe näher zu behandeln, die eine gewisse Erbschaft mit sich bringen und sich also auf andere Begriffe der philosophischen Sprache gut beziehen lassen. Man wird also die Vereinigung oder den Ausgleich beider Operationen als Übersetzung bezeichnen müssen, denn es geht ja darum, Begriffe einerseits als relevante Wörter der philosophischen Sprache auszuzeichnen und andererseits – und eben gerade deswegen – ihre literarische Realität und Veränderbarkeit zu behaupten. Viel hängt davon ab, wie stark sich das Gleichgewicht der beiden Erkenntnisinteressen der Begriffsgeschichte – das an Definitoin und das an Rekonstruktion – entfalten kann, wie abgewogen und begründet die Übersetzung durchgeführt wird. Hier unterscheiden sich buchlange Studien, wie sie im deutschen Sprachraum im Archiv für Begriffsgeschichte Platz finden, von den zu Belegstellenregistern verdichteten Artikeln des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, wie beispielsweise der Text über »Lust, Freude«. Dieser Artikel hat eine längere Passage über die Antike und differenziert in der Moderne den Begriff im Durchlauf einer Galerie großer Denker. Der 1980 geschriebene Artikel scheint

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ein typisches – vielleicht etwas krudes – Beispiel für das begriffshistorische Operieren im Ausgleich der sachhaltigen und historisch-philologischen Definition von Begriffen zu sein. Wir lesen im Abschnitt über die neuzeitliche Auffassung des Begriffs zuerst eine Definition von Descartes, aus seiner Schrift Passions de l’âme, die auf Deutsch gegeben wird, weshalb der Leser nicht erfährt, daß hier im Französischen das Wort joye heißt. Der Begriff bei Spinoza, welcher als nächstes zitiert wird, lautet lateinisch laetitia. Bei Leibniz wird in den Neuen Abhandlungen Lust als »ein Gefühl der Vollkommenheit« definiert, und wenn der Leser im französischen Originaltext nachschauen könnte, würde er wissen, daß hier das Wort Lust dem französischen plaisir entspricht. Im Artikel »Lust, Freude« ist eine längere Passage über Kant und das Gefühl der Lust und Unlust in dessen Kritik der Urteilskraft das Scharnierstück, nach dem es mit einer rein deutschen Tradition weitergeht: Schiller, Schopenhauer, Nietzsche, Scheler. Erst später springt die Begriffsanalyse zurück ins 18. Jahrhundert und dort zu Locke und Hume. Deren Texte werden wiederum auf Deutsch und wiederum ohne Angabe der originalsprachlichen Termini gegeben, was die Tatsache verschleiert, daß Locke von desire spricht und Hume von pleasure. Man sieht den Übersetzungsprozeß deutlich in Arbeit: Die allgemeine Bedeutung des Begriffs kann nur aufrechterhalten werden, wenn er aus der deutschen (kantischen) Sprache in andere Sprachen wie die englische und die französische und dort wiederum in mehrere Begriffe übersetzt wird, bzw. wenn diese verschiedenen Begriffe in den deutschen Ausdruck »Lust« übersetzt werden. Erst durch diese Übersetzungsoperation gewinnt der Begriff eine breite Textbasis, denn nun findet er sich in vielerlei Gestalt überall vertreten und bei allen großen Denkern lassen sich einschlägige Stellen dazu finden. Wahrscheinlich ist der Artikel im Historischen Wörterbuch kein besonders guter Artikel; ganz sicher ist der Begriff der »Lust« ein schwieriger Kandidat jeder Begriffsgeschichte. Aber das Beispiel zeigt deutlich, daß die Übersetzung eine Interpretationsleistung ist, welche die alten Texte in die Gegenwart ihrer begriffsgeschichtlichen Gleichschaltung zieht. Die begriffsgeschichtliche Brutalität hat eine (deutsche) Vorgeschichte in den Übersetzungen des 19. Jahrhunderts. Denn die meisten Übersetzungsoperationen des Historischen Wörterbuchs sind nicht erst Maßnahmen der Begriffshistoriker aus dem späten 20. Jahrhundert. So wurden beispielsweise schon die Spinoza-Übersetzungen des 19. Jahrhunderts kantianisiert, insofern das spinozistische Begriffspaar »Freude–Trauer« (laetitia–tristitia) durch das Begriffspaar »Lust–Unlust« ersetzt wurde. Die Übersetzungspraxis des 19. Jahrhunderts war allerdings insofern inkonsequent, als entsprechende Passagen in den deutschen Ausgaben der Werke von Descartes und Leibniz nicht gleichermaßen kantianisiert wurden. Weil Spinoza noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ungleich wichtigere Rolle spielte als Descartes oder Leibniz, war seine Sprache übersetzungsanfällig. Man wollte ihn als Zeitgenossen lesen und hat ihn ent-

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sprechend verdeutscht. Ähnlich wird heute im Westen hauptsächlich solchen arabischen oder chinesischen Begriffen Aufmerksamkeit gezollt, die in irgendeiner Weise übersetzbar erscheinen. Die Übersetzung eines Begriffs bezeugt ein Interesse an ihm und zugleich seine Distanzierung als Element eines anderssprachlichen Kontextes. III. Gibt es eine Alternative? Gibt es die Möglichkeit, Begriffsgeschichte zu schreiben, ohne in die Dialektik der Übersetzung zu geraten, ohne das innere Stottern des philosophischen Texts zu überspielen? Es wäre eine radikale Abkehr von jeder verknappten Art der Begriffsgeschichte zu empfehlen. Belegstellenkataster führen nicht zur Philosophie und nicht einmal zu einer historischen Darstellung derselben. Begriffsgeschichte gibt als Kunst der produktiven Lektüre bzw. als starke Interpretation von philosophischen Texten diesen eine Art entfremdeter Lebendigkeit, die sie nicht brauchen. Das Lesen ohne Übersetzungsanspruch, das Verstehen ohne verflüssigenden Meta-Text ist möglich und führt vielleicht auf ein geistiges Leben der holprigen Art, auf Ketten von Umdeutungen und selbst Mißverständnissen, also auf Spannungen, gar Widersprüche. Aber auch dann noch sind philosophische Texte, wenn sie eben nicht begriffsgeschichtlich funktionalisiert sind, interessant zu lesen, nicht zuletzt wegen der Schwierigkeit des Nachvollzugs. Allerdings geht der Ehrgeiz der Begriffshistoriker meist dahin, die philosophische Rekonstruktion aus dem Text auszuheben, sie über ihn zu erheben, als ob es darum ginge, für die Philosophie selbst nützlich zu sein. Aus dieser Kultur auszusteigen ist schwer, eine durch kanonische Schriften gestützte Bildungstradition abzustreifen fast unmöglich, auch wenn man das Historische Wörterbuch der Philosophie dem baldigen Vergessen anheimstellt. So bleibt vielleicht nur noch die Möglichkeit, Begriffsgeschichte als eine unvollständige Kunst aufzufassen und deren permanente und grundlegende Einbettung in etwas zu fordern, was man entweder Geistesgeschichte oder Intellectual History nennen kann. Mit dem Stichwort Geistesgeschichte ist eher an das Denken einer Epoche, einer Zeit, oder auch an das erinnert, was Dieter Henrich einen Denkraum nannte. Es geht um das Gewicht der Wörter, um ihren Klang und Widerhall, um ihre metaphorische Reichweite, nicht nur um ihre definitorische Triftigkeit. Mit dem Stichwort der Intellectual History ist eine radikale Individualisierung gemeint, die begriffliche Entwürfe generell als literarische behandelt. Philosophen, Denker und Dichter sind insofern Intellektuelle, als sie sich schriftlich ausdrücken und daran gemessen und erkannt werden wollen. Eine Intellectual History wäre also eine Art geistiger Rekonstruktion eines Sprach- und Denkzusammenhangs, der eben nicht getrennt werden darf von den historischen Operationen und Strategien der Autorperson – die selbst wiederum nicht biographisch analysiert wird, sondern als geistige Existenz behauptet bleibt. Aus der Sicht eines »Intellectual Historians« ist die Philosophie

Über das Stottern in Gedanken

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eine besonders komplizierte Art von Literatur, die zugleich eigene Traditionen gebildet hat und weiterhin bildet. Intellectual History in diesem Sinne wäre vielleicht geeignet, die Begriffsgeschichte im Ansatz zu dislozieren. Es soll ja, gegen die Anmaßungen und Gewalttätigkeiten der Übersetzung, nicht darum gehen, die Begriffe an Autoren zurückzugeben, als ob diese bestimmte Regionen der Sprache und der Wörter besetzt hätten. Aber gerade wenn es um ein eher überindividuelles Verständnis bestimmter Grundtermini unserer wissenschaftlichen und philosophischen Denkungsart geht, steht zugleich die Sprachfähigkeit von Begriffen, die Anerkennung ihrer Existenz in einer sinnvollen Rede zur Debatte. Begriffsgeschichtliche Konstruktionen sind, gerade wenn sie erfolgreich durchgeführt werden, immer Zerstörungsakte der ursprünglich literarischen Valenz des philosophischen Ausdrucks. Große Denker lassen sich nicht in die Summe der von ihnen definierten Begriffe auflösen. Es ist die Griffigkeit ihrer Texte, der Zwang zum Denken, der vom Lesen selbst ausgeübt wird, noch bevor es sich des Textes methodisch bemächtigen kann. Diese Dimension des konsistenten Denk- und Ausdruckszusammenhangs will Intellectual History rekonstruieren. In der Sprache Schleiermachers heißt das, jenseits des grammatischen ein technisches Verständnis von Begriffen zu erreichen. Im technischen Verständnis werden auch die Beziehungen der überlieferten Texte untereinander rekonstruierbar, ohne daß man sie in die künstliche Sprache der historiographischen Verflüssigung versetzt. Wer Verhältnisse zwischen Schriften und Autoren im Modus der Inkompatibilität beschreiben will, muß den originären Prozeß der philosophischen Artikulation, die Umdeutung bestehender Termini, ernstnehmen. Geschichtliches Verstehen entstünde dann nicht daraus, daß Differenzen minimiert, sondern daraus, daß sie maximiert werden. Die von Dieter Henrich angestoßene, allerdings an der Episode des Deutschen Idealismus allein exemplifizierte »Konstellationsforschung« könnte diese Leistung bringen, insofern sie das Denken in konkurrierende und zugleich kompossible Sprachspiele verteilt. Marcelo Stamm und Martin Mulsow haben diese Vorstellung methodisch entwickelt und dabei das zugrundeliegende dramatische Moment nicht unterschlagen, das in der auf geistige Verhältnisse bezogenen Rede von der Konstellation innewohnt: Autoren sind wie dramatis personae nicht ineinander auflösbar. Zuletzt bleibt an Gilles Deleuze zu erinnern, der nicht nur begriffsgeschichtlich geleitete Interpretationen von philosophischen Werken vorgelegt hat, der auch die Rede von der Begriffsperson erfunden hat, in der die Individualität philosophischer Texte zum Ausdruck kommen soll. Diese Texte selbst geben, folgt man Deleuze, keine flüssige Rede, sondern erregen in den Lesern das Verlangen danach. Anders als seine philosophiehistorischen Lehrer – allen voran Martial Gueroult – hat Deleuze sich zeitlebens geweigert, der genauen Nachzeichnung sprachlicher Komposition in den philosophischen Texten ausführlichen Ausdruck zu geben, wohl aber hat er die Spannungen in den philosophischen Texten

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zum regierenden Prinzip seiner Auslegungen gemacht. Und er hat vom Stottern gesprochen, das die Sprache selbst voranbringt – nicht das Stottern mit Sprache, sondern das Stottern der Sprache, das beim Lesen stört – und das der Begriffshistoriker durch permanente Übersetzung vergessen machen will.

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I. Encyclopedia entries, bets, gains and losses, research projects, books, lessons, relationships, votes, credits, exam certificates, exams, records, academic degrees, students, professors, art works and consumerist literature, cathedrae, aulae, application forms, hiring, revolutions, work-shops, conferences, dismissals, unions, parliaments, stock societies, laws, restaurants, money, property, governments, marriages, elections, games, cocktail parties, tribunals, lawyers, wars, humanitarian missions, voting, promises, buying and selling, prosecutors, physicians, perpetrators, taxes, vacation, medieval soldiers, presidents. What are all those objects made of? And, first of all, are they objects? Some philosophers would say they are not, since – according to them – only physical objects exist. Other philosophers would dare say that even physical objects are socially constructed, since they are the result of our theories. For real, thus, the world would be Prospero’s world: We are such stuff / As dreams are made on and our little life / Is rounded with a sleep. That is not the case, though: social objects exist indeed, the proof being the difference between thinking to promise something, and actually promising something: once you give your word, the promise keeps on existing, even in case you forget about it, or – as more frequently happens – you change your mind. The first aim of this article is to expand on the nature of social objects, as contrasted with physical and ideal objects, and to spell out the steps that lead to their discovery. Secondly, I will illustrate and criticize the major contemporary theory on social objects, John Searle’s theory, and compare it with another theory, according to which social objects are a kind of inscription.

II. For a long time philosophers have underestimated the dimension of social objects, focusing exclusively on physical and ideal objects. This fact is probably a consequence of an ambiguity concerning the nature of social objects, which is apparent as soon as we confront them with two other classes of objects into which reality can be divided. Physical objects – such as tables, lakes – occupy a I would like to thank Pier Carlo Rossi and Giuliano Torrengo for important comments on the theses contained in this article. 1

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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place in space and in time, and they exist even if we do not think about them; differently from physical objects, ideal objects – such as numbers, relations or theorems – do not occupy any place in space and in time, but, as much as physical objects, exist even if we do not think about them. Social objects, on the other hand, – such as marriages and graduations – occupy a modest amount of space (more on this later: it is, roughly, the amount of space a document occupies) and a more or less extended portion of time; they cannot be eternal though (differently from ideal objects, social objects seem to tend towards their own end: the theorem of Pythagoras is meaningful exactly because it is eternal, a promissory note for the opposite reason, i.e. because it will expire sooner or later; although there may be social objects – such as the Roman Empire or the Egyptian Dynasties – that last longer than the life of an individual). Thus, social objects look like being somewhere in between the materiality of physical objects and the immateriality of ideal objects. I will explain this point in detail later. What I would like to underline in the first place, both in order to explicate why philosophers, and common people with them, have discovered social objects so late, and to draw attention to the most peculiar aspect of social objects, is the following: differently from physical and ideal objects, social objects exist only in so far as there are men thinking that they exist. Without men, mountains would remain what they are, and numbers would have the same properties they actually have – but it would be complete nonsense to talk about offences and loans, Nobel prizes and years in jail, art works or pornography. This feature has been misconstrued, and this fact has lead to the spreading out, in various ways, of a conceptual ambiguity – that is, the idea to the effect that social objects are utterly relative, or that they are nothing over and above a manifestation of the will. What is denied to social objects here is their object-like nature: they are reduced either to something indefinitely interpretable or to a bare psychological act. We can find out how little true this reduction is thanks to a simple experience. I can decide to go to the cinema; if, eventually, I change my mind, this decision does not constraint me in any way. It is really just an expression of the will, which, since it has no outward manifestation, has a purely psychological dimension. Things are different if I propose to someone to come along with me to the cinema; if I change my mind, I have to tell her or him and provide a justification. What I have constructed, then, is an object that is not nullified by a bare change of my will. Let us further assume that my invitation had the form of a promise; for instance, I have told my son: »I promise you that, if you keep on being a good boy, I take you to the movie tonight«. Now, if I had told him only »I promise that«, I would have not promised; a promise has a beginning only when there is an object of reference, and a time limit, if only a vague one (»I promise you that sooner or later I quit smoking«). If, on the other hand, social objects were utterly relative constructions, they would not carry within them any necessity, and it should be possible for »I promise« to be a promise, but »I promise« is

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just the first singular person of the indicative present tense form of the verb »to promise«.

III. This phenomenology of social objects should enable us to detect the features of social objects2 that motivated their discovery. We are not dealing here, strictly speaking, with a historical progression (none of the following authors is likely to have ever read any of the others), but rather with a theoretical progression. The first stage of the history consists in recognizing the specificity of social objects, and the first one who did this is the Italian Giambattista Vico,3 who – quarreling with Cartesian rationalism and naturalism – defended the original character of the sphere of human interaction. In order to individuate this sphere, which identifies the passage from animal to man, and from nature to culture (the latter, thus, is essentially meant to be social progress), Vico points towards marriages, tribunals and burials. Those are social acts that do not describe anything or add anything new to the physical or ideal world; nonetheless they trace the change from animal to man, and from nature to culture. The second stage of the history concerns the Scottish philosopher Thomas Reid,4 who underlines the autonomy of social objects, distinguishing them form mere psychological construction or manifestation of the will. Reid claims that the premise for the constitution of a social object is an act concerning at least two people. As in the previous example, thinking about going to the cinema is not a social act, whereas promising someone to go to the cinema is. The third stage, in the middle of the twentieth century, amounts to the theory of linguistic acts by the English philosopher John L. Austin.5 Linguistic acts are somehow an explication of the specific character of social acts. Social acts, insofar Vgl. Paolo Di Lucia (Hg.): Ontologia Sociale. Potere deontico e regole costitutive (Macerata 2003); Maurizio Ferraris: Oggetti sociali. In: Sistemi intelligenti 15 (2003) 441–466; Margaret Gilbert: On Social Facts (New York 1989); Margaret Gilbert: Group Membership and Political Obligation. In: The Monist 76 (1993) 119–131; Ingvar Johansson: Ontological Investigations. An Inquiry into the Categories of Nature, Man and Society (London 1989); Jaegwon Kim and Ernst (Hg.): Metaphysics: An Anthology (Oxford, 1999); Michael Moore: Legal reality: a naturalist approach to Legal Ontology. In: Law and Philosophy 21 (2002) 619–705; Barry Smith: Ontologie des Mesokosmos: Soziale Objekte und Umwelten. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 52 (1998) 521–540; Barry Smith: Les objets sociaux. In: Philosophiques 26 (1999) 315–347, http:// www.erudit.org/erudit/philoso/v26n02/smith2/smith2.htm English version: »Social Objects« http://wings.buffalo.edu/philosophy/ontology/socobj.htm. Barry Smith: The Ontology of Social Reality, http://ontology.buffalo.edu/smith//articles/searle.PDF; Raimo Tuomela: The Philosophy of Social Practices (Cambridge 2002). 3 Gianbattista Vico: La scienza nuova. In: La scienza nuova e altri scritti (Torino 1952) 247– 748. 4 Vgl. Thomas Reid, Essays on the Active Powers of the Human Mind. In: Philosophical Works (Hildesheim 1967). 5 Vgl. John L. Austin: How to do Things with Words (Oxford 1962). 2

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as they require to be expressed, are linguistic acts (we will see how this conclusion is partly misleading); and since they are not just a description of something (think of the »yes« said at a wedding cerimony; a paradigmatic example), but they produce something; they possess an original feature with respect to other parts of language. While saying »this is a chair« does not amount to acting upon the chair in any way, saying »the meeting is open« or »I hereby declare you doctor of philosophy« produces an object that was not there before. The fourth stage of our history, relatively eccentric if compared with the previous ones, is provided by the German philosopher and law theorist Adolf Reinach,6 who proposes a typology of social objects described as a priori derivable (namely as endowed with a logical form, which is roughly what I was underlining when I let you notice that »I promise« is not a promise), and insists upon the fact that what is produced by social acts is not a self-contained praxis, but it is a poiesis, i.e. the construction of an enduring object (a graduation or a marriage, with respect to other social events, such as a party or a ruffle in which nobody gets seriously injured, have consequences that reach farther than the event).

IV. In the contemporary debate, the standard theory of social objects has been proposed in the nineties by the American philosopher John R. Searle.7 The building up of this ontology can be described as a strategy in four steps. The first step is set at Oxford, during the fifties, at the school of – among others – John Austin, and continues at Berkeley during the sixties and seventies. Here, Searle’s activity focused on linguistic acts – an especially subtle part of language. When I say »yes« at a wedding ceremony, I am not describing anything that is already there, but I am constructing something that is born in that very instant. The rhapsodic analyses of Austin get a systematic dimension in Searle’s work. Searle offers a complete classification of them,8 but this is not the only thing he is doing. On the one hand (and the upshots in social ontology derive from here), Searle does not limit himself to a classification of linguistic acts, but he acknowledges also the existence of objects that may be borne to life by performative acts – a particular kind of linguistic acts. A marriage and a conviction, for instance, Vgl. Adolf Reinach: Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts. In: Jahrbuch für Philosophie und philosophische Forschung 1 (1913) 685–847; Kevin Mulligan (Hg.): Speech Act and Sachverhalt. Reinach and the Foundations of Realist Phenomenology (The Hague 1987). 7 Vgl. David R. Koepsell and Laurence Moss (Hg.): John Searle’s Ideas About Social Reality. In: American Journal of Economics and Sociology, 62 (2003). 8 Vgl. John R. Searle: Speech Acts (Cambridge 1969); John R. Searle: A Taxonomy of Illocutionary Acts (Cambridge 1975). 6

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understood as rites, may last just few minutes in their culminating moment. The corresponding social objects may last years though, and it is the philosopher’s task to account for those objects’ existence. By doing this, however, a philosopher should deliver a theory of mind too,9 since the peculiar feature of objects such as marriages or penal convictions, differently from cows or mountains, is that they exist only if there are minds believing that they exist. And here is Searle’s second step, set in Berkeley during the Eighties. Austin was exclusively concerned with language (and perception); Searle, I have just suggested, was seeking for a theory of mind. Could a computer passing the Turing test get married? Is a computer used in a betting shop really betting? Can it christen a boat? Can it bequest something to another computer? The obvious answer to all these questions is ›no‹. And this depends on the fact that human mind has something that computers do not have: intentionality. Intentionality is the capacity to refer to things in the world by using the representations we have at our disposal, roughly, under the hair, beyond the eyes, and between the ears – namely in our minds. Intentionality, however, is not a ghost or a feeble mist descending on the world as postmodernists uphold when they claim that Being is reducible to Language; not at all. It is something as real as photosynthesis or digestion is. We should not misunderstand this point, because one thing is maintaining that the human mind is not a computer, and quite another, that Darwin was wrong. This is a very delicate knot, because claiming that the individual I is in many cases the result of a collective intentionality does not mean that reality is constituted in an inter-subjective way; not at all. There are pieces of reality perfectly capable of staying by themselves, and they do not depend on language or conscience. Other pieces, surely, do depend on them. Still, we should not mix up those two cases, if we do not want every honest philosophy coming to an end. The third step is set here and there around the world between the seventies and the eighties.10 Searle assists – not inert, but astonished – to postmodernists spreading through the departments of comparative literature, under the risk that sooner or later they would get to philosophy departments too. Here is the crowd: who says that the Being that can be understood is language; and who says that nothing exists outside texts; and you would eventually meet a fun-loving person maintaining that there are no facts, but only interpretations. In conclusion, the moral seems to be that, quite paradoxically, words – but not things – exist; concepts exist, but not the objects they refer to. Vgl. John R. Searle: Minds, brains and programs. In: Behavioral and Brain Sciences 3 (1980) 417–58; John R. Searle: Intentionality. An Essay in the Philosophy of Mind (New YorkCambridge 1983); John R. Searle: The Rediscovery of the Mind (Montgomery 1992). 10 Vgl. John R. Searle: Rationality and Realism, What is at Stake ? In: Daedalus (1993) 55–83; John R. Searle: The World Turned Upside Down. In: Working through Derrida, hg. von Gary B. Madison (Evanston 1993) 170–188; John R. Searle: Postmodernism and Truth. In: TWP BE 13 (1998) 85–87. 9

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We would be mistaken seeing in this reaction to the postmodern idealism simply a polemical phrase, since it is in this framework that Searle elaborates the theory of reality as ›background‹.11 Reality is something that does not require to be demonstrated, because it is at the ground of our demonstrations. Reality constitutes the basic element of Searle’s general ontology; it delivers us the deep sense of his realism – and, at the same time, the deep sense of the non-realism of the postmodern speaker who, with their laptop, on the plane, polishes the talk they will give at a conference in an American University on the topic of the nonexistence of the external world. And here the last step comes in,12 which is set in Paris. During the nineties, Searle enters a Café and pronounces a French sentence: »Un demi, Munich, à pression, s’il vous plaît«. Searle makes us notice that this very simple sentence triggers a huge invisible ontology: the social exchange between him and the waiter, a lattice of norms, prices, fares, rules, passports and nationalities, a universe of such a complexity that would have had Kant shivering, if only Kant had thought about it. We are the postmodernists’ antipodes. If postmodernists dissolve tables and seats by reducing them to interpretations, Searle’s ontology asserts that also things such as promises and bets, shares and debts, medieval knights and Californian Professors, tenures and symphonies possess their own specific reality. They are neither ghosts, nor movements of the consciousness or of the will (given that promises exist when we sleep, and even in case we change our mind, and that contracts can bind institutions independently from the people who run them), they are higher order objects with respect to physical objects, in accordance with the rule X counts as Y in C – meaning that the physical object X, (for instance, a colored piece of paper) count as Y (a 10 Euro banknote), in C (Europe in the year 2006). It is not hard to see how here we are approaching the closure of a system. The philosopher of language who has studied linguistic acts comes across performative acts, and notices that with them we can construct social objects; the philosopher of mind who has studied intentionality understands intentionality’s role in the construction of social reality; the anti-postmodern polemist, in turn, elaborates a realist ontology that enable us to understand that – for some reasons, and our intentions and hopes notwithstanding – it is useless to try avoiding to pay the beer by saying that reality (social and maybe physical reality as well) is socially constructed. The last move has been left for the social ontologist: discovering this new reign of objects that – please notice – cannot be defined as »mental« just because they need human minds.

