Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts: Probleme, Perspektiven, Fallstudien [Reprint 2011 ed.] 9783110943382, 9783484640122

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Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts: Probleme, Perspektiven, Fallstudien [Reprint 2011 ed.]
 9783110943382, 9783484640122

Table of contents :
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
I. Probleme und Perspektiven
Vorformen des Einblattdruckes. Urkunden - Schrifttafeln - Textierte Tafelbilder - Anschläge - Einblatthandschriften
Inkunabeln oder Postinkunabeln? Zur Problematik der >Inkunabelgrenze< am Beispiel von 5 Druckern und 111 Einblattdrucken
Inkunabeln als Uberlieferungsträger - besonders zeitgenössischer Texte
Warum Einblattdrucke einseitig bedruckt sind. Zum Zusammenhang von Druckverfahren und medialem Typus
Auflagenhöhen von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert
Gebrauchsformen und Gebrauchsräume von Einblattdrucken des 15. und frühen 16. Jahrhunderts
Schauen und Erinnern. Überlegungen zu Intentionalität und Appellstruktur illustrierter Einblattdrucke
Beschrieben, bemalt, zerschnitten: Tegernseer Mönche interpretieren einen Holzschnitt
II. Fallstudien
Die Gregoriusmesse und das Gebet >Adoro te in cruce pendentem< im Einblattdruck. Legendenstoff, bildliche Verarbeitung und Texttradition am Beispiel des M o nogrammisten d. Mit Textabdrucken
Die ›Oratio ad sanctam crucem‹ des Johannes Mercurius Corrigiensis: Ein Einblattdruck als Apotropäum?
Misterium eukaristie. Zum Text-Bild-Programm eines allegorisch-dogmatischen Einblattdrucks des ausgehenden 15. Jahrhunderts
Hans Folz und die Juden
Vmb kurczweil vnd schiessens willen. Zu den gedruckten Schützenbriefen des 15. Jahrhunderts
Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen der Inkunabelzeit
Zum Ablaßbrief des Johannes Nixstein, 1482
Astronomisch-kalendarische Tafel für Inkunabel- und Frühdruckforscher
Abbildungsverzeichnis
Register
I. Uberlieferungsträger
II. Personen, Orte, Sachen, Werke

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Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts

Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts Probleme, Perspektiven, Fallstudien

Herausgegeben von Volker Honemann, Sabine Griese, Falk Eisermann und Marcus Ostermann

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts: Probleme, Perspektiven, Fallstudien / hrsg. von Volker Honemann .... -Tübingen : Niemeyer, 2000 ISBN 3-484-64012-X © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Vorwort

Die hier vorgelegten Studien zu Einblattdrucken des 15. und frühen 16. Jahrhunderts entstanden im Kontext des seit 1994 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des münsterschen Sonderforschungsbereichs 231 >Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter< geförderten Teilprojektes >Textierte Einblattdrucke im Deutschen Reich bis 1500 als Ausdruck pragmatischer SchriftlichkeitInkunabelgrenze< am Beispiel von 5 Druckern und 111 Einblattdrucken HOLGER NICKEL (Berlin) Inkunabeln als Überlieferungsträger — besonders zeitgenössischer Texte

45 . .

URSULA RAUTENBERG (Erlangen) Warum Einblattdrucke einseitig bedruckt sind. Zum Zusammenhang von Druckverfahren und medialem Typus FALK EISERMANN (Münster) Auflagenhöhen von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert

123

129 . .

143

SABINE GRIESE (Münster) Gebrauchsformen und Gebrauchsräume von Einblattdrucken des 15. und frühen 16. Jahrhunderts

179

NIKOLAUS HENKEL (Hamburg) Schauen und Erinnern. Überlegungen zu Intentionalität und Appellstruktur illustrierter Einblattdrucke

209

PETER SCHMIDT (Frankfurt am Main) Beschrieben, bemalt, zerschnitten: Tegernseer Mönche interpretieren einen Holzschnitt

245

II. Fallstudien GUNHILD ROTH (Münster) Die Gregoriusmesse und das Gebet >Adoro te in cruce pendentem< im Einblattdruck. Legendenstoff, bildliche Verarbeitung und Texttradition am Beispiel des Monogrammisten d. Mit Textabdrucken

277

VIII

Inhalt

NINE MIEDEMA (Münster) Die >Oratio ad sanctam crucem< des Johannes Mercurius Corrigiensis: Ein Einblattdruck als Apotropäum?

325

RUDOLF SUNTRUP (Münster) Misterium eukaristie. Zum Text-Bild-Programm eines allegorischdogmatischen Einblattdrucks des ausgehenden 15. Jahrhunderts

349

CHRISTINE MAGIN (Münster) Hans Folz und die Juden

371

MARCUS OSTERMANN (Münster) Vmb kurczweil vnd schiessens willen. Zu den gedruckten Schützenbriefen des 15. Jahrhunderts

397

SYLVIA KOHUSHÖLTER (Münster) Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen der Inkunabelzeit

445

HOLGER NICKEL (Berlin) Zum Ablaßbrief des Johannes Nixstein, 1482

467

JÜRGEN HAMEL/ECKEHARD ROTHENBERG (Berlin) Astronomisch-kalendarische Tafel für Inkunabel- und Frühdruckforscher . .

479

Abbildungsverzeichnis

495

Register I. Überlieferungsträger II. Personen, Orte, Sachen, Werke

501 503 516

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

BSB-Ink COPINGER

CR ElNBL.

GELDNER, Inkunabeldrucker GW

HAIN

HC HEITZ HR 111. Bartsch

ISTC LCI

LexMA LGB2 2

LThK

3

LThK

Bayerische Staatsbibliothek, Inkunabelkatalog, Bd. Iff., Wiesbaden 1988ff. Walter Arthur Copinger, Supplement to Hains Repertorium bibliographicum or Collections toward a New Edition of that Work, Teil l: Corrections and Additions, Teil 2 (in 2 Bden): Volumes Not Referred to by Hain (Bd. 1: Abano-Ovidius, Bd. 2: Pablo-Zutphania, Addenda to Parts I and II, Index [= Konrad Burger, The Printers and Publishers of the XV. Century with Lists of Their Works]), London 1895-1902. COPINGER und REICHLING. Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Ein bibliographisches Verzeichnis, hg. von der Kommission für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten 35/36) Halle/S. 1914. Ferdinand Geldner, Die deutschen Inkunabeldrucker. Ein Handbuch der deutschen Buchdrucker des XV. Jahrhunderts nach Druckorten, Bd. l: Das deutsche Sprachgebiet, Bd. 2: Die fremden Sprachgebiete, Stuttgart 1968/1970. Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. l ff., Bd. l -8 Lieferung l hg. von der Kommission für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Leipzig 1925-1940, ab Bd. 8ff. hg. von der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin, Stuttgart/Berlin/New York 1972ff. Ludwig Hain, Repertorium bibliographicum, in quo libri omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD. typis expressi ordine alphabetico vel simpliciter enumerantur vel adcuratius recensentur, 4 Bde, Stuttgart/Tübingen/Paris 1826-1838. HAIN und COPINGER. Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts, hg. von Paul Heitz, 100 Bde, Straßburg 1906-1942. HAIN und REICHLING. The Illustrated Bartsch (Supplement). German Single-Leaf Woodcuts before 1500, 4 Bde, hg. von Richard S. Field (Bd. 161 -164), New York 1987-1992. The Illustrated Incunabula Short-Title Catalogue on CD-ROM (2 CDs plus User's Guide), Reading 1996. Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. von Engelbert Kirschbaum SJ in Zusammenarbeit mit Günter Bandmann u.a., 8 Bde, Freiburg 1974. Lexikon des Mittelalters, Bd. Iff., München/Zürich 1980ff. Lexikon des gesamten Buchwesens, 2., völlig neu bearb. Auflage, hg. von Severin Corsten/Stephan Fussel/Günther Pflug, Bd. Iff., Stuttgart 1987ff Lexikon für Theologie und Kirche, 2., völlig neu bearb. Auflage, hg. von Josef Höfer/Karl Rahner, 10 Bde (+ Registerbd.), Freiburg 1957-1967. Lexikon für Theologie und Kirche, 3., völlig neu bearb. Auflage, hg. von Walter Kasper, Bd. Iff, Freiburg/Basel/Rom/Wien 1993ff.

X

PL REICHLING SCHRAMM SCHREIBER

VGT

2

VL

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Patrologia cursus completus seu bibliotheca universalis Integra. Series Latina, hg. v. Jacques-Paul Migne, 217 Bde (+ 4 Reg.-Bde), Paris 18441864. Dietrich Reichling, Appendices ad Hainii-Copingeri Repertorium bibliographicum. Additiones et Emendationes, Fase. 1-6, Indices, München 1905-1911; Supplement, Münster 1914. Albert Schramm, Der Bilderschmuck der Frühdrucke, begr. von A. S., fortgeführt von der Kommission für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke, 23 Bde, Leipzig 1920-1943. Wilhelm Ludwig Schreiber, Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts. Stark vermehrte und bis zu den neuesten Funden ergänzte Umarbeitung des Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV° siecle, 8 Bde, Leipzig 1926-1930. Veröffentlichungen der Gesellschaft für Typenkunde des XV. Jahrhunderts - Wiegendruckgesellschaft, 33 Bde (= 2460 Tafeln), Halle a.d. Saale bzw. Berlin/Leipzig 1907-1939 (Neudruck Osnabrück 1966), dazu: Typenregister von Rfudolfj JuchhofF/E[lisabeth] von Käthen, Osnabrück 1966. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2., völlig neu bearb. Auflage, hg. von Kurt Ruh u.a. (ab Bd. 9 hg. von Burghart Wachinger u.a.), Bd. Iff., Berlin/New York 1978ff.

Volker Honemann

Vorformen des Einblattdruckes. Urkunden - Schrifttafeln — Textierte Tafelbilder Anschläge - Einblatthandschriften

I. Einfuhrung Wer sich mit den frühen Formen des textierten Einblattdruckes im 15. Jahrhundert beschäftigt, der stößt rasch auf die Frage, ob sich denn handschriftliche Vorformen des mit Typen gedruckten oder in Holz oder Metall geschnittenen Einblattes finden lassen. Gibt es (oder gab es) mit der Hand geschriebene Einzelblätter, die auf einer Seite einen vollständigen, in sich abgeschlossenen Text und vielleicht zusätzlich ein Bild boten, die also von vornherein als >Einblatthandschriften< konzipiert waren, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts oder früher entstanden, vielleicht sogar in mehreren oder vielen, weitestgehend identischen Exemplaren hergestellt wurden und gleiche oder ähnliche Funktionen erfüllen sollten bzw. erfüllten wie der spätere textierte Einblattdruck? Im folgenden sei versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden, wobei nachdrücklich betont werden muß, daß es sich um einen ersten Versuch handelt, der in ungewöhnlich hohem Maße von den eigenen, teils zufallsbedingten Kenntnissen und zahlreichen Hinweisen abhängig ist.1 Hinzu kommt, daß sich ein definitives Urteil über den Charakter vieler der im folgenden vorgestellten Zeugnisse erst nach Autopsie wird fällen lassen, da die zur Verfügung stehende Forschungsliteratur sehr häufig gerade die Angaben nicht bietet, die für meine Fragestellung zentral sind; Einsichtnahme aber war in aller Regel nicht möglich. Um genauer herauszuarbeiten, ob bestimmte Formen mittelalterlicher Schriftlichkeit als Vorläufer des Einblattdruckes angesehen werden können (und eventuell dessen >Erfindung< inspirierten), ist es nötig, sich über die Konstituenten klar zu werden, die ein Schriftstück als Einblattdruck bzw. >Einblatthandschrift< bestimmen. Es läßt sich nämlich gut vorstellen, daß die verschiedenen, im folgenden zu besprechenden Formen mittelalterlicher Einblatt-Schriftlichkeit von der Gesamtheit der Konstituenten, deren gleichzeitiges Vorhandensein erst einen Einblattdruck zu einem solchen macht, nur einige — nicht aber alle — aufweisen, sie also nur in bezug auf diese Konstituenten als >Vorformen< zu betrachten wären. Geht man vom textierten Einblattdruck aus, so sind die folgenden formalen Konstituenten zu benennen:

1

Für viele Hinweise habe ich den Mitarbeitern des Teilprqjektes >Textierte Einblattdrucke im Deutschen Reich bis 1500 als Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit< des münsterschen Sonderforschungsbereichs 231 >Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalten, besonders Dr. Falk Eisermann und Dr. Sabine Griese, zu danken. Dr. Christine Wulf (Göttingen) bin ich für Informationen zu Inschriften und Tafeln verpflichtet.

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Volker Honemann

a) Er besteht aus einem Papier- oder Pergament-Blatt beliebigen Formats, das in aller Regel nur auf einer Seite beschriftet ist. b) Reproduziert wird ein vollständiger, in sich abgeschlossener Text (und evtl. zusätzlich ein Bild).2 c) Der Einblattdruck wird in mehreren (oft sehr vielen) Exemplaren hergestellt, die bedingt durch die Mechanik der Reproduktion - in jeder Hinsicht identisch sind, er existiert also in Gestalt einer Auflage. Aus der Kombination dieser Konstituenten ergeben sich Verwendungsmöglichkeiten, die in der Schriftlichkeit des Mittelalters regelhaft erstmals jetzt, d.h. durch die >Erfmdung< des Einblattdruckes, realisierbar sind, so vor allem die Vermittlung identischer Information an eine Vielzahl von Lesern oder Betrachtern, und dies auch über größere Entfernungen hinweg. Der dann später für bestimmte Formen des Einblattdruckes vielfach gebrauchte Terminus des >Flugblattes< oder liegenden Blattes< deutet diese Möglichkeit einer weitgehenden Aufhebung der Bindung der Information an deren Entstehungsort an.3 Daneben aber ist zu beachten, daß Einblattdruck-Exemplare auch räumlich fixiert und ihr Gebrauch auf längere Dauer hin angelegt werden konnte: Einblattdrucke, vor allem solche geistlichen Inhalts, wurden auch auf Holztafeln aufgeklebt, an Bildtafeln oder Kirchenemporen angebracht und so immobilisiert.4 Sie konnten damit als sicher billigerer Ersatz für (textierte) Bildwerke in Stein oder Metall dienen. Für die Frage nach den Vorläufern und Vorformen des Einblattdruckes ergibt sich hieraus, daß neben Papier und Pergament auch Zeugnisse einbezogen werden müssen, die einen in sich abgeschlossenen, d. h. dem Umfang eines Einblattdruckes entspre2

Beschriftungen der Rückseite in gedruckter Form sind die Ausnahme. - Daß vor allem bei den nichttypographischen Einblattdrucken nicht selten das Bild dominiert (und der Text oft in dieses eingearbeitet ist), tut hier nichts zur Sache. Auch die Sonderform des auf mehrere Blätter verteilten Heiligenzyklus oder das aus mehreren Einzelblättern zusammengeklebte Riesen-Blatt muß uns hier nicht beschäftigen. 3 Zwischen der Verfertigung einer Vielzahl von Exemplaren und der überörtlichen oder gar überregionalen Verbreitung einer bestimmten Information per Einblattdruck besteht ein bisher nicht diskutierter, jedoch deutlicher Zusammenhang. 4 Siehe etwa den unten genauer erörterten Einblattdruck mit dem Sebaldushymnus des Konrad Celtis, den Sebald Schreyer auf Pergament drucken und auf Holztafeln aufkleben ließ, die 1505 in den Kirchen Schwäbisch Gmünds und der Umgebung der Stadt aufgehängt wurden. Ziel des Unternehmens war die Verbreitung der Verehrung des heiligen Sebald, des Nürnberger Stadtheiligen, vgl. RUTH SLENCZKA, Lehrhafte Bildtafeln in spätmittelalterlichen Kirchen (Pictura et Poesis 10) Köln/Weimar/Wien 1998, S. 272-274 mit Abb. VI; vgl. auch FALK EISERMANN, Medienwechsel - Medienwandel. Geistliche Texte auf Einblattdrucken und anderen Überlieferungsträgern des 15. Jahrhunderts, in: WOLFGANG HARMS/MICHAEL SCHILLING (Hgg.), Das illustrierte Flugblatt in der Kultur der Frühen Neuzeit. Wolfenbütteler Arbeitsgespräch 1997 (Mikrokosmos 50) Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/ Wien 1998, S. 35-58, hier S. 41-44. - Ein spätes Beispiel stellen die noch heute an der Emporenbrüstung der ehemaligen Gutskapelle in Hämelschenburg angebrachten Kupferstiche mit der Passion Christi (in Bild und Text) dar, vgl. Die Kunstdenkmäler des Landkreises Hameln-Pyrmont, bearb. von JOACHIM BÜHRING u.a. (Die Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen 35) Hannover 1975, S. 215f. Es handelt sich um handkolorierte Stiche wohl des späten 16. oder frühen 17. Jahrhunderts.

Vorfortnen des Einblattdruckes

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chenden Text auf Holz, Stein oder Metall reproduzierten, also z. B. die im späteren Mittelalter weitverbreiteten sogenannten Lehrtafeln, die meist Bild und Text miteinander kombinieren, 3 aber auch — hier sind die Übergänge fließend — die in Stein, Holz oder Metall in einem Exemplar gefertigten, von vornherein für einen bestimmten Aufstellungsort und eine genau definierte Funktion produzierten und daher fast durchweg immobilen Inschriften im Sinne des von dem Akademieunternehmen der Deutschen Inschriften publizierten Materials.6 Auch wenn man die Inschriften wohl nur in einem weiteren Sinne als Vorformen des Einblattdruckes wird ansehen wollen (weshalb auf sie im folgenden nur ganz gelegentlich eingegangen werden wird), so ist doch aus der Perspektive des mittelalterlichen Betrachters die vieltausendfache Existenz vor allem von Epitaphien in und an den Kirchen zu bedenken, die auf einer >Seite< eine Text-Bild-Kombination im oben definierten Sinne boten; sie gehören damit zur >Entstehungsaura< des Einblattdruckes. Unterscheiden lassen sich so Vorformen des Einblattdruckes in einem engeren und einem weiteren Sinne, je nachdem, ob diese mit dem Einblattdruck das Konstituens der zumindest möglichen Mobilität teilen oder nicht. Versucht man nun, die handschriftlichen Vorformen des Einblattdruckes (die ich im folgenden einfach als Einblatthandschriften bezeichne, auch wenn die Texte auf Holz, Metall oder Stein geschrieben sind) im Hinblick auf denselben genauer in den Blick zu nehmen, so scheinen die folgenden Fragen von besonderer Bedeutung zu sein: 1. Ab wann lassen sich handschriftliche Vorformen des Einblattdruckes nachweisen? Treten sie im späteren 14. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also den Jahrzehnten, die der >Erfindung< des Einblattdruckes vorausgehen, vermehrt auf? 2. Welche Inhalte geben sie wieder, und lassen sich von der Zahl der erhaltenen oder nachweisbaren Zeugnisse her bestimmte Inhaltsbereiche herausheben? Wie verhalten sich diese Inhaltsbereiche zu denjenigen, die durch den Einblattdruck des 15. Jahrhunderts abgedeckt werden? 3. Welche Funktionen sollten diese handschriftlichen Einblätter erfüllen, und welche Arten des tatsächlichen Gebrauchs lassen sich nachweisen? Schließen die intendierten Arten des Gebrauchs auch die Konstituente der Vervielfältigung, d. h. der Herstellung mehrerer, inhaltlich (und idealiter auch formal) identischer Exemplare ein? Läßt sich schließlich ein Zusammenhang zwischen den >BeschreibstofFen< (Holz, Metall, Stein, Pergament, Papier) und der intendierten Funktion der Einblatthandschriften ermitteln, und wie ist dieser beschaffen? •^ Zum Begriff vgl. HARTMUT BOOCKMANN, Belehrung durch Bilder? Ein unbekannter Typus spätmittelalterlicher Tafelbilder, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 57, 1994, S. 1—22, hier S. 15; vgl. weiterhin jetzt SLENCZKA (wie Anm. 4) S. 13, die von der »Gattung >Lehrhafte Bildtafel«« spricht, die »eine sinnvolle Ergänzung zum bisherigen Kanon der funktional bestimmten Bildtypen bilden« könnte (ebd.); als letztere nennt sie »Relabel, Epitaphien, Votivtafeln und Andachtsbilder« (S. 12). 6 Die Deutschen Inschriften, hg. von den Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, 1942fF.; z. Zt. 43 (Deutsche Reihe) und 4 (Wiener Reihe) Bände.

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Volker Honcmaiin

4. Gibt es Einblatthandschriften, die auch in formaler Hinsicht, also bezüglich des Layouts (Aufteilung der Schrift oder gegebenenfalls der Schrift und des Bildes in Relation zu Höhe und Breite des Blattes), als Vorläufer des Einblattdruckes oder sogar als unmittelbare Vorlagen für gedruckte Einblätter zu betrachten sind? (Hiermit ist auch die Frage nach der Druckvorlage für den Setzer bzw. die Offizin angesprochen, die einen bestimmten Einblattdruck herstellte, eine Frage, die sich besonders in den Fällen stellt, in denen — wie etwa bei den Flugblättern Sebastian Brants — seitens des Autors von vornherein eine Publikation als Einblattdruck intendiert war.) 5. Wie sind in diesem Zusammenhang Einblatthandschriften zu beurteilen, bei denen auch die Rückseite des Blattes beschrieben ist, wie die reich belegten Mischformen zwischen Handschrift und Druck (also z. B. Holzschnitte mit handschriftlich beigefügtem Text)? Dabei ist noch zwischen Blättern zu unterscheiden, bei denen die Zufügung eines Textes von vornherein intendiert war, und solchen, bei denen ein individueller Besitzer einen Bild-Holzschnitt (etwa eine Heiligendarstellung) durch Beifügung eines Textes (etwa eines Gebetes zu dem im Bild gezeigten Heiligen) in ein textiertes Einblatt verwandelte. Über die hier gestellten Fragen hinaus lassen sich weitere formulieren, auf die hier nicht oder nur am Rande eingegangen werden soll, so z. B. die nach der Entstehungszeit der Technik des Holzschnittes und nach der zeitlichen Stellung der frühesten textierten Druckgraphik. Diese Fragen sind hier nur insofern von Bedeutung, als ohnehin mit einer sehr breiten, über viele Jahrzehnte sich erstreckenden Überschiebung von gedrucktem und handschriftlichem Einblatt zu rechnen ist. Handschriftliche Parallelausfertigungen zu gedruckten Einblättern und Abschriften von textierten Einblattdrucken sind für das 15. und frühe 16. Jahrhundert in reicher Zahl nachgewiesen, auf sie sei anhand einiger Beispiele aufmerksam gemacht. Welche Formen der Einblatthandschrift im weitesten Sinne lassen sich nun im einzelnen nachweisen, und in welchen Bereichen mittelalterlicher Schriftlichkeit fanden diese Verwendung? An erster Stelle ist hier, weil zeitlich am weitesten zurückreichend, die Urkunde zu nennen (1.), an zweiter, weil seit dem Hochmittelalter bezeugt, die Schrifttafel, zu der auch das textierte Tafelbild zu rechnen ist (2.). Zeitlich in etwa parallel zu ihr (bzw. ihm) treten die ersten Anschläge auf (3.), Pergament- und später Papier-Blätter, die an allgemein zugänglichen Orten angeschlagen wurden, um eine bestimmte Information zu veröffentlichen. Sie lassen sich von der Schrifttafel funktional nicht immer trennen, unterscheiden sich von dieser jedoch in der Regel durch ihre Mobilität und die anscheinend nicht selten genützte Möglichkeit der Mehrfachausfertigung; diese beiden Charakteristika kann der Anschlag mit der Urkunde teilen. Neben den bisher genannten Formen steht die Einblatthandschrift im engeren Sinne, also das meist nur auf einer Seite beschriebene Einzelblatt, das für individuell->privaten< Gebrauch bestimmt war und deshalb in der Regel nicht darauf berechnet sein mußte, daß es auch aus größerer Entfernung und von mehreren Menschen zugleich gelesen werden konnte. Wie deutlich geworden sein dürfte, versucht die hier getroffene Unterscheidung nach VeröfFentlichungsformen zu differenzieren; dabei ist eine scharfe Abgrenzung zwischen den einzelnen Formen im konkreten Fall oft nicht möglich.

Vorformen des Einblaltdrwkes

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Im folgenden seien die verschiedenen Formen anhand von chronologisch gereihten Beispielen genauer charakterisiert und unter Berücksichtigung der eingangs gestellten Fragen auf ihr Verhältnis zum Einblattdruck hin analysiert. Abschließend soll dann in Kürze auf Übergänge zwischen dem handschriftlichen und dem gedruckten Einblatt eingegangen werden (III.) und resümierend eine Beantwortung der oben gestellten Fragen versucht werden.

II. Formen der Einblattschriftlichkeit 1. Die Urkunde

Daß Urkunden in aller Regel aus einem Pergament- oder Papierblatt bestehende, einseitig beschriebene Schriftstücke sind und damit zwei der wesentlichen Merkmale des textierten Einblattdruckes aufweisen, ist der Urkundenforschung bisher kaum zum Problem geworden. Die neueste Einfuhrung in die Diplomatik bemerkt hierzu lediglich: »Le scribe a organise, sur le recto du parchemin, le seul cote qu'il utilise, la disposition des lettres et caracteres«.7 Auch Fragen des Formats (Größe des Blattes, Quer- und Hochformate) und der Anordnung der Schrift auf der Seite (Layout, Mise en page) sowie der Schriftgröße sind bisher nur wenig diskutiert worden.8 In unserem Zusammenhang ist das folgende festzuhalten: Die Urkunde bietet seit ihren mittelalterlichen Anfängen nicht nur einen in sich abgeschlossenen und auf einer Seite eines Einzelblattes niedergeschriebenen Text, sondern sie weist auch ein eigenes Layout auf, das sich, bei allem Wandel, den es im Laufe der Jahrhunderte erfährt, deutlich von dem der Buch-Schriftlichkeit unterscheidet. Im einzelnen sind hier zu nennen: — das besondere Format der Urkunde, so z. B. die Bevorzugung von Quer- gegenüber Hochformaten und das häufig anzutreffende Prinzip, das natürliche Format der Tierhaut so gut wie möglich auszunützen; - Schriftart und Schriftgröße, wobei zentrale Teile des Textes durch die besondere Art und ggf. auch Größe der Schrift hervorgehoben werden, so daß ein und dieselbe Urkunde mehrere Schriftgrade und Formen aufweist; — eine Anordnung der Schrift in hierarchischen Zonen, je nach der Bedeutung der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen; - die Verwendung von graphischen Symbolen, die »in der Regel für Personen bzw. 7

OLIVIER GUYOTJEANNIN u.a., Diplomatique medievale (L'Atelier du medieviste 2) Turnhout 1993, S. 67. Hinweise zum folgenden verdanke ich Hagen Keller und Peter Johanek. 8 Erst in den letzten Jahren zeichnet sich hier ein Wandel ab, vgl. die wichtigen Beiträge von PETER RÜCK, Die Urkunde als Kunstwerk, in: ANTON VAN EUW/PETER SCHREINER (Hgg.), Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, Bd. 2, Köln 1991, S. 311 —333; FRANK M. BISCHOFF, Urkundenformate im Mittelalter. Größe, Format und Proportionen von Papsturkunden in Zeiten expandierender Schriftlichkeit (11.-l3.Jahrhundert) (elementa diplomatica 5) Marburg 1996, zu Forschungsstand und -geschichte S. 7-12; HAGEN KELLER, Zu den Siegeln der Karolinger und der Ottonen. Urkunden als >Hoheitszeichen< in der Kommunikation des Königs mit seinen Getreuen, in: Frühmittelalterliche Studien 50, 1998, S. 400-441.

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Volker Hoiicmann

Behörden stehen, die an der Fertigung der Urkunde [...] autoritativ beteiligt sind«,9 also z.B. das Chrismon, das Kreuz, das Monogramm, das Rekognitionszeichen; auch das Siegel gehört letztlich hierher, mit dessen »zunehmender Verallgemeinerung« die graphischen Symbole verschwinden, um dann in der »siegelfreien Notariatsurkunde des Spätmittelalters [wieder] zunehmendes Gewicht« zu erhalten. 10 All dies weist darauf hin - und dies rückt die Urkunde funktional in die Nähe zum Anschlag —, daß Urkunden vielfach »in erster Linie zum Anschauen und erst in zweiter Linie zum Lesen bestimmt warfen]« und für ihre Rezipienten »die visuelle Rhetorik ein ebenso wesentlicher Bestandteil der Aussage [war] wie die [...] verbale Rhetorik«. 11 Dem entspricht, daß Urkunden sich an alle wenden, die sie »sehen oder lesen hören«, d.h. daß sie vielfach öffentlich »und mit einiger Feierlichkeit — eben vor Zeugen - ausgehändigt« wurden. 12 Dies aber konnte so geschehen, daß eine Urkunde »dem Volke« (also den bei ihrer Aushändigung anwesenden Personen) vorgelesen und auch ins Deutsche übersetzt, 13 sie damit öffentlich zur Schau gestellt und ihr Inhalt verkündigt wurde.14 Auf eben diese Zurschaustellung aber ist die formale Gestaltung in ihren einzelnen, oben bezeichneten Elementen abgestellt — sei es z. B. ein mitunter extrem großes Format, verbunden mit einer entsprechenden Schriftgröße,15 sei es die »Wendung des Siegelbildes in die Frontalität«, verbunden mit der Vergrößerung des Siegels.16 Die Zurschaustellung einer Urkunde, um einer größeren, von ihrem Inhalt betroffenen Öffentlichkeit diese selbst ad oculos, materialiter, zu demonstrieren, läßt sich im Spätmittelalter insbesondere im Bereich der Ablaßverkündigung nachweisen. Hier ist das feierliche Mitfuhren der Ablaßbulle während der Prozession, die die Verkündigung eröffnet, gut bezeugt; sie wird am Hauptaltar oder an einer eigenen Tafel vor dem

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RÜCK (wie Anm. 8) S. 327. Ebd. S. 324. " Ebd. S. 311, hier für die deutsche Kaiser- und Königsurkunde. 12 PETER JOHANEK, Die Frühzeit der Siegelurkunde im Bistum Würzburg (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg XX) Würzburg 1969, hier S. 288. 13 Ein sehr eindrucksvolles Beispiel bei PETER JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotiz, Traditionsbuch und früher Siegelurkunde, in: PETER CLASSEN (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen XXIII) Sigmaringen 1977, S. 131-162, hier S. 131 f. zur Gründung des Bistums Gurk 1072; von den kaiserlichen und päpstlichen Privilegien wird gesagt, daß sie in anribus popttli lecta et interpretata wurden (ebd. S. 132). 14 Vgl. ebd. die »Veröffentlichung« der Urkunde, in der der Pfalzgraf Rudolf von Tübingen 1188 »die Ausstattung seiner (Kloster-)gründung Bebenhausen sichern wollte«: Nachdem der eigentliche Rechtsakt »in parva caminata der Burg Tübingen am Lager des erkrankten Grafen in Anwesenheit weniger Zeugen vorgenommen« worden war, »wurde die Vereinbarung im Freien vor der Kirche in Tübingen öffentlich verkündet« - in Gegenwart von plus quam centum militibus (S. 133 mit Anm. 12). 15 Siehe z.B. die bis zu 10m Länge erreichenden Riesenurkunden der Byzantiner mit Schriftgrößen bis zu 10 cm, vgl. dazu FRANZ DÖLGER, Die Kaiserurkunden der Byzantiner als Ausdruck ihrer politischen Anschauungen, in: Historische Zeitschrift 159, 1939, S. 229 — 250. "' KELLER (wie Anm. 8) S. 439 und 437. 10

Vorfbrmen des Einblattdmckcs

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speziell für die AblaßverkündiguiiLc errichteten Kreuz aufgehängt und vom Ablaßprediger vorgelesen und erläutert.' Lin anschauliches Beispiel hierfür bietet ein Bericht des Johann Heynlin von Stein über seine Tätigkeit als Ablaßprediger in Bern 1478: »Nach dem Läuten am Nachmittag, das den Beginn der Romfahrt anzeigte, wurde durch den Weihbischof von Basel das Sakrament zum Altar getragen. Dann folgten zwei Priester, welche die apostolische Bulle offen vor sich hertrugen; vor denselben schritten zwei Meßknaben mit brennenden Kerzen. Ich aber, begleitet von Meister Heinrich, folgte ihnen bis zur Kanzel, und nachdem ich sie bestiegen, reichten sie mir die Bulle. Ich nahm sie ehrerbietig in die Hände und breitete sie auf dem Kanzelbrett aus. In gewohnter Weise begann ich dann über das Thema zu predigen: [.. .].« 1 8 Aber auch nach der Predigt wurde die Ablaßbulle zur Schau gestellt, indem sie beispielsweise an der Kanzel aufgehängt wurde, wie dies für Wilsnack in der Mark Brandenburg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bezeugt ist. 19 Daß Ablaßbullen so verwendet wurden, läßt sich anhand erhaltener Exemplare nachweisen: Ein (handschriftliches) Exemplar einer Ablaßurkunde des Kardinals Guillermus von Ostia aus dem Jahre 1476, dem »große Schrift und die großen Siegel [...] die Gestalt eines Werbe-Plakats« gaben, mit »Löchern oben rechts und links«, die »wiederholtes Aushängen bezeugen«, hat sich in Nürnberg erhalten. 2 " Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß offenbar neben die handschriftlich gefertigte Urkunde auch die gedruckte treten konnte. Die Mainzer Instruktionen von 1516 sehen darin offenbar bereits den Normalfall; sie formulieren: Et ad ecclesiam, ubi cmx erigenda est, affigafitur copia Bulle, Summarium, artna apostolica et alia que iniprimi cnrai>intns.2} Ein um 1520 in mehreren Augsburger Reformationsdrucken verwendeter Holzschnitt gibt den Umgang mit den verschiedenen Formen urkundlicher Schriftlichkeit im Zusammenhang mit der Ablaßverkündigung im Detail wieder; hier liest »auf der Kanzel ein Mönch die mit fünf Siegeln versehene [...] Ablaßbulle mehreren Frauen vor«, während eine an einem großen Tisch sitzende Person »besiegelte Ablaßbriefe ausfüllt und 17

Vgl. HANS VOLZ, Die Liturgie bei der Ablaßverkündigung, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 11, 1966, S. 114-125, besonders S. 120f. und 125 mit Auszügen aus den Mainzer »Instructiones Confessorum< von 1516 und der Kirchengeschichte des Reformators Friedrich Myconius von 1547. - Die Hinweise zur Präsentation der Ablaßbullen verdanke ich Falk Eisermann. 18 Zitiert nach HANS VON GREYERZ, Die Romfahrtpredigten des Johann Heynlin von Stein, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 35,"l940, H. 2, S. 281-312, hier S. 288. Grundsätzliches hierzu in der wichtigen Arbeit von KLAUS NASS, Ablaßfalschungen im späten Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 111, 1991, S. 403-432, besonders S. 419f. 19 E. BREEST, Das Wunderblut von Wilsnack (1382-1552). Quellenmäßige Darstellung seiner Geschichte, in: Märkische Forschungen 16, 1881, S. 131—202, hier S. 155: Die Kanzel der Kirche war, um die zur Förderung der Wallfahrt erworbenen Ablässe zu »zeigen«, »in der ersten Zeit mit dergleichen Pergamentbriefen [gemeint sind Ablaß-Urkunden] ganz behängt«. — Zum Ganzen vgl. VOLKER HONEMANN, Art. >Wilsnacker Wunderblutöffentlichenprivaten< Part der Vermittlung. c) Ablaß

Daß das im späten Mittelalter quantitativ enorm an Raum gewinnende Feld der Ablaß-Schriftlichkeit ein Bereich ist, für den sich das handschriftliche wie das gedruckte Einblatt besonders gut eignete, wurde oben bereits am Beispiel der Ablaß-Urkunden gezeigt. Im Zusammenhang mit der Frage nach Schrifttafeln und textierten Tafelbildern ist nun noch zu erörtern, wie Ablaßtexte (in der Regel in Kirchen) den Gläubigen dauerhaft am Gnadenort, z. B. einem Heiligenbild, präsentiert wurden. Das wohl älteste Exemplar einer Ablaßtafel ist eine gravierte Messingtafel (40,5 cm hoch) des späten 13. Jahrhunderts (der Ablaßtext verweist auf Papst Nikolaus IV, 1288-1292), die ursprünglich an der Südosttür der Halberstädter Liebfrauenkirche angebracht war/"14 Daß sich die Schrifttafel für die Verkündigung von Ablässen besonders eignete, läßt ein bereits von Boockmann erörtertes Gemälde in der Kirche St. Maria zur Wiese in Soest erkennen, »ein Altar aus dem Jahre 1473, der auf einer der Flügel-Außenseiten eine Darstellung der Gregorsmesse [...] zeigt«; an der linken Wand des gemalten Kirchenraumes hängt eine hölzerne, mit einem Blatt beklebte Tafel, die namens des Papstes Gregor allen Gläubigen, die mit Reue und wahrer Buße die auf der Tafel dann folgenden fünf Gebete sprechen, 12000 Jahre Ablaß verspricht.55 Auf die Ablaßtafeln •"'2 Vgl. BOOCKMANN, Schrifttafeln (wie Anm. 34) S. 213f.; Abbildung der Lübecker Tafel bei ALFRED STANGE, Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder vor Dürer, Bd. l, München 1967, Nr. 726, des Einblattdruckes (SCHREIBER 2761) bei HEITZ 64,18 sowie bei BOOCKMANN, Stadt (wie Anm. 47) Nr. 314 S. 202f. ^ Zu diesen vgl. zusammenfassend SUNTRUP/WACHINGER/ZOTZ (wie Anm. 49), Abschnitt 4.2 und künftig die münsterschen Verzeichnisse der xylographischen und typographischen Einblattdrucke. •^ Vgl. JOHANNA FLEMMING/EDGAR LEHMANN/ERNST SCHUBERT, Dom und Domschatz zu Halberstadt, Leipzig 21990, S. 226 mit Abb. 167; die Tafel befindet sich heute im Halberstädter Donischatz. Der neunzeilige lateinische Ablaßtext ist ungewöhnlicherweise am Kopf der Tafel eingraviert, darunter ist, den Rest der Messingplatte einnehmend, eine thronende Muttergottes mit dem Jesuskind dargestellt. " Abbildung bei BOOCKMANN, Stadt (wie Anm. 47) S. 209, dort auch das Zitat; zur Tafel siehe auch den Beitrag von GUNHILD ROTH in diesem Band, Nr. 43. Zu Ablaßtafeln vgl. allgemein HARTMUT BOOCKMANN, Über Ablaß-»Medien«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 11, 1983, S. 709 — 721. Ein eindrucksvolles Beispiel bietet eine Christus als Schmerzensmann darstellende Ablaßtafel (75 X 53,5 cm, um 1500) in der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal. Das untere Viertel des Bildes (Christus mit den Leidenswerkzeugen) trägt die Aufschrift: + wer den srin (Schrein] knuwind ert der hat ablauß xxxiiii diisent iar vnd xii iar vnd sechs vnd xxx mal xxx tag vnd Ix hundert vnd ist bestät von diem papst demens. Abbildung und Beschrei-

Votformen des Einblattdnickcs

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in der Wiener Deutschordenskirche,·16 aus Augsburg (vom Jahre 1491)·"" sowie auf Bau-Ablaßtafeln und in Stein gehauene Ablaß-Inschriften sei nur verwiesen.^ Sie lassen erkennen, daß das Bestreben, Ablässe zu verkündigen, sich sämtlicher verfügbarer Medien bediente, wobei einerseits Dauerhaftigkeit intendiert war, was vor allem die Inschriften belegen,39 andererseits ungewöhnlich häufig Zweisprachigkeit zu beobachten ist: Volkssprachige Parallelfassungen treten neben die lateinischen Originale, um größere Breitenwirkung zu erreichen.

a) Anbetung Got(cs und Verehrung der Heiligen, Hagiograpliie und Biographie

Daß die Einblatt-Tafelschriftlichkeit in diesem für die Kultur des Spätmittelalters zentralen Bereich eine besonders umfassende Anwendung fand, dürfte kaum überraschen. Da dieser Bereich der Tafel-Schriftlichkeit bei Slenczka umfänglich erörtert und durch 14 wichtige Beispiele vertreten ist, beschränke ich mich auf ein knappes Referat. 6 " Im einzelnen handelt es sich, chronologisch gereiht, um die folgenden Tafeln (falls nicht ausdrücklich daraufhingewiesen wird, sind die Texte volkssprachig): Kölner Tafel mit dem Leben Christi, 1370-80, 27 Bildszenen, ohne Text (SLENCZKA [wie Anm. 4] S. 277-280 mit Abb. VI.2); Stamser Marien-Triptychon (Defensorium virginitatis Mariae), 1426, 23 Bildszenen, lateinischer Text (Tafeln, Überschriften, Spruchbänder; SLENCZKA, S. 280-283 mit Abb. VI.3);

bung: HARALD SIEBENMORGEN (Hg.), 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal, Sigmaringen 1995, S. 264 Nr. 98. "'6 Die Tafeln stammen aus den Jahren 1466 und 1513, vgl. BEDA DUDIK, Über Ablasstafeln, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist. Klasse 58, 1868, S. 167-180 (mit Textabdruck). Abbildung der jüngeren, 135cm breiten und 82 cm hohen Tafel bei BOOCKMANN (wie Anm. 55) S. 716f. Abb. 6 und 7, sowie besser - in: Martin Luther und die Reformation (wie Anm. 20) S. 52f. Nr. 51. Es handelt sich dabei um ein Triptychon, dessen Innenseite so gestaltet ist, daß die mit Papier bezogenen Holztafeln auf dem linken und rechten Flügel die Summarien der dem Deutschen Orden verliehenen Ablässe verzeichnen, während die Mitteltafel die gleichen Texte in deutscher Übersetzung bietet, vgl. DUDIK, S. 160. Die Außenseiten der Flügel zeigen Bild-Text-Kombinationen: Verkündigung, Anna Selbdritt, darunter »eine Art Inhaltsanzeige« dessen, was die — nur zu bestimmten Zeiten geöffnete, wie erklärt wird — Innenseite der Tafel an Ablässen bietet, darunter Wappendarstellungen, vgl. ebd. S. 161. :>7 Abbildung bei: Martin Luther und die Reformation (wie Anm. 20) S. 49f. Nr. 48; es handelt sich um ein textiertes Tafelbild (Triptychon), das als Altar Verwendung fand. 118 Vgl. BOOCKMANN (wie Anm. 55) passim. y) Abbildung einer in Stein gehauenen Ablaßinschrift des späten 15. Jahrhunderts in Rothenburg bei BOOCKMANN (wie Anm. 55) S. 714f. Abb. 4 und 5 sowie besser in: DERS., Stadt (wie Anm. 47) S. 268 Nr. 407, dort (Nr. 406) auch eine Bau-Ablaßtafel aus Schwäbisch Gmünd. ''" SLENCZKA (wie Anm. 4) untergliedert in »Tafeln zur Unterweisung von Pilgern«, »Heiligenkatechismen«, »Bildtafeln zur Etablierung eines Heiligenkultes« und »Bildtafeln als Anleitung zu Andacht« (S. 5f., S. 77— 175 und S. 234-285), eine Differenzierung, die mir überspitzt scheint, weil sie Monofunktionalität der Tafeln suggeriert. Unglücklich scheint mir insbesondere der — von Rott übernommene - Begriff»Heiligenkatechismus«. Gehört die Kenntnis der »Lebensgeschichte prominenter Heiliger [ . . . ] vor der Reformation« wirklich »zum religiösen Grundwissen« (ebd. S. 103) in dem Sinne, wie dies etwa für den Dekalog oder das Credo gilt?

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Volker Honcinann Breslauer Hedwigstriptychon, 1430-1440, Legende der Heiligen in 32 Einzelszenen, Texte waagrecht und senkrecht auf den äußeren Rahmen und den gemalten Rahmen zwischen den Einzelszenen (SLENCZKA, S. 255-250 mit Abb. IV. 3.a); Kaufbeuren, Tafeln mit Legenden der Heiligen Blasius, Ulrich, Erasmus, Antonius sowie mit der Aussendung der Apostel, spätes 15. Jahrhundert, kurze, auf das jeweilige Bild verweisende Texte (SLENCZKA, S. 248-253 mit Abb. IV. 19); Bamberg, sog. Kapistran-Tafel, 1470-1475, textlos; die Vorderseite zeigt Johannes Kapistran predigend auf dem Bamberger Domplatz, die Rückseite l5 Szenen aus dem AT und dem NT (SLENCZKA, S. 276f. mit Abb. V.3. und VI.1.); Münster, Laurentiustafel, 1480-1490, 4 Bildszenen aus der Legende des Heiligen, lateinische Texte waagrecht als Überschriften (SLENCZKA, S. 26()f. mit Abb. IV. 3b); Weingarten, Heilig-Blut-Triptychon, 1489, Geschichte der Weingartener Heilig-Blut-Reliquie in 24 Einzelszenen, auf die Bilder verweisender Text jeweils unter der einzelnen Szene (SLENCZKA, S. 239-243 mit Abb. III.3 [2 Abb.]); Nürnberg, St.-Sebalds-Einblattdruck, GW 6464, [Basel: Johannes Bergmann, nicht vor 19. 8. 1493, nicht nach 1495], »1505 in den Kirchen Schwäbisch Gmünds und der Umgebung« im Auftrag des Nürnberger Patriziers Sebald Schreyer aufgehängt, zu diesem Zweck auf Holztafeln aufgezogen. Darstellung des heiligen Sebald mit der Nürnberger Sebaldskirche, links und rechts gerahmt durch den lateinischen Sebalds-Hymnus des Konrad Celtis (SLENCZKA, S. 272-274 mit Abb. V I ) ; Freisinger Sigismundstafel, 1498, 16 Bildszenen mit der Sigismundslegende, ohne Text (SLENCZKA, S. 234-236 mit Abb. I I I . l . [2 Abb.]); Nürnberger Legenden-Tafel, um 1500, 16 Bildszenen, unter denen jeweils der Name des Heiligen steht (SLENCZKA, S. 253-255 mit Abb. IV. 2); Söflinger Franziskus-Triptychon, 1500, Franziskuslegende in 126 Einzelszenen, unter jeder auf einem Papierstreifen der Legendentext (je zwei Verspaare; SLENCZKA, S. 261—272 mit Abb. IV. 3.c [2 Abb.]); Berliner Bruno-Tafel, um 1500, Bruno-Legende in 12 Bildszenen, teils mit lateinischen Spruchbändern (SLENCZKA, S. 274f. mit Abb. V.2); Breslauer Corona Mariae, um 1500, Maria mit einer Krone mit 7 x 7 Bildszenen als Edelsteinen (Freuden und Schmerzen Mariens, Himmelschöre, Todsünden, Tugenden, Gaben des heiligen Geistes, Maria anvertraute Stände; SLENCZKA, S. 283f. mit Abb. VI.4); Tegernseer Quirinus-Tafel, um 1510, Quirinuslegende in 11 Bildszenen, Text (jeweils zwei Verspaare) unter den einzelnen Bildszenen sowie dreizeiliger Verstext (12 Reimpaare) unter der gesamten Bildfolge (SLENCZKA, S. 236-238 mit Abb. III.2); Mariazeller Wunder-Triptychon, 1519, Darstellung der Gründungslegende von Mariazell und der dort geschehenen Wunder in 47 Einzelszenen, Texte jeweils unter den Szenen (SLENCZKA, S. 243-248 mit Abb. III.4).