Vgl. John R. Searle: Mind, Language and Society. Philosophy in the Real World (New York 1999). 12 Vgl. John R. Searle: The Construction of Social Reality (New York 1995). 11

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V. Very well. Now, we know that this theory (and Searle knows it very well too) has counterexamples, together with the general difficulty of clarifying the key notion of »collective intentionality«.13 Even if we limit ourselves to considerations concerning the object, the problem is two-fold: it is not obvious at all how, from the physical object, we manage to get to the social object; and it is not clear at all how, given the social object, we should individuate a corresponding physical object. In order to explain the shift from the physical to the social, Searle makes the example of the transformation of a wall into a boundary. The idea is the following: firstly, there is a physical object, a wall that divides the inside from the outside and defends a community. Then, step by step, the wall deteriorates, and only a line of stones is left – unhelpful as a physical shelter – to identify a social object, namely a boundary: the very same that, later on, will be the yellow line that in the post-offices and airports allocates an insuperable threshold. Now, we can understand how a wall, by falling apart slowly, can, in certain circumstances, turn into a boundary. But it is not at all evident how, on the ground of this simple analogy – a lucky chance that who knows how few times occurred – the yellow line or the center line of the road are born. The question is further complicated by the following consideration: if really a physical object can constitute the origin of a social object, then every physical object would turn into a social object, every wall would signify a prohibition. But clearly this is not the case, as everyone who decides to tear down a wall in their house can verify, provided that the demolition would not contradict certain norms – which not necessarily concern the physical solidity of the wall. And, lastly, we should not forget that one of the most famous walls in contemporary history, the Berlin Wall, was begot by a boundary – the opposite of what should have happened according to Searle’s explanation. As for the second aspect of the problem – the aspect concerning the reversibility from the social to the physical sphere – it is rather intuitive to assert that a banknote is also a piece of paper, or that a president is also a person. As much as it is true that, when Searle is alone in an empty hotel room, there is only one physical object, but many social objects (a husband, an employee of the state of California, an American citizen, a driving license holder…). In this case, the passage back from Y (the social) to X (the physical) goes smoothly. However,

I have criticized at length this aspect of Searle’s theory in Maurizio Ferraris: Dove sei? Ontologia del telefonino (Milano 2005). »Collective intentionality« has been originally elaborated by the Finnish philosopher Raimo Tomela, cf. Raimo Tuomela: The Importance of Us (Stanford 1995), whereas the psychologist M. E. Bratman is concerned with »shared intentionality«, cf. Michael E. Bratman: Shared cooperative activity. In: The Philosophical Review 101 (1992) 327–41. 13

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things change in different, although not very peculiar, situations. How should we deal with vague14 or vast entities, such as a State, a battle, a university? And how about negative entities, such as debts? The English philosopher Barry Smith has rightly pointed out that in many cases we have to acknowledge the existence of Y independent entities, namely entities that do not ontologically coincide with any part of physical reality. Here, according to Smith, we are dealing with »representations«. In order to better define the notion of »representation«, Smith qualifies it as a »quasi-abstract entity«, providing as an example a chess match played at random. The idea is that chess may be played independently from any physical support. You can play in the Internet, where the chessboard is not »present« in the way that a physical chessboard is (for instance, it has two localizations, corresponding to the two computers). Moreover, two experts can play by heart, without there being even a chessboard represented on a screen, but rather through two barely thought chessboards. Smith expands the model to the paradigm of money. In this case, too, from a certain moment on (and more and more as technology develops), we loose the physical counterparts, substituted by traces on the computer. And, also in this case, there is a social object to which no physical object corresponds, but rather a representation. This is all fine, but are the computer blips really not physical at all? Are they really a res cogitans utterly detached from a res extensa? It takes only a visit to a technological cemetery (a huge Chinese landfill, or the corridor of a Department where out of order computers have been stored) to realize how much plastic and silicon is necessary for magnetic traces to exist. And, unless we want to say that computers have souls, separated from their bodies, the blips will be material things as well. Indeed, it is difficult – nay, impossible – to uphold that, in the case of money that is transformed into traces on a computer, there are just representations and no physical thing sustaining them, if only something endowed with a rather light physicality. But let as suppose that this is indeed the case, that representations do not need anything physical. Then, there would be no way to answer the question: how should we distinguish in principle 100 real thalers from 100 ideal thalers? How are we to distinguish the representation of 100 thalers from 100 merely imagined, or dreamed of, thalers ?15 14 Vgl. Timothy Williamson: Vagueness (London 1994); Timothy Williamson (Hg.): Vagueness. In: The Monist 81 (1998) 193–348. 15 If one maintains that it is false that a social object depends on a particular physical substrate, but it is true that every social object generically depends on some physical substrate (namely an inscription of same sort), one can keep on criticizing Searle’s position (which rather concerns the fact that Searle points to the »wrong« physical substrate, somehow), and at the same time avoid Smith’s »representational« conclusions. The chess match does not depend on a particular chessboard, neither depends it on two particular computers, or some particulars neurons. Still, if a match is there, then some physical substrate is also there, and therefore the match generically depends on some physical substrate. On the distinction between particular and generic dependence see Peter Simons: Parts. A Study in Ontology (Oxford 1987) 296–7.

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The difficulties emerging out of both Searle’s theory and Smith’s correction help us to spot the way to the solution of the problem of social objects, which I propose to develop after the theory of the French philosopher Jacques Derrida (1930-2004).16 Derrida has elaborated a philosophy of writing that finds its most correct application in the social sphere. What is more interesting is that Searle knew this theory, but the alliance was rendered impossible by a reciprocal misunderstanding. Actually, Derrida dedicated an essay to Austin’s linguistic acts.17 Those acts, Derrida observed, are mostly inscribed acts, since without records of some sort the preformatives would not produce social objects such as conferences, marriages, graduation ceremonies, or constitutions. The point is simple: if we imagine a graduation or a wedding ceremony in which there are no registers and testimonies, it is difficult to maintain that a husband, a wife, a graduated person has been produced. This amounts to saying that social objects turn out to be (as much as the ideal ones) closely linked to the forms of their inscription and recording. That article irritated Searle, who, a few years later, replied what to him was nothing but a misunderstanding of Austin18. Thus, the meeting seemed not to bring anything to the point. Still, we can see in it the solution of Searle’s puzzle. Indeed, the problem in Searle’s social ontology depends on not having investigated the hypothesis that the physical counterpart of a social object is a trace, namely exactly what Derrida has brought attention to during all his career – be it a trace on the paper or a trace in the brain, an inscription in the memory that reminds us of a promise, a debt, a duty or a fault. Derrida, having at hand the evidence to the effect that money has turned into inscribed paper – although not yet the (more striking) evidence to the effect that it would have turned into computer bytes – provided, as soon as 1967, through his hypothesis on the nature of writing, the ground of an extremely powerful ontology. However, Derrida was wrong in claiming that »nothing exists outside texts« (and Searle was entitled to reproach him on this). Actually, as we have seen, physical and ideal objects exist independently from every recording as much as from there being an humanity. This is not the case for social objects, which tightly depend on records and the existence of humanity. It is in this sense that, by weakening Derrida’s thesis, I propose to develop a social ontology starting form the intuition that no social thing exists outside texts.

Vgl. Jacques Derrida: De la grammatologie (Paris 1967); Maurizio Ferraris: Introduzione a Derrida (Roma-Bari 2003); Maurizio Ferraris: Jackie Derrida (Torino 2006). On the social role of writing, cf. Walter J. Ong: Orality and Literacy. The Technologizing of the Word (London-New York 1982). 17 Vgl. Jacques Derrida: Marges de la philosophie (Paris 1971). 18 Vgl. John R. Searle: Reiterating the Differences: A Reply to Derrida. In: Glyph 1 (1977) 172–208. 16

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VI. Keeping this in mind, my thesis19 is that, contrary to Searle’s idea, the constituting rule of a social object is not X counts as Y in C (social objects are higher order objects with respect to the underlying physical objects), but Object = Inscribed Act: social objects are social acts (concerning at least two people) characterized by the fact of being inscribed, in a document, in a computer file or simply in people’s head. With respect to Searle, we solve all the problems of the shift from the physical to the social; with respect to Smith, we have a way to distinguish an actual social object from a purely thought one; with respect to Derrida, we acknowledge a specific sphere of social objects, separated by physical and ideal objects. The essential lines of this theory are the following: in the world there are subjects and there are objects. The subjects refer to objects (the former represent, think about or somehow deal with the latter), namely they possess intentionality; objects do not refer to subjects. Objects come in three kinds: (1) physical objects (mountains, rivers, human bodies and animals) that exist in space and in time, and are independent from subjects knowing them, even though they may have built them, as for artifacts (chairs, screwdrivers); (2) ideal objects (numbers, theorems, relations) that exist outside of space and time, and are independent from the subjects knowing them, but which, after having been discovered, can be socialized (for instance, a theorem can be published; still, it is the publication, not the theorem, that has a beginning in time); (3) social objects, that do not exist as such in space, since their physical presence is limited to the inscription (money is such because of what is written on the coin, on the banknote or on the memory of the credit card), but last in time, and whose existence depends on the subjects who know, or at least can use, them and who, in certain cases, have constituted them. This latter circumstance displays us the fact that social objects, for which construction is necessary, depend on social acts, whose inscriptions constitute the respective object. As I have indicated through the law Object = Inscribed Act, social objects consist in the recording of acts that encompass at least two people and are characterized by being inscribed on a physical substrate what so ever, from marble to neurons, passing through paper and computers. I do not consider obnoxiously the idea that also brain processes are to be described in terms of a sort of writing, since they are manifest to us exactly in those terms, as it is revealed also by the fact that the mind has always been described as a tabula rasa, i.e. a writing table. From this standpoint, and weakening Derrida’s axiom, one can state that »no social thing exits outside texts«. Physical as much as ideal objects exist independently form inscription and records, but this is not the case for social objects. 19

Vgl. Maurizio Ferraris: Dove sei? Ontologia del telefonino, a. a.O. [Anm. 13].

Social Ontology and Documentality

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Without some sort of recording, it is impossible to conceive any kind of society or – even more so – any social object. However, the recording is a necessary but not sufficient condition for the existence of social objects: without recordings, there are no social objects, but it is not necessarily a recording (for instance a recollection of mine) that constitutes a social object. Social objects are constituted by inscribed acts, but not every inscription is a social object. Fingerprints become social objects when they are registered by the police and used as evidence in a trial, and in this case they are actually part and parcel of an inquiring procedure. And when fingerprints are taken on a passport, they become part of a document which is endowed with an even more evident social character; it incorporates this social character – so to speak. From this standpoint, the document has to be conceived – rather than as something which is done once for all, and constituting a class of stable objects – as a teleological end of a theory of social objects. Not all inscriptions are documents, but there is no inscription that, in certain conditions and once it has acquired a certain social power, cannot become such.

VII. If all this is true, then a theory of social objects develops naturally into a theory of the document, understood as an inquire centered on the definition of what I call »documentality«, namely of the properties that constitute, in each case, the necessary and sufficient conditions (starting from two very general conditions: being an inscription and being a document or a »documental« thing) for a social object to be. At last, there is no society if there are no documents, and documents are records with a particular social value. On this ground, a theory of documentality can develop along three directions. The ontological dimension, answering the question: what is a document? The technological dimension, concerning the means through which documentality can be spread in a complex society. The pragmatic (and forensic) dimension, which concerns the care of documents in a society characterized by the explosion of writing, and in a world dominated by information technology.20 1) As for the first question – what is a document? – we need to articulate the law Object = Inscribed Act. Documentality comprises a sphere encompassing so different things as memories, notes (a memo can, although not necessarily must, acquire social value) and international treaties; all such things can be realized through the most different media (paper writing, electronic writing, pictures …); they can refer to the most different activities (borrowing a book, getting married, being named, declaring war…). In the vast majority of those realizations it Vgl. David R. Koepsell: The Ontology of Cyberspace (La Salle 2000); D.R. Koepsell and L. Moss (Hg.): John Searle’s Ideas About Social Reality, a. a.O. [Anm. 7]. 20

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is possible to spot the structure of documentality: first of all, a physical substrate; then, an inscription which, obviously, is smaller than the substrate and which defines its social value; finally, an idiomatic thing, typically a sign (and its variation, such as the electronic signature, the debit card’s or mobile’s PIN, etc.) which guarantees its authenticity. It is important here to single out a point. Sounds, signs and thoughts are not physical objects as hefty as States or persons; they possesses far less molecules. Still, they are not completely void of physical bulk: a sound needs vibrations, a thought requires electric activity in the brain, and this, obviously, holds for signs on a piece of paper too (and even more manifestly so). This last circumstance, if one thinks over it for a while, is more relevant than it is generally believed, since paradigmatic social objects, such as banknotes, are »signs on a piece of paper«: banknotes qualify as social, and not only physical, objects because of a few molecules, those in the inscription and possibly also those in the thread-mark. Actually, the really important aspect of a banknote, what turns it from a physical object – a drawing, let us say – into a social object, is the small amount of molecules of the inscription that declare its value, along with the ones of the signature of the governor, who states its validity – and not the bunch of molecules constituting its form and matter; proof being that a very big banknote may have lesser value than a much smaller one. Those few molecules, moreover, are not very different from the blips in the computer of a bank: they are objects of the same sort, showing similar characteristics; and this holds also for what Searle calls »status indicators«, such as, for instance, passports and driving licenses. At the same time, those molecules are something, although there is only a little amount of them, and not just a representation. Those few molecules account for Smith’s expression »quasi-abstract entity«: the entity must be recorded somewhere in space. At the ontological level, my proposal is to spot in documentality five ascending degrees (from physical to social): traces, recordings, inscriptions, documents, idioms. I call a »trace« what, endowed with a rather small number of molecules, serves as the physical substrate of a record. Only for social objects the trace has a constitutive value. In the world of physical objects, there are traces only for minds that are able to recognize them. In the world of ideal objects, traces operate only in the socialization of an entity that does not depend on an inscription. Things are different for the constitution of a social object, since the trace openly indicates a beginning in time, and moreover it motivates the chronology of the object also beyond the intentions of the people involved in its constitution, and the length of their life. A trace, in a mind or for a mind, becomes a record; this record can, in certain circumstances, acquire social value, for instance when the agents of the scientific police transform a piece of DNA attached to a cigarette butt into a proof. But, indeed, the mere recording is not, as such, a social thing.

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An »inscription« is a record with a social value. Within a society, spoken or written words, as much as hand-shakings, can be relevant things. The inscription possesses the following laws of essence: it is the necessary but not a sufficient condition of the social object; it is smaller than its substrate; its size has no bearing on the size of the corresponding social object; the inscription is true if it is idiomatic. Inscriptions that can acquire a legal value are documents, which are, along with Smith’s perspective,21 acts fixing.22 And here is the last ingredient of our ascending hierarchy: the idiom. With »idiom« I mean a specific way of presentation that links a particular inscription to an individual. Its more evident model is the signature (on a document, a check or a banknote: an element that is almost everywhere in social reality, although it is often unobserved), but it can also be a specific way in which someone expresses themselves, for instance their normal tone of voice. Its aim is the object’s individuation, and exactly in so far as it individuates an object it can play the role in the validation of social objects, which, thanks to the signature, emerge as the expression of the intentionality of someone. 2) As for the second question – how can documentality be spread in a complex society? – if it is true that in our developed society the demand for documentality is growing at a fast pace, it is also true that our society is provided growing resources from the electronic supports, which enhance and multiply the law Object = Inscribed Act. This element is apparent in financial transactions, and in all that can be done through them. On a financial level, and already in an economy based on paper supports, documents are what fixes the values, composes different values within a single system, stirs resources and energies, relates people and protects transac-

Barry Smith: »Document Acts«. [http://ontology.buffalo.edu/document_ontology/] According to Smith, thus, it is possibile to develope a theory of what he calls »document acts«, i.e. a theory »1. of the different types of document, ranging from free–text memos to standardized forms and templates, and from single documents as self–contained collections of information to bodies of documents incorporating various sorts of riders, codicils, protocols, addenda, amendments, endorsements and other attachments, including maps, photographs, diagrams, signatures and other marks, 2. of the different types of physical medium or bearer for a document’s content (most important here is the distinction between paper and electronic documents), 3. of the different sorts of things we can do to documents (fill in, sign, countersign, stamp, copy, notarize, transfer, invalidate, destroy), 4. of the different sorts of things we can do (achieve, effect) with documents (establish collateral, create organizations, record the deliberations of a committee, initiate legal or military actions), and of the different ways in which, in performing such acts, we may succeed or fail to achieve the corresponding ends, 5. of the institutional systems to which documents belong (marriage, property, law, commerce, trade, credentialing, identification, movement of goods and people), and of the different positional roles within such systems which are occupied by those involved in the performance of the corresponding acts, 6. of the provenance of documents (of what distinguishes an original, authentic document from a mere copy or forgery).« 21 22

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tions.23 On this ground, a shift form the paper support to the electronic support de-locates the operations by extending the capacity of writing. It becomes, thus, possible to accomplish differently natured operations: paying taxes, fines, bills (also those that, differently from power and gas bills, cannot be domiciled in a bank, such as the garbage tax) and union fees (for every kind of employee); booking medical visits, lawyers, public services; obtaining certificates (documentation of identity or marital status, certification of property, etc.); doing bank transactions; obtaining postal services (at a virtual counter you can send a registered letter, a telegram, and, in general, a letter that will be delivered in a paper form); and purchasing online (in this case, physical commodities – we are delivered our shopping online – as much as events or social objects: plane tickets, museum tickets, concert tickets). The problems concerning identification are tougher. Electronic documents are not localized, or, at least, they are far less localized than paper documents. If I fill in an online application form in a public administration site, the form will be the same whether I fill it in at a computer in Italy or in Mexico, but where, then, exactly is the form? Moreover, who answers me is not a person (someone will read the form only later, if anyone), but a program. And a program cannot talk, unless it has been enabled to do so through another program, which is a written thing. The document is not any longer the transcription of a voice localized in a physical person; it is a written thing de-localized in each computer through which we can access it. In this framework, we find the issue of the digital signature, which constitutes a remedy to the impersonality and de-location of the digital, and which sums up within itself exactly two fundamental features of the document: individual reference (idiomaticity) and deontic power.24 3) Finally, let us face the third question – how are we to take care of documents in a world characterized by the explosion of writing? The growing problems of privacy in the advanced societies are usually read from the stand point of a Big Brother, namely a big watching eye, in accordance with the model of Bentham’s Panopticon, but this image is partly misleading. Actually, it is true that there are more and more cameras observing (also with an infra-red eye) our

Hernando De Soto: The Mystery of Capital. Why Capitalism Triumphs in the West and Fails Every Where Else (New York 2000). 24 See the characterization of the digital signature to be found in the Italian Legislation (Art. 24, March 5th 2005, n. 82, Digital Administration Code). The digital signature ought to univocally refer to one and only one subject and to the document, or set thereof, to which it is affixed or associated. The affixing of a digital signature integrates and substitutes the affixing of seals, stamps, and marks of whatever kind, and it is used to every aim to which the current normative applies. For the generation of the digital signature, a qualified certificate has to be used, the validity of which, at the time of the subscription, is not expired, revoked, or suspended. The validity of the certificate, along with the identifying elements of the titular, of the certificating officeholder, and possibly the constraints on its use, has to be established through the qualified certificate itself, according to the technical rules established by article 71. 23

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everyday life, in banks, stations, supermarkets, private buildings, and satellites. But the strength of this eye would be nothing, were it not accompanied with the capacity of recording – which is exactly what turns an act of vision into a document. In this case too, the debates on the interceptations are just the tip of the iceberg: democracy requires to be investigated through the central questions arising within the category of »documentality«. All this suggests two complementary, although contrasting, considerations. On the one hand, the growing role of documentality shows undoubtedly why it is so bad being sans papier; it is exactly the lack of those paper documents– which are more and more turning into computer blips – that is the starting point of the process leading to the bare life, namely the offended life, a life liable to anyone’s offence. In this sense, then, documentality looks like a safeguard. On the other hand, obviously enough, documentality deprives us of the right to a secret and private sphere; it creates a sort of universal control. Therefore, what has been called the habeas data, namely the acknowledgement of the privacy of the records concerning us,25 turns out to be not less important than the acknowledgement of the habeas corpus, which was ratified eight hundred years ago.

VIII. I maintain to have demonstrated that the critical category for social ontology is the category of »documentality«, in accordance with the constitution law Object = Inscribed Act. Through this category, it is possible to develop a unified theory of social objects, going over the difficulties found in the previous theories.

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Stefano Rodotà: La vita e le regole (Milano 2006).