Neben diesen Tafeln, die sich bis heute erhalten haben, lassen sich natürlich noch sehr viele weitere nachweisen. Ein verhältnismäßig frühes, Slenczkas Corpus ergänzendes Beispiel bietet ein wohl am Mittelrhein um 1420 entstandenes, doppelseitig bemaltes Tafelbild, dessen eine Seite Christus und eine Nonne zeigt, die jeweils Kreuze auf dem Rücken tragen. Die untere Hälfte der Tafel wird von einem Dialoggedicht eingenommen, das sich auf das Bild bezieht, Inc. [Christus]: Hebe yff din crutze vnA gange nach mir, Inc. [die Nonne]: Icli bin noch jung zart vnd kräng. Hierbei handelt es sich um eine Bearbeitung der sogenannten >Kreuztragenden MinneTractatus de diversis materiis praedicabilibus< des Stephan von Bourbon aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu finden, wo es heißt: Collegimus etiam hec omtiia exetnpla de uitis sanctorum diuersomm, de passionibus et miraculis eorum, proitt ea legimus in diuersis libris et eccksüs.62 Am Grabe des 1278 angeblich von Juden getöteten heiligen Werner von Bacharach hingen drei Tafeln, die »in dem 1426 begonnenen Informationsprozeß, der zur Heiligsprechung des vermeintlichen Märtyrers führen sollte, als Beweisstücke dienten«.63 Der im Zusammenhang mit diesem Verfahren abgefaßte >Processus Bacheracensis< beschreibt sie folgendermaßen: tres tabulas, prae memoria omnium hominum circa venerabile Epitaphium ipsius S. [Vernheri suspensas; quarum una, ultra centum amwrum atitiqua, magni textus, continet illius S. Wemheri primaeva nonaginta mimcula. Quae quidcm tabula liabuit quoddam antiquum exemplum sibi per omnia concordats, etiam bonae textualis litterae, solenniter conscriptum: et quia in cista S. Weruhcri, inter cetera ejus monwnenta reconditum est, apparebat tarn vetustum; et eit tabula i'enusta, concordans cum praemissis per omnia, textualis litterae et recentior. Secunda i'ero antiquior est prima, continens dies indulgentiarum. Tertia quasi quitiquaginta, vel sexaginta apparuit annorum, rhythmatice et vulgari, ambiens ipsius Saticti totale martyriutn.M Am Grab Werners S. 148f. mit Abb. Die Vorderseite des kleinformatigen Bildes (62x30 cm), das wohl Teil eines Diptychons oder Triptychons war, zeigt eine Kreuzabnahme. - Der Text umfaßt 16 Strophen ä vier Zeilen, auf je eine auffordernde Strophe Jesu antwortet die Nonne mit einer eigenen Strophe, vgl. VOLKER MERTENS, Art. >Kreuztragende MinneVon der innigen SeeleKreuztragende Minne< in Text und Bild auf einer Seite befinden, und nicht auf Vorder- und Rückseite. Möglicherweise liegt aber nur ein Irrtum in der Wiedergabe bei Hoffmann von Fallersleben vor. fl2 Zitiert nach SUSANNE BAUMGARTE, Summa bonorum. Eine deutsche Exempelsammlung aus dem 15.Jahrhundert nach Stephan von Bourbon. Edition und Untersuchung (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 40) Berlin 1999, S. 37. 63 BOOCKMANN, Schrifttafeln (wie Anm. 34), S. 214 Anm. 17. 64 Acta Sanctorum Aprilis t. secundus, ed. GODEFRIDO HENSCHENIO/DANIELE PAPEBROCHIO, Antwerpen 1675, S. 713 (Zitat) und S. 728f. (Zeugenbefragung des D.Johannes Fudersack, 1428). Aus letzterer, die inhaltlich mit dem oben gegebenen Zitat weitgehend übereinstimmt, geht auch hervor, Iwdie (also 1428) penderc itnani antiquani tabulam, cjns vitam, iniracula et sanctitatem vulgaritcr cotitinenteni. Vgl. auch KARL CHRIST, Werner von Bacharach. Eine mittelrheinische Legende in Reimen, in: HEINRICH SCHREIBER (Hg.), Otto Glauning zum 60. Geburtstag. Festgabe aus Wissenschaft und Bibliothek, Bd. 2, Leipzig 1938, S. 1-28, hier S. 7. Christ verweist ebd. Anm. 3 darauf, daß »in der benachbarten Abtei Schönau auf dem Einrich, dem Kloster der hl. Elisabeth, die Gründungssage des Klosters in deutschen Reimen an der Wand des Eingangs zur Kirche zu lesen« war. Zum Ganzen vgl. auch ALBRECHT

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gab es also Tafeln, die sein Martyrium, die von ihm gewirkten Miracula und die Ablässe verzeichneten, welche diejenigen, die zu seinem Grabe wallfahrteten, erwerben konnten. Auch wenn zu vermuten ist, daß der Verfasser des >Processus Bacheracensis< die Tafeln als möglichst alt erscheinen lassen wollte, um die Authentizität der Werner-Überlieferung zu beweisen, ist angesichts der sehr differenzierten, bis in die Charakterisierung der Schriftart gehenden Beschreibung der Tafeln anzunehmen, daß zumindest die älteste verhältnismäßig bald nach Werners Beisetzung angebracht wurde; wenigstens eine der Tafeln, deren Text das Martyrium Werners in deutschen Reimen erzählte, war auch für die des Lateins Unkundigen lesbar.6"1 Mit hierhin gehört schließlich eine in Wort und Bild zur Andacht einladende Tafel im >Dom< von Nordhausen aus dem 1. Viertel des 15. Jahrhunderts 66 sowie ein in Salzburg befindliches textiertes Tafelbild einer Maria im Ährenkleid von 1430, das mit einem um 1440-1450 zu datierenden xylographischen Einblattdruck textlich eng zusammengeht.67 Auf ein besonderes Zeugnis der Marienverehrung verweist die Überschrift zu einem Lied des Meistersängers Nestler von Speyer über die 72 Namen Mariens, die erklärt, dyser dictator (der vielleicht mit Nestler selbst zu identifizieren ist) habe zu

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HAUSMANN, Art. >Wernher von Oberwesel (von Bacharach)Processus b. WerneriSpruch der Engel· (über die paradoxe Erdverbundenheit der Menschen angesichts ihres Ungewissen Todes) getragen haben soll, der dann in einer Vielzahl von Abschriften kursierte. 69 Ein weiteres, sehr eindrucksvolles Beispiel stellt eine pergamentbeklebte Tafel in der St.-Salvator-Kirche in Brügge dar (Format: 74 X 46 cm), die unter einer Miniatur das >Lof van den Heylighen Sacramente< des Rederijkers Anthonis de Roovere (gest. 1482) trägt; der Verstext dominiert hier sehr deutlich die in der Miniatur dargestellte Verehrung des Altarsakraments (Text: Bild ca. % zu / ).70 Am Grabe des 1465 im Geruch der Heiligkeit gestorbenen Bruders Reiner im Osnabrücker Dom hing eine Tafel, die dem frommen Besucher in niederdeutscher Prosa die Vita Reiners vor Augen stellte. Dabei handelt es sich um eine heute im Staatsarchiv Osnabrück aufbewahrte Pergamenttafel von 63 X 64 cm, die wohl auf einen Holzrahmen aufgespannt war und in vier Textspalten die in 22 Kapitel unterteilte niederdeutsche Vita Reiners bietet, die so zur »Belehrung und Erbauung der Vorübergehenden dienen« konnte. 71 Der beträchtliche Umfang des Textes wie der sehr kleine Schriftgrad (Bastarda, 3 mm!) zeigen dabei, daß dem Lesevermögen des Betrachters Erhebliches zugemutet wurde. Auf die weite Verbreitung derartiger Tafeln deutet Wehkings Hinweis auf drei aufeinander Bezug nehmende, in englischsprachigen Versen gehaltene Tafeln der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts in Stone Priory in Staffordshire;72 auf weitere, an Gnadenstätten zur Information von Pilgern angebrachte Tafeln in Weingarten, Blutenburg und Mariazell hat Hartmut Boockmann aufmerksam

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Freundlicher Hinweis von Gisela Kornrumpf; vgl. BURGHART WACHINGER, Art. >Nestler von Speyen, in: 2 VL 6, 1987, Sp. 905-907; FRIEDER SCHANZE/BURGHART WACHINGER, Repertorium der Sangsprüche und Meisterheder des 12. bis 18. Jahrhunderts. Katalog der Texte. Älterer Teil G-P (Rep. Bd. 4) Tübingen 1988, S. 451; CHRISTOPH PETZSCH, Die Rubriken der Kolmarer Liederhandschrift, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 93, 1974, S. 88-116, hier S. 108f. M GISELA KORNRUMPF, Art. >Spruch der Engel Uns enyel wundert all geleichTables< in Mediaeval Churches, in: Speculum 1, 1926, S. 439f. Die Tafeln in Stone Priory boten die Legende der Heiligen Wulfhad und Ruffin, die Gründungsgeschichte von Stone Priory und ein Verzeichnis der Wohltäter des Priorats. Gerould verweist ebd. auch auf eine magtia tabula in Glastonbury. Dabei handelt es sich um eine heute in der Bodleian Library aufbewahrte »große, zusammenklappbare sechsteilige, mit Pergament beklebte Holztafel, auf der in großer, gut lesbarer Textura der Zeit um 1400 für den Besucher der Kirche [zu Glastonbury] eine Kurzfassung ... [der dortigen Überlieferung von König Artus und Joseph von Arimathia] mit suggestiven Hinweisen auf die Ablässe und Reliquien der Klosterkirche und die Heiligkeit der Erde von Glastonbury aufgezeichnet ist« (PETER JOHANEK, König Arthur und die Plantagenets, in: Frühmittelalterliche Studien 21, 1987, S. 346-389, zit. S. 381).

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gemacht.73 Sehr wahrscheinlich ist, daß Nikolaus Cusanus vor seinem Tode (1464) in der Kirche des von ihm in Kues gestifteten Hospitals eine Tafel mit seiner sehr kurz gefaßten Autobiographie anbringen ließ.74 Verwandt hiermit ist das nahe ihrer Grabstätte in der Klosterkirche von Veurne (Flandern) angebrachte textierte Tafelbild, das an die 1491 verstorbene Schwester Janne Colyns erinnert und deren Lebensdaten nennt (rechte Hälfte des zweigeteilten Schriftfeldes, das unter dem etwa drei Viertel der Tafel einnehmenden Bild positioniert ist); die linke Hälfte des Schriftfeldes bietet ebenfalls in der Volkssprache ein Fürbittgebet zu Jesus, darüber dann das dem Meister der Barbara-Legende zugewiesene Gemälde, das in der Mitte den gekreuzigten Christus mit Maria und Johannes darstellt, links Christus an der Geißelsäule und die Verstorbene in Laienkleidung, rechts Christi Erscheinung in der Rast und die Verstorbene als Prämonstratenserin. Alle Figuren des Gemäldes sind als Sprechende dargestellt (Spruchbänder; Christus stets lateinisch, die anderen volkssprachig), die Rahmungen des Gemäldes sind durch Schriftbänder (Bibelzitate, ebenfalls lateinisch und volkssprachig) hervorgehoben.7^ Deutlich wird hier die Verwandtschaft derartiger Tafeln mit dem in vielen Tausenden von Exemplaren verbreiteten, aus Stein, Holz oder Metall gearbeiteten Epitaph, das im Spätmittelalter sehr oft eine in sich abgeschlossene, wesentliche Fakten des Lebens des Verstorbenen verzeichnende Inschrift trug; ein Bereich, auf den hier nicht eingegangen werden kann, auch wenn Beziehungen zum Einblattdruck (vor allem dem illustrierten) grundsätzlich denkbar sind.76 e) Chroniken und chronikartige Texte (einschließlich Zeitgeschichtsschreibttng, Genealogien, Gründungsgcschichten, Nekrologen)

Zu den Tafelkatalogen, also listenartigen Verzeichnissen, treten Schrifttafeln, die zur Wiedergabe und Zurschaustellung kurzer chronikalischer, genealogischer und annalistischer Texte verwendet wurden. Ende des 14. Jahrhunderts (1393 — 1395) entsteht z. B. die sogenannte >Scheyerer Fürstentafel·, die einen anonymen deutschsprachigen Text über die Herkunft der Grafen von Scheyern (und damit die Anfänge des Ge73

BOOCKMANN, Schrifttafeln (wie Anm. 34) S. 214 Anna. 17. Ebd. S. 220 und Anm. 46. Abdruck des Textes in ERICH MEUTHEN/HERMANN HALLAUER (Hgg.), Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues, Bd. l, Hamburg 1983, S. 602f. Die Tafel selbst ist nicht erhalten, es existieren jedoch mehrere Kopien des 17. Jahrhunderts und eine den Text der Tafel als Vorlage nehmende Vita des 16. Jahrhunderts, die auf einem einseitig beschriebenen, unsignierten Papierblatt der Stadtbibliothek Trier steht, das aus einem Buch herausgetrennt ist, vgl. RICHARD LAUFNER, Eine Kurzbiographie des Nikolaus von Kues um 1550, in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der CusanusGesellschaft 15, 1982, S. 81-86 (mit Abbildung). 7:1 Abbildung und Beschreibung in: Martin Luther und die Reformation (wie Anm. 20) S. 69 Nr. 77. Die hier gegebene Kurzcharakterisierung des Gemäldes deutet zutreffend dessen Funktion an: »Die lebenden und die toten Mitglieder einer Klostergemeinschaft sind durch ihre Gebete miteinander verbunden.« 7(1 Nachdrücklich ist hier auf das überaus reiche, bisher viel zu wenig ausgeschöpfte Material zu verweisen, das die nun in rascher Folge erscheinenden Bände der Deutschen Inschriften bieten. Daß diese auch Material zu textierten Tafeln in unserem Sinne bieten, wurde bereits oben gezeigt; die Beispiele ließen sich leicht vermehren. 74

Vorformen des Einblattdnukes.

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schlechts der Wittelsbacher) bietet; sie war »in der Fürstenkapelle der Klosterkirche zu Scheyern« aufgehängt; nicht weniger als 16 handschriftliche Textzeugen dieser >Scheyerer Fürstentafel· sind direkt nach der Vorlage dieser Tafel angefertigt worden,77 wobei es sich zumindest zum Teil allerdings nicht um Kopien in der Form einer Tafel, sondern um Abschriften innerhalb eines Buches handeln dürfte. Eine Tafel, die eine niederdeutsche Reimchronik der Bischöfe von Osnabrück vor Augen stellte, hing seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im dortigen Dom,78 die dortige Marienkirche bewahrte mehrere Tafeln des späten 15. bis frühen 17. Jahrhunderts mit »in [meist niederdeutsche] Verse gekleideten Episoden aus der Osnabrücker Geschichte«. 74 Ebenfalls Ende des 15. Jahrhunderts entstand wohl im Raum Hildesheim/Braunschweig eine umfangreiche lateinische Tafel-Chronik, die heute in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt wird (Ms. lat. fol. 325): Acht auf Eichenholzbretter geklebte Pergamentblätter im Format von 63 x 42 cm bieten zunächst ein Weltchronikcompendium nach Petrus Pictaviensis (Tafel 1-5), danach eine nach Kalenderjahren geordnete Chronik mit regionalgeschichtlichen Ereignissen aus dem Raum Hildesheim/Braunschweig.8" Eine zwischen 1514 und 1520 entstandene hölzerne, mit Pergament bespannte Tafel, die »de Stifftunge der Kercken Sancti Blasii und wath vor Heren und Forstinnen alhier begraven mit der Jahrtal up dat kortste vorvatet«, hing bis ins 18. Jahrundert im Braunschweiger Dom St. Blasii.81 Auch die Gründungsgeschichten von Klöstern wurden mitunter in Gestalt von Tafeln, die in der Klosterkirche angebracht wurden, der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Bereits um 1325 entstanden die sogenannten Marienstätter Ablaßtafeln, 81 X 58 cm große, ursprünglich sicher aufgeklebte Pergamentblätter, die in lateinischem Text die Gründungsgeschichte des Zisterzienserklosters Marienstatt schildern und diese mit einem Ablaß verbinden. 82 Hierhin gehört auch das sogenannte Bischofshofener Ablaßdiptychon, dessen Außenseite den Kirchenpatron, St. Maximilian, darstellt (Format der Tafeln: je 107 x 62 cm), während die Innenseiten mit zwei Pergamentblättern beklebt sind, die in lateinischer und deutscher Sprache den Gründungsbericht der Bischofshofener Kirche bieten und diesen mit den der Kirche gewährten Ablässen verknüpfen. 83 Als textiertes Tafelbild gesellt sich hierzu das nach der Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene Triptychon zur Erinnerung an die Stiftung der Deutschordenskommende Horneck bei Gundelsheim am Neckar, das »im unteren 77 78

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BIRGIT STUDT, Art. >Scheyerer Fürstentafel·, in: 2 VL 8, 1992, Sp. 656-659, Zitat Sp. 656. WEHKING (wie Anm. 71) Nr. 75 S. 73f. mit zahlreichen Hinweisen auf weitere derartige Tafeln. Ebd. Nr. 66 S. 68f., Nr. 126 S. l()6f. (über die Pest von 1575), Nr. 159 S. 132 (über die Renovierung der Kirche 1590, lat. Text) und Nr. 219 S. 180f. (über den Stadtbrand von 1613). Sämtliche Angaben zu diesen Tafeln verdanke ich Christine Wulf (Göttingen). ANDRKA BOOCKMANN, Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528 (Die deutschen Inschriften 35) Wiesbaden 1993, Nr. 356 S. 218-222 (mit Abdruck des Textes; zit. S. 218). SLENCZKA (wie Anm. 4) S. 68 — 74 und 225 — 228 (Edition des Textes) sowie Abb. I I . l ; neueste Abbildung und Beschreibung: Citeaux 1098-1998. Rheinische Zisterzienser im Spiegel der Buchkunst. [Ausstellung) Landesmuseum Mainz, Wiesbaden 1998, S. 172f., hier als »Marienstätter Urkunden« bezeichnet und auf »um 1325« datiert. SLENCZKA (wie Anm. 4) S. 74-76 und 229-234 (Edition der Texte) sowie Abb. II.2.

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Volker Honcmann

Teil [etwa ]A der Höhe einnehmend] mit Worten, welche den Stiftungsvorgang im wesentlichen richtig wiedergeben, in der Mitte durch die Darstellung der dem Orden übergebenen Burg Horneck und ihrer Empfängerin, der Ordenspatronin Maria, sowie schließlich auf dem rechten Flügel durch die Gestalten der beiden Stifter« an den Vorgang der Fundation erinnert. »Auf dem linken Flügel ist der Stifter des Gemäldes, der Deutschmeister Ulrich von Lentersheim (1454-1479), dargestellt.«84 War die Menge der zu verzeichnenden Materien größer, als es der Schriftraum einer einzigen Tafel zuließ, so legte man Tafelbücher an. Erhalten hat sich beispielsweise ein bald nach 1500 entstandenes Memorienbuch des Hildesheimer Rates, das aus Pergamentblättern zwischen sechs Holztafeln im Format von 64 X 40 cm besteht; es verzeichnet die Seelenmessen und das Stiftungsvermögen, die der Aufsicht des Rates unterstanden.8·"1 Eine Mischung aus Historia fundationis und Nekrolog bietet das 1513 begonnene hölzerne Buch des Dominikanerkonvents von Retz, während der ältere, bereits 1410 begonnene »in der Form von Annalen« gehaltene Nekrolog des Wiener Dominikanerkonvents »auf hohen und breiten Holztafeln aufgetragen ist, welche mit Pergament überzogen und in einem in die Mauer des Kreuzganges an der Außenseite der Kirche eingelassenen hölzernen Schranke so angebracht sind, daß rechts und links je fünf Halbtafeln wie Buchblätter beweglich eingefalzt sind«; der letzte Eintrag erfolgte 1901 (!). »Auf der ersten Halbtafel ist als passende Einleitung ein Gemälde, das das Jüngste Gericht darstellt, vorangestellt.«86 Städte gedachten bedeutender Ereignisse ihrer Geschichte auch dadurch, daß sie an zentralen Orten der Stadt Schrifttafeln anbringen ließen, die kurze Berichte über die Geschehnisse boten. So ließ beispielsweise die Stadt Soest bald nach dem Ende der für sie siegreich verlaufenen >Soester Fehde< (1449) am Walburgertor eine FehdeGedächtnistafel zur Erinnerung an die siegreiche Abwehr der Belagerung anbringen, die der Kölner Erzbischof und die mit ihm verbündeten, im Text der Tafel namentlich genannten Fürsten und Herren gegen Soest geführt hatten.87 In ähnlicher Weise ließ die Stadt Sternberg in Mecklenburg nach der Aufdeckung einer angeblichen jüdischen Hostienschändung und der Hinrichtung der Sternberger Juden (1492) eine hölzerne Tafel zum Gedächtnis der Freveltat im Rathaus anschlagen.88 H4

HARTMUT BOOCKMANN, Der Deutsche Orden, München 1981, S. 294 mit Abb. 7. Der neunzeilige deutsche Prosatext ist so angelegt, daß bei aufgeklapptem Triptychon jede Zeile am linken Rand des linken Flügels beginnt, ohne Unterbrechung auf der Mitteltafel fortgesetzt wird und am rechten Rand des rechten Flügels endet. ^ Stadt im Wandel. Landesausstellung Niedersachsen 1985. Ausstellungskatalog, hg. von CORD MECKSEPER, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, Bd. l, S. 616f. Nr. 528. Edition des Textes: JOSEF DOLLE, Ein Memorienbuch des Hildesheimer Rates aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Edition und Kommentar, in: Niedersächsisches Jahrbuch 64, 1992, S. 183-206. 86 ADALBERT FR. FUCHS, Bericht über die Totenbücher Nieder-Österreichs, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 35, 1910, S. 721-766, hier S. 732f., Zitate S. 732. Der Gebrauch der Nekrolog-Bücher ist so zu denken, daß sie zum einen im Konvent verlesen wurden, zum anderen im Rahmen der commemoratio mortuomm bei der Prim alljährlich des jeweiligen Todestages gedacht wurde, vgl. ebd. S. 725. 87 WOLF-HERBERT DEUS, Die Soester Fehde, Soest 1949, S. 7 und 116 (Abbildung). 88 VOLKER HONEMANN, Die Sternberger Hostienschändung und ihre Quellen, in: HARTMUT BOOCKMANN (Hg.), Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist.

Vorformen des Einblattdruckcs

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_f) Recht: amtliche Schriftstücke

Auch amtliche Schriftstücke, die einer größeren Öffentlichkeit zugänglich sein sollten, wurden offenbar auf dem Wege der Anfertigung und Zurschaustellung einer Schrifttafel publiziert. So hat sich aus Wien eine dreiteilige Tafel aus dem Jahre 1475 erhalten, die auf aufgeklebten Pergamentblättern »eine Liste der >Genanntenveröffentlicht< worden;91 weitere Beispiele des 16. Jahrhunderts sind leicht beizubringen. Als Fazit läßt sich im Zusammenhang mit unserer Fragestellung das folgende festhalten: > Tafeln* sehr verschiedener Form (vor allem: mit begleitendem Bild oder bildlos) und Funktion waren den Menschen des 15. Jahrhunderts - gleichgültig, ob sie lesen konnten oder nicht — aus den verschiedensten Zusammenhängen, seien es katechetische (im weitesten Sinne, also auch Ablaßtafeln), hagiographische und biographische, geschichtsdidaktische oder die Gegenwart deutende, daneben auch als amtliche Verlautbarungen verkündende Schriftträger gut bekannt. Den vollen Informationsgehalt der Schrifttafeln und textierten Tafelbilder konnten allerdings nur diejenigen erfassen, die des Lesens fähig waren oder denen die jeweilige Tafel vorgelesen und gedeutet wurde. Angesichts der Zahl derartiger Tafeln und des oft beträchtlichen Textumfanges, den sie präsentierten, kann als sicher gelten, daß sie wie auch die textierten Einblattdrucke einen sehr erheblichen Beitrag zur Steigerung der Lesefähigkeit des Volkes im 15. und frühen 16. Jahrhundert leisteten. Darauf weist auch hin, daß erstaunlich viele Tafeln Bilinguen sind, d. h. daß sie neben einem lateinischen Original auch gleich dessen volkssprachige Fassung enthalten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts ist zu beobKlasse, 3. F. Nr. 206) Göttingen 1994, S. 75-102, hier S. 78f. Sehr zu bedauern ist, daß die Tafel bei einem Stadtbrand zugrundeging; wäre sie erhalten, so ließe sich feststellen, ob ein textlicher Zusammenhang mit dem niederdeutschen Sternberg-Einblattdruck besteht, der 1492 bei Simon Koch in Magdeburg gedruckt wurde, vgl. dazu VOLKER HONEMANN, Art. »Sternberger HostienschändungDe sacramentisTürkenmahnung an Kaiser Friedrich III.Plakat< eher bescheidener Größe hindeutet. 118 Im Jahre 1504 schreibt der Rat von Breslau an den von Neiße, er habe im Hinblick auf ein Schießen, das die Stadt Schweidnitz veranstalten wolle, Zedel alhie angeschlagen. Dabei dürfte es sich um handschriftliche Schützenbriefe gehandelt haben; jedenfalls ist ein Druck der fraglichen Texte nicht nachweisbar. 119 Daß handschriftliche Anschläge auch lange nach der Erfindung des Buchdruckes erstellt wurden und daß sie anspruchsvoll gestaltet werden konnten, zeigt ein 1513 von den Meistersingern der Stadt Freiburg im Breisgau angeschlagenes Pergamentblatt (Format: 35,2 X 37,5 cm). Es reagierte auf die Anerkennung der Meistersinger als Bruderschaft durch den Freiburger Rat. »Das Pergamentblatt ist mit verschiedenen kolorierten Federzeichnungen geschmückt: Oberhalb des Textes findet sich zwischen dem österreichischen Bindenschild und dem Freiburger Wappen eine Krönung Marias. Die Figuren unterhalb des Textes: Tubal, Thaies, Sokrates, Pythagoras und Priscianus vertreten die >Sieben Freien Künste< und unterstreichen den wissenschaftlichen Anspruch der Meistersinger«; das Blatt wurde am Portal des Münsters ausgehängt, es weist in den Ecken Löcher auf, die sicher als Spuren des Anschlages zu deuten sind.120 Den öffentlichen Anschlag einer Klagschrift bezeugt schließlich 1522 Ulrich von Hütten in seiner Entschuldigung ... wyder etlicher vmvarhafftiges außgeben, von ym, als soll er wider alle geystlicheit vnd priesterschafft sein.}21 Es handelt sich dabei um seinen den 117

Vgl. RICHARD JECHT, Geschichte der Stadt Görlitz, Görlitz 1926, S. 192f. - Jechts aus den Görlitzer Archivbeständen schöpfende Darstellung bietet ebd. auch Nachrichten über die Übermittlung der Ladebriefe und Achterklärungen des Femegerichts. Den Ladebrief fand man »bei Wenzel Emmerichs [eines Bruders des Görlitzer Bürgermeisters Georg Emmerich] Vorwerke am Zaune stecken«, der Achtbrief »wurde in der [Görlitzer] Dreifaltigkeitskirche bei dem Mönchsgestühl auf der Erde gefunden«. " 8 JoHANNES HALLER, Die Anfange der Universität Tübingen, Bd. l, Stuttgart 1927, S. 233 (Zitat) und Bd. 2, Stuttgart 1929, S. 87*; der Text des Verbotes, Schmähschriften herauszugeben, in: Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen, hg. von RUDOLF ROTH, Tübingen 1877, S. 106. Die hier gebotene Fassung des Textes weist daraufhin, daß er aliquando publicatum existit per tialuas ecclesie anno 1506; mit Strafe bedroht wird hier auch derjenige, der noctu in edes alicuins ( . . . ) libellum famosum qffixerit - das nächtliche Anbringen von Schmähbriefen am Hause eines Gegners scheint also nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. 119 Vgl. GUSTAV ADOLF STENZEL (Hg.), Samuel Benjamin Kloses Darstellung der inneren Verhältnisse der Stadt Breslau vom Jahre 1458 bis zum Jahre 1526 (Scriptores rerum Silesiacarum 3) Breslau 1847, S. 230 (freundlicher Hinweis von Gunhild Roth). 120 SCHADEK (wie Anm. 33) S. 482 Nr. 14.2 mit Abb. 15 S. 238. 121 Ulrich von Hütten, Schriften, hg. von EDUARD BÖCKING, Bd. 2, Leipzig 1859, Nachdruck Aalen 1963, S. 131 Z. 7f.: Erstlich, als ich ein klagschrißt außgehen lassen, vnd die selbigen hat oeffentlich angeschlagen. Unter dem 11. April 1522 berichtet ein unbekannter Frankfurter in einem Brief an Spalatin: Wie aber nun Hutteno wie allbereits bekant ist, ein gewaltiger Eyffer wider

Abformen lies Einblattdrwkes

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Typen zufolge nach dem 4. April 1522 von Hans (Werlich) von Erfurt in Worms gedruckten >Fehdebrief an die Kurtisanen in den deutschen Ländern, einen Einblattdruck in Quer-Quartformat. 122 Deutlich wird hierdurch, wie fugenlos nach der Erfindung des Buchdruckes vom handschriftlichen zum gedruckten Anschlag übergewechselt werden konnte. Ein förmliches Nebeneinander von handschriftlichem und gedrucktem >Anschlag< läßt sich für den priamelartigen Spruch mit dem Initium Sälig ist der man den sein hand nert erkennen. Er existiert sowohl als xylographischer Einblattdruck (SCHREIBER 2985; Format: 40 X 27 cm) wie auch in geschriebener Form in einer Nachricht des Humanisten Heinrich Bebel, der ihn als Wandspruch im Speisezimmer des Abtes von Zwiefalten zu sehen bekam und ihn dann in seine >Proverbia< (Erstdruck: 1508) aufnahm. 123 Daß dies kein Einzelfall ist, darf als sicher gelten, was darauf verweist, daß der gedruckte Anschlag allmählich neben den handgeschriebenen trat und diesem gegenüber im Laufe des späteren 15. und der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts nach und nach die Oberhand gewann, ohne ihn völlig zu verdrängen. Welche Rolle der Anschlag im kommunikativen Geschehen einer Reichsstadt der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts spielen konnte, zeigen eindrücklich die Inserte in der Chronik des Nürnbergers Heinrich Deichsler (1430—1506). So verweist Deichsler zum Jahr 1427 auf eine Wandinschrift zum Verkauf der Burggrafenburg, und er fügt einen am 12. August 1461 an das rathauß hie geschlagen Brief Markgraf Albrechts gegen Herzog Ludwig in seine Chronik ein. Bereits am 13. 8. ist Hertzog Ludwigs antwortt da, und im gleichen Jahr wird Item aber ein taffei die hertzog Ludungs [sie] aufgezeichnet. Zum Jahr 1499 bietet Deichsler eine Abschrift der Ächtung des Raubritters Kunz Schott, angeslagen als von wortt hernach steet - hierbei könnte es sich um den von Georg Stuchs in Nürnberg hergestellten Einblattdruck EINBL. 980 mit der Achterklärung König Maximilians vom 15. April gehandelt haben. Zum Landfrieden des Jahres 1505 bemerkt er, dieser sei »überall angeschlagen, wie er > . . . hernach getrückt awßgesprochen ist Wandzeitungen^, >Briefzeitungen< das Pabsttli. vor die Evangelische Warlicit beyti'ohnete, so soll er ebenfalls fast um dieselbe Zeit den 11. April dieses 1522. Jahrs allliier in Franckfnrtli ein Zetigmiß damit abgelegt jähen, indem er zwey Brieffe anschlagen ließ an der Lieb-franen Kirchen-Thür an den Thiirn, it'orinnen er denen Paebstlichcn und allen Pfaffen voellig absagete, auch Kriegs-Leute außiothe. vgl. ebd. S. 119 Z. 24 — 29 und die Anm. (abweichende Fassung aus anderer Quelle). 122 Vgl. JOSEF BENZINC;, Ulrich von Hütten und seine Drucker (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 6) Wiesbaden 1956, Nr. 180 S. 103, verkleinertes Faksimile S. 133 Abb. 15. Das Benzing vorliegende Straßburger Exemplar trägt u.a. die Aufschrift: Argentinae adfigendum; es sollte also in Straßburg angeschlagen werden. Daß dies auch tatsachlich geschah, läßt der heutige Aufbewahrungsort vermuten. 123 P[AUL] S[CHWENKE], Kleine Mitteilungen: Ein Wandspruch des 15. Jahrhunderts, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 25, 1908, S. 262f.; Bebel bemerkt zu dem von ihm gesehenen Text: ut nuper scriptnm inneni in nwnasterio ad dnplices aquas, i'ulgo ziiifnlda, in cacnacnlo abbatis. 124 JOACHIM SCHNEIDER, Heinrich Deichsler und die Nürnberger Chronistik des 15. Jahrhunderts (Wissensliteratur im Mittelalter 5) Wiesbaden 1991, hier S. 248-260, Zitate S. 252 und 254 (Nr. 13 [dazu S. 259], 40-42, 66, 73). Die Streitschriften zwischen Albrecht und Ludwig verzeichnet Deichsler unter der Überschrift Die groß schrifft an der maitr (ebd. S. 259); Schneider spricht von einem regelrechten Wandzeitungskrieg (S. 256). In Nr. 41 spricht Herzog Ludwig »die gesamte Bevölkerung Nürnbergs an und versucht sie für sich einzunehmen«; er verweist dabei auf die Erklärung, die vitser nechst angeslagen brief biete (ebd. S. 257f.).

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Volker Honemann

und >taffeln< zusammen mit Flugblättern konstitutive Elemente einer Propagandatätigkeit sind, die vielfach den Herolden der Parteien oblag: »die Verbreitung der Schreiben, ihr Verlesen und Anschlagen an öffentlichen Plätzen.«125 Die Kommunikationsform des Anschlages spielte dabei, wie gezeigt, eine bedeutende Rolle, wobei der Übergang von der handschriftlichen zur gedruckten Form allenfalls eine Beschleunigung des Kommunikationsprozesses und eine Vergrößerung der Reichweite der einzelnen Information bewirkt haben dürfte. b) >Einblatthandsdiriftcn< im engeren Sinne

Von den im vorigen Abschnitt genannten Anschlägen und Flugblättern lassen sie sich idealtypisch dadurch unterscheiden, daß sie von vornherein für einen mehr oder minder >privaten< Gebrauch bestimmt waren, d. h. für den einer eingeschränkten, genau vorherzubestimmenden, abgeschlossenen Öffentlichkeit, etwa der eines Konventes, der der Besucher einer bestimmten Kirche oder, von der Perspektive des Gebrauchs aus, der der Benützung durch einen Liedersänger.126 Wenn Einblatt-Texte dieser Art von der handschriftlichen Einzelanfertigung in die Vielfachanfertigung des Einblattdruckes übergingen, so setzt dies voraus, daß ein gewisses Interesse an ihrer Rezeption (und damit ihrer Verbreitung) bestand bzw. allmählich sich entwickelte. Beiseite lasse ich hier die überaus reich bezeugten Zettel, bei denen es sich um Augenblicksaufzeichnungen handelt, die in aller Regel den privaten Zwecken des Urhebers (und zugleich Schreibers) dienten, und auch die (von diesen von der Sache her wie auch terminologisch oft nicht zu unterscheidenden) Briefe; bei beiden ist das Konstituens der einseitigen Beschriftung oft nicht gegeben;127 sie sind zudem häufig 123

126

127

Ebd. S. 258; Schneider weist weiter daraufhin, »wie Wandzeitungen einerseits traditionsbildend und -verstärkend wirken konnten, wie sie in anderen Fällen aber auch die öffentliche Meinung zunächst in aktuellen politischen Auseinandersetzungen beeinflussen sollten, bevor sie, hatte der Text Aufnahme in eine Chronik gefunden, historisiert wurden« (S. 259). SCHNEIDER (wie Anm. 124) registriert für das von Heinrich Deichsler erfaßte Schriftgut zu Recht einen »Übergang von offiziellem zu privatem Schriftgut«, der »bei diesen Aufzeichnungen fließend« sei (S. 256). Hier einige wenige Hinweise: Geschriebene Zettel, die man in Heinrich Tokes Nachlaß fand, wurden »sorgfältig aufgehoben und abgeschrieben« (BREEST [wie Anm. 19] S. 247f.), eine solche cedula hat sich abschriftlich in Trier, Stadtbibliothek, cod. 611, fol. 450V, erhalten. Zahlreiche Zettel mit politischen Nachrichten druckt F. PALACKY in seinen Urkundlichen Beiträgen zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarländer 1450—1476 (Fontes rerum austnacarum, 2. Abt. Bd. XX) Wien 1860, ab, vgl. z.B. S. 264f. Nr. 271; sie sind vielfach Briefen von Informanten beigefugt. - Der sogenannte >Ortenburger Prognostiken stellte sich in den Jahren 1476—1500 eine Zettelsammlung zusammen, vgl. GUNDOLF KEIL, in: 2 VL 7, 1989, Sp. 52-54. Eine weitere medizinische Zettel-(= Exzerpt-)Sammlung des 16. Jahrhunderts legte Pfalzgraf Ludwig bei Rhein an, vgl. DERS., Art. >Ludwig V, Pfalzgraf bei Rhein*, in: 2 VL 5, 1985, Sp. 1016-1020, hier Sp. 1018. - Ein Beichtzettel-Formular des Ebersberger Pfarrers Leonardus Imeringer vom Jahre 1517 bewahrt der Cgm 688, fol. 237r, vgl. KARIN SCHNEIDER, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Bd. 4: Cgm 501—690 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V/4) Wiesbaden 1978, S. 412-416; ähnlicher Beichtzettel in München, Universitätsbibliothek, 8" Cod. ms. 83, vor fol. 18 (vgl. NATALIA DANIEL, Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München. Die Handschriften aus der Oktavreihe [Die Handschriften der Universitätsbibliothek München 4] Wiesbaden 1989, S. 84-

Vorformen des Eitililattdruckcs

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gefaltet worden, was eine Zurschaustellung ausschließt und einen völlig individuellen Gebrauch erkennen läßt. Die hohe Bedeutung der Zettel für eine sehr rasche Information hat vor kurzem Gabriela Signori am Beispiel der von der Stadt Straßburg in den Jahren der Burgunderkriege 1474-1477 organisierten Bittgänge dargelegt; hier wurden diejenigen städtischen Institutionen, die sich an Organisation und Durchführung der Bittgänge beteiligen sollten (z.B. Pfarrkirchen, Klöster), durch Zettel über die Details (Termin, Ort etc.) informiert. 128 Daß auch Zettel und Briefe gelegentlich massenhaft produziert wurden und als Vorformen des Einblattdruckes oder der mehrblättrigen Flugschrift anzusehen sind, sei dabei nicht außer acht gelassen,129 und hinzuzufügen ist, daß, wie schon das erste der im folgenden aufgeführten Beispiele erkennen läßt, eine klare Abgrenzung zwischen dem Zettel und der Einblatthandschrift mitunter nicht möglich ist. Im folgenden seien nun in zeitlicher Reihenfolge Beispiele für Einblatthandschriften aufgeführt, die zeigen sollen, daß das Phänomen des Einzelblattes den mittelalterlichen Lesern und Betrachtern nicht unvertraut war. Das früheste Beispiel ist ein um 1100 in der Schweiz entstandenes Reliquienverzeichnis im Format 14,5 x 20,5 cm, das früher mehrfach gefaltet war und wohl als eine »Kollektivcedula« einer Reliquiensammlung beigegeben wurde. Da nur die Vorderseite des Blattes beschrieben ist, könnte man vermuten, daß es zusammen mit den Reliquien zur Schau gestellt wurde. 130 Nach 1151 wurde in Maria Laach auf einem einseitig beschriebenen Pergamentblatt von heute 30,5 x 18 cm eine kleine Sammlung von Epitaphien (auf Anselm von Laon, Kaiser Heinrich I I I . und andere bedeutende Persönlichkeiten) aufgezeichnet; das Blatt diente »als Schaublatt«. 131 Ein in den Clm 7792, eine Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, eingelegtes Pergamentblatt vom Anfang des 13. Jahrhunderts überliefert auf der Vorderseite (fol. 59r) die Minnelehre >Der

86, hier S. 84). — Zwei Rezept-Zettel der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bewahrt das Germanische Nationalmuseum Nürnberg unter den Signaturen Hs 7090/13 und 7090/14. Die Rückseiten beider Blätter sind unbeschrieben. Das erstgenannte Blatt war »früher mehrfach gefaltet«, das zweite ist ein schmaler Papierstreifen von 5,5 X 22 cm; vgl. HARDO HILG, Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften, 1. Teil (Kataloge des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg /1) Wiesbaden 1983, S. 70. 128 Vgl. GABRIELA SIGNORI, Ritual und Ereignis. Die Straßburger Bittgänge zur Zeit der Burgunderkriege (1474-1477), in: Historische Zeitschrift 264, 1997, S. 281-328, hier S. 294, 296, 299, 307f., 311 und 317; weiterhin ANDREA LÖTHER, Städtische Prozessionen zwischen repräsentativer Öffentlichkeit, Teilhabe und Publikum, in: GERT MELVILLE/PETER VON Moos (Hgg.), Das Öffentliche und das Private in der Vormoderne (Norm und Struktur 10) Köln/ Weimar/Wien 1998, S. 435-459, mit wichtigen Bemerkungen zur Öffentlichkeit im Spätmittelalter (siehe S. 443: Die Teilnehmer der Prozessionen sind »repräsentierende Öffentlichkeit«) . '~'; Das Kleinbasier Kloster Klingenthal vergab zum Fest der heiligen Euphrosyna brieffliii als Gedenken. Das Kloster kaufte diese (bei den Basler Briefmalern) in größeren Mengen, vgl. E. A. STÜCKELBERG, Der Kult der heiligen Euphrosyne von Basel, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 3, 1903, S. 37-46, hier S. 42; vor allem neuzeitliches Material (Kupferstiche und Pergamentbilder) verzeichnet DERS., Über Pergamentbilder, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 9, 1905, S. l -15. 1311 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 7135, vgl. HILG (wie Anm. 127) S. 90. 131 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 7090/17, vgl. ebd. S. 71f., zit. S. 71.

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Volker Honemanti

heimliche BoteRheinfränkische Magnificat-Paraphrase< des späten 14. Jahrhunderts. 134 Ob es sich auch hier um ein >Schaublatt< handelt? Aus der gleichen Zeit stammt das bereits 1904 entdeckte, aber erst kürzlich in seiner Bedeutung erkannte >Dießenhofener LiederblattMerkzettel< für einen Kleriker gedacht war?136 Einen um 1400 entstandenen, beidseitig mit »Diätanweisungen und Rezepten für einen bestimmten Patienten« beschriebenen Papierzettel im Format von 10,8x21,2 cm bewahrt die Universitätsbibliothek Leipzig, die auch ein Pergamentblatt gleichen Alters (Format: 34 x 26 cm, beidseitig beschrieben) mit dem Text des (deutschen) Credo samt Versikel und Kollekte besitzt.137 Dem frühen 15. Jahrhundert entstammt schließlich ein einseitig beschriebenes, aus dem Augustinerchorherrenstift Ranshofen stammendes EinzelPergamentblatt (31 x 21 cm), das lateinische >Versus de mulieribus< (eines Siboto OP?) tradiert.138

132

Vgl. DIETRICH HUSCHENBETT, Art. >Der heimliche BoteBauernfeinds< auf den Markgrafenkrieg von 1449. Das Blatt ist

139

Ebd. S. 53f.

140

Hs 7098, Beschreibung bei KURRAS (wie Anm. 133) S. 56. Vergleichbar ist ein als fol. I dem Cgm 610 beigefugtes, beidseitig beschriebenes Blatt von 1463 mit lateinischen Anweisungen zum Totenoffizium für die mit Weihenstephan (woher die Handschrift stammt) verbrüderten Klöster (vgl. SCHNEIDER [wie Anm. 127] S. 238-240, hier S. 239). Hs 7204, vgl. KURRAS (wie Anm. 133) S. 58. Auf dieses Blatt machte mich Dr. Peter Schmidt (Frankfurt) aufmerksam. Das Papier weist seinen Angaben zufolge kein Wasserzeichen auf. Hs 7090/15, 1. Drittel 15. Jh., aus Südwestdeutschland; vgl. HILG (wie Anm. 127) S. 70. Photographien der beiden Handschriften bei GUNHILD ROTH, Leonhard Assenheimer und Heinz Dompnig. Zwei >Historische Volkslieden im Vergleich, in: Lied im deutschen Mittelalter, hg. von CYRIL EDWARDS/ERNST HELLGARDT/NORBERT OTT, Tübingen 1996, S. 257280, hier S. 265f. - Unklar ist, wann das die Totenklage auf Wilhelm V. von Henneberg (gest. 1480, Text zwischen 1480 und 1482 entstanden) tradierende Einzelblatt geschrieben wurde, das zwischen S. 242 und 243 der Handschrift Dresden, Landesbibliothek, K 97 (Cyriacus Spangenberg, Hennebergische Chronik) eingelegt ist, vgl. THOMAS CRAMER, Art. »Gutjar, Henzew

ur ill

»Itnnl

// ItfiC

Abb. 2:

Gebet zur hl. Barbara mit Versikel und Kollekte, Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Preu ischer Kulturbesitz, Ms. germ. oct. 268, fol. 24V25r. - Foto: Staatsbibliothek zu Berlin - Preu ischer Kulturbesitz.

Vorformen des Einblattdruckcs

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von einem gewissen Jacobus geschrieben, der es dem Frankfurter Stadtschreiber Nicolaus Uffsteiner widmete. 143 Alle drei Blätter sind nur einseitig beschrieben. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstand ein heute in der Stadtbibliothek Trier aufbewahrtes, einseitig beschriebenes, jedoch nur fragmentarisch erhaltenes Pergamentblatt (2 Stücke, je 20,5 X 21 -28 cm), das zwei deutschsprachige Rosenkranztexte, ein gereimtes >Te Deum Marianum< sowie ein weiteres Mariengebet enthält; ob es sich hierbei um Reste der »Pergamentbeklebung einer Schrifttafel für eine Kirche« oder um eine (nicht-aufgeklebte) Einblatthandschrift handelt, ist nicht sicher auszumachen. 146 Einen mit »4 kolorierte [n] Federzeichnungen in Medaillons mit Beischriften« illustrierten deutschsprachigen >SeelenspiegelMerkzettel< oder eine Einblatthandschrift handelt, wird sich kaum entscheiden lassen. 148 Ähnliches gilt für die Frage nach der Funktion eines 23x14,5 cm messenden, um 1500 einseitig beschriebenen Papierblattes, das einen sich auf Bernhard (von Clairvaux) berufenden >Defectus vitae humanae< in 21 abgesetzten Versen samt schematischer Darstellung überliefert; wie oben beim >Seelenspiegel< ist auch hier enge Verwandtschaft mit einem druckgraphischen Blatt nicht unwahrscheinlich. 149 Ein (Einblatt-)Spruchbüchlein, geschrieben um 1500, ist fragmentarisch in der Stadtbibliothek Trier überliefert (Mappe IV, Fragment 8, jetzt 38,5 X 26,5 cm, zweispaltig); da das Blatt nur einseitig beschrieben ist, dürfte es sich auch hier um eine Einblatthandschrift handeln.' 5 " Zwei abschließende Beispiele sollen zeigen, daß der oben mehrfach vermutete unmittelbare Zusammenhang zwischen gedrucktem und handschriftlichem Einblatt sich mitunter beweisen läßt. So tradiert die allerdings zweiblättrige Hs 7061 (beschrieben fol. l r —2 r ) des Germanischen Nationalmuseums eine Abschrift des xylographischen

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HELMUT WEINACHT, Art. >Bauernfemd " Vgl. BUSHEY (wie Anm. 146) S. 290f. Der letzte Spruch lautet: Amen sprach dye koe zu dem sameii/Koniptz duo nyt t [!] zu myr, so körnen ich zu dyr, was als Explizit des Textes aufgefaßt werden könnte; vgl. den Abdruck bei NOLTE, Niederrheinische Sprüche und Priameln, Germania 19 (N. F. 7), 1874, S. 303-305. 146

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Volker Honemann

>Judenwucher2 Überblickt man die in diesem Abschnitt vorgestellten Blätter, so zeigt sich, daß das Phänomen der Einblatthandschrift offenbar sehr alt ist. Im 14. und 15. Jahrhundert nimmt die Zahl derartiger Blätter, wohl auch wegen der allgemeinen Intensivierung des Schreibbetriebs im Spätmittelalter, zu. Thematisch lassen sich Schwerpunkte bei der Frömmigkeitsliteratur wie bei der Liedüberlieferung erkennen, Bereiche also, die auch in der Einblattdruck-Überlieferung vertreten sind. Bisweilen unterscheiden sich Einblatthandschriften von Einblattdrucken nur dadurch, daß sie in nur einem Exemplar gefertigt wurden. In einigen Fällen ist der Zusammenhang zwischen Handschrift und Druck so eng, daß nicht ganz klar ist, ob der Druck eine Handschrift als Vorlage benützte oder die Handschrift eine Abschrift des Druckes darstellt. Derartige Abschriften begegnen insgesamt, vor allem bei Sammlern des späteren 15. und des 16. Jahrhunderts, nicht eben selten.153 Zu betonen ist aber, daß sich die Anfertigung von Mehrfachexemplaren in keinem Falle hat feststellen lassen, daß eine Abgrenzung gegenüber dem >Zettel< wie gegenüber dem >Anschlag< kaum konsequent zu vollziehen ist und daß auch das Konstituens der einseitigen Beschriftung des öfteren nicht gewahrt wird. Als wesentlich für die Ermittlung der Funktion (>öffentlicher< versus >privater< Gebrauch) hat sich zum einen das Kriterium erwiesen, ob ein Blatt (wie etwa das Dießenhofener Liederblatt) Spuren ursprünglicher, oft vielfacher Faltung erkennen läßt, zum anderen, ob ein Blatt (wie etwa das Berliner Barbara-Gebetsblatt) Elemente eines geplanten Layouts aufweist.

III. Fazit Versucht man abschließend, die verschiedenen Bereiche von Einblattschriftlichkeit in dem hier eingeführten, sehr weiten Sinne noch einmal mit der Frage zu konfrontieren, inwieweit sie als Vorformen des xylographischen wie des typographischen Einblattdruckes interpretiert werden können, so scheinen mir die folgenden Feststellungen möglich: Zum Zeitpunkt der >Erfindung< des Einblattdruckes sind alle f o r m a l e n Elemente desselben bereits ausgebildet, also die Konstituenten der Einblättrigkeit, der einseitigen Beschriftung, der Präsentation des Textes mittels eines geplanten Layouts. 151 152

Vgl. KURRAS (wie Anm. 133) S. 33.

Vgl. KARL SUDHOFF, Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur aus den Jahren 1495 und 1496 (Alte Meister der Medizin und Naturkunde in Facsimile-Ausgaben und Neudrucken 4) München 1912, S. 23f. (Textabdruck der hsl. Fassung, Abbildung: ebd. Taf. 23). 153 Vgl. SABINE GRIESE, Sammler und Abschreiber von Einblattdrucken. Überlegungen zu einer Rezeptionsform am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, in: STEPHAN FUSSEL/ VOLKER HONEMANN (Hgg.), Humanismus und früher Buchdruck. Akten des interdisziplinären Symposions vom 5./6. Mai 1995 in Mainz (Pirckheimer-Jahrbuch 11) Nürnberg 1996, S. 43-69.

Votfortncn des Einblattdruckes

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Auch die Kombination eines Bildes mit einem sich darauf beziehenden Text, sei es als Textblock oder als Spruchband, ist vor allem durch das textierte Tafelbild dem Publikum bereits vertraut, wobei die hier in Frage stehenden Vorformen allerdings in der Regel ortsgebunden sind und nur in einem Exemplar vorliegen; das Publikum muß sich zu ihnen — also z.B. zu einem textierten Tafelbild - hinbegeben, um ihren Inhalt rezipieren, also z.B. eine Gebets- oder Andachtsübung vollziehen zu können. Der Einblattdruck kehrt hier die Verhältnisse um, indem er die öffentliche Rezeption durch die private ergänzt oder gar ersetzt. Da, wo standardisierte bzw. standardisierbare Einblatt-Texte benötigt wurden, so etwa im Bereich des Ablasses, aber auch in dem des amtlichen Schrifttums, etwa der Schützenbriefe, lr>4 war man vor der Erfindung des Druckes durchaus in der Lage, weitestgehend identische Exemplare eines Einblatt-Textes in der gewünschten (oft sehr beträchtlichen) Zahl in relativ kurzer Zeit zu erstellen. Der Übergang zum Druck dürfte hier allenfalls die Kosten gesenkt und die Produktionsgeschwindigkeit erhöht haben. Festzuhalten ist weiterhin, daß der Einblattdruck die Einblatthandschrift natürlich nicht schlagartig ersetzt, sondern daß die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eher durch ein Nebeneinander und eine allmähliche Ablösung gekennzeichnet ist; einzelne der hier beschriebenen Vorformen (so der gesamte Bereich der Tafel- und der Inschriften-Schriftlichkeit) bleiben bestehen und werden erst durch die Reformation in ihrer Gestalt und teils auch in ihrer Funktion verändert. Die nach und nach massenhafte Verbreitung des Einblattdruckes, sowohl in seiner xylographischen wie in seiner typographischen Gestalt, ist so nur in geringem Maße von der neuen Technik (und damit der Möglichkeit der vielfachen mechanischen Reproduktion) abhängig, sehr viel stärker aber von einem sich im 15. Jahrhundert herausbildenden Strukturwandel der Öffentlichkeit (z. B. der Ergänzung der >öffentlichen< Devotion durch eine >privateInkunabelgrenze< am Beispiel von 5 Druckern und 111 Einblattdrucken

I. Die >Inkunabelgrenze< ist jene Zeitschranke, die mit wunderbarer Eindeutigkeit Inkunabeln von Nicht-Inkunabeln scheidet. Der genaue Zeitpunkt ist der 1. 1. 150l.1 Alle typographischen Drucke, die vor diesem Termin erschienen sind, gelten als Inkunabeln und sind damit von einer besonderen Aura umgeben, denn das Wort >Inkunabel< ruft Assoziationen wie besonders alt, ehrwürdig, selten und kostban hervor.2 Von dieser Aura fällt auf die späteren Drucke, also alle die, die seit dem 1. 1. 1501 erschienen sind, höchstens noch ein schwacher Abglanz, etwa indem man Drucke aus der Zeit bis 1520 (oder auch noch bis 1550) als >Post-Inkunabeln< tituliert. Es wird damit aber zugleich signalisiert, daß es ihnen an Alter und Ehrwürdigkeit mangelt (was freilich nicht ausschließt, daß sie selten sind und im Handel teuer bezahlt werden müssen). Diese auf den ersten Blick vollkommen willkürlich anmutende Unterscheidung ist erstaunlicherweise seit Jahrhunderten in Geltung, ohne daß jemals ernsthaft versucht worden wäre, ihre Gültigkeit zu erschüttern. Die Grenzziehung erfolgte um 1640, also vor mehr als 350 Jahren, ausgerechnet in Münster, wo die politischen Mächte kurze Zeit später andere Grenzen ziehen sollten, die zum Teil weit weniger beständig waren als die >InkunabelgrenzeDe ortu ac progressu artis typographicaeWiegendruckeInkunabelgrenze< installiert — in ihrer Einfachheit und Geradlinigkeit zweifellos eine schöne Grenze. Durch die Inkunabelverzeichnisse, die bald darauf zu erscheinen begannen - Saubert (1643), Labbe (1653), van Beughem (1688), im 18. Jahrhundert dann Maittaire (1719) und Denis (1789) - wurde sie immer stärker befestigt, und durch Hains >Repertorium typographicum< und den >Gesamtkatalog der Wiegendrucke< (GW) ist sie zu einem schier unerschütterlichen Bollwerk ausgebaut worden, dessen Mauern überdies permanent verstärkt werden, zum Beispiel durch die Produktion von Inkunabelkatalogen, die in neuer und neuester Zeit überall in der Welt geradezu leidenschaftlich betrieben wird.·"1 Mit den Fundamenten dieses Bollwerks, das stürmen oder gar schleifen zu wollen angesichts der aufgeprotzten Katalog-Batterien und widerstandswilligen BibliothekarsBataillone von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt wäre, steht es freilich nicht zum besten. Was wird von der Inkunabelforschung — ich beschränke mich der Einfachheit halber auf deutsche Beiträge - zur Begründung der >Inkunabelgrenze< vorgebracht? Konrad Haebler, einer der wenigen Forscher, die sich überhaupt etwas ausführlicher zu diesem Problem geäußert haben, argumentiert in seinem >Handbuch der Inkunabelkunde< von 1925 folgendermaßen: »Das Wesen der Inkunabeln besteht darin, daß es Drucke sind, in denen man noch die Entwicklung des Buches zu verfolgen vermag und in denen der Drucker seinem Werke noch als selbständig schaffender Meister gegenübersteht. Sobald diese Entwicklung zum Abschluß gelangt war, trat an die Stelle der künstlerischen Gestaltung der handwerksmäßige Betrieb«, der freilich »von Anfang an in der Kunst des Buchdrucks schlummerte«. 6 Die >Inkunabelgrenze< wird hier also von der Sache her qualitativ und zugleich historisch definiert als Grenze zwischen Kunst und Handwerk im Sinne einer geschichtlichen Abfolge, wobei die Inkunabeln als Erzeugnisse individuellen Schöpfertums in lebendiger Entwicklung die erhabene Kunst, die späteren Drucke aber als stereotype Produkte mechanischer Fertigung nur noch das ordinäre Handwerk repräsentieren — eine Unterscheidung, die beim Vergleich etwa eines frühen Bibeldrucks mit einer Bibel des 16. Jahrhunderts evident sein mag, die aber auch dem Kenner Mühe bereiten wird, wenn er den Kunstcharakter einer >CatoCatoInkunabelgrenzeInkunabelkunde< verfahren.9 Obwohl er behauptet, für die heutige Inkunabelforschung und Inkunabelbibliographie stehe »der I.Januar 1501 als Terminus ante quern absolut fest«, muß er doch zugeben, daß diese Grenze keine innere Berechtigung hat. Er beurteilt sie schlicht als ein »äußerst praktisches Hilfsmittel«. 10 Den wesentlichen Unterschied 7

ERICH VON RATH, Zur Bedeutung des Wortes Inkunabel (Wiegendruck) und der Zeitgrenze 1500, in: Frühdrucke aus der Bücherei Victor von Klemperer, Dresden 1927, S. 21 -27, die folgenden Zitate auf S. 25, 26 und 27. x So auch bei SCHMIDT (wie Anm. 1) S. 885. '' GELDNER (wie Anm. 1) S. l f. "'Ähnlich SEVERIN CORSTHN/WOLKGANG SCH.MIT/, Buchdruck des 15. und 16.Jahrhunderts,

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zwischen Inkunabel und Nichtinkunabel findet er anders als Haebler darin, »daß die Inkunabel noch ganz oder wenigstens zu einem beträchtlichen Teil im Banne des handschriftlichen Vorbildes steht, während sich der Buchdruck in der Folge von diesem Vorbild frei gemacht hat und sich nach der eigenen immanenten Gesetzmäßigkeit richtet«. Der von Geldner angeführte Umschlag von der Imitation handschriftlicher Vorbilder zur Eigengesetzlichkeit des Buchdrucks ist freilich nach dem Urteil eines Kenners wie Carl Wehmer nicht erst um 1500 erfolgt, sondern bereits um 1480. In einem 1940 erschienenen Aufsatz Wehmers zum Beispiel heißt es: »Seit 1480 beginnt das Buch immer deutlicher ein billiger Gebrauchsartikel zu werden [...] Um 1480 etwa war der Sieg des Buchdrucks entschieden [...] Um 1480 liegt die Grenze des mittelalterlichen Buchwesens.«11 In diesem Zusammenhang wäre auch die von Gerhard Piccard hervorgehobene Tatsache zu berücksichtigen, daß man um 1480 dazu überging, für den Buchdruck nicht mehr wie bisher teures Schreibpapier, sondern ein besonderes (nur einmal geleimtes) Druckpapier zu verwenden, das um rund die Hälfte billiger war und die Gestehungskosten für Drucke bedeutend herabsetzte.12 Dieser wirtschaftliche Gesichtspunkt scheint mir bisher noch nicht die gebührende Beachtung gefunden zu haben. Man könnte nach alledem fragen, ob die Zeit um 1480 als Grenzlinie zwischen Inkunabeln und Nichtinkunabeln — wenn man denn eine solche ziehen will — nicht sinnvoller und der Sache eher gemäß wäre als ausgerechnet das Jahr 1500. Die eindrucksvolle Säkularzahl 1500 entfaltet aber natürlich eine ganz andere Suggestivität als ein untergeordnetes Datum wie 1480. An ihrer Beliebigkeit, die vor 350 Jahren durchaus verständlich gewesen sein mag, können jedoch alle nachträglichen Begründungsversuche nichts ändern. Dabei stehen offensichtlich auch gar nicht so sehr sachliche Gesichtspunkte im Vordergrund, sondern letzten Endes rein pragmatische, nämlich die »Zweckmäßigkeit« und - wie man vielleicht hinzufügen darf - auch ein gutes Stück Bequemlichkeit und die Macht der Gewohnheit. Über die Zweckmäßigkeit und den Nutzen der >Inkunabelgrenze< — insbesondere für die Inkunabelforschung selbst — braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Die Grenze hat den Vorzug der Eindeutigkeit, sie erlaubt scheinbar klare Unterscheidungen, sie ist allgemein akzeptiert, und sie liefert der Inkunabelforschung zugleich die Legitimation dafür, sich unbedenklich auf ihr exklusives Gebiet zu beschränken und sich dort, ungestört von minderwertigen Postinkunabeln, mit beneidenswerter Intensität zu tummeln. Die Inkunabelforschung ist demzufolge aufs Komfortabelste ausgerüstet, sie verfügt über vorzügliche Hilfsmittel, über alle möglichen Arten von Katalogen,

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in: WERNER ARNOLD/WOLFGANG DITTRICH/BERNHARD ZHLLBR (Hgg.), Die Erforschung der Buch- und Bibliotheksgeschichte in Deutschland, Wiesbaden 1987, S. 93-120, hier S. 95: »Die Epochengrenze 1500 ist nicht ohne Willkürlichkeit, sie hat sich aber als praktikabel bewährt.« CARL WEHMER, Inkunabelkunde, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 57, 1940, S. 214232, hier S. 226. GERHARD PICCARD, Papiererzeugung und Buchdruck in Basel bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Ein wirtschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 8, 1967/68, Sp. 25-322, hier Sp. 271, 273 und 279.

Inkunabeln oder Postinkimabebi?

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über Bibliographien, Typenrepertorien, Tafelwerke, Faksimiledrucke usw. Solche luxuriöse Exklusivität ist aber nicht umsonst zu haben, sie geht notgedrungen auf Kosten dessen, was ausgegrenzt wird, d. h. auf Kosten der Erforschung der Postinkunabeln und damit auch auf Kosten all derer, die sich über die Zeitschranke hinweg und jenseits derselben mit jüngeren Druckerzeugnissen befassen wollen. Für sie ist die angeblich so praktische >Inkunabelgrenze< nichts anderes als ein lästiges Hindernis. Wenn beispielsweise ein Germanist im Detail darüber Auskunft haben möchte, wie es um die Drucküberlieferung der deutschen Übersetzungen des oben genannten >Cato< bestellt ist, und er sich dabei nicht ausschließlich auf Franz Josef Worstbrocks knapp gehaltene Bibliographie zur >Antikerezeption< 13 verlassen mag, wird er für die Inkunabelzeit im GW vorzüglich bedient. Für die Drucke des 16. Jahrhunderts meint er sich eine ähnliche Hilfe vom Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts< (VD 16) erwarten zu dürfen. Hier aber bleibt ihm eine herbe Enttäuschung nicht erspart. Zwar bekommt er zahlreiche Ausgaben offeriert, aber gleich zu Beginn trifft er auf zwei Titel ohne Druckervermerk, die vage auf um 1501 datiert sind (C 1681 und 1682),14 und weiter hinten stößt er auf eine Ausgabe von 1514 (C 1700), die er bereits im GW unter 1494 gefunden hatte (GW 6346). Zu seiner Verwunderung werden ihm überdies reihenweise Stücke ohne Exemplarnachweis angeboten, die lediglich aus Worstbrocks Verzeichnis übernommen sind. Darunter befindet sich wieder ein Druck (C 1683), den bereits der GW aufgeführt hatte (GW 6353) und der dort auf um 1500 datiert ist; im VD 16 dagegen wird er um 1501 angesetzt, und in Wellers >RepertoriumInhaltCatoZehn GeboteBiblia< ist allerdings irreführend, denn es handelt sich nicht um einen biblischen Text, sondern um den Passionstraktat des Heinrich von St. Gallen (desgleichen VD 16 B 4759 und 4761). "^ Möglicherweise gilt das auch für EINBL. 991, doch läßt sich das nicht entscheiden, da das Würzburger Unicum nicht mehr auffindbar ist. 2fl Bei EINBL. 445 handelt es sich um ein einseitig bedrucktes Blatt, dessen Text satzidentisch ist mit Seite XI b (Clb) des Höltzel-Druckes >Das Buch des heiligen Römischen Reichs Unterhaltung< (VD 16 D 689, hier mit 1503? zu spät datiert). An eine separate Veröffentlichung kann schon deswegen nicht gedacht werden, weil der Text aus dem Zusammenhang gerissen ist. Die in EINBL. zitierte Überschrift Ordnung zu Worms ist der rechtsseitige Kolumnentitel des Buches. - Ich habe Herrn Dr. Holger Nickel dafür zu danken, daß er meine Vermutung am Berliner Exemplar des Buches überprüft und bestätigt hat. 27 EINBL. 330, 336, 337, 344 und 989.

Inkunabeln oder Postinkunabeln?

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pen Zainers übernommen hatte.28 EINBL. 892 ist immerhin ein Augsburger Produkt, stammt aber nicht von Schönsperger, sondern von Anton Sorg (Nr. 68). Bei den restlichen Stücken aber handelt es sich um Postinkunabeln, von denen allerdings Schönsperger selbst nur eine einzige zu verdanken ist (Nr. 54). Die anderen wurden von Albrecht Kunne in Memmingen (EiNBL. 651 und 1049, Nr. 40 und 82) und von Lukas Zeissenmair in Wessobrunn (EiNBL. 1573, Nr. 111) hergestellt. Zu den beiden nächsten Fällen muß ich mich etwas ausführlicher äußern, da hier in Auseinandersetzung mit der Forschung einige Dinge im Detail zu erörtern sind. Über den soeben erwähnten Memminger Drucker A l b r e c h t K u n n e , der zuerst 1474-1476 in Trient druckte, hat Dieter Saam29 eine Monographie vorgelegt, die als MaterialsammJung ihren Nutzen hat, in anderer Hinsicht aber allerhand zu wünschen übrig läßt.30 Kunne hatte vermutlich gegen Ende der siebziger Jahre seine Werkstatt nach Memmingen verlegt und blieb bis 1520 dort tätig. Nach 1505 hat er deutlich weniger gedruckt, sein Schaffen, soweit es sich anhand sicher datierbarer Drucke verfolgen läßt, weist immer wieder Lücken auf (1506/07, 1510/11, 1513 und 1515/ 16),31 vielleicht hat seine Produktion zeitweilig ganz ausgesetzt. Ungeachtet der Tatsache, daß Kunnes Tätigkeit noch bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts reicht, hat man seine zahlreichen undatierten bzw. nicht aufgrund sicherer Kriterien datierbaren Einblattdrucke zumeist in die Zeit um 1500 gesetzt. Saam ist nur in einigen wenigen Fällen von den Datierungen der Vorgänger abgewichen. So wie diese hat auch er es versäumt, die typographische Entwicklung der Offizin nach 1500 28 2 Demnach wird man alle Drucke, die Type 7 aufweisen, mit geringem Vorbehalt um 1504/1510 ansetzen dürfen. Kunnes Type 6, eine für deutsche und verschiedentlich auch für lateinische Texte benutzte Schwabacher (VGT 1120), war wesentlich länger im Gebrauch, nämlich von 1484 bis 1520, also bis zum Ende von Kunnes Tätigkeit. Im Lauf der Zeit traten verschiedene Veränderungen ein, deren Beachtung die Lösung einiger Datierungsprobleme ermöglicht. Einen wichtigen Punkt hat schon Proctor3f> beschrieben: die Vermischung mit Type 5, einer Texttype gleichen Grades (VGT 1119). Die Mischung besteht gewöhnlich darin, daß der Type 6 Versalien aus

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SAAM, S. 164. Abweichend davon fuhrt er die Type bereits unter 1497 zum >Traktätlein vom sterbenden Menschen< (SAAM 96) an, wo aber nicht Type 7, sondern Type 2 vorliegt (dieser Fehler findet sich bereits bei PROCTOR 11263, weswegen der STC, S. 866, auf 1505? datiert, was aber zweifellos zu spät ist). Die sonstigen Belege für Type 7, die SAAM den Jahren 1500 — 1503 zugewiesen hat (SAAM 106, 110, 114, 119 und 133), sind allesamt später zu datieren (siehe unten Nr. 82, 35, 47, 97 und 72). Auch bei dem einzigen Beleg nach 1510 (SAAM 151) fehlt jeglicher Hinweis auf die tatsächliche Entstehungszeit (siehe unten Nr. 48). — Ähnlich fragwürdig sind die Verwendungszeiten, die SAAM, S. 163, für die älteren Auszeichnungstypen nennt. Type 2 (VGT 473) soll bis ca. 1502 benutzt worden sein, aber die letzte sichere Bezeugung ist SAAM 101 von 1499, denn die angeblich späteren Belege SAAM 120 und 131 sind undatiert und damit nicht beweiskräftig. Type 3 (VGT 838) wird gar bis ca. 1506 angesetzt, obwohl sie nur bis 1495/96 zweifelsfrei bezeugt ist (SAAM 82), denn SAAM 130 und 144 wurden nicht mit Type 3 gedruckt, wie SAAM angibt, sondern mit Type 7. 33 SAAM, S. 162 Nr. 16 (siehe oben Anm. 30). 34 SAAM 147. Der Druck umfaßt freilich nicht 6 Blätter (so SAAM und VD 16 S 9186), sondern 12, wie sich den beiden defekten Exemplaren in München und St. Paul zweifelsfrei entnehmen läßt. 3r> Es handelt sich um eine Textura mit 61 . SAAM hat diese Type zu Nr. 148 nicht vermerkt, und sie kommt auch nicht in seinem Typenverzeichnis (S. 163f.) vor. Einen weiteren Beleg für ihre Verwendung bietet ein bisher unbekannter Einblattdruck (siehe unten Nr. 9). 36 PROCTOR I wird über Type 6 gesagt: »In or before 1490 some of the caps. [d.i. capitals] of 5 and 6 became mixt (probably in consequence of printing some Schoolbook in Latin and German), and never got clear again« (S. 182). PROCTOR II heißt es dann zum Gebrauch der Type in der Zeit nach 1500: »In 1501 -2 still much mixt with 5, no other E but that of 5 is found [ . . . ] . But after 1502 the letters from 5 and the single hyphen vanish, and a new E like Öglin-Schönsperger-Otmar comes in« (S. 121). Das angeblich neue E findet sich freilich schon wesentlich früher (SAAM 36 von 1487), und die Typenmischung währt bis 1505.

Inkunaheln oder Postiiikunabeln?

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Type 5 beigemengt wurden. Diese Art der Typenmischung begegnet zuletzt 1505 (SAAM 143), in späteren Drucken hat Kunne sie anscheinend bewußt vermieden. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der Type 6 lediglich einige Minuskeln aus Type 5 beigemischt sind (a, d, f, langes s); sie beschränken sich aber auf wenige lateinische Drucke, die zwischen 1505 und 1509 entstanden sein dürften. 37 Auffällig ist auch ein Unterschied in der Verwendung der Minuskel b. Ursprünglich kennt die Type nur b mit Schleife, doch um oder nach 1500 wird das schleifenlose b aus Type 5 übernommen, und beide Formen werden bis 1505 nebeneinander gebraucht; danach aber wird die verschleifte Form ganz aufgegeben, und seit 1508 findet sich nur noch das b ohne Schleife.38 Ähnlich verhält es sich mit dem Diviszeichen. In den Drucken bis 1505 kommen zwei verschiedene Formen, nämlich doppeltes und einfaches Divis, mit unterschiedlicher Häufigkeit nebeneinander vor; ab 1508 wird einzig und allein doppeltes Divis verwendet. Auch beim Rubrikzeichen sind solche Veränderungen zu beobachten: Während sein Rücken ursprünglich halbrund geformt war, erscheinen um und nach 1500 zunehmend häufiger Varianten mit Abflachung und zum Teil auch mit einer schwachen Delle oder einem kleinen Einschnitt.39 Ab 1508 begegnen nurmehr diese Varianten, nun oft mit ganz deutlichem Einschnitt, und dieser Zustand hält sich bis 1512. Ab 1514 aber tritt ein völlig anderes, größeres und kräftigeres Rubrikzeichen in Erscheinung, das vereinzelt auch mit dem kleineren gemischt wird.4" Aufgrund dieser Detailbeobachtungen kann man die Entwicklung der Type 6 bei ausschließlicher Berücksichtigung datierter Drucke grob in drei Phasen gliedern (die Daten in Klammern berücksichtigen die unbelegten Jahre): 1. bis um 1505 (bis 1507?), 2. um 1508/1512 (1506/1513?), 3. um 1514/1520 (1513/1520?). Kombinationen mit Type 7 sind in der ersten Phase um 1504/1505 (1504/1507?) zu datieren, in der zweiten Phase um 1508/1510 (1506/1511?).41

Was ergibt sich nun aus diesen Befunden für die in EINBL. verzeichneten undatierten Kunne-Drucke, die dort um 1500 oder früher angesetzt wurden? Das Fazit muß aus inkunabulistischer Sicht enttäuschen: Nur bei drei Drucken kann an der Datierung um 1500 festgehalten werden, allerdings auch hier noch mit der Einschränkung, daß Entstehung nach 1500 möglich ist (£INBL. 721, 1004 und 1522, siehe unten Nr. 2, 79

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So z.B., von SAAM nicht notiert, in SAAM 130 und 144, wo überdies beide Male die Auszeichnungstype falsch bestimmt ist (siehe oben Anm. 32), und auf der >Confessio sancti Augustini et Tres veritates Gersonis< (siehe Abb. 1). Spätestens 1509 hat Kunne seine Type 5 an die Klosterdruckerei Ottobeuren verkauft, die damit im September dieses Jahres ihren ersten Druck herausbrachte (vgl. CURT VISEL, Die Buchdruckerei des Klosters Ottobeuren, in: Memminger Geschichts-Blätter 1952/53, S. 1—6, hier S. 2 mit Abb.). Nur vereinzelt begegnen bei Kunne auch später noch Minuskeln aus 5 (so d in SAAM 148). 38 Da aus den Jahren 1506 und 1507 kein datierter Druck bekannt ist, hat SAAM 145 von 1508 hier und im folgenden Schlüsselfunktion. 3 Das läßt sich in der Typenprobe VGT 1120 auf der linken Seite ansatzweise beobachten. 4(1 Das fette Rubrikzeichen, das demjenigen von Kunnes Type l ähnelt (VGT 307), begegnet in datierten Drucken erstmals 1512 (SAAM 148), hier aber noch in Verbindung mit der von SAAM übersehenen Auszeichnungstype (siehe oben Anm. 35), während die Texttype durchweg noch das bisherige kleinere Zeichen aufweist. Danach aber wird das fette Rubrikzeichen in die Texttype übernommen und verdrängt das kleinere Zeichen fast vollständig. In den Drucken aus den Jahren 1514 (SAAM 150), 1517 (SAAM 152) und 1519 (SAAM 153, mit falschem Rubrikvermerk!), 1520 hingegen kommen, falls SAAMS Angaben richtig sind, noch einmal beide Rubrikzeichen gemeinsam vor (SAAM 155, zur Zeit nicht auffindbar). 41 Diese Datierungen stehen selbstverständlich unter dem Vorbehalt, daß neu auftauchende Drucke Änderungen erforderlich machen könnten.

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und 106). Alle anderen Drucke aber gehören ohne jeden Zweifel in das erste oder zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts.42 Dem Drucker J o h a n n Schobser, der zuerst in Augsburg und vermutlich seit 1500 in München wirkte, werden in EINBL. vierzehn Einblattdrucke zugeschrieben, die allesamt mit »um 1500« angesetzt sind.43 Davon sind zwei Drucke abzuziehen (EiNBL. 511 und 1187), die schon Schottenloher in seine Schobser-Bibliographie nicht aufgenommen hatte, freilich ohne genauere Begründung, und die tatsächlich von anderen Druckern stammen, nämlich von Heinrich Knoblochtzer in Heidelberg (siehe unten Nr. 27) und von Erhard Ratdolt in Augsburg (Nr. 88). Für die übrigen Stücke bietet Schottenloher durchweg von EINBL. abweichende Datierungen, ging er doch davon aus, daß Schobser, der am 6. November 1500 das Münchener Bürgerrecht verliehen bekommen hatte, überhaupt erst 1501 zu drucken begann (»aus dem Jahre 1500 ist kein Druckwerk von ihm bezeugt«, S. 3). Demgemäß datierte er die Einblattdrucke teils auf um 1501 oder 1502, teils auch in spätere Zeit auf um 1506-1508. Ferdinand Geldner44 ist dagegen zu der in EINBL. und ebenso von Weil vertretenen Position zurückgekehrt. Er meinte, Schobsers Münchener Tätigkeit habe bereits 1499 eingesetzt, und berief sich dafür auf eine bei Schottenloher seltsamerweise nicht verzeichnete >Praktika auf die Jahre 1500-1509< (WEIL, Nr. 26). Dieses von Geldner als »absolut eindeutig« bezeichnete Argument ist freilich keineswegs zwingend, denn aufgrund ihrer längerfristigen Geltung könnte die >Praktika< auch noch 1500 oder etwas später auf den Markt gebracht worden sein. Daß aber Schobser jedenfalls schon im Jahr 1500 und nicht erst 1501 in München druckte, hat Geldner gegen Schottenloher mit dem Hinweis auf Schobsers Almanach für 1501 (SCHOTTENLOHER, Nr. 1),4D der wie üblich am Vorjahresende hergestellt worden sein 42

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EINBL. 470 (siehe unten Nr. 21), 473 (Nr. 22), 474 (Nr. 24), 596 (Nr. 32), 638 (Nr. 35), 644 (Nr. 38), 711 (Nr. 47), 716 und 717 (Nr. 48), 857 (Nr. 62), 908 (Nr. 72), 1005 (Nr. 80), 1399 (Nr. 97), 1459 (Nr. 100) und 1475 (Nr. 103). Dazu kommen die bereits oben erwähnten, in EINBL. unter Schönsperger geführten Drucke EINBL. 651 und 1049 (siehe unten Nr. 40 und 82) sowie einige in EINBL. nicht verzeichnete Stücke (Nr. 9, 11, 33 und 52). - Nachzutragen, da verspätet zugänglich, ist EINBL. 763: >Ein geistliches Lied von den sieben Worten Jesu am Kreuz< nebst Johannesprolog (Exemplar in Füssen, Franziskanerkloster, im Hinterdeckel von Inc. 31, vgl. unten Nr. 32). Die Entstehungszeit läßt sich auf 1508—1512 eingrenzen. Den Terminus ante quem bietet die I-Initiale des Johannesprologs, die hier in besserem Zustand erscheint als in einem Druck von 1512 (SAAM, Nr. 148, Bl. 4a). Der Kreuzigungsholzschnitt hat denselben Zustand wie auf dem Titelblatt eines Druckes von 1508 (SAAM, Nr. 145). Er zeigt übrigens nicht »zwei Frauen neben dem Gekreuzigten«, wie BREDNICH unter Nr. 25 schreibt, sondern Maria und Johannes. Es handelt sich um folgende Stücke (die in Klammern stehenden Nummern beziehen sich auf Kapitel III.): EINBL. 386 (60), 415 (13), 471 (19), 511 (27), 639 (59), 665 (41), 679 (61), 718 (49), 850 (57), 861 (63), 1024 (81), 1187 (88), 1450 (98), 1567 (110).

GELDNER 1982, S. 203. Dazu HELMUT W. LANG, Ein Almanach auf 1501, der erste Druck Hans Schobsers, in: Gutenberg-Jahrbuch 1968, S. 131-135. Schobser hat diesen von dem Münchener Stadtarzt Balthasar Mansfeldt verfaßten Almanach in zwei Versionen mit verschiedenen Typen gedruckt (beide bei LANG abgebildet), vielleicht noch experimentierend, wie man der Tatsache entnehmen könnte, daß erst die unter Verwendung einer Auszeichnungstype hergestellte und dadurch deutlicher gegliederte Version nicht allein den Druckort, sondern auch den Namen des Druckers nennt.

Inkunabeln oder Postinkiinahcln?

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dürfte, und auf den Arbeitsaufwand für das am 3. Februar 1501 abgeschlossene umfangreiche >Buch des Heiligen Römischen Reichs Unterhaltung< (SCHOTTENLOHER, Nr. 6) überzeugend klargemacht. Wenn er allerdings für »ziemlich wahrscheinlich« erklärt, »daß die Drucke, die E. Weil als Inkunabeln aufführt, die aber K. Schottenloher >um 1501< ansetzt, noch im Jahre 1500 gedruckt sind, [...] vor allem die zahlreichen Einblattdrucke« (Geldner nennt u.a. EINBL. 415, 471, 665, 861, 1024 und 1450) so fragt man sich doch nach Grad und Grund solcher »Wahrscheinlichkeit«. Der Inkunabulist Geldner verschwendet keinen Gedanken daran, daß die von Schobser für seine ersten Drucke verwendeten Typen nach 1500 nicht einfach verschwanden, sondern noch längere Zeit in Gebrauch blieben. Berücksichtigt man diesen Sachverhalt, muß man notwendigerweise größere Zeiträume in Erwägung ziehen. Es gibt nun glücklicherweise einen Fall, in dem die supponierte Frühdatierung eindeutig zu widerlegen ist: Der Lieddruck EINBL. 665, entweder um 1500 (EiNBL.) oder um 1501 (Schottenloher) angesetzt, kann nicht vor 1506 entstanden sein, denn erst aus diesem Jahr stammt der Text (siehe unten Nr. 41). Damit stehen auch alle anderen Frühdatierungen zur Disposition, und man kommt nicht umhin, die Verwendungsdauer der Typen zu berücksichtigen. Darüber wissen wir dank Schottenloher gut Bescheid: Die Texttype aller genannten Einblattdrucke (Type 3) hat Schobser bis 1516 benutzt, und die zumeist damit verbundene Auszeichnungs-Textura (Type 4, in EINBL. als Type 7 gezählt)46 sogar noch länger, während die Auszeichnungs-Rotunda (Type 6, in EINBL. Type 4) nur bis 1506 eingesetzt wurde. Darüber hinaus läßt sich in der Type 3 noch eine Veränderung im Gebrauch der Virgel beobachten, die Schottenloher entgangen zu sein scheint und die eine weitere Differenzierung ermöglicht: Ab 1513 verwendete Schobser in dieser Type eine längere Virgel als zuvor, so daß für alle Drucke, die die kurze Virgel aufweisen, der etwas knappere Zeitraum von 1500 bis 1512 statt 1516 in Frage kommt. Einen gewissen Wert als Datierungsindizien (übrigens nicht nur für Schobser) haben auch die handschriftlichen Daten, die sich auf manchen aus der Tegernseer Klosterbibliothek stammenden Blättern befinden. Sie betreffen zwar nicht eigentlich die Einblattdrucke, auf denen sie notiert sind, sondern geben das Akzessionsjahr der Trägerbände an, in die sie ursprünglich eingeklebt waren, doch ist anzunehmen, daß der Abstand zwischen dem Zeitpunkt der Tegernseer Beschriftung und demjenigen der Herstellung und des Verkaufs der Einblattdrucke nicht übermäßig groß war. Trotz Unsicherheiten im Hinblick auf die Auswertung der Tegernseer Daten 47 hat Schottenloher sie sicher mit Recht zum Anlaß genommen, die betreffenden

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Die Typenzählung in EINBL. entspricht derjenigen in Haeblers >TypenrepertoriumHüpfuff< lautet. Sojedenfalls nennt sich der Drucker gewöhnlich in seinen deutschen Drucken, und daß die Form mit Umlaut nicht nur eine orthographische Variante, sondern lautlich korrekt ist, bezeugt die gelegentlich vorkommende Form >HipfuffHupfuff< steht fast nur in lateinischen Drucken, und zwar aus dem einfachen Grund, weil das ü dort ein Fremdkörper wäre.

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Frieder Schanze

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Alexander VI., Papst: Ablaß Verkündigung für das Beten des Benedicite und Gracias bei Tisch. [Augsburg: Johann oder Silvan Otmar, um 1510/1514] - Exempl.: London, British Library, IA. 6432. - COPINGER 235; PROCTOR 1810; BMC II, S. 376; GW 95; STC, S. 752.

Als Drucker wird seit PROCTOR durchweg Johann Schönsperger d. A. in Augsburg genannt, zum Teil mit Vorbehalt (BMC, GW); die Entstehungszeit wurde demnach auf um 1494 (GW) oder 1495 (STC) angesetzt. Als Druckmaterial vermerkt der GW Schönspergers Typen 4 (Überschrift) und 9 (Text), der BMC hatte aber schon einschränkend festgestellt: »As the small G and the Lombard D, K, V, and W found in this indulgence occur nowhere else in Schönspergers type 87, the attribution must remain doubtful.« In Wirklichkeit handelt es sich um Typen der Otmarschen Offizin in Augsburg. Verwendet sind Johann Otmars Typen 21 (Überschrift) und 18 (Text). Diese wurden auch von seinem Werkstattnachfolger Silvan Otmar benutzt. Sie finden sich mitsamt den vom BMC erwähnten kleinen Lombarden z.B. 1513 in Silvan Otmars Druck von Murners >Schelmenzunft< (VD 16 M 7075). Johann Otmar druckte 1502-1514, Silvan Otmar ab 1513. Da von Papst Alexander, der 1503 starb, noch im Präsens gesprochen wird, müßte das Blatt 1502/03 entstanden sein. Es könnte sich jedoch auch um eine (unbedachte) Übernahme aus einer Vorlage handeln. Da die Auszeichnungstype erst ab 1508 (PROCTOR 10668) nachgewiesen ist, was freilich frühere Verwendung nicht zwingend ausschließt, wird man den Druck am besten auf um 1510 bis um 1514 datieren. 9*

Andree (Tornamira), Hans: Ain gut Regiment vor den gebrechen der pestilentz (Gedicht: Vil menschen weren der pestilentz frey). — Holzschnitt (hl. Sebastian); Zierstück. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1514/1520] — Exempl.: München, Privatbesitz; Kopie in der Photosammlung des GW. - Bisher unveröffentlicht. 50 - Reprod.: Siehe Abb. 5.

Im Manuskript des GW wird das Blatt Peter Wagner in Nürnberg zugewiesen, wohl wegen der Auszeichnungstype, die Wagners Type 7 gleicht. Eine entsprechende Type kommt jedoch auch bei Albrecht Kunne vor, und zwar in einem Druck von 1512 (SAAM 148, wo die Type freilich sowohl in der Druckbeschreibung als auch im Typenverzeichnis fehlt). Die Texttype ist Kunnes Type 6 mit fettem Rubrikzeichen; dementsprechend die Datierung. Einen zusätzlichen Beweis für Kunnes Urheberschaft bietet das Zierstück: Es ist Teil einer Randleiste, die Kunne früher komplett verwendete (zuerst wohl SAAM 137, vgl. ECKER, Abb. 45, links unten; vgl. auch Abb. l der vorliegenden Arbeit, rechts unten). - Zum Textautor vgl. BERNHARD D. HAAGE, Art. >Andree, HansBannholtzer, Valentins in: 2 VL l, 1978, Sp. 6()()f; BSB-Ink B-34. - Reprod.: HEITZ 92,11.

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Frieder Schanze

Das Blatt ist nicht mit einem Metallschnitt illustriert, wie in EINBL., GW 3240 und von SCHRAMM behauptet wird, sondern unverkennbar mit einem allerdings sehr fein gearbeiteten Holzschnitt im typischen Grüninger-Stil (so SCHREIBER und GEISBERG). Der Druck wird überall auf »um 1500« datiert. Die Typenbestimmungen sind widersprüchlich: EINBL. nennt Grüningers Typen 5, 8, 17, GW 3240 dagegen 5*, 8, 28 (die Problematik der Type 28 wurde bereits oben unter Nr. 7 angedeutet). Richtig ist folgendes: Die Überschrift ist mit Type 17 gedruckt, das >Salve regina< in der Mitte mit Type 26, das Reimgebet unten mit Type 25 (man vergleiche z. B. M, B und U mit der Darstellung der Typen 8 und 25 auf der VGT-Tafel 2157). Für die Datierung ausschlaggebend sind die Typen 17 und 26. Zur Type 17 gibt PROCTOR (II, S. 22) den Hinweis, daß seit 1507 geschwänztes h und langes s mit Unterlänge auftreten (beides hier z.B. im Wort gedütsch). Und Type 26 zeigt sich in dem seit 1507 herrschenden Zustand (kleinerer Kegel als zuvor, nur noch unverschleiftes d und verschnörkeltes J). Demnach kann der Druck auf keinen Fall vor 1507 entstanden sein. - Zur gleichen Zeit, 1507, erschien in Nürnberg vom selben Autor ein lateinisches St.-AnnenGedicht (vgl. die Abb. bei SCHANZE 1996, S. 131). 13

Das Bauerndirnlein, geistlich (Lied). - Holzschnitt (Christus als Schmerzensmann mit zwei Engeln). [München: Johann Schobser, 1500/1512] — Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 35 (mit Tegernseer Besitzvermerk). - SCHREIBER, Manuel 3832; EINBL. 415; SCHOTTENLOHER 25; WEIL 13; GW 3737; SCHRAMM VI, S. 19; BREDNICH 8; GELDNER 1982, S. 203b; BSB-Ink (B241). - Reprod.: SCHRAMM VI, Abb. 649; ECKER, Abb. 28; GELDNER 1982, S. 204. Bei SCHREIBER und SCHRAMM wohl wegen des Holzschnittes (SCHRAMM VI, Abb. 649) Konrad Dinckmut in Ulm zugewiesen und auf ca. 1493 datiert, sonst dagegen richtig als Schobser-Druck bestimmt, freilich in EINBL. und GW mit der Angabe um 1500, bei SCHOTTENLOHER und im BSB-Ink um 1507. Das Typenmaterial (Typen 3 und 4) erlaubt eigentlich nur eine Datierung in den Zeitraum 1500/1516, da in Type 3 keine Virgel vorkommt, doch spricht vielleicht gerade das für eine relativ frühe Entstehung (allerdings verfährt Schobser in dieser Hinsicht nicht systematisch, sondern trennt bei manchen Lieddrucken die Verse sowohl durch Punkt als auch durch Virgel), so daß man jedenfalls nicht über 1512 hinausgehen muß.

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Bauernmägdlein. Ich weiß mir ein feines Bauernmägdlein, geistlich (Lied). — Holzschnitt (Maria mit drei Rosen). [Ulm: Hans Hochspringer d.J., um 1501 (1501/1507)] - Exempl.: Hannover, Kestner-Museum, Inv.-Nr. 189. - EINBL. 416; GW 3736; ERNST 189; SCHREIBER, Manuel 3412; BREDNICH 7. - Reprod.: HEITZ 46,22; ERNST/HEUSINGER, Taf. 15.

Inkunabeln oder Postinkmiabeln?

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Laut GW soll das Blatt um 1498 von Johann Reger in Ulm mit seiner Type 6 gedruckt sein. AMELUNG (S. 321) vermutete als Urheber aber Hans Hochspringer, von dem ein Druck mit dieser Type aus dem Jahr 1501 erhalten ist ( LUNG, Nr. 163), und er datierte das >Bauernmägdlein< auf 1499/1500. Da die Type aber noch 1507 in Ulm im Gebrauch war (FRIEDER SCHANZE, Einblattdrucke von Hans Hochspringer d.J., Jakob Köbel und Adam Dyon, in: Gutenberg-Jahrbuch 1984, S. 151-156, hier S. 151f.), wäre auch ein etwas späterer Zeitpunkt in Betracht zu ziehen. Möglicherweise gehört der firmierte Druck von 1501 zu Hochspringers ersten Drucken, so daß mit früheren Arbeiten gar nicht zu rechnen wäre. Vgl. auch die folgende Nummer. 15

Bauernmägdlein. Ich weiß mir ein feines Bauernmägdlein, geistlich (Lied). Holzschnitt (Geburt Christi). [Ulm: Johann Zainer d.J., 1498/1502] - Exempl.: Frankfurt a. M., Stadt- und Universitätsbibliothek, Ausst. 99. - EINBL. 415a; GW 3738; SCHRAMM V, S. 20; OHLY/SACK 442; BREDNICH 9. - Reprod.: HEITZ 33,12; SCHRAMM V, Abb. 498. Die seit EINBL. übliche Datierung auf um 1500 läßt sich genauer eingrenzen. Die beiden hier verwendeten Typen benutzte der jüngere Zainer erst seit 1498 (AMELUNG, S. 60). Und dem Zustand der Texttype zufolge kann der Druck nicht nach 1502 entstanden sein, denn danach hat Zainer das gezackte Rubrikzeichen, wie es hier vorliegt, nicht mehr. — Nicht ganz sicher zu klären ist das Verhältnis der beiden Ulmer Ausgaben zueinander. Wahrscheinlich kommt aber dem Hochspringer-Druck die Priorität zu, denn dieser hat einen Holzschnitt, der genau zum Text paßt und eigens für den Druck des Liedes angefertigt worden sein muß, während Zainer sich eines bereits vorhandenen älteren Holzschnittes (SCHRAMM VII, Abb. 193) bediente. Selbstverständlich ist das nicht beweisend, aber wenn die Annahme richtig ist, dann wäre damit auch für den Hochspringer-Druck das Jahr 1502 als Terminus post quern non gegeben.

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Bereitung zum Kirchgang. [Nürnberg: Hieronymus Höltzel, 1510/1519?] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VII, 10'". - EINBL. 438; GW 3868; BSB-Ink (B-289).

Nicht ein Druck Ambrosius Hubers um 1500 (EiNBL., GW), sondern ein Druck Hieronymus Höltzels (BSB-Ink). Die Datierung in BSB-Ink auf ca. 1512/13 beruht auf der Angabe bei PROCTOR (II, S. 95), Höltzel verwende in Type 4 seit 1512 ein abweichendes Rubrikzeichen. Dieses erscheint jedoch bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1510 (in WELLER 564). Mit der unteren Grenze wird man, da im Text die Heiligenverehrung noch eine Rolle spielt, nicht über die Anfangsjahre der Reformation hinausgehen dürfen.

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Frieder Schanze

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Boger, Henricus: Super novissima strage in Theomarcia Elegia praecipitata. [Hamburg: Drucker des Jegher, nach 17. Febr. 1500] - Exempl.: Rostock, Universitätsbibliothek, Cf-2224 (7)35; ehemals auch in Prag, Nationalbibliothek, eingeklebt in einen Koberger-Druck von 1493 (!SAK COLLIJN, Rester av Heinrich Rantzaus bibliotek pä Breitenburg i National- och Universitetsbiblioteket i Prag, II.: Övriga Rantzau-böcker, in: Nordisk tidskrift for bok- och biblioteksväsen 27, 1940, S. 179-238, hier S. 209f. Nr. 164). - HANS OSTENFELD LANGE, Eine anonyme Hamburger Druckerei von 1502, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek in Hamburg, 7. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten 25, 1907, S. 17-30, hier S. 25; EINBL. 453; GW 4605; WERNER KAYSER/CLAUS DEHN, Bibliographie der Hamburger Drucke des 16. Jahrhunderts (Mitteilungen aus der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek 6) Hamburg 1968, Nr. 74.

LANGES bereits 1907 publizierte Zuschreibung des Blattes an den Drucker des Jegher wurde weder von EINBL. noch vom GW beachtet. Beide nennen andere Drucker, wobei der GW mit Steifen Arndes in Lübeck offenkundig irrt, während EINBL. mit Johann Luce in Lüneburg immerhin insofern richtiger liegt, als die verwendete Type in der Tat ursprünglich Luce gehörte, dessen Lüneburger Offizin aber aus chronologischen Gründen ausscheidet (freilich besteht die Möglichkeit, daß der Drucker des Jegher mit Johann Luce identisch ist). Von KAYSER/DEHN wird das Blatt so wie die übrigen undatierten Erzeugnisse des Jegher-Druckers um 1502 angesetzt, während LANGE für dessen Produktion weniger eng »die Jahre dicht um 1502« (S. 25) annahm. Der Terminus post quem ist der Tag der Schlacht bei Hemmingstedt (17. Februar 1500). Die Nachricht von dem außerordentlichen Ereignis muß sich auf schnellstem Wege verbreitet haben, so daß zweifellos auch Heinrich Boger51 in Rostock nur wenige Tage später davon Kunde hatte. Im Hinblick auf die Aktualität des Geschehens wird er mit der Abfassung seines Gedichts nicht lange gezögert und auch für eine rasche Publikation gesorgt haben. Daß sie in Hamburg erfolgte, mag aus Beziehungen resultieren, die Boger als Inhaber einer Hamburger Domherrenpfründe dorthin hatte. 18*

Boger, Henricus: Super novissima strage in Theomarcia Elegia praecipitata; Hermannus Buschius: Carmen de quaedam virgine, quae apud Theomarcios patriam armis tegentes in acie pro pudicitia et libertate vexillum tenuit. - Zierinitiale. [Köln: Ludwig von Renchen, nach 17. Febr. 1500] - Exempl.: Brüssel, Bibliotheque Royale, Inc. C. 400 (ursprünglich im Vorderdeckel des Bandes Inc. C. 399 = GW 3117). - CONRAD BORCHLING, Mittelniederdeutsche Handschriften in Norddeutschland und den Niederlanden. Erster Reisebericht, in: Nachrichten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Geschäftliche

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Zur Biographie u.a. K. E. H. KRAUSE, Dr. theol. Hinrich Boger oder Hinricus Flexor, der Begleiter Herzogs Erich nach Italien 1502-1504, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Altertumskunde 47, 1882, S. 111-140.

Inkunabeln oder Postinkunabeht?

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Mitteilungen 1898, S. 79-316, hier S. 270f.; FRIEDER SCHANZE, Art. >Schlacht bei Hemmingstedt3

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Vgl. die Arbeit von JOACHIM SCHÜLING, Der Drucker Ludwig von Renchen und seine Offizin. Ein Beitrag zur Geschichte des Kölner Buchdrucks. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Schmitz (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 41) Wiesbaden 1992. Auch hier wäre das Blatt nachzutragen. HERMANN JOSEPH LIESSEM, Hermann von dem Busche. Sein Leben und seine Schriften. Darstellung, Programm Köln 1884-1886, S. 9. BERNHARD SCHNELL, Art. >HimmelsbriefHimmelsbriefes< gibt, die den Typen nach 1508 von Martin Flach d.J. in Straßburg gedruckt wurde.55 Bei ihr muß es sich dem Text entsprechend um einen Nachdruck der Nürnberger Ausgabe handeln (daß das Verhältnis nicht umgekehrt sein kann, zeigt die Lesart schwebt in Zeile 5 der Straßburger Ausgabe, wo die Nürnberger und die ihr verwandten Ausgaben richtig schreibt haben). Allerdings macht der Holzschnitt einen älteren Eindruck. Er entspricht im Stil nicht anderen Holzschnitten, die Wolfgang Huber zu dieser Zeit neu anfertigen ließ, sondern eher Holzschnitten Ambrosius Hubers (es könnte sich um eine Arbeit aus der Werkstatt des Meisters der >Meinrad-Legende< handeln, die viel für Ambrosius Huber gearbeitet hat). Das Problem ließe sich ganz einfach lösen, wenn man annähme, daß bereits Ambrosius Huber ein >HimmelsbriefHimmelsbrief1

Der Nachweis dieses Exemplars ist Falk Eisermann zu verdanken.

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Frieder Schanze

Unterschiede erkennen, die gegen Höltzel sprechen: Weder entspricht die flache Virgel seiner frühesten Drucke der des Bruderschafts-Blattes (Winkel und Sitz in der Zeile differieren), noch auch verwendete er die Virgel als Divis, da er über ein gesondertes (doppeltes) Divis verfugte. Beide Typen stimmen hingegen exakt mit den angeblichen Typen 16 und 17 Heinrich Knoblochtzers in Heidelberg überein (vgl. die Abb. von GW 7001 in VGT 1523 und 1524), die VERA SACK 57 aufgrund eines glücklichen Fundes Heinrich Seligmann zuweisen konnte (was auch die Druckerbestimmung von GW 7001 zu korrigieren ermöglichte). Die wenigen Drucke, die bisher für Seligmann ermittelt wurden, fallen in die Jahre 1499-1501. Sollte die Beobachtung von Frau SACK (S. 128), daß Seligmann im Jahr 1501, anders als zuvor in GW 7001, überwiegend b mit verschleifter Oberlänge verwendete, stichhaltig sein, dann käme als Entstehungszeit des Bruderschafts-Blattes, das nur solche b-Formen aufweist, ebenfalls das Jahr 1501 in Frage. Das Karlsruher Exemplar wäre dann bald nach seiner Veröffentlichung der Handschrift eingefügt worden, in der es überliefert ist. 24

Buchsbaum, Sixt: Unser Frauen Rosenkranz in Herzog Ernsts Melodie (Lied). — Holzschnitt (Maria mit Kind im Strahlenkranz); Zierinitiale. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1510] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. Ill, 512; Oxford, Bodleian Library, Auct. 6. Q. mf. II, Bd. l (im Vorderdeckel).58 - EINBL. 474; GW V, Sp. 621; BREDNICH 22; SAAM 140; BSB-Ink (B-967); RSM l, S. 349 Nr. 43d.

Laut EINBL. um 1500, GW vermerkt jedoch richtig: »Nach Auszeichnungstype und Initiale 16. Jh.« (so auch BSB-Ink). SAAM setzt das Blatt ins Jahr 1504, und zwar mit der Anmerkung: »Holzschnitt wie Nr. 138, Typenbestand weist ebenfalls in das 16. Jahrhundert, so daß der Datierung von Nr. 138 gefolgt werden muß.« Zwingend ist das nicht. Der mit der Auszeichnungstype (Type 7) gegebene Zeitraum 1504/1510 reduziert sich durch die Texttype (Type 6), die dem seit 1508 feststellbaren Zustand entspricht. 25

Buchsbaum, Sixt: Unser Frauen Rosenkranz in Herzog Ernsts Melodie (Lied). - Holzschnitt (Geburt Christi).

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VERA SACK, Der Heidelberger Drucker Heinrich Seligmann. Ein Beitrag zum Problem der Knoblochtzer-Nachfolge, in: Gutenberg-Jahrbuch 1968, S. 122-130, besonders Abb. l und 2. Auf dieses Exemplar ist hingewiesen bei CHRISTOPH WELS, Ein unbekanntes Folioblatt über den »Heiligen Rock« zu Trier, in: Kurtrierisches Jahrbuch 12, 1972, S. 37 — 45. Es befindet sich im Vorderdeckel des ersten Bandes einer dreibändigen Ausgabe des >Speculum historiale< des Vinzenz von Beauvais (Augsburg: St. Ulrich und Afra, 1474, BMC II, S. 339), die aus dem Kloster Wessobrunn stammt und jetzt in der Bodleiana aufbewahrt wird. Im Hinterdekkel desselben Bandes ist ein anderer Kunne-Druck eingeklebt (EiNBL. 908, siehe unten Nr. 72). Zwei weitere Kunne-Drucke sind im Vorderdeckel von Bd. II (SAAM 149) und im Hinterdeckel von Bd. III (Confessio sancti Augustini und Tres veritates Gersonis, siehe oben Anm. 30 Nr. 5 mit Abb. 1) enthalten. Der im Vorderdeckel von Bd. III eingeklebte Einblattdruck über die Auffindung des Heiligen Rockes zu Trier im Jahre 1512 stammt nicht, wie WELS (S. 41) vermutet, von Johann Schönsperger d. Ä. in Augsburg, sondern von Lukas Zeissenmair in Wessobrunn.