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In this essay, I will first consider some of the ways in which American academics have been engaged with and have adopted Begriffsgeschichte in their research and writing. When compared to other milieus where the impact of Begriffsgeschichte has been considerable – such as those in the Netherlands, Finland and Spain – in the United States its influence has been more circumscribed.1 Nonetheless, historians, political scientists and philosophers have made use of the empirical and interpretive materials made available in the Brunner, Conze and Koselleck Geschichtliche Grundbegriffe and the Ritter and Gründer Historisches Wörterbuch der Philosophie. A number have endorsed Begriffsgeschichte as a method, and a few have suggested that English language historical dictionaries along similar lines be compiled. While no such projects are likely to be produced in the proximate future, the methodological importance of historical semantics has been acknowledged in a variety of disciplinary arenas. Histories of concepts, while still far from common, have become part of the contemporary continuum in the history of ideas. In the second part of this piece, I will discuss a number of other methodological approaches, which, if employed in conjunction with historical semantics, could serve to enhance the practice of intellectual history. It should be of little surprise that the initial, and most extensive, American audience for Begriffsgeschichte has been comprised of German studies scholars, in particular specialists on early modern and modern Germany. Within a few years of the appearance of the first volumes of the Geschichtliche Grundbegriffe, the historian James Sheehan produced a review essay for the Journal of Modern History that featured an overview of the endeavor and a thoughtful analysis of what he considered to be the »broader methodological questions raised by Begriffsgeschichte.«2 In discussing some of the »problems and possibilities« posed by the diachronic study of concepts, Sheehan did express reservations about the utility and suitability of a Begriff as the salient unit of analysis, and asked how the fluid meanings of concepts could be presumed to be fixed.3 Pim den Boer: Beschaving: een Geschiedenis van de Begrippen Hoofsheid, Heusheid, Beschaving en Cultuur (Amsterdam 2001). Käsitteet liikkeessä. Suomen poliittisen kultuurin käsitehistoria, toim Matti Hyvärinen, Jussi Kurunmäki, Kari Palonen, Tuija Pulkkinen, Henrik Stenius (Tampere 2004). Diccionario Político y Social del Siglo XIX Español, dirs. Javier Fernández Sebastián, Juan Francisco Fuentes (Madrid 2002). 2 James J. Sheehan: Begriffsgeschichte: Theory and Practice. In: Journal of Modern History 50 (1978) 312–319. 3 Ebd. 314. 1

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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Although he admired the high quality of scholarship involved in the project, he was not convinced that Begriffsgeschichte could or should develop into a separate branch of inquiry. Rather, he hoped that it would serve to stimulate other modes of historical investigation. Sheehan’s methodological skepticism about Koselleck’s prospectus for Begriffsgeschichte notwithstanding, his American colleagues did make use of the lexicon’s entries – such as Rudolf Vierhaus’s »Liberalismus,« Werner Conze’s »Beruf,« Lucian Hölscher’s »Öffenlichkeit,« and Manfred Riedel’s »Bürger« – as its respective numbers appeared in print.4 The Geschichtliche Grundbegriffe did find a more positive, and more persistent, American advocate in Melvin Richter, a professor of political science. In 1986, he began to publish a series of articles in such venues as Political Theory, the Journal of the History of Ideas, and History and Theory on the implications of the lexicon for the study of political thought, the differences between its methods and intellectual history as practiced by Friedrich Meinecke and Arthur Lovejoy, and the points of compatibility and convergence between Begriffsgeschichte and the Cambridge School contextualism identified with the work of J.G.A. Pocock and Quentin Skinner.5 These pieces served as the core of a 1995 volume on The History of Political and Social Concepts: a Critical Introduction.6 Where Sheehan was quite careful and circumspect when evaluating the claims of Koselleck’s research program, Richter was far more expansive. He argued that the systematic application of historical semantics to large bodies of source material had important consequences not only for German studies, but for the history of political thought and for intellectual history overall. For Richter, Koselleck’s program was far more than an antidote to anachronism: it was a powerful method for understanding and interpreting texts and authors properly. As an example, he used Dietrich Hilger’s entry on »Herrschaft« in order to underline the serious inadequacies of Talcott Parsons’s renditions of Max Weber’s typology of »domination.« Richter argued that Weberian sociology as promoted by Parsons and institutionalized in American social science was based upon serious misunderstandings of the concepts that Weber had employed.7 In the closing chapter Harry Ritter: Austro-German Liberalism and the Modern Liberal Tradition. In: German Studies Review 3 (1984) 229. Anthony La Volpa: Vocations, Careers and Talent. Lutheran Pietism and Sponsored Mobility in Eighteenth-Century Germany. In: Comparative Studies in Society and History 28 (1986) 256. John Laursen: The Subversive Kant. In: Political Theory 14 (1986) 600. Thomas Childers: The Social Language of Politics in Germany. In: American Historical Review 95 (1990) 340. 5 Melvin Richter: Conceptual History (Begriffsgeschichte) and Political Theory. In: Political Theory 14 (1986) 604–637; Melvin Richter: Begriffsgeschichte and the History of Ideas. In: Journal of the History of Ideas 48 (1987) 247–263; Melvin Richter: Reconstructing the History of Political Languages: Pocock, Skinner and the Geschichtliche Grundbegriffe. In: History and Theory 29 (1990) 38–70. 6 Melvin Richter: The History of Social and Political Concepts: a Critical Introduction (New York 1995). 7 Ebd. 67–77. 4

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of the book, Richter suggested that an English language project, analogous to the Geschichtliche Grundbegriffe, for the study of political and social concepts in the United States and the United Kingdom be developed as an alternative to the Oxford English Dictionary.8 While the reviews for Richter’s text were, in general, quite favorable, his proposal for an Anglo-American historical lexicon has found little in the way of support.9 Neither the personnel, the institutional settings, nor the financial resources necessary for such an undertaking have been available.10 In addition, one important group of contemporaries whom Richter has strived to convince about the methodological significance of Koselleck’s work was, and remains, unpersuaded. From criticisms made by Pocock in the course of a 1992 symposium celebrating the completion of the Geschichtliche Grundbegriffe, to Skinner’s recent construal of Koselleck as an historian of words, not of concepts, members of the so-called Cambridge School have expressed their doubts about the desirability and the reliability of historical dictionaries in general, and about the methods of Begriffsgeschichte in particular.11 The metatheoretical differences between Bielefeld Begriffsgeschichte and Cambridge contextualism might, or might not, be reconcilable. Nor may the philosophical gap between hermeneutics and ordinary language philosophy be bridgeable.12 Nevertheless, a number of American-based political scientists

Ebd. 143–160. David Lidenfeld: Review of The History of Political and Social Concepts. In: American Historical Review 102 (1997) 1116–1117. Michael Freeden: Ideologies and Conceptual History. In: Journal of Political Ideologies 2 (1997) 3–11. Omar Dahbour: Review of The History of Political and Social Concepts. In: Journal of the History of Philosophy 35 (1997) 317–19. Mark Bevir: Begriffsgeschichte. In: History and Theory 39 (2000): 273–284. Russell Hanson: Review of The History of Political and Social Concepts. In: American Political Science Review 96 (2002) 795–797. 10 Martin J. Burke: Conceptual History in the United States: a Missing »National Project.« In: Contributions to the History of Concepts 2 (2005) 127–144. 11 John G. A. Pocock: Concepts and Discourses: a Difference in Culture? In: The Meaning of Historical Terms and Concepts: New Studies on Begriffsgeschichte, ed. by Hartmut Lehmann and Melvin Richter (Washington 1996) 47–58. Quentin Skinner: On Intellectual History and the History of Books. In: Contributions to the History of Concepts 1 (2005) 33–35. Javier Fernández Sebastián: Intellectual History, Liberty and Republicanism: an Interview with Quentin Skinner. In: Contributions to the History of Concepts 3 (2007) 113–115. 12 Reinhart Koselleck: A Response to Comments on the Geschichtliche Grundbegriffe. In: The Meaning of Historical Terms and Concepts, 59–70. Javier Fernández Sebastián: Conceptual History, Memory and Identity: an Interview with Reinhart Koselleck. In: Contributions to the History of Concepts 2 (2006) 108–110. Javier Fernández Sebastián: Interview with Quentin Skinner, 113–115. Janet Coleman: The Practical Uses of Begriffsgeschichte. In: Finnish Yearbook of Political Thought 3 (1999) 28–40. Kari Palonen: Rhetorical and Temporal Perspectives on Conceptual Change: Theses on Quentin Skinner and Reinhart Koselleck. In: Finnish Yearbook of Political Thought 3 (1999) 41–59. Christian Nadeau: L’historie comme construction social politique: une lecture croisée de Reinhart Koselleck et Quentin Skinner. In: Cahiers D’Épsitémologie (2005–2007) 5–24. Pasi Ihalainen: Between Historical Semantics and Pragmat8 9

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and historians have drawn upon one or both of these approaches. In so doing, they have produced histories of such concepts as »revolution,« »policy,« »class,« »liberty,« »freedom,« »social capital,« »technik« and »America.«13 These studies have appeared in monographs and journal articles, however, not in multi-volume dictionaries or encyclopedias. But they are suggestive of the possibilities of what Mark Bevir has described as a »somewhat different« style of conceptual history, one in dialogue with, but not necessarily bound by, the methodological precepts and the philosophical presumptions of the Geschichtliche Grundbegriffe.14 As was the case for that collection, the Historisches Wörterbuch der Philosophie also received notice in the United States soon after its initial release. In a very positive review of the first three volumes in the pages of Philosophy and Phenomenological Research, Daniel Robinson explained that they included both revisions of many of the entries in Rudolph Eisler’s Wörterbuch der Philosophischen Begriffe, as well as newly commissioned pieces on a wide range of philosophical concepts.15 He was impressed that the chronological and geographical arc of this »monumental« collection ran from ancient Greece and Rome to contemporary Asia. Robinson pointed to Fernand van Steenberghen’s contribution on »Aristotelismus« as an example of how the dictionary’s essays were organized. Yet, while Robinson was pleased with the »exceptionally erudite« quality of the articles, he did observe that the authors and editors had paid insufficient attention to work done by their American, Australian, British and Canadian counterparts.16 In subsequent articles and monographs, philosophers and Germanists have referred to the entries on such terms and topics as »Bewegung, politische,« »His-

ics: Reconstructing Past Political Thought Through Conceptual History. In: Journal of Historical Pragmatics 7 (2006) 115–143. Rudolf Valkhoff: Some Similarities between Begriffsgeschichte and the History of Discourse. In: Contributions to the History of Concepts 1 (2006) 83–98. Mark Bevir: Begriffsgeschichte, 273–284. 13 James Farr: Historical Concepts in Political Science: the Case of »Revolution.« In: American Journal of Political Science 26 (1982) 688–709. Arnold J. Heidenheimer: Politics, Policy and Policey as Concepts in English and Continental Languages. In: Review of Politics 48 (1986) 3–30. Martin J. Burke: The Conundrum of Class: Public Discourse on the Social Order in America (Chicago 1995). Douglas Howland: Translating Liberty in Nineteenth-Century Japan. In: Journal of the History of Ideas 62 (2001) 161–181. Kurt Raaflaub: The Discovery of Freedom (Chicago 2003). Farr: Social Capital: a Conceptual History. In: Political Theory 32 (2004) 6–33. Eric Schatzberg: Technik Comes to America: Changing Meanings of Technology before 1939. In: Technology and Culture 47 (2006) 486–512. Max Paul Friedman: Toward a Conceptual History of »America« in European Migrant Sending Communities, 1860 to 1914. In: Journal of Social History 40 (2007) 557–575. 14 Mark Bevir: Begriffsgeschichte: 283. Bevir: The Role of Contexts in Understanding and Explanation. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, hg. von Hans Erich Bödeker (Göttingen 2002) 159–208. 15 Daniel S. Robinson: Review of Historisches Wörterbuch der Philosophie. In: Philosophy and Phenomenological Research 35 (1975) 595–598. 16 Ebd. 597–598.

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torismus,« »Deontologie,« »Kairos,« »Methode, polemische,« »Psychologie,« »Physikotheologie,« »Horizont,« »Tathandlung,« »Lebensphilosophie,« »Anthropologie,« and »Realität/Idealität.«17 Yet with few exceptions, the familiarity of scholars with the dictionary appears to be even more limited than that for the Geschichtliche Grundbegriffe.18 These professional boundaries reflect the invidious division of intellectual labor between analytic and continental philosophers that Robinson had recognized, one that is deeply ingrained within university departments of philosophy.19 They are also indicative of the continued eclipse of German as a language of learning in the American academy. Students and specialists interested in histories of such concepts as »historicism,« »deontology« or »anthropology« are far more likely to consult such online and print reference works as the Stanford Encyclopedia of Philosophy, the Routledge Encyclopedia of Philosophy or the Dictionary of the History of Ideas than they are to turn to the Historisches Wörterbuch der Philosophie.20 Nor have the Ritter and Gründer volumes found an American exegete and exponent. Melvin Richter did provide a short summary of the project in the History of Political and Social Concepts volume. But he was much more interested in the application and implications of Koselleck’s style of Begriffsgeschichte, and far more invested in the history of political thought than in the history of philosophy.21 Of late, Richter has offered at least a partial solution to the problem of access to scholarship for Anglophone readers not able to understand German. With the cooperation of Reinhart Koselleck, Richter and his wife, Michaela, translated the entry on »Krise« from the third volume of the Geschichtliche Grund-

Herbert Spiegelberg: Movements in Philosophy. In: Philosophy and Phenomenological Research 43 (1983) 293. Carl Page: Philosophical Historicism and the Betrayal of First Philosophy (University Park 1995) 203. Robert Louden: Toward a Genealogy of »Deontology.« In: Journal of the History of Philosophy 34 (1996) 584. William McNeill: The Glance of the Eye: Heidegger, Aristotle, and the Ends of Theory (Albany 1999) 344. Mark Larrimore: Orientalism and Voluntarism in the History of Ethics. In: Journal of Religious Ethics 28 (2000) 218. Andreas Gailus: Karl Philipp Moritz and the Magazine for Empirical Psychology. In: New German Critique 79 (2000) 71. Hans Adler and Sabine Gross: Comments on Cognitivism and Literature. In: Poetics Today 23 (2002) 219. George Wright: Curley and Martinich in Dubious Battle. In: Journal of the History of Philosophy 40 (2002) 465. Kevin McLaughlin: Benjamin Now. In: boundary 2 30 (2003) 193. Nitzan Lebovic: The Beauty and Terror of Lebensphilosophie. In: South Central Review 23 (2006) 25. Chad Wellmon: Poesie as Anthropology. In: German Quarterly 79 (2006) 443. William Eggington: A Wrinkle in History (Aurora, Colorado 2006) 285. 18 Josef Brozek: Review of Historiches Wörterbuch der Philosophie. In: Journal of the History of Behavioral Sciences 26 (1990) 296–297. 19 Bruce Kuklick: A History of Philosophy in America (New York 2001) 264–269. 20 Stanford Encyclopedia of Philosophy, ed. by Edward Zalta (Stanford 1997) http://plato.stanford.edu/ . Routledge Encyclopedia of Philosophy, ed. by Edward Craig (New York 1998 http://www.rep.routledge.com . Dictionary of the History of Ideas, ed. by Philip Wiener (New York 1973) http://etext.lib.virginia.edu/DicHist/dict.html . 21 M. Richter: History of Political and Social Concepts, 12–19. O. Dahbour: Review of History of Political and Social Concepts, a. a.O. [Anm. 9] 317–319. 17

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begriffe into English.22 This Richter and Richter article on »Crisis« appeared in the Journal of the History of Ideas, and was preceded by a sizeable introductory essay.23 There, Melvin Richter reprised his early summaries of the contents and the contours of the lexicon. »Krise,« he explained, was one of the few articles written solely by Koselleck. It contained excellent examples of the processes of Verzeitlichung (temporalization), Demokratisierung (democratization), Ideologiesierbarkeit (ideologization), and Politisierung (politicization) at work during the Schwellenzeit (threshold period) of the eighteenth and nineteenth centuries.24 The introduction also reiterated previously made points about the methodological innovations and the larger significance of Koselleck’s »distinctive version« of Begriffsgeschichte: one that combined historical semantics with structural social history in an effort to understand the emergence of modernity.25 There is a possibility that the Richters might undertake a translation of Koselleck’s »Einleitung« to the first volume of the Geschichtliche Grundbegriffe, but as it now stands »Krise« is the sole entry available in English. The appearance of, and advocacy for, conceptual history in a journal founded by Arthur Lovejoy and long identified with the study of unit ideas might appear to be a signal achievement, especially in light of Koselleck’s emphasis on the practical and philosophical differences between Begriffsgeschichte and Lovejovian history of ideas.26 But as Anthony Grafton has noted, the Journal of the History of Ideas’ mid-twentieth century program for the examination of formal systems of thought has given way here, in the early twenty-first century, to a more flexible approach to methodological questions, albeit one committed to generously construed forms of contextualism.27 Nor, in retrospect, was Lovejoy adverse to rigorous semantic analysis, as his objections to the promiscuous uses of »pragmatism« by his fellow American philosophers and his essays on conceptions of »romanticism« demonstrate.28 Even some of the essays on unit ideas featured in Philip Wiener’s Dictionary of the History of Ideas can bear comparison to entries in the German historical lexicons, such as Gerhard Masur’s entry

Reinhart Koselleck: Crisis. In: Journal of the History of Ideas 67 (2006) 357–400. Melvin Richter and Michaela W. Richter: Introduction: Translation of Reinhart Koselleck’s »Krise.« In: Journal of the History of Ideas 67 (2006) 343–356. 24 Ebd. 347–350. 25 Ebd. 344, 351. 26 M. Richter: Begriffsgeschichte and the History of Ideas, a. a.O. [Anm. 5] 247–263. 27 Anthony Grafton: The History of Ideas: Precept and Practice, 1950–2000 and Beyond. In: Journal of the History of Ideas 67 (2006) 1–32. 28 Arthur Lovejoy: The Thirteen Pragmatisms. In: Journal of Philosophy, Psychology and Scientific Method 5 (1908) 5–12, 29–39. Lovejoy: On the Meaning of »Romantic« in Early German Romanticism. In: Modern Language Notes 31, 32 (1916) 385–96, 65–77. Lovejoy: Schiller and the Genesis of German Romanticism. In: Modern Language Notes 35 (1920) 1–10, 134–46. Lovejoy: On the Discrimination of Romanticisms. In: Publications of the Modern Language Association 39 (1924) 229–253. 22 23

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on »Crisis in History« to Koselleck’s »Krise.«29 If, in 1992, Donald Kelly would situate the history of ideas »on the margins of Begriffsgeschichte,« by 2006 this was no longer the case.30 Conceptual history and intellectual history have become compatible, not competing, approaches. While in other learned cultures and language communities – in Germany, for example – »concepts« and »ideas« are not necessarily coterminous, in the American academy they effectively are. So, too, are their histories. Thus, as James Sheehan has observed, it can be difficult to imagine the history of concepts as an independent field of research. 31 Rather, conceptual history’s methodological rigor and linguistic reflexivity can serve to expand the options available not only to those writing on social and political thought or philosophy, but to literary historians and religious studies scholars as well. If conjoined with other modes of analysis, Begriffsgeschichte’s historical semantics and pragmatics offer the prospect of more nuanced, if not necessarily dramatically new, intellectual histories.32 From the variety of methods employed and approaches favored by contemporary scholars, three appear to be particularly complementary with the history of concepts, and, perhaps, with a renewed interest in Problemgeschichte as well: the history of the book, or of print culture; reception history; and the sociology of knowledge, or of ideas. In the middle of the twentieth century, scholarship in what is now generally referred to as the history of the book was the genteel, and rather rarefied, domain of collectors, bibliophiles, bibliographers, antiquarians and librarians. Save for some areas of literary studies, its publications tended to be peripheral to the history of ideas. By the close of the century, however, the field had expanded rapidly and emerged as one of the major nodes of the »new« cultural history.33 Some of the most celebrated champions of book history, such as Robert Darnton and Roger Chartier, were quite critical of the methods and claims of older forms of the history of ideas, or histoire des idées. Instead, they aligned their work in terms of Annales-style social history and in opposition to intellectual

Gerhard Masur: Crisis in History. In: Dictionary of the History of Ideas, ed. by Philip Wiener Vol. 1 (New York 1973) 589–596. 30 Donald Kelley: On the Margins of Begriffsgeschichte. In: The Meaning of Historical Terms and Concepts, 35–40. Richard Macksey: The History of Ideas at 80. In: Modern Language Notes 117 (2002) 1091. 31 J.J. Sheehan: Begriffsgeschichte, a. a.O. [Anm. 2] 319. 32 Liedulf Melve: Intention, Concepts and Reception: an Attempt to Come to Terms with Materialistic and Diachronic Aspects of the History of Ideas. In: History of Political Thought 27 (2006) 377–406. 33 Millie Jackson: An Introduction to Book History. In: Libraries and the Cultural Record 42 (2007) 97–98. Kate Eichhorn: Old Books and New Histories: an Orientation to Studies in Book and Print Culture. In: Libraries and the Cultural Record 42 (2007) 342–343. Bill Bell: Symposium: What Was the History of the Book? Introduction. In: Modern Intellectual History 4 (2007) 491–494. 29

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history.34 They and their fellow historians of the book have concentrated on the production and distribution of printed materials, the creation and social composition of readerships, and on such paratextual matters as title pages, frontispieces, prefaces, notes and illustrations. In general, they have avoided extensive commentary on, or analysis of, the contents of complex texts. Of late, however, there is evidence of a rapprochement between intellectual historians and book historians. Darnton has asked how an intellectual history that concentrates on discourse, and the history of the book, with its emphasis on diffusion, can be brought together. Since both »understand meaning contextually« as a process involving both readers and authors, they »seem to be made for each other.«35 Publication and circulation histories of texts have not be limited to popular literature and polite letters, but have be done on philosophy, theology and other formal discourses of the learned.36 Indeed, among a younger generation of scholars, »the interpretation of texts now goes hand in hand with the reconstruction of intellectual and publishing communities,« as Anthony Grafton has observed. 37 Hence the questions posed by historians of the book no longer seem tangential to the doing of intellectual history.38 Yet some skeptics remain. Quentin Skinner, for one, has expressed doubts about the utility of diffusion studies for assessing the historical significance of such little-read but widely influential texts as Newton’s Principia Mathematica.39 Nor is it clear to him what the practical value of the history of the book for understanding our present circumstances might be, especially when compared to intellectual histories of such contested moral and political concepts as freedom.40 The history of concepts that he proposes would be a history of their acquisition and use in argument. It would be concerned with such issues as to when and how the vocabularies within which concepts are expressed have emerged, and to what ends, and by whom, the respective concepts have been employed.41 34 Robert Darnton: The Business of Enlightenment: a Publishing History of the Encyclopedié (Cambridge MA 1979). Robert Darnton: What is the History of Books? Revisited. In: Modern Intellectual History 4 (2007) 495–508. Roger Chartier: Intellectual History or Socio-Cultural History? The French Trajectories. In: Modern European Intellectual History: Reappraisals and New Perspectives, ed. by Dominick La Capra and Steven Kaplan (Ithaca 1982) 13–46. Chartier: The Order of Books Revisited. In: Modern Intellectual History 4 (2007) 509–519. 35 Robert Darnton: Discourse and Diffusion. In: Contributions to the History of Concepts 1 (2005) 21–23. R. Darnton: What is the History of Books, a. a.O. [Anm. 34] 495–508. 36 Daniel Woolf: The Social Circulation of the Past: English Historical Culture, 1500–1730 (Oxford 2003). Arnd Bohm: Aufklärung, Inc.: Publishing in Eighteenth Century Germany. In: Eighteenth-Century Studies 36 (2003) 286–88. Adam Shear: The Sixteenth Century Hebrew Book. In: Renaissance Quarterly 58 (2005) 1330–1333. 37 A. Grafton: History of Ideas: Precept and Practice, a. a.O. [Anm. 27] 27–29. 38 David Hall: What Was the History of the Book? A Response. In: Modern Intellectual History 4 (2007) 537–544. 39 Q. Skinner: On Intellectual History and the History of Books, a. a.O. [Anm. 11] 31. 40 Ebd. 32–35. 41 Ebd. 34.

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Despite Skinner’s reservations about book history, the systematic attention to the production and distribution of texts should produce more reliable and more comprehensive answers to such questions. After all, the original contribution of what would later be known as the Cambridge School was Peter Laslett’s critical edition of Locke’s »Second Treatise of Government«. With that text Laslett established a new date for the composition of that work, and in so doing resituated Locke within the political contests of the Exclusion Crisis.42 And J.G.A. Pocock’s recent volumes on Barbarism and Religion have been firmly grounded in both the text and the paratextual apparatus of the Decline and Fall of the Roman Empire, as well as in Edward Gibbon’s habits as a writer and reader.43 The book historians’ dual focus on the integrity of individual texts and intertextuality can also supply a salutary lesson for practitioners of Begriffsgeschichte and Problemgeschichte. A book, as Robert Darnton reminds us, is not a »container of ideas« that can be opened by readers »in order to extract its conceptual contents.«44 Nor would any collection of books, treatises, pamphlets or essays be. Scholars must, of course, examine specific instances of linguistic practices and extrapolate from them larger patterns of discourse. They should not, however, strip mine their sources in the necessary activities of colligation and generalization. They must address content and context – as multivalent as that latter term may be – in the course of establishing authorial intentions and audience receptions.45 Historians of concepts and problems, or of problematics, need to be more than historians of abstract propositions. Investigations of readerships and circulation by book historians have on occasion been informed by scholarship on reception.46 But until recently intellectual historians rarely referred to or relied upon reception theory. Rather, it was literary critics and historians who adapted Wolfgang Iser’s aesthetic variety of the Constance school when developing models for discovering »readers’ response.«47 A new cohort of intellectual historians, however, has been more engaged with empirical and methodological work in Rezeptionsgeschichte and related theories. The transposition and reception of the works of modern phiJohn Locke: Two Treatises of Government, ed. by Peter Laslett (Cambridge 1960). J.G.A. Pocock: Barbarism and Religion, Vol. 1: The Enlightenments of Edward Gibbon, 1737–1764 (Cambridge 2001). Barbarism and Religion, Vol. 2: Narratives of Civil Government (Cambridge 2001). Barbarism and Religion, Vol. 3: The First Decline and Fall (Cambridge 2005). Barbarism and Religion, Vol. 4: Barbarians, Savages and Empires (Cambridge 2008). 44 R. Darnton: What is the History of Books, a. a.O. [Anm. 34] 23. 45 Peter Burke: Context in Context. In: Common Knowledge 8 (2002) 152–177. 46 Stephen Dobranski: Readers and Authorship in Early Modern England (Cambridge 2005). 47 New Directions in American Reception Study, ed. by Philip Goldstein and James Machor (Oxford 2008). Reception Study: From Literary Theory to Cultural Studies, ed. by James Machor and Philip Goldstein (New York 2001). Brook Thomas: Restaging the Reception of Iser’s Early Work. In: New Literary History 31 (2000) 13–35. Reader Response Criticism: from Formalism to Post-Structuralism, ed. by Jane Tompkins (Baltimore 1981). 42 43

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losophers has become a very lively field. Significant articles and monographs on topics such as the receptions of Kierkegaard and Heidegger in France, on translations of Nietzsche and Tocqueville, and on American adaptations of existentialism, Hegelianism and analytic philosophy have appeared.48 More are on the way.49 To the degree that reception studies tend to concentrate on individual thinkers and intellectual movements, not on language, they might seem less germane to conceptual historians than to the historians of philosophy. Yet, as Peter Baeher has made clear in his analysis of Talcott Parson’s rendition of the term stahlhartes Gehäuse as ›iron cage‹ in the latter’s widely influential translation of Max Weber’s Protestant Ethic, the consequences of such misconstruals for subsequent generations of scholars and general readers have been profound.50 Further, Reinhart Koselleck and Hans Robert Jauss did share a common philosophical heritage by way of Gadamer’s seminar at Heidelberg. Keith Tribe, for one, has suggested that »Begriffsgeschichte is a form of Rezeptionsgeschichte, charting the course of the reception of concepts and examining the experience that they both contain and make possible.«51 If so considered, integrating analyses of reception with histories of social and political thought should prove to be fruitful.52 Although sustained engagements with studies of books and receptions can provide richer descriptions of when, where and how ideas or concepts appear and are employed in discourse, they may be less helpful in explaining why they have emerged. Traditional histories of philosophy have often presumed that new ideas developed in the course of dispassionate analysis, and that schools and styles of philosophizing replaced each other by means of better arguments. Intellectual history, descended from the history of philosophy, does acknowledge the significance of extra-cognitive contextual factors in accounting for change. Samuel Moyn: Transcendence, Morality and History: Emmanuel Levinas and the Discovery of Søren Kierkegaard in France. In: Yale French Studies 104 (2004) 22–54. Ethan Kleinberg: Generation Existential: Heidegger’s Philosophy in France, 1927–1961 (Ithaca 2005). Jennifer Ratner-Rosenhagen: Walter Kaufmann’s Nietzsche in Historical Perspective. In: Modern Intellectual History 3 (2006) 239–269. Matthew Mancini: Too Many Tocquevilles: the Fable of Tocqueville’s American Reception. In: Journal of the History of Ideas 69 (2008) 245–268. George Cotkin: Existential America (Baltimore 2003). Dorothy Rogers: America’s First Women Philosophers: Transplanting Hegel, 1860–1925 (New York 2005). Joel Isaac: W.V. Quine and the Origins of Analytic Philosophy in the United States. In: Modern Intellectual History 2 (2005) 205–234. 49 Martin Woessner: Heidegger in America (New York 2009). 50 Peter Baehr: The »Iron Cage« and the »Shell Hard as Steel«: Parsons, Weber and the Stahlhartes Gehäuse in the Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism. In: History and Theory 40 (2001) 153–169. 51 Keith Tribe: Author’s Preface. In: Futures Past: on the Semantics of Historical Time (New York 2004) xviii. 52 Martyn Thompson: Reception Theory and the Interpretation of Historical Meaning. In: History and Theory 32 (1993) 248–272. Douglas Howland: Personal Liberty and Public Good: the Introduction of John Stuart Mill to Japan and China (Toronto 2005). 48

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But there remains a preference for internal, rather than external, explanations for the rise and decline of research programs.53 The engine of change in Begriffsgeschichte, at least in its Koselleckian variety, is the emergence of modernity. It is the imperatives of social, economic and political phenomena during the Sattelzeit or Schwellenzeit that produce the circumstances which foster semantic and conceptual innovation.54 Yet how such macro-level structural transformations result in specific linguistic and conceptual changes at the micro-level is not always made clear. Among the most far-reaching of contemporary methods for explaining intellectual change is the sociology of knowledge, or the sociology of ideas, in particular the work of Randall Collins, Scott Frickel and Neil Gross. Collins has developed a sophisticated theoretical model for understanding the history of philosophy as the establishment and maintenance of intellectual networks by means of »interaction ritual chains.«55 Chronic competition for attention and material resources serves to spur on creativity and innovation, and successful circles are transformed into philosophical schools. New ideas gain and lose currency in the context of conflicts within and among these networks; the content of these ideas are less important than are the alliances of intellectuals.56 As a demonstration of how this theory can be applied across time and cultures, Collins’s Sociology of Philosophy includes some seven hundred pages of case studies from ancient Greece, India, and China, through medieval Christendom, and on to modern Europe.57 The Vienna Circle – with its rivalries between physicists, linguists, mathematicians and logicians – serves as one of many settings that exemplify how »attention spaces« and interaction ritual chains function.58 Frickel and Gross follow similar, albeit somewhat different, lines of analysis in their general theory of scientific and intellectual movements. They try to determine under what conditions a coherent program for scientific/intellectual change is likely to emerge, gather adherents, garner prestige and achieve stability.59 The creation and diffusion of ideas which challenge dominant assumptions is the central goal of such movements, for whom intellectual change is a politicized process of contentious discontinuity. They, too, mention the logical positivism Donald Kelley: The Descent of Ideas: the History of Intellectual History (Aldershot 2002). George Boas: Dominant Themes in Modern Philosophy: a History (New York 1957). 54 Reinhart Koselleck: Social History and Conceptual History. In: International Journal of Politics, Culture and Society 2 (1989) 308–325. Gabriel Motzkin: On the Notion of Historical (Dis) Continuity: Reinhart Koselleck’s Construction of the Sattelzeit. In: Contributions to the History of Concepts 2 (2005) 145–158. 55 Randall Collins: The Sociology of Philosophies: a Theory of Global Change (Cambridge MA 1998). 56 Ebd. 19–79. 57 Ebd. 80–786. 58 Ebd. 717–733. 59 Scott Frickel and Neil Gross: A General Theory of Scientific/Intellectual Movements. In: American Sociological Review 70 (2005) 204–232. 53

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of Carnap and his circle as an instance of how scientific/intellectual movements operate.60 For Collins, Frickel and Gross, ideas are produced collectively, not by solitary scholars, and are developed and disseminated in contexts of institutional competition, not simply by cogitation and persuasion.61 From the era of Karl Mannheim, Friedrich Meinecke and Arthur Lovejoy onward, sociologists of knowledge and historians of ideas have defined themselves in opposition to each other. Thus the suggestion that the latter could learn from these new sociologies of ideas might strike one as odd.62 In contradistinction to Mannheim, Collins and company do not maintain that ideas are in the end determined by the socio-economic positions of thinkers. They eschew reductionism and acknowledge the integrity and historicity of ideas and concepts. Like their colleagues and predecessors, however, they do remain more concerned with the consequences of systems of thought than with their contents. Yet their emphasis on the institutional dimensions of intellectual activity – be it in salons, universities, or learned societies – can provide historians with the means for more systematic examinations of the creation and diffusion of concepts and ideas. Thus reception histories would need to concentrate on questions of place and professional politics, as well as on people and propositions.63 Problemgeschichte, or histories of arguments, could also benefit from such approaches. No matter how infelicitous the term »interaction ritual chains« might be, it could help to explain the genesis of networks of learning, and the transmission of recursive questions, through intergenerational communities.64 These explanatory factors need not trump internal ones, but they should not be ignored. Begriffsgeschichte of the Koselleckian variety maintains, after William Gallie, that concepts are essentially contested.65 Randall Collins has developed a theory of the »acrimoniousness of intellectual disputes« which could be used to situate conceptual contestation in institutional and professional contexts.66 And one might, after Frickel and Gross, Ebd. 206–207, 212. Neil Gross: Richard Rorty’s Pragmatism: a Case Study in the Sociology of Ideas. In: Theory and Society 32 (2003) 93–148. Gross: Richard Rorty: the Making of An American Philosopher (Chicago 2008). 62 Jerome B. Schneewind: Globalization and the History of Philosophy. In: Journal of the History of Ideas 66 (2005) 177. 63 William Clark: Academic Charisma and the Origins of the Research University (Chicago 2006). Andrew Warwick: Masters of Theory: Cambridge and the Rise of Mathematical Physics (Chicago 2003). Nils Gilman: Mandarins of the Future: Modernization Theory in Cold War America (Baltimore 2003). 64 Steve Fuller: One Small Step for Philosophy, One Giant Leap for the Sociology of Knowledge. In: Contemporary Sociology 28 (1999) 277–280. Mario Bunge: Philosophy Sociologized. In: Contemporary Sociology 28 (1999) 280–281. Charles Radding: Review of The Sociology of Philosophies. In: American Historical Review 105 (2000) 165–166. 65 William B. Gallie: Essentially Contested Concepts. In: Proceedings of the Aristotelian Society 56 (1956) 167–198. 66 Randall Collins: On the Acrimoniousness of Intellectual Debates. In: Common Knowledge 8 (2002) 47–70. 60 61

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recount the Cambridge School’s rejection of orthodox methods for studying the history of political thought and its ascent to disciplinary power as the actions of a scientific/intellectual movement. Recommending different modes and models of historical analysis is far easier than doing the required research – let alone the rethinking – which would of necessity be involved. So, too, is delivering exhortations in print to pursue interdisciplinary work. Yet composing a retrospective and prospective essay such as this has allowed me the opportunity to appreciate just how creative previous generations of scholars have been, and to anticipate what the contours of future works might be. When writing their histories of concepts and ideas, Joachim Ritter, Reinhart Koselleck and Arthur Lovejoy all ventured well past the boundaries of their respective disciplines. We would do well to emulate them.

Massimo Marassi

Feld-Begriff Und Problemgeschichte

Die historisch erarbeitete Lexikographie der Begriffe ist einem doppelten Risiko ausgesetzt: die Geschichte der Philosophie mit einer Geschichte von Lehrmeinungen gleichzusetzen und die Problemgeschichte ideell auf eine Art abstrakten Inventars unveränderlicher Fragen zu reduzieren. Wahrscheinlich erlaubt es die Kombination dieser beiden Perspektiven, einige Schwierigkeiten empirisch zu lösen: Zum Beispiel sollten die Begriffe selbst nicht in einem bloßen, mehr oder weniger auf den neuesten Stand gebrachten Inventar zusammengestellt werden, und die Probleme sollten nicht durch die Erstellung abstrakter, unveränderlicher, vom spezifischen kulturellen Horizont einer Epoche unabhängiger Strukturen verwässert werden. In Wirklichkeit läßt die Geschichte stets die weit ausgebreitete, starke Vernetzung der Begriffe und Probleme zu Tage treten, und zwar so sehr, daß Flüssigkeit und Nuancen der Begriffe stets die Veränderbarkeit der Probleme bestimmen, und dies erfordert die Erarbeitung einer Ontologie, die auf die Einrichtung einer relationalen Datenbasis abzielt und in der Lage ist, Begriffe und Probleme in offenen und erweiterungsfähigen relationalen Strukturen darzustellen. Der Begriff Feld – wie ihn schon Joachim Ritter eingeführt hat – scheint mir geeignet, Lösungen der genannten Fragen zu ermöglichen.

I. Begriffs- und Problemgeschichte Gadamers berühmter Aufsatz Begriffsgeschichte als Philosophie wurde 1970 geschrieben: Dieser Aufsatz fällt also mit Ritters Initiative zusammen, das Wörterbuch der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler in der Form des Historischen Wörterbuchs der Philosophie neu zu bearbeiten. Nach Gadamer fußt die These, daß die Begriffsgeschichte Philosophie ist, auf der Voraussetzung, daß das Wesen der Philosophie als Wissenschaft in der Begrifflichkeit besteht. Nun: Wenn die Philosophie als Wissenschaft untersucht wird, die wir »suchen«; wenn ihr Statut zu definieren und es genau deswegen nicht möglich ist, ihr Objekt exakt einzugrenzen (wie schon Aristoteles im IV. Buch der Metaphysik behauptet) – würde dies bedeuten, daß die Definition der Philosophie als Begriffsgeschichte zwangsläufig die Überzeugung mit sich brächte, der Gegenstand der Philosophie sei der Begriff selbst. Ist es das – das so sehr »gesuchte Sein«? Gewiß würde sich daraus eine andere unleugbare Folge ergeben: Wenn vorauszusetzen ist, daß jede Konzeptualisierung immer von der Sprache beeinflußt wird, auf die sie trifft und in der sie schließlich ihre Formulierung findet, dann Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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müßte man der Hermeneutik und der Überzeugung zustimmen, daß das Denken von dem Urverhältnis zwischen Wort und Begriff bestimmt wird (einem Urverhältnis, das als Einheit verstanden wird, die gleichzeitig verbindet und unterscheidet). Gadamer sagte, es gebe keine Wörter für dieses Verhältnis. Welche Aufgabe hat also eine Begriffsgeschichte in einer solchen Perspektive? Sie wird gewiß eine ständige Verbreiterung der Forschungsbereiche der Philosophiegeschichte sein – eine Verbreiterung, die nicht auf ein bloßes meinungsgeschichtliches Auflisten hinauslaufen würde, sondern sich weiter als Philosophie präsentieren müßte (so im Falle des beachtlich zunehmenden Interesses für Genetik, Neuro- und kognitive Wissenschaften); sie würde sonst die Verleger, die Informatik, die Werbung oder die Verbreitung des Wissens im Allgemeinen, aber nicht die Philosophie selbst betreffen. Eine Begriffsgeschichte, die sich als Philosophie zu erweisen hätte und umgekehrt eine Philosophie, die sich als Begriffsgeschichte strukturieren müßte, zeigt ihre Berechtigung im Vergleich mit anderen Positionen und insbesondere mit den aus der Geschichte der philosophischen Probleme gewonnenen Ergebnissen. Diese letzte Position hatte gewiß den Vorteil, jede Form von Relativismus aus der Philosophie mit der Behauptung auszuschließen, daß alle Probleme, auf die der Relativismus eine Antwort zu geben suchte, immer dieselben gewesen seien. Die Geschichte der Philosophie wäre demnach der lineare Fortschritt der Geschichte der Probleme, die sich im Laufe der Zeit differenzieren oder dieselben bleiben. Die so formulierte Position sah sich aber einem doppelten Einwand ausgesetzt. Erstens: daß sie die Geschichte der Philosophie als dogmatische Gesamtheit von Problemen verstanden habe, die trotz des Schwankens der unterschiedlichen Lösungen gleich bleiben. Ein Problem ist tatsächlich ein Problem, wenn es immer wieder in einer anderen Art und Weise vorgelegt werden kann: Im Grunde genommen bleibt es unlösbar, und genau diese nicht entzifferbare Identität erhält den Dogmatismus der Probleme aufrecht. Zweitens (und dieser Einwand ist noch stichhaltiger): Die Darstellung der Philosophie als ständige Wiederkehr derselben Probleme ignoriert völlig den Aspekt der Formulierung der Probleme, so als ob der Bereich, die Motivationen, die Sprache und die Anlässe die Begrifflichkeit ignorieren könnten. Die Begrifflichkeit muß sich auf alles beziehen können, sonst ist sie nicht philosophisch. In dieser hermeneutischen Herangehensweise kann man die Spuren von Heidegger sehen, der die sprachliche Kreativität enorm betont hatte, was andererseits unvermeidlich eine Art Armut mit sich brachte. Alles geschieht so, als ob die von Parmenides geahnte Urzugehörigkeit von Sein und Denken Mühe hätte, sich auszudrücken. Das Wort enthält aber schon das Ganze (nicht mit der Genauigkeit der Mathematik, sondern mit dem unsicheren Schwanken von all dem her, was noch kommen soll) in der denkenden Intention eines Wortes, die auf eine Wesenheit (ens) abzielt und dieses solcherart in einer Vielfalt von Formen konstituiert.

Feld-Begriff und Problemgeschichte

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Wenn also die künstlichen (bzw. neu erfundenen) Begriffe normalerweise nicht Wörter einer Sprache zu werden brauchen, dürfen die philosophischen Begriffe sich nicht starr der historischen Neuformulierung entziehen: Alle Begriffe sind historisch. In diesem Sinne ist das nachträgliche Verstehen der Bedeutung eines Begriffs eine wirklich einzigartige Abstraktionsleistung. Die Begriffe werden voneinander getrennt und isoliert, als ob sie auf sich allein gestellt überleben könnten, als ob sie ohne Approximation herausgestellt werden könnten – obwohl sie nur in dem lebendigen Kontext des Textes eines Philosophen und, im allgemeinen, in der Geschichte des Denkens zum Ausdruck kommen und ihre Intention bekunden. Wenn man auf die Verkettung der Begriffe innerhalb der Argumentationen achtet, bemerkt man eine doppelte Bewegung. Einerseits sind Begriffe immer Sedimentationen: Sie sind historisch und von der Kultur »hergestellt«. Andererseits erschöpft sich ihre Bedeutung nicht in dieser Sedimentation, denn sie bekommen ihre Rechtfertigung – wie Husserl sagen würde – durch eine »ursprüngliche Begründung«. Der Anspruch, diese zwei Momente zu isolieren, führt zu der Unmöglichkeit, a) das Statut des Wissens zu erfassen (denn das Wissen bleibt immer ungerechtfertigt) und b) seine ursprüngliche Gestaltung zu beschreiben. Als erstes Ergebnis können wir festhalten: Die Begriffe tauchen in der Einheit der Erfahrung auf, sie artikulieren sich in der Gegenwart, aber sie sind nie in dem aktuellen Element erschöpft, in das sie sich einschreiben, denn sie lassen sich nie endgültig fixieren. In den Lücken, die aus dieser Geschichte der Begriffe stammen, kann man schon ihre ständige Fähigkeit erkennen, sich in der Erfahrung zu verändern; daraus besteht ihr ständiges Fortschreiten. Also: Die Analyse ist nicht philosophisch, wenn sie sich auf die Beschreibung der Art und Weise begrenzt, wie die Begriffe sich sedimentiert haben. Die Analyse wird vielmehr erst dann philosophisch, wenn sie es schafft, die Voraussetzungen jeder Denotation aufzudecken; wenn sie es schafft, ein für vielfältige Gestaltungen offenes System zu erfinden; wenn sie nicht nur die spekulative Systematisierung, sondern die Öffnung anstrebt. Geht es um den Sinn der Geschichte der Begriffe, scheint mir der Begriffskatalog des V. Buches der Metaphysik ein paradigmatisches Beispiel zu sein. Und Gadamer sah diesen Sinn darin, den Anwendungsbereich der Begriffsgeschichte durch Verbreiterung oder Begrenzung, durch Vergleich und Unterscheidung zu ermitteln. Auf diese Art und Weise wird die Bewegung des Denkens (d. h. die Philosophie selbst) unterstützt. In dieser Perspektive kann das Ideal einer Geschichte der Begriffe nicht in der Erreichung einer eindeutigen terminologischen Nomenklatur bestehen, sondern, im Gegenteil, in der ständigen Suche nach der Veränderung der Konzepte, in der Legitimation eines immer neuen Verhältnisses zwischen Wort und Begriff, in der Aufmerksamkeit auf das Schwanken zwischen dem Begriff, der schon Wort ist, und dem Begriff, der noch keinen Ausdruck gefunden hat.

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Also hatte G. Scholtz doch Recht, als er daran erinnerte, daß die Geschichtsphilosophie nur ein Subjekt, einen Helden, eine Menschheit kennt, während die Begriffgeschichte viele Helden hat, z. B. die Begriffe selbst. Die Begriffgeschichte gewinnt Wichtigkeit, wenn die Ideen des reinen Gewissens und der reinen Vernunft an Glaubwürdigkeit verlieren, und wenn sie durch dasjenige sprachliche und historischen Gewissen ersetzt werden, das sämtliche Begriffsbereiche in ihrer historischen Veränderung untersucht und durch die Unterscheidung von Objekt, Idee, Wort, Bedeutung und Element wieder an die Probleme erinnert, die zu einer bestimmten Entwicklung des Begriffes geführt haben.1 Die Geschichte der Begriffe muß also zwischen der Geschichte des Wortes und der Geschichte der Probleme oszillieren. Sie strebt nicht nach der Erfindung von Identitäten oder nach dem Oszillieren des Wortes, das den Begriffswandel zeigt. Sie will als Objekt einen Raum haben: den Konvergenzraum zwischen Begriff und Geschichte. Die scheinbare Banalität dieser Überlegung darf aber nicht dazu führen, ihre Tragweite zu unterschätzen. Koselleck schlägt sie in unterschiedlicher Art und Weise wieder vor, mit der Intention, daß ein Minimum an Bescheidenheit die Vermutung nahelegt (wie er uns erinnert): daß Geschichte und Sprache miteinander verbunden sind, ohne übereinzustimmen. Sie treffen sich in einer Art progressiver Verzeitlichung der historischen Erfahrung, die die Tatsache beachtet, daß jeglicher Wortschatz der Sprachen diskontinuierlich ist. Diese Diskontinuität leugnet die Möglichkeit einer historischen Rekonstruktion, die sich als »erschöpfend« präsentieren würde. Dementsprechend wundert man sich nicht über eine »Geschichte der Freiheit«, gemäß welcher die Freiheit eine Geschichte hat, obwohl die Geschichte nicht nur Geschichte der Freiheit ist; man staunt aber, wenn man die »Freiheit der Geschichte« denken muß. Die Philosophie schwankt unsicher in diesem scheinbaren Wortspiel, in dem das Statut des Wissens und gleichzeitig der Sinn der Existenz in Frage gestellt werden. Da jeder Begriff sich auf die Geschichte nicht nur als genetische Verbindung bezieht, sondern vielmehr für die aus ihr stammenden Veränderungen eine rein formelle Analyse verbietet, die also von dem Substrat absieht, auf das jeder Begriff Bezug nehmen muß. Ein ideell, theoretisch mögliches Verfahren (und das ist der tatsächliche Bearbeitungsbereich jeder Logik, Heuristik und Erkenntnistheorie) existiert aber nur in der Praxis und legt in solcher Tatsächlichkeit die Grenzen sowohl der persönlichen Initiative als auch jeder sozialen und politischen Aktion fest.

1

Gunter Scholtz: Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte (Hamburg 2000).