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Inkunabeln oder Postinkitnabcln?

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[Ulm: Johann Zainer d.J., 1503/1508?] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I I I , 51W - EINBL. 475; GW 5672; SCHRAMM V, S. 20; BREDNICH 23; BSB-Ink B-966; RSM l, S. 349 Nr. 43c. - Reprod.: SCHRAMM V, Abb. 500. Laut EINBL. um 1500, laut GW und BSB-Ink nicht vor 1500. Dem Zustand der Type nach ist der Druck aber etwas später anzusetzen, jedenfalls nicht vor 1503, denn ungezacktes Rubrikzeichen verwendet Zainer erst von diesem Jahr an. Für Entstehung vor 1508 spricht, daß es in Zainers Produktion nach 1508 eine Lücke zu geben scheint und in den späteren Drucken sich die Type leicht verändert zeigt (siehe unten Nr. 101). - Der Holzschnitt ist älteren Datums (SCHRAMM XVIII, Abb. 193). 26*

Christus und die minnende Seele. - Fünf Holzschnitt-Streifen mit je vier Bildern (Christus in verschiedenen Situationen mit der durch eine weibliche Figur verkörperten Seele). [Augsburg: Matthäus Franck, 1559/1568] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I I I , 52f. - ROMUALD BANZ, Christus und die minnende Seele. Untersuchungen und Texte (Germanistische Abhandlungen 29) Breslau 1908, S. 44f.; HELLMUT ROSENFELD, Art. >Christus und die minnende SeeleChristus und die minnende Seele«. Mit Edition der Mainzer Überlieferung, in: KONRAD KUNZE u.a. (Hgg.), Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Festschrift Kurt Ruh, Tübingen 1989, S. 350-364, hier S. 351; JEFFREY HAMBURGER, Nuns as Artists. The Visual Culture of a Medieval Convent, Berkeley u.a. 1997, S. 166-168. - Reprod.: BANZ, Taf. IX; WILLIAMS-KRAPP, S. 354; HAMBURGER, Abb. 96.

Das Blatt wurde bei seiner ersten Erwähnung in einem Aufsatz von B. J. Docen 1821 (zitiert bei BANZ, S. 44) auf um 1500 datiert, und dabei ist es bis heute geblieben, ohne daß eine genauere Bestimmung auch nur versucht worden wäre. Daß sich die Inkunabelforschung zu dem Blatt nicht geäußert hat, kann zwar als negatives Votum aufgefaßt werden, aber das Problem seiner Datierung ist damit ebensowenig gelöst wie das seiner Herkunft. Für den Ansatz um 1500 waren zweifellos die Holzschnitte maßgebend, die in ihrer Einfachheit auf den ersten Blick altertümlich wirken. Dieser Eindruck trügt jedoch, denn er beruht darauf, daß die Bilder ältere Vorlagen imitieren.·"'9 In Wirklichkeit ist das Blatt viel jünger. Darauf weist die kleine Schwabacher-Type, in der der Text gesetzt ist. Sie scheint im 15. Jahrhundert noch gar nicht vorzukommen (daher wohl das Schweigen der Inkunabulisten), begegnet aber im 16. Jahrhundert so häufig, und zwar in identischer Form, daß eine genaue Zuweisung ohne weitere Indizien unmöglich ist. Solche liegen hier glücklicherweise in Gestalt der die Texte rahmenden kurzen Zierstücke vor. Sie finden sich, zu Leisten zusammengesetzt, y)

' Man vergleiche die motivlich genau entsprechenden Bilder einer Holzschnitt-Serie von 1450/ 60, abgebildet bei PAUL KRISTELLER (Hg.), Holzschnitte im König). Kupferstichkabinett zu Berlin, 2. Reihe (Graphische Gesellschaft, 21. Veröffentlichung) Berlin 1915, Taf. LXXXXIII.

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Frieder Schanze

als charakteristisches Schmuckelement auf den Titelblättern zahlreicher Liedheftchen des Augsburger Druckers Matthäus Franck, zu dessen Typenbestand auch die kleine Schwabacher gehörte.60 Daher ist das Blatt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit aus Francks Werkstatt hervorgegangen und demnach zwischen 1559 und 1568 entstanden. Francks Witwe, die laut BENZING den Betrieb noch kurze Zeit weiterführte, braucht wohl nicht in Betracht gezogen zu werden. 27

Deutscher Orden. Verteidigung der Rechte des deutschen Adels auf die Balleien Apulien und Sizilien (zweiseitig bedruckt). - Zierinitiale. [Heidelberg: Heinrich Knoblochtzer, nicht vor Aug. 1492] - Exempl.: Straßburg, Bibliotheque Nationale et Universitaire, K 2747 (Kopie in der Photosammlung des GW). - EINBL. 511; WEIL 20; SCHOTTENLOHER, S. 3 Anm. 4; GELDNER 1982, S. 203a; ZEHNACKER 2364.

Laut EINBL. um 1500 von Johann Schobser in München gedruckt, nach SCHOTTENLOHER aber »zweifelhaft und nicht nachprüfbar«. Die heute mögliche Nachprüfung ergibt, daß es sich bei der verwendeten Schrift nicht, wie in EINBL. angegeben, um Schobsers Type 5 (nach PROCTOR Type 7) handelt, sondern um die Type 18 Heinrich Knoblochtzers in Heidelberg (VGT 1522) bzw. die Type 2 des hypothetischen Druckers des Vocabularius (VGT 2290), der aber mit Knoblochtzer identisch ist (AMELUNG, S. 24). Dieser Rotunda-Type sind allerdings, da sie anders als sonst für einen deutschen Text verwendet wurde, alternativ Bastardbuchstaben mit Schleife (b, d, h) sowie ein ß mit Unterlänge beigemengt, die aus Knoblochtzers Typen 8, 8'':" oder 12 stammen. Die Initiale D (18 mm) gehört zu den Initialbuchstaben, die Knoblochtzer von Johann Zainer übernommen hat (Zainers Serie d, VGT 1306, hier Zeile 2, Nr. 2). Die Datierung ergibt sich ziemlich genau aus dem Text: Der Papst Innozenz (d.i. Innozenz VIII., f 25. Juli 1492) wird mehrfach als nechstverscheiden >jüngst verstorben bezeichnet; dazu ist vom jetzigen Papst die Rede (d.i. seit dem 11. August 1492 Alexander VI.). Daher dürfte die Entstehung des Blattes noch ins Jahr 1492 fallen. 28

Dietrich. Bruder Dietrich (Theodericus Croata): Praktika. [Augsburg: Johann Froschauer, 1503/1523] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. V, 58. - WELLER 1625; EINBL. 516; GW VII, Sp. 414.

Das Blatt kann nicht, wie in EINBL. angegeben, um 1500 entstanden sein, denn es ist mit Froschauers Typen 3 und 6 gedruckt, und letztere, die Auszeichnungstype, kommt nicht vor 1503 vor, wie schon der GW vermerkt. Anlaß für die Datierung um 1500 war vermutlich das zu Beginn des Textes genannte Datum 1501, mit dem die Prophezeiungen einsetzen. Das besagt jedoch nichts, denn f>()

Vgl. zum Beispiel nur die in RSM l verzeichneten Meisterlied-Drucke Nr. 240a, 28()c, 325a, in denen auch die kleine Schwabacher vorkommt; außerdem Nr. 61c, 200A, 277e, 315, 316j.

Inkunabeln oder Pustinkunabeln?

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das Interesse für den Text war von diesem Datum nicht abhängig, erschienen doch Quart-Ausgaben der >Praktika< bis um 1530 (VD 16 T 735), mit anderem Titel noch 1542 (STC, S. 854). Wenn der GW sagt, das Froschauer-Blatt scheine »der früheste erhaltene Druck zu sein«, so ist das eine bloße Behauptung, veranlaßt wohl durch die Annahme, der Einblattdruck müsse den QuartDrucken vorausgegangen sein, was jedoch erst zu beweisen wäre. Von den Typen her ist jedenfalls eine genauere Datierung als die obige nicht möglich, d.h. das Blatt könnte genausogut um 1510 wie um 1520 entstanden sein. 29

Es flog ein kleines Waldvöglein (Lied). - Sechs Holzschnitte (oben Verkündigung an Maria, unten weitere Marienlebendarstellungen). [Nürnberg: Drucker des Bannholtzer-Blattes, um 1500] - Exempl.: Würzburg, Universitätsbibliothek, Einbl. Nr. 99. - WELLER 51; EINBL. 564; SCHRAMM XVIII, S. 22; HUBAY, Würzburg 1349; VAN DER VEKENE 52; BREDNICH 10. - Reprod.: HEITZ 87,22; SCHRAMM XVIII, Abb. 714; BREDNICH, Abb. 4; GOTTFRIED MÄLZER, Georg Hutter — ein fränkischer Inkunabelsammler des 16. Jahrhunderts, in: MANFRED VON ARNIM (Hg.), Festschrift Otto Schäfer zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1987, S. 411-425, hier Abb. 2. Nicht von Kaspar Hochfeder um 1498 gedruckt (so überall seit EINBL.); vgl. SCHANZE 1996, S. 136f.

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Etzlaub, Erhard: Register der Romweg-Karte. — Holzschnitt auf separatem Blatt (Landkarte). [Nürnberg: Drucker des Bannholtzer-Blattes, 1500] -Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Rar. 287, Bl. 33 , die Karte auf Bl. 3321). - EINBL. 813; VAN DER VEKENE 33; BSB-Ink E-104; NINE MIEDEMA, Erhard Etzlaubs Karten. Ein Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Kartographie und des Einblattdrucks, in: Gutenberg-Jahrbuch 1996, S. 99-125, hier S. 107, Abb. der Karte S. 109. - Reprod.: HERBERT KRÜGER, Des Nürnberger Meisters Erhard Etzlaub älteste Straßenkarte von Deutschland, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 18, 1958, S. 1286, hier Taf. 3 nach S. 48 (Abb. der Karte S. 259); HERNAD, S. 120 (Abb. der Karte S. 259); SCHANZE 1996, S. 127. Das >Register< der Romwegkarte wurde gewöhnlich Kaspar Hochfeder zugeschrieben und beispielsweise auf um 1493 (EINBL.) oder um 1496/98 (VAN DER VEKENE, BSB-Ink) datiert; vgl. dagegen SCHANZE 1996, S. 126-130.

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[Folz, Hans:] Die Verkündigung des Englischen Grußes (Lied in Hans Folzen Abenteuerweise) mit einem andächtigen Gebet. — Holzschnitt (Verkündigung an Maria). [Nürnberg: Drucker der Rechnung Kolpergers (Hans Folz?), um 1491] - Exempl.: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, H. B. 2373, Kaps. 1199. - WELLER, Suppl. 127; EINBL. 1477; HELLWIG 928; VAN DER VEKENE 55; RSM l, S. 492f. Nr. 319. - Reprod.: SCHANZE 1996, S. 135; Teilabb. bei SCHRAMM XVIII, Abb. 719.

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Frieder Schanze

Nicht von Kaspar Hochfeder und weder um 1499 (EiNBL.) noch »nicht nach 1498« (VAN DER VEKENE); vgl. SCHANZE 1996, S. 138f. Zum Drucker und zum Autor ergänzend S. 108f. der vorliegenden Arbeit. - Der Verkündigungsholzschnitt stammt aus dem Besitz Anton Kobergers und wurde zuerst für den >HeiligenlebenBentzenauerFrau vom Himmel· (Reprod. bei BREDNICH, Abb. 40) beigedruckt ist, übrigens kaum ein »Probedruck«, wie SAAM meint (Anm. 254), sondern eine der für Kunne charakteristischen Textzusammenstellungen. Das Lied vom >BentzenauerFrau vom Himmel· mit dem Gedicht >Wie es in der Welt stehtx kombiniert ist, denn hier wie dort erscheint neben Kunnes Type 6 (in ihrer zweiten Phase) auch seine Type 7. Er ist jedoch etwas jünger als das >BentzenauerGebet zu S. Ursula< (so EINBL.) ist falsch, irreführend auch das Stichwort >Ursula< im BMC, hier immerhin mit dem verdeutlichenden Zusatz »A prayer in commemoration of S. Ursula and others«. Nicht an die hl. Ursula nämlich ist das Gebet gerichtet, sondern an Jesus Christus. Durch das Vorbild seiner Passion, heißt es darin, hätten sich Ursula und ihre Jungfrauen, von denen mehrere eigens genannt werden (Christiana, Kunigunde, Mechtunde und Wibranda), zum Martyrium bewegen lassen, und Christus soll gewährleisten, daß die Anrufung derselben Gehör findet. Der Druck, bei PROCTOR noch keinem bestimmten Drucker zugeordnet, wird vom BMC Jakob Wolff, in EINBL. hingegen Johann Amerbach zugewiesen, wenn auch mit Vorbehalt, da nur die Texttype als Amerbachs Type 12 spezifiziert ist, während für die Auszeichnungstype lediglich ein Fragezeichen steht. Recht hat der BMC, denn das Typenmaterial gehört eindeutig Jakob Wolff: Die O-Initiale entstammt seiner Serie c (VGT 1012), die Auszeichnungstype, eine Textura, ist seine Type 6 (VGT 1011, laut BMC III, S. 776 ab 1499 verwendet), und bei der Texttype (Rotunda M100/93) handelt es sich um Type 9. Zu ihr bemerkt der BMC (S. 776): »Found in Wolff's edition of Aesop of 1501, and perhaps used experimentally in the 15th century in . 37735 «, d.h. dem vorliegenden Blatt. Experimente mußte Wolff freilich mit dieser Type nicht mehr anstellen, denn er besaß sie bereits seit längerer Zeit: Schon vor 1489 hatte er mit ihr seinen ersten >Aesop< hergestellt (GW 350, noch mit Datierung auf »nach 1500?«, dagegen aufgrund eines Besitzeintrags jetzt BSB-Ink A-76: »nicht nach 1489«). Neu ist im >Aesop< von 1501 nur die charakteristische lange Virgel, die auch der Einblattdruck aufweist. Man wird daher gut tun, den Druck in die Entstehungszeit des >Aesop< zu setzen, wenngleich ein etwas früheres Datum nicht auszuschließen ist. 38

Gebet zu St. Christophorus. - Holzschnitt (hl. Christophorus). M[emmingen:] AJlbrecht] K[unne, um 1514/1520]

Iiikiinahelii oder Postinkunabeln?

- Exempl.: druckten Abb. 926 - Reprod.:

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Heidelberg, Universitätsbibliothek (aus dem Vorderdeckel eines 1510 geBuches). - EINBL. 644; SCHREIBER 1355b; SCHRAMM XVI, S. 18 und (nur Holzschnitt); SA AM 111. HEITZ 9,8.

RUDOLF SILLIB (in HEITZ 9, S. 10) und SCHREIBER setzen das Blatt um 1490 an, EINBL. um 1500. Für den vorliegenden Druck ist beides entschieden zu früh. Trotz der geringen Textmenge von fünf Zeilen läßt sich erkennen, daß Kunnes Type 6 hier in ihrem jüngsten Zustand vorliegt, der vor allem durch das fette Rubrikzeichen gekennzeichnet ist. Der Holzschnitt ist aber zweifellos älter, er wird schon früher einmal benutzt worden sein. 39

Gebet zu St. Gregorius. - Holzschnitt (Gregorsmesse). [Pforzheim: Thomas Anshelm, um 1505 (1500/1509)] - Exempl.: ehem. Frankfurt, Antiquariat Joseph Baer (Verbleib unbekannt). - EINBL. 646; HILDEGARD ALBERTS, Reuchlins Drucker, Thomas Anshelm. Mit besonderer Berücksichtigung seiner Pforzheimer Presse, in: Johannes Reuchlin 1455-1522. Festgabe zur 400. Wiederkehr seines Geburtstages, hg. von MANFRED KREBS, Pforzheim 1955, S. 205-265, hier S. 238 Nr. 7a. - Reprod.: KARL SCHOTTENLOHER, Flugblatt und Zeitung. Ein Wegweiser durch das gedruckte Tagesschrifttum, Leipzig 1922, Abb. 17.

In EINBL. auf um 1500 angesetzt, wird das Blatt bei ALBERTS unter 1501 eingeordnet. Als Begründung fuhrt sie die stilistische Nähe des Holzschnitts zu den Holzschnitten des im Jahr 1500 von Anshelm gedruckten Widmannschen >Rechenbuchs< (ALBERTS 4) an. Der Reißer, der diese und andere Anshelmsche Holzschnitte entworfen hat und den ALBERTS als Meister der Pforzheimer Offizin bezeichnet, war nun aber mindestens bis 1507 für Anshelm tätig (ALBERTS, S. 233), so daß die Gregorsmesse durchaus auch später entstanden sein kann, zumal »der Schnitt dieses Blattes schlechter als bei den sonstigen Anshelmschen Holzschnitten ist« (ebd. S. 229). Die für den Text verwendete Type 2 hatte Anshelm von 1500-1509 in Gebrauch, weswegen ich das Blatt etwas später ansetze, als es ALBERTS tut. 40

Gebetlein. Fünf Gebetlein zu Unserer Lieben Frau mit Versikel und Kollekte. Holzschnitt (Maria mit Kind im Strahlenkranz). [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1512] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. V I I , 8. - EINBL. 651; BSBInk (F-276). Nicht bei SAAM.

Das Blatt ist nicht mit Johann Schönspergers Type 9 gedruckt, wie EINBL. angibt, sondern laut BSB-Ink mit Kunnes Type 6 und nach 1500 entstanden. Vom Zustand der Type her läßt sich die Entstehungszeit des Blattes auf 1508/1512 eingrenzen. Der Holzschnitt begegnet in besserem Zustand unter anderem auf der >Confessio sancti Augustini< (siehe Abb. 1) und oben Nr. 24.

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Gesätze. Fünf andechtiger Gesätze, neu gedichtet, mit eingeführter Ermahnung, das Leiden Christi zu betrachten (Lied). - Holzschnitt (Kreuzabnahme). [München: Johann Schobser, 1506/12] — Exempl.: Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz, Inc. 1625, 5. — EINBL. 665; GW 10878; WEIL 14; SCHOTTENLOHER 10; BREDNICH 34; GELDNER 1982, S. 203b.

Entstanden weder um 1500 (EiNBL.) noch um 1501 (SCHOTTENLOHER), sondern nicht vor 1506, denn in diesem Jahr ist der Text des Liedes einem anderen Einblattdruck zufolge überhaupt erst entstanden (BREDNICH, Nr. 35, vgl. PROCTOR 10698). Ausdrücklich heißt es dort: Gesetzt vndgedieht zu Haydelberg 1506. Verwendung der kurzen Virgel in Schobsers Type 3 schließt Entstehung nach 1512 aus. 42

Greisenklage. O junger Mensch, sieh mich an (Gedicht). - Zwei Holzschnitte (Pilger mit Rosenkranz; von Würmern zerfressener Leichnam); Zierinitiale. [Augsburg: Johann Sittich, 1508/1512] - Exempl.: Eichstätt, Universitätsbibliothek, vorn in B XI 381 (Straßburger Druck von 1514). - EINBL. 1047; SCHRAMM VI, S. 19. - Reprod.: HEITZ 20,9; SCHRAMM VI, Abb. 682.

Laut EINBL. um 1496 von Konrad Dinckmut in Ulm gedruckt. Es ist jedoch nicht dessen Type 5 verwendet, sondern, wie an der Virgel zweifelsfrei erkennbar ist, die Type l des Johann Sittich in Augsburg (1508-1518). Sie stimmt zwar mit der Dinckmutschen weitgehend überein, ist aber nicht mit ihr identisch. Sittich verwendete sie von 1508-1511/12. - Zum Text vgl. HORST DIETER SCHLOSSER, Art. >GreisenklageLiber vagatorum< nicht vor 1510 zu denken. Der Drucker war vermutlich Jobst Gutknecht (so BSB-Ink), jedoch ist auch sein Werkstattvorgänger Wolfgang Huber (bis 1514) nicht ganz auszuschließen. 44

Hofheimer, Paul: Zucht, Ehr und Lob ihr wohnet bei (Lied). - Zwei Holzschnitte (Frau und Mann). [Augsburg: Matthäus Elchinger, 1523/1530?] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I, 7. - EINBL. 1572; WELLER 89; SCHRAMM VI, S. 19; BREDNICH 515; BSB-Ink (H-309). - Reprod.: SCHRAMM VI, Abb. 681.

In EINBL. Konrad Dinckmut in Ulm zugewiesen und auf um 1495 datiert, im BSB-Ink hingegen richtig nach Augsburg und vermutungsweise ins 16. Jahrhundert versetzt. Wie die Holzschnitte und die Type erkennen lassen, ist es ein Druck des Matthäus Elchinger, der in Augsburg von 1522 bis um 1540 tätig war. Hinsichtlich der Datierung läßt sich feststellen, daß das Blatt wegen des Zustands der Type nicht vor 1523 und, da Elchinger sich zu Beginn der dreißiger Jahre eine andere Texttype zulegte, nicht nach 1530 entstanden ist. Es dürfte in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre fallen. 45

Ich sing euch hier aus freiem Mut; Ich sing euch hier ein neues Gedicht (zwei Lieder). - Zwei Holzschnitte (Geburt Christi; hl. Anna Selbdritt). [Nürnberg: Drucker des Bannholtzer-Blattes, um 1500] — Exempl.: Frankfurt a.M., Stadt- und Universitätsbibliothek, Ausst. 96; München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 40. - EINBL. 710; SCHRAMM XVIII, S. 22; OHLY/SACK 1599; VAN DER VEKENE 44; BREDNICH 59; BSB-Ink 1-131. - Reprod.: SCHRAMM XVIII, Abb. 715; HEITZ 33,11; BREDNICH, Abb. 17.

Nicht von Kaspar Hochfeder »nach 1500?« (EINBL.) oder »um 1497« (VAN DER VEKENE); vgl. SCHANZE 1996, S. 137. 46*

Ich sing euch hier aus freiem Mut; Ich sing euch hier ein neues Gedicht (zwei Lieder). — Holzschnitt (Verkündigung an Maria). [Nürnberg: Ambrosius Huber, 1497/1503] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I I I , 41. — WELLER 82; VAN DER VEKENE 53; BREDNICH 60; BSB-Ink 1-132. - Reprod.: SCHRAMM XVIII, Abb. 715; HEITZ 33,11; BREDNICH, Abb. 17.

Weder von Kaspar Hochfeder noch »nicht nach 1498(?)« (VAN DER VEKENE und BSB-Ink); vgl. SCHANZE 1996, S. 138. 47

Ich stund an einem Morgen, weltlich (Lied). - Zierinitiale. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1510]

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— Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I, 2 (mit Tegernseer Besitzvermerk). - EINBL. 711; BREDNICH 458; SAAM 114; BSB-Ink 1-133. - Reprod.: BREDNICH, Abb. 72; ECKER, Abb. 38.

Gegen die Datierung auf um 1500 in EINBL. und bei SAAM faßt der BSB-Ink vermutungsweise spätere Entstehung ins Auge (»nach 1500?«), wohl wegen der Auszeichnungstype (Kunnes Type 7), die um 1500 noch nicht bezeugt ist; ihre Verwendung läßt sich auf 1504/1510 eingrenzen. Die Texttype (Kunnes Type 6) zeigt hier einen Zustand, wie er ab 1508 feststellbar ist. 48

Indulgentiae et privilegia ordinis S. Antonii. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1504/1510] - Exempl.: London, British Library, C. 38. k. 4; Memmingen, Stadtbibliothek (zwei Exemplare, eines davon Probesatz); München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VI, 17'"; Philadelphia, University Library (2 Exemplare auf einem Blatt). — EINBL. 716 und 717; STC, S. 36; GOFF 1-69; CURT F. BÜHLER, A Memmingen Indulgence of the Early Sixteenth Century, in: Gutenberg-Jahrbuch 1964, S. 135-137; SAAM 151. - Reprod.: BÜHLER, S. 136.

Die vorgeschlagenen Datierungen schwanken zwischen um 1500 (EiNBL.) und um 1515 (STC), doch ist beides bloße Vermutung. Ausschlaggebend für den obigen Ansatz ist die Verwendungszeit der Auszeichnungstype (Kunnes Type 7), die, wie oben dargelegt, nur von 1504 bis 1509/10 sicher belegt ist. Sie ist hier mit einer Texttype verbunden (Type 8), die sonst nicht belegt ist. SAAM, S. 164, nennt als Verwendungszeit die Jahre 1501-1515, gibt aber außer dem vorliegenden Blatt keinen einzigen Beleg. 49

Indulgentiae et privilegia ordinis S. Antonii. - Zierinitiale. [München: Johann Schobser, nach 1505? (1500/1512)] - Exempl.: Regensburg, Staatliche Bibliothek, hinterer Spiegel in 2° Inc. 224. - EINBL. 718; WEIL 22; SCHOTTENLOHER 8; SABINE GRIESE, Falsche Gulden, gefälschte Ablässe, unerwünschte Bischöfe. Einblattdrucke als publizistische Gattung im Spätmittelalter, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 137, 1998, S. 49-67, hier S. 56-60. - Reprod.: GRIESE, Abb. 3. Datierung in EINBL. auf um 1500, bei SCHOTTENLOHER auf um 1501, beides willkürlich. Nach den Typen (Schobsers Typen 3 und 4) kommt der Zeitraum von 1500 bis 1512 in Frage. Im Hinblick auf den oben verzeichneten KunneDruck desselben Textes wird man kaum mit Entstehung vor 1505 rechnen können, denn bei der Memminger Ausgabe handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Erstdruck, geht es doch in dieser Publikation um Ablässe zugunsten des Antonius-Spitals in Memmingen.

50*

Klinger, Hans: Ursely, holder Buhle mein, geistlich (Lied) - Holzschnitt (Verkündigung an Maria). [Basel: Lienhart] Ysenhut [1498/1502?]

Inkunabeln oder Postiiikuiiabeln?

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- Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 47 (mit Tegernseer Besitzvermerk von 1508, ursprünglich wohl in einen Basler Druck von 1506 eingeklebt). BREDNICH 50; FRANK HIERONYMUS, Oberrheinische Buchillustration 2: Basler Buchillustration 1500-1545 (Publikationen der Universitätsbibliothek Basel 5) Basel 1984, Nr. l Ob; BSB-Ink K-35.

- Reprod.: BREDNICH, Abb. 15. Der BSB-Ink datiert auf 1498/1500, ohne zu berücksichtigen, daß Ysenhut die Jahrhundertwende überlebte (er starb allerdings nicht 1507, wie in BMC III, S. 779, zu lesen ist, sondern laut Mitteilung des Staatsarchivs Basel wahrscheinlich schon 1502). Freilich könnten Ysenhuts Witwe (bezeugt 1502) oder sein Sohn (bezeugt 1505), die Druckerei noch kurze Zeit weitergeführt haben. Entstehung des Blattes nicht vor 1498 ist anzunehmen wegen des Zustands der Texttype (Type 4), die hier wie auf Ysenhuts Almanach für 1499 (EiNBL. 1545, Reproduktion SCHRAMM XXII, Abb. 335) lange Virgel aufweist, während diese auf dem Almanach für 1496 (EiNBL. 1540, Reproduktion SCHRAMM XXII, Abb. 331) noch kurz ist. Trotz der unübersehbaren Firmierung Isenhüt hat Josef Benzing laut HIERONYMUS das Blatt Michael Furter zuweisen wollen. Furters Type 10 (VGT 1029) und Ysenhuts Type 4 sind zwar nahezu identisch, aber Ysenhut hat, wie auf vorliegendem Blatt, häufig defektes D. Mit Furter gänzlich unvereinbar ist die Auszeichnungstype (Ysenhuts Type 2, VGT 1018), wie das U erkennen läßt; die entsprechende Type Furters sieht ganz anders aus (VGT 1022). 51

Länge und Maß der Wunden Christi. [Schwaben?, nach 1500?] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VII, 3. - EINBL. 836; BSBInk (L-15).

In EINBL. Ambrosius Huber zugeschrieben, was unter Hinweis auf das doppelte Divis vom BSB-Ink abgelehnt wird, der seinerseits nur angibt »Nürnberg?, nach 1500«. Mir scheint auch Nürnberg sehr fraglich: durchweg ai für mhd. ci weist eher ins Schwäbische. Auffällig ist auch das Nebeneinander zweier verschiedener C- und -Formen. Das Fehlen weiterer signifikanter Merkmale erschwert die Druckerbestimmung. - Es ist anzunehmen, daß das Blatt ursprünglich mit einem Holzschnitt versehen war. 52*

Landsknecht und Tod (Der Tod und der Junker). - Zwei Holzschnitte (Jüngling mit Hellebarde und Tod mit Stundenglas). [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1514/1520) - Exempl.: Wien, Osterreichische Nationalbibliothek (defekt). - FRANZ MARTIN HABERDITZL (Hg.), Die Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts in der Kupferstichsammlung der k. u. k. Hofbibliothek zu Wien. Bd. I, Wien 1920, Nr. 171; SC:HRKIBI;K 1897. - Reprod.: HABERDITZL, Taf. CXI.

Nach SCHREIBER »nicht lange vor 1500«, nach HABERDITZL »gegen 1500«, bei beiden ohne Angabe zum Drucker. Die Type ist Kunnes Type 6 mit fettem

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Rubrikzeichen, also ab 1514 (dritte Phase). - Die beiden Holzschnitte sind wohl nicht gleichzeitig entstanden, denn der Landsknecht wirkt älter (um 1500?); der qualitativ geringere Tod wurde vermutlich erst für diesen Druck angefertigt. Zum Motiv Landsknecht und Tod vgl. z.B. GEISBERG 710 (von Albrecht Dürer mit Datum 1510) und 1573 (mit Datum 1504). Wie Ruth Lintemeier (Hannover) festgestellt hat, handelt es sich bei dem Text um die Übersetzung des Kunne-Druckes >Cogitationes mortisSummaThurcorum terror et potentia< (vgl. THOMAS WILHELMI [Hg.], Sebastian Brant. Kleine Texte, 3 Bde [Arbeiten und Editionen zur Mittleren Deutschen Literatur N. F. 3] Stuttgart - Bad Cannstatt 1998, hier Bd. 1.2, S. 411-416 Nr. 244), das laut Untertitel auf ein Gedicht des Leonhard Clemens gegen die Türken Bezug nimmt (Ad cuiusdam Leonhardi dementis in Thurcutn invectivam). Bei dieser >Invectiva< kann es sich nach Lage der Dinge nur um den vorliegenden Text gehandelt haben, und wir dürfen unbedenklich annehmen, daß er Brant in Gestalt des vorliegenden Druckes bekannt geworden ist. Da Brants Reaktion wohl bald nach der Veröffentlichung des Blattes erfolgte, wird es im Juli oder August 1498 auf den Markt gekommen sein. - Zum Verfasser vgl. WALTHER LUDWIG, Eine unbekannte Variante der >Varia carmina< Sebastian Brants und die Prophezeiungen des PS.-Methodius. Ein Beitrag zur Türkenkriegspropaganda um 1500, in: Daphnis 26, 1997, S. 263-299, hier S. 264f. (ohne Kenntnis des Druckes und mit der Vermutung, die >Invectiva< sei Brant handschriftlich zugekommen). Eine weitere Ausgabe des Textes wurde, ebenfalls als Einblattdruck, von Johann Grüninger herausgebracht (vgl. die Reproduktion in HEITZ 92,17, mit Datierung auf 1505/10). Dieser Nachdruck muß zwischen 1500 und 1506 entstanden sein, denn die Überschrift ist mit Grüningers Type 17 gesetzt, die hier noch nicht das seit 1507 verwendete geschwänzte h aufweist (siehe oben Nr. 12), und für den Text ist Type 25 verwendet, die erstmals im Jahr 1500 zum Einsatz kam (BMC I, S. 102). 57

Leonhard von Keutschach, Erzbischof von Salzburg: Ablaßbrief. - Drei Zierinitialen. [München: Johann Schobser, 1500/1506] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VI, 5l" 1 ; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kupferstichkabinett, H. B. 24655a.b, Kaps. 1246 (2 Exemplare); Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter; St. Paul, Stiftsbibliothek (2 Exemplare). EINBL. 850; WEIL 18; SCHOTTENLOHER 7; HELLWIG 602 und 603; PETER HANS PASCHER, Die Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Stift St. Paul und in den anderen Kärntner Bibliotheken (Armarium 7) Klagenfurt 1981, Nr. 25 und 26; BSB-Ink (L-126).

- Reprod.: SCHOTTENLOHER, Taf. 2; PASCHER, S. 72. Laut EINBL. um 1500, nach SCHOTTENLOHER und BSB-Ink um 1501, beides willkürlich. Die Typen (Schobsers Typen 3 und 6) erlauben eine Festlegung auf den oben genannten Zeitraum, da Schobser die Auszeichnungs-Rotunda (Type 6) anscheinend nach 1506 nicht mehr verwendet hat. 58

Lesen. Ein hübsches Lesen von St. Michael (Himmelsbrief). - Holzschnitt (St. Michael als Seelenwäger).

Inkunabeln oder Postinkunabcln?

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[Basel: Lienhart Ysenhut, 1498/1502?] - Exempl.: St. Gallen, Stiftsbibliothek. - EINBL. 851; SCHRAMM XXII, S. 42 und Abb. 327 (nur Holzschnitt). - Reprod.: 93,16.

Die Datierung auf um 1496 in EINBL. ist zu früh, denn die Texttype (Ysenhuts Type 4) entspricht mit doppeltem statt dem zuvor verwendeten einfachen Divis einem Zustand, der erst für 1498 dokumentiert ist (vgl. EINBL. 1545, Reproduktion PAUL HEITZ [Hg.], Hundert Kalender-Inkunabeln. Mit begleitendem Text von KONRAD HAEBLER, Straßburg 1905, Taf. 98a). Für diesen Zustand ist auch die Kombination mit der Auszeichnungs-Textura (Type 2) charakteristisch. 1502 ist das vermutliche Todesjahr Ysenhuts (siehe oben Nr. 50). 59

Lied im weltlichen Rosenkran/ton (Fürsich dich auf den Jüngsten Tag). Holzschnitt (Christus beim Jüngsten Gericht) [München: Johann Schobser, 1500/1512 (um 1510?)] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 34 (mit Tegernseer Besitzvermerk, wie Nr. 63 aus einem Basler Druck von 1512). - SCHREIBER, Manuel 4074; EINBL. 639; WEIL 25; SCHOTTENLOHER 26; BREDNICH 29; BSB-Ink (F-277).

In EINBL. auf um 1500 datiert, bei SCHOTTENLOHER und im BSB-Ink auf um 1507. Beide Angaben sind willkürlich, da nach den Typen (Schobser 3 und 4) die Zeit von 1500 bis 1512 in Frage kommt. Wegen des erst 1512 gedruckten Tegernseer Trägerbandes wird man die Entstehungszeit eher um 1510 als früher vermuten dürfen. 60

Lied in dem Ton Aus hartem Weh klagt sich ein Held. [München: Johann Schobser, 1500/1512 (um 1510?)] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I I I , 37 (mit Tegernseer Besitzvermerk von 1515). - EINBL. 386; WEIL 24; SCHOTTENLOHER 5; GW 3079; BREDNICH 16; BSB-Ink (A-949). - Reprod.: BREDNICH, Abb. 6.

In EINBL. auf um 1500, von SCHOTTENLOHER und danach im BSB-Ink ohne Angabe von Gründen auf 1501 datiert; der GW vermutet »nach 1500?«. Verwendet sind Schobsers Typen 3 (mit kurzer Virgel) und 4, was zu obiger Datierung veranlaßt, wobei man wegen des späten Tegernseer Datums 1515 (im BSBInk nicht berücksichtigt) Entstehung um 1510 annehmen darf. 61

Lied. Geistliches Lied in dem Ton Es warb ein Knab nach ritterlichen Dingen (Pseudo-Heinrich von Laufenberg: Was Freud ist hier in diesem Jammertale). [München: Johann Schobser, 1500/1512] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 29C. - EINBL. 679; WEIL 17; SCHOTTENLOHER 11; BREDNICH 41; BSB-Ink L-62.

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Laut EINBL. um 1500, nach SCHOTTENLOHER um 1502 und dem BSB-Ink zufolge um 1501 entstanden. Alle diese Datierungen sind willkürlich, die Type (Schobsers Type 3, mit kurzer Virgel) erlaubt lediglich die obige Ansetzung. Die Zuschreibung des Liedes an Heinrich Laufenberg, die sich zuerst in EINBL. findet und von allen Katalogen bis hin zum BSB-Ink übernommen wurde, ist falsch. Der Irrtum beruht vermutlich darauf, daß WACKERNAGELS Edition des Textes (WILHELM WACKERNAGEL, Das deutsche Kirchenlied, Bd. II, Leipzig 1867, Nr. 719) unter dem Kolumnentitel >Heinrich von Loufenberg< steht. WACKERNAGEL bemerkt aber in der Notiz zum vorhergehenden Lied ausdrücklich: »Ich laße noch ein Lied folgen, welchem das von Heinrich von Loufenberg [d.i. Nr. 717] oder der vorstehende Text des alten Druckes [d.i. Nr. 718] zu Grunde liegt« (S. 543). Damit war unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er Laufenberg gerade nicht für den Verfasser der Kontrafaktur Nr. 719 hielt. Zu den genannten Liedern vgl. FRIEDER SCHANZE, >Der wachter an der zinnenMannslob< gehört zweifelsfrei nach Würzburg, denn es ist mit den Typen l (Text) und 4 (Überschrift) Georg Reysers gedruckt. Daraus folgt auch die Datierung, denn 1503, spätestens 1504 endete Reysers Tätigkeit (BENZING, S. 513). Freilich könnten seine Typen danach weiterverwendet worden sein, doch dafür gibt es, soweit ich sehe, bisher keinen Beleg, auch nicht für die von BENZING (ebd.) geäußerte Vermutung, der Würzburger Drucker Martin Schubart habe Reysers Typenapparat erworben. Nur Reysersche Papierreste scheint er in die Hand bekommen zu haben.

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Maria als Beschützerin der Mitglieder des Dominikanerordens. - Holzschnitt (Schutzmantelmadonna im Rosenkranz, gekrönt von der Hl. Dreifaltigkeit, in den Ecken vier Heilige). [Leipzig: Martin Landsberg, um 1515? (nicht vor 1510)] - Exempl.: Bamberg, Staatsbibliothek, VI, Aa. 20. - EINBL. 1178; SCHREIBER 1012; SCHRAMM XIII, S. 3; Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Ausstellung zum 500. Geburtstag Martin Luthers (Kataloge des Germanischen Nationalmuseums) Frankfurt a.M. 1983, S. 347 Nr. 462 (mit Abb. und weiterer Literatur); THOMAS LENTES, Die Gewänder der Heiligen. Ein Diskussionsbeitrag zum Verhältnis von Gebet, Bild und Imagination, in: GOTTFRIED KERSCHER (Hg.), Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, Berlin 1993," S."l 20- 151, hier S. 135141. - Reprod.: HEITZ 2,7; SCHRAMM XIII, Abb. 132.

Die Zuschreibung an Martin Landsberg in Leipzig (EINBL., mit Vorbehalt) ist zutreffend, entstanden ist das Blatt jedoch nicht um 1500, sondern erst nach 1510. Die hier verwendete Type l bleibt Landsbergs Texttype bis zum Ende seiner Tätigkeit 1523. Ab 1509 benutzte Landsberg aber ein etwas längeres Divis als zuvor (PROCTOR II, S. 122), und gegen 1510 tritt auch vorherrschend eine etwas engere Virgel in Erscheinung (Wortabstand nur 2 mm statt vorher 3 mm). Beide Merkmale weist das Dominikaner-Blatt auf. Mit der späteren Datierung ist nicht zuletzt der Holzschnitt besser zu vereinbaren, dessen Stil (besonders die runden Gesichter) z. B. an den Titelholzschnitt der Landsbergschen Ausgabe der >Theologie deutsch< von 1518 QOSEF BENZING, Lutherbibliographie, BadenBaden 1966, Nr. 161) erinnert. Warum das Blatt als »Pestblatt« (£INBL., HEITZ) bezeichnet wurde, ist mir unerfindlich, denn weder dem Text noch dem Bild ist ein entsprechendes Indiz zu entnehmen. 71

Maria zart, von edler Art (Lied). - Holzschnitt (Maria mit Kind im umfriedeten Garten). [Augsburg: Johann Froschauer, 1500/1502?] - Exempl.: London, British Library, 1C. 15643; München, Bayerische Staatsbibliothek, Embl. I I I , 32. - WELLER, Suppl. II, 409; COPINCER 3880; PROCTOR 3279; SCHREIBER, Manuel 4590; BMC III, S. 711; EINBL. 904; SCHRAMM XVI, S. 18 und Abb. 927 (nur Holzschnitt); STC, S. 597; BREDNICH 36; BSB-Ink M-172. - Reprod.: ECKER, Abb. 31.

PROCTOR hatte das Blatt in seinem >Index< unter den unbestimmten Drucken aufgeführt, aber auf die Ähnlichkeit der Type mit Kunnes Type 6 hingewiesen. Bei SCHREIBER erschien es daraufhin mit der Angabe »Memmingen?, c. 1495«, und bei SCHRAMM figuriert es dann ohne Vorbehalt unter den Kunne-Drucken. Dabei hatte schon EINBL. auf eine Druckernennung verzichtet, und auch der BMC hatte den Druck zu denen »in types not assignable to any town« gestellt. Die Type ist aber eindeutig Froschauers Type 3 (so jetzt auch der BSB-Ink). Da Froschauer diese ab 1503 gern in Verbindung mit seiner neuen Auszeichnungs-

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type (Type 6) verwendete, könnte deren Fehlen als Indiz für Entstehung vor 1503 gelten; zwingend ist das allerdings nicht. Der BSB-Ink datiert auf ca. 1495 — 98, vermutlich mit Rücksicht auf die Angaben des BMC zu Froschauers Type 3, die aber, was die Eingrenzung nach unten betrifft, nicht stichhaltig sind (siehe oben Nr. 3). In Wirklichkeit muß man mit einem etwas späteren Zeitpunkt rechnen, denn das Lied >Maria zart< ist einer zeitgenössischen Notiz zufolge erst im Jahr 1500 entstanden (vgl. BURGHART WACHINGER, Art. >Maria zartConfessio sancti Augustini< (siehe Abb. 1) und SAAM 106 (siehe unten Nr. 82), beide Male in etwas besserem Zustand. Von den hier zusammengestellten Texten hatte Kunne den zweiten (Hör mensch, ich will dir kr geben) bereits früher gedruckt (es ist das dritte Stück in SAAM 131). Der dritte Text ist eine Übersetzung der >Tres veritates GersonisConfessio sancti Augustini< beigegeben hat (siehe Abb. 1). 73

Maximilian L, Römischer König: Ausschreiben gegen den Mißbrauch des Namens Gottes. Worms, 7. Aug. 1495. - Zierinitiale. [Oppenheim: Jakob Köbel, nach 1. Febr. 1497] - Exempl.: München, Hauptstaatsarchiv, Bayerisches Geheimes Staatsarchiv, Niederbayerische Akten, Kasten Blau Nr. 270; Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv; u.a. - EINBL. 921; KARL SUDHOFF, Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur aus den Jahren 1495 und 1496 (Alte Meister der Medizin und Naturkunde 4) München 1912, S. l -7; DERS., Aus der Frühgeschichte der Syphilis (Studien zur Geschichte der Medizin 9) Leipzig 1912, S. 1-12; HANS HAUSTEIN, Die Frühgeschichte der Syphilis. Historisch-kritische Untersuchung auf Grund von Archivalien und Staatsdokumenten, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 161, 1930, S. 255-388, hier besonders S. 292, 361-366; WOLFGANG SCHMITZ, Die Kölner Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 35) Köln 1979, Nr. 49.

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- Reprod.: SUDHOFF (Erstlinge), Taf. 1; SUDHOFF (Frühgeschichte), Taf. 1; HAUSTEIN, S. 363; SCHMITZ, Abb. 49.

Haustein hat nachgewiesen, daß das auf den Wormser Reichstag 1495 datierte >Gotteslästerermandat< tatsächlich erst auf dem Lindauer Reichstag 1497 abgefaßt und publiziert wurde. Der Text ist in zwei Ausgaben überliefert, die bisher ausnahmslos dem Kölner Drucker Hermann Bungart zugeschrieben wurden. Die Bestimmung trifft jedoch in Wirklichkeit nur auf die zweite, fragmentarisch erhaltene Ausgabe zu (£INBL. 922 = SCHMITZ 50 mit Abb.), denn diese ist ohne jeden Zweifel mit Bungarts Type 5 gedruckt (VGT 292). Die Texttype der anderen Ausgabe jedoch, obwohl auf den ersten Blick identisch, weist bei genauer Betrachtung eine deutliche Abweichung auf, nämlich eine ganz andere, auch als Divis dienende Virgel, über die Bungart nicht verfugte. Sie findet sich so nur bei zwei anderen Druckern des 15. Jahrhunderts, nämlich bei dem Straßburger Matthias HüpfufF (Type 5, VGT 1294) und bei Jakob Köbel in Oppenheim. Hüpfuff, der 1497 noch in Kirchheim tätig war, scheidet deswegen aus, weil er als Auszeichnungsschrift nur eine Textura besaß (Type l, VGT 1291, vgl. für Kirchheim BURGER/VOULLIEME, Taf. 96), nicht jedoch die für die Anfangsworte des >Ausschreibens< verwendete Rotunda. Das Ausschreiben muß von Jakob Köbel stammen, denn für ihn sind beide Typen durch einen Oppenheimer Druck von 1499 bezeugt.62 74

Maximilian I., Römischer König: Achterklärung gegen Kunz Schott. Mainz, 15. Apr. 1499. [Nürnberg: Georg Stuchs, vor 3. Mai 1499] - Exempl.: Frankfurt a. M., Stadtarchiv (mit Begleitschreiben vom 3. Mai), RS I, 2357/2 (alt: 7086 Nr. 2); Straßburg, Bibliotheque nationale et universitaire, K 17 a. - EINBL. 980; OHLY/SACK 1935; VAN DER VF.KENE 56; ZF.HNACKF.R 1538.

Früher durchweg Kaspar Hochfeder zugeschrieben; anders SCHANZE 1996, S. 134. 75*

Maximilian L, Römischer König: Achterklärung gegen Hans von Reitzenstein und seine Helfer. Nürnberg, 15. Nov. 1500. [Nürnberg: Georg Stuchs, nach 15. Nov. 1500] - Exempl.: Dresden, Staatsarchiv, Geheimes Archiv Loc. 8919, 131. 2. - MANFRED KoBUCH, Verzeichnis der Wiegendrucke aus dem Staatsarchiv Dresden, in: Beiträge zur Inkunabelkunde 3. F. 8, 1983, S. 44-49, hier S. 48 Nr. 19. - Reprod.: KOBUCH, Abb. 12.

KOBUCH nennt als Drucker Ambrosius Huber und identifiziert die Type als dessen Type l, eine Schwabacher mit M81 (VGT 1540). Hier liegt jedoch eine r>2

MAX JOSEPH HUSUNG, Oppenheim ein Inkunabeldruckort, in: Gutenberg-Jahrbuch 1935, S. 127-133, mit Abbildung. - Eine genauere Begründung gebe ich an anderer Stelle: Der Erstdruck des >Gotteslästerermandats< König Maximilians von 1497. Zum Beginn der Drukkertätigkeit Jakob Köbels in Oppenheim, in: Gutenberg-Jahrbuch 1999, S. 123-130.

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Rotunda mit M88 vor. Eine solche besaß zwar auch Ambrosius Huber (bei PROCTOR II, S. 98, als Type 2 gezählt), aber sie entspricht nicht der des vorliegenden Blattes. Den auffälligsten Unterschied bildet die Virgel, die bei Huber flacher und kürzer ist. Die Type der Achterklärung stimmt vielmehr mit der Type 12 von Georg Stuchs überein (VGT 1220). 76

Maximilian L, Römischer König: Achterklärung gegen Gabriel von Streitberg u.a. Nürnberg, 3. Dez. 1500. - Zierinitiale. [Nürnberg: Hieronymus Höltzel, nach 3. Dez. 1500] - Exempl.: München, Hauptstaatsarchiv, Fürstensachen 261.1/2, fol. 34. - EINBL. 993.

Wie Nr. 78 gegen EINBL. nicht von Ambrosius Huber gedruckt, sondern ebenfalls von Höltzel, und zwar mit denselben Typen und derselben Initiale. 77*

Maximilian L, Römischer König: Ausschreiben zugunsten des Grafen Johann von Nassau betr. die für ihn sowie seine Erben und Untertanen zuständige Gerichtsinstanz. Speyer, 8. Juni 1494. - Zierinitiale. [Köln: Heinrich Quentell, nach 8. Juni 1494] - Exempl.: Wiesbaden, Hauptstaatsarchiv, Abt. 170, Nr. 2228 (7 Exemplare) und Abt. 171, Nr. A 254. - Der Hinweis auf den bisher unbekannten Druck ist Falk Eisermann zu verdanken.