Feld-Begriff und Problemgeschichte

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II. Der Feld-Begriff An den Anfang seiner Vorstellung des Historischen Wörterbuchs der Philosophie stellte Ritter eine berühmte Überlegung von Kant, mit der er, wie mir scheint, auf den Sinn hinweisen wollte, den er der Gesamtheit des von ihm erarbeiteten grundlegenden Werkes zu verleihen beabsichtigte. Kant schrieb in seiner ersten Kritik: »Weil nun der Verlust eines Begriffs von großer Anwendung in der spekulativen Weltweisheit dem Philosophen niemals gleichgültig sein kann, so hoffe ich, es werde ihm die Bestimmung und sorgfältige Aufbewahrung des Ausdrucks, an dem der Begriff hängt, auch nicht gleichgültig sein«.2 An diesem Zitat sind zumindest zwei Aspekte hervorzuheben. a) Indem er sich auf die Autorität Kants berief, wollte Ritter sicherlich nachdrücklich die Wichtigkeit einer »Begriffsgeschichte« betonen, die er damit wie die Philosophie selbst als Wissenschaft legitimierte. Die Philosophie wurde demgemäß zu demjenigen Verfahren, das fähig ist, einen Begriff in seine Geschichte einzubetten, seine Funktion zu verstehen und schließlich an Hand seines Inhalts seine eigene Geschichte als eigenen Ausdruck zu erfassen: Die Philosophie und ihre Begriffe werden so in den Horizont der Geschichte gestellt. Vorgesehen und akzeptiert war es daher, einige Lemmata, deren Varianten derart konsistent waren, daß sie sich keiner präzisen begrifflichen Ordnung unterstellen ließen, summarisch und allgemein zu behandeln, oder aber man begnügte sich damit, Lemmata mit reduzierten Bedeutungsvarianten annähernd zu definieren; andere Lemmata eigneten sich eher für eine systematische als für eine historische Behandlung. Allgemein ist festzuhalten, daß tatsächlich nur die den Grundbegriffen mit umfassender Extension gewidmeten Artikel auf Grund historischkritischer Methode erarbeitet wurden. Einer spezifischen, d. h. interdisziplinären Behandlung unterzog Ritter sodann diejenigen »Begriffe«, die »besondere Probleme« aufwerfen, Begriffe, die ihren spezifischen »Ort« der Behandlung entweder in der Philosophie oder in anderen Disziplinen und »differenzierte« und »tragende« Bedeutungen in verschiedenen Wissenschaften haben. Unter den von Ritter ausdrücklich erwähnten Beispielen erscheinen »Feld« und »Struktur«, weil sie ein bedeutsames Modell der Interaktion sehr verschiedener Aspekte darstellen. Das Lemma »Feld« erweist sich folglich als äußerst bedeutsam für die Art und Weise, in der Begriffsgeschichte und Problemgeschichte miteinander verknüpft sind, mit bestimmten Folgen für das Auffinden des spezifischen Ortes der Behandlung, die notwendigerweise einer breiten Skala geschichtlicher Variation unterliegt. Hinsichtlich der Behandlung des Begriffs »Feld« – wie sie von M. Jammer, W. Witte und J. Trier durchgeführt wurde – kann man sofort sagen, daß eine genaue Analyse der Idee des physischen, des psychologischen und des linguistischen Feldes erarbeitet wird, während eine spezifische Untersuchung des 2

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (Hamburg 1998) 430 f.

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transzendentalen Feldes fehlt. Hier ist wohl zu betonen, daß das transzendentale Feld derjenige operative Terminus ist, der in der Tat die Erarbeitung einer Enzyklopädie ermöglicht, sofern diese nicht als eine einfache Sammlung von Begriffen zu verstehen ist – als mehr oder weniger vollständiges Repertoire von Lemmata, so als wenn das zu erstrebende philosophische Ideal das der Vollständigkeit und Einheitlichkeit wäre –, die aber den Anspruch erheben könnte, sich als philosophisch zu definieren, oder aber in der Lage wäre, eine angewandte Ontologie zu präsentieren und sich daher darzustellen hätte als eine kollektive Struktur digitaler Nutzung eines für Veränderungen offenen Wissens (wobei das Moment der Anwendung und Durchführung des Verstehens und Interpretierens der Daten betont wird). b) Aber Ritters Finesse beschränkt sich nicht auf die Wahl eines Zitats: Die Kant-Passage bezieht sich nicht auf irgendeinen Begriff der Philosophiegeschichte und auf die präzise Bewahrung seines Ausdrucks, sondern auf einen ganz besonderen Begriff, das »Wort absolut«, mit dem er das unbegrenzt Gültige definiert, d. h. in jeder Hinsicht und daher nicht relativ oder unter einem besonderen Aspekt. Absolutum oder completum fällt dann unter den »transzendentalen Begriff der Vernunft«, der in jeder Hinsicht auf das Unbedingte verweist und dessen notwendige Begriffe, denen keinerlei Objekt der Sinnenwelt entspricht, die transzendentalen Ideen sind; und tatsächlich ist es in der diesen Ideen gewidmeten Abteilung, daß Kant diese Präzisierung des Absolutheitsbegriffs durchführt.3 Daraus folgt, daß das Absolute, qua übersinnlicher Grundlage, nicht als Element der gesamten Phänomen-Reihe gedacht werden kann; vielmehr bleibt jede einzelne, empirisch gewonnene Erkenntnis determiniert durch eine absolute Totalität von Bedingungen. c) Man kann allerdings bei Kant eine genaue Definition des Feldbegriffs finden: »Begriffe, sofern sie auf Gegenstände bezogen werden, unangesehen, ob ein Erkenntnis derselben möglich sei oder nicht, haben ihr Feld, welches bloß nach dem Verhältnisse, das ihr Objekt zu unserem Erkenntnisvermögen überhaupt hat, bestimmt wird. – Der Teil dieses Feldes, worin für uns Erkenntnis möglich ist, ist ein Boden (territorium) für diese Begriffe und das dazu erforderliche Erkenntnisvermögen. Der Teil des Bodens, worauf diese gesetzgebend sind, ist das Gebiet (ditio) dieser Begriffe und der ihnen zustehenden Erkenntnisvermögen. Erfahrungsbegriffe haben also zwar ihren Boden in der Natur, als dem Inbegriffe aller Gegenstände der Sinne, aber kein Gebiet (sondern nur ihren Aufenthalt, domicilium); weil sie zwar gesetzlich erzeugt werden, aber nicht gesetzgebend sind, sondern die auf sie gegründeten Regeln empirisch, mithin zufällig, sind«.4 Mit anderen Worten: Die Begriffe haben einen Boden in dem Teil des Feldes, indem unsere Erkenntnis möglich ist; der Teil des Bodens, in dem die Begriffe gesetzgebend sind, ist ihr Gebiet; wenn die Begriffe einen 3 4

Ebd., 427-36. I. Kant: Kritik der Urteilskraft (Hamburg 2001) 12.

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Boden, aber kein Gebiet haben, haben sie einen Aufenthalt. Der Umfang des Feldbegriffs entspricht dann vollkommen der Anwendung der Begriffe a priori, und deshalb ist das Feld des Übersinnlichen, auf dem wir keinen Boden finden, »unbegrenzt, aber auch unzugänglich«. Der Feld-Begriff tritt daher in doppelter Modalität auf: noumenal und phänomenal. Ein anderer, tiefer gehender Diskurs ist bei Kant die Entdeckung der »Grundlage der Einheit« der »Grundlage der Natur« und der »Grundlage der Freiheit«. Die Grundlage der Einheit der beiden Grundlagen ist das unbegrenzte Feld. d) Diese Unterscheidung Kants wird sowohl in inhaltlichen als auch in analytischen Zusammenhängen wieder aufgenommen. In zwangsläufig veränderten Termini wird Husserl sagen, daß jegliche Realität nur dank einer Sinnzuschreibung existiert, d. h. jegliche Realität ist eine Sinneinheit. Wie kann er eine solche Position einnehmen, wenn nicht durch Rückgriff auf Verfahren der Grundlegung? Da er den Weg des Objektiven Idealismus ablehnt, bleibt Husserl nur die Möglichkeit, ohne Beweis und ohne Deduktion ein Bewußtsein anzunehmen, das zur Sinnzuschreibung fähig ist, ein Bewußtsein, das sich, genau für diese Zuschreibung, absolut setzt, d. h. nicht als Ausgangspunkt desjenigen Fortschreitens zum Unendlichen, das sich von einer letztbegründeten Sinnzuschreibung herleiten würde. Die Realität und die Welt selbst sind nichts anderes als »Sinneseinheiten«.5 Eine solche Zuschreibung kann jedoch nicht bedeuten, daß dieses fortschreitende Voraussetzen eine Art maskierter Relativismus wäre, ein Relativismus, der sich übrigens folgerichtig unter Berufung auf den berühmten § 24 der Ideen bestätigen ließe, in dem unvermittelt behauptet wird, daß »jede ursprüngliche Intuition eine legitime Erkenntnisquelle ist«, und in der dann diese »Legitimität unmittelbar eingeschränkt wird, und zwar entweder durch die Art ihres Erscheinens selbst oder durch die Grenzen ihres Erscheinens«.6 Seltsame Prämisse (oder: seltsames Prinzip): operativ in der Sinn-Verleihung, denn es bewirkt nichts anderes als auf dem Feld der phänomenologischen Beschreibung zwei absolut untrennbare Aspekte zu reproduzieren, die radikal kantianisch sind, und zwar hinsichtlich der Möglichkeit und der Grenzen: Die Daten-Beschreibung ist nur dann phänomenologisch, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, das Vorhandensein der Daten zu bestätigen, sondern im Fluß der Zeit und ihrer Geschichte die Perspektive der Datenhaftigkeit sowie den Sinn und seine Grenzen erkennbar werden läßt. Es geht darum, fähig zu sein, sich in einem bestimmten Spielraum eine Grenze zu setzen, vor der ein »Datum« erscheinen kann, das gemäß stets unterschiedlicher Modalitäten der Art und Weise anzupassen ist, wie es vor einem Sinnhorizont auftaucht, der selbst nicht der eines »Datums« ist. Das »Da-

Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. In: Husserliana, Bd. III,1, hg. von Karl Schuhmann (Den Haag 31976) 120. 6 Ebd. 51–55. 5

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tum« verknüpft sich mit einem »Nicht-Datum«, und die Phänomenologie wird zu einer eminent persönlichen und folglich pluralen Aufgabe, zumal jede wahre Erkenntnis dadurch entsteht, daß sie bis zur Grenze der Evidenz (»zum Limes der Evidenz«) vordringt.7 Das Feld der Phänomenologie konstituiert sich also in immer stärkerem Maße transzendental, und Husserl schreibt explizit, daß die cartesische Entdeckung des ego cogito nicht zur Bildung einer transzendenten metaphysischen Subjektivität führt, sondern zur Überführung der »neuen Idee der Grundlegung des Bewußtseins« in eine »transzendentale Grundlegung«.8 Sicherlich steht am Anfang immer die Erfahrung der »universellen apodiktischen Erfahrungsstruktur des Ichs«, oder, näher an den nachfolgenden Ideen formuliert: Die phänomenologische Forschung muß, im Gegensatz zu den positiven Wissenschaften, »das unermessliche Gebiet der transzendentalen SelbstErfahrung« durchlaufen, um sodann die »Kritik der tranzszendentalen Erfahrung« zu formulieren. Daher bildet sich Husserls Intention immer stärker als ein Versuch heraus, »das unendliche Feld der transzendentalen Erfahrung aufscheinen zu lassen«. Die Hinweise auf diese Passagen geschahen nicht nur unter dem Eindruck der expliziten Präsenz des Begriffs »Feld«, sondern auch, um zu betonen, daß das Ego sich nur dank der manifesten Präsenz des Feldes unumwunden »dem Unendlichen aussetzen kann, und zwar systematisch mittels der transzendentalen Erfah-rung«.9 Das gleiche Ergebnis liegt in der dritten der Logischen Untersuchungen vor, und es wird bestätigt durch die Structure du comportement von Merleau-Ponty: Unmittelbar ist nicht das Objekt, sondern der Sinn, die Struktur. Diese Position radikalisiert sich dann im Vollzug eines Durchgangs, der nur auf den ersten Blick in der Analyse der Wahrnehmung und in der psychologischen Forschung zu versanden scheint. In Wirklichkeit hat man, gerade um das Problem der Bildung des phänomenologischen Feldes nicht auszuklammern, die Täuschungen der Reflexionsphilosophie, die sich schon im transzendentalen Bereich ergeben, eliminieren und den Weg der psychologischen Beschreibung einschlagen müssen, denn nur dieser ermöglicht es, den Gegenstand der Phänomene zu erkennen. So bleibt das »phänomenologische Feld« gekennzeichnet in der Erwartung, »das Phänomen des Phänomens« zu erreichen und in ein »transzendentales Feld« zu verwandeln: »Nicht dadurch wird eine Philosophie zur Transzendentalphilosophie, d. h. zur radikalen Philosophie, daß sie sich in ein absolutes Bewußtsein versetzt, ohne der Schritte, durch die sie dahin gelangt, noch irgend Erwähnung zu tun, sondern dadurch allein, daß sie sich selbst noch als Problem betrachtet; nicht durch das Postulat einer totalen Explikation des Wissens, son-

7 Edmund Husserl: Erste Philosophie 1923/24. In: Husserliana, Bd. VIII, hg. von Rudolf Boehm (Den Haag 1959) 32. 8 Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen. In: Husserliana, Bd. I, hg. von Stephan Strasser (Den Haag 21963) 66 f. 9 Ebd. 67–70.

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dern durch die Anerkenntnis der Präsumption der Vernunft als des philosophischen Grundproblems«.10

III. Angewandte Ontologie. Jedes Digitalmodell der Nutzung philosophischen Wissens muß also berücksichtigen, daß dieses Wissen sich zwischen den festgehaltenen Zeichen und den von den Menschen rezipierten Bedeutungen formuliert; und daß die Begriffe manchmal Wörter (Zeichen) sind, deren Bedeutungen noch unstabil sind – und die genau dank solcher Vieldeutigkeit die Neuformulierung philosophischer Probleme erlauben. Neben der Registrierung der Daten ist es also notwendig, Spuren aufzuzeichnen und alle möglichen Varianten der Verhältnisse zwischen Begriffen, Zeichen, Bedeutungen und Problemen in Verbindung zu setzen. Aber wie ist das auf einer digitalen Ebene möglich? Muß man eine neue Sprache entwickeln, die diese Arten von Verhältnissen kodifiziert? Was bedeutet diese Fachbetrachtung außer der bis hierher präsentierten historiographischen Diskussion – oder jenseits dieser Diskussion? Mit anderen Worten: Was bedeutet diese Betrachtung in Bezug auf eine Ontologie, die auf ein Datenverhältnis angewandt wird? Braucht man eine neue Ontologie? Und welche Ontologie? a) Vor allem: Es gibt zumindest drei Ontologie-Modelle: Jede formelle Ontologie kann entweder einen Katalog der Realität (Realismus) liefern, oder eine Beschreibung der apriorischen Formen, in denen man die Realität kennt, die also transzendental real ist (transzendentaler Idealismus), oder aber Formen, die universell geteilt werden können, obwohl sie von einer Reihe kultureller und sprachlicher, sozialer und geschichtlicher Faktoren abhängig sind (Relativismus). Nun, hier ist es nicht wichtig, das Kriterium festzulegen, nach dem man ein bestimmtes Modell oder lieber ein anderes bevorzugen soll. Gewiß haben die Identitätskriterien eine ontologische und epistemische Funktion: Sie ermöglichen nicht, die Probleme zu beantworten, aber sie geben an, wie man vielleicht antworten kann. b) Zweitens trifft man auf das doppelte Problem, ob die Ontologie einen einzigen Katalog oder eine Vielfalt von Katalogen schaffen soll – und ob diese Kataloge miteinander kompatibel sind oder nicht. Die gegenwärtige Debatte – man denke zum Beispiel an die interessante Diskussion, die in Italien in den letzten Jahren von der Rivista di estetica eingeleitet wurde – beweist diese Schwierigkeit: Während die Generalisten sich mit mehr oder weniger kompletten kategorialen Systemen beschäftigen, indem sie alle Kategorien des Systems mit Beispielen erklären, analysieren die Thematiker entweder Teile, die als grundsätzlich betrachtet werden, oder aber einen Entitäts-Typus. In beiden Positionen kann man 10

Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung (Berlin 1966) 87.

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nicht umhin, die Kriterien zu benennen, die notwendig sind, um die Daten ontologisch zu legitimieren. c) Sowohl im Falle der Kompatibilität als auch der Unvereinbarkeit eines einzigen Inventars oder einer Vielfalt von Inventaren, steht fest, daß die Ontologie auch den Bereich der Verhältnisse zwischen Inventaren bestimmen soll. Diese Inventare können unterschiedlich sein; und unterschiedlich sind auch die Begriffe, mit denen die enzyklopädische Klassifikation arbeitet, wenn sie sich auf Objekte, Ereignisse, Tatsachen, Konstanten, Wörter, Tropen usw. bezieht. d) Hier merkt man den Unterschied zwischen einer modernen Weltanschauung und den Problemen unserer Gegenwart. Mit dem Ersetzen der Welt der Qualitäten und der Sinnenwahrnehmungen durch die Welt der Quantitäten und der Geometrie kam in der Zeit der modernen Wissenschaft die Idee auf, daß dieser Ersatz auch eine Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Welten oder zwischen zwei unterschiedlichen Weltanschauungen erzwungen hätte. Jetzt werden alle Kriterien geprüft, die dazu verhelfen, die Bezugspunkte (Referenzen) der Wörter festzustellen. Der Unterschied betrifft nicht die Welt, sondern die Kategorien und sprachlich-kommunikativen Vorhaben, die man als Bezugspunkte für unsere Diskurse und unser Denken über die Welt braucht. Es gibt keine Pluralität von Welten, sondern nur unterschiedliche Arten und Weisen, die Welt zu beschreiben. e) Bis hierher scheint es, daß das Problem der Ontologie mit der Idee von Substanz oder mit dem Gewicht verbunden bleibt, das den anderen Kategorien der Quantität und der Qualität verliehen wird. All dies verschwindet aber in der Virtualität einer Basis von relationalen Daten. Hier kreuzen sich die Mereologie (die Theorie der Zusammenhänge zwischen den Teilen und dem Ganzen) und die Topologie (die allgemeine Theorie der Lokalisierung). Hier tritt das Problem einer Datenbasis zu Tage: Existiert die Speicherzelle früher als die Daten oder bildet sie sich wie eine Sequenz als Folge der Struktur der Daten heraus? Wie kann man den Übergang von einem abstrakten, a priori planbaren Raum zu einem konkreten Raum realisieren? Wird der geplante Raum alle Fälle von möglichen Beziehungen auch in der Zukunft befriedigen können? »Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen«, schrieb Musil:11 Jede Angabe braucht Koordinaten (Zeilen und Kolumnen, Aufzeichnungen und Felder, Seiende und Attribute), sonst wird sie nie zur Existenz kommen. f) Dieses Verhältnis innerhalb des Feldes treibt zur Bearbeitung von universellen, formalen Katalogen an, um konkrete Probleme zu lösen. Im Fall einer Enzyklopädie führt dieses Bestreben zur Entwicklung einer Basis von relationalen Daten: Da sie mit Feldern arbeitet, muß sie einen Bezug zu einem einzigen Prinzip haben (pròs mían archén, hätte Aristoteles gesagt, Metaphysik, IV, 2, 1003 b 6). Dieses Prinzip muß hier bestimmt werden. Feststeht jedenfalls, daß die Formel- oder Begründungsontologie die Philosophie niemals in toto er11

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (Hamburg 1978) 26.

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setzt, sondern zu einem Instrument der Analyse ihrer Anwendung wird – in dem vollen Bewußtsein, daß es nicht möglich ist, alle Verhältnisse der Formalität a priori auf Grund der Realität zu erkennen. g) Da die Ontologie in unterschiedlichen Bereichen – wie den Entwürfen von Grundlagen der Erkenntnis bzw. als Basis von Daten oder Sprachen – angewendet werden kann, sollte sie flexibel genug sein, um mit den unterschiedlichen Systemen zu interagieren. Ein monologisches Wissenssystem oder eine einzige Theorie, die eine Standardrolle hätte, bleibt deswegen davon ausgeschlossen. Da die Interpretation der Welt und ihrer Vorstellungen komplex und das Verhältnis zwischen den Sprachen und den Realitätsmodellen unterschiedlich ist, bleibt eine Vielfalt von Ontologien vorzuziehen. h) Wir sind auch gezwungen, jenseits der Wörter und Dinge, jenseits der Substanzen, Eigenschaften und Begriffe und jenseits der Zustände, Ereignisse, Prozesse, Tatsachen und Sachverhalte zu denken. Die Hauptkategorien der Ontologie (Substanz, Eigenschaft, individuelles Akzidens, Sachverhalt) verlieren an Interesse, denn das Interesse wendet sich heute lieber zweitrangigen Kategorien zu: Löchern, Oberflächen, Grenzen, Feldern, Wellen, Perturbationen, Flüssigkeiten, Geräuschen. K. Mulligan würde das Problem lösen durch die Empfehlung, zwischen barocken oder romanischen, großzügigen oder strengen Ontologien zu wählen. Aber es handelt sich um eine andere Frage, woran Mulligan durch die Unterscheidung zwischen Ontologie und Metaphysik erinnert. Wenn wir uns fragen: »Was ist dieses Seiende und was sind die Attribute, die wir in eine Speicherzelle stecken?«, formulieren wir eine ontologische Frage. Wenn wir uns hingegen fragen: »Was fragen wir uns gerade, was planen wir gerade, welche Verbindungen wollen wir herstellen, wenn wir uns fragen, was dieses Seiende mit seinen Attributen ist?«, dann formulieren wir eine meta-ontologische Frage. i) Unter idealen Arbeitsbedingungen sollten Semantik und Ontologie von vornherein geklärt sein. Eigentlich schließt eine relationale Datenbasis diese Identität aus. Die Enzyklopädie der Zukunft, oder die gemeinsame Struktur digitaler Nutzung eines Wissens, das Veränderungen gegenüber offen ist, sollte eine Vielfalt von möglichen Interpretationen, unterschiedlichen Operationsfunktionen und unscharfen Termini zulassen. Semantik und Ontologie bleiben also unbestimmt: Ihre Felder sind in unvollständiger Weise umrissen, die Bewertungen vervielfachen sich unendlich. Die Enzyklopädie der Zukunft bestätigt nicht nur, daß es keinen philosophischen Grund gibt, eine stabile, allgemeine Domäne zu fixieren, sondern auch, daß es unmöglich ist, dies in die Praxis umzusetzen, denn die Transzendentalität des Feldes (würde Kant sagen) verlangt für jeden gegebenen Zustand das Unbedingte. j) Kurz und gut, wir können (oder besser gesagt: wir müssen) unterschiedliche Modelle heranziehen, um eine Enzyklopädie (oder gemeinsame Struktur digitaler Nutzung eines Wissens, das Veränderungen gegenüber offen ist) zu bekommen. Die Behauptung, es gebe eine einzige Domäne, ist eine willkürliche Zuschreibung unseres Modells zu einer metaphysisch und methodisch illegitimen

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Weltanschauung. Es bleibt gewiß die doppelte Unbestimmtheit der Semantik und der Ontologie, aber muß diese Unbestimmtheit wirklich beseitigt werden? Wer hat Angst davor? Unsere begrenzten Verstehensfähigkeiten sollten den Plan einer Enzyklopädie nicht stören, genau so wie sie Kant nicht störten, als er das Problem durch die Unterscheidung von Grenzen – und vor allem durch die Verlagerung auf die Ebene der Moralität – löste. k) Feststeht jedenfalls, daß das Feld eine Ontologie und die Angabe von Kriterien braucht. Ihre Formalisierung verlangt eine Basis von relationalen Daten, die die Angabe von Strukturen, Typologien, Virtualitäten ermöglicht, obwohl jede Anfangsperspektive immer unvollständig, inkohärent und inkonsistent ist. Alle ihre Operationen müssen möglich bleiben: Daten schaffen, erhöhen, entziehen, vergleichen, relationale (und nicht nur quantitative oder qualitative) Metaoperationen erlauben. Die Basis von relationalen Daten ist ein Hintergrund, der trotz der Änderungen der Formen relativ konstant bleibt – besser noch: der genau diese Änderungen ermöglicht. l) Eine Enzyklopädie, oder eine gemeinsame Struktur digitaler, dynamischer und steigerbarer Nutzung eines Wissens, das Veränderungen gegenüber offen ist, kann nicht a priori die Entitäten der Welt und ihre Attribute auflisten. Sie kann nur kognitive Modelle entwickeln, die dazu fähig sind, die Dimensionen des Realen angesichts des sozialen und kulturellen Hintergrundes des gegenwärtigen Menschen wahrzunehmen. Was zählt, ist die Beziehung zwischen Frage und Antwort. Die monolithische Begründungsphilosophie, die sich alles einverleiben will, ist schwer kompatibel mit der Flexibilität eines anwendungsorientierten Ansatzes, der eine minimale Voraussetzung dafür gewährleisten soll, daß das System des Wissen frei agieren kann: Um zu gewährleisten, daß die Fragen verstanden und die erhaltenen Informationen befriedigend sind, muß die Beziehung zwischen Entität und Attribut offen sein. m) Das setzt voraus, daß die Speicherzelle als leerer Raum bis zu dem Moment besteht, in dem sie von einer Sequenz besetzt wird. Diese Sequenz bildet im informationellen System eine Ontologie nach, in der die universellen Ereignisse bestimmten Erscheinungsformen zugeschrieben werden können. Aber wenn die Zelle abstrakt bleibt, solange sie keine Sequenz hat, existiert der Begriff nicht nur in der Datei (und die Datei ist kein Beispiel des Begriffs), sondern Begriff und Datei bilden zusammen eine Trope. In diesem Sinne gibt es keine Grenze zur Vielfalt der Tropen bzw. der individuellen Akzidentien oder Modi. Das enzyklopädische Projekt (oder das Modell einer gemeinsamen Struktur digitaler Nutzung eines Wissens, das Veränderungen gegenüber offen ist) muß sowohl die völlig präsenten Entitäten (die in der Zeit kontinuierlich sind) als auch die nur partiell präsenten Entitäten berücksichtigen, die in der Zeit plötzlich in Erscheinung treten.

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IV. Enzyklopädie-Modelle Diderot behauptete, Ziel einer Enzyklopädie sei es, »die auf der Oberfläche der Erde verstreuten Kenntnisse zu sammeln; deren System unseren Mitmenschen darzustellen und es den Menschen, die nach uns kommen werden, zu übermitteln«. Sicherlich hatte er Recht, als er sagte, daß eine Enzyklopädie eine Darstellung des Wissens ist, eine solche Darstellung kann eine Enzyklopädie aber nur dann sein, wenn sie eine Totalität ist; und genau diese Totalität war das, was er anstrebte. Verstreute Elemente treten nur dann in Beziehung miteinander, wenn sie den Erfordernissen der Ausgiebigkeit und der Einheit entsprechen, oder auch: nur dann, wenn in der Totalität wirksam sind a) ein Prinzip der Vollständigkeit, das Ausgiebigkeit zu begründen vermag, und b) ein Prinzip der Organisation, das Einheit zu begründen vermag. Will sagen, daß jede Enzyklopädie jedenfalls ein System des Wissens voraussetzt, ein Ergebnis, zu dem sowohl die Autoren des Historischen Wörterbuchs der Philosophie (1970-2007) als auch die der Encyclopédie philosophique universelle (1989-1998) kommen. Da ja das reale Universum und die möglichen Wissenssysteme eine unendliche Vielzahl von Gesichtspunkten enthalten, muß eine Enzyklopädie notwendigerweise nicht auf Grund einer einzigen Ordnung, sondern einer mehrdimensionalen Ordnung konstruiert werden, wenn dies nicht zu Willkür und Unangemessenheit gegenüber dem Gegenstand führen soll. Diderot lieferte drei Ordnungsprinzipien: den vorgestellten Rahmen des Weltwissens, die Lemmata und die Artikel-Struktur. Heute ist der »vorgestellte Rahmen« in Form eines Baums der Wissenschaften – ähnlich wie das Gemälde, das Vico seiner Scienza nuova voranstellte – nicht mehr darstellbar; alphabetische Ordnung der Lemmata ist ein notwendiges Erfordernis für die Reihenfolge auf Papier-Unterlage, was jedoch heute durch die virtuelle Dimension der Kenntnisse übertroffen wird; die Artikel-Struktur sollte Vollständigkeit, Einheit und Zweckmäßigkeit garantieren, heute ist daraus ein Feld geworden, auf dem sich vielfältige Sinn-Ordnungen überschneiden – sei es im Sinne der Archäologie oder in dem einer Teleologie des Wissens. Die Enzyklopädie setzt also das Vorherrschen einer Sprache und zugleich die Fähigkeit voraus, diese Sprache zu transzendieren: Wenn jedes lexikalische System ein Produkt der Geschichte ist, gibt es keine feste und kohärente Struktur, der eine transparente terminologische Struktur zu entsprechen hätte. Eine Enzyklopädie weiß, daß sie nicht auf eine starre Nomenklatur reduziert werden kann und ist sich auch bewußt, daß sie sich in einem strukturierten Bedeutungsfeld bewegt; sie weiß, daß der ihr eigene Zweck sich nicht darin erschöpft, ein mehr oder weniger vollständiges Begriffsinventar zu liefern. Der philosophische Logos reicht weiter als die Terminologien, die Definitionen, er verzichtet nicht auf Sprachspiele und setzt stets Poetik und Geschichte voraus. Die Philosophie bleibt der Artikulation ausgesetzt, die sich stets selbst hervorbringt zwischen den eigenen Begriffen und dem Spiel der lexikalischen Formen, die diese Begriffe in der Zeit annehmen: Die Architektur einer Enzyklopädie hängt, wie

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Alain Rey sagt, von genau dieser Artikulation ab. Wenn auch die Idee der Enzyklopädie in ihren unterschiedlichen geschichtlichen Formen unterschiedlich dekliniert worden ist, erinnert sie doch immer an ein vollständiges Ensemble dargebotener Kenntnisse, wobei Darstellung und Vollständigkeit privilegiert werden. Die enzyklopädische Totalität ist durch die Sprache ermöglicht worden und nimmt so die Form eines Wörterbuchs an, auch wenn dies seit dem V. Buch der Metaphysik des Aristoteles einen ursprünglichen philosophischen Diskurs voraussetzt, auf den sich der enzyklopädische Diskurs bezieht. Von der Form, die die Enzyklopädie anzunehmen beabsichtigt, kann sie absehen; nicht absehen kann sie jedoch von der je individuellen Besonderheit der Natur der Philosophie und ihren geschichtlichen Varianten. Es gibt immer die Forderung nach Einheit unter einem Prinzip der Totalität: Es ist unvermeidlich, die Alterität mittels der Einheit zu denken (das Cogito, die Substanz usw.). Und dennoch war diese Form der Totalisierung kurzlebig, das System wurde zu Gunsten der Enzyklopädie aufgegeben; es sind die Worte der natürlichen Sprache selbst, die das Wissen in seiner Autonomie und Positivität fortbestehen lassen. Da ja kein System einzig und definitiv sein kann, ist die Enzyklopädie eine provisorische Ansammlung von Wissen, eines Wissens, das sich als geschichtliche Realität artikuliert, als Aufgabe ohne Ende, für die sich kein einzig gültiges System konstruieren läßt: Die Totalisierung ist unerreichbar und der Reduktionismus ist nur ein subjektiver Versuch. Können wir vielleicht die Einheit der Enzyklopädie in der Sprache finden? Die Lemmata einer Enzyklopädie können Wörter einer Sprache sein, die auf Dingen und Praktiken beruht, und dennoch wird die philosophische Sprache durch Redeeinheiten gebildet; sie gehört zu dem Text, in dem sie erschienen ist, für den es ein cartesisches und ein kantisches Vokabular gibt. Das Problem liegt darin, daß die Sprache der Philosophie kein Ensemble von Wörtern, sondern von Texten ist, aus denen ständig neue Praktiken und neue Gegenstände hervorgehen. Es geht darum, einen Zugang zu schaffen, nicht zu der Gesamtheit der den Philosophen eigenen Begriffe, sondern zur Gesamtheit der spezifischen Begriffe, die es erlauben, die Diskurse der Philosophen und die von ihnen behandelten Probleme zu verstehen. Keine Totalisierung kann absolut oder dem Leben des Geistes gleichgültig sein. Jeder Leser beginnt das Unterfangen von neuem. Erinnert sei auch an das Projekt von Schlegel, das auf der Spannung zwischen Stabilität, Totalisierung und Vereinheitlichung aufgebaut war, und zwar in Anbetracht einer wesenhaften Unvollkommenheit des Sinnhorizontes, zumal »die Enzyklopädie sich nur in Fragmenten darstellen läßt«. Und doch sagte Schlegel, Winckelmann habe sämtliche antiken Autoren so gelesen, als wären sie nur ein einziger Gesamtautor; er sah alles in seiner Gesamtheit, erfaßte die in sich vollendete Gesamtheit, den Geist des Ganzen. Zumindest in seinem Falle wurde der Fragmentcharakter des Wissens überwunden. Eine solche Forderung, den Teil mit dem Ganzen in Einklang zu bringen, wird in der romantischen Enzyklopädie erfüllt, und zwar in einem offenen System, in dem jede Monade das gesamte

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Universum repräsentiert, zumal, wie es Novalis wollte, die enzyklopädische Idee der Einheit von Künsten und Wissenschaften sich in zahlreichen Bänden verwirklicht, während alle Wissenschaften nur ein einziges Buch bilden: »Die Idee der ›Enzyklopädistik‹ unterstellt, dieses Werk könne auf dem gerade erreichten Zenit der Geschichte bewältigt werden, während die Individualisierung zu jedermanns Bibel das Unternehmen bis zum Jüngsten Tag offenhielte«.12 Auch die neue Enzyklopädie wird sich dadurch auszeichnen, daß sie die zeitliche Dimension privilegiert, und zwar kraft einer unendlichen, nie befriedigten Spannung auf die Aufgabe hin. In der Monade des einzelnen Lemmas, wie in dem von den Romantikern bejubelten Fragment, leben extreme Instanzen zusammen: Individualisierung und Totalisierung, Fragment und System. Benjamin sagte, daß »oft eine Marke, die längst außer Kurs ist, auf einem brüchigen Umschlag mehr als ein Dutzend von durchlesenen Seiten« sagt, und er fügte sogar hinzu: »Briefmarkenalben sind magische Nachschlagwerke, die Zahlen der Monarchen und Paläste, der Tiere und Allegorien und Staaten sind in ihnen niedergelegt. Der Postverkehr beruht auf deren Harmonie wie auf den Harmonien der himmlischen Zahlen der Verkehr der Planeten beruht«.13 Wir leben aber in einer Epoche, in der niemand eine absolute Begründung des Wissens vorschlagen noch hierfür eine abgeschlossene, perfekte Form antizipieren kann, und trotzdem ist dies auch die Zeit, in der jedem die Aufgabe zukommt, die Harmonie zu erhoffen und zu planen, eine Harmonie, die uns vielleicht als einzig mögliche in diesem Jahrtausend noch geblieben ist. Mit den Worten von Mallarmé beginnt jeder Leser das Unterfangen von neuem, und ihm allein obliegt die Verpflichtung, es zu versuchen und erfolgreich abzuschließen, so als wäre es Un coup de dés: »Ein Würfel-Wurf wird niemals, und sei er unter Bedingungen der Ewigkeit ausgeführt, den Fall aufheben«. So nimmt die philosophische Forschung in einer relationalen Daten-Basis Gestalt an. Aber die Ontologie, die eine derartige Relation entworfen hat, muß die unendliche Öffnung der Felder ermöglichen. Was in der Dichtung fast wie durch ein Wunder geschieht, kann in der Philosophie nur das Resultat eines immer wieder versuchten Unterfangens sein, des Unterfangens, die ursprüngliche Relation zu akzeptieren, die im Horizont der Sprache alle Wesen verbindet; und nur von hier aus ist es möglich, die lange Reise anzutreten, die in dem Fragment einer Trope, in der das Problem sich nicht als unveränderlich, sondern immer neu in seinen geschichtlichen Gestalten darstellt, den einzig bewohnbaren Ort eines jeden Begriffs entdecken läßt.

Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt (Frankfurt a.M. 19832) 239. Walter Benjamin: Einbahnstraße. In: Gesammelte Schriften. Bd. IV.I, hg. von Tillman Rexroth (Frankfurt a.M. 1972) 136. 12 13

Riccardo Pozzo

The Studium Generale Program and the Effectiveness of the History of Concepts

The process initiated by the Bologna Conference in 1999 towards an economically, environmentally, and culturally sustainable development has led to the constitution of the European Research Area, in which education is in the process of being streamlined in all participating countries. One of its first consequences was a much-longed-for increase in the number of graduates all over Europe. Given that the main difficulty seems to lie in disseminating an idea of science that were at the crossroad between basic and applied research, very much in the spirit of the Bologna declaration, an answer to this difficulty is the Studium Generale Program (=SGP), which is a set of interdisciplinary modules aimed at presenting to students of all disciplines the nucleus of European science and philosophy (from Aristotle’s Analytica to Euclid’s Stoicheia, from Plato’s Politeia to Augustine’s Confessiones). Developed since 2005 by a network of European universities brought together by the Guardini Stiftung e.V. (Berlin) with funding of Germany’s Bundesministerium für Bildung und Forschung (Bonn), the SGP is close to completion.1 It is the best instrument for achieving this dissemination goal in so far as it enables students and teachers to find their own ways within Europe’s intellectual identity. First and foremost, then, it is the methods and the contents produced by the SGP that provides an answer to the question, »What does it mean to be European?« This is the key role the SGP plays with respect to the constitution of Europe’s polycentric identity. At a number of European universities, the Studium Generale currently defines programs aimed at transmitting Humanities methodologies and texts. It is both philosophy and reflection on culture, it is cultural theory, cultural management, and artistic practice. The main goal of the Studium Generale is orienting students in the years that precede their final choice of a profession. For this reason, no degree is in Studium Generale. It is instead an auxiliary program offered to all students. The stress is on the autonomous and reflective ability of connecting diverse disciplines, on thinking and acting beyond one’s own field, on producing one’s own strategy as well as on mastering communication techniques. In other words, the stress is on developing the constitution of one’s own personality, ripeness of judgment, sharpness of perception, and taste for beauty. At the basis lies the tradition of neohumanism, which half a century ago had already inspired Robert Maynard Hutchins to ask for the introduction of the renown Humanities 1 and Humanities 2 modules of the »Great Books Curriculum« and Guardini Kolleg Berlin, Kulturelle Kompetenzen: Vereinbarung eines Netzwerks Allgemeine Bildung Europäischer Universitäten, in preparation. 1

Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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for its textual basis in the fifty-four volumes of the Encyclopedia Britannica series, The Great Books of the Western World, from Homer to Sigmund Freud.2 If one admits the comparison, the SGP fulfils half a century later the same function fulfilled by the Britannica Great Books with the difference, however, of its not being on paper, of its being open access, and of its being multilingual. Besides, the SGP neither offers nor requires a simple canon of books, it offers more. It requires, as Hans Blumenberg has suggested, the appropriation of specifically European Denkformen: first and foremost the ability of coming to terms with old and new forms of translatio studiorum resulting in a cultural fusion of one’s traditions with the traditions of one’s neighbors.3 On the basis of forty-five years of Lessico Intellettuale Europeo computational philology know-how,4 we can consider the development of disciplinary lexica, which arise from the necessity of maintaining a cultural tradition’s continuity in front of the need of transcribing it into new contexts. When Boethius – as Tullio Gregory has made clear – set himself to translate Aristotle into Latin in the sixth century, he was motivated to do so in order, firstly, to keep alive the Latin classical tradition and, secondly, to modernize it by transcription into the new contexts opened up by the paradigmatic acceptance of Aristotelianism; when Kant chose to re-propose Greek terms such as phenomenon and noumenon, he did so because he wished, firstly, to keep up the tradition of writing on Philosophy in German, a tradition that had its classical references in Master Eckhart and Martin Luther, and secondly, to revitalize it by transcribing it into the new context of the Copernican Revolution in the theory of knowledge.5 For this reason, the SGP contains a set of interdisciplinary modules to be offered to European university students. The intercultural dimension is essential. Although English has become indispensable in its function of auxiliary international language (as Umberto Eco has put it), the lingua franca of our days, Europe cannot afford to lose its linguistic variety. It is the task of the Studium Generale to work towards enhancing precision of expression. The SGP does exactly this in so far as it does not only offer texts in the original languages, but also translations and, in particular, a key for tracing meaning-shifts of concepts and metaphors in the course of time. We are talking about opening up Europe’s cultural heritage in the shape of texts and images together with related scientific literature. At stake is the ability of picking up new languages, translating and, last but not least, gaining insights about one’s own intellectual identity, on the basis of a dialogical exchange. Linguistic signs are the main vector for exchanging ideas and lexica. With their transformation and hybridizations, they are the key for shaping cultures

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Mortimer Adler et al. (Hg.), 54 vols. (London 1952–1964). Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt (Frankfurt 1981). Tullio Gregory et al (Hg.) : 107 vols. present (Roma 2009). Vgl. Tullio Gregory: Origini della terminologia filosofica moderna (Firenze 2007) 39 f., 57 f.

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within the dynamism of their historical actuality. Languages are fundamental for Europeans wanting to work together, says Multilingualism Commissioner Leonard Orban. Opting for multilingualism is, indeed, an excellent way to bring European citizens closer to each other. Besides, it is an action that makes an effective contribution to the competitiveness of the European economy. In fact, languages are not something we can put on and off; they are our own skin, an organ we need for surviving. Languages are the very heart of the unity in diversity of the EU and are all equally necessary for pointing out the essence of Europe’s intellectual identity as opposed to intellectual identities that have been shaped by the monolingual context as, for instance, is the case with the US, China, and India. The SGP looks into Europe’s »intellectual identity« in correspondence with the etymological sense of the German verb verstehen, which is related to the Greek epistēme: to stand over in order to have a more comprehensive vision. Te SGP’s main aim is to provide access to the texts that have built the intellectual consciousness of the European people, by developing digital resources for Philosophy and the Human Sciences in the principal modern European languages (English, French, German, Italian, Spanish and Portuguese) as well as in Ancient Greek and Latin. While it is true that there are no hegemonic languages, it is also true that no language belongs exclusively to an individual people: languages are a common good for all Europeans, whose identity is truly an eccentric identity – as Rémi Brague has defined it – but nonetheless an identity.6 For this reason, the Accademia della Crusca (Europe’s very first institution devoted solely to the investigation of language) has renamed the square where it has its seat at the Villa Reale of Castello near Florence to »Piazza delle Lingue d’Europa« – on an inscription in twenty-three languages, which was posted up on July 3, 2007. The SGP aims to produce (1) files and indices of, and access to textual contents in digital size; (2) bibliographic and lexicographic databases; (3) a repository of primary and secondary sources constituting the ideal multilingual library that has brought about the awareness of Europe’s unity in diversity. The SGP is a wide-reaching attempt at establishing spin-offs of university based knowledge in the humanities in cooperation with publishers and information technology companies. An open access hypertext will be constituted, in which for every quoted source a link is established to its critical edition together with its translations in the main European languages. Inversely, every quote is linked with a number of articles, monographs, indices, and surveys. Due to its goal of serving as Europe’s reference infrastructure for philosophy and the human sciences, the SGP will be flexible and dynamic, transnational and transdisciplinary. As an academiarefered integrated hypertext, the SGP has been thought as the exact contrary of all Wikipedia-like endeavors. It is oriented towards excellence, the orchestration 6

Vgl. Rémi Brague: Europe: La voie romaine (Paris 1992).

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of heterogeneous and dynamic resources distributed across multiple platforms into a single entity, the fast and massive diffusion of ideas and information, the management of the digital content, the strengthening of cooperation between humanities researchers around the world, the development of new models for digital publishing, and, last but not least, towards the optimization of research costs. The SGP opens up a new direction in so far as it proposes a completely new way of working with the history of scientific lexica within cultural studies. The most recent European contribution to the History of Concepts is the Vocabulaire européen des philosophies: Dictionnaire des intraduisibles, which came out in 2005.7 The Historisches Wörterbuch der Philosophie (=HWPh ) has been brought to completion in 2006 with the publication of the indices by Walter Tinner and Margarita Kranz of the Schwabe Verlag.8 The approach to the history of political concepts of the Geschichtliche Grundbegriffe is kept alive by HansErich Boedeker.9 Ulrich Johannes Schneider is re-positioning the role of the history of History of Philosophy within the more general approach of Intellectual History, which has been disseminated by Donald Kelley as well as by the current editors of the Journal of the History of Ideas, Anthony Grafton, Martin J. Burke and Ann E. Moyer.10 Costantino Esposito has proposed a new yearbook, Quaestio, which is entirely dedicated to problems that are connected with the history of ontology (2002: Causalità; 2003: Esistenza; 2004: Esperienza; 2005: Metafisica; 2006: Materia; 2007: Ontologia).11 With the completion of Storia delle storie generali della filosofia, Gregorio Piaia has pointed to the interaction between individual national traditions and general histories of Philosophy – a neglected aspect of a pragmatic history of Philosophy.12 Virgilio Melchiorre and Massimo Marassi – the editors of the third edition of the Enciclopedia filosofica13 – have shown the feasibility of a philosophical encyclopaedia that encompasses different levels, for all possible systems of cognition are based on infinitely many points of view. Rudolf Makkreel – the former editor of the Journal of the History of Philosophy – continues the lesson of Wilhelm Dilthey making it clear that the Barbara Cassin: Vocabulaire européen des philosophies: Dictionnaire des intraduisibles (Paris 2005). 8 Joachim Ritter, Karlfried Gründer, and Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie (Basel 1971–2007). 9 Reinhardt Koselleck, Otto Brunner, and Werner Conze (Hg.) : Geschichtliche Grundbegriffe (Stuttgart 1972–1997). 10 Donald R. Kelley: What is Happening to the History of Ideas? In: Journal of the History of Ideas 51 (1990) 3–25; Ulrich Johannes Schneider: Intellectual History and the History of Philosophy. Intellectual News (1996) 8–30; Maryanne C. Horowitz (Hg.): New Dictionary of the History of Ideas (New York 2004). 11 Costantino Esposito and Pasquale Porro (Hg.): Quaestio (Turnhout 2001–). 12 Giovanni Santinello and Gregorio Piaia (Hg.): Storia delle storie generali della filosofia (Padova 1979–2004). 13 Virgilio Melchiorre and Massimo Marassi (Hg.): Enciclopedia filosofica (Milano 2006). 7

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History of Concepts has no use for a priori premises; it should account for the lives of concepts within historical contexts. Issues related to storing cognition by means of digital technologies, finally, are demanding a great deal of attention. Paolo D’Iorio, the leader of the working-group Hyper-Learning: Modèles ouverts de recherche et d’enseignement sur le Web, is currently working on the Discovery project (also in connection with the ILIESI), which is an international consortium of content providers and software developers funded under the aegis of the European Commission’s eContentplus program to develop a digital library of primary and secondary sources for the study of Philosophy (Philosource), to enrich this material with semantically structured metadata, and to create a peer-to-peer desktop application linked to the digital library to facilitate scholarly research in Philosophy (Philospace). First and foremost, we wish to point out the SGP’s interdisciplinarity and multiculturality, which have already been the subject of a conference held in 2000.14 The SGP is based on philosophical texts that constitute the common cultural foundation that lies at the origin of Europe’s pluralism from Antiquity to our days. It considers periods within the history of development of all sciences by focusing on the discussions about their methodologies. Specifically, the SGP focuses on the constant interaction among Philosophies, Sciences, and Religions. Finally, the SGP gives evidence for the typically European ability of coming to terms with ambiguities, in the effort of productively acquiring diversity of both internal and external origin. Natural sciences are not only dependent on Weltanschauungen, they also produce Weltanschauungen. It is therefore required for Natural Scientists within the European Research Area to consider the cultural aspects of their disciplines and the practical connections to diverse Lebenswelten, just as it is for Humanities Scholars, to communicate with Natural Scientists. Encompassing the dynamic relation of scientific rationality, technical application, and cultural Lebenswelt is the main mission of a theory of general education that is based on the evolution of personality. The SGP is instrumental in this direction in so far as it contributes also to the history of metaphors and to the history of iconology.15 The SGP facilitates creative thinking as it provides its users with methods and contents both for plastic and differentiated expressions and for enriching logical arguments by metaphors and iconic references. A major open task is, for instance, to delve into the relation between philosophical notions and genera, and musical concepts.16

Gunter Scholtz (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte, Archiv für Begriffsgeschichte Sonderheft (Hamburg 2000). 15 Andrea Hülsen-Esch and Jean-Claud Schmitt (Hg.): Die Methodik der Bildinterpretation (Göttingen 2002); Lutz Dannenberg (Hg.): Historisches Wörterbuch der Metaphern in Philosophie und Wissenschaften, in preparation. 16 Gianmarco Borio and Carlo Gentili (Hg.): Storia dei concetti musicali (Roma 2007). 14

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There is more to that, though. In his opening lecture upon conferral of the degree honoris causa at the Università di Padova on December 14, 2006, the Secretary-General of the Organization of the Islamic Conference, Ekmeleddin İhsanoğlu, made it clear that different cultures may or may not share the same values. They certainly share, however, a number of problems and strategies for their solutions. Problems arise from human experience, and solutions can be inquired into historically by means of the tools of various disciplines. The problem of defining mankind, for example, was first investigated in Religion (e. g., in Psalm 8), then in Philosophy (e. g., by Socrates), and in the last five centuries in Natural Sciences (e. g., by Francis Crick and James Watson); it keeps being inquired into by these three disciplines. It is true that there are problems of specific disciplines that come up also within other disciplines. It is problems, however, that spark off dialogue among different fields. Disciplines that are unable to share linguistic protocols can nonetheless delve with profit into the same problem. What is possible among disciplines, is also possible among various civilizations. Western, Islamic, Chinese and African cultures have different points of view, different ideas and different Lebensformen, but, again, they share the same problems. In fact, all civilizations investigate problems connected with the notions of God, the world and mankind. Therefore, the history of concepts is in a position of advantage with respect to philosophical narratives that are tied to a specific intellectual tradition. In other cultures, signs and meanings assume different roles. Following Martin Heidegger, if language is the house of being and if man, due to conceptual language, lives within the house of being, one ought to absurdly conclude that Western citizens live in a house that is completely isolated from citizens of other civilizations. Heidegger makes the example of Iki, a key notion of Japanese aesthetic that is untranslatable into Western conceptuality. The history of a problem goes well beyond the various nuances a concept may take up within a culture, as Walter Benjamin explains in »Die Aufgabe des Übersetzers.« The expressions representation and imitation are, indeed, translations for the same term: mimesis. It is evident, however, that they have different meanings depending on the context – e. g., following either Plato on ideas, Aristotle on tragedy or Dante on interpretation. The history of problems has the special power of opening up a dialogue between various cultures without assuming a specific perspective, while giving the same dignity to all components of speech and exposing the multiple solutions to the same problem.17 Conversing about concepts makes it possible to reach a meaningful development for humanity as regards, for example, issues of war and human rights. The SGP thus provides a framework that enables the history of concepts to reach its most ample effectiveness.