Die Bestimmung dieses Blattes ist mit einer Schwierigkeit verbunden. Zwar handelt es sich bei der für die erste Textzeile benutzten Auszeichnungstype, einer großen Textura, ohne Zweifel um die laut BMC (I, S. 270) seit 1494 verwendete Quentell-Type 9 (VGT 336), denn sie ist mit einer Zierinitiale aus der Quentellschen Initialserie b (VGT 411) verbunden. Aber die Texttype, eine Oberrheinbastarda ähnlich Hermann Bungarts Type 5 (VGT 292), jedoch mit doppeltem Divis, ist für Heinrich Quentell bisher nicht nachgewiesen, sie begegnet erst ab 1509/10 bei seinen Erben als deren Type 15 (PROCTOR 10432). Muß das Blatt demnach ins 16. Jahrhunderts gesetzt und Quentells Erben zugeschrieben werden? Oder dürfen wir es trotz dieses Befundes in die Entstehungszeit des Erlasses setzen und auf 1494 datieren? Da die Drucklegung amtlicher Schriften, ihrem Zweck entsprechend, gewöhnlich in geringem zeitlichen Abstand zu ihrer Ausstellung erfolgte, scheint die zweite Lösung plausibler zu sein, wenn sie auch nicht zwingend ist, denn es gibt Ausnahmen von der genannten Regel (vgl. z.B. oben Nr. 7, außerdem bei SCHMITZ [wie Nr. 73] die Nummern 14 und 15). Freilich müssen wir dabei voraussetzen, daß die Quentell-Type 15, die erst für Heinrich Quentells Erben bezeugt ist, bereits ihm selbst, und zwar schon 1494, zur Verfügung stand. Die Hypothese läßt sich aber mit der folgenden Beobachtung stützen: Unter den mehr als 100 Drucken, die bei PROCTOR für Quentells Erben von 1501 bis 1519 nachgewiesen sind, befinden sich lediglich drei deutschsprachige (PROCTOR 10432, 10441, 10444), darunter ein Einblattdruck, und nur in ihnen kommt die Type 15 vor. Sie scheint also einzig und allein für deutsche Texte benutzt worden zu sein, und wenn das von den

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Erben Heinrich Quentells so gehandhabt wurde, dann könnte auch er selbst schon auf diese Weise verfahren sein. Das Fehlen einer spezifisch deutschen Type in seinen bisher bekannten Drucken wäre dann nicht weiter verwunderlich, denn bei diesen handelt es sich nahezu ausnahmslos um lateinische Texte. Ich halte also für wahrscheinlich, daß sich die Quentell-Type 15 bereits 1494 im Besitz von Heinrich Quentell befand und daß er es war, der das vorliegende Blatt herstellte. 78

Maximilian L, Römischer König: Erneuerung der Verordnung über die Behandlung der Weine vom 24. Aug. 1498. Nürnberg, 10. Nov. 1500. - Ziermitiale. [Nürnberg: Hieronymus Höltzel, nach 10. Nov. 1500] - Exempl.: Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Einblattdrucke bis 1500, Nr. 107. EINBL. 992; GEDEON BORSA, Neues über einige Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts in Wiener Sammlungen, in: Beiträge zur Inkunabelkunde 3. F. 3, 1967, S. 161-164, Nr. 10.

Nicht von Ambrosius Huber gedruckt, wie EINBL. angibt und BORSA übernimmt, sondern mit den Typen 2 (Auszeichnungen) und 4 (Text) Höltzels. Für diesen zeugen neben der Zierinitiale die durchgehend steile Virgel der Texttype und eine Variante des üblichen Schwabacher-S, die sonst nirgends vorkommt. 79

Missa pro animabus exulibus. - Holzschnitt (drei Personen im Fegfeuer, darüber schwebend ein Engel). [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1500 (nicht nach 1505)] — Exempl.: Biberach, Brandenburgische Kaplaneistiftung (in einem handschriftl. Meßbuch von ca. 1505); Memmingen, Stadtbibliothek; München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VII, 11'" (ausgelöst aus einem 1506 in Venedig gedruckten Missale). - EINBL. 1004; SAAM 117; HERIBERI HUMMEL/THOMAS WILHELMI, Katalog der Inkunabeln in Bibliotheken der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Inkunabeln in Baden-Württemberg. Bestandskataloge 1) Wiesbaden 1993, Nr. 437, mit Teilabb. auf Taf. IV; BSB-Ink O-32.

Kunnes Type 6 weist hier im Unterschied zur folgenden Nummer noch überwiegend einfaches Divis auf; außerdem ist ein E aus Type 5 beigemischt. Beides zeugt dafür, daß der Druck jedenfalls nicht nach 1505 entstanden ist. Genaueres läßt sich nicht sagen. 80

Missa pro animabus exulibus. — Holzschnitt (drei Personen im Fegfeuer, darüber schwebend ein Engel). [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1512] — Exempl.: Schweinfurt, Bibliothek Otto Schäfer (aus der Kartause Buxheim, Vorbesitzer Th. Mabbott); Washington, National Gallery of Art, Rosenwald-Collection. SCHREIBER, Manuel 3318; EINBL. 1005; SCHREIBER 1834h; GOFF M-630; MANFRED VON ARNIM, Katalog der Bibliothek Otto Schäfer Schvveinfurt, Teil I: Drucke, Manuskripte und Einbände des 15. Jahrhunderts, 2 Bde, Stuttgart 1984, Nr. 239; SAAM 118.

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- Reprod.: HEITZ 78,21 (Exemplar Mabbott/Schäfer); Fifteenth Century Woodcuts and Metalcuts from the National Gallery of Art, Washington D. C., Catalogue prepared by RICHARD S. FIELD, Washington 1965, Nr. 265 (Exemplar Rosenwald).

Diese Ausgabe wird wie die vorige durchweg auf um 1500 datiert, sie ist aber zweifellos jünger. Anders als oben erscheint Kunnes Type 6 hier in einem späteren Zustand (zweite Phase). - Die beiden Exemplare sind am Schluß geringfügig variant (wohl nicht durch Neusatz, sondern Korrektur). 63 81

Die Narrenkappe verkehrt (Lied). [München: Johann Schobser, 1500/1512 (um 1508?)] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 27 (mit Tegernseer Besitzvermerk von 1510). - EINBL. 1024; WEIL 27; SCHOTTENLOHER 28; BREDNICH 24; GELDNER 1982, S. 203b; BSB-Ink (N-3). - Reprod.: ECKER, Abb. 29.

Laut EINBL. um 1500, nach SCHOTTENLOHER hingegen erst um 1508, was im Hinblick auf das Tegernseer Datum jedenfalls eher zutreffen könnte. Die Typen (Schobsers Typen 3, mit kurzer Virgel, und 4) ermöglichen nur die oben genannte Zeitspanne. 82

Officium proprium rnissae beatae Annae. — Holzschnitt (hl. Anna Selbdritt und zwei Gläubige). [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1510] — Exempl.: Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Einbl. vor 1500, Nr. 24; Chicago, Newberry Library; München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VII, l . - EINBL. 1049; GW 2006; GOFF A-747; HUBAY, Augsburg 1529; SAAM 106; BSB-Ink O-33. - Reprod.: HEITZ 84,26.

Laut EINBL. ein Schönsperger-Druck, im GW 2006 aber auf Kunne bestimmt. Bei HUBAY erscheint dagegen wieder Schönsperger, doch sind die verwendeten Typen nicht Schönspergers Typen 6 und 7, sondern Kunnes Typen 6 (in ihrer zweiten Phase und noch mit d aus Type 5) und 7 (belegt 1504-1509/ 1510). 83

Passau. Eine grausame Geschichte, geschehen zu Passau von den Juden im Jahr 1477. - Drei Holzschnitt-Streifen mit je vier Bildern (Szenenfolge mit der Hostienschändung und der Bestrafung der Übeltäter). [Nürnberg: Drucker des Bannholtzer-Blattes, um 1500 (oder Kaspar Hochfeder, 1497?)] - Exempl.: München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 118307. - WILHELM SCHMIDT (Hg.), Interessante Formschnitte des 15. Jahrhunderts aus dem Kgl. Kupfer-

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Vermutlich gehört das Exemplar der Bodleian Library in Oxford (PROCTOR 3280, SCHREIBER, Manuel 3318, SCHRAMM XVI, S. 18), das ich nicht gesehen habe, zur selben Ausgabe, denn es hat laut PROCTOR doppeltes Divis und laut SCHREIBER ebenfalls 34 Zeilen.

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Stichkabinett zu München. Ein Beitrag zur Geschichte des Holzschnittes. München 1886, Nr. 33; SCHREIBER, Manuel 4890a; FRANZ J. STADI.F.R, Michael Wolgemut und der Nürnberger Holzschnitt im letzten Drittel des XV. Jahrhunderts (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 161) Straßburg 1913, S. 157 (G.); EINBL. 1079; SCHREIBER 1965; SCHRAMM XVIII, S. 22 und Abb. 713 (nur oberes Stück); VAN DER VEKENE 41; ROLF WILHELM BREDNICH, Zur europäischen Vorgeschichte der Comics, in: Freiburger Universitätsblätter H. 53/54, 1976, S. 57-68, hier S. 59-61 (mit Abb.). - Reprod.: SCHMIDT (wie Anm. 30) Taf. 22; PAUL HEIT/ (Hg.), Primitive Holzschnitte. Einzelbilder des 15. Jahrhunderts, Straßburg 1913, Taf. 49; HEITZ 32,159; HARTMUT BOOCKMANN, Die Stadt im späten Mittelalter, München 1986, S. 286 Abb. 429. Retuschiert bei GEORG LIEBE, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit (Monographien zur deutschen Kulturgeschichte 11) Leipzig 1903, Beilage 2, und bei BREDNICH.

Das Blatt ist ein Zeugnis der judenfeindlichen Tendenzen in Nürnberg, die 1498/99 zur Vertreibung der Juden führten. Es wurde früher auf um 1491 (HEITZ 1913), um 1495 (SCHREIBER) oder um 1497 (EINBL., VAN DER VEKENE) datiert und dementsprechend Kaspar Hochfeder zugeschrieben. Eine andere Möglichkeit habe ich vorgeschlagen (SCHANZE 1996, S. 136), jedoch mit Vorbehalt. Die Unsicherheit hinsichtlich der Zuordnung des Blattes hängt mit den Holzschnitten zusammen. STADLER hat in Stil und Ausführung Ähnlichkeit mit den Holzschnitten zweier anderer Hochfeder-Drucke vermerkt, und diese ist in der Tat augenfällig. Es handelt sich um die beiden Holzschnitte der lateinischen und deutschen Ausgabe von Joseph Grünpecks Syphilistraktat (GW 11570 und 11575, VAN DER VEKENE 34 und 35), die als Nachdrucke der Augsburger Ausgaben vom November und Dezember 1496 (GW 11569 und 11574) wohl 1497 herauskamen (Abbildung der Holzschnitte bei SCHRAMM XVIII, Abb. 717 und 718; die Wiedergabe bei VAN DER VEKENE, S. 166 und 167 ist seitenverkehrt!). Müßten dann nicht auch die Holzschnitte der Passauer Hostienschändung aus derselben Zeit stammen? Das ist wahrscheinlich und dennoch kein zwingender Grund, den vorliegenden Druck um jeden Preis in dieselbe Zeit zu setzen, denn es gibt Indizien, die es nahelegen, eine andere Lösung in Erwägung zu ziehen. Schon SCHMIDT hat auf den schlechten Zustand der Holzschnitte aufmerksam gemacht und deswegen einen verlorenen früheren Druck vermutet, den er in Passau ansiedeln wollte; die Nürnberger Provenienz der Holzschnitte steht jedoch außer Frage. Der Sachverhalt läßt zwei Deutungen zu: Entweder waren die Holzschnitte bereits im Urzustand defekt, oder aber sie sind erst durch wiederholten Gebrauch verdorben worden. In dem einen Fall wären die Holzschnitte erstmals für das erhaltene Blatt benutzt und dieses demnach 1497 von Hochfeder gedruckt worden. Im anderen Fall hätten wir zwar auch mit einem vermutlich Hochfederschen Druck von 1497 zu rechnen, von dem freilich kein Exemplar bekannt ist, das erhaltene Blatt mit den defekten Holzschnitten aber würde einen weiteren Druck repräsentieren, der 1499 oder später von dem unbekannten Drucker hergestellt wurde, der sein Geschäft mit den von Hochfeder in Nürnberg zurückgelassenen Materialien betrieb. Im Hinblick auf den Zustand der Holzschnitte ziehe ich die zweite, etwas umständliche Möglichkeit vor, ohne aber die erste ausschließen zu können. Vorsichtshalber verzichte ich oben bei der Druckerangabe auf eine eindeutige Festlegung.

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Peraudi, Raymundus: Ablaßgebet zu St. Anna, lat. und dt. - Holzschnitt (hl. Anna Selbdritt). [Straßburg: Matthias Hüpfuff, 1503] - Exempl.: ehem. Straßburg, Paul Heitz. - SCHREIBER 1207a. - Reprod.: HEITZ 60,18.

SCHREIBER, der richtig Hüpfuff als Drucker angibt, datiert auf um 1500. Das Blatt kann jedoch nicht vor 1502 entstanden sein, da die Hüpfuff-Type 7, in der der lateinische Text gesetzt ist, früher nicht vorkommt. Die Datierung auf 1503 liegt nahe, weil sich Peraudi in diesem Jahr in Straßburg aufhielt (GERHARD MEHRING, Kardinal Peraudi als Ablaßkommissar in Deutschland 1500-1504 und sein Verhältnis zu Maximilian L, in: Forschungen und Versuche zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift Dietrich Schäfer, Jena 1915, S. 334-409). 85

Peraudi, Raymundus: Instructio suffragandi animabus in purgatorio, dt. (Von den Seelen im Fegfeuer). [Ulm: Johann Zainer d.Ä., 1489? (nicht nach 1491)] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VII, 17 k . - EINBL. 1312; BSBInk P-163.

Das Blatt ist nicht um 1495 von Michael Greyff in Reutlingen mit dessen Type 13 gedruckt (so EINBL. und BSB-Ink, dieser jedoch mit der Datierung 1487 — 88), sondern vor 1492 von Johann Zainer d. A. in Ulm. Zainers Type 11 erscheint hier in genau demselben Zustand wie auf einem deutschen Almanach Zamers auf das Jahr 1489 (GW 1438, vgl. die Abb. bei AMELUNG, S. 125f., Abb. 88) sowie der deutschen Ausgabe von Molitors >Hexenbüchlein< von 1489 (AMELUNG, Nr. 69 mit Abb. 96) und wird dementsprechend datiert. Charakteristisch ist in allen drei Fällen das breit geschwungene S, bei dem es sich in Wirklichkeit um ein auf den Kopf gestelltes D handelt. 1492 weist die Type abweichende Merkmale auf (AMELUNG, S. 56 oben). Der Text ist eine deutsche Version der >Instructio suffragandi animabus in purgatorio< (EINBL. 760 und 761), die Peraudi laut NIKOLAUS PAULUS (Geschichte des Ablasses im Mittelalter, Bd. 3: Geschichte des Ablasses am Ausgange des Mittelalters, Paderborn 1923, S. 388f.) 1487/88 veröffentlichte. Eine in EINBL. fehlende Ausgabe der deutschen Version erwähnt GELDNER 1982, S. 201 (vgl. jetzt BSB-Ink P-162). Sie stammt von dem Münchener Drucker Benedikt Buchbinder und wird von GELDNER, wohl PAULUS folgend, auf 1487/88 datiert (Terminus ante quern ist 1492, in welchem Jahr der Drucker als verstorben bezeugt ist). 86

Peraudi, Raymundus: Summaria declaratio bullae indulgentiarum plenissimarum jubilaei et cruciatae per Innocentium VIII. concessarum, dt. (Erklärung des Ablasses des seligen gnadenreichen Jahres). - Zierinitiale.

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[Speyer: Peter Drach d. Mittlere, 1489/90] - Exempl.: Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, H. 101 Bd. 886 (Spiegel des Hinterdeckels eines Überlinger Urbars von 1492). - EINBL. 559.

Nicht von Friedrich Creußner in Nürnberg um 1487, wie EINBL. (ohne Identifizierung der Type!) vermutet, sondern von Drach in Speyer mit Type 18 gedruckt. Die hier verwendete Rieseninitiale J findet sich z. B. auch auf dem Einblattdruck GW 1524 von 1496 in Verbindung mit derselben Texttype (in EINBL. 320 fälschlich Johann Prüß in Straßburg zugeschrieben). Datierung gemäß der lateinischen Vorlage (EiNBL. 510). 87':"

Petroleum. Die Tugend des edlen Öles Petroleum. [Nürnberg: Wolfgang Huber, 1511/14 (oderjobst Gutknecht, um 1515?)] - Exempl.: Prag, Nationalbibliothek, Ms. XVII. D. 10, 131. 36. - KARL SunHorl·, Zwei deutsche Reklamezettel zur Empfehlung von Arzneimitteln - Petroleum und Eichenmistel - gedruckt um 1500, in: Archiv für Geschichte der Medizin 3, 1909, S. 397402, hier 397 — 400; ARNOLD C. KLEISS, Incunabula scientifica et medica. Short title list, in: Osiris 4, 1938, S. 1 -359, Nr. 746.1; R.J. FORBES, Studies in Early Petroleum History, Leiden 1958, S. 103-105, 118f.; GUNDOLF KEII./WILI.EM F. DAKMS, Art. >PetroltraktateHandbuch< wie bereits im Kommentar zum Faksimile bei HEITZ setzt er es in den Anfang des 16. Jahrhunderts, und zwar unter Berücksichtigung der Verwendungszeit der Type (nach ihm 1496-1510). EINBL. nennt um 1498 als Entstehungszeit. Die Type 12 der Zainerschen Offizin kommt jedoch nicht vor 1498 zum Einsatz, und sie bleibt bis 1519 in Gebrauch (AMELUNG, S. 60). In Ermangelung differenzierender Kriterien wie Rubrikzeichen und Virgel läßt sich von der Type her eine genauere Datierung nicht begründen. Lediglich die Initiale S (aus der Zainerschen Serie e) könnte ein Indiz sein: Der jüngere Zainer verwendete diese Initialen anscheinend nach 1502 nicht mehr (allerdings tauchen sie nach 1520 bei Matthias Hoffischer wieder auf, der Zainers Druckmaterial übernommen hatte). Danach ließe sich die Herstellung des Blattes mit Vorbehalt auf die Zeit von 1498 bis 1502 eingrenzen.

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Sixtus IV, Papst: Gebet vor Unserer Frauen Bild. — Holzschnitt (Maria auf der Mondsichel, von zwei Engeln gekrönt). [Basel: Johann Bergmann?, um 1495?] — Exempl.: München, Staatliche Graphische Sammlung. — SCHREIBER, Manuel 5269a; EINBL. 1328; SCHREIBER 1112; SCHRAMM XX, S. 27. - Reprod.: HEITZ 32,177; SCHRAMM XX, Abb. 1677.

Die Zuweisung an Johann Prüß in Straßburg (EINBL., SCHRAMM) ist unzutreffend, da es sich bei der hier vorliegenden Oberrheinbastarda, wie die Form des ß, des B und des d ohne Schleife zeigen, eindeutig nicht um Prüß' Type 12

Inkutiahelii oder Pc>stitikniiabclii?

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handelt. SCHREIBER vermutet Basler Ursprung des Holzschnittes, und dahin scheint auch die Type zu weisen. Wenngleich die geringe Textmenge und der Mangel an Versalien eine sichere Bestimmung nicht zulassen, so stimmen die oben genannten Merkmale doch so weit mit Johann Bergmanns Type 5 überein, daß man ihn, wenn auch mit Vorbehalt, als Drucker ansehen kann. 97

Ein Spiegel menschlichen Lebens. - Zierinitiale. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1510] - Exempl.: Metten, Bibliothek der Abtei, Incun. IV, 2 (ehemals eingeklebt im Hinterdekkel von Incun. II, 68A [= GW 3676], die aus einer Memminger Bibliothek stammt). EINBL. 1399; SAAM 119. - Reprod.: siehe Abb. 9.

Die bisherige Datierung auf um 1500 ist unhaltbar wegen der Verwendung der Auszeichnungstype (Type 7), die nur 1504-1509/1510 bezeugt ist. Die Texttype (Type 6) weist einen Zustand auf, der erst ab 1508 nachweisbar ist (Phase 2). 98

Der Tag wohl durch die Wolken drang, geistlich (Lied). - Holzschnitt (Anbetung des Christkindes durch Maria und Josef). [München: Johann Schobser, 1500/1516] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I I I , 26 (mit Tegernseer Besitzvermerk). - EINBL. 1450; WHIL 15; SCHOTTENLOHER 24; BREDNICH 17; GELDNF.R 1982, S. 2()3b. - Reprod.: BREDNICH, Abb. 7.

Laut EINBL. um 1500, nach SCHOTTENLOHER aber um 1506, beides willkürlich. Die Typen (Schobsers Typen 3 und 4) erlauben nur eine Datierung in den Zeitraum 1500/1516, da in Type 3 hier keine Virgel vorkommt, doch spricht vielleicht gerade das für eine relativ frühe Entstehung (siehe oben Nr. 13). 99

Tagweise. Eine schöne Tagweise, wie Maria ist empfangen worden ohne Erbsünde (Lied). - Noten mit xylographischem Text. [Augsburg?: Drucker der Tagweise, um 1505] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. III, 43 (mit Tegernseer Besitzvermerk von 1506). - EINBL. 1451; BREDNICH 28. - Reprod.: BREDNICH, Abb. 9. Die angebliche Type 2* Johann Regers, mit der der Druck in Ulm um 1500 hergestellt worden sein soll, ist von Reger selbst nirgends verwendet worden, wie AMELUNG (S. 317) festgestellt hat. AMELUNG vermutet wegen des Tegernseer Datums 1506, daß das Blatt kurz nach 1500 entstanden sei, und zwar in Augsburg. Der Druckort bleibt zwar Vermutung, die Entstehungszeit aber läßt sich aufgrund eines anderen, mit derselben Type angefertigten Einblattdruckes genauer bestimmen. Es handelt sich um eine Aufforderung zur Erbhuldigung für

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Frieder Schanze

die Söhne der Herzogin Elisabeth von Bayern und des Pfalzgrafen Ruprecht, Ottheinrich und Philipp (defektes Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Einbl. V, 37). Da diese das Ableben des bayerischen Herzogspaars voraussetzt, muß sie bald nach dem 15. September 1504, dem Todestag der Herzogin (ihr Gemahl war bereits im August gestorben), erschienen sein. Der Lieddruck dürfte nur geringfügig davon abweichen. 100 Titel des Kreuzes Jesu Christi. - Zwei Holzschnitte (Schrifttafel mit den Kreuzestiteln in mehreren Sprachen; Christus am Kreuz mit Maria und Johannes; dazu an den vier Ecken die Evangelistensymbole). [Memmingen:] A[lbrecht] K[unne, um 1514/1520] - Exempl.: Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Einbl. vor 1500, Nr. 41. — EINBL. 1459; HUBAY, Augsburg 2010; SAAM 67. - Reprod.: HEITZ 18,24; 111. Bartsch 163, S. 232.

Nach EINBL. soll das Blatt um 1490, nach HUBAY und SAAM um 1493 gedruckt worden sein. Der Zustand der Type (Kunnes Type 6 in ihrer dritten Phase mit Nebeneinander von fettem und magerem Rubrikzeichen) läßt dagegen auf die Zeit nach 1514 schließen. Daß als Initiale noch ein J aus Type 2 vorkommt, verschlägt wenig, es mag sich um einen versprengten Rest handeln. Die Begleittexte zu den Holzschnitten sind der Anfang des Johannesevangeliums, des Schlußevangeliums der Messe, und, in der Mitte der rechten Kolumne beginnend, ein Lied über die sieben Worte Jesu am Kreuz.64 Die Überschrift verheißt einen von Papst Innozenz VIII. gewährten Ablaß von 18000 Jahren für das Sprechen der Kreuztitel und gibt an, diese seien 1493 in der Kreuzkirche in Rom (d. i. Santa Croce in Gerusalemme) gefunden worden. Das angegebene Datum kann aber nicht stimmen, denn Innozenz VIII. starb bereits am 25. Juli 1492. Ein anderer Einblattdruck (EINBL. 1461 aus der Offizin von Peter Schöffer in Mainz) setzt die Auffindung dieser Reliquie denn auch ins Jahr 1492, ein dritter, xylographischer Einblattdruck, erhalten in Hartmann Schedels Exemplar seiner >Weltchronik< (Abb. bei HERNAD, S. 55), datiert das Ereignis noch genauer auf Dezember 1491 anläßlich einer Renovierung der Kirche. Für die Datierung des Kunneschen Einblattdruckes ist das Datum im Text so oder so irrelevant. 101

Ulm, Rat: Erneuerung der Verordnung gegen das Gotteslästern. — Zierinitiale. [Ulm: Johann Zainer d.J., 1514/19] - Exempl.: Ulm, Stadtbibliothek, EI 6. - EINBL. 1465; BERND BREITENBRUCH, Die Inkunabeln der Stadtbibliothek Ulm. Besitzgeschichte und Katalog (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Ulm 8) Weißenhorn 1987, Nr. 587.

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Dieselben Texte kommen in umgekehrter Reihenfolge auf EINBL. 763 vor (dazu siehe oben Anm. 42).

Inkunabeln oder Postitikuiiabelii?

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Nicht um 1498 entstanden (so EINBL. und BRHITENBRUCH), sondern um 1515, da die Texttype eine lange Virgel aufweist, die anscheinend erstmals 1514 bei Zainer Verwendung fand. 102

Ulsenius, Theodoricus: Speculator consiliorum. - Holzschnitt (Rätselbild des Menschen als Mikrokosmos in seiner Beziehung zum Makrokosmos). [Nürnberg: Kaspar Hochfeder, um 1497?| - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Rar. 287, Dl. 335V. - EINBL. 1394; SCHREIBER, Manuel 5272; VAN DER VEKENE, S. 93 (F); HERNAD, Nr. 76. - Reprod.: HERNAD, S. 251.

In EINBL. Kaspar Hochfeder zugeschrieben, von VAN DER VEKENE diesem zwar abgesprochen, jedoch wohl zu Unrecht; vgl. SCHANZE 1996, S. 137. 103

Venite lieben Gesellen (Lied). - Zierleiste; Zierinitiale. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1508/1512] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I, 4. - EINBL. 1475; BREDNICH 494; SAAM 122.

Der Druck entstand nicht um 1500 (£INBL., SAAM), sondern rund ein Jahrzehnt später, denn die Type ist Kunnes Type 6 (in ihrer zweiten Phase). Die Zierleiste besteht aus zwei Stücken einer Randleiste, die Kunne früher komplett verwendete (zuerst wohl SAAM 137, vgl. ECKER, Abb. 45, links; siehe auch Abb. 1). 104

Verbuni bonum, deutsch von Sebastian Braut; Gebete. — Holzschnitt (Maria mit Kind, von zwei Engeln gekrönt) und Noten mit xylographischem Text. [Pforzheim: Thomas Anshelm, 1506/09] - Exempl.: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 546, auf Bl. ' eingeklebt (defekt). - WELI.ER 417; EINBL. 1476; SCHREIBER 1115e; ALBERTS (siehe oben Nr. 39) S. 246 Nr. 27; BREDNICH 5; THOMAS WII.HELMI, Sebastian Brant. Bibliographie (Arbeiten zur mittleren Deutschen Literatur und Sprache 18/3) Bern u.a. 1990, Nr. 592. - Reprod.: PAUL HEITZ (Hg.), Flugblätter des Sebastian Braut. Mit einem Nachwort von FRANZ SCHULTZ (Jahresgaben der Gesellschaft für Elsässische Literatur 3) Straßburg 1915, Nr. 14 (nach einer Durchzeichnung!),· danach BREDNICH, Abb. 2, und 111. Bartsch 164, S. 151. - Bei HEITZ 93,17 ist nur die obere Hälfte abgebildet.

In EINBL. wird (anscheinend ohne Autopsie) Nürnberg als Druckort vermutet. ALBERTS, die den Druck richtig zu Anshelm stellt, fuhrt ihn unter 1505 auf, jedoch mit der Bemerkung, die Überschrifttype mache die Zeit um 1506 wahrscheinlich. WILHELMI geht dagegen grundlos auf um 1500 zurück. Die obige Datierung entspricht der Verwendungszeit der Typen: Die Titeltype begegnet erstmals 1506, und die Texttype kommt nach 1509 nicht mehr zum Einsatz. Es gibt noch zwei andere Ausgaben desselben Liedes aus Anshelms Offizin: 1. eine ältere Variante, deren Überschrift in einer anderen Type gesetzt und die auf 1502/06 zu datieren ist (Exemplar in Zwickau, Ratsschulbibliothek, 65.7.12/11, vgl. OTTO CLEMEN, Ein Einblattdruck von Adam Petri in Basel, in:

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Zentralblatt für Bibliothekswesen 23, 1906, S. 242-244, mit falscher Druckerbestimmung), und 2. eine jüngere Variante der oben verzeichneten Ausgabe (defektes Exemplar, ohne die obere Hälfte, in der Heidelberger Universitätsbibliothek, Q 72924/3() Ink., vgl. WILHELMI 593). 105

Wer essen will, der geh zum Tisch (Lied). - Holzschnitt (alter Mann mit junger Frau sowie Bürger und Edelmann bei Tisch). [Würzburg: Martin Schubart, um 1515 (nicht nach 1518)] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I, l (Vorderseite). — EINBL. 860; GEDEON BORSA, Wiener Typenmaterial zu Anfang des 16. Jhs. im Maingebiet, in: Gutenberg-Jahrbuch 1966, S. 26-28, hier S. 28; BREDNIGH 505. - Reprod.: EUGEN DIEDERICHS (Hg.), Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern, Jena 1908, Bd. I, S. 165; BREDNICH, Abb. 81; ECKER, Abb. 40.

Die Zuschreibung an Johannes Winterburger in Wien (EINBL.) ist unzutreffend. Zwar sind tatsächlich Winterburgers Typen l (Text) und 4 (Überschrift) verwendet, aber diese Typen erscheinen auch bei Martin Schubart in Würzburg (BoRSA, S. 26), der von 1500-1518 tätig war, und danach 1522/23 in Bamberg. BORSA läßt daher offen, ob das Liedblatt »um 1518 in Würzburg oder um 1522 in Bamberg erschienen ist«. Ein ziemlich sicheres Indiz für die Würzburger Provenienz des Blattes liefert aber der auf der Kehrseite des einzigen erhaltenen Exemplars befindliche Lieddruck, der in Würzburg von Georg Reyser hergestellt worden ist (siehe oben Nr. 69). Die Datierung ergibt sich gemäß BORSAS Ausführungen aus dem Zustand der Type, wobei man aber nicht bis 1518 herunterzugehen braucht. 106

Wilhalm zum Lentzfried: Ermahnung des Christen (Verse); mit Katechismusstücken. [Memmingen: Albrecht Kunne, um 1500 (nicht nach 1497, oder nicht nach 1504?)[ - Exempl.: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hist. 31°, Bl. 417rv. EINBL. 1522; SAAM, S. 161 Nr. 12 (kein Kriegsverlust!); SABINE GRIESE, Sammler und Abschreiber von Einblattdrucken. Überlegungen zu einer Rezeptionsform am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Pirckheimer-Jahrbuch 1996, S. 43 —69, hier S. 64 und 68. - Reprod.: HEITZ 38,19; GRIESE, Abb. 10.

Die Datierung auf 1497 in EINBL. beruht wohl auf der Überlieferung in der Hamburger Handschrift, deren Hauptteil 1494-1497 entstand, die aber auch Nachträge von 1503/04 enthält/ 0 Ob das Blatt zum Hauptbestand gehört oder zu den Nachträgen, ist nicht sicher zu entscheiden. Nach dem Zustand der Type (Kunnes Type 6) könnte es jedoch gut noch in die neunziger Jahre fallen '" Beschreibung bei BRIGITTE LOHSE, Die historischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Cod. hist. 1 — 1 0 0 (Katalog der Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 5) Hamburg 1968, S. 38-48.

Inkunabeln oder Pflstinkmiabcln?

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(Rubrikzeichen überwiegend halbrund, nur verschleiftes b, einfaches und doppeltes Divis, ein B aus Type 5). 107

Wolgemut, Niklas: Die Widerwärtigkeit [d.i. Not] des Königs und der Ungehorsam seiner Untertanen (Gedicht). - Holzschnitt (König mit Fahne und zwei Wappen). [Tübingen: Johann Otmar, vor 22. August 1500] - Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. I, 10' (aus Clm 14053, defekt). - EINBL. 1538. - Reprod.: siehe Abb. K).

Der Druckerangabe in EINBL. zufolge ist das Blatt in Straßburg um 1500 mit den Typen 2 und 8 des Johann Prüß hergestellt. Dabei ist übersehen worden, daß die Zeilen 2-3 der Überschrift nicht in derselben Type wie der Text gesetzt sind, sondern in einer Type, die Prüß nicht besaß. Alle drei Typen finden sich aber bei Johann Otmar in Tübingen (1498-1501) als Type 7 (erste Zeile der Überschrift), 9 (Zeile 2-3 der Überschrift) und 13 (Text). Datierung nach dem Inhalt des Textes, der Bezug nimmt auf die Verhandlungen des Reichstags zu Augsburg (April bis 22. August 1500). Das Blatt scheint noch vor dem Ende des Reichstages herausgekommen zu sein. 108

Württemberg, Prälaten, Räte und Landschaft: Ausschreiben betr. ihre Irrungen mit Herzog Eberhard II. Stuttgart, 9. Apr. 1498 (zwei Ausgaben). [Reutlingen: Michael Greyff, nach 9. Apr. 1498] - Ausgabe A. Exempl.: Hannover, Kestner-Museum, Inv.-Nr. 217; Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, 2 Exempl.: A 602 U 453 und 453a. - ERNST 217; EINBL. 1552. - Ausgabe B. Exempl.: Frankfurt a. M., Stadtarchiv, Reichssachen Urk. 278; Straßburg, Archives municipales, AA 254 fol. 21, und Bibliotheque nationale et universitaire, K 497a. - EINÜL. 1553; OHLY/SACK 3056; ZKHNAOKKR 2434.

Für ERNST war Michael Furter in Basel der Drucker des Blattes, in EINBL. sowie bei OHLY/SACK blieben Druckort und Drucker unbestimmt, und ZEHNACKER vermutet Thomas Anshelm in Straßburg. Die Type ist Greyffs Type 13, wie der Vergleich mit Greyffs >Narrenschiff< von 1494 (GW 5044, SCHRAMM IX, Abb. 486-600) und einem neugefundenen, durch Unterschrift für Reutlingen gesicherten Almanach auf das Jahr 1496 (HuMMF.i./WiLHELMi [wie Nr. 78] Nr. 33 mit Abb.) beweist/'6 109

Wundergeburt bei Worms. - Holzschnitt (Siamesische Zwillinge). [Erfurt: Hans Sporer, nach 10. Sept. 1495J

M>

Die VGT 719-721 nach dem unfirmierten >Zeitglöcklein< GW 4170 (siehe auch SCHRAMM IX, Abb. 639-683) als GreyfFs Type 13 abgebildete Type weicht in Einzelheiten von den sicheren Greyff-Drucken ab, ihre Zuweisung an Greyff ist ziemlich fragwürdig.

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Frieder Schanze

- Exempl.: Nordhausen, Blasii-Bibliothek (Depositum in der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg). - EINBL. 655; SCHRAMM XIII, S. 6; MARTIN VON HASE, Hans Sporer und seine Erfurter Zeit (1494-1500), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 7, 1967, Sp. 1141-1152, Nr. 6; VAN DER VEKENE S. 92 (C); GW 10578. — Reprod.: EUGEN HOLLÄNDER, Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt in Einblattdrucken des fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts. Kulturhistorische Studie (Beiträge aus dem Grenzgebiet zwischen Medizingeschichte und Kunst - Kultur - Literatur 4) Stuttgart 1921, S. 73 Abb. 22; SCHRAMM XIII, Abb. 319.

In EINBL. als Arbeit Kaspar Hochfeders in Nürnberg bestimmt, sonst jedoch durchweg richtig Hans Sporer zugewiesen. 110

Zeichen der falschen Gulden (Czu wissen das gemüntzt vnd geschlagen ain summa Enckler guidein / die falsch sind}. — Fünf Holzschnitte (Münzen). [München: Johann Schobser, 1500/1512] - Exempl.: Hannover, Kestner-Museum, Inv.-Nr. 139. - ERNST 139; EINBL. 1567; SCHREIBER, Manuel 4177; WEIL, S. 12, Anm. und S. 36; SCHREIBER 2046; SCHRAMM XVI, S. 17; GELDNER 1982, S. 203a. - Reprod.: SCHRAMM XVI, Abb. 894; ERNST/HEUSINGER, Taf. 29; 1495 - Kaiser, Reich, Reformen: Der Reichstag zu Worms. Katalog zur Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms, hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz) Koblenz 1995, S. 390.

Von ERNST mit Vorbehalt Schobser zugeschrieben und auf um 1500 datiert (so auch EINBL. und zuletzt GELDNER), wurde das Blatt von WEIL für »sehr zweifelhaft« erklärt und nur marginal verzeichnet. Obwohl SCHOTTENLOHER diesem Urteil folgte und überhaupt auf die Aufnahme verzichtete, haben wir es doch mit einem Schobser-Druck zu tun. Verwendet sind die Typen 3 und 4, und da die Texttype (Type 3) nur kurze Virgel aufweist, muß die Herstellung vor 1513 erfolgt sein. Eine genauere Datierung ist bisher nicht möglich. 111

Von Zutrinken und Überweinen. - Zierinitiale. [Wessobrunn: Lukas Zeissenmair, um 1510? (1503/1515)] — Exempl.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VIII, 15. — EINBL. 1573. - Reprod.: ECKER, Abb. 78.

Laut EINBL. ein Erzeugnis Johann Schönspergers in Augsburg und um 1500 gedruckt mit dessen Type 6. Genau dieselbe Type besaß aber auch Lukas Zeissenmair (Type 2, VGT 1795), der von 1494-1502 in Augsburg und danach in Wessobrunn druckte, und zwar nicht nur bis 1508 (so BENZING, S. 483), sondern mindestens bis 1515 (in diesem Jahr brachte er im Auftrag des Klosters Andechs dessen Chronik heraus). 67 Für Zeissenmair zeugt die große Holzschnitt-Initiale, die zu dem Initialenbestand gehört, den Zeissenmair, soweit ich sehe, in Augs-

67

BENEDIKT KRAFT, Andechser Studien, Bd. I (Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 73) München 1937, S. 610.

Inkunabeln oder Postiitkutiabcln?

107

bürg zuerst 1502 im >Herzog Gottfried< (VD 16 R 2682) und in Wessobrunn dann mehrfach benutzte, u.a. 1508 in der >Andechser Chronik* (BSB-Ink C-289), in der >Ettaler Chronik< (VD 16 S 3377) und 1512 auf einem Einblattdruck über den Heiligen Rock zu Trier.68 Ist so Augsburg als Entstehungsort des Blattes auch nicht ganz auszuschließen, so spricht doch die größere Wahrscheinlichkeit für Wessobrunn, wo die Initialen über einen längeren Zeitraum hinweg nachweisbar sind.

IV.

Wer sich die Mühe gemacht hat, nicht nur den ersten, sondern auch noch den zweiten und dritten Abschnitt dieser Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, dem wird — wenn er es nicht schon zuvor gewußt hat — deutlich geworden sein, wie fragwürdig die scheinbar so exakte Inkunabelgrenze in Wirklichkeit ist. War eingangs auf die Schwäche ihrer theoretischen Begründung hingewiesen worden, so hat sich nun gezeigt, daß es auch in praktischer Hinsicht mit ihr nicht viel besser steht. Schwachstellen bilden nicht so sehr die Pseudinkunabeln, die sich gegebenenfalls als solche entlarven lassen, sondern vor allem diejenigen Fälle, die sich dem Versuch einer eindeutigen Zuordnung ganz und gar entziehen. Solche Fälle aber wird es immer geben, und an ihnen zerbricht die mit dem Inkunabelbegriff untrennbar verbundene Illusion einer reinlichen Scheidung zwischen Inkunabeln und Nicht-Inkunabeln. Sind das Quisquilien? Man kann sich gewiß auf den Standpunkt stellen, so genau brauche man es nicht zu nehmen, die Inkunabelforschung selbst sei ja nicht kleinlich, und aut ein paar Jahre mehr oder weniger komme es ebensowenig an wie darauf, ob irgendein peripheres Nürnberger Druckerzeugnis von Hochfeder, Höltzel oder Huber, Wagner oder Weißenburger oder einem anderen Nürnberger Drucker stamme, wenn nur der Druckort richtig sei. Derlei mag in der Tat nicht immer wichtig sein. Wenn aber die chronologischen Abweichungen, wie viele der oben behandelten Beispiele zeigen, zehn, ja gelegentlich sogar zwanzig und mehr Jahre betragen (z.B. Nr. 44, 89, 100), dann kann man das nicht mehr als nebensächlich bezeichnen. Und wenn angeblich in Nürnberg entstandene Drucke in Wirklichkeit aus Leipzig, Heidelberg oder Speyer (Nr. l , 23, 86), angebliche Straßburger Drucke aus Tübingen und Mainz (Nr. 91, 107, 93), Ulmer Drucke aus Augsburg (Nr. 42, 44, 67, 94), Munchener aus Augsburg und Heidelberg (Nr. 88, 27), Augsburger aber aus Memmingen und Wessobrunn (Nr. 22, 40, 82, 111) stammen, wenn Köln statt Oppenheim (Nr. 73), Wien statt Würzburg (Nr. 105), Basel statt Reutlingen (Nr. 108) und Reutlingen statt Ulm (Nr. 85) als Druckort genannt wird, dann ist das vielleicht doch nicht ganz belanglos. Denn diese Konfusionen haben Konsequenzen nicht allein für die Druckgeschichte, wo sie u.a. zu falschen Werkchronologien und verfälschten Druckerprofilen rK

' Beschrieben von WtLS (wie Anm. 58). WELS will diesen Druck Johann Schönsperger in Augsburg zuschreiben. Für Zeissemmirs Urheberschaft und Wessobrunner Provenienz des Blattes spricht jedoch die Tatsache, daß der Band, in den das Oxforder Unicum eingeklebt ist, ans Wessobrunner Klosterbesitz stammt.

108

Frieder Schanze

fuhren, sondern weit darüber hinaus in allen Disziplinen, die die Ergebnisse der Druckforschung nutzen, ohne sie überprüfen zu können. Für diese sind möglichst exakte Datierungen und Lokalisierungen, die sie zu Recht von der Druckforschung erwarten, die unabdingbare Voraussetzung ihres Umgangs mit den Drucken als Quellen historischer Information. Welche Konsequenzen sich aus unterschiedlichen Druckerbestimmungen und Datierungen unter Umständen ergeben können, demonstriere ich an einem der oben angeführten Einblattdrucke, der allerdings in verschiedener Hinsicht als Sonderfall anzusehen ist (Nr. 31). Das Blatt enthält unter der Überschrift Die i>crkinidtin^ des erigeliichcn grus mit einem aiidechtigeii gepel einen Verkündigungsholzschnitt und darunter in zwei Kolumnen einen Reimpaartext, der aber durch Rubrikzeichen in Strophen gegliedert ist, die ihrerseits durch Versalien in Abschnitte von zweimal sechs, einmal zwei und nochmals sechs Versen unterteilt sind. Das Gedicht besteht hauptsächlich aus einer Versifikation der Verkündigungsgeschichte nach Lukas l, 26-56, der Bemerkungen über die Inkarnation beigegeben sind. In der dritten Kolumne folgt das angekündigte, an Maria gerichtete Gebet, das wiederum die Verkündigung betrifft, und darunter steht, auf den ersten Text bezogen, folgende Bemerkung: Man mag dy istori pis zu dem gcpet lesen oder sinken in hans folzen abentetir u>eis nach vnterschit der verseil. Wir haben es also mit einem Text zu tun, der sowohl als Reimpaartext gelesen wie auch als Strophenlied gesungen werden kann. Als Melodie ist die Abenteuerweise des Hans Folz angegeben, deren Bauform durch die Versalien bezeichnet ist.69 War das Blatt bei seiner ersten bibliographischen Aufnahme noch als Nürnberger Druck von ca. 1515 bestimmt worden (WELLER), so bestand seit seiner Beschreibung im Katalog der Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts (EiNBi.. 1477) Übereinstimmung darüber, daß es sich um ein Erzeugnis des Nürnberger Druckers Kaspar Hochfeder handle. Man war sich nur nicht einig, ob der Druck 1499 (EiNBL.) oder etwas früher (»nicht nach 1498« laut VAN DER VEKENK) entstanden sei. Für den Inhalt des Druckes hatte sich lange Zeit überhaupt niemand interessiert, der Text wurde erst im Rahmen einer Gesamterfassung der Meistergesangsüberlieferung als anonymes Gut verzeichnet. 7 ' 1 Daß es sich bei dem zu Lebzeiten und im Wohnort des Meistersingers Hans Folz gedruckten Lied in einem seiner Töne um ein authentisches Werk handeln könne, wurde erwogen, vor allem deswegen, weil es das einzige erhaltene Lied in diesem Ton ist, war jedoch wegen seiner überlieferungsgeschichtlichen Isolation nicht plausibel zu machen. Eine genauere Untersuchung des Druckes ergab dann aber, daß die Texttype Abweichungen von der Hochfederschen aufweist, die die Zuweisung an diesen zweifelhaft machen, 71 und es gelang, das Blatt typographisch einer Gruppe von sechs Drucken zuzuordnen, die ausschließlich Texte des Hans Folz enthalten und die 1490/91 in Nürnberg von einem Unbekannten herausgebracht wurden, der den Notnamen Drucker der Rechnung Kolpergers erhielt. 72 Diese Zuweisung stellt das Verkiindigungsblatt in einen Kontext, der zu einer neuen Beurteilung zwingt. Wir wissen, daß Hans Folz von 1479 bis 1488 eine eigene Offizin betrieb oder betreiben ließ, in der er fast ausschließlich die von ihm selbst verfaßten Werke herausbrachte, die nach den darin verwendeten Typen zwei aufeinanderfolgende Gruppen bilden (die erste

69

Die Strophe besteht wie alle Meistersingertöne aus zwei Stollen und dem Absang, der hier aber unterteilt ist in den zweizeiligen Steg und einen dritten Stollen. Die Melodie ist nicht erhalten. 711 RSM 3, S. 313, 'Folz/100. 71 RSM l, S. 492f, mit der Alternative »[Nürnberg: Kaspar Hochfeder? 1497/98) oder (Nürnberg um 1500]«. 72 Vgl. SCHAN/K 1996, S. 138 mit Anm. 47. Die betreffenden Drucke wurden früher Peter Wagner zugeschrieben (u.a. bei HANNS FISCHER, Hans Folz. Altes und Neues zur Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 95, 1966, S. 212-236, hier S. 223f); dem GW zufolge wäre Hans Mair der Drucker (GW 10114, 10121, 10141, 10149-10151).

Inkunabeln oder Poitinkiinahchi?

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mit Type l, die zweite mit den Typen 2 und 3 gedruckt). 73 Wenn nun nur kurze Zeit später wieder eine Reihe von Folzschen Werken in einer einzigen Werkstatt hergestellt wurde, dann liegt die Vermutung nahe, daß Folz selbst mit dieser in enger Verbindung stand. Man kann sogar vermuten, daß es sich um eine Weiterfuhrung der früheren Folzschen Offizin handelt, die sich nur erneut anderer Typen bediente. Diese Annahme hat jedenfalls denselben Grad von Plausibilität wie die Verbindung der zweiten Gruppe der Folz-Drucke mit der ersten, denn im Unterschied zu den Drucken der ersten Gruppe weist kein einziger der zweiten, die man wegen zweier Datierungen in die Jahre 1483-1488 setzt, eine Firmierung auf, und dennoch wird allenthalben Folz als ihr Urheber angegeben. Deswegen halte ich es für angebracht, auch den Drucker der Rechnung Kolpergers wenigstens tentativ mit Folz zu identifizieren: Drucker der Rechnung Kolpergers (Hans Folz?). Was folgt aus alledem für unser Verkündigungs-Blatt? Die Umstände sprechen dafür, daß der Text des Liedes, das schon mit seiner Melodieangabe auf Folz verweist, aus Folz' eigener Feder stammt und daß damit das Folzsche CEuvre sich um ein vor allem in formaler Hinsicht aufschlußreiches Stück erweitert. Folz' Autorschaft ist im Kontext der übrigen Drucke so unbezweifelbar, daß ein sprachlichstilistischer Nachweis, der ohnehin schwer zu erbringen wäre, sich erübrigt. Daß hier anders als bei den übrigen Texten der Gruppe keine Autorsignatur vorhanden ist, spricht nicht gegen Folz, da er in geistlichen Liedern grundsätzlich auf die Autorsignatur verzichtete. 74 Allein aufgrund druckgeschichtlicher Fakten und Überlegungen also hat sich in diesem Fall eine Vermutung über die Autorschaft eines anonym überlieferten Textes evident machen lassen. Damit tritt der Text in einen völlig anderen Interpretationshorizont. Konnte er bisher als Rezeptionszeugnis höchstens unter wirkungsgeschichthcher Perspektive Interesse beanspruchen, so ist er nun gewissermaßen autorisiert und muß als authentisches Dokument dem Folzschen CEuvre eingegliedert und von dort her interpretiert werden.

Begeben wir uns nach diesen notwendigen Abschweifungen zum Schluß noch einmal zurück zur >InkunabelgrenzeInkunabelgrenze< mit ihren herkömmlichen Implikationen zu akzeptieren. Eine buch- und druckgeschichtliche Epochengrenze können wir in ihr nicht länger sehen, sie läßt sich höchstens noch mit der Notwendigkeit bibliographischer Arbeitsteilung erklären. Für die Forschung ist damit freilich nichts gewonnen, denn die Einschnitte, an denen sie sich orientieren sollte, liegen an anderen Stellen, nämlich in der Zeit um 1480 und, zumindest was Deutschland betrifft, um 1520. Im Unterschied zur >Inkunabelgrenze< vom 1 . 1 . 1501 sind diese Einschnitte jedoch nicht auf den Tag genau zu bestimmen. Man muß es gewiß nicht bedauern.

73

74

Zu den Folz-Drucken vgl. jetzt URSULA RAUTF.NBHRG, Das Werk als Ware. Der Nürnberger Kleindrucker Hans Folz, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 24, 1999, S. 1-40. FRir.nr.R SCHAN/K, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 827 83) München 1983-1984, hier Bd. I, S. 324.

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Frieder Schanze

V. Anhang i. Konkordanzen Einbl. 75 = Nr. 1,84 = 2,85 = 3,90 = 6, 105 = 7,386 = 60,405 = 12,414 = 43,415 = 13, 415a = 15, 416 = 14, 438 = 16, 445 = Anm. 26, 453 = 17, 470 = 21, 471 = 19, 472 = 20, 473 = 22, 474 = 24, 475 = 25, 511 = 27, 516 = 28, 559 = 86, 564 = 29, 596 = 32, 638 = 35, 639 = 59, 644 = 38, 646 = 39, 650 = 37, 651 = 40, 655 = 109, 665 = 41, 679 = 61, 680 = 94, 689 = Anm. 30, 710 = 45, 711 = 47, 716 = 48, 718 = 49, 721 = 2, 763 = Anm. 42, 813 = 30, 836 = 51, 841 = 54, 844 = 55, 849 = 56, 850 = 57, 851 = 58, 854 = 66, 855 = 64, 856 = 67, 857 = 62, 860 = 105, 861 = 63, 892 = 68, 894 = 60, 904 = 71, 908 = 72, 921 = 73, 980 = 74, 992 = 78, 993 = 76, 1004 = 79, 1005 = 80, 1024 = 81, 1047 = 42, 1049 = 82, 1079 = 83, 1178 = 70, 1187 = 88, 1244 = 89, 1257 = 90, 1281 = 91, 1289a = 92, 1291 = 65, 1312 = 85, 1324 = 95, 1328 = 96, 1394 = 102, 1399 = 97, 1450 = 98, 1451 = 99, 1459 = 100, 1464 = Anm. 30, 1465 = 101, 1475 = 103, 1476 = 104,1477 = 31, 1522 = 106, 1538 = 107, 1552 = 108, 1567 = 110, 1572 = 44, 1573 = 1 1 1 . GW 95 = Nr. 8, 96 = 2, 189 = 3, 190 = 4, 447 = 6, 834 = 7, 2006 = 82, 2027 = 10, 3079 = 60, 3240 = 12, 3735 = 43, 3736 = 14, 3737 = 13, 3738 = 15, 3868 = 16, 4418 = 36, 4605 = 17, 5546 = 22, 5672 = 25, 10319 = 33, 10320 = 32, 10378 = 34, 10417 = 35, 10575 = Anm. 17, 10578 = 109, 11576 = 12. 2. Verzeichnis der Druckorte und Drucker Augsburg

Basel Erfurt Hamburg Heidelberg Köln Leipzig Mainz Memmingen München Nürnberg

Oppenheim Pforzheim Reutlingen Rostock Speyer Straßburg Tübingen Ulm Wessobrunn Wien Würzburg

Drucker der Lebenslehre 53; Drucker der Tagweise 99; Elchinger, Matthäus 44; Franck, Matthäus 26; Froschauer, Johann 3, 28, 66, 71; Otmar, Johann oder Silvan 8; Ratdolt, Erhard 88; Schönsperger, Johann d.Ä. 54; Sittich, Johann 42, 67, 94; Sorg, Anton 68. Bergmann, Johann 96; Wolff, Jakob 37; Ysenhut, Lienhart 50, 58. Sporer, Hans 109. Drucker des Jegher 17. Knoblochtzer, Heinrich 27; Seligmann, Heinrich 23. Ludwig von Renchen 18; Quentell, Heinrich 77. Landsberg, Martin 70; Lotter, Melchior d.Ä. l. Schöffer, Peter d. Ä. oder Johann 93. Kunne, Albrecht 2, 9, 11, 21, 22, 24, 32, 33, 35, 38, 40, 47, 48, 52, 62, 72, 79, 80, 82, 97, 100, 103, 106. Schobserjohann 13, 19, 41, 49, 57, 59, 60, 61, 63, 81, 98, 110. Drucker der Rechnung Kolpergers (Hans Folz?) 31; Drucker des Bannholtzer-Blattes 29, 30, 45, 55, 65, 83, 92; Gutknecht, Jobst 43, 87; Höltzel, Hieronymus 10, 16, 34, 76, 78; Hochfeder, Kaspar 102; Huber, Ambrosius 5, 46; Huber, Wolfgang 20, 87; Peypus, Friedrich 89; Stuchs, Georg 74, 75; Weißenburger, Johann 6, 90. Kobe! Jakob 73. Anshelm, Thomas 39, 104. Greyff, Michael 108. Dietz, Ludwig 64. Drach, Peter d.M. 86. Grüninger, Johann 12; Hüpfuff, Matthias 7, 56, 84. Otmar, Johann 91, 107. Hochspringer, Hans d.J. 14; Zainer, Johann d.Ä. 85; Zainer, Johann d.J. 4, 15, 25, 95, 101. Zeissenmair, Lukas 111. Winterburger, Johann 36. Reyser, Georg 69; Schubart, Martin 105.

Inkunabeln oder Postinktmabelti?

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3. Abgekürzt zitierte Literatur

(Hier werden alle Titel nachgewiesen, die nicht im Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur zu Beginn des Bandes aufgeführt sind.) AMELUNG

BC BEN/ING

BMC BREDNICH

BURGER/VOULUEME

ECKER ERNST ERNST/HHUSINGER

GlilSBERG

GELDNER 1982 GOFF HAEBLER

H ELI. wir, HERNAD HUKAY, Augsburg HUBAY, Würzburg

Peter Amelung, Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473—1500. Eine Ausstellung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bd. 1: Ulm, Stuttgart 1979. Conrad Borchling/Bruno Claussen, Niederdeutsche Bibliographie. Gesamtverzeichnis der niederdeutschen Drucke bis zum Jahre 1800, Bd. 1 — 3,1, Neumünster 1931-1957. Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 12) Wiesbaden 21983. Catalogue of Books Printed in the XV th Century, Now in the British Museum, Part 1-10.12, London 1908-1985, Reprint (mit handschriftlichen Marginalien): Part 1—8, Facs., Part 1-3.4-7, London 1963. Rolf Wilhelm Brednich, Die Liedpublizistik im Flugblatt des 15. und 16. Jahrhundert, Bd. 2: Katalog der Liedflugblätter des 15. und 16. Jahrhunderts. Mit 146 Abbildungen (Bibliotheca Bibliographica Aureliana 60) Baden-Baden 1975. Monumenta Germaniae et Italiae typographica. Deutsche und italienische Inkunabeln in getreuer Nachbildung, hg. von der Direktion der Reichsdruckerei, begr. von Konrad Burger, fortgeführt von Ernst Voullieme, 2 Bde, Berlin"1892-1913. Gisela Ecker, Einblattdrucke von den Anfangen bis 1555. Untersuchungen zu einer Publikationsform literarischer Texte, 2 Bde (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 314/1.2) Göppingen 1981. Konrad Ernst, Die Wiegendrucke des Kestner-Museums zu Hannover, Leipzig 1909. Die Wiegendrucke des Kestner-Museums. Von Konrad Ernst, neu bearb. und ergänzt von Christian von Heusinger (Bildkataloge des KestnerMuseums Hannover IV) Hannover 1963. Max Geisberg (Hg.), Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, 43 Mappen, München 1923-1930. Revised and edited by Walter L. Strauss, 4 Bde, New York 1974. Ferdinand Geldner, Ein halbes Jahrtausend Buchdruck in München und Baiern (28.Jum 1482-28. Juni 1982). Der Anfang, in: Gutenberg-Jahrbuch 1982, S. 197-208. Frederick Richmond GoiF, Incunabula in American Libraries. A Third Census of Fifteenth-Century Books Recorded in North American Collections, New York 1964. Konrad Haebler, Typenrepertorium der Wiegendrucke, Abt. I: Deutschland und seine Nachbarländer, Abt. Ill: Tabellen, Abt. IV: Ergänzungsbd., Abt. V: Ergänzungsbd. 2 (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten 19/20, 27/39, 40) Halle 1905, 1909. 1922, 1924. Barbara Hellwig, Inkunabelkatalog des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (Inkunabelkataloge bayerischer Bibliotheken) Wiesbaden 197(). Beatrice Hernad, Die Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 52) München 1990. Ilona Hubay, Incunabula der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg (Inkunabelkataloge bayerischer Bibliotheken) Wiesbaden 1974. Ilona Hubay, Incunabula der Universitätsbibliothek Würzburg (Inkunabelkataloge bayerischer Bibliotheken) Wiesbaden 1966.

112

OHLY/SACK

PROCTOR

RSM

SAAM ScHANzr. 1996

SCHOTTENLOHER SCHREIBER, Manuel

STC

VD 16

VAN DER VEKENE WEIL WELI.ER

ZI-HNACKER

Frieder Schanze

Kurt Ohly/Vera Sack, Inkunabelkatalog der Stadt- und Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Frankfurt am Main (Kataloge der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 1) Frankfurt a. M. 1967. Robert Proctor, An Index to the Early Printed Books in the British Museum, Part I, Section I-IV: From the Invention of Printing to the Year 1500. With Notes of those in the Bodleian Library, London 18981906. - Part II, Section I: An Index of German Books 1501-1520 in the British Museum, London 1903. Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, hg. von Horst Brunner/Burghart Wachinger unter Mitarbeit von Eva Klesatschke/Dieter Merzbacher/Johannes Rettelbach/Frieder Schanze. Leitung der Datenverarbeitung Paul Sappler, Bd. l, 3—14, 16, Tübingen 1986ff. Dieter Saam, Albert Kunne aus Duderstadt. Der Prototypograph von Trient und Memmingen und die Produktion seiner Offizinen ca. 1474 — 1520, in: Bibliothek und Wissenschaft 29, 1991, S. 69-175. Frieder Schanze, Zu Erhard Etzlaubs Romweg-Karte, dem Drucker Kaspar Hochfeder in Nürnberg und einem unbekannten Nürnberger Drucker in der Nachfolge Hochfeders, in: Gutenberg-Jahrbuch 1996, S. 126-140. Karl Schottenloher, Der Münchner Buchdrucker Hans Schobser 15001530. Mit einem Anhang: Wer ist Johann Locher von München?, München 1925. W"|ilhelm] L[udwigj Schreiber, Manuel de I'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV·' siecle, Tome V, 1.2: Un catalogue des incunables ä figures imprimes en Allemagne, en Suisse, en Autriche-Hongrie et en Scandinavie, Leipzig 1910-1911. Alfred F. Johnson/Victor Schulderer, Short-Title Catalogue of Books Printed in the German-Speaking Countries and German Books Printed in Other Countries from 1455 to 1600 Now in the British Museum, London 1962. - Supplement, London 1990. Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts (VD 16), hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek in München in Verbindung mit der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, I. Abt.: Verfasser, Körperschaften, Anonyma, 22 Bde, Stuttgart 1983-1995. Emil van der Vekene, Kaspar Hochfeder. Ein europäischer Drucker des 15. und 16. Jahrhunderts. Eine druckgeschichtliche Untersuchung (Bibliotheca bibliographica Aureliana 52) Baden-Baden 1974. Ernst Weil, Die Wiegendrucke Münchens. Ein bibliographisches Verzeichnis, München 1923. Emil Weller, Repertorium typographicum. Die deutsche Literatur im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts. Im Anschluß an Hains Repertorium und Panzers deutsche Annalen, Nördlingen 1864. - Supplement, Nördlingen 1874. - Supplement II, Nördlingen 1885. Catalogues regionaux des incunables des bibliotheques publiques de France, Bd. 13: Frai^oise Zehnacker, Region Alsace (Bas-Rhin), 2 Teilbde, Paris 1997.

113

Inkunabeln oder Postinktinabcln?

Confcffiofoncri 'fcugufnrn tatoi celi i tette'i boroin' bomi>MHti0:'giv>niitoaf' pf)rmia/in ioco/ίη tiiu/ in ι ttbo αάοΓο/ίη bcctmte/ in pjimieqe/in »ifii/ iul, citditu/m gurtu in odttatu/in tacte/Cogitando/ loqntndo/ opet do/ int ntOiia ommbp·* flwib' potTum peccate/bic^mcam e»lpam/>£t meam man'/^ mam calp,im-^}deo bcpiecot clemtntiam raam: neibe «lo p:o noli t a «'/ ·ί·; bemptioiie bdcendilli/qa*. miuitie pepitafh -jm i; auid regi pepetciltt fWX cann.pacct ιηφί bomtne/qiii petto te ntga'-o pcpctcilii/ qw (tmnltS peicQiem*ttVl\mrMMiftfe«*trt,trHlifili*-U i..U^, »*««»K»..5r . * ntDmHMPg«;VUW Ημνίπ

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H u1507/ 18 b , Exemplar: s ,M nchen. , Huber Byerische Staatsbibliothek. Einbl. VII I J · - Foto: Bayerische Staatsbibliothek, M nchen. (Kat.-Nr. 2(1)

Frieder Schanze

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Abb. 10

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SH i . JiÄiSSi?5?ir '«a

Niklas Wolgeniut: Die Widerwärtigkeit des Königs und der Ungehorsam seiner Untertanen (Tübingen: Johann Otmar, vor 22. August 15()0|, Exemplar: München, Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. l, 10''. - Foto: Bayerische Staatsbibliothek, München. (Kat.-Nr. 107)

Holger Nickel

Inkunabeln als Überlieferungsträger - besonders zeitgenössischer Texte

Inkunabeln als Produkte der Übungsphase des eben erfundenen Drucks mit beweglichen Lettern sind erste Zeugnisse für den Übergang eines Textes von der handschriftlichen Überlieferung in den Buchdruck, und sie illustrieren am Ausgang des Mittelalters die Anfänge und Fortschritte der modernen Wissenschaften oder die Ausbreitung der Renaissance. Durch die Quantität von Ausgaben können sie als Zeichen für die Virulenz der in das neue Zeitalter der Textüberlieferung transportierten Inhalte und für die Verbreitung eines Textes gelten. 1 Denn oft läßt sich dank der von Ludwig Hain zu einer ersten Blüte geführten zusammenfassenden Katalogisierung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert - heute durch den Gesamtkatalog der Wiegendrucke fortgesetzt die Anzahl der Textzeugen leichter zählen als bei den weithin verstreuten Handschriften. Zudem besitzt die Vervielfältigung im Buchdruck eine objektivierende ökonomische Komponente, denn für den Absatz einer Auflage langten nicht die Bedürfnisse eines Individuums oder einer Kleingruppe (einer Klostergemeinschaft). Stärker als Handschriftenhändler, die Manuskripte auf Vorrat produzierten, hingen die Drucker in ihrem beruflichen Schicksal von der Textauswahl ab, global genommen dürften sie durchaus so etwas wie Marktforschung betneben haben. Fehlentscheidungen sind bekannt, sie galten nicht nur der Ausstattung wie in den - zu - opulenten Buchunternehmen z.B. Lienhart Holls oder der Schedelschen Weltchronik. Mehrere schlecht absetzbare Texte dürften den Drucker ebenso ruiniert haben wie die heute ob ihres ästhetischen Reizes so beliebten Holzschnittwerke, die durch Künstler die Personal- und durch Papiermengen die Sachkosten hochtrieben. Der Zwang zur Wirtschaftlichkeit war für die privaten Unternehmer der Buchvervielfältigung insgesamt wahrscheinlich ebenso Neuland wie die Technologie des Drukkens, denn sie mußten erst die Mechanismen für den Absatz schaffen, z. B. indem der für andere Güter übliche Fernhandel der Ware Buch geöffnet wurde. Naturgemäß hatten unterschiedliche Texte unterschiedliche Verkaufschancen, und es spielte der Umfang eine Rolle. Daß die Wolfram- (und Albrecht-von-Scharfenberg-)Ausgaben Mentelins aus Straßburg oder der Leipziger Tauler während der Inkunabelzeit nicht nachgedruckt wurden, deutet daraufhin, daß Texte dieser Länge (trotz ihres literarischen Ranges) schlecht Käufer fanden. Wenn Beobachtungen zutreffen, nach denen dicke Bücher mehr für den Fernhandel bestimmt waren, wogegen schmale Bändchen in der näheren Umgebung angeboten wurden, 2 gab es für Folianten zwar in weiteren 1

2

ERNST SCHULZ, Aufgaben und Ziele der Inkunabelforschung. Jacques Rosenthal zum 70. Geburtstag, München ^924, S. 28f. HOLGER NICKEL, Entwicklungen im frühen deutschen Buchhandel, in: Gutenberg-Jahrbuch 1976, S. 482-484; DERS., Deutsch im Leipziger Buchdruck während der Inkunabelzeit, in:

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Holder Kicket

Territorien Absatzmöglichkeiten — die Drucker konnten sie aber wohl nur mit bekannten Autoren und Texten nutzen, denn zuerst diese dürften ein Publikum zum Kauf verlockt haben, nicht so lokale Größen mit geringer Ausstrahlung oder unbekannte Weltliteratur. Man mag sich vorstellen, daß die Drucker mit kurzen Texten, zumal wenn sie praktisch, zur Unterhaltung oder z. B. im Universitätsbetrieb zu nutzen waren, am ehesten ihre Investitionen amortisieren konnten. Jedoch besagt ein oberflächlicher Blick auf das Schicksal der Frühdruckoffizinen, daß viele große Firmen dicke Bücher druckten, wogegen kleinere Bücher seltener ökonomische Stabilität schufen. Viele deutsche Texte wurden von >WanderWinkelSchnellschuß< innerhalb weniger Stunden gesetzt, lief Gefahr, indem sie aus dem Blick geriet, auch physisch zu verschwinden. Unsere als der Späteren einzige Chance ist es, daß sich der Umfang dieser Heftchen durch einen Einband zu einem >richtigen< Buch vergrößerte. Solches Gewicht verliehen die mit Leder bezogenen Holzdeckel, die die Buchbinder bis weit ins 16. Jahrhundert benutzten. Durch ihr Material schuf diese Bindemethode jedoch ein Problem: Die Proportionen zwischen literarischem Überlieferungsgut und Transportmittel wirkten erst angemessen, wenn sich die Texte dank ihrer Länge oder durch die Letterngröße ihrer Präsentation gegenüber Holz und Leder behaupteten. Allein fehlte es den Kleindrucken an Masse. Ein Buch aus mehr Einband als Inhalt (Papier) ist schlecht vorstellbar. Als richtig empfinden wir das Verhältnis bei dickleibigen Werken sowie bei Sammelbänden, die mehrere kurze Texte vereinigen. In der >Handschriftenzeit< sind für solche Zusammenstellungen die Schreiber oder vielleicht klösterliche Buchbinder verantwortlich, die im Scriptorium Texte kombinierten oder in der Werkstatt des Klosters zusammenbanden, im Druck die Drucker oder Herausgeber, die diese MiszellaneenHandschriften nachahmten. Der Geschichte der Textüberlieferung geläufig sind die antiken Scriptores rei rusticae und Scriptores rei militaris, die von den Buchdruckern gleichfalls in toto aufgelegt wurden, daneben wurden durch Zusammendruck von Kurztexten (z. B. >De viris illustribus< [HAIN 8589]) oder durch kommerzielle Koppelung ganzer Bücher (nach thematischen Gesichtspunkten: Gerhard Zerbolt von Zutphen mit Thomas a Kempis und dem >Zeitglöcklein< des Bertholdus [GW 10688], das seinerseits mit verschiedenen Texten kombiniert wurde [GW 4166-4177]) oft neue Corpora gebildet. Entsprechend dem klösterlichen Umgang mit Bibliotheksgut konnten natürlich auch private Käufer ihre handschriftlich oder gedruckt vervielfältigten Erwerbungen zu thematischen Konvoluten vereinigen — lassen, denn allgemein ist von professionellen Buchbindern auszugehen. Als Transportmittel taugte der Einband auch, wenn die Texte eher zufällig zwischen die Buchdecken gelangten, eingeklebt, eingearbeitet oder eingeschrieben. Ich meine die Spiegel der Innendeckel und Falze, wofür die Buchbinder oft nicht mehr benötigte Textarten im Sprachwandel - nach der Erfindung des Buchdrucks, hg. von RUDOLF GROSSE/ HANS WELLMANN (Sprache - Literatur und Geschichte 13) Heidelberg 1996, S. 17-27.

Inkunabeln als Üherlicferuttgsträger - besonders zeitgenössischer Texte

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Textträger verwendeten. Ablaßbriefe auf Pergament eigneten sich besonders gut als Falze. Für die Vorsatzblätter nahmen die Buchbinder allgemein weißes Papier, dieses konnte jedoch, ebenso wie die Innendeckel, von weisen oder Narrenhänden beschrieben werden. Eine Sonderform eines solchen Transports von Texten und Ausgaben ist der - oft spätere - Buchumschlag oder Pappdeckel aus Resten aufgelöster, weil nicht mehr benötigter Handschriften oder Inkunabeln. Bekanntlich diente ein Großteil der Pergamentfragmente der 36zeiligen Bibel >Kasten-Rechnungen< als Deckel.3 Werten wir diesen Befund, so haben wir zwischen willentlich und unbeabsichtigt überlieferten Druckausgaben zu unterscheiden. Gattungsspezifika erlauben uns, genauer zu charakterisieren, denn ganz ohne Frage zufällig auf uns gekommen sind: - Druckproduktionen, die nach ihren Abmessungen nicht im ganzen in Bucheinbände hineinpaßten: so finden wir Almanache und andere Großformate zerstückelt in den Spiegeln von Folianten. — Probedrucke: Verworfene Satzversuche waren nicht für die Lektüre bestimmt. Sie hatten allgemein mit dem Inhalt des Buches, in das sie eingebunden wurden, nichts zu tun. — Man könnte auch an kurzzeitig aktuelle Texte denken, deren kalendarische Geltungsdauer verstrichen war: Almanache, Prognostika und Kanzleischrifttum. Sicher haben auch frühe Interessenten bewußt gesammelt, Barbiere oder Autoren ähnlicher Fachprosa, dazu Bibliomanen, aber sie konnten nur Einzelstücke bewahren. Ihre Gültigkeit verloren auch Aufforderungen zur Heeresfolge, wenn der betreffende Feldzug abgeschlossen war. Bewußt aufbewahrt wurde nur, was in ein (im Regelfall gebundenes!) Aktenkonvolut gelangte, das sich eine Kanzlei oder Person zum eigenen Lebensumkreis anlegte. In den Archiven der Städte finden wir auch die erhaltenen Schützenbriefe. 4 Grundsätzlich ist zu bedenken, daß Papier um 1500 ein teurer Rohstoff war und unsere moderne bibliophile Ästhetik nicht galt: Nicht mehr benötigte Handschriftenfragmente oder Drucke erfüllten zufriedenstellend die Aufgabe, einen nackten Holzdeckel zu verbergen. Diese mehr äußerlichen Betrachtungen könnte man zusammenfassen: Waren sie in den Druck gelangt, hatten dicke Texte, gleich welchen Inhalts, eine gute Überliefe rungschance. Sie stieg, wenn sich ein Orden des Werks eines Angehörigen annahm und dafür eine Öffentlichkeit schuf. Kurze Texte waren durchweg gefährdet, und dies gilt für alle Inhalte. Freilich sind Rezeptionsgewohnheiten zu berücksichtigen, nach denen sich die Drucker bei der Gestaltung ihrer Produkte richteten." 1 So wurden Juridica, Consilia oder Vorlesungen über Gesetzesquellen, meist in Folio gesetzt. Der

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ERNST FREYS, Die Pergamentfragmente der 36zeiligen Bibel, systematisch verzeichnet (bearb. von HOLGER NICKEL), in: Beiträge zur Inkunabelkunde 3. F. 6, 1975, S. 7-13. 4 Ich danke den Kollegen vom Teilprojekt N für diesen Hinweis. 1 HOLGER NICKEL, Zum rezeptionshistorischen Aussagewert der Inkunabelformate, in: Philologus 124, 1980. S. 317-324.

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Holder Nickel

Druck GW 4639 (Ludovicus Bologninus) ist Folio und enthält auf zwei Blatt Text mit Kommentar umgeben. Es ist klar, daß die Drucker mit solchen Ausgaben auf Sammelbände abzielten, die sich die Käufer zusammenstellen würden. Zwei Blatt allein dürften kaum inhaltliches Gewicht gehabt haben, sie erreichten es zusammen mit anderen Texten aus dem gleichen Umfeld. Ein Sammelband jedoch widerspricht oft der Intention eines Textes. Sprachstudien konnte man an einzelnen Grammatiken leichter betreiben als mit Konvoluten. Der Reiseführer >Mirabilia Romae< war bequem nur als Einzelstück zu nutzen. Ein Pilger wurde durch das Papier nur dieses einen Drucks und vielleicht seines Umschlags gedrückt: Sogar mit historischen Holzdeckeln mißt ein Band in der Staatsbibliothek zu Berlin knappe zwei Zentimeter Dicke.6 In einer Sammlung mit anderen Erwerbungen aus der Ewigen Stadt hätte man sich damit weit mühsamer über die Ablässe orientiert. Die Papiermenge vieler, selbst schmaler Drucke erhöhte das Gewicht zwischen Holzdeckeln und Leder, ungünstig wirkte damals — wie heute - eine enge Bindung. Daß wir dennoch so viele Sammelbände in den Bibliotheken finden oder ehemalige Beibände an Indizien erkennen, deutet darauf hin, daß unsere Vorväter die Neigung hatten, >antiquarisch< zu sammeln. Texte wurden unabhängig von ihrer Intention zu Dokumenten des Buchbesitzes zusammengefaßt. Mit einem Sammelband schufen sich die Besitzer so neben Arbeitskompendien Monumente ihrer Bücherliebe. Im Sammelband werden die >Mirabilia< mit anderen Drucken zu einem Souvenir einer Romreise. Besonders kraß empfinden wir den Gegensatz zwischen Aufbewahrung im Sammelband und Nutzung bei >schöner< Literatur. Sie ist uns immer der Einzeltitel, der um seines Handlungsgeflechts willen gelesen wird. Aber nicht nur einem Lektürewunsch kommt und kam die Einzelausgabe entgegen, vor den Zeiten von Sonderangeboten >drei Romane in einem Band< schonte sie den Geldbeutel. Lesekundige mit schmalem Budget konnten so unterhaltende Texte am ehesten kaufen, und sie konnten sie bequem verleihen. Nur für die von Rolf Engelsing beschriebene wiederholende, >intensive< Lektüre mag sich der Sammelband geeignet haben. Auch Überlieferungsverbünde, von den Druckern auf den Markt gebrachte Koppelungen, scheinen dafür vorgesehen. Diese ewig gleiche Abfolge ständig derselben Texte ist uns modernen Lesern, die Unterhaltung hauptsächlich in Neuem finden, schlecht vorstellbar. Aber die zementierte Präsentationsform eines Sammelbandes — die vielleicht kurzen Stücke folgen einander unabänderlich - mag dem nach Engelsing für Leser bis zum Ende des 18. Jahrhunderts charakteristischen »zähen Festhalten am Gewohnten«7 entsprechen. Wenn wir mehrfach alte Verbindungen von Texten beobachten, müssen sie Leserinteressen entspro-

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ERNST VOULLIEMK, Die Inkunabeln der Königlichen Bibliothek und der anderen Berliner Sammlungen. Ein Inventar (Beiheft zum Zentralblatt für Bibliothekswesen 30) Leipzig 1906 (ND Nendeln/Wiesbaden 1968) Nr. 3411. ROLF ENGHLSING, Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500—1800, Stuttgart 1974, S. 183.

ills Überliefeniiigsträger - besonders zeitgenössischer Texte

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chen haben: Häufig die gleiche Zusammenstellung deutet nicht auf individuelle Besitzerentscheide, sondern auf Nutzungskonventionen. s Somit sehen wir bei der Zusammenstellung von Sammlungen nicht nur den Buchbesitzer am Werk, der Ordnung in seiner Bibliothek will, sondern auch die Buchproduzenten. Ihre Textverbindungen sind bislang kaum ansatzweise untersucht worden. Aber selbst wenn wir eine größere Anzahl ermitteln, dürfen wir uns nicht darüber täuschen, daß im Vordergrund persönliche Entschlüsse der Besitzer standen: Auf der Buch-Auswahl beim Kauf fußte die Zusammenstellung der Sammelband-Mixturen. Entsprachen sie seinerzeit auch einem festen Willen, so empfinden wir sie heute als Zufall. Da ist Skepsis angebracht. Schließlich haben wir von den Folgen auszugehen. So hat die knappe Erhaltung von Einzeltiteln als Indiz für die Gattung zu gelten. Schulliteratur wie Grammatiken war gefährdet. Der GW-Artikel >Faber von Budweis, Wenzel· verzeichnet 54 Prognostika von etwa zehn Blatt, von denen nur gut die Hälfte vollständig erhalten ist. Aber auch von einigen Ausgaben des >Corpus iuris< sind nur wenige Exemplare geblieben (bemerkenswerterweise hauptsächlich aus Frankreich, GW 7637, 7640, 7653, 7674 etc.). Im Prinzip könnte man argumentieren, daß, wenn von einer Ausgabe eines Textes nur zwei Zeugen überliefert sind, bei anderen alle verloren sein könnten. Wie aber beziffern wir die Verluste? Nur selten verweist die bibliographische Literatur auf definitiv bezeugte verschwundene Vorlagen überkommener Drucke (z.B. GW 10238, 10702). Sicher wäre das Rechnungsbuch der Florentiner Offizin Apud S. Jacobum de Ripoli auf die nicht erhaltenen Drucke auszuwerten, doch nicht alle Angaben sind unmißverständlich, und ich weiß nicht, ob Florentiner Verhältnisse auf Deutschland zu übertragen wären.9 Dieser pessimistischen Einschätzung steht eine Erfahrung aus der täglichen GWArbeit entgegen: Wir bekommen oft Fragmente zur Bestimmung vorgelegt, die wir mit altbekannten kombinieren können. Otto Leuze hat ein in Ulm gedrucktes deutsches Prognostikon für 149810 entdeckt, nun taucht in Basel ein zweiter Rest des gleichen Drucks auf. In Stuttgart liegt ein Fragment einer Ulmer Ausgabe der >Cursus hinc inde collectischwäbisch< angegeben, die frühesten Blätter sind auf 1450 datiert, das späteste auf 1490.

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Abb. 1

Ursula Raiitenberg

Maria im Ährenkleid (ScHRiiiBKR 1()(K)a = 2911), Exemplar: Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Xyl. 3. - Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg.

Warum Einblaltdntckc einseitig bedruckt sind

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unter vollständiger Nutzung des Raumes, den die Bildkomposition übriggelassen hat, aus der Holzplatte gehoben worden sind. Der erste Satz des Textes"1 bezieht sich sowohl auf das Marienbild des Drucks als auch aufsein Vorbild im Mailänder Dom: £5 ist zu wissen aller menglicli daz diß bilde ist vnscr Heben frou'en bilde als sie in dem teinpel was Ee sie iosepli geniahelt wart Vnd also ist sie in lamparten in dein tlnim zu meHande gemalet. Es folgt die Geschichte von einem zum Tode verurteilten Kaufmann, dem Maria in genau der Gestalt Als sy hie geinalet statt im Gefängnis erscheint. Sie verspricht ihm die Freiheit, wenn er gelobe, ihr Bild in Mailand anzubeten. Der Henker vermag ihm am nächsten Morgen nichts anzutun, so daß der Kaufmann frei wird und sein Gelübde einlösen kann. Im zweiten Textblock werden die Gegenstände rechts erklärt, während man über die Engel nichts erfährt. An den Kranz aus frischen Rosen, der bei dem Bildnis der Jungfrau im Mailänder Dom hängt, knüpft sich ein Mirakel: Die Herzogin von Mailand habe vom Gras, das unter dem Kranz wächst, etwas weggenommen und in ein Gefäß eingeschlossen; dieses Gras sei aber am nächsten Tag wieder an genau die Stelle zurückgekehrt, von der die Herzogin es entwendet habe. Durch die beiden geschilderten Wunder ist die magische Kraft der Figur erwiesen. Wie dem Kaufmann ist Maria auch jedem gnädig, der sie in diser figure in seinen Ängsten und Nöten um Hilfe bittet. Den Schluß bildet ein sechszeiliges Bittgebet. Vom Bildgegenstand und vom Bildtypus her ist das Blatt, auch wenn es seines hohen Textanteils wegen nicht zu den charakteristischen Beispielen gehören dürfte, als >privates Andachtsbild/' zu charakterisieren. Vom Darstellungsmodus, der die Repräsentationsfigur als wichtigsten Bildbestandteil übergroß in die Mittelachse stellt, während alle anderen Gegenstände wesentlich kleiner gezeichnet sind, steht es in der Tradition des frühen >wenigfältigen< Andachtsbildes, zu denen später die szenisch vielfältigen^ hinzutreten. Als Nachahmung und Ersatz einer höheren Bildart - in unserem Beispiel die druckgraphische Reproduktion eines angeblich wundertätigen Gnadenbildes im Mailänder Dom — ist es typisch für die »Ortlosigkeit«, die >Mobilität< des privaten Andachtsbildes, die es erst ermöglicht, Bildkult in die Privatdevotion außerhalb des liturgischen Raumes einzubeziehen, wobei die Größe des vorliegenden Blattes noch an die höherwertige Bildgattung erinnert. 8 Innerhalb einer individualisierten Frömmigkeit des späten Mittelalters erfüllt das >private Andachtsbild< verschiedene Bedürfnisse; es dient der andächtigen Betrachtung, die zur meditatio führen kann, ist aber auch Anlaß zum Fürbittgebet, in dem der Gläubige sich des Schutzes und der Fürsprache der Heiligen versichern will. Die Aufteilung des Bildraumes zwischen visuellen Bildreizen und sprachlichen Erläuterungen im genannten Beispiel ist somit funktional: Das Blatt regt allererst zum Schauen an, es ist sinnlich-konkreter Anlaß kultischer Übungen. Der Text ist sekundär, allenfalls wird ihm eine nachgeordnete, die Bilddevotion stützende Funktion zugebilligt. 15

Wiedergegeben bei HEITZ. Ich zitiere hier wie beim folgenden Beispiel nach dem faksimilierten Blatt; Abkürzungen habe ich stillschweigend aufgelöst. '' Vgl. HANS KÖRNER, Der früheste deutsche Einblattho'lzschnitt (Studia Iconologica 3) Mittenwald 1979, hier besonders S. 3 9 ff. 7 Ebd. S. 59-62. s Ebd. S. 39 und 35.

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Urmia Rantciiberg

Beim zweiten Beispiel (Abb. 2) handelt es sich um einen typographisch-xylographischen Einblattdruck der Inkunabelzeit. 9 Das nicht firmierte Blatt wird dem Drukker Albert Kunne 10 zugeschrieben und auf ca. 1500 datiert. Es ist damit vermutlich drei Jahrzehnte später entstanden als der Einblattholzschnitt, der auf ca. 1460/70 gesetzt wird. Auch bei diesem Blatt interessiert zunächst das Text-Bild-Verhältnis. Das Blatt ist mit einem Satzspiegel von 23,5 X 14,5 cm wesentlich kleiner als der Holztafeldruck. Der unscheinbare Holzschnitt rechts oben wird durch den eng gesetzten Text nahezu erdrückt; bis auf die nicht zur Größe der Typen passende Holzschnittinitiale >I< sind dies die beiden einzigen Schmuckelemente des nicht nachträglich kolorierten Drucks. Eine Zeigehand deutet auf die sonst typographisch nicht weiter betonte Überschrift: Am abgeschafft des brieffs den gott gesaut hat anff saut Michels berg der da im land zu Brittania l igt. Damit läßt sich der Text den zeitlich und räumlich weit verbreiteten >HimmelsbriefenMont-St.-MichelVersioiK, deren Überlieferung kurz vor 1500 einsetzt. Angeblich soll Christus selbst diesen Brief im Himmel geschrieben haben, der vom Erzengel Michael auf den Mont St. Michel gebracht worden sei. In diesem Brief verlangt Christus, wie auch in allen anderen Versionen, unter Drohungen und Verheißungen die Heilighaltung des Sonntags. Den Absender des Briefes, Christus, stellt der Holzschnitt dar, der dem ikonographischen Typus des Salvator mundi folgt. Der Text ist in der Ich-Form geschrieben, als spräche Christus selbst zu den Gläubigen. Zwischen Predigt und sprechende Person schiebt sich distanzierend das Überheterungsmedium, das Original des Briefes auf dem Mont St. Michel, so daß die Rede-Fiktion durchbrochen wird. Die Schrift gewinnt unversehens körperhafte Präsenz, indem sich ihre Materialität hervordrängt. Der Brief entzieht sich dem frech Zugreifenden oder neigt sich dem frommen Abschreiber zu: Wer den bricff angreiffen wil von dem weicht er vnd u>er abschreiben ii'il zu dem naigt er sich vnd thnt sich gegen yni anff. Das Mirakel der Verlebendigung eines toten Gegenstandes beglaubigt aber nicht nur die authentische, sakrale Abkunft der Worte, sondern verleiht dem Schriftträger selbst eine magische Präsenz. Diese kommt nicht nur dem in gnldin bnchstaben geschriebenen Urbild zu, sondern auch allen gedruckten Abbildern. Deshalb können und sollen die Worte Christi in der Art eines Kettenbriefes vervielfältigt werden: Vnd der brieffsol von ainein dem ändern abgcschriben werden. Alle Multiplikate, ob geschrieben oder gedruckt, teilen die magischen Qualitäten des Originals. 12 Ausdrücklich bestätigt Christus am Schluß: Vnd wer den bricff in seinem lianß hat oder bey

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EINUL. 470; HEITZ 9,9. Das Blatt ist in der Universitätsbibliothek Heidelberg nicht mehr vorhanden. Es wurde abgelöst aus einem Pariser Druck von 1510 aus dem Benediktinerkloster Schuttern bei Lahr in Baden (Signatur: Q 1040 A fol. Res.). '" Der Einblattdruck gehört in die Memminger Produktion Kunnes; vgl. DIETER SAAM, Albert Kunne aus Duderstadt. Der Prototypograph von Trient und Memmirigen und die Produktion seiner Offizinen (ca. 1474 bis 1520), in: Bibliothek und Wissenschaft 25, 1991, S. 69168, hier: Nr. 113. 11 Vgl. BERNHARD SCHNELL, Art. >HimmelsbriefΠίφ| ^cle bieg v/t 6 biieff ^ange vot f ne ί Π* φ t la .. .''fcilb Vrtbnltnwnr DMifl wacafieti)»n0tevit , .|«fctg«nmnberjlcb. wb 1(1 mir getbin b^flabtn gt» p^tiben vnb i in bem lanb »iittania.TOerben b»eff an teiffert toil von bem ηκιφί ee vft »er ^n abfcbuibcn wil jtfbemnai tir^ v t&tfc ΡΦ gegen vmauff-B^bcan bae gebort bat got bem i£ngcl font ΙΠΙφιΙ gejane vnb ge offenbart bat. W er an b« j fifnrog oebait ber i von gor ge bane on vtrfWnb «?cc ben glauben nie recht Pan v b·*^ t ji occIoicn.Onb eeie Ati airt«m jrvjlfjpotcn tagarbafr bec i(l eecbane vif tti-fUcbf vnb b} ec :ιφ wiee fid> Mtfe^tfnvif »itefv οα^ϋ^ηΟΦ^111^ ΟΒΓφίχηιπρη5 mtin«tmuter ee^aili Λί(ίβηΙίφ!ΪHecken/»ή&ΟΓφbaebauptjob ntem«-it«terAnffcre?Λβ1φn>aree fwe ctijfa» biftn biitff mit meint« gir c^en ^anb gtfcbub«n Mv vnb nc«r b) tvibee 'φε btc i ceebane onb ocrfl^c vnb vcrbampt vnb nimm*c fol er Tain ^ilff «S n-.'tc w.. l.X>n> tvtc ben bifeff^aeo nie oflftnbr.^ ber i{i verfldd^c von 6 bathgen crt(hnli 4>en ΗΓφή vnb vcclaffen v5 immer jtmecfeetceaic.' nb bcc baeff j'olron einem btnt Anbcnt fk$tf )iibtn tvcrbctt. fit owr fo ttl frfnb i?ee ttfyan Ale fonbr im m5i ί(ί/onb Ale oll taub v gra^ ai>ff «οίίφ if!/v» l« vtl ecn an bcjbimct^nb/ bdcbt er tm t?« wo?/ eetoicebauOrtentbtJnt>en.J[φgtbetίetuφbet^^ bA bitbtvfp'tj'balcinfc^be «je ^ΙΙΡΓ«»*Ι» «te »nb glaube geη^ΐίφ «) ber brieff eocb ltemt/ρπθ w« bae me gtlauf ben»Ubet»ictweebemrten virfUtben inbembltfc/ «Ifobaeecgrplagt nirrvnbfdne Einbee werben aine Wftn tobe erbcn.onb vitfere each ober ^r tccrbcn etvigEUcb g« peiniget in ber £$U,X>nb ϊφ tvocb αιφ (ragen am fung(!en f a? vnb f e tvecbcit mie nie antiwrfet geben von'«t»er gtofltn fiinben iwgen.f «xr ben 'bm ff in fernem baop bac Obetbc^ ^m ttrtgtbec foil etbiie werben o§ mir. Vnb fain boomte ηοφ tvetret mtfr tnc ^m nie ίοΙ^βη.Χυφ fol er vor ferfc vnb roafftr b* bi t (**«- fnnb nnlefae frato bl finbrieffbe^certge bie btinpeainlieb ^i fcucbevnb «infrilicbeamplictauff ic ecben."vnnb baftenb mein gebotr bae ϊφ «ϊφ barcb meinen £n$tl frnt »Πιφί ίφ tun "

Abb. 2

Himmelsbnef [Memmingen: Albert Kunne, nach 1500| (Ei\m.. 470). Exemplar: Heidelberg. Universit tsbibliothek (Kriegsverlust). - Foto: nach Hi:n/ 9.9.

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Ursula

ym tregt der soll erhört werden von mir. Darüber hinaus ist der Besitzer vor Blitzschlag, Feuer und Wasser, Fehl- und Mißgeburten geschützt. 13 Bei beiden Beispielen, dem xylographischen wie dem typographischen, handelt es sich um massenhaft produzierte Repliken eines realen oder fiktionalen, angeblich wundertätigen Kultgegenstands; beide Repliken stehen im Gebrauchskontext privater Frömmigkeit, nicht ohne abergläubische Züge, beide sind sowohl illustriert als auch textiert. Bemerkenswert ist jedoch, wie sich die Gewichtung von Bild und Text verschoben hat. Der unscheinbare Holzschnitt des Typographen ist nur noch ein schwacher Reflex der repräsentativen Marienfigur des Xylographen. Ihr eigentlicher Gegenpart wäre im typographischen Blatt die eng bedruckte Seite, die jenseits des lesenden Verstehens als ästhetische Figur gewürdigt werden kann und so durchaus ein Gegengewicht zur visuellen Dominanz der Heiligenfigur bildet. Dennoch bleibt als Ergebnis festzuhalten: Die andächtige Schau weicht dem Lesen, Sprechen und Hören. Die beiden Drucke sind im zeitlichen Abstand von etwa 30 Jahren entstanden. 14 Jedoch soll es nicht darum gehen, eine zeitliche Abfolge zu konstruieren zwischen überwiegend xylographischem und überwiegend typographischem Blatt, auch nicht darum, den oft konstatierten Wechsel zwischen illiteratem Schauen und lesender Literalität mit einem medialen Wechsel zu verbinden. Der empirische Befund zeigt, daß xylographisch und typographisch übermittelte Inhalte im illustrierten Einblattdruck über hundert Jahre mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander existieren. Xylographisch illustrierte und textierte Einblattdrucke gibt es vermutlich seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts,1·"1 typographisch-xylographischer Druck in einem Arbeitsgang ist seit Anfang der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts möglich.16 Die zeitliche Priorität des xylographischen Abzugs erlaubt diesem, einen bestimmten formalen Typus zu etablieren, der an die technischen Vorgaben graphischer Vervielfältigungsmöglichkeiten gebunden ist. Der Typendruck ändert diese technischen Vorgaben: aber ändert er auch den medialen Typus? Nach einem längeren Umweg läßt sich nun das Thema >Warum Einblattdrucke einseitig bedruckt sind< präzisieren in: >Warum t y p o g r a p h i sche Einblattdrucke einseitig bedruckt sind«.

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Zum Buch als Apotropäum vgl. URSULA RAUTENBERG, Überlieferung und Druck. Heiligenlegenden aus frühen Kölner Offizinen (Frühe Neuzeit 30) Tübingen 1996, S. 82-85 (mit weiterer Literatur). Vgl. Anm. 4 (zur >Maria im ÄhrenkleidBuxheimer Christophorus< von 1423 (SCHREIBER 1349) sein. Vgl. CLAUS W. GERHARDT, Geschichte der Druckverfahren, Teil II: Der Buchdruck (Bibliothek des Buchwesens 3) Stuttgart 1975, S. 23.

Warum Einblattdrucke einseitig bedruckt sind

135

II. Beim xylographischen Druckverfahren 17 werden die nichtdruckenden Flächen des Bildes durch den Formschneider aus einer Holztafel herausgeschnitten, so daß die druckenden Teile als erhabene Linien stehenbleiben. Auf den mit brauner oder schwarzbrauner Tinte eingefärbten Stock legt der Drucker das Papier; der Handabzug wird durch Andrücken und Reiben von innen nach außen mit einem Reiber, einem Falzbein oder einer Bürste hergestellt. Die Rückseite dieses >Reiberdrucks< ist reliefartig gewellt, zudem kann die wasserhaltige Tinte auf die Rückseite durchschlagen. Dies und die starke Beanspruchung des Papiers beim Abreiben, die eine bereits mit wasserlöslicher Tinte bedruckte Oberfläche verwischen würde, machen eine Verwendung der Rückseite unmöglich. Die Herstellungstechnik gibt zwingend vor, daß xylographisch als Reiberdrucke hergestellte Abzüge einseitig bedruckt sind und bleiben. I K Anders der Typendruck, 19 der sich für den Abzug vom Satz der Presse bedient. Neben den vielen metalltechnisch orientierten Erfindungen Gutenbergs gehört die modifizierte hölzerne Schraubenpresse zu den zentralen Voraussetzungen des Drucks mit beweglichen Lettern. Die Presse setzt die Härte der metallenen Typen sowie deren identische Schrifthöhe für einen möglichst gleichmäßigen Abdruck voraus. Im Gegenzug hinterläßt der durch die Spindel über das Deckbrett gleichmäßig auf das Preßgut übertragene Anpreßdruck eine relativ glatte und saubere Papierrückseite. Diese kann in einem zweiten Druckverfahren benutzt werden. 1

' Aus den zahlreichen Darstellungen sei hier nur verwiesen auf GERHARDT (wie Anm. 16) S. 24f. und JÜRGEN DORKA/CORNELIA SCHNEIDER, Vom Block zum Blockbuch. Fotodokumentation zur Entstehung eines Blockbuchs, in: Blockbücher des Mittelalters. Bilderfolgen als Lektüre, hg. von Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum, Gutenberg-Museum Mainz, 22. Juni 1991 bis 1. September 1991, Mainz 1991, S. 19-26. llS Von »oft auch zweiseitig« bedruckten xylographischen Blättern spricht HANS ADOLF HALBEY, Druckkunde für Germanisten, Literatur- und Geschichtswissenschaftler (Germanistische Lehrbuchsammlung 50) Bern u.a. 1994, S. 124. Frau Dr. Sabine Griese, der ich herzlich danke, hat bei einer Durchsicht der entsprechenden Bände des Schreiberschen Handbuchs auf Vermerke über doppelseitige Drucke geachtet, die Schreiber sorgfältig auffuhrt. Von den über 2000 Nummern in den vier Bänden zum Einzelblattholzschnitt ist nur ein geringer Teil doppelseitig xylographisch bedruckt, darunter etwa die Nummern 208b, 258a, ;;"308c, 737. 792 und 2036c. Schreiber weist in den meisten Fällen selbst daraufhin, daß der zweiseitige Druck durch Verwendung von Makulaturpapier zustande gekommen ist. SCHREIBER 1116, 2015x und 2038 haben auf der Rückseite ganz oder überwiegend typographischen Text. Interessant im Sinne einer doppelseitigen Einheit ist allein SCHREIBER 24 mit achtzehn sehr kleinen Holzschnitten nebst zehn Wiederholungen zur Passion Christi, die allerdings in einer »ganz willkürlichen Reihenfolge« angeordnet sind; vgl. auch die Abbildungen in 111. Bartsch 161, S. 43. Halbeys Behauptung entbehrt also — will man Schreiber nicht unsaubere Arbeit vorwerfen - jeder Grundlage. - Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß sich bei den Metallschnitten (Schrotblättern) ein sehr ähnliches Bild ergibt; bei den ebenfalls wenigen doppelseitigen ScHREiBER-Nummern 2233, 2268, 2283, 2289, 2302, 2303, 2364. 2376, 2386, 2395, 2424, 2442, 2447 und 2474 kommen handschriftliche, xylographische und typographische Rückseiten vor. Besonders die Motive, die in mehreren Exemplaren erhalten sind (vgl. besonders 2424), machen deutlich, daß bedruckte oder leere Rückseiten völlig willkürlich vorkommen. 19 GERHARDT (wie Anm. 16) S. 40-43.

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Ursula Ratitenbcrg

Es ist trivial festzustellen, daß sich Gutenberg am gängigen Typus des abendländischen Buches seiner Zeit, also an der Handschrift orientiert hat. Dennoch sei hier festgehalten, daß die durch die Presse ermöglichte doppelseitige Nutzung des Papiers erst erlaubt, diesen Typus unter den Bedingungen mechanischer Vervielfältigung zu erreichen. Handschriften sind Unikate, Drucke, ob xylographisch oder typographisch, zielen auf die Herstellung möglichst vieler, möglichst gleicher Exemplare. Diesen Zug zu arbeitsparender Ökonomie teilen sich graphische und typographische Vervielfältigungsmethoden. Allerdings ist der Typendruck dem Blockdruck in vielen Belangen überlegen; da, wo sich beide Druckverfahren am Typus >Buch< orientieren, fallen die Unterschiede besonders ins Gewicht, wie die mühsam Rückseite an Rückseite zusammengeklebten Blockbücher anschaulich zeigen.20 Als alleiniges Vervielfältigungsverfahren taugt der Holzschnitt nicht für das Vorbild >BuchHimmelsbrief< ist auf viel kleinerem Raum eine ungleich größere Textmenge untergebracht. Der Typendrucker nutzt intensiv die Möglichkeiten seines Mediums in der Übermittlung sprachlicher Informationen. Insofern verhält er sich ökonomisch. Dennoch nutzt er nicht alle Möglichkeiten, die der Typendruck bietet: die Rückseite ist leer! Der Drucker verhält sich insofern unökonomisch, daneben auch leserunfreundlich. Wieviel angenehmer hätte für den mühsam buchstabierenden oder hörend den Zeilen folgenden Rezipienten eine aufgelockerte Textgestaltung oder eine größere Texttype sein können, hätte der Drucker die Rückseite benutzt.

III. An dieser Stelle empfiehlt sich ein Exkurs in die Empirie,21 um Aufschluß über das Typenbewußtsein der Zeit zu gewinnen. Bisher stand lediglich die Behauptung im 20

21

Die sogenannten opisthographischen, d. h. zweiseitig bedruckten Blockbücher wurden auf der Presse hergestellt; vgl. SABINE MERTENS, Was sind Blockbücher? Technik, Themen, Terminologie, in: Blockbücher des Mittelalters (wie Anm. 17) S. 13-18, hier S. 14. Die mühsame Durchforstung von Quellen und Bibliographien, die an dieser Stelle hätte einsetzen müssen, wurde mir glücklicherweise erspart durch die Freundlichkeit von Frau Dr. Griese und Herrn Dr. Eisermann, die mir Einsicht in ihre Aufzeichnungen gewährten, welche auch zweiblättrigc oder doppelseitige Drucke erfassen. Ihnen wie auch dem Projektleiter, Herrn Prof. Dr. Volker Honemann, sei an dieser Stelle herzlich gedankt; ohne ihre Hilfe

Warum Eiiiblatldmcke einseitig bedruckt sind

l 37

Raum, die Konsens aller gängigen Definitionen 22 ist, daß Einblattdrucke in der Regel einseitig bedruckt sind. Sind aber tatsächlich auch alle t y p o g r a p h i s c h e n Einblattdrucke einseitig bedruckt? Zunächst ist festzuhalten, daß nur eine geringe Anzahl solcher Blätter existiert. Erstaunlich homogen stellt sich auch die inhaltliche Analyse dar. Der weitaus größte Teil doppelseitig bedruckter und zweiblättriger, einseitig bedruckter typographischer Blätter entfällt auf amtliche Textsorten kirchlicher und weltlicher Verwaltungen, nämlich auf Ablaßbullen und die zugehörigen Summarien, päpstliche Kanzleiregeln, Mandate deutscher Kaiser, Münzordnungen der Stadtregierungen u. ä.23 Für die meisten dieser Fälle hat man feststellen können, daß »der beidseitige Druck im Grunde zufällig ist«,24 daß - wenn die Kalkulation von Textmenge und zur Verfugung stehendem Raum nicht aufgeht - ein Blatt doppelseitig bedruckt oder ein zweites hinzugenommen werden kann, daß ein und derselbe Text ein Blatt, mehrere Blätter oder ein doppelseitig bedrucktes Blatt füllen kann.2:> Daß für die Textsorte Ablaßverkündigung das einseitig bedruckte Einzelblatt zwar wünschenswert, formal aber nicht unbedingt zwingend war, bestätigen auch zwei der sehr seltenen zeitgenössischen Äußerungen zur Einseitigkeit des Einblattdrucks. Am 7. Januar 1480 bestellt der Rat der Stadt Bern bei dem Basler Buchdrucker Michael Wenssler eine Ablaßbulle in l 500 Exemplaren. Zugleich mit der Bestellung fertigt der Stadtschreiber einen Brief an einen befreundeten Basler Bürger aus, der den Druck beaufsichtigen soll. Darin heißt es, Bulle und deutsche Übersetzung sollen auf ein Papir, ob das möglich ist, gesetzt wcrd[en], wo aber dasselb füglich nit möcht besclicchcn, vjf besundcr papir, wie denn iicli und in [ihm] das förmlich und gut bednnckt [...]. 2 f > Der einseitige Druck wird bevorzugt, aber bei zu großer Textmenge der zweiblättrige in Kauf genommen. wäre der Vortrag ungeschrieben geblieben. - Ich beziehe mich auf Drucke bis Ende 1500, da die bibliographische Aufarbeitung der Quellen dies gebietet. 22 WOLFGANG HARMS, Art. >EinblattdruckeEinblattdruckeFalsche-Gulden-Blätten, die vor falschen Münzen warnen. Anders die zweite Gruppe. Bereits die Tatsache, daß diese Blätter fast immer illustriert sind, verweist auf ihre Wurzeln im xylographischen Blatt. Die Illustration zeigt eine funktionale Spannweite, die von der Bilddevotion zur Bildsatire reicht. Typographische wie xylographische Einblattdrucke dieses Typs entspringen den Werkstätten der Kartenmacher und Andachtsbildchenmaler, der Zeug-, Klein- und Winkeldrucker, 33 oder, wie Schottenloher formuliert: »Aus dem Kram der Briefmaler.« 34 Sie bewegen sich nicht in überwiegend literater, lateinisch-gelehrter Umgebung, sondern behaupten sich auch in illiteraten bis semiliteraten Rezeptionskontexten. Entscheidender Unterschied zu den Verwaltungsschriften ist aber der ausgesprochene Warencharakter, der den Auftragsdrucken fehlt. Während diese zur Information über institutionalisierte Kanäle verschickt und verteilt oder angeschlagen werden, sucht das >literarische< Blatt in xylographischer Tradition sich seinen Käufer selbst; d.h. seine Produktionsbedingungen unterliegen weitaus stärker den Gesetzen des Marktes. Für diesen Typus ist der einblättrig-einseitige Druck bindende Vorgabe. Eine weitere, zunächst rein formale Beobachtung stützt diese These. Von den Nürnberger Autoren Hans Folz und Hans Sachs gibt es Texte, die sowohl im Einblattdruck wie in dünnen flugschriftenartigen Heften erscheinen. Bei den Sachs-Texten handelt es sich um spätere Auflösungserscheinungen; die Flugschrift wird zwei bis drei Jahrzehnte nach dem Einblattdruck aufgelegt. 3ri Das >Branntweinbüchlem< des Hans Folz hingegen erscheint nahezu zeitgleich in beiden Publikationsformen. Sowohl der 32

33 34 35

Dies zeigt die Untersuchung der Kölner Verhältnisse durch SCUMMY, (wie Anm. 24); vgl. auch ScHorrtNLOHER (wie Anm. 22) Bd. 1, S. 46. Zu den Produzenten der xylographischen Blätter vgl. KÖRNIIR (wie Anm. 6) S. 25-31. SCHOI ITNLOHHR (wie Anm. 22) Bd. 1, S. 21, Kapitelüberschrift. Enr. 48a/b, 50a, 55a, 59a, 67a, 67a/b, 69a, 70a. 82/83, 92a; vgl. ADHI.BHRT VON KLI.LER/ EDUARD GOETZK, Hans Sachs, Nachdruck der Ausg. Stuttgart 1900, Hildesheim 1964.

140

Ursula Riintetiberg

illustrierte, mit einer Überschrift versehene Einblattdruck um 149l36 als auch das sechsblättrige Heft von 149337 mit der üblichen Titelblattgestaltung (Werktitel und Holzschnittillustration) sind vollgültige Vertreter ihres Typs. Von der Textmenge her dürfte das >Branntweinbüchlein< auf der Grenze zwischen beiden Publikationsformen gestanden haben. Daß zur Entzerrung der Textblöcke nicht die Rückseite des Blattes genutzt wurde, sondern der Typ des dünnen, wenigblättrigen Heftes herangezogen wird, zeigt: Es gibt keinen Zwischentypus zwischen dem einseitig bedruckten losen Blatt und der zum Typus >Buch< gehörenden Broschüre.

IV.

Damit möchte ich zu meiner Ausgangsfrage, warum Einblattdrucke einseitig bedruckt sind, zurückkommen. Ich glaube gezeigt zu haben, daß das xylographische Blatt aufgrund drucktechnischer Vorgaben eine formale Eigenschaft vorgibt, die das typographisch-xylographische übernimmt, sofern es nicht der Gruppe der amtlichen und halbamtlichen Schriften und Bekanntmachungen angehört. Daß das einseitig bedruckte Blatt in historischen Gebrauchskontexten anzutreffen ist, die die Einseitigkeit voraussetzen - man denke an den brief als Wandschmuck, an die in den Kodex eingeklebten Andachtsbilder und an die Wandkalender -, scheint mir ein Sekundärphänomen der vorgegebenen Produktionsweise zu sein, wobei die Einseitigkeit aber ausdrücklich auf die Wurzeln im Holztafeldruck verweist, der ja ursprünglich zur mechanischen Reproduktion von Bildern und nicht von Texten entwickelt worden ist. Bilder pflegen außerhalb des Buchkontextes einseitig zu sein, so daß die technische Vorgabe hier gar nicht als Mangel, sondern als Normalität erscheint. Der xylographische Drucker druckt nicht einseitig, weil er einen bestimmten medialen Typus erzielen will, sondern weil er nur einseitig drucken k a n n ; daß diese Vorgabe das zu erzielende Produkt nicht beeinträchtigt, liegt an der Art der Objekte, die er vervielfältigen will. Der Typendrucker k a n n doppelseitig drucken, aber er steht bereits in formalen Traditionen. Besonders das zweite Beispiel vom Beginn, der >Himmelsbriefim Haus haben< — nennen gerade nicht das Aufhängen an der Wand oder das Einkleben in die Truhe. Dieses Ergebnis läßt sich ohne Schwierigkeiten einordnen in übergeordnete Forschungskontexte, die die mit den Auswirkungen des Medienwechsels verbundenen Umbrüche untersuchen. Der Druck mit beweglichen Lettern respektiert zunächst die traditionellen Formen handschriftlicher und graphischer Kultur auch unter Verzicht auf Ökonomie und Effizienz. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Disziplinen zurückkommen, die sich mit Einblattdrucken beschäftigen. Da ist zunächst die Kunstgeschichte, die den auf einem einzelnen Blatt reproduzierten Holz- und Metallschnitt betrachtet. Aber vor allem die ältere Kunstgeschichte hat die graphischen Einblätter als unvollkommene Vorläufer einer durch Künstler wie Dürer nobilitierten und perfektionierten Technik gesehen. Dies gilt so nicht mehr für neuere, ikonographisch orientierte Forschungsarbeiten; hier sei nur die grundlegende Arbeit von Körner38 zum frühesten deutschen Einblattholzschnitt genannt. Dennoch steht naturgemäß die Auseinandersetzung mit dem Bild im Vordergrund. Wie nähern sich Literaturwissenschaftler dem Thema? Nennen möchte ich hier nur zwei neuere einschlägige Monographien. Grob falsch ist die Behauptung von Ecker: »Die Anfänge des Einblattdrucks können mit dem Beginn des Buchdrucks gleichgesetzt werden f...].« 3 9 Schilling, der aus der Perspektive des illustrierten Flugblatts des 16. und 17. Jahrhunderts urteilt, entscheidet sich für die folgende Definition: »So läßt sich unter dem Begriff des illustrierten Flugblatts eine Gruppe von Einblattdrucken zusammenfassen, die in der Regel ein ausgewogenes Verhältnis von Text und Bild aufweisen«, wobei Schilling Text und Bild genauer als »Typendruck« und »Graphik« bezeichnet. Andere, vor allem die Frühformen, werden in eine »Übergangszone« verwiesen.40 Die historische Rückbindung an die graphischen Formen, die ja über weite Strecken ihre Produzenten, ihre Distributions- und Rezeptionsweisen mit dem typographischen Blatt teilen, fehlt auch hier: Text ist Text im Typensatz. So könnte man immer noch mit Wolfgang Brückner polemisieren: »Deutsche Forschung kommt f . . . ] vom Lesen zum Sehen.« 41 Naturgemäß gilt dieses Verdikt von der Dominanz des Wortes nicht fiir die Volkskunde, die den Einblattholzschnitt den populären Bildgattungen zuordnet, sie gar als frühe >Massenbildkunst< 42 charakterisiert. Wiederum eher vom Wort gehen Geschichte und Theologie aus; die sich innerhalb der Geschichtswissenschaft etablierende 38

v> 411

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42

Wie Anm. 6. ECKI;R (wie Anm. 36) Bd. l, S. 8. MICHAKL SCHILLING, Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29) Tübingen 1990, S. 3. WOLFGANG BRÜCKNP.R, Massenbilderforschung 1968-1978. Erster Teil: Die traditionellen Gattungen der populären Druckgraphik des 15. bis 19. Jahrhunderts, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 4, 1979, S. 130-178, hier S. 136. Vgl. ebd. S. 137f.

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Ursula Rautenherg

>Historische Bildkunde< betont neuerdings den historischen Quellenwert der Illustrationen. Nicht zuletzt sollte hier auch die Publizistik genannt werden, die im Rahmen einer Mediengeschichte das Flugblatt als Vorläufer der Zeitung sieht.43 Schon an diesen Beispielen wird deutlich, wie die jeweilige Disziplin aus ihrer Perspektive sich dem Gegenstand >Einblattdruck< nähert. Ich denke, daß man zu keiner befriedigenden Erklärung des Phänomens im Sinne einer medialen Typologie kommen kann, wenn man nicht die sehr unterschiedlichen Traditionsstränge der im einseitig bedruckten Einzelblatt vorkommenden Genres berücksichtigt. Bei Produzenten, Produktionsintention, Markt- und Gebrauchssituationen und nicht zuletzt auch bei den Rezipienten gibt es erhebliche Unterschiede, die man nicht über einen Kamm scheren sollte, zumindest dann, wenn man sich in der Frühzeit des Einblattdrucks befindet, in der Xylographisches und Typographisches nebeneinanderstehen und sich aufeinander zubewegen.

43

Zur Beteiligung der einzelnen Disziplinen an der Einblatt- und Flugblattforschung vgl. den Forschungsbericht von BRÜCKNER (wie Anm. 41) sowie HARRY OELKE, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter (Arbeiten zur Kirchengeschichte 57) Berlin/New York 1992, S. 23f.

Falk Eisermann

Auflagenhöhen von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert

I. Vorbemerkungen Copia variarniii cedularntn indulgentiantm in valuis scpteni ecclcsiamm in urbc ccrtarninqnc aliarnin qffixarum cetcrisqtie monasteriis. Mit diesen Worten charakterisierte ein unbekannter Schreiber seine Kopien einiger päpstlicher Autrufe zum Kreuzzug gegen die Türken und zu den damit verbundenen Ablässen der Jahre 1468 bis 1470.' Obwohl sich dieser Eintrag wahrscheinlich auf handgeschriebene Blätter bezieht, weist er doch beispielhaft auf den immensen Anstieg der Produktion und Publikation schriftlicher Zeugnisse in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hin, vor allem auf die gesteigerte Präsenz von ephemerer Schriftlichkeit im öffentlichen Raum. Nicht nur durch Anschläge an Kirchentüren und Klosterpforten, sondern auch durch viele weitere Vermittlungsinstanzen wurde das Publikum nun mit Texten unterschiedlicher Art und Intention konfrontiert, die mit den oben genannten ccdnlae eines gemeinsam hatten: Sie waren auf einseitig beschrifteten Überlieferungsträgern niedergelegt, im allgemeinen auf aktuelle Ereignisse bezogen und dadurch auf bestimmte Formen öffentlicher Rezeption abgestellt. Unmittelbar nach Gutenbergs Erfindung traten zu solchen handschriftlichen Dokumenten gleichartig angelegte Erzeugnisse der Druckerpresse, die im Verlauf des 15. und frühen 16. Jahrhunderts zu einem der bedeutendsten publizistischen Instrumente überhaupt wurden: die Einblattdrucke. Gegenüber den herkömmlichen, handschriftlichen Kommunikationsformen lag die besondere Qualität aller Druckwerke in ihrer Reproduzierbarkeit, in der frei festsetzbaren Höhe ihrer Auflage und in der beliebigen Wiederholung des Herstellungsvorgangs ohne weiteren organisatorischen Aufwand. Daten zu Auflagenhöhen sind grundlegende Informationen für die Bedingungen von Produktion, Distribution und Rezeption gedruckter Bücher in der Inkunabelzeit. Besonders der Übergang von der 1

Enthalten in einem Sammelband aus dem Augustiner-Chorherrenstift Möllenbeck (Diözese Minden), Landesbibliothek Hannover, Ms I 182, fol. 60r; vgl. Handschriften der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover. Zweiter Teil: Ms I 176a-Ms Noviss. 64, Beschreibungen von HKLMAR HÄRTEL/FELIX EKOWSKI, hg. von HHLMAR HÄRIT.I. (Mittelalterliche Handschriften in Niedersachsen 6) Wiesbaden 1982, S. 43-54, hier S. 48. Übersetzung: >Abschrift verschiedener Ablaß-Zettel, die an den Türen der sieben (Haupt-)Kirchen in der Stadt (Rom), an einigen anderen (Kirchen) und weiteren Klöstern angebracht waren«. Zur Bedeutung des Begriffs ccdtilae vgl. JAN-DIRK MÜLLER, Bild - Vers - Prosakommentar am Beispiel von Fechtbüchern. Probleme der Verschriftlichung einer schriftlosen Praxis, in: HAC;):N KELLER/KLAUS GRUBMÜLLER/NIKOLAUS STAUBACH (Hgg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstuten (Münstersche Mittelalter-Schriften 65) München 1992, S. 251-282, hier S. 256.

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Falk Eisermann

Handschrift zum Druck und die Frage nach der Verfügbarkeit schriftlicher Erzeugnisse im spätmittelalterlichen Alltag interessieren die historische wie die literarhistorische Forschung seit längerem. Allerdings hat sich die Inkunabelkunde in neuerer Zeit mit diesem Problem nicht eingehend befaßt. Die maßgebliche Bibliographie nennt lediglich fünf Titel, die sich mit Auflagenhöhen beschäftigen.2 Das Fehlen einschlägiger Untersuchungen zeigt an, daß die Quellenlage bzw. die Aufarbeitung und Auswertung des Materials äußerst unbefriedigend ist.3 Zumindest »für nahezu alle >Best-< und >Steadyseller< der Druckproduktion des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts« 4 feh2

Vgl. SEVERIN CORSTEN/REIMAR WALTER FUCHS unter Mitarbeit von KURT HANS STAUB (Hgg.), Der Buchdruck im 15. Jahrhundert. Eine Bibliographie, 2 Bde (Hiersemanns Bibliographische Handbücher 7,1/11) Stuttgart 1988/1993, S. 35. Wenig ergiebig ist WALTER KRIEG, Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Bücherpreise und des Autorenhonorars vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, Wien 1953, Anhang: Kleine Notizen zur Auflagengeschichte der Bücher im 15. und 16. Jahrhundert. Vgl. weiterhin GOTTFRIED ZEDLER, Über die Preise und Auflagenhöhe unserer ältesten Drucke, in: Beiträge zum Bibliotheks- und Buchwesen Faul Schwenke zum 20. März 1913 gewidmet, Berlin 1913, S. 267-288; OTTO W. FUHRMANN, Über die Auflagenhöhe der ersten Drucke. Nebst Bemerkungen über den Verlauf der Erfindung Gutenbergs (Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft 61) Mainz 1956; FERDINAND GELDNER, Inkunabelkunde. Eine Einführung in die Welt des frühesten Buchdrucks (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens 5) Wiesbaden 1978, S. 155-157, zu Deutschland besonders S. 155. Vgl. auch LEONHARD HOFFMANN, Gutenberg und die Folgen. Zur Entwicklung des Bücherpreises im 15. und 16. Jahrhundert, in: Bibliothek und Wissenschaft 29, 1996 (Inkunabel- und Einbandkunde. Beiträge des Symposions zu Ehren von Max Joseph Husung am 17. und 18. Mai 1995 in Helmstedt), S. 5-23, besonders S. 1519. Die Bedeutung der Frage nach »Höhe und Anzahl der Auflagen banaler Druckwerke« (sie) betont WOLFGANG VON STROMER, Eine reziproke Klassifikation von Wiegendrucken, in: Gutenberg-Jahrbuch 1993, S. 15—19, zit. S. 19. Der Beitrag beansprucht allerdings offenbar nicht, wissenschaftlich ernstgenommen zu werden. 3 Vgl. dazu jetzt UWE NEDDERMEYER, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Quantitative und qualitative Aspekte, 2 Bde (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 61) Wiesbaden 1998 (durchgehend paginiert). Da die Arbeit erst unmittelbar vor der Drucklegung dieses Beitrags erschienen ist, konnten ihre Ergebnisse im einzelnen nicht mehr berücksichtigt werden. Einblatt- und andere Kleindrucke spielen dort jedoch, wie der Blick in das Register S. 964 zeigt, keine Rolle (zu einem Detail siehe unten Anm. 59). Erste Ergebnisse sowie eine Tabelle bietet DERS., Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Bestimmung der Buchproduktion im Spätmittelalter, in: Gazette du Livre Medieval 28, 1996, S. 23-32, hier S. 24. Seine Ansicht, aufgrund der ihm vorliegenden 160 Belege sei für eine Auswertung »keine größere Abweichung« (ebd.) zu befürchten, ist irrig: Eine so schmale Materialbasis kann bei mehr als 30000 Inkunabel-Ausgaben nicht repräsentativ sein. Überlieferungsgeschichtlich nicht genügend fundiert scheint mir auch seine darauf aufbauende Studie: Why were there no Riots of the Scribes? First Results of a Quantitative Analysis of the Book-Production in the Century of Gutenberg, in: Ebd. 31, 1997, S. 1-8. - Eine sicher nur in seltenen Fällen anwendbare Methode zur Berechnung von Auflagenhöhen anhand des Papierverbrauchs benutzt THEO GERARDY, Zur Methodik des Datierens von Frühdrucken mit Hilfe des Papiers, in: HANS LIMBURG/HARTWTG LOHSE/WOLEGANG SCHMITZ (Hgg.), Ars impressoria. Entstehung und Entwicklung des Buchdrucks. Eine internationale Festgabe für Severin Corsten zum 65. Geburtstag, München/New York/London/Paris 1986, S. 47-64, besonders S. 59 und 62. 4 GERD DICKE, Heinrich Steinhöwels >Esopus< und seine Fortsetzer. Untersuchungen zu einem Bucherfolg der Frühdruckzeit (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 103) Tübingen 1994, S. 219. Vgl. auch HANS-JÖRG KÜNAST, »Getruckt

Außagenliöhctt von Einblattdmckeii im 15. und frühen 16. Jahrhundert

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len nachvollziehbare Angaben über Auflagenhöhen und über Einzelheiten von Herstellung und Absatz. So werden immer wieder Angaben zu Auflagenhöhen genannt, die nicht auf Quellen beruhen, sondern auf Extrapolationen und Vermutungen der jeweiligen Verfasser.·'' Die gängige Forschungsmeinung läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Auflagen von weniger als 100 und mehr als 1000 Exemplaren seien ungewöhnlich gewesen; um 1480 sei mit durchschnittlich 300 — 500 Stück zu rechnen, und in der Folgezeit sei die Auflagenhöhe stetig angestiegen, so daß bis zum Jahr 1500 zunehmend häufig die Eintausender-Grenze erreicht worden sei.6 Diese Angaben beziehen sich überwiegend auf die deutschen Druckereien. Andernorts stellt sich die Situation zweifellos anders dar. Im Umkreis des venezianischen Druckers Nicolas Jenson (f 1480) und seiner Nachfolger etwa ist mit erheblich höheren Auflagen zu rechnen. 7 Weniger noch als die Auflagenhöhen von Büchern sind die entsprechenden Zahlen zu den Kleinst- und Akzidenzdrucken der Inkunabelzeit, besonders zu Einblattdrucken, bisher systematisch gesammelt worden.8 Allgemein herrschen auch hier mehr oder weniger fundierte Schätzungen vor, wobei die genannten Zahlen stark differieren, jedoch meist relativ hoch angesetzt werden. 9 Nicht viel besser ist es um benachzu Augspurg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555 (Studia Augustana 8) Tübingen 1997, S. 27. 3 Über diese »Rechenexperimente« kritisch DICKE (wie Amn. 4) S. 250; vgl. auch ANNELIESE SCHMITT, Literarische und verlegerische Buchertolge im ersten Jahrhundert nach der Erfindung der Buchdruckerkunst, in: Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte 31, 1988, S. 147-170, besonders S. 151: »alle bisherigen Berechnungen sind nur Schätzungen«. '' Vgl. DICKE (wie Anm. 4) S. 25()ff. und TILG BRANDIS, Handschriften- und Buchproduktion im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: LUDGER GRENZMANN/KARI. STACKMANN (Hgg.), Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981 (Germanistische Symposien - Berichtsbände 5) Stuttgart 1984, S. 176-196. GELDNER (wie Anm. 2) S. 156 gibt die durchschnittliche Auflagenhöhe mit etwa 300 bis 400 Exemplaren an, wobei die höchsten Zahlen in Italien erreicht wurden; »Auflagen über 1(100 waren aber im l 5. Jahrhundert zweifellos verhältnismäßig selten« (ebd.). Zur unteren Grenze vgl. KONRAD HAEBLER, Handbuch der Inkunabelkunde, Leipzig 1925 (Nachdruck Stuttgart 1979) S. 142- 145, besonders S. 142. Auch Breviere wurden, trotz der hohen Zahl möglicher Abnehmer, in relativ niedrigen Auflagen gedruckt. »So betrug die Auflage für das Regensburger Brevier von 1480 (GW 5433) 400, für das von Sitten von 1482 gar nur 150 (GW 5459), für das Utrechter von 1486 600 (GW 5484) und für das Churer Brevier von 1490 400 (GW 5332). Erst das Konstanzer Brevier von Ratdolt von 1499 (GW 5325) hatte die überraschend hohe Auflage von 1500« (HERMANN TÜCHLE, Bemerkungen zu den ältesten Drucken des Konstanzer Breviers, in: OTTO WENIG |Hg.], Wege zur Buchwissenschaft. Viktor Burr zur Vollendung des 60. Lebensjahres [Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde 14] Bonn 1966, S. 175-193, hier S. 177; ebd. S. 176" die geschätzte Zahl von 15000 bis 17000 Klerikern als potentieller Kundenkreis allein in der Diözese Konstanz). 7 Vgl. MARTIN LOWRY, Nicholas Jenson and the Rise of Venetian Publishing in Renaissance Europe, Oxford 1991, S. 183. H Ausnahme: WOLFGANG SCH.MIT/, Die Kölner Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 35) Köln 1979, S. 59-66. Romanorum gesta pontificumSalvator nosten Sixtus' IV. vom 9. Februar 1480; die Bulle selbst wurde zwar nicht von Bämler, aber von seinem Augsburger Kollegen Hermann Kästlin und auch von Georg Lauer in Rom publiziert (EiNBL. 1355, 1356). Die Absolutionen liegen in den annähernd identischen 19zeiligen Formularen EINBL. 54 und 55 (GW 80 und 81) vor, die Ablaßbriefe in der 27zeiligen Ausgabe GW 81 /l O.39 Auch aus der Korrespondenz des Augsburger Druckers und Notars Jodokus Pflanzmann mit Tengler geht hervor, daß er gleichzeitig mit Bämler für den Nördlinger Ablaß tätig war und 1480 innerhalb weniger Wochen mehr als 20000 Beichtbriefe, je vier auf einem Bogen, herstellte.40 Eine Lieferung von 1000 Stück kündigte er in 34

Vielleicht hat Bämler diesen Auftrag aufgrund von Arbeitsüberlastung an Jodokus Pflanzmann und Hermann Kästlin weitergegeben, von denen - im Gegensatz zu Bämler - mehrere Drucke für den Münchner Ablaß bekannt sind (Pflanzmann: EINBL. 705/706; Kästlin: EINBL. 1344-1346, 1413, 1434/1435). 3:1 Vgl. HELMUT PRESSER, Briefe des Augsburger Frühdruckers Hans Bämler aus dem Jahr 1480, in: Aus dem Antiquariat, Nr. 2, Februar 1978 (Beilage zum Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 17), S. A 3-A 39; der Versuch einer Übersetzung S. A 34 ist wie der ganze Beitrag sehr fehlerhaft; ich zitiere nach Abb. l ebd. Eine Mitteilung über die Briefe schon bei KARL SCHORBACH, Der Straßburger Frühdruckerjohann Mentelin (1458-1478). Studien zu seinem Leben und Werke (Veröffentlichungen der Gutenberg-Gesellschaft 22) Mainz 1932, S. 114. •v> Vgl. PRESSER (wie Anm. 35) S. A 37 Abb. 3 (S. A 35 falschlich »über dreitausend Absolutionen«). 17 Ebd. S. A 34f. und Abb. 2. •w Ebd. S. A 36 und A 38 Abb. 4. Es ist unklar, was mit dem Begriff gemeint ist (ebd. S. A 36: »Formulare für den Gebrauch des Stadtschreibers«). 39 1483 druckte Bämler nochmals einen Ablaßbrief für Nördlingen (EINBL. 56, GW 82). 4 " Vgl. HELMUT PRESSER, Briefe des Frühdruckers Jodocus Pflanzmann, in: Gutenberg-Jahrbuch 1983, S. 172-176. Auf die Briefe kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden, aber vor allem Brief l vom l. April 1480 ist nach der Inhaltsparaphrase ebd. S. 172f. bedeutsam für die Frage nach dem Verhältnis von Auftraggebern und Druckern. - Laut KÜNAST (wie Anm. 4) S. 153 seien die Ablaßbriefe über die Nördlinger Messe »vertrieben« worden, was aber sehr unüblich wäre.

Außageiiliölten

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einem nicht datierten Brief an: Hie transtnitto doininis meis Consnlatiis Nördlingensis Mille copias.4* Dabei muß es sich um eine Bulle gehandelt haben, weil Pflanzmann im folgenden bemerkt, er habe bereits 200 Abzüge unterzeichnet, d. h. mit einem Auskultationsvermerk versehen. 42 Insgesamt hatte er mit Nördlingen die Herstellung von 3000 Exemplaren vereinbart: Item iuxta pactinn de tribns mtlibus copiamin habebitis omnes ad fcriain qitariain proxiinani. Mit dem Druck der 20000 confessionalia werde er statini post PiKca beginnen, also nach dem 2. April, falls der Brief aus dem Jahr 1480 stammt. Die Zahl von 20000 Exemplaren kann wohl auf GW 13-16 bzw. auf die Beichtbescheinigung GW 3767 bezogen werden.43 Die gleiche Stückzahl wird für die Ablaßverkündigung im hohen Norden gemeldet: »Der nach Schweden entsandte Ablaßkommissar Antonius Masth will, als er 1489 erstmals dorthin reiste, nicht weniger als 20000 Exemplare von Ablaßbriefformularen mit sich geführt haben, die, wenn die Angabe zuverlässig ist, wohl alle in Lübeck gedruckt sein müßten.« 44 Die Angabe dürfte, wie die Augsburger und Nördlinger 41 42

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PRESSER (wie Anm. 40) S. 175 Abb. 2. PRESSER (wie Anm. 40) S. 176 bezeichnet die Drucke als »Beichtbriefe«, was unsinnig ist, da diese nicht von Notaren, sondern von den Ablaßkommissaren ausgestellt wurden. Der fragliche Druck ist nicht nachweisbar, aber es sind zahlreiche Exemplare einer Bulle erhalten, die zwar von Pflanzmann unterschrieben, aber nach den Typen von Hermann Kästlin gedruckt wurde, und zwar der eben erwähnte Druck EINBL. 1355 (vgl. auch Anm. 34). Handschriftliche Bestätigungen von Pflanzmann tragen z. B. die Exemplare Staats- und Stadtbibliothek Augsburg (2° Ink 236), Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (Ine 197,10). Kestner-Museum Hannover (2 Exemplare, Inv.-Nr. 322), Universitätsbibliothek Löwen (zerstört), British Library (1C. 6231), Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Kk. H. B. 2731/K. 1246) und Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt (OS 166). Nach MANFRED VON A R N I M , Katalog der Bibliothek Otto Schäfer Schweinfurt, Teil 1: Drucke, Manuskripte und Einbände des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 1984, S. 605 Nr. 316 soll es sich hier um das erste Erzeugnis aus Kästlins Druckerei handeln. Dann wäre m. E. die Druckerzuweisungaufgrund von Pflanzmanns Korrespondenz neu zu diskutieren; möglicherweise gehörte Kästlins Type 2 zu diesem Zeitpunkt noch Pflanzmann. Denkbar ist auch, daß Pflanzmann den Druck wegen Überlastung seiner nur nebenberuflich betriebenen Offizin an Kästlin delegierte, wobei er freilich als Notar die Auskultation selbst übernehmen mußte. Ein von PRESSER (wie Anm. 40) S. 174f. mitgeteilter Brief des Augsburger Kaplans Heinrich Zech an Tengler vom 3. Mai 1480 besagt, daß Pflanzmann den Kaplan mit Schreibarbeiten beauftragte, für die dieser fünf Gulden zu erhalten habe, aber er wolle sich mit vier Gulden zufriedengeben. GW 3767 datiert den Druck auf 1481, obwohl der Text in Z. 6 die Ziffer M /. . . und anschließendes Spatium aufweist; es ist damit zu rechnen, daß die Formulare 1480 fertiggestellt waren und über einen längeren Zeitraum hinweg verwendet werden sollten. GW 1316 sind wegen ihres Initiums C(jc> Coininiisarius infrascriptm und vor allem wegen des Fehlens der charakteristischen Bestandteile (z. B. der Forma confosfioiialis) nicht als Ablaßbriefe zu bezeichnen, zumal etwa GW 15 in mehreren Exemplaren erhalten ist, die zusammen mit GW 3767 auf einen Bogen gedruckt sind. Übrigens sind GW 13-16 von Pflanzmann wenig sorgfaltig hergestellt worden, da sie eine Anzahl von Druck- und Lesefehlern aufweisen. B E R N D MOEI.LER, Die letzten Ablaßkampagnen. Der Widerspruch Luthers gegen den Ablaß in seinem geschichtlichen Zusammenhang, in: HART.MUT BOOCKMANN/BERND MOELLER/ KARL STACKMANN (Hgg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik — Bildung — Naturkunde - Theologie. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1983-1987, Göttingen 1989 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-Hist. Klasse. 3. F. 179) S. 539-567, hier S. 551 Anm. 69, unter Berufung auf ISAK COI.LIJN, Sveriges Bibliografi

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Belege zeigen, zuverlässig sein, und es lassen sich weitere, teilweise höhere Angaben über Vertriebszahlen von Ablaßbriefen beibringen, die freilich nicht mit Auflagenhöhen gleichzusetzen sind. Allein in Düren konnte ein Ablaßkommissar wenige Jahre zuvor in kürzester Zeit 800 Briefe absetzen, für deren Verkauf er - neben 230 Gulden sonstiger Spenden - 200 Gulden erlöste.45 Aus einem Betrag von über 600 Gulden, die im März und April 1488 in Frankfurt eingenommen wurden, hat man auf 2400 abgesetzte Formulare geschlossen.46 Im selben Jahr quittierten 16 Ablaßkommissare in Utrecht den Erhalt von mehr als 2200 Confessionalen.47 In Halle ergab der Verkauf von 2600 Briefen zwischen März und Juli 1502 617 Gulden. 48 Und »1490 registrierte man bei der zentralen Ablaßverkündigung im steiermärkischen Vorau den Verkauf von über 50000 Ablaßbriefen in sieben Monaten«. 49 Den ungeheuren Bedarf an solchen Formularen dokumentieren auch Zahlen aus Spanien. Der deutschstämmige Drucker Meinhard Ungut in Sevilla erhielt im September 1493 von dem Franziskaner Francisco de Mayorga einen Auftrag über eine Stückzahl von 10000 Ablaßbriefen, dazu sollten nicht weniger als 50000 veronicas auf Pergament angefertigt werden.·""0 Die zweite An-

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intill är 1600, Bd. 1: 1478-1530, Uppsala 1934-1938, S. 102; der Wortlaut der Quelle dort: Item in primis quando fiiiinus admissi ad pnblicandus lias sacratissimas indulgentias portanimus nobiscum xx'" confessionalia. Item in Iwlmis fucrunt inpressa iic; laut COLLIJN, S. 102 und 105f., wäre dies zu beziehen auf die bei Steifen Arndes gedruckte Ausgabe EINBL. 1133, aber auch EINBL. 1134, 1135 u.a. kommen in Frage. Zu Antonius Mast(h) vgl. ebd. S. 101 f.; PAULUS (wie Anm. 22) S. 215; TORE NYBERG, Papst Innocenz VIII. und Skandinavien, in: Archivum Historiae Pontificiae 22, 1984, S. 89-152, hier S. 129f. Vgl. SEVERIN CORSTEN, Der Ablaß zugunsten der Kathedrale von Saintes. Seine Verkündigung am Niederrhein im Spiegel der Wiegendrucke, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 177, 1975, S. 62-75, hier S. 68 mit Anm. 31: Item adlntc, quando liuinsmodi indnlgencie primo fuerint in dnreit, receperunt in cista iicxxx fl. et de litteris, que fuenmt viiir, pro qnalibet litten vi alb. colon, ultra supradicta (6 alb. = ein Viertelgulden). Der Beleg findet sich in einem Aktenstück des Alten Landesarchivs des Herzogtums Jülich-Berg als Nachtrag zu einem Rechenschaftsbericht des Ablaßpredigers Jacobus Dasse, der im Frühjahr 1487 am Niederrhein tätig gewesen war. Am 5. Mai war auch er in Düren und hatte dort nochmals fast 780 Gulden eingenommen (vgl. ebd. S. 67f). Frankfurter Urkundenbuch (wie Anm. 18) S. 53: »Die Abrechnung aus den Ablaßkisten ergab 1468 fl., aus dem Satz >de literis confessionalibus habuit ultra 600 fl., pro qualibet scilicet 6 s< ergibt sich die Zahl von 2400 Ablaßbriefen.« Mehrere von Peter Schöffer in Mainz gedruckte Exemplare sind im Stadtarchiv Frankfurt erhalten, z.B. EINBL. 1118 (Sign.: M. v. Lersner-Urk. 1488 März 18), ausgestellt am 18. 3. für den Frankfurter Bürgermeister, Ratsherrn und Schöffen Walther Swarzemberg und seine Frau Ursula sowie zwei Exemplare von EINBL. 1115 (Sign.: M. v. Lersner-Urk. 1488 März 25 und Weißfr. Kl. Lit. M Nr. 9 = 65), die am 25. 3. für lyphardus et katlierina uxor eins legitima und am 30. 3. für Anna, Priorin des Weißfrauenklosters (Reuerinnen), und ihre Mitschwestern ausgefertigt wurden. Vgl. FREDERICQ (wie Anm. 19) S. 344-347 Nr. 248. Vgl. NIKOLAUS PAULUS, Raymund Peraudi als Ablaßkommissar, in: Historisches Jahrbuch 21, 1900, S. 645-682, hier S. 676. MOELLER (wie Anm. 44) S. 555 (die exakte Zahl: 52936, vgl. ebd. Anm. 91), nach Pius FANK, Das Chorherrenstift Vorau, Vorau 21959, S. 84. Vgl. HARRY WOHLMUTH, Las mas tempranas bulas de indulgencias espanolas impresas: Nuevos datos sobre la fecha de impresion de la >Bula de Guinea< y de la introduccion de la imprenta en Sevilla, in: El libro antiguo espanol. Actas del segundo Coloquio Internacional, Salamanca 1992, S. 493-553, hier S. 50()f., nach: JOSE GESTOSO PEREZ, Noticias ineditas de impresores sevillanos, Sevilla 1924, S. 5; FRANCISCO COLLANTES DE TERÄN, Un taller ale-

Aiißagciiliölicn von Einblattdrnckcn im 15. und friilwn 16. Jahrhundert

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gäbe ist besonders bemerkenswert: Sollte es sich hier um Holzschnittblätter der Vera Icon gehandelt haben, so wäre dies ein singulärer Beleg für die Auflagenhöhe eines xylographischen Drucks, der zudem die sehr vorsichtigen Schätzungen der älteren Forschung weit überträfe. Aber von den beiden Sevillaner Ausgaben haben sich offenbar keine Exemplare erhalten. Während die Rechnungsbücher des spanischen Benediktinerklosters Montserrat für 1497 nur 794 im Auftrag des Konvents hergestellte Ablaßbriefe verzeichneten, hatte der Drucker Johannes Luschner in Barcelona im Jahr darauf bereits 18000 Stück anzufertigen, was offenbar noch immer zuwenig war, denn Anfang 1499 mußte er »mit seiner ganzen Werkstatt nach dem Kloster hinaufziehen und dort neben vielen Büchern ritualen und erbaulichen Charakters noch 142950 Ablassbriefe für Lebende und 46500 für Verstorbene herstellen«/'' 1 Strittig ist die Interpretation der Belege für einen Xantener Ablaß, der anläßlich einer im September 1487 durchgeführten Heiltumsweisung, der sogenannten Viktorstracht, stattfand/"12 Die hierfür getätigten Ausgaben sind in den minutiös geführten Baurechnungen des Xantener Stifts als Anhang zu den Jahren 1486/1487 verzeichnet. Sie beziehen sich auch auf Druckkosten: It. pro divcrsis copiis impressis in Colonia continentibus bullain et sumtnariam [ . . . ] Item adlinc pro 3000 copianun imprcssarmii in Colonia [ . . . ] Item de impressione adlinc pro copiis impressis, qnia defecimus in distributione.^ Als Kosten werden angegeben: 7 Mark, 7 Schilling und 3 Denar für den ersten Druckauftrag; 21 Mark, 7 Schilling, 2 Denar, 2 Groschen für den zweiten; 5 Mark, 4 Schilling, 9 Denar und 3 Groschen für den dritten."" 4 Die am 20. April 1487 ausgestellte Ablaßbulle Innozenz' VIII. ließ das Stiftskapitel bei Johannes Koelhoff d.Ä. in Köln drucken (EiNBL. 736r):)). Aufgrund der Kostenrelationen wurde eine Gesamtauflage von etwa 4900 Stück berechnet (1000 -3000- 900).56 Gegen diese pauschale Zuordnung aller Ausgabebelege zu dem erhaltenen Einblattdruck bestehen allerdings Bedenken: Da der erste Eintrag den Druck der Bulle und eines dazugehörigen Summariums erwähnt und dieses Summarium nicht Teil der Bulle ist, muß schon die erste Zahl auf zwei unterschiedliche Drucke bezogen werden; es wären also nur je 500 Exemplare der man de imprenta en Sevilla en el siglo XV, in: Gutenberg-Jahrbuch 1931, S. 145-165, besonders S. 152f. und 165. — Als Auflagenhöhe von Xylographen nimmt Wilhelm Ludwig Schreiber in HEITZ 30, S. 9, lediglich 200 —300 Exemplare an, die von einer Platte gedruckt werden könnten. An überprüfbaren Zahlen für diesen Bereich scheint es zu fehlen. •~>1 KONRAD HAEBLER, Gedruckte spanische Ablassbriefe der Inkunabelzeit, in: Zeitschrift für Bücherfreunde 5, 1901/1902, S. 1-12 (Zitat S. 5), S. 59-71, und 8, 1904/1905, S. 49-58. n2 Vgl. DIETER SCHELER, Die Xantener Viktorstracht. Wallfahrt, Politik und Kommerz am Niederrhein im 15. Jahrhundert, in: JÜRGEN PETERSOHN (Hg.), Überlieferung - Frömmigkeit Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung. Vorträge beim wissenschaftlichen Kolloquium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Otto Meyer, Würzburg, 25. Oktober 1986, Wiesbaden 1987, S. 96-113. ^ GUIDO ROTTHOFF, Ein Kölner Einblattdruck von 1487 flir Xanten, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 170, 1968, S. 264-267, zit. S. 265 Anm. 7, Anm. 9 und S. 266 Anm. 12. 54 Vgl. ebd. S. 265f. " In EINBL. irrtümlich auf die Kathedrale von Saintes bezogen; Exemplare im Kestner-Museum Hannover (Inv.-Nr. 191) und in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (2° H.1.1. 1,751:14 Inc. Rara). 56 Vgl. ROTTHOFF (wie Anm. 53) S. 266.

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Fij/i; Eiscrmanit

Bulle und des Summariums hergestellt worden.-"57 Die zweite Zahl (3000 copiae imprcssarum) bezeichnet demnach die benötigten Ablaßbriefe, von denen sich kein Exemplar erhalten hat; auch im dritten Beleg ist eher von Ablaßbriefformularen die Rede, worauf die Wendung quia defecimus in distributionc hindeutet.·"'" Als Ergebnis ist festzuhalten: »Die Auflagenhöhe der Kölner Ablaßbriefe ging in die Tausende, die der Bullen und Summarien wird einige Hundert nicht überschritten haben.«-"19 Dieser Befund ist durchaus mit den Werten aus dem oberdeutschen Raum zu vereinbaren, liegt sogar relativ niedrig und weist vielleicht auf eine gewisse Beschränkung in der Außenwirkung dieses Ablasses hin, der freilich dennoch zu einem großen Erfolg wurde. Das verdeutlicht auch eine Vergleichszahl: Aus Anlaß der voraufgehenden Viktorstracht im Jahr 1464 waren rund 150 handschriftliche Ankündigungs- und Werbungsschreiben im Umland verteilt worden.60 Einige Zahlen aus dem 16. Jahrhundert zeigen, daß sich die Relationen kurz vor der Reformation nicht wesentlich verschoben hatten. Im Jahr 1504 wurden für St. Bavo in Haarlem 600 Ablaßbullen angefertigt. 61 Für einen gut dokumentierten Ablaß des Jahres 1514 gab die Konstanzer Domfabrik 3 Mark, 4 Schilling und 6 Denar für die Herstellung von 1000 Mandaten und über 2000 Beichtbriefen aus, die wohl der 1505 aus Ulm nach Konstanz zugewanderte Johannes Schäffler herstellte: Item exposui imprcssori pro mille mandaüs et XVIII' confessionalibus zu tntcken [...] Item impressori von 11CXXV confession alia ze truckcn post festum pascc ze tmckhen in pergamcno.h2 Die Kosten für 118 Pergamenthäute sind in den Ausgaben ebenfalls verzeichnet.63 Interessanterweise wurden auch jetzt noch bestimmte päpstliche Schriftstücke handschriftlich kopiert, was einen erheblich größeren finanziellen Aufwand als der Druck erforderte. Für mehr als 30 Mark beschäftigte die Domfabrik zu diesem Zweck insgesamt 18 Schreiber: Item exposui 18 scriptoribuspro 4 transumptisjulii, 39 transumptis Leonis, 38 coinmissionibus generalibns et 7 specialibus et aliis quampluribus copiis, utpatet in cedula mihiperven. dominum decanum presentata.64 Für die Trierer Heiltumsfahrt des Jahres 1515 ließen die päpstlichen Ab57

Vgl. SCHMITZ (wie Anm. 8) S. 60f. Vgl. ebd. S. 61 f. •°9 Ebd. S. 63. Damit dürften auch die auf ROTTHOFFS Angaben beruhenden Berechnungen von NEDDERMEYER, Von der Handschrift zum gedruckten Buch (wie Anm. 3), S. 369, hinfällig sein. 60 Vgl. SCHELER (wie Anm. 52) S. 109. 61 FREDERICQ (wie Anm. 19) S. 442 Nr. 308: Item meester Hugo die printer te L·' en ghcgeven xx st(uiver) van de vi' copyen, die by geprint bet uut de hüllen, nach ANTONIUS VAN DER LINDE, Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst, 3 Bde, Berlin 1886, Bd. l, S. 210. Drucker war wohl Hugo Janszoon in Leiden. 62 ALOYS SCHULTE, Die Fugger in Rom 1495-1523. Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit, 2 Bde, Leipzig 1904, Bd. 1, S. 155 — 160 und Bd. 2 (Urkunden), Nr. 36 S. 53-62, hier Bd. 2, S. 58 und S. 59. Auch in Augsburg ließ man drucken: Item 16. Marcii [1514] nuntio portanti materialia videlicet formas absolntionis et modos visitandi de Augusta (Kosten: l Mark 14 Schilling; ebd. Bd. 2, S. 61). 63 Vgl. ebd. Bd. l, S. 159 und Bd. 2, S. 58: Itenl dem zuttfftmaister Koch exposui pro CXVIII but pergamen 8 [Mark] W [Schilling]. 64 Ebd. Bd. 2, S. 59. Die Rechnungen der Domfabrik enthalten noch zahlreiche Angaben etwa zu Transport und Verteilung der Ablaßbriefe durch Boten (ebd. S. 57: Item nuntio de Lindow, qui ultimo attulit V confessionalia [Kosten: 9 Schilling]; S. 61: Item 13. Marcii [1514] nuntio portanti HU' confessionalia et alia materialia ad l· 'rldkircb [Kosten: 16 Schilling 6 Denar]). 58

Aiiflagenhöhen von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert

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laßkomniissare Johann von Metzenhausen und Johannes Eck von der am 26. Januar 1515 erlassenen Bulle >Salvator nosten Leos X. »300 >große< und 300 >kleine< Exemplare in Deutsch oder Latein und 800 >welsche< Exemplare [...] bei Kaspar Hochfeder in Metz drucken«/ 0 Hochfeder fertigte weiterhin 5139 Ablaßbriefe an/'6 Sogar eine weitgehende Rekonstruktion des Publikums dieser Heiltumsfahrt ist möglich, denn anhand der erhaltenen Rechnungen lassen sich neben einer Reihe von Klöstern rund 1000 Einzelpersonen benennen, die einen Ablaßbrief erworben haben. 67 Eine äußerst detaillierte Rechnung des Ablaßkommissars Johannes Arcimboldi an das Domkapitel in Utrecht vom Mai 1519 belegt ein ganzes Ensemble von Drucken, die im Zusammenhang mit dem Ablaß zum Besten des Utrechter Doms hergestellt wurden. Im einzelnen handelt es sich um 800 Ablaßbriefe auf Pergament, jeweils 2800 in franccno (auf Kalbspergament) und auf Papier, 1600 volkssprachige und 500 lateinische Stationen, 400 declarationes (wohl Summarien), 200 Bullen und 300 arma papalia (gedruckte Papstwappen), insgesamt also 6400 Ablaßbrief-Formulare und 3000 Exemplare anderer Schriften. 68 Zu den zahlreichen weiteren mit dem Ablaßwesen verbundenen Textformen, die als Einblattdrucke vorliegen, fehlen entsprechende Nachrichten, wenn man von zwei Zeugnissen aus Haarlem absieht. Nach einer Aktennotiz aus dem dortigen Stadtarchiv betrug die Auflage eines vor dem 16. Juli 1499 bei Hugojanszoon in Leiden gedruckten Ablaß Verzeichnisses der Haarlemer Johanniter drei- bis vierhundert Exemplare (tricentac vcl qnadringentae litteme).^ Im Jahr 1502 wurden für die bereits erwähnte Haarlemer Kirche St. Bavo 100 gedruckte brieve bestellt. Die gering erscheinende Zahl resultiert daraus, daß diesen Schriftstücken - falls es sich um >Schriftstücke< im engeren Sinn handelte - eine ganz bestimmte Funktion innerhalb der Kirche zugedacht war: van onssc offelaat, om de pricsters, die bicclit Iwereti, over lioer Iweft ic sctten.70 Fraglich bleibt der Inhalt der brieve; vielleicht handelte es sich um auf den Ablaß bezogene katechetische Texte oder um so etwas wie die eben erwähnten arma papalia. r

° WOLFGANG SEIBRICH, Die Trierer Heiltumsfahrt im Spätmittelalter, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 47, 1995, S. 45-125, zit. S. 101. 66 Vgl. ebd. il7 Vgl. ebd. S. 101 f. 6K In priinis impressor deliberai'it confessioiialia impressa in pergametw viij' aim portatile. Atihtic in franceno sine portatile, xxviij'. Adhuc in papiro sine portatile, xxviij''. Adlnic stationes in tentonico. xi>jc. Adlnic in latino stationes, v'. Adlnic declarationes, iiij'. Adlnic bulle, /'/''. Adlnic annapapalia, /'//'. De qnibtis recepit impressor in toti per concordiam, lit infra in expositis patebit; FREDERICQ (wie Anm. 19) S. 582-588 Nr. 391, zit. S. 582. Dies sei nur als Beispiel genannt; die Rechnung enthält eine Fülle weiterer Angaben, die auszuwerten hier nicht möglich ist. Zu Arcimboldi vgl. PAULUS (wie Anm. 22) S. 174f. Arma papalia/apostolica sind »Holzschnitte mit den päpstlichen Wappen, die außer an der Kirchentür auch über den Beichtstühlen im Kircheninneren aufgehängt werden sollten«; HANS VOLZ, Der St. Peters-Ablaß und das deutsche Druckgewerbe, in: GutenbergJahrbuch 1966, S. 156-172, zu. S. 162; vgl. auch DERS., Die Liturgie bei der Ablaßverkündung, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 11, 1966, S. 114—125, hier S. 120. M >Gratien ende oflaten gegeven de orde van S. Jan te Haarlem en geconfirineert door Alexander VI.Ehrenpforte< herstellen zu lassen, aber unter der zusätzlichen Maßgabe, so viele zu drucken, »wie die Stöcke es zulassen, mit den überzähligen Exemplaren soll der Drucker bezahlt und Treitzsaurwein entschädigt werden«. Zur Ehrenpforte insgesamt vgl. nun SVEN LUKEN, Kaiser Maximilian und seine Ehrenpforte, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 61, 1998, S. 449-490. 81 Vgl. FERDINAND GELDNER, Zur Geschichte des Bamberger Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Kleinere Drucke der Sensenschmidt-Petzensteiner-Pfeyl'schen Werkstätte nach den Bamberger Hofkammerzahlamtsrechnungen, in: Gutenberg-Jahrbuch 1944/1949, S. 100-104. 82 Ebd. S. 103 Nr. 13; kein Exemplar bekannt. Zu Schwör- bzw. Schwurbriefen vgl. KLAUS MILITZKR, Art. >Schwurbrieferrer unser notdurft wider dielt üben/ damit auch dein ungehorsame gestrafft wurdet '" Johannes Reger in Ulm, der zeitweise im Auftrag des Schwäbischen Bundes arbeitete," 1 erhielt »im Jahre 1491 1) Rir den Druck von 100 Schriften des Berichts zwischen dem Schwäbischen Bund und dem Bischof von Speyer 2 Gulden und 2) für 200 Glimpfschriften 4 Gulden, im Jahre 1492 3) für 100 Exemplare des Königlichen Abschieds zu Koblenz 3 Gulden und 4) Rir 100 Copeyen der Berichte zwischen Herzog Albert und denen von Regensburg und 5) zwischen dem Bund und Herzog Jörgen 5 Gulden«. 1 1 2 Der erstgenannte Text bezeichnet wahrscheinlich EINBL. 890, bei den Glimpfschriften handelt es sich wohl um EINBL. 1301-1304."3 Im Zusammenhang mit dem Schwäbischen Bund ist auch eine Angabe zu einem Ausschreiben " w Vgl. HHINZ LIEBERICH, Die Anfange der Polizeigesetzgebung des Herzogtums Baiern, in: DIETER ALBRECHT/ANDREAS KRAUS/KURT REINDEI. (Hgg.), Festschrift für Max Spinaler zum 75. Geburtstag, München 1969, S. 307-378, hier S. 320 Anm. 27. 1111 GW 6656; Exemplar: Hauptstaatsarchiv München, Altbayer. Landschaft Lit. 813. toi. 350. '" Die entsprechenden Unterlagen, die um 1800 noch erhalten waren, sind jetzt verschollen; vgl. PETER AMELUNG, Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473—1500, Bd. 1: Ulm, Katalog der Ausstellung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Stuttgart 1979. S. 312.^ 112 Anoi.l· SCHMIDT, Johann Reger in Ulm der Drucker des Briet's des Bundes in Schwaben, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 25, 1908, S. 302-307, hier S. 305. 113 Vgl. MARCUS OSTERMANN, »Mir ist ein sloß verbrenndt worden«. Einblattdrucke und Flugschriften im Spannungsfeld zwischen politischer Kommunikation und literarischer Verarbeitung am Beispiel einer spätmittelalterlichen Fehde, Magisterarbeit (masch.) Münster 1996, S. 84 und 96. Die anderen Nummern sind mehrbla'ttrige Ausgaben (der 'Königliche Abschied« liegt als Reger-Druck in GW 122 vor), vgl. ebd. S. 83. Vgl. auch AMEI.UNC; (wie Anm. 11 1) S. 342f. Nr. 152 und 153. - Bemerkenswert ist, daß der als EINBL. 1303 verzeichnete Druck des Ausschreibens nach dem Formular Z. 1 nur für die Stadt Straßburg hergestellt wurde, denn der Ortsname ist mitgedruckt, und apostrophiert wird der Ammeister, ein Amt, das es nur in Straßburg gab: (D)En Strengen fnrsiclitigen Ersatnen i>nd ii'cyßen Aniinaister vnd Rdtt der Statt Strospurg. Die Auflagenhöhe war also wahrscheinlich sehr gering, betrug vielleicht nur ein einziges Exemplar. Das in EINBL. genannte Unikat (Strasbourg, Archives municipales [Sign.: IV, 16]) ist zwar in einem handschriftlichen Katalog des Archivs aufgeführt, konnte jedoch vor Ort nicht ermittelt werden (freundlicher Hinweis von Herrn Archivar Bernhard Metz, Strasbourg).

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Falk Eisermaiin

Maximilians I. überliefert. Vom Freiburger Reichstag wurden am 28. Juni 1498 rund 1200 Mandate versandt, »in denen allen früheren Bundesmitgliedern bei Strafe der Reichsacht der Beitritt zur neuen Einung geboten wurde«. 114 Die Zahl ist auf mindestens drei erhaltene Einblattdrucke dieses Datums mit dem Titel >Ladung auf den Tag zu Ulm zur Verlängerung des Schwäbischen Bundes< zu beziehen, die bei Friedrich Riederer in Freiburg hergestellt wurden. Sie sind zwar im wesentlichen textidentisch, die Abweichungen im Formular lassen aber die verschiedenen Adressatenkreise erkennen, so daß hier drei voneinander zu unterscheidende bibliographische Einheiten vorliegen. 115 Die Auflagenhöhe orientierte sich in all diesen Fällen am Verteiler, an der registrierten Zahl von Reichsständen, Städten und Einzelpersonen, die zu Versammlungen geladen oder über Beschlüsse informiert wurden. Schon für die Ladung zu einem Regensburger Tag im Jahr 1470 liegt eine Adressatenliste vor, die mehr als 200 Namen nennt.' 1 6 Später sind Auflagen von 300-400 Exemplaren anzunehmen, 117 jedoch sind auch niedrigere Zahlen bekannt: Am 17. November 1495 ermahnte Maximilian über 150 Stände, die bisher unterlassene Einbringung des in Worms beschlossenen Gemeinen Pfennigs nunmehr endlich zu betreiben. Die Reichstagsakten enthalten ein Verzeichnis, aus dem neben den Adressaten dieses Ausschreibens die teilweise sehr weiten Wegstrecken hervorgehen, die sechs eigens dafür angestellte Boten zurückzulegen hatten, auch ihre Entlohnung sowie die Kosten für fünf Hilfsschreiber sind festgehalten. Offenbar wurde der Mahnbrief also nur handschriftlich ausgefertigt. 118 Nachdem Ma114

HEINRICH LUTZ, Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg. Schriftenreihe des Stadtarchivs Augsburg 9) Augsburg o.J. (um 1958), S. 27, ohne Quellenangabe (zum historischen Hintergrund vgl. ebd. S. 2338); ERNST BOCK, Der Schwäbische Bund und seine Verfassungen (1488-1534). Ein Beitrag zur Geschichte der Reichsreform (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 137) Breslau 1927, S. 84 mit Anm. 160 nennt als Quelle für diese Zahl ein bei KARL KLÜPFEL (Hg.), Urkunden zur Geschichte des Schwäbischen Bundes (1488-1533), Bd. 1: 1488-1506 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 14) Stuttgart 1846, S. 257, als Regest wiedergegebenes Schriftstück aus dem Stadtarchiv Esslingen. 113 EINBL. 972, 973 sowie ISTC imO()39140(). Vgl. FALK EISERMANN, »Darnach wisset Euch zu richten«. Maximilians Einblattdrucke vom Freiburger Reichstag, in: HANS SCHADEK (Hg.), Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498, Freiburg 1998, S. 198-215, hier S. 201 f. und 208. 116 Vgl. RONALD NEUMANN, Kaiser Friedrich I I I . und der Einblattdruck, in: WILLIBALD KATZINGER/FRITZ MAYRHOFER (Hgg.), Kaiser Friedrich III. Innovationen einer Zeitenwende. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Nordico vom 1. April bis 23. Mai 1993, Linz 1993, S. 33-38, hier S. 35 mit Anm. 43. 117 »Beim Wormser Reichstag 1495 gab es 343 einzuladende Reichsstände [...], 1521 waren 85 Reichsstädte und 309 Reichsstände im Reichstag vereinigt«; STEPHAN FUSSEL, Dichtung und Politik um 1500. Das >Haus Österreich< in Selbstdarstellung, Volkslied und panegyrischen Carmina, in: HERBERT . (Hg.), Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung, Bd. 2: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1759), Graz 1986, S. 803-831, hier S. 816 Anm. 50. " K Vgl. HEINZ ANGERMEIER (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian L, Bd. 5: Reichstag von Worms 1495 (Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe 5), 3 Teilbde (durchgehend paginiert), Göttingen 1981, S. 1212-1216 Nr. 1660; Überlieferung der Schreiben (zehn Ausfertigungen sind erhalten) S. 1212 Anm. l, Angaben über die Schreiber S. 1216.

Auflagenhöhen von Einblatt drucken itn 15. und frühen 16. Jahrhundert

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xiniilian den Bamberger Bischof Heinrich Groß von Trockau am 28. August 1495 aufgefordert hatte, gemeinsam mit seinem Würzburger Amtsbruder Lorenz von Bibra und Markgraf Friedrich zu Brandenburg mit der fränkischen Ritterschaft über die Wormser Beschlüsse zum Gemeinen Pfennig zu verhandeln, erließen die drei Fürsten am 22. Oktober das entsprechende Ausschreiben mit Ladung auf einen Rittertag in Schweinfurt, das Georg Reyser in Würzburg druckte. Die Ladung wurde »an 219 Rittergeschlechter versandt, und zwar an 47 im Bistum Bamberg, an 109 im Bistum Würzburg und an 63 in der Markgrafschaft Würzburg« (GW 12159, Anmerkung). Ein Ausschreiben Maximilians vom 18. August 1497 wurde laut Versandliste 162 Reichsständen zugestellt »und dabei ausdrücklich bemerkt, daß der Erzbischof von Mainz [...] eine merkliche Zahl weiterer Mandate selbst weggeschickt habe«. 119 Vom Corner See versandte Maximilian am 25. August 1496 eine Mahnung bezüglich eines Darlehens für den geplanten Italienzug, die von Erhard Ratdolt gedruckt worden war. Hiervon sind jetzt sieben unterschiedliche Formulare bekannt, darunter auch eines für Kurfürsten, das also wohl nur in sieben Exemplaren hergestellt wurde. Ratdolt nahm im übrigen die geringfügigen Formularvariationen am stehenden Satz vor, wie übereinstimmende Druckfehler zeigen. 120 Verteilerlisten finden sich auch in den sächsisch-thüringischen Landtagsakten. 121 Die Reinschrift eines durch den Hofmeister Heinrich vom Ende und den Altenburger Amtmann Hans von Obernitz im Februar 1497 versandten Ausschreibens weist den Vermerk auf, »dieser Briefe sind bey hundert und XXVI gemacht und ausgeschickt worden laut einer vorzeichnns vom Rentmeister überantwortet«}22 Zu einem Landtag nach Naumburg im Jahr 1498, auf dem wichtige Münzangelegenheiten zu verhandeln waren, wurden hingegen weit über 300 Stände, Städte und Einzelpersonen, deren Namen in einer Liste festgehalten sind, schriftlich geladen. 123 Die Liste war detailliert ständisch gegliedert, um zu gewährleisten, daß bei der Ausfertigung die richtigen Formulare für den jeweiligen Empfängerkreis (geistliche und weltliche Herren, Städte, Ritter, Amtleute usw.) ausgestellt wurden. Für ein kurfürstliches Ausschreiben des Jahres 1532 wiederum bestellte man lediglich 18 brif itf gros form für Grafen und Herren sowie 35 Exemplare uf klain [form]. Dabei regelte der Besteller auch die Druckmodalitäten; unter anderem wurde die Setzung eines Spatiums für den handschriftlich einzutragen"9 PETER DIEDERICHS, Kaiser Maximilian als politischer Publizist, Jena 1932, S. 27; aufgezählt werden 13 Herzöge, 24 Bischöfe, sieben Äbte und Pröpste, vier Balleien, fünf Landgrafen, 44 Grafen, 40 Freie und 25 Städte. Hier lag wohl kein Einblattdruck vor; nach der Tabelle ebd. S. 109 müßte es sich um Nr. 24 handeln, die Ausschreibung eines Reichstags nach Worms (der Verweis S. 27 Anm. 2 auf »Tabelle Nr. 8« ist falsch; Diederichs spricht von einem »inhaltlich allerdings belanglosen« Schreiben). 120 Das einzige Exemplar des Formulars für Kurfürsten ist erhalten im Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau 103/2b, fol. 296 (adressiert an Kurfürst Philipp, Pfalzgraf bei Rhein). Neben dieser Ausgabe und EINBL. 959 — 961 sind drei weitere Drucke nachweisbar (Formulare für Fürsten, für einen weltlichen Reichsstand sowie für adlige Stände). 121 Vgl. CARL AUGUST HUGO BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten, Bd. 1: Die Landtage von 1487-1532 (Thüringische Geschichtsquellen N. F. 5) Jena 1902. 122 Ebd. S. 25. Ein zugehöriger Druck ist nicht bekannt, jedoch liegen Einblattdrucke ähnlicher Art vor (GW 9304-9306). 123 Vgl. ebd. S. 29-33. Ein Druck ist nicht bekannt.

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Falk Eisermanti

den Enipfängernamen angeordnet und daraufhingewiesen, daß die Adligen durchweg mit lieber getreuer und in der 2. Person Singular anzureden seien (lieber getreuer au dy vom adel und andere, die haist man du durchaus in dem brief).124 Die unterschiedlichen Zahlen weisen auf die unterschiedlichen Anlässe, denn nur zu wichtigen Veranstaltungen wie Landtagen luden die Landesherren wirklich flächendeckend ein, meist jedoch, etwa zu Ausschußtagen, wählte man eine bestimmte Anzahl von teilnehmenden Ständen aus.12·"1 Ob es sich bei den Ladschreiben nun um Drucke oder um handschriftliche Ausfertigungen handelte: Die Kommunikation zwischen Regierung und Untertanen war zu einem hohen Grad durchorganisiert, weder die Anfertigung der Texte, ihre Verteilung noch ihre Zustellung überließ man dem Zufall. Diese Art von amtlichen Ausschreiben hat aber noch immer einen internen Charakter, die Lad- und Mahnschreiben wurden mit genauer funktionaler Kalkulation publiziert. Keinesfalls verfolgte eine der beteiligten Parteien das Ziel, die >Öffentlichkeit< insgesamt zu informieren. Anders stellt sich der Publikumsbezug bei den allgemeinen Ausschreiben dar, durch die etwa die Beschlüsse des Wormser Reichstags bekanntgegeben wurden. So lassen die reichhaltige Überlieferung und die alle Stände und Untertanen einschließende Adresse des Ausschreibens zum Ewigen Landfrieden vom 7. August 1495 darauf schließen, daß Maximilian bestrebt war, Gültigkeit und Einhaltung dieses bedeutenden Reformgesetzes mittels einer umfassenden Informationspolitik sicherzustellen. 126 Aber aus der Auflagenhöhe allein läßt sich nicht auf die Publikationsform und auf die angestrebte ÖfFentlichkeitswirkung schließen: Eine hohe Auflage ist nicht unbedingt ein Indiz für eine Adressierung an die Allgemeinheit, eine niedrige Auflage deutet nicht zwingend darauf hin, daß sie nur für einen ausgewählten Adressatenkreis bestimmt war. Einige der nur etwa 100 Exemplare des oben erwähnten Anschlags des Mainzer Erzbischofs, der sich gegen die Reichsunmittelbarkeit Erfurts richtete (GW 8340), waren nachweislich öffentlich ausgehängt, etwa in Frankfurt, wo sie von Erfurter Kaufleuten abgerissen und weggeschafft wurden, wie der Chronist Nikolaus von Siegen berichtet. 127 Das dringende Interesse an der Herstellung von Öffentlichkeit führte jedenfalls dazu, daß in reichsweit geführten Auseinandersetzungen, aber ebenso in kommunalen und territorialen Angelegenheiten von eher regionalem Zuschnitt, vielerorts die publizistische Unterstützung durch den Buchdruck gesucht wurde. Einblattdrucke im 124

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Ebd. S. 264 und Einleitung, S. III. Vgl. ebd. S. I I I . Vgl. ANGERMEIER (wie Anm. 118) S. 359-373 Nr. 334, zur Überlieferung S. 359-361. Neben EINBL. 924 ([Köln: Ludwig von Renchen]) und 925 ([Mainz: Peter Schöffer]) liegen noch zwei Nürnberger Drucke des Ausschreibens vor, vgl. EINBL., S. VIII Anm. l ([Nürnberg: Friedrich Creussner]; das dort genannte Exemplar im Staatsarchiv Bamberg ist allerdings nicht mehr aufzufinden) und HOLGER NICKEL, Die Inkunabeln der Ratsschulbibliothek Zwickau. Entstehung, Geschichte und Bestand der Sammlung, Diss. (niasch.) Berlin 1976, S. l16 Nr. 713 ([Nürnberg: Anton Koberger]; zu dem dort genannten Zwickauer Exemplar ein weiteres im Staatsarchiv Nürnberg, Signatur: Fst. Ansbach, Reichstagsakten Bd. VI, S. 24a). Vgl. SCHMIDT, Streitschriften (wie Anm. 72) S. 34f.; FRANZ X. WEGELE (Hg.), Chronicon Ecclesiasticum Nicolai de Siegen O. S. B. (Thüringische Geschichtsquellen 2) Jena 1855, S. 466.

Außagenhöhen

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Dienst der Propaganda gehörten seit der Mainzer Stiftsfehde 128 und dem Konflikt um Erfurt, der ebenfalls von Mainz seinen Ausgang nahm, zum Verlauf vieler politischer Konflikte. 129 Die möglicherweise von dem Wormser Bürgermeister Reinhart Noltz verfaßten >Acta WormatiensiaExsurge domine< soll eine Gesamtauflage von 5000 bis 6000 Stück erreicht haben.133 Sie erschien, wohl aufgrund ihres Umfangs, ausschließlich als mehrblättriger Libelldruck, eine Publikationsform, die bereits in der Inkunabelzeit bei bestimmten päpstlichen Schreiben anzutreffen ist.134 Der Papst ordnete in der Bulle an, daß sie »an die Türen der Peterskirche, der päpstlichen Kanzlei und der Dome von Brandenburg, Meißen und Merseburg angeschlagen und veröffentlicht werde«.135 Eine Reihe von Exemplaren wurde auf diese Art und Weise als großformatige handschriftliche Ausfertigung bekanntgemacht. 136 Zu der ebenfalls von Weissenburger gedruckten >Freisinger< Ausgabe der Bulle ließ Bischof Philipp einen Einblattdruck, den sogenannten Einführungserlaß, in einer Stückzahl von 300 Exemplaren anfertigen, wie die Freisinger Kastenrechnung von 1521 belegt: Herrn Hansen Weyssenburgerpriester von Landßhuett von 300 bullen wider doctor Luther und 300 mandaten zu drucken 4fl. rheinisch und dem Knecht darvon zu tragen lones 53 d bezahlt, facit 4ß. rheinisch 53 d.137 131

KARL SCHOTTENLOHER, Der Frühdruck im Dienste der öffentlichen Verwaltung, in: Gutenberg-Jahrbuch 1944/1949, S. 138-148, hier S. 142 (Abkürzungen von mir aufgelöst). 132 Wir senden dir hiemit am copei aines mandats, wie du sehen wirdest, und emphelhen dir, das du dreihundert brief nach inhalt solcher copei vleissiglichen on das datum drucken lassest und die bei deinen handen belialtest bis auf unseren vereren beschaid (ERICH KÖNIG [Hg.], Konrad Peutingers Briefwechsel [Humanisten-Briefe 1] München 1923, Nr. 187 S. 299f.; weiteres zu Auflagen und Verteilungsgepflogenheiten bei DIEDERICHS [wie Anm. 119] S. 26—28); vgl. auch EBERHARD ISENMANN, Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter Friedrichs III. und Maximilians I., in: AUGUST BÜCK/GEORG KAUFFMANN/BLAKE LEE SPAHR/CONRAD WIEDEMANN (Hgg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Wolfenbütteler Kongreß 1979 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 10) Hamburg 1981, Bd. 3, S. 583-587, hier S. 584; FUSSEL (wie Anm. 117) S. 816 Anm. 50. 133 Vgl. KARL SCHOTTENLOHER, Die Druckauflagen der päpstlichen Lutherbulle >Exsurge DomineExsurge domine< sind bisher 19 unterschiedliche Ausgaben der Jahre 1520/1521 bekannt, vgl. ebd. S. 74, dazu einige spätere Drucke. 134 Vgl. z.B. BSB-Ink I-184ff. und 1-201 ff. 135 SCHOTTENLOHER (wie Anm. 133) S. 202. I3f> Vgl. ebd.; FRENZ (wie Anm. 15) S. 27 (Nr. U 508) und S. 161 Anm. 58; Abb. eines Exemplars bei FRIEDRICH BECK/MANFRED UNGER (Hgg.), . . . mit Brief und Siegel, Leipzig 1979, Abb. 76. 137 SCHOTTENLOHER (wie Anm. 133) S. 204 und S. 207 Nr. 9; Abb. des bischöflichen Mandats ebd. S. 198 Abb. 6.

Aiißagcnhölicn von Einblntt drucken im 15, und frühen 16, Jahrhundert

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Die oben behandelten Berner Staatsrechnungen bieten auch für die Reformationszeit reiches Material. Sie verzeichnen in der ersten Hälfte des Jahres 1524 Ausgaben für 358 Druckexemplare eines Mandats (vmb die mandat dem bnch(ruckcr, dcro dann sind gesin iiif Iviij). Vielleicht handelte es sich dabei um das an alle Geistlichen und an die Amtleute in vnseren Landen vnd Gebieten wonende gerichtete Reformationsmandat vom 15. Juni 1523.138 Der Berner Stadtschreiber-Rodel verzeichnet ebenfalls für 1524 eine Reihe von wohl nur handschriftlich verbreiteten Ausschreiben mit sehr niedrigen Auflagen, zwischen 35 und 39 Stück, und zwar zu so unterschiedlichen Problemen wie von des fleisch und eyers essen halb, von der lutcrschen ler, von der priester wegen so by inen niätzen [Dirnen] habend y) 1525 fertigte der Stadtschreiber eine einzige Abschrift der Reformationsartikel vom 7. April an, vielleicht als Vorlage für einen Druck. 140 Der Berner Reformator Berthold Haller meldete am 19. November 1527 an Zwingli eine Auflage von 100 Stück für die Thesen (Schlußreden) einer geplanten Disputation, die auch in Latein verteilt werden sollten, dann man sie gen Losane, Aeten und andere Orte schicken wird, die welsch 5/W.141 Im Sommer 1537 schließlich ließ der Berner Rat 300 Ankündigungen für eine am 1. September in Lausanne zu veranstaltende Disputation in französischer Sprache drucken. Sie wurden am 2. August verschickt, »damit man sie an die Kirchtüren anschlage«. 142 1520 oder 1521 wurde im Auftrag des Herzogs Karl von Geldern bei Jan Berntszoon in Utrecht ein nicht erhaltenes >Privilegium ducis Gelrie< in 300 Exemplaren hergestellt, was durch eine Rechnung der Utrechter Dombauhütte belegt ist: Item solvi Johanni Bernardi impressori pro treccntes copiis prii'ilegii ducis Gclrie per eundein imprcssis pro quolibet centenario nnum florenum Hollandensetn fac. iij flor. xv st.143 Unterlagen aus dem September 1521 zufolge stellte das soeben eingerichtete Druckhaus der Brüder Jörg und Hans Stöckl in Schwaz, das von Josef Pernsieder betrieben wurde, im Auftrag des Fürstentums Tirol 200 Blätter unklaren Inhalts her: Josef Pernsieder Puechtruckher zu Swatz,für 200 truckht zedlen oder puecher, so er der sterbenden /ew/~[wohl lent] halben auf der licrrn bevelch gedruckht hat, 3 Gulden. Am 2. April 1524 erhielt Pernsieder von etlichen Mandaten zu druckhen 18 gulden und seinem Knecht, so dieselben Mandat herauf von Swat z tragen hat, zu einem trinkgelt 3 P/l144 Wenn die Preisrelation auf die Auflagenhöhe übertragen werden kann, so hätte die Auflage des Mandats von 1524 über 1000 Stück betragen, doch sind solche Hochrechnungen wegen verschiedener Unsicherheitsfaktoren (variierende Preise, Umfang der abzudruckenden Texte) nicht verläßlich. Die Schwazer Belege zeigen aber, daß amtliche Aufträge, auch wenn sie sich überwiegend auf Kleindrucke erstreckten, für neu eingerichtete Druckereien von einiger wirtschaftUK 139

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Vgl. FLURI (wie Anm. 25) S. 23; Abb. des Mandats ebd. S. 22. Ebd. S. 24. Ebd. S. 25. Ebd. S. 29; Beschreibung beider Ausgaben und Abb. des deutschen Drucks ebd. S. 30f. Ebd. S. 49; Abb. ebd. S. 48. MARIA ELIZABETH KRONENBERG, Contacten van Karel de Gelder met de Druckpers en de Wetenschappelijke Wereld, in: Het Boek, 3de reeks, 37, 1965/66, S. 1-10, hier S. 2. Es ist nicht sicher, daß es sich hier um einen Einblattdruck handelte, doch weist KRONENBERG auf erhaltene Einblattdrucke hin, die Karl in den 1520er Jahren in Auftrag gegeben hat. Beide Angaben bei SCHOTTKNLOHER (wie Anm. 131) S. 143.

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lieber Bedeutung sein konnten. Auf Ähnliches deuten Belege aus München. Der bereits erwähnte Drucker Johannes Schobser hatte sich nach seiner Übersiedlung von Augsburg nach München offensichtlich auf die Publikation amtlicher Mandate spezialisiert. Er stellte im Jahr 1527 im städtischen Auftrag beispielsweise 100 Exemplare einer Ordnung Wie es mit allem flcyschkauf hie zu München [,..] soll gehalten werden her.143 Für die Stadt arbeitete er allerdings nur selten, jedoch ergingen von Seiten der bayerischen Herzöge rund 140 Druckaufträge an ihn, die meist als Einblattdrucke ausgeführt wurden. 146 Zahlreiche Nachweise über Auflagenhöhen von Einblattdrucken und anderen kleinen Publikationen, die hier nicht vollständig aufgeführt werden können, haben sich in den Rechnungen des Nürnberger Ratsdruckers Jobst Gutknecht und in den dazugehörigen Ausgabebelegen der Nürnberger Stadtverwaltung aus der Zeit zwischen 1524 und 1542, insbesondere aus den Jahren 1533, 1537 und 1539, erhalten, die sehr unterschiedliche Auflagenhöhen ausweisen:147 von 58 Exemplaren eines Mandats über die Jagd auf Wachteln und Rebhühner bis zu 600 Exemplaren eines längeren Ausschreibens zu den verbreiteten Unsitten des Fluchens und Zutrinkens.' 48 1533 lag die Auflagenhöhe der als zettl oder pögen bezeichneten Drucke regelmäßig zwischen 150 und 300 Stück. In einer Notiz Gutknechts aus dem Jahr 1537, die sich aufzurückliegende Druckaufträge bezieht, sind die Zahlen noch breiter gestreut: von 40 Exemplaren einer Ordnung, den sclnnalzkanf belangend bis zu den 600 Ausfertigungen für die genannte Verhaltensmaßregel bezüglich des Fluchens. 149 Ähnlich wie bei den hohen Quantitäten im Zusammenhang mit dem Ablaß, der häufig der Errichtung oder Wiederherstellung von Kirchen zugute kommen sollte, findet sich auch hier die größte Zahl im Kontext einer Baumaßnahme. Zweimal druckte Gutknecht im Jahr 1539 jeweils 7000 zettel [...] zu fronen, also zur Erhebung eines Beitrags für den Umbau der Nürnberger Stadtbefestigungen, der 1538 begonnen worden war. Mit dieser Art von Mitteilungen sollte jeder Haushalt in der Stadt unmittelbar erreicht werden,150 da die Sicherung des Gemeinwesens eine flächendeckende Einwerbung von Mitteln voraussetzte. Eine solch umfassende publizistische Aktivität aber ist im städtischen Bereich die Ausnahme. Wie die anderen Beispiele zeigen, ist die Höhe der Auflage bei den meisten städtischen Ausschreiben funktional gebunden, an bestimmten Adressaten 14:1

146 147

SCHOTTEN I.OHER (wie Anm. 131) S. 143 (weitere Angaben zu Auflagenhöhen aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts ebd. S. 144fF.). Zum zugehörigen Einblattdruck vgl. DERS., Der Münchner Buchdrucker Hans Schobser 1500- 1530. Mit einem Anhang: Wer ist Johann Locher von München?, München 1925 (Nachdruck Nieuwkoop 1967) S. 95 Nr. 210.

Vgl. ebd. S. 142.

Vgl. HANSKEUNECKE, Jobst Gutknecht - der Drucker des Nürnberger Rates, in: Gutenberg-Jahrbuch 1987, S. 146-157, besonders S. 151 und S. 153-155. 148 Item ein Mandat, daz ii'ciclitelfalien und replnitier belangend, 58, darfnr 1 ort; das taug inandat scliuvrns, Zutrinkens, setzens halb, zweier pogen lang, 600, darfur 6 (ebd., S. 153). Ebd., Anm. 57, wird auf einen Erlaß vom 27. März 1537 hingewiesen, der hier wohl gemeint ist; er bestand aus zwei zusammengeklebten Blättern. 149 Ebd. 1;1 " Vgl. ebd. S. 154. besonders Anm. 63; HOFFMANN (wie Anm. 2) S. 17, erwähnt eine Zahl von »5000 Zetteln die Vermögenssteuer betreffend« aus dem Jahr 1522, was ebenfalls einen Hinweis auf die Anzahl der Haushalte in der Stadt gibt.

Aiißageiihölicii von Einblattdnicken im 15. und frühen 16.Jalirlinndert

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oder Adressatengruppen orientiert und wurde im Einzelfall vom Auftraggeber festgelegt; die Weitergabe der Informationen überließ man anderen Publikationsformen, etwa der mündlichen Verlautbarung. In diesem Bereich ist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine dramatische Veränderung gegenüber den Verhältnissen in der Inkunabelzeit festzustellen. Ähnlich günstig wie bei Gutknecht stellt sich auch die Quellenlage für den Drucker Georg Erlinger dar, der von 1522 bis 1543 für den fürstbischöflichen Hof in Barnberg tätig war: »Die Domkapitelprotokolle berichten über die Entstehung der Erlasse, die Kammerrechnungen über die Druckaufträge und die Auflagenhöhe der einzelnen Drucksachen, diese selbst endlich, ungefähr 80 an der Zahl, lassen den beträchtlichen Umfang der amtlichen Ausschreiben erkennen. Die darin enthaltenen Angelegenheiten entspringen zumeist den Sorgen der Zeit, es sind Türkensteuern, Rüstungsaufgebote, zahlreiche Geleitsbriefe, wofür Erlinger häufig in jedem Jahr l Gulden für 1500 Abzüge, später für 1000 erhielt.«1·"11 Dazu traten beispielsweise Strafandrohungen gegen Verschwörungen und vieles andere. Für das Jahr 1525 ist eine Auflage von 300 Briefen des Ansschreibeiis den 20, Pfennig betreffend zu drucken nachweisbar, 1527 wurde ein Ausschreiben gegen einen Friedensbrecher in 400 Exemplaren zum Herstellungspreis von vier Gulden gedruckt. Am 1. Oktober 1537 schließlich erhielt Erlinger acht Gulden für 1500 Exemplare eines Fehdebriefs und die zugehörige Antwort des Fürstbischofs. 152

IV. Sonstige Belege Das Rechnungsbuch (>DiarioDiario< bietet neben einer Fülle von buchgeschichtlich bedeutsamen Daten aus der Zeit zwischen November 1476 und Februar 1484 zahlreiche Angaben zu den Auflagenhöhen von Publikationen der Druckerei.1·"13 Viele Einträge sind allerdings nur stichwort1:11 1:52 1:13

SCHOTTENLOHER (wie Anni. 131) S. 146. Vgl. ebd., besonders Anin. 2 — 6. Ebd. Anm. 2: »Zumeist wurde für 100 Stück Ausschreiben ein Gulden bezahlt; für umfangreichere Erlasse erhöhte sich der Betrag.« Vgl. EINBL., S. 282 Anm. l zu EINBL. 1053. Das Rechnungsbuch ist in Teilen veröffentlicht von FR. ROEDIGER, Diario della stamperia Ripoli, in: 11 Bibliofilo 8, 1887, S. 33-35, 5053, 73-77, 91-94, 117-123, 132-135 und 171-175; ebd. 9, 1888, S. 89-98 und 119126; ebd. K), 1889, S. 37-41; vgl. auch MELISSA C. FLANNERY, San Jacopo di Ripoli Imprints at Yale, in: The Yale University Library Gazette 63, 1989, S. 115-131; die dort S. 130 Anm. 1 angekündigte Ausgabe unter dem Namen MHLISSA CONWAY, The Diario of the Printing Press of San Jacupo di Ripoli: Commentary and Transcription. Diss. Yale 1994 (Diss. Abstracts AAI9522737) ist während der Drucklegung dieses Beitrags erschienen (Florenz 1999). Vgl. auch MARY A. ROUSE/RICHARD H. ROUSK, Cartolai, Illuminators, and Printers in Fifteenth-Century Italy. The Evidence of the Ripoli Press (UCLA UniversityResearch Library, Department of Special Collections, Occasional Papers 1) Los Angeles 1988, hier S. 35 Anm. 34; PIERO SCAPECCHI, A New Ripoli Inclinable and its Consequences for the History of the Ripoli Press, in: Incunabula. Studies in Fifteenth-Century Printed Books Presented to Lotte Hellinga, hg. von MARTIN DAVIES, London 1999, S. 169-173.

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artig ausgeführt, bezeichnen z. B. nur Orazioni oder Orazione della croce und enthalten allenfalls noch Angaben zu Verkaufsterminen, so daß weder Publikationsform noch Auflagenhöhe nachzuvollziehen sind. Die meisten aufgeführten Drucke sind überdies heute nicht mehr nachweisbar.154 Somit ist nicht sicher, ob das Rechnungsbuch überhaupt Einblattdrucke nennt. Im August 1480 wurden einmal 1000, einmal 150 Abzüge von Drucken angefertigt, die jeweils zwölf Gebete enthielten. Die 150 Stück wurden von einem cerretano (Krämer, Straßenhändler, Gaukler) 155 namens Tomaso in Auftrag gegeben. Von einem >Lamento d'Otranto< (Klagelied über die Zerstörung Otrantos durch die türkische Flotte [HAIN 9840, kein Einblattdruck]) erging am 30. November 1480 ein Druckauftrag über 500 Exemplare. Unter dem 20. Dezember desselben Jahres buchte Fra Domenico da Pistoia, der Prokurator des Konvents, der den >Diario< führte,' 06 für einen nicht identifizierten cerretano 1000 Gebete an Maria, jeweils acht in einem Druck zusammengefaßt. Im Auftrag des cermatore (Straßensängers) Giovanfranciescho legte die Ripoli-Presse ein Jahr später, im Dezember 1481, mille sancte margherite in stampa, dove nell'una uno foglio auf. Der Sänger scheint diesen Bestand ziemlich schnell abgesetzt zu haben, da er im März 1482 offensichtlich noch einmal 500 Exemplare bestellte, von denen er allerdings 200 bei der Druckerei zurückließ, weil er sie nicht bezahlen konnte. Unter dem 30. April 1482 schließlich verzeichnete das Rechnungsbuch 500 Orazione deüangniol Raffaello di i3 stanze, die ein cerretano Antonio bestellt hatte (HAIN 12037, kein Einblattdruck). 157 Über die Auflagenhöhen der Almanache, nach der Anzahl ihrer Ausgaben der häufigste Typ von Inkunabel-Einblattdrucken überhaupt, ist nur wenig bekannt. Es liegen lediglich verstreute Angaben zu Produktions- und Vertriebsbedingungen sowie Käuferkreisen vor.1:i8 Peter Drach stellte 1496 dem Wormser Buchfuhrer Jörg 100 Almanache in Rechnung. 159 Im Jahr 1518 ordnete der Basler Rat an, »daß kein Laßbrief 154

Vgl. ROUSE/ROUSE (wie Anm. 153) Nr. II und VIII; vgl. auch Nr. III, V, VI, VIII-X, XII, XIII/LXIX, XVII-XIX u.ö. Der einzige mir bekannt gewordene, erhaltene Einblattdruck der Ripoli-Presse trägt den Titel >Lauda di Sancta Maria della Carcere< (ISTC Ü00075500; nicht zugänglich war STEFANO ZAMPONI [Hg.|, Le devote carte: esegesi, devozione, culto mariano nei manoscritti di end ecclesiastic! pistoiesi, [Katalog] Pistoia 1988, dort S. 15f. und Abb. 3). — HELEN M. LATHAM, Dominican Nuns and the Book Arts in Renaissance Florence: The Convent ot Sanjacopo di Ripoli 1224—1633, Diss. phil. Texas Woman's University, Denton 1986 (UMI Mikrofilm), S. 213 Nr. 21, weist auf eine Orazione della inisum di Cristo aus dem Jahr 1477 hin; die Pierpont Morgan Library in New York besitzt einen undatierten Einblattdruck in italienischer Sprache mit diesem Titel, der bisher keiner bekannten Druckerei zugewiesen ist, vgl. FREDERICK R. GOFF, Incunabula in American Libraries. A Third Census of Fifteenth-Century Books Recorded in North American Collections, New York 1964 (Nachdruck 1973) Nr. O-72. 1 -'" ROUSE/ROUSE (wie Anm. 153) S. 37f. Anm. 40, umschreiben cerretano als »peddler, seller of religious objects, street-singer, a rather marginal character who was nevertheless possessed of enough ready cash to commission the printing, for example, of a special prayer to sell on a saint's day«. 156 Vgl. ebd. S. 34. 1:17 Alle Angaben nach den ebd. S. 70-91 mitgeteilten Auszügen aus dem Rechnungsbuch; hier Nr. XLVIII, L, LIII, LVIII, LXVII/LXXII und LXXV. ]M Vgl. LEONHARD HOFFMANN, Almanache des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Käufer, in: Beiträge zur Inkunabelkunde 3. F. 8, 1983, S. 130-143; DERS. (wie Anm. 2) S. 15f.; LUNG (wie Anm. 111) S. 147f. Nr. 85 und S. 388f. Nr. 172; SCHORBACH (wie Anm. 35)

Atiflageiihöheti von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert

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gedruckt werden darf, der nicht zuvor von der Medizinischen Fakultät und vom Stadtarzt geprüft worden ist. Als im darauffolgenden Jahr die Drucker Adam Petri, Pamphilus Gengenbach und Nikolaus Lamparter diese Anordnung ignorierten, wurden sie zur Rechenschaft gezogen; jeder von ihnen mußte >zur Strafe< dem Stadtarzt Wonnekker 100 Exemplare eines Laßbriefes abliefern. Bei diesem Anlaß wurde [ . . . ] festgelegt, daß der Stadtarzt künftig für die Prüfung eines Laßbriefes vom Drucker 500 Exemplare desselben erhalten soll.« 160 Für 1544 ist eine deutlich niedrigere Zahl belegt. Auf Anordnung des Nürnberger Rats stellte der Mathematiker Johann Schöner — nach längeren Auseinandersetzungen um die korrekte Ausführung der in der Stadt zu verwendenden Almanache — in diesem Jahr einen verbesserten Text her, der in 200 Exemplaren gedruckt und an die betreffenden Berufsgruppen, die Barbiere und Bader, verteilt wurde. 161 Im Jahr 1558 wurden zwar bei dem Nürnberger Drucker Valentin Geißler 22000 Almanache bestellt, die allerdings in sieben oberdeutschen Diözesen verteilt werden sollten. 162 Ein gleichförmiges Anwachsen der Auflagenhöhe über die Jahre hinweg ist mithin nicht anzunehmen. Auch waren Almanache sicher nicht jedermann zugänglich, sondern vornehmlich für diejenigen bestimmt, die spezielle medizinisch-hygienische Berufe ausübten. Möglicherweise sind überdies Zensurbestimmungen oder administrative Maßnahmen im städtischen Gesundheitswesen der ungehemmten Ausbreitung solcher Texte hinderlich gewesen - ganz zu schweigen von der starken Konkurrenz, die sich aus den Hunderten von erhaltenen Almanachdrucken der Inkunabelzeit ablesen läßt. Zu den Auflagenhöhen der seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert in zunehmender Zahl publizierten Lieddrucke ist mir nur ein einziger, später Beleg aus Augsburg begegnet, der überdies nicht unbedingt auf einen Einblattdruck zu beziehen ist (kein Exemplar erhalten): »1549 waren in der Offizin Narziß Rammingers Aufträge des Buchfu'hrers Hans Westermair für Lieddrucke eingegangen. Ramminger und sein Geselle Marx Fischer gaben vor der Zensur zu Protokoll, daß sie von dem Lied von König Aiitioclw 500 Exemplare gedruckt hatten, die an Westermair für einen Pfennig das Stück abgegeben wurden.« 163

V. Schlußbemerkungen Unbelegte Schätzungen zu Auflagenhöhen von Einblattdrucken im 15. und frühen 16. Jahrhundert sollten zukünftig unterbleiben können, da es in einigen Bereichen nicht an Material mangelt, das es ermöglicht, der Überlieferung ein Profil zu geben. Für andere Typen von Einblattdrucken verbietet sich dagegen jede Spekulation, bis neue BeS. 115: »Bezüglich der Einblatt-Kalender besteht ebenfalls volle Unsicherheit über die Zahl der gedruckten Exemplare.« I5 J ' Vgf HOFFMANN (wie Anm. 158) S. 139f. und DLRS. (wie Anm. 2) S. 15. "'" HOFFMANN (wie Anm. 158) S. 139 (S. 141 weitere Angaben zu Drucken des späteren 16. |h.). 161 Vgl. ebd. S. 140. lr 2 ' Vgl. HOFFMANN (wie Anm. 2) S. 16. 163 KÜNAST (wie Anm. 4) S. 196; Quelle: Stadtarchiv Augsburg, Strafamt, Urgicht vom 26. 8. 1549.

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lege gefunden werden. Zu bekannteren Einblattdruck-Autoren wie Sebastian Brant, Konrad Celtis, Hans Folz oder Jörg Preining, zu Liedern, Gebeten und anderen geistlichen Texten, zu Fachprosa und didaktischer Literatur fehlen konkrete Nachweise fast durchweg; auch Analogieschlüsse scheinen hier nicht angebracht. Bei etwa 2500 erhaltenen Einblattdruck-Ausgaben des 15. Jahrhunderts können die Angaben also keinen Anspruch darauf erheben, für die Überlieferung repräsentativ zu sein, von dem ungesichteten Material des frühen 16. Jahrhunderts ganz abgesehen. Für die Bereiche Ablaß und Amtsschriftgut im Einblattdruck lassen sich aber erste Linien einer Interpretation ziehen. Aus der chronologischen Verteilung wird unter anderem deutlich, daß manche Texttypen schon in der Inkunabelzeit und nicht erst im beginnenden 16. Jahrhundert oder mit der Reformation in hohen Auflagen bis zu mehreren tausend Exemplaren verbreitet wurden, nicht eingerechnet das Phänomen des Nachdrucks. 164 Nachdrücklich ist aber daraufhinzuweisen, daß dies über den gesamten Zeitraum bis weit ins 16. Jahrhundert hinein wirklich nur für bestimmte Arten von Drucken gilt. Zudem zeigt die relative Gleichförmigkeit der Zahlen über die beobachtete Zeitspanne, daß nicht von einem stetigen Anwachsen der Auflagenhöhen auszugehen ist.' fo Mit der Errechnung von Durchschnittszahlen ist jedenfalls kein Erkenntniszuwachs verbunden. Jede Ausgabe, jeder Text und erst recht jede >Gattung< muß einzeln untersucht werden, und die Ergebnisse sind nicht generell auf andere mediale Typen übertragbar. Die Übersicht über das Material hat nebenbei eine Fülle zusätzlicher, in buch- wie rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht bedeutsamer Details zutage gebracht: Angaben zur finanziellen, materiellen und terminlichen Organisation und Abwicklung von Druckaufträgen, zu Löhnen, Kosten und Preisen, zu beteiligten Personen, zu verwandten Formen von Schriftlichkeit und zur Verschränkung von schriftlicher und mündlicher Kommunikation, um nur einige Beispiele zu nennen. Buchgeschichtlich relevant sind auch die Belege, die erkennen lassen, daß Auftraggeber den Druckern die Höhe der Auflagen unmittelbar vorschrieben. Von solchen Beobachtungen ausgehend ließen sich umfassendere historische Untersuchungen beispielsweise zum Ablaß oder zu den städtischen Schützenfesten anstellen, da diese Bereiche günstige Quellen- und Überlieferungsbedingungen aufweisen. Zu fragen wäre, welche Bevölkerungskreise als Publikum der Einblattdrucke vorgesehen waren, welche Teilöffentlichkeiten die Auftraggeber und Aussteller also suchten und wie sie diese im konkreten publizistischen Vollzug erreichten. Dabei ist auch bei Ausschreiben desselben Ausstellers nach Textgattungen zu differenzieren, wie die Beispiele aus dem Umkreis Maximilians zeigen — Achterklärungen, Reichstagseinladungen und -beschlüsse etwa richteten sich an Adressatenkreise von jeweils sehr unterschiedlichem Zuschnitt. Zu einzelnen Ausschreiben liegen sehr niedrige Zahlen vor, etwa zum Kölner Steckbrief des Jahres 1482, zu den Ausschreiben der fränkischen Landkleinodschießen, 164

Vgl. auch HAMM (wie Anm. 10) S. 161 f. " Stellvertretend fur viele einschlägige Äußerungen OELKE (wie Anm. 11) S. 95f.: »Auch die einsetzende Reformation führte etwa seit 1520 zu einer extensiven Steigerung der Flugblattproduktion.« Nach meinem Eindruck sind solche Aussagen, sofern sie sich auf reformatorische Propaganda beziehen, nicht durch konkrete Zahlen zu belegen; allein die Anzahl der Auflagen (und natürlich der unverkennbare Anstieg der Produktion neuer Texte) muß hier als Berechnungsfaktor dienen.

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Aitßagcnhölieii von Einblatt drucken im 15. und frühen 16.JMassenmedien< wird man diese Publikationen im einen wie im anderen Fall kaum bezeichnen wollen. Anders stellt sich das beim Ablaß dar, dessen hier ist der Ausdruck eher gerechtfertigt - massenhaft reproduziertes Schrifttum besonders intensiv durch Einblattdrucke verbreitet wurde. Grenzen der Rezeption sind hier durch die Wirkungsgebiete vorgegeben, die den Ablaßkommissaren jeweils von der Kurie zugeteilt waren. Innerhalb dieser Grenzen aber zielte die Verkündung auf alle erreichbaren Bevölkerungsgruppen, was die überlieferten Ablaßbriefe deutlich widerspiegeln, und spätestens mit den Kampagnen des Legaten Raymund Peraudi 167 schuf der Ablaß durch die Einblattdrucke und durch andere zu seiner Propagierung verwendete Medien 168 neuartige, überregional standardisierte Kommunikationsformen. Die ermittelbaren Auflagenhöhen sind ein wichtiger Aspekt des Mediencharakters der Drucke. In ihnen dokumentiert sich die von den Urhebern gewollte und kontrollierte Breiten- und Tiefenwirkung des Ablaßwesens. Für die Erforschung der Medien- und Kommunikationsgeschichte des späten Mittelalters und besonders für die Fragen nach den Funktionen und nach der Popularisierung pragmatischer Schriftlichkeit am Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit werden diese Aspekte in vieler Hinsicht nutzbringend sein.

"'6 Vgl. SCHOTTI;NI.OHP.R (wie Anm. 131) S. 147. K)7 Vgl. PAULUS (wie Anm. 48). ">s Vgl. HARTMUT BOOCKMANN, Über Ablaß->MedienWer in einem Harnglas Gänse sucht und an einer Mönchskutte Zotteln und Fransen und in einer Judenschule fette Schweine, in einer Fischreuse guten Wein, und wer in einem Storchennest nach Esel und Pferd sucht, der findet niemals das, was er sucht. Wer einen Bock zum Gärtner macht, Schafe und Gänse gegen den Wolf hetzt, in seinen Zähnen mit einem Holzscheit stochert, Hunden Bratwürste zu bewahren gibt, gutes Essen mit Asche salzt, sein Geld zum Aufbewahren in einen zerlöcherten Sack legt und in eine Reuse Wein gießt, der scheint mir nicht bei Verstand zu sein.
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ΡΡ(Ιβ!ΙΒΤ~,·*·^τ-" Vgl. VON ARNIM (wie Anm. 1) S. 94. 7 Vgl. ebd. S. 92 (Anm.) und HOHENBÜHEL-HEUH.ER, Alte Priameln in Mils, in: Germania. Vierteljahrsschrirt für deutsche Alterthumskunde 28, 1883, S. 417-420. - Zu dem Sprichwort >Bock als Gärtner< vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters, hg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen

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den offenbar auch an Hauswänden angebracht, um damit den Hausbewohnern stetig vor Augen zu sein. Sprichwortartiges und Sentenzen in und an Häusern des 15. und 16. Jahrhunderts waren keine Seltenheit.8 Man schrieb sich diese Sprüche zur allgegenwärtigen Anschauung und Belehrung an die Wand, möglicherweise hängte man sie sich auch dorthin, eventuell in gedruckter Form wie in vorliegendem Fall. Dies bleibt jedoch vorerst Vermutung. Bei einem weiteren Priamel auf einem Einblattdruck (>Selig ist die hant