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Marco Sgarbi: Umriß der Theorie der Problemgeschichte. In this volume.

Marco Sgarbi

Umriß der Theorie der Problemgeschichte

I. Die Philosophiegeschichte des 20. Jh. war von zwei Avantgarde-Methodologien beeinflußt: der Begriffsgeschichte und der Ideengeschichte. Bevor die verschiedenen Zivilisationen Ideen und Konzepte teilten, teilten sie Probleme und deren Lösungen. In dieser Abhandlung soll ein Wechsel von der alten Begriffs- und Ideengeschichte hin zu einer neuen Problemgeschichte vorgeschlagen werden. Meine Theorie der Problemgeschichte stellt keine Wiederbelebung der platonischen »Problemgeschichte« Nicolai Hartmanns dar, sie ist vielmehr auf die Hermeneutik sowie auf die letzten Entwicklungen der Ontologie gegründet. Der erste Teil der Abhandlung ist eine historische Rekonstruktion der bedeutendsten Entwicklungen der Konzept-, Ideen- und Problemgeschichte und eine Einschätzung ihrer Grenzen. Der zweite Teil besteht aus einer Darstellung der grundlegenden Eigenschaften einer neuen Annäherung an die Problemgeschichte.

II. Das erste Auftreten des Wortes »Begriffsgeschichte« ist in Hegels Einleitung der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte zu verzeichnen, obwohl es nicht eindeutig ist, ob es sich dabei um einen original Hegelschen Ausdruck handelt oder ob er von den Herausgebern seiner Vorlesungen eingeführt wurde. Wie dem auch sei, laut Hegel ist Begriffsgeschichte nicht der beste Weg Geschichte zu schreiben. Tatsächlich ist die Begriffsgeschichte Bestandteil der reflektierenden Geschichte, d. h. einer Geschichte, als Gegenstand von Reflektierung und Interpretation. Geschichte wird zu einem Reflektierungsgegenstand, wenn sie sich mit einer universellen Perspektive, einem Blickwinkel eines absoluten Geistes, vereint. Das Ziel der Begriffsgeschichte ist es laut Hegel, die notwendige Entwicklung von Gedanken durch die Zeit hindurch zu erklären. Sie stellt den ersten Schritt in Richtung philosophische Geschichte dar. Hegels Ansicht über die Begriffsgeschichte, die vermutlich durch ihre strengen Grenzen erklärbar ist, hatte jedoch keinen Einfluß auf die Formulierung einer präzisen, historiografischen Methodologie. 1874 formuliert Gustav Teichmüller eine erste genaue Definition von Begriffsgeschichte und ihren Zielen. Begriffsgeschichte sollte eine kritische und vollständige Untersuchung von Konzepten und ihrer Bedeutungswandel Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 7 · © Felix Meiner Verlag 2010 · ISBN 978-3-7873-1917-6

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sein.1 In diesem Sinne ist Begriffsgeschichte mit der Terminologiegeschichte, der Wortgeschichte und der Sachgeschichte verwandt, von der jede unterschiedliche philosophische und historische Aspekte präsentiert. Das erste Nachschlagewerk der Konzepte wurde zwischen 1927 und 1930 in den drei Volumen von Rudolf Eislers Wörterbuch der philosophischen Begriffe und Ausdrücke veröffentlicht. Seit Eislers Wörterbuch wurde die Begriffsgeschichte eine erfolgreiche Bestrebung in deutschen Universitäten und förderte zwei parallele Initiativen von großem Ausmaße. Die beeindruckendste dieser beiden ist das Historische Wörterbuch der Philosophie [HWPh], herausgegeben von Joachim Ritter und einer Gruppe von Ko-Autoren. Die erste Veröffentlichung des HWPh geht auf das Jahr 1972 zurück, die letzte und 12. Ausgabe stammt von 2005. Die methodologische Freiheit und der Verzicht auf strikte Richtlinien, die Joachim Ritter den Autoren in seinem Vorwort zugestand, sind der Grund für die Heterogeneität und Unordnung in vielen Stichwörtern, die im HWPh veröffentlicht sind. Dieser Aspekt ist im Vergleich der ersten und letzten Volumen besonders auffällig. Ulrich Johannes Schneider stellt drei Schwachpunkte dieser Begriffsgeschichte heraus: 1) Jede Übersetzung ist ein Verrat; 2) Texte werden geschrieben, und nicht Konzepte; diese werden mit Intention gelesen, gedanklich vorgestellt und vom Text erfaßt; 3) Konzepte werden aus dem Text und Kontext heraus gelesen.2 Die zweite wichtige Initiative ist das von Erich Rothacker 1955 gegründete Archiv für Begriffsgeschichte [AfB]. Im Vorwort zur zweiten Ausgabe unterstreicht Rothacker zwei grundlegende Aspekte der Begriffsgeschichte: Als erstes, Begriffsgeschichte als eine Mischung zwischen Problemgeschichte und Terminologiegeschichte zu bestimmen, und zweitens, Philosophie als Kulturphilosophie zu verstehen. Der Wendepunkt in der Methodologie der Begriffsgeschichte ist Hans-Georg Gadamers Philosophie. Gadamer, der in den sechziger Jahren ein Projekt über Begriffsgeschichte für die Deutsche Forschungsgemeinschaft leitete, stellte die hermeneutische Perspektive zu Eislers doxographischem Standpunkt in Opposition. Kurz gesagt widersprach Gadamer beiden, sowohl dem Ewigkeitsanspruch als der Nicht-Zeitlichkeit der Konzepte, indem er sie mit dem Prinzip ihrer Veränderbarkeit durch die Zeiten hindurch ersetzte. Begriffsgeschichte wurde bei Gadamer Selbstkonstituierung von Konzepten in ihren historischen Kontexten.3 Reinhart Koselleck folgte Gadamers Ansatz und entwickelte im Widerspruch zum HWPh, gemeinsam mit Otto Brunner und Werner Conze, die Idee, die grundlegenden historisch-politischen und sozialen Konzepte der deutschen

1 Hans G. Meier: Begriffsgeschichte. In Historisches Worterbuch der Philosophie. Bd. 1, hg. von Joachim Ritter (Basel 1971) 803–804. 2 Ulrich Johannes Schneider: Über Lust und Unlust in der Begriffsgeschichte. In diesem Band. 3 Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke. Bd. 1 (Tübingen 1986) 9–47.

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Kultur und Sprache in Geschichtliche Grundbegriffe [GG] zu untersuchen. Dies wurde in acht Ausgaben zwischen 1967 und 1996 realisiert. Wo das HWPh seine Analysen nur auf relevante Bücher oder wichtige Veröffentlichungen von Philosphen begrenzt, zieht das GG auch Passagen aus Tageszeitungen, Zeitschriften, Regierungs- und Gesetzesschriften usw. in Betracht. Wo das HWPh Konzepte ohne Bezug zu den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen entwickelt, basieren die Rekonstruktionen des GG gerade auf diesen Faktoren. Kosellecks Methodologie beeinflußte eine große Anzahl ähnlicher Projekte, wie das Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820, das Historische Wörterbuch der Rhetorik und die Ästhetischen Grundbegriffe.4 Das Gegenstück zur Begriffgeschichte in englischsprachigen Ländern ist die von Arthur O. Lovejoy entwickelte Ideengeschichte und seine Schule an der John-Hopkins-University. Lovejoys Methodologie basierte auf Ideeneinheiten als Konstruktionssteine der Geschichte. Diese bleiben in ihrem Kern durch die Zeit hindurch unverändert, aber sie bilden neue Kombinationen in veränderten Mustern, nehmen neue Ausdrucksformen in verschiedenen historischen Phasen an. Das Ziel eines Ideenhistorikers ist es laut Lovejoy, diese Ideen-Einheiten zu identifizieren und ihr historisches Auftreten sowie ihren Rückgang in neue Formen und Kombinationen zu beschreiben. Lovejoys Zelebrierung und Anwendung der Ideeneinheiten – wie auch Donald Kelley in What is happening to the history of ideas? erklärt –, sind ein Versuch, die philosophische Hegemonie in der Geschichtsschreibung zu bewahren.5 Koselleck spielte seine Schlüsselrolle für die Begriffsgeschichte innerhalb der Ideengeschichte, wie Kari Palonen bei Quentin Skinner gut deutlich machte.6 Skinner kritisierte mit seinen einflußreichen Essays Meaning and Understanding in History of Ideas und Rhetoric and Conceptual Change, die traditionelle Methodologie der Ideengeschichte, indem er die historische Untersuchung des Kontextes, der Sprachhandlung, der Leserschaft und der rhetorischen Beschreibung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellte. Skinners grundsätzliche Richtlinien sind folgende: 1) Es gibt keine Ideeneinheiten oder immer wiederkehrende Fragen in der politischen, ethischen oder sozialen Realität; 2) Klassische, ethische und politische Denker haben keine Theorie zu Ideen-Einheiten formuliert; 3) Es ist unmöglich, die jeweilige Haltung zu Ideeneinheiten eines Autors zu erkennen, und es ist auch nicht korrekt, dies zu tun; 4) Ideenhistoriker

Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt (Hg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820 (Oldenburg 1985); Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Tübingen 1992); Karlheinz Barck, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt, Burkhart Steinwachs und Friedrich Wolfzettel (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe (Stuttgart 1992–2005). 5 Donald R. Kelley: What is Happening to the History of Ideas? In: Journal of the History of Ideas 51 (1990) 4. 6 Kari Palonen: Die Entzauberung der Begriffe: Das Umschreiben der politischen Begriffe bei Quentin Skinner und Reinhart Koselleck (Münster 2004). 4

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sollten nicht ihre Perspektive zur Auffindung der Bedeutung eines Textes benutzen; 5) Es ist unmöglich, die Absicht des Autors nicht in Betracht zu ziehen; 6) Vergangenes Gedankengut sollte vollständig in seinem präzisen Kontext aufgehen, es sei denn es besitzt ein Eigenleben.7 Skinner förderte damit den Wechsel von der alten Ideengeschichte hin zu einer neuen intellektuellen Geschichte.

III. In seiner Rekonstruktion der Geschichte der Problemgeschichte legte Lutz Geldsetzer 1892 den Grundstein zu derselben in Wilhelm Windelbands Werk Geschichte der Philosophie, untertitelt Geschichte der Probleme und der zu ihrer Lösung erzeugten Begriffe.8 In Übereinstimmung mit Windelband sind hier Probleme und Konzepte konsequent miteinander verbunden. Geldsetzer bemerkt ebenso, daß der Begriff »Problem« oft durch andere Wörter wie Konzept, Idee, Dogma, Topos, Denkform usw. definiert wurde.9 Der erste, der jedoch eine Methodologie für die Problemgeschichte anbot, war Nicolai Hartmann. In seinem Beitrag Zur Methode der Philosophiegeschichte von 1909 legte er dar, daß Probleme oder philosophemas genauso den zentralen Kern der Geistesgeschichte darstellen, wie die transzendentalen Bedingungen der Geschichtsmöglichkeiten. Hartmann übernahm die Position von Teichmüller und schlug vor, die Begriffsgeschichte zur Problemgeschichte aufzuwerten. Problemgeschichte ist gemäß Hartmann, die Geschichte der ewigen und seit jeher existenten Beziehungen, die in ihr Ausdruck finden. Er geht zurück bis Platon und behauptet, daß Konzepte Reduktionen von ewigen Problemen sind. Das einzig bedeutende Projekt in der Problemgeschichte war das sieben Bände umfassende Grundprobleme der großen Philosophen von Josef Speck, welches keine präzise Methodologie verfolgt, sondern nur nach Inhalten geordnet ist.10 Gadamer, der Hartmanns Vorlesungen in Marburg besuchte, lieferte den härtesten Angriff gegen die Problemgeschichte im Kapitel Die Logik von Frage und Antwort in Wahrheit und Methode.11 Problemgeschichte basiert auf einer vernünftigen Voraussetzung. Quentin Skinner: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: Meaning & Context, hg. von James Tully (Princeton 1988). Vgl. auch Joseph V. Femia: An historicist critique of revisionist methods for studying the history of ideas. In: Meaning & Context, hg. von James Tully (Princeton 1988). 8 Vgl. Lutz Geldsetzer, Problemgeschichte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, hg. von Joachim Ritter (Basel 1989) 1410–17; Otto Gerhard Oexle (Hg.): Das Problem der Problemgeschichte 1880–1932 (Göttingen 2001) und Matthias Kemper: Geltung und Problem: Theorie und Geschichte im Kontext des Bildungsgedankens bei Wilhelm Windelband (Würzburg 2006). 9 Lutz Geldsetzer, Problemgeschichte. In: Historisches Worterbuch der Philosophie. Bd. 7, hg. von Joachim Ritter (Basel 1989). 1411. 10 Ebd. 1412. 11 Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke, Bd. 1 (Tübingen: Mohr, 1990) 382. 7

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Wenn sich schon nicht die Lehrsysteme der Philosophen zu einem fortschreitenden Gange der Erkenntnis nach dem Muster der Logik oder der Mathematik ordnen, wenn sich das Hin und Her der Standpunkte der Philosophie nicht in den ruhigen Fortgang einer Wissenschaft umwandeln läßt, so sind doch die Probleme, auf die diese Lehren Antworten suchen, immer dieselben gewesen und lassen sich stets wiedererkennen«.12 Gadamers Vorwurf an die Problemgeschichte betrifft den Platonismus, d. h. die Annahme der ewigen Existenz der Probleme. Das Vorgehen der Problemgeschichte wäre demnach ähnlich der Beschreibung von Gottes Gedanken vor der Schöpfung in Hegels Wissenschaft der Logik oder wie die Sterne am Himmel.13 Um ein philosophisches Problem darzustellen, wäre die Bedingung zu erfüllen, unlösbar zu sein, so Gadamer. D. h., es müßte so weitläufig und grundlegend sein, um endlose Umformulierungen zuzulassen, daß es durch keine Lösung erschöpft würde.14 Das Dogma der Identität und der Unlösbarkeit sind die Schwachpunkte der Problemgeschichte. Ein Problem, behauptet Gadamer, ist wie eine Frage, die nie wirklich gestellt wurde. Gadamers Kritik ist gerechtfertigt und nachvollziehbar, jedoch einfach zu umgehen, wenn wir auf den Anspruch der Identität und den Ewigkeitsanspruch verzichten und wenn die Lösbarkeit als zeitlich bestimmt angenommen wird. Um eine solche Art von Problemgeschichte zu schreiben, ist es notwendig erneut zu überdenken, was man unter Problem versteht: Was sind seine Eigenschaften und was ist seine Beziehung zur Geschichte? Die Haupteigenschaften der neuen Problemgeschichte sind: 1) Ursprünglichkeit; 2) Neuerung; 3) Reichtum; 4) Kontextualisierung; 5) strukturelle Unendlichkeit; 6) Interdisziplinarität; 7) Interkulturalität und 8) Strategie.

IV. En arche en to thauma, würde Aristoteles sagen. In Metaphysica I.1 schreibt er, daß der Mensch durch das Staunen zu philosophieren beginnt und ursprünglich begann. An erster Stelle ist es das Staunen über offensichtliche Komplexität und anschließend mit zunehmendem Fortschritt auch Fragestellungen größere Zusammenhänge betreffend, z. B. die Mond- und Sonnenphasen, die Sterne und das Entstehen des Universums.15 Man staunt über etwas, das vor uns liegt und das nicht unmittelbar klar und verständlich ist. Etwas, das vor uns liegt und nicht unmittelbar klar und verständlich ist, ist ein Problem. Das gesamte menschliche Wissen beginnt mit der Erfahrung von Problemen. Sie entstehen durch die täg-

12 Hans-Georg Gadamer: Begriffsgeschichte als Philosophie. In: Gesammelte Werke. Bd. 2 (Tübingen 1993) 81. 13 Ebd. 14 Ebd. 82 f. 15 Aristoteles: Metaphysica I.1, 982 a 11–20.

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liche Erfahrung der menschlichen Endlichkeit und durch unsere Unfähigkeit, sie sofort zu lösen. Gäbe es unmittelbare Lösungen, wären die Probleme nicht länger Probleme. Erfahrung ist die Reihe innerer und äußerer menschlicher Wahrnehmung von Kultur, Leben, menschlicher Bedingungen, Existenz, Wirklichkeit, Welt, Gesellschaft, Geschichte und davon, daß alle menschlichen Wesen Erfahrungen machen können.16 Erfahrung ist problematisch; sie ist eine kontinuierliche Fragestellung aufgrund ihrer nicht reduzierbaren Vielfalt und ihrer unaufhörlichen Veränderbarkeit. Das Werden von Erfahrung ist unbestreitbar, denn seine Negation ist stets eine Form von Werden. Erfahrung allein wegen ihrer Vielzahl und ihres Werdens ist deshalb ein enormes Problem. Jede Form von Wirklichkeit ist unseren Fragen und unseren Problemen untergeordnet; das gilt auch für die Erfahrung des Problems. Diese stellt in sich schon ein Problem dar, und das ist die Bestätigung der Problematik der Erfahrung und seiner Unerschöpfbarkeit. Wenn man versucht, diese problematische Natur der Erfahrung zu lösen, bedeutet das ihre Problematik zu erfahren, d. h. die problematische Natur der Erfahrung zu problematisieren und indem man sie bestätigt, ein neues Problem zu erzeugen. Die problematische Natur der Erfahrung ist unlösbar, denn wenn sie lösbar wäre, würde das bedeuten, daß Erfahrung sich selbst erkläre, d. h. daß die Wirklichkeit sich selbst-genügend und völlig rational sei von einer völlig entwickelten, notwendigen Rationalität, die das Werden verleugnet. Diese Verleugnung ist undenkbar.17 Wirklichkeit ohne Problematisierung wäre wie Hegels absoluter Geist der Geschichte, d. h. eine idealistische Annahme. Neben der menschlichen Endlichkeit und dem Staunen taucht gleichfalls die Erfahrung der Möglichkeit auf, um Antwort auf Fragen zu geben. Die Problematisierung der Erfahrung bezeugt die Notwendigkeit einer Erklärung und einer Lösung der Probleme, auch wenn diese nur partiell und zeitlich begrenzt ist. Da Erfahrung problematisch und nicht sich selbst-erklärend ist, ist es notwendig eine begriffliche Sprachebene zur Erfahrung zuzulassen, die eine Formulierung zeitlich gültiger Lösungen ermöglicht. Konzeptionalität der Sprache betrifft die verschiedenen Strategien der Problemlösung. Als ein konzeptioneller Apparat kann sie wissenschaftlich, religiös oder philosophisch sein, aber sie folgt nachträglich dem Problem, da sie immer von einem speziellen Standpunkt aus konstruiert ist und nicht von ursprünglicher Art ist. Die problematische Natur der Erfahrung ist transzendental. Sie ist die Voraussetzung, ohne die keine Erfahrung möglich wäre. Sie ist das ursprüngliche a priori der Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und sie ist das a priori der Sprache. Wenn alle Erfahrungen immer identisch gewesen wären, wäre neues Wissen nicht möglich. Wenn menschliche Erfahrung ein völlig weißes Porträt wäre, wäre es unmöglich, seine Elemente zu unterscheiden, und Erfahrung wäre immer gleich; oder, mit Hegels Worten, wie die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Nur wenn die 16 17

Enrico Berti: Introduzione alla Metafisica (Torino 1993) 52. Ebd. 82.

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Erfahrung in der Lage ist, einen schwarzen Fleck auf dem weißen Porträt zu erkennen, ist es möglich, neues Wissen zu erlangen. Der schwarze Fleck stellt das Problem dar, welches Staunen und Reflektierung in Gang setzt. Das ist die einzige faktische Unterscheidung zwischen Problemen und Konzepten. Während ein Problem mit den Mitteln der konzeptionellen Sprache ausgedrückt wird, ist die Erfahrung eines Problems das Apriori jeglicher Sprechakte. In der Konfrontation mit einem Problem kann es auch oft geschehen, daß kein Wort in der Lage ist, es zu beschreiben. Konzeptionelle Sprache ist stumm in der Problemerfahrung, sonst gäbe es kein Staunen. Lediglich nach einer tiefgreifenden Untersuchung und rationellen Analyse ist es möglich, das Problem zu bestimmen. Die Problemgeschichte ist in gewissem Sinne immer eine Begriffsgeschichte, denn Geschichtsschreibung ist nur mit den Mitteln der Sprache möglich. In der Problemgeschichte ist die Subjekt jedenfalls kein linguistisches Element, d. h. etwas, das von einem menschlichen Beweggrund stammt. Sie ist jedoch das ursprüngliche Element der menschlichen Erfahrung. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Probleme die Bedingungen zur Erfahrungsmöglichkeit sind und diese Fragestellungen provozieren, während Konzepte Gedankenprodukte sind, welche gebildet werden, um Antworten auf Probleme zu finden. In dem Artikel Begriffsgeschichte als Philosophie schreibt Gadamer, daß Begriffsgeschichte Philosophie sei und daß Philosophie Begriffsgeschichte sein sollte. Die Begründung ist, so Gadamer, daß die Konzeptionalisierung der Philosophie ihr Wesen konstituiert. Die Naturwissenschaften können ihre Konzepte mit Hilfe von Wissensaneignung durch Objekterfahrung verifizieren, wohingegen die Philosophie so rein ist, daß sie nur konzeptionell ist und es gibt keine Objekte, durch die eine Verifizierung möglich wäre.18 Der Mangel eines spezifischen Objektes der Philosophie ist die Grundlage von Gadamers Interpretation der Problematik. Gadamers Position ist nur korrekt, wenn man die Philosophie als die einzige Sichtweise auf Konzepte erachten würde und wenn sie kein Objekt hätte. Im Gegensatz zu Gadamer möchte ich zeigen, daß die Philosophie von keiner privilegierten Sichtweise auf Konzepte und Geschichte im Vergleich zu anderen Disziplinen abhängt und daß ihr Objekt die Problematisierung ist, welche durch Konzepte ausgedrückt wird. Eine konzeptionell-philosophische Konstruktion entsteht so wie jede andere konzeptionelle Konstruktion durch das Verlangen, Antworten auf Erfahrungsprobleme zu geben. Problematisierung ist also nicht, wie Gadamer behauptet, durch die Abwesenheit eines Objektes entstanden, sondern durch die problematische Natur der Erfahrung. Die konzeptionelle Antwort auf Erfahrungsprobleme ist Philosophie, Wissenschaft, Religion oder Kunst, entsprechend der angenommenen Einstellung gegenüber der Erfahrungsproblematik. Wenn ich Probleme der Natur betrachte, ist die konHans-Georg Gadamer: Begriffsgeschichte als Philosophie. In: Gesammelte Werke, Bd. 2, a. a.O. [Anm. 589] 77. 18

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zeptionelle Konstruktion die Physik. Wenn ich Probleme des Menschen in der Gesellschaft betrachte, ist die konzeptionelle Konstruktion die Politik. Wenn ich ein Problem als Problem als solches betrachte, ist schließlich die konzeptionelle Konstruktion zunächst Philosophie oder Metaphysik. Wenn ich das Problem des Seins als ein Problem in sich selbst erachte, ist die konzeptionelle Konstruktion die Ontologie. Wenn ich das Problem der Sprache als Problem in sich selbst auffasse, ist die konzeptionelle Konstruktion die Analytische Philosophie, usw.

V. Probleme sind nicht ewiger Art, so wie es von Hartmann angenommen wird. Probleme sind nicht ewig, wie Ideeneinheiten es sein sollten, gemäß Lovejoy. Probleme entstehen durch menschliche Erfahrungen und sie hängen mit historischen Anforderungen zusammen. Ein Problem entsteht nicht durch Traditionen oder Spuren, sondern, wie Michel Foucault in L’archèologie du savoir schreibt, durch Brüche und Grenzen. Ein Problem entsteht nicht von einer ewigen Grundlage aus, etwas stets Identischem, das sich in äußeren Ausdrücken verändert, sondern vielmehr durch Erfahrungsveränderungen, die die Grundlage und Erneuerung von Konzepten und Ideen darstellen.19 Die Problemgeschichte sucht nicht nach ständigem Übergang zwischen verschiedenen Wortbedeutungen. Sie sucht nicht nach dem, was vorangeht oder folgt. Sie schaut in den Moment hinein, in dem ein Problem entsteht und untersucht alle möglichen Lösungen, die historisch determiniert sind. Problemgeschichte ist nicht, im Gegensatz zur Begriffsgeschichte, der Beschreibung von Konflikten zwischen dem Alten und dem Neuen, der Vergangenheit und der Zukunft, dem Kampf zweier sich überwältigender Meinungen verpflichtet. Sie zielt vielmehr darauf, eine historische Rekonstruierung menschlicher Erfahrung bereitzustellen, eine Geschichte des Menschen zu schreiben, die zu verschiedenen Zeiten verschiedene Antworten auf Fragen und Probleme gegeben hat. Probleme sind immer neu, weil im Interesse ihrer zeitlichen und historischen Bestimmungen menschliche Erfahrung immer neu ist. Probleme sind nicht von ewiger Art, obwohl es offensichtlich ist, daß es Probleme von großem Wert und großer Komplexität gibt. Zuerst und vor allem das Problem der Definition von Menschheit. Seitdem die Menschheit Bewußtsein von sich selbst besitzt, reflektiert sie über ihr Wesen und Schicksal. Auf Grund dessen wäre es leicht zu sagen, dieses Problem der Menschheit sei ein ewiges, was jedoch keinesfalls korrekt ist. Der Wandel besteht vielmehr in einer neuen Menschheitserfahrung selbst. Neue genetische Entdeckungen beispielsweise haben das Studium des menschlichen Körpers völlig revolutioniert und neue Probleme, die menschliche Seele betreffend, geschaffen. 19

Michél Foucault: L’archéologie du savoir (Paris 1969) 12, 221.

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VI. Problemgeschichte bleibt das Gegenteil der Begriffsgeschichte. Sie ist keine Aufzählung aller vorkommenden Worte und ihrer Erklärungen, sondern vielmehr das Erkennen der verschiedenen Annäherungen an Probleme und ihre Lösungen in vielfältigen Bereichen. Wenn das Problem durch eine Erfahrung entstanden ist und diese Erfahrung historisch bestimmt ist, ist das Problem in einem Kontext geboren, in dem nicht nur ein Subjekt und ein Problem existiert. Probleme und Schwierigkeiten tauchen durch eine Verquickung verschiedener Faktoren auf, die nicht nur mit der historisch bestimmten Zeit, sondern und vor allem mit dem Raum verknüpft sind. Problemgeschichte zu schreiben bedeutet daher, die Ursachen der Probleme zu erklären und zu untersuchen, mit welchen Schwierigkeiten sich ein Subjekt in dieser bestimmten Zeit, in diesem bestimmten Raum konfrontiert gesehen haben könnte. Fragen der Problemgeschichte sind zum Beispiel: a) Wie ist das Problem entstanden? b) Welches sind die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen, in denen die Probleme entstanden sind? c) Welches sind die Lösungsvorschläge? d) Welchen Ursprung haben die Lösungen? e) Welche Intentionen hat der Autor? Auf diese Fragen, wie auch immer Antwort zu geben, bedeutet nicht, die historischen Probleme auf intellektuelle Geschichte zu reduzieren. Historische Rekonstruierung der Erfahrungsfelder des Agierenden darf nicht vergessen, daß das historische Subjekt das Problem darstellt und nicht die Person, die es sich vorstellt. Während der letzten Jahrzehnte wurden Ideengeschichte und Begriffsgeschichte tatsächlich langsam aber stetig zu intellektueller Geschichte reduziert, insbesondere nach den Untersuchungen von Skinner, Koselleck and Kelley. Zum Beispiel betont Kelleys Strategie als Direktor des Journal of the History of Ideas, bestätigt von der aus »intellektuellen Historikern« zusammengesetzten neuen Redaktion, die Wichtigkeit einer tiefgreifenden Untersuchung des Entstehungsprozesses einer Idee vor der Forschung über die Idee als solches.20 Das Risiko besteht darin, die Probleme, Ideen und Konzepte zu Fakten unter anderen zu reduzieren. Wenn die Begriffsgeschichte und die Ideengeschichte, entsprechend den Anregungen Skinners und Kosellecks, Konzepte nicht auf ihre Bedeutung reduzieren soll, sondern im Gegenteil die Bedeutungsdimension eines Konzeptes immer in Beziehung zu einer sozio-linguistischen Handlung stehen soll, so sollen die Konzept- und Ideengeschichte sowie die Problemgeschichte nicht auf die Geschichte sozio-linguistischer Handlung, auf intellektuelle Geschichte, reduziert werden. Die Problematik besteht darin, die Perspektive der Problemgeschichte nicht in der Rekonstruktion der sozio-linguistischen Handlung zu verlieren und die spekulative Richtung der Geschichtsschreibung zu bewahren. Donald R. Kelley: What is Happening to the History of Ideas? In: Journal of the History of Ideas 51 (1990) 18. 20

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VII. In Meaning and Understanding in the History of Ideas widerspricht Skinner der Methodologie der Ideengeschichte, indem er sagt, daß keine determinierte Idee existiere, zu der die verschiedenen Denker beigetragen haben, aber daß stattdessen eine Reihe von Bestätigungen existieren, die von einer Vielzahl verschiedener Denker mit verschiedenen Intentionen behauptet werden. Es kann demnach, gemäß Skinner, keine Ideengeschichte geschrieben werden, sondern nur eine Geschichte, die Denker fokussiert, die die Ideen und die verschiedenen Situationen und Absichten erdacht haben, in die sie umgesetzt wurden. Es gibt keine Rechtfertigung, erklärt Skinner, historische Untersuchungen um Ideeneinheiten herum zu organisieren oder zu versuchen, das, was ein einzelner Autor geschrieben hat, in den ewigen Ideen zu etablieren. Solche Untersuchungen seien töricht und unnötigerweise naiv.21 In diesem letzten Punkt bin ich nicht mit Skinner einer Meinung, da gültige Rechtfertigungen zur Untersuchung dessen, was ein Autor über ewige Ideen denkt, leicht zu finden sind. Es ist sehr interessant zu wissen, was Aristoteles und Kant über Freiheit dachten oder was Machiavelli und Hobbes über das Naturgesetz schrieben usw. Skinner beabsichtige, darauf hinzuweisen, dass es ungerechtfertigt ist, die Gedanken eines Autors als ewige Ideen aufzufassen. Ich stimme ebenfalls nicht mit Skinners Schlußfolgerungen überein. Er behauptet, daß der Fehler der Ideengeschichte in wenigen Worten darin besteht, anzunehmen, daß es eine einzige Fragestellung dahingehend gibt, die die verschiedenen Denker zu beantworten versuchen. Skinners Meinung istn daß es nur individuelle Antworten auf individuelle Fragen gibt.22 Es ist wahr, daß es keine einzelne Fragestellung gibt, die nicht von verschiedenen Autoren betrachtet wird; Fragen sind unendlich. Das impliziert jedoch nicht, daß nicht viele Autoren nach Antworten zu demselben Problem gesucht hätten. Ich bestreite die Existenz von rein individuellen Antworten auf individuelle Probleme. Ein Problem entsteht individuell in einem Subjekt; aber um ein Problem zu lösen, hat das Subjekt die Pflicht, die von anderen angebotenen Lösungen zu denselben Topoi in Betracht zu ziehen. Falls die Lösungen für ein bestimmtes Subjekt nicht zufriedenstellend sind, wird es nötig sein, eine neue Lösung zu formulieren. Von diesen neuen, von einem Subjekt mit seiner Individualität und seiner persönlich konditionierten Absicht motivierten Lösungen wird nichtsdestotrotz eine universelle Gültigkeit erwartet. Das heißt, sie sollen Lösungen für ein Problem sein, das daher universell und nicht nur auf ein Subjekt bezogen ist. Wenn eine Antwort auf eine individuelle Frage ebenso individuell wäre, gäbe es keine Gründe sie zu formulieren oder mitzuteilen, es sei denn nur für das Vergnügen des Schreibens an sich. Individualismus und Idealismus wären die Quentin Skinner: Meaning and Understanding in the History of Ideas. In: Meaning & Context, hg. von James Tully (Princeton 1988) 65. 22 Ebd. 65. 21

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grundlegenden Eigenschaften dieser Theorie. Es ist zu bezweifeln, daß die großen Denker der Geschichte nur für sich selbst geschrieben haben. Jedes Problem hat mehrere Lösungen und ist nicht nur mit einer einzelnen Idee oder einzelnen Theorie verknüpft. Beispielsweise sind mit dem Problem der Tierzüchtung die Idee der Preformation und Epigenesis verbunden. Lösungen können widersprüchlich sein, obgleich sie auch in ihrer Widersprüchlichkeit fruchtbar und nützlich sind für ein effektives Verständnis der Bedeutung des Problems in seiner historischen Artikulation. Ein Einspruch kann erhoben werden. Jede Person kann ein Problem erfinden, eine Lösung formulieren und erwarten, daß sie universell gültig sind. Um diese Möglichkeit zu vermeiden, müssen wir in Betracht ziehen, daß a) ein Problem Staunen erzeugen muß; b) Probleme, um solche zu sein, durch menschliche Erfahrung bezeugt sein müssen und so sehr sie auch verschiedenartig sein können, sie immer gemeinsame Spuren aufweisen; c) es notwendig ist, eine Bezeugung des Problems zu haben, d. h. anderen zu demonstrieren, daß das Problem existiert; d) falls das Problem wirklich besteht, das Subjekt die Pflicht hat, zu überprüfen, ob man diesem Problem bereits in der Geschichte gegenüberstand; e) falls das Problem wirklich besteht und es bereits konfrontiert wurde, das Subjekt seine Lösung mit den anderen abgleichen muß; f) falls das Problem existiert und es noch nicht konfrontiert wurde, das Subjekt demonstrieren muß, daß seine Lösung Gültigkeit haben kann. Der Reichtum der Problemgeschichte ist gegründet auf der unendlichen Möglichkeit parallele und miteinander verbundene Lösungen zu formulieren und nicht nur einfach chronologische. Man kann die unbegrenzte Möglichkeit, Lösungen zu formulieren, als strukturelle Unendlichkeit definieren.

VIII. In der Ideengeschichte ändern Ideen ihre Formulierung, wohingegen die Probleme in der Problemgeschichte bestehen bleiben und sich nur ihre Lösungen verändern. Das ist der Grund, warum Problemgeschichte eine Geschichte der Bereicherung und nicht des Wechsels ist. Wenn es möglich wäre, die Geschichte einer Idee oder eines Konzeptes zu zeichnen, wäre dies eine Linie bestehend aus unendlichen Punkten. Die Punkte wären die Äußerungen des Konzeptes in der Geschichte. Im Gegenteil dazu, wenn es möglich wäre die Geschichte eines Problems darzustellen, wäre es ein endloses Puzzle, in dem jedes Teil eine Lösung ist. Wenn die Linie der Geschichte der Idee in einer bestimmten Zeit T einen endgültigen Ausdruck H hat und in einer anderen bestimmten Zeit T’ einen endgültigen Ausdruck H’ hat, so hat die Problemgeschichte in einer bestimmten Zeit T keinen endgültigen Ausdruck. Die problematische Natur des Problems ist unerschöpflich in welcher Zeit auch immer. Die Unendlichkeit der Problemgeschichte betrifft nicht Zeit und den endgültigen Ausdruck wie in der Begriffsgeschichte, aber sie ist strukturell. Das bedeutet, es ist möglich, eine un-

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endliche Anzahl verschiedener Lösungen zu einem Problem zu haben, das auch so vor hundert Jahren formuliert wurde und diese Lösungen nicht in chronologischer Ordnung, sondern mit den Mitteln des konzeptionellen Vergleiches zu analysieren. Beispielsweise kann das Problem des Ursprungs des Universums nicht in chronologischer Ordnung betrachtet werden, da im Ursprung die Idee der Schöpfung und dann die Idee des Big Bang war. Aber diese Ideen müssen epistemologisch gleichzeitig betrachtet werden. Analoge Betrachtungen können für den Ursprung der Menschheit und die Diskussion um die Kreationsund Evolutionstheorie angestellt werden. Ebensowenig kann das Problem der Form des Universums mit dem Übergang von der geozentrischen zur heliozentrischen Theorie, wie auch Paul K. Feyerabend gezeigt hat, nur als chronologisch erachtet werden.23 Die Entwicklung des Gedankens schreitet nicht gemäß der Zeitordnung voran, sondern entsprechend der menschlichen Erfahrung.

IX. Ein grundlegendes Element der Problemgeschichte ist Interdisziplinarität. Probleme entstehen durch menschliche Erfahrung, und Lösungen können mit den Mitteln verschiedener Disziplinen historisch untersucht werden. Das Problem der Definition von Menschheit wurde beispielsweise ursprünglich von der Religion erforscht, anschließend von der Philosophie und in den letzten fünf Jahrhunderten von den Naturwissenschaften, und es ist immer noch Forschungsgegenstand aller drei Disziplinen. Die Begriffs- und Ideengeschichte basiert auf linguistischen Protokollen, die a priori die Möglichkeit zur Interdisziplinarität ausschließen. Das Konzept der Substanz hat sicherlich gemeinsame Elemente in Philosophie und Chemie, aber es ist sehr schwierig beide Perspektiven in einer Begriffsgeschichte zu finden. Es ist wahr, daß es spezifische Probleme einiger Disziplinen gibt, aber ebenso innerhalb verschiedener Disziplinen. Wie dem auch sei, Probleme eröffnen den Dialog zwischen verschiedenen Feldern. So sind z. B. die Relativitätstheorie und die Quantentheorie in paradigmatischem Konflikt, obwohl beide die Topoi des Problems der Natur der Atome teilen und ausgehend von der Lösung dieses Problems eine gemeinsame Theorie formuliert werden könnte. Das gleiche Phänomen zeigt sich zwischen verschiedenen Disziplinen. Religion und Wissenschaft liefern verschiedene Lösungen zu demselben Problem. Es ist möglich, daß eine gemeinsame Erforschung desselben Problems von zwei Lösungen zu einer neuen führt.

Paul K. Feyerabend: Against Method: Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge (Atlantic Highlands 1975). 23

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X. Zwei Disziplinen, die kein gemeinsames linguistisches Protokoll und keine gemeinsamen Konzepte besitzen, können dennoch erfolgreich daßelbe Problem untersuchen. Dies ist nicht nur zwischen den Disziplinen, sondern auch zwischen verschiedenen Zivilisationen möglich. Westliche, Islamische, Chinesische und Afrikanische Kulturen besitzen unterschiedliche Standpunkte, Ideen und Lebensstile, aber sie teilen alle dieselben Probleme. Tatsächlich erforschen alle Kulturen die Probleme von Welt, Gott und Menschheit, und aus diesem Grund ist die Problemgeschichte im Vorteil gegenüber der Begriffs- und Ideengeschichte, die für eine spezifische kulturelle Tradition typisch ist. Konzeptionelle Geschichte versagt, wenn sie lediglich beabsichtigt, die konzeptionellen linguistischen Veränderungen darzustellen, denn sie kann nicht auf andere kulturelle Gebiete, außer auf westliche angewandt werden. In anderen Kulturen nehmen Zeichen und Bedeutungen unterschiedliche Rollen an. Nach Martin Heidegger: Wenn man Sprache als das Haus des Seins annimmt und der Mensch aufgrund konzeptioneller Sprache in dem Haus des Seins lebt, sollte man annehmen, daß westliche Bürger in einem Haus leben, welches von Bürgern anderer Zivilisationen völlig isoliert ist. Das Beispiel Heideggers ist das Iki, ein grundlegendes Wort aus der japanischen Ästhetik, das in die westliche Konzeptionalität unübersetzbar ist.24 Das Problem liegt also demnach nicht in den verschiedenen Nuancen, die ein Konzept in derselben Kultur annimmt, wie Walter Benjamin in Die Aufgabe des Übersetzers erklärt.25 Zum Beispiel die Wörter èsprit, spirito, espiritu, spirit und Geist könnten die Übersetzungen desselben Objektes sein, obwohl evident ist, daß sie verschiedene Bedeutungen besitzen. Begriffsgeschichte ist keine interkulturelle Geschichte, weil die unterschiedlichen linguistischen Niveaus nicht kommunizierbar sind, obwohl Kommunikation auf dem Niveau der Probleme möglich ist, wenn man die spezifische Identität der verschiedenen Zivilisationen beibehält. Problemgeschichte ist die einzig wirklich interkulturelle Geschichte, die die Kraft besitzt, einen Dialog zwischen verschiedenen Kulturen zu eröffnen, ohne eine bestimmte Sichtweise anzunehmen, indem sie allen zur Sprache gebrachten Komponenten ihre Würde zu Teil werden läßt und die vielfältigen Lösungen zu demselben Problem darstellt. Nur in der Erörterung von Problemen und nicht von Ideen ist es möglich, eine bedeutungsvolle Entwicklung für die Menschheit, beispielsweise bezüglich der Problematik von Krieg und Sklaverei, zu erreichen. Es gibt Gründe anzunehmen, Problemgeschichte könne helfen, die Unterschiedlichkeit von Zivilisationen besser zu verstehen. Wenn wir in der Lage wären,

24 Martin Heidegger: Aus einem Gespräch von der Sprache. In: Gesamtausgabe Bd. 12 (Frankfurt am Main 1985) 85. 25 Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers. In: Gesammelte Schriften, IV (Frankfurt a.M. 1980) 14.

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die Probleme der gesamten Menschheit zu verstehen, indem wir verschiedene kulturelle Annäherungen in Betracht ziehen, wären wir hoffentlich auch in der Lage, sie alle zusammen zu lösen.

XI. Das letzte charakteristische Element der Problemgeschichte ist Strategie. Damit wird nicht auf Skinners transversale und indirekte Strategien Bezug genommen, sondern gemeint ist die präzise Rolle, die die Problemgeschichte in der Annäherung an viele Disziplinen spielt. Die Problemgeschichte, die philosophische Probleme behandelt, ist Philosophie, während Ideengeschichte oder die intellektuelle Geschichte, wie Donald Kelley geschrieben hat, nicht bedeutet, Philosophie zu betreiben.26 Problemgeschichte ist Philosophie, weil die Rekonstruktion aller historischer Lösungen zuerst den Stand der Forschung herausarbeitet und an zweiter Stelle hilft, neue mögliche Lösungen zu finden und zu erkennen. Problemgeschichte arbeitet jedoch nicht nur mit Philosophie, sondern auch zusammen mit anderen Wissenschaften. Nur durch tiefgreifende Kenntnis der Probleme und der verschiedenen Lösungen, die sich im Laufe der Geschichte anboten, ist es möglich, neue Lösungen zu formulieren, die sich von den alten unterscheiden.

XII. Zusammenfassend ist Problemgeschichte: 1) basiert auf ursprünglichen Elementen der menschlichen Erfahrung; 2) stets neu, da Problemerfahrung und deren Lösungen immer neu sind; 3) reich, weil ein Problem auf vielfältige Ideen und Konzeptualität verweist; 4) unendlich, da Lösungen und ihre Annäherungen unendlich sind; 5) interdisziplinär, weil verschiedene Wissenschaften das Problem von verschiedenen Betrachtungsweisen aus lösen können; 6) interkulturell, weil Probleme gemeinsame Elemente verschiedener Kulturen sind; 7) in der Lage, neue Wege zu eröffnen, um neue Lösungen zu finden. Den Vorwurf des Platonismus, den viele Schüler gegen die Problemgeschichte erhoben haben, kann insofern zurückgewiesen werden, da die Problemgeschichte heute das beste Gegengewicht gegen eine rein doxographische Begriffsgeschichte ist. Problemgeschichte versucht die Gefahr zu vermeiden, daß sie in eine Form von Relativismus verflacht wird, welche die spekulativen Aspekte der philosophischen Probleme zugunsten der natürlichen Zeitverbindung reduziert. Die historischen Horizonte sollten das philosophische Denken nicht ersticken. Das Programm der Problemgeschichte ist nicht durch den Versuch definiert, auf Donald R. Kelley: In What is Happening to the History of Ideas? In: Journal of the History of Ideas 51 (1990) 18. 26

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allgemein gültige Problem- und Lösungsfixierung hinzuweisen. Im Gegenteil, es beschäftigt sich mit ihren historischen Übertragungen und mit der resultierenden Interaktion mit den philospophischen Objekten. Gleichzeitig fokussiert es die historisch bedingten Aspekte, die mit ins Spiel kommen. Problemgeschichte steht in striktem Gegensatz dazu, den Umfang der konzeptionellen und systematischen Festlegungen zu verringern. Die Klarstellung der historischen Effektivität macht Probleme nützlich für die philosophische Analyse, indem sie Unterstützung für ihre stringente Anwendung liefert. Auf diesem Weg kann die Kluft zwischen Historismus und normativer Bedeutungszuordnung gefüllt werden. Problemgeschichte, auch wenn sie nur Probleme einer spezifischen Wissenschaft, namentlich der Philosophie, beinhaltet, zieht nicht nur die philosophische Annäherung an philosophische Probleme, sondern auch alle wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Standpunkte in Betracht, die die Philosophiegeschichte und die Sichtweisen verschiedener Zivilisationen beeinflußt haben. Jeder philosophische, literarische, politische, wirtschaftliche sowie künstlerische Gedanke wird geboren, um Probleme zu lösen, demnach findet die These Zustimmung, daß die Methodologie der Problemgeschichte die beste Annäherung an die Geschichte ist und nicht nur im philosophischen Feld, sondern auch in anderen Disziplinen